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http://www.archive.org/details/festschriftzur4900vere
Festschrift
zur
49. Versammlung
Deutsdier Philologeii und Scliulmäimer
in Basel im Jahre 1907
BASEL
Buchdruckerei Emil Birkhäuser
1907.
Verzeichnis der Mitarbeiter.
Albert Barth, stu 1. phil., Zürich (bis 190n ia Basel).
Gustav ßinz, Dr. phil, a. o. Frof. der engl. Philologie an der Universität Basel.
"Wilhelm Brückner. Dr. phil., a. o. Prof. der german. Philologie an der Uni-
versität und Lehrer am Gymnasium in Basel.
Charles de Roche, Dr. phil., Lektor für franz. Sprache an der Universität und
Lehrer am Gymnasium in Basel.
Albert Geßler, Dr. phil., a. o. Prof. für neuere Literatur an der Uni-
versität und Lehrer am Gymnasium in Basel.
Eduard Hoffmann-Krayer, Dr. phil., a. o. Prof. der german. Philologie an
der Universität Basel.
Karl Jöel, Dr. phil, o. Prof der Philosophie an der Universität Basel.
Alfred Körte, Dr. phil.. o. Prof. der klass. Philologie an der Universität
Gießen (bis 1906 in Basel).
Rudolf Luginbiihl, Dr. phil., a. o. Prof. der Geschichte an der Universität
und Lehrer an der Knabensekundarschule in Basel.
.John Meier, Dr. phil., o. Prof der german. Philologie an der Universität
Basel.
Friedrich Münzer, Dr. phil., o. Prof. der klass. Philologie an der Universität
Basel.
Jakob Oeri, Dr. phil., Lehrer am Gymnasium in Basel.
Theodor Plüss. Dr. phil., Lehrer am Gymnasium in Basel.
Ernst Rabel, Dr. jur., o. Prof. der Rechte an der Universität Basel.
Arthur Rossat, Lehrer an der oberen Realschule in Basel.
Hermann Schöne. Dr. phil., o. Prof. der klass. Philologie an der L'niversität
Basel.
Ferdinand Sommer, Dr. phil., o. Professor der vergleichenden Sprach-
wissenschaft an der Universität Basel.
Otto Spieß, Dr. phil., Privatdozent der Mathematik an der Universität und
Lehrer am Gymnasium in Basel.
Felix Stähelin, Dr. phil., Privatdozent der alten Geschichte au der Uni-
versität und Lehrer am Gymnasium in Basel.
Ernst Tapp ölet, Dr. phil., o. Prof. der roman. Philologie an der Universität
Basel.
Emil Thommen, Dr. phil.. Lehrer an der oberen Realschule in Basel.
Rudolf Thommen, Dr. phil,, a. o. Prof. der Geschichte au der Universität
Basel.
Zum inschriftlichen NY E^EAKYETIKON.
Von
Perdinand Sommer.
Die Bemühimgen um die Jittera paragogica' haben, das müssen
wir bei aller Anerkennung der Erfolge früheren Forschens eingestehen .
doch erst durch intensivere Heranziehung der Inschriften ein solides
Fundament bekommen; dieses verdanken wir in erster Linie der aus-
giebigen Materialsammlung aus offiziellen attischen Urkunden durch
Hedde J. J. Maassen's „De littera NY Graecorum paragogica
quaestiones epigraphicae" (Leipziger Studien IV, 1 ff.).
Warum in einer orthographischen Frage dieser Art den Inschriften
die Führerrolle zukommt, ist klar; nicht weniger, daß auch hier dem
Zeugnis der Steine gegenüber eine gewisse Vorsicht am Platze ist: Selbst
AVillkürlichkeiten oder gar vereinzelte wirkliche Fehler der Schreiber
abgerechnet, fließt die Quelle des inschriftlichen Materials für unsere
Frage nicht immer gleichmäßig klar: Ob etwa ein -v vor Vokal oder
vor Konsonant, in Pausa oder im Satze gestanden hat, darüber ver-
weigert in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Fällen die trümmer-
hafte Beschaffenheit der Urkunden jede sichere Auskunft, sodaß es oft
nicht einmal möglich ist, über die Orthographie ein und desselben Textes
völlig ins Reine zu kommen. In der Beurteilung und Bewertung des
Materials wird auch hier für den subjektiven Entscheid des Unter-
suchenden ein gewisser Spielraum bleiben.
Wenn heute, 25 Jahre nach dem Erscheinen von Maassen's Arbeit,
die dort verzeichneten Resultate hie und da zu modifizieren sind, auch
ungerechnet die Vermehrung des Stoffes durch jüngere Funde, so be-
deutet das keinen Tadel. Allerdings muß dabei betont werden, daß
Maassen's Statistik von vornherein nicht in allen Punkten einwandsfrei
ist: Die Beschränkung auf die attischen décréta publica der älteren
Zeit (S. 7) — anderes wird nur gelegentlich benutzt — war vielleicht
1
durch den Charakter der Arbeit geboten, soll auch nicht als unglücklich
bezeichnet werden, unterschlägt aber denn doch im einzelnen einen nicht
unwesentlichen Prozentsatz wertvollen Materials. In der Sichtung des
letzteren ist Maassen nicht immer mit der nötigen Feinheit verfahren,
Zählen gilt ihm mehr als Wägen: So wird z. B. das Verhalten der ein-
zelnen Denkmäler für sich genommen nirgends eingehender geprüft, die
chronologische Rubrizierung begnügt sich mit drei großen Zeitabteilungen,
die bemerkenswerte Einzelheiten nicht zu Worte kommen lassen u. s. w.
Solche Unterlassungen Maassen's sind um so bedauerlicher, ak ihm selbst
die Notwendigkeit einer subtileren Betrachtungsweise nicht entgehen
konnte noch entgangen ist. Das tritt besonders deutlich bei seinen
Bemerkungen über den Pausagebrauch des -v (S. 62 0'.) zutage. Wären
die ^ier gegebenen Gesichtspunkte gleich zur Richtschnur der Bearbeitung
gemacht, so würde das der Genauigkeit und damit der unveränderten
Brauchbarkeit der Tabellen nur zugute gekommen sein. So aber ist
leider das in letzteren Fixierte mit aller Korrekturbedürftigkeit von
Späteren vertrauensvoll übernommen und vernutzt worden, wie es sich
denn z. B. in Meister h ans' Grammatik der attischen Inschriften ^ S. 114
ohne Kommentar und Kritik abgedruckt findet.
Maassen teilt die Fälle mit -v ein, je nachdem sie im Satzinnern
oder in Pausa stehen. Daran tut er recht, insofern sich zunächst auf
diesem Wege am besten ein Urteil über eine Reihe von Punkten rein
satzphonetischer Natur gewinnen läßt.
Über den Satz in laut gestatte ich mir nur ein paar kritische Rand-
glossen :
Was Codices und Inschriften bei vorurteilsfreier Betrachtung schon
längst hätten lehren können, wenn man das Material nur richtig aus-
genützt und sich nicht mit dem gelegentlichen Konstatieren scheinbarer
Unregelmäßigkeiten begnügt hätte (vgl. fürs Attische Cauer Curt. Stud. 8,
202 flf.). wurde durch Maassen zur Gewißheit : die noch heute gebräuch-
liche orthographische Regel, wonach im Satzinlaut v ècpekxvoTLxôv vor
Vokalen zu setzen, vor Konsonanten wegzulassen ist, kann in dieser
Form für die Zeiten des Altertums unmöglich gegolten haben. Ein
Blick auf Maassens Zusammenstellungen zeigt, daß gerade im ältesten
Attisch -V sowohl vor Konsonanten oft geschrieben als vor Vokalen
weggelassen wird. [Im ersten Zeitraum (bis 408) zählt Maassen für
Setzung vor Konsonanten 48 'Vo, für Nichtschreibung vor Vokalen 41 o/o
der Beispiele.] Daraus geht wenigstens eines hervor: Die Ausbreitung
des i hfff'/.y.v(jrtx(')v ist zunächst ganz gewiß nicht in der Tendenz
erfolgt, damit ein bequemes Hilfsmittel gegen den unbeliebten Hiatus
zu bekommen, eine Annahme, die noch Cauer a. a. O. in der Beurteilung
der „regelwidrigen" Fälle auf Irrwege führte. — Damit ist aber nicht
— 3 —
gesagt, daß die weitere Entwicklung des -v sich nicht sekundär schon
frühe in der durch unsre Schulregel angegebenen Richtung bewegt hätte. ^)
Die beredten Söhne Attikas wären sehr töricht gewesen, wenn sie ein
so vorzügliches Mittel, das verhaßte Zusammentreffen zweier Vokale in
der Wortfuge ohne lautliche Verstümmelung eines Elementes zu ver-
meiden, verschmäht hätten; und eine gewisse Vorliebe für den an te vo-
kalisch en Gebrauch des -v lässt sich, gewissermaßen als Vorbote der
späteren papiernen Doktrin, seit den ältesten Zeiten verschiedentlich
feststellen. Dabei sei von vornherein eines bemerkt: Wenn die Sprache
der Poesie das -v als Hiatustilger gebraucht, so gilt, was Maassen
S. 57 über die antekonsonan tische Verwendung sagt, auch für die ante-
vokalische: ohne eine Grundlage in der Prosa des gewöhnlichen Lebens
hätten die Dichter niemals zu ihrer, wenn vielleicht auch noch so
künsthch ausgebildeten Technik gelangen können. Und die Inschriften
bieten hierfür weitere Handhaben:
Wenn nach Maassens Sammlung im ältesten Zeitraum vor Vokalen
das -V häufiger steht als weggelassen wird (59 : 41 o/o), vor Konsonanten
etwas häufiger weggelassen als geschrieben wird (52 : 48 o/o), so verdient das
zwar Erwähnung, doch ist der prozentuale Unterschied nicht groß genug,
um tiefgehendere Schlüsse darauf aufzubauen, zumal sich unsrer Kenntnis
entzieht, in wie vielen unter den antevokalischen Fällen der Hiatus von
den Sprechenden durch Elision beseitigt wurde. Daß dies in Rechnung
zu ziehen ist, dafür gewähren metrische Inschriften, die in der Schrift
die Elision nicht berücksichtigen, eine zuverlässige Kontrolle (vgl. als
altes Beispiel lür -i: JG I- 373 ^'^'^ p. 90: Tlalaôi Ad^avaiai am Anfang
des Hexameters). Wie sich dann in Prosa das Verhältnis der getilgten
Hiate zu den ungetilgten stellen würde, muß leider in der Schwebe
bleiben. — Eine festere Grundlage ergibt sich aus der Tatsache, daß
bei der im Laufe der Zeit zunächst durchgehends zu konstatierenden
starken Zunahme im Gebrauch von -v sich die Beispiele für Weg-
lassung allmählich fast ausschließlich auf die Stellung vor Konsonant
beschränken. Das zeigt jedenfalls, daß man es vor Vokalen als not-
wendig empfand, vor Konsonanten dagegen sich eine gewisse Freiheit
im Gebrauch wahrte. In dem von Maassen benutzten Material über-
wiegen schon im zweiten Zeitraum (403 — 337) die Fälle von Nichtsetzung
vor Konsonant die antevokalischen um 11%, die dritte Periode (336-300)
zeigt vor Vokalen überhaupt kein Beispiel, alle sechs Belege sind ante-
kousonantisch. — In der Zusammenstellung der späteren Inschriften
1) Das meint wolil aucli Maassen, wenn er S. 58 im Anschluß au seme jetzt
veralteten sprachgeschiclitlichcn Erwägungen über den Ursprung des -v sagt „proprium
esse locum huius litterae, . . . . ubi biet oratio." — Gegen dessen Entstellung zum
Zweck der Hiatustilgung spricht er sich wenigstens S. 50 deutlich aus.
— 4 -
(Maassen S. 33) ist die Riibrikatioii. wie eine Nachprüfung des Materials
ergibt, offenbar verdruckt, die Überschriften „ante consonas" und „ante
vocales" sind umzustellen: Gegenüber insgesamt 51 Fällen mit fehlendem
-V vor Konsonant im 3. — 1. Jahrhundert nur zwei antevokalische.
Ein weit lebendigeres Bild gewährt ein Blick auf die Praxis der
einzelnen Texte. Er führt zu folgenden Ergebnissen:
1. Vorangestellt sei etwas rein Negatives: Es gibt keine Inschrift
mit reichlicherem Material, die etwa eine Bevorzugung der littera
paragogica vor Konsonanten garantierte: Wo sie vor Vokal fehlt,
pflegen auch entsprechende Beispiele vor Konsonanten vor-
handen zu sein. Häufig bietet daneben derselbe Text in beiden
Stellungen die Form mit -r:
Wenn JG P 8 in Z. 5 Tota(t) Aq!.i{oöiö) hat, so steht auch
Z. 7 u, 13 avTotoi rlv\ Z, 11 avroiai xara.^)
Vl^.l: A^évèai hai, &her Ruch Ad-êvËai (îo... Z. 18 (vgl.l- p. 12).
r 37: Gegenüber ÔQ(ayu£)oiv ha(y.aoT)og f-m 26 f., a7ia(y)öaip
(h)ai f-ra 34 und (tê)oi Tioleoiv hé \h. 47 ist -v unge-
schrieben in (exo£i'ayy.ö)oi e(g) f-m 17, 26, di(a7TQaxaö)ai
êTTi ib. 26. Demgemäß läßt aber die Inschrift auch vor
Konsonanten in sämtlichen Formen auf -oi das -r fehlen:
a 15: Tio'Asad) y.ar. f-m 4: u(v)QiaGi âQa(yjiÊGi). ebenso
ib. 19, 26. — lö: {ni)o/.{6)oi tcsqi, Hliriai 7T{oleGi), p 39:
y.êQi'/ai 101 g löai i—, 41: rvyxavöai 7rQVT(ai'8voi'T)€g,
f-m 45: (7io)/.eot (fOQOS> o 47: {Tl)oi noKeüiv he.
NB. In den beiden Aoristforraen, dem formelhaften sôo/aev iê\.i) a .^ und
(exajyaev TOficpofQov) o 47 erscheint -r auch vor Konsonanten, vgl.
dazu S. .'il f.
I'40: A.ntevokalisches -v in Z. 30: ouo'/.{o)yöoi v (fxarf^)o/.
39: ÔQ{ayjiaL(j)iv sxaoTog, 29: eysiQOTOvëasv ho. Weg-
gelassen: Z. 11: öof eTTirißdeioi), 43: tioIeöi i, 50:
anuv{TEaö)ai «(s)- Fehlt auch vor Konsonfinten : 15:
(oTë).ê)<ji yiyvËTat, 38f.: iivQiaiai ÔQ{c(yuai 0)1 v, 43:
TËai 71 0/6 ff/. — Antekonsonantisches -y nur in dem stereo-
typen (eô)oy(jev xii Z. 3.
Dieselben orthographischen Verhältnisse in JG I' 47, 273. 324, |-
22 a. 27 a. 27 b. 27 c. 53 a, 61a.
Von nach -eukl eidisch en Urkunden vgl. JG IT 17 (Z.33f. Ai^r-vi]öL
avsTiiTt;oen)(i), aber auch Z. 9: {-oKfi i ôg). — 64, 9: {ßor^O-i]o)aoi eig,
aber auch Z. 1 1 : {fior^!}^r^)aaoi tov. — 603, 16: aT8(favov{G)i EjTiyavj-v
*) Der fragmentarische Charakter dieses wie vieler der folgenden Denkmäler ist
für die Zusammenstellunor stets im Autre /.u. liehalten.
neben 3: ;-!)-voe zo{i)^. — 11 '' 766. 13 (14): avsO^t^xs uGraxov^ Z. 7:
azcedoxs IIoÂvçsvog. — 804 An 41: f.ynvai «, Ba 38: TiQooofpst-
kovai ro)v, u. s. w. —
Wenn auf dem Bruchstück P 2 B, 19 aTcoôtôôaiv rcaqu und
C 20 -ICH 8 /il- einander gegenüberstehen, so ist daraus ebensowenig ein
dem oben Behaupteten widersprechender Schluß zu ziehen wie aus
li' 86, 8 soTi ort gegenüber 32: £7iidi]iitc)Ofi xar' (: sonst kein Material:)
und aus der einen Form siâcnjt o{ri) 114 A, 13 neben ÂaycooLV
TCQOEÔQEvsiv 9, Xs'/ovoiv ü u t 14, ey.QiPsi' (hcc/st Qoi o{vt^)aaaa 5,
ße(Sov'Aevy.ev '/.syov 11. (114 B, 9 hat vor Vokal ô(o)çaoiv aQiara.) —
Das Fragment 11^ 584 bietet einmal ôtelvos AÖ^r-vaiovig) Z. 8 neben
{av)E'J-i]y.Ev y.a'k — Z. 12. — dar nicht zu reden ist von einem Fall
wie P 56 b 3: eg%i ayaiïo'^^ 7 ëgl e/oai^uöv im Gegensatz zu dem
formelhaft erstarrten sô(r/jjsv tel ßölei Z. 1.
2. Wir wenden uns zum positiven Teil: Eine gewisse Vorzug-
stellung des antevokalischen Gebrauchs von -v resultiert unwider-
leglich daraus, dass eine ganze Anzahl inschriftlicher Urkunden die
Weglassung nur vor Konsonanten kennt. Dieser Zustand findet
sich bereits auf recht ehrwürdigen Denkmälern:
JG I' 1 B hat -V vor Konsonanten in fivGT(ëG)iv y.aL 6, {e7i)onTè lgiv
{y.ai) 7, ay.ok(ovd-)oiGiv y.ai 9, {aXX)oioiv To(ig) 10,
I.i{v)gt£Qioigiv föt," 34. — Vor Vokal: 12: (Adëv)aiot Gtv
{ha) TiaGLv, 29: Ai}êvaLOiGLv sy.si, 30: teigiv avrêai. —
Es fehlt vor Konsonanten: Z. 5 xotoi f-ivGT{éo)iv, tëlgl
TtokeGiv 26 (vgl. I- p. 3), ccvtêgi tcoâsgh' 31. roioi äs 32,
oXeiZoGI f.lVGTÊqiOlGlV 33.^)
P 32: Antekonsonantisches -v: eaciv tolç A 5, {xQ£u)aGtv
■loii^) B 17.
Antevokalisch: sgtiv sxaGTÖi A 23, egtiv ê B 25.
Fehlt vor Konsonanten: A 6: eari tovtöv, 29 avayQa<fGÖGi /«,
31 neQiöGi '/QEGO^ai, B 20: la/iiLaGL röv.
W 1b p. 394 f. (Jahr des Eukleides) hat: Z. 22 sGiii .tsqi,
29 ËGiv 718QI. — 9 y.slsvöGLv £t,', 35 ëaii' aiÖQSi^. —
12: EJiaivöai ôe.
Auf jüngeren Texten rindet sich dieselbe Verteilung. Sind auch
naturgemäß bei den größeren Ausdehnung im Gebrauch des r f</£/.-
xvGciy.ôv die Minusbeispiele spärlich, so handelt es sich doch oft aus-
schließlich um die Stellung vor Konsonanten. Vgl. JG II' 553 (um 400):
Z. 1: (ed)o^e^' r/;/, 5 exoQt;y)-G8v /o/.s, 10 aiÔQaon Junvuicc-
-) "Wegen der besonderen Beschaffenheit eines Teiles der Beispiele s. noeii S. lU.
— 6 —
9 i avtxr^y.èv an'. 10 Tiaioiv ?;. — 5 Traioi y.ai. 311: 45 ana-
Qovoiv y.cii. 46 ...an /.ai. — lA {et iui]o)ev (eixoaiv), 47 na^axa-
j.ovoiv av{TOv). — 22: £VTVxr.jiiao{i) rov. 46 aTTCtyysJi.ovni rr^v.
314: (Xur Z. 32 ôi aTarê'/.exe leyov ohne -v, mit -r: vor Vokal 9inal,
vor Konsonant 8mal.) 317. 331: -r vor Konsonant: Z. 2 (£)rro/fO^-
X7(j£i TAs. 11 i/.aßer xai. 29 exoinoev toi. 34 ôi £(fv'Aaçev tj;v,
39 ;Taç«dw>ffi >?«'. 61 /.s/.sirovQyr/xsr (pikoTif.iiog., 63 naoïv rov-
TOig (Minuskelumschrift unrichtig!), 68 /.axtooiv nQoeÔQsveiv., 94 st-
T?;xfj' {0)ai ÔQog. — Vor Vokal: Z. 6 (eTr/.e)v()Sv etïi^ 8 e?.aßsv
Ayvvjvu. 13 TïaQcO/.evaoev aacpaleiai. 20 ôiaTereXsy.Ev eavrov^
(23 ojuTTQOiîf/xci eTTèf^icîr^d^Tf), 32 ôieTeîeoev ayovi'^oiievog (vgl.
Z. 41. 46!), 60 é/LiTiaoïi i;i\ 62 j'ëj'oi^afj/v £k (83 ayoxjiv oig). —
-V fehlt vor Konsonanz: Z. 13 jx/.iovoi rr^v., 41 âtsTs'Aeae xai, 46 dterg-
/.£f7£ Travra (vgl. Z. 32!), 55 övvT8ks{od^ioG)i naoai, 83 Tiaai TOig.
— 332. 403 (Z. 79 vor Vokal avs^r/xer Evxlrg, nicht aie^hy/.e. wie
die Minuskelumschrift bietet.) 467, 469, 471. 605, 609. 610. 611, 628,
453b (p. 418). — Dittenberger Sylloge- 169. 177, 178 u. s. w.
Es ist nicht schwer zu erkennen, daß in einem solchen Verhalten
der Keim der späteren Schulpraxis schlummert. Wenn es in der älteren
Zeit schon öfters Brauch, in der späteren Regel war, î^-lose Formen
nur vor Konsonanten zu gestatten, so lag es für Leute, die überall feste
Norm und reinliche Scheidung vei'langteo, nicht allzu ferne, in der
Richtung auf die Schulregel hin zu verallgemeinern. Zwar geht aus
dem Befund der Inschriften aller Zeiten klar hervor, daß eine solche
Theorie nicht allgemein, ja daß sie nicht einmal weit verbreitet war,
— -V vor Konsonanten bleibt bis in die späte Kaiserzeit sehr gebräuchlich
(vgl. Dittenberger Sylloge- 387. 390. 404. 405, 406, 418, 420) — ;
Spuren aber, die deutlich auf das in der bekannten Schreibregel nieder-
gelegte Prinzip hinweisen, finden sich schon in vorchristlicher Zeit genug-
sam : Zeigt bereits die vorhin besprochene Inschrift I ' 32 vor Vokalen
die ausschließliche Verwendung des -v, vor Konsonanten ein Überwiegen
der v-losen Form, so gibt es auch in jüngeren Epochen Urkunden, die,
ungeachtet der sonst zu konstatierenden Ausdehnung des -v, als ante-
konsonantische Dublette die i^-lose Form in der Majorität haben. Sie
stellen gewissermaßen einen Übergang dar: So
JG II' 628 (Ende des 2. Jahrh. v. Chr.): antevokalisch Z. 8 uvot/,-
Qtontiiv i^fteçaig, 25 avevQsv avzog, 28 ef-mauLV ana-
voQxh'Hiei'jg. — antekonsonantisch: mit -v: 17 {7TQ0G)sf.i€-
QKiii' ÔS, 23 fTmt'Koxiiv rag. — ohne -v: Z. 7 èoi i ôvvaTt],
39 TiQoiii- iirQi ar- de, 40 i-xa/./.i f^Qt'os raig (in Pausa an-
ii t/.fiii-i).
Es kommt aber noch deutlicher: Die Inschrift aus Amorgos BGH 8,
450 = Dittenl) erger Sylloge- 642, wahrscheinlich aus der Glitte des
3. Jahrh. vor Chr., hat
vor Vokalen: Z.S naQt^yysi'Aev 8v, IQ ava?.o)aev sig^ 21 u(fr^xf^v
aceleig^ 30, 33 Tc^t]aiv rj. — Vor Konsonant: Z. \1 skaße ÔQaxjiiai;,
30 7i{aoi) Totg, 33 ttuoi toi S- — -v erscheint außer in dem formelhaften
SÔOÇSV z/jt (Z. 1) nur in srvsôioy.sv y.ai Z. 20, wo man ebensogut
Pau sa Stellung annehmen kann, zumal nach y.ai das neue Prädikat acpr^y.ev
folgt. (Sonst in Pausa eiTiev Z. 2, ayvxni', oig Z, 30, 33.)
Ebenso scharf tritt die Divergenz hervor in
JG 11^ 385c (2. Hälfte des 3. Jahrh. v. Chr.):
Vor Vokal: Z. 9 alovaiv eig^ 13 Gvvr^yoQ7-^asv sig, 20 s^ovoiv
aiQSGlV.
Vor Konsonant: Z. 7 nQoetor^vsyxs XQrjuara,^) 9 aoaveios
äs, 15 eôojy.s de, 37 açiovai ôod^r^vai, <54 TraQayeyovoo i
[.lex.
Die einzige Entgleisung Z. 14: (JvvETCQeaßevasv de.
(In Pausa: einev Z. 3, 33, 49. yaxa:Tlsov(JLv Z. 12.)
Schon als vollkommen der Schulregel entsprechend sind diejenigen
Urkunden zu betrachten, in denen nur etwa das formelhafte eôoçev vor
Konsonant festgehalten ist, während der übrige Text sich dem Brauche
fügt. Das treffen wir bereits JG ir 570 (um 400):
Antevokalisch: Z. 34 ogolglv e{(jTi('jv)iai.
Vor Konsonant: Z. 15 sav^L?) {ili)r^(ptai.ia^ 32 aQ/otoi rö, 37
naqöoi Illod^-.
{sôoçev niiod^eisvai) Z. 11.
Ebenso IP 54b (362 v. Chr.):
Antevokalisch: Z. 6 ajioipaivôoLv offei?.ôGai>, 11 a7ioôido)aiv
€v, 34 yaT/]yaysv o.
Vor Konsonant: Z. 18 oi-ioob Keiotg. 46 aufpKjßy^TOjai «/;,
47 y.aTaoTi]aaaL TiQog.
{eâoçsv xr^t Z. 3.)
NB. Die Pausa schwankt auf dieser Inschrift. Z. l sjt Qvvavevev, 5 eiuev,
aber Z. 2 eyçaftfiarei'e, 19 coai, 23 eiac, 45 A&tjvtjai. —
So wird es denn schließlich nicht Wunder nehmen, daß sich hie
und da Denkmäler finden, die völlig zur Schulregel stimmen. Den Text
JG W 14b p. 397 (387 6 v. Chr.) mit seinem (eari)^ eg rrjinoln
Z. 4, leyovoi Je- 6, syj)vßi y.- 9 erwähne ich nur beiläufig, der frag-
mentarischen Überlieferung wegen. — Wichtig, obwohl gleichfalls ver-
stümmelt, ist
^) Z. 8: EiY.oai TaÀavra hat \vc2;znl)leilien; s. S. 19.
_ 8 -
11^ 62 (357-6): Hier hat nämlich in Übereinstinimuug mit {eyjoai
utG{i)^or) Z. 21 selbst das stereotype eöo^sv sich einmal der Schreib-
regel gebeugt: Z. 6 bietet sôoçs rrt gegenüber 8{xo)o)iv o{l) Z. 10 und
den Pausaformen tyQuaiiarsvap Z. 4, gtrrev Z. 7. — Dasselbe in dem
Fragment 11^ 108 a (349/8), wo Z, 14 eiOLv sx, Z. 1 €Ôo~s tcoi zu lesen
ist. (Das TC'ji e(.i7iQ0Gd^ev yiQov <iûv> on von Z. 6 wird niemanden stören,
der Maassens Bemerkungen zu dieser Formel S. 35 f. berücksichtigt.)
IP 614 b (Anfang des 3. Jahrh. v. Chr.): Das erste Dekret (der
Soldaten) beobachtet die Regel nicht, wohl aber das von Z. 51 ab
folgende der Eieusinier:
Antevokalisch: Z. 62 e()Te(pav(')y.6v avrov, 69 ysyovev airiog.
Antekonsonantisch: Z. 62 naot rovroig, ETieivey.e xai, 63 en:-
In Pausa: Z. 51 sltiev^ 55 ipr.fpioiiaGiv, 67 sLoevê/d^ooii.
Auch IP 597 c (l. Hälfte des 3. Jahrh., vgl. Dittenberger S} Uoge -
605) stimmt mit seinem wenn auch dürftigen ^Material:
Vor Vokal: Z. 5 aTTOÔr^^iovaii e.Ti, 15 sartv avTtoi.
Vor Konsonant: Z. 12 y.rQvçi y.ai.
Von besonderem Interesse sind die von Pomtow X. Jahrb. 149,
507 ff. behandelten „Kallikles" -Inschriften aus dem 3. Jahrh., fünf
amphiktyonische Dekrete mit identischem Wortlaut, ihrer Entstehungs-
zeit nach jeweils nur durch kurze Zwischenräume von einander getrennt.
In jeder einzelnen von ihnen ist das Gesetz: „-^' vor Vokal, kein -v vor
Konsonant" mit peinlicher Gewissenhaftigkeit durchgeführt. Der Schreiber
hat, was er in der Schule gelernt hatte, gut im Kopfe gehabt:
Vor Vokal: Z. 7 El).i]aiv anaaii aveiy/.J/cojg-, 8 leqouv t^/tioaip
erraii^aai, 9 ayooiv olç,^) 10 Tii^eaaiv oi.
Vor Konsonant: Z. 4: eôoçs TOig, o isQoiivi-fioGi yai\ 6 dasselbe.
6 AiKf L/.TVOGL yai, 7 eôoçs roig, 9 naoL roig. —
Es empfiehlt sich, über die Grenzen des Attischen und der y.oivt^
hinaus einen kurzen Blick auf die ionischen Dialektinschriften zu werfen,
denn auch hier genoß, wie wir wissen, das i tifû./.vGrLy.ôv Heimatsrecht.
Sie zeigen im wesentlichen dasselbe Verhalten wie das bisher behandelte
Material :
1. Auch hier keine größere Inschrift, die das -v vor Vokalen weg-
ließe, vor Konsonanten setzte: Fehlen vor Vokal bedingt immer die-
selbe Freiheit vor Konsonant: vgl. (nach B echteis Sammlung in GDJ):
5285 (Olynthos, Auf. d. 4. Jahrh.) b: XaXxLÖevGL ty.y neben 3Iay.s-
duGii f X, vor Konsonanz neben Tt'/.tovGtv nlea auch ak'//.r//^0LGL y.ara.
1) Kann auch als .,Pau8aform" vor be^innendeni Relativsatz »ezählt werden.
— 9 —
5398 (Kens, Ende d. 5. Jahrli.): tqloi ey.arov und (iqkj)i /.f-vy.oig.
5698 (Samos, Ende d. 4. Jahih.): STisa ce{L)Â8 stg und eoTe(favv>os y.ai.
5737 (Magnesia, Ende d. 4. Jahrb.); Neben syQafiftaTsvev II/.aißTccQ/og,
eôoçsv ii^L aucb eon {7is)Qt; demnacb :iQoi]ÔQevF. [ortag berechtigt.
2) Einige Denkmäler zeigen fakultative Weglassung nur vor Kon-
sonanten, vgl.
5753c (Mylasa, 855/4 v. Chr.): jiie ic{rf)yêi' /;, e7i(')lr^aev ;;, auch
sy.oirvnr^Gev T/;t.', {Mvkaoevoiv xai, auf y.ai folgt neues
Prädikat), aber auch eôo-e 3IvlaaevaLv.
5755 (ib.): oevögsotv eÄaivoig zweimal, ^leTtQaxep avirng zwei-
mal; — övoiv y.at, TQLOLv xa«, 7CE{p:)r^'/sv avv^ aber auch:
oevÖQSOi naatv, evovot öevÖqeotv.
H) An völlig einwandsfreien Beispielen, die wenigstens eine spora-
dische Existenz der Schulregel auch für das Ionische garantieren könnten,
fehlt es leider; vielleicht zufällig. xVllerdings haben \Av zwei Inschriften,
die sich jenem Gebrauch stark nähern. Einmal die bemerkenswerte
Urkunde aus Mykonos 5417. Ich gebe die Inschrift, die noch einige
verstümmelte, bei Bechtel nicht mitgeteilte Zeilen enthält, nach der
Pubhkation von Barilleau BCH 6, 500 ff. : -i vor Konsonanten rindet
sich hier aulier in dem ergänzten f.i€T€i(xei) Kaû.toTayoQag nur in
Z. 34 röio/.Ev XV, 44 {Evt]yyv r^)o£v rr^v. Alle üljrigen P'"älle stimmen
zur Regel:
Vor Vokal: Z. 3 evi^yyvr^Gev [Erra^/tdft], 6 avie/.e^evA/.ti.L-
zÂ?;i,', 7 7iQ0Ged-i]yBv €y.aroi\ 16 saojy.sv i-Tiiay.ooiug,
28 evi]yyvrGer Equo^ evrv.
Vor Konsonant: Z. 4 côvjye yûuag^ 12 £V7]yyvr^ae -ogtqüi o)i,
13 a.Tèôojy.a ôe, tlaßt naQcc^ 15 svi]yy{v)r^Ge 0i/y(')i luvn,
fdoxs fi(vQL)as, 19 vTis^i-y.a KaX'/.iievog^ 21 >,yyi'>,os
Tifisaù, eôtoxE TQiGy^t{^Xt)ag^ 23 evz-yyvijae Uan^rcLai
25 ev?]yyvj]ae Ilav&a'/uôa, 29 i-doy.r- yi/uag. 33 sir^yyvj-os
xai^ 39 a{ôo))xs ÄXX.
Eine ähnliche Statistik weist die berühmte Sängergilden Inschrift
von Milet (5495) auf: Sie setzt zwar dreimal -r vor Konsonanten : iG/öair
GTa(pavi]<f OQOL 9, GterpauocpoQoiGii ra/.ra 1415, KßonuaioiGiy de
21, hat aber sonst:
Vor Vokal: ioGlv ag 18, Tcc^y ///uoiGti CcQ(rt)oi 20, ^J;^cc-
ye(t)TVLOLGLv ifç(/;t) Ol' 20/21, la^oiGLi o 22, Oi li aöt^ioii
ano 37, noKoatv Ovcraöat 40, uoA.totaii a.Ti 40, ora-
(favi](fOQOLaiv aniTaTQacpii ai 42.
— 10 —
Vor Konsonanz : fôo^c iio/y^toLOLpA, ariciaôoi iiolîiuivQ^rtTiéo^e-
oai -/.ai 8, TOioi OTeçavrjÇoQotaiv 14, tiivöol to/u 16,
TOVToiai toig'' isQoiOLv 22, OviradriiGi .Ta(>gç/g 32 (vgl.
Z. 37!) Eaôf uoÂTtoiaiv 40, saôe fiokTioioi 41, (.10X710101
Gr£cpavi]ffOQOi Giv 42 (vgl, Z. 40!), reXeGi loig^ 44.
Über die darunter befindlichen Beispiele in syntaktischen Kom-
plexen s. S. 25.
Verhindert in dem zuerst zitierten Denkmal die junge, stark mit
y.onr durchsetzte Sprachform einen sicheren Schluii auf vereinzelte An-
wendung der Schulregel auch im echten Ionisch, so im zweiten Fall
der Umstand, daß nur die späte Kopie eines älteren Textes vorliegt.
So gut der Abschreiber bei Gelegenheit des /. adscriptum gesündigt hat
(Bechtel S. 629), könnte er sich auch beim v l(fsX/.vOTr/.ôr Verstöße
gegen den Gebrauch seiner Vorlage haben zu schulden kommen lassen.
Allerdings wird eine weitere Beobachtung (S. 25) unser Vertrauen in
die Inschrift bezüglich des -v beträchtlich erhöhen. — Ohne Verklausu-
lierung kann jedoch somit die Frage fürs Ionische nicht bejaht werden.
Daß wir auch in 5702 (Samos) das 0711(0)^8 S-sog von Z. 27 gegenüber
avf^yiyvojox&v ex 88, aTcecpaivev ovxa 30 und in 5727 (Halikarnass) a 65 oniod^e
TOi> gegenüber ciy^ev EQiiamg 39, er/i^i ylQTvciGoig 45 nicht verwerten
dürfen, zeigt die Überheferung Herodots bei diesem Adverbium (Bredovius,
Quaest. crit. de dial. Herod. 106 f., Smyth, lonic dial. 289).
Das Gesamtergebnis ist klar: Im Attischen und in der y.oLvr: ist
nach Ausweis des inschriftlichen Materials ebensowenig wie im Ionischen
eine einheitliche orthographische Regelung in Sachen des v ècfsÂ-
xvGTLy.ôv durchgeführt worden, die sich konsequent nach der Gestalt des
folgenden Anlauts gerichtet hätte; wohl aber finden sich schon frühe
Anläufe dazu, die Weglassung nur vor Konsonanten zu gestatten,
ja. im Attischen und in der y.oLvri zeigt eine Anzahl von Fällen diese
Weglassung zum Gesetz erhoben. Es sind also schon in vorchristlicher
Zeit theoretisierende Köpfe darauf verfallen, die Anwendung streng in
der beschriebenen Weise zu regeln. Daß sie damit nicht durchgedrungea
sind, wissen wir; Reflexe ihrer Vorschriften aber finden sich in den
gegebenen inschriftlichen Beispielen wieder, bei deren Mehrzahl die
Annahme einer zufälligen Verteilung ausgeschlossen ist. Die ersten
Zeugnisse fallen schon ausgangs des 5, oder ganz zu Beginn des 4. Jahr-
hunderts, Sie und die späteren Belege entstammen jener Zeit, die die
griechische Nationalgrammatik schuf und ausgestaltete, den letzten vier
Jahrhunderten vor Chr.
Sicherlich ist es also Unrecht, unsere Schulregel schlechtweg als
„byzantinisch" zu bezeichnen (Kühner-Blass Gramm. Ii ' 295 Anm. 2).
- - 11 —
Nach dem, was uns die Inschriften gelehrt haben, verschlägt es nichts,
wenn die Regel als solche zum ersten Male l)ei den Byzantinern sich
ausgesprochen findet. Das geschieht aber nicht allein, wie Maassen
glaubt, in dem grammatischen Traktätchen IleQÏ tov icpêÂyvariy.ol y, das
im Qi](TaiiQ6^, y.ÊQa^ dt-ialüiia^ etc. des Aldus Manutius (Venedig 1496)
auf f. 2161) abgedruckt ist. Maassen hat recht, wenn er S. 41 die Autor-
schaft des Choirobüskos bestreitet: Inhalt und Sprachgebrauch wider-
sprechen ihr in gleicher Weise, namentlich die Verwendung von t(f'c'/.-
y.variy.ov als Attribut zu vv. Wie Maassen richtig hervorhebt, sagt
Choiroboskos (Lebenszeit zwischen 6. u. 10. Jahrh.) noch stets „ë eyg/.-
xvaxLxav èoTi tov r" oder ähnlich.^) — Wohl aber schimmert aus dem
Abschnitt in Planudes' UsqI yQuuuaxiy.r^g ôiâXoyog (um 1300), den
Maassen S. 40 unbegreiflicher Weise nicht völlig ausgeschöpft hat,
deutlich die Polemik gegen die Schulregel durch, die also damals von
andern verfochten wurde. Ich zitiere nach Bachmann, Anecdota
Graeca II 57 f. :
,^Af.iéhi ôe, 0001 Ttôv ^ArTiy.cjv ri^) y.cacdoyâôr^v Âôyq) rd» èavTOJV
avverd^avzo ßißlovg, xal cpcovrjsvTog /.al ovf^KÇtôvov TOÎg toiovtoi g
iTiKfeQOf^tévov, xo v TiQoaéd^t^yav, y.al iiaçTVQeî Tiàoa. ßißlog... Dann
weiter: Ol ôè xijg véag xavrr^g örj yQu^ufiariyrg ènundiaL, oi x^èg y.ai
rr^o TQici-g dyudoavTi-g, TiâvToS-ei\ ETiciyouévov o i\a cp o) i> o v^ co loi-
ovxov èçojQioav dfiSTaßo'Aov.^''
NB. Die bei Kühner-Blass a. a. 0. aus den Worten des Planudes
geschöpfte Behauptung, die Byzantiner hätten das p noch „allgemein"
gesprochen, stützt sich nur auf die bei Bekker Anecd. Graeca III 1401
gebotene Textgestaltung: Bachmann hat S. 58,i das entscheidende /<;;
nicht, und der Satz: „x«/ro/ y.cd j]fi£ig xwt« rr^v y.oivozèQav 7]/iicîJv ôia-
ley.Tov TOÏg fiera tov v nâvxa Xèyovoi y.ai ênujvQhTOiiiev, y.aî ßuQßaQOvg
Tomovg dnoy.alovi-Œv'-'' hat nach dem Vorausgegangenen guten Sinn:
„Wenn auch die modernen Grammatiker Unrecht haben, die das i^ über-
all vor Konsonanten herauswerfen, so tadeln wir doch auch (xa/ro«)
die, die überall r sprechen," — Nebenbei bemerkt, wenige Zeilen
weiter (S. 58,i3 f.) ist in der RepHk des Neophron dann auch im Gegen-
satz zum früheren Sprachgebrauch (Choiroboskos) wirklich vom „r
ècpsXy.voTiyôv'''^ die Rede („t/ ôè y.otvov QjjiiiaaL y.al dvöiiaai oiare y.d/.enoig
y.ai Tomoig è(pB/<.y.v(îTLy.dv to v ylvead-ai;^^)
Des Planudes Schüler Moschopulos zitiert die Schulregei ohne
weiteres als gültig (Gramm. Graec. IV, XLIIIaitff. : „ro ydç r tifc/.-
1) Demnach ist auch CTramni. (Ti-aec. IV-, S. (JÜ,Ui „to ri'.Tre ov ôvrcirai
ê(f€Ay.vaTiaôv ëyeiv ro v'" das Adjektiv zu ro xvnTe und nicht zu v zu ziehen, wie
ühriseus der Sprachgebraucli der ranzen Stelle unzweideutio- dartut.
— 12 -
y.vaTr/.(')v iarii sv roZ* TQ/roig 7iQ()<JO)n:oig ron ()t]ftÛTO)P îoÎs' ^ts" ^ '}
è.ci fpfQiiftévov, ovfKpo'fyov ôè ov/.éz i''^). —
Den Hauptgegeiistand meiner Untersuchung bildet der Gebrauch
der littera paragogica in der Pause, und hier weiche ich nicht unwesent-
lich von dem bei Maassen tabellarisch Niedergelegten ab. Es kommt
mir dabei in erster Linie darauf an, seine Ansichten über den ältesten
Zeitraum einer Revision zu unterziehen, denn daß später in pausa die
Setzung des v Irpeky^cGTi/.öv fast zur Regel geworden ist, zeigt auch
Maassens Statistik. Dagegen kommt bei M. der Pausagebrauch im ersten
Zeitabschnitt (bis zum eukleidischen Jahr) schlecht weg; nur in 17'V'o der
Beispiele soll es vorhanden sein, in 83 o,, fehlen. Dies Verhalten würde
zu dem des Inlauts im denkbar größten Widerspruch stehen, es ist aber,
wie mich eine selbständig vorgenommene Prüfung des Materials über-
zeugt hat, zu Unrecht konstatiert. Ein greifbares Resultat zu erlangen,
ist allerdings hier besonders schwierig, vor allem, weil der Begriff „Pausa"
selbst ein schwankender ist, um von äußerlichen Zufälligkeiten der Über-
lieferung, die einer sicheren Erkenntnis auch hier nicht selten im Wege
stehen, ganz zu schweigen. Wo man im Ansatz eines „Sinneseinschnittes"
schließlich Halt machen soll, kann oft nur nach Gutdünken entschieden
werden. Ich brauche nur an Fälle mit „und" zu erinnern, um die fast
unendliche Modulationsfähigkeit der Stärkegrade ,,in pausa" darzutun.
Mein Verfahren im folgenden war das, als „Pausaformen" solche Fälle
zu rechnen, in denen unser Sprachgefühl eine Interpunktion verlangt.
Daß wir mit dem der alten Attiker dabei bisweilen in Widerspruch ge-
raten mögen, läßt sich nicht vermeiden, aber leider auch bei dem Mangel
einer sicheren Kontrolle von Fall zu Fall nicht konstatieren. Auch
glaube ich, daß das Gesamtergebnis unter allen Umständen im wesent-
lichen das gleiche ist. Bemerkt sei noch von vornherein, daß, wie schon
Maassen S. 28 richtig erkannt hat, es für den Gebrauch des Pausa-v
gleichgültig ist, ob ein eventuell folgender Satz oder Satzteil mit Vokal
oder Konsonant beginnt. Meine eigenen Sammlungen haben mir das,
auch wo sie über Maassen hinausgehen, weiter bestätigt. Ich bespreche
zunächst
I. Die offiziellen Urkunden. Was seit Maassen an neuen Funden
hinzugekommen und in J G I niedergelegt ist, habe ich mitverarbeitet,
auch die tabuhe magistratuum mit den décréta zusammen behandelt.
Das 8cheinl)ar abweichende Verhalten des Pausagebrauchs gegen-
über dem Inlaut in Maassens Statistik ist einzig und allein dadurch ver-
schuhlet, dal) in die Materialsaiumhiiig die stereotypen Formeln der
— 13 —
„prœscriptiones" mit ihrem ständigen ercQvravtve. e'/ounuarevt. ëoye, sitcs
einbezogen worden sind, obgleich Maassen deren ^peculiaris et propria
natura" ATohl bekannt war (S. 68). Es ist doch wohl klar, dali wir in
derartigen, altüberkommenen Phrasen sprödesten Kanzleistils nichts über
das erfahren können, was in der lebendigen Sprache der betreffenden
Zeit gang und gäbe war. Wenn ercovraveve u. s. w. regelmäßig ohne
-r erscheinen, so beweist das weiter nichts, als daß diese Verbalformen
einmal vor längerer Zeit olme -v im Gebrauch waren und erstarrt in
den Formeln bewahrt wurden, nicht aber, daß im 5. Jahrhundert v.
Chr. die Attiker das -v in Pansa ungern setzen.^)
Bei €i:rt€ speziell ist übrigens noch etwas anderes im Spiele: Auch
im eigentlichen Text der Inscliriften herrscht allgemein der Gebrauch,
am Satzende das -v wegzulassen, wenn noch eine erläuternde
Aufzählung oder etwas Ahnliches folgt, da, wo wir im Deutschen einen
Doppelpunkt setzen würden. Daß in solchen Fällen die Griechen nicht
notwendig einen Sinneseinschnitt empfanden, läßt sich wenigstens für
die spätere Zeit direkt erweisen: Wir finden Assimilation an den
Anlaut des nächsten Wortes in JG II- 812a Z. 1 (um 320 v. Chr.):
ay.€vr] oiö og^eü.ouai/^i: 0iAoô}]aoç u. s. w.
[Wenn hier überhaupt -v Icps'Ky.vany.ov geschrieben erscheint, so ist
das für die jüngere Zeit ganz in Ordnung. Der Gel)rauch, es an dieser
Stelle nicht zu setzen, war schon etwa 90 Jahre früher aufgegeben
worden. Für die ältere Epoche aber gilt er ausnahmslos.] Da, wie sich
später zeigen Avird, die Pausa ein Hauptgebiet des -v war, so sollte offen-
bar durch das Weglassen vor „Doppelpunkt" gerade das Nichtvorhanden-
sein eines Einschnittes markiert werden. — Aus der voreukleidischen
Zeit sind folgende Fälle hierherzustellen:
Ol. 86,4^) JGlM79,s: eyjtleöGL: Jcr/.€Oaiuoriöi. Ja/.ic({ôëi) ii. ^. w.
(folgen die übrigen Namen). — Ebenso Z. 19.
89,3: V 170,.-): yovvaQyôoi (folgt das mit ..er töi Uccod^ivörr''
beginnende Verzeichnis).
90,1: I' 320^10: xo{vvaQx)öoi: (folgt Summe).
91,2: V 183d-e: xavvaQyöai: e 7, d 8, 10, 12. 14.
9 3,1: I' 324: c I 14: 7CQoa€(^ë)y.6; 21: ^CQO(j[yc€)/cTôy.t: ,
c II 18: siye: . —
1) An dieser Stelle möchte ich vor der Annahme warnen, als oh für jene
älteren Zeiten aus dem stets mit -v ofeschriebenen eôo/Gev rëi ßöÄei im Gegensatz zu
eTtQvtaveve u. s. w. auf eine Differenz zwischen Satzinlaut und Auslaut zu schließen
sei. Die Ausnahmestellung des eSoyasv liegt in ganz anderer Richtung und hat mif
Sandhi an und für sich überhaupt nichts zu tun. Wir kommen S. 31 f. darauf zurück.
-) Nicht ganz sicher, weil stark verstümmelt JG I^ 299 i^um 01.85): (£7r/OTar)^(7/ .■
[folgt als Siunine yQvnö (y.at uQyvQDô'].
— 14
Diese Inschrift bietet darin eine bemerkenswerte Abweichung, daß
nur die Verbalformen auf -6 die alte Schreibgewohnheit beibehalten
haben, während die Dat. pl. auf -glv auch vor „Doppelpunkt" bereits
mit -y erscheinen: a 16 arôçaGir:, 2ö avacpoQèaaaiv: . — Zum ersten
Mal findet sich das in JG I^ 188 (Ol. 92,3), wo 23 mal ovvacxöGLv er-
scheint. Die Eingangsformel aber hat noch EyQafj.(xaTeve Z. 2. —
{avv)a^20iOLv auch I^ 146,2 (Ol. 93,4 oder 94,1). —
Aber auch die Schreibung der praescriptiones erfährt genau
um dieselbe Zeit das Eindringen des -v.
Ol. 92,2: JG I- 179ab C 10: £{yQ)auuaTevev (p. 160).
9 2,3: I* 58: {6)yQafj.fj.aT€v€v; éq^sv.
I- 51: {eyQa)f.ifxaTEvEv\ eiTcsv.
92.4: I^ 322a, 5: «i/rev; 7: syçaiiuaTevaEv.
93,1: I" 62a: {€TCQVTa)v€v€v (nicht ganz sicher).^)
93,2: I^ 140,28: {e)yQa^i^iaTEvsv.
Dazu noch das undatierte (E7tQVTC()revev I^ 16,7, das wir nunmehr
auf Grund dieses orthographischen Indiziums sicher nicht vor Ol. 92,2
rücken dürfen.-)
Es ist gewiß kein Zufall, daß diese Neuerung die Beispiele vor
Doppelpunkt und die Verba der altehrwürdigeu Eingangsformeln zu
gleicher Zeit trifft: Das eltie der letzteren mußte in älterer Zeit nicht
nur als stereotyper Bestandteil der praescriptio, sondern auch wegen
seiner Stellung vor „Doppelpunkt'' ohne -v geschrieben werden und trug
damit wohl auch zur weiteren Bewahrung der -»'losen Form in den prje-
scriptiones überhaupt bei. Als aber vor Doppelpunkt sich die Schreib-
gewohnheit änderte, wurde auch eiuev hiervon ergriffen und legte damit in
die Fassung der Einleitungsformeln Bresche für das siegreiche Eindringen
des -V. Das Gesagte ergiebt, daß für eine Statistik, die mit Prozenten
rechnen will, die Überschriften ebensowohl wie die ,,Doppelpunktpausa''
ausscheiden müssen, wenn ein einigermaßen zutreffendes Bild vom Pausa-
gebrauch das v hpEK/.vorv/.ôv in den ältesten attischen Inschriften erreicht
werden soll. Da sich nun um Ol. 92,2 eine wesentliche Änderung im Ge-
brauch des -V aufzeigen ließ, werden wir gut tun, zunächst einmal nur bis
zu diesem Termin zu gehen. — Ich gebe die Belege, soweit sie mir ge-
sichert erscheinen, möglichst in chronologischer Ordnung:
') Aber Aotj . . . eyoau uaieve Eph. arch. 1895, (îl ft'., A 2, B2 (Eleusis,
Ol. 9.S,1).
-) eygau uazevsv 1^ lbl,H (Ol. 91,3) ist ganz unsichere Eryänzung; eyçaf*-
fjiatev(ev) I^ 12.5,2 (Ol. 90,3) sicher falsch ergäuzt. Das lehrt schon allein der Um-
stand, daß Zeile .S zweifelsfreies cyçaufiatEve hat. Da die Eingangsformeln dieser
Inschriftenklasse niebt wörtlich mit einander übereinstimmen, ist eine zuverlässige
Reparatur des Textes überhaupt unmöglich.
- 15 —
Ol. 73,4:
vor Ol. 81
Ol. 88,4
um Ol. 85
Ol. 86,3:
Ol. 87,3:
4:
Ol. 88,1:
4:
Ol. 89,1:
2:
3:
Ol. 90:
(Jahr unbe-
stimmt):
-V steht in Pausa.
JGVBIS: {ha)7taGtv:
26: 7tokeGtv,ho{r)av.
32: TtokeOLv.
I-27a,48: Xah/uôevGLv,
(hoTi).
26: Ad-évciiOiOLV,
(hov).
52: XaXyiLÖevütv.
Q4: XalxLÔêvoiv.
I-27b(p. 60), 43: ava^e^ia-
OIV, hOTL.
I- 2 7c (p. 165), 8: öulv, hög.
I' 117: taf.ii(natv, hoig.
141 : z a /.i Lau IV, floig.
161: [raf.iLaai)v, hoig.
301,7: A&evaioiüiv.
1' 121,3: {raf.iiaa)iv, hoig.
P 122,3: tctfÀiaoïv, luug.
1^123,3: Ta/^iiaoiv, hoig.
1^130,2: ra(.iiaoiv, hoig.
IU31,2: taf-iiaaiv, hoig.
1*132,2: Tcif.iiaotv{, hoig).
-V fehlt in Pausa.
JGI-18/19(p.l38jtab.n,8
{r)ai.iLa(i i.
P 27 a, 25 : A ^evaiot o i , v.ui
l-27b,31: a/cao'Eai, ho7c<u.
I-27c, 2: '/.garÖGi.
5: TtoleGi, hoiTtveg.
15: '/.caröG i, tèv.
r35b(p.64),26:7«;(wöo-<.
1^301,1 : citiG-catEGi, hoig.
I*32All: ajcoöoGiv,
13 : oiöbv.
19/20: èia%£Qitô{Gi)v,
I*273III(e-b)30:ftfon',
TOXOV
32: ereGtv, ha
36: ersGiv, ha
1*40,28: tuaivoGi,
48: cpaGi,
1*153,2: {Ta(.i)LaGi, h{oig)
170,3: xaf-iiaGi, hoig
[Vlll:Ta^iaGi{, hoig)?;
verstümmelt).
16
-)' steht in Pausa.
-r fehlt in Pausa.
37 : f Tri! i r,
i-r/jxyi
39: f rf fj/ v,/ia.
(g-h)15: f (Tf (j;)v,
tcc)mv(töi).
1:
1^172: (Tait)/cc()i, li{ttTi).
2 (od. 91,
3):
1^53b(p.l()5), 14: /.QaTöoi,
xcci (Pause?).
3:
1^50,3: (&7rccyyc)/./.ö()iv.
(Z. 11 zweifelhaft, ob
Pausa).
I-53a(p.67), 14:rfA<'o-. 1'.
I-53a,37: iy.(f i-qöa i.
20: ôoccynên / v.
1^125,4: {y)i)CvaQyör) t, hnig
1 ^ 1 80 , 3 : (x 0 <,• j J' ft 0/ ö ( j / , za/
(Pause?).
4:
IH26,4: [yoyivciQyöai,
Ol. 91
,2:
Vim^.^-.iy^nvvccQyöai,
3:
I-p.30zuIU65,4: (;j)oiraç-
yödiv. /lo{iç)
4:
I^lQQ,'ô:xGvvaQxôoiv,
Also: 33 Beispiele mit, 19 ohne v (15 Inschriften bieten Formen
mit -V. 11 solche ohne -v, auf 5 kommen beide Schreibungen vor). —
In Prozenten ausgedrückt, sind das etwa 64 "/o positive, 36", o negative
Fälle, ein Ergebnis, das dem Maassens diametral gegenübersteht: Die
Verhältnisse in der Pausa gestalten sich für die Setzung von -v noch
günstiger als im Inlaut, günstiger sogar als im Inlaut vor Vokalen.
— Rechnet man, um ganz gewissenhaft zu sein, auch einmal nur die
Fälle, die absolute Satzpause (,,Punkt") haben, so kommt -r noch
besser weg: 8 mit, 4 ohne -r (67o/o : 330/o). [Die übrigi.-n verteilen sich
so: a) Ende eines vorhergehenden Nebensatzes oder selbständigen Satz-
teils: i- : 7 Beispiele, - : 8 Beispiele-, b) vor Relativum oder mit dem
Relativstamm etymologisch zusammenhängender Partikel f 18, - 7]. —
Zählt man in der Gesamtsumme die gleichlautenden Wortforraeii nur
einmal, so stellt sich das Verhältnis auf 15 Formen mit. 12 ohne -r =-
560,0 :447o. Zieht man die dem folgenden Element nach gleichen Fälle
zusammen, so ergibt sich 22 : 15 = 60" ■. : 40' r.
Man mag also die Statistik drehen und wenden, wie man will, —
und gerade hier l)ildet eine einseitige Betrachtung die größte Gefahr, —
ein Plus bleibt, die zufällige kleine Ausnahme oben in Parenthese unter
a) abgerechnet, stets auf selten der Schreibung mit -v.
— 17 —
V fehlt in Pausa.
Ich lasse zunächst den Rest der Beispiele von Ol. 92 bis zum Jahre
des Eukleides folgen:
-V steht in Pausa.
Ol. 92,2: JGI-179(p.lH0)Ol4:
(jvvaQy^öoiv.
nach 3: I^51(p. 10),g40: Aeyöaiv.
4: I^322a23: e^ci/.QaviTiütv.
Ol. dSA: VS24d4:y.aTioTaoiv.
Eph. arch. 1895,610":
A «63: ave^é/.sv.
189.
uvêd^ey.iv.
b)Z.15,17,21,23:
ovvaQxöo iv{lO.Fryt'dme).
1^190.5: (ovvaQ);^)ööiv.
Eph. arch. 1895,610'.
Ai'?2: aved-E/.e.
5 : aveS^i/.e.
B 1 : yjivvciQyöoi, hoiç.
I'189a): o tvß(>xöf»t 11 mal.
b): [r)VvuQy)öai Z. 5 | 8. Pry
{(rvvaQ)xô(nZ.^\ tanie.
11 Fälle mit, 16 ohne -v. Daß dies nicht etwa einen Gegensatz
zur vorhergehenden Periode bedeutet, ist klar, wenn man einen Blick
auf das Material selber wirft: Ganz allein dem Umstände, daß unter
den spärlichen Texten dieses Zeitraums ein Denkmal elf Belege der
Form Gvvaçxôai bietet, ist der scheinbare Überschuß der î'-losen Formen
zuzuschreiben, wieder ein lehrreiches Beispiel dafür, mit welchen Zufällig-
keiten eine Statistik dieser Art zu kämpfen hat. Bei Nichtrechnung der iden-
tischen Wortformen stellt sich das Verhältnis + 5 : -- 2 = 71 '^;o: 29% heraus.—
Aus undatierten Inschriften stammen noch folgende Belege: mit
-v: I^ 77,10: (c()vÔQaoiv. uëôe, 1-331 19,13: sjtoèoev. — Ohne -v: I*
175a 7 : ave&iy.e^)
Obige Statistik, so wenig sie bei dem Charakter des Materials als
ein unbedingt getreues Spiegelbild der damals geläutigen Sprech- und
Schreibgewohnheiten gelten darf, zeigt jedenfalls so viel, daß der Pausa-
gebrauch des -v in keiner Weise hinter dem des Inlauts zurücksteht, ja
1) Eine rohe Suinniierimg aller Fälle bis 40H ergibt + 47 : - 3ö. Das sind
570/0 : iS^lo. Bei nur einmaliger Zählung gleicher Wortformen + 21 : - 12 = 64 "/o : 36'^;0.
— Wer das, was ich S. 13 über die besondere Behandlung der Wortformen vor „Doppel-
punkt" behauptet habe nicht glauben und diese als Pausabeispiele mit behandelt wissen
will, mag sie in die Statistik einreihen. Es sind vor Ol. 92 : 9 Beispiele ohne -v. ver-
teilt auf zwei Wortformen. — Von Ol. 92 ab H Fälle ohne -v (3 Wortformen). 26 mit
-V (3 Wortformen). Insgesamt würde sich dann das Verhältnis stellen auf 73 Formen
mit, 47 ohne -v. ^fil'^'/o : 39'^',ü. Bei Nichtrechnung der gleichen Wortformen 23:15 =
«0öo:40^'o.
— 18 —
daß er diesen, wenn man dieselbe Art der Statistik wie Maassen an-
wendet, in der ersten Periode bis Ol. 92 beträchtlich, später noch um
ein weniges, übertrifft.
Die volle Existenzberechtigung des -r in Pausa ergibt weiter ein
Vergleich des in den einzelnen Inschriften aufgespeicherten Materials:
Keine umfangreichere Urkunde existiert, die uns zwänge, spärlichen Ge-
brauch oder gar völliges Fehlen des -j' als für die Pause charakteristisch
zu betrachten. Wo es nicht steht, kommen auf derselben oder auf einer
gleichgearteteu Inschrift Formen mit -y vor, oder aber, es finden sich
auch im Satz in laut Beispiele für Weglassung des -v.
a) Hat JGI-27a25: yJd^ivaioioi, xai, so stehen dem nicht weniger
als vier Formen mit -v in Pausa gegenüber (vgl. die Tabelle S. 15).
I'27b31: aTtuGlGi. hoTtoi wird durch avad-iuaaiv, Iiotl Z. 43
paralysiert.
\'21 c: neben /.outöoi, ;co/.a<ji steht öair. —
rauiani, lioiç. und /jj wac^öoi, lioig passim haben ihre Äqui-
valente mit -I' auf Inschriften gleichen Charakters. —
b) JGI-18/19 tab. 118 (p. 138) hat die Pausaform {rjujuiaoi, aber
auch inlautend Z. 13 roiai ra(/iiiaai}, 25 rauiaoi za. (Mit -r nur
die Formel sôoyaêv rôt Z. 26.)
P27c(p. 165), wo die r-loseu Formen in Pausa die Majorität haben, hat
auch inlautend Z. S yId-£véGi,^)b rëui a/./.êoi [ycokeot), QuQyöoi
ev, 22 relsGi roiç (mit -j- wiederum nur eôo/Gev tel Z. 9).
|-35b gesellt ihrem tioiögi ein inlautendes ôëuoTâGi e- zu.
P40: In Pausa etkxivögi und (puGi, inlautend zwar ausser {eè)o-
XGev zli 7i. 3 noch of.io/^oyöGiv Z. 23, eyeiQorovÊGev li- 29,
ÔQayjiuioiv Z. 39, aber auch Z. 1 1 : ögl BniT{£Ô€ioi), 38/39
^iiQiaiGi (ÔQuyjiaiGn' 6y.aGT0ç), 43 tIgi 710/.6gi ë, 49/50
arcuv{TeGö)Gi s{ç).
Die numerische Überlegenheit der f^-Formen in Pausa, mag
man das absolute Verhältnis zu den a^-losen betrachten oder die Gesamt-
heit der Pausafälle mit dem Inlaut in Relation setzen, fordert vielmehr
geradezu die Frage heraus, ob nicht vielleicht sogar auch von einem
qualitativen Plus des Satzendes zu reden ist, mit andern Worten, ob
sich nicht bisweilen eine direkte Bevorzugung des -i> im Gebrauch
der Pausa gegenüber dem Satzinlaut ergibt. Das tritft wirklich
zu: Sowohl in kleineren, syntaktisch zusammengehörenden Satzteilen
läßt sich eine für das Komplexende charakteristische Beliebtheit des -v
konstatieren als auch bei wirklicher „Pausa" gegenüber dem Satzinnern.
1) Für A&tvtaiv vgl. V Üß.a; 28.1;
— lu —
Fürs erstere ist vor allem die Verbindung von Artikel oder Attribut
mit Nomen zu beachten: der Artikel entbehrt zwar des -v nicht ganz
(vgl. TÊLOiv avréat JG P 1 B 30 mit „hiatusfüllendem" -v), verrät aber
eine sehr deutliche Neigung, im Gegensatz zum zugehörigen Nomen auf
das -r zu verzichten: Dieselbe Inschrift bietet Z. 5 tf, zoiau /zvazfëajiv
xai ioi(a EJioJnxEioiv (y.aij xoia^ axoZfovd'joiaiv; 25 ev ziiai
TtoXeoiv. 32 ToiGi ôe oÀsiCooi fifvJaTEQioiaiv tag; an dieser
letzteren Stelle zeigt das oZeiCoot, daß die Weglassung des -v nicht
etAva eine Spezialität des Artikels allein ist, — Ebenso Z. 30:
Nach dem besprochenen läiaiv steht aviiai tio/.eoiv. — Das-
selbe Verhältnis hat I- 53a 20: (.lyçiêai ôqayjiëaiv. — Die Inschrift
IM B hat auch als Ganzes genommen das -v in Pausa immer, im Inlaut
kann es innerhalb eines syntaktischen Komplexes fehlen. — Auch sonst
läßt sich belegen, daß die Pausa das -v hat, während der Inlaut
schwankt. Hierher z. B.
P 32 A: In Pausa alle drei Beispiele mit -v: Z. 11 ajioôôoii\ 13
oiôev, 19/20 ôtaxëQiCôfaiji'. Im Inlaut kann es (vor Konsonant) weg-
gelassen werden.
P 50. In Pausa Z. 3 (sjiayysjÀÀôaiv. Inlautend Z. 6 xQ^f^dfJt as,
12 (eJxöai xQèod-ai, [Z. 11 £jiayy£ÂÀooii> mit zweifelhafter Stellung im
Satze). In
|- 53 a hat zwar die beigefügte lex locationis in Pausa Z. 37
£X(pEQöoi (und inlautend vor Vokal Z. 36 £(x)ge/mvvöoiv oi), die vorher-
gehenden Anträge aber bieten teâegiv und ÔQayjiËaiv (Z. 14, 20),
während im Inlaut konstaut, vor Vokal wie vor Konsonanz, das
-V fehlt. Z. 11 yi?aaioi ÔQayjiËoi exuötov (vgl. den Gegensatz zu
dem ^ivQiÊoi ÔQayjiÊoiv in Pausa Z. 20), TCifiiaai top Z. 17,
P 77.10 (aJvÔQuaiv, ftëÔE, aber 11 (avôjQCcai ë. In
|- 27 c wird das -v meist nicht geschrieben, auch in Pausa fehlt
es dreimal; der einzige Fall aber, wo es steht, ist wiederum Pausa:
Z. 8 öaiv, /log. — Inlautend (vor Konsonant und Vokal): Z. 3 Aß-e-
vëai fiEV, 5 xëai aÀÀëai (jioàeoiJ, 6 acxöoi ev, 22 teaegi voig. —
Indirekt spricht denn auch, w^ie schon bemerkt, das Verhalten der
älteren Zeit in der ,, Doppelpunktpause" dafür, dass -r im eigentlichen
Satzende an seinem Platze war, wenn meine S. 13 gegebene Erklärung
das Richtige trifft: Durch das Fehlen des für die Pausa charakteristischen
-V kommt in diesem besonderen Fall zum Ausdruck, daß noch etwas
inhaltlich mit dem Vorhergehenden Zusammenhängendes folgte. —
Im Vorstehenden habe ich alle Belege für sr/.oat übergangen, da dies
Wort das -v icpEh/.votiy.ôr für ge^vöhnlich nicht kennt (Maassen S. 34,
Kühne r-Blass Gramm. 1 1 ^ 293, e, M a y s e r, Gramm, der griech, Papyri
S. 239,5), — Das einzige Mal, wo er/Muv steht, ist I' 325.14 in der
— 20 —
„Doppelpunktpause", mit Sicherheit auch in Z. 12 zu ergänzen. Leider
wissen wir über das Alter der Inschrift nichts Genaues. Fällt sie nach
Ol. 91, was sehr wohl möglich ist, so stimmt die singulare Form zu dem,
was wir über die Schreibgewohnheit jener jüngeren Zeit wissen, und ist für
den Pausagebrauch lehrreich. Sonst bildet sie eine schwierige Ausnahme.
Von chronologischen Einzelheiten sei nur eine bemerkt: In der
Schreibung von '^vvctoyovaiv schwankt der Gebrauch von -v: Die ältesten
Belege (Ol. 90,3—91,2) sind ohne -v, 91,3—92,2 erscheint -aiv, 93,1,2
wiederum -öi, im letzten Teil des Jahres jedoch -oiv; ebenso 93,3. Für
den relativ häufigen Gebrauch der v-losen Form kann das öftere formel-
hafte Vorkommen des Wortes vor „Doppelpunkt" von Einfluss gewesen
sein (Beispiele S. 13); irgend welche „sprachhistorischen" Schlüsse wird
man aus so geringfügigen chronologischen Unterschieden nicht ziehen
dürfen. Etwas konsequenter ist die Formel Taf.iiaoi{y), hoig, bei der
eine äußere Einwirkung der Art, wie sie bei èvvaçxovaiv als möglich er-
scheinen mußte, ausgeschlossen ist. So weit wir nach dem vorliegenden
Material urteilen dürfen, ist hier die Pausaform mit -v die ältere,
rauiaai die jüngere. Vgl. die Belege von Ol. 86,3 — 89,2 gegenüber
89,3—90,1. —
II. Für unsere Frage müssen neben den offizielleren Inschriften
(Décréta, tabulse etc.) auch die mehr oder weniger privaten Charakters
eine wesentliche Rolle spielen, wenn über das in der gesprochenen
Sprache Vorhandene leidlich Klarheit geschafl't werden soll. Maassen
hat S. 64 das Resultat aus diesen Denkmälern zwar kurz angegeben
(der Gebrauch des -r überwiegt hi Pausa bedeutend), aber das Material
nicht gesammelt. Ich gebe hier die Belege bis 403, wobei ich die me-
trischen Inschriften zunächst ausschließe:
-V vorhanden.
aved^EAtv. JGr 341. 342. 344. (380.) 406.
I- 373y (p. 43), 3 73^"' (p. 86),
373«* (p. 87), 373'^' (p. 92),
373^»« ib., 373'^« (p. 97)^
373 -'^-(p. 132), 373 -^''(p. 199)!
Eph. arch. 1894; 162, 166.
ave^ri-AEv. 1^4186 (p. 45), 373^« (p. 81),
3 7 3-^^i (p. 205).
€7C0iÊ()6v: r 344 (e/iroeaer). ') 406. 47 7"). I'-^
373^^ (p. 87), 373«« (p. 89),
-V fehlt.
ave^Êxs: JGP 383. 1^
418b (p. 44).
e^coiECtt: M 353. 384.
') Der Stifter ist ein lonier.
2) Von ßenndorf GG A 1871, 60H für metrisch erklärt, aber ohne zureichenden
(rruntl.
— 21 -
-v vorhanden.
878^0^ (p. 90), 373' (p. 179),
378^Mp- 180). 373^^' (p. 181),
8 7 8-^ ^"(p. 1 99), 8 7 8 - ■" (p. 200),
878-^Hp.201),373
878-''°(p.203),378
AM 19, 189.
en(n>,aev: l- 373"«« (p. 205).^)
fqvTf^vGav: r 425."-)
-V fehlt.
^'^(p.203),
'<^(p.205).
()';()ao-x<-: 1^886.1- 887a
(p. 79).
561 (p. 191).^)
fOTl
Summa: 40 Formen mit -r gegenüber 7 ohne -v (85^o : 15o/o).
Beachtet man, daß die Imperfektform (zweimal oôiôao-/.e) sich im Gegen-
satz zu den sigmatischen und /.-Aoristen dem -v gegenüber lange ab-
lehnend verhält (S. 32), und daß ferner von den Belegen ohne -v nur
die beiden emnioi- nach Ausweis der Buchstaben form zum ältesten Material
gehören, so stellt sich der Gebrauch des -r in Pausa fürs älteste At-
tisch als nahezu ausnahmslos heraus. Dasselbe gilt übrigens auch
im Satzinlaut. Für die Entscheidung, ob die Pausa wie bei den otfi-
ziellen Urkunden bisweilen im Gegensatz zum Inlaut Vorzugsrechte be-
züglich des -V genoß, läßt sich bei dem kurzen Text dieser Inschriften,
deren gewöhnliche Fassung das Vorkommen eines solchen Kontrastes
überhaupt ausschließt, nichts erhoffen. [ — fcpvrrvoev V 425 gegenüber
inlautendem q)QC(ôaiGi (vvi^Kftüv) beweist nichts, weil letzteres im Vers steht.
— I- 873^2 (p. 181): Am Schlüsse f-7[<nê{o]8v, inlautend airS^exr/^ie; hier
ist wohl iambische Klausel beabsichtigt, mag man avfd-ëxe /.u oder
avE^ë'/ c-i^a lesen. Im ersteren Falle schließt schon die Stellung des
Pronomens prosaische Diktion aus (vgl. dazu Wackernagel, JFI 349,
351).] — Da ist es von besonderem Interesse, daß wenigstens ein be-
achtenswertes Beispiel existiert: I- 3 78^'^' steht inlautend (ared-i/.)^
raS-ëvaiai, in Pausa {ETioiëa)^^.
III. Die Vaseninschriften ergeben ganz dasselbe Bild. In den bei
Klein, Meistersignaturen- dargebotenen Belegen überwiegen die ^noiëasv
und e'/Qacpoev beziehungsweise deren lautliche Varianten derart, daß
ich unter den paar Hundert attischen Beispielen nur 19 ohne -v in Pausa
gefunden habe. Darunter gehören fünf dem Exekias (S. 39f.), der aber
1) Von einem lonier.
"-) Daß der Schreiber ein Dorer war, versciilägt nichts, denn gerade das -v ist
attisch.
'^) Inlautend cpeat, fiaP.iaGia.
22
auch ejioiëaev kennt und insofern kein einwandfreier Zeuge ist, als er
..Verse" mit xanoeaejue und xaiicoisoEßE schmiedet, die ihn eventuell
veranlassen konnten, die i'-lose Schreibung auch in Prosa zu bevorzugen
— Xeben einander auf demselben Gefäß Etcixtetoc. eyQacpoEi' und
UiGToyoEvoz E.-ioËGE S. 107, (aber S. IhO IIioToy^GEvoç etioiégev).
Ebenso E/vjxgi&eoç etcoiêge. OXtoq Eyfqacp )gev S. 135, aber S. 136
auch Ev^oid-Eoç. e.toiêgei'. — Auch Kachrylion S. 125f. hat etcoiêgev
und EJioiËGE neben einander. — S. 154 KÀEfoipjQafôËç) (ejcoJieöe,
aber S. 149 K?.EO(pQaôËg ejïoiëgev. — S. 215 zweimal Xaçivog
EJioiËGE, aber auch ejioiëgev. — S. 137 Evg)QOviog E'/oacpGE. aber
S. 138 EyQa(pGEv. Überall also, wo reichUcheres Material zu Gebote
steht, läßt sich erkennen, daß die Meister, die sich Formen ohne -v
gestatteten, daneben auch die längeren anwandten. — Das Imperfekt
EyQaq)E erscheint stets ohne -v (von den außerattischen Formen bei
Klein S. 29. 207 ff. ist hier abzusehen): Pheidippos S. 99; Aristophaues
S. 185 (auf demselben Gefäß Eçyivoç ettoiëgv); Euthymides S. 194
zweimal. (Derselbe hat inlautend im Aorist EyccicpGEv). — Vgl. das
oben S. 21 über EÔiôuGy.E Bemerkte und S. 31.
Von andern Formen sei noch das TiacßEßaxEv bei Kretschmer,
Vaseninschr. S. 80 erwähnt (dazu Anm. 3), da der metrische Charakter
der Inschrift zum mindesten nicht zweifelsfrei ist (vgl. auch Robert, Bild
und Lied S. 84^); endhch xavEJiiEv (Kretschmer S. 90). —
IV. Die ionischen Prosainschriften harmonieren wie im Satzinlaut,
so auch im Pausagebrauch mit den attischen. (Ich bespreche nur solche
Urkunden, die deutlich dialektische Eigenheiten verraten, habe also einige
Stücke der Bechtelschen Sammlung, die etwa nur einen ionischen Eigen-
namen aufweisen, von der Behandlung ausgeschlossen.) Das Material
ist, wiederum mit Ausschaltung der j,pra?scriptiones," \) folgendes:
-r steht.-^ -r fehlt.
Euboia und Kolonien.
GDJ 5262 (Chalkis, altes Alphabet): i 5285 (Olynth, um 385):
avEd-fË)xEv. a) XaÀy.iÔEvar
5308 (Eretria) a) (um 400): b) XaZy.iâfEvjGi, xai.
TTUIQIV, El7l)lÔl]^iE0)Ql l\
b) (um 350): naiQiv, ejti- '<
ôi]fiEO)Qiv. i 5348: ejioiëge.
h eine (tD.I 53fU (1. Hälfte d. 4. Jahrh). emev 5315 (2. Hälfte d. 4. .Tahrh),
549(5 (4. Jahrb.). 5532 (2. Hälfte d. 4. Jahrb.), 5533 bcde (2. Hälfte d. 4. Jabrh.),
5590 (um 300), 5592, 5738 u. s. w.; eTtçvravevev 5496 (4. Jahrb.), 7iço{r])ôçevev 5738.
2) JGA 1 Sêuôviôëç u aved'ëKsv aus Olympia, unhestimml tarer Herkunft, lasse
ich weg, da auch Attika als Heimat in betracbt kommen könnte.
— 2;{
Kykladen.
-r steht.
5361 (Amorgos, 1. Hälfte d. 4. Jahrh.):
y.aruP^EiJiojo i v,
5402 (Keos, 5. Jahrh.): aved^èy.ev.
5410 (ib.) : ccv£d-i]y.EV.
5411 (ib.) : aved-riy.ev.
5413 (ib. 4. Jahrh.): avE&t]y.£v.
5432 (Paros, ait): Ef^joETTonioEv.
344 7 (Anaphe, 5. Jahrb.):
(AiyATlTlOÇ. UaQioçJ ETCOLTiOEV.
5464 (Thasos, 4. Jahrb.): uetegtiv
7lElQ-0)OlV.
-V fehlt.
53 5 7 (Amorgos, alt): EOTrioe.
5398 (Keos, letzte Hälfte d.
5. Jahrb.):
EÀaafojood, fii]J^)
')
Kleinasien.
549 5 (Sängergildeninscbrift v. Milet)^):
Z. 4 f{oÀ7iofaiv
5 TOVTOl Gl V.
8 Jiaiioviaoiaiv.
30 avÔQiaaiv
33 lEQIJiOlOlV
35 loxôoiv,
38 loxöaiv,
41 xQriiitcooiv,
5506 (Milet, ait): ejtoiêv.
Sitzungsber. d. kgl. jDreuß. Ak. d. W.
1906, S. 254 (Milet, 5. Jahrb.):
Z. 8 Àaq)d-EMaiv
9 yuTuy.TEivöoiv,
5525 (Kyzikos): Aeg7iovi]giv.
5531 (Prokonnesos. um 600):
2(iyEEVGl)t'.
55 5 7 (Pantika])aioii. 4. Jahrb.):
avEd-tjxE r.
5495^): 6 Eßdo/^aioiGr
5532 (Zeleia,2.H.d.4.Jahrb.):
EXOVGl.
ÀaxcoGi.
EXTEIGCOOI.
^) Ergänzung durch den Raum gesichert.
-) 54o.H oiy.eöai steht nach der Pubhkation in JG XII •'' ' p. ."îl nicht in Pausa.
■^) Vgl. S. 10; ich verwende das Material unter dem dort gemachten Vorbehalt.
24 —
5598
5632
5633
5653
5655
5661
5670
5695
-i> steht.
(Ephesos, alt): roiç ôixaÇôaiv,
b (Teos): Aïoiaiv,
(ib.): ^l£T EGTIV,
7l0i/^£0ia IV,
(Chios): a) Tiçiiç^oiaiv,
7[Qt]Ç0iaiV,
b) iifieçr^fijaiv
À a ß cotai V,
(ib.333'2): reÂsaii',
TTQOEieÀd'OaiV,
eyy.a TaÂ(t])(pd^o}Oi v,
(ib. Mitte d. 4. Jahrb.):
•/.axEÔi'AaoEv.
(ib.): Tiaaiv.
(Ery thrai) : etïoi )j asv.
■V fehlt.
57 26 (Halikarnass, I.Hälfte d. 5.Jahrh.):
(E)làEOiGll\
5 7 27 (ib., 2. Hälfte d. 5. Jahrb.):
Z. 63 El%EV,
5709 (Samos, ait): ave&t^xE.
5 7 56: ai'Ed-iîXE (aus Nau-
kratis).
57 86: ai'Ed-iiXE (aus Dodona,
5. Jahrb.).
5788 Toiai AioaxoQoiaiv (aus Kni-
dos; s. Bechtel z. d. St. S. 774.)
Der verhältnismäßig geringen Menge des Materiales wegen habe
ich mir erlaubt, die Inschriften alle auf einmal zu geben, ohne genauere
Gattungsunterscheidungen. — Leider reicht das Vorhandene zunächst
nicht aus, um uns über das Verfahren der lonier gegenüber der „Doppel-
punktpause" aufzuklären. (Die Inschriften mit €17ce{v) sind alle verhältnis-
mäßig jung.) Beachtenswert ist, dass die Sängergildeninschrift das einzige Mal,
wo -V am Satzende fehlt, dies gerade vor Doppelpunkt aufweist (Z. 6
Eßdouaioioi)}) — Demnach wäre gegebenen Falles noch das XaK/.i-
devai von 5285 a auszuschalten, das ich oben unter den Minusbeispielen
mitgezählt habe.
Die statistischen Ergebnisse sind: Von 35 Inschriften schreiben 27
das -V in der Pause, 7 nicht, eine hat beide Schreibarten, wenn man
Ï) Mit -V Z 4 fioA.-roioiv
— 2.") —
das erwähnte EßdoucuoiOL' von 5495 rechnen will. — Beispiele insgesamt
45 mit, 12 (10) ohne -y = 79",o : 21 " o (820/o : 18o/o). — Vor Punkt 18
mit, 7 ohne -v = 72o/o : 28%. — Die gleichlautenden Worte nur einmal
gezählt: 33 : 9 = 80» o : 20%.
Im übrigen ist zu konstatieren:
1. Dal) das ionische -v lq)S/^y.vGTiy.6v auch in Pausa wirklich auto-
chthon ist und nicht etwa auf Einfluss der y.oiv^ beruht, zeigen so alte
Stücke wie GDJ 5262, 5432, 5598, 5653;i, 5726, 5788. - Als interes-
sante Einzelheit sei erwähnt, dass in 5331 der ionische Text in Pausa
Z{iy€evoi)v mit -v, der attische Siye<vyEvoi ohne -v hat.
2. Keine umfangreichere Inschrift, die -r in Pausa nicht hat, läßt
das als für diese Stellung charakteristisch erscheinen. Die Sachlage ist
genau dieselbe wie im Attischen (S. 18):
5285: a) Xa)^'Aidsvai' b) Xak/udeuoi, /.ai. aber auch inlautend
(neben Mayieôoaiv €/., rekeovoiv re/.aa): a'A/^rj/.oiOL /.ata, Xu/./.l-
oe{v)öL £y.y.
5398: iKciGGoo i, ^ir], aber auch {TQto)i /.evxoig, tqlol Ey.arov.
5532: Satzauslautend exotai, lay^ovoc, exreiaovOL, Satzinlautend
Tif.ir^otoo{i) OL. e^GTioOi oi, EKd-toai sg.
3. Dagegen tritt auch auf ionischem Gebiet eine Bevorzugung
des -V in Pausa gegenüber dem Satzinlaut deutlich zutage:
Die Sängergildeninschrift (5495) schreibt in 7 sicheren Pausa-
fällen das -v und lässt es nur einmal (vor „Doppelpunkt") weg, während
der Inlaut das auf S. 9 f. geschilderte Verhalten aufweist. Mahnten bisher
diesem Denkmal gegenüber die angegebenen Gründe zu einiger Skepsis,
so können wir ihm jetzt doch unser Zutrauen kaum weiter versagen, wo
es sich herausstellt, daß das S. 19 auf altattischem Boden beobachtete
Verhältnis von Artikel (Attribut) und Nomen hier in ganz der-
selben Form wiederkehrt: Man vergleiche Z. 14/15: tolöl orecpavocpo-
QoiGLv Ts^rja, wo das Nomen sogar einmal vor folgender Konsonanz das
-r- hat, während es dem Artikel fehlt. So ist denn wohl auch Z. 22
TovTOiGL toig'' isQOLGiv ZU beurteilen.
Ebenso in 5788: ave^/^xe tolgl Jiog/.öqolglv: Im Satzinlaut
fehlt -V beide Male, in Pausa steht es.
5633 hat in Pausa uereGTir und /tculEwoiv; im Inlaut fehlt das
-j' auch vor Vokal: elogc avroig und eGayojGt etc.
5655: in Pausa TELeoiv, /rQoe^s'/.d-coGir. eyy.ara). v^cpd-wG lw in-
lautend ^o«j/'Of a t y.at ôioçâ-ioGoiGi Tovg roaovg, öicih'/.ayvjG t
Xioi. — Z. 16 allerdings roig y.cn û.\]'k v{d-^ o o ly y.ai roig iv rri
TcoLu. AVer für diese Form eine I>esondere Erklärung sucht.
— 20 —
mag den größeren Satzteilabschnitt vor v.ai für das -v ver-
antwortlich machen.
XB. 5698 hat in Pausa y.aribiöiv und Äayoiaiv^ inlautend saxecpavoiae
y.ai und eTreare i)Àe eiç, ist aber schon so von der y.ocvi'^ beherrscht,
daß man nicht allzuviel wird darauf geben können.
Das einzige Mal. wo ei/.ooLv für af/.oGi auf ionischem Boden
(allerdings auf einer recht jungen Inschrift) erscheint, ist wiederum in
Pausa 5492, 5s (neben er/.oai le).
V. Endlich die Epigramme. Hier kommt es darauf an, den Brauch in
der metrischen Hauptpause, d. h. am Ende des Verses, kennen zu lernen.
Zunächst das Attische: Um ein reicheres Material zu gewinnen,
bin ich hier über den Termin des eukleidischen Jahres hinausgegangen
und verzeichne auch alle Formen aus JGII, die sich mit einiger Sicherheit
bis vor 30 0 v, Chr. datieren lassen.
-)' steht.
JGI' 468: 67t6^é/.6v.
47 9: {y.aT)€-9-£y.6v.
I- 3 73-1^ (p. 101): arad~£y.€v.
313^'' (p. 102): {av)6&ëy.€v.
37323' ^p i^iy ared^iyev Këzioç
350 (p. 153j: exöOLv,
48 2 (p. 156): {avè)&£y.ev,
37 3» (p. 179): £7t0Q£v.
477p (p. 189): y.are&iysv
-V steht nicht.
4 7 7c (p. 48): e^ave.
11^ 1434: €ftovr]06v \ /iioigav
1675: avÔQctTroôoiaiv.^)
22 63: £7C6ßr]oev,
2646: {i)aaoiv ] y.ai
2892:
£GTl,
3 620: aya^oiaiv \ trjveiv
q::ikota{i) \ rtjc?
vouoiGiv ' eOTSQBav
3 6 8 8 : a y CO G IV,
3840: yaGiyvrjTaiOiv \ roiv
Ol eu Ivtv 1 a
3260b (p. 355): e&avtv.
Kai bei Nr. 86: e&r^y.Ev \ y.ai
6XÖ01V 1 iiio{i)Q{a)v
Wie schon Allen, Greek Versification etc. (= Papers of the Amer.
School of class. Stud. IV) S. 159 und Zacher Philologus Suppl. 7, 468
ausgesprochen haben, ist die Setzung des -r am Versende durchaus die
') Die Inschrift enthält Dorismen.
Regel, ganz gleichgültig, ob Versende mit Sinnespause zusammentrifft
oder nicht, ganz gleichgültig auch, mit welchem Laut ein etwa noch
folgender Vers beginnt. Für den Hexameter ist im 5, Jahrhundert
die Setzung ausnahmslos (das ed-ave von I- 477c steht am Schluß
des Pentameters). Bis 300 findet sich weiter überhaupt nur eine In-
schrift (11^ 2892), die von der Regel abweicht. Das ist in mehr als
einer Beziehung lehrreich: vor allem zeigt sich, daß man spätestens
schon im 5. Jahrhundert zu Athen das -v als notwendig am Schluß des
Hexameters betrachtete, mit anderen Worten, daß Homer damals so
gelesen wurde : die Inschriften werfen hier Licht auf die ältest erreich-
bare Gestalt des Epostextes, und wer in der Konstituierung des letzteren
über die handschriftliche Überlieferung hinauszugehen wagt, muß dies
berücksichtigen.
Hat sich auf dem Gebiet der ionischen in schriftlich en Prosa das
-V als in Pausa besonders beliebt herausgestellt, so ist es nicht wunder-
bar, wenn die ionische Dichtung diese „Beliebtheit" zur festen Norm
erhoben hat. Das regelmäßige -v am Versende spiegelt nur in etwas
künstlerisch geglätteter Form den Tatbestand der gesprochenen Sprache
wieder und ist ein deutlicher Beweis für den Pausacharakter des -v
überhaupt. — Wie sich andere Versarten als der Hexameter in diesem
Punkte verhalten, läßt sich mangels umfangreicheren Materials nicht
ausmachen. Das erwähnte sd-ave könnte seine Sonderstellung auch
einem anderen Moment als seiner Zugehörigkeit zu einem Pentameter ver-
danken (S. 32). Zacher zieht a. a. O. aus der handschriftlichen Über-
lieferung des Aristophanes den Schluß, daß bei diesem Dichter ebenfalls
das Pausa-ï' als Regel zu gelten hat. —
Betrachten wir noch kurz die Epigramme außerhalb Attikas. —
Daß das ionische Sprachgebiet auch hier mit dem attischen Gebrauch
übereinstimmt, dürfen wir nach den obigen Ausführungen als selbst-
verständlich betrachten. So lesen wir ejioëgev auf Euboia (Rœhl JGA 7),
£y,a?.vo(p£v GDJ 5302 (Eretria). — Ebenso müssen die in epischer
Sprache oder poetischer xoivy) abgefassten Denkmäler aus anderen Sprach-
gebieten dazu stimmen; vgl. Kaibel No. 768 (Xanthos in Lykien,
4. Jahrb.): aved-ijytfEJv, EOTEcpavoiOEv. — 875 a (Olympia, 4. Jahrh.
= Dittenberger u. Purgold No. 293): eoxev, avEd-tjy.Ev. — JG VII
253 2 (Theben, 4. Jahrb.): EJi)]yÀaia£v am Schluß des Pentameters.
(Darunter in Prosa die Künstlerinschrift regelrecht mit ejtoeige.)
Interessanter sind die d o r i s c h - e p i s c h oder überhaupt dialektisch-
episch abgefaßten Epigramme. Auch diese sind, wie vorauszusehen,
bezüglich des -r ècpEÀxvanxôv von Homer beeinflußt; aber sie verfolgen
eine zumteil abweichende Praxis: Die allerältesten Dokumente wenden
das -tf nur da an, wo sie es wirklich brauchen, nämlich zur ..Hiatus-
— 28 —
füllung," wie schon in den alten Versen aus Thera: .TG XII' 449:
ai]QEv und Suppl. 1324: ôeitiviçev}) — In Pausa dagegen, wo
das Metrum es nicht erfordert, fehlt es zunächst. Das ist ein aus den
Dialekten leicht zu begreifendes und durchaus vernünftiges Verfahren.
So die Arniadas-Inschrift von Korkyra JG IX ^ 8 68, die zwar inlautend
öAeaev Açëç und vavaiv eti" zeigt, aber am Versende das bekannte
ç/iofaïai. — Ebenso JG XIV 652 (Großgriechenland): aved-ëxs.
GDJ 1537 (Krisa): ed^ixe. GDJ 68 (Kypros): po ■ ro ■ ne ■ o ■ 'i =
(pQovEO)lii. Hoffmann Gr. Dial. I S. 62 (Meister Gr. Dial. II 200)
Kypros: ii ut-lcki' = vvEèr^y.E. — JG XIV 641 (= GDJ 1654,
Thurioi, 4. Jahrh.) mit seinem xacnaPußoiai nenne ich zweifelnd, da
auf diesen merkwürdigen Inschriften auch sonst auslautender Nasal
bisweilen nicht geschrieben wird, ein sicheres Urteil über die Form also
unmöglich ist. — Vgl. aber noch die eben anmerkungsweise zitierte In-
schrift aus Eretria mit ihrem e/j/e am Schluß des Pentameters und
das Ed-avE am Schluß eines unklaren Verses aus der Gegend von
Pharsalos; Zeit: um 500. (Hoffmann Gr. Dial. II S. 48.) 2)
Vom vierten Jahrhundert ab aber entzieht sich auch die
dialektische Poesie dem gesteigerten Einfluß homerischer Diktion beim
Pausa -V nicht mehr:
JG VII 2462 (Theben) hat eiÂev.
Kaibel No. 849 (Delphi, Ende d. 4. Jahrb.): jtqoeî]xev.
JG IX' 163 (Elatea, 3. Jahrb.): avoEv.
Hoffmann. Gr. Dial. II S. 51 (Pherai) : etteO-eikev.
Dasselbe Verhalten bei Isyllos: In seinen Gedichten w-endet er
inlautend das -v nach homerischem Muster an, seine Prosa kennt es
natürlich nicht (£MEd-t]XE, E7ioi]aE, E/.iavT£vaE). Am Schluß steht es
in seinen daktylischen Versen: Gedicht B (dorisch-episch): d-Eoiaiv.
F (dorisch-episch) onÂoiaiv. — Auch E (lonici; dorisch) hat evciiev
neben eàvoe Z. 47. —
Das vv èq)EÀxvoTixôv ist in dem Umfang, wie es im historischen
Griechisch auftritt, ein reines Produkt analogischer "Wucherung, von
wenigen Wortformen ausgegangen (s. S. 34 f.). — Eine Analogiebildung,
die der naive, von Reflexion freie Mensch beim Sprechen vornimmt, wird
im Moment ihrer Entstehung allermeistens ebenso unbeabsichtigt wie
M Aber selbst dann wird es zuweilen verschmäht: vgl. die Damonon- Säule
(tD.I 441f) mit ihrem ave&îne A-&avaia(i) vor der Hauptzäsur. Ebenso ave&îxe
V7X£Q (Larisa) E. Hoffmann, Sylloge epigr. .'318. Eine vermittelnde Stellun» nimmt
etwa die Inschrift Eph. arcb. 1897, tS. 151 i Eretria) ein:
STiuQxa fiev TiazQig eativ, ev et^ Qvy^oQoiai Ad'avaiç
f&Qafpd't, &avazö 6e evi9aâe iioiq ^X'^X^-
-) Zu dem anj^eljlichen uralten avethy/.ev von Thera (Pilling b. Collitz. Hermes
•11. l.S(i) vaj. die Lesung .Kt XIP 449.
— -ju —
zwecklos sein. Das schließt jedoch nicht aus, daß auch auf dem Boden
der Sprachentwickkmg aus Zwecklosem Zweckmäßiges entsteht, und tat-
sächlich sind die Beispiele, daß eine analogische Neuerung sich gehalten
hat, ja, über das Alte den Sieg davontrug, wo sie für den Sprechenden
irgend einen Vorteil bot, Legion. (Die Normierung der Paradigmata
wider die Lautgesetze genügt als Beleg.) — Hatte so auch die weite
Ausdehnung der littera paragogica ihren erkennbaren Grund? — Wäre
sie von alter Zeit her „hiatustilgend" gewesen, so würde die Antwort
gegeben sein. Nun ist aber gewiß, daß diese Funktion eine sekundäre
Neuerung darstellt. — Vielmehr ergab sich aus der Betrachtung des
Materials, daß, soweit satzphonetische Verhältnisse in Frage kommen,
der ältere Gebrauch des v ècpeÀxvonxov auf die Paus a als bevorzugte
Stellung hinweist. Bei allen Klassen von Inschriften ließ sich in Pausa
ein Überwiegen der /--Formen über die i'-losen konstatieren, und nicht
nur dies: Mit vollkommener Deutlichkeit zeigte sich, daß die Verwendung
der i'-Form dem Satzende auch im Gegensatz zur Praxis des Satzinlauts
zukommt, zwar nicht als ausnahmslose Regel — abgesehen vom Hexa-
meter — , wohl aber als Vorzugsrecht. — Hier ist ein „Warum"?'' am
Platze.
Wacker na g eis im besten Sinne des Wortes anregende Arbeit
über „Wortumfang und Wortform" (Göttinger gel. Nachrichten
1906, S. 147 tf.), deren Erscheinen mitten in meine Beschäftigung mit
dem vv èçpeÀxvanxoi' hineinfiel, weist einige evidente Beispiele dafür
auf, daß in verschiedenen Sprachen, wo zwei Formen desselben Wortes
nebeneinander stehen, die Pausa die längere von beiden wählt; so
(S. 175) die Nominativform des Demonstrativpronomens ^so.s (altind. .w//.
gr. ô'ç) bereits in indogermanischer Urzeit; das homerische ovxi neben
ov nur vor Interpunktion am Versende (Y 255 vor Hauptzäsur). — Die
Tatsache als solche ist nach Wackernagels Darlegungen außer Zweifel
gestellt, und wenn es vorerst unmöglich ist, das Gebiet der Erscheinung
fester abzugrenzen und seinen innersten Ursachen nachzugehen, so ist
das in der etwas verschwommenen Beschaffenheit des Stoffes hinreichend
begründet.
Was Wackernagel anführt, beschränkt sich auf Monosyllaba. Es
scheint mir aber unbestreitbar, daß ähnliche Phänomene auch an mehr-
silbigen Wörtern zu beobachten sind, xch will es dahingestellt sein
lassen, ob sie auch hier ursprünglich waren oder ob etwa der ent-
sprechende Vorgang bei Einsilblern erst das Muster abgegeben hat'):
^) "Wie tatsächlich das Verhalten der Monosj'llaba in anderer Richtung zuweilen
analogisch auch auf mehrsilbige Formen eingewirkt hat, lehren die voq Wackeruagel
angeführten Fälle wie scitote für scite, weil mau acito für .sc/ gebrauchte ; entsprechend
etitote für este in der lateinischen Bibel, vereinzelt hier auch nnUmiis für iiiius wegen
vadit an Stelle von //.
— 30 —
Wenn bei griechischen und lateinischen Dichtern häufig von zwei
gleichbedeutenden "Wörtern oder Wortformen die längere am Versende
gebraucht wird^), so erfordert das Material allerdings hier besonders
sorgfältige Prüfung, weil die längeren Formen wohl in der weitaus über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle sich als Archaismen herausstellen-, daß
solche auch anders als nach dem genannten Prinzip erklärt werden
können, zum Teil müssen, ist bekannt. — Von unleugbarer Wichtigkeit
aber ist die Erkenntnis, daß bisweilen auch nachweislich jüngere Sprach-
formen, die von grösserem Lautumfang sind als ihre Vorgänger, sich als
Favoriten der Pausa dadurch dokumentieren, daß die Dichter ihnen den
Ehrenplatz am Versschluß eingeräumt haben. Leider ist das Material
auch hierfür noch zu wenig bearbeitet, als daß man mit vollen Schüsseln
aufwarten könnte ; zwei Beispiele aus dem plautinischen Sprachgebrauch
glaube ich aber doch an dieser Stelle nennen zu dürfen:
Studemund hat ALL III, 550 if. das Material über die Accusativ-
formen duo und duos bei Plautus zusammengestellt. Er kommt zu dem
Schlüsse, daß duos angewandt worden sei, „so oft das Metrum eine zwei-
silbige Form verlangte, dagegen duo, so oft das Metrum eine einsilbige
Form verlangte.'* Ganz abgesehen davon, daß wir heutzutage auf ein
„einsilbiges f/^/o" verzichten-) und es vorziehen, die Fälle, in denen duo
den Wert von zw^ei Moren hat, mit Hilfe des lambenkürzungsgesetzes
in einen größeren Zusammenhang einzureihen, entbehrt Studemunds Auf-
fassung sicher jeglicher ratio. Was soll den Dichter dazu veranlaßt
haben, nicht ebensogut ein zweisilbiges duo im Accusativ anzuwenden,
wie er es auch im Nominativ getan hat (Amph. 974, Men. 1118 u. s. w.)'?
— Eine Durchprüfung der Beispiele Studemunds führt vielmehr zu dem
Resultat, daß die Neubildung r//^o.s- neben duo ausgesprochene Pausa-
form ist: Mit Ausnahme der einzigen Stelle Cist. 700: ad duos aitinet.
wo die Form mit -.s* im Ictus des Anaprests eine zweckmäßige Schutzwehr
gegen das Zusammentreffen mit vokahschem Anlaut bildet, gehören sämt-
liche Belege der Pausa an: Die unter b) angeführten stehen alle am
Versschluß, und Cas. 691 f.
Lys. sed efunuuc liahef nunc Cas'nui (//fidiiiur/
Par. Habet, sed duos. — Lys. Quid, duos? — Par. A/tero le
Occisuruni a'd etc.
macht von selbst jede Erläuterung überflüssig. Dagegen steht die überwälti-
gende Majorität der plautinischen Belege für den Acc. duo im Versinnern. —
'-) Was man bei Homer in dieser Hinsicht zu finden geglaubt hat, ist meist
sehr fragwürdiger Natur. Man vergleiche die Konti-overse hierüber bei G. Hermann,
Ell. doctr. metr. 850. Lobeck Pathol. eil. II 158ff.. ßekker. Homer. Blätter I 29 ff. ,
La Roche, Homer. Untersuchungen I, KiOff.
'-) Li nd s ay 8 Bemerkung über die größere Wahrscheinlichkeit einer Messung V/j//<
gegenüber "dYio (Lat. Spr. 472) ist nach dem Folgenden belanglos.
— p.l —
Der andere Fall ist ebenso klar: Er betrifft die längere Form
pc neu hl III und Genossen für älteres j/crir/inii („Instrumental"suffix ^-f/oitij.
Hier ist schon lange erkannt (vgl. Lindsay, Class. Rev. VI, 87 ff. ii. s. w.)
daß die nachweislich jüngere, aber lauthch umfangreichere Form -cii/inn
ihre legitime Stellung am Ende eines Verses oder Halbverses hat. —
Dies Prinzip auf das griechische v IcpeÀxvoTiy.ôv angewandt, erklärt
dessen Bevorzugung in Pau s a ohne weiteres: Hatte man etwa neben
der 3. sg. oîôs ein oïôev, neben dem D. rra/rr/ ein jicciaiv zur Verfügung,
so setzt sich die Beliebtheit der längeren Formen in Pausa genau mit
dem plautinischen duos und pericii/imi in Parallele, und der Vergleich
mit den schon von Wackernagel besprocheneu Monosyllaba *sos neben
*.s'0 und oèyJ neben ov(x) liegt auf der Hand. Daß bei der Ausdehnung
im Gebrauche von p dieses sich nicht für alle Zeiten auf die Pausa
beschränkte und andrerseits letztere nicht absolut beherrschte, liegt in
der Natur derartiger Neubildungen begründet. Ebensowenig sind ja im
Lateinischen perkidinii und diiOi< starr bei ihrer plautinischen Verwendung
stehen geblieben. — Beachtenswert ist vielleicht noch, daß das ionisch-
attische V è(p£Àxvatixôv nur nach kurzen Vokalen aufgekommen ist;
man vergleiche damit, was Wackernagel a. a. 0. 175 über eine ent-
sprechende Eigenheit der Monosyllaba lehrt. —
Ich habe bisher vom vv ècpEÂxvaii'/.ôv als von einer sachlichen Ein-
heit gesprochen, mit Recht, soweit es sich um die allgemeine Tendenz
seiner Verwendung handelt. Genauere Betrachtung lehrt aber, daß inner-
halb der einzelnen Formgruppen, die den i^ntritt der littera paragogica
kennen, noch feinere chronologische Unterschiede bestehen. Schon
Maassen hatte S. 24ff. eine Differenz konstastieren zu müssen geglaubt:
Im Satzinnern sollen die Formen des 3. sg. auf -ev stets mit -r er-
scheinen, während die at-Formen schwanken. Diese Behauptung ist, wie
die Heranziehung weiteren Materials lehrt, nur bezüglich der a<-Formen
zutreffend: Hier steht allerdings sowohl im Dat. plur. als in der 3. pl.
des Verbs seit ältester Zeit die i^-haltige Form neben der r-losen. Auch
Eotiv neben egti ist alt, wie namentlich JGIVl588,3i zeigen kann. —
Über eixoai s. S. 19.
Bei der 3. sg. auf -e ist dagegen W. Schulze 's Beobachtung
(Gott. gel. Anz. 159 (1897) S. 902*^) richtig, wonach im Anschluß an das
punctum saliens f]a : fjsi' zunächst nur solche Formen das -v annahmen,
deren 1. sg. auf-« endigte. Leider ist seine Bemerkung ganz kurz gehalten
und nicht durch Beweismaterial gestüzt. Dies liefern die voreukleidischen
Inschriften zur Genüge. Auf ihnen findet sich das -r
— 82 —
1. beim Perfektum: oiôev JGrI^32A13 (1. sg. oîâa)-^ Jiagßs-
ßaxev (S. 22).
2. im Aorist :
a) beim ;i - A o r. der iintbemati sehen Verben : av£d-£y.£v{l. sg. -a) oft
auf Inschriften. Das Material für den Satzauslaut S. 20; im In-
laut z. B. JG I^ 3.52, 37(3, 1- 373 ^- (p. 4.3), 373^- qd. 80) u. s. w. —
Aber auch «rfr>£/Cf inlautend iu Prosa vereinzelt: 1-373-^' (p.
201); s. S. 21, wohl auch 373'^ (p. 42): {av)e&£y.E o-. — Über
373" (p. 181) s. S. 21. Entsprechende Beispiele aus dem
Ionischen unten. — £Oöx£v auf einer Vase des Exekias bei
Klein, Meistersignaturen S. 40 (dazu K r e t s c h m e r , Vasen-
inschr. S. 51). — tiuqeoöxev JG I- 5a (p. 135) Z. 11, 15
(Mitte des 5. Jahrb.), (21); jiaQ£Ôojx£v Z. 1, 5. — Erst
die jüngste der auf diesem Stein vereinigten Inschriften gibt
JlCCQEÔOJy.E y.£(fU?MlOV.
b) beim sigraatischen Aorist: £y.£Qau£vaEv auf einer Vase
des Oikopheles (vgl. Burhngton F. A. Club, Catalogue of
objects of Greek ceramic art S. 9). — £7toi£oev häufig auf
Vasen , Weihinschriften u. s. w. — Pausabeispiele S. 20 f. ;
für den Inlaut vgl. Klein a. a. O. S. 45, 73, 82 u. s. av. —
JG I^ 335, P 373«=* (p. 86), 373»^ (p. 89), 3732^'" (p. 102)
u. s. w. — £ji0£O£ inlautend nur I- 373--^ (p. 102) [könnte
metrisches Fragment sein]. — £yQU(fa£v CßyqantfEvj oft auf
Vasen; für die Pausa vgl. S. 21 f., inlautend z. B. Klein S. 45,
85. — Auf Dekreten das stereotype £Ôo-/g£J' {rii ßöAet) JG
I^ 16, o; 21,1 U.S. \v.; auch eôo/oei' eI/.v — I' 57,3:>. — (fra)/-
n£v TOfi — I^ 37,47, — ey£i()OTOvëo£ V lio P 40,2;). — a:i£-
ji£^i(pö£t> y.a{i) 1^ 82. — Das liohe Alter des -i' in diesen
Formen wird weiter inschriftlich durch die dialektische Poesie
bestätigt, die es schon sehr frühzeitig angenommen hat; vgl.
die auf S. 28 genannten Formen ui^qev, Ô£i.r7't^£}\ ôÀ£a£v.
Dagegen haben die Formen mit 1. sg. auf -op in der ältesten Zeit
bloßes -e: Daher im Imperfekt auf Vasen stets EyçacpE im Gegensatz
zum Aor. Eyçacpasv (S. 22). — Vgl. ferner £Ôiôaax£ JG I' 336, I-
337a (p. 79). — £y£ Tf(/) P 179 (p. 160 f.) Z. 13 und 25. — Das ist
denn auch in Rechnung zu ziehen bei dem Aor. II £d-av£ (S. 27). So er-
klärt sich ferner in den prœscriptiones der Gegensatz von eôoxoev einerseits,
£7iQVTav£V£, Ey Q af-i^üT £v £ , ÊQXE, £ i .1 £ andrerseits (S. 13 Anra. 1):
Zur Zeit, als diese Formeln festgelegt wurden, war die Ausdehnung des
-V auf die o^'-Tempora noch nicht erfulgt. Die prœscriptiones blieben
lange in dieser archaischen Gestalt, und Ey quu i^iuteve erscheint auch
— M3 —
satz in lautend, wo die Formel nicht gerade die stereotype der pr^escriptio
ist stets ohne -r: eyQccif(uaT)Ev£ E?.£vaivi V 231. Ahnlich 237. 298
(vgl. I- p. 146) zweimal, 301,20, 554 (p.222); I- 557 (p. 125). — Entsprechend
ËQy^E I^ 260 {éçx^ ^^^); ^^ '^^^ (P- l-'^)- Endlich aber wurde auch hier zu
Ende des 5. Jahrh. das -v heimisch (S. 14). Auf Privaturkunden findet sich
dieser Gebrauch, wie zu erwarten, schon früher, so in etzoqev am
Schluß des Pentameters I- 373^ (p. 179, vgl. übrigens die nota dazu),
und vor allem in dem vulgären y.avEjiiEP des Pinaxfragmentes aus dem
kimonischen Schutt (Kretsclimer, A'aseninschr, S. 90).^) — Vielleicht ist
es kein Zutall, daß die beiden ältesten attischen Belege Aoriste sind:
der Einfluß der x- und a-Bildnng mag hier zuerst eingesetzt haben. —
Für die spätere Zeit ergibt eine Vergleichung von Maassens Tabelle
und dem aus Papyri geschöpften Material bei Mayser, Gramm, d. griech.
Papyri S. 237, eine grössere Festigkeit des -fr überhaupt gegenüber
-ai(i')- So hat auch die Inschrift bei Dittenb erger Sylloge - 178 (um 300
V, Chr.): ôiôcoai IlEQÔixy.ai. ovoi y.E'/.Ti]o^ai zweimal, ôiôcooi y.ai, ôi-
ôcoai Se. aber EyJ.riQovyj^oEi' Uo/.Eüoy.QUTijQ, eÔojxev Efi jtcctqixoic,
EAaßEV Ei\ eSmxei' IItO/.EU(CIO)1.
Die Ausbeute aus dem Ionischen ist geringer und zeigt auch in
den «-Tempora weniger „Regelmäßigkeit." Auf den ältesten Inschriften
(bis 400) kommen satzauslautend wie -inlautend Formen mit und ohne
-V vor. Für den Inlaut vgl. avEd-i]X£v 5401, 5-508 u. s. w. (oft), eôojxei'
5531, E7T0i}]a£v 5292, 5422, eöo^ev 5308, Eori^oEV 5358, EXQaTi]{o)EV
5727d35, E71Q1JOEV AM 31, 152 (Samos).-) -Andrerseits avEx^r^xE: 5419,
5509 u. s. w., EÖcoxE 5522a, ettohioe 5505, eôo^e 5495. — Es zeigt sich
also, dass auch in diesen Verbalformen die Setzung nicht völlig oder
nahezu obligatorisch war, wie man nach dem attischen Material anzu-
nehmen geneigt sein könnte. — Die Belege der or-Tempora sind zu
spärlich, um darüber aufzuklären, ob im Ionischen der Antritt des -v
hier ebenfalls spät erfolgt ist. Die Sängergildeninschrift bietet zwar
Z. 40 und 41 EaÔE, aber auch das erwähnte eôo^e. — Das ei^ei' von
5727 a 39, 45, G3, c 0, IG entscheidet nichts nach der andern Seite, da die
Inschrift in die letzte Zeit des 5. Jahrh. fällt, auch von Attizismen
nicht ganz frei ist (Bechtel S. 749).-') —
1; Auch dialektisch-poetisch: so evciiev Roehl JCtA i)5 (Mitte d. 5. Jahrb.).
-) Metrisch z. ß. avedr^y.ev 5420 u. s. w.. e ßa(a)y.i] vev 535.% enott^aev 5422.
3| Der im ionischen Epos überlieferte Zustand kann kein untrügliches Zeugnis
für den Gebrauch der üesprocheueu Sprache ablegen. - Daß aber für das in Rede
stehende Problem die Litteratur spräche überhaupt herangezogen werden muß,
ist klar. Namentlich die attischen Dichter werden ein gewichtiges Wort mitzureden
haben. Das muß späterer Untersuchung vorbehalten bleiben.
— 84 —
Auf Grund des inschriftlichen Materials kann man den Entwicklungs-
gang des griechischen vv è(f£ÀxvaTixôp etwa so skizzieren : Der oder die
Ausgangspunkte sind nicht mit absoluter Gewißheit zu bestimmen,
da mehrere Möglichkeiten vorliegen. Für die Flexionsformen erscheint
es jedenfalls nicht geraten, an Indeclinabilia anzuknü^Dfen, wie Osthoff
MU IV 231, Gesch. d. Perf. 340f., zum Teil auch Brugmann Grundr.
I- 902 tun, zumal sich einige scheinbaren Stützpunkte als recht frag-
würdig erweisen; vgl. über ovroali' neben -J Kühner -Blass Gramm.
I i^ 293f. ; wobei noch außerdem die Tatsache, daß i'-Formen nur bei den
Kasus auf -o-i bezeugt sind, ganz entschieden dafür spricht, daß es sich
hier im Gegenteil um eine sekundäre Neuerung dieses Pronomens nach
altererbten (7f(r)-Formationen handelt. — Über y.s : y.ev s. zuletzt Solmsen
K Z. 35, 471 f.
Für die Flexionsformen mit -gi{v) ist der älteste Kern wohl sicher
beim Pronomen zu suchen, allerdings auf einem andern AVege als dem
von Fick, Ihas 559f. beschrittenen, nämlich beim Personalpronomen:
Daß der Dat. pl. der Personalpronomina urgriechisch auf -iv ausging
{^aofiii'. *vo,uir), wird durch den Tatbestand der griechischen Dialekte
erwiesen. [Die Endung ist die gleiche wie in den Singularformen è/uii',
liv. T£Îv u. s. w. und hängt unfraglich mit dem altind. pronominalen
Lok. 2i\xi -Ch)ii )-'iu {fismiii „in eo") zusammen.] Gleichgültig ist, ob die vor-
handenen singularischen è/nir u. s. w. ebenfalls alt sind oder erst nach
dem Muster des Plurals geschaffen wurden. Ebenso kann die Frage
nach dem Alter von G(f:ii' offen bleiben. — Es bedarf ferner r.icht ein-
mal der Annahme, dass neben *aafuv, "^vafiiv schon urgriechisch
kürzere Formen auf -i lagen (lesb. ä/iifii, vftfii, die Bartholoma? BB 15,
18 als einzeldialektische Neuschöpfungen nach dem Muster von /-Loka-
tiven betrachtet). — So bequem eine Doppelheit ^aa^ip : *aa/:ii als Aus-
gangspunkt wäre, so können wir doch all dieser Ungewißheiten ent-
raten: Übernahm das Ionisch-attische — und das ist das einzige, was
sich wirklich positiv behaupten läßt — , die Dat. pl. des Personalpro-
nomens in der Form -iv, so reichte das schon zu einer analogischen Be-
einflussung andrer Pluraldative aus: Wie sich im Jüngern Kretischen zum
N. pl. aiisi' das Attrilnit syi'coxorer und weiter die Neubildung nvei'
für nv£g einstellte (J. Schmidt KZ 36, 400 ff.), so konnte im Ionisch-
attischen ein f]^uv naai, bfiiv toloôeooi (vgl. P 633, ß 46 f.) zu fiuiv
Tiuaiv, bfiiv Toiaôeaaiv werden, ein riai, avioiai nach ^fiiv die Schwester-
form iioiv, avioiaiv erhalten u. s. w. Wenn daneben die ältere uner-
weiterte Form nicht ausstarb, so gehört das zu den bekanntesten Er-
scheinungen des Sprachlebens.
Nach dem Vorgange des Dat. i)l. kam die Doppelheit -oi, -aiv
dann auch in der 3. pl. des Verbs auf. Es ist nicht ausgeschlossen, daß,
— 85 -
wie schon Planudes (ed. Bachniann Anecd. Grœca II 58,iGffj dachte, die
Dat. pl. der Partizipien dabei wirkhch eine Vermittlerrolle gespielt haben,
nur in umgekehrter Richtung als Planudes meint: Ein D. pl. ipeçovai war
der 3. pl. (pegovai völlig gleichlautend, so dass eine Nebenform (peqovoiv bei
dem einen sehr wohl die gleiche Umgestaltung beim anderen hervorrufen
konnte. Die Sekundärendung der 3. pl. -v mag ebenfalls noch einen
Druck zu Gunsten der volleren Form mit -v bei der Primärendung aus-
geübt haben. — Vom -oiv der 3. pl zum -oiv der unthematischen 3. sg.
und weiter zu eghv war der Schritt um so leichter getan, als von
einem anderen Gebiet der 3. sg., der Endung -£, Sukkurs kam: Hier
hat die Überführung der ursprünglichen 3, pl. tiEv in den Singular (vgl.
Hoffmann, Präsens S. 68, Gr. Dial. II 319, Brugmann Grundr. II 900)
befruchtend gewirkt.') Nach dem Muster fja : fjEv erhielten alle Tempora,
deren 1. sg. auf -a endete, in der 3. sg. neben -£ wohl schon urionisch-
attisch die Nebenform -ev. Bei den Formen mit 1. sg. -ov dagegen ist
-ev den ältesten attischen Prosainschriften noch fremd, scheint aber all-
mählich im Laufe des 5. Jahrh. aufgekommen zu sein und hat sich am
Ende desselben auch hier festgesetzt.
Nach dem Prinzip, daß das Satzende beim Vorhandensein von
gleichbedeutenden Wortformen die lautlich vollere bevorzugt, findet sich
in Pausa die Form mit -v è(p£ÀKvatix6v seit ältester Zeit besonders gern
gebraucht, in der Poesie fast ausnahmslos, in der Prosa überwiegend,
bisweilen mit deutlich erkennbarer Begünstigung dem Satzinlaut gegen-
über. In späterer Zeit, etwa von der 2. Hälfte des 4. Jahrh. ab, ist
Setzung des -p in Pausa überhaupt das Normale. War die Pausa das eigent-
liche Gebiet des -f, so ist es verständlich, wenn sich im Inlaut zunächst
ein Promiscuegeb rauch zeigt, ein Zustand, der im großen und ganzen
durch das Altertum hindurch unverändert bleibt, nur daß zunächst die
î'-Formen häufiger als die î^-losen werden. Teilweise aber lassen sich
auch im Satzinlaut Sandhidifferenzen beobachten: Schon im 5. Jahrh.
und auch später verrät sich die Tendenz, die /'-lose Form neben der
r-Form nur vor Konsonanten zu gebrauchen, vor Vokalen nur die i>-
Form gelten zu lassen; ja, vereinzelt wird sogar seit etwa 400 v. Chr.
das unsrer Schulregel zugrundeliegende Prinzip auch auf den Inschriften
1) Schulze. GGA 1897, 902 hält diese für speziell ionisch; mit Recht. Denn
das lokrische ev = ^v in dem Satze JtoTiö fenaaiog äv GDJ 1478,9. bei dem au
attischen Einfluss nicht gedacht werden darf (1. Hälfte d. n. Jahrh. v. Chr.), ist n. pl..
durch „constructio xarà avveaiv^ für den Sing, eingetreten: „woher sie ein jeder waren."
Dabei hat das vorausgehende pluralische ai xa liun avav/.ag ajteÄaöinai dem Redaktor
oder Schreiber vorgeschwebt. — Als H. sg. kann das Lokrische nicht gut etwas anderes
als das gemeingriechische ^s gehabt haben, wie es denn auch im Delphischeu (UDJ
2002,1«) der zu erwartenden S pl. »> (2518.iü u. s. w.) gegenübersteht.
— 86 —
angewendet: -i' steht vor Vokal (und in Pausa), die Form ohne -/' vor
Konsonanten. Zu größerer Ausdehnung ist diese Regelung im Altertum
nicht gelangt, die Inschriften fahren fort, -v auch vor Konsonanten zu
setzen. Als orthographische Lehre ausgesprochen findet sie sich erst in
der byzantinischen Gramniatik.')
Die andern Dialekte außerhalb des Ionisch-attischen kennen das
vv èg)EÀxvatix6v, so lange sie von der Gemeinsprache unbeeinflufit sind,
nur in der Poesie in Anlehnung an Homer, zunächst nur da, wo es
metrische Notwendigkeit erfordert, später auch in Pausa. - Der Prosa
fehlt es überall, auch im Dat. pl., wo die Neubildung an und für sich
ebensogut wie im Ionisch-attischen hätte vollzogen werden können. —
Vgl. fürs Aiolische: Meister, Dial. I 125, zum Material s. noch S. 272,
306-, Hoffmann, Dial. II 477. — Fürs Arkadische: Hoffmann I 214,
Baunack Ber. d. kgl. sächs. Ges d. Wissensch. 1893, 110. Kyprisch:
Meister II 255.^) Pamphylisch GD J 1266 /iiiccQoiai. ccTQonoiot u. s w.
Fürs ältere Dorisch s. die altgortynischen Inschriften: GDJ 4991
nur TQiöi, EjTißaAAovGi, fiëvai, viaai, 4976 (ß)ofGi, 4984 ffjomiovai,
5011 rf>ag)iôôovai, 5015 ^>a(pit,avoi. feTS&d-i. — Vaxos 5125 raiat. —
Aus dem älteren Nordwestgriechischen nur spärliches Material:
Delphisch aa/uccTsaai GDJ 2561 C 41 (Labyadeninschrift) ; jiainsaai
2501,44 (Amphiktyonengesetz).
In die dialektische Prosa beginnt das -v erst im 4. Jahrh. v. Chr.
einzudringen. Dabei fällt eins auf: Für die Mundart von Heraklea
hat bereits Meister, Curtius' Studien IV 413 festgestellt, daß nur die
Dat. pl. auf -fji das aus der xotrij eingeschleppte 7' èg)eÀxvaTixôv
annehmen können, während die 3. pl. auf -pti ebenso wie ean das -v
verschmäht (eine 3. sg. auf -e ist nicht belegt). Dieselbe Erscheinung
kehrt nun in den älteren Inschriften von Epidauros wieder, und hier
steht auch reiches Material für die 3, sg. (stets bloßes -e) zur Verfügung:
Auf den größeren Texten des 4. Jahrh. kommen nur im D. pl. i^-Formen
vor; die Inschrift JG IV 1485 kennt sie auch hier noch nicht: Z. 4
8yôoTi]Qai £iç, 45 eyôoTEQai Aafiocpavei, 97 xaraAoßEvot y.ai ;
außerdem 16 Formen mit -8 in der 3. sg. (Z. 17 u. s. w. anijviKE,
124 EAaßE). — Die jüngere Urkunde 1492 hat noch EyQacpE Z. 7, 18,
1) Über das Verhalten der Kotv^ gegenüber dem v ècpeÀKuariKÔv im allgemeinen
geben die nützlichen Sammlungen bei Mayser, Gramm, d. grieoh. Papyri 236 gute
Auskunft, namentlich auch über die prozentuale Häufigkeit von Setzung und Nicht-
setzung. Interessant ist, daß in der Zeit vom 3.-1. vorchristlichen .lahrhundert wieder
eine Abnahme im (jebrauch des -v zutagetritt.
2) Hoffmanns Auffassung (I 214 f.) der von Meister für jünger gehaltenen Formen
eôcjKev u. 8. w. als „lokaler'" Neubildungen ist verfehlt, vor allem, weil die Keimform
/Jei» im Kyprischen nicht existiert.
— 37 -
21, 22, 26, 38, aber iaQo^ra,uooiv Z. 21. — So tindet sich denn -v
beim D. pl. auch auf den großen Heilinschriften: 951 Z. 24 lUfiaoiv
y.ai, 32 eovoiv aJiioTOiç, 55 vjiccQyovoiv, 67 a ciyßaaiv y.ui, 97
Xsgaiv Eyoiv, dassell)e 101, 104. — Ohne -v: Z. 30 ejityqa^uani
loiQ, — Außerdem aber Z. 45 .i^uqeoti. a.-ioi}vneiv und 5 7 Beispiele
für -£ in der 3. sg., keines mit -ev.
952: Z. 96 d-sQUjievfiaaiv eirdyE/MV), aber Z. 60 xeqoi (feçov,
auch Z. 25 eoti o. Auf -£ 40 Formen. — Mit -v nur scheinbar Z. 1 evexu-
d-EvÔEi' EÀÀaxEÔai/ioi'i, das aber nicht als sicherer Beleg für das Eindringen
der Endung -ei> betrachtet werden darf: Da die übrigen 40 Beispiele durch-
aus widerstreben, liegt der Verdacht nahe, daß wir es mit einer Yerscbrei-
bung zu tun haben: Beabsichtigt war wohl EVE-xad-EvÔE ev AuxEOai^iovi ;
durch Versehen beim Einhauen fiel ein e aus, und der Fehler wurde dann
in der auf uns überlieferten Weise ausgebessert, woljei die assimilierte
Form der Prsep. Eingang fand. Ob der Steinmetz bei der Schreibung
EVExad^EvÔEv vielleicht sein Gewissen mit der ihm aus der Orthographie
metrischer Inschriften geläufigen Praxis (cf. Isyllos) beschwichtigte, kann
uns gleichgültig sein. Und ob das Exioçiôaç e7ioi]oev von JG IV
1477 (4. Jahrh.) wirkhch als der erste einwandfreie Zeuge für -fi- gelten
darf, ist auch noch zweifelhaft: es könnte als Anfang eines Hexameters
gedacht sein und käme dann nicht in Betracht. Für gewöhnlich haben die
Künstlersignaturen von Epidauros auch in späterer Zeit noch E:fio(ijt]aE.
vgl. 1478. 1482, 1483. — Auf alle Fälle beweist das Material, daß auch
in Epidauros bei Annahme des *' ècpEÀxvoTixôv aus der xoii>^ den Formen
des Dat. pl. der Vorrang gebührt hat. Auch in Gort y n finden sich
nur Dativformen mit -r: ITçiaroE vai r G D J 5024 6,s2, aber eöo^e
5016. —
Der Grund dieser Erscheinung ist klar: Die Dative auf -otv sind
deswegen so verhältnismäßig frühe, noch „zu Lebzeiten'' des Dialekts, aus
der Gemeinsprache übernommen worden, weil diese Bildung in den be-
treffenden Mundarten selbst einen Stützpunkt an den D. pl. auii' und
vf.iii' fand. Beim -e der 3. sg. dagegen fehlte etwas Homogenes ebenso
wie beim -vii der 3. pl. und bei èari völlig. Ein -ev (und *-vnv)
mußten viel mehr als Fremdkörper empfanden werden als etwa ein /eqoiv.
das in cqiiv sein einheimisches Analogon hatte. Der Vorgang ist in-
sofern lehrreich, als er ledigHch eine Wiederholung des im Urionischen
beim D. pl. vollzogenen darstellt, nur daß hier eine Neubildung von
innen heraus, dort eine Anpassung erworbeneu Sprachgates stattge-
fanden hat. —
Zum Schluß noch ein Wort über die Aussprache des vr ti^t/.-
y.ronxôv: Es ist mehrfach behauptet worden, daß dieser Laut nicht ein
voll artikuliertes, sondern ein irgendwie ,,redaziertes" -)> gewesen sei.
— 38 —
Die Möglichkeit will ich nicht bestreiten: Da wir wissen, daß aus-
lautendes -V überhaupt im Griechischen zumteil einer Reduktion unterlag
(Material bei G. Meyer Gramm. ^398 f.) und nichts die Annahme aus-
schließt, daß diese Reduktion in Pau s a erfolgt sei, so könnte auch das
V èqJEÀxvanxôi' als Pausaform daran teilgenommen haben, ja, es könnte,
in den Inlaut verschleppt, auch hier die reduzierte Aussprache beibehalten
haben, möglicherweise sogar darin seine spezielle Herkunft aus der
Pausa auch im Satzinnern im Gegensatz zu anderen wortenden-
den -V dokumentieren, die hier ihre voll artikulierte Form unverändert
gelassen hatten. Wäre dem so, dann könnte noch ein gutes Teil
der Fälle von Xichtschreibung, namentlich älterer Zeit, aufs Konto
dieser Aussprache gesetzt werden (das Verhalten der Vaseninschriften,
auf deuen manchmal die Signatur desselben Meisters bald mit, bald
ohne -V erscheint, würde sich vielleicht so besonders gut einordnen).
Leider fehlen aber vollgültige Beweise für eine derartige Besonderheit
in der Aussprache. Was bei Kühner-Blass Ii^ 292 und Blass Rh.
M. 43, 279 f. gesagt wird, entspricht zu wenig den Anforderungen
sprachwissenschaftlicher Methode, als daß ich mich auf eine Dis-
kussion einlassen könnte. Aus der zwiefachen Schreibung egtiv und
eaii schlechtweg auf eine etwa in der Mitte liegende Aussprache
„é'S/?" zu schließen, ist der Entstehungsgeschichte des -v wegen unstatt-
haft, die zunächst nur auf eine der Analogie entsprossene morpho-
logische, nicht aber orthographische Variante einunddersell^en Wort-
form hinweist. Wer die beiden Optativformen ôsi^aiç und ôei^siag oder
etwa lateinisch aniasue und a/navtsse auf irgend einer phonetischen
Zwischenstufe vereinigen und als lediglich orthographische Varianten ein-
unddersel]>en Lautform erklären wollte, würde auf demselben Niveau
stehen. — Wenn G. Meyer Gramm. ''399 aus den Messungen
— favEd-e)}iEV Aioc. yÀavçoJiiôi (;öqei JG I' 355 und
— £TC£d-ëxsv d-ai'OTOi ib. 472
folgert, daß -v keinen „vollen Lautwert" l)esessen habe, so genügt es,
auf andere pleonastische Schreibungen aufmerksam zu machen wie
Ev&aÔE 01ÀÔI' xsirat etc.
im Anfang des Hexameters GDJ 5302, wo niemand über den „vollen
Lautwert" der Silbe -ôe disputieren wird. — Auch was Buth, i'hilologus
39, 551 aus dem homerischen Tatbestand folgert, hält nicht Stich. Wenn
das Epos eine Positionsbildung durch v èfpe^.xvarixôv in der Senkung nur im
L und 2. Fuß, ausnahmsweise im 4., kennt, so beruht das nicht auf einer
besonderen „Schwäche" gerade dieser Position, die nur bevorzugte Vers-
stellen hätten überwinden können, sondern einfach darauf, daß zufällig
— 39 ~
die Wortformen mit v icpeÀxvaTr/côv aus Gründen rein verstechnischer
Natuf im dritten und fünften Fuß überhaupt nicht vorkommen können.
Um eine Ausnahmestellung der beiden ersten Füße handelt es sich da-
bei gar nicht. Darüber ein ander Mal ausführlicher.
Zu einem positiven Entscheid reichen hier also unsere Kenntnisse
einstweilen nicht aus. Solange nicht Beweiskräftigeres beigebracht wird,
darf niemand behaupten, daß das -i' in st^ev oder roiaiv schwächer ge-
sprochen wurde als in eixor. toTov.
Basel, den 21. Dezember 1906.
Das Gleichnis in erzählender Dichtung.
Ein Problem für Philologen und Schulmänner.
Von
Theodor Plüß,
In der Odyssee wird erzählt, wie Hermes als Götterbote über die
weite See fuhr. Da jagte er alsdann über das schwellende Wasser hin
der Möwe gleich.^) Worin glich er ihr? In der Gestalt, könnte man
denken. Aber von einer Verwandlung der menschenartigen Erscheinung
des Gottes verlautet hier kein Wort, und ebenso nachher keins von einer
Rückverwandlung. Auch verwandeln sich die Götter sonst für Menschen-
augen, um besonderer Zwecke willen : was sollte hier der Zweck sein,
wo kein Menschenauge in Nähe oder Ferne zuschauend gedacht ist '? —
War also Hermes der Möwe gleich in der Art des Dahinjagens? etwa
ähnlich, wie weiterhin Ino Leukothea dem Wasserhuhn gleich ist in der
Art ihres Auf- und Untertauchens? Denken Hesse sich dabei z.B. an
die besondre Bewegungsart, wie man sie an einer Möwe leicht mit Augen
beobachten kann, wenn sie über die Flut hinfährt. Dabei pflegt die Möwe
hungrig zu sein und zu tischen, und so benennt sie der Dichter denn
auch als gierig schlingenden oder gefräßigen Vogel und läßt sie Fische
fangen; beim Fischen fliegt sie aber immer nur kürzere vStrecken über
dem Wasser hin, dann taucht sie mehr oder weniger tief ein, und auch
das Eintauchen erwähnt unser Erzähler. Dagegen trägt Hermes zur
Wasserfahrt Sohlen, Sohlen zum Auftreten, Schreiten und Laufen ; er
läuft also auf der Fläche des Wassers selber hin, und wie von einem
sicheren Boden läßt er sich von den schwellenden Wassern tragen. Er
soll ja auch in Einem Zuge, ohne Aufenthalt nach seinem fernen Ziel
kommen: auch dazu paßt die sichtbare Bewegungs weise der fischenden
Möwe durchaus nicht. — Sollen wir also an die äußere Bewegungs-
schnelligkeit als Vergleichungspunkt denken? Auch abgesehen von
der weltweiten Entfernung, die Hermes heut im Teile eines Tages über-
') Odyssee 5, 50 —54.
— 41 —
winden soll, würden sich die Hörer die Bewegungsschnelligkeit des Götter-
boten unvergleichlich geschwinder vorstellen als gerade die einer Möwe,
zumal einer fischenden ; ein (xott mag ja an den fernsten Ort sogar so
schnell hingelangen, wie ein Mensch sich hindenkt.
Also leibliche Gestalt, Art der Bewegungserscheinung, Mali äußerer
Schnelligkeit — das alles will nicht stimmen. Eines allein würde ganz
stimmen, aber etwas, was weder leibhaft noch erscheinungsmäßig, weder
meßbar noch sinnlich direkt wahrnehmbar wäre — die Sicherheit, mit
welcher Gott und Vogel über das wogenschwellende Meer hinjagen.
Man beachte, wie das Tun und Gebaren der Möwe, bei einem Wasser-
vogel ein natürliches, hier besonders lebendig nach der Seite der Sicher-
heit gegenüber anscheinenden Gefahren erfaßt und dargestellt ist Die
Möwe ein gierig schlingender Vogel: der Naturtrieb jagt sie, macht sie
sicher, kühn. Die Wölbungen oder Tiefen der wüsten Salzflut als ge-
fährlich, furchtbar benannt, vom Standpunkt des Menschen. Die Schwung-
federn undurchdringlich gegenüber dem Salzwasser, also sicher. Aber
bei einem menschengestaltigen Wesen ist diese Sicherheit wunderbar,
über Erfahrung und Begriff hinausgehend, also eigentlich auch nicht
direkt in Worten aussprechbar. Da mag gerade das Tun des gebore-
nen Wasserwesens uns von dem Unaussprechlichen doch eine lebhaft
empfundene Vorstellung geben: mit einer Sicherheit, w^elche aller Men-
schennatur überlegen und an Hermes doch so natürlich war, als sei
das Meer sein Wesens- und Lebenselement, fuhr der menschengestaltige
Gott auf den Wasserschwällen dahin. Ausdrücke der Bewegung, Rhyth-
men einzelner Verse, Eigenschaften von Sohlen und Stab des Hermes
mögen helfen, die Vorstellung überlegener Sicherheit in Wesen und Tun
des Gottes auszudrücken.^) Bedeutsam empfunden ist die Sicherheit
gegenüber dem Meere gerade hier in einer Erzählung, in welcher eben
das Meer dem Helden des Gedichtes demnächst so furchtbar gefährlich
werden soll.
Aber freilich, geschaut habe ich die Sicherheit auch an Dutzenden
fischender Möwen in der Wirklichkeit niemals, höchstens habe ich etwa,
unter Einwirkung eines Kontrastes, diese Sicherheit an wirklichen INfö-
wen empfunden : so vermag ich sie jetzt, an Homers Darstellung, auch
nicht als etwas sinnenraäßig Anschauliches mir zu reproduzieren. Vol-
lends am Gotte Hermes eine über alles Menschenmögliche, also alles
sinnlich Erfahrene und Geschaute hinausreichende Sicherheit mir an-
schaulich zu machen vermag ich nicht. Wollte ich etwa die Phantasie
1) asvazo {b\) asynrletisch. Anfangsstell uug; ôyeîa&ai [bi^ auch S'mst von einem
sicheren Sichtragenlassen; auch .Tetsa&at (49) an sich kein Fliegen mit Flügeln; Rhythmen
V. 4:3. 44. 4i). 51. 54. — d-éÀyeiv (47) auch sonst von zauherhafter Schwächung einer
Kraft gegenüber Uefahr. éyeÎQeti' (48) vom Wach-. Sicher- und Kühnmachen in Gefaliren.
— 42 —
z^Yingen, überhaupt AnschauungsähnlichkeU zwischen Möwe und Hermes
zu fixieren, müßte ich Hermes am Ende gar tauchen und fischen sehn.
Einen Vergleichungspunkt ferner, auch unsere Sicherheit nennt der
Dichter uns nicht; worin denn eigentlich, bei soviel Unähnlichkeit,
Hermes auf seiner Meerfahrt dem gierigschlingenden und fischefangen-
den Vogel gleich war. das mögen wir vielleicht bei lebendigem Vortrag
fühlen oder aber in wissenschaftlicher Arbeit erkennen.
Das alles ist nun aber ein Widerspruch gegenüber allem, was
Aesthetiker und Poetiker, Philologen und Literaturhistoriker uns von
den dichterischen Gleichnissen im allgemeinen und von den epischen,
zumal homerischen insbesondre sagen. Schlagende Kraft, unmittelbar
einleuchtende Klarheit des Vergleichungspunktes ist es, was Friedrich
Vischer für das Gleichnis, besonders für das epische vor allem fordert.
Einhellig nennt man Anschauung und Anschaulichkeit als das \Vesen
des Gleichnisses, oder man setzt dieses Wesen einfach voraus; man
läßt den Dichter im Gleichnis schildern, zeichnen, malen, mit der
Phantasie bilden, findet malerische Sinnlichkeit oder plastische Realität,
sieht konkrete, feste, lebendigfarbige Bilder für das Auge, ja ganze
Landschaftsgemälde. Als Ziveck und Wirku?ig nimmt man fast aus-
nahmslos bildmäßige Veranschaulichung an ; das Gleichnis versinnliche
etwas, sagt man, und es gebe der Rede sinnliche Kraft. ^)
IL
Allerdings ist, wenn nicht die Anschaulichkeit, so doch der Zweck
einer Veranschaulichung auch schon bestritten oder in seiner Geltung
eingeschränkt worden. Zu besprechen sind hier Auffassungen von
Wilamowitz, Richard Meyer, Cauer und Julius Ziehen.-)
1) Zitiert sind Ausdrücke und Auffassungen von Fr. Viseber (Aesthetik III 1226.
123U). W. Wackemagel (Poetik), Cirerher (Sprache als Kunst), Lyon (Handbuch der
deutschen Sprache), R. M. Meyer (Deutsche Stilistik), Ed. Engel (Deutsche Literatur);
ferner von Bergk (Griech. Literaturgeschichte), Jebb (Homer), Elard H. Meyer (Homer
und die Ilias), P. Cauer (Grrundfragen). Herrn. Grimm (Uias), Kammer (Aesthet. Kom-
mentar zur Ilias), Sitzler (Aesthet. Kommentar zur Odyssee), J. Burckhardt (Griech.
Kulturgeschichte), O. .Jäger (Homer u. Horaz), Norden (Aeneis VI), Heinze (Virgils
Technik), Wagner ^Hellen. Kultur), v. Wilamowitz (Griech. Literatur), Olsen (N. .Jahrb.
f. d. klass. Alt. liJOfîj. — Von Versinnlichung spricht auch Göthe (Hempel 29, 535);
anders verstehe ich Göthes Begriff „lokalisierend" (H. 29, 520 Anm.) und seine gern
zitierte .\ußerung in der Italienischen Reise (H. 24. 307).
-) Nicht bestimmt genug scheint mir der Ausdruck „ideale Erläuterung des Ge-
schehenderf, den für homerische Gleichnisse Jakob Burckhardt anwendet (Griech.
Kulturgeschichte III 81 f. vgl. 93. IV 54). — v. Wilamowitz, Griech. Literatur des
Altertums (1905) S. 14 f. Rieh. M. Meyer, Deutsche Stilistik (1906) S. 1.39—141. P.
Cauer, Grundfragen d. Homerkritik (1895) 8. 2()2— 264. .J. Ziehen. N. .Jahrlj. für das
klass. Altertum 1904 I 650.
— 43 —
Die originalen Dichter der Iliade, sagt AVilamowitz, haben ihre
Gleichnisse in erster Linie angewandt, um eine Stimmung zu geben.
„ Wie bringt der Erzähler es fertig, die Stimmung des geschlagenen
Heeres zu schildern? Der Dichter malt das aufgewühlte Meer, das
mit schwarzen Wogen den Seetang gegen das Ufer wirft." Und ähnlich
in drei weiteren Beispielen. — Gegen diese Stimmungstheorie zu-
nächst ein paar allgemeine, psychologische Bedenken. Stimmung ist,
denke ich, ein Gemütszustand allgemeiner und unbestimmter Art. bei
den einzelnen Menschen sich modifizierend nach Gemütsanlagen, Lebens-
erfahrungen und augenblicklichen Umständen. Wie kann nun aus den
bestimmten, einzelnen Phantasieeindrücken eines Naturbildes, die wir
successive empfangen, jene allgemeine Stimmung entstehen? da müßten
wie bei der modernen Stimmungslyrik erst gewisse allgemeinere Vorstel-
lungen, mit Empfindung verbunden, den Übergang vermitteln: diese
Vermittlung ist hier im Unklaren gelassen. Sodann soll eine solche
Stimmung des Zuhörers diesem den Gemütszustand dritter Personen,
nämlich der Personen in der Erzählung schildern. Aber wie kann
etwas so Unsicheres und Variables, etwas Unausgesprochenes und seinem
Wesen nach Unbewußtes, wie die subjektive poetische Naturstimmung
eines Zuhörers, irgend welche bestimmten Objektivitäten heroischen Le-
bens schildern sollen? außerdem ist der Gemütszustand jener dritten
Personen durch den Causalzusammenhang der erzählten Begebenheiten
schärfer bestimmt und vielleicht auch vom Erzähler in Worten deut-
licher bezeichnet, als daß er durch jene vage Naturstimmung noch eine
Verdeutlichung erfahren könnte oder zu erfahren brauchte. Und wo
bleiben nun alle die vielen Fälle in der homerischen Dichtung, wo ent-
weder das Gleichnis kein Naturbild giebt oder aber die Hauptdarstel-
lung von keiner sogenannten Stimmung berichtet oder auch beides gleich-
zeitig fehlt?
Prüfen wir nun aber die genannten vier Beispiele näher auf
Wortlaut und Zusammenhang, so ergeben sich noch besondere Be-
denklichkeiteu.^) Jedesmal sagt uns der Wortlaut der Vergleichungs-
form, der Dichter wolle nicht subjektive Naturstimmungen mit Stim-
mungen eines Heeres vergleichen, sondern Vorgänge der Natur mit
Vorgängen des heroischen Lebens. In keinem der vier Fälle ist denn
auch der Inhalt der Hauptdarstellung eine Stimmung in dem vorhin
bezeichneten Sinne, ein allgemeiner und unbestimmter innerer Zustand,
sondern ein bestimmter Vorgang, sei es ein innerer oder ein äußerer,
ein sich wiederholender oder ein vereinzelter. Man höre : die Troer
unterhielten so viele Wachfeuer, als Sterne am Himmel erscheinen ;
i| Ilias 8, 555—561. H, 1—8. 16, 29(i-;KV2. ;W4-.S6(i.
— 44 —
den Achäeni wurde iicicb Niederlage und Flucht das innerste Verlangen
immer noch hin und her getrieben, wie die See von zwei Winden jäh-
lings erregt und bis in die Tiefe aufgewühlt wird ; zwar hatten die
Achäer einen Augenblick ein wenig aufgeatmet, aber der Kampf ging
rastlos weiter, wie bei einem Gewitter im Hochgebirge vorübergehend
ein einzelner Berg sonnenhell wird; nach zähestem Widerstand und
Führerkampf kommt auf einmal über Hektor und seine Genossen
feiger Fluchtschrecken, so wie heraus aus lichter Himmelsbläue Zeus
auf einmal eine Wetterwolke hervortreten läßt. Endlich entspricht je-
weilen die Stimmung, die vom Naturbild hervorgebracht werden soll, mehr
oder weniger schlecht dem, was etwa im Zusammenhang der erzählten
Vorgänsre Stimmung heißen könnte. So müßte man z B. die Stim-
mung der Troer an ihren Wachfeuern bezeichnen als eine mächtig ge-
hobene, fast vermessen zuversichtliche, auf unverhofft glänzendem Sieg
und kühnen Eroberungsgedanken beruhende : dagegen soll das Natur-
bild der sternenklaren Nacht nach Wilamowitz die Stimmung bloßer
Sicherheit vor Angriff und Verlust geben. Oder: die Stimmung Hektors
und seiner Genossen ist bei Homer die von Leuten, welche von urplötz-
lichem Fluchtschrecken willenlos und ehrvergessen dahingejagt werdeji :
und das soll uns geschildert werden durch eine Stimmung, wie sie die
naturgewohnten Hörer des Dichters angesichts einer regelrecht aufsteigen-
den Gewitterwolke zu haben pflegen ! ITebrigens hat Wilamowitz die-
ses letzte Gleichnis nicht nur in seinem Wortlaut kaum richtig erfaßt,
sondern auch an unrichtige Stelle im Verlauf der erzählten Begebenheiten
gerückt. Das alles niuli uns vorerst bedenklich machen, wenn nicht ge-
gen die Stimmungstheorie überhaupt, so doch gegen diese Darstellung
und Begründung derselben.
Sodann Richard Meyer, Ursprünglich, sagt er, diene das Gleich-
nis lediglich der anschaulichen Verdeutlichung eines angeschauten Haupt-
vorgangs ; dann lasse es einen in der Hauptdarstellung gegebenen Einzel-
fall empfinden als angehörend einem großen geheimen Zusammenhang
der Welt ; wahrhaft poetisch endlich wirke das Gleichnis erst insofern,
als in einem lebendig angeschauten Bilde die Obertöne der Stimmung
sich verdichteten. — Jenen ursprünglichen Zweck erläutert Meyer an ho-
merischen Beispielen. Der homerische Hörer habe z. B. noch nicht mit
Augen geschaut, wie ein großer Held sich unter die Feinde stürze : das
werde ihm nun anschaulich durch etwas Sel1)stgeschautes, nämlich wie
ein Raubtier in die Hürde eindringe. Ob wir dipses Verhältnis in den
Erfahrungen von Homers Hörern hier und in andern Fällen so ohne
weiteres voraussetzen dürfen ? Aber angenommen, es sei so — gerade die
sogenannt anschaulichen Züge z. B. des Vorgangs mit dem Raubtier wür-
den den anschauungsartigen Zügen des Heldenvorgangs so völlig unähnlich
— 45 —
und die Unähnlichkeiten würden unter Umständen so zahlreich sein, daß
dabei das bisher unbekannte Anschauungbild, z. B. vom einbrechenden
Helden, eher ein verwischtes und verwirrtes als ein verdeuthchtes würde. —
Nun aber die höheren Bedeutungen des Gleichnisses, die symbolische und
die erst wahrhaft poetische ! Sind Gleichnisse wie das vom Löwen und
Helden noch nicht wahrhaft poetisch? oder nicht für jedermann? was
isl also wahrhaft poetisch? Oder: sind jene homerischen Gleichnisse noch
nicht symbolisch wirksam ? wenn nicht, womit l)eginnt die Möglichkeit
symbolischer Wirkung ? Im einfachen Sinne müßte, wie alles Künstle-
rische, so auch jedes rechte Gleichnis symbolisch wirken können, näm-
lich insofern, als es uns im Besondern immer zugleich ein Allgemeines,
in der Vielheit der Dinge die Einheit der Idee, im Maß- und Formlo-
sen der Wirkhchkeit Ebenmaß und Rhythmus empfinden ließe. Aber
ist eine solche symbolische Wirkung oder ein wahrhaft poetischer Stim-
mungsausdruck überhaupt möglich, wenn denn alle Gleichnisse zu aller-
nächst doch immer den Zweck und das Wesen haben, daß sie einem
Hauptvorgang bildartig deutliche Anschaulichkeit geben sollen ? Dann
werden ja die unvermeidlichen starken und zahlreichen UnähnHchkeiten
jeweilen die arbeitende Phantasie stören und dafür den Verstand stark
in Tätigkeit treten lassen, weil trotz allem das iVehnliche soll heraus-
gefunden werden. Dabei kann aber ein starkes und einheitliches Emp-
finden gar nicht aufkommen, und ohne solches Empfinden, ohne mühe-
lose, unreflektierte Erfassung dessen, was dem Gleichnis und dem Ver-
glichenen wirklich gemeinsam ist, giebt es weder syml)olische Wirkung
noch w'ahrhaft poetische Stimmung. Lyriker wie einst Matthisson. seit-
her Theodor Storni und einige von den ,Jüngsten' vermögen durch soge-
nannt sinnliche Darstellung allerdings eine Art symbolischen Empfindens
und eine Art Stimmung zu bewirken : aber abgesehen davon, daß diese
Wirkungen auch bei ihnen sehr ungewiß sind, vernichten sie dieselben
wenigstens nicht dadurch, daß sie uns zwingen, die eiiie Sinnlichkeit
noch mit einer andern, unähnlichen zu vergleichen.
Bei Cauer heisst es, Homer schildre in seiner Hauptdarstellung
einen Vorgang, dabei tauche vor seiner beweglichen Phantasie das Bild
eines irgendwie ähnlichen Vorgangs auf: flugs male er, in der Freude
seines Herzens, dieses Bild in lebendigen Farben neben sein Hauptbild,
ohne Rücksicht auf Verdeutlichung, oft mit fühlbarer, störender Unter-
brechung der Hauptdarstellung. Was aber bei einem modernen Dichter
ein Stilfehler wäre, sei bei Homer berechtigt, weil dieser überhaupt nicht
vermöge, in mehrgliederigem Ausdrucke das gegenseitige Verhältnis der
Begrifl:e festzuhalten. — Dazu vorläufig nur ein paar Fragen. Cauer er-
kennt ebenfalls malerische Anschaulichkeit als das Wesen des homeri-
schen Gleichnisses an ; das Wesen eines Dinges ist sonst durch den Zweck
— 46 —
bedingt: wenn wir also mit Caner den Zweck der Verdeutlichung oder
Yeranschaulichung preisgeben, müssen wir nicht auch die Anschaulichkeit
als Wesen preisgeben ? Wenn ferner vorausgesetzt wird, auch von Cauer,
daß es zu Kunst und Stil gehöre, im Dargestellten die Einheitlichkeit
zu wahren und die Darstellungsmittel im Einzelnen nach den allgemei-
nen Darstellungszwecken zu verwenden, ist dann Homer hier nicht ein
schlechter Künstler, wo er mit seinen Gleichnissen Sonderzwecke erfüllt
und die Einheit der Darstellung durchbricht ? Und auch in der Kunst
darf es heißen ,natura in minimis tota^ : ist also Homers ganze
künstlerische Natur am Ende schlecht? Anderseits: im Gleichnis von
Hermes und der Möwe glaube ich Einheitlichkeit der Teile und Allge-
meinzweckmäßigkeit der Mittel, also Kunst und Stilmäßigkeit empfun-
den zu haben : müßte ich also nicht wie dort, so auch bei andern ho-
merischen Gleichnissen zur Probe erst einmal das ganze Anschauungswe-
sen aufgeben? wer weiß, vielleicht fänden wir auch anderswo innere Einheit
zwischen Gleichnis und Verglichenem. Und schließlich, haben denn z. B.
Dichter des dritten Jahrtausends nach Homer es tatsächlich ganz anders
gemacht als Homer ?
Um so nötiger wäre eine Prüfung nachhomerischer Gleichnisse und
um so berechtigter eine neue Stellung des ganzen Proljlems, als neuer-
dings Julius Ziehen die innere Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit
nicht bloß der homerischen, sondern antiker und moderner epischer Gleich-
nisse überhaupt bestritten hat. Vergleichungen, sagt er, seien von den
Epikern beinahe allenthalben wohl nur als äußeres, dekoratives Beiwerk,
ohne Notwendigkeit und innerlichen Zusammenhang in ihre Darstellungen
eingefügt, oft erst nachträglich aus vorher angelegten Gleichnissammlun-
gen eingeschoben worden. Da könnte einem für die Innerlichkeit und
Notwendigkeit aller dichterischen Form, ja vielleicht aller Kunst bange
werden — indessen solchen Konsequenzen gegenüber ist es wissenschaft-
liche Pflicht, erst wieder die alten Voraussetzungen in Frage zu stellen,
eventuell es mit neuen zu probieren. AVas nun aber bei Wilamowitz
und Meyer, Cauer und Ziehen zu bedenklichen Widersprüchen und ge-
fährlicher Konsequenz den Grund gegeben hat, das ist die Voraussetzung :
das epische Gleichnis sei seinem Wesen nach malerisch anschaulich und
befriedige irgend welches Anschaulichkeitsbedürfnis. Also diese Voraus-
setzung stellen wir in Frage.
iir.
Beim homerischen Gleichnis von Hermes und der Möwe haben wir,
hypothetisch natürlich, als Vergleichungspunkt angenommen die wunder-
bare Sicherheit der Bewegung von Gott und AVasservogel auf dem ge-
— 47 —
fährlichen Element des Meeres, wunderbar vom Standpunkt des Menschen.
Diese wunderbare Sicherheit schien uns nicht anschaubar, aber vor-
stellbar und empfiudbar, Gegenstand oder Inhalt einer empfindungs-
starken Vorstellung. Ueber den Unterschied zwischen Anschauung und
Vorstellung lehren moderne Psychologen etwa Folgendes. Anschauung
entstehe aus dem gegenwärtigen Reize eines Objektes auf unsre Sinne,
dagegen Vorstellung durch Erinnerung an frühere Anschauungen und
durch deren nachträgliche Verbindung mit einander. Dem Gegenstande
nach sei Anschauung etwas Einzelnes, dem Wesen nach die Erfassung
des einzelnen Objektes mit dem Bewußtsein ; dagegen habe die Vorstel-
lung zu ihrem Gegenstande etwas Allgemeines, nämlich den allgemeinen
Charakter einer früheren Anschauung, einen Charakter, welcher als etwas
Allgemeines zugleich der gemeinsame Charakter vieler früheren Anschau-
ungen sei. und ihrem Wesen nach, als ein geistiger, unsinnlicher Vor-
gang, sei Vorstellung eben die Wiederherstellung eines solchen allgemei-
nen und gemeinsamen Charakters in unserem Bewußtsein. In das Be-
wußtsein lebendig eintretend könne eine Vorstellung schon durch ihr
eigenes Leben auch verwandte Vorstellungen wieder lebendig macheu.
eine Assoziation der Vorstellungen augenblicklich hervorrufen. Im mensch-
lichen AVorte finde dann die Auslösung einer Vorstellung und solcher
ihr etwa assoziierten Vorstellungen statt. — Hier hätten wir also psychi-
sches Leben und psychologische Lehren, aus denen sich Entstehung und
Wesen des dichterischen Gleichnisses erklären ließen als Auslösung ge-
ivisser assoziierter Vorsteltimgen.
Was aber nun die Wirkung eines Gleichnisses betriô't, so erfolgen
künstlerische Wirkungen sogar in der bildenden Kunst (wo doch An-
schauung wirklich stattfindet) eigentlich erst durch die verallgemeinern-
den Vorstellungen, mit denen Maler und Bildhauer die AVirklichkeit sehen
und mit denen sie Gegenstand und Material durchdringen ; das hat, we-
nigstens nach der formalen Seite, auch ein Sachverständiger wie Adolf
Hildebrand bezeugt.') Freilich meinen etwa Naturalisten und Impres-
sionisten, direkt aus der Anschauung wieder pure Anschauung zu pro-
duzieren und ohne Allgemeinheiten, wie Vorstellungen und Ideen, zu
wirken, aber sie täuschen sich damit über sich selber. Und ein Böck-
lin hat, instinktiv- und bewußt, zwischen seine intensive Naturbeobachtung
und formen- und farbenfrohe Wirklichkeitsanschauung einerseits und
seine malerische Produktion anderseits nicht bloß weite Abstände von
Raum und Zeit, sondern auch seine energisch vereinfachende, das heißt
verallgemeinernde Vorstellung hinein gesetzt. Die Vorstellung ist es
J) Hildebrand, Das Problem der Form in der bildenden Kunst (4. A. 1903i S. n7
—40 u. a.
— 48 —
nämlich, die in der Erinnerung eines Künstlers alle zufälligen und nicht
wesentlichen Realitäten des einst Angeschauten mit echter Fernewirkung
ausscheidet und nur das Wesentliche und Notwendige, das Einfache und
Einheitliche, also das Allgemeine bewahrt, und mit starker Empfindung
für einen allgemeineren und tieferen Sinn der Dinge macht der Künstler
mit realistischen Mitteln gerade das lebendig, also wahr, was kein Auge
je gesehen hat, was aber mit unseren eigenen innersten Vorstellungen
lebens- und blutsverwandt ist.
Man nennt Böcklin für diese sehr unpositivistische Künstlerart gern
einen Dichter! Mit mehr oder weniger Überlegung, aber insofern mit
Recht, als für die Kunst des Wortes die empfindungsstarke Vorstellung
vollends wesenbestimmend sein muß ; fehlt doch bei der Poesie, zunächst
wenigstens, der Reiz durch das Auge, und nach uralten, volkstümlichen
Begriffen darf ja der Dichter sogar blind sein. In früheren Arbeiten
über Dichter wie Aeschylus und Sophokles, Virgil und Horaz bin ich
demgemäß stets, freilich nicht bewußt und folgerichtig genug, eingetreten
für die maßgebende Bedeutung von Ideen, das heißt lebendigen, em-
pfindungsstarken Allgemeinvorstellungen. Nun hat neuerdings Theodor
Meyer gründlich und folgerichtig dargelegt, wie verkehrt die uns alle
beherrschende Neigung sei, in der Poesie als AVortkunst Anschauung und
Anschaulichkeit, sinnliche Kraft und Plastik zu suchen und zu finden.^)
Also — auch das dichterische Gleichnis drückt Vorstellung, nicht
Anschauung aus, wie z. B. die Vorstellung von der Sicherheit der fischen-
den Möwe auf dem wogenden Meer. Die Vorstellung in einem Gleichnis
wird hervorgerufen von einer empfindungsstarken Vorstellung des Haupt-
vorgangS; durch Assoziation, z. B. Assoziation mit der Sicherheit des
Hermes auf wogendem Meer. Die Assoziation im Bewußtsein ist nicht
willkürlich, sondern notwendig, wenn die allgemeine Vorstellung des Haupt-
vorgangs besonders lebendig empfunden wird, in ihrem engeren und wei-
teren Zusammenhang dem Erzähler bedeutungsvoll ist. wie z. B. eben
die wunderbare Sicherheit des menschengestaltigen Götterboten auf dem
furchtbaren Meer. Der äußere Ausdruck einer assoziierten Vorstellung
in Gleichnisform ist nicht bloß ein dekorativer, sondern ein innerlich
notwendige!' überall, wo jene allgemeine Vorstellung des Hauptvorgangs
so stark empfunden wird, daß sie noch zu einem besonderen Ausdruck
drängt, und wo doch ein direkter Ausdruck in eigentlichen Worten un-
möglich oder ungenügend sein würde — so würde z. B. der Ausdruck
„er jagte alsdann über das schwellende Meer jnit wunderbarer Sicherheit^'
zwar richtig, aber wenig lebensvoll sein. — Das wäre unsere neue
Hypothese.
') Theodor A. IMeyer, Das Stilgesetz der Poesie (19U1).
49 —
IV.
Für unsere Hypothese darf man jetzt freilich noch die praktische
Belastungsprobe fordern : es müßten sich eine größere Anzahl Einzel-
fälle und ganze Gruppen eigenartiger G-leichnisse auf unsere AVeise besser
als sonst verstehen lassen.
Erinnern darf ich zunächst an die beliebten kürzesten Vergleiche:
„wie der Blitz", „wie ein Löwe", „wie ein Schneekönig" u. s. w. Auch
diese sprichwörtlichen Vergleichungen sollen nämlich, wie gelehrt wird,
einen Gegenstand durch ein Bild veranschaulichen; man zählt sie wie
die Gleichnisse zu den sogenannten Tropen als Mitteln objektiver Ver-
anschaulichung und des Malerischen. ^) Aber wer hat oder bekommt
wirklich eine Anschauung z. B. von einem Menschen, der ..wie der Blitz
um die Ecke verschwunden ist" ? — Wir Europäer, meint Dekker-
Multatuli, hätten in der Regel keine Anschauung davon, wie ein Löwe
kämpfe. — Als kürzlich in einem berühmten Memoirenwerk der Aus-
druck vorkam, der und der Minister „sei froh gewesen wie ein Schnee-
könig", da hatten gewiß recht viele Leser niemals etwas vom Vogel
Zaunkönig gesehen und nie von seinem lustigen Gebaren in Frost und
Schnee etwas gehört. Sind deshalb nun solche Vergleichungen, wie
Multatuli meint, verkehrt oder doch nutzlos? Nein, nur müssen sie
lebendig gesprochen oder beim Lesen wie lebendig gesprochen innerlich
gehört werden : dann beobachte man, wie ein lebendig Sprechender durch
Artikulation der Laute, Tonbewegung und Rhythmus, auch etwa durch
Voranstellung des Vergleichs und durch eine unwillkürliche körperliche
Bewegung oder Gesichtsveränderung, gewisse allgemeine Vorstellungen
zum Ausdruck bringt. Beim „Blitz" etwa die einer ganz unbegreiflichen,
also auch nicht anschaubaren Geschwindigkeit, beim ,, Schneekönig"' die
einer harmlosen hellen Freude oder naiven Lustigkeit u. s, w. Meistons
sind diese Vergleiche stark übertreibend : einer Veranschaulichung könnte
das nur schaden, aber die Wirkung einer momentanen Subjektivität des
Vorstellens und Empfindens kann dabei gewinnen. So werden durch
lebendige Subjektivität uralte Vergleiche wie neu-, aber auch die neuesten
und originalen, z. B. bei Gottfried Keller, sind nicht etwa ganze kleine
Gemälde, wie man gesagt hat,-') sondern Empfindungsausdruck subjektiver
Allgemeinvorstellungen. Z. B. Wendeigard Gimmel atmet so schnell und
kurz wie ein junges Kaninchen — soll ich in aller Eile deutlich ein
junges Kaninchen sehn und daran mir das Atmen des schönen Mädchens
') Yischer. Aesthetik III 121;» f. 122(>. V2M. — 0. Lyon. Handbuch der deut-
schen Sprache II 21. oU.
-) Ed. Engel. (Teschichte dei' deutschen Literatur II 925. — Die Beispiele in
Kellers „Landvogt von Greifensee" und „Die Jungfrau und der Teufel".
— 50 -
so recht anschaulich machen ? Ich denke, wir bekommen von den beiden
eine gemeinsame Vorstellung, nämhch etwa die einer eigentümlichen bäng-
lichen Erregung eines naiven, jungen, anmutigen Geschöpfs, und diese
Vorstellung ist bei uns verbunden mit einer gewissen humoristischen Teil-
nahme an dem naiv klugen Mädchen. Oder aber man male sich denn,
beim Lesen oder Hören Kellers, erst einmal den „leibhaftigen geschwänzten
Gram" hin und mache sich rfanach die Anschauung eines betrogen ab-
ziehenden Teufels!
Vielleicht geben aber solche Vergleiche eben deshalb nur eine mo-
mentane Allgeraeinvorstellung, weil sie in ihrer Kürze so rasch vorüber
gehn. Also wähle ich jetzt eines der ausführlichsten Gleichnisse Homers,
die Darstellung, wie der Löwe erst dahingeht, die Angreifer verachtend,
verwundet dann aber sich in sich zusammenzieht und den Rachen auf-
reißt, der Schaum ihm an die Zähne tritt, der Schweif die Flanken
peitscht, das Tier losstürzt. ') Gewiß alleranschaulichste Sinnlichkeit, in
der Wirklichkeit nämlich oder auch im Kinematographen ; aber beim
Erzähler, im ITor/ausdruck, bloße Erinnerungen, rein geistige Vorstel-
lungen von früheren unmittelbaren oder bereits vermittelten Naturan-
schauuugen. Und kein Hörer hat beim Vortrag Zeit und Kraft, diese
einzelneu Vorgänge der Reihe nach alle mit sinnlicher Deutlichkeit zu
sehen und schließlich noch den Handlungsverlauf als Ganzes sich an-
schaulich zu machen. Oder sollen wir nun gar dazn angeregt werden,
uns an dieser Löwenhandlung zu veranschaulichen, wie dort Achilleus
sich gegen Aeneas erhob ? etwa deutlich zu sehn, wie Achilleus sich in
sich zusammenzog, den Mund aufriß und schäumte? ja sich die Hüften
peitschte? Nein, von Achill heißt es am Anfang nur „er erhob sich",
und am Ende ist auch vom Losstürzen Achills noch lange nicht die Rede.
Und beim Löwen wiederum ist das, was ein Hörer aus der sprachlichen
Darstellung eindrücklich aufnehmen kann, nicht das Sinnenmäßige eines
„festen Bildes'*, sondern sozusagen das Moralische, das sich in der Aktion
des Löwen äußert. Zug um Zug läßt ja fühlen, wie im Löwen der
Mut von stolzer Gleichgiltigkeit bis zum todesverachtenden Angriffszorn
aufgereizt wird, und wenn der Löwe anfangs dahin geht, die Verfolger
nicht wert achtend, dann sich selber zum Kämpfen autreibt, zuletzt los-
stürzt, ob er einen der ]\[änner töte oder selber zuvorderst im Gedräng
untergehe, so bekommt er sogar viel vom sittlichen Wesen eines mensch-
lichen Helden. Diese Vermenschlichung des Naturlebens beruht doch
aber nicht auf „objektiver" Anschauung eines „festen Naturbildes", son-
dern auf einer empfindungsstarken, sehr subjektiven und ganz momentanen
Vorstellung. Aufreizung der Energie eines stolzen, noblen, heldenhaften
h Dias 20. KU — 175.
— 51 —
Kampfzorns gegenüber einem aufreizenden Feinde wäre, abstrakt aus-
gesprochen, der Vergleichungspunkt: dasselbe in der Aktion des Löwen
so lebensvoll als möglich mit den Mitteln des Erzählers zum Ausdruck
zu bringen, scheint mir der Zweck auch aller Einzelzüge der Löwen-
darstellung.
Man hat sich gelegentlich schon bei Homer an gehäuften Gleich-
nissen gestossen. So beim ersten Aufbruch des achäischen Heeres aus
seinem Lager, wo sieben Vergleichungen und Gleichnisse rasch aufein-
ander folgen.^) In der Tat, wenn jede Vergleichung hier sinnlich ver-
anschaulichend wirken sollte — die beweglichste Phantasie müßte beim
vierten, fünften, sechsten Bildwechsel schwindelig werden, und der Ge-
samtwirkung nach wäre das im besten Falle Kinematographie, aber jeden-
falls keine Poesie. Anders von unserem Standpunkte aus. Erzählt wird,
wie die Achäer aus dem Lager aufbrachen, dann in die Ebene hinaus
marschierten, dann in der Au draußen anhielten, darauf zum Kampfe
sich aufstellten, nun von den Führern zum Kampf vollends geordnet
wurden, und endlich vor allen Führern als höchster Agamemnon hervor-
trat. Aber diese übliche, sozusagen selbstverständliche Aufeinanderfolge
der Vorgänge eines Ausmarsches wird diesmal erzählt unter dem Einfluß
einer besondern, momentanen und stark subjektiven Vorstellung; es ist
etwa die Idee einer Ungeheuern, überlegen drohenden, siegverheißenden
Stärke und Energie des Ausmarsches. Eine solche GesamtvorsteUung
wirkt bei jedem Einzelakt der bedeutungsvollen Handlung, und während
sachlich verschiedene feste Anschauungshilder „hart sich stossen" könnten
wie ,,die Sachen im Räume", „wohnen leicht beieinander die Gedanken'' ;
ja, um so leichter geben einander gedankenhafte Vorstellungen Raum,
wenn sie unter sich verwandt sind, zu einer Gesamtvorstellung sich er-
gänzen. Beim Akt des Aufbruchs das Schreckhafte, Unheildrohende im
Aufleuchten der Wafi'en: Gleichnis vom Feuerschein des vernichtenden
Waldbrandes in der Ferne. Zielfrohe, kämpf- und siegverlangende
Energie der dröhnenden Marschbewegung : Gleichnis von den Wander-
vögeln mit ihrem frohen Geschrei und stolzen Flügelschlagen. Beim
Haltmachen die Vorstellung einer unabsehbaren Menge der einzelnen
Krieger : Vergleich mit den Blumen und Blättern auf einer Aue, wie der
Halteplatz selber eine ist. Aufstellung zum Kampf, mordbegieriges Ge-
dräng all jener Unzähhgen : wimmelnde Schwärme von milchgierigen
Fliegen. Sichere Sonderung und Einreihung der Wimmelnden durch die
Führer : Hirten sondern ihre Herden. Verherrlichung des obersten
Führers: Erinnerung an Göttergestalten. Beherrschendes Hervortreten
des Einen: Stier und Herde. So ist die wunderbare Mächtigkeit in
1) Ilias 2, 455—483: Wackernagel, Poetik 388.
- 52 —
Auszug und Aufstellung gerade hier au allen einzelnen Akten vom Dichter
so stark wiederempfunden, daß er sich nur vergleichend ausdrücken kann.
Warum er aber gerade den heutigen Auszug so besonders erapfindungs-
voll sich vorstellt, darüber später.
Bisher hat es sich um Eigenart oder Schwierigkeit gehandelt, welche
irgendwie mit dem Cmfanp der Vergleichungen in Beziehung steht, mit
der Kürze, mit detaiUierender Ausführlichkeit, mit der Häufung. Andere
Fragen beziehen sich auf die Sphäre, aus welcher ein Dichter seine Ver-
gleichung nimmt. Ist z. B. die Vergleichung größter Bewegungsschnellig-
keit mit der Schnelligkeit eines Gedankens «deshalb für einen Homer
zweckwidrig, weil ein Gedanke nicht der Sinnensphäre angehört ? ^) Dem
Bereiche der Wirklichkeit und Erfahrung gehört doch ein Gedanke
jedenfalls an, und von allem Erfahrenen kann es — zwar nicht Sinnen-
bilder, wohl aber lebendige Vorstellungen geben. Daß aber Homers
Erinnerung bei Vergleichen gewöhnlich auf sinnliche Wirklichkeiten
zurückgeht, ist trotzdem natürlich : was er erzählt, sind Begebenheiten,
bewegte Vorgänge des heroischen Lebens, die in der Wirklichkeit vor
den menschlichen Sinnen sich vollziehen würden \ also können auch die
allgemeinen Charaktere solcher Vorgänge am ehesten wieder an Vorgängen
aus sinnenmäßiger Wirklichkeit empfunden Averden.
Man hat auch gefragt, warum bei Homer in den Gleichnissen die
Sphäre der Blumen so viel als gar nicht vertreten sei, und hat geant-
wortet: die jonischen Menschen zur Zeit des Epos hätten in der Wirk-
lichkeit noch kein inneres Verhältnis zu den Blumen gehabt. So Wihi-
mowitz.^) Ob wir diese jonischen Menschen anderswoher genau genug
kennen? Aus Homer möchte ich auf diesen Mangel bei ihnen nicht
schliessen. Die Odyssee läßt sogar einen unsterblichen Olympier einen
AViesengrund, welcher in Violen und Eppich blüht, mit Staunen und Freude
betrachten : da scheinen mir Dichter und Hörer Gefühl gehabt zu haben
auch für die herzerfreuende Anmut eines reichen Wiesenflors. Ebenfalls
in der Odyssee wird das Haar des verherrlichten Odysseus verglichen
mit der Hyazinthenblüte, und nach den Worten des Dichters muß die
Ähnlichkeit im allgemeinen Charakter eines vollen krausen Haares liegen:
ich denke, das sei der Charakter einer in reizvoller Gestalt drängenden
Lebensfülle. Denselben Charakter könnte nun der Dichter empfunden
haben an einer Blütenform und einem Blütenstand, wie ihn z. B. gerade
unsere kultivierte Hyazinthe, aber auch Verwandte von ihr zeigen, welche
in Vorderasien wild wachsen.^) Wäre das nicht echtes und künstlerisches
Blumengefühl? Und Worte für Blume und für reiches Grünen und Blühen
1) E. Kammer, Aesthetischer Kommentar zu Homers Dias 2. A. S. 48.
2) V. Wilamowitz, Griechische Literatur S. 12.
'^) Albert Oeri. Ein Streifzug in Kommagene (1907) S. 28.
58 —
wendet derselbe Homer auch übertragen an, um Lebensschönheit, Lebens-
zartheit, Lebensglück und Lebensfreude zu bezeichnen : also hatten Er
und seine Jonier emplindungsvolle Allgeraeinvorstelhuigen vom Blunien-
wesen, also ein inneres Verhältnis dazu. Aber freilich, das homerische
Epos erzählt hauptsächlich frei und stark bewegte Vorgänge, äußere oder
innere Handlungen, und nun fehlt ja den Pflanzen und Blumen äußerlich
und innerlich gerade diejenige freiere Bewegung, die zur Assoziation der
Vorstellungen in Gleichnissen meist nötig sein würde- Wenn hinwiederum
in der kretischen hildenden Kunst die Blume schon sehr früh ornamental
verwendet wird, so darf man darin nicht mit Wilamowitz gleich einen
Gegensatz kretischer Sinnesart gegenüber jonischer sehn : das Ornament
bedarf der ruhenden, nur rhythmisch bewegten Linie, und diese findet
der bildende Künstler zu allernächst eben in Pflanze und Blume.
Hier ein Wort über die Nachahmungsfrage. Ist es unkünstlerisch,
wenn ein Dichter sein Gleichnis nicht unmittelbar und einzig aus der
Sphäre eigener Erftihrung oder Naturbeobachtung schöpft, sondern dabei
einem Vorgänger folgt? ich denke z. B. an Virgil. Göthe ist der Mei-
nung: ob ein Dichter etwas aus dem Leben oder aus dem Buche ge-
nommen habe, es sei sein, wenn er es recht brauche. Und Göthe selber
ist ein ,, grosser Nehmer'' genannt worden. Molière hat von sich selber
gesagt, er nehme sein Gutes, wo er es finde; das wendet die kritische
Forschung gegenwärtig auf Rubens und Händel, Chamisso und K. F. Meyer
an, und sie pflegt in diesen Fällen bereits ein Recht aufs Nehmen an-
zuerkennen unter dem Vorbehalt, dass der Künstler das Entlehnte indi-
viduell umbilde oder ihm ,,die persönliche Note" gebe. Li diesem Sinn
haben Sachverständige z. B. auch bei Böcklin Anlehnung an Rubens
gerechtfertigt oder Lenbach'sche Kopien nach alten Meistern wie Original-
werke gewertet. Erklären doch scharfe Analytiker des künstlerischen
Schaffens, auch das Genie erfinde nicht, sondern es gestalte um nach
persönlichen Ideen. Aber eben nach den persönlichen Vorstellungen und
Empfindungen, den künstlerischen Ideen, fragt man z. B. bei Virgil noch
immer zu wenig, und so wird man ihm auch in den Gleichnissen nicht
gerecht. Wie sehr diese aber bei Virgil geistig individuell sein können
gerade bei starker Stoffähnlichkeit gegenüber Homer, habe ich früher an
dem Gleichnis Dido und Diana durch genaue Analyse zu zeigen mich
l)emüht. ^) Sollten wir jetzt, nach Heinzes trefflichem Buche über Virgils
Technik, nicht mit Anselm Feuerbach sagen : gesegnet sei die Stunde,
die uns der Technik Herr werden ließ, um jetzt dem Geiste unbeirrt
nachgehen zu können?
1) Fleckeisens .[abrb. 1886 S. 500 — 502; die sogeuanute Unselbständiijkeit Virgils
in Gleichnissen neuerdings auch bei Schanz. Röni. Literatur II 1, î)8. Norden, Aeneis
VI S. 206 f. Heinze, Virgils epische Technik 202, 1. 246. 350. .1. Ziehen. X. .Jahrb.
f. d. klass. Altert. 1904 I 650.
— 54 —
Soll nicht für einen würdigen Gegenstand auch eine imirdige Sphäre
des Gleichnisses gewählt werden? Man rindet es unwürdig, wenn bei
Homer die edlen Achäer mit Fliegen im Kuhstall und der Rückzug des
großen Aias mit dem eines geprügelten Esels verglichen würden ; un-
würdig sei die Veranschaulichung der unruhig bewegten Gedanken des
Odysseus durch eine am Feuer gedrehte Magenwurst u. a. ^) Allerdings,
die Sphären kontrastieren stark, und avo etM^as, das nach üblichem Maß-
stab hoch und gewaltig ist, gleich gesetzt wird mit etwas Niedrigem und
Geringem, da wird irgendwie das Hohe herabgesetzt; aber was wird
herabgesetzt? und wie? Es werden nicht die Achäer in Person mit
gemeinen Stallfliegen verglichen, sondern gemeinsam ist, wie wir früher
schon sagten, für die beiden Parteien das gierige Gedränge in wim-
melnden Massen von Einzelnen, und dieses Gewimmel macht augenblicklich
dem Erzähler den subjektiven Eindruck des elementar Regellosen, des
animalisch Instinktiven und blind Leidenschaftlichen — daher die Fliegen •
Erinnern wir uns: gerade an diesem Tage hat Zeus den machtstolzen
Agamemnon durch den Traumgott getäuscht, ihm statt Trojas Eroberung
in Wahrheit nur unselige Kampfnot beschieden und auch das Heer durch
seine Fürsten betrogen, und jetzt wiederum, am selben Tage, verherrlicht
Zeus denselben Heerkönig bis zur Götterähnlichkeit und regt dasselbe
Schlachtheer zur Entfaltung aller heroischen Mächtigkeit auf, in Waffen-
leuchten und Marschdröhnen, in zahlloser Menge und vernichtungsgierigem
Gedräng, in Ordnung und Oberleitung. Ist das nicht ein Spiel göttlicher
Willensmacht mit einer bloß scheinhaft wunderbaren Mächtigkeit des
heroischen Menschentums, das Spiel vom Erzähler etwa mit tragisch-
sarkastischer Stimmung empfunden? x4.1so vorausgesetzt, unser Erzähler
vermöge die Idee jenes göttlichen Truges besser festzuhalten als seine
gelehrten Kritiker, könnte nicht in dem einen oder andern der hier ge-
häuften Gleichnisse ein Widerspruch des Empfindens zum Ausdruck
kommen? es würde sich nämlich die Empfindung für das heroisch Ge-
waltige mischen mit Gefühlen von menschlicher Ohnmacht im Heroischen.
In Kürze ein paar andere Fälle sogenannt unwürdiger Sphäre. Aias
und der Esel : gemeinsam haben sie die widerspruchsvolle und doch charak-
tervolle Halsstarrigkeit, und indem wir diese am Esel uds mit heller Freude
vorstellen, empfinden wir sie am Helden mit heiterer Sympathie, mit einer
Art Humor. — Oder Odysseus und der Mann mit der Blut- und Fett-
wurst: wie eine ungeduldige innere Bewegung des Menschen sich in
ruheloser und starker äußerer Bewegung offenbart, ist den zwei Männern
gemeinsam ; nun würden Erzähler und Hörer mit der Schlaf- und Ruhe-
losigkeit ihres edlen Helden sonst ernstes Mitgefühl haben, aber der
') Gerber, Sprache als Kunst II 108 f. ; über die Magenwurst ähnlich Sitzler,
Aesthet. Kommentar zu Homers Odyssee S. 247.
— .)0 —
Erzähler weiß, daß Sorge und Unrast des Odysseus diesmal unnötig und
gegenüber der Gottheit ungerecht sind, und so empfindet er diese Unrast
mit heiterer Überlegenheit, und diese Empfindung teilt er auch uns
Hörern eben dadurch mit, daß er die Heldensorge diesmal im Gleichnis
scherzhaft herabsetzt. — Einer der anstößigsten Fälle wäre Patroklos'
Leiche und die hin und her gezerrte Rindshaut; aber die furchtl)are
Vorstellung eines wüsten und erfolglosen Krieger- und Heldenkampfes
treibt, denke ich, die scharf kontrastierende Erinnerung hervor an ein
zwar äußerlich ähnliches, aber praktisch zweckmäßiges und wirksames
Tun gewöhnlicher Menschen in friedlicher Lebenssphäre. Herabgesetzt
wird hier für das Gefühl, mit einem gewissen Sarkasmus der Stimmung,
der Wert höchsten heroischen Menschenwillens gegenüber dem Willen
des Zeus, welcher den Entscheid des Leichenkampfes hinhält, 'j
In mehr als einem Falle unwürdiger Sphäre würden somit Dichter
und Hörer sich im Gleichnis sogar zu höherem Lebens- und Welt-
empfinden erheben — sobald man nämlich von einer direkten Gleich-
setzung der Personen oder Dinge und einem Zwecke sinnlicher Yeran-
schaulichung absieht. Schiller nennt es erhaben, selber die höhere
Notwendigkeit zu wollen; wäre ich also z. B. imstande, es als höhere
Notwendigkeit aufzunehmen, es im Sinne der göttlichen Überlegenheit
gleichsam ?m7zuwollen, daß das große Werk des Od^'sseus, das Floß,
von den Stürmen dahingejagt wird, wie eine Flocke Distelbart auf der
Heide, oder auseinandergeschleudert wird wie ein Haufen trockener Spreu
— bei solchen Gleichnissen würde ich dann erhaben empfinden. Und
verwandt damit könnte meine Empfindung sein bei jenem „unwürdigen"
Gleichnis von den Stallfliegen oder von der gereckten und gezerrten ßinds-
haut. Nun hat Wilhelm Wackernagel ausdrücklich als ein Beispiel der
Erhabenheit das Gleichnis von der ehrlichen armen Spinnfrau in der
Iliade bezeichnet. -) Etwas Großartiges, Gewaltiges, sagt er, nämlich die
unentschieden schwebende Schlacht zweier Völker, werde verglichen mit
etwas Geringfügigem, der gleichstehenden AVage einer Wollspinnerin.
Nun werde dabei unser Verstand, der messend und nachrechnend den
Vergleichungspunkt zu finden habe, überrascht und überwältigt von dem
Kontraste zwischen dem Großen und dem Kleinen, und so ergebe sich
das Erhabene. Dabei ist für Wackernagel die sinnliche Veranschauli-
chung nächster Zweck des Vergleichs. Lassen sich nun aber dieser
Zweck und jene Erhabenheitswirkung miteinander vereinigen? ich glaube
nicht. Ein Messen und Nachrechnen des Verstandes wäre beim Vortrage
eines Erzählers schon in andern Fällen schwierig; nun sind in unserem
Falle die verglichenen Vorgänge, das Tun der hauenden und stechenden
1) Uias 2, 469—473. 11, 558—565. Odyssee 20. 24—28. Ilias 17. 889—395.
-) Ilias 12, 432- 4;>6. Wackernagel. Poetik S. 338 f.
— 56 —
Völker auf dem Lagerwall und das Tun der Wolle abwägenden Spinnerin,
für die sinnliche Anschauung völlig ungleichartig und im Maße ihrer
Bedeutung außerordentlich weit auseinander liegend: da müßte die Re-
flexion wahrhaft verzweifelte Anstrengungen machen, um die Ähnlichkeit
zu entdecken, und darüber würde notwendig gerade die Anschauungs-
tätigkeit, aber auch jedes künstlerische Empfinden unmöglich werden.
Und so auch der Gefühlseindruck des Erhabenen. Erhaben wirkt ja
allerdings z. B. in derselben Iliade die Vergleichung des wallzerstörenden
Gottes mit dem im Sande spielenden Kind. Aber nicht deshalb, weil
zwischen Gott und Kind, Achäerwall und Sandhäufchen für unseren
Verstand ein verblüffend starker Gegensatz realer Werte besteht; viel-
mehr deswegen, weil wir Hörer, in einem i^ugenblicke stark erregten
Vorstellens und hochgehobenen Empfindens, uns selber gleichsam auf
göttliche Höhe erheben und von da aus die Zerstörung eines gewaltigen
Menschenwerks selber auch als ein Kinderspiel für die Gottheit empfinden
und als eine selbstverständliche Notwendigkeit mitwollen. Kann doch
auch das Schicksal in der Tragödie, wenn wir es mitwollen, in ähnlicher
Weise erhaben wirken.
Verzichten wir lieber auch hier, für unsere „Spinnerin", auf sinn-
liche Anschauung und einen verstandesmäßig zu erarbeitenden Verglei-
chungspunkt. Lebendig drücken sich dafür, wenigstens bei lebendigem
Vortrage, gewisse allgemeine Vorstellungen im Tun der Spinnerin aus.
Ich meine die Vorstellungen pflichttreu ausdauernden, ängstlich gewissen-
haften Bemühns, ehrlicher Arbeit im Kleinen und Geringen, schwacher
Kraft und fast schmählich geringen Arbeitsgewinnes. Nun setzt der
Ausdruck dieser Vorstellungen durch ein Gleichnis an der Stelle ein,
wo der Erzähler uns sagen soll und will, icie die Troer auf dem Walle
der Achäer den herausdrängenden Gegner wenigstens festhielten-^ ihn
zurückzuwerfen in sein Lager vermochten sie ja vorläufig nicht. Also
wenn wir die Vorstellungen des Gleichnisses im Einzelnen auf die flaupt-
erzählung übertragen wollten, würden wir folgende Parallele bekommen:
die Troer hielten die Achäer fest mit pflichttreu ausharrendem, ängst-
lichem Bemühn, immer wieder den Gleichstand im Kleinen und Einzelnen
herstellend, aber in eigener Kraft ohnmächtig zu Größerem, bei redlicher
Kampfesarbeit ohne rühmlichen Kampfgewinn. Ich denke, die Parallele
wäre genau. Aber nur wir Ausleger vollziehen diese Einzelübertragungen :
der Hörer empfängt nur einen Gesamteindruck, welcher an den Einzel-
heiten sich bildet und in bestimmter Richtung sich entwickelt, nämlich
etwa den Eindruck einer teilnahmswürdigen Ohnmacht bei redlichem
Bemühn, und nur diese empfindungsvolle Gesamtvorstellung übertragen
wir Hörer auf die Troer, unbewußt und reflexionslos. Nun sollen wir
aber, nach der Art, wie der Dichter hinter dem Gleichnis fortfährt, diese
— 57 —
bemitleidenswerte Ohnmacht auch als vorhereiteuden Gegensatz zum alsbald
folgenden Machtentscheid des Gottes Zeus empünden. Tun wir das, dimn
allerdings mag unser Gefühl auch hier sich über die gemeinmenschliche
Wertung menschlicher Macht emporheben und die Ohnmacht des stärksten
Menschenwillens vom Standpunkte höherer Lebensordnung als notwendig
und schön empfinden. Also ein Gefühl des Erhabenen mit einem An-
klang an die Stimmung des Tragischen auch hier !
Von Sllmmuny ist jetzt mehrfach die Rede gewesen : von einer
Stimmung wohlwollend heiterer Überlegenheit Ijeim Gleichnis von Odysseus
und dem Wurstbrater, des Humors bei Aias und dem Esel; von sarka-
stischer Stimmung bei Leichenkampf und Rindshautgerben, von etwas
wie tragischem Sarkasmus bei den mordlustigen Achäern und den milch-
gierigen Stallfliegen ; von einer Stimmung tragischer Notwendigkeit bei
der Spinnerin. Immer aber war bloß von einer Möglichkeit solcher
Stimmung die Rede, und stets erschienen Stimmungen nur als beglei-
tende Nebenwirkung eiues Gleichnisses : Hauptwirkung war jedesmal
die lebendige, emptindungsstarke Allgemeinvorstellung eines Vorgangs.
So finde ich nun auch in jenen vier Stimmungsgleichnissen aus der Ihade,
bei denen wir die Stimmungstheorie für die Erklärung unzureichend
fanden, zunächst folgende Vorstellungsassoziationen. Vorstellung von
einem tausendfältig aufgehenden Leuchten, von welchem alle Fernen und
Tiefen einer nächtlichen Gegend taghell sichtl)ar werden: das Wachfeuer-
leuchten der siegessicheren Troer und das Sternenleuchten in der Ge-
birgslandschaft. — Dann die Idee, wie etwas sonst Großes und Starkes,
wenn es erst einmal von einer wunderbar überlegenen Gewalt jählings
überrascht wird, dann gleich tief und vollständig erschüttert wird : die
Achäer nach der gottgesandten jähen Niederlage noch immer wundersam
im innersten Gemüt hin und her schwankend, die hohe See von plötzlich
gekommenem göttlichem Doppelsturm alsbald hoch und tief und bis ans ferne
(xestade aufgewühlt. — ^ Dritter Fall: Aufhellung einer einzelnen Gebirgs-
partie im Verlauf eines großen Gebirgsgewitters und vorübergehende
Erleichterung der Achäer durch Patroklos im Fortgang des Lagerkampies ;
also der gemeinsame, ideale Vorgang: der große Gang schwerer Ereig-
nisse wird zwar nach höherem Willen vorübergehend und scheinbar unter-
brochen und läßt neue, erwünschte Wendungen erwarten, aber er geht
trotzdem weiter in furchtbarer Stetigkeit. — Der vierte Fall: Idee einer
jähen Verkehrung des nach Menschenbegritfeu Natürlichen durch eine
übernatürliche Gewalt, diese Vorstellung stark empfunden an Hektors
urplötzlicher und schimpflicher Flucht aus dem achäischen Schiffslager,
dieselbe Vorstellung lebendig, aber indirekt ausgedrückt in der über-
natürlichen Erscheinung einer Wetterwolke des Zeus, die mitten aus
hchter Himmelsbläue hervortritt,
f
— 08 —
Gewiß, denken können wir auch bei solchen Naturgleichnissen an
allerlei Stimmungen, z. B. an heitre oder düstre, stark bewegte oder ruhe-
volle Stimmung, Stimmungen des wild Wüsten oder des sanft Schönen,
des majestätisch Natürlichen oder des unheimlich Übernatürlichen, je
nach dem Allgemeincharakter eines Natureleraents oder Naturvorgangs
und des im Gleichnis sich ausdrückenden Vorstellungsinhalts. Solche
Stimmungen sind nämlich wohl nichts andres als der unbewußte Eindruck
allerallgem einster Vorstellungen auf unser Gemüt. In diesem Sinne redet
man auch bei Gemälden, z. B. bei Böcklins Centaurenkampf, Cimbern-
schlacht, Spiel der Wellen von einer Stimmung des Elementaren. Und
wiederum an den Vergleichungen Bismarcks hat man als „Stimmung"
einen „Erdgeruch", an den Gleichnissen der Odyssee als „Stimmung"
einen ..Seegeruch" wahrgenommen. Aber nun eben — wie viele Menschen
vermögen wohl, unmittelbar beim erzählenden Vortrage, solche ätherisch
flüchtigen Düfte wahrzunehmen? Wer weiß, ob die eben erwähnte Wahr-
nehmung an den Gleichnissen der Odyssee nicht selber nur eine allzu sub-
jektive, täuschende Vorstellung von der Sphäre und dem Inhalt dieser
Gleichnisse ist! Und bei jenem Iliasbeispiel, bei dem Siege des Lichtes
über die Nacht, hätte wohl jemand an eine stolz gehobene, triumphie-
rende Stimmung denken können, aber gedacht hat man an eine Stimmung
der Sicherheit, wie z. B, vor Dieben — so subjektiv sind diese Dinge !
Subjektiv sind gewiß auch unsre emplindungsstarken Vorstellungen, aber
diese haben sich doch, meine ich, analytisch erweisen lassen als etwas,
was jeweilen den zwei Darstellungsgliedern, Hauptvorgang und Gleichnis-
vorgang, gemeinsam war, und durch lebendigen Vortrag könnten hoffent-
lich Vorstellung und Empfindung wirksam werden.
Freilich, unsere gaaze Theorie einer Vorstellungseinheit in Gleich-
nis und Hauptvorgang würde erschüttert werden, wenn Cauer wenigstens
für gewisse Fälle recht hätte, wenn er sagt: gerade Homer unterbreche
mit seinen Gleichnissen jeweilen die Einheit seiner Darstellung. Aber
wie ist Cauer dem Homer sozusagen auf die Sprünge gekommen? Etwa
folgendermaßen. Die beiden Aias brechen mit ihren Leuten zur Schlacht
auf; dem irgendwie ähnlich ist in der Natur eine heranziehende Wetter-
wolke; also flugs das Bild hingemalt: eine Gewitterwolke, pechschwarz,
über die See her gegen Land und Gebirge ziehend, auf den Bergen ein
Hirte mit seiner Herde in eine Höhle flüchtend; nun ist aber dieses Bild
nach Erscheinung und Anschauung den aufbrechenden Leuten der beiden
Aias viel zu wenig ähnlich, um veranschaulichen zu können ; also ist es
eine Unterbrecliung des Darstellungsverlaufs ; in diesen Verlauf muß aber
der Dichter wieder zurückgelangen, und das tut er mit einem Salto
mortale, indem er trotz aller Unähulichkeit erzählt: so wie die Wetter-
wolke mit Hirt und Herde hätten die Aiasscharen ausgesehn, als sie sich
— 59 —
iu Bewegung setzten. — Indessen, nicht der Dichter muß diesen Salto
gemacht haben. Viehuehr, der Dichter soll und will darstellen, wie sich
die Gefolgschaft der beiden Aias in Bewegung setzt; schon vorher hat
ihm diese Gefolgschaft die Vorstellung einer Wolke hervorgerufen, als
einer dichtgeschlossenen, den lichten Raum dicht erfüllenden und darum
dunkel erscheinenden Masse : daraus erwäclist ihm jetzt die eraptindungs-
stärkere Idee des unheimlich Dräuenden, wie es der ersten mächtigen
Bewegung einer solchen geschlossenen Kriegermasse anhaftet; als Aus-
druck dieser Idee drängt sich auf die Erinnerung an heranziehende
Gewitterwolken, und in allen Einzelzügen des Gleichnisses drückt sich
eben der Charakter des unheimlichen, gefahrdrohenden Heranziehens
lebendig aus. Dann folgt, wirkungsvoll vorbereitet durch das Gleichnis
und folgerichtig denselben Vorstellungs- und Empfindungscharakter tragend,
der Hauptvorgang: „solcher Art setzten sich in mächtige Bewegung die
Reihen götterstarker Männer zu vernichtendem Kampf, dichtgeschlossen,
dunkel, starrend in Waffen". Hier klafft nichts. M
Ein anderer Fall bei Cauer. Hektor stürzt in das Gedränge der
Achäer. Zufäüige Erinnerung des Dichters an einen Wasserschwall, der
in ein Schiff schlägt: selbständige Ausführung des Bildes. ZufäUig die
Schiffleute im Bilde voll Furcht : das Wort Furcht für den abgeschweiften
Dichter ein klug benutzter Notsteg zur Rückkehr. Ist es bei Homer
ebenso ? Nein, vor Hektors Einbrechen sind die Achäer ohne Wanken
und ohne Fluchtschrecken: durch Hektor soll ja aber der Schrecken
kommen. Schreckhaft an Hektor ist schon der umstrahlende Feuerglanz;
Schreckhaftigkeit der Wirkung von Hektors Einbruch ist gerade die Idee,
die den Erzähler schon im voraus erfüllt und im Gleichnis, vom schreck-
haften Wassersturz ins Schiff, zum Ausdruck drängt; dann die eigenthche
Erzählung von der schreckhaften Wirkung Hektors, vom Schwanken im
Mute bei den Achäern, später vom Fluchtschreck. Hierin finde ich
weder rücksichtlose Abschweifung noch gezwungene Rückkehr und keinen
zufällig sich bietenden Notsteg, sondern folgerichtigen Gang bis zur
folgerichtigen Ankunft an einem schon anfangs vorschwebenden Ziele.-)
Aber haben es denn etwa die Dichter im dritten Jahrtausend nach
Homer wirklich so ganz anders gemacht als Homer? Berühmt für seine
Gleichnisse ist Dante. ') Dieser vergleicht einmal den brodelnden Pech-
pfuhl der Hölle mit dem siedenden Pech im Arsenal zu Venedig. Ganz
homerisch, hat man gesagt: möglichst konkretes BM des venezianischen
Pechbrodels,, genaue F,mze\schi/demnf/ auch seiner hka/en Tnigebung.
') llias 4, 274—282. Cauer, Grundfragen a. 0.
•-') llias 15, B03— 622— 687.
:^) Scartazzini. Dante Alighieri, seine Zeit, sein Leben und seine Werke S. .Ô2i1 t.
— 60 —
daher eine klare Anschauumj für den höllischen Brodel. 0 Man mag es
mit dieser Veranschaulichung immerhin probieren, aber der Erzähler
sagt selber, vom Höllenpfnhl habe er nur eine wundersam unklare Tiefe,
unten nichts als eine wogende, überwallende, blasentreibende Pechmasse
gesehen; nichts verlautet vorläufig von Umgebung, von Gestalten, von
Tätigkeit. Vom Arsenal ebenfalls kein Anschauungsbild : der Ort nicht
gezeichnet, dagegen Tätigkeiten der Arsenalarbeiter genannt; schon die
zweite Art Arbeit ohne Bezug auf das brodelnde Pech, der Pechbrodel
hier im Arsenal sogar noch unbestimmter als dort in der Hölle ; dagegen
sehr lebendig liier ein vielseitiges Arbeitsleben mit klaren praktischen
Zwecken, während dort kein Leben erkennbar ist als das wüste Gebrodel
selber und kein Zweck erfaßbar. Wo bleibt also die Veranschaulichung
des einen dort durch das andre hier? Wo bleibt aber auch bei Dante
wieder die Einheit der Darstellung und der ungezwungene Übergang vom
Ende des Gleichnisses, nämlich vom Ruderschnitzen, Seiltlechten und
Segelflicken, zum seltsam öden Brodeln des Pechs in der Höllenkluft?
Übersetzer haben in der Tat auch bei Dante einen Notsteg hergestellt,
indem sie am Ende des Gleichnisses das Pech im Arsenal wieder er-
wähnen und mit dem Arbeitsleben in Beziehung setzen — aber Dante
selber? Ich denke mir die Sache so: der Dichter hat der empflndungs-
starken Vorstellung Ausdruck geben wollen gerade von einem geheimnis-
voll dunkeln, rätselhaft einförmigen, end- und ziellosen, unheimlich über-
natürlichen Wesen des Höllenpechpfuhls, und dabeibist ihm die kontra-
stierende Erinnerung an das klare, vielseitige, zweckvolle und natürlich
muntre Leben bei den Pechpfannen zu Venedig aufgestiegen. Konstrast
ist eine häutig vorkommende Art Vorstellungsassoziation, und am Kontrast
ist unsre Empfindung eine feinere und tiefere. Freilich, Empfindung im
allgemeinen und Kontrastgefühl im l)esondern überläßt Dante uns —
ganz wie Homer.
Beim selben Dante — wie kann nur die paradiesische Herrlichkeit
seligen lichten Lebens, das über die goldene Leiter in kristallenem Himmel
niedersteigt, irgend bildmäßig deutlich werden durch eine Vergleichung
wie die : in dem Glanzgewimmel sei etwas Ahnliches gewesen wie das
Gebaren armseliger Krähen, die am frostigen Morgen ihr erstarrendes
Leben notgetrieben und notdürftig wieder in Gang bringen ? wo ist hier
der sofort einleuchtende Vergleichungspunkt? ist der Übergang von den
Krähen zu dem einen Lichtgeist, Pietro Damiano, und die Tonart beim
Übergang nicht wunderlich ? - Oder, wenn Göthes Hermann das Schein-
bild Dorotheens an sich vorbeischweben sieht, ist mir das etwa anschau-
])arer, nachdem ich erst den Wanderer geschaut habe, dem das Bild der
•) Dante, Inferno 21. 4 — 22. Jebb, Homei- (übers, von Schlesinger) S. 40 f.
— 61 -
eben untergegangenen Sonne noch überall vor Augen schwebt? und
schlagend deutlich ist auch hier der Vergleichungspunkt nicht; also fehlt
das Einigende, die Einheit, also der Stil, mit Cauer zu reden, und
mancher Göthekenner setzt zu diesem Gleichnis ein Fragezeichen. —
Ein Neuerer, Widmann in seinem „Buddha", vergleicht das Auf- und
Niedersteigen indischer Aasgeier über dem Schlachtfeld mit einem Baja-
derenreigen : je anschaulicher, desto widerspruchsvoller; und der Zweck
der widerspruchsvollen Vergleichung, die Einheit der Gesamtdarstellung?
— Bei unserm gewiü nicht klassizistischen (xottfried Keller wird die
Gewohnheit einer alten Bäuerin, Sonntags die Bibel zum bequemen ge-
legentlichen Lesen offen daliegen zu haben, verglichen mit dem Sonntags-
brauch, eine Schüssel Kirschen bereit stehen zu lassen zu gelegentlichem
Naschen: was soll diese Vergleichung? stimmt sie zu irgend einem Ein-
klang? denn zur Veranschaulichung ist sie weder nötig noch geeignet.')
Keller will, denke ich, im Gleichnis noch zu besonderem Ausdruck
bringen eine lebhafte Vorstellung vom inneren Wesen der Bäuerin, wie
es ihm bei der Art ihrer Bibellektüre vorschwebt, und er will ausdrücken,
was er daran empfindet : das Wesen einer naiv praktischen Art Religio-
sität, ein harmlos vergnügliches Genießen des altgewohnten, ehrenfesten
Verkehrs mit dem lieben Gott, und dieses Wesen empfunden mit liebe-
voller Teilnahme, in der Stimmung des Humors — ganz im Zusammen-
klang mit der übrigen Darstellung. — Bei Widmann gibt das Gleichnis
von der Reigenkunst der Bajaderen einer Vorstellung und Empfindung
des grausig Widerspruchsvollen Ausdruck, wie sie den ganzen Zusammen-
hang beherrscht, mit einer ernst sarkastischen Stimmung für das groteske
Spiel im Grausigen. — Was in „Hermann und Dorothea" die Teile der
Vergleichung einigt, scheint etwa dies zu sein : die Idee, wie eine herr-
liche Erscheinung auf iVuge und Sinn eines Menschen nachwirkt mit
einer seltsamen Übergewalt, vor welcher alle Wirklichkeit und Regel
aufgehoben, natürliches Sehen in visionäres Schauen verkehrt wird ; diese
Überwältigung an einem Manne wie Hermann als ein Wunder der Natur-
gewalt mit menschhchster Teilnahme ernst empfunden. — Endlich wieder
Dante. Das Glanzgewimmel der Lichtgeister war damals, als er es sah,
für ihn als irdischen Zeugen ein Mysterium, für das Unbegreifliche in
diesem AVesen und Bewegen auf der Himmelsleiter tauchte damals dem
Erdenmenschen nur eine wunderliche Ähnlichkeit aus ,, unwürdiger" irdi-
scher Sphäre auf. Jetzt, wo der Zeuge das Erle"bnis erzählt, mag er
jene Erinnerung an den Krähenschwarm wohl in einer Stimmung der
Ironie berichten, einer Ironie nämlich, welche seiner eigenen mensch-
^) Paradiso 21, 29—42. Hermann und Dorothea. Erato 1 ÏÏ. Buddha, zweiter
Gesang. Leute von Seldwyla, Das verlorene Lachen.
— 62 —
liehen Erkenntnisobnmacbt gilt. Auch weiterhin drückt sich die Vor-
stellung und Empfindung einer himmlischen Geheimnisfülle, welche über
alles Menschenverstehn hinausreiche, nicht bloß in ausdrücklichen Worten
aus, sondern auch in einem ironischen Vergleich : der sebge Lichtgeist
Pietro Damiano nämHch dreht sich im Kreise wie — ein geschwinder
Mühlstein! Ist das nicht wahrhaft homerisch unwürdig und stilwidrig?
Also bei guten und besten Epikern unseres Jahrtausends ganz wie
bei Homer Zwecklosigkeit oder gar Zweckwidrigkeit der Vergleichungen,
sobald wir die Anschauungstheorie anwenden ; umgekehrt, wenn wir es
mit der Vorstellungs- und Ideentheorie versuchen, Zweckmäßigkeit und
Notwendigkeit. Und diese Notwendigkeit mit Julius Ziehen für alle
Epiker insgemein zu leugnen, dazu hätten wir das Recht erst dann, wenn
wir vom Standpunkte eines fortgeschrittenen Positivismus gewisse höhere
geistige Bedürfnisse und freie Notwendigkeiten überhaupt leugneten. Nun
aber haben z. B. die Griechen das Bedürfnis gehabt, stark empfundene
Allgemeinvorstellungen von Welt und Leben in Mythen auszudrücken,
und welchen Zwang dieses Bedürfnis ausgeübt hat, sagt uns in seiner
unvergleichlichen Weise Jakob Burckhardt; der Grieche Piaton hat sich
genötigt gefühlt, ünaussprechlichkeiten seines Vorstellens und Empfindens
in der Form des Gleichnisses zu sagen. Nach Göthe reicht dem höhern
Menschen überall die herkömmliche Sprache nicht aus, und um die ,,Idee'-
einer Erscheinung, die als Idee in tausend Sprachen unaussprechbar ist,
uns wenigstens mit unserem Empfinden empfangen zu lassen, bedarf der
symbolische Dichter seines Symbols. Sogar der Gedanke der kritischen
Philosophie bedarf, nach Chamberlain im „Immanuel Kant", der Deu-
tung durch ein Gleichnis, weil er direkt ein Unaussprechliches ist. Also
ist es wohl ein ,, ästhetischer Imperativus", der alle guten Epiker immer
wieder treibt, Gleichnisse anzuwenden; nur wer nie etwas Unaussprech-
liches zu sagen hätte, würde niemals ein Gleichnis nötig haben.
V.
Soweit die Belastungsprobe für unsere Hypothese. Unser Gesamt-
ergebnis wäre jetzt, immer noch hypothetisch, etwa folgendes. Der er-
zählerde Dichter hat soeben einen Vorgang erzählt oder will ihn gerade
erzählen: da bekommt dieser Vorgang in seiner Vorstellung einen eigen-
tümlichen, vielleicht seltsamen Charakter, und diesen em})findet er lebhaft;
es drängt den Erzähler, diese empfindungsvolle Vorstellung, diese Idee
auszudrücken, aber in den eigentlichen AVorten vermag er es nicht : jetzt
drängt sich ihm, vermöge unwillkürlicher Ideenassoziation, die Erinnerung
an einen Vorgang auf, in welchem sich für ihn jene Vorstellung ganz
— 63 —
besonders stark und lebendig ausdrückt. Also Unausgesprochenes und
Unaussprechliches mit Hilfe einer Art Symbol für sich und andre den-
noch auszudrücken, ist der Zweck; die Wirkung die, daß dem Hörer
Vorstellung und Empfindung von etwas Unausgesprochenem oder Unaus-
sprechlichem, vielleicht auch eine begleitende Stimmung wie durch Sug-
gestion mitgeteilt wird. Stoffinhalt auch des Gleichnisses ist ein Vorgang
aus der Welt äußerer oder innerer Erfahrung, der Gleichnisvorgang dem
Hauptvorgang vielleicht nur ganz entfernt ähnlich für die bildmäßige
Anschauung, aber innig ideenverwandt für die augenblickliche innere
Disposition und subjektive Empfindung des Erzählers; also Momentaneität
und Subjektivität, nicht plastische Realität! Auch diu'ch seine Sprache,
den sogenannt ,, sinnlichen'* Ausdruck oder das „sichtige" Wort, erinnert
das Gleichnis lebhaft an wirkliche oder potentielle Erfahrung, aber es
erweckt nur lebhafte Vorstellungen, nicht sinnliche Anschauungen, und
es dient mit seinen aufeinanderfolgenden lebhaften Einzelvorstellungen
immer nur dazu, jene gemeinsame Idee der beiden Vorgänge auszudrücken.
Der Vergleichungspunkt wird weder ausgesprochen noch versinnlicht, beim
Hören weder durch Reflexion gedeutet noch mit der Phantasie angeschaut ;
die Einheit der Vergleichungsglieder, als eine ideelle, bei lebendigem
Vortrag von empfänghchen Hörern empfunden. Zweck, Wesen und Mittel
des epischen Gleichnisses sind von Homers Möwe bis zu Gottfried Kellers
Kirschenschüssel im allgemeinen die gleichen, in einem allgemein mensch-
lichen Bedürfnis begründet.
Mit diesem Ergeljnis wäre aber vielleicht ein allgemeinerer Zweck
von uns erreicht. Ich denke hier nicht an die besonderen Konsequenzen
für das Gleichnis überhaupt, für die ganze Lehre von den Figuren und
Tropen oder für ideelle Einheiten und Einheit im ganzen Homer; aber
was wir nach unserer Annahme im Falle des Gleichnisses gesündigt
haben, das sündigen wir gerade heutzutage in tausend Fällen unseres
Wissenschafts-, Bildungs- und Schullel)ens. Sehen, Anschauung, Wirk-
lichkeitssinn schätzen wir mit Recht, aber wir überschätzen Sehen und
Anschauen gegenüber Empfinden und Vorstellen und die Wirklichkeit
gegenüber einer höheren allgemeinen Wahrheit. Für das Einzelne und
Besondere, für das stofflich oder technisch Tatsächliche, für reale Zwecke
oder praktische Tendenzen, für das Historische und die historische Kau-
salität haben wir mehr Sinn als für das Allgemeine, Typische, die leben-
schaffende Kraft der Idee, die ideelle Zweckmäßigkeit, das allgemein
und ewig Menschliche; mechanisches Machen und evolutionistisches AVerden
sind uns verständlicher und interessanter als persönliches Schaffen. Nun
ist unser wissenschaftlicher Positivismus von Adolf Hildebrand in seinem
„Problem der Form" verantwortlich gemacht worden für das Absterben
eines natürlichen künstlerischen Vorstellungsvermögens. Dabei erinnern
— 64 —
wir uns, wie einst Du Bois-Reymond und jüngst Petzold im Namen der
„reinen Erfahrung" z. B. alle Centauren, Pane und Najaden, alle ge-
flügelten Genien und Engel aus der Kunst ausgeschlossen haben, oder
wie Hippolyte Taine (den wir gerade jetzt wieder gerne anrufen) uns
von der größten griechischen Kunst so wenig hat sagen können und die
moderne Romantik sich als eine intellektuelle Krankheit verständlich ge-
macht hat. Wir dürfen es uns also nicht verhehlen, was für eine Gefahr
vollends von selten eines unwissenschaftlichen Positivismus, wie er Leben
und Bildung beherrscht, jeder tiefer seelischen, geistig menschlichen,
wahrhaft humanen Kultur drohen kann: diese Gefahr in Wissenschaft
und Schule zu bekämpfen, wäre ein gerechter Kulturkampf.
Allerdings rufen so viele jetzt nach künstlerischer Kultur; aber
gerade unsere jetzige aufgeregte Liebe zur bildenden oder zur musika-
lischen Kunst ist vorläufig oft nur „die Furcht vor dem Alleinsein," dem
Alleinsein in einer ideenleeren positivistischen Welt, und für viele, die
am lautesten nach Kunsterziehung rufen, ist Sehen, Anschauung und
Wirklichkeitsdarstellung nicht etwa bloß das Erste, sondern auch das
Letzte in ihrer Kunst. Dem gegenüber für ein geistigeres und persön-
licheres Leben in der Sprache und in der geistigsten, also menschlichsten
Kunst, der Wortkunst, einzutreten, für eine Art Junghumanismus zu
kämpfen, das wäre der allgemeinere Zweck auch dieser Arbeit.
über den Barditus.
Von
Wilhelm Brückner.
Trotz den zahlreichen, berufenen und unberufenen Erklärern. die
die Germania des Tacitus schon gefunden hat, weist die kleine Schrift
doch noch mehrere Stellen auf, für die eine wirklich befriedigende
Deutung oder gar ein in allen Einzelheiten völlig sicheres Verständnis
bis jetzt nicht erzielt worden ist. Zu diesen gehört auch das, was in
Kap. 3 über den Barditus berichtet wird: Siinf illis //aec (/(loque carmlna.
quorum relaiii, quem hardituni rorant. accendunt aninios futuraeque ßugnae
fortunam ipso cantu auguraniur. terrent emm trepidantve. prout somilt
(wies, nee tarn vocis Ute quam virtutis coneentus ddetur. affeciafur prue-
cipue cisperitcis soni et freiet um mur mur ohieetis ad os scutis. quo ptenior
et greivior cox repercussu intumescat. Angesichts der Wichtigkeit, die
diese Stelle für unsre Kenntnis der ältesten germanischen Dichtungs-
gattungen hat, wird der vorliegende Versuch, über das Wesen des Bar-
ditus einigermaßen ins Klare zu kommen, keiner Rechtfertigung be-
dürfen, auch wenn es nicht gelingen sollte, alle dunkeln Punkte zu
erhellen.
Da manche Einzelheiten der Stelle eine verschiedene Auslegung
zulassen und zum Teil auch gefunden haben, sollte eine Erklärung, die
einigermaßen sicher gehen will, am ehesten von der Bedeutung des
Wortes Imrditus ausgehen. Allein gerade damit ist es übel bestellt. Be-
kanntlich ist eine sichere Deutung des Wortes bis jetzt überhaupt nicht
gefunden. Älüllenhoff De antiquissima Germanorum poesi chorica p. 20
hat zuerst, freilich mit starken Zweifeln ^) Zusammenhang angenommen
mit altn. f)ar(Tf , Schild', und dieselbe Ansicht vertritt auch Wackernagel
G-esch. der deutschen Literatur I- S. 7. Diese Deutung hat mehrfach
Beifall gefunden, vgl. z. B. Kelle, Gesch. d. d. Litt. I S. 9 und
Koegel, Gesch. d. d. Litt. I 1, S. 18 f. Später hat jedoch Müllenhoff
selbst diese Erklärung aufgegeben Dx\K 4, 136, weil tiardi in der Be-
deutung .Schild' nur ein einziges Mal belegt sei und dort otfenbar in
') iS 19 äussert er sich geradezu: vocabulum barditus explicare ne^eio.
5
— 66 —
übertragenem Sinne. Er versucht dann eine neue Deutung des Wortes
und nimmt unter Berufung auf altn. skeggrodd an, es sei von bard ,Bart'
herzuleiten; harditus wäre demnach die ,ßartrede', freilich nicht der
germanischen Krieger selbst, sondern des Donnergottes Herkules, den
sie ifuri in proeUa cannnt; in dem donnerähnlichen Getöse sollte die
Stimme des Donnergottes nachgeahmt werden. Auch diese Erklärung,
die Müllenhoff selbst nur als einen Versuch bezeichnet, den dunkeln
Ausdruck aufzuhellen, hat vielerorts Zustimmung gefunden; vgl. z. B.
Mogk im Grdr. der germ. Phil. III- S. 357. Doch kann auch diese
Etymologie nicht befriedigen. Abgesehen davon, daß der bcn'difus von
Tacitus deutlich unterschieden wird von den Liedern, die die Germanen
beim Marsche in die Schlacht auf Herkules, den Donnergott, singen,
daß es also von vornherein nicht allzu wahrscheinlich ist, daß beide
zum Lobe desselben Gottes angestimmt werden, bleibt es ganz un-
klar , wie die Ableitung auf - /7^/.S'. mag nun harditus von haväi oder
von bard abgeleitet werden, die Bedeutung ,Rede oder Gesang* gewinnen
soll. Die vergleichbaren Bildungen ^) wie mlat. mordrifus Lex Fris.
(Tit. XX), got. fuinps (nur im Gen. Plur. fuWpé belegt Kol. 2, 16) ahd.
leitid, scep/üd. lielüiU eigentl. , Stecher', irarid. werid alle masc, ferner
ferid, hulkl u. a., deren Geschlecht nicht bekannt ist, scheinen alle von
Verben und zwar meistens von schwachen Verben der ,yV/-Klasse abge-
leitet zu sein, vgl. Wilmanns, deutsche Grammatik II ^ S. 349. Das
Unzulängliche der beiden Erklärungen ist schon mehrfach erkannt worden. ")
1) Es mag hier freilich angemerkt werden, daß die germanische Wortform aus der
lateinischen Form kaum mehr mit völliger Sicherheit zu erschließen ist. Immerhin dürfen
wir mit Bestimmtheit annehmen, daß dem germanischen Worte kurzes l zukommt. Mit
langem i würde sich zum Vergleich nur got. fuUeips (Acc. fulleip Mc. 4,28) darbieten,
zu dessen Bildung die anderen germanischen Idiome keine genaue Parallele zu bieten
scheinen (vgl. von Bahder, die Verbalabstrakt a in den germ. Sprachen S. 79), und dessen
ei darum vielleicht auf ein Versehen des Schreibers zurückzuführen ist, das bei den zahl-
reichen Verbalabstrakta auf -eins, wie usfiilleins, leicht zu begreifen wäre. Dagegen
zeigt wohl die lateinische Umgestaltung des Wortes zu barrîiiis, einer Bildung wie miigllus
oder ntgitus, daß die Römer sich das Wort auf ihre Weise zurecht gelegt und mit
langem / gesprochen haben.
2) Ich erwähne noch den Versuch Laistners in den Württemberg. Vierteljahrs-
heften für Landesgesch. N F 1 (1892) S. 25. Er bringt barditits mit dem Volksnamen
Langobardi und Bardi zusammen und erschließt für Bardi gewiß unrichtig eine Bedeutung
jKrieger'. Diese Zusammenstellung ist schon deshalb hinfällig, weil für Langobardi die
Bedeutung ,Langbärtige' feststeht, vgl. auch Much, Z. f. d. Wortforschung 1, 319 f.
Diese alte Deutung des Volksnamens wird m. E. über jeden Zweifel erhaben durch
eine Bemerkung Widukinds II 36 (M Gr. SS 3, 448), eine Stelle, die mir Sprache
der Langobarden S. 33 entgangen ist : Er sagt dort bei der Schilderung Ottos I :
proUxior barba et haec contra morem antiquum. Wenn die benachbarten Sachsen
nach alter Sitte den Bart kurz trugen, so ist die Rezeichnung der Winniler als ,Lang-
bärtige' im Gegensatz dazu ohne weiteres verständlich.
— 67 —
Wenn freilich Siebs Z. f. d. Ph. 29,400 kurzweg annimmt, das Wort
komme von einer germ. Wurzel *h(n'(l , schreien', so bedeutet das m.
E. nicht viel anderes als den völligen Verzicht auf eine sorgfältige Er-
klärung des Wortes.
Genaueres über den ])arditus erfahren wir von Ammianus Marcel-
linus. Aus der Schlacht Julians gegen die Alemannen bei Strassburg
weiß er (16, 12, 43) von den Comuten und Bracchiaten, gallischen Stämmen,
die im Heere Julians gegen die Alemannen fechten, folgendes zu be-
richten: Cornuti eniin et Bracchkiü usii proe/ioritfu diuUirno prmaÜ eos
(seil. Akunanuosj kun c/estu krrentes harritinn eiere cel i/i(uinmm: qui
elamor ipso fervore eerkiminum a tenui susurro exoriens paukiüm aduks-
cens ritu extoUitur flnetnum eauiihus inUsorum. Und 31, 7, 11 charakte-
risiert er den burritus etwas küi-zer^): Romani quiek/n coee umlique
Mariia concinenks a minore solita ad maiorem proto/fi. quam gentUitate
appeUant harritum, vires validas erigebant. Es darf uns dabei nicht be-
irren, daß es römische, im Kampf gegen die Alemannen ausdrücklich
keltische -) Truppen sind, die den Barritus erheben ; darf doch wohl schon
aus den Worten Corniili et Braeelnati usu proetiorum diulurno flrmati eos
iam gestu terrentes geschlossen werden, dass sie eben den Kampf mit
den Germanen gewohnt waren und wußten, was diese schreckte. Zudem
ist ja zur Genüge bekannt, daß germanische Gebräuche und Eigen-
tümlichkeiten der Bewaffnung samt den fi-emden Bezeichnungen vielfach
im römischen Heere verbreitet worden sind, zunächst natürlich durch
Vermittlung germanischer Hiltstruppen, vgl. Kluge, Grdr. d. germ. Phil.
I- S. 327 ff. Statt der a. O. besprochenen Ausdrücke sei hier eine
besonders instruktive Stelle aus Mauricius als Beleg angeführt (Germania
antiqua S. 169), die freilich für eine etwas spätere Zeit zeugt: Uola
ôeî cpoQEÎv ifidzia tovg jie^ovç. Eïxe ^ojazäQia Fo i ß- ly. à eïte cl q-
fiE Àavaia^) e'^ovai, xovôà /nÉXQi f^ôjv yovdxùjv avToJv ôeI (poçEÎv avTovç,
là -UTzoorj^iaza aôrcov Ta tB- ixà, xacavid u. s. w. UoTa ôeÏ o:nÀa
È'xEiv Tovç o'AOVTàiovç. ^Koviaçia àfiôxQoa i) xazù dQid-fiöi> /} xaià zdyfia,
ajiad-ia 'EçovÀlaxia, xopidçia. — Ebensowenig darf uns die ab-
weichende Namensform irre machen. *) Daß barritus freiHch nicht laut-
') Die andern Stellen bei Ammian ergeben nicht viel; erwähnt sei noch 26, 7,
17 pro terrifico fremltu. quem barbaii dicunt barritum.
-) Auch in dem Bericht über die (Totenschlacht werden auf Seite der Römer
neben den aus Armenien hergeführten Legiooeu namentlich keltische Truppen erwähnt,
s. Amm. 31, 7, 1—4.
3) Zu den armelaitsia vgl. Miillenhoff, DAK 4, 3ü0.
*) Kluge im Grdr. d. germ. Phil. I - S. 329 scheint einer der wenigen zu sein
die rarrltiis bei Ammiau nicht nur in der Lautforni, sondern auch in der Bedeutung
von dem barditus des Tacitus getrennt halten möchten. Dagegen hält Baumstark, den
Kluge wohl aus Versehen als Gewährsmann anführt, wie Müllenhofi' daran fest, daß
bei Tacitus und bei Ammian von der nämlichen Sache die Rede sei.
— 68 —
gesetzlich mit hard'dus zusammenzubringen ist, braucht trotz Laistner a.
0. kaum bemerkt zu werden; schon Müllenhoff de ant. Germ, poeni S.
19 hat alle dahinzielenden Deutungsversuche mit Recht abgelehnt. Viel-
mehr ist barrittffi offenkundig eine humoristische, in Anlehnung an ha mis.
barnre vollzogene, volksetymologische Umgestaltung des fremden harditua.
vgl. 0. Keller, Latein. Volksetymologie S. 322 ff. Unter diesen Um-
ständen muß die Erklärung natürlich von der Taciteischen Form des
Wortes ausgehen. Für den Xachweis der Identität der beiden ist es
belanglos, daß auch einige minderwertige Handschriften der Germania
haritus lesen; mehr Bedeutung kommt vielleicht dem Umstände zu,
daß der Codex Vaticanus des Ammian regelmäßig rarrifHS liest.
Was nun die Bedeutung des Wortes betrifft, so erklärt Tacitus
ausdrücklich, daß der bardifus seinen Namen von der Vortragsweise
habe ; nach Ammian war aber eben das eigentümliche gewaltige An-
schwellen des Gesanges das Charakteristische. Der Versuch einer Er-
klärung wird daher gut tun, sich an diese Tatsache zu halten. Nun
taucht bei römischen Autoren ungefähr zur selben Zeit, nur wenig früher
als barditus. ein anderes germanisches Wort auf, worin anlautendes b
einem germ. ir entspricht^): bimn. -on fis = germ. wisiind. Es ist ganz
wohl möglich, dass latein. barditus in ähnlicher Weise auf eine german.
Form mit anlautendem ir zurückgeht; wir hätten demnach *irardifus
(etwa got. irardips wie fuUips) anzusetzen. Eine solche Form mit a'
gewinnt natürlich sofort die größte Wahrscheinlichkeit, wenn sie es er-
möglicht, eine befriedigende etymologische Deutung für das Wort zu
finden. Wie schon oben S. 66 bemerkt, dürfte dem Substantiv ver-
mutlich ein schwaches Verbum *irardjan zu Grunde liegen. Zur Erklä-
rung scheint sich zuerst ahd. irartjan .verderben, beschädigen' mit seinen
Verwandten darzubieten, das mit Rücksicht auf den Zweck des Gesanges,
die Feinde zu schrecken und zu verderben, einen nicht unpassenden
1) Die Schreibung mit b für v erklärt sich aus der Eigentümlichkeit der latemi-
schen Vulgärsprache, in der mancherorts schon ziemlich früh n und b zusammenge-
fallen sind. Infolge dessen werden vom 3. .Ih. an v und b vielfach unterschiedslos ge-
braucht ; inschriftliche Belege für diese Vertauschung von h und v finden sich schon seit
demi. Jh. n. Chr. nicht ganz selten; vgl. Schuchardt, der Vokalismus des Vulgär-
lateins I 131, III 67; Seelmann die Aussprache des Latein, S. 239 f. Ms Belege für
diesen "Wechsel sind wohl auch gerade die neben binon und harr Uns gelegentlich er-
scheinenden Formen vison und varritus zu betrachten. Speziell bei barditus läßt sich
für die Schreibung mit b noch eine andere Erklärung denken: Das Wort wird, wie
die meisten germanischen Wörter zu jener Zeit, den Römern vermutlich durch gallische
Vermittlung zugekommen sein (s. Müllenhotf, DAK 2, 119 f.); es wäre nun nicht un-
möglich, daß es mit gall. barJiis zusammengebracht worden wäre und sein b von da-
her bezogen hätte. Diese Zusammenstellung hat ja bekanntlich auch in neuerer Zeit
die Erklärer des Tacitus lange irregeführt.
— 69 —
Sinn ergäbe. Doch würde diese Deutung der ausdrücklichen Bemerkung
des Tacitus, daß der Vortrag han/ifus genannt werde, nicht entsprechen.
Vollkommen passend aber bietet sich außerhalb des Germanischen das
altind. rardhaii^ Causativ. vardlmifatt. ,stärken, wachsen oder gedeihen
machen', zur Erklärung dar. Dem Causativ würde das vorausgesetzte
german. '^irardjau genau entsprechen. Der trardttim kann also exakt
die von Ammian geschilderte Vortragsweise bezeichnen, d h. die Schwel-
lung, das beständige Wachsen, stärker und lauter werden des Gesangs,
das Crescendo oder vielleicht eher etwas konkreter gefaßt, das was an-
schwillt, der Schweller. Wenn, was trotz der verschiedenen Beurteilung
und Gruppierung, die den betreffenden Wörtern zu Teil geworden, recht
wohl möghch ist, griech. ÔQd-ôç und ai. nrdhcâ>i , aufrecht' mit der
Wurzel vardh. bezw. rerdh zusammenzustellen sind '), so ist der Umstand
sehr bemerkenswert, auf den Curtius, Grundzüge der griech. Etymologie "",
S. 348 hinweist, daß oqQ-ôç und ilrd/inls in der Anwendung auf die
laute Stimme zusammentreft'en ; vgl. auch dçd-iog und ôçQ-iàÇco. Das
german. irard'tfus würde sich, falls diese Zusammenstellung richtig ist"),
als dritter Zeuge für diese Bedeutungsentwicklung den beiden andern
zugesellen.
Über den Inhalt des BardituS erfahren wir zunächst leider gar
nichts; Tacitus braucht sonst stets nur ganz allgemeine und unbestimmte
Ausdrücke wie cantu^ trii.r bist. 2, 22 u. a. Jedoch dürfen wir wohl
mit Bestimmtheit annehmen, daß der barditus nicht einfach, wie oft
angenommen wird, ein unartikuliertes Getön war, sondern daß ihm Worte
zu Grunde lagen. Mag auch die Bezeichnung als canmu in dieser Frage
nicht viel zur Entscheidung beitragen, so ergibt sich dies doch aus der
einfachen Überlegung, daß die an- und aufregende Wirkung des Gesanges
viel mächtiger ist, wenn ihm ein bestimmter Rhythmus innewohnt; Rhyth-
1) S. Fick, Vergleichendes Wörterbuch der indogerni. Sprachen * 1 S. 131;
weitere Literatur verzeichnet Wackemagel, Altind. Grammatik 1, 262.
2) Dieser Etymologie gegenüber möchte wohl die Tatsache Bedenken hervor-
rufen, daß andere Wörter, die zur selben Sippe gehören, auf germanischem Gebiet
nicht mehr oder doch nicht mit Sicherheit nachzuweisen sind ; denn man wird icort
,verhum^ nicht mehr mit Schade, Altdeutsches Wörterb. II S. 1200 hierher ziehen wollen.
Auch die Zusammenstellung von ahd. warza und wur^ mit der Wurzel vardh ist sehr
unsicher. Wenn man, wie z. B. Kluge, daran festhält, ist man genötigt wegen der
verschiedenen Stufe der Dentale mit Grassmann (Kuhns Zeitschr. 12 S. 92) eine früh-
zeitig neben vardh. rrdit entwickelte Xebenform vard, vrd anzunehmen. Doch ist es
ja bekannt genug, daß in dem ältesten Spraohmaterial, wozu auch die Eigennamen zu
rechnen sind, zahlreiche Wortstämme erhalten sind, die sich aus späterer literarischer
Zeit nicht mehr belegen lassen. In unserm Falle mag die Konkurrenz von (aiid.)
wartjan .verderben' und warten .Acht haben, ausschauen' mit ihren Verwandten zum
frühzeitigen Untergang des dem warditus zu Grunde liegenden Verbums *icardjan
, wachsen machen- und seiner Sii)pe wesentlich beigetragen haben.
— 70 —
mus setzt aber doch wohl Worte voraus, wenn auch sehr einfache, die
sich zudem stets wiederholt haben mögen/) Von hohem Werte für unsre
Kenntnis des Schlachtgesanges wäre es, wenn wir das, was Plutarch:
Marius cap. 19 von dem Verhalten der Ambronen in der Schlacht bei
Aquae Sextiae berichtet, hier zur Vervollständigung der ungenügenden
Angaben des Tacitus und Ammianus verwenden dürften. Die Stelle
lautet: ovx àrdxTOiç ovôe (laviibÔEoi cpsQÔfisvoi ÔQÔfioiç o-ùôh âvaçd^qov
àZaZay/iiov tévTEç, àX?.à y.QOvovjEç ^vd'fico tù djiZa y.ai ovvaÀZôfievoi
Tiâvreg, âfia Tr]v avr ojv ècpd-éyyovro TioÀÀày.tg jTQogt]yoQi av 'Afi-
ßQOJveg EÏre àvayMÀovfiEvoi acpàç atiovg eïte tovç JioÀEfilovç Tfj jiqoôtj-
ÀôjfJEi JTQOExcpoßovvTEQ. Meiucs Erachtcus kann kaum ein Zweifel be-
stehen, daß Plutarch an dieser Stelle wirklich von dem Barditus handelt.
Daß die Ambronen Germanen waren und nicht, wie die Alten angeben,
die zur Zeit des Cimbernkrieges Kelten und Germanen noch nicht zu
unterscheiden wußten-), ein keltischer Stamm im Gefolge der Teutonen,
wird heute wohl kaum mehr bezweifelt werden, vgl. Müllenhoff DAK
2, 114 ff. •^) Nun wird aber nach dem einstimmigen Zeugnis des Am-
mian und des Vegetius der barritus beim Beginn des KamjDfes ange-
hoben, wenn die Heere einander gegenüber stehen und nun zum ent-
scheidenden Stoße ansetzen; vgl. bes. Ammian 31, 7, 11 und Vegetius,
Epit. rei milit. 3, 18: clunwr antem, quem barritmn vocant, prius iwn
dehi't aitolli. qmun acies utmque se mnxerit. Imperi forum emm vel igmi-
vonim est vociferari de longe, cum Itostes magis terreanlur. sl cum felorum
icfu clamoris horror accesserU. Damit stimmt nun aber auch Tacitus
insofern überein, als auch er die Lieder, die die Germanen beim Marsch
in die Schlacht singen, von dem Barditus unterscheidet, und wie sich aus
dem Satze terrent enim trejïidantre prout sonuit acies ergibt, dieser erst
dann ertönt, wenn die Heere sich zum Kampfe bereit gegenüberstehen.
Gerade in demselben Momente der Schlacht beginnen nun aber auch die
Ambronen ihren Schlachtgesang, den man wohl füglich als ,Kampfleich'
bezeichnen darf. *) Die Schilderung Plutarchs deckt sich nun freilich
mit derjenigen des Tacitus und des Ammian nicht, wenn gleich der Zweck
1) Am bestimmtesten, aber docli wohl nicht ganz zutreffend äussert sich Mül-
lenhoff über den barditus, De ant. Germ, jwesi p. 20: facile perspieu um est, etiam car-
mina illa paiica lanlum verba fuisse, tjuae mox in slridores sonosqne raucos abierint.
ititer (JII08 r et u prœvaluisse conici licet. His autem et animos accendere et hostes
terrere cogitabant, quare apte conferri possunt cum tympanùrum plausu nostris militibvs
mitato] ähnlich DAK 4, 138.
2) S. Müllenhoff DAK 2, 153 ff. und Hirschfeld, der Name Uermani bei Ta-
citus und sein Aufkommen bei den Römern in der Festschrift für Kiepert (Beiträge
zur alten Geschichte und Geographie S. 259 ff.) spec. S. 268.
^) Auch Much, P Br ß 17, 9 hält am germanischen Ursprung der Aml)ronen fest.
*) S. Koegel, Gesch. d. d. Lit. 1 1, S. 7 ff
— 71 —
des Gesanges im Wesentlichen übereinstimmend angegeben wird ; aber daß
das, was später namentlich Ammian als das Charakteristische liervorhebt, näm-
lich das Anschwellen des Gesanges, damals beim ersten Zusammentreffen
der Römer mit den Germanen als etwas mehr Zufälliges erscheinen
und darum nicht besonders beachtet werden mochte, ist ja leicht be-
greiflich. Daß aber der Gesang der Ambronen nichts anderes als der
ßarditus des Taeitus ist, scheint mir namentlich daraus hervorzugehen,
daß auch nach einigen, für sich allein betrachtet freilich nicht völlig deut-
lichen Äußerungen des Taeitus der Barditus von einem rhythmischen
Schüttern und Zusammenschlagen der Waffen begleitet gewesen zu sein
scheint: vgl. bist. 2,22 adversus temere subeuntes cohortes Germanorum
cantu truci et more patrio midis corporihus super um er o s s eut a rjua-
tientium und Ann. 4, 47 von den sugambrischen Hilfstruppen subsidio
Sugamhrae cohortis. qmiiu Romanus cautiuim et uriuorinn tumultn
trucem haud procul mstrua-erat:
Die Schilderung Ammians in Verbindung mit derjenigen Plutarchs
läßt uns nun aber deutlich erkennen, welcher Art eigentlich dieser
Schlachtgesang war. Wenn lediglich die beständig wiederholte, vielleicht
in einem kurzen Satz ausgesprochene Nennung des eigenen Namens, die
beim taktmäßigen Vorgehen vom rhythmischen Zusammenschlagen der
Waffen begleitet war, den Inhalt des Gesanges bildete, so kann kein
Zweifel sein, daß wir den barditus einfach als sog. Arbeitsruf oder
-gesang auffassen müssen. Delbrück, Gesch. der Kriegskunst 2 S. 45,
macht darauf aufmerksam, wie stark der innere Zusammenhalt der Ger-
mauen gewesen sein müsse, ,daß sie geringe, äußere Ordnung, zeitwei-
liges Zurückweichen und das Fehlen einer eigentlichen Befehlsführung
ertragen konnten, ohne auseinanderzulaufen oder auch nur an der Energie
der Gefechtsführung einzubüßen.' Speziell beim Angriff ist nun eben
durch den Barditus die Masse der Krieger zu einem gemeinsamen und
energischen Handeln gleichmäßig mit fortgerissen und auch ohne viele
Befehle mit energischer Wucht an den Feind gebracht worden. Wenn
es ferner eine vielfach beobachtete Erscheinung ist, daß im Verlaufe
der Arbeit der Gesang immer kräftiger oder auch immer schneller
wird ^), so stimmt der Barditus nach der Schilderung Ammians auch darin
mit andern Arbeitsgesängeu überein. Die immer zunehmende Steigerung
der Stärke des Gesanges — von einer Vermehrung des Schnelligkeit
berichten die Quellen nichts — hatte offenbar den Zweck, auch die
Energie und den Kampfesmut der Angreifenden bis zu dem Augenblick,
da sie auf die feindlichen Reihen prallten, beständig zu steigern.
Es wäre wohl leichter gewesen, über die Natur des Barditus ins
Klare zu kommen, wenn wir über das Kriegsgeschrei der Germanen
1) S. Bücher, Arbeit und Rhythmus 2 s. -202, 211 f.
— 72 —
auch aus der spätem Zeit der Völkerwanderung etwas mehr wüßten.
Allein darüber erfahren wir soviel wie nichts, Müllenhoff, de cmt. Gennan.
poesl clior. S. 19, vermutet, daß die alte Übung, den Barditus zu erheben,
bei den Germanen frühzeitig außer Gebrauch gekommen sei. Er schließt
dies daraus, daß nur Tacitus die Lieder, die sie beim Marsch in die
Schlacht singen, deutlich unterscheidet vom Barditus, den sie beim An-
griff anstimmen, daß dagegen Ammian (31, 7, 11) von den Goten be-
richtet, sie hätten, wie sie den Römern gegenüber standen und zum
Angriff vorrückten, von den Heldentaten der Vorfahren gesungen (Ixirhfwi
mro maiorum laudes chtmorlhua sfridehanf inconditis). Diese Angabe
stimmt freilich schlecht zu dem, was Tacitus berichtet. Allein, wenn es
auch wohl möglich ist, daß der alte Brauch schon damals, anfänglich
vielleicht nur bei einzelnen Stämmen, aufgegeben war, — aus welchen
Gründen er in Abgang gekommen sein könnte, entgeht uns freilich —
so kommt es mir doch wahrscheinlicher vor, daß Ammian Dinge, die
Tacitus auseinanderhält, durcheinander mengt. ^) Auch im späteren Mittel-
alter scheint in ähnlicher Weise Verschiedenartiges oft nicht auseinander-
gehalten worden zu sein. -) Sicher ist dann jedenfalls, dass das Christen-
tum wesentliche Veränderungen der alten Verhältnisse mit sich gebracht
hat. Denn der Schlachtruf wird nun vielfach zu einer Anrufung Gottes:
so sind z. B. die Rufe kj/rie eleison. AI/eIi(ija. Deus noh'iscum z. T. schon
seit dem 9. Jh. als Schlachtrufe belegt, und in späterer Zeit singen die
Soldaten auf dem Marsche und in der Schlacht nicht selten geistliche
Lieder. ^) Es kann aber hier nicht unsere Aufgabe sein, diesen "Wande-
lungen der Sitte im Einzelnen nachzugehen. Dagegen ist es für uns
von der größten Wichtigkeit, festzustellen, daß die alte, von Plutarch
für die Ambronen bezeugte Sitte, den eigenen Namen als Schlachtruf
zu verwenden, noch das ganze Mittelalter hindurch im Schwünge geblieben
^) Wir werden diese laudes maionim vermutlich mit deu Liedern, die die Ger-
manen nach Tacitus vor der Schlacht auf den Herkules singen, zu vergleichen haben.
Die Erwähnung des eigentlichen Kampfgeschreis auf Seite der Germanen kann Ammian
aus stilistisch-rhetorischen Gründen, um das römische und das germanische Heer in
einen wirkungsvollen Gegensatz zu bringen, unterlassen haben, wodurch es dann eben
den Anschein gewinnt, als ob die Gebräuche der Germanen seit Tacitus Zeiten ganz
andere geworden wären.
2) Ich verweise auf Alwin Schultz, Das höfische Leben z. Z. der Minnesinger
II 1 S. ■24-1 ft. und die dort angeführten Belege für Schlachtgesang und Kriegsgeschrei.
Ich hebe hier namentlich die Stellen aus der Kaiserchronik hervor (v. 2034, 5304,
7117, 7203: Der Dichter läßt hier die Kämpfenden in den verschiedensten Situationen
stets ihr icicUet singen, ohne des sonst unzählige Male bezeugten Feldgeschreies, der
krie, je Erwähnung zu tun.
') S. Hoffmann, Gesch. des deutschen Kirchenliedes ^ S. 17 f., 41 ff. A. S(!hulz
(Sao-Marte) Zur Waffenkunde des älteren deutschen Mittelalters S. 311, und besonders
Du Gange, (Hossarkun niediae et infimae laiinilaiis, Dissert. 11: Du cry d'armes.
— 78 —
ist, wenn auch in etwas beschränkterer Geltung. Namentlich in Frank-
reich, nach den Belegen bei Du Gange a. O. zu schliefien, war es viel-
fach gebräuchlich, daß edle Herren, bezw. ihre Truppen den Namen des
Hauses als Kriegsruf führten: z. B. à lü recomse Moiitohou. C/nisfel-
vUain à l'arbre (Vor, Couct/ à la inerreif/e u. a. ^) Nicht selten hatte darum
im Heere fast jedes Fähnchen seinen eigenen Schlachtruf, was ein geisfc-
Hcher Schriftsteller, der Abt Guibert von Nogent, als eine arrof/atis
imrtefas minoruni bezeichnete. Eine in der Form kaum merklich ver-
änderte Fortsetzung des alten Brauches war auch die Sitte, den Namen
des Landes oder seiner Hauptstadt als Schlachtruf zu verwenden, wofür
aus Frankreich und aus deutschen Landen zahllose Belege beizubringen
sind : z. B. ,Hl MizenJant- man lüfe .schrei: dlie hift irsca/ von kr te f/röz
,Hurta. heya Bei/er/anf: Jper itnds ,Àrrat sehr Heu F/œ/niiu/e: fier krie
iras Ji'ie Osferric/r : .Röme- diu krie was: .Ansclioinre- iras sin kne.^)
Daß der alte Gebrauch bis- in die Neuzeit nicht ganz ausgestorben ist,
zeigt eine bei den quartierweise veranstalteten Jugendfesten der Stadt
Basel festgehaltene Sitte. Bei dem Zuge durch die Stadt singen nämlich
die Kinder in endloser Wiederholung:
fl. fn fo (vermutlich entstellt aus rirat liorli)
s'Aesc/tequarfier fSpale- Sfeiim/. u. s. w.) isr// do.
Anderorts mögen sich andere Beispiele des alten Gebrauches erhalten
haben. Die angeführten dürften aber genügen, um einerseits die Richtig-
keit der Angabe Plutarchs zu verbürgen und anderseits zu zeigen, wie
allgemein verbreitet diese Sitte vor Alters gewesen sein muß.
Nachdem wir nun so versucht haben, das AVesen des Barditus etwas
genauer zu ergründen, wird es möglich sein, auch die Stelle bei Tacitus
in einigen Einzelheiten genauer zu verstehen, als es bis jetzt geschehen
ist. Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass der Satz nee tant coc/s ille
quam virtuüs concentus videfur, der an sich dem Verständnis keine
sonderHchen Schwierigkeiten bereitet, ungleich bedeutungsvoller wird,
wenn wir uns unter dem Barditus nicht ein unartikuliertes Schreien oder
gar Brummen denken, sondern ein taktmäßiges, rhythmisch geghedertes
i| Ohne Zweifel sind noch viele der alten Wahl- und Denksprüche, in denen die
Familie genannt wird, als ursprüngliche Schlachtrufe anzusehen: Z. B. Achard flache.
A Jamais Cardevac, YiiiUame de Barras u. a. m. vgl. Dielitz, Wahl- und Denksprüche,
Feldgeschreie u. s. w. Frankfurt 1,S84. Daß diese Kriegsrufe auch als Signal zur
Sammlung dienten (s. Alw. Schultz, Das höfische Leben II 1 226, 247), soll hier nur
erwähnt werden, da sich diesem Grebrauche aus den antiken Autoren nichts zur Seite
stellen läßt.
2) S. Alw. Schultz, Das höfische Leben TP S. 246, Lexer, Mhd. Wb. 1. 1 :25.
Weitere Beispiele verzeichnet A. Schultz (San-Marte) a. 0. 311: ferner DWB 5 sp.
2136 f. s. v. krei, und kreide.
— 74 —
Rufen oder Singen^). Auch wird man nun wohl mit ziemlicher Wahr-
scheinlichkeit vermuten dürfen, wenn es von dem Barditus heisst : futu-
raeque pugnae fortuuam ipso canfii auguraniur ; terrent enim trepidantve
prout sonuit acies. daß gerade die Art, wie der Gesang der Massen
zusammenging, für den Ausgang der Schlacht vorbedeutend erschien.
Klappte nicht alles, hielten z. B. nicht alle das gleiche Tempo inne, so
mochte das für ein übles Vorzeichen gelten.
Allerhand Unklarheiten und Schwierigkeiten enthält erst der letzte
Satz : affectatur jjraec'qme asperitas soni et fractum murmur. obiectis ad os
sentis, quo plenior et gravior vox repercussu intiunescat. Müllenhoff hat
von andern Erwägungen ausgehend vermutet (DAK 4, 138), daß Tacitus
bei dieser Abschweifung über den Barditus eine schriftliche Quelle be-
nutzte. Wenn diese Vermutung, wie ich glaube, richtig ist, so dürfen
wir wohl mit der Möglichkeit rechnen, daß sich bei der Wiedergabe des
ihm vorliegenden Berichtes ein V^ersehen eingeschlichen hat^), und wir
können auch, wie ich meine, noch erkennen, worin dieses Mißverständnis
besteht. Der Fehler liegt meines Erachtens darin, daß Tacitus, vielleicht
schon durch irgend eine Unklarheit oder ungeschickte Ausdrucksweise
seiner Quelle veranlaßt, das Anschwellen des Gesanges mit dem Vor-
halten der Schilde in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht hat,
der offenbar gar nicht bestand. Tacitus scheint sich, möglicherweise in
Erinnerung an eine Stelle wie Caesar, Bell. Gall. 1, 52, wo die Germanen
mit ihren Schilden eine festgeschlossene Phalanx bilden, vorgestellt zu
haben, die Schwellung komme in der Weise zustande, daß die Schilde,
die die Singenden vor den Mund hielten, durch das Zurückwerfen des
Schalles freperciissuj den Gesang verstärkten. Allein — von den sach-
lichen Schwierigkeiten vorläufig abgesehen, die sich dieser Auffassung in
den Weg stellen — ist es klar, daß die Haltung des Schildes nur auf
die Bildung des einzelnen Tones von Einfluß sein konnte ; wenn aber
der Satz ([uo ptenior et gravior vox reperriis.su intanuscat. so viel ich
sehe, ganz allgemein, und wie ich meine, mit vollem Recht dahin aus-
gelegt wird, daß der ganze Gesang mehr und mehr angeschwollen sei,
so ist es ebenso klar, daß dieses Anschwellen von der Haltung der
Schilde ganz unabhängig gewesen sein muß. Aus eben dieser Stelle geht
meines Erachtens das eine unverkennbar hervor, daß der Gewährsmann
1) Zur Erläuterung dieser Anschauung dürfte wohl ein Vergleich mit dem
studentischen Salamander beitragen, wenn gleich wir ja leider über die Herkunft und
die ältere Creschichte dieser Trinksitte nichts wissen. Denn darin, daß alle Bewegungen
sämtlicher Teilnehmer vollkommen gleichzeitig erfolgen, kommt ja nach studentischer
Auflassung gewissermaßen auch ein Concenius virtidls zum Ausdruck.
2) Belege für solche, freilich nicht eben häufige Versehen und INIißverständnisse,
die meist durch eine unrichtige Auffassung der germanischen Verhältnisse bedingt sind,
8. Müllenhofl", DAK 4, S. 25 f.. 281, 285, ;«)2 f.. 305 u. a.
— To-
des Tacitus den Barditus ganz in derselben "Weise als an Stärke immer
zunehmend charakterisiert hat, wie später Ammianus Marcellinus : (ju'i
clamor a temt'i siwirro e.rorkm paulnthn adK/esceiis riiu extolütur fUictuuni
cautihus inUmrum s. ob. S. 67. Mit Recht wird natürlich bei Ammian
die Haltung der Schilde als etwas für den Gesang ganz unwesentliches
gar nicht erwähnt. Auch andere Bedenken sprechen gegen die Richtigkeit
der Auffassung des Tacitus. Ausgeschlossen ist zunächst — was vielleicht
kurz angemerkt zu werden verdient — daß die germanischen Schilde,
die teils aus einfachen bemalten Brettern, teils nur aus Flechtwerk be-
standen, das zwischen einen hölzernen Rahmen eingespannt war^). für
den Gesang etwa eine Art Resonanzboden hätten bilden und so wirklich
zur Verstärkung des Schalles beitragen können. Dagegen konnte aller-
dings das Vorhalten der Schilde durch das Zurückwerfen der Schallwellen
für die Singenden den Eindruck einer Vermehrung des Schalles hervor-
bringen. xVllein da ist denn doch zu bedenken, daß einerseits in diesem
Falle der Gesang an Fernwirkung notwendig das hätte einbüßen müssen,
was er auf Seite der Singenden zu gewinnen schien, daß also der nebenher
verfolgte Zweck, die Feinde zu schrecken, nur schlecht erreicht worden
wäre, und daß anderseits, und das ist das Wesentliche, eine Haltung
des Schildes, die die Schallmasse so intensiv, als möglich, zurückgeworfen
hätte, die also in wirklich merkbarer Weise den Eindruck einer Schall-
vermehrung hervorgerufen hätte, dadurch ausgeschlossen war, daß sie
beim Vorrücken den freien Ausblick nach dem Feinde gehindert hätte.
Nach dem eben Bemerkten scheint es mir kaum zweifelhaft sein
zu können, daß der Ausdruck ohiecfk <ad os> seutis ursprünglich nicht
die Erklärung für das Anschwellen des Gesanges geben sollte, sondern
daß damit lediglich die Umstände charakterisiert werden sollten, die mit
dem Anstimmen des Barditus zeitlich zusammenfielen. AVenn nämlich
dieser Gesang in dem Augenblicke angehoben Avurde, da der Angriff
begann, so mußten natürlich gleichzeitig die Schilde höher genommen
werden, wohl so hoch, daß der untere Teil des Gesichtes noch gedeckt
war. Spätere mittelalterliche Verhältnisse bieten hiezu eine genaue
Parallele : im Mhd. deuten Wendungen, wie den seilt zucken, höher rucke}).
ze hohe nenten u. a. stets darauf hin, daß der Betreffende, der den Schild
aufnimmt, sich zum Kampfe anschickt.^) In ähnlicher Weise wird hier
das ohieclis seutis eigentlich verstanden werden müssen. Dabei ist aller-
dings das zugesetzte ad os überflüssig und störend ; denn daß dies etwa
nach Maßgabe von Verbindungen wie ras (ut fauces replere oder scrotnni
ad medium comptere im Sinne von ,bis zur Mundhöhe' verstanden werden
dürfte, scheint völlig ausgeschlossen schon aus Rücksicht auf die öfter
1) S. Tacitus. Annal. II 14: Müllenhoff DAK 4, lfi8 f.
2) Vgl. Alb. Schulz (Sau-Marte) a. 0. S. 99.
— 76 —
belegte Redensart )naniiin ad os ohicere. Dagegen ist es meines Erachtens
sehr wohl denkbar, daß gerade die Wendung scutis oMecfis^J im Zusammen-
hang einer Schilderung des Barditus den Tacitus zu seiner irrtümlichen
Auffassung verleiten konnte, die er dann durch ein zugesetztes ad os
glaubte deutlicher machen zu müssen.
Schwierigkeiten bereitet nun für das Verständnis immer noch der
Ausdruck fractaiu nuirmur. der auch schon ganz verschieden gefaßt
worden ist, und über dessen Bedeutung es wirklich kaum möglich scheint,
ins Klare zu kommen. Im Allgemeinen dürfte es heute wohl üblich sein,
fractum mit Hinweis auf Tacit. Annal. 14, 20 und andere Stellen in der
Bedeutung .gedämpft' zu nehmen und fractum miirmur als ,ein gedämpftes,
dumpfes Gemurre' zu verstehen; vgl. z. B. Müllenhoff, DAK 4, 137 und
Schwyzer in seiner Ausgabe der Germania (Halle 1902). Diese Über-
setzung hat aber schon Baumstark in seiner Erläuterung der Germania
des Tacitus S. 189 mit Recht als verfehlt zurückgewiesen ; denn ein
dumpfes Murren oder Brummen war doch kaum geeignet, die eigenen
Leute anzufeuern und die Feinde zu erschrecken, und zudem scheint
sich diese Auffassung mit dem von Tacitus selbst betonten vollen An-
schwellen des Gesanges nicht wohl vereinigen zu lassen. Was Baumstark
freilich selber vorbringt, ist aus sprachlichen wie sachlichen Gründen
völlig verfehlt, da er den Ausdruck gewaltsam fast in sein Gegenteil
verkehrt. Man wird sich vielleicht dabei beruhigen dürfen, dass fractum
iHurmur offenbar in engem Zusammenhang mit der oben geschilderten
unrichtigen Auffassung des Tacitus einfach das an den vorgehaltenen
Schilden sich brechende Brausen bezeichnet, und in diesem Falle hat
Baumstark passend die frartac ad l'itora races (Virg. Aeu. 6, 556) ver-
glichen.
Immerhin ist die Möglichkeit nicht abzulehnen, daß Tacitus auch
diesen Ausdruck aus seiner Quelle übernommen hat. Dafür möchte viel-
leicht die Verwendung des Wortes murmur sprechen, das gerne vom
Rauschen eines Baches oder des Meeres gebraucht wird, und das des-
wegen hier sehr gut gewählt zu sein scheint, weil Ammian offenbar als
Ohrenzeuge den Gesang mit dem Rauschen des brandenden Meeres ver-
gleicht. Dann müßte natürlich auch fractum einen andern Sinn gehabt
haben, als oben angedeutet. In diesem Falle dürften vielleicht die
folgenden Vermutungen einiges zur Erklärung des Ausdrucks beitragen.
Frai/t/crc findet sich verhältnismäßig sehr selten mit einem Objekt ver-
bunden, das einen Schall bezeichnet, und in derjenigen Stelle, die mit
unserer am ehesten zu vergleichen ist, ro.r aud'ilur fractos sonifus imitatd
tultarum (Virg. Georg. 4, 72) scheint über die Bedeutung von fracfus
1) Vgl. /. B. Liv. 2, 10 ; Virgil. Aen. •>, 444.
— t i —
ebenfalls keine Übereinstimmung der Ansichten erzielt zu sein.') Wenn
wir von der Grundbedeutung von frangere ausgeben, so möchte sich für
fracfuiii tuuninw etwa als Sinn ergeben, daß das Brausen mitten in
seiner vollen Kraft plötzlich gebrochen, d. li. abgebrochen wird-j — als
Gegensatz wäre etwa ein allmähliches Ausklingen des Gesanges zu denken.
Wenn aber dieses jähe Abbrechen nicht sowohl den Gesang als Ganzes,
als vielmehr den Abschluß des einzelnen rhythmischen oder musikalischen
Satzes kennzeichnete, dessen unaufhörliche Wiederholung eben den Barditus
bildete, so würde der Ausdruck fractuin imininfr .das (immer wieder)
plötzlich abbrechende Brausen' die Vorstellung, die wir oben vom Barditus
gewonnen haben, aufs beste ergänzen.
1) Die gewöhnliche, aber wenig präzise Erklärung der Stelle geht wohl auf
Christ. Gottl. Heyne zurück, der in seiner Ausgabe bemerkt : Fracti sonitus h. non
eoniimti, modo fortiore modo renüssiore splritu ; vgl. z. ?>. Georges I 2629 s. v. Frungo :
,Fractl sonitus tubar/im. die sich brechenden, bald stärkern bald schwachem.'
2) In ähnlicher Weise erklärt auch Kappes (Vergils Bucolica und Georgica er-
läutert von K. Kappes, Leipzig 1876) die Fracti sonilns Virgils gewiß mit Hecht als
,die kurzen, abgebrocheneu Töne des Signals.'
Aus Seb. Faeschs Reisebeschreibung (1669).
Von
Emil Thoramen.
Die Universitätsbibliothek zu Basel bewahrt unter den Manuskripten
eine Reisebeschreibung des Baseler Gelehrten Sebastian Faesch aus
den Jahren 1667 — 1669, die meines Wissens nicht im Druck erschienen
ist, und auf die icli durch Herrn Prof. Dr. G. Binz aufmerksam
gemacht worden bin. In gefälligem, wenn auch nicht ganz fehlerlosem
Latein erzählt Faesch auf 1 70 Seiten eines Duodezbandes, was er zwischen
dem 25. September 1667 und dem 25. Juli 1669 in Frankreich und
England gesehen hat. über Biel-Genf erreichte er am 21. Dezember
1667 Grenoble, blieb dort zur Erlernung der französischen Sprache und
zur Fortsetzung seiner juristischen Studien bis zum 14. Februar 1669,
machte gelegentlich Ausflüge nach der Grande Chartreuse und nach
Vienne, reiste dann über Lyon, Roanne, La Charité nach Paris und
über Rouen, Abbeville, Calais nach England. Seine Heimreise führte ihn
durch Belgien und das Rheinland, Avie aus dem Buchtitel Iter per
Galliam, Angliam, Belgium et tractum Rheni zu schliessen ist; doch ist
der Bericht bald nach der Rückkehr von Cambridge nach London abge-
brochen worden.
Die Reisebeschreibung des jungen Gelehrten überrascht uns nicht
durch Enthüllung bisher unbekannter Tatsachen; sie hält sich in den
Grenzen des Interesses, das ein von humanistisch-antiquarischen Studien
gesättigter Jünghng im 17. Jahrhundert für private und öffentliche Ein-
richtungen eines fremden Volkes haben konnte. Er charakterisiert mit
stereotypen Wendungen die hervorragenden kirchlichen und weltlichen
Gebäude, er notiert geschichtlich bedeutende Inschriften, er bestaunt
das Treiben fürstlicher Personen, er besucht berühmte Gelehrte und
lässt sich von ihnen ihre Kuriositäten-Kabinette öffnen und die seltenen
Stücke ihrer Bücher-, Münzen- und Handschriftensammlungen vorweisen.
Auch teilt er mit allen Gebildeten des 17. Jahrhunderts die Freude an
— 79 —
mechanischen und technischen Erfindungen und Spielereien. In Faeschs
anspruchslosen Notizen zeigt sich natürlich nicht wie in den eingehenden
Schilderungen seiner Landsleute Felix und Thomas Platter II eine unbe-
schränkte Neugier und eine für alles besondere im Wesen und Dasein
der fremden Nation lebendige Teilnahme^), auch nicht die behagliche
Geschwätzigkeit eines Wedel") oder Kiechel'). Wohl erwähnt er —
scheu und mit nachträglichen Ausstreichungen, wo es sich um Belustigung
froher Menschenkinder handelt, sorgfältig und lebhaft, wo Ausstellung
von menschlicher oder tierischer Kraft und Geschicklichkeit zu beschreiben
ist — die bekanntesten Vergnügungsorte der Städte. Wenn er wenigstens
in England, dessen Landessprache ihm wie den meisten uns bekannten
damaligen Reisenden des Kontinents fremd war, sich an Landsleute,
oder nur an solche Eingeborene wendete, die ihm in lateinischer oder
doch in französischer Sprache antworten konnten, so hinderte ihn das
nicht, links und rechts selbständige Beobachtungen zu machen. Daß der
zweiundzwanzigjährige Sprössling eines gelehrten Geschlechts, selbst ein
eifriger Orientalist und Bibliophile, auf große Gelehrte den Eindruck
ungewöhnlich vielseitiger Kenntnisse machte, das scheint aus den zum
Teil vertraulichen Mitteilungen der Oxforder Professoren hervorzugehen.
Es mag sich deshalb lohnen, zwei Proben dieses bescheidenen
Werkleins hier darzubieten. Ich wähle den Glanzpunkt der französischen
Reise, die Szene am Hofe Ludwigs XIV., und den ganzen Abschnitt
über die englische Reise. Der letztere ist aus zwei Gründen anziehend:
erstens, weil es Faescli vergönnt war, dem denkwürdigsten Aufzug der
akademischen Bürgerschaft Oxfords im 17. Jahrhundert, dem Actus im
neuerbauten Sheldon Theater, beizuwohnen; zweitens, weil viele Aussagen
Faeschs über englische Dinge anhand der zwei berühmten englischen Tage-
bücher von Samuel Pepys und John Evelyn*) kontrolliert werden können.
Die Vergleichung spricht mit wenigen Ausnahmen für die Zuverlässigkeit
und Selbständigkeit der knappen Mitteilungen Faeschs. Evelyn selbst
wurde am Schluß der Oxforder Feierlichkeiten zum Ehrendoktor kreiert,
freihch gerade an dem Tage, an dem Faesch nach Cambridge abreiste.
^) Msk. der Univ. ßibl. Basel. A. yl 5— S. Proben u. a. in Félix et Thomas
Platter à Montpellier, 1552—1557. — 1595—1599 (L. Gaudin). Montpellier 1892. —
G. Binz, Londoner Theater und Schauspiele im Jahre 1599. .\nglia 22.
2) Leopold von Wedels Beschreibung seiner Reisen und Kriegserlebnisse. Hsg.
v. Dr. Max Bär, Baltische Studien. 45. Jahrg. Stettin 1895.
3) Die Reisen des Samuel Kiechel. Aus drei Handschriften herausg. v. Dr. K.
D. Haszier, Stuttgart, gedr. auf Kosten d. litt. Vereins, 186*>.
*) In den nachfolgenden Anmerkungen zitiere ich nach: The Diary of Samuel
Pepys with an Introduction and Notes by G. Gregory Smith, London 1905. — Tlie
Diary of John Evelyn, Esq., F. R. S , from 1641 to 1705/6 with raemoir edited l\v
William Bray, Esq., London & New York.
— 80 —
Eine Zusammenstellung der intimen Relation des sachverständigsten
Engländers mit den Kommentaren des jungen Ausländers vermindert
durchaus nicht den Wert der letztem; sie zeigt nur das leicht verständ-
hche, daß der erstere die Vorgänge mit dem Auge des väterlich besorgten
Ehrenbürgers und Staatsmanns, der letztere mit dem Auge des über-
legenen und klug kritisierenden Studenten verfolgte.
Sein Aufenthalt auf englischem Boden dauerte vom 11. Juni alten
Stils bis Ende Juli 1669; zwei Wochen, vom 14. bis zum 28. Juni,
verbrachte er in London; vom 29. Juni bis zum 15. Juli verweilte er
in Oxford; dem Besuch von Cambridge widmete er nur fünf Tage, um
nach der Rückkehr noch die Umgebung der HaujDtstadt, freilich nur auf
kleine Entfernung, zu besichtigen.
Über Eaeschs Persönlichkeit mögen folgende Angaben Aufschluß
geben.
Sebastian Faesch wurde am 8. Juli 1647 zu Basel geboren als
Sohn des Christoph Faesch, J. U. D., Professors der Geschichte an der
Universität Basel, und der Katharina Grüntzer. Siebzehnjährig bestand
er das Magisterexamen und studierte dann an der Universität seiner
V''aterstadt und in Grenoble Jurisprudenz. Nach einer Reise durch
Frankreich und England erlangte er zu Basel den Doktorgrad mit der
Dissertation <^de insignibus». Auf einer zweiten Reise durch Osterreich
und Italien brachte ihn hauptsächlich seine Vorliebe für Numismatik in
freundschaftliche Beziehungen mit ausländischen Gelehrten. Der Besuch
in Rom wurde Veranlassung zu der Abhandlung über den nummulus
aereus Pylaemenis Euergetae Regis Paphlagoniae, 1680. Wie er Thomas
Gale von Cambridge in der Edition des Jamblichus durch Mitteilungen
aus der reichen Faeschischen Bibliothek unterstützte, so förderte er
durch seine Beiträge den Mailänder Grafen Francesco Mezzabarba in der
Herausgabe der Numismata Imperatorum. Von 1681 wirkte er als Pro-
fessor institutionum, seit 1695 als Professor codicis an der Universität
Basel. Er starb am 12. Mai 1712. (Vgl. Athenae Rauricae, Basiliae
1778, pg. 144—146.)
I. Am Hofe Ludwigs XIV.
1669, 5. Aprilis. Mane hora nona in regiam itum ad videndos Galliae
April, primores, quorum maxima pars Regem singulis mane venit salutatum.
Contulimus nos in conclave Helvetiorum. Hie quoties vir magnae notae
intrat referantur ambae partes portae, cum alias una tantum pateat, et
bipenni terra quatitur. Sic vidimus Archiepiscopum Parisien seni Mr. de
Perefixe ^) caerulea indutura toga cui a latere innexa crux argentea.
Senex est totus canus sed vegetus. statura longus. Mr. Seguier
- 81 -
cancellarium Pranciae -) qui sella portabili in conclave hoc Helvetiorum
portabatur. vir decrepitus a servis suis sufïultus. ibat ad Regem Comte
de Soisson''), 80 forte annorum, Duc d'Orléans"*), Comte d'Armignac,
grand Ecuyer de France '-), Mr. Tellier ^), Mr. Colbert '), Secrétaires
d'Etat, iste vir est 50 forte annorum, statura mediocris, frontem severum
ac oculos quasi ad lacrymas proclives prae se ferens, cum pluribus
aliis Ecclesiastici ac politici ordinis. Finito Régis concilio hora 11 et
dimidia apertis portis turba omnis ad Régis procubiculum (antichambre)
intromissa ubi in mensam quilibet petitionem suam ad Regem seu libel-
lum ponebat qui in magnum cumulum excrevere. eos postea Dominus
Tellier sacco impositos apportavit. Hiuc recessimus in primum conclave,
interea scopetarii ^) Régis et Helvetii ex ordine se locant armati usque
ad Sacellum Régis qui non multo post cum Regina ^) ac universa aula
transiit missara celebraturus. Helvetii caput nunquam denudabant. post
horae quadrantem Rex rediit eodeni ordine ac comitatu. nos quosdam
sequimur per scalas et aulam ad conclavia Reginœ quacum Rex erat
pransurus. conclave hoc non erat amplum nec ornatum. tapetes habet
communes, mensa apponebatur vilis admodum nec viginti solidos valens,
ita ut dithculter mihi persuaderem Regem hic pransurum. Sed apponitur
tamen mappa cum orbibus aureis quibus imposita mantelia artificiose
plicata cum cultris et furcis aureis. Structa ita mensa accedit tandem
Rex horani circiter secundam cum Regina et aulicis. apponit se mensse
nec cruce nec prece prsemunitus et occupât locum superiorem versus
caminum, infra ipsum Regina, in summitate mensse Régis frater, ex altera
parte Mademoiselle de Montpensier ^'^) collocabantur, infra hanc tiliœ
Reginre honorariaî stabant quse accumbentes serviebant. circum mensam
aulici cum peregrinis viris ac mulieribus Regem observabant prandentem.
Quod personam Régis spectat, grandis is est statura, vultu magnifico
et magni quid referente, colore aliquantum fusco, cœsariem portât subni-
gram assumplam, barbam parvulam, corpore est repleto. Regina parva
est statura, facie repleta, genis inflatis et rubore fulgentibus, fuco procul
dubio illitis, crinibus flavis, et si in totum consideretur formosa satis.
Régis frater statura est satis brevi, vultu fa}mineo et rubore (artificioso
ut dicitur) perfuso, cœsarie subnigra assumpta, voce muliebri. cPtAo/.c//./;
Mademoiselle filia est 40 forte annorum, non formosa, vultu masculo et
incessu, nasuta. A tergo Régis adstabant duo medici, qui tamen nihil
loquebantur cum aliis aulicis, inter quos Comes de Charron ") capitaine
des gardes Regem colloquiis recreabat adeo amœnis ut Rex ac omnes
aulici Scopius se in risum effunderent. ipse etiam Rex multa loquebatur.
cum tarnen alias et risu et loquela admodum moderate utatur. Mensa
quinquies piscibus, herbis, ovis aliisque cibis quadragesimalibus'-) operie-
batur. patin.e argentea» in circuitu floribus flavis erant ornat;e. tandem
— 82 —
bellaria apponebantur : fructus scilicet omiiis generis, mala, aurantia,
citri, uva, piuna damascena, ex saccaro sine dubio, haîcque in una patina
pyramidali figura coUocata. Rex semel tantum potum poscebat qui ipsi
in pbiola crystallina cum alia phiola aqua repleta et poculo in orbe aureo
offerebatur. ipse infudit et miscuit aqua quantum placuit ac reddidit
phiolas cum orbe et poculo, sed comedit multo liberalius ac summo cum
appetitu, offam ^^) prœsertim qua? j^rimo loco apponebatur qua digiti
etiam opéra cochleare implevit. Durante prandio filius Régis Mr. le
Dauphin ^*) accedit et salutato Rege ac Regina quœ ipsum osculabatur
locum occupât inter Regem et Régis fratrem, mensse scilicet angulum.
Hic substitit continuo Regem respiciens nec vocem promens ullam nec
risu uti reliqui se delectans. Princeps est flavis crinibus, parvulus adliuc,
colore subpallido, forma alias satis egregia. His peractis consurgitur et
Rex ad sua, nos ad nostra retulimus. Prandium per sesquihoriura duravit.
II. Reise nach Eng-land.
1669, Eo die 20. lunii hora septima vesperi navem conscendimus ovp O^etîj
lunii, ordinariam, le paquetbot dictam, accepto prius a Gubernatore conductu,
Caletum. qi monstratis sarcinis, pecunia etiam Gallica cum Anglica commutata in
hospitio. Ventus nobis minime favebat, et fere contrarius erat, unde
factum est ut cum vix per semihoram a portu abivissemus, nausea me
ceperit ingens et dolor capitis qui vertigini mihi videbatur simillimus.
Navis valde circumagebatur nunc in hanc nunc in illam partem. fluctibus
etiam interdum ex parte operieljatur, ut nobis videl)atur non sine discri-
mine, perventum tandem bono cum deo ad oppidum Dym ') hora 5 ma-
tutina, Doveram enim intrare non permisit venti vehementia. Hic anchora
jacta ac nos ab Anglicis nantis ad terram niinoril)us navibus delati sumus.
Hic duo solidi -) cum dimidio erant solvendi, cum totum mare pro quinque
solidis trajecissemus. Ita a pluvia madidi et a mari defatigati in hospitium
nos conferimus. Hic post corporis purgationem de emmena etiam nostra
purganda consilium inierant Angli; sane omnes illius loci oftïciarios credo
confiuxisse ut nomine regio a nobis tamquam a linguie morumque Angli-
corura iraperitis aliquid nummorum exprimèrent; nec profuit Angli
cujusdara nobilis, ut ajebat, consortium, cujus impensas quas nobiscum
fecit sine dubio vel inviti et nescientes solvimus. Quisquis ille sit nebulo
prohibere nunquam volait ne pro inspiciendis sarcinis, pro appulsu, pro
capite, pro conductu, pro jentaculo etiam et posta solveremus quju minime
erant solvenda, uti postea comperimus. Hinc per postam optimis equis
sed sellis parvis et minus commodis, ubi cavendum ne quis decideret •^),
Canterbury. Cantuariam itum 20 millibus Anglicis.
— 83 —
Hic per sequentem diem Dominicain subsistendum duximus,
scilicet alii e consortio Londinum petebant, ubi et eadem die appulerunt.
Nos urbem nostram lustravimus, ternplum imprimis egregium et structura
superbum. Prœbendarii bic magnis fruuntur reditibus, inter quos Dominus
Casaubonus *) quem sahitare animus erat, sed adversa utebatur valetu-
dine, et Dominus Molinaeus. ■'') Dominum Stockarum Scafusianum ^) illius
loci ministrum cum salutassemus, ad cienam is nos invitavit et humanis-
sime excepit. Ibidem erat juvenis quidam Polonus nomine Moreschi
medicus, Gallicae et Anglicie linguœ peritus et Chymiae imprimis stu-
diosus.
24. lunii 3. ') solutis sex solidis per St. Ambour, ^) ubi pransum,
et Rocbester itum Gravesendam. Hic conducta navi pro 6 solidis Lon- Londinum.
dinum properavimus quo et post solis occasum avv -d-ecf) appulimus. In
primo bospitio erat devertendum at tbe king of Spbania. ^) Hinc postero
mane navi superato ponte quœsitum ivimus cubiculum apud pictorem
quendam Hollandum nomine Hugb over against Jorckbous in Cburchlane, ^°)
cui Dominus Stockarus nos commendavit. Invenimus bic Dominum
Hemman Bernensem. ^^) Hic nos spatiatum duxit in aream quandam
Lincolningsfietb/-) ubi quotidie sub vesperam luctautur juvenes. Vidiraus
bine Ternplum 8. Pauli incendio omnino dirutum, ut vix quicquam nisi Pauls-
locus de tam magnifico et superbo olim restet œdificio. Reparare illud in- ehureh.
cipiunt, sed mirum quam segniter et lente. ^^) Adeo nemo divina curat
quolibet suis rebus ac œdibus reficiendis intento.
27. •^. Inspeximus arcem Tower ad Tamesim sitam cuius aqua Tower,
circumdatur. Sub porta gladios deponere moris est, nos tamen retinui-
mus. '^) Portœ custode nos ducente de loco in locum vidimus :
1. Xystum sclopetis ^^) et lanceis omnino refertum inter quse sclope-
tum Régi um.
2. Tormenta majora quorum qua?dam tribus aut quatuor vicibus
possunt explodi, totidem foraminibus instructa. ^^)
3. Catapbractariorum indumenta '^) ubi et Reges aliquot catapbractis
induti catapbractariis equis insidentes.
4. Monstrantur arma quandam Hispanorum quibus in magna illa
expeditione navali utebantur, inter alia clypei in quorum medio sclopeta,
item bipennes sclopetis instructa^, ^^) ac omnis generis spicula.
5. Tbesaurus inter cancellos ligneos monstratur, nos exterius
vidimus:
1. Turrem argenteam 3000 tt Sterlin aestimatam;
2. Sceptrum Regium ubi plurimae gemma% cum imposita avicula;
3. Sceptrum régis Rogiers ''•') in quo ametliystus 20000« StiM-liii:
— 84 —
4. Corona regalis variis gemmis clistincta eisque pretiosissimis ; in
apice unam habet magnitiidinis admirandœ ac pretii inaestiraabilis. Forma
coronae hsec est, intus holoserica calotta, -") iit facilius ges-
tari possit, instructa. Hie et argentum aurumve cuditur quod
videri potest. -^) Cœterum singulis conclavibus singuli sunt
priefecti qui omnes separatira remunerandi duobus vel 3
denariis. pro iiomine thesaurario solo sex sunt constituti.
Soluto arcis custodi qui nos erat coinitatus de loco in locum pretio arce-
que exeuntes bominem offendimus qui feras Regias, Leones scilicet ali-
quot, inter quos Carolus I. et II. egregiae sane formte ac magnitudinis
terrificse, cum aliis Leonibus et Tigribus monstravit pro duobus nimirum
denariis. Hie et Leo cum cane inclusus videtur. --)
West- Hinc itum in Westmünster navi, ubi Regum ac plurimorum Anglise
münster. Magnatum sepulcra quorum splendore quœdam Gallicis à St. Denys non
cedunt,
Scalis ascensis scriniis inclusi monstrantur aliquot reges vestiti ea
forma qua erant iu vivis, in alio scrinio Jacobus cum duobus uxoribus. ^■^)
In apice porticus Monasteriensis (Westmünster Hof) palo infixum videtur
Cromvelli caput aliorumque illius adbœrentium, uti et supra pontem. ^"')
In templo Westmonasteriensi etiam est sedes Parlamenti, -'") conclave
minime splendidum, in cujus summitate sella Régis holoserico rubro prse-
texta, ab utroque latere duo alise sellée, infra tbronum longi sunt sacci
rubri lana repleti atque hinc scamni ; ^®) locus sane talibus congrega-
tionibus minime conveniens, adeo ut miratu digna res sit illum peregrinis
monstrari. Huic contiguum est aliud conclave obscurius adhuc ubi corona
quîedam ex auricalco -'') qua dicunt Duces creari. Hac capitibus imposita
datoque munere domum redivimus.
Saeellum 20. lunii. ^^) O Sacellura Regium intravimus ubi multis cœrimoniis
Regium. litaniam canere ac concionari audivimus. E,ex in sublimi loco conspicie-
batur cum fratre. -^)
Prandium Hoc bihorii spatio finito ad prandium Regium properavimus. Locus
Régis, hominum omnium etiam infimœ condicionis adeo erat repletus, ut se in-
vicem fere suö'ocarent. Mensa regia cancellis ligneis inclusa est quos sine
indultu transire nemini permissum est. Singulis ferculis quidam cum
sceptre argenteo prsecedebat in cujus apice corona. Instructa mensa Rex
accedit solusque mensae accubuit; illi servitia omnia flexis genubus pra;s-
tabantur. Durante prandio concentus omnis generis instrumentorum mu-
sicorum audiebatur; nobis tarnen prandii tinem expectare impossibile erat
ob effrenam praesentis turbte licentiam.^") Ergo per totum palatiura atque
omnia fere conclavia Regia (qua^ Gallicis non comparanda splendore nti
Withall. et ipsa domus WithalP') quamvis aniplitudine ac œdificii commoditate
superet Regiam Galliie) ambulatum ivimus in campum Regium e regione
^arc. domus Regiœ (iile Parc dicitur).
— 85 ~
Hic magnus damarum grex ut et volatilium omnis generis. Locus
est Régis deanibulationibus destinatus qui et a csena s&epius hue sestivo
tempore tendit ambulatum; scilicet eum ipse aliquoties vidi, ac semel
quidem cum fratre suo Duce Eboracensi, qui tecto semper erat capite,
et legato Gallico Mr. Colbert. ^^) Quo tempore et très fœminse très por-
tantes infantulos nuper ex eodem utero in lumen prognatos flexis genubus
a Rege petebant munus pro puerpera. In campo hoc (Parc) portica'")
erecta, telescopiis appendendis apta, quale et eadem vespera erat appensum,
quinquaginta pedes longum, per quod lunam ejusque eminentias optime
Oobservabant ingeniosissimi illi Regite societatis philosophi ^*), Satur-
num etiam quem duas habere prominentias repererunt sibi oppositas.'')
22. c? Tendimus in locum qui Bärengraben dicitur ■^^) trans Tame- Bâren-
sim. Hic canes Anglici cum Leone tribusque ursis ac duobus Tauris garten,
feris committuntur, uno scihcet postalterum. Dignum visu est quo animo
canes isti féroces bestias fortissimas aggrediantur. In fine et catastrophes
loco mulus immittitur cui insidet simia. Ilhim canis quoquoversum agit,
ideoque misera simia casum metuens quam tenacissime mulo inhseret
risusque materiam exhibet astantibus.
23. ç. Trajecta supra Lambet"^) (sic Archiepiscopi Cantuarii domus
vocatur) Tamesi visum ivimus ytei^iny/.ia^^) cuisdam Tusci nomine. In via
aniœnissimum est œnopolium, the Springegarten. ^^) Illa quamvis a fœmina
suo nobisque incognito idiomate cuncta explicante monstrata sunt omnis
generis naviculae, exotica vestimenta, pisces, tela, aves, caseus, lignumque
putrefactum, Henrici VIII. scipio atque alia ejus generis. Hic solvendus
solidus pro persona quod nobis plane videbatur insolidum.
24. Fallendi temporis calorisque causa lavatum abivimus in Tamesi.
25. Vidimus Bibliothecam Westmonasteriensem manuscriptis aliquot
et impressis ante plures aunos libris instructam.
28. Per rhedam ordinariam itur Oxonium per vicum Oxbridg, ^*')
ubi haustum vini sumpsimus, Beconfielth *^) ubi pernoctatum, Ricotte*-)
ubi postero die pransum est.
Oxonii divertimus ad Angelum, nosque postea ad mensam Domini oxonium.
M. Heyde ^^) protobibliothecarii contulimus, cum Domino Axen Holsato **)
viro humanissimo pariter ac doctissimo qui nol)iscum venerat Londino.
(Hic notas meditatur in Phaîdri fabulas qua s propediem in lucem dabit
necnon tractatum de Assassinio.)
Habitabat Dominus Hayd prope fedem S. Mariœ*^) a qua non
multum abest Collegium Publicum in quo exercitia publica habentur. *^)
Ibidem etiam est Bibliotheca illa Oxoniensis, toto orbe celeberimn, Biblio-
cui adjuncta Seldoniana. '^) hic nomina uostra dedimus ut liber semper theea.
pateret aditus pro quo octo solidi erant solvendi. Hic Dominus Heyde
moustravit libros quosdam rariores ut:
— 86 —
Missale cum picturis quo utebatur Maria Regina. Proverbes de
Salomon escrits de la main d'une Ester Anglaise en plus de soixante
caractère admirablement. **) Eraanuelis Oïlr; %a(.ißoi 7teQl '^vwtv cum pic-
turis animalium.") Officia Ciceronis in pergameno 4*^ impressa A" 1645
a Faustio per puerum suum. ^'^) Hieroglyphica Mexicana, parvse deformes
imagines in cartaceo pictse.
Acta Apostolorum Grasce Antiquissima.
Habetur prœterea in hac bibliotbeca immensus numerus Manuscrip-
torum omnis generis ex Bibliotbecis Bodleiana, Seldeniana, Barocciana, ^')
et aliis.
In conclavi quodara ibidem ostenduntur sella ex reliquiis Navis
celebris Draconis ■^-) composita. corona Indica, tela,cocbleae, opticaquiedam,
et tabellœ acu pictse ab Angla passionem Christi inferentes.
In xysto longo armario inclusa monstrantur omnis generis numismata
vetera et recentia, cum aliis y.eiur/.ioi^ ut ense Henrici YIII. etc.
In scbola Medica seu tbeatro anatomico sceleta sunt, calculi,^'^) et
Dn. Wallis, animalia quœdam. Ex j^rofessoribus ibi salutavimus Dominum Wallis
Dn. Poeok. celebrem mathematicum^^^) et Dominum Pocok^*'') qui nos humanissime
excepit, et Manu scripta qusedam Arabica quorum non contemnendam habet
copiam exhibuit, inter quîB Scherif Aledrici Geographia cum cartis Geo-
graphicis pictis, cujus compeudium edidit Sionita.^^) Novum testamentum
Syriacum minutissimo caractère. ^^) Pentateuchum Samaritanum. ^^) Eu-
clides Arabice cum figuris. '''^) Abuulid Aben Jona Lexicon Hebrœo-Ara-
bicum. ^^) Abulfedœ Historiarum 2 tom. in 4*^.^**) Maimonidis quœdam
pulcerrime scripta. ^')
Monstravit inter alia modum scribendi Syrorum, nimirum non uti
nos versolibro ab summo in imum, buccinam Hebra^orum ex cornu arietis,
spithamœ^-) longitudine. Flagellum Judœorum ex corio bovino,
bovino superinducto et asinina ligula compacto. de siclis *'^) He-
brœorum cum sermo incidisset. illos suppositi[ci]os et novos se credere
asseruit addcns historiam de Domino Roo*") legato Régis Anglici apud
Turcas. cui cum quidam Judœus nummum aureum Alexandri Magni offerret
emendum insauo i)retio, Judœus alius notus Legato rogavit ut Legatus
illum nummum per aliquot dies domi possit retinere, quo impetrato ipse
nummum aliura finxit hune adeo in omnibus exprimentem ut dignosci a
se invicem neuter potuerit. Judœo dein nummum repetenti recentem hune
restituit, qui nihil doli suspicatus illum pro suo domum retulit ac seniijer
habuit. Paratas habet celeberrimus Dominus Poeok sex Proverbiorum
Arabicorum Xiliadas cum explicationibus Latinis et Arabicis. '^^)
Dn. Cleri- Dominus Samuel Clericus '"•'') Architypographus Oxoniensis et facul-
cus. tsiüs Juridicai Pedellus vir in linguis Orientalibus optime versatus multis
nos nominibus devinxit. inter alia nos ad Vicecancellarium Dominum FelP^)
— 87 —
deduxit, (jui humanissime nos excepit, et qusedam de Canonibus Conci-
liorum quos nunc de novo prelo coramisere Oxonienses, et quorum quidam
etiam Basileœ extant, rogavit. ^^)
Dominus Heyde hospes noster humanus edidit Ulug beg de longi-Dn. Heyde.
tudine et latitudine stellarum fixarum Persice Latine. ^^)
Idem tamquam Protobibliotliecarius confecit indicem bibliothecœ
Oxoniensis.^'') scripsit et librum de ludo Schacchorum nondumimpressum.^^)
edidit Hapbiz Poetœ canticum Persico-Latinum cum commentario Tur-
cico, ^-) et Historiam Timuri Arabice et Persice cum versione Latina
duplici, nondum perfecit. ^'^
Collegia hie sunt 17 cum aliis quinque quœ Hall vocantur. ^*) ex Collegia.
Collegiis maximum et primum est Collegium Aedis Christi cujus aula
nostro tempore saliente fonte ornabatur, bibliothecara habet satis elegan-
tem. ^^) Atque hœc Collegia magnifiée ut plurimum extructa valde ornant
civitatem.
Interea 9. lulii Comitia Oxoniensia inchoabantur quse primo illius
mensis pro mora fieri non poterant. ''^) frequentissima fuerunt ob Theatri
novi dedicationem, quod certe sedifieium est magnificum a Scheldeno
Arehiepiscopo Cantuario et Academiœ Cancellario ") extructum magnis
impensis, fertur non ultra sedeeim millia librarum Auglicarum illos
exeurrere, ex una parte Collegio Publice, ex aliis muro circumdatum est,
elegantissimis marmoribus Arundelianis ab Howarlo Arundelii tilio dona-
tis '^) et quibusdam ab ipso etiam Scheldeno, tarn Grtecis quam
Latinis conspicuo. Theatrum ipsum hac forma videtur intus-
que nobilium, Doctorum, fœminarum, sociorum etc. sedes sunt
separates. Peristylia habet duo totum theatrum ambientia.
9. lui. Ç mane ab Oratore Academia? Domino South '^'-) oratio ha-
bita egregia, qua theatrum dedicavit, a meridie Orationes et carmiua a
Junioribus, qui scilicet Magistri et Baccalaurei creabantur, recitabantur.
10. ji Novi creati Doctores et Magistri in Ecclesia S. Mari» ibant
obhitum super altare flexis quidam genubus, alii curvato corpore, a
meridie disputationes Philosophie« habebantur in theatro post quas priraus
terrae filius**') in Doctores et Présidentes aliosque invehebatur aeutissime.
eodem die etiam lectiones Theologica? habebantur. Angli tales actus miro
excipiunt applausu, tussi scilicet, grunnitu, uluhitu, vel pulsu aut alio
signo prout cuique placuerit. *-) in disputationibus assumunt tantum et ne-
gant, respondent fere nihil.
12. ^\ mane in Auditorio Musico Musica habita et poemata quœdam re-
citatasuntplœraqucinmuHeres, qute non sine sardonico risu excepta sunt. ^'^)
post meridiem frequentissimo actu cui ter mille plus minus homines iuter-
N'B. infra theatrum typographia erigitur. ""^j
— 88 —
Canta-
bpigia.
Hantin-
court.
fuerunt in novo theatro Doctores renuntiati sunt qui et disputationum
specimiua ibidem exhibuerunt. Doctor item Musices a Domino Wallisio
renunciatus Musicam exliibuit. Sed prius terres filius alter in Professores
ipsis prsesentibus summa cum libertate idque absque figuris et tropis
invehebatur adque ideo non eo applausu quo primus exceptus est. fuga
etiam sibi postea consulere coactus est, dum prior in carcerem conjicie-
batur. Dominus Fell Vicecancellarius Actum Oratione linivit, quo facto
in omnibus Collegiis potioni indulsum est per totam fere noctem.
13. (j- et sequente amicis valediximus et postea
15. G[| vise nos dedimus cum Domino Hardero, ^*) equos conduximus
et virum cui .50 asses Anglici Cantabrigiam usque quivis solvimus. relicto
ergo Oxonio per oppidum Bucking[b]am 16 millibus inde dissitum ubi
pransimus, per oppidum Neuport 11 millibus, et Betford^^) ubi pernoc-
tavimus ad insigne Cigni, sequenti die peractis 20 millibus Cantabrigiam
ivimus pransum quo et circa horam 12. appulimus, tota hac via multis
ambagibus referta, et ideo inventu est difficillima. cœterum amœna fero-
citate frumenti et infinitis ovium gregibus quos totidem comitantur greges
corvorum adeo ut ssepius ad centum eorum simul conspexerimus.
Cantabrigise quœ adeo frequentata uti Oxonium, adeo ut quibusdam
in plateis ne muscum quidem offendas, inspeximus Sacellum ßegium, ^'^)
splendidum sanc et magnificum, altitudine etiam conspicuum, Bibliothecam
publicam quse Oxoniensi minime comparanda. ^^) Manuscripta tarnen babet
Hebraea, Latina, Grseca, Arabica, Malabaica in foliis fuco expressis.
In collegio Benedictino ^^) varia babent Manuscripta ut Homerum
cum Glossis, Psalterium Georgii Papae etc. ^^}.
In Collegio S. Johannis Manuscripta Arabica et picturœ,^*^) Palatium
item Florentinum in lapide de pièces rapportées.
Collegium Trinitatis quod maximum est in medio areœ fontera babet
egregium. ^^)
Hysteron est proteron praepostera causa loquendi.
Exempli causa Cambrigia- Oxonium.
Quamvis de primatu semper contendant. ®-)
20. cf. In rheda ordinaria per Warr^^) 25 millibus ubi pransimus
et rbedam mutavimus, per Edmonton^*) deinde pagum, cujus cerevisia
in pretio apud Anglos, Londinum redivimus.
25. lui. O. Reginam^") ad missam rheda euntem vidimus.
27. cf. Conducta navicula itum in Hantincourt, '■*'*) praecipuum Regis
suburbanum, est ea domus tota latericia nisi in angulis, ^') hie in interiore
area fontem videbis ex marmore totum statuis eximium. '•*^) In Conclavibus
visu digna sunt:
1. Pictum cete^") quod Grenvici ^"") ante 12 annos captum, 22 yard
(Anglicum est ulnœ genus) longum.
— 89 —
2. Tabulas qusedam ab Andrea Montagno Italo pictse "") quarum
pro quavis a Cardinale Mazariuo 1000 ÏÏ Anglici Cromvellio oblata.
3. Tabula? Geograpbicfe viri altitudine, in librum compact», egre-
gium opus.
4. In armario Passio Christi matre perlaruin expressa videtur.
5. Lectus pretiosissimus mille libris œstimatus, nuper ab Hollandis
Régi dono datus cum raappa etc., vélum habet holosericum rubrum auro
argentoque bene elaborato fere obductum. "'^)
6. Galeria seu xystus cornuum, omnis generis cornubus quœ ullibi
reperiuntur referta, '*'^) in imo maximum cornu cervi dcpictum est cum
hac inscriptione : Le vray portrait d'une corne de cerf dans le chasteau
d'Ambise en France lequel a 12 pieds de hauteur et neuf de largeur
et 572 pieds d'espace entre les deux branches.
Cseterum plurimi hic et egregii tapetes, illi prœsertim qui parieti-
bus non affixi sed in caméra nobis monstrabantur asservati qui auro
argentoque nitent, adeo ut Principem Hetruriœ '"'*) qui nuper adeo hic
fuit, asseruisse ferunt similes se tapetes per vitam non vidisse. ^^^)
Hinc quia nobis falso relatum est Winsorum 30 inde leucis abesse, ^*'^)
domum redivimus in eadem navi. (Hier bricht das Diarium ab.)
Anmerkungren zu 1.
1. Hardouin de Beaiunont de Péréfixe, lßU5 — 1670. Erzieher Ludwigs XIV., später
sein Beichtvater, seit 1662 Erzbischof von Paris und Provisor der Sorbonne,
Verf. der Institiitio principis (Paris 16i7) und der Vie de Henri ] V. (Paris 1661)
Biogr. Univ. t. 32.
2. Pierre Ségiiier, 1588 — 1672, seit 1635 königlicher Kanzler, Mitbegründer und
Protektor der französischen Akademie. B. U. 38.
3. Eugène Morice de Savoie, comte de Soissons, 1638-1673, verheiratet mit Olympia
Mancini, der Nichte des Kardinals Mazarin, Oberstleutnant der Schweizer und
Grisonen, seit 1672 Generalleutnant, fand seinen Tod in der Armee Turennes in
Westfalen. B. U. .39.
4. Philippe de France, Duc d'Orléans, Bruder Ludwigs XIV., 1640 — 1701, in 1. Ehe
verheiratet mit Henriette Anna, Schwester Karls II. Stuart, in 2. Ehe mit Charlotte
EUsabeth von Bayern. B. U. 31.
5. Louis de Lon-aine, comte d'Armagnac, de Charny et de Brionne, vicomte de
Marsan, 1641 — 1718. grand écuyer de France, sénéchal de Bourgogne et gouverneur
d'Anjou. Généalogie et Chronologie de la Maison Royale de France, Paris 1753.
t. VIII. 509.
6. Michel Letellier, 1603—1685, Staatssekretär im Kriegsdepartement, Vorgänger
seines Sohnes, des Marquis de Louvois. B. U. 24.
7. Jean Baptiste Colbert, 1619 — 1685, Staatssekretär und Finanzminister Ludwigs XIV,
B. U. 8.
8. scopetarius : carabinier. Scopetum (auch sclopetum) = frz. escopette : carabine
qu'on portait en bandoulière, Stutzbüchse.
9. Maria Theresia, 1638-1683, Tochter Philipps IV. von Spanien. B. U. 26.
10. Anne-Marie-Louise d'Orléans, Herzogin von Montpensier, 1627—1693, Tochter
Gastons von Orléans, die Geliebte des Grafen von Lauzun. B. U. 29.
11. Louis de Béthune, comte de Charrost, Chevalier des Ordres du Roy et Gouverneur
pour sa Majesté de la ville de Calais etc., wird als einer der vier Capitaines des
Gardes du Corps genannt in L'Estat de la France, i)ar N. Besongne, Paris 1663.
p. 124/5.
12. Osterfastenspeisen.
13. Mehlklösse.
14. Louis, „le Grand Dauphin'-, 1661-1711, der unbegabte Zögling des Herzogs von
Montausier und des Bischofs Bossuet. Für ihn schrieb B. seinen Discours sur
l'histoire universelle ; für ihn wurden die schönen lateinischen Klassikerausgaben
ad usum Delphini gemacht. B. U. 25.
Anmerkung-en zu II.
1. Vermutlich Dymchurch, westlich von Dover. 1" östlich Greenwich; vielleicht auch
Deal, östUch von Dover. Faeschs Schreibung von englischen Eigennamen ist
sehr unzuverlässig.
2. Bolidus - Schilling, deuarius ~ Peuny, as - Halfpenny.
— 91 —
3. Kiechel pg. 32 erzählt von der gleichen Strecke im Jahr 1585: Wür rütten düe
post, als süe do im landt zu gehn pflegt, haben gahr deine, nüdertrechtige aber
sehr gute pfertlin miit geringen hölzernen settel, wölche müt thuch yberzogen,
hünden gahr nüder, das einer am reytten leüchtlich yberaus schleifi't.
4. Meric Casaubon. 1599 — 1671, Sohn des Isaak Casaubon von Genf, studierte zu
Eton und Oxford, war Inhaber mehrerer Pfründen, 1644 vom Parlament derselben
entsetzt, nach der Restauration wieder eingesetzt. Selbst fruchtbarer Schriftsteller
und Bewahrer der Werke seines Vaters (1850 von der Clarendon Press Oxford
herausgegeben) Dictionary of National Biography, IX.
5. Peter du Moulin, 1601 — 1684-, geb. zu Paris, Pfarrer von Adisham in Kent, ano-
nymer Verfasser der roj'alistischen Schmähschrift Regii sanguinis clamor; seit
1660 Kaplan Karls II. und Pi'äbendar von Canterbury. D. X. B. XXXIX.
6. Hans Stockar (von einer Seitenlinie des Schaffhauser Geschlechts, dem der Ge-
sandte der evangelischen eidgenössischen Stände an das englische Parlament und
an den Herzog von Savoyen, Hans Jakob Stockar, 1615 — 1681. angehörte), Enkel
Heinrich Stockars. Hauptmanns in Iranzösischen Diensten und Stadtbaumeisters
von Schaffhausen, wurde geboren 1633 als dritter Sohn Hans Stockars, 1649
Pfarrer zu Beggingen im Kanton Schatfhausen, später (durch Vermittelung seines
vornehmen Vetters?) Prediger in Canterbury, starb 1709. Seine Söhne Johann
Martin und Heinrich Hessen sich in London nieder. Leu, Schweiz. Lexikon.
7. Erklärung der Planetenzeichen: O Sonntag, ^ Montag, ^f Dienstag, Ç Mittwoch
%. Donnerstag, O Freitag, \i Sonnabend.
8. St. Ambour wahrscheinlich entstanden aus flüchtig notiertem Sittingbourne (Sittiu-
bourn), der Ortschaft, wo im 16. und 17. Jahrhundert die Post zwischen Canter-
bury und Gravesend für die Mittags- oder Abendmahlzeit anhielt. Vergl. S.
Kiechel, pag. 22. Evelyn, Diary, 27. V"I. 1650.
9. King of Spain.
10. York House, früher dem Herzog von Buckingham gehörig (cf. Evelyn, 27. XI. 1655),
von Pepys als Absteigequartier fremder Gesandten erwähnt (30. XII. 1660. 6. VI.
1663), lag am Strand in der Gegend von Villiers und Buckingham Street. Das
Haus des holländischen Malers Hugo? stand also wohl am östlichen Ende der
Gasse, die St. Martin's Place mit dem Strand verbindet.
11. Dürfte identisch sein mit Daniel Hemman, Sohn des Bäckers im Grossen Spital
zu Bern, getauft 12. September 1642, seit 1659 auf der obern Schule zu Bern^
wurde als Stipendiat auf fremde Universitäten geschickt; 1671 Schulmeister in
Zofingen, 1672 Pfarrer zu Reinach, 1677 entsetzt, 1680 Pfarrer in Murten, 1696
in Thurneu. gestorben 1715. Mitteilung des Staatsarchivars Dr. H. Türler.
12. Lincoln's Inn Fields, südlich von High Holborn, heute einer der grössten Squares
in London, von Inigo Jones angelegt, im 16. und 17. .Jahrhundert ein elegantes
Quartier mit obstreichen Gärten und Promenaden. Vgl. F. F. Ordish, Shake-
speare's London, 1897, pag. 107 — 110.
13. Die Ruinen der durch den grossen Brand im September 1666 zerstörten St. Pauls-
kathedrale wurden erst im Jahre 1668 weggeräumt. Samuel Pepys bewunderte
die Schnelligkeit, mit der der Turm abgebrochen wurde. Die neue Kirche hoffte
er im Jahre 1669 ersteben zu sehen. Vgl. Pepys Diary 26. VUI. und 14. IX-
1668. In Wirklichkeit wurde der Neubau nach den Plänen von Sir Christopher
Wreu erst 1675 begtmuen und 1710 vollendet.
14. Dieselbe Vorschrift erwähnt Paul Hcntzner , Itinerarium pag. 130 (Ausgabe
Breslau 1617), S. Pepys Diary 30. X. 1662.
15. Vgl. Anmerkung II. 8.
— 92 —
16. Paul Hentzner sah 1598 tormenta duo ex quorum altero très, ex altero septem globi
possunt explodi. Itinerarium, pag. 130.
17. Schuppenpanzer, Rüstungen.
18. Hentzner spricht von hastae ex quibus ejaulari potest ; Clj'jjei ex quibus quater jaculatur.
19. Ein Scepter des Königs Roger finde ich nirgends sonst erwähnt. Ofifenbar ein
Missverständnis des Verfassers.
20. Ganzseidene Kappe.
21. Besuche in der Münze im Tower beschreibt S. Pepys 9. III. und 19. V. 1663.
Die heutige Royal Mint, 1811 erbaut, 1882 umgebaut, steht östlich vom Tower.
22. Die Löwen erwähnt auch Pepys als Kuriosität 3. V. 1662. 30. IV. 1663.
P. Hentzner sah neben drei Löwinnen und einem Löwen, namens Eduard Vi.,
noch eine Menge wilder und zahmer Tiere; Itiii. pag. 131. Die Löwen wurden
1834 nach dem Zoologischen Garten in Regent's Park gebracht.
23. Missverständnis des Verfassers, da König Jakob I. nur einmal, mit Anna von
Dänemark (1589 — 1619), verheiratet w-ar.
24. Cromwells Leichnam wurde nach einem Parlamentsbeschluss vom 4. Dezember 1660
am 26. Januar 1661 in AVestminster Abbey ausgegraben, am 30. Januar zu Tyburn
an den Galgen gehängt, der Körper darunter begraben, der Kopf auf eine Stange
über Westminster Hall gesteckt. Dieselbe Strafe wurde vollzogen an Bradshaw,
dem Präsidenten des Gerichtshofs, der Karl I. zum Tode verurteilt hatte, und
an Ireton, dem republikanischen General imd Schwiegersohn Cromwells. D. N. B.
XIII. Schon im Oktober 1660 waren andere Königsmörder hingerichtet und ihre
Köpfe über Westminster Hall und London Bridge aufgepflanzt worden. Evelyn
nennt Axtall, Carew, Clements, Hacker, Harrison, Peters (14. X. 1660), Scot,
Scroope, Cook, Jones (17. X. 1660). Vgl. Pepys 21. X. 1660: George Vine
carried me up to the top of his turret, wehere there is Cook's head set up for a
traitor, and Han'isou's set up on the other side of Westminster Hall. Here I could
see them plainly, as also a very fair prospect about London. 19. April 1662 wurden
Harkstead, Okey und Corbet, fernere Richter des Königs, gehängt und gevierteilt.
Vgl. Pepys .30. XI. 1661, 22. I. 12. lU. 17. 111. und 19. IV. 1662. Zur
Rache an den Leichen Cromwells, Bradshaws und Iretons bemerkt der fromme
Evelyn: This day (0 the stupendous and inscrutable judgments of God!) were the
carcasses of those arch rebells Cromwell, Bradshaw the Judge who condemned
his Majestie, and Ireton, son-in-law to the L'surper, dragg'd out of their süperb
tombs in Westminster among the Kings, to Tyburne, and hang'd on the gallows
there from 9 in the morning tili 6 at night, and then buried under that fatal and
ignominious monument in a deepe pitt; thousands of people who had seene them
in all their pride being spectators. Look back at Nov. 22. 1658 (Cromwells könig-
liche Bestattung) and be astonish'd! and feare God and honor the King; but
meddle not with them who are given to change! (30. I. 1661).
25. Unrichtige Angabe. F. vermischt Westminster Hall mit Westminster Abbey.
Eine Verlegung des Parlaments vom ersten ins zweite Gebäude hat meines Wissens
nie stattgefunden,
26. Richtig scamna, Bänke.
27. auricalcum = orichalcum, Messing.
28. Dass der Autor vom 27. Juni auf den 20. Juni zurückfällt, hat seinen Grund
darin, dass er zunächst noch, bis zum Ende des französisch-gregorianischen Monats,
die gewohnte Datierung fortsetzte, dann aber sich dem englisch-julianischen
Kalender aupasste, der um 10 Tage im Rückstand war, und also statt des .30. Juni
(eines Mittwochs) den 20. Juni schrieb.
— 93 —
29. Zum Grottesdienst in der königlicben Kapelle in Whitehall vgl. Pepys, 39. VII.
1660. With my Lord (Sandwich) to Whitehall Chapel, where heard a cold sermon
of the Bishop of Salisbury's, Duppa's; and the cérémonies did not please me, they
do so overdo them. — Rex : Karl IF. Stuart, frater: Jakob, Herzog von York,
nachher König Jakob II.
HO. Zu diesem Tadel über die skandalöse Unordnung in der Umgebung des unwürdigen
Monarchen stimmt genau, was Evelyn zum Empfang des marokkanischen Ge-
sandten am 11. Januar 16S2 notierte: Das Gedränge und der Lärm der Zuschauer
(im Audienzsaal) war nicht auszuhalten, so dass die Hofbeamten keine Ordnung
halten konnten. Darüber waren diese Fremden zuerst erstaunt; denn bei allen
öffentlichen Anlässen in ihrem Lande, und überhaupt in allen türkischen Landen,
wird alles genau nach Herkommen und Regel und unter vollständigem Still-
schweigen vollzogen.
31. Whitehall, heute der Sitz der Ministerialgebäude, dahinter der St. James's Park.
32. Charles Colbert, Marquis de Croissy, Bruder des Ministers Jean Baptiste Colbert,
hatte schon im September 1668 (vgl. Evelyn IL 19, IX. 1668) durch einen für
England vorteilhaften Handelsvertrag den König und seine Berater (das Cabal Mini-
sterium ) der am 23. Januar 1668 mit Holland und Schweden geschlossenen Trippel-
allianz zuwider an Frankreichs Interesse gefesselt. Durch seine Mission im Jahre 1669
gewann Colbert den König zu einem Angridskrieg gegen Holland 1. durch das
Versprechen jährlicher Subsidien von ^ 120,000 und ^ 80,000 Entschädigung im
Falle von Unruhen in England, 2. durch die Aussicht, dass in einem künftigen Krieg
gegen Spanien England Minorca, Ostende und Südamerika erhalten sollte. Als Gegen-
leistung sollte die englische Regierung 50 Schiffe und 6000 Soldaten stellen und
die Restauration der katholischen Kirche durchführen. Die endgiltigen Verein-
barungen des berüchtigten Vertrags von Dover (20. Mai 1670) vermittelte die
Herzogin von Orléans, Karls IL Schwester. (D. N. ß. Charles II. i
33. Schutzdach.
34. The Royal Society (of London for Improving Natural Knowledge) inoffiziell seit
1645, offiziell seit 1660 bestehend, versammelte sich im Gebäude des Gres-
ham College , nach dem grossem Brande 1666 in Arundel House , der
Residenz des Herzogs von Norfolk, welcher der Gesellschaft durch Evelyns Ver-
mittelung seine reiche Bibliothek schenkte (vgl. Evelyns Diary 29. VIII. 1678).
Encycl. Brit.
35. Für astronomische Beobachtungen zu schwärmen war durch Karl II. Mode
geworden. Vgl. Evelyn , 3. V. 1661. This evening I was with my Lord
Brouncker, Sir Robert Murray, Sir Pa. Neill, Monsieur Zulichem, and Mr. Bull
(all of them of our Society and excellent mathematicians), to shew his Majestie,
who was présent, Saturn's annulus as some thought, but as Zulichem affirm'd,
with his Ballens (as that learned gentleman had publish'd) very neere eclips'd by
the Moon, neere the Mons Porphyritis; also Juppiter and Satellites, thro' his
Majesty's great télescope, drawing 35 foote ; on which were divers discourses.
14. V. 1661. His Majesty was pleas'd to discourse with me concerning several
particulars relating to our Society, and the planet Saturn, etc., as he sat at supper
in the withdrawing room to his bed Chamber. — Pepys hatte ein 12 Fuss langes
Teleskop auf seinem Dach aufgestellt. 19. VIII. 1(5(56: We did also at night see
Jupiter aud his girdle and satellites, very fine, with my twelve foot glass, but
could not see Saturn, he being very dark.
36. The Bear Garden, in Bankside am Südufer der Themse gelegen, dessen sechseckiger
Turin dem benachbarten Globe Theater ähnlich war, (vgl. Visschers Ansicht
— 94 —
von London von 16 Iß in Ordish's Shakespeare's London) zog durch seine rohen
Tierkämpfe im 16. und 17. Jahrhundert das unfeine und gelegentlich auch das
feine Londoner Pul)]ikum an und wird von jedem fremden Besucher beschrieben.
Evelyn 16. YI. 1670 nennt die Schauspiele im ßärengarteu butcherly sports, or
rather barbarous cruelties, und fügt bei: and I most heartily weaiy of the rude
and dirty pastime, which I had not seene, I think, in twenty years.
37. Lambeth Palace, am Südufer der Themse, bei Lambeth Bridge.
38. Kleinodien, Kuriositäten.
39. The Spring Gardens in Vauxhall, südlich von Lamlieth Palace, ein beliebter länd-
licher Vergnügungsort der eleganten Welt, von Cromwell geschlossen (Evelyn 10. V.
1654: : which tili now had been the usual rendezvous for the ladys and gallants at
this season), unter Karl IL wieder viel besucht. Pepys, 28. V. 1669: I by water
to Foxhall, and there walked in Spring Garden. A great deal of corapagny,
and the weather and garden pleasant; and it is very pleasant and cheap going
thither, for a man may go and spend what he will, or uothing, all is one. But to
hear the nigbtingale and other birds, and here fiddles, and there a harp, and
here a Jew's trump, and here laughiog, and there fiue people Walking, is mighty
divertising. Vgl. 29. V. 1664.
40. Uxbridge am Colne in Middlesex.
41. ßeaconsfield in Buckinghamshire.
42. Ricotte wahrscheinlich Verschreibung für Didcot. Rycote ist der Name eines
Gutes des Earl of Abingdon, 2 Meilen südwestlich von Tharae in Oxfordshire.
43. Thomas Hyde D. D. 1636—1703, Schüler des Arabisten Wheelock in Cambridge,
1658 Professor des Hebräischen am Queen 's College Oxford, 1665—1701 Ober-
bibliothekar der Bodleyan Library, 1666 Präbendar der Kathedrale von Salisbury,
1673 Archdeacon von Gloucester, seit 1691 Nachfolger Pococks als Professor des
Arabischen, 1691 Regius Professor of Hebrew und Canon of Christ Church; unter
Karl IL, Jakob IL, Wilhelm III. Dolmetscher für orientalische Sprachen.
D. N. B. XXVIII.
44. Peter Axen aus Husum in Holstein, 1635 — ^1707, Rechtsgelehrter und Humanist,
studierte in Helmstädt, Leipzig, Jena jura und art. hb., bereiste als Hofmeister
des Herzogs von Holstein und als Sekretär des Barons Friesen verschiedene
Länder, Hess sich 1670 als Advokat in Schleswig nieder. Übersetzer und Verfasser
verschiedener historischer, juristischer und philologischer Werke. Aus dem Italienischen
übersetzte er Phaedri fabulas Aesopicas cum notis, im Manuskript hinterliess er
Notas in IV libros fabularum Phaedri jiosteriores. Vgl. Deutsche Biographie und
Jöchers Gelehrtenlexikon.
45. St. Mary-the-Virgin in High Street, Universitätskirche.
46. Heute The Divinity School und The Old Schools genannt, l)is 1882 für die öfifent-
lichen Prüfungen benutzt, jetzt der Bodleyan Library eingeräumt.
47. Der älteste Bestandteil der öft'entlichen Bibliothek von Oxford, von Herzog
Humphrey von (iloucester 1411 gestiftet, war unter der Regierung Eduards VL
geplündert worden. Sir Thomas Bodley (1545—1613), Diplomat im Dienste
Elisabeths und Jakol)s I., legte durch grossartige Schenkungen den Grund zu der
neuen Bibliothek (eröffnet 8. November 1603). Aus dem Nachlass John Selden's
(1584 - 1654), des grossen Juristen, Orientalisten und Polyhistors, kamen zirka
8000 Bände in dieselbe Bibliothek, in den Besitz der Universität Oxford gelangten
seine griechischen Skulpturen und Inschriften. D. N. B. LI, 220.
48. DieselliC Kuriosität zeigte der Bibliothekar Barlow am 11. Juli 1654 Evelyn :
theu amungst the nicer curiosities, the Proverbs of Soloraon written in l'rench
— 95 —
by a lady, every chapter of a severall character or haud tlie most exquisite
imaginable. Die Dame war nach einer Note zu Evelyn ib. Esther Inglish, ver-
heiratet an ßartholomew Kello. Pfarrer von Willinghall Spain in Essex.
49. Tov rro(fojTctTov ^lÀr^ aiCy^oi lafißiy.ol TteQi ^iLojv lôionjTog |ed. Arsenius, Archbishop
of Monambasia] llaçà 2. Saßio), 'Evezlijai 1538. — Brit. Mus. Catal. Im Catal.
Impr. Libr. v. Hyde aufgeführt als Manuel Phile, Liber de animalium proprietatibus
versu Jambico, Gr. Lat. p. 210. — M. I. 11. Art. Seid. —
50. Ciceronis Officia et Paradoxa, 1465 (nicht 164:5!) von Fust in Mainz gedruckt,
Vgl. L. Hain, Repertor. bibliograph. 52o8. Proctor 38. — Im Catal. Impr.
Libr. aufgeführt als Ciceronis Ofdcia, Mog. 1465. Arch. B. 95.
51. Jakob Barozzi, Mathematiker in Venedig, erbte die Bibliothek seines Onkels Franz
Barozzi, die er durch zahh'eiche griechische Manuskripte bereicherte. Xach seinem
Tode wurde die Bibliothek von einem englischen Buchhändler für "William Herbei't,
.'5. Earl Pembroke (1580—1630), seit 1617 Kanzler der Universität Oxford, ange-
kauft und der grössere Teil der Bodleyan Library geschenkt. Den Rest kaufte
Cromwell aus Pembrokes Xachlass für dieselbe Bibliothek. D. N. B. XXVI.
Biogr. L^n. t. 3.
52. Das Schifi" des Sir Francis Drake, auf dem er 1577 — 1580 die Welt umsegelte,
lag bei Deptford in der Themse verankert und wurde in der Folgezeit allen
Besuchern Londons als Sehenswürdigkeit gezeigt. Vgl. Hentzner, pag. 134.
53. Das Schneiden der Nieren- und Gallensteine spielt in den Memoiren des 17. Jahr-
hunderts eine auffallend grosse Rolle. Pepys feierte jeden 26. März seine glück-
liche Steinoperation und ermunterte andere zum selben Wagnis. Vgl. Evelyn,
10. V. 1669. I went this evening to London, to carry Mr. Pepys to my brother
Richard, now exceedingly afflicted with the stone, who had been successfuUy eut,
and carried the stone as big as a tennis-ball, to shew him and encourage his
resolution to go thro' the opération.
51-'. John Wallis, 1616 — 1703, seit 1649 Savilian Professor der Geometrie in Oxford
und seit 1658 Universitätsarchivar, berühmter Kryplograph. D. N. B LIX.
54''. Edward Pocock, 1604—1691, Orientalist, sammelte als Kaplan der englischen
Kaufleute in Aleppo und der englischen Gesandtschaft in Konstantinopel wertvolle
^Manuskripte für die Bodleyan Library, war Inhaber der Pfarrpfründe von Childrey
in Berkshire, seit 1636 gelegentlich Lektor der arabischen Sprache in Oxford,
seit 1660 installiert als Professor der hebräischen Sprache im Christ Church College.
Seine Bibliothek wurde 1693 um ^ 600 für die Bodl. Lib. angekauft. D. X. B.
XLVI.
55. Geographia Nubiensis ex Arab. in Lat. per G. Sionitam et Joh. Hezrouitam, una
cum eorundem Traetatu de uonnullis Orieutalibus Urbibus et Incolis. Par. 1619.
40 n. 13. Art. Seid. (Catal. Impr. Libr. ed. Th. Hyde).
56. Beschrieben in ßibliothecae Bodleianae Codicum Manuscriptorum Catalogus a
Joanne Uri confectus, Oxonii 1737. Pars I. Cod. Syr. pag 5: Novura Testamentum
in octave XXII, datiert A. D. 1579. Titel: Quatuor Flumina Aquae Vitae
(Maresc. 138).
57. Beschrieben ib. Pars II. vol. 1. als codex 1, Rodl. 345; datiert A. D. 1479 80;
von Joseph Taylor 1668 von Damascus heimgebracht.
58. Beschrieben ib. Pars I. cod. msc. Hebr. et Chald. pag. 84 CCCCXXXI. 1« Ele-
mentorum Euclidis Libri XV, cum suis tiguris, titulo 'Radicum et Fundamen torum'
signali. Ans dem Arabischen übersetzt von R. Jacob ben Machir (Hunt, 16).
59. Beschrieben ib. Pars I. pag. 90. codex ohartaceus, anno Contraetuum 17.32. Christi
1420, exaratus. folia 370 complectens. Ibi reperitur Operis Grammatici, in duas
— 96 —
partes distributi, pars posterior, Liber Radicum nuncupata, quae Dictionarium est,
voces nimirum Hebraeas Arabice explicans : auctore Abulwalid Merwan Ben Gian.
nah Cordubensi (Pocock 133).
60. Beschrieben ib. Pars I, pa^. 155: DCLXXXVI, datiert A. D. 1487, Titel: Volumen
primum Compendii de Historia mortalium. Auctor: Omadeddin Ismael Ben Ali Ben
Mahmud Ben Mohammed Ben Omar Shahenshah Ben Aiub (Pocock 303). Vgl. Abul-
fedae Annales Moslemici Latinos ex Arabicis fecit J. J. Reiske, Lipsiae 1754.
fil. Porta Mosis, sive Dissertationes aliquot a R. Mose Maimonide. suis in varias
Mishnaioth, sive textus Talmudii partes commentariis praemissae. . . Arabice
conscriptae. . . et Latine éditas. . . cum appendice notaruni miscellanea. Opera
E. Pocockii, Oxonii 1665. ■¥>.
Im Mscr. Catal. sind von Maimonides aufgezählt (Cod. Hehr, et Chald. pag. 31 — 92) :
Liber Praeceptoram, Responsa ad Quaesita de Jad Chasaka, Compendiuna Tal-
mudicum, Coramentarius in varies Talmudis tractatus, Commentarius in Pirke
Aboth, Tractatus de Seminibus, More Bebochim. Chronologia, Logica.
62. Spanne.
63. Sekel, hebräische Münze, seit 143 v. Chr. geprägt.
64. Sir Thomas Roe, 1581? — 1644, Gesandter bei Jehangir, Grossmogul von Hindustan
(1614-1619), bei der Ottoman. Pforte (1621—1628). Vom Patriarehen Cyrillus
Lucaris erhielt er für Jakob I. den Codex Alexandrinus der ganzen Bibel; unter
den 29 von ihm angekauften griechischen Manuskripten befand sich eine Original-
kopie der Synodalbriefe vom Konzil zu Basel. 1628 der Bodl. Libr. geschenkt.
Er sammelte auch Inschriftentafeln und Skulpturen für den Herzog von ßucking-
ham und den Earl von Arundel. 1629 vermittelte er den Frieden zwischen
Schweden und Polen und bewog Gustav Adolf zur Invasion in Deutschland;
1638—1642 bemühte er sich in Hamburg, Regens bürg und Wien für die Rehabili-
tation Friedrichs V. von der Pfalz.
65. Die Sammlung von 6013 arabischen Sprichwörtern, übersetzt 1635, aber nicht
puliliziert. findet sich im Manuskript in der Bodl. Libr. Pocock 392. Specimina
davon hat H. A. Schultens 1773 und 1775 ediert, (A.hmed Ibn Mohammad (Abu
Al-Fadli called Al-Maidani. Spécimen proverbiorum Meidani ex versione Pocockiana
edidit H. A. Schultens Arab. et Lat. London 1773—1775. Brit. Mus. Catalog)
ebenso J. D. Macbride in Fundgruben des Orients Tom. I. HL IV.
66. Samuel Clarke, 1625 — 1669, wurde zu den .\mtern eines Druckereivorstehers und
und Oberpedells der juristischen Innung zu Oxford zuerst 1649 und wiederum 1658
gewählt; Mitarbeiter an Walton's Biblia Sacra Polyglotta 1657, Verfasser von
Scientia Metrica et Rhythmica, seu Tractatus de Prosodia Arabica, Oxford 1661,
publiziert als Appendix zu Pococks Lamiatio' 1 Ajam. D. N. B. X.
67. John Fell, D. D., 1625—1686, feuriger Royalist, 1660 zur Belohnung für be-
ständigen Widerstand gegen die Parlamentspartei in Oxford zum Dean von Christ
Church ernannt, restaurierte deren Gebäude, arbeitete zelotisch für Wiederher-
stellung der Kirchen- und Schuldisziplin, 1775 Bischof von Oxford. Daneben
fleissiger Autor, Hauptwerk Edition des Cyprian. D. N. B. XVIII.
68. Die Originalakten des Baseler Konzils galten zu dieser Zeit als ein Kleinod in
der Manuskriptsammlung der Bodleyan Library. Evelyn, dem dieser Schatz von
'seinem sehr gelehrten Freunde', Dr. Barlow, dem Bibliothekar, bei Gelegenheit
des Promotionsfestes am 11. Juli 1654 gezeigt wurde, notierte an zweiter Stelle:
The original acts of the Council of Basil 900 yeares since (sie!), with the buUa
er leaden affix, which has a silken cord passing thro' every parchment. Vgl.
Anra. II. 64. — Der Neudruck ist: Theodori Balsamonis Commentarii in Canones
— 97 —
Apostolorum, Conciliorum, Patrum, Epistolas Canoaicas, inque Photii Xomocanonem.
Graece Latine emendato textu ac Versione. Oxoq. 1672. — Zur Geschichte des
Baseler Konzils vgl. Johannes Haller, Concilium Basiliense. Studien und Quellen
zur Geschichte des Concils von Basel. Basel 1896. Band 1.
69. Ulugh Beg Jbn Shakrukh, Mirza. Sive tabulae longitudinis ac latitudinis stellarum
fixaruin ... ex tribus . . . MSS. Persicis . . . luce ac Latio donavit, et com-
mentariis illustravit Thomas Hyde. Oxonii 1665.
70. Catalogus impressorum librorum Bibliothecae Bodleianae in Academia Oxoniensi.
Cura et opera Thomae Hyde e Collegio Reginas Oxon. Protobibliothecarii. Oxonii
e Theatro Sheldoniano. 1674.
71. De ludis Orientalibus libri duo:
1. Mandragorias seu Historia Shahiludii viz. ejusdem origo, antiquitas ususque per
totum Orientera celeberrimus . . . Accedunt de eodem Rabbi Abraham Abben
Eyrae elegans poema rhythmicum. R. Bonsenior Abben Jachiae facunda oratio
prosaica: liber deliciae regum, prosa . . per innominatum .
2. Historia Nerdiludii, hoc est dicere latrunculorum, cum quibusdam aliis Arabum
Persarum, Indorum, Chinensium . . . ludis tam politicis quam bellicis . . . item
explicatio antiquissimi Chinensium ludi . . . congessit Thomas Hyde. Oxonii 169-4.
72. Den Hafiz hat Th. Hyde nicht ediert. Faeschs Bemerkung bezieht sich wohl auf
den in der Bodl. Libr. bewahrten Cod. Land B. 38, der im Manuskr. Katal.
von 1737 beschrieben ist: Codex bombycinus. anno Hegirae 1025, Christi 1616,
exaratus, Folia .SOO complectens. Exhibet Hafez Shii-azitae, anno Hegirae 797
mortui, carmina varia subjecta Turcica singulis interpretatione, cujus auctor
Alsoruri. Liber, tomum operis primum constituens, desinit in litera Alphabeti
décima septima.
73. "Wurde nicht vollendet. Derselbe Katalog nennt unter den Codices Arabici
DCCXVII. einen codex bombycinus, anno Hegirae 860, Christi 1455, transcriptus,
foliis 165 constans. Ibi repraesentatur Opus ita inscriptum: Mirabilia Fati de
Successibus Timuri, qui vulgo Tamerlanes dicitur, historia ab Ahmed Ben Arabshah
scripta, eadem quae Lugduni Batavorum publicam lucem aspexit. [Land. B. 81.]
74. Heute 23 Colleges und 4 Halls.
75. Christchurch College, 1525 von Kardinal Wolsey gegründet. Für dessen Bibliothek
wurden 1716 — 1761 neue Gebäulichkeiten errichtet.
76. Die Comitia (the Act), die alljährlichen Promotionsfeierlichkeiten, fingen auch
früher nicht am 1. Juli, sondern am 8. Juli an und erstreckten sich über 4 Tage,
vgl. Evelyn, 8.— 13. Juli 1654, 8.— 11. Juli 1675. Im Jahre 1669 begann das
Fest am 9. und ging erst am 15. Juü zu Ende. Faesch fasst übrigens unter dem
Datum des 12. Juli Vorgänge zusammen, die sich in Wirklichkeit am 10., 11. und
12. Juli abspielten. Evelyn, der alte Schüler von Balliol College, hatte als junger
Mann im Jahre 1654 die sollemnen Szenen des Festakts in der Kathedralku-che
voll innerer Ungeduld, voll Freude dagegen die geselligen Akte mit alten Freunden
mitgemacht und mit seiner Frau die Sehenswürdigkeiten der Colleges besucht.
Dementsprechend hatte er auch in seinem Tagebuch berichtet. Jetzt aber, anno
1669, wo er als hochangesehener Staatsmann, als Freund des Königs, als Gönner
' der L'niversität erschien, der den jungen frivolen Herzog von Norfolk überredet
hatte, seine berühmte Sammlung von antiken Marmortafeln dem neuen Festge-
bäude seiner alma mater zu schenken und zum Dank dafür den Doktorhut erhielt,
jetzt musste er bei allen Feierlichkeiten unter den ersten Würdenträgern ei-scheinen
und sich huldigen lassen. Darum ist die Eintragung in seinem Tagebuch noch
beträchtlich genauer als diejenige unseres Faesch; sie kann als der beste und
— 98 —
zuverlässigste Kommentar zu der Relation des Baseler Gastes betrachtet werden.
Ich lasse sie zur Vergleichung hier folgen:
9. July. In the morning was celebrated the Encenia of the New Théâtre, so
magnificently built by the munificence of Dr. Gilbert Sheldon, Abp. of Canterbui-y,
in which was spent £ 25,000 as Sir Christopher Wren, the architect, (as I
reraember), told me ; and yet it was never seene by the benefactor, my Lord Abp.
having told me that he never did nor ever would see it. It is in truth a fabrick
comparable to any of this kind of former ages, and doubtless exceeding any of
the présent, as this University does for Colledges, Librairies, Scholes, Students,
and Order, all the Universities in the world. To the Théâtre is added the famous
Sheldonian Printing-house. This being at the Act and the first time of opening
the Théâtre (Acts being formerly kept at St. Mary's church, which might be
thought indécent, that being a place set apart for the immédiate worship of God,
and was the inducement for building this noble pile) it was now resolv'd to keep
the présent Act in it, and celebrate its dedication with the greatest splendor and
formalitie that might be, and therefore drew a world of strangers and other
compagnie to the University from all parts of the nation. The Vice Chancellor,
Heads of Houses and Doctors, being seated in magisterial seates, the Vice-
Chancellor's chaire and deske, Proctors, etc., cover'd with Brocatall (a kind of
brocade) and cloth of gold ; the Universitie Register read the founder's grant and
gift of it to the Universitie for their scolastic exercises upon these solemn occasions.
Then foUow'd Dr. South, the Universitie's Orator, in an eloquent speech, which
was very long, and not without some malicious and indécent reflexions on the
Royal Society, as underminers of the University, which was very foolish and
imtrue, as well as unseasonable. But, to let that pass from an illnatur'd man,
the rest was in praise of the Archbishop and the ingénions architect. This
inded, after loud musiq from the corridor above, where an organ was plac'd
there follow'd divers panegyric speeches both in prose and verse interchangeably
pronounc'd by the young students plac'd in the rostrums, in Pindarics, Eclogues,
Heroics, etc. mingled with excellent musiq, vocal and instrumental, to entertain
the ladies and the rest of the Company. A speech was then made in praise of
academical learning. This lasted from 11 in the morning tili 7 at night, which
was concluded with ringing of beUs and universal joy and feasting.
10. July. The next day began the more solemn Lectures in all the Faculties,
which were perform'd in their several scholes, where all the Inceptor Doctors did
their exercises, the Professors having first ended their reading. The assembly
now return'd to the Théâtre, where the Terrae filius (the Universitie Buffoone)
entertain'd the Auditorie with a tedious, abusive, sarcastical rhapsodie, most
unbecoraing the gravity of the Universitie. and that so grossly, that unless it be
suppress'd, it will be of ill conséquence, as I afterwards plainly express'd my sense
of it both to the Vice Chancellor and severall heads of houses, who were perfectly
asham'd of it, and resolv'd to take care of it in future. The old facetious way
of rayling upon the questions was left off, falling wholy upon persons, so that
'twas rather licentious lyeing and railing than genuine and noble wit. In my life
I was never witnesse of so shamefuU entertainment. After this ribauldry, the
Proctors made their Speeches. Then began the Musick Act, vocal and instrumental,
above in the ballustrade corridore opposite to the Vice Chancellor's seate. Then
Dr. Wallis, the Mathematical Professor, made bis Oration, and created one Doctor
of Musiq accordiug to the usual cérémonies of gowne (which was of white
damask), cap, ring, kisses, etc. Next follow'd the Disputations of the Inceptor
— 99 —
Doctors in Mediciiie. the Speech of their Professor Dr. Hyde. and so in course
their respective créations. Lastly, Inceptors in Theologie; Dr. Compton (brother
to the Earle of Xorthampton) being Junior, began with greate modesty and
applause ; so the rest. After which Dr. Tillotson, Dr. Sprat, etc. and then Dr.
Allestree's speech, the King's Professor, and their respective créations. Last o
ail the Vice-Chancellor, shutting up the whole in a panegyrical ovation celebrating
their benefactor and the rest. apposite to the occasion.
Thus was the Théâtre dedicated by the scholastic exercises in ail the Faculties
with greate solemnity ; and the night, as the former, entertaining the new Doctors
friends in feasting and musiq. I was invited by Dr. Barlow, the worthy and
learned Provost of Queene's Coll.
11. July. The Act Serihon was this forenoon preach'd by Dr. Hall in St. Marie's
in an honest practical discourse agaiust Athéisme. In the afternoou the Church
was so crowded, that not coming early I could not approach to heare.
12. July. Monday. Was held the Divinity Act in the Théâtre againe, when
proceeded 17 Doctors, in ail Faculties some.
13. July. I din'd at the Vice Chancellor's, and spent the afternoone in seeing the
rarities of the publick libraries, and visiting thè noble marbles and inscriptions,
now inserted in the walles that compassé the area of the théâtre, which were
150 of the most ancient and worthy treasures of that kind in the learned world.
Now observing that people approaching them too neere, some idle persons began
to Scratch and injure them, I advis'd that an hedge of holly should he planted
at the foot of the wall, to be kept breast-high only, to protect them, which the
Vice Chancellor promis'd to do the next season.
14. July. Dr. Fell, Dean of Christ-church and Vice Chancellor, with Dr. Allestree
Professor, with Beadles and Maces before them, came to visite me at my lodging.
— I went to visite Lord Howard's sons at Magdalen College.
15. July. Having two daies before had notice that the University intended me
the honor of Doctorship, I was this morning attended by the Beadles belonging
to the Law, who conducted me to the Théâtre, where I found the Duke of
Ormond (now Chancellor of the Universitie) with the Earl of Chesterfield and
Mr. Spencer (brother to the late Earl of Sunderland). Thence we march'd to the
Convocation House, a Convocation having been call'd on purpose ; hère, being ail of
us rob'd in the Porch in scarlett with caps and hoods, we were led in by the Professor
of Laws and presented respectively by name, with a short eulogie, to the Vice-Chancel-
lor, who sate in the chaire, with ail the Doctors and Heads of Houses and Masters about
the Roome, which was exceeding füll. Then began the Publiq Orator his speech,
directed chiefly to the Duke of Ormond the Chancellor, but in which I had my
compliment in course. This ended, we were call'd up and created Doctors according
to the forme, and seated by the Vice-Chancellor amongst the Doctors on his right
hand; then the Vice-Chancellor made a short speech, and so saluting our brother
Doctors, the pageantry concluded, and the Convocation was dissolved. So formal
a création of Honorarie Doctors had seldome been seene, that a Convocation
shoudl be call'd on purpose and speeches made by the Orator; but they could do
no lesse, their Chancellor being to receive, or rather do them this honour. I
shotild hâve been made Doctor with the rest at the Publiq Act, but their
expectation of their Chancellor made them defer it. 1 was then led with my
brother Doctors to an extraordinary entertainment at Dr. Mewes, Head of St. John's
College, and after aboundance of feasting and compliments, having visited the
Vice-Chancellor and other Doctors, and gi\eu them thanks for the honour done
— 100 —
me, I went towards home the sixteenth. and got as far as Windsor, and to my
house the next day.
77. Gilbert Sheldon, 1598—1677, war 1634—40 Pro- Vizekanzler der Universität Oxford
gewesen, 1648 als Royalist abgesetzt worden, wurde nach Karls II. Restauration
nacheinander Dean der kgl. Kapelle, Bischof von London, Erzbischof von Canter-
bury (1663); er war Nachfolger Ciarendons als Kanzler der Universität Oxford
(1667), wurde aber nie installiert und resignierte schon am 31. Juli 1669. (Er
fiel bei Karl II. in Ungnade, u. a. weil er ihm als einem Ehebrecher das Abend-
mahl verweigerte.) Für das Abhalten der Festakte (Encaeniai Hess er auf eigene
Kosten 1664—1669 durch den Architekten Christopher Wren, .,das Wunderkind
von Oxford'- (Evelyn, 11. VII. 1654), das „Theater'- bauen. Die Gesamtkosten
beliefen sich auf ^ 12,.339 4 s. 4 d. (Also war' Faesch besser informiert als
Evelyn, der persönliche Freund des Architekten). Der Grundriss des Gebäudes
ist ein Halbkreis, wie Faeschs Skizze richtig andeutet; es fasst 4000 Personen.
Auch zum Wiederaufbau der Paulskathedrale in London steuerte Sheldon £ 4000
bei. Vergl. D. N. B. LH.
78. Die Universitätsdruckerei, unter den Gallerien und unter dem Dach des Theaters
eingerichtet, wurde 1713 in das nebenan liegende Clarendon Building, 1830 in das
Printing Office der University Press an der Walton Street verlegt.
79. Thomas Howard, Earl von Arundel, 1586 — 1646, wurde durch seine Heirat mit
Alathea Talbot, Tochter des Earls von Shrewsbury, instand gesetzt, die seinem
Vater abgenommeneu Güter zum Teil zurückzukaufen, spielte eine grosse Rolle
am Hofe Jakobs I. und Karls I , verwendete sich als Gesandter beim deutschen
Kaiser zu Gunsten des Königs Friedrich von Böhmen, verliess dann England,
augeblich um die englische Königstochter auf der Flucht zu begleiten, wohnte
aber in Padua mit beschränktem Einkommen (das Parlament hatte seine Güter
sequestriert) bei seinem Enkel Heinrich, starb daselbst und wurde in Arundel
(Sussex) begraben. Er hatte seit 1615 persönlich oder durch Agenten Statuten,
Inschriften, Bilder, Bibliotheken (z. B. die Pirckheimersche) gekauft und in Arundel
House in London aufgestellt. Er verfasste selber eine Beschreibung ,Marmora
Arundeliana', London 16-28. Ein Teil der Sammlungen, der Gräfin vererbt, von
ihr dem Sohne William, Viscount Strafford, wurde von dessen Erben 17-20 ver-
steigert. Den Hauptteil aber erbte der Enkel Henry Howard, der sechste Herzog
von Norfolk, und diesen veranlasste sein väterlicher Freund Evelyn, alle Inschriften -
tafeln der Universität Oxford zu schenken, um sie vor dem Untergang zu retten.
Der Rest der Skulpturen, an William Fermor, Lord Leominster verkauft, wurde
von dessen Schwiegertochter Luisa Fermor, Gräfin von Pomfret, ebenfalls Oxford
geschenkt. Die Gemälde, Gemmen und Statuen (z. B. die Homerbüste) ge-
langten nach allerlei Schicksalen ins Britische Museum. D. N. B. XXVIII. Evelyn
berichtet über seine Vermittelung am 19. Sept. 1667: To London with Mr. Henry
Howard of Norfolk, of whom I obtain'd the gift of his Arundelian Marbles, those
celebrated and famous inscriptions Greeke and Latine, gather'd with so much
cost and industrie from Greece, by his illustrions grandfather the magnificent
Earle of Arundel, my noble friend whilst he liv'd. When I saw these precious
monuments miserablj' neglected and scatter'd up and downe about the garden
and other parts of Arundel House, and how exceedingly the corrosive aire of
London impair'd them, I procur'd him to bestow them on the University of
Oxford. This he was pleas'd to grant me, and now gave me the Key of the gallery,
with leave to mark all those stones, urns, altars, etc. and whatever I found had
inscriptions on them, that were not statues. This 1 did, and getting them
— 101 —
remov'd and pil'd together, with those which were incrnsted in the garden-vvalls
I sent immediately letters to the Vice-Chancellor of what I had procur'd, and
that if they esteem'd it a service to the University (of which I had been a member)
they should take order for their transportation.
Die Universität stattete Evelyn ihren Dank ab durch eine Urkunde, überbracht von
vier Vertretern, die ihm und dem Herzog ihre Verpflichtung ausdrückten und
fernere Ehrungen verhiessen. Vgl. Evelyn, 25 IX. 1()()7. Am 28. IV. 1676 über-
reichte Prid eaux, der gelehrte Verfasser der „Marmora Oxoniensia Arundeliana," dem
Gönner und dem Donator persönlich seine Arbeit.
80. Robert South, D. D. 1634—1716, orator publicus der Universität Oxford 1660 bis
1677, daneben Kaplau Lord Ciarendons, später des Herzogs von York, Präbeudar
von Westminster und Pfarrer von Islip in Oxfordshire. (Sein Hohn auf die Kgl.
Gesellschaft der Wissenschaften vk^urde von Dr. Waliis gebührend zurückgewiesen).
Er ist in der Westminster Abbey l)egral>en. 6 Bände Predigten veröffentlicht
von ihm selber, 6 visitera nach seinem Tode 1717 und 1744. Vgl. D. N.B. LUI.
81. A Scholar appointed to make a satirical and jesting speech at an Act in the
University of Oxford. The custom was discontinued about the beginning of last
(18th) Century. Anm. Lord Braybrooke's zu Pejiys' Diary, 24 II. 1668.
82. Die Freiheit, ihre Zuneigung oder Abneigung gegen alle, auch die allerhöchsten
in einer Promotion erscheinenden Persönlichkeiten laut und lärmend auszudrücken,
ein spezifisch englisches Privileg, haben die Universisätsbehörden trotz Evelyns
Entrüstung bis heute den Studenten nicht zu schmälern gewagt.
83. Vgl. Pepys, 24. IL 1668. I saw his lady (Frau des Bischofs von Rochester,
Catherine Sheldon, Nichte des berühmten Erzbischofs Gilbert Sheldon) of whom
the Terrae Filius at Oxford was once so merry.
84. Vermutlich Nicolaus Härder, der zweite Sohn des Baseler Stadtschreibers und
Dreierherrn Hans Conrad Härder (älterer Bruder des berühmten Arztes Johann
Jakob Härder, 1656 — 1711), der 1670 in Basel auf Grund der Disputatio de em-
tione et vendione zum Dr. jur. kreiert wurde, nachem er schon 1667 Positiones
Juridicas de Transitionibus veröffentlicht hatte. Er wurde 1678 Schultheiß des
Gerichts von Grossbasel, 1709 Ratsherr, 1714 Kirchen- und Schuldeputat, 1717
Dreizehnerherr, 1722 Oberstzunftmeister und starb 17.S0. Leu, Schweiz. Lexicon.
85. Newport Pagnell und Bedford, beide in Buckinghamshire.
86. King's College Chapel, von der Evelyn berichtet (31. VIII. 1654) : where I fouud
the Chapel altogether answer'd expectation, especially the roofe all of stone. which
for the flatness of laying ond carving, may I conceive vie with any in Christen-
dome. The contignation of the roof (which I went upon) weight and artificial joyne-
ing of the stones is admirable. The lights are also very faire, etc.
87. Evelyn ib. : The Library is too narrow.
88. Aelterer Name für Corpus Christi College; vgl. Heutzner, pg. 139. CoUegium
Corporis Christi quod et S. Benedict! dicitur.
89. Faesch meint die Expositio beati Gregorii papae super Cantica Canticorum, hsg.
zu Nürnberg 1478, zu Basel von Michael Furter 1496.
90. Evelyn ib: . . went first to see St. Jolm's Colledge, weil built of brick, and Li-
brairie, wliich I think is the fairest of that University. One 'Sir. Benlowes has
given it all the Ornaments of Pietra Commessa (Mosaik), whereof a table and
one pièce of perspective is very fine; other trifies there also be of no great value,
besides a vast old song-book or service, and some faire inanuscripts. There hangs
in the library the picture of John Williams Abp. of York sometime Lortl Keeper,
my Kinsman and their great benefactor.
— 102 —
91. Evelyn ib: Trinity College is said by some to be the fairest quadr angle of any
University in Europ, but in trutb is far inferior to that of Ch'ist Church in Ox-
ford: the hall is ample and of stone, the fountaine in the quadrangle is graeefuU,
the ChapeU and Library faire .... The Library is pretty well stor'd. etc.
92. Den hübschen und zutreffenden Merkvers hat Faesch offenbar in Oxford gehört.
Der Kampf um den Primat kommt heutzutage bekanntlich bei dem alljährlichen
Ruderwettkampf der beiden Universitäten am sichtlichsten zum Ausdruck. Er teilt ganz
England in zwei Lager: Hellblaue und Dunkelblaue, Cambridgianer und Oxfordianer.
Wie schwer es den alten Herrn der einen Universität ankommt, der andern Gerechtig-
keit widerfahren zu lassen, das zeigt am besten der angezogene Bericht des äusserst
vorsichtigen und vorurteilsfreien Evelyn über seinen Besuch in Cambridge. Er
hat zwar die Sehenswürdigkeiten von Cambridge gewissenhafter betrachtet imd im
Tagebuch eingehender beschrieben als sein Busenfreund, der leichtlebige alte Cam-
bridger Student, Samuel Pepys (vgl. Pepys, 15. X. 1662, 8. X. 1667): aber man
fühlt aus jedem Satz Evelyns, welche Anstrengung ihn ein lobendes AVort kostet,
und mit welchem Behagen er das Schlußurteil hinschreibt: But the whole town
is situate in a low dirty unpleasant place, the streetes ill paved, the aire tbicke
and infected by the Fennes, nor are its churches (of which St. Marie's is the
best) any thing considérable in compare with those of Oxford. — Billiger urteilt
Pepys über Oxford: a very svveet place. 9. VI. 1668.
93. Ware in Hertfordshire.
94. Jetzt nördl. Vorstadt Londons in Middlesex.
95. Katharina von Portugal, Gemahlin Karls II, 1658 — 1705.
96. Hampton Court Palace, westl. v. London, in Middlesex, 1515 von Kardinal Wolsey
erbaut, 1526 König Heinrich VIII. geschenkt, Lieblingsaufenthalt der Tudors und
der Stuarts, unter Wilhelm III. durch Sir Christopher Wren erweitert und mit
holländischen Gartenanlagen versehen (an Stelle der französischen Karls II.)-, heute
zum Teil Museum, zum Teil Altersasyl.
97. Arx Regia ex coctis lateribus a Thoma Wolsaeo Cardinale ad opes suas osten-
tandas magnifiée extructa. Hentzner, pg. 150.
98. Area ipsa primaria, lapide quadrato constrata est, in cujus centro fons salientis
aquse, corona deaurata statuse justitiae subposita tectus consj^icitur, quam columnae
ex marmore albo et nigro sustinent.
99. Eigentl. cetos {zb y.ijTog), Meerungeheuer.
100. Greenwich, ö. v. London.
101. Der Triumphzug Caesars von Andrea Montegna, 1628 von Karl I. durch Daniel
Nys vom Herzog von Mantua erworben, von Faesch mit Recht allen Gemälden
dieses Schlosses vorgezogen, übereinstimmend mit dem Urteil schon der damaligen
Kenner; vgl. Evelyn, 9. VI. 1662, also many rare pictures, especially the Caesarian
triumphs of Andr. Mantegna, formerly the Duke of Mantua's.
102. Dieses Bett, das Pepys als wichtigstes Schaustück nennt (12. V. 1662), hatte fol-
gende Geschichte : The Queene's bed was an embrodery of silver on crimson velvet
and cost £ 8000, being a présent made by the States of Holland when his Majesty
(Charles II) returued, and had formerly been given by them to our King's sister
the Princesse of Orange, and being liought of her againe was now presented to
the King. (Evelyn, 9. VI. 1662).
lOB Die Geweihsammlung, von Königin Elisabetli angelegt, erwähnt auch Evelyn ib. :
The gallery of bornes is veiy particular for the vast beames of staggs, elks, an-
telopes, etc.
— 10:{ -
lOi. Cosimo III. von Medici, Grossherzog von Toscana, 1(}42 — 1723, scheint bei seinem
Besuch bei Karl II. im April und Mai 1669 ungewöhnliches Aufsehen erregt zu
haben. Pepys und seine Frau verfolgten ihn mit der grössten Neujrierde. Took
coach again and went five or six miles towards ßrainford (Brentford. w. v. London),
where the Prince of Tuscany who comes into England only to spend money and
see our Country, comes into the town to-day, and is much expected; and we met
him, but the coach passing by apace, we could not see much of bim, but he seems
a very jolly and good comely man. (Pepys, 5. JTV^. 1669, vgl. 11. 18. 25. IV
29. V. 1669).
105. "Wolsey und Heinrich VIII. hatten eine leidenschaftliche Vorliebe für Gobelins
gehabt. Die acht köstlichsten (von Evelyn für ein "Werk Raphaels gehalten, hang-
ings designed by ßaphael, very rieh with gold, von spätem Beurteüem dem
vlämischen Maler Bernard van Orley, f 1541, zugeschrieben) stellen die Geschichte
Abrahams dar.
106. Die wirkliche Entfernung von Hampton Court bis Windsor beträgt 22 Km.
Zu
Ciceros Briefwechsel mit Plancus.
Von
Felix Stähelin.
So hohes Lob im allgemeinen Emile Julliens ausführliche Mono-
graphie^) über L. Munatius Plancus, den Gründer der Kolonien Lugu-
dunum und Raurica, verdient, so läßt -sie es doch in der Verwertung
des erhaltenen Briefwechsels zwischen Plancus und Cicero nicht selten
an der wünschenswerten Sorgfalt fehlen. Dadurch ist an einigen Stellen
das Bild vom Lebensgange dieses Mannes etwas verzerrt worden. In-
dem ich die Punkte zur Sprache bringe, in denen ich anderer Meinung
bin als Jullien, ergibt sich mir zugleich die Gelegenheit, mich hie und
da mit P. Groebe und C. Bardt auseinanderzusetzen und die Darstellung,
die ich in meiner eigenen kurzen biographischen Skizze über Plancus')
gegeben habe, nachträglich zu begründen.
S. 49 behauptet Jullien, am 1. Januar 43 sei der Senatsbeschluß
gefaßt worden, wonach Plancus und die übrigen Statthalter in ihren
Provinzen verbleiben sollten, bis der Senat ihnen Nachfolger sende.
Allein Cicero selber schreibt in dem Brief an Cornificius Ep. XII 22, 3 :
A. d. XIU. K. lan. senatus frequens mihi est adsensus cum de ceteris
rebus . . . tum de provincm ah eis, qui obtinerent, retinendis neque
cuiquam tradendis, nisi qui ex senatus consulto successisset. Daraus
geht unzweifelhaft hervor, daß die Anträge, die Cicero am 20. Dez. 44
in der 3. philippischen Bede gestellt hatte, vom Senat auch wirklich
schon damals zum Beschluß erhoben worden sind.^)
1) Emile Jullien, Le fondateur de Lyon. Histoire de />. Mtmatius Planeus.
Annales de l'uniTersité de Lyon, tome cinquième, 1"' fascicule. Paris 1892.
2) Basler Biographien I (Basel 15)00), S. 1 IT.
3) Vgl. Sternkopf, Philologus 60 (S. F. 14), 282 ff. und Hermes 40, 529 ff.
— 105 —
Nachdem Plancus längere Zeit zwischen Antonius und der Senats-
partei hin und her geschwankt hatte, richtete er endlich eine unzwei-
deutige Ergehenheitsadresse an den Senat, die uns in Ep. X 8 erhalten
ist. Den Beweggrund für diese entschiedene Wendung von Antonius
weg erhlickt Jullien S. 51 darin, daß Antonius dem Senat vorgeschlagen
hatte, er wolle auf die cisalpinische Provinz verzichten, wenn ihm dafür
die transalpinische, d. h. eben die des Plancus, übertragen werde Aber
dieser Vorschlag war von Antonius schon im Januar^) gemacht worden,
da er von Cicero in der 8. Philippica (9, 27) besprochen und in dem
Brief an Cassius Ep. XII 4, 1 erwähnt wird, die beide in den Anfang
des Februar zu setzen sind.^) Die politische Schwenkung des Plancus
dagegen ist erst gegen Ende März erfolgt (s. u.) ; sie kann also durch
das Ansinnen des Antonius, ihm seine Provinz wegzunehmen, nicht mehr
beeinflußt sein^), um so weniger, als Plancus noch im März dem Senat
angeraten hatte, mit Antonius Frieden zu schließen! (Ep. X 6, 1).
Der Grund wird vielmehr einerseits in der zunehmenden Verschlimmerung
der Lage des Antonius vor Mutina*) liegen, andrerseits darin, daß
auch in Rom die Stimmung gegenüber Antonius von Tag zu Tag kriege-
rischer wurde").
In seiner offiziellen Adresse an den Senat gab Plancus eine ein-
gehende Übersicht über seine militärischen Hilfsmittel, die er der Re-
publik zur Verfügung stellte (Ep. X 8, 6): er hatte fünf Legionen, auf
die er sich unbedingt verlassen konnte; ebenso war er des Gehorsams
der gallischen Untertanengemeinden sicher und hatte aus ihnen eine be-
deutende Auxiliarkavallerie ausgehoben. Es ist klar, daß auf diesen
Brief Cicero im Eingang seines Schreibens Ep. ad Brutum II 2 an-
spielt : Planci animum in rem publicam egregium, kgianes, auxilia, copias
ex litteris eins, quarum exemplum tibi missum arhiiror, perspicere po-
tuisii. Im Folgenden erzählt Cicero dem Brutus, welche Mühe es ihn
gekostet habe, im Redekampf mit Servilius einen Antrag zu Grünsten
des Plancus am 9. April im Senate durchzubringen (§ 3). Über dieselbe
Senatssitzung berichtet Cicero Ep. X 12 (11. April) an Plancus selber: auf
ein in der Morgenfrühe des 7. April eingetroÖ'enes hoch erfreuliches
1) Vgl. Drumann, Geschichle Roms l- (Berlin 181)U) 182 ff.; Gardtbauseu,
AMjvstus und seive Zeit I (Leipzig 1891) 96 f.
2; Tgl. Drumann 12 I8fi ff.; Ganter. Fleckeisens Jahrb. 149 (1894). (>18;
Bardt, Ausyeicählte Briefe aus Ciceronischer Zeil. Kommentar II (Leipzig 19Ô0), S. 415.
3) Sonderbarerweise hat .Tullien gerade mit dieser gänzlich verfehlten Hj'pothese
triauben gefunden: siehe das von Gurlitt in Bursiaus Jahresbericht Bd. 105 (19lXlIIi,
S. 157 Anm. mit Beifall angeführte Zitat Clarks aus Tyrell und Purser, The corre-
spondance of 31. Tullii/s Cicero.
^) Vgl. Groebe bei Di'umaun 1- 449.
■•) Vgl. Bardt 8. 422.
— 106 —
Schreiben des Plancus hin habe er sich augenbHckUch zum städtischen
Praetor Cornutus begeben und durch diesen in Abwesenheit der Konsuln
den Senat sofort einberufen lassen ; die Behandlung der Sache sei zuerst
durch religiöse Bedenken des Cornutus auf den S. A^îril, dann infolge
der Opposition des Servilius und der Intercession des P. Titius auf den
9. April verschoben worden: an diesem Tage endlich habe Cicero den
Beschluß zu Ehren des Plancus durchgesetzt. Jenes Schreiben, durch
dessen Eintreffen Cicero in so freudige Erregung geriet und zu so
energischem Eintreten für Plancus angespornt wurde, ist offenbar kein
anderes als eben die offizielle Ergebenheitsadresse mit der Übersicht
über die Machtmittel (Ep. X 8), auf die Cicero auch im Eingang des
Briefs ad Brutum 11 2 Bezug nimmt. ^) Anderer Ansicht jedoch ist
Bardt a. a. 0. S. 423 und 441. Er gibt an, die Antwort Ciceros auf die
Ergebenheitsadresse des Plancus (X 8) wie auch auf den gleichzeitig
von jenem an Cicero gerichteten Privatbrief (X 7) sei uns vielmehr in
Ep. X 10 erhalten. In diesem Schreiben, das das Datum a. d. 111.
Kul. Apr. (80. März) trägt, erklärt Cicero etwas kühl, man sei durch
einen — uns nicht mehr erhaltenen — Brief des Plancus in Rom ja
nun erfreulicherweise etwas mehr als bisher im klaren über die ganze
Haltung des Plancus ; er habe Lob geerntet und würde, falls ein Konsul
in Rom wäre und also der Senat einberufen werden könnte, für seine
Vorbereitungen und Zurüstungen auch vom Senat belobigt werden; immer-
hin solle er endlich einmal vollen Ernst machen und etwas zum Entsatz
des bedrängten Decimus Brutus tun, dann werde ihm der Lohn nicht ent-
gehen. Ich muß gestehen, daß mir diese Art von Anerkennung, nach-
dem Plancus den Senat so entschieden seiner unbedingten Ergebenheit
versichert hat, überaus mager vorkommt. Dieser Brief Ciceros nimmt
sich, verglichen mit dem vom 11. April, aus wie eine Chamade neben
einer Fanfare. Äußerst unwahrscheinlich ist es, daß der Senat über das
Schreiben des Plancus X 8 wirklich nichts beschlossen, ja nicht einmal
verhandelt haben sollte, wie Bardt S. 442 meint. Andrerseits läßt es
sich kaum ausdenken, durch was für noch viel weitergehende briefliche
Zusicherungen Plancus den begeisterten Erguß Ciceros Ep. X 12 her-
vorgerufen und das Wunder bewirkt haben sollte, daß Cicero den Senat
nun plötzlich trotz der Abwesenheit der Konsuln einberufen lassen
konnte ! Nach Bardts — freilich unbegründeter — Annahme^) wären
ja in Buch X die Briefe Ciceros und seiner Korrespondenten vollständig
erhalten. Kann Bardt unter den vorhandenen Briefen des Plancus wohl
denjenigen namhaft machen, dessen Eintreffen am 7. April die Repu-
1) So auch (jroebe bei Druniann I- 209. ohne nähere Begründung.
2) a. a. 0. Kommentar I (Leipzig 1898), S. VIII.
— 107 —
blikaner mit so freudigein Aufatmen l)egrüßt haben. — wenn es nicht
eben der Brief X 8 ist? Die Wahrscheinlichkeit spricht unbedingt
gegen Bardts Annahme. Folgende Erwägungen erheben die Wahr-
scheinlichkeit zur Gewißheit. Plancus hat, wie er selber angibt, zu-
gleich mit seiner Ergebenheitsadresse einen Privatbrief an Cicero nach
Rom gesandt, in dem er sich um so kürzer fassen konnte, als er gleich-
zeitig seinen Vertrauten, den römischen Ritter M. Varisidius, iiersönlich
zu Cicero schickte, ex quo omnia cognoscere posses (Ep. X 7, 1). Was
erfahren wir nun über den Überbringer des Briefes, der am 7. April
den Cicero zu jenen Fanfarenstößen begeistert hat? Es war niemand
anders als eben M. Varisidius! Er begab sich, genau nach Plancus' Auftrag
handelnd, zuerst zu Cicero und überbrachte ihm ein Schreiben, dessen Lek-
türe den Empfänger „unglaublich erfreute" {incredihili gaudio sum elatus
Cic. ep. X 12, 2), dann brachte er dem Bruder des Plancus, dem Praetor
Cn. Munatius Plancus, ebenfalls einen Privatbrief und zugleich ein offi-
zielles Schreiben {et eas, quas publice [scriiJseras] X 12, 2). Xiemand
wird bestreiten wollen, daß die von Varisidius am 7. April nach Rom
gebrachten Briefe mit den erhalteneu, im März von Plancus dem Vari-
sidius übergebenen Briefen X 7 und X 8 identisch sind. Damit ist der
Beweis erbracht, daß der Beschluß, den der Senat am 9. April auf
Ciceros Antrag zu Ehren des Plancus faßte, eben die Anerkennung für
die offizielle Ergebenheitsadresse bildete, die wir in Ep. X 8 noch besitzen.
Der Bericht über diese Senatssitzung, den Cicero am 11. April an
Plancus sandte (Ep. X 12), war bis zum 26. April nicht in die Hände
des Adressaten gelangt. Denn der am 26, oder 27. April verfaßte Brief
des Plancus Ep. X 9 läßt erkennen, daß ihm damals von einem ihn
ehrenden Beschluß noch nichts bekannt war.') Dagegen hebt der folgende
Brief Ep. X 11 gleich an Immortalh ago tibi gratias agamque, dum
vivam und versteigt sich sogar zu der Wendung si de filii tui dignitate
esset actum, amahilius certe nihil facere poluisses. Dies ist offenbar der
Dank dafür, daß Cicero vom 7. bis zum 9. April im Senat so energisch
für die Ehrung des Plancus eingetreten war. Der Brief X 11 muß
etwa Ende April geschrieben sein, da er (§ 2) die frische Kunde von
der Schlacht bei Mutina (21. April) verrät;-) andrerseits kann er aber
nicht, wie Jullien S. 54 behauptet, sich auf weitere Ehrungen beziehen,
die der Senat erst beschlossen hatte, nachdem zwei Tage vor der Sieges-
kunde von Mutina in Rom die Nachricht eingetroffen war, daß Plancus
sich endlich gegen Antonius in Bewegung gesetzt habe (Ep. X 14 und
1) Vgl. Ruete, Die Correspoudenz Ciceros iu den .labren 44 uud 4o (Straß-
burger Dissertation, Marburg 188n), S. 121.
2) Vgl. Bardt S. 47.'{.
— 108 —
13). Denn die SiegesnachricJit von Mutina kann erst am 26. April,')
die Kunde vom Vorrücken des Plancus also nicht vor dem 24. April
nach Rom gelangt sein. Mithin kann der Senat frühestens am 24. April
die lobenden Beschlüsse gefaßt haben, und Plancus hätte sie nicht vor
der zweiten Hälfte des Mai in einem seiner Briefe berücksichtigen
können. Damals Avaren aber soviel wichtigere Ereignisse eingetreten,
daß sein Schweigen über die neuen Ehrungen nur allzu begreiflich ist.
Schon am 20. März war im Senat ein Schreiben-) des Antonius
an Hirtius und Octavian verlesen worden, das uns Cicero in seiner 13.
Philippica mit einem boshaften Kommentar überliefert hat. Darin berief
sich Antonius u. a. auf Verabredungen mit Plancus, die er getreulich
einzuhalten gedenke (Phil. XIII 19, 44) JuUien S. 55 bemerkt -dazu:
peut-être . . . Antoine ignorait-il la lettre officielle de Plancus, näm-
lich die Ergebenheitsadresse Ep. X 8. Da nun aber, wie wir oben
sahen, diese Adresse erst am 7. April nach Rom gelangt ist, so kann
nicht der geringste Zweifel darüber obwalten, daß Antonius, als er jenes
Schreiben an Hirtius und Octavian absandte, von der Schwenkung des
Plancus zur Gegenpartei noch keine Kenntnis besaß.
In derselben Senatssitzung, am 20. März, lagen auch die Briefe
des Lepidus und des Plancus vor, in denen übereinstimmend dem Senat
ein Friedensscliluß mit Antonius empfohlen wurde. Mit Entschiedenheit
wies Cicero in der 18. Philippica (4, 7f. ; 21,49) diesen Gedanken von
der Hand, und an die beiden Politiker, die zum Frieden geraten hatten,
sandte er noch an demselben Tage entrüstete Schreiben : X 6 an Plancus,
X 27 an Lepidus. Dem letztern wirft er schnöden Undank gegenüber
dem Senate vor, der ihn doch mit so hohen Ehren ausgezeichnet habe.
Unrichtig ist also die Behauptung Julliens S. G3, daß Lepidus nur einen
Monat vor dem 21. Mai, an dem er sich wieder an den Senat wandte
(Ep. X 34), die republikanische Partei durch seinen Friedensvorschlag
brüskiert habe. Es lagen mindestens zwei Monate dazwischen.
Die folgenden Erörterungen beziehen sich auf den Brief des Plancus
X 21, über dessen chronologische Einreibung noch die größte Meinungs-
verschiedenheit herrscht. Während ihn nämlich Ruete a. a. 0. S. 52,
0. E. Schmidt a. a. 0. S. 459 und Holzapfel, Berliner philol. Wochen-
schrift 1900, Sp. 720 nach Wesenbergs Vorgang (in der Klotzischen
Ciceroausgabe Part. III, Vol. I, S. 320) auf den 14. Mai datieren, lassen
ihn JuUien S. 68, Groebe a. a. 0. S. 465 ff. (unter Beifall von Gurlitt
') Vgl. 0. E. Schmidt im Anhang von M. Tulli Ciceronis epistulartim tihri
aedecim ed. L. Mendelssohn (Lips. 1893), S. 458 Anm. .=î.
2) Rekonstruiert von Bardt a. a. ()., Text^ (Leipzig und Berlin 1904), Nr. 10.%
S. 180 ff. Statt „Ende März" sollte es in der Überschrift heißen „Mitte März".
— 109 —
a. a. O. S. 151) und Bardt Komm. S. 473 ff.^) erst gegen Ende dieses Monats,
am 28. (Bardt) oder 29. Mai (Groebe) geschrieben sein. Den Ausgangs-
punkt füi- die zeitliche Fixierung müssen die Worte X 21,1 bilden:
scripsique tili biduo ante coiifidere me bono Lepido esse usuriim com-
mimique consilio bellum administra turum. Welches ist dieses 2 Tage
früher erlassene Schreiben? Nach Wesenberg, Ruete, Schmidt wäre es
Ep. X 15, nach Groebe (Jullien und Bardt-) äußern sich darüber nicht)
dagegen X 17. Prüfen wir zunächst diese zweite Annahme. Man kann
zugeben, daß sich aus X 17 zur Not das herauslesen läßt, was nach
X 21, 1 den Inhalt des früheren Schreibens gebildet haben muß. Schwere
Bedenken erregt aber, was Plancus am Anfang von X 17 dem Cicero
über die Bewegungen der Armee des Antonius meldet: M. Antonius sei
mit der Spitze seiner Truppen in Forum Julii angelangt, sein Unterfeld-
herr P. Ventidius Bassus rücke zwei Tagemärsche hinter ihm her.^) Nun
fällt die Ankunft des Antonius in Forum Julii nach Groebes eigenem
Nachweis^) auf den 8. Mai, die des Ventidius also wahrscheinlich auf
den 10. Mai.*) Daß Plancus diese Angaben erst in einem Briefe ge-
macht haben soll, der nach Groebes Annahme zwei Tage vor X 21.
also am 27. Mai geschrieben wurde, ist undenkbar. Denn am 27- Mai
war Antonius mit seinem ganzen Heere längst nicht mehr in Forum
Julii, sondern hatte sein Lager dem Lepidus gegenüber am Argenteus
aufgeschlagen. Daß er sich dort schon längere Zeit vor der am 29.
erfolgten Vereinigung mit Lepidus aufgehalten haben muß, lehrt die an-
schauliche Schilderung Appians hei/, c/r. 3, 83 f. von dem allmähhch
immer lebhaftem und intimem Verkehr zwischen den beiden Lagern
deutlich. Plancus aber hätte am 27. Mai von dem Vorrücken des An-
tonius an den Argenteus längst Kenntnis besitzen müssen. Denn er
befand sich um diese Zeit keinesfalls weiter nördlich als an der Isère.
Nun beträgt die Entfernung von Grenoble bis Fréjus in der Luftlinie
210 km. Diese Strecke konnte ein Eilbote, selbst bedeutende Umwege
eingerechnet, in 4 Tagen zurücklegen.^) Der 27. Mai, das angebliche
1) In der zweiten Auflage des Textheftes (1904) S. 188 hat Bardt das im Kom-
mentar S. 476 verworfene Datum „14. Mai" nicht geändert. Vielleicht darf man daraus
schließen, daß er zu seiner früheren Annahme, die sich mit derjenigen Schmidts deckte,
zurückgekehrt ist.
2) Da Bardt annimmt, der Briefwechsel zwischen Plancus und Cicero sei uns
ganz erhalten (s. o. S. 106l. kann auch er die Worte scr/psi tibi bidtto ante schwerlich
auf einen andern Brief beziehen als auf X 17.
^) X 17, 1 : Antonius f Idus Maias ad Forum 1/ilii cum primis copiis venit; Ven-
tidius bidiii spatio obest ab eo. Das korrupte Datum ergänzt Groebe (S. 46 t und bei
Gurlitt a. a. 0. 172 Anm. 3) überzeugend a. d. VIII Idus Maias.
^) Danach sind meine Angaben Basl. Biogr. I 13 zu ändern.
'"') Vgl. Groebe S. 464, ferner im allgemeinen über damalige Botengeschwiudig-
keit Ruete S. 121 f.
— HO —
Datum von X 17, liegt aber um volle 19 Tage später als die Ankunft
des Antonius, um 17 Tage später als die mutmaßliche Ankunft des
Ventidius in Forum Julii. Damals sollte Plauens also erst von dem
Eintreffen des Antonius in Forum Julii, noch nicht aber von dem des
Ventidius ebendaselbst, geschweige denn von dem weitern Vorrücken
Marc Antons von Forum Julii nach dem Argenteus Kenntnis gehabt
haben ? Daß dies unmöglich ist, liegt auf der Hand ; und daraus ergibt
sich, daß X 17 nicht erst am 27. Mai geschrieben sein kann, sondern
näher an den 10. Mai herangerückt werden muß.^) Das heißt mit
andern Worten : Groebes Ansicht, daß X 1 7 zwei Tage vor X 21
geschrieben sei, ist unhaltbar. Steht es besser um die andere Annahme,
wonach nicht Ep. X 17, sondern X 15 der Brief ist, der zwei Tage
vor X 21 geschrieben wurde? In X 15 schreibt Plauens von der Süd-
seite der soeben passierten Isère aus,-) er sei in Bezug auf die Haltung
des Lepidus guten Muts, da ihm Juventius Laterensis die Versicherung
gegeben habe,^) daß Lepidus gegen Antonius kämpfen werde ; daher sei
er nun im Begriff", nach Süden vorzurücken, um sich so schnell als
möglich mit Lepidus zu vereinigen ; zu diesem Zwecke habe er soeben,
am 12. Mai, die Isère überschritten. Als Datum dieses Briefes wird
mit großer Wahrscheinlichkeit allgemein eben der 12. Mai angenommen,
so auch von Groebe S. 467. In X 21 sind freihch Ton und Stimmung*)
ganz anders: „So war es vorgestern: ich vertraute den eigenhändigen
schriftlichen Versicherungen des Lepidus und dem, was Laterensis münd-
lich beigefügt hatte ; da kommt eine Ordonnanz (stator) des Lepidus
1) Schmidts Ansatz von X 17 auf den 19. oder 20. Mai wird das richtige treffen.
2) Und zwar wahrscheinlich aus Cularo : vgl. Ruete S. 49 ; Groebe S. 464.
3) Laterensis war vor dem 12. Mai bei Plancus persönlich anwesend ; die "Worte
qid tu tu fipiid tue erat (X 21.1) werden von denen, die diesen Brief auf den 14. Mai
ansetzen, selbstverständlich nicht mit scripsi tibi biduo ante in eine zeitliche Ver-
bindung gebracht, wie Groebe S. 466 insinuiert. Denn wenn Laterensis noch am 12. Mai bei
Plancus gewesen wäre, hätte doch wohl nicht schon am 14. Mai ein Brief von ihm
aus dem Lager des Lepidus bei Plancus eintretTen können.
^) Die gegenüber X 15 völlig veränderte Stimmung vor allem hat seit Drumann
I' (Königsberg 1834) S. 353 und 355 die Gelehrten immer wieder zu einer spätem
Datierung von X 21 verleitet, vgl. Groebe S. 466. Und doch eröffnet Plancus selber
gerade aus dem richtigen Gefühl heraus, daß der Ton nicht zu X 15 passe, den Brief
X 21 mit den Worten puderet me inconstanliae Utterarinn mearum etc. Die
gedrückte Stimmung in X 21 erklärt sich aber, wie Holzapfel Herl. phil.Woch. 1900, Sp. 720
sehr richtig ausführt, hinlänglich durch die Befürchtung einer Vereinigung des
Lepidus mit Antonius. So, nicht als Hinweis auf eine vollzogene Tatsache, ist mit
Holzapfel diiobits exercitibtis coniunclis zu fassen (§ 5). „Daß es sich um eine noch
im Bereiche der Zukunft liegende Eventualität handelt, ist auch aus § 6 etiamsi ille
exercitus descierit, wo descieril nur als fut. ex. und nicht etwa als coni. perf. be-
trachtet werden kaim, ersichtlich" (Holzapfel).
— 111 —
mit der Weisung, ich solle doch an der Isère bleiben, da er allein fertig
werden könne ; kurz darauf trifft ein verzweifelter Brief von Laterensis
ein, wonach von der Haltung des Lepidus das schlimmste zu befürchten
ist. Ich zweifle daher an der Zweckmäßigkeit eines weiteren Vorrückens
und bin im Begriff, zurückzukehren (jtaqnc refflfitrua mm § 5, nämlich
auf die Nordseite der Isère)." Der Überbringer dieses Briefes heißt
nach § 3 Laevus Cispius. Wenn die Datierung von X 21 auf den 14.
Mai richtig ist, dann fällt er zwischen X 15 (12. Mai) und X 18 (18.
Mai). Der Gedankengang von X 18 ist folgender: „Laevus — offenbar
eben der Überbringer von X 21 ^) — und der Brief, den er dir brachte
— offenbar X 21 — , konnten dir melden, was ich vorhatte (nämlich
über die Isère zurückzugehen). Nun habe ich mich gleichwohl, auf die
Aufforderung des Lepidus und die dringenden Bitten des Laterensis hin,
in die Gefahr begeben. Ich verlasse daher (heute) am 18. Mai die
Isère, rücke südwärts vor und hoffe mich in 8 Tagen mit Lepidus zu
vereinigen." Aus dieser Skizzierung des Inhalts ist zu ersehen, daß
X 21 sich trotz dem abweichenden Tone sehr wohl zwischen X 15 und
18 einfügt, und es ist denn auch ein irgendwie zwingender Beweis gegen
diesen Ansatz von keiner Seite vorgebracht worden. Daß der heißum-
strittene Brief nun aber zwischen X 15 und 18 nicht nur untergebracht
werden kann, sondern untergebracht werden muß, ergibt sich aus fol-
gendem. Plancus verließ in der Tat, wie auch Bardt S. 474 f. und
Groebe S. 257 aus X 18 entnehmen, am 18. Mai-) seine bisherige
Stellung an der Isère und langte etwa eine Woche später beim Yerdon
an. Diese Tatsache hätte unbedingt in einem Brief vom 29.
Mai, vermutlich dem ersten, den Plancus aus seinem neuen
Lager am Verdon geschrieben hätte, erwähnt werden müssen.
Nun aber steht von dieser Tatsache in dem Brief X 21, den Groebe
auf den 29. Mai ansetzt, kein Wort, sondern wir erfahi'en sie erst aus
dem Brief X 23, den Plancus am 6. Juni schrieb, als er sein Lager
bereits an die Isère zurückverlegt hatte. Welches ist dagegen die Si-
tuation in X 21 ? „Ich hatte die Isère passiert und hatte im Sinn,
diesen Fluß zu verlassen, um mich mit Lepidus zu vereinigen: da kam
der Stator und der verzweifelte Brief des Laterensis; daher bin ich im
') Die Identität des Laevus Cispius iu X "21, 3 mit Laevus in X 18, 1 weist
Groebe bei GurUtt S. 172 Anm. 1 nach, glaubt aber irrigerweise den Auftrag an den-
selben dabo perferenda (X 21, 3) auf eine spätere Sendung, nach der Rückkehr aus
Rom, beziehen zu müssen. In Wirklichkeit ist Laevus Cispius in § 3 ohne Zweifel als
Ulierbringer von X 21 gemeint, nachdem an demselben Tage oder einen Tag früher
schon ein Eilbote an Titius abgegangen war.
2) Wenn .Jullien S. 65 f. statt dessen den 21. Älai nennt, so beruht dies lediglich
auf der in den neuern Ausgaben beseitigten schlechten Lesart a. d. XII. Kalend. hin.
statt a. d. XY. K. hm. in X 18,4.
- 112 —
Begriff zurückzukehren." Mit vollem Recht betont Holzapfel a. a. 0.,
daß Plancus, als er so schrieb, seinen Standort an der Isère noch gar
nicht verlassen haben kann. Daraus folgt mit Sicherheit, daß der Brief
X 21 vor dem 18. Mai geschrieben sein muß. In was für seltsame
Widersprüche man durch den unrichtigen spätem Ansatz dieses Schreibens
verwickelt wird, zeigen insbesondere Bardts Ausführungen. S. 475 läßt
er den sfaior mit Hecht „Mitte Mai" an der Isère bei Plancus eintreffen,
dagegen soll der Notschrei des Laterensis, den Plancus X 21, 3 unmittel-
bar nach dem skifor erwähnt, erst zwei Wochen später erfolgt sein!
All diese Unwahrscheinhchkeiten schwinden sofort, wenn man als erwiesen
anerkennt, daß der Brief X 21 vor X 18 geschrieben ist und daß sich
demnach die Worte htduo ante (21, 1) auf X 15 beziehen, mithin X 21
auf den 14. Mai anzusetzen ist.
Am 12. Mai*) hatte Plancus die Isère überschritten; bis zum 18.
Mai aber blieb er an ihrem südlichen Ufer liegen. Was war der Grund
für diese lange Untätigkeit? Jullien S. 65 antwortet: er wollte hier die
Ankunft seines Kollegen Decimus Brutus abwarten.-) Aber Brutus be-
fand sich noch immer in der Poebene, und wenn Plancus wirklich aui
ihn hätte warten wollen, brauchte er die Isère gar nicht zu überschreiten.
Die hastige Überbrückung dieses Flusses (Ep. X 15,3; 21,2) beweist,
daß Plancus tatsächlich sofort nach Süden vorzurücken beabsichtigt hatte.
Daß sich sein Vormarsch doch noch um 6 Tage verzögerte, erklärt sich
hinreichend aus dem Eintreffen 1) des Htator, durch den ihn Lepidus
zum Bleiben aufforderte, und 2) des verzweifelten Briefes des Laterensis,
aus dem Plancus schließen mußte, daß Lepidus mit Antonius bereits
geraeinsame Sache mache, sein eigener Vormarsch nach Süden also
zwecklos wäre. Jullien meint freilich (S. 66), die Ordonnanz des Le-
pidus sei erst nach dem Aufbruch von der Isère zu Plancus gelangt.
Das ist aber mit der richtigen Datierung des Briefes X 21 unvereinbar:
der stato?' kann nicht später als am 14. Mai eingetroffen sein, da er au
diesem Tage von Plancus X 21, 2 erwähnt wird.
Es ergibt sich aus dem richtigen Ansatz dieses Briefes ferner, daß
Plancus nicht erst nach der Verlegung seines Lagers an den Verdon
Kunde von den antirepublikanischen Demonstrationen im Heere des
Lepidus (Ep. X 21,4) erhalten hat, wie Jullien S. 67 angibt, sondern
^) Daran halte ich gegenüber Groebe S. 4ß4 fest. Den von ihm wiederholten
Einwand Nakes hat schon Ruete S. 51 f. widerlegt.
-) Vielleicht schwebt Jullien die Stelle Ep. X 18,2 vor. liier schreibt Plancus
aVjer unmittelbar nach dem Aufbruch von der Isère: er habe seinen Standort verlassen,
obwohl es für ihn gefahrloser gewesen wäre, an der Isère zu warten, bis sich Brutus
mit ihm vereinige (vgl. Drumann 12 257). Die Stelle beweist doch nichts für die Grründe
der Untätigkeit vom 12. bis zum 18. Mai.
— 113 —
bereits als er noch an der Isère lag. Endlich kann der verzweifelte
Brief des Laterensis, den Plancus X 21,3 erwähnt, nicht — wie Dru-
mann I' 353. 355, Jullien S. 68, Groebe S. 466 und Bardt S. 476 be-
haupten — eine letzte, unmittelbar vor der Vereinigung des Lepidus
mit Antonius und dem eigenen Selbstmord an Plancus abgesandte
Warnung, „sein politisches Testament" gewesen sein. Vielmehr hat
Laterensis diesem Schreiben später noch ein weiteres, in etwas weniger
verzweifelter Stimmung abgefaßtes folgen lassen, vgl. Ep. X 18, 2.
Am 29. Mai hat sich die Vereinigung des Lepidus mit Antonius
wirklich vollzogen (Plancus Ep. 23, 2). Hiemit bringt Jullien S, 69 die
Bemerkung des Cicero an D. Brutus Ep. XI 12,2 mm 'die (Antonius)
mild fugisse a Mutina ridetur, .sed locuni t)eUi (jertndi mutasse in Ver-
bindung. Allein dieser Brief ist, wie Bardt S. 472 nachweist, schon um Mitte
Mai geschrieben. Demnach kann Ciceros Bemerkung den ihr von JuUien
untergelegten Sinn nicht haben, sondern nur den einer — wie die Folge
lehrte, fruchtlosen — Aufforderung an D. Brutus, durch nachdrückhche
Verfolgung des Antonius zu bewirken, daß der Sieg von Mutina mehr
bedeute als eine bloße Verlegung des Kriegsschauplatzes von Oberitalien
nach Gallien.
Die
MEPH TH2 TPArQIAIA^
in der Tragödie des V. Jahrhunderts.
Von
Jakob Oeri.
Von Rechts wegen sollte sich die Einteilung der Tragödie aus der
logischen Zergliederung der Handlung ergeben; wir aber glauben ge-
wöhnlich unsere Pflicht zu tun, wenn wir das zwölfte Kapitel der Aristote-
lischen Poetik zu Grunde legen, und kommen dabei zu so schönen Re-
sultaten wie dem, daß die Rede des Aias änavd- b /naxQÔç (646/92)
einen ganzen Hauptteil ausmache, und daß anderseits von 719 bis 865
alles zusammenhange, trotzdem das Stück bei der Ortsveränderung nach
814 den tiefsten Einschnitt hat, den ein Stück haben kann. Dem gegen-
über möge nun einmal gefragt werden: Wie müßten wir. wenn wir
Aristoteles nicht hätten und rein auf das vorhandene Tragödienmaterial
angewiesen wären (dem hier auch der Kyklops beigefügt werden möge),
bei der Einteilung verfahren? Indem dies mit dem folgenden Versuche
unternommen wird, muß vorausgeschickt werden, daß hier nur eine
kurze Skizze gegeben werden kann, deren Verfasser auf manches ver-
zichten muß. Man wird hier wenige Auseinandersetzungen mit den An-
sichten anderer, nicht gerade vieles über die historische Entwicklung
der Formen, keine Beziehung auf die in deutschen Landen so verrufene
szenische Responsion ') finden. Den Zitaten sollen die am meisten ver-
ij Nur darum, weil eben wieder die Mär durch's Land geht, daß ich ein rück-
sichtsloser Versetilger sei, sei denn das doch gesagt; Die sich über mehr als -tOOO Verse
erstreckende Hauptresponsion in Elektra, Oedipus, Koloneus, Trachinierinnen und Phi-
loktet, von der meine ganze Argumentation ausgeht, erheischt die Tilgung der zwei
von Brunek aus Phil, 1365 ausgeschiedenen Verse, von Phil. 1443 f., Kol. 614 f.,
640 f., S. mein Programm „Die Sophokleische Responsion. Basel 1903". Wem das viel
scheint, der möge kommen und es sagen.
— 115 —
breiteten Teubner'schen Ausgaben zu Grunde liegen, und wo längere
Zitatenreihen zu geben sind, werde ich mich, statt an die problematische
historische, an die dortige Reihenfolge der Stücke halten, nur daß der
Kyklops immer an den Schluß und der Rhesos dahin gestellt wird,
wohin er gehört, nämlich zwischen Aeschylus und Sophokles.')
1) Wenn dieses frisch geschriebene und geschickt komponierte Stück in die Zeit
des zweiten Seebundes gehörte, so wäre der Dichter, der sich dabei von allem Einfluß
des Euripides und von allem, was Rhetorik und Manier heißt, freigehalten hätte, ein
Miraculum der Weltliteratur. Diesen Ruf verdient er nicht, aber er hätte auch nicht
der Unsitte unserer Zeit zum Opfer fallen sollen, die alles Mangelhafte auf Rechnung
der Decadenz setzt und nicht mehr weiß, daß es auch eine vorklassische Zeit zu geben
pflegt. Wenn man der alten Zeit den vierten Schauspieler (hier Paris) nicht zutrauen
will, so frage ich: Welcher Sterbliche weiß denn darüber, wie es in den verschiedenen
Zeiten mit dem 7iaQayoQ)'jyi]j.ia stand, etwas Bestimmtes? Mein Mutmaßen würde es
mir am ehesten in der Zeit möglich erscheinen lassen, da ein Dichter selbst etwa noch
als Schauspieler auftrat. Und was die Unmöglichkeit des deus ex machina betrifft, so
mag es sein, daß er in der Frühzeit nicht jählings è^ at&éQoç mv/JHv herabkommen
konnte. Aber man wird eben primitivere Mittel gehabt haben. Der Okeanidenwagen
des Prometheus z. B. konnte doch wohl auch auf horizontal gespannten Seilen einher-
fahreu. Die Klage einer Göttin um den toten Sohn aber ist doch ein gerade der stark
vom Epos abhängigen Zeit wohl zuzutrauendes Motiv. Auch die Kunst stellte die
Göttin, die zov veôô^i^tov veyiQov êv %eiQolv (poQäStjv ué^Tiei,, dar. Yergl. die Pietà
(Eos u. Memnon) auf der schwarzfigurigen und der Duris-Vase bei Röscher II, 2, S.
2676 und I S. 1265/6. Wer nun, wie ich, von dem Studium der ,«/(>»/ r/]c rçayqyôlag
herkommt, der kann gar nicht anders, als den Rhesos früh ansetzen. Nicht nur läßt
sich die Prologlosigkeit am leichtesten damit erklären, daß wir es mit dem zweiten
oder dritten Stück einer Inhaltstrilogie zu tun haben dürften, sondern Einzelheiten, auf
die ein Nachahmer nicht leicht verfallen wäre oder die er sklavischer kopiert hätte,
sprechen dafür. Altertümlich ist die starke Verwendung der Anapäste in derParodos,
und die Isolierung der Strophen des zweiten Liedes der Chorbewegung (527/64)
durch Anapäste von Eeinzelchoreuten hat ihr Analogen nur in der Parodos der An-
tigene; die kurze, von Weherufen unterbrochene trochäische Partie 728/31 hat das ihre
nur in Agam. 1343/47 ; die Verbindung von Trimetern mit Anapästen (733/55) hat sich
Sophokles im Oedipus 1312 wieder gestaltet u. A. Wenn ich aber hier unwillkürlich
„wieder" sage, so muß ich allerdings dazu bemerken, daß, irenn der Rhesos alt ist,
dann auch fast mit Notwendigkeit Sophokles als Dichter muß angenommen werden.
Von den vielen Anklängen an den Aias, die bekanntlich hiefür sprechen, möge hier
nur einer hervorgehoben sein : Aus Aias 748 fl'. spricht die Lehre, daß was geschehen
muß, seinen Weg findet, auch wenn eine andere Wendung ganz nahe läge und aus
Rhesos 595 die, daß, was nicht geschehen darf, so nahe es liegt, nicht geschieht. Tn
beiden Fällen hängt die Entscheidung vom Erleben eines bestimmten Momentes ab;
aber wie schön ist dieses Motiv der Schicksalsstunde variert! Und Sophokles hat es ja
überhaupt geliebt, seine Motive mutatis mutandis zu wiederholen, so daß auch die von
Wilamowitz bemerkte Wiederkehr eines solchen aus den Iloifiéveg uns nicht wundern
darf. Also derjenige Grammatiker wird recht gehabt haben, der beim Rhesos den
Hocpôy.Àsiog yaçaKTiJQ durchschimmern sah; nur steht Sophokles in diesem Stücke noch
nicht auf seiner Kunsthöhe, und deshalb wird man gut tun, es möglichst früh, jedenfalls
früher als den Aias anzusetzen.
— 116 —
Es müßte sich nun zuerst um die Einteilung des ganzen in seine
Hauptteile und dann, um die der letztern in ihre Nebenteile handeln.
Indeß wird es aus äußern und Innern Gründen empfehlenswerter sein,
weniger systematisch vorzugehen und sich auf einige wichtige Kapitel
zu beschränken, bei denen unter- wie übergeordnete Partien in Frage
kommen. Statt eines kurzen Aufsatzes könnte sonst aus dieser Abhand-
lung leicht ein Buch werden.
Wir haben gelernt und gelehrt, die Hauptteile der Tragödien folgten
aufeinander als Prolog, Parodos, I Epeisodien, I Stasimon, II Epeiso-
dien .... letztes Stasimon, Exodos. Dabei dachte man sich die Parodos
zwar etwas anders geartet und vorgetragen als die Stasima, aber im
Wesentlichen ihnen doch koordiniert. Dies war nun aber, wenn wir es
schon von Aristoteles hatten, das tiqütov tpEvôog, an dem die richtige
Einteilung scheitern mußte ; es sprechen dagegen folgende Gründe :
1. Der Zweck der Parodos und der der Stasima ist durchaus ver-
schieden. Mit jener führt sich der Chor ein, so gut als jede Person des
Stückes dies auch tun muß, wenn sie nicht von andern vorgestellt
wird ; daß es feierlich oder doch in bewegter Form geschieht, verändert
den Zweck nicht -, die Stasima und die mit ihnen zusammen zu be-
sprechenden meUschen Vorträge dagegen sind, wie wir sehen werden,
ausnahmslos Zwischengesänge, d. h. sie decken eine Zwischenzeit, die
aus irgend einem Grunde zwischen einer vorangehenden und einer
folgenden Szene anzunehmen ist; sie isolieren die Szenen von einander,
stellen aber dadurch, daß sie selbst die Lücke ausfüllen, die Einheit
der Zeit her.
2 Was die Form betrifft, so sind die Zwischengesänge, welche
nach dem sog. I. Epeisodion zwischen Hauptteilen vorgetragen werden
(wie übrigens auch die zwischen Nebenteileu), rein iiielisc/ier Art, während
der Prolog und die spätem Dialogpartien, so vielmelisches und anajjästisches
auch in sie eingesprengt erscheint, als Grundform durchweg den Trimeter
haben. Die Parodos dagegen hat keine feste metrische Grundform.
Proteusartig ist sie bald rein melisch, bald enthält sie neben dem Melos
Anapäste, bald ist sie ein Kommos, in dem Chor und Schauspieler sich
in langen Wechselgesängen unterhalten, bald ein solcher, da sie es nur
mit kurzen Worten tun, einmal auch nur ein Vortrag anapästischer
Hypermetra durch den Chorführer; kurz, der Dichter hat hier freie
Wahl, wie sonst bei den Hauptteilen nicht.
Ist sie also ein untergeordneter Teil ? Ich sage „Ja", sie ist das
erste oder auch das zweite Glied des auf den Prolog folgenden Haupt-
teils und auch wenn sie rein melisch ist, im Prinzip nichts anderes als
— 117 —
was man bisher ein episodisches Chorikon nannte. Hiefür fällt noch
folgendes in Betracht :
3. Was für die Parodos recht ist, müßte auch für die andern
Partien, womit der Chor auf- und abzieht, bilHg sein, also für die
Epiparodos, die Aphodos (man verzeihe mir das selbstgebildete Wort)
innerhalb und die Exodos am Ende des Stückes. Ich denke denn auch,
daß die meisten nichts würden dagegen haben, Alk. 861/933, Rhesos
527/64, Hik. Aesch. 1018/74 als Hauptteile zu erklären. Aber würden
sie dies auch bei dem Hypermetrou Alk, 741/6 oder gar bei jedem
TioXXal fzoQ(pal t&v öatfioviojv wagen ? Ich glaube kaum, obschon die
Konsequenz es verlangen würde. Die gleiche Konsequenz hat nichts
Stoßendes, wenn alle diese Partien und also auch die Parodos unter-
geordnete Partien sind.
4. Die Zwischengesänge sind wenigstens in der Zeit nach Aeschylus
nicht mehr integrierende, durchaus notwendige Teile der dramatischen
Entwicklung. So wenig man sie entbehren möchte, so sehr die Seele des
Stückes oft in ihnen lebt — man denke nur an Oed. 863/910 — , der
äußere Gang der Handlung ließe sich fast immer ohne sie verstehen ;
hätte der Dichter sie weggelassen, so hätte er eben nur ein anderes
Mittel finden müssen, um dem Aneinanderstoßen zeitlich getrennter
Szenen seine Härte zu nehmen, und da hätte er, wie wir nachher sehen
werden, nicht lange zu suchen gehabt. Anders ist es mit der Parodos.
Diese ist bald mit dem vorhergehenden, bald mit dem folgenden so enge
verkettet, daß ihr AVegfall sofort der Annahme einer Lücke in der Über-
lieferung rufen müßte. Wenn es z. B. im Prologe des Oedipus (144)
heißt aÀÀOQ ôt Kdôfiov Zaöv ojô' dd-QoiÇéToj, so niuß nachher der Kad-
meische Adel ganz notwendig erscheinen und sein Auftreten irgendwie
motivieren, und wenn nach dem Päan, womit er dies tut, Oedipus (216)
ihn mit ahslg anredet, so hat er ihn eben vorher gehört ; das Lied
selbst aber, so mächtig die Empfindung ist, die sich in seiner Form und
seinem Inhalte ausspricht, ist ein Teil der Exposition und steht zum
Ganzen in keinem andern Verhältnis als die Rede des Greises im Prolog.
Nicht anders steht es mit dem Dank- und Freudengesang in der
Antigone, mit dem Trostgesang in den Trachinierinnen und besonders
mit allen denjenigen Parodoi, welche Kommoi sind; denn der Kommos
unterscheidet sich nur durch den gesteigerten Ton vom sonstigen Dialog.
5. In vollen 22 von allen 33 Stücken schließt sich an die Chor-
parodos entweder eine an den Chor gerichtete Rede oder ein Dialog
zwischen Schauspieler und Chor. Wie nimmt sich nun die Annahme
einer Hauptcäsur zwischen beiden aus, zumal wenn das Zweite durch
parallelen Inhalt als Fortsetzung des Ersten markiert ist, wie El. Soph.
230 fï". und 254 Ô'., wo Elektra sich beidemal wegen ihres Verhaltens
— 118 —
mit der Notwendigkeit entschuldigt, oder Kol. 237/53 und 275/9, wo die
Hikesie Antigenes und die des OedijDus fast unmittelbar aufeinander
folgen ?
6. Bisweilen ist die Chorparodos auch einer vornngehenden Szene
eng koordiniert. Wer sich nämlich auch nur einigermaßen vom Buch-
staben des Aristoteles frei machen kann, der wird doch unmöglich, wenn
ihr eine Monodie derjenigen Person vorangeht, die nachher mit dem
Ohore spricht, die Hauptcäsur erst hinter der Monodie ansetzen und
diese selbst dem Prologe zurechnen können. Hat es z. B. in der Hekabe
irgendwelche Wahrscheinlichkeit, daß die Monodie der Greisin zusammen
mit der Rede von Polydors Schatten den Prolog ausmacht und nicht
vielmehr die este Szene des folgenden Hauptteils ist, an die sich als
zweite die Parodos des Hekabe apostrophierenden Chores reiht ? Und
wie steht es mit der Helena ? Hier setzt ja der Chor gar erst mit einer
^4/?/istrophe ein. Sollten wir nun gezwungen sein, die von Helena ge-
sungene Strophe und die diese einleitenden drei daktylischen Verse noch
dem Prologe zuzurechnen '? Die Konsequenz würde es ja verlangen.
7. Könnte da, wo die Parodos ein Kommos ist, z. ß. in den
Herakliden, dieser Kommos eine tcqcûtî] Àégig oÀov xoqov heißen ?
8. Wie steht es mit dem Namen nÛQOôoç, ? Man hat oft, um eine
Entsprechung zwischen ihm und èçoôog herzustellen, die melischen
Tragödienschlüsse bei Aeschylus zu der Folgerung benützt, es hätte die
Exodos wie die Parodos ursprünglich melischen Charakter gehabt. Wäre
es nicht richtiger gewesen, auch das eneiaooiov heranzuziehen und zu
folgern: bôôç, wird in allen drei Namen dieselbe Bedeutung haben, und
zwar die gleiche, die der Lateiner durch „actus", der Deutsche durch
die Zusammensetzung mit „Zug" ausdrückt; ndQoôoç, ist ursprünglich
das Aufziehen des Chores und der Schauspieler, èjisiaôôiov ist das nach-
trägliche Aufziehen der Schauspieler, è'^oôog das Abziehen von Chor
und Schauspielern, und nach diesem Kommen und Gehen wurden später
die ganzen Tragödienteile benannt, in denen es vorkommt.
Nach meiner Meinung wäre also die Parodos die ganze den Ein-
zugsgesang und das bisherige erste Epeisodion, ja bisweilen schon ein
Stück des bisherigen Prologs umfassende Partie; das zweite Epeisodion
würde nunmehr /um ersten u. s. w. Um aber Konfusion zu vermeiden,
werde ich jene „Parodospartie", die bisherige Parodos dagegen „Chor-
parodos" nennen und die Epeisodien lieber nicht numerieren, sondern
nach dem Namen von Personen (als Tiresias-Hämonepeisodien u. s. w.)
bezeichnen.
Warum aber hat nun Aristoteles der Chorparodos die für die er-
haltene Tragödie unberechtigte Bedeutung eines Hauptteils zugewiesen?
Die Antwort wird sein : Er denkt eben nicht an die Tragödie der
— 119 —
klassischen, sondern an die seiner eigenen Zeit, die es gehalten haben
wird, wie er angiebt. Einen Nachklang hievon finden wir noch bei Seneca,
bei dem allerdings die Chorparodos nichts ist als ein Zwischenlied wie
die andern ; angebahnt aber mag die neue Form schon Euripides haben,
wenn er — um von dem Konzept der Aulischen Iphigenie keinen Ge-
brauch zu machen — in der Andromache und den Bakchen die neue
Szene ohne vermittelnde Vorstellung der kommenden Person durch den
Chor auf eine vollstimmige Chorparodos folgern ließ. Es ist zwar ganz
klar, daß in diesen Fällen das Auftreten des Chors schon deshalb eine
integrierende Partie der Parodospartie ist, weil sein Führer nachher die
Rolle eines Interlocutors hat ; aber der Mangel an Vermittlung zwischen
dem rein chorischen und dem ihm koordinierten dialogischen Teil ist
eine Härte, die es begreiflich erscheinen läßt, wenn man später in Prolog,
Chorparodos und folgender dialogischer Partie die Folge von drei Haupt-
partien sah.
Einen unierc/eordneten Teil hätten wir nun als solchen erkannt;
damit ist aber die Frage, welches die Hauptteile seien, noch nicht gelöst;
sie hat auch, wie wir sehen werden, ihre nicht geringen Schwierigkeiten.
Immerhin kann nun mit einer Partie, für die auf Konsensus gerechnet
werden darf, der Anfang gemacht werden. Dies ist:
I. Der Prolog".
Der Prolog ist nicht von jeher eine notwendige Partie der Tragödie
gewesen; die äschyleischen Hiketiden, die jetzt von A. Körte^) mit großer
Wahrscheinlichkeit in die Zeit zwischen Marathon und Salamis gesetzt
werden, und die Perser sowie der nach meiner Ansicht archaische Rhesos
haben ihn nicht, und daß die prologlose Form das Altere gewesen ist,
scheint mir Christ mit Recht aus dem die Aufführung einleitenden Herolds-
rufe eioays röv xoqôv zu erschließen, der nicht leicht zu verstehen wäre,
wenn der Beginn mit der chorlosen Szene das Ursprüngliche wäre.
Immerhin hatten den Prolog schon die Phœnissen des Phrynichos, und
die treffliche Wirkung, die es hatte, wenn sich die Chorparodos von
einer in niedererm Tone gehaltenen Partie abhob, läßt annehmen, daß
die Neuerung rasch beliebt werden mußte. Für die spätere Einführung
spricht übrigens auch der Name. Das Stück (Xôyoc, im gleichen Sinne
wie in TQiloyia, vgl. das lat. fabula) wird dagewesen sein, ehe ihm das
„Vorstück" vorangeschickt wurde. Und nun kommt es uns auf die ver-
1) Mémoires Nicole S. -289 ff.
— 120 —
schiedenen Typen dieses Vorstücks sowie darauf au, wie sein Übergang
zu dem die Chorparodos enthaltenden Teile sich darstellt.
Ehe ich aber hierauf eingehe, muß ganz kurz noch darauf hin-
gewiesen werden, daß, wie S. 118 schon gesagt, der Prolog in Wahrheit einige
Male anders abzugrenzen ist, als bisher geschah. Der des Prometheus
schließt (87) mit dem Abgang der Peiniger; der metrisch so merkwürdig
gemischte (aber echte) Vortrag ô ôîoç aid-rjç ist zur Parodospartie zu
ziehen; denn das ^ijôev (poßrjd-fjg (128) ist als direkte Antwort auf die
letzten Befürchtungen des Heros zu fassen. Auch Klytsemne stras Trimeter-
rede in den Eumeniden (94/139) darf vom folgenden Eumenidengesange
nicht getrennt werden , ebenso sind Einleitungen der Parodospartie
die Monodien, die in der Sophokleischen Elektra und bei Euripides in
Hekabe, Elektra, Jon und Troades der Chorparodos vorangehen, und
natürlich gehört auch die anapästische Partie vor dem eigentlichen Auf-
treten des Chors in der Medea (96/130) hieher. Dies vorausgesetzt, zeigt
der Prolog in den 30 Stücken folgende vier Typen:
1. Er besteht bloß aus einer Rede : Agamenmon. CJioephoreu.
Bakchen. Hekabe, Euripideische Hikelid^n, Jon, Kyklops.
2. Er besteht aus einem Dialog oder auch einer durch die Haupt-
person zusammengehaltenen Gruppe von Dialogen : Pi^omelheus. Akts,
Elektra Sopli.. Oerttpus. Kolouetis. Antigone. P/iilokfef.
3. Er besteht aus der Rede einer von Beginn an anwesenden
Person und deren Dialog oder Dialogen mit schon anwesenden oder
nach der Rede erscheinenden Personen. Xach dem Dialog hat die zuerst
sprechende Person bisweilen auch noch eine Schlußrede : Septem,
Trachienierinnen, Alkestis, Amlromache, Helena, HeraMklen, Herakles,
Medea. Orest. Troades. Eine Variante dieser Form ist es, wenn in dem
(samt seinen "Widersprüchen echten) Konzept der Aidisclten Iphigenk^)
die Rede Agamemnons zwischen dessen beide anapästischen Dialoge mit
dem alten Diener eingelegt erscheint.
4. Eine erweiterte Form zeigt den Prolog gleichfalls zweiteilig, aber
so, daß die beiden Teile keine Person gemeinsam haben. Sie können
für sich jeden der drei vorgenannten Typen zeigen : Eu men klen {Fythiais:
Typus 1 — Apoll, Orest : T. 2). Eanpkle}.^c//c Elektro (Auturg und
Elektra: T. 3 — Orest an Pylades: T. 2"). Hippolgtos (Aphrodite : T. 1 —
Hippolytos und Diener : Durch die vorangesandten Lieder erweiterte
Form von T. 3). Taurisehe Iphigenk (Iphigenie: T. 1 — Orest und
1) Für die aulische Iphigenie verweise ich auf meine Ausführung in dem Pro-
gramm von 1905 „Euripides unter dem Drucke des Sicilischen und des Dekeleischen
Krieges" S. 17-89.
2) Ich glaube, daß wir von einem Dialog auch dann sprechen dürfen, wenn eine
direkt an eine stumme Person gerichtete Rede von dieser nicht beantwortet werden kann.
— 121 —
Pylades: T. 2). P/tönissen (Jokaste: T. 1 — Teichoskopie : T. 2. Hier
ist zwischen iambischen Anfang und Schluß ein Kommos eingelegt.)
Neben dieser Einteilung nach Formen muß nun aber eine andere
einhergehen, die sich auf die Vermittlung des Prologs mit dem übrigen
Stück bezieht. Nach dieser sind folgende drei Fälle zu unterscheiden :
1. Der Prolog und die Parodospartie sind durch einen äußern
Vorgang von einander getrennt : Agamemnon (der Chor muß die Kunde
von den Feuerzeichen vernehmen), Akts (148. Odysseus bringt die Tat
des Aias aus). Oedipus (144. T>er Kâô^iov laôç wird aufgeboten). Anihjone
(253. Die Heldin vollbringt ihre Tat während derNacht^). TrachinkrbnKn
(103 und 141. Deianiras Befürchtungen sprechen sich in den trachinischen
Bürgerhäusern vor Sonnenaufgang, wo der Chor erscheint, herum. )'^)
AuUsche lj)I(igen}e (Der Alte sucht seinen Auftrag zu erfüllen und der
Chor sieht die Dinge, die er nachher erzählt). Taur'ische Ip/iigenit (Die
nachher vom Hirten erzählten Dinge begeben sich.)^)
2. Beide haben wenigstens keine Person gemeinsam und eine,
wenn auch minime, Pause muß zwischen ihnen angenommen werden,
damit die Personen des Prologs Zeit zum Abtreten (oder Entschweben)
haben oder auch damit der Zuschauer nicht das Gefühl hat, es sei bloßer
Zufall, daß der Chor oder die die Parodospartie einleitende Person nicht
vor der Zeit schon erschienen sei. Diesen Fall haben wir schon im
Pi'omf'f/feiiH. wenngleich der Held im Grunde schon während des Prologs
da ist; denn er ist hier nur stummes Objekt und dürfte sich in den
Dialog gar nicht einmischen-, nachher aber muß nicht nur für das Ver-
schwinden der Dämonen, sondern für seine eigene Sammlung vor dem
x^usbruch eine Pause angenommen werden. In andern Dramen aber ist
die Sache noch deutlicher. In den Septem dürfte doch der Chor nicht
konunen, so lange Eteokles noch mit dem Boten zu tun hat, in den
Eumentden dürfte Klytämnestra das Gespräch Orests mit Apoll nicht
unterl)rechen, in der Sophohiekchen Elelitra die Heldin nicht das Orests
mit dem Pädagogen, in der AfkesHs der Chor nicht das des Thanatos
und des Apoll. Ebensowenig dürfte der Chor in Hippolgtos. dürfte Hekabe
in der Hekahe uiuf den Troadea. Elektra in der Eur'ipidehehen Elekira zu
früh kommen. In Clioephoren. Kolonens. Jon und P/foenlsxen sieht der
oder ein Sprecher des Prologs den kommenden Chor und in den Bakc/nn
h übrigens spielt auch der Prolog schon bei Nacht. V. 15/lß ist nach acçaroû;
und nicht erst nach vvv zu interpungieren. Ismene wundert sich, daß sie jetzt, während
der Nacht, etwas Neues wissen soll.
-) Auch hier spielt der Prolog bei beginnender Nacht.
') Es ist zu beachten, daß durch "iSl) f. die Chorparodos eng mit dem folgenden
zusammenhängt ; die Zeitliicke ist also vor ihr anzunehmen, trotzdem man durch (U ft'.
versucht sein könnte, den Prolog und sie enge zusammenzurücken.
122 •
ruft er ihn sogar her, aber immer, um daun selbst sofort zu verschwinden;
eine Berührung muß duichaus vermieden werden.
Wenn wir sehen, wie peinlich gewissenhaft Pausen der Handlung
überall da, wo der Dichter den Chor zur Verfügung hat, durch Zwischen-
gesänge ausgeglichen werden, so hält es schwer, sich diese Lücken ganz
ohne Ausgleichung durch Musik zu denken. Aber man hatte ja den Au-
leten. Dieser mochte, wemi auch nur mit ein paar Accorden zwischen
den zeitlich getrennten Partien eintreten, und ihn möchte ich auch noch
in Anspruch nehmen a) in den 5 S. 120 f. angeführten Fällen vom Doppel-
prolog für die Pause zwTschen seinen beiden Teilen und b) in den Zeit-
lücken der später zu besprechenden 5 Fälle von Chorlosigkeit innerhalb
des Stückes nach der Aphodos und vor der EjDiparodos.
3. Von den Sprechern des Prologs bleiben während der Parodos
alle oder doch eine Hauptperson auf dem Schauplatze, so dass Prolog
und Parodospartie ohne stärkere Pause in einander übergehen. Eine
Caesur ist zwar hier vor dem Auftreten des Chors wie vor jedem Auf-
treten von Chor oder Personen auch anzunehmen, und als Prolog wird,
was jetzt so heißt, dem Dichter und seinem Publikum auch gegolten haben;
aber ein Vorstück im eigentlichen Sinne des Wortes ist es nicht mehr,
und ich erlaube mir daher, für diese Fälle das AVort Pseudo-Prolog vor-
zuschlagen. Das frühste Stück, wo diese Form gebraucht wird, ist die
Mecka. wo die Amme im Prolog, in der anapästischen Einleitung der
Parodospartie und in der Chorparodos zugegen ist, während der Pädagoge
nach dem Prolog abgeht. Auch der P/ti/oktct hat eine abgehende Person
in Odysseus und eine verbindende in Neoptolemos. Sonst kommt der
Pseudoprolog abgesehen vom Ki/k/ops nur in den Fällen vor, wo Kranke
oder um Schutz Flehende oder Angeflehte ihren anfänglichen Platz nicht
verlassen können, also in Androniac/te. Helena. Herak/iden. Herakles, Euri-
pideischen Hikeliden. Orest.
Xur im Vorbeigehen möge hier noch bemerkt sein, daß in den
Enn/eniden, dem PhUoktet und den Eunpidehclieu Herak/iden der Chor
während des Prologs von Anfang an auf dem Schauplatz ist. Hier be-
deutet also seine Parodos nicht ein Kommen, sondern ein Eintreten in
die Aktion. Die Besprechung der paar nichtiambischen Einlagen in den
Prolog ist mit dem solcher Einlagen in die übrigen iambischen Teile zu
verbinden.
Was sollen wir nun aus dieser Vielgestaltigkeit machen? Wenn
wir uns auch durch das Bewußtsein, daß wir nur einen kleinen Teil des
griechischen Tragödienmaterials kennen, zur Vorsicht mahnen lassen,
se werden wir doch durch die vorliegenden Tatsachen auf eines unwill-
kürlich gestoßen, und das ist der große Unterschied zwischen Sopho-
kh'ischer und Euripideischer Art. Sophokles hat vor allem keine Pro-
— 123 —
loge, die nur aus einer Rede bestehen, Euripides hat deren fünf; So-
phokles hat einen einzigen Pseudoprolog, Euripides acht. Sophokles hat
außer in den Trachinierinnen nirgends die Folge von Rede und Dialog,
Euripides verwendet sie in der Alkestis, der Aulischen Iphigenie, den
Troades und in sechs von seinen acht Pseudoprologen. Dafür sind die
Sophokleischen Prologe in sechs Fällen rein dialogisch, was die Euri-
pideischen nie sind; denn ohne Rede tut es Euripides gar nie.
Greifen wir aber darauf auf Aeschylus mit der Erwartung zurück,
daß dieser uns die Altertümlichkeit der Sophokleischen Form bestätigen
werde, so finden wir die rein dialogische Gestaltung des Prologs nur im
Prometheus. Agamemnon und Choephoren haben die bloße Rede, die
Septem Rede und Dialog, die Eumeniden sogar den Doppelprolog. Ich
möchte daraus folgendes schließen:
Nachdem Aeschylus einmal die prologlose Form aufgegeben hatte,
kamen er und seine Zeit auf die verschiedensten Formen ; möglicherweise
ist es sogar bloßer Zufall, daß sich in den erhaltenen Stücken nicht auch
ein Pseudoprolog findet. Aber es ist zu beachten : Die Reden im Aga-
memnon und den Choephoren sind erstens kurz und zweitens Selbstge-
spräche von durchaus dramatischem, nicht epischem Charakter; durchaus
dramatisch ist auch die Einleitung der Eumeniden, denn mit dem Gebet
tut die Pythias, was ihres Amtes ist, und nachher gibt sie ihrem natür-
lichen Entsetzen über das im Tempel Geschaute xlusdruck, und in den
Septem mag man es ja steif finden, daß zwei Reden den Anfang machen,
auf die der Sprechende keine Antwort erhält; aber dramatisch sind des-
wegen die Worte des Eteokles an die Käofiov jio?Jtcu, der Botenbericht
und das Gebet des Helden doch durchaus. Nirgends findet sich in den
Aeschyleischen Prologen etwas Müßiges, etwas, das die Sprechenden
nicht gemäß ihrem Charakter und der Situation, sondern nur zur Infor-
mation des Publikums sagten.
Daß es so ist, ist nicht ganz allein das Verdienst des Dichters, sondern
hier fällt auch ins Gewicht, daß er noch die durch den Inhalt verbundene
Trilogie hatte, also für das zweite und dritte Stück kein oder wenigstens
kein starkes Rückgreifen auf die Vergangenheit brauchte. Das wurde
mit den ÔQÙfia tiqoç ÔQÙua dyon'i'^ead-cu anders. Die Einzeltragödie rief
einer viel tiefern und eingehendem Motivierung, und in dieser ist nun
der Meister Sophokles. Er verwandte den Prolog als einleitende Szene
und nutzte dabei (wie übrigens schon Aeschybis im Agamemnon) wenigstens
in Aias, Oedipus, Antigone und Trachinierinnen die Möglichkeit der
zeitlichen Trennung zwischen ihm und der Parodospartie damit aus,
daß er zeitlich bis um einen Teil der Nacht Vorausliegendes in die
Stücke zog. Auch er läßt im Prolog nie etwas erzählen, das der Spre-
chende nicht erzählen müßte. Es hat speziell der ganzen Oberflächlichkeit
_ 124 —
bedurft, womit die Trachinierinnen bedacht werden, wenn man in Deia-
niras Anfangsrede einen Euripideischen Prolog sah. Wenn man einiger-
maßen beachtet, mit welcher Weisheit die dem Stücke zu Grunde liegende
Vergangenheit auf Deianira hier und in der Szene der Gewandübergabe,
auf den nicht lügenden Boten, auf Lichas und auf Herakles selbst ver-
teilt ist, und wie alles gerade an der Stelle angebracht ist, wo es frucht-
bar wirken kann, wenn man ferner beachtet, wie der gemeinen Wirklich-
keit zu Trotz Deianira bei ihrer Rede nicht einmal von der Belagerung
(^echahas etwas weiß, so muß man einsehen, daß man es mit dem Gegen-
teil der Euripideischen Art zu tun hat. Allerdings beginnt das Stück
mit einer Rede; diese ist aber nicht an das Publikum gerichtet, sondern
ein Selbstgespräch, gehalten in Gegenwart der Dienerinnen, die es hören
dürfen, gerade wie sie nach 49 f ähnliche .Tai'ôuxQvra ôôvç^uaTa schon
oft gehört haben. In der Realität hätte die Klage der Heldin freilich
eine andere Form ; an diese bindet sich aber der Dichter verständiger
Weise nicht, sondern der Meister der Abbreviatur zieht Getrenntes und
Zerstreutes zusammen, wo er statt mit vielen das gleiche mit wenigen
AVorten sagen kann.
Von der Sophokleischen Kunst des Exponierens hat nun Euripides
wenig angenommen. Dafür hat er bekanntlich die undramatische Form
der Erzählung dessen, was dem Stück als Vergangenheit zu Grunde
liegt, bisweilen auch dessen, was das Publikum noch zu schauen bekommen
wird und in den Troades sogar — was ich mit dem Plane eines Cyklus
von Troischen Stücken erklären möchte^) — , dessen, was noch später
kommen wird. Freilich dient die Anfangsrede diesem Zweck nicht aus-
nahmslos: die Ammenrede in der Medea, Aethras-Rede in den Hiketiden
sind so berechtigt als die Rede Deianiras. Im ganzen aber sind diese
Prologe dramatisch vom Übel, und entschuldigt kann der Dichter ihret-
wegen nur dadurch werden, daß das Stück auch ohne sie fast oder ganz
verständlich wäre.-) Daß er übrigens zeitweise selbst das Gefühl hatte,
er sollte es anders machen, das beweist außer den genannten guten
Reden der im Iphigenienkonzepte und jedenfalls auch in der Andromeda
gemachte Versuch, die Rede durch einen rorangehenden Dialog zu moti-
vieren. — Eine glückliche Neuerung, insofern sie der Geschlossenheit
der Handlung zugute kommt, ist der doch wahrscheinlich von Euripides
aufgel)rachte Pseudoprolog, den auch Sophokles im Philoktet acceptiert hat.
') Vergl. meine oben S. 120 angeführte Abhandlung S. 47 ff.
■-) Ich sage dies ausdrücklich auch vom Hippolytos. Wie viel besser als durch
die Aphroditerede hat Sophokles die Macht der Göttin durch das erste Stasimon der
Trachinierinnen den Hoereru zu Gemüte gefülirt. Ohne es zu wollen ist dies herrliche
Lied für uns die Kritik des Euripides.
— 125 —
II. Die Zwischengesäng-e.
Die Zwischengesänge haben, wie schon S. 2 gesagt, den Zweck,
Pausen der Bühnenhandlung auszufüllen, die dadurch entstehen, daß
eine folgende Szene wegen irgend eines Hindernisses nicht unmittelbar
nach der vorhergehenden eintretend gedacht werden kann. Damit soll
nicht etwa gesagt sein, daß nicht auch andere Tragödienteile die Zeit
ausfüllen hönnen, die eine jenseits des Schauplatzes vorgehende Handlung
für sich braucht. Aber w-ährend dieses verhältnismäßig selten vorkommt,
ist es beim Zwischengesang ausnahmslos der Fall, und während jene
andern Tragödienteile annähernd immer die gleiche Zeit einnehmen,
welche die Nebenhandlung in Wirklichkeit einnehmen würde, kann auch
der kurze Zwischeugesang sich symbolisch mit einer Handlung von sehr
langer Dauer decken. Mit diesen Ijiedern, die die einzelnen Szenen zu-
gleich trennen und verbinden, wird also eine ideale Zeiteinheit für alles
hergestellt, was zwischen dem ersten Verse der Parodospartie, ja, wo
nach dem Prolog keine stärkere Pause ist, für alles, was zwischen dem
ersten Verse des Stückes überhaupt und dem letzten der Exodor, liegt.
Sie fehlen nur, wo der Chor innerhalb des Stückes abgetreten ist.
An sie knüpfen sich nun viele Fragen, "Wir betrachten
7. die Hindernisse,
die einem ununterbrochenen Fortgang der Handlung entgegenstehen.
Diese sind negativer und positiver Art. Ich unterscheide folgende vier Fälle:
a) Wie nach S. 121 f. zwischen Prolog und Parodospartie, so muß
auch zwischen spätem Szenen durch ein Pausieren der Handlung der
störende Eindruck vermieden werden, als wäre es bloßer Zufall, wenn
Personen sich nicht treffen, die sich unmöglich begegnen dürfen. Diesen
Eindruck hätte man z. B., wenn in der Sophokleischen Elektra Klytaem-
nestra unmittelbar nach dem ersten Abgange der Chrysothemis (471)
aufträte. Darum das Stasimon 472/515. Ebenso 1058/97 (Chrysothemis —
Orest), Rhesos 224/63 (Dolon — der Hirte), Iph. Aul. 751,800 (Aga-
memnon - Achill), Med. 627/62 (Jason — AegeusJ.
b) Die Szenen dürfen sich überhaupt nicht jagen. Dem Helden mirß
nach einer bewegten Szene Zeit gelassen werden, Atem zu schöpfen und
sich ihrem Eindruck hinzugeben. Dies ist speziell in drei Stücken der
Fall, die durch eine immer oder fast immer auf dem Schauplatze bleibende
Hauptperson zusammengehalten werden, im Prometheus, der 397 435
zwischen seinem Gespräch mit Okeanos und seiner mächtigen Rede an
den Chor, 526/60 zwischen dem folgenden Gespräch und dem Jodialog
und 887/906 zwischen diesem und der Exodos Pausen haben muß. ebenso
— 126 —
in der Medea 410 45 zwischen der Rede yMxojg jiÈTiQay.Tai und der fol-
genden Jasonszene und in den Troades 511/67 zwischen Hekabes Jammer-
rede und der Andromacheszene, 799/859 zwischen dieser und der Mene-
laosszene, 1060/1117 zwischen dieser und der Szene mit dem toten Kinde.
c) Durch einen Zwischengesang wird auch der Vorsprung, den ein
Vorauseilender vor dem später Nachkommenden hat, markiert. So könnte
z. B, der vorhin unter a angeführte, El. Soph. 1058/97, auch damit be-
gründet werden, daß nach der gegebenen Fiktion der mit dem ehernen
Aschenkruge von Strophios abgesandte Bote erst um eine sehr geraume
Zeit später in Mykene ankommen könnte, als der von Phanoteus mit
der Freudenbotschaft natürlich eilig herbeikommende erste Bote, und
daß diese Zeitdifferenz durch die Dialoge 660/1057 nicht genügend ge-
deckt erschien. Wem dies aber zu künstlich vorkommt, der beachte, wie
im Agamemnon das Lied 681/782 die Heroldszene von der Szene des
nachkommenden Agamemnon scheidet, und vergleiche damit Bhesos 342/97
(Hirtenszene — Bhesos), Trach. 205 21 (Bote — Lichas), Bakch. 1153/64
(Bote — Agaue), Elektra Eur. 859/79 (Bote — Orest), Heraklid. 892/927
(Diener — Eurystheus), Jon 1229/43 (Diener — Kreusa und gleich
darauf Jon). Im Konzept der Aulischen Iphigenie tritt zwischen die 441
schließende Botenszene und die 590 beginnende Szene mit Klystaemnestras
Ankunft vor dem Liede 543/89 noch eine Szene der beiden Atriden;
man hat sich aber nach 420 ô\ hier auch eine recht lange Zwischenzeit
zu denken ; denn der Bote bricht auf, als die Frauen sich eben zur
Ruhe niederlassen.
dj In allen übrigen Fällen kann irgend ein sei es längere, sei es
kürzere Zeit in Anspruch nehmender Umstand nachgewiesen werden,
der seinen Platz in der durch den Zwischengesang gedeckten Zeitlücke
hat. Es werden Mitteilungen gemacht, die in der folgenden Szene voraus-
gesetzt sind, Personen werden angelogen oder sonst bearbeitet, hin und
wieder muß jemand Gelegenheit haben, den Hausgenossen seine Stimmung
zu zeigen ; wichtige Vorbereitungen werden getroffen, Kleider gewechselt,
Opfer, Bestattungshandlungen u. dgl. vollzogen, Gänge und Reisen ge-
macht, Personen und »Sachen empfangen oder fortgebracht, politische
Akte ausgeführt, Leute gefangen genommen und mißhandelt, Kämpfe
vorbereitet, Schlachten geschlagen, eine Flucht versucht, Mord, Totschlag
und Selbstmord vollbracht. Auch ein längere Zeit dauernder Zustand
wie der Schlaf oder ein motiviertes Ausruhen gehört dahin. Dies möge
aus dem folgenden Verzeichnisse hervorgehen, in dem ich der Über-
sichtlichkeit wegen auch die unter abc genannten Fälle nochmals an-
führe. Zum voraus sei nur noch /iarauf aufmerksam gemacht, daß es
sich hier nicht bloß um Stasima, sondern um Zwischengesänge über-
haupt, auch um solche einzelner Choreuten handelt.
— 127 —
Aeschylus Promefhefis. 397/435, 526/60, 887/906. Siehe b.
Septem. 287 368. Eteokles stellt seine Scharen auf.
720/91. Der Kampf findet statt.
832/960. Die Probulen fassen den Beschluß wegen der Toten.
Perser. 548/97. Atossa holt die Grabspenden (524 f. 609).
633/80. Sie bringt die Grabspenden dar (619 tf.).
852/908. Sie holt Gewänder und bringt sie Xerxes entgegen (849 tf.).
Hikeüden. 419/37. Der König besinnt sich (407. 419).
524/99. Die Volksversammlung findet statt (517 ff. 600 f).
630/709. Danaos hält auf der Warte Wache (713 ff.).
776/835. Danaos holt den König (774). Mit der Zwischenzeit deckt
sich hier auch noch die Heroldszene (836/910).
Agamemnon. 367/488. Agamemnons Rückfahrt.
681/782. Siehe c.
975/1034. Nach dem Eintreffen des Königspaares wird ein Brand-
opfer vorbereitet, oder es vergeht doch so viele Zeit, daß dies
fingiert werden kann. (1055 f.)
Choephoren. 585/652. Orest verkleidet sich als Wanderer (560 f.).
783/837. Aegisth wird von der Amme geholt (734 ff. 779 â\).
935/72. Klytffimnestra wird ermordet (904 ff. 973 ff.).
Enmeniden. 321/96. Athena kommt vom Skamander nach Athen (897 ff'.).
490/565. Sie wählt und versammelt die Richter (487 ff. 570 ff.).
Rhesosdichter. -R/tesos. 224/63. Siehe a. 342/97. Siehe c.
Sophokles. Akts. 596/645. Aias begiebt sich in seine Rüstung.
693/718. Er entfernt sich zu weit, um zurückgerufen werden zu können.
1185/1222. Teukros sucht eine Stelle für die Bestattung.
Elektro. 472/515. Siehe a. 1058/97. Siehe a und c.
1384/97. Klytaemnestra empfängt Orest und Pylades und schmückt
den Aschenkrug (1400 f.).
Oedipus. 463/512. Kreon erfahrt den Verdacht des Oedipus (513 ff\).
863/910. Oedipus zeigt im Palaste seine Unruhe (914 ff.).
1086/1109. Jokastes Verzweiflung.
1186/1222. Katastrophe des Oedipus.
Oedipus aufKolonos. 668/719. Theseus bringt Poseidon ein Opfer dar (886).
1044/95. Er jagt den Thebanern die Töchter des Oedipus ab.
1211/48. Polyneikes wird vom Poseidonaltar herbeigeholt.
1556/78. Oedipus tut seinen letzten Gang.
Antigone. 332/83. Rückkehr des Wächters zur Leiche. Antigone wieder-
holt ihre Tat und wird vor Kreon gebracht.
582/630. Hämon macht Beobachtungen über den Eindruck von
Antigones Behandlung bei der Bürgerschaft (692 ff".).
781/800. Antigone wird durch die Knechte herbeigeführt (760 f.).
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944/987. Tiresias erhält Bericht von ihrer Verurteilung und läßt
sich zu Kreon führen (1069 f.).
1115/52. Die Katastrophe Antigones und Hämons.
Trachinknnnen. 205/21. Siehe c.
497/530. Deianira rüstet das Nessosgewand.
633/62. Sie macht ihre Beobachtung an der Flocke. Das Gewand
wird überbracht und tut seine Wirkung. Hyllos kehrt zurück.
821/62. Deianira nimmt sich das Leben.
947/70. Hyllos geht dem Vater entgegen und Iningt ihn her.
P/tiloktet. 676/739. Philoktet und Neoptolemos holen die Habseligkeiten
aus der Höhle (645 f.).
827/64. Philoktet schläft.
Euripides A/kestis. 213 37. Die Dienerin meldet dem Königspaare, daß
der Chor mit wohlwollender Gesinnung da sei (209 ff.).^)
435/75. Admet und seine Leute lassen sich scheren und ziehen
Trauerkleider an. (425 ff.)
568/605. Admet schmückt die Leiche der Alkestis (607 ff.). Herakles
zecht.
962/1005. Herakles siegt über Thanatos und kehrt mit Alkestis
zurück.
Audromache. 274/308. Hermione läßt durch Menelaos den Molossos herbei-
bringen (263 f. 309 f.).
464/93. Andromache wird ins Haus abgeführt und gefesselt
(433 f. 501 f.).
766/801. Menelaos verläßt das Land, Hermione gerät in Ver-
zweiflung (732 ff. 804 ff.).
1009/46. Orest und Hermione entfliehen. Peleus erfährt es (1047 0'.).
Bakchen. 370/433. Dionysos wird gefangen (352 ff. 434 ff.).
519/75. Er weilt als Gefangener im Pferdestall (509).
862/911. Pentheus wird als Weib ausstaffiert (857 ff. 914 f.).
977/1023. Seine Katastrophe findet statt.
1153/64. Siehe c.
Hekahe. 444/83. Polyxena wird geopfert.
629/57. Die Dienerin geht nach Wasser (609), findet Polydors
Leiche und kehrt zurück.
905/51. Polyraestor wird aufgesucht (889 ff.) und zu Hekabe gebracht.
1023/34. Er wird mit List entwaffnet und geblendet.
') Dieser Gesang soll in dieser Abhandlung als Zwischengesang angesehen werden,
wie er auch bisher als Stasimon galt. Indes soll nicht verschwiegen sein, daß ich
nicht ganz klar darüber bin, ob er nicht eher die Fortsetzung der Chorparodos ist wie
Hik. Eur. 271 85. Dies ließe sich mit der Kürze der Zwischenhandlungen rechtfertigen,
und es müßte dann im folgenden einiges anders gesagt sein.
— 129 —
Hehna. 1107/64. Helena zieht Trauerkleider an (1087 ff.).
1801/68. Theonoe belügt den Bruder, Menelaos wappnet sich,
Theoklymenos schafft Opfertiere herbei.
1441/1511. Der Rettungsplan wird ausgeführt.
Elektro. 432/86. Der Auturg holt den alten Diener.
699/746. Die Überlistung Aegisths durch Orest.
747/50. (Melische Trimeter.) Orest findet sich mit Aegisths Knechten
ab ; der Bote kommt zu Elektra (844/58),
859/879. Siehe c.
1147/71. Klytsemnestras Ermordung.
HerakUdeu. 353/80. Das athenische Heer rüstet sich und erhält die
Sprüche (389 ff.).
608 29. Makaria wird geopfert.
748/83. Die Schlacht mit Eurystheus wird geschlagen.
892/927. Siehe c.
Herakles. 348/441. Megara und die Kinder ziehen Sterbekleider an (442 f.).
637/700. Herakles begrüßt die Götter des Hauses (606 ff.).
735/59. Er tötet den Lykos.
763/814. Er bereitet das Siegesopfer vor.
815/21. Das Nahen der Iiüs und Lyssa.
875/886. Der Wahnsinn beginnt.
887/908. Herakles tötet die Kinder.
1016/38. Er schläft.
Hiketkkn. 365/80. Theseus befragt das Volk, ob es helfen wolle (354 ff.).
598 633. Die Schlacht wird geschlagen.
778/93- Adrast geht dem Leichenzuge entgegen und kehrt mit ihm
zurück (772 ff. 798).
955/79, Die übrigen Leichen werden fortgetragen und verbrannt,
für Kapaneus ein besonderes Grab errichtet (934 ff.).
Ilippolytos. 525/64, Die Amme unterhandelt mit Hippolytos und läßt
ihn schwören.
732 75, Phaedra nimmt sich das Leben.
1102,50. Hippolytos findet seinen Untergang.
1268/82, Der Schwerverwundete wird herbeigebracht.
Aidisc/te Iplùgeiùe. 543/89, Siehe c. 751 80. Siehe a.
1036/97. Klytaemnestra teilt der Tochter das ihr Bevorstehende
mit (1100 ff.).
1521/31. Iphigenie wird geopfert und gerettet.
Taurische Iphtgenie. 392/455. Orest und Pylades werden von Thoas herbei-
geholt (334 f. 342).
1089/1151, Iphigenie nimmt das Bild von seinem Standort weg
(1044 f, 1157 f.).
— 180 -
1234 83. Flucht der Geschwister, Zurückhaltung des Schiffes, der
Bote zu Thoas.
Jon. 452 509. Xuthos empfängt im Tempel sein Orakel.
676/724. Jon errichtet das Prachtzelt und bereitet das Opfer vor.
1048/1105. Der Pädagoge unternimmt seinen Mordversuch und
kommt um.
1229/43. Siehe c.
Medea. 410/45. Siehe b — 627/62. Siehe a.
824 65. Die Dienerin holt Jason herbei (820).
976/1001. Die Kinder überbringen den Schmuck. Der Pädagoge
kommt zurück.
1251,92. Der Kindermord.
Oresi. 316 55. Orest giebt sich auf Elektras Mahnung der Ruhe hin (307 ff.).
807/43. Orests Verteidigungsversuch in der Volksversammlung.
1353 '65. Orest und Pylades suchen die entschwundene Helena
(1490 ff.).
1537 49. Sie rüsten die Feuerbrände. Das Gerücht von Helenas
Verschwinden verbreitet sich (1543 f. 1529 f. 1550).
Troades. 511/67 — 799/859 — 1060 1117. Siehe b.
Pliömssen. 638/89. Kreon hört von der Verhandlung der Brüder (703 f.).
784/833. Menoikeus holt Tiresias herbei (768 ff.).
1019/66. Menoikeus stürzt sich von der Mauer. Eteokles ordnet
die Scharen. Der erste Kampf,
1284/1307. Jokaste eilt auf's Schlachtfeld (1329). Der Bruderkampf
und Jokastes Selbstmord.
Kyklops. 356/74. Der Kyklop verzehrt in der Höhle die Genossen des
Odysseus.
495/519. Odysseus macht die Stange glühend (455 ff.).
608/23. Der Kyklop schläft.
656/662. Er wird geblendet.
Hieran schHeßen sich noch folgende Bemerkungen : 1 . Selbstver-
ständlich sind unter d viele Gesänge angeführt, die es auch unter a und b
sein könnten. Auch könnte z. B. der Gesang Hik. Eur. 778/93 unter c
angeführt sein, weil er zwischen die Botenszene und die Szene bei dem
angemeldeten Leichenzuge fallt. Anderseits sind unter a und b auch
Fälle angeführt, während deren eine äußere Handlung nachweisbar ist,
nur aber eine solche, die sich nicht bloß mit ehuni Zwischengesange
deckt, sondern mit zweien und der dazwischen liegenden Szene. So deckt
sich in der Aulischen Iphigenie die Beratung Agamemnons mit Kalchas
(746 f.) mit der ganzen Partie 751/1097. in den Troades die Weg-
führung, Tötung und Rückschaffung des Astyanax mit der ganzen Partie
798/1122.
— 131 —
2. Überhaupt ist damit, daß der Zwischengesang meist mit Zwischen-
handlungen zusammenfällt, nicht gesagt, daß dieses äußere Tun sich in
seiner Abgrenzung immer genau mit ihm decken müsse. Antigenes Selbst-
mord mag schon zugleich mit 1047, als Kreon sich gegen Tiresias starr-
sinnig gezeigt hat, stattfinden. Hyllos wird schon bald nach Deianiras
Selbstmord dem Vater entgegen aufgebrochen sein, so daß sein Gehen
und Kommen nicht bloß durch 947/70, sondern auch durch die voran-
gehende Ammenszene gedeckt ist; Herakles geht in der Alkestis schon
vor der Epiparodos zum Grabe ab ; sein Gehen, Kämpfen und Zurück-
kommen deckt sich also außer mit 962/1005 mit den vorangehenden
101 Versen ; in der Taurischen Iphigenie geht der Diener schon 342,
nicht erst 392 ab, um die Gefangenen zu holen. Anderseits zieht sich
im Oedipus Jokastes Verzweiflung noch über die ganze auf 1086 1109
folgende Szene ; denn erst, als Oedipus ins Haus stürmt, hört der
Exangelos auf sie zu beobachten, und ebenso erstreckt sich das Poseidon-
opfer des Theseus und dessen Rückkehr im Koloneus von 668^719 noch
bis 885. In der Medea setzt das Stasimon 976 1001 da ein, wo die
Kinder, von der Verbannung freigesprochen, zur Mutter zurückkehren;
was sich nachher (nach 1157 1221) bis zur Ankunft des Boten begiebt,
deckt sich mit der Szene 1002 80 und der langen anapästischen Partie
(1081/1115). Indes man beachte, worauf später noch zurückzukommen
ist : Die Katastrophe Kreuses und Kreons würde, auch ganz realistisch
genommen, wenn wir uns ihre Qualen nicht besonders lang denken
wollen, nicht viel mehr Zeit erheischen als die Deklamation und para-
katalogische Rezitation dieser beiden Partien.
Neben den, wenn ich recht zähle, 125 Fällen, da ein Hindernis
des Fortschreitens der Bühnenhandlung durch den Zwischengesang des
Chors gedeckt wird, giebt es nun allerdings auch solche, da diese Deckung
nicht vorhanden ist. Dies sind aber ausschließlich die, wo ein Chor nicht zur
Stelle sein kanu. weil er während des Stückes abgezogen ist, also 1. die
Pause zwischen der delphischen und der athenischen Partie der Eumeniden
(234), 2. die zwischen der Choraphodos des Rhesos und dem Auftreten
der Feinde (564) und 3. die zwischen dem Abgang Athènes und der Chore-
piparodos (674), 4. die zwischen der Choraphodos des Aias (814) und der
letzten Rede des Helden und 5. die zwischen dieser Rede und der Epiparodos
des Chors (865), 6. die zwischen der Choraphodos der Alkestis und dem
Auftreten des Dieners (746), 7. die zwischen dem Abgang des Herakles
und der Epiparodos Admets und des Chors (860), 8. die zwischen der
Choraphodos der Helena und dem Auftreten des Menelaos (385) und
9. die zwischen der ersten Menelaosszene und der Chorepiparodos (514).
In den Eumeniden und im ersten der beiden Fälle des Aias ist die
~ 132 —
Pause durch die Ortsveränderung, sonst überall dadurch motiviert, daß
Personen und Chor sich noch nicht oder nicht mehr treffen dürfen; daß
ich sie mir durch Flötenspiel ausgefüllt denke, ward oben (S. 122) gesagt.
2. Die Arten des Zwischengesanges.
Wenn von mir das Wort Stasimon bisher meist fast ängtlich ist
vermieden worden, so ist dies nicht aus Purismus geschehen, sondern
Aveil ein Name nötig war, der a/lc pausenausfüllenden Gesänge, nicht die
Stasima allein bezeichnete. Allerdings wiegen unter den Zwischeugesängen
die Stasima stark vor, aber auch solche, denen man diese Namen nicht
beilegen kann, kommen vor. Auch das Stasimon aber hat seine Neben-
gattungen, wie im folgenden dargelegt werden möge.
Was ist ein Stasimon '? Die Eumeniden muntern sich am Beginne
der einem solchen vorausgeschickten Anapäste (307) mit dem Worte auf
äye ô/j -Aul yoQov äUicofisv. Sie werden dies während des Systems be-
sorgen und stehen erst an dessen Schlüsse als ;ço^ôç, d. h. in Reigen-
stellung für den folgenden Gesang da. Noch mehr aber sagt uns eine
Stelle des Herakles : Das Lied, das während des Lykosmordes. von
Jammergeschrei unterbrochen, gesungen wird (735/59), ist offenbar nicht
in der Reigenstellung vorgetragen; denn erst nachher (761) heißt es
TiQÖg x^Qovç TQajiùjfied^a. Und am Schlüsse (815/21), nachdem die beiden
Syzygien gesungen sind, ist es beim Auseinanderstieben des Chores mit
der Reigenstellung natürlich auch nichts mehr. Ein äußeres Geschehen
deckt sich nun hier, wie wir gesehen, auch freilich mit dem Anfang
und dem Schlüsse ; den Namen Stasimon aber kann man doch nur der ]Mitte
geben, wo der Chor seinen antistrophierenden Gesang in Reigenstellung
singt. Sollte es bei dieser Bedeutung der Reigenstelluug nicht das
Natürlichste sein, den Namen o%doi(iov {(léXog) von der gtuoic, eig x^Q^^y
herzuleiten und als das Lied des zur Reigenstellung angetretenen Chors
zu erklären ? x^Q'^^^^ konnte man dafür ja nicht sagen, weil dieses
Wort jede melische Äußerung der sämtlichen oder einzelnen Choreuten
bezeichnete.
Mag aber der Name zu erklären sein, wie er will, sicher ist, daß
fil/e antistrophierenden Chorgesänge als Stasima zu gelten haben, und
die Frage ist bloß, ob dies /////• mit solchen der Fall sei oder ob es
auch Stasima in monoslrophischer Form gebe. Ich möchte mich für
letzteres entscheiden und zwar im Hinblick auf die beiden Nebengattungen
des Stasimons, a) das Hyporchem und b) das kurze Stasimon der ge-
spannten Erwartung.
a) f)(fs /h/porr/tem darf vom Stasimon ja nicht auf das Scholion zu
Tracb. 216 hin getrennt werden; denn der Grammatiker, der schrieb tô
I
— 133 —
fiEÀiôâçiov oï/y. è'ari axdaijLiov, «//' vnô tfjç fjôovfic, oQyovvxai, ging
jedenfalls von der sicher falschen Erklärung aus, daß otûgiihov ein Lied
sei, das der Chor stehend singe. Es war ein Reigenlied, zu dem natürlich
wie zu den andern angetreten werden mußte, und unterschied sich von
diesen hauptsächlich durch die raschere Bewegung der Tanzenden und
dadurch, daß ein Schauspieler in den Reigen hineingezogen werden
konnte, wie denn der Chor an die Euripideische Elektra i,859) die Ein-
ladung richtet: d-kg ek Xoqov, oj (fi?.a, r/voc.. Ich glaube, den Hyporchemen
auch das gewiß von sehr ausdrucksvoller Bewegung begleitete Baukalema
des Philoktet sowie den Komos des Kyklops anreihen zu dürfen und
komme damit auf folgende Formen : a) Das Hyporchem besteht aus
einer gewöhnlichen Syzygie : Hiefür ist das einzige sichere Beispiel
Aias 693/718. b) Zwischen eine Strophe des Chors und ihre Antistrophe
tritt eine vom Schauspieler gesungene Mittelpartie und zwar im Baukalema
der Philoktet (827/64) die vier Hexameter des Neoptolemos, in der
Euripideischen Elektra (859/79) die sieben (865) als -/M/Mvr/.oz cbôd be-
zeichneten und demnach jedenfalls melisch vorgetragenen Trimeter der
Heldin und im Komos (Kykl. 495/518) eine metrisch mit dem Strophen-
paare sich deckende Strophe des trunkenen Kyklopen. c) Das Hyporchem
ist monostrophisch. So Trach. 205,24, wo das Liedchen des Chors von
zwei kurzen Gesängen einzelner Choreuten umgeben ist, und das kurze,
mit àvayoQEvooj^iEv Bccx/iov anhebende Jubellied Bakch. 1153/64.
Zwischengesänge sind diese unstrophischen Partien sicher. Warum sollten
sie nicht auch Stasima sein, zumal, wenn meine Erklärung des Wortes
richtig ist ?
b) Monostrophisch sind auch einige der Lieder, die ich als /iurzc
Stasima der gespannten Enrartnnf/ bezeichnen möchte, nämlich das (sicher
vollständige) Lied auf Kypris Hipp. 1268/82 und der Piean Iph. Aul.
1521/31, wozu man noch die vollstimmigen Gesänge Kykl. 356/74 und
608/23 ziehen möge. Diese kurzen Gesänge linden sich, wie die Hyporcheme,
auf die hier zurückzukommen ist, niemals bei Aeschylus, sind aber bei
Sophokles und Euripides nicht selten. Sie haben mit den Hyporchemen,
abgesehen davon, daß sie eine Zwischenzeit decken, den Zweck gemein,
durch kurzes Retardieren die Spannung auf ein Bevorstehendes aufs
stärkste zu steigern und finden sich also da ein, wo etwas besonderes,
zumal die das Stück entscheidende Wendung oder auch das Auftreten
einer wichtigen Person erwartet wird, also, um die Hyporcheme und die
andern bereits zitierten Stellen einzuschließen, da, wo nach dem Weg-
gange des Aias eine glückliche Lösung erwartet wird und nach dem Ab-
gang des Hämon(Ant. 78 1/800) die unglückliche, nach dem desKoloneischen
Oedipus (1556/78) die Todesnachricht, nach dem Makarias (Heraklid.
608/29) die von der bevorstehenden Hilfe, nach dem Jokastes (Phöii-
— 134 —
1283/1306) die vom Ausgange des Bruderkampfes. Angemeldete Kommende
werden erwartet während der Hyporcheme der Trachinierinnen (Lichas).
der Bakchen (Agaue) und der Euripideischen Elektra (Orest) und während
der Lieder Oed. 1086 1109 (der Hirte), Hik. Eur. 778/93 (der Zug der
Leichen); auch Alk. 213 '37, wo das Hervortreten des Königspaares mit
Spannung erwartet wird, mag hieher gehören und ebenso trotz zwei
Syzygien Trach. 947/70, w-o das Erscheinen des Herakles bevorsteht;
denn die kurze erste Syzygie dürfte von Einzelsängern vorgetragen sein.
Während des letzten Stasimons des Hippolytos steht die Schlußw'endung
des Stücks bevor und ebenso während des letzten der Aulischen Iphigenie.
Im Orest, wo — für das Stasimon singulär — Strophe und Antistrophe
getrennt erscheinen, ist man dort (1353/65) auf den Ausgang des Mord-
anschlags gegen Helena, hier (1537/49) auf den Angriff des Menelaos
und dessen Erfolg gespannt und an der ersten erwähnten Stelle des
Kyklops auf das Schicksal der in die Höhle eingetretenen Odysseus-
leute, an der zweiten auf das des ebendahin abgegangenen Kyklopen ;
auch während des Komos herrscht Spannung auf die Wirkung der von
Odysseus angekündeten List. Endlich gehören hieher die drei Syzygien,
die einer durch "Weherufe aus dem Innern verkündeten Mordtat un-
mittelbar vorangehen: El. Soph. 1384/97, El. Eur. 1147/62, Med. 1251/70.
Es ist zu beachten, daß der Mord selbst sich hier nie mit dem Strophen-
paar deckt, sondern daß der Schrei bei Sophokles in dem folgenden
Kommos, bei Euripides in der Epodos gehört wird. — Nicht in einen
Moment besonderer Spannung fällt allein das Baukalema des Philoktet.
Allen unter dem Namen der Stasima zusammenzufassenden Zwischen-
liedern stehen nun aber eine Anzahl von solchen der Responsion ent-
behrenden Liedern gegenüber, für die ein Antreten zur Reigenstellung
nicht nötig ist, weil sie größtenteils nicht vom Gesamtchore, sondern
von einzelnen Choreuten vorgetragen werden. Es sind dies hauptsächlich
die oft von Wehrufen eingeleiteten oder von Wehrufen unterbrochenen
Lieder, die während einer im Innern des Hauses stattfindenden Mord-
oder Gewalttat gesungen werden und also, weil sie sich mit einer äußern
Handlung decken, immerhin als Zwischenlieder zu bezeichnen sind. Hieher
gehören Hekabe 1024/34 (Polymestors Blendung), Herakles 735/62 (Lykos'
Ermordung) und 875/908 (Mord der Kinder, wie Wilamowitz mit Recht
annimmt, mit mehrfachen kurzen Unterbrechungen durch Amphitryon),
Kyklops 656/662 (Blendung Polyphems). Dazu gehört noch das Lied
des geängsteten Chors im Jon (1229 43) und das Klagelied des Chors
vor Amphitryons Hervortreten Her. 1016/38. Auch zwei ganz kurze
Partien, die einem vorangehenden Stasimon angehängt sind, müssen hier
genannt sein: El. 747/50 und Her. 815 21. Beide Male unterbricht der
Vertreter des Chors infolge eines überwältigenden Eindrucks den Gesang
— 135 —
mit einem Ausruf der Verwunderung, um darauf zu Triraetem über-
zugehen. Dali diese melisch sind, dafür spricht im Herakles der Abschluß
durch andere Metra, in der Elektra der Umstand, daß sie sich mit einer
langen äußern Handlung decken, wie dies sonst nur bei Zwischengesängen
der Fall ist, und daß der wie eine vEQxéqa ßgovri] âiôg erklingende
Schall und die ovx uat]fia Tcvevfiata eine den Vortrag begleitende
Instrumentalmusik gewesen sein müssen.
Warum aber habe ich gesagt, diese Vorträge entbehrten der
Responsion, während man sich doch so viele Mühe giebt, gerade den
des Lykosmordes in Strophe und Autistrophe zu zerlegen ? Ich bitte,
einmal alle Stellen anzusehen, an denen aus dem Innern eines Raumes
Wehrufe erschallen. Bei Aeschylus finden sie sich Agam. 1343/7 und
Choeph. 869/874 als kurze Kommoi, bei denen von Responsion keine Rede
ist. Nahe verwandt mit dem Agamemnonkommos durch die Mischung
von Trochäen mit andern Metren ist der AVagenlenkerkommos des
Rhesos 728/32, der auch nichts von Responsion hat; in der Sophokleischen
Elektra kommen sie im ersten von zwei der Überlieferung nach nicht
respondierenden Teilen eines Kommos (1404/21, 1428/41) vor, auch im
Orest (1286/1310) in der mit nichts respondierenden Epode eines Kommos ;
in der Euripideischen Elektra (1163/71) und in der Medea (1271/92),
wie Avir sahen, erst in der Epode des Stasimons, in nicht antistrophierend
überlieferten Gesängen im Herakles (735/62 und 875/908); in der Hekabe
(1024/38) und im Kyklops (656/665) kommen sie überhaupt erst hinter
der gesungenen Partie. Ich will nun nicht bestreiten, daß sich im Liede
des Lykosmordes und im Kommos der Sophokleischen Elektra innerhalb
dieser nicht respondierenden Teile metrische Motive in einer Weise
wiederholen, wobei der Zufall ausgeschlossen ist; aber der Umstand, daß
die Überlieferung die roUsfändir/c Responsion in diesen Partien gar nirgends
bietet und daß sie von Wilamowitz nur vermittelst der Annahme her-
gestellt werden kann, die unterbrechenden Verse seien unberücksichtigt
zu lassen und so unschuldige Stellen wie El. Soph. 1412 odö' ô yei'i'fjGag
naT-ÉQ und Her. 760 seien zu tilgen, während Kaibel in der Elektra
für die bekannten Lücken eintritt,') empfiehlt mir das Festhalten an
der Übersieferung an diesen beiden Stellen wie auch in der Medea aufs
stärkste. Und warum sollte denn auch bei diesen höchst bewegten
Szenen eine Störung der Responsion niclit bewußter künstlerischer Ali-
1) Eine Lücke ist hier allerdings nicht zu bestreiten, aber gerade sie spricht für
ein lokales Abirren des Schreibers und nicht für eine stärkere Textesentstellung. In
1431 steht das ècp fjfilv in der Luft und die darauf folgenden "Worte könnten ebenso
leicht den Schluß des folgenden Verses bilden. Man könnte Orest fragen lasseu
elaoQÙTé tiov tov ävOQ' écp' f^fùp <ioù ôoy.iô ÀV7toi\u£vov^, worauf Elektra bestätigend
einfiele : ;fop£t yeyrjd'ùjç ol'toç èy. n^Qoaavi'ov.
— 136 —
sieht entspringen, die gerade um so stärker zu Tage tritt, wenn die
strenge metrische "Wiederholung sonst nicht überall gesprengt ist ?
Übergangen möge hier alles Metrische werden, und für die Verteilung
antistrophierender Stasima auf mehrere Einzelsänger verweise ich auf
Arnoldt.
3. Die Verbindung des Ztuisciiengesangs mit l/orhergehendem
und Folgendem.
Von einer Geschichte des Stasimons ist hier natürlich abzusehen.
Daß der Chor überhaupt bei Aeschylus stärker im Vordergrunde des
Stückes steht, weiß jedermann. In den Eumeniden ist er geradezu die
eine Partei; in den Hiketiden hat er noch Danaos neben sich, aber es
ist interessant zu beobachten, wie stark er neben diesem hervortritt und
damit die Rolle des Chors in den Bakchen und den Hiketiden des Eu-
ripides neben den verwandten Gestalten des Dionysos und des Adrastos
zu vergleichen. Das muß sich natürlich auch im Stasimon zeigen. Nicht
nur reflektiert es stärker und öfter als bei den andern den Eindruck
der vorangegangenen Handlung, sondern es ist mit den übrigen Teilen
auch oft organisch verbunden. Sechsmal (Sept. 822/31, Pers. 53247,
623/32, Hik. 625/29, Agam. 355/66, Eum. 307 20) sind ihm anapästische
Partien vorangeschickt, welche, wie die Agamemnonstelle lehrt (vergl.
S. 132), das Antreten zur Reigenstellung feierHch (fünfmal mit Gebet)
begleiten, eine Form die bei den Spätem für die Tragödie gänzlich ver-
pönt war und charakteristischer Weise nur vor dem Komos des Satyr-
dramas (Kykl. 483/94) noch einmal erscheint. Ferner findet sich vor dem
Stasimon oder den es einleitenden Anapästen einmal (Eum. 299/306)
eine längere Äußerung des Chors in Trimetern, dreimal (Hik. 1014/17, Agam.
351/54, Choeph. 931/4) das für Aeschylus charakteristische Interloquium
von vier Versen, während die spätem vor dem Zwischengesang niemals
ein Interloquium haben'). Außerdem mag darauf hingewiesen werden,
wie im ersten und zweiten Stasimon des Prometheus (397, 552) der
Chor den anwesenden Helden anredet und die auf das erste folgende
Rede sich geradezu als Antwort gibt, wie Hik. 520 der König das im
folgenden (zweiten) Stasimon enthaltene Gebet provoziert und nachher
das im dritten enthaltene lobt (710), wie der v^ivoç ôéa/.uoç der Eume-
niden (306) von diesen selbst zum voraus angekündet wird und wie
Athene (397) an ihn anknüpft, — dies alles zeigt, daß der Aeschyleische
Chor, so deutlich er auch die Funktion hat. Pausen auszufüllen, doch
auch im Stasimon noch stark die actoris vices zu vertreten hat. Ahnliche
Anknüpfungen kommen in der spätem Tragödie nicht mehr oft vor.
') Alk. 892 ist kein Interloquium und Hik. Eur. 2(V2'8b keiu Stasimon.
— 137 —
So wie bei Aeschylus finden sie sich nur in der Alkestis, also einem
der frühsten Stücke. Hier beschäftigt sich der Chor im ersten Stasimon
in Hemichorien mit der Klage um das erwartete Königspaar'), und zwei
Strophen des letzten (984/1005) sind dem Tröste des anwesenden Admet
gewidmet und an diesen gerichtet. Die anwesende Medea dagegen wird
(655. 997) nicht viel anders als der abwesende Jason (990 ff) apostro-
phiert, und wenn der Chor auf Kolonos (680) die Anrede géve anbringt,
so wird damit nur die ausführliche Schilderung der eigenen Landschaft
begründet und entschuldigt-) Durch Vorhergehendes veranlaßt ist das
letzte Stasimon der Aulischen Iphigenie (vergl. 1491 ff) und umgekehrt
weist das letzte Stasimon der Trachinierinnen auf das Folgende hin,
indem der Chor (962 ff) den nahenden Herakles erblickt. Eine Beziehung
des Folgenden auf das vorangehende Lied findet sich nur, wenn die
Choreuten zum Schweigen aufgefordert werden^). Dies alles ist doch
gegenüber Aeschylus sowohl als gegenüber den Anknüpfungen an das
Parodoslied sehr wenig.
4. Rückblick auf den Zweck des Stasimons.
Der Zweck des Stasimons wie auch der übrigen Zwischengesänge
bestand, wie wir gesehen haben, stets darin, die Zeit auszufüllen, welche
zwischen Szenen vergeht, die nicht aneinander stoßen dürfen. Dies
schließt selbstverständlich nicht aus, daß für den Dichter als solchen der
Zwischengesang auch seinen Selbstzweck hatte, aber gerade da, wo es
in die Augen springt, daß vor allem ein Lied soll gesungen werden,
tritt auch die Absichtlichkeit, womit eine Zeitlücke geschaffen wird, be-
sonders deutlich zu Tage. So ist es recht naiv, wie in den Aeschyleischen
Hiketiden der König für sich eine Pause zum Nachdenken verlangt, so
daß das mit (pQÔvxaov beginnende Lied (418/37) gesungen werden kann,
und wie in der Alkesis (209 ff) die Dienerin dem Königspaar erst melden
muß, daß brave Leute herbeigekommen sind, damit dieser loyale Chor
inzwischen Zeit zu seinem ersten Stasimon (213 37) gewinnt*).
1) S. aber die Anm. auf S. 128.
-) Oed. 1098 ist, auch wenn Oedipus anwesend ist, nicht anders als die Apo-
strophierung eines Abwesenden zu beurteilen; denn er lauscht siclier hier dem Chore
nicht. Trach. 222/4 gehört nicht mehr eigentlich zum Hyporchem, sondern es ist ein
die Kommenden anmeldendes Interloquium wie sonst Anapäste und Jamben. Daß die-
jenigen Hyporcheme, die zwischen Strophe und Antistrophe des Chors die Rede einer
Person haben, dialogische Form weisen, wird niemand wuudern.
•^) Philekt. 865. Hipp. 565. Iph. Taur. 458, wo der Chor sich selbst dazu er-
mahnt. Kykl. 624.
■*) S. dagegen d. Anm. zu S. 128.
— 138 —
Darauf aber miiß hier bestimmt bestanden werden, daß entgegen
einer viel verbreiteten Meinung (jar nie der Kommos ein Stasimon ver-
tritt. Abgesehen von dem gesteigerten Ton leidenschaftlicher Empfindung
ist er Dialog so gut als jeder andere zwischen Chor und Schauspieler
geführte Dialog, und wenn je etwas während seines Vortrags geschieht,
so decken sich ganz wie in dem S. 131 angeführten Falle Vorgang und
Vortrag reaîistisc/i. So wird die erste Mordszene der Sophokleischen
Elektra nicht längere Zeit brauchen als der Kommos 1404/21. der An-
griff auf Helena im Orest nicht längere als der Kommos 1286/1310, das
Kommen und Gehen des Odysseus und Neoptolemos nicht längere als
der lange Kommos Philekt. 1081 1112; wenn je die Wirklichkeit in
diesen Fällen doch etwas längere Zeit erheischte als der Kommos, so
möge man bedenken, daß dem ungeduldig gespannten Gefühl die kurze
Zeit eben zur langen wird.
Aber brauchen denn die Dichter nicht manchmal, um die Gliederunff
eines Stückes zu markieren, statt eines Stasimons einen Kommos? Ich
antworte mit der Gegenfrage: Bedarf die Gliederung eines Stückes, um
bemerkt zu werden, notwendig eines Lyrikums, sei es Stasimon oder
Kommos? Die Betrachtung der Stücke selbst lehrt das Gegenteil. Mitten
in den Trimetern sind Haupt- oder starke Nebencäsuren anzusetzen,
sowie dies das Auftreten einer Hauptperson oder der Abgang einer
solchen empfiehlt, so beim Auftreten und beim Abgang Theonoes in der
Helena (864 und 1031), beim Auftreten Demophons in den Herakliden
(119), des Theseus im Herakles (1162), des Hippolytos in der Streit-
szene mit dem Vater (901), der Pythia und der Göttin im Jon (1319,
1552). Alle diese Stellen dürfen ein Stasimon einfach deshalb nicht
haben, weil die Handlung ohne Pause fortläuft. So kommt es, daß sich
in der Helena die Trimeterpartien nach der Epiparodos übsr 578 Verse
hin (528,1106) ohne Unterbrechung folgen, während darauf der List und
Rettung enthaltende Schlußakt seine vier Szenen durch die drei einzigen
Stasima des Stückes wohl geschieden zeigt, und so auch, nicht etwa
daher, daß er eine späte Tragödie ist, ist die Beschränkung der Zwischen-
gesänge des Philoktet auf ein einziges eigentliches Stasimon und das
Baukalema zu erklären.
Und nun ist es auch mit dem Kommos nicht anders. Natürlich
beginnt in der Sophokleischen Elektra mit Ismenes zweitem Auftreten
(870) eine Hauptpartie ; der vorangehende Klagekommos zwischen Elektra
und dem Chor ist aber nicht nötig, um die Klytämnestra- und die Ismene-
szene auseinander zu halten; denn dafür würde Elektras Rede (804/22)
vfUlig ausreichen; er ist vielmehr, was die Gliederung des Stückes nichts
angeht, in erster Linie dazu nötig, daß der Tritagoni^t Zeit hat, sich
aus dem Pädagogen in Chrysothemis umzuwandeln, und darauf hin
— 139 —
macht der Dichter aus der Not eine Tugend und läßt den schon in
der Rede zu Tage getretenen Schmerz der Heldin in dem leidenschaft-
lichen Dialog mit dem vergeblich tröstenden Chor ins Riesige anwachsen.
Auch in Koloneus ist es nicht aus der Handlung erklärlich, daß Theseus
nicht sofort nach Ismenes Abgang erscheint; aber die Umkostümierung
Ismenes in Theseus zwingt den Dichter den Kommos (510/48) einzu-
schieben, worin der Chor sich nach Oedipus frühern Schicksalen er-
kundigt. Man könnte vielleicht auch sagen, daß nach langen Triraeter-
partien etwa das Bedürfnis vorhanden war, einen gesungenen Teil ein-
zuschieben. Aber auch das berührte die dramatische Komposition nicht.
lu summa der Kommos vertritt das Stasimon so wenig, als etwa ana-
pästische Systeme dies tun, die zwischen zwei Partien stehen.
Aber wie steht es nun mit der Gliederung durch den Zwischen-
gesang selbst? Eines muß jedenfalls zugegeben werden, daß, wo immer
er eintritt, ein neues Glied der Handlung ansetzt. Dies ist aber nicht
die Folge des Zwischengesangs, sondern nur die des Neubeginnens nach
der durch den Zwischengesang gedeckten Unterbrechung. Also gliedert
dieser selbst die Handlung nicht, sondern er koinzidiert nur mit der
Ghederung in allen den Fällen, da eine Handlungslücke gedeckt werden
muß, während er, wo dies nicht der Fall ist, ruhig fehlen kann. Er hat
außer seinem Selbstzweck nicht noch zwei andere, sondern nur den einen
des Pausenausfüllens.
Zu diesem Resultat läßt sich auch auf folgendem Wege gelangen:
AVäre der Zwischengesang an sich das gliedernde Organ, so dürfte er
nicht nur nie fehlen, sondern er müßte auch notwendig in der "Weise
angebracht sein, daß die Gliederung durch ihn zum deutlichen Ausdruck
gelangte; es müßten z. B. die ausführlichen Stasima die Hauptpartien
trennen und zwischen Nebenpartien dürften bloß Hyporcheme, kurze
Slasima und unstrophische Gesänge von Einzelchoreuten stehen. Bis
zu einem gewissen Grade ist dies wirklich auch der Fall: die letztge-
nannten Gesänge scheiden immer nur Nebenpartien von einander,
und auch die meisten Hyporcheme und einige kurze Stasima werden so
verwandt. Aber von einer Konsequenz hierin sind die Dichter doch weit
entfernt. Alle Stasima der Helena scheiden nur die Nebenteile derjenigen
Hauptpartie, welche sich unter dem Titel List und Rettung subsumieren
ließe. In Herakliden und Hiketiden ist derjenige Hauptteil, der den
Kampf enthält, durcli Stasima in zwei Hälften getrennt. Von demjenigen
Teil des Herakles, der die Rettung der Familie vor Lykos enthält, ist
durch das lange Stasimon 687 —700 ein Minimalepeisodion von 33 Versen
abgeschnitten; ein solches ist auch die Ammenszene der Trachinierinnen;
beide wird man doch unmöglich als Hauptteile bezeichnen, und Ahnliches
kommt auch sonst vor.
— 140 —
Aber, wenn das Stasimon die Hauptgliederung nicht mehr sicher
angibt, woher sollen denn ir'tr sie kennen? Die Antwort ist im ersten
Satze dieser Abhandlung gegeben: dadurch, daß uir selbst die Stücke
logisch zergliedern. Ist denn das etwas so Schreckliches?
III. Die einzelnen Teile der dialog-ischen Partien.
Das lange Kapitel, das hier beginnen müßte, auszuführen, muß
einer spätem Gelegenheit vorbehalten sein; hier kann ich nur — unter
Vorbehalt nachheriger Änderungen - den Gang angeben, der mir dafür
vorschwebt; mit einer einzigen Ausführung werde ich mir noch gestatten, zu
zeigen, was sich für die Chorparodos ergibt, von der ich ausgegangen bin.
Ich werde davon auszugehen haben, daß mit dem Üliergange zu
einer neuen Art von Metren notwendig auch eine szenische Abgrenzung
verbunden ist. Wollen wir also die einzelnen Teile erkennen, so werden
wir stets in erster Linie Melos, Anapäste und dialogische Metren im
engern Sinne, d. h. Trimeter und trochäische Tetrameter (was beides
ich der Kürze wegen unter dem Xamen lambus zusammenfasse) zu
sondern haben. Hiemit kreuzt sich aber eine zweite Sonderung nach der
Beteiligung des Chors. Es sind nämlich folgende fünf Fälle möglich:
1. Der Chor ist (wie ja meist auch beim Stasimon) allein anwesend.
2. Die Personen sind allein anwesend. 3. Chor und Personen sind an-
wesend und durch Dialog verbunden. 4. Der Chor hat in Gegenwart
von Personen allein das Wort. 5. Die Personen haben in Gegenwart
des Chors allein das Wort. So ergeben sich 15 Kombinationen, die alle
— wenn auch einige nur vereinzelt — in der Tragödie vorkommen. Daß
von den so gewonnenen Teilen einige wieder weitergeteilt werden können,
versteht sich von selbst; die 15 koordinierten Teile aber sind nach dem
Metrum folgende:
1. Reines Me/o.s des Chors ohne Anwesenheit von Personen kommt
in Liedern der Chorbewegung, zumal in den Fällen von bloß
chorischer Chorparodos vor.
2. Melos ohne Chor findet sich als Monodie und Duett in den
Prologen der Andromache und der Phönisseu.^)
3. Chor und Personen sind beteiligt in allen den unter sich sehr
verschiedenen gesungenen Dialogen, die man unter dem Namen
Kommos begreift, sowie meist in denen, wo Melos und Ana-
päste gemischt erscheinen.
4. Der Chor tritt melisch in Gegenwart von Personen, aber ohne
deren Einmischung auf in einigen vollstimmigen Parodosge-
^) Die Trimeter der Duette und der Kommoi denke ich mir entweder melisch
oder mit Parakataloge vorgetragen und ziehe sie auch in letzterm Pralle zum Melos.
— 141 —
sängen nach vorangegangenem Pseudoprolog und in allen
melischen Interloquien.
5. Die Personen tragen das Melos vor stummem Chore vor in
allen außer den unter 2 genannten Monodien und Duetten.
6. Der Chor trägt Ändßüsfc ohne Anwesenheit von Personen in
den anapästischen Partien der Parodos vor.
7. Personen haben Anapäste ohne Anwesenheit des Chors in den
Prologen der Alkestis und der aulischen Iphigenie.
8. Chor und Personen sind zusammen bei den anapästischen Dia-
logen der Chorbewegung beteiligt.
9. Der Chor hat in Anwesenheit von Personen eine anapästische
Partie für sich in den reflektierenden und der Mehrzahl der
ein Kommen und Gehen begleitenden Interloquien, sowie in
einzelnen Partien der Chorbewegung.
10. Die Personen haben in Gegenwart des Chores anapästische
Systeme, wenn sie ihr eigenes Kommen und Gehen begleiten.
11. Von dem, was ich a potiori lambus nenne, findet sich Einzel-
vortrag des Chores ohne Anwesenheit von Personen nur da
vor, wo der Chor in der Exodos nach Abgang der Personen
noch einige Schlußtrochäen spricht, z. B. Oed. 1524 ff.
12. Die Personen allein haben im lambus das Wort, wo der Chor nicht
möglich ist: im Prolog und zwischen Aphodos und Epiparodos.
13. Chor und Personen sind zusammen beteiligt in der Mehrzahl
der Aeschyleischen Dialoge und bei den Spätem in einer be-
stimmten Art von „Chordialogen", hauptsächlich solchen, die
Szenen einleiten oder abschließen.
14. Der Chor spricht in Anwesenheit von Personen iambische
Interloquien, sowohl der reflektierenden als der einen Kom-
menden einführenden Art.
15. Die Personen tragen in Anwesenheit des Chors alle die iam-
bischen und trochäischen Partien vor, bei denen der Chor
überhaupt zugegen sein kann.
Dies wären mit Weglassung von ünwichtigerm die Einheiten, so-
weit sie sich durch die genannten Kombinationen ergeben. Wie man
sieht, occupieren nun aber die zwölfte, dreizehnte und fünfzehnte weitaus
den größten Teil der Tragödien, und da ist es selbstverständlich, daß
sich an die so gegebene noch eine weitere Einteilung anschließen müßte,
wobei als Teilungskriterien neben dem Wechsel von lamben und Trochäen,
hauptsächlich Auftreten und Abgang von Personen, AVechsel von Eeden,
und in kürzern Worten gehaltenem Dialog, auch reine luhaltsindizien
in Frage kämen. Man könnte so durch Teilen und wieder Teilen ziemlich
weit kommen, auch die Stichomythie müßte einer Betrachtung unterzogen
— 142 —
werden ; doch soll dies hier nicht geschehen. Wenn aber jemand daran
Anstoß nimmt, daß ich an 14 ter Stelle dem kurzen iambischen Chor-
interloquium neben den langen Personenpartien eine gewisse Selb-
ständigkeit eingeräumt habe, der möge bedenken, daß das iaitihlsche
Interloquium in seiner Funktion mit dem melischen und anapästischen
enge zusammengehört, und daß es nicht wohl angeht, für dieselbe Funktion
(hier die des Vorstellens eines Kommenden und die des Reflektierens
über Vorangegangenes) bald relativ selbständige, bald unselbständige
Glieder zu verwenden.
Überhaupt müßte nun ein wichtiges Kapitel von den Funktionen
handeln, wofür die einzelnen Formen bestimmt sind. Die Fragen : Welche
Formen sollen benachbarte Partien von einander isolieren? Welche
sollen der lebhaften Empfindung Einzelner Ausdruck geben? Welche
sollen das Auftreten und den Abgang Einzelner und des Chors be-
gleiten? Warum wählt der Dichter für die gleiche Funktion bald diese,
bald jene Form? u. s. w. müßten uns beschäftigen. Und zuletzt würden
wir von den Teilen wieder zum Ganzen zurückkehren und erkennen, wie
die vielen Einzelteile sich unter große Hauptteile subsummieren lassen
und hätten damit die Architektur der Tragödie in ihren konstruktiven
Teilen wie in ihren Zierformen erkannt.
Auch in ihren Proportionen wäre sie zu erkennen; aber davon zu
reden, ohne auf das verpönte Gebiet zu kommen, wäre schwer. Darum
schHeße ich, um wenigstens ein Beispiel zu geben, mit einer kurzen Er-
örterung, die sich an meine anfängliche Besprechung der Chorparodos
und an die obige Andeutung über die verschiedenen Formen für eine
und dieselbe Funktion anschließt, Ihr Gegenstand sind:
Die Formen der Chorbewegung.
Daß Chorparodos und Exodos, Aphodos und Epiparodos zusammen-
gehören, und daß sie nicht wie die Zwischengesänge zu betrachten,
sondern integrierende Teile derjenigen Hauptpartien sind, worin sie vor-
kommen, haben wir am Anfang dieser Abhandlung (S. 117) gesehen. Es gibt
aber, wie für die Parodos besonders Masqueray und Weil schon betont
haben, in der Tragödie nicht leicht einen Teil, der proteusartig bald in
dieser, bald in jener Form erscheinend, doch immer demselben Zwecke
dient, wie diese Gesänge der Chorbewegung. Lesen wir sie einmal nach
dem obigen Verzeichnis der 15 Formen (wenn auch nicht ganz in der
gleichen Reihenfolge) aus einander, um dann mit wenigen Bemerkungen
zu schließen,
a) Reines Melos des Chors (nach 1) ohne anwesende Personen
und ohne Anapäste haben die Chorparodoi der Septem, der Choephoren,
des Oedipus, der Trachinierinnen, der Bakchen, des Hippolytos, der
— 143 —
Aulischen Iphigenie und der Phönissen, die Epiparodos der Helena
(515/27; Menelaos hält sich bis 541 ver])orgen) und das (hier mitzu-
nehmende) Exodoslied der tzcotio^uttoi in den Eumeniden. Dabei möge
unerörtert bleiben, wo etwa statt des vollstimmigen Gesanges Vortrag
durch Einzelchoreuten anzunehmen sei; nur das sei (auch für die fol-
genden Fälle) kurz angedeutet, daß Verteilung auf die Hemichorien hier
relativ häufiger vorkommt als in den Zwischengesängen. Somit gehört
hieher auch das Exodoslied der Aeschyleischen Hiketiden (1018 73),
dessen dritte und vierte Syzygie hemichorienweise vorgetragen sind und
die Ejjiparodos des Aias (866/78), zu welcher der folgende Kommos
mit Tekmessa nicht mehr gehört.
b) Reines Melos des Chores bei Anwesenheit von Personen (nach
4) haben außer den Parodoi der Eumeniden und der Euripideischen
Hiketiden, wo der Chor von Anfang an zugegen ist, noch die auf Pseudo-
prologe folgenden der Andromache, des Herakles, des Kyklops und die
hemichorienweise vorgetragene des Jon (184/218).') Auch das Lied 271 85
in den Euripideischen Hiketiden wird hieher zu zählen sein; denn die
Hikesie an Theseus steht der an Aethra durchaus parallel, und da wir
es hier mit einem Zwischengesange ganz sicher nicht zu tun haben, und
es sich auch um kein bloßes melisches Interloquium handeln kann, so
bleibt gar keine andere Annahme übrig als die einer Fortsetzung der
Parodos. Endlich gehört hieher auch die Epiparodos der Eumeniden
(255/275), bei welcher der Chor wie bei der Parodos die Personen schon
vorfindet.
c) Von kommatischen Formen kommen (nach 3) in Betracht 1. die
der langstrophigen gesungenen Dialoge, die wir in den Parodoi der
Sophokleischen und der Euripideischen Elektra, der Helena und der
taurischen Iphigenie haben, 2) die des lebhaften Dialogs in kurzen
Worten in den Parodoi der Herakliden und des Orest, in der Aphodos
der Helena (330/85), die, wie solche Kommoi einige Male, in eine Monodie
ausläuft, und in Parodos und Exodos der Troerinnen; in der Parodos
allerdings nur im ersten der beiden Strophenpaare, während das zw'eite
in der Form a gehalten ist.
d) In reinen Anapästen (nach 6) gehalten und nicht in Gegenwart
von Personen vom Chor vorgetragen sind nur Exodoi. Hier ist vor allem
der überlieferte Schluß der Septem (1053 77), der, wenn er auch nicht
äschyleisch ist, doch sicher einer Autführung dienen sollte, mit einem
vollstimmig und zwei hemichorienweise vorgetragenen Systemen zu nennen.
In den Choephoren verabschiedet sich der Chor nach Orests Abgang
wenigstens noch mit 12 anapästischen Reihen, später, von der Antigone
1) AVie konnte man je darauf verfallen, den darauf folgenden, viel längeren
Kommos in ein antistrophisches Verhältnis zur Epode der Parodos bringen zu wollen?
— 144 —
au. kommen nur die bekannten Schlußsvsteme vor, von denen das der
Sophokleischen Elektra, wenn auch das aicéç/iia 'Atqécdç, darin apostro-
phiert ist, doch jedenfalls erst nach dem Abgange der Geschwister
vorgetragen ist, wie auch das des Rhesos nach dem Hektors, und ebenso
nach dem der je weilen vorhandenen Personen das jioÂÂcd fioQ(pal xzX.
in Alkestis, Andromache, Helena und das letzte Wort des Chors an
Hippolytos und den Phönissen. In andern Fällen mag man zweifeln, ob
das Exodikon nicht von der scheidenden Person noch angehört werden
soll, oder ob es reine Gefühlsäußerung des Chors ist; doch neige ich
für Hekabe, Herakliden, Herakles, taurische Iphigenie (ohne den unechten
Schluß 1497/9) eher zu letzterm. Endlich gibt es auch sieben Fälle,
wo diesen nach Abgang der Personen vorgetragenen Anapästen andere
Anapäste vorangehen, die aber durch eine Abgangscäsur von ihnen ge-
schieden sind: die letzten Worte des Teukros im Aias (1402/17) und
die Apolls im Orest (1682/90), die des Herakles und des Hyllos in den
Trachinierinnen (1259 — 74; denn das Folgende gehört sicher der Chor-
führerin) und die Dialoge des Philoktet, Xeoptolemos und Herakles im
Philoktet (1445/68), des Dionysos, der Agaue und des Kadmos in den
Bakchen (1367/92) des Chors, der Dioskuren und der Geschwister in
der Euripideischen Elektra (1292/1356), Jasons und Medeas in der
Medea (1389/1414); es ist zu beachten, daß diese Dialoge meist mit
einem längern System des letzten Redners schheßen.
e) In Gegenwart von Personen (nach 9) sind abschließende Chor-
anapäste — um mit diesen zu beginnen — mit Sicherheit nur in den
Euripideischen Hiketiden und (sehr unfertige) im Konzept der Aulischen
Iphigenie vorgetragen zu denken. An früheren Stellen der Dramen ist
in solchen Choranapästen die ganz singulare Chorparodos der Hekabe
(98/153), die Aphodos der Alkestis (741/6) und im Prometheus das als
eine zweite Parodos zu betrachtende System (277/83) gehalten, womit
der Chor den Wagen verläßt, um sich auf die Orchestra zu begeben.
f) Rein anapästische Dialoge zwischen Chor und Personen (nach 8)
siud, wenn wir die unter d angeführten, vom letzten Worte des Chors
durch eine Cäsur getrennten Partien nicht mitrechnen, als Bewegungs-
partien selten. Außer der Exodos des Prometheus mit ihren fünf Systemen,
bei denen der Chor nicht das letzte Wort hat (1040/93), ist hier eigent-
lich nur der in kurzen Worten gehaltene und von 1751 bis zum Schlüsse
fortlaufende anapästische Exodosdialog des Koloneus zu nennen.
g) In einigen Fällen werden die Schlußanapäste durch Trochäen
ersetzt, die zwar eines der beiden gewöhnlichen Dialograetra sind, durch
ihre lebhaftere Bewegung aber doch auch einer besonders starken Em-
pfindung Ausdruck geben können. Im Agamemnon geschieht dies (nach
— 145 —
13) in der Streitszene zwischen Aegisth, Klytämnestra und dem Chor*),
im Oediims und Jon (nach 11) in den Schlußworten des allein auf dem
Schauplatz verbliebenen Chors, denen aber (wie den letzten der unter d
angeführten anapästischen Schlußszenen) Dialoge im gleichen Metrum
vorangegangen sind.
h) Keine eigene Form hat die Chorbewegung für die Aphodos in
den Eumeniden und dem Aias und für die Exodos im Kyklops. In den
Eumeniden rundet der Dichter den vorhergehenden Trimeterdialog sym-
metrisch schön ab (225/34), in den beiden andern Fällen schließt er
mit einem Chordistichon, das aber noch durchaus zur vorangehenden
Partie gehört.
Außer (loi Bewegungspartien, die in einer der fünfzehn Formen
gehalten sind, gibt es nun aber noch eine Anzahl solcher, bei denen
eine Kombination von Melos und Anapästen (resp. Trochäen) zur An-
wendung kommt. Diese ist doppelter Art:
i) Anapästische Partien gehen den melischen einfach voran in den
Parodoi der Aeschyleischen Hiketiden und des Aias (bis 200, wobei sich
die Formen d und a vereinigen), und in der Exodos der Perser (von
907 an : f, c) oder sie nehmen sie in die Mitte, wie in der Parodos der
Perser (bis 194: d, a, d) und der Alkestis (d, a, d).-)
k) Die vom Einzelnen rezitierten Anapäste gehen dem Melos nicht
nur voran oder folgen ihm, sondern drängen sich zwischen die melischen
Partien hinein. Man pflegt in diesen Fällen von der kommatischen Ver-
wendung der Anapäste zu sprechen. Indes möchte ich, ohne zu leugnen,
daß der Chor und der Einzelne hier oft mit einander sprechen, den
Ausdruck lieber vermeiden und in Beherzigung des Umstandes, daß es
den Dichtern hauptsächlich auf das Isolieren der vollstimmig vorge-
tragenen Strophen und auf den metrischen Kontrast ankommt, von kon-
tra><üerenden (oder imUereuden) Anapästen reden. Zweimal sind die
Einzelnen die Führer des Chors selbst, nämlich in der Aphodos des Rhesos
(527/64: a, d, wo die anapästische Partie den Führern der Hemichorien
zufällt) und in der Parodos der Antigone (bis 154; denn das System
155/61 leitet das Folgende ein: a, d). Auch in den Parodoi des Koloneus
und des Philoktet, spricht der Chor in den Anapästen, so weit sie dia-
logisch sind, noch etwa ein Wort mit (dort a, nachher b, f, hier b, f
und e) ; in denen des Prometheus und der Medea stehen dem Melos
des Chors allein die Hauptpersonen mit Anapästen gegenüber, ebenso
'i Vielleicht aber würden wir besser sagen, daß doiu Agamemnon als dem ersten
Stücke der Trilogie eine eigentliche Chorexodos überhaupt fehlen durfte ; das dritte
hat dafür deren zwei.
2) Ich würde ]31f schreiben Ttdvva yÙQ f^ôri <iaq'iv'^ieTiÀeatat, .Tai-rwr ôè &eCoi'
<iEÏa^ènl ß(üfA.oTg y.vÀ.
10
— 14ü —
in dem ersten Exodosliede der Eumeniden (916/1021) Athene (b, e) und
in den Epiparodos der Alkestis Admet (e, c). In der Parodos des Rhesos
verbinden sich die Foiinen i und k, insofern eine längere anapästische
Partie dem von Anapästen unterbrochenen Melos (c, nachher b, d) vor-
angeht. Etwas Besonderes, aber ganz im Geiste der alten Zeit Gehal-
tenes ist die Epiparodos des Rhesos (675/721). Hier nehmen ein kurzes
Melos und eine längere Syzygie, deren Strophen in Hemichorien aus-
gehen, einen statt in Anapästen in Trochäen (nach 13) gehaltenen Dialog
zwischen Odysseus und dem Chor in die Mitte; man mag dabei an die
unter g angeführten Trochäen denken.
Hier sei noch darauf hingewiesen, daß eine Chorbewegung sich
dreimal^) in zwei Akten vollzieht, und daß so der Prometheus (mit
277/84) und die Euripideischen Hiketiden (mit 271 '85) zu zwei Parodoi,^)
die Eumeniden mit 916/1020 und dem Liede der Propompoi zu zwei
Exodoi kommen. Auf einiges andere, das noch zu sagen wäre, muß hier
verzichtet werden, zumal sei Erörterung der ästhetischen Gründe, warum
die Dichter im einzelnen Falle diese oder jene Form wählen, der Einzel-
betrachtung der Stücke überlassen.
Nur daran sei erinnert, daß die kommatischen Formen und die
Dialoge zwischen dem Chor und einem in Anapästen sprechenden Schau-
spieler (nach k) für die Parodos bloß dann möglich sind, wenn ein
Schauspieler vorhanden ist, also nach Pseudoprolog und in den S. 120
namhaft gemachten Fällen, wo die Parodos eines Schauspielers der des
Chor vorangeht. — Und ferner muß ein Blick auf die Konkurrenz der
anapästischen und der melischen Formen geworfen werden. Ein solcher
sagt uns, daß die Anapäste den Bewegungspartien hauptsächlich in den
altern Zeiten eigen sind. Aeschylus und Sophokles (sowie der Rhesos-
dichter) haben sie in Menge, Sophokles noch im Philoktet und im
Koloneus ; bei Euripides dagegen beschränken sie sich in der Parodos
(resp. Epiparodos) auf die ältesten erhaltenen Stücke: Alkestis und Medea.
Dann kommt noch die sonderbare Tatsache, daß die Parodos der Hekabe
rein anapästisch ist; sonst kommt dieses Metrum bei ihm nur in der
Aphodos der Alkestis und den unter d besprochenen kurzen Schlußsystemen
für die Chorbewegung vor ; es ist zu beachten, daß die einzige metrisch
reichere Exodos, die er hat, die der Troades, keine Anapäste enthält.
Zum Schlüsse ein kurzes Wort über die den Bewegungspartien
vorausgehenden und folgenden Teile, soweit sie nicht wie gewöhnlich
reiner Trimeterdialog sind. Was jene betrifi't, so ist darauf hinzuweisen,
daß ein einziges Mal, bei Aeschylus, die unmittelbar auf das letzte
Stasimou folgende Chorexodos sich mit der Exodos überhaupt deckt: es
'j Vcrgl. aber noch die Aiim. auf S. 128
2) Vgl. S. 148 und 144.
— 147 —
ist dies bei der (nach i) anapästisch beginnenden und in einen Kommos
übergehenden Schlußszene der Perser der Fall. Sonst hat Aeschylus
die Eigentümlichkeit, etwa einmal (Hik. 1014/17, Choeph. 1063/4, Eum.
140/2) ein Aufmunterungswort des Chorführers in Trimetern voran-
zuschicken, das aber immerhin noch zum Vorangehenden gehört; man
mag dabei an die bei ihm auch Stasirais vorangehenden Chorinterloquien
denken (vgl. S. 136). Alle drei Dichter haben die oben (S. 120) besprochenen
Monodien oder sonstigen Vorträge in den Fällen, da nach dem Prolog
vor dem Chore eine Person ihre Parodos hat. Vor der Chorexodos
haben wir die unter d und g angeführten Dialoge in gleichem (anapästischen
oder trochäischen) Metrum und ferner im Koloneus und der Antigone
die langen kommatischen d-qrjvoi, in den Phönissen das Klageduett und
die trochäische Rede des Oedipus.
Nach der Chorparodos wird so gut als in andern Fällen bisweilen
(Prom. 284/97, vgl. S. 128 Pers. 150/4, Ant. 155/61, Hipp. 170/5, Troad.
230/34) ein Auftreten von der kommenden Person selbst oder vom Chor
in Anapästen angemeldet. Im Rhesos führt sich noch der Epiparodos
der Wagenlenker durch den merkwürdig von Trimetern unterbrochenen
und abgeschlossenen anapästischen Vortrag (733/55) ein. Im Jon ist der
anderswo in Trimetern gehaltene Chordialog, wodurch der Kommende
mit dem Anwesenden anknüpft, durch einen metrisch an die Parodos
anklingenden Kommos ersetzt (219/37): In der Hekabe folgt statt einer
Trimeterrhesis der Heldin eine Monodie und ein Duett ; man sollte
denken, daß hier absichtlich der musikalische Reichtum des Voran-
gehenden und Folgenden einen Ersatz für die metrische Einfachheit der
Chorparodos bieten sollte. Ganz singulär sind die reichen Partien, die
sich an Chorparodos und Epiparodos des Aias anschließen (201/62 und
879/973). Beidemal folgt hier auf das Auftreten des Chors das der
Tekmassa, nach der Parodos in einer Verbindung der Formen i und
k, d. h. ganz wie in der Parodos des Rhesos.
Singularitäten aber haben wir bei dieser Betrachtung die Menge
gefunden. Sie predigen uns von einer relativ großen Freiheit der Dichter
und warnen dringend davor, kritische Zweifel gegen eine Form bloß
deshalb zu erheben, weil sie sonst in der Tragödie nicht nachzuweisen ist.
Le fabliau du Buffet
publié par
Albert Barth.
Classification des manuscrits. — Quatre manuscrits, à ma connais-
sance, contiennent le petit fabliau Du Buffet:
1) A = Bibl. nat. f. fr. 837, f'^ 275 V — 277 r°. Fin du XIIP siècle.
Cef. A. Tobler, Li proverbe au vilain, Leipzig 1895, p, VI).
2) B= Bibl. nat. f. fr. 1553, f-^ 505 r" — 506 r^ Seconde moitié
du XIIP siècle, (cf. G. Ebeling, Auberee, Halle a. 'S. 1895
p. 77).
3) 6' = Bibl. nat. f. fr. 1593, f^ 118 v° — 120 v°. Seconde moitié
du XIIP siècle, (cf. ibid. — XI V^ siècle, d'après G. Paris,
Le lai de l'oiselet, dans „Légendes du moyen âge", Paris
1903, pag. 271).
J'ai conservé les sigles du Recueil Général (III, 387)
pour désigner ces trois mss. qui ont été souvent étudiés.
4) /) = Chantilly, Musée Condé n° 475, f"* 215 r°— 217r<>. XIIP siècle.
(Voir la description détaillée de ce ms. que M. G. Raynaud
a donnée dans la Romania, t. XXIV, p. 446 ss). ^)
J'ai pris copie des quatre mss., les variantes fournies par le Recueil,
Général n'étant pas toujours suffisantes ni, en général, d'une exactitude
rigoureuse. —
Nos manuscrits ne semblent pas trop s'éloigner de l'original; en
effet, sur un peu plus de 260 vers, 37 sont absolument identiques dans
les quatre versions, et il est permis d'y ajouter une trentaine d'autres
qui ne se distinguent entre eux que par des variantes minuscules.
Est-il possible de préciser certains rapports entre les quatre ma-
nuscrits ?
1) Ce ms. renferme, entre autres, le fabliau du Boucher d'Abbeville dont je
prépare une éditioD critique; chemin taisant, j'ai recueilli les matériaux delà présente
publication.
— 149 —
Il n'y a qu'un critérium pour décifler la question ^) : La commu-
nauté d'erreurs. Autre restriction à faire: il peut arriver que des copistes
indépendants l'un de l'autre tombent dans la même erreur; toutefois, ce
cas n'est qu'une exception à la règle qui veut qu'une faute commune lie
les mss. en une même famille.
Cela dit, je ne vois qu'un seul passage de quelque importance :
V. 100, et ce vers semble parler en faveur d'un groupement B D -\- C
contre A:
(Le sénéchal, furieux, accueille par des injures le vilain „qui vient
de charrue":)
V. 99 : Veez quel louceor de pois !
A continue :
V. 100: Vous estes venuz seur mon pois
(Ceenz, foi que doi saint Espir!)
B D disent au contraire :
N'estes pas venus sor mon pois . . .
De même C:
Il n'est i^as uenuz sor men pois . . .
Or c'est un contresens, à mon avis. Le sénéchal veut dire, évidem-
ment: „Vous êtes venu en dépit de moi", ,seur mon pois' ne pouvant
signifier que ,en dépit que j'en aie^-)
BD -j- C présenteraient donc ici une faute commune.
On peut se demander toutefois, si la leçon de BD n'est pas simple-
ment une périphrase de A, c'est à dire, s'il ne faut pas l'interpréter
plutôt comme une interrogation, une ,question rhétorique' négative, apte
à rendre, avec plus d'énergie que la proposition assertive de A, le re-
proche amer du sénéchal — : „N'êtes-vous pas venu en dépit de moi ?"
Mais les considérations de M. A. Schulze (Der altfranzösische direkte
Fragesatz, Leipzig 1888, Kap. II) sur les „Füllwörter der Negation" ne
me paraissent pas venir en aide à cette opinion; voir notamment le § 18.
(On s'attendrait plutôt à „N'estes vous venus s. m. p. ?'' Des quelques
exemples, cités au § 20, qui annoncent l'usage moderne, le second seule-
ij On sait qu'il est dangereux de baser uue olassitication uiiiquemeut sur des
omissions communes; voir les remarques importantes de M. Foerster, Erec, p. XXXVI
iHom. bibl., t. XIII, 1891)).
2) Voir sur cette expression G. Ebeling, Auberee, note au v. 294; cf. M — R I. 97 :
Quar quant li preudom veut avoir
Forée, se li tesoit pois,
Et si estoit tout seur son pois.
Voir aussi les nombreux exemples recueillis par C-rodefroy ; comparer les expres-
sions analogues ,sor mon defandement' („Et espousait ma mère s. m. d." Orson lö9()),
sur ma deffense' (Richars li biaus 955 = sans mon assens 9(U).
— 150 —
ment (Mir. X. D. IX [1. XI], 531) pourrait être comparé à notre vers*);
or, comme presque tous les autres, il n'est pas antérieur à la seconde
moitié du XTV^ siècle; cf. aussi Paris-Langlois, Chrestomathie du moyen
âge^ p. LXXIX). — De plus, le vers suivant (v. 101) semble terminer
une assertion positive peremjjtoire.
Je m'arrêterai donc au groupement B D C contre A, et voici d'autres
passages qui, en partie au moins, rendent probable cette classification ;
mais il importe de faire remarquer dès l'abord qu'aucune de ces leçons
n'est fautive. Dans la plupart des cas, il est même difficile de choisir
entre les deux versions (soit Aetj:' = BDC), et, indirectement, cet état
de choses confirmerait notre classification qui laisse la question indécise
dans tous les cas suivants où B + C + D sont d'accord contre A.")
vv. 82 — 3 (Je néglige ici les menues variantes, v. la varia lectio).
A : A tant ez I- vilain Raoul,
■I- bouuier, qui vient de charrue.
OBD: A tant ez vous uenir Raoul,
Vn vilain, qui vient de charrue.
La leçon de A évite le double emploi de , venir', tout en renforçant
et en précisant la notion de ,vilain': il me semble plus naturel d'en
dériver la leçon, plus banale, de CBD que d'admettre l'inverse. —
Après le v. 116, BDC ajoutent deux vers; voici ce passage dans
le contexte:
V. 114: «Sire,» fet il, «por saint Germain!
Je vieng mengier, quar i' oï dire
Que tuit en ont sanz contredire,
A.... BDC: Mais ie ne sai ou ie me siesce,
Car tuit sont plain et banc et siege,
V. 117: Si ne me sai ou asseoir.»
Je n'ose pas décider si ces deux vers appartenaient à l'original.
On pourrait y voir un remplissage; mais peut-être doivent-ils peindre,
par le moyen de la répétition (v. 116* et 117), l'embarras où se trouve le
vilain ahuri et, de plus, insister sur le manque de place pour mieux
préparer l'acte brutal, ce ,prêt du buffet', centre et pivot de notre fabliau.
Si la leçon de B + C + D est la bonne, il va sans dire que ce passage
ne les réunit pas en une même famille : A (ou son modèle) aurait sauté
alors les deux vers, peut-être à cause du début analogue dans 116 et
1 !<)''. C'est cette dernière hypothèse qui me paraît la plus probable. —
') Notons toutefois qu'ici le verbe est suivi du pronom personnel: („Pour quoy
me veulz tu traveillier, tirant fel, plain de cruauté?) N'as tu pas assez tourmenté Des
autres sergenz Jhesu Crist?'"
^) Si la préft rence a été donuée dans la suite, le plus souvent, à la leçon de A,
n'est l'étude interne des mss. qui m'y a décidé.
— 151 —
V. 184. A: Tu en es chëus en mes las.
CBD; Tu es chëus en raauuais las.
,mes', dans A, c'est l'adj. mais „mauvais", fréquent surtout au
Nord et au Nord-Est^) (cf. Foerster, Aiol 6141; Herzog, Neufranzösische
Dialekttexte, Leipzig 1906, p. 123 s. v. mas, et, en général, la carte
„mauvais" de l'Atlas Linguistique et l'article de M. Horning que nous
citerons dans la note au v. 184). Il est peu probable que le scribe de
A ait, de son chef, introduit un mot qui ne semble pas être propre à
son dialecte (français du centre).-) —
V. 215. A: Li quens en a gete I- ris.
CBD: Quant li quens Tot, si en a ris.
La leçon de A est moins banale que l'autre. —
vv. 257-8: Si dist a soi: «Qui siet, il sèche;»
A: Et puis si dist: «Qui va, il lèche.
BDC: Et si dist: «On ki va, il leke.
A donne la forme courante du proverbe (cf. la note). —
Notons finalement qu'au vers 207, les deux leçons
A: Jugiez ... BDC: Fêtes jugier . . .
disent absolument la même chose: BDC appartient au type ,Faites moi
escouter', étudié par M. A. Tobler, V. B. I^ p. 20 ss.
Voici la liste des autres passages, plus insignifiants encore, où une
leçon .r (=BDC) s'oppose à une leçon A, sans qu'il soit possible de
déterminer de quel côté est l'erreur, disons mieux, l'inadvertance : ■^)
vv. 26, 40, 45, 46, 52, 69, 114, 122, 124, 126, 134, (140), 141,
159, 167. 170-1, 188, 196, 202, 207, 217, 218, 230, 231,
246, 260.
Pour tous ces passages, j'ai adopté la leçon de A. En une douzaine
de cas, x (= B D C) a été préféré :
vv. 47, 71-2, 80, 93, 97, 115, 148, 146, 155, 176, 199; 284,
236 (cf. la note aux vers 232-7).
Dann /'mtérieur de la famUk x. B et D semblent être ptus proc/ie-
ment apparentés Qjj.
Nous avons parlé plus haut du vers 100, où BD + C s'opposent à
A; mais selon toute apparence, la leçon de BD était déjà dans ,/'. —
L'omission commune des vv. 23—4 ne nous dit rien non plus, puisque
B a supprimé toute cette partie du prologue (vv. 12—24). —
') Dans le ms. picard B, ce mot figure deux fois, aux vers 29 et 247.
-) Il est vrai qu'un intermédiaire entre l'orio^inal et A pourrait l'avoir introduit ;
ce passage est donc indifferent.
3) Les chiffres mis entre parenthèses indiquent des passages où A et a: se
distinguent seulement par des détails de forme.
— 152 —
Mais voici un passage plus significatif. Au v. 35, la leçon de C,
outre qu'elle est appuyée par l'autorité de A, est moins banale que celle
de BD et cadre mieux avec le vers qui suit; à mon sens, ,pesoit' a été
introduit par y. modèle commun de B et D. (La bévue de D ,qui l'en
pesoit' s'explique par une contamination avec la seconde moitié du vers
suivant , qu'il ne creuoit'). —
vv. 91—2. Ces deux vers manquent à B et à D ; mais ils sont de
ceux qui ne permettent pas de tirer une conclusion quelconque. —
vv. 133-4:
C: Li quens manda [les] menestreuz BD: Li quens a fait crier entr'eus
Et si a fait sauoir entr'euz Et fait sauoir as menestreus
La leçon de A (= texte) :
Li quens manda les ménestrels
Et si a fait crier entr' éls
qui est certainement la bonne, permet de se faire une idée de la manière
dont ont procédé les copistes de la famille x:
X présentait probablement encore la leçon de l'original, témoin C
qui a remplacé seulement , crier' par , sauoir', mot incolore; //. au con-
traire, a conservé , crier', mais, anticipant le contenu du v. 134, il a été
obligé de reprendre , menestreus' pour le besoin de la rime et d'introduire
la cheville ,fait sauoir'. ')
Indiquons les autres rencontres, pour la plupart insignifiantes, de
B et D:
1) Contre C (+ A): vv. 3-4, 10, (31), 32, 33, 60, 69, (71), 80, 85,
112, 131, 136, 142, 143, 151, (161), 167, 173, (240), (262).
Dans tous ces cas, A -h C nous ont fourni la leçon du
texte critique.
2) Contre C seul (A étant difterent) : vv. 10, 116 b (A manque),
171, 187. 207, 217, 241, 246.
(Pour le groupement BD + A, voir plus loin.)
Les lieux autres combinaisons possibles dans l'intérieur de la famille
X, à savoir CB et CD, ne- sont f/uère probables.
I. C4 B:
V. 48. boiax D; linaus |] A: bouciaus.
jboiax*, c'est sans doute la leçon de ./• et de //.• D Va modifiée de
son chef. —
V. 80. C: tex X- ou (tex) -IX- B: tex X- et -IX- ||
D(i A): tels -XXXIX
Cette rencontre est un pur hasard : le chifi're n'est rien — pourvu
que la rime soit satisfaite. —
1) Je crois doue que la préseuce de .sauoir' dans les deux groupes de la famille x
est tout accidentelle
à
— 158 -
V, 86. Il semble qu'ici C et B aient une faute en commun.
B: Qui moût de tin lait plain estoit.
C: Qui moût estoit de lait plain.
Cela donne un sens absurde ; de plus, le scribe de B qui gribouille
a violé la rime. Mais il manque une syllabe à C : il faut donc rétablir
.pelain" que le copiste, par inadvertance, n'a pas compris.
Voici l'énumération des autres passages:
1) Contre D (+A): vv. 3. 42, 51 (texta), 88, 103. 123, 125. 159,
169, 177, 182, 187, 200, 228, 236, 239.
2) Contre D seul (A étant différent) : vv. 28 (texte), 52, 53 (texte),
58, 71 (texte), 80 (texte), 82, (93), 94, (185-6 manquent à D),
188, 215, 229 30, 260.
(CB + A, voir plus loin).
IL C + D:
Ces passages sont nombreux, B étant très fautif (cf. plus loin
A+C + D contre B) ; ils donnent généralement la leçon de x. Seuls
sont intéressants les cas où B + A sopposent à C + D, et ce sera une
contre-épreuve : en etfet, si notre classification n'est pas fausse, ces quelques
rencontres de B et A doivent être fortuites. ') Or il s'agit notamment
de deux passages qui ne figurent ni dans A ni dans B.
Après le V. 8, C + D ont deux vers qui semblent être de rem-
plissage; pour cela même il n'est guère possible de décider s'ils appar-
tenaient à l'original ou s'ils ont été introduits par .r et omis dans la
suite par le scribe de B.
Il en est de même pour les vv. 147-8 que j'ai mis pourtant dans
le texte critique; là, il est possible que A et B, trompés par le début
presque identique des vers 147 et 149, aient sauté les deux vers indé-
pendamment l'un de l'autre. Même si les deux passages ont appartenu
à l'original (chose que je croirais assez volontiers), la rencontre négative
de B et A peut être tout accidentelle; car B a beaucoup d'autres lacunes
où l'omission n'est pas aussi aisée à expliquer que dans les deux cas
précités (quant à une autre lacune probable de A, voir ci-dessus, p. 150). —
v. 50. CD: morcel || AB: chapon.
J'ai préféré la leçon de CD: étant donné ,poucin' (qui est fixé par
la rime), , chapon' devait se présenter facilement à l'esprit d'un scribe
quelconque; l'inverse est moins probable. —
V. 179. (v. 178: .... lors furent qoi)
CD: Li sergent quant il le commande (texte).
AB: Puisque li sires le commande.
1) Nous laissons de côté celles qui sont tout à fait insignifiantes.
— 154 —
Je ne crois pas qa'on puisse attribuer quelque importance à ce
passage où s'opposent deux leçons doublement attestées ; l'une ou l'autre
aurait pu figurer indifféremment dans Toriginal.
Voici les autres rencontres de C et D:
Ij Contre B (+ A): vv. (3, 4), 8 (texte), 9, 33, (35, 42), 59 (texte),
75, 97 (texte), (102), 144, (15(3, 248).
2) Contre B seul (A étant différent): vv. 43, 46, 52. 88. (90), 122,
128 (texte), 155, 191, (196), 234 (texte).
3) Contre A seul (B manquant): vv. 14 (texte), (15), 20, (21), 22,
164, (221-2), 224, 225.
(CD + A, voir plus loin.)
Ces considérations permettent, semble-t-il, de nous arrêter au groupe-
ment admis et d'exprimer par la figure suivante la filiation des quatre mss. :
O
X
y
A CED
Passons rapidement en revue les autres combinaisons théoriquement
possibles.
Groupes ternaires.
1) A CD contre B.
Il n'y a aucune preuve en faveur de ce groupement. La rencontre
de ces trois mss. donne toujours la bonne leçon ; B fourmille d'inadver-
tances et de fautes grossières. Les vers qui appartiennent à B seul sont
certainement de remplissage; voir dans la varia lectio après les vers
198, 226 (où il fallait trouver une rime, le v. 225 qui la contenait ayant
été omis avec les six vers précédents), 256. Il n'en est pas de même des
vers qui manquent à ß : Les vv. 13-24 pourraient être supprimés, à la
rigueur; mais il semble bien que l'omission des vv. 37-8, et en même
temps l'ordre différent adopté pour les \y. 39—46 (qui font suite, dans
B, à 47-52) s'expliquent par une distraction du scribe qui, après avoir
copié les vv. 35-6 (pesoit : enragoit) aura été (comme il arrive souvent)
induit en erreur par une rime postérieure, semblable à celle qu'il venait
d'écrire (à savoir 45-6: haoit: dire ooit), de manière à continuer par le
V. 47 plutôt que par le v. 37; après coup, s'apercevant de sa bévue, il a
— 155 —
voulu iutroduire les vers sautés; toutefois, il a oublié de marquer, par
un renvoi en marge, la place qui leur convient.
Omissions indubitables de B (témoin la rime négligée): v. 118 et
v. 164; de même les vv. 219-25 (pour observer les convenances de la
rime, le scribe a trouvé bon cette fois d'introduire, après le v. 226, un
vers de son cru, cbeville pitoyable qui détruit maladroitement le jeu de
mots sur lequel pivote tout le récit).
La combinaison
2) ACB contre D
mérite mieux notre attention.
D débute par ces quatre vers :
Trubers en ces fablel fablie
Qui de bien dire ne s'oublie;
Car honnours est — bien s'i acorde —
Qui le bien set qu'il le recorde.
Selon M. Raynaud (Romania, t. XXIV, p. 449), ce Trubert serait
l'auteur du fabliau. ACB auraient donc ici une lacune en commun, de
même après les vers 46 (2 vv.) et 52 (6 vv.) et, par conséquent, forme-
raient une famille; car il serait bien étonnant que ces trois rencontres
fussent accidentelles dans une pièce qui ne compte pas même 300 vers.
J'ai de la peine à me ranger à l'avis de M. Raynaud. Ces vers me
font l'impression d'un début postiche ^), ajouté sans doute par le premier
venu des jongleurs qui colportaient les fabliaux et en rimaient eux-mêmes.
Ce récitateur public aurait trouvé bon d'ouvrir la séance par une banale
profession de foi, sans se douter peut-être qu'il s'emparait ainsi du bien
d'un rimeur anonyme; il aurait intercalé aussi les deux autres passages,
notamment les six vers relatifs aux ménestrels (v. la varia lectio au
vers 52). Si l'assertion de M. Raynaud n'est pas appuyée par des
preuves positives (et je n'en vois guère) , elle ne me paraît pas
soutenable devant les arguments (plus forts sans être décisifs) qui
témoignent en faveur de la classification admise plus haut. Les deux
autres passages cités qui figurent dans D seulement ne peuvent pas
décider la question, et toutes les autres rencontres de A + B + C ne
donnent jamais une mauvaise leçon, tandis que D n'oÔre pas toujours
une leçon satisfaisante.
Voici la liste des passages en question (ils sont nombreux parce que
D, comme le montrent déjà les trois intercalations, a disposé assez libre-
^) Notons d'ailleurs cjue notre texte ne connaît pas encore, au suhj. présent des
verbes en — er. l'e analogique de la 3^ pers. du sing. (cf. v. 210); or le quatrième de
ces vers, si je le comprends bien, présente déjà une forme analogique: recorde
(: acorde indic). Je traduis; .,Car c'est un devoir honorable (.Eiirenpflicht' en alle-
mand) — • il (se. Trubert) s'y conforme bien — que celui qui sait le bien le fasse con-
naître (se. aux autres)''.
— 156 —
ment de son modèle): vv. 4, 28, (50, 55), 57, 58, 60, 61, 66, 71, 95,
98, 102, 106, 112, 113, 117, 123, 129, 132, 139, 143, 144, 155, 159,
172, 174-5, 182, 192, 193, 195, 199, (201), 205, (207-8), 209, 210, 213,
214, (216), 218, 231, (232), 233, (239), 243, 244, 250, 251, 252, 254,
255, 256, 257, 259, 260, 262.
3) ABD contre C.
Ces rencontres donnent toujours une bonne leçon. Le scribe
de C étant très négligent, j'ai préféré la leçon de A -i- B + D également
dans les quelques cas où le choix reste douteux.
Cf. les vers 2, (10), (25), 29, 35, 45, 50, 51, 53, 54, 65, 69; après
72, C ajoute un vers qui est superflu; 77, 78, 83, 87, (88, 90), 99, 103,
105, 106, (108, 110), 115, 117, 119, 122, 125, 126, (138), 139, 141, (144,
151, 152, 161, 165), 170, (171), 181, 187, 189, 192 (manque à C), 193,
195, 196, 198, 199, 202, 206, 210, (211, 212), 226, 227, 235,242, 243,
250, (254).
Groupes binaires.
1) A + C.
Seuls sont intéressants les passages où une leçon A + C s'oppose à
une leçoQ B + D; ces cas ont été énumérés et discutés plus haut (p. 152).
Au vers 37
D: De duel || AC: D'orgueil || (B manque)
on peut très bien maintenir cette dernière leçon ; car c'est de l'orgueil
blessé qu'il s'agit : l'orgueil du sénéchal est blessé par l'affabilité de son
seigneur.
2) A + D.
Voir ci-dessus, p. 153.
Au seul vers 51, la leçon de
BC: Menioit j| AD: Menia
m'a paru préférable; mais il n'était pas absolument nécessaire de l'intro-
duire dans le texte. Dans tous les autres cas, A + D donnent la bonne leçon.
3) A -\- B.
Ces rencontres ont déjà été examinées (v. p. 154). De même, dans les
quelques cas où le groupe A l- B se forme sans que C et D soient réunis
à leur tour, il ne s'agit que de similitudes minuscules, tout accidentelles
(sauf aux vv. 132, 139, 193, 195, 243, où B, par exception, a seul con-
servé fidèlement la leçon de // et ./•); cf. les vers 54, (87), 95, 97, 98,
108, (144), 146, 228.
Le dia/ecte fin fiihliiui. — Avant d'aborder l'étude de la langue, il im-
porte de faire une remarque sur le caractère des rimes de notre texte. Si bien
des fabliaux, comme l'a observé M. Bédier (Les fabliaux ^, p. 342 ss.), sont „à
peine rimes", le nôtre, en revanche, témoigne d'un certain culte pour la rime.
On n'est pas allé quérir la rime riche, dit encore M. Bédier; notre auteur.
— 157 —
au contraire, Fa manifestement pourchassée. Il aimait les jeux de mots^),
et de même il aimait à jouer avec les rimes. Sur 100 vers français, douze,
en moyenne, sont rimes richement: „Cette proportion (seil. 12% de rimes
riches constatées dans le Tristan de Thomas) doit représenter exacte-
ment celle que la langue française offrirait d'elle-même à tout poète qui
n'aurait nul souci ni de la consonne d'appui, ni de jeux de rimes, ni
d'aucune recherche de versification" (Bédier, Le roman de Tristan par
Thomas, t. II. [1905]. p. 32). Mais notre texte renverse cette propor-
tion ; ici, les rimes suffisantes sont le petit nombre: sur 182 rimes, 20
seulement sont suffisantes ; les autres sont riches, léonines, dissyllabiques
etc., cf. la statistique dressée par M. Freymond dans son étude „Über
den reichen Reim bei altfranzösischen Dichtern bis zum Anfang des
XIV. Jahrhunderts", Zeitschr f. rom. Phil. VI (1882), p. 29, No. 177
(M. Freymond a constaté, dans le ,Dit du buffet', 84% de rimes plus
ou moins riches, exactement la même proportion que l'on rencontre dans
le ,Diz dou vrai aniel' (No. 181); ce chiffre n'est dépassé que par les
Nos. 184, 185, 187 de sa liste qui présentent 85-87% de rimes riches).
Il faut dire pourtant que bien des rimes prétendues ,riches' sont de
pauvres rimes, en ce sens qu'elles devaient se présenter plus facilement
à l'esprit du conteur qu'une rime simplement suffisante. "')
Voci, pour déterminer le dialecte et la date du fabliau, les quelques
traits linguistiques que les rimes et la mesure des vers font ressortir.
P ménestrels : entr' eis (134, 232),
^ donc -eus <, -ales:ëus -< ïllos.
Cette rime semble exclure le territoire wallon-picard (de même
la partie orientale de la Champagne) qui connaît bien -eis, -es <; -aies
(cf. A. Tobler, vrai aniel, p. XXIX), mais qui dit aus, iaus <, ïl-
los (cf. Suchier, Aucassin *, p. 68. Dans Huon de Bordeaux
on rencontre, à l'intérieur du vers, les trois formes: eus, çaus,
ciaus. cf. aussi entr 'ex Aucassin 2,2o et Foerster, Aiol,
p. XXXIX).
En francien, la confusion de eu et eu s'est opérée probable-
ment dès le commencement du XIII*^ siècle (Suchier, Altfrz. Gramm.,
p. 86).
2^^ maleur: leur (76).
La contraction de ëur en env est propre surtout aux parlers
de l'Orléanais, de la Perche et de la Normandie (Grundriss I-.
p. 744).
3" fu (fuit): fu (focu 252).
*) Ce fabliau ne roule que sur un jeu de mots.
2) P. ex. les rimes appelées par M. Freymond „bequeme reiche Reime" (loc. cit.
p. 19), et non seulement celles-ci.
— 158 —
C'est une rime picarde (cf. Foerster, chev. as II- esp., p. XL; .
Aiol 474. Dans le Boucher d'Abbeville, par Eustache d'Amiens,
elle ne figure pas moins de cinq fois). Cette rime se rencontre
aussi dans Rustebuef; mais le produit francien de focu est feu.
4'^ Ö + i > ui:
cuit (cögito): recuit (recuctum 28).
Cette rime exclut la Normandie occidentale et le Sud-Ouest
en général.
5*^ è i, ai sont confondus à la rime :
plains (plenus): plains (planctus 30).
6*^ Confusion de s et de ;;
V. la rime citée sub 5*^;
cors (corpus pi.): recors (recort + s 62);
l'as (habes): las (laqueos 184).
Au Xll^ siècle, ce trait caractérise les dialectes du Nord ; mais
dans le courant du XIIP siècle, la réduction de ts à s devient
générale.
7" .s* est muette devant une consonne :
trahitres: tristres (10); cf. aussi la rime léonine ramposna:
dona (194).
S^ i final libre s'est amuï :
fu (fuit): fu (focu 252).
(En picard, ce -/ s'est maintenu très longtemps, cf. Romania
XXX, p. 104).
9"^ siesce: siege (116 b).
siesce (= siece), subj. de siec sedeo (pic, p. ex, Aucassin 10,2i;
cf. pic. mèche: mec mitto); pour l'explication de ces formes, voir
Foerster, Aiol, p. LI et Zeitschr. f. rom. Phil. XXVIII, p. 502;
Suchier, Grundriss I-, p. 772 et 783.
c: fi n'offre rien de surprenant (cf Rustebuef: sache: outrage,
cloche : reloge, Mojsisovics, Metrik und Sprache R.'s, Heidelberg 1906,
p. 45). Pour siege <; *sedicum, cf. Neumann, Zeitschr. f. rom. Phil.
XIV, p. 554.
10" Uc atone interne placé en hiatus devant la voyelle tonique est
maintenu en général :
contëor (13, 22), mentëor (14), loucëor (99); eus (182); ëust
(128, 165), pëust (129), pëusse (203); ch eu s (participe 184), bëu
(199j, vëu (205). ^
Exceptions: maleur (75), v. sub 2"; are s tu z (: reuestuz 260)
pour arestëuz (p. ex. Aiol 5218, 9196, 9487, cf. Foerster, note au
V. 915) est dû à l'analogie des formes fortes du parfait (cf. Suchier,
Zeitschr. f. rom. Phil. II, p. 282 ss.). Il faut expliquer de la même
— 159 —
façon un cas d'élision où Vc se trouve dans la syllabe initiale du
participe passé : jut (102, cf. Aucassin 14, e, 14), à côté des exemples
cités chëus, bëu, vëu. A signaler encore vez (103, 212) auprès de
veez (99); il est permis peut-être d'expliquer la première forme par
l'influence analogique de ez, cf. le prov. vec — si ce n'est pas
simplement vides qui commence à empiéter sur le domaine de
V i d e t i s.
Pour le français du continent, l'élision de Ve atone antétonique
est attestée sporadiquement dès la tin du XII® siècle, au moins dans
les parlers normands, picards, wallons, lorrains (cf. Suchier. Au-
cassin ^, p. B8; Tobler, Versbau ^, p. 53-, G. Paris, Orson, p.
XXXVI).
11° No, Vo auprès de Xostre, Vostre:
Vo buffet et vo nape (168).
Vostre seneschal (190).
Les formes no, vo sont propres surtout au picard et au wal-
lon; vo se rencontre aussi dans Rustebuef (Herr. Arch. 65, p. 87;
Mojsisovics, p. 48); cf. en outre Romania XXIX, p. 595.
12^ La première personne du singulier de l'indicatif présent I ne prend
pas encore Ve analogique:
cuit (cogito) : recuit (28); cuit (202, assuré par la mesure du
vers); cuit: acuit (210). Ces deux rimes attestent la prononciation
cuit (non cuic); la dernière constate en même temps, pour le sub-
jonctif présent I, l'absence de Ve analogique à la troisième personne
du singulier.
13*^ Première personne du pluriel: — on s (non ornes):
Disons (250); mais sommes (74).
14" sauroit: auroit (135-6),
de deux syllabes (non aueroit etc.)
15*^ La déclinaison à deux cas est observée.
Dans trahitres: trist res (10), Vs analogique peut avoir été
ajouté par les scribes. Il n'est pas possible de déterminer si sire a
déjà Vs analogique (cf. les vv. 114, 187, 200, 206, 233, où les mss.
ont sire (vocatif); 216, 240, 249, où ils donnent sire ou sires
(cas sujet); 161, 255: seignor (cas régime); il en est de même
pour autre (les leçons des mss. ditierent, cf. les vv. 140, 141, 142,
143, 148: c'est probablement li uns qui a entraîné li autres),
subst. fém. : mauuestiez (90), passions (106), cf. Grundriss ,1-,
p. 787. Il est possible que ces deux formes aient appartenu à
l'original,
adject. fém.: grant (120, 127).
— 16Ü —
16^ tien (tuum) : Tien (tene 228).
cf. Grundriss I-. p. 791.
17" tuit (n. pi. 71. 116. 116 b).
Cette forme est remplacée, au XIIP siècle, par tout (tous).
18^ V. 224: Mes il nen ose por le conte. ^Jusqu'au XIIP siècle," dit
G. Paris (ehrest, du m, â. '^j p. XCIIn.), „devant un mot commençant
par une voyelle, on peut employer nen au lieu de ne et éviter
ainsi Télision" (cf. aussi Tobler, Versbau^ p. 60). Nen n'est plus
dans Rustebuef (cf. Mojsisovics, p. 14); devant une consonne, il se
rencontre encore dans Froissart (Zeitschr. f. rom. Phil. II, p. 4 n. 2).
19° On ne trouve que les cas connus d'élision obligatoire et facultative;
17^ aspirée compte parmi les consonnes (cf. vv. 120, 223).
20*^ Vu le caractère spécial de la rime, il semble permis d'attribuer à
l'original la forme gales (163: Gales 164); peut-être aussi nelui
(42: celui 41), pourciaus (47: bouciaus 487 ; cf. purcelli, Gloses de
Cassel n." 82). —
Plusieurs rimes importantes manquent; il va de soi qu'il n'y a pas
à tirer d'indications de ces preuves négatives pour la patrie de notre
petit fabliau (Manquent à la rime : Le produit de e + ï ; en ^'"**- : an '^°"* .•
le produit de - iala; mi, etc.).
L'ensemble des traits linguistiques cités et le mélange de plusieurs
particularités dialectales qui s'y révèle permettent, semble-t-il, de loca-
liser en Picardie le fabliau Du Buffet (3"\ 6", 9'\ IP), en le rap-
prochant pourtant de la Normandie et de l'Ile de France (P, 2*^, 8", 10"),
et de lui assigner pour date le commencement du XIIP' siècle (1**, 10'\
12'\ 15", 160, 170^ isc^.
Notre texte contient-il des allusions, historiques ou littéraires,
qui permettent de vérifier les conclusions basées sur l'étude de la langue ?
Les éditeurs du Recueil Général en allèguent deux qu'ils croient
telles:
1) Voici ce qu'ils disent dans leur note au v. 218 (t. III, p. 393;
c'est le V. 216 de notre édition): „Le comte Henri, dont il est ici question,
est sans doute Henri, comte de Champagne, auquel fait aussi allusion,
mais un peu confusément, le fabliau de la Plantez (cf. p. 173)". M.
Bédier, dans la première édition de son livre (p. 464), a déjà relevé la
faiblesse de cette remarque : „Pour notre part, nous soupçonnons Henri
d'être là pour la rime ; et comme il y a eu d'ailleurs des centaines de
comtes Henri au moyen âge, il n'y a aucune raison de croire qu'il
s'agisse d'un comte Henri de Champagne. D'ailleurs, qui est ce comte
Henri de Champagne dont parle la Plantez et qui serait le même que
celui du Vilain au buffet? Les éditeurs (p. 380) déclarent n'en rien
savoir. Quelle nécessité de faire une note pour identifier un inconnu avec
— 161 —
un inconnu? Pour le dire en passant, M. Gr. Paris (Litt. fr. au ra. âge,
p. 113) a reconnu en ce comte Henri de Champagne le roi de Jérusalem
Henri, mort en 1197."^)
2) Au vers 148 (qui manque à A B), un des jongleurs „dit l'er-
berie." Or on lit dans le Glossaire-Index (t. VI, p. 320): „Erberie"
(Allusion au Dit de 1'), de Rutebeuf."
Cette assertion ne me semble pas plus fondée que la précédente.
,Erberie' est un nom générique (comme .riote' v. 142, .jenglerie' v. 143),
et il est certain qu'il y a eu, tout comme des comtes Henri, des dits
de l'erberie par centaines au moyen âge. Si l'erberie de Rustebuef est
seule -) à nous conserver un représentant de ce genre de parodie, s'en-
suit-il de là que toute allusion à l'erberie se rapporte nécessairement
à la composition de Rustebuef? La parodie du boniment de ,mire* était
sans doute une pièce du répertoire de chaque jongleur. Dans les foires
où l'on prêtait l'oreille au boniment sérieux du charlatan, on en applau-
dissait aussi la parodie improvisée par un jongleur quelconque.
Il est probable que des considérations analogues ont porté M.
Groeber (Grundriss II, 1, p. 904) à s'exprimer avec réserve sur l'identi-
fication proposée par les éditeurs.^) Selon M. Groeber, notre fabliau
serait de l'extrême fin du XIII« siècle ; *) c'est aller trop loin, semble-
t-il (voir ci-dessus, p. 160). —
Quant à l'aspect extérieur du texte, j'ai reproduit A pour la graphie
et pour les formes. C'est le meilleur des quatre mss. au point de vue
de la tradition de ce fabliau, et le scribe a été assez consciencieux. Son
dialecte ne semble pas coïncider tout à fait avec celui de l'auteur, ')
mais les traits linguistiques qu'il m'a été possible de dégager plus haut
sont trop peu nombreux et trop généraux pour qu'on puisse tenter une
reconstruction de l'original qui ne soit pas chimérique. —
Le fabhau Du Buffet n'est pas de ceux qui se transmettent à
travers les littératures. Il fait partie de ce petit groupe de récits qui,
selon M. Bédier, ne peuvent appartenir qu'au moyen âge français, comme
1) cf. aussi G. Paris, La littéi-ature normande avant l'annexion (Paris
1899), p. 41 n 1.
2) Ou presque seule, cf. De la goûte en l' a i n e, composé vers le même temps
(Romania, t. XVI, p. 495); et je vois que Jubinal a publié, avec les deux pièces qu'on
vient de nommer, une troisième erberie (Oeuvres complètes de Rutebeuf, t. I. Paris
1839, p. 468).
3) „ . . . der mit dem Dit de l'Erberie vielleicht Rutebuefs Gedicht meint."
*)„... noch dem Ende des 13. Jahrhunderts angehören wird."
•^j La même remarque s'applique aux autres mss. : B est purement picard (Nord-
Est) ; C et D se rapprochent de A. On sait d'ailleurs que beaucoup de mss. otfrent
un mélange de graphies et de formes appartenant tantôt au modèle tantôt au copiste.
11
— 162 —
fondés sur un jeu de mots (Les fabliaux -, p. 283; on pourrait y ajouter
les deux pièces obscènes De l'aveine por Morel et De porcelet,
citées à la page 284 sub 4^ b). En effet, l'aventure plaisante qu'il ra-
conte (peut-être d'après un fait réel, contemporain) repose sur un jeu
de mots de l'ancienne langue, savoir sur le double sens de ,buffet' qui
signifiait à la fois , siège' (sorte de tabouret, escabeau) et , soufflet*^) (cf.
Tobler, Y. B. Il-, p. 261 — 2).-) La Rio te du monde, si riche en ca-
lembours, m'en offre un autre exemple intéressant: „Se je di a un
vilain: „Je te donrai un bufet," il s'ira clamer de moi; et encore valt
uns buffes v- sols u VI- a mètre en le maison d'un borgois" (Zeitschr.
f. rom. Phil., t. VIII, p. 283, 1. 50; cf. p. 284, ms. de Berne). Ceux
qui ont parlé de notre fabliau n'ont pas dit que l'auteur joue en même
temps avec ,prester' (=,donner à condition qu'on rendra', puis , donner',
.tendre* tout court ^): c'est dans son sens général, bien entendu, que le
sénéchal emploie ce mot. ,Prester un buffet' signifie donc ici les deux
choses: ,tendre un siège' et , prêter un soufflet". Le sénéchal se sert de
l'équivoque de ,buffet' pour donner un soufflet à Raoul au lieu du
siège demandé; mais le vilain rusé profite à son tour de la double
interprétation que comportent les paroles du sénéchal pour rendre
honnêtement (intérêt et principal, s'entend) le soufflet qu'on lui
a prêté.
Il est donc clair que le récit ne peut subsister sans le jeu de mots.
Cela veut dire en même temps que la propagation de notre conte (comme
en général de toute histoire fondée sui' un jeu de mots)*) s'est heurtée
aux limites de la langue, voire même, à l'intérieur de la langue française, au
seuil de la Renaissance; car, dans le français littéraire, .buffet* (= soufflet) a
bientôt cédé à ,buôe' et à , soufflet' (on ne trouve plus que ,buffe' dans
Amyot et dans Montaigne, cf. Hist. htt., t. XXIII, p. 213); par consé-
quent, l'excellent Legrand d'Aussy, ^) „n'ayant pu la [se. cette équivoque]
faire passer dans notre langue", a été obligé d' „y suppléer par quelque
1) Ce dernier mot est d'origine onomatopéique ; l'étymologie du premier est in-
connu; M. Koerting (n^ 1629; le rattache au second, de même Littré, et déjà Ménage.
— Il est curieux de voir qu'un mot du fr. moderne, à savoir pouf, a une origine et
un double sens analogue (je néglige ici les autres significations): 1) interjection 2)
sorte de tabouret (dans ce cas, on écrit aussi pouff). Cela confirmerait, en principe,
la conjecture des savants qu'on vient de nommer; reste à trouver une explication
suffisante.
2) M. Groeber (Grundriss II, 1, p. 904) traduit par mégarde, .Serviertisch'.
8) cf. aussi Foerster, Aiol 7384.
*) Il y a des exceptions, cf. Bédier, Les fabliaux-, p. 283 n., et ce que nous allons
dire plus loin sur notre jeu de mots.
^) Fabliaux ou contes, fables et romans du XII' siècle, traduits ou
extraits par L. d'A., t. U^ (Paris 1829), p. 363.
— 163 —
chose d'équivalent." Il a remplacé le ,buffet' par un ,coup de pied^, ')
et il a intitulé l'histoire ainsi modifiée Le siège prêté et rendu; il
va de soi qu'elle n'a pas gagné à ce remaniement,-) pas plus qu'à l'imi-
tation d'Imbert qui s'est inspiré de cette traduction.^)
Chose curieuse: L'anglais a emprunté les deux mots (buffet , siège,
et ,souiïlet') à l'ancien français en conservant jusqu'à nos jours leur
signification première*), de sorte qu'il serait possible de raconter en
anglais ^) cette même aventure qu'on n'a pu renouveler en français sans
la modifier et la gâter.
Notons finalement que l'italien connaît aussi jbufifetto' avec un
double sens analogue a) soufflet*^) b) petite table ^) que je rencontre
encore dans le fameux Malmantile Racquistato: a) c. II, str. 17
.tavolino' ; b) c. XI, str. 47, v. la note des savants commentateurs). En
outre, .buffetto* se trouve dans l'expression consacrée ,pan buffetto' (=p.
finissimo), et Burchiello n'a pas manqué l'occasion d'équivoquer sur ce mot :
„E pan buftetto, e cacio scappezzone" (Son. 66) ®). —
Abstraction faite du jeu de mots, si nous réduisons notre histoire
à sa plus simple formule, nous sommes en présence d'un thème narra-
tif certainement très répandu: Un homme qui s'introduit dans un banquet
sans avoir qualité pour y être admis (soit qu'il ne se présente pas en
habit de fête, soit qu'il n'ait pas été invité du tout, un intrus en somme)
réussit, grâce à son bon sens naturel, non seulement à se tirer d'affaire,
mais encore à tourner l'aventure à son profit. — On voit que cette for-
mule est assez générale pour comprendre toute une série de contes popu-
laires, enrichie sans cesse par de nouvelles aventures tirées du grand livre de
la Vie. Si, par caprice de collectionneur, on recueillait ces historiettes
plus ou moins amusantes, on en ferait sans doute un gros album de bons mots,
mais rien de plus. Je citerai pourtant deux nouvelles, ne fût-ce que pour
1) loc. cit., p. 360: L'autre |sc. le sénéchal], furieux, lui allonge de toute sa
force un coup de pied dans le derrière: .,Tiens, lui dit-il, asseois-toi là-dessus, je te
prête ce siège-là." — Le vilain ne manquera pas de lui rendre la pareille.
2) C'est une traduction plus ou moins libre. L'auteur qui a eu différents mss.
sous les yeux (A, B, C), a suivi surtout B, en supprimant quelques passages et en
ajoutant des phrases de délayage : il explique plutôt le conte qu'il ne conte lui-même
Ce qu'il dit à la page 5 sur la fidélité de ses traductions n'est donc pas tout à fait exact.
3) 70 vers qu'on peut lire aussi, à la suite du conte en prose, dans l'édition
citée de Legrand d'Aussy, p. 366^8. Imbert a supprimé la jolie scène des jongleurs
et toute la fin à partir de la vengeance du vilain.
*) Toutefois, buffet , soufflet" n'est plus qu'un ,mot littéraire'; buffet ,siège' = a
three-legged stool.
^) On trouverait é^^alement le correspondant de ,prester: lend.
6) De nos jours plutôt = biscottino ,chiquenaude'.
") Aujourd'hui au sens restreint du fr. moderne buffet; cf. aussi buffè.
8) cf. Malmantile, c. XI, str. 44, note.
— 164 —
montrer, eu deux représentants différents de temps et de pays, l'univer-
salité du thème. Ces deux histoires se ressemblent d'ailleurs en ce que
leurs héros sont deux chercheurs de franches lippées qui s'invitent eux-
mêmes, tandis que dans notre fabliau, le vilain crasseux est au moins en
droit de se croire invité comme tout le monde
La première est la nouvelle 51 de Sacchetti que je résume avec
les paroles de M. L. di Francia (F. Sacchetti novelliere, Pisa 1902, p.
204) : „Facendo un convito messer Bonaccorso Bellincioni, ser Ciolo,
ch'era goloso, senz'essere invitato, si presentô a desinare. • Dicendogli i
servi che se ne andasse, perché non era degl' invitati, l'ingordo vecchietto
rispose che non voleva fare tal disonore a Bonaccorso: „se io non sono
stato invitato, non è mio difetto; la colpa è stata di chi l'ha avuto a
fare." Cosi rimase a dispetto dei servi, e quando il signore udi la
cosa, ordinô loro che per ogni festa lo invitassero insieme con gli altri."
La nouvelle se termine par des réflexions morales et par cette phrase:
. . . ed egh si dice che fu il primo [se. ser CioloJ che disse, tornando
dal desinare di messer Bonaccorso a casa sua, queste parole, o questo
motto che vogliam dire: „Chi va lecca, e chi sta si secca." On remar-
quera à la fin de notre fabliau que le vilain résume Texpérience de la
journée par le même dicton populaire; c'est qu'au fond la situation des
deux jlécheurs' est la même.
La nouvelle 105 de Bonaventure Des Periers raconte une histoire
analogue, à cette différence près qu'ici le parasite est un voyageur, „un
Hybernois", qui „se proposa de cognoistre les manières de faire des
nations estrangeres et leur usage de parler", et qui „se sçavoit bien
entregenter en toutes compaignies" ; grâce à sa „gaillardise et prompti-
tude d'esprit, il captivoit le plus souvent la bonne grâce de ceux qui,
en le regardant seulement, l'eussent du tout rejette" ; la nouvelle en
donne un exemple.
M. L, di Francia (loc. cit.) n'a pas manqué de renvoyer à ce
dernier conte: „ ... 11 motivo perô sembra tradizionale, e dubito che
il popolo florentin o lo attribuisse gratuitamente al noto parassita. Di
questa congettura mi ofi're la prova un novellatore francese . . . che . .
racconta un fatto analogo al nostro. Per la qualcosa non si esce da
questo dilemma : o vogliamo ammettere che la novella italiana sia passata
in Francia per tradizione orale, perché bisogna escludere che Bonaven-
tura abbia potuto conoscere Topera manoscritta del Sacchetti; oppure
dobbiamo riconoscere che essa era tanto nelle tradizioni del popolo
italiano, quanto del francese, il che mi pare più probabile."
A n)on sens, ce , dilemme' n'existe pas ; il a été imaginé pour l'amour
de la théorie. Le conte français pourrait reposer tout aussi bien sur
un fait contemporain. Des histoires de ce genre arrivent réellement,
— 165 —
en tout temps et partout ') -, on n'a pas besoin de les recueillir pieusement
dans la tradition séculaire; la littérature narrative se retrempe sans
cesse à sa meilleure source, la vie. Est-ce que de nos jours on a entiè-
rement perdu le sens- de la réalité pour vouloir construire, à tout prix,
une tradition littéraire partout où l'on rencontre une simple histoire qui,
dans le monde réel, peut s'être passée hier encore, et pour la millième
fois, avec des variations infinies? —
Dans notre fabliau, l'auteur prend partie pour le vilain contre le
sénéchal, donc pour le faible contre le fort (cf. Bédier, Les fabliaux-,
p. 331). Mais il ne faut pas vouloir attribuer une valeur typique à ce
triomphe du vilain. Si r,animal farouche', appelé Vilain, n'a pas le dessous
cette fois, c'est qu'avec lui les conteurs, maltraités par le serviteur avare
du bon comte, prennent leur revanche, et encore faut-il satisfaire la
morale publique : Le sénéchal s'est fait haïr de tout le monde ; sa
,cuivertise' mérite d'être punie; il sera donc puni. Tant pis pour lui si
c'est un vilain crasseux qui est appelé à exécuter l'arrêt prononcé par
la vox populi -'!)
1) Cf. p. ex. les conseils que M. Coquelin Cadet donne „Aux jeunes gens pauvres"
dans son Livre des convalescents (Paris, Flammarion, p. 66 — 7).
2) Notre fabliau a été publié d'abord par Barbazan, t. I (Paris 1756), p. 233
ss. ; puis par Méon, t. III (1808), p. 148 ss., et en dernier lieu par Montaiglon, 1. cit.
Du Buffet.
^iui biau set dire et rimoier,
Bien doit sa science amoier
A fere chose ou l'en aprenge,
Et dire que l'en n'i mesprenge.
5 Et cil ne fet mie folie
Qui d'autrui mesfet se chastie:
Li cortois cuers et li gentiz
Est au bien aprendre ententiz.
Et li fel, enuieus, trabitres,
10 Si est toz iors enbrons et tristres,
Quant il ot le bien recorder,
Quar il ne s'i puet acorder.
Quant il ot aucun conteor,
Si dist : „Ha Dieus ! Quel menteor!
15 Cist en tuera ia tels XX-
Dont ainz nus a estor n'en vint,
c. Le dit du bufet (d'une main ijostérieure) A, dou vilain au buffet B, ci
commence li diz dou bufet C, dou uilain qui randi le bufet D. — D débute par ces
4 vers:
Trubers en ces f'ablel fablie,
Qui de bien dire ne s'oublie;
Car honneurs est, bien s'i acorde,
Qui le bien set qu'il le recorde.
1 — 4 écrits sur 8 lignes à cause de la miniature A. — ■ 1 De biax dis dire
etr. B; l'initiale manque à C. — 2 auoie C ' me vaurai molt bien a. B. — 3EtB|
dire ch. BD ou B C apraigue CD. — 4 et D I (tant B) faire B D ' c'on B j mes-
praigne CD. — 5 — 6 manquent dans D. — 5 Car B, Ne C | ciex B|manquedansD.
— 6 manque dans D. — 8 a bien a. D, bien a a. C | entendre AB. — CD
ajoutent ces 2 vers:
8a Mes li mauuais, fel et cuuers (M. l'auer, enuieus, couuers D)
8b Est a mal aprandre aouuers (couuers D).
9 maluais fel et tr. B ■ l^i faus bons auers (cuiuers D) et traites CD. — 10 11 e. C |
Est tout adies B D dolans Bjt'stres A, tistres C. — 11 Dou bien qaiit il ot r. B|
les biens C. — 12—24 manquent dans B. - 13 oit D manque à B. — 14 dit C |
Ha dieu D, Oiez A mancjue à B. — 15 eis D, cil C tel vint CD manque à B.
— 16 aius un D, -I-seul C en estour D, a estout C j ne C| manque à B.
— 167 —
N'onques ne furent ne de meré."
Moût par li est au euer amere
L'example des biens qu'il ot dire,
20 Que toz muert et d'anui et d'ire.
Mes l'en deuroit bien escouter
Conteor quant il set trouer.
Por qoi? Por ce c'on i aprent
Aucun bien, qui garde s'en prent.
25 JL''ore en auant eis fabliaus conte
Qu'il ot en la meson d'un conte
•I- seneschal, si con ie cuit
Félon et auer et recuit ;
De toz maus visces estoit plains.
30 Sachiez qu'il ne fust gueres plains
De nului qui leenz venist,
S'aucuns anuis li auenist;
Quar plains estoit de mal afere.
Quant il veoit son seignor fere
3ô A nului bien, si se deruoit,
Por I- petit qu'il ne creuoit
D'orgueil et d'anui et d'enuie.
Li quens qui menoit bone vie,
Qui plains estoit de grant renon,
40 Ne se fesoit se rire non
De la mauuestie de celui;
Quar bien set qu'il n'aime nului
Qui reperier viengne en l'ostel.
Conquis i auoit •!• los tel
17 nez C ] manque à B. — 18 Tant p, D | aumere (aumere?) D \ manque à B. —
19 bons D I oit D I manque à B. — 20 Qu'il en (eu manque à C) art tous (tot Cl
de duel et d'ire D C | manque à B. — 21 M. on C D doit moût b. Djmanque àB.
— 22 veut tr. A, s. conter C D | manque à B. — 23-24 manquent dans D. —
23 manque à B D. — 24 ci pr. C | manque à B D. — 25 eist f. C | romans B
L'initiale manque à B C. — 26 Qui eut B [ l'ostel a un c. B C D. — 27 iou cuic B.
— 28 Vilain A, Fol D f. et cuuert B i et uiout r. D. — 29 mais vises B, malices C.
— 30 Et s. C I n'est g. C | .)ou cuic ki ne fu B. — 31 nelui BD. — 32 S'uns grans
a. B D. — 33 Tant C D j estoit pi. C, par e. D, molt e. B put a. B. — 35 nelui C D
bien] manque à C | molt li B, qui l'en D | pesoit BD. — 36 Et p. B, Par C, A bien
p. D vn poi B ! n'enragi)it B. — 37 — 38 mau(]uent dans B. — 37 De duel D|
manque à B. — 38 belle u. D mancjue à B. — 39 — 46 Dans B, ces vers
viennent après 47 — 52. - 39 Et qui e. D [ Li quens ki molt estoit preudon B. —
40 s'en B C D. — 42 Car b. voit C, Il voit b. B nelui C D. — 43 herbergior C D
vigne C 1 a l'ost. D | Qui laiens venist osteler B. — 44 ot cil C, a vn 1. itel B.
— 168 —
45 Que toz li mondes le baoit,
Qui sa mauuestie connissoit.
Mes li vilains comme porciaus
S'encressoit et plains ses bouciaus
Beuoit de vin en larrecin,
50 Maint cras morcel et maint poucin
Menioit toz sens en sa despensse;
A autre honor fere ne pensse.
Li quens qui lu cortois et sages,
Enuoie par tout ses messages
55 Et mande qu'il veut tenir cort.
Renommee qui par tout cort,
Est par le pais espandue.
A cort vienent sanz atendue
Chevalier, escuier et dames,
60 Qui tant ne font pas por lor âmes
Comme il fesoient por les cors ;
Et sachiez, tels est mes recors :
Qui tant por les âmes feroit
Com por les cors, ne soufferroit
65 En enfer paine ne tonnent.
Moût i ot riche atornement.
Quiconques veut, en la cort entre;
Tels i vient, au mien escientre,
45 Car C | trestous li mons B C D. — 46 dire ooit (oit B C D B. - D ajoute ces
2 vers:
Quant ot plus biens entre ces mains,
Tant en fist il largesses mains.
47—52 Dans B, ces vers précèdent les vv. o9— 46. — 47 Et A. — 48 S'en-
gressoit C ' de dens s. b. B | boiax B C, linaus D, — 49 Buuoit B | du \ . C, le v. B.
— 50 Mains D | gras C | chapon A, capons B | mains D | pucin C. — 51 Menia A D |
lors ens d. C. — 52 Qu'a D, Car a B, Car C , nulle h. C D, nul autre bien B 1 fere]
manque à B. — D ajoute Ti vers:
Les menestreus haoit a mort;
Mauuaitie qui leur point et mort
Li fait hair; ia n'i uenist
Ménestrel qui bien n'auenist
Se de lui peust eschaper
Sans batre ou ferir ou gaber.
53 Mais li c. C | ert B, est C | uaillans D, et preus et s. A. — 54 Enuoia D, Fait
mander C. — 55 qui D. — 57 S'est D | respendue B. — 58 A la c. vont B C, Tout i
uindrent D. 59 Chevaliers escuiers D, Escuier ch. AB. 60 ne font pas tant D
les a B D. - - 61 eles f B 1 feissent D. — 62 sachies que B. — 65 infer B i p. et t. C.
— 66 estorement D. — 67 vient B. — 68 uint D, va B | par le m. e. D, ke m. e. B.
— 169 —
Qui onques n'ot saouls este,
70 Ne en yuer ne en este ;
Mes tuit ont assez, sanz dangier,
Vins et viandes a mengier ;
Quar li quens l'auoit commande.
„Moût en sommes ore amende,"
75 F et li seneschaus, „en maleur:
Il n'i metent gueres du leur.
Si demande chascuns qui vient
Qanques li estuet et couient,
Aussi qu'il ne coustast I- oef,
so Et l'en i voi tels XXXIX-
Qui piec'a ne furent saoul,"
A tant ez I- vilain Raoul,
•I- bouuier, qui vient de cliarrue.
Li seneschaus celé part rue
85 Ses iex, s'a choisi le vilain
Qui moût estoit de lait pelain:
Deslauez ert, s'ot chief locu ;
Il ot bien L- auz vescu
Qu'il n'auoit eu coiffe en teste.
90 Mauuestiez qui maint homm e ent este
A fere anui et vilonie
Et cruauté et félonie,
Ot si le seneschal soupris,
A poi qu'il n'est de duel espris,
05 Quant le vilain vit enz entrer ;
Venuz li est a rencontrer,
69 Quil B, C'o. C I onques] manque à B D ! n'auoit B C D pas s. e. B D. — 71 tout B D |
en oreut D j assez] manque à D'à mengier A. — 72 v. et v. sanz dangier A. —
C aj oute ce vers:
ont il assez a grant plante.
75 Dist CD. — 77 Se B I chaucuns C, cascun B ! que wet C. — 78 Quanqu'il C,
Qùque D, Chou ki B | c. et e. C. — 79 Aiissi si n. B, A. com C. — 80 Mais D | v.
chi B D, S'en i \-ienent A \ X et IX B, X ou tex IX C. — 81 Que B. — 82 ez
vous (euuous Bi venir (uenu Di R. BC D. — 83 vilain B CD j vint C I kierue B. —
85 si c. B D. — 86 lai p. D, lait plain C, de fin lait plain estoit B. — 87 iert D,
iu C I et ot C, son c. B | bochut B, beu C. — 88 Que b. ot D, Bien auoit B C |
LX CD, -C- B I uiscu C. — 89 Qui n'a. point c. en sa t. B. — 90 Mauuaistie
(Mauuitie C) D C, Maluaist B ' mant C. — 91—92 manquent dans BD. —
91 uilenie C manque à B D. — 92 Outrage orguuel et grant folie C j manque à BD.
— 93 Et ot C, a A I souprins D, sorpris A. — 94 A pou D. Par po C, Por I- poi B
dou d. D I esprins D j n'enrage vis B. — 95 Q. il le uit D i leans C, dedanz D. —
96 enconter B.
— 170 —
Corouciez, bousouflez, plains d'ire;
Tout maintenant li Jurist a dire :
„Veez quel louceor de pois !
100 Vous estes venuz seur mon pois
Ceenz, foi que doi saint Espir !
Jut a ou palier por crespir.
Vez comme il fet la paelete !
Il couient mainte escuelete
105 De poree a farsir son ventre.
La maie passions i entre!
Ja n'ert bons tans tant comme il viue."
Ainsi li seneschaus estriue,
Qui toz muert de duel et d'engaingne.
110 „Noiez soit en vne longaingne,
Qui la voie vous enseigna !"
Li vilains l'ot, si se seigna,
Et fist croiz de sa destre main.
„Sire," fet il, „por saint Germain!
115 Je vieng mengier, quar i' oi dire
Que tuit en ont sanz contredire;
ii6aMes ie ne sai ou ie me siesce,
iiebQuar tuit sont plain et banc et siege,
Si ne me sai ou asseoir."
„Je te presterai I- seoir,"
Ce dist li seneschaus par truffe;
120 La paume hauce, vne grant buffe
Li done, puis fet I- sifflet :
„Siet toi," fet il, „sor cest buffet
Que ie te prest(e), or te siet sus!"
Li seneschaus se trest en sus,
125 Se li a fet nape liurer,
97 HoiirsouHes coureceus D, C. souflez A, Dolans et h. C, Ires b. B | et pi. AB. — •
98 Mitinteuaut si C, Et puis D [ print C, commensa D. — 99 mangeour C. — 100 N'estes
pas BD, Il n'est pas C. — 101 Chaieus B. — 102 Geu CD j aues B | on p. C, ou
paaler B, el colier D. — 103 Vees BC | palette C. — 104 conuenroit B | maint BD.
— 105 amplir C. — 106 Li ni. paisions B, paission C, menoison D | li e. C. —
107 iert B C D. - 108 Aiiisinc C, Aiusis D | le seneschal C. — 109 tot C | Qui plains
est B 1 (le duel et d'auuui D, d'ire C. — 110 N. fust ore en grant 1. B | longaaigne C.
112 oit D I s'en BD.- 113 fait D. 114 dist B | par B C D. - 115 G'i vienc B j
vig C I (|ue ie oi d. A. — 116 tout B ! escondire B. — 116»'*' manquent dans A. —
116» (Mills BCD) 1 sieche B, sieso D | manque d ans A. - lie^» ((^'ar CD) | C. trestuit C,
Que tot B , me s. ]A. D | bant B | et banc] manque à C | li s. C | manque dans A.
- 117 Car D | seoir C. - 118 ou s. D | Ce vers manque à B. - 122 Or (te B)
sie B C D I sus C I ce b. BCD. — 123 Jf le B C | prest pour seoir sus D. - 124 trait
BCD. - 125 Pui.s B, Kt i»iiis li fait C.
— 171 —
Et mes et vin por enyurer
Li fet doner a grant foison,
Por ce qu'il eust aclioison
Que il peust le vilain batre,
130 Que des or se gardast d'enbatre
En la cort a prince n'a conte.
Que vous feroie plus lonc conte ?
Li quens manda les ménestrels
Et si a fet crier entr' eis,
135 Qui la meillor truffe sauroit
Dire ne fere, qu'il auroit
Sa robe d'escarlate nueue.
L'uns ménestrels a l'autre rueue
Fere son mestier tel qu'il sot.
140 L'uns fet l'yure, l'autres le sot;
Li vns chante, li autres note,
Et li autres dit la riote,
Et li autres la ienglerie ;
Cil qui seuent de iouglerie,
145 Vielent par deuant le conte ;
Et tels i a qui fabliaus conte.
Ou il ot mainte gaberie,
Et li autres dit l'erberie.
Et si i a mainte risée.
150 Li vilains qui auoit penssee
De lui vengier de son mesfet
Que li seneschaus li ot fet,
Tant atent que tuit furent qoi.
126 Viande et v. B, Vins uiandes D, Vin et viandes aporter C. — 127 venir B
faison B. — 128 Por ce qu'auoir puist a. A, Por que il li truist oc. B. — 129 Car C,
Comment il puist B, Car il uoloit D. — 130 Car C, Pour ce qu'il s. g. D, Dorenauant
le gart B. — 131 A cort C, En l'ostel B, En ostel D j n'a pr. D, de pr. ne de c. C,
au roi v a c. B. — 132 Et q. \. ferai ie 1. c. C, Encui v. f. un 1. c. D. — 133 Li]
Initiale dans D | les] manque à C j a fait crier entr'eus BD. — 134 sauoir C | Et
fait sauoii- as (a Bi menestreus BD. — 135 millor CD, milor B. — 136 Faire ne
d. B D 1 il B. — 137 reube B. — D intervertit ce vers et le suivant; mais
l'erreur est corrigée à la marge (1). a.). — 138 L'un ménestrel C | reueue B. —
139 Son m. f. C 1 1. con s. D. - 140 Li uns B, L'un D l'autre B C D. — 141 baie BC D
et li a. C, li autre D. - 142 dist BD. — 143 autre A, tiers B D | dist 1. g. D. —
144 Caus C I uiuent C D \ iuglerie C, jenglerie D. — 146 Aucuns A ! ot D, est C. —
147 — 48 sont intervertis dans D, manquent dans AB. — 147 a D j manque
dans AB. — 148 E. i. autres autre [sic] dist l'erbrie D i manque dans AB. — 149 V
il auoit B, La ou il ot C, Il i ot dit A. ~ 150 Et 1. v. ki ot p. B. - 151 D. li v. C|
ce (che B) m. DB. — 152 le seneschal C - 153 Atendi tant k'il f. ohoi B,
— 172 —
Li seneschaus, ne sai por qoi,
155 S'en vint conter deuant le conte.
Qoi que li seneschaus li conte,
Li ^^lains sa nape a cueillie;
Tout bêlement, sanz escueillie,
En vient deuant le conte et garde
160 Le senesclial qui ne se garde
De lui — a son seignor entent —
Et li vilains la paume estent
Qu'il ot dure et plaine de gales:
N'ot si fort homme iusqu'en Gales
i6â Plus l'eust dure, au mien cuidier.
Tout ausi comme a souhaidier
En la ioe I- grant cop li frape,
Puis dist: „Vo buffet et vo nape
Vous rent, ia ne l'en quier porter:
170 A homme fet mauues prester
Qui ce ne rent que l'en li preste."
Tantost la mesnie s'apreste
Au conte, por le vilain batre :
Dolent sont, quant voient abatre
175 Le seneschal aus piez le conte.
Mes li quens iure que le conte
Voudra oir et le por qoi
Il l'a féru; lors furent qoi
Li sergent, quant il le commande.
^^° Et li quens au vilain demande
Por qoi son seneschal laidi :
„Trop par eus le euer hardi,
154 — 55 sont intervertis dans C, mais le scribe a corrigé l'erreur en
marge (b. a.). — 155 Se v. B, En v. A, S'en ua D | parler D, tout droit B. —
156 Choi B, Que CD. — 157 s. n. prent errant B. — 158 acoillie C [ Grant aleure
maintenant B. — 159 S'en vint C, Se vint B, Vint D et le senescal g. B j regarde D.
— 160 Li seneschaus D \ Et chius qui ne s'en prenoit garde B. — 161 H C | signor B D.
— 162 sa p. B. — 163 dures plaiunes D | auoit grande pi. d. g. B j iales D. —
164 N'a CD I ce vers manque à B. — 165 l'auoit B I a mono. C. — 166 T. ensi
ke por s. B. — 167 Les B C D | L] manque à B C. — 169 Ren D, Renc B | le B C. —
170 Maluais fait B C D [ a home (manque à C) pr. BC, emprunter C (— 2). — 171
Qant B C D ' il (on C) n. renc B D C | ce (chou B) qu'on C B D ' prest C. — 172 Tant
tost B, A tant D. — 173 Le c. D, Les le c. B. — 174 virent a. B, il noient batre D.
— 175 au pie B, deuent D. - 176 Et B 1 a dit A. — 177 sauoir B C. — 178 Taire
les fait, si f. choi B. — 179 Pui8(|ue li sires (lor sire B) A B ! desqu'il C | lor c. B. —
181 le s. C. — 182 Molt p. BC, Trop as eu D | eus or 1. c. h. B.
— 178 —
Quant tu deuant moi feru l'as;
Tu en es cheus en mes las;
185 Tu as fet trop grant mesprison;
Garder te ferai ma prison."
„Sire," fet cil, „or m'entendez
Et I- petitet m'escoutez :
Orainz, quant ie ceenz entrai,
190 Vostre seneschal encontrai,
Qui est fel et glous et eschars;
Ses vilains mos et ses eschars
Me dist assez et ramposna,
Yne grant buffe me don a
195 Et puis si me dist par abet
Que seisse sor cel buffet.
Et si dist qu'il le me prestoit,
Et puis a mengier m'aportoit.
Et quant i'ou beu et mengie,
200 Sire quens, qu'en feisse gie,
Se son buffet ne li rendisse ?
Je cuit moût bien que g'i perdisse,
Tost i peusse auoir domage.
Rendu li ai par tesmoingnage,
205 Si que vous bien veu l'avez.
Sire quens, ainz que vous lauez,
Jugiez se i'ai de rien mespris
Par qoi ie soie ceenz pris;
Quar bien li ai rendu, ie cuit,
^^° S'est droiz li seneschaus m'acuit,
184 Tu es ch. en mauvais 1. CBD — 185 — 86 manquent dans D. — 185 Et si C,
Car moût B [trup] manque dansBC ' mesproison B | manque à D. — 186 manque
à D, — 187 f. il D I Sire quens, fait il, e. B, Dist le vilain: Sire e. C, — 188 petit
B C, •!• petit et D i si m"esc. B C D. — 189 Jui C | chains B. — 191 mesdisans et e. C,
Qui mesdisans est et e. D, Qui molt est auers et e. B. — 192 félons m. A ] esclas D
C omet ce vers. — 193 Assez me dist C | M. d. et moût me r. D ! remprosna B. —
194 Et vne b. B. — 195 si] manque à C ! Et après m. d. D. — 196 Q. iou sessisc B |
sus C I cest (ce C D) b. B C D. - 197 Car il d. B, Il d. C. — 198 Et] manque à C ;
m'aporteroit C. — B ajoute 2 vers:
Jou manga et bue a plente
Tant con iou vauc, la merchi De.
199 Et desque C | i'] manque à D | io eue B, os D, i'ai A | but B. — 200 ke B C.
— 201 ni li D. — 202 crui BCD | moût] manque à G [ ke iou p. B. — 205 Vous
meismes D. — 206 S. q., qui veu l'auez G. — 207 Faites (Faite B) iugier B G D | se
i'ai (ie C) m. B G D | mesprins D. — 208 P. q. ne s. B | prias D. — 209 Rendu li ai
si con ie c D. — 210 Drois est D | m'en quit G.
— 174 —
Quant li rent ce qu'il m'a preste,
Et vez me ci tout apreste
D'un autre buffet rendre encore,
Se cil ne li siet qu'il eut ore."
215 Li quens en a gete •!• ris,
Quit ot non mesire Henris,
Et lors commença la risée
Qui en pièce ne fu linee.
Li seneschaus ne set que face,
220 Qui sa main tenoit a sa face
Qui durement li frit et cuist.
Ce qu'il les voit rire li nuist;
Au vilain feist moût de honte,
Mes il nen ose por le conte
225 Qui durement l'a desfendu.
Et dist li quens: „Il t'a rendu
Ton buffet et ce q'ot du tien."
Et dist li quens au vilain: „Tien
Ma robe qui n'est pas vsee;
230 Quar fet as la meillor risée
Seur toz les autres ménestrels."
Li ménestrel dient entr' eis :
„Par foi, sire, vous dites voir. —
Sachiez qu'il la doit bien auoir. —
*3â Ainz mes si bon vilain ne vi. —
Le seneschal a bien serui. —
Rendu li a sa cuivertise."
Por ce est fols, qui mal atise,
211 chou ki B I prest C. — 212 Et ueez C. — 213 D'une autre buffe B, De randre
a. b. e. D. — 214 ciel A, celé B, eis D ! li] manque à B | ki e. o. B j ot C, a D. —
215 Qant li quens B C D I l'ot (manque àB) C, l'entant D | si en (s'en D) a ris B CD.
- 216 II eut a. n. B ! mesires H. D, sire H. B. — 217 Et puis C, Adont BD fu
B C D ' grande B D, moût grans C. — 218 Que B | a (a a D; B C D ' passée D. —
219 — 25 manquent dans B. — 220 Qui t. s. m. C [ manque dans B, — 221 Car
C I cuit C D ! manque dans B. — 222 les] manque dans A C | moût 1. n, A | nuit
C D I manque dans B. — 223 manque dans B. — 224 n'osoit C D | tout p. 1. c. D |
manque dans B. — 225 Car l)ien C, Que moût bien D | li C D | auoit C | manque
à B. — 226 Lors D, Chou B | dit C 1 t'] manque à C. — B ajoute: Molt grant
buffe, car l'ai veu. — 227 (cou ch' oc B), ce qu'a C. — 228 Lors D | Li cuens a dit C,
Et puis a dit B | ai v. A. 229 (reube B). - 230 Tu as (t'as D) fait (faite D) B C D |
millor (milor B) C D B. — 231 Que nus des autres (de tous ces D) m. B C D. — 232
minestres D. — 233 Certes D. - 234 S., il B, Quar il le d. moût b. a A. — 235
One m. C. — 236 Bien a 1. s. s. B C, Vo s. A. - 237 (cuuertise B C).
— 175 —
Et qui a mal fere labeure.
240 Ce que sires done et sers pleure,
Sachiez, ce sont lermes perdues.
Il sont vues genz esperdues
Qui a nul bien ne se regardent,
Que ce qu'il ont a garder, gardent
245 Si estroit que nul bien n'en font,
Que toz li biens en lor mains font,
Que nus n'en a ne preu ne aise;
Moût est la richoise mauuaise
Dont li sires n'est honorez.
260 Disons tuit : Diex soit aorez
Du seneschal qui batuz fu;
Ars et bruis soit en •!• fu.
Qui le bien a fere destorne, —
Li vilains de la cort s'en tome,
255 Qui la robe au seignor enporte ;
Et quant il fu hors de la porte,
Si dist a soi: „Qui siet. il sèche;"
Et puis si dist : „Qui va, il. lèche:
S'a mon ostel fusse arestuz,
260 Ne fusse a pièce reuestuz
De robe d'escarlate nueue;
L'en dit: Qui bien chace, bien trueue."
239 Ne BC I au m. f. B I mau D. - 240 sire B D | etj mtinque aß.- 241 On
(L'en D) dist B D | ce sont trop bien 1. p. C. — 242 vne geut C. — 243 en n. b. D |
Q' -a* [sic] nul b. faire u. s. gardent C. — 244 Et D | en garde D. — 245 n'| man-
que à B. — 246 Car B \ toz] manque à BGD | dedans 1. m. C, entre 1. m. B D. —
247 — 48 B intervertit ces 2 vers:
Por cho est la ricoise maise
Dont crestiens ne puet auoir aise
248 irichesce CD). — 249 Et dont sires B. — 250 Dites D | tout B I D. en soit aore
C. — 251 férus D. — 252 s. il en fu D. — 254 Le uilain C I A itant li uilains s'en
t. D. — 255 Qui robe d'escarlate D I (reube B». — 256 ot passe 1. p. D. — B ajoute
ces 2 vers:
Si fut molt lies, baut et ioiant;
Son chemin akieut maintenant
257 S. d. assez D. — 258 puis] manque à B C D | on ki va B C D. — 259 S" en ma
maison D | fuisse B. — 260 Jeu ne fuisse a p. B, A p. ne f. C ' X. f. oant D | viestus
BC, si bien uestus D, — 261 (roube C, reube B). — 262 On B [ dist B D | il le tr. D,
Explicit le dit du buftet A, Chi define dou \-ilain au buffet B, Explicit dou
buffet CD.
Remarques.
2. amoier .diriger vers un but', de meta; v. Tobler. vrai aniel^, v. 35, — cf.
le début du .Sot Chevalier^ ( M-R I, p. 220).
3. chose = œuvre (cf. Ombre 10: A faire aucune plesant euvre). — aprenp^e.
Pour l'explication des subjonctifs en -ge, cf Suchier. Grundriss I-. p. 78B; Nyrop.
Gr. bist. II, § 134 R.
9. trahitre(s) < *tradictor, cf. Xeumann. Zeitschr. f. rom. Phil. XIV.,
p. 573: Jahresbericht I. p. 79; Tobler, V. B. I^, p. 304 (s. v. trait- .
10. Si. cf vrai aniel v. 77: Et li mainsnés. si estoit teus, . . et la note de
M. Tobler (v. aussi V. B. I-, p. 12 n.i; pour la ponctuation, cf Foerster, Zeitschr. f.
rom. Phil. XXYIII, p. 507.
14. dist (A) est une graphie picarde (= dit C); cf. Foerster. chev. as -II- esp.,
p. LX et note au y. 4816.
19. exemple subst. fém., comme souvent en anc. fr.
20. Comp, le v. 109.
22. Les conteurs se donnent quelquefois le nom de ,trouveurs', p. ex. Lai d'Ari-
stote, V. 54 (M-R V, p. 245; cf I, p. 8).
24. soi prendre garde d'auc. r. = fr. mod. prendre garde à qc; cf. Mätzner,
Altfrz. L., p. 114 (II, v. 12). —
L'introduction morale est presque de style dans les fabliaux, cf notamment le
prologue du Lai d'Aristote (M-R V, p. 243), si semblable au nôtre.
25. eis (<1 eist. + s) est une forme picardo-waUone.
28. recuit ,fourbe' < recoctum qui a déjà ce sens (senex recoctus Ca-
tulle). La métaphore est empruntée à la fonderie: aurum recoctum, or recuit fou
simplement or cuit Elie 1105) -or esmeré; mais, tandisque esmeré a gardé le
sens de .pur* (cf. Mätzner, Altfrz. L. IV. v. 22; „Sa grant biaute fine et fresche,
esmeree"), recuit a pris ici la nuance péjorative (qu'il n'a pas toujours) de ,raffiné"
qui indique un excès de raffinage (M. Foerster, Richars li biaus, p. XX n., cite quel-
ques autres exemples; cf. aussi Littré s. v.); comp, .quintessencié'. — L'italien dit avec
une image pareille ,di tre cotte' (furfante — ).
29. De touz malices (C). ,malice' est ici masc, cf. Foerster, Rieh. 4399 (qui
renvoie en outre à Scheler. Baud. Condé, p. 428, note au v. 103)
33. mal afere. En anc. fr., ,afi'aire' est toujours masc.
39. Cest une phrase toute faite, cf p. ex. Chev. au baril, v. 4.
44. los. subsi masc, ,réputation', de laus (exclamation adrairative). En
général, los signifie ,gloire', ,honneur'; ici, c'est une vox media (de même Auberee.
v. 398 1.
46. co unis soit. La réduction de «> d >> i devant -ss- est une particularité
du picard (et des parlera du Nord-Est, cf Suchier, Auc.^, p. 69).
48. ses bouciaus = ,8on ventre', d'après les éditeurs. Godefroy cite un autre
passage semblable au nôtre: Et eraplent sovent lor bouciaus De pain, de vin, de cras
morsiaus. — D'ordinaire, boucel signifie ,petit tonneau, petit baril, outre, vaisseau',
et il n'est pas toujours facile de choisir entre ces dififérents sens. M. Foerster. dans le
— 177 —
glossaire de son Aiol. distingue deux mots: „b o c h e 1 , für bocel (boz-ellum)
8. m. trinkgefäss" (Aiol 5675), et ^boucel s. m. Schlauch" (Elie 1060)^ mais il me
semble que dans le premier cas on peut traduire par ,outre' tout aussi bien que dans
le second, et les „-ii- boucieus" de ce dernier passage pourraient être aussi deux barils.
Quant à l'étymologie, boucel est le diminutif de bout ,tonneau' (et ,outre'? M-R I,
p. 226), comme l'it botticello de botte; mais à côté de bout, l'anc. fr. connaît
bote et bote = fr. mod. boute et botte ,tonneau'. L'origine de bocel (dans le
passage d'Aiol) est toute différente, selon M. Foerster. — Bouciaus , outres' signifie
donc ici, au fig., .boyaux' (leçon de B C; je ne comprends pas linaus D).
50. poucin <C pullicïnu, pucin (C) ■< *23ûlicînu, cf. Grammont, Rev. des
1. rom. 1898, p. 287.
51. despensse. Il s'agit naturellement de , dépense- au sens de , office', cf. Rieh.
562 (= despoise, .Jahrbuch X. 251).
56. cf. dans le Lai du Conseil (dont je compte donner bientôt une nouvelle
édition) un passage analogue sur Fama:
Quar Novele ne s'endort mie,
Ainz est moût tost par tout alee,
Maint pais et mainte contrée
A cerchie en moût petit d'eure.
62 SS. „Mais", ajoute gravement le conteur, „leurs pratiques mondaines les
damnent". Aucassin sait que toute la bonne compagnie se donne rendez-vous à l'enfer.
64. soufferroit. Il n'est i^as nécessaire d'admettre que cette forme vienne de
souffreroit (comme, p. ex., ploerrai < plorerai, juerrai <; jurerai; elle peut
continuer directement su f ferre, cf. Risop, .Tahresber. IV, 1, p. 212 (mais l'inf. italien
offerrere dont parle M. R. n'existe pas^) ; Dante et d'autres (p. ex. Boccaccio, Pulci)
connaissent off er ère, prof fer ère, et je ne vois pas comment ces formes pourraient
appuyer l'explication donnée ci-dessus pour soufferroit).
68-9. Pour la leçon de B, cf. Tobler, V. B. 12, p. 127.
71. sanz dangier = sans obstacle = à discrétion (cf. Aiol 1485i. Son con-
traire est a dan gier (si li donoit l'an a maugier Moût povremant et a dangier Char-
rete 6162; a grant dangier Yvain 530-4); dangier d'auc. r. = rareté, défaut de
qc. (Mais penses del ceual c'ait a mengier, Del feure et de l'auaine ne soit dangiers,
Aiol 227—8; comp, l'expression faire dangier d'auc. r.: Ne li faites mie dongier
De vostre fromant qui est boens, M-R IV^, p. 145; cf. Ebeling, AubereeSlO); je trouve
encore dans les Cent nouv. nouv. : . . . s'il y avoit danger de litz, la belle paillade
est en saison (n^ XXX, p. 153 de l'édition publiée par le bibliophile Jacob qui a mal
compris ce passage). — 11 est intéressant de voir que par grant dangier a le
même sens que sanz dangier (prist a mengier des viandes par grant dangier. Car il
en avoit a foison, Claris 9627) et à la fois „malgré soi, à contre-coeur". M. Tobler a
expliqué cette contradiction ajîparente (Li proverbe au vilain, p. 117).
72. viande « *vivanda, pour vivenda) «nourriture, vivres' = anc. fr. vi-
taille (Huon 3628, Orson 855). On sait que viande a gardé ce sens général pendant
tout le moyen âge.^j Cela exclut l'étymologie proposée par M. Koerting (vit and a.
v. le n" 10266 du Woerterbuch^); les raisons qu'il veut alléguer contre vi vend a ne
sont pas valables (Pour la dissimilation du v intervocalique, cf. viaz «< vivacius
(et en outre les imjjarfaits en -ebam)j vivenda, en roman, ne signifie pas seulement
„zu lebende Dinge," cf. l'it. lavanda et Herzog, Streitfragen, p. 98 n.). En ces dernières
1) M. Risop le cite d'après M. Meyer-Lübke, Littbl. 1892, c. 15.5, et l'erreur est déjà dans rit al.
Grammatik, p. 244. (Elle est corrigée dans la Grammatica, p. 186.)
2) Et pltts longtemps encore, cf. Grundriss P, p. 800. — fr. mod. viande = char en anc. fr.
12
— 178 —
années, on a rejeté pom-tant vivenda à cause de Tit. bidanda („que bidande mandi-
cate?", Ritmo Cassinese (Fin du XIII« siècle) et ailleurs, cf. Gaspary, Zeitschr. f. rom.
Phil. IV (1880), p. 612), voir Tobler, H. Arch. C, p. 220; Littbl. 1907, c. 18; Vers-
lehre*, p. 75 („altit. bidanda von vita"); Ebeling, H. Arch. CV, p. 433 (qui préfére-
rait vitanda). Mais est-il sûr que ce soit là une forme plus archaique que l'it. vi-
vanda? On peut également y voir * vi van da, avec dissimilation du second v (cf.
padiglione), et M. Meyer-Liibke l'a expliqué de la sorte ((rramm atica, p. 75).
Il est possible qu'en français aussi *vivanda ait passé d'abord par l'intermédiaire de
*vidanda (cf. Vivien Vézien, saint Vidian). — mengier. Graphie picarde (cf. Fried-
wagner, Sprache des Huon, p. 26 s.) qui annonce peut-être la prononciation moderne
(rainger, cf. Nyrop, Gr. hist. I^, § 215 R.).
74 — 5. amande en maleur, au sens ironique, en allem. ,ver.schlimmbessert'.
amender s'emploie aussi comme verbe neutre (Mätzner, Altfrz. L., XXVI, v. 3), cf.
le proverbe „Jamais cheval ne méchant homme n'amenda pour aller à Rome". — M.
Herzog (Streitfragen, p. 98 n.) a proposé une nouvelle étymologie de ce mot.
76. c'est à dire: ils mangent entièrement aux dépens d'autrui: cf. Auberee 42U — 2:
Dame Auberee lor atome Ce qu'ele set que lor fu buen, Quar il n'i auoit riens du suen,
V. la note de l'éditeur; cf. plus loin v. 227.
78. es tue t. Sur l'étymologie de ce mot, voir en dernier lieu Ebehng. H.
Arch. CVI, p. 196, et Tobler, Sitzungsber. du 6 févr. 1902.
79. Aussi que f= com C), cf. Tobler, V. B. l^, p. 17-4 — •!• oef, valeur
minime; on pourrait citer une centaine d'expressions analogues, ') dont plusieurs sont
devenues des renforcements indispensables de la négation.
81. Sur pieç'a, cf Tobler, V. B. IF, p. Iss.
82. Raoul, cf Nyrop, Gr. hist. 12, § 270 1^.
86. pelain (<; *pilamen)2) ,extérieur, apparence, mine' (cf. M-R III, 188 = de
laide hure IV, 212; mètre auc. en mal pelai n, V, 164 = en mauvais état); cf. l'it.
pelame qui a conservé encore le sens primitif: 1) complesso dei peli 2) qualità di
pelo 3) indole; et cf Lafontaine, L'anneau d'Hans Carvel: „Babeau . . . Fut du bon
poil, ardente et belle."
87. locu ,échevelé", voir les nombreux exemples recueillis par Godefroy.
89. Cela explique pourquoi le vilain a ,chief locu'. Voir sur la coiffe A.
Scliultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesänger, I^, p. 241 et j). 168; les pas-
sages cités de Neidhart sur la coiffe de nuit sont instructifs.
91. vilonie, pour vilenie, d'après félonie (et, vice versa, felenie), cf. Neu-
mann, Littbl. 1883, c. 17; Risop, Begriftsverwandtschaft und Sprachentwicklung (Berlin
1903), p. 8.
94. A poi que ... ne + iudic, cf Tobler, V. B. P, p. 58 s.
99. louceor de pois = ,avaleur de pois' (fr. mod. ,c'est un avaleur de pois
gris'), cf. Loukepois^) (Recl. de Moilliens, CXLVI, 8). C'est un mot normanno-pi-
card*). M. Homing (Zeitschr. f. rom. Phil. XXI, p. 456 ss) rattache louche ,cuiller'
à Cochlea; on serait tenté pourtant d'expliquer toute cette famille par une onomatopée
(cf. l'allem. lutschen).
101. Espir, subst. verbal de espirer {- it. spiro), cf G. Paris, Remania
VII, p. 464.
102. „Pour toute coiffure (toilette)".
>) Déjà Ubiaiid (Ueber das altfranz. Epos) a remarqué leur fréquence dans l'ancienne langue.
2) M. Foerster (Chev. as. II. aap. 3746) préférerait ilériver le mot de peUis.
•) Et ,humere de broet', cf. M-K. 1, p. 6.
*) Il est vrai que son aire est un peu plus étendue.
— 179 —
103. Faire la paelete, .être joyeux', propr. ,fêter la poêlée-. („Dans certaines
provinces, nom donné à une petite fête à la fin de la moisson ou de la vendange."
Littré s. V. poêlée.) Godefroy en cite un autre exemple, mais sans expliquer cette
locution; voir Du Gange s. v. Patella (= festum fui-furis). Pour le développement du
sens (,célébrer une fête spéciale' > , s'amuser') cf. .faire la noce' et l'allem. , oralen'
gralesieren', de .Gral' (Hertz, ParzivaH, p. 463 ss.).
106. passion a le sens général de .souffrance, torture', à peu près comme
goûte (sur ce dernier mot, cf. Ebeling, Auberee 107); d'après M. Woelfflin (Münch-
ner Sitzungsber. 1894, p. 114), passio, dans la terminologie des médecins, était un
euphémisme comme aegritudo, vitium; mais, d'autre part, la langue de l'église a
donné à ce mot une signification particulière (cf. la locution , souffrir mort et passion-.) —
Me n ois on (D) a un sens spécial (.diarrhée', cf. Tobler, Sitzungsber. du 19 janv. 1893).
109. eng aingn e , (cf. dépit- M-R I, p. 308). Voir sur ce mot Tobler, Mittheilungen,
p. 260; Foerster, Rieh. 4489.
110. longaingne, Jatrine' (au fig., terme d'injure, v. Paris-Jeanroy, Extraits
des chroniqueurs fr.*, p. 154); cf. Zeitschr. f. rom. Phil. XVII, p. 317.
121. Pourquoi ce sifflet? Est-ce pour rendre plus claire encore la valeur onomatopéi-
que de ce que le sénéchal entend par .buffet'? Ce serait alors le bruit sifflant qu'on
profère quelquefois en donnant un soufflet.
124. soi traire en sus, ,s'éloigner', , se retirer' (allem. , sich verziehen-) : traient
soy en sus les gelous, Clef d'Amors 175; cf. Orson 950. 952; traire en sus, v. n.,
M-R I, p. 286; de même soi traire en la: Pur deu, trahez vous en la, Vus ki ne
amez mie, Rom. u. Past.. p. 209; traire en la, v. n., M-R I, p. 263; soi traire
ariere, Guigemar 772. Pour le contraire: Dame, traies vous ca, Auberee 370; Traiiés
en cha. M-R II. p. 46.
129. Car ^C) = Que, cf. Tobler, Versbau^, p. 62.
132, C'est une formule de transition, cf. Foerster, Rieh., p. XVII; ibid. v. 383
Qu'en feroie long siermonnage ? — Que vos dirai? (L'Erberie Rustebuef, Jubinal t. I,'
p. 254); Je qu'en diroie? (M-R III, p. 151); Que diroie de ses bontez? (Erec 93i;
Que vous iroie-je contant, Ne les paroles alongant? iM-R 1, p. 318); Que vous feroie
plus lonc conte, Vous qui savez a ce que monte? Ne ferai plus longue demoure
(ibid., p. 326); M-R I, pp. 14, 17; III, pp. 82, 85 etc.
140. cf. B. de Condé, Conte des Hiraus, v. 6à : L'uns fait l'ivre, L'autres le
chat, li tiers le sot; Le bachelier d'armes (Jubinal, Nouv. Rec. I, p. 328) : Ja ne ferai
le fol ne l'ivre, Ne ne dirai parole estoute, Car Dieus het vilenie toute; Durmart vv.
15101 ss. (Hertz, Spielmannsbuch^, p. 17).
141. Cf. Flamenca v. 606: L'us diz los motz e l'autr' eis nota.
142. la riote, voir Zeitschr. f. rom. Phil. VIII. p. 275 ss.
143. la ienglerie. Il s'agit probablement d'une pièce telle que .Des deux
bordeors nbauz.' (M-R I, p. 1 ss.) et ,La contregengle- (II, p. -257 ss.). M-R II, p.
242: Molt bien sevent de tricherie, D'enchauntemeuz e geuglerie.
145. A côté de vieler, on rencontre aussi violer (Rieh. 2283).
146. tels i a, cf. Tobler, Mitth., p. 269.
149. risée, synonyme de trufe, bourde, gab (cf. G. Paris, Manuel-, § 74
et § 83.)
151. De lui vengier, cf. Tobler, vrai aniel 36. — son meslet = son injui-e,
iniuria sua (cf. Salluste, De couiur. Cat., c. 51: non ita est, neque cuiquam mortalium
iniuriîe suse parvse videntur; c'est l'usage constant dans Salluste); v. aussi Tobler.
V. B. 112. p. 84.
156. Qoi (Que C D) que, cf. ibid. III, p. 7 ss.
— 180 —
158. sanz escueillie ne fait que varier tout bêlement; sur le verbe es-
coillir, voir Tobler, vrai aniel 28.
163. gales, , callosités', de galla; gale , rogne' est probablement le même mot.
Sur g a lia, voir Schuchardt. Zeitschr. f. rom. Phil.. t. XXIX, p. 323.
167. BCD: Leslaioe, probablement par confusion avec l'expression si
fréquente les l'oïe. sur laquelle voir la note de M. Foerster au v. 1216 de Richars
li biaus; cf. Tobler, V. B. R p. 197 (où il faut lire Ombre 717).
170. Cf. Tobler, V. B. 1«, p. 216 ss.
174. (La mesnie s'apreste 172:) Dolent sont, cf. ibid. p. 230.
184. Cf. M-R I, p. 326: Or est chëus en mal lieu (fam. ,tomber dans le
lacs- = être dans l'embaiTas). — mais = , mauvais', voir plus haut. p. 6. M. Horning
(Zeitschr. f. rom. Phil. XXVIII, p. 197 ss. identifie même ces deux mots : mawais [cf
mavais Aiol 2461) > maais >■ mais.
185. mesprison, vox media: au sens actif = .mesfet' (comme ici); au sens
passif = ,adversité (Prov. au vilain 195i, cf. la note de M. Tobler).
186. prison = ,priso nnier' ; cf. it. prigione (Decameron II, 6; prigio-
niere. dans cette même nouvelle = .geôlier').
192. es chars, subst. verbal de escharnir, = it. scherno.
195. ab et, v. Tobler, vrai aniel 366.
204. 1 i = it. glielo ; de même au v. 209.
208. Tous les mss. ont par (non por comme on lit dans le Rec. Gén. III, p.
206). — cf. Ebeling, Auberee 284.
214. ne li siet .ne lui convient pas' (non: ,ne lui suffit pas') ; cf. Riote (Zeit-
schr. f. rom. Phil. VIII, p. 288): Querres autre maistre, se cil ne vous siet. —
Legrand d'Aussy fait ici une réflexion curieuse sur le langage du vilain (1. cit.,
p. 364): „Les gens du peuple qui, dans tous les siècles, ont dû nécessairement avoir,
par le défaut de leur éducation, un langage corrompu et un patois à eux, chez les
fabliers n'ont rien de tout cela. Le bouvier et le roi y parlent absolument la même
langue. Je ne sais à quoi attribuer ce défaut de costume, si ce n'est à l'ignorance de
ces poètes, qui, ne connoissant point les bienséances de style, ont fait parler tout le
monde comme eux."
218. en pièce, cf. Tobler, V. B. Il2, p. 2.
222. Le sénéchal comprend que le succès d'hilarité obtenu par Raoul nuit à sa
propre cause: Le vilain a les rieurs de son côté, donc, il a cause gagnée.
231. „seur toz les autres, ménestrels."
232 — 7. Les ménestrels, après avoir acclamé le jugement du comte (v. 232),
s'entretiennent sur l'aventure plaisante et son dénouement ; ce n'est donc pas un dis-
cours suivi, mais une série de petites phrases dontchacune est dite par un autre des assistants.
235. Ainz mes. Sur ainz-ains, cf. Foerster, Charrette 183.
238 — 53. Réflexions du conteur; c'est la morale de l'histoire (selon le Rec.
Gén., ces vers continueraient plutôt le discours des ménestrels).
238. atise (à côte de attice, cf. Ebeling, Auberee, p. 154).
240—1. Comp. Tobler, Li prov. au vil., n" 106-, Ulrich, Proverbes ruraux et
vulgaux, ZFSL, t. XXIV, p. 5, n" 107, et p. 17.
257—8. Cf Tobler, 1. cit., n'> 135 ; Ulrich, 1. cit., n« .385; Novati, Giorn. stor.,
XVIII, p. 131; et voir ci-dessus, p. KU.
Untersuchungen zum altenglischen sogenannten Crist.
Von
Gustav Binz.
Die altenglische Dichtung, der man den Namen Crist beizulegen
pflegt, ist in den letzten Jahren mit erneutem Eifer studiert worden.
Vor allem die Frage, ob sie ein einheitliches Werk Cynewulfs sei oder
in mehrere von einander unabhängige Stücke zerfalle, von denen nur
das mittlere mit Sicherheit Cynewulf zugeschrieben werden könne, hat
man eingehend erörtert. Trotzdem der neuste Herausgeber dieses Denk-
males altenglischer Poesie, der im übrigen um das Verständnis desselben
hochverdiente Albert S. Cook, an der lange Zeit allgemein angenommenen
Meinung von der Einheitlichkeit festhält, muß ich mich zu der von
Trautmann, Blackburn, Bamouw, Bourauel, Schwarz und anderen ver-
tretenen Auffassung bekennen, welche die Zerlegung in mindestens drei
selbständige Dichtungen und die Beschränkung von Cynewulfs Verfasser-
schaft auf den zweiten Teil für unabweislich ansieht. Ihre Beweismittel,
die mir genügend scheinen, zu mehren und zu stärken, kann ich darum
nicht für meine Aufgabe halten. Wenn sich indessen im Verlauf der
folgenden Untersuchungen neue Stützen für sie ohne Mühe gewinnen
lassen sollten, so wäre dies ein nicht zu verachtendes Nebenergebnis
meiner Arbeit. Ich will vielmehr, einen schon früher gelegentlich
(Zs. f. d. Phil. 36, 273) von mir ausgesprochenen Gedanken wieder auf-
nehmend und weiter verfolgend, versuchen, aus einer eingehenderen Be-
trachtung des dritten Teils (V. 867 ff.) mir ein Urteil über das Ver-
hältnis desselben (Cr. III) zu der altsächsischen Dichtung zu
bilden. Die Vermutung, daß ein solches Verhältnis bestehe, wird nahe
gelegt durch eine Reihe von sprachlichen, stilistisclien und metrischen
Eigentümlichkeiten des Cr. III, für welche aus der übrigen ae. Dichtung
keine oder nur höchst spärliche, aus der altsächsischen Dichtung dagegen
überraschend viele und auffällige Analogien beigebracht werden können
— 182 —
Die Anhandiiahme einer solchen Untersuchung scheint mir umso
dringender, als neuerdings in einer unter Trautmauns Einfluß entstandenen
Bonner Dissertation auf einen Teil der sich hiebei aufdrängenden Fragen
eine Antwort gegeben worden ist, welche den Tatsachen meines Erachtens
nicht nur nicht gerecht wird, sondern die Dinge geradezu auf den Kopf
stellt. In den Bonner Beiträgen zur Anglistik Heft 17, 1905, S. 1 — 50
handelt Otto Grüters „über einige Beziehungen zwischen altsächsischer
und altenglischer Dichtung". Er geht darauf aus, „zu zeigen, daß ein
Teil der as. Genesis und eine Stelle des HeHand von der ae. Dichtung
abhangen" und faßt die Ergebnisse des ersten Teils seiner Untersuchungen
folgendermaßen zusammen (S. 34) :
„1. Ein Abschnitt des Crist [V. 1380 ff] berührt sich mit der as. Genesis
[ae. Genesis B V, 235 — 760], auch mit Stellen, die in ihrer Sprache
deutlich as. Gepräge tragen.
2. Diese Übereinstimmungen in Ausdrücken und im Stabreim lassen
sich bei dem Reichtum der ae. Sprache nicht aus lateinischen Quellen
herleiten, ganz abgesehen davon, daß es unwahrscheinlich wäre, daß
die Dichter für verschiedene Gegenstände aus demselben lateinischen
Werke geschöpft hätten, oder daß gar eine lateinische Dichtung
vom jüngsten Gericht auf einer andern vom Sturze der Teufel beruht
hätte, oder umgekehrt.
3. Die Berührungen können sich nicht etwa unabhängig von einander
aus den verwandten Stoffen ergeben haben; denn die ae. Dichtungen,
die denselben Gegenstand wie die as. Genesis behandeln, zeigen
solche Übereinstimmungen nicht — die andern ae. Dichtungen über
das jüngste Gericht stehen der as. Genesis ganz fern.
4. Es bleibt also nur noch übrig anzunehmen, daß die as. Genesis und
der Abschnitt des Crist auf verwandten ae. Dichtungen beruhen,
da an ältere as. christliche Dichtungen nicht zu denken ist."
Weniger deutlich äußert Grüters sich über die Beziehungen zwischen
Cr. III und Heliand. Seine wichtigsten Gedanken lassen sich ungefähr
so resümieren : Durch Zusammenschieben von Heliand V. 1033 ff und
V. 3591 ff erhalten wir ein Ganzes, das mit den Reden Christi in
Cr. V. 1380 ff und in „Christi Höllenfahrt usw." ausgeprägte Ähnlich-
keit hat (S. 36). Durch Vergleichung mit den übrigen ae. Dichtungen
wird der Wert dieser Übereinstimmungen zwar erheblich vermindert,
aber doch nicht völlig aufgehoben (S. 48). Heliand hängt von der gleichen
Überlieferung ab, wie Crist, Christi Höllenfahrt und Phönix. Auf S. 49
finden wir das Zugeständnis : „Die as. Genesis macht zwar nicht den
Eindruck, daß sie das Werk eines Übersetzers oder Bearbeiters wäre,
der sich ängstlich an sein Vorbild angeklammert hätte. Es weht in ihr
ein ganz eigener, ursprünglich anmutender Geist der Freiheit und Größe,
— 183 —
den ein Übersetzer schwerlich aus seiner Vorlage in sein Werk hinüber-
gerettet hätte, den man auch in den ae. religiösen Dichtungen nirgend
so kräftig verspürt."
Warum man den im letzten Satz seiner vierten Schlußfolgerung
(S. 34) ausgesprochenen Gedanken, den er selbst am Ende des Zitates
von S. 49 nur mit Mühe zurückdrängen zu können scheint, nicht auf-
kommen lassen dürfe, das ersieht man aus Grüters' Ausführungen nicht.
Denn eine Begründung seiner Ansicht kann man es doch nicht nennen,
wenn er S. 33 sagt: „Die bisher gefundenen Beziehungen erklären sich
am einfachsten — von wahrscheinlich darf man kaum reden — , wenn
man annimmt, daß die as. Genesis in dem Abschnitte, der uns beschäftigt,
auf einem ae. Gedichte gleichen Inhalts beruht, das seinerseits aus älteren
Dichtungen geschöpft hätte, die auch der Verfasser des Cr. III benutzte."
Der dort beigefügte Hinweis auf die ähnliche Meinung Trautmanns wird
als Ersatz für einen Beweis kaum gelten dürfen ; denn wenn auch noch
keine kritischen Besprechungen über Trautmanns Kölner Vortrag, worin
er den Hehand als Übersetzung aus dem ae. erwiesen zu haben hoffte,
zu meiner Kenntnis gelangt sind, glaube ich doch mit der Annahme
kaum zu irren, daß Trautmann mit diesem Gedanken und seiner Be-
gründung sich keinen größeren Beifall errungen habe als mit der ähn-
lichen Behauptung über das Hildebrandshed.
Das wirkliche Verhältnis des Crist zur as. Dichtung ist somit durch
Grüters' in eine petitio principii auslaufende Arbeit nicht bestimmt.
Die von ihm angewandten, auf Vergleichung des Inhalts und der Aus-
drucksweise sich beschränkenden Mittel konnten dazu auch gar nicht
ausreichen, um so weniger, als die wenigen, wirklich für engere Be-
ziehungen sprechenden Übereinstimmungen unter der von ihm mit großem,
aber nutzlosem Eifer zusammengehäuften Masse nichtssagender Ähnlich-
keiten verschwinden. Wollen wir zu einer sichereren Antwort auf die
uns beschäftigende Frage gelangen, so müssen wir die Untersuchung
auf eine breitere Grundlage stellen und alle zuverlässigen Kriterien
herbeiziehen. Solche finden wir im Wortschatz, in den Laut- und
Flexionsformen, in der Syntax, dem Stil und der Metrik. Den Weg zu
ihrem Gebrauch hat uns Sievers in seiner Schrift über den Heliand und
die angelsächsische Genesis (Halle 1875) gewiesen.
1. Wortschatz.
Die Anwendung dieses Kriteriums erheischt deswegen besondere
Vorsicht, weil wir nicht mit unbedingter Sicherheit den Umfang des
ae. bezw. as. Wortschatzes bestimmen, beide gegen einander abgrenzen
können. Im allgemeinen wird der Zweifel über Zugehörigkeit oder Nicht-
— 184 —
Zugehörigkeit zum ae. geringer sein als über diejenige zum as., da für
das Englisclie die Quellen unvergleichlich viel reicher fließen. Finden
wir nun im Cr. III Wörter, die dem ae. sonst fremd, im as. aber belegt
sind, so wird der Verdacht, daß wir es mit einer Entlehnung aus dem
as. oder mit einem stehen gebliebenen Rest aus einem as. Yorbild zu
tun haben, um so dringender, je geläufiger die dadurch ausgedrückten
Begriffe und Vorstellungen sonst der ae. Dichtung sind, also da, wo es
sich um Dinge handelt, für welche die ae. Dichtersprache eine mehr oder
weniger große Fülle von anderen Bezeichnungen aufweist.
Am Wortschatz des Cr. III ist aber in der Tat vieles recht auf-
fallend. Schon Trautmanu hat zwar (Anglia 18, 385) auf die von Cynewulfs
Sprache abweichende Zusammensetzung derselben aufmerksam gemacht
und sie durch Belege illustriert, die Sache aber nicht weiter verfolgt.
Cook hat in seinem Glossar die nach Grein nirgends sonst in der ae.
Dichtung begegnenden Wörter oder Wortzusammensetzungen durch ein
besonderes Zeichen hervorgehoben. Wenn man noch einige Fälle, in
denen dieses aus Versehen weggelassen ist, hinzurechnet, so findet man
in den rund 800 Versen des Cr. III die unverhältnismäßig hohe Zahl
von 113 sonst in ae. Dichtung und meistens im ae. überhaujDt nicht
nachzuweisenden Wörtern. Diese Zahl wird aber noch bedeutungsvoller,
wenn wir die Wörter, welche in dieser Liste enthalten sind, näher an-
sehen. Es sind, nach Cooks Ausgabe citiert, die folgenden :
ahêatan 941. Cid/otja 1604. ü/jjsnes 1473. itnroruld 93t). andyête 1244.
äscomian 1298. mTehiuf/tKt 1011. mtoUan 1319. ruTri/snuiii 113'6. atolearf od
1265. hi/ild-minan 869. Inrinmin 1175. hlsëou = moisten, drench 1087.
hktn/ccfiH 1445. hlœdiceki 1391. hj/s/ncr/ëas 1325. crj/bh 1425. dëadfinn
1206. dëadlêfj 982. drëorigferluî 1108. efenmkel 1402. eftlëan 1099.
eornest iß\xh?,i.) 1100. fUceiitûce/i 1565. feor/idolg 1454. feorhgonui 1548.
fërdpeu'it 1183. finidtecdu 1275. firenfronnicud 1117. premjeorn 1605.
firtiminnig 1378. fircnireon- 1300. 1398. fo/cdrijht 1066. foidrast 1028.
foretûcen 892. foredoncol 1191. fffrsiceart 983. gedf/ran = ehren, preisen
1644. ge/irëow = lamentation 938. peirjfan (trans. = to endear) 1644.
geondsëmn 972. goldfralwc 995. grorne (adv.) 1204. liUimfœst 1554.
heühcüf 978. htdrdeindt (1. /tennnnc'uk' ?) 1443. heanmicalu 1608.
heurmulege 1434. hellcwalu 1189. helhbeulii 1426. heofondugud 1654.
/Hohdrgit 1541. Innfëdu 1012. Ii'ingrnn 1354. /i/ëod 13öS. //rë(îënd}g 94-1.
/tredcrcoffi 1328. /nnr.<> 1443. niagencarfcde 963. 1410. luagenfolc 876.
mœgeninuïdor 926. luagugeogud 1428. mwiciceahu 1416. nuwforinirht
1094. niUniromni 1279. inordorhUa 1624. niordorlëan 1611. mûr 1142.
ingrmn 1143. mdnrnht 1257. ngdg( ireft/d 14Ö0. ödriTfmi 1266. ofhrëomn
933. onhëodan 1169. on/täfc 895. oittm/g 1420. rarii 1396. 1459. .<i(rpllie.
scrEft 1305. .srg/dirrecrende 1160. .Htgeinëre 1530. .s/ifc 1250. somodfœst
— 185 —
1580. fipütl 1121. 1435. Hffiftfd'sf 080. siKtfinênsfan 900. .svm.s-^V- 1510.
Hirœ.slTce 1338. siregdi/un 954. st/iihi/nttii 1299. si/z/fd/i 1082. aiinlicc 1479.
.s7//z/?/7 919. 1132. 1281. 1376. .sv/y//v7.s-/ 1320. föin 1211. //vY/r- 1165.
ffi)if/o/(/}NUU llöO. (Têothtinulor WbA. (Tur/nr/Tta n 128S. 1331. iiithëtcf/ \Hll.
iinefi n l-ib9. ifiif/eai-o 814. iinHcomkude 1324. unsirêk 1438. lOfHtJfre lAHH.
imtu'ëo 960. Kiifri/nte 1562. n'Œf/dëor 981 . u'œbnfyr 9Sl. weonTinui 1\3H.
iromiryrcende 1092. woriildpear fende 1350. irorii/dind/ 1006. iroruldirJte
1477. n'i/nsifinïTc 911.
Dazu kommen noch einige, die außerhalb Cr. III nur noch in der
Psalmenübersetzung begegnen, welche auch andere Eigentümlichkeiten
mit Cr. III gemein hat: pedwelkin 1127. f/etreininaii 1150. Af'/7'//f. Iitff/or
1487. sekf/escot 1480. ^rp<" 1503. wŒdki 1495. .sroy/r/ findet sich aulier in
Cr., Psal., Genesis B. noch einmal im Güdläc.
Bei vielen von diesen Wörtern kann und wird die Beschränkung
ihres Vorkommens auf Cr. III auf Zufall beruhen. Einige aber sind
zweifellos unenghsch : crijhh (im Cr. I dafür hinn !) =-- as. knbhki: (jedjjntu.
vgl. dyran = loben in Genes. B. V, 257 = as. diurian, preisen; nmgugeof/iKt.
eine Abstraktbildung zu *iuaf/ugeong = as. tuac/ujang: mûr = as. mûr (st. m ?)
neben mura st. fem., myrran = as. merrian : Wm = a.s. tOm neben (önii.
das der ae. Übersetzer der as. Genesis in Genesis B. V. 804 absicht-
lich vermieden zu haben scheint. Zum mindesten dadurch auffallend,
daß sie ae. sonst nicht angetroffen werden, trotzdem sie keine abwegs
liegenden Vorstellungen ausdrücken, sind œdeklugmt. h'iprgccan. die
Zusammensetzungen mit dëa<t -. die Composita nydgeweakl und irynsumfTc.
die allerdings auch in den erhaltenen Resten as. Dichtung umsonst
gesucht werden. Noch lebhafter erinnern uns an das as. die zahl-
reichen Zusammensetzungen mit ßren - . vgl. as. pnuddd. flrinqudla.
firinquidi. firinsprdka. finnsimdea, firimrerk. zumal da auch bei den
englischen Wörtern die gleiche Abschwächung der ursprünglichen Be-
deutung des ersten Bestandteils zur steigernden Funktion, wie bei
einem Teil der as., festgestellt werden kann, ähnlich wie dies bei den
Compositis mit ßeod - der Fall ist, vgl. as. tliiodarlmti. tlüodgod. tli'iod-
giimo. Ihiodkumug. f/iiodqiidla. Ili'iodskaäo. t/iiodtrc/o. Das ae. zeigt sonst
keine solche Vorliebe für diese Zusammensetzungen. Auch dem liearmcwkk.
hearmcwcdu und hearmsk'ge können wir leichter entsprechendes aus dem
as. zur Seite stellen (liarmgitnir/ff. /lanm/iftdi. //aniiskara. /larmurrki.
als aus dem ae.. wo solche Composita fast ganz auf Cr. IIL Psalmen.
Genesis und Andreas beschränkt sind, die manche sprachlichen und
metrischen Auffälhgkeiten mit einander gemein haben. Ebenso sind
endhch die Zusammensetzungen mit einem Participium der Gegenwart
im zweiten Teil, wie firinfnmmeud. scyJdwreccende, unscomiciide,
iromicyrcende. iconddpear fende, wenn ich recht sehe, as. Sprachgebrauch
— 186 —
geläufiger als dem ae. AVas die Zusammensetzungen mit un- anlangt, so
hat schon Franz Schwarz in seiner Dissertation (Cynewulfs Anteil am
Crist, Königsberg 1905) S. 102 auf den bedeutenden Unterschied der
drei Teile des Crist in der Häufigkeit derselben (Cr. I und II je 5,
Cr. III 28 Belege) aufmerksam gemacht. Eine Durchsicht von Greins
Sprachschatz zeigt, daß wieder Cr. III, Genesis, Andreas und Psalmen
ein Hauptkontingent zu der Liste solcher Komposita stellen. Das ist
vielleicht doch nicht ganz zufällig. Jedenfalls verdient hervorgehoben zu
werden, daß auch in der as. Dichtung eine verhältnismäßig stattliche
Zahl solcher Bildungen überliefert ist.
Zu einzelnen Wörtern noch ein paar Bemerkungen. CuTruHiued 1133,
nur einmal in Cr. III, findet eine Parallele in Heliand 5628 git/irusmod,
das freilich nur auf Konjektur für hsl. r/ithismod beruht, forden
partiz. = verbrecherisch, böse, 5 mal in Cr. III, einmal auch in Andr. 43,
entspricht genau einem as. farduan (3 mal im Heliand). cß] = lascivia
(as. (jêl) Cr. 1084 begegnet sonst nur noch in Genes. B. 327. wëde
915. 1671 = as. u'ôdi vermag Grein außerhalb des Cr. III nur ein einziges
Mal nachzuweisen ; ebenso begegnen frœt und eihk/eonf/ außerhalb des
Cr. III und Andreas je nur 1 mal. Auffällig ist der häufige Gebrauch
von ücTene, scjjne und von .svra some, die beide im as. sehr beliebt sind.
Einige Wörter haben im Cr. III eine Bedeutung, die sich im
ae. sonst nirgends belegen läßt, wohl aber im as.: Jiord 1047 = „Ge-
danken", wie im Hei. 1762. (d/dan 1073. 1549 = „achten auf, beachten",
entsprechend dem as. a/ifon. fore el(l)Pëodiun 1083. 1336 im Sinne von
„vor allen Menschen" (so wohl auch im Andr. 972) zu vergleichen mit
dem as. fdder (dof/tiado Hei. 4746, während nach Grein ae. elpëod sonst
nur „natio peregrina" heißt, ricalu hat im ae. stets den Sinn von
„Tod"; in den Zusammensetzungen kearmcimlu 1608, hellcnrihi 1189
und nJdnrfdn 1257 paßt aber diese Bedeutung gar nicht in den Zu-
sammenhang; dieser verlaugt vielmehr „Qual", so daß wir der Annahme
kaum entgehen können, daß an diesen Stellen ein as. qudla st. f. zu
cH'a/u anglisiert erscheine. Diese Komposita sind freilich im as. nicht
belegt; das kann aber leicht auf Zufall beruhen. Für substantivisches
(fc/rrëoir -= „AVehklage" 998 können wir weder aus dem ae. noch aus dem as.
einen weitem Nachweis erbringen; aber daß as. ein Verbum /treuivan „be-
klagen" vorkommt, das ae. mit dieser Bedeutung fehlt, verdient Beachtung.
onbeodnn „entbieten, kundtun" 1169, im englischen ganz vereinzelt, erscheint
im Heliand öfter. .s//77y Icticr 1161 „schwere Krankheit" ist im englischen
kaum anderswo in diesem Sinne zu belegen, während as. kgcr mehrfach
so begegnet. Zu hi(/œd V. 1307 haben Grein und Gollancz die Bedeutung
„beichtet" gefordert, die dem ae. Verbum hcf/ün sonst völlig fehlt. Dürfte
man sich vielleicht vorstellen, daß ein as. hif/e/dd. „beichtet" zu Grunde
— 187 —
liegt, das von einem englischen Leser mißverstanden und falsch ins
englische übertragen worden wäre ? Holthausen erwähnt im as. Elementar-
buch § 476 eine 3. Sing. Ind. Präs. begêd „begeht" ; daneben hat viel-
leicht ein bkjftd existiert, wie steid neben nted, und diese Form hätte,
etwa noch mit einem silben trennenden li zwischen e und i versehen, viel-
leicht zu einer Verwechslung mit dem neben regelmäßigem hUjihkl nach
Holthausen § 428, Anm. 1 vermutlich möglichen higelüd Anlaß geben
können. Allerdings kommt dem higel/an im as. in den überlieferten Sprach-
resten nur die Bedeutung „sich vermessen" zu, daß ihm aber auch die
Bedeutung „beichten" innegewohnt haben werde, dürfen wir aus dem
dazu gehörigen Verbalabstraktum higihf „Beichte" schließen.
Weil sie zwei Wörter enthalten, die mir besonders beweiskräftig
scheinen, muß ich die Verse 1541 — 1548 ganz liieher setzen:
Ne mseg |?8et hâte dsel of heolodcynne
in sinnehte synne forbsernan,
tö widan feore wom of |?^re säwle ;
ac ]>sêr se déopa sëad drêorge fëded,
grundlêas gîemed g*sta on }?êostre,
sëleà hy mid ])y ealdan lige ond mid }>y egsau forste,
wrâ]?um wyrmum ond mid wlta fêla,
frêcnum feorhgômum, folcum sce[dct]ed.
Das âjia^ ÀsyôftEvov /teolodcgn 1541 glossiert Cook mit ,, dwellers
in hell". Woher anders als weil der Zusammenhang es zu fordern scheint,
nimmt er das Recht zu dieser Übersetzung ? heolod- gehört doch zweifellos
zum Verbum helan „verbergen"; es ist vollkommen verständlich und nicht
im mindesten anstößig im Compositum heolodhehu Wal. 45 = „unsichtbar
machender Helm". Im as. finden wir dafür helidhelm. Dieses hat der
Übersetzer oder wenigstens der Schreiber der einzigen Hs. der Genesis B.,
die wahre Abstammung verwischend, durch hœledlielw übertragen, w^as
gewiß fälschlich auf lut'led „Held" bezogen wurde. Den umgekehrten
Fehler, meine ich, finden wir hier. Ein as. helidkaum (Hei. 2624), das
wörtlich im ae. hätte lueJedcgn ergeben müssen (im ae. nicht zu belegen,
immer dafür hwleda cgu). ist verwechselt worden mit dem helid- von
IteUdhehn und in sinnloser Weise durch ae. Inolodcgn wiedergegeben.
Beim letzten Vers der zitierten Stelle scheinen mir fast alle bis-
herigen Erklärungsversuche unbefriedigend. Daß das hsl. scended
durch scedded zu ersetzen sei, wird man wegen des Dativs folciini. zu
dem kein anderes Verbum mit ähnhcher Bedeutung passen will, zuge-
stehen müssen. Es wird dann in feorJigüninm das Mittel und Werkzeug
der Schädigung stecken. Thorpe übersetzt nun „with rugged fatal gums
afflicteth people", GoUancz „with sharp and deadly jaws it scatheth folk",
Whitman mit Cooks Billigung „it shall afflict the multitudes with hateful
— 188 —
serpents, with countless torments, with jaws deadly and terrible." Daß
hier fjöma „Gaumen" für den alles verschlingenden Rachen der Hölle
gebraucht sei, wäre an und für sich kein verwerflicher Gedanke; aber
die Parallelisierung mit u'urmum und mal inte fehl macht es wahr-
scheinHcher, daß mit den frëcnum feor/if/ömum entweder etwas diesen
Arten von Qualen koordiniertes oder etwas sie alle zusammenfassendes
gemeint sei, was beim Höllenrachen kaum der Fall wäre. Dazu kommt
noch, daß die Übersetzung de a diu jau'S bezw. fatal (/Hins meines Er-
achtens direkt falsch ist. feor/i heißt „Leben" und kann den Sinn von
„deadly", „fatal" höchstens in einer Zusammensetzung annehmen, deren
zweiter Teil eine Bedrohung oder Vernichtung des Lebens ausspricht.
Grein übersetzt daher, die grausame Ironie des Dichters besser treffend
„mit fui'chtbarer Nahrung die Völker plagend", indem er, ausdrücklich
auf sis. f/öma st. f. „epulae" hinweisend, feor/if/öme f. im Wörterbuch mit
„alimentum vel provisio vitae" erläutert. Ein furchtbares Mahl, eine
entsetzliche Bewirtung sind die vielen Höllenstrafen in der Tat. Im
Englischen ist aber das Wort *göm. wie es dort wohl lauten müßte,
ganz unbekannt, während es im as. als goma st. f. sehr häufig auftritt.
Wir werden darum mit dem Schluß, daß in feorhfiöinuni in etwas anglisierter
Gestalt ein as. Wort stehen geblieben sei, kaum fehlgehen. Anstößig
bleibt freihch der erste Teil auch dann noch. Sollte am Ende eine Zu-
sammensetzung fernfjonum „Höllenmähler" zu Grunde liegen ?
2. Laut- und Wortformen.
Ein zweites Kriterium für as. Einfluß liefern Laut- und Wortformen,
die, im englischen ungewöhnlich oder geradezu unerhört, ganz erklärlich
und verständlich werden, sobald wir annehmen dürfen, daß sie nicht originales
Englisch, sondern schlecht übertragenes Altsächsisch repräsentieren.
Einige lautliche Sonderbarkeiten des Cr. III hat Cook in seiner
grammatischen Einleitung notiert : snTtr, sicäse statt sicœr, sicœse (as. su'äi'.
.sH'ûa), das c in Indrijeton. namentlich aber die aufi"ällige Verschiedenheit
von Cr. I. II. III. inbezug auf die Form der Vorsilbe he-, hl-, Cook
rechnet dafür die folgenden Verhältniszahlen aus: Cr. I he-^Vit b'i-.
Cr. II he- = ^'3 hi. Cr. III öe- = Vis hi-. Im as. ist die Form ebenfalls
weit überwiegend ht-. Das bedeutende Übergewicht der hi- über die he-
in Cr. III, für das man, freilich nicht ohne Bedenken, den Schreiber
der Hs.') verantwortlich machen könnte, würde somit unter der Voraus-
setzung eines as. Vorbildes nicht mehr so verwunderlich. Zu bemerken
ist hiezu, daß ///- neben f/e- in Cr. III fehlt. Durch das Metrum ge-
sichert finden wir im V. 9ül* die Form ceareua für den Gen. Plur. eines
1) Man vergleiche z. B. die Schreibung in der Hs. von Cynewulfs Juliana.
— 189 —
starken Femininimis. Xacb Sievers Ags. Grammatik § 252, Anm. 4.
kommen solche Genitivformen im kentischen und westsächsischen, aber
erst nachälfredisch, vor. In der Cura pastoralis fehlen sie noch ganz.
Daß die im allgemeinen konservativere Sprache der Dichtung diesen Neu-
bildungen früher Eingang gewährt hätte, als die Prosa, ist kaum an-
zunehmen. Dies cearciia würde somit vielleicht zur Erlaogung eines
terminus post quem für die Entstehung des Cr. III verwertet werden
können, wenn nicht auch die Möglichkeit bestände, daß ein as. /lOrono —
so lautet die Form dort schon frühe ganz regelmäßig — des iVEetrums
wegen unverändert ins Englische übernommen wäre. Beachtung verdient
ferner das Verhältnis der Formen he/l- : /lel/e- in den Zusammensetzungen.
Unzweifelhaft echte Komposita sind nur die mit /le//- beginnenden Wörter.
Bei denjenigen Wortgruppen, deren erster Teil /ic//e- lautet, wird gar
nicht immer mit Sicherheit entschieden werden können, ob nicht eher
eine syntaktische Verbindung von Genitiv + Nomen anzunehmen ist. In
allen übrigen Zusammensetzungen mit Jö-stämmen zeigt der erste Kom-
positionsteil im ae. meines Wissens immer einen Konsonanten, nie ein -t
im Auslaut. Umso mehr muß ein helle- auffallen. Da unser Verdacht
schon aus anderen Gründen rege ist, sind wir geneigt zu vermuten, daß
auch hier Einfluß des as. mit seinen mit hel/i- beginnenden Zusammen-
setzungen im Spiele sein könnte.^) Wenn den bisher angeführten laut-
lichen und flexionellen Erscheinungen eine absolute Beweiskraft nicht
beigemessen werden kann, so scheint eine solche dem letzten noch zu
besprechenden Falle in um so höherem Grade zuzukommen. V. 1565 und
1598 ist statt der sonst häufig begegnenden Formel fTrci heani eine Ver-
bindung preua bearii überliefert. Grein übersetzt sie mit .,Frevelkinder",
„peccatores", wofür er aber keinerlei Analogon beizubringen vermag.
Thorpe und Gollancz wollen in fTra hcmn ändern und würden damit
wirklich eine dem ae. Gebrauch angemessene Besserung in den Text
bringen. Wie erklärt sich aber das überlieferte preua '^ Ich glaube ein-
fach als Lesefehler eines ae. Übersetzers, der ein as. pnlio als prhm
verlas und nun ziemlich gedankenlos mit prcna übersetzte.
3. Syntax.
Da mir eine erschöpfende Durcharbeitung der syntaktischen Ver-
hältnisse des Cr. IIT aus verschiedenen Gründen unmöglich ist, muß ich
mich darauf beschränken, ein paar mehr zufällige Beobachtungen und
einige bei der Durchsicht syntaktischer Monographien ausgezogene Notizen
hier zusammenzustellen. So lange wir der Heliandsyntax Behaghels nichts
').Vgl. hiezu Weyhe in Beitr. z. Gesell d. d. Spr u. Lit. HO. 79 ft".
— 190 —
gleichwertiges für die ae. Dichtung an die Seite zu stellen haben, werden
wir das der Syntax entnommene Kriterium für unsere Aufgabe nicht
mit erwünschter Sicherheit handhaben können. Doch lassen sich viel-
leicht einige Erscheinungen anführen, welche im ae. ungewöhnlich, aus
dem as. aber wohlbekannt sind, und die darum im Verein mit den
übrigen Auffälligkeiten zur Sicherung der Annahme as. Einflusses auf
Cr. III herangezogen werden dürfen.
Ich wiederhole zunächst aus Barnouws Dissertation, was er in der
Genesis B. als spezifisch as. anspricht: „Im ae. wird im Gegensatz zum
as. ühralda als Substantiv empfunden. Im Heliand hat es seine adjektivische
Natur zu behaupten gewußt^ (S. 76). Was für den Heliand gesagt wird,
gilt in gleicher AVeise für Cr, III, wo a/irahki nur adjektivisch in der
auch im Andreas V. 751. 925 und 1622 wiederkehrenden Formel ahralda
(fod vorkommt.
Ebendort erklärt Barnouw die Verwendung des einfachen Demon-
strativpronomens im Sinne von „dieser" (on pum Jêohte = in dieser Welt)
für as. Was ihn dann bestimmt, bei der genau entsprechenden Fügung
Cr. III 1096''- ISTl** on päm dœge das Stäben des „Artikels" auf Nach-
ahmung des Beowulf zurückzuführen, ist mir nicht ganz verständlich.
Wenn es in der Genesis vom as. Original stammt, kann das auch im
Cr. III der Fall sein.
Nach Barnouws Feststellungen S. 168 ff ist für Cr. III die von
der Verbindung Adjektiv + Substantiv auf den Artikel ausgeübte An-
ziehungskraft kennzeichnend. Auch damit rückt dieses ae. Stück an die
Seite von Genesis B. und Heliand (vgl. Behaghel Syntax § 47. 53 ff.).
Endlich hebt Barnouw die dreimalige Verwendung von sesylfa= „der-
selbe" (1208 .s't stj/fa njii'nuj. 1153^1154^ py sy/fan dœge. 1148^ on pU
sy/fan ildj hervor. Bei Cynewulf begegnet sie nicht ein einziges Mal.
Grein gibt außerhalb Cr. III fast nur aus der Psalmenübersetzung Be-
lege. Im Heliand ist sie verbreitet (Behaghel Syntax § 216 J. I.) Wir
finden sogar den Halbvers Cr. 1148** wörtlich wieder im Heliand V. 517* :
an thea stWim tid. Auch pœt sylfe = „ebenso" ist außerhalb Cr. III
und Psalmenübersetzung nur 1 mal nachgewiesen.
Ob B.'s Behauptung, daß der Artikel vor zweigliedrigen Ausdrücken
(Genitiv + Substantiv) Cynewulf ungeläufig sei, den Tatsachen entspricht,
vermag ich mit meinen unzulänglichen Sammlungen augenblicklich nicht
nachzuprüfen. Völlig fehlt er keinesfalls ; ich brauche nur auf Cr. 699
Hêo yodcH ryrcc und Elene 176 se yäsfa lielin hinzuweisen. Die allmähliche
Ausbreitung dieser Konstruktion in der ae. Dichtung müßte erst noch
näher verfolgt werden. Inzwischen mag die Beobachtung nicht uninteressant
sein, daß in Cr. III verhältnismäßig viele Beispiele bei einander stehen
(V. 106* üo hyman stefn, 1063* se eng/a pryni ond se egsan prëa, 1200
— 191 —
J>ü itii/f/ïiH ttico/ndes lare. 1546 ni'id py (f/mn fornkj. Auch hiezu bieten
Genesis B, und Heliand zahlreichere Analogien, z. B. Genes. B. 492 und
Ö2S pone dëactes hëa/ii. 512 on Piïm hêlintan lieofna rïce; Heliand V. 401
an Ihera Dauides Inirçi. 538 te thés cunhujea hobt, 1471 tt thcm (jodes
altere. 2905 an that (joden thlonont.
Beachtenswert ist sodann die Stellung des Artikels in der Ver-
bindung Substantiv + Artikel + schwach. Adjektiv : of slœpe pu fientan
891, ir vor ade päni hak/an 911, dönies pœs nùdan 1205, ÎTf päd scyne
1469. Sievers (Heliand und Genesis S. 40) hat einige Parallelen aus
Genesis B. — die sich übrigens noch vermehren ließen — und aus
Heliand zusammengestellt. Im ae. begegnen freilich auch im Beowulf,
in Genesis A., im Daniel und in der Psalmenübersetzung vereinzelte
Beispiele einer solchen Wortfolge. In der Mehrzahl der Fälle wird man
lieber mit Barnouw S. 93 f. eine losere Fügung, appositioneile Nach-
stellung eines mit dem Artikel verbundenen absoluten, also substantivierten
Adjektivs darin erkennen (vgl. Behaghel Heliandsyntax § 209). Dem Ge-
brauch des Cr. III entsprechendes bieten aber in größerem Umfange
nur Genesis B. und Heliand.
Von Cynewulfs Sprachgebrauch weicht Cr. III durch die Verwendung
des Possessivpronomens sTn ab. Simons (Cynewulfs Wortschatz) belegt es
nur aus Andreas und zwar 1 1 mal in reflexivem, 3 mal in anaphorischem
Sinne. Cr. III zeigt, soweit das wenig umfängliche Material überhaupt
ein Urteil zuläßt, eher das umgekehrte Verhältnis : 2 reflexivische, 3
anaphorische Verwendungen, und entfernt sich damit noch weiter als
der Andreas von dem sonst zu beobachtenden ae. Gebrauch, der reflexives
sTn allein zu gestatten scheint. Den fünf Belegen für ,wi (refl. 1209 h y
se sylfa eynhig ni hl sine llehonuin lysde of firenuni und 905 fi". Cynwt . . .
Cristes onsyn . . . on se fan st vête smum folce, anaphorisch 1036 f. snal
on lëoht cuman sTnra weorca wlite. 1167 f. ponne yod n'olde ofer sine
(des Meeres) yde gän, 1223 Crlste sylfum yecorene bi cystum pu œr
Sinne meide georne lustmn Icestun on hyra Ilfdaguni) stehen zahlreiche
für hls, Mre, hyra u. s.w. (Uli. 1120. 1125. 1151. 1168. 1216 u. s.w.)
sowohl in anaphorischer als in reflexivischer Bedeutung gegenüber. Ganz
ähnlich wie im Cr. III liegt die Sache im Heliand (vgl. Holthauseu,
as. Eleraentarb. § 330. 334).
• Ein weiterer der Syntax des Cr. III eigentümlicher Zug ist die
häufige Verwendung eines Partizip Präs. eines Verbums in attributiver
Stellung. Während in Cr, I Beispiele derselben nur neben den Vokativen
Crist (nergende Crist 157, hœlende Crisf 250) und yod (lifgende god 273 —
so auch einmal in Cr. II 755 — und nergende god 361) begegnen (vgl.
Hertel, der syutakt. Gebrauch des Verbums im „Crist". Leipziger Diss. 1891,
S. 25), sind sie im Cr. III keiner solchen Beschränkung unterworfen.
— 192 —
Folgt das Partizip dem Substantiv, so kann man zweifeln, ob man
attributives oder appositionelles Verhältnis annehmen soll (Cr. I 231
leoht Itxende, Cr. III 981 icœtre w'mnendum. 1219 scyppend scmendej:
attributives ist sicher, wo das Partizip dem Substantiv vorausgeht. Für
diese Wortfolge, abgesehen vom Vokativ, bietet nur Cr. III Belege :
sorgende folc 889, cirehneude fyr 958, lügende leg 973, weallende iciga
984, iraldende god 1010, 1161% wecdkudne iTg 1250, cinpemle cearo 1285,
irëpende mr 1289, sceppenüum sceadan 1395. Wie weit dieser Gebrauch
sonst im ae. sich feststellen läßt, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen;
ich kann nur bezeugen, daß ich Tausende von Versen christlicher
Dichtungen durchgelesen habe, ohne einem Beispiel dafür zu begegnen,
außer Eleue 580. 1110 lacende iJg. Im as. ist er nicht gerade reich ent-
wickelt, aber doch nachweisbar (Behaghel, Heliandsjntax § 107), einige
Fügungen decken sich sogar fast ganz oder völlig mit den angeführten
altenglischen, z. B. libhiendes godes. uuallamU finr.
Endlich darf vielleicht noch auf die Vorliebe für die Satzverknüpfung
durch eac = âs. ök. teilweise a.uch= Jak (?) z. B. V. V. 1107, 1152, 1163,
1169, 1258, 1276, 1457) aufmerksam gemacht werden.
4. Stil.
Daß der Cr. III mit der as. Dichtung im Stil sich berühren werde,
ist bei der ausgedehnten Gemeinsamkeit des Formelschatzes von vorne
herein zu erwarten. Es finden sich in der Tat manche Ü^bereinstim-
mungen, von denen die wichtigsten hier angeführt Averden mögen (die
nur aus Cr. III belegten Formeln sind mit Stern versehen).
Cr. IIL As. Dichtung.
870*^0". swa oft . . . Hei. 4358 ff.: Mütspelli cumit
pêoî )?rîstlîce pe on |>ystre an thiustrea naht ai so
fared thiof ferid
on sweartre niht darno mid is dâdiun
*877'' beorht and blî|?e Hei. 5808: berht endi blîthi
*879'' eordan rïces Hei. erthriki. Gen. B. eordrice
883, 993 trume andtorhte (tungol) Hei. 3628 : torht tungal
884 f. sû]?an and norj^an Gen. B. 806 f.: westan odde êastan
êastan and westan Sudan odde nordan
= as. Gen. 15 f.: uuestan efto ostan
Sudan efto nordan
902 mödum âhycgau Hei.: githenkian an mode
*989 on mode à[»encan
904* J?urh heofona gehleodu Gen. B. 584: hëah heofona gehlidu
193 —
911 wlitig, wynsumlic
*913* lufsum ond lî|>e
*971 on |?â m^ëran tïd
973. 1181 hèahgetimbro
*978f. ond hêahcleofu ]?ä wid
holrae œr
. . . foldan sceldun
*1007'' on I^one m^êran beorg
*1026^ moncynnes gehwone
1046 ofer middangeard monna dêëde
* 1054*^ se nuera dseg
1 1 29 forhte gefêlan frêan ):»rôwinga
1132'' f. ... sunne weard âdwfêsced
)7rèam â|;rysmod
*1148^ on ])îi sylfan tîd
1156 eftlifgende ûp âstodan
1157 fseste bifen (lies bifangen)
1178 f. hû fêla f>â onfundun
pä gefêlan ne magun
1210^ )?urh milde môd
1277^ ond hselej^a bearn
*1385^. 1473. 1498 f. l?onc ne wisses
* 1386 . . . swâ scîenne gesceapen
hœfde
*1438 unswêtne drync ecedes
ond geallan
*1443 hosp and heardcwide
(lies heanncwide?)
1451 wite )?olade
*1452 yfel earfedu
Hel. 1393 : wlitig endi wunsam
Gen. B. 468 : lïde and lofsura
Hel. 2063: alloro lîdo lofsamost
Hel. 4299. 4354 : thiu marie tid
Gen. B. 739: hèahgetimbro
Hel. 1396: hôh holmclibu
Hel. 4736: an thiu holmclibu
hôhor stigan
Hel. 4234: en mari berg
Hel. 4234 : mankunnies manag
as. Gen. 194: obar thesan middil-
gard manna kunnias
as. Gen. 336'': obar middilgard
Hel. 4249. 4310: an themu mâreon
daga
Hel, 5662^: gifuolian is êndagon
Hel. 5625 ff.: huo thiu sunna
uuard gisuorkan . . .
. . . ac sia scado farfeng
thimm endi thiustri endi so
githrusmod nebal
Hel. 517*: an thea selbun tîd
Hel. 5672''f. : libbiandi astuodun
upp fan erdu
Hel. 43: fasto bifangan
as. Gen. 209 : fasto gifangan
Gen. B. 374: fœste befangen
Hel. 5676: to filo thés gifuolian
thie gio mid firihon ne sprac
Hel. 1958: thurh mildean môd
Hel. 4330 : o bar helido barn
Hel. thank witan
Gen. B. 549: scëone gesceapene
Hel. 5645: habdun im unsuôti
ecid endi galla gimengid
Hel. 5303: hosc endi harmquidi
Hel. u. Gen. B. öfter: wîti tholoian
bezw. wïte ['olian
Hel. 1502. 3373. 4586: ubil arbêdi
13
194 -
1512 f. Farad nu âwyrgde willum
biscyrede
engla drëames on ëce fyr
I? se t w se s Satané ond his
gesïjjum mid
dëofle gegearwad.
*1526^ on grimne grund
*1531 on Jjset dëope dsel
Hel. 4420f. : faran so forfôcane an
that fiur êwig
that thar gigareuuid
uuard godes nnd-
sacun
Gen. B. 407 : J?äs grimman grundas
Gen. B. 421 : on J?âs dëopan dalu
Gen. B. 305: on |?ä dëopan dala
Hel. 5170: diop dôdes dalu
as. Gen. 29 : an ênam diapun dala
*1538*'f. lîge gebundne swylt Hel. 2603f: thar sculun sia gi-
]?röwiad b u n d e n e bittra 1 o g n a
thrâuuerk tholôn
1618*. 1636» ait dômes dsege Hel. 4333*: êr dômes dage
1664* weorud wlitescynast Hel. 3578 : wlitiskônie werold
Trotz einigen bemerkenswerten Beispielen wird man die Beweis-
kraft dieser Ähnlichkeiten nicht überschätzen dürfen. Nur wenige von
diesen Formeln sind auf Cr. III und Genesis B. beschränkt. Auch unter
den S}'nonymen für bestimmte Begriffe wie Gott, Christus, Hölle, jüngstes
Gericht finden sich nur vereinzelt solche, welche aus Cr. III allein be-
legt und zugleich as. nachgewiesen wären. Außerdem darf nicht ver-
schwiegen werden, daß gerade in denjenigen Partien beider Dichtungen,
die ähnliche Gegenstände behandeln, (die Zerstörung Jerusalems und
der jüngste Tag Hei. 4270— 4451 = Cr. 869—1080, 1344—1548 und
die Kreuzigung Hel. 5506 — 5712 = Cr. 1128 — 1198) die Darstellungen
zwar im allgemeinen den gleichen Gedankengang erkennen lassen, aber
in Einzelheiten und besonders auch im sprachlichen Ausdruck nicht un-
bedeutend von einander abweichen. Nur eine auch feinere Fragen be-
rücksichtigende eingehende Untersuchung und Vergleichung des Stiles
könnte entscheidendes beibringen ; eine solche ist hier schon durch die
Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden Raum ausgeschlossen. Kann
somit in der unvermeidlichen Beschränkung das stilistische Kriterium
für unsere Hypothese nichts beweisen, so wird man es doch andrerseits
auch nicht zur Widerlegung derselben verwenden können. Nicht Gleich-
heit der Verfasser von Cr. III und Heliand wollen wir dartun, sondern
nur die Benutzung eines as. Vorbildes, das selbst in manchen Punkten
von Heliand und Genesis verschieden gewesen sein mag. Die nicht ganz
klare Disposition des Cr. III, die häufigen Wiederholungen und die
durch den Wechsel zwischen Erzählung bezw. Schilderung und daran
geknüpfter moralischer Ermahnung bedingte Verschiedenheit des Stiles
drängen den Gedanken zur Erörterung auf, daß ein Verse machender
— 195 —
Moralprediger ein erzählendes, schilderndes Gedicht in sein Werk hinein
verarbeitet habe, daß sich also bei einer genaueren Betrachtung Cr. III
als ein aus verschiedenen Bestandteilen zusammengefügtes Gedicht heraus-
stellen würde. Diese Möglichkeit kann ich hier nur andeuten und muß
ihre Diskussion anderer Gelegenheit vorbehalten.
5. Metrik.
Die Metrik des sogenannten Crist hat in der schon erwähnten, im
ganzen sorgsamen Königsberger Dissertation von Franz Schwarz neuer-
dings (1905) eine Darstellung erfahren, welche alle früheren Arbeiten
auf diesem Gebiet von Frucht, Cremer u. a. überholt und überflüssig
gemacht hat. Deutlich ergibt sich daraus, daß Cr. III von Cynewulfs
Gedichten so stark abweicht, daß Gleichheit der Verfasser ausgeschlossen
ist. Leider treten die Besonderheiten des Cr. III infolge des Fehlens
einer Inhaltsübersicht und einer Zusammenfassung der wichtigeren Er-
gebnisse bei Schwarz nicht so klar hervor, als es zu wünschen wäre.
Einige der am meisten in die Augen springenden Erscheinungen seien
daher hier hervorgehoben.
1. Cr. III weist unter den Beispielen des Typus A^ auffallend viele
auf (die von Schwarz gegebenen Belege sind unvollständig), in denen
die erste Hebung auf einer Präposition oder einer Konjunktion liegt
z. B, 1075 of päm ëctie, 1097 m'td ßt/ weoräe, 1444 ymb nun hëafod,
1431 ond pü mealite (Schwarz S. 30 f.).
2. In Cr. III finden sich ungewöhnlich viele zweite Halbverse vom
Typus B und C mit schweren und umfänglichen Eingangssenkungen
(Schwarz S. 34. 46).
3. Zwei- und mehrsilbiger Auftakt ist häufig (S. 57 f.).
4. Schwellverse sind sehr zahlreich und aufiallend gebaut (S. 59 ff.).
5. Possessivpronomen ist häufig Träger des Stabreims (S. 65).
6. B-verse allitterieren oft nur auf der letzten Hebung (S. 66).
7. In der Verwendung der Doppelallitteration ist Nachlässigkeit zu
bemerken (S. 68).
8. Reim wird nicht ungerne, aber in anderer Weise als bei Cynewulf
angewendet (S. 81).
9. Das Verhältnis von Hakenstil: Zeilenstil ist im Cr. III 5 : 4, im
Cynewulfschen Cr. II wie 5 : 2 (S. 87).
10. Während Cynewulf (auch im Cr. II) Wörter mit langer Stammsilbe,
deren zweite Silbe sich erst in ae. Zeit aus silbenbildenden 1, r, m, n
entwickelt hat, stets zweihebig gebraucht, ist die Zweihebigkeit in
Cr. III unter 20 Belegen solcher Wörter nur dreimal gesichert (S. 96).
11. Flektierte Formen von f cor/t, matrli haben bei Cynewulf kurze, im
Cr. III lange Stammsilbe (S. 96).
— 196 —
12. Aufzulösende Formen sind bei Cynewulf gar nicht oder nur ver-
einzelt, in Cr. III aber sehr häufig anzutreffen (S. 98).
13. In Cjnewulfs sicheren Werken kommt dem Worte tcorold immer
nur eine Hebung zu, so daß man für Cjnewulf vielleicht bereits
Einsilbigkeit dieses Wortes annehmen darf. Cr. III dagegen liefert
neben 16 Belegen für einhebiges icoro/d auch zwei für zweihebiges
(S. 101).
Aus diesen Eigentümlichkeiten zieht Schwarz, indem er sich vor-
nehmlich auf die Kriterien 10 — 13 stützt, den Schluß, daß Cr. III älter
sein müsse als Cynewulf. Im Vorbeigehen erwähnt er freilich auch die
Möglichkeit, daß die sprachlich-metrischen Abweichungen statt auf zeit-
licher auf dialektischer Verschiedenheit beruhen, da z. B. die westsächsische
Mundart die alten Sprachformen länger bewahre, als die nordhumbrische.
Aber die größere Wahrscheinlichkeit hat seiner Meinung nach die An-
nahme für sich, daß verschiedenes Alter für die unterschiede verant-
wortlich zu machen sei. Diese Meinung scheint ungenügend begründet.
Daß die unter 10 — 13 aufgeführten Besonderheiten als Zeugnisse höheren
Alters angesehen werden können und in vielen Fällen so angesehen
werden müssen, soll keineswegs geleugnet werden. Aber beim Cr. III
dürfte eine solche Interpretation durch die (in Kriterium 1 — 9) daneben
vorhandenen zahlreichen Anzeichen für nachlässigere, gegen die in älteren
Denkmälern beobachteten Regeln des Allitterationsverses oft verstoßende
Verstechnik ausgeschlossen werden. Diese verraten einen Verfall der
alten Kunst, wie er nur bei den jüngeren Erzeugnissen altenglischer
Dichtung, und selbst bei ihnen kaum in solchem Umfange, sich fest-
stellen läßt. Einige von den metrischen Eigentümlichkeiten im besonderen,
namentlich aber das vereinte Auftreten aller in einem einzigen Gedicht
werden meines Erachtens überhaupt erst recht verständlich unter der
Voraussetzung, daß wir in Cr. III nicht rein englische, sondern von
kontinentalgermanischen, niederdeutschen Vorbildern beeinflußte metrische
Form erkennen müssen.
Fassen wir die ausschlaggebenden Kriterien etwas näher ins Auge,
80 ist zunächst zu bemerken, daß wir kaum mit Schwarz genötigt sind,
in Versen wie färcnfücen ftoren. iridif/orh/ëoni f/en'or/if u. s. w. die auf
ursprünglich silbenbildenden Konsonanten endigenden Wörter fäcen,
iäcen, wundor u. s. w. als metrisch einhebig anzusehen, wenn wir an-
nehmen dürfen, daß im zwoihebigen Gebrauch derselben die im Altsächsischen
nach Sievers Altgerm, Metrik § 116 ganz gewöhnliche Art der metrischen
Behandlung solcher Wörter sich im Englischen wiederspiegle.
Zu 11. In den Versen 1073 fëorc.s frälirc. Iöl3 sc /je im /lis fêore
nyle, 1592 flra f cor um verlangt das Metrum nur dann Länge der Stamm-
silbe in fêores. fêore, fSorum. wenn wirklich die kontrahierte Form die
— 197 —
originale ist. Dürfte aber an ihrer Stelle eine unkontralnerte as. Form
fern/icH u. s. w. als ursprünglich dastehend vorausgesetzt werden, so wäre
damit den Anforderungen der Metrik ebenfalls vollkommen genügt.
Zu 12. Die zahlreichen, von Trautmann und Schwarz zusammen-
gestellten Verse, welche, damit sie metrisch genügend werden, Auflösung
der überlieferten kontrahierten Wortformen verlangen, würden auch
unter der Voraussetzung alle richtig, daß man die entsprechenden as.
Formen dafür einsetzen dürfte. Das im einzelnen nachzuweisen, wäre
überflüssig, da jeder die Umsetzung leicht selbst vornehmen kann. Ein
von Trautmann übergangener Vers bedarf vielleicht besonderer Be-
sprechung. 946* ponne eall Prëo wird von Schwarz zu dem A^typus
gerechnet. Das wäre aber zweifellos ein recht schlechter Vers. Könnte
er nicht dadurch entstanden sein, daß ein tadelloser altsächsischer
B-vers ilian alla tlirUi bei der wörtlichen Übertragung ins ae. zerstört
wurde ?
Zu 13. Unter der Voraussetzung einer as. Grundlage, die ircro/d
gar nicht anders als zweisilbig gebraucht haben könnte, würde das zwei-
hebige icorold neben einhebigem in Cr. III ebenfalls verständlich. In
der Regel könnte, wenn der einhebige Gebrauch wirklich zweifellos
sicher ist (vgl. die Bemerkungen zu 10), der englische Umdichter die
seiner Zeit angemessene einsilbige Form angewandt haben, gelegentlich
aber, durch das Metrum gezwungen, bei der zweisilbigen Form seiner
Vorlage geblieben sein.
Die Hoffnung, daß die von mir vorgeschlagene Interpretation der
sprachlich-metrischen Eigentümlichkeiten des Cr. III den Tatsachen ohne
Zwang gerecht werde, wächst noch durch die Beobachtung, daß diese
metrischen Kriterien mit den für as. Vorlage sprechenden rein sprach-
lichen und stihstischen in besonders reichem Maße in den erzählenden
und schildernden Partien zusammentreffen, während umgekehrt die an
Merkmalen des Verfalls des Allitterationsverses und Stiles reicheren
predigtartigeu, moralisierenden Teile fast keine Kriterien irgend welcher
Art liefern, aus denen auf Zusammenhang mit der as. Dichtung ge-
schlossen werden könnte. Doch wäre es gewagt, eine reinliche Aus-
sonderung der verschiedenen Bestandteile mit Rücksicht auf die Ab-
hängigkeit vom as. vornehmen zu wollen.
Welche Bedeutung diesem Ergebnis meiner Untersuchungen, falls
es sich stichhaltig erweisen sollte, für die Beziehungen der ae. christ-
lichen Dichtungen untereinander und für ihre Chronologie, wie auch für
die Geschichte der as. Literatur zukäme, brauche ich nicht weiter aus-
zuführen.
Basel, 14. März 1907.
Der Kothurn im fünften Jahrhundert.
Von
Alfred Körte.
Person* pallfeque repertor honest»
Aeschylus et modicis instravit pulpita tiguis
et docuit niagnumque loqui uitique cothurno.
Diese Verse der horazischen ars poetica (278 ff.) gelten seit alters
für das grundlegende Zeugnis über Aiscbylos' Verdienste um die äußeren
Formen der dramatischen Aufführungen. Freilich an pulpita modicis
tignis instrata in Aischylos' Zeit glaubt heute fast niemand mehi',^) aber
Horaz' Angaben über Aischylos' Bühnentracht erfreuen sich ziemlich
allgemeinen Ansehens. Sie werden gestützt durch ein reichhaltiges grie-
chisches Zeugnismaterial, das Friedrich Schœll in der Einleitung zu
Ritschis Ausgabe der Sieben gegen Theben S. 29 ff. bequem zusammen-
gestellt hat. Allerdings wird die Erfindung der Maske nur noch von
Porphyrio (zu dieser Stelle), von Euanthius (de fabula I, 2) und zweifelnd
1) Meines Wissens hält nur Albert Müller
dargestellt" S. 56 ff an ihnen fest.
.Das attische Bühnenwesen kurz
— 199 —
von dem Pariser Traktat (Cramer Anecd. Par. J. 19) Aischylos zuge-
schrieben,') aber die sonstigen Eigenheiten des späteren Tragöden-
kostüms, Schleppgewand und Stelzenschuhe führt eine stattliche Reihe
von Gewährsmännern auf ihn zurück.-) Es macht wenig aus, daß die
Zeugen über den Namen des aischyleischen Stelzenschuhs nicht einig sind,
daß er bei Horaz, Porphyrio, in der Vita und dem Pariser Traktat
y.6d-OQvog, bei Suidas efißccTJ^g, bei Philostrat und Themistios oy.Qißag
heißt, denn in der Sache stimmen alle offenbar überein. ^) Alle diese
Nachrichten über Aischylos' Neuerungen in der Bühnentracht gehen ohne
Frage auf eine ältere griechische Autorität zurück, deren Zeit und
Glaubwürdigkeit zunächst ermittelt werden muß. Da ist es denn von
großer Bedeutung, daß Aristoteles in seiner Skizze der Entwicklung der
Tragödie (Poet. 4) von Aischylos' Verdiensten um das tragische Kostüm
noch nichts weiß, während er doch seine übrigen Neuerungen so nach-
drücklich hervorhebt. Aristoteles' Schweigen ist keinesfalls aus seiner
Gleichgültigkeit gegen die äußeren szenischen Mittel zu erklären, denn
er berücksichtigt ja die oy.T}voyQaq)ia als Erfindung des Sophokles. Es
drängt sich dann weiter die Frage auf, woher Jxonnie denn überhaupt
ein Gelehrter in Aristoteles' Zeit oder noch später erfahren, wie Aischylos'
Schauspieler aussahen und wodurch sie sich von denen des Phrynichos,
Choirilos,*) Thespis unterschieden? Aus den Tragödien selbst kann wohl
eine methodische Interpretation erschließen, daß seit dem und dem
Stück eines bestimmten Dichters am Spielplatz ein Haus mit bemalter
Vorderansicht vorausgesetzt wird, aber unmöglich kann ein Tragiker
seine Helden verraten lassen, daß sie eine Maske vor dem Gesicht,
Holzklötze unter den Füßen und ein gepolstertes Schleppgewand tragen.
Kann man etwa der Lektüre des Britanniens oder der Phaedra ent-
nehmen, daß Nero und sein Hof in Racines Zeit Allongeperücken und
Galanteriedegen, die griechischen Heroinen aber Reifröcke trugen?
Eine mit Aischylos gleichzeitige attische Prosaliteratur gab es
nicht, selbst Jon von Chios hätte höchstens über die Schauspielertracht
in Aischylos' letzter Zeit, aber nicht über die seiner Vorgänger etwas
1) Nach Suidas v. AiayvÀoç erfand er nur die 7i()oaù)7Teta ôetvà y.al XQw^iaat,
KexQifff^éva uud dasselbe scheint Philostrat vit. Apoll. VI 11 zu meinen.
2) Vita Med. 13, Suidas v. AlayvÄog, Philostr. vit. Soph. I 9, vit. Apoll. VI
11, Themist. or. 26 p. 382 D. Gram. Anecd. Par. I p. 19.
3) Roberts Versuch (22'es Hallisches AVinckelmannsprogramm S. 28 f i r.o&oçvog
von efißdtt]c als wesentlich verschieden zu trennen, scheitert trotz der einen Dio-Stelle
LXIII 22, 4 an dem reichen von Amelung bei Pauly-Wissowa V 2482 ff unter i/*ßdc
beigebrachten Material. Lukian z. B. gebraucht beide "Wörter unterschiedslos neben
einander Gall. 2(i, de sait 27, mehr darüber unten S. 211 f.
'*) Nach Suidas v. XoiçiÀog gab es auch Leute, die diesem die Erfindung der
Masken und des tragischen Kostüms beilegen wollten.
— 200 —
erzählen können — wenn überhaupt damals irgend jemand für solche
Beobachtungen Interesse gehabt hätte. Zuverlässige literarische Nach-
richten aus der ersten Hälfte des V. Jahrh. lagen also Aristoteles' Nach-
folgern ebensowenig vor wie uns. Nun hätten freilich die für antiquarische
Forschung interessierten Gelehrten des IV. und III. Jahrhunderts die
bildliche Überlieferung zu Rate ziehen können, Pinakes siegreicher
Choregen gab es wenigstens aus der Zeit nach 480^) und gewiß haben
sie nicht selten die Schauspieler im Kostüm treulich wiedergegeben, aber
Aristoteles' Beispiel, der einen solchen Pinax des Thrasippos Pol. VIII 6,
1341 a. 35 zum Beweise für die Ausübung des Flötenspiels in attischen
Bürgerkreisen anführt, hat offenbar keine Nachfolge gefunden, niemals
wird ein Denkmal zur Erläuterung des ältesten Kostüms benutzt.
Die Generation nach Aristoteles bevorzugte eine ganz andere,
reichlich, aber nicht rein fließende Quelle für die Geschichte der Tragödie,
nämlich die alte Komödie. Bei Athenaios I 21 f. wird ganz offen der
kritische Grundsatz ausgesprochen naQd âè rolg xtof-uyoîç rj tzsqI xöjy
TQayixwv aTiàxtixai tiLotiç und dieser Satz steht mitten in einer dem
Chamaileon von Pontos entlehnten Auseinandersetzung über Aischylos'
Verdienste um die Tanzkunst. Da zum Belege für die dem Chamaileon
entnommenen Angaben aristophanische Verse zitiert werden, ist es
zweifellos, daß die grundsätzliche Benutzung der Komiker für die Tragiker
eben die Methode des Chamaileon w^ar.-) Weiter führt uns nun ein
Blick auf die vorausgehenden Sätze 21 d xal AloxvÀog âè ov /nôvov è$€VQ€
Tr(v Ttjg GTo'krß evTiQknsiav xal oefxvôxr^Ta^ t]v QrfkwaavxES oi leQOcpdvTai
xal daöovxoi d^iqJiévvvyzaL dkld xal 7io?J.d ay^iaxa oQxr^orixd avrôç è§-
evQÎoxojv di'eôlôov roîg /ô^fit^aîs'. Xaf.iai'/.è(.')v yovv rcçiôrov avrôv (frjGi
Gx^^ficcTÎaai Tovg yoQovg xré. Bei der engen Verbindung beider Sätze
dürfen wir als sicher annehmen, daß Athenaios auch die Angabe über
Aischylos als Erfinder der evnQÈTitia xal ne/nvôrj^s T^îjg oroîîjç dem
Werke des Chamaileon Uaçl Aioxvlov entnahm, und weiter, daß Cha-
maileon seine Anschauungen über Aischylos' Verdienste um die Bühnen-
tracht auf demselben Wege gewonnen hat, wie die über Aischylos'
Leistungen für die Orchestik. Chamaileon ist der älteste Schriftsteller,
der dem Aischylos eine Spezialuntersuchung widmete, und sein Werk
hat stark gewirkt,^) wie besonders die sehr oft wiederholte Geschichte
von Aischylos' Trunkenheit und Sophokles' Urteil über sie lehrt,"*) in
ihm werden wir unbedenklich den oben gesuchten ältesten Gewährsmann
für die einhellige Tradition über Aischylos' Neuerungen im Kostüm er-
i) Plut. Them. .5.
2) Das hat Leo bereite hervorgehoben, Die griechisch römische Biographie S. 105.
3) Vgl. Leo a. a. 0. 104 f.
*) Die Stellen gesammelt von Schoell. a. a. 0. S. 14 f.
— 201 —
kennen dürfen.^) Durch die Erkenntnis seiner Methode ist uns aber
mittelbar auch das Urteil über seine Glaubwürdigkeit gegeben, wir haben
uns an seine Gewährsmänner die alten Komiker zu halten. Gewiß
konnten die Dichter der alten Komödie, wenn sie auch meist erst ein
Menschenalter nach Aischylos' Tode zu dichten begannen, aus mündlicher
Tradition noch mancherlei darüber wissen, wie in der Väter Zeiten die
Tragöden ausgesehen hatten, aber es ist selbstverständlich, daß sie solch
Wissen mit derselben freien Phantasie und derselben ungebundenen
Laune verwerteten wie andere historischen Kenntnisse. Grundsätzlich
müssen also Chamaileons Nachrichten über Aischylos' Kostümneuerungen
ebenso mißtrauisch betrachtet werden, wie die aus gleicher Quelle stammen-
den Geschichten von Euripides' Hahnreischaft und Perikles' Anstiftung
des peloponnesischen Krieges.
Es trifft sich nun gut, daß wir noch die Komikerstelle besitzen,
auf der aller Wahrscheinlichkeit nach die ganze Vorstellung des Cha-
maileon und seiner Gefolgschaft beruht. In den Fröschen verteidigt sich
Aischylos gegen den Vorwurf, seine Helden führten Worte von der
Größe des Lykabettos und Parnassos im Munde mit den Versen 1058 ff.
aÂÂ' (0 xay.ôôaifiov àvày/.t]
f-isyâkiov yviofiwv xal ôiavonâv ïoa y.al rd QrjjiiaTa tIxteiV
xakXiog slxôg rovg r^fiiif^eovs toîç Q7Jf,iaot {^leiÇoGi '^QTjOd^ai
xal yàq rolg t/narloiç rj-iwv xqwvtui noXv os/uvoTéQOioiv,
àf-iov xQt^oTwg xaTaôslçavTog ôis/iV/Lirjvw av. Evq. xi ÔQÛaag;
AîoX' TiQWTov /iièv Tovg ßaaiAsvovrag ()dxi' dfiTitaxiôv, ïv^ èkeivol
. Toîg dvd^Qnmoig tfaivoivr^ eivai xré.
Die Sprache der Helden muß groß und feierlich sein wie die
Tracht in der sie auftreten, das hat iiischylos gelehrt, Euripides aber
mißachtet. Da haben wir Aischylos als Erhnder der aefxvÔTSQa iftària
so gut wie der Qt-f-iara ^leiÇova, grade das AVort osfivoTJ^g kehrt bei
Chamaileon-Athenaios wieder und liegt in Übersetzung bei Hotaz vor.
Es war nur natürlich, daß Chamaileon, und die ihm folgten, in die nach
Aristophanes' Zeugnis von Aischylos erfundene as^ivrj uroXf^ alles ein-
schlössen, was die Schauspieler i/trer Zeit von gewöhnlichen Sterblichen
unterschied, also außer dem langärmeligen, bis auf die Füße reichenden
Prachtgewand auch die Erhöhung durch Stelzschuhe^) und vielleicht auch
die Maske. Wie eng für späteres Empfinden grade diese Steigerung s-
mittel der äußeren Erscheinung mit tragischer Erhabenheit zusammen-
gehörten, zeigt recht eine Stelle des Philostrat vit. Apoll. VI 11 êrd-v^ut^^eig
1) Es verdient Beachtung, daß auch in der Mediceischeu Vita 2 die eb^tjuara
des Aischylos durch Aristophanesverse erläutert werden.
■-) Es wird sich unten S. 210 ergeben, daß in Chamaileons Zeit die Erhöhung der
Schuhe noch nicht so weit fortgeschritten war wie in der Kaiserzeit.
— 202 —
ôè {Aloyv'/.os) y.aï r/;v Téyvy]v cos nqoGcpvà tlÎ) f.isya).si(i) fià'/.'/.ov ?j x(j[)
y.aTaßeßkrjiepoj te xai vTiô Ttôôa axavoTioiiag f.iÈv rjiparo sîy.ao[.ièvr^ç roîg
Tcöv rjQ(ôcf)v eïôsaiv, oxQißavTog ôé Tovg vTcoxQtrdg dveßlßaosv^ cog ïaa
èxsivoig ßaivoiEv, èad^i)uaoi te rrgiüTog ixôouTjOEv. a TiQÔocpoQov tJqojoî te
xal rjQcoioLv r^o&ï]od^aL^ o^ev ^Ad^t/vaîoi naTÉqa liev avxov TÎ^g TQayojôiag
^yovvTO.
Freie Auslegung einer ganz allgemein gehaltenen Aristophanesstelle^)
hat also die spätere Vulgärmeinung erzeugt, und sobald man diesen ihren
Ursprung erkannt hat, ist man auch von ihr befreit.
In Aristophanes' Zeit wirkte die Tracht der tragischen Schauspieler
fremdartig, und man wußte, daß sie seit Generationen diesen unattischen
Charakter besaß, das ist das einzige, was man den Versen der Frösche
mit Sicherheit entnehmen kann. Weiterhelfen zum Verständnis von
Ursprung und Aussehen des tragischen Kostüms der klassischen Zeit
können nur Zeugnisse anderer Art.
Mit dem Bühnenkostüm stellt Chamaileon bei Athenaios a. a. 0.
die Tracht der flierophanten und Daduchen zusammen, und in der Tat
lehren die Denkmäler und vereinzelte Schriftstellernachrichten, daß diese,
und außer ihnen auch Flötenspieler und Kitharoden, gleich den tragischen
Schauspielern den langen prächtigen Armelchiton trugen.-) Daß die
stolzen Priestergeschlechter von Eleusis ihre Amtstracht der Bühne ent-
lehnt hätten wie Chamaileon behauptet, ist ganz undenkbar,^) aber auch
die zuletzt von Bethe*) verfochtene Zurückführung der verwandten Kostüme
auf alte Göttertracht läßt sich nicht so glatt durchführen, wie es zunächst
scheint. Ich wenigstens vermag den Einwurf Roberts,^) daß ein yurcov
XEiQiôonôg bei alten Götterbildern nicht nachweisbar sei, nicht zu wider-
legen. Die unläugbaren Schwierigkeiten löst wohl am besten Prings-
heims Annahme (a. a. 0. S. 14), daß als gemeinsame "Wurzel des
tragischen, musischen und eleusinischen Kostüms die Festtracht — und
zwar, ^vie ich hinzusetzen möchte, die jonische — der Peisistratidenzeit
anzusehen sei;^) damals hat Thespis die erste Tragödie in Athen auf-
1) Es ist natürlich nicht zu erweisen, daß Chamaüeon neben dieser nicht noch
andere Komikerstellen benützt hat, aber sicherlich lassen sich alle späteren Folge-
rungen leicht aus den Versen der Frösche herausspinnen.
2) Das Material für die Tracht der eleusinischen Priester ist vortrefflich ge-
sammelt und erläutert in Pringsheims wertvoller Dissertation Archaeologische Beiträge
zur Geschichte des eleusinischen Kultes S. 1 — 14.
3) Meines Wissens ist von den Neueren nur Amelung bei Pauly-Wissowa III
221H geneigt ihm Glauben zu schenken.
*) Prolegomena zur Geschichte des Theaters S. 42 ff und Arch. .lahrb. XI 294.
•'') 23'*" Hallisches Winckelmannsprogramm S. Iß.
'') Als besonders charakteristisch für die Entstehung der Hierophantentraclit in
der Peisistratidenzeit hebt Pringsheim itiit Recht die Frisur hervor, die er auf der
Lovatellischen Urne trägt.
— 203 —
geführt, damals hat das eleusinische Heiligtum eine bedeutsame Umge-
staltung erfahren.
Was sich für den bunten Armelchiton bisher nicht nachweisen läßt,
die Zugehörigkeit zum Kostüm des Dionysos, läßt sich nun aber für
den tragischen Kothurn, dem diese Untersuchung in erster Linie gilt,
mit voller Sicherheit dartun. Um den Beweis überzeugend zu führen,
muß ich leider mancherlei wiederholen, was schon von andern ähnlich
gesagt ist.^)
Das wichtigste, vielfach falsch interpretierte Zeugnis steht in den
Fröschen 46 ff. Herakles kann, als er dem Dionysos die Tür öffnet, das
Lachen nicht verbeißen
OQwv ksovTrjv ènï xQoy.coTc[} y.£i/-iévï]v.
xiç 6 vovg; xL xàd^oqvos xat QÔiiakov ^wrjhd^éxrjv;
Dionysos hat den ihm, dem Weichling, eigentümlichen Kleidungs-
stücken, Safrankleid und Kothurn, die Attribute des Herakles, Löwen-
fell und Keule beigesellt und diese erborgten Zeugen dorischer dqeTt]
passen schlecht zu der jonischen TQvcprj. Von Schauspielertracht ist hier
gar nicht die Rede, nur die den beiden Göttern zukommenden Kleidungs-
und Ausrüstungsstücke werden einander gegenübergestellt. Von dem
xQoxcoTÖg sagen die älteren Schollen mit Recht Jiovvaiaxov cpÔQSf-ia 6
xQoxioTÔg,^) und daß der Kothurn zur typischen Dionysostracht gehörte,
bestätigt — wenn es einer Bestätigung bedürfte — Pausanias VIII 31, 4:
Im Tempel des Zeus Philios zu Megalopolis fällt ihm nämlich die Ähn-
lichkeit des Kultbildes mit Dionysos auf xôd^oQvoi zs yÙQ xd v7iodr]f.iaxâ
ioxiv avxc[j xai eyßi rfj yßiQi exTHüf.ia xfj âè éxéça d-vQOov. Wie der
Kothurn des Dionysos aussieht, erfahren wir freilich weder von Aristophanes
noch von Pausanias, aber da helfen Herodot und Vergil weiter. Herodot er-
zählt VI 125 die lustige Geschichte von Alkmaion, dem Kroisos zum Lohne
für die Unterstützung seiner Untertanen in Delphi so viel Geld ver-
sprach, als er auf einmal aus der Schatzkammer forttragen könne. Das
fängt der kluge Athener folgendermaßen an evdvg xid-oiva j-iêyav xai
xÔIttov TTollov xaraXinôi-iEvog xov xi^ojvos, xo-0-ÔQvovg invg svQioy.s
tvQvxdxovg èôvxag vnoôr^odfisvog tJïs êg xôi' ^)]0avQ6v, èg xôv ol
xaxriyéovxo^ eoneooh de êg omqov iprjyf.taxog TiQÛra (.ikv naQsoaçe TtaQÙ
tàg xvT]ftag xov yçvoov ooov êxiiJQ80v ol xô-i^oQvot, /nexd âè xôv
xôXtiov nàvxa nlr^odi-ievog yqvoov xai èg xdg xglyag t/;> xeq^a'/.r^g ôian:doag
1) Ygl. Crusius Philol. 48 S. 701 ff und Robert 2-2te8 Hallisches Winckelmanns-
progi'amm 22 ft".
2) Dies in Attika nur von Weibei-u geschätzte Grewand (Amelung bei Pauly-
Wissowa ni 2324) tragen im üppigen Sybaris die Ritter in Prozessionen Athen. XII
519 c. Zur Kleidung des Dionysos gehört der xpoKwroV in der berühmten :rouni] des
Ptolemaios Philadelphos nach Kallixenos von Rhodos bei Athen. V 198 c.
— 204 —
Tov iprj'/f-iaTOii xal a'AÂo kaßojv êg rô arô/iia èçi'^is êx tov d-i]GavQ()i\ a'kxiov
/.lèi^ l-iôyis Tovg y.ad-ijQiovg TiavTÏ ôè leo^i oîxtog uàklov jj dvd-çoiiKi).
Vergil ruft Georg. II 7 den Gott an:
Hue, pater o Lenaee, veni, nudataque musto
tingue novo niecum derepfis crura cothurni>i.
dazu bemerkt der Kommentar des Probus: Cothurni sunt calceamentorum
gênera venatorum, quibus crura etiam muniuntur; cuius calceamenti effi-
gies est in simulacris Liberi et Dianae.
Danach sind die Kothurne Schaftstiefel, die an den Waden ziem-
lich hoch hinaufreichen/) und es gilt nun Dionysosdarstellungen mit
solchen Stiefeln zu suchen. Die schwarzfigurige Vasenmalerei liefert so
viel ich sehe kein Material, sie gibt im allgemeinen nur denjenigen
Göttern und Helden Stiefel, die besonders viel zu laufen haben, ^) vor
allen dem Hermes, und die vorkommenden Stiefelformen entsprechen
nicht dem aus Herodot gewonnenen Bilde des Kothurns. Auf rotfigurigen
Yasen des strengen und des Übergangstils trägt dagegen Dionysos nicht
selten Stiefel mit hohem Schaft, und von dieser Zeit an verschwinden
sie nie wieder ganz aus der Tracht des Gottes. Von älteren Beispielen
aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts nenne ich folgende :
1. Gerhard Auserl. Vasenb. Taf. 64
2. „ „■ „ „ 84-85
3. Monum. d. Inst. XI 50
4. Compte Rendu de St. Pet. 1867 Taf. IV
5. „ ., „ „ „ 1867 „ VI
6. Dareraberg-Saglio Dictionn. des antiqu. I 629 Fig. 712, wieder-
holt bei Baumeister Denkm. 1434 Fig. 483.
Ich mache besonders auf die an letzter Stelle genannte Darstellung
aufmerksam, weil die Stiefel hier sehr hoch sind und der Gott zugleich
einen laugen frauenhaften Chiton aus dünnem Stoff trägt, der besonders
an den Dionysos der Frösche gemahnt.'') Dieselben Stiefel tragen auf streng-
') Daß der •A.öd-oQvog im Gegensatz zu den éuiiÛTtjç einen weiten Schaft gehabt
habe, folgert Robert S. 32 mit Unrecht aus der Erzählung Herodots, Alkmaion
nimmt natürlich viel zu weite Exemplare der höchsten ihm bekannten Stiefelform, um
möglichst viel Gold rings um die Unterschenkel stopfen zu können.
-) Von den vielen Figuren der Franoo:s-Vase sind nur Hermes, die Gorgonen
und einer der kalydonischen Jäger (Thorax) beschuht.
3) Jüngere Beispiele aus der Vasenmalerei des fünften Jahrh. sind Miliin Peint, de
vases ant. I, 9, Compte-Rendu 1861 T. IV; an Skulpturen nenne ich den Dionysos des
Kaiamis in Tanagra s. Reisch Arch. .Jahresh. IX 230 Fig. 65, das Relief von Koropi
bei Reisch Griech. Weihgesch. 124 Fig. 12, den Dionysos aus Tralles in Konstanti-
nopel (früher fälschlich Apollon genannt), das Relief von der Skene des Dionysostheaters
in Athen s. Svoronos, Das Athener National-Museum Taf. 62; andere Beispiele bei
Reinach Répert. de la Stat. I. S. 383 und 391.
— 205 —
rotfigurigen Vasen mehrfach Silène/) auf etwas jüngeren auch Thamyris-)
und Artemis.^)
Daß diesen Stiefeln des Dionysos der Name Kothurn gebührt, ist
nach Aristophanes, Herodot und Vergil nicht zu bezweifeln, und zum Überfluß
wird es durch ihre Wiederkehr bei Artemis bestätigt, denn auch diese
— und zwar sie allein von allen Göttinnen — kommt in der Literatur
mit Kothurnen vor.^)
Sicherlich sind diese hohen Stiefel nicht in Attika erfunden, sondern
von auswärts übernommen worden, und zwar deutet ihr Vorkommen bei
Thamyris, später auch bei Orpheus^) sowie ihre Verbindung mit einem
thrakischen Mantel bei dem Silen der Duris-Vase entschieden auf thra-
kischen Ursprung. Anderseits sind die Kothurne nach Herod. I 155 und
VI 125 im sechsten Jahrhundert in Lydien zu Haus, und so ist es wahr-
scheinlich, daß sie als Tracht des Dionysos zuerst auf dem Umweg über
Jonien nach Attika gelangt sind.
Fragen wir nun, wie sich der tragische Kothurn zu dem des
Dionysos verhält, so wird man von vornherein voraussetzen dürfen, daß
die Fußbekleidung des Tragöden, die den gleichen Xamen führt wie
die des Gottes, ursprünglich auch von gleicher Form gewesen ist,^) und
diese Voraussetzung wird denn auch voll bestätigt durch die beiden einzigen
Denkmäler aus dem Ende des fünften Jahrhunderts, die uns tragische Schau-
spieler in Kostüm zeigen. Auf der Xeapler Satyramphora, deren Mittelgruppe
am Kopf dieses Aufsatzes nach Mon. d. Inst, III 31 wiederholt ist, wird
das Kostüm der Schauspieler ''J mit minutiöser Treue wiedergegeben und
gerade deshalb hat das scheinbare Fehlen des Kothurns oft Erstaunen
erregt.^) In Wirklichkeit tragen sowohl Herakles wie der von Prott
1) Psykter des Duris Furtwängler-Reichhold Griech. Vas. Taf. 48, ferner Mon. d.
Inst. V 35, Gerhard. Auserl. Vas. 57.
2) Mon. d. Inst. Il 23 und YIII 43.
3) Bull. Nap. n. s. VI, 5.
*) Verg. Ecl. VII 32 iiuniceo stal»is suras evincta cothuruo. Vgl. Prob, zu Verg.
Georg. II 32.
5) Der Orpheus des Neapler Reliefs trägt besonders hohe Stiefeln wesentlich
derselben Art. Vgl. jedoch S. 212.
6) Es ist vielleicht nicht übei-flüssig noch einmal zu betonen, daß für eine
stelzenartige Erhöhung des Kothurns schlechterdings kein literarisches Zeugnis aus dem
fünften .Jahrhundert vorhanden ist.
'I Daß die Schauspieler im Satyrspiel mit Ausnahme des Silen das gleiche Kostüm
hatten wie die Tragöden, hat schon Wieseler Götiinger Studien II (1847) 628 ß" ge-
zeigt, und bestätigend tritt der von Bethe Arch. Jahrb. XI Taf. 2 veröffentlichte An-
dromedakrater hinzu, wo fi-eilich auf treue Durchführung des Bühnenkostüms ver-
zichtet ist. aber an dem Chiton der Heldin genau die gleichen prächtigen Muster
wiederkehren wie auf der Satyrvase.
8) Vgl. den vortrefflichen Aufsatz von Prott Schedae philologae H. Usener
oblatae S. 53.
— 206 —
wohl mit Recht Laomedon benannte König Kothurne, nämlich eben die-
selben hohen Schaftstiefel, die wir bei Dionysos kennen gelernt haben,
nur in besonders reicher Ausstattung, und um jeden Zweifel auszu-
schließen, hat auch der Gott selbst auf unserem Bilde augenscheinlich
ganz dasselbe Schuhwerk wie seine menschlichen Diener.^)
Auf dem ungefähr gleichzeitigen Schauspielerrelief aus dem Piraeus,
das zuletzt von Studniczka eingehend gewürdigt,^) aber leider noch immer
nicht ausreichend abgebildet worden ist, verdecken leider die langen
Chitone bei allen drei Schauspielern die Schuhe großenteils, aber nichts
hindert, diesen die gleiche Form zu geben wie auf der Satyrvase, und
ganz sicher ist, daß sie nicht mit stelzenartigen Klötzen oder auch nur
mit starken, erhöhenden Sohlen versehen sind.
Diesen positiven Zeugnissen für den stelzenlosen Kothurn des
fünften Jahrhunderts möchte ich noch zwei negative anreihen, Tragiker-
stellen, die sich mit dem Gebrauch des Stelzenschuhs nicht vertragen.
Euripides läßt im Orestes 1369 ff. den Phryger selbst erzählen, er sei
vom Dach gesprungen,
IfdQyslw çiq)os èx ^avàrov Tiécpsvya
ßacßaQOic evuÛQiaiv
xsÔQtoTà naoràôcov vTikç réga/icva
Jo)QLy.âs T£ TQL'/KvCfOVÇ.
Dieser Sprung vom Dach der Skene war für den maskierten Schau-
spieler unter allen Umständen eine unangenehme Sache; wenn aber der
ärmste Klötze unter den Schuhen trägt, wie sie etwa die Elfenbein-
statuette von Rieti zeigt, so ^nrd das Springen eine unmögliche Zumutung,
die der so klug für die Bedürfnisse der Bühne schaffende Dichter nie
an seine Künstler gestellt hätte. Diese Notlage hat denn auch die Schau-
spieler, als der Kothurn erhöht wurde, zu einer Interpolation veranlaßt.'^)
Zwischen den Gesang des Chors und die Monodie des Phrygers sind un-
organisch die Verse eingeschoben 1366:
à'/JÀ xTvneî yàq xlfjd^Qa ßaoiXixojv âô^tov
aiyr^GüT. è'çto yÛQ riç exßaivst. ^Qvycôv
ov Tievoôfieo&a xdv ôôftoiç oTitog èxei.
^) "Wieseler hat das ganz richtig gesehen S. 634, aber dann, wie so oft, eine
treffende Beobachtung durch einen Wust toter Gelehrsamkeit erstickt.
2) Mélanges Perrot 307 ff; seinem Zeitansatz „eher noch im fünften als im frühem
vierten Jahrhundert" stimme ich durchaus zu, aber seine Deutung der Masken scheint
mir unsicher.
3) Daß der Sprung den Schauspielern auch ohne Stelzenschuh unbequem war
und sie zu einer Textänderung führen konnte, will ich natürlich nicht leugnen, aber
nach Aufkommen des Stelzenschuhs mußten sie solchen Ausweg suchen.
— 207 -
Das gelehrte Scholion zu 1366 hat die Interpolation ganz richtig
gewürdigt, die Verse seien von den Schauspielern eingelegt ïva /tirj
xaxoTia^cüoiv dno rùJv ßaaleiov ôôfcojv xa&a'/.Xù(.iEvoi.
Die andere Stelle hat bereits Crusius^) herangezogen und Robert^)
hat sich vergeblich bemüht, ihre Beweiskraft zu erschüttern. Aischylos'
Agamemnon scheut sich bei seinem feierlichen Einzug, die von Klytai-
mestra hingebreiteten Purpurteppiche mit Schuhen zu betreten, und läßt
sich noch auf dem Wagen stehend die Fußbekleidung abnehmen 935 ff.
aûJ si ôoy.sî OOL tuvS-^ vrcal ng aQßvkag
kvoi rdyog tïqÔôov/mv e'j-ißaaiv Tioôôg
xal Toloôé /<' ejiißaivov^^ à'/.ovQyéoiv dsow
///; TIS TiQÔoiod^av of-iuazoç ßä/.oi (piyôvog.
Trug Agamemnon den Stelzschuh, so erschien er bei seinem Ein-
zug in den Palast plötzlich um ein beträchtliches Stück kleiner, und das
mußte lächerlich wirken. Unmöglich kann man Aischylos zutrauen, daß
er ganz aus freien Stücken ein Motiv erfand, welches in einem wichtigen
Augenblick die szenische Wirkung empfindlich störte.'^)
So vereinigen sich bildliche und literarische Zeugnisse des fünften
Jahrhunderts — und nur solche dürfen für uns maßgebend sein — zu
dem, wie mir scheint, sicheren Ergebnis : Der Kothurn ist ein ursprüng-
lich nichtgriechischer Stiefel mit hohem Schaft, den Dionysos seit An-
fang des fünften Jahrhunderts vielfach trägt, von dem Gotte geht er,
wohl in aischyleischer Zeit,*) auf die tragischen Schauspieler über, die
ihn ganz in der gleichen Form ohne jede künstliche Erhöhung mindestens
bis zum Ausgang des fünften Jahrhunderts bewahren.
Ich könnte hier mit dem Hinweis darauf schließen, daß der Kothurn
in der nachgewiesenen Form auch auf den unteritalischen Vasen des
vierten Jahrhunderts, deren Beziehungen zum Theater ja bekannt sind,
außerordentlich beliebt ist, es tragen ihn hier nicht nur die Theater-
könige wie Kreon^), Oinomaos^), Lykurgos^), Phineus*), Agamemnon^),
') Phiiol. 48, 704.
2) A. a. 0. S. 32.
3) Robert hilft sich mit der verzweifelten Annahme, das Ausziehen werde nur
markiert — dann mußte das Publikum doch mindestens im Augenblicke des Absteigens
sehen, daß der König ungeachtet seiner feierlichen Erklärung den Purpur mit Schuhen
betrat.
^) Bei Aischylos' Neigung für das Exotische ist es wohl wahrscheinlich, daß gerade
er die Schauspieler mit der fremdartigen Fußbekleidung ausgestattet hat, die damals
für Dionysos aufgekommen war, aber beweisen läßt sich das nicht.
5) Huddilston Cxreek tragedy in the light of vase paintings Fig. 23, 24.
6) Ann. d. Inst. 1840 tav. N, 1851 tav. Q.
7) Mou. d. Inst. V 22.
8) Furtwängler-ßeichhold Taf. 60.
9) Furtwängler-Reichhold Taf. 89.
— 208 -
sondern auch jüngere Helden wie Orestes^), Pylades"^), Myrtilos^), Pelops*)
und mit besonderer Vorliebe die Figuren, die erst durch die Tragödie
in die Sage eingeführt sind, so Apate ^) und verwandte Rachegeister ^),
ferner die Pythia der Eumeniden "), die Trabanten der Könige*) und
ständig die Pädagogen.^)
Es scheint mir aber doch wünschenswert, noch einige Fragen kurz
zu erörtern, die mit meinem Thema in engem Zusammenhang stehen,
und Einwürfen vorzubeugen, die ich voraussehe. Zunächst bedarf es der
Rechtfertigung, daß ich konsequent ein Denkmal bei Seite gelassen habe,
welches nach Robert entscheidende Bedeutung für die ganze Frage hat,
nämlich das auf Marmor gemalte Bild einer tragischen Szene aus Herculaneum.
Robert hat es in seiner vorzüglichen Publikation (22 tes Hallisches
Winckelmannsprogramm Taf. II S. 14 — 37) für die treue Kopie des
Anathems erklärt, das der Chorege des Euripides im Jahre 428 weihte,
und meinen Widerspruch gegen diese These^") hat er im 28ten AVinckel-
mannsprogramm S, 17 Anm. 1 entschieden zurückgewiesen. Hier ist
die Heldin, nach Robert Phaidra, durch hohe Kothurne, eine Maske
mit mächtigen Onkos und starke Auspolsterung des Körpers zu einem
Scheusal herausgeputzt, das dem Schauspieler von Rieti kaum etwas
nachgibt. Robert selbst erkennt die Beweiskraft der Satyrvase und des
Piräusreliefs für ihre Entstehungszeit durchaus an, die Agamemnonstelle,
die früher für ihn selbst ausschlaggebend war,^^) schiebt er jetzt bei Seite,
und so kommt er zu der eigentümlichen Theorie, daß Euripides den
hohen Stelzenschuh hatte, daß man ihn unmittelbar nach seinem Tode
radikal beseitigte,^-) daß dann bald nach Alexander ein Schuh mit hoher
Sohle eingeführt wurde, der sich allmählich in der Kaiserzeit wieder zu
dem Stelzenschuh des fünften Jahrhunderts auswuchs. Und dies merk-
würdige Hinundher, das noch toller wird, sobald man der Agamemnon-
stelle ihr Recht läßt, soll man zu glauben gezwungen sein, weil das
Original des Marmorbildes nach Robert ins 5 te Jahrhundert gehört,
i) Huddilston Fig. 5, 19, 20.
2j Huddüston Fig. 18.
3) Mon. d. Inst. V 2.S.
*) Ann. d. Inst. 1840 tav. N. 1851 tav. Q.
5) Furtwängler-Reichhold Taf. 88.
6) Huddilston Fig. 15 u. 2ß.
') Huddilston Fig. 5, der sichtbare Teil des Stiefels entspricht durchaus dem
Kothurn des Orestes.
8) Furtwängler-Reichhold Taf. 60, Mon. d. Inst. V 22, X 20.
'■*) Huddüston Fig. 14, 15, 23, 24, Mon. d. Inst. V 22, Mon. nouv. ann. 1836
Taf. 5.
1") Deutsche Literaturzeitung 1899 Nr. 44.
") Hermes 31 S. 548 Anm. 1.
'2) Die Neapler Satyrvase setzt er S. 25 Eade des fünften Jahrhunderts.
— 209 —
„was übrigens jedem sein Stilgefühl von selbst sagen sollte." Man ver-
gleiche doch einmal den herculanensischen Schauspieler mit denen der
Satyrvase und des Piraeusreliefs genauer, da liegen so fundamentale
Unterschiede vor, daß ein Übergang von der herculanensischen Phaidra zum
Laomedon der Vase innerhalb von rund 20 Jahren eine völlige Revo-
lution in der Bühnenkunst bedeutet haben würde. Es handelt sich keines-
wegs nur um die Stelzenschuhe, die übermäßig große, gleichsam gedunsene
Kopfmaske und die Auspolsterung des ganzen Körpers, aus dem die Arme
dann so puppenhaft kurz hervorragen, gehören notwendig dazu. Wohl be-
wahren die Gestalten der Vase und des Reliefs in Schnitt und Schmuck
ihrer Gewänder einen Hauch altertümlicher Strenge und fremdartigen
Prunks, aber sie sind trotz Maske und buntem Chiton doch lebende
Menschen des fünften Jahrhunderts, nur genau so weit von den attischen
Bürgern verschieden wie die Helden der Euripideischen Tragödien; die
Heroine des Marmorbildes ist dagegen vollkommen in schwülstiger Kon-
vention erstarrt, eine Puppe, kein Mensch. Und von einer so gewaltigen
Umwälzung der theatralischen Mittel binnen kurzer Zeit sollten wir gar
nichts erfahren, auch nicht durch die Komödie, der doch gerade damals
die Tragödie so sehr interessant ist?
Nimmt man nun hinzu, daß die Tracht des herculanensischen
Schauspielers notorisch der Entstehungszeit des Marmorbildes entspricht,
daß man sich damals überhaupt für Theaterdarstellungen interessierte,
und daß das Bild künstlerisch weitaus das schlechteste der vier im selben
Haus gefundenen ist, so wird man aucb dem feinsten Stilkritiker die Be-
rechtigung absprechen dürfen, auf Grund dieses Zeugnisses die aus Denk-
mälern und Schriftstellern des fünften Jahrhunderts sich ergebende Ent-
wicklung des tragischen Kostüms jäh zu durchbrechen. Ich halte es,
um eine der Möglichkeiten anzudeuten, für durchaus denkbar, daß der
Maler einen alten Pinax benutzte, aber dem Protagonisten, der ja allein
Kothurn und Zubehör trägt, mit den äußeren Mitteln seiner zeitgenös-
sischen Bühnentechnik zu der ihm unerläßlich scheinenden tragischen
Würde verhalf. Die menschlich kämpfende Medeia des Euripides ent-
sprach ja auch dem späteren rhetorischen Geschmack nicht mehr.
Wenn ich früher') die allmähliche Erhöhung des Kothurns schon
in die Mitte des vierten Jahrhunderts verlegte und die Erzählung des
Demochares von Aischines Sturz-) auf der Bühne für diese Annahme
verwerten wollte, so ziehe ich das Roberts Einspruch gegenüber zurück
und gebe ihm zu, daß eine künstliche Erhöhung der Schauspieler nicht
1) a. a. O.
-) vit. Aesch. 7 p. 269 Westerm. Übrigens kam es für meine Zwecke nicht auf
die Wahrheit der Anekdote des Demochares an, sondern darauf, ob sie seinen Zu-
hörern glaublich scheinen konnte.
14
— 210 —
vor der Zeit Alexanders begonnen zu haben scheint.^) Sobald man ein-
mal mit einer starken Sohle den Anfang gemacht hatte, wuchs dann
der Kothurn unaufhaltsam bis zu den abscheulichen Stelzen der Kaiserzeit,
die Gestalt der Tragödie auf der Homerapotheose des Archelaos von
Priene zeigt die Entwicklung schon recht weit fortgeschritten.
Ferner muß ich noch eingehen auf die sonstigen Xachrichten über
Kothurne, die von ihrer Verwendung im Theater absehen, und auf die
ganz ähnlichen Stiefelformen, die oft mit ihnen zusammengeworfen
werden. Fest steht zunächst, daß in aristophanischer Zeit auch von
Frauen Kothurne getragen wurden ; der geplagte Blepyros in den Ekkle-
siazusen hat seine Âaxcûvixal nicht finden können und eilt infolgedessen
auf die Straße 346 ig xo) y.o&ÖQvo toj ti6ö ev^slg. Dieselben Schuhe
hat er kurz vorher 319 IleQGixal genannt. Auch Lys. 658 wird der
Kothurn als Frauenschuh genannt.^) Weiter erfahren wir durch Xenophon
Hell. II 3, 30, der politisch wetterwendische Theramenes habe den
Spitznamen xöd^OQvog gehabt xal yàç 6 xéd'OQvog aQ/nörTsiv /iièv roîg
noGÏv äiKforecoLg doxsl, dnoßkETiei ôè arr' ducpoTéQcJv, dieser Spitzname
hat auch einer gegen Theramenes gerichteten Komödie des Philonides
den Titel KôO^oçvoi geliefert.^) Alle späteren Grammatikerzeugnisse, die
immer wiederholen, der Kothurn passe auf beide Füße, gehen ersichtlich
auf diese Xenophonstelle zurück, haben also keinen selbständigen Wert *)
Ein Stiefel, der auf beide Füße passen soll, muß entweder eine dem
Fuß gar nicht angepaßte, vorn ganz breite Form der Sohle haben, und
so faßt man im Anschluß an Etym. Magn. xod^oQvog yvvaty.su )v vnöor^/iia
TETçâywvov t6 Gyr^f-ia aQuöCov dfj.(pOTéQoig rolg nooL die Sache in neuerer
Zeit meist auf, oder aber er darf gar keine feste Sohle haben, sondern
muß ganz aus weichem Leder oder Filz bestehen. Derartige sohlenlose,
dem Fuß sich leicht anpassende Stiefel sind heute in Kleinasien sehr
beliebt, besonders bei den Tscherkessen, sie bedecken den ganzen Unter-
schenkel wie ein lederner Strumpf und werden im Haus anbehalten,^)
') Das Material gibt Robert 2.2^^^ Winckelmanusprogramm S. 26 ff. Ich wiU noch
bemerken, daß ich die Rückführung der porapejanischen Friesbilder Mon. d. Inst. XI
.SO — 32 auf Vorlagen des 4ten .Jahrhunderts für möglich halte.
*) Mit der Frage, welche Vög. 91)4 Peithetairos an Meton richtet xlç t) 'nCvoia,
ilg Ô itô&OQvog zrjg ôôov; weiß ich nichts anzufangen, alte und neue Erklärungsver-
suche sind gleich unbefriedigend; der Berliner könnte sagen „wat soll ick mir da for'n
Stiebel draus machen?"
3) Fragmente bei Kock CAF I 255. Die Pluralform des Titels ist natürlich
wie bei Ahvai, 'AQXî^oy^oi, Haioôoc u. s. w. zu erklären. Vgl. Wilamowitz Aristoteles
und Athen I 180 Anm. 84.
■*) Sie sind am vollständigsten zusammengestellt in G. C. W. Schneiders attischem
Theaterwesen 1()3 ft'.
*) Im Haus die Stiefel anzubehalten, mit denen man über die Straße gegangen
ist, verstößt sonst bekanntlich in der Türkei durchaus gegen die gute Sitte.
— 211 —
während man für die Straße einen ganz niedrigen Überschuh mit fester
Sohle darüberzieht J) In Ermanglung weiterer Zeugnisse glaube ich, daß die
von attischen Frauen getragenen, von Xenophon erwähnten Kothurne
diesen kleinasiatischen weichen Stiefeln entsprachen. Die Drohung der
Frauen in der Lysistrate 657 si ôè Âvn^asig ri ,ae, rojde ■/dipr^y.xcj
Tiaràçio Ttfj y.od^ÔQvvj rr/v yvdd-ov läßt sich mit einem solchen Stiefel
mindestens ebensogut ausführen als mit einem, der feste Sohlen hat.
Es verdient jedenfalls Beachtung, daß die Kothurne der Satyrvase keine
abgesetzten Sohlen haben und fast wie Strümpfe aus feinem Leder oder
Stoff den Fuß umschließen; auch auf den Abbildungen des Schauspieler-
reliefs kann ich keine Angabe der Sohlen bemerken.
Von hier aus lassen sich, glaube ich, auch die ziemlich dunklen
Beziehungen des Kothurns zu den ef-ißdrat und ef-ißdöeg aufklären.
Leider ist ja die reinliche Scheidung, welche PoUux zwischen den beiden
letztgenannten Fußbekleidungen vornimmt IV 115 xal rà vnoôfjfiaTa
xod^OQvoi f.ikv rd TQayixd xal eaßdas(s\ sußdrai ôè rd xcofuxd, nach
Ausweis des von Amelung bei Pauly-Wissowa V 2484 f. zusammen-
gestellten Materials nicht durchzuführen, beide werden beständig durch-
einandergeworfen, und zwar ist es besonders interessant, daß die gold-
durchwirkten Schuhe aus Purpurfilz, welche der wie ein Tragödienheld
herausgeputzte Demetrios Poliorketes trug, von Duris bei Athenaios
XII 535 f. efißdrai, von Plutarch vit. Dem. 41 dagegen sfißdosg genannt
werden. Beide Namen werden auch in gleicher Weise für den Tragödien-
schuh gebraucht,^) die Embades mitunter ausdrücklich dem Dionysos
beigelegt,^) sie sind beide in der späteren Literatur, die ihre attischen
Vokabeln aus dem Lexikon bezieht, von Kothurn überhaupt nicht mehr
zu scheiden,^) Pollux VII 85 gibt das für die e/.ißdO€g halb und halb zu,
wenn er sagt tïjv ôè lôéav -Aod-oQvoig TUTteivoig aoùxev.
In der Zeit des Aristophanes und Xenophon besteht im Gebrauch
ein ganz klarer Unterschied, sf.ißdg ist ein Männerschuh — als Blepyros
seine tf.ißaO€g nicht findet, nimmt er notgedrungen die -AÔd-OQvoL der
^) Beim Reiten begnügen sich die Tscherkessen nicht selten mit dem sohlen-
losen Stiefel.
-) efißatai heißt die Erfindung des Aischylos bei Suidas s. v. Äia^vAag, als
tragischer Stelzschuh kommt das "Wort besonders bei Lukian vor Necyora. l(i, Jup. trag.
41, Saturn, ep. 19, de saltat. 27, de hist. conscr. 22, aber auch bei Cassius Dio LXIII
22 und sonst, efißdoeg steht dafür z. B. Bekker Anecd. 746, Luc. Pseudolog. 19,
Arr. Epict. I 29, 41, 43.
^) Kallidemos bei Athen. V 200 d, Luc. ßacch. 2.
*) Besonders charakteristisch ist, daß Lukian bei seinen ewig wiederkehrenden
Schauspielervergleichen zur Abwechslung statt efißäiai oder efißdöeg auch einmal
wieder kô&oqvoi sagt Gall. 26.
— 212 —
Gattin^) — und zwar tragen ihn besonders ältere-) und ärmere Leute;^)
über seine Höbe erfahren wir nichts, der laßcczr^g dagegen ist sicher,
wie der Kothurn, ein Stiefel mit hohem Schaft, denn Xen. de re equ.
12, 10 empfiehlt dem Reiter zum Schutze der Füße und Unterschenkel
e/ußaTat aus starkem Leder. Wenn wir nun auf dem Parthenonfries
eine ganze Anzahl Epheben hohe Reiterstiefel tragen sehen/) und diese
auch sonst bei Reitern des fünften Jahrhunderts wiederfinden z. B. dem
Polydeukes der Talos-Vase (Furtwängler-Reichhold Taf. 38 — 39), so
werden wir sie unbedenkhch IfißccTai nennen dürfen. Auf dem Parthenon-
fries sind die Träger der l^ußatai nicht selten mit der tbrakischen Pelz-
mütze ausgerüstet^) und das spricht dafür, daß auch die Stiefel aus
Thrakien stammen.^) So kommen wir für die lußaTai zum gleichen
Ursprung wie für die y.od^oovoL und es ist in der Tat mitunter nicht
auszumachen, ob man einen Schaftstiefel -/.odoQvos oder sußccrr^g nennen
soll, im Schnitt sehe ich keinen Unterschied, aber im Stoß" und seiner
Bearbeitung werden sie verschieden gewesen sein. Ich denke mir die
Entwicklung folgendermaßen: Der hohe derbe thrakische Stiefel wird
einmal von den Joniern und Lydern übernommen, von diesen erheblich
verfeinert, vielleicht auch schon gelegentlich in Filz übersetzt, und so
kommt er als Dionysos- und Frauentracht zu den Athenern unter dem
Namen yu)&OQVog, anderseits lernen ihn die Athener auch in seiner un-
gemilderten Derbheit bei den Thrakern kennen und nehmen ihn als
Reiterstiefel, li.ißcirrjg, an. Sobald auch der efxßdTrjg verweichlichte —
um es drastisch auszudrücken — und statt aus starrem Leder auch aus
purpurnem Filz hergestellt wurde, wie es uns Duris von Demetrios be-
richtet, fielen y.ô-3-OQvoL und lußcciai tatsächlich zusammen, und es ist
kein Wunder, daß die späteren Schriftsteller zwischen beiden Namen
keinen Unterschied mehr machen.^)
Giessen.
1) Ar. Eccles. 314 und 346 vgl. auch 342. 507.
2) Ar. Plut. 759.
3) Ar. Eccles. fi33. Wesp. 447; Js. V 11.
*) Michaelis Parthenon Taf. IX 3. 8, 19. 20 X, 4, 14, 26—40 XI 54, 56 XIU
74, 76, 106 -lOy, 116, 117, 122, 127, 133.
5) Michaelis Taf. IX 8, 19, X 4, 36, XIII 108. 117, 120.
^) Pollux VII 85 erklärt die efißdaeg für ein Sçûxtov evQri^a.
') [Dieser Aufsatz war schon gedruckt, als ich die Arbeit von Kendall Smith
Harvard Studies in Classical Philology XVI 123 ff. kennen lernte, die auf anderm
Wege zu wesentlich gleichen Ergebnissen kommt]
Die Anfänge der Kartographie in der Schweiz
mit Seb. Schmids Anleitung zum Kartenzeichnen a. d. J. 1566.
Von
Rudolf Lug-inbühl.
Die Basler Universitäts-Bibliothek besitzt unter der Signatur A A I 82
ein deutschgeschriebenes, 24 Kleinquartseiten umfassendes Manuskript,
das als die älteste Anleitung zum Kartenzeichnen in der Schweiz be-
zeichnet werden muß und sich überhaupt als eines der ältesten Werke
über Kartographie ausweist. Es hat den Magister Sebastian Schmid
zum Verfasser und stammt, wie aus einer Bemerkung auf dem Titelblatt
hervorgeht, aus dem Besitze des berühmten Basler Buchdruckers Henric
Petri.^) Die Vermutung Hegt nahe, daß es dieser drucken lassen oder
für eines aus seiner Offizin hervorgehenden Werke z. B. für S. Münsters
Cosmographie, die 1567 wieder neu erschien, verwenden wollte; doch
geschah dies nicht. Ein summarischer Überblick über die vorausgehenden
kartographischen Bestrebungen namentlich in der Schweiz mag das Ver-
ständnis der Schrift Schmids erleichtern.
Fast bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts galt Agidius Tschudis
Karte zu seiner „Alpisch Rhaetia'' 1538 als die älteste Karte der Schweiz.-)
Leider konnte bis jetzt kein Exemplar derselben ausfindig gemacht
werden. Sie ist einzig in der zweiten Ausgabe von Tschudis „Rhaetia"
1560 erhalten, von der man lange auch nur ein einziges Exemplar mit
der Karte kannte, das sich auf der Universitäts-Bibliothek in Basel be-
findet, bis 1885 Prof. H. Graf in den Mitteilungen der naturforschenden
Gesellschaft in Bern nachwies, daß auch di^ dortige Stadtbibliothek im
Besitz eines Exemplares sei.^) Beinahe um die gleiche Zeit erschien
1) Ueber Henric Petri und vgl. Heitz und C. Chr. BernouUi, Die Basler Biicherniarkeu
XXIII f., Stockmeyer und Reber, Beiträge zur Basler Buchdruckergeschichte S. 147.
Allg. D. Biogr. XXV 521 f.
2) So noch R. "Wolf in seiner grundlegenden Arbeit : Grescliichte der Vermessunoea
in der Schweiz. S. 5.
3) Beitrag zur Kenntnis der iiltesten Schweizerkarte von .\eo;idius Tschudi
— 214 —
iü Band VI der „Quellen zur Schweizer Geschichte" Konrad Türsts Schrift
de situ Confoederatorum, herausgegeben von Meyer von Knonau und
Herrn. Wartmann mit einer Karte der Schweiz in Facsimile als Beilage.')
Während der Text Türsts noch in 4 Exemplaren vorhanden ist, findet
sich die Karte nur in 2.-) Diese Arbeit samt der Karte entstand in den
Jahren 1495 — 1497 in Zürich. Mithin müssen wir nun als älteste Karte
der Schweiz diejenige des Konrad Türst ansehen.^) Sie ist zwar sehr
primitiv, aber doch eine ganz lobenswerte Arbeit.*) Sich in der Länge
von Lindau bis zum Genfersee, in der Breite von Rotweil bis Giornico
erstreckend, bezeichnet sie Flüsse durch blaue Linien, Ortschaften durch
braun gehaltene Türmchen und Häuschen und Erhebungen durch grün
abgetönte Häufchen. Ist sie auch nicht frei von starken Verzeichnungen,
führt z. B. die Saane durch das Simmental nach Freiburg, gibt sie doch,
wiewohl ohne ausgeführtes Gradnetz die astronomische Lage ziemlich
richtig an.
Allein die Karten Türsts und Tschudis schienen für die AVeit nicht
zu existieren. Als Sebastian Münster^) 1540 eine neue Ausgabe des
Ptolemäus bei Petri veranstaltete und ihr mehrere neue Tafeln, worunter
fünf für die Schweiz, beifügte, galten letztere allgemein als die ersten
Karten dieses Landes.*') Wohl war durch die Entdeckungen, die Er-
') S. 1. 72.
2) Nämlich auf der Wiener Hofbibliothek und in Privatbesitz (Wunderly von
Muralt) in Zürich,
3) So verdienstlich es ist, dass J. Landreia im Anzeiger f. d. Schweizergeschichte
X 80 if auf die 3 seltenen Salamanca-Karten von 1555, 1563 — 1566 hinweist, so
scheint mir doch seine Behauptung, daß Salamancas Karte die erste bedeutendere
selliständige Gesamtkarte der Eidgenossenschaft und der verbündeten Gebiete sei.
zu weitgehend, immerhin näherer Prüfung würdig,
■*) Vierteljahrsschrift der naturforschendeu Gesellschaft in Zürich XXV 428.
5) Über Seb. Münster vgl. R. Wolf, Biographien zur Kulturgeschichte der
Schweiz II 1—20; S. Vögelin im Basler Jahrbuch 1882 S, 110 ff. Allg. D. Biogr.,
Art. S. M., ganz besonders aber die grundlegende Monographie v. Victor Hantzsch:
S. Ms. Leben, Werke und wissenschaftliche Bedeutung in den Abhandlungen der phiiol,
histor. Klasse d. kön. sächsischen Gesellschaft d. Wissenschaften Bd. XVIII. No. III
1—187.
•>) I)ie Schweiz verdankt Seb, Münster folgende Karten:
a. 1538. Karte d. Schw., v. Tschudi entworfen, v. S, Münster durchgesehen zu
de prisca ac vera Alpina Rhaetia descriptio. Basel 1538.
It, 1538 Karte zu Jul. Solin, No. 10 Helvetia, vorige Karte in reduziertem
^Nlasstabe,
c. 1540, zu CI. I'tülemäus Xo. 33: Helvetia, teils nach Tschudi teils nach der
Schweizerkarte d. Strassburger Ptoleniäusausgabe von 1513. No. 48
Lacus Constantiensis. Die 3. u. 4. Aufl. der Münstersche Ptoleniäus-
ausgabe (Basel 1545 u, 1551), enthielt dazu No. 34. Valesiae charta prior.
(Mit Recht hebt hier Münster hervor, dass diese Karte die erste sei,
— 215 —
tindung des Buchdruckes und den Humanismus das Studium der Karto-
graphie neu belebt worden; allein ihre Entwicklung schloß sich seit der
ersten lateinischen von Karten begleiteten Ausgabe des Ptolemäus durch
Jak. Angelus in Yicenza im Jahre 1475 auf 100 Jahre d. i. bis auf
Ortelius und Mercator fast ganz an den Alexandriner Geographen an;
beinahe alle Kartensammlungen bestanden ausschliesslich aus Ptolemäus-
ausgaben, die das Prototyp unserer modernen Atlanten bilden und deren
Zeichensprache sich noch in vielen Stücken bis heute erhalten hat.^)
Wenn auch Tschudi,-) Seb. Münster^) und Stumpfe) eigene Vermessungen
angestellt haben, so stützen sich ihre Schweizerkarten doch auf Ptole-
mäusausgaben, namentlich auf die Karte der römischen Alpenprovinzen,
diejenigen S. Münsters speziell auf die schöne Tabula Helvetise der
Straßburger Ptolemäusausgabe von 1513. ^) Die Schweiz verdankt
übrigens Stumpf die ersten Spezialkarten in Ptolemäischer Weise ge-
zeichnet,*^) und betretts Seb. Münsters soll nicht verschwiegen werden,
daß die von ihm für seine „Cosmographia" 1544 erstellten 26 neuen
Karten „die Grundlage und der Ausgangspunkt" des gesamten deutschen
Kartenwesens sind".^)
Selbstverständlich weckte das Bedürfnis nach besseren Karten
auch dasjenige nach besseren Projektionsmethoden. Der Ingolstadter
Professor Joh. Stab (-|- 1522) lehrte 1502 die erste Projektionsmethode,
die ganze Kugeloberfläche in der Ebene auszubreiten**). Auf ihn gestützt
veröffentlichte 1514 der Nürnberger Johannes Werner (j- 1528) sein
j.Libellus de quatuor terrarum orbis in piano figurationibus", als Anhang
zu einer lateinischen Übersetzung des ersten Buches der Geographie
welche jemals vom Wallis entworfen worden.) No. 35 Valesiae altera
tabula, No. 3(5 Helvetia I Rheni tabula.
d. 1544, Cosmographia No. 7 Helvetiae moderna descriptio = No. 36 Doppelblatt
Im Text S. 331 Wallis aus der Vogelschau = oben No 34 u. 35 ver-
kleinert. S. 351 Der Genfersee aus der Vogelschau z. T. nach Stumpf.
S. 382 Der Wifelsburgergau aus der Vogelschau z. T. nach Stumpf.
S. 528 Bodensee.
Dazu seine Basler Karte 1544 u. 1574 als fliegendes Blatt. 1575 in
Ortelius Theatrum u. 1580 in Wurst isens Chronik herausgegeben. Vgl.
V. Hantzsch 1. c. 123.
1) Vgl. W. Wolkenhauer, Leitfaden der CTeschichte d. Kartographie. S. 20. u
die daselbst angeführte Literatur.
-) Alpisch Rhaetia.
3) Cosmographia 1544 und folg. Jahre.
*) Schwytzer Chronik. 1548.
5) V. Hantzscl) 1. c. S. 76.
6) R. Wolf 1. c. S. 14.
M W. Wülkenhauer 1. c. S. 2i).
8) Wolkenhauer 1. c. S. 24.
- 216 —
des Ptolemäus, worin er drei Methoden lehrte, die Kugeloberfläche in
Gestalt eines Herzens auf einer Ebene darzustellen, darunter die erste
flächentreue Projektion/) H. Glarean (-}- 1562) gab 1527 in seinem
Büchlein ,,De Geographia liber unus" die erste Anweisung zur Zeich-
nung der einen Globus überziehenden Kugelstreifen, da man bis dahin
unmittelbar auf die Kugel gezeichnet hatte. ■^) Einflußreicher als die
genannten war das ,,Libellus de locorum describendorum ratione'' des
Löwener Medizin-Professors Raiijer Gemma Frisius (-f 1555), das 1533
zugleich mit Peter Appians Cosmographicus liber und Glareans Geographiae
liber unus auf Blatt LVII — LXVI erschien. Gemma unterscheidet drei
Arten der Landesvermessung. ,,Negare profecto non possum, quin omnium
modorum certissimus in hac re sit is qui per longitudines ac latitudines
locorum incedit. postea autem is qui per latitudines et angulos positionis
regiones describit: Ultimo vero loco qui per solos positionis angulos
agit. Quem modum hie primum ponimus, eoque aliis facilior sit et
vulgarior,'' Schon Sebastian Münster benutzte zum Teil Gemma für
seine Cosmographia^). Im Jahre 1551 schrieb Georg Joachim von
Lauchen genannt Joachim Rhäticus (y 1574). Schüler des Gopernicus,
in deutscher Sprache eine Chorographie, die er dem Herzog Albrecht
von Brandenburg widmete und worin er die drei Arten, wie man
chorographicas tabulas machen könne, hauptsächlich in Anlehnung an
Gemma, jedoch ohne ihn zu nennen*) erklärte. Ganz unabhängig von
Rhätikus verfaßte Sebastian Schmid seine Chorographia und Topographia,
die wir hier folgen lassen. Auch er hält sich an Gemma Frisius, nennt
ihn sogar, bietet aber, soweit es ihm innerhalb der erwähnten Schranken
möghch ist, eine selbständige, leicht verständliche Bearbeitung des
schwierigen Themas. Wir schicken noch voraus, was wir über den
Verfasser Seb. Schmid in Erfahrung bringen konnten.
Sebastian Schmid studierte Theologie, brachte es indes nicht zum
theologischen Examen.^) Im Jahre 1579 besorgte er die Xeu-Ausgabe von
1) W. Wolkenhauer 1. c. S. 21.
2) W. Wolkenhauer 1. c. S. 26.
3) Und zwar, was ich einer miiodlichen Mitteilung des Hrn. Prof. Dr. Fritz
Burckhardt verdanke, nicht erst in seiner großen 154-1: zum ersten mal herausgekom-
menen Cosmographia (1. Buch, 2. cap.i sondern schon in der 15.S6 erschienenen kleinen
Schrift Mappa Europae, 1537 u. 1558 neu aufgelegt unter dem Titel Cosmograpbei
Mappa Evropae. iV. Hautzsch 1. c. S. 3i), 148, 145). i S. Münster hebt dabei das unten
von Seb. Schmid als .ander wj's" besprochene und erklärte Verfahren hervor. Vgl.
Fritz Burckhardt: Über Pläne und Karten des Baselgebietes aus dem 17. Jahrhundert
in Basler Zeitschrift für (ieschichte und Altertumskunde V 292 und 352.
*) Mit Briefen des Joachim Rhäticus von Prof. Dr. F. Hipler veröffentlicht in
Zeitschrift für Mathematik und Physik XXI. Jahrgang Itist.-literar. Abteiig. S. 125 — 1.00.
•'') Jakob Burckhardt, Die (Tegenn'formation in den ehemaligen Vogteien Zwingen,
Pfeffingen und Birseck S. 178. In keinem der mir zugänglichen Matrikel bûcher konnte
ich seinen Namen finden.
— 217 —
Seb. Münsters Horologien.*) 1588 treffen wir ihn als Lehrer in dem
Basel benachbarten badischen Dorfe Weil,-) Kurz darauf ließ er sich
vom Bischof von Basel als evangelischer Pfarrer in Laufen, dann in
Therwil und Allschwil gebrauchen, um sich hier als lutherischen Geist-
lichen gegen die reformierten Basler ausspielen zu lassen. Es ist des-
halb auch begreiflich, dass letztere nicht aufs beste auf ihn zu sprechen
kommen,^) — Als Ort der Abfassung nennt Schmid „apud novem ec-
clesias"'. Aber welches von den über 30 Xeunkirch gemeint ist, konnte
ich nicht in Erfahrung bringen. — Zum Schluß sei hier noch einer Ver-
mutung Ausdruck gegeben. Seb. Schmid benützt als erstes Beispiel
Zürich und dessen Umgebung, was auf eine nähere Erforschung, viel-
leicht gar V^ermessung dieser Ortlichkeiten schließen läßt. Im gleichen
Jahre, als er seine Anleitung schrieb, kam daselbst Joost Murers be-
rühmte Zürcher Karte heraus, wozu die sechs Holztafeln noch vorhanden
sind-, jene wurde sogar noch 1860 neu aufgelegt. Es ist nicht unmöglich,
dass Seb. Schmid bei der Erstellung dieser Karte Murer behiflich ge-
wesen ist."^)
Chorog-raphia et Topog-raphia. ^)
Underrichtuug, wie man recht und kunstlich ein iede landschaft
ahcontrefehen und in grund legen solle, dur M. Sebastianum Schmid zu
bsonderem wolgefallen etlicher siner guten günner und diser kunst heb-
haberen zusammen getragen und vertütscht anno domini 1566.
descripsi 1567 1. Septembris
apud novem Ecclesias
sum Henrici Petri.
Vorred in nachfolgende underwysung von beschrybung der land-
schaften, so man nempt in grund legen.
Des ganzen erdbodens gelegenheit und der uationen und hinderen
abtheilung mit sampt dem wüssen und vscirklen, in welchem clima oder
parallela ein iedes glegen, was ouch ufgang und nidergang der sonnen
(nach eines ieden orths erhöhung des poli) per tags und nachts lenge
1) Viktor Hantzsch, 1. c. S. 170.
-) .lakob Burckhardt 1. c. S. 99. Ich wandte mich darum an das General-Landes-
archiv in Karlsruhe, erhielt aber durch die verdaukenswerte Grerälligkeit des Hrn. Dir.
Obser zur Antwort, daß daselbst nichts ausfindig gemacht werden konnte, weil die
Akten ülier den Kirchen- und Schuldienst in AVeil nicht bis ins Kî. Jahrhundert zu-
rückreichten.
3) V^gl. Jak. Burckhardt 1. c. S. 111 u. 182.
*) R. Wolf, 1. c. S. 1(5.
*) Text nach Weizsäckerschen Grundsätzen ediert, doch wurde y als Längen-
bezeichnung beibehalten.
— 21S —
mit sich bringe; desglichen wie dise universalbeschrjbungen des ganzen
erdbodens oder oucli der grösseren strecken der weit als Europae, Asiae,
Afiricae oder sonst ganzer nationen und konigrychen als Tutschlands,
Franckrychs, Hispaniens zu machen sygind und die land sampt iren
stetten, fläcken. wassern, bergen nach rechter art und kunst der cosmo-
graphie inzeschryben sigend, sind wir uf dismal nit willens zu beschryben.
sonder da man allein ein gewisses ort oder landtschaft, als da ist die
ganz Eidgnoschaft, die Pfalz, oder noch ein kleinereu cirk, gegne oder
glegenheit, als das Zürichpiet, das Läberthal, den Bodensee mit sinen
umbliegenden orten und fläcken begart grundlich, eigentlich mit allen
sinen ortheren, wasseren, flecken, dorfleren etc zu entwerfen und abconter-
fehen nach rechter kunst der cosmographi und topographi, welches man
nempt ein landtschaft in grund legen und wend da hier für bringen die
formen, wysen und gattungen, so uns bedunckend die allerbesten und ge-
schicktisten ze sin mit bester truw und flyss, so wir vermögend.
Die erst wys und form,
ein landschaft ze beschryben und in grund zu leggen us erkantniss der
wyte eines ieden orts zu dem andern.
Zum ersten mustu machen ein mäßleiteren der mylen noch der
wyte und lenge der landschaft, die du begarst zu beschryben, und magst
die machen klein oder gross nach dinem gefallen und der proportion
der feldierung. Als wann ich weite beschryben die loblich statt Zürich
mit irem gebiet und anderen umbligenden orthren umb 6 myl und breit
darumb, so mach ich die mäßleiteren der mylen als lang als die feldierung
sin muss der ganzen taflen, und teil ouch ein iede myl ab in halb mylen
und vierteil der mylen, damit ich im inschryben der orthren den mylen
konde zugeben oder darvon nemmen, wie es die nothdurft erfordret, und
nachmals wyter wirt gemeldet werden; dan die mylen nit glich sind,
demnach so setz ich in die mitte der feldierung nach rainem gefallen das
centrum, das ist den punten der lagerstat der stat Zürich. Centrum ist
der mitlescLt punt eine ieden cirkels. Das centrum einer stat ist der
mittelpunkt ; dan oft umb mer zierd der landschaft willen malet man
die stet grosser dan si sind ze rechnen gegen der proportion der ganzen
feldierung ; und damit man aber wüsse, wo das recht läger oder mittel-
])unkt hige einer ieden stat, onangesehen wie gross si der maier gemachet
bat, uf al oder etlich syten vom waren centro, so verzeichnet man es
mit einem ringlin und einem punten darin, welcher punten uns das
centrum, das ist das lager und rieht punt der selbigen stat bedütet.
Witer so setz ich das centrum einer anderen stat, die nach irer
wyte von der stat Zürich in dise min landtafel komen soi und uf (j
— 219
mylen oder merthalb 6 mylen von Zürich glegen ist, und setze si ietz
in nach der wyte der mylen, die ich mit dem cirkel nim uss der raäß-
leiteren, und setzen si oben oder unden nach der wyte der mylen von
Zürich in der feldierung nach niinem gutdüncken und ich wil, das si
von Zürich obsich oder nidsich glegen ist. Und mochte einer umb bessers
Verstands willen die vier orth der weit, als da ist ortus ufFgang, occasus
nidergang, meridie mittag und septentrio mittenacht schriben in die vier
orth der feldierung dermaßen, das wenn die feldierung vor im lige zu
oberst stunde mittennacht, zu unterst mittentag, und an der rechte syten
hette uffgang und an der lingen syten nidergang. Und wenn ich nun
die ander stat iugeschriben han und ich ietz die drit stat ouch insetzen
wil, so ist mir von nöten zu wüssen derselben 3. stat wyte von beden
voringschrybnen steten und nim uss der meßleiteren mit dem cirkel die
wyte der mylen dises driten orths von beden vorderigen orthen und
setzen den einen fuß des cirkels in das centrum deren stat, deren wyte
ich mit dem cirkel gnomen hab und riß mit dem anderen fuss des cirkels
einen bhnden cirkelriss; glicherwys nim ich ouch die wyte uss der mess-
leiteren mit dem cirkel der anderen stat von diser dritten, die ich begär
ingeschriben und setz doi einen fuss des cirkels in das centrum diser
andere stat, so ich schon ingeschryben hab und rissen mit dem anderen
fuss des cirkels ouch ein blinden cirkelriss. Wo nun disere ireren blinden
cirkelriss ein anderen anrürrend, da ist das centrum der dritten stat,
welches du gewiss finden magst, so du ein rechte linien züchst von des
einen orts centro bis zum centro des anderen orts. So aber die zwen
blinden cirkelriss ein anderen abschnydend, welches, so es geschieht, so
schnydend si einanderen an zweien orten ab, so ist dan des dritten
orts centrum oder läger am entwederen derselben zweien orten, welches
du ietz lichtlich wirst konden finden, so du trachtest, uff welche syten,
die recht oder link das drit ort abwycht und glegen ist gegen den
anderen zweien vermügeschten zu rechnen.
Xofa: ein blinder cirkelriss, ein blinde linien oder blinde buch-
staben sind die im rechten werch nit sollen gesehen werden, die
220 —
man allein bruucbt, etwas anders damit zwegen zu bringen und uss-
richte ; welches, so es geschehen, man sinen nachwerts nit mer
bedarf, nit- änderst, dan wie man zu volfüren ein gebüw oder ein
hus gemalen ein grüst und brüge machet, der mau nach geschech-
r
■■■■■■
1^
^ïTijpiqDnacp:
-AA-CJUii liir dcir ml\Ua
nem buw und ussgemachtem gmäld wider hinweg thut. Und diser
blinden cirkelriss mit iren zahn und linien werdend wie in folgenden
tiguren zu underschied der anderen, die im werch sichtig l)lil)en
sollend, mit roter färb machen.
Und damit dir die sach dister verstentlicher sige, so nim das
vorgend byspyl, da icli wil beschryben die glegeuheit und landschaft
221
Zürich, uff 6 myl darunil) wyt und Ijreit und mach zum ersten
die melileiteren der mylen und teilen si us in mylen, halbmylen
und viertheil der mylen. demnach so setz ich zersten in der feldie-
rung die stat Zürich und die stat Schaffhusen nach der wyte der
mylen, die ich mit dem cirkel us der m essl eiteren nim ; das ist 4 mylen.
Nun wolte ich gern ietz ouch andere stet inschryben, als Costantz,
Wyl im Thurgouw, Winterthur, Eglisow, Zurzach, Keiserstul, Raper-
schwyl, so nim ich die wyte der stat (.'ostantz von Zürich (ist 6 mylen)
mit dem cirkel in der messleiteren und setzen einen fuss des cirkels in
das centrum der stat Zürich, mit dem anderen fuss heschrib ich einen
blinden cirkelriss ; demnach nim ich ouch die wyte der stat Schafhusen
von Constantz, ist 4 mylen mit dem cirkel us der messleiteren und setz
den einen fuss des cirkels in das centrum der statt Schafhusen und be-
schryb mit dem anderen cirkelfuss ouch ein blinden cirkelriss, der
den vordrigen an zweien ortnen abschnyt. So ich aber weiss, das Co-
stantz von Zürich und Schaff'husen obsich wycht, so nim ich us dem
den punkten der abschnydung der zweien blinden cirklenrissen, der ob-
sich abwycht, und teil und sprich das, das sige der stat Costantz centrum.
Nüt änderst musstu handien mit allen anderen orten, steten vnd fläcken
inzusetzen, als wen ich ietz begerte, in min forgenomne tafel ouch zu
setzen die stat Winterthur, die zwo myl von Zürich und 4 von Costantz
ligt, so nim ich mit dem cirkel die wyte zweier mylen uf der messleiteren
und setz den einen fuss des cirkels in das centrum der stat Zürich ; mit
dem anderen fussbeschrvb ich einen blinden cirkelriss ; demnach nim ich ouch
mit dem cirkel die wyte 4 mylen, und setz den einen fuss in das centrum
der stat Costantz, und mit dem anderen beschryb ich ouch einen cirkel-
riss und wo er den vorgehenden cirkelriss berürt, da sprich ich, syge
das centrum oder lager der stat Winterthur. besieh die vorgende figur.
Nit anderist mustu handeln mit allen anderen orten inzuschryben, die
du in den tafel tragen wilt. Und wan du also nach rechter kunst alle
stet, fläcken und dorfer, hoff ingeschryben hast, so kanstu dan ouch
lichtlich inschryben die berg, see, wasserstromen, bech, wie ein iedes
an sine gewüssne umbligende stet, flecken, dorfer grentzen und anflißt
und von einem ort an das andere stosst. Als wan ich wolte den Zürich-
see mit sinen umbligenden steten und dorferen beschryben nach
rechter rat diser kunst. so setzen ich, nachdem ich die stat Zürich
vorn inzichnet, zum ersten, darnach die stat Raperschwyl als die ob-
riste grenzen des Zürichsees und such ein centrum, wie vorglernet
ist und sprich das Raperschwyl 2 myl lige von Zürich und 3 von Winter-
thur und finden ein lager oder centrum durch die blinden cirkelriss.
Wan ich nun ein lager han, so such ich dan ouch Küßnach, Meilen,
Stäfen am Zürichsee ; darzu rechnen ich ouch die breite des sees, inzu-
222
schriben die dorfer der anderen syten als Dallwyl, Horgen und Wädi-
schwyl und han ein rechnung einesteils, wie wyt ein iedes von Zürich
gelegen und andersteils wie wyt ein iedes von sinem dorf gegen im über
ennet dem see ist, ouch lieg und schryb si all ordentlich in.
Verhesserimg diser hiinsi.
Und siehst derhalben, wie lichtlich alle ort niogind ingschryben
werden, wan du allein allwegin die wyte eines ieden orts von dem anderen
gwiß und eigentlich weist uff land und wasser. dise kunst wäre ouch
ganz gwüss und on allen fäl, wan die mylen uff erden ein anderen glich
werind wie die gradus an den himlenscirklen. Diewyl aber die mylen
niemermee glich sind, so folget, das, wan du allein einfeltig nachfolgest
der meßleiteren im inschriben der ortheren und steten mit glychen mylen,
das es ja nothalben nit allenthalben gwüß zutreffen kan. Da magstu aber
ietz die sach treffen, so du den mylen zugibst oder abnimpst nach gestalt
der Sachen und si in wenig oder vilen stunden mögend gangen werden;
und mochtest in diner meßleiteren mylen machen, deren iede 3 stund
zimlichs fussgangs lang were und so du dan ein myl hettist inzuzeichnen,
die länger wäre dam 3 stund fussgangs, iren zugeben oder so si kurzre
von iren nemmen.
Die ander wys vnd form.
Wir werdind in underwysung diser kunst uns diser Ordnung be-
flyssen, das wir allerwegen die verstentlicher, aber minder gwüssi form
und gattung zum ersten beschryben werdend, damit es den anfortrenden,
die dieser kunst begirig, dister verstentlicher syge und nach und nach
ie ein wys und form us der anderen wüssind zu verbesseren. Und
diewyl die erst vorgesetzt form zwar die allerlichtist, aber ouch die aller
ongewissischt ist von wegen der ungliche der mylen, wie vorgmeldet. so
wend wir ietz in diseren anderen leren, wie du eigentlich und kunstlich
selber kanst erfaren, wie wyt ie ein ort oder stat von der anderen lige.
Und wirt das zuwegen bracht durch die angulos positionum, wie es die
gierten nennend, wir aber umb kurze willen von denselben nit forhabens
sind, vil meidung ze thon, sonder allein einfeltig beschryben wyss vnd
form, wie diss zu volbringen syge.
Zum ersten mustu haben ein gerecht Astrolabium oder so du keins
hast, so mach dir us mosch, kupfer oder einer anderen geschlachten
materi, die sich nit entwinde oder krumb werde, ein runde schyben zu
dem abmessen solcher gestalt. Zeichne zum ersten das centrum der
schyben mit A. Jn dises centrum A setz den einen fuss des cirkels und
- 228 —
span den anderen fuss us nach der wyte der ganzen schyben und riss
einen runden eirkelriss umb und umh; dan dreh den cirkel eins fingers
breit oder eins halben, je nach der proportione und grosse der schyben;
so du machest (ie grosser du si aber machest, ie gwüsser und gschickter
si zu bruchen ist), bal3 zusaraen, und riss widerurab ein ganzen eirkelriss
durch die ganze schyben. nach irer runde. Zwüschend dise zwen eirkel-
riss mustu nochmals die zal schryben. "Witer thu den cirkel umb ein
wenig, (ongefar ums hanfsomlins breit) nach baß zesamen und riss den
ganzen driten eirkelriss. Zwüschend disem und dem mitlesten mustu
schryben die gradus, die du voren weist; nach solchem zu ziech in mitten
durch das centrum A ein grade linien ^) durch die ganz schyben durchus
und die vorzogen eirkelriss; diese linien bezeichne bi iren enden mit
C. E. Demnach züch ein andere linien ouch miten durch das centrum
A biß hinus zum end der ganzen schyben, wie die vorgesetzt und be-
zeichne si by iren enden mit B. D. Und dise linie B. D soi mit der
vorgenden linien C. E. die ganze schyben in 4 gliche teil (die man
quadranten nempt) teilen. Dise -t quadranten teil wyter ein ieden in
90 gradus. Dise gradus verzeichne in das kleiner und inner spatiura
zwüschend den runden cirkelrissen, und in das grosse und usser
spatium schryb die zalen, so du vor von dem ussersten eirkelriss biß
an den mitlisten kleine linien gezogen hast, grad nach dem linier
US dem centro A und schryb die zalen in, das du anfahist von D und
B uff bed syten nidsich und obsich von 10, 20 bis in 90, die zesamen
komend in C. E, wie dich die hernach gesetzt figur genugsam lert. Witer
schrib zu C ufgang, zum E nidergang, zum B mittentag und zum D
raittenacht. So ist die ganz schyben grüst zu folgendem bruch.
Allein das du noch uff das centrum A setzest die mäßregel oder
abgesiebt, die die gierten Dioptram nennend mit sinen ußgerichten
federlinen und löcblinen darin in aller wys und form, wie es im ruggen
des astrolabi gebrucht würt und davon verzeichnet ist. Zu diserem in-
1) Dise mittellinie würd sonst genampt der diameter der messschyben. Dan ein
iede grade linien, die mitten durch das centrum eines ieden cirkels gat und in zerteilt
in zwen gliche teil oder halbcirkelschyben würt diameter genampt.
— 224 —
strumeiit der schyben raust oucli hau einen compass mit einer guten und
gengen magnetzungen. Und so nun solichs alles gerüstet hast, so solt du
wüssen, das du zu beschrybung einer landschaft oder lands dise instru-
menta an zweien orten brachen must. Welche zwei ort ich nemmen
würd die stend, da man die anderen uml)liegenden orth abmist, die du
begerst inzuschryben. Und sig derhalben am ersten stand uff einen hohen
thurm oder berg. da du getruwest am witisten umb dich zu sähen und
nim das Astrolabium oder runde schyben und setz dis etwan uff in
massen, das es nach der blywag emborstande, und an keiner syten mer
den an der andren nidsich sehe und das du ongehindert ringswys fry
ussehen kondist. Darnach setz den compass uf die linien des mittags
derraassen, das die linien der 12 stund schnurrichtigs uff der linien B
D stände und darab nit wyche. Und ruck dan das Astrolabium oder
schyben uf sinem läger mit dem compass und magnetzungen so lang und
vil, biß das die magnetzung recht instadt. Und dan bevestne das Astro-
— 225 —
labium oder messchyben, das es nit me ab diser stat wyche, biß du
ailes abgemessen hast. Und thu den compass hinweg, dass er sin ampt
ussgericht hat und setz die dioptram oder messregel in das centrum A
und such durch die lochiin der abgesiebt ie ein orth nach dem anderen
die du gesehen magst (oder doch zum minsten die glegenheit, wo es
hinnuss ligt; dan oft ergibt es sich, das die stet, flecken, etlich in
thäleren und hinder den bergen verljorgen liggend, und man dennoch
wol weiß, wo sie hinus liggend, ob man si schon nit sehen mag,) die
du begerst iuzuschryben. Und wan du eins eigentlich gefunden hast, so
verzeichne nebendsich registerswys uf ein bapir, wie vil gradus dasselbig
ort abwycht von der mittagslinien, es sige gegen ufgang oder nidergang ;
darnach such ouch die abwychung des anderen driten und vierten orts
und zeichne si alle flyssig uf. Ker aber guten flyss an, das das Astro-
labium gwüss und recht stände nach den vier orten der weit und du
eigentlich durch die messlöchlin der orten aller abwychung abmessist.
Und so du nun am ersten stand alle ort abgemessen hast, so nim die
instrumenta und verfüg dich an den andern stand, da du ouch truwst
wyt umb dich zu sehen und handel überall, wie vor im ersten stand und
zeichne aber flyssig uf in ein papir registerwys das abwychen aller orthen
von der mittaglinien desselbigen anderen stands, es syge gegen ufgang
oder nidergang.
Und so du nun dises alles hast ufgericht, so fach an die ort in-
schryben in die furgenomne tafel und das dergestalt : Nim fur dich die
feldierung, darin du disere ingenomne landtschaft entwerfen wilt und
zeichne darin das lager oder centrum des ersten stands, da du alle ort
abgemessen hast und setz dan in dasselbige centrum einen fuss des
cirkels ; mit dem anderen beschryb ein zymlich grosse, einen blinden
cirkelriss ; den teil bald in 4 quadranten und ein iede quadranten in sine
90 gradus und schrib darzu die nammen der 4 orten der weit als uf-
gang, nidergang, mitentag, mittenacht. Demnach nim fur dich des ersten
Stands register der abgemessnen orten und such in diserem cirkel ir
abwychen und der mittagslinien gegen ufgang oder nidergang und such
dan US dem centro des cirkels (das ouch das centrum ist des ersten
stands) ein grade linien durch den gradum des abwychens eines ieden
orts, und schryb zu einer jeden linien mit blinden buchstaben den namen
desselben orts. Dan erst nach volfurtem werch und man aller stetten
centra durch bede linien funden hat, kan man ire nammen ustruckenlich
darzuschryben. Darnach verzeichne in der linie des abwychens des
anderen stands das centrum desselbigen anderen stands und nim das-
selbig centrum als wyt von des vorigen stands centro als dir wolgefelt
und dich bedunkt die ganze feldierung nach der proportion inzeschryben
alle furgenomne ort erlyden möge und setzen den einen cirkelriss in
15
- 226 —
das ietz gezeichnet centrum des anderen stands und beschryb mit dem
anderen fuss einen blinden cirkelriss in glicher wyte oder grosse, wie
der vorgend im ersten stand und teilend den ouch in sine 4 quadranten
und ein iede quadranten in sine 90 grad, doch mit dem bescheid, das
die mitaglinien des ietzigen cirkels ein parallelalinien syge mit der
mittaghnien des cirkels des ersten stands. ^) das ist, das si glich wyt
stünde allenthalben von der vorigen mittagslinien. Und so dises geschehen,
so nim fur dich das ander register des abwychens aller orten, so sond
ingeschryben werden, das ich im anderen grund verzeichnen kan: und
züch ich US dem centro dises cirkels grade linien durch die gradus
aller Orten, wie dich das register lert in aller form wie vor im ersten
cirkel ouch beschehen ist. Und wo ietz eines orts bede Knien sines ab-
wychens, so US bede stenden centris gond, ein anderen abschnydend, da
wüss, das es das centrum selbigen ortes ist.
Damit aber die sach dister verstentlicher syge, so nimm dis
Exempel. Du wolist gern in grund legen und beschryben einen teil
Brabants und Flanderen umb die stat Antorff gelegen. Damit du nun
disere dister ringer volbringist, so styg zu Antorff uf den hohen thurm
mit dinen Instrumenten. Und setz das Astrolabium oder messchyben uff
ein läger darzu komlich, und mit hilf des compass und magnetzungen
stel es nach den 4 orten der weit. Darnach befestne es, das es ab
diserem läger nit wychen möge, sonder sich nit endere, und thu den
compass hinweg und setz in das centrum die messregel oder dioptram
und fach an das abwychen gegen ufgang oder nidergang zu messen der
orthen, so beschriben wilt. Und findst, das die stat Gent (exempelwyss
setzend wir solichs nit, das es grad also sige) abwycht von miternacht
gegen nidergang 80 gradus. Diss verzeichne in den rigerstlin des ersten
stands. Die stat Lyra wycht ab von mittentag gegen ufgang 60 gradus,
die stat Melchel 8 grad von mitentag gegen nidergang, Löwen 4 grad
von mitentag gegen ufgang, Bruchsal 25 grad von mitentag gegen
nidergang, Mittelburg 60 grad von miternacht gegen nidergang und
Bergen 20 grad von miternacht gegen nidergang. So du nun zu Antorff
alle ort hast flyssig uffgezeichnet in ein register, die du begerst inze-
schryben, so züch ich dan gen Brüssel mit denen instrumenten, dan die
selbig stat der ander stand sin soi, und so du durch dine instrumenta
'j Paralellalinien ist, da zwo oder raer linien glich wyt von ein anderen stond
an allen iren ortheu dermassen, das wan man si überus lang züge, si doch nimmermer
baß zusaraen oder wyter von einanderen kemind.
A B
(j -D
Die linien A B ist ein paralellalinien mit der linien C D und ins gegenteil, so
ist die linien C. i), ein paralella A B.
227
suchest. Wie vor bei Antorff, so findstu, das Löwen von mitentag gegen
uffgang ligt oder abwycbt 76 grad, Melcbel und Lyra in einer linien
von miternacbt gegen ufgang 48 grad. Genth von miternacht gegen
nidergang 29 grad, Mittelburg 33 grad von miternacht gegen nidergang
und Bergen 5 grad von miternacht gegen uffgang. das alles verzeichne
in ein register des anderen stands. Und fachst ietz wider an, die fur-
genomne feldierung mit disen steten und orten zu zieren. Und .verzeich-
nest derhalben vast in der mitte der feldierung einen puncten, der dir
bedütet das centrum der stat Antorff; darin setz du den einen fuss des
cirkels uud mit dem anderen beschryb einen blinden cirkeli iss ; den teil
in 4 quadranten, und schryb darzu die 4 ort der weit, nämlich ufgang,
nidergang, mitentag und miternacht. Und ein ieden der 4 quadranten teil
in 90 gradus. Darnach so nim für dich das register der verzeichneten
orten des ersten stands und such grade linien eines ieden orts durch
die grad oder puncten sines abwychens. Und so du aller orten linien
gezogen hast, so nim dan die linien der stat Brüssel und verseichne
darin ein puncten, der da syge das centrura der stat Brüssel und mach
dan fern oder nach von Antorff nach der proportion der ganzen feldie-
rung und wyte der orten, so du drin schryben wilt. In disem centro
beschryb ouch ein blinden cirkelriss und teil den in 4 quadranten, doch
das die Mittaglinien der stat Brüssel ein parallellinien syge mit der
mitaglinien der stat Antorff, wie doben gemeldet ist und teil ein ieden
quadranten in 90 gradus und schryb ouch darzu die 4 ort der weit;
witer züch us diserem centro, (das dir die stat Brüssel bedüt) grade
linien allen orten nach irem abwychen, wie vor in dem ersten cirkel.
Und wo nun ietz die zwo linien eines orths einanderen abschnydend,
da ist das centrum derselbigen stat. Wo es sich aber begebe, als es ouch
etwan beschiebt, das eines orts bede linien diser zweien stenden paral-
lellinien wärind und derhalben einanderen niemee abschnident, dan
muss man zu dem selbigen ort ein anderen stand suchen zu. eintwede-
ren der vorderigen, damit man es oucb inschryben konde. Die see,
Register des ersten stands zu Antorff :
Register des andern stands 7u Brüssel: ; a
Gent von miternacht gegen niderganpf .
80
Löwen von mitentag gegen ufgang . .
76 1
Lyra von mitentag gegen ufgang . .60
Melchel von miternacht gegen ufgang | ,43
Melcliel von mitentag gegen nidergang 8
Lyra von miternacht gen ufgang . .43
Löwen von mitentag gegen ufgang . 4
Grent von miternacht gegen nidergang ! 29 !
Brüssel von mitentag gegen nidergang
25
Mittelburg von miternacht gegen nider-
33
Mittelburg von miternacht gegen nider-
gancr
g^^g
60
Bergen von miternacht gegen ufgang 9
Bergen von miternacht gegen nidergang 20
1
1
— 228 —
wasserstromen, das anfliessend mer, die berg etc. wirstu ietz lichtlich
konden inschriben, nachdem du weist, wie ein iedes in das ander
grenzen, als in der ersten form gnugsam anzeigt ist. Und ist disere
andere form gwüsser dan die erst.
Also magst nach geschechnem werch die ganze feldierung in ein
form infassen und inen orten herumb zieren nach dinem wolgefallen und
danmithin den titel darüber schryben, welches landes oder gegne disere
conterfehung syge.
Wan du begärst, in mylen dise tafel uszeteilen und sine bend umb
verzeichnen, oder das man sonst mit dem cirkel konde messen, wie vyl
mylen ie ein ort vom anderen syge, so nim ich die wyte zweier stete,
deren wyte ich eigentlich weiss, und teil dasselbig spatium in so vil teil
(die mir mylen bedütend) als der mylen sind und mach darnach ein
messleiteren zu der ganzen taflen. Als Antorff ligt von Mechel 4 mylen
zimlichs weg«, so teil ich ietzunder die wyte zwüschend den steten An-
torff und Mechel in 4 spatia, deren ein iedes ein myl bedüt, und ietz
— 229 —
nach der wyte diser spatien mach ich ein messleiteren der mylen zu der
taflen. beschouwe die vorgesetzte figur.
Die drit wys vnd form.
Us disen zweien ietz beschribnen formen würt die drit wys und
form zuwegen bracht, welche ganz licht ist, so du allein eigentlich ver-
standen hast die zwo vergeuden formen oder gattungen, von welchen
doben gnugsam giert ist. Und setz das ein ort in die feldierung nach
rechter proportion. Als so es ongefar ist imm miten in der landschaft,
die du beschryben wilt, so setze es ouch in die mitte der feldierung, und
also verstand es ouch von den anderen. In diserem centro beschryb ietz
dan ein cirkel; den teil in 360 teil oder gradus; das ist zum ersten in
4 quadranten und ein ieden quadranten in 90 gradus, wie du doben giert
bist, welches, so es geschehen, so züch us dem centro rechte Knien der
abwychung oder glegenheit der orten und steten, die du inschryben wilt
und an disem ersten stand abgemessen hast, wie du doben giert bist.
Demnach mach ein messleiteren der mylen nach der grosse und pro-
portion der feldierung in der landtschaft gerechnet, die du zu beschriben
Vorhabens bist. Us diser messleiteren nim ietz eins ieden orts wyte von
dem centro des ersten stands und cirkelrisses und setz allwegen den
einen fuss des cirkels in das centrum des cirkelrisses oder des ersten
stands, und mit dem anderen fuss nach ein puncten uff der linien des
abwycheus eines ieden orts oder stats diser glegenheit ^ da vor im ersten
stand abgemessen hast. Und diser punct ist das centrum derselbigen
stat. So das geschehen, so züch darnach in ein andere stat oder ort,
US denen, die du ietz ingezeichnet hast, und such da ouch wie am vorigen
ort anderer steten glegenheit und abwychen gegen demselbigen ort oder
stat. Nämlich so riss abermals urab das centrum des selbigen orts ein
cirkelriss und teil den in 360 gradus wie den vorigen, doch das allwegen
die mittagslinien des ietzigen anderen cirkels ein parallelalinien syge
mit der mittagslinien des vorigen cirkelrisses, so zum ersten gmachet
hast im ersten stand oder stat. es syge dan sach, das bed stet oder ort
mit iren mitagslinien in ein grade linien komind. das ouch etwan beschicht.
yota. Dan vil stet komend oft in ein mittagslinien, welche nämlich
glich wyt vom nidergang und uffgang ligend, ob si glichwol onglich von
mittentag und miternacht glegen sind, wie du in den grossen Universal-
taflen der ganzen weit sehen kanst, als Bononia in Italia, Augsburg und
Nuremberg in Schwaben und Lünenburg us den seesteten, etlich band
allsamen ein meridianum 33 gradum, wie (es) Gemma Phrisius, dem wir
gern nachfolgend, [beschribt], ob si glich wol vom mitentag und miter-
nacht ongHch wyt ligend; beschaw sin universaltafel. Und so du nun
— 230 —
Jen cii'kel hast usgeteilt wie vor in 360 gradus, so schryb abermals in
andere umbligende ort durch die hnien ires abwychens und die mess-
leiteren der myleu, wie vor im ersten stand geschehen ist. also magst
du ouch furfaren und den 3. und 4. und noch me stend brachen, so dir
einer oder zwen nit gnug sind inzeschryben alle ort oder stet, so du
willens bist, biß du alles ingezeichnet hast nach dinem willen. Mit einem
kurzen exempel wil ich es dir bas zu verston geben. Als syge die erst
stat oder ort so wie den ersten stand nemmend A und die vmbligenden
stet, so du ouch gern weltist beschryben, sygend B. C. D., und das B
wyche ab vom mitentag gegen nidergang 30 gradus, das C von miter-
nacht gegen nidergang 70 gradus, das D vom mitentag gegen uffgang
80 gradus. Darzu so ligt das B dry myl wegs, das C fier vnd das D
fünf vom A. So riss nun ein cirkelriss im ceutro A; den teil in sine 4
quadranten und ein ieden quadrant in 90 gradus, so ist uberal in 360
gradus. Demnach so such us dem centro A rechte Knien des abwychens
den steten B. C. und nim darnach us der messleiteren der mylen die
wyte einer ieden stat von der stat A und trag si mit dem cirkel vom A
dem centro uf die linien irs abwychens, so hast ir glegenheit und
centro funden. "Wie du nun gern weltist feerer faren und noch me stet
und iläcken inschryben, so da ligend umb die stat D und du vor in der
stat A nit hast sehen konden und ir glegenheit und abwychen erfaren
als da ist die stat E und F, so züch in die stat D und miss durch dine
instrumenta ab diser zweien steten abwychen und glegenheit von der
stat D und erfarst, das die stat E abwycht von mitentag gegen uffgang
70 gradus und die stat F 20 gradus von mitentag gegen nidergang.
Darzu erfarst, das die stat E 6 mylen und die stat P 7 mylen von der
stat D lygend, so riss derhalben im centro D ein cirkelriss und teil
den in 4 quadranten und ieden quadranten in 80 gradus, doch das die
mittaglinien ein parallellinien syge mit der mittaglinien der stat A. Und
zuch dan wyter us dem centro der stat D die linien der abwychung der
stat E und F und nim zum letsten der wyte ire mylen von der stat D
uf der messleiteren der myle und trag si mit dem cirkel uf ire linien,
80 hast die centra der stat E und F ; besieh die figur. Und ist dises
gar ein fyne form, ein land zu l^eschryben, da einer mochte an einem
ort derselbigen landtschaft anheben und faren mit dem abmessen nach
siner lenge und breite und der stende so vil bruche, biß dass er das
ganz land beschryben hete mit allen sinen steten und fläcken, als wan
einer den Riiinstroni mit sinen umbligenden und anstossenden steten und
fläcken beschryben wolte, so fieng er an zu Chur, hete da den ersten
stend, messe da ab die umbligenden ort. Den anderen stand hctte er in
Meyenfeld, den driten zu Ijindow, den 4. zu Costantz, den 5. zu Schaff-
husen und also ferer biss an das gross tutsch march, allein das man gut
— 2:u —
flyss aukere mit den mylen, diewyl dieselbigen nit glich sind, das man
inen zugebe und abnemme, wie ich dan in der ersten form gnug-
sam han angezeigt und were die best Verbesserung, das man mylen
rechnete, deren eine 3 stund zimlichs fussgangs thete und nach diseren
ietz all andere mylen, die lenger oder kürzer werind, justificierte oder
verbesserte.
Sf^iL.^«.\\c».cKt
Nach geschechnem werch magst ouch diser conterfehung in ein
form fassen, wie doben gemeldet und du wirst darin schryben allmalen
nach den 4 orten der weit, so es dir gefellig. Item du kanst ein compass-
zungen darin malen nach usswysung der mittagslinien und dienend die-
selbigen compass darzu, das, wan man die taflen uff ein tisch leit und
ein rechten eompass uff' den gemaleten setz und danenthin die tafel
uff den tisch ruckt, biß das die raagnetzunge instat, das man dan sieht,
wo hinus ein iedes ort glegen ist.
Die Mathematik auf dem Gymnasium.
Von
Otto Spieß.
Motto: Das Was bedenke, mehr bedenke Wie!
(Goethe: Faust 11.)
Die vornehmliche Aufgabe des Gymnasiums kann wohl darin ge-
sehen werden, daß es die Jugend durch Einführung in die Werke der
Wissenschaft und Kunst mit einem unvergänglichen Schatz von Charakter-
und Geistesbildung versehen soll. Zu diesem nicht scharf zu um.
grenzenden Begriff gehört außer einem gewissen Maß von Kenntnissen
vor allem ein wahres Verständnis für die idealen Werte der Menschheit
und ein offener Sinn für alles Große und Schöne. Als bestes Mittel
dies zu erreichen galt lange das Studium der klassischen Sprachen, der
Geschichte und der Literatur. Als daher um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts Mathematik und Naturwissenschaften dem gymnasialen
Unterricht in erhöhtem Maße eingefügt wurden, da wurde dies von den
Humanisten größtenteils als ein Eingriff in ihre heiligen Rechte, als ein
Angriff gegen die höhere Bildung empfunden. So traten jene Fächer
gleich von Anfang an in einen entschiedenen Gegensatz zur Philologie,
der sich auch heute noch, wenn auch weniger schroff, fühlbar macht.
Wenigstens ist kaum zu bestreiten, daß der Geist, mit dem Mathematik
und Physik gelehrt werden, ein anderer ist als der in den Latein- und
Griechischstunden herrscht. Es sind zwar auch gelegentlich Stimmen
laut geworden, die den Naturwissenschaften dieselbe, wo nicht gar höhere
bildende Kraft zusprachen wie den Sprachfächern, doch scheint die bis-
herige Erfahrung dieser Ansicht nicht günstig zu sein. So werden denn
die „Realfächer" von den Philologen doch mehr oder weniger als Kon-
zessionen an den materialistischen Zug der Zeit angesehen, von denen
ein großer idealer Gewinn nicht zu erwarten ist.
Wenn dies richtig ist, was vorläufig niclit bestritten werden soll,
so geht also ein beträchtlicher Teil der dem Gymnasium zur Verfügung
— 233 -
stehenden Zeit für dessen höchste Zwecke verloren. Das ist aber gerade
in unserer Zeit sehr zu bedauern. Es ist nämlich nicht zu leugnen, daß
der Idealismus gegenwärtig einen schweren Kampf zu bestehen hat gegen
die anwachsende Verflachung und Verrohung, wie sie eine natürliche
Folge der sozialen Bewegungen sind. Gewerbe- und Handelsschulen bis
hinauf zu Realschulen und Realgymnasien predigen mehr oder weniger
laut die Lehre von der Nützlichkeit, und so wird bei einem großen
Teil der Bevölkerung gerade in dem Alter, das der Begeisterung am
meisten fähig ist, dem „Zug nach oben" wenig oder gar nicht Rechnung
getragen. Dem gegenüber hat das Gymnasium die doppelte Pflicht mit
allen Kräften den Idealismus zu unterstützen. Dazu sollte es aber vor
allem eine geschlossene Einheit bilden, d. h. seine ganze Zeit in den
Dienst seiner höchsten Aufgabe stellen. Damit will ich indes nicht etwa
die Rückkehr zum Gymnasium alten Stils befürworten, ein solcher Vor-
schlag würde auch dem Geist der Zeit schnurstracks entgegenlaufen. Die
zahllosen Reformvorschläge Berufener und Unberufener sind vielmehr im
allgemeinen bestrebt, den altsprachlichen Unterricht noch weiter zu be-
schneiden und dafür eine Schar neuer Fächer, wie Verfassungskunde,
Nationalökonomie, Kunstgeschichte u. s. f. bis hinab zum Schachspiel
(Tarrasch) mit einem Stündlein zu beteiligen. Wohin das schließlich
führen wird ist nicht abzusehen. Soll das Gymnasium trotzdem auf sein
Ziel nicht verzichten, so sehe ich nur ein Mittel, das darin besteht. Jedes
UnterrkhtsfacJi in gleic/ter Weise /nnimn istisch zu het reihen. Dabei ver-
stehe ich unter dem humanistischen Betrieb, daß der Lehrstoff nicht um
des praktischen Gebrauches willen, sondern rein wissenschaftlich be-
handelt werde und zwar nicht im Sinn des Spezialisten, sondern im steten
Rückblick auf die Gesamtwissenschaft. Ich halte es in der Tat für nütz-
licher, wenn jede Schule, statt ewig am Plane zu ändern, vom status
quo ausginge und dafür sorgte, durch die Art der Behandlung aus jeder
Stunde den größtmöglichen Gewinn zu ziehen. Die Frage was gelehrt
wird scheint mir nämlich weniger wichtig zu sein, als n'ie gelehrt wird.
Es hat deshalb zu allen Zeiten gute Schulen gegeben, weil es gute
Lehrer gab.
Meine Behauptung ist also die: Es kann jedes Fach so hehandelt
werden, daß ein idealer Gewinn dabei herausschaut. Daß Unterschiede
bestehen soll deshalb nicht bestritten werden. Ich werde nun im Fol-
genden den Beweis bloß für ein einziges Fach, die Mathematili. zu führen
suchen und es den Lehrern der übrigen Fächer überlassen, die Betrach-
tungen auf ihr Gebiet zu übertragen. Ich wähle speziell die Mathe-
matik, einmal weil sie als Hauptfach gilt, und dann weil gerade ihr mehr
als formale Wirkung meist abgesprochen und tatsächlich auch im Unter-
richt nicht erstrebt wird.
— 234 -
Der Mathematik ist auf den Gymnasien durch drei bis vier Wochen-
stunden, die sich durch alle Stufen hindurchziehen, ein ziemlich breiter
Raum gesichert. Außerdem kommt sie auch in den Physikstunden ge-
legentlich zur Anwendung. Während seiner langen Schulzeit beschäftigt
sich also der Gymnasiast (und um wieviel mehr der Realschüler) nach
einander ziemlich eingehend mit Arithmetik. Algebra. Logarithmenrechnen,
Elementargeometrie, Trigonometrie und endlich mit der analytischen
Geometrie, die ihn an die Schwelle der höheren Analysis führt. Man
sollte denken, von alle dem werde doch etwas haften bleiben, der Abi-
turient werde eine einigermaßen richtige Vorstellung vom Wesen der
Mathematik mit ins Leben nehmen? Das Gegenteil ist der Fall, Es
ist allgemein bekannt, daß die weitaus größte Mehrzahl der Gebildeten,
die nicht gerade durch Beruf oder Neigung der Mathematik nahestehen,
von deren Inhalt und Bedeutung kaum eine Ahnung besitzt. Intelligente
und auf verschiedenen Gebieten wohlunterrichtete Leute sehen in ihr nichts
als eine geistlose Spezialität, der sie eine kräftige Abneigung entgegen-
bringen. Daß überhaupt die Mathematik eine selbständige Wissenschaft
ist, die ihre besondere Aufgabe hat, scheinen die wenigsten Leute zu
wissen, vielmehr gilt ihr Name als Sammelwort für Physik, Astronomie.
Meteorologie, praktische Mechanik, Geodäsie und Statistik. Wenn man
von einem Gymnasialfach sagen kann, daß es seinen Zweck nicht er-
reiche, so ist es die Mathematik. Für die meisten Schüler sind die auf
sie verwandten Stunden verlorene Zeit, einen Beitrag zur allgemeinen
Bildung des Publikums leisten sie nicht.
Was sind nun die Ursachen dieses Fiasko's? Genügt die Zahl der
Stunden noch nicht? Oder gibt es keine guten Mathematiklehrer? Keines
von beiden kann ich zugeben, der wahre Grund scheint mir tiefer zu
liegen. Fragt man ein wenig im Publikum herum, so erfährt man frei-
lich bald die Lösung des Rätsels. Die Mathematik, so hört man da, ist eben
langweilig, trocken, ein geisttötender Formelkram, bei dem man sich nichts
denken kann. Außerdem nützt sie Einem nichts und ist lediglich eine Plackerei,
die man möglichst rasch vergißt, sowie man sie los ist. Philosophisch
gebildete Personen belegen etwa diese Ansicht noch durch einige Kraft-
sprüche aus Schopenhauer und Hegel. Andere dagegen bekunden zwar
vor der Mathematik einen bedeutenden Respekt, versichern uns aber zu-
gleich mit Wärme, daß ihnen persönlich der Sinn dafür gänzlich abgehe.
Überhaupt sei diese Wissenscliaft nur für wenige Auserwählte verständ-
lich und ein Genuß, für die übrigen Sterblichen aber zu abstrakt, zu
hoch. Weiter als zum Auswendiglernen im Grund unverstandener Formeln
brächten es die meisten nie. So weit die vox populi. Muß uns nun diese
niclit als vox Dei gelten? Läßt sich gegen dieses mit solcher Über-
zeugung ausgesprochene Urteil überhaupt etwas einwenden? Jedenfalls
— 235 —
fühlt man sich zu der Frage gedrängt: Mit welchem Recht treiht man
dann eigentlich auf dem Gymnasium soviel Mathematik, wenn ein bleibender
Gewinn eingestandener ]\Ia(ien nicht zu erwarten ist? Denn eine dumpfe
Erinnerung an die Handhabung der Logarithmentafel wollen wir nicht
als einen solchen Gewinn gelten lassen. Wozu nicht lieber die Zeit auf
Geschichte oder Literatur verwenden? Etwa bloß der Wenigen wegen,
die von der Mathematik später im Leben Gebrauch machen werden?
Das wäre nicht der Mühe wert, denn das mathematische Pensum auch
der obersten Klassen kann von einem begabten Schüler bei Privatunter-
richt in wenigen Wochen bezwungen werden, wie ich mich mehrfach
überzeugen konnte. Und was dem Fünfzehnjährigen noch schwer fällt,
das erfaßt einige Jahre später der Student mit Leichtigkeit. Zudem
muß die darstellende Geometrie, die für die Praxis so wichtig ist, so-
wieso nachgeholt werden. Soll also die Mathematik zu einer so breiten
Vertretung berechtigt sein, so müssen schwerwiegende, die allgemeine
Bildung betreffende Gründe, ins Feld geführt werden.
Hören Avir denn die hauptsächlichen Argumente, welche von den
Schulmännern für die Notwendigkeit eines gründlichen Mathematikunter-
richts geltend gemacht werden. Da wird zunächst betont, daß das Ver-
ständnis der Physik und ihrer ins praktische Leben eingreifenden An-
wendungen ohne tüchtige mathematische Kenntnisse nicht erworben werden
kann. Die Mathematik wird also bloß als ein Instrument aufgefaßt, das
zum Begreifen der Physik nicht entbehrt werden kann. Dann hat aber
das Mathematikstudium nur einen Sinn, wenn es wirklich ausgiebig
für physikalische und technische Aufgaben verwertet wird. Der Physik-
unterricht auf der Schule verfährt aber wesentlich experimentell und kon-
kret, so daß schon aus Zeitmangel nur wenig gerechnet werden kann.
Es wäre auch geradezu falsch, auf dieser Stufe die Physik vorwiegend
mathematisch zu behandeln, das würde die verbreitete aber unrichtige
Vorstellung erwecken, als sei die physikalische Erkenntnis ein bloßes
Eechenexerapel. Es kommt in der Schule vielmehr darauf an, die Ver-
hältnisse qualitativ zu erfassen; erst wenn dies geschehen ist kann die
Analysis weiter helfen. Also mit dem Physikunterricht kann der breite
Mathematikunterricht nicht begründet werden.
Den Hauptnutzen der Mathematik sehen indeß die Schulmänner
von jeher in ihrer formalen Wirkung. In der Tat bilden die logische Ver-
kettung aller Sätze, wie sie beim Ausarbeiten eines geometrischen Be-
weises zu Tage tritt, die Reinheit und Strenge aller Schlüsse eine vor-
treffliche Schule des Denkens. Leider darf gerade diese Seite unserer
Wissenschaft auf der Schule nicht zu stark ausgenützt werden. Die
kristallinische Gesetzmäßigkeit des mathematischen Lehrgebäudes, die
der Stolz seiner Erfinder, der Griechen, bildete, kommt dem Schüler
— 236 —
nicht recht zum Bewußtsein. Denn gerade die Behandlung der Grund-
lagen fallen in eine Zeit, in der die logische Kraft noch zu schwach
entwickelt ist, so daß man die Sätze mehr anschaulich aufzeigen als
streng beweisen darf. Immerhin wird ein guter Unterricht, der die Schüler
zum Arbeiten zwingt, zweifellos zur Klarheit und Präzision des Denkens
beitragen, auch wenn diese Wirkung denselben nicht zum Bewußtsein
kommt. Doch die formale Seite der Mathematik zeigt sich noch in anderer
Weise durch ihre Verwandtschaft mit der Sprachiüissenschafi. Die Ana-
lysis hat sich nämlich für den Ausdruck ihrer Gedanken eine besondere
Sprache geschaffen, die freilich mehr geschrieben als gesprochen wird.
Diese Sprache besitzt ihre Grammatik und Syntax wie jede andere und
es wäre für einen linguistisch geschulten Mathematiker eine Aufgabe,
die Regeln der Algebra einmal vom sprachwissenschaftlichen Gesichts-
punkt aus zu betrachten. Ihre ersten Anfänge finden wir in den Hiero-
glyphen der Ägypter, heute besitzt man in ihr ein wunderbares Instru-
ment, das die komj)liziertesten Vorstellungsreihen in wenigen Zeichen
darzustellen erlaubt. Dabei ist diese Sprache lebendiger als man denkt,
auch der Analyst sieht auf schönen .S//7 und strebt nach Elcf/auz seiner
Formeln. Diese ganze Seite der Mathematik wird übrigens nach meiner
Ansicht zu wenig hervorgehoben. Der Schüler bekommt die Algebra
wie eine Schreibmaschine, deren Handhabung ihm gezeigt wird, ohne
daß er über ihren Wert und ihr Wesen ins Klare käme. Man dürfte
ihm aber wohl an Beispielen nachweisen, daß die Gleichungen, die er
ansetzt, nichts sind als gewöhnliche Sätze, geschrieben in einer höchst
knappen Stenographie, die nach und nach durch immer weitergehende
Abkürzung aus dem ursprünglich vollständig ausgeschriebenen Text her-
ausgewachsen ist. Diese Einsicht wird ihm diese Symbolik weniger ab-
strus erscheinen lassen und ihn dazu bringen, in der Mathematik den In-
halt vom Ausdrucksmittel zu unterscheiden.
Freilich werden die Philologen hiezu bemerken, daß in dieser Be-
ziehung dann doch das Studium einer wirklichen Sprache noch vorteil-
hafter sei . weil in dieser die ganze Geistesarbeit eines Volkes sich
wiederspiegle, während die Algebra eine Fachsprache sei, die bloß mit
einer engen Zahl von Begriffen operiere. Und darin haben sie zweifellos
Recht. Überhaupt läßt sich das, was wir vorhin an der Mathematik ge-
rühmt haben, auch von der Altertumsforschung behaupten. Auch die
klassische Philologie mit ihrem vorsichtigen Abwägen der Wahrschein-
lichkeiten ist eine „exakte" Wissenschaft; kritische Schärfe und gewissen-
haftes Arbeiten ist dort ebensogut zu lernen, und logische Finessen, die
etwa die Mathemathik voraus hat, sind ja auf der Schule doch nicht zu
behandeln. Wenn also die Mathematik wirklich keine andere als formale
Bildung erzeugt, so ersetze man sie lieber durch das Griechische, damit
dies Eine wenigstens recht gelernt wird, statt beides nur ungenügend.
— 287 —
Aber die Mülliemalik is/ n'irlil /y/o/; farmal. iiidil hliti.; riii t/ris/-
relc/ief< Spie/ inif Fif/iireii iiiul /jüilen. Wie bei den alten Sprachen
schließlich nicht die Grammatik, die Formenlehre das Hauptelement ihrer
bildenden Kraft ausmacht, sondern der durch sie vermittelte Kultur-
inhalt, so ist auch die mathematische Formelsprache nicht der Zweck,
sondern bloß das unentbehrliche Mittel, um zu dem hochbedeutenden
Inhalt der Wissenschaft zu gelangen. Dort erst liegen die Schätze,
die dem, der sich durch die Hieroglyphenschrift am Eingang nicht ab-
schrecken läßt, als reicher Gewinn anheimfallen. Auf diesen Kern und
Zielpunkt der Mathematik, in dem ihre eigentümliche Kraft und Schön-
heit wurzelt, muß aber der Schüler so viel als möglich hingewiesen
werden, ihn soll der Lehrer nie aus dem Auge verlieren, er (illein end-
lich ist es. der die Maf/ieutafik herec/dif/f, rds Hai/pffnc/i mit Ciimiifmum
aufzutreten. Und nun erblicke ich den Grund zu dem geringen Erfolg
des üblichen Mathematikunterrichts eben darin, daß diese Forderung
nicht beachtet wird, daß die Schüler über die tiefe Bedeutung der vor-
getragenen Sätze und Methoden nichts erfahren. Die jungen Leute lernen
von der Mathematik eben nur die formale Seite kennen, die dürre Ab-
straktion, das mechanische Rechnen mit Buchstaben und Zahlen, und
scheinbar gleichgiltige Eigenschaften geometrischer Figuren. Sie sind
schließlich imstande, die Tangente an eine Ellipse zu konstruieren und
die Winkel eines Dreiecks aus den Seiten zu berechnen. Was das alles
für einen Sinn hat, bleibt ihnen ein Rätsel. Der Hinweis auf die nütz-
lichen Anwendungen rührt den künftigen Juristen wenig. Das ist dann
Sache des Ingenieurs, denkt er, zu was ein Instrument erlernen, das man
niemals gebrauchen wird? Will man mehr als ein flüchtiges Wissen
erzielen, so muß durch alle Mittel das Interesse der Schüler erregt werden.
— eine alte Wahrheit, so oft gehört als nicht beachtet. Das Gedächtnis
der meisten Menschen läßt bloß lose aufgelegten Ballast bald wieder
fallen, soll etwas Bleibendes geschaffen werden, so muß das zu Erlernende
in etwas Bleibendem verankert werden, nämlich im Erkenntnistrieb,
in der Freude am Bedeutenden und Großen, kurz in irgend einem idealen
Interesse. Auch für die Mathematik ist dies das einzige Mittel, wenn
sie das ungünstige Vorurteil des Publikums besiegen will. Ist dem
Schüler einmal die innere Bedeutung dieser Wissenschaft aufgegangen,
so mag er die Formeln und Lehrsätze vergessen, der große Gesamtein-
druck bleibt und stellt eben den geistigen Gewinn dar.
Aber worin besteht denn dieser ideale Wert, der solche Wunder
wirken soll? fragt gewiß mancher Leser und denkt dabei kopfschüttelnd
an Sinus und Cosinus. Es ist meine Aufgabe denselben aufzuzeigen und
noch anzudeuten wie der Unterricht daraus Nutzen ziehen kann. Zu
diesem Zweck beginne ich damit, die Anklagen gegen die Mathematik,
die ich oben zusammengestellt habe, zu entkräften.
— 238 —
Die Mathematik ist langweilig, so hörten wir zuerst, ist eine geist-
tötende und unfruchtbare Sklavenarbeit. Erkundigt man sich näher, was
unter der Mathematik verstanden werde, so erfährt man: „Hechnen".
.,Die ganze Analysis linitorum et infinitorum läuft im Grunde doch auf
Kechnen zurück" sagt z B. Schopenhauer. Für das „gebildete"' Publi-
kum ist in der Tat der Mathematiker nichts anderes als ein Mann der
viel und gern rechnet, Xun ist das Rechnen ein mechanisches Operieren
mit Zahlen, das die technische Ausführung eines oft sehr banalen mathe-
matischen Gedankens bezweckt und freilich keinen xA.nspruch auf Unter-
haltsamkeit erhebt. Es verhält sich somit zur Mathematik genau so wie
die Fingerübungen eines Klavierspielers zur Musik. Das systematische
Rechnen ist zwar ein ausgezeichnetes Mittel zur Disziplinierung des
Geistes, damit dieser nicht
— die Kreuz und Quer
Irrlichteliere hin und her
und besitzt also sicher einen pädagogischen Wert, den wir nicht verachten
wollen. Die Genugtuung, wenn die Rechnung „stimmt", verschafft
sogar einen Genuß, ja die bloße Fähigkeit des Rechnens kann schließ-
lich angenehm empfunden werden, wie z. B. (Uiul-i von einer gewissen
„Poesie" des Tabellenrechnens spricht. Doch mit alledem wollen wir
es Xiemand verargen, wenn er das Rechnen langweilig findet. Xur geht
dies die Mathematik nichts an. Man frage nur einmal die großen Ver-
treter derselben um ihre Meinung, man wird da merkwürdige Aussprüche
vernehmen: „Das Leben ist nur für zwei Dinge gut", mit Poisson, „um
Mathematik zu treiben und darin zu unterrichten". Und der Neupytha-
goreer Bjrp/tfjrios vergleicht die Mathematik mit der Lotosfrucht, von
der keiner mehr lassen kann, der einmal davon gekostet hat. Derartige
Äußerungen könnten gehäuft werden. Man wird zugeben, solcher
Enthusiasmus wäre nicht möglich, wenn die Mathematik bloß im Rechnen
bestünde. Diese ewige Verwechslung zwischen beiden so heterogenen
Tätigkeiten sollte einmal energisch bekämpft werden. Unterstützt wird
sie übrigens durch die Schule selbst, die noch vielfach den niederen
Rechenunterricht unter dem Namen Mathematik einführt. Aber schon
die alten Griechen hatten jene mechanische Tätigkeit unter der Bezeich-
nung Loffiaük scharf von der so hoch gehaltenen Mutitem getrennt. Dies
Beispiel dürfte auch heute wieder nachgeahmt werden.
Bevor man also die Mathematik langweilig schilt, lerne man sie
erst ein wenig kennen. Dem steht nun der zweite Einwurf entgegen:
die Mathematik sei für die Durchschnittsbegabung nicht faßbar, um Ge-
fallen an ihr zu finden, sei ein besonderer Sinn erforderlich, der den
Wenigsten gegeben sei. Diesem Einwand fehlt nicht jede Berechtigung,
er wird aber sicher viel zu stark betont. Zweifellos ist für ein tieferes
— 239 -
Erfassen der Mathematik eine spezielle Fähigkeit nötig, glauben doch
einige Physiologen ein eigentliches Organ dafür im Gehirn lokalisieren
zu können. Diese Fähigkeit ist aber durchaus nicht so selten, sondern
n. m. A, besitzt sie jeder normal veranlagte Mann. Es verhält sich da-
mit wohl ungefähr wie mit dem Sinn für Musik, Das vollkommene Fehlen
desselben ist nahezu so selten wie das Talent zu eigener Produktion, die
große Masse ist doch mehr oder weniger stark dafür empfänglich. Es
ist auch a priori unwahrscheinlich, daß es mit dem mathematischen Ta-
lent anders stehe als mit dem Talent zum Zeichnen, Yersemachen, Sprachen-
lernen und dgl. mehr. Nur sind sich die meisten Leute desselben nicht
bewußt, weil es bei ihnen nie geweckt wurde. Es haben mir mehrfach
Schüler versichert, daß ihnen die mathematische Begabung absolut mangle,
bei denen bei näherem Zusehen ein ganz hübsches AuOassungsvermögen
zum Vorschein kam. Man kann eben den üblichen Mathematikunter-
richt, der bloß auf die Form statt auf den Inhalt geht, von der Schuld
nicht freisprechen, die große Zahl der Schüler von unserer Wissenschaft
abzuschrecken. Statt Wein wird ein leerer Becher kredenzt, der viel-
leicht von Gold ist und kunstvoll gearbeitet, aber doch nur ein leerer
Becher.
Ich bestreite also sowohl, daß die Mathematik an sich langweilig,
als daß sie für das Gros der Schüler unverständlich sei. Nach meiner
Ansicht kann das Interesse aller Schüler, die überhaupt höherer Inter-
essen fähig sind (und andere gehören nicht ins Gymnasium), für dieses
Fach gewonnen werden, wenn nur der Lehrer stets die lebendige Wissen-
schaft, nicht das tote Wissen im Auge hat. Was diese Wissenschaft
eigentlich will, in was ihr Wesen und ihr Wert besteht, das habe ich
jetzt auseinanderzusetzen. Natürlich ist hier nicht der Ort, um dieses
Thema gründlich zu besprechen, ebensowenig um die mir vorschwebende
Lehrmethode vorzuzeichnen. Es handelt sich bloß darum, in ein paar
Sätzen dem Kenner die Richtung meiner Vorschläge anzudeuten und
dem Laien wenigstens eine Idee von dem Gegenstande zu verschaffen.
Jede Wissenschaft hat ihre besondern Objekte, die sie benennt,
unter sich vergleicht und nach Prinzipien, die vom Stand der Erkenntnis
abhängen, klassifiziert. Sie scheidet und verknüpft, sammelt und ordnet
das Material, es dem Philosophen überlassend die Summe aller Erfah-
rungen von einem ^Mittelpunkt aus zu begreifen. Die Objekte der Mathe-
matik sind die Za/i/. die Funktion und die geometrische Form. Woher
stammen diese Objekte, aus der Natur oder aus dem menschlichen
Geist? In dieser Frage wurzelt das Interesse, das von jeher be-
deutende Philosophen der Mathematik entgegengebracht haben, man
denke an Pythagoras, Plato, Descartes, Leibnitz und Kant, um nur die
größten zu nennen. Die Antworten darauf lauten sehr verschieden, heute
— 240 —
sagt man gewöhnlich: sie stammen aus beiden. "\"on der Mutter Natur
rührt es her, daß die Mathematik die unentbehrhche Helferin der Physik
ist, vom Vater Verstand hat sie die logische Strenge und die Allgemein-
gültigkeit ihrer Sätze. Erklären wir dies kurz. Irgend welche Dinge
in der Natur bilden eine größere oder kleinere Menge ; das Charakte-
ristikum einer Menge, das der Verstand daraus abstrahiert, ist die Zcüü.
Alle Dinge sind i'eräuderUdt und von einander abhängig; die Mathematik
bildet danach den Begriff der veränderlichen Zahl, Variable genannt und
der Funktionen einer solchen. Alle Dinge im Raum besitzen eine Form;
das Studium der Formen erfüllt die Geometrie. Man sieht, die Natur
liefert Erscheinungen und der mathematische Verstand formt danach
Begriffe, die aber keine genauen Kopien der Originale sind, sondern ver-
einfachte Typen, Ideale. Die Mathematik ist also eine idealistische
Wissenschaft (man denke an Plato!).
Doch was bezweckt die Mathematik mit diesen Abstraktionen, aus
denen sie ihr Netz spinnt. Antwort: Die großen ProlAeme der Welt
bringt sie damit auf ihre einfachste Fmmi, indem sie alles Unwesentliche
abstreift und jene dadurch dem Angriff zugänglicher macht. Das ist ihre
Mission, darin ruht ihre Bedeutung. Einige Beispiele sollen dies noch
verdeutlichen. AVelche Rolle spielt nicht in allen Gebieten der Unend-
lichkeitsbegrifff Wie soll der Mensch die unendliche Mannigfaltigkeit
aller Formen und Veränderungen übersehen? Die Geometrie hat zuerst
gezeigt, wie das Unendliche bezwungen wird durch das (resetz. indem sie
z. B. lehrt, wie die unendlich vielen Punkte einer Kurve durch das Ge-
setz dieser Kurve völlig bestimmt werden. So lernten dann die übrigen
AVissenschaften von der Mathematik auch ihren unendlichen Stoff nach
Gesetzen zu ordnen. Doch diese Gesetze zu finden ist schwierig; am
leichtesten ist es noch in denjenigen Gebieten, wo das Material der ge-
nauen Messung zugänglich ist, daher es auch diese sog. exakten Wissen-
schaften in der Aufstellung von Gesetzen am weitesten gebracht haben.
Man hat es oft den Mathematikern zum Vorwurf gemacht, daß sie überall
„messen" statt „ins Wesen" einzudringen. Aber das Messen ist ihnen
gar nicht Zweck, sondern bloß Mittel, um das verborgene Gesetz zu ent-
decken. Wenn die Pohzei die Körperteile des Verbrechers mißt, so
geht ihr Interesse auch nicht auf die Zahlen, sondern diese dienen nur
den Mann eindeutig zu „bestimmen", um ihn trotz aller Verwandlungen
wieder zu erkennen. Genau so wägt der Chemiker seine Substanz und
findet das Gesetz von der Konstanz der Masse, und so mißt der Phy-
siker die Energien eines mechanischen Systems und bemerkt, daß ihre
Summe bei allen Prozessen erhalten bleibt. Docli wenn einmal ein solches
Gesetz erkannt ist, dann muß dasselbe gewissermaßen interpretiert, d. h.
in seine äußersten Konsequenzen verfolgt werden. Zu diesem Zwecke
— 241 —
muß es von allem Stofflichen befreit und möglichst prägnant, d. h. eben
mathematisch ausgedrückt werden. ]Man stellt es z. B. graphisch dar
durch eine Kurve. Jede Kurve repräsentiert ein Gesetz und alle ihre
Eigenschaften sind bloß Konsequenzen dieses Gesetzes. Doch ein Gesetz
kann noch bequemer analytisch formuliert werden, und heißt dann: Funk-
tion. Sucht jede "Wissenschaft zu Gesetzen zu gelangen, so ist die Funk-
tionenlehre also die AVissenschaft von den Gesetzen selbst. Es genügt
die Funktionen oder die Kurven zu studieren, um alle denkbaren Ge-
setzmäßigkeiten, die sich quantitativ bestimmen lassen, zu beherrschen.
Z. B. die eine Funktion y =- ex- liefert sowohl die Bahn eines Geschosses,
als den Weg eines fallenden Körpers zu einer gewünschten Zeit, oder
die Erwärmung eines Drahtes durch einen elektrischen Strom, oder die
Zentrifugalkraft eines rotierenden Rades. Sie ist eben der einfachste
Ausdruck für diese verschiedenen physikalischen Verhältnisse, von dem
aus diese alle gleichzeitig überblickt werden. Man wende nun nicht ein,
solche Dinge seien zu hoch für die Schule und gehörten erst an die Universität.
Vor einem Menschenalter haben die jungen Leute schon mit 16 Jahren
die Hochschule bezogen und die Hörsäle der Philosophen gefüllt. Ein
Lehrer, der jene tieferen Beziehungen kennt und darüber reflektiert, wird
sie auch den Schülern klar machen können. Die trigonometrischen
Funktionen, der Gegensatz von Gerad und Krumm, die Definition einer
Kurve durch ein Gesetz, das Tangentenproblem sowie zahlreiche Auf-
gaben der Physik sind ebensoviele Anknüpfungspunkte für allgemeine
Betrachtungen. So belehrt ward der Schüler alle diese Dinge mit ganz
andern Augen betrachten, er sieht die Zusammenhänge und ahnt hinter
den Figuren und Formeln die Majestät der Wissenschaft.
Der tiefere Sinn der Mathematik läßt sich aber auch erkennen durch
das Studium ihrer Geschichte. Die mathematische Wissenschaft ist nicht
von heute, sondern sie kann sich eines zweiundeinhalbtausendjährigen
Alters rühmen. Aus zarten Wurzeln sehen wir den heute gewaltigen
Baum herauswachsen, an dessen Gedeihen der bohrende Erkenntnisdrang,
die künstlerisch spielende Phantasie und das praktische Bedürfnis in
gleicher Weise Anteil haben. Da sieht man, wne die schärfsten Geister
einer Epoche gegen eine hartnäckige Schwierigkeit Sturm laufen, bis diese
überstiegen oder wenigstens umgangen ist. Da verfolgt man, wie der
mathematische Gedanke um Ausdruck ringt, wie er sich langsam eine
Sprache schafft und wie mit der Vervollkommnung der Form wieder der
Inhalt wächst. Und wer die Blicke etwas weiter schweifen läßt, erkennt
wie in der Spezialgeschichte sich der Zeitgeist spiegelt. Die Zeiten
metaphysischen Hochflugs, der kritische Rückschlag, der Realismus, die
scholastische Unfreiheit, sie alle drücken auch der Mathematik ihren
Stempel auf. Ja gelegentlich steigt diese Wissenschaft auch von ihrer
16
— 242 —
Höhe herab in die Arena der OffenÜichkeit, um im Streit der Prin-
zipien das entscheidende Gewicht in die Wagschale zu werfen. Immer
wenn das reine Denken seine Triumphe erkämpft, da tritt die Mathe-
matik auf den Plan und zeigt die Macht ihrer Waffen, so bei Pytha-
goras, bei Plato, bei Koppernikus, und bei Kant. Eine passende Gelegen-
heit für den Lehrer, diese geschichtliche Rolle der Mathematik aufzu-
zeigen, bietet etwa das Fallgesetz. Das Uavia ^eï Hcrak/ifs hatte auf
die Schwierigkeit aufmerksam gemacht, die beständig fließende Welt zu
begreifen. Umsonst quälte sich das Altertum damit ab, den Begriff der
Bewegung von den anhaftenden Widersprüchen zu befreien, selbst Aristo-
teles kam damit nicht ins Beine-, so hing man denn der Bewegung den
Makel der UnvoUkommenheit an und ging ihr möglichst aus dem Weg.
Die Neuzeit aber erkannte den Wert der Bewegung. Kopjjernikus nahm sie
für die Erde in Anspruch, dies widerstritt aber derperipatetischen Bewegungs-
lehre und so mußte diese gestürzt werden. Dies tat Ga/iki indem er
das wahre Fallgesetz entdeckte und zum ersten Mal eine ungleichförmige
Bewegung mathematisch zu behandeln lehrte. Das aber konnte er nur
mit Hilfe eines Gedankens, der längst vor ihm in der reinen Mathematik
entstanden war. Das einfachste Bild einer stetig veränderlichen Größe
ist nämlich eine krumme Linie, deren Richtung, Flächeninhalt, Bogen-
länge etc. von Punkt zu Punkt sich ändern. In dieser geometrischen
Form das Stetige bezwungen zu haben, war nun die unvergängliche
Leistung von Archimedes. Und diese Archimedische Methode benützte
Galilei, benützte Kepler für seine Planetengesetze, benützten und ver-
einfachten viele andere, bis schließlich daraus die Infinitesimalrechnung
entstand, die dem dynamischen Verständnis der Welt allerorts die Wege
erschloß. So steht das unscheinbare Fallgesetz im Angelpunkt einer
großen geistigen Umwälzung. In Galilei's herrlichen Dialogen kann man
genauer sehen, wie der Kampf zweier Weltanschauungen mit mathe-
matischen AV äffen ausgefochten wird.
Das Gesagte wii*d genügen um den Wunsch zu begründen, man
möchte den Gymnasiasten auch etwas über die Geschichte der exakten
Wissenschaft zukommen lassen. Interesse und Verständnis der einzelnen
Probleme werden dabei sicher gewinnen. Ich möchte dies aber nicht
nur der Mathemathik zulieb anraten, sondern auch um der kulturge-
schichtlichen Bildung willen. So manche Episode aus der älteren Mathe-
matik verdiente allgemeiner bekannt zu sein. Vor allem dürfte es an
einem Gymnasium am Platze sein gehörig zu betonen, daß die wissen-
schaftliche Mathematik eine Schöpfung der (rniclnn ist. Wenn es als
ein Hauptmittel der Veredlung gilt, sich in die AVerke jenes hochsinnigen
Volke zu versenken, so möge man nicht vergessen, daß der Mann, in dem
man gern die Blüte des Griechentums verkörpert sieht, keinen Nicht-
— 243 —
mathematiker ins Allerheiligste seiner Gedanken zulassen wollte. Über-
haupt scheint das Verständnis für Mathematik im Altertum weit mehr
als notwendigen Bestandteil der Bildung angesehen worden zu sein, als in
unseren Zeiten. (Goethe z. B., den man gelegentlich mit Plato vergleicht,
war der Mathematik direkt abgeneigt.) Sicher ist, daß die Feinheit des
griechischen Geistes nirgends in glänzenderem Lichte erscheint, als bei
der Entdeckung des Irrationalen durch Pythagoras oder bei der Kreis-
messung Archimeds. Das Hauptwerk Euklids, das noch heute als bestes
Leln'lnich der Eknientarfieonidrle im Sr/udf/ebraiich dient, ist so unver-
gänglich und in seiner Weise so vollkommen, wie eine Statue des
Praxiteles, Der Lehrer, der diese Dinge kennt, wird gern hie und da
eine Viertelstunde opfern, um einige Proben dieser griechischen Mathe-
matik einzuschalten. Manche der geometrischen Schriften der Alten sind
mit längeren Einleitungen versehen, die man den Schülern vorlesen kann,
und die ihnen die alte Welt einmal von einer Seite zeigen, von der
man sie sonst nie zu sehen bekommt.
Ich hoffe die bisherigen Ausführungen seien eindringlich genug um
die Überzeugung zu erwecken, daß Mathematik und Humanismus keine
Gegensätze sind, daß sich vielmehr die Mathematik sehr zum eigenen
Vorteil humanistisch betreiben läßt. Ich meine damit natürlich nicht,
daß sich der Unterricht ganz in Naturphilosophie und Geschichte auf-
zulösen habe, oder daß man den Aufgaben der Praxis vornehm aus dem
Wege gehen solle. Unser Bestreben ist im Gegenteil dahin gerichtet,
möglichst alle Seiten der Wissenschaft den Schülern vorzuführen, aber
so, daß jeder Zweig als natürlicher Ausfluß ihres innersten Wesens er-
scheint. Man gebe bloß das Prinzip auf, in der verfügbaren Zeit nur
möglichst viel Wissensstoff in die Köpfe hereinzupumpen, beschränke
vielmehr sein Programm, ohne etwas Wesentliches abzuschneiden, so,
daß man Zeit hat, durch philosophische Betrachtungen und historische
Exkurse den Stoff zu vertiefen. So allein ist zu hoffen, daß mit der
Zeit das Vorurteil gegen die „öde" Mathematik gebrochen, daß ein
bleibender Gewinn des mathematischen Unterrichts und damit eine gleich-
mäßigere Bildung erzielt werde.
Doch gesetzt einmal, dieser Vorschlag fände allgemeinen Beifall,
so bleibt noch die wichtige Frage zu erledigen, wie diese Reform des Unter-
richts durchzusetzen sei. Über Nacht geht dies natürlich nicht. Mit
Verordnungen, Programmen, Lehrbüchern u. dgl. ist erst das wenigste
getan, denn die beste Lehrvorschrift kann geistlos befolgt werden. Son-
dern der Faktor, der den Erfolg allein zu garantieren vermag, ist die
Persönlichkeit des Lehrers. Mathematik richtig zu lehren ist eine
Kunst, die hohe Anforderungen stellt. Soll der Unterricht nicht bloß
Kenntnisse, sondern Erkenntnis erzielen, so muß der Lehrer mehr als
- 244 —
bloß Fachmann sein. Wer Euklids Elemente oder Descartes' Geometrie
nie in der Hand gehabt hat, wer sich nie mit den Grundlagen, der Ge-
schichte und der Philosophie der Mathematik beschäftigt hat, kann zwar
noch immer ein tüchtiger Lehrer sein, doch wird er schwerlich eine
tiefere Wirkung erzielen. Ein Lehrer gar, der kaum imstande ist den
Inhalt seines Leitfadens zu beherrschen und dessen ganze Kunst im Ein-
pauken von Formeln besteht, sollte an keiner höhern Schule zugelassen
werden. Man sehe also hei de}' Wafif eines Matluinaliklelirers für obere
Klassen auch auf hunuinistische Bildung und a/Igemeinere Interessen. Frei-
lich woher solche Lehrer leicht bekommen? Es ist nämlich nicht zu
leugnen, daß dem Vorurteil, die Mathematik habe keinen Bildungswert,
durch deren Vertreter häufig Vorschub geleistet wird. Es ist nicht ganz
aus der Luft gegriffen, wenn man so oft hört, die Mathematiker seien
gewöhnlich einseitige Schablonenmenschen, in ihre Spezialität verbohrt,
ohne Sinn für AVerte, die sich nicht berechnen lassen. Wahr ist jeden-
falls, daß der Studiengang vieler späterer Mathematiklehrer viel zu ein-
seitig ist. Die jungen Leute, die für dies Fach vielleicht nicht einmal
ein tieferes Interesse, sondern bloß einige Leichtigkeit im Erlernen des-
selben besitzen, hören das gewöhnliche Repertoire von naturwissenschaft-
lichen Kollegien durch, wobei sie sich wohl hüten, „zuviel" zu lernen
oder gar Zeit an unnötige Xebenstudien zu verschwenden. Diese ver-
lassen dann die Universität vielleicht mit Auszeichnung, ohne daß man
ihnen im übrigen viel von Bildung anmerkt. Es ist daher vor allem die
Aufgabe der höheren Lehranstalten, den Studierenden beizubringen, daß
zum tieferen (nicht bloß formalen) Verständnis von Mathematik und
Physik, wie sie von einem Gymnasiallehrer unbedingt gefordert werden
muß, eine gewisse philosophische und historische Bildung unerläßlich
ist. Weiter muß dann natürlich an allen Universitäten dafür gesorgt
werden, daß regelmäßige Vorlesungen über Geschichte und Philosophie
der exakten Wissenschaften abgehalten werden. Noch besser wären viel-
leicht besondere Kurse über mathematische Pädagogik, wie sie z. B. Prof.
Pringsheifn vorschlägt. Die Hochschulen haben ja leider die Fühlung
mit den Schulen teilweise verloren und kümmern sich viel zu wenig um
die Bedürfnisse der Pädagogen. Diesen ist mit der Anhäufung von Tat-
sachen, auf die sich die mathematisch-naturwissenschaftlichen Kollegien
meist beschränken, allein nicht gedient, sie sollten den Stoff auch in
einer ihren Zwecken entsprechenden Verarbeitung überliefert bekommen.
Also auch die Universitätsmathematik muß sich herablassen An-
strengungen zu machen, wenn der Mathematikunterricht an den Schulen,
speziell am Gymnasium, in humanistischem Sinne reformiert werden soll.
Überhaupt ist dieser Hochschuhnatheniatik vorzuwerfen, daß sie sich
wenig oder gar nicht bemüht bei einem weiteren Publikum Verständnis
— 245 —
zu finden, ohne zu bedenken, daß dies für sie selbst Folgen haben kann.
Es ist wenigstens bemerkenswert, daß, während die Naturwissenschatten
für die breitesten Schichten popularisiert werden, eine populäre Mathe-
matik meines Wissens nicht existiert. Und doch wäre eine solche kein
Ding der Unmöglichkeit, so paradox dies auch solchen vorkommen mag,
die von der Mathematik nur die formale, rechnerische Seite kennen.
Denn die Grenzen der weitverzweigten Wissenschaft ragen von ver-
schiedenen Seiten in die gewöhnliche Interessensphäre des gebildeten
Publikums hinein, von wo aus daher dessen Aufmerksamkeit auf mathe-
matische Fragen gelenkt werden könnte.
Fassen wir zum Schluß das Gesagte nochmals kurz zusammen.
Wir gingen aus von der Tatsache, daß die Mathematik von der Mehr-
zahl der Gebildeten ignoriert oder völlig verkannt wird. Die Schuld
erblicken wir in der üblichen Unterrichtsweise, die dieses Fach bloß von
realen und formalen Gesichtspunkten aus behandelt. Soll eine Besserung
eintreten, so muß vor allem der ideale Wert der Wissenschaft, ihr letzter
Zweck und Inhalt gelehrt werden. Das Gleiche gilt für Physik, Chemie
und die beschreibende Naturwissenschaft. Eine solche humanistische
Behandlung des Stoffs wäre auch im Interesse der einheitlichen Durch-
führung des gymnasialen Erziehungsgedankens zu begrüßen. Dazu braucht
es aber Lehrer, die neben guten Fachkenntnissen auch historische und
philosophische Interessen besitzen. Der systematischen Ausbildung solcher
geeigneter Lehrkräfte haben daher die Universitäten in höherem Maße
als bisher Rechnung zu tragen.
Wir haben uns bei unseren Ausführungen streng auf das huma-
nistische Gymnasium beschränkt, um uns nicht mit denjenigen Schulmännern,
die bloß praktische Ziele des Unterrichts gelten lassen, auseinander setzen
zu müssen. Wir glauben allerdings, daß auch für Realschulen eine Dosis
Philosophie nicht zu verachten wäre, da damit größeres Interesse und
dadurch wieder leichteres Verständnis erzielt werden könnte. Alle Ein-
seitigkeit ist schließlich unfruchtbar.
Unsere Vorschläge haben wenigstens den Vorteil, daß sie schon
durch Einsicht und guten Willen der maßgebenden Persönlichkeiten einiger-
maßen erfüllt w^erden können, ohne daß einschneidende Änderungen im
Schulplan getroffen werden müßten. Denn sie zielen bloß auf die Ver-
besserung der Qualität, nicht der Quantität. Und da bekanntlich die
Lehrer nicht nach der Qualität, sondern nur nach der Quantität ihrer
Unterrichtsstunden honoriert zu werden pflegen, so erwächst, wenn wir
vom letzten Punkte absehen, auch dem Staatsbudget aus unserem Vor-
schlag keine Mehrbelastung. Besonders dieser Umstand berechtigt mich
zu der Hoffnung, daß da und dort diesen Anregungen Gehör geschenkt
und die Wirkung eines humanistischen Mathematikunterrichts auf die
— 246 —
Schüler erprobt werde. Ich bin ja überzeugt, daß einzehie Lehrer dies
seit langem schon versucht haben, doch sind diese jedenfalls bis heute
vereinzelt geblieben. Meine eigenen Erfahrungen in dieser Hinsicht sind
an Zahl noch gering, haben mich aber in dem Glauben bestärkt, daß der
angegebene Weg der richtige sei. Möge er bald von vielen betreten
werden !
Basel, 7. April 1907.
Zur Komposition des Velleius.
Von
Friedrich Münzer.
Es bedarf keiner Rechtfertigung, wenn einer in Basel tagenden
Versammlung von Philologen einige Bemerkungen über Velleius darge-
bracht werden; in Basel ist ja Velleius vor bald vierhundert Jahren ans
Licht gezogen worden. *) Wie kommt es wohl, daß ohne den glücklichen
Fund des Beatus Bhenanus im Kloster Murbach ums Jahr 1515 beinahe
die ganze Existenz des Velleius in völliges Dunkel gehüllt wäre? Die
Antwort darauf kann nur sein Werk selbst geben. Es ist eines von den
literarischen Erzeugnissen, wie sie in Zeiten einer weiten Verbreitung
allgemeiner Bildung täglich entstehen und vergehen; sein Verfasser ge-
hört zu jenen Literaten der römischen Kaiserzeit, die kürzlich Wila-
mowitz (Griech. Literaturgesch. 151) treffend charakterisiert hat: „Die
Journalisten verschneiden den alten schweren Stoff, den die Gelehrten
mit saurer Arbeit einst gewoben hatten, zu den Läppchen ihrer Essays
und Artikelchen und bilden sich ein, er gehörte ihnen, weil sie ihm von
sich ein paar Flitter und Schleifen aufsetzen, wenns Glück gut ist, einen
Similibrillanten." Der Zufall, der uns den Velleius zum größern Teil
erhalten hat, hat es mit ihm und mit uns gut gemeint, indem er die
letzten Abschnitte bewahrte und die ersten untergehen ließ, während sonst
meistens das Umgekehrte eingetreten ist; denn Velleius hat die letzten
1) Nachdem dann vor siebzig Jahren die Entdeckung der Amerbachschen Ab-
schrift in der Basier BibHothek das Interesse für Velleius von neuem belebt hatte, ist
auch in der Schweiz das Beste geschrieben worden, was wir über Velleius im allge-
meinen besitzen, von dem damals in Zürich tätigen H. Sauppe im Schweizerischen
Museum 1837. I 1.S3 ff. = Ausgewählte Schriften (Berlin 1896i B9 ff. (mit den Seiten-
zahlen des Originaldrucks, die daher zitiert werden). Der Gesamtauffassung des Velleius
bei Sauppe steht meine eigene bisweilen näher als der bei Klebs Philologus 1890.
XLIX 285 ff. Vgl. außerdem noch Peter Geschichtl. Literatur über die römische
Kaiserzeit I 382 ff.
— 248 —
Abschnitte am selbständigsten und am leichtesten niederschreiben können,
und wir müssen sie am höchsten schätzen, weil sie unser Wissen am
meisten bereichern. Wir haben darum Grund, dem Zufall zu danken,
aber wir dürfen unser Urteil nicht von ihm allein bestimmen lassen.
Eine Geschichte der römischen 'Literatur, die ihren Namen wirklich ver-
dient, kann an Velleius vorübergehen, ohne ihn auch nur zu nennen.')
Darin liegt ein hartes Urteil, das jedoch nicht unberechtigt ist; zu
seiner Begründung soll auch die folgende Untersuchung beitragen, zu-
gleich die Probe einer Quellenkritik, die nicht in erster Linie durch
Quellenvergleichung zum Ziele gelangen will.
In dem Werke des Velleius erkannte Sauj^pe 158 „nicht sowohl
eine Entwicklung der Begebenheiten in ruhiger Zeitfolge, als den Katalog
einer chronologisch geordneten Galerie von Porträts aus der römischen
Geschichte, jede Xummer begleitet von allerlei historischen Notizen über
die Persönlichkeit des Porträtierten." Eine solche Art der Behandlung
war bei den Griechen für die Geschichte ihrer Literatur, Wissenschaft
und Kunst die allein übliche gewesen, während sie in der Geschichte
der Völker und Staaten mehr die große, zusammenhängende Entwicklung,
als die Wirksamkeit einzelner Persönlichkeiten erfaßten. Diese Auffassung
der politischen Geschichte begann sich in Rom zu ändern, je mehr die
persönliche Herrschaft Einzelner als das letzte Ziel aller Kämpfe hervor-
trat. Der Anteil der PersönlichklRten an dem Werdegange des röraisclien
Volkes wurde mehr und mehr ins Licht gesetzt, von den Einen durch
Verherrlichung ihrer Ahnen in Wort und Schrift und Bild, von den
Andern durch die der eigenen Verdienste. Und wenn man den langen
Reihen der hellenischen Geistesgrößen trotz aller Mühe keine recht eben-
bürtigen römischen zur Seite zu stellen vermochte, so zählte man mit
desto mehr Stolz die Männer auf, die den eigenen Staat so hoch über
die gefeiertsten der hellenischen Staaten erhoben hatten. Unter diesem
Gesichtspunkt des wachsenden Interesses für die Persönlichkeit in der
Geschichte können mancherlei Erscheinungen im Leben und in der Lite-
ratur der letzten republikanischen Zeit betrachtet werden; die neue
Monarchie hat auch in diesem Punkte ihr feines Verständnis für die
Forderungen und Strömungen ibrer Zeit bekundet: Die Ahnengalerie
nicht eines Geschlechtes, sondern des ganzen Volkes, das adeliger war
als alle anderen, hat erst der Dichter in begeisterter Vision geschaut,
und dann der Kaiser in vollem Glänze erstehen lassen, natürlich so,
daß seine und seines Hauses Herrlichkeit alle andere überstrahlte. *)
') Leo Rom. Literaturgesch. Hbb^^-il-i.
-) Kür die hier gegebenen Andeutungen sind viele, aber nicht alle Belege in
Leos l{uche über die Griechisch-römische Biographie und in Premersteins Artikel
„Elogium" (Pauly-AVissowa V 2442 ff.) zu finden. Daß zwischen Vergils Heldenschau
— 249 —
An diese ganze Entwicklung knüpft Velleius an; der Abstand einer
Generation bezeichnet freilich einen tiefen Abfall in jeder Hinsicht.
Doch kommt es hier nicht darauf an, wie sich bei ihm der Abschluli
der Porträtgalerie gestaltet*), sondern der Anfang; soweit wir sehen
können, löst sich ihm die Geschichte Roms in die der großen Römer
auf, weil sie von ihm zum guten Teile nur aus Biographien zusammen-
gesetzt worden ist.-)
Die meisten historischen Persönlichkeiten hatten nicht besondere
Biographien von verschiedenen Verfassern erhalten, sondern nur solche
innerhalb umfassenderer Sammlungen. Allgemein anerkannte Größen,
wie Marius und Sulla, ■^) Pompeius und Caesar durften natürlich in keiner
solchen fehlen; bei anderen Männern konnte der Sammler eine ver-
schiedene Auswahl treffen, wie es z. B. Xepos und Plutarch bei den
berühmten griechischen Feldherren getan haben. *) Von Augustus wird
bezeugt (vgl. CIL I- p. 186), daß er für seine Ruhmeshalle die Feld-
herren auswählte, die Rom groß gemacht hatten; er schloß aber nach-
weislich auch Männer nicht aus, die wie M'. Valerius Maximus und
Ap. Claudius Caecus ihren Ruhm wesentlich daheim und im Frieden er-
worben hatten. Wer dagegen, wie der Auetor de viris illustribus urbis
Romae die ganze römische Geschichte in Form von Biographien zur
Darstellung bringen wollte.^) durfte keine darin genannte Persönlichkeit
übergehen, auch wenn sie bei der Nachwelt nicht in guten Andenken
stand, ja sogar wenn sie die Größe Roms zu mindern und zu stürzen
getrachtet hatte. Gleichsam in der Mitte zwischen diesen entgegenge-
setzten Staudpunkten steht Plutarch mit seiner Auswahl der berühmten
Römer, denn er „handelt ausschließlich von Männern, die Geschichte
gemacht haben, und doch verwahrt er sich nachdrücklich dagegen, Ge-
schichte zu schreiben" (Leo Griech.-röm. Biographie 146). Er zog daher
den Kreis weiter als Augustus, indem er auch einen Coriolan und einen
>
und dem Plane des Augustus für die Ausschmückung seines Forums ein Zusammen-
hang besteht, braucht nur ausgesprochen zu werden, um einzuleuchten (vgl. Norden
Kommentar zu Yerg. Aen. YI S. 3U9). Nicht zugänglich ist mir G. Schön Die Ele-
gien des Augustusforums und der Liber de vir. ill. Progr. von Cilli 1895.
1) „Ist Caesar der Positiv, Augustus der Kompai-ativ, so sollte Tiberius als
Superlativ sie übertreffen" (Peter Geschichtl. Lit. I 387).
-) Vgl. von Früheren Sauppe 155 ff. Burmeister De fontibus Vellei Paterculi.
Diss. Berlra 1894 = Berliner Studien f. klass. Philol. XV 1 S. 21 ff. Leo Griech.-r.im.
Biographie 240 f.
3j Bei Vergil, der als Dichter in der Auswahl freier ist, durfte allerdings Sulla
fehlen, auf dem Augustusforum aber nicht (vgl. CIL P p. 196 el. XX).
•*) Vgl. Christ Gesch. der griech. Lit.* 677.
5) Ganz aus dem Plane heraus fällt sem 22. Kapitel: Aesctilapim Roinani ad-
veetus ; vgl. auch Leo Griech.-röm. Biographie 310.
— 250 —
Sertorius und auch die Gegner des Caesar und des Augustus selbst,
Cato, Brutus, Antonius, aufnahm ^) ; aber er ging nidit so weit wie der
Auct. de vir. ill., der sogar Männern wie Mancinus, Saturninus, Fimbria
und Cinna, dem Sohne Marius und Sex. Pompeius besondere Abschnitte
widmete. Die Schriften de viris illustribus, die dem Velleius vorlagen,
konnten nun ihrerseits eine sehr verschiedene Auswahl der berühmten
Männer getroffen haben, und Velleius selbst konnte sich ihnen auch
wieder sehr frei gegenüberstellen. Denn wenn er die ganze römische
Geschichte behandeln wollte, so mußte er eigentlich solche Quellen be-
vorzugen, die den geschichtlichen Stoff in der üblichen chronologischen
Anordnung boten, und nur in zweiter Linie solche heranziehen, die ihn
in Biographien zerlegten. Aber es ist für ihn sehr bezeichnend, daß er
vielmehr in großen Abschnitten die Biographien zu Grunde legt und
den Geschichtsdarstellungen nur das entnimmt, was zu der Verbindung
und Ergänzung jener notwendig ist. Das ist bei den bedeutendsten Per-
sönlichkeiten, die im Zeitalter der Bürgerkriege eine Rolle gespielt haben,
und namentlich bei denen der Herrscher Caesai', Augustus, Tiberius am
deutlichsten; Velleius verzichtet immer mehr auf die Heranziehung von
allgemein geschichtlichen Darstellungen, je mehr die einzelne Biographie
von dem gesamten geschichtlichen Stoff in sich aufzunehmen hatte. Aber
dasselbe hat er auch in den früheren Partien getan; nur gibt er sich
dort notgedrungen seiner Neigung nicht in demselben Maße hin, sondern
muß das Gerüst seines Werkes aus chronologisch fortschreitenden Ge-
schicbtswerken entnehmen, darf nur zu seiner Ausschmückung und Ver-
kleidung die biographische Literatur verwerten. Das Streben, beide
Gattungen miteinander zu verljinden und die zweite möglichst zu bevor-
zugen, führt nun zu einer sehr unruhigen und ungenießbaren Darstellung,
während die späteren Abschnitte mehr in einem Zuge geschrieben sind.
Die Analyse der ersten Teile, die uns von der römischen Geschichte
erhalten sind, bildet die Grundlage der folgenden Untersuchungen.
II.
Velleius hat nicht nur die römische, sondern die allgemeine Ge-
schichte geschrieben, daher ist von den Biographien der Nichtrömer
auszugehen. Bei dem Verlust der ganzen griechischen Geschichte kommen
lediglich die von Römerfeinden in Betracht, von denen der Auetor de
vir. ill. vier Könige behandelt, Pyrrhos. Antiochos, ]Mithridates und
Kleopatra. T)ar) die Könige Porsena und vollends Jugurtha fehlen, ist
1) üb die 1 leiden Ci raccheu .Statueu auf dem Augustusturum erhielten, ist zweifel-
haft, obgleich ihr Vater, der zweimal triumjjhiert hatte, dort niclit fehlen durfte (CIL
P p. 195 el. XVI I, und (iracchi t/euns von Vergil. Aen. \'J Si'2 oreiiannt wird.
— 251 —
befremdend, aber wobl gerade aus alter Tradition der hellenistiscben
Geschichtsclireibung zu erklären, indem die Lebensbeschreibung von
Barbarentursten nur in der ihrer Gegner untergebracht wurde. Statt
einer zusammenhängenden Erzählung des Porsenakrieges, worin der König
die Haujitperson gewesen wäre, gibt der Auct. de vir, ill, die Veran-
lassung des Krieges im Leben des Tarquinius Superbus (8,5) und die
drei wichtigsten Episoden unter den Namen ihrer Helden Horatius
Cooles, Mucius Scaevola und Cloelia. Bei Jugurtha hätte doch sein Tod,
wie ihn Plut. Mar. 12 erzählt, jeden antiken Historiker oder Biographen
zur packenden Darstellung reizen müssen ; aber schon bei Sallust schließt
die Lebensgeschichte vielmehr (lug. 113,7): Inf/url/ta Sul/ae riiir/iis Ira-
ditur et ab eo ad Mar'mm dcducifnr^)-^ dasselbe ist beinahe alles, was der
Auct. de vir. ill. von dem Numider meldet,-) und auf dasselbe ungefähr
beschränkt sich auch Yelleius. Bei ihm fällt es besonders auf, daß er
der Aufführung Jugurthas im Triumphe des Marius nichts mehr hinzu-
fügt (II 12,1), da er doch von Perseus nach der Aufführung im Triumphe
des Siegers (I 9,5 und 6) den ganz gleichgültigen und unrühmlichen
Tod mit Angabe von Ort und Zeit der Erwähnung wert findet (I 11,1).
Im Negativen zeigt sich hier also eine Übereinstimmung verschiedener
Biographiensammlungen.
Perseus ist von ihnen allerdings nicht gleichmässig beachtet worden ;
der Auct. de vir. ill. gedenkt seiner nur in der Vita seines Überwinders
L. Aemilius Paullus in aller Kürze (56,3); dem Velleius dagegen stand
eine Lebensbeschreibung des letzten Makedonenkönigs zu Gebote und
wurde nun von ihm verknüpft mit der des Aemilius Paullus. Beiden
gemeinsam war der wichtigste Abschnitt, die Schlacht bei Pydna; in
diesem Knoten verschlingen sich bei Vell, I 9,4 gewissermaßen die vor-
her und wieder nachher getrennten Fäden beider Lebensläufe. Der An-
fang der Biographie des Perseus ist mit dem größten Teile des ersten
Buches verloren gegangen; das Erhaltene beginnt 19,1: * * * qaa/tt
timutrat hostis. e.rpetit. iiani hkunio adeo varia fortana cum connulUnis
conßUerat. u1 plerumque superior foret'^) magnamque park m Graeciae in
1) Ygl. 114, 3: lugnrtham Romam adduci nuntiatum est.
-) Auct. de vir. ül. 62,1: Metellus de lugurtha rege yiimidiae triinnphavU; 67,1:
Marius liigurtham captum ante currum egit: 75,2: Sulla lugnrlham a Boccho in deditionem
accepit. Über Vell. n 9.4 s. u. S. 263.
3) Foret ist eine alte Konjektur für das überlieferte fuit, das Rhenanus still-
schweigend in fiierit änderte. Scholl Rhein. Mus. LUI 525 findet den Oredanken un-
logisch: Adeo varia fort ima, iit plerumque sujjerior foret; aber auch vom Viriathischen
Kriege heißt es 11 1,3: Quod ita varia forluna gestum est, ut saepius Romanorum
gereretur adversa, sodaß Yelleius doch wohl glaubte, in dieser Form seinen Gedanken
besonders fein ausgedrückt zu haben. Ygl. auch 55.1 von Caesar: Primo varia forluna,
mox pugnavit sua (und dazu wieder 63,5: Plancus dubia, ist est sua fide). Nach
— 252 —
societateiti auaui jxrdNccref. Ist auch der verstümmelte Anfang nicht
sicher zu ergänzen, so war doch offenbar Perseus, der liost'm des Relativ-
satzes, vorher mit Namen genannt und eingeführt, da er sonst nicht
Subjekt des folgenden Hauptsatzes sein könnte. Dann wird er wieder
Subjekt und Hauptperson 9,4: Ifi Persum coefiit e Macedonia pro-
fiujere, quam tl/e ünquens in insidtun Samothraciam profuifd^) tempUque
m relif/ioni supplircni cndid'd. ad einu Cn. Octarhis praetor, f/ai c/assi
praeerat, percenit et ratione magis (juam vi permasit, ut se Romanorum
fidei committeret. ita Paulhts martmum nohdimmumque regem in triumpito
diixit. Verglichen mit der kurzen Andeutung der Entscheidungsschlacht
erscheint diese Erzählung der persönlichen Schicksale des Königs un-
verhältnisraässig breit; die Verknüpfung mit dem Vorhergehenden ist
ungeschickt; nicht nur das Wort pro f tigere wird wiederholt, sondern in
der Bemerkung 9,6, daß der Triumph des Paullus die früheren rel magni-
fadine regis Persei übertrofi'en habe, wird auch der Gedanke des Satzes ita
PauJlus cet. noch einmal kürzer ausgedrückt. Das alles spricht für die
Verbindung zweier Vorlagen, von denen die eine den Blick nur auf den
König richtete. Unmittelbar an das von ihm Berichtete schließt sich
dann an 11,1: Post cietum cajJtuntf/ae Persen. qui quadriennio post in
lihera custodia Allme decessif, Pseudop/filipjnis breii temeritatis poenas
(ledit. Hier wird erstens der Ausgang des Perseus erzählt, dessen Fehlen
niemand als eine Lücke empfinden würde, und eng damit verbunden
wird über zwei Jahrzehnte hinweg die Geschichte des falschen Philippos.
Wahrscheinlich hatte die benutzte Perseusbiographie einen Anhang über
den angeblichen Sohn ihres Helden, gerade wie auch beim Auct. de vir.
ill. trotz des Zeitabstandes der Sohn des Decius unmittelbar an den
Vater, der Sohn Marius ebenso an den Vater — vor Cinna und Fimbria —
angehängt wird. Vielleicht darf man weitergehend vermuten, daß in der
Vorlage des Velleius die ganze Reihe der makedonischen Könige dar-
gestellt war-) bis herab auf den Prätendenten, der deshalb nicht mit
seinem wahren Namen Andriskos bezeichnet wurde, sondern nur mit dem
angemaßten, weil dieser seine Aufnahme in die Reihe rechtfertigte.
Auch eine Lebensbeschreibung des Mithridates dürfte dem Velleius
zur Verfügung gestanden haben, wenngleich sie nur für dessen Anfänge
Abfassung meines Aufsatzes lerne ich die Bemerkungen von Noväk Wien. Stud. XX VIII
285 kennen, die mit meinen eigenen hier völlig ühereiustimnien.
Ï) Das ülierlieferte jirofunit wird allgemein in perfiii/it geändert unter Be-
rufung auf 23,.S: Maior pars nobilUatii, ad Sitllam in Acliaiam perfinjU., kann
aber auch verteidigt werden durcli die Überlieferung 24,2: Cum coUcjiue eins .... ad
Sullain p rofiifiUment.
') Der Anfang der Reihe liegt vor liei Nepos de reg. 2,1, der hier von den
Viten Philipps und Alexanders nur den Schluß, das Lebensende, aufninmit. Vgl. auch
S. 254,2.
— 258 —
benutzt und später bei Seite gelassen wurde, weil der geschicbtliclie
Stoff obnebin gewaltig anscbwoll. An die Notiz 1117,1: ilitiisithtliiDi
inkruut ij. J^nnpiius et L. OjrNc/im^ SiiUu. schließt sich als die genaue
Fortsetzung an II 18,3 Ende: Sorte ofwenif Sullae Asia proiiiicKt : zwischen
beide Sätze schiebt sich aber erstens die ganze Vorgeschichte Sullas
und zweitens die des Mithridates. Die letztere (18,1 — 8) wird in die
denkbar ungeschickteste Form gekleidet, als Vordersatz zu dem ange-
führten kurzen Hauptsätzchen gestaltet, durch Parenthesen und Exkurse
zu den Parenthesen unterbrochen, durch die ungenaue Zeitbestimmung
jK-r ea tcmpora lose mit der genauen Datierung nach den Konsuln ver-
knüpft. Aufgelöst in ihre Bestandteile, läßt sie sich passend mit der
Vita Mithridats beim Auct. de vir. ill. 76 vergleichen: Der Huld wird
mit Namen und Titel eingeführt fMtf/iriflafes Poiiticii.s rcr Vell., Mif/iri-
(kites red- Pont} Auct. 1); seine Abstammung ist bei Vell. weggelassen;
es folgt die Charakteristik, beim Auct. 1: mof/nfi vi (uihnl et corporia.
ergänzt durch zwei Anekdoten als Belege für beide Seiten, bei Vell. im
Kern übereinstimmend (semper (uümo ma.nmus mtfes nuumj. aber
breiter und kunstvoller ausgeführt mit einer Fülle echt Velleianischer
Antithesen.^) Von dem Mithridatischen Kriege geben beide Schriftsteller
dieselben drei Tatsachen au: Erstens occupata A.sia Vell., ausführlicher
Auct. 2: Nicomeden Bit/ii/nia. Anof)arzanen Cappadœia exputtt : zweitens
die Ermordung der in Asien weilenden Bömer; drittens den Abfall der
Griechen von Rom mit Ausnahme der ßhodier. Bei der zweiten mit
besonderer Genauigkeit erzählten Tatsache ist die Übereinstimmung
zwischen Vell. und Auct. 3 eine vollständige; bei der ersten ist die
scheinbare Abweichung nur eine Folge der starken Verkürzung der Vor-
lage und bei der dritten eine Folge der persönlichen Neigung des Velleius,
die Treue der Rhodier, die eigentlich Nebensache ist, so stark zu be-
tonen, daß er die Hauptsache, die Treulosigkeit der übrigen Griechen,
darüber fast vergißt.-) Seine Zusammenfassung alles Gesagten: Cum
1) Die Einführung: Vir neque silendus neqite dicendus sine cura, erinnert weniger
an I 2,1: Codrvs vir no)i prnelereundiis, als an andere Stellen, II 17,1: (Sulla) vir qui
nerpie adfinem vicloriae (vgl. dazu Herwerden Mnemosyne XXXII 98 f.) satis laudari neque
post victoriain salis vilu/jeravi j)Oiest: 67,1: Huius totius temporis (der Proskriptionen
der Triumvim) /or/?^na;« ne deflere quidem qvigquam satis potvit, adeo nemo exprimere
verbis polest; 101,1: C. Caesar tarn varie se ibi yessit.nt nee laudaturum magna
nee vituperati/rum medioeris materia deßciat. Der pointierte Ausdruck darf in solchen
Fällen nicht üVier die Unsicherheit des Urteils und die Armut des Gedankens täuschen.
Die Charakteristiken des Yelleius, die Sauppe 160 noch zu günstig beurteilt, sind
meistens gerade so einseitig wie die des Xepos oder, wenn die Meinungen der Vor-
gänger auseinandergehen, aus Widersprüchen zusammengesetzt. Über Sulla wörtlich
dasselbe bei Val. Max. IX 2,1: Quem neque laudare neque vituperare quigquam satis
digne polest.
2) Vgl. den Exkurs am Schluss des Aufsatzes S. 277 f.
— 254 —
tembiUs Italiae quoqiie vkkretur immiiierc. ist von ihm selbständig hin-
zugefügt, um die Verbindung zwischen den Viten des Mithridates und
des Sulla herzustellen -, sie ist falsch, nicht nur weil sie übertreibt, sondern
auch weil sie der Zeitfolge der Ereignisse widerstreitet.^) Es ist möglich,
daß Velleius auch weiterhin noch einmal einen Blick auf die Biographie
des Königs geworfen hat; bei der verhältnismäßig eingehenden Wieder-
gabe der Friedensbedingungen Sullas 23,6 könnte der ungeschickte Satz-
bau für eine Vermischung zweier Quellenstellen sprechen, und bei der
sonst kurzen Erwähnung des Todes Mithridats 40,1 die Worte: ülthnns
omnium iuris sui regum praeter Parthicos. für die Benutzung einer Samm-
lung von Königsviten, worin diese die letzte war;-) auch die an ganz
unpassender Stelle eingeflickte Notiz II 4,1 : Populo Romano heredilate
relicta est a Nicomede Bitinjma. könnte daraus stammen, weil diese
Veranlassung des dritten Mithridatischen Krieges sonst von Velleius
nirgends berührt wird. Aber mit Sicherheit läßt sich nur für die An-
fänge des Königs die Benutzung einer Vita annehmen, die aus einem
biographischen Sammelwerk stammen muss. Andere Königsbiographien
kommen für die erhaltenen Teile des Velleius überhaupt nicht in Be-
tracht; eine solche der Kleopatra hat er entweder nicht gehabt oder
nicht verwertet.
Von Römerfeinden, die nicht Könige waren, sind Hannibal und
Viriathus beim Auct. de vir. ill. in besonderen Kapiteln behandelt. Was
Velleius von Hannibal erzählte, wissen wir nicht; wenn die Bezeichnung
Mithridats als odio in Romanos Hannibal (II 18,1)^) vermuten läßt, daß
die bekannte Anekdote, wie Hannibal als Knabe den Römern ewigen
Haß geschworen habe, von ihm nicht übergangen worden ist, so folgt
daraus nichts, weil ebenso wie die Biographen Hannibals (Nep. Hann.
1,3 ff. Auct. de vir. ill. 42,1), auch die Geschichtschreiber des Hanni-
balischen Krieges (Polyb. III 10,7 ff. Liv. XXI 1,4. Appian. Hann. 3)
mit dieser Anekdote ihre Darstellung zu eröffnen liebten. Was dem
Viriathus beim Auct. de vir. ill. die Ehre einer besondern Vita einge-
') Sie beruht in letzter Linie auf dem Bericht, daß Mithridates durch eine
Gesandtschaft der Italiker aufgefordert wurde, nach Italien zu ziehen, und darauf ant-
wortete, er wolle dies tun, sobald er Asien unterworfen habe (Diod. XXXVII 2, 11).
Sulla hatte die Provinz erhalten, als der König den Angriff eröffnet hatte, lange vor
dessen großen Erfolgen (vgl. Bernhardt Chronologie der Mithridatischen Kriege. Diss.
Marburg = Progr. Dortmund 1896 S. 9 f.).
2) Eine solche Sammlung hatte z. B. Nepos gegeben vgl. de reg. 1,1; s. auch
Leo Griech.-röm. Biographie 145. Bei Velleius kann man den Schluß der attischen
Königsreihe vergleichen I 2,1 f., woran 8,2 f. anknüpft.
3) Dieser sprichwörtlichen Verwendung des Namens Hannibal scheint keine der
anderweitig bekannten ganz ähnlich zu sein, vgl. Otto Sprichwörter der Römer 158,
wo die schon o. S. 2.').},1 angezogene Stelle des Val. Max. IX 2,1 hinzuzufügen ist.
— 255 —
tragen hat, war das Gegenteil von dem, was den Jugurtha um diese
Ehre brachte : Von den römischen Feklherren, die gegen Viriath kämpften,
war keiner so bedeutend, daß ihm eine eigene Biographie gewidmet
werden konnte, und jedenfalls keiner geeignet, um in seiner Biographie
die Geschichte des Lusitaners unterzubringen,') Aber die Existenz einer
Yiriathusvita läßt sich auch für die frühere Zeit wahrscheinlich machen,
wenn man seine Darstellung bei Velleius II 1,3 trotz ihrer Kürze mit
der des Auct. de vir. ill. 71,1 ff. vergleicht. Die Anfänge, die Erfolge
und der Ausgang des Viriathus werden so dargestellt, daß er selbst die
Hauptperson ist, und daß von seinen römischen Gegnern nur der An-
stifter seiner Ermordung genannt wird. Die Chronologie wird dabei
gröblich vernachläßigt: Tr'iHte de'inde et contamelUmim hcUam in Hisjjfin'm
ducb latronam Viriatlto secufum est sed infennipfo Vtnat/w fraude
Servlli Cuepionis yumantbmm gramis exarsit. Iiaec urbs
cum afios duces. tum Fomjmum ad turpmma dedudU foedera
nee minus turpia ac detest(dnli(t Mancinum Hnstilium consulem. Nicht
nach der Zerstörung Karthagos, sondern spätestens im Anfang des Jahres
dieser Katastrophe, vielleicht schon im vorhergehenden 607 =147 wurde
Viriathus Oberfeldherr der Lusitaner;') seine Ermordung fällt ins Jahr
615 = 139, aber vorher war der Konsul Q. Pompeius 613 = 1-41 von den
Numantinern geschlagen und als Prokonsul 614 = 140 zum Friedens-
schluß gezwungen worden; dann befleckte Mancinus sein Konsulat von
617 = 137 mit dem Schimpf eines neuen Vertrages. Nachdem Velleius
weiterhin über die Zerstörung Numantias 621 = 133 hinaus die Ge-
schichte des Zerstörers Scipio Aemilianus bis zu dessen Tode 625 =129
hinabgeführt hat, kehrt er II 5,1 ff. noch einmal zu den gleichzeitigen
spanischen Ereignissen zurück : Ante tempus excisae Sumantiae praeclara
in Hispania militici D. Bruti fuit (616 = 138 bis 618 = 136) et
ante eum paucis cinnis secerum i/Iius Q. Macedonid in his gentilms
Imperium fuit (611 = 143 und 612 = 142) Iiic virtute et sereritate
facti, af Fabius Aemilianus discijjUna in Hispania fuit clarissimus
(609 = 145 und 610 = 144). Hier erscheinen plötzlich die Namen der
römischen Statthalter, die gegen Viriathus und die Seinen glücklich ge-
1) Die letztere Bemerkung ist deswegen nicht ganz überflüssig, weU Metellus
Macedonicus im Viriaihischen Kriege gekämpft und eine eigene Vita in den Samm-
lungen de viris iUustribiis erhalten hat (s. u. S. 264 f.). Daß übrigens der einzelne Autor in der
Auswahl der berühmten Römer nicht fest an die seiner Vorgänger gebunden war, ver-
steht sich von selbst und kann durch das Beispiel des Fabricius gezeigt werden; Verg.
Aeu. VI 843 f. hebt ihn hervor, imd Hygin scheint ihn für sich behandelt zu haben
(frg. .3 Peter bei Gell. I 14,1), aber nicht allein Plutarch. sondern auch der Auct. de
vir. ill. hat seine Geschichte fast ganz in die des Pyrrhos hineingearbeitet.
2j Vgl. Kornemann Die neue Liviusepitome aus Oxyrhynchus (Klio. Beiheft
U) 96 ff 116 ff.
— 256 —
kämpft haben, und hier erscheinen sie in genauer chronologischer Reihen-
folge, nur in der umgekehrten, von unten nach oben. Die seltsame Zer-
reißung der eng zusammengehörigen Ereignisse im ersten und im fünften
Kapitel fordert eine Erklärung: Velleius griff erst bei der Zerstörung
Numantias wieder zu einem Geschichtswerk, das die übliche chrono-
logische Anlage hatte, und er ließ nun seine Augen hierin rückwärts
schweifen bis zu dem Jahre der Zerstörung Karthagos, mit dem er die
Erzählung im zweiten Buche begann, ohne dabei zu beachten, daß er
dieselben Dinge vorher schon einmal erzählt hatte, nur unter anderm
Gesichtspunkte und folglich nach einer andern und andersartigen Quelle.
Daß diese Quelle eine Vita Viriaths war, ist durch die Prüfung der
Komposition in weit höherem Grade wahrscheinlich geworden, als durch
die Yergleichung mit Parallelberichten. Die Vita Viriaths konnte aber
nur in einer Sammlung von Biographien ihren Platz gefunden haben,
die nicht allein die berühmten römischen Feldherren enthielt, sondern
auch die nichtrömischen ^) in größerer Vollständigkeit als das Buch des
Nepos de excellentibus ducibus exterarum gentium.
Man darf nun den Schluß ziehen, daß nicht allein für die römische
und für die neueste Geschichte von Velleius solche Sammlungen ver-
wertet wurden, sondern bereits für die griechische und vom Anfang
seines Werkes an. Der kurze Abschnitt über Lykurg I 6,3, die Genea-
logie des makedonischen Königshauses I 6,5 und die Einführung Kimons
in dem bei Priscian erhaltenen Fragment aus der großen Lücke sind
offenbar derartigen Ursprungs. Einen bestimmten Autornamen zu suchen,
scheint mir wie schon Burmeister 26 aussichtslos, da wir von den Ver-
tretern der ganzen Gattung de viris i/histrihus in Ciceronischer und
Augustischer Zeit nur sehr wenig wissen,^)
1) Zu den Römerfeinden kann gewissermaßen auch Sertorius gerechnet werden,
dem Plutarch eine besondere Biographie eingeräumt hat, während er beim Auct. de
vir. ill. nur ganz flüchtig in denen seiner beiden Gegner Metelhis Pius (63,2 : Ser-
torium Hispania expvlit) und Pompeius (77,4: Sertorium vieil) erwähnt wird. Seine
erste beiläufige Erwähnung begleitet Velleius 25,3 mit dem Ausruf: Serlorivm — pro
quanti mox belli facem ! — et miiltos alios, und man würde nun bei ihm eine Dar-
stellung dieses furchtbaren Krieges erwarten (vjïl. Il 8,.3. 105,1 u. S. 271). Aber ledig-
lich am Schluß der Charakteristik des Pompeius 29.5 heißt es: Vt a Sertorio Metellus
laitdaretin- nit/f/is, I'ompeiwi timeretur valiilins^ und daran schließt sich unmittelbar das
Ende des Sertorius, das seines Mörders Perpenna und das des ganzen Krieges 30,1.
Der Widerspruch zwischen jener pathetischen Ankündigung und der dürftigen Aus-
führung dieses Themas ist so befremdend , daß mau sogar eine Lücke annehmen
wollte; violleicht ist er eher damit zu erklären, daß Velleius in seiner Eile gleichsam
einen Mann über Bord fallen ließ. Vgl. .\hnlichos u, S. 272.
2) Vgl. Leo firiech.-röm. Biographie 13(i tf.
— 257 —
III.
Die erste in den erhaltenen Teilen des Velleius benutzte Biographie
eines römischen Feldherrn ist die des L. Aemilius Paullus. Seine Auf-
nahme unter die allgemein anerkannten Viri illustren ist außer Zweifel.
Nachdem ihn in repul)likanischer Zeit seine Nachkommen durch öffent-
liche Denkmäler auf dem Fabierbogen und in der Basilica Aemilia ge-
ehrt hatten, hat ihn Vergil (Aen. VI 838 — 840) verherrlicht, hat Augustus
seine Statue auf seinem Forum aufgestellt, haben Plutarch und der
Auetor de vir. ill. sein Leben geschrieben.') Velleius hat aus einer Bio-
graphie des Paullus drei Stücke entnommen, von denen die beiden ersten
so eng mit einander verbunden sind, daß sie als eines erscheinen. Das
erste Stück ist 1 9,8 : Tum senatus populusque Romanus L. Aemiliiim
Paulliim, qui et praetor et consul triumphaverat, virum in tantiim lau-
dandum, in quantum intellegi virtus potest, consulem crearif, filium eins
Paulli, qui ad Cannas quam tergiversanter perniciosam rei puhlicae pug-
nam inierat, tarn fortiter in ea mortem obierat. Offenbar hat Velleius
die Lebensbeschreibung erst eingesehen, als er in der geschichtlichen
Darstellung zu dem Zeitpunkt gelangte, in welchem die große geschicht-
liche Rolle des Helden beginnt, zum Antritt seines zweiten Konsulats
586 = 168; er holt nun aus dieser Quelle alles Bemerkenswerte nach,
TiQuieLc, i]d^og, yivoç, die drei Kapitel, die dort natürlich in der umge-
kehrten Reihenfolge standen. Das yévo^ führt keiner der Biographen über
den Vater hinauf, obgleich schon der Urgroßvater und der Großvater
das Konsulat erlangt hatten, weil erst von jenem der Ruhm der Familie
datierte; noch besser als Auct. de vir. ill. 56,1: Filius eins qui ad Cannas
cecidit, läßt sich Plut. Pauli. 2 vergleichen: yJèu/.lov ôe Uai/lov xh tcsqï
Kâvvag axîy/^ua ri']v xe cfoorr^oir ciiia /.ai xr^v avàqkiav èôei^s xovxov
viôg /.t'/..; hieraus folgt nämlich, daß Velleius seine Antithese
quam tergiversanter — tarn fortiter bereits vorgezeichnet fand. Die
Charakteristik des Paullus ist im Ausdruck sein Eigentum, wie die
meisten anderen auch; er hat sie bis auf eine bezeichnende Abschwächung
wörtlich noch einmal für einen seiner Zeitgenossen verwendet.^) Die
1) Das Elogium vom Fabierbogen CIL I- p. 198 el. XXIV (= Dessau Inscr. sei.
43); von dem aus der Basilica Aemilia ein Fragment ebd. p. 341, zusammengesetzt
mit einem zweiten von Hülsen Archäol. Anzeiger 1900,5; Klio 11 262 f; von dem
Elogium des Augustusforums Kopie aus Arretium, am Schluß verstümmelt, ebd. p. 194
el. XV (= Dessau 57 1.
2) Er sagt von C. Antistius Vetus 43,4: Viri in tantuni boni, in Quantum hu-
mana simplicitas intellegi potent. Die simpliciias, deren Einführung an Stelle der
virtus die Abschwächung von laudandus in bonus nach sich zieht, rühmt er auch an
den gleichzeitigen Domitiem, an deren Charakter sonst nichts zu rühmen war (11 102,
und 72,3; vgl. S. 275). Nach Inhalt und Form verwandt mit der Charakteristik des
17
— 258 —
Notiz über die 7toaS,ug d. h. bei einem Römer hauptsächlicb über den
Cursus bonorum ist trotz ibrer Kürze wicbtig, weil sie die zu Über-
treibungen neigende panegyriscbe Tendenz der Vorlage offenbart-, die
Erwerbung eines Triumphes wäbrend der Praetur in Spanien kennt nur
die auf dem Fabierbogen zum Ausdruck kommende Familientradition,')
Das zweite Stück der Paullusvita über den makedonischen Krieg fällt
sachlich zusammen mit einem Abschnitt der Perseusvita und mit jeder
historischen Darstellung dieser Ereignisse (o. S. 251); nur seine Verbin-
dung mit dem Vorhergehenden und dem Folgenden verdient Beachtung.
Während nämhch nach Liv. XIjIV 17,7 Makedonien dem Konsul durchs
Los zufiel.') ist es nach der ausdrücklichen Angabe des Plut. Pauli. 10
(und Justin. XXXIII 1,6) ihm nicht durch den Zufall der Losung,
sondern in außerordentlicher Weise durch Volksbeschluß übertragen
worden, und diese für ihn ehrenvollere Auffassung scheint auch bei
Velleius zu Grunde zu liegen, der nach Erwähnung der Mißerfolge der
früheren Konsuln betont: Tum senatus populusque Romamis L. Aemilimn
Paullum comulem creavit.'"^) Der Anfang des dritten Stückes 10,3 :
Lucio auiem Paullo Macedonkae victoriae compofi quati^or filii fuercy
knüpft nicht an die historischen Xotizen über den Triumph 9,6 an, son-
dern an die weiter zurückliegenden über den Sieg 9,4. Für den Triumph
bot ein Historiker reicheren Stoff als ein Biograph, der nur für die per-
sönlichen Schicksale des Paullus lierangezogen wurde ; die Folge dieses
Quellenwechsels war, daß die Erzählung selbst im Zickzack von dem
Triumph zu den vorausgegangenen Ereignissen und dann wieder zu dem
Triumph zurückführt.
Paullus ist die des Ti. Gracchus II 2,"2: Taiitis denique adornatus viriutifius, ijuantas
perfecta et natura et industria mortalis condicio recipit: auch sie wird wörtlich auf
einen Zeitgenossen übertragen, aber ohne Einschränkung, weil es Drusus der Bruder
des Kaisers ist, 97,2: Adulesceriii tot taniarumqne virtutum, qiiot et quantas natura
mortalis recipit vel industria /»erficit.
1) Vgl. Mommsen zu der Insclirift. ßurmeister 22. Hier könnte also einer der
übelberüchtigten aus der Familieneitelkeit entsprungenen falsi triumphi (Cic. Brut. 62)
vorliegen, der in die Literatur de viris illustribus eingedrungen wäre. In anderen
Fällen ist dagegen nicht von Fälschung die Rede, sondern die Flüchtigkeit und die
rhetorische Übertreibung kommt nur auf Rechnung des Velleius, wenn er II 10,8 .,fast
allen" Domitii Ahenobarbi ïriumphalomamente zuweist und sowohl dem Metelius Macé-
doniens I 11 i), wie dem Metelius Numidicus II 15,4 neben honorem auch (riiimjdii in
der Mehrzahl, obgleich jeder nur einmal triumphiert hat.
2j Vgl. auch Cic. de div. I 1Ü3: Cum ei bellum ul cum rege Ferne gereret. ob-
t ig ins et.
3) Vgl. auch elog. XV : Herum cos., ut cum rege [Per] sc bellum gereret, ap[8eu)t
fjaclus est. Deutlicher allerdings elog. XVII. XVIII (- Dessau öU) von Marius: Extra
sortem bellum cum lugnrlha rege Muinid. cos. gesslt.
— 259 —
Das dritte Stück der Paullusvita ') handelt nicht nur über die
letzten Schicksale, sondern auch über die Nachkommenschaft des Helden.
Livius XL V 40,7 sagt nur: Duobus e ßliis, quos duobua datis in adop-
tionem solos nomiim sacrorum familiaeque heredes retinuerat dornt, und
spricht nicht von den beiden älteren Söhnen; nur vorher in der Be-
schreibung des Triumphes (40,4) nennt er ihre Namen und weiterhin in
der Rede des Paullus (41,12) die der Geschlechter, in die sie einge-
treten waren. Velleius handelt an der Stelle 9,3, die der angeführten
Livianischen genau entspricht, weit eingehender, als in diesem Zusammen-
hange notwendig wäre (vgl. damit auch Plut. Pauli. 35. Auct. de vir.
ill. 56,4), von den älteren Söhnen und ihren Adoptivvätern und weist
später 12,3 ausdrücklich hierauf zurück. Es schiebt sich also zwischen
Livius und ihn eine biographische Mittelquelle ein, die am Schluß der
Biographie ebenso über die Nachkommen des Helden handelte, wie am
Anfang über seine Vorfahren und dadurch auch die genealogische Ver-
bindung zwischen den verschiedenen monographisch behandelten Männern
herstellte.
IV.
Das Leben des Scipio Aemilianus durfte selbstverständhch in keiner
Biographiensammlung fehlen ; es ist für die des Hygin und des Plutarch
bezeugt und beim Auct. de vir. ill. erhalten; von den Unterschriften
unter seinen öffentlich aufgestellten Statuen besitzen wir die des Fabier-
bogens, kennen aber auch die des Augustusforums.-) Bei Velleius zeigt
sich die Benutzung einer Vita Scipios gleich in dessen Einführung.
Nachdem die griechisch-makedonische Geschichte bis zur Zerstörung von
Korinth 608 = 146 herabgeführt ist, wird zu der gleichzeitigen von Kar-
thago übergegangen 112,2: Et suh idem tempus .sfatuif senalus
Cartliuginem excidere.^) Aber darauf folgt nicht etwa die Erklärung oder
der Beginn des Krieges im J. 605 = 149, sondern 12,3: Ita eodem tem-
pore P. Scipio Aemilianus consul creatus est (für 607 = 147), und
') Über das Verhältnis dieses Stückes zu Livius vgl Burmeister 39 f. und über
die Gestaltung des Textes Scholl Rhein. Mus. LUX 522 f. Es ist aber sehr möglich,
daß schon die biographische Mittel quelle den historischen Bericht, wie er bei Livius
vorliegt, verkürzt und verschoben hat, auchweundie Fointe ante paucos — post pauciores
dies Eigentum des Velleius ist.
') Hygin vgl. Gell. III 1,1 mit VI 1.2. dazu Pauly-Wissowa IV 1439,20 ff.
Peter Bist. Rom. relliquiae II p. CV; Plutarch vgl. Ti. Gracch. 21. C. Gracch. 10,
dazu Apopthth. Scip. Min.; Elogium des Fabierbogens CIL P p. 198 el. XXV (= Dessau
43), des Augustusforums Plm. n. h. XXII 13 ; vgl. noch Verg. Aen. VI 842 f.
^) Weshalb Halm und mit ihm EUis exscindere dem überlieferten exeidere vor-
ziehen, ist mir unverständlich angesichts des Gebrauchs von exeidere in den ganz ähn-
lichen Fällen II 4.2. 3. 5. 5.1 u. a.
— 260 —
erst dann als beiläufiger Nachtrag 12,4: Bellum Carthagini iam ante
hlennium a priorihus consuUhm inlatum maiore vi IntuUt. So wird frei-
lich der Held, der Karthago vernichtete, in wirkungsvoller Weise als
der dafür vorausbestimmte eingeführt, aber infolge der Vorliebe des
Autors für biographische Quellen und infolge seiner Unfähigkeit, diese
mit den annalistischen in ein rechtes Verhältnis zu bringen.
Wieder sind in dem ersten Stücke der Vita dieselben drei Be-
standteile zu unterscheiden, wie in dem entsprechenden der Paullusvita,
Herkunft und Charakter, hier in der Form von Appositionen und Re-
lativsätzen zum Namen hinzugefügt, und die Vorgeschichte, die hier um-
fangreicher und als sehr unbeholfene Parenthese in den zweiten Satz
eingeschoben ist; wieder bildet dann der erste Hauptsatz die Verbindung
zwischen diesem ganzen Teile und dem zweiten Stück, indem er die Wahl
zum Konsul berichtet. Von den Ahnen Scipios nennt Velleius hier den
leiblichen Vater, den Adoptivvater und den Adoptivgroßvater ; er rühmt,
daß die rir/us. die den Vater Paullus auszeichnete (I 9,3), auf diesen
Sohn übergegangen sei, wie er auch II 5,3 ähnliches von dem andern
Sohne Fabius Aemilianus aussagt; was er über den Adoptivvater 110,3
und 12,3 bringt, ist alles, was man überhaupt von diesem wußte. ^) Die
Charakteristik Scipios sucht die des Paullus noch zu überbieten und
rührt in der Form jedenfalls wieder von Velleius her. -) Von den
früheren Taten werden genannt die Erwerbung einer (Jorona muralis in
Spanien und die einer Corona ohsidiona/ls in Afrika und ein erfolgreicher
Zweikampf in Spanien ; es sind, wie Burmeister 24 richtig gesehen hat,
dieselben Taten, die auch der Auct. de vir. ill. 58,2 — 4 verzeichnet, mit
etwas grösserer Ausführlichkeit und in genauerer chronologischer An-
ordnung,'^) aber ebenfalls als die einzigen außer der Teilnahme an der
1) Vgl. Cic. Brut. 77. Cato 35. de off. I 121; dazu Hermes XL 90.
2) Mit der Zusammenstellung von ingenin») und studia ist die von natura und
indvatria bei Ti. Gracchus und Drusus zu vergleichen (s. S. 257 f., 2) und mit der Bezeich-
nung als eminentissimns saeculi siti die ähnlichen des Metellus Numidicus und des
Rutilius RufuB (s. S. 266,2).
•J) Alle diese Angaben standen gewiß auch unter der Statue des Augustusfo-
rums. Daß die militärischen Auszeichnungen auf den Elogien ebenso verzeichnet
waren, wie auf anderen Ehren- und Grabschriften (vgl. deren Zusammenstellung l)ei
Steiner Bonner Jahrb. CXIV 47 ff.), ist selbstverständlich und wird für die Corona ob-
sidionalix Scipios durch Pliu. n. h. XXII 13 ausdrücklich bezeugt. Für die Aufführung
seines Zweikampfes in der Inschrift sprechen zwei Analogien: Romulus war nach Ovid.
fasti V 565 dargestellt mit den Spolia opiiua, die er aus einem Zweikampf davonge-
tragen hatte, und Valerius Corvus nach Gell. IV 11,10 mit dem Raben, der ihm in seinem
Zweikampf beigestanden hatte; im Elogium des Romulus (IV) wird diese Darstellung
besonders ausführlich erläutert, und in dem des Corvus muß es ebenso gewesen sein.
Für die ehrenvolle Art der "Wahl Scipios zum Consul vgl. als Seiteustück im Elogium
des Valerius Maxiinus (V) die Bemerkung: Pri<im>>itsi/iifrn> iilbiin mnjjis/rdlKm ffererel,
dirlalor dicliis e«l: vgl. aucli 8. 25H,."{.
— 261 —
Schlacht bei Pydna, die Velleius ale^ zu weit zurückliegend übergangen
hat. Übereinstimmung zwischen beiden Autoren herrscht dann darin,
daß sie die Wahl Scipios zum Konsul während seiner Bewerbung um
die Adilität erwähnen und daß sie den zweiten Hauptteil der ganzen
Vita, die Zerstörung Karthagos, in aller Kürze erledigen.
Velleius hat dann andere Quellen zur Hand genommen, aber die
Vita Scipios nicht aus den Augen verloren. Er schloß das erste Buch
ursprünglich ') mit einem besondern rhetorischen Prunkstück, einer
oiy/.oiGig der Zerstörer von Karthago und Korinth, zu der er zwar das
meiste aus Eigenem hinzutat,^) aber einige Tatsachen der Vita ent-
lehnte, wie die Freundschaft Scipios mit Polybios und Panaitios ; die
Erwähnung des Letzteren läßt darauf schließen, daß er etwas über die
Gesandtschaftsreise gelesen hatte, auf der der Philosoph im J. 615 = 139'*)
den Helden begleitete^ und ähnliches muß auch dem Auct. de vir. ill.
58,7 vorgelegen haben, der freilich statt des Panaitios den römischen
Freund Scipios C. Laelius einsetzt (vgl. Plut. Apophth. Scip. Min. 14 u. a.).
Velleius hat aber die Gesandtschaftsreise selbst und die ihr voraus-
gehende gemeinsam mit Mummius geführte Zensur Scipios übergangen,
obwohl diese von den anderen Biographen*) erzählt wurde und ihm bei
der Vergleichung beider Männer gut zu Statten gekommen wäre; erst
als er in der Konsulliste wieder Scipios Namen findet, schlägt er die
Vita von neuem auf.
Es war schon davon die Rede, wie er im zweiten Buche erst den
Krieg gegen Viriathus, dann den gegen Xumantia erzählt ; die Kapitu-
lation des Mancinus führt ihn auf den daran beteiligten Ti. Gracchus,
und erst nachdem er dessen ganze Geschichte und die gleichzeitigen
Ereignisse in Asien dargestellt hat, kehrt er zum numantinischen Kriege
1) ]Mit dem Ende des 13. Kapitels reißt nicht nur der Faden der Erzählung
ab, um im Anfange des zweiten Buches wieder aufgenommen zu werden, sondern auch
der der moralisierenden Betrachtung; die an Yinicius gerichtete Mahnung berührt sich
nahe mit den ersten Sätzen des zweiten Buches, und die zwischen beiden stehenden
Exkurse lagen nicht von Anfang an im Plane des Autors. Vgl. Sauppe 151 Anm.
2) Vgl. Leo Griech. -röm. Biographie 149. Aus Scipios erster Charakteristik
12,3 wiederholt Velleius hier noch zweimal, daß der Held in Krieg und Frieden stets
derselbe gewesen sei; den Gedanken, daß er otium und negotium in rechtem Gleich-
gewicht zu halten wußte, verwendet er ähnUch 98,8 für die Schilderung seines hochan-
gesehenen Zeitgenossen L. Biso. Die Antithese von otium und negotium, die wohl so
alt ist. wie die lateinische Literatur (vgl. Cato Orig. praef. bei Cic. pro Plane. 66
Enn. Iphig. p. 159 Vahlen^ bei Gell. XIX 10,11; Terent. Andr. prol. 20), wird er
überhaupt nicht müde anzuwenden, so in den Charakteristiken des Maecenas 88,2 und
des Sentius Saturninus 105,2, außerdem noch II 1,1.
3) Vgl. Klio V 135 f.
^) Von Hygin bei Gell, lll 4,1 (s. o. S. 259,2), von Piutarch nach Apophth. Scip.
Min. 9 und 11. vom Auct. de vir. ill. 58,9.
— 262 —
zurück und berichtet nun dessen Beendigung durch Scipio und den Aus-
gang dieses Helden, um nochmals von der Zerstörung Numantias an die
spanischen Dinge rückwärts zu verfolgen bis zum Jahre der Zerstörung
Karthagos und Korinths. Diese vorwärts und rückwärts springende An-
ordnung kann nur durch eilige Kompilation verschiedenartiger Vorlagen
erklärt werden, und zu ihnen gehören neben einem geschichtlichen Leit-
faden vor allem die Lebensbeschreibungen des Ti. Gracchus und des
Scipio Aemilianus. Denn unbekümmert um den Wechsel von Zeit und
Ort verfolgt Yelleius die Schicksale dieser Männer eine Strecke weit
bis zu Ende und wird dadurch gezwungen, bald von späteren Jahren
auf frühere zurückzugreifen, bald von der äußeren Geschichte auf die
innere, und umgekehrt. In diesem Stück der Scipiovita ergänzen sich
Velleius und der Auetor de vir. ill. gegenseitig in solcher Weise, daß
man leicht eine vollständigere Vorlage rekonstruieren kann: Velleius
gab bei der Belagerung Karthagos I 12,4 die Zeitdauer nicht genau an,
tut es aber dafür bei der Numantias II 4,2; der Auct. de vir. ill. 58,5 f.
macht es umgekehrt. Velleius erwähnte I 13,2 den aus Afrika heimge-
brachten Siegesbeinamen Scipios und übergeht den angeblich bei Nu-
mantia erworbenen ; *) auch damit macht es der Auct. de vir. ill. umge-
kehrt. Die Wiederherstellung der Disziplin im spanischen Heere läßt
Velleius im Gegensatz zu dem Auct. de vir. ill. bei Seite, vielleicht weil
er gerade dasselbe als einzige rühmliche Leistung von Scipios Bruder
Fabius kannte und meldete (II 5,3). Aus Scipios letzten Lebensjahren
werden dieselben beiden x\ussprüche, die auch in Plutarchs Biographie
aufgenommen waren (vgl. Ti. Gracch. 21. Apophth. Scip. Min. 22), von
Velleius II 4,4 und vom Auct. de vir. ill. 58,8 wiedergegeben, der erste
von jenem und der zweite von diesem vollständiger; bei Scipios Tode,
ül)er den die Nachrichten weit auseinandergehen, haben beide allein
und abweichend von allen den kleinen auffallenden Zug gemein, daß die
Leiche „mit verhülltem Haupte" hinausgetragen wurde.-) In der breiten
Ausführung des Schlusses der Vita vermischen sich bei Velleius eigene
Betrachtungen, Reminiszenzen aus der Leklüre'') und Daten aus histo-
1) \V1. darüber Pauly-Wissowa IV 1456,24 ff.
2) luun corpitH velfilo capite ein tum est Vell. II 4,0. Ohrolnto va pile elatiis
Auct. de vir. ill. 58,10- Wie fest dieser Zug für Velleius gegeben war, zeiift seine
Verwendunj/ zu einer Antithese, die Sauppe 174 mit Recht zu den geschmacklosesten
unseres Autors rechnet. Zur Sache vgl. Pauly-Wissowa IV 1458. Kornemaun Klio
Beiheft I 9.
3) .\uf den Anklang von \'ell. II 4.5: Post bis exrisos lerrores rei pithlicae an
Cic. pro Mur. 58 hat schon Sauppe 178 hingewiesen; Kornemann a. O. 11 fügt noch
Cic. rep. I 71 hinzu. Cicero hat pro IMur. 75 die von Laelius vorfaßte Leichenrede
auf Scipio zitiert und legt in der Schrift de rep. die Worte dem Laelius in den Mund ;
vii'lleicht darf man sie daher auf dessen Laudatio Scipionis zurückführen.
— 203 —
Tischen Quellen;') der Vita entlehnt sein dürfte die Notiz 114,7: In
priorem coNSK/atian creafus est anno octaro et tricesimo, die sich unge-
zwungen mit der früher besprochenen I 12,3 verbindet: Aedilituteni petenH
conm/ creatus est; die ursprüngliche Verbindung beider Angaben hat
erst Velleius gelöst, weil er anfangs die zweite nicht zu verwerten ge-
dacht hatte.
Noch ein Excerpt aus diesen späteren Partien der Scipiovita hat
er bei anderer Gelegenheit nachgetragen. In dem literarhistorischen Ex-
kurse II 9,1 ff. zählt er erst die Kedner auf, dann die dramatischen
Dichter, zuletzt die Geschichtschreiber; den zwei letzten Gruppen wird
noch je ein Dichter als eete/fer angehängt, der eine Gattung der Poesie
allein vertritt, Lucilius für die Satire und Pomponius für die Atellane.
Von den Historikern steht an der Spitze Sisenna, der iatri tum iurenis
gewesen sei. Dieses iam tum paßt nach unserer Kenntnis vortrefflich
auf die Todeszeit des vorher genannten Lucilius. Nun fällt aber dem
Velleius eine Tatsache aus dem Leben dieses Dichters ein, die er in
einem Relativsatz im Plusquamperfekt nachträgt: Qui sut) P. Afrkano
yumantino I/etto eques mUitaverat. und diese eingeflickte Notiz zieht eine
weitere Parenthese nach sich: Quo quidem tempore lurenes udliuc lugurtlta
ac Marius sut) eodem Afrkano mUitantes in iisdem castris dufkere. quae
postea in contrariis facerent. Lucilius, Marius und Jugurtha sind nur
durch die Kriegskameradschaft miteinander verbunden; nur eine über
den numantinischen Krieg handelnde Vorlage kann dem Velleius ihre
drei Namen in dieser Verbindung geliefert haben, und als solche kommt
nur die Scipiovita in Betracht. Es war berechtigt, daß er die Notiz im
Leben Scipios überging (vgl. II 4,2), und es war begreiflich, daß er sie
in dem des Marius nicht gebrauchte, weil er gar nichts von dessen feind-
lichem Zusammentreôen mit Jugurtha zu sagen hatte (vgl. II 11,1 f. 12,1
O.S. 251): um sie nicht ganz fallen zulassen, hat er sie hier untergebracht, wo
sie vom Thema völlig ablenkt, im Stil nicht zu der Umgebung paßt und
den Leser völlig verwirrt. Für die eilige und mechanische Arbeitsweise
des Velleius ist dieses Beispiel besonders lehrreich, weil es auch modernen
Gelehrten Schwierigkeiten bereitet hat, die leicht vermieden werden
können, wenn Zusätze und Einschiebsel des Verfassers erkannt und
kenntlich gemacht werden.-)
1) Vgl. II 4,5: M\ Äquilio C. Semproiiio considihus abhinc antws centum et
sexaginta, welche Datierung mit einer Reihe anderer zusammengehört (vgl. die während
des Druckes erscheinende Zusammenstellung von Groebe Hermes XLII 308 Beilage).
-) Noch Niese liei Pauly-Wissowa IV 1512,20 ff. sagt, daß Velleius den Sisenna
„zum Zeitgenossen des numantinischen Krieges mache" ; andere haben sich damit zu
helfen gesucht, daß sie iam tum auf das unmittelbar vorhergehende postea und somit
auf die Teilnahme des Marius am Jugurthinischeu Kriege beziehen, doch ist das sachlich
und sprachlich wenig befriedigend.
— 264 —
Zu den berühmtesten Familien der plebeischen Nobilität gehört die
der Caecihi Metelli. Vertreter dreier Generationen werden vom Auetor
de vir. ill. unmittelbar nach einander vorgeführt, und zwar beginnen
ihre Biographien folgendermaßen: 61,1: Q. Caec'f/his Mctellus a doniita
Macedonla .Uacedoniciis. praetor Pseii(hj>/ii/}ppum vicit; 62,1:
Q. CaecUiiis Metellus Xumidicus. qui consul de lugurt/ia reffe Xumidiae
triumphartt ; 63,1: Q. Metellus P'ais Xum'idk't fiUus — Pins quki patrein
lacrlmls et prec'dnis adsidue fali exsitio schlechte Überlieferung) rerocavit.
Damit vergleiche man Velleius I 11,2: Q. Metetlus praetor, cui ex lirtnte
Macedonici nomen inditum erat, praeclara mctoria ipsum Tscil. Pseudo-
philippninj (/entemque superarit: II 11,2: Metelti et tr'tumphus fuit
clarissi/nus et meritum ex cirtute ei cof/nomen Xufnidici inditum; II 15,3 f.:
Q. Metetlus. Xumidici fllius. qui meritum cognomen Pii eonsecutus erat:
quippe expulsum ci vi täte pietate sua restituit pafrem. Zur
Unterscheidung dieser drei Q. Caecihi Metelli sind unentbehrlich die
von ihnen selbst erworbenen persönlichen Beinamen -, sie mußten in jeder
ausführlicheren Biographie an die Spitze gestellt werden mit der notwen-
digen Erläuterung, auch wenn ihre Erwerbung nicht das erste bemerkens-
werte Ereignis aus dem Leben des betreffenden Mannes war. Daß
Velleius diese Anordnung vorfand, folgt namentlich aus dem anstößigen
Plusquamperfekt inditum erat bei dem Macédoniens; er arbeitete so
flüchtig, daß er eine ähnliche Fassung der Notizen, wie wir sie beim
Auct. de vir. ill. noch lesen, mißverstand und falsch umschrieb, indem
er das früher Erwähnte auch für das früher Geschehene hielt. Bei allen
drei Cognomina hebt er die Erwerbung durch den Träger als das Wesent-
liche hervor; zweimal kehrt ex virtute inditum und zweimal meritum
cognomen wieder, sodaß die Fassung der Angabe als sein Eigentum er-
scheint.') Mit dem individuellen Beinamen pflegt er dann auch weiter-
hin die so eingeführten Persönlichkeiten zu bezeichnen (vgl. Macedouicus
111,3. 12,1. 115,2).
^) Wenn nicht die Überlieferung, sondern Velleius selbst für indilum erat verant-
wortlich ist, erledigen sich von selbst die vorgeschlagenen Änderungen, wie Mommsens:
inditurus erat (seil. Pxeudopliilippufi) und die dagegen erhobenen Bedenken Schölls Rhein.
Mus. Uli 522. An der Stelle über Numidicus ist der Text leicht verderbt; die an-
genommene Verbesserung Halms verdient entschieden den Vorzug vor der von E'lis
angenommenen Konjektur von Thomas; gegen diese wendet sich auch Xovâk Wien.
Stud. XXVIII 29fi f., dessen eigene Vorschläge ich indes auch nicht billige. Zum Ver-
gleich mit den angeführten Stellen bieten sich namentlich die über Mummius, .\uci.
de vir. ill. (»0,1: L. Miimmius, devicla Achaia Acliaiats, adverstis Carintitios missus
oel.; Vell. I 1;{,2: Deviclne a se pentin nomine honoralitx ajrpellatun oit Aclini-
cus\ nee (juintfunm ex novin honiinibnn prior Mvminin cognomen vir title parliim vindi-
cavil. Hier nimmt der Auct. de vir. ill. wieder das Cngnomen und seine Erklärung
vorweg, und Vell. hebt wieder die Erwerbung durch die rirtim hervor.
— 265 —
Auf den Namen folgt in der Vita gewöhnlich die Herkunft; Velleius
und der Auct. de vir. ill, stimmen darin üherein, daß sie das Verwandt-
S(;haft8verhältnis des dritten Metellers zum zweiten angeben — MnmUl'Ki
fjUna — , das des zweiten zum ersten — er war dessen Bruderssohn —
übergehen.
Von den Taten des Macedonicus gehören in den geschichtlichen
Zusammenhang nur die in Makedonien und Achaia I 11,2, deren Er-
zählung 12,1 mit einer Rückverweisung (nt pracdLäniiHiJ wieder aufge-
nommen wird. Eingeschoben ward nun ein längerer biographischer Ex-
kurs, der in der Zeit bis um drei Jahrzehnte tiefer hinabgeht und in
einem ersten, von Velleius durch weitere Exkurse ausgestalteten Al)-
schnitt die Denkmäler des Metellus aufführt — Portikus, Reiterstatuen-
gruppe, Tempel, — in einem zweiten sein fast sprichwörtlich gewordenes
Glück, — Lebensstellung, Familie, Lebensende.') Auf diese Vita weist
Velleius zweimal zurück, direkt mit ([uas prnedi.ri/tiKs II 1.2 und in
anderer Form mit U/ius Q. Macedonki 115,2; in beiden Fällen hat er
die Erwähnung des Mannes in anderen Quellen gefunden; im ersten
stellt er nur fest, daß er die Tatsache bereits aus der Biographie ent-
nommen habe; im zweiten benutzt er den Anlaß, um aus dieser noch
eine Anekdote einzulegen, deren breite Erzählung in offenkundigem
Mißverhältnis zu ihrer Umgebung steht (s. o. S. 255), -)
Der Schluß der Vita des Macedonicus wurde fast von selbst zu einer
annähernd vollständigen Übersicht über die Geschichte seines Hauses,
I 11, 7: Morim citis /editni pi'o rontrh m^tukriud (/iiaffxor fi'/ii. un na
1) Mit der Einführuug des Exkurses 11,3: Hie est Metellus Macedonicus,
qui vgl. die entsprechende zweier kleineren Einlagen verwandter Art II 1,4
und 7,5. Über den ga»zen biographischen Exkurs hat schon Burmeister 22 f. das
Wesentliche gebracht. Daß der erste Abschnitt 11,3 — 5 von Velleius selbständig aus-
gestaltet ist, zeigt die Ineinanderschachtelung der Relativsätze und die Rück-
verweisung im Anfang des zweiten Buches, wo auch die Zusammenstellung von
htxuria und magnificenlia wiederkehrt. Der zweite Abschnitt 11,6 f. weist namentlich
nähere Verwandtschaft mit Plin. n. h. VII 142 ff. auf, wo eine Quelle derselben Gat-
tung zu Grunde liegt wie bei Velleius. Bei beiden wird z. ß. vorausgesetzt die enge
Verbindung zwischen dem Triumph über Makedonien und dem Siegesbeinamen Mace-
donicus (vgl. dasselbe bei Xumidicusi, obgleich Velleius hier den letzteren wegläßt,
weil er ihn vorher erwähnte, und Plinius 142 den ersteren, weil er ihn später erwähnt
(145. 146»; dagegen kennt Cicero, dem Metellus als römisches Gegenstück des glück-
lich gepriesenen Tellos (Herod. I -SO) ganz geläufig ist, den Siegesbeinamen über-
haupt nicht, und Valerius Maximus, von dem dasselbe gilt, verwendet ihn nur einmal
(IV 1,12) zur Unterscheidung des Macedonicus und Numidicus. Mit der Pointe am
Schluß von Vell. I 11,7 vgl. übrigens Val. Max. II 10.5.
-) Eine Polemik gegen die Beanstandung und Änderung des illius (bei EUis
und nach ihm bei Paulson Eranos IV 178 f.) ist nach den obigen positiven Darlegungen
überflüssig.
— 266 —
consularis et cenmrim. alter (Wisularis. terf'ms consul {ß39 =^ 115), /juarfus
iondidatus consulatus. quem honorem adepfus est. Keiner von diesen vier
Söhnen erreichte den Ruhm des Briiderssohnes, des Numidicus, und
damit einen festen Platz in der Reihe der Virl i/fiistres:^) wohl aber
wurden sie insgesamt auch in dessen Vita noch einmal erwähnt, nämlich
im Anfang, in dem Abschnitt über die Herkunft.
Die Verwertung der Vita des Numidicus zeigt insofern Ähnlichkeit
mit der der Perseusvita, weil auch sie mit einer anderen Biographie zu-
sammengearbeitet wurde, mit der des Marius. Beide setzen ein mit dem
Jugurthinischen Kriege und haben hier einen gemeinsamen Abschnitt
über den Konflikt ihrer beiden Helden. Velleius II 11,2 folgt zu-
nächst der Biographie des Marius, aus der er vorher dessen Herkunft
und Charakteristik entlehnt hat, bis zum Antritt des Konsulats und
des Oberbefehls in Numidien^ nun wendet er sich zu der des Metellus
und entnimmt ihr die entsprechenden Stücke, verteilt sie aber in eigen-
tümlicher Weise. Er stellt voran, was am meisten sein Eigentum ist,
die Charakteristik 11, 1;-) er bringt die Taten bis zum Konflikt mit
Marius in den Nebensätzen 11, 2 unter: Trahentis iam 'in fertium annum
bellum und (Jul Ina Iiigurtham acte fnderni : er verwendet zuletzt den
Anfang der Vita über Namen und Familie des Helden, jene Notiz in
dem schon zitierten Satze 11,2 Ende (o. S. 264), diese in der Einlage 11,3:
npnnlo (inte Domitlae familiae (10,2 s. S. 274), ita CaecUkie notandaclaritudo
f.s7. (/Kippe intra duodecini ferme annoH Iiubis tempoi^ls consules fiiere
Metern auf cenmrea aiit Iriumpharunt rnnplms duodecies, nt ujypareat.
(inemadmodiim urhuim imperiorumque. ita gentium nunc florere fortunam.
nunc soiescere. nunc interire.
Wie Sueton bei den Claudiern, Liviern und Domitiern (s. S. 273), so
zählt Velleius hier bei den Metellern die drei Gattungen der Auszeich-
nungen zusammen, Konsulate, Zensuren, Triumphe, •^) aber nicht für die
ganze Geschichte des Geschlechts, sondern nur für eine kurze Spanne
') Die Ehreninscliril't des einen von ihnen CIL I'^ p. 200 el. XXXV gehört
nicht zu deneu des Augustusforums. Dagegen sind von der des Xumidicus hier zwei
kleine Fragmente erhalten (ebd. p. 190 el. XIX ), und außer dem Auct. de vir. ill. hatte
auch Plutarch dessen Lehen geschrieben (vgl. Mar. 29,10).
-) Er nennt Metellus nullt secimdmn saeculi siii. Positiv ausgedrückt hat er
dasselbe bei .Sci[)io Aeinilianus I 12,.S: EinlneritiSKimus mecitli siii. und beides überboten
bei Rutilius Rufus II l.S,2: Vir non .saecnli siti, sed omnis aeri optlmiis, wo freilich
die Wahl des Adjektivs wieder eine Abschwächuug bedeutet (vgl. S. 257.2 ). Vir niiUi seatn-
dux heißt der eigene (iroßvater des Velleius II 76,1, sicherlich in Erinnerung au den
Ausruf seines Ahnherrn Deciim Mnjfius Campanorum fjriitce/m (II 10,2) bei Livius
XXIII 10.7: Aiilli CdiH/xuioriim nee und ii s vinclus ad morlein rapior.
•') Di<;taturen und (Jvatiunen , die Sueton noch mitrechnet, kommen für die
Blütezeit der Met« Her nicht in Betracht.
— 267 -
Zeit. Die daran angeknüpfte Betrachtunj^ gehört zu seinen eigenen Lieb-
lingsgedanken,') und in doppelter Hinsicht erscheinen dabei die Caecilii
Metelli als Gegenstück zu den Domitii Ahenobarbi: Dem zeitlichen
Nebeneinander der Ehren bei jenen steht das zeitliche Nacheinander bei
diesen gegenüber; aber das Haus jener ist trotz seiner weiten Verzweigung
ausgestorben, das Geschlecht dieser steigt trotz der beschränkten Fort-
pflanzung immer höher. Doch so sehr auch die Zusammenfassung der
Ehren der Meteller für den bestimmten kurzen Zeitraum dem Velleius
gelegen kommt, so ist sie darum noch nicht von ihm selbst vorgenommen,
sondern schon fertig vorgefunden worden. Man mag die Listen der
Konsuhl, Zensoren und Triumphatoren nach Belieben durclisehen, — ■ die
Rechnung stimmt nie genau, daß auf zwölf Jahre zwölf Meteller kommen;
aber der durch das Wörtchen ferme entschuldigte Fehler ist am kleinsten,
wenn man als Ausgangspunkt das Konsulatsjahr des Numidicus 645 = 109
nimmt ; von hier rückwärts gehend erhält man die Summe für vierzehn
Jahre. Mit dem Konsulatsjahr des Numidicus setzt seine Biographie ein,
um sogleich bis zu dem Triumphe im J. 648 = 106 hinabgeführt zu werden;
also fand Velleius an ihrem Anfang unter jenem Jahre die Zusammen-
stellung an der sonst für die Herkunft des Helden bestimmten Stelle.
Er hat sie noch ein zweites Mal verwendet, und zwar schon etwas
früher. Nachdem er die Gracchische Bewegung im Zusammenhange dar-
gestellt hat, fällt sein Blick auf die Geschichte des Jahres 641 = 113,
das Konsulat des Cn. Papirius Carbo und des C. Metellus. Von ihnen
ist Carbo damals als erster römischer Feldherr mit den Kimbern zu-
sammengetroffen , -) und Metellus , der jüngste Sohn des Macedonicus
(I 11,7 s. S. 265 f.), nach Thrakien gesandt worden; dieser kehrte aus seiner
Provinz am 13. Juli 643 = 111 im Triumphe heim, an demselben Tage,
wie sein nächstälterer Bruder, der Konsul im Todesjahre des Vaters
639 = 115 gewesen war, aus Sardinien. Den von C. Metellus begonnenen
thrakischen Krieg beendete sein zweiter Nachfolger im Kommando,
M. Minucius Rufus, 644 = 110 als Konsul entsendet und 648 = 106 als
Triumphator heimberufen. Von den inneren Ereignissen im Konsulats-
jahr des C. Metellus erregte Aufsehen die Verurteilung seines einen
Amtsvorgängers 0. Cato wegen Erpressungen in Makedonien. Diese ver-
1) Der ganze Exkurs am Eude des ersten Buches von Iß.l an ist der Darlegung
dieses Gedankens gewidmet, und die Vorliebe dafür hat Velleius auch in den literar-
historischen Kapiteln des zweiten Buches (9,1 ti". und 86,2 ff.) manche Persönlichkeiten.
die nicht eigentlich Zeitgenossen waren, eng an einander rücken lassen. Zu I 18.1 Auf.
vgl. noch 1 7,4 Schluß, zum Ganzen die bekannte Stelle Flor, praef. 4.
2) Vgl. II 12,2 S. 271. Die Bedeutung jenes Jahres hebt z. B. Tac. Germ. 37 scharf
hervor. Die Flüchtigkeit des Velleius zeigt sich in seiner willkürlichen Formulierung
der Notiz; im J. 641 - 113 durfte weder von den Teutonen noch von einem Rheiu-
übergange die Hede sein.
— 268 —
scbiedeiien Begebenheiten führt Velleius II 8,1 — 3 in folgender Anord-
nung und Verknüpfung vor : Mandetur deinde memoriae severitas iiidi-
cioriim, quippe C. Cato .... damnafus est. circa eadem tempora duo
Metern fratres uno die tritimphanint .... tum Cimhrl et Teutones
transcendere Wienum .... per eadem tempora clariis . . . Minuci . . .
triump/ius fuit. In einer einfachen und knappen chronologisch geordneten
Geschichtsdarstellung, zumal in einer Geschichtstabelle, waren alle diese
Tatsachen in ihrem richtigen Zusammenhange klar zu übersehen ; Velleius
aber sucht diesen Zusammenhang vielmehr zu verdecken und den Ein-
druck zu erwecken, als hätte er den Stotf von überall her zusammen-
gesucht. Diesen Eindruck verstärken Einschiebsel, die wirklich anders-
woher stammen, nämlich die auf den Doppeltriumph der Meteller
folgenden Notizen : Non minus darum exemplum et adhuc unicum
Fulvi Flacci — eius, qui Capuam ceperat, — filiorum, sed alferius in
adoptionem dati, in coUegio consu/atus fuit; adoptivus in Acidini Manlii
familiam datas, nam censura Metellorum patruelium. non qermanorum
fratrum fuit, quod solis contigerat Scipionibus. Daß eine merkwürdige
Tatsache dazu anregt, verwandte Fälle zum Vergleich heranzuziehen, ist
sehr begreiflich und auch lehrreich ; ') dieser Versuchung darf aber ein
Historiker, der sich die Kürze so zur Pflicht macht wie Velleius^), nicht
in diesem Maße nachgeben, wie es hier geschieht: Er springt hier von
dem Metellertriumph des Jahres 643 = 111 zurück zum Konsulat des
Jahres 575 = 179, bei dem auch die Capitolinischen Fasten anmerken:
Hei fratres germani fuerunt, von hier weiter bis zum Jahre 543 = 211,
in welchem Q. Fulvius Flaccus Capua einnahm,') darauf wieder vorwärts
bis zu der Zensur der Vettern C. Metellus und Metellus Numidicus
652=102, und deren Erwähnung veranlaßt ihn zu einer weiteren Parallele,
Ï) Ganz passend vergleicht z. B. Velleius FI 26,3 und 88.3 zwei Muster von
Frauentreue aus Sullanischer und Augustischer Zeit, die sich Valerius Maximus in
seinen Kapiteln de amore coniiujaU (IV 6i und de fide iixonim erga viras (VI 7) ent-
gehen ließ. Interessant ist es, wie Tacitus solche von Kuriositätensammlern gezogene
Parallelen scheinbar ablehnt, tatsächlich aber seinen eigenen künstlerischen Absichten
dienstbar zu machen versteht (vgl. Agr. 22. bist. I 7. III 37. 51 ann. I 9. IV G5. VI
28. 28. XII 24. XIII 3. XV 41).
2) Vgl. die Stellen bei Sauppe 142.
3) Diese Notiz hat Velleius wohl aus dem Gedächtnis eiugeflochten, denn die
Geschichte seiner Vaterstadt Capua und ihrer Umgebung, aus der auch sein Freund
M. Vinicius stammte (Tac. ann. VI 15), ist ihm wohl vertraut (vgl. I 4.2. 7,2 fl". 14,;i
II 25,4 [dazu CIL X p. Ml] 44,4. 81,2), und jene Einnahme Capuas durch die Römer
von 543 = 211 fällt ihra sogar da als die einzige ein, wo er vielmehr an die frühere
von 41ß = .'{38 denken sollte (I 7,4 vgl. nach Früheren Burmeister 16. Hülsen l>ei
Pauly-Wissowa III 15.')f), während Nissen Ital. Landeskunde II <)Ü7 mit Unrecht dem
Velleius genau folgt).
— 2H9 —
die um mehr als zwei Jahrhunderte zurückführt. ') Dieses Hin- und
Hereilen stört den ruhigen Fluß einer Darstellung, die chronologisch fort-
schreiten will, aufs empfindlichste; die rasch zusammengerafften Notizen
werden nur mechanisch in einander geschoben, damit ja keine verloren
gehe. Von ihnen allen gehören aber sachlich und zeitlich am engsten
zusammen die am weitesten auseinander gerissenen über die Meteller;
ist doch der freilich von Velleius nirgends genannte C. Metellus der eine
der beiden Konsuln des Jahres 641 = 113, von dem überhaupt ausge-
gangen wird, der eine der beiden Brüder, die im J. 043 ^111 zusammen
triumphierten, der eine der beiden Vettern, die im J, 652 = 102 zu-
sammen die Zensur verwalteten, während sein j^mtsgenosse hierbei der
Numidicus ist, von dessen Führung dieses Amtes Velleius sonst nirgends
spricht. Die Vita des Numidicus gab eine Zusammenstellung der Kon-
sulate, Zensuren, Triumphe der Meteller in jener Zeit; sie wird auch
bemerkt haben, daß einmal zwei Triumphe zusammenfielen, und sie muß
von der Zensur des Helden gehandelt haben. Die Notiz über die Triumphe
war gleichsam das Stichwort, mit dem Velleius die chronologische Quelle
verließ und zu der biographischen überging.
Zum letzten Male hat er die Vita des Numidicus für den Abschnitt
benutzt, in welchem sie sich mit der seines Sohnes Metellus Pius deckte. In
der Darstellung des Bundesgenossenkrieges versucht er als G-egenstücke
auszuarbeiten eine Liste der römischen und eine der feindlichen Feld-
herren IT 15,3 und 16,1; aber während die zweite einheithch und einer
historischen Quelle entlehnt zu sein scheint, übergeht die erste alle Kon-
suln dieser Jahre und die etwa sonst von Velleius selbst genannten Führer,
wie den tüchtigen T. Didius (II 15,1. 16,2.4) und nennt als clarissimi
imperatores Romani nur Cn. Pompeius Cn. Pompei Magm pater, C.
Marins . . . ., L. Sulla .... Q. Metellus Numidici ßlius, qui meritum
cognomen PH consecutus erat. Bei keinem dieser vier Männer bezeichnet
der Bundesgenossenkrieg den Höhepunkt seiner Laufbahn; wohl aber
sind sie alle wegen ihrer sonstigen Bedeutung in die Biographiensamm-
lungen aufgenommen worden, in denen keiner jener anderen römischen
Feldherren des Bundesgenossenkrieges einen Platz erhalten hat. Dem
Beinamen des Metellus Pius fügt nun Velleius als Erläuterung die ganze
Geschichte von der Verbannung und der Rückberufung seines Vaters
hinzu, obgleich er damit den erstrebten Parallelismus in den Verzeich-
nissen der Römer und der Italiker zerstört, in der Erzählung selbst
um ein Jahrzehnt zurückspringt und nicht einmal eine Verbindung mit
der früher, an der richtigen Stelle (II 12,6) gegebenen, kurzen Behand-
lung der betreffenden Dinge herstellt. Der Schlußsatz: Xec triump/iix
') Über die Zeit der Zensur der Scipionischen Brüder vgl. Pauly-Wissowa IV
1428,14 ff.
— 270 -
IwnorWusquc quant auf causa eusi/ii aut exsUio aut reditu clarlor fuit
XumicUcus. läßt deutlich erkennen, daß die Vita des Numidicus und die
damit zusammenhängende des Pius die Grundlage bilden.
Daß die letztere bei weitereu Erwähnungen des Pius herangezogen
wurde, ist nicht zu erweisen ; gesichert erscheint aber, in welcher Weise
die Metellerviten eines biographischen Sammelwerkes angelegt waren
und von Velleius ausgebeutet wurden. Gerade sie zeigen uns, wieviel
bei ihm Schein ist, wie oft er ein im Grunde einfaches und bequem her-
gerichtetes Material so verwendet hat, als ob er es mühsam und selb-
ständig zusammengetragen hätte; von seiner historischen Forschung und
von seiner literarischen Komposition lassen sie uns gleichmäßig gering
denken.
VI.
Da eine Erschöpfung des Themas an dieser Stelle weder beab-
sichtigt noch möglich ist, seien nur einige weitere Fälle herausgegriffen,
in denen die Bevorzugung biographischer Quellen bei Velleius leicht zu
erkennen und für den sprunghaften und ungleichmäßigen Charakter
seiner Erzählung verantwortlich zu machen ist. Daß der Anfang der
ersten Römerbiographie I 8,4: Roniulus Marüs fl/lus ultus iumrias avi
Homani urhem PariUhus in Palatio condidit, den des entsprechenden
Elogiums vom Augustusforum (CIL I^ p. 187 el. IV): Roniu/us Marfis
filiuH urhem Romam condidit, Wort für Wort in sich schließt, wird ein
Zufall sein, aber ein bezeichnender. In den letzten Abschnitten des ersten
Buches ist sodann neben den Viten des Scipio Aemilianus und des
Metellus Macédoniens und mit jeder von ihnen einmal verknüpft eine
Vita des Mummius Achaicus^) benutzt worden (I 12, 1. 13,2 und 4);
was von ihrem Inhalt hier unbenutzt blieb, wird bei späterer Gelegen-
heit (II 128,2) angebracht, woraus zu ersehen ist, daß auch sie in der
gewöhnlichen Weise auf die Herkunft den vollständigen Cursus honorum
des Helden folgen ließ. Im Beginn des zweiten Buches ist mit der
Lebensbeschreibung des Ti. Gracchus (II 2,1 ff.) die seines Gegners
Scipio Nasica (II 3,1 f.)') verbunden worden; in die Haupterzählung von
1) Seine Biographie ist nur erhalten beim Auct. de vir. ill., aber auch Verg.
Aen. VI 8.36 f. verherrlicht ihn, der unmöglich auf dem Augustusforum gefehlt
haljen kann, zumai da Nachkommen seiner Tochter zum höchsten Adel zählten (Suet.
Galba .3).
2) Die Aufnahme dieses Scipio Nasica unter die Viri illustreü ist zwar nicht
beglaubigt, al)er dennoch möglich. Einer seiner Nachkommen stellte sein Blogium
öffentlich auf (Cic. ad Att. VI 1,1')» und der Auetor de vir. ill. widmet seinem Groß-
vater und Vater, die er für identisch hält, ein eigenes Kapitel (44) und seinen eigenen
Schicksalen ziemlich viel Beachtung (H4,y). Wie Ti. Gracchus mag daher auch Nasica
zu den Männern gehört haben, die zwar keinen Platz iu der Ruhmeshalle des Augustus,
— 271 —
ihrem feindlicben Zusammenstoß, dem Höhepunkt ihrer Geschichte, ist
bei beiden Herkunft, Charakter und Vorgeschichte eingefügt.
Der Krieg mit den Kimbern und Teutonen bis zum Auftreten des
Marius wird II 12,2 in einem Vordersatze abgetan, dessen Nachsatz
lautet: Populm Romanus non alium lantis hostibus magis idoneum
mperatorem quam Marium est ratus\ tum multiplicati consulatus eius.
Der Tatbestand wie seine Formulierung entspricht genau dem beim
dritten makedonischen und beim dritten panischen Kriege. Velleius folgt
der Quelle der einen Gattung bis zu dem bestimmten Stichwort, das
auch in der der andern Gattung wiederkehrt, dem bedeutsamen Schlußwort
Sallusts (lug. 114,3 f.): Marius consul absens f actus est, et ei décréta
provincia Gallia, isque kalendis lanuarns (650 = 104) magna gloria
consul triumphavit. et ea tempestate spes atque opes in illo sitae. Nach-
dem Velleius in dem ihm vorliegenden Geschichtsabriß die entsprechende
Notiz gefunden hat, geht er zunächst wie bei den spanischen Kriegen II ö, 1 ff.
(s. o. S. 255 f.) rückwärts von dem Jahre der Wiederwahl des Marius
und deren Ursache bis zu dem ersten Zusammentreffen der Römer mit
den Deutschen und dann wieder vorwärts von diesem Anfang der Kämpfe
über die Mitte bis zu jenem Ende : Cum Caepionem Manliumque con-
sules (649 = 105) et ante Carhonem (641 = 113) Silanumque (645 = 109)
fudissent fugassentque .... Scaurumque Aurelium .... trucidassent
(649 =105 unmittelbar vor Caepios Niederlage). Der früheste hier er-
reichte Zeitpunkt ist der bereits II 8,3 (o. S. 267 f.) berührte; dort weist
Velleius vorwärts : Cimhri et Teutoni, multis mox nostris suisque cladibus
nohiles,^) hiev rückv^ärts : JJt praediximus\ so knüpft er den Faden, den
er zerrissen hat, selbst wieder zusammen.
Von hervorragenden Männern der Nobilität, die eine Zeitlang mit
Cn. Pompeius wetteiferten, scheinen durch besondere Biographien in den
Sammlungen L. Lucullus und Metellus Creticus ausgezeichnet zu sein,
deren Kriegstaten zwar durch seine Erfolge in Schatten gestellt, aber
von den Standesgenossen mit Recht hoch gepriesen und durch den Triumph
belohnt wurden;-) ihre Viten sind von Velleius 33,1 — 34,2 und noch-
wohl aber in den gleichzeitigen Sammlungen von Biographien berühmter Römer bean-
spruchen durften. Seiner Vorgeschichte gehört bei Velleius der Einschub über seine
Wahl zum Pontifex maximus trotz des Perfekts /actus est an (vgl. Pauly-Wisaowa IV
1508.53 ff., auch Kornemann Kilo. Beiheft I 3), dessen Gegenstiick inditum erat I 11.2 o.
S. 256,1.
1) Vgl. 105,1: Cherusci — gentis eius Arininius mox nostra clade nobilis
mit 118,2, wo der Volksname überhaupt nicht mehr genannt wird; zu 25, .80 s. S. 256.1.
2) Lucullus hat seinen Platz auf dem Augustusforum (CIL I^ p. 196 el. XXI
= Dessau 60) und in den Sammlungen Plutarchs und de vir. ill. erhalten; bei
Metellus Creticus ist anzunehmen, daß er auf jenem nicht fehlte, da sein Siegesbeiname
von dem hohen Adel der Augustischen Zeit noch geführt wurde (vgl. Pauly - Wissowa
III 1212 Nr: 88— 90j.
— 272 —
mais 40,5 mit einander und mit der des Pompeius verglichen und zu-
sammengearbeitet worden. Der Bruder des einen, M. Lucullus, durfte
wegen seines ebenfalls ruhmvollen Triumphes, der Mitkonsul des andern,
Q. Hortensius, wegen seiner Beredsamkeit, auf Grund deren ihn Yelleius
36,2 mit Cicero zusammenstellt, zu den berühmten Männeni jener Zeit
gerechnet werden, und neben ihnen Q, Catulus nicht nur wegen seines
durch die Anekdote 32,1 f. belegten Ansehens, sondern auch wegen
seines Wiederaufbaus des Capitolinischen Tempels.^) Diese fünf Männer
werden 48.6 in der Reihenfolge ihrer Konsulate, also nach dem Alter auf-
gefühi-t und beglückwünscht, weil sie, cum sine invidia in re publica
floruissent eminuissentque sine periculo, qiiieta mit cerie non praecipitata
fatali ante inilium hellorum ciuilium morte functi sunt. Abgesehen da-
von, daß die eigene Erzählung des Yelleius von Lucullus und Metellus
34,2 und 40,5 dem sine invidia geradezu widerspricht, ist die ganze
Zusammenstellung und Betrachtung etwas sonderbar; aber ihre Veran-
lassung ist gewiß keine andere, als daß gerade diese Persönlichkeiten
zweiten Ranges aus der Zeit des Pompeius in einer Biographiensammlung
behandelt waren, und daß Velleius, wenn sonst nichts aus ihrem Leben,
so wenigstens ihr Lebensende kurz erwähnen wollte (wie Xepos de reg.
2,1 0. S. 252,2).
Es hat Velleius sich nicht damit begnügt, den Bestand der vor-
handenen Biographiensammlungen aufzunehmen, sondern er hat auch
versucht ihn zu vermehren. So entwirft er von dem revolutionären
Tribunen P. Sujpicius Rufus II 18,5 ein Bild, dessen einzelne Züge
aus anderen Berichten meistens nicht zu belegen sind ; aber bei näherem
Zusehen erkennt man darin dieselben Züge, wie in den besser beglaubigten
Porträts der Gracchen (II 2,2 vgl. 6,1) und des M, Livius Drusus (II 13,1),
und der Verdacht wird rege, daß Velleius diesen Mann, der vorher nicht
zu den berühmten gezählt hatte, nach dem Schema des Demagogen selbst
gezeiclinet habe. In den späteren Partien verleitet ihn sein "Wunsch,
auch die Träger von Nebenrollen in dem großen Drama der Bürger-
kriege nicht ohne eine Charakteristik zu lassen, nicht selten zur Wieder-
holung derselben ziemlich oberflächlichen Schilderungen, so bei Curio
und Caelius (48,3 und 68,1), bei dem Verhältnis des xlntonius zu Lepidus
und des Brutus zu Vatinius (63,1 und 69,3), auch bei dem Verschwörer-
paar Murena') und Caepio und bei dem Zensorenpaar Plauens und Paullus
') Daß diese Tat einem Triumph und Siegesbeinamen gleichgeaehtet wurde,
zeigt Galbas Verhalten, qui Htatnarum titulis //ronepnlem se Quinli Caiitli Capitolini
semper agcri/taerit (Suet. Galba 2 vgl. seine Rede bei Tac. bist. I 15 Anf.) und eine
Stelle wie Tae bist. IM 72: Liiftilii Citliili uomen inter tan/n Caesarnui opera un(/ur
ad Vitelliuin mansit. Velleius bat die Sache freilich übergangen.
2) Vgl. Cichorius Hermes XXXIX 4()7.1
— 273 —
(91,2 und 95,3); in der Kegel sind solclie Zutaten schon an ihrer
Einführung und Fassung leicht zu erkennen.
xA.ber gerade bei Velleius sehen wir, daß nicht nur er selbst den
Kreis der berühmten Römer zu erweitern strebte, sondern da(i sich auch
andere in dieser Richtung betätigten. Es lag ja in der Natur der
Sache, daß in den Biographien römischer iStaatsmänner und Feldherren
das yévog einen breiteren Raum beanspruchte, als in denen der griechischen.
Von Alters her war in den Laudationen der Verherrlichung des einzelnen
Verstorbenen die seiner Ahnen vorangegangen,') und nicht selten wurde
der verblichene Schimmer ihres Ruhmes durch den weit glänzenderen
des seinigen überhaupt erst sichtbar gemacht. So ist es bei Sulla, bei
Pompeius, bei Caesar, bei Augustus, bei Tiberius gewesen. Es ist kein
Zufall, daß sogenannte Elogien von Männern, die in der Republik über-
haupt nicht bis zum Konsulat emporgestiegen waren, fast ausschließlich
Ahnen und Verwandten der neuen Herrscher gehören, zwei Julii Caesares,
dem C.Octavius, dem Livius Drusus,-) und Sueton schickte den Biographien
der Kaiser, die zum alten Adel gehörten, außer einer Behandlung ihrer
direkten Vorfahren und besonders gefeierten Familienglieder stets eine
zusammenfassende Übersicht der ganzen Geschichte, der Ehren und
Würden ihres Hauses voraus.'^) Bei Velleius läßt sich leicht feststellen,
daß er solche Übersichten schon für Sulla (II 17,2) und für Pompeius,*)
') Vgl. Vollmer Jahrb. f. Philol. Suppl. XVIIl476f. Der Unterschied zwischen
Griechen und Römern ist bei Plutarch deutlich; er will zwar das yévog bei beiden
gleichmäßig berücksichtigen (vgl. Leo Griech.-röm. Biographie 180 f.), kann aber
meistens bei jenen nur über die nächsten Vorfahren des Helden mühsam etwas er-
mitteln, bei diesen dagegen aus einem reichen familieugeschichtlichen Material nach
Belieben eine Auswahl treffen. Zwischen Anfang und Ende der Entwicklung sind als
Mittelglied notwendig die AVerke de viris illusiribiis aus Ciceronischer nnd Augustischer
Zeit einzusetzen.
2) CIL 12 p. 198 f. el. XXVII = Dessau 48; XXVIII; XXIX = 47; XXX = 49.
Daß das günstige Ui-teil des Velleius II 13. 1 über Livius Drusus durch die Rücksicht
auf Tiberius beeinflußt ist, bemerkte richtig Sauppe 168.
3) Diese Summierung ist bei den Juliem verloren und fehlt bei den Octaviern
(Aug. 2) wegen der (Teringfügigkeit und bei den Sulpiciem wegen der Menge der
Einzelposten (Galba 3); sie liegt vor für die Claudier (Tib. 1), Livier (Tib. 3) und
Domitii Ahenobarbi (Xero 1 s. u.). Vgl. auch Tac. ann. XÎII 3 über die Laudatio auf
Kaiser Claudius: Antiquitatem generis, consulatus triumpliosque maiorum eiuimerabat.
^) In der Vorlage des Velleius war vermutlich bereits der Vater des Pompeius
unter die Viri illustres aufgenommen, wofür schon die Art seiner Anführung II 15,3
spricht (s. o. S. 269), sowie die Anknüpfung der Vita des Sohnes durch das Selbstzitat
29,1. Auch die allgemeine Bemerkung über das Geschlecht 21,5 ist an das Haupt-
und Schlußkapitel der Vita des Vaters (21,1 — 4) angehängt und dann von Velleius
selbst, nicht von einem Interpolator, zu dem nachträglichen Einschub an früherer Stelle
II 1,4 verwendet worden. Xach dem großen Pompeius wird dann in dem von Velleius
18
— 274 —
dann aber vor allem für Caesar (41,1), Augustiis (59,2) und Tiberius
(75,1 und 3 vgl. 71,3. 94,1) in der landläufigen Literatur de viris iUustribus
vorfand, ebenso wie er selbst die adlige Herkunft beachtete, wenn er
Zeitgenossen gleichsam zu diesem Range erhob. ^) Vielleicht am besten
zeigt aber seine Behandlung der Domitier, wie damals die Anerkennung
und die literarische Behandlung von Persönlichkeiten der republikanischen
Zeit als Viri illustres noch in beständiger Entwicklung war.
Notetur Domitiae familiae pecuUaris quaedain et ut clarissima, ita
artata numéro félicitas. Septem ante hunc nohilissimae simplicitatis iu-
venem, Cn. Domitium fiiere, singuli omnino parentibus geniti,^) sed
omnes ad consulatum sacerdotiaque^ ad triumphi aiitem {triumphantum
Novak Wien. Stud. XXVIII 297 f.) paene omnes pervenerunt insignia.
Diese Übersicht über die Geschichte der Familie giebt Velleius II 10,2
bei der Erwähnung eines Ahenobarbus, der bereits als der dritte in der
Reihe zum Konsulat und als erster — und unseres Wissens einziger'') —
zum Triumph gelangt ist. Mit demselben Manne, den er allerdings mit
seinem Sohne zusammenwirft, eröffnet auch Sueton Nero 1 die Reihe
der berühmten und erwähnenswerten Mitglieder des Hauses, und auch
er rechnet aus, daß im ganzen sieben das Konsulat geführt haben. Aber
was er und die sonstige Überlieferung von den folgenden Domitiern zu
melden wußte, war nicht eben das Vorteilhafteste; denn der eine hatte als
einer der unversöhnlichsten Gegner Caesars bei Pharsalos geendigt ; der
andere hatte mit den Caesarmördem und dann mit Antonius gegen
Augustus gekämpft, bis er den Untergang des Antonius und das eigene
Ende greifbar nahe sah; der dritte hatte freilich den Ruhm des
römischen Namens weiter als jeder andere Römer bis über die Elbe ge-
tragen, — aber dergleichen hörte wiederum Tiberius nicht gern rühmen.*)
benutzten Buche de viris iUustribus ebenso wie in dem späten uns vorliegenden noch
sein Sohn Sextus einen Platz erhalten haben (vgl. besonders 73,1 f., auch 77,3. 79,5 f.).
1) Vgl. außer den Zeugnissen über sich selbst und seinen Gönner Vinicius die
über Vetus 43,4, MessaUinus 112,2, Lepidus 114,5, Gaetulious 116,2, Varus 117,2, Cal-
dus 120,6 (ähnlich auch Tac. ann. VI 29 Ende über Scaurus, XII 12 über Cassius).
Am bezeichnendsten ist, wie er bei Seiau einerseits alle Beweise für die Zugehörig-
keit zum Adel hervorsucht (127,3 vgl. Cichorius Hermes XXXI X 469). anderseits alle
Praecedenzfälle für das Emporsteigen dieses homo novus (127,1. 128,1 ff); vgl. dazu
Tac. ann. IV 40, auch 8.
2) Ähnliches wird I 6,2 von den babylonischen Königen hervorgehoben. Vgl.
auch S. 267
3) Wenn bei Sueton: Funcli consulat ibtis septem, triunipho censurnf/iie duplici,
an zwei Zensuren und zwei Triumphe gedacht werden muß, so bietet dies eine Schwie-
rigkeit (vgl. Mommsen Rom. Forsch. 1 73,5) ; bei Velleius sind wegen des Ausdrucks
triumphi ins ig nid jedenfalls die Ornamcnta triumphalia des Konsuls von 738 - 16
mitgerechnet; über die auch dann noch l)leibende Übertreibung vgl. o. S. 258,1.
*) Vgl. die Behandlung der germanischen Erfolge des Drusus und des Germani-
CU8 95,1. 97,3. 129,2; dazu Bonner .Jahrbücher CIV 68. Rhein. Mus. I,XII 165,1.
— 275 —
So hat denn Velleius von dem ersten und dem dritten fast ganz ge-
schwiegen ; jenen nennt er nur flüchtig einmal, wo er es gar nicht ver-
meiden kann (50,1); und von diesem erwähnt er trotz seines großen
Interesses für die germanischen Dinge und für die Kriegstaten der
Feldherren des Augustus überhaupt keine Taten, sondern nur die
eminentissima ac nohiUssima simplicitas (72,3 s. o. S. 257,2); von dem Partei-
gänger der Caesarmörder und des Antonius hel)t er fast nur hervor, wie
er sich diesen selbständig gegenübergestellt und sie rühmlich verlassen
habe 1 72,3. 76,2. 84,2).^) Aber was ihn trotz aller dieser Schwierig-
keiten bestimmte, das erlauchte Haus der Domitier immer wieder zu
preisen, ist ein Ereignis der jüngsten Vergangenheit: Ende des Jahres
28 n. Chr. hatte Tiberius mit besonderen Feierlichkeiten seine Enkelin
Agrippina dem Cn. Domitius vermählt, den Velleius als nohilissimae
simpUcitatis (II 10,2) und clarissimus iuvenis (72,3) rühmt, und zwar
hatte der Kaiser damit die entfernte Verwandtschaft mit seinem eigenen
Hause und den alten Adel des Domitierhauses ehren wollen. -) Darum
also war es für die Schriftsteller, die den Bedürfnissen des Tages Rech-
nung trugen, unerläßlich, diesen Adel zu feiern.
Die Untersuchung hat sich auf einen kleinen Teil der Schrift des
Velleius beschränkt und manche Umwege gemacht. Wenn ihr Verfahren
kompliziert und künstlich erscheinen sollte, so ist doch ihr Ergebnis ein
einfaches : Velleius hat viel von der Art und Unart des mittelmäßigen
Journalisten. Seinen Wissensstoff schöpft er bereits in stark verdünnter
Gestalt aus Kompendien, in denen man sich rasch orientieren kann,
aus übersichtlich angelegten Geschichtstabellen und Biographiensamm-
lungen ; die scheinbar weit hergeholten und viel umfassenden Kenntnisse
hat er aus ziemlich wenigen Büchern erworben. Von dem jeweiligen
Vorgänger hängt er ab in der Auswahl, in der Anordnung ^) und in der
1) 'Wie nach der offiziellen Auffassung nur die Königin von Aegypten bekriegt und
besiegt worden war, nicht M. Antonius, so werden bei Velleius auch andere Männer
als Domitius wesentlich nach der Haltung beurteilt, die sie der Königin gegenüber be-
obachtet hatten (Plancus 83,1. PoUio 86,3; vgl. auch über Antonius selbst 85,3 und 6).
2) Tiberius neptein Agrippinam , Germanico oriain, cum cor a m Cn. Bomitio
tradidisset, in urbe celebrari nuptias iussil. In Bomitio super ve tustaiem
gener is propinqmim Caesaribus sanguinem deUgerat: nam is aviam Octaviam et per
eam Augustum avunculum praeferebat. In diesen Sätzen, mit denen Tacitus das Jahr 28
und das vierte Buch seiner Annalen schUeßt. ist jedes Wort wohl überlegt und ver-
mutlich so oder ähnlich aus dem Munde des Kaisers selbst geflossen. Tacitus aber
zeigt an dieser bedeutsamen Stelle zum ersten Male die Frau, die die zweite Hälfte
der Geschichte der Claudischen Dynastie beherrscht, und als Gegenstück dazu in den
nächsten Sätzen, den ersten des fünften Buches, zum letzten Male die andere, die das
in der ersten Hälfte getan hat, LiWa.
3) Wenn er versucht, seinem Stoffe durch Disposition nach neuen Gesichtspunkten
etwas Xeues abzugewinnen, so begeht er Flüchtigkeiten und Versehen in Fülle ; wie
— 276 —
Beurteilung des Stoffes; die Selbständigkeit bestellt oft nur darin, daß
er verschiedenartige Vorgänger mit einander zusammenbringt. Aber in
der flüchtigsten und rohesten Weise werden alle Notizen an einander
gehängt und in einander geschoben; mit modernen Schlagwörtern^) und
einem bereit gehaltenen Vorrat von Pointen und Phrasen -) wird dem
Einzelnen eine scheinbare Frische und Originalität verliehen, während
im ganzen Sprache, Stil und Komposition den bescheidensten Ansprüchen
nicht genügen können. Zum bestimmten Tage in Eile fertig gestellt,
giebt das Werk den Bedürfnissen und den Meinungen des Tages Aus-
druck. Nur als ein Ganzes kann es gewürdigt werden, und die Kritik
der historischen Quellen ist nicht zu trennen von der Prüfung der
sprachlichen und stilistischen Eigenart , ^) der persönlichen Ansichten
und der literarischen Technik des Verfassers. Im Werte wird Velleius
dadurch bei uns als Philologen nicht steigen, sondern eher sinken ; doch
unvermindert bleibt der Wert, den er für uns als Deutsche hat, denn
heut noch*) gilt die Empfehlung, die einst Rhenanus der Editio princeps
an Friedrich den Weisen mitgab : Mendnit quorundam, qune nullorum
sunt proclila litteris, sallim qui hodie exstmt. qiialis est deletarum cum
Varo legionnm Arminio diice historin et quae de Marohoduo Marco-
manorum rege .scribif, haud duhifi tuae celsittidini fanto gratiorafutura,
quanto minus etiam doctissimis inris hactenus fuere cognita.
dies für den Exkurs über die Kolonien d 14,1 — 16,5 vgl. II 7,7 f.) Sauppe 147 ff. ge-
zeigt hat, so ist es auch, wenngleich in geringerem Maße, für die über die Provinzen
(.S8,l— 89,.3), über die Unterwerfung Spaniens (i)0,l — 4), über die Geschichte der Litera-
tur und andere kleinere nachweisbar.
') Der Gebrauch oder \ielniehr Mißbrauch von Virtus bei Velleius verdient
z. B. wohl eine nähere Prüfung. Auf das Lob der Simplicitas bei Zeitgenossen ist o.
S. 257,2 hingewiesen worden (vgl. noch llß,4. 125,5); auch die Bezeichnung rühmlicher
Taten und Eigenschaften als würdig der alten Zeit durch priscus. antiquus u. dgl. sei.
erwähnt (vgl. z. B. 78,3. 8(5,2. 92,2. 5. 116,.^. 125,4. 127,4). Anderes bei Sauppe 176 ff.
-) Bisweilen stehen drei und vier Pointen neben einander, um denselben einen
Gedanken recht effektvoll auszudrücken, z. B. 60,2. 64,1 f. 72,2. 5. 92,5. 115,5. 121,1.
Auch zur Schilderung gesvisser Situationen und Charaktere werden immer dieselben
Züge und Wendungen wiederholt; man vergleiche z. B. mit einander die Segnungen
der Herrschaft des Augustus 89,3 und des Tiberius 126,2 <auch 89,1 mit 99,3 und
10.^,4), die Milde Caesars 52,6 und die des Augustus 85,."). die Schilderungen des
Maecenas 88,2, des L. Piso 98,3 und des Seiauus 127,4.
■'') So steht der häufige Gebrauch von clarns und verwandten Ausdrücken
(Sauppe 177) gewiß in Keziehung zur Verwertung der Schriften .,ül)er berühmte Män-
ner.'" Auch die verschiedenen Arten der Anknüpfung — mit allgemein gehaltenen
Angaben über Gleichzeitigkeit oder Aufeinanderfolge in der Zeit, mit dem durch
(jiiijipe verstärkten Relativ, mit Rückverweisungen — können der Analyse und Quellen-
kritik gute Hilfsmittel geben.
*) Vgl. die ganz übereinstimmenden Worte Rankes Weltgesch. 111 2,272. Spa-
latin, auf doäsen Anregung die Basler Velleiusausnabe seinem Kurfürsten gewidmet wurde,
liat sie aufs gründlichste benutzt zur Abfassung der ersten deutschen Biographie des
Arminius.
Exkurs zu S. 253.
Ein Thema, das den Velleius wegen seiner eigenen Herkunft interessierte,
ist das Verhältnis von Bundesgenossengemeinden zu Rom; es veranlaßt ihn
zu einer Anzahl von Abschweifungen, die in keinem rechten Verhältnis zu
seiner sonstigen Kürze stehen. Die Erwähnung Massilias im Caesarischen
Bürgerkriege begleitet er 50,3 mit der Bemerkung, die Stadt sei fide melior
quam consilio prudentior gewesen, was er dann näher begründet. AuflFallender
ist schon ein zweiter Fall: Nachdem er II 17,1 gesagt hat: Finito ex maxima
parte, nisi quae Nolani belli manebant reliquae, Italico bello, könnte er sich
bei der Darstellung der Sulpicischen Revolution begnügen zu sagen II 18,4:
Sorte obvenit Bullae Äsia provincia. is egressus urbe cum circa Xolam mora-
retur P. Sulpicius tribunus pl. cet. ; er brauchte nicht nochmals zu be-
tonen, weshalb Sulla bei Nola verweilte. Aber vollends ungeschickt und un-
motiviert ist die Parenthese: Quippe ea urbs pertinacissime arma rdinebat
exercituque Romano obsidebatur velut paeniteret eius fidei, quam omnium sanc-
tissimam bello praestiterat Punico; hier verbindet sich mit dem Interesse für
die Bundesgenossentreue noch das für die campanische Heimat (vgl. S. 268,3),
das den Velleius schon in der Geschichte der griechischen Kolonisation bei
der ersten Erwähnung von Kyme und Neapolis in die Worte ausbrechen ließ
I 4,2: Utriusque urbis eximia semper in Romanos p'des facit eas nobilitate
atque amoenitate sua dignissimas.
Von der Bundestreue der Rhodier spricht er zweimal und vergleicht sie
stets mit dem gleichzeitigen Verhalten anderer Bundesgenossen. Beim Perseus-
kriege schiebt er in die aus biographischen Quellen geflossene Darstellung ein
I 9,2: Quin Rhodii quoque, fidelissimi antm Romanis, tum dubia fide speculati
fortunam proniores regis partibus fuisse visi sunt; et rex Eumenes in eo bello
médius fuit animo, neque fratris initiis neque suae respondit consuetudini. Beim
Mithridatischen Kriege wird nach Erwähnung des Blutbades von 666 = 88 ein-
geschoben 1118,3: Quo tempore neque fortitudine adversus Mithridatem neque
fide in Romanos quisquam Rhodiis par fuit — horum fidem Mytilenaeorum
perfidia inluminavit, qui M'. Aquilium aliosque Mithridati vinctos tradiderunt,
— qtiibus überlas in unius Theophanis gratiam postea a Pompeio restitula est.
Die Einführung zeigt schon, daß Velleius von der Biographie des Mithridates
zu einer chronologischen Geschichtsdarstellung übergeht, und nun läßt er hier
wieder seinen Blick rückwärts schweifen, da die Belagerung von Rhodos auf
die Gefangennahme des Aquilius und die Ermordung der Italiker gefolgt ist,
während die Begnadigung der Mytilenaeer wiederum der übrigen Erzählung
bis au das Ende des dritten Mithridatischen Krieges vorauseilt. Der Satzbau
ist an dieser ganzen Stelle ohnehin höchst schwerfällig und ungeschickt, und
wird durch diese Parenthesen geradezu ungeheuerlich.
— 278 —
Doch am auffallendsten tritt das Interesse für das Thema der Bundes-
treue in einem andern Exkurse zu demselben ersten Kriege gegen Mithridates
zu Tage, 23,4 f.: Si quis hoc rehellandi tempiis, quo Athenae oppugnatae a
Sulla sunt, imputât Atheniensibus, nimirum veri vetustaiisque ignarus est: adeo
enim certa Atheniensiutn in Romanos fides fuit, ut semper et in omni re, quid-
quid sincera fide gerer etur, id Romani Attica ßeri praedicarent. ceterum tum
oppressi Mithridatis armis homines miserrimae condicionis cum ah inimicis
tenerentur, oppugnabantur ab amicis et animos extra moenia, corpora necessi-
tati sernientes intra muros habehant. Das unterbricht nicht nur störend den
riuß der Erzählung, sondern fällt auch im Tone merkwürdig aus ihr heraus.
In der Tat hat es eine bestimmte Spitze: Bald nachdem im J. 18 n. Chr.
Germanicus bei seinem Besuche Athens mit den Athenern alle erdenklichen
Liebenswürdigkeiten ausgetauscht hatte (Tac. ann. II 53), erschien dort sein
Gegner Cn. Piso und: civitatem Atheniensem . oratione saeva increpat,
oblique Germanicum perstringens, quod contra decus Romani nominis tion
Athenienses tot cladibus exstitictos, sed cotiluviem illam nationum comitate nimia
coluisset: hos enim esse Mithridatis adversus Sullam, Antonii adversus
divum Augustum socios (ebd. 55). Es hatte also vor Kurzem ein Mann in
hoher Stellung Einspruch erhoben gegen die Verwöhnung Athens, wie sie auch
von Augustus unverdient und ohne Dank geübt worden war (vgl. Rostowzew
Festschrift für 0. Hirschfeld 303 ff.); jetzt war dieser Mann eine gefallene
Größe (vgl. Vell. II 130,3), und mit ihm fiel der Verurteilung auch seine athener-
feindliche Gesinnung auheim; diese Polemik mit Waffen der griechischen Rhe-
torik^) kennzeichnet wiederum Velleius als den beflisseneu Diener der öffent-
lichen Meinung des Tages.
1) Die 'AiTLv.ii TiioTiç war nicht bei den Römern, sondern bei den Griechen
sprichwörtlich; zu den von Otto Sprichwörter der Römer 44 angeführten Belegen aus
den griechischen Paroemiographen ist Sen. controv. III 8 p. 254,18 Kießl. hinzuzufügen,
worauf Wöfflin Archiv f. lat. Lexikogr. VIJ 145 hinwies; doch geht auch dies auf
griechische Quelle zurück. — Daß wie Augustus auch Tiberius in einem guten persön-
lichen Verhältnis zu Athen stand, kann man vielleicht aus der Zahl der ihm dort er-
richteten Statuen schließen (vgl. dagegen die wenigen für Xero und die Flavier CIA.
III Ind. p. .309).
Die Einführung des gregorianischen Kalenders
in der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
V^on
Rudolf Thommen.
In dem Kalender, dessen sich die Angehörigen der christlichen
Konfessionen bedienen, sind zwei ursprünglich von einander unabhängige
Elemente in etwas eigentümlicher Weise vereinigt. Erstens der Kalender
im engeren Sinne des Wortes, d. h. die übersichtliche Anordnung
kleinerer Zeitmaße zu einer höheren Zeiteinheit — der Tage zu Wocheu
und Monaten, der Monate zu einem Jahre — und zweitens der so-
genannte Festkalender, d. h. der Summe der über das ganze Jahr ver-
teilten kirchlichen Festtage, die teils an ein bestimmtes Datum gebunden
sind, teils, nämlich das Osterfest und die davon abhängigen Sonn- und
Feiertage, innerhalb bestimmter Grenzen im Ansatz hin- und her-
schwanken.
Diese beiden Elemente sind ebenso verschieden nach ihrem Wesen
wie nach ihrer Herkunft.
Das erste, der eigentliche Kalender, stammt aus dem heidnischen
Altertum und zwar in der Form, die ihm Julius Cäsar im Jahre 46
V. Chr. gegeben hat. Xach diesem erlauchten Reformator heißt auch
der Kalender und das einzelne Kalenderjahr bis zum Zeitpunkte der
am Ende des 16. Jahrhunderts vorgenommenen Umgestaltung der
julianische Kalender und das julianische Jahr. Das zweite Element,
der Festkalender, ist christlichen Ursi^rungs und namentlich in Bezug
auf den Ansatz der Osterfeier das Ergebnis einer Jahrhunderte langen,
vielfach stürmischen und kampferfüllten Entwicklung. — Dieser Ansatz
beruht auf Normen, die schon im 5. Jahrhundert in Alexandrien an-
gewendet, von dem Abte Dionysius exiguus in Rom im Jahre 525
aufgegriffen, die Anerkennung des Papstes und damit allmählich die
ausschließliche Geltung innerhalb der christHchen Kirche gewonnen
— 280 -
haben. Dionysius ist beiläufig bemerkt auch der Erfinder unserer Ara,
der Zählung der Jahre nach Christi Geburt, die übrigens infolge eines
von ihm gemachten Rechenfehlers nicht einmal ganz genau ist.
Für die Bestimmung des Osterfestes lassen sich jene Normen am
übersichtlichsten dahin zusammenfassen, daß Ostern auf den ersten
Sonntag nach dem Frühlingsvollmond angesetzt, und wenn dieser selbst
auf einen Sonntag fällt, auf den nächsten Sonntag verschoben werden
muß, wobei unter Frühlingsvollmond der auf den 21. März als den Tag
der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche fallende oder der gleich nachher
eintretende Vollmond verstanden wird. Aus der Kombination dieser
Merkmale ergibt sich die dem Wesen eines Kalenders geradezu Hohn
sprechende Tatsache, daß Ostern auf 35 verschiedene Monatsdateu vom
22. März bis 25. April fallen kann.
Beiden Elementen, dem Kalender und dem Festkalender, gemein-
sam ist der Umstand, daß sie auf cyklischer Berechnung aufgebaut sind,
der julianische Kalender auf einem vierjährigen Cyklus von drei Gemein-
jahren und einem Schaltjahr, und die Osterrechnung auf der Gleichung:
19 julianische Jahre = 235 Mondmonaten.
Die logische Voraussetzung der Anwendbarkeit solcher Cyklen ist
nun die, daß ihre Angaben mit den maßgebenden Himmelserscheinungen
als der unverrückbaren Grundlage aller Kalendermacherei jeweilen überein-
stimmen. Allein diese Voraussetzung traf weder bei dem einen noch
bei dem andern Cyklus zu und besonders die Berechnung von Ostern
litt an einem doppelten Fehler, indem die Ungenauigkeit der oben an-
geführten Gleichung bewirkte, daß nach 310 Jahren die wirklichen Neu-
und Vollmonde um 1 Tag früher eintraten als die cyklisch berechneten,
und die Vernachläßigung der sogenannten Präzession der Frühlings-Tag-
und Nachtgleiche bewirkte, daß ihr Termin nach 128 Jahren sich eben-
falls um 1 Tag nach rückwärts verschob. Wenn man also im Abend-
land geglaubt hatte in dem Computus, wie man im früheren Mittelalter
die Kalenderrechnung nannte, einen stets giltigen Führer zu besitzen,
so war auch dieser Glaube irrig und er wurde schon früh auf eine
harte Probe gestellt. Deshalb weiß sich der bibelfeste Computist Konnid,
der um 1200 lebte und gewiß zu seinem Schrecken für das Aquinoctium
schon eine Differenz von 6 Tagen und für den Frühlingsvollmond eine
solche von 3 Tagen gegenüber der cyklischen Rechnung bemerken
mußte, nicht anders als mit der Erklärung zu helfen, daß, da der
Mond am 3., der Mensch aber erst am G. Tage erschaffen worden sei,
Adam den schon drei Tage alten Mond für den Neumond gehalten
und dieser Fehler mit allen andern Sünden sich auch auf das Menschenge-
schlecht vererl)t habe. Indessen diese von dem alten Rechenmeister be-
klagten Fehler wuchsen natürlich im Laufe der folgenden Jahrhunderte,
I
— 281 —
so daß auch seine resignierte Schlußfolgerung nicht mehr paßte, sondern
der Gedanke von der Unzulänglichkeit des christlichen Kalenders und
der Notwendigkeit seiner Verbesserung sich mit unwiderstehlicher Gewalt
aufdrängen mußte. In der Tat wurden noch in demselben 18. Jahr-
hundert Stimmen in diesem Sinne laut und später haben sich mehrere,
auch sonst in der Kirchengeschichte ausgezeichnete Männer um die
Lösung des Problems bemüht, so z, B. Roger Bacon, Peter d'Ailly,
Nikolaus Cusa. Aber die von ihnen wie von anderen sternkundigen
Personen gemachten mannigfaltigen Vorschläge zur Verbesserung des
Kalenders erreichten alle ihr Ziel nicht. Inzwischen hatten die Laien
seit der Erfindung und Ausbreitung der Buchdruckerkunst angefangen
sich in diesem Punkte von der Kirche zu emanzipieren. Sie verfertigten
sich ihre Kalender selbst und waren erfinderisch genug, um dieses
wichtige Hilfsmittel des täglichen Lebens sogar in einer für Analphabeten
brauchbaren Weise herzustellen. Unterstützt wurden sie darin von
einigen Gelehrten, unter denen Georg von Peuerbach und Johann Müller
oder Regiomontanus, weil von Königsberg in Franken, vortreffliche
Kalender oder wie man damals sagte Almanache, da sie nur für ein
Jahr giltig waren, vornemlich auf empirischer Grundlage herausgaben.
Diese Selbständigkeit des Publikums, von der natürlich wie immer auch
die Geistlichen profitierten, und das Übergewicht, das die dogmatischen
und kirchenpolitischen Fragen durch die Reformation erhielten, haben
ohne Zweifel dazu beigetragen, daß die Frage der Kalenderreform, die
noch von Leo X. auf dem 5. Laterankonzil im Jahre 1512 mit Eifer,
jedoch ohne Ausdauer behandelt worden war, nachher ganz in den
Hintergrund trat. Auch das Konzil von Trient begnügte sich damit, in
der letzten Sitzung ganz flüchtig dem Papste Auftrag zu geben, Meß-
buch. Brevier und Kalender zu reformieren. Und diesem Auftrag ist
selbst wieder erst Gregor XIII. (1572—1585) nachgekommen. Der
Reformplan, der von dem Kalabresen Aloisius Lilius entworfen, von
dem Papste zum voraus genehmigt und von der durch ihn eingesetzten
Kommission mit wenigen Änderungen gebilligt worden war, enthielt
keinen einzigen neuen Gedanken, griff vielmehr in der Hauptsache von
allen schon früher gemachten Vorschlägen den für die Praxis unge-
schicktesten heraus, nämlich durch Ausschaltung von 10 Tagen die um
so viel zurückgewichene Frühlings-Tag- und Xachtgleiche wieder auf den
21. März zurückzuführen. Zur Erklärung, wenn auch nicht zur Ent-
schuldigung dieses Verfahrens muß der Umstand dienen, daß der 21. März
als unverrückbares Datum für das Äquinoctium galt, weil dieser Termin
nach dem Zeugnis des Dionysius exiguus, der sich freihch dabei nur
einen frommen Betrug erlaubt hatte, von der Kirchenversammlung zu
Nicaä von 325 festgesetzt worden war.
— 282 —
Demgemäß verfügte nun der Papst in der Bulle „Liter gravissimas"
vom 15. Februar 1582, mit der er zugleich der Chiistenheit von dem
Reformwerk Kenntnis gab, daß man von dem 4. Oktober desselben
Jahres sogleich auf den 15. Oktober überzugehen hätte. — Allein die
Durchführung dieses Befehles stieß in verschiedenen und zumal in
den paritätischen Staaten auf beträchtliche Schwierigkeiten. Auch die
schweizerishe Eidgenossenschaft gehörte zu ihnen und im folgenden
soll der Verlauf der Aktion an der Hand der offiziellen Akten kurz
dargestellt werden.
Zum vollen Verständnis der Darstellung ist hier noch eine Be-
merkung über die damalige politische Formation der Schweiz im allge-
meinen einzuschalten. Sie bestand bis zum Jahre 1798 aus drei ver-
schiedenen Elementen; 1, den eigentlich regierenden, auf der Tagsatzung
ständig vertretenen XIII Orten, 2. den mit ihnen verbundenen, politisch nicht
ganz gleich berechtigten, jedoch sonst souveränen Zugewandten und 3.
den von ihnen beherrschten Untertanenländern. Die XIII Orte, nach
der Zeitfolge ihres Eintrittes in den Bund geordnet, waren: Uri. Schwyz,
Unterwaiden, Luzern, Zürich, Glarus, Zug, Bern, Freiburg, Solothurn,
Basel, Schaffhausen und Appenzell. — Zu den Zugewandten, die hier
in Frage kommen, gehörten: Stadt St. Gallen, Biel, Mülhausen i/E.,
Wallis und Graubünden. — Die Untertanenländer endlich sind der
Aargau, der Thurgau, die rheintalischen, jetzt im Kanton St. Gallen ver-
einigten Vogteien und die Vogteien „ennet Gebirgs", d. h. südlich der
Alpen, der jetzige Kanton Tessin. In Bezug auf diese Untertanenländer
ist mit Übergebung von Einzelheiten noch darauf hinzuweisen, daß nicht
alle von allen XIII Orten gemeinsam, sondern jedes einzeln von einer
aus verschiedenen Orten gebildeten Gruppe beherrscht und verwaltet
wurde.
Mit Brève vom 15. Juni 1582 stellte nun Gregor XIII. auch an
die katholischen Orte — Uri, Schwyz, Unterwaiden, Luzern, Zug, Frei-
burg und Solothurn — das Begehren, sie möchten den neuen Kalender
einführen, wie es die anderen katholischen Fürsten und Obrigkeiten be-
reits getan hatten. Indessen dieser Wunsch blieb zunächst unberück-
sichtigt, offenbar deshalb, weil die gerade damals wieder sehr ernsthafte
Verstimmung zwischen ihnen und Bern wegen Genf und Savoyen das
Interesse der schweizerischen Politiker vollständig absorbierte. — Erst
fünf Vierteljahre später wurde der Gegenstand auf der gemeineidgenös-
sischen Tagsatzung zu Baden vom 10. November 1583 zur Sprache ge-
bracht, indem Luzern beantragte, man möge, da bereits in Italien, Spanien,
Frankreich und großenteils auch in Deutschland der neue Kalender ein-
geführt sei, zu Vermeidung fernerer Konfusion sich über dessen Einl'ülirung
auch in der Eidgenossenschaft verständigen. Zugleich erklärten Luzern,
— 283 —
üri, Schwyz, Zug, Freiburg und Solothurn, daß sie den neuen Kalender
in der Weise einzuführen beschlossen hätten, daß er mit dem 12. Januar
1584 in Kraft treten und auf diesen Tag das Fest des hl. Vinzenz, das
sonst auf den 22. fällt, geschrieben und genannt werden solle. Auch in
diesem Beschlüsse, gegen den bei der uneingeschränkten Landeshoheit
der einzelnen Orte prinzipiell nichts einzuwenden war, der aber in einer
wirklich gemeinsamen Angelegenheit jede Rücksicht auf die Mitstände
beiseite ließ, spiegelt sich das trotzige Selbstbewußtsein wieder, das die
katholischen Orte im Gefühl ihrer damaligen politischen Überlegenheit
beseelte. Um so peinlicher muß es für sie gewesen sein, daß die doch
unbefleckten Glaubensgenossen von Ob- und Nidwaiden dem Beschlüsse
zunächst nicht nur nicht beitraten, sondern überhaupt eine ganz unbe-
greifliche Renitenz an den Tag legten. Auf einer Konferenz der V Orte —
dies der Sammelname für die katholischen Stände Uri, Schwyz, Unter-
waiden, Luzern und Zug — , die auf "Wunsch Nidwaldens nur wenige
Tage später wegen verschiedener politischer Angelegenheiten, aber auch
wegen des neuen Kalenders nach Luzern einberufen wurde, ist dessen
Annahme nochmals „für höchst nötig erachtet" worden. Trotzdem wurde
der Anschluß Unterwaldens noch nicht erreicht, ja es grifl' bei den
andern katholischen Orten sogar die Befürchtung Platz, Unterwaiden
könnte sich bezüglich der Annahme des neuen Kalenders von ihnen
„sondern". Xoch im März des nächsten Jahres wurde es deshalb gemahnt,
das zu unterlassen, mit dem desperaten Zusatz, „im Falle es doch nicht
statt haben möchte, seinen Angehörigen wenigstens zu befehlen, sich alles
Trotzes und aller Schmähungen gegen die, welche hierin gehorsamen, zu
enthalten, indem man sonst Fehlbare strafen würde". Der Widerstand
gegen die Neuerung ging, me man sieht, vom Volke, nicht von den Be-
hörden aus. Eben deshalb erwies er sich auch gegen den von den an-
deren katholischen Orten ausgeübten Druck als zu schwach und in der
Zeit zwischen dem 12. März und 5. Juni 1584 wurde der neue Kalender
auch in Unterwaiden angenommen. Damit war die kompakte Einheit der
politischen Interessen, auf die die altgläubigen Orte begreiflicherweise das
größte Gewicht legten, wieder hergestellt.
Für den weiteren Verlauf der Angelegenheit kam nun alles darauf
an, wie sich die evangelischen Orte entscheiden würden, ob für, ob gegen
die Annahme des neuen Kalenders. Dabei verdient bemerkt zu werden,
daß auch dieser Gegenstand von der reformierten Partei mit der ihrer
damaligen Politik überhaupt anhaftenden Schlaffheit behandelt wurde, die
den Widerpart in seiner keck ausgreifenden Weise nur bestärken mußte.
Erst im März 1584 hielt Zürich es für nötig, die evangelischen
Städte und Zugewandten zu einer Konferenz nach Lenzburg einzuladen,
wo die „verschiedenen Unrichtigkeiten", die sich in der Eidgenossen-
— 284 —
scLaft wegen des neuen Kalenders erhoben hatten, besprochen wurden.
Dabei war man einstimmig der Ansicht, vorläufig bei dem alten Kalender
zu verharren. Dieser Beschluß wurde nun keineswegs durch das brüske
Vorgehen der katholischen Orte hervorgerufen, sondern beruhte auf Er-
wägungen allgemeiner Art, die die Protestanten aller anderen Länder
ganz ebenso beeinflußten und die von einem thurgauischen Geistlichen
folgendermaßen resümiert werden : Die evangelischen Stände nahmen den
neuen Kalender nicht an 1. weil der Papst desse^i Einführung ex
cathedra und unter Androhung der Ungnade Gottes und der Apostel
Petrus und Paulus befohlen hatte, 2. weil der Kalender mit allerlei
Superstitionen von den Feiertagen der Heiligen angefüllt sei. 8. weil man
kathohscherseits die Annahme mit Schmähungen begleitet und die Hotf-
nung geäußert hatte, daß man den Gegnern bald auch den Glauben
nehmen werde und 4. weil nach der Verkündung der päpstlichen Bulle
viele Astronomen Ijeider Konfessionen darauf hinwiesen, daß in einem
Jahrhundert eine neue Berichtigung nötig werde. — Man wird diese
Gründe, die, soweit sie konfessionell sind, einer so glaubensstarken Zeit
sehr wohl anstehen, um so mehr respektieren müssen, als die Reformierten
sich gewiß nicht verhehlt haben, daß, wie Kaiser Rudolf Tl. in einem
Briefe an Basel hervorhebt, „die ungleiche Haltung des Kalenders in
vill wege, sonderlich auch der marckhte, wechsseil unnd zallungen, recht
unnd gerichtshandlungen halben vast grosse konfusion unnd unrichtigkhait
verursacht".
Wenn diese Übelstände sich schon bei dem Übergang von refor-
miertem auf katholischen Boden sehr unliebsam bemerklich machten, so
mußte das in besonders hohem Maße auf einem eidgenössischen Gebiet
der Fall sein, auf dem die Interessen der beiden religiösen Parteien sich
sozusagen täglich und stündlich durchkreuzten — in den Untertanen-
ländern,
Die katholischen Orte hatten nicht gesäumt, gemäß dem am 10. No-
vember 1583 gefaßten Beschluß den neuen Kalender auch hier einzu-
führen und sofort, ohne die mitregierenden Orte zu befragen, den Land-
vögten die entsprechenden Weisungen erteilt. Allein Zürich ließ sich das
in Bezug auf den Thurgau nicht gefallen, sondern verbot dem dortigen
Landvogt — für 1584 war dies Oswald Meyenberg aus Zug — das
Mandat in betreff des neuen Kalenders zu publizieren und verhandelte
schriftlich und mündlich mit den op])ositionellen Elementen. Die katho-
lischen Orte wichen trotzdem nicht um Haaresbreite. Vom Vogte über
Zürichs Maßiiahinen benachrichtigt, schrieben sie ihm, daß man datiir
halte, ein Beschluß der Mehrheit müsse aufrecht erhalten werden ; dem
Vogte selbst befahlen sie, das Mandat zu vollziehen und die Ungehor-
samen zu bestrafen Darüber kam es zwischen den drei uniuittelbar be-
— 285 —
teiligten Parteien zu einem Scliriftenaustausch, der die V Orte bei ihrer
Konferenz vom 17. April 1584 zur Erklärung veranlaßte, .,daß die Re-
formation des Kalenders geschehen müsse." daß sie aber „in der Sache
auch keine besondere Eile haben".
Ebenso beklagte sich auch Bern darüber, daß in der Gemeinde
Bucheggberg durch die einseitige Einführung des neuen Kalenders von
der solothurnisclien Regierung seine Hoheitsrechte beeinträchtigt worden
seien. Beide Städte fanden sich daher veranlaßt. Zürich den V Orten,
Bern denen von Solothurn, das Recht vorzuschlagen, d. h. den Streitfall
unter Berufung auf die ßundesbriefe durch ein Schiedsgericht entscheiden
zu lassen. Dieses „Rechtsgebot" verursachte bei den V Orten einige Auf-
regung. Aber wie um ihren Standpunkt mit aller Deutlichkeit zu mar-
kieren, beschlossen sie auf einer Konferenz in Luzern am 5. Juni 1584
einhellig; daß die gemein-eidgenössische Jahri'echnung zu Baden nach
dem neuen Kalender gehalten und Zürich, Bern und Glarus schriftlich
gebeten werden sollen, die Jahrrechnung dessenungeachtet mit ihnen zu
besuchen, damit auch die Landvögte der Grafschaft Baden wegen ihres
Aufrittes sich zu verhalten wissen.
Eben auf der nächsten solchen Jahrrechnungstagsatzung am 17. Juni.
11. z. noch alten Stiles, prallten nun die Meinungen der beiden Parteien
sehr lebhaft auf einander.
Die Boten der V Orte eröffneten vor der Tagsatzung folgendes:
Sie haben Auftrag, gegen die von Zürich und Glarus als mitregierende
Herren der Landgrafschaft Thurgau klagend aufzutreten. Noch sei im
frischen Gedächtnis, wie vor einiger Zeit eine Reformation des Kalenders
vorgenommen worden. Auf Martini des verflossenen Jahres habe die Mehr-
heit der Orte den neuen Kalender angenommen. Li der Überzeugung,
daß ein Beschluß der Mehrheit aufrecht erhalten werden müsse, habe
man den Landvögten befohlen, die entsprechenden Mandate zu erlassen.
Nun haben sie schon vielfältig vernehmen müssen, daß, obschon diese
Angelegenheit weder den Landfrieden noch die Religion irgendwie be-
rühre, einige Untertanen im Thurgau sich unter Drohungen der Voll-
ziehung widersetzen und dadurch beinahe zu verstehen geben, als seien
die Y Orte nicht auch regierende Orte der Laiidgrafschaft Thurgau ;
sie haben daher mit Strafen gedroht. Zürich aber habe ihnen auf den
Fall, daß sie mit Strafen fürfahren wollen, das Recht vorgeschlagen.
Da nun die Unruhen sich von Tag zu Tag weiter ausdehnen, so bitten
sie um Hilfe, damit man die Widerspenstigen zum Gehorsam bringe. —
Zürich verantwortete sich damit, daß über diese Sache nie ein formeller
Beschluß gefaßt worden sei, daß sie übrigens nicht gar so gering sei,
wie man sie darstellen möchte, und daß der Papst sie durch seinen
Bannspruch zu einer geistlichen gestempelt habe. — Auch Bern stellte
— 286 —
die Ungelegenheiten dar, die die Einführung des neuen Kalenders mit
sich bringe.
Zwei Punkte verdienen hier Beachtung. Das eine ist die trotzige
Rücksichtslosigkeit, mit der die V Orte den Mehrheitsbeschluß geltend
machen. Denn wenn die Richtigkeit dieser Behauptung rein zahlen-
mäßig auch nicht angegriffen werden konnte, indem von den 13 stimm-
berechtigten Ständen 7 im Sinne der V Orte votiert hatten, so bestand
diese Majorität eben doch nur aus den katholischen Orten und eine die
ganze Eidgenossenschaft berührende Frage war also einseitig von einer,
noch dazu sehr exklusiven Partei entschieden worden. Das zweite ist,
daß der Schwerpunkt der ganzen Aktion überhaupt weniger in dem be-
handelten Gegenstande selbst lag, als vielmehr darin, daß wegen der
allgemeinen politischen Situation, wegen des fortwährend gespannten Ver-
hältnisses zwischen den beiden Städten und den V Orten auch durch
einen an sich so unpolitischen Stoff wie die Kalenderreform die vorhan-
denen Gegensätze leicht in bedrohlicher Weise gesteigert werden konnten.
Irgend ein unberechenbarer Zufall genügte dann, um schließlich den
erregten Parteien die Waffen in die Hände zu drücken. Wurden doch
noch zwei Jahre später die Y Orte durch die Kunde alarmiert, daß im
Thurgau auf Anstiften zweier Prediger abermals Unruhen wegen des
neuen Kalenders zu besorgen seien und daß die Bauern mit Sturm, Zürich
aber mit 300 Schützen gedroht hätten.
Es war also ein großes Glück, daß auch ernsthafte Vermittler zur
Stelle waren und sich Gehör verschafften. Zwischen Zürich und den V
Orten konnten die an der Verwaltung des Thurgau unbeteiligten Kantone,
zwischen Bern und Solothurn irgendwelche andere Orte, unter denen Basel,
Schaff hausen und Appenzell sogar laut Bundesbrief zum „stille sitzen"
und zur gütlichen Intervention verpflichtet waren, zu vermitteln suchen.
Das ist denn auch von Seiten der genannten Orte in Verbindung mit
Freiburg und Solothurn geschehen und ihre Bestrebungen wurden leb-
haft unterstützt von dem französischen Gesandten Heinrich von Fleury,
natürlich nicht aus persönlichem Wohlwollen für die Söhne des Teil,
sondern aus dem engherzigen politischen Grunde, alles zu verhüten, was
die Werbung schweizerischer Soldaten durch die französische Krone be-
hindern könnte.
Zunächst setzten die vermittelnden Orte nach weitläufigen Erörte-
rungen es durch, daß dieses Handels wegen ein anderer Tag nach Baden
auf den 16./26. August ausgeschrieben wurde. Auf dieser Tagsatzung
wurden von den fünf Schiedorten mit Rat und Wissen des französischen
Anibassadors nach nochmaliger Anhörung beider Parteien folgende Ar-
tikel vorgeschlagen : der Span soll bis auf Martini eingestellt sein ; l)eidc
Parteien sollen ihre Untertanen in den gemeinsamen Vogteien zur Ruhe
— 287 —
ermahnen ; die Fest- und Feiertage sollen dort bis auf weitere Verein-
barung nach dem neuen Kalender gehalten werden; wenn sie aber jemand
nach dem alten Kalender feiern wollte, so wird ihm das freigestellt; die
bisher wegen solcher Übertretungen verfallenen Bußen sollen aufgehoben
sein. Diese „Mittel" fanden zwar die Zustimmung der V Orte, nicht aber
der beiden Städte und „estans les uns et les autres fort roides à main-
tenir leurs prétentions", wie Fleury schon im Juli dem Könige geschrieben
hatte, bedurfte es noch wiederholter Unterredungen, bis endlich auf der
Tagsatzung vom 24. Februar/ 6. März 1585 eine Einigung erzielt wurde.
Die darüber aufgenommene und von den Vertretern der Schiedorte —
Remigius Fäsch und Wolfgang Sattler von Basel, Hans Meyer, Alt-
Bürgermeister zu Freiburg, Ritter Hans von Langen genannt Heid von
Solothurn, Dr. Johann Conrad Meyer, Bürgermeister von Schaffhausen,
und Bartholomäus Theiler, Alt-Landammann von Appenzell — unter-
zeichnete Urkunde bestimmt: Das Gebiet der streitenden Orte selbst wird
durch diesen Vergleich nicht berührt. Um der unter den Untertanen in
den gemeinen Vogteien wegen des Kalenders ausgebrochenen Zwietracht,
die leicht „gemeiner loblicher Eidtgnoschafft zu grosser unruw gereichen
möchte" zu begegnen, sollen die regierenden Orte durch Gesandte „dye
underthanen zu beiden parthyen und relligionen ganz ernstlich vermanen,
das sy fridtsam . . . ungevecht und ungehaßt inn und ußerthalb der kir-
chen, ouch in wirtshüsern und anderschwo verblyben, einanderen diß
spännigen Calenders halb ungetratzt sollen laßen by einer . , . bestimpten
straaff". Die Untertanen sollen die Fest- und Feiertage „mitt einanderen
nach uswysung deß nüwen calenders fyren". Doch dürfen die Evange-
lischen folgende Festtage, nämlich Weihnachten, St. Stephan, St. Johann,
Neujahr, „ostertag und Ostermontag, uffahrt (Christi Himmelfahrt), ptingst-
tag und Pfingstmontag wol nach dem altten calender fyren", von den
KathoKschen daran unverhindert. „Ein überträttende Person" zahlt 5 fl.
dem Landvogt und, „wenn einer oder meer sich dermaaßen so widerspäuig
erzeigen, so soi ein landvogt den an ehre lyb und gutt ze straffen wol
gewalt haben". Auch sollen die Katholischen an diesen von den Evan-
geHschen gehaltenen Festtagen „schuldig sein"' jeweilen am „vormittag
aller irer handarbeit werken und geschäften gänzlich still ze ston". Das-
selbe gilt auch für die EvangeHschen bei der Feier des Fronleichnams-
tages durch die Katholiken „an den orten, da beid relligionen in einer
kirchen by einauderen gehaltten werden". Die gleichen Gebote und Zu-
geständnisse — die Feiertage sind nach dem neuen Kalender zu halten,
die Evangelischen dürfen die oben genannten Festtage nach dem alten
Kalender feiern, Vormittagsruhe der Katholischen an diesen, der Evan-
gelischen am Fronleichnamstag — werden auch auf „die gemeine her-
schaft und vogty im Rhyntal" ausgedehnt, wohin auch die von Appenzell
— 288 —
„raeertheil kilchgenoßen sind und beid relligionen den nüwen calender
angenommen" haben. — Von den Zurzacher Märkten, die „gänzlich nach
dem nüwen calender ze haltten unkommlich und ettlichen jarmerkten und
mäßen abbruch" tun möchte, soll der Pfingstmarkt wie bisher, der Verena-
markt (1. September) aber auf den 11. September X. St, „byß wyterer
verglychung gehalten werden". — Ferner sollen „die jarrächnungen zu
Baden", die man bisher drei Wochen nach Pfingsten abgenommen hatte, „deß-
glichen ouch die jarrächnung ennets gebirgs" (über die tessinischenVogteien)
nach dem neuen Kalender „uff St. Johannstag (24. Juni) angefangen . . .
werden, biß wir uns in einer loblichen Eidtgnoschafft under einanderen
zu glycher zyt wyter brüderlichen vereinbaren". — Das Friedenswerk
schließt mit der wohltuenden Bestimmung, daß, „wiewol vil unrüwiger
personen zu allen theilen dises spännigen caländers möchten bus-
fellig worden syn". doch das, „was bisher beschächen, gütlich ufgehept
syn" soll.
Beide Parteien verdankten den Schiedorten die dieses Handels
wegen gehabte Mühe und die VIII, die Grafschaft Baden regierenden
Orte gaben ihrem Landvogt Befehl mit aller Beförderung das Mandat
zu publizieren, übrigens fand die Jahrrechnungstagsatzung sowohl im
Jahre 1585 wie 1586 noch zum alten Termin statt und die letztere Tag-
satzung sah sich daher veranlaßt jene Bestimmung der Übereinkunft zu
wiederholen mit dem Zusatz, daß am St. Johannstag die Boten der VIII
Orte sich einfinden sollen, um die Vogtei- Geschäfte, und acht Tage später
die Boten der fünf anderen Orte, um die gemein- eidgenössischen Ange-
legenheiten vorzunehmen. Dieser Beschluß wurde ebenfalls den Land-
vögten mitgeteilt, damit sie ihre Untertanen anweisen mit ihren Ansprachen
und Appellationen rechtzeitig zur Stelle zu sein.
Die in dem Vergleich vorgesehene Entsendung einer besonderen Bot-
schaft in den Thurgau wurde von den regierenden VII Orten auf den
31. März 1585 festgesetzt und die katholischen V Orte beschlossen dazu
einsichtsvolle Männer zu wählen, die „mit Ernst und Nachdruck" handeln
sollten. Immerhin wurde ihnen aufgetragen, sich vorher in Zürich mit
den anderen Boten von Zürich und Glarus über ihr Verhalten zu ver-
ständigen.
Wie man sieht, so ist der schließlich angenommene Vergleich von
den zuerst gemachten Vorschlägen inhaltlich nicht sehr verschiede», mit
antleren Worten, wenn die diese Vorschläge ablehnenden beiden Städte
gehofft hatten, durch längere Unterhandlungen eine mehr ihrem Stand-
punkt, also der Erhaltung des alten Kalenders günstige Schlußakte zu
gewinnen, so war auch diese Erwartung an der unl)eugsamen Haltung
der altgläubigen Majorität zunichte geworden. Denn der resultierende
Kompromiß räumte doch unzweifelhaft dem neuen Kalender den Vorzug
— 289 —
vor dem alten ein und dokumentierte damit ebenfalls die augenblickliche
Überlegenheit der im Sinne der Gegenreformation tätigen Mächte.
Ein ernsthaftes Nachspiel erlebte der Kalenderstreit noch im Kanton
Appenzell, wo die vornehmlich den jetzigen Halbkanton Appenzell außer
Rhoden bewohnende reformierte Bevölkerung gegen den von der Regie-
rung angenommenen neuen Kalender sich sträubte und die Gegensätze
zwischen den beiden Religionsparteien schließlich eine eidgenössische
Intervention und die Trennung dieses als letzten souveränen Mitgliedes an-
gegliederten Ortes der alten Eidgenossenschaft in zwei Halbkantone im
Jahre 1597 herbeiführte. Hierüber haben schon J. C. Zellweger in
seiner Geschichte des appenzelHschen Volkes, 8. Bd., 2. Al)tlg., S. 22 ff.
und S. 119 ff. und Dr. C. Ritter in der Schrift, Die Teilung des Landes
Appenzell im Jahre 1597, Trogen 1897, mit erschöpfender Benützung
der Quellen gehandelt.
Damit waren also auch auf eidgenössischem Gebiete zwei ungleiche
Kalender in Gebrauch gesetzt und hier wie auswärts verursachte dieser
Umstand mancherlei Störungen auch in außerkirchlichen Dingen. Na-
mentlich der über Gebiete verschiedener Konfessionen sich erstreckende
Warentransport erfuhr Hemmungen, die zu lebhaften Klagen Anlaß gaben,
so daß man sie durch interkantonale Übereinkünfte zu beseitigen suchte.
Es vereinbarten z. B. auf einer im Januar 1603 in Rapperswäl gehaltenen
Konferenz Zürich, Schwyz und Glarus, daß jeder, der an einem Orte,
wo Werktag ist, Waren aufladet und abführt und an einen Ort kommt,
wo Feiertag ist, mit seiner Fuhr ungehindert weiter fahren könne, damit
der Paß frei und offen bleibe ; dabei soll sich jeder in Worten und
Werken bescheiden zeigen. Aber 1614 beklagt sich Zürich doch wieder,
daß man in Schwyz Güter an Feiertagen nicht führen noch „recken"
dürfe, und ersucht um Abstellung des Verbotes, da es mit dieser Arbeit
eine andere Bewandtnis habe als mit anderen an Sonn- und Feiertagen
untersagten Arbeiten.
Diese Begebenheiten betreffen sämtlich nur den Kern der alten,
aus den XIII Orten und deren Untertanenländern bestehenden Eidge-
nossenschaft. Die Einführung des gregorianischen Kalenders hat aber
auch in den zwei größten zugewandten Orten, die schon seit dem 14.
Jahrhundert zu ihr in mannigfaltigen Beziehungen standen, die Geister
beschäftigt — nämlich in Graubünden und im Wallis.
Um die Vorfälle im Wallis zu verstehen, muß man von der mit
dem Namen verknüpften Vorstellung einer politischen Einheit abstrahieren
und sich daran erinnern, daß in diesem merkwürdigen, halb geistlichen,
halb weltlichen Staate zunächst einmal das untere Wallis, also das Ge-
biet westlich von Conthey und der Morges erobertes Untertanenland war,
über das der Bischof und die sieben Zehnten des Ober-Wallis — Sitten,
19
— 290 —
Siders, Leuk (die drei unteren) und Raron, Visp, Brieg und Groms
oder Conches (die vier oberen) als Herren geboten. Zwischen diesen
beiden Herren herrschte sehr oft und gerade auch in der hier in Rede
stehenden Periode ein recht schlechtes Einvernehmen, da die auf ihre
schwer errungene Freiheit stolzen Zehnten argwöhnisch das bischöfliche
Regiment beobachteten und sich ihm sogar in rein kirchlichen Ange-
legenheiten entgegen stemmten, wenn ihre Selbständigkeit irgendwie
berührt zu werden schien. Nur in einem Punkte war die Talschaft auch
damals so gut wie einig, sie war im Wesentlichen katholisch geblieben
und hatte alle Ketzerei entschieden, obgleich nicht ohne Anstrengung
erstickt. In diesem Kampf um die Glaubenseinheit waren die Walliser
nicht bloß unterstützt, sondern zum Teil beinahe geleitet worden von
ihren alten politischen Freunden, den V Orten, deren Eifer ihnen selbst
schließlich unbequem wurde.
Auch im Kalenderhandel spiegeln sich diese politischen Verhältnisse
des Landes wieder. Als der Papst dem Bischöfe von Sitten, Hildebrand I.
von Riedmatten, die Verkündung und Einführung des neuen Kalenders
befahl, mußte ihn das Unter- Wallis aus Auftrag seines geistlichen Herren
sogleich annehmen. Die sieben Zehnten aber mußten dazu erst bewogen
werden und deshalb richtete Hildebrand am 20, /30. März 1582 einen
umständlichen Erlaß an sie, in dem er für die Annahme geltend machte
„die große Notwendigkeit, die Arbeit, die es gekostet, den Befehl des
Kaisers und des Papstes und zwar unter der Strafe der Exkommunikation
gegen die Ungehorsamen, den Gehorsam, den er selbst leistet und den
sie ihm geschworen, seine Konfirmation, die ihn 3000 Kronen gekostet
und die er einbüßen müßte, wenn er abgesetzt würde u, s. w." Allein
diese bewegliche Motivierung prallte an den trotzigen Landleuten voll-
ständig ab. Aus den bisher bekannten Quellen ist nicht zu ersehen, ob
der Bischof in dieser Angelegenheit noch weitere Schritte getan hat oder
nicht. Gewiß ist nur, daß sie im Anfange des 17. Jahrhunderts noch
auf demselben Punkte stand wie im Jahre 1582. Mau ersieht das aus
der Instruktion für die Boten der VII katholischen Orte, die in dem
wieder ausbrechenden Streite des Bischofs und Domkapitels mit den
sieben Zehnten im Mai 1600 intervenieren sollten. Es wird ihnen darin
auch empfohlen, sich mit den beiden Parteien wegen des Kalenders zu be-
sprechen, und in der ihnen aufgetragenen vertraulichen Unterredung mit
dem Bischof sollen sie ihn und das Domkapitel ersuchen, dahin zu
wirken, daß die Landschaft den neuen Kalender endlich einführe. Aber
auch diese Einwirkung, wenn sie überhaupt statt hatte, blieb ohne Er-
folg. Bei Gelegenheit der Beschwörung des Bundes der VII katholischen
Orte mit dem WalHs in Sitten Ende Oktober 1602 wurde nämlich das
Begelireii betioffend Annahme des gregorianischen Kalenders erneuert,
— 291 —
freilich wieder erfolglos. Auch auf eineui großen Rechtstag zwischen dem
Bischof und Domkapitel und der Landschaft in Visp vom 15. — 17. März Uj()4
erreichte der bischöfliche Statthalter von den Abgeordneten der Zehnten
nicht mehr, als daß sie die Sache unter Zusicherung ihrer möglichsten
Bemühung in den Abschied nahmen. Und doch hatte er die Ein-
führung des neuen Kalenders durch den Hinweis schmackhaft zu machen
gesucht, daß daraus ein gutes Einvernehmen mit allen katholischen
Ständen erfolgen würde und zu hoffen sei, der Papst werde dann etliche
junge Leute aus der Landschaft auf seine Kosten studieren lassen. Daß
der Widerstand gegen den neuen Kalender seine Wurzeln nicht nur in
der jeder bäuerlichen Bevölkerung eigenen streng konservativeu Lebens-
auffassung hatte, sondern auch in rein politischen Gründen, beweisen die
im März 1627 wieder von Abgeordneten der VII katholischen Orte mit
den VII Zehnten in Leuk und Sitten geführten Unterhandlungen zum
Zwecke eines Ausgleichs zwischen ihnen und ihrem Bischof Hilde-
braud II Jost. Auf die von Bischof und Domkapitel schrifthch vorge-
legten elf Klagepunkte antworteten die Boten der Zehnten u. a., daß,
was den vom Bischof verlangten vollkommenen Gehorsam in geistlichen
Sachen betreffe, der Landrat darin nicht willfahren könne; denn dann
würde der Bischof ihnen gebieten, den neuen Kalender einzuführen, er
könnte die Unehelichen ehelich machen, den von den Altvordern abge-
schafften Bann wieder einführen, Kirchherren in den Pfarreien ein- und
absetzen, ja die Landschaft bei fremden Höfen berechtigen. Gerade in
der Kalenderfrage kam es zu einer bemerkenswerten Kraftprobe. Da
die Geistlichkeit dazu ermahnte, die Fest- und Feiertage nach dem
neuen Kalender zu halten, verordneten die Abgeordneten der Zehnten,
daß man bei dem alten Kalender, in dem ihre frommen Alten gelebt,
verbleibe. Werden die Festtage nach dem neuen Kalender verkündet,
so hat sie niemand zu halten und die Sigristen haben nicht nach der
neuen Zeit zu läuten. Wo die Pfarrer die Verkündung der Festtage
nach dem alten Kalender unterlassen, soll deren Verkündung durch den
Weibel geschehen.
Auf diese Weise haben die Zehnten den Streit um den Kalender,
der zu einem Kampfmittel in dem Streit um politische Macht über-
haupt geworden war, noch viele Jahre fortgeführt. Sie operierten mit
ihm recht geschickt. Jm Jahre 1628 versicherten ihre Boten einmal, wenn
statt des unruhigen Bischofs ein neuer gewählt würde, sei die Annahme
des gregorianischen Kalenders unzweifelhaft, um sich gleich nachher wieder
hinter der Erklärung zu verschanzen, man werde die Zehnten zu der
Annahme zu bereden suchen, könne aber mit dem geraeinen Manne in
einer ungewohnten Sache nicht gut eilen. Xach 46 Jahren noch Angst
vor Übereilung vorschützen, geht wirklich nur in diplomatischen Ver-
— 292 —
handlungen an. Von diesem Standpunkte aus war freilich auch nicht
abzusehen, wann der gemeine Mann die nötige Fassung gewonnen haben
würde, um sich des neuen Kalenders zu bedienen.
Über diese Zustände im Wallis, die schließlich auch die Aufmerk-
samkeit der Kurie erregten, waren natürlich die katholischen Orte der Eid-
genossenschaft, besonders die V Orte, beunruhigt. Allein da gerade diese
durch ihr früheres Dreinfahren die Sympathien ihrer Nachbarn ein wenig
verscherzt hatten und damals keine bedeutende politische Persönlichkeit
besaßen, so fanden sie den Weg, man darf fast sagen den Mut zu einer
wirksamen Intervention nicht mehr. Auf der Konferenz in Luzern am
6. und 7. Oktober 1637, wo von der Beschwörung des Bundes mit Wallis
die Rede war, begnügten sie sich, es der Diskretion ihrer Gesandten
anheimzustellen, wenn sie glauben Eingang zu finden, freundliche In-
sinuationen zur Annahme des neuen Kalenders zu machen, wenn sie
aber auf Schwierigkeiten stoßen, das zu unterlassen, weil dieses Volk mit
Liebe und Freundhchkeit behandelt werden muß. In so sentimentaler
Weise beschlossen die V Orte ihre Vermittlertätigkeit im Wallis, ohne
daß über den Verlauf ihrer letzten schüchternen Botschaft etwas be-
kannt wäre. Erfolg hatte sie keinen. Denn erst im Jahre 1656 haben
nach einer einstweilen unkontrollierbaren Nachricht endlich auch die
Zehnten den neuen Kalender angenommen.
Was Graubünden betrifft, so genügt es hier die Tatsache anzu-
führen, daß der neue Kalender von den katholischen „Gerichten", die
hauptsächlich im Gebiete des sogenannten Obern oder Grauen Bundes
im Vorder-Rheintal (Disentis) zu suchen sind, ohne Widerspruch ange-
nommen, von den reformierten Gerichten aber im Januar 1585 durch
Abstimmung verworfen wurde. Denn da das Problem als ein kirchliches
aufgefaßt wurde, stand die Entscheidung nicht der obersten Landes-
behördo, dem konfessionell gemischten Bundestag, sondern den einzelnen
Gerichten, bez. Gemeinden zu. Infolge dessen hat sich der julianische
Kalender bei den evangelischen Bündnern bis tief ins 18., ja in einzelnen
Talschaften sogar bis ins 19. Jahrhundert erhalten. Die erste Gemeinde,
die den neuen Kalender annahm, war das Puschlav (Poschiavo) im Jahre
1756, aber fast der ganze Zehn-Gerichtsbund, dessen Hauptbestandteil
das Prättigau bildete, bequemte sich erst im Jahre 1812 und da nur
höchst widerwillig zur Anerkennung der neuen „Zyt". „Unter den Menschen
verpönt, hat der alte Kalender im Stalle seinen Herrschersitz aufge-
schlagen; denn der Bauer von altem Schrot und Korn wird es nicht
leicht duhlcn, daß seine Kühe nach dem neuen Kalender kall)ern." —
Die einzehicn Phasen dieser überraschend späten Wandlung hat im
übrigen J, Hdtt recht gut geschildert, auf dessen Schrift „Die Elinfiihrung
des neuen Kalenders in Graubünden, Leipzig, W. Engelmann 1863"
hiemit gleichfalls verwiesen sei.
— 293 —
Wenn also die evangelischen Bündner die letzten in Europa waren,
abgesehen von den Russen, die sich dem im 16. Jahrhundert reformierten
Kalender unterworfen haben, so hatte dieser bäuerliche Starrsinn doch
die gute Folge für sie gehabt, daß es ihnen erspart blieb, Teilnehmer
einer kläglichen halben Maßregel zu werden, die sich alle anderen
Protestanten zu Schulden kommen ließen. Auf Betreiben des Corpus
Evangelicorum, das von Leibniz und anderen Gelehrten darin unterstützt
wurde, willigten nämlich im Jahre 1699 die protestantischen Stände zwar
in die Annahme des gregorianischen eigentlichen Kalenders, jedoch ohne
den Festkalender. Wegen der der Festrechnung anhaftenden Mängel
wollten sie Ostern empirisch bestimmen. Den Ausgleich zwischen den
beiden Kalendern bewerkstelligten sie dadurch, daß sie vom 18. Februar 1700
auf den 1. März übergingen. Dieses unvollständige Produkt mußten nun
wohl oder übel auch die schweizerischen evangelischen Orte annehmen,
wenn der Wirrwarr nicht noch größer Averden sollte.
Mit Schreiben vom 30. Dezember 1699 gaben ihnen die evangelischen
Fürsten und Stände des Reichskonvents in Regensburg Kenntnis von der
Änderung des Kalenders und luden die evangelische Eidgenossenschaft ein,
diese Verbesserung der Zeitrechnung ebenfalls anzunehmen. Auf einer Kon-
ferenz der Boten der evangelischen Orte, sowie der Städte St. Gallen, Mül-
hausen i. E. und Biel in Aarau vom 20. — 24. April 17Ô0 wurde zunächst
allseitig anerkannt, daß der neue Kalender für Handel und Wandel ohne
Bedenken angenommen werden könnte. Evangelisch Glarus eröffnete, es
müßte vor seiner zustimmenden Erklärung einen einhelhgen oder Mehr-
heitsentscheid der Landleute einholen. Der Abgeordnete von St. Gallen
meinte, über diese Materie seien schon viele Schmutz- und Stichworte
geflossen und es könnten allerlei Händel daraus entstehen. Trotzdem
nahm er die Sache ad référendum. Schließlich fand man es am zweck-
mäßigsten, den Gegenstand auf die bevorstehende Tagsatzung zu ver-
schieben, dann die Gedanken der katholischen Orte zu sondieren und
erst nachher vor der gesamten Session aufzutreten. Auf dieser Tag-
satzung am 4, Juli lief alles glatt ab. Zürichs Bote erwähnte des welt-
kundigen Beschlusses der protestantischen Stände des Reichstages und
ihrer Einladung an die evangelischen Orte und betonte, daß Zürich
damit keine Neuerung suche, sondern wünsche, daß in den gemeinen
Vogteien jede Religion bei ihren Freiheiten belassen werde. Die
katholischen Orte möchten durch ihre Geistlichkeit zur allgemeinen Be-
ruhigung erklären lassen, daß es auf keinen Eintrag an der katholischen
Religion abgesehen sei. Unter dieser Bedingung erklärten sich deren
Boten, ohne hiezu instruiert zu sein, mit dem Plane einverstanden.
Demgemäß beschlossen die evangelischen Orte samt Biel und St. Gallen
noch während derselben Tagsatzung, daß man zwar in dem laufenden
— 294 —
Jahre ohne Konfusion nichts ändern könne, daß aber, wenn die vor-
behaltene Genehmigung der Orte eingegangen sein werde, das künftige
Jahr 1701 mit dem 12. Januar anfangen und die 11 vorhergehenden
Tage leerstehend gelassen werden sollen. Von der erfolgten Ratifikation
soll dann dem Reichskonvent Mitteilung gemacht werden. Dieser Be-
schluß gelangte u. z. ausnahmslos in allen evangelischen Orten und Zu-
gewandten zur Ausführung.
Über die letzte Phase der Einführung des gregorianischen Ka-
lenders ist nicht mehr viel zu sagen. — Infolge der ungeschickten Tren-
nung des Festkalenders vom übrigen Kalender und der verschiedenen
Berechnungsweise des Osterdatums bei Protestanten und Katholiken
waren in Bezug auf dieses Hauptfest in den Jahren 1700, 1724 und
1744 Zeitdiiferenzen entstanden, die in den Jahren 1724 und 1744 zu
ärgerlichen Szenen Anlaß gegeben hatten. Um ihrer Wiederholung, die
freilich dem Zeitalter der Aufklärung und Humanität übel angestanden
hätte, vorzubeugen, beschloß auf Anregung Friedrichs d. Gr. hin das
Corpus Evangelicorum am 13. Dezember 1775, die astronomische Be-
rechnung von Ostern fallen zu lassen, womit die vollständige Überein-
stimmung zwischen dem verbesserten und dem gregorianischen Kalender
hergestellt war. Wohl nur um die Fiktion einer gewissen Selbständigkeit
zu wahren, ordnete? das k. Patent vom 7. Juni 1776 die ausschließliche
Geltung des „verbesserten Reichskaleuders" an. Die Evangelischen in
der Schweiz aber sind auch damals dem Beispiele ihrer Glaubensgenossen
im Reiche gefolgt mit Ausnahme der, wie schon erwähnt, dem alten
juhanischen Kalender noch über ein ganzes Menschenalter anhänglichen
Bündner.
Zur Entstehung von Piatons „Staat".
Von
Karl Joël.
In dieser viel behandelten Streitfrage, die kaum feste objektive Kriterien
mitbringt, empfiehlt es sich wohl nachgerade ohne lange Debatte einfach
seine Stimme abzugeben und seinen subjektiven Eindruck, beinahe wie
der Kunsthistoriker die Entscheidung seines Stilgefühls, kundzuthun
und zu analysieren. Aus den einzigen antiken Nachrichten, der zweifel-
haften von den zuerst bekannt gewordenen duobüs fere libris (welchen'?')
des „Staats" (Gell. XIV 33) und der mehrfach und besser bezeugten
von dem beim toten Philosophen gefundenen Wachstäfelchen mit dem
korrigierten Anfang des Werkes kann man nichts und alles folgern,
sogar daß Piaton den „Staat" von rückwärts geschrieben hätte und
sterbend mit dem Anfang schloß. Auch die Sprachstatistik, selbst wenn
sie die Folge der Dialoge am Schnürchen aufzählen könnte, würde damit
noch nicht wissen, ob sich diese Folge in zehn oder sechzig Jahren
vollzog, und also nur relative Daten geben. Ihr einziger absoluter
terminus post quem für den „Staat", Piatons erste sizilische Reise, von
der ihn Dittenberger die berühmte Partikel heimbringen läßt, war nicht
nur auch ohne dieses Reiseandenken klar und naheliegend, sondern ist
auch durch den „Staat" selber (577 B) bezeugt. Die Hinweise auf
frühere Dialoge endlich werden wohl nicht viel nützen, wenn diese
Dialoge selber nicht datierbar und die Hinweise zweifelhaft sind. Hat
man doch sowohl den Lâches, Phädrus, Philebus u. a. Dialoge im
„Staat" als auch den „Staat" in ihnen vorausgesetzt gefunden! Ich be-
kenne mich den Hinweisen gegenüber auch sonst ungläubig, einfach weil
sie unkünstlerisch wären. Der Dramatiker Piaton schreibt hier, als ob
'l Blaß z. B. denkt au das „Mittelstück'- des Staates, andere an die ersten
Bücher; noch eher hätte ja die Tyrannenverketzerung in den letzten Büchern Xenophou
zu dem v.)n Grellius behaupteten Widerspruch reizen können.
— 296 —
er vorher nie geschrieben, ja nie gelehrt hätte, als ob es keine platonischen
Schriften gäbe, keine Akademie und keinen Piaton — und das in einem
Werk, das er schon durch die Gesprächspartnerschaft seiner Brüder, ja
durch bezeichnende Anrufung des Jtalg 'Açioiùivoç. an den entscheidendsten
Stellen (368 A 427 D 580 B) als sein eigenstes Werk proklamiert. An
Krohnsunmöglichem Gedanken, alle Dialoge ausser dem „Staat" zu athetieren,
ist das einzig Interessante, daß er eben doch möglich war, weil der
„Staat" die anderen Dialoge nicht braucht, und das einzig Gesunde das
Gefühl dafür, daß der „Staat" in besonderem Sinne Piatons Eigenwerk
und eine selbständige Totalität ist. Wir sind so mangels fester äußerer
Handhaben für die Erfassung des „Staats" auf den „Staat" selbst zurück-
verwiesen, auf seine immanente Erklärung.
Daß der „Staat" als Frühwerk unmöglich ist, daß er die gereifte
Frucht eines Denkerlebens in die Scheuern bringt, sieht jeder; aber
man kann ihn geradezu als Spätwerk ansprechen, und es lohnt sich wohl
die markanten kräftigen Alterszüge hervorzustellen, die darum noch
keine schwächlichen oder starren Greisenzüge sind.. Das nächstliegende
Kennzeichen dafür ist, daß im „Staat" nicht mehr der Kämpfer spricht,
sondern der Sieger, ja Sieggewohnte, nicht mehr der kritische Dialektiker,
sondern der Meister und Prophet aus der Fülle der Positivität, die
eigentlich dem Wesen des Dialogs widerspricht, die ihn auch streng
genommen mit dem Drama aufhebt, die ihn in echter Art als Debatte
nur noch herablächelnd anwendet in der Jiaiöid des I. Buchs ^), die dann
ihn mitschleppt, um einen Herold und Trabanten, einen tragischen Chor
zu haben, als stimmungsvolle Resonanz und warme Sanktion und stets
bereiten Impresario für alle Wendungen der Bede. Der Partner ist
längst nur noch der fragende, eifrige, gehorsame, bewundernde Schüler
(vgl. nam. die demutsvollen Äußerungen 432 C 595 E 596 A). Die
Lehrautorität ist stabilisiert. Mit Lächeln, ja mit Verachtung blickt
Piaton herab auf die Debattierlust der Jünglinge (593 BC, vgl. 499 A),
mit Hohn denkt er an Zustände, da der Lehrer den Zuhörern mit
Furcht und Schmeicheln, sie ihm mit Mißachtung begegnen (563 A).
Lange Übung und Lehrerfahrung spricht aus der immer wieder für das
Staatswohl betonten Auswahl der leicht gefährdeten philosophischen
Naturen nach Gedächtniskraft, Gelehrigkeit, Festigkeit u. s. w. (pp. 486.
491 fl". 503. 535. 537).
1) die gelbst so fern ist von der anovôri des im Rhetorenkami>t' parallel gehenden
(rorgias! Hirzel findet schon im Thrasymachosgespräch Sokrates führender als in den
Tugenddialogen dJial. I, 240 Anna.) und giebt (241,2) Anzeichen für den Seheincharakter
des Dialogs in den folgenden Büchern. Auch die Beobachtung (S. 243), daß große
Denker namentlich in alter Zeit ihr System gern erst spät als ihre Lebenssumme
geben, verdient Beachtung.
— 297 —
Es interessiert vielleicht manchen die persönliche Erinnerung, dali
unser so frühgeschiedener, einst mit Jünglingsmut genial anregender
Dümmler, dessen Name für den Basler Philologentag nicht ungenannt
bleiben mag, bei aller Liebe zu Piaton gerade das Hauptwerk ob seines
autoritativen, orthodoxen Charakters wenig sympathisch fand. Und man
vergesse nicht, was alles den Herrschern im platonischen Staat in die
Hand gegeben ist: sie bestimmen die Grösse des Landes und Volkes
(423 BC), den Stand und Beruf des Einzelnen (415BC 423 C D),
seine Wohnung, seinen Besitz (416 543 AB), wann und wen er heiraten
soll, welche Kinder aufgezogen^ welche ausgesetzt (458 — 461 546 B)
und wie sie erzogen werden ; sie verhindern, daß Eltern ihre Kinder
erkennen (460 D), sie unterdrücken jede Neuerung in Kunst und Er-
ziehung d. h. doch im Geistesleben i424B), sie üben zum Heil der
Bürger gegen sie Betrug u. a. m., kurz sie sind allmächtig, wie nie ein
Herrscher war, weil sie nicht nur das Individuum in allen Grundbe-
tätigungen des Lebens, sondern auch die Zukunft binden. Solche Autorität
kann nur installieren, wer selber als Autorität grau geworden, wer
längst sich patriarchalisch warm fühlt auf dem Thron der Wahrheit.
Wie hart schneidet Piaton alle Neuerung und damit allen Fortschritt
ab (422 A 424 B), wie streng fesselt er als Censor die Kunst und
engt sie ein zum knappen Ausdruck des Moralischen, zum bloßen
Hymnus (vgl. 607 A), wie kalt nimmt er ihr das Meiste an Formen und
Mitteln, alles was Leidenschaft, Phantasie und Schaulust erregt (399 ff.
604ff., vgl. die Urteile 411 A 475 D 476 B 493Dj, wie setzt er sie
herab als bloßes Spiel (602 B) und Schattenbild, an Wahrheitswert
hinter dem ehrlichen Handwerk stehend (599 ff.), eine Lockung der
Menge und der Ungebildeten, ein Stachel der Lüste und Affekte, eine
Verführung zur Staatsverderbnis (568 C 602— 607); wie feindlich hält er
geradezu Gericht über den ganzen Astheticismus seines Volkes, wie
ketzerrichterlich opfert er das Drama, das er doch selber gepflegt nicht
nur in den Anfängen seiner Schriftstellerei, sondern auch auf ihrer Höhe
als Künstler des Dialogs, und dessen Sieg und dessen Meister er noch
im Schönheits- und Liebesfest seines Symposion gefeiert hatte — und
jetzt bekennt er, daß er mit der Poesie seine Jugendliebe preisgiebt
(607 E f., Tgl. 595 C) und lächelt herab nicht allein auf die ästhetischen
Genüsse der Jugend (390 A 397 D 608 A), auch auf die Erotik (402 E
468 C 474 DE), sie nur als Köder zur Tapferkeit und Mittel der Selek-
tion, also praktisch wertend (ib.), und streng moralisch verpönt der
Autor des Phädrus hier Rep. 402 E 403 AB in der Liebe Sinnenlust
und Überschwang, die dort gepriesene (lavia, und düster fremd macht
der Autor des Symposion hier Rep. 573 fl\ (vgl. noch 587 A) den Eros
geradezu zum bösen Prinzip, ausdrücküch zum zvçapvoç, zum eigent-
— 298 —
liehen Verführer und Herrscher in der Brust des schlechtesten der
Menschen, des Tyrannen — scheint nicht Piaton hier sich neben den
greisen Sophokles und den greisen Kephalos zu stellen, die er froh sein
läßt, die Liebe, den tollen Despoten nun los zu sein (329 CDj ?
Dazu nehme man die Schätzung des Alters im Staat! Daß die
Herrschenden jiQEaßvreQoi sind, die Beherrschten vecoteqoi. ist von
Anfang an „offenbar" (412 C); das Schweigen, sich Verneigen, Aufstehen
der Jüngeren vor den Alteren ist so seilest verständlich, daß es nicht ein-
mal der Gesetze darüber bedarf (425 Aß) ; auch greise Männer und Frauen
dürfen sich in der Palästra entkleiden, ohne lächerlich zu werden (452 B).
Furcht und Scham halten die Jüngeren gegen die Alteren im Zaum ;
der Altere aber soll alle Jüngeren beherrschen und züchtigen (465 A),
die Jüngeren sollen alle Alteren als ihre Väter ansehen, gegen die sie
ehrfurchtsvoll, sorgsam und gehorsam sein müssen (468 C D). Mit der
Aufhebung der Familie ist alle Pietät von den Eltern auf das Alter
übergegangen. Nie ist ein so ausgesprochener Patriarchalstaat auch nur
erdacht worden, ein Staat, in dem so alles auf die Autorität des Alters
abgestellt ist. Gewiß auch auf die Autorität des Wissens, aber das ist
eben das Bezeichnende, daß die Autorität des Wissens geradezu an die
des Alters gebunden wird. Selbst das Mannesalter ist nur Prüfungs-
zeit der werdenden Herrscher (413 E 539 E); erst mit 50 Jahren
werden sie zur Schau der Idee des Guten reif befunden (540 A) — ich
frage, ob dies ein Mann gefordert haben kann, der nicht selbst
diese Grenze längst überschritten. Er blickt auf die Männer
von 35 — 50 als véovq herab (539 E). Und weiter wird gefordert, daß
der Richter kein véoç, sondern ein yéçon' sei, weil er nur dann die Un-
gerechtigkeit wie die Gerechtigkeit wahrhaft erkennen kann (409) —
ich frage, ob einer dies fordern kann (zumal in einem Werke, das der
wahren Erkenntnis der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit gewidmet ist),
der nicht selbst yeqoiv ist.
Man gewinnt bei Versenkung in den „Staat" geradezu den Ein-
druck, dass der schwere moralisch-philosophisch- politische Kampf, den
hier Piaton ansticht, im letzten Grunde auch ein Kampf der Generationen
ist. Er stellt seinen Staat am schärfsten gegen Demokratie und
Tyrannis. Die Demokratie nennt er 563 E ausdrücklich jugendlich und
läßt sichs vom Partner bestätigen, und er brandmarkt es voll Verachtung,
daß sich in ihr die Jungen den Alten gleichstellen, ja die Greise sich
nach den Jünglingen richten (563 AB). Der demokratische Typus ent-
steht, wenn der Jüngling nicht auf die Mahnungen der Alteren hört
und seine Begierden und Lüste freigiebt (560 (J tt'.) -, wenn er dann
älter geworden und sich der Begierdenschwarm verlaufen hat, kommt
ein Zustand, der jedenfalls erträglicher ist (561 A B) als der tyrannische
— 299 —
Seelenzustand, der iin IX, Buch olïenkundig als wildeste .JugendtoUheit,
als Raserei der Begierden, als Baccliantik und Erotik geschildert wird,
als Übermut bis zur Gewaltthat gegen die greisen Eltern und älteren
Brüder (574BC615C)- Der bekannte Vorwurf des Dionys: „Deine
Reden sind greisenhaft" (yeQovTiojoi) und Piatons Antwort; „und deine
tyrannenhaft" (Diog. Laert. III 18), Worte, die wohl nicht zwischen dem
erst 40jährigen Piaton und dem älteren Dionys, sondern erst zwischen
dem jüngeren und dem Sechziger gewechselt sein können, zeigen jeden-
falls, daß Piaton und der Tyrann als Alterstypen kontrastierten. Die
jungen Bürger, heißt es Rep. 568 A, halten zum Tyrannen. Statt des
tyrannisch rasenden Jünglings regiert im platonischen Staat der philo-
sophische Greis. Mit dem Bewußtsein schärfster Paradoxie, ja der
Umkehrung geltender Ansichten fordert Piaton, daß im Idealstaate die
Philosophie gerade am Avenigsten Sache der Jugend sei und gerade am
reinsten Sache des Alters, wenn die Körperkraft schwindet, und er
höhnt über alle, die nach dem Greisenalter hin geistig erlöschen, ohne
sich wieder zu entzünden (497 E 498 ABC). Kann man noch zweifeln,
daß hier ein Greis im besten Sinne pro domo redet und daß der „Staat"
ein Altersbekenntnis ist? Allerdings sehr lernfähig fühlt sich der Greis
nicht mehr; die vielen, großen novoi überläßt er Jüngeren (536 D).
Dafür ist die Dialektik, die ihm einst die Philosophie war, herabge-
stiegen zur Übung, zur letzten Vorstufe der eigentlichen Philosophie,
die nun zur reinen Spekulation, ja zur Mystik erhoben ist. Der Greis
triumphiert in der Philosophie, in der Politik, in der Moral und schließlich
in der Glückseligkeit. Der Ungerechte ist bei Beginn des Glückswett-
laufs voraus ; er hat die Lust in der Jugend, aber die Strafe im Alter.
Der Gerechte aber siegt an Glückseligkeit im Alter und im Tode (613 C ff.).
Auffallend oft — • ein Zeichen, welche Gedanken dem Lebensalter Piatons
nahelagen, — würd auch der ehrenvollen Bestattung und der Unsterblichkeit
der philosophischen Staatspatriarchen als heroischer Menschen gedacht
(414 A 427 B 469 AB 498 C 503 A 540 BC).
Als Kennzeichen des Alterswerks möchte ich ferner die Ansätze
von Zahlenmystik im „Staat" ansprechen, nicht einfach weil überhaupt
phantasiereiche Köpfe im Alter zu dergleichen Symbolismus neigen —
der Idealstaatsgründer Comte gerät später auch in Zahlenmystik — ,
sondern namentlich weil uns ja Aristoteles meldet, daß in Piatons Spät-
zeit der mathematische Charakter seiner Philosophie sich stärkte bis zu
einer Symbolisierung der Ideenlehre zur Idealzahlenlehre. Nicht die
Schätzung der Mathematik als solche ist im „Staat" auffallend, obgleich
nur wenige andere Dialoge noch von ihr Spuren zeigen, wohl aber die
Energie, mit der hier im VII. Buch die mathematischen Wissenschaften.
Asti'onomie und Harmonielehre eingeschlossen (vgl. nam. 529 DE 531 BC),
— 300 —
wesentlich als Illustration für die Zahlenspekulation gewertet werden,
worin sich schon die Idealzahlenlehre ankündigt, und die fast fanatische
Betonung, mit der sie, namentlich die Geometrie, als die einzigen ernst-
haften Wissenschaften, die einzigen rein intellektuellen Vorbereitungen
für den kriegerisch-philosophischen Herrscher außer der Dialektik, aber
dreimal so ausführlich wie diese, behandelt werden. Das stimmt gut gerade
erst zur zweiten sizilischen Reise, wo die politisch-moralische Reform
Piatons sich zunächst in den Staubwolken zeigte, die um den Tyrannen-
palast aufgewirbelt wurden durch die unaufhörlichen Sandzeichnungen
geometrischer Figuren, und die Piaton feindlichen Höflinge ihren Spott
ausließen über die Methode, durch die Geometrie glücklich zu werden
(Plut. Dion 13f., vgl. auch ep. III 319 C).
Die Zahlenwertung bekundet sich ferner in der Trichotomie des
„Staats", die sich schon durch die Fortsetzung bei Xenokrates als
Tendenz der mehr mystischen Altersperiode Piatons zeigt. Nicht nur
ruht die Struktur des Systems im „Staat" auf der Dreizahl der Seelen-
teile und der Stände • das triadische Schema vibriert auch sonst in allen
Teilen des „Staats". Bald nach dem „Vorspiel" des I. Buches beginnt
die Glaukonrede mit der Unterscheidung von drei Gattungen des Guten
(857) und baut sich weiterhin auf nach jiqojtov, ôsvteqov, tgixov (358 C).
Das Sehen heißt der kostbarste Sinn, weil es zu Gesicht und Gesehenem
noch eines tqItov bedürfe, des Lichts (507 CD), und dies sei symbolisch
für die Erkenntnis, die auch des tqitov bedürfe in der Idee des Guten.
Für alles giebt es drei Künste (601 D), der darstellende Künstler ist
der dritte von der Wahrheit (597 E 599 A). Drei Gänge giebts für
den Sieg des Gerechten (583 B). Vom Königlichen an hat das dritte
Schattenbild der Oligarchische, vom Oligarchischen an das dritte der
Tyrannische, sodass sich durch Potenzierung dieser als 729 mal unglück-
licher herausstellt wie der Königliche (587 CDE). Hier haben wir eine
Zalilenmystik, die nur noch übertrofifen wird von der berühmten geo-
metrischen Zahl p. 546, die über das Heil des Staates entscheiden soll.
Endlich zeigen die Zahll)estimratheiten im Schlußmythus, wie der
„Staat" schon hineinragt in Piatons Spätblüte, wo seine mathematische
Phantasie vorwaltet. Der Pamphylier wird nach zehn Tagen aufge-
nommen und liegt am zwölften auf dem Scheiterhaufen. Seine Seele
fährt an einen Ort, wo je zwei Spalten einander gegenüberliegen. Dort
kommen die Seelen hin in tausendjähriger Wanderung, zelmmal für
jede Untat je nach liundert Jahren Buße leidend. Sieben Tage
bleiben sie dort; am achten Aufbruch, am vierten Ankunft dort,
wo es noch eine Tagereise zur Spindel der Notwendigkeit sei, deren
(TtpôvôvÀoi nun mit wahrer Lust am Zählen beschrieben werden — ich
linde 45 Zahlwörter auf noch nicht einer Teubnerseite (616 D Ende bis
— 301 —
617 B Ende) bis zu den TQelg, den Parzen, vor denen jeder erloost,
als der wievielste er sein Schicksal zu wählen hat. Damit vergleiche
man die Jenseitsraythen im Gorgias und im Phaidon, die kaum eine
einzige Zahlbestimmung enthalten — die vier mit Namen überlieferten
Flüsse der Unterwelt und das eine Jahr im Tartaros Phaed. 114 A wird
man kaum rechnen.
Auf Piatons Spätzeit weist doch wohl auch im „Staat" die ekstatisch-
agnostische Schilderung der Idee des Guten mit dem superlativischen
Lichtvergleich und der hierarchischen Zuspitzung des Ideensystems, die
von der sokratischen Begriffsdialektik am weitesten abliegt, die auch mit der
Ideenlehre als solcher noch nicht gegeben ist, die ferner mit anderm Meta-
physischem hier nur in wenigen wohl sicheren Altersschriften (Timaios,
Philebus) Parallelen hat und die am weitesten dem Neuplatonismus entgegen-
kommt. Mit der hierarchischen Vereinheitlichung ist die Stufenfolge
der Ideen in Idealzahlen als Graden sehr nahegelegt — also nach
Aristoteles die Lehre des greisen Piaton.
Tiefe Resignation mischt sich am Schlüsse des IX. Buchs gar
wundersam mit einem Prophetenglauben an die Wahrheit des Ideals —
so spricht einer, der auf das Leben überschauend herabsieht und in
der Ferne noch das gelobte Land erblickt. Der Partner nur betont
hier die Unwirklichkeit des Idealstaats, Sokrates aber seine Möghchkeit,
und noch entschiedener tut ers VI 499 502 AB VII 540 ff., und die
Sehnsucht jenen zu verwirklichen geht ihm noch über das ruhige Bewußt-
sein im Wintersturm der Ungerechtigkeit sich selbst geschützt und be-
wahrt zu haben und nun gefaßt und ergeben aus dem Leben zu
scheiden (496 D ff.) — so spricht doch wohl die Altersstimmung. Aber
auch sonst gabs für solche merkwürdig aus Hoffnung und Verzicht
gewobene Stimmung wohl nur eine Zeit im Leben Piatons. Zwei
politische Perioden enthielt es, die für einen Staatsbau Anregungen,
Hoffnungen boten, die Frühzeit und die Alterszeit. Der Mann aus dem
Stamme der Kodros und Solon, der Neffe des Kritias und Charmides
war in Athens bewegtester Zeit wahrlich in politischer Luft aufgewachsen,
war Politiker in tiefster Wurzel. Aber alle möglichen Hoffnungen
wurden der B,eihe nach geknickt, die aristokratische mit dem nicht un-
verschuldeten Sturz der Dreißig, die demokratische mit der Hin-
richtung des Sokrates, die fernhinschweifende monarchische mit der
Tyrannis des älteren Dionys , von der Piaton feindlich und hoff'-
nungslos schied. Enttäuschung im Herzen findet er nun reichlichen
Trost in der wissenschaftlichen Lehrwirksamkeit, bis ihm nach Jahr-
zehnten an der Schwelle des Greiseualters mit dem syrakusischen
Regierungswechsel die alten Hoffnungen zögernd belebt werden und
mit der zweiten sizilischen Reise ein politischer Johannistrieb erwacht,
— 302 —
der praktisch zweifelnd, theoretisch hofft. Die erste Periode war zu
voll von praktischen Hoffnungen, die mittlere zu voll von praktischer
Enttäuschung und theoretischer Arbeit, nur die letzte bot zwischen
wiedererwachter Hoffnung und zweifelndem Verzicht die rechte Stimmung
für eine Abklärung der Praxis an der inzwischen gewonnenen Theorie,
für den Ausbau eines Idealprogramms im ., Staat".
Fragen wir nun, ob sich zu dieser letzten allgemeinen Betrachtung,
der man noch nicht zu glauben braucht, noch speziellere Lebensdaten
im ..Staate" spiegeln. 577 AB bekennt Piaton ausdrücklich, die Tvran-
nis nach Autopsie zu schildern. Der „Staat" ist also erst vollendet
unter der Nachwirkung einer der sizilischen Reisen, aber welcher? Kein
Zweifel, dass der spätere Aufenthalt in Syrakus eine weit tiefere Tendenz
und Wirkung hatte als der erste. Wir sprechen eigentlich zu Unrecht
von drei sizilischen Reisen — der VII. platonische Brief zählt viel-
mehr die zweite als erste (337 E .352 A, vgl. 336 E .330 0 336 B). Phyton
kam zuerst nach Sizilien nicht auf einer Sonderreise von Athen, sondern
im Anschluß an die Italienfahrt in seinen Wanderjahren — einige
berichten sogar nur um der Sehenswürdigkeiten willen (Diog. Laert.
III 18. Olympiod. 4, Apul. dogm. Plat. 4. Athen. XI 507B) ; man bezweifelt
jedenfalls ob auf Einladung des älteren Dionys. Der VII. Brief sagt
nichts von solcher Einladung, und Plutarch bezeugt das Gegenteil, indem
er erst durch Dion den schon anwesenden Piaton zu einer Unterredung
mit Dionys zusammenführt (Plut. Dion 4 f.), die bald zum Zusammen-
stoß wird. Piaton hatte auch der gefestigten Tyrannis und dem männ-
lich fertigen Dionys nichts zu sagen, und dieser jenem noch weniger.
Der erste syrakusische Aufenthalt war ohne politische Tendenz und
ohne tiefe Wirkung auf Piaton. Es ist bezeichnend, daß die vorwiegend
von den sizilischen Dingen handelnden platonischen Briefe, ob echt oder
erfunden, sämtlich erst in die Zeit des jüngeren Dionys datiert sind; von der
sog. 1. Reise redet nur der berichtende 7. Brief, aber wie kurz im
Vergleich zu den andern Reisen ! Und auch er redet niclit von Dionys,
sondern nur von Dion und sieht in dessen Bekanntschaft mit Piaton
die einzige Frucht dieses Aufenthalts, da jener in Dion den Plan zur
Aufhebung der Tyrannis aufkeimen ließ, aber wohlgemerkt — unbe-
wußt (àXàv^avov ifiavxôv 327 A). Und Plutarch (Dion 4) läßt damals
Piaton ausdrücklich wie zufällig, wie durch göttliche Bestimmung, ohne
die geringste menschliche Absicht nach Sizilien kommen.
Wie ganz anders Jahrzehnte später die „zweite" Reise: Der
60jährige Piaton kommt in moralpolitischer Mission, gerufen von Dien,
von den Pytliagoreern, von dem jüngeren Dionys selbst! Es galt die
Umbildung des Tyrannen in einen gesetzlich gerechten König (Plut.
Dion 10. 12'. Man braucht der Nachricht nicht zutrauen, daß Piaton
— 303 —
sogleich Land und Menschen für seinen Idealstaat forderte (Diog. Laert.
III 20 f.j. Aher dem 7. Brief darf man trauen, der sehr plausibel von
jener gemischten Stimmung des Philosophen zur Zeit der 2. und 3.
Sizilienfahrt berichtet, die uns soeben als Grundstinnnung des „Staates"
durchklang, und von jenen an den jüngeren Dionys geknüpften, von
ihm getäuschten Hoffnungen, daß die Gerechtigkeit zur Herrschaft
komme, daß Philosophie und Staatsregiment eins würden, daß allein
der einsichtsvoll gerechte Staat und Mann als glückselig offenbar würden
und im Gerechten, Tapferen, Besonnenen und Philosophischen die (vier-
fache) Tugend triumphiere (ep. VII 335 CD 336 AB) — das ist genau das
Programm des „Staates" und so nur des „Staates"'). Ob echt, ob un-
echt, wären uns die Briefe nicht erhalten, so würden wir ihnen trauen,
schon weil wir Plutarch trauen, der aus ihnen schöpft. Doch wie kann
man der Kopie trauen und nicht dem Original? Rteder in seiner Echt-
heitsapologie der Briefe (Rhein. Mus. 190(5 S. 463. 471) findet in ihnen
sprachliche Verwandtschaft mit dem „Staat", namentlich in dem bald
nach der 2. Reise datierbaren 13. Brief, und schon Ritter (Unters,
über Plato S. 108) konstatiert von ihm: „Seine Sprache ist derjenigen
der Resp. näher verwandt als der der Leges." So führt auch dies zu
der Annahme, die an sich die natürlichste und wahrscheinlichste ist,
daß der „Staat" der für die politische Spekulation anregendsten Epoche
entstammt, der Zeit der 2. sizilischen Reise.
Ist der fertige „Staat" die Ursache oder die Folge der zweiten
Sizilienreise? Es läge am nächsten, daß Piaton dem Bekanntwerden
des „Staates" den Ruf nach Syrakus verdankt. Wir wissen es anders;
die pythagoreischen Freunde und Dion, die er einst in persönlichem
Umgang gewonnen, rufen ihn jetzt für den neuen lenksamen Herrscher.
Kein Wort verlautet, daß bei dem Ruf bereits die Kenntnis des platonischen
„Staates" eine Rolle gespielt hatte; ja der Bericht im 7. Brief, der
alles mündhchem Einfluß zuschreibt, spricht nur dagegen (vgl. 330 AB
338 D 340 f.). Und ich meine, wenn der junge Tyrann Buch VIII und
IX des „Staates'- gelesen hätte, dann hätte er kaum Piatons Ankunft
mit einem Dankopfer begrüsst und ihn wie den Sonnengott auf weißem
Viergespann eingeholt, sondern ihn ertränken lassen, wo es am tiefsten
ist, oder sonst wie sein Vater ihn zum Henker gewünscht. Nicht genug,
dass er andernfalls den Bock zum Gärtner gemacht hätte, dass es wäre,
als ob Napoleon sich Fichte oder der Zar sich Bebel wie einen Halb-
gott zum Berater einholte, vor allem konnte doch der junge Dionys
nicht die furchtbare Brandmarkuug seines Vaters hinnehmen, wie sie
1) Vgl. vorher lep. VII 335 Ai auch den Kampf der unsterblichen Seele gegen die
Lüste und das Grericht in der Unterwelt entsprechend dem Schluß des , Staates".
— 304 —
Platon hier in der Entstehungsgeschichte der Tjrannis vorführt, die
zwar mit allgemeinen Zügen namentlich noch von der attischen Tyrannis
verwohen, doch, wie man längst erkannte, stark am älteren Dionys
orientiert ist, ohne dem Retter Siziliens vor den Carthagern gerecht zu
werden. Als Einführung am syrakusischen Tyrannenhofe ist der „Staat''
offenkundig unmöglich. Man brauchte nicht erst gegen Piatons Einfluß
einen Philistos zu berufen; der „Staat" hätte reichlich zur Diskreditierung
genügt, und so sehe ich nicht, wie er vor der 2. sizilischen Heise bekannt
gewesen sein kann, und ich sehe auch nicht, wie der Piaton, der das
IX. Buch geschrieben, sich noch als politischer Erzieher an den Tyran-
nenhof begeben konnte.
Piaton bekennt den Tyrannen nach eigenem Eindruck zu schildern,
und man nahm zumeist ohne weiteres an, daß sich dies auf den älteren
Dionys beziehe. Gewiß, für die Genesis der Tyrannis im VIII. Buch
konnte nur der ältere Modell stehen. Aber das Bekenntnis steht im
IX. Buch, wo es sich nicht um das Historische der Tyrannis, sondern
um den konkreten tyrannischen Mann handelt, und da erscheinen zunächst
typische Züge, die von beiden Dionysen, aber näherliegend vom jüngeren
genommen sein können. Was da von Xeid und Treulosigkeit (gegen
Dion ?), Ängsten und Mißtrauen, Höflings- und Schmeichlerregiment
(Phihstos, Damokles?) gesagt ist (575 E 577 E 578 A E 579 580 A), das
hat Piaton beim jüngeren Dionys reichlich erlebt und zum eigenen
Schaden erfahren. Daß der Geschilderte durch das Geschick, nur
passiv (nicht durch sich selbst) auf den Tyrannenthron kam (578 C
579 C), daß sich vom Besten in andern (Dion?) leiten lassen solle,
wem das Beste nicht in eigener Brust regiere (590 CDE), weist mehr
noch auf den jüngeren Dionys und läßt noch eine Hofinung durch-
schimmern, die ja Piaton für ihn noch hegte, aber nicht für seinen
väterlichen Vorgänger. Vor allem aber ist die Grundcharakteristik des
tyrannischen Mannes als traumhaft lebenden, verführten, vom Eros
beherrschten Schwelgers und Trunkenbolds (571 C ff. 578 576 B 578 f.
580 E 587 C) ja unmöglich für den zu Piatons Zeit schon älteren, an-
erkannt mäßigen, nüchternen und tatkräftigen Vater, wohl aber sehr
passend für den Sohn, der nach Plutarch (Dion 7, s. auch Vergleichung
des Dion und Brutus 4) gerade die von jenem ererbte feste Herrschaft
dadurch schwächte, daß er sich beständig zu erotischen und bacchantischen
Ausschweifungen verführen ließ, wie er seine Regierung mit einem 90-
tägigen Gelage begann und selbst bei Freunden verachtet war, weil Trunk,
Spiel und Weiber zumeist sein Leben ausfüllten'). Endlich passen die
'l Vgl. übrigens hier in Plutarchs Schilderung die Umbeuennung der Tugenden
in Laster durch den Verführer des jüngeren Dionys (c. 8) und die seelische Königs-
burg (c. 10 Schi.) mit der demokratischen Verführung l{ep. 560 Oft", und die Demokratie
als Kramladen aller Verfassungen c.b';i mit Rep. 557 D.
— 305 -
entscheidenden Worte Piatons 577 AB, dali er mit dem Tyrannen zu-
samraengewohnt. dali er ihn im häuslichen, intimen Leben belauscht,
im Verkehr mit seinen Angehörigen, wo er am meisten vom feierhehen
Zeremoniell entblößt sei, — dies Bekenntnis paßt doch nicht auf das
nur einmal nachweisbare kritische Zusamm entretien mit dem älteren
Dionys, sondern nur auf den in langer Gastfreundschaft erlebten
täglichen Verkehr Piatons mit dem jüngeren Dionys, als dessen ovaaixov
xai ovvÉojtov ihn der VII. Brief bezeichnet (350 C, vgl. in Plutarchs
Schilderung nam. c. 16).
Nach alledem ist der zweite und wohl längere und eindrucksreichere
syrakusische Aufenthalt im „Staat" vorausgesetzt. Und frische sizilische
Eindrücke mit ihren grelleren Farben und stärkeren Kontrasten lassen
sich durchspüren, nicht weil Piaton einmal syrakusische Tafelfreuden
und sizilische Üppigkeit verwirft (404 D, vgl. ep. VII 326 BC 327 B 336 D)
— es giebt auch korinthische und attische Üppigkeit, fügt er wohl für
die Ohren jener hinzu, die seine Sizilienreisen mißdeuteten; aber die
krasse Schilderung des unter dem älteren Dionys nicht so unglücklichen
Tyrannenstaats, seiner Knechtschaft und Zerrissenheit, seiner Schwelgerei
und Not zeigt Erlebtes. Doch auch zum Aufbau des Idealstaats dürften
neue sizilische Erfahrungen beigetragen haben. Die Frage der Wieder-
herstellung zerstörter Griechenstädte, die nach den Briefen zwischen
Piaton und dem jüngeren Dionys diskutiert wurde (vgl. nam. ep. III
315 ff. VII 331 E ff,), mußte die Spekulation über eine Staatseinrichtung
ab integro anregen. Die dringenden Mahnungen zu milderer Krieg-
führung gegen Hellenen und zum Zusammenstehen gegen die Barbaren
(Bep. V 469 ff.) bekommen noch ein anderes Gesicht, wenn man (statt
nur an Platää) an das sklavenreiche Syrakus denkt, wo nicht nur die
Steinbrüche dem Athener redeten, wo auch die oft tyrannisch grau-
sam geübte Behandlung anderer sizilisch - italischer Griechenstädte und
namentlich die unaufhörlich drohende Karthagergefahr die jüngste
politische Situation bestimmten (vgL z. B. ep. III. VII 332E333 A336A).
Ferner*) die vom Idealstaat ferngehaltene Gefahr der Hypertrophie, des
künstlichen Wachstums bis zum Auseinanderfallen in mehrere Staaten
1) Die absolute FrauenemanziiDation im „Staaf- ist vielleicht mitbegründet durch
die Bekanntschaft mit bedeutenden Frauen fwie der Schwester des jüngeren Dionys
Plut. 21), die sich für Piaton interessierten (ib. 19). In Plutarchs Dion ist überhaupt viel
von den Frauen die Rede, die eben in der Hofluft stets grössere Rolle spielten als in
andern Verfassungen. Dazu kommt natürlich der Einfluss der Pythagoreer, deren
Schule so reich an Frauennamen ist. Von Piatons beiden Schülerinnen stammt eine
aus dem j^ythagoreisch wichtigen Phlius. Beide aber müssen erst Piatons Spätzeit
angehören, da sie noch Speusipp hörten (Diog. Laert. 11146 IV 2). Daß Axiothea durch
die Lektüre des „Staats" in die Akademie geführt worden sein sein soll, spricht des-
halb nicht gegen dessen Spätdatierung.
20
— 306 ~
ist wohl mehr von dem buntscheckigen Syrakiis, das Diouys zur größten
Stadt von Hellas anschwellen ließ, als von Athen abgesehen. So sehr
Piaton den Gegensatz der Staatsteile verabscheut, die Sonderung von
Herrscher, Heer und Volk in Syrakus hat doch vielleicht in seiner Staats-
gliederung verschärfend nachgewirkt. So verächtlich er öfter von den
Söldnern spricht, die ihn dort als Tyrannengegner haßten (Plut. Dion 19),
das syrakusische Berufsheer in seinen Sonderquartieren hat ihm imponiert
— das zeigt wohl sein kasernierter Wehrstand. Und wohlgemerkt! Er
muß bewahrt werden, daß er nicht fremd und feindlich zur Stadt stehe
(wie die Söldner zu Syrakus), und ferner: er entsteht aus der üppigen
Stadt, die für die Entfaltung ihrer Üppigkeit erobern muß (372 E 373 f.),
die nachher wieder „gereinigt'" wird (399 E).
Überhaupt diese Reinigung, diese ganze Staatsreform, denn dies
ist es mehr noch als Staatsgründung, und diese Staatsreform nur von
oben bei völliger Gleichgiltigkeit gegen das Volk, kurz dieser platonische
Idealstaat ist doch dem attischen Horizont weit entrückt, ist im Grunde
nur eine Pythagoreisierung des schwelgerischen, zerrissenen, erobernden,
tyrannisch regierten Syrakus. Dort in der sizilisch-italischen Sphäre
war die Philosophie in den Pythagoreern der Herrschaft am nächsten
gekojnmen, war das Hellenentum am weitesten ausgeschritten in moral-
politischer Reform und am weitesten in schwelgerischer Immoralität, zu
der größten Tyrannis, meint Plutarch (Dion 50), die jemals aufgekommen;
dort grenzten die Gegensätze am schärfsten aneinander, dort wurde die
Staatsfrage zur Charakterfrage, ob der jüngere Dionys dem Vorbild des
älteren folgte oder dem des Archytas und dem Rate des Piaton und
Dion. Wie der Mann so der Staat — das Prinzip des platonischen
„Staates" mußte dort in die Augen springen. Der „Staat", der im
Hause eines ausgewanderten Syrakusiers und in Gegenwart des Lysias,
eines Mahnredners gegen die sizilische Tyrannis spielt, der ferner vom
Tyrannenverfechter Thrasymachos bis zum Unterweltsmythus, wo die
schlimmsten und meisten Verdammten Tyrannen sind (615 CD) und in
der größten Tyrannis das schlimmste Los erwählt wird (619 BC), als
Gegensatz von Vernunft und Begierde, Tugend und Laster den Gegen-
satz von Weisenherrschaft und Tyrannis behandelt, dieser „Staat" ist
geboren aus dem Ringen des Philosophen mit der sizilischen Tyrannis,
aus dem Ringen von politischer Hoffnung und Verzweiflung, wie es in
seiner Seele gerade durch den jüngeren Dionys erregt wurde.
Piaton bekennt es; er sieht eine Aussicht für seinen Staat, wenn
sich den Scihncn jetziger Herrscher oder ihnen selbst eine wahre Liebe
zu wahrer Philosophie eiuHößen ließe (499 BC). Man hat diese Stelle
})ereits auf den jüngeren Dionys bezogen (Hirmer, Jahrb. f. Philol.
Suppl. 23.66^S), auf die Zeit, da er als Kronprinz philosophische Hofl*-
— 307 -
nungeil weckte, und damit den „Staat" schon mindestens ans „Ende
der siebziger Jahre" gerückt. Aber der junge Dionys weckte als Kron-
prinz, der er übrigens und gerade für Dion wohl nicht unbestritten war
(Plut. 6), gerade keine philosophischen Hoffnungen, sondern lebte in
völliger Unbildung, in banausischer Beschäftigung, von jedem Verkehr
abgeschlossen, an Charakter verkrüppelt (ib. 9 f.) und begann seine
Regierung höchst unphilosophisch (ib. 8), bis Dion in ihm Geschmack
an Wissenschaft und überhaupt edlere Interressen entzündet und damit
erst die Hoffnungen weckt, die Piaton nach Sizilien führten (ib. Î) ff.).
So weist die Stelle erst auf den regierenden Dionysius junior, der ja
auf dem Thron doch immer nur der Sohn blieb, — und man vergesse nicht,
daß hier Piaton von den Söhnen der Herrscher „oder ihnen selbst"
hoffnungsvoll spricht, was er gewiß vom älteren Dionys nicht getan
hätte. Auch 473 D hofft er auf die jetzigen Herrscher selbst, aber nur
wenn sie (pi/.oao(fi'jGOJoi yvr^mojg te y.ai ly.avüz, und ähnlich doch schon
an der genannten Stelle 499 ßC: wenn ihnen „wahre Liebe zur wahren
Philosophie" eingeflößt werden könnte. In diesen Wendungen khngt
es deutlich durch, als hätte Piaton bereits auf der 2. sizilischen Reise
das schwankende Dilettieren des jungen Herrschers erfahren, der sich
zu den Philosophen rechnete und der bald sich Piaton mit begeisterter
eifersüchtiger Hingebung in die Arme warf, bald dem ja auch wissen-
schaftlichen Apologeten der Tyrannis Philistos (Plut. 11.36) folgte oder
sein Bedürfnis nach Sokratik lieber von Aischines oder Aristipp stillen ließ.
Und ums noch deutlicher zu machen, spricht Piaton es 502 A B noch einmal
aus, daß es wohl philosophisch angelegte Thronerben geben könne, daß diese
zwar fast notwendig verdorben werden müßten, daß aber doch einer einmal
gerettet werden könnte, der dann genüge den Idealstaat in die Wirk-
lichkeit zu übersetzen. Der dies schrieb, kannte einen solchen Thron-
erben, kannte bereits seine Gefahren und Verderbnisse. Der dünne
HoÖnungsfaden, der in Piatons Seele die reale Möglichkeit seines Ideal-
staats hält, heißt Dionys d. J., der zeitweihg wenigstens sich philosophisch
zeigte und leise Hoffnung bot seinen Verderbnissen /u entrinnen. In
der Hoffnung durch diesen einzigen Mann ganz Sizilien moralpolitisch
zu retten, sagt Plutarch (Dion 11), ist Piaton dem Ruf nach Syrakus
gefolgt, und er hat trotz aller Enttäuschung auch nachher den jungen
Herrscher und seine Freundschaft nicht ganz aufgegeben.
An Dionys IL erkannte Piaton, daß das Heil der Staaten ein
Charakterproblem ist, daß es der Reform mehr noch am Haupt als an
den Gliedern bedarf. Es galt den Tyrannen in einen König zu wandeln
— so berichtet Plutarch, so sagen es die platonischen Briefe, und das
IX. Buch des „Staats" spiegelt es wieder in der Antithese und Glücks-
konkurrenz des königlichen und des tyrannischen Mannes und Staates
— 308 —
(576 D E 580 BC 587), und der Schlußmythus predigt eindringlich:
Tyrannis ist nicht Glück und Schicksal, sondern Unheil, verwirkt aus
eigener Wahl und Schuld. Also wähle, Herrscher, und wenn du's nicht
kannst, laß dich beraten. Darum schwankt im „Staat" wie in den
Briefen das Ideal zwischen Königtum und Aristokratie — vgl. den Vor-
schlag des Mehrkönigtums im 8. Brief. Es klingt hei entfernter Hoff-
nung doch schon im „Staat" die Enttäuschung der 2. Reise und kein
rechtes Vertrauen mehr durch zur absoluten persönlichen Monarchie,
und gerade der haltlose Jüngling auf dem syrakusischen Thron gab die
Folie zum festen Altersregiment des „Staates". Dabei war dem jungen
Dionys philosophischer Sinn nicht abzusprechen — und darum stehen
schwere Erfahrungen hinter den wiederkehrenden Lehren des „Staats",
daß gerade begabte und philosophische Naturen am leichtesten und
schlimmsten und, wenn sie Thronerben sind, fast notwendig verdorben
würden (491 494 f. 502 A 519 A B), daß gerade verdorbene philosophische
Naturen den Staaten das größte Unheil bringen (495 B), daß zur
Empfänglichkeit Festigkeit kommen müsse (503 C), und daß wer sich
nicht selbst beherrschen könne, sich beherrschen lassen solle zum Heil
des Staates (590 C ff., vgl. die Mahnung an den jüngeren Dionys
ep. VII 331 Ef.) Die Erfahrungen mit dem jüngeren Dionys sprechen
aus dem „Staat", die Enttäuschungen der zweiten Reise, die noch eine
letzte, abstrakte Hoffnung ließen und nun zum Ausbau der frommen
Wünsche, zur Aussprache der in Syrakus nur halb vernommenen und
schlecht beherzigten Staatsmoral, der unerfüllten Reformpläne trieben —
vielleicht als Programm für Dion, als er im Kreise der Akademie lebte,
vielleicht auf seine oder anderer Schüler Anregung ^ Speusipp hatte
Piaton nach Syrakus begleitet, und seit dem Regierungsantritt des
jüngeren Dionys zieht ein wachsender politischer Geist in die Akademie,
der sie schließlich Schwerter schleifen ließ zum Kampf für Dion. Im
Jahre 367 erst begannen Piatons Hoffnungen zu spielen, und ohne alle Aus-
sicht auf mögliche Verwirklichung — das bekennt er sehr entschieden
499 502 AB 540 E — hätte er den „Staat" nicht geschrieben. So
trifft alles, was von eigenen Erlebnissen und Stimmungen im „Staate"
anklingt, mit den früher gekennzeichneten Zügen dahin zusammen, den
„Staat" als Alterswerk zu erweisen.
Bei all dem Gesagten ging ich von der Kompositionseinheit des
platonischen „Staates" aus. Oder vielmehr, es war ein indirekter Selbst-
beweis dieser Einheit, daß keine Gegeninstanz heraussprang und Zitate
aus den verschiedensten Büchern sich zwanglos zusammenschlössen.
Aber ich möchte auch positiv diese Einheit vertreten. Daß im Jahr-
— 309 —
hundert des Evolutionismus eine genetische Auffassung des „Staates" auf-
kam, daß dem historisch-naturaUstisclien Zeitgeist des späteren 19. Jahr-
hunderts der „Staat" nicht gebaut, sondern gewachsen schien, war
lehrreicher für die Zeit als für den „Staat". Man zerlegte ihn und
reihte die Stücke hintereinander, Analyse mit Genese verwechselnd.
Und es war leicht aus dem „Staat" ein Mosaik zu machen; ein
sokratischer Dialog über die Gerechtigkeit, eine Idealstaatsschilderung,
eine Wissenschaftslehre, eine politisch-moralische Dekadenzentwicklung,
eine Literaturkritik, eine Eschatologie — welch' unlogischer Kopf hat
dieses Sammelsurium schichtweise abgelagert! Gerade genetisch, wo
das Ganze aus den heterogensten Teilen zu erklären wäre, ist der
„Staat" unverständlich; nur logisch, wenn das Ganze die Teile bindet, ist
seine Anlage erklärbar.
Man stritt, ob das bindende Thema der Staat oder die Gerechtig-
keit sei. Man zählte also Piaton zu den kleinen Denkern, denen der
nackte Stoff der Form vorausgeht, die sich zum Thema ein Gebiet
wählen, das man etwa in einem Kolleg behandelt, und nicht zu den
großen Denkern, die schreiben um eines Dogmas willen. Das Thema
des „Staats" ist nicht ein Stoffgebiet, sondern eine These, ein Satz, in
dem der Staat Subjekt und die Gerechtigkeit Prädikat ist. Nun streite
man doch, ob zu einem Satze das Subjekt oder das Prädikat nötiger
ist! Gerechtigkeit und Staat sind verbunden vom ersten Buch, wo
Thrasymachos' Tjrannenrecht diskutiert wird, bis zum letzten, wo der
Tyrann im Jenseits die Strafe des Ungerechtesten leidet. Man ließ sich
durch Piatons künstlerische Einkleidung täuschen und meinte, er wolle
von der Gerechtigkeit reden, verfalle dann auf die Analogie des Staates
als Erkenntnismittel der Gerechtigkeit; dann wachse ihm das Staats-
thema über den Kopf, das Erkenntnismittel werde zum Selbstzweck,
und endlich müsse er wieder in das Gerechtigkeitsthema einlenken,
dazwischen Weiteres nach wechselndem Bedürfnis einschichtend.
Jene Theorien erscheinen mir, um sie zusammenzunehmen, nicht
anders, als behauptete man von einem Dramatiker, er habe erst den
ersten Akt als selbständiges Drama erfunden (Buch I), event. noch mit
dem Schluß des fünften Akts (2. Hälfte des X. Buchs); femer sei der zweite
Akt selbständig erschienen (BuchlP/s bis IVV2), vielleicht sogar zuerst
als des Gellius duo lere libri oder auch zusammen mit dem vierten Akt
(Buch VIII. IX); weit später seien dann, auch wieder einzeln, der
dritte Akt (Buch V, VI, VII) und der letzte oder dessen erste Hälfte
hinzugeschrieben worden. Und man deutete so als mechanisches Konglo-
merat, was organisch als echtes Drama herausgedacht ist. Wie im
echten Drama antworten sich erster und letzter Akt, dort festliches
Leben und Jugendtreiben, hier Tod und Gericht, dort die Exposition,
— 310 —
die ira dramatischen Crescendo das Problem spannt, den Knoten schürzt
bis zu den Glaukon- und Adeimantosreden, hier Lösung des Knotens
Faden für Faden, im Vorzug des Grerechten vor dem Ungerechten, erst
an sich, dann im Glückslohn im Leben und schließlich im Tode. An
anderer Stelle möchte ich das erste Buch deuten und zu zeigen suchen,
daß es als reines Vorspiel nie selbständig sein konnte, wozu man es
nur aus gar zu naher Parallelisierung mit den anderen Tugenddialogen
zu machen suchte, deren Frühdatierung übrigens auch willkürlich ist
fvgl. Festschrift z. Ehren Heinzes 1905 S, 79.) Diese andern Dialoge be-
weisen oder vielmehr widerlegen mit ernsthaften Argumenten und geben
wenigstens ein kritisches Resultat, mit dem sie selbständig hinausgehen
können. Reji. I aber giebt gar kein Resultat, da es auffallend und
bewußt sophistisch beweist (was man schon vielfach gesehen) und dem-
gemäß alles positiv wie negativ Bewiesene am Schluß ausdrücklich wieder
zurücknimmt. Seine naiôid ist nur der Anreiz, der die anovöi] der
späteren Bücher hinter sich fordert.
Wie im echten Drama entsprechen sich ferner 2. und 4. Akt
als Aufstieg und Abstieg (Buch II ff, und Buch VIII f.), und wer die
Bücher V ff. als Nachtrag herausschneidet, nimmt dem Drama den
dritten Akt, den Höhepunkt, ja den eigentlichen Sinn. Zunächst ist zu
erwägen, daß die ôdôç ävo) und die ööbc, Tidro) sich bedingen ; der Aufstieg
des Philosophen bis zur Höhe des Ideals, bis zur Sanktion durch die
Idee des Guten in den mittleren Büchern ist gerade so notwendig wie
der Abstieg in der Skala bis zum Tyrannen. Denn der Sinn des „Staats"
ist der Ringkampf des Philosophen mit dem Tyrannen, und darin zeigt
er sich wieder als der mächtige Niederschlag der zweiten sizilischen
Reise, die Piaton zum aktiven Politiker machte. Wir müssen deshalb
das Dogma des „Staates" zur Antithese erweitern; es ist der Sieg des
gerechten Staates d. h. des philosophischen über den ungerechten d. h.
den tyrannischen. Ohne die Folie des Tyrannenstaats hätte Piaton nie
seinen Idealstaat geschrieben. Die Extreme bedingen sich hier, und so
bedingen sich wie Licht und Schatten die Schilderungen in den Büchern
II ff. und VIII ff. Die drei letzten Bücher des „Staats" sind schon im
Programm des Werks gefordert. Mit dem Anfange des zweiten Buchs
ist die Aufgabe gestellt ebenso das Wesen der Ungerechtigkeit
wie der Gerechtigkeit zu schildern und Beide in Wert und Glück kon-
kurrieren zu hissen. Die pohtischen Verfallstypen sind in der Mehrheit
der Stände, damit in den verschiedenen Herrschaftsmöglichkeiten schon
angelegt, und die Gefahren umstehen von Anfang an den Idealstaat,
der sich emporarbeitet aus der aufgeschwemmten Stadt, aus dem begehr-
lichen Erwerbsstaat und aus dem leicht in unmusisclie Einseitigkeit ver-
fallenden Kriegsstaat /um IMiilosophenstaat. Die Skala des Abstiegs
ist schon im II. lincli, im Aufstieg angelegt.
— .Sil —
Platon will weder bloß die Gerechtigkeit definieren , wobei der
Staatsbau zum Erkenntnismittel oder zur überwuchernden Metapher
herabsinkt, noch will er bloß einen idealen Staat bauen, wobei wieder
die Gerechtigkeitsfrage als bloßer Anlaß zurücktritt. Piaton will von
Anfang an den gerechten Staat dem ungerechten gegenüberstellen, Piaton
ist hier weder Ethiker mit politischer Episode noch Politiker mit ethischem
Anlaß, sondern der Sinn des „Staates" ist die Einheit von Ethik und
Pohtik. Das Politische ist von Anfang an ethisch, das Ethische politisch.
Es ist nicht wahr, daß der platonische Staatsbau realistisch beginnt,
historisch sich entwickelt. Der Staat, der den Schuster früher als den
Hirten und Jäger hat. der Staat, der rein aus der Arbeitsteilung ent-
steht, ist eine Konstruktion und zwar bewußt in der Tendenz, die otxsio-
nqayia. in der schliesslich die Gerechtigkeit gefunden wird, schon als
Staatsanfang zu setzen. Die Gerechtigheit ist also nicht nur Erkenntnis-
ziel, sondern schon Voraussetzung des Staatsbaus. Das Politische ist von
Anfang an ethisch, aber auch umgekehrt. Der Staatsbau ist nicht nur ein
Erkenntnismittel, eine Metapher der Gerechtigkeit, sondern die Gerechtig-
keit ist als solche i^olitisch, eine Ständetugend, die Seele des Einzelnen
ist eine Mikropolis. In der staatlich gegliederten und geordneten Seele
allein sind erst die Tugenden möglich und faßbar, deren sonst versuchte
Erfassung die platonischen Tugenddialoge widerlegen. Die Politik löst
hier die Rätsel der Ethik wie die Ethik das Problem der Politik. Die
Einheit von Seele und Staat ist ja nur zugleich Begründung und Aus-
druck der Einheit von Moral und Politik, denn die Moral ist nun einmal
seelisch, und jene Einheit bedeutete eben, dass die Politik eine Charakter-
frage war. und das wurde sie in der Frage, ob der Philosoph oder der
Tyrann auf dem Thron saß. In Syrakus zeigte es sich, daß Seele und
Staat eins sind, daß die gerechte Herrscherseele den Staat retten, die
ungerechte ihn ruinieren mußte. Syrakus gab erst die Größe des Pro-
blems, die Macht des Exempels für den Grundgedanken des platonischen
„Staats".
Aber die Einheit von Staat und Gerechtigkeit, von Moral und
Politik war Programm, war Konstruktion. Der Tyrann hatte die Wirk-
lichkeit, der Philosoph das Ideal. Und das Ideal mußte verankert werden
in der Denkbarkeit, in der prinzipiell theoretischen Gültigkeit, da es die
konkrete praktische Gültigkeit nicht für sich hatte. Und darum bedarf
der Idealstaat der Festigung des Ideals in der Ideenlehre. Ohne diese
Festigung von oben her. d. h. ohne das VI. und VII. Buch hängt der
platonische Staat in der Luft. Die Idee des Guten ist der wirkliche
König dieses Staates. Daß die Idee des Guten herrsche, ist ja nur der
abstrakteste, akzentuierteste, letzte Ausdruck dafür, daß alle Herrschaft
moralisch sein müsse und daß die Moral zur Herrschaft berufen sei;
— 312 —
kurz die Herrschaft der Idee des Guten ist die prinzipielle Sanktion für die
Einheit von Politik und Moral. Die Hegemonie der Idee des Guten in
der Ideenlehre spiegelt wohl schon das Politischwerden Piatons; sie
macht auch die Ideenwelt zu einem geordneten Staat, die Metaphysik
selber wird politisch, damit die Politik ihr Ideal metaphysisch begründen,
aus dem Absoluten ableiten kann, — und dieser Zentralnerv des platonischen
Staats soll spätere Zutat sein?
Der Staat ist konstruiert, ist deduktiv abgeleitet, von oben her
bestimmt; das Volk ist nur der gleichgültig behandelte Ernährer des
Wehrstands; der Wehrstand ist nur der Helfer der Philosophen, die
Philosophen nur die Schauer der Ideen, der Staat nur die Lebensver-
wirklichung der Ideen, die Hineinbildung von Ewigkeitswerten ins Leben.
Die Philosophenherrschaft ist ja nur die Ideenherrschaft. Oder ist der
platonische Philosoph nicht leer ohne die Ideen ? Und die Philosophen-
herrschaft steht da als der Kern des platonischen Staats und ist schon sein
Keim, daher auch vom 7. Brief (p. 325 A) in vaticinatio post eventum als
frühes Leitprinzip herausgehoben ^), Ist nicht die Ideenlehre selber schon
das Herrentum, die Inthronisierung der sokratischen Begriffe ? Mit der
Ideenlehre und der Staatsfrage ist für Piaton die Philosophenherrschaft
gegeben. Aber als echter Lehrer und Künstler führt er nun seinen
„Staat" nicht deduktiv, nicht von der Zentralidee aus vor, aus der er in
seinem Kopf geboren war, sondern epagogisch auf die Zentralidee hin.
Ich will nicht all das Treffliche wiederholen, wodurch Hirzel, Th. Gomperz,
Natorp u. a. hier die methodische Kunst Piatons aufdecken; vor allem
im Aufstieg vom Leichtesten zum Schwierigsten. Die mittleren Bücher
1) Daraus, daß nach der dortigen Äußerung Piaton den Rep. V 478 D fixierten
Gedanken des Philosophenköuigtums bereits bei der ersten italisch-sizilischen Reise
gehabt habe, vermag ich weder mit Zeller zu folgern, daß der 7. Brief unecht sein
muß, noch mit Blaß, daß Piaton damals bereits die einschlägige Partie des „Staats"
veröffentlicht haben müsse. Weshalb auch veröffentlicht? Der 7. Brief sagt davon
nichts. Und ist es nicht so natürlich, daß Piaton retrospektiv die erste Reise als
Bestimmung im Lichte der späteren sah, und daß er das, was ihm vielleicht damals
als Ahnung vorschwebte, nachträglich schärfte zu dem klassischen Ausdruck, den er
später gefunden? Daß er aber damals nicht einmal vor Dion sich beuyiißl als Staats-
reformer gab, meldet derselbe 7. Brief 327 A. Zudem ist ja gerade die das Philosophen-
königtum verkündende Partie des „Staats" diejenige, die von seinen genetischen Zer-
teilem als späteste behauptet wird, auch von Blaß selbst, der übrigens ebendort (Att.
Bereds. IlJ2..H8()rt.) mit Lutoslawski den „Staat" der.'i. (vorletzten) Schriftenperiode Piatons
zuweist und (ib. .889) selbst beachtenswerte Kennzeichen nur für den späteren
Stil Piatons im „Staate" aufweist. Und doch soll, was zur Gelliusnachricht, was zum
I^kklcsiazusenspott und was zu jener Äusserung im 7. Brief paßt, früh, vorder 1. Reise,
also vor dem 40 Lebensjahr, veröffentlicht sein? Dann liat Platon das meiste des ,,Staats"
zweimal veröffentlicht. Alle genetischen Theorien führen so zu Verdoppelungen des
.,Staats" und sind schon dadurch bedenklich.
— 813 —
(Vff.) bringen nicht Nachträge, Einschiebsel, sondern die schwersten Kraft-
proben des Staatssystems, die großen „Wellen", die es überwinden muß,
die härtesten Paradoxieen, die den Staat erst ganz zum Idealstaat machen :
den extremen Sozialismus in der Aufhebung der Familie und noch para-
doxer die Philosophenherrschaft. Wären dies bloße Nachtrüge, so hätte
es Piaton bequem gehabt sie im III. und IV. Buch an den entsprechen-
den Stellen, die er ja angibt (414 A 42:-J E f.j, ohne sichtbare Vernie-
tung einzufügen. Aber gerade, daß er besondere Teile aus ihnen macht,
zeigt, daß sie planmäßig herausgehoben und nicht nachträglich einge-
schoben sind. Piaton führt seinen Staat, den er von oben her erfaßt,
der wie kein andrer Staat Leitung von oben ist, von unten herauf vor,
erst den Nährstand, dann den Wehrstand, zuletzt den Lehrstand, dessen
Herrschaft doch der Angelpunkt des platonischen Staatsbaus ist. Wer
da meint, daß dieser Ausbau des herrschenden Lehrstands nachträglich
eingeschoben sei, der kehrt den Sinn des ganzen Staatsbaus um, der
nimmt dem Staat den Kopf und mehr, der macht Piaton zum Phantasten,
denn er mutet ihm zu, daß er einen Staatsplan entworfen, ohne über
dessen Möglichkeit nachzudenken oder für sie einzutreten. Denn aus-
drücklich erklärt Piaton, daß diese Möglichkeit steht und fällt mit der
Philosophenherrschaft; also die zur Verwirklichung nötige Einsicht in
diese Möglichkeit fordert die Rechtfertigung und systematische Einführung
der Philosopheuherrscher : der Philosoph allein wirkt das Heil in der
Einheit von Staat und Moral, der Tyrann wirkt das Gegenteil — in
diesem Gedanken sind alle Teile des Staats begründet.
Aber macht hier nicht die Kunstkritik in der ersten Hälfte des
X. Buches eine Ausnahme ? Ich bekenne, daß sie mir lauge eine hinein-
geworfene Zutat, ein fremder, schwer verdaulicher Brocken schien in
der klaren Speisenfolge, die Piaton selbst von seinem „Staate" fordert
(354 A B, vgl. den Bewirtungsvergleich auch im Rückblick auf den
., Staat" in der Einleitung des Timaios). Auch Zeller, sonst von der Ein-
heit des „Staates" überzeugt, sieht hier allein einen Nachtrag. Aber
der eine kleine Riß erweitert sich sogleich zu Konsequenzen, die den
geschlossenen Bau erschüttern. Zeller kann sich den Nachtrag nur er-
klären als Antwort auf Angriffe, die Piatons Literaturkritik im IL und
III. Buch erfahren habe, woraus folge, daß diese Bücher früher ver-
öffentlicht sein müssen. Damit ist der „Staat" zerrissen, ohne daß der
Einschub an dieser Stelle begründet wäre; und schHeßlich antworten
konnte Piaton auch besser in einer andern Schrift, bevor er hier in sein
Kunstwerk bineinflickte. Aber wir brauchen ja keinen fremden Angriff
und keine frühere Veröffentlichung der ersten Bücher, um zu erklären,
warum Piaton noch einmal auf die Kunstkritik zurückkommt. Was er
hier im X. Buch sagt, konnte er ja im IL und III. nicht sagen, weil
— 314 —
es sogleich mit der Ideenielire argumentiert, die dort noch gar nicht
eingeführt war ; vor allem aber beginnt ja Piaton selbst die Wiederauf-
nahme des Literaturthemas hier X 595 A B mit der Erklärung, daß
erst durch die (im IL und III. Buch noch unbekannte) Dreiteilung der
Seele die Verbannung des Dramas deutlich begründet Averde. Damit hat
er ja selber die Bückkehr zu jenem Thema genügend begründet. Oder
sollte er nicht die V erantwortung gefühlt haben, seine ungeheure kunst-
feindliche Paradoxie mit vollständiger Deutlichkeit zu begründen ?
Es ist auch weiter verständlich, warum Piaton diesen nun einmal
erst in späteren Büchern möglichen, rein negativen Abschluß der Literatur-
kritik zurückschiebt bis ans Ende des negativen Teils, der politisch-
moralisch absteigenden Skala. Das Drama gehört ihm in die Dekadenz,
die er bis zur Tyrannis hinabgeführt. Er sieht im Drama wie in der
Tyraunis die Hypertrophie der Leidenschaft, die Ümkehrung der idealen
Seelenkonstitution, die Stachelung, ja die äußerste Forcierung der Lüste
und Affekte, die Inthronisation des 3. Seelenteils, der gerade dienen
soll, — darin liegt das v(m Piaton selber aufgedeckte logische Band, das
die erste Hälfte des X. mit dem IX. Buch verbindet. Dazu kommen
noch associative Beziehungen, ja unterbewußte formale Gedankenbrücken,
die mir noch tiefer als der logische Fortgang zu beweisen scheinen, daß
Piaton das X. Buch hinter dem IX. geschrieben. Er hat hier in der
Tyrannenkritik sich eingestellt auf die Methode der Unterscheidung und
Wertung des Originals und des Abbilds, von dem wiederum ein Abbild
oder Schattenbild abfällt (s. nam. IX 583 B 586 B 587 B ff.\ Dieselbe
Metapher der doppelten „Schattenbilder" spinnt sich sogleich in der
Kunstkritik des X. Buches fort (597 ff. 600 E 601 B 605 C). Der Tyrann,
folgert das IX. Buch, steht in dritter Potenz mit seinem Schattenbild
der wahren Lust hinter dem König zurück (587 B ff.); der Tragödien-
dichter, folgert das X. Buch, ist der dritte Nachbildner vom Könige
und der Wahrheit ab (597 E) — der „König" ist hier nur als Nach-
klang des IX. Buchs in blinder Gedankenassociation zu verstehen. Die
messende Vernunft nur lehrt das Wahre über die leichttrügerischen
Lüste — so predigt das IX. Buch 584 ff., so auch die Literaturkritik
des X. 603 Ô". Und Piaton ließ den Tyrannenhof (Geometrie treiben.
Tyrannis und Tragödie monumentalisieren die Lüge, appellieren an die
Lüste. Durch die dramatische Muse, sagt Piaton 607 A, kommen Lust
und Jammer im Staate ans Regiment statt des Gesetzes — wie in der
Tyrannis. Beide bringen das Schlechte im Staate zum Siege (605 B)
und erheben das vielgestaltige Tier im Menschen (vgl. IX 588 ff.,
X 606 AD) — die biologische Allegoristik der schlechten Lüste im IX. Buch
spielt hier noch leiser im X. nach.
Wie so unverkennbar Motive des IX. Buchs in der Literaturkritik
des X. fortwirken und sie mit festen Fäden nach sich ziehen, so hat
— 315 —
sie auch noch ein sicherndes Vorzeichen sclion am Ende des VIIT. Buches
gleichsam in einem Wetterleuchten, das ankündigt, dali der Autor tief
der Tragödie grollt und nur auf den passenden Augenblick wartet, ein
Gewitter über sie entladen zu lassen. Da wird 568 A B der Tnigiker-
spruch gebrandmarkt, daß die Tyrannen weise seien durch der Weisen
Umgang — was allerdings dem von der zweiten Syrakusreise Heim-
gekehrten wie ein Hohn im Ohre klingen muß. Da werden ib. B C die
Tragiker aus dem Idealstaat ausgewiesen als Lobredner der Tyrannis
und als Verführer zur Tyrannis und Demokratie, die beide deshalb auch
den Tragikern Ehren spendeten. Woran denkt hier Piaton V Woher
dieser Groll gerade gegen die Tragödie ? Man begreift die Verbindung
der Demokratie mit der Tragödie, die der Menge eitle Lust ist
(602 B 604 E 605 A) und im demokratischen Athen gepflegt ward. Viel-
leicht haben damals auch die Erfahrungen mit seiner Choregie (Plut.
Dion 17) Platon gegen die manchen Dichtern blühende Volksgunst ein-
genommen. Aber die Verbindung von Tragödie und Tyrannis, ja ihre
innerliche Einssetzung in der Wirkung, die hier und eben im Anschluß
des X. Buchs an das IX. zum Ausdruck kommt — wie ist dies zu er-
klären? Ich meine, hier ist lichtgebend die Tatsache, daß der ältere
Dionys ein leidenschaftlicher Verehrer der Tragiker war, Reliquien von
ihnen erwarb, selber Tragödien dichtete (und gerade solche, die Leiden-
schaften hochtrieben und Götter und Helden klein zeigten: Adonis,
Alkmene, Leda, der wahnsinnskranke Herakles, den Silen durch ein
Klystier zu heilen sucht), und endhch daß beiden Lenäen des Jahres 367 mit
seiner Tragödie "Extoçoç Zviça der syrakusische Tyrann im demokratischen
Athen den Preis erhielt — da haben wir die Ehrungen, die Demokratie
und Tyrannis der Tragödie zuwenden, da haben wir den Piaton ver-
haßten Sieg der Leidenschaft über Götter und Helden, und da vor allem
die faktische Vereinigung von Tragiker und Tyrann — vor dem Jahre
367 hat Piaton jene Stelle nicht geschrieben. Wenn er übrigens im X. Buch
so merkwürdig die Kritik der Tragödie mit dem Blick auf Tische und
Bettstellen beginnt und den Xachbildner. bei dem er vor allem an den
Tragiker denkt, gerade unter den Tischler herabsetzt, so sieht es fast
aus. als dächte er an den jüngeren Dionys, der als Kronprinz nur Tische
und anderes Holzgerät zu verfertigen wußte (Plut. Dion 9), während sein
Vater Tragödien schrieb, und als solle damit gesagt sein: besser Tischler
als Tragiker ! Ich will es nicht behaupten, ich will auch nicht auf den
Tragiker Dionys großen Wert legen, aber ein Zufall ist es doch nicht,
daß ein Tyrann, an rçayr/J] Jioß^t] gewöhnt (577 AB), in der Heimat
der Rhetorik, der Pflegstätte der Mimen, in dem zu allen Zeiten greller
Schaustellung und heißer Leidenschaft günstigen Sizilien Tragödien
schrieb — der Tragödienpreis des Jahres 367 und die Erlebnisse auf
— 316 —
dem auch politisch vulkanischen Boden Siziliens öffneten Piaton (mehr
noch als die Tragödien des Kritias) die Augen über den innerlichen ge-
fährlichen Zusammenhang von Tyrannis und Tragödie als triumphale
Ausgestaltungen der Leidenschaft — darum wirft er hier eine der andern
auf den Scheiterhaufen nach. Der Autor des Phaidon nimmt damit Ab-
schied von seiner künstlerischen Vergangenheit und schickt zürnend die
Mimen zurück, die er einst von Syrakus heimgebracht.
Es bleibt noch eine die Einheit des Staates bedrohende Gegen-
instanz: die Einleitung des Timaios, die nurRep. II 369 — V 471 als vorge-
tragene Staatslehre rekapituliert. Als erstes Resultat der scharfsinnigen und
lehrreichen Äusserungen von üsener-Brandt, Zeller, Rohde, v. Arnim,
H. Schöne, Hirzel, Th. Gomperz, Raeder, Diels-Wendland u. a. zu dieser
Frage ergiebt sich, daß die Timaios-Einleitung entweder auf einen andern
„Staat" zurückblickt oder daß die im wesentlichen formalen Abweichungen
als fiktive aus dem Zweck der Rekapitulation zu erklären sind : denn
die formale Anlage läßt sich nun einmal, da Gesprächspersonen, Ge-
sprächszeit, und Gesprächsprogramm (auch Gesprächsform, s. H. Schöne,
Piatons Tetralog. S. 6) so weit differieren, mit unserm „Staat" nicht
vereinigen. Wird nun hier ein früherer „Staat'" rekapituliert, dann ist der
bösen Konsequenz nicht zu entrinnen, daß der Timaios mit dem
anschließenden Kritias, da er unsern ., Staat" noch nicht berücksichtigt,
vor ihm geschrieben sei, oder man muß, da auch die Sprach-
kriterien Timaios und Kritias spät setzen, wie einen doppelten „Staat",
so auch einen doppelten Timaios (wenigstens eine doppelte Einleitung)
und einen doppelten Kritias setzen. Wenn zudem wirklich Piaton das in
der Timaios-Einleitung hingeworfene Programm einer Tetralogie oder
vielmehr Pentalogie vor unserm „Staat" ganz erfüllen wollte, so ist
davon nicht viel mehr als das leere Schema übrig. Der „Staat" hätte
sich losgerissen, der Kritias ist unvollendet, der Timaios müsste später
eingeschoben sein (Rohde, v, Arnim), vom Hermokrates ist nicht einmal
das Thema da, vom letzten Partner und Autor eines zu erwartenden Àôyoç
nicht einmal der Name. Und der Plan einer Tetralogie soll Piatons Früh-
zeit angehören, während man doch sonst gerade annimmt, daß er auf die
Verknüpfung von Dialogen erst spät, wohl gar erst durch die Länge des
„Staates" verfiel, womit aber wieder die Ganzheit unseres „Staates" vor
der Timaiostetralogie vorausgesetzt ist!
Oder ist der rekapitulierte „Staat" ein späterer, von dem aber wieder
nichts übrig blieb, da ja selbst das beim toten Piaton gefundene Wachs-
täfelchen laut Quintilian und Dionys. Hai. nur den Anfang unseres „Staats"
enthielt? Es will mir scheinen, daß wir einen anderen früheren oder
späteren „Staat'* doch erst in's Leben setzen dürten, wenn der erhaltene
nicht ausreicht. Aber ergiebt ja sachlich nur zu viel, da die Rekapitulation
— 817 —
kaum drei Bücher befaßt. Es sieht ja wohl wie ein merkwürdiges, beweisen-
des Zusamiiientreti'en aus, daß Piaton im Timaios, Aristoteles in seinen
Zitaten, vielleicht auch Aristophanes in den Ekklesiazusen und Xeno-
phon nach Gellius wesentlich 2 — H Bücher des „Staates" (in II— V) zu
kennen scheinen. Aber erstens bedarf's dafür einer Erklärung? Auch im
20. Jahrhundert noch würde ein Schilderer und Kritiker des platonischen
Idealstaats wesentlich diese Bücher zitieren und zu kennen scheinen, weil nur
sie ihn positiv darstellen, während das erste und letzte Buch Prolog und Epi-
log geben, das VIII. und IX. Gegenbilder des Idealstaats, das VI. und VII.
seine prinzipielle Krönung, die weit mehr in die Wissenschaft, ja Meta-
physik schlägt als in die Politik. Und zweitens ist's mit jener Überein-
stimmung nicht weit her. Daß die ,. Ekklesiazusen" den Staat berücksichtigen,
ist eine unbezeugte und unbeweisbare, nur moderne und schon unmoderne,
höchst vage Hypothese. Was Gellius von Xenophon behauptet, glaubt heute
niemand, und selbst wenn an der Nachricht von den zuerst herausge-
kommenen duo fere libri etwas wäre, so weiß man zunächst nicht, ob es
die très fere libri sind, die der Timaios rekapituliert; auch kann der hier
skizzierte Inhalt ja ursprünglich ebenso in \/2 Buch wie in 6 Büchern aus-
geführt sein, und er müßte ja vor den Gesprächspersonen des Timaios.
beim Fehlen des Gerechtigkeitsthemas etc. z. T. anders, also wohl auch in
etwas anderm Umfang vorgetragen sein. Aristoteles ferner weiß nicht
nur. daß Piaton mit dem Idealstaat noch reichlich andere Erörterungen
verbindet (Pol. II, 6. 1264b 39), sondern er behandelt ja auch das VIII.
Buch des „Staats" am Schlüsse seines V., und wenn ihm noch nicht unser
„Staat" vorlag, so müßte er ja unecht sein. Endlich die Timaioseinleitung
will nur die Hauptpunkte der Staatslehre und zwar nur der vom besten
Staat (eben in II ff.) rekapitulieren (17 C 19 A) und kann, da Piaton hier
deren Grundzüge in die attische Urzeit zurückprojizieren will, die Philo-
sophenbildung natürlich noch nicht brauchen, die auch für die bloße Vor-
führung der kriegführenden Bürger (vgl. Tim. 19. 27 A B), für die hier
historische und gerade nicht philosophische Darstellung überflüssig ist. —
dies betonen z.T. Zeller und Th. Gomperz mit Recht. So erklären sich die
Beschränkungen der Rekapitulation einfach und völlig genügend aus ihrem
Zweck und rufen nicht nach einem andern ,. Staat", der sich auch sicherlich
stärker in sachlichen Abweichungen verraten hätte.
Sind nun die wesentlich dialogisch-formalen Abweichungen als
solche gar nicht aus der Einleitung des Timaios selbst zu verstehen ?
Dieser giebt sich äußerlich als Fortsetzung eines sokratischen Àôyog. der
inhaltlich ein Teil des „Staates" ist. Ist er darum notwendig als Fort-
setzung geschrieben oder hat er — dies ist zu unterscheiden — viel-
leicht nur ein Interesse, Fortsetzung zu scheinen ? Man nehme den Timaios als
anschließende Fortsetzung geschrieben — würde Piaton dann so ausführhch
— 318 —
rekapitulieren, was unmittelbar vorher zu lesen ist? Rekapituliert erimKritias
oder Sophistes oder Politikos, wo er doch eben an einen vorangehenden
Dialog anknüpfen will ? Und lassen jene Bücher des „Staats", deren Fort-
setzung der Timaios sein soll, ihn wirklich als solche ahnen ? Sie müssen
allerdings wohl etwas anders ausgesehen haben, wenn Sokrates das Staats-
gespräch statt mit Glaukon und Adeimantos mit den berühmten prak-
tischen Politikern des Timaios geführt haljen soll. Oder muß es nicht
etwa wie die andern Gaben beim Gesprächspicknick hier vielmehr ein
Vortrag des Sokrates gewesen seii,i, der somit in einer namentlich für
einen frühen „Staat" doch wohl ungewohnten Rolle erscheinen würde ?
Aber weiter denke man sich die Tetralogie (oder Pentalogie) gemäß der
Einleitung des Timaios komponiert : Der Idealstaat des Sokrates, die
Kosmologie des Timaios, der Staatsmythus des Kritias — welche Dis-
positionslogik traut man Piaton zu, wenn man die légère nachträgliche
Begründung der Redenfolge Tim 19.27 AB, die nicht einmal das Themades
Hermokrates, ja auch nicht einmal den Namen des ursprünglich auch zur Rede-
spende verpflichteten, entschuldigten letzten Gesprächspartners zu nennen
weiß, wirklich zum Kompositionsschema macht und den „Staat" schon
im Hinblick auf Timaios und Kritias konzipiert denkt ! Wenn sich nun
zudem noch herausstellt, daß die Einleitung des Timaios vielmehr als
Aïitwort auf Angriffe komponiert ist, die der „Staat" erfahren, so ist
damit der Schein der Fortsetzung erklärt, ja gefordert und zugleich
die Wirklichkeit der Fortsetzung, der unmittelbare und ursprünglich
tetralogische Anschluß des Timaios an den „Staat" widerlegt, da ein
fremder Eingriff dazwischen liegt, auf den hin die Anknüpfung erst nach-
träglich angelegt sein kann.
Man tut, als ob Piaton uns gegenüber zu treuer Rekapitulation
verpflichtet wäre, und man konstruiert gemäß dieser Verpflichtung einen
andern „Staat". Aber Piaton rekapituliert nicht, um uns ein treues
Zeugnis zu liefern, sondern um seine Ijehren zu verteidigen. Er
rekapituliert, was er und wie er es dazu braucht. Mit keinem Wort
sagt er, daß er das Gespräch im Hause des Kephalos fortsetze, daß er
seine Staatsschrift rekapituliere. Er will seinem Idealstaat eine Sanktion
geben und muß dazu dessen Verfassungsgrundzüge wieder vorführen, da
er als Dramatiker sich nicht direkt auf eine frühere Schrift berufen
kann -, er schneidet sich deshalb aus seiner Staatsschrift nur die ein-
schlägigen Bücher heraus und, was noch beweisender, aus diesen wieder
nur das Einschlägige, nicht z. B. die Literaturkritik, die Gerechtigkeits-
lehre, die parallele Dreiteilung der Seele u. a., das dort mit der Staats-
lehre eng verquickt ist. Nur was er hier voraussetzen muß, holt er sich
so heraus und steckt es in den Rahmen eines tingierten Vorgesprächs —
und hat uns nicht Piaton an fiktive Einleitungen zur Genüge gewöhnt?
— 319 —
Das V^erhältnis von „Staat" und Timaios liegt so klar und einfach,
wenn man nichts anderes dazwischen setzt als die Aufnahme, die Piatons
„Staat" finden mußte und wirklich gefunden hat. Ist's nicht selbst-
verständlich, daß die Kritiker den Idealstaatsgründer als Phantasten, als
Laien in der Politik, als Saul unter den Propheten hinstellten, daß sie
ihn als unpatriotisch brandmarkten und schleunigst nach Abhängigkeiten
suchten ? Wir wissen, daß seinem „Staat" Plagiate (vgl. Diog. Laert. III .'{7)
vorgeworfen und namentlich nachgesagt wurde, daß er ägyptische Ein-
richtungen kopiert^). Man frage sich, wie Piaton auf diese Vorwürl'e am
l)esten antworten konnte, und man erhält die Einleitung des Timaios.
Ihr nennt meinen Staat einen phantastischen Mythus, ein theoretisches
Gebilde, das praktisch nicht leben und sich wehren kann? Ich will ihn
auf den Boden der Realität, èm làÀrjd-éç führen, ich will zeigen, wie er
lebt und sich im Kriege entfaltet, ich will ihn genetisch darlegen, erst
in den Naturbedingungen, dann in seiner historischen Angelegtheit, und
dabei wird sich der ideale Zukunftsstaat schon in der Urzeit wirksam
und wirklich zeigen — so verkündet es Piaton Tim. 19. 26 CD 27 A B.
Ihr sagt ferner, ich verstehe nichts von Politik, und ihr spottet über die
Philosophenherrschaft ? Hier führe ich euch Männer vor, die zugleich
Philosophen und Pohtiker waren (s. Tim. p. 19), und lasse sie für mich
zeugen ; ihr seht, daß ich nicht ohne politischen Anhalt bin : Timaios
repräsentiert meine pythagoreischen Verbindungen, Hermokrates meine
syrakusischen Erfahrungen (die also für den ., Staat" ebenso vorausge-
setzt werden wie die These der Philosophenherrschaft) und Kritias meine
Familientradition, die, wie ich euch nun erzählen will, zu Solon herauf-
reicht, dem besten Staatsreformer, und ein Mann mit solchen Antecedentien
soll unpolitisch sein ? Ihr streitet mir Originalität und Patriotismus ab
und sucht meine Vorbilder in Ägypten ? Aber* meine Weisheit ist weder
importiert noch ererbt, seht, selbst dersizilische, der italische und der attische
Staatsmann hören mir zu, bekennen sich mit dem „Staat" von mir „be-
wirtet" (Tim. 17) ; der Pythagoreer gab mir, wie ihr hören werdet, nur seine
Physik ; der politischen Vergangenheit meiner Familie verdanke ich die
heimische historische Tradition, und aus dieser heraus will ich euch
meinen „Staat" patriotisch illustrieren und lasse mir vom Familienheros
Solon, der es wissen muß, bestätigen, daß die Ägypter uns kopiert haben,
nicht ich die Ägypter, und daß die Bürger meines „Staates" nicht
Exoten, sondern Autochthonen, unsere eigenen Urväter sind (p. 26 f.) —
und Krantor, der erste Piatonkommentator bestätigt uns ausdrücklich,
daß die Kritiaserzählung gegen den Vorwurf der Ägypterkopie gerichtet
h Vielleicht will auch Xenophon den „Staat" treffen, indem er Mem. III 6 den
sich vordrängenden politischen Dilettantismus Glaukons. des Bruders Piatons und
Hauptgesprächspartners im .,Staat" in Grund und Boden kritisiert.
— 320 —
ist (Proklos im Timäuskommentar p. 24 E). Dem gegenüber will sich
Piaton hier als Patriot bekennen und singt den Kritiashymnus zu Ehren
der heimischen Göttin zur Zeit der Panathenäen.
So zeigen sich Gesprächsdatum, Gesprächsprogramm und Gesprächs-
personen der Timaioseinleitung erfunden für die Antwort auf die Kritik, die
der ,.Staat" erfahren, aber nicht für den „Staat" selbst. Andererseits ist für
diese Antwort die im „Staat" gegebene Situation unbrauchbar^) in allen
Stücken, in Ort und Zeit, Programm und Personen, Sokrates einge-
schlossen ; denn Piaton muß ihn nun abdanken, er muß zeigen, daß er
selber mehr ist als Sokratiker, daß Lebensmächte, Traditionen, Erfah-
rungen und Kenntnisse hinter seinem „Staat" stehen, die Sokrates nicht
vertreten konnte. Erst aus diesem Bedürfnis erwuchs der Gedanke der
übersokratischen Tetralogie. Sollte nun Piaton unserm Aktensinn zuliebe
die Neues erfordernde Situation in die alte des „Staates" hineinzwängen?
Was lag ihm an der Situation V Er braucht nicht die Schrift, nicht das
Gespräch am Bendideenfest, nur die angegriffenen Lehren, und er steckt
sie nun in den Rahmen eines fingierten Vorgesprächs, wie es den Be-
dürfnissen der neuen Situation entspricht. Wäre es wirklich in dieser
Form gehalten und geschrieben, dann brauchte er, wie gesagt, es nicht
zu rekapitulieren. Nur gerade weil die Form neu geworden, muß er den
alten Inhalt, den er braucht, durch Wiederholung identifizieren. So lösen
sich wohl mit einem Schlage alle Rätsel der Timaios-Einleitung aus der
Einfügung des kritisierten Lihalts des „Staats" in die neu geforderte
Form seiner Verteidigung.
Nur im letzten Winkel bleibt noch ein dunkles X. : der anonyme
vierte Partner des Vorgesprächs. Man witterte Piaton selbst dahinter —
aber er hat sich sonst nie als Gesprächszeugen genannt, schon darum
nicht, weil er sich dann nicht mit Sokrates oder sonst dem Protagonisten
identifizieren kann. Und wenn er nur seine Abwesenheit entschuldigen
will, Avarum nennt er sich nicht wie im Phaidon ? Nun hat v. Arnim
(vgl. auch Schöne a. a. O. 18) als einzige Instanz gegen Hirzels fiktive
Deutung des Vorgesprächs diesen Anonymus ausgespielt, der, wenn
das Vorgespräch nur in der Rekapitulation lebte, eine völlig unnütze
und darum unmögliche Zutat wäre. Das Argument ist fein; aber
wenn er in einem wirklichen Vorgespräch eine Rolle gespielt hätte,
wäre dann die AValirung seiner Anonymität hier nicht ebenso völlig
unnütz und darum unmöghch ? So kann seine Existenz nicht aus
einem wirklichen Vorgespräch übernommen, sondern nur aus äußerem
Grunde hier eingefügt sein, was aber wieder den fiktiven Charakter des
') I'er „Staat" zeijçt so {^ar nicht, daß er das kennt und IterücksichtiKt, worauf
die Timaioseinleitung bereits antwortet, — auch dies si)richt gegen deren frühe Voraus-
nähme, die Hohde kühn ansetzen muß.
— 321 —
Vorgesprächs voraussetzt. Und wirklich muß ja Piaton noch einen Zeugen
dieses Vorgesprächs (d. li. einen Leser des „Staates") setzen: den
Kritiker, dem die Timaios-Einleitung antwortet. Und pflegt nicht Piaton
seine lebenden Gegner zu verhüllen ?
Vielleicht aber können wir ihm das Visier noch weiter lüften. Der
Kritiker stellte Piaton als unpatriotischen Plagiator, als Agyptomanen
hin. Und erinnert nicht der platonische Ständestaat an den ägyptischen
Kastenstaat, wie ihii Isokrates' Busiris schildert ? Ja, die Schilderung
zeigt eine so frappante Ähnlichkeit, daß sie bewußt sein muß und daß
man auch bereits die Beziehung dieses Busiris auf Piatons „Staat" er-
kannt hat, für dessen Datierung aber damit nichts feststeht. Denn Blaß
kann nur konstatieren, daß Isokrates dort „die "Würde eines schon be-
währten Sophisten annimmt"; daß ferner Lysias gegen den „Sokrates" des
Polykrates noch kurz vor 380 geschrieben haben muß, hindert natüi-lich
Isokrates nicht, gegen eine andere Schrift dieses Rhetors 1 — 2 Jahr-
zehnte später zu schreiben — wenn nicht überhaupt dieser gegen einen
mit Namen genannten Lebenden damals ungewohnt scharfe offene Brief
des Isokrates nur Einkleidung ist; denn es ist mehr von Philosophie als
von Busiris die Rede. Die Beziehung auf den platonischen „Staat" ist
zweifellos, nicht wegen der bloßen Parallelisierung mit der ägyptischen
Kastengliederung, sondern weil für diese Isokrates in der Seele des
Busiris dieselbe Begründung gelesen haben will, die Piaton das Prinzip
der Arbeitsteilung zur Grundlage seines Stände- und Berufsstaats machen
läßt : àeï rolç avrolç rag avràç ^cçâ^siç [.leTay^iQiZeG&aL jtQoaéza^ev siôioç roig
idv u€Taßa'/./.oufvoLg ràg Içycioiag ovôl rcçog ïv rtov içyojv ay.Qißcög P/ovraç,
Toig ô'e/cl ralg aitalg ^cçâBsoi ovvcyvjg ôutuévovrag slg v7CSQßoArv ïy.aGzov
u7COTeAoîvT6g (Bus. 16, vgl. Rep. 369 D E 37C ABC 374 394 E 397 E
433 A 434 A ff.). Damit man aber nicht zweifle, daß er hier an den
berühmten Philosophen des „Staates" denkt, fährt Isokrates, die technisch-
politischen Vorzüge der ägyptischen Berufsteilung hervorhebend, ib. 17
fort : wäre v.aï twv cpikooocpcüv rovg vtÙq tcöv toioctiov /Jynv t/ciysiQOLVTag
y.cà uÛ/.lot evôo/.iuoùvrag rr^v iv Alyv7tx(i) /cQoaiosloS^aL Tto/.ireiav Itiulvùv.
Teichmüller, der die Beziehung zuerst gesehen, spricht von einem „ver-
leumderischen Lobe" Piatons, der hier als Plagiator an ägyptischen Ein-
richtungen hingestellt werde. H. Gomperz, der (TViener Studien 1905
S. 30 ff.) die Beziehung besser begründet, ohne ihr Motiv zu erfassen,
meint: „eine willkürlichere Deutung kann man sich kaum denken." Ich
glaube, daß Teichmüller das Tatsächliche gesehen oder wenigstens ge-
ahnt hat. Piaton wird doch nun einmal hier als Anhänger der ägyptischen
TioÄiTfla zitiert, wozu er doch nicht das mindeste Recht giebt. Die
einzige, nur herabsetzende Zitierung Ägyptens Rep. 436A zeigt, daß er von
dorther nicht seinen Ständestaat bezogen. Soll es ein Kompliment sein,
21
— 322 —
wenn man den Autor eines Staatssystems als Anhänger eines andern
anspricht ? War Kant davon erbaut, als Anhänger Berkeleys zu figurieren?
Nun wissen wir ja durch Krantor, daß Piaton von Zeitgenossen als
Nachbildner ägyptischer Staatseinrichtungen wirklich verspottet worden,
und daß er zui' Abwehr den im Timaios angekündigten Àôyoç des Kritias
komponierte. Ist's nun nicht klar, daß wir hier in Isokrates den Spötter
vor uns haben und in seinem Busiris den Hauptanlaß für die Timaios-
Einleitung ?
Dann mag er wohl auch der Anonymus sein, der sich von Piatons
„Staat" „bewirten" ließ, aber wahrlich nicht der Anstandspflicht der
Dankbarkeit entsprach (Tim. 17A). Der Busiris zeigt ihn jedenfalls als
ôaiTVfiév, als Ausschlachter von Piatons „Staat". Außer dem heilsamen
Prinzip der Arbeitsteilung im Dreiständestaat erscheint § 18 der Ge-
horsam des Wehrstands gegen die üqxovteq, die Syssitien und die
aoij^diojv UGy.i]GiQ, doch bezeichnender § 21 f. die Tieçi xi^v (pqôvi^aiv
in:ifi£ÀEia der Priester und çûoaocpiag âoxrjaig für die Seelen. Ent-
scheidendaberist §23 die Altersautorität und die moraUsche Abzweckung
der mathematisch-logischen Erziehung : Kai lovg ßhi' n:Q£oßvT£Qovg enl
TU (liyiaia rùv :^Qay[iai(ßv STa^av (was nach § 50 nicht Isokrates' An-
sicht zu entsprechen scheint), vobg ôà vsontQovg à/aeÀ.'^GavTag xüv fjôovojv
en äazQOAoyla y.ai Àoyiafioîg y.al yecof.i£TQia oiarQißeiv Eneiaav, was als
förderlich zu anderm, namentlich aber zur âçaxrj gerühmt werde. Man
braucht dies nur zu lesen, um den Inhalt des VI. und VII. Buchs des
„Staats" wiederzuerkennen. Wie in verstimmten, z. T. falsch gegriffenen
Tönen klingen auch in der übrigen Schilderung lauter Motive des „Staats"
an: die Zweitstellung der lakedaemonischen Verfassung (§ 17. 19), das
rechte Verhalten des Wehrstands in Bezug auf Eigenes und Fremdes (19),
die Kritik der Medizin (22), die moralische Lüge der Oberen und das
Unterweltsgericht (24).
Damit man aber ja den steten Seitenblickbemerke, beeifert sich Isokrates
nochmals (28) zu erklären, daß nicht er der Entdecker dieses philosophisch-
politischen Ideallandes sei, sondern viele der Lebenden und der
Früheren wie Pythagoras, der zuerst die Philosophie von Ägypten nach
Hellas gebracht habe (womit der pythagoreisierende Piaton doppelt an
Ägypten gebunden wird). Ich fürchte, die Agypterfahrt des Pythagoras
wird durch diese bekanntlich früheste Bezeugung hier ebensowenig ge-
sichert wie Piatons Fahrt ebendahin, die jüngst erst von Prächter be-
zweifelt worden. Isokrates bekennt offen, daß er im Busiris schwindelt (33).
Und kann es wohl ernsthaft gesagt sein, wenn er behauptet, daß wir
unter ägyptischen Gesetzen völlig glücklich leben würden (20), wenn er
das Scheusal Busiris mit den lächerlich leersten Zeugnisgründen zum
moralphilosophischen Idealstaatsgründer macht und von den Scheußlich-
— 323 —
keiten, die ihn allein berühmt gemacht, nach einem Rezept reinigt, das
er wiederum bekannten Partieen von Piatons „Staat" entlehnt hat: man
dürfe den Dichtern nicht trauen, die Göttern und Göttersöhnen allerlei
Unmoralisches angehängt und nun zur Strafe für ihre Lügen l)lind um-
herirrten u. s. w. (38 ff.) ?
Man sieht, es ist Methode in dieser Platonisierung des Busiris
oder vielmehr in dieser Agyptisierung des platonischen „Staates", die
offenbar die Pointe dieses rhetorischen TtaiyvLov ist, für dessen Phantasie
sich Piaton mit der Phantasie des Kritias revanchiert. Die Uber-
trumpfung des Polykrates ist nur Schau- und Scheingefecht, und dessen
Busiris — hier parallel seinem „Sokrates" zitiert — war vielleicht selber
schon eine solche antiphilosophische Satire (natürlich noch nicht gegen
Piatons „Staat"), in der selbst Orpheus und Aiolos sich philosophisch
ausdeuten ließen. Die ßusirispanegyrik der Rhetoren scheint sich
gegen den Tjrannenhaß der Sokratiker gerichtet zu haben. Wenn des-
halb H. Gomperz, der den Busiris zu ernst nimmt und der S. 31, 1 die
platonischen Schriften, derb zu reden, gar zu sehr im Gänsemarsch her-
vortreten' läßt, mit Recht für den Busiris die ganze Politeia voraus-
setzt, da Buch II ff . Vif. X benützt würden, so kann man auch noch
das VIII. und IX. Buch berücksichtigt finden nicht nur in der Lake-
dämonierkritik, sondern vor allem in der satirischen Gesamttendenz,
Piatons Staat auf den Kopf zu stellen, indem er als Werk des ver-
rufensten orientalischen Tyrannen erscheint. Doch wie dem sei, die
durch Kj-antor gesicherte Tatsache, daß die Einleitung des Timaios erst
auf eine Kritik des „Staates" antwortet, und der Umstand, daß Timaios
und Kritias sich ausdrücklich als Sanktion und Illustration des „Staates"
geben, rücken diesen wieder in die Nähe jener wohl annähernd letzten
Spätwerke Piatons, und so schlagen alle Indizien dahin zusammen, den
„Staat" als geschlossenes Alterswerk zu erweisen.
Zur Agglutination in den französischen Mundarten.
Von
Ernst Tapp ölet.
Die fortschreitende Erkenntnis auf dem Gebiete des Lautwandels
ist einem siegreich vorrückenden Heereszug vergleichbar, der den größten
Feind der wissenschaftlichen Forschung, den Zufall, zu bezwingen unter-
nommen hat. Der Heereszug besteht aus Truppen verschiedener Art
und verschiedener Stärke: voran die zwei Großmächte Lautgesetz
und Analogie. In edlem Wettstreit um den Vorrang ringend, schienen
sie eine Zeit lang, dem Feinde gewachsen zu sein. Doch je näher man
zusah, desto mehr entdeckte man des Willkürlichen, des Unerklärlichen.
Es mußten Hülfstruppen requiriert werden, ihnen kam die Aufgabe zu,
den leidigen „Ausnahmen" auf den Leib zu rücken, sie hatten eine Art
Kleinkrieg zu besorgen.
Die wichtigsten dieser Hülfstruppen heißen : Satzphonetik und
Überhäufigkeit, Yolksetymologie und Contamination, Onomatopoeie und
Kindersprache, Dialektmischuug, Metathese, Assimilation und Dissimilation.
Zu dieser bunten Schar gehört auch die Agglutination, der diese
Studie gewidmet sein soll.
Wir verstehen unter „Agglutination" und ihrem Gegenteil,
der „Deglutination"^) eine Reihe von Lautveränderungen, die
davon herrühren, daß ein im Satzzusammenhang stehendes Wort
„falsch", d. h. der grammatischen Tradition zuwider, abgetrennt
wird und in dieser seiner neuen „irrtümlichen" Gestalt, vielfach
die alte rechtmäßige Form verdrängend, in der Sprache Aufnahme
f i n d e t.
Jede Mundart liefert dazu Beispiele. In Basel gibt es ein Sankt
AWan- und ein Sankt Elisahei/ten-Quartür. In der Mundart sagt man:
er wohnt in dr Dalhe, in ttr Dels/jetc. Der r/ ^'orschlag stammt offenbar
') Wie ich für die „Abtrennung" oder negative Agglutination zu sagen vorschlage.
— 825 —
vom Schlußlaut in Sankt her.') Das Gegenteil liegt vor, wenn man hier
zu Lande Leute aus dem Volk sagen hört: mir hän e gueti Akonissin
gfia = wir haben eine gute Diakonissin gehabt. Hier ist die erste Silbe
des Fremdwortes als Artikel oder als Demonstrativpronomen-) gefaßt.
Ebenso schlimm wie den Basler Diakonissinnen erging es schon im 18.
Jahrhundert den berühmten Basler Leckerli^, wenn sie nach dem (^enfer-
see exportiert wurden. Der Volksmund verkürzte sie zu éci'ekts. So
sagt Rousseau (Nouv. Héloïse IV, 10): La Fancfwn nie servit den gauffres.
des écrelets. Das ist's, was wir mit Deglutination bezeichnen. Puristen
bleibt es unbenommen, der „Verwachsung" eine „Entwachsung" gegen-
überzustellen. Ob das Italienische neben seinem concrezionb — so be-
nannt von Flecchia — ein discrezione im linguistischen Sinn duldet,
muß ich den Herren vom Arc/iivio glottologico zu entscheiden überlassen.
Die Verwachsungs- und Abtrennungserscheinungen sind sehr mannig-
faltig. Im Prinzip sind sie überall da möglich, wo eine enge syntaktische
Verbindung ohne genügendes Korrektiv immer wiederkehrt. Daher so
häufig bei Eigennamen Landre, Langlois, Lille, Lendit, denn zur Zeit
als Landré noch André, der Herr Langlois noch Anglois, die Ortschaft
Lille noch lie und der Jahrmarkt zu St. Denis noch Endit hieß, zu
dieser Zeit sagte man nie oder fast nie un André, un Anglois, vor jene
„Insel" in Flandern zwischen den Flüssen Deule und Lys setzte man
nie weder den unbestimmten noch den Pluralartikel, desgleichen bei
Endit. Kaum aber werden je Appellativa wde ami, arbre, eau, ouvrier
agglutinieren, weil die Verbindungen l'ami, un ami, mon ami, les amis,
des amis, quelques amis, beaucoup d'amis etc. sich mehr oder weniger
die Waage halten und so die überlieferte Wortform vor einem Eingrifi
der Satzphonetik bewahren. Zwischen jenen Eigennamen von ein-
seitiger syntaktischer Verwendung und diesen sog. Gebrauchswörtern
von allseitiger syntaktischer Verwendbarkeit ist ein überaus großer
Spielraum. Es liegt auf der Hand, daß die Wahrscheinlichkeit einer
Agglutination abhängt von der Häufigkeit der entsprechenden Stellung
des Wortes im Satz. Geil und œuf sind einer Plural- Agglutination aus-
i| A priori könnte allerdings der r/- Vorschlag auch vom weiblichen Artikel her-
rühren. Die Mundart sagt dä^sdie für „die Asche''. Für Herleitung aus Sankt ent-
scheidet der Umstand, daß die Verbindungen mit Sankt fast so zahlreich sind wie
die Kirchen in Basel (vgl. Sankt Johann. Sankt Peter, Sankt Leonhard etc.). Und
wie eng das Sankt mit dem Xamen der Heiligen verwachsen ist, zeigt der Ausdruck
zet Lienert „zu Sankt Leonhard", worauf mich Kollege ßinz aufmerksam macht. Die-
selbe Agglutinatioüserscheinung glaubt Michel ßreal fürs Französische nachgewiesen zu
haben, z. E. Saint Chelvis aus Sainch-Elvis - Sanctus HUarius s. Romania 2,329. Sicherere
Beispiele finden sich bei Schätzer. Herkunft und Gestaltung der franz. Heiligennamen
Diss. Münster 1905 p. 89.
-) Artikel, wenn der Vorgang von der Schriftsprache beeinflußt, Demonstrativum,
wenn er rein dialektischen Ursprungs ist. Die Mundart sagt: d'arbet = die Arbeit,
aber die Arbet mach i nit = diese Arbeit tu ich nicht.
— 326 —
gesetzt, bei ombrU Nabel und uvre Euter ist eine Singular- Agglutination
zu erwarten.
Was die Wortklassen anbelangt, so kommen Verwachsungen vor
zwischen Artikel, Pronomina, Präpositionen und Hülfsverba einerseits
und Substantiva, seltener Adjektiva, und Verba andrerseits. Hier soll
ausschließHch von Nominal- Agglutination mit dem Artikel im Singular
die Rede sein, allerdings müssen wir bemerken, daß es nicht auszu-
machen ist, ob in Fällen wie nabit (für habit), zoiseaux étenailles die
Verbindungen un habit oder mo7i habit, les oiseaux, quelques oiseaux etc.
les tenailles oder des tenailles zur Agglutinierung geführt haben.
Zur richtigen Beurteilung dieser und ähnlicher Secreta des Sprach-
lebens bedarf es vor allem zahlreicher und sicherer Beispiele. Erst
wenn diese vorliegen, ist die Frage reif zu einer prinzipiellen Erörterung.
Die Agglutinationsbedingungen sind in jedem Sprachgebiet ver-
schieden. Ob die Vermutung Försters (Zs. rom. Ph. 15,51-), Sehre
im Rolandslied sei entstanden aus ipse + Ehro, das Richtige trifft, kann
erst eine Untersuchung der Agglutination im Katalanischen kompetent
entscheiden.
Wir haben unsere Jagd nach Beispielen auf das galloromanische
Sprachgebiet beschränkt, und müssen auch da uns gestehen, das Revier
oft nur flüchtig durchstöbert zu haben. Wollte man drauf ausgehen, das
Wild bis in alle entlegensten Schlupfwinkel zu verfolgen, so wäre des
Jagens kein Ende. Von Zeit zu Zeit muß Umschau gehalten werden.
So viel ich sehe, wurde der Gegenstand bis jetzt immer mehr ge-
streift als eingehend erörtert. Jede Mundartenraonographie brachte
einen kleinen Beitrag zur Verwachsungsfrage, hie und da wurden in
Zeitschriften und anderswo zweifelhafte Fälle diskutiert, hier soll eine
systematischere Behandlung des Themas in der angegebenen Umschränkung
versucht werden.
Die wichtigsten Vorarbeiten, die für uns in Betracht kommen,
sind folgende.
1887 A, Horning, die ostfranzösischen Grenzdialekte zwischen Metz
und Beifort. Franz. Studien V.
1889 D. Behrens, norm, non = n'on Zs. f. rom. Philologie 13,322—323
wo Beispiele für ndbit. Vgl. ib. p. 405, 407 ff., wo Beispiele für
zoiseaux und étenailles.
1895 W. ]\I eyer-Lübke, zur Syntax des Substantivums, Zs. rom. Phil. 19,
3(»5 ff. und 477 ff.
1902 A. Thomas, Mélanges d'étymologie française (passim).
lilO.-{ E. Tapp ölet, l'agglutination de l'article dans les mots patois,
Bulletin du (xiossaire des patois de la Suisse romande 1, 3-8,
2, 22 — 20, :{, 37—40. Vgl. dazu die Rezension von Herzog,
Zs. r. Phil. 30,;.o« (abgek. Tap.)
— :{27 —
1904 Kr. Nyrop, Grammaire historique de la langue française §§ 289,
488—491, 502.
1906 J. Désormaux, l'agglutination de l'article dans les parlers savoyards,
Revue de philologie franc. 20, 168 — 182 (Abgek. Désorm.)
Geijer, Studier i fransk linguistik (Arsskrifter d'Upsal 1887) der das
Thema behandelt haben soll, war mir leider nicht zugänglich.
Meine Hauptquelle für die Beispiele war, wie natürlich, der Atlas
linguistique de In France, Lieferg. 1 — 26. Hierin wurden fast alle in
der Schriftsprache vokalisch anlautenden Substantiva auf Agglutination hin
geprüft, 98 an Zahl. Von diesen 98 der Agglutination ausgesetzten
Atlas-Wörtern haben tatsächlich 29 agglutiuiert.
"Wir behandeln hier nur zwei Arten von Verwachsung, jenachdem
ein / oder ein n dem Wort vorgeschlagen wird. Wir bezeichnen sie
mit Typus lahit und Typus nahit.
1.* Typus labit.
Dieser Typus ist der häufigste von allen Agglutinationen. Es ist
auch fast der einzige, der in der Schriftsprache zum Durchbruch ge-
kommen ist. Er setzt voraus, daß in gewissen Verbindungen das Wort mit
oder ohne Artikel gebraucht werden konnte. Neben der Ausdrucksweise :
dans ce cas nous partirons endemain stand offenbar als gleichbedeutend:
dans ce cas nous partirons Tendemain.^) Da der Gebrauch schwankte
und da kein un endemain, kein d' endemain, kein des endemains korri-
gierend einwirkte, so ging das Gefühl für die echte Form verloren und
die Agglutination war vollzogen.
Weniger einfach liegen die Dinge bei mrklichen Substantiven wie
lierre, hérisson, anse etc. Beim Kollektivbegriff „Epheu" wird man wohl
auszugehen haben vom partitiven Gebrauch, man sagte promiscue : il y
avait bien d'hierre und il if avait bien de Phierre, auch darf man wohl
an Wendungen denken wie vieux comme hierre neben vieux comme
l'hierre, s. Meyer-Lübke Zs. rom. Phil. 19,3i9fif. Auch hier ist die syn-
taktische Freiheit der Nährboden für die Verwachsung. -)
^) Bei Bonaveniure des Periers finde ich auf derselben Seite : le jour des nopces
fut lendemain (tou Jacob fälschlich Vendemain geschrieben) und weiter unten : La nuit
se passe : le lendemain elles se trouvèrent devant leur père, . . . (Xouv. Récréations
et Joyeux Devis p. 23 bei Cramier). Dasselbe Schwanken ist für die Zeit vor der
Agglutination vorauszusetzen. Vgl. Meyer-Lübke Zs. rom. Ph. 19.438.
2) Ich bin mit der diesbezüglichen Bemerkung Herzogs Zs. r. Ph. 30,368 völlig
einverstanden, natürlich ist die ganze Erscheinung nur syntaktisch zu verstehen, aber das
mehr populär-wissenschaftliche Bulletin war nicht der Ort, dies auszuführen. Von écornes
wird in der Fortsetzung^ dieser Arbeit die Rede sein.
— 328 —
"Wir geben die Beispiele in alphabetischer .Anordnung.
laberdan m. aus Aberdeen, frisch eingesalzener Stocktisch (Sachs-
Villatte). Das deutsche „Laberdan" aus dem Französischen.
labit m. für hubit in der Volkssprache Xyrop p. 432.
lacoun m. kleiner Kahn. prov. aus frz. accon, das seinerseits eine
Deglutination ist aus dem deutschen „Nachen", s. Zs. rom. Ph. 14,366.
lade m. aus andain. Atlas Blatt 40 Vienne 507.
làfyàua etc. f. aus äfyaaa etc. gentiane in Savoyen. Atlas Bl. 640,
H. Savoie 944, 945; RPGR II 37; Désorm. 173.^)
làgar m. aus hangar, in Bourberain RPGE, III 90, in Savoyen
Désorm. 173.
lajö m. -< *lajo aus ajonc (13 Jh. ajou) Atlas Bl. 21 Indre 505)
auch najonc und jajonc kommen vor.
lamsö m. aus hameçon xA.tlas Bl. 682 Marne 128 neben amso,
lèmso Vosges 78 neben emso.
laudier m. für afr. andier Feuerbock, Tap. 4; Umdi Jons (Isère;
ßev. de phil. fr. 7,267 ; landrès Béarnais.
laudîule f. aus andouille Tap. 8.
laugrezole f. „groseille" neben engresale Désorm. 172.
laiita Tante, Aosta, s. meine Verwandtschaftsnamen p. 101.
lau voué m. „orvet" Tap. 7.
lapi m. Sellerie, aus api, dem lat. apium entlehnt ; apl ist im ganzen
Süden, außer in der Gascogne, verbreitet, Atlas 206 lapi vornehmlich in der
östlichen Guyenne: Lot, Tarn et Garonne ganz; Tarn, H. Garonne, Lot
et Garonne je 4 mal; Aude 3 mal; Aveyron, Ardèche je 2 mal; Ariège,
Dordogne je 1 mal. Unabhängig davon agglutinierte dasselbe Lehnwort
noch an zwei Orten nämlich:
lapyo m. „ache" Lavallaz, patois d'Hérémence 173; ferner leppe
in Wissembach (Vosges) Thomas. Mél. 67.
larui m. heftiger Wind, neben arni, unsicher Désorm. 173.
las etc. f. aus anse (du pot) Atlas Bl. 45. Verbreitung sporadisch
in 3 weit auseinander liegenden Gebieten. 1. Loire Inf. 3 mal, Calvados,
Ile et Vilaine, Morbihan, Mayenne je 1 mal. 2. B. Pyrénées 2 mal, Landes
1 mal. 3. Vosges 58. Sehr merkwürdig ist, daß neben dem Typus lanae
auch der Typus nanse vorkommt, wenn auch in etwas geringerem Um-
fang. Über das Prinzipielle dieses Falles weiter unten.
läsiva f. < ""àhiva Atlas 633 gencive H. Savoie 957. Die Form
erscheint im Atlas vereinzelt umgeben von jasiva.
'i üfi/irrui erklärt Gilliéron 1. c. durch Deglutination aus dîifyàna (das Gejjenteil
von doi-f'^ üncier - Hcicr etc.). Sollte nicht eher der Anlaut 'zafyänn, iufyütia als
l'lural-Ä gefasst worden seiuV
— 329 -
lavö etc. Onkel, Atlas Schweiz 976, 979; im Aostatal meine Ver-
wandtscliaftbuamen p. lül.
lé m. Eibe in branche de lé = branche d'if, Désorm. 173.
lègyà {(7 mit Neigung zu e) m. (V) Eichel, Atlas Bl. ()4H des glands
Yonne 108, allerdings umgeben von glu. Aber da die Form als vieilli be-
zeichnet ist, nehme ich an, sie gehe auf aglan mit jener Gegend eigen-
tümlichen Färbung eglä zurück. Nicht ausgeschlossen, aber mir durch
keine Beispiele belegt, wäre die Verwachsung les + glands. Vom syntak-
tischen Standpunkt scheint letzteres sogar wahrscheinlicher, da von der
Eichel unendlich viel häufiger im Plural gesprochen wird; aber, wenn
unsere Erklärung von aglan (s. Tap. 23), richtig ist, so muß im franz.
Sprachgebiet der Singular vorgeherrscht haben.
leiji „acide" ^) aus acetum nach Lavallaz, Hérémence 173.
leudemaiu m. aus endemain, beide Formen leben im Altfranzösischen
nebeneinander (s. z. B. Bartsch, Chrestomathie, wo 3 mal endemain und
3 mal lendemain). Auch die heutigen Mundarten kennen die artikellose
Form, z. B. béarn. endouniaa.
Der Fall ist mit leto s. u. sui generis. Endemain und entour sind
überhaupt ursprünglich keine Substantive, sie w^erden es erst durch die
Verbindung mit dem Artikel und zwar, Pendemain wohl auf Veranlassung
von la veille (schon 13 Jh. Littré), vielleicht auch von l'autrier, das nach
Zs. r. Ph. 19,488 ebenfalls schon früh erstarrte-), und l' entour wie It
dessus, le dedans etc.
Überdies ist le lendemain mit l'hiver die einzige Zeitangabe und
gehört zu den ganz wenigen Abstrakta, die der Verwachsung erlegen sind.
Lendit, Messe zu St. Denis vom 11. Juni an, verdankt die Agglu-
tination seiner Verwendung als Ortsname. Die Entwicklung ist folgende:
indictus sc. dies bedeutete den für Messe und Jahrmarkt angesetzten Tag,
dann den Platz, Champ du lendit, wo der Jahrmarkt abgehalten wurde.
lèrtè m. -< orteil Tap. 7.
lèto m. Umgebung aus entour Hérémence 173. Vgl. das bei lende-
main Gesagte.
levier aus évier Wasserstein, in der Sprache des niedern Volkes
weit verbreitet, s. Sachs- Villatte, für Lyon, Désorm. 173, gelegentlich mit
Umbildung in lavier unter dem Einfluß von laver, lavoir.
lëyo f. aus *êyo „allée" in Puybarraud (Charente) RPGE, III 198.
licorne f. Einhorn. Ich nehme folgende Umgestaltungen an: uni-
cornis ergibt zunächst *imcorne, woraus durch Dissimilation mit dem
1) Vennutlich das Adjektiv, fiir die Beurteilung der Agglutinationsmöglichkeit
ist dies zu wissen unerläßlich.
-) l'endemain kann aber auch elliptisch entstanden sein aus le jotir en dcmair,
das unserem „am Tage drauf" entspräche.
— 330 —
unbestimmten Artikel afr. incorne, mit Verwachsung liiicorne, und mit
Denasalisieruug, vielleicht unter Einfluß des italienischen licorno, zu
licorne.
lierre m. ,.Ei3heu" aus afz. hierre ■< hèdera. Das älteste Beispiel
von Verwachsung stammt aus dem 16. Jh (Littré). Formen ohne / leben
in zahlreichen südprovenz. Patois, so hauptsächlich in der Provence :
Atlas Bl. 768 èyro^ èro, eure etc. in den Dep. Var ganz, Drome 6 mal,
Alpes Mar. und Basses Alpes je 5 mal. Hautes Alpes 2 mal (+ 2 ital.
Dörfer), Vaucluse 2 mal, Bouches du Rhône 1 mal ; ferner èbré, édro etc.
Pyrénées Orientales ganz, Aude 4 mal, Ariège 1 mal. Ob wirklich in
ganz Nordfrankreich die agglutinierte Form gesiegt hat, Avie es der Atlas
zeigt, möchte ich auf Grund der Angaben von Littré bezweifeln, Littré
gibt hierre für Berry, Normandie und Picardie. Wenn auch Littré aus
altern Wörterbüchern schöpft, so ist nicht anzunehmen, daß in den paar
Jahrzenten, die zwischen jenen Wörterbüchern und den Reisen Edmonds
liegen, alle /?/erre-Formen verschwunden seien.
Leider ist lierre bis jetzt die einzige schriftsprachliche Agglutination,
deren Verbreitung wir durch den Atlas feststellen können. Woher mag
die große Verbreitung kommen? Jedenfalls zum geringsten Teil von der
Schriftsprache, denn die Formen haben meist echt dialektisches Gepräge,
auch die Bekanntheit der Pflanze spricht dagegen. Man hat dann an
Einfluß von lier, ligare gedacht, so Gröber, Meyer -Lübke und zuletzt
Schuchhardt (Zs, r. Ph. 31,33 u. i), aber die meisten südhchen und viele
der nördlichen Formen Frankreichs stimmen lautlich nicht zu Her, noch
weniger die italienischen Formen. Endlich macht Schuchhardt 1. c. als
mitwirkende Ursache noch die Reduplikation (lellera, ninöht) geltend,
und in der Tat sagen italienische Kinder gern lellera für ellera\ aber
das ist m. E. nicht Reduplikation, sondern eben Agglutination, wie wi
lenfant, im labil, un loiseau in der französ. Kindersprache. Die italie-
nischen /-Formen, lellera, lella „Alantwurzel" (-< inula) etc. sind für
mich eine Bestätigung dafür, daß auch drüben in Frankreich nichts an-
deres im Spiele ist als der Artikel. Bedenken wir, wie häufig gerade
Pflanzennamen nach dem Typus labil agglutinieren, s. meine Erörterungen
darüber am Schluß.
Die Formen für lierre sind übrigens von verwirrender Mannigfaltig-
keit. Schuchhardt legt die Grundlage zu einer Spezialuntersuchung des
Wortes, indem er 1. c, Mischung von lieüera. hnila und lielenia/n an-
nimmt. Recht auffallend ist die Pluralagglutination ,/V///v> etc. f. besonders
in der Gascogne Atlas Bl. 768.
liiidzu 111. Alt Wurst in Freiburg, wolil gleicher Stamm wie ((iiflontlle.
Hibliiitli<'()iic roinMiK' de la Suisse par M. 1855 p. 171.
— 331 —
lingot m. Goldbarre aus ent^lisch 'nufol. das nach Murray auf dem
deutschen Eiiif/n/J beruht. L'nifittt kommt schon 1405 vor, ein unjol auf
franz. Boden ist mir nicht bekannt, Lehnwort wie Inherd/w.
lirsà m. aus irm = hérisson Atlas Bl. 687 belg.-wall. 182, liirml.
liuerze <; orge Désorm. 172.
liverua f. -< hiberna Blindschleiche.
livre f. •< ehriüca Taumellolch Atlas Bl. 706 ivraie, vornehmlich
im Westen, nur sporadisch Calvados 5 mal. Côtes du Nord 4 mal, Ille
et Vil. 3 mal. Somme 3 mal, Oise 2 mal, Seine et Oise, Mayenne, Maine
et Loire, Loir et Cher, Indre et Loire; Doubs, Dordogne je 1 mal.
livro m. aus iiher Euter, Atlas 1020 pis Doubs 3 mal, H. Saône
2 mal, Beifort, Vosges, Meurthe et ]\Ioselle je 1 mal. Über die Ver-
breitung von ivre und livre in der Schweiz Tap. 5 ff. Das Wort ist vor-
wiegend frankoprov. Savoyen scheint keine Agglutination zu kennen,
sonst halten sich beide Formen ungefähr die Wage,
lo m. aus le luniU Höhe, Sjjitze Tap. 8. Der Atlas 685 en haut
gibt Mo H*^ Savoie 945, aus In le liant, es kann allerdings auch aus
dem benachbarten Uuo erklärt werden.
los aus OS Knochen (?) altfranz. Born. 32,624.
lœs f. aus ces = ostiiim „porte d'entrée" in Plagne (Bernerjura).
loirie f. <; oiiie Erbschaft Tap. 8.
lokè m. <; hoquet, dialektisch und vulgarfranz. Tap. 8, Nyrop I 432.
lonibril m. aus omhril <i *innbillruli(m, Nabel, schon afr. lomhril
(z. B. Romania 1,443), das Wort gehört zu den launenhaftesten des ganzen
romanischen Wortschatzes. Wir beschränken uns natürlich auf die Frage
des Anlautes.^)
Der Atlas Bl. 921 bietet das Bild eines krausen Durcheinanders.
Auf Abgrenzungen muß man bald verzichten. Beim Anlaut sind drei
Fälle zu unterscheiden: omhril, lomhril und nombril. Ombril ist sehr
selten, einmal Lot et Garonne 657, dann in Hérémence (Lavallaz 258).
Der Typus lombril, wo die Artikel- Agglutination außer Frage steht, ist
über ganz Frankreich hin verbreitet, umfaßt aber selten ein ganzes
Département, tritt überhaupt so sprunghaft auf, daß ich auf eine Auf-
zählung verzichten muß. Entsprechend verhält es sich endlich mit dem
dritten, schriftsprachlichen Typus nombril: er beherrscht zwar so ziem-
hch den W^esten Nordfrankreichs, besonders das Gebiet zwischen Seine -
Inférieure und Charente, aber im übrigen ist die Verteilung so sporadisch
wie bei lomhril. Von wo der eine oder der andere Typus herstammt,
1) Am ausführlichsten — aber noch lange nicht ausführlich genug — hat das
Wort behandelt Zaune/: die rom. Xamen der Körperteile p. 161. Leider fehlte ihm
noch der Atlas.
— 332 —
ließe sich höchstens an Hand älterer Quellen feststellen, namentlich er-
gäbe sich auch da ein beständiges Nebeneinander von lonihrU und nombril.
Vgl. die Erörterungen bei nombril. Typus nahit.
loubrezale f. „airelle-myrtille" aus dem gewöhnlichen ambresalle.
Savoyen Desorm. 172.
lonpie aus onpie. gewöhnlicher anj/ie, Himbeere Desorm. 172.
loriot m. aus afr. oriol niireolam Goldamsel Tap. 4. Desorm. 169.
lörve m. aus orcet Blindschleiche in Arzier (Kanton Waadt).
Iota f. aus dem süddeutschen Hulte Tragkorb Tap. 8, Desorm. 170.
louet, auch levé, m. aus *oue1 = ptü Mistel ; Bridel Glossaire de
la Suisse romande 225.
loiièytau aus *octanum „mesure pour les droits d'alpage'' Tap. 8.
louvra f. aus aura, nur belegt in dem Satz : l fa lu louera = il
fait du vent, in Farvagny-le-Grand, Kanton Freiburg.
luette f. aus Ki'itta Halszäpfchen, s. auch Tap. 5.
liiiset m. „petite lucarne" Tap. 8, aus hu'iH <^ ostUim. hängt viel-
leicht aber auch mit luire zusammen.
lutséran m. Eule, zu huchtr zurufen, Tap. 7.
Ittvzar etc. m. aus *urzar = Winter, Atlas Bl. 698 hiver, Creuse
602, 702, 704, umgeben von ivèr, auch iczywè etc.
lyèrb f. aus lierbe, ostfranz. Horning, Grenzmundarten § 191.
lyé/ f. aus herse <. türpkem ostfranz. ib.
II. Typus nabit.
Die ^«-Beispiele fliessen merklich weniger zahlreich als die mit /-
Vorschlag, entsprechend der geringeren Verwendung des unbestimmten
Artikels. Eine Reihe hieher gehöriger Fälle hat in verdienstlicher Weise
Behrens zusammengestellt (Zs, r. Ph. 13,323).
nabit m. aus habit neuprov. (Behrens).
uädzö ni. aus adz<). von dem es umgeben ist, Stechginster Atlas
Bl. 21 ajonc H. Vienne 604.
nage m. aus âge z. B. in der Verbindung à cotre n'(i(/c. die Nyrop
I 282 aus Puitspelu zitiert. Das Beispiel kann doppelt gedeutet werden.
Erstens kann es sich bei der Frau aus dem Volk, die das sagt, um ein
dialektisches Possessivpronomen rotron handeln und dann ist alles in
()rdnung. Oder das n stellt sich immer ein, wo ein Possessivum vor
(if/e tritt, luich nuni df/e. tini df/e, s<ni dt/r, sagt man auch notre n'dge,
votre n'iif/r. leur n'd(/e. also noch reine Analogie, die aber leicht die
Grenzen des possessiven Gebrauchs überschreiten und in ständige Ver-
wachsung übergehen kann. Blatt 9 (/ucl dge des Atlas zeigt nichts
Derartiges.
- 883 —
nàjarn Eidechse aus *(7jarn. das seinerseits durch Deglutination aus
kljarii = lézard, häutig in Pas de Calais, entstanden ist. Atlas Bl. 7f3H
Pas de C. 296, ferner nnjanl Pas de C. 283 und ndjdf Nord 295.
Diskutiert wird dieser Fall bei nonihr'il. Die vokalisch anlautenden
Formen sind mir aus dem Norden nicht belegt.
nante f. Tante, aus ante, hauptsächlich aus mou + ante. s. meine
Yerwandtscliaftsnamen p. 101.
nantö m. aus hanneton, Atlas Bl. GS3 Indre et Loire 40(j.
nar m. aus arc, in Mons (Behrens).
Das f. aus anse, Henkel, ziemlich häufig, aber meist ganz sporadisch.
Atlas Bl. 45 : Maine et Loire 6 mal. Mayenne 5 mal, Orne 2 mal, Loire
Interieure und Ille et Vilaine je 1 mal, endlich völlig isoliert Landes 675.
vgl. la /anse.
ne m. aus e = œil, ostfranz. Honiing § 191. Sehr verbreitet ist
bei diesem Wort die Pluralagglutination fe z-jjeii. Bei )te spielt natür-
lich weniger der Artikel als das Possessivum mit.
ne aus e = hain <; hamum, Angelhacken, Atlas Bl. 682 Verbrei-
tung: Sarthe 4 mal, Maine et Loire 8 mal. Orne, Eure et Loir, Loir et
Cher, Loiret je 2 mal, Eure. Indre et Loire, Indre je 1 mal; endlich
in belg.-wallon. 191. Hier scheint die agglutinierte Form über die nor-
male siegen zu wollen, im hamum-Gehiet finden sich mehr ne als e.
Behrens bestätigt den Atlas durch seine Angaben.
nentille Linse aus entille, das sich allerdings nur im Süden und
sehr sporadisch findet. Atlas Bl. 758. mntille ist stark verbreitet über
ganz Frankreich mit Ausnahme der ganz nördlichen und ganz südlichen
Ma., besonders in der Champagne, in Burgund. Normandie, Saintonge,
Poitou etc. Über das Prinzipielle bei nomhril.
nèp f. Wespe aus vèp, von dem es umgeben ist. Atlas 672 Nord 282.
neroun m. Reiher, aus héron neuprov. (Behrens).
ùèrso m Igel, aus hérisson belg.-wallon. 187, 199. Ferner nursâ
belg -wallon. 184, 7iisi'è (vieilli!) Nord 295: niereson in Mons (Behrens)
und in Blonay (Waadt) Tap. 39.
ùirfindà f. Schwalbe, aus ironde in Atlas 697 H. Loire 814.
nœziy f. Sauerampfer, Atlas 954 oseille Saône et Loire 2 mal.
Côte d'Or und Jura je 1 mal. Häufiger ist das Diminutivum nœziyot
f. Doubs 6 mal. Côte d'Or und ff® Saône je 2 mal, Saône et Loire
1 mal. Eine lautliche Variante davon scheint zu sein mziyœ Jura
2 mal, Côte d'Or 1 mal.
nombril etc. m. aus ombril, über dessen Verbreitung bei lomhril.
Hier ist die Hauptfrage :
wie ist der /^-Vorschlag zu deuten? Ich sehe nur zwei Mög-
lichkeiten : Dissimilation wegen des dreifachen / in le lomhril oder Ag-
— 334 -
glutination aus Verbindungen wie petit comme un ombril d'enfant, cela
ressemble à un ombril, oder le bébé joue avec son ombril. Gewöhnlich
wird das erstere angenommen und es lassen sich in der Tat einige wenige
analoge Fälle anführen : so afr. nlvel (ebenso prov. und span.) aus le
livel, nomble Hirschziemer aus le lomble -< lumbulus Lende. ^) Diesen
beiden von Meyer-Lübke (Gram. I 479 ff.) angeführten Beispielen kann
ich aus meiner Sammlung noch mundartliche beifügen: nämlich das weit
verbreitete nenülk für knülle (Atlas ßl. 758), ferner — allerdings ohne /im
Stamm — näjarn Eidechse, aus lajarn, so Atlas Bl. 766 lézard Pas de
Calais 296, ebenso najard f. Pas de Calais 283, mijclt Î. Nord 295; und
nazerh für luzerne mit volksetymologischer Anlehnung an herbe.
Aber gerade diese mundartlichen Beispiele machen uns irre an der
dissimilatorischen Erklärungsweise, denn wir finden im Atlas folgende
Typen vertreten :
lentille enlille (südfrz.) nentille und gentille
lézard ezard tiézard
luzerne uzerne nuzerne
So betrachtet erscheinen die ;?-Formen als Agglutination aus dem un-
bestimmten Artikel. Bei luzerne mag dies ungewohnt erscheinen, aber
was wissen wir über Gebrauch und genaue Bezeichnung jenes Sonder-
lings nuzérb? Warum soll es nicht z. B. einen Kleeacker überhaupt
bezeichnen? Vgl. Schlussbemerkungen.
Wenn auch heute die Verbreitungsgebiete sich nicht decken und
die vokalisch anlautenden Formen selten sind, wie übrigens auch das
einfache ombril fast ausgestorben ist, so dürfen wir getrost annehmen,
das sei früher anders gewesen, auch würde ein noch reichlicheres Ma-
terial als es der Atlas bietet, sicher ein oft wesentlich anderes Bild
darbieten.
Bleiben nireau und omble. Was diese anbelangt, so sind wir
vorläufig genötigt die Zwischenstufen *irel und *omhle anzusetzen. Viel-
leicht werden weitere Forschungen sie zu Tage fördern.^)
Für nombril aus un ombril etc. sprechen nun ferner die gar nicht
so seltenen Fälle, wo dasselbe Wort in zwei, ja drei Arten agglutiniert :
so bietet uns der Atlas u. a. folgende Forraenpaare:
') Hier spricht allerdings gegen die »Agglutination der Umstand, daß das Wort
nach Littré und Sachs-Vill. meist im Plural vorkommt.
2) Die Wörter fehlen im Atlas. Godefroy gibt omble, das aber in der angeführten
Stelle nur als „Nabel" kann gedeutet werden. Ahnlich steht es mit Ivel = égal, das
sich z. B. in der Verbindung par ivel de = ait ras de mit nivel liegrifHich fast deckt.
Vielleicht sind "omhlc und *ivel in diesen nah verwandten Wörtern aufgegangen.
— 335 —
von ajonc Stechginster: le la jonc und le najonc
von anse Henkel : la Ifuisc und In nanse
von hérisson Igel : le lérisso)i und /e ni'ri.sson.
Ebenso von habit Kleid : le lalnl und le mth'il.
Diese Doppelagglutmationen geben zu denken. Sie lassen die V'er
wachsung als etwas sehr Zufalliges erscheinen. Erhöht wird dieser Ein-
druck durch das folgende Wort. Vgl. meine Schlussbemerkungen.
iiou auch nen und norm, lut „man" aus on. Verbreitung nach Atlas Bl.
407 on dit, 651 on glisse: Manche (mit Inseln) 10 mal; Puy de Dôme 6,
ferner vereinzelt in Creuse, Cantal, Aveyron, H. Loire, Corrèze, Dor-
dogne etc. Hier im Süden gehen die Formen o, lö und iio bunt durch-
einander. Neben lö lindet sich auch lo. Im Dép. Manche steht nur iio,
mi und noz^ nuz vor Vokalen. Wie sind die Formen etymologisch und
lauthch zu deuten y Es liegt kein gewichtiger Grund vor, die norman-
nischen Formen von den südlichen zu trennen. Etymologisch kommen nur
in Betracht lat. iiOü und lioiiio. Die provenzalische Mischung von ö, lo
und 110 schließt )tos aus.
Hält man an homo fest, so liegt der Fall lautlich wie bei nombril ;
also Dissimilation oder Agglutination? Zu dem bei nombril Gesagten
kommt hier als erschwerendes Moment hinzu, daß Ion kein die Dissimi-
lation rechtfertigendes /. weder vorn noch hinten, enthält. Darauf hat
teilweise schon Behrens in seinem anregenden Artikel über non = non
Zs. r. Ph. 13,322 aufmerksam gemacht. Ist es nichts mit der Dissimi-
lation, sagt er sich, so bleibt nur Agglutination. Mir will scheinen, es
sei noch ein Drittes möglich.
Behrens setzt non dem Typus nabit gleich. Das geht nicht wohl an,
denn liabil etc. hat substantivische Funktion, on nicht bezw. nicht mehr.
Bei un Imbil läßt sich etwas denken, bei im on nicht. Sollte nicht non
durch bloße Analogiebildung entstanden sein? Die Gleichung wäre:
oncle : loncle : noncle = on : Ion : non. Ebenso ombril : lombril : nom-
bril u. a., aber auch Wörter, bei denen die Verbindung keine stehende
geworden ist, können auf on gewirkt haben, so vor allem homme (in der
Aussprache ömj, ^lonime. ^noinme, so z. B. ongle. *longle, *nongle; ombre
Vombre, *noml}re: ferner *o/\ ^lor, nor (aus en or) oder gar an. *lan. -nan.
Vielleicht ist auch manche andere sog. Agglutination auf diese mehr
äußerliche Art zu stände gekommen.
nonk m. Onkel aus oncle, wobei natürlich die Possissiva die Haupt-
schuld tragen, das zeigt das Walion. le mononk\ die Formen sind vor-
nehmlich im Wallonischen zu Hause. Vgl. meine Verwandtschaftsnamen
p. 101. Der Atlas hat nur ndnofkj Meurthe et Moselle 7 mal. Pas de
Calais 4, Vosges 3 mal, Meuse und belg. -wallon, je 1 mal.
nortsa f. Hexe, aus orca Tap. 39.
— 336 —
noy f. Gans, aus o'ie^ ostfrz. Horning § 191.
nur f. Stunde, aus hmre. ostfrz. Horning § 191.
uûzërb f. Luzerne aus uzerne Atlas 789 Mayenne 349. Zwar ist
im Atlas nùzérlt von luzerne umgeben, aber die vokalisch anlautende
Form bedeckt das ganze Dé}). Pas de Calais und findet sich außerdem
isolitirt in Corrèze 609,
Ein vereinzelter Fall von Verwachsung ist das afr, Adjektiv nastre.
dessen pejorative Bedeutung erst durch die Herleitung ins rechte Licht
gerückt wird. Xasire beruht auf falscher Abtrennung von v'dainustre.
das eine Verstärkung von vUa'oi ist. Zs. r. Ph. 3 1,220 ff.
Von Interesse ist, daß die «-Agglutination häufig auftritt in der
Kindersprache : les neuf cuits, les uauiuuiu.r etc. und in der Negers^n'ache,
dem Kreolischen: nahit. ndnie s. Romania 10,6ii.
Endlich sei darauf hingewiesen, daß der ;/-Zusatz überaus häufig
ist im Germanischen und im Neugriechischen.
Aus dem Schweizerdeutschen z. B. seien erwähnt : Xast für Ast,
vgl. Nastloch ; Xack für Ack = Beigeschmack ; Xötenimlt für Ötemli, Atem ;
Xergl aus Erggel, Ercker-, Xäiü aus Atti, Vater, übrigens auch lu'tu
drätfi. mein Vater; Xau'i aus Ahne, Großmutter; Xürsch aus Arsch;
Xürtsfheü aus Ursula. Geschwür am Augeulied ; Xev't aus Eri, Schelt-
wort für ein Weib im Aargau; X'ifjel aus Igel; Xeber aus Eber, Thur-
gau (nach Mitteilung von Prof. J. Ulrich -|-).
Auch das Englische kennt Beispiele : ncui Wassermolch aus an
eu't Murray, nkk-name aus an ekœname (Muret).
Besonders reich ist das Neugriechische. Auch hier spuckt der
unvermeidliche Nabel. Er heißt: voucpaXôç. aus xbv ôiicpaZôp, oder der
Weg VOÔÔÇ aus Ti]p ôôôv, die Sonne vijÂiog aus töv ij/uov etc.
Solche Beispiele hat über 40 zusammen gestellt Gustav Meyer
in den Analecta (rraeciensia. (Grazer Festschrift zur Wiener Philologen-
versammlung 1 — 23). Vgl. Albert Thumb, Beiträge zur neugriechischen
Dialektkunde Indogerm. Forsch. 7 1-20.
So viel der Beispiele. Ich muß es mir versagen, hier auf die zahl-
reichen andern Fälle von Agglutination und Deglutination einzugehen,
gedenke sie aber später im Zusammenhang zu behandeln.
Prinzipielles.
Fassen wir die Erscheinung als solche ins Auge. Eine gegebene
Verwachsung sprachhistorisch erklären heißt die Bedingungen klar-
legen, unter denen sie entstanden ist. Wir können zwei Arten
— 337 —
von Bedingungen unterscheiden: 1. Lautliche uiid 2. Syntactisch-
h e gri t'fl i che.
Sehr einfach lautet in unsern beiden Fällen, hih'il und iiahiL die
lautliche Vorbedingung : das in Frage stehende Wort muß
vokalisch anlauten. Bei den einzelnen Vokalen ist keinerlei Vor-
hebe für den einen oder für den anderen zu beobachten.
Alle vokahsch anlautenden französichen Wörter sind somit der
Agglutinationsgefahr ausgesetzt, das sehen wir aus der Kindersjjrache
und aus dem Kreohschen. Aber nur wenige müssen dran glauben.
Von den 98 im Atlas untersuchten Substantiva wiesen 15 den
/-Vorschlag, 14 den // Vorschlag auf. Warum bheben die übrigen von
der Epidemie verschont? Warum finden wir kein lanü und kein iKuiieau
für (uii't und Imniedu ?* Und warum hängt sich im einen Fall ein / ans
Wort, warum ein n im andern? Das liegt offenbar an der Gebrauchs-
art der Wörter, an ihrer Stellung in der lebendigen Rede, kurz, an
ihrer Syntax und diese ihre Syntax wiederum ist bedingt durch ihren
geistigen Inhalt. Daher glaub ich von syntaktisch-begrifflichen
Agglutinationsbedingungen sprechen zu müssen.
Es gibt Begriffe, die sozusagen nie eine Verbindung mit dem
unbestimmten Artikel (ohne Adjektiv) eingehen, z, B. : Milch, Gerste,
Eppich, Einhorn ; andere, die eine starke Abneigung gegen Possessiva
haben, wie ungewohnt klingen z. B. mein W^ind, deine Blindschleiche,
sein Henkel oder ihr Stechginster! In solchen Fällen dürfen wir die
Annahme einer Agglutination von vorneherein abweisen. Ecok du hon
sens.
Achtzig agglutinierte Wörter liegen vor uns, 57 mit /. 23 mit n. Wie
verhalten sich diese Wörter zu ihrer Affinität mit den Artikeiformen ?
Meyer- Lübke stellt darüber folgenden a priori einleuchtenden
Grundsatz auf: „das Herüberziehen eines flexivischen Elem entes
zum Stamm ist nur dann möglich, wenn die betreffende
flexivische Form ein besonderes Übergewicht über die andern
hat." Zs. r. Ph. 19,504. Als typische Beispiele führt er an: rum.
imparatu/ „Kaiser", weil nur ein einziges Wesen dieser Art im Lande
existiert (vgl. „l'Empereur" bei Béranger, und das Heinesche „UndderKaiser,
der Kaiser gefangen", die Verbindung nähert sich dem Eigennamen), ferner
Li/lc und Liscü biancn (eine der liparischen Inseln, aus isc/iki <; insula),
weil für die An- und Bewohner nur diese eine „Insel" in Betracht
kam, endlich exemplifiziert M.-L. auch mit unserem lendemain, dessen
ausschließliche Verwendung mit dem bestimmten Artikel wir schon an-
fangs betont haben.
Zu unserer Beispielsammlung übergehend, scheiden wir zunächst
als unsicher oder im Gebrauch uns völlig unbekannt aus: loueifton.
— 338 —
lundouUle. ümhu. Itiisei. lurm. leijL lo. loirie. leto. /hif/ot. los, norisd. nage.
LendU erklärt sich wie Lille; Lcmiecry Antichrist, das Nyrop I 432
anführt, gehört zu rum. impàraliil.
Die übrigen behandeln wir nach begrifflichen Gruppen. Zuerst die
mit /-Vorschlag,
Fünfmal sind wir auf Körperteile gestoßen, die entweder über-
haupt oder an einem Glied des Körpers nur in einem Exem-
plar vorkommen, so: Halszäpfchen, Zahnfleisch, NabeF), Euter; große
Zehe. Sehen wir uns bei den übrigen nicht-agglutinierten, aber vo-
kalisch anlautenden Körperteilen um, so finden wir, daß sie — vom
nicht volkstümlich entwickelten estomac abgesehen — durch ihr mehr-
faches Vorkommen am Körper dem Plural mehr zuneigen als dem
Singular: so wU. oreille, épaule, aisselle, ongle, os. Einige davon weisen
auch tatsächlich eine Pluralagglutination auf, nämlich zgeux. Atlas Bl.
932, zongles Horning § 191, zos Atlas Bl. 953. Das alles kann nicht
Zufall sein, hier stimmt die Natur der Körperteile zu autfallend mit dem
Wesen der Agglutination.
Eine zweite ähnliche Gruppe bilden Dinge im Hauswesen. Jedes
Haus hat eine Eingangstür (lœck), eine Flur, einen Schuppen-, jede
Küche bat einen Wasserstein, jeder kleinere Bauer besitzt nur eine
Egge, und trägt jedenfalls nur eine „Hutte" am Rücken (daher be-
schreibend la hotte au dos). Hier allerdings wird der Boden unsicher,
man muß sich davor hüten, den Gebrauch des Wortes nach seinem
Agglutinationsschicksal zu bestimmen.
In dritter Linie seien die ganz ungewöhnlich häufigen Pflanz en-
und Tiernamen besprochen: 33 Fälle von 80, / und w Beispiele zusam-
mengenommen.-)
Hier versagt die Theorie vom „einmaligen Vorkommen" gründlich.
Sie kann höchstens für das „Einhorn" und für die „Eule" (latséran)
einigermaßen in Anspruch genommen werden. Bei den Pflanzennamen
hat oflenbar die kollektive Vorstellung bestimmend auf die Agglu-
tination" gewirkt. Wörter wie ., Gerste", ,, Sellerie", werden selten mit
dem unbestimmten Artikel oder im Plural, noch seltener mit Possessiven
gebraucht. Hierlier gehören: Epheu, Eppich (lapijoj und Stechginster,
Gerste, Selleri, Enzian; Eichel, (als Schweinefutter), Mispel, auch Gras
(herbe). Der kollektiven Deutung widerstrebt /// Eibe; und schwer
') (Tegen dieae Auslegunjr spricht nur nombril, weim aus im (Jiii/iril entstandeu.
3} Wenn Veraiutungen darüber erlaubt siud, so würde ich es in Zusamnieuhang
brintfen mit einer gewissen, allgemeinen Unsicherheit ini Gebrauch dieser dem Bauer
oft nicht sehr geläufigen Wörter, eine Unsicherheit, die auf Unkenntnis der Sache
beruht. Botanik und Zoologie sind bekanntlich gerade nicht die starken Seiten des
Landmanus.
— 339 —
verständlich sind die drei savoyischen Beereiinamen: Stachelbeere, Heidel-
beere und Himbeere, wo wir keine andere Agglutination als die mit
Plural z erwartet hätten. Wenn die etymologisch unklaren Wörter nicht
anders zu deuten sind, so muß auch hier wie bei gland kollektive
Deutung angenommen werden.
Bei den Tiernamen liegen die Dinge weniger durchsichtig als bei
den Pflanzennanien. Der Tiemame schwankt viel mehr hin und her
zwischen bestimmtem und unbestimmtem Artikel, das bestätigt eine
Gegenüberstellung der Fälle: 8 unserer Tiernamen agglutiuieren mit /,
7 mit //, einer, hérisson^ mit beiden und das in der gleichen Gegend.
Mehrere von diesen 15 Beispielen agglutinieren außerdem im Plural;
so zoies, zironde/les, zannetom (s. Atlas). Die Tiernamen mit /-Vor-
schlag sind : Einhorn und Eule, Blindschleiche und zwar bei drei ver-
schiedenen Wörtern. Goldamsel, Igel und Stockfisch. Halten wir ihnen
gegenüber die mit // - Vorschlag : Maikäfer, Schwalbe, Wespe, Reiher,
Eidechse und Igel, so sehen wir bald, daß — von Hcome, lutseran und
laherdan (Kollektivum) abgesehen — aus der Xatur der Tiere kein
Grund für das Vorwiegen des bestimmten oder des unbestimmten Ge-
brauches kann abgeleitet werden. Wir stehen hier vor einem sogenannten
„Zufall", dessen Willkür nur durch Häufung der Beispiele und durch
Vertiefung in die Santax der Wörter gemindert werden kann.
Meyer -Lübke (Zs. r. Ph. 19,5C4) möchte in solchen Fällen den
/-Vorschlag nicht als ^Artikel gefaßt wissen, sondern ihn grundsätzlich
anders erklären, z. B. durch Einfluß sinnverwandter Wörter, lierre wegen
Zier, lavier Wasserstein, wegen lavtr. Es wird schwer halten, dieses
methodische Desiderat zu erfüllen. Weist nicht die große Zahl der
Fälle auf gleichen Ursprung?
Was die übrigen /-Wörter anbelangt, die sich jeder begrifflichen
Kategorie entziehen, so leuchtet die Häufigkeitserklärung bei einem
ohne Weiteres ein, nämlich bei hoquet, man denke an die Redensarten
avoir le Iioquet , donner le hoquet à qn. jemanden in Verlegenheit
bringen, auch hoquet ist eine Art Sammelbegriff für die rasch sich
folgenden Schluckbewegungen.
Ebenso steht bei hiver und ouvra Wind (il fait du vent, le vent souffle^)
wohl öfter der bestimmte Artikel. Daß habit und anae schwanken,
das sagt uns schon die Doppelagglutination labit und nabit, lanse und
naiise.
Über die «-Wörter können wir uns erheblich kürzer fassen. Das
Bemerkenswerteste ist hier, daß in keinem der Fälle der unbestimmte
Artikel so unlösKch verwachsen erscheint, wie der bestimmte etwa bei
^) Vgl. übrigens larni.
— 340 —
lendemain, luetle oder hoquet. Zwangsagglutinationen gibt es hier nicht,
um so schwieriger ist der Häufigkeitsnachweis der /z- Verbindungen.
Unsern beiden Haupterklärungsinittehi: einmaliges Vorkommen und
Kollektivität, steht hier nichts Analoges gegenüber. Warum das eine
Dorf nanse oder nérisson, das andere aber lanse oder lérisson bevorzugt,
bleibt ein Rätsel. Bei den paar Pflanzennamen: Luzerne, Ampfer,
Linse, Ginster, darf an Verbindungen wie &est de la honnê~iizerne, c'est
de la finê^oseUle gedacht werden. Daß bei oncle, tante, œil, habit u. a.
die Possessiva den Ausschlag gaben, liegt auf der Hand-, wie sich die
w-Form allmählich ausdehnen kann, haben wir beim votre n^age der
banne femme de M. Puitspelu gesehen.
Sollen wir zum Schluß unsern gegenwärtigen Eindruck wieder-
geben, so können wir sagen, daß im Allgemeinen das Häufigkeitsprinzip
Meyer-Lübkes sich bewähren zu wollen scheint, daß aber bei der Deutung
des einzelnen Falles wir durch unsere Unkenntnis über die Verwendung
des Wortes im Satz noch gar zu oft in Verlegenheit geraten.
Une Source des „Tragiques".
Par
Charles de Roche.
11 y a vingt ans bientôt que nous possédons les œuvres complètes
d'Agrippa d'Aubigné. Leur publication, tâcbe délicate et laborieuse,
comblait une regrettable lacune. Disons — on ne l'a pas assez fait —
combien nous devons aux infatigables savants, M. M. Eu g. Réaume et
F. de Caussade, d'avoir mené à bonne fin une entreprise menacée
de difficultés qui pouvaient paraître insurmontables. Les six volumes
de leur publication, calque fidèle des manuscrits originaux, conservés
au Cbâteau de Bessinges, contiennent 1500 pages entièrement inédites.
Et l'on est heureux de pouvoir ajouter que ce n'est ni la fureur de
l'inédit, ni aucun esprit de spéculation qui les a tirées de l'ombre des
archives famiHales de M. Tronchin. Seul le noble dessein de faire la
lumière plus complète autour de celui, qui fut peut-être l'esprit le plus
intrépide et le plus vigoureux de son siècle, a présidé à ce labeur.
D'Aubigné a grandi depuis, et grandira peut-être encore, à mesure que
sa vie et son œuvre seront mieux connues et abordées sans parti pris.
M. Brunetière sans doute devait en penser autrement. Le grand critique
avait ses raisons pour frapper de son silence la mémoire d'un chef
huguenot qui avait tout fait pour affranchir la conscience d'une tradition
religieuse quelques fois séculaire, dont l'autorité suprême, reconnue et
humblement acceptée, pouvait aux yeux de lévolutionniste seule garantir
l'avenir d'une France heureuse et prospère.
La mine ouverte, M. Réaume en a lui-même tiré et réuni les
principales richesses dans cette excellente biographie qui forme aujour-
d'hui le cinquième livre de son édition.
Depuis 1892 une série d'études d'inégale valeur ont parlé de d'Au-
bigné ou de son œuvre. Parmi les plus marquantes il faut signaler
d'abord la publication des Misères, premier livre des Tragiques, faite sous
la dii-ection de M. Bédier, par quelques-uns de ses élèves. Elle est pré-
— 342 —
cédée d'une notice remarquable de la main du maître sur l'établissement
d'un texte critique des Tragiques et accompagnée des variantes et de
notes explicatives. Un autre genre d'étude fut cette appréciation délicate
du lyrisme des Tragiques que notre regretté maître M. Warnery
donna dans une de ses conférences académiques à Neucbâtel. Elle a toute
la valeur d'un jugement esthétique porté par un poète sur un autre. Ce
fut une exellente contribution aussi que le travail de M. Trénel sur
l'éJêmenl Inhlique dans l'œuvre poétique d'A. d'Auhigné. Le style biblique
du poète y est étudié de très près. Son répertoire analytique explique
plus d'un passage obscur des Tragiques dont il facilite réellement l'in-
telligence. De l'Allemagne nous est venu une thèse de doctorat sur
d'Auhif/né jjoète. M. Winker y aborde quelques problèmes chronologiques,
expose sa versification et relève la valeur des poésies religieuses dont
quelques-unes, vibrantes d'émotion sincère, sont bien au-dessus des pro-
ductions contemporaines du genre. A notre humble avis l'auteur a été
trop indulgent pour le ])oète du Piinïemps, trop sévère pour le poète des
Tragiques. Le premier n'est encore, à peu d'exceptions près, qu'un habile
imitateur de Ronsard et de Pétrarque; l'autre par contre, est foncière-
ment original. Les Tragiques donneront, comme par le passé, la véri-
table mesure de son talent. Malgré ses défauts, graves et nombreux,
ce poème reste la plus vigoureuse production poétique de son temps.
Elle gagne à mesure que d'autres œuvres du XYI'^ siècle, trop longtemps
accréditées et surfaites, se trouvent entachées de plagiats inattendus, et
ne supportent qu'en pâlissant les vives lumières des études critiques de
littérature comparée. — Dernièrement encore le savant directeur de la
Revue Chrétienne. M. Viénot, pubhait un article suggestif sur dAuliigné
hunumste. Il remarque qu'on a peu parlé en France de ce genre
d'écrivains et pourtant les humoristes n'ont pas fait défaut. Ce vigoureux
XVL siècle, rempli du bruit des armes et des haines des partis, du sang
des carnages et de lueurs sinistres, ce siècle aux contrastes violents a
connu l'humour, l'humour vrai, qui jaillit du cœur autant que du cer-
veau, qui „fleurit sur les ruines" et dont on a dit qu'il était le baiser
de la douleur et de la gaité. Et c'est précisément dans le camp des
Huguenots, qu'il a éclaté souvent avec une verve et une franchise extra-
ordinaires. Agrii)pa d'Aubigné en est un bon exemple; combien d'épi-
sodes de sa vie, combien de pages de ses romans en sont comme l'illustra-
tion vivante!
Ces publications suffiraient à montrer que Sainte- beuve se trompait
lorsqu'il croyait en 1854, (]ue bientôt «iOn aurait tout dit sur d'Auhigné^
et pour et coulre^ et alentour; on t aurait ewhrassé dans tous les setis.»
Non pas; pour la bonne raison que d'Aubigné est de ceux dont on
n'aura jamais tout dit. Pour le moment plus d'un point de sa vie reste
— H43 —
obscur, plus d'une contradiction, apparente ou réelle, subsiste, notamment
celles qui empêchent d'arrêter définitivement quelques dates importantes,
celle de sa naissance par exemple, ou celle de la première édition de
ses Trafiques. L'étrange poème à lui seul soulève quelques problèmes.
Une première question importante, abordée ailleurs déjà, est celle des
sources. Nous nous proposons d'y apporter ici une petite contribution.
On sait que la Bible, les Anciens, surtout Tacite, Sénèque, Lucain
et Juvénal, les Pères, St. Augustin et Tertullien, l'histoire ecclésiastique
et profane, ancienne et moderne, auteurs italiens et français, ont mêlé de
leurs éléments à ce grand poème. On les y retrouve tantôt mal amalgamés
dans la concision de son vers d'airain, tantôt, mais plus rarement,
intégralement refondus et admirablement coulés au moule de sa stance
avec tout l'éclat d'un métal nouveau et marqués alors de l'empreinte
indélébile du poète. D'Aubigné a beaucoup lu, et grâce à une excellente
mémoire beaucoup retenu. Les citations et les réminiscences abondent.
Mais où placer dans cette existence agitée du soldat le temps de ses
lectures? Il serait téméraire de vouloir trop affirmer; mais à deux
époques de sa vie elles durent être particulièrement fortes et fécondes,
variées et étendues: aux années de première jeunesse d'abord, de sept
à quinze ans, puisque dès cet âge il «lisait aux quatre langues», latine,
grecque, hébraïque et française, «traduisit te Crito de Platon» sous la
haute et sévère discipline de savants renommés tels que Jean Göttin,
Peregim, Jean Morel ou Mathieu Béroalde, puis aux vingt dernières
années du siècle qui furent la phase théologique de sa vie. Celle-ci
commence jDar le remords et le doute religieux, par la recherche d'une
base raisonnée aux croyances réformées et à sa foi personnelle. Il dit
dans la Vie à ses enfants:
„Mais vouant que le Parti estait attaché à la Religion, et lug à elle,
là le Diable pretiaut le temps à ceste occasion, il se resolut de fouler aux
j/teds foute préoccupation d'enseignements et de nourriture, et estudier à
hon escient aux controverses des Religions, et cerclier avidement .si en ta
la Romaine il se pourroit trouver une miete de salut. La colère le pt
eschap2)er et esclatter son desseing, qui donna envie au Sieur de Sainct-
Luc. de Lausac. d'Alas et autres ennemis Ripistes de lug enrager livres
de tous costés. Le premier qu'il entama fut Paniqarole. qu'il rejetta
comme bavard. Le second fut Campianus. duquel il admira l'éloquence:
ce n'estait pas ce qu'il cercho'd. et pourtant en le rejettant. il mit sur le
titre Declamationes au lieu de Rationes. Pais lug tomba en main ce
qu'on avoit lors de Bellarmin. Il embrassa la metthode et la force de
ce livre, et prent goust à la candeur apparante de laquelle tes lieux ad-
versaires sont cités par cest autheur: il espère avoir trouvé ce qu'il cliercltoit.
S' estant pourtant mis à une curieuse analgse. avec le secours de Witaker
— 344 —
et de Sihrand Lu her t. il fi' affermit jilus que jeimais en m Religio?!, et
respondit à ceux qui s'enqueroyeni du fruict de sa lecture et de son des-
seine/. qu'il l'aroit destruict jxir son labeur, pour ce qu'il mettoit les genoux
à terre auparavant.'^ (O. C. L p. 58 et 59.)
L'année 1589 marque la première étape clans cette évolution.
Après quinze ans de service dévoué, le fier Huguenot se retire de la
cour en son château de Maillezais. «Cette retraite fut le premier repos
qu'il eust essayé depuis Taage de quinze ans jusque à trente-sept, ou
environ, quHI- avoit alors:, pouvant dire avec vérité que, liormis les
temps des maladies et des blessures, il ne s'estoit point veu quatre jours
de suite sans courvee.« Après un second retour, suivi d'un second
départ de la cour, nous trouvons d'Aubigné préoccupé des intérêts
religieux et politiques de son parti. C'est le temps des controverses,
des pamphlets et des discussions. Il prend part active et toujours au
rang des premiers orateurs, aux synodes, assemblées, colloques ou autres
réunions des réformés. Quinze jours après l'échec de Duplessis-Mornay
contre l'éloquent Du Perron (mai 1600), notre capitaine n'hésite pas
d'affronter ce redoutable adversaire pour relever la cause compromise
des protestants. On sait que l'issue de cette joute oratoire fut toute
à son honneur. Non seulement il avait fort irrévéremraent fait transpirer
le grand Convertisseur, mais il avait écrit, ce qui plus est, son
dissidiis patrum, auquel on avait promis une réponse qui ne vint
jamais. Peu de temps après, le père Cottin essuya à son tour l'âpreté
de sa théologie et de sa dialectique. Cette activité du controversiste
présuppose des temps d'études et des lectures étendues. Les lettres de
cette époque en ont conservé les traces. L'une d'elles, bien que sen-
siblement postérieure, me semble particulièrement significative. Elle est de
1616 et adressée à Simon Goulard, ministre protestant à Genève.
(O. C. I p. 472.)
j, Vous avez, y dit-il, effacé et coi'rigé ma pet'ite glo'ire. en me faisant
rostre ingrat, lorsque de si hing parmy les fempestes de tant d'affains.
vous avez daigné savoir qui j'estais, que je faisais, et parmy mes labeurs
d'enfant fan prix des vôtres) mettre de l'huyk en nui lampe par vos pre-
.S77//.S. Lorsqui la publigue di.^pute que j'eus avec le Cardinal du l\rron
me laissa a pr(uirer les disciwds des Peres en mattiere de la />>//. vous m'en-
voyastes un Mutan. et rostre papa non papa, par l'a y de desquels princi-
palement je fournis à nui promesse, de laquelle Henri IV estait en quelque
façon fidcjusteur. et en l'autre exacteur. Votre soin m'estonna en bien-
faisant: si ji' ne /mis soufrir que la pose fmcte pour respirer (sur l'ohli-
f/ation (/ni ji nw sens a vous) me rende criminel fit Huibly.^ Et plus
loin: .// (i/iisy a j irez avoir mugueté les sciences rfiambrit rfs. j'ay trouvé
(ju'ilhs (sloipiil menteresses ou impuissantis di im ronh nirr. /nais que le
— 345 —
/vy^o.s, crdii salaire des /a/jciirs. (sht'tl dans h m/ron ih Sarra. (/aata/
inesmes il n'y auroil en la Theologie autre frnicl f/ar di sajn''irois<-r n la
mort. De telle estude sont eschappez quelques livrets anonimes ou im-
primez soubs d^ autres noms, et dernieranenl les Trar/iques que /e vous
envoyerois, si je ne savais bien qu'ils ont passé jusqu'à vous., et par là
eu moyen de vous ennuyer., si ce n'est qu'en la bonté que vous m'avez
fait pai'oislre, et en l'amour d'un hon dessein mal exseeuté, vous n'avez
pas voulu iirere, secare''. Ce qui frappe c'est de voir d'Aubigné dé-
signer ses Tragiques comme un fruit de ses lectures. Le nom du
destinataire de la lettre a son importance aussi. Goulard a publié comme
auteur, traducteur ou simple éditeur un grand nombre d'ouvrages ayant
trait la plupart à l'histoire de la Réforme. Son nom reste attaché à
l'histoire des persécutés protestants de France et de l'étranger. Sur ce
point il eut comme prédécesseur le savant imprimeur Jean Crespin,
qui, né à Arras en Artois, s'était établi à Genève vers 1550, où il mourut
en 1572. Ce réfugié avait publié en 1556 un „/fecwe// de plusieurs
personnes qui ont constamment enduré la mort pour le nom
du Seigneur, depuis J. Wicliff jusques au temps présent, avec
une troisième partie contenant autres excelles personnages
puis nagueres exécutés, pour une même confession du nom de
Dieu'\ Après avoir été remanié et augmenté ce livre devint le grand
volume infolio qui porte le titre: Histoire des martyrs, ou histoire
des vrais témoins de la vérité de l' Evangile Cavec V ancre de
Jean Crespin). Genève iolO. Après sa mort, S. Goulart continua
cette œuvre dont on vit successivement paraître cinq éditions nouvelles.
La dernière est de 1619; elle comprend douze livres, et va jusqu'à l'année
1610. Richement documenté ce martyrologe se prêtait admirablement
aux ^^réparations apologétiques d'un pamphlétaire et controversiste. D'x\u-
bigné doit l'avoir lu et relu, peut-être en avait-il fait, après la Bible, son
livre de chevet. La preuve c'est ce quatrième et sixième chant des
Tragiques qui en sont le puissant et vibrant écho.
En effet, les deux livres, Feux et Vengeances, dont le premier
„est tout entier au sentiment de la religion de l'autheur'', et
l'autre ^théologien et hislorial'', remontent directement à l'ouvrage
de Crespin. Non seulement la plus grande partie des épisodes et
exemples cités par d'Aubigné s'y retrouvent, mais l'idée génératrice
même du sixième livre a dû surgir à la lecture de cet ouvrage. Il
suffit pour s'en convaincre de lire les premières pages du premier livre
sur les Persécutions de l'Eglise primitive et les Jugemens de Dieu sur
les persécuteurs de l'Eglise.^) Sans doute les connaissances du futur
1) Les renvois qu'on trouve dans rédition Lalanne des Tragiques ne son*^ pas
assez complets pour donner une idée de ce que d'Aubigné doit à Crespin.
— 346 —
historien dépassent le cadre de \\,Histoire des martyrs'-'- qu'il a sous
les 3' eux; et plus d'une fois les faits contemporains dont il a été témoin
oculaire revivent en sa mémoire. Alors les souvenirs personnels s'éveillent,
le hantent et viennent se mêler et s'ajouter au récit de la chronique.
Maint exemple me cerche, et je ne cerche pas.
( Vengeances v. 921.)
Ou plus loin:
Xos yeux mesmes ont veu, en ces derniers orages,
(Vengeances v. 951)
Au souvenir des amitiés lointaines le soldat s'attendrit et trouve
des accents touchants:
Nostre grand Beroalde a veu, docte Gastine,
Avant de mourir, ces traicts fruicts de sa discipline;
Ton privé compagnon d'escholles et de jeux
L'escrit: le fasse Dieu ton compagnon de feux!
[Les Feux v. 981.)
Toutefois les retours de ce genre sont clairsemés; pour l'ensemble,
il s'en tient à sa source. Sans s'y perdre un instant, il en dispose
en maître et en artiste, pour la faire servir à ses intentions. A la
prose pastorale et incolore de son modèle il substitue la langue du soldat-
poète. Dans les soubresauts des emportements éclate la véhémence de
son tempérament fougueux, à travers les éhms de la foi, qui va jusqu'à
l'extase, on sent l'ardeur de son imagination exaltée. A pareil contact la
phrase périodique, sobre et terne de la chronique se fond, se ramasse,
se corse, se condense en vers d'une concision telle que souvent ils en
deviennent obscurs. Parmi les données de l'histoire il va d'instinct aux
extrêmes, aux antithèses et aux contrastes violents; il fond, s'il en a le
choix, sur le détail frappant, même hideux, sur le trait qui peint, le mot
qui porte, sur l'image saisissante qui fait frémir, cherchant avant tout à
esînoum'tr son lecteur, ce qui pouvait alors paraître le but le plus élevé
de l'art d'écrire.
LES FEUX — VENGEANCES.
HISTOIRE DES MARTYRS, PERSECUTEZ ET
MIS A MORT POUR LA VERITE DE L'EVAN-
GILE, DEPUIS LE TEMPS DES APOSTRES
JUSQUES A LAN 1597 PAR JEAN CRESPIN.
348
Les Feux.
V. 53-56. Ames dessous P autel victime des idolles,
p. 151. Je preste à voz courroux le fiel de mes paroUes,
En attendant le jour que VAnge délivrant
Vous aille les portaux du Paradis ouvrant.
V. 59 — 72. Vieillards, de qui le poil a donné lustre au sang,
p. 151. Et de qui le sang fut décoré du poil blanc:
Hus, Hyerosme de Prague, images bien cognuës
Des tesmoings que Sodome a traîné par les rues,
Couronnez de papier, de gloire couronnez
Par le siege qui a d'or mitrez et ornez
Ceux qui n'estoient pasteurs quen papier et en tiltres,
Et aux Evesques d'or faict de papier les mitres.
Leurs cendres qu'on jetta au vent, en l'air, en Veau
Profitèrent bien plus que le puant monceau
Des charongnes des Grands, que morts on emprisonyie
Dans un marbr'' ouvragé: le vent leger nous donne
De ces graiyies partout; l'air presqu'en toute part
Les esparpille, et l'eau à ses bords les départ.
V. 73—76. Les pauvres de Lyon avoient mis leur semence
p. 151. Sur les peuples d'Alby; l'invincible constance
Des Albigeois, frappez de deux cent mille morts,
S'espandit par l'Europe et en peupla ses bords.
841)
Histoire des martyrs, persécutez et mis à mort pour la
vérité de l'Evang-ile, depuis le temps des Apostres jusques
à l'an 1597 par Jean Crespin.
Frontispice: Apoca/j/psie VI. ver. IX. et X.
Je vy SONS l'diitel /es (iihch de ceux qui auaient esté tuez pour
la parole de Dieu, et pour le tesmoignage qu'ils maintenoyent.
Et elles cricyent à haute voix, disaiis, iusques à quand, Seigneur
sainct et véritable, ne iuges-tu, et ne venges-tu nostre sang
de ceux qui habitent en la terre?
livre 2. fol. 50a — 66b. Jean Hus, Bohémien.
fol. 67a — 70b. Hierome de Prague, Bohémien,
fol. 61b— 62a. On auoit fait faire une couronne de papier,
environ de la hauteur d'une coudée: en laquelle on avoit peint
trois diables horribles, et escrit un titre en grosse lettre, as-
savoir ce mot, Heresiarcha, qui signifie prince ou maistre des
hérétiques
11 }■ avoit là un certain prestre a cheval, vestu d'une robe
verte, Et ainsi qu'il prioit, il leva les yeux au ciel, et
ployant le col, il fit tomber de sa teste ceste belle couronne
de papier qu'on lui avoit mise .... Ils firent diligence à re-
cueillir les cendres, et les ieterent dedans le Rhin, afin qu'il
ne restast rien de cest homme sur la terre, tant petit que
ce fust.
fol. 69 a. Apres que la sentence eut esté ainsi prononcée
presque en ceste façon, on apporta à Hierome une couronne
de papier où il y avoit des diables peints à l'entour ....
Cependant on apporta son iict et tout le reste de son meuble
de la prison, et on ietta le tout dedans le feu: et quand tout
fut consumé, on ietta les cendres dedans le Rhin.
livre 3. fol. 133b. Au Lyonnois, après leur premier nom de Vaudois,
qu'ils ont eu d'un nommé Pierre Valdo. on les a appelez
Poires de Lyon.
— 350 —
Les Feux.
V. 85 — 90. Ainsy la vérité, far ces mains desvoilee,
p. 151. Dans le Septentrion estetidit sa volée;
Dieu ouvrit sa prison et en donna la clef,
La clef de liberté, à ce vieillard Wiclef:
De lui] fut l'ouverture aux testnoings d' Angleterre,
Encor plus honorée en martyre qu'en guerre.
V. 91—96. Là on vid un Bain an, qui de ses bras pressoit
p. 152. Les fagots emhrazez, qui mourant emhr assoit
Les outils de sa mort, instruments de sa gloire,
Baisant victorieux les armes de victoire.
D'un céleste brasier ce chaud brasier esmeu
Een^amma ces fagots par la bouche de feu.
V. 97 — 100. Frich après l'imita, quand sa main clesliee
p. 152. Fut au secours du feu ; il prit une poignée
De bois et la baisa, tant luy semblèrent beaux
Ces eschellons du Ciel comni' ornements nouveaux.
V. 101 — 104. Puis l Eglise accoucha comme d'une ventrée
p. 152. De Thorb, de Beiverland, de V invaincu S autre e,
Les uns doctes prescheurs, les autres Chevaliers,
Tous à droict couronnés de célestes lauriers.
V. 105—124. Bien que trop de hauteur esbranlast ton courage,
p. 152. {Comme les monts plus hauts souffrent le plus d'orage),
Ta fin pourtant me faict en ce lieu te nommer,
Excellent Conseiller et grand Primat Kr ammer;
Pour ta condition plus haute et plus aimable,
La vie te fut douce et la mort détestable.
V. 119. Mais ceux de qui la vie a passé comme un jeu,
p. 152. Ces cœurs ne sont point cœurs à digérer le feu :
851 —
Crépin.
livre 2. fol. 30— 42b. Jean Wicleff.
Il nous faut poursuivre et commencer ce deuxième livre à
Jean Wicleff, Anglois de nation, où l'on verra..:
livre 2. fol. i^H. George Baynam, Anglois.
Au demeurant, G. B., se monstra fort patient et constant au
milieu des flammes ardentes: voire en telle sorte, qu'ayant
pris des fagots entre ses bras, il sembloit qu'il embrassast la
mort. Et sans changer de face, adressa sa parole au peuple,
ayant toujours les yeux fichez sur lui : exhortant tous de
persévérer constamment en la foy, jusqu'à ce que la flamme
luy eust osté la parole et l'haleine, et lui eust fait fondre le
cerveau et pour quelque temps il reprima l'ardeur,
tellement (|u'il recouvra encore quelque peu de voix, et eut
moyen de parler derechef au peuple, iusqu'à ce qu'il eust
perdu toute vigueur et force du corps.
livre 2. fol. lOOb- 104. le an F rit h, de Londres, hommes de lettres.
. . . après qu'on eut ietté sur lui les flambeaux de paille pour
allumer le feu, il print de ses deux bras quelques fagots qui
estoyent là monstrant ouvertement qu'il n'avoit point regret
d'exposer son corps aux flammes pour une cause si iuste,
qui
livre 2. fol. 42b. Guillaume Sautree, Anglois.
fol. 42b— 49b. Guillaume Thorp, Anglois.
fol. 49b — 50. M. Jean Beverlav, annonciateur de la parole
de Dieu.
livre 6. fol. 378 — 383b. Thomas Cranmer, Primat d'Angleterre,
fol. 381. dedict de Cranmer: Le Th. C. reiette et renonce
à toute rheresie de Luther et de Zwingle, ensemble à toute
doctrine contraire à la pure et sainte doctrine. Outre je
confesse et croy fermement une sainte Eglise Catholique, hors
laquelle il n'y a salut aucun: etc.
La misère et affliction de C.
La grande tristesse de C. représentée extérieurement. Oraison
— 352 —
i»es F'eux.
C'est pourquoi/ de ces grcmds les noms dedans ce temple
Ne sont pour leur grandeur, mais pour un rare exemple,
Bare exemple de Dieu, quand par le chaz estroict
D'un' esguille il enßle un cable qui va droid.
V. 125 — 134. Poursuivons les Anglois qui de succez estranges
p. 153. Ont fait nommer leur terre à bon droict terre d'Anges:
Tu as ici ton rang, o invincible Haux,
Qui pour avoir promis de tenir les bras hauts
Dans le millieu du feu, si du feu la puissance
Faisoit place à ton zèle et à ta souvenance :
Sa face estait bruslee, et les cordes des bras
En cendres et charbons estoient cheutes en bas,
Quand Haux, en octroiant aux frères leur requeste,
Des os qui furent bras fit couronne à sa teste.
F. 135—146. 0 quels cceurs tu engendres! o quels cœurs tu nourris,
p. 153. Isle sainte qui eus pour nourrisson Nor ris!
On dit que le Chrestien qui à gloire chemine
Va le sentier estroict qui est jonché d'espine:
Cettuy-ci, sans figure, a, pieds nus, cheminé
De Vhuis de sa prison au supplice ordonné:
Sur ces tappis aigus ainsi jusqu'à sa place
A ceux qui la suivront il a rougi la trace,
Vraie trace du ciel, beau tappis, beau chemin,
A qui veut emporter la couronne à la fin :
— 353 —
Crépin.
de C: . . Finalement que ceux qui s'enrichissent selon le
monde, et qui abondent en biens, se proposent diligemment
devant les yeux ces mots de Jesus Christ, Qu'il est bien diffi-
cile que te riche entre j am ain au royaiune des deux.
livre 5. fol. 80(3 — 310b. Thomas Haux, Anglois.
. . . De ses propos et de sa constance, ils (ses compagnons)
eurent grande consolation et assistance, neantmoins espouvantez
de l'appréhension de l'horreur de la mort et du tourment
du feu qui leur estoit appresté le prièrent d'autant qu'il les
devoit précéder, qu'au milieu des flammes, s'il estoit pos-
sible, il leur fist quelque signe, par lequel ils fussent mieux
acertenez, s'il y avoit si grand tourment en ce genre de sup-
plice, qu'on ne pust retenir memoire et constance en icelui.
Ce que ce bon ieune homme promit de faire si avant qu'il
pourroit pour l'amour d'eux et voici le signe qu'ils eurent
entre eux : Si la force et la violence de la flamme estoit into-
lérable, qu'il demeurast paisible sans se bouger: mais si elle
estoit tolerable, et pour estre endurée facilement, qu'il eslevast
les mains en haut par dessus la teste avant qu'il rendist
l'esprit.
Apres qu'ils eurent ainsi conclu entre eux, et confermé leurs
cœurs par mutuelles exhortations, l'heure du martyre estant
IJrochaine, les bourreaux prindrent Haux, et l'attachèrent au
posteau estroitement avec une grosse chaine de fer à l'en-
tour de son corps .... le feu fut mis au bois : , . ., ayant
desia la bouche retroite de la violence du feu. la peau toute
grillée, et les doigts bruslez, ainsi que tous attendoyent qu'il
deust alors rendre l'esprit, se souvenant de la promesse qu'il
avoit faite, il esleva les mains l'une contre l'autre.
livre 2. fol. 82 b. Ci7iq fidèles, exécutez à mort en Angleterre.
Cinq hommes de Xorthfolch furent mis à mort pour la con-
fession de l'Evangile. Le premier Thomas Norys, fut bruslé
à Norwic, l'an M. D. VII, Quelque temps après, assavoir,
l'an M. D. X. un prestre nommé Thomas fut dégradé en
une petite ville appellee Erkek, et depuis a esté bruslé à
Norwic. Il est escrit de lui, que cependant qu'il estoit encore
en prison, il se desdit à la persuasion et sollicitation deg
autres, mais il se repentit et a cause de ceste repentance fut
2.^
- 354 —
ires Feux.
Les pieds deviennent cœur, Vame du Ciel apprise
Faid mespriser les sans, quand le Ciel les mesprise.
V. 147 — 206. Dieu vid etc.
/;. irys.
De deux cœurs plus que d'homme, en sexe de femelle,
Deux cœurs Chrestiens Anrjlois, — — — —
L'une croupit long temps en la prison obscure.
Contre les durs tourments elle fut la plus dure :
Elle fit honte au Diable et aux noires prisons:
Elle alloit appuiant d'exemple et de raisons
Les esprits défaillants ; nul incenteur ne treuve
Xul tourment qui ne soit surmonté par Askeuve.
Quand la longueur du temps, la laide obscurité
Des cachots eut en vain sondé sa fermeté,
On présente à ses yeux V espouventable géhenne,
Et elle avoit pitié, en souffrant, de la peine
De ces faux justiciers, qui aiant essayé
Sur son corps délicat leur courroux desploié.
Elle se teut, et lors furent bien entendues,
Au lieu d'elle, crier les cordes trop tendues.
Achevé tout l'effort de tout leur appareil,
Xon pas troublé d'un pleur le lustre de son œil,
Oeil qui fiché au Ciel, au tourment qui la tuë
Xe jette un seul regard pour esloigner sa venë
D'un seul bien qu'elle croit, quelle aspire et prétend,
Le juge se despite, et luy mesme retend
La corde à double nœud, il met à part sa robbe;
L'inquisiteur le suit; la passion desrobbe
La pitié de leurs yeux; ils viennent remonter
La géhenne, tourmentez en voulant tourmenter ;
Ils dissipent les os, les tendons et les veines.
Mais ils ne touchent point à Vame par les geines :
La foy demeure ferme, et le secours de Dieu
Mit les tourments à part, le corps en autre lieu. .
Sa plainte seulement encor ne fut ouïe,
Hors l'aine toute force en elle esvanouïe.
Le corps fut emporté des prisons comme mort :
Les membres deff aillants, l'esprit devint plus fort.
Du lict elle instruisit et consola ses frères
Du discours animé de ses douces misères;
La vie la reprit, et la prison aussy ;
Elu acheva le tout, car aussy tod voicy.
— 355 —
Crépin.
condamné à marcher sur des espinos et chausse-trapes en
allant au feu, qui lui estoit appresté pour le dernier supplice.
livre 4. fol. 171b — 176b. Anne Askeve, damoiselle Angloise.
Quels tourments ceste vertueuse femme endura au sortir de
la prison de Nevvgat: , ils me donnèrent la torture,
atin que par tourment ils tirassent de ma bouche ce qu'ils
n'avoient peu par interrogations. Et qu'ils m'eurent long
temps tenue en la géhenne, voyans qu'en ces tourments, ie ne
disoy, pas un seul mot, mesme ne bougeoy' le corps, monsieur
le Chancelier et monsieur Rych furent plus despitez que
paravant, et tout soudain despouillerent leurs robes et eux
mesmes prindrent les engins de la torture, pour faire oftice de
bourreaux : et usèrent d'une telle violence que presque ils
me brisèrent les membres, et ne s'en fallut gueres que je ne
mourusse entre leurs mains. Le gouverneur de la tour
apercevant cela fut d'avis que je fusse ostee de ceste gé-
henne. Quand ils m'en eurent retirée le cœur me faillit, et
je n'avoy' plus de force en mes membres: lors ils m'appli-
quèrent des fomentations et me firent aucunement retourner
les forces et la vie.
Je demeuray couchée par terre l'espace de deux heures,
tandis que Monsieur le Chancelier m' exhortoit par paroles douces
de renoncer à mes opinions, et que j'accordasse à leurs décrets.
Mais mon Seigneur et bon Dieu m'arma d'une telle constance,
que je n'abandonnay jamais la confession pure de son
Evangile: et
Apres qu'on m'eust ainsi torturée je fus menée en une petite
maison, où l'on me mit dedans un lict. Là je senti des dou-
leurs extremes par tous les membres de mon corps, mais . . .
Le Chancelier m'envoya dire par un messager, que si je vou-
loye quitter mes opinions et erreurs, je n'auroy' faute de rien:
autrement je seroy remenee en prison obscure: et de là au
supplice pour estre bruslee. Je lui manday ceste réponse par
le mesme messager, qu'il n'y avoit si horrible ne si cruelle
mort, que je n'aimasse mieux endurer autant qu'on vou-
droit, que de renoncer une seule fois à la foy donnée à la
vraye religion
Supplice et tin d'A. A.
356
Ues Feux.
Pour du faux justicier couronner l'injustice,
De gloire le Martyr, on dresse le supplice.
Quatre Martyrs trembloie-nt au nom mesme du feu.
Elle leur départit des présents de son Dieu,
Avec son ame encor elle mena ces âmes
Pour du feu de sa foy vaincre les autres flammes.
„Où est ton aiguillon '^ ow est ce grand effort ?
0 Mort ! où est ton bras (disoit-elle à la Mort) ?
Où est ton front hideux, de quoy tu espouvantes
Les hures des sangliers, les bestes ravissantes ?
Mais c'est ta gloire, o Dieu, il n'y a rien de fort
Que toy, qui sçais tuer la peine avec la mort :
Voicy les yeux ouverts, voicy son beau visage ;
Frères, ne tremblez pas; courage, amis, courage!"
(Elle disait ainsyj et le feu violent
Ne hrusloit pas encor son cœur en la bruslant ;
Il court par ses costez, enfin leger il rolle
Porter dedans le Ciel et Vame et la parolle.
V. 207 — 280. Or l'autre, avec sa foy, garda aussi le rang
p. 155. D'un esprit tout Royal, comme Boyal le sang.
Prisonnière ça bas, mais Princesse là haut,
Elle changea son throne empour un eschaffaut,
Sa chaire de parade en l'infime sellette,
Son carosse pompeux eti l'infâme charette.
Ses perles d'Orient, ses brassards esmaillez
En cordeaux renouez et en fers tous rouillez.
Le peuple gémissant portoit part de sa peine,
En voiant, demi-mort, mourir sa jeune Royne,
Qui dessus l'eschaffaut se voiant seulement
Ses gands et son livret pour faire testament,
Elle arrache ses mains maigres et menues
Des cordes avec peine, et de ses deux mains nues
Fit présent de ses gands à sa Dame d'atour,
Puis donna son livret aux gardes de la tour,
Avec ces mots escrits : „Si Vame deschar gee
Du fardeau de la terre, au ciel demi changée,
Prononce vérité — — — — —
v. 243. Hay ton corps pour l'aimer, apprens à le nourrir
De façon que pour vivre il soit prest de mourir
— 357 —
Crépin.
Jean Lacels, Jean Adlam, et Nicolas Deleniam
Anglois.
(jtn tro}^ /io/n»if.s furent esineus et e/f'raf/ez nii comlKif. iiinis
vof/ans ht conttfancc d'une feninw (/ut lefi nroitipat/noi/ nu
mppUct. veceuretil telle consolation t/ue la mort m leur fui
rien.
Il leur print bien d'estre avec Anne Askeve, car iaçoit qu'ils
fussent hommes douez de grans dons, neantmoins l'exemple
d'icelle et ses prières leur firent avoir meilleur courage. Ils
eurent matière de plus grande consolation en ceste espèce de
mort si horrible, non seulement de ce qu'ils voyoyent sa con-
stance invincible : mais aussi pour ce qu'ils furent exhortez
par elle, ce qui leur osta toute frayeur.
livre 5. fol. 255 — 257b. leane Graye, tille du duc de Suffolc.
Entre foutes les femmes (l'Angleteri-e . . . reste Jane (le Suffolc
se trouvera avoir esté la perle: non seulement pour les dons et
grâces singulières (pi'elle a voit, tnais sur tout pour sa constance
admirable que Dieu lui a donnée, de tnaintenir etc.
Cela fait elle se leva sur ses pieds et bailla ses gands et mouchoir
à Dame Tylnée sa servante, le livre au seigneur Bruge, ... :
puis se voulant despouiller commença à destacher première-
ment sa grand' robe. Là le bourreau acourut pour lui aider :
mais elle le pria de la laisser un peu et se tournant vers
deux sienes nobles servantes se laissa desvestir par icelles.
Et après qu'elles lui eurent osté ses ornemens et son atour
de teste lui baillèrent le bandeau en la main, dont elle se
devoit fermer les yeux. Sur cela le bourreau se mettant à genoux,
lui requit humblement lui vouloir pardonner le
bourreau ayant desgainé, lui coupa la teste l'an du Seigneur
M. D. L.IV.
Les paroles dites pctr ceste noble Dame quand on la menait au
supplice
358 —
Les Feux.
Toujours reigle à la fin de ton vivre le courn,
Chacun de tes jours tende au dernier de tes Jours.
De qui veut viwe au Ciel Vaise soit la souffrance
Et le Jour de la mort celuy de la naissance.^''
Achevant ces présents, l'exécuteur vilain,
Pour la Joindre au posteau voulut prendre sa main
Eir eut horreur de rompre encore la modestie
Qui jusqu'au beau mourir orna sa belle vie ;
Elle appréhenda moins la mort et le couteau
Que le salle toucher d'un infame bourreau :
Elle appelle au secours ses pasles Damoyselles
Pour descouvrir son col; ces fillettes novelles
Au funeste mestie)', ces juteux instruments
Sentirent jusqu'au vif leur part de ses tourments.
V. 274. Les mains qui la paroient la parèrent encore :
V. 278. La lame du bourreau de son sang fut mouillée :
V. 281—290. Le ferme doigt de Dieu tint celug de Bilnee,
p. 157. Qui à sa pemdtiesme et craintive Journée,
Voidut prouver au soir s'il estoit assez fort
Pour etidurer le feu instrument de la mort.
Le geolie^-, sur le soir, en visitaut le treuve
Faisant de la chandelle et du doigt son espreuve:
Ce feu lent et petit, d'indicible douleur,
A la première fois luy affoiblit le cœur.
Mais après il souffrit brusler à la chandelle
La peau, la chair, les nerfs, les os et la moelle.
291 — 318. Le vaillant Gardiner me contraint cette fois
158. D'animer — — — —
Tout son sang escuma, luy reprochant son ayse
En souffrant adorer Vidolle Portugaise.
Au magnificque apprest des nopces d'un grand Roy,
La loy de Dieu luy fit mettre aux pieds toute loy,
Toute crainte et respect, les tourments et sa vie.
Et puis il mit aux pieds et Vidolle et l'hostie
Du Cardinal sacrant : là, entre mille fers.
Il desdaigna le front des portes des Enfers :
— 859 —
Crépin.
Vi comme si tu devois mourir journellement. Mœurs en
telle sorte que tousjours tu vives sans jamais mourir. Que
la fragile fiance de la vie incertaine jamais ne t'abuse.
livre 2. fol. 98. Thomas Bilnee, . .
On dit ceci, que le jour devant que B. eut esté envoyé au
feu, passant la nuict en prières, ainsi que sa garde dormoit
il mit son doigt en la flamme de la chandelle, pour essayer
s'il pourroit endurer la violence du feu ; mais aussi tost qu'il
eut approché son doigt (comme la chair resistoit) il le retira,
et commença à reprendre sa chair disant, comment? tu ne
peux endurer la brusleure d'un de tes membres, et comment
pourras-tu endurer la brusleure de tout ton corps ? Et quant
et quant mit derechef son doigt en la flamme de la chandelle
et endura la douleur du feu.
livre 4. fol. 199b — 201. Guillaume Gardiner, en Portugal.
L'excellence de ce martyr. Nopces du Eoy et Eoyne de
Portugal. Gardiner ne peut souffrir d'idolâtrie du Roy et
de la Cour Finalement le Cardinal vint à l'endroit
de la Messe, auquel tenant l'oublie en l'une des mains et la
remuant sur la platine la contournoit d'un costé et d'autre.
Là Gardiner ne pouvant plus souffrir si grande impieté,
s'adressa promptement vers le Cardinal; et (qui est la cause
presque incroyable) en la présence et veuë du Roy et de
360 —
Les Feux.
Il vainquit en souffrant les peines les plus dures,
Les serfs des questions il lassa de tortures :
Contre sa fermeté reboucha le tourment,
Le fer contre son cœur d'un ferme diamant ;
Il avalla trois fois la ser'viette satiglante :
Les yeux qui le voioient souffraient peine evidente.
Il beut plus qu'en humain les inhumanités,
Et les supplices lents finement inventez;
On le traine au supplice, on couppe sa main dextre,
Il la porte en la bouche avecque sa senestre,
La baise; l'autre poing luy est couppé soudain,
Il met la bouche à bas et baise l'autre main :
Alors il est guindé d'une haute poulie,
De cent nœuds à cent fois son ame se deslie:
On brusle ses deux pieds, tant quïl eut le sentir,
On cherche sans trouver en luij le repentir.
La mort à petit feu lui oste son escorce,
Et lui à petit feu oste à la mort la force.
V. 330 — 346. Dieu poursuivit Satan, et luy fit guerre ouverte
p. 159. Jusqu'en V Amérique, où ces peuples nouveaux
Ont esté spectateurs des faits de nos bourreaux.
Leurs flots ont sceu noier, ont servi de supplices,
Et leurs rochers hautains prestes leurs précipices.
Ce ti'est en vain cpue Dieu desploia ses thresors
Des bestes du Brésil aux solitaires bords,
V. 3.57—376. Venot, qucdre ans lié, fut en fin six sepmaines
p. 159. En deux vaisseaux poinctus, continuelles geinnes ;
Ses deux pieds contremont avoient ploie leurs os;
En si rude posture il trouva du repos.
On vouloit desrober au public et aux veuës
Une si claire mort, mais Dieu trouva les grues
Et les tesmoings d'irus. Il demandait à Dieu
Qu'au bout de tant de maux il peust au beau millieu
Des peuples l'anoncer, — — — — — — —
Dieu l'ouït, l'exauça, et sa peine cachée
X'eust peu jamais trouver heure mieux recerchee :
Il fut la belle entrée et spectacle d'un Boy,
Aiant Paris entier spectateur de sa foy.
— 361 —
Crépin.
toute la noblesse de tous les Estats, arracha d'une main le
dieu de paste, et marcha soudain dessus: de l'autre il renversa
sa platine. Cela estonna tellement toute rasseml)lee de prime
face que le peuple ....
La (jehenne de fa serviette usitée en Portugal: Or non contens
encores des remonstrances qu'il leur avoit tenues, au défaut
des lettres — — , ils adiousterent encores une nouvelle
manière de torture, de laquelle on o'avoit gueres auparavant
oui parler et laquelle passe la cruauté des autres tourmens.
Ils firent coudre un linge quasi en rondeur, et le luv four-
rèrent dedans le gosier, puis le firent distiler eu l'estomach,
estant attaché par le dernier bout avec une petite corde
qu'ils tenoyent en la main, puis le retiroyeut: ce qu'ils con-
tinuèrent par plusieurs fois, pour le faire plus languir, et pour
lui arracher et ulcérer les parties intérieures. Or estant les
bourreaux faschez des tortures et cruautez desquelles ils
avoyent inhumainement martirizé ce sainct personnage,
livre 7. fol. 399 b — 404 b. Dieu recueille une église au pays du Brésil,
partie de l'Amérique Australe, —
livre 4. fol. 185b. M. Florent Venot.
La constance de F. V., — — , est digne de memoire, car
elle a esté mesme en estonnement aux plus grands adversaires
de la vérité. Il n'y a espèce de tourment qu'il n'ait enduré
l'espace de quatre ans et neuf jours, qu'il fut destenu pri-
sonnier en la ville de Paris. Entre autres tourmens de la
prison, il fut environ six sepmaines en un lieu où il ne se
pouvoit coucher ni estre debout sinon sur le bout des pieds
le corps estant courbé. Geste espèce de tourment est appelée
par les maistres inventeurs de ce tourment »la chausse ou
hotine à l'hippocras^ pour la figure qui est au bas estroite,
et grosse en eslargissant. Il n'y a eu criminels au rapport
d'eux-mesmes, qui ait peu endurer ce tourment quinze jours
862 —
JLes Feux.
r. 384 — 3i>0. Il esveilla celw/ sont les discours s^i beaux
p. 160. Donnèrent cœur aux cœurs des quatorze de M eaux,
Qui (en voiant passer la charrette enchainee
En qui la saincte trouppe à la mort fut mejiee)
Quitta là son mestier, vint les voir, s^enquerir,
Puis instruit de leur droid les voidut secourir,
Se fit leur compagnon et en fin il se jette.
Pour mourir avec eux, lu>/ mesme en la charrette.
V. 427 — 4i')4. Les Lyonnais aussi résistèrent à Dieu,
p. lf)2. Lors que deux frères saincts se rirent au miUieu
Des feux estiucellans, — — — — — — — —
- 363 -
Crépin.
au plus sans estre en danger de mort, ou de transport par
rage et aliénation de sens. — — — —
Vous prétendez par longs touriuens débiliter la force de
l'esprit, ou de me faire mourir en la prison: mais vous y
perdez temps, car j'espère que Dieu me fera la grâce de
persévérer jusque à la fin et de bénir son sainct Nom en
ma mort. Quelque temps après il eut heureuse issue de son
souhait voire en ceste saison fort convenable pour manifester
aux plus braves de la Cour de France, que la vérité de
l'Evangile est plus forte et puissante que — — — — — .
En ces pompes et festins solennels ordonnez par le Roy,
après son entrée en la ville de Paris, — — — — — .fut
produit pour estre sacrifié. Et pour lui faire plus grand
opprobre, ou pour l'intimider on le fit spectateur de la mort
des autres martyrs du Seigneur, qui ce jour-là endurèrent
la mort en divers lieux en la dite ville de Paris. Et com-
bien que ce personnage eust la langue coupée: neantmoins
Il fut donc exécuté le dernier estant fort travaillé de corps:
et fut bruslé vif en la place Maubert environ les 2 heures après
midi le neufieme de juillet du dit an 1549.
livre 4. fol. 170— 172b. De ceux de la tille de Meaiix: et de
quatorze martyrs exécutez en icelle. Cependant avint un
acte notable par une grande providence de Dieu, qui resjouit
et consola merveilleusement ces pauvres patiens oppressez
de fascherie et travail tant d'esprit et de corps. Comment
ils passoyent par la forest Livry, laquelle est à trois lieues
de Paris, se présenta à eux un homme d'un petit village
voisin — , tisserand de toile de son métier: lequel
commença à suivre les chariots exhortant tous à persévérer
en la confession de la vérité. Prenez courage, disoit-il, —
— — — — — — — et sans autre inquisition le lièrent
et le garrottèrent, puis le jetterent dedans le chariot des plus
criminels. — — car cet homme tout, frais en son ardeur leur
servit de refraischissement et nouveau secours etc.
livre 4. fol. 201 — 231b. Martial Alba, Pierre Escrivain, Bernhard
Seguin, Charles Faire, Pierre Kavihere: lesquels furent
constituez prisonniers en la ville de Lyon, le premier jour
du mois de May, M. D. LU. — — —, après avoir receu
— 364 —
Les Feux,
Un grand feu fut pour eux aux Terreaux préparé;
Ces deux frères priaient, quand — — — — — —
V. 455—402. Autres cinq de Lyon, liez de mesmes nœuds,
p. 162. Xe furent poind dissouts par les fers et les feux:
V. 469 — 514. Heureuse Graveron, qui ne sceut ton courage?
p. 163. Qui ne cognent ton cœur non plus que ton voiage ?
L'hommage fut à Dieu qu'en vain tu apprestois
A un vain Cardinal, ce fut au Rog des Rois,
Sa soeur la trouve en pleurs finissant sa prière,
Son visage luisît de nouvelle beauté
Quand Varrest lui fut leu : le bourreau présenté.
Deux qui V acompagnoient furent pressez de tendre
Leurs langues au couteau; — — — — — —
V. 526 — 5)42, Il fallait que la terre aussi) fust leur bourelle.
p. 164. '
Je veux tirer à part la constante Marie,
Qui (votant en tnespris le tombeau de sa vie
Et la terre, et le coffre, et les barres de fer
Oh elle allait le corps, et non Vame estouffer)
— 365 —
Crépin.
sentence. — — — , laquelle estoit en somme d'estre menez
au lieu des Terreaux, et là estre bruslez vifs iusque à y faire
par le feu entière consomption de leurs corps. Le dernier
supplice.
livre 7. fol. 481b. Philippe de Lwis, damoiselle de Graverori en
Perigueux.
Quant le lieutenant la voulut renvoyer, elle luv fit ceste
requeste : Monsieur, vous m'avez osté ma sœur, et avez
commandé que je fusse enfermée seule: ie voy bien que ma
mort aproclie; c'est à présent, je vous prie m'ottroyer
que i'aie une Bible ou un nouveau testament pour me conforter.
(Clinet, et Gravelle ses compagnons ont baillé leurs langues
au couteau) la Damoiselle estant requise de bailler sa
langue, le fit alaigrement, disant ces paroles, puis que je ne
plains mon corps plaindroy-je ma langue? Non, non. Tous
trois estant ainsi acoustrez partirent du Palais. — — — .
La Damoiselle sembloit encores les surmonter en constance,
car elle n'estoit aucunement changée de visage: mais assise
dessus le tombereau monstroit une face vermeille, voire d'une
excellente beauté. Elle avoit au paravant pleuré son mari,
et portoit le dueil habillée de linges — — — — — , mais
alors avoit posé tous ses habillements de vefvage et reprins
le chaperon de velour et autres acoutremens de joye, comme
pour recevoir ceste heureux triomphe et estre jointe à son
époux Jésus Christ. Estant arrivez à la place Maubert,
lieu de leur mort, avec ceste constance ils furent ars et
bruslez: Clinet et Gravelle vifs, la Damoiselle estranglee après
avoir esté flamboyée aux pieds et au visage.
livre 3. fol. 161b. Marion, femme d' Adrian, cousturier de Tournay.
Estant venue sur reschafi"aut, et ayant aperceu la terre, le
coffre et les preparatives, tant s'en fallut qu'elle s'estonnast
de ce cruel apareil. . Quand M. fut estendue dans
ce coffre, les trois barres la serrant estroitement, — — . En
ce tourment cruel, la vertueuse femme fut suffoquée et
couverte de terre, et ainsi finit son martyre.
— 366 —
Les Feux
ôiH — 612. Entre ceux dont l'esprit peut esire traversé
1G5. De l'espoir du futur., du loyer du passé,
Du Bourg aura ce rang ^ son cœur pareil à l'aage,
A sa condition l'honneur de son courage,
Son esprit indompté au Seigneur des Seigneurs
Sacrifia son corps, sa vie et ses honneurs.
En allant à la mort, tout plein d'authorité,
Il prononça ces mois: „ — — — — — — —
„Mais ce pleur vous tourmente et vous est inutile.
Et ce pleur n'est qu'un pleur d'un traistre crocodile.
Du Bourg prés de la mort, sans qu'un visage blesme
L'habillast en vaincu, se devestit sog mesme
La robbe, en s'escriant : „Cessez vos bruslements.
Cessez, o Senateurs ! tirez de mes tourments
Ce profit, le dernier, de changer de courage
En repentance à Dieu." Puis tournant son visage
Au peuple dit: „Amis, meurtrier je ne suis point:
C'est pour Dieu l immortel que je meurs en ce poinct."
Puis comme on Veslevoit, attendcmt que son ame
Laissast so)i corps heureux au licol, à la fiamme :
„Mon Dieu, vray luge et Père, au millieu du trespas
Je ne Vay point laissé, ne m' abandonne pas :
Tout puissant de ta force assiste ma foiblesse :
Ne me laisse, Seigneur, de peur que je te laisse."
2j. 623—720. Mais Dieu voulut encor à sa gloire immortelle
p. 167. Presch er dans l'Italie et en Rome infidelle,
Vous avez veu du cœur, voulez vous de l'adresse.
Et voir le fin Satan vaincu par la finesse ?
Montalr.hine, l'honneur de Lombardie, il faut
Qu'en ce lieu je t'esleve un jüus brave eschafaut
Que celui sur lequel, aux portes du grand temple,
Tu fus martyr de Dieu et des martyrs l'exemple.
D Antéchrist descouvrant — — — — — —
Besolut de cacher ses meurtres désormais
De la secrette nuict soubs les voiles espais.
— 367 -
Crépin.
livre 7. fol. 4(i7b— 47ôb. Anne Du Bourg, Conseiller au parlement
de Paris.
Le dernier ronilmf cf nolahlc i.s.sne de M. Ihi lid/in/.
De la remonstrance qu'il lit A, ses juges.
Admonition cligne que tous Juges et Magistrats entendent.
Pourquoy le glaive donné aux Magistrats. — Ayant encores
repris son propos par une grande véhémence, jusques à faire
larmoyer ses luges, leur disoit qu'ils l'avoyent fait mourir
pour n'avoir voulu reconoistre iustice, — — — . Et après
avoir continué longuement ce discours, il dit pour conclusion,
Cessez, cessez vos bruslements, et retournez au Seigneur en
amendement de vie, afin que vos péchez soient effacez: que
le meschant deslaisse sa voye et ses pensées perverses, et
qu'il se retourne au Seigneur, il aura pitié de lui. Vivez
donc, et méditez en icelui, ô Senateurs, et moy je m'en vay
à la mort. Ainsi fut mené lié en la manière acoustumee,
dedans une charrette, à la place nommée S. Jean en Grève,
— — — , monstrant toujours un visage asseuré, iusque niesme
à despouiller (estant venu au lieu du supplice) lui raesme ses
habillemens: et estant nud iettant de grands soupirs, 0 Dieu,
disoit-il au peuple, mes amis, je ne suis point ici comme un
larron ou meurtrier: mais c'est pour l'Evangile. Et comme
on l'eslevoit en l'air, disoit souvent, Mon Dieu, ne m'abondonne
point, alin que je ne t'abondonne: iusques à ce qu'il fut
exécuté, pendu et estranglé, sans sentir le feu, ceste grâce
lui ayant esté faite par ses luges. Ainsi il scella de son
propre sang ce qu'il avoit signé de sa main, comme il avoit
protesté par sa confession.
livre 5. fol. 264b. leau Molle, et un Tisseran de Peruse.
Jean Molle estoit natif de Montalcin, ville assize au territoire
de Siene
Ainsi donc le cinquiesme jour de septembre de Tau M. D.
L. III, il fut mené avec plusieurs autres para vaut emprisonnez
pour le fait de la Religion, au temple qu'ils appelent Santa
Maria di Minerva, atin que ceux qui ne voudroyent abjurer
fussent condamnez sur le champ et envoyez au feu.
Estant escheu à Jean de parler à son tour, il demanda
congé de dire ouvertement ce qu'il avoit eu pensée : ce qui
lui fut octroyé. Lors entamant le propos il répéta et con-
ferma par vives raisons, proposées d'une grande véhémence
368 —
IjOs Feux.
Ce vieil soldat de Chirst feignit un repentir,
Foict ses jnf/es venir, et après la sentence
Leur promet d'annoncer entière repentance
De ses fausses erreurs et que publicquement
Il se desisteroit de ce que faussement
Il avoit enseigné: on assura sa vie,
Et sa promesse fut de promesses suivie.
Et Montalchine fut conduit pjonr se desdire
Sur Veschaffaut dressé: là du peuple il fut veu
En chemise, tenant deux grands torches de feu :
(Son discours).
V. 717. Les peupAes tous esmeus commançoient à troubler:
Il jette gayement ses deux torches en Vair,
Demande les liens, et cette ame ordonnée
Pour Vestou-ffer de nuicf triomphe de journée.
V. 719 — 788. Vous, Gastine et Croquet, sortez de vos tombeaux:
p. 170. leg je planterag vos chefs luisants et beaux :
An milieu de vous deux je logeray Venfance
De vostre commun fils, beau mirouer de constance.
y, SSS — 890. Et Le Brun, Da up) hin ois, doctement avisé,
j), 175. Quand il eut sa sentence avec plaisir ouië,
Bespondit qu'on Va voit condamné à la vie.
V. 1823 1350. Quand la guerre, la peste et la faim s'apjprochoient,
p. 188. Les trompettes d'Enfer plus eschauffez preschoient
Les armes, les fagots, et, pjour appaiser l'ire
Du Ciel, on présentent un fidelle au martyre :
Vous deschirez encor et les noms et les vies
Des inhumanitez et mesmes calomnies
Que Borne la payenne infidelle inventa,
Lors que le fils de Dieu sa bannière y planta.
— 369 —
Crépin.
et ardeur d'esprit tout ce qu'il avoit paravant enseigné et
pressé en divers lieux touchant les articles pour lesquels il
estoit accusé d'heresie : comme du Péché Originel, de la
lustification de la foy, des bonnes œuvres, etc. . . . En
témoignage de ces choses, reprenez maintenant ceste chan-
delle que vous m'avez baillée. Quoy disant il jetta par terre
le plus loin qu'il peut, et d'un visage courroucé, la chandelle
allumée, qu'il tenoit en la main.
livre 10. fol. TOI. Nicolas C'roquet, Philippe et Richard de
Gastines, père et fils, marchans de la ville de Paris.
(Des actions particulières durant leur emprisonnement, combien
que la Cour de Parlement se soit fort gardée d'en publier
quelque chose, si est-ce qu'elle a assez manifesté par sentence
et arrest, les raisons pour lesquelles on les a fait mourir:
livre 3. fol. 117. Estienne Brun, Dauphinois.
Au mois de luin de ceste mesme année, Estienne estant
mené devant les luges pour ouïr sentence de mort, les aborda
en ceste sorte, disant, Pouvres gens que pensez-vous faire"?
vous me voulez condamner à la mort : vous vous trompez, ce
sera à la vie.
livre 6. fol. 474—478. (édit. d. 1570)!
Touchant la persécution de l'Eglise des fidèles à Paris.
Cependant le bruit couroit par tout de ceste prise: et propos
divers se tenoient de ça et de là, touchant ce qui s' estoit fait
à l'assemblée et la commune opinion estoit, qu'on s'estoit à
ressemblée pour faire un banquet, et puis paillarder pesle
mesle les chandelles esteintes.
idem. fol. 477.
24
— 370 —
Les Feux.
Xous sommes des premiers images véritables :
Lnprudents vous prenez des Nerons les vocables.
Encontre ces Chrestiens tout s'esmeut par un bruit
Qu'ils mangeoient les enfants, qu'ils s assembloient la nuict
Pour tuer la chandelle et faire des meslanges
D'inceste, d'adultère et des crimes estranges.
Ils voioient tous les jours ces Chrestiens accusez
Ne cercher que Vhorreur des grands feux embrasez,
Et Cyprian disoit: „Les personnes charnelles
Qui aiment leurs plaisirs, cerchent-ils des fins telles ?
Comment pourroit la mort loger dans les désirs
De ceux qui ont pour Dieu la chair et les plaisirs ?"
— 371 —
Crépin.
fol. 477b. Iiistin Martyr, (ui Dialogue qu'il a fait avec
Trijphon contre les luifs.
Car, qui est celuy qui estant voluptueux et charnel, aille
ioyeusement à la moi't, par laquelle il perd toutes ses com-
nioditez et plaisirs?
Saint Cyprien au premier Traitté contre Demetrian.
Tu dis que plusieurs se plaignans, estiment que les guerres
qui s'esmeuvent souvent, les pestes, les famines, les longues
pluyes adviennent à cause de nous, et que tous les maux
dont le monde est troublé, nous doivent estre imputez,
d'autantque nous ne servons point à leur dieux: or qu'ils
sacbent au contraire que, c'est pourautant que Dieu n'est
point servy par eux.
V. 561-575. p. 208.
V. 587—594. p. 209.
^, 007^650. p. 210.
V. 651-666. p. 211.
V. 689-693. p. 212.
V. 702. p. 213.
V. 768-890. p. 214.
V. 893-903. p. 218.
V. 924. p. 219.
V. 1061-1064. p. 223.
V. 1064—1074. p. 223.
V. 1075—1082. p. 228.
V. 1083-1094. p. 224.
V. 1095-1100. p. 224.
V. 1101-1108. p. 224.
V. 1109. p. 225.
V. 1110. p. 225.
V. 1111—1112. p. 225.
V. 1027—1150. p. 225.
— 872 —
Livre cinquième.
Les Fers.
Livre sixième.
Vengeances.
V. 516—536. p. 254. Néron.
V. 537 — 552. p. 255. Domitian.
V. 553 — 564. p. 255. Adrian.
V. 565 — 586. p. 256. Severe, Hermhiian, Valerian, Saporez.
V. 597 — 646. p. 257. Aurelian, Diocletian, Maximian,
Maximin.
V. 647-650. p. 258. Julian.
(V. 506—650.)
') Nous n'avoas pas parlé du chant cinquième pour lequel les rapprochements,
comme on le voit, sont encore possibles. Mais les emprunts, si emprunts il y a, étant
moins fidèles et moins fréquents, et l'élément historique qui prédomine dans les Fers
nous semblant devoir remonter à des sources plus directes, nous nous sommes bornés ici
à des renvois.
— 373 —
Crépin.
livre 8.
fol.
557 — 5(il.
livre 8.
fol.
583— 584b.
livre 8.
fol.
592— 594b.
livre 10.
fol.
712—716.
livre 8.
fol.
133— 14(j.
livre 2.
fol.
71b.
livre 10.
fol.
703b— 708b.
livre 10.
fol.
707 b.
livre 10.
fol.
706.
livre 10.
fol.
708 b— 709 b.
livre 10.
fol.
712b-716.
livre 10.
fol.
717— 719b.
livre 10.
fol.
718b.
livre 10.
fol.
709b— 712; 720-
-722.
livre 10.
fol.
722.
livre 10.
fol.
589—591.
livre 8.
fol.
594 b.
livre 10.
fol.
722b— 724b.
livre 10.
fol.
716.
livre
livre
livre
1.
1.
1.
livre
livre
1.
1.
livre
livre
1.
1.
Crépin.
fol. 9. Persécution de r Eglise chrestienne sous Néron.
fol. 9b. Seconde persécution de V Eglise sous Domitian.
fol. 10 — 14. La quatrième persécution sous Adrian An-
tonin,
fol. 13. Cinquième persécution sous Severus.
fol. 14. Neuvième persécution sous Aurelian.
La neuvième et longue persécution sous Diocletietn, Maxi-
mian et M a xi m in.
fol. 15 -17b.
fol. 27 b— 31b. Discours des jugemens de Dieu sur quelques
persécuteurs de P Eglise primitive chrestienne.
— 374 —
Vengeances.
V. 767—777. Archevesque Ärondel, qui eu la Cantorbic
p. 262. Voulus tarir le cours des paroles de vie.
Ton sein encontre Dieu enflé d'orgueil souffla,
Ta langue blasphémante encontre toi s^ enfla :
Et lors qu'à vérité le chemin elle bousche,
Au pain elle ferma le chemin et la bouche.
Tu fermais le pjassage au subtil vent de Dieu :
Le vent de Dieu passa, le tien n'eut point de lieu.
Au ravissetir de vie à ce poinct fut ravie,
Par V instrument de vivre et l'une et Vautre vie :
L'Eglise il affama. Dieu luy osta le pain.
v. 779 — 786. L'affamé qui voulut saouler sa brute rage
p. 262. Du nez d'un bon pasteur, l'arracher du visage,
Le casser de ses dents et l' avaller après,
Fut puni comme il faut: car il sortit exprés
Des bois les pjhis secrets un loup qui du visage
Luy arrache le nez et luy cracha la rage:
Il fut seid qui sentit la vengeance et le coup
Et qui seul iiTita la fureur de ce loup.
V. 799 — 801. Le stupide Mesnier, ministre d'injustice,
p. 262. Tout pareil en désirs sentit pareil supplice,
Supjpjlice remarquable.
V. 819 — 836. Qui veut scavoir comment la vengeance divine
p. 263. ♦ A bien sçeu où dormait d'Herode la vermine
Pour en pjersecuter les vers persécuteurs,
Qu'il voye le tableau d'un des Inquisiteurs
De Merindol en feu. Sa barbarie extreme
Fut en horreur aux Boys, aux persécuteurs mesme.
Il fut bannis; les vers suivirent son exil,
Et ne peut inventer, cet inventeur subtil,
Armes pour empescher cette pjetite armée
ly empwizonner tout l'air de puante fumée.
— 375 —
Crépin.
livre 2. fol. 75. La mm't estrange de T. A ion de), Archevesfjue dp.
(Jantorbie.
Durant ce temps cest Archevesque Thomas Arondel mou-
rut l'an 1415, (selon que recite Thomas de Gascongne en
son dictionaire Theologique) d'une estrange et horrible mort. La
langue lui devint si enHee et grosse, qu'elle lui remplissoit
toute la bouclie: de manière que quelques jours avant sa
mort il ne pouvoit rien avaler ne mesme parler: et mourut
comme affamé en grand desespoir. Plusieurs disoient en
Angleterre que c'estoit à cause qu'en son temps il avoit lié
la parole de Dieu, et par grandes cruautez empesché le cours
d'icelle: . .
livre 8. fol. 532b. Histoire des 'persécutions a'Angrongne.
Il avint de ce temps-la qu'un homme de Briqueras, nommé
Jean Martin Trombaut: lequel se vantoit par tout qu'il
couperoit le nez au Ministre d'Angrongne, fut Inen tost apres
assailli d'un loup enragé qui lui mangea le nez, et puis il
mourut enragé. On n'a point entendu que le loup ait jamais
fait autre mal ne dommage. Cela fut connu par tout le pays
circonvoisin.
livre 4. fol. 183 b. Me ni er eschappé des hommes tombe es mains
de Dieu:
Or ce Menier qui sembloit verdoyer en toute prospérité,
fut tantost après arraché, estant saisi d'un flux de sang, qui
lui esmeut les parties honteuses et lui engendra une carnosité
et rétention d'urine: et mourut avec cris et despitemens hor-
ribles, sentant un feu qui le brusloit depuis le nombril ius-
ques en haut, avec extreme infection de ses parties basses.
livre 3. fol. 142. Tourmens horribles en la mort de lean de Roma.
On sçait assez de quel rage il affligeoit les povres chrestiens.
Une des peines de laquelle il s'avisa pour tourmenter ces
povres gens de Provence, estoit d'emplir des botines de
graisse chaude, et de les faire chausser à ceux qu'il vouloit
tourmenter. Dont le feu roy François estant averti, com-
manda par lettres patentes envoyées au Parlement de Provence,
qu'en toute diligence on l'apprehendast: — — — — mais
de Roma, , se retira de bonne heure à Avignon, .
Puis après tomba malade d'une maladie espouvantable et
— 37(
Vengeances.
Ce chasseur dechassa ses compagnons au loing,
Si qu'un seul d'enterrer ce demi mort eut soing,
Luij jetta un chrochet et eniraisna le reste,
Des Diables et des vers allumettes de peste,
En un trou : la terre eut horreur de Vestouffer,
V. 837—840. Du Prat fut le gibier des mesmes animaux:
p. 264. Le ver qui l'esveilloit, qui luy contoit ses maux,
Le ver qui de longtemps pecquoit sa conscience
Produisit tant de vers quils percèrent sa jjanse.
V. 848—858. L'Aube Spin , qui premier, d'une ambition folle,
p. 264. Cuida fermer le cours à la vive parolle,
Et qui bridant les dents par des baaillons de bois.
Aux mourans refusa le soldas de la voix.
Voyant en ses costez cette petite armée
Grouiller, l'ire de Dieu en son corps animée
Choisit pour ses parrains les ongles de la faim.
Lié par ses amis de l'une et l'autre main,
Comme il grinçoit les dents contre la nourriture.
Ses amis d'un baaillon en firent ouverture ;
Mais avec les cotais dans sa gorge coula
Un gros amas de vers qui à coup Vestrangla.
Le céleste courroux luy parut au visage.
Xid pour le deslier n'eust assez de courage :
Chacun trembla d'horreur, ei chacun estonné
Quitta ce baaillonneur et mort et baaillonné.
— 377 —
Crépin.
inconnue aux Médecins. Horribles douleurs le saisirent: et
ni avoit fomentations ni onctions qui peussent servir pour
lui donner repos: et qui plus est, il n'y avoit personne qui
sceust demeurer près de lui. Il fut mené à l'hospital, et
recommandé d'estre bien traitté: mais nul n'osoit approcher
de lui, pour l'infection et puanteur qui sortoit des plaies
pourries de son corps. — — — — -. Et ainsi cest homicide
et blasphémateur, ayant affligé plusieurs tideles par tournions
nouveaux, pour la tin de ses cruautez il receut confusion
horrible: atin qu'il fust à tous persécuteurs exemple du
iugement de Dieu, et de la vengeance qu'il fera du sang
espandu à tort et sans raison.
livre 7. fol. 428b. Déclaration de plusieurs iugemens de Dieu: Il
y a auparavant autres exemples mémorables du iugement
de Dieu, comme de la mort du Chancelier et Legat du Prat,
qui fut le premier qui défera au Parlement la conoissance
des hérésies, et qui donna les premières commissions pour
faire mourir les tideles. Car il mourut en la maison de
Nantouillet iuraut et despitant Dieu et fut trouvé son
estomach percé et rongé de vers.
livre 7. fol. 494. Xoùibles Jugemens de Dieu sur certains persécu-
teurs et apostats.
— — entre autres iuges de ces Martyrs, Laub es pin Con-
seiller au Parlement de Grenoble, — — . Quant à L.,
peu après ces exécutions, estant devenu amoureux d'une
Damoiselle — . Estant raesprisé d'elle, il s'anonclialit
tellement, que ne tenant compte de sa propre personne il
fut accueilli de poux qui prinrent telle place en lui qu'on
ne les en i^eut jamais chasser. Car ils croissoyent sur lui
et sortoient de toutes les parties de son corps, comme l'on
voit sortir la vermine d'une charongne pourrie. _ — -
et pour abréger ses iours conclud de se laisser mourir de
faim, ioint que les poux le tenoyent de si court à la gorge,
qu'ils sembloyent le vouloir estraugler. Ceux qui voyoyent
ce piteux spectacle furent grandement esmeus et de compassion
qu'ils en avoyent conclurent de le faire manger voulust-il
ou non: et pour lui faire prendre des coulis et pressis, d'autant
qu'il y resistoit de sa force ils lui lièrent les bras, et le
baaillonnerent d'un baston pour tenir sa bouche ouverte,
— 378 —
Vengeances,
V. 887 — 894. Four tm péché pareil, mesme peine evidente
p. 265. Brusla Po nt-cher, l'ardent chef de la Chambre ardente-
Uardeur de cettuy cy se vid venir à l'œil.
La mort entre le cœur et le bout de Vorteil
Fit sept divers logis, et comme par tranchées
Fartage fassiegé, ses deux Jambes haschees
Et les cuisses après servirent de sept forts ;
En repoussant la mort il endura sept morts.
V. 895 — 902. DEvesque Ca s t élan, qui d'une froideur lente
p. 265. Cachoit wi cœur bruslant de haine violente,
Qui sans colère usoit de flammes et de fer,
Qui pour dix mille morts n'eust daigné s'eschauffer,
Ce fier doux en propos, cet humble de col roide
Jugeait au feu si chaud d'une façon si froide :
L'une moitié de lut/ se glaça de froideur,
L'autre moitié fuma d'une mortelle ardeur.
V. 041 — 946. Le Rhosne en a sonné, alors qu'en hurlements
p. 267. Reniai me et Revêt desgorgeoient leurs tourments.
,,J'cn (dit l'un) condamné le sang et l'innoncence."
v. 973. Le Cardinal Folus, plein des mesmes Desmons,
p. 268.
v.l019 — 10'-iH.Je me haste — — -
p. 269. D'Olivier Chancelier le tableau et l exemple
Cettuy cy visité du Cardinal sans pair,
S'escria de deux voix: ,.0 Cardinal maudit,
— 87iJ —
Crépin.
pendant qu'on lui mettoit la viande dedans. Estant ainsi
baaillonné il mourut comme une beste enragée de l'abondance
des poux qui entrèrent iusques eu sa gorge. Et disoir.-on,
mesme entre ceux de la Religion Romaine, que du niesme
tourment qu'il avoit inventé contre les Ministres de Valence
les envoyant baaillonnez au supplice, il avoit esté puni par
un iuste iugement de Dieu.
livre 7. fol. 423b. Avez vous jamais entendu, comme feu Poncher
Archevesque de Tours, poursuyvant l'érection d'une Chambre
ardente, fut bruslé du feu de Dieu, qui lui commença
au talon: et se faisant couper un membre après l'autre,
mourut misérablement, sans qu'on peust jamais trouver la
cause ?
livre 7. fol. 423b, Comme Caste llanus s'estant enrichi par l'Evangile
et ayant rejette la pure doctrine pour retourner à son
vomissement, voulant persécuter la ville d'Orléans, fut touché
en la chaire du doigt de Dieu et d'une maladie inconue
aux médecins, bruslant la moitié de corps, et l'autre froide
comme glace, mourut avec cris et gemissemens espouvantables-
livre 7. fol. 454b. Renialme. Iceluy en cas semblable ayant iugé
à mort quelques povres innocens, receut aussi soudain une
horrible sentence de Dieu au mesme lieu: de sorte qu'il fut
mené à demi désespéré à sa maison, où tost apres mourut«
criant et lamentant qu'il avoit iugé le sang innocent.
livre 7. fol. 423b. Le Cardinal Polus Anglois — — — — — — .
mourut incontinent après Marie en la mesme sepmaine, de
regret, d'appréhension et espouventemens horribles qui l'ac-
compagnèrent en la mort.
livre 8. fol. 517. Durant ce temps le Chancelier de France, François
Olivier — — — fut saisi d'une grosse maladie: durant
laquelle il iettoit de grans soupirs sans cesse et aftligeoit sa
personne en façon fort estrange et espouvantable. Il fut en
ce tourment visité par le Cardinal de Lorraine, lequel
— 380 —
Venffeances.
Tu nous fais tous damner /" Et à cftte parolle
Cette peste s'en va et cette ame s'envoUe.
c. 1034 — 1064. Cette force inconnue et ces bonds violents
p. 260. Eurent mesme moteur que ces grands mouvements
Que sent encor la France ou que ceux qui parurent,
Quand dans ce Cardinal tous les Diables moururent-
Uair noirci de Démons ainsi/ que de nuages
Creva des quatre parts cl'hnpetueux orages :
Les vents, les postillons de l'ire du grand Dieu
Troublez de cet esprit retroublerent tout lieu :
Les déluges espaiz des larmes de la France
Rendirent l'air tout eau de leur noire abondance.
Cet esprit boute-feu, au bondir de ces lieux,
De foudres et d'esclairs mit le feu dans les deux.
lllô — IW). De Lizet l'orgueilleux la rude ignominie,
272. De luy, de son Simon la mortelle manie,
La lepjre de Romma et celle qu'un plus grand
Pour les siens et pour soy perpétuelle prend ;
Jje despoir des Marins, dont l'un à mort se blesse,
Les foyers de Ruzé et de Faye VEspesse.
JS'ote: Ayant l'inteution de publier ailleurs les textes complets nous avons cru pouvoir
nous dispenser ici des variantes (|ui ont servi à établir le texte critique des Feux
et des Vengeances.
— 381 —
Crépin.
s'estaiit esloigné de lui, ce Chancelier s'escria, disant: „Ha!
Cardinal, tu nous fais tous damner."
livre 12. fol. 754b. Mort du Cardinal de Lorraine: Tost apres et
sur la fin de ceste année, Charles Cardinal de Lorraine,
l'un des principaux de la maison de Guise, cauteleux et
cruel persécuteur des Eglises, des plusieurs années aupara-
vant, et l'un des premiers conseillers et promoteur des guerres
civiles et massacres en France, et d'infinies confusions ailleurs,
— — — , tomba malade et mourut frénétique et insensé de-
dans Avignon, où à l'heure de son trespas survint une
tempeste en l'air si horrible que tous en estoient esperdus.
Le peuple tout ravi, confessoit que cest orage extraordinaire
en une ville Papale. — — , ne signifioit chose qui ne fust
remarquable, et pensant au Cardinal, chacun disoit que ce
sage mondain recevoit en la vigueur de son aage et au plus
fort de ses desseins le loyer de ses deportemens — — ;
bref qu'une si méchante ame ne devoit pas sortir par une
bonne et paisible porte.
livre 7. fol. 423 b — 424. lean Rusé Conseiller au Parlement — —,
fut pris du feu au petit ventre, et à peine fut conduit en
sa maison que le feu se print à ses parties secrètes: dont
misérablement il mourut, bruslant par tout le ventre, sans
monstrer aucun signe de reconoistre Dieu.
Pierre Lise t. premier President en la dite Cour, auteur de
la chambre ardente, fut desposé de son estât pour estre conu
privé de son bon sens, Dieu lui ayant osté l'entendement.
lean Marin, Lieutenant criminel de la Prevosté de Paris,
— — — -, fut finalement frappé des loups aux iambes, dont
ayant perdu l'usage mourut aliéné de son sens, après plusieurs
jours avoir renié et blasphémé Dieu. — — L'inquisiteur de
Roma en Provence, tomba à lopins si puant que nul ne
pouvoit approcher de lui.
— 382 —
Bibliographie :
Eug. Reaume et F. de Caussade : O e u v r e s c o m p 1 è t e s d (i T h é o d o r e
Agrippa d'Aubigné, Paris, Lemerre, 1873 — 1892. 6 vol.
H. Boiirgin, L. Foulet, A. Garnier, Cl.-E. Maure, A. Vacher: Les
Tragiques, Livre premier: Misères. Paris, Armand
Colin & C«, 1896.
H. Warner y: Un soldat-poète au XVl^ siècle. Bibliothèque
Universelle. Novembre 1897. N** 23.
J. Trénel: L'élément biblique dans l'œuvre poétique
d'Agrippa d'Aubigné. Paris, Librairie Leopold Cerf, 1904.
Wilhelm Winker: Théodore Agrippa d'Aubigné der Dichter.
Diss Leipzig, 1906.
J. Viénot: Un humoriste du XVI* siècle. Agrippa d'Aubigné.
Revue Chrétienne. P'" novembre 1906.
Bâle. Ch. de Roche.
La
poésie religieuse patoise dans le Jura bernois catholique.
(Noëls. — Chants de fêtes religieuses. — Complaintes.)
Par
Arthur Rossât.
Introduction. La littérature patoise du Jura beruois catholique
(Vallée de Delémont, Ajoie ou Pays de Porrentruy, et Franches-Mon-
tagnes), nous offre une très grande variété de poésies populaires, dont la
plupart sont fort anciennes et se rencontrent, plus ou moins remaniées,
dans le romancero populaire des diverses provinces de France. Nous
avons là une image fidèle des mœurs, des habitudes et du caractère par-
fois naïf et bonhomme, souvent finement observateur, toujours malin et
gouailleur de ce peuple si éminemment français par sa bonne humeur et
sa gaieté.
Bien que, malheureusement, on ait commencé beaucoup trop tard
à recueillir les trésors épars que la tradition orale avait conservés, les
recherches que j'ai entreprises dès 1894 m'ont cependant fourni un matériel
intéressant et varié, et j'ai eu la chance de faire parfois de fort jolies
découvertes: chansons d'amour, pastorales, rondes et danses, berceuses,
chants à boire, chansons satiriques, etc. Parmi tous ces genres, les
poésies religieuses (noëls, chants de fêtes, complaintes) ne sont pas les
moins abondamment représentées. Il m'a donc semblé qu'un travail qui
réunirait et classerait en un tout harmonique ces chansons religieuses,
pourrait intéresser les ])hilologues et les folkloristes. C'est dans ce but
que j'ai entrepris cette étude sur la poésie relipkjise patoise dans le Jura
heniois caf/tolique. Je ne citerai que des chants que j'ai moi-même ré-
coltés; il m'eût été facile d'allonger ma liste en reproduisant toutes sortes
de chants religieux français et patois publiés dans les almanachs ou les
suppléments littéraires des journaux du pays, mais ce n'eût plus été un
travail original, et cela m'aurait conduit trop loin.
— 384 —
Je donne d'abord les noëls, ensuite toutes les poésies inspirées par
une idée religieuse ou une fête: Nouvel-an, Rois, Carnaval, mois de Mai, etc.;
enfin quelques complaintes.
Comme je l'ai dit ci-dessus, ces chants se retrouvent presque tous,
avec plus ou moins de variantes, dans d'autres parties de la France, sur-
tout dans la Franche-Comté; car, ne l'oublions pas, au point de vue du
patois, le Jura bernois appartient non à la Suisse romande, mais à la
France bourguignonne.
On ne m'en voudra pas de ne pas donner ici la liste des nombreuses
publications spéciales sur la chanson populaire dans les diverses provinces
françaises. — Quant aux auteurs jurassiens bernois qui se sont occupés
de la poésie religieuse, on peut citer feu M. Xavier Ko/i/er. qui, dans
son Etude littèrmre sur (/ue/f/ues poèmes en jjafois de rancien Evtché de
Bàle,^) (p. 5 — 9) nous donne, malheureusement pas In-extenso. quelques
noëls et chants de fêtes; puis M. J'abbé Daucourt. qui a publié dans les
Archives Suisses des Traditions populaires'-) une douzaine de noëls français
et patois. — Moi-même, j'ai fait paraître dans ces même Archives (Vol.
III — VII) toute une collection de Cf/ants patois jurassiens, dont les quinze
premiers numéros sont des chants religieux.
C'est dire qu'une partie du présent travail a déjà été publiée. Je
la reproduis tout de même, d'autant plus qu'ainsi l'occasion m'est fournie
de corriger quelques fautes d'impression et de transcription phonétique
de ma première publication. — Par contre, le plus grand nombre des
chants religieux imprimés dans ce travail sont complètement inédits.
On remarquera tout de suite combien le texte de ces chants reli-
gieux a souvent été altéré et contaminé par la tradition orale; quelques-
unes de ces altérations sont vraiment typiques. Mais n'est-ce pas juste-
ment un phénomène curieux et intéressant pour le folkloriste que de se
rendre compte des changements, des contaminations, des méprises et des
mutilations que le peuple fait subir à un texte primitif?
Je répéterai ici le système de transcription phonétique que j'ai déjà
expliqué dans Archives III p. 257 — 258.
a) Voyelles.
J'indique par — et - les voyelles longues et brèves,
ë = e long ouvert (frç.: t^'te, pn-e, je nu-ne).
e = e bref ouvert (frç.: e&ei, ^orivaii).
ê = e long fermé (frç.: forer', premier, àivai).
ë = e bref fermé (frç.: dr'part, pr'rir).
9 = e muet (frç.: pé-tit, Itver, je ie \e donne),
œ = eu ouvert (frç.: c(p\xy, peui\ leur).
1) Cette Etude sert d'introduction au poème patois des Paniers (Porrentruy, 1849)
2) Sc/iweizerisc/ies Archiv fär Volkskunde (Vol. II. p. 41 sq. et III. p. 41 sq.)
— 385 —
o = eu fermé (fVç.: itcH, feu, \eui).
9 = 0 long ouvert (trr.: encore, bord, mort).
9 = 0 bref ouvert (frç. : donne, police, botte).
9 = 0 long fermé (frç.: cote, chaud, veau).
u = frç. ou.
Ü = frç. u.
Les nasales sont: à (frç.: cho//t, euïant)-^ é (frç.: pahi, moyr//); o
(frç.: hon. coto>?); en outre notre patois possède les nasales pures d'<.
d'// et d'u: î (bi); û (txét;^û)-, û (bù).
b) Consonnes.
p, b, t, d, k, 1, m, n, r, f, v ont la même valeur qu'en français,
g est toujours guttural, même devant e et /.
n = n mouillée (frç. (/n: a//>^eau, ligne).
s = spirante sourde (frç.: savoir, ceci, cesse, seul).
z = spirante sonore (frç.: poi.s-on, ^èlej.
X = chuintante sourde (frç.: cAeval).
j = chuintante sonore (Jeune, ,^enre).
X = médiopalabale sonore (allemand: ich)-^ son particulier au pateis ajoulot
ou patois de Porrentray (latin: cl ou ft). Ex: î xô (clou), le ;^ë (clef),
;çôtï (flatter), ^Cv/^q (gonfler). Le vddaîs ou patois de Delémont rend
ce son par ./'.' (î xô, Iç xç, xetï, gôxë). [Cf. Note 117.)
y = médiopalable sonore (allemand: ja)\ yâdine (Claudine), yî (lin).
w est la w anf/kùs et correspond au premier élément de la diphtongue
01 (pu'ä = frç.: pois; v/rä = frç.: voir).
L mouillée n'existe pas dans notre patois.
Il n'est pas nécessaire d'indiquer par un accent la syllabe tonique.
Notre patois accentue régulièrement la dernière syllabe non muette de
chaque mot.
La traduction que je donne est toujours littcra/e. et je n'ai jamais
voulu faire de bon français au détriment du sens. — J'ai mis entre
crochets [ ] les mots exigés par la phrase française.
Le trait-d'union indique les liaisons (lêz-éraï, bin-ëkâmï, î bél-àfè).
25
386 —
I. Noëls.
1.*) Noël en patois de
1. ëkûta, djâna mèrïa,
àtà txësanàto.
s'a se bel-èdJ9^) dï sîa
tx^') nç dyà novëlata,
k'el txëtà to èsèbya:
Alléluia !
Gloire à l'Eternel
Et paix dessus la terre!
2. vil aie VÖ, me bë bwàrdjîa,
Dans cette nuit sombre?
VÖ trov9rë lu Messie
k'ä vanï â mode.
— le merke po lu trovë?
— à Bethléem el-â ne,
de ëno êtàb frëda,
àtra [le] bue e l'çne.
3. — käk9, käka evö la dwä
à l'o da l'ëtâle.
noz-ëvî bî ojû pûarë
dâ vwa^) no berbïjate
dô bôdjo, Ôxa*) djoze;
vwasï ïn-ovîa bî fre,
lôz-ëbra sô djiovrë.
dô, bona merîa.^)
4. mô dùa, k'e fe fre®) sï
pu set9 pOr ermäta!
l'ovïa â àko bî grâ
po ëtr9 à l'ëtâb.
pî9ra, prà de bäkyä
e no fe î bû fûala,
pu seta pôr ermät9.
k'â sï k9 trëbyat9.
5. vô n'é gëra d'àtàdama,
mô bël-Ôxa djoze,
da vanï lodjî9 sï
de sèta ëtâla frëd9!
Courroux (Val de Delémont).
Ecoute, Jeanne-Marie,
Entends chansonnette.
C'est ces (belles) beaux anges du ciel
Qui nous disent [des] nouvelles,
Qu' (elles) ils chantent tous ensemble :
Où allez-vous, mes beaux bergers,
Vous trouverez le Messie
Qui est venu au monde.
— La marque pour le trouver?
— (En) A Bethléem il est né,
Dans une étable froide,
Entre le bœuf et l'âne.
— Frappe, frappe avec le doigt
(En) A l'huis de l'étable.
Nous avions bien entendu pleurer
Depuis vers nos (petites) brebis.
Donc, bonjour, oncle Joseph;
Voici un hiver bien froid,
Les arbres sont givrés.
Donc, bonne Marie.
Mon Dieu! qu'il fait froid ici
Pour cette pauvre petite âme!
L'hiver est encore bien grand
Pour être à l'étable.
Pierre, prends des brindilles
Et nous fais un bon petit feu.
Pour cette pauvre petite âme
Qui est ici qui tremblotte.
Vous n'avez guère d'entendement,
Mon bel oncle Joseph,
De venir loger ici
Dans cette étable froide!
*) Publié Arch. III p. 259 sq., et par M. Daucourt Arch. III p. 43 sq.
— 887
S8 vôz-ëta î bù txëpii
bçtxi î pô se partù;
kär Iç bîza Odjàla
sèta pôr çrmata.
6. — vôz-ë bèl-ë garmçnô,'^)
è vo fâ ëvwa pasyàsa.
pwä le vël è damèdê
se trôvê rëzïdàsa.
nç n'è k*î bûa ë în-ën9;
dï môda s'àn-è mokë,
sa nôz-êtî rétxa
djëkù no mànarè^) fêta.
7. — dïta dô, oxa djozé,
Il so se bàdàta?
merîa, prà sô méyôla,
é fë se kùtxata
madlô, réyûe^) sô yê.
djà l'ëdarê, la bërsare,
dïzft txèsanâta
pu sèta pôr érmate.
8. pïarà, fû^'') vïta é l'ôtâ,
jîrà tc)n-ët;çëyàta,
î morsalä da pê frâ;
fë-yï se sopâta.
bota-le à sï pyëtë;
s'èl-â tro txâda, xôxa yï.^^)
la pôr äfe pûara,
s'a da fre k'ë grûla.
9. na lëxîa nu vanï
dadë sëta ëtâla;
lu popô ä àdramï
dadë se kûtxàta.
vwàsï vanï to d'î ko
trwâ rwâ montés sur chameaiu
Des présents apportent
käka ^^) à lé pôarta.
10. màdlô, vî î po vwa
t;çù käka à lé pôarta,
é dï-yï ka l'afë dôa,
Que doucement s'approche.
Si vous êtes un bon charpentier
Bouchez un peu ces pertuis;
Car la bise gèle
Cette pauvre petite âme.
Vous avez (bel à) beau murmurer,
Il vous faut avoir patience.
Par les villes [nous] avons demandé
Sans trouver résidence.
Nous n'avons qu'un bœuf et un âne;
Du monde s'en (a) est moqué.
Si nous étions riches
Chacun nous (mènerait) ferait fête.
— Dites donc, oncle Joseph,
Où sont ses bandelettes?
Marie, prends son petit maillot,
Et fait sa couchette.
Madelon, fais son lit.
Jean l'aidera, le bercera,
Disant chansonnettes
Pour cette pauvre petite âme.
Pierre, cours vite à la maison,
Prends ta petite écuelle.
Un petit morceau de pain frais;
Fais-(y)-lui sa petite soupe.
Mets-la (en) dans ce plat.
Si elle est trop chaude, souffle(s-y)-
Le pauvre enfant pleure, [la-lui.
C'est de froid qu'il grelotte.
Ne laissez personne venir
Dedans cette étable;
Le poupon est endormi
Dedans sa couchette.
Voici venir tout d'un coup
Trois rois montés sur chameaux;
Frappe [nt] à la porte.
Madelon, (viens) va un peu voir
Qui frappe à la porte,
Et dis(-y)-lui que Tenfant dort.
388
vwasï î poe-l'ètxërbonô!
so l'afè la vwä, vœ krïë.
tïra-ta drie lëz-âtro,
rëtyura te berbata!
11. t'ëtô bî ma rlëvë
pu aie à vwayëdja!
ë-t8 î rëxa-txDmanë '^)
Ö bî î mä sëdje?
txè l'àfè ère dramï,
ka t'vware, vœ trazi.
ta derô ëvwa ôta!
ta fë pavù â môda!
12. — vôz-êta bïn-ëkfimï
da mô nwa vëzëdja!
le djâ da nota pëyï,
s'a yôta naturel.
ï n' sde p' xa mâvë
kom ï sdé ètxerbonë,
Cherchant, Je vous prie
Ce beau fruit de vie.
13. noz-ë travërsîa le më,
le bö, le kàpëna,
pu vanï ëdorë lu rwa
dï sïa e da le tëara.
Son étoile nous a conduits.
Nous éclaire jour et nuit.
Jusqu'ici ^*) nous montre
Le Sauveur du monde.
14. — vanï do vwä iiötra afè,
el-â de seta krêtxa;
mè vanï to bëlmà
c c
k'e na sa rôvwaya.
— lu bel-afë k' voz-e,
ë k'é dôa bî, da le ... ! ^^)
dadè se kretxäta!
lu bû dfia lu kràxa!^^)
15. no kromrë^^) ë l'afè
de djôlîa bwëtata.
VÖ trovrë pëa '*) dadè
pu yï çtxtë röbäta.
Voici un vilain encharbonné!
Si l'enfant le voit, [il] veut crier.
[Re]tire-toi derrière les autres,
(Récure) Nettoie ta barbiche!
Tu étais bien mal (re)lavé
Pour aller en voyage!
Es-tu un (racle-cheminée) ramoneur
Ou bien un (mal sage) méchant?
Quand l'enfant aura dormi,
Qu'il te verra, [il] veut sursauter.
Tu devrais avoir honte!
Tu fais peur au monde!
— Vous êtes bien stupéfaits,
De mon noir visage!
Les gens de notre pays,
C'est leur naturel.
Je ne suis pas si mauvais
Comme je suis encharbonné.
Nous avons traversé les mers,
Les bois, les campagnes,
Pour venir adorer le roi
Du ciel et de la terre.
— Venez donc voir notre enfant,
Il est dans cette crèche;
Mais venez tout doucement
Qu'il ne se réveille.
— Le bel enfant que vous avez,
Et qu'il dort bien, Dieu F ... !
Dedans sa crêchette!"
Le bon Dieu le (croisse) bénisse!
Nous donnerons à l'enfant
Des jolies petites boites.
Vous trouverez toujours bien dedans
Pour (y) lui acheter [une] petite rol)e.
— 389
Voici fie l'or et de l'argent,
De la myrrhe et de renrens.
Pour le reconnaître
Qu'il est de tout être.
16. noz-à rvè à no pt)yi.
Or adieu, morïa!
Pi'iez pour nous votre fils
ka da 119 eya pïdîa.
sa le dyêr vî sï,
rafûta à notra poyï.
vôz-ërë tërata,
djerdî ë màjanata.
17. — madlô, ë-ta bî vu
fër lé gramesa,
ixè sï nwä s'a rat/alë
po gretë se fesa?^^)
el â pœtmà nwä.
sï, më lëz-âtra so djôlï;
bë txëpë da näs
k'el ë txû yô tëtata.
18. — pïara, ë-ta prezîmë
à se djolîa träsäta
k'el evî pàdû ä ko,
k'é fëzî dyîdyanata?
— vo vo trôpë furieusement :
s'a de txînata d'ërdjà,
bêla ë djolïtïta,
ka vâyà bî sa râpa.
19. — Mar'te. Joseph è afë
k'â de le kretxata,
edûa! sa^'') noz-à-rvè
vwa no berbïjata.
no vë vwardë no moto,
no pësrë â pçpô.
Qu'en lui grâce abonde
po rëtxtë lu môda!
20. — ravanï no vwa savà,
ravanï à vël.-^)
komëdë bî à to
se djà de môténe.--)
Nous [nous] en (r)allons en nos pays.
Or adieu, Marie!
Priez pour nous votre fils
Que de nous [il] ait pitié.
Si la guerre vient ici,
(Courez) Réfugiez- vous en notre pays.
Vous aurez petite terre,
Jardin et maisonnette.
— Madelon, as-tu bien vu
Faire la grimace,
Quand ce noir s'est reculé
Pour gratter ses joues?
Il est vilainement noir.
Oui, mais les autres sont jolis;
Beaux chapeaux de noce
Qu'ils ont sur leurs (petites) têtes.
— Pierre, as-tu fait attention
A ces jolies petites tresses
Qu'ils avaient pendues au cou,
(Qu'elles) Qui faisaient drin! drin !
— Vous vous trompez furieusement :
C'est des chaînettes d'argent,
Belles et joliettes,
Qui valent bien cent rappes.
— Marie, Joseph et [r]enfant
Qui est dans la petite crèche,
Adieu! Or nous [nous] en (r)allons
Vers nos petites brebis.
Nous allons garder nos moutons.
Nous penserons au poupon.
Qu'en lui grâce abonde
Pour racheter le monde!
— Revenez nous voir souvent.
Revenez en visite.
[Re] commandez bien à tous
Ces gens des montagnes (?).
— 390
ravoni vwä nötra äfe;
nö vö pârè pfi päre,
e meriänäta
sërë kömeräta.
Revenez voir notre enfant;
Nous vous prendrons pour parrain,
Et Mariannette
Sera la petite commère.
(Feu M. l'abbé Dizard, curé de Courroux.)
2.*) Cantique patois sur l'adoration des bergers et des mages.
Je dois à l'obligeance de feu M. le curé doyen Echemann, à Cour-
rendlin, le noël suivant qui parfois explique ou complète quelques ex-
pressions ou strophes du précédent. Je laisse les titres des couplets tels
que M. Echemann les a notés.
Yif
■y. j j- j> j I ^ ^ J I J ^ j-- i' I j j !
vùa-lê VÖ, me bê bwàr-djîa, En cet - le nuit Hom-hre?
^
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^ ^' J j'
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nôz-â-là vwä le Messie, k'â va - nî â mô-da la txa - mi pö"
/i ; j' j- p^
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:it=^
la tro-vê? e Belli- lé - eni è fât -à -le, de êna ê - ta - la
}.'}' \ ^' J' J=
> T^
^
froi - de, à - tra la bûa è l'ë - na.
1. Visite des bergers.
— vu alë-vo, me bë bwardjîa, — Où allez-vous, mes beaux bergers,
En cette nuit sombre? En cette nuit sombre?
— nôz-alà vwä le Messie
k'â vanï à, raôda.
— la txemî pu la trovë?
— e Betldéeni è fât-alë,
de ena ëtâla froide.
àtra la bûa ë l'ëna.
— Nous allons voir {ou: vers) le
Qui est venu au monde. [Messie
— Le chemin pour le trouver?
— A Bethléem il faut aller,
Dans une étable froide,
Entre le bœuf et l'âne.
2. En arrivant à la porte de l'itahle.
käka, käka ëvo la dwa
à l'o da l'ëtâla.
— se bê xîre ka vwälä,
Ö k'è sôt-ëmâbla!
Frappe, frappe avec le doigt
A l'huis de l'étable.
— Ces beaux messieurs que voilà,
Oh ! qu'ils sont aimables !
!=) Voir Arch. III, p. 26-1, n" 2.
— 891 —
— dü8 vöt' bodjç, Ôxa djöze!
vwäli rüvt'9 k'â bî frç,
lêz-ëbre so djîavrê.
bodjo do. merîa.
— Dieu [soit] votre bonjour, oncle
[Joseph !
Voici l'hiver qui est bien froid,
Les arbres sont givrés.
Bonjour donc, Marie.
3.
vç n'ë dyër d'àtîidamfi,
mô bêl-ôxa djôze,
da vanï lôdjîa ïsî,
de st'ëtâla froide.
s' vôz-êtî 1 bù txepù,
vç rbotxrî to se pertù,
po sta pôar ermäta
k9 le bîja ëdjâla.
Reproches à Saint- Joseph.
Vous n'avez guère d'entendement,
Mon bel oncle Joseph,
De venir loger ici,
Dans cette étable froide.
Si vous étiez un bon charpentier,
Vous reboucheriez tous ces pertuis,
Pour cette pauvre petite âme,
Que la bise gèle.
4. Excuses de Saint- Joseph.
— vôz-ë bél-ë grmwanë,
fät-evwä pâsyàso.
pe le vël è damèdë
se trôvë rêzïdàsa.
no n'è k'î bûa ê îu-ëna;
dï môda nô sô rfùzë.
sa nôz-ëtî retxa,
txét;i;u no ferë fêta.
— Vous avez (bel à) beau murmurer,
[II] faut avoir patience.
Par les villes [nous] avons demandé
Sans trouver résidence.
Nous n'avons qu'un bœuf et un âne ,
Du monde nous sommes refusés.
Si nous étions riches,
Chacun nous ferait fête.
— màdlô, vë vita vwâ
t^u. kàka à le pôarta;
dï-yï ka not' äfe döa,
dùsamà s'êprôxa.
ö! txn à sï pœ rètxërbwàné?
not'àfè vœ fer e pûarë.
tîra-ta drïa lëz-âtra,
rëtyûra te berbâta!
5. Arrivée des mages.
— ■ Madelon, va vite voir
Qui frappe à la porte;
Dis-(y) lui que notre enfant dort.
[Que] doucement [il] s'approche.
Oh ! qui est ce vilain encharbonné ?
Notre enfant, [il] veut [le] faire (à)pleu-
[Re]tire-toi derrière les autres, [rer.
(Récure) Nettoie ta barbiche!
6'. Le roi nègre recommande de ne pas avoir peur.
vôz-éta bî ëkâmï Vous êtes bien stupéfaits
da mô pœ vëzëdja!
le djà da notre pays
s'a lûat« naturel.
De mon vilain visage !
Les gens de notre pays
C'est leur naturel.
392 -
ï na sde pa xï mâvê
kom-^) ï sde ëtxorbwanë,
Cherchant, je vous prie,
Ce beau fruit de vie.
Je ne suis pas si mauvais
Comme je suis encharbonné.
nô krômrè ë l'àfè
de djôlîa bwâtata,
k'ë ï ërë pë dadè
c c • X c
po yï etxtë robâta.
vwâsï da l'öe ë da l'ërdjà,
da le mir e da l'àsà,
ce '
po la rakonâtra
k'ël â pe dxù tot-âtra-*)
Nous donnerons à l'enfant
Des jolies petites boîtes,
(Qu')il y aura par dedans
Pour lui acheter [une] petite robe.
Voici de l'or et de l'argent,
De la myrrhe et de l'encens,
Pour le reconnaître
Qu'il est par dessus tout autre.
8. On envoie Madelon
madlô, vë vïta à l'otà,
prâ ena etp^éyata,
î bù morse da pè frä,
fë yï d'ie söpäta.
bôta le de sï pyetê sï:
s'i â tro txâda, xoxa yï.
la poar afè pûara,
s'a da frwä k'ë grûla.
faire de la soupe pour l'enfant.
Madelon, va vite à la maison,
Prends une petite écuelle,
Un bon morceau de pain frais,
Fais-(y) lui de la soupe.
Mets-la dans ce plat-ci;
Si elle est trop chaude, souffle (s-y)-
Le pauvre enfant pleure, [la] lui.
C'est de froid qu'il grelotte.
9. Réflexions
— pîara, e-ta prezîmë
txû se djôlïa träsäta
k'el ëvî pàdû â ko,
ka fèzî gàgyâta?
— vo vô trôpë ëxùrîamà:
s'a de txînata d'ërdjà,
bêla e djolïata,
k'vàyà bî sa râpa.
sur les mages qui sont partis.
Pierre, as-tu pris garde
(Sur) A ces joliespetites tresses
Qu'ils avaient pendues au cou,
Qui faisaient glin! glin!
— Vous vous trompez assurément :
C'est des chaînettes d'argent,
Belles et joliettes,
Qui valent bien cent rappes.
— pïara, motxa î po tô nël
fât-e k'à ta l'dîja?
ma vëtï, mâl-ovarnë,^*"')
y'ç da twä pidîa.
Pierre, mouche un peu ton nez
Faut-il qu'on te le dise?
Mal vêtu, mal (hiverné) nourri,
J'ai de toi pitié.
398
sa t'ç frç, prà mô mètç,
sa t'ç fè, prà di toatxç.")
Reprenffs (hnc huletnc
P9 rapyôra à l'èdja.
Si tu as froid, prends mon manteau,
Si tu as faim, prends du f^âteau.
Reprends donc haleine
Pour (re)plaire à l'ange.
//. Rf'fJe.fioH.s.
Adam (était) eût été bon »arçon
Sans sa sèche (gorge) bouche.
Il a mordu dans la poire sauvage,
[II] nous a mis (au vent) dehors.
S'il eût labouré ses champs
Et sa femme à coups de poing,
Nous aurions victoire
Sur (la petite ange noire) le diable.
(Patois de Courrendlin, Val de Delémonr.)
Voici maintenant quelques altérations de ce noël; une poésie de
20 strophes devait nécessairement être remaniée et mutilée par la tradi-
tion orale.
La première m'a été chantée par Pierre-Joseph Mamie, de Bonfol,
né en 1827. Jamais mon homme n'a voulu démordre de l'arrangement
de ses couplets; à toutes mes observations, il s'est contenté de me ré-
pondre eu branlant la tête: s'a (tïx) k'e l'fCi txetê = c'est ainsi qu'il le
f(u(t chanter!
Adam çto bù gêrsô
se se sätxa goardja.
èl-ç mC)9-®) de la byäso,-^)
nöz-e mï à l'oara.^'^)
s'èl dexa lebûrë sô txè
ç se fana ê ko da pwè,
nôz-erî vïktwâra
txû l'èdjata nwâra.
3.*) Noël en
1. êkùtë, djàna-mërîa,
txèsnata nùvela.
s'a lêz-èdja dï sïa
ka txètà novëlata,
à txëtè: â! c/loria!
tot-àswana: AUeluia!
Gloire éternelle
Rir dessnr la terre!
2. é sô vnû to d'î ko
se trwà rwa, txû de chameau,
è vè kàkë à lé pûatxa.'^^)
3. djàna-mërïa, ve t'a vûa
txu kàka à le pûatxa,
ë dï yO ka l'afë dûa.
Que doucement s'approchent.
*) Voir Arch. III p. 268.
patois de Bonfol (Ajoie).
Ecoutez, Jeanne-Marie,
Chansonnettes nouvelles.
C'est les anges du ciel
Qui chantent [des] nouvelles,
En chantant: Ah! f/loria!
Tous ensemble : A/feluia !
Ils sont venus tout d'un coup
r: Ces trois rois, sur des chameaux;
Ils vont iraj^per à la porte.
Jeanne-Marie, va-t'en voir
Qui frappe à la porte,
Et dis-leur que l'enfant dort,
Que doucement [ils] s'approchent;
— 394
s'a sï pœ nwä l'àtxërbwt'iiê
ka not' afë ë te rëkrïê.^-)
vé t'a drïa léz-âtra
rétyùrio te berbät8!
4. tyß vo rpêsre, pwä xï,
ravanï à vêla.
no bàteyerè^^) not' afè,
no vo pràdrè^*) po pârè;
vo dû, lé mëyànata,^'
sere lé komërata.
5. e sô raie promanë
xù se villes sombres.
Là où le Messie est né.
Est venu au monde.
Eu marchant pour le chercher.
A Bethléem ils l'ont trouvé.
de ena étale froide
àtra le bûa ë l'ëna.
6. Pierre, e-te bï prezîmë
txû se djôlia trâsato?
— te ta trôpa exurîemà:
s'a de txînàto d'érdjà
ke fëzî gliglmàta,
ke vâyî bî sa râpe.
7. reyûa yï sÔ yë,
fe yï se sopato.
vwali dï pëpë^^) pwa lï;
s'ël ä trö txâ, yS^^Yß J^i
txëte yï txësnate:
dû8, dü9, me puer ermäte.
8. Hélas! ke pàsî-vo,
mô bêl-Ôxa djôzé,
de venï do vo lodjïe
dadë st' ëtâle froide ?
vo k'voz-ëte î bô txépû,
rebutxïe to se patxû;^^)
kär l'afè grûle,
s'a dï frwa k'él àdûre.
La seconde altération me
Fahy, née en 1825.
C'est ce vilain noir encharbonné
Que notre enfant a tant (ré)crié.
Va-t'en derrière les autres
(Récurer) nettoyer ta barbiche!
Quand vous repasserez par ici,
Revenez en visite.
Nous baptiserons notre enfant,
Nous vous prendrons pour parrains;
Vous deux, la Mariannette,
Serez les (petites) commères.
Ils sont (r)allés promener
Sur ces villes sombres,
Dans une étable froide
Entre le bœuf et l'âne.
Pierre, as-tu bien fait attention
(Sur) A ces jolies petites tresses?
— Vous vous trompez furieusement ;
C'est des chaînettes d'argent
Qui faisaient glin! glin!
Qui valaient bien cent rappes.
Fais-lui son lit,
Fais lui sa petite soupe.
Voici de la bouillie par là ;
Si elle est trop chaude, souffle-la-lui ;
Chante-lui chansonnettes :
Dors, dors, ma pauvre petite âme.
Hélas! que pensiez-vous,
Mon bel oncle Joseph,
De venir donc vous loger
Dans cette étable froide''
Vous (que vous) qui êtes un bon char-
Rebouchez tous ces trous; [pentier.
Car l'enfant grelotte,
Cest du froid qu'il endure,
vient de M""^ Marie-Jeanne Guélat, de
— 895
4. Noël en patois de Fahy (Ajoie).
1. ëkiitê, djàn9-mr'rï8,
sta txèsanata.
s'a lëz-èdjat8 dï sï9.
ka vlà vnï à vêla ta.
2. vç n'e p' bî prezîmë
à se djôlîa trâsata
k'el è xù yo têtuta,
ka pwetxà gogayäta.^^)
— vo vo tropë exûrîamà:
s'a de txînâta d'érdjà,
bêla e djöliäta,
ka vâlî bî sa râpa.
3. vo, sï grà se djôze,
k'vôz-êta àkwe û si bù txepù,
rbotxïa to se patxù,
ka st' afè grilla;
s'a d'frwa kèl àdûra.
Ecoutez, Jeanne-Marie,
Cette chansonnette.
C'est les petits anges du ciel
Qui veulent venir en visite.
Vous n'avez pas bien pris garde
A ces jolies petites tresses
Qu'ils ont sur leurs têtes,
Qui (portent) font glin, glin (?).
— Vous vous trompez assurément:
C'est des chaînettes d'argent,
Belles et joliettes,
Qui valaient bien cent rappes.
Vous, ce grand saint Joseph,
(Que vous)qui êtes encore un si bon char-
Rebouchez tous ces trous, [pentier,
(Que) cet enfant grelotte;
C'est de froid qu'il endure.
La troisième altération m'a été communiquée par M. Sébastien
Chételat, de Montsevelier, tailleur à Delémont. Dans tous ces noëls, la
mélodie est la même que celle que j'ai notée.
5, Noël en patois de Montsevelier (Delémont).
1. t;çù. a-s'ka kaka, käka, kaka
à l'o da l'ëtâla?
— se bë xîra ka vwälä,
ö! k'e sô ëmâble!
à vwalï û k'â pœtamà nwa!
lëz-âtra sô pu djôlï;
bêla djôliàta.
k'vâyà bî sa räpa.-^^)
2. — piarä, motxa î po to ne;
fât-è k'à ta l'dvoxa?
niiï vëti, mâl-ovarnë,
da twä y'ê pïdia.
ast'ë*") fre, prà mô mëtë,
ast'ë fë, prà dï totxë,
pô rapâra alëna,
pÔ rapyëra à l'ëdja.
Qui est-ce qui frappe, frappe, frappe
A l'huis de l'étable?
— Ces beaux messieurs que voilà,
Oh! qu'ils sont aimables!
En voilà un qui est vilainement noir !
Les autres sont plus jolis;
Belles, joliettes,
Qui valent bien cent rappes.
Pierre, mouche un peu ton nez ;
Faut-il qu'on te le dise?
Mal vêtu, mal nouiTi,
De toi j'ai pitié.
Si tu as froid, prends mon manteau
Si tu as faim, prends du gâteau,
Pour reprendre haleine.
Pour (re)plaire à l'ange.
396
3. Adiuii çtë bô gorso
se se satxa goardja.
el ë morjù de î byàso,
e i-y'e lëxia so trô^o.
Adam était bon garçon
Sans sa gorge sèche.
Il a mordu dans une poire sauvage,
Et il y a laissé son tronçon.
6. Noël en patois de Courgenay (Ajoie).
^,b-:/. /• / i /| ^ ^ J I ;•/ j-i'l ^' ''^
kê bru à-tàt - ô pwà xi? kê brû à-tàt - 0 pwà xï?
l-j^ J- J I ^ J-^^
^O I ^ ^' >
P^E^
s'â lö lu k'â ê bèr - bi — . ! vi - ta - ma de - pâ-djîa
i
^' J- ' J i
j^ / I / .^ J:
bô - ta vit - ma
vo:
ô k'à la txœ-sa!
la rù - djè
^ J^ ^ J- I j j
ë - prç se kèr - kê - sa.
1. kë bru àtàt-ô pwa xï?
s'â lo lu k'â ë berbï!
vïtamà dëpâdjîa vo !
0 k'à la txœsa!
botà vitmà la rùdje*^)
épré se kerkesa.
2. — nô, s'a le Jless'fè k'â no
da le vïardja mena.
vïtamà dëpâdjà no
d'âlë l'edorë
ë d'ï fër nô politë.^-)
3. twa, kola, t'é de sülö
e po ena bel rüdja vesta;
s'â twa k'ta fare l'àtrë,
tyè no srèz-ârïvë.
/w C c
4. lö bôdjwë, déma mena !
nôz-è âxï êna pteta fyata
p() bresîa vot' äfnä.
po tota peyûra,*'^)
Quel bruit entend-on par ici?
C'est le loup qui est aux brebis!
Vite(ment) dépêchez-vous !
Oh ! qu'on le chasse !
Mettons vite(ment) le Bouget
Après sa carcasse.
— Non, c'est le Messie qui est né
De la Vierge Marie.
Vite(ment) dépêchons-nous
D'aller l'adorer
Et (d'y) de lui faire nos politesses.
Toi, Colas, tu as des souliers
Et puis une belle veste rouge;
C'est toi (que tu) qui feras l'entrée,
Quand nous serons arrivés.
Le bonjour, Dame Marie!
Nous avons aussi une petite tillette
Pour bercer votre petit enfant.
Pour toute paye (?),
t^è k'vç farë dï pêp*^,
vy yi béyarê lo re;çûr8.
397 —
Quand (que) vous ferez de la bouillie,
Vous lui donnerez (la raclure) le
[gratin.
(M. Girard-Mouliat, à Courgenay.)
Dans les deux numéros suivants, il y a non seulement altération
du texte in'imitif, mais encore contamination de deux chansons.
7. Patois de Courtedoux (Ajoie).
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mé t;^ù - lât ï n'sô tro - ve.
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j' j / /i j j^ j: j I j- J-^
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n'sê tro - ve; ï krè k'à ma l'ë de - rô - bê,
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kê mâ-li-sa!
/ j^ :" \ ^^
ï
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k'à m'iè rè - pwètxa
â pu
tô
k'ï le ve • ta vï
ta]
1. Ö me t;çiilat8 ï n'së trovê;
ï kre k'à ma l'ë dérobe.
Ö kë mâlïsa!
k'à m'ie rëpwëtxa ä pu tô
k'ï le vêta vita!
2. 0 n'a-s'pa le mâlédïksyô!
y'e vëtï më txâs e rt;i^ölo',
soll m'àgrëna.
ï kre ka pu t;çûta àn-o,
mwë à fë d'bëzëiia.
3. 0 twà, kola, t'ë de sùlë;
ta ta se bî përë,
t'ë rùdja vësta.
tîra-nô tu d'àbërë
d'iè politesse.
4. Ö mër, nçz-ë àkwô î bré
po brasïa not' äfe
de seta peyilra.
t;çè vo yï farë dï pëpë,
y' erë le rojûra.**)
Oh! ma culotte je ne sais trouver;
Je crois qu'on me l'a dérobée.
Oh! quelle malice!
Qu'on me la rapporte au plus tôt
Que je la vête vite!
Oh! n'est-ce pas la malédiction!
J'ai (vêtu) mis mes chausses (à re-
Oela me fâche, [culons) à rebours ;
Je crois que plus [de] hâte on a,
Moins on fait de besogne.
Oh ! toi, Colas, tu as des souliers ;
Tu te sais bien parer.
Tu as veste rouge.
Tire-nous tous d'embarras
De la politesse.
Oh ! mère, nous avons encore un ber-
Pour bercer notre enfant [ceau
Dans cette balle de froment.
Quand vous (y) lui ferez de la bouillie,
J'aurai le gratin.
398
Quand les gens iront tous moissonner,
J'en aurai cinq à garder.
Oh ! quelle affaire !
Aussitôt que l'un est (r)apaisé,
Voici l'autre qui bêle!
(M. Louis Stouder, fabricant d'horlogerie, de Courtedoux,
à Porrentruy, né en 1840.)
5. t^è le djà âdrè tu mûexanë,
y 'an - erë sît;ç8 è vwêdjé.
Ö kêl-efçre!
exïtô*^) k'yû â repejïa,
vwalï l'âtra ka bêla !
8. Patois de Bressaucourt (Ajoie).
1. Ö pï9r-djozë, t'é éne mèrî8.
n'ëtî-vo pa bi lœdjîa
txëa le vâtlara?^*^)
venï vo lœdjïa txëa no,
vo serë de nötra.
2. Ö n'a-s' pa le malédiction!
y'ë vëtï më txâs e rt;falô;
soll m'âgrena.
ï kre ka pu t;fùta àn-ô
mwè à fe da bëzéna.
3. iyè s'a k'ië djà âdrè môaxanë
y'ân-erë sît;ja e vwadjë.
Ö kêl-efëra!
iyjè s'a k'yû serë râperjïa,*^)
vwalï l'âtra ka bêla!
4. Ö mër, nôz-è àkwè î brë
po brasîa set-afè
de se pëyûra.
t^Q vo yï farë dï pepe,
mwâ y'erë le rojûra.
Oh! Pierre-Joseph, tu as une Marie.
N'étiez-vous pas bien logés
Chez la Vautière?
Venez vous loger chez nous,
Vous serez des nôtres.
Oh! n'est-ce pas la malédiction!
J'ai mis mes chausses à rebours;
Cela me fâche.
Je crois que plus [de] hâte on a,
Moins on fait de besogne.
Quand (c'est que) les gens iront mois-
J'en aurai cinq à garder [sonner.
Oh ! quelle affaire î
Quand (c'est qu')un sera apaisé,
Voilà l'autre qui bêle !
Oh! mère, nous avons encore un
Pour bercer cet enfant [berceau
Dans sa balle de froment.
Quand vous lui ferez de la bouillie,
Moi j'aurai le gratin.
(M""^ Daucourt-Duplain, née en 1819, à Bressaucourt.)
9. Noël en patois de Miéeoupt (Ajoie).^^)
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î be mè - tï
ma yô - vè, ka îè tî9r pra-
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hê son blanc man -te - let, txè -ta nô - lë, nô - le, no -lêt-ew- cor
— 399
1. î bê m«Hî
ï ma yovê,
ka le tiar prafië
son blanc mantelet.
txètJÏ nolÇ', nôlê,
nôlêt-encor.
2. i m'a sœt-alë
t;ç8rï kolïne
ka sa promanë
de so djêrdïne.
txètà, etc.
3. ka fêta vo lï
gàrsonë djolï?
— y' êkùta txètë
la rôsïnôlé.
txètà, etc.
4. ka di de sô txè,
dï k'à Bethléem
ä ne la nôlê
txètà, etc.
5. di k'à Bethléem
â ne la nölö.
é no pétxà tu
vûar l'àfàtale.
txètà, etc.
6. nôz-à fdéna vûar
la patë pöpnä,
ka se mër kutxë
àn-î mëyolà.
txètà, etc.*^)
Un beau matin
Je me levai.
Que la terre prenait
Son blanc mantelet.
Chantons Xolé, Xolé,
Xolé-t-encor!
Je m'en suis allé
Quérir Colinet
Qui se promenait
Dans son jardinet.
Chantons, etc.
Que faites-vous là
Garçonnet joli?
— J'écoute chanter
Le rossig7iolet
Chantons, etc.
Qui dit dans son chant.
Dit qu'à Bethléem
Est né le Xolé (Xoëlj
Chantons, etc.
Et nous partons tous
Voir l'enfuntelet.
Chantons, etc.
Xous [nous] en fûmes voir
Le petit poupon
Que sa mère couchait
(En) Dans un petit maillot.
Chantons, etc.
(M""« Bertha Pheulpin, à Miécourt.)
400
II. Le Bon-An. ^'0
10.*) Bon-An en patois de Courroux.
Lent (,
ë y'è ôt djö ke nâ ât - è - yû, txè - ta nô-
I f J M r r r i-|nJ j-J j'i j. ;^^jL^
^
vwfî - si la bon - à k'â
V9
- ni, txè - ta no - ê, nç
e:
1. è y'é ôt djoke na^^) at-ëyù,^-) Il y a huit jours que Noël (est été)
txètà nöö,
vwasï le bôn-à k'â vanï,
txètà noë, noë!
Chantons Noël, [a eu lieu,
Voici le Bon -An qui est venu,
Chantons Noël, Noël.
Pour réjouir les jeunes gens,
2. po rëdjoyï le djûana djä.
txètà noë,
X8 bî le grç kom le pate,'""^)
txètà noë, noë!
3. eportë-no le brek^*) evè
txètà noë,
î bo morse da votra pè,
txètà noë, noë!
4. éna bënapwënïa da votra ërdjà Une bonne poignée de votre argent,
txètà noë,
î bô pyatë da vö beüä
txètà noë, noë!
Si bien les (gros) grands (comme)
[que les petits.
Apportez-nous la „brique" avant,
Un bon morceau de votre pain.
Un bon plat(eau) de vos beignets.
11.**) Bon-An en patois de Delémont.
1. ë y'é fit djo ka nâ ât-ëyû II y a huit jours, etc.
txètà noë,
vwasï la bôn-à k'â vanï
txètà noë, noë!
2. po rëdjoyï le djûana djà,
txètà noë,
xa bî le vëya^^) ka le djûana,
txètà noë, noë!
3. xa bï le pâte ka le grô
txètà noë.
Pour réjouir les jeunes gens.
Si bien les vieux que les jeunes
Si bien les petits que les grands.
*) Voir Arch. III p. 269, n" 3.
**) Voir Arch. III p. 270, n« 4.
— 401
X8 bï le pôvra^^) ka le retxa
txètà nço, nçë!
4. epôrtë no le bret;ç9 èvè.
txètà nyê,
ï bô mçrsê da vötra pè
txètà nçê, nçë!
5. î l)o djano*') da vô pôma
txètà noe,
î bù mûrsè da votra lô,
txètà noê, nôë!
6. 1 bù txèbô dâ votra tüt;'^**)
txètà nôë,
ena bona pànarè d'erdjà se kùtë
txètà nôë, noê!
Si bien les pauvres ({ue les riches.
Apportez-nous lu „bri(iue" avant,
Un bon morceau de votre pain,
un bon tablier plein de vos pommes,
Un bon morceau de votre lard.
Un bon jambon depuis votre cheminée,
Une bonne panerée d'argent sans
[compter.
(Feu M. Benoni Köhler, cordonnier, né en 1830, Delémont.)
12.*j Le Bon-An des Capucins (Patois de Develier).
Il y a huit jours, etc.
1. è y'è Ôt djô ka nâ ât-èyu
txètà nôë,
vwàsï la bon-à k'â vanï
txètà nôë, nôë!
2. ka dûa banâxa sï kûvà.
txètà nôë,
to se k'yï sô vot;çû kôtà!
Etc.
3. ka dfia banâxa le kàpûsî
Etc.
e yï beya ëde dï bo vi!
Etc.
4. se por përa la raërïtà bî.
Etc.
e vë ë mëtëna xa métî!
Etc.
5. se por përa vè é nii pie,
Etc.
s'a pô àtrë dadè la sîa!
Etc.
*) Voir Arc/i. Ilf p. 271. n- 5.
Que Dieu bénisse ce couvent.
Tous ceux qui y (sont) ont vécu
[contents!
Que Dieu bénisse les capucins
Et (y) leur donne toujours dubon vin !
Ces braves pères le méritent l)ien,
Ils vont aux matines si matin!
Ces pauvres pères vont à nu-pieds,
C'est pour entrer dedans le ciel!
26
— 402 —
6. no yï t;^uâjà^^) bî ce bonheur, Nous leur souhaitons bien ce bonheur,
Etc.
dû8 lé prëzerva da malheur! Dieu les préserve de malheur!
Etc.
7. da vo bî nô vô rmérsyà, De vos biens nous vous remercions,
Etc.
éna bwana ànê no vô swatà! Une bonne année nous vous sou-
Etc. [haitonsl
(M. Saulcy, ancien instituteur, Develier.)
13. Bon-An en patois d'Aile (Ajole).
1. vwasï la bôn-à k'â vanï,
ka to la môda â redjùyï,
txètà nôë!
2. le vétxa â pré k'è fé trâ vë,
e y'àn-è û k'à î bwê kom î tore!
Etc.
3. noz-ëvî fê dï bu twetxë,
k'ëtê to frâyîa d'nit/arë!
Etc.
Voici le Bon- An qui est venu.
Que tout le monde est réjoui,
Chantons Noël!
La vache au pré qui a fait trois veaux,
Il y en a un qui a un ventre comme
[un taureau!
Nous avions fait du bon gâteau,
Qui était tout graissé de morve!
(Joseph Billieux, à Aile).
? bonsoir, ? Bon- An!
Voici le premier jour de l'an.
14.*) Bon-An en patois de Mervelier (Delémont),
1. ädö'^) bôswâr, adô bon-à!
vwasï la parmïa djc» da l'a.
]Sotre Seigneur nous aime tant
Qu'il le renouvelle tous les ans.
2. îiotre Seigneur a-t-un jardin
Jji où il croit du pain et du vin.
C'est pour nourrir ses orphelins.
3. A vous, Madame, et d'action.,
La charité, donnez- nous- la!
Au paradis la retrouverez-vous.^^)
4. ka dûa banâxa sta mâjô,
tô per àmê,^^) to per àsô!^-)
Et le maître de la maison
Que Dieu lui donne sa hénédiction !
(Charles Mouttet-Naiserez, né en 1826, à Mervelier.j
*j Voir Arcli. IIl p. 273, n' 7.
Que Dieu bénisse cette maison,
Tout par le milieu, tout par en haut!
403
Outre les chants de Nouvel-An ci-dessus, l'Ajoie connaît encore
un autre Bon- An qui a dû être fort répandu et très populaire, et dont
ou retrouve la mélodie presque telle quelle jusqu'à Montbéliard.
15,*) Bon-An en patois d'Ajoie
1^-/^ J / H^^ ^1 J ^l^ylj JIJ.^
bô-swâ, bô - swâ, mê • tra do se lyo! vwà-sï la bon - à
il «j IJ J
j j U.^'l j ^ N' /l J
^
k'â va - ni, ka tô la raôda â
re
djô
yi-
ka dûa vt)
rrU^^â
<i \J JTTTT^^
bôta an - î bon - à !
ka diia
vo
dô
bwâna
a - ne!
1 . bôswa, bôswa, mëtra da se lyô ! ^^)
vwasï la bôn-à k'â vanï,
ka tô la môda â rédjovï.
ka dûa vo bota àn-î bôn-à!
ka dûa vo dô^^) le bwâna ànë!
2. ëtè le grô ka le pâté,
ka to la môda â redjoyï.
ka dûa, etc.
3. le dûsa vîardja èt-î djédjî^^)
k'e yï krâxe dï pè é dï vî,
k'é yï krâxë da tô le bî.
ka due, etc.
4. nota Seigneur s'y promenait
èvô î bâtô d'érdjà fârë.
ka dûa, etc.
5. lo pu brâv àna dï peyï
s'a lô . . . .®^) ka lô vwâli.
ka dûa lo bota àn-i bôn-à!
ka dûa vô dô le bwâna ànë!
Bonsoir, bonsoir, maître de ces lieux !
Voici le Bon-An qui est venu,
Que tout le monde est réjoui.
Que Dieu vous mette en un bon an !
Que Dieu vous donne la bonne année !
Autant les gros que les petits,
Que tout le monde est réjoui.
La douce Vierge a un jardin [du vin,
(Qu'il y) Où il croissait du pain et
Où il croissait de tous les biens.
Notre Seigneur s'y promenait
Avec un bâton ferré d'argent.
Le plus brave homme du pays
C'est le ... . que (le) voici.
Que Dieu le mette en un bon an!
Que Dieu vous donne la bonne année !
Que Dieu bénisse cette maison,
Toutes les lattes et les chevrons î
6. ka dûa bnîa®^) sta mâjô,
to le leta e le txavîrô!*^*)
ka dûa, etc.
(Communiqué par M™^ Fenk-Mouche, institutrice, à Porrentruy.)
*) Voir Arch. III p. 272, n" 6.
404
16. Bon- An en patois de Poprentruy.
1. vwasï le bôn-à k'â vanï
ka to la mode â rçdjoyï.
ka dû8 vo bots àn-î bon-à,
me dû8 vo dô le bwän9 àne!
2. Notre Seigneur s'y promenait
emô se txè, êvâ se pré,
evô ï bâtô d'erdjà fârë.
ko due, etc.
3. le dûso vï9rdJ8 çt-î djédjî
k'e yï krâxe do to le bî,
k'e yï krâxë dï pè e dï vî.
ke dÛ8, etc.
4. ka dû9 bnëxœxa sta mâjô,
ka to le leta e le txavrô,
to so ka pà ëz-àvïrô !
ka dûa. etc.
Voici le Bon-An qui est venu.
Que tout le monde est réjoui.
Que Dieu vous mette en un bon an,
Mais Dieu vous donne la bonne année !
Notre Seigneur s'y promenait
En haut ces champs, en bas ces prés,
Avec un bâton ferré d'argent.
Ladouce Vierge a un jardin [biens,
(Qu'il y) Où il croissait de tous les
(Qu'il y) Où il croissait du pain et
[du vin.
Que Dieu bénisse cette maison,
(Que) Toutes les lattes et les chevrons,
Tout ce qui pend aux environs!
5. ë dyà k'vôz e d'ie bwana ëdwëya -, ^^) Ils disent que vous avez de la bonne andouille :
beyîta nôz-à t;fët;fû î bùtxa, Donnez-nous-en [à] chacun un petit bout,
î bütxä kmà î manavla,'^'^) TTn petit bout comme un petit levier,
î manavla kmà în-êtla.'*) Un petit levier comme un petit foyard.
ka dûa, etc.
6. ë dyà k'vôz-ë dï bô twëtxê;'-)
beyîta nôz-à t;fot;çû î mwexê,^^)
î mwexë kmà î t;^û d'pyetë,
1 t;fù d'pyetë kmà î t;^û.vë
ka dûa, etc.
7. e dyà k'vOz-e de bwana nojeya;''*)
beyîta noz-à t;^ët/û ena pwenîa,
ena pweöla kmà ena tetxîa,'^)
ena tetxia kmà ena bêsetxîa^^)
ka dûa, etc.
Ils disent que vous avez du bon gâteau:
Donnez-nous-en [à] chacun un morceau.
Un morceau comme un (culj fond de plat,
Un fond de plat comme un cuveau.
Us disent que vous avez de bonnes noisettes;
Donnez-nous-en [à] chacun une poignée,
Une poignée comme une poche pleine.
Une poche pleine comme une besace pleine.
8. ç dyà k'vöz-e d'ië bwana gota;'^'') Us disent que vous avez de la bonne goutte;
beyîta noz-à t/ët/u î vwärä, Donnez-nous-en [à] chacun un petit verre,
î vwârà kmà î swäyatä, Un petit verre comme un petit seau,
ï swäyatä kmà î vêxala. Un petit seau comme un tonnelet.
(Feu M. Cœudevez, né en 1830, à Porrentruy.)
— 405 —
17. Variante en patois de Roeourt (Ajoie).
1. à dï k'voz-è d'ié bwêna èdwéya; On dit que vouz avez de la bonne andouille ;
bçyîta noz-à vûar î bûtxa, Donnez-nous-en voir un petit bout,
ë pö prë grà kmà în-êtla. A peu près grand comme un petit hêtre.
2. à dï k'voz-é d'iç bwena gota; Ou dit que vous avez de la bonne goutte;
bèyïta nôz-à vûar î vwâra, Donnez- nous en voir un petit verre,
é pô prê grà kmà î swäy^tä. A peu près grand comme un petit seau.
(Gustave Quiquerez, aubergiste, à Roeourt.)
18. Variante en patois de Cœuve (Ajoie).
à dï k'voz-é t;çûe î pua; On dit que vous avez tué un porc;
s'a po sôlï k'no vûà vûa C'est pour cela que nous venons voir
s'no n'serî evwä î bû d'bùdî, Si nous ne saurions avoir un petit bout de bou-
è axï î ptè vwâr da vî. Et aussi un petit verre de vin. [din,
(M^"® Thérèse Ribeaud, ancienne institutrice, née en 1834,
à Cœuve.)
On me permettra de transcrire ici un Bon-An en patois de Montbéliard,
plus complet que ceux que j'ai moi-même récoltés dans le Jura bernois. Il
sera aussi intéressant de comparer ce patois Montbéliardais au patois ajoulot
et au vâdais. Malheureusement je ne possède pas assez à fond cet idiome
pour oser en donner une transcription phonétique.
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19. Bon-An en patois de Montbéliapd.
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Voi - ci lou bon an qu'à ve - ni
port de voix
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Yoi - Cl lou bon an qu'à ve - ni Que tout lou monde â
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ré - djo - yi, A - tant les grands que les pe-tets. Due vos
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bou - tait dans n'bouène on - naie Dans n'bouène on-
naie se vos len - trai.
— 406
1. Voici lou bon an qu'à veni
Que tout lou monde â rédjoyi,
Atant les grands que les petets.
Due vos boutait dains n'bouène
onnaie
Dans n'bouène onnaie, se vos reu-
[trai!
2. Tschampai nos de vos bons côtis
Que sont pendus aï vos reutis.
Due vos. etc.
3. Tchampai nos de vos bons tcbam-
Que sont pendus aï vos bâtons, [bons
4. Tchampai nos lou pô tout entie,
Les oroiir et les quaître pies.
5. Copai a lai sans rêgaidjai,
Mais prentes vadj' de vos côpai.
6. Baillies-nôs de vos êtchâlons
Que sont dedans lai tchambre â long.
7. Baillies-nôs de vôt' bon toutché
Qu'à dans l'airtche â pie de vot' lé.
8. En' poignie d'ordjent sans
[comptai,
Mais prentes vadj' de vos trompai.
9. L'aflenot qu'à i bre coutchie
De lai main de Due sait soignie!
10. Due bénisse cete mâson
Tout par en me, tout par en son!
11. Et lou maître de lai mâson,
Due li dene bouène fôson!
12. Et lai maîtresse de cions,
Due en ait grand compassion!
13. Xôs ans les pies tout edgeolais
Et lai bairbe toute dgievraie.
Voici le Bon -An qui est venu
Que tout le monde est réjoui,
Autant les grands que les petits.
Dieu vous mette dans une bonne
[annéel
Dans une bonne année, (si) voici que
[vous rentrez !
Jetez-nous de vos bonnes côtelettes
Qui sont pendues à vos rôtis (?)
Jetez-nous de vos bons jambons
Qui sont pendus à vos bâtons.
Jetez-nous le porc tout entier,
Les oreilles et les quatre pieds.
Coupez au lard sans regarder,
Mais prenez garde de vous couper.
Donnez-nous de vos noix
Qui sont dedans la chambre au long,
Donnez-nous de votre bon gâteau
Qui est dans l'arche au pied de
[votre lit.
Une poignée d'argent sans compter,
Mais prenez garde de vous tromper.
Le petit enfant qui est au berceau cou-
De la main de Dieu soit soigné! [ché
Dieu bénisse cette maison
Tout par au milieu, tout par en haut !
Et le maître de la maison,
Dieu lui donne bonne foison!
Et la maîtresse de céans,
Dieu en ait grand' compassion!
Nous avons les pieds tout gelés
Et la barbe toute givrée.
— 407 —
14. Se vos ne veuillais ran denai, Si vous ne voulez rien donner,
En' fâ pê tant nos erratai, 11 ne faut pas tant nous arrêter,
Car âtre pai nos v'iien ollai. Car autre part nous voulons aller.
15. Due bénisse cete raâson, Dieu bénisse cette maison,
Monsieur . . . ., ses bés gochons, Monsieur . . . ., ses beaux garçons,
Ses beir gaichottes tout di long! Ses belles filles tout du long!
{Almanach des Bonnes Gens du Pays de AJonlbéliard,
Année 1895.)
D Almanach ajoute : „Le Vieux Bon-An, connu depuis peut-être
plus de trois siècles dans notre pays, n'y est déjà presque plus chanté.
Il y a 50 ans à peine, pendant la nuit du 31 décembre, les habitants
de Montbéliard parcouraient encore les rues en le chantant.
A minuit, ils entraient les uns chez les autres, on s'embrassait,
on buvait du vin du pays en mangeant une andouille ou en cassant
des noix.
Dans les plus humbles ménages, comme dans les plus riches
familles, l'année alors commençait gaîment."
M. John Viénot donne 3 variantes de ce Bon-An dans ses Vieilles
Chansons du Pays de Monthéliard (Montbéliard 1897) p. 11 et sq. Il
dit (p. 11 note 1): „La veille du jour de l'an, pendant la nuit, les
jeunes gens parcourent les rues des villes et des villages en chantant le
Bon an ; ils s'arrêtent aux portes des principaux habitants et ne cessent
leurs chants que lorsqu'on leur a donné quelque chose. Ce chant du
nouvel an se chante avec quelques variantes dans la Franche-Comté et
le pays de Porrentruy.''
Voici maintenant la façon dont les enfants remerciaient les personnes
qui les gratifiaient d'une pièce de monnaie ou de tout autre cadeau
(Cf. N« 12, str. 7, N° 14, str. 4, N° 15, str. 6, N« 19, str. 15). Ces
remerciements se disent aussi après le chant des Rois. (Cf. N° 24, str. 4,
N° 25, str. 3 et 26, str. 3).
*) no vô rmërsyà de bî ka vô no fêta, Nous vous remercions des biens que
[vous nous faites,
no prïrè dûa per se divine grâce Nous prierons Dieu par sa divine
[grâce
k'ena âtra ànê vô nôz-à poyoxî beyî9 Qu'une autre année vous nous en
[puissiez donner
a grôsa djö8 é à bona sètè! En grosse joie et en bonne santé!
(M. Oscar Broquet, Courrendlin.)
*) Voir Arch. III. p. 278.
408
Mais si on les renvoyait les mains vicies, ils chantaient:
Nous vous remercions de votre sèche
[croûte;
Gardez-la hien pour mouiller votre
[soupe.
Après votre mort, les chiens, les
[chats vous pisseront dessus!
nô vo rraarsyà da vötra sätxa krota
prèdjia le bî po moyîa vôtra sopa
èprë vot' moa, le txî, la txè vô pixrè
le txî, le txe vô pïxrè dxû ! [dxû,
M. Xavier Köhler (Paît. p. 8) cite le couplet suivant:
ka due vo beya de reta esë, Que Dieuvous donne des souris assez,
pa da txe po lêz-etrepë, Pas de chat pour les attraper,
pa d'bâtô po lëz-ësànë! .... Pas de bâton pour les assomme]!...
La même malédiction se retrouve dans le Bon-An Montbéliardais
que j'ai cité plus haut:
Due vos dene des raittes aissai,
Ne tchin ne tchait po les aittrapai,
Pouèn de bâton pou les tiuai (tuer).
Autre remerciement en patois de Miéeourt.
nô vô rmërsyà de bî ka vô no fêta;
no prîarè dfla par sa divine grâce
k'ë vô bëyœxa sètë, prospérité,
ena pyesa à peredï
é txvâ xû éna bërbï.
Nous vous remercions des biens que
[vous nous faites;
Nous prierons Dieu
Qu'il vous donne santé, prospérité.
Une place au paradis
A cheval sur une brebis.
(M""« Bertha Pheulpin, Miéeourt.)
Autres remerciements en patois de Grandfontaine.
à vo rmërsyë d'vot swätxa krötäta, En vous remerciant de votre sèche
[petite croûte,
vwadjë le vo pu fer vôtra söpäte; Gardez - la - vous pour faire votre
à l'âtra môda En l'autre monde [soupe;
le txî, le txe vô pïxrè dxû. Les chiens, les chats vous pisseront
[dessus.
nô vô rmërsyà de bî ka vô nô fêt;
no prïrè dûa pë se divine grâce
k'à l'âtra môda ë vo beyœxa ré-
[compense.
Nous vous remercions des biens que
[vous nous faites;
Nous prierons Dieu . . .
Qu'en l'autre monde il vous donne
[récompense.
(Xavier Babey, Grandfontaine.)
409 —
III. La veille des Rois.
20.*) La „pèyïsô" (Chant des bouviers).
C'est un chant qu'on ne connaît qu'à Develier (Vallée de Delémont)
et qui se dit le soir du 5 janvier, veille des Rois. Les jeunes bouviers
(/ê hony le chantent en parcourant le village, et accompagnent chacun
des ,.(ltxalöh(T^ d'un vigoureux coup de fouet. D'où vient ce chant si
particulier? A quoi fait-il allusion? Quelle fête doit-il commémorer?"')
On ne le sait plus, comme on ignore aussi tout k fait ce que signifient
ces mots de „pçyîso'' et de „otxa/ô/jo'^ . En publiant ce chant dans Arc/i.
III p. 274, n° 8, je l'ai intitulé la „i;e7.v//o"; c'est ainsi que l'avait appelé
un vieillard de Develier, M. Chappuis, crieur public, qui m'en avait in-
diqué les paroles en 1894. Mais un autre vieillard du même village,
Pierre-Joseph Monnin, né en 1822, qui dans son enfance a chanté bien
des fois cette chanson avec d'autres bouviers, et m'en a fourni la mélodie,
m'a affirmé que de son temps on disait la „J)Ç!/fSo"' et non la „pf/st/o^'.
Je fais donc la rectification et transcris la version de Pierre-Joseph
Monnin comme plus ancienne et plus authentique.
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vwa. s'a bî, je vous sa
1. s'a stû swa î swa
niAvayù k'iêz-âtra swa;
pur se VO bît-ô^^) vwa.
s'a dix kùm el-â vwa,
s'a bî, Je vous sâve.^'')
ôtxâlôbô!
2. s'a l'swa d'iè pêyïsô;
èlôdjîa VÖ bétô,^^)
pe drwâta è per rêzô.*^)
s'a dix, etc.
*) Voir Arc/i. III p. 274. n" 8.
ve. Ö - txâ - lô - bô!
C'est ce soir un soir
Meilleur que les autres soirs;
Pour cela vous vient-on voir.
C'est ainsi comme il est vert.
C'est bien, je vous sauve
Otchâlôbô !
C'est le soir de la „Payisson"
Allongez vos tresses de chanvre,
Par droite et par raison.
— 410 —
3. noz-âdrè êvâ le pré,
r9t;fodr8 le rôzë,
le grôsa e le manûa.
s'a dix, etc.
4. noz-âdrè duz-ë du.
le tête dado rdjù.
nôz-âdrè txù rpomê,**^)
noz-âdrè txù rreme'^*)
s'a dix, etc.
5. nôz-âdrè e lé txérÛ9,
no vîrarè le rô9;^^)
nôz-àn-erè l'ëtrëj^^J
not mëtra erë la grè.
s'a dix, etc.
6. nôz-âdrè drî9 txëtë.®^)
nôz-erë dï lësë;^*)
nôz-à frë dï metô,^^)
tè k'e y'e d'pïar â fô.
s'a dix. etc.
Xous irons en bas les prés,
Recueillir la rosée,
La grosse et la menue.
Nous irons deux à deux,
La tête dessous le joug.
Nous irons sur le rouge-fauve.
Nous irons sur le tacheté.
Nous irons à la charrue,
Nous tournerons les sillons;
Nous en aurons la paille,
Notre maître aura le grain.
Nous irons derrière „Château.'"
Nous aurons du lait;
Nous en ferons du sérac,
[Aujtant qu'il y a de pierres au fond.
(Pierre- Joseph Mounin, né en 1822, Develier.)
411
IV. Les Rois.
J'aurais pu passer presque complètement cette fête sous silence,
parce que le Jura catholique, de même que la Franche-Comté, ne connaît
plus de version patoise de ce chant. D'où cela provient-il ? Voici ce
que dit à ce sujet M. A. Biétrix (Chants patois du Pays d'Ajoie, p. 10):
„Quoique déjà vieux, ce chant n'est que la traduction d'un autre
beaucoup plus ancien, en patois, comme celui du Nouvel-An. Mais nos
vieillards les plus âgés, à l'époque de notre jeunesse, ne se souvenaient
que de l'avoir encore entendu, mais ne l'avaient plus retenu. On nous
disait, à ce sujet, que c'étaient les moines de Miserez qui l'avaient ainsi
changé. Or comme les moines qui avaient occupé ce prieuré avaient
disparu depuis près de deux siècles et avaient été remplacés par les
PP. Jésuites, c'est à ceux-ci qu'on devait la rénovation de ce chant.'^
J'en suis donc réduit à donner la version française, très populaire,
et qui se chante encore dans tous nos villages. Trois jeunes gens
déguisés, représentant naïvement les trois rois, et portant une étoile
qu'ils font rapidement tourner au bout d'une longue canne, vont d'auberge
en auberge répétant les couplets de l'Epiphanie.
21. Les Rois.
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Trois Rois nous nous somm'sren-con-trés Ve - nant de di-ver-
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ses con - trées. Nous somm's i - ci tous trois ve • nus Pour
NJr^^O/IO-^ ^'^1 ^^^^^^
a - do - rer l'En - fant Je -sus, Pour
do - rer l'En-
^z: j- i
fant Je - sus.
1. Trois Rois nous nous somm's ren- 2. En quinze jours quatre cents lieues,
Venant de diverses contrées, [contrés Avons couru en cherchant Dieu.
Nous somm's ici tous trois venus*) Une étoile nous a conduits
Pour adorer l'Enfant Jésus. Et nous éclaire jour et nuit.
') Vor.: Nous somm's ici font droit venus.
— 412
3. Nous l'avons vue en Orient,
En Orient sur Betliléem.
En poursuivant notre chemin
Avons trouvé ce grand Dauphin.
4. Dans l'étable l'avons trouvé
Dans une crèche emmailloté.
Un bœuf, un âne sont autour
Le réchauffant, lui font la cour.
5. Dans cette étable l'avons trouvé
Là où nous l'avons adoré;
Xous lui avons fait de beaux présents
D'or et de myrrhe et de l'encens.
6. Le roi Hérode, ce méchant,
Xous demande après cet enfant,
Pour l'adorer ainsi que nous;
Mais le faux traître était jaloux.
(M. Oscar Broquet, à Courrendliu.)
22. Les Rois des Capucins.
1. Trois Rois nous nous sommes ren-
Venant de diverses côtés. [contrés
Nous sommes ici tout droit venus
Pour adorer l'enfant Jésus.
2. Passant par dessus ^") un couvent
Xous n'avons pas tardé longtemps
De nous y faire insinuer
Et d'avoir permission d'entrer.
3. Etant tous trois bien fatigués,
Nous cherchons l'hospitalité.
Vous plaira-t-il nous l'accorder,
Nous donnant un peu à manger?
4. Nous ne mangeons pas de gebier,
Ni ne cherchons les petits pieds,
P(//drix, bégasse,^^) ni dindons,
Poulets, ni lièvres, ni pigeons;
5. Mais du pâté et du jambon.
Boudin blanc, rouge, et saucisson.
Tout ce que fournit la saison ; [vons.
Nous le mangeons quay?/6^-)nous l'a-
6. Pour du vin, nous n'en buvons pas . .
Que chacun son pot par repas,
N'en buvant qu'un verre à la fois,
Comme font partout les grands B,ois.
7. Permettez-nous de nous asseoir.
Que le frère nous apporte à boire,
A boire, aussi et à manger,
Car nous ne pouvons plus chanter.
(Feu M. Metthez, instituteur, à Courgenay.)
23. Chant des Rois (recueilli à Courrendlin).
Il existe un autre texte des Rois, très populaire aussi dans tout
le Jura, et qui se chante encore de nos jours, mais sur une mélodie
différente. C'est une sorte de Noël qui doit être assez ancien et qui
nous fait assister à l'arrivée des trois rois à Bethléem. Malgré la longueur
de ce texte, je me vois dans l'obligation de le transcrire ici, sans cela,
on ne comprendrait pas facilement les altérations et la parodie que j'en
donne ci-après.
413
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Que di - rons-nous, Mes-sieurs, de cette é - toi - le, Que
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Ion mon ju - ge-raent Du vrai Mes-sie le saint a - vè - ne-
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ment, le saint a - vè - ne -ment.
1. Que dirons-nous, Messieurs, de cette étoile.
Que nous voyons si gracieuse et belle ! ^^)
Elle a prédit selon mon jugement
Du vrai Messie le saint avènement.
2. Je reconnais par mon art et science
Qu'elle a prédit du Sauveur la naissance.
Nous avons vu, et sommes fort joyeux
Que nous voyions venir le Roi des Cieux.
3. Or allons donc, allons le reconnaître,
Puisqu'il est Dieu et le souverain Maître.
Nous lui offrirons de l'or excellent
Pour démontrer qu'il est le Koi puissant.
4. Pour démontrer sa divine nature,
Pareillement aussi sa sépulture,
Nous lui offrirons de la myrrhe de bon cœur,
Laquelle sera de très bonne odeur.
5. Et nous voulons montrer par évidence
Qu'il est vrai Dieu, qu'il a grande puissance.
Nous lui offrons de l'encens pour présent,
Lequel sera très odoriférant.
6. Or, sus! allons, voyez, Messieurs, l'étoile
Qui va devant. 0 mon Dieu, qu'elle est belle !
Certainement nous sommes bien heureux
Que nous voyions venir le Roi des cieux.
7. Assurément, depuis ma géniture
Je n'ai point vu faire moins de froidure.
— 414 —
Il me paraît que nous sommes en été,
Voyant le temps si doux et tempéré.
8. On n'entend rien de la sanglante guerre
Que toute paix maintenant sur la terre.
Toute l'année semble plus tempérée
Qu'elle ne l'était durant l'arche dorée.
9. Or nous voici, Messieurs, dans la Judée;
Jérusalem est en cette vallée.
Allons le roi Hérode saluer,
Et le logis du Sauveur demander.
10. O Dieu, grand Roi de magnificence,
Princes tous trois venus de notre province,
Pour adorer des Juifs le Roi puissant-,
Nous avons vu l'étoile en Orient.
11. — Qu'est-ce que ce Roi? il me faut le connaître.
Sus, dites-moi, scribes, où doit-il naître?
Je n'entends point qu'il y ait d'autre roi
Dans la Judée, qui soit au-dessus de moi.
12. — Or allons donc, ô rois de haute ligne,
Ce Roi naîtra en Bethléem Judée.
— Rapportez-moi le fait de cet enfant.
Et l'adorer j'irai pareillement.
13. — Voici, Messieurs, l'étoile revenue,
Que nous avions auparavant perdue.
Elle s'arrête en ce lieu, pauvre lieu;
Il faut que là soit né le Roi des Cieux.
14. A deux genoux, la tête découverte,
Pour adorer ce grand Prince céleste;
0 Roi des rois, je te baise la main,
Et te reçois pour mon Dieu souverain.
15. 0 Dieu puissant, humblement te supplie
A deux genoux que jamais ne t'oublie.
0 Roi des rois, je te baise la main,
Et te reçois pour mon Dieu souverain.
16. 0 Roi puissant, ô Sauveur débonnaire,
Ayez de moi pour servir de mémoire.
0 bon Messie, je te baise la main.
Et te reçois pour mon Dieu souverain.
— 415 —
17. Oh! retournons tous en notre province
Et repassons vers Hérode le prince,
Et par le fait vraiment l'en assurer ;
Il y viendra comme nous l'adorer.
18. — Allez-vous-en, ô rois, par autre voie.
Il n'est besoin que Hérode vous voie.
Il ne veut pas le Sauveur adorer,
Mais pour certain le veut aller tuer.
19. — Le malheureux aurait-il le courage
De le tuer au lieu d'y rendre hommage ?
N'allons donc point par le plus court chemin,
Puisque son cœur est si plein de venin.
(M. Oswald Fromaigeat, fils, Courrendlin.)
24. Altération des Rois.
1. Que dirions-nous, Messieurs, de cette étoile
Que nous voyons dessur la sainte Ahèlef^*)
Elle a prédit, selon mon sentiment,
Du vrai Messie le saint avèlement.^'")
2. Allons donc, Rois, allons le reconnaître;
Puisqu'il est roi, il est le souverain maître.
Nous y offrirons de l'or très excellent
Pour y montrer qu'il est le ßoi puissant.
3. A deux genoux, la tête découverte,
Pour adorer ce grand Prince céleste,
0 Roi des rois, je vous baise les mains,
Je vous reçois pour mon Dieu souverain.
4. no vo rmërsyà de bî ka vo no fêta,
no prîarë dûa par sa divine grâce,
k'en9 âtre ànê vo nôz-à pôyoxî beyï
à gros8 djôa e po bona sètë.
(Feu Justin Köhler, cordonnier, né en 1820, à Delémont.)
25. Autre altération des Rois.
1. ka dirî-no, Messieurs de cette étoile
Que nous voyons dessu/' la sainte èbële?^®)
k'ël è prêdï sï lo mèdjîa, je mange *^)
Du vrai Messie le saint arèlement.
— 416
2. Dieu pourvoira bientôt dans cette affaire.
Mais cependant, il faut parler de boire.
Allons ici, dans ces prochains logis,
dëpâdzïa v6, y'e grà swa, mëz-èmï.^^)
3. nô vo rmersyà de bî ke vo no fête.
Nous prierons Dieu, par sa divine grâce,
k'ene âtr8 ànë vo poyoxî noz-à beyla^^)
En grande et en bonne santé.
(Marianne Conscience-Kohler, née en 1856,
Chapelle du Vorbourg, Delémont.)
26. Parodie en patois de Beurnevésin (Ajoie).
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pu k'ê tô â - mwà-dje se bër - ba, pô
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kör - bà, le kör -bâta d'à - le ë - kûr à lé grèdja â t;çù-
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rïa, à le grèdja â t'/iX - rie.
1. ka dire no da lé mâlïsa nwâra? Que dirons-nous de la malice noire?
SI vêya làpù^'^") k'e to àmwadjë se Ce vieux buveur qui a tout em . ... sa
[berba, [barbe,
pô àpëtxîa lo korba, le korbata Pour empêcher le Corbat, la Corbatte
d'alê êkûr à le grèdja ä t;/ürla. D'aller battre le blé dans la grange au curé.
2. no s'a ^•'^) râdrë txïa le vëya Nous (s')nous en irons chez la vieille
[mërâsa, [mairesse,
no le trovrë k'ela farë de txâse, Nous la trouverons qu'elle fera des bas.
èxûriamà ëtàdë sez-ëmà.
Assurément attendant ses amants.
3. à vo rmërxyë da vötra sätxa kröta, En vous remerciant de votre sèche croûte,
vâdjë le pïa po fera vötra sôpa. Gardez-la seulement pour faire votre soupe,
no pârè de piera po kâsë vo fnëtra, Nous prendrons des pierres pour casser vos fe-
e dé keyô po vo kâsë Iç do. Et des cailloux pour vous casser le dos. [nêtres,
(Nicolas Lanzard, né en 1834, à Beurnevésin.)
— 417 —
V. Carnaval.
27.*) Karïmàtrà. Carnaval en patois de Delémont.
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kà - rï - luà - trà k'â drïa txï nô, ka pua - ra, ka
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pua - raî kà - rï - ma - trà k'a dria txï no ka puara so sôr!
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bi vlà - tïa y'à - drô txi vu, mê ï n'ô-za, mê ï n'ô - za:
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bï vlà - tïa y'â - drô txï vô, mê ï n'ôza, ï n'ô - za - rô.
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- vi yi pêa^bin - ër - dia-mà, kâ - rï - ma - trà
0 ! ô !
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vî yï pèa bin - er - dia-mà, kâ - rï - ma - trà
1. karïmàtrà ^'^'-) k'â dria txï nô,
ka pûara, ka pûara!
— bï vlàtîa y'âdrô txi vô,
më ï n'oza, me ï n'ôza,
bî vlàtîa y'âdrô txï vo,
me ï n'ôza, ï n'ôzarô.
— vî yï pêa bîn-ërdîaraà,
karïmàtrà, ô! ô !
vî yi pêa bîn-érdiamà
karïmàtrà ô!
Carnaval qui est derrière chez nous,
Qui pleure, qui pleure!
— Bien volontiers j'irais chez vous.
Mais je n'ose, mais je n'ose,
Bien volontiers j'irais chez vous.
Mais je n'ose, je n'oserais.
— Viens-y seulement bien hardiment,
Carnaval, oh! oh!
Viens-y seulement bien hardiment,
Carnaval, oh!
*) Voir Arch. III p. 280, n" 14.
27
418
2. karïmàtrà k'ä drïa txî no .
ke puera (bis)!
— bî vlàtïa ï debotxrö vot kâklô/'^^)
me ï n'öza, etc.
— debôtxa lo péa bïn-erdîamà,
Etc.
3. kàrïmàtrà k'â drîa txl no
ka pûara (bis)!
— bî vlàtïa ï pâro ena fçrtxata,
me ï n'öza, etc.
-— pràz-à pëa ena bïn-érdîamà
Etc.
4. kàrïmàtrà k'â drïa txï no
ka pûara (bis)!
— bî vlàtïa ï pärö Tbiidï,
me ï n'oza, etc.
— prà lo pëa bîn-èrdïamà,
Etc.
5. kàrïmàtrà k'â drïa txï no
ka pûara (bis) !
— bî vlàtïa ï vo ràbresro,
me ï n'ôza, etc.
— ràbres-ma pëa bîn-erdïamà
Etc.
6. kàrïmàtrà k'â drïa txï no
ka pûara (bis)!
— bî vlàtïa ï kùtxrô évô vô,
me ï n'ôza, etc.
— kùtxïa pëa bîn-erdïamà,
Etc.
Bien volontiers je déboucherais
[votre poêlon . . .
Débouche-le seulement bien har-
Etc. [diment.
Bien volontiers je prendrais une
[fourchette.
Prends-en seulement une bien
[hardiment.
— Bien volontiers je prendrais le
[boudin.
— Prends-le seulement bienhardi-
[ment.
Bien volontiers je vous (r)em-
[brasserais.
Embrasse-moi seulement bien
[hardiment.
Bien volontiers je coucherais avec
[vous.
■ Couchez seulement bien hardi-
[ment.
7. kàrïmàtrà k'â drïa txï no
ka pûara (bis)!
— bî vlàtïa ï vo l'ferö,
me ï n'ôza, etc.
— fé lo pëa bîn-()rdïamà,
Etc.
(Feu Justin Köhler,
— Bien volontiers je vous le ferais.
— Fais-le seulement bien hardiment,
cordonnier, né en 1820, Delémont.)
419 —
*) Ce karïmàtm se chantait aussi sur une autre mélodie;
Vit-
il
^K, j. J^ ;. ;^^ /r^qZj_^L,,4_^
kâ - ri - ma - trà k'â drîa txî no, ka pùa - ra, ka pûa-ra,
^
^+^1/ /T-^E^^E^
ï
^^^
ki'i - ri - ma - trà k'â drïe txî nô, kd pûora pu rù. — bî vo - là - tia y'ä-
J J M' J J^g
^ — N-
^
ï
£
^
drô txi vç, m'ï n'ö-za, m'ï n'y - za, bî va - là - tîa y'i
i
J' J r- \^ '^ r IJ' J^ J' r J'ir J' j ^-
drô txi vô, m'ï n'o - za- ro! — va - ni yï p«;9 bin-rr - dîa-mà, ka-
^ I I / / / l^U-J^
JM ; J" j.
£
ri - ma- trà, kâ - ri - ma - trà, va - ni yi pëa bïn - ër -dïa - mà,kà-
f ^ r
ri - ma - trä!
(Célestin Carabinier, né en 1838, Delémont.)
28.**) Autre Carnaval en patois de Delémont.
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> ; I r g f elf r -f=^
^
kâ - ri - ma - trà k'â dria txi nô ka pua - ra, ka
-^^
J I J- J' J^ J il i- J" ^
pùa - re. le bël-ô - tas i ê dmè - dé k'as k'çl é - ve.
-fs — I IV
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-^ — K-
# ä 0 — r
^^^^^
- bi vlà - tia y"â - drô txi vô, m'ï n'ô - za,
1 no- za-ro.— a-
BF-î^/ j J-l J J^^T-^
trô, à - trë, kâ - ri - ma - trà,
1. karïmàtrà k'â drîa txî no
ka pûara. (bis)
*) Voir Arch. III p. 282.
**) Voir Arch. III p. 283, n' 15.
bin - ér- dïa- ma!
Carnaval qui est derrière chez nous
Qui pleure.
420 —
Iç bel otäs ï è dmède
k'âs k'él ëvë.
C j c c
— bî vlàtîa y'ädrö txï vo,
m'ï^"*) n'oza, ï n'ozarô,
— àtrë, àtrë, karïmàtrà,
bîn-èrdîamà!
2. t'/è karïmàtrà fdét-àtrê,
e pû9ro. (bis)
lé bel ötäs ï ë dmèdë
k'âs k'el ëvë.
— bî v]àtî8 y'àbrësrô vôt mïiiota,
m'ï n'ôze, ï n'ozaro.
— àbrësîa le, karïmàtrà,
bm-ërdîamà !
3. t^ê karïmàtrà l'ët-ëyii bî àbrësîa,
e pûara. (bis)
le bel ötäs vî rdamëdë
k'âs k'el ëvë.
— bî vlàtia ï kùtxrô devô vot mïnote ;
m'ï n'oz9, ï n'özarö.
— kiitxîa, kûtxia, karïmàtrà,
bîn-érdîamà !
4. t;çë karïmàtrà ât-eyû kûtxîa
e pûara. (bis)
le bel ötäs vî rdamëdë
k'âs k'el ëvë.
— bî vlàtïa ï kâsrô Tkordo d'ie
[kornäta da vöt mïiiota;
m'ï n'ôzë, ï n'özarö.
— kâsë, kâsë, karïmàtrà,
bîn-ërdîamà !
5. tyè karïmàtrà œ kâsë l'kordô
[d'ië körnäta d'ie mïnota,
e pûara. (bis)
le bel ötäs ï e dmëdë
k'âs k'él ëvë.
— bî vlàtïa ï voz-à frö etè;
m'ï n'oza, i n'özarö.
— fêta, fêta, karïmàtrà,
bîn-ërdîamà !
La belle hôtesse lui a demandé
(Qu'est-)ce qu'il avait.
— Bien volontiers j'irais chez vous,
Mais je n'ose, je n'oserais.
— Entrez, entrez. Carnaval,
Bien hardiment!
Quand Carnaval fut entré,
Il pleure.
— Bien volontiers j'embrasserais
[votre mignonne.
— Embrassez-la, Carnaval,
Bien hardiment!
Quand Carnaval l'a eu bien em-
[brassée,
La belle hôtesse vient redemander
(Qu'est-)ce qu'il avait.
— Bien volontiers je coucherais avec
[votre mignonne.
— Couchez, couchez, Carnaval,
Bien hardiment!
Quand Carnaval a été couché,
— Bien volontiers je casserais le
[cordon de la cornette de votre
[mignonne ;
— Cassez, cassez, Carnaval,
Bien hardiment!
Quand Carnaval eut cassé le cordon
[de la cornette de la mignonne.
— Bien volontiers je vous en ferais
[autant;
— Faites, faites, Carnaval,
Bien hardiment!
(M. Rais, fossoyeur, à Delémont.)
— 421 —
VI. La Passion.
29.*) le pâsyo dï du djëzû. La Passion du doux Jésus. (Patois d'Ajoie.)
Lent . __i___A
r£v^'^^^^|^^-4.^t-^=^^t^^^^^
Iç pâ - sy - o di dû djé - zu k'êl a trixto
J M J'
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ë do - là - ta! ë - kù - tê le, po - tèz - ê grà, s'ç vu
jhj-^^'l/j^j^lj^j^
pyé da l'a - ta - dra, pu
1. le pâsyô dï dû djëzû,
k'el-â trïxta e dolàta!
èkûtê-le, patez-e grà,
po xû lu para ëgzàpya.
2. el e djûnë karàta djo
se mèdjïa sôtanèsa;
èl e Dièdjïa trâ grè da byê,
l'ât-ëvû^"^) résôsïtë.
c /cet
3. dvë k'sa se trâ djo pêsë,
vë vwarë d'âtra ëgzàpya.
o! vo vwarë mô t;KÛa grûlê
koma ena fœya da tràbya.
4. vo vwarë mô kûa flàdjàlë
da töta ftara*"^) redja.
Cl! vo vwarë mô se kùlë
to la lô da më màbra.
5. vo vwarë mé tëta korànê
évô ena ëpëna byàtxa;
vo vwarë mô dû pîa ;ijûlë ^^'')
é më dû bre ëtàdra.
6. vo vwarë më gûardja ebrovë
da fïal e da vïnëgra;
vo vwarë mô t;ijùa trêpâxia
évô ëna fîara làsa.
(Communiqué
*) yoir Arch. III p. 279. n» 13. —
xù lu para èg - zà - pya.
La Passion du doux Jésus,
Qu'elle est triste et dolente!
Ecoutez-la, petits et grands,
Pour sur lui prendre exemple.
Il a jeûné quarante jours
Sans manger soutenance;
Il a mangé trois grains de blé,
Il (est) a été ressuscité.
Avant qu'[il] se soit trois jours passé,
Vous verrez d'autres exemples.
Oh ! vous verrez mon cœur trembler
Comme une feuille de tremble.
Vous verrez mon corps flageller
De toute (fière) cruelle rage.
Oh! vous verrez mon sang couler
Tout le long de mes membres.
Vous verrez ma tête couronnée
Avec une épine blanche;
Vous verrez mes deux pieds clouer
Et mes deux bras étendre.
Vous verrez ma bouche abreuver
De tiel et de vinaigre;
Vous verrez mon cœur transpercer
Avec une cruelle lance,
par M""« Fenk-Mouche, Porrentruy.)
(G. Doucieux, Romancero populaire, p. 61, V.
— 422 —
Les jdIus vieilles personnes donnent ce chant comme extrêmement
ancien. — A ce propos voici ce que dit M. P. Bietrix (décédé en 1905,
âgé de plus de 80 ans) dans l'Appendice de sa Grammaire patoise (1897):
,,Ce chant si naïvement triste, avec un air approprié, nous fut appris
par une digne mère, alors que nous n'avions encore que trois ou quatre
ans d'âge. Nous n'avons jamais pu l'oublier. C'est l'un des plus vieux
morceaux patois dont on puisse avoir le souvenir.'' (p. 145.)
M. le professeur Chapuis, à Porrentruy, a bien voulu me com-
muniquer la mélodie de ce chant, que M. Biétrix lui-même a eu la bonté
de lui chanter.
423 —
VII. Chants de Mai.
La coutume de chanter le premier mai est une de celles qui s'est
le mieux conservée dans nos campagnes; il n'y a pas bien longtemps qu'elle
était encore célébrée, et j'ai recueilli des pîtx3-më de vieilles personnes qui
les avaient encore chantés dans leur enfance, en allant de porte en porte
ou de village en village récolter quelques pièces de menue monnaie ou
du beurre, des œufs, etc. Dans son introduction au poème patois des
Paniers (p. 9), M. X. Köhler dit avec raison : „La chanson des filles
de mai de Fancien évêché ressemble beaucoup à celle des blondes
maienzetta du canton de Fribourg.'' Cet usage qu'on retrouve dans toute
la Suisse, existe encore dans d'autres pays •, tout le monde connaît les
triînazos de Lorraine et de Champagne (cf. P. Tarhé : Poètes de Cham-
pagne antér. au XYP s. tome II, p. XXIII, XXI Y ; - Jul. Tier sot :
Hist. de la Chanson popul. en France, p. 194 ; - John Viénot : Vieilles
chansons du pays de Montbéliard, p. 49 etc.)*). ,,Cet usage, dit Lo pia
Ermonèk loûrain (le petit Almanach lorrain, année 1879, p. 81), cet
usage dérive évidemment de la fête que les Romains célébraient à la
même époque en l'honneur de Maïa, Maja, divinité que l'on croit être
la même que Cybèle ou la Terre."
Dans le Jura catholique, ces chants s'appellent : pitx^-nië = le mai
qui pique, qui point, qui commence. On dit communément en patois :
fdjç Jxmasd e pitxf = le jour commence à piquer, à poindre. (Arch. III
p. 27.5, note 8).
30.**) Pït;fa-më. Le premiep Mai. (Patois de Delémont.)
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*) A signaler deux articles intéressants de ^NLNI. William Robert: La Fête de Mai
(Maïentze), Arch. I p. 229; et Fritz Cftabloz: La Fête de Mai, Coutumes neuchdteloises
et vaudoises, Arch. U, p. 14 sq. —
**) Voir Arch. III p. 275. n" 9. — Mais la musique n'a pas encore été imprimée.
424 —
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Js j^ J I j:- ;^-;fs--.^HhV'^E
vètx. no sô râ - le vwà vô byë, la se byè ê la sa-
ë-dja; no sô râ - le vwà vôz - è - vwôn • prè - y
- va dfia k'no
j' ,h j I J- ;■ i' ;■! i^ "^ J I /■ J' J^
lé rè mwâna. è - na pïa - ra txê-yô - le dûa le vwà - ya
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dé - djâ - le à kê - tra pê! â - tra pê
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J- J' j'I ^' J^i" J' =^i^,fi-^F!-^
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txi se dëm, txî lé pu grô byr - djë d'ié vél.
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bë-jït. no î pö d'bûar pö rvï - rïa nô mi - jô - là - ta;
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d'ië pö frë - yïa no txër - bö - né.
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s'a Ipù bel à - fè dï sïa ka s'a sô - nîa, tç pé dvè,
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tç pé dria, s'a le pu
s'a lo mô, lo pit;^a-nië,
s'a lo parmïa djo da më,
k'no sôt-àtrê de sta vël,
po la pê ë le ferëna,
è lëz-ûa da vô djarëna,
e la bûara da vo vëtxa.
no sô râle vwà vô byë,
la se byë ô la sâvëdja;
no sô râle vwà vôz-ëvwëna;
preyà dûa k'no le remwàna.
ena pïara txëyçlë,'"**)
bel krü dï sïa.
C'est le mai, le pique-mai,
C'est le premier jour de mai,
Que nous sommes entrés dans cette
Pour le pain et la farine, [ville»
Et les œufs de vos poules,
Et le beurre de vos vacbes.
Nous sommes allés voir vos blés,
Le sain blé et le sauvage ;
Nous sommes allés voir vos avoines;
[Nous] prions Dieu qu'il nous les
Une pierre cailloutée (?) [ramène.
- 425
àixd \è vwäya dedjâlç
à këtra pö!
âtra pô no sùt-rdê,
txî se xîr, txï se dèma,
txï It; pu grô bordjë d'io vèl.
bôyît-iK) î pu d'bûar,
po rvïrïa no mïjolato;
bêyït-nô î pö dlë
pô frêyîa no txërbônê/**')
s'a l'pû bël-ate dï sîa
k's'â Sonia '^*')
tç pë dvè, to pë drîa.
s'a le pu bel krii di sîa.
(Feu
Dieu la veuille dé<^eler
En quatre parts !
Autre part nous sommes allés
Chez ces messieurs, chez ces dames,
Chez les plus gros bourgeois de la ville.
Donnez-nous un peu de beurre
Pour retourner nos omelettes ;
Donnez-nous un peu de lard
Pour graisser nos grillades.
C'est le plus bel enfant du ciel
Qui s'est signé
Tout par devant, tout par derrière.
C'est la plus belle croix du ciel.
Justin Köhler, né en 1820. Delémont.)
31.*) Autre pit/a-me.
s'a lô më, lu pit;^a-mê,
pu lo parmïa djo da mê,
no sô to trçvë à le vël,
pu l'pë é le fërëna,
pu l'bûra da vo vëtxa.
la sî byë é la sâvëdza,
töt-ä pïar ë txêyolë.
âtra pë noz-è è fera,
txï le xîr é txï le dëma,
txï l'përvô d'ié vël, •
vël, vël de vël.
(Patois de Couppoux.)
C'est le mai, le pique-mai.
Pour le premier jour de mai.
Nous [nous] sommes tous trouvés à
Pour le pain et la farine [la ville,
Pour le beurre de vos vaches.
Le sain blé et le sauvage,
Tout est pierre et caillouté.
Autre part nous avons à faire.
Chez les messieurs et chez les dames,
Chez le prévôt de la ville,
Ville, ville des villes.
Bernasconi-Gueniat, à Courroux.)
32.*) Autre pit/a-mç
vwasï lô më, lo pït;<a-mê,
s'a lô pramia djô da më.
no sôt-àtrê de sta vël
pô la pë ë le fërëna,
é lëz-ûa da vç djaréna,
è la bûra da vo vëtxa.
no sôt-ëyû vwa vô byë,
vwâ vô byë, vwa vôz-âvwëna;
e sô xï bel ka se djarmè.
") Voir Arch. III p.
(Patois de Vermes.)
Voici le mai, le pique-mai,
C'est le premier jour de mai,
Nous sommes entrés dans cette ville
Pour le pain et la farine.
Et les œufs de vos poules.
Et le beurre de vos vaches.
Nous sommes (été) allés voir vos blés,
Voir vos blés, voir vos avoines.
Elles sont si belles que Saint Ger-
[main (?)
276, n' 10, -277, n' 11.
— 426 —
àûd le prézérva de djâlë,
e da pî9r àtxéyolê!
sa vo valë bî fer.
âti'8 pë nôz-èt-e fer,
txîa le xïr, txîa le démo,
txïa lé bordje d'ie vél;
à le txèbra tô davê,
tôta pjèna da byè pè-,
à stë dï mita,
tota pyèna da fromà-,
à stë to darîara,
tota pyèna da danîa.
beyîa-no î po dï bûra
po rvïrîa no mïjolâta;"^)
bêyîa-nô^^-) î pô dï le
po fre}la no txérbonë.
Dieu les préserve de geler fou: de gelées).
Et [d'être] de pierres encailloutées !
Si vous voulez bien faire,
Autre part nous avons à faire,
Chez les messieurs, chez les dames.
Chez les bourgeois de la ville;
En la chambre tout devant,
Toute pleine de pain blanc ;
En celle du milieu,
Tout pleine de froment ;
En celle [de] tout derrière,
Tout pleine de deniers.
Donnez-nous un peu (du) de beurre
Pour retourner nos omelettes ;
Donnez-nous un peu de lard
Pour graisser nos grillades.
Ç^leUe Fleury, institutrice, à Vermes.)
33.*) Autre pit/a-më,
s'a nômë^*^) la pït;^a-më,
s'a la pramia djô da më.
no sôt-eyû vwä vö byë,
vwä vöz-evwena.
nô lêz-ë bï swà^**) trovê.
dûa le vwêrde da
ë da plar àtxéyolê 1
(Patois de Courrendlin.)
Cest nommé le pique-mai,
C'est le premier jour de mai.
Nous sommes (été) allés voir vos blés.
Voir vos avoines.
Nous les avons bien facilement trouvés.
Dieu les garde de geler fou : gelées)
Et [d'être] de pierres encailloutés.
(M, Oscar Broquet, fils, à Courrendlin.)
34. Autre pit;fa-me.
àtra më e mê pït;ca mê,
s'a ädjdo l'pramïa djo da mê,
txë le xïr, txë lé déma,
txë lô pravo da le vel.
à le txèbra davë
tota pyëna da byà pè;
à lé txèbra daria,
tç pyè da t;m d'penia;
à lé txèbra dï mwatà
tota pyëna de fromà.
(Patois de Bonfol.)
Entre mai et mai pique-mai,
C'est aujourd'hui le premier jour de mai,
Chez les messieurs, chez les dames,
Chez le prévôt de la ville.
(En) A la chambre de devant
Toute pleine de pain blanc ;
A la chambre derrière,
(Tout plein) beaucoup de culs de panier;
A la chambre du milieu
Toute pleine de froment.
*) Voir Arch. III p. 278, n" 12.
— 427
leyet-nö î pu d'iê
P9 rvïrïa no txerbynç;
bèyet-nô î po d'bûar
po rvïrïa no mïjolâta.
Si vç ma n'vlë rà bèyia,
ma n'fêt pa xï etérdjïa.
âtra po nôz-èt-è fer,
txê le xïr e txê le dënia,
txë la pravo da le vçl.
Donnez-nous un peu de lard
Pour retourner nos grillades ;
Donnez-nous un peu de beurre
Pour retourner nos omelettes.
Si vous (me ne) ne me voulez rien donner,
(Me ne) ne me faites pas (si) tant attarder.
Autre part nous avons à faire,
Chez les messieurs et chez les dames,
Chez le prévôt de la ville.
(Marie Macquat, née en 1840, Bonfol.)
— 428 —
VIII. La Saint-Martin.
Sous le titre de „La St-Martin en Ajoie", ^^■') Mgr. F. Chèvre,
curé -doyen à Porrentruy, a publié les lignes suivantes sur le sens et
l'origine de cette fête :
„Un nom populaire en Ajoie, c'est celui de St-Martin, dont la
fête a lieu le 11 novembre. A l'approche de ce jour, le peuple des cam-
pagnes s'apprête à le célébrer en toute liesse. La fleur de farine, dans
chaque famille, va se changer en jolis gâteaux couverts d'une couche
de crème bien fraîche. En même temps, pour les arroser, chaque
cultivateur est fier de venir en ville remplir son tonnelet d'un vin
pétillant, d'où va sortir maintes chansons. Puis, çà et là, dans les villages,
se dressent des salles de danse, où la jeunesse bruyante ira prendre
ses ébats.
D'où vient ce culte joyeux rendu au thaumaturge des Gaules ?
En voici la naïve origine :
La St-Martin d'hiver, comme disent les chartes du XIII'^ siècle,
était l'époque fixée à tout débiteur pour payer ses comptes au créancier.
Or, ce devoir rempli, on se donnait tout à la joie d'avoir payé ses
dettes. Joie bien louable assurément. En outre, la St-Martin marquait
la fin des travaux champêtres. Les récoltes achevées, c'était le repos,
le doux repos de l'hiver et de ses longues soirées, dont l'ennui était
trompé par les jeux, la lecture et les récits d'auteurs. N'était-ce pas là
encore un sujet de joie bien naturelle pour l'ouvrier des champs ?
Voilà pourquoi, chaque année, la verte Ajoie s'écrie avec bonheur:
Fêtons, fêtons bien le bon St-Martin.''
35. le se metxL La Saint-Martin. (Patois de Villars sur Fontenais, Ajoie.)
1. â ta pësë, t;^ë vue le se mètxî,^^") Au temps passé, quand venait la
[Saint-Martin,
txëtxû pàse è ràpyë se bwexäta. Chacun pensait à remplir sa (petite)
[bourse.
txêt;f8 bëxata sôdjë bî ka l'sî Chaque tille songeait bien que le sien
vre l'èvïtë pu pose le fètàta. Viendrait l'inviter pour passer la
[(petite) fête.
Ref?'. fêta d'ié se metxî. Fête de la Saint-Martin,
s'k'à s'êmûzë bî! Ce qu'on s'amusait bien !
mo dûa! s'k'à yùkë,^") Mon Dieu! ce qu'on sautait,
mo dûa! s'k'à koayanê!"'^) Mon Dieu! ce qu'on taquinait!
patôta fyolàta, vêyo botwàyàte!'^^) Petite fiole, vieille (petite) bou-
t;fè rvarç sï ta, Quand reviendra ce temps, [teille!
sï ta dé vèt-à? Ce temps des vingt ans?
— 429 —
2. û ta p('St'. t;^f' vnô le se môtxî, Au temps passé, quand venait la
[Saint-Martin.
rêz^' to frâ, se müsti;tx9 à twodjc; '-") Rasé tout frais, ses îuoustaches on
[retroussait ;
à s'fazê fer de vëtûr*^^) k'alî bï. On se faisait faire des habits qui
[allaient bien,
îtçnotiiba '^-J dadrîarmôda, dêsùlê. Un «tuhe» tout neuf de dernière
Refr. [mode, des souliers.
3. â ta peso, iyy vue le se metxî, Au temps passé, quand venait la
[Saint-Martin,
pwâ dô l'bre mwanë se bwên9 emîs, Parsouslebrasmener sa bonne amie,
ä käbare, to se djilana nôz-âlî Au cabaret, tous ces jeunes nous
[allions
vïrïe kêk9 twè. pêsë djôyoza vî9. Tourner quelques tours, passer
Refr. [joyeuse vie.
4. â ta pësê, t/è vnê le se metxï, Au temps passé, quand venait la
[Saint-Martin,
kë sakrê t/ota à rpwëtxê à Tötä! Quelle sacrée «cuite» on reportait
[à la maison !
t;çè vnë l'swa, à n'ëtë pli trö fie. Quand venait le soir, on n'était plus
[trop lier,
dâk'à^-^) bôlê, êtë-sa î xï gro ma? (Dès qu'on) Quand même on roulait,
Refr. [était-ce un si grand mal ?
5. â ta pésë, êpré le se mëtxî, Au temps passé, après la Saint-
[Martin,
to ëtë vo, le bwëx ë le gösäta.^-^) Toutétaitvide,labourse et le gousset.
mâd'tot,mâd'vàtr8,lëz-àrway9 swanî; Mal de tête, mal de ventre, les
[oreilles sonnaient ;
kë rûd9 mïzër9! àn-évë lé kr9vät9. Quelle rude misère! On avait la
Refr. [«crevette».
6. â djwë d'adjdo, t;çè vî lé se metxî, (Au jour d') aujourd'hui, quand vient
[la Saint-Martin,
tot-ä dj9 vo, lé bwex e le gosät9, Tout est déjà vide, la bourse et le
[gousset.
pwëx k9 mïtnè s'a tû9dJ9 lé se mëtxî; Parce que maintenant c'est toujours
[la Saint-Martin,
mëtî â swa, à s'ràpyâ le pèsata. [Du] matin au soir, on se remplit
Refr. Pa panse.
(M. Célestin Jacquat, à Yillars sur Fontenais.)
430
Vif
36. se mëtxî. Saint-Maptin. (Patois de Fahy, Ajoie.)
I ^o t- y:. T. ^ ^ \ f- ^
^
^
sè mê - txi,
fû
ê grà trè,
vî txîa no
C J' / J|=4-J I J J^ /
^
m
ta - ni tâbya Ô - vï - î
sè métxî, é f û é grà trè,
vî txî9 nô tanï tâbya ovie,
e se notra rëvwaya mëtî.
sè no - tra rè-vwâyemë - tî.
Saint-Martin (il) fuit à grand train,
Viens chez nous tenir table ouverte,
Et sois notre réveil-matin.
(M. Périat, fils Sylvain, à Fahy.)
37. Parodie des Vêpres des Morts. (Patois de Charmoille.)
Cette parodie se chante après qu'on a fêté Saint-Martin. Celui qui
la chante commence par dire:
ë bî, mïtnë, no vlà àtërê le bnïa- Eh ! bien, maintenant, nous voulons
[sô. ^'^^j [enterrer la Saint Martin.
Puis il entonne (Musique du Vespéral Bâlois):
1. Bonitm riimm acuit ingenium.
Venite ut potemus.
Venite to, mëz emï,
ëpotxë kâya è padrï,
Salutari nosira.
bwâr d'sï bô vî
da mïno djok'ë mêdï,
djmë à n'a fde raprï
in confessione:
kâr à bwayè d'sï bô vî,
juhilemus eis.
2. Boniim rinum acuit ingenium.
Venite ut potemus,
quoniam to se bô përa kodjalïa
dët;jjovrà î pëtê d'vî
d'sît/a pîa.
funduverunt nianus ejus,
ë po bâkû de yot kovà
txëtë bî djôyozamà:
Deus noster.
no sô tç dç ptéz-ÎDÇsà;
sed oves pascue ejus.
Venite ut potemus.
Venez tous, mes amis,
Apportez cailles et perdrix.
Boire de ce bon vin
Depuis minuit jusqu'à midi,
Jamais on n'en fut repris
Car en buvant de ce bon vin,
Puisque tous ces bons pèresCordeliers
Découvrent un pâté de vin
De cinq pieds.
Et puis Bacchus dans leur couvent,
Chantait bien joyeusement :
Nous sommes tous des petits in-
[nocents ;
431
3. Hodie sa l'bô vi vnë ç mâkç
Hélas! k'âs-ka davïdrç
Corda vostra?
çdé Iç bçtaya â pîa dï yê,
pô bwâr à le sètë d'sêz-émï,
o bî noz-àtraya s'porïrî
tentationis in deserto.
le gro vâr vâyà bî le pté,
Opera mea,
Bonum vinum acuit ingenium.
Venue ut potemus.
4. Quadrapinta omnes y'e vët;çû;
djuië mùn-œya n'e vu
k'iû b<5 vi fzë ma
in corde meo.
î djo i sérmà ï fzô
k'djmë vî ï n'bwärö;
më sa fœt-m ira mea,
pôxka djmë lô vî n'è trûbyë
requiem meam.
Vernie ut potemus.
5. Requiem aeternam donaei, Domine,
é po à to se bô bwayù
djôyozamà luceat eis!
Aujourd'hui si ce bon vin venait à raan-
Hélas ! qu'est-ce que deviendrait [quer
Toujours la bouteille au pied du lit,
Pour boire à la santé de ses amis,
Ou bien nos entrailles se pourriraient.
Les gros verres valent bien les petits.
J'ai vécu ;
Jamais mon œil n'a vu
Que le bon vin faisait mal.
Un jour un serment je faisais
Que jamais vin je ne boirais ;
Mais ce fut
Parce que jamais le vin n'a troublé
Et puis à tous ces bons buveurs
Joyeusement
(Joseph Bron, Charmoille.)
38. Autre papodie en patois de Develier.
Bomim vinum ëtra redificnre cor Le bon vin être . . .
omnibus.
Le bon vin réjouit le cœur de l'homme,
chasse la mort, procès, chagrin.
se pérôl sô tïrîa di setîama bôtô Ces paroles sont tirées du septième
d'me t;çùlata. Verse à boire! bouton de ma culotte.
(Pierre-Joseph Monnin, né en 1822, à Develier).
39. Autre parodie en patois de Courtedoux.
Ego videntes et lionorabo.
tota vetxa ka n'è p' da kûa n'sa Toute vache qui n'a pas de queue ne se
sérë èverê lé mûatxa txû l'dô. saurait chasser les mouches sur le dos.
se pérôl sô tïria dï iyji dï vëxë. Ces paroles sont tirées du (cul) fond
chapitre', vwax e bwâr. du tonneau, chapitre; Verse à boire!
(Louis Vetter, à Courtedoux.)
432
IX. Complaintes.
Les trois complaintes suivantes m'ont été chantées par une vieille
personne de Courtedoux (Ajoie), Agathe Sangsue, née en 1833, actuellement
à l'Hospice des Vieillards de St-Ursanue. Elle les a apprises de sa
mère, morte en 1881 à l'âge de 93 ans. Toute vieille qu'elle est, elle
a encore une voix très jolie et très juste, de sorte qu'il m'a été bien
facile de noter exactement les mélodies si originales qu'elle m'a chantées.
40. Complainte de la Ste-Vierge et du Mauvais Riche.
(Patois de Courtedoux.)
Moderato
i(^^c J \^i-^^
d J ' J h^ ^- J
le se - ta vîardja i
put
ra
sô tro - 119 d'èr-
^^
ife^
^t, J I J J -'J I ^ J' J'^.J
• w - é #-W- — ^
di - ra: Mire, que pieu- rez-vons tant?
djà.
so
xer
ve
l^y J- J' j ' j^ j- 1 J ;
A - ce Ma - ri - a, gra - ti
1. le sëta vîardja ï pÛ9ra
xil sô trôna d'erdjà.
so xer^-^) fï ï ve dira:
Mère, que pleurez-vous tant f
Ave Maria, gratia plena.
2. — ï pûara sï pûara môda
k'àdûra tê da fè.
- na pûareta pa, me mëra,
nô le résezîarè.
3. na pûaréta pa. me mëra,
no le résezîarè.
vo lëz-àvïarë dmëdë
à le pôatxa dï retxa.
4. — rëtxa, fet-no l'âmona
po f amour de Jésus!
le rnyata da votra tâla
fêta no lô bëyïa,
5. — le rnyata da mç tâla
s'a po beyîa à më txî',
ë m'etrëpà de lîavra,
twa, ta m'na prà rà.
a pie - na^"^^)
La Sainte Vierge (y) pleure
Sur son trône d'argent.
Son cher fils (y) lui va dire :
Mère, que pleurez-vous tant ?
— Je pleure ce pauvre monde
Qui endure tant de faim.
— Ne pleurez pas, ma mère.
Nous les rassasierons.
Vous les enverrez demander
A la porte du riche.
— Riche, faites-nous l'aumône
Pour l'amour de Jésus !
Les miettes de votre table
Faites-nous les donner.
— Les miettes de ma table
C'est pour donner à mes chiens;
Ils m'attrapent des lièvres,
Toi, tu ne me prends rien.
— 438 —
6. ä bü da trä samêna
la rçtxa s'a vî ô mœrï;
s'a vè tç drwä kàkë
à 1| pö9tx8 dï përëdï.
7. — ovra ma Tperedi,
se pïara, mon-emï.
— Retire-toi, mauvais riefle^
de le flâma êternéla.^-*)
8. ta n'è p'vôyû fër l'ainona
Pour l'amour de Jésus.
tota fœya ka swatxa
na sërë ràvwàdjï.
Ave Maria, etc.
41. Complainte du Pauvre
4%^^,^^^^,^
Au bout de trois semaines
Le riche s'en vient à mourir ;
[II] s'en va tout droit frapper
A la porte du paradis.
— Ouvre-moi le paradis,
Saint Pierre, mon ami.
— Retire-toi, mauvais riche
Dans les flammes éternelles.
Tu n'as pas voulu faire l'aumône
Pour l'amour de Jésus.
Toute feuille qui sèche
Ne saurait reverdir.
Pèlerin. (Patois de Courtedoux.)
-Vn — iT-
W
^-/ / /
s'ë - të si püar pöa - ra,
SI
pua - ra pe - la-
1 J' M' ^-^ji^^^
^ /■ j' j
ri.
s a
ve
a - mo
na
1(3 la dï grà txa-
1 j I ^^ J^J^
œî, lu la dï grà txa
1. s'êtë si pûar pôara,^-'')
sï pûara pëlarî;
s'a vé dmèdë l'âmona
Ici^^"') la dï grà txami. (bis)
2. s'a vë- tô drwà kàkë
à le pôatxa d'ëna dëma.
— Ö dëma ! ô djàtïya dëma î
ovîat m'î pô le pôatxa !
3. epœl se sërvàta
po yï vanï ovîa.
— ovëat-yï vo le pôatxa ;
s'a vô k'ië ëbwiirdjïe.^^^)
4. — pôara. mo bë pôara,
vanï vô do sopë.
mi.
C'était ce pauvre pauvre,
Ce pauvre pèlerin;
[II] s'en va demander l'aumône
Le long du grand chemin.
S'en va tout droit frapper
A la porte d'une dame.
— 0 dame ! ô gentille dame !
Ouvrez-moi un peu la porte 1
[Elle] appelle sa servante
Pour (y) lui venir ouvrir
— Ouvrez-lui vous la porte ;
C'est vous qui (l'a) l'avez invité.
— Pauvre, mon beau pauvre,
Venez (vous) donc souper.
28
434
5. ëpœl se sèrvàta
po lo mwanê sopê.
— mwanët-yï vo, mëdema.
s'a vo k'ie ébwàrdjïa.
6. — pôara, mô bê poara,
V9I1Ï vo dô kùtxïa.
[ElleJ appelle sa servante
Pour le mener souper.
— Menez- [r]y vous, madame,
C'est vous qui (l'a) l'avez invité.
— Pauvre, mon beau pauvre,
Venez vous donc coucher.
7. épœl se sërvàta
po lo mwanê kùtxïa.
— mwanét-yï vo, medéraa,
s'a vo k'I'ë ébwàrdjîa.
8. — poara, mô bë pôsra,
ët8-vo bî bü9txia?
— Ö Olli! me djàtïya déma,
to mwè k'ie^^-) bù de pïa.
9. él ât-alë t;ç9rï ât;^8
po yï bûatxîa le pie.
ân-àtrè de le txèbra,
ël-e vu tô réluant^^^)
10. — po8r9. mô bë poara,
éta-vô Jésiis-Chrisff
— 9 oui\ mé djàtïya déma,
lo rwâ dï perédï.
11. votre pyesa k'â fêta
âme lo péredï.
— e stëa d'më servàta,
levü él sérët-ï?^^*)
12. — lé pyës da vot' servàta?
à pu fô^'^^) dëz-àfîa.
s'a dïna^^®) da sôn-âma
d'àlë à pérédï.
[Elle] appelle sa servante
Pour le mener coucher.
— Menez -[1'] y vous, madame,
C'est vous qui (l'a) avez invité.
— Pauvre, mon beau pauvre,
Etes-vous bien (bouché) couvert ?
— Oh ! oui, ma gentille dame,
Tout (moins que)sauf le bout des pieds.
Elle est allée chercher quelque chose
Pour lui couvrir les pieds.
En entrant dans la chambre.
Elle a vu tout resplendissant.
— Pauvre, mon beau pauvre,
Etes-vous Jésus- Christ ?
— Oh ! oui, ma gentille dame,
Le Roi du paradis.
Votre place (qui) est faite
Au milieu du paradis.
— Et celle de ma servante,
(Là) où (elle) sera-t-(y) elle ?
— La place de votre servante ?
Au plus [projfond des enfers.
C'est digne de son âme
D'aller en paradis.
42. Complainte de Dame Nourpiee. (Patois de Courtedoux.)
m
-^r^
j j / M J" > I / /' ^ ^
^
dé - ma nour - li - ce s'àn - â râ - le à reau
f - / 1 j j- j^lj^^r^Ë^
dé - ma now - ri - ce s'àn - â râ - le à l'eau.
435
1. dçrae nour?ices'êin-âralcàreau(bis)
2. Quand elle frevlenne) rccknt}^'')
[trouve Penfant hrûlé. (bis)
3. Elle le recherche dans les cendres
[et le charbon,
Qu'elle le recherche dans les cendres
[et le charbon.
4. Elle ne retrouve k'î patë l'o dï frù,
Qu^ elle ne retrouve k'î patê l'o dï fro.
5. Elle fenveloppe, l'ât-alë àfermë,
dadè so köfra l'ât aie àférmë.
6. La fausse vieille s'a vê lé ret/iizë.
[(bis)
7. dèm lé rëna môta xû so txvä
[grïjo. (bis)
8. — Dame naurriceje viens voir mon
[enfant, (bis)
9. — dém lé rëna, de se txèbrata aie.
[(bis)
10. tre diisa vïardja, ràdë mwa inon-
[cifèîi") (bis)
11. La terre est dure, je n'y saurais
[entrer, (bis)
12 Les eaux sont grosses, je n'y
[saurais passer. ^^^) (bis)
13. Ouvre le coffre, trouve V enfant
[vivant, (bis)
14. Une belle rose pour son amuse-
[ment. (bis)
15. dém lé rens, tonï votra popo ; (bis
16. Si je le garde, il est en danger
[de mort, (bis)
Dame nourrice s'en est (r)allée à l'eau.
17. — QuHlvit,qu'ilmeiirt,^^^)gardez-
[Vencore un an. (bis)
18. La fausse vieille fut brûlée sur
[le champ, (bis)
qu'un petit os du front
l'est allée enfermer,
Dedans son coffre l'est allée enfermer.
s'en va la raccuser.
Dame la reine monte sur son cheval
[grison.
Dame la reine, dans sa cbambrette
[allez.
Très douce Vierge, rendez-moi mon
[enfant !
) — Dame la reine, tenez votre poupon ;
436 ~
Complainte de Sainte Catherine.
J'ai recueilli deux versions de cette complainte si connue du
martyre de Ste Catherine (cf. Romancero popul. de France, p. 391). La
première provient de Courtedoux (Ajoie) et n'a que quelques mots de
patois ; l'autre m'a été chantée à Tramelan-dessous, en pays protestant ;
texte très altéré.
43. Version de Courtedoux.
iÇ^\ jsU / j j'i J_,h'/ I ^- / j-;-
Ca - the rine é - tait fil - le, le fè - ya dï grâ
^g^
^ / J^ J>
î;
ï
^^
ï^
rwà, Ca - the-rine é - tait fil - le, le fé - ya di grà rwa. A-
; j-/|;'^lJ^;-jJM =^^
ve
Ma
na.
1. Catherine était fille, I
le féye dï grà rwa. J
Ave Maria
Sawta Catherina. (sic.)
San - la Ca - the - ri
La fille du grand roi.
2. Son père était païen,
Sa mère ne l'était pas.
3. Un jour étant en prière
Son père va la trouver.
4. — ka fét8-vô, me fëye,
ka fët8 dokyi*«) le?'
— Que faites-vous, ma fille.
Que faites donc là ?
5. — J'adore Dieu, mou père,
Que vous ne faites pas.
6. — N'adore pas, ma fille.
N'adore pas ce Dieu-là.
7. Adore- moi, ma fille,
10. On fit venir ces roues,
Ces roues ne tournaient pas.
11. — Va me chercher mon sabre
Et ce grand couteau-là. ^^^)
12. — Que faire de ce sabre
Et de ce grand couteau-là?
8. — Non, non, non, non, mon père, 13. — Pour couper la tête
J'aimerais mieux mourir! A ma fille Catherine,
9. On fit venir ces lames, 14. Qui adore Dieu le Père,
Ces lames ne coupaient pas. Moi qui ne l'adore pas.
437 -
15. Et sou bourreau de père
La tête lui trancha.
l(i. Des anges descendirent
Chantant des doux cantiques :
Ave Maria,
Sawta Oathtrina.
(Marguerite Cattin, née en 1829, ;\ Courtedoux.)
44. Version de Tramelan-dessous.
i
^
^m
i^^E^E^J
Sî
Ca-the-rine é - tait fil-le, La fil -le d'ungrand
^ J- T j' j'J I J' J J' ^ Jl J / J /
roi. Son père é-tait pa - ïen, Sa mèr' ne Té tait pas. A - ve Ma - ri-
j. j j / j^ ^
1^^
^
iS
ï
¥m^'
^
a San - ta Ca- tha - ri
na,
De
i Ma - ter, Al - le - lu
ya!
1. Catherine était fille,
La fille d'un grand roi.
Son père était païen,
Sa mèr' ne l'était pas.
Ave Maria, Sa«ta Catharina,
Dei Mater, x\lleluya!
2. — Quittez, quittez, ma fille,
Adoré rc^''^) celui-là.
— Oh ! non, oh ! non, mon père,
Adorère celui-là.
3. Son père de colère
La tête lui trancha ....
(Marianne Etienne, née en 1820. à Tramelan-dessous.)
Remarques.
^) Le mot e(lJ9. ainsi que le diminutif Mjatd sont du féminin; le
même phénomène se retrouve en provençal (cf. Gilliéron. Afkts I'mßuisf.
au mot ange).
2) /^9 = qui, que, pron. relatifs. (Delémont et Porrentruy disent
krj). Ce traitement se retrouve dans tous le Val Terby (Vicques, Cour-
chapoix, Corban, Mervelier, Montsevelier)-, Courroux, à la limite, a tx^
et k9 (cf. vers suivant). Cette prononciation a fait donner le sobriquet
de txotxè (= ceux qui disent txd) aux gens de ces villages. ^Nô so le
lyotxe de ta Vvâ = Nous sommes les txj}tx{ f^^i^^ ^.out le Val," me disait
M. le curé de Courchapoix. — C'est du reste la façon de parler du
poème patois Les Paniers, par le Curé F. Raspieler, de Courroux
(Porrentruy, 1849). [Note parue Arch. III p. 259.]
^) dâ vu'd = depuis vers, da = de ex = dès, depuis, i n l'e pvù
dâ otd djg = je ne l'ai pas vu depuis huit jours. — vwa = versus = vers.
[Note parue Arch. III p. 260.]
*) oxâ = afvjuncuhi + ittu; seul mot pour oncle; le simple oxd
n'existe pas. C'est le mot qu'on emploie avec les enfants, quand il s'agit
d'un inconnu: „e fvû sfoxâf — dï vïtmu bodjg (7 sfoxa. — bey^ lé nu
a sfoxa = as-tu vu (cet oncle) ce monsieur? — Dis vite bonjour à ce
monsieur. — Donne la main à ce monsieur.
^) Passage corrompu. J'ai entendu la version: hodjô do, mérid =
bonjour donc, Marie (cf. n° 2, str. 2). [Note parue Arcli. III p. 260.]
^) Frlgldu donne régulièrement fré, fredd: friscu = frU. frâtxd
(str. 8). [Note parue Arch. III p. 260.]
') Cette façon de parler a passé dans le français jurassien. On
entend dire, par exemple: Oh! cet enfant, vous avez hel à dire, vous
avez bel à faire, il n'écoute rien. [Note parue Arch. III p. 260.]
^) La forme ma ne fminare) est très ancienne et se retrouve Paniers
v. 153, 220, etc. La nasale est amenée par Vm initiale (cf. mlttere
= mdtr^: mapls ■= me (mais); nupllas = nds. — De nos jours, on dit
partout: murine.
^) Le verbe rëgud = 1° raccommoder, repriser, réparer: j'êyu^ dëz-
çyo, de txüs (des vêtements, des pantalons), reyüd end Ixi'S (casse, casse-
role); 2" arranger: rçyiid 1 yë (faire un lit). Le poème patois des Paniers
donne au vers 594: eyiid-le do to mœ = arrange-la de ton mieux; et
vers 708 : 1d yt rcymrë dddf) si yrç mertë = tu les lui raccommoderas
dessous ce gros marteau. Ma note 1, Arch. III p. 261 a une faute
d'impression; lire 9^ëyud et non rëyûë.
^°) Le verbe fiïrd n'a pas le sens de fuir, mais celui de courir
(cf. Paniers v. 95: fà t'a vih = cours vite). Inusité de nos jours; on
dit: rîtç.
— 439 —
*•) Il est inexact de traduire j'(u'^ iji par muffle densus (comme
M. Daucourt le fait Arc/t. 111 p. 48 str. 8); il faut traduire par: souf/les-i/
= souffle-ki-lnL forme très fréquente, même dans le français jurassien.
Ex.: donnes-y, prêtes-y (cf. le vers 4 de cette même str. 8: f(-Ut).
souffler -= xàxê (Delémont) et ;f/7<v;çf (Ajoie). Cf. n" 3, str. 7.
^-) Forme du singulier, au lieu du pluriel kdka que demande le sens.
^*) Le mot ordinaire pour ramoneur est plutôt 7 rëjr^-tiÏÏ que rï'.r^-
tramwf (cf. \\° 11, str. 6).
*') Pour: jusqu'à ce quHci. On entend communément: „J'attendrai
jusque quand il viendra." Le patois dit toujours djok pour jusqu'à ce
que. Ex.: i vœ dmùrë si djok él erÇ fini = je veux demeurer ici
{jusqu^il aura) jusqu'à ce qu'il ait fini. [Note parue Arc/i. III p. 262.]
^^) Dans ma première publication, j'ai traduit: ef qu'il dort bien
tranquillement, ajoutant en note que je n'étais pas certain de cette
traduction, que m'avait donnée une seule personne de Courroux; les
autres ne comprenaient pas ce ddlf. — Aujourd'hui, j'y vois plutôt l'alté-
ration d'une exclamation dont le premier élément serait non pas dd. mais
dt = Dieu; ce serait peut-être la leçon donnée par M. Daucourt {Arclt. HT,
p. 50, str. 14): ê k'è dôd hl, de CèmUdè! = Et qu'il dort bien, Dieu
l'amende! Cette très vieille interjection, inusitée aujourd'hui, nous aiderait
à comprendre notre passage. Ou sait assez le nombre infini d'excla-
mations et de formules de bénédiction ou d'exécration dont les patoisants
émaillent leurs discours. — Donc je proposerais de remplacer ce ddlë
par de TëmiAdè! qui donnerait au vers le nombre de pieds nécessaires
(cf. Àrcli. VI p. 275, note 2, et 276, note 1). Ce du;) Femade = Dieu
l'amende, — l'afhéliore! serait assez analogue à ,.Dieu le croisse !'■'■ du
vers suivant.
^®) C'est la formule qu'on adresse à une personne qui éternue:
diïd vô krâxd! = Dieu vous bénisse! (crescat = krâxa; crescere = krâtrd).
^'') krçmë = faire cadeau, donner; allemand bernois chrome (cf.
Arch. Y p." 224, note 1).
1^) pëd = seulement. Ex. : v7 pëd ! = viens seulement, viens donc,
viens toujours! (cf. n° 27, str. 1). Peut-être faut-il lii'e ici, comme n° 2,
str. 7, pë dddè = par dedans, sens plus simple et plus naturel.
'^) Le mot fësd = joue, et non pas fesse; y'è ma a le fësd = j'ai
mal à la joue; end efesJd = une gifle. [Xote parue Arch. III p. 263.]
-^) Même emploi que le vieux français si, servant à unir deux
membres de phrases, comme l'allemand so. Dans une prière, j'ai trouvé:
« no di bo dÜ9, si m'kùtxrê = Au nom du bon Dieu, {si) je me coucherai
{Arch. III, n° 28). Cf. n«' 19, str. 1.
^^) àlë a cet. = aller en visite (de jour); la visite de nuit que les
garçons font aux filles s'appelle l'ôrrd; àlë à fövra. — A quelqu'un qui
ne sait comment se tenir, ni que faire de ses mains, qui est emprunté,
on dit: lï dire k'fê a vél' = on dirait que tu es en visite!
--) Passage évidemment corrompu.
-^) Tournure allemande : ich bin nicht so böse, wie ich ..... . (cf.
note 53).
— 440 —
-•') Cf. n° 1, str. 15, qui est sans doute la version originale. Nous
aurions alors ici une altération, parce que le chanteur n'aurait pas com-
pris: qu'il est de tout être, et aurait corrigé en la leçon actuelle.
^^) Cette strophe et la suivante, que nous retrouvons n^ 5, str. 2
et 3, n'ont aucun rapport avec ce noël; c'est une contamination d'une
autre chanson ajoutée au texte primitif par la tradition orale. [Ârc/i.
ni p. 266.]
^^) ovdrnë (Vâdais) ou ovduë (Ajoie) ^ hiverner, nourrir en hiver.
Expression très pittoresque: mâl-ovarnë = mal hiverné, mal nourri. On
comprend facilement qu'il faut nourrir le bétail qu'on hiverne.
-^) Le mot tÇdtxë {força + ellu) = gâteau, est ajoulot; le vâdais
emploie plutôt: dl tho (cf. le patois Vaudois: kdiiû).
-*) On a les deux formes mUd et mçrji} = mordu, de l'infini moddrà
(cf. n° 5, str. 3).
■'*) Le hydsd est la poire sauvage (la pomme sauvage = hotxî). Cf.
frç, blocier, beloce. Bridel {Gloss. du patois) donne blesson et blosson.
[Ârch. III p. 267.]
^") Le latin aura = œrd, vent; d'où ôdrèyïd = venter, faire du vent
(cf. le vieux frç, ore).
^') pûdtxd est ajoulot; le vâdais dit: pUdrtd.
^^) Le verbe rékrië a plutôt le sens de décrier, mais ici, il a le sens
du simple: crier.
^^) Le verbe baptizare a donné: bàtèyïd\ on rencontre aussi la forme
bàtïzïd, mais c'est une influence du frç. Baptismurn = bâtëm.
^*) La forme pradre est frç. Le verbe pre[hen]dere = par, d'où
le futur, f pare, m pare. A-t-on voulu ainsi éviter: ng vg pare pQ
pare? Je le pense, car pî'àdre est absolument inusité, de même qu'un
infinitif: pradrd.
^^) Expression très fréquente = Marianne et toi, vous serez les mar-
raines.
^^) C'est le mot allemand Pappe = bouillie pour les enfants; s'em-
ploie aussi dans le patois du canton de Vaud rddô pâpéj.
'^'') L 'Ajoie dit: pdlx'à; le Vâdais: pdrtû (cf. n'^ 1, str. 5).
^^) pwçtxë ggg^ydt^ = rendre un son argentin, faire glin, glin. Re-
marquer les diverses expressions que nous avons rencontrées: fer dytdyd-
nätd (n« 1, str. 18); fër gâgydtd (n° 2, str. 9); fër gngltndta (n°'3, str. 6).
— L'ajoulot dit: pûdtxë ou pwétxë, le vâdais: pgrtë.
^^) Remarquer ici l'altération.
^^) J'ai noté cet a prosthétique qu'on entend si souvent dans notre
patois, de même que dans le français populaire, surtout au début d'une
phrase et devant un mot commençant par une consonne. On en-
tend bien plutôt dl'txva que Vtxciï (= le cheval); dl'pe que t'pe {= pain);
on dit aussi en français: dl'dix dd'trèfle, dl'neuf dd'pigue, etc. — Dans
notre passage, cet d est compté pour la mesure du vers, et se chante:
J^-J^J- i' I J / j I j' / / ;^ I ;' ;■
8 - st'ë frè, prà mô mè - tê, a - stë fe, prà dï tô-txê, etc.
— 441 —
*^) C'est le nom du chien des bergers.
*'^) Ce mot ptjlïtë ne s'emploie pas-, on dit partout: polttçsd.
*^) Ce mot de pçyni'd est une altération et ne peut signifier: paye
ou payement ■= pçy^, p^ysma. Pour voir comment la contamination a
eu lieu, il n'y a qu'à comparer cette str. 4 avec les n" 7, str. 4 et 8,
str. 4. Dans ce dernier passage, le mot pçyu/rd a son sens habituel:
halle de froment; on parle de: hrdsü Taft f/e atd pnjnrd = bercer l'en-
fant dans cette balle de froment. Celui qui a altéré notre chant, a cru
que ce pèyiïrd signiûâit payement (littéralement: payure)^ etil a arrangé
son texte en conséquence.
^^) Cf. n° 6, str. 4: rèxiïrd. Le patois a deux mots pour désigner
le résidu, le gratin, la raclure. 1" rcyfirà (Ajoie) ou rêxurd (Vâdais) (de
r^X^ ou rêxë = racler) se dit plutôt de la raclure du pétrin {Iç rçxurd
dlç me):, et 2*^ rojard = résidu, crasse, gratin (cf. n° 8, str. 4), ce qui
reste au fond d'une casserole, d'une marmite, surtout lorsqu'on y a cuit
de la bouillie.
*^) Il y a ici influence du français; le patois ajoulot a la forme
CiXdW (aussi = äxi)\ mais on emploie plutôt, dans le vâdais surtout, la
forme xdtç = sitôt.
'*^) La Vautière = la femme „i/?* Vaiitier''-^ nom de famille de
Courtedoux.
*^) C'est une corruption de répejid ou ëpejïd = apaiser.
*^) Ce si gracieux noël n'est pas de notre pays; on n'a qu'à voir
des mots comme bßine, djerdwé, âfat^lè; ce sont des mots tirés du
français. Dans notre patois, le diminutif — ittu = - a (cf. str. 6: ihë-
yôlâ). — Ce chant est donné, avec une autre mélodie, dans le recueil
intitulé: Vieux JSmls composés en l'Honneur de la naissance de ISotre-
Seigneur Jésus-Christ (Nantes, 1876) P"" vol., p. 57.
*^) Comme je le dis dans mon introduction, M. l'abbé Daucourt
(loc. cit.) a publié un certain nombre de noëls, la plupart français, pro-
venant soit d'un manuscrit datant d'une centaine d'années et conservé à
la cure de Miécourt, soit d'une collection de 36 noëls (manuscrit de 1750)
ayant appartenu à feu M. Xavier Köhler, l'éditeur des Paniers. Deux
de ces noëls {Arch. III, n° 1 et 2) sont en français et patois alterné:
les anges, la Sainte Vierge, St. Joseph parlent français; les bergers s'ex-
priment en patois. Le 1" noël a 20 couplets; les strophes 14, 15 et 20
sont en patois franc-comtois; il n'intéresse donc pas notre domaine juras-
sien bernois. — Le 2'' noël a 3 strophes patoises, les n°^ 2, 4 et 6; mais
des mots comme schigno (maître, seigneur) et gairgesses (bas, guêtres)
sont absolument inconnus au patois jurassien. Il s'agit donc ici d'un
autre patois qu'on a translaté avec jjIus ou moins de bonheur en patois
vâdais. — C'est pour cela que je ne les reproduis pas ici.
^") Dans V Appendice de sa Grammaire patoise (Manuscrit de la
Bibliothèque de l'Ecole cantonale de Porrentruy, 1897), M. A. Biétrix
dit (p. 154, 155): „Le soir du Nouvel-an, les enfants allaient devant
chaque maison, en le* (le Chant du Nouvel-an) chantant de toute leur
voix criarde, et d'après l'usage immémoriah Puis après venaient les
grands garçons du village qui le chantaient de même, pas plus mélodieuse-
— 442 —
ment, il faut bien le dire, et qui, une fois admis dans les maisons, où
ils étaient impatiemment attendus j^ar les jeunes filles, faisaient danser,
sauter celles-ci à cœur joie, et bien souvent même les bonnes vieilles
mamans. — Du ijroduit de la collecte qui se faisait, on se mettait de
nouveau en fête le dimanche suivant à l'auberge du village, où chaque
garçon était accompagné de son amie préférée".
^^) JSâ = natale, mot populaire. Au refrain, txetà mjë, nous avons
affaire au mot français' noël. (Note à'Arch. III p. 270).
^^) Littéralement: est été. Le parfait du verbe ctre se conjugue
non avec l'auxiHaire avoir, mais avec être. Le parler populaire dit aussi:
Je suis été. C est une influence de l'allemand.
^^) Si bien les gros comme les petits, tournure allemande (voir n° 11,
str. 2: si bien les vieux que les jeunes; cf. aussi note 23).
°*) La Jjriqiie'-'' = un morceau quelconque; même signification que
dans les autres patois de la Suisse romande. — Le patois de Delémont
dit hretX'i (cf. n° 11, str. 4).
^^) L'adjectif vëii9 a la même forme pour les deux genres. Ex : ?
T'ëyd pcîpo, un vieux grand-père; é?id vëi/d m?n7, une vieille grand'mère.
^^) A côté de pôLTd, on a aussi la forme proclitique pgr (Va.) et
pûdr (Aj.). Ex.: mo pgr àfe, mon pauvre enfant; me pçr hêxatd = ma
pauvre fille. Mais on dit: el Ci pövrd, il est pauvre. (Note d'Arch. III
p. 271.) [Voir note 129.]
^^) Le Dictionnaire patois, de Guélat (manuscrit de la Bibliothèque
de l'Ecole Cantonale de Porrentruy) donne au mot djmo les deux sens
de genou et giron. Ce dernier mot est pris ici dans son sens primitif:
pans de vêtements d'où le sens de tablier, et tablier plein (note à'Arch.
III, p. 271).
^®) Pour cheminée, on emploie plutôt tilê que txdmdnê. Ramoneur
se dit plutôt rêxd-tûë (Vd.) ou rëyj-lïië (Aj.) que rêxd-txdmdnë (cf. n** 1,
str. 11). '
^*) Du verbe txüätrd = accorder, souhaiter. On dit aussi en français
poj)ulaire: je le lui corde bien; ce mot se retrouve dans nos patois suisses
romands.
^^) Mot dont on ne connaît pas le sens; c'est évidemment la cor-
ruption, par la tradition populaire, du vieux mot èdo = adonc. donc,
alors, qui existe encore dans nos patois, mais qui commence à se perdre.
Ex.: él ëiê èdo rmër d'ié kçmund = il était alors le maire de la commune.
— De nos jours, alors se dit: dali.
^^) Très joli exemple de la façon dont le peuple altère parfois un
texte (note à'Arch. III p. 274).
^^) dmë, adv. = (en) au milieu; le mot ordinaire est mita (cf. n° 39,
str. 11).
*') PÇ>' ^^^ =" par en haut; on a encore aujourd'hui l'expression //
aso = là-haut. Ex.: vè vwû II dso m'txara sgli = Va voir là haut me
chercher cela (note d'Arch. III p. 274).
''■') Ce mot ///Ö est français; le latin locu a donné régulièrement ifüd
(cf. focu = fi'iB: jocu = djüd). Voir Paniers, vers 480: d^ sti) giïd dd dëlg
= dans ce lieu de douleur.
— 443 —
®*) Forme du snbj. présent. Cf. l'ancien frç. (hiU.
^''') Ce mot du patois ajoulot n'est pas employé dans le vâdais; le
mot habituel est: cohortile = ty/n'tt (Del.) et tx&txi (Aj.).
*") Les enfants mettent ici le nom de la personne chez qui ils
chantent.
^^) Bnld, subj. prés., n'est pas la forme habituelle; on dit plutôt
bnâxd (cf. n° 12, str. 2. et n'' 14, str. 4; puis n** 16, str. 4: hnëXŒXd).
^^) Mot du patois ajoulot; le vâdais dit: txdcrd.
®*) Le latin inäudi/ia a donné: edfref/.) (A.joie) et èdpif^ (Delémont).
''") Diminutif de nidiivë = levier de l)ois, servant à soulever des
blocs ou des billes, des troncs.
''^) Diminutif de ëtë = le hêtre, le foyard, appelé aussi rfô. (de
fagiis) ou le pïdrtxd {pertica).
'^) Le latin torca + ellii a donné tiréijcë (Aj.) et tOixë (Vd.).
'^) Mot ajoulot, le vâdais dit môrsë (cf. n° 2, str. 8, et 1, str. 8).
"*) Pour désigner les noisettes, on a les deux mots: uujëip et nù.ratB.
diminutif de nùxd = noix. — On a le proverbe: ànë d'nojèud. linë d'txönd
= année de noisettes, année de bâtards.
'''") En Ajoie, on emploie le mot léf.vB (allem. Tanche) = la poche;
tetxJd = littéralement: une pochée, une poche pleine. Le vâdais dit: énd
bëgàU; Tasche + ata = tètxu.
^^) Littéralement: une hesacée: eue bësêfx^ = une besace (Aj.).
''') La ^.gouffe^^ désigne toujours l'eau-de-vie.
''®) On sait pourtant que le 5 janvier est consacré à S'unéon le
Sfj/Ufe. né en 390 à Sisan. en Syrie; ce saint célèbre ayant été pâtre dans
son enfance, est devenu le patron des bergers (cf. Ker/er. Die Patronafeii
der HeUigen).
'^^) Altération pour v7t-o = vient-on.
^^) Dans Avch. III p. 274, n° 8, str. 1, j'ai la variante: .S''(7 bien,
je vous salue. Tout ce chant est très altéré, et la leçon: s'a 07. Je cous
sUrc. n'a pas plus de sens que l'autre. — sUcè est la l""^ pers. sing, du
prés, indic, qui dans le vâdais se conjugue: i sâvè. ta sdv. f sâv. nô
säva. vg sâvë, é sâra.
^^) Je dois ici corriger une erreur de ma première traduction, Arch.
III p. 274, n° 8, str. 2: ëlodjT) va fjéto: j'ai écrit d'abord />f/o et traduit:
a/longez vos liàtons. C'est inexact; il faut lire />(7o = tresse de chanvre;
7 Iteto d'txeud = trois poupées de chanvre tressées ensemble.
^-) Le mot rëzo est français; le patois dit: rëjo.
^^) Le moip()më{\yQ\.),prnuë{A.i.) désigne un bœuf pommelé, rouge-fauve.
^■*) rçmë {rametlu) = tacheté, rayé, à ramages (fém. r(incld). Ici
donc un bœuf tacheté. — On dit aussi 1 te rémë = une salamandre {te =
triton, salamandre d'eau; te rèmë = triton rayé, salamandre de terre).
— Le patois de Develier connaît une autre expression: ta rëm = à foison.
On dit, d'une place dans la forêt, pleine de fraises ou de framboises:
è g'àn-e fÇ rëm = il y en a à foison; std pyès ä tô rèmë = cette place
est toute tachetée, bariolée de fruits {rumatu).
— 444 —
'^■') r{)d = sillon (latin /vV/«).
86) ^^tre = paille (sfraïuen).
^^) Nom d'une métairie en dessus de Develier.
s«) /^sf = lait (hilicelfu).
^®) ;y/^7o = séraC; lait caillé; c'est ce qui reste quand on a enlevé
le fromage.
^") Au lieu de dessus: très employé dans le français populaire (cf
n° 24, str. 1).
^^) Ces trois mots ont été francisés d'après le patois: on dit djdhïâ
(gibier), pddri (perdrix), b(;gès3 (bécasse).
®-) Prononciation populaire de quand: quan/e je serai, quan/e vous
viendrez, etc.
^^) Var. : Que nous voyons dessus la sainte étable.
®*) Nous avons ici une très intéressante contamination; le chanteur
a fondu en une seule les deux leçons de n'* 23, str. 1 : Que nous voyons
I si gracieuse et belle I ^ ^j^^^^^^ j^^ ^^^-^^^^ j^j^-j^ ç^^ j^^ji^ ^ jj^^,.
l dessus la samte etable I ^
^^) Naturellement le peuple n'a pas compris ce mot d'uvènenunt.
^^) Même altération que n° 24. str. 1.
^') Littéralement: Qu'elle a prédit ce long mauf/ej'. je mange. Le
texte français: el/e a prédit selon mon jugement, n'a pas été compris par
le chanteur, qui l'a transformé à son idée. Quand j'ai demandé à mon
sujet: Qu'est-ce que cela veut d'ire'? elle m'a répondu: t! vç sëtd ht! tye
dn-o fe. é po k'é y'é prii ë medjïd. s'a î lo medjïd: e po däli. je mange!
= E/i ! vous savez bien ! Quand on a faim, et puis qu'il y a beaucoup) ci
manger, c'est un Jong manger^: et puis alors, je mange! — Et voilà
l'explication, en tous cas beaucoup moins abstraite que le texte français.
^'') Traduction: Dépêchez-vous, j'ai grand' soif, mes amis.
^®) Traduction: Qu'une autre année vous puissiez nous en donner.
^*"') Cette forme, absolument inusitée, doit être une altération du
verbe Idpë — laper; î Icipû = un lapeur, un buveur. Le frç. a du reste
faniper = boire avec excès; mais je ne sache pas que le patois ait Idpë.
"'^) Dans le pluriel des verbes réfléchis, le patois emploie très sou-
vent comme pronom régime le pronom s<): Ex.: i nïkùtxd (= je me couche),
td t'h'ûtxd. ê s'Jxûtxd. nç s'Jiùtxa. v6 s'iiûtxïd. ê s'kulrd. (Voir Arch. Y,
p. 207, note 1.)
'*'-) Le latin: quadragesimum intrantent a donné kdrimiitrd. que le
vâdais prononce presque toujours kàrîm(}trd. ou même kârimôtrd = Car-
naval. — Le mot carême = kurënid est féminin dans le vieux patois
Iquadrages'imaj; à Courroux (Val de Delémont), les vieux disent encore:
n() so (ï lé lairëmd. nous sommes à la carême; è no fa djudnë lé kârëmd
dtîdrmd = il nous faut jeûner la carême entièrement. — Le Dictionnaire
patois de Guttat donne: Imrmd, sans indication de genre (cf. Arch. IX,
p. 26, note 168).
^"'^) kdklo = poêlon en terre de Bonfol.
^^*) Remarquer l'élision: m'î n'ôzd = me î n'ôzd (cf. n" 27, str. 1).
— 445 —
^°''') Le participe érii est ajoulot; Delémont dit: f/i/ii (cf. n° 28,
str. 3, 4).
^"*'') Le patois emploie encore /"T"-?. fém. fidr (lat. féru) dans le sens
de: aif/rc. aride: f/f fTà t.rô = des choux aigres, de la choucroute; ici
fîdr a le sens de crael (cf. v. 6).
^^'') Le latin c/ et fl & donné ,r9 en vâdais et yj en ajoulot: cfavu =
œô, xQ> clave = .vê. yTr. flore = .ro. yin : conflare = gd.rê. f/oyç: ^miscfu)-
lare = m eue. mâxe, etc.
^*^**) Ixeijole dérive de tdeyo = caillou. Ce passage est altéré; voir
le sens exact au n° 32; on prie Dieu de préserver les hlés et les avoines
d'être dttçi/ôlë d'jïïor. „encailloutés de pierres," c'est-à-dire recouverts de
pierres.
^^^) Dans Arclt. III p. 276, note 2, je n'ai pas pu donner une expli-
cation satisfaisante de ce freyu no txerhonë. A ce moment (1899), je
ne connaissais pas encore un mot du patois de Besançon, qui m'a mis
sur la voie : la kèrhùnUdd = grillade de porc, chair ou boudin qu'on grille.
Nous avons donc ici un ancien mot qui s'est perdu, mais qu'on retrouve
dans ce mai, et dans les n°^ 32 et 34, sous une forme altérée. — frhßd
= fricare.
^^*') sohJd (Vd.), ?,iiiiJd (Aj.) = signer, faire le signe de la croix. Sif/uer
(unterschreiben) = sliiç. — La voyelle est presque toujours nasalisée
devant fi. Ex.: h^sam (besogne), karand (carogne), ram (teigne), l.vétand
(châtaigne), rerga/î) (vergogne), rasa ni f (renseigner), pè/ià (peigne), sènid
(saigner), etc
^^^) C'est le mot ordinaire pour omelette: mijol ou mijolatd: en
français populaire, on dit aussi une mijenle.
'^^) La forme de l'impératif est héyJtd-nô, mais on dit aussi: l>è(ild-nQ.
''^) Altération pour s'a 16 me = c'est le mai.
^^*) in sica. expression très fréquente: s'a hl swa ^ c'est bien facile,
bien aisé.
^^^) Notre Ami, Livre de lecture pour les Ecoles secondaires, par
M. Marchand, Porrentruy.
^'^^) Le patois ajoulot dit: metn. le vâdais: merll.
^^^) Le verbe HÛkë =■ sauter en l'air, danser. On a le substantif:
ènd yükäld = une fille étourdie, légère.
^**) kodi/dnë = littér. couillonner; taquiner, agacer, chicaner.
^^^) Remarquer le grand nombre de diminutifs: hwéxâta. fëtàtd.
fi/olâtd. Ijotn'dydfà. gçsdtd, pèsdtd.
^^°) C'est la forme de l'imparf. du verbe lOadra, part, passé löddjil
ou twèdjû (Ajoie) et tçdrjû (Delémont).
^^^) En patois ena rëturd = un habit, un vêtement; énd bel vêiurd.
ëm nov vët'àrd = un bel habillement, un vêtement neuf.
^*^) C'est le mot français populaire pour désigner le chapeau de
soie, le chapeau haute forme.
^-^) Le patois dd kd n'a pas le sens du français dès que. mais il
signifie: quand même, si même. Dans le parler populaire, tout le Jura
— 446 —
dit encore: Dès qu'il durait un million, il le dépenserait! (= quand même
il aurait . . .).
^'^*) Littéralement: ht (/oiŒseite. On devrait dire //a/Y<7<?. Dans .IrrV/.
V, n° 102, str. 4, nous avons: h monïà ftrd so (lôxu. - mt-(;lyjï lui donna
= Le meunier tire sa bourse. — cent écus lui donna. On sait que le
mot gousset signifie; 1^ le creux de l'aisselle; 2^ pièce à la partie de la
manche d'une chemise qui correspond au gousset; 3'* anciennement petite
/jourse que l'on portait d'abord sous l'aisselle et que l'on attacha ensuite
au dedans de la ceinture de la culotte. — (Cf. L'ittré: gousset.) C'est
plutôt dans ce dernier sens qu'il faut l'entendre ici.
^-'^) Dans le Jura, të tnndso se célèbrent le second dimanche de
novembre, et sont une réjouissance à l'occasion de la St-Martin. C'est
donc autre chose que la hénichon fribourgeoise, qui est la fête patronale
d'une localité. — Dans ce morceau, je note naturellement le latin tel
qu'on me l'a prononcé
''-^) La mélodie devrait commencer en pt majeur pour se terminer
en ré mineur. Cependant ma vieille m'a toujours chanté le commence-
ment en fa mineur, ce qui, à la 5® et 6^ mesure, complique le passage
à ré mineur: néanmoins elle ne s'est jamais trompée et n'a jamais fait
une note fausse.
'-^) C'est le mot franc., dont l'introduction est récente dans nos
patois et ne s'applique qu'à quelques mots seulement: xér émt. xérpër, etc.
Le latin caru donne régulièrement txïd, fem. txw'. — Le Dictionnaire
de Guélat donne même à txTâ le sens de cher, bien aimé.
^"^) Fldnid est ici un terme d'église. Le Isitinflamma a donné régulière-
ment xënid (Vâdais) et ;çë/??a (Ajoie).
^^^) Expression très intéressante qui nous montre les deux formes
provenant de jmuperu: pôrrd (Vd.), podr (Aj.), et pûdr, pur en proclise.
[Ci. note 56.)
^^^) Remarquer l'altération: lold (= long le) au lieu de b lo (= le long).
^^^) éhu'àrdjJd = littér. héberger; ici accueillir, inviter. — La fin de
cette strophe n'est pas à sa place; elle est la même que str. 5; mais le
pauvre n'est pas encore èhwdrdjïd.
^^-) Remarquer l'expression mwe k3 = moins que, sauf.
^"^) Influence du mot patois ryïi^ = reluisant, brillant, resplendissant;
(verbe rgurd = reluire); c'est d'après ryùe qu'on a formé réluant.
^■^*) Littéralement: Là où elle sera-t-g? = Où sera-t-elle?
^^■') Le patois fo est adjectif et signifie profond. sfCw â fod? =
Cette eau est profonde. Le français populaire dit aussi: Ce trou est fond,
cette eau est fonde.
^^^; Remarquer l'altération; on veut justement dire le contraire:
C'est indigne de son âme d'aller en paradis; elle est digne d'aller en enfer.
*^^) Le peuple emploie quelquefoie ces formes: elle revienne, elle
veuille fvœgdj pour la 3* pers. sing, féminin = elle revient, elle veut.
^^^) C'est une prière que Dame nourrice adresse à la Ste- Vierge,
*^^) Ces deux strophes 11 et 12 qui, au premier abord semblent
être interpolées, appartiennent pourtant bien à notre complainte. C'est
— 447 —
la suite de la prière: Dame nourrice n'a d'autre refuge que la Vierge;
la terre est trop dure pour qu'elle puisse s'y cacher, les eaux trop hautes
pour les passer et s'enfuir.
"°) Au lieu du suhjoiicfif: qu'il rire ou qu'il meure.
"') Ce mot dokd a ici deux syllabes, pour la mélodie.
^*^) Ce couteau-là est une altération de coutelas, que le peuple ne
connaissait pas.
^^^) J'ai transcrit cet infinitif adorer de cette façon, comme le pro-
nonçait la chanteuse.
Markellinos' Pulslehre.
Ein griechisches Anekdoton
vou
Hermann Schöne.
Unsere Kenntnis der antiken Pulslehre beruht bisher auf folgenden
Schriften :
1. Galen's Grundriß ;ieQi rojv Gifvyj-iüv toTç eioayoiiavoig (YIII
453 f. Kühn).
2. Galen tteq} ôiafpoQÙQ acpvyiioji' (VIII 493 f.).
3. Galen jteqi ôiayv(j)O£0)Z ocpvyacbv (VIII 766 f.).
4. Galen tieqI tüv ev toTz açvyiioTg uhUov (IX If.).
5. Galen tieqI TTQoyvtooEojg oçvyfiojv (IX 205 f.).
6. Galen ovvoipiç jieqI acpvy^iMv (IX 431 f.). ^)
7. Galen jieqi xçeiuq acpvyfiojv (V 149 f.).
8. Dem sog. Galen jieqi aq)vyfiojv tiqôç 'Avronnov (fiÀOfia&fi y.al
(pi26ao(pov (XIX 629 f.).
9. Den pseudogalenischen öqoi larQiy.oi (XIX 404 f.).
10. Dem sog. Rufus tieqI GCfvy/nojv (Oeuvres de Rufus d'Ephèse
p. 219f. Daremberg-Ruelle).
11. Pseudo-Soranus de pulsibus und peri sfigmon (Anecd. gr.-lat.
II 263 f. und 275 f. Rose).
Ihnen reiht sich die bisher ungedruckte Schrift des Markellinos an.
die auf den folgenden Blättern mitgeteilt werden soll. Sie bietet eine
Anzahl wertvoller Nachrichten, die bisher aus anderen Quellen nicht be-
kannt gewesen sind, und verdient daher publiziert zu werden. Auch die
zahlreichen anonymen Traktate jteqI agyvyficov, die sich bei der Aufnahme
der antiken Medizinerhandschriften durch die Berliner Akademie gefunden
haben, enthalten vielleicht wertvolles Material, doch liegen Abschriften
derselben noch nicht vor.
1) Über diesen Traktat handelt Job. Gossen, De Galeni libro qui avvoxpcç ntçl
oq>vy{*üv inscribitur. Diss. Berlin 1907. Im Übrigen vgl. Daremberg. Recherches sur
la sphygmologie antique (Rufus p. 614 f.); M. AVellmann, Die pneumatische Schule bis
auf Arcbigenes (Philolog. Unters. XIV) S. 170 f.
— 449 —
Ein Arzt des Namens Muqxe/jJvoç ist meines Wissens aus anderen
Quellen bisher nicht bekannt.-) Warum ein medizinisclier Schriftsteller
der Kaiserzeit, der den Pneumatiiver Archigenes und dessen Anhänger
zitiert, also frühestens im 2. Jahrhundert n. Chr. gelebt hat, diesen Namen
nicht geführt haben könnte, ist nicht abzusehn. Trotzdem ist dem Ver-
fasser der vorliegenden Schrift das Mißgeschick zugestoßen, daß sein
Name, noch ehe die Abhandlung gedruckt war, von zwei verschiedenen
Gelehrten durch Konjektur geändert worden ist. Weigel zitiert ihn als
Marcellus/'j und Skevos Zervos, der die Schrift ebenso wie Weigel in
einem der zwei Wiener Codices gelesen und gelegenthch erwähnt hat,
identifiziert den Verfasser ohne weiteres mit Marcellus aus Side.^) Selbst
wenn es feststände — was nicht der Fall ist — , daß dieser Arzt Mar-
cellus aus Side eine prosaische Schrift rrtç/ açvy^uojv verfaßt hätte,
würde ich es nicht für gerechtfertigt halten, der Identifizierung zuliebe
in unserer Schrift den durch die besten Hs.") gebotenen Autornamen
Markellinos zu ändern oder auch nur zu verdächtigen. Tatsächlich wissen
wir aber nur von medizinischen Gedichten des Marcellus aus Side.*^) Darum
wird man gut tun, auf jede Änderung zu verzichten und einen neuen,
uns bisher unbekannten Arzt MccQxeßJjpog anzuerkennen.
Eine andere Frage ist, ob sich nicht vielleicht an anderer Stelle
eben dieser Name bisher unter einer leichten Korruptel verbirgt.
Im Codex gr. Bononiensis bibl. univ. .3632 (s. XV) sind nämlich
zwei Serien von Arzteporträts mit griechischen Namensbeischriften er-
halten, über die Olivieri in seinem Katalog der griechischen Handschriften
in Bologna berichtet.") In der ersten Reihe erscheinen neben Ascle-
piades, Soranos, Archigenes, Rufus und zahlreichen anderen Namen auch
fir^vàç Ô x^'QovQyog f^3Ii]väg ô /eiQovQyôg) / fiäyvog (MäyvogJ / fiaçxe-
2,f]voç / ôioaxoQ7]ôi]g fAiooxoQÎôijgJ ; an anderer Stelle (f. 213) ô fiayvoç
aci)q)i]GT^ç fö Mdyvog aog)i(JTJ]QJ / ô iiaQ'AE?^i]voQ. In beiden Fällen
liegt es nahe, Maçy.EÀZîpog herzustellen und diesen Arzt mit dem Ver-
-) Vgl. J. A. Fabricius, Elenctius medicorura veterum (ßibl. gr. XIII, Harabiirgi
1726); C. Gr. Kühn, Additamenta ad el. med. vet. a Jo. A. Fabricio . . exhibitum (.SO
Univ.-Programme, Lipsiee 1826^1837).
^) Thesaurus Dindorfiorum s. v. ôe^tojaig: „Marcellus De pulsibus Cod. Vindob.
c. 1: 'H Ô. tov vooovvTog'^ AVeigel. Ohue Zweifel sind Markellinos' Worte: tov vo-
oovvTog i) öe^i'ojaig (unten c. I Z. 29) geraeint.
■1) Skevos Zervos, Ein Beitrag zur Lehre von der Sphygmologie. Wiener kli-
tiscbe Rundschau, herausg. von Obermaier und Kunn XVI ( 1902l Xr. 29 S. 581-583.
5) Man vergleiche hierzu die adu. crit. zur Überschrift und zur Subscription
des Textes.
''i Marcelli Sidette medici fragmenta recogn. M. Schneider. Commentât Rib-
beckianas (Lips. I8881 S. 115—1.31.
") Olivieri. Studi ital. di filologia classica III il895) S. 453 f.
29
— 450 —
fasser der Schrift >t£(»î o(ft'yfià)v zu identiüziereu. Ob in dem Bilde
selbst ein brauchbarer Rest antiker Tradition bewahrt ist oder nicht,
ließe sich nur angesichts der Bologneser Handschrift entscheiden.
Das Bild des MarkeUinos, das man aus der einzigen erhaltenen
Schrift gewinnt, gestattet, soviel ich sehe, keine sichere Datierung. Die
gespreizte Stilisierung der Einleitung und des Schlußabschnitts legen zu-
nächst den Gedanken an einen Jatrosophisten ®) nahe; aber da er sich
auf der anderen Seite auf zahlreiche Fälle aus seiner eigenen Praxis
beruft,'^) so ist er doch wohl ein Arzt von Beruf gewesen. Er trägt,
wie billig, eine große Verehrung für Hippokrates zur Schau, zitiert viel-
fach die Herophileer, einmal auch Asklepiades, schließt sich einmal mit
ausdrücklichen Worten dem Archigenes und seinen Anhängern au und
beruft sich zum Schluß auf ein Diktum des Erasistratus. Ein starker
Widerwille gegen die empirischen Arzte macht sich gelegentlich in kräftigen
Worten Luft. Also ein Eklektiker dogmatischer Richtung, der in seiner
Doktrin anscheinend hauptsächlich pneumatischen Ärzten folgt und auch
das ältere historische Material vielleicht zum Teil pneumatischer Ver-
mittelung verdankt. Galen ist in der Schrift weder mit Xamen genannt
noch, wie es scheint, benutzt; daraus läßt sich jedoch nicht von vorn-
herein mit Sicherheit schließen, daß MarkeUinos vor Galen gelebt haben
müsse. Die Sprache und die ganze Behandlung des Gegenstandes weist
den Traktat wohl eher in eine spätere Zeit, in der die großen medi-
zinischen Schulen der Kaiserzeit nicht mehr fortbestanden.
Erhalten ist die Schrift in 4 Handschriften:
1. Vindobonensis medicus grsecus 16 (s. XIV) f. 3 19 ff. (kopiert
von S. Mekler).
2. Parisinus grœcus 2332 (s. XV) f. 149 ff.'«) (verglichen von H.
Rabe).
3. Vindob. med. gr. 15 (s. XV) f. 101 ff\ (verghchen von S.
Mekler).
4. Bononiensis gr. bibl. univ. 3632 (s. XV) f. 65 ff,, von dem
ich keine Kollation besitze.-'^)
^) Von einem Jatrosophisten ist wohl die pseudogalenische éTitôei^iç verfaßt, die
den Titel el ^i]>ov to y.aTÙ yaoTQoc führt (XIX 158 f. Kühn).
9) Vgl. c. XXXI Z. 429.
!<•) H. Omont im Inventaire sommaire hat den Autornamen MarkeUinos Ijei der
Aufnahme der Hs. übersehen; auch Costomiris (Etudes sur les écrits inédits des anciens
médecins Grecs: Revue des études Grecques II. JII. IV. V. X.), der die griechischen
Medizinerhandschriften in Paris von neuem untersucht hat (11 343), ist nicht darauf
aufmerksam geworden.
11) Vgl. H. Diels, die Handschriften der antiken Ärzte. Griechische Abteilung
(Abh. der Berliner Ak. li)05 u. 1906) II S. (ÎO.
— 451 —
Vindob. 16 bietet allein die vollständige Faüsunw des Traktats;
Paris. 2832 und Vindob. 15, die unter sich nahe verwandt sind, geben
einen stark gekürzten Text. Das Verhältnis, in dem diese beiden Hand-
schriften zu einander stehen, läßt sich bestimmt bezeichnen.
Im Großen und Ganzen bieten sie einen übereinstimmenden Text
der Epitome und weichen in den dieser abgekürzten Fassung eigentüm-
lichen Lesarten meist gemeinsam vom Vind. 16 ab.
Vind. 15 enthält nirgends Worte, Satzglieder oder Sätze, die im
Paris. 2332 etwa fehlten.
Dagegen bietet Paris. 2332 mehrfach Worte und Satzglieder, die
durch Vind. 16 als echt erwiesen werden, im Vind. 15 al)er durch Ver-
sehen ausgelassen sind. So z. B.
Z. 87 — 88 Tov aibiiaiog
109 Ô
187 xii'i'iosiç — 188 ià)v
193 ÜGTiEQ yÙQ — 194 äcaicog
378 Tf]v vor avßfieiQiav
460 èaiiv
466 y.ciTÙ — 467 tiqogtieoovou
Mithin kann Paris. 2332 nicht aus dem Vindob. 15 abgeschrieben sein.
Dagegen wird die entgegengesetzte Annahme, nämlich daß Vind. 15
aus Paris. 2332 stamme, durch mehrere Gründe empfohlen:
155 ÔEI Paris. ,,was aber leicht in y ei verlesen werden konnte"
(Rabe); -/ei Vind. 15.
ISl OUI' /.ÉyouEv Paris.-, ovi' /.öyov EiraiiEi' Vind. 15.
490 y.iviifiaiog Paris, (das i steht nahe am y. und etv\-a5 tiefer,
so daß die beiden Buchstaben leicht für das Compendium von y.al
gehalten werden konnten); y.aiPt]uazog Vind. 15.
493 EÇEiaiv Pa.ris. („aber eq- sieht fast wie ovq- aus'' Rabe);
ocQEiair Vind. 15.
498 ÖQÜod-cu ursprünglich Paris., „dann ist von derselben
Hand ad- durch Kreuz- und Querstriche getilgt, so daß es jetzt
einem (f ähnlich sieht, und lat darüber geschrieben" Rabe; Eßu-
(paiiai Vind. 15.
Durch die Annahme, daß Vind. 15 aus Paris. 2332 geflossen sei,
wird in allen diesen Fällen die Entstehung der im Vind. 15 vorliegenden,
jedesmal verderbten Lesart zureichend und auf eine unmittelbar ein-
leuchtende Art aufgeklärt. Somit scheidet der Vind. 15 als unselbständige
Textquelle aus der Betrachtung aus.
Was endlich den Bononiensis 3632 betriftt, so beginnt darin nach
Olivieri's Angabe'^) die Schrift mit den Worten —(fvyuô)v x^i[yEiv y.al
^2) Stud. ital. III (18VJÔI S. 445.
— 452 —
nsQÏ ofpijyiioji' uou x(j)j fiud-i'iv (unten Z. 2) und schließt xiiv èjiinZoyJjv
f'xoiv (unten Z. 485j. Der Text reicht von fol. ßö"" — e?"", hat also einen
auffallend geringen Umfang. Zu Anfang stehen Worte, die in der Pariser
Epitonie fehlen; am Schluß fehlt eine Partie, die nicht nur im Vind. 16,
sondern auch in der Pariser Epitome erhalten ist. Somit kann diese am
stärksten gekürzte Fassung nicht aus der Pariser Handschrift abgeleitet
sein. Die aus dem Anfang angeführten Worte gestatten den Schluß, daß
der Text in dieser Handschrift sehr verwahrlost ist.
Die Nachricht, daß Herophilos sich einer AVasseruhr bedient hat,
um die Pulsfrequenz zu messen und Fiebererscheinungen zu konstatieren,
ist sehr merkwürdig und verdient genauere Erwägung; soweit meine
Kenntnis reicht, ist sie anderwärts nicht überliefert.
„Herophilos setzte, wie berichtet wird, auf die Pulsfrequenz als
ein sicheres Symptom so großes Vertrauen, daß er eine Wasseruhr her-
stellte, deren Kapazität der festgestellten Anzahl der normalen Puls-
schläge einer jeden Altersstufe entsprach. Beim Krankenbesuch pflegte
er die Wasseruhr aufzustellen und dem Fiebernden den Puls zu fühlen;
je mehr Pulsschläge dann über die Normalzahl hinaus bis zur voll-
ständigen Füllung der Wasseruhr vorübergingen, um so viel mehr war
nach seiner Erklärung der Puls beschleunigt, d, h. stärkeres oder
schwächeres Fieber vorhanden." So lautet der Bericht des Markellinos.'^)
Herophilos unterschied in seiner Theorie über die Rhythmen des
Pulses wahrscheinHch 4 Altersstufen.'*) An diese wird man daher auch
im vorliegenden Fall zu denken haben. Und da bei Markellinos nur
von einer Wasseruhr die E,ede ist, die aber doch zu Beobachtungen an
Patienten verschiedenen Alters und verschiedener Normalfrequenz des
Pulses gedient haben soll, so muß das Instrument regulierbar gewiesen sein.
Bei der Wasseruhr dient zur Messung einer bestimmten Zeitfrist
das Wasserquantum, das während dieses Zeitraums aus einem Gefäß in
ein anderes, tiefer stehendes abfließt; der Ablauf der Frist kann ent-
weder an dem sich entleerenden oder an dem sich füllenden Gefäß beob-
achtet werden. Bei der Klepsydra des Herophilos wurde der x\ugenblick
konstatiert, in dem sich das untere Gefäß vollständig gefüllt hatte {eig
xrv hi/ùrçLooiv xf^g ylexlrvdqag). Mithin kann die Messung von mindestens
4 verschiedenen Zeitfristen, auf die das Instrument eingerichtet gewesen
sein muß, nur durch eine jedesmal dem Zweck entsprechende Veränderung
der Kapazität des unteren Gefäßes ermöglicht worden sein.
13) Z. 260 ff.
") M. Wellmann, die pneumatische Schule bis auf Archigenes S. 192. Aller-
dings ist ein direktes und ganz einwandfreies Zeugnis hierfür nicht vorhanden und es
ist denkbar, daß Herophilos 7 ii^uy.îai geschieden hat.
— 453 —
Eine solche, nach Bedürfnis regulierbare Wasseruhr empfiehlt
Aeueas in der Schrift über Städteverteidigung für den mihlärischen
Gebrauch, um bei Nacht je nach der Jahreszeit die Wachtfristen, deren
Anzahl feststand,'^) länger oder kürzer zu bestimmen. Er sagt:'") ov
ô''av tqÔtcov Ïocoç /mI xoivcug [.lay.QoriQi'Jv r^ ßQay^vTtqiov KriDv Kirchhoff^
vv/.Tiav yi<y>vof.iévtov xaï jcàaiv^'^) ai (pv'/M/.al yiyvoivvo, jcqoç xAeifJÛôçav
Xçi] cpv'/.c'coaeiv. TavTr]v ôe ovfißdk'/Leiv ôiaôoyî; tneçlôog, (.lùlXov ôt uvTTg
y.s/.rjQwGd^at rà ïowdsv, /.cà iia-Açoréçcov ah yi<y>vOf.iévwv riov vv/.tiùv
arpctiQùod^ctL TOC y.i]QOv, 'îva 7t/.éov ïôiOQ xojofj, ßgaxuTeQwv dl 7CQoa7tkâootoi)-aL
{rcçorceUiOOeod^ca M), 'lvci ï/.aooov ôéyr^xai.
Augenscheinlich werden hier zwei verschiedene Lösungen des tech-
nischen Problems aufgeführt. Die verderbten Worte {zavTrjv oh at\ußa'/.k€tv
— uegiöog) sind der Überrest der ersten xA.lternative, deren Herstellung
bisher nicht gelungen ist.^"*) Mit iià'/j.ov ôè wird eine zweite, enipfehlens-
15) Vgl. Rhesos 5 mit den Scholieii und Vater's Belegen.
Iß) Comment, poliorcet. c. "22, 24 f. Ich gebe die Lesarten des ]M(ediceus =
Laur. gr. LV 4) nach Photographieea, die mein Vater besitzt.
1") y.al näaiv] â.iaatv die Herausgeber seit Casaubonus. Aber wenn mich meine
Sprachempfindung nicht täuscht, so steht der Dativ vor al (pvÀay.ai nicht an der
richtigen Stelle. Aeneas schrieb vermutlich loco^ y.al Tcärjiv y.oivwç; tiùgiv wurde aus-
gelassen und dauQ am Rande y.al tiùoiv nachgetragen, und dieses geriet an falscher
Stelle in den Text.
1^) Tavtr^v de fteraßdÄAeiv ôià ôéy' i)fi£Qojp Hercher (im Nachtrag zur gr. und
im Text der kl. Ausg.); widerlegt von Hilfinger, Zeitmesser d. ant. Völker S. 8 Anm.
— tavvrjV ôe avußtcAÄecv ôiaàoyf^ <;«iàj> fieçîôog Hug Proleg (Progr. Zürich 1874)
S. 41. — So, oder ravti] 6. a. ôiaSo/i^v <<«tàj>> ueQtôog Hug in d. Ausg.; dagegen
Hertlein Jen. Lit. Ztg. 1874 Sp. 797. — ravitjv ôe Sxjze av^ißdÄÄeiv uùÀJ.ov ôiafpo-
çaïç ijueçiuv (an forte ijiieQivalg in ^ueçiôog laiet?) aiTfjç y.ey.rjQôJa&at zà eaad-ev A. C.
Lange de Aen. comm. pol. S. 196 f. — - zavvrjv ôè avfißdÄAeiv ôiaôoyf^ <i^HÇ ^9P^>««^-
qCôoç Schenkl Burs. Jahresber. 1884 Abt. I S. 165. — zavzrjg ôè irvußdAÄetv eig ôia-
ôoxt]v zàg fteQÎôag Kœchly, Gr. Kriegsschrittsteller I 8Ü mit der Übersetzung: „Die
Einteilung der Wasseruhr bestimmt man ungefähr für die Ablösungen-* und folgender
Erläuterung S. 170: -Die Klepsydren . . . waren Hohlkugeln, oben mit einer größeren
runden halsartigen Öffnung — ■ avP.ög — zum Einfüllen, unten mit einer Anzahl kleinerer
Löcher — zQV7it)uaza — versehen, welche wie bei einem Durchschlag zusammenstanden
und daher geradezu auch /;i9-Md3 genannt werden. Durch letztere floß das Wasser lang-
sam in ein darunter stehendes Gefäß ab: s. Aristot'. problem. XVI 8. .le nachdem
man nun, wie Aeneas vorschreibt, eines oder mehrere dieser Löcher mit Wachs ver-
klebte, konnte man das Wasser mit größerer Langsamkeit abfließen lassen." Diese
Auffassung ist mit den Worten des Aeneas und auch mit Kœchly's eigener Übersetzung
derselben nicht vereinbar: „besser ist es, sie inneii mit Wachs auszuschmieren, und wenn
die Nächte länger werden, immer etwas von dem Wachs wegzunehmen, damit sie mehr
Wasser fasse, werden sie kürzer, Wachs einzukleben, damit sie iceniger auf nehme' . Die
Löcher eines Instruments von der Form einer Gießkannenbrause wird niemand von
innen mit Wachs verstopfen wollen. Die y.XexpvÔQa des Anaxagoras (Diels' Fr. d. Vorso-
kratiker 2 S. .808, 2.Sff.) und Empedokles iS. 200, 22 ff.) hat vielleicht gar nicht als
— 454 —
wertere Methode eingeleitet: die Veränderung der Kapazität wird diircli
Einbringen oder Wegnehmen von Wachs im Inneren bewirkt; ob es sich
dabei um das Gefäß, das gefüllt oder das geleert wird, handelt, gestattet
der AV ortlaut der Stelle des Aeneas nicht zu entscheiden.
Ahnlich mag die Klepsydra des Herophilos eingerichtet gewesen
sein. Sein Versuch, zu exakten Beobachtungen zu gelangen, ist ein be-
deutsamer Fortschritt der wissenschaftlichen Methode; nicht weniger
bedeutsam aber ist die Tatsache, daß sein Verfahren sich im Altertum
nicht durchgesetzt hat, sondern wieder in Vergessenheit geraten ist.
Im kritischen Apparat bezeichnet
V den Vmdob. med. gr. 16 s. XIV.
P den Paris, gr. 2332 s. XV.
< > bezeichnet zugesetzte, [ ] getilgte Buchstaben und Worte.
Die Überschriften fTiçoyçâfi/iata) der einzelneu Kapitel (Àôyoi)
stammen vom Verfasser des Traktats und sind nicht etwa spätere Zu-
sätze (vgl. Z. 282. 309 ff.). Solche Jicoyccifißara sind uns z. B. auch
für Archigenes' Buch ITeqI acfvyfiojv durch Galen (VIII 627 f. Kühn)
bezeugt.
S. Mekler und H. Habe bin ich für ihre liebenswürdige Unter-
stützung zu großem Danke verpflichtet.
Zeitmesser gedient. Simplieius iu Aristot. de cselo comra. S. 524, 19 f. Heiberg: y.Äe-
ipvÔQa ôé éaziv àyyeîop atevooTOiiov TiXatvTéQav êyov ßduiv fii'/.Qaîg ÔTialg y.aTazeTQi]-
uÉvov (— ftévTjvP], ô vvv i)ÔQaQnaya y.aXovai. Der Xame hôçdQna^ legt m. E. die
Vermutung nahe, daß dieses Instrument, ähnlich wie der atcfcov, zur Entnahme von
Wasser gebraucht worden ist, das man dann fein verteilt abrieseln ließ; im praktischen
Leben kann es zu sehr vielen verschiedenen Zwecken gedient haben. Damit dürften
identisch sein zu Asyö/iteva aQjidyia àyyeîa mit mehreren Löchern im Boden ([Alexandri
Aphrod.] Probl. T 95 Phys. et med. gr. min. I p. 32 Ideler); vgl. Joannes Philoponus
in Arist. Phys. p. .069, 22: 573, 15: 608, 17 Vitelli. — Ähnlich urteilte schon Büfinger,
Zeitmesser S. 7. Anm. über Arist. probl. XVI 8. — Die als Zeitmesser verwendeten
Klepsydren hatten wahrscheinlich in der Regel nur eine Ausflußöftnung; vgl. das Frag-
ment des Heron aus der Schrift tisqI vôqIù}v toQocfy.oTieiojv (Opera t. I p. 454 Schmidt] :
y.azaay.evd^eTui . . äyyelov zt, k'yov ÔTirjV ôjç uv y.Âeipiàça. Sellistverständlich konnte
man aber auch eine nur als "Wasserschöpfer dienende y.ÀerpvÔQa, wenn die Flüssigkeit
daraus ganz laugsam abfließen sollte, nur mit einer einzigen Ausflußöffnung versehen.
Eine solche verwendet Heron Pneumat. II 27 (t. I p. 284, 14 ff. Schmidt), wo Schmidt's
Übersetzung („AVasseruhr") dem modernen Leser zunächst eine unzutreffende Vorstellung
erwecken muß.
MAPKEAAINOY HEPI 20YrMDN.
I. 2(pvy(.iov d-<iy>EÏv y.ccï :t£oI acfi'yucov oaa xçij fiad^eîv Tiävv noÀZù
ôiEV)]vox£' ro fièv yàç ovx oîô' et rig tùv iôionojv ov'/. hô?.-
fi7]a£v Tj Tov laTQog /} tov (pt/Jcnçog eïi'ai ôôzav àyanoiV y.ai
5 x^Àen^ov ovôiv eivai ôoy.eh Trùaiv è'geoTi. tijv ôè negi ocpvyi.i(bv
ar]ߣiojGiv ôià ttjp X^'-QoÇ èfiTisiçiav y.cù ôici yvojß7]c d^eojQiav — dxvoj
Xéysiv — fj ojiavicoç, yé tiç T] ovôsîç ô /nad^ojp te y.ui fiEAETijaaQ EVQÉd-i]-
rfl TE yàç ôià tùv ôaxTvZcov àcpfi JioÀÀqj Jiàvv XQÔvo) ôeÎ ôovÀeveiv
TOV Àoyia/iiôv, avTi]v ôè Tijv aïad^r^oiv àvdnaXiv Tayd^ijVai Jiaçà t/]
10 yi'ùuï] y.ai (pojg èy.EÏd^Ev Aaßovaav jiaiÔEVi^r^vcu to jtid&rifia. y.ai eti yÙQ
ovvoÔEVGUi ÔEÎ TiQÖg TUVTCc axQißÜQ aïod-rjoh' TE y.cù vovv ôib y.ai tov
'EQvd'Q<aî>ov EJifivEoa d-avfiäaavTa, nùg é'vioi jIqotietéoteqov tôjv 'Hqo-
g)iÀEiù)v axQißsiac tù Jiqona êôoaav Ttj TiEçi Exy.QÎaEOJV jiQayfiaTEÎçf y.a-
ToèÔEv yÛQ q)i]oiv dyyjvoiag eàûttovoç ÔEÎa&ai Ti^v nEçi acfvyßojv e/uttei-
15 Qiav. TOV ÔÈ TaçavTÎvov 'Hçay.ZEiôijv y.ai 0ûîvov Tovg èfiJiEiçty.ovç
ccxQf]OTov ÀéyovTaç tijv jiEçi oçvy/iiojv at]ߣiojaiv tîç ovx. àv ôixaicoç
ftEfii]V£vai ôô^EiE Toi'ç. El g at]fiEicüatv TOvg laTçiy.ovg èy.xôJiTOVTag o(p^a?.-
ßovg; y.ai tù fiÈv tov oéuaTog öuiiutu fiôvov ïaaui to ttuçôv, XQÔvog
TE yàq avTOtg y.ai TÔîiog y.ai axÔTog Eig yvàjaiv Jio/.éiiita' d-igig ôÈ ozvo)-
20 JiEOTÉQa h]TQOv xai TÖ xEXQv/i/iÉvov èd-EdaaTO xai to ^ie'/./.ov no/./.dxig
EfiavTEvaaTO. tovto fiÈv ovv ovô' oî AvyxÉoyg i]ôvvi]^}]oav eI'çeIv ô-
(f&a/./iioi. t/ç ô' àv xai ^ETajiEiaEiEv adTOvg Àôyog Tovg vn' avTMv tmv
jiçayfidTCuv /li] ôvoojJiovtnÉvovg; dvayxaia yÙQ xai i) ôt' ovQOiv te xai
oxvßdAcuv xai Iôqojtmv y.ai tmv cUÀojv èxxQiaEOV èmçaivofiÉvcov èni-
25 axExpig, à?J.' ov ôir^vExtjg ovôe dyâiçiaTog, xai dn:07T£^iJiEi tov texvItijv
12 Heraclidem Erythrêeum. Herophili sectatorem. dicit.
19 S-iiis 6-vœ:TeaTéQa ir^rçov verba ex deperdito aliquo libro Hippocrateo desumpta
esse videntur; potest, ut in opère Tieçl ßeAojv è-aïQsaioç composite locura habuerint.
1 ,Ma()x'7 TtEQl acpvuy -\- V év tô) tov fiaçxeÀÀîvov neQÏ acpvyuwv P
2 2(fvy^iov — 5 ë^eoTi om. P 2^..£ivY atpvyuwv &t"yeiv cod. Bononiensis. S post
rtç intercapedo septem litteramm capaxA'; fort. sl<Tp>Tls<ît oùôeîçy. 4 ayayojv \
4 post y.ai intercapedo quindecim litteraruni V 5 t^v ôè TieQi G(pvuÔjv P 7 fii,
CT.TßWfJc V l' 10 y.ai en. — 19 7T0?.éiiia om. P lo ttsqI arfvy/nwv noayfiaTela V
14 (faoïv V 17 f. Tr^: lazQi/.i'ç 19 axo.TÔç si: V 19 »><'|tj| t| in r:is. W
&>]iiç V à^voTTEGTÉQa \ \ (O \u Ut. P 21 oî'v ov!)' V l'2 r/V — •'■• /'.£(^ei om P
30
— 456 —
jioÀ^MXiç [iiqôlv èyrojy.ôta- // ôè èm ii]v x^^Q^ ^^^ y.d^ivovioç, t'y.ruaiç
jiQÙTOv iiEv ^aôia y.al ôiijvexfiç, £djiQ£m]ç te xai EvGyJi(i(j)v yul xo
„OQEÎ TE ÔELVà d'iyydvEl %E àl]ÔÉù}v" OVX È'xOVOa. Xal è'axivf EVÔVEIÏGTOV 71QOÇ
TÖV d^EQCcjiEvovTa Tov vooovvtoç fj ôeç,îo)oiq, oÏov ûv eï/ô])] d-éccficc ßaoiAEvc
iaxQOv ÔEÔfiEvoç ÔQÉyoyv Ti]v ÔE^idv yMi uv %e yaxaAdßr] tö yJv7]fia xfjç
àqxriQiaç, ô iaxQoç, e^qev o è^fjXEi, äv ^'vTionea^ (iiqôÉv, atj/iEiovxai yMi xôxe
xai olÔEV EX xf]g âaçpvy^îaç xb vôarj/A.a. àvad^EÎf] <v> ô'âv xi]v evqegiv avxov
d-Eip, dvd-Qù)Jiù}<v> ô'^IjiJioyQdxEi ^vEvxoQ ÈyEÏd^Ev xov ^lad'rjfiaxoç, Eiç, avxôv.
xovxo ÔÈ ovxÉx' äv EixdÇoifii, dÂ/J" ijôi] y.ai ÔEÎy.vvfir ,,(pA£ßojv" yàq ,,ôia-
G(pvyë,iEQ y.ai dvanvoî] nvEvfiovoç, xad^' f]Àixif]v xai Ë,v[i(po)va <xai ôid- 35
(po)va> yMi vovGOv y.ai vyiEÎaç Gi]/[iEÎa"- (pkeßac yàg xàç dQxr/QÎaç gvv-
Tj^Eç, avx(o xaÀElv, oxe yal UQxrjQiav oÎôe xbv ßcoy/ov. xaiçEi xoivvv
fiùÀÀov TiQoç cpAEßag dçxrjQicûv < > dvxl xi]c tcqoç, xçaxEÎav ôfio)-
vv/iiaç ôià xijv xaxù xb GOJfia ôfioi6x7]xa y.ai ôiôxi uficpo) yJxQvnxai
dvaxofiPjç Eiç ÔEÎË,iv ÔEÔfiEva y.ai zà è'çya <xrjç> (pvGEOJç èv attxoîç 40
ô^«. dÀÀà xal j (fvÀa ä xad-' fjÀixiap ^vfiqxbvco xe <xal ôiacpôjvio
xfjg ôiaGCpvy^ioç xovg xe evqvB'^ovç xal TcaQUQQv&fiovg xal éxEçoQQvd'/.wvg
èôiôa^Ev <. . .>xoi ßgaxvAoyice, navxi xco ôfjÀov. fivçiojv ôè xal u?J.o)v
ÖVXOJV, ôi' &r âv xig xtjv ôiù Gcpvyfiojv Gr/fiEÎcjGiv dnoÔEi^EiE, ^laxQOÀoyiag
(fEÎGOfiai. fiExà Ô£ xovxo Aiyifiiôg xe xal XQvoinnog, è'jiEixa 'Eqaoi- 45
Gxqaxog xeXeiôxeqov xal xaià xi]v '"Innoxqdxovg yvùfirjv ij^avxo Gfpvyfiov
< > od-EV flOl ÔOXEÎ xal Xfjg Ôl IxXQÎGEWV GJ/flElOJGEMg XÙ JlOÀÂà
xaxafiEÀtjGag Gvvd-éod'ai xfi ôià Gcpvyfiojv d'EOjQÎa. 'IjiTioxQdxovg yÙQ
nqbg EJiiyvwGiv xojv voGrj^dxœv tioÀvjiqôgojjXov dd-Qoioavxog fiavxixijv
28 Hippocrates tisqI cpvaôjv c. 1 t. VI p. 90 Littré: ô j-iev yÙQ IriTQoç ôqFj (ÔQet
U. de Wilamowitz ad Euripidis Hippolyt. vs. 188) ze àeivù. &iyydvei te aijôéùjv en
àAAOTQÛ]aî ze ^vfixpoQf^aiv lôlag xuQnovzat ÀvTzaç-
'jy narratio de amore Antiochi, Seleuci régis filii, al) Erasistrato deprehenso
(Fuchs, Erasistratea p. 20) spectari non videtur; potest ut aut ea spectentur. quœ de Per-
diccse amore ab Hippocrate deprehenso Soranus habet in vita Hipp. p. 450 AVestennanu
aut quœ Galenus narrât XIV p. ß59 K.
34 Hippocrates neçi zçocpr^ç 48 t. IX 116 Littré: (pÄeßöiv ôiaocpvy^iEç (sic A)
y.ai àvanvori nveL\uovoç {nvevixazoç Littré perperam) ■/.ad' i)Ài>icr^v nul §i\u(p(ova y.ai
ÔLÛfpoiva xal vovaov y.al iiyielrjg ari^ffia y.ai vyieirjç ^iiàÀAov >} voùaov y.ai vovaov
fiùÀÀov ?j i)yieîr^g- ZQO^pij yàç zal nvevfAa.
o7 cf. Graleuus t. XIII p. 2 K.
47 indicavi hiatum, quo et Herophili et Herophileorum, proxinii Heraclidis Ery-
threei mentionem haustam esse conicio.
28 ovçel V evoveiazov (sic) V: an avovifiazov? 29 äv el'ôi^ V 83 avcj
6^l7i7ioy.Qdzri V 38 lacunam indicavi; fort. àQzr^Qc<,ag nQ0(T7i;acaAaf.ißdv^ cov 40
À a
fort, aizaîg 41 (pv V; non extricavi. ze : I ' (po)vo} V 43 ante zw très litt, evanidae
43 Tzavzl zo V 47 ihenyçluso^g V 49 àç&QoCaavzog V
— 457 —
50 /Ml Jiävra eiç rovro êçaviauvcoç „a y.ai lôfïv y.ai i}iyfh< y.ul ày.ovaai
ioTiV u xal Tfi öif)€i y.al ifi àcpfi ycù r/] «xo// y.ul t»/ ^ivl y.ui 7f] yÀMOotj
xcù t[i yi'i'ofifj è'anv ai od- é a d'eu", ojiojc, ur^êèv ty(fvyt} vôorjta rovç [ivQtovç
ifjç %éxvt]ç, ôq)d'aÀfiovç, xal tieqI ^ih' xmv aÂÀcov ocriüy/iatcc y.araÀi-
JTÔVTOÇ xeÀeicoç ôiôciay.oi'ia, ib IlQoyvojOTixôv, ro IlQOQQriTixôv, xàg
ô5 Kœay.ùç ITçoyi'œaeiç, ti)v ôè tisqI acpvyfiojv d-sojçiav evqÔ)v E?.axxov
ßviiuric è'xovaav TJyç elç ôiôaaxaÂlav yQEÎaç, xb Àdjiov ot) JiQooEçsvQev,
àÀÀà f^ià/ûoj' êôîôa^e- txeqï ôe xcjv ü/.äcov olov ouquv öxt xà 'Ituioxqûxovç
àvEVÔEiOC. È'XEI, aVTuÇ EGubjirjOE.
II. Ti fiEv oûv Eoxi xaxà xi]v yÉvEGiv à agrvyfiôç, eïx' èxd^vfiiaaiç èfi-
Ho (fviov d-EQiiov xaià xijv ôÀxi]v at^axQECpo^iiévov xal xaxà xi]v ôianvoîjv
JTçbç ôiaoxo/JiV unÀovfiévov, Tiçbg à^ucforéçaç xàç xivi]OEiç xà)V äQxr/Qiibv
èjiayofiÉv(ov xù aiofiaicr eïxe QEVßct JivEvfiaxoç xoQ^vovxoç èv dQxr^çiaiç
êi'aQfiôi'iov ÔQÔfiov j\i .iciQÙ xaoôi'ag TiEid^ôuEvov ßoZfi xe xcù xaxà xà
.i/.äyicc luv dQn]Qiùv ôÀxfj- eïte ôôbg àéçog àvayxaiu nçbg ÀEnxo/.iÉQEiai>,
65 È7IEI TU Tidvxu xb rxvEv^ià èaiiv è^ocpÔQOV UEÏ xcù ôi' èniipavEiaç xaxà
xb axô^a xcov àçxriQiùv xaîç fivqiaig ôôoîg é'ÀxExai, aÂÀoç xé tioxe xal
aÀÀOQ ôiôcî^Ei Àôyoz' EÎg yÙQ xijv nQoxEqiÉvi^v Jiçay^iaxEi'av xi noxé èaxiv
ô a(pvy/ii6g, ôgixcog EiôÉvai XQV, ^ô ô' v(p' oï) yivExai ^ jtwç ^ ôi' öxi
fii] ^r]d^Èi> où /.eiTTEi.
^0 III. Ti'ç <ô- OQog a(fvy,uov.
OuiE 'iTXTxoxQdxrjg o'ôxe Aiylfiiog, u/JJ ovôt XQvoiJiTTog ovôÈ 'Egaai-
axçaxoQ ojQioavxo oçov ofpvy^iov' ol fiÉvxoi vEonEçoi ccÂXoi aXÂog' xal
à uÈv 'Hyi]xcöQ fiôvov a(pvyfi6g èaxiv dçxtjQiùv ôidaxaaig xal ovaxoÀt)'
BaxxEÎog ôè ô 'HçocfiÂEiog o(pvy/iibi> eÏtiev eÏvui ôiaaxoÀi]v xal avaxo?.i]v
75 èv ndoaig xaig ùçitiçlaig âfia yiyvo}.iÉvriV à ôè 'Eçvd-Qaîog 'HQUx/.EÎâtig
é'cpi] ôidaxaoïi' xal ovoto/J]v dQxiiQiojp xal xaçôiag vjib tonixî^g ôvvd-
^lEcog jTÂEiaToôvi'aii()vat]g etiixeXov^eviiv. 'Ad^i]vaiog ôe ovxoi' o(pvy!.ibv
EiJiEv EÎvai ôiajivoijv (pavEQÙv Jiçbg aïod-i]an> ooov ècp' éavxfj xaçôiag
xal dqxrjQiCjv 'AaxÂriJiiuôt]g ôè èv xco ITeqI àvanvoflg adxov avvxdyfiaxi
.00 Hippocrates de ofiicina medici c. 1 (t. III 272 Littré = t. Il 30 Kuehlewein) «
y.al lôeîv — aia&éa&ai.
54 ro llQoyvcùozr/.ôv} t. II p. 110— liJl Littré = t. I p. 78—108 Kuehlewein.
.54 zà UQOQQriTiKÔv] aut prius :ïq. (t. V p. 510 — 575 L.) aut alteruni (t. IX p.
1 — 75 L.) dicit aut utrumque. sed hoc minus probabile.
55 TÙç Kcûay.àg ^çoyviôaeiç] t. V p. 588 - 733 L.
50 &/i'/£iv Y .52 i'oea&ai V ^ 53 awrayadiiov V 5(5 tî,v e. ô.
V O
XQeiav V 65 éxei: V (i5 è^ocpÔQov V 72 ioQÎaavvo V ÔQÎaato P 73 u6v
V ovTojg P 77 Ttß.euo ôvva{.ioôar]S V .tÀeîaico âwa^iovori^ P 79 ev rw piene
evanida V-, habet P
— 458 —
iogioaTO löv a(fvy^ibv ôiuoto/Jjî' y.ai ovotoZi^i' y.uQÔiuç y.ui ùqzi]qiu)V »'
fifùv de açioToç eïvai âoy.EÎ OQog acpvyfiov ô xai naçà 'Aç/iyàvei y.eîfiE-
rog' ton ôi' âiaoTo/Jj y.ui nvoro/Jj yMQÔiag y,ui ùqti]qio)v (pvoiy.i]. âia-
OToÂi] fièv ovv y.ai ovaroÀi) £Ï(}t]Tai, èueiôij tovto d-ecoQovfiev yiyvôutvov
y.aià rbv oçvyfwr, y.aQÔîag te y.al àQT}]Qt(jJv jiçôaxEiTui, ÈTiEiôij fiôvcov
TOVTOJV ÔQcoiiEi' âiuoTo/Jfi' yiyvofiÉvf]V fj yÙQ ^ifjviy^ i] tieqi tov èyy.£- 85
(paÀov EÏJiEQ y.ul agjvÇEi, ànb tiov uqtviqiojv fj naTttQyJ] yiyvExai aï)xfj,
aï TE (pXEßEQ aï èv laîg vôooig aq)vÇovaai ov yMTÙ cpvaiv è'^ovrog tov
acbuaTog tovto Jidaxovaiv ôià tovto ovv rcQÔoy.EiTUi toj oço) tô xaTÙ
(fvGip, 'iva T«ç TOiavTug t7iEy.(pvyü)fiEv E7it]QEi'ag.
IV. Tqj 08 o(fvyftqj al Àéyoï'Tai naQÉJiEO&ui jioiÖTrjTEg al xoivÔTUTai w
èfil jïdvTOJv d^EùjQovfiEvai aïÔE' fiÉyE&og, aq)0ÔQÔTrjg, àuvÔQÔTrjg, Tayog,
7ivxvÔTi]g, 7T?,i]QÔTi]g, Tdhg. ôuaÂOTr^g, ^vd-fiôg' uTiaaai yàç aï ToiavTai
ôiacpoQoi EÎg Tainag vjiayd^ijGovTai.
TOV ovv fiEyéx^ovg tov xaTÙ tov ag)vyfiov ojg èv tc/mtei TÇEÎg eîgi
ôiaçpoçai' o te uÉyag oifvyubg y.aZovfiEvoç y.u) ô iiixçbg xai ô fiÉoog. 9»
fiÉyag /tiÈv ovv èoTi açvyubg ô ôidoTaoïv è'xojv yiyvofiÉvi]v, fiixçbg Ô£
ô vjiEvavTÎog tovto), fiéoog ÔÈ ô fiSTaçv tovtoji'.
i) ÔÈ oçoÔQÔTrjg fi èv tô ocpvyfio) TdTTETai fikv èm T/)g xaTÙ tijv
EzcoGiv oiag, ôttôtuv Tvyj] TOiavTi] Tig ovaa. üotieq ovv xdv Toîg dÀZoïg
xivovfiÉvoig f] aq^oÔQÔTtjg èm Tfjg èxdoTOv ßiag TÎ&ETai, ovTwg e'xei xaî loo
èjTi T/)c xivrjaEOjg tojv àQTJ]QioJv. r/)ç ôÈ o(poÔQÔTriTog xal avTr^g ojg èv
Ji/MTEL TQEÎg EiGi ôiucpoQai O TE Gfoôçbg aq)vyfibg xaÀoviiEvog xal ô àfiv-
ôçbg xaî ô iiÉGog' açoôçbg uev odv èoTi G(pvyiibg ô ßiaiav ttjv uthogiv
T/}g à(pf^g JTOioî\UEvog, duvôçbg ôÈ o èx tojv evuvtîwv dod-Ev/ig, uÉoog Ô£
ô flETaçi) TOVTOXV. lO.î
/} ÔE 7lh]QÔTi]g TÛTTETUl UEV Em TOV JIOGOV Tfjg vÂi]g vjiaQxovorjg
èv xaîg àQTijQiaig. ôiatpoQai ôé eîgi xal Tamijg cog èv JiÀdTEi TQEÎg, o te
JcP^rjQ7]g G(fjvyubg xaZovuEvog xai ô xEvbg xai ô iiÉGog. jr/.rjQ7]g fiEv ovv
èoTi GCfvyubg ô âiarid-Eig ti]v aiGx^i]Giv oinog Cog ixavcog evôoB'ev è/htie-
7i/.rjGfi£Vi]g Tfjg àQTt]Qiag, xEvbç ôÈ ô èvavTi'og tovtco, fiÉoog Se ô uetu^v no
TOVTOiv. xal à fiEv 7iXr]Qi]g yivETai vjib dôôrjg)ayiù)v te xal tô gvujtuv
EÎJiEÎv tnb T?)ç uÔQOTÉQag ôiaiTïjg, ô ôè xEvbg éjib èvôelag xal xevÔ)-
GEùjg ToiovTog yivETai. o ôè jièoog ènb Tfjg iiETa^v ôiaiTi]g.
83 deojQovitevov V d-eojQovuev P 84 re] f. âe 85 /«^vfg VP 90 aq>vy/^à>
î/ ÀéyovTu 7iaQa'ae(j&ut P f. y.oivÔTUTa 91 aiôai P 92 al evanuit P 9ß
<7(fvyudg om. P 97 hnevaviiujç V ^)8 il ôè — 101 ÙQTiiçiojv et 102 arpvyfiàg
y.a/.ovuevoç oni. P 103 oiv et acf^vyubç om. P 107 ôjç èv TtÀdzei et 108 acfvy-
ftog om. P 111 ÙTid V 112 y.evàg] fiiy.çôg P
— 459 -
V. Tio. ô TQojioç èjiufpîjg affvyfiov.
11;-. IIoP.ÀàJp xai TioixiÀcov yivofiivcov maiofiânov ôtà liiv ÙTieiçiav
tojv fiij ôwaiiivcov a)]fi£iovod-ui ôiù rTiç ijTuçrjÇ jijv nQoooraar
TOÎç aq)vyf(oîç. dxclßeiai' orx dvE^lTaoTor aval (ovio èaxe/ifftroi
JiaQEÀÎTiOfiEV. yMi yÙQ nâri' rivèg èi> {;jioÀrjif'ei ivyxàvovreq tojv
laTQoJv ovy. emßcUJ^ovrec, ov ôeî rQÔnoi' tijv à(pi]v nj xiv/joei t/)ç
120 àQTijQÎag, ovxi tov Jiaçà (pvoiv a(pvyfiöv ovy. tyi'oyauv, tlÂÀù y.ui
TÔv y.arà (pvoii' oïovrai naçà (pvaiv è'xEiv ycù ôÀéi}Qiov fiÈv tôv
àxivôvvor elvai, rbv Ôe novijQov acort'jQiov, y.ad-ôÀov JiZavôjfiEvoi jteqi
rijv ai]fiEi'ojaiv èy. r/yg ^ij ôeoptojç yiyvofiÉi'7]g Enacpfjç. âià ôti Tavra àvuy-
xaîov èonv ciyQißij jijv ejiéqeioiv t>)ç a^;)ç JioiEÎOi^ai. EiOEÀd-ûvra
12Ô Toivvv jIqoç ror UQçojaroi' ôéoi' egùv ovy. Evd-vç ejiißüAAEiv rijv XeJqu
lOÎQ GÇVyflOÎÇ. JTQOJTOV flEV yÙÇ djïQETCEÇ XCÛ VJTc'cyQOiy.OV EÎvai VOfllOTÉOl'
èjiiaTdvTa tqj voaovvri tov îcnçov ÜJiTEod^ai nuQayqîi^ia tiôv acvyßojv.
ÔEVTEQOV ÔÈ Ôlà GJlOVÔijÇ, èÀï]Àvd-6Ta TTQOÇ TOV UQQCOGTOV, olu aVflßuivEIV
EÏcod^EV, EÎy.ôg EGTiv ETI y.cci T(o jivEvfmTi TETacayfiEvoj y.aï fiETEÔJçqj Tvy-
13L' xàvOVTl JTQOGJTE?.ät£lV Tt^l' U(pi)v . JIQOç ÔÈ TOVTCO CCÔtOÇ Ô TOV y.ÛflVOVTOZ
Gcpvyfibg tqo7T)]i> tivcc y.ai àÀÀoi'coGiv cog èni rô ttP.eîgtov draôéxETCci -tçôc
Ti]V EÏGoôoi' TOV iccTQEvovTog, iJTOi y£yt]&ÔTog ôi' èÀjn'ôog TaxEÎag dvuQ-
QÔiGEcog y.cà fiûÀiOTa ei 7ioÀÀi)v ô lUTçàg eç,iv ëy^Ei Tj ÔEÔoiy.ÔTog êi' dirôj-
Xeluv dy.ovGEod'cd tl (pavXov naçà tov îaTQOv. xal ccîôojg ôe y.aî Ey.Ji/.i]-
1 iô ÇfÇ dP.ÀOIOVGd'CCI nOlEÎ TOV GqJVyflOV tov VOGOVVTOg JlQOg TIJV EÏOOÔOV, GEft-
VOTÊQOV TE y.cà d^lOJlQETlOVg Ol'TOg TOV IClTQEVOVTOg JTQÖg JlCÛÔag EÎGIÔV-
Tog )) JiaQ&Évovg Tj yvvaJy.ug ovy. Eid^iGfiÉi'ug ôçànd^ai ttqôteqov F/ y.ai
iôioniy.bv ßiov ènai'fjQrifiÉvag. tovtmv ovv evexu y.cà tcTjv TOihoig ôtioicov
OV xçi] JiQog T}]i' JiQOJTiji' EÏGOÔov Evd-vg JiaQaxQijfia ujiTEGd'ai Ton' G(fvy-
lio iiüv, nvvd^ai'ô^iEvov ôe tieqi tov voGiifictTog, ^lûPaoTU f^iEV Tiaq' avTOv tov
xdfivoi'Tog, àv EvoTad-fj Tvxf] tov P^oyiGftôv è'xcov, f) y.ài îiccqù tojv oi-
XEiœv oiov ànb noiag nçocpÛGECog i) vÔGog tJQ^aro, y.cà jteqi JiJJjd'Ovg
i]fiEQcov y.ai tteq} tüv èv t/) vôgco JiaQO^vafiojv Te y.cà dvÊGEov, y.cà eï
TivEg èy.y.QÎGEiç EyévovTO- Gv^ißdAP.ETCCi yÙQ y.cà tccvtcc noZv ti nçog t/}î'
14.=^ dxQißf/ Gi]fiEio}Gii'. y.cà ô GCpvyfwg TEÂEUog djioy.ad-iGTCiTCu. yiriî&7]aôfi£vog
f.iôvov xar' amb tô jxd^og. XQi] ôÈ è(p' ty.uTÉQCig ràg YßiQctg ejiißd/./.Eiv
TIJV ÔEt,tdi\ îV EÏ xai ETEQÔGcpvy.Tog ô y.cqivoiv Ell], y.aTa/.ctfißdrijTai,
èv Eyyon'io) ôe tco GX'JfiCiTi t/Jç X^'Q^Ç aitTEod^ai y.cà èjiiy.Eifiévi]g,
114 ô om. P 115 IToÀÀcTjv — 124 TTOiela&ai om. P 120 an <^u6vovy
TOV
acpvyitöv? 125 ttqo^ aQQOJOTOV P 128 è?.r^?.vQ-(uTa P loO roîno YP 182 fort, ài
ao
iP.Tiîôa 13o ëyoi P 133 fort. <-/.«t :TQoa6oy.ÔJVtog'> à-/.. 134 cùôm P 135 eïôov
tiev
TOV P 140 f.ièv] ôè P 145 icy.ciß>,v P 147 }]v el VP 148 ityyü)vio> V. àyy. aut
èyy. P àjioy.eiftsi>i,g V
— 4()() —
ßijiE aicoQOviilévriç — yivaiui yÙQ /.aï .iuqù luviu iQOJit) tiç loù o(fvyfiov
— jwr/re jieciAafißdvovTa at\ujiavta %bv yMQjiôp — èçyarajôeç ydç — »5o
«//' é'i>i}u ôiaar]fiaiv£i lo y.ivri^ia irjg ÛQirjçiaç- ovte ^ijv évl ôaxTvÀCj)
,-zoieîod-ai ii]v ènacpîiv, ô'jojieq è'vioi Jioiovai ôi ùAutoveiav ë^eojç,, toÎç
ôè léiQuaiv T] loîg tqioI ôay.TvÀoiç, ojiojg èy. :ioÂÂFjç t/}s èjiEQeioEOiç xai
yMTÙ Jio/ûù ^ÉQt] yivofiÉvrig y.axalafißdvrixai iriç dQjrjQÎag fj xivrjai,g.
ÔEÎ ÔÈ firjxe xoixpojç èq)djiT£ad^ai firjTE ?dav Tui^ovialg] Tt]v àQi^çiav, fié- J05
at]v Ô£ noiovfiEvov ti]v èjiÉQSiaiv. ovioi yàç àv t] dvxihupig Tf]c. xivi^-
oEog yiyvon uv dxQißrjc, td te fiEyéd^t] xal xàç acpoÔQ6xt]Tag xaxvxi]xag
TE y.ul ßgaoüirfiag y.cù ràç d/./.ug ràg xaià ibv ocpvyfibv ov[i(po)viag
E.Tld'ECOQEÎl' E^EGll XOÎC E(fa,T TOUÉl'OlQ. XUl TOVTO ÔÈ TlUQaCfV/MyxioV, XO
fiîl Evd-Éojg y.ovfpi'ÇEiv xi/p uffî^v djio xov (7(pvy!.iov, olov fiEià uiav ?/ ÔEv- le«
lEçav 7i?,ï]yriv, dÂÂù nÂEiovag, oloi> uetù àÈy.u rj ôvoxaiÔExa, y.al fidXiaxa
è(p' 5)v voamidxiûv vTtonxEVExai xaxorjd-Eid xig EÎvai tieqI xovg o(pvy[iovg-
ojç OGOi JE (iExà /.aap f/ ôevxéqup JiÀrjyi]v dcpinxapxai xfjg èjiacpfig, â-
ay.i]oiv y.al ovyyv/ipaalap ÈJiiÔEiy.vvuEPOi loîg îôuoiaig, otxoL jiiaiovoi ueqï
TÙ^ yuTa/Jul^Eig dôr/Mv xvyyßvopxog, eî /<fi^' P]P 'fjtpaxo xiç ôiaaxoÂi^v, i«»
ocbtEi xi]p avTi]p ôidoiaoïp ô o(pvyfibg t) uExaßEßArixE, xal udZioxa xàtv
dpü}fid?^0iv xal dxdxxoiP ovx tnoaisixôpioip Jiçbg xijv 7iQÖni]P xr^ àcpfjg
ijxÉQEioiv, dÀÀ' vaxEQov, xal xojv ôiaÂEiJiôvxoiv xal x&v siaÀivÔQOfiovpxù)v,
cog TiaQaaxi^aofiEP. xqf} ovp y^QÔvia èçpdnxsa&ai, ïpa xal xavra xal xà
?.oi7iù tCjp JiEQi xbv Gcpvy/ibv lôioj/idxMV xaxaAdßcj/iEP xal ovxojg aï te ^''^
oi'fiEiojnEig TiQoy.ôJixMuiv xal uo(fa?>.EÏg xoîg Jidd-Eoip èg avxfjg xf^g ôià
TLOP <jq:vyj:u7jp a)]UEtô)i)£0}g vjiayoQEvô/iEpai toÎq fiEiiad-rixôoi.
VI. TiPL ôiacfÉQEi layvitjg :ivxpôu]xog.
UeqI ôe layvirfiog xal 7ivxpôxi]xog OliEiiai eI ôia(pÈQOVGip d/.-
Ài]Àù)P aï TioiôiriXEg. xal è'vioi fiEV ovx oïopxai ôiacpÊQEip dÀZî]Z(ûv fj ^^^
fiôvii xfi (poivff ))fiîp ÔÈ TiuiiTcô/J.ri oGt] EÏpai EP avxoîg ôiacpoQÙ rj
Tcvxvbv EÎvai xbv G(pvy/ibp îj xayvp T] ex xùv èpapiîojp dQaibv xal
ßQaovp. . xb ôÈ Tiùp ovTO) GacpriPiGd-riGExai. xoù Gcpvyuov xà JiQOjxa
fiEQf] ÀÉyofiEv EÏvai ôvo, ôiaGxoÂr/P xal gvgxo/JjP. xal xovtojp àxdxE-
Qop ôiapÉfiExai ôixff fj fiÈv ôiaGxoÀrj Eig xb ôiaGxÉ/JcEG&aî xe xal iso
GVPEGrdÂd-ai. ôiaGxÉÂ/.EGd-ai ,uèp oûp EÎvai PJyofiEP xb Jiçbg xb èxxbg
XOJQEÎP xî]P dçniçiav, ôiEGTUÀ&ai ôÈ xb Jiçbg xb èxxbg d(fixpot\uÉPi]v
xf]v àçxriQÎap è:TiuépEiP xqôpop xipù d/.îpi]rop' yM/.oî\uEP ôÈ xovxo
êjifjQE/irjGiv. GVGTÉÂÂEGd-ai ÔÈ EÏvui (ça/iEv ib -Tçôç ib é'pôop dpa-
ai
149 é(oçovfuvr,g V, èaj^ovaéviiÇ P 159 t^EOxai, P 163 oaot i£ VP
171 sq. emendatio iiicerta; fort. <^idoeigy toIç n:d&. et v:zayoçevcovtai 173 rt V
174 Tivy.voTTjToç y.al Ttw/vTr/toc P 176 f. ôè <âoy.eiy 180 h*c lacunosa 181
:rçôg zo om. P 182 ôieaTccÀ&at] rjvvetjTciÀ&ai P évzàg VP
— 4()1 —
185 ^(OQeTv Tiji' ÜQTijQiav, oweardÀd^ai ôè rô dqjixi'ovfiérrjv tîç, rb ëvôov
èjiij[iév£ij> XQÔi'ov Tti'd. y.aP^ehai ai y.ai rovro ènr^Qtfiiioig. rtoaÛQOiv ovv
fl£Qù)V TOV aq)VyflOV d-ECOQOVflévOJl' JÙ fi£V ÔVO yJVt'jOElÇ, ElOl, JÙ Ôt ÔÏ'O
èjitjQE^u'lOEiç. yi Vorrat rotvvv t) fth' rayviiy^ y,ui fj ßQaovTtjc, tojv yuvt'i-
GECOV èvÔflUTU, ij ÔÈ JlVXVÔJIjÇ yMl àçaiÔTIjg TOJP è7l1]QEflt'jaE0}V ô flEV
190 yàq xivovfiivoç ag)vyf.ioç ôPuyoxQoviônEQOv raxi'i yMÀEirai, ô ôe tioZv-
XQOvuoTîQOV ßQciovc, Ô ÔÈ dvajicivôfiEi'og ôZiyiaro7> xqôvov tivxvôç- ô ôe
ènriQEfiùiv TiZéiova xqôvov àçaiâç. acKpijç rj' är y.cd omcog ô Àôyog yi-
voiTO. äoJiEQ yciQ ÀÉyoTCci ßccoitiiv Tiç Eig dyçop rayjcog y.ai ßQaotojg y.cd
âÀÀog Tivxrojg y.cd cÎQcciàjg, ov xcctù TJyg avjTjg or^iiaai'ag nd^EfiÉPon' rojv
19Ô ôvofidrcoi' clÀÀcc y.ccrcc ôiag)ÔQOv[g], TuyÈoig (lév Tiva ti}v bôbv àvvEiv ri^v
dnb rijg TiôÀEcog Eig avrb ib ^oiçiov, dçccicog ôÈ eîg tb xoyqiov djiiévui.
xal 7id?uv Tivxvcbg ^liv riva noQEVEod^ai à?dya xà fiExa^v rcov f]/.iEQCjn'
ôiaotij^iara noiovfiEvov, ßgaoecog ôe Ti]v avTi]v bôbv dvvEiv jiuQaji/.7j-
afcog Ô£ y.aî èm tcov acpvyf^iojv rb roiovrov i)7C0Tcinr£i yiyvôfiEvor. Eorn'
200 ovv ocpiryubg rccybg xcd nvxvbg ô xal rijv xivijaiv Eyoiv rayEÎccv y.cd ri^r
èjTt]Q£fi7iafv ôÀtyiur}]v, f] ruyvg xai dçaibg ô rijv fiÈv xivijaiv ôictocotov
ô/ioiav, rb ôè ôidZeififia yçovicbrEçov e'xojv, Tj ex rùv èvcivricov ßcaovg
xal nvxvbg ô rb fiÈv ôidÀEififia ôÀiyov XExriifiévog, ri]v ôè xiv7]Oiv no-
ÀvxQOviojréçav jioiovfiEvog, T] ßcaovg xcd dqcubg ô xcd xivovfiEvog ßga-
205 ÔÉCOg xal EJlJJQEflOJV XQÔVOV JIÀEI'OVU.
\I\. IIeqi ôfiaZôr)]rog xal dvoißdPMv.
'OfiaÀôv T£ xcd rErayfiEvov ocpvyfibv xal àvcbfiaP.ov xal uraxrov
Evioi f^iEV ovx oïovrai ôiacpÉQEiv àÀh'jÀcov, ov fiijv ÔQd-cbg ys cpQOvovvrEg.
cfcdvErai yàç èv rovroig 7ia/ii7iôÀÀi] rig eIvcu ôiacpoqà. rdrrExai yccç ô
210 fiÈv ôfiaÀbç acpvyjitbg ènl rov îoug è'xovrog ràg xiv/jOEig, ô ô' dvchficc?.og
EJil rov dvioovg. ùjotieq yàç ô^iaÀÈg eîvcci È'ôacfog ÀÉyErai rb l'oov xcd
EX %ùv Evavriwv dvojfiaÀov xal clvioov, ovr ojg e'xei xcd ènl rov acpvy^iov.
ô I.IEV ovv ôjLiaÀbg ocpvy^ibg nclvrcog xcd reray^iÉvog èariv, on ov[re] ftô-
vov ïoog vndqxEi raîg JiÀriyaîg, «//« xcd ëv rivi clvaÀoyia d^EOJQEÎrai-
215 ô ÔE TEray^Évog oi) Jtdvrcog xcd ôjLiaÀôg' èvôéxErai yàq a-ùrbv xalroi dva-
Xôyovg È'xovra ràg nXijyàg oficog fit] l'oov Eivai. ô yovv naçà fuccv yi-
yvô/iiEVog vvvl fitv fiEÎÇojv èÀdrrojv ôè avd-ig rErayfiévog èari'v, ov jiti)v
xcd ô/tiaÀôg. rcbv ôè rEray^iévcov xal rojv drdxrcov xcd rcov ôuccÀcov xcd
rojv dvco/idßuov ol f^iÈv xarcc idav ôiacpoQdv eîoi roiovroi, dt ôè xarà
220 ÔVO, 0? ÔÈ xarà Ji/.Ei'ovag. xarà fiîav, ei oi'roj rvxoi, oçoÔQorrjrcc Âccu-
ßdvovrog rov ocpvy/^iov xal ovrug cîvojjiidÀov )} drdxrov yivo/névov.
185 eig tù VP 186 y.uÀehai] Àéysrat V y.al om. P 190 ovv P 192 aarfî;g
— yévoiTo om. P oûrog V 194 ov — 199 yiyvofievov om. P 201 âçaîg P
202 eyojv om. P 203 ô?.iyiatov ëyojv P 20fi fort. àvùJiiaÀozijTog 209 (faîvetat
— ôiaqoçd om. P TCCTTezai] ôiacpéçei P 210 (j(fvyfiög om. P 220 Tv^'i V
Tvyoi P
— 4(i2 —
VIII. Tic, o tov JivQéoGOvioç acpv/fiôç.
Ovjco ôvactiôxaarôv ioci xul ôvoyiuidXrimov to /cvqehtixöp jidd'oç,
&Gi£ ov fiôvov oi iarçol neql tfjç aliiaç aviov ôiscpoji'rioav aofßov %vy-
XavovGfiç,, àÀÀà 'Acù tzeqï tf]c, ar]fi£i(bo€Mç, tfjç xe uÀÀi]g '/.al trig ôià 220
TOV ocpv/fiov yivofih>t]ç, yMÎtoi jiQOÔrjÀMTéQag enaq^ovatjc,. oi ^itv yàç
jivxvbv ibv G(pv'/[-ibv xov tivqéggovioç ÀÉ'/ovgi nàvv JiQOGavccTcavôfievoi
%M orif.i£iù) xcp xarà xt]v jivKvoioiv. êvioi ôh y.ul ocpoôqbv elnov yive-
G&ai xbv G(pvyf,wv o'i ôh f^iei^ova xov xaxà (pvGiv ènï xov jivqêggovxoç,
EVQiGXEod-af aÀÀoi ôé xiveç xu^iiv EÎnov EÎvai xbv G(pvy[Â,bv Ènï xojv nv- 230
QEGGÔl'XOV. xivi ÔLCKpÉQEl XUXVXYIÇ 7lV7iVÖX)]X0g, EV XOlÇ EpLJlQOGd'EV ElJlOflEV,
ôiôaozaÀiag ôè ëvEza dyccißovg f,ivrifiovEVGO^iEv xojv JxaÀaioJv, oncog Exa-
axog avTÜv ijvéx^^ jieqI xov Gg^vyfiov xov y.axà xbv jzvqexôv.
IX. Tig f] XqvGiTinov GiÛGig <jieqI> xov G(fivyf.ioîj xov xaiù xbv tivqexôv.
XçÔGinnog ôià xov G(pvyi.iov orj^iEiovfiEvog xbv jxvçExbv tivxvôxeqov 235
äjiEcprjvaxo yivEod-ai xov xaxà (pvoiv Gcpvyfiov, &g (prjGiv 'EçaGiGXQaxog,
xal xQixrjQLOV xfjg Jivxvôxfjxog tjiExid^Exo xbv ôiaxsivovxa f^iéxQi xEGoàçoiv
açid^fiMP Ejxl XOJV xaxà cpvGiv èxôvxMV. TivxvoxÉQag fikv yàq yivofiévr^g
xfjg xivrjGEcog xüv âQxt]QLCov xal ev ànb xùv àqxd^fiôjv f) ôevxeqov èxd'Ài-
ßsod-ai, nqb xov àQid-/txrioai xà xéoGaça g)d-avovar]g xfjg àqxïjQiag jxdXiv 2*0
ôiaGxéZÀEG&ai, jivqexov Grj^sîov côexo xovxo xvyxdvEiv.
X. Tig )) 'EçaGiGXQdxov Gxdoig jieqï xov ocpvy^ov xüv jivqeggôvxcov.
Kai avxbg ôe 'EqaoioxQuxog dEÏ jxuQSJiôfiEvov oÏExai xoj tivqexm
xvyxdvExv, xuv fiij jiaçfj jiÀfid-og d'Eç/.iaoiag, cog Iv xoTgÜEci jxvqexojv (pr]Glv
< . . > ovxcog- [œg] „xoîg jivqéggovoiv fj xivrjGig nvxvoxéça fièv yivExai jiùgi, 245
GcpoÔQOxEQa ÔÈ xoïg jiÀEÎGxoig" . xavxfjv ôe xijv nvxvôxrjxa iôioj^ia goj^eiv
ÀÉyEi ojg Ejii (pÀEy/iovîj XEXQaf,ift£Vï] <v> . xal Àôyq) fiÈv àvE^éxaGxov xal dvEQ-
fiflvEvxov, 'bnb ôh xf/g xQißixXjg yvfivaGiag ôià xijg â(pijg xaxaAafißdvExai.
naçad-r/GOfiEv ôh xal avxov Àé^iv 'EqaGioxQdxov xovxov è'xovGav xbv
XQÔJIOV ,,jiWVI] Ô' rj TCèQl Xfj XlvrjGEl Ôldd-EGig XCOV JIVQEGGÔVXMV EdoVVO- 250
jiiog xal dxQißrjg xip yE é'^iv è'xoi'ii xal où ôiaifJEvôo^iÉi'qj, dVC avxrjv xe
<xr]v> x^g ^Aey/iiovijg èmxaGiv xal uvegiv xal xr^v jieqI oXov xb Gojfia
ôidd-EGiv Ixavcjg ôiaorj/naivEi."
"223 ôvniôyaatov V àvoTO'/arsxov •/.. à. è. P "225 v.u\ ôià tTjç tov VP 228
là naià P 231 tcvi — 284 Jivçetôv om. P 231 fort, tîvi <ift£v ovvy> 237
TSTTUQoiv V 23i) sq. enieiidalio incerta. 242 */ om. V tdatg P 244 f. <rô
^iVÄvöv TOV (X(pvyitov .iéiiatôv ti tovtov arj^ielovy Tvy. 244 œg — JivçeTcJv otn. P
248 fort. y.uiaÄuft jdvea&ai 249 Ttaça&rjao^uev — 250 tqöjiov om. P 250 (pi]alv
ovio)ç- fiôvri ô' ij P
— 4«)8 —
XI. Tlg fj 'Hçog)iÀov OTccoii; jieqi lov açv'/fioù lûjv n^vQEnaôvtoiv.
255 '0 de 'HçôcfiÀog ::ivqt(jaeiv ùjiecfrivaio ibv uv&qo)7iov, ömhav nv-
xi'ôreço^ xal fiiî^op /.ai acpoÔQÔiEQoç ô acfv/fidg yévi]iui fuiù jioXXfiç
d'£Q,uaaiccç êvôov, ei fiiv ovv jiQoa^aÀÀd^eie il/v acpoÔQÔTijTa y.al xo fiè-
ye^oç, ê'vôomv lOv jIvqetov Aufißdroviog- xijv ôe Jivxv6rr]za loyv ocfv-
yfiojp ÙQxouêvMv te rœv nvQExôiv jiçôjTt^v ovvlaraa&ai y.al nv^iTiaou-
250 jiiÉVEiv fiÉXQi r/)ç TEÀEÎaç aviùv ÀvoEOjg ZéyEi. ovro) ôe rfi 7ivy.voa(fvz,ia
ibv ^HQÔ(pi?.ov d-açQEÎi' Âôyog ôg ßEßaioj ar^^EÎco XQojfiEvov, wote y./.E-
tpvÔQav y.aiaoy.Evdoai xojQr^Tixtjv dgid-iiov qi^tov tüv y.aiù (pvaiv ö(pv-
yfiùjp £xdaTi]Q i)Àix(ag Eioiôvia te Tiqbg ibv UQQoaxov xal rid-ivia t//î/
xÀEtpvâçav äTCTEßd^ai lOv Tivqéoaoviog' öaco ô' uv tiIeIoveç TiaQÉÂd^oiEV
idô xivrjaEig rcp acpvyfiü tiuqù ib xaià (pvaiv eiç xijv èxjtZ^Qioaiv xf^ç xâe-
ipvÔQag. xoooî'Tco xal xbv acpvyubv tcvxvôxeqov d.io(fuivEiv, xoviéaxL Jiv-
QÉaOELV Tj fià/J.OV î] ^xxov.
XII, Tig i) 'Ao/.ÂT]Jxidôov axdaig tieqI xov acfvyfioD io)i' .tvqegoôvxcov.
'AoxXri7iidôi]g xf^ç èvavxiag yvd>firig xoïg ^QOEiçr^fiÉPOig dvÔQdox
270 y.ad'iararai. Tf]v yàç Èm xb ocfOÔQÔiEQov xov ag)v/fiov TraçaÂÀaytyi' fiExà
d^Eç^iaoiag xid-Exai xov tivqexov aiiuEÎoi' /ojQlg (faveqùg aixiag ovvioxa-
fiÉvr]v. y.al yàç :i:vy.i'ôïi]Ta xàjv o(pvyfi(bv roîg .rÀEiarotg TiaQÉJiEad^ai (fi^ai
xù)V 7xvQEaaôvxù)P, où :i:di'xcog ÔÈ nvQÉoaEiv xovg Tivxvbv Eyovxag xbv
ocpvy^ôv.
275 XIII. Tig /; 'IrcTcoxQdxovg oïdaig .teqI lOv rcvQEiov.
'LiJioxQdzr'iV vJio/Mfißdvovai ari^EÏov EiQiy/.lvai xov jivqexov fiÉye-
d^og fiExà 7ivxv6xr]xog îj xdy^ovg ôià x)]v ev 'Eixiôrjfdaig Àé^iv ovxojç eiçr^-
fiÉvijv vn avxov' „èv xoîaiv ôgvxdxoiai xôjv tivqexùv ol a(pvyf.iol nvxvol
xal fiéyioxoi." ovxoj fiÈv ôt] EiQt]ad-oj xal ib rtaç' "IjiJxoxçdxEi ôoxovv EÎvai
280 ar^fiEÎoi> ïov .ivqexov.
XIY. Tl oi]!.iEÎov 'AçyjyÉvrig n'd-Erai lOv .xvqexov.
^xÀiiçbv vneXaßEv oùxog ô dvijQ EÎvai îôiov xal dytoQiGxov gi\-
uEÎov (hg EV xco IIeqI a(pvy[iùv ßiß/Jco. Ilçagayôçag ôe fiéyav, xaxvv,
277 Hippocrates Epid. IV 20 t. V p. 158 Littré êv roiaiv a^vTävoiai twv TtvQsiôjv
ol acpvyuol tiv-avôtutol y.al uéyiatoi.
À
254 TÎg r,Qo rdaig F 259 ze om. P 2(îl ßeßatojg P ßXeipvOQav P
264 ßÄE^pLOQav P 265 ßÄEipvacag toaovtov P rooovto V 268 tîs àay.?.i]7tidèovg
xdaiç Tieçl ij(pvyuov nvQeijaôvzoiv P 275 rig '^In;7io7.Qdiovç vdaig P 279 rw P
281 ziâerai zov om. P
— 464 —
a(poÔQOP top o(f'vy^ibv ilvui hi) tojv nvQtaoôinov i^itià Tinomov av/i-
jiTOJjiiärojv EVQiay.ôftevov, âitj'ovç te xai x^tQ[ii]ç y.ai xEcpaÀa/yiuç xai avfi- 285
TlÀOXfjÇ {lExà Tù)V JTQOElQriJilÉVMV JlOlOXrjTOJV iÔlÔTIJTUÇ l) ftEioJOIÇ TOV 71VQE-
Tov èçydacicrd-cct JiQOEiQijfiÉvw.
XV. Tig à roù (pQEvijriÇovTOç acpvyfwg.
'0 TOV (fQEviiTixov Gcpvy^oç Tuyvç fi,év èoTi xai jtvxvoç y.ul UTax-
Toç, y.cà TÙ ^lEV no/j.à tnxQÔg, è'oTi rj' ote y.ai fiéyEd'og È'ycov. èvioig ÔÈ 290
xal vjiOTQÉfiEii' ôoyEÎ. yai eotiv ote TEÀécog ovfiJiEOOvoa f} UQTijQÎa ènav-
ioTUTai àd^QÔtog ndÀiv. y.al tigî fùv vjiootoXijv [lôviqv Eivai Tf^g àçTi]-
qiag, aÀÀoig ô' ad y.ad'EÀxvafiôv. fiETaßäZAEi ôÈ ô Toiomog TÛyjaTa Eig
fivQfirjyJÇovTa.
XVI. Tig b TOV ÀJjd'açyiy.ov aqjvy^ôg. a^r,
Tà)i> ôè /.r^d-açyiy.dn' ô ocpvyfiog, otuv ßad^Eia y.aTucpoQÙ fj, fiéyag
èoTi y.al àQuiog y.cà olov vTiôao^icpog, Ti]v èv t// n?^riyii acpoÔQÔTijxa O'ùy.
Exwv — ôoy.EÎ fiEv yàç f] àQTi]Qia <^etù> ^ol^ov Tivbg y.aî tôvov t^ à(ffi
jiQOGTiiJiTEiv, oè avvEJTETai Ô' uvTï] To y.oi JiÀijaoEiv tavTÔv — 6)g ßqaovg
ÔÈ y.ai void'rig /xitù tîjv ôiacjToÀijv /.al Ti]v gvoto?J]v ôià JioZÀov tov XQÔ- soo
^<ov jiQog Ti]v /.ivijGiv ènaviôjv.
XVIT. Tig b 7T?.EVQiTiy.ov arfvyfiôg.
nZEVQiTi/.ov Gffvyfibg xöt' àçxàg T(3 fiÈv fisyed-Ei ovfifiETçog Tayvg
TE y.al Jivy.vôg /.al tîjv 7iZi]yi]v oteçeùv è'^oiv, naçEfKfaivojv ôé ti /.al
TOV '/aTà Ti]v GyÀi]Qiav lôiojfiaTog- egti ô' ote /.al ài'OJuaÀog y.al aTay.TOç 300
yivcxai. etiitelvouévov ôe tov Jidd-ovç /my.çbg yivETUi y.al àavÔQbo, y.al
Tuyvz fiàÂÀov ijjiEQ Tivy.rôg.
XVIII. Tig b JieQiJivEvuoviy.ov GCpvyfiôç.
Bçaêvg, uçaiôg, vjiôao^cfog, ài'dj/j.aÀog, UTay.Tog' etiitelvouévov ôe
TOV Jiâd'ovg y.al b^Eiaç %fjg àvajivofjç yivofiévrjg sixÔToyç b Gçpvyfiog xaxa- sio
ofiixçvvETai ojg àv tov nvEVfiaTog ßEßiaGfievog ôioÔEvovTog, àjLivÔQog ôe
xal Jivy.vbg y.al Tayvg tôte utcoteP^tul.
285 y.al av^ii7TÀoy.i]g — 287 7içoeiçi]fA,év(ûv om. P 286 sq. emendatio incerta;
f. [fÂerà] et >^" unajasig t. n. è. ôvva{,iévr)g. 289 '0 tov — ayvyfidç om. P 29.^
aÀÀoiç — y.ai}£Ày.vafi6v om. P ô'av Y 295 acpvyfAÔç om. P 296 Tiov —
0(fjvyu6s oiri. P 2t)7 y.al dçaiàç — • zî/v in P non iam dispiciuntur 298 ()v^ov VP
299 éavTOv] emendatio incerta. 302 acpvyfîos om. P ;i03 JlÀevQiTiy.où aq)vyf*ög
om. P i^èv ta ftèv f.iéyE&oç P .S08 acpvyubg om. P .SU fort, tiotb.
— 465 —
XIX. 7Vs ô y.uQÔiuy.ov ag)vyfi6ç.
MixQÔç <o> a(pvy/iôç en' avxojv y.ai jivxvoç y.ui do&evijç y.at vyqbç,
315 TQOfiôjôijç TE yMt âvMiiaZoç yal cctccxtoç.
XX. 2Yç ô Tov axofiaxiy'Ov ocpvyfiôç.
'EyyvTCCTa ôoxeî tov xaQÔianov rvyxdveiv /.ai yÙQ roîg âÀÀoiç rn]-
fieioiç ôvaôidxQiToi eiaiv ö to y.açôiayog y.aî ô a70f.iaxtyj)ç- ëyei fiévTOi
yf JioÀÀiii' ôiu(fOQâv. ô ^ev yùç joyv yaQÔiaxojv acfvy/nôg èaxiv ôtioÎoç
320 Et'Qr]Tai, ô Ô£ Tü)V OTO^aymoiv ànZovoTeçoç xai ßgaoinecog xai açaiô-
TEQoç avyy.çivôfievoç Jiçoç tov tcov y.açôiccyojv acpvyfiôv.
XXI. Tig ô yo/.EQiy.ov açvyfiôg.
MixQÖg, dfivÔQÔg, nvxvög, Tayvg. TOiomog ôé egti y.cà ô tmv vnb
ôiaQQoiag èvoyjyovfiévcov.
325 XXII. Tig O avvayyixov acpvyfiôg.
Tov fiEyéd-ovg ydçiv y.cà t//ç a(poôçÔT)]Tog f^iéaog. jiÀiiV è^içaivMV
Tl Xal VTCÔGO^KpOV, EJllTElVO/lÉVOV ÔÈ TOV Jldd-OVg fllXÇÔg JTOTE xui dfivÔQog.
XXIII. Ti'g ô djTOJTÀriXTixov a(pvy[iôg.
Méyag xai ocfoÔQog xcii Tayvg.
330 XXIV. Ti'g ô TETUVixov G(fvyßog.
Méyag fi£i> aufifiÉTQcog, GCfoôçog ôè xai Gx?.)jQÖg ôiuTETU^iÊvr]g Tijg
àQTrjqiag olov yoçôîjg.
XXV. Tii'Eg 01 xad^' IxdGTtjv fjZixiav xutù (çvgiv Gçvyfioi.
nuQÊTiETUi Toîg vt]Jiloig xaxà cpvGiv G(pvy/iidg Tayvg te xal nvxvog
335 ^ nixQog xal dfivôqôg' èri te igi] t) ôiaoTOÀi) xal fj GVGTOÀi] en amojv
Ei)QÎGXETai. Toîg ÔE Èv ai)ç,i]GEi ijârj yivo/^iévoig iràoi toj fiEyé&Et xal t/)
G(poôq6ti]ti EJTiÔEÔojxojg EvQiGXETai 0 Gcpvyfiog xal Jioaœg ßcaovTEQog xal
dçaiÔTEQog naçà <Tovy tojv vijmoiv. TOÎg ôe ßEiQaxioig xal roîg GvvEyyî^ovGi
xfi dxfifj ^ueICcov nolv xal oçoôçÔTEQog ßgaouTECog te xal dgaiÔTeçog,
340 Toîg ÔÈ èv aÔTfi t/) dxfif] TvyydvovGi fiéyiGTog ndvv xal GcpoôçÔTaTog
314 acpvyfto; èTi' avTÔ)v om. P 316 a(fvyi.i6g om. P 319 ôttoIoç t'ativ V
322 (j(pvyf.iôs oin. P 3"27 vTtôao^itpoç VP 828 acpvyfibç om. P 3^0 a(fvy-
fiôç OUI. P 384 et naçénezai et xarà (fvaiv ocfvy^uog om. P re om. P 3^5 frt
ze om. P 339 fteî^ojv] co ex o fec. m. eadem V: iieî^ov P
— 4üG —
y.ui ßQuovxaiog xal ÙQuiôiuiog -/ml '/.uià no/.b JiQotxojv tojv jiqojiùjv
fjAiyuayv. lolg ôè ànb xfjç àxf-ifjg nqbç %b yf}Qctç ànonÂivovaiv rjôi] âid-
(foQoç yîvexai ô aipvy/iiôç' toIç fikv yàç fiixQov fistà xrjv dxfitjv 7iQo[a]£À-
d^oùai xco ^leyéd-ei xal xrj GcpoÔQÔxr/xi TiaQanXrjaiôç èaxi orpvyfiqj xcp
XMV èyyit,ôvxo)v xfj uxfif/ xaï toîç y^Qovixoïç, oiaactj/iiaoiv ô uxjxbç, xq) 345
xcTjv àx^aÇôi'xwv, jiÀiiv en ôÀiyov ôia<À>Àdtxù)v ßQaovxecoc xuï âçaiô-
xEQog yEyovcbç. xoîç ôè jiQsaßvxaic rjorj xq) fisyed-Ei xal xfj ofpoÔQÔxr^xi
flXaxxoifiévoç xal xoîç, xQovixoîç ôiaoxfjfiaaiv r]i)^f]fiévoç, ßqaovxEQOc xal
àqaiôxEQOç, yEyovcbç, xoîç ôÈ yrjçaioîç naçÉTiExai acpvyfibç fiixçôxrjxoç [iev
XÛQiv xal àfivÔQÔxrixoç TiaQanXrjoioç xco xmv vrjjiiojv, xdx£t àè tiàeÎoxov 350
?^Ei7iô{iEvoç. £711 iiEV yuQ xcj)v vrjmcov ol xayvxaxoL xal nvxvôxaxoi, ènï
ôe tcjjv yj]Qaicdp ßcaovxaxoi xal ÙQaiôxaxoi. xal eIç xooavxaç fièv ôt]
fjÀixiaç xEfivovoiv en dxQißkc xbv ocpvyfiôv xlveç ôe ovx eïç xooavxaç,
dÀÀ' eIç xÉaoaqaç, aiç naîôa, /iiEiQdxiov, dxfidCovxa, yÉqovxa' fji^iEÎç ôe
Tiçbç %b èjii/iEÀÉaxEQOV xal ôiôaaxaÀixcbxEQOv dcpoqojvxEç ovx eIç xicyaa- 355
Qaç, àÂÀ' EIÇ EJixd, xad-à xal 'IjiJioxqdxriç ev xco ITeqI eßoofidoojv rpçovEÎ
xal ol 'AQxiyÉvEioi, xé^ivovteç xdç xe fjZixiaç xal xbv ocpvyfiôv, ojg EÎvai
viqjiLov xal Jiaîôa <xal> fiEiçûxiov xal dxfidÇovxa xal yàçovra xal jtqeg-
ßvxr]v xal ytiçaiôv.
XXVI. Tiç vcp' Exdoi^ç o)Qaç xoù exovç dnoxEÀEÎxai ocpvyiiôç. 36o
"Qqa d-EQivri txdoxtjç fihxiaç ccÀÀdxxsi xbv acpvyfibv xal naçéxEi
(jiiXQÔxEQOv, dxovcjjxEQOv xayvxEQOv XE xal nvxvôxEQOv. xal xi yÙQ ^ ovfi-
cpcovov vfjniov xfj ^Àixla dnoôiôcooi xb xivrifia; XEifiôiv Ôe (iixqôxeqov xal
df.ivÔQÔxEQOv ßqaovxEQOv XE xal clçaiôxEçop tioleÎ xbv ocpvyfiôv, Ofioiov
fj/uxlcc ysQovxixfi. èaç ôè xal (fd-ivônwQOv f.iEaovvxa fiÉyiaxov xal 365
acpoÔQÔxaxov xdyEi te xal nvxvôxrjxi avfifisxQov, o^ioiov jiaqÉxovia
Gcpvyfibv dxfidÇovxi.
356 Hippocrates de septimanis c. 5 (t. VIII p. 636 et t. IX p. 486 Littré = Phiio
de opificio mundi c. 36 p. 40, 7 sq. Cobn [Vratislav. 1889] reapse hsec habet: év àv-
&QÔi7iov (fvaei éTiTÛ elaiv Siçai, äg fjÄiy.i'ag y.aZéovatv, Tiaiôlov, naîç, /■leiçdy.iov, vea~
vCanoç, àvi'iQ, TiQeaßvvrig, yéçcjv xal Tiaiôiov [xév êariv àyçiç kma èrùv ôôôvzojv
exßoAfjS' Tiatç ô'ayçi yovi^ç éxipvatog êg zà ôlg émâ- fieiçdy.iov d'a^çt yeveùov Àa-
yvùioiog èç tu zQÏg éjizd' veavCaaog ô'ayçig av^ijaiog ôÀov zov acôfiazog ég zà zez^axig
éTczd' àvrjQ d' àyQtg évbg ôéovzog Tzevz^aovza êg zà énzdxig éjizd' TiQsaßvzrjg ô'ayçi tzev-
zrf/iovza é'I, ég zà éTtzdy.ig ôy.zo'} (ày.zdy.ig éjzzd Altwegg)- zo ô'èvzev&ev yéçcov. Cf. ibid.
p. 77 scj.; Roscher, Hcbdomadenlehren (Lpz. 1908).
342 àTtb zF^g ày-f-ir/g om. P 343 zoîg — 317 Ijôij om. P 348 f/Àazzo-
fiévog P ut videtur 349 yeçatolg P 352 xal eiç — 359 ytjQaiov om. P 352 zoi-
avzag V 3.56 eùôoudôoiv V 360 é(p' éy.dazjjg P 363 v^jzCov aut vt^Tzica V;
T] G. vriTziov P 364 àuiôgôzEÇov P à^uîceQov ex àfivôçôzeQov fec. P 367 àxfid-
^ovtu VP
— 467 —
XXVII. TivEç elolv ol aivôvvùÔEig acpvy[xol xaKOPOfiaofitvoi.
Tà)v ôi] o(pvyf.iG)V âvayxaîov xal %ù ôvôfiaia tyJHni)-ui. ovro) yùç
370 up evamiôiEQOv ôiôaxO-Ei'ii^isv zàg nQoai]yoQtaç zuTuiûç^uviEg avn7)v.
xEîrca ôe xal Jiaq' "HQOfpiÀEÎoiç xal Jiaqà 'ÂQXiyEVEioiç xoôtojv xaruÀoyoç.
xaÀEhai yÙQ à fiÉv m; Èx?.Ei7Ton' ocpvy^ôç,, o ôb ôiaXEincov, h (Ye naXiv-
ÔQO/i((op xal ôoQxaôi^ojv xal rQo^coôr]ç xal fiôovQog. dxoÀovd^oiç ÔÈ jieqi
èxâoiov ÀÉ^o^iEv.
375 XXVIII. TIg h èxÀEÎJTcoi' acpvyfiàg.
'0 èxÀelJicor xaÀovfiEvoç acpvyfÀOç xal un avtov xov ùvô^iutoç èfi-
(faivEi ib JiEçl avTov lôiojjtia. èÀaiTOv/A^voç yÙQ ùeI fiàÀÀov xaid te tô
fiéyEd-og xal rtjv acpoÔQÔttira xal xatà ti)i> av/ifiEjQiap loù TÛ^ovg xal
irjg TivxvuTijTog %6 téÀeov exÀeîtiojv ovxéti (paivEiai. ôià xal iv jolg
380 JIÜVV 'x^aXETiolg xal ôÀEd'çioig iovtov TÎd^EjiiEv ojg jiQooi]^iaivov%a xbv
OÀE&QOV.
XXIX. Tig à ôtaÀEiJioii' a(fvyfi6g.
'0 ôiaÀEi'jTOJV xaXovuEvog G(pvyßög navTEArj ^iev à<paviO(.iov où noiEÎ Tfjg
xatà trjv àçTiiQiav xivriOEOig, àd-Qocog ôe ànoxonElg xal Ifptjoi^yßaag xatà
385 ^^ip ovaxoÀtjV xQÔvov Tivà EJiavEQXExai nâXiv. xal è'aziv èv avtoj fj ôia-
(fOQÙ TOiavTi] Tig. ôiaÀEÎJiEi yàç ijjoi naq oPayonÉQag --'..> xalTOÙToylvEiai
TETayjii£Vù)g ï] chccxicog. jiote jliev yàç ^etù xcÀEtovag acfijyfiovg oJov %Èa-
aaqag t] névtE ôiaÀEÎJiojv, avd-ig f-irj (pvÀd^ag irjv tâ^iv, fiEzà ôvo /} zQEÎg
nÀi]yàg ôiaÀEiJTEf }) èx tùv èvavxiù)v fiEzà ohyonÉqag ôiaaroÀàg èna-
390 vÈQXExai ènl xàg jiÀEÎovag' ^ tô è'vxaxzov (pvÀdaoEi, ti]v avtt]v îoôxrixa
jioiovfiEV <oç> xùjv xaxà xù öiaAdfi^axa XQovoiV. xov i^iEV oëv naq' bXiycùxÈ-
qag dvxanoôôioEig G(fivyiiov ôiaÀEinovxa fiàÀX.ov bXéd'Qiov vofiiaxéov,
xov Ôe naqà 7i?<.Eiovug f]Txop, oîov xôv Tiaqà fdai' xivijoiv xov naçà
ôi'O, xal xov Jiaçù ôvo xov naqù xçEÎg, xal xov jutçù XQEÎg xov Jiaqà
395 xÉooaqag, xal xaxà xà f$/)g ofioicog. onov f^iÈv yàç avvEXEGxÉQag ovotjg
xijg xaxà xov acpvyfiôv èvEçyEÎag xal ov ôiaxEfivofi£vr]g Tzvxvùg vno xov
ôiaÀEt'jtovxog a(pvy/.iov, È'xi xijv ôvvafiiv EQQcoad-ai vjioÀrjjixéov, oxe ôe ov,
xoèvaviiov.
368 naTcavofiaauévoi oni. P .%9 Twv — 372 yàç om. P .'^TO fort. âiaÂe-
yd'eîri^tev 371 fiQotfiAîoig VP àqyiyévei oîg Y 374 Àé§ouev ex — cofiev
fec. P 375 rt'ç — acpvyuôg om. P 376 y.aÄovjAEvog — 377 lâCco^ua om. P 377
yÙQ om. P 380 ôjç av P tov om. F 382 rig — aq^vyftôg om. P .383 ôiaÀetTi
litterœ et 384 à&QÔiag evan. in P 385 xeicu — 386 na non dispiciuntur in P 386
fort. <Z.àvra7toô<baEig i] Tcaçà 7i?-eiovag'>. 387 Offvy^iovg om. P 387 olov
ô^^ y 389 oiccavoÄr^g YP 392 Tiovta et 393 vijacv et 396 yeiag litterse evau.
in P 397 éç v.TOÀr,:iï:alov P
— 4()8 —
XXX. Tic ô JTuZn'ôQOficov ocfvyuôç.
ï) ÔÈ :ra?urÔQOfioji' a(fvy,uôç èariv ô jiZeIovu xqovov èv rfi avaTOÀfj *o^>
fiivoiv y.ai (fuvTuoiuv ùjtoteàojv TiavxeZovç àaçvygia^, eha nàhv Ijiu-
viGiâ^ievoç y.ui :T/.i]a(7(oi'. ooco (Tuv ôiù n?MovoQ jTUÀivÔQO/urjari y^qôvov,
ToaovTO) fiùZ?.6v èoTiv ô/.ed-QtônuTog ôià jo xov 'Çonr/.oi' rôvov fisÀSTÙv
èy. rov y.ajù /.ôyov àjiô/./.vod-ai. ovjieq yàç xqÔjiov ai Àvxt'icit<ai>(f?.6y£ç
fÂEiod^eîaai to tivq aîçpviôiov èxÀeinovaiv, sid^' oaov oi) oßevpvvrai téàeov, 405
Tov avTov tqÔttov xal fj ÇœriyJ] ôvvafiiQ èy xov y.aj' ôÀiyov aßevvvfievrj
y.cci 71Q0Z èÀccyjaTOV avfi7T?,7]^aju^£Vi] ud-QÔojç ànoyÔTiTeTai. axéaiv ôk ô
nciÀivÔQOfiiov ^Qog tov ôia/.eijiovra è'yei TOiavrt]v avvvjrdQxovoav àZÀrj-
ÀoiQ. oijTE yàç ô ôiakEÎTKûv ôvvaxai votjd'iivai ôiya xov TiaÀivôçofiovvxoç
ovxE XOJQtç xov ôiaÀEijiovxog ô jia/.ivÔQOucov, dÀÀ' àpciyy.i] ooyoai xov- 4io
Tovç. JiQoç àÀÀi]Àovg xoiavxijv xiva oyéGiv, Ivu vot]d-àjaiv exccxeqoi. ôeÎ yàç
xov f.ièv ôiaÀEijiovxa açvyfidi' f.iExai3dÀÀEiv èy yivrjoEOjg sic âxivt]Giav,
xov ÔÈ 7ia?JvÔQOfiovvxa xodvavxlov Eiç yivijOiv è^ dyivr]aiaQ. firjjioxE
ovv, et yqi] qdvai TuZ)]d-éç, roîg icQoyEVEOxÉQOig fiÈv avEyçdcpr^auv ojç
ôiacfÉQOVGUi à/J.i]/.on' ai noiôxiixEg atnui xùv Gffvyuùv, ôiEvr^vôyuGi ôi ^i»
[lôvoig xolg ôvôfiuGi ;
XXXI. Tig ô ôoQy.uôi'Ço)v <G(fvyiiôg>.
'0 ôoQy.aôiÇojv Gfpvyfioc y.aÂEÎxai xai ôtJiZaGidÇcov, ujiXovg ôé egxiv,
EV ^uià ôiaGxÛGEi ôlg 7i?J]ggo)v. eîtcc ôiaGTE/ùôjiiEvog. ôiuGxÛGa yàç fj àç-
xijçia y.ui jTaçaGyovGa çpavxuGiav GVGxoÀfjg, exi fiExéojQog xvyydvovGa, 4-'o
jid/uv jiQOGEjiiôiiGxaxai xai xÔxe xi]v ôcpEiÂofiévr^v äjioAaßovGa gvgto?J]v,
ôfioicog ègEQ<Ed->iÇEi xi]v àcpijv ôiJiÀr^v èv xtj ^uù ôtaoxoÀf] Jioiovfiévi]
TTJv oQfxrp^. oi^Ev xai ôoQxaôl^tov 6 xoiovxog èy.Âr^d^i] G(pvyi.i6ç ovx axÔTrojç.
tôoTiEQ yàg al âoQy.dôcÇ èv xoïg ÔQOiioig zà jLièv nqona uiyQÙ oiaßalvovaiv,
eira aufviôiov t:iï tq /lieIÇov è^a/./Mvxai xaï uQog xov deçà ^uexeoQLO&EÎoai 425
7id).LV TiQond/.'Aovrai ttqIv STiiß^vai Trß yîjs^ ovxùj xal o doQxaôi^oJv otpvy-
/uog /niyçàg xai djuvôçàg TioirjaduEvog xàg TiQUixag âiaaxoA^ç ènï ttXêov
ôtaoxé/j.cxai xai uévojv èv xfj avxfi ôiaoTOÂrj ttqo tov tieoeIv nd/.Lv tiqÔo-
éTTiôiiorduavos tï/J^ogel xrjv àifrv. 'Hq6(fi/.os uÈv ovv o TiQonog ovoudoag
399 ayv/fiög om. P 401 à.-r . teP.ôjv P 402 ô . . ôià P :TuÀt,vÔQOfii'jg
Tj YP 403 ToaovTOv P tov evan. in P 403 fort. ôÀe&çiojTSQog 404 fort.
xar' àPUyov 104 P.v/vîai, VP (fP.ôyaig V (pP.àtyaig P 405 aßevvvzai VP 40fi
/ ,
aßevvvuevov YP 407 -/.ai evan. P avf(7TÀr^^a/.< Y av^tîtÀr^^afiévri P 410 ovie
ô TTuÀivôçoftojv '/ojfjig TOV ôiaÀeÎTTovTog P 411 éy.dTSQ ^ ; evan. in P 413
aP.ivÔQouoi'VTa evan. P 414 i]&£g evan. P 419 ôsî Y ôeîg P 422 é^eçc^ei YP
423 ô TOiovTog et acfvyiiôg om. P 425 ècfvlôiov P ftezeoyQiad-flaat P 428 Tiéasig Y
TTeoùv P -Tooc Ti 6. YP 429 jiQWTog Y
— 4()9 —
HO ôoQxaôUdvza mfv'/uôv (fr^oiv äna^ èoQaxévai tui tivoç evvovx'>^\ 'i/'î^' '^£
ovvsxcôg lîiï T(~)v tqywv èTiércsoav h re (fQsvr^Ttxali; y.ai aa^t) taxais ()ia-
XXXII. Tl<^ <) /.iv()/i/yAuwp o'(fiv)'fiôi;.
V) iivQjiir^y.l Lo)v ovo/iia^ôiiisvog (îcfvyfios Tansivôç êoTi xai oisvog /.aï
43Ô di^tvÖQot; loxvQO)^, ovarolrjv ohyoxQÔviov noiotv /} ôoyiôv noielv, a/./,'
avcôiyev olovsi anaiçop, râxa ,«£v ôià ttjv fiiy.Q()Tijia tov ^ivQfu-yjtç, (ft
7ïaQÔf.i()iOs o)v TOinvrôg èariv ô otpvyfiôg, xàya àk xal ôià rrv i^ucfeceiav
tÎ^v tcqÔç tj}v y.ivi]Oiv. (ooTieQ yÙQ avsvQa ßaivsi xo 'Ç<[k)v xal fiixQCc y.aï
aôaqxa xal okcog (w avyxivovvra rrjv ataOi]Oiv, ouko ôi) xal rcQog xr^v àcprjv
440 0 (jqvy/iids xoiavxr^v Timsîrat xrjv aï(Td-''^(>iP duvÔQoxdTT^v xal fiixQorâxr-v
ovrexfj tr xal yf^Qwaav. svQÎaxexai oè ènl xaçôiaxcÔv' xal ènl xon> d/Mov
ôè d^scDQEÎxai ryvvFxéoxEQOv xü)v rôrj Tiçôg xcô xsÀevxâv bvxcov.
XXXIII. Tlg 0 GxMh]xiÇv)v a(f'vy/ii6g.
Y) ôè oxo'/j'xuoji' xakov uevug o(fvy/.iog ex xmv avxcîiv xcîi /iivQiiitjxl-
445 Çovxi uvuéaxr^xè. xarà fièv èviovg ovdèv (haq)éQsi rj xrj 7iQO(J}]yoQi(x .«ôi//,
xaxd ôè xoi>g dxQtßeaxeQOP xoîg lôicô/naai xtov acpvyjtuôv TiaQay.okovS-r^oavrag
iyeioqelxai na^aKkayr] xig èv xolg xivrj/iiaai xoîg txaxÉQcoO-ev xal ôiacps-
Qovorg exvxov sixûzojg xtjg ovofiaa/ag. ô ,uèv ydg ^avQinfjxuon., wt; TiQostQrj-
xafiev, naQéy^BL (favxaoiav jlivqu r^xog viio xf] dipfi rceQinaxovvTog^ o ôè ox(o-
4âo '/.r/xiÇo)v x^v xivr^GLv GxoY/.r/.og TiaQanlrfiLav èv xfi Tiuçaîa Tioisïxai TVQog
xijv à(p}]v. ovnsQ ovv xqÔttov axoj/^r^^ /iiixQÔxaxog xiîi aco/naxi xvyxdvtov xivsî-
xai xaiydneq © Q iysiQofiévwv èv avxt^, xwv ôè tiqootiitixôvxov djiù xwv
xeXevxaUov {.isqvw axQi Tr^g xscpaXrjg, xovxov ôrj xov xqôttov xal 6 acpvy^idg
<ô> axiuÂT]xiÇ(')v xaxalaf-ißdvexai xdg xivrjaeig èjciavvdnxcov xalg TiQoixaig è(ps-
405 b'Tfe' >fo:Tà xrjv ôoxovoav slvai tisqI avxov ôiaGxn'/.i]v itisxd xov xal xo Ttvsviia
xo xivovv xj)v dQxtjqiav 7]v(ofiévov {.lèv vnoninxexv, tcü/jS]v ôè xi]v dxoviav
xal tt^g eiTislv dmôksiav è'yjiv. ènl ôè xov /.ivQ/iirfxiUovxog nàv xovvavTÎov
èoxiv et-çelv vtiotiItixel ydq oiov ei<g> iio'KLd xal '/.enrd xaxaôir^Qr^f-iévuv xo
nvsviiia xal ôid Tovrf* Lia/Mtv avyxiveîv ôoxeî xiv aïa^r^oiv. a/.Â' oitos
460 /iièv ovTtog èaxlv o/.éx)-Qi()g, o ôè oxioh]xuiov r^ixov xivôvvoiôr^g.
430 qp" V ft^al P 4So a(fvyfi6^ — 434 rrcpuy/io^ oui. P 4)j T^ où ôo/iùjv
P : manifestum hoc interpolationis a breviatore factse indicium -ißfi fort. <,y,aÀeÎTai
ôè fivQuriKÎ^cuvy TÛya 437 râxa — 441 /»/pwaav om. P 439 aôaQia] fort.
àôiaÎQeia 442 rô VI' 443 acpvyfiôs om. P 444 '0 ôè — 448 ôvouaaiag
om. P 4i5 fort f.i£v<Coöi'> 448 yàQ\ ovv P n:QoeîçtiTai P 451 itr/.QÔ-
zr^tog V of.T£^ — 458 hicoTiLTiTeiv om. P 452 legendum videtur y.a&d.-ieQ y.c-
yJ^(x}v; cf. Hultschius ad Pappum t. III jj. 129. fort .-rçoTtiTitôvroiv 457 t'y^v \'
457 à7i6A^.eLav syuiv fiezà xov y.al zà .ivevtia to -aivovv ti^v àçir^çiav i^voiuévov iièv
vji07iln,TEiv è:il P 45Ü xai — aïa&tjaiv om. P
— 470 —
XXXJV. Tl^ o ftvovQi'Çotv acpvyfiôg.
O ôè f.ivovQuii)v o(fv'/ji(og xitev/^e Tavrr-g rr-g ovoiAaoias uno tov
TitQÏ avTov nyjluaiog. eoci ôi Tio/.vaiôr^g y.aï TioÂvxlvrTos-, tx xrß tojv àvo-
f-idkuv xai drâxTov diacpaQÜg xrjv èîiiGvviyeoiv sU.rjcpv')^. oiav yaQ /usi-
■^(ijiJ TTQOGTCèoovaa Tihjyrj dal xai i-iu/.kov xarà %6 èçrg ofiixQvvr^aiy (xvov- 46=
qtiv aTioTe/.cî o(fvyuôp, f] ozav Ti/.r^'/ij oxcqaonéqa vTiontaovaa xarà ci]v
jcQOJxr^v iycaqji^v auvöoihacov 7tkr]aGrj, r> otuv jcvy.vôraQOv 7CQ007caoovOa àaï
■/.al LiCü.Kov àçaioréga <i)> , 7) orav rayvréQa ccTtOTaAsod^eloa rj y.ivrjatç voxeqov
fl ßQuövvovoa /■ av. tcùv avavTiwv cltio xov OjuL'/.QVvouévov TtQO/.ÔTCxrj ItcI xb
fialtov rj a/, xov uqaiov arcl xb 7cvy.v6xaqov i] av. xov ßcaoeoc aicl xo xuyî- 470
xaqov. xai xovxo yivsxai Ttoxa fûv xarà /.lalwotv r; a(paiqaotv. Tcoxa ôa y.uxà.
itqood^aOLv ïj auBr^oiv. oï ovv xolovxol oixeLcog xaKovvxai f.ivovQl^ovxaç 0(pvy-
f.ioL ovvLoxuvTUi ôa y.al ü/j.a uvoloojv xoiavxa xtvà Ttaql xov Ofpvyuôv, a
ôLy.caov ly/.urarà^aL xfj yQccrpf^ Tto/.v/ia&aîaç yûqiv. t^xoi yào a/, xwv vjcaç-
y.aïuâvi'jv ItxI tt/Jov îj aQxVjQÎa Tvoialxat xr^v ôidoxaGiv GrfoÔQÔJg y.al xayjcog. ^^ô
a/, ôà xwv TiQog xo) y.aQjci^) ueQwv xaneivôig y.al ßgaoacog log an okiyov mc-
x£G-9-ai xf^g acpr^g' rj xocvavxiov ay. xwv vnaQy.aiiiévwv arc' oi.iyov rtoialxai
xry èiôyy.vjGLV y.al uod-avr^ xai ßQaovxeQuv xîjv /.ivrjGLv, ax ôh xwv Ttobg xo
y.açTXw Liaqwv anl 7c/.éov ôdGxavaL y.al xayyvai xb y.Lvr\iia. ylvaxai ôà y.6ov-
Qog y.al xoexq) xw xq/jtcw, ôxav jtqwxog TtKaxvg VTtOTcaGwv ocpvyabg aig xo- 48o
Qvq)r^v y.axu/.r^Sïf Gxavr^v ?) ax GxavôxxjXog elg rckaxvxr^xu r) agBainevog Gcpo-
ÔQwg av. xfjg ßäoawg y.ivalGÔ^ai jtqbg xw xaKai xijç ôiaoxo/Sjg axovog yévrjxai.
XXXV. Tîg u TQOucôôrjg Gq)vyuôg.
0 ôà xoouojôr^g y.a/.ovaavog Gcpvyfj.bg rcoixû.wxaxog xul xivôvvw <^ôéG> xaxôg
Igxlv ay. xwv drojuâ/.ojv y.al axdy.xojv xr^v l7CL7C/My.i]v ayjov. oxav yccQ xar' 485
uû.a uàv uâorj xâyior. y.ax^ uû.a ôà ßqaOLOv \\ aqxr^qia TcqoGTCiTCxrj xj) acpfj
y.al ur^ôâ7toxe av avxw xw yqôvqj uavi], a/j.à xa&â7taq xivovfxâvï] xe xai xqa-
ôaivouâvï] xaxaXaußdvriruL xai olov ajtiTtkoxr^v xwv XLvîuatov àxaxâqwv, xijg
xa xaxà xijv ôiaGxoÂrjv xai xî^g xaxà <xr[v> GvGxoLr^v, ayovGa, xrjvLxavxa xi-
yvxai xb xdyog y.al o qv^ubg a7il xov xolovxov xw^iaxog. ovx axÔ7iwg ovv 490
XLvag wuoiwGav xr^v xoiavxr^v xov Gcpvyuoî xîvrjGiv xw yivouévo) Tiaql xolg
a§a/.ovxiGuoig xwv ôoqdxojv y.qaôaGi.iw' xa&aTtaq yàq xavxa xaxà rijv fpoqàv xai
xr^v aqaiGtv aTtiGaLexai xqouwôr^ Ttavxayôdsv ôiôôvxa xov Ttaql avxolg xKôvov, oï-
Tiog xai xip' aqxr^qlav avqÎGxaG^aL oa'/.avouévr^. xwv ôà ôiaGxohov xai xwv
462 (j(fvyuàs om. P AiVo tioàà. eiâî^g P 465 fieî^ov V auiy.Qvvszai VP
467 7i/.t]aaii P \{\\) TiQoy.ÔTizai P 474 iyy.uzaP.d^ai P 480 fort. n^Qùivov
ÀÀec
481 y.araÀr^^ti P 482 to xe P 484 a<pvyii࣠ora. P 48ß zdxeiov et ßccc-
ôetov P 489 zi^v y.azà avazoÀr/v V zi^v avazo/J^v (omisso xazà) P 491 ôftoîojaav
a
P 492 y.QÔaatiàj P 49') î'çaaiv Y tQeiaiv P
— 471 —
495 avOTohùv i/ùo €Ôoi]aov ôiôccay^aXiag içovfuev /.ai tcaçâôuyiiû ri jcagà roig
Hçfxpûeîotg ri(yîuevov toioCtov. wojcsq yûq, rpaai, ZQivcrßaaiv uvhZv rceçi-
Tsd-évxiov kejcTorûciov açcr/vliov, ijcsixa lu7CV€v<T^évrojv vjco rov uovaovoyoù
Twv avXôJv, 7CQog tr^v ôiaÔQOur^v ôt /.cù xrv eumiooiv TQOf^aûôi-g avro/v OQÙrca
yJvrjatg Ivel roîç TQVTcr^/iiaaiv, nv/. 'ior^ç ocôè of.ia'Ar^g yivofuvrjg aiTWv rr^g
500 ÔLaOaXeîotiog ohov, cüJm lUTHoçiÇouévcov /xa akka ittv fifoi] uâ'/./.ov, /.ux'
ÙÛm ô'r^Txov, y.uï y.aO-''u lùv 6ixovojT€Qov hcariOxuLitvtov, y.a^'u ôt aoOevt-
ax€QOv, Oixoj (J/; /.al ri^v âçxr^Qiav /.ivelod^ai léyovOLv àvio^iâÂojç y.axù /lév
XL ôiC(GX€/J.ou(rr.v iiéoog Ini jt/Jov, y.axà ôf xl ï'/.axxov /.cd 7cl i-ilv ßuao-
X6Q0V, ni] Ôl CcG^ivéOX€Q0V.
505 XXXVI. E(p' ôoov oiv ijUlv ôvraxov }]v vceQÏ xrv vfWjOiv xov 7CSqI arpty-
jiitôi' ovvxây/iiaxog, xavta ovveiorivéyy.a.uev. xo ôè tv 7toLkoîg iÔLOXQ07Ccîrte(jov
urj y.ctxà xov I/iTto/.Qcéxrp' oxi §€V07CQ€7tèg /.ai f.irj Bûvr^d^eg y.axacpçovr^d^ifxoj.
a//à xfj TtQog xcc aXXa 7caQa^éo€L /.QiS^r/xw. êi ôé xig r^ y.ax aAoXovd^iav r-
'/.axci 7Co}.vvoiav y.çeixxova xiov rif.i€Qwv evQOi, avxôg fie ^Egaalorçarog çisxai
510 aei TtKéov veioxéçu 7ca'Kaiäg eîg avçeoir ôiôovg.
Tü.og xwv 7caQi acpayiicüv MaQ/.a/./.ivov.
507 Hippocrates de fracturis c. 1 t. III p. 414 Littré = t. II p. 40 Kuehlewein :
àÀP.à yàç TioÀÀàovTOj Tavrt^g r//ç zéyvriç y.QÎveTui. to yÙQ ^si'OTiQeTiÈg ovtioj avviévzeg el
XQtjoTÔv y.al fiùÀÀov iTiaivéovmv /" to avvrjd'eg (Laur. 47,7 et Marc. 269; ^vv^&eç
Vatic. 276), 3 i[ôii oiôauii' on '/Qi-iOTov, y.al to àÂÀÔKOTov ^uàÀAov ^ rô eijôtjÀov.
495 TTaçaôeiyfiaTi YP 496 i)Qoq>iAîoig VF (paalv P 497 fivaovçyov VP
498 ôs] f. Te 498 ôqùtui ex ôçàa^ai fec. P 501 ô' om. P 509 ijfie<TépQO)v
Makler probabililer 510 à . . TTÀéov V del 7i?Jov P veoi .... uaP.aiàg V veoneQ . .
jiaÀai . . P ôiôovg om. P 511 TÙtv om. P uaQKsÀÀivov VP.
Nachträg"e.
s. 452 t. : Der Aufsatz von Photiadis Tieçl zTjg ôiy.aatiy.fjg y.Àe^vÔQag {'A&i]và
XVI (Athen 1904) 52], auf den mich H. Diels gütigst hingewiesen hat, ist mir nicht
zugänglich.
S. 4.55 ff. : Cod. ßononiensis 36.^2. von dem ich während der Korrektur durch
H. Rabe's Güte eine Kollation erhalte, ergibt folgende Verbes.serungen : Z. 1 3[açy.e-
À^vov Tieçl acpvyiiojv (bestätigt den Xamen Maçy.sÀÀlvog) '6 zig y.al ^éy^Qi tov lônoTrfV
(also r. X. u. TÔJV iôiojTÔJv) 4 y.al Siöti xo 7i()ùyiia\y\ \ 6 àiâ xai (also te) y. \ 7 ôy.vôj
Àéyeiv iiï ietwa fiîj ob?) ajiavîog ye Tilg (also OTTÛviôg yé ttg) | 28 evôvriOTOv (verstärkt
Wahrscheinlichkeit meines Vorschlags; möglich auch evôvriTov) ; 41 ^vii(pd)vo) zai y.al
ôiacpûvoi (bestätigt meine Ergänzung) 4.3 àTzoQQvxoj ßQayvP.oyia (vieil, richtig: à:ioQ-
çvTq} ßcayvÄoyia ajhtenti breviloqiientia ? denn ànoQtjriTio scheint unpassend 64 f. Xetito-
liÉQiav al'fiaTog èy.ij (also Äe7TT0fieQeiai> aifiuTog, èTiel) 118 tovto tö ay.alua icaQ. (also
xovTO TO ay.éuiia) 148 àyoivîo) ôè to aytiiiazt] (vieil, ayoyvuo Se' to) ayt',ttaTc) ' 290
earrjv (also sotiv) ôè y.al oze ^léye&og (bewahrt vieil, die richtige Wortstellung) i .303
afvyiiôg éoTi y.az àoyàg (wobl richtig) .380 dg äv nQoaiuévovTa lalso Cog àv .Tpoa;;-
fAaivovTa) 452 y.u&â.-reç y.vy.Àov (also même Deutung des Kompendiums, y.vxÀMP, Itestatigt i.
AiyipLOZ 45. 71.
'ÄQ'/jyevrß . . iv iio IIeqI acpvyfiojv
]3ißZup 28 1 . 'ÂQ'/jyévei 81.
'Aç/jyéveioi 357. 'ÄQXiyevEioic. 6l\.
'Aay./.rjTCLdô i]ç, èv tco ITeçl àvujivofiç,
aviov GvvTÛyfiaTi 79.
Baxx^log à 'HçiKfi/.eioç 74.
'EçaoloTçaTog 45. 71. 286. tV toiq
IleQi nvQETOJV 243. 509. 'Eçaoï-
orQCCTOv 242. 249.
o'EQvd-Qaïog 'HQay./,eiôi]Z~ih. lov'Eov-
d-Q<aî>ov (näml. 'HQaxÂEtôrjv) 12.
"HyfiTùiç 73.
o'EQvd-QCiîog 'HQuyJMôi]z 75. (vgl. 12.)
ibv TuQUvùvov 'HQuy.ÀEÎôijv 15.
^Hçôcpi/^OQ 255. 429. 'HQoq)iÀov 254.
^HqÔ(pl?.ov 261.
Bay.xEÎoç o "HçocplÂEioz 74. "Hqoffi-
ÂEioiv 12. 'HçocfiÂEioig 371. 496.
"iTiTioyçÛTr^z 71. 355. 'I:n:7i<>y.Qdzovg
46. 48. 57. 275. ^iTiTioyçûxEi 33.
279. 'IjiJioxQCCTriv 276. 507.
Zitate: faus verlorener Schrift?) 19.
(II HO Littré) 54.
(III 272 L.) 50—52.
an 414 L.) 507.
(V 158 L.) 277.
(V 510 oder IX 1 L.) 54.
(V 588 L.) 55.
(VI 90 L.) 28.
(èv tQ JJeql kßooficioov VIII
636 und IX 436 L.) 356.
.1 vyy.Éù)g 21 .
Namenverzeichnis
(nach den durchgezählten Zeilen des Textes)
2IaQy.EÀ/Jvov 1. 511. vgl. f/filv 431.
Tàn> 7ia?Mi(x}v 232.
Uça^ayoçag 283.
Ol TlQOyEVÊGTEQOl 414.
Tov TaQavTivov 'NçuxÀeiôr^v 15.
0ÛÏVOV 15.
XpvGi.T.'ioc 45. 71. 235. XqvoItitiov 234.
Über die älteren Definitionen des
Pulses (vgl. II. Schöne, Be Aristoxeni
IIeq) Ti^Q 'HQO(fi/.ov atoÉGEMQ Vihro terüo
dednio (Bonn» 1 893) und Geîlius XVIII
10) berichtet Markellinos cap. III z. T.
ungenau. Man vergleiche die Defini-
tionen des
Archigenes (Z. 81 f.) mit Galen VIII 754,
Asciepiades(Z.79f.)niitGalenVIII757f.,
Atbenœus (Z. 77 f.) mit Galen VIII 756,
Bacchius (Z. 74f.) mit Galen VIII 732,
Heraclides Erythr. (Z. 75 f.) mit Galen
VIII 743.
Die Anführung des Hegetor (Z. 73)
bestätigt meine Darlegung Apollonius
r. KUhim Einltg. S. XXV A. 45. Die
Pulsdefinition des Hegetor war m. W.
bisher unbekannt; Mark, hat sie viel-
leicht aus der doxographischen Über-
sicht im 7. Buche Ue^I r/Jc ^Hoocfi/.ov
UÎQÈGECÙZ von Heraclides v. Erythrae
(vgl. Galen VIII 746) direkt oder durch
pneumatische Vermittelungübeniommen,
deun gerade aus diesem Buche stammt
offenbar auch das Zitat des EQvd-Q<aI> og
Z. 12
Franz Krutters Bernauerdrama.
Von
Albert Geßler-
In meinem Basler Gymnasialprogranmi (1906) .,Ziir Dramaturgie
des Bernauerstoffes. Altes mid Neues" habe ich von drei schweizerischen
Bearbeitern der „Agnes Bernauer" berichtet: Gottfried Keller, Franz
Krutter (S. 15) und Arnold Ott (S. 16—22).
Von Kellers „Agnes Bernauer" wissen wir aus Briefen an Hermann
Hettner und an Emil Kuh. Jenem schrieb er am 15. Oktober 1853:')
„Ich werde expreß" — nämlich um die dramatischen „Verhunzer" Gott-
helfs zu ärgern — „eine , Agnes Bernauerin' machen und damit Hebbel
und Melchior Meyr zusammen attackieren." An Kuh heißt es am
6. Dezember 1874 :''^) „Einen , Herzog Albrecht' resp. , Agnes Bernauerin'
hatte ich in den fünfziger Jahren in Berlin ausgedacht, als Hebbel und
Melchior Meyr miteinander zumal darüberher gerieten. Ich hätte das
blühende Leben und das mörderische Eingreifen in die Exposition ver-
legt und dann das tragische Wüten des Sohnes gegen den Vater zum
Hauptinhalt des Trauerspiels gemacht." Schon in meinem Programm
habe ich darauf hingewiesen, daß sich Keller in der Grundauffassung
Hebbel nähert, d. h. er scheint mit richtigem dramatischem Feingefühle
gemerkt zu haben, daß Agnesens Schicksal nur traurig, nicht tragisch
ist, und darum hätte er es noch weiter zurückgedrängt als seine Vor-
gänger, nämlich in die „Exposition" hinein; sein Stück wäre darum ge-
wiß eher ein „Herzog Albrecht" als eine „Agnes Bernauer" geworden.
Dennoch scheint mir, wäre es wohl weniger auf Meyrs „Herzog Al-
brecht" als auf Hebbel herausgekommen. Jener nämlich l)ürdet einem
Intriganten die ganze Schuld am Zwiste zwischen dem Herzog Albrecht
und dessen Vater Herzo» Ernst auf, und wie dieser Bösewicht — der
1) Baechtold : Gottfried Kellers Leben. Seine Briefe und Tagebücher. II. S . 229.
2) Baechtold III. S. 172.
— 474 —
Kanzler Adelsreiter — entlarvt ist, findet die Versöhnung statt. Den
Tragiker Hebbel aber hatte gerade das tragische Verhältnis zwischen
Vater nnd Sohn gereizt: der Vater^ der Agnes töten muß, wenn das
Höhere, der Staat, das Dasein von Hunderttausenden, gerettet oder ge-
schützt werden soll ; der Sohn, dem das Liebste geraubt wird und der
nur schwer erkennt, daß er nicht im Widerstände beharren darf. Auch
hier erfolgt schließlich Versöhnung, aber von innen heraus, aus der Er-
kenntnis, daß jeder verzichten muß: Ernst auf Herrscherglück, Albrecht
auf Herzensglück, und daß sie in einer höhern Einheit, derjenigen der
Pflicht, das Glück Vieler zu schaffen, sich finden können. Keller nun
hätte aber auch Hebbel „attackiert". Ist es erlaubt, eine Vermutung zu
äußern, so darf sie sich wohl an das Wort „tragisches Wüten des
Sohnes gegen den Vater" anschließen und aus diesem den Schluß ziehen,
daß das „Wüten" des Sohnes gegen den Vater dem Sohne zum tragischen
Verhängnis hätte werden sollen, also ihn zum Tode geführt hätte, zum
Untergang im Kampfe mit dem Vater. Damit wäre — vielleicht ohne
Intrigantenkünste — auch ein echt tragischer Schluß gewonnen gewesen,
ähnlich demjenigen, den Otto Ludwig einmal geahnt hatte, als er erwog,
ob nicht Albrecht der Geliebten nachsterben solle. ^) „Tragisches Wüten''
ist dann allerdings nicht bloßes „Nachsterben," sondern, wie gesagt, eher
Untergang im Kampfe gegen den Vater. Damit hätte vielleicht (s. mein
Programm S. 15) Keller die Forderung Bulthaupts erfüllt: „Nur Albrechts
Tod im Rachekampf gegen die Mörder seines Weibes hätte das Werk ge-
endet, wie es enden mußte . . . Nur so wird jeder Macht ihr Recht, der
Staats kunst wie dem Herzen."^) Auch daß Keller sein geplantes Stück
ein „Trauerspiel" nennt, läßt darauf schließen, daß in seiner Idee das
„tragische Wüten'' Albrechts dessen Tod verursacht hätte. Da Keller
nichts aufgezeichnet hat, muß es bei diesen Vermutungen bleiben. Daß
er über Hebbel hinausgelangt wäre, darf man jedoch nach dem Wenigen,
was er dramatisch geleistet hat^), bezweifeln. Eines aber wird man ge-
wiß behaupten können : Keller hat den Bernauerstoff ernstlich bedacht ;
er scheint Hebbels und Meyrs Motivierungen und Ausführungen genau
geprüft zu haben und ist, ganz aus Eigenem, auf eine neue Lösung ge-
kommen. Das Spärhche, was wir über seinen Plan wissen, wird also
immer eine Etappe in der Entwicklung des Bernauerstoffes zum Bernauer-
drama bedeuten.
') .Julius Petii „Der Agnes Bernauerstoff im deutschen Drama; mit besonderer
Berücksichtigung von Otto Ludwigs handschriftlichem Nachlass". Diss. Rostock (Berlin,
Ullsteins Buchdruckerei 1892). S. 46.
2j Bulthaupt „Dramaturgie des Schauspiels" 4. Aufl. (1894) III. S. 155.
^) S. das Fragment „Thérèse" aus dem Jahre 1851. (G. Kellers Nachgelassene
Schriften und Dichtungen" Berlin 1893. S. 297 ft.)
— 475 —
V'iel sorgloser, aber niclit ungeschickt ist mit dem Stoffe der Solo-
thurner Franz. Knitter umgegangen, dessen Stück ich hei der Ab-
fassung meines Programms nur aus einer kurzen Probe hei Weher-
Honegger und aus einer Andeutung Honeggers kannte.') Seither hat
mir Prof. AValther von Arx in Solothurn, der mit einer Arbeit über
Franz Krutter beschäftigt ist, zwei Manuskrijjte der „Agnes Bernauer"
zugänglich gemacht, und es ist mir möglich, darzutun, wie der Solo-
thurner Jurist und Dichter mit dem Stoffe verfahren ist.
Vorher sei einiges über Franz Krutter mitgeteilt. Ich folge dabei
im Wesentlichen einer Arbeit, die ein Freund des Dichters, Alfred
Hartmann, im Jahre 1874 in der „Illustrierten Schweiz" hat erscheinen
lassen.-) Franz Krutter wurde aus angesehenem solothurnischem Patrizier-
geschlecht am 5. August 1807 geboren. Sein früh verstorbener Vater, ein
tüchtiger Geschäftsmann und insbesondere zur Zeit der Helvetik (1798 —
1803) ein geachteter Beamter, ließ ihm in den Stadtschulen — Primar-
und Mittelschule, Gymnasium und Lyceura — eine gute Bildung geben ;
ein junger Geistlicher war daneben sein Hauslehrer. Der Lyceums-
unterricht, der nach Jesuitenart den Zöglingen auf Grund lateinischer
Handbücher Philosophie, Physik und Mathematik beibrachte, sagte dem
begabten Jüngling nicht zu. Er flüchtete sich zu den deutschen Klas-
sikern und machte bald selbst Versuche im Dichten. Den etwa Zwanzig-
jährigen schickte dann der Vater nach München zum Rechtsstudium.
Aber mehr als das Jus nahmen die Kunstsammlungen, der Umgang mit
Freunden und das Theater den jungen Schweizer Aristokraten in An-
spruch. Möglicherweise hat er bei seinen häufigen Theaterbesuchen in
München einmal Törrings „Agnes Bernauerin" gesehen und hat im Be-
ginne der 1840er Jahre, als er an eigene dramatische Arbeiten ging,
sich dieses Stückes erinnert.
In München wurde Krutter Burschenschafter (Markomanne) und hat
in seiner Verbindung die ernst freiheitliche Richtung seines Lebens em-
pfangen. Unter den Dichtern, die er am meisten liebte, war Uhland der
höchst verehrte, und diesem nach hat er damals schon Balladen gedichtet.
Von München ging er nach Heidelberg, von da über Dresden, Prag und
Wien nach Paris. In der französischen Hauptstadt war einer seiner
1) „Die poetische Xationalliteratur der deutschen Schweiz. Musterstücke aus den
Dichtungen der l^esten schweizerischen Schriftsteller von Haller bis auf die Gegenwart.
Mit biographischen und kritischen Einleitungen." Band I — HI ( Glarus 1866 — 67) von
Robert AVeber, Bd. IV (Glarus 1876) von J. .1. Honegger. Cf. Band IV. S. 295) und .405-308.
^) „Die Illustrierte Schweiz." (Bern, .1. Dalp'sche Buchhandlung) IV. Jahrgang
S. 179-188. — Auch in Brummers ,.Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten
des 19. Jahrhunderts- (Leipzig. Reclam) findet sich eine Notiz über Krutter: lid. I S 350.
Einiges hat mir Prof. von Arx mündlich mitgeteilt.
— 476 —
Oheime schweizerischer Gesandter; er schloii sich aber nicht eng an
ihn an, wie ihm überhaupt Paris nicht sehr zusagte, sondern reiste
bald in die Schweiz zurück, nach Genf, und bildete sich da in der fran-
zösischen Sprache aus. Im Jahre 1830 trat er in die Kanzlei des solo-
thurnischen Appellationsgerichtes ein, um sich juristisch-praktisch zu
schulen. Nicht lange, und er wurde Appellationsgerichtsschreiber. Sein
Glücksstern ging auf : er dichtete, bald in seiner Kanzlei, bald in seinem
„Museum", einem in malerischer Unordnung gehaltenen heimeligen
Winkel im Hause seiner Mutter. Den andern galt er als Sonderling;
er lebte eben sein eigenes Leben, und an dieses, das innerlich so reich war,
wie es äußerlich unbedeutend schien, knüpfte er bald dasjenige einer
geliebten Frau, die Hartmann schildert als „ein Mädchen voll Anmut
und Liebreiz, von schier elfenhafter Zartheit, man hätte sagen mögen
aus Sonnengold, Aethcrblau und Rosenglut gewoben". Leider wurde ihm
die Gehebte nach kurzer Ehe entrissen ; er hat dann später ihre Schwester
geheiratet. Die Gedichte dieser Glückszeit, namentlich Balladen, brachte
der „Schweizerische Merkur", den Henne und Reithard herausgaben.
Krutter zeichnete nicht mit seinem eigenen Namen, sondern als „Valentin
Namelos". Im Jahre 1835 war er unter den Gründern des von Alfred Hart-
mann redigierten „Morgensterns, Zeitschrift für Literatur und Kritik,"
die allerdings nur einen einzigen Jahrgang (1836) erlebt hat. Krutter
schrieb für dieses Blatt „die Sage vom ungetreuen Sibich", eine novel-
listische Erzählung in Prosa, sowie eine Reihe von Skizzen, besonders
über Reisen, die er mit Freunden, Hammer (dem späteren Bundesrat,
f 1907) und Alfred Hartmann, gemacht hatte. Nochmals beteiligte er
sich an einem solchen Unternehmen; es war 1839 das von dem Solo-
thurner Martin Disteli und dem Basler Hieronymus Heß illustrierte,
von Krutter, Hartmann und Rektor Georg Schlatter redigierte literarische
Taschenbuch „Alpina". Aber nicht mehr Lyrik, Balladen und Prosa-
Erzählung nahmen nun sein Hauptinteresse in Anspruch, sondern das
Drama.
In Solothurn gab es ein Liebhabertheater, gut eingespielt und mit
höheren Ambitionen, wagte man sich doch sogar an Shakespeare und
an Gœthe ; Präsident war der Maler Disteli, der Rollen wie den Shylock
spielte. Für dieses Theater schrieb Krutter 1840 ein im Jahre 1841 auch
gedruckt erschienenes dramatisches Märchen „Salomon und Salomeh",
Tieckisch angehaucht, dem Stoffe nach dem Volksbuche von Salomon
und Markolf entnommen, reich an lustigen Episoden, darum ein Erfolg
der Solothurner Liebhaberbühne. — Einen Solothurner Dramatiker muß
aber vor allem ein „AVengi" locken ; Krutter schrieb ihn als „vaterlän-
disches Schauspiel" unter dem Titel „Schultheiß Wenge," zugleich aber
auch als Tendenzdrama ; denn aus den mit kräftigen Strichen gezeich-
— 477 —
neten Zwistigkeiten der Reformationszeit mit ihren religiösen und politischen
Schlagwörtern erkannte man leicht die gegen Jesuiten und Ultramontane
gerichteten Gesinnungen der Zeit vor dem Sonderbundskriege. Das
Stück wurde auf dem Solothurner „Stadttheater", der Bühne des ehe-
maligen Jesuitenkollegiums, verboten, damit nicht in der politisch aufge-
regten Zeit die Gegensätze sich noch verschärfen möchten. Gedruckt wurde
es 1845. Fast zu gleicher Zeit muß die am 12 Februar 1843 erstmals
aufgeführte „Agnes Bernauer" entstanden sein,^) von der unten eingehender
die Rede sein wird. Im Jahre 1846 veröffentlichte Krutter im ,. Solothurner
Wochenblatt'^ (S. 9 ff. leine Abhandlung über die Solothurner Dramatiker des
16. Jahrhunderts. Seine eigene dramatische Arbeit ruhte. — Da trat im
Jahre 1860 neben dem Ernst auch der Humor hervor in einem über-
mütigen Fastnachtsscherz .,Die Gasbraut", den Krutter mit drei Freunden.
Rektor Schlatter, Alfred Hartmann und Dr. med. Rud. Oskar Ziegler,
zusammen gearbeitet hatte. Das mutwillige Stückchen war zur Eröffnung
der Gasbeleuchtung in Solothurn geschrieben und stak voll von satirischen
Anspielungen; so richtete sich schon der Titel gegen ein kurz vorher
erschienenes Schauerdraraa „Die Barrikadenbraut'' von Xaver Amiet.
Das Ganze ist eine der gemütlichsten schweizerischen Gelegenheits-
dichtungen. Ihr Stil war der des „Postheiri'', des satirischen Wochen-
blattes, das viele Jahre hindurch in Solothurn erschienen ist. Xach
längerer Pause schrieb Krutter dann ein historisches Drama ,, Kaiser
Tiberius", das als Trilogie gedacht war, von der aber nur zwei Stückt
(„Der falsche Agrippa" und „Sejanus") gedichtet worden sind. Es ist
nie etwas davon aufgeführt worden, sondern Krutter hat nur einige
Szenen daraus in einem Rathausvortrage dargeboten. Es überraschte
durch die Parteinahme für Tiberius und war eine Art Ehrenrettung;
dies befremdet uns heute weniger als jene Zeit, die noch in dem ziel-
bewußten, strengen und harten Mehrer des Reiches nur einen wahn-
sinnigen Tyrannen und Wollüstling sah, — Von der römischen Geschichte
wandte sich Krutter zur schweizerischen und schrieb die „vaterlän-
dische Staatsaktion" (d. i. ein politisches Drama) „Samuel Henzi oder der
Bürgerlärmen in Bern" (als Manuskript für die Bühne gedruckt Solothurn
1868). Es stehen sich da zwei edle Männer gegenüber: der Idealist Henzi,
Dichter, Philosoph und — Yerschwörer gegen das patrizische Regiment
in Bern, und der Schultheiß Steiger als Vertreter der historischen Staats-
idee. Diese siegt. Henzi fällt; aber Steiger muß ihn achten. Schon Lessing
hatte den zu seiner Zeit (1749) aktuellen Stoff' angefaßt, doch sein Werk
blieb Fragment; Krutters Stück aber ist vollendet.-) Sein letztes Drama
1) Protokoll der Liebhabertheater-Gesellschaft.
2) Der Stotf scheint damals in der Luft gelegen zu haben: denn 1867 war des
Baslers Theodor Meyer-Merian Trauerspiel .,Sanuiel Henzi" erschienen.
— 478 —
war das Trauerspiel „Julian und Francesco'', eine Tragödie der Freund-
schaft, geschöpft aus der Üorentinischen Geschichte des Jahres 1478,
wo die Pazzi die Medici zu stürzen versuchten und Giuliano Medici unter
den Dolchen der Pazzi fiel. Bei Krutter sind Julian Medici und Francesco
Pazzi Freunde, und das Verhängnis will's, daß dieser des Julian Mörder
wird. Es herrscht die Intrigue in dem Stück, dazu viel Mißverständnis,
und es ist wohl nicht so ganz zu Unrecht verschollen, wie Hartmann
meint, wenn er nach Mitteilung der letzten Szene sagt : „Dieses Trauerspiel
Krutters ist dem Besten ebenbürtig, was das deutsche Drama der neueren
Zeit aufweisen kannJ) Und dennoch hat keine große Bühne davon Notiz ge-
nommen. Es ging ein oder zweimal auf einem kleinen Liebhabertheater
über die Bretter und ward dann begraben. Warum ? Weil der Dichter
keiner Koterie, keiner Kameraderie angehörte."-)
Krutter hat die Dichtkunst immer nur als „Diletto"' betrieben,
ohne daß er deswegen Dilettant im gewöhnlichen Sinne wäre. — Er blieb
Obergerichtsschreiber, blieb es lange, bis er endlich zum Richter auf-
rückte. „Aber," sagt Hartmann — und es kann das nur ein naturali-
sierter Solothurner wie er so gerade heraussagen — „die hochgehende
Welle eines politischen Sturms in jenem Glase Wasser, welches den
geographischen Namen Solothurn trägt, spülte ihn eines kühlen Morgens
von dieser ehrenhaften ßuhestelle hinunter." Er wurde dann jVIitglied
des KJriminalgerichtes (1856), auch des Schwurgerichtes und war Sup-
pléant am Obergericht. Politisch war er gemäßigter Liberaler, als Per-
sönlichkeit furchtlos, offen und wahr, ein ganzer Mann. Er starb am
15. November 1873.
Nun seine „Agnes Bernauer-'.
Es ist oben von zwei Manuskripten die Rede gewesen. Das eine
gibt das Stück so, wie es kurz vor der ersten Aufführung des Jahres 1843
gedichtet worden sein wird. Bei der Aufführung im Liebhabertheater hat
dann Krutter erkannt, wo sein Werk an Längen litt und hat, als am
15. Juli 1849 zum eidgenössischen Musikfeste das Drama nochmals ge-
geben wurde, die zweite verbesserte Redaktion hergestellt ; nach dieser
zitiere ich.-^j
Krutter hat sich dabei sehr wahrscheinlich an gar keine Vorbilder
gehalten; es wäre auch im Jahre 1842/43 höchstens der alte Graf Törring
mit seinem guten „vaterländischen Trauerspiel" : „Agnes Bernauerin"*) in
1) Für das Jahr 1874, da Hartmann so schreibt, mag dieses Urteil nicht ganz ein-
seitig sein; außer Wilbrandt (.,Arria und Messalina" 1874; und Anzengruber („Der
Meineidbauer" 1871) produzierten da die Lindner. l'Arronge und Moser.
3) £s ist übrigens nicht einmal als Bühuenmanuskript gedruckt worden.
•*j Eine dritte Aufführung fand 1880 statt.
*) München 1780 fabgedruckt in Kürschners ., Deutscher Xat.-Lit." Bd. 138 ed.
Ad. Hauffen).
— 47Î) —
Frage gekommen, und dessen AVerk dürfte, wie oben gesagt, der Solo-
thurner Dichter einmal gesehen haben, aber ohne daß Anlehnungen zu
erkennen wären. Er dramatisierte ganz einfach die Geschichte, wie er
sie fand') und wollte nicht mehr geben als ein bewegliches Theaterstück;
allerdings haben dann auch die tieferen Charakterprobleme sein Interesse
geweckt.
Sehen wir das Stück genauer an. Es ist in Versen, stellenweise
schwungvollen fünffülMgen Jamben geschrieben und beginnt in Augsburg
in der Nacht nach dem Turnier, an dem Herzog Albrecht teilgenommen
hat. An einer abgelegenen Stelle der Festwiese treffen wir Agnes und
ihren Vater, den Bader.-) Er haßt die Adligen, fühlt sich geistig ihnen
überlegen :
,.Sie können manches ritterliche Hirn
Und manch Prälatenhirn zusammenkneten,
Bis eins draus wird, wie es ein Arzt,
Ein ßader, heißt es — braucht."
So poltert er ; Agnes hört nicht hin, sondern erzählt naiv beglückt,
daß der junge Herzog sie, die doch unter dem gemeinen Volke gewesen sei,
gegrüßt habe ; ja schon am Sonntag habe er ihr am Kirchenportal etwas
zugeflüstert, aber sie habe vor Angst nicht verstanden. Der Alte ist stolz :
„Das aber tut dem alten Kaspar wohl.
Wenn jene stolzen Mächtigen der Erde,
Die Alles, Alles, außer Mond und Sternen
Füiv käuflich achten, bei dem Bettler betteln
Und dann gesteheu müssen : einen Schatz,
Wonach ihr Wunsch vergeblich ringt und trachtet.
Besitzt der Bettler, den sie schnöd verachtet."
Sie gehen ab, Ritter treten heran, Hans und Perzival Zenger,
Junker Georg. Hans Zenger beklagt das Verschwinden der guten alten
Kleidertracht, mit ihr schwänden auch Treue und Tugend.^) Der Herzog
tritt hinzu, im Gespräche mit dem Stadtschreiber ; auch dieser läßt —
wie Kaspar Bernauer — Bürgerstolz blicken. Albrecht erzählt den
Rittern zornig, daß ihm die Braut, Elisabeth von Württemberg, mit dem
Werdenberger durchgegangen sei. Mun kommt ein feiner Zug; Perzival sagt :
„Ihn trieb der Liebe süsse Allgewalt'',
und Albrecht antwortet:
„Das habt Ihr aus den welschen Ritterbüchern!
Der Liebe Allgewalt und Heldenmut,
1) Bei F. .1. Lipowsky „Agnes ßeruauerinn" (München 1801).
2) In der ersten Fassung spielt diese erste Szene zu Hause.
ä) Dies wohl eine Anspielung auf schweizerische Verhältnisse.
— 480 —
Verrücktheit gar aus Liehe kömmt in Liedern,
Doch nicht im Leben vor."
Und weiter:
„Straf mich der Himmel, wenn ich je ein Weib
Aus Absicht auf Verehlichung entführe."
Er will den Werdenberger zum Zweikampfe fordern. Da sieht er
Agnes, die mit ihrer Muhme den Platz wieder betreten hat. Er geht
auf das schöne Mädchen zu und führt es, obgleich es widerstrebt,
zum Tanzplatze. Bürger ziehen vorbei und schelten auf die Patrizier
und die Beamten der Stadt, die 's gar zu bunt trieben-, zu ihnen gesellt
sich, unerkannt, Ruprecht, ein reicher Bürgerssohn, dem die Liebe zur
Bernauerin den Kopf verrückt hatte, so daß er schon vor geraumer Zeit
davongegangen war. xAber seine Leidenschaft hat ihn wieder nach
Augsburg gezogen, und nun muß er erfahren, daß der junge Herzog die
schöne Agnes verführen will. Mit ihr tritt Albrecht zu den Tischen ; seine
glühenden Beden ängstigen sie ; sie enteilt. Er freut sich halb über den
Mißerfolg seiner Versuche dieser Reinheit und Schönheit gegenüber . . .
ihn verlangt nach Einsamkeit. — Am Morgen streicht er um Bernauers
Haus ; Hans Zenger macht ihm Vorwürfe, daß er das Kind habe ver-
führen wollen. Agnes geht mit der Muhme vorbei zur Kirche-, sie
bekennt der Begleiterin, wie schwer es ihr falle, daß sie mit dem Herzog
getanzt und seine Reden angehört habe, und doch müsse sie ihm alles
verzeihen. Da tritt Albrecht heran und spricht von Reue und — Liebe.
Zenger und die Muhme tadeln ihn, weil er neue Umstrickungsversuche
mache. Da steckt der Herzog dem Mädchen seinen Ring an einen Finger
und will sie gleich zur Trauung führen : Haus und die Muhme sollen
Zeugen sein. Zenger will nicht widersprechen : er kennt Albrechts un-
beugsamen Sinn; aber — er fürchtet die Folgen so raschen Handelns.
— In der nächsten Szene tritt Ruprecht in Bernauers Wohnung und
bittet den Bader abermals um Agnesens Hand ; er wird als zu vornehm
abgewiesen, auch wie er nachweist, daß er in die Bürgerlichkeit hinunter-
gestiegen, d. h. zu Salerno Arzt geworden sei. Xur ein Bader, ein
„verachteter Bader" soll Bernauers Kind heimführen. Ruprecht will ein
Bader werden, um der Liebe willen. Das rührt den harten Bürgersmann ;
er will die Tochter Ruprecht geben, wenn es diesem gelinge, ihre
Liebe zu gewinnen. Da kommt die Muhme zurück mit dem Geheimnis
vom hohen Glücke der Nichte. Sie kann's nicht verhalten: Agnes ist
Albrechts Gattin. Ruprecht ist niedergeschmettert. Kaspar Bernauer
nennt die Muhme eine Kupplerin und verflucht die Tochter.
Der erste Akt hat viel lebendige Bewegung. Die Exposition ist
ganz natürlich aus der Situation und — was die Hauptsache ist — aus
— 481 _
den Charakteren heraus entwickelt ; sie ist also echt dramatisch. Alhrecht,
der zuerst einfach verführen will, dann auf dieselbe Weise, die er kurz
vorher verhöhnt hat, von der Liehe erfaüt wird, ist glaublich motiviert,
übrigens auch aus Zengers Bemerkung heraus, die uns deu unbeugsamen
AVillen des jungen Fürsten erkennen läßt. Der Adelshaß des alten
Bernauer ist das Ressentiment des lange Verachteten gegen die Ver-
ächter: man sieht das Bürgertum sich emporheben. Ruprecht ist ver-
ständlich, wenn auch nicht als notwendig eingeführt; er hat eine Art
Parallelfigur in jenem Raimund, der in Otto Ludwigs erstem Bernauer-
Entwurfe „Der Liebe Verklärung" aus den Jahren 1835—1840 „»Studien
und Aussichten hingegeben hat, um den Badersack zu tragen". Die
Entwicklung ist dann allerdings eine ganz andere : Agnes liebt Ruprecht
nicht wieder, und ihre „Schuld", wenn Krutter überhaupt eine annimmt.
liegt nicht hier.
Im zweiten Akte sind wir in Vohburg und treffen Agnes und
Albrecht im Liebesgespräche. Agnes bittet den Gemahl, der Einladung
seines Vaters zum Turnier in Regensburg Folge zu leisten, damit nicht
die Ritter sagen, seine Frau habe ihm den Edelsinn gelähmt ; sie fühlt
sich nämlich — in aller Demut zwar — als Rittersfrau ; in ihrer Seelen-
größe möchte sie auch nicht, daß Albrecht seinen Vater, „den guten
Greis", durch Fernbleiben betrübe. Albrecht gibt ihr nach :
„Ich geh nach Regensburg, doch leichter war mir's
Beim Sturm auf der Hussiten Schwerterwagen,
Die mörderischen, als bei diesem Ritt. —
Sei dies Gefühl nicht üble Vorbedeutung!"
Zur Muhme, die Albrecht wegen seines Weggangs tadeln will, sagt
Agnes dann, sie habe ihn auch weggeschickt,
„daß er der Liebe Kelch
Xicht raschen Zugs bis auf die Neige schlürfe
Und dann der Ehe lästig Band verwünsche."
Gleich darauf wird ihr jedoch das Herz schwer. Da kommt ihr
Vater; sie fleht ihn an, den Fluch zurückzunehmen, den er über sie
ausgesprochen hat. Kaspar Bernauer aber nennt Albrecht immer noch
Verführer, Agnesens Ehe mit ihm eine Buhlschaft; der junge Herzog
werde Gemahl bleiben,
„so lang die Lust
In seinem Blute braust. Dann wird er sich
Zu helfen wissen, mit BewiUigung
Des römischen Stuhles und der Reichsgesetze
Die mißgeborne Herzogin entlassen."
Sie solle, meint er, die sträfliche Verbindung einfach zerreißen und
mit ihm heimkehren. Agnes aber will dem Gatten treu bleiben. Der
81
— 482 —
alte Vater verzweifelt. — Die zweite Szene bringt das Turnier zu
Regensburg. Wir sehen Herzog Ernst ; er meint, Albrecht schäme sich
des Skandals der Württembergerin mit dem Grafen von Werdenberg
und habe sich darum so lange nicht vor dem Vater gezeigt. Albrecht
selbst nennt sich uuvermählt. Da wird der Augsburger Patrizier Junker
Georg von den Schranken gewiesen, weil er nicht turnierfähig sei ;
Perzival Zenger bürgt jedoch für Georgs Rittertum. Dieser höhnt,
man halte sonst die alten Satzungen nicht so peinlich, da man zum
Exempel keinem mehr wegen einer Buhlschaft die Schranken schließe.
Das bringt Ernst und die Ritter auf: Georg muß den nennen, den er
meint ;
„Wo nicht," ruft Ernst,
„so bricht der Herold Euern Schild
Und treibt mit Schlägen Euch aus diesem Kreise!"
Da macht Georg kund, daß Albrecht die Baderstochter Agnes
Bernauer auf der Yohburg als Buhlerin halte. Auf dieses hin weist der
Herold den Herzogssohn aus den Schranken. Ernst ist wütend; er werde,
schnaubt er, den Sohn enterben. Nun bekennt Albrecht, daß Agne&
seine Gattin sei. Ernst will das Schwert ziehen.
A Ihr echt: .... „Ihr wart mein Vater,
Ihr wart mein Retter in der Schlacht bei Alling.
Xun Inn ich Dankes quitt. Ihr seid mein Todfeind!
Nach Straubing führ' ich meine Herzogin,
Und wer verweigert, ihr zu huldigen,
Dem sag' ich Fehde an auf Tod und Leben,
Und Fehde jedem, welcher hier furniert!''
Der II. Akt gelangt leicht und natürlich auf die Höhe des Turniers-
und der Absage des Sohnes an den Vater, sowie des Zornes Ernsts
über Albrechts Verbindung. Angenehm berührt es, daß Krutter, unab-
hängig von J. A. von Törring, die Turnierszene lebendig zu gestalten ver-
mocht hat ; er braucht keinen Vizedom, der Albrecht beleidigt. Seltsam
ist nur, daß dieser sich unverheiratet nennt; das ist etwas wie Charakter-
schwäche. Ebenso hat Agnes eine Anwandlung von Eitelkeit gehabt,
in den zwar gleich nachher wieder bereuten Worten : „Daß er der
Liebe Kelch nicht raschen Zugs bis auf die Neige schlürfe und dann der
Ehe lästig Band verwünsche." Das ist ein Augenblick des Zweifels.
Man könnte hier von Ansätzen zu „Schuld" im ßühnensinne sprechen,
d.h. von Einbußen der Persönlichkeit; aber es sind Schwankungen der
Stimmung. Das Tiefere : in Albrecht die Wahrhaftigkeit des Empfindens,
in Agnes die Echtheit der Liebe, wird nicht berührt. Krutter scheint
oberflächliche Mittel zu verschmähen.
— 488 —
Der m. Akt spielt in Straubing. Albrechts Vasallen haben eben
der Herzogin Agnes gehuldigt. Albrecht will fort nach Ingolstadt zu
Ernsts Feind Ludwig. Agnes möchte ihn zurückhalten ; sie will nicht,
daß ihr Name Kampflosung werde.
Albrecht: ,.Sie wollen dich von meinem Herzen reißen;
Ich will dich schützen gegen eine Welt !
So wie für dich steh ich für Recht und Freiheft.
Das Land kann heftiger nicht bluten als mein Herz. ')
Agnes, leb wohl! — Zu Pferde, Perzival!"
Perzival Zenger tröstet Agnes, Vater und Sohn seien aufbrausende
Trotzköpfe, aber am Ende werde alles gut werden. Sie reiten. Agnes,
allein, betet : sie weiß sich rein, rein auch vom Streben nach eitler welt-
licher Ehre ; ihre einzige Sünde sei die Liebe,
^und dies Gefühl kann nimmer Sünde sein
Es kommt von dir ja, Vater . . . ."
Dann aber zeigt sich ihr doch auch die selbstische Seite :
„Wehe mir !
Verkehrt sich mir in Frevel das Gebet.
Daß ich im Rausche selbstischen Entzückens
Der Welt Gesetz und Pflicht und Schranken brach,
Des besten Vaters liebsten Wunsch vergiftet . . .
Das war' des Himmels Werk ? — Vermessen Weib !"
Schließlich jedoch traut sie sich selbst und ihrem Gefühle wieder:
„Und war' es Sünde, was ich tat, ich kann
Sie nicht bereun. Was hülf auch Reue ?
Gefällt es dir, mich prüfend heimzusuchen.
In Demut, Herr, erwart' ich deine Hand.
Ihn aber, Herr, errette vom Verderben
Und führ' ihn aus der schrecklichen Versuchung,
Die ihn mit Höllennetzen will umgarnen !
Bedarf es eines Opfers, sieh mein Haupt !
Dies sei der Lohn, die Strafe meiner Liebe."
Dann kommt eine reizvoll poetische Szene.
Muhme: . . . Du willst beten, Kind;
Ich will zur Schloßkapelle dich geleiten.
1) Dieser Vers mit seinem überzähligen Jambus stand in der ersten Fassung
nach den zwei (später ausgelassenen) Zeilen :
..Drum wenn mein Land bei meinem Sieg gewinnt,
So mag es auch bei meinem Kampfe dulden;"
darauf hieß es :
„Nicht heft'ger kann es bluten als mein Herz".
Das ist ungeschickt durch den oben zitierten jambischen Sechsfuß ersetzt.
— 484 —
Agnes: leb habe sebon gel)etet.
Mubme: Hier im Saal?
Wer kann bier beten, wo nicbts Heibges
Das Herz zur Andacbt stimmt, die Pracbt der Welt
Das Auge fesselt und den Sinn zerstreut,
leb könnte bier nicbt beten.
Agnes: Traurigkeit
Kann's überall."
Sie bittet darauf den Ritter Hans Zenger, ihr für den Fall ibres
Sterbens ein Grab bei den Karmelitern zu bestellen ; die Mubme meint,
das sei ihres Amtes und geht. Trübe Ahnungen beklemmen Agnesens
Herz ; auch der Tag ist trübe. Da kommt Ruprecht, um ihr zu sagen,
wie sehr er sie verachte und daß er wisse, ihr Glück mit Albrecht sei
eine Lüge. Agnes weist ihn sanft, doch bestimmt ab und sagt ihm dazu,
sie wäre nie, auch wenn sie ihn geliebt hätte, die seine geworden, da
er mit dem Aufgeben seines Standes sich als Schwächling gezeigt habe ;
ein Mann von Mut wage es,
.... „die Geliebte zu erbeben ;
Doch zu der Gattin Stand herabzusteigen,
Das ist ein Opfer feiger Schwäche nur."
Ruprecht muß das zugestehen und geht. Agnes gibt ihm zum Ab-
schied eine Kette. Dann versinkt sie wieder in Gedanken :
„Ist meine Ehe nicht ein Bleigewicht
An Albrecbts Schwinge, das den Flug ihm hemmt ?"
Ihre Angst steigt : Die Muhme kehrt nicht zurück vom Karmeliter-
kloster; man solle ihr Geleit entgegensenden, fordert Agnes von Ritter
Hans. Da kommt Ruprecht wieder und meldet, daß gewaffnetes Volk
die Burg umschleiche. Zwei Herren von München begehren Einlaß •, sie
halten Hans Zenger durch ein Gespräch auf. Unterdessen dringen Be-
waffnete ein ; Zenger ficht mit den Rittern. Agnes tritt hinzu und
wünscht Frieden ; die Ritter beschimpfen sie. Ruprecht droht ihnen den
Tod an. Da erscheint Herzog Ernst und erklärt Agnes und den Ritter
Zenger für gefangen ; Ruprecht wird weggewiesen.
Auch in diesem dritten Akte steigt die Handlung noch echt drama-
tisch an ; außerdem gewährt er Einblicke in Agnesens Charakter.
Sie ist rein -, dennoch liegt ein Tragisches in ihr : sie muß ihrer
Individuabtät folgen, die sie den Herzogssohn lieben heißt. Sie weiß,
daß sie sich damit in Gegensatz zum Vater des Gatten und zur Welt, d. b.
zum bayrischen Staate, setzt ; aber sie muß verharren, obschon sie ahnt,
daß die widerstrebenden Gewalten mächtiger sein werden als ihre Liebe.
Doch diese gibt ihr Kraft, auszuharren, ja den Tod zu leiden, wenn
— 485 -
nur Albrecht nicht ins Verderben stürzt. Krutters Agnes ist also nicht
nur die stille liebende Dulderin ; sie hat Charakterstärke und zeigt sie
deutlich auch in der Art, wie sie an Ruprecht die Schwäche tadelt, die
er mit seinem Standeswechsel gezeigt habe. Sie ist ein wtmig Virago,
nicht ohne Anlehnung — das dürfte ihr oben zitiertes Gebet gezeigt
haben — an Schillers „Jungfrau von Orleans". Sie bleibt aber dabei
schlicht, und die Szene mit der Muhme webt einen poetischen Duft um
sie 5 nicht die Strahlenkrone der Johanna d'Arc, sondern einen eigen-
artigen zarten Lichtkranz. Mau wird auch gerade daraus in Krutter
den über den Dilettantismus hinausragenden Dichter erkennen. Ferner
ist die Knappheit der Sprache, die wohl dann und wann an Schiller und
Shakespeare anklingt, aber doch sich frei hält vom Schwulste der
Schillerepigonen — im Jahre 1348 bezw. 1849! — eine nicht zu unter-
schätzende Eigenschaft des Solothurner Dramatikers.
Der IV. Akt zeigt uns Agnes im Kerker. Sie hat nur Angst
um die Muhme ; für sich fürchtet sie nicht ; sie ist einfach auf das
Schlimmste gefaßt. Die Richter kommen, ihr das wegen Bezauberung
Albrechts gefällte Urteil zu bringen. Sie anerkennt es im vornherein nicht:
.... „Baierns Herzogin
Kennt keinen andern Richthof über sich
Als Deutschlands Fürsten, unter Kaisers Vorsitz."
Da wird ihr zugemutet, sie solle freiwillig den Ehebund mit
Albrecht lösen :
„Rein muß das Blut in Fürstenadern kreisen,
Und wie der leise Hauch der Ketzerei
Den Strahl der Gnade trübt in Christenherzen,
So macht die standeswidrige Verbindung
Den blanken Glanz des Seelenadels rosten
Und tilgt die Achtung, die dem Herrscher ziemt."
So sagt man ihr. Sie werde, heißt es weiter, wenn sie in die
Trennung willige, von Herzog Ernst außer Landes versorgt und wie
ein Edelfräulein gehalten werden. Agnes empfindet deutlich den "Wider-
spruch zwischen der Anklage auf Zauberei und diesem Anerbieten, und
sie antwortet :
„Nun spricht mich Euer Autrag selber frei.
Die heuchlerische Klage fällt zusammen ;
Mein ganz Verbrechen ist ein Ehebund,
Geschlossen nach der Kirche heil'gen Bräuchen."
Sie will Albrecht und dem Himmel den Eid halten, selbst
„wenn Albrechts Liebe —
Verzeih, mein Gatte diese Lästerung —
— 486 —
Wenn Albrecbts Liebe sieb in Haß verkebrte;
Wenn er micb von sieb triebe, sterben könnt icb
Ob solchem Jammer, aber nie ihn lassen !"
Da liest man ihr das Urteil : Tod durch Ertränktwerden. Agnes
bleibt' ruhig : Noch lebt ihr Gatte, und noch lebt Gott, um Rechenschaft
zu fordern. Der Prior der Karmeliter, der mit den Richtern gekommen
ist, mahnt sie zur Vorbereitung aufs Sterben, statt Rachegedanken nach-
zuhängen. Sie gehen in die Kapelle. Die Freiknechte bleiben zurück-,
als solcher hat sich auch Ruprecht anwerben lassen. Ein Genosse
meint zu ihm, Agnes werde sich wohl aufs Hexen verstehen, darum
fürchte sie das kalte Donaubad nicht. • Agnes kommt zurück ; sie bittet
den Prior, der sie voll christlicher Ergebung gefunden hat, er solle
Albrecht raten, zu verzeihen, wie sie verzeihe ; auch ihren Vater solle
er trösten. Da fällt Ruprecht sie mit wahnsinniger Leidenschaft an :
Er, Henkersknecht, will sie zum Weibe begehren. Das dürfe man ihm
nach Gesetz und Recht nicht weigern.^) Wenn sie ihm übergeben werde,
wolle er entsagen und sie in ein Kloster führen; er selbst werde
Kartäuser werden ; Agnes verwirft dies als Lüge gegen Gott und gegen
Albrecht, verwirft, trotzdem sogar der Prior wankt. Der Henker kommt;
Ruprecht wird aufgefordert, die Gefangene zu bringen ; da reißt er das
Freimannskleid ab und stürzt fort.
Wächter: „Den hat sie auch behext!"
Sogar der IV. Akt bringt noch lebensvolle Entwicklung. Wenn
auch Krutter auf die eigentliche Gerichtsszene verzichtet hat, ihr Nach-
klang im Kerker ist noch stark genug, um das Interesse zu fesseln,
umso mehr, als Agnes sich dabei wirklich groß zeigt. Die dann,
themagemäß, schnell und tief sinkende Handlung, wird durch Ruprecht
nochmals aufgehalten. Auch die Versöhnung Albrechts mit dem
Vater wird vorbereitet, schwächlich allerdings ; denn ein so leicht
entflammbarer, in Liebe und Haß so leidenschaftlicher Mensch wie
Albrecht wird sich in Wirklichkeit kaum durch des Priors Hinweis be-
stimmen lassen, zu verzeihen, weil Agnes darum bitte und weil auch
sie verziehen habe. Krutter besinnt sich dann auch anders. Sehen
wir zu.
1) Dieser Zug geht auf eine Stelle zurück, die der sehr belesene Krutter wohl gerade
in Melchior Schulers „Taten und Sitten der Eidgenossen" (1842) gefunden hatte. Es
heißt dort (III, 469) : „Der Rat (von Solothurn) verurteilte 1()32 eine Kindsmörderin
zum Tode. Da bot sich ein junger Mann von Regensburg an, sie zu heiraten. Nach
uralter Sitte ward ihr nun, auf F'ürbitte der Geistlichkeit, das Leben geschenkt. Das
Paar ward auf dem Rathaus getraut und dann auf ewig verwiesen.'' Mitteilung von Prof.
von Arx. Zu vgl. auch Bsechtold „G. Kellers Leben" III S. 42 f. zu „Dietegen", für
den Keller aus derselben Quelle geschöijft hat.
— 487 —
Der V. Akt beginnt am Donauufer. unterhalb Straubinj;. Agnesens
Leiche ist aufgebahrt ; der Karmeliterprior und Vater Kaspar Bernauer
sind dabei, dieser voll Schmerz über die Strafe, die den Ungehorsam
getrofteu habe ; al)er er findet, sie sei gerecht. Albrecht kommt mit
Ludwig von Bayern-Ingolstadt ; jener sieht die Leiche der Gattin.
Kaspar Bernauer weist ihn weg ; da sinkt Albrecht ohnmächtig nieder.
In diesem Augenblick erkennt der alte Augsburger Adelsfeind, daß
Albrechts Liebe echt gewesen sei ; sein eigenes Leben hingegen habe
nur den Haß gekannt ; der Tod seines Kindes sei die Strafe dafür. Er
geht. Albrecht kommt zu sich und — rast. Der Prior mahnt zur Demut.
Albrecht will sich bemeistern ; da erst erfährt er, daß sein Vater Ernst
ihm die Gattin habe töten lassen. Nun schwört er fürchterliche Rache :
„Auf Münchens Trümmerhaufen will ich stehn! . . .'j
. . . Jetzt will ich handeln, rasen, rächen, strafen!"
Ernst soll vor ihm im Staube liegen.
Die zweite Szene geht im Schlosse zu Straubing vor sich. Ernst
bedauert den Ausgang :
„Was ihr erzählt von ihrem frommen Ende.
Hat mich bewegt, und w^ünschen möcht' ich gern,
Ein sanfter Mittel hätte sich geboten
Zur Lösung dieses unglücksel'gen Bunds."
Er wird zu Agnesens Ehren eine fromme Stiftung machen. Wieder
ist Ruprecht da ; er will Ernst erdolchen, wird jedoch entwaffnet. Ernst
hält Albrecht für den xluftraggeber und will den Sohn ächten. Doch
Ruprecht erklärt, er sei in niemandes Dienst ; er bittet um den Tod.
wird aber als wahnsinnig weggejagt.^) Er will sich töten; da rufen
Knappen: „Der Feind! Der Feind!" Albrecht und der Ingolstädter
sind in Straubing, ja schon im Schlosse. Ernst kämpft gegen Ludwig,
wird bedrängt und ruft: 'nen Schild! 'nen Schild!
Alb recht (stürzt dazwischen und bedeckt ihn mit seinem Schilde)
Ich bin dein Schild!"
Ohne Agnes und ohne Ehre kann er nicht leben, also wenigstens
die Ehre retten. Darum Versöhnung.
Prior: „Wohl dir! Du hast das eigne Herz bezwungen.
Die Ehre such in deines Landes Heil,
Und deine Agnes lächelt in Verklärung
Auf dich hernieder, dein und Baierns Engel.
i| Hier endete in der ersten Fassung der i. Akt; der fünfte gab — in langer
Zerdehnung — Albrechts Wüten und den Schluß.
2i Die erste Fassung hat den Erdolchiingsversuch nicht ; hingegen wird dann
Ruprecht nochmals eingeführt.
— 488 —
Albrecht: Herzog, ich stelle mich vor dein Gericht.
Ernst: So mag der Kaiser zwischen uns entscheiden."
Wie gesagt, Knitter hatte schon im vierten Akt eine Versöhnung
als möglich vorausgesehen : Verzeihung, weil Agnes verziehen habe.
Das mochte dem Dichter zu schwächlich erscheinen, und er läßt im
fünften Akte Albrecht gehörig, ganz seinem Charakter entsprechend,
wüten ; unbegreiflich erscheint nur, daß der junge Herzog längere Zeit
hindurch nicht weiß, daß sein Vater Agnesens Mörder ist. Hier hätte
im Interesse der gerade am Ende ganz straff zu führenden Handlung
gekürzt werden sollen. Besser ist Ernst gezeichnet : sein Bedauern, daß
es nicht anders habe gemacht werden können, ist, wenn auch nicht stark
genug motiviert, hebbelisch von Hebbel, und hier darf nun wohl noch-
mals hervorgehoben werden, daß Krutter, gleich wie Hebbel, ohne einen
Intriganten auskommt, auf den Ernsts „Schuld" abgewälzt werden kann.
Allerdings, ich wiederhole, Ernst ist nicht tief genug gefaßt ; seine
Motive werden nur sehr oberflächlich berührt ; er ist mehr Wüterich
als Staatsmann. Aber er bleibt sich treu. Wie Ruprecht ihn ermorden
will, ahnt er ein Komplott Albrechts und will, so versöhnlich er gewesen
ist, den Sohn ächten. — In Bezug auf diesen kommt dann dem Dichter ein
guter Gedanke : so leidenschaftliche Menschen wie Albrecht schlagen in
ihren Entschlüssen oft plötzlich um. Deshalb mitten aus dem Kampfe
gegen den Vater heraus das Wort : „Ich bin dein Schild !" Damit war
eine Lösung gegeben, nicht einmal gar gewaltsam. Vielleicht hätte sogar
ein Hebbel, der Verfechter der Individualität, so etwas gebilligt. Jeden-
falls ist Krutter hier originaler, dramatischer als Cordelia Ludwig, die
im Jahre 1899 ihrer Vaters Bemauer-Fragment vollendet hat^) und die
Versöhnung herbeiführt, indem ein Reiter — zu spät — ein weißes Tuch
schwingt zum Zeichen, daß Ernst Agnesen begnadigt habe. So Avird
Ei'nst gereinigt, und der intrigante Vizedom büßt erst noch mit dem
Leben; Albrecht aber wird durch eine Vision zur Versöhnlichkeit ge-
Ijracht. Also alles ganz äußerlich. Bei Krutter jedoch wächst die Ver-
söhnung aus Albrechts Charakter, mindestens aus seinem Temperament.
Leider ist dies nicht knapp genug gegeben ; es sind Reste anderer,
bloß bedachter Möglichkeiten stehen geblieben ; es fehlt also eine letzte
verstandesstrenge dramaturgische Überarbeitung. Das Wort des Priors,
mit einer sonst Krutter nicht eigenen sentimental-religiösen Färbung,
schwächt den mächtigen Eindruck wieder ab. Noch aber wäre die Sache
nicht verdorl)en, hätte der Dichter hier den Schlußpunkt gesetzt. Doch
') „Agnes Bernauer Volksschauspiel in fünf Aufzügen von Otto Ludwig. Unter
Benutzung ungedruckter Manuskripte für die Bühne bearbeitet" von C. Ludwig. Berlin,
Köln, Leipzig, Albert Ahn 1900.
— 489 —
fia stand rlie Historie, und hatte er dieser im Wesentlichen schon vorher
keine Gewalt angetan, so wollte er ihr auch im Schlüsse treu bleiben ;
der hieß: Versöhnung der beiden Streitenden durch Kaiser Sigismund.
Deswegen stellt sich Albrecht im vorletzten Verse vor Ernsts Gericht,
und deswegen schließt das Stück mit dem Hinweis auf den Entscheid des
Kaisers. Das ist sehr schwach, mindestens unkonsequent, also undramatisch.
Nicht Albrecht muß, nach menschlichem und dramatischem Recht und
Ermessen, gerichtet werden, sondern Ernst. Da hat Hebbel das schlechthin
Mögliche und Wahre erschaut : Ernst legt alles in die Hand des Sohnes ;
er übergibt ihm den Herzogsstab:
„Der macht dich zum Richter deines Vaters .... Trag ihn Ein
Jahr in der Furcht des Herrn wie ich! Kannst du mich lossprechen,
so rufe mich, und ich selbst will mich strafen, wie du's gebeutst ! Im
Kloster zu Andechs bin ich zu linden."
Das ist der echte, innerlich einzig mögliche, also der wahrhaft
dramatische Schluß. Daß auch Krutter einen guten Ausgang ge-
funden hat, sei nochmals hervorgehoben; nur hat er ihn stark abge-
schwächt.
Die anfechtbarste Figur des Dramas ist Ruprecht. Nicht daß er
menschlich undenkl)ar wäre; aber es gibt, so nett er anfangs einge-
führt ist, keine volle innere Notwendigkeit für seine Existenz im Stücke.
Er bringt nur, manchmal allzu offensichtlich vom Dichter dazu verwendet,
äußeres Leben in einzelne Szenen; echte dramaturgische Ökonomie bedürfte
seiner jedoch nicht. Wenn in Krutter Dilettantisches steckt, so zeigt
es sich in der sorglosen Verwendung dieser zwar an sich nicht un-
interessanten, aber künstlerisch überflüssigen Treibfigur. Eigentümlich :
Krutter kommt einerseits ohne Intriganten, sogar ohne Intrigue über-
haupt aus: das hebt sein Stück künstlerisch und menschlich gewiß; ander-
seits glaubt er eine Gestalt wie diesen Ruprecht brauchen zu müssen.
Sodann ist die innere Umwandlung des alten Bernauer vom gewiß
dem Leben nachgezeichneten Adelsfeind zum zerknirschten Hasser seiner
selbst eine gar schnelle. Sehr fein ist dagegen, wie der Dichter Eigen-
schaften des Vaters sich im reineren weiblichen Naturell der Tochter
spiegeln läßt : sie hat etwas von seinem Stolze, nur fehlt diesem das
Haßvolle. Auch ein bischen List erkennen wir in ihr ; allerdings wächst
sie nicht zur „Schuld", sondern bleibt nur Anwandlung; dadurch wird
ihr das allzu Engelhafte ein wenig genommen, und das ist nur vom
Guten.
Der Aufbau des Dramas ist einfach, doch ist immer, man kann
fast sagen: instinktiv, das Richtige getroffen; die Handlung „schleppt"
nirgends, sondern entwickelt sich klar zum Höhepunkt und fällt dann,
nicht einmal gar zu rasch, zu dem teils so guten, teils so trivialen Schlüsse
— 490 —
hin. Und Hauptsache : sie wächst aus den Charakteren, wenn diese auch
nicht gar tief geführt sind. Es ist Freskomalerei, Volksdramatik im
rechten Sinn, ohne Mätzchen sentimental-opernhafter Artund ohnelntriguen-
Un Wahrscheinlichkeiten.
Die Sprache ist, wenn auch nicht immer glatt, doch nicht ohne
Reiz, frei von Phrasen und Gesuchtheit, auch wenn hie und da Schiller
anklingt oder wenn — shakespearisch — untergeordnete Personen wie
der Kerkermeister Prosa sprechen.
Im Ganzen : Krutters Bernauer-Drama verdient recht wohl in der
Reihe der Vorläufer des Hebbel'schen Werkes genannt zu werden. Der
Stoff ist darin naiv und, was besonders erfreulich ist, unabhängig von
andern, geschickt angefaßt. Jedenfalls hat Krutter das Problem der
Dramatisierung des ßernauerstoffes besser gelöst als (1889) Arnold Ott;
als Volksdrama übertrifft das Krutter'sche Stück auch Martin Greifs
AVerk.^) Vor Otto Ludwigs „Agnes Bernauer" hat es mindestens den
Vorzug, vollendet zu sein. Über Melchior Meyrs „Herzog Albrecht"
dürfte es sich durch seine von jedem Raffinement freie, vielleicht zu
schlichte, aber gewiß nicht undramatische Handlung erheben.
Krutters Dichtung wird also die Mitte halten zwischen Törrings
kräftigem Heldendrama und Hebbels endgiltiger Behandlung des Stoffes.-)
Originalität wird ihm nicht abgesprochen werden können.-^)
1) Über Ott und Greif cf. mein Programm S. 16 — 25. über beide handelt aucli
Carl Behrens in „Agnes Bernauer i historiens og digtningens lys", Kopenhagen 1906
S. 96—101.
2) Über Hebbels Drama s. R. M. Werner in Bd. III seiner historisch-kritischen
Ausgabe. Einl. S. XXIX— XL I. ferner mein Progr. S. 10—13.
3j Herr Prof. von Arx läßt — laut mündlicher Mitteilung — meine Hoffnung,
daß das Stück durch den Druck weiteren Kreisen möchte bekannt gemacht werden
nahezu zur Gewißheit werden. Sollte es, wie ich erwarte, in der zweiten knappereu,
dramatisch und theatralisch wirksameren Fassung ediert werden, so zweifle ich nicht,
daß es für Volksbühnen ein bestes Drama sein wird. Dem wirklichen Theater bliebe
Hebbel, der Volksbühne Krutter. Damit wäre eigentlich die Frage der Dramatisierung
des Bernauerstoftes gelöst.
Ferndissimilation von r und / im Deutschen.
Ein Beitrag- zu den Prinzipien des Lautwandels.
Ton
Eduard Hoffmann-Krayer.
Die Erscheinung der Ferndissimilation d. h. der Entähnlichung
zweier homorganer Laute in ein und demselben AVorte, war mir schon
längst aufgefallen, und ich hatte dafür Material gesammelt, lange bevor
ich ihre prinzipielle Bedeutung erkannt hatte. Welchen Sprachbeflissenen
sollten nicht mundartliche Bildungen wie Spedakel für Spektakel, Quudier
für Quartier, Ladriiff für französisch La Retraite zum Aufmerken und
Nachdenken nötigen '?
So sammelte ich denn vorderhand alles, was mir in dieses Gebiet
einzuschlagen schien : Deutsches und Fremdsprachliches, ohne zunächst
eine Gesetzmäßigkeit feststellen zu wollen. Erst auf Grund eines größeren
Materials fing ich an zu erkennen, daß in vielen Fällen der Akzent
von ausschlaggebender Bedeutung sei. und allmählig begann ich auch
wahrzunehmen, daß neben dem Akzent gewisse artikulatorische Kombi-
nationen die Dissimilation erleichterten oder erschwerten. Die anfangs
recht verwickelt erscheinenden Verhältnisse hatten sich schon ziemlich
geklärt, als mir die Arbeit von Grammont „La Dissimilation consonan-
tique dans les langues indo-européennes et dans les langues romanes" in
der „B,evue Bourguignonne" T. Y, (Dijon 1895) bekannt wurde. So reich-
haltig diese Arbeit ist, so glaubte ich doch nicht auf eine Weiterbehand-
lung des Gegenstandes verzichten zu dürfen, zumal da ich in einzelnen
Punkten auf andere Ergebnisse gelangt war und da mir die Erscheinung
namentlich vom sprachprinzipiellen Standpunkte aus als Beispiel
von sporadischem Lautwandel besonders lehrreich schien. Wüßte
ich doch keine Lautbewegung, wo physiologische und psychologische Trieb-
kräfte so kaleidoskopartig durcheinanderspielen, und wo die ,, lautgesetz-
liche Regelmäßigkeit" den Beobachter so sehr im Stich läßt, wie gerade
— 492 —
die vorliegende. Wenn eine lautliche Erscheinung dazu angetan ist,
die Theorie von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze zu schänden
zu machen, so ist es die Ferndissimilation.
Sie tritt hier auf und dort auf, in einer Sprache häufiger als in
der andern (so z.B. im Italienischen häufiger als im Französischen: niercolcd'i
gegen mercredi u. s. w.); aber auch innerhalb ein und derselben Sprache
ist sie ganz unregelmäßig (it. Dial. cartel neben coltello) und selbst inner-
halb der einzelnen Mundarten durchkreuzen sich die verschiedensten
Tendenzen, heben sich auf oder verstärken sich (s. die Zusammenstellung
am Schluß). Es ist ein unruhiges Durcheinanderschwirren von „Laut-
gesetzen", eine Inkonsequenz und Halbheit in der Durchführung der-
selben, daß jeder Freund feinsäuberliclier Gesetzmäßigkeit in Verzweiflung
geraten möchte. Hier werden Einem so recht die Augen geöffnet über
die Willkür, mit der der Sprachgeist über seine Mittel verfügt.
Wir wollen al)er deshalb nicht verzweifeln und einer völligen Regel-
uud Zügellosigkeit Raum geben, sondern vielmehr zu diesen Beobach-
tungen wissenschaftlich Stellung zu nehmen suchen. Die Naturgesetz-
theorie ist ja immer noch kein ganz überwundener Standpunkt, und wer
weiß, ob sie nicht vielleicht binnen Kurzem in neuer Gestalt wieder
auftaucht; aber in der Sprachwissenschaft hat man nun doch, so gut wie
in der Volkskunde, erkennen gelernt, daß die Sprache nicht etwas vom
Sprechenden Losgelöstes, Selbständiges darstellt, sondern ein Produkt
seiner Psyche. Ich möchte sagen: die Sprache ist eine physische
Form der Psyche, wie die Geberde, der Gesichtsausdruck.
Nun wäre es aber durchaus falsch, wenn man die Sprache als etwas
rein Psychisches erklären wollte. Wäre die Sprache nur Gedanke, so
wäre sie gewiß ein Teil dessen, was wir Psyche nennen. Von dem Augen-
blick an aber, wo sie mit physischen Mitteln erzeugt wird, ist sie in die
Grenzen der physischen Leistungsfähigkeit der Organe gebannt und wird
bis auf einen gewissen Grad von ihnen abhängig sein, wie der Komponist
an die Leistungsfähigkeit der Musikinstrumente, der Bildhauer an die
Eigenschaften des Marmors gebunden ist.
So wäre demnach die Sprache eine von Psyche und Physis
gleichzeitig bedingte Funktion? Ohne Zweifel! aber trotzdem ist
sie nicht ein Zwitterding aus heterogenen Faktoren , sondern etwas
durchaus Homogenes, dem sprechenden Individuum Angehörendes. Die
Sprache ist eine in physischer Gestalt auftretende Psyche. Weil
die Gedankenübertragung ohne sinnliche Mittel im physischen Leben un-
möglich ist, nimmt der Gedanke ein sinnliches Kleid an. So ist auch unser
Leib (unsere Physis) nur die sinnlich Avahrnehmbare Einkleidung unserer
Psyche oder besser die dem physischen Leben durch Mimicry angepaßte
Kruste derselben. Im Ganzen verhält sich die Seele zum Leib, wie im
— 4f)3 —
Einzelnen die Epidermis zu den Körperteilen, die sie bedeckt. Die Seele
(Psyche) ist also ra. E. nicht wesensverschieden vom Leih (Physis), son-
dern nur formverschieden oder, wenn man will, grad verschieden. Bei der
starken Wechselwirkung zwischen Seele und Leib kann man sich dem
Eindruck nicht verschlielien, daß die Seele im Grunde nur eine
feine bisher unmeßbare Substanz des Leibes darstelle.
Wenn also Physis und Psyche eins sind, so ist auch die Sprache
kein Zwitterding mehr, sondern ein durch die Physis bedingter
Ausdruck der Psyche.
Von diesem Gesichtspunkte aus müssen die sog. Lautgesetze be-
trachtet und beurteilt werden. Es gibt ja gewiß rein psychische Laut-
veränderungen (die immer als solche anerkannt worden sind): so, wenn
ich nach dem auf Umlaut beruhenden Plural Äste auch ein Hii/se bilde,
wo ich „lautgesetzlich" Haine sagen sollte; aber auch der „spontane"
und „kombinatorische"' Lautwandel beruht insofern auf psychologischen
Faktoren, als es ja die Psyche ist, welche die muskelbewegenden Nerven
in Aktion setzt. Eine Assimilation an folgenden Laut kann demnach
als ein unbewußtes Vorausdenken aufgefaßt werden, was ein verfrühtes
Einstellen der Sprachorgane bewirkt; die Assimilation an einen vorher-
gehenden Laut könnte man dagegen als ein untätiges Verharren in der
eben eingenommenen Stellung ansehen. Und nicht anders verhält es sich
mit den akzentuellen Veränderungen; denn auch der Akzent beruht ja
ursprünglich auf rein psychischen Grundlagen.
Trotz alledem müssen wir in der Sprache von physiologischen
Momenten sprechen; denn wir empfinden es zu deutlich, welch eine
weite Kluft gähnt zwischen dem, was man von jeher physiologischen und
dem, was man psychologischen Sprachwandel genannt hat. Man mag nun
definieren, wie man will; aber um die Tatsache kommt man nicht herum,
daß z. B. die Assimilation durch die physischen Sprachorgane geboten
ist, die Analogie nicht. Die Assimilation ist daher nach wie vor eine
vorwiegend physiologisch, die Analogie eine vorwiegend psychologisch
bedingte Sprachveränderung.
Auch unsere Ferndissimilation geht in ihren Uranfängen gewiß überall
auf die Psyche zurück, in Anbetracht, daß die Entähnlichung gleicher
Laute unbewußt ein psychisches Behagen verursacht, und daß überdies
in vielen Fällen derjenige Laut sich der Veränderung unterwerfen muß,
der zum Verständnis am wenigsten notwendig ist. Aber wenn wir z. B.
eine Dissimilation wie Balhier <. Barbier mit einer anderen wie M(in/-
heere <; mürberi vergleichen, so wird uns der wesentliche Unterschied
zwischen beiden sofort klar. In BaJh'ar hat sich das zweite ;• erhalten,
weil es auf einen betonten Vokal folgte, in Maulbeere dagegegen, weil
die Vorstellung des Begrifi's .Beere' fest mit dem Kompositum Maalheen
— 494 —
verknüpft war. Im ersten Fall haben wir somit eine durch physiologische,
im zweiten eine durch psychologische Momente bewirkte Lautveränderung
vor uns.
Wenn wir nun aber glauben, daß jedes Wort, welches zwei ge-
trennte r enthält, das eine davon dissimiliere, so sind wir im Irrtum.
Wir haben es hier eben nicht mit einem ausnahmslosen Lautgesetz, auch
nicht mit einem „durchkreuzten" Lautgesetz zu tun, sondern mit einer
„Tendenz", einer physiologischen Neigung, gleiche Laute zu dissimilieren.
Steht dieser Neigung das geringste Hemmnis entgegen, so wird ihr nicht
nachgegeben, und die Dissimilation tritt nicht ein. So hat die eine Sprache
ßalhier, die andere Barbier (It. z, B. harhkre, weil das Stammwort harha
dem etymologischen Bewußtsein noch vorschwebt); ja im selben Dialekt
hört man die eine Familie Barbier, die andere Baibier sprechen, je nach
dem Bildungsgrad, der Tradition, der Sprachmischung oder andern
Agentien in den betreffenden Familien.
Auch kann die Dissimilation verschiedene Richtungen einschlagen.
Für , klingeln' finden wir im Ahd. vereinzelt die Form kingilon^ während
heute eher die Form /îningeln gehört wird. Die Verschiedenheit erklärt
sich daraus, daß jene ahd. Schreiber nicht nur die beiden / als lästige
Häufung gleicher Konsonanten empfanden, sondern auch die beiden Nasale
(in *kmngilön), die sich allenfalls hätten einstellen können. Daneben aber
besteht von den ältesten Zeiten bis in die neueste auch die Form kUngeln,
sei es wegen des bewußten Zusammenhangs mit klingen, sei es, weil das
Bedürfnis für Klangwechsel, wie es einzelne Individuen empfanden, nicht
in weitern Kreisen zum Durchbruch gelangt ist.
AVir müssen es uns versagen, das hochwichtige Kapitel von dem
Einfluß des Individuums auf die Sprache hier zu berühren; ich kann
hier nur andeuten, daß die Anschauungen, die ich in meiner Schrift „Die
Volkskunde als Wissenschaft" (Zürich 1902) und später in den „Hess.
Blättern für Volkskunde*' (II, 57) für die Sitte vertreten habe, sich in
allen Teilen auch auf die Sprache anwenden lassen.
So wird auch die Ferndissimilation von einzelnen Individuen aus-
gegangen sein. Damit möchte ich nicht etwa die Meinung ausgesprochen
haben, es sei einem Einzelnen plötzlich eingefallen, er könnte in die
Gleichförmigkeit etwas Abwechslung bringen, und so sei die Ferndissi-
milation entstanden. Aber ich glaube bestimmt, daß bei einzelnen Indi-
viduen die Tendenz zur Dissimilation größer ist, als bei andern. Solche
Individuen lassen dann, zunächst in der flüchtigen Konversation, durch
Versprechen, die Dissimilation eintreten. Geschieht dies öfter, und haben
die betreffenden Individuen Einfluß auf ihre Umgebung, so kann die
dissimilierte Form Wurzel fassen und von diesem Zentrum aus immer
weitere Kreise ziehen ; andernfalls bleibt die dissimilierte Form vielleicht
— 495 —
nur auf die eine Person beschränkt oder sie verhallt, ein Kind des
Augenbicks, unbeachtet im Winde. Die Entstehung und Ausbrei-
tung eines Lautgesetzes beruht also nicht auf einem Natur-
gesetz, sondern sie ist rein von zufälligen Verumständungen
abhängig. ')
Die Ferndissimilation ist also ein Versprechen, äiinlich wie die Haplo-
logie, und zwar wird dieses Versprechen umso häufiger vorkommen, je
flüchtiger die in Frage kommenden Konsonanten sind, je schwieriger die
Aussprache der ursprünglichen Form ist, und je weniger sich der Spre-
chende durch das Schriftbild oder durch das etymologische Bewußtsein
beinflussen läßt. Daher ist die Ferndissimilation weitaus am meisten bei
den ähnlich klingenden und doch verschieden artikulierten Liquiden
nachweisbar; daher findet sie sich auch am meisten in euphonischen
Sprachen oder bei Völkern, die viele Analphabeten zählen.
Daß wir im folgenden nur einen kleinen Ausschnitt aus dem weit-
schichtigen Gebiet der Ferndissimilation, nämlich die von r und /, be-
handeln, bedarf nach dem Vorausgeschickten keiner besonderen Recht-
fertigung mehr. Handelt es sich doch nicht um eine erschöpfende Dar-
stellung der Erscheinung, sondern um einen lehrreichen „Schulfall", dem
es vielleicht vergönnt ist, das seinige zur Entfernung gewisser linguistischer
Vorurteile beizutragen,
L Physiologische Momente.
A. Wirkung des Akzentes.
"Wenn zwei gleiche Laute in einem Worte stehen, so bleibt ge-
wöhnlich derjenige erhalten, der unmittelbar auf einen betonten Vokal
folgt, während der andere zur Dissimilation neigt.
1. /• . r
a) Das unbetonte /* wird /. das betonte bleibt.
«) Erstes r betont.
y . r > /■ . /
Ortsn. Schweiz, ßi'ird/ef < *Bur(g)dolf (bei F. Platter, Anf. 17.
Jh.: ,Burtolf') < Burgdorf-, Ursele < Urseren; Sparblig < Sparr(en)-
berg; Herdele < Herderen; Hirsele < Hirseren; Herhligen u. Herhlingen
< Herbrigen (zu Herbrig ,B.erhei'ge') ; bad. MärsJt < *Märsrt < Mersen-
hart; BergaVingen < Berngeringen; Birtel/d/c/i (1348), jetzt Berchtolfh-
kirch < Birterkilch (a. 1298); 5^p?'Äo/--//d/« < Herbortsheim ; Personen-
name Beriet. Berl'd. Bcriiz, Berit < *Bernrt < Bernhart.
') Daneben kommen auch auf bewußter individueller Initiative beruhende Laut-
veränderungen vor.
— 496 —
Eigennamen sind überhaupt für die Beobachtung lautlicher Ver-
schiebungen besonders ergiebig, weil sie in vielen Fällen schon früh
etymologisch verdunkelt oder nicht durch eine große Zahl analoger
Formen geschützt waren.
Bei Appellativen kann die Dissimilation dadurch erleichtert
werden, daß ähnliche Formen mit / vorkommen, was eine Vermischung
in der Psyche des Sprechenden herbeiführt. Wenn schon überhaupt
Wechsel zwischen den Suffixen -er und -el nicht selten nachweisbar ist,
wie z. B. in Kiefer: Kiefel. Panter: PanteL Zunder: Zuudel: mhd. (inker:
anhel usw., wie viel leichter wird das -el durch Dissimilation eintreten !
Daher Formen wie Mardel „Marder", Erkel „Erker" (lit. érkeJh), Körpel
„Körper", Marnie/ „Marmor" (ahd. nmrmid, friaul. märmul^ span. nmr-
niol), Mörtel <C mlat. mortarium. Morse/ „Mörser" (ahd. mormU neben
morsari), Turteltaube < lat. turtur {shd. furti/-); xieWeicht auch Krüppel
<; Krüper „Kriecher"; Schweiz. SUranipflc „Sauerampfer" (und darnach
das einfache Ampfle), mhd. martel „Marter", merteluufje (ahd. martelou
[0.]) und darnach analogisch martUie. das den Hauptakzent auf dem zweiten
/■ hat, dorpel neben dorper „Dorfbewohner", kerkel „Kerker" (span.
eiircel)'^ {iriez-. spTc/i-. tor-wertel ,.-Wärter" (schon ahd. wartal u. Zu-
sammensetzungen neben wartari); ahd. tregil „Träger" neben tragari,
trihil „Wagenlenker", hiril „Träger", reitrihtil „Wagenlenker". Möglicher-
weise liegen aber bei den letztgenannten Ableitungen auf -al. -il wirklich
ursprüngliche, nicht-dissimilierte Bildungen vor, die ihrerseits aber jeden-
falls dazu beitragen, bei ehemaligen y-Ableitungen die Dissimilation her-
beizuführen. Nach den zahlreichen ahd. Bildungen auf -alDn. -ilOn. -olön
ist auch ahd. nwrmurün schon früh auf analogischem Wege zu murnii-
lön. murinulön geworden. Vermutlich gehört in diese Rubrik auch got.
nuräli „Schweißtuch" -< lat. orarium.
Vgl. span. drho], port, ûrvol, friaul. ärbul, mail, ei-bol <C It. arborem, sp. carcel
<i carcerem ; avers. Barbla <C Barbara; gr. y.eQßsAog neben yJcßsQog.
ß) Zweites r betont
r . r > 1 . r
Balhier, schwyz. paliere <C parieren, alagu. (Deutsch-Piemont) Pulcjaz
nach *pulgiere „purgieren", soloth. u. elsäss. melitiere. meletiere „meri-
tieren", aarg. fahliziere, darnach Faldikanf, der Volksschriftsteller Stutz
(Zürcher Oberl.) hat Flaktur, Schwalm: hahrarise// „barbarisch", daneben
Imriraliüeh mit etymologischer Anlehnung an Adjektiva auf -alisch. wie
kannibalisch, martialisch, infernalisch, bestialisch, ebd. ohselfieren „obser-
vieren", Saargebiet und eis. Se/talewari „charivari"; hieher wohl auch Goethe
irrUckteliereii, Hans Sachs: Seekeltari <^ Sekretari, wobei die Anlehnung an
Seckel mag mitgespielt haben.
— 497 — -
Vgl. Jon. d-t]Àr}TijQ „Jäger" <; &i]çrjzi'jç; yaAay.Tiloes; It, jtlurio <; prurio; Plae-
torius, Lcmuria •< *Remuria (nach Ovul, Fast. 5,479); mit. nlniariti „Schrank" (mhd.
alinerlïii, port.-alemt. almairo) <C armarium, vglt. albenja (it. u. sp. albert/o, prov.
albere, frz. aubenje) <i ahd. hariberga.
b) Das unbetonte /■ wird n.
}'.)''> n . r
Hier liegen mehr oder weniger deutlich Analogiebildungen nach
ähnlichen Lautgruppen vor.
Schwaliu : tttfuif/iercti „markieren", nach mankieren; Hef/fUfhr -<
segerdar „Sekretär", etwa nach Sekundär oder Referendar; peiukririeren
(daneben peder wie l'en) „perturbieren", Anlehnung unklar.
c) Das unbetonte r fällt weg, das betonte bleibt.
a) Erstes ;• betont.
r .?•>;■. —
Basl. Geschlechtsname Biirket < Burghart, Fnrket << Forcart;
Schweiz. Bernet <C Bernhart, Eret <^ Erhart.
]\Ian kann sich fragen, weshalb in diesen Fällen das unbetonte /*
nicht zu / geworden sei (*ßt(rkelf usw.). Der Ausfall des /• mag seinen
Grund darin haben, daß r vor Dental in denjenigen Mundarten gerne
schwindet, wo es mit der Zungenspitze, also dentalartig artikuliert wird(s. u).
Ein vereinzelter Fall ist Schweiz. Vierehrötli <C Viererbrötli (Schw.
Id. V, 958). Hier waren 3 r vorhanden, wovon das mittlere ausfiel;
das erste war durch den Akzent, das dritte durch den vorausgehenden
Konsonanten und lieide überdies durch das etymologische Bewußtsein
geschützt.
ß) Das zweite ;• betont.
Basl. u. eis. (Juad'nr „Quartier'- (lit. kcaiëra), Schwalm pederwieren
„perturbieren" (s. o.)^(ver-Jagedieren „akkordieren", odinür: ebd. Hatsc/iier
und Haschkrfei'j -< it, arciere ,, Bogenschütze", Schweiz, mmchiere „mar-
schieren".
Auch hier standen die ausgeworfenen r vor einem dentalen Kon-
sonanten, in dem sie artikulatorisch aufgegangen sind. Der bad. Orts-
name Rodshér \ Rordsbérg, mit 3 r. wieder wohl auch nicht anders
erklärt werden können.
Dagegen ist der Ausfall vor / deshalb erfolgt, weil das Wort schon
ein / enthielt, also eine Dissimilation von unbetont ;• zu / nicht statt
haben konnte: B^üer < Parlier, mhd. Partiz. vloru < verlorn, Plur.
Prät, rlurn <C verlurn, zu Verliesen „verlieren", und nach diesen Formen
analogisch der Inf, cUesen (s. Z. f. hd. Mda. 1, 31).
32
— 498 —
So erkläre ich mir auch den Ausfall in schwalm. (tldinieren „alar-
mieren" nur durch den Umstand, daß schon ein / vorhanden war, und
also kein *alal)nkren entstehen konnte.
In basl. ('ver-)sch(unerkrt „verlieht" < verscharmeriert (frz. charmé),
mit 3 oder, das ver- hinzugerechnet, sogar 4 /■. kann ich mir dagegen den
Wegfall nicht erklären, da sich ein *i'ersc/ialme?'iert recht wohl denken
ließe und eine etymologische Anlehnung nicht ersichtlich ist.
2. l . l
a) Das unbetonte / wird ;•, das betonte bleibt.
a) Erstes / betont.
HUUrtingen < Hiltolvingen (a. 1175); mhd. pfdUr neben pfellel
< lat. palliolum; nhd. Alher „Weißpappel" (ahd. alhärt; it. albero < lat.
albulum.
ß) Zweites / betont,
Schweiz, kämt. Franéll {\\i. frunelis), schwyz. merankoüsch, luz. Ortsn.
Rotte rt.scJnr'fl < ßatoltzwil; eis. ,Alßwiler od. Orßiriter (a. 1490) < Als-
wilre (a. 1243), jetzt Orschweier.
Vgl. lt. cœrulens <i *caeluleus, PariUa „Fest der Paies" <CPalilia; sip. coronél,
it. scarpello, sp. escarpelo << lt. scalpellum „Lanzette", rät. kurte, mail, cortél <C cul-
tellum „Messer", afrz. gourpille -< vulpeculum, dial. gorpil; carcul << calcul; lit.
smarktèlis neben smalktèlis „dichte Stelle im Wald" ; sp. port, arfil „Schachfigur'- <<
arab. alfil.
b) Das unbetonte / fällt weg, das betonte bleibt.
a) Erstes / betont.
Schw. Ortsn. Helfetsii'il < Helfoltiswilare (a. 882), Althhofen <
Alteloshovin (a. 1180), bad. Ältuifjen < Alt(e)lingen, BUIa/fngen^ Bilal-
fingen, Gö/s/iaiiseu <; Geltelshausen, Helms/ieim < Helmoltsheim, Zei/s-
heim < Cilolfesheim (a. 766).
Der Wegfall dieser / erklärt sich am ungezwungensten durch den
vorbeigehenden Ausfall des unbetonten Vokals, was eine Vereinfachung
der daraus entstehenden Konsonantenhäufung nach sich zog.
ß) Zweites / betont.
l . l > — . l
Zürch. limnlud „Bleistift" < lt. plumbale.
Vgl. gr. rpuvAos < (pÀavÀoç.
— 499 —
c) Das unbetonte / wird n. das betonte bleibt.
a) Erstes / betont.
/./>/. ^/
Eis. Kührutcr <^ Kalwiler „Apfelsorte" (frz. all n Ht).
ß) Zweites / betont.
/ . f ^ II . /
Dial. verbreitet Xi/Je „Lilie", zorntal. nii/c <^ lullen „lutschen",
it. yoUliard <; Lollhard, dial. Xieh- <. Liele „Waldrebe".
Vgl. sp. nivél, frz. niveau <. *libelluin „Wage"; sp. nombril <i lombril; port.
neyalko „Bündel" < *ligacalum.
In allen Beispielen haben Avir anlautendes /, In dieser Stellung
scheint demnach das / weniger widerstandsfähig gewesen zu sein, als das
y (s. u,). Das Auftreten des n mag durch das n des unbestimmten Ar-
tikels (ein-, roman, un-) nocli besonders gefördert worden sein.
B. Wirkung der Artikulation (bezw. der Stellung im Worte).
i. r . r
a) r hinter Konsonant Avird geschützt.
a) Das andere wird /.
aa) Erstes r hinter Konsonant.
Kons /•.>•>- Kons r . /
Aarg. Spreud „Spreuer", verbreitet C/trisfoffel (sp. C/iristolmf) <C
Christophor(us), mhd. ^;/vo/ „Prior", friel. trisol „Tresor"; hieher (?)
Trielsclier (Weinhold, mhd. Gr. § 212) für Trierscher „Einer aus Trier" (?);
in diesem Falle wäre die Dissimilation eingetreten trotz der Betont-
heit des mittleren r. Ortsn. bad. Bruiigo/s/ieiiii <; Brungersheim.
Vgl. lit. Grygolis „Gregorius", afrz. contralier (Rol. 1741).
ßß) Das zweite /* hinter Konsonant,
r . Kons ?•>■/• Kons /•
Belfrid < mit. helfrédus < *berfredus < Bergfrid, PUger. Pi/grim
{ii. ptl leg i'ino, îvz. pèlerin) < \t pelêgiinus <, peregrinus; alagu. A/em-
brast „Armbrust"; eis. Kaljanter (gr. xoÀlavÔQop, -/.oqiavÔQOv, mit. coü-
andrum) „Coriander".
Vgl. lt. meletrix neben meretrix, albitrare n. arbiträre, celebrum n. cerebrum,
telebra „Bohrer" n. terebra; it. Geltrude, sp. taludro „Bohrer" < lt. tarala-um ; frz.
dial. malbre, daUre <. dartre „Flechte".
ß) Das dissimilierte r fällt.
aa) Das zweite r fällt, wenn es ebenfalls hinter Kon-
sonant steht.
— 500 —
Kons y . Kons /• . "> Kons r . Kons.
Ahd. (■risc'mnNöii -\ criscrimmön „mit den Zähnen knirschen", graub.
propi „eigentlich, wirklich" (schon lat. j)roj)/H^>, it. proj/zo^ vulgärfrz. propti-
faire) <. proprius.
Vgl. lat. praestliiiae <C praestrigiae „Gaukeleien" crebesco < crebresco , it. prête,
fraie, ksi. prostït „verbreitet" zu prostrtti.
In den deutschen Beispielen (es ist deren freilich nur ein echtes)
wie auch in einigen außerdeutschen scheint das /■ ausgefallen zu sein,
weil es der unbetonten Silbe angehörte. Für die lat. Beispiele ist viel-
leicht auf den altlateinischen, zurückgezogenen Akzent zu schließen.
ßß) Das erste ;• fällt, wenn es vor einem dentalen
Momentlaut steht.
rDent . r ■> — Dent . r
Dial. dt. Güdrohe „Garderobe", bair. Gefi'udÎH, basl. eis. Laäräff
„Zapfenstreich" <; Lardrätt -< La retraite.
Vgl. die Form frz. mautrisii/re, die sich für meurtrissure in einem alten waadt-
ländischeu B-ezeptbuch findet (Schweiz. Arch. f. Volkskunde X, 48).
b) r erhält sich vor Konsonant (außer in gewissen Sprachen
vor Dental, wo es sich gern assimiliert).
a) Das dissimilierte r wird zu /.
aa) Das erste r vor Konsonant.
/■ Kons . r ~> ?• Kons . /
Schwz. (XV. Jh.) merzen <. merzerie.
Vgl. gr. ;MOç^o/ît5rrw „schrecke", zu ,Mdp^(0()oj „Furcht". Hippokr. dva/a()ya/lf^ft)
„gurgle auf", yuQyaÀsév, zu yaçyaç-, fioçftvÀoç Name eines Fisches (Ath.7,313) <
ftoQfivQos; vulglt. armolaeia <i àçfioçayJa ; it. mercoledi sp. miercöles < Mercurii dies ;
%ulgärfrz. arbolis <C herboriste.
ßß) Das zweite r vor Konsonant.
r . r Kons y> / . r Kons.
Röttl. Chr. ElUguri < Héricourt; abair. salworltt „Panzerschmid"
< sar(o)worht5 Ortsn. Klofderr < Krofdorf (Germ. 37,409); in diesem
Beispiele kann aber auch, wie sicher bei ob. Nah. Kulfürai und dem
Ortsnamen Mcuilhurcf (sprich Mulhrg) < Mürberg das etymologische
Bewußtsein für den zweiten Teil erhaltend gewirkt haben.
Vgl. ved. (tlarti „regt sich" < *ararti; gr. K^JtaQ'/oç neben KQÎtaQyoç (wo
ül>rigen8 auch das etymologische Bewußtsein die Erhaltung des zweiten r unterstützt).
ß) Das dissimilierte r fällt Aveg.
aa) ?• K 0 n s . ;• >> r K o n s . —
Nd. Arielei < Artilrei < Artillerie (Beitrr. 30, 209).
— 501 —
Der Wegfall erklärt sich aus dem Vorhandensein eines / und durch
die Nähe der Substantiva auf -eli'i (Bettelei, Frömmelei, Gaukelei usw.).
ßß) r . r Kons "> — . /■ Kons.
Schwz. Ortsn. Udrf -< Urdorf, Geschlechtsname (iT^rlipcnjcr -^ Girs-
perger. Diese beiden Beispiele lassen sich schwer in eine bestimmte
Rubrik einreihen, weil bei ihnen auch das erste r vor Konsonant
steht, und dieser Konsonant überdies noch ein Dental ist, wo Ausfall
in schweizerischen Mundarten ohnehin gern erfolgt.
c) Anlautendes r erhält sich.
a) Das dissimilierte r wird /
anl. ;• . >> anl. r . /
Reigel neben Reiger „Reiher", durch reiche Analogie erleichtert.
Vgl. sp. port, roble „Eiche" •< roborem ; sp. )-olo (alban. rate) •< rarum.
Von dieser Tendenz der Erhaltung des r im Anlaut weicht ab das
eis. en'crdnts < Reverenz (Eis. Jahrb. 1904, S. 199), das ich mir einst-
weilen nicht erklären kann.
ß) Das dissimilierte /' fällt.
anl. >■./•"> anl. r • —
Ortsn. bad. Rodshe <, *Rödsberg, Renschbe < Rensberg, während
sich sonst -berg in Ortsnamen jener Gegend erhält (Zeitschr. f. hd.
Mda. 5, 189) \ Schwalm Rahud „Rapport", eis. Rampa < frz. rempart.
In diesen Fällen siegt das anlautende /' über das vorkonsonantische
offenbar wegen seiner grösseren Festigkeit. Über Rahäd s. u. d ß.
d) Vor dentalen Konsonanten fällt r ferndissimilatorisch
gerne aus wegen seiner Zungenspitzenartikulation.
a) Das erste r vor Dental.
/• Dent. . /• "> — Dent. • /•
Nhd. Köder, schw. CItëder < Kerder, dial. M ad er „Marder", fadem,
Katzer „Karzer", nd. Attelrle < Artillerie (Beitr. 30, 209), schwyz. Appreit
< Ortbrett (Schw. Id. V, 900), Epperi „Erdbeere", altbasl. Spi(chjweter
<. spichwerter „Speicherwärter", bern. Meiatshere/ -< Meinhartsberg
(a. 1262); vgl. auch obiges Tf/fr/' < Urdorf, G ischjjerger <.Girspcrgei",
ferner altzürch. Fosfsr <; Forster „Förster", dt. dial. Maser „Mörser-' ;
endlich, da ja auch das n als Dental gelten kann. Glaner „Glarner"
(Bewohner von Glarus). — In nord. Dialekten findet sich raßer <^ V8er|?er
„wird", aujpir <. myr)?ir „mordet."
Vgl. arm. matiirn <C uaQvvQiov.
— 502 —
ß) Das zweite r vor Dental.
Sichere Beispiele für diesen Fall stehen mir einstweilen nicht zur
Verfügung ; denn entweder lauten sie mit r an, wie liahad „Rapport"
und können somit ebensogut unter c ß (s. o.) fallen, oder sie enthalten
3 r. wodurch eine weitere Unklarheit bezüglich der Rubrizierung entsteht.
So kann der bad. Ortsname ^ROchberf/ (aus älterm *Rordsberg), den wir
oben als Grundlage für Rödsbe erschlossen haben, wie auch der Ge-
schlechtsname Roder f <^ Rordorf zu c /3 (Erhaltung des anlaut. rj. oder
zu d ß (Schwund des r vor Dental), oder zu b /3 ßß (Erhaltung des r
vor Kons., in -herg) gehören.
2. l.l.
a) / hinter Konsonant wandelt sich gern zu r.
a) Das erste / hinter Konsonant.
Kons/ . / >- Konsr . /
Bair. Fräckelein < Flaconlein (Schmeller 1, 806); mhd. sprTzel
< ^splltil (?); schw. Krupele < ^=Klugel (?).
Vgl. gr. (pQaysÄÄovv für (fÄ.
ß) Das zweite / hinter Konsonant.
/ . Kons l "> l . Kons r.
Deutsche Beispiele fehlen zur Zeit.
Vgl. gr. Ti)Äey.Qog neben TrjÄey.Äog; lt. lucrmn, simulacrum, lavacrnm ■< -dum.
b) Stehen beide / hinter Konsonant, so neigt das erste
ziTm Schwund.
Kons / . Kons / > Kons — . Kons /
Nhd. I 0//6'/ <C *flugla-; möglicherweise auch schw. siirpße „schlürfen"
<; *slurpfilon ; doch ist hiefür auch lat. sorbeo und seine Sippe. gegen-
wärtig zu halten.
Vgl. gr. axTtayÄog „erschrecklich" zu TiÄayr/vai; frz. faible -< flebilem.
c) Hinter anlautend k ist der Wandel von / >> n häufig.
kf . / > kn . /
Nhd. Knäuel <; rahd. kliuwel, Knoblauch -< klobelouch, Knüppel neben
Klüppel (wo Bildungen wie Knopf, Knoten die Dissimilation werden
erleichtert halben) ; schw. chnüblle „klauben" neben chlüble, ('Jniücliel
„Knäuel" n. Chlüchen, CInnunmel dasselbe n. Chlummel, Clmungele n.
Chlungele, zugerisch knöfiple „leise klopfen" -^ klöppeln; nd. knenl'ik „klein-
lich", scherzhaft kninf/eln für klingeln. In gewissen ahd. Mundarten
scheint hier dagegen Abfalltendenz beim ersten / geherrscht zu
haben : kiiif/fbui/'/. lünkilonti, kinf/ilon (Graff 4, 564).
— 503 —
d) / vor Konsonant wandelt sich zu /•.
a) Das erste / vor Konsonant.
/Kons / >• ?*Kons . /
Appenz. Hurtil \ *Haltel -< Halbteil.
Vgl. gr. àçyaXéoç < àÀyaÀéog, lit. verbliudaa „Kameel" neljen velblmdaa,
nbret. derc'hel „uehmen" <;delc'hel; engl, cornel < colonel.
ß) Das zweite / vor Konsonant.
/ . /Kons ■> / . yKons
In dem bad. Ortsn. Hilpertmii <. Hiltpoltsau haben wir zwei / vor
Konsonant, von denen das zweite sich wandelt.
Vgl. gr. y.EcpaXaQyriç, Y.ecpaÄacyta „Kopfschmerz" zu äAyog; ebenso yÀctjaaaçyla
ueben yÀojaaaÀyt'a, Äaifiacyog „geschwätzig" aus Aaifiög und äAyog.
e) / im Anlaut der Stammsilbe oder der betonten Silbe
erhält sich.
aj Das dissimilierte wird zu /■.
anl. / . / "> anl. / . r
Nidwald. Lumnure neben Lammele „Messerklinge" (app. Lummere)
<^ lat. lamella; Rolandsl, liitzer -< lutzel.
Vgl. lat. hinaris, popiilaris, sœcularis. singularis (und darnach analogisch militaris
usw., s.u.) •< lunalis usw.; sp. port. liKjar << localem, port, lombar neben lombal „zu
den Lenden gehörig". Mitbeteiligt ist diese Ercheinung auch bei hierum, lavncrum (s. o.).
[ß) Das dissimilierte wird zu ;?.]
[anl. / . / >• anl. / . n]
[Schweiz, fj'iene „Waldrebe" neben Liele <; ahd. liola. Diese Er-
scheinung widerspricht der unter A 2 c /j verzeichneten, wonach / . be-
tont / ^ u . I wird. Es ist daher zu vermuten, daß in diesem Falle
nicht Dissimilation, sondern La ut vertäu seh ung (aus Xie/e. s. o.)
vorliegt.]
II. Psycholog-ische Momente.
A. Das etymologische Bewusstsein als erhaltende Kraft.
1. /■.;•>/-. /.
Schweiz. Miseréri sollte nach den physiologischen Dissimilations-
tendenzen *M}seIh'i ergeben (s. o. I A 1 ßj. im Prättigau lautet die
Form aber MiscrF/l. was einesteils auf das etymologische Bewußtsein
von miser, andernteils vielleicht auf Anlehnung an Diminutive auf -h
zurückzuführen ist.
— 504 —
2. /• . >• ^ y . /.
Südböhm. Hlälkcr „stärker" (Fromm. Mda. 6, 505, 39). Das et. Be-
wußtsein des Komperativsufiixes überwiegt das der Stammsilbe; schwz.
Tägliger „Bewohner von Tägerig", et. Bewußtsein der toponymischenEndung;
dt. Maidheere <C ahd. mürljeri (niengl. nmJherie neben raurberie), et. Bew.
des zweiten Bestandteils ; ebenso in ob. Nab Juüfürst. bad. He/rnsf/orf
<; Hermsdorf (mit Unterstützung durch die Volketymologie Herrn- >- Helm),
während in schwalm. BlUmoder „Bergamotter" wieder das bekannte und
durch viele Analogien gestützte Suffix -er erhalten blieb.
3. /■./•>/•.—
Ohne deutsche Beispiele.
Vgl. it. arato < aratro, das eigentlich ein 'alatro erwarten ließe (s. B 1 a a ßß).
Die Stammsilbe ar- wird durch verwandte Bildungen gestützt.
4. y . r > — . /•
Das zweite /• von älternhd. Acklerei -< Arklerei „Artillerie"
(s. Beitrr. 30, 209) findet seine Stütze in den zahlreichen Substantiven
auf -(l)erei; Ufer <; tirol. Urfar(?) „Überfahrstelle an e. Fluß".
Hier könnte allerdings auch das oben (B 1 d «) erwähnte fodern
seinen Platz finden, wenn man annimmt, daß die häufige Endung -ern
durch die Analogie gestützt worden wäre.
Vgl. it. Federico, durch andere Namen auf -rico gestützt; airz. penre, c&i. pendre
„nehmen", durch die Infinitivendung -re gestützt.
5. /./>/.>■
Ohne deutsche Beispiele.
Vgl. lt. militarü, palmaris, fam il iuris, exemplaris, nach der Analogie von htnaris,
regulär is usw., wobei übrigens das noch im Worte befindliche andere / behilflich ge-
wesen sein mag. Gehören hieher auch gr. cpÀavQoç, sp. alcacer neb. alcacel „Gretreide"
<; arab. alcacil infolge des etymologischen Bewußtseins der Stammsilbe?
6. / . / > r . /
Eis. Porischinel „polichinel" -, PortseininJ -< balsamina, wo das / als
bekannte Fremdwort- bezw. Diminutivendung erhalten blieb. In davos.
Furballe <; Fülballe „ein Spiel" mag das etymologische Bewußtsein von
Balle der artikulatorischen Tendenz (s. o. B 2 d a) zu Hilfe gekommen sein.
7. /./>/.//
Deutsche Beispiele fehlen.
Vgl. it. filomena in Anlehnung an Namen und Appellative auf -ena.
8. /./>». I
Schwz. Fazenetl'i < it. fazzoletto, eis. Flascheneil < frz. flageolet
(wobei das erste / nicht in Betracht käme), Hàresènel < Paresölel Dim.
von „parasol", Pfinftn/e < Pastillele „pastille", rappenauisch Straicheniah
< Streichhölzle ; überall durch das etymologische Bewußtsein der Di-
— 505 —
minutivendung. Vielleicht auch mhd. .\7/Ifiitf -^ Livland durch das et.
Bewußtsein von -laut.
B. Die „Volksetymologie-- als umgestaltende Kraft.
Hier sind wir nur auf Vermutungen angewiesen.
1. r . r ^ r . /
Falls obiges Misereli nicht durch miser gestützt ist, so hat die
falsche Anlehnung an die Diniinutivendung -li das /' zu / gewandelt.
2. r . r ^ / . r
Eis. Mckri -\ Mereré -^ mairie „Bürgermeisteramt", vielleicht durch
Anklänge an Bildungen auf frz. -erie (fonderie, laiterie etc.) bewirkt.
Unter Umständen auch bad. Ortsn. Helmsdorf <^ Hermsdorf, wenn das
ApiDellativ Helm den Anstoß zur Dissimilation gegeben hat.
Vgl. frz. altérer „Durst erregen" (falls das Grundwort wirklich *arteriare „einen
entzündeten Hals haben" ist). Dann wäre Anlehnung an altérer „verändern" anzu-
nehmen. It. albero „Baum", nach albero „Weiß^jappel" (s. o. I.\"2aai.
Grundsätzliche Bemerkung-en.
Überblickt man obige Zusammenstellungen, so wird man unschwer
die darin enthaltenen Widersprüche erkennen. Es war mir auch, wie
ich schon eingangs gesagt habe, nicht darum zu tun, ein neues .,aus-
nahmsloses Lautgesetz" aufzustellen, sondern im Gegenteil an Hand
dieser vielgestaltigen und weitschichtigen Erscheinung zu zeigen, wie
unberechenbar die sprachlichen Bewegungen sind, selbst da, wo eine laut-
physiologische Tendenz nachweisbar ist.
Wie die verschiedeneu in Betracht kommenden Momente mit ein-
ander in Konflikt geraten können, möge im Folgendem gezeigt sein.
A. Physiologische Momente im Kampf mit psychologischen.
1. Die Artikulation gegen das etymologische Bewußtsein
und die Analogie.
a) Die Artikulation ist stärker: Rödsfw < Rödsberg (d.h.
anlautend /• ist fester als das etym. Bew. und die Analogie
von -berg).
b) Das etym, Bew. bezw. die Analogie ist stärker: Täg-
liger <. Tägriger (d. h. die i^nalogie des Suffixes -er ist
stärker als die Lautgruppe -gr-j.
2. Der Akzent gegen das etym. Bew. und die Analogie,
a) Der Akzent ist stärker: SjKU'hlig <^ Sparbrig, obschon -brig
-^ -berg in zahlreichen andern Fällen vorhanden gewesen wäre.
— 50() —
b) Das etym. Bewußtsein bezw. die Analogie ist stärker:
stä/ker <; stärker. Obschon das r der Stammsilbe unter dem
Akzent steht und schon durch das etyraolog. Bewußtsein des
Positivs , stark' hätte geschützt sein sollen, hat doch das -er
des Komparativs den Sieg davongetragen. Beim Gegenüber-
stehen so mächtiger Faktoren pflegt gewöhnlich die Dissi-
milation zu unterbleiben.
B. Physiologische Momente im Kampf unter sich.
1. Artikulation gegen Akzent.
a) Die Artikulation ist stärker: Kode?' (d.h. die Tendenz,
daß r vor Dentalen in der Dissimilation gern wegfalle, über-
wiegt die Tendenz, daß /■ unter Akzent sich erhalte.
b) Der Akzent ist stärker: Balh'ier (d. b. Erhaltung des r
unter dem Akzent überwiegt die Erhaltung des r vor Konsonant.)
2. Artikulation gegen Artikulation.
Foderii. Obschon r sich sonst vor Konsonant hält, neigt es vor
Dental doch zum Ausfall. (Bei frz. dial. rudlhre ist das /'hinter
Konsonant fester, als das r vor Konsonant).
Wie ein Gegeneinanderwirken, so kann natürlich auch ein Zu-
sammenwirken mehrerer Momente in Betracht kommen.
A. Physiologische und psychologische Momente.
1. Akzent und etymologisches Bewußtsein, bezw. Analogie:
poliere <^ parieren (d. h. /• kann erhalten bleiben sowohl des
Akzentes als auch der starken Analogie von -iere wegen).
2. Artikulation und etymologisches Bewußtsein bezw.
Analogie: Fosfer <^ Forster (d. h. das erste /• muß weichen
, wegen seiner Stellung vor Dental und Avegen der starken Analogie
von -er.)
B. Zwei physiologische Momente.
1. Akzent und Artikulation: Her/t/if/eu <^ Herbrigen, wo das
erste r sowohl unter Akzent, als vor Konsonant steht.
2. Artikulation und Artikulation: Ladrätt aus Lardrätt, wo
das erste r vor Dental dem Abfall geneigt, das zweite hinter
Konsonant geschützt ist.
C. Zwei psychologische Momente
können unter Umständen angenommen werden (doch läßt sich das ja
kaum feststellen) bei MtserÉli. wo das etymologische Bewußtsein von
miser und die falsche Anlehnung an das Diininutivsuffix -li gleichzeitig
im Spiele gewesen sein können.
Wolfram von Eschenbach und einige seiner Zeitgenossen.
Von
John Meier,
Wolfram von Eschenbacb und Gottfried von Straßburg,
die beiden einzigen großen Epiker der mittelhochdeutschen Litteratur.
sind in ihren Lebensanschauungen und Kunstbegriffen so verschieden,
wie es nur möglich ist. Wenn sie sich im Leben begegneten, mußten
sie sich, wie zwei feindliche Sterne bei ihrem Zusammentreffen nur
desto heftiger abstoßen. So weiß man denn auch, daß ein feindlicher
Zusammenprall stattgefunden hat : nach der allgemeinen Ansicht hat
Gottfried in der bekannten litterarischen Stelle im Tristan (4619 ff. ; be-
sonders 4635 ff.) Wolfram, ohne ihn zu nennen, angegriffen, und dieser
hat dann im Willehalm (4, 19 ff.) darauf erwidert. Der Parzival soll
nach der Vulgäransicht früher als der Tristan verfaßt sein und die be-
kannten Übereinstimmungen der Einleitung des Parzival mit Gottfried
(Parz. 1, 19 = Trist. 4636) sollen sich so erklären, daß Gottfried Wolframs
Bild vom Hasen aufgegriffen habe, um ihn desto wirksamei- zu verhöhnen.
Diese Ansicht hat sich wohl trotz gelegentlichem Widerspruch
(Kläden, Von der Hagen's Germ. 5, 222ff., Baier, Germ. 25 [1880]. 403ff.),
der wegen seiner nicht besonders scharfen Begründung ohne tieferes
Eingehen abgewiesen wurde, allgemein durchgesetzt, und erst ganz neuer-
dingshaben Burdach (D.Rundschau 29 [1902], 253; dann auch Sitzungsber.
der Berliner Akademie 1906. S. 409) und Rieger (Zs. fdA. 46 [1902],
178) die scheinbar ganz überwundene Aufstellung wieder aufgenommen.
Auch ich bin seit Jahren dieser Ansicht, die ich auch stets im Kolleg
vorgetragen habe, und die nachfolgenden Zeilen sollen den Versuch
machen, zum Teil auf Grund neuen Materials, ihre Richtigkeit zu erweisen.
Daß Wolfram bereits im Parzival Gottfrieds Tristan gekannt hat
und, allerdings ohne Xamennennung, an verschiedenen Orten gegen
ihn opponiert, scheinen mir eine Anzahl Stellen mehr oder minder deutlich
zu zeigen.
— 508 —
AVolfram erwähnt leicht tadelnd Parz. 292, 18 ff,, daß Herr Hein-
rieh von Yeldeke wohl davon gesprochen habe, wie man Minne er-
werben, nicht aber, wie man sie festhalten solle und gebraucht offenbar
als Anspielung, duz er smen houm gein iuwerm arde maz. Man hat
bei Veldeke dies Bild vergebens gesucht (Lachmanns Deutung auf
En. 1826 ff. ist wohl allgemein abgelehnt), und es steht auch nirgends
bei ihm, wohl aber bei Gottfried in der erwähnten litterarischen Er-
örterung. Ich setze beide Stellen neben einander und sperre durch den
Druck da, wo ich wörtliche Anklänge sehe,
von Veldeken Heinrich her Heinrich von Veldeke sinen boum
4725 der sprach uz vollen sinnen. mit kunst gein iuwerm arde maz :
wie wol sang er von minnen ! 20 het er uns dô bescheiden baz,
wie schöne er sînen sin besneit ! wie man iuch süle behalten !
er hat herdan gespalten,
er impfete daz erste ris wie man iuch söl erwerben.
in tiutscher zungen : von tumpheit muoz verderben
da von sît este ersprungen, manèges tôren hoher funt.
von den die bluomen kämen, Parz. 292. 18 ff.
4740 dâ si die spsehe uz nâmen
der meisterlichen fünde;
und ist diu selbe künde
so wîten gebreitet,
so manège wis zeleitet,
4745 daz alle, die nu sprechent.
daz die den wünsch dâ brechent
von bluomen und von rîsen
an werten und an wîsen.
Trist. 4724 ff.
Wolfram meint wohl bei Veldeke die Geschichte der Dido uad
vor allem auch die Reflexionen, in denen sich Lavinias Mutter der Tochter
gegenüber in Bezug auf das Wesen der Minne ergeht und in denen
auch nur das Auftreten und die Gewalt der Minne geschildert wird.')
Unter Veldekes Einfluß ist auch die ganze Reflexion über die Minne zu
Stande gekommen, worauf schon Behaghel (En. CCXVI) aufmerksam
macht, aber von Gottfried beeinflußt ist wohl der Gebrauch des bei
jenem an reflektierenden Stellen so beliebten Vierzeilers (eine Minne-
reflexion Gottfrieds Trist. 12187 ff.) und vor allem die Verwendung des
Bildes vom Baum der Kunst. Wolfram erkennt Veldekes Bedeutung an,
aber er opponiert doch, mehr scherzhaft, gegen die Art, wie Gottfried
Veldeke als Muster aufgestellt (lüie wol sang er von minnen und wie
schone er sinen sin besneit) und die Meinung ausgesprochen hatte, daß
1) Vgl. zH. En. 1)846'^ Parz. 291. Uff. und 292. 29 f. • Behaghel (En. CCXVI)
erinnert noch an Parz. 292. 7 ff. '-^. En. 10249.
— 509 —
alle Nachfolger die Feinheit ihrer „meisterlichen Funde" von seinem
Baum entlehnten. Ohne Gottfried zu nennen macht er Opposition: ,der
von dir so gelohte Veldeke, er hat auch nur über das Entstehen der
Minne geredet und hat leider einen wichtigen, ja den wichtigsten Punkt
fortgelassen, nämlich wie man sie festhalten kann.'
Es liegt in Wolframs Art, daß er gern an Stellen, wo er litterarische
und persönliche Anspielungen macht, sich nicht mit einer begnügt,
sondern daß ihm dabei noch anderes, ähnliches in den Sinn kommt,
was er denn auch gleich verwertet. Die verdeckten und offenen An-
spielungen finden sich bei ihm meistens nestervveis, so z. B. Parz. 899, 11
(Veldeke); 401, 6 (Erec); 404, 1 (Heitstein)- 404, 28 (Veldeke) und 419, 12
(Veldeke); 420, 26 (Nibelungen); 421, 13 (Heldensage). So scheint mir
auch an unsrer Stelle in den voraufgehenden Versen auf Tristan und
Isolde, wie Hartmanns Gregorius angespielt zu sein (vgl. schon Martin
zu 291, 22 und 27). Es heisst dort •'
ir (Frau Minne) zucket manegem wîbe ir pris,
unt rät ir sippiu âmîs.
und daz manec hêrre an sînem man
von iuwerr kraft hat missetan,
unt der friunt an sime oesellen
unt der man an sime hérren.
Parz. 291, 21.')
Auch an einer andern Stelle des Parzival, wo Wolfram Hartmanns
Iwein erwähnt und Frau Lunête tadelnd nennt, meine ich in den darauf
folgenden Versen eine stillschweigende Verurteilung von Gottfrieds Heldin
Isolde zu lesen :
swelch wîp nû durch geselleschaft
verbirt, und durch ii- zühte kraft.
pflihte an vremder minne.
als ich michs versinne.
Iset siz bî ir mannes leben,
dem wart an ir der wünsch gegeben.
kein beiten stet ir also wol :
daz erziuge ich. ob ich soi.
Parz. 43ß. 11.
Als der tiimbe Parzival in Torenkleidung an den Artushof kommt,
apostrophiert Wolfram Hartmann von Aue folgendermaßen :
ij Was heißt diu (die Minne) stlez- üf in ir krefte ris :-' Die bisherigen Erklärungen,
die bei Martin zusammengestellt sind, genügen nicht. Sollte es nicht bedeuten können,
.sie pfropfte auf ihn den Zweig ihrer Macht auf ? Parz. 221, 26 f. kann nicht dagegen
sprechen. "Wenn die Erkläi-ung Recht hat, ist Wolfram das Bild unter Gottfrieds Ein-
fluss (er impfete daz erste ris) in den Sinn gekommen. — Zu bemerken ist, daß
Wolfram die bei Gottfried beliebten Vierzeiler verwendet.
— 510 —
min hèr Hartmann von Ouwe,
frou Ginovêr iuwer frouwe
und iuwer hêrre der künc Artus,
den kumt ein min gast ze hûs.
bitet hüeteu sin vor spotte. alsolhes spottes wart dâ vil
ern ist gige noch diu rotte : getriben über den palas.
si sulen ein ander gampel nemn : der arme truhsœze was
daz lâzen sich durch zuht gezemn. ir gige unde ir rotte ;
anders iuwer frou Enide si triben in mit spotte
uut ir muoter Karsnafide umbe und umbe als einen bal.
werdent durch die mül gezücket dâ wart von spotte michel schal,
und ir lop gebrücket. Tristan 11362 if.
soi ich den munt mit spotte zern,
ich wil minen friunt mit spotte wern.
Parz. Ii3, 21 ff.
Wolfram bat hier zugleich Entlehnungen aus dem Tristan gemacht,
wie die daneben stehenden Übereinstimmungen beweisen (vgl. auch
Parz. 143, 27: Trist. 11366 f.), und er zielt damit deutlich auf einen
andern, dessen Ideal Hartmann von Aue war, wie er öffentlich ausge-
sprochen hatte. Wenn nun in ganz ähnlicher Weise Wolfram gleich
darauf von Parzival sagt :
in zôch nebeln Curvenal :
er künde kurtôsîe niht,
als ungevarnem man geschiht,
SO wird dies wohl nicht auf Eilhards, sondern auf Gottfrieds Tristan zu
beziehen sein.
Eine ähnliche O^oposition, wie oben, wo neben Hartmann, der ge-
nannt ist, doch Gottfried deutlich mitgeraeint wird, scheint mir in der
Selbstverteidigung, die zwischen dem zweiten und dritten Buch einge-
schaltet ist, vorzuliegen. Hier wird keine der Persönlichkeiten namhaft
gemacht, gegen die sich Wolfram wendet, aber man hat Reinmar von
Hagenau und Hartmann von Aue deutlich erkannt. Ihnen scheint sich
mir auch Gottfried zuzugesellen. Die Verse
ich solt iu fürbaz reichen
an disem meere unkundiu wort.
swer des von mir geruocbe,
dem zels ze keinem buoche.
beziehe ich auf Gottfrieds Vorwürfe Tristan 4681 ff. (vergl. Parz. 115, 8 'x.
Tristan 4684 f.), und erst das Folgende ist auf Hartmann gemünzt, der
in den Anfängen des Iwein und Gregorius seine Gelehrsamkeit be-
tont hatte.
Die Stellen, an denen Wolfram im Parzival auf Gottfried anspielt,
sind über verschiedene Bücher zerstreut ; sie finden sich, abgesehen von
— 511 —
der eingeschobenen Selbstverteidigung, in Buch III, VI, IX. Also schon
in den am frühesten verfaiiten Büchern des Parzival hat Wolfram den
Tristan Gottfrieds gekannt. Aber was hat denn Gottfried vorgelegen
und ihm das Material zu seinem Urteil gegeben ? Wir werden annehmen
müssen, daß Wolfram diese Bemerkungen erst bei einer zweiten Aus-
gabe anfügte, und daß Gottfried die erste Ausgabe vorlag, als er in
seinem Tristan Wolfram angriff- Wie viel genau er gekannt hat, das
wird kaum mit Sicherheit festzustellen sein. Nimmt man, was ich für
wahrscheinlich halte, an, daß die Stelle im Tristan 7939 ft'. sich gegen
Parz. 481, (j ff'. (Buch IX) wendet, so muß man es wohl als sehr möglich
hinstellen, daß Gottfried mindestens Parz. Buch I — IX vorlag und daß
er auf Grund dieser Kenntnis die oft erwähnte litterarische Kritik Wolf-
rams schrieb, gegen die meines Erachtens sich Wolfram an den ver-
schiednen vorhin erwähnten und andern noch zu nennenden Stellen und
vor allem auch in seiner Einleitung gewandt hat.
Um aber sicheren Boden unter den Füßen zu gewinnen, müssen
wir noch mit einigen Worten auf die Interpretation der litterarischen
Stelle eingehen. Schon seit langen Jahren war es meine Überzeugung,
daß die gewöhnliche Erklärung von Tristan 4663 ff. falsch sei, und ich
glaubte hier mit Sicherheit Vorwürfe, die aus dem Leben und Treiben,
wie der Sprache der Gauner entlehnt waren, wiederzuerkennen. Bei
einer Unterhaltung, die ich mit K. Burdach Januar 1905 in Berlin
hatte und wo ich ihm davon berichtete, machte dieser mich auf seinen
mir unbekannt gebliebenen Aufsatz ,Der mythische und der geschicht-
liche Walther' (D. Rundschau 29 [1902]) aufmerksam, wo er S. 253 ff.
einen großen Teil des auch von mir Gefundenen schon veröffentlicht hatte.
Ich betone dies Zusammentreffen vor allem deshalb, weil seine Zufällig-
keit doch dem ganzen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit gibt.
Gottfried apostrophiert 4663 ff. den bekämpften Ungenannten :
vindsere wilder meere,
der mtere wildeneere,
die mit den ketenen liegent
und stumpfe sinne triegent,
die golt von swachen Sachen
den kinden kunnen machen
und ÛZ der bühsen giezen
stoubîne^) mergriezen :
die bernt uns mit dem stocke schate.
niht mit dem grüenen meienblate,
mit zwîgen noch mit esten.
') stoubecjen M. stonbi/jen B, siuicigen E. Alle übrigen hdschl. Lesarten weisen
auf stoublne zurück.
— 512 —
Wer die sind, die mit den Ketten lügen, darüber hat man nur
Unbefriedigendes zu sagen gewußt. Das Richtige ist, daß, was auch
Burdach hervorhebt, an Gaunerklassen zu denken ist. die im Liber
Vagaformn von 1510 (Kluge, D. Gaunersprache 1, 39j Lofouer ge-
nannt und so geschildert werden : das sind heiler, die spi'echenn, sie
seien VI oder VII jar gefangen gelegen, vnd tragen der ketten mit gnm,
darin sie gefangen sind gelegen. Ahnlich sind die Vopper, die lassen
sich an ysin ketten füren, als ob sy vnslnnig weren (1. c. S. 46 ; vergl.
auch die Sündveger S. 48). Aber auch die zur Täuschung Einfältiger
Gold aus geringwertigen Metallen fälschen oder von Erde gemachte Perlen
aus der Büchse, in der sie aufbewahrt werden, herausrollen lassen, sind
bei den Gaunern nachzuweisen. Es ward im Liber Vagatorum folgender
Gaunertric geschildert (Kluge, D. Gaunersprache 1,52): Item Es sind
auch efllcJi vnder den vorgenanten, ican sie inn die dörffer kummen so
haben sie fingerlin ron kimterfei gemacht, vnd heschgssen ein ßngerlin mit
kot und sprechen dann sie haben es fanden ob einer das kauff'tn wall, so
irent dan ein einfaltige hützin es sg silber vnd kennen es nit, vnnd gibt
im VI pfennig oder mer dar vmh. da mit wärt sie dann betrogen, dm
seihen gleichen pater noster oder andere Zeichen, die sy vnder den mentlen
tragen, die hei.^sen viltner.
Die Lesart stoubege, die noch besser zu dem ganzen Verfahren
passen würde, wird durch die handschriftliche Überlieferung, wie es
scheint, nicht als die richtige erwiesen. Wiltner heißt diese Gaunerart,
mhd. nildenœre: sie sind Leute, die wildez als zam ausgeben. Und
das gleiche wird Wolfram von Gottfried vorgeworfen : Erfindern wilder,
seltsamer, unecliter, falscher Geschichten, Verfälschern der Erzählungen
und Gaunern, die das Publikum täuschen mit falschen Waren, wird er
gleichgestellt. Die welche das tun, geben uns kein tiefes, noch nach-
haltiges Ergötzen. Ihre Dunkelheit wird hervorgehoben, und daß man
die Glosse in den „schwarzen Büchern" suchen müsse, führt uns eben-
falls in das Milieu der Gauner hinein.
Was Wunder, wenn Wolfram über diese Art der Polemik in den
Harnisch geriet und nun auch in seiner Einleitung derb zupackte: Dunkel-
heit, Versclirobenheit, Stillosigkeit, Fälschung des Überlieferten und
Täuschung des Publikums hatte Gottfried ihm vorgeworfen. Und auf
diese Vorwürfe geht er an den verschiedenen Stellen seiner Dichtung
ein ; vor allem in der Einleitung zum Parzival, auf die ich in Kürze
deshalb noch eingehen muß.^)
') Ich gehe hier absichtlich nicht polemisierend auf abweichende Ansichten
anderer ein, sondern gebe nur dem Zweclie entsprechend das nach meiner Meinung
richtige in positivon Aufstellungen.
— 513 —
In ihren ersten vierzehn Versen stellt Wolfram das Thema seiner
Dichtung auf und ich bin mit Xolte (Der Eingang des Parzival [Mar-
burg lüUO] Ö. 4î> f.) der Ansicht, daß der hier herrschende ruhige Ton
sich von dem folgenden lebhaften, polemischen Teile (1, 15 — 4, 8) so ab-
hebt, daß es höchst wahrscheinlich wird, Wolfram habe beides nicht
hinter einander gedichtet, sondern den ersten Abschnitt schon einer
früheren Ausgabe seines Werkes, die vor den Tristan fallen würde, vor-
gesetzt. Daß die Abschnitte auch zahlenmäßig gut stimmen (1, 1 — 14;
4, 9—26 = 32 Verse), scheint mir als ergänzend nicht ganz gleichgültig
trotz Leitzmanns heftiger Opposition (Zs. fdPh. 35, 137).
In diesen ersten vierzehn Versen erscheint mir alles klar, wenn
man einen bisher übersehenen Punkt noch beachtet: nâchgehûre be-
zeichnet ein dauerndes Verhältnis und ist g]eiclil)edeutend mit geselle^
was der jüngere Titurel, der meines Erachtens immer noch mehr als
bisher zur Einzelerklärung heranzuziehen ist, noch deutlicher ausdrückt
durch den Zusatz ilit die lenge (22, 1). Es ist hier die Charakteranlage
gemeint (vgl. Bötticher Herrigs Archiv 107 [1901], 140) und es drückt
fast das gleiche aus, wie der Bibelspruch Jakobi 1, 8 : \lr duplex
aiiimo inconstans est in omnibus vus suis. Der zivivel (dessen Be-
deutung mir Noite nach dem Vorgange andrer endgültig richtig bestimmt
zu haben scheint), der dauernd in dem Herzen Wurzel gefaßt hat, führt
zur Hölle. Wo sich aber unablässig strebender, zielsicherer Sinn (Leitz-
mann Zs. fdPh. 35, 132, wo weitere Litteratur) schwarz und weiß ab-
setzt, da ist zugleich Schmach und Zierde. Auch hier handelt es sich
bei dem parieren nur um ein gelegentliches Herantreten an eine anders
geartete Grundlage. Der Gegensatz wäre ein verzaget mannes muot, der
sich parieret^ der dann in die Hölle kommen würde, weil hier die ständige
Grundlage das Schlechte wäre. Der Geselle des Wankes (eine dauernde
Verbindung wird ausgedrückt !) ist schwarz, der dem stäte Gedanken
eignen weiß. Drei Kategorien : die im Charakter unstäten, von zwivel
erfüllten (1, 1 f . -, 1, 10 ff.), die im Charakter ganz stäten (1, 13 f.), die
deren Charakteranlage gut ist, aber an die im Laufe des Lebens imstœte,
untriuwe, wanc herantreten kann. Das ist bei Parzival der Fall, als er
untriuwe gegen Gott begeht (462, 18 f.) und ihm absagt (332, 1 ff.). Die
stœie bewährt er aber im Verhältnis zu seiner Gattin und der stäte
Charakter hilft ihm die untriuwe, den icanc zu überwinden.
Diese einleitenden Bemerkungen waren offenbar als dunkel und
verschroben angegriffen worden, so daß sich Wolfram in einem ersten
Teile (1, 15 — 2,5) zu den Angreifem, die er als tumbe Hute bezeichnet,
wendet, während er in dem zweiten (2, 5 — 2, 22) zugibt, daß auch eine
Ergänzung für tvise Hute noch am Platze sei (vgl. Parz. 399, 4 min
leiser und min tumber). Dies fliegende Gleichnis (absichtlich doppelte
33
— 514 —
Bedeutung : fliegend, rasch beweglich und Vogelgleichnis) ist einfältigen
Leuten gar zu schnell, sie vermögen es nicht mit ihren Gedanken zu
fassen, denn es bewegt sich hin und her wie ein aufgescheuchter Hase.
Für die folgenden strittigen Verse ist etwa zu ergänzen ,Es liegt diese
Unklarheit und Unsicherheit im Wesen des Bildes' : ein Spiegel und die
Träume des Blinden (formelhaft, vergl. Walther 122, 24 ff., Singenberg
Schweiz. MS. 51, 11 und 23 Xo. 30, Hardegger HMS. 2, 135 Str. 4)
geben nur ein ungenaues und flüchtiges Bild und gewähren deshalb nur
kurze Freude. Darum macht mir der, der das tadelt, ungerechte und
grundlose Vorwürfe, die mich nicht treffen. Fürchte ich mich davor, so
bin ich gerade so klug als wenn ich Treue da finden will, wo es ihre
Art ist zu verschwinden, wie Feuer im Brunnen und Tau in der Sonne.
Dunkelheit und Schwerfaßbarkeit liegen im Wesen des Bildes,
meint AVolfram und beweist es durch den Spiegel und den Traum des
Blinden. Darum kann ihn, wie er denkt, deshalb kein Vorwurf treffen.
Für diese Interpretation spricht die im jüngeren Titurel (47, 1 ff.)
stehende Formulierung :
Ein glas mit zin vero^ozzen vncl treume des blinden triegent,
Hat leraan des verdrozzen so wundert mich uiht ob die gein mir kriegent.
Diese Bemerkungen Wolframs richten sich, wie schon Rieger (a. a. O.)
meint, gegen Gottfrieds Kritik (daß es eine persönliche Abwehr ist, dafür
könnte auch der Gebrauch der ersten Person 2, 26 ff. sprechen), und mir
scheint sogar in 2, 1 f. noch eine ganz besonders bissige Bemerkung zu
liegen, die sich etwa gegen die mangelnde triuwe von Gottfrieds Helden
und Heldin richtet.
Im Folgenden wendet sich Wolfram an die Weisen und erkennt
offenbar einen Teil von Gottfrieds Polemik als berechtigt an, für welche
Beziehung auch der jüngere Titurel eintritt, wenn er Str. 33, 4 sagt:
Durch sinnericher 1ère muoz ich die wilden mer zam hie stellen.
Wolfram zeigt uns, daß positiv und negativ fvliehen unde jagen
formelhaft vergl. Zs. fdA. 13, 175, Haupt zu Neidh. XLI, 12 und Penis
Schweiz. MS. 7, 7 Nr. 5) die Erzählung gute Lehren giebt. Wer
sich auf alles versteht, weder durch falsches Unterlassen noch Tun, noch
überhaupt sonst unrichtig handelt, an dem hat Frau Witze ihr Meister-
stück gemacht. Dagegen führt ein falscher Charakter in die Hölle und
ist auch eine Vernichtung alles Adels, aller Tüchtigkeit {falsch fje-
selledicher muot 2, 17 = eine der Falschheit gesellig verbundene Ge-
sinnung; vergl. der imstœte geselle 1, 10). Seine (vorgegebene, schein-
bare) Treue versagt, verschwindet bei der ersten Gelegenheit, wo sie sich
bewähren soll. Das ist der Sinn der dunklen Stelle. Und dieser Sinn
— 515 —
paßt hier vortreftlicb : Wie bei dem, der imverzageten maiines muof be-
sitzt, auch ein parieren mit unstate nicht ewig schadet, sondern über-
wunden wird, so kann hier umgekehrt ein innerlich falscher nmot die
Treue, mit der er sich pariert hat, nicht halten; bei der Probe versagt sie.
Soweit ist hier von Männern die Rede. Der folgende Teil (2, 2.3
bis 3, 24) handelt von Frauen, während in den bisherigen Distinktionen
(unrichtig hier Xolte!) von Männern geredet war. Hier wird ein Ideal
für Frauen aufgestellt (vergl. ähnlich Parz, 819, 4). Parallel mit 2, 20 li".
steht die Bemerkung, daß das falsche Lob der Frauen keine Dauer habe.
Im Folgenden scheint mir eine direkte Bekämpfung von Gottfrieds
Heldin und ein Rechtfertigen seines eignen Verfahrens vorzuliegen, zum
Teil mit von Gottfried verwendeten Ausdrücken und Bildern:
manec wîbes schœne an lobe ist breit : wir haben ein bœse coiiterfeit (falsche
ist dâ daz herze conterfeit. in daz vingerlin geleit [Minne)
die lob ich als ich solde und triegen uns dâ selbe mite,
daz safer ime golde. Trist. 12809 ff.
Parz. 3. 11 tl'.ii
"Wolfram will nicht Schönheit ausschließlich bewundern, sondern
er schätzt höher echte Weiblichkeit (edeln rubhi). wenn sie auch nicht
eine so schöne Außenseite hat. '^)
In dem sich dann anschließenden Teile geht Wolfram näher auf
das Thema seiner Dichtung ein und charakterisiert sie. Er hebt die
Schwierigkeit der Aufgabe hervor, indem er zugleich damit auf eine
Stelle in Gottfrieds Tristan, ihn ironisch verhöhnend (4, 5), an.spielt. Der
Passus steht in der Einleitung der litterarischen Stelle.
nu lât min eines weseu dri, ob ich der sinne hfete
der ieslîcher sunder i^hlege zwelve, der ich einen hân.
daz miner künste widerwege : mit den ich umbe solte gân,
dar zuo gehörte wilder fuut3| und wyere daz gefiiege,
op si in gerne tseten kunt daz ich zwelf zungeu triiege
daz ich iu eine künden wil. in min eines munde,
si beten arbeite vil. der iegelîchiu künde
Parz. 4, 2 ff. sprechen, alse ich sprechen kan,
iue wiste, wie gevâhen an u. s. w.
Trist. 4602 0'.
Mit Absicht sind wir erst über die weitgehenden und wichtigen
Folgerungen hinweggegangen, die sich aus der Kritik Gottfrieds ziehen
lassen. Wir wollen dies jetzt nachholen. Wie wir sahen, warf Gottfried
1) Vergl. Landegg Schweiz. MS. 237, 21, Litschauwer HMS. 2, 386a.
-) Ich interpungire etwas anders als Lachmann: Punkt nach 3, 18. Die Klam-
mern bei o, 19 fallen fort, und ein Komma tritt an den Schluß der Zeile, während
nach 3, 20 ein Pimkt zu stehen hat.
^) Vergl. icildiu mare 503, 1.
— 516 —
Wolfram vor allem vor, daß er seinem Publikum gefälschte und unechte
Geschichten als wahr verkaufe. Und wir werden sicherlich diesem Aus-
spruch eines litterarisch versierten Dichters, wie Gottfried, der auch in
der französischen Litteratur zu Hause war, Beachtung schenken müssen. Hier
spricht also ein Zeitgenosse Wolfram von Eschenhach die Richtigkeit seiner
Erzählungen ab und scheint sie als erfunden und von der Überlieferung ab-
weichend hin zu stellen. Gottfried hat offenbar bemerkt, daß Wolframs
Erzählung über Chrestien hinausgeht und zum Teil freie Erfindung dar-
stellt. Es scheint mir dies ein nicht unwichtiges Argument gegen die
Existenz Kyots zu sein.
Wir werden uns weiter die Frage vorlegen dürfen, ob nicht die
merkwürdige, an bestimmte Tristanstellen anklingende Art, in der Wolfram
von Kyot und der Auffindung der Graldichtung spricht, direkt unter
dem Einfluß Gottfrieds zu stände gekommen ist. Ob es nicht eine
ironische Verspottung Gottfrieds, indem er die ganze tolle Geschichte
über das Gralbuch ausheckt, und zugleich doch eine Beschwichtigung
des großen Publikums war, das auf die durch eine Quelle bezeugte
Authentizität Wert legte, die Wolfram damit beabsichtigte?
Wolfram sagt:
Swer micli davon ê fragte sine sprachen in der rihte uiht,
unt drumbe mit mir bâgte, als Thomas von ßritanje giht,
ob ichs im niht sagte, der aventiure meister was
unpris der dran l>ejagte. und an britûnschen buochen las
Parz. 453, 1 ff. aller der lanthêrren leben
Kyot der meister wis nnd ez uns ze künde hat gegeben,
diz msere begunde suochen Als der von Tristande seit,
in latînschen buochen. die rihte und die wârheit
begunde ich sêre suochen
er las der lande chronica in beider hande buochen
ze Britâne und anderswâ, waischen und latinen,
ze Francriche unt in Jrlant : und begunde mich des pinen,
ze Anschouwe er diu meere vant. daz ich in sîner rihte
Parz. 455, 2. rihte dise tihte.
Vgl. 827, 1 ff. aVistan 149 ff.
Noch einmal im Willehalm ist Wolfram auf Gottfrieds Angriffe
zurückgekommen, denn ihn meint er wohl, obgleich er ihn nicht nennt,
wenn er dort (4, 19 ff.) sagt:
ich Wolfram von Eschenbach.
swaz ich von Parzival gesprach
des sin âventiur mich wîste,
etslîch man daz prîste :
ir was ouch vil, diez smsehten
und baz ir rede wsehten.
Auch hier wieder betont Wolfram speziell noch seine Quellen treue
(des sin aveiüiure mich ivisie). Lustig spottend weist er an einer andern
— 517 —
Stelle den Vorwurf der Dunkelheit seiner Geschichten und der Unbe-
hülflichkeit seiner Darstellunix zurück, indem er zugleich offenbar Gott-
fried ebenso wie in der Einleitung zum Parzival als Innip bezeichnet:
Herbergen ist loschiern genant.
8Ô vil hau ich der spräche erkant.
ein ungefiieger Tschampâneys
künde vil baz fraiizeys
dann ich. swiech franzoys spreche.
seht waz ich an den reche,
den ich diz msere diuten so! :
den zteme ein tiutschiu spräche wol :
min tiutsch ist etssvâ doch so krump,
er mac mir lihte sin ze tump
den ichs niht gâhs bescheide :
dâ sûrae wir uns beide.
Wh. 237, 3 ff.
In Gottfried erkannte Wolfram offenbar einen ihm gewachsenen
und gefährlichen Gegner, daher die Schärfe und Bitterkeit des ohne
Namensnennung geführten Kampfes. Eine ganz andere Stellung nimmt
Wolfram zu H art mann von Aue ein. Wo er ihn nennt, behandelt
er ihn etwas von oben herunter und traktiert ihn mit gutmütigem Spott (Parz.
143, 21-, 826, 28). Er zieht ihn auf wegen seiner Eitelkeit auf seine gelehrte
Bildung (Parz. 115, 27) und bekämpft seine lockere Anschauung über das
Herzensverhältnis zwischen den Gatten, wie sie im Rat der Lunete zur
Geltung kommt (Parz. 253, lOff. ; 436, 5 ff.). Mehrfach al)er trifft er
Hartmann nur deshalb, weil ihn Gottfried als den ersten der Epiker
gepriesen hatte. Öfters auch zitiert er ihn blos (Parz. 401, 8 ff.; 583, 26 ff.).
Anerkennender steht er zu Yeldeke, obwohl er auch hier — zum
Teil wieder in versteckter Polemik gegen Gottfried — dies und das auszu-
setzen hat (Parz. 292, 18 ä\). Im Ganzen aber spricht Wolfram rühmend
von ihm und lobt seine große Kunst (Parz. 404, 29; Wh. 76, 25;
415. 7 ff.; vergl. Behaghel En. CCXVI ffV). Er benutzt die Enéide öfters
(Parz. 399, 11; 419,11; 481,30; 504,25; 589, 8 und 14; 590, 7 ö\ und
592, Iff".; 767, 2 ff'. ; Wh. 229, 27).^) Seine Kenntnis der Enéide verrät
er erst vom VI. Buch des Parzival an. An einer Stelle scheint er noch
gegen Veldekes äußerliche Anschauung von der Minne zu opponieren
und im Wortlaut unter dem Einfluß der Enéide zu stehen, was in der
Hauptsache schon Behaghel (Eu. CCX VII f.) bemerkt hat :
Manec min meister sprichet so, der minnen got Cupîdô
daz Amor unt Cupîdô end Âmôr sin broeder
unt der zweier muoter Avenus end Venus sin moeder,
den liuten minne gebn alsus, die hân mich onsachte gewont.
En. 10156.
1) Ist das Bild vom waijen der Minne (Parz. 130. 4) von Veldeke (En. 9841)
angeregt?
518
mit geschôze und mit fiure.
diu minne ist ungehiure.
swem herzenlîchiu triuwe ist bî,
der wirt nimmer minne frî,
mit freude, etswenn mit riuwe.
reht minne ist wâriu triuwe.
Cupîdô, dîn strâle
mîn misset zallem mâle •
als tuot des hérn Amôres gêr.
sît ir zwêne ob minnen hêr.
unt Vénus mit ir vackeln heiz,
umb solhen kurober ich niht weiz.
sol ich der waren minne jehn,
diu muoz durch triuwe mir geschehn.
Parz. 532, 1 ff.
Weiter vgl. noch Wh. 24, 5 und 25, 14.
Gegen die Minnesänger hat Wolfram manches einzuwenden (Parz.
115, 13 f.; 587, 7) und speziell Reinmar von H agenau verfolgt er mit
leichtem Spotte. Schon L. Grimm (Wolfram von Eschenbach und die
Zeitgenossen I. Diss. Leipzig 1897) hat S. 22 ff. auf ein paar Fälle hin-
gewiesen, bei denen ich allerdings im Gegensatz zu Grimm überall
AVolfram den Spott über ihm bekannte Stellen Reinmars zuweisen möchte.
Möglich aber nicht sicher liegt eine Beziehung zwischen Parz. 188, 20 ff.
und MF. 164, 21 ff. vor, wo von der Stummheit der Liebenden bei ihrem
Zusammensein die Rede ist. Wahrscheinlicher schon ist eine Beziehung
von Parz. 127, 26ff. und 131, 19 zu MF. 172, 9ff. und 181, 11 f.
swâ du guotes wîbes vingerlîn
mügest erwerben und ir gruoz
daz nim.
der hère Amor hat mich geskoten
met den guldînen gère.
des moet ich quelen sére.
end moet et koupen dure
met den heiten füre
brennet mich frouwe Vénus.
En. 10110.
sint her (Dido) Venus die strâle
in dat herte geskôt,
si leit ongemac grôt,
die märe frouwe Dîdô.
doe quam der hère Cûpîdô
met sînre vackeln dar toe.
En. 860 ff.
Vgl. 808 f. ; 11060 ft'. ; 11078 ff.
weiz got, wîbes vingerlîn
daz sol niht sanfte nû zerwerben sîn.
diu frouwe was mit wîbes wer :
ir was sîn kraft ein ganzes her.
Parzival.
niemer wirde ich âne wer :
bestât er mich, in dunkt min eines Vi])
[ein ganzez her.
Reinmar.
Die realistische Ausdeutung eines poetischen Bildes zeigt sich Parz.
584, 12 ff., wo offenbar Reinmars Gedicht MF. 194, 21 ff., das übrigens
auch noch HMS. 1, 338 nachgeahmt ist, zu Grunde Hegt:
Orgelûse dringt in Gawans Herz :
wie kom daz sich dâ verbarc
so groz wîp in so kleiner stât?
si kom einen engen ])fat
in Gâwânes herze,
daz aller sin smerze
von disem kuniber gar verswant.
ez v/as iedoch ein kurziu vvant.
dâ so lanc wip inne saz,
der mit triuvven nie vergaz
ein minneclîchez wunder dô geschach :
si gie mir alse sanfte dur mîn ougen
daz si sich in der enge niene stiez.
in mînem herzen si sich nider liez :
dâ trage ich noch die werden inne tousfen.
La stân, là stân ! waz tuost du, stelic wîp.
daz du mich heimesuochest an der stat
dar so gewaltecHche wîbes lîp
— 519 —
sÎD (ii< nstlichez wachen. mit starker heimesuoche nie getrat?
niemeu sol des lachen. genâde. irouwe! ich mac dir niht gestrîten.
daz alsus weriîchen man
ein wîp enschumpfieren kan.
Stoscli (Zs. fdA. 27, 817 f.) hat darauf hingewiesen, daß eine
Stelle in der Selbstverteidigung Wolframs,
sin lop hinket ame spat,
swer allen frouwen sprichet mat
durch sin eines frouwen
(Parz. 115. 5 ff.), gegen Reinmar (MF. 159, 9 ff.) gerichtet ist. Ähnlich
spricht sich Gottfried über Isolde aus (Trist. 8291 ff.), wo er es aber
ablehnt, durch ihr Lob andere Frauen zu erniedrigen :
daz si alle lobes von wîben sagent,
swaz si mit lobe ze mseren tragent,
deist allez hie wider ein niht.
mit ir enist kein ander wip
erleschet noch geswachet,
als maneger mjere machet u. s. w.
Vergl. Parz. 338, 8 ff.
Auch "Walther von der Yogelweide hat jene Reiniuarstelle
aufgegriffen und bekämpft (111, 23 f.), wogegen Reinmar MF. 197, 8
repliziert.
Hier, wie mitunter auch sonst (Parz. 297, 24 ff.) weiß sich Wolfram
mit Walther eins, aber auch sie beide hat der Gegensatz der Kunstan-
schauungen in Polemik verwickelt, die Burdach (a. a. 0.) scharfsinnig im
Einzelnen verfolgt hat. Auch hier ein Hin und Her. Wolfram, ganz Ritter,
sieht auf Walther, den wandernden Spielmann und Minnesänger, etwas herab
und dieser fühlt sich ihm an modischer Feinheit der Kunst überlegen.
So hat, wie Burdach (D. Rundschau 29 [1902], 246 ff'.) meint, Wolfram Parz.
294, 21 angefangen, sich an Walther (40, 19 ff.) zu reiben (vergl. Haupt
zu Neidhard 77, 25). Dieser hat mit einer Anspielung in dem Spruch
20, 4 ff. geantwortet und Wolfram hat das verächtlich hingeworfene
kemphe dann Parz. 115. 3 lobend aufgenommen (vergl. Neidh. 78, 21 f.,
worauf Stosch a. a. 0. hinweist). Er hat den schmachtenden Minne-
sänger in der Parodie auf den Spruch vom Spießbraten (17, 11 ff.) von
neuem im Wiilehalm 286, 19 ff", verspottet. Dagegen vermag ich zu
meinem Bedauern aus verschiedenen Gründen Burdach nicht beizustimmen,
wenn er in der Stelle Wh. 186, 7 ff. eine Anspielung auf Walthers Spruch
von dem Wasser, womit er in Tegernsee bewirtet war, sieht. \l
1) Steht das Bild, das einen Mann als der minnen insii/el bezeichnet, bei "Wolfram
585, 21 und Walther 82. 5 in näherer Beziehung?
— 520 —
Wie über Reinmar und AValther, so spottet Wolfram auch über
Xeidbart von Reuental im Willehalm, indem er, seine Manier witzig
tadelnd, bemerkt:
man muoz des sîme swerte jeben,
het ez her Nîthart gesehen
über sînen geubühel tragen,
er beguudez sinen friunden klagen.
Auch die Dichtungen der Heldensage, voran das Nibelungenlied
(Parz. 420, 25 ff; 421, 5 ff.) benutzt er, um spöttlich in seiner Dichtung
zu charakterisieren und macht daneben aber auch gelegentlich Anspie-
lungen auf andere Dichtungen der Heldensage (Parz. 420, 22; 421,
23 ff.; Wh. 139, 16 ff.; 384, 18 ff.)
Das Wichtige und Interessante l)ei all diesen Anspielungen ist nicht
so sehr die genaue Litteraturkenntnis des Dichters, sondern der über-
raschende Einblick, den wir in die Bildung seines Publikums, der feinen
höfischen Gesellschaft, erhalten. Die eben erwähnten Anspielungen und
gewiß noch zahlreiche andere, die wir nicht mehr erkennen, müssen trotz
den vielfach nur leichten Anklängen von den Zuhörern sofort in ihren
Beziehungen verstanden sein, da sonst der W^itz vollständig versagt hätte.
Welch eine Tiefe und Weite der litterarischen Bildung, welch eine Fein-
heit des Verständnisses und Leichtigkeit der Auffassung, welch eine Ab-
rundung und Gleichmäßigkeit der Bildung in diesen höfischen Kreisen
setzt das alles voraus ! In der Tat eine hohe geistige Kultur, die an
den htterarisch interessierten größeren und kleineren Höfen und in der
feinen ritterlichen Gesellschaft vorhanden gewesen sein muß, und ein hoch-
entwickeltes künstlerisches Gefühl, das vom Inhalt abgesehen, auch die
veine Form als solche zu schätzen wußte, wenn ja dies gerade in der
Lyrik dann auch zu Übertreibungen führte. Nicht ganz gleichmäßig in
ihrer Geschmacksrichtung und Ausbildung, aber überall doch vertraut
mit den bedeutendsten litterarischen Erscheinungen, so daß die Dichter
jener Tage — eine wichtige Tatsache und eine Vorbedingung künstle-
rischer Wirkung! — auf ein hochentwickeltes und meist geistig interes-
siertes Publikum zählen konnten. Daß der Geschmack der Zeit vielfach
auseinander ging, zeigen uns die bald mehr, bald minder deutlich her-
vortretenden Fehden der Dichter, und daß gerade eine als Mensch und
Künstler so extrem und individualistisch angelegte Persönlichkeit wie
Wolfram von Eschenbach aktiv und passiv eine entschiedene Stellung-
nahme in künstlerischen Fragen ganz besonders herausforderte, das ist
leicht verständlich, und das haben uns auch die vorstehenden Seiten gelehrt.
Basel, im September 1906.
Elterliche Teilung.
Von
Ernst Rabel.
Der französische Code civil art. 1075 — 1080 faßt unter dem Namen
der partages faits par père, mère ou autres ascendants entre leurs des-
cendants einige Rechtsgeschäfte zusammen, deren Vorgeschichte sowohl
in die justinianische Gesetzgebung als in die deutschrechtlichen Grund-
lagen der Coutumes zurückgreift. Wendet sich unser Blick noch weiter
zurück, so fällt er auf eine aufgelöste Zahl von Erscheinungen, auf elter-
liche Teilungen, welche den verschiedensten gesellschaftlichen Organi-
sationen und den mannigfaltigsten Stufen der Rechtsentwicklung ange-
hören, den abweichendsten Zwecken dienen und vielmals ihre Gestalten
abwandeln. Einem so stark zerfließenden Thema einige Worte zu widmen,
schiene wertlos, wäre nicht gerade die Vielheit in den Funktionen der
elterlichen Teilung oft verkannt. Xoch jüngst meinte ein verdienstlicher
holländischer Gelehrter ganz allgemein, und ungefähr gleichzeitig ein
italienischer Forscher im Hinblicke auf Attika die vermeintlich einheit-
liche Einrichtung schlagwortartig kennzeichnen zu dürfen. ')
Der Xame „elterliche Teilung" deckt keinen technischen, geschweige
denn einen für alle Rechte gültigen Begriff, da Rechtsform, Effekt und
Zweck variieren. Insofern wir jedoch dabei zunächst an einen Parens
als Subjekt, Abkömmlinge als Begünstigte und an ein Vermögen oder einen
Vermögenskomplex als Objekt des Rechtsgeschäfts denken, so ergibt sich
immerhin die nicht gleichgültige Frage, welche besonderen Entwicklungen
derartige Rechtsakte etwa im Laufe der Zeiten erfahren haben und in
1) J. C. Naber fil., Mnemosyne X. S. 34, 1906, 64 — 72; er beantwortet seine den
Papyrusurkundeu gegenüber aufgeworfenen (p. 66) Fragen: quid sit divisio und quid sit
testamentum ? mit einer rein formalen, aus der J ustinianischen Kompilation abgeleiteten
Unterscheidung. — Vincenzo Arangio-Ruiz, La successione testamentaria secondo i papiri
greco-egizii, Xap. 1906; vgl. unten S. 5o3 X. 1.
— 522 —
welchem Verhältnis sie zu anderweitigen Rechtsinstituten stehen. Diese
Frage gewinnt noch an rechtsgeschichtlicher Schärfe dort, wo die alten
Rechte selber Ausdrücke wie divisio, fieçiofiôç und ähnliche gebrauchen.
Auf zwei durch einen solchen Sprachgebrauch möglicherweise beleuchtete
Punkte darf man sofort hinweisen : auf die nähere Beziehung zu anderen
Verteilungen der Vermögensstücke, im Gegensatze zur Erbeinsetzung auf
Quoten ; und auf den gedanklichen Zusammenhang mit Auseinander-
setzungen an gemeinscliüfllkhem Gut,
Die nachfolgenden Zeilen stellen sich aber nur die bescheidene
Aufgabe, das Gesagte beispielsweise zu illustrieren. Das deutsche Recht
mit seinen zahlreichen, durch viele Jahrhunderte in festen Gedanken-
bahnen verlaufenden Nachrichten gewährt uns sehr rasch eine deutlich
umschriebene Gruppe hierher gehöriger Akte ; das helle Licht der klassisch-
römischen Überlieferung zeigt uns einen anderen, geringer Erläuterung
bedürftigen Typus. Um so mehr Fragen ergeben die spärlichen und doch
so reizvollen Quellen des griechischen Rechtskreises. — Fühlte sich unter
den um das hellenische Recht hochverdienten deutschen Philologen der
eine oder andere angeregt, den schon berührten sprachlichen und den
sich beigesellenden kulturgeschichtlichen Problemen nachzugehen, so wäre
der hauptsächlichste Wunsch erfüllt, der dieses juristische munusculum
levidense an Basels freudig begrüßte Gäste begleitet.
I. Deutsches und römisches Recht.
1. Die Vermögensgewalt des Hausvaters, die güterrechtliche Stellung
der Ehefrau und die Berechtigungen der Töchter haben im Laufe der
deutschen Geschichte mannigfache Veränderungen erfahren. Alle ihre
Schicksale wirkten, ein jedes in seiner Art, auch auf die Natur der
elterlichen Zuwendungen rechtlich bestimmend ein. Aber die zu Anfang
unserer historischen Tradition einzigen Akte, und noch im späteren
Mittelalter die häufigsten der Geschäfte, welche als elterliche Teilungen
angesprochen werden dürfen, erhalten doch ihre besondere Kennzeichnung
durch die Ausstrahlungen desjenigen Institutes, das ursprünglich das
gesamte Familienrecht beherrschte und lange hin in dessen Mittelpunkte
stand : der Hausgenossenschaft. Gaben des Vaters an den Sohn bis zum
Betrage des Kindesanteils am Hausvermögen sind Auseinandersetzungen
im wahrsten Sinne des "Wortes.
Der sich emanzipierende Sohn bekam vermutlich in der sogen,
germanischen Vorzeit stets, in der fränkischen Zeit soweit es der Vater
wollte, seinen Anteil ausgefolgt,^) War es hier das Bedürfnis des Ab-
1) Vgl. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 1-, 108 ; Schröder, Deutsche Rechts-
geschichte, ^271. 322f. ; über das deutsche Mittelalter vgl. 746.
— 523 —
köramlings nach wirtschaftlicher Selbständigkeit, so war es dann die
Furcht vor einer Yerwirrunji oder Schädigung der Güter, die im Mittel-
alter bei der Wiederverheiratung eines überlebenden Elternteils zur „Ab-
schichtuug" der Kinder führte^); oft mit der rechtlichen Verpflichtung
der Witwe, bisweilen auch des Witwers zu dieser Lösung des Beisitzes.')
Seit frühen Zeiten kam es ferner vor, daß der alternde oder kränk-
liche Bauer sein Gut an den nächsten „Erben" abtrat, gegen lebens-
länglichen Unterhalt oder Rückbehaltung eines Teiles seines Besitztums.'')
Auch da war die Grundlage der Transaktion die bisherige Gemeinder-
schaft, die Veranlassung aber ebensowohl das Verlangen des Greises
nach Ruhe, wie das Begehren der Gemeinder nach rühriger Bewirtschaf-
tung ihres genossenschattlichen Eigens. Beides genügte, um auch die
bei solcher Gelegenheit vorgenommene Teilung des Gutes unter mehrere
Söhne, trotzdem dadurch die Kommunion ihr Ende fand und sich der
Gedanke der Erbauseinandersetzung einmischte, nur als eine besondere
Abart desselben Rechtsgeschäftes aufzufassen. Dort Übergang der Ober-
leitung, da Autiösung der Gemeinschaft ; und später als die hausgenossen-
schaftliche Verfassung erschüttert war, x\btretung aus dem Eigenvermögen
des Vaters, sei es an alle Kinder, sei es an einen Sohn, der die Ge-
schwister zu versorgen verspricht — im Grunde verknüpft alle diese
Geschäfte die Nachwirkung jenes Gedankens, der rein und deutlich im
älteren Systeme zutage tritt. Die Schriftsteller des deutschen Privat-
rechts vernachlässigten freilich nachmals diesen historischen Zusammen-
hang. Sie haben die übriggebliebenen neueren Rechtsfigureu begrifflich
auseinanderanalysiert und jede einzeln als Kombination aller möglichen
Bestandteile erklärt, oder höchst unzulänglich als successio anticipata.
„erfrühte Erbfolge" zusammengefaßt.*) Entschloß man sich endlich ein
„eigentümliches deutsch -rechtliches Institut" anzuerkennen, so ist die
„Eigentümlichkeit" auch nur gegenül)er dem römisch - gemeinen Recht
ganz richtig.
In einem unmittelbaren Zusammenhang mit der abschwächenden
Entwicklung des Gemeinschaftsrechts steht schließlich das sog. Freiteils-
recht des Vaters. Gegen Herausgabe eines, in den Stammesrechten ver-
') Heusler, Institutionen 2, 472 f. Schröder a. a. 0. 741.
-) Rive, Vormundschaft 2,2, 150. Schröder, Gesch. d. ehel. Güterrechts 2, 1.182 ff.
^) Brunner, Grundzüge d. d. Rg. ^209. — Ton einem. Anspruch der i großjährigen)
Söhne auf Teilung vreiß nur eine vereinzelte Stelle des Schwabenspiegels, Wack. 159
Lassb. 186. In der Auslegung scheinen Rive a. 0. 2,2. 152 und Schröder Güterr.
2,1, 123. 1565 unsicher. Vielleicht hat der Spiegier das Recht auf Absonderi/ni/ und
Aussteuer (Sachssp. 2,19.1) mit dem auf Teiking verwechselt. Vgl. aber Eichhorn.
Rechtsg. 2 §371, d.
■*) Vgl. bes. Hillebrand, Deutsches Priv. R. 2751 : Gerber dass. ''."J?!. 531.
Kraut Grundriß § 262.
— 524 —
schieden bestimmten Teiles des Hausvermögeus an die Kinder erlangte
der Vater die Verfügungsfreiheit über den Rest; in erster Reihe zu
Gunsten der Seelgaben an die Kirche, i)
Von alledem besteht heutzutage, wo nicht noch Gemeinderschaft
vorkommt, wie z. B. in schweizerischen Gebirgstälern, nur noch die Guts-
abtretung (Altenteil, Altvaterrecht u. ä.) in Verhältnissen, die durch das
enge Zusammenleben der Familienglieder der alten Wirtschaft „zu ge-
meinsamem Gedeihen und Verderben" ähneln. Auch in Rom war dieses
Geschäft nichts ganz Unbekanntes.-)
2. Wollte man nun aber den ältesten Römern die Hausgemeinschaft
zuschreiben^), so ist diese doch jedenfalls in den Zeiten unserer haupt-
sächlichen Quellen längst dem Individualeigontum des pater familias ge-
wichen. In der Kaiserzeit, die dessen potestas als etwas seit Urzeiten
her bestehendes behandelt und bereits dabei angelangt ist, sie wieder zu
beschränken, hebt sich vor allem als eine von der Erbeinsetzung auf
Quoten verschiedene Institution die letz-üvillige Distribution hervor. Sie,
auf die der Ausdruck: divisio bonorum, patrimonii vorwiegend gemünzt
ward*), konnte innerhalb wie außerhalb des Testaments stattfinden, ut
et memoria defuncti non violetnr parentis et occasiones litium dirimantur,
wie Constantin nachmals sagte.'') Zärtliche Verwandte, die bei einer
Nachlaßteilung zu Hyänen werden, haben nie gefehlt, und antike Moral-
predigten versäumten nicht, die Erbteilung Brüdern als schöne Gelegen-
heit zu empfehlen, ihre Selbstlosigkeit zu beweisen: daß sie nicht wie
die opuntischen Brüder Charikles und Antiochos erst zufrieden seien,
1) Brunner, Grundzüge § 57. Schröder D.R.G. .S.36.
2) Dig. .82..S7..3: .eine rechtliche Situation von ganz frappierender Ähnlichkeit
mit der Gutsübergabe". Hellwig, Verträge auf Leistung an Dritte S. 10 X. 1.3.
^) Strikt nachweisbar ist nur das antiquum consortiuna, quod iure atque verbo
Romano appellabatur ercto non cito, Gellius 1, 9, 12 ; sonstige Quellen bei Girard,
^Manuel de droit romain ^573 X. 8 und Lit. bei Cohn. Zschr. f vgl. Rechtsvdss. 13,
f>4. Doch ist in den weitgehenden Behauptungen von Wilutzki. Vorgesch. des Rechts,
2 (190.3) 97 und sonstiger allzu kühner Rechtsvergleicher ein Korn Wahrheit. Am be-
merkenswertesten bleibt die Stellung der hausangc-hörigen Erben als notwendiger (sui,
dornest ici, necessarii i, ganz abgesehen von deren theoretischer Erklärung in der klassischen
feststehenden Lehre : Gai. 2,157 Sed sui quidem heredes ideo appellantur. quia domestici
heredes sunt et vivo quoque parente quodammodo domini existimantur. Dies hat sieher
schon Sabinus gelehrt, da Paui. D. 28.2 1 .11, libra 2 ad Sabinum dieselben Worte bringt.
Zweifelhafter ist bereits die Vermutung, die „Legate" des ältesten Manzipationstesta-
ments hätten die gesetzlichen Erben als Erben gedacht, was namentlich Ehrlich, Atti
del congresso intern, di scienze storiche, Roma 1903, vol. 9, 329—337 annimmt.
*) Vgl. die Stellen bei Xaber a. O. S. 6ß X. 4, zu welchen auch die Vergleich-
ung des im Vocab. Jurispr. Rom. unter „dividere" und „divisio" beigebrachten Materials
keine wesentliche Ergänzung verschaß't. Xur selten heißt das Verteilen der Erbschaft
auf Quoten dividere, so Ulp. D. 28,5 1. 13 § 4.
s) C. Theod. 2, 24, 1 i. f.
— 525 —
bis sio einen silbernen Becher und ein Gewand je in die Hälfte geteilt
haben. ^) Der Erblasser beugt den Streitigkeiten vor. Er weiß auch die
Teilung besser den Bedürfnissen der Einzelnen anzupassen als der Richter
und vermeidet scheinbare oder wirkliche Willkür des letzteren. Dies und
ähnliches, wie der Wunsch des Testators, ein ihm teures Objekt in die
(3bhut eines bestimmten Erben gelangen zu lassen, sind noch heute bei
den romanischen Völkern die gangbaren Beweggründe zum Ausl^au des-
selben Instituts. Eine letztwillig in ordentlicher Form erklärte Teilungs-
anordnung des Erblassers erkennt natürlich auch das Deutsclie Bürg.
Gesetzbuch § 2042 als bindend an. Diese ,,Papierteilung" nun, im Gegen-
satz zur vorher besprochenen Realteilung, ist eine Anweisung an den
Teilungsrichter, cogitatione futurse successionis officium arbitri dividenda*
hereditatis prfeveniendo.-) Naturgemäß stellen dabei die Quellen eller liehe
Anordnungen in den Vordergrund. Eine eigene, durch Formlosigkeit
und seit Justinian wenigstens durch Formerleichterung ausgezeichnete
Rechtsfigur wurde väterliche oder mütterliche Teilung aber erst, als die
übrigen nichttestamentarischen Verfügungen seit Constantin an die neue
Codizillarform gebunden wurden.^)
Über der gebührenden Betonung dieser distributiven letztwilligen
Teilung darf indessen nicht vergessen werden, daß sie praktisch in mate-
rielle Begünstigungen des einen oder andern Erben überzugehen pflegt und
die juristische Konstruktion dem Rechnung tragen muß. Sodann ist,
damit die Gegenüberstellung des deutschen und des römischen Rechts
nicht zu einseitig ausfalle, an zweierlei zu erinnern.
Es bedarf keines Beweises mehr, daß die in den Digesten überaus
häufige institutio heredis ex re certa, die Einsetzung auf einzelne Sachen
oder Vermögensmassen einer alten Gewohnheit entsprach.*) Bildet sie
doch geradezu die überall dem Laien nächstliegende Testierart. Nichts
ist dafür bezeichnender, als daß sie sogar in Rom nicht auszurotten war,
wo von altersher die Universalsukzession als Fortsetzung der Persön-
lichkeit und der Hausgewalt die leitende Idee der Erbfolge darstellte und
juristische Beratung das Publikum zu der Gepflogenheit der Erben-
bestellung nach unciae zu erziehen strebte.') Es ist also nicht genug
zu sagen, die Distribution des Vermögens auf die Quoten sei auch im
1) Plutarch de fraterno amore p. 483 D — c. 11 i. f.
2) C. Just. 3, .36, 21.
3) Über das Nähere unteiTichtet am besten, wenn auch nicht durchgehend unan-
fechtbar Polacco, Della divisione operata da ascendenti fra discendenti, 1885, bes. GO — 65.
*) Dies hat J. E. Kuntze, Über die Einsetzung auf bestimmte Nachlaßstücke,
Dek. Progr. Leipz. 1875 hervorgehoben. Die Quellen s. bei Windscheid, Pand. 3 § 553.
5) Auch Nichtjuristen kennen die Testamente des Virgil. Donatus Vita Yirg. 37,
(Reifferscheid, Suet. Rel. p. 63, 9) und bei Cic. ad Att. 7, 2. 2 (dazu Girard. Manuel de
droit rom. *823f.); 13. 48. 1.
— 526 —
Testament erlaubt gewesen. Sie war häufig dessen einziger Inhalt in-
sofern, als man zwar heredes ernannte, aber nicht auf Quoten sondern
auf bestimmte Stücke, und erst die juristische Analyse die aliquanten
Verfügungen in aliquote Erbeinsetzungen, Vorvermächtnisse und Teilungs-
anordnungen zerlegte.
Zum andern fehlten — natürlich — auch in Rom nicht väterliche
Zuweisungen an die Kinder durch Rechtsgeschäft unter Lebenden. Und
auch diese haben ihre besondere Geschichte. In einem die väterliche
Gewalt so überaus genau durchbildenden Rechte mußte die Gültigkeit
der Zuwendung zunächst von der Emanzipation des Hauskindes abhängen.
Die Schenkung an einen Gewaltuntertänigen begründete das faktische
Verhältnis des Peculiums, entbehrte aber mangels eigener Vermögens-
fähigkeit des Kindes der rechtsgeschäftlichen Wirksamkeit und wurde
bei der Erbteilung geradezu ignoriert.') Daß eine Bestätigung durch
Testament — Scsev. D. 10.2 1. 39 § 5 — oder Erbvergleich nach dem
Tode des Vaters — Pomp. D. 41,10 1. 4 § 1 — bindend wirkte, ist
damit vereinbar. Aber es lag nahe, schließlich in einer tatsächlich
vollzogenen divisio paterna der Aktiva, namentlich wenn sie von einer
Aufteilung der Passiva begleitet war, eine stillschweigend enthaltene letzt-
willige Anordnung zu erblicken. Und dies muß bereits Papinian D. 10,2
1. 20 § 3 getan haben, als er von einer väterlichen Teilung sine scrip-
tura, d. h. ohne Teilungsbeurkuudung-), meinte, non videri simplicem
donationem, sed potiiis supremi iudicii divisionem, was von einer Papier-
teilung nicht gesagt sein kann. Als Folge (cf. 1. 33) ist zu denken, daß
die Zuweisung im iudicium familise erciscundse aufrecht zu erhalten war,
also auch zugunsten nicht emanzipierter Kinder galt. Außerdem leitet
Pap. eod. aus der Ordnung der Schuldenhaftung durch den Vater auch
noch (plane) eine eigene Klage der Bedachten gegen einander aus Ver-
einbarung (placita) ab. Wie es mit dem vom Vater zurückbehaltenen Ver-
mögen stehe, regelt er 1. 32 eod. Dieser Rechtszustand wurde in einem Kaiser-
erlaß des Jahres 260 als indubitati iuris erklärt^) und von Diokletian im
Jahre 281 als ex prseceptis statutorum recepta humanitate feststehend.*)
1) Pap. Vat. IVag. 294—296. Darau kann auch Ciceros rhetorische Frage Verr.
2,1,44 § 113 nichts ändern.
-) Anders Naber a. 0. 67 N. 5: „id est ueque testamento neque codicillo" ; und
so offenbar die Meisten. Wäre dies richtig, so ließe sich an eine Interpolation nach
C. J. .'},36, 26 denken. Aber damit scheint mir der Gedanke der Stelle, die an Ko-
dizille nicht denkt, verwischt; denkt man an solche, so wäre nicht abzusehen, warum
ein mündliches Fideikommiß nicht wirken soll, wie ein schriftliches. (Ulp. fr. 25,3.) Im
Teilungsinstrument wäre dagegen regelmäßig eine letztwillige Verfügung ohne weiteres
mit enthalten, und darum war es wichtig, ein solches aus dem Tatbestand auszuschalten.
3) Cod. Gregorianus 3, 8, 2. Treffend Cuq Inst. 1 2,689.
4) Vat. frag. 281.
— 527 —
Es ist daher vollständig irrtümlich, zu l)ehaupten, dali man vor Diokletian
C. J. 3,30 1. 16 (a. 293) auf die Absicht des Vaters, ein Kodizill zu er-
richten, geachtet und daher eine vom Vater als Schenkung schlechtweg
gewollte Teilung erst noch von der Bestätigung der Miterben nach des
ersteren Tode abhängig gemacht habe.')
Allerdings verordnet schließlich Constantin (\ Theod. 2,24 1. 2 : die
reale („de bonis usurpandis") Teilung des mütterlichen Vermögens durch
die Kinder im Auftrage der Mutter sei dadurch bedingt, daß ein Wider-
ruf der letzteren bis zu ihrem Tode ausbleibt. Dies hat aber mit dem
Rechtszustand des 3. Jahrhunderts nichts zu tun, da die Mutter keine
Gewalt über die Kinder hatte und Vergabungen an nicht gewaltunter-
worfene Kinder immer gewöhnliche Schenkungen gewesen waren.-) Die
Entscheidung erklärt sich daraus, daß der Kaiser (eingangs) zum
erstenmal in unseren Quellen^) die elterliche Teilung unter den verbotenen
Vertrag über die Erbschaft eines Lebenden subsumiert. Dies ist
gezwungen konstruiert, da die Mutter verfügt (prsecipit), aber vermutlich
heilsam gewesen.
Elterliche Teilungen verschiedener Art tauchen bei sehr zahlreichen
Völkern auf; übereinstimmend zeigen sie uns, daß es derartige Rechts-
gepflogenheiten in Zeiten gibt, wo das Testament noch unbekannt ist.^)
Uns fesseln am meisten die griechischen Überlieferungen.
1) So Polaeco 61. 81. dem z. B. Schneider, Krit. V^ierteljahresschr. 28,420; Costa,
Papiniano o, 58 folgen. Auch das bei Xaber 67 vor N. 7 Gesagte ist unzureichend. Die
eben zitierten Kaiserkonstitutionen werden regelmäßig ignoriert, und die demnächst
zu besprechende des Constantin hat offenbar irregeleitet.
2) C, J. 3, 29, 2 v. J. 256 sagte dieses Selbstverständliche (cf. Yat. fr. 294 ff.)
noch ausdrücklich.
3) Später: C. J. 2, 3 1. 30 § 3. — Überaus lehrreich ist, wie das Constantinische
Gesetz von der Lex Romana Rhsetica Cm-iensis (vgl. Brunner, D. R,. G. 1-517) 2,22,2 miß-
verstanden wurde : (mater) ipsas res postea dum vivit teuere potest et ipsa divisio post
eius mortem firma permaneat. Dem deutschen Recht ist es selbstverständlich, daß eine
reale Teilung bei Lebzeiten der Mutter stattfinden kann; dagegen ^\•ird als etwas Be-
sonderes hervorgehoben, daß die Verteilung von einem Vorbehalt des Nießbrauchs der
Mutter bis zum Tode begleitet sein könne und dabei die Zuwendung als bindend gedacht.
i) Über Palestina (Deut. 21, 15. 17, Ev. Luc. 15, 12f.) und Indien s. Polaeco 24 f;
über die altrussische Prawda Ruska Ehrlich a. 0. 332 N. 1; Tonking-, Post, Grund-
lagen d. Rechts 281. Übh.: Post. Ethnol. Jurispr. 2, 182 (Ozean. Völker, Perser,
Germanen); 198; 200^. AVilutzki, Vorgesch. 175.
— 528 —
II. Griechenland.')
Menschliches Leben mag sich wiederspiegehi, wenn Kronos den
Uranos und Zeus den Kronos der Gewalt entsetzt.-) Aber eine Be-
ziehung auf den Übergang der Hausgewalt findet sich weder da, noch
selbst, wenn Laertes, von Haus und Hof zurückgezogen, seinen Weinberg
und Obstgarten bestellt, und in des Odysseus Abwesenheit Telemach
sich 70 xcärog èvi oi'y.co beimisst.'^)
Weniger pikant, aber ergiebiger sind unsere Nachrichten aus Gortyn,
Naupaktos und Attika.
1. Mitten in die vom germanischen Rechte her vertrauten Gedanken-
gänge versetzt uns das Stadtrecht von Gortyna. Col. IV 1. 23ff. : „Der
Yater bestimmt betreffs der Teilung i tùô ôaiaioçj über sein Vermögen,
die Mutter über das ihnge. Solange sie leben, besteht kein Zwang für
sie zu teilen. Aber wenn eines der Kinder (zu einer Zahlung) verurteilt
ist, so soll ihm sein Anteil ausgefolgt werden."*) Es ist schwierig, genau
zu erkennen, ob der Naturalanteil oder Geld auszufolgen war, und ob
mehr an das Interesse des Verurteilten oder das der Gläubiger oder an
beides gedacht ist. Dagegen dürfte kaum ein Zweifel darüber erlaubt
sein, daß die Ausnahme immer Ausnahme, und nicht ehemals Regel '')
w\ar. Nicht darum, weil der Vater stets der y,Herr der Kinder und des
Vermögens" gewesen sein muß,^) denn die vergleichende Rechtsgeschichte
lehrt, daß die Verfügungsfreiheit des Vaters auf Kosten der Wartrechte
der Erben zu steigen pflegt ; wohl aber deshalb, weil im indischen wie
im deutschen Recht auch die Mitberechtigung der Kinder, soweit wir
dies verfolgen können, regelmäßig nur eine latente war. '
Diese latente Mitberechtigung ihrerseits wird durch unser Gesetz
mit der denkbar größten Deutlichkeit erwiesen, indem es in einem Falle
die Bindung fallen läßt. Überdies fülirt die elterliche Teilung denselben
Namen wie die Auseinandersetzung unter den Miterben, col. V, 28 :
âaTsîad'at, und der Unterschied erschöpft sich darin, daß erstere in der
^) Am besten erkannt ist der Sinn der einschlägigen Stellen bei Beaucbet, Hist.
du droit privé de la rép. ath. 3. 127; 639 Die letzten deutschen Darstellungen des
griechischen Rechts: Meier-Schœmaon-Lipsius, Att. Proz. 2, 579 X. 1 u. Hermann-
Thalheim, Rechtsalt. * 63 N. 2 kennen nicht einmal den Namen der elterlichen Teilung.
-) Ihering. Vorgesch. d. Indoeurop. 53.
3) Od. 1, 189; 16, 138. — fl, 359]; 21, 353. Glotz, Solidarité de la famille 36 ff.
erinnert auch an Oineus u. Agrios.
*) Tdv nuTtQa röv téxvov y.al zôv y.çefAdvov y.acteQÖv ê/Aev ràô ôaiaiog, y.al vàv
fiaiéça zôv J^ô\y] avzàç y.çefidzov. ^Aç y.a ôoovzi, /*è èndvavy.ov lfie{^v\ ôazid'&af al
èé zig àza^eît, àTioôdzzad'd'ai zôi àzafiévoi ài êyçazzai.
5) Hierfür Dareste, Xouv. rev. histor. 10, 256; Rec. des inscr. jur. gr. 1, 462 N. 2.
6) Se Guiraud, propriété 99f. und Glotz, Solidarité 263 f.
— 529 —
Regel nicht verlangt werden darf, letztere nach dem offenbar vorge-
schrittenen ^) Zustand des Rechtsbuchs durchsetzbar ist. Die Kinder sind
als die Erben, ja als am Vermögen anteilnehmend gedacht. Allerdings
separiert col. VI 2 ff., wenigstens zum Teil neuernd (1. 24), die Ver-
mögensmassen der Familienglieder. Trotzdem kann aber ein Anrecht
der Kinder an dem Elterngut im Ganzen bestehen, oder sogar an den
einzelnen Stücken, insofern dem Vater Schenkungen regelmäßig nicht
erlaubt zu sein scheinen (X 15, XII 17).
Das Stadtrecht gedenkt auch noch des Beisitzes des Witwers bei
beerbter Ehe, verordnet aber für den Fall der Wiederverheiratung nicht
Teilung, sondern die Endigung der „Herrschaft" des Vaters — d. h. der
Sache nach seines Nießbrauchs — am Muttergut (VI 44).
2. Das ziemlich alte-) Gesetz über die Verhältnisse der nach
Naupaktos ausgewanderten hypoknemidischen Lokrer sagt in § 8 fH) :
„Wenn einer (in der Heimat) seinen Vater und seinen Vermögensanteil
dem Vater zurückgelassen hat, so darf der Kolonist, Avenn der Vater
gestorben ist, seinen Anteil dahinnehmen." Auch hier hat der Sohn bei
Lebzeiten des Vaters einen Anteil (tö fiéQO(^ xöv xçe^ûtoi') und es ist
als möglich gedacht, daß eine Totteilung bei der Auswanderung statt-
findet. Sie wird wohl im Belieben des Vaters gelegen haben.
3. Die attischen Reden lassen uns in einen überaus merkwürdigen
Rechtszustand blicken. Man w^eiß genügend, daß die aus Gortyn und
Sparta bekannte Hausgenossenschaft bei den Joniem sich stark verlor
und manche Gelehrte scheinen darum dieses Institut, das die Vertreter
der vergleichenden Rechtswissenschaft zum „Angelpunkt der ganzen
historischen Rechtsbetrachtung" ^) erheben, bei der Darstellung attischen
Rechtes noch immer beiseite zu setzen, obwohl Beauchet bereits einen
ernstlichen Versuch zur Würdigung desselben unternommen hat.^)
Man wird aber dem Vorgang der Germanisten folgen müssen, welche
neuestens mehr und mehr zu einer fundamentalen Unterscheidung von
Familie im engern und im weiteren Sinne, d. i. von Haus und Verwandt-
1) Beauchet, Hist. du droit privé 3, 424.
-) Ed. Meyer, Forschungen 1, 293 vermutet Entstehung vor den Perserkriegen.
Die Ausgaben und Übersetzujigen verzeichnet Michel, Rec. Nr, 285 S. 222.
3) G. Cohn. Zschr. f. vgl. Rechtsw. 13. 50. Castülejo y üuarte u. Rüben, ebd. 17, 113.
*) Beauchet, Hist. 1. 6; 3, 424. Einiges bereits bei Leist, Altarisches Jus civile,
sehr treffend die kurzen Bemerkungen von Ed. Meyer, Gesch. d. Altertums 2, 86. 90 vgl.
296. Aber neuestens hat wieder Glotz, a. 0. das Fehde- und Sühnerecht mit nahezu
ständiger Vernachlässigung des Hausbegriffs auf das yévoç aufgebaut, das gar nicht nur
Familie ist (Swoboda. Z. d. Sav. St. 26, 240. 244). Für das Erbrecht bleibt ebenfalls
noch viel zu tun.
34
— 530 —
Schaft gelangt sind.') Auch das griechische Haus, or/.oç, oiy.ia, loria^J
u. s. w. ist eine soziale, wirtschaftliche und kultuelle Einheit, auf der
das Familienrecht und ein gutes Stück des Blutrechts ruht.^) Davon gibt
es im klassischen Athen zahlreiche Erinnerungen in Rechtssätzen, nament-
lich in jenen der Erbfolgeordnung und des Erbschaftserwerbs, und in
Sprachwendungen wie: oîxoç ègsQt^^ovTUi, dTioÀÀvTai^j, EÎanoiEÎv elg töv
oîxov, èxTioiEÎv èx Tov oïxov, èglataad^ai rov oïv.ov. Vielleicht liegt
sogar, denkbar wäre es, ein engerer Rechtssinn der oiy.£iÔT7]Q zugrunde,
wenn Leostratos ti]v xarà tov vôfiov orAeiôitjja gegenüber seinem
Sohne verliert, indem er ins väterliche Haus zurückkehrt, Leokrates
aber im fremden läßt.^) Allerdings, dies alles sind nur noch Reste.
Athen, die Stadt des Handels und des beweglichen Kapitals ist auch
der Ort einer grundsätzlich unbeschränkten Verfügungsfreiheit des Haus-
vaters über sein Gut geworden. Der einzige Fall einer Vermögens-
gemeinschaft zwischen Vater und Sohn, den die Neueren aufstellen,
dürfte auch zu leugnen sein.'^) So ergibt sich die Notwendigkeit einer
1) Vgl. Huber. Syst d. Gesch. d. Schweiz. Privatrechts, 4. 234 und bes. Brunner,
Deutsche Rechtsg. l'^, 92. Auch die „Sippe" hat mehrfache Bedeutungen, ebd. 112.
2) Vgl. die Wbb.5 für olyJa namentlich Aristot. Pol. 1, 1, 17 Tiäaa yuQ oUla
ßaaiÄevEzai vtio tov nQeaßvtdiov, auch Lys. 18, 21. Wenn oiy.og bei Isokr. de pace
88 dem ye'vog u. bei Michel Rec. 403 f. der (pvÄt^, vielleicht auch wenn er bei Pindar
Isthm. 6, 65 der TidxQa entgegengesetzt wird, so ist ein Personenkreis und nirgends
das Hausvermögen (Recueil des inscr. jur. gr. 2, 215 für Isokr. res famiharis) gemeint.
(Von dem bekannten oÏKog Ae^eÀcioiv, Ditt. Syll. - 295, N. 18, gilt besonderes.) —
'lazia als „Haus" in dem oben ang. Ges. von Naupaktos hat Meister, Ber. d. sächs.
Ges. 47, 294, .305 f. richtig erklärt.
3) Vgl. oben S. 529 N. 4.
4} Daraufweist v. Wilamowitz, Arist. u. Athen. 2, 266 hin, der aber diesen „Haus-
bestand" durchwegs als „gentilizischen Begriff-* faßt. — Nebst den Rednerstellen vgl.
auch Plat. Leg. 11, p. 925 C i. f.
^) [Dem.] 44, 26 (die Rede ist eine Fundgrube auch für die. oben berührten
Wendungen). — übrigens legt das jedenfalls sophistische Argument bei Isse. 1, 20 f. die
Vermutung nahe, daß gerade die Übergebung der olaetoi (in dem dritten Sinn des Hesy-
chius vo oIkeIoi: oi Kat oinCav ndvteç) nach der geltenden Interpretation des solonischen
Gesetzes über die ^mvia das Testament inoffiziös machte. Jedenfalls dürfte ja Isseus
den Dopjielsinn der olaeiözfjc: Verwandtschaft und Vertrautheit mißbrauchen (so auch
Wyse, Speeches of Isse. 204). Und sprachlich deuten die oh.eToi doch offenbar näher
auf die Hausgenossen hin, als die berühmten ôfioalTivoi, ôfAÔKanot, und ô^uozQdjie^oi.
Aber freilich sind sie im gewöhnlichen attischen Sprachgebrauch die Verwandten über-
haupt; und auch der Hinblick auf Herodot (s. d. Wbb.) verhindert eine bestimmtere
Fassung der hier mit allem Vorbehalt aufgestellten Hypothese.
'•) Bei Isœ. 6, 38 glauben nach dem Vorgang von Schœmann Opusc. ac. 1, 272 ff.
die Meisten, so auch Beauchet 3, 487 — 490, eine Gemeinschaft zwischen Euktemon und
Philoktemon zu sehen. Aber Phil, hat wohl nur das väterliche Vermögen faktisch
verwaltet, vgl. neuestens Wyse a. 0. 484. 528. Wenn auch ihm ein Ät^tovQystv zuge-
schrieben ist — ein übrigens bisher m. W. nie erörterter Punkt — , so kann dieses
— 531 —
Art von duplex interpretatio der attischen Quellen. Sie reden eine alter-
tümliche Sprache und denken häufig modern.
Auszugehen ist von der berühmten Schilderung der Herkunft der
Buseliden.
[Dem.] 43 c. Macart., 19. Buselos hatte 5 Söhne, xctl ohxoi
äjiaviec — àvôçEç èytvoviOs y.al ôih'sifiev aùroTç xriv ovoiav o Jiatr/ç
ânaoi xaÀôJç y.al ôiy.aicoç üojieq Jiçoafjy.si'^) — veifidfievoi ôè Trjv
ovaiav yvvaîy.a uvtùv é'y.aaTOç è'yr]fiE xatà rovç vôfiovg — y.al Tialôeg
iyévoi'TO amoïz cLtcioi y.cd Tiaiôo)v naîôeç, y.cù èyivovio nivie oixoi
èy. rov Bovoé/.ov oïy.ov éfoç oviog, y.al XO)qIç. i'y.aoTOç, (oxei zbv èavxov
i'/iov y.al Èy.yôvovz kainov noiovfxsvoQ.
Niemand könnte unter der vollsten Heirschaft der Hausgenossen-
schaft die Auflösung des Hauses in mehrere plastischer schildern. Der
Vater teilt das Hausvermögen — wohl noch unter Lebenden, als die
Söhne „Männer geworden waren" — -^ die Teilung ist begleitet von der
Absonderung ('/coçh oixeTi'j, und die letztere, nicht die erstere wird
es gewesen sein, die für die Gründung der neuen oixoi wesentlich war,
genau so wie bei den Deutschen. Den Beweis hiefür liefert [Dem.] 44, 10. 18.
Archiades behält mit seinem Bruder Midylides in Athen ui'Éiii]tov oéaiav,
geht aber nach Salamis seinen eigenen Wohnsitz begründen f^coy.ei y.u^'
atröv Ev jfi 2a/.ajiiTi'ij und geAvinnt damit den eigenen olxoç (2. 19. 27.
28 u. ö.)^) ;^co()k oîxeïv begründet die begünstigte Stellung der Frei-
gelassenen und der Sklaven. ^) Es bedeutet die Absonderung vom Hause,
gleich jener, die manche^} als einstmalige Voraussetzung der Emanzipation
des Haussohns vermuten. Ihr gewöhnlichster Fall trat naturgemäß bei
der Verheiratung ein, jedenfalls bekundete diese die echte Absonderung
gegenüber einer zeitweiligen Entfernung und pflegte daher eigens erwähnt
zu werden. Auch jener Kolonist von Naupaktos ist abgesondert und hat
noch sein fiéçog tojv yQi]fiäxuiv in der Heimat.
Ahnliches gilt von [Dem.] 47, 34. Der Sprecher will eine Zwangs-
vollstreckung gegen Theophemos durchführen, nimmt Zeugen mit und
aus dem Vermögen des Vaters erfolgt sein. Ich erinnere an die römische Lehre, wo-
nach die munera des Sohnes als solche des Vaters gelten, da sie dessen Vermögen be-
lasten, und an die Anwendung dieser Lehre in Ägypten. Vgl. Corp. Pap. Rain. 1, 20
und Mitteis dazu S. 104 bei N. 6.
1) Eine Pflicht zur Teilung oder Gleichteilucg beweisen diese Worte nicht, aber
immerhin eine gewisse Gebräuchlichkeit des Vorgangs.
-) Das Letztere verkennt Dareste. Plaid, civ. 2, 81 X. 7.
^) Freigelassene: Bekker Anecd. 1. 316, 11. [Dem.] 47 c. Euerg. et Mnes. 72:
àffiîxo yÙQ ijTco tov TtazQoç xov éuov éÀevd'éça xal X^Q'''S ^''^-^'^ J*«* avôça êayev. Wie
Ueauchet 2, 446 X. 2 diese Frau für eine Sklavin erklären kann, verstehe ich nicht.
— Sklaven: Beauchet a. 0. Über die SovÄoi, die in den Buden des Theseion Handel
trieben, v. Wilamowitz. Hermes 22. 119 X. 1.
*) Vgl. Beauchet 2, 104. Dafür vermisse ich noch die Beweise.
— 532 —
geht, da der Schuldner sich nicht zeigt, zu dessen Bruder Euergos mit
der Frage: jiôtequ peve/urjfiévog eïi] tiçoç, töv àôeÀcpàv /} xoivij i] ovoia
EÏrj a-ÙTOÏQ. Auf die Antwort des Euergos hin : öxi v£V£fi7]fj,évoç eïrj xai
X(àQlç oly.oh] ô ߣÖ(fi]f.ioc, avroç ôè nagà rqj narQi — erkundigt sich
der Gläubiger nach der Wohnung des Theophemos und verfügt sich mit
dem Amtsdiener dahin. Wieder sind Teilung und Absonderung koordiniert,
obwohl verbunden. Auch hier ist unsicher, ol) die Teilung durch den
Vater geschah. Dies wäre eine Abschichtung des einen Sohnes wie in
Ev. Luc. 25, 12'), der letztere wäre „abgeteilt" im Sinne des Sachsen-
spiegels, hätte keinen Erbanspruch mehr. Man wird auch an Plato ge-
mahnt, der freilich infolge seiner eigenartigen wirtschaftspolitischen Er-
wägungen und daher viel allgemeiner als Grundsatz für das testamentarische
véfieiv des Vaters-) aufstellt, er solle denjenigen Sohn ausschliefen, der
bereits seinen eigenen Hausstand ■^) besitzt: Leges 11, 7 p. 923 D: öiq)
ô'àv TOJP viÉojv vnàQXOV oïy.oç f], jui] véfuiv tovtù) tojv yQtjficcTOJv. Mög-
lich wäre auch eine Auseinandersetzung des Euergos und des Theophemos
über gemeinsames, z. ß. Muttergut. Allein die Ungewißheit rührt hier
wie im Falle des Buselos doch nur davon her, daß die Sprache zwischen
der einen und der andern „Teilung" nicht unterscheidet.
Daß aber „Teilungen" unter Lebenden vorkamen, bezeugt aus-
drücklich Lysias 19, 36 f. Konon und Nikophemos behielten den größten
Teil ihres Vermögens auf Kypros und ließen ihren Söhnen in Athen
nur das Nötige, dieses freilich zu freiem Recht ^), wie die Fortsetzung zeigt;
37. jiQÖg Ô£ TOVTOiç èvd'vfisîad'E ÖTi y.al eï tiç fitj y.r}]adfiEvog âÀÀà
naqà tov naxQoç, jiacaAaßoiv toTç natal ôiévEfiEV, o&/. èÀd^ioia àv avro)
éjiéZiJiE' ßovZovrai yàg tcccvtec vnb tmv Jiuiôoiv d^EçanEVEo^ai e^ovieç
XQrjfiara fiàPJ.ov T] exeIvojv ÔEÎod-ai ùtcoqovvteç,.
Die Befürchtung eines König Lear-Schicksals war es also, die von
allzu freigebigen Entäußerungen abhielt. Eines Kommentars bedarf die
Stelle nicht weiter. Xur ist abermals auf eine Reminiszenz zu achten :
bei ererbtem Gut lag die Teilung näher als bei der Errungenschaft, ein
Gegensatz der narçcoa und uvTÔy.jijTu, der für die deutsche Teilung
1) So Naber 66. Daß sich die Wendung: vevefiijuévog nQog tov àôeAffôv auf
eine solche Er))abfindung des Sohnes beziehen kann, ist zweifellos, obwohl damit bei
Dem. 36 pro Phorm. 10 u. Lysias 16 pro Mant. 10 eine Auseinandersetzung der Miterben
gemeint ist.
'-) Anders Hruza, Heiträge z. griech Farn. R. 2. 180, der von „Erbteüung unter
Kindern" spricht.
3) Nicht „ein Haus besitzt". wie Hieron. Müller 7, 2, 376 übersetzt.
*) Nicht dagegen: i,yovvTO ôè y.al tu iy.el (Kypros) ô^oîcog [Cobet] acpiaiv elvai
au ojaneQ Y.al zu èy.eïva: gemeint ist „sicher", nicht „eigen"; Rauchenstein, Ausg. Reden,
z. d. St.
— 533 —
entscheidend wirkte, dem griechischen Recht aber auch sonst bekanntlich
nicht fremd war.
So gibt denn keine dieser Stellen ein reines Bild des einzelnen
Vorgangs ; alle zusammen machen sie klar, daß inmitten einer indi-
vidualistisch gestalteten Eigentumsordnung sich uralte Vorstellungen be-
haupteten. Modern zu konstruieren wäre das dem Lysias vorschwebende
Geschäft wohl als Vorempfang aus dem rntcrlic/ten Vermögen mit An-
rechnung auf den Erbteil, und durchaus nicht als Abschichtung. Unter-
stellen wir dem Buselos eine Teilung mit Zurückbehaltung von bona
indivisa, so erinnern wir uns der Schwierigkeiten, an denen nachmals
die Analyse der sehr romauistisch angehauchten älteren Germanisten
scheiterte, als sie die „erfriihte Erbteilung" vorfanden. Denn hier wie
dort lebt eine Gepflogenheit fort, die aus dem Systeme der Hausgenossen-
schaft stammt und nur höchst notdürftig in die Begriffe der modernen
Rechtsordnung übersetzt werden kann. Rechtshistorisch ist gerade der
ursprüngliche Zusammenhang der realen Teilung mit dem Anteilsrecht
der Erben von Wichtigkeit, mag dieses sich auch bei den Griechen
frühzeitig zu einer mehr oder weniger des Rechtszwangs enthobenen,
morahsch oder durch den Brauch gebotenen Berücksichtigung der Kinder
verflüchtigt haben.
Ist es übrigens der archaistische Grundgedanke, der die an-
scheinende Eigentümlichkeit der pseudo-demosthenischen Stellen verur-
sacht, so ergibt sich noch etwas anderes; es bedarf dann nicht noch
vielen Beweises, daß diese Stellen uns nicht berechtigen, von einer eigen-
artigen „griechischen elterhchen Teilung" zu reden, die immer und überall
Realteilung hätte sein müssen,^) daß etwa eine letztwillige undenkbar
war. Verfügt doch schon Herakles in den Trachinierinnen des Sophokles
V. 163, falls er nicht binnen eines Jahres und dreier Monate zurückkehre,
r]v rexvoig fioÎQUv ^aiçojaz yr^z oiaiQeiijv véuoi. Auch gilt, was oben
von der Erbeinsetzung auf bestimmte Sachen gesagt wurde, mutatis mu-
tandis für Griechenland. Die bemerkenswerteste Erscheinung in dieser
Richtung bilden die „das ganze Vermögen erschöpfenden Verfügungen
ohne ausdrückhche Erbeneinsetzung",-) als deren Musterbeispiele die Testa-
mente der Philosophen Theophrast, Strato, Lyko und Epikur zu gelten
haben, und zu denen eine Analogie in den attischen Gerichtsreden nach-
zuweisen nur darum nicht gelingt, weil man nicht weiß, inwiefern dort
letztwillige Adoptionen zu unterstellen seien.
1) Diesem methodischen Fehler verfallt V. Arangio-Ruiz, Succ. test. 176. 178
bei der Zuteilung der ägyptischen Papyri an griechisches und ägyptisches Xationalrecht.
2) Schulin. Griech. Testament 29. Merkwürdig, daß er bei seiner scharfsinnigen
Auslegimg nicht auf die Analogie der longobardischen Vergabungen aufmerksam wurde.
Dieselbe schlägt ebenso stark durch, wie die des Adoptionstestaments. Dies sowie meine
S. 535 dargelegten Beobachtungen hoffe ich noch näher auszuführen.
— 534 —
III. Papyri.
In den klassischen Zeiten des Pharaonenreichs gab es noch kein
Testament, wohl aber bereits die elterliche Teilung, mit sofortiger Wirkung,
die nur durch einen Vorbehalt des Nutzgenusses abgeschwächt zu werden
pflegte.^) Es liegt nahe, als eine Fortbildung dieses Instituts einmal den
angeblichen Kaufvertrag des Pap. Casati,^) sodann die ôfioÀoyEÎ-Urknnde
des ägyptischen Priesters Stotoetis BGU 1, 86 (155 n. Chr.) anzusehen.
Dieser Akt, der das ganze Vermögen an Kinder und Frau vergibt, be-
dient sich der Form einer Liberalität unter Lebenden: ô/iioXoyeî: ovyxoiQO),
und erreicht die Bedingung durch den Tod des Gebers mit dem Zusatz
f^iETCi rijv EavTov lElevrijv und einer Klausel, die bei m. E. zweifelsfreier
Ergänzung die Verfügungsfreiheit bis zum Tode vorbehält.^) Der erstere
Zusatz allein hätte auch nur die Verwaltung, nicht das Verfügungsrecht
gewahrt. Dies ersieht man jetzt aus den yafiiKal yQacpai, die Wilcken
jüngst publizierte;^) aber auch bereits aus der ôôoiç, fiEià ri]v téàevttiv
BGTI 993 V. J. 127 v. Chr., deren sofortige Rechtsübertragung an Frau
und Tochter vor allem ^) aus der Bezahlung der tibertragungsgebühr
(col. 4) folgt, die durch ôiayQag)rj^) des olxopo/iioç und des T07ioyQafi/.iaT£vg
(Flurbuch-Beamten) vorgeschrieben ist. Das Geschäft spielt gleichfalls
zwischen Ägyptern. Man darf es eine donatio post obitum im tech-
nischen Sinn der Germanisten nennen, und es gehört hieher auch inso-
1) Die weiteren bei Arangio-Ruiz 10 — ^12 von seinem Gewährsmann Revillnut
übernommenen Behauptungen sind wohl noch zu überprüfen. Vgl. übrigens neuestens
den Kommentar zu den elterlichen Schenkungen in den Inschriften von Mten bei
fioulard, Rec. de travaux rel. à la Phil, et à l'Archéol. ég. et assyr. 29, 1807.
2) Pap. Paris 5 col. 1 u. 2 ; näheres Zschr. d. Sav. St. ßd. 28.
^) 1. 23fif. : ê^' öv ôe yQovov yr£[pt|»/ ô ônoÀoyàiv, è'yeiv avrov Ttjv xarà] ToJv
lôîoiv 7idv[^i(ov1 ôÀoaxeQij è^ovalav TtùJÀeTv, i}7ioTi&eaira\^i^, éréçoig 7iaçao[v]yyù)ÇEtv
(statt — • QovvTOJv). wie bereits Arangio 172 X. ähnlich vorschlägt. — Daß dies kein
prätorisches Testament sei, wie Dareste früher meinte (dagegen Araugio 172f ), hat er
selbst, Xouv. études 183 bereits anerkannt.
*) Arch. f. Pap. F. 4, 130. 140. Die Zuwendungen /.levà tijv tojv yovécov tsÀcvr/jv
(1. 40; 2, Ui) hindern nicht, daß die Enkel darüber testieren dürfen (3, 11).
■>) Arangio-Ruiz p. 187 — 189 übersieht diesen entscheidenden Umstand und be-
tont statt dessen die Form als avyyçaif^. Die Worte II 10 '^Ey.ôvzeg avveyQdxpawo,
die Schul lart in den Singular korrigierte, dürften allerdings aufrechtzuhalten (so auch
P. M. Meyer. Klio 6, 438) und vielmehr im folgenden die Namen der Beschenkten ein-
zu.schalten sein. Aber wer das Testament der Griechen und Ägypter nicht als etwas
gegenüber der Schenkung inter vivos grundsätzlich Abgeschlossenes ansieht, wird auf
das avyyQd(p£i,v nicht allzuviel Gewicht legen; vollends aber nicht auf das ôfioÀoysîv,
betreffs dessen wir derzeit noch nicht klar sehen.
«) Vgl. Wilcken. Arch. f. Pap.-F. 2, 388 u. P.-Amh. 52.
— 535 —
fern als der Schenker erklärt: ü.to/ne/iiaQixti'af ffiEià liiv iaviov it?.ev-
TTjv). MfQiÇeiv wird auch sonst vom Erblasser gesagt. ') Da aber unsere
Urkunden bisher meistens nur Verfügungen zu Gunsten der Kinder und
der in Ägypten eine große Rolle spielenden Frau enthalten, so läßt sich
noch nicht entscheiden, ob gerade diese Geschäfte den Namen „Teilung''
vorwiegend trugen. Im weiteren werden wir in der Tat einige elterliche,
Teilung genannte, Rechtsgeschäfte zusammenstellen können. Und gerade
die Fürsorge für die engste Familie ist wohl für die Entwicklung auch
des Testaments nicht gleichgültig gewesen.
Aber man muß auch für Ägypten feststellen, daß letztwillige Teilung
dort nicht bloß reine Distribution ist oder auch nur aus dieser hervor-
gehende Begünstigung, sondern Teilung des Vermögens schlechthin. Die
ptolemäisch-griechischen Testamente pflegen weder einen Erben ('yJ^7]Q0-
vôfiOQ) zu ernennen noch Quoten zuzumessen, sondern sind regelmäßig
gehäufte Einzelvergabungen. Da sie überdies noch gerade so wie jene
Philosophentestamente mit ihren (5/dw,a/-Verfügungen die Herkunft aus
der Schenkung verraten, so darf man zugleich behaupten, daß, wenn die
ISIakedonier wirklich mit ihrer ôtccd-i'jKt] nach Ägypten ein völlig neues
Element eingeführt haben sollten — was noch keineswegs feststeht — ,
sie doch nur einige Schritte auf derselben Bahn weiter gelangt waren,
die auch vor den Ägyptern lag. Ich erwähne dies, weil es uns davor
warnt, eine allzu scharfe Trennung zwischen den griechischen und ägyp-
tischen in griechischer Sprache beurkundeten Liberalitäten zu versuchen.
Die genauere Geschichte des gräko-ägyptischen Testaments wird
die Aufgabe haben, festzustellen, ob etwa die oiad-t)-Ai] als Intestatkodizill
aufzufassen ist, wobei die Kinder die Erben wären, oder ob die Universal-
sukzession an sich vernachläßigt wurde. Hier sind solche Geschäfte zu
betrachten, die sich entweder Teilung nennen oder sachlich in eine der
oben berührten Kategorien der elterlichen Zuw^endungen fallen.
Eine wahrhafte väterliche Gutsabtretung-) mit sofortiger Wirkung
(1. 12) enthält die yàçiç alwvia xai âvacpaÎQSTog, Grenf. 2, 71, a. 244 — 8
n. Chr. Sie betrifft einen ganzen ^'ermögenskomplex (1. 13), wenn auch
') Vgl. nebst den weiter unten ang. Beisp. : ueçtauôg in Drytons 3". Testament
Cirenf. 1, 21. 1. 13, womit auf ein früheres Testament hingewiesen ist: Oxy. 8, 491,
I. 15 ä êuéçiaa avtoîç = 1. 8 rà è?,evaôueva elg avzovg é' ôvôuarôg fiou. ebd. 493 1. 6. 8
ôiaxàaaeiv toîç Téxvotg . . ê(p' Coi èàr alçr^vat fieçiaiiCJi. Wenn dagegen in Oxy. -î-
489 (a. 117 n. Chr.) 1. 10. 19 den Kindern verboten wird, andern zu fieçc^eiv, als den
Abkömmlingen, und im Ehepactum daselbst n. 496 (a. 127 n. Chr.) 1. 11 dem Mann
erlaubt wird, otg èàv ;JotV.>;[rat] iiEQiL,ei\v\, so kann der Sprachgebrauch doch durch
den Gedanken an das gegensätzliclie ueQÎ^eiv rotg zéxvoig beeinflußt sein. — Im Syrier-
testament BGU 3, 895 (2. Jh.) 1. 30 steht das "Wort in einem fi-agmentari sehen Passus.
-) So treffend schon Wenger. Stellvertretung. t90ß. 106.
— 536 —
wohl nicht das ganze Vermögen überhaupt. Die Herausgeber vermuten
noch Verfügungen zugunsten anderer Personen; sicher scheint nur, daß
hier oder anderweitig eine Anordnung zu gunsten der Töchter getroffen
ist, welche die Söhne IT 2 anerkennend)
Geradezu ôiaiçeaiç sowie die Auseinandersetzungen zwischen Mit-
erben nennt sich die Urk. BGU 4, 1013 (Zeit des Claudius oder Nero);
in der eine Frau erklärt: fiEfiEQinlévaij u. z. nach der Schubart'schenj
durch den Namen ôiaiçeaiç selbst nahegelegten Ergänzung: jàno t^ç
èpEa%(barjç fjfiÉQaJç, — also sofort, ferner unwiderruflich (1. 20 f.)-) ihren
Töchtern ein Haus zugeteilt zu haben, das ihr gehört, 1. 11, demnach
nicht etwa Vatergut ist. Sie sichert sich zugleich eine Leibrente, 1. 12 — 15.
Das Stück ist freilich in so schlechtem Zustand, daß diese Auslegung nur
als wahrscheinlich gelten darf. Wir hätten mit derselben eine mütter-
liche Gutsabtretung vor uns.
Seitenstücke hiezu bieten Fay. 97 a. 78: fieçirela (ein Unikum!),
f]v [evsJfiE (b naifiQ) ^ßelv tteqkjH' und Oxy. 2, 243 a. 79: fiEfiEçi-
ofiévojv i)7iö xfjç (.ujtçbç. ZijvaQÎov, otcôte TtEçifjv; endlich aus sehr später
Zeit (6 — 7. Jh.) der dem jüdischen Recht angehörende Rechtsfall Oxy.
1, 131, wo der Vater bei Lebzeiten dem jüngeren Sohn David das Land
der Mutter zuwies und als er zu sterben kam, den Sohn damit zum
größten Teil abgefunden erklärte. In den ersteren Urkunden ist zwar
eine bloß letztwillige Zuwendung nicht ganz ausgeschlossen, die reale
aber doch durch den Wortlaut gewiß näher gelegt.
In verschiedenen Ehegüterverträgen — denn als solche sind die
„Eheverträge" hauptsächlich anzusehen — treten Eltern, besonders
die Mutter von Mann oder Frau mit Vergabungen auf, die teils als
sofortige Ausstattung gedacht sind, teils aber Verfügungen von Todes
wegen darstellen. Der Form nach sind diese letzteren Schenkungen
mit Vorbehalt der Verwaltung oder aber auch der Verfügung bis zum
Tode.^) In den besterhaltenen Urkunden hat Satabous, die Mutter, ihr
ganzes Vermögen unter ihre Kinder verteilt und erklärt ihren Willen
mit geringfügigen Abweichungen zweimal anläßlich der Errichtung der
Ehepakte von zwei (längst verheirateten) Paaren; wenn man nicht um-
1) In 1. 7 — 12 scheint dagegen auf eine frühere vom Vater ausgestellte Urkunde
Bezug genommen, auf die sich die Söhne nicht mehr berufen dürfen.
2) Dagegen scheint sich 1. 17 f. auf die Verfüguogsfreiheit der Beschenkten zu
beziehen. And. M. Arangio 184 N. — Über BGU 2, 48B vgl. dens. 179 f.
3) Ersteres: Arch. 4, 130 (vgl. oben). Letzteres: avyxcDQOvaa fiera r/;v éavri^g
leÄevtiiv mit è^ovaîa nwÄetv, vjioTi&ead^ai, ôia&éad-ai BGU 1, 251 a. 81; 1, 183 (3,
71iJ) a. 8n, 1. 25 (sämtlich die divisio der Satabous betreuend]. Fragmentarisch sind
Oxy. 2. 265 a. 81-95, 1. 9—12. 20. 43—45; BGU 1. 252 a. 98, 1. lOff. Sehr wichtig
dafür ist Cod. .T. 2, H, 15, woran mich Herr Hans Lewald treffend erinnert.
— 537 —
gekehrt mit Mitteis annehmen will, daß die divisio parentis inter liberos
der Hauptzweck war und nebenher den Anlaß zur Verbriefung des
Frauengüterrechts bildete.') Jedenfalls ist das Formular einer Real-
teilung hier durch Rückbehaltungsklauseln zum Testament gestaltet —
offenbar unpassenderweise, da zwar eine durch den Tod befristete, nicht
aber eine widerrufliche Vergabung beabsichtigt war.-) BGÜ 1^ 18.^ ist
vom yçaçpEîov ausgefertigt und trägt den roten Cbaragma-Stempel. Aber
daraus folgt nichts für die Hegisirieru'ng der Verfügungen der Mütter.^)
Endlich bietet uns P. Oxy. 4, 718 auch noch Nachrichten über
die Auseinandersetzung einer Witwe mit den Kindern über das durch
den Ehevertrag denselben verfangene V^atergut. Die Eltern „verfingen"
(xaxéoxov 1. 15) den Kindern ihr Vermögen, offenbar auf die uns aus CPR
28 und dem Edikt des Mettius Rufus^) bekannte Art. Auch in diesem
Stück ist nun von der Mutter erzählt, daß sie euéçias (1. 29) gelegentlich
der Eheverträge des einen Sohnes und der Tochter; d. h. ihnen ihr
Vermögen abteilte, sei es daß sie dazu durch den eigenen Ehevertrag
schon bei Lebzeiten verpflichtet war, oder auch nicht. Ob sie aus eigenem
etwas hinzutat, ist gleichgültig, da der um Verbuchung seiner y.ajoyj]
nachsuchende zweite Sohn mindestens tut, als ob al ttjç firjxQÖc UQOvqai
(1. 36, cf. 24) mit dem vom Vater hinterlassenen Grundstück (1. 22 tu
avrov) identisch wären.
So liefern uns schon jetzt die Papyrusurkunden den sprechenden
Beweis für die Vielgestaltigkeit der Geschäfte — unter Lebenden und
von Todeswegen, unwiderruflich und widerruflich — die unter dem Xamen
der Teilung gehen.
Ein besonderes Institut ist die elterliche Teilung l)ei hausgenossen-
schaftlicher Verfassung als Ausfolgung des fiÉçoç tojv XQi]^iäjo)v, und
auch in anderen Zuständen, sofern sie erfrühte Erbteilung oder Abfindung
eines Kindes oder Ausstattung mit Anrechnung auf den Erbteil darstellt.
1) Mitteis, Hermes 30, 610f., der weiter eine bis zur mütterlichen Teilung be-
standene Hausgenossenschaft vermutet. Gegen seine Hypothese Arangio-Ruiz, 216 — 8.
Auch letzterer nimmt aber wenigstens an, es handle sich um eine auf der Grundlage
der alten ägj'ptischen divisio parentis erwachsene Rechtsbildung. — "Wenn Mitteis ferner
wegen des oben berührten Testaments des Stotoetis BGU 8ß von einem Kampf spricht,
den das Testament „mit der älteren Form der divisio parentis zu bestehen hatte", so
möchte ich den darin enthaltenen Gegensatz zwischen beiden Instituten minder schroff
ausdrücken ; aber mit Naber, Mnemosyne 34, 65 N. 3 betreffs des höheren Alters der
Divisio fragen: „Unde datum hoc sentit?- wird künftig wohl niemand mehr wollen.
2) Andere Ansichten bei Arangio-Ruiz 2 14 f.
3) And. M. Nietzold. Ehe in Ägypten 75, vgl. 35 — 40.
i) P. Oxy. 2, 237 VID 35. — In CPR. 1. 28 ist 1. 1 mit Wilcken Arch. 1. 491
X. 1 zu lesen avyyQa(poôia&>iy.r,g, und 1. 8 mit Hunt, Gott. Gel. Anz. 1897. 1. 464:
'jBav T£ fii] y.TÀ.
— 538 —
Das Recht zur Teilung ergibt sich dort aus der Verwaltung, da aus dem
Eigentum des Vaters. Die aus gleichen Wurzeln stammende Befugnis
zur letztwilligen Teilungsanordnung verliert sich in entwickelteren Verhält-
nissen in allgemeineren Instituten; doch wird sie ihrer Eigenart halber in
der Kaiserzeit und später privilegiert. Unterfällt aber auch die elterhche
Zuwendung weiter zu fassenden Rechtsbegriffen, so hat doch ihre dem
affectus paternus entspringende Häufigkeit geschichtlich auf die Ausbildung
manches Rechtsinstitutes eingewirkt. Der Historiker hat daher allen
Grund, ihr in der Geschichte unentgelthcher Verfügungen einen ähnlichen
hervorragenden Platz einzuräumen, wie ihn die Zuwendung an Heilig-
tümer und Kirchen seit langem besitzt.
University of British Columbia Library
DUE DATE
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UNIVERSITY OF B C LIBRARY
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