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Full text of "Festschrift zur 49. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Basel im Jahre 1907"

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Festschrift 


zur 


49.  Versammlung 


Deutsdier  Philologeii  und  Scliulmäimer 


in  Basel  im  Jahre  1907 


BASEL 

Buchdruckerei  Emil  Birkhäuser 
1907. 


Verzeichnis  der  Mitarbeiter. 


Albert  Barth,  stu  1.  phil.,  Zürich  (bis  190n  ia  Basel). 

Gustav  ßinz,  Dr.  phil,  a.  o.  Frof.  der  engl.  Philologie  an  der  Universität  Basel. 

"Wilhelm  Brückner.  Dr.  phil.,  a.  o.  Prof.  der  german.  Philologie  an  der  Uni- 
versität und  Lehrer  am  Gymnasium  in  Basel. 

Charles  de  Roche,  Dr.  phil.,  Lektor  für  franz.  Sprache  an  der  Universität  und 
Lehrer  am  Gymnasium  in  Basel. 

Albert  Geßler,  Dr.  phil.,  a.  o.  Prof.  für  neuere  Literatur  an  der  Uni- 
versität und  Lehrer  am  Gymnasium  in  Basel. 

Eduard  Hoffmann-Krayer,  Dr.  phil.,  a.  o.  Prof.  der  german.  Philologie  an 
der  Universität  Basel. 

Karl  Jöel,  Dr.  phil,  o.  Prof  der  Philosophie  an  der  Universität  Basel. 

Alfred  Körte,  Dr.  phil..  o.  Prof.  der  klass.  Philologie  an  der  Universität 
Gießen  (bis  1906  in  Basel). 

Rudolf  Luginbiihl,  Dr.  phil.,  a.  o.  Prof.  der  Geschichte  an  der  Universität 
und  Lehrer  an  der  Knabensekundarschule  in  Basel. 

.John  Meier,  Dr.  phil.,  o.  Prof  der  german.  Philologie  an  der  Universität 
Basel. 

Friedrich  Münzer,  Dr.  phil.,  o.  Prof.  der  klass.  Philologie  an  der  Universität 
Basel. 

Jakob  Oeri,  Dr.  phil.,  Lehrer  am  Gymnasium  in  Basel. 

Theodor  Plüss.  Dr.  phil.,  Lehrer  am  Gymnasium  in  Basel. 

Ernst  Rabel,  Dr.  jur.,  o.  Prof.  der  Rechte  an  der  Universität  Basel. 

Arthur  Rossat,  Lehrer  an  der  oberen  Realschule  in  Basel. 

Hermann  Schöne.  Dr.  phil.,  o.  Prof.  der  klass.  Philologie  an  der  L'niversität 
Basel. 

Ferdinand  Sommer,  Dr.  phil.,  o.  Professor  der  vergleichenden  Sprach- 
wissenschaft an  der  Universität  Basel. 

Otto  Spieß,  Dr.  phil.,  Privatdozent  der  Mathematik  an  der  Universität  und 
Lehrer  am  Gymnasium  in  Basel. 

Felix  Stähelin,  Dr.  phil.,  Privatdozent  der  alten  Geschichte  au  der  Uni- 
versität und  Lehrer  am  Gymnasium  in  Basel. 

Ernst  Tapp  ölet,  Dr.  phil.,  o.  Prof.  der  roman.  Philologie  an  der  Universität 
Basel. 

Emil  Thommen,  Dr.  phil..  Lehrer  an  der  oberen  Realschule  in  Basel. 

Rudolf  Thommen,  Dr.  phil,,  a.  o.  Prof.  der  Geschichte  au  der  Universität 
Basel. 


Zum  inschriftlichen  NY  E^EAKYETIKON. 


Von 
Perdinand  Sommer. 


Die  Bemühimgen  um  die  Jittera  paragogica'  haben,  das  müssen 
wir  bei  aller  Anerkennung  der  Erfolge  früheren  Forschens  eingestehen . 
doch  erst  durch  intensivere  Heranziehung  der  Inschriften  ein  solides 
Fundament  bekommen;  dieses  verdanken  wir  in  erster  Linie  der  aus- 
giebigen Materialsammlung  aus  offiziellen  attischen  Urkunden  durch 
Hedde  J.  J.  Maassen's  „De  littera  NY  Graecorum  paragogica 
quaestiones  epigraphicae"  (Leipziger  Studien  IV,  1  ff.). 

Warum  in  einer  orthographischen  Frage  dieser  Art  den  Inschriften 
die  Führerrolle  zukommt,  ist  klar;  nicht  weniger,  daß  auch  hier  dem 
Zeugnis  der  Steine  gegenüber  eine  gewisse  Vorsicht  am  Platze  ist:  Selbst 
AVillkürlichkeiten  oder  gar  vereinzelte  wirkliche  Fehler  der  Schreiber 
abgerechnet,  fließt  die  Quelle  des  inschriftlichen  Materials  für  unsere 
Frage  nicht  immer  gleichmäßig  klar:  Ob  etwa  ein  -v  vor  Vokal  oder 
vor  Konsonant,  in  Pausa  oder  im  Satze  gestanden  hat,  darüber  ver- 
weigert in  einer  nicht  unbeträchtlichen  Anzahl  von  Fällen  die  trümmer- 
hafte Beschaffenheit  der  Urkunden  jede  sichere  Auskunft,  sodaß  es  oft 
nicht  einmal  möglich  ist,  über  die  Orthographie  ein  und  desselben  Textes 
völlig  ins  Reine  zu  kommen.  In  der  Beurteilung  und  Bewertung  des 
Materials  wird  auch  hier  für  den  subjektiven  Entscheid  des  Unter- 
suchenden ein  gewisser  Spielraum  bleiben. 

Wenn  heute,  25  Jahre  nach  dem  Erscheinen  von  Maassen's  Arbeit, 
die  dort  verzeichneten  Resultate  hie  und  da  zu  modifizieren  sind,  auch 
ungerechnet  die  Vermehrung  des  Stoffes  durch  jüngere  Funde,  so  be- 
deutet das  keinen  Tadel.  Allerdings  muß  dabei  betont  werden,  daß 
Maassen's  Statistik  von  vornherein  nicht  in  allen  Punkten  einwandsfrei 
ist:  Die  Beschränkung  auf  die  attischen  décréta  publica  der  älteren 
Zeit  (S.   7)  —  anderes  wird   nur   gelegentlich   benutzt  —   war   vielleicht 

1 


durch  den  Charakter  der  Arbeit  geboten,  soll  auch  nicht  als  unglücklich 
bezeichnet  werden,  unterschlägt  aber  denn  doch  im  einzelnen  einen  nicht 
unwesentlichen  Prozentsatz  wertvollen  Materials.  In  der  Sichtung  des 
letzteren  ist  Maassen  nicht  immer  mit  der  nötigen  Feinheit  verfahren, 
Zählen  gilt  ihm  mehr  als  Wägen:  So  wird  z.  B.  das  Verhalten  der  ein- 
zelnen Denkmäler  für  sich  genommen  nirgends  eingehender  geprüft,  die 
chronologische  Rubrizierung  begnügt  sich  mit  drei  großen  Zeitabteilungen, 
die  bemerkenswerte  Einzelheiten  nicht  zu  Worte  kommen  lassen  u.  s.  w. 
Solche  Unterlassungen  Maassen's  sind  um  so  bedauerlicher,  ak  ihm  selbst 
die  Notwendigkeit  einer  subtileren  Betrachtungsweise  nicht  entgehen 
konnte  noch  entgangen  ist.  Das  tritt  besonders  deutlich  bei  seinen 
Bemerkungen  über  den  Pausagebrauch  des  -v  (S.  62  0'.)  zutage.  Wären 
die  ^ier  gegebenen  Gesichtspunkte  gleich  zur  Richtschnur  der  Bearbeitung 
gemacht,  so  würde  das  der  Genauigkeit  und  damit  der  unveränderten 
Brauchbarkeit  der  Tabellen  nur  zugute  gekommen  sein.  So  aber  ist 
leider  das  in  letzteren  Fixierte  mit  aller  Korrekturbedürftigkeit  von 
Späteren  vertrauensvoll  übernommen  und  vernutzt  worden,  wie  es  sich 
denn  z.  B.  in  Meister  h  ans'  Grammatik  der  attischen  Inschriften  ^  S.  114 
ohne  Kommentar  und  Kritik  abgedruckt  findet. 

Maassen  teilt  die  Fälle  mit  -v  ein,  je  nachdem  sie  im  Satzinnern 
oder  in  Pausa  stehen.  Daran  tut  er  recht,  insofern  sich  zunächst  auf 
diesem  Wege  am  besten  ein  Urteil  über  eine  Reihe  von  Punkten  rein 
satzphonetischer  Natur  gewinnen  läßt. 

Über  den  Satz  in  laut  gestatte  ich  mir  nur  ein  paar  kritische  Rand- 
glossen : 

Was  Codices  und  Inschriften  bei  vorurteilsfreier  Betrachtung  schon 
längst  hätten  lehren  können,  wenn  man  das  Material  nur  richtig  aus- 
genützt und  sich  nicht  mit  dem  gelegentlichen  Konstatieren  scheinbarer 
Unregelmäßigkeiten  begnügt  hätte  (vgl.  fürs  Attische  Cauer  Curt.  Stud.  8, 
202  flf.).  wurde  durch  Maassen  zur  Gewißheit  :  die  noch  heute  gebräuch- 
liche orthographische  Regel,  wonach  im  Satzinlaut  v  ècpekxvoTLxôv  vor 
Vokalen  zu  setzen,  vor  Konsonanten  wegzulassen  ist,  kann  in  dieser 
Form  für  die  Zeiten  des  Altertums  unmöglich  gegolten  haben.  Ein 
Blick  auf  Maassens  Zusammenstellungen  zeigt,  daß  gerade  im  ältesten 
Attisch  -V  sowohl  vor  Konsonanten  oft  geschrieben  als  vor  Vokalen 
weggelassen  wird.  [Im  ersten  Zeitraum  (bis  408)  zählt  Maassen  für 
Setzung  vor  Konsonanten  48 'Vo,  für  Nichtschreibung  vor  Vokalen  41  o/o 
der  Beispiele.]  Daraus  geht  wenigstens  eines  hervor:  Die  Ausbreitung 
des  i  hfff'/.y.v(jrtx(')v  ist  zunächst  ganz  gewiß  nicht  in  der  Tendenz 
erfolgt,  damit  ein  bequemes  Hilfsmittel  gegen  den  unbeliebten  Hiatus 
zu  bekommen,  eine  Annahme,  die  noch  Cauer  a.  a.  O.  in  der  Beurteilung 
der  „regelwidrigen"   Fälle  auf  Irrwege  führte.    —    Damit    ist  aber  nicht 


—     3     — 

gesagt,  daß  die  weitere  Entwicklung  des  -v  sich  nicht  sekundär  schon 
frühe  in  der  durch  unsre  Schulregel  angegebenen  Richtung  bewegt  hätte.  ^) 
Die  beredten  Söhne  Attikas  wären  sehr  töricht  gewesen,  wenn  sie  ein 
so  vorzügliches  Mittel,  das  verhaßte  Zusammentreffen  zweier  Vokale  in 
der  Wortfuge  ohne  lautliche  Verstümmelung  eines  Elementes  zu  ver- 
meiden, verschmäht  hätten;  und  eine  gewisse  Vorliebe  für  den  an  te  vo- 
kalisch en  Gebrauch  des  -v  lässt  sich,  gewissermaßen  als  Vorbote  der 
späteren  papiernen  Doktrin,  seit  den  ältesten  Zeiten  verschiedentlich 
feststellen.  Dabei  sei  von  vornherein  eines  bemerkt:  Wenn  die  Sprache 
der  Poesie  das  -v  als  Hiatustilger  gebraucht,  so  gilt,  was  Maassen 
S.  57  über  die  antekonsonan tische  Verwendung  sagt,  auch  für  die  ante- 
vokalische:  ohne  eine  Grundlage  in  der  Prosa  des  gewöhnlichen  Lebens 
hätten  die  Dichter  niemals  zu  ihrer,  wenn  vielleicht  auch  noch  so 
künsthch  ausgebildeten  Technik  gelangen  können.  Und  die  Inschriften 
bieten  hierfür  weitere  Handhaben: 

Wenn  nach  Maassens  Sammlung  im  ältesten  Zeitraum  vor  Vokalen 
das  -V  häufiger  steht  als  weggelassen  wird  (59  :  41  o/o),  vor  Konsonanten 
etwas  häufiger  weggelassen  als  geschrieben  wird  (52  :  48  o/o),  so  verdient  das 
zwar  Erwähnung,  doch  ist  der  prozentuale  Unterschied  nicht  groß  genug, 
um  tiefgehendere  Schlüsse  darauf  aufzubauen,  zumal  sich  unsrer  Kenntnis 
entzieht,  in  wie  vielen  unter  den  antevokalischen  Fällen  der  Hiatus  von 
den  Sprechenden  durch  Elision  beseitigt  wurde.  Daß  dies  in  Rechnung 
zu  ziehen  ist,  dafür  gewähren  metrische  Inschriften,  die  in  der  Schrift 
die  Elision  nicht  berücksichtigen,  eine  zuverlässige  Kontrolle  (vgl.  als 
altes  Beispiel  lür  -i:  JG  I-  373  ^'^'^  p.  90:  Tlalaôi  Ad^avaiai  am  Anfang 
des  Hexameters).  Wie  sich  dann  in  Prosa  das  Verhältnis  der  getilgten 
Hiate  zu  den  ungetilgten  stellen  würde,  muß  leider  in  der  Schwebe 
bleiben.  —  Eine  festere  Grundlage  ergibt  sich  aus  der  Tatsache,  daß 
bei  der  im  Laufe  der  Zeit  zunächst  durchgehends  zu  konstatierenden 
starken  Zunahme  im  Gebrauch  von  -v  sich  die  Beispiele  für  Weg- 
lassung  allmählich  fast  ausschließlich  auf  die  Stellung  vor  Konsonant 
beschränken.  Das  zeigt  jedenfalls,  daß  man  es  vor  Vokalen  als  not- 
wendig empfand,  vor  Konsonanten  dagegen  sich  eine  gewisse  Freiheit 
im  Gebrauch  wahrte.  In  dem  von  Maassen  benutzten  Material  über- 
wiegen schon  im  zweiten  Zeitraum  (403 — 337)  die  Fälle  von  Nichtsetzung 
vor  Konsonant  die  antevokalischen  um  11%,  die  dritte  Periode  (336-300) 
zeigt  vor  Vokalen  überhaupt  kein  Beispiel,  alle  sechs  Belege  sind  ante- 
kousonantisch.    —    In    der  Zusammenstellung    der    späteren    Inschriften 


1)  Das  meint  wolil  aucli  Maassen,  wenn  er  S.  58  im  Anschluß  au  seme  jetzt 
veralteten  sprachgeschiclitlichcn  Erwägungen  über  den  Ursprung  des  -v  sagt  „proprium 
esse  locum  huius  litterae,  .  .  .  .  ubi  biet  oratio."  —  Gegen  dessen  Entstellung  zum 
Zweck  der  Hiatustilgung  spricht  er  sich  wenigstens  S.  50  deutlich  aus. 


—     4     - 

(Maassen  S.  33)  ist  die  Riibrikatioii.  wie  eine  Nachprüfung  des  Materials 
ergibt,  offenbar  verdruckt,  die  Überschriften  „ante  consonas"  und  „ante 
vocales"  sind  umzustellen:  Gegenüber  insgesamt  51  Fällen  mit  fehlendem 
-V  vor  Konsonant  im  3.  —  1.  Jahrhundert  nur  zwei  antevokalische. 

Ein  weit  lebendigeres  Bild  gewährt  ein  Blick  auf  die  Praxis  der 
einzelnen  Texte.     Er  führt  zu  folgenden  Ergebnissen: 

1.  Vorangestellt  sei  etwas  rein  Negatives:  Es  gibt  keine  Inschrift 
mit  reichlicherem  Material,  die  etwa  eine  Bevorzugung  der  littera 
paragogica  vor  Konsonanten  garantierte:  Wo  sie  vor  Vokal  fehlt, 
pflegen  auch  entsprechende  Beispiele  vor  Konsonanten  vor- 
handen zu  sein.  Häufig  bietet  daneben  derselbe  Text  in  beiden 
Stellungen  die  Form  mit  -r: 

Wenn  JG  P  8   in    Z.  5    Tota(t)    Aq!.i{oöiö)    hat,    so    steht    auch 

Z.   7  u,   13  avTotoi    rlv\  Z,   11  avroiai     xara.^) 
Vl^.l:  A^évèai  hai,  &her  Ruch  Ad-êvËai  (îo...  Z.  18  (vgl.l- p.  12). 
r  37:  Gegenüber  ÔQ(ayu£)oiv  ha(y.aoT)og  f-m  26 f.,  a7ia(y)öaip 
(h)ai   f-ra  34    und   (tê)oi  Tioleoiv   hé   \h.    47    ist   -v   unge- 
schrieben in  (exo£i'ayy.ö)oi  e(g)  f-m  17,  26,  di(a7TQaxaö)ai 
êTTi    ib.  26.      Demgemäß    läßt    aber    die    Inschrift    auch    vor 
Konsonanten    in    sämtlichen   Formen    auf  -oi    das  -r    fehlen: 
a  15:  Tio'Asad)  y.ar.   f-m  4:  u(v)QiaGi   âQa(yjiÊGi).   ebenso 
ib.  19,  26.  —  lö:  {ni)o/.{6)oi  tcsqi,  Hliriai   7T{oleGi),  p  39: 
y.êQi'/ai    101  g  löai    i—,    41:  rvyxavöai    7rQVT(ai'8voi'T)€g, 
f-m  45:   (7io)/.eot   (fOQOS>  o  47:  {Tl)oi  noKeüiv  he. 
NB.     In  den    beiden  Aoristforraen,    dem    formelhaften   sôo/aev   iê\.i)  a  .^  und 
(exajyaev  TOficpofQov)  o  47  erscheint  -r   auch    vor   Konsonanten,    vgl. 
dazu  S.    .'il  f. 

I'40:  A.ntevokalisches  -v  in  Z.  30:  ouo'/.{o)yöoi  v  (fxarf^)o/. 
39:  ÔQ{ayjiaL(j)iv  sxaoTog,  29:  eysiQOTOvëasv  ho.  Weg- 
gelassen: Z.  11:  öof  eTTirißdeioi),  43:  tioIeöi  i,  50: 
anuv{TEaö)ai  «(s)-  Fehlt  auch  vor  Konsonfinten  :  15: 
(oTë).ê)<ji  yiyvËTat,  38f.:  iivQiaiai  ÔQ{c(yuai  0)1  v,  43: 
TËai  71 0/6 ff/.  —  Antekonsonantisches  -y  nur  in  dem  stereo- 
typen (eô)oy(jev  xii  Z.  3. 
Dieselben  orthographischen  Verhältnisse  in  JG  I'  47,  273.  324,  |- 
22  a.  27  a.  27  b.  27  c.  53  a,  61a. 

Von  nach -eukl  eidisch  en  Urkunden  vgl.  JG  IT  17  (Z.33f.  Ai^r-vi]öL 
avsTiiTt;oen)(i),  aber  auch  Z.  9:  {-oKfi  i  ôg).  —  64,  9:  {ßor^O-i]o)aoi  eig, 
aber  auch  Z.  1 1  :  {fior^!}^r^)aaoi  tov.    —  603,  16:  aT8(favov{G)i  EjTiyavj-v 

*)  Der  fragmentarische  Charakter  dieses  wie  vieler  der  folgenden  Denkmäler  ist 
für  die  Zusammenstellunor  stets  im  Autre  /.u.  liehalten. 


neben  3:  ;-!)-voe  zo{i)^.  —  11 ''  766.  13  (14):  avsO^t^xs  uGraxov^  Z.  7: 
azcedoxs  IIoÂvçsvog.  —  804  An  41:  f.ynvai  «,  Ba  38:  TiQooofpst- 
kovai   ro)v,  u.   s.  w.   — 

Wenn  auf  dem  Bruchstück  P  2  B,  19  aTcoôtôôaiv  rcaqu  und 
C  20  -ICH  8 /il-  einander  gegenüberstehen,  so  ist  daraus  ebensowenig  ein 
dem  oben  Behaupteten  widersprechender  Schluß  zu  ziehen  wie  aus 
li'  86,  8  soTi  ort  gegenüber  32:  £7iidi]iitc)Ofi  xar'  (: sonst  kein  Material:) 
und  aus  der  einen  Form  siâcnjt  o{ri)  114  A,  13  neben  ÂaycooLV 
TCQOEÔQEvsiv  9,  Xs'/ovoiv  ü  u  t  14,  ey.QiPsi'  (hcc/st  Qoi  o{vt^)aaaa  5, 
ße(Sov'Aevy.ev  '/.syov  11.  (114  B,  9  hat  vor  Vokal  ô(o)çaoiv  aQiara.)  — 
Das  Fragment  11^  584  bietet  einmal  ôtelvos  AÖ^r-vaiovig)  Z.  8  neben 
{av)E'J-i]y.Ev  y.a'k  —  Z.  12.  —  dar  nicht  zu  reden  ist  von  einem  Fall 
wie  P  56  b  3:  eg%i  ayaiïo'^^  7  ëgl  e/oai^uöv  im  Gegensatz  zu  dem 
formelhaft  erstarrten  sô(r/jjsv  tel  ßölei  Z.   1. 

2.  Wir  wenden  uns  zum  positiven  Teil:  Eine  gewisse  Vorzug- 
stellung des  antevokalischen  Gebrauchs  von  -v  resultiert  unwider- 
leglich daraus,  dass  eine  ganze  Anzahl  inschriftlicher  Urkunden  die 
Weglassung  nur  vor  Konsonanten  kennt.  Dieser  Zustand  findet 
sich  bereits  auf  recht  ehrwürdigen  Denkmälern: 

JG  I'  1  B  hat  -V  vor  Konsonanten  in  fivGT(ëG)iv  y.aL  6,  {e7i)onTè lgiv 
{y.ai)  7,  ay.ok(ovd-)oiGiv  y.ai  9,  {aXX)oioiv  To(ig)  10, 
I.i{v)gt£Qioigiv  föt,"  34.  —  Vor  Vokal:  12:  (Adëv)aiot  Gtv 
{ha)  TiaGLv,  29:  Ai}êvaLOiGLv  sy.si,  30:  teigiv  avrêai. — 
Es  fehlt  vor  Konsonanten:  Z.  5  xotoi  f-ivGT{éo)iv,  tëlgl 
TtokeGiv  26  (vgl.  I-  p.  3),  ccvtêgi   tcoâsgh'  31.   roioi  äs  32, 

oXeiZoGI     f.lVGTÊqiOlGlV    33.^) 

P  32:     Antekonsonantisches    -v:     eaciv    tolç    A   5,    {xQ£u)aGtv 
■loii^)  B  17. 
Antevokalisch:  sgtiv  sxaGTÖi   A  23,  egtiv  ê  B  25. 
Fehlt  vor  Konsonanten:  A  6:  eari  tovtöv,  29  avayQa<fGÖGi  /«, 
31    neQiöGi   '/QEGO^ai,  B  20:   la/iiLaGL  röv. 
W  1b    p.  394  f.    (Jahr    des    Eukleides)    hat:    Z.  22    sGiii    .tsqi, 
29    ËGiv   718QI.    —    9    y.slsvöGLv  £t,',    35    ëaii'  aiÖQSi^.  — 
12:  EJiaivöai  ôe. 
Auf  jüngeren  Texten   rindet    sich    dieselbe  Verteilung.     Sind    auch 
naturgemäß    bei    den    größeren    Ausdehnung   im    Gebrauch    des  r  f</£/.- 
xvGciy.ôv  die  Minusbeispiele  spärlich,    so  handelt    es    sich    doch    oft    aus- 
schließlich um  die  Stellung  vor  Konsonanten.     Vgl.  JG  II'  553  (um  400): 
Z.   1:    (ed)o^e^'  r/;/,    5  exoQt;y)-G8v  /o/.s,    10  aiÔQaon    Junvuicc- 


-)  "Wegen  der  besonderen   Beschaffenheit  eines  Teiles  der  Beispiele  s.  noeii  S.  lU. 


—     6     — 

9  i  avtxr^y.èv  an'.  10  Tiaioiv  ?;.  —  5  Traioi  y.ai.  311:  45  ana- 
Qovoiv  y.cii.  46  ...an  /.ai.  —  lA  {et iui]o)ev  (eixoaiv),  47  na^axa- 
j.ovoiv  av{TOv).  —  22:  £VTVxr.jiiao{i)  rov.  46  aTTCtyysJi.ovni  rr^v. 
314:  (Xur  Z.  32  ôi  aTarê'/.exe  leyov  ohne  -v,  mit  -r:  vor  Vokal  9inal, 
vor  Konsonant  8mal.)  317.  331:  -r  vor  Konsonant:  Z.  2  (£)rro/fO^- 
X7(j£i  TAs.  11  i/.aßer  xai.  29  exoinoev  toi.  34  ôi £(fv'Aaçev  tj;v, 
39  ;Taç«dw>ffi  >?«'.  61  /.s/.sirovQyr/xsr  (pikoTif.iiog.,  63  naoïv  rov- 
TOig  (Minuskelumschrift  unrichtig!),  68  /.axtooiv  nQoeÔQsveiv.,  94  st- 
T?;xfj'  {0)ai ÔQog.  —  Vor  Vokal:  Z.  6  (eTr/.e)v()Sv  etïi^  8  e?.aßsv 
Ayvvjvu.  13  TïaQcO/.evaoev  aacpaleiai.  20  ôiaTereXsy.Ev  eavrov^ 
(23  ojuTTQOiîf/xci  eTTèf^icîr^d^Tf),  32  ôieTeîeoev  ayovi'^oiievog  (vgl. 
Z.  41.  46!),  60  é/LiTiaoïi  i;i\  62  j'ëj'oi^afj/v  £k  (83  ayoxjiv  oig).  — 
-V  fehlt  vor  Konsonanz:  Z.  13  jx/.iovoi  rr^v.,  41  âtsTs'Aeae  xai,  46  dterg- 
/.£f7£  Travra  (vgl.  Z.  32!),  55  övvT8ks{od^ioG)i  naoai,  83  Tiaai  TOig. 

—  332.  403  (Z.  79  vor  Vokal  avs^r/xer  Evxlrg,  nicht  aie^hy/.e.  wie 
die  Minuskelumschrift  bietet.)  467,  469,  471.  605,  609.  610.  611,  628, 
453b  (p.  418).   —  Dittenberger  Sylloge-  169.  177,  178  u.  s.  w. 

Es  ist  nicht  schwer  zu  erkennen,  daß  in  einem  solchen  Verhalten 
der  Keim  der  späteren  Schulpraxis  schlummert.  Wenn  es  in  der  älteren 
Zeit  schon  öfters  Brauch,  in  der  späteren  Regel  war,  î^-lose  Formen 
nur  vor  Konsonanten  zu  gestatten,  so  lag  es  für  Leute,  die  überall  feste 
Norm  und  reinliche  Scheidung  vei'langteo,  nicht  allzu  ferne,  in  der 
Richtung  auf  die  Schulregel  hin  zu  verallgemeinern.  Zwar  geht  aus 
dem  Befund  der  Inschriften  aller  Zeiten  klar  hervor,  daß  eine  solche 
Theorie  nicht  allgemein,   ja   daß   sie  nicht   einmal    weit   verbreitet   war, 

—  -V  vor  Konsonanten  bleibt  bis  in  die  späte  Kaiserzeit  sehr  gebräuchlich 
(vgl.  Dittenberger  Sylloge-  387.  390.  404.  405,  406,  418,  420)  —  ; 
Spuren  aber,  die  deutlich  auf  das  in  der  bekannten  Schreibregel  nieder- 
gelegte Prinzip  hinweisen,  finden  sich  schon  in  vorchristlicher  Zeit  genug- 
sam :  Zeigt  bereits  die  vorhin  besprochene  Inschrift  I  '  32  vor  Vokalen 
die  ausschließliche  Verwendung  des  -v,  vor  Konsonanten  ein  Überwiegen 
der  v-losen  Form,  so  gibt  es  auch  in  jüngeren  Epochen  Urkunden,  die, 
ungeachtet  der  sonst  zu  konstatierenden  Ausdehnung  des  -v,  als  ante- 
konsonantische  Dublette  die  i^-lose  Form  in  der  Majorität  haben.  Sie 
stellen  gewissermaßen  einen  Übergang  dar:    So 

JG  II'  628  (Ende  des  2.  Jahrh.  v.  Chr.):  antevokalisch  Z.  8  uvot/,- 
Qtontiiv  i^fteçaig,  25  avevQsv  avzog,  28  ef-mauLV  ana- 
voQxh'Hiei'jg.  —  antekonsonantisch:  mit  -v:  17  {7TQ0G)sf.i€- 
QKiii'  ÔS,  23  fTmt'Koxiiv  rag.  —  ohne  -v:  Z.  7  èoi  i  ôvvaTt], 
39  TiQoiii-  iirQi  ar-  de,  40  i-xa/./.i  f^Qt'os  raig  (in  Pausa  an- 
ii  t/.fiii-i). 


Es  kommt  aber  noch  deutlicher:  Die  Inschrift  aus  Amorgos  BGH  8, 
450  =  Dittenl) erger  Sylloge-  642,  wahrscheinlich  aus  der  Glitte  des 
3.  Jahrh.  vor  Chr.,  hat 

vor  Vokalen:  Z.S  naQt^yysi'Aev  8v,  IQ  ava?.o)aev  sig^  21  u(fr^xf^v 
aceleig^  30,  33  Tc^t]aiv  rj.  —  Vor  Konsonant:  Z.  \1  skaße  ÔQaxjiiai;, 
30  7i{aoi)  Totg,  33  ttuoi  toi  S-  —  -v  erscheint  außer  in  dem  formelhaften 
SÔOÇSV  z/jt  (Z.  1)  nur  in  srvsôioy.sv  y.ai  Z.  20,  wo  man  ebensogut 
Pau  sa  Stellung  annehmen  kann,  zumal  nach  y.ai  das  neue  Prädikat  acpr^y.ev 
folgt.     (Sonst  in  Pausa  eiTiev  Z.  2,  ayvxni',  oig  Z,  30,  33.) 

Ebenso  scharf  tritt  die  Divergenz  hervor  in 

JG  11^  385c  (2.  Hälfte  des  3.  Jahrh.  v.  Chr.): 

Vor  Vokal:  Z.  9  alovaiv  eig^  13  Gvvr^yoQ7-^asv  sig,  20  s^ovoiv 

aiQSGlV. 

Vor  Konsonant:    Z.  7   nQoetor^vsyxs   XQrjuara,^)    9  aoaveios 
äs,   15  eôojy.s  de,  37   açiovai   ôod^r^vai,  <54  TraQayeyovoo i 
[.lex. 
Die  einzige  Entgleisung  Z.  14:  (JvvETCQeaßevasv  de. 
(In  Pausa:  einev  Z.  3,  33,  49.     yaxa:Tlsov(JLv  Z.  12.) 
Schon  als  vollkommen  der  Schulregel  entsprechend  sind  diejenigen 
Urkunden  zu  betrachten,   in  denen  nur  etwa  das  formelhafte  eôoçev  vor 
Konsonant  festgehalten  ist,  während  der  übrige  Text  sich  dem  Brauche 
fügt.     Das  treffen  wir  bereits  JG  ir  570  (um  400): 
Antevokalisch:  Z.  34  ogolglv  e{(jTi('jv)iai. 

Vor  Konsonant:    Z.   15    sav^L?)    {ili)r^(ptai.ia^    32    aQ/otoi   rö,    37 
naqöoi  Illod^-. 
{sôoçev  niiod^eisvai)  Z.   11. 
Ebenso  IP  54b  (362  v.  Chr.): 
Antevokalisch:    Z.  6    ajioipaivôoLv  offei?.ôGai>,    11  a7ioôido)aiv 

€v,  34  yaT/]yaysv  o. 
Vor  Konsonant:     Z.  18    oi-ioob    Keiotg.     46    aufpKjßy^TOjai    «/;, 
47  y.aTaoTi]aaaL  TiQog. 
{eâoçsv  xr^t  Z.  3.) 
NB.    Die  Pausa  schwankt  auf  dieser  Inschrift.  Z.   l  sjt Qvvavevev,  5  eiuev, 
aber  Z.  2  eyçaftfiarei'e,  19  coai,  23  eiac,  45  A&tjvtjai.  — 

So  wird  es  denn  schließlich  nicht  Wunder  nehmen,  daß  sich  hie 
und  da  Denkmäler  finden,  die  völlig  zur  Schulregel  stimmen.      Den  Text 

JG  W  14b  p.  397  (387  6  v.  Chr.)  mit  seinem  (eari)^  eg  rrjinoln 
Z.  4,  leyovoi  Je-  6,  syj)vßi  y.-  9  erwähne  ich  nur  beiläufig,  der  frag- 
mentarischen Überlieferung  wegen.  —  Wichtig,  obwohl  gleichfalls  ver- 
stümmelt, ist 

^)  Z.  8:  EiY.oai   TaÀavra  hat  \vc2;znl)leilien;  s.  S.   19. 


_     8      - 

11^  62  (357-6):  Hier  hat  nämlich  in  Übereinstinimuug  mit  {eyjoai 
utG{i)^or)  Z.  21  selbst  das  stereotype  eöo^sv  sich  einmal  der  Schreib- 
regel gebeugt:  Z.  6  bietet  sôoçs  rrt  gegenüber  8{xo)o)iv  o{l)  Z.  10  und 
den  Pausaformen  tyQuaiiarsvap  Z.  4,  gtrrev  Z.  7.  —  Dasselbe  in  dem 
Fragment  11^  108  a  (349/8),  wo  Z,  14  eiOLv  sx,  Z.  1  €Ôo~s  tcoi  zu  lesen 
ist.  (Das  TC'ji  e(.i7iQ0Gd^ev  yiQov <iûv>  on  von  Z.  6  wird  niemanden  stören, 
der  Maassens  Bemerkungen  zu  dieser  Formel  S.  35  f.  berücksichtigt.) 
IP  614  b  (Anfang  des  3.  Jahrh.  v.  Chr.):  Das  erste  Dekret  (der 
Soldaten)  beobachtet  die  Regel  nicht,  wohl  aber  das  von  Z.  51  ab 
folgende  der  Eieusinier: 

Antevokalisch:  Z.  62  e()Te(pav(')y.6v  avrov,  69  ysyovev  airiog. 

Antekonsonantisch:    Z.  62    naot  rovroig,    ETieivey.e  xai,    63  en:- 

In  Pausa:  Z.  51  sltiev^  55  ipr.fpioiiaGiv,  67  sLoevê/d^ooii. 
Auch  IP  597  c  (l.  Hälfte  des  3.  Jahrh.,  vgl.  Dittenberger  S} Uoge - 
605)  stimmt  mit  seinem  wenn  auch  dürftigen  ^Material: 

Vor  Vokal:  Z.  5  aTTOÔr^^iovaii   e.Ti,   15  sartv  avTtoi. 

Vor  Konsonant:  Z.   12  y.rQvçi  y.ai. 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  von  Pomtow  X.  Jahrb.  149, 
507  ff.  behandelten  „Kallikles" -Inschriften  aus  dem  3.  Jahrh.,  fünf 
amphiktyonische  Dekrete  mit  identischem  Wortlaut,  ihrer  Entstehungs- 
zeit nach  jeweils  nur  durch  kurze  Zwischenräume  von  einander  getrennt. 
In  jeder  einzelnen  von  ihnen  ist  das  Gesetz:  „-^'  vor  Vokal,  kein  -v  vor 
Konsonant"  mit  peinlicher  Gewissenhaftigkeit  durchgeführt.  Der  Schreiber 
hat,  was  er  in  der  Schule  gelernt  hatte,  gut  im  Kopfe  gehabt: 

Vor  Vokal:  Z.  7  El).i]aiv  anaaii  aveiy/.J/cojg-,  8  leqouv t^/tioaip 
erraii^aai,  9  ayooiv  olç,^)  10  Tii^eaaiv  oi. 

Vor  Konsonant:  Z.  4:  eôoçs  TOig,  o  isQoiivi-fioGi  yai\  6  dasselbe. 
6  AiKf  L/.TVOGL  yai,   7  eôoçs   roig,  9  naoL  roig.  — 

Es  empfiehlt  sich,  über  die  Grenzen  des  Attischen  und  der  y.oivt^ 
hinaus  einen  kurzen  Blick  auf  die  ionischen  Dialektinschriften  zu  werfen, 
denn  auch  hier  genoß,  wie  wir  wissen,  das  i  tifû./.vGrLy.ôv  Heimatsrecht. 
Sie  zeigen  im  wesentlichen  dasselbe  Verhalten  wie  das  bisher  behandelte 
Material  : 

1.  Auch  hier  keine  größere  Inschrift,  die  das  -v  vor  Vokalen  weg- 
ließe, vor  Konsonanten  setzte:  Fehlen  vor  Vokal  bedingt  immer  die- 
selbe Freiheit  vor  Konsonant:  vgl.  (nach  B echteis  Sammlung  in  GDJ): 
5285  (Olynthos,  Auf.  d.  4.  Jahrh.)  b:  XaXxLÖevGL  ty.y  neben  3Iay.s- 
duGii   f X,  vor  Konsonanz  neben  Tt'/.tovGtv  nlea  auch  ak'//.r//^0LGL  y.ara. 


1)  Kann  auch  als  .,Pau8aform"   vor  be^innendeni  Relativsatz  »ezählt  werden. 


—     9     — 

5398  (Kens,  Ende  d.  5.  Jahrli.):  tqloi  ey.arov  und  (iqkj)i  /.f-vy.oig. 
5698  (Samos,  Ende  d.  4.  Jahih.):  STisa ce{L)Â8  stg  und  eoTe(favv>os  y.ai. 
5737  (Magnesia,  Ende  d.  4.  Jahrb.);  Neben  syQafiftaTsvev  II/.aißTccQ/og, 
eôoçsv  ii^L  aucb  eon  {7is)Qt;  demnacb  :iQoi]ÔQevF.  [ortag  berechtigt. 
2)  Einige  Denkmäler  zeigen  fakultative  Weglassung  nur  vor  Kon- 
sonanten, vgl. 

5753c  (Mylasa,  855/4  v.  Chr.):  jiie  ic{rf)yêi'  /;,  e7i(')lr^aev  ;;,  auch 
sy.oirvnr^Gev  T/;t.',  {Mvkaoevoiv  xai,  auf  y.ai  folgt  neues 
Prädikat),  aber  auch  eôo-e  3IvlaaevaLv. 

5755  (ib.):  oevögsotv  eÄaivoig  zweimal,  ^leTtQaxep  avirng  zwei- 
mal; —  övoiv  y.at,  TQLOLv  xa«,  7CE{p:)r^'/sv  avv^  aber  auch: 
oevÖQSOi  naatv,  evovot  öevÖqeotv. 

H)  An  völlig  einwandsfreien  Beispielen,  die  wenigstens  eine  spora- 
dische Existenz  der  Schulregel  auch  für  das  Ionische  garantieren  könnten, 
fehlt  es  leider;  vielleicht  zufällig.  xVllerdings  haben  \Av  zwei  Inschriften, 
die  sich  jenem  Gebrauch  stark  nähern.  Einmal  die  bemerkenswerte 
Urkunde  aus  Mykonos  5417.  Ich  gebe  die  Inschrift,  die  noch  einige 
verstümmelte,  bei  Bechtel  nicht  mitgeteilte  Zeilen  enthält,  nach  der 
Pubhkation  von  Barilleau  BCH  6,  500  ff. :  -i  vor  Konsonanten  rindet 
sich  hier  aulier  in  dem  ergänzten  f.i€T€i(xei)  Kaû.toTayoQag  nur  in 
Z.  34  röio/.Ev  XV,  44  {Evt]yyv  r^)o£v  rr^v.  Alle  üljrigen  P'"älle  stimmen 
zur  Regel: 

Vor  Vokal:  Z.  3  evi^yyvr^Gev  [Erra^/tdft],  6  avie/.e^evA/.ti.L- 
zÂ?;i,',  7  7iQ0Ged-i]yBv  €y.aroi\  16  saojy.sv  i-Tiiay.ooiug, 
28  evi]yyvrGer  Equo^ evrv. 

Vor  Konsonant:  Z.  4  côvjye  yûuag^  12  £V7]yyvr^ae  -ogtqüi  o)i, 
13  a.Tèôojy.a  ôe,  tlaßt  naQcc^  15  svi]yy{v)r^Ge  0i/y(')i  luvn, 
fdoxs  fi(vQL)as,  19  vTis^i-y.a  KaX'/.iievog^  21  >,yyi'>,os 
Tifisaù,  eôtoxE  TQiGy^t{^Xt)ag^  23  evz-yyvijae  Uan^rcLai 
25  ev?]yyvj]ae  Ilav&a'/uôa,  29  i-doy.r-  yi/uag.  33  sir^yyvj-os 
xai^  39  a{ôo))xs   ÄXX. 

Eine  ähnliche  Statistik  weist  die  berühmte  Sängergilden  Inschrift 
von  Milet  (5495)  auf:  Sie  setzt  zwar  dreimal  -r  vor  Konsonanten  :  iG/öair 
GTa(pavi]<f OQOL  9,  GterpauocpoQoiGii  ra/.ra  1415,  KßonuaioiGiy  de 
21,  hat  aber  sonst: 

Vor  Vokal:  ioGlv  ag  18,  Tcc^y ///uoiGti  CcQ(rt)oi  20,  ^J;^cc- 
ye(t)TVLOLGLv  ifç(/;t) Ol' 20/21,  la^oiGLi  o  22,  Oi  li  aöt^ioii 
ano  37,  noKoatv  Ovcraöat  40,  uoA.totaii  a.Ti  40,  ora- 
(favi](fOQOLaiv  aniTaTQacpii ai  42. 


—     10     — 

Vor  Konsonanz  :  fôo^c  iio/y^toLOLpA,  ariciaôoi  iiolîiuivQ^rtTiéo^e- 
oai  -/.ai  8,  TOioi  OTeçavrjÇoQotaiv  14,  tiivöol  to/u  16, 
TOVToiai  toig''  isQoiOLv  22,  OviradriiGi  .Ta(>gç/g  32  (vgl. 
Z.  37!)  Eaôf  uoÂTtoiaiv  40,  saôe  fiokTioioi  41,  (.10X710101 
Gr£cpavi]ffOQOi Giv  42  (vgl,  Z.  40!),  reXeGi  loig^  44. 

Über  die  darunter  befindlichen  Beispiele  in  syntaktischen  Kom- 
plexen s.  S.  25. 

Verhindert  in  dem  zuerst  zitierten  Denkmal  die  junge,  stark  mit 
y.onr  durchsetzte  Sprachform  einen  sicheren  Schluii  auf  vereinzelte  An- 
wendung der  Schulregel  auch  im  echten  Ionisch,  so  im  zweiten  Fall 
der  Umstand,  daß  nur  die  späte  Kopie  eines  älteren  Textes  vorliegt. 
So  gut  der  Abschreiber  bei  Gelegenheit  des  /.  adscriptum  gesündigt  hat 
(Bechtel  S.  629),  könnte  er  sich  auch  beim  v  l(fsX/.vOTr/.ôr  Verstöße 
gegen  den  Gebrauch  seiner  Vorlage  haben  zu  schulden  kommen  lassen. 
Allerdings  wird  eine  weitere  Beobachtung  (S.  25)  unser  Vertrauen  in 
die  Inschrift  bezüglich  des  -v  beträchtlich  erhöhen.  —  Ohne  Verklausu- 
lierung kann  jedoch  somit  die  Frage  fürs  Ionische  nicht  bejaht  werden. 
Daß  wir  auch  in  5702  (Samos)  das  0711(0)^8  S-sog  von  Z.  27  gegenüber 
avf^yiyvojox&v  ex  88,  aTcecpaivev  ovxa  30  und  in  5727  (Halikarnass)  a  65  oniod^e 
TOi>  gegenüber  ciy^ev  EQiiamg  39,  er/i^i  ylQTvciGoig  45  nicht  verwerten 
dürfen,  zeigt  die  Überheferung Herodots  bei  diesem  Adverbium  (Bredovius, 
Quaest.  crit.  de  dial.  Herod.   106  f.,   Smyth,  lonic  dial.  289). 

Das  Gesamtergebnis  ist  klar:  Im  Attischen  und  in  der  y.oLvr:  ist 
nach  Ausweis  des  inschriftlichen  Materials  ebensowenig  wie  im  Ionischen 
eine  einheitliche  orthographische  Regelung  in  Sachen  des  v  ècfsÂ- 
xvGTLy.ôv  durchgeführt  worden,  die  sich  konsequent  nach  der  Gestalt  des 
folgenden  Anlauts  gerichtet  hätte;  wohl  aber  finden  sich  schon  frühe 
Anläufe  dazu,  die  Weglassung  nur  vor  Konsonanten  zu  gestatten, 
ja.  im  Attischen  und  in  der  y.oLvri  zeigt  eine  Anzahl  von  Fällen  diese 
Weglassung  zum  Gesetz  erhoben.  Es  sind  also  schon  in  vorchristlicher 
Zeit  theoretisierende  Köpfe  darauf  verfallen,  die  Anwendung  streng  in 
der  beschriebenen  Weise  zu  regeln.  Daß  sie  damit  nicht  durchgedrungea 
sind,  wissen  wir;  Reflexe  ihrer  Vorschriften  aber  finden  sich  in  den 
gegebenen  inschriftlichen  Beispielen  wieder,  bei  deren  Mehrzahl  die 
Annahme  einer  zufälligen  Verteilung  ausgeschlossen  ist.  Die  ersten 
Zeugnisse  fallen  schon  ausgangs  des  5,  oder  ganz  zu  Beginn  des  4.  Jahr- 
hunderts, Sie  und  die  späteren  Belege  entstammen  jener  Zeit,  die  die 
griechische  Nationalgrammatik  schuf  und  ausgestaltete,  den  letzten  vier 
Jahrhunderten  vor  Chr. 

Sicherlich  ist  es  also  Unrecht,  unsere  Schulregel  schlechtweg  als 
„byzantinisch"  zu  bezeichnen  (Kühner-Blass  Gramm.  Ii  '  295  Anm.  2). 


-  -    11    — 

Nach  dem,  was  uns  die  Inschriften  gelehrt  haben,  verschlägt  es  nichts, 
wenn  die  Regel  als  solche  zum  ersten  Male  l)ei  den  Byzantinern  sich 
ausgesprochen  findet.  Das  geschieht  aber  nicht  allein,  wie  Maassen 
glaubt,  in  dem  grammatischen  Traktätchen  IleQÏ  tov  icpêÂyvariy.ol  y,  das 
im  Qi](TaiiQ6^,  y.ÊQa^  dt-ialüiia^  etc.  des  Aldus  Manutius  (Venedig  1496) 
auf  f.  2161)  abgedruckt  ist.  Maassen  hat  recht,  wenn  er  S.  41  die  Autor- 
schaft des  Choirobüskos  bestreitet:  Inhalt  und  Sprachgebrauch  wider- 
sprechen ihr  in  gleicher  Weise,  namentlich  die  Verwendung  von  t(f'c'/.- 
y.variy.ov  als  Attribut  zu  vv.  Wie  Maassen  richtig  hervorhebt,  sagt 
Choiroboskos  (Lebenszeit  zwischen  6.  u.  10.  Jahrh.)  noch  stets  „ë  eyg/.- 
xvaxLxav  èoTi  tov  r"  oder  ähnlich.^)  —  Wohl  aber  schimmert  aus  dem 
Abschnitt  in  Planudes'  UsqI  yQuuuaxiy.r^g  ôiâXoyog  (um  1300),  den 
Maassen  S.  40  unbegreiflicher  Weise  nicht  völlig  ausgeschöpft  hat, 
deutlich  die  Polemik  gegen  die  Schulregel  durch,  die  also  damals  von 
andern  verfochten  wurde.  Ich  zitiere  nach  Bachmann,  Anecdota 
Graeca  II   57  f.  : 

,^Af.iéhi  ôe,  0001  Ttôv  ^ArTiy.cjv  ri^)  y.cacdoyâôr^v  Âôyq)  rd»  èavTOJV 
avverd^avzo  ßißlovg,  xal  cpcovrjsvTog  /.al  ovf^KÇtôvov  TOÎg  toiovtoi g 
iTiKfeQOf^tévov,  xo  v  TiQoaéd^t^yav,  y.al  iiaçTVQeî  Tiàoa.  ßißlog...  Dann 
weiter:  Ol  ôè  xijg  véag  xavrr^g  örj  yQu^ufiariyrg  ènundiaL,  oi  x^èg  y.ai 
rr^o  TQici-g  dyudoavTi-g,  TiâvToS-ei\  ETiciyouévov  o i\a cp o) i> o v^  co  loi- 
ovxov  èçojQioav  dfiSTaßo'Aov.^'' 

NB.  Die  bei  Kühner-Blass  a.  a.  0.  aus  den  Worten  des  Planudes 
geschöpfte  Behauptung,  die  Byzantiner  hätten  das  p  noch  „allgemein" 
gesprochen,  stützt  sich  nur  auf  die  bei  Bekker  Anecd.  Graeca  III  1401 
gebotene  Textgestaltung:  Bachmann  hat  S.  58,i  das  entscheidende  /<;; 
nicht,  und  der  Satz:  „x«/ro/  y.cd  j]fi£ig  xwt«  rr^v  y.oivozèQav  7]/iicîJv  ôia- 
ley.Tov  TOÏg  fiera  tov  v  nâvxa  Xèyovoi  y.ai  ênujvQhTOiiiev,  y.aî  ßuQßaQOvg 
Tomovg  dnoy.alovi-Œv'-''  hat  nach  dem  Vorausgegangenen  guten  Sinn: 
„Wenn  auch  die  modernen  Grammatiker  Unrecht  haben,  die  das  i^  über- 
all vor  Konsonanten  herauswerfen,  so  tadeln  wir  doch  auch  (xa/ro«) 
die,  die  überall  r  sprechen,"  —  Nebenbei  bemerkt,  wenige  Zeilen 
weiter  (S.  58,i3  f.)  ist  in  der  RepHk  des  Neophron  dann  auch  im  Gegen- 
satz zum  früheren  Sprachgebrauch  (Choiroboskos)  wirklich  vom  „r 
ècpsXy.voTiyôv'''^  die  Rede  („t/  ôè  y.otvov  QjjiiiaaL  y.al  dvöiiaai  oiare  y.d/.enoig 
y.ai  Tomoig  è(pB/<.y.v(îTLy.dv  to  v  ylvead-ai;^^) 

Des  Planudes  Schüler  Moschopulos  zitiert  die  Schulregei  ohne 
weiteres    als   gültig   (Gramm.  Graec.  IV,  XLIIIaitff. :    „ro    ydç    r    tifc/.- 


1)  Demnach  ist  auch  CTramni.  (Ti-aec.  IV-,  S.  (JÜ,Ui  „to  ri'.Tre  ov  ôvrcirai 
ê(f€Ay.vaTiaôv  ëyeiv  ro  v'"  das  Adjektiv  zu  ro  xvnTe  und  nicht  zu  v  zu  ziehen,  wie 
ühriseus  der  Sprachgebraucli  der  ranzen  Stelle  unzweideutio-  dartut. 


—     12      - 

y.vaTr/.(')v    iarii    sv    roZ*    TQ/roig    7iQ()<JO)n:oig    ron    ()t]ftÛTO)P    îoÎs'    ^ts"   ^    '} 
è.ci  fpfQiiftévov,  ovfKpo'fyov  ôè  ov/.éz  i''^).  — 

Den  Hauptgegeiistand  meiner  Untersuchung  bildet  der  Gebrauch 
der  littera  paragogica  in  der  Pause,  und  hier  weiche  ich  nicht  unwesent- 
lich von  dem  bei  Maassen  tabellarisch  Niedergelegten  ab.  Es  kommt 
mir  dabei  in  erster  Linie  darauf  an,  seine  Ansichten  über  den  ältesten 
Zeitraum  einer  Revision  zu  unterziehen,  denn  daß  später  in  pausa  die 
Setzung  des  v  Irpeky^cGTi/.öv  fast  zur  Regel  geworden  ist,  zeigt  auch 
Maassens  Statistik.  Dagegen  kommt  bei  M.  der  Pausagebrauch  im  ersten 
Zeitabschnitt  (bis  zum  eukleidischen  Jahr)  schlecht  weg;  nur  in  17'V'o  der 
Beispiele  soll  es  vorhanden  sein,  in  83  o,,  fehlen.  Dies  Verhalten  würde 
zu  dem  des  Inlauts  im  denkbar  größten  Widerspruch  stehen,  es  ist  aber, 
wie  mich  eine  selbständig  vorgenommene  Prüfung  des  Materials  über- 
zeugt hat,  zu  Unrecht  konstatiert.  Ein  greifbares  Resultat  zu  erlangen, 
ist  allerdings  hier  besonders  schwierig,  vor  allem,  weil  der  Begriff  „Pausa" 
selbst  ein  schwankender  ist,  um  von  äußerlichen  Zufälligkeiten  der  Über- 
lieferung, die  einer  sicheren  Erkenntnis  auch  hier  nicht  selten  im  Wege 
stehen,  ganz  zu  schweigen.  Wo  man  im  Ansatz  eines  „Sinneseinschnittes" 
schließlich  Halt  machen  soll,  kann  oft  nur  nach  Gutdünken  entschieden 
werden.  Ich  brauche  nur  an  Fälle  mit  „und"  zu  erinnern,  um  die  fast 
unendliche  Modulationsfähigkeit  der  Stärkegrade  ,,in  pausa"  darzutun. 
Mein  Verfahren  im  folgenden  war  das,  als  „Pausaformen"  solche  Fälle 
zu  rechnen,  in  denen  unser  Sprachgefühl  eine  Interpunktion  verlangt. 
Daß  wir  mit  dem  der  alten  Attiker  dabei  bisweilen  in  Widerspruch  ge- 
raten mögen,  läßt  sich  nicht  vermeiden,  aber  leider  auch  bei  dem  Mangel 
einer  sicheren  Kontrolle  von  Fall  zu  Fall  nicht  konstatieren.  Auch 
glaube  ich,  daß  das  Gesamtergebnis  unter  allen  Umständen  im  wesent- 
lichen das  gleiche  ist.  Bemerkt  sei  noch  von  vornherein,  daß,  wie  schon 
Maassen  S.  28  richtig  erkannt  hat,  es  für  den  Gebrauch  des  Pausa-v 
gleichgültig  ist,  ob  ein  eventuell  folgender  Satz  oder  Satzteil  mit  Vokal 
oder  Konsonant  beginnt.  Meine  eigenen  Sammlungen  haben  mir  das, 
auch  wo  sie  über  Maassen  hinausgehen,  weiter  bestätigt.  Ich  bespreche 
zunächst 

I.  Die  offiziellen  Urkunden.  Was  seit  Maassen  an  neuen  Funden 
hinzugekommen  und  in  J  G  I  niedergelegt  ist,  habe  ich  mitverarbeitet, 
auch  die  tabuhe  magistratuum  mit  den  décréta  zusammen  behandelt. 

Das  8cheinl)ar  abweichende  Verhalten  des  Pausagebrauchs  gegen- 
über dem  Inlaut  in  Maassens  Statistik  ist  einzig  und  allein  dadurch  ver- 
schuhlet,    dal)    in    die   Materialsaiumhiiig    die    stereotypen    Formeln    der 


—     13     — 

„prœscriptiones"  mit  ihrem  ständigen  ercQvravtve.  e'/ounuarevt.  ëoye,  sitcs 
einbezogen  worden  sind,  obgleich  Maassen  deren  ^peculiaris  et  propria 
natura"  ATohl  bekannt  war  (S.  68).  Es  ist  doch  wohl  klar,  dali  wir  in 
derartigen,  altüberkommenen  Phrasen  sprödesten  Kanzleistils  nichts  über 
das  erfahren  können,  was  in  der  lebendigen  Sprache  der  betreffenden 
Zeit  gang  und  gäbe  war.  Wenn  ercovraveve  u.  s.  w.  regelmäßig  ohne 
-r  erscheinen,  so  beweist  das  weiter  nichts,  als  daß  diese  Verbalformen 
einmal  vor  längerer  Zeit  olme  -v  im  Gebrauch  waren  und  erstarrt  in 
den  Formeln  bewahrt  wurden,  nicht  aber,  daß  im  5.  Jahrhundert  v. 
Chr.  die  Attiker  das  -v  in  Pansa  ungern  setzen.^) 

Bei  €i:rt€  speziell  ist  übrigens  noch  etwas  anderes  im  Spiele:  Auch 
im  eigentlichen  Text  der  Inscliriften  herrscht  allgemein  der  Gebrauch, 
am  Satzende  das  -v  wegzulassen,  wenn  noch  eine  erläuternde 
Aufzählung  oder  etwas  Ahnliches  folgt,  da,  wo  wir  im  Deutschen  einen 
Doppelpunkt  setzen  würden.  Daß  in  solchen  Fällen  die  Griechen  nicht 
notwendig  einen  Sinneseinschnitt  empfanden,  läßt  sich  wenigstens  für 
die  spätere  Zeit  direkt  erweisen:  Wir  finden  Assimilation  an  den 
Anlaut  des  nächsten  Wortes  in  JG  II-  812a  Z.   1   (um  320  v.  Chr.): 

ay.€vr]  oiö  og^eü.ouai/^i:   0iAoô}]aoç  u.   s.  w. 

[Wenn  hier  überhaupt  -v  Icps'Ky.vany.ov  geschrieben  erscheint,  so  ist 
das  für  die  jüngere  Zeit  ganz  in  Ordnung.  Der  Gel)rauch,  es  an  dieser 
Stelle  nicht  zu  setzen,  war  schon  etwa  90  Jahre  früher  aufgegeben 
worden.  Für  die  ältere  Epoche  aber  gilt  er  ausnahmslos.]  Da,  wie  sich 
später  zeigen  Avird,  die  Pausa  ein  Hauptgebiet  des  -v  war,  so  sollte  offen- 
bar durch  das  Weglassen  vor  „Doppelpunkt"  gerade  das  Nichtvorhanden- 
sein eines  Einschnittes  markiert  werden.  —  Aus  der  voreukleidischen 
Zeit  sind  folgende  Fälle  hierherzustellen: 

Ol.   86,4^)  JGlM79,s:  eyjtleöGL:  Jcr/.€Oaiuoriöi.  Ja/.ic({ôëi)  ii.  ^.  w. 
(folgen  die  übrigen  Namen).  —  Ebenso  Z.  19. 
89,3:   V   170,.-):  yovvaQyôoi  (folgt  das  mit   ..er  töi  Uccod^ivörr'' 

beginnende  Verzeichnis). 
90,1:  I'   320^10:  xo{vvaQx)öoi:  (folgt  Summe). 
91,2:  V   183d-e:  xavvaQyöai:  e  7,   d  8,   10,    12.   14. 
9  3,1:  I'  324:    c  I  14:    7CQoa€(^ë)y.6;    21:    ^CQO(j[yc€)/cTôy.t: , 
c  II  18:  siye:  .   — 

1)  An  dieser  Stelle  möchte  ich  vor  der  Annahme  warnen,  als  oh  für  jene 
älteren  Zeiten  aus  dem  stets  mit  -v  ofeschriebenen  eôo/Gev  rëi  ßöÄei  im  Gegensatz  zu 
eTtQvtaveve  u.  s.  w.  auf  eine  Differenz  zwischen  Satzinlaut  und  Auslaut  zu  schließen 
sei.  Die  Ausnahmestellung  des  eSoyasv  liegt  in  ganz  anderer  Richtung  und  hat  mif 
Sandhi  an  und  für  sich  überhaupt  nichts  zu  tun.    Wir  kommen  S.  31  f.  darauf  zurück. 

-)  Nicht  ganz  sicher,  weil  stark  verstümmelt  JG  I^  299  i^um  01.85):  (£7r/OTar)^(7/  .■ 
[folgt   als  Siunine    yQvnö   (y.at   uQyvQDô']. 


—     14 

Diese  Inschrift  bietet  darin  eine  bemerkenswerte  Abweichung,  daß 
nur  die  Verbalformen  auf  -6  die  alte  Schreibgewohnheit  beibehalten 
haben,  während  die  Dat.  pl.  auf  -glv  auch  vor  „Doppelpunkt"  bereits 
mit  -y  erscheinen:  a  16  arôçaGir:,  2ö  avacpoQèaaaiv: .  —  Zum  ersten 
Mal  findet  sich  das  in  JG  I^  188  (Ol.  92,3),  wo  23  mal  ovvacxöGLv  er- 
scheint. Die  Eingangsformel  aber  hat  noch  EyQafj.(xaTeve  Z.  2.  — 
{avv)a^20iOLv    auch  I^  146,2  (Ol.  93,4  oder  94,1).    — 

Aber  auch  die  Schreibung  der  praescriptiones  erfährt  genau 
um  dieselbe  Zeit  das  Eindringen  des  -v. 

Ol.   92,2:  JG  I-   179ab  C   10:  £{yQ)auuaTevev  (p.   160). 

9  2,3:  I*  58:  {6)yQafj.fj.aT€v€v;  éq^sv. 
I-  51:  {eyQa)f.ifxaTEvEv\  eiTcsv. 

92.4:  I^  322a, 5:  «i/rev;  7:  syçaiiuaTevaEv. 

93,1:  I"  62a:  {€TCQVTa)v€v€v  (nicht  ganz  sicher).^) 

93,2:  I^  140,28:  {e)yQa^i^iaTEvsv. 
Dazu  noch  das  undatierte  (E7tQVTC()revev  I^   16,7,    das  wir  nunmehr 
auf  Grund  dieses  orthographischen  Indiziums   sicher   nicht  vor  Ol.  92,2 
rücken  dürfen.-) 

Es  ist  gewiß  kein  Zufall,  daß  diese  Neuerung  die  Beispiele  vor 
Doppelpunkt  und  die  Verba  der  altehrwürdigeu  Eingangsformeln  zu 
gleicher  Zeit  trifft:  Das  eltie  der  letzteren  mußte  in  älterer  Zeit  nicht 
nur  als  stereotyper  Bestandteil  der  praescriptio,  sondern  auch  wegen 
seiner  Stellung  vor  „Doppelpunkt''  ohne  -v  geschrieben  werden  und  trug 
damit  wohl  auch  zur  weiteren  Bewahrung  der  -»'losen  Form  in  den  prje- 
scriptiones  überhaupt  bei.  Als  aber  vor  Doppelpunkt  sich  die  Schreib- 
gewohnheit änderte,  wurde  auch  eiuev  hiervon  ergriffen  und  legte  damit  in 
die  Fassung  der  Einleitungsformeln  Bresche  für  das  siegreiche  Eindringen 
des  -V.  Das  Gesagte  ergiebt,  daß  für  eine  Statistik,  die  mit  Prozenten 
rechnen  will,  die  Überschriften  ebensowohl  wie  die  ,,Doppelpunktpausa'' 
ausscheiden  müssen,  wenn  ein  einigermaßen  zutreffendes  Bild  vom  Pausa- 
gebrauch  das  v  hpEK/.vorv/.ôv  in  den  ältesten  attischen  Inschriften  erreicht 
werden  soll.  Da  sich  nun  um  Ol.  92,2  eine  wesentliche  Änderung  im  Ge- 
brauch des  -V  aufzeigen  ließ,  werden  wir  gut  tun,  zunächst  einmal  nur  bis 
zu  diesem  Termin  zu  gehen.  —  Ich  gebe  die  Belege,  soweit  sie  mir  ge- 
sichert erscheinen,  möglichst  in  chronologischer  Ordnung: 


')  Aber  Aotj  .  .  .  eyoau  uaieve  Eph.  arch.  1895,  (îl  ft'.,  A  2,  B2  (Eleusis, 
Ol.  9.S,1). 

-)  eygau  uazevsv  1^  lbl,H  (Ol.  91,3)  ist  ganz  unsichere  Eryänzung;  eyçaf*- 
fjiatev(ev)  I^  12.5,2  (Ol.  90,3)  sicher  falsch  ergäuzt.  Das  lehrt  schon  allein  der  Um- 
stand, daß  Zeile  .S  zweifelsfreies  cyçaufiatEve  hat.  Da  die  Eingangsformeln  dieser 
Inschriftenklasse  niebt  wörtlich  mit  einander  übereinstimmen,  ist  eine  zuverlässige 
Reparatur  des  Textes  überhaupt  unmöglich. 


-  15  — 


Ol.  73,4: 


vor  Ol.  81 


Ol.  88,4 


um  Ol.  85 


Ol.  86,3: 


Ol.  87,3: 
4: 

Ol.  88,1: 
4: 

Ol.  89,1: 

2: 

3: 


Ol.  90: 
(Jahr  unbe- 
stimmt): 


-V  steht  in  Pausa. 


JGVBIS:  {ha)7taGtv: 

26:  7tokeGtv,ho{r)av. 
32:  TtokeOLv. 
I-27a,48:  Xah/uôevGLv, 
(hoTi). 
26:  Ad-évciiOiOLV, 

(hov). 
52:  XaXyiLÖevütv. 
Q4:  XalxLÔêvoiv. 
I-27b(p.  60),  43:  ava^e^ia- 

OIV,  hOTL. 

I- 2 7c (p.  165),  8:  öulv,  hög. 


I'  117:  taf.ii(natv,  hoig. 

141  :  z a /.i Lau IV,  floig. 

161:  [raf.iLaai)v,  hoig. 

301,7:  A&evaioiüiv. 
1'  121,3:  {raf.iiaa)iv,  hoig. 
P  122,3:  tctfÀiaoïv,  luug. 
1^123,3:  Ta/^iiaoiv,  hoig. 
1^130,2:  ra(.iiaoiv,  hoig. 
IU31,2:  taf-iiaaiv,  hoig. 

1*132,2:  Tcif.iiaotv{,  hoig). 


-V  fehlt  in  Pausa. 

JGI-18/19(p.l38jtab.n,8 
{r)ai.iLa(i  i. 


P 27 a, 25 :  A ^evaiot o i ,  v.ui 


l-27b,31:  a/cao'Eai,  ho7c<u. 

I-27c, 2:  '/.garÖGi. 

5:  TtoleGi,  hoiTtveg. 
15:  '/.caröG i,  tèv. 
r35b(p.64),26:7«;(wöo-<. 


1^301,1  :  citiG-catEGi,  hoig. 


I*32All:  ajcoöoGiv, 


13  :  oiöbv. 
19/20:  èia%£Qitô{Gi)v, 
I*273III(e-b)30:ftfon', 

TOXOV 

32:  ereGtv,  ha 
36:  ersGiv,  ha 


1*40,28:  tuaivoGi, 
48:  cpaGi, 

1*153,2:  {Ta(.i)LaGi,  h{oig) 
170,3:  xaf-iiaGi,  hoig 

[Vlll:Ta^iaGi{,  hoig)?; 
verstümmelt). 


16 


-)'  steht  in  Pausa. 

-r  fehlt  in  Pausa. 

37  :  f  Tri! i  r, 

i-r/jxyi 

39:  f  rf  fj/  v,/ia. 

(g-h)15:  f  (Tf  (j;)v, 

tcc)mv(töi). 

1: 

1^172:  (Tait)/cc()i,  li{ttTi). 

2  (od.   91, 

3): 

1^53b(p.l()5),  14:  /.QaTöoi, 
xcci  (Pause?). 

3: 

1^50,3:  (&7rccyyc)/./.ö()iv. 

(Z.  11  zweifelhaft,  ob 
Pausa). 

I-53a(p.67),  14:rfA<'o-.  1'. 

I-53a,37:  iy.(f  i-qöa i. 

20:  ôoccynên / v. 

1^125,4:  {y)i)CvaQyör)  t,  hnig 
1  ^  1 80 , 3  :  (x  0  <,•  j  J'  ft  0/  ö  ( j  / ,  za/ 
(Pause?). 

4: 

IH26,4:  [yoyivciQyöai, 

Ol.  91 

,2: 

Vim^.^-.iy^nvvccQyöai, 

3: 

I-p.30zuIU65,4:  (;j)oiraç- 
yödiv.  /lo{iç) 

4: 

I^lQQ,'ô:xGvvaQxôoiv, 

Also:  33  Beispiele  mit,  19  ohne  v  (15  Inschriften  bieten  Formen 
mit  -V.  11  solche  ohne  -v,  auf  5  kommen  beide  Schreibungen  vor).  — 
In  Prozenten  ausgedrückt,  sind  das  etwa  64  "/o  positive,  36", o  negative 
Fälle,  ein  Ergebnis,  das  dem  Maassens  diametral  gegenübersteht:  Die 
Verhältnisse  in  der  Pausa  gestalten  sich  für  die  Setzung  von  -v  noch 
günstiger  als  im  Inlaut,  günstiger  sogar  als  im  Inlaut  vor  Vokalen. 
—  Rechnet  man,  um  ganz  gewissenhaft  zu  sein,  auch  einmal  nur  die 
Fälle,  die  absolute  Satzpause  (,,Punkt")  haben,  so  kommt  -r  noch 
besser  weg:  8  mit,  4  ohne -r  (67o/o  :  330/o).  [Die  übrigi.-n  verteilen  sich 
so:  a)  Ende  eines  vorhergehenden  Nebensatzes  oder  selbständigen  Satz- 
teils: i-  :  7  Beispiele,  -  :  8  Beispiele-,  b)  vor  Relativum  oder  mit  dem 
Relativstamm  etymologisch  zusammenhängender  Partikel  f  18,  -  7].  — 
Zählt  man  in  der  Gesamtsumme  die  gleichlautenden  Wortforraeii  nur 
einmal,  so  stellt  sich  das  Verhältnis  auf  15  Formen  mit.  12  ohne  -r  =- 
560,0  :447o.  Zieht  man  die  dem  folgenden  Element  nach  gleichen  Fälle 
zusammen,  so  ergibt  sich  22  :  15  =  60"  ■.  :  40'  r. 

Man  mag  also  die  Statistik  drehen  und  wenden,  wie  man  will,  — 
und  gerade  hier  l)ildet  eine  einseitige  Betrachtung  die  größte  Gefahr,  — 
ein  Plus  bleibt,  die  zufällige  kleine  Ausnahme  oben  in  Parenthese  unter 
a)  abgerechnet,  stets  auf  selten  der  Schreibung  mit  -v. 


—      17      — 


V  fehlt  in  Pausa. 


Ich  lasse  zunächst  den  Rest  der  Beispiele  von  Ol.  92  bis  zum  Jahre 
des  Eukleides  folgen: 

-V  steht  in  Pausa. 
Ol.  92,2:    JGI-179(p.lH0)Ol4: 

(jvvaQy^öoiv. 
nach  3:   I^51(p.  10),g40:  Aeyöaiv. 
4:   I^322a23:  e^ci/.QaviTiütv. 
Ol.  dSA:   VS24d4:y.aTioTaoiv. 


Eph.  arch.  1895,610": 
A «63:  ave^é/.sv. 


189. 


uvêd^ey.iv. 


b)Z.15,17,21,23: 
ovvaQxöo  iv{lO.Fryt'dme). 
1^190.5:  (ovvaQ);^)ööiv. 


Eph.  arch.  1895,610'. 
Ai'?2:  aved-E/.e. 
5  :  aveS^i/.e. 
B    1  :  yjivvciQyöoi,  hoiç. 
I'189a):  o  tvß(>xöf»t  11  mal. 

b):  [r)VvuQy)öai  Z.  5  |  8.  Pry 
{(rvvaQ)xô(nZ.^\   tanie. 


11  Fälle  mit,  16  ohne  -v.  Daß  dies  nicht  etwa  einen  Gegensatz 
zur  vorhergehenden  Periode  bedeutet,  ist  klar,  wenn  man  einen  Blick 
auf  das  Material  selber  wirft:  Ganz  allein  dem  Umstände,  daß  unter 
den  spärlichen  Texten  dieses  Zeitraums  ein  Denkmal  elf  Belege  der 
Form  Gvvaçxôai  bietet,  ist  der  scheinbare  Überschuß  der  î'-losen  Formen 
zuzuschreiben,  wieder  ein  lehrreiches  Beispiel  dafür,  mit  welchen  Zufällig- 
keiten eine  Statistik  dieser  Art  zu  kämpfen  hat.  Bei  Nichtrechnung  der  iden- 
tischen Wortformen  stellt  sich  das  Verhältnis  +  5  :  --  2  =  71  '^;o:  29%  heraus.— 

Aus  undatierten  Inschriften  stammen  noch  folgende  Belege:  mit 
-v:  I^  77,10:  (c()vÔQaoiv.  uëôe,  1-331  19,13:  sjtoèoev.  —  Ohne  -v:  I* 
175a  7  :  ave&iy.e^) 

Obige  Statistik,  so  wenig  sie  bei  dem  Charakter  des  Materials  als 
ein  unbedingt  getreues  Spiegelbild  der  damals  geläutigen  Sprech-  und 
Schreibgewohnheiten  gelten  darf,  zeigt  jedenfalls  so  viel,  daß  der  Pausa- 
gebrauch  des  -v  in  keiner  Weise  hinter  dem  des  Inlauts  zurücksteht,  ja 


1)  Eine  rohe  Suinniierimg  aller  Fälle  bis  40H  ergibt  +  47  :  -  3ö.  Das  sind 
570/0  :  iS^lo.  Bei  nur  einmaliger  Zählung  gleicher  Wortformen  +  21  :  -  12  =  64 "/o  :  36'^;0. 
—  Wer  das,  was  ich  S.  13  über  die  besondere  Behandlung  der  Wortformen  vor  „Doppel- 
punkt" behauptet  habe  nicht  glauben  und  diese  als  Pausabeispiele  mit  behandelt  wissen 
will,  mag  sie  in  die  Statistik  einreihen.  Es  sind  vor  Ol.  92  : 9  Beispiele  ohne  -v.  ver- 
teilt auf  zwei  Wortformen.  —  Von  Ol.  92  ab  H  Fälle  ohne  -v  (3  Wortformen).  26  mit 
-V  (3  Wortformen).  Insgesamt  würde  sich  dann  das  Verhältnis  stellen  auf  73  Formen 
mit,  47  ohne  -v.  ^fil'^'/o  :  39'^',ü.  Bei  Nichtrechnung  der  gleichen  Wortformen  23:15  = 
«0öo:40^'o. 


—     18     — 

daß  er  diesen,  wenn  man  dieselbe  Art  der  Statistik  wie  Maassen  an- 
wendet, in  der  ersten  Periode  bis  Ol.  92  beträchtlich,  später  noch  um 
ein  weniges,  übertrifft. 

Die  volle  Existenzberechtigung  des  -r  in  Pausa  ergibt  weiter  ein 
Vergleich  des  in  den  einzelnen  Inschriften  aufgespeicherten  Materials: 
Keine  umfangreichere  Urkunde  existiert,  die  uns  zwänge,  spärlichen  Ge- 
brauch oder  gar  völliges  Fehlen  des  -j'  als  für  die  Pause  charakteristisch 
zu  betrachten.  Wo  es  nicht  steht,  kommen  auf  derselben  oder  auf  einer 
gleichgearteteu  Inschrift  Formen  mit  -y  vor,  oder  aber,  es  finden  sich 
auch  im  Satz  in  laut  Beispiele  für  Weglassung  des  -v. 

a)  Hat  JGI-27a25:  yJd^ivaioioi,  xai,  so  stehen  dem  nicht  weniger 
als  vier  Formen  mit  -v  in  Pausa  gegenüber  (vgl.  die  Tabelle  S.   15). 

I'27b31:  aTtuGlGi.    hoTtoi  wird  durch  avad-iuaaiv,  Iiotl   Z.   43 

paralysiert. 
\'21  c:  neben  /.outöoi,  ;co/.a<ji   steht  öair.  — 
rauiani,    lioiç.  und  /jj  wac^öoi,   lioig   passim    haben   ihre  Äqui- 
valente mit  -I'  auf  Inschriften  gleichen  Charakters.  — 

b)  JGI-18/19  tab.  118  (p.  138)  hat  die  Pausaform  {rjujuiaoi,  aber 
auch  inlautend  Z.  13  roiai  ra(/iiiaai},  25  rauiaoi  za.  (Mit  -r  nur 
die  Formel  sôoyaêv  rôt   Z.  26.) 

P27c(p.  165),  wo  die  r-loseu  Formen  in  Pausa  die  Majorität  haben,  hat 
auch  inlautend  Z.  S  yId-£véGi,^)b  rëui  a/./.êoi  [ycokeot),  QuQyöoi 
ev,  22  relsGi  roiç  (mit  -j-  wiederum  nur  eôo/Gev  tel  Z.  9). 

|-35b  gesellt  ihrem  tioiögi  ein  inlautendes  ôëuoTâGi  e-  zu. 

P40:  In  Pausa  etkxivögi  und  (puGi,  inlautend  zwar  ausser  {eè)o- 
XGev  zli  7i.  3  noch  of.io/^oyöGiv  Z.  23,  eyeiQorovÊGev  li-  29, 
ÔQayjiuioiv  Z.  39,  aber  auch  Z.  1 1  :  ögl  BniT{£Ô€ioi),  38/39 
^iiQiaiGi  (ÔQuyjiaiGn'  6y.aGT0ç),  43  tIgi  710/.6gi  ë,  49/50 
arcuv{TeGö)Gi  s{ç). 

Die  numerische  Überlegenheit  der  f^-Formen  in  Pausa,  mag 
man  das  absolute  Verhältnis  zu  den  a^-losen  betrachten  oder  die  Gesamt- 
heit der  Pausafälle  mit  dem  Inlaut  in  Relation  setzen,  fordert  vielmehr 
geradezu  die  Frage  heraus,  ob  nicht  vielleicht  sogar  auch  von  einem 
qualitativen  Plus  des  Satzendes  zu  reden  ist,  mit  andern  Worten,  ob 
sich  nicht  bisweilen  eine  direkte  Bevorzugung  des  -i>  im  Gebrauch 
der  Pausa  gegenüber  dem  Satzinlaut  ergibt.  Das  tritft  wirklich 
zu:  Sowohl  in  kleineren,  syntaktisch  zusammengehörenden  Satzteilen 
läßt  sich  eine  für  das  Komplexende  charakteristische  Beliebtheit  des  -v 
konstatieren  als  auch  bei  wirklicher  „Pausa"  gegenüber  dem  Satzinnern. 


1)  Für  A&tvtaiv  vgl.  V  Üß.a;  28.1; 


—    lu    — 

Fürs  erstere  ist  vor  allem  die  Verbindung  von  Artikel  oder  Attribut 
mit  Nomen  zu  beachten:  der  Artikel  entbehrt  zwar  des  -v  nicht  ganz 
(vgl.  TÊLOiv  avréat  JG  P  1  B  30  mit  „hiatusfüllendem"  -v),  verrät  aber 
eine  sehr  deutliche  Neigung,  im  Gegensatz  zum  zugehörigen  Nomen  auf 
das -r  zu  verzichten:  Dieselbe  Inschrift  bietet  Z.  5  tf,  zoiau  /zvazfëajiv 
xai  ioi(a  EJioJnxEioiv  (y.aij  xoia^  axoZfovd'joiaiv;  25  ev  ziiai 
TtoXeoiv.  32  ToiGi  ôe  oÀsiCooi  fifvJaTEQioiaiv  tag;  an  dieser 
letzteren  Stelle  zeigt  das  oZeiCoot,  daß  die  Weglassung  des  -v  nicht 
etAva  eine  Spezialität  des  Artikels  allein  ist,  —  Ebenso  Z.  30: 
Nach  dem  besprochenen  läiaiv  steht  aviiai  tio/.eoiv.  —  Das- 
selbe Verhältnis  hat  I-  53a  20:  (.lyçiêai  ôqayjiëaiv.  —  Die  Inschrift 
IM  B  hat  auch  als  Ganzes  genommen  das  -v  in  Pausa  immer,  im  Inlaut 
kann  es  innerhalb  eines  syntaktischen  Komplexes  fehlen.  —  Auch  sonst 
läßt  sich  belegen,  daß  die  Pausa  das  -v  hat,  während  der  Inlaut 
schwankt.    Hierher  z.  B. 

P  32  A:  In  Pausa  alle  drei  Beispiele  mit  -v:  Z.  11  ajioôôoii\  13 
oiôev,  19/20  ôtaxëQiCôfaiji'.  Im  Inlaut  kann  es  (vor  Konsonant)  weg- 
gelassen werden. 

P  50.  In  Pausa  Z.  3  (sjiayysjÀÀôaiv.  Inlautend  Z.  6  xQ^f^dfJt  as, 
12  (eJxöai  xQèod-ai,  [Z.  11  £jiayy£ÂÀooii>  mit  zweifelhafter  Stellung  im 
Satze).     In 

|-  53  a  hat  zwar  die  beigefügte  lex  locationis  in  Pausa  Z.  37 
£X(pEQöoi  (und  inlautend  vor  Vokal  Z.  36  £(x)ge/mvvöoiv  oi),  die  vorher- 
gehenden Anträge  aber  bieten  teâegiv  und  ÔQayjiËaiv  (Z.  14,  20), 
während  im  Inlaut  konstaut,  vor  Vokal  wie  vor  Konsonanz,  das 
-V  fehlt.  Z.  11  yi?aaioi  ÔQayjiËoi  exuötov  (vgl.  den  Gegensatz  zu 
dem  ^ivQiÊoi  ÔQayjiÊoiv  in  Pausa  Z.  20),   TCifiiaai  top  Z.   17, 

P  77.10  (aJvÔQuaiv,  ftëÔE,  aber  11   (avôjQCcai  ë.     In 

|-  27  c  wird  das  -v  meist  nicht  geschrieben,  auch  in  Pausa  fehlt 
es  dreimal;  der  einzige  Fall  aber,  wo  es  steht,  ist  wiederum  Pausa: 
Z.  8  öaiv,  /log.  —  Inlautend  (vor  Konsonant  und  Vokal):  Z.  3  Aß-e- 
vëai  fiEV,  5  xëai  aÀÀëai  (jioàeoiJ,  6  acxöoi  ev,  22  teaegi  voig.  — 

Indirekt  spricht  denn  auch,  w^ie  schon  bemerkt,  das  Verhalten  der 
älteren  Zeit  in  der  ,, Doppelpunktpause"  dafür,  dass  -r  im  eigentlichen 
Satzende  an  seinem  Platze  war,  wenn  meine  S.  13  gegebene  Erklärung 
das  Richtige  trifft:  Durch  das  Fehlen  des  für  die  Pausa  charakteristischen 
-V  kommt  in  diesem  besonderen  Fall  zum  Ausdruck,  daß  noch  etwas 
inhaltlich  mit  dem  Vorhergehenden  Zusammenhängendes  folgte.  — 

Im  Vorstehenden  habe  ich  alle  Belege  für  sr/.oat  übergangen,  da  dies 
Wort  das  -v  icpEh/.votiy.ôr  für  ge^vöhnlich  nicht  kennt  (Maassen  S.  34, 
Kühne  r-Blass  Gramm.  1 1  ^  293,  e,  M  a  y  s  e  r,  Gramm,  der  griech,  Papyri 
S.  239,5),    —    Das  einzige  Mal,    wo    er/Muv  steht,    ist    I' 325.14    in    der 


—     20     — 

„Doppelpunktpause",  mit  Sicherheit  auch  in  Z.  12  zu  ergänzen.  Leider 
wissen  wir  über  das  Alter  der  Inschrift  nichts  Genaues.  Fällt  sie  nach 
Ol.  91,  was  sehr  wohl  möglich  ist,  so  stimmt  die  singulare  Form  zu  dem, 
was  wir  über  die  Schreibgewohnheit  jener  jüngeren  Zeit  wissen,  und  ist  für 
den  Pausagebrauch  lehrreich.    Sonst  bildet  sie  eine  schwierige  Ausnahme. 

Von  chronologischen  Einzelheiten  sei  nur  eine  bemerkt:  In  der 
Schreibung  von  '^vvctoyovaiv  schwankt  der  Gebrauch  von  -v:  Die  ältesten 
Belege  (Ol.  90,3—91,2)  sind  ohne  -v,  91,3—92,2  erscheint  -aiv,  93,1,2 
wiederum  -öi,  im  letzten  Teil  des  Jahres  jedoch  -oiv;  ebenso  93,3.  Für 
den  relativ  häufigen  Gebrauch  der  v-losen  Form  kann  das  öftere  formel- 
hafte Vorkommen  des  Wortes  vor  „Doppelpunkt"  von  Einfluss  gewesen 
sein  (Beispiele  S.  13);  irgend  welche  „sprachhistorischen"  Schlüsse  wird 
man  aus  so  geringfügigen  chronologischen  Unterschieden  nicht  ziehen 
dürfen.  Etwas  konsequenter  ist  die  Formel  Taf.iiaoi{y),  hoig,  bei  der 
eine  äußere  Einwirkung  der  Art,  wie  sie  bei  èvvaçxovaiv  als  möglich  er- 
scheinen mußte,  ausgeschlossen  ist.  So  weit  wir  nach  dem  vorliegenden 
Material  urteilen  dürfen,  ist  hier  die  Pausaform  mit  -v  die  ältere, 
rauiaai  die  jüngere.  Vgl.  die  Belege  von  Ol.  86,3 — 89,2  gegenüber 
89,3—90,1.  — 

II.  Für  unsere  Frage  müssen  neben  den  offizielleren  Inschriften 
(Décréta,  tabulse  etc.)  auch  die  mehr  oder  weniger  privaten  Charakters 
eine  wesentliche  Rolle  spielen,  wenn  über  das  in  der  gesprochenen 
Sprache  Vorhandene  leidlich  Klarheit  geschafl't  werden  soll.  Maassen 
hat  S.  64  das  Resultat  aus  diesen  Denkmälern  zwar  kurz  angegeben 
(der  Gebrauch  des  -r  überwiegt  hi  Pausa  bedeutend),  aber  das  Material 
nicht  gesammelt.  Ich  gebe  hier  die  Belege  bis  403,  wobei  ich  die  me- 
trischen Inschriften  zunächst  ausschließe: 


-V  vorhanden. 

aved^EAtv.  JGr  341.  342.  344.  (380.)  406. 
I-  373y  (p.  43),  3  73^"'  (p.  86), 
373«*  (p.  87),  373'^'  (p.  92), 
373^»«  ib.,  373'^«  (p.  97)^ 
373 -'^-(p.  132),  373 -^''(p.  199)! 
Eph.  arch.   1894;  162,  166. 

ave^ri-AEv.  1^4186  (p.  45),  373^«  (p.  81), 
3  7  3-^^i  (p.  205). 

€7C0iÊ()6v:  r  344  (e/iroeaer). ')  406.  47  7").  I'-^ 
373^^  (p.  87),   373««  (p.  89), 


-V  fehlt. 
ave^Êxs:     JGP    383.    1^ 
418b  (p.  44). 


e^coiECtt:  M  353.  384. 


')  Der  Stifter  ist  ein  lonier. 

2)  Von  ßenndorf  GG  A  1871,  60H  für  metrisch  erklärt,  aber  ohne  zureichenden 


(rruntl. 


—     21     - 


-v  vorhanden. 
878^0^  (p.  90),  373'  (p.  179), 
378^Mp-  180).  373^^'  (p.  181), 
8  7  8-^  ^"(p.  1 99),  8  7  8  -  ■"  (p.  200), 
878-^Hp.201),373 
878-''°(p.203),378 
AM  19,   189. 

en(n>,aev:  l-  373"««  (p.  205).^) 

fqvTf^vGav:  r   425."-) 


-V  fehlt. 


^'^(p.203), 
'<^(p.205). 


()';()ao-x<-:  1^886.1- 887a 
(p.  79). 
561    (p.  191).^) 


fOTl 


Summa:  40  Formen  mit  -r  gegenüber  7  ohne  -v  (85^o  :  15o/o). 
Beachtet  man,  daß  die  Imperfektform  (zweimal  oôiôao-/.e)  sich  im  Gegen- 
satz zu  den  sigmatischen  und  /.-Aoristen  dem  -v  gegenüber  lange  ab- 
lehnend verhält  (S.  32),  und  daß  ferner  von  den  Belegen  ohne  -v  nur 
die  beiden  emnioi-  nach  Ausweis  der  Buchstaben  form  zum  ältesten  Material 
gehören,  so  stellt  sich  der  Gebrauch  des  -r  in  Pausa  fürs  älteste  At- 
tisch als  nahezu  ausnahmslos  heraus.  Dasselbe  gilt  übrigens  auch 
im  Satzinlaut.  Für  die  Entscheidung,  ob  die  Pausa  wie  bei  den  otfi- 
ziellen  Urkunden  bisweilen  im  Gegensatz  zum  Inlaut  Vorzugsrechte  be- 
züglich des  -V  genoß,  läßt  sich  bei  dem  kurzen  Text  dieser  Inschriften, 
deren  gewöhnliche  Fassung  das  Vorkommen  eines  solchen  Kontrastes 
überhaupt  ausschließt,  nichts  erhoffen.  [ —  fcpvrrvoev  V  425  gegenüber 
inlautendem  q)QC(ôaiGi  (vvi^Kftüv)  beweist  nichts,  weil  letzteres  im  Vers  steht. 
—  I-  873^2  (p.  181):  Am  Schlüsse  f-7[<nê{o]8v,  inlautend  airS^exr/^ie;  hier 
ist  wohl  iambische  Klausel  beabsichtigt,  mag  man  avfd-ëxe  /.u  oder 
avE^ë'/  c-i^a  lesen.  Im  ersteren  Falle  schließt  schon  die  Stellung  des 
Pronomens  prosaische  Diktion  aus  (vgl.  dazu  Wackernagel,  JFI  349, 
351).]  —  Da  ist  es  von  besonderem  Interesse,  daß  wenigstens  ein  be- 
achtenswertes Beispiel  existiert:  I-  3  78^'^'  steht  inlautend  (ared-i/.)^ 
raS-ëvaiai,  in  Pausa  {ETioiëa)^^. 

III.  Die  Vaseninschriften  ergeben  ganz  dasselbe  Bild.  In  den  bei 
Klein,  Meistersignaturen-  dargebotenen  Belegen  überwiegen  die  ^noiëasv 
und  e'/Qacpoev  beziehungsweise  deren  lautliche  Varianten  derart,  daß 
ich  unter  den  paar  Hundert  attischen  Beispielen  nur  19  ohne  -v  in  Pausa 
gefunden  habe.    Darunter  gehören  fünf  dem  Exekias  (S.  39f.),  der  aber 

1)  Von  einem  lonier. 

"-)  Daß  der  Schreiber  ein  Dorer  war,  versciilägt  nichts,  denn  gerade  das  -v  ist 
attisch. 

'^)  Inlautend  cpeat,  fiaP.iaGia. 


22     

auch  ejioiëaev  kennt  und  insofern  kein  einwandfreier  Zeuge  ist,  als  er 
..Verse"  mit  xanoeaejue  und  xaiicoisoEßE  schmiedet,  die  ihn  eventuell 
veranlassen  konnten,  die  i'-lose  Schreibung  auch  in  Prosa  zu  bevorzugen 
—  Xeben  einander  auf  demselben  Gefäß  Etcixtetoc.  eyQacpoEi'  und 
UiGToyoEvoz  E.-ioËGE  S.  107,  (aber  S.  IhO  IIioToy^GEvoç  etioiégev). 
Ebenso  E/vjxgi&eoç  etcoiêge.  OXtoq  Eyfqacp )gev  S.  135,  aber  S.  136 
auch  Ev^oid-Eoç.  e.toiêgei'.  —  Auch  Kachrylion  S.  125f.  hat  etcoiêgev 
und  EJioiËGE  neben  einander.  —  S.  154  KÀEfoipjQafôËç)  (ejcoJieöe, 
aber  S.  149  K?.EO(pQaôËg  ejïoiëgev.  —  S.  215  zweimal  Xaçivog 
EJioiËGE,  aber  auch  ejioiëgev.  —  S.  137  Evg)QOviog  E'/oacpGE.  aber 
S.  138  EyQa(pGEv.  Überall  also,  wo  reichUcheres  Material  zu  Gebote 
steht,  läßt  sich  erkennen,  daß  die  Meister,  die  sich  Formen  ohne  -v 
gestatteten,  daneben  auch  die  längeren  anwandten.  —  Das  Imperfekt 
EyQaq)E  erscheint  stets  ohne  -v  (von  den  außerattischen  Formen  bei 
Klein  S.  29.  207  ff.  ist  hier  abzusehen):  Pheidippos  S.  99;  Aristophaues 
S.  185  (auf  demselben  Gefäß  Eçyivoç  ettoiëgv);  Euthymides  S.  194 
zweimal.  (Derselbe  hat  inlautend  im  Aorist  EyccicpGEv).  —  Vgl.  das 
oben  S.  21   über  EÔiôuGy.E  Bemerkte  und  S.  31. 

Von  andern  Formen  sei  noch  das  TiacßEßaxEv  bei  Kretschmer, 
Vaseninschr.  S.  80  erwähnt  (dazu  Anm.  3),  da  der  metrische  Charakter 
der  Inschrift  zum  mindesten  nicht  zweifelsfrei  ist  (vgl.  auch  Robert,  Bild 
und  Lied  S.  84^);  endhch  xavEJiiEv  (Kretschmer  S.  90).  — 

IV.  Die  ionischen  Prosainschriften  harmonieren  wie  im  Satzinlaut, 
so  auch  im  Pausagebrauch  mit  den  attischen.  (Ich  bespreche  nur  solche 
Urkunden,  die  deutlich  dialektische  Eigenheiten  verraten,  habe  also  einige 
Stücke  der  Bechtelschen  Sammlung,  die  etwa  nur  einen  ionischen  Eigen- 
namen aufweisen,  von  der  Behandlung  ausgeschlossen.)  Das  Material 
ist,  wiederum  mit  Ausschaltung  der  j,pra?scriptiones,"  \)  folgendes: 

-r  steht.-^  -r  fehlt. 

Euboia  und  Kolonien. 

GDJ  5262  (Chalkis,  altes  Alphabet):  i   5285  (Olynth,  um  385): 

avEd-fË)xEv.  a)  XaÀy.iÔEvar 

5308  (Eretria)    a)  (um  400):  b)  XaZy.iâfEvjGi,    xai. 

TTUIQIV,  El7l)lÔl]^iE0)Ql  l\ 

b)  (um  350):   naiQiv,   ejti-  '< 

ôi]fiEO)Qiv.  i  5348:    ejioiëge. 

h  eine  (tD.I  53fU  (1.  Hälfte  d.  4.  Jahrh).  emev  5315  (2.  Hälfte  d.  4.  .Tahrh), 
549(5  (4.  Jahrb.).  5532  (2.  Hälfte  d.  4.  Jahrb.),  5533  bcde  (2.  Hälfte  d.  4.  Jabrh.), 
5590  (um  300),  5592,  5738  u.  s.  w.;  eTtçvravevev  5496  (4.  Jahrb.),  7iço{r])ôçevev  5738. 

2)  JGA  1  Sêuôviôëç  u  aved'ëKsv  aus  Olympia,  unhestimml tarer  Herkunft,  lasse 
ich  weg,  da  auch  Attika  als  Heimat  in  betracbt  kommen  könnte. 


—    2;{ 


Kykladen. 
-r  steht. 
5361  (Amorgos,  1.  Hälfte  d.  4.  Jahrh.): 

y.aruP^EiJiojo i  v, 
5402  (Keos,  5.  Jahrh.):  aved^èy.ev. 

5410  (ib.)  :   ccv£d-i]y.EV. 

5411  (ib.)  :  aved-riy.ev. 
5413  (ib.  4.  Jahrh.):  avE&t]y.£v. 
5432  (Paros,  ait):  Ef^joETTonioEv. 
344  7  (Anaphe,  5.  Jahrb.): 

(AiyATlTlOÇ.   UaQioçJ    ETCOLTiOEV. 

5464  (Thasos,  4.  Jahrb.):  uetegtiv 

7lElQ-0)OlV. 


-V  fehlt. 

53  5  7  (Amorgos,  alt):  EOTrioe. 

5398  (Keos,    letzte   Hälfte   d. 
5.  Jahrb.): 
EÀaafojood,  fii]J^) 


') 


Kleinasien. 


549  5  (Sängergildeninscbrift  v.  Milet)^): 
Z.  4  f{oÀ7iofaiv 

5    TOVTOl  Gl  V. 

8  Jiaiioviaoiaiv. 
30  avÔQiaaiv 

33    lEQIJiOlOlV 

35  loxôoiv, 

38  loxöaiv, 

41  xQriiitcooiv, 
5506  (Milet,  ait):  ejtoiêv. 
Sitzungsber.  d.  kgl.  jDreuß.  Ak.  d.  W. 
1906,  S.  254  (Milet,  5.  Jahrb.): 
Z.  8  Àaq)d-EMaiv 

9  yuTuy.TEivöoiv, 
5525  (Kyzikos):  Aeg7iovi]giv. 
5531   (Prokonnesos.  um  600): 

2(iyEEVGl)t'. 


55  5  7   (Pantika])aioii.  4.  Jahrb.): 
avEd-tjxE  r. 


5495^):  6  Eßdo/^aioiGr 


5532  (Zeleia,2.H.d.4.Jahrb.): 

EXOVGl. 

ÀaxcoGi. 

EXTEIGCOOI. 


^)  Ergänzung  durch  den  Raum  gesichert. 

-)  54o.H  oiy.eöai  steht  nach  der  Pubhkation  in  JG  XII  •''  '  p.  ."îl   nicht  in  Pausa. 

■^)  Vgl.  S.  10;  ich  verwende  das  Material  unter  dem  dort  gemachten   Vorbehalt. 


24  — 


5598 
5632 
5633 

5653 


5655 


5661 

5670 
5695 


-i>  steht. 
(Ephesos,  alt):    roiç  ôixaÇôaiv, 
b  (Teos):  Aïoiaiv, 

(ib.):    ^l£T  EGTIV, 

7l0i/^£0ia  IV, 

(Chios):  a)  Tiçiiç^oiaiv, 

7[Qt]Ç0iaiV, 

b)  iifieçr^fijaiv 
À  a  ß  cotai  V, 
(ib.333'2):  reÂsaii', 

TTQOEieÀd'OaiV, 

eyy.a  TaÂ(t])(pd^o}Oi  v, 
(ib.  Mitte  d.  4.  Jahrb.): 
•/.axEÔi'AaoEv. 
(ib.):  Tiaaiv. 
(Ery thrai)  :  etïoi  )j  asv. 


■V  fehlt. 


57  26  (Halikarnass, I.Hälfte  d. 5.Jahrh.): 

(E)làEOiGll\ 

5  7  27  (ib.,  2.  Hälfte  d.  5.  Jahrb.): 

Z.    63    El%EV, 


5709  (Samos,  ait):    ave&t^xE. 


5  7  56:  ai'Ed-iîXE      (aus     Nau- 

kratis). 

57  86:  ai'Ed-iiXE  (aus  Dodona, 

5.  Jahrb.). 

5788  Toiai  AioaxoQoiaiv  (aus  Kni- 

dos; s.  Bechtel  z.  d.  St.  S.  774.) 

Der  verhältnismäßig  geringen  Menge  des  Materiales  wegen  habe 
ich  mir  erlaubt,  die  Inschriften  alle  auf  einmal  zu  geben,  ohne  genauere 
Gattungsunterscheidungen.  —  Leider  reicht  das  Vorhandene  zunächst 
nicht  aus,  um  uns  über  das  Verfahren  der  lonier  gegenüber  der  „Doppel- 
punktpause" aufzuklären.  (Die  Inschriften  mit  €17ce{v)  sind  alle  verhältnis- 
mäßig jung.)  Beachtenswert  ist,  dass  die  Sängergildeninschrift  das  einzige  Mal, 
wo  -V  am  Satzende  fehlt,  dies  gerade  vor  Doppelpunkt  aufweist  (Z.  6 
Eßdouaioioi)})  —  Demnach  wäre  gegebenen  Falles  noch  das  XaK/.i- 
devai  von  5285  a  auszuschalten,  das  ich  oben  unter  den  Minusbeispielen 
mitgezählt  habe. 

Die  statistischen  Ergebnisse  sind:  Von  35  Inschriften  schreiben  27 
das  -V  in   der  Pause,    7  nicht,    eine   hat   beide  Schreibarten,    wenn  man 

Ï)  Mit  -V  Z    4  fioA.-roioiv 


—     2.")     — 

das  erwähnte  EßdoucuoiOL'  von  5495  rechnen  will.  —  Beispiele  insgesamt 
45  mit,  12  (10)  ohne  -y  =  79",o  :  21  "  o  (820/o  :  18o/o).  —  Vor  Punkt  18 
mit,  7  ohne  -v  =  72o/o  :  28%.  —  Die  gleichlautenden  Worte  nur  einmal 
gezählt:  33  :  9  =  80»  o  :  20%. 

Im  übrigen  ist  zu  konstatieren: 

1.  Dal)  das  ionische  -v  lq)S/^y.vGTiy.6v  auch  in  Pausa  wirklich  auto- 
chthon  ist  und  nicht  etwa  auf  Einfluss  der  y.oiv^  beruht,  zeigen  so  alte 
Stücke  wie  GDJ  5262,  5432,  5598,  5653;i,  5726,  5788.  -  Als  interes- 
sante Einzelheit  sei  erwähnt,  dass  in  5331  der  ionische  Text  in  Pausa 
Z{iy€evoi)v  mit  -v,  der  attische  Siye<vyEvoi  ohne  -v  hat. 

2.  Keine  umfangreichere  Inschrift,  die  -r  in  Pausa  nicht  hat,  läßt 
das  als  für  diese  Stellung  charakteristisch  erscheinen.  Die  Sachlage  ist 
genau  dieselbe  wie  im  Attischen  (S.   18): 

5285:  a)  Xa)^'Aidsvai'  b)  Xak/udeuoi,  /.ai.  aber  auch  inlautend 
(neben  Mayieôoaiv  €/.,  rekeovoiv  re/.aa):  a'A/^rj/.oiOL  /.ata,  Xu/./.l- 
oe{v)öL  £y.y. 

5398:  iKciGGoo i,  ^ir],  aber  auch  {TQto)i  /.evxoig,  tqlol  Ey.arov. 

5532:  Satzauslautend  exotai,  lay^ovoc,  exreiaovOL,  Satzinlautend 
Tif.ir^otoo{i)  OL.  e^GTioOi  oi,  EKd-toai  sg. 

3.  Dagegen  tritt  auch  auf  ionischem  Gebiet  eine  Bevorzugung 
des  -V  in  Pausa  gegenüber  dem  Satzinlaut  deutlich  zutage: 

Die  Sängergildeninschrift  (5495)  schreibt  in  7  sicheren  Pausa- 
fällen  das  -v  und  lässt  es  nur  einmal  (vor  „Doppelpunkt")  weg,  während 
der  Inlaut  das  auf  S.  9  f.  geschilderte  Verhalten  aufweist.  Mahnten  bisher 
diesem  Denkmal  gegenüber  die  angegebenen  Gründe  zu  einiger  Skepsis, 
so  können  wir  ihm  jetzt  doch  unser  Zutrauen  kaum  weiter  versagen,  wo 
es  sich  herausstellt,  daß  das  S.  19  auf  altattischem  Boden  beobachtete 
Verhältnis  von  Artikel  (Attribut)  und  Nomen  hier  in  ganz  der- 
selben Form  wiederkehrt:  Man  vergleiche  Z.  14/15:  tolöl  orecpavocpo- 
QoiGLv  Ts^rja,  wo  das  Nomen  sogar  einmal  vor  folgender  Konsonanz  das 
-r-  hat,  während  es  dem  Artikel  fehlt.  So  ist  denn  wohl  auch  Z.  22 
TovTOiGL  toig''  isQOLGiv  ZU  beurteilen. 

Ebenso  in  5788:  ave^/^xe  tolgl  Jiog/.öqolglv:  Im  Satzinlaut 
fehlt  -V  beide  Male,  in  Pausa  steht  es. 

5633  hat  in  Pausa  uereGTir  und  /tculEwoiv;  im  Inlaut  fehlt  das 
-j'    auch  vor  Vokal:   elogc  avroig  und  eGayojGt  etc. 

5655:  in  Pausa  TELeoiv,  /rQoe^s'/.d-coGir.  eyy.ara).  v^cpd-wG lw  in- 
lautend ^o«j/'Of  a  t  y.at  ôioçâ-ioGoiGi  Tovg  roaovg,  öicih'/.ayvjG t 
Xioi.  —  Z.  16  allerdings  roig  y.cn û.\]'k v{d-^ o o ly  y.ai  roig  iv  rri 
TcoLu.    AVer  für  diese  Form  eine  I>esondere   Erklärung    sucht. 


—      20      — 

mag   den   größeren  Satzteilabschnitt    vor    v.ai   für    das  -v  ver- 
antwortlich machen. 
XB.     5698  hat  in  Pausa  y.aribiöiv   und  Äayoiaiv^    inlautend  saxecpavoiae 
y.ai  und    eTreare  i)Àe    eiç,    ist  aber  schon  so   von  der    y.ocvi'^  beherrscht, 
daß  man  nicht  allzuviel  wird  darauf  geben  können. 

Das  einzige  Mal.  wo  ei/.ooLv  für  af/.oGi  auf  ionischem  Boden 
(allerdings  auf  einer  recht  jungen  Inschrift)  erscheint,  ist  wiederum  in 
Pausa  5492, 5s  (neben  er/.oai  le). 

V.  Endlich  die  Epigramme.  Hier  kommt  es  darauf  an,  den  Brauch  in 
der  metrischen  Hauptpause,  d.  h.  am  Ende  des  Verses,  kennen  zu  lernen. 

Zunächst  das  Attische:  Um  ein  reicheres  Material  zu  gewinnen, 
bin  ich  hier  über  den  Termin  des  eukleidischen  Jahres  hinausgegangen 
und  verzeichne  auch  alle  Formen  aus  JGII,  die  sich  mit  einiger  Sicherheit 
bis  vor    30  0    v,    Chr.  datieren  lassen. 


-)'  steht. 
JGI'  468:  67t6^é/.6v. 

47  9:  {y.aT)€-9-£y.6v. 

I-  3  73-1^  (p.   101):  arad~£y.€v. 
313^''  (p.  102):  {av)6&ëy.€v. 
37323'  ^p    i^iy  ared^iyev    Këzioç 
350  (p.  153j:  exöOLv, 

48  2  (p.   156):  {avè)&£y.ev, 
37  3»  (p.   179):  £7t0Q£v. 
477p   (p.  189):  y.are&iysv 


-V  steht  nicht. 


4  7  7c  (p.  48):  e^ave. 


11^  1434:  €ftovr]06v  \  /iioigav 

1675:  avÔQctTroôoiaiv.^) 

22  63:  £7C6ßr]oev, 

2646:  {i)aaoiv  ]  y.ai 

2892: 

£GTl, 

3  620:  aya^oiaiv  \  trjveiv 

q::ikota{i)  \  rtjc? 

vouoiGiv  '  eOTSQBav 

3  6  8  8  :  a  y  CO  G IV, 

3840:  yaGiyvrjTaiOiv  \  roiv 

Ol  eu  Ivtv  1  a 

3260b  (p.  355):  e&avtv. 

Kai  bei  Nr.  86:  e&r^y.Ev  \  y.ai 

6XÖ01V  1  iiio{i)Q{a)v 

Wie  schon  Allen,  Greek  Versification  etc.  (=  Papers  of  the  Amer. 
School  of  class.  Stud.  IV)  S.  159  und  Zacher  Philologus  Suppl.  7,  468 
ausgesprochen  haben,  ist  die  Setzung  des  -r  am  Versende  durchaus  die 

')  Die  Inschrift  enthält  Dorismen. 


Regel,  ganz  gleichgültig,  ob  Versende  mit  Sinnespause  zusammentrifft 
oder  nicht,  ganz  gleichgültig  auch,  mit  welchem  Laut  ein  etwa  noch 
folgender  Vers  beginnt.  Für  den  Hexameter  ist  im  5,  Jahrhundert 
die  Setzung  ausnahmslos  (das  ed-ave  von  I-  477c  steht  am  Schluß 
des  Pentameters).  Bis  300  findet  sich  weiter  überhaupt  nur  eine  In- 
schrift (11^  2892),  die  von  der  Regel  abweicht.  Das  ist  in  mehr  als 
einer  Beziehung  lehrreich:  vor  allem  zeigt  sich,  daß  man  spätestens 
schon  im  5.  Jahrhundert  zu  Athen  das  -v  als  notwendig  am  Schluß  des 
Hexameters  betrachtete,  mit  anderen  Worten,  daß  Homer  damals  so 
gelesen  wurde  :  die  Inschriften  werfen  hier  Licht  auf  die  ältest  erreich- 
bare Gestalt  des  Epostextes,  und  wer  in  der  Konstituierung  des  letzteren 
über  die  handschriftliche  Überlieferung  hinauszugehen  wagt,  muß  dies 
berücksichtigen. 

Hat  sich  auf  dem  Gebiet  der  ionischen  in  schriftlich  en  Prosa  das 
-V  als  in  Pausa  besonders  beliebt  herausgestellt,  so  ist  es  nicht  wunder- 
bar, wenn  die  ionische  Dichtung  diese  „Beliebtheit"  zur  festen  Norm 
erhoben  hat.  Das  regelmäßige  -v  am  Versende  spiegelt  nur  in  etwas 
künstlerisch  geglätteter  Form  den  Tatbestand  der  gesprochenen  Sprache 
wieder  und  ist  ein  deutlicher  Beweis  für  den  Pausacharakter  des  -v 
überhaupt.  —  Wie  sich  andere  Versarten  als  der  Hexameter  in  diesem 
Punkte  verhalten,  läßt  sich  mangels  umfangreicheren  Materials  nicht 
ausmachen.  Das  erwähnte  sd-ave  könnte  seine  Sonderstellung  auch 
einem  anderen  Moment  als  seiner  Zugehörigkeit  zu  einem  Pentameter  ver- 
danken (S.  32).  Zacher  zieht  a.  a.  O.  aus  der  handschriftlichen  Über- 
lieferung des  Aristophanes  den  Schluß,  daß  bei  diesem  Dichter  ebenfalls 
das  Pausa-ï'  als  Regel  zu  gelten  hat.  — 

Betrachten  wir  noch  kurz  die  Epigramme  außerhalb  Attikas.  — 
Daß  das  ionische  Sprachgebiet  auch  hier  mit  dem  attischen  Gebrauch 
übereinstimmt,  dürfen  wir  nach  den  obigen  Ausführungen  als  selbst- 
verständlich betrachten.  So  lesen  wir  ejioëgev  auf  Euboia  (Rœhl  JGA  7), 
£y,a?.vo(p£v  GDJ  5302  (Eretria).  —  Ebenso  müssen  die  in  epischer 
Sprache  oder  poetischer  xoivy)  abgefassten  Denkmäler  aus  anderen  Sprach- 
gebieten dazu  stimmen;  vgl.  Kaibel  No.  768  (Xanthos  in  Lykien, 
4.  Jahrb.):  aved-ijytfEJv,  EOTEcpavoiOEv.  —  875  a  (Olympia,  4.  Jahrh. 
=  Dittenberger  u.  Purgold  No.  293):  eoxev,  avEd-tjy.Ev.  —  JG  VII 
253  2  (Theben,  4.  Jahrb.):  EJi)]yÀaia£v  am  Schluß  des  Pentameters. 
(Darunter  in  Prosa  die  Künstlerinschrift  regelrecht  mit  ejtoeige.) 

Interessanter  sind  die  d  o  r  i  s  c  h  -  e  p  i  s  c  h  oder  überhaupt  dialektisch- 
episch abgefaßten  Epigramme.  Auch  diese  sind,  wie  vorauszusehen, 
bezüglich  des  -r  ècpEÀxvanxôv  von  Homer  beeinflußt;  aber  sie  verfolgen 
eine  zumteil  abweichende  Praxis:  Die  allerältesten  Dokumente  wenden 
das  -tf  nur  da  an,  wo  sie   es  wirklich   brauchen,  nämlich   zur   ..Hiatus- 


—     28     — 

füllung,"  wie  schon  in  den  alten  Versen  aus  Thera:  .TG  XII'  449: 
ai]QEv  und  Suppl.  1324:  ôeitiviçev})  —  In  Pausa  dagegen,  wo 
das  Metrum  es  nicht  erfordert,  fehlt  es  zunächst.  Das  ist  ein  aus  den 
Dialekten  leicht  zu  begreifendes  und  durchaus  vernünftiges  Verfahren. 
So  die  Arniadas-Inschrift  von  Korkyra  JG  IX ^  8  68,  die  zwar  inlautend 
öAeaev  Açëç  und  vavaiv  eti"  zeigt,  aber  am  Versende  das  bekannte 
ç/iofaïai.  —  Ebenso  JG  XIV  652  (Großgriechenland):  aved-ëxs. 
GDJ  1537  (Krisa):  ed^ixe.  GDJ  68  (Kypros):  po  ■  ro  ■  ne  ■  o  ■  'i  = 
(pQovEO)lii.  Hoffmann  Gr.  Dial.  I  S.  62  (Meister  Gr.  Dial.  II  200) 
Kypros:  ii  ut-lcki'  =  vvEèr^y.E.  —  JG  XIV  641  (=  GDJ  1654, 
Thurioi,  4.  Jahrh.)  mit  seinem  xacnaPußoiai  nenne  ich  zweifelnd,  da 
auf  diesen  merkwürdigen  Inschriften  auch  sonst  auslautender  Nasal 
bisweilen  nicht  geschrieben  wird,  ein  sicheres  Urteil  über  die  Form  also 
unmöglich  ist.  —  Vgl.  aber  noch  die  eben  anmerkungsweise  zitierte  In- 
schrift aus  Eretria  mit  ihrem  e/j/e  am  Schluß  des  Pentameters  und 
das  Ed-avE  am  Schluß  eines  unklaren  Verses  aus  der  Gegend  von 
Pharsalos;  Zeit:  um  500.     (Hoffmann  Gr.   Dial.  II  S.  48.) 2) 

Vom  vierten  Jahrhundert  ab  aber  entzieht  sich  auch  die 
dialektische  Poesie  dem  gesteigerten  Einfluß  homerischer  Diktion  beim 
Pausa  -V  nicht  mehr: 

JG  VII  2462  (Theben)  hat  eiÂev. 

Kaibel  No.  849  (Delphi,  Ende  d.  4.  Jahrb.):  jtqoeî]xev. 

JG  IX'   163  (Elatea,  3.  Jahrb.):  avoEv. 

Hoffmann.  Gr.  Dial.  II  S.  51   (Pherai)  :  etteO-eikev. 

Dasselbe  Verhalten  bei  Isyllos:  In  seinen  Gedichten  w-endet  er 
inlautend  das  -v  nach  homerischem  Muster  an,  seine  Prosa  kennt  es 
natürlich  nicht  (£MEd-t]XE,  E7ioi]aE,  E/.iavT£vaE).  Am  Schluß  steht  es 
in  seinen  daktylischen  Versen:  Gedicht  B  (dorisch-episch):  d-Eoiaiv. 
F  (dorisch-episch)  onÂoiaiv.  —  Auch  E  (lonici;  dorisch)  hat  evciiev 
neben  eàvoe  Z.  47.  — 

Das  vv  èq)EÀxvoTixôv  ist  in  dem  Umfang,  wie  es  im  historischen 
Griechisch  auftritt,  ein  reines  Produkt  analogischer  "Wucherung,  von 
wenigen  Wortformen  ausgegangen  (s.  S.  34  f.).  —  Eine  Analogiebildung, 
die  der  naive,  von  Reflexion  freie  Mensch  beim  Sprechen  vornimmt,  wird 
im    Moment   ihrer   Entstehung   allermeistens    ebenso    unbeabsichtigt   wie 

M  Aber  selbst  dann  wird  es  zuweilen  verschmäht:  vgl.  die  Damonon- Säule 
(tD.I  441f)  mit  ihrem  ave&îne  A-&avaia(i)  vor  der  Hauptzäsur.  Ebenso  ave&îxe 
V7X£Q  (Larisa)  E.  Hoffmann,  Sylloge  epigr.  .'318.  Eine  vermittelnde  Stellun»  nimmt 
etwa  die  Inschrift  Eph.  arcb.  1897,  tS.   151  i Eretria)  ein: 

STiuQxa  fiev  TiazQig  eativ,  ev  et^ Qvy^oQoiai  Ad'avaiç 
f&Qafpd't,  &avazö  6e  evi9aâe  iioiq  ^X'^X^- 
-)  Zu  dem  anj^eljlichen  uralten  avethy/.ev  von  Thera  (Pilling  b.  Collitz.  Hermes 
•11.   l.S(i)  vaj.  die  Lesung  .Kt  XIP  449. 


—     -ju     — 

zwecklos  sein.  Das  schließt  jedoch  nicht  aus,  daß  auch  auf  dem  Boden 
der  Sprachentwickkmg  aus  Zwecklosem  Zweckmäßiges  entsteht,  und  tat- 
sächlich sind  die  Beispiele,  daß  eine  analogische  Neuerung  sich  gehalten 
hat,  ja,  über  das  Alte  den  Sieg  davontrug,  wo  sie  für  den  Sprechenden 
irgend  einen  Vorteil  bot,  Legion.  (Die  Normierung  der  Paradigmata 
wider  die  Lautgesetze  genügt  als  Beleg.)  —  Hatte  so  auch  die  weite 
Ausdehnung  der  littera  paragogica  ihren  erkennbaren  Grund?  —  Wäre 
sie  von  alter  Zeit  her  „hiatustilgend"  gewesen,  so  würde  die  Antwort 
gegeben  sein.  Nun  ist  aber  gewiß,  daß  diese  Funktion  eine  sekundäre 
Neuerung  darstellt.  —  Vielmehr  ergab  sich  aus  der  Betrachtung  des 
Materials,  daß,  soweit  satzphonetische  Verhältnisse  in  Frage  kommen, 
der  ältere  Gebrauch  des  v  ècpeÀxvonxov  auf  die  Paus  a  als  bevorzugte 
Stellung  hinweist.  Bei  allen  Klassen  von  Inschriften  ließ  sich  in  Pausa 
ein  Überwiegen  der  /--Formen  über  die  i'-losen  konstatieren,  und  nicht 
nur  dies:  Mit  vollkommener  Deutlichkeit  zeigte  sich,  daß  die  Verwendung 
der  i'-Form  dem  Satzende  auch  im  Gegensatz  zur  Praxis  des  Satzinlauts 
zukommt,  zwar  nicht  als  ausnahmslose  Regel  —  abgesehen  vom  Hexa- 
meter — ,  wohl  aber  als  Vorzugsrecht.  —  Hier  ist  ein  „Warum"?''  am 
Platze. 

Wacker  na  g  eis  im  besten  Sinne  des  Wortes  anregende  Arbeit 
über  „Wortumfang  und  Wortform"  (Göttinger  gel.  Nachrichten 
1906,  S.  147  tf.),  deren  Erscheinen  mitten  in  meine  Beschäftigung  mit 
dem  vv  èçpeÀxvanxoi'  hineinfiel,  weist  einige  evidente  Beispiele  dafür 
auf,  daß  in  verschiedenen  Sprachen,  wo  zwei  Formen  desselben  Wortes 
nebeneinander  stehen,  die  Pausa  die  längere  von  beiden  wählt;  so 
(S.  175)  die  Nominativform  des  Demonstrativpronomens  ^so.s  (altind.  .w//. 
gr.  ô'ç)  bereits  in  indogermanischer  Urzeit;  das  homerische  ovxi  neben 
ov  nur  vor  Interpunktion  am  Versende  (Y  255  vor  Hauptzäsur).  —  Die 
Tatsache  als  solche  ist  nach  Wackernagels  Darlegungen  außer  Zweifel 
gestellt,  und  wenn  es  vorerst  unmöglich  ist,  das  Gebiet  der  Erscheinung 
fester  abzugrenzen  und  seinen  innersten  Ursachen  nachzugehen,  so  ist 
das  in  der  etwas  verschwommenen  Beschaffenheit  des  Stoffes  hinreichend 
begründet. 

Was  Wackernagel  anführt,  beschränkt  sich  auf  Monosyllaba.  Es 
scheint  mir  aber  unbestreitbar,  daß  ähnliche  Phänomene  auch  an  mehr- 
silbigen Wörtern  zu  beobachten  sind,  xch  will  es  dahingestellt  sein 
lassen,  ob  sie  auch  hier  ursprünglich  waren  oder  ob  etwa  der  ent- 
sprechende Vorgang  bei  Einsilblern  erst  das  Muster  abgegeben  hat'): 

^)  "Wie  tatsächlich  das  Verhalten  der  Monosj'llaba  in  anderer  Richtung  zuweilen 
analogisch  auch  auf  mehrsilbige  Formen  eingewirkt  hat,  lehren  die  voq  Wackeruagel 
angeführten  Fälle  wie  scitote  für  scite,  weil  mau  acito  für  .sc/ gebrauchte  ;  entsprechend 
etitote  für  este  in  der  lateinischen  Bibel,  vereinzelt  hier  auch  nnUmiis  für  iiiius  wegen 
vadit  an  Stelle  von  //. 


—     30     — 

Wenn  bei  griechischen  und  lateinischen  Dichtern  häufig  von  zwei 
gleichbedeutenden  "Wörtern  oder  Wortformen  die  längere  am  Versende 
gebraucht  wird^),  so  erfordert  das  Material  allerdings  hier  besonders 
sorgfältige  Prüfung,  weil  die  längeren  Formen  wohl  in  der  weitaus  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Fälle  sich  als  Archaismen  herausstellen-,  daß 
solche  auch  anders  als  nach  dem  genannten  Prinzip  erklärt  werden 
können,  zum  Teil  müssen,  ist  bekannt.  —  Von  unleugbarer  Wichtigkeit 
aber  ist  die  Erkenntnis,  daß  bisweilen  auch  nachweislich  jüngere  Sprach- 
formen, die  von  grösserem  Lautumfang  sind  als  ihre  Vorgänger,  sich  als 
Favoriten  der  Pausa  dadurch  dokumentieren,  daß  die  Dichter  ihnen  den 
Ehrenplatz  am  Versschluß  eingeräumt  haben.  Leider  ist  das  Material 
auch  hierfür  noch  zu  wenig  bearbeitet,  als  daß  man  mit  vollen  Schüsseln 
aufwarten  könnte  ;  zwei  Beispiele  aus  dem  plautinischen  Sprachgebrauch 
glaube  ich  aber  doch  an  dieser  Stelle  nennen  zu  dürfen: 

Studemund  hat  ALL  III,  550  if.  das  Material  über  die  Accusativ- 
formen  duo  und  duos  bei  Plautus  zusammengestellt.  Er  kommt  zu  dem 
Schlüsse,  daß  duos  angewandt  worden  sei,  „so  oft  das  Metrum  eine  zwei- 
silbige Form  verlangte,  dagegen  duo,  so  oft  das  Metrum  eine  einsilbige 
Form  verlangte.'*  Ganz  abgesehen  davon,  daß  wir  heutzutage  auf  ein 
„einsilbiges  f/^/o"  verzichten-)  und  es  vorziehen,  die  Fälle,  in  denen  duo 
den  Wert  von  zw^ei  Moren  hat,  mit  Hilfe  des  lambenkürzungsgesetzes 
in  einen  größeren  Zusammenhang  einzureihen,  entbehrt  Studemunds  Auf- 
fassung sicher  jeglicher  ratio.  Was  soll  den  Dichter  dazu  veranlaßt 
haben,  nicht  ebensogut  ein  zweisilbiges  duo  im  Accusativ  anzuwenden, 
wie  er  es  auch  im  Nominativ  getan  hat  (Amph.  974,  Men.  1118  u.  s.  w.)'? 
—  Eine  Durchprüfung  der  Beispiele  Studemunds  führt  vielmehr  zu  dem 
Resultat,  daß  die  Neubildung  r//^o.s-  neben  duo  ausgesprochene  Pausa- 
form  ist:  Mit  Ausnahme  der  einzigen  Stelle  Cist.  700:  ad  duos  aitinet. 
wo  die  Form  mit  -.s*  im  Ictus  des  Anaprests  eine  zweckmäßige  Schutzwehr 
gegen  das  Zusammentreffen  mit  vokahschem  Anlaut  bildet,  gehören  sämt- 
liche Belege  der  Pausa  an:  Die  unter  b)  angeführten  stehen  alle  am 
Versschluß,  und  Cas.  691  f. 

Lys.  sed  efunuuc  liahef  nunc  Cas'nui  (//fidiiiur/ 

Par.  Habet,  sed  duos.  —  Lys.   Quid,  duos?  —  Par.  A/tero  le 
Occisuruni  a'd  etc. 
macht  von  selbst  jede  Erläuterung  überflüssig.  Dagegen  steht  die  überwälti- 
gende Majorität  der  plautinischen  Belege  für  den  Acc.  duo  im  Versinnern. — 

'-)  Was  man  bei  Homer  in  dieser  Hinsicht  zu  finden  geglaubt  hat,  ist  meist 
sehr  fragwürdiger  Natur.  Man  vergleiche  die  Konti-overse  hierüber  bei  G.  Hermann, 
Ell.  doctr.  metr.  850.  Lobeck  Pathol.  eil.  II  158ff..  ßekker.  Homer.  Blätter  I  29 ff. , 
La  Roche,  Homer.     Untersuchungen  I,  KiOff. 

'-)  Li  nd s ay  8  Bemerkung  über  die  größere  Wahrscheinlichkeit  einer  Messung  V/j//< 
gegenüber  "dYio  (Lat.  Spr.  472)  ist  nach  dem  Folgenden  belanglos. 


—    p.l    — 

Der  andere  Fall  ist  ebenso  klar:  Er  betrifft  die  längere  Form 
pc  neu  hl  III  und  Genossen  für  älteres  j/crir/inii  („Instrumental"suffix  ^-f/oitij. 
Hier  ist  schon  lange  erkannt  (vgl.  Lindsay,  Class.  Rev.  VI,  87 ff.  ii.  s.  w.) 
daß  die  nachweislich  jüngere,  aber  lauthch  umfangreichere  Form  -cii/inn 
ihre  legitime  Stellung  am  Ende  eines  Verses  oder  Halbverses  hat.  — 

Dies  Prinzip  auf  das  griechische  v  IcpeÀxvoTiy.ôv  angewandt,  erklärt 
dessen  Bevorzugung  in  Pau  s  a  ohne  weiteres:  Hatte  man  etwa  neben 
der  3.  sg.  oîôs  ein  oïôev,  neben  dem  D.  rra/rr/  ein  jicciaiv  zur  Verfügung, 
so  setzt  sich  die  Beliebtheit  der  längeren  Formen  in  Pausa  genau  mit 
dem  plautinischen  duos  und  pericii/imi  in  Parallele,  und  der  Vergleich 
mit  den  schon  von  Wackernagel  besprocheneu  Monosyllaba  *sos  neben 
*.s'0  und  oèyJ  neben  ov(x)  liegt  auf  der  Hand.  Daß  bei  der  Ausdehnung 
im  Gebrauche  von  p  dieses  sich  nicht  für  alle  Zeiten  auf  die  Pausa 
beschränkte  und  andrerseits  letztere  nicht  absolut  beherrschte,  liegt  in 
der  Natur  derartiger  Neubildungen  begründet.  Ebensowenig  sind  ja  im 
Lateinischen  perkidinii  und  diiOi<  starr  bei  ihrer  plautinischen  Verwendung 
stehen  geblieben.  —  Beachtenswert  ist  vielleicht  noch,  daß  das  ionisch- 
attische V  è(p£Àxvatixôv  nur  nach  kurzen  Vokalen  aufgekommen  ist; 
man  vergleiche  damit,  was  Wackernagel  a.  a.  0.  175  über  eine  ent- 
sprechende Eigenheit  der  Monosyllaba  lehrt.  — 


Ich  habe  bisher  vom  vv  ècpEÂxvaii'/.ôv  als  von  einer  sachlichen  Ein- 
heit gesprochen,  mit  Recht,  soweit  es  sich  um  die  allgemeine  Tendenz 
seiner  Verwendung  handelt.  Genauere  Betrachtung  lehrt  aber,  daß  inner- 
halb der  einzelnen  Formgruppen,  die  den  i^ntritt  der  littera  paragogica 
kennen,  noch  feinere  chronologische  Unterschiede  bestehen.  Schon 
Maassen  hatte  S.  24ff.  eine  Differenz  konstastieren  zu  müssen  geglaubt: 
Im  Satzinnern  sollen  die  Formen  des  3.  sg.  auf  -ev  stets  mit  -r  er- 
scheinen, während  die  at-Formen  schwanken.  Diese  Behauptung  ist,  wie 
die  Heranziehung  weiteren  Materials  lehrt,  nur  bezüglich  der  a<-Formen 
zutreffend:  Hier  steht  allerdings  sowohl  im  Dat.  plur.  als  in  der  3.  pl. 
des  Verbs  seit  ältester  Zeit  die  i^-haltige  Form  neben  der  r-losen.  Auch 
Eotiv  neben  egti  ist  alt,  wie  namentlich  JGIVl588,3i  zeigen  kann.  — 
Über  eixoai  s.  S.   19. 

Bei  der  3.  sg.  auf  -e  ist  dagegen  W.  Schulze 's  Beobachtung 
(Gott.  gel.  Anz.  159  (1897)  S.  902*^)  richtig,  wonach  im  Anschluß  an  das 
punctum  saliens  f]a  :  fjsi'  zunächst  nur  solche  Formen  das  -v  annahmen, 
deren  1.  sg.  auf-«  endigte.  Leider  ist  seine  Bemerkung  ganz  kurz  gehalten 
und  nicht  durch  Beweismaterial  gestüzt.  Dies  liefern  die  voreukleidischen 
Inschriften  zur  Genüge.     Auf  ihnen  findet  sich  das  -r 


—     82     — 

1.  beim  Perfektum:    oiôev  JGrI^32A13  (1.  sg.  oîâa)-^  Jiagßs- 
ßaxev  (S.  22). 

2.  im  Aorist  : 

a)  beim  ;i  -  A  o  r.  der  iintbemati sehen  Verben  :  av£d-£y.£v{l.  sg.  -a)  oft 
auf  Inschriften.  Das  Material  für  den  Satzauslaut  S.  20;  im  In- 
laut z.  B.  JG  I^  3.52,  37(3, 1-  373  ^-  (p.  4.3),  373^-  qd.  80)  u.  s.  w.  — 
Aber  auch  «rfr>£/Cf  inlautend  iu Prosa  vereinzelt:  1-373-^'  (p. 
201);  s.  S.  21,  wohl  auch  373'^  (p.  42):  {av)e&£y.E  o-.  —  Über 
373"  (p.  181)  s.  S.  21.  Entsprechende  Beispiele  aus  dem 
Ionischen  unten.  —  £Oöx£v  auf  einer  Vase  des  Exekias  bei 
Klein,  Meistersignaturen  S.  40  (dazu  K  r  e  t  s  c  h  m  e  r ,  Vasen- 
inschr.  S.  51).  —  tiuqeoöxev  JG  I- 5a  (p.  135)  Z.  11,  15 
(Mitte  des  5.  Jahrb.),  (21);  jiaQ£Ôojx£v  Z.  1,  5.  —  Erst 
die  jüngste  der  auf  diesem  Stein  vereinigten  Inschriften  gibt 

JlCCQEÔOJy.E  y.£(fU?MlOV. 

b)  beim  sigraatischen  Aorist:  £y.£Qau£vaEv  auf  einer  Vase 

des  Oikopheles  (vgl.  Burhngton  F.  A.  Club,  Catalogue  of 
objects  of  Greek  ceramic  art  S.  9).  —  £7toi£oev  häufig  auf 
Vasen ,  Weihinschriften  u.  s.  w.  —  Pausabeispiele  S.  20  f.  ; 
für  den  Inlaut  vgl.  Klein  a.  a.  O.  S.  45,  73,  82  u.  s.  av.  — 
JG  I^  335,  P  373«=*  (p.  86),  373»^  (p.  89),  3732^'"  (p.  102) 
u.  s.  w.  —  £ji0£O£  inlautend  nur  I-  373--^  (p.  102)  [könnte 
metrisches  Fragment  sein].  —  £yQU(fa£v  CßyqantfEvj  oft  auf 
Vasen;  für  die  Pausa  vgl.  S.  21  f.,  inlautend  z.  B.  Klein  S.  45, 
85.  —  Auf  Dekreten  das  stereotype  £Ôo-/g£J'  {rii  ßöAet)  JG 
I^  16, o;  21,1  U.S.  \v.;  auch  eôo/oei'  eI/.v  —  I'  57,3:>.  —  (fra)/- 
n£v  TOfi  —  I^  37,47,  —  ey£i()OTOvëo£  V  lio  P  40,2;).  —  a:i£- 
ji£^i(pö£t>  y.a{i)  1^  82.  —  Das  liohe  Alter  des  -i'  in  diesen 
Formen  wird  weiter  inschriftlich  durch  die  dialektische  Poesie 
bestätigt,  die  es  schon  sehr  frühzeitig  angenommen  hat;  vgl. 
die  auf  S.  28  genannten  Formen  ui^qev,  Ô£i.r7't^£}\  ôÀ£a£v. 

Dagegen  haben  die  Formen  mit  1.  sg.  auf  -op  in  der  ältesten  Zeit 
bloßes  -e:  Daher  im  Imperfekt  auf  Vasen  stets  EyçacpE  im  Gegensatz 
zum  Aor.  Eyçacpasv  (S.  22).  —  Vgl.  ferner  £Ôiôaax£  JG  I'  336,  I- 
337a  (p.  79).  —  £y£  Tf(/)  P  179  (p.  160 f.)  Z.  13  und  25.  —  Das  ist 
denn  auch  in  Rechnung  zu  ziehen  bei  dem  Aor.  II  £d-av£  (S.  27).  So  er- 
klärt sich  ferner  in  den  prœscriptiones  der  Gegensatz  von  eôoxoev  einerseits, 
£7iQVTav£V£,  Ey Q af-i^üT £v £ ,  ÊQXE,  £ i .1  £  andrerseits  (S.  13  Anra.  1): 
Zur  Zeit,  als  diese  Formeln  festgelegt  wurden,  war  die  Ausdehnung  des 
-V  auf  die  o^'-Tempora  noch  nicht  erfulgt.  Die  prœscriptiones  blieben 
lange  in  dieser  archaischen  Gestalt,    und  Ey quu i^iuteve  erscheint  auch 


—     M3     — 

satz  in  lautend,  wo  die  Formel  nicht  gerade  die  stereotype  der  pr^escriptio 
ist  stets  ohne  -r:  eyQccif(uaT)Ev£  E?.£vaivi  V  231.  Ahnlich  237.  298 
(vgl.  I-  p.  146)  zweimal,  301,20,  554  (p.222);  I-  557  (p.  125).  —  Entsprechend 
ËQy^E  I^  260  {éçx^  ^^^);  ^^  '^^^  (P-  l-'^)-  Endlich  aber  wurde  auch  hier  zu 
Ende  des  5.  Jahrh.  das  -v  heimisch  (S.  14).  Auf  Privaturkunden  findet  sich 
dieser  Gebrauch,  wie  zu  erwarten,  schon  früher,  so  in  etzoqev  am 
Schluß  des  Pentameters  I-  373^  (p.  179,  vgl.  übrigens  die  nota  dazu), 
und  vor  allem  in  dem  vulgären  y.avEjiiEP  des  Pinaxfragmentes  aus  dem 
kimonischen  Schutt  (Kretsclimer,  A'aseninschr,  S.  90).^)  —  Vielleicht  ist 
es  kein  Zutall,  daß  die  beiden  ältesten  attischen  Belege  Aoriste  sind: 
der  Einfluß  der  x-  und  a-Bildnng  mag  hier  zuerst  eingesetzt  haben.  — 
Für  die  spätere  Zeit  ergibt  eine  Vergleichung  von  Maassens  Tabelle 
und  dem  aus  Papyri  geschöpften  Material  bei  Mayser,  Gramm,  d.  griech. 
Papyri  S.  237,  eine  grössere  Festigkeit  des  -fr  überhaupt  gegenüber 
-ai(i')-  So  hat  auch  die  Inschrift  bei  Dittenb erger  Sylloge  -  178  (um  300 
V,  Chr.):  ôiôcoai  IlEQÔixy.ai.  ovoi  y.E'/.Ti]o^ai  zweimal,  ôiôcooi  y.ai,  ôi- 
ôcoai  Se.  aber  EyJ.riQovyj^oEi'  Uo/.Eüoy.QUTijQ,  eÔojxev  Efi  jtcctqixoic, 
EAaßEV   Ei\    eSmxei'   IItO/.EU(CIO)1. 

Die  Ausbeute  aus  dem  Ionischen  ist  geringer  und  zeigt  auch  in 
den  «-Tempora  weniger  „Regelmäßigkeit."  Auf  den  ältesten  Inschriften 
(bis  400)  kommen  satzauslautend  wie  -inlautend  Formen  mit  und  ohne 
-V  vor.  Für  den  Inlaut  vgl.  avEd-i]X£v  5401,  5-508  u.  s.  w.  (oft),  eôojxei' 
5531,  E7T0i}]a£v  5292,  5422,  eöo^ev  5308,  Eori^oEV  5358,  EXQaTi]{o)EV 
5727d35,  E71Q1JOEV  AM  31,  152  (Samos).-)  -Andrerseits  avEx^r^xE:  5419, 
5509  u.  s.  w.,  EÖcoxE  5522a,  ettohioe  5505,  eôo^e  5495.  —  Es  zeigt  sich 
also,  dass  auch  in  diesen  Verbalformen  die  Setzung  nicht  völlig  oder 
nahezu  obligatorisch  war,  wie  man  nach  dem  attischen  Material  anzu- 
nehmen geneigt  sein  könnte.  —  Die  Belege  der  or-Tempora  sind  zu 
spärlich,  um  darüber  aufzuklären,  ob  im  Ionischen  der  Antritt  des  -v 
hier  ebenfalls  spät  erfolgt  ist.  Die  Sängergildeninschrift  bietet  zwar 
Z.  40  und  41  EaÔE,  aber  auch  das  erwähnte  eôo^e.  —  Das  ei^ei'  von 
5727  a  39,  45,  G3,  c  0,  IG  entscheidet  nichts  nach  der  andern  Seite,  da  die 
Inschrift  in  die  letzte  Zeit  des  5.  Jahrh.  fällt,  auch  von  Attizismen 
nicht  ganz  frei  ist  (Bechtel  S.   749).-')  — 


1;  Auch   dialektisch-poetisch:   so  evciiev  Roehl  JCtA  i)5  (Mitte  d.  5.  Jahrb.). 

-)  Metrisch  z.  ß.  avedr^y.ev  5420  u.  s.  w..  e  ßa(a)y.i]  vev  535.%  enott^aev  5422. 

3|  Der  im  ionischen  Epos  überlieferte  Zustand  kann  kein  untrügliches  Zeugnis 
für  den  Gebrauch  der  üesprocheueu  Sprache  ablegen.  -  Daß  aber  für  das  in  Rede 
stehende  Problem  die  Litteratur spräche  überhaupt  herangezogen  werden  muß, 
ist  klar.  Namentlich  die  attischen  Dichter  werden  ein  gewichtiges  Wort  mitzureden 
haben.     Das  muß  späterer  Untersuchung  vorbehalten  bleiben. 


—     84      — 

Auf  Grund  des  inschriftlichen  Materials  kann  man  den  Entwicklungs- 
gang des  griechischen  vv  è(f£ÀxvaTixôp  etwa  so  skizzieren  :  Der  oder  die 
Ausgangspunkte  sind  nicht  mit  absoluter  Gewißheit  zu  bestimmen, 
da  mehrere  Möglichkeiten  vorliegen.  Für  die  Flexionsformen  erscheint 
es  jedenfalls  nicht  geraten,  an  Indeclinabilia  anzuknü^Dfen,  wie  Osthoff 
MU  IV  231,  Gesch.  d.  Perf.  340f.,  zum  Teil  auch  Brugmann  Grundr. 
I-  902  tun,  zumal  sich  einige  scheinbaren  Stützpunkte  als  recht  frag- 
würdig erweisen;  vgl.  über  ovroali'  neben  -J  Kühner -Blass  Gramm. 
I  i^  293f.  ;  wobei  noch  außerdem  die  Tatsache,  daß  i'-Formen  nur  bei  den 
Kasus  auf  -o-i  bezeugt  sind,  ganz  entschieden  dafür  spricht,  daß  es  sich 
hier  im  Gegenteil  um  eine  sekundäre  Neuerung  dieses  Pronomens  nach 
altererbten  (7f(r)-Formationen  handelt.  —  Über  y.s  :  y.ev  s.  zuletzt  Solmsen 
K  Z.  35,  471  f. 

Für  die  Flexionsformen  mit  -gi{v)  ist  der  älteste  Kern  wohl  sicher 
beim  Pronomen  zu  suchen,  allerdings  auf  einem  andern  AVege  als  dem 
von  Fick,  Ihas  559f.  beschrittenen,  nämlich  beim  Personalpronomen: 
Daß  der  Dat.  pl.  der  Personalpronomina  urgriechisch  auf  -iv  ausging 
{^aofiii'.  *vo,uir),  wird  durch  den  Tatbestand  der  griechischen  Dialekte 
erwiesen.  [Die  Endung  ist  die  gleiche  wie  in  den  Singularformen  è/uii', 
liv.  T£Îv  u.  s.  w.  und  hängt  unfraglich  mit  dem  altind.  pronominalen 
Lok.  2i\xi  -Ch)ii )-'iu  {fismiii  „in  eo")  zusammen.]  Gleichgültig  ist,  ob  die  vor- 
handenen singularischen  è/nir  u.  s.  w.  ebenfalls  alt  sind  oder  erst  nach 
dem  Muster  des  Plurals  geschaffen  wurden.  Ebenso  kann  die  Frage 
nach  dem  Alter  von  G(f:ii'  offen  bleiben.  —  Es  bedarf  ferner  r.icht  ein- 
mal der  Annahme,  dass  neben  *aafuv,  "^vafiiv  schon  urgriechisch 
kürzere  Formen  auf  -i  lagen  (lesb.  ä/iifii,  vftfii,  die  Bartholoma?  BB  15, 
18  als  einzeldialektische  Neuschöpfungen  nach  dem  Muster  von  /-Loka- 
tiven betrachtet).  —  So  bequem  eine  Doppelheit  ^aa^ip  :  *aa/:ii  als  Aus- 
gangspunkt wäre,  so  können  wir  doch  all  dieser  Ungewißheiten  ent- 
raten:  Übernahm  das  Ionisch-attische  —  und  das  ist  das  einzige,  was 
sich  wirklich  positiv  behaupten  läßt  — ,  die  Dat.  pl.  des  Personalpro- 
nomens in  der  Form  -iv,  so  reichte  das  schon  zu  einer  analogischen  Be- 
einflussung andrer  Pluraldative  aus:  Wie  sich  im  Jüngern  Kretischen  zum 
N.  pl.  aiisi'  das  Attrilnit  syi'coxorer  und  weiter  die  Neubildung  nvei' 
für  nv£g  einstellte  (J.  Schmidt  KZ  36,  400 ff.),  so  konnte  im  Ionisch- 
attischen  ein  f]^uv  naai,  bfiiv  toloôeooi  (vgl.  P  633,  ß  46  f.)  zu  fiuiv 
Tiuaiv,  bfiiv  Toiaôeaaiv  werden,  ein  riai,  avioiai  nach  ^fiiv  die  Schwester- 
form iioiv,  avioiaiv  erhalten  u.  s.  w.  Wenn  daneben  die  ältere  uner- 
weiterte Form  nicht  ausstarb,  so  gehört  das  zu  den  bekanntesten  Er- 
scheinungen des  Sprachlebens. 

Nach  dem  Vorgange  des  Dat.  i)l.  kam  die  Doppelheit  -oi,  -aiv 
dann  auch  in  der  3.  pl.  des  Verbs  auf.    Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß, 


—     85      - 

wie  schon  Planudes  (ed.  Bachniann  Anecd.  Grœca  II  58,iGffj  dachte,  die 
Dat.  pl.  der  Partizipien  dabei  wirkhch  eine  Vermittlerrolle  gespielt  haben, 
nur  in  umgekehrter  Richtung  als  Planudes  meint:  Ein  D.  pl.  ipeçovai  war 
der  3.  pl.  (pegovai  völlig  gleichlautend,  so  dass  eine  Nebenform  (peqovoiv  bei 
dem  einen  sehr  wohl  die  gleiche  Umgestaltung  beim  anderen  hervorrufen 
konnte.  Die  Sekundärendung  der  3.  pl.  -v  mag  ebenfalls  noch  einen 
Druck  zu  Gunsten  der  volleren  Form  mit  -v  bei  der  Primärendung  aus- 
geübt haben.  —  Vom  -oiv  der  3.  pl  zum  -oiv  der  unthematischen  3.  sg. 
und  weiter  zu  eghv  war  der  Schritt  um  so  leichter  getan,  als  von 
einem  anderen  Gebiet  der  3.  sg.,  der  Endung  -£,  Sukkurs  kam:  Hier 
hat  die  Überführung  der  ursprünglichen  3,  pl.  tiEv  in  den  Singular  (vgl. 
Hoffmann,  Präsens  S.  68,  Gr.  Dial.  II  319,  Brugmann  Grundr.  II  900) 
befruchtend  gewirkt.')  Nach  dem  Muster  fja  :  fjEv  erhielten  alle  Tempora, 
deren  1.  sg.  auf -a  endete,  in  der  3.  sg.  neben -£  wohl  schon  urionisch- 
attisch  die  Nebenform  -ev.  Bei  den  Formen  mit  1.  sg.  -ov  dagegen  ist 
-ev  den  ältesten  attischen  Prosainschriften  noch  fremd,  scheint  aber  all- 
mählich im  Laufe  des  5.  Jahrh.  aufgekommen  zu  sein  und  hat  sich  am 
Ende  desselben  auch  hier  festgesetzt. 

Nach  dem  Prinzip,  daß  das  Satzende  beim  Vorhandensein  von 
gleichbedeutenden  Wortformen  die  lautlich  vollere  bevorzugt,  findet  sich 
in  Pausa  die  Form  mit  -v  è(p£ÀKvatix6v  seit  ältester  Zeit  besonders  gern 
gebraucht,  in  der  Poesie  fast  ausnahmslos,  in  der  Prosa  überwiegend, 
bisweilen  mit  deutlich  erkennbarer  Begünstigung  dem  Satzinlaut  gegen- 
über. In  späterer  Zeit,  etwa  von  der  2.  Hälfte  des  4.  Jahrh.  ab,  ist 
Setzung  des  -p  in  Pausa  überhaupt  das  Normale.  War  die  Pausa  das  eigent- 
liche Gebiet  des  -f,  so  ist  es  verständlich,  wenn  sich  im  Inlaut  zunächst 
ein  Promiscuegeb rauch  zeigt,  ein  Zustand,  der  im  großen  und  ganzen 
durch  das  Altertum  hindurch  unverändert  bleibt,  nur  daß  zunächst  die 
î'-Formen  häufiger  als  die  î^-losen  werden.  Teilweise  aber  lassen  sich 
auch  im  Satzinlaut  Sandhidifferenzen  beobachten:  Schon  im  5.  Jahrh. 
und  auch  später  verrät  sich  die  Tendenz,  die  /'-lose  Form  neben  der 
r-Form  nur  vor  Konsonanten  zu  gebrauchen,  vor  Vokalen  nur  die  i>- 
Form  gelten  zu  lassen;  ja,  vereinzelt  wird  sogar  seit  etwa  400  v.  Chr. 
das  unsrer  Schulregel  zugrundeliegende  Prinzip  auch  auf  den  Inschriften 


1)  Schulze.  GGA  1897,  902  hält  diese  für  speziell  ionisch;  mit  Recht.  Denn 
das  lokrische  ev  =  ^v  in  dem  Satze  JtoTiö  fenaaiog  äv  GDJ  1478,9.  bei  dem  au 
attischen  Einfluss  nicht  gedacht  werden  darf  (1.  Hälfte  d.  n.  Jahrh.  v.  Chr.),  ist  n.  pl.. 
durch  „constructio  xarà  avveaiv^  für  den  Sing,  eingetreten:  „woher  sie  ein  jeder  waren." 
Dabei  hat  das  vorausgehende  pluralische  ai  xa  liun  avav/.ag  ajteÄaöinai  dem  Redaktor 
oder  Schreiber  vorgeschwebt.  —  Als  H.  sg.  kann  das  Lokrische  nicht  gut  etwas  anderes 
als  das  gemeingriechische  ^s  gehabt  haben,  wie  es  denn  auch  im  Delphischeu  (UDJ 
2002,1«)  der  zu  erwartenden  S  pl.  »>  (2518.iü  u.  s.  w.)  gegenübersteht. 


—     86     — 

angewendet:  -i'  steht  vor  Vokal  (und  in  Pausa),  die  Form  ohne  -/'  vor 
Konsonanten.  Zu  größerer  Ausdehnung  ist  diese  Regelung  im  Altertum 
nicht  gelangt,  die  Inschriften  fahren  fort,  -v  auch  vor  Konsonanten  zu 
setzen.  Als  orthographische  Lehre  ausgesprochen  findet  sie  sich  erst  in 
der  byzantinischen  Gramniatik.') 

Die  andern  Dialekte  außerhalb  des  Ionisch-attischen  kennen  das 
vv  èg)EÀxvatix6v,  so  lange  sie  von  der  Gemeinsprache  unbeeinflufit  sind, 
nur  in  der  Poesie  in  Anlehnung  an  Homer,  zunächst  nur  da,  wo  es 
metrische  Notwendigkeit  erfordert,  später  auch  in  Pausa.  -  Der  Prosa 
fehlt  es  überall,  auch  im  Dat.  pl.,  wo  die  Neubildung  an  und  für  sich 
ebensogut  wie  im  Ionisch-attischen  hätte  vollzogen  werden  können.  — 
Vgl.  fürs  Aiolische:  Meister,  Dial.  I  125,  zum  Material  s.  noch  S.  272, 
306-,  Hoffmann,  Dial.  II  477.  —  Fürs  Arkadische:  Hoffmann  I  214, 
Baunack  Ber.  d.  kgl.  sächs.  Ges  d.  Wissensch.  1893,  110.  Kyprisch: 
Meister  II  255.^)  Pamphylisch  GD  J  1266  /iiiccQoiai.  ccTQonoiot  u.  s  w. 
Fürs  ältere  Dorisch  s.  die  altgortynischen  Inschriften:  GDJ  4991 
nur  TQiöi,  EjTißaAAovGi,  fiëvai,  viaai,  4976  (ß)ofGi,  4984  ffjomiovai, 
5011  rf>ag)iôôovai,  5015  ^>a(pit,avoi.  feTS&d-i.  —  Vaxos  5125  raiat.  — 
Aus  dem  älteren  Nordwestgriechischen  nur  spärliches  Material: 
Delphisch  aa/uccTsaai  GDJ  2561  C  41  (Labyadeninschrift)  ;  jiainsaai 
2501,44  (Amphiktyonengesetz). 

In  die  dialektische  Prosa  beginnt  das  -v  erst  im  4.  Jahrh.  v.  Chr. 
einzudringen.  Dabei  fällt  eins  auf:  Für  die  Mundart  von  Heraklea 
hat  bereits  Meister,  Curtius'  Studien  IV  413  festgestellt,  daß  nur  die 
Dat.  pl.  auf  -fji  das  aus  der  xotrij  eingeschleppte  7'  èg)eÀxvaTixôv 
annehmen  können,  während  die  3.  pl.  auf  -pti  ebenso  wie  ean  das  -v 
verschmäht  (eine  3.  sg.  auf  -e  ist  nicht  belegt).  Dieselbe  Erscheinung 
kehrt  nun  in  den  älteren  Inschriften  von  Epidauros  wieder,  und  hier 
steht  auch  reiches  Material  für  die  3,  sg.  (stets  bloßes  -e)  zur  Verfügung: 
Auf  den  größeren  Texten  des  4.  Jahrh.  kommen  nur  im  D.  pl.  i^-Formen 
vor;  die  Inschrift  JG  IV  1485  kennt  sie  auch  hier  noch  nicht:  Z.  4 
8yôoTi]Qai  £iç,  45  eyôoTEQai  Aafiocpavei,  97  xaraAoßEvot  y.ai ; 
außerdem  16  Formen  mit  -8  in  der  3.  sg.  (Z.  17  u.  s.  w.  anijviKE, 
124  EAaßE).  —  Die  jüngere  Urkunde  1492  hat  noch  EyQacpE  Z.  7,  18, 


1)  Über  das  Verhalten  der  Kotv^  gegenüber  dem  v  ècpeÀKuariKÔv  im  allgemeinen 
geben  die  nützlichen  Sammlungen  bei  Mayser,  Gramm,  d.  grieoh.  Papyri  236  gute 
Auskunft,  namentlich  auch  über  die  prozentuale  Häufigkeit  von  Setzung  und  Nicht- 
setzung.  Interessant  ist,  daß  in  der  Zeit  vom  3.-1.  vorchristlichen  .lahrhundert  wieder 
eine  Abnahme  im  (jebrauch  des  -v  zutagetritt. 

2)  Hoffmanns  Auffassung  (I  214  f.)  der  von  Meister  für  jünger  gehaltenen  Formen 
eôcjKev  u.  8.  w.  als  „lokaler'"  Neubildungen  ist  verfehlt,  vor  allem,  weil  die  Keimform 
/Jei»  im  Kyprischen  nicht  existiert. 


—     37       - 

21,  22,  26,  38,  aber  iaQo^ra,uooiv  Z.  21.  —  So  tindet  sich  denn  -v 
beim  D.  pl.  auch  auf  den  großen  Heilinschriften:  951  Z.  24  lUfiaoiv 
y.ai,  32  eovoiv  aJiioTOiç,  55  vjiccQyovoiv,  67  a ciyßaaiv  y.ui,  97 
Xsgaiv  Eyoiv,  dassell)e  101,  104.  —  Ohne  -v:  Z.  30  ejityqa^uani 
loiQ,  —  Außerdem  aber  Z.  45  .i^uqeoti.  a.-ioi}vneiv  und  5  7  Beispiele 
für  -£  in  der  3.  sg.,  keines  mit  -ev. 

952:  Z.  96  d-sQUjievfiaaiv  eirdyE/MV),  aber  Z.  60  xeqoi  (feçov, 
auch  Z.  25  eoti  o.  Auf  -£  40  Formen.  —  Mit  -v  nur  scheinbar  Z.  1  evexu- 
d-EvÔEi'  EÀÀaxEÔai/ioi'i,  das  aber  nicht  als  sicherer  Beleg  für  das  Eindringen 
der  Endung  -ei>  betrachtet  werden  darf:  Da  die  übrigen  40  Beispiele  durch- 
aus widerstreben,  liegt  der  Verdacht  nahe,  daß  wir  es  mit  einer  Yerscbrei- 
bung  zu  tun  haben:  Beabsichtigt  war  wohl  EVE-xad-EvÔE  ev  AuxEOai^iovi  ; 
durch  Versehen  beim  Einhauen  fiel  ein  e  aus,  und  der  Fehler  wurde  dann 
in  der  auf  uns  überlieferten  Weise  ausgebessert,  woljei  die  assimilierte 
Form  der  Prsep.  Eingang  fand.  Ob  der  Steinmetz  bei  der  Schreibung 
EVExad^EvÔEv  vielleicht  sein  Gewissen  mit  der  ihm  aus  der  Orthographie 
metrischer  Inschriften  geläufigen  Praxis  (cf.  Isyllos)  beschwichtigte,  kann 
uns  gleichgültig  sein.  Und  ob  das  Exioçiôaç  e7ioi]oev  von  JG  IV 
1477  (4.  Jahrh.)  wirkhch  als  der  erste  einwandfreie  Zeuge  für -fi- gelten 
darf,  ist  auch  noch  zweifelhaft:  es  könnte  als  Anfang  eines  Hexameters 
gedacht  sein  und  käme  dann  nicht  in  Betracht.  Für  gewöhnlich  haben  die 
Künstlersignaturen  von  Epidauros  auch  in  späterer  Zeit  noch  E:fio(ijt]aE. 
vgl.  1478.  1482,  1483.  —  Auf  alle  Fälle  beweist  das  Material,  daß  auch 
in  Epidauros  bei  Annahme  des  *'  ècpEÀxvoTixôv  aus  der  xoii>^  den  Formen 
des  Dat.  pl.  der  Vorrang  gebührt  hat.  Auch  in  Gort  y  n  finden  sich 
nur  Dativformen  mit  -r:  ITçiaroE  vai  r  G  D  J  5024  6,s2,  aber  eöo^e 
5016.  — 

Der  Grund  dieser  Erscheinung  ist  klar:  Die  Dative  auf  -otv  sind 
deswegen  so  verhältnismäßig  frühe,  noch  „zu  Lebzeiten''  des  Dialekts,  aus 
der  Gemeinsprache  übernommen  worden,  weil  diese  Bildung  in  den  be- 
treffenden Mundarten  selbst  einen  Stützpunkt  an  den  D.  pl.  auii'  und 
vf.iii'  fand.  Beim  -e  der  3.  sg.  dagegen  fehlte  etwas  Homogenes  ebenso 
wie  beim  -vii  der  3.  pl.  und  bei  èari  völlig.  Ein  -ev  (und  *-vnv) 
mußten  viel  mehr  als  Fremdkörper  empfanden  werden  als  etwa  ein  /eqoiv. 
das  in  cqiiv  sein  einheimisches  Analogon  hatte.  Der  Vorgang  ist  in- 
sofern lehrreich,  als  er  ledigHch  eine  Wiederholung  des  im  Urionischen 
beim  D.  pl.  vollzogenen  darstellt,  nur  daß  hier  eine  Neubildung  von 
innen  heraus,  dort  eine  Anpassung  erworbeneu  Sprachgates  stattge- 
fanden  hat.  — 

Zum  Schluß  noch  ein  Wort  über  die  Aussprache  des  vr  ti^t/.- 
y.ronxôv:  Es  ist  mehrfach  behauptet  worden,  daß  dieser  Laut  nicht  ein 
voll  artikuliertes,    sondern  ein    irgendwie    ,,redaziertes"    -)>    gewesen    sei. 


—     38     — 

Die  Möglichkeit  will  ich  nicht  bestreiten:  Da  wir  wissen,  daß  aus- 
lautendes -V  überhaupt  im  Griechischen  zumteil  einer  Reduktion  unterlag 
(Material  bei  G.  Meyer  Gramm.  ^398  f.)  und  nichts  die  Annahme  aus- 
schließt, daß  diese  Reduktion  in  Pau  s  a  erfolgt  sei,  so  könnte  auch  das 
V  èqJEÀxvanxôi'  als  Pausaform  daran  teilgenommen  haben,  ja,  es  könnte, 
in  den  Inlaut  verschleppt,  auch  hier  die  reduzierte  Aussprache  beibehalten 
haben,  möglicherweise  sogar  darin  seine  spezielle  Herkunft  aus  der 
Pausa  auch  im  Satzinnern  im  Gegensatz  zu  anderen  wortenden- 
den -V  dokumentieren,  die  hier  ihre  voll  artikulierte  Form  unverändert 
gelassen  hatten.  Wäre  dem  so,  dann  könnte  noch  ein  gutes  Teil 
der  Fälle  von  Xichtschreibung,  namentlich  älterer  Zeit,  aufs  Konto 
dieser  Aussprache  gesetzt  werden  (das  Verhalten  der  Vaseninschriften, 
auf  deuen  manchmal  die  Signatur  desselben  Meisters  bald  mit,  bald 
ohne  -V  erscheint,  würde  sich  vielleicht  so  besonders  gut  einordnen). 
Leider  fehlen  aber  vollgültige  Beweise  für  eine  derartige  Besonderheit 
in  der  Aussprache.  Was  bei  Kühner-Blass  Ii^  292  und  Blass  Rh. 
M.  43,  279  f.  gesagt  wird,  entspricht  zu  wenig  den  Anforderungen 
sprachwissenschaftlicher  Methode,  als  daß  ich  mich  auf  eine  Dis- 
kussion einlassen  könnte.  Aus  der  zwiefachen  Schreibung  egtiv  und 
eaii  schlechtweg  auf  eine  etwa  in  der  Mitte  liegende  Aussprache 
„é'S/?"  zu  schließen,  ist  der  Entstehungsgeschichte  des  -v  wegen  unstatt- 
haft, die  zunächst  nur  auf  eine  der  Analogie  entsprossene  morpho- 
logische, nicht  aber  orthographische  Variante  einunddersell^en  Wort- 
form hinweist.  Wer  die  beiden  Optativformen  ôsi^aiç  und  ôei^siag  oder 
etwa  lateinisch  aniasue  und  a/navtsse  auf  irgend  einer  phonetischen 
Zwischenstufe  vereinigen  und  als  lediglich  orthographische  Varianten  ein- 
unddersel]>en  Lautform  erklären  wollte,  würde  auf  demselben  Niveau 
stehen.  —  Wenn  G.  Meyer  Gramm.  ''399  aus  den  Messungen 

—  favEd-e)}iEV  Aioc.  yÀavçoJiiôi  (;öqei  JG  I'  355  und 

—  £TC£d-ëxsv  d-ai'OTOi  ib.  472 

folgert,  daß  -v  keinen  „vollen  Lautwert"  l)esessen  habe,  so  genügt  es, 
auf  andere  pleonastische  Schreibungen  aufmerksam  zu  machen  wie 

Ev&aÔE  01ÀÔI'  xsirat  etc. 

im  Anfang  des  Hexameters  GDJ  5302,  wo  niemand  über  den  „vollen 
Lautwert"  der  Silbe  -ôe  disputieren  wird.  —  Auch  was  Buth,  i'hilologus 
39,  551  aus  dem  homerischen  Tatbestand  folgert,  hält  nicht  Stich.  Wenn 
das  Epos  eine  Positionsbildung  durch  v  èfpe^.xvarixôv  in  der  Senkung  nur  im 
L  und  2.  Fuß,  ausnahmsweise  im  4.,  kennt,  so  beruht  das  nicht  auf  einer 
besonderen  „Schwäche"  gerade  dieser  Position,  die  nur  bevorzugte  Vers- 
stellen hätten    überwinden  können,    sondern  einfach  darauf,    daß  zufällig 


—      39      ~ 

die  Wortformen  mit  v  icpeÀxvaTr/côv  aus  Gründen  rein  verstechnischer 
Natuf  im  dritten  und  fünften  Fuß  überhaupt  nicht  vorkommen  können. 
Um  eine  Ausnahmestellung  der  beiden  ersten  Füße  handelt  es  sich  da- 
bei gar  nicht.     Darüber  ein  ander  Mal  ausführlicher. 

Zu  einem  positiven  Entscheid  reichen  hier  also  unsere  Kenntnisse 
einstweilen  nicht  aus.  Solange  nicht  Beweiskräftigeres  beigebracht  wird, 
darf  niemand  behaupten,  daß  das  -i'  in  st^ev  oder  roiaiv  schwächer  ge- 
sprochen wurde  als  in  eixor.  toTov. 

Basel,  den  21.   Dezember  1906. 


Das  Gleichnis  in  erzählender  Dichtung. 

Ein  Problem  für  Philologen  und  Schulmänner. 

Von 

Theodor  Plüß, 


In  der  Odyssee  wird  erzählt,  wie  Hermes  als  Götterbote  über  die 
weite  See  fuhr.  Da  jagte  er  alsdann  über  das  schwellende  Wasser  hin 
der  Möwe  gleich.^)  Worin  glich  er  ihr?  In  der  Gestalt,  könnte  man 
denken.  Aber  von  einer  Verwandlung  der  menschenartigen  Erscheinung 
des  Gottes  verlautet  hier  kein  Wort,  und  ebenso  nachher  keins  von  einer 
Rückverwandlung.  Auch  verwandeln  sich  die  Götter  sonst  für  Menschen- 
augen, um  besonderer  Zwecke  willen  :  was  sollte  hier  der  Zweck  sein, 
wo  kein  Menschenauge  in  Nähe  oder  Ferne  zuschauend  gedacht  ist  '?  — 
War  also  Hermes  der  Möwe  gleich  in  der  Art  des  Dahinjagens?  etwa 
ähnlich,  wie  weiterhin  Ino  Leukothea  dem  Wasserhuhn  gleich  ist  in  der 
Art  ihres  Auf-  und  Untertauchens?  Denken  Hesse  sich  dabei  z.B.  an 
die  besondre  Bewegungsart,  wie  man  sie  an  einer  Möwe  leicht  mit  Augen 
beobachten  kann,  wenn  sie  über  die  Flut  hinfährt.  Dabei  pflegt  die  Möwe 
hungrig  zu  sein  und  zu  tischen,  und  so  benennt  sie  der  Dichter  denn 
auch  als  gierig  schlingenden  oder  gefräßigen  Vogel  und  läßt  sie  Fische 
fangen;  beim  Fischen  fliegt  sie  aber  immer  nur  kürzere  vStrecken  über 
dem  Wasser  hin,  dann  taucht  sie  mehr  oder  weniger  tief  ein,  und  auch 
das  Eintauchen  erwähnt  unser  Erzähler.  Dagegen  trägt  Hermes  zur 
Wasserfahrt  Sohlen,  Sohlen  zum  Auftreten,  Schreiten  und  Laufen  ;  er 
läuft  also  auf  der  Fläche  des  Wassers  selber  hin,  und  wie  von  einem 
sicheren  Boden  läßt  er  sich  von  den  schwellenden  Wassern  tragen.  Er 
soll  ja  auch  in  Einem  Zuge,  ohne  Aufenthalt  nach  seinem  fernen  Ziel 
kommen:  auch  dazu  paßt  die  sichtbare  Bewegungs weise  der  fischenden 
Möwe  durchaus  nicht.  —  Sollen  wir  also  an  die  äußere  Bewegungs- 
schnelligkeit als  Vergleichungspunkt  denken?  Auch  abgesehen  von 
der  weltweiten  Entfernung,  die  Hermes  heut  im  Teile  eines  Tages  über- 

')  Odyssee  5,  50  —54. 


—     41      — 

winden  soll,  würden  sich  die  Hörer  die  Bewegungsschnelligkeit  des  Götter- 
boten  unvergleichlich  geschwinder  vorstellen  als  gerade  die  einer  Möwe, 
zumal  einer  fischenden  ;  ein  (xott  mag  ja  an  den  fernsten  Ort  sogar  so 
schnell  hingelangen,  wie  ein  Mensch  sich  hindenkt. 

Also  leibliche  Gestalt,  Art  der  Bewegungserscheinung,  Mali  äußerer 
Schnelligkeit  —  das  alles  will  nicht  stimmen.  Eines  allein  würde  ganz 
stimmen,  aber  etwas,  was  weder  leibhaft  noch  erscheinungsmäßig,  weder 
meßbar  noch  sinnlich  direkt  wahrnehmbar  wäre  —  die  Sicherheit,  mit 
welcher  Gott  und  Vogel  über  das  wogenschwellende  Meer  hinjagen. 
Man  beachte,  wie  das  Tun  und  Gebaren  der  Möwe,  bei  einem  Wasser- 
vogel ein  natürliches,  hier  besonders  lebendig  nach  der  Seite  der  Sicher- 
heit gegenüber  anscheinenden  Gefahren  erfaßt  und  dargestellt  ist  Die 
Möwe  ein  gierig  schlingender  Vogel:  der  Naturtrieb  jagt  sie,  macht  sie 
sicher,  kühn.  Die  Wölbungen  oder  Tiefen  der  wüsten  Salzflut  als  ge- 
fährlich, furchtbar  benannt,  vom  Standpunkt  des  Menschen.  Die  Schwung- 
federn undurchdringlich  gegenüber  dem  Salzwasser,  also  sicher.  Aber 
bei  einem  menschengestaltigen  Wesen  ist  diese  Sicherheit  wunderbar, 
über  Erfahrung  und  Begriff  hinausgehend,  also  eigentlich  auch  nicht 
direkt  in  Worten  aussprechbar.  Da  mag  gerade  das  Tun  des  gebore- 
nen Wasserwesens  uns  von  dem  Unaussprechlichen  doch  eine  lebhaft 
empfundene  Vorstellung  geben:  mit  einer  Sicherheit,  w^elche  aller  Men- 
schennatur überlegen  und  an  Hermes  doch  so  natürlich  war,  als  sei 
das  Meer  sein  Wesens-  und  Lebenselement,  fuhr  der  menschengestaltige 
Gott  auf  den  Wasserschwällen  dahin.  Ausdrücke  der  Bewegung,  Rhyth- 
men einzelner  Verse,  Eigenschaften  von  Sohlen  und  Stab  des  Hermes 
mögen  helfen,  die  Vorstellung  überlegener  Sicherheit  in  Wesen  und  Tun 
des  Gottes  auszudrücken.^)  Bedeutsam  empfunden  ist  die  Sicherheit 
gegenüber  dem  Meere  gerade  hier  in  einer  Erzählung,  in  welcher  eben 
das  Meer  dem  Helden  des  Gedichtes  demnächst  so  furchtbar  gefährlich 
werden  soll. 

Aber  freilich,  geschaut  habe  ich  die  Sicherheit  auch  an  Dutzenden 
fischender  Möwen  in  der  Wirklichkeit  niemals,  höchstens  habe  ich  etwa, 
unter  Einwirkung  eines  Kontrastes,  diese  Sicherheit  an  wirklichen  INfö- 
wen  empfunden  :  so  vermag  ich  sie  jetzt,  an  Homers  Darstellung,  auch 
nicht  als  etwas  sinnenraäßig  Anschauliches  mir  zu  reproduzieren.  Vol- 
lends am  Gotte  Hermes  eine  über  alles  Menschenmögliche,  also  alles 
sinnlich  Erfahrene  und  Geschaute  hinausreichende  Sicherheit  mir  an- 
schaulich zu  machen  vermag  ich  nicht.     Wollte  ich  etwa  die  Phantasie 

1)  asvazo  {b\)  asynrletisch.  Anfangsstell uug;  ôyeîa&ai  [bi^  auch  S'mst  von  einem 
sicheren  Sichtragenlassen;  auch  .Tetsa&at  (49)  an  sich  kein  Fliegen  mit  Flügeln;  Rhythmen 
V.  4:3.  44.  4i).  51.  54.  —  d-éÀyeiv  (47)  auch  sonst  von  zauherhafter  Schwächung  einer 
Kraft  gegenüber  Uefahr.  éyeÎQeti'  (48)  vom  Wach-.  Sicher-  und  Kühnmachen  in  Gefaliren. 


—     42     — 

z^Yingen,  überhaupt  AnschauungsähnlichkeU  zwischen  Möwe  und  Hermes 
zu  fixieren,  müßte  ich  Hermes  am  Ende  gar  tauchen  und  fischen  sehn. 
Einen  Vergleichungspunkt  ferner,  auch  unsere  Sicherheit  nennt  der 
Dichter  uns  nicht;  worin  denn  eigentlich,  bei  soviel  Unähnlichkeit, 
Hermes  auf  seiner  Meerfahrt  dem  gierigschlingenden  und  fischefangen- 
den Vogel  gleich  war.  das  mögen  wir  vielleicht  bei  lebendigem  Vortrag 
fühlen  oder  aber  in  wissenschaftlicher  Arbeit  erkennen. 

Das  alles  ist  nun  aber  ein  Widerspruch  gegenüber  allem,  was 
Aesthetiker  und  Poetiker,  Philologen  und  Literaturhistoriker  uns  von 
den  dichterischen  Gleichnissen  im  allgemeinen  und  von  den  epischen, 
zumal  homerischen  insbesondre  sagen.  Schlagende  Kraft,  unmittelbar 
einleuchtende  Klarheit  des  Vergleichungspunktes  ist  es,  was  Friedrich 
Vischer  für  das  Gleichnis,  besonders  für  das  epische  vor  allem  fordert. 
Einhellig  nennt  man  Anschauung  und  Anschaulichkeit  als  das  \Vesen 
des  Gleichnisses,  oder  man  setzt  dieses  Wesen  einfach  voraus;  man 
läßt  den  Dichter  im  Gleichnis  schildern,  zeichnen,  malen,  mit  der 
Phantasie  bilden,  findet  malerische  Sinnlichkeit  oder  plastische  Realität, 
sieht  konkrete,  feste,  lebendigfarbige  Bilder  für  das  Auge,  ja  ganze 
Landschaftsgemälde.  Als  Ziveck  und  Wirku?ig  nimmt  man  fast  aus- 
nahmslos bildmäßige  Veranschaulichung  an  ;  das  Gleichnis  versinnliche 
etwas,  sagt  man,  und  es  gebe  der  Rede  sinnliche  Kraft. ^) 


IL 

Allerdings  ist,  wenn  nicht  die  Anschaulichkeit,  so  doch  der  Zweck 
einer  Veranschaulichung  auch  schon  bestritten  oder  in  seiner  Geltung 
eingeschränkt  worden.  Zu  besprechen  sind  hier  Auffassungen  von 
Wilamowitz,  Richard  Meyer,  Cauer  und  Julius  Ziehen.-) 

1)  Zitiert  sind  Ausdrücke  und  Auffassungen  von  Fr.  Viseber  (Aesthetik  III  1226. 
123U).  W.  Wackemagel  (Poetik),  Cirerher  (Sprache  als  Kunst),  Lyon  (Handbuch  der 
deutschen  Sprache),  R.  M.  Meyer  (Deutsche  Stilistik),  Ed.  Engel  (Deutsche  Literatur); 
ferner  von  Bergk  (Griech.  Literaturgeschichte),  Jebb  (Homer),  Elard  H.  Meyer  (Homer 
und  die  Ilias),  P.  Cauer  (Grrundfragen).  Herrn.  Grimm  (Uias),  Kammer  (Aesthet.  Kom- 
mentar zur  Ilias),  Sitzler  (Aesthet.  Kommentar  zur  Odyssee),  J.  Burckhardt  (Griech. 
Kulturgeschichte),  O.  .Jäger  (Homer  u.  Horaz),  Norden  (Aeneis  VI),  Heinze  (Virgils 
Technik),  Wagner  ^Hellen.  Kultur),  v.  Wilamowitz  (Griech.  Literatur),  Olsen  (N.  .Jahrb. 
f.  d.  klass.  Alt.  liJOfîj.  —  Von  Versinnlichung  spricht  auch  Göthe  (Hempel  29,  535); 
anders  verstehe  ich  Göthes  Begriff  „lokalisierend"  (H.  29,  520  Anm.)  und  seine  gern 
zitierte  .\ußerung  in  der  Italienischen  Reise  (H.  24.  307). 

-)  Nicht  bestimmt  genug  scheint  mir  der  Ausdruck  „ideale  Erläuterung  des  Ge- 
schehenderf,  den  für  homerische  Gleichnisse  Jakob  Burckhardt  anwendet  (Griech. 
Kulturgeschichte  III  81  f.  vgl.  93.  IV  54).  —  v.  Wilamowitz,  Griech.  Literatur  des 
Altertums  (1905)  S.  14  f.  Rieh.  M.  Meyer,  Deutsche  Stilistik  (1906)  S.  1.39—141.  P. 
Cauer,  Grundfragen  d.  Homerkritik  (1895)  8.  2()2— 264.  .J.  Ziehen.  N.  .Jahrlj.  für  das 
klass.  Altertum  1904  I  650. 


—      43     — 

Die  originalen  Dichter  der  Iliade,  sagt  AVilamowitz,  haben  ihre 
Gleichnisse  in  erster  Linie  angewandt,  um  eine  Stimmung  zu  geben. 
„  Wie  bringt  der  Erzähler  es  fertig,  die  Stimmung  des  geschlagenen 
Heeres  zu  schildern?  Der  Dichter  malt  das  aufgewühlte  Meer,  das 
mit  schwarzen  Wogen  den  Seetang  gegen  das  Ufer  wirft."  Und  ähnlich 
in  drei  weiteren  Beispielen.  —  Gegen  diese  Stimmungstheorie  zu- 
nächst ein  paar  allgemeine,  psychologische  Bedenken.  Stimmung  ist, 
denke  ich,  ein  Gemütszustand  allgemeiner  und  unbestimmter  Art.  bei 
den  einzelnen  Menschen  sich  modifizierend  nach  Gemütsanlagen,  Lebens- 
erfahrungen und  augenblicklichen  Umständen.  Wie  kann  nun  aus  den 
bestimmten,  einzelnen  Phantasieeindrücken  eines  Naturbildes,  die  wir 
successive  empfangen,  jene  allgemeine  Stimmung  entstehen?  da  müßten 
wie  bei  der  modernen  Stimmungslyrik  erst  gewisse  allgemeinere  Vorstel- 
lungen, mit  Empfindung  verbunden,  den  Übergang  vermitteln:  diese 
Vermittlung  ist  hier  im  Unklaren  gelassen.  Sodann  soll  eine  solche 
Stimmung  des  Zuhörers  diesem  den  Gemütszustand  dritter  Personen, 
nämlich  der  Personen  in  der  Erzählung  schildern.  Aber  wie  kann 
etwas  so  Unsicheres  und  Variables,  etwas  Unausgesprochenes  und  seinem 
Wesen  nach  Unbewußtes,  wie  die  subjektive  poetische  Naturstimmung 
eines  Zuhörers,  irgend  welche  bestimmten  Objektivitäten  heroischen  Le- 
bens schildern  sollen?  außerdem  ist  der  Gemütszustand  jener  dritten 
Personen  durch  den  Causalzusammenhang  der  erzählten  Begebenheiten 
schärfer  bestimmt  und  vielleicht  auch  vom  Erzähler  in  Worten  deut- 
licher bezeichnet,  als  daß  er  durch  jene  vage  Naturstimmung  noch  eine 
Verdeutlichung  erfahren  könnte  oder  zu  erfahren  brauchte.  Und  wo 
bleiben  nun  alle  die  vielen  Fälle  in  der  homerischen  Dichtung,  wo  ent- 
weder das  Gleichnis  kein  Naturbild  giebt  oder  aber  die  Hauptdarstel- 
lung von  keiner  sogenannten  Stimmung  berichtet  oder  auch  beides  gleich- 
zeitig fehlt? 

Prüfen  wir  nun  aber  die  genannten  vier  Beispiele  näher  auf 
Wortlaut  und  Zusammenhang,  so  ergeben  sich  noch  besondere  Be- 
denklichkeiteu.^)  Jedesmal  sagt  uns  der  Wortlaut  der  Vergleichungs- 
form,  der  Dichter  wolle  nicht  subjektive  Naturstimmungen  mit  Stim- 
mungen eines  Heeres  vergleichen,  sondern  Vorgänge  der  Natur  mit 
Vorgängen  des  heroischen  Lebens.  In  keinem  der  vier  Fälle  ist  denn 
auch  der  Inhalt  der  Hauptdarstellung  eine  Stimmung  in  dem  vorhin 
bezeichneten  Sinne,  ein  allgemeiner  und  unbestimmter  innerer  Zustand, 
sondern  ein  bestimmter  Vorgang,  sei  es  ein  innerer  oder  ein  äußerer, 
ein  sich  wiederholender  oder  ein  vereinzelter.  Man  höre  :  die  Troer 
unterhielten    so    viele    Wachfeuer,    als    Sterne    am   Himmel    erscheinen  ; 


i|  Ilias  8,  555—561.     H,  1—8.     16,  29(i-;KV2.     ;W4-.S6(i. 


—     44     — 

den  Achäeni  wurde  iicicb  Niederlage  und  Flucht  das  innerste  Verlangen 
immer  noch  hin  und  her  getrieben,  wie  die  See  von  zwei  Winden  jäh- 
lings erregt  und  bis  in  die  Tiefe  aufgewühlt  wird  ;  zwar  hatten  die 
Achäer  einen  Augenblick  ein  wenig  aufgeatmet,  aber  der  Kampf  ging 
rastlos  weiter,  wie  bei  einem  Gewitter  im  Hochgebirge  vorübergehend 
ein  einzelner  Berg  sonnenhell  wird;  nach  zähestem  Widerstand  und 
Führerkampf  kommt  auf  einmal  über  Hektor  und  seine  Genossen 
feiger  Fluchtschrecken,  so  wie  heraus  aus  lichter  Himmelsbläue  Zeus 
auf  einmal  eine  Wetterwolke  hervortreten  läßt.  Endlich  entspricht  je- 
weilen  die  Stimmung,  die  vom  Naturbild  hervorgebracht  werden  soll,  mehr 
oder  weniger  schlecht  dem,  was  etwa  im  Zusammenhang  der  erzählten 
Vorgänsre  Stimmung  heißen  könnte.  So  müßte  man  z  B.  die  Stim- 
mung  der  Troer  an  ihren  Wachfeuern  bezeichnen  als  eine  mächtig  ge- 
hobene, fast  vermessen  zuversichtliche,  auf  unverhofft  glänzendem  Sieg 
und  kühnen  Eroberungsgedanken  beruhende  :  dagegen  soll  das  Natur- 
bild der  sternenklaren  Nacht  nach  Wilamowitz  die  Stimmung  bloßer 
Sicherheit  vor  Angriff  und  Verlust  geben.  Oder:  die  Stimmung  Hektors 
und  seiner  Genossen  ist  bei  Homer  die  von  Leuten,  welche  von  urplötz- 
lichem Fluchtschrecken  willenlos  und  ehrvergessen  dahingejagt  werdeji  : 
und  das  soll  uns  geschildert  werden  durch  eine  Stimmung,  wie  sie  die 
naturgewohnten  Hörer  des  Dichters  angesichts  einer  regelrecht  aufsteigen- 
den Gewitterwolke  zu  haben  pflegen  !  ITebrigens  hat  Wilamowitz  die- 
ses letzte  Gleichnis  nicht  nur  in  seinem  Wortlaut  kaum  richtig  erfaßt, 
sondern  auch  an  unrichtige  Stelle  im  Verlauf  der  erzählten  Begebenheiten 
gerückt.  Das  alles  niuli  uns  vorerst  bedenklich  machen,  wenn  nicht  ge- 
gen die  Stimmungstheorie  überhaupt,  so  doch  gegen  diese  Darstellung 
und  Begründung  derselben. 

Sodann  Richard  Meyer,  Ursprünglich,  sagt  er,  diene  das  Gleich- 
nis lediglich  der  anschaulichen  Verdeutlichung  eines  angeschauten  Haupt- 
vorgangs ;  dann  lasse  es  einen  in  der  Hauptdarstellung  gegebenen  Einzel- 
fall empfinden  als  angehörend  einem  großen  geheimen  Zusammenhang 
der  Welt  ;  wahrhaft  poetisch  endlich  wirke  das  Gleichnis  erst  insofern, 
als  in  einem  lebendig  angeschauten  Bilde  die  Obertöne  der  Stimmung 
sich  verdichteten.  —  Jenen  ursprünglichen  Zweck  erläutert  Meyer  an  ho- 
merischen Beispielen.  Der  homerische  Hörer  habe  z.  B.  noch  nicht  mit 
Augen  geschaut,  wie  ein  großer  Held  sich  unter  die  Feinde  stürze  :  das 
werde  ihm  nun  anschaulich  durch  etwas  Sel1)stgeschautes,  nämlich  wie 
ein  Raubtier  in  die  Hürde  eindringe.  Ob  wir  dipses  Verhältnis  in  den 
Erfahrungen  von  Homers  Hörern  hier  und  in  andern  Fällen  so  ohne 
weiteres  voraussetzen  dürfen  ?  Aber  angenommen,  es  sei  so  —  gerade  die 
sogenannt  anschaulichen  Züge  z.  B.  des  Vorgangs  mit  dem  Raubtier  wür- 
den den  anschauungsartigen  Zügen  des  Heldenvorgangs  so  völlig  unähnlich 


—     45     — 

und  die  Unähnlichkeiten  würden  unter  Umständen  so  zahlreich  sein,  daß 
dabei  das  bisher  unbekannte  Anschauungbild,  z.  B.  vom  einbrechenden 
Helden,  eher  ein  verwischtes  und  verwirrtes  als  ein  verdeuthchtes  würde. — 
Nun  aber  die  höheren  Bedeutungen  des  Gleichnisses,  die  symbolische  und 
die  erst  wahrhaft  poetische  !  Sind  Gleichnisse  wie  das  vom  Löwen  und 
Helden  noch  nicht  wahrhaft  poetisch?  oder  nicht  für  jedermann?  was 
isl  also  wahrhaft  poetisch?  Oder:  sind  jene  homerischen  Gleichnisse  noch 
nicht  symbolisch  wirksam  ?  wenn  nicht,  womit  l)eginnt  die  Möglichkeit 
symbolischer  Wirkung  ?  Im  einfachen  Sinne  müßte,  wie  alles  Künstle- 
rische, so  auch  jedes  rechte  Gleichnis  symbolisch  wirken  können,  näm- 
lich insofern,  als  es  uns  im  Besondern  immer  zugleich  ein  Allgemeines, 
in  der  Vielheit  der  Dinge  die  Einheit  der  Idee,  im  Maß-  und  Formlo- 
sen der  Wirkhchkeit  Ebenmaß  und  Rhythmus  empfinden  ließe.  Aber 
ist  eine  solche  symbolische  Wirkung  oder  ein  wahrhaft  poetischer  Stim- 
mungsausdruck überhaupt  möglich,  wenn  denn  alle  Gleichnisse  zu  aller- 
nächst doch  immer  den  Zweck  und  das  Wesen  haben,  daß  sie  einem 
Hauptvorgang  bildartig  deutliche  Anschaulichkeit  geben  sollen  ?  Dann 
werden  ja  die  unvermeidlichen  starken  und  zahlreichen  UnähnHchkeiten 
jeweilen  die  arbeitende  Phantasie  stören  und  dafür  den  Verstand  stark 
in  Tätigkeit  treten  lassen,  weil  trotz  allem  das  iVehnliche  soll  heraus- 
gefunden werden.  Dabei  kann  aber  ein  starkes  und  einheitliches  Emp- 
finden gar  nicht  aufkommen,  und  ohne  solches  Empfinden,  ohne  mühe- 
lose, unreflektierte  Erfassung  dessen,  was  dem  Gleichnis  und  dem  Ver- 
glichenen wirklich  gemeinsam  ist,  giebt  es  weder  syml)olische  Wirkung 
noch  w'ahrhaft  poetische  Stimmung.  Lyriker  wie  einst  Matthisson.  seit- 
her Theodor  Storni  und  einige  von  den  ,Jüngsten'  vermögen  durch  soge- 
nannt sinnliche  Darstellung  allerdings  eine  Art  symbolischen  Empfindens 
und  eine  Art  Stimmung  zu  bewirken  :  aber  abgesehen  davon,  daß  diese 
Wirkungen  auch  bei  ihnen  sehr  ungewiß  sind,  vernichten  sie  dieselben 
wenigstens  nicht  dadurch,  daß  sie  uns  zwingen,  die  eiiie  Sinnlichkeit 
noch  mit  einer  andern,  unähnlichen  zu  vergleichen. 

Bei  Cauer  heisst  es,  Homer  schildre  in  seiner  Hauptdarstellung 
einen  Vorgang,  dabei  tauche  vor  seiner  beweglichen  Phantasie  das  Bild 
eines  irgendwie  ähnlichen  Vorgangs  auf:  flugs  male  er,  in  der  Freude 
seines  Herzens,  dieses  Bild  in  lebendigen  Farben  neben  sein  Hauptbild, 
ohne  Rücksicht  auf  Verdeutlichung,  oft  mit  fühlbarer,  störender  Unter- 
brechung der  Hauptdarstellung.  Was  aber  bei  einem  modernen  Dichter 
ein  Stilfehler  wäre,  sei  bei  Homer  berechtigt,  weil  dieser  überhaupt  nicht 
vermöge,  in  mehrgliederigem  Ausdrucke  das  gegenseitige  Verhältnis  der 
Begrifl:e  festzuhalten.  —  Dazu  vorläufig  nur  ein  paar  Fragen.  Cauer  er- 
kennt ebenfalls  malerische  Anschaulichkeit  als  das  Wesen  des  homeri- 
schen Gleichnisses  an  ;  das  Wesen  eines  Dinges  ist  sonst  durch  den  Zweck 


—     46     — 

bedingt:  wenn  wir  also  mit  Caner  den  Zweck  der  Verdeutlichung  oder 
Yeranschaulichung  preisgeben,  müssen  wir  nicht  auch  die  Anschaulichkeit 
als  Wesen  preisgeben  ?  Wenn  ferner  vorausgesetzt  wird,  auch  von  Cauer, 
daß  es  zu  Kunst  und  Stil  gehöre,  im  Dargestellten  die  Einheitlichkeit 
zu  wahren  und  die  Darstellungsmittel  im  Einzelnen  nach  den  allgemei- 
nen Darstellungszwecken  zu  verwenden,  ist  dann  Homer  hier  nicht  ein 
schlechter  Künstler,  wo  er  mit  seinen  Gleichnissen  Sonderzwecke  erfüllt 
und  die  Einheit  der  Darstellung  durchbricht  ?  Und  auch  in  der  Kunst 
darf  es  heißen  ,natura  in  minimis  tota^  :  ist  also  Homers  ganze 
künstlerische  Natur  am  Ende  schlecht?  Anderseits:  im  Gleichnis  von 
Hermes  und  der  Möwe  glaube  ich  Einheitlichkeit  der  Teile  und  Allge- 
meinzweckmäßigkeit der  Mittel,  also  Kunst  und  Stilmäßigkeit  empfun- 
den zu  haben  :  müßte  ich  also  nicht  wie  dort,  so  auch  bei  andern  ho- 
merischen Gleichnissen  zur  Probe  erst  einmal  das  ganze  Anschauungswe- 
sen  aufgeben?  wer  weiß,  vielleicht  fänden  wir  auch  anderswo  innere  Einheit 
zwischen  Gleichnis  und  Verglichenem.  Und  schließlich,  haben  denn  z.  B. 
Dichter  des  dritten  Jahrtausends  nach  Homer  es  tatsächlich  ganz  anders 
gemacht  als  Homer  ? 

Um  so  nötiger  wäre  eine  Prüfung  nachhomerischer  Gleichnisse  und 
um  so  berechtigter  eine  neue  Stellung  des  ganzen  Proljlems,  als  neuer- 
dings Julius  Ziehen  die  innere  Zweckmäßigkeit  und  Notwendigkeit 
nicht  bloß  der  homerischen,  sondern  antiker  und  moderner  epischer  Gleich- 
nisse überhaupt  bestritten  hat.  Vergleichungen,  sagt  er,  seien  von  den 
Epikern  beinahe  allenthalben  wohl  nur  als  äußeres,  dekoratives  Beiwerk, 
ohne  Notwendigkeit  und  innerlichen  Zusammenhang  in  ihre  Darstellungen 
eingefügt,  oft  erst  nachträglich  aus  vorher  angelegten  Gleichnissammlun- 
gen  eingeschoben  worden.  Da  könnte  einem  für  die  Innerlichkeit  und 
Notwendigkeit  aller  dichterischen  Form,  ja  vielleicht  aller  Kunst  bange 
werden  —  indessen  solchen  Konsequenzen  gegenüber  ist  es  wissenschaft- 
liche Pflicht,  erst  wieder  die  alten  Voraussetzungen  in  Frage  zu  stellen, 
eventuell  es  mit  neuen  zu  probieren.  AVas  nun  aber  bei  Wilamowitz 
und  Meyer,  Cauer  und  Ziehen  zu  bedenklichen  Widersprüchen  und  ge- 
fährlicher Konsequenz  den  Grund  gegeben  hat,  das  ist  die  Voraussetzung  : 
das  epische  Gleichnis  sei  seinem  Wesen  nach  malerisch  anschaulich  und 
befriedige  irgend  welches  Anschaulichkeitsbedürfnis.  Also  diese  Voraus- 
setzung stellen  wir  in  Frage. 

iir. 

Beim  homerischen  Gleichnis  von  Hermes  und  der  Möwe  haben  wir, 
hypothetisch  natürlich,  als  Vergleichungspunkt  angenommen  die  wunder- 
bare Sicherheit  der  Bewegung  von  Gott  und  AVasservogel  auf  dem    ge- 


—     47     — 

fährlichen  Element  des  Meeres,  wunderbar  vom  Standpunkt  des  Menschen. 
Diese  wunderbare  Sicherheit  schien  uns  nicht  anschaubar,  aber  vor- 
stellbar und  empfiudbar,  Gegenstand  oder  Inhalt  einer  empfindungs- 
starken Vorstellung.  Ueber  den  Unterschied  zwischen  Anschauung  und 
Vorstellung  lehren  moderne  Psychologen  etwa  Folgendes.  Anschauung 
entstehe  aus  dem  gegenwärtigen  Reize  eines  Objektes  auf  unsre  Sinne, 
dagegen  Vorstellung  durch  Erinnerung  an  frühere  Anschauungen  und 
durch  deren  nachträgliche  Verbindung  mit  einander.  Dem  Gegenstande 
nach  sei  Anschauung  etwas  Einzelnes,  dem  Wesen  nach  die  Erfassung 
des  einzelnen  Objektes  mit  dem  Bewußtsein  ;  dagegen  habe  die  Vorstel- 
lung zu  ihrem  Gegenstande  etwas  Allgemeines,  nämlich  den  allgemeinen 
Charakter  einer  früheren  Anschauung,  einen  Charakter,  welcher  als  etwas 
Allgemeines  zugleich  der  gemeinsame  Charakter  vieler  früheren  Anschau- 
ungen sei.  und  ihrem  Wesen  nach,  als  ein  geistiger,  unsinnlicher  Vor- 
gang, sei  Vorstellung  eben  die  Wiederherstellung  eines  solchen  allgemei- 
nen und  gemeinsamen  Charakters  in  unserem  Bewußtsein.  In  das  Be- 
wußtsein lebendig  eintretend  könne  eine  Vorstellung  schon  durch  ihr 
eigenes  Leben  auch  verwandte  Vorstellungen  wieder  lebendig  macheu. 
eine  Assoziation  der  Vorstellungen  augenblicklich  hervorrufen.  Im  mensch- 
lichen AVorte  finde  dann  die  Auslösung  einer  Vorstellung  und  solcher 
ihr  etwa  assoziierten  Vorstellungen  statt.  —  Hier  hätten  wir  also  psychi- 
sches Leben  und  psychologische  Lehren,  aus  denen  sich  Entstehung  und 
Wesen  des  dichterischen  Gleichnisses  erklären  ließen  als  Auslösung  ge- 
ivisser  assoziierter  Vorsteltimgen. 

Was  aber  nun  die  Wirkung  eines  Gleichnisses  betriô't,  so  erfolgen 
künstlerische  Wirkungen  sogar  in  der  bildenden  Kunst  (wo  doch  An- 
schauung wirklich  stattfindet)  eigentlich  erst  durch  die  verallgemeinern- 
den Vorstellungen,  mit  denen  Maler  und  Bildhauer  die  AVirklichkeit  sehen 
und  mit  denen  sie  Gegenstand  und  Material  durchdringen  ;  das  hat,  we- 
nigstens nach  der  formalen  Seite,  auch  ein  Sachverständiger  wie  Adolf 
Hildebrand  bezeugt.')  Freilich  meinen  etwa  Naturalisten  und  Impres- 
sionisten, direkt  aus  der  Anschauung  wieder  pure  Anschauung  zu  pro- 
duzieren und  ohne  Allgemeinheiten,  wie  Vorstellungen  und  Ideen,  zu 
wirken,  aber  sie  täuschen  sich  damit  über  sich  selber.  Und  ein  Böck- 
lin  hat,  instinktiv-  und  bewußt,  zwischen  seine  intensive  Naturbeobachtung 
und  formen-  und  farbenfrohe  Wirklichkeitsanschauung  einerseits  und 
seine  malerische  Produktion  anderseits  nicht  bloß  weite  Abstände  von 
Raum  und  Zeit,  sondern  auch  seine  energisch  vereinfachende,  das  heißt 
verallgemeinernde  Vorstellung    hinein    gesetzt.     Die     Vorstellung  ist    es 


J)  Hildebrand,  Das  Problem  der  Form   in  der  bildenden  Kunst  (4.  A.  1903i  S.  n7 
—40  u.  a. 


—     48     — 

nämlich,  die  in  der  Erinnerung  eines  Künstlers  alle  zufälligen  und  nicht 
wesentlichen  Realitäten  des  einst  Angeschauten  mit  echter  Fernewirkung 
ausscheidet  und  nur  das  Wesentliche  und  Notwendige,  das  Einfache  und 
Einheitliche,  also  das  Allgemeine  bewahrt,  und  mit  starker  Empfindung 
für  einen  allgemeineren  und  tieferen  Sinn  der  Dinge  macht  der  Künstler 
mit  realistischen  Mitteln  gerade  das  lebendig,  also  wahr,  was  kein  Auge 
je  gesehen  hat,  was  aber  mit  unseren  eigenen  innersten  Vorstellungen 
lebens-  und  blutsverwandt  ist. 

Man  nennt  Böcklin  für  diese  sehr  unpositivistische  Künstlerart  gern 
einen  Dichter!  Mit  mehr  oder  weniger  Überlegung,  aber  insofern  mit 
Recht,  als  für  die  Kunst  des  Wortes  die  empfindungsstarke  Vorstellung 
vollends  wesenbestimmend  sein  muß  ;  fehlt  doch  bei  der  Poesie,  zunächst 
wenigstens,  der  Reiz  durch  das  Auge,  und  nach  uralten,  volkstümlichen 
Begriffen  darf  ja  der  Dichter  sogar  blind  sein.  In  früheren  Arbeiten 
über  Dichter  wie  Aeschylus  und  Sophokles,  Virgil  und  Horaz  bin  ich 
demgemäß  stets,  freilich  nicht  bewußt  und  folgerichtig  genug,  eingetreten 
für  die  maßgebende  Bedeutung  von  Ideen,  das  heißt  lebendigen,  em- 
pfindungsstarken Allgemeinvorstellungen.  Nun  hat  neuerdings  Theodor 
Meyer  gründlich  und  folgerichtig  dargelegt,  wie  verkehrt  die  uns  alle 
beherrschende  Neigung  sei,  in  der  Poesie  als  AVortkunst  Anschauung  und 
Anschaulichkeit,  sinnliche  Kraft  und  Plastik  zu  suchen  und  zu  finden.^) 

Also  —  auch  das  dichterische  Gleichnis  drückt  Vorstellung,  nicht 
Anschauung  aus,  wie  z.  B.  die  Vorstellung  von  der  Sicherheit  der  fischen- 
den Möwe  auf  dem  wogenden  Meer.  Die  Vorstellung  in  einem  Gleichnis 
wird  hervorgerufen  von  einer  empfindungsstarken  Vorstellung  des  Haupt- 
vorgangS;  durch  Assoziation,  z.  B.  Assoziation  mit  der  Sicherheit  des 
Hermes  auf  wogendem  Meer.  Die  Assoziation  im  Bewußtsein  ist  nicht 
willkürlich,  sondern  notwendig,  wenn  die  allgemeine  Vorstellung  des  Haupt- 
vorgangs besonders  lebendig  empfunden  wird,  in  ihrem  engeren  und  wei- 
teren Zusammenhang  dem  Erzähler  bedeutungsvoll  ist.  wie  z.  B.  eben 
die  wunderbare  Sicherheit  des  menschengestaltigen  Götterboten  auf  dem 
furchtbaren  Meer.  Der  äußere  Ausdruck  einer  assoziierten  Vorstellung 
in  Gleichnisform  ist  nicht  bloß  ein  dekorativer,  sondern  ein  innerlich 
notwendige!'  überall,  wo  jene  allgemeine  Vorstellung  des  Hauptvorgangs 
so  stark  empfunden  wird,  daß  sie  noch  zu  einem  besonderen  Ausdruck 
drängt,  und  wo  doch  ein  direkter  Ausdruck  in  eigentlichen  Worten  un- 
möglich oder  ungenügend  sein  würde  —  so  würde  z.  B.  der  Ausdruck 
„er  jagte  alsdann  über  das  schwellende  Meer  jnit  wunderbarer  Sicherheit^' 
zwar  richtig,  aber  wenig  lebensvoll  sein.  —  Das  wäre  unsere  neue 
Hypothese. 


')  Theodor  A.  IMeyer,  Das  Stilgesetz  der  Poesie  (19U1). 


49     — 


IV. 


Für  unsere  Hypothese  darf  man  jetzt  freilich  noch  die  praktische 
Belastungsprobe  fordern  :  es  müßten  sich  eine  größere  Anzahl  Einzel- 
fälle und  ganze  Gruppen  eigenartiger  G-leichnisse  auf  unsere  AVeise  besser 
als  sonst  verstehen  lassen. 

Erinnern  darf  ich  zunächst  an  die  beliebten  kürzesten  Vergleiche: 
„wie  der  Blitz",  „wie  ein  Löwe",  „wie  ein  Schneekönig"  u.  s.  w.  Auch 
diese  sprichwörtlichen  Vergleichungen  sollen  nämlich,  wie  gelehrt  wird, 
einen  Gegenstand  durch  ein  Bild  veranschaulichen;  man  zählt  sie  wie 
die  Gleichnisse  zu  den  sogenannten  Tropen  als  Mitteln  objektiver  Ver- 
anschaulichung und  des  Malerischen.  ^)  Aber  wer  hat  oder  bekommt 
wirklich  eine  Anschauung  z.  B.  von  einem  Menschen,  der  ..wie  der  Blitz 
um  die  Ecke  verschwunden  ist"  ?  —  Wir  Europäer,  meint  Dekker- 
Multatuli,  hätten  in  der  Regel  keine  Anschauung  davon,  wie  ein  Löwe 
kämpfe.  —  Als  kürzlich  in  einem  berühmten  Memoirenwerk  der  Aus- 
druck vorkam,  der  und  der  Minister  „sei  froh  gewesen  wie  ein  Schnee- 
könig", da  hatten  gewiß  recht  viele  Leser  niemals  etwas  vom  Vogel 
Zaunkönig  gesehen  und  nie  von  seinem  lustigen  Gebaren  in  Frost  und 
Schnee  etwas  gehört.  Sind  deshalb  nun  solche  Vergleichungen,  wie 
Multatuli  meint,  verkehrt  oder  doch  nutzlos?  Nein,  nur  müssen  sie 
lebendig  gesprochen  oder  beim  Lesen  wie  lebendig  gesprochen  innerlich 
gehört  werden  :  dann  beobachte  man,  wie  ein  lebendig  Sprechender  durch 
Artikulation  der  Laute,  Tonbewegung  und  Rhythmus,  auch  etwa  durch 
Voranstellung  des  Vergleichs  und  durch  eine  unwillkürliche  körperliche 
Bewegung  oder  Gesichtsveränderung,  gewisse  allgemeine  Vorstellungen 
zum  Ausdruck  bringt.  Beim  „Blitz"  etwa  die  einer  ganz  unbegreiflichen, 
also  auch  nicht  anschaubaren  Geschwindigkeit,  beim  ,, Schneekönig"'  die 
einer  harmlosen  hellen  Freude  oder  naiven  Lustigkeit  u.  s,  w.  Meistons 
sind  diese  Vergleiche  stark  übertreibend  :  einer  Veranschaulichung  könnte 
das  nur  schaden,  aber  die  Wirkung  einer  momentanen  Subjektivität  des 
Vorstellens  und  Empfindens  kann  dabei  gewinnen.  So  werden  durch 
lebendige  Subjektivität  uralte  Vergleiche  wie  neu-,  aber  auch  die  neuesten 
und  originalen,  z.  B.  bei  Gottfried  Keller,  sind  nicht  etwa  ganze  kleine 
Gemälde,  wie  man  gesagt  hat,-')  sondern  Empfindungsausdruck  subjektiver 
Allgemeinvorstellungen.  Z.  B.  Wendeigard  Gimmel  atmet  so  schnell  und 
kurz  wie  ein  junges  Kaninchen  —  soll  ich  in  aller  Eile  deutlich  ein 
junges  Kaninchen  sehn  und  daran  mir  das  Atmen  des  schönen  Mädchens 


')  Yischer.  Aesthetik  III  121;»  f.  122(>.  V2M.  —  0.  Lyon.  Handbuch  der  deut- 
schen Sprache  II  21.  oU. 

-)  Ed.  Engel.  (Teschichte  dei'  deutschen  Literatur  II  925.  —  Die  Beispiele  in 
Kellers  „Landvogt  von  Greifensee"  und  „Die  Jungfrau  und  der  Teufel". 


—     50     - 

so  recht  anschaulich  machen  ?  Ich  denke,  wir  bekommen  von  den  beiden 
eine  gemeinsame  Vorstellung,  nämhch  etwa  die  einer  eigentümlichen  bäng- 
lichen Erregung  eines  naiven,  jungen,  anmutigen  Geschöpfs,  und  diese 
Vorstellung  ist  bei  uns  verbunden  mit  einer  gewissen  humoristischen  Teil- 
nahme an  dem  naiv  klugen  Mädchen.  Oder  aber  man  male  sich  denn, 
beim  Lesen  oder  Hören  Kellers,  erst  einmal  den  „leibhaftigen  geschwänzten 
Gram"  hin  und  mache  sich  rfanach  die  Anschauung  eines  betrogen  ab- 
ziehenden Teufels! 

Vielleicht  geben  aber  solche  Vergleiche  eben  deshalb  nur  eine  mo- 
mentane Allgeraeinvorstellung,  weil  sie  in  ihrer  Kürze  so  rasch  vorüber 
gehn.  Also  wähle  ich  jetzt  eines  der  ausführlichsten  Gleichnisse  Homers, 
die  Darstellung,  wie  der  Löwe  erst  dahingeht,  die  Angreifer  verachtend, 
verwundet  dann  aber  sich  in  sich  zusammenzieht  und  den  Rachen  auf- 
reißt, der  Schaum  ihm  an  die  Zähne  tritt,  der  Schweif  die  Flanken 
peitscht,  das  Tier  losstürzt.  ')  Gewiß  alleranschaulichste  Sinnlichkeit,  in 
der  Wirklichkeit  nämlich  oder  auch  im  Kinematographen  ;  aber  beim 
Erzähler,  im  ITor/ausdruck,  bloße  Erinnerungen,  rein  geistige  Vorstel- 
lungen von  früheren  unmittelbaren  oder  bereits  vermittelten  Naturan- 
schauuugen.  Und  kein  Hörer  hat  beim  Vortrag  Zeit  und  Kraft,  diese 
einzelneu  Vorgänge  der  Reihe  nach  alle  mit  sinnlicher  Deutlichkeit  zu 
sehen  und  schließlich  noch  den  Handlungsverlauf  als  Ganzes  sich  an- 
schaulich zu  machen.  Oder  sollen  wir  nun  gar  dazn  angeregt  werden, 
uns  an  dieser  Löwenhandlung  zu  veranschaulichen,  wie  dort  Achilleus 
sich  gegen  Aeneas  erhob  ?  etwa  deutlich  zu  sehn,  wie  Achilleus  sich  in 
sich  zusammenzog,  den  Mund  aufriß  und  schäumte?  ja  sich  die  Hüften 
peitschte?  Nein,  von  Achill  heißt  es  am  Anfang  nur  „er  erhob  sich", 
und  am  Ende  ist  auch  vom  Losstürzen  Achills  noch  lange  nicht  die  Rede. 
Und  beim  Löwen  wiederum  ist  das,  was  ein  Hörer  aus  der  sprachlichen 
Darstellung  eindrücklich  aufnehmen  kann,  nicht  das  Sinnenmäßige  eines 
„festen  Bildes'*,  sondern  sozusagen  das  Moralische,  das  sich  in  der  Aktion 
des  Löwen  äußert.  Zug  um  Zug  läßt  ja  fühlen,  wie  im  Löwen  der 
Mut  von  stolzer  Gleichgiltigkeit  bis  zum  todesverachtenden  Angriffszorn 
aufgereizt  wird,  und  wenn  der  Löwe  anfangs  dahin  geht,  die  Verfolger 
nicht  wert  achtend,  dann  sich  selber  zum  Kämpfen  autreibt,  zuletzt  los- 
stürzt, ob  er  einen  der  ]\[änner  töte  oder  selber  zuvorderst  im  Gedräng 
untergehe,  so  bekommt  er  sogar  viel  vom  sittlichen  Wesen  eines  mensch- 
lichen Helden.  Diese  Vermenschlichung  des  Naturlebens  beruht  doch 
aber  nicht  auf  „objektiver"  Anschauung  eines  „festen  Naturbildes",  son- 
dern auf  einer  empfindungsstarken,  sehr  subjektiven  und  ganz  momentanen 
Vorstellung.    Aufreizung  der  Energie  eines  stolzen,  noblen,  heldenhaften 


h  Dias  20.   KU  — 175. 


—     51     — 

Kampfzorns  gegenüber  einem  aufreizenden  Feinde  wäre,  abstrakt  aus- 
gesprochen, der  Vergleichungspunkt:  dasselbe  in  der  Aktion  des  Löwen 
so  lebensvoll  als  möglich  mit  den  Mitteln  des  Erzählers  zum  Ausdruck 
zu  bringen,  scheint  mir  der  Zweck  auch  aller  Einzelzüge  der  Löwen- 
darstellung. 

Man  hat  sich  gelegentlich  schon  bei  Homer  an  gehäuften  Gleich- 
nissen gestossen.  So  beim  ersten  Aufbruch  des  achäischen  Heeres  aus 
seinem  Lager,  wo  sieben  Vergleichungen  und  Gleichnisse  rasch  aufein- 
ander folgen.^)  In  der  Tat,  wenn  jede  Vergleichung  hier  sinnlich  ver- 
anschaulichend wirken  sollte  —  die  beweglichste  Phantasie  müßte  beim 
vierten,  fünften,  sechsten  Bildwechsel  schwindelig  werden,  und  der  Ge- 
samtwirkung nach  wäre  das  im  besten  Falle  Kinematographie,  aber  jeden- 
falls keine  Poesie.  Anders  von  unserem  Standpunkte  aus.  Erzählt  wird, 
wie  die  Achäer  aus  dem  Lager  aufbrachen,  dann  in  die  Ebene  hinaus 
marschierten,  dann  in  der  Au  draußen  anhielten,  darauf  zum  Kampfe 
sich  aufstellten,  nun  von  den  Führern  zum  Kampf  vollends  geordnet 
wurden,  und  endlich  vor  allen  Führern  als  höchster  Agamemnon  hervor- 
trat. Aber  diese  übliche,  sozusagen  selbstverständliche  Aufeinanderfolge 
der  Vorgänge  eines  Ausmarsches  wird  diesmal  erzählt  unter  dem  Einfluß 
einer  besondern,  momentanen  und  stark  subjektiven  Vorstellung;  es  ist 
etwa  die  Idee  einer  Ungeheuern,  überlegen  drohenden,  siegverheißenden 
Stärke  und  Energie  des  Ausmarsches.  Eine  solche  GesamtvorsteUung 
wirkt  bei  jedem  Einzelakt  der  bedeutungsvollen  Handlung,  und  während 
sachlich  verschiedene  feste  Anschauungshilder  „hart  sich  stossen"  könnten 
wie  ,,die  Sachen  im  Räume",  „wohnen  leicht  beieinander  die  Gedanken''  ; 
ja,  um  so  leichter  geben  einander  gedankenhafte  Vorstellungen  Raum, 
wenn  sie  unter  sich  verwandt  sind,  zu  einer  Gesamtvorstellung  sich  er- 
gänzen. Beim  Akt  des  Aufbruchs  das  Schreckhafte,  Unheildrohende  im 
Aufleuchten  der  Wafi'en:  Gleichnis  vom  Feuerschein  des  vernichtenden 
Waldbrandes  in  der  Ferne.  Zielfrohe,  kämpf-  und  siegverlangende 
Energie  der  dröhnenden  Marschbewegung  :  Gleichnis  von  den  Wander- 
vögeln mit  ihrem  frohen  Geschrei  und  stolzen  Flügelschlagen.  Beim 
Haltmachen  die  Vorstellung  einer  unabsehbaren  Menge  der  einzelnen 
Krieger  :  Vergleich  mit  den  Blumen  und  Blättern  auf  einer  Aue,  wie  der 
Halteplatz  selber  eine  ist.  Aufstellung  zum  Kampf,  mordbegieriges  Ge- 
dräng all  jener  Unzähhgen  :  wimmelnde  Schwärme  von  milchgierigen 
Fliegen.  Sichere  Sonderung  und  Einreihung  der  Wimmelnden  durch  die 
Führer  :  Hirten  sondern  ihre  Herden.  Verherrlichung  des  obersten 
Führers:  Erinnerung  an  Göttergestalten.  Beherrschendes  Hervortreten 
des    Einen:    Stier    und    Herde.     So    ist    die    wunderbare  Mächtigkeit   in 

1)  Ilias  2,  455—483:  Wackernagel,  Poetik  388. 


-     52     — 

Auszug  und  Aufstellung  gerade  hier  au  allen  einzelnen  Akten  vom  Dichter 
so  stark  wiederempfunden,  daß  er  sich  nur  vergleichend  ausdrücken  kann. 
Warum  er  aber  gerade  den  heutigen  Auszug  so  besonders  erapfindungs- 
voll  sich  vorstellt,  darüber  später. 

Bisher  hat  es  sich  um  Eigenart  oder  Schwierigkeit  gehandelt,  welche 
irgendwie  mit  dem  Cmfanp  der  Vergleichungen  in  Beziehung  steht,  mit 
der  Kürze,  mit  detaiUierender  Ausführlichkeit,  mit  der  Häufung.  Andere 
Fragen  beziehen  sich  auf  die  Sphäre,  aus  welcher  ein  Dichter  seine  Ver- 
gleichung  nimmt.  Ist  z.  B.  die  Vergleichung  größter  Bewegungsschnellig- 
keit mit  der  Schnelligkeit  eines  Gedankens  «deshalb  für  einen  Homer 
zweckwidrig,  weil  ein  Gedanke  nicht  der  Sinnensphäre  angehört  ?  ^)  Dem 
Bereiche  der  Wirklichkeit  und  Erfahrung  gehört  doch  ein  Gedanke 
jedenfalls  an,  und  von  allem  Erfahrenen  kann  es  —  zwar  nicht  Sinnen- 
bilder, wohl  aber  lebendige  Vorstellungen  geben.  Daß  aber  Homers 
Erinnerung  bei  Vergleichen  gewöhnlich  auf  sinnliche  Wirklichkeiten 
zurückgeht,  ist  trotzdem  natürlich  :  was  er  erzählt,  sind  Begebenheiten, 
bewegte  Vorgänge  des  heroischen  Lebens,  die  in  der  Wirklichkeit  vor 
den  menschlichen  Sinnen  sich  vollziehen  würden  \  also  können  auch  die 
allgemeinen  Charaktere  solcher  Vorgänge  am  ehesten  wieder  an  Vorgängen 
aus  sinnenmäßiger  Wirklichkeit  empfunden  Averden. 

Man  hat  auch  gefragt,  warum  bei  Homer  in  den  Gleichnissen  die 
Sphäre  der  Blumen  so  viel  als  gar  nicht  vertreten  sei,  und  hat  geant- 
wortet: die  jonischen  Menschen  zur  Zeit  des  Epos  hätten  in  der  Wirk- 
lichkeit noch  kein  inneres  Verhältnis  zu  den  Blumen  gehabt.  So  Wihi- 
mowitz.^)  Ob  wir  diese  jonischen  Menschen  anderswoher  genau  genug 
kennen?  Aus  Homer  möchte  ich  auf  diesen  Mangel  bei  ihnen  nicht 
schliessen.  Die  Odyssee  läßt  sogar  einen  unsterblichen  Olympier  einen 
AViesengrund,  welcher  in  Violen  und  Eppich  blüht,  mit  Staunen  und  Freude 
betrachten  :  da  scheinen  mir  Dichter  und  Hörer  Gefühl  gehabt  zu  haben 
auch  für  die  herzerfreuende  Anmut  eines  reichen  Wiesenflors.  Ebenfalls 
in  der  Odyssee  wird  das  Haar  des  verherrlichten  Odysseus  verglichen 
mit  der  Hyazinthenblüte,  und  nach  den  Worten  des  Dichters  muß  die 
Ähnlichkeit  im  allgemeinen  Charakter  eines  vollen  krausen  Haares  liegen: 
ich  denke,  das  sei  der  Charakter  einer  in  reizvoller  Gestalt  drängenden 
Lebensfülle.  Denselben  Charakter  könnte  nun  der  Dichter  empfunden 
haben  an  einer  Blütenform  und  einem  Blütenstand,  wie  ihn  z.  B.  gerade 
unsere  kultivierte  Hyazinthe,  aber  auch  Verwandte  von  ihr  zeigen,  welche 
in  Vorderasien  wild  wachsen.^)  Wäre  das  nicht  echtes  und  künstlerisches 
Blumengefühl?  Und  Worte  für  Blume  und  für  reiches  Grünen  und  Blühen 

1)  E.  Kammer,  Aesthetischer  Kommentar  zu  Homers  Dias  2.  A.  S.  48. 

2)  V.  Wilamowitz,  Griechische  Literatur  S.  12. 

'^)  Albert  Oeri.  Ein  Streifzug  in  Kommagene  (1907)   S.  28. 


58     — 

wendet  derselbe  Homer  auch  übertragen  an,  um  Lebensschönheit,  Lebens- 
zartheit, Lebensglück  und  Lebensfreude  zu  bezeichnen  :  also  hatten  Er 
und  seine  Jonier  emplindungsvolle  Allgeraeinvorstelhuigen  vom  Blunien- 
wesen,  also  ein  inneres  Verhältnis  dazu.  Aber  freilich,  das  homerische 
Epos  erzählt  hauptsächlich  frei  und  stark  bewegte  Vorgänge,  äußere  oder 
innere  Handlungen,  und  nun  fehlt  ja  den  Pflanzen  und  Blumen  äußerlich 
und  innerlich  gerade  diejenige  freiere  Bewegung,  die  zur  Assoziation  der 
Vorstellungen  in  Gleichnissen  meist  nötig  sein  würde-  Wenn  hinwiederum 
in  der  kretischen  hildenden  Kunst  die  Blume  schon  sehr  früh  ornamental 
verwendet  wird,  so  darf  man  darin  nicht  mit  Wilamowitz  gleich  einen 
Gegensatz  kretischer  Sinnesart  gegenüber  jonischer  sehn  :  das  Ornament 
bedarf  der  ruhenden,  nur  rhythmisch  bewegten  Linie,  und  diese  findet 
der  bildende  Künstler  zu  allernächst  eben  in  Pflanze  und  Blume. 

Hier  ein  Wort  über  die  Nachahmungsfrage.  Ist  es  unkünstlerisch, 
wenn  ein  Dichter  sein  Gleichnis  nicht  unmittelbar  und  einzig  aus  der 
Sphäre  eigener  Erftihrung  oder  Naturbeobachtung  schöpft,  sondern  dabei 
einem  Vorgänger  folgt?  ich  denke  z.  B.  an  Virgil.  Göthe  ist  der  Mei- 
nung: ob  ein  Dichter  etwas  aus  dem  Leben  oder  aus  dem  Buche  ge- 
nommen habe,  es  sei  sein,  wenn  er  es  recht  brauche.  Und  Göthe  selber 
ist  ein  ,, grosser  Nehmer''  genannt  worden.  Molière  hat  von  sich  selber 
gesagt,  er  nehme  sein  Gutes,  wo  er  es  finde;  das  wendet  die  kritische 
Forschung  gegenwärtig  auf  Rubens  und  Händel,  Chamisso  und  K.  F.  Meyer 
an,  und  sie  pflegt  in  diesen  Fällen  bereits  ein  Recht  aufs  Nehmen  an- 
zuerkennen unter  dem  Vorbehalt,  dass  der  Künstler  das  Entlehnte  indi- 
viduell umbilde  oder  ihm  ,,die  persönliche  Note"  gebe.  Li  diesem  Sinn 
haben  Sachverständige  z.  B.  auch  bei  Böcklin  Anlehnung  an  Rubens 
gerechtfertigt  oder  Lenbach'sche  Kopien  nach  alten  Meistern  wie  Original- 
werke gewertet.  Erklären  doch  scharfe  Analytiker  des  künstlerischen 
Schaffens,  auch  das  Genie  erfinde  nicht,  sondern  es  gestalte  um  nach 
persönlichen  Ideen.  Aber  eben  nach  den  persönlichen  Vorstellungen  und 
Empfindungen,  den  künstlerischen  Ideen,  fragt  man  z.  B.  bei  Virgil  noch 
immer  zu  wenig,  und  so  wird  man  ihm  auch  in  den  Gleichnissen  nicht 
gerecht.  Wie  sehr  diese  aber  bei  Virgil  geistig  individuell  sein  können 
gerade  bei  starker  Stoffähnlichkeit  gegenüber  Homer,  habe  ich  früher  an 
dem  Gleichnis  Dido  und  Diana  durch  genaue  Analyse  zu  zeigen  mich 
l)emüht.  ^)  Sollten  wir  jetzt,  nach  Heinzes  trefflichem  Buche  über  Virgils 
Technik,  nicht  mit  Anselm  Feuerbach  sagen  :  gesegnet  sei  die  Stunde, 
die  uns  der  Technik  Herr  werden  ließ,  um  jetzt  dem  Geiste  unbeirrt 
nachgehen  zu  können? 

1)  Fleckeisens  .[abrb.  1886  S.  500 — 502;  die  sogeuanute  Unselbständiijkeit  Virgils 
in  Gleichnissen  neuerdings  auch  bei  Schanz.  Röni.  Literatur  II  1,  î)8.  Norden,  Aeneis 
VI  S.  206  f.  Heinze,  Virgils  epische  Technik  202,  1.  246.  350.  .1.  Ziehen.  X.  .Jahrb. 
f.  d.  klass.  Altert.   1904  I  650. 


—     54     — 

Soll  nicht  für  einen  würdigen  Gegenstand  auch  eine  imirdige  Sphäre 
des  Gleichnisses  gewählt  werden?  Man  rindet  es  unwürdig,  wenn  bei 
Homer  die  edlen  Achäer  mit  Fliegen  im  Kuhstall  und  der  Rückzug  des 
großen  Aias  mit  dem  eines  geprügelten  Esels  verglichen  würden  ;  un- 
würdig sei  die  Veranschaulichung  der  unruhig  bewegten  Gedanken  des 
Odysseus  durch  eine  am  Feuer  gedrehte  Magenwurst  u.  a.  ^)  Allerdings, 
die  Sphären  kontrastieren  stark,  und  avo  etM^as,  das  nach  üblichem  Maß- 
stab hoch  und  gewaltig  ist,  gleich  gesetzt  wird  mit  etwas  Niedrigem  und 
Geringem,  da  wird  irgendwie  das  Hohe  herabgesetzt;  aber  was  wird 
herabgesetzt?  und  wie?  Es  werden  nicht  die  Achäer  in  Person  mit 
gemeinen  Stallfliegen  verglichen,  sondern  gemeinsam  ist,  wie  wir  früher 
schon  sagten,  für  die  beiden  Parteien  das  gierige  Gedränge  in  wim- 
melnden Massen  von  Einzelnen,  und  dieses  Gewimmel  macht  augenblicklich 
dem  Erzähler  den  subjektiven  Eindruck  des  elementar  Regellosen,  des 
animalisch  Instinktiven  und  blind  Leidenschaftlichen  —  daher  die  Fliegen  • 
Erinnern  wir  uns:  gerade  an  diesem  Tage  hat  Zeus  den  machtstolzen 
Agamemnon  durch  den  Traumgott  getäuscht,  ihm  statt  Trojas  Eroberung 
in  Wahrheit  nur  unselige  Kampfnot  beschieden  und  auch  das  Heer  durch 
seine  Fürsten  betrogen,  und  jetzt  wiederum,  am  selben  Tage,  verherrlicht 
Zeus  denselben  Heerkönig  bis  zur  Götterähnlichkeit  und  regt  dasselbe 
Schlachtheer  zur  Entfaltung  aller  heroischen  Mächtigkeit  auf,  in  Waffen- 
leuchten und  Marschdröhnen,  in  zahlloser  Menge  und  vernichtungsgierigem 
Gedräng,  in  Ordnung  und  Oberleitung.  Ist  das  nicht  ein  Spiel  göttlicher 
Willensmacht  mit  einer  bloß  scheinhaft  wunderbaren  Mächtigkeit  des 
heroischen  Menschentums,  das  Spiel  vom  Erzähler  etwa  mit  tragisch- 
sarkastischer Stimmung  empfunden?  x4.1so  vorausgesetzt,  unser  Erzähler 
vermöge  die  Idee  jenes  göttlichen  Truges  besser  festzuhalten  als  seine 
gelehrten  Kritiker,  könnte  nicht  in  dem  einen  oder  andern  der  hier  ge- 
häuften Gleichnisse  ein  Widerspruch  des  Empfindens  zum  Ausdruck 
kommen?  es  würde  sich  nämlich  die  Empfindung  für  das  heroisch  Ge- 
waltige mischen  mit  Gefühlen  von  menschlicher  Ohnmacht  im  Heroischen. 

In  Kürze  ein  paar  andere  Fälle  sogenannt  unwürdiger  Sphäre.  Aias 
und  der  Esel  :  gemeinsam  haben  sie  die  widerspruchsvolle  und  doch  charak- 
tervolle Halsstarrigkeit,  und  indem  wir  diese  am  Esel  uds  mit  heller  Freude 
vorstellen,  empfinden  wir  sie  am  Helden  mit  heiterer  Sympathie,  mit  einer 
Art  Humor.  —  Oder  Odysseus  und  der  Mann  mit  der  Blut-  und  Fett- 
wurst: wie  eine  ungeduldige  innere  Bewegung  des  Menschen  sich  in 
ruheloser  und  starker  äußerer  Bewegung  offenbart,  ist  den  zwei  Männern 
gemeinsam  ;  nun  würden  Erzähler  und  Hörer  mit  der  Schlaf-  und  Ruhe- 
losigkeit  ihres    edlen   Helden    sonst   ernstes   Mitgefühl    haben,    aber  der 

')  Gerber,  Sprache  als  Kunst  II  108  f.  ;  über  die  Magenwurst  ähnlich  Sitzler, 
Aesthet.  Kommentar  zu  Homers  Odyssee  S.  247. 


—       .)0       — 

Erzähler  weiß,  daß  Sorge  und  Unrast  des  Odysseus  diesmal  unnötig  und 
gegenüber  der  Gottheit  ungerecht  sind,  und  so  empfindet  er  diese  Unrast 
mit  heiterer  Überlegenheit,  und  diese  Empfindung  teilt  er  auch  uns 
Hörern  eben  dadurch  mit,  daß  er  die  Heldensorge  diesmal  im  Gleichnis 
scherzhaft  herabsetzt.  —  Einer  der  anstößigsten  Fälle  wäre  Patroklos' 
Leiche  und  die  hin  und  her  gezerrte  Rindshaut;  aber  die  furchtl)are 
Vorstellung  eines  wüsten  und  erfolglosen  Krieger-  und  Heldenkampfes 
treibt,  denke  ich,  die  scharf  kontrastierende  Erinnerung  hervor  an  ein 
zwar  äußerlich  ähnliches,  aber  praktisch  zweckmäßiges  und  wirksames 
Tun  gewöhnlicher  Menschen  in  friedlicher  Lebenssphäre.  Herabgesetzt 
wird  hier  für  das  Gefühl,  mit  einem  gewissen  Sarkasmus  der  Stimmung, 
der  Wert  höchsten  heroischen  Menschenwillens  gegenüber  dem  Willen 
des  Zeus,  welcher  den  Entscheid  des  Leichenkampfes  hinhält,  'j 

In  mehr  als  einem  Falle  unwürdiger  Sphäre  würden  somit  Dichter 
und  Hörer  sich  im  Gleichnis  sogar  zu  höherem  Lebens-  und  Welt- 
empfinden erheben  —  sobald  man  nämlich  von  einer  direkten  Gleich- 
setzung der  Personen  oder  Dinge  und  einem  Zwecke  sinnlicher  Yeran- 
schaulichung  absieht.  Schiller  nennt  es  erhaben,  selber  die  höhere 
Notwendigkeit  zu  wollen;  wäre  ich  also  z.  B.  imstande,  es  als  höhere 
Notwendigkeit  aufzunehmen,  es  im  Sinne  der  göttlichen  Überlegenheit 
gleichsam  ?m7zuwollen,  daß  das  große  Werk  des  Od^'sseus,  das  Floß, 
von  den  Stürmen  dahingejagt  wird,  wie  eine  Flocke  Distelbart  auf  der 
Heide,  oder  auseinandergeschleudert  wird  wie  ein  Haufen  trockener  Spreu 
—  bei  solchen  Gleichnissen  würde  ich  dann  erhaben  empfinden.  Und 
verwandt  damit  könnte  meine  Empfindung  sein  bei  jenem  „unwürdigen" 
Gleichnis  von  den  Stallfliegen  oder  von  der  gereckten  und  gezerrten  ßinds- 
haut.  Nun  hat  Wilhelm  Wackernagel  ausdrücklich  als  ein  Beispiel  der 
Erhabenheit  das  Gleichnis  von  der  ehrlichen  armen  Spinnfrau  in  der 
Iliade  bezeichnet.  -)  Etwas  Großartiges,  Gewaltiges,  sagt  er,  nämlich  die 
unentschieden  schwebende  Schlacht  zweier  Völker,  werde  verglichen  mit 
etwas  Geringfügigem,  der  gleichstehenden  AVage  einer  Wollspinnerin. 
Nun  werde  dabei  unser  Verstand,  der  messend  und  nachrechnend  den 
Vergleichungspunkt  zu  finden  habe,  überrascht  und  überwältigt  von  dem 
Kontraste  zwischen  dem  Großen  und  dem  Kleinen,  und  so  ergebe  sich 
das  Erhabene.  Dabei  ist  für  Wackernagel  die  sinnliche  Veranschauli- 
chung nächster  Zweck  des  Vergleichs.  Lassen  sich  nun  aber  dieser 
Zweck  und  jene  Erhabenheitswirkung  miteinander  vereinigen?  ich  glaube 
nicht.  Ein  Messen  und  Nachrechnen  des  Verstandes  wäre  beim  Vortrage 
eines  Erzählers  schon  in  andern  Fällen  schwierig;  nun  sind  in  unserem 
Falle  die  verglichenen  Vorgänge,  das  Tun  der  hauenden  und  stechenden 

1)  Uias  2,  469—473.  11,  558—565.     Odyssee  20.  24—28.     Ilias  17.  889—395. 
-)  Ilias  12,  432-  4;>6.     Wackernagel.  Poetik  S.  338  f. 


—     56     — 

Völker  auf  dem  Lagerwall  und  das  Tun  der  Wolle  abwägenden  Spinnerin, 
für  die  sinnliche  Anschauung  völlig  ungleichartig  und  im  Maße  ihrer 
Bedeutung  außerordentlich  weit  auseinander  liegend:  da  müßte  die  Re- 
flexion wahrhaft  verzweifelte  Anstrengungen  machen,  um  die  Ähnlichkeit 
zu  entdecken,  und  darüber  würde  notwendig  gerade  die  Anschauungs- 
tätigkeit, aber  auch  jedes  künstlerische  Empfinden  unmöglich  werden. 
Und  so  auch  der  Gefühlseindruck  des  Erhabenen.  Erhaben  wirkt  ja 
allerdings  z.  B.  in  derselben  Iliade  die  Vergleichung  des  wallzerstörenden 
Gottes  mit  dem  im  Sande  spielenden  Kind.  Aber  nicht  deshalb,  weil 
zwischen  Gott  und  Kind,  Achäerwall  und  Sandhäufchen  für  unseren 
Verstand  ein  verblüffend  starker  Gegensatz  realer  Werte  besteht;  viel- 
mehr deswegen,  weil  wir  Hörer,  in  einem  i^ugenblicke  stark  erregten 
Vorstellens  und  hochgehobenen  Empfindens,  uns  selber  gleichsam  auf 
göttliche  Höhe  erheben  und  von  da  aus  die  Zerstörung  eines  gewaltigen 
Menschenwerks  selber  auch  als  ein  Kinderspiel  für  die  Gottheit  empfinden 
und  als  eine  selbstverständliche  Notwendigkeit  mitwollen.  Kann  doch 
auch  das  Schicksal  in  der  Tragödie,  wenn  wir  es  mitwollen,  in  ähnlicher 
Weise  erhaben  wirken. 

Verzichten  wir  lieber  auch  hier,  für  unsere  „Spinnerin",  auf  sinn- 
liche Anschauung  und  einen  verstandesmäßig  zu  erarbeitenden  Verglei- 
chungspunkt. Lebendig  drücken  sich  dafür,  wenigstens  bei  lebendigem 
Vortrage,  gewisse  allgemeine  Vorstellungen  im  Tun  der  Spinnerin  aus. 
Ich  meine  die  Vorstellungen  pflichttreu  ausdauernden,  ängstlich  gewissen- 
haften Bemühns,  ehrlicher  Arbeit  im  Kleinen  und  Geringen,  schwacher 
Kraft  und  fast  schmählich  geringen  Arbeitsgewinnes.  Nun  setzt  der 
Ausdruck  dieser  Vorstellungen  durch  ein  Gleichnis  an  der  Stelle  ein, 
wo  der  Erzähler  uns  sagen  soll  und  will,  icie  die  Troer  auf  dem  Walle 
der  Achäer  den  herausdrängenden  Gegner  wenigstens  festhielten-^  ihn 
zurückzuwerfen  in  sein  Lager  vermochten  sie  ja  vorläufig  nicht.  Also 
wenn  wir  die  Vorstellungen  des  Gleichnisses  im  Einzelnen  auf  die  flaupt- 
erzählung  übertragen  wollten,  würden  wir  folgende  Parallele  bekommen: 
die  Troer  hielten  die  Achäer  fest  mit  pflichttreu  ausharrendem,  ängst- 
lichem Bemühn,  immer  wieder  den  Gleichstand  im  Kleinen  und  Einzelnen 
herstellend,  aber  in  eigener  Kraft  ohnmächtig  zu  Größerem,  bei  redlicher 
Kampfesarbeit  ohne  rühmlichen  Kampfgewinn.  Ich  denke,  die  Parallele 
wäre  genau.  Aber  nur  wir  Ausleger  vollziehen  diese  Einzelübertragungen  : 
der  Hörer  empfängt  nur  einen  Gesamteindruck,  welcher  an  den  Einzel- 
heiten sich  bildet  und  in  bestimmter  Richtung  sich  entwickelt,  nämlich 
etwa  den  Eindruck  einer  teilnahmswürdigen  Ohnmacht  bei  redlichem 
Bemühn,  und  nur  diese  empfindungsvolle  Gesamtvorstellung  übertragen 
wir  Hörer  auf  die  Troer,  unbewußt  und  reflexionslos.  Nun  sollen  wir 
aber,  nach  der  Art,  wie  der  Dichter  hinter  dem  Gleichnis  fortfährt,  diese 


—     57     — 

bemitleidenswerte  Ohnmacht  auch  als  vorhereiteuden  Gegensatz  zum  alsbald 
folgenden  Machtentscheid  des  Gottes  Zeus  empünden.  Tun  wir  das,  dimn 
allerdings  mag  unser  Gefühl  auch  hier  sich  über  die  gemeinmenschliche 
Wertung  menschlicher  Macht  emporheben  und  die  Ohnmacht  des  stärksten 
Menschenwillens  vom  Standpunkte  höherer  Lebensordnung  als  notwendig 
und  schön  empfinden.  Also  ein  Gefühl  des  Erhabenen  mit  einem  An- 
klang an  die  Stimmung  des  Tragischen  auch  hier  ! 

Von  Sllmmuny  ist  jetzt  mehrfach  die  Rede  gewesen  :  von  einer 
Stimmung  wohlwollend  heiterer  Überlegenheit  Ijeim  Gleichnis  von  Odysseus 
und  dem  Wurstbrater,  des  Humors  bei  Aias  und  dem  Esel;  von  sarka- 
stischer Stimmung  bei  Leichenkampf  und  Rindshautgerben,  von  etwas 
wie  tragischem  Sarkasmus  bei  den  mordlustigen  Achäern  und  den  milch- 
gierigen Stallfliegen  ;  von  einer  Stimmung  tragischer  Notwendigkeit  bei 
der  Spinnerin.  Immer  aber  war  bloß  von  einer  Möglichkeit  solcher 
Stimmung  die  Rede,  und  stets  erschienen  Stimmungen  nur  als  beglei- 
tende Nebenwirkung  eiues  Gleichnisses  :  Hauptwirkung  war  jedesmal 
die  lebendige,  emptindungsstarke  Allgemeinvorstellung  eines  Vorgangs. 
So  finde  ich  nun  auch  in  jenen  vier  Stimmungsgleichnissen  aus  der  Ihade, 
bei  denen  wir  die  Stimmungstheorie  für  die  Erklärung  unzureichend 
fanden,  zunächst  folgende  Vorstellungsassoziationen.  Vorstellung  von 
einem  tausendfältig  aufgehenden  Leuchten,  von  welchem  alle  Fernen  und 
Tiefen  einer  nächtlichen  Gegend  taghell  sichtl)ar  werden:  das  Wachfeuer- 
leuchten der  siegessicheren  Troer  und  das  Sternenleuchten  in  der  Ge- 
birgslandschaft. —  Dann  die  Idee,  wie  etwas  sonst  Großes  und  Starkes, 
wenn  es  erst  einmal  von  einer  wunderbar  überlegenen  Gewalt  jählings 
überrascht  wird,  dann  gleich  tief  und  vollständig  erschüttert  wird  :  die 
Achäer  nach  der  gottgesandten  jähen  Niederlage  noch  immer  wundersam 
im  innersten  Gemüt  hin  und  her  schwankend,  die  hohe  See  von  plötzlich 
gekommenem  göttlichem  Doppelsturm  alsbald  hoch  und  tief  und  bis  ans  ferne 
(xestade  aufgewühlt.  — ^  Dritter  Fall:  Aufhellung  einer  einzelnen  Gebirgs- 
partie  im  Verlauf  eines  großen  Gebirgsgewitters  und  vorübergehende 
Erleichterung  der  Achäer  durch  Patroklos  im  Fortgang  des  Lagerkampies  ; 
also  der  gemeinsame,  ideale  Vorgang:  der  große  Gang  schwerer  Ereig- 
nisse wird  zwar  nach  höherem  Willen  vorübergehend  und  scheinbar  unter- 
brochen und  läßt  neue,  erwünschte  Wendungen  erwarten,  aber  er  geht 
trotzdem  weiter  in  furchtbarer  Stetigkeit.  —  Der  vierte  Fall:  Idee  einer 
jähen  Verkehrung  des  nach  Menschenbegritfeu  Natürlichen  durch  eine 
übernatürliche  Gewalt,  diese  Vorstellung  stark  empfunden  an  Hektors 
urplötzlicher  und  schimpflicher  Flucht  aus  dem  achäischen  Schiffslager, 
dieselbe  Vorstellung  lebendig,  aber  indirekt  ausgedrückt  in  der  über- 
natürlichen Erscheinung  einer  Wetterwolke  des  Zeus,  die  mitten  aus 
hchter  Himmelsbläue  hervortritt, 
f 


—       08       — 

Gewiß,  denken  können  wir  auch  bei  solchen  Naturgleichnissen  an 
allerlei  Stimmungen,  z.  B.  an  heitre  oder  düstre,  stark  bewegte  oder  ruhe- 
volle Stimmung,  Stimmungen  des  wild  Wüsten  oder  des  sanft  Schönen, 
des  majestätisch  Natürlichen  oder  des  unheimlich  Übernatürlichen,  je 
nach  dem  Allgemeincharakter  eines  Natureleraents  oder  Naturvorgangs 
und  des  im  Gleichnis  sich  ausdrückenden  Vorstellungsinhalts.  Solche 
Stimmungen  sind  nämlich  wohl  nichts  andres  als  der  unbewußte  Eindruck 
allerallgem einster  Vorstellungen  auf  unser  Gemüt.  In  diesem  Sinne  redet 
man  auch  bei  Gemälden,  z.  B.  bei  Böcklins  Centaurenkampf,  Cimbern- 
schlacht,  Spiel  der  Wellen  von  einer  Stimmung  des  Elementaren.  Und 
wiederum  an  den  Vergleichungen  Bismarcks  hat  man  als  „Stimmung" 
einen  „Erdgeruch",  an  den  Gleichnissen  der  Odyssee  als  „Stimmung" 
einen  ..Seegeruch"  wahrgenommen.  Aber  nun  eben  —  wie  viele  Menschen 
vermögen  wohl,  unmittelbar  beim  erzählenden  Vortrage,  solche  ätherisch 
flüchtigen  Düfte  wahrzunehmen?  Wer  weiß,  ob  die  eben  erwähnte  Wahr- 
nehmung an  den  Gleichnissen  der  Odyssee  nicht  selber  nur  eine  allzu  sub- 
jektive, täuschende  Vorstellung  von  der  Sphäre  und  dem  Inhalt  dieser 
Gleichnisse  ist!  Und  bei  jenem  Iliasbeispiel,  bei  dem  Siege  des  Lichtes 
über  die  Nacht,  hätte  wohl  jemand  an  eine  stolz  gehobene,  triumphie- 
rende Stimmung  denken  können,  aber  gedacht  hat  man  an  eine  Stimmung 
der  Sicherheit,  wie  z.  B,  vor  Dieben  —  so  subjektiv  sind  diese  Dinge  ! 
Subjektiv  sind  gewiß  auch  unsre  emplindungsstarken  Vorstellungen,  aber 
diese  haben  sich  doch,  meine  ich,  analytisch  erweisen  lassen  als  etwas, 
was  jeweilen  den  zwei  Darstellungsgliedern,  Hauptvorgang  und  Gleichnis- 
vorgang, gemeinsam  war,  und  durch  lebendigen  Vortrag  könnten  hoffent- 
lich Vorstellung  und  Empfindung  wirksam  werden. 

Freilich,  unsere  gaaze  Theorie  einer  Vorstellungseinheit  in  Gleich- 
nis und  Hauptvorgang  würde  erschüttert  werden,  wenn  Cauer  wenigstens 
für  gewisse  Fälle  recht  hätte,  wenn  er  sagt:  gerade  Homer  unterbreche 
mit  seinen  Gleichnissen  jeweilen  die  Einheit  seiner  Darstellung.  Aber 
wie  ist  Cauer  dem  Homer  sozusagen  auf  die  Sprünge  gekommen?  Etwa 
folgendermaßen.  Die  beiden  Aias  brechen  mit  ihren  Leuten  zur  Schlacht 
auf;  dem  irgendwie  ähnlich  ist  in  der  Natur  eine  heranziehende  Wetter- 
wolke; also  flugs  das  Bild  hingemalt:  eine  Gewitterwolke,  pechschwarz, 
über  die  See  her  gegen  Land  und  Gebirge  ziehend,  auf  den  Bergen  ein 
Hirte  mit  seiner  Herde  in  eine  Höhle  flüchtend;  nun  ist  aber  dieses  Bild 
nach  Erscheinung  und  Anschauung  den  aufbrechenden  Leuten  der  beiden 
Aias  viel  zu  wenig  ähnlich,  um  veranschaulichen  zu  können  ;  also  ist  es 
eine  Unterbrecliung  des  Darstellungsverlaufs  ;  in  diesen  Verlauf  muß  aber 
der  Dichter  wieder  zurückgelangen,  und  das  tut  er  mit  einem  Salto 
mortale,  indem  er  trotz  aller  Unähulichkeit  erzählt:  so  wie  die  Wetter- 
wolke mit  Hirt  und  Herde  hätten  die  Aiasscharen  ausgesehn,  als  sie  sich 


—     59     — 

iu  Bewegung  setzten.  —  Indessen,  nicht  der  Dichter  muß  diesen  Salto 
gemacht  haben.  Viehuehr,  der  Dichter  soll  und  will  darstellen,  wie  sich 
die  Gefolgschaft  der  beiden  Aias  in  Bewegung  setzt;  schon  vorher  hat 
ihm  diese  Gefolgschaft  die  Vorstellung  einer  Wolke  hervorgerufen,  als 
einer  dichtgeschlossenen,  den  lichten  Raum  dicht  erfüllenden  und  darum 
dunkel  erscheinenden  Masse  :  daraus  erwäclist  ihm  jetzt  die  eraptindungs- 
stärkere  Idee  des  unheimlich  Dräuenden,  wie  es  der  ersten  mächtigen 
Bewegung  einer  solchen  geschlossenen  Kriegermasse  anhaftet;  als  Aus- 
druck dieser  Idee  drängt  sich  auf  die  Erinnerung  an  heranziehende 
Gewitterwolken,  und  in  allen  Einzelzügen  des  Gleichnisses  drückt  sich 
eben  der  Charakter  des  unheimlichen,  gefahrdrohenden  Heranziehens 
lebendig  aus.  Dann  folgt,  wirkungsvoll  vorbereitet  durch  das  Gleichnis 
und  folgerichtig  denselben  Vorstellungs-  und  Empfindungscharakter  tragend, 
der  Hauptvorgang:  „solcher  Art  setzten  sich  in  mächtige  Bewegung  die 
Reihen  götterstarker  Männer  zu  vernichtendem  Kampf,  dichtgeschlossen, 
dunkel,  starrend  in  Waffen".     Hier  klafft  nichts.  M 

Ein    anderer  Fall  bei  Cauer.     Hektor  stürzt  in  das  Gedränge  der 
Achäer.    Zufäüige  Erinnerung  des  Dichters  an  einen  Wasserschwall,  der 
in  ein  Schiff  schlägt:  selbständige  Ausführung   des  Bildes.     ZufäUig  die 
Schiffleute  im  Bilde  voll  Furcht  :  das  Wort  Furcht  für  den  abgeschweiften 
Dichter    ein    klug    benutzter  Notsteg    zur  Rückkehr.     Ist    es  bei  Homer 
ebenso  ?     Nein,  vor  Hektors  Einbrechen  sind  die  Achäer  ohne  Wanken 
und   ohne   Fluchtschrecken:    durch    Hektor    soll  ja  aber    der  Schrecken 
kommen.    Schreckhaft  an  Hektor  ist  schon  der  umstrahlende  Feuerglanz; 
Schreckhaftigkeit  der  Wirkung  von  Hektors  Einbruch  ist  gerade  die  Idee, 
die  den  Erzähler  schon  im  voraus  erfüllt  und  im  Gleichnis,  vom  schreck- 
haften Wassersturz  ins  Schiff,  zum  Ausdruck  drängt;  dann  die  eigenthche 
Erzählung  von  der  schreckhaften  Wirkung  Hektors,  vom  Schwanken  im 
Mute    bei    den    Achäern,    später   vom    Fluchtschreck.     Hierin    finde    ich 
weder  rücksichtlose  Abschweifung  noch  gezwungene  Rückkehr  und  keinen 
zufällig    sich    bietenden   Notsteg,    sondern    folgerichtigen    Gang    bis    zur 
folgerichtigen  Ankunft  an  einem  schon  anfangs  vorschwebenden  Ziele.-) 
Aber  haben  es  denn  etwa  die  Dichter  im  dritten  Jahrtausend  nach 
Homer  wirklich  so  ganz  anders  gemacht  als  Homer?    Berühmt  für  seine 
Gleichnisse  ist  Dante.  ')    Dieser  vergleicht  einmal  den  brodelnden  Pech- 
pfuhl der  Hölle  mit  dem  siedenden  Pech  im  Arsenal  zu  Venedig.    Ganz 
homerisch,  hat  man  gesagt:  möglichst  konkretes  BM  des  venezianischen 
Pechbrodels,,    genaue    F,mze\schi/demnf/  auch    seiner   hka/en   Tnigebung. 


')  llias  4,  274—282.     Cauer,  Grundfragen  a.  0. 

•-')  llias  15,  B03— 622— 687. 

:^)  Scartazzini.  Dante  Alighieri,  seine  Zeit,  sein  Leben  und  seine  Werke  S.  .Ô2i1  t. 


—     60     — 

daher  eine  klare  Anschauumj  für  den  höllischen  Brodel.  0  Man  mag  es 
mit  dieser  Veranschaulichung  immerhin  probieren,  aber  der  Erzähler 
sagt  selber,  vom  Höllenpfnhl  habe  er  nur  eine  wundersam  unklare  Tiefe, 
unten  nichts  als  eine  wogende,  überwallende,  blasentreibende  Pechmasse 
gesehen;  nichts  verlautet  vorläufig  von  Umgebung,  von  Gestalten,  von 
Tätigkeit.  Vom  Arsenal  ebenfalls  kein  Anschauungsbild  :  der  Ort  nicht 
gezeichnet,  dagegen  Tätigkeiten  der  Arsenalarbeiter  genannt;  schon  die 
zweite  Art  Arbeit  ohne  Bezug  auf  das  brodelnde  Pech,  der  Pechbrodel 
hier  im  Arsenal  sogar  noch  unbestimmter  als  dort  in  der  Hölle  ;  dagegen 
sehr  lebendig  liier  ein  vielseitiges  Arbeitsleben  mit  klaren  praktischen 
Zwecken,  während  dort  kein  Leben  erkennbar  ist  als  das  wüste  Gebrodel 
selber  und  kein  Zweck  erfaßbar.  Wo  bleibt  also  die  Veranschaulichung 
des  einen  dort  durch  das  andre  hier?  Wo  bleibt  aber  auch  bei  Dante 
wieder  die  Einheit  der  Darstellung  und  der  ungezwungene  Übergang  vom 
Ende  des  Gleichnisses,  nämlich  vom  Ruderschnitzen,  Seiltlechten  und 
Segelflicken,  zum  seltsam  öden  Brodeln  des  Pechs  in  der  Höllenkluft? 
Übersetzer  haben  in  der  Tat  auch  bei  Dante  einen  Notsteg  hergestellt, 
indem  sie  am  Ende  des  Gleichnisses  das  Pech  im  Arsenal  wieder  er- 
wähnen und  mit  dem  Arbeitsleben  in  Beziehung  setzen  —  aber  Dante 
selber?  Ich  denke  mir  die  Sache  so:  der  Dichter  hat  der  empflndungs- 
starken  Vorstellung  Ausdruck  geben  wollen  gerade  von  einem  geheimnis- 
voll dunkeln,  rätselhaft  einförmigen,  end-  und  ziellosen,  unheimlich  über- 
natürlichen Wesen  des  Höllenpechpfuhls,  und  dabeibist  ihm  die  kontra- 
stierende Erinnerung  an  das  klare,  vielseitige,  zweckvolle  und  natürlich 
muntre  Leben  bei  den  Pechpfannen  zu  Venedig  aufgestiegen.  Konstrast 
ist  eine  häutig  vorkommende  Art  Vorstellungsassoziation,  und  am  Kontrast 
ist  unsre  Empfindung  eine  feinere  und  tiefere.  Freilich,  Empfindung  im 
allgemeinen  und  Kontrastgefühl  im  l)esondern  überläßt  Dante  uns  — 
ganz  wie  Homer. 

Beim  selben  Dante  —  wie  kann  nur  die  paradiesische  Herrlichkeit 
seligen  lichten  Lebens,  das  über  die  goldene  Leiter  in  kristallenem  Himmel 
niedersteigt,  irgend  bildmäßig  deutlich  werden  durch  eine  Vergleichung 
wie  die  :  in  dem  Glanzgewimmel  sei  etwas  Ahnliches  gewesen  wie  das 
Gebaren  armseliger  Krähen,  die  am  frostigen  Morgen  ihr  erstarrendes 
Leben  notgetrieben  und  notdürftig  wieder  in  Gang  bringen  ?  wo  ist  hier 
der  sofort  einleuchtende  Vergleichungspunkt?  ist  der  Übergang  von  den 
Krähen  zu  dem  einen  Lichtgeist,  Pietro  Damiano,  und  die  Tonart  beim 
Übergang  nicht  wunderlich  ?  -  Oder,  wenn  Göthes  Hermann  das  Schein- 
bild Dorotheens  an  sich  vorbeischweben  sieht,  ist  mir  das  etwa  anschau- 
])arer,  nachdem  ich  erst  den  Wanderer  geschaut  habe,  dem  das  Bild  der 

•)  Dante,  Inferno  21.  4  —  22.     Jebb,  Homei-  (übers,  von  Schlesinger)  S.  40  f. 


—     61      - 

eben  untergegangenen  Sonne  noch  überall  vor  Augen  schwebt?  und 
schlagend  deutlich  ist  auch  hier  der  Vergleichungspunkt  nicht;  also  fehlt 
das  Einigende,  die  Einheit,  also  der  Stil,  mit  Cauer  zu  reden,  und 
mancher  Göthekenner  setzt  zu  diesem  Gleichnis  ein  Fragezeichen.  — 
Ein  Neuerer,  Widmann  in  seinem  „Buddha",  vergleicht  das  Auf-  und 
Niedersteigen  indischer  Aasgeier  über  dem  Schlachtfeld  mit  einem  Baja- 
derenreigen :  je  anschaulicher,  desto  widerspruchsvoller;  und  der  Zweck 
der  widerspruchsvollen  Vergleichung,  die  Einheit  der  Gesamtdarstellung? 
—  Bei  unserm  gewiü  nicht  klassizistischen  (xottfried  Keller  wird  die 
Gewohnheit  einer  alten  Bäuerin,  Sonntags  die  Bibel  zum  bequemen  ge- 
legentlichen Lesen  offen  daliegen  zu  haben,  verglichen  mit  dem  Sonntags- 
brauch, eine  Schüssel  Kirschen  bereit  stehen  zu  lassen  zu  gelegentlichem 
Naschen:  was  soll  diese  Vergleichung?  stimmt  sie  zu  irgend  einem  Ein- 
klang? denn  zur  Veranschaulichung  ist  sie  weder  nötig  noch  geeignet.') 
Keller  will,  denke  ich,  im  Gleichnis  noch  zu  besonderem  Ausdruck 
bringen  eine  lebhafte  Vorstellung  vom  inneren  Wesen  der  Bäuerin,  wie 
es  ihm  bei  der  Art  ihrer  Bibellektüre  vorschwebt,  und  er  will  ausdrücken, 
was  er  daran  empfindet  :  das  Wesen  einer  naiv  praktischen  Art  Religio- 
sität, ein  harmlos  vergnügliches  Genießen  des  altgewohnten,  ehrenfesten 
Verkehrs  mit  dem  lieben  Gott,  und  dieses  Wesen  empfunden  mit  liebe- 
voller Teilnahme,  in  der  Stimmung  des  Humors  —  ganz  im  Zusammen- 
klang mit  der  übrigen  Darstellung.  —  Bei  Widmann  gibt  das  Gleichnis 
von  der  Reigenkunst  der  Bajaderen  einer  Vorstellung  und  Empfindung 
des  grausig  Widerspruchsvollen  Ausdruck,  wie  sie  den  ganzen  Zusammen- 
hang beherrscht,  mit  einer  ernst  sarkastischen  Stimmung  für  das  groteske 
Spiel  im  Grausigen.  —  Was  in  „Hermann  und  Dorothea"  die  Teile  der 
Vergleichung  einigt,  scheint  etwa  dies  zu  sein  :  die  Idee,  wie  eine  herr- 
liche Erscheinung  auf  iVuge  und  Sinn  eines  Menschen  nachwirkt  mit 
einer  seltsamen  Übergewalt,  vor  welcher  alle  Wirklichkeit  und  Regel 
aufgehoben,  natürliches  Sehen  in  visionäres  Schauen  verkehrt  wird  ;  diese 
Überwältigung  an  einem  Manne  wie  Hermann  als  ein  Wunder  der  Natur- 
gewalt mit  menschhchster  Teilnahme  ernst  empfunden.  —  Endlich  wieder 
Dante.  Das  Glanzgewimmel  der  Lichtgeister  war  damals,  als  er  es  sah, 
für  ihn  als  irdischen  Zeugen  ein  Mysterium,  für  das  Unbegreifliche  in 
diesem  AVesen  und  Bewegen  auf  der  Himmelsleiter  tauchte  damals  dem 
Erdenmenschen  nur  eine  wunderliche  Ähnlichkeit  aus  ,, unwürdiger"  irdi- 
scher Sphäre  auf.  Jetzt,  wo  der  Zeuge  das  Erle"bnis  erzählt,  mag  er 
jene  Erinnerung  an  den  Krähenschwarm  wohl  in  einer  Stimmung  der 
Ironie   berichten,    einer  Ironie   nämlich,    welche   seiner   eigenen   mensch- 


^)  Paradiso  21,    29—42.     Hermann   und  Dorothea.  Erato   1  ÏÏ.     Buddha,  zweiter 
Gesang.     Leute  von  Seldwyla,  Das  verlorene  Lachen. 


—     62     — 

liehen  Erkenntnisobnmacbt  gilt.  Auch  weiterhin  drückt  sich  die  Vor- 
stellung und  Empfindung  einer  himmlischen  Geheimnisfülle,  welche  über 
alles  Menschenverstehn  hinausreiche,  nicht  bloß  in  ausdrücklichen  Worten 
aus,  sondern  auch  in  einem  ironischen  Vergleich  :  der  sebge  Lichtgeist 
Pietro  Damiano  nämHch  dreht  sich  im  Kreise  wie  —  ein  geschwinder 
Mühlstein!  Ist  das  nicht  wahrhaft  homerisch  unwürdig  und  stilwidrig? 
Also  bei  guten  und  besten  Epikern  unseres  Jahrtausends  ganz  wie 
bei  Homer  Zwecklosigkeit  oder  gar  Zweckwidrigkeit  der  Vergleichungen, 
sobald  wir  die  Anschauungstheorie  anwenden  ;  umgekehrt,  wenn  wir  es 
mit  der  Vorstellungs-  und  Ideentheorie  versuchen,  Zweckmäßigkeit  und 
Notwendigkeit.  Und  diese  Notwendigkeit  mit  Julius  Ziehen  für  alle 
Epiker  insgemein  zu  leugnen,  dazu  hätten  wir  das  Recht  erst  dann,  wenn 
wir  vom  Standpunkte  eines  fortgeschrittenen  Positivismus  gewisse  höhere 
geistige  Bedürfnisse  und  freie  Notwendigkeiten  überhaupt  leugneten.  Nun 
aber  haben  z.  B.  die  Griechen  das  Bedürfnis  gehabt,  stark  empfundene 
Allgemeinvorstellungen  von  Welt  und  Leben  in  Mythen  auszudrücken, 
und  welchen  Zwang  dieses  Bedürfnis  ausgeübt  hat,  sagt  uns  in  seiner 
unvergleichlichen  Weise  Jakob  Burckhardt;  der  Grieche  Piaton  hat  sich 
genötigt  gefühlt,  ünaussprechlichkeiten  seines  Vorstellens  und  Empfindens 
in  der  Form  des  Gleichnisses  zu  sagen.  Nach  Göthe  reicht  dem  höhern 
Menschen  überall  die  herkömmliche  Sprache  nicht  aus,  und  um  die  ,,Idee'- 
einer  Erscheinung,  die  als  Idee  in  tausend  Sprachen  unaussprechbar  ist, 
uns  wenigstens  mit  unserem  Empfinden  empfangen  zu  lassen,  bedarf  der 
symbolische  Dichter  seines  Symbols.  Sogar  der  Gedanke  der  kritischen 
Philosophie  bedarf,  nach  Chamberlain  im  „Immanuel  Kant",  der  Deu- 
tung durch  ein  Gleichnis,  weil  er  direkt  ein  Unaussprechliches  ist.  Also 
ist  es  wohl  ein  ,, ästhetischer  Imperativus",  der  alle  guten  Epiker  immer 
wieder  treibt,  Gleichnisse  anzuwenden;  nur  wer  nie  etwas  Unaussprech- 
liches zu  sagen  hätte,  würde  niemals  ein  Gleichnis  nötig  haben. 


V. 

Soweit  die  Belastungsprobe  für  unsere  Hypothese.  Unser  Gesamt- 
ergebnis wäre  jetzt,  immer  noch  hypothetisch,  etwa  folgendes.  Der  er- 
zählerde Dichter  hat  soeben  einen  Vorgang  erzählt  oder  will  ihn  gerade 
erzählen:  da  bekommt  dieser  Vorgang  in  seiner  Vorstellung  einen  eigen- 
tümlichen, vielleicht  seltsamen  Charakter,  und  diesen  em})findet  er  lebhaft; 
es  drängt  den  Erzähler,  diese  empfindungsvolle  Vorstellung,  diese  Idee 
auszudrücken,  aber  in  den  eigentlichen  AVorten  vermag  er  es  nicht  :  jetzt 
drängt  sich  ihm,  vermöge  unwillkürlicher  Ideenassoziation,  die  Erinnerung 
an    einen  Vorgang   auf,    in  welchem    sich  für  ihn  jene  Vorstellung  ganz 


—     63     — 

besonders  stark  und  lebendig  ausdrückt.  Also  Unausgesprochenes  und 
Unaussprechliches  mit  Hilfe  einer  Art  Symbol  für  sich  und  andre  den- 
noch auszudrücken,  ist  der  Zweck;  die  Wirkung  die,  daß  dem  Hörer 
Vorstellung  und  Empfindung  von  etwas  Unausgesprochenem  oder  Unaus- 
sprechlichem, vielleicht  auch  eine  begleitende  Stimmung  wie  durch  Sug- 
gestion mitgeteilt  wird.  Stoffinhalt  auch  des  Gleichnisses  ist  ein  Vorgang 
aus  der  Welt  äußerer  oder  innerer  Erfahrung,  der  Gleichnisvorgang  dem 
Hauptvorgang  vielleicht  nur  ganz  entfernt  ähnlich  für  die  bildmäßige 
Anschauung,  aber  innig  ideenverwandt  für  die  augenblickliche  innere 
Disposition  und  subjektive  Empfindung  des  Erzählers;  also  Momentaneität 
und  Subjektivität,  nicht  plastische  Realität!  Auch  diu'ch  seine  Sprache, 
den  sogenannt  ,, sinnlichen'*  Ausdruck  oder  das  „sichtige"  Wort,  erinnert 
das  Gleichnis  lebhaft  an  wirkliche  oder  potentielle  Erfahrung,  aber  es 
erweckt  nur  lebhafte  Vorstellungen,  nicht  sinnliche  Anschauungen,  und 
es  dient  mit  seinen  aufeinanderfolgenden  lebhaften  Einzelvorstellungen 
immer  nur  dazu,  jene  gemeinsame  Idee  der  beiden  Vorgänge  auszudrücken. 
Der  Vergleichungspunkt  wird  weder  ausgesprochen  noch  versinnlicht,  beim 
Hören  weder  durch  Reflexion  gedeutet  noch  mit  der  Phantasie  angeschaut  ; 
die  Einheit  der  Vergleichungsglieder,  als  eine  ideelle,  bei  lebendigem 
Vortrag  von  empfänghchen  Hörern  empfunden.  Zweck,  Wesen  und  Mittel 
des  epischen  Gleichnisses  sind  von  Homers  Möwe  bis  zu  Gottfried  Kellers 
Kirschenschüssel  im  allgemeinen  die  gleichen,  in  einem  allgemein  mensch- 
lichen Bedürfnis  begründet. 

Mit  diesem  Ergeljnis  wäre  aber  vielleicht  ein  allgemeinerer  Zweck 
von  uns  erreicht.  Ich  denke  hier  nicht  an  die  besonderen  Konsequenzen 
für  das  Gleichnis  überhaupt,  für  die  ganze  Lehre  von  den  Figuren  und 
Tropen  oder  für  ideelle  Einheiten  und  Einheit  im  ganzen  Homer;  aber 
was  wir  nach  unserer  Annahme  im  Falle  des  Gleichnisses  gesündigt 
haben,  das  sündigen  wir  gerade  heutzutage  in  tausend  Fällen  unseres 
Wissenschafts-,  Bildungs-  und  Schullel)ens.  Sehen,  Anschauung,  Wirk- 
lichkeitssinn schätzen  wir  mit  Recht,  aber  wir  überschätzen  Sehen  und 
Anschauen  gegenüber  Empfinden  und  Vorstellen  und  die  Wirklichkeit 
gegenüber  einer  höheren  allgemeinen  Wahrheit.  Für  das  Einzelne  und 
Besondere,  für  das  stofflich  oder  technisch  Tatsächliche,  für  reale  Zwecke 
oder  praktische  Tendenzen,  für  das  Historische  und  die  historische  Kau- 
salität haben  wir  mehr  Sinn  als  für  das  Allgemeine,  Typische,  die  leben- 
schaffende Kraft  der  Idee,  die  ideelle  Zweckmäßigkeit,  das  allgemein 
und  ewig  Menschliche;  mechanisches  Machen  und  evolutionistisches  AVerden 
sind  uns  verständlicher  und  interessanter  als  persönliches  Schaffen.  Nun 
ist  unser  wissenschaftlicher  Positivismus  von  Adolf  Hildebrand  in  seinem 
„Problem  der  Form"  verantwortlich  gemacht  worden  für  das  Absterben 
eines  natürlichen  künstlerischen  Vorstellungsvermögens.    Dabei  erinnern 


—     64     — 

wir  uns,  wie  einst  Du  Bois-Reymond  und  jüngst  Petzold  im  Namen  der 
„reinen  Erfahrung"  z.  B.  alle  Centauren,  Pane  und  Najaden,  alle  ge- 
flügelten Genien  und  Engel  aus  der  Kunst  ausgeschlossen  haben,  oder 
wie  Hippolyte  Taine  (den  wir  gerade  jetzt  wieder  gerne  anrufen)  uns 
von  der  größten  griechischen  Kunst  so  wenig  hat  sagen  können  und  die 
moderne  Romantik  sich  als  eine  intellektuelle  Krankheit  verständlich  ge- 
macht hat.  Wir  dürfen  es  uns  also  nicht  verhehlen,  was  für  eine  Gefahr 
vollends  von  selten  eines  unwissenschaftlichen  Positivismus,  wie  er  Leben 
und  Bildung  beherrscht,  jeder  tiefer  seelischen,  geistig  menschlichen, 
wahrhaft  humanen  Kultur  drohen  kann:  diese  Gefahr  in  Wissenschaft 
und  Schule  zu  bekämpfen,  wäre  ein  gerechter  Kulturkampf. 

Allerdings  rufen  so  viele  jetzt  nach  künstlerischer  Kultur;  aber 
gerade  unsere  jetzige  aufgeregte  Liebe  zur  bildenden  oder  zur  musika- 
lischen Kunst  ist  vorläufig  oft  nur  „die  Furcht  vor  dem  Alleinsein,"  dem 
Alleinsein  in  einer  ideenleeren  positivistischen  Welt,  und  für  viele,  die 
am  lautesten  nach  Kunsterziehung  rufen,  ist  Sehen,  Anschauung  und 
Wirklichkeitsdarstellung  nicht  etwa  bloß  das  Erste,  sondern  auch  das 
Letzte  in  ihrer  Kunst.  Dem  gegenüber  für  ein  geistigeres  und  persön- 
licheres Leben  in  der  Sprache  und  in  der  geistigsten,  also  menschlichsten 
Kunst,  der  Wortkunst,  einzutreten,  für  eine  Art  Junghumanismus  zu 
kämpfen,  das  wäre  der  allgemeinere  Zweck  auch  dieser  Arbeit. 


über  den  Barditus. 

Von 
Wilhelm  Brückner. 


Trotz  den  zahlreichen,  berufenen  und  unberufenen  Erklärern.  die 
die  Germania  des  Tacitus  schon  gefunden  hat,  weist  die  kleine  Schrift 
doch  noch  mehrere  Stellen  auf,  für  die  eine  wirklich  befriedigende 
Deutung  oder  gar  ein  in  allen  Einzelheiten  völlig  sicheres  Verständnis 
bis  jetzt  nicht  erzielt  worden  ist.  Zu  diesen  gehört  auch  das,  was  in 
Kap.  3  über  den  Barditus  berichtet  wird:  Siinf  illis  //aec  (/(loque  carmlna. 
quorum  relaiii,  quem  hardituni  rorant.  accendunt  aninios  futuraeque  ßugnae 
fortunam  ipso  cantu  auguraniur.  terrent  emm  trepidantve.  prout  somilt 
(wies,  nee  tarn  vocis  Ute  quam  virtutis  coneentus  ddetur.  affeciafur  prue- 
cipue  cisperitcis  soni  et  freiet  um  mur  mur  ohieetis  ad  os  scutis.  quo  ptenior 
et  greivior  cox  repercussu  intumescat.  Angesichts  der  Wichtigkeit,  die 
diese  Stelle  für  unsre  Kenntnis  der  ältesten  germanischen  Dichtungs- 
gattungen hat,  wird  der  vorliegende  Versuch,  über  das  Wesen  des  Bar- 
ditus einigermaßen  ins  Klare  zu  kommen,  keiner  Rechtfertigung  be- 
dürfen, auch  wenn  es  nicht  gelingen  sollte,  alle  dunkeln  Punkte  zu 
erhellen. 

Da  manche  Einzelheiten  der  Stelle  eine  verschiedene  Auslegung 
zulassen  und  zum  Teil  auch  gefunden  haben,  sollte  eine  Erklärung,  die 
einigermaßen  sicher  gehen  will,  am  ehesten  von  der  Bedeutung  des 
Wortes  Imrditus  ausgehen.  Allein  gerade  damit  ist  es  übel  bestellt.  Be- 
kanntlich ist  eine  sichere  Deutung  des  Wortes  bis  jetzt  überhaupt  nicht 
gefunden.  Älüllenhoff  De  antiquissima  Germanorum  poesi  chorica  p.  20 
hat  zuerst,  freilich  mit  starken  Zweifeln  ^)  Zusammenhang  angenommen 
mit  altn.  f)ar(Tf  , Schild',  und  dieselbe  Ansicht  vertritt  auch  Wackernagel 
G-esch.  der  deutschen  Literatur  I-  S.  7.  Diese  Deutung  hat  mehrfach 
Beifall  gefunden,  vgl.  z.  B.  Kelle,  Gesch.  d.  d.  Litt.  I  S.  9  und 
Koegel,  Gesch.  d.  d.  Litt.  I  1,  S.  18  f.  Später  hat  jedoch  Müllenhoff 
selbst  diese  Erklärung  aufgegeben  Dx\K  4,  136,  weil  tiardi  in  der  Be- 
deutung .Schild'  nur  ein    einziges  Mal   belegt    sei    und    dort   otfenbar  in 


')  iS    19  äussert  er  sich  geradezu:  vocabulum  barditus  explicare  ne^eio. 

5 


—     66     — 

übertragenem  Sinne.  Er  versucht  dann  eine  neue  Deutung  des  Wortes 
und  nimmt  unter  Berufung  auf  altn.  skeggrodd  an,  es  sei  von  bard  ,Bart' 
herzuleiten;  harditus  wäre  demnach  die  ,ßartrede',  freilich  nicht  der 
germanischen  Krieger  selbst,  sondern  des  Donnergottes  Herkules,  den 
sie  ifuri  in  proeUa  cannnt;  in  dem  donnerähnlichen  Getöse  sollte  die 
Stimme  des  Donnergottes  nachgeahmt  werden.  Auch  diese  Erklärung, 
die  Müllenhoff  selbst  nur  als  einen  Versuch  bezeichnet,  den  dunkeln 
Ausdruck  aufzuhellen,  hat  vielerorts  Zustimmung  gefunden;  vgl.  z.  B. 
Mogk  im  Grdr.  der  germ.  Phil.  III-  S.  357.  Doch  kann  auch  diese 
Etymologie  nicht  befriedigen.  Abgesehen  davon,  daß  der  bcn'difus  von 
Tacitus  deutlich  unterschieden  wird  von  den  Liedern,  die  die  Germanen 
beim  Marsche  in  die  Schlacht  auf  Herkules,  den  Donnergott,  singen, 
daß  es  also  von  vornherein  nicht  allzu  wahrscheinlich  ist,  daß  beide 
zum  Lobe  desselben  Gottes  angestimmt  werden,  bleibt  es  ganz  un- 
klar ,  wie  die  Ableitung  auf  -  /7^/.S'.  mag  nun  harditus  von  haväi  oder 
von  bard  abgeleitet  werden,  die  Bedeutung  ,Rede  oder  Gesang*  gewinnen 
soll.  Die  vergleichbaren  Bildungen  ^)  wie  mlat.  mordrifus  Lex  Fris. 
(Tit.  XX),  got.  fuinps  (nur  im  Gen.  Plur.  fuWpé  belegt  Kol.  2,  16)  ahd. 
leitid,  scep/üd.  lielüiU  eigentl.  , Stecher',  irarid.  werid  alle  masc,  ferner 
ferid,  hulkl  u.  a.,  deren  Geschlecht  nicht  bekannt  ist,  scheinen  alle  von 
Verben  und  zwar  meistens  von  schwachen  Verben  der  ,yV/-Klasse  abge- 
leitet zu  sein,  vgl.  Wilmanns,  deutsche  Grammatik  II  ^  S.  349.  Das 
Unzulängliche  der  beiden  Erklärungen  ist  schon  mehrfach  erkannt  worden.  ") 

1)  Es  mag  hier  freilich  angemerkt  werden,  daß  die  germanische  Wortform  aus  der 
lateinischen  Form  kaum  mehr  mit  völliger  Sicherheit  zu  erschließen  ist.  Immerhin  dürfen 
wir  mit  Bestimmtheit  annehmen,  daß  dem  germanischen  Worte  kurzes  l  zukommt.  Mit 
langem  i  würde  sich  zum  Vergleich  nur  got.  fuUeips  (Acc.  fulleip  Mc.  4,28)  darbieten, 
zu  dessen  Bildung  die  anderen  germanischen  Idiome  keine  genaue  Parallele  zu  bieten 
scheinen  (vgl.  von  Bahder,  die  Verbalabstrakt  a  in  den  germ.  Sprachen  S.  79),  und  dessen 
ei  darum  vielleicht  auf  ein  Versehen  des  Schreibers  zurückzuführen  ist,  das  bei  den  zahl- 
reichen Verbalabstrakta  auf  -eins,  wie  usfiilleins,  leicht  zu  begreifen  wäre.  Dagegen 
zeigt  wohl  die  lateinische  Umgestaltung  des  Wortes  zu  barrîiiis,  einer  Bildung  wie  miigllus 
oder  ntgitus,  daß  die  Römer  sich  das  Wort  auf  ihre  Weise  zurecht  gelegt  und  mit 
langem  /  gesprochen  haben. 

2)  Ich  erwähne  noch  den  Versuch  Laistners  in  den  Württemberg.  Vierteljahrs- 
heften für  Landesgesch.  N  F  1  (1892)  S.  25.  Er  bringt  barditits  mit  dem  Volksnamen 
Langobardi  und  Bardi  zusammen  und  erschließt  für  Bardi  gewiß  unrichtig  eine  Bedeutung 
jKrieger'.  Diese  Zusammenstellung  ist  schon  deshalb  hinfällig,  weil  für  Langobardi  die 
Bedeutung  ,Langbärtige'  feststeht,  vgl.  auch  Much,  Z.  f.  d.  Wortforschung  1,  319  f. 
Diese  alte  Deutung  des  Volksnamens  wird  m.  E.  über  jeden  Zweifel  erhaben  durch 
eine  Bemerkung  Widukinds  II  36  (M  Gr.  SS  3,  448),  eine  Stelle,  die  mir  Sprache 
der  Langobarden  S.  33  entgangen  ist  :  Er  sagt  dort  bei  der  Schilderung  Ottos  I  : 
proUxior  barba  et  haec  contra  morem  antiquum.  Wenn  die  benachbarten  Sachsen 
nach  alter  Sitte  den  Bart  kurz  trugen,  so  ist  die  Rezeichnung  der  Winniler  als  ,Lang- 
bärtige'  im  Gegensatz  dazu  ohne  weiteres  verständlich. 


—     67      — 

Wenn  freilich  Siebs  Z.  f.  d.  Ph.  29,400  kurzweg  annimmt,  das  Wort 
komme  von  einer  germ.  Wurzel  *h(n'(l  , schreien',  so  bedeutet  das  m. 
E.  nicht  viel  anderes  als  den  völligen  Verzicht  auf  eine  sorgfältige  Er- 
klärung des  Wortes. 

Genaueres  über  den  ])arditus  erfahren  wir  von  Ammianus  Marcel- 
linus. Aus  der  Schlacht  Julians  gegen  die  Alemannen  bei  Strassburg 
weiß  er  (16, 12,  43)  von  den  Comuten  und  Bracchiaten,  gallischen  Stämmen, 
die  im  Heere  Julians  gegen  die  Alemannen  fechten,  folgendes  zu  be- 
richten: Cornuti  eniin  et  Bracchkiü  usii  proe/ioritfu  diuUirno  prmaÜ  eos 
(seil.  Akunanuosj  kun  c/estu  krrentes  harritinn  eiere  cel  i/i(uinmm:  qui 
elamor  ipso  fervore  eerkiminum  a  tenui  susurro  exoriens  paukiüm  aduks- 
cens  ritu  extoUitur  flnetnum  eauiihus  inUsorum.  Und  31,  7,  11  charakte- 
risiert er  den  burritus  etwas  küi-zer^):  Romani  quiek/n  coee  umlique 
Mariia  concinenks  a  minore  solita  ad  maiorem  proto/fi.  quam  gentUitate 
appeUant  harritum,  vires  validas  erigebant.  Es  darf  uns  dabei  nicht  be- 
irren, daß  es  römische,  im  Kampf  gegen  die  Alemannen  ausdrücklich 
keltische  -)  Truppen  sind,  die  den  Barritus  erheben  ;  darf  doch  wohl  schon 
aus  den  Worten  Corniili  et  Braeelnati  usu  proetiorum  diulurno  flrmati  eos 
iam  gestu  terrentes  geschlossen  werden,  dass  sie  eben  den  Kampf  mit 
den  Germanen  gewohnt  waren  und  wußten,  was  diese  schreckte.  Zudem 
ist  ja  zur  Genüge  bekannt,  daß  germanische  Gebräuche  und  Eigen- 
tümlichkeiten der  Bewaffnung  samt  den  fi-emden  Bezeichnungen  vielfach 
im  römischen  Heere  verbreitet  worden  sind,  zunächst  natürlich  durch 
Vermittlung  germanischer  Hiltstruppen,  vgl.  Kluge,  Grdr.  d.  germ.  Phil. 
I-  S.  327  ff.  Statt  der  a.  O.  besprochenen  Ausdrücke  sei  hier  eine 
besonders  instruktive  Stelle  aus  Mauricius  als  Beleg  angeführt  (Germania 
antiqua  S.  169),  die  freilich  für  eine  etwas  spätere  Zeit  zeugt:  Uola 
ôeî  cpoQEÎv  ifidzia  tovg  jie^ovç.  Eïxe  ^ojazäQia  Fo  i  ß-  ly.  à  eïte  cl  q- 
fiE Àavaia^)  e'^ovai,  xovôà  /nÉXQi  f^ôjv  yovdxùjv  avToJv  ôeI  (poçEÎv  avTovç, 
là  -UTzoorj^iaza  aôrcov  Ta  tB-  ixà,  xacavid  u.  s.  w.  UoTa  ôeÏ  o:nÀa 
È'xEiv  Tovç  o'AOVTàiovç.  ^Koviaçia  àfiôxQoa  i)  xazù  dQid-fiöi>  /}  xaià  zdyfia, 
ajiad-ia  'EçovÀlaxia,  xopidçia.  —  Ebensowenig  darf  uns  die  ab- 
weichende Namensform  irre  machen.  *)    Daß  barritus  freiHch  nicht  laut- 

')  Die  andern  Stellen  bei  Ammian  ergeben  nicht  viel;  erwähnt  sei  noch  26,  7, 
17  pro  terrifico  fremltu.  quem  barbaii  dicunt  barritum. 

-)  Auch  in  dem  Bericht  über  die  (Totenschlacht  werden  auf  Seite  der  Römer 
neben  den  aus  Armenien  hergeführten  Legiooeu  namentlich  keltische  Truppen  erwähnt, 
s.  Amm.  31,  7,  1—4. 

3)  Zu  den  armelaitsia  vgl.  Miillenhoff,   DAK  4,  3ü0. 

*)  Kluge  im  Grdr.  d.  germ.  Phil.  I  -  S.  329  scheint  einer  der  wenigen  zu  sein 
die  rarrltiis  bei  Ammiau  nicht  nur  in  der  Lautforni,  sondern  auch  in  der  Bedeutung 
von  dem  barditus  des  Tacitus  getrennt  halten  möchten.  Dagegen  hält  Baumstark,  den 
Kluge  wohl  aus  Versehen  als  Gewährsmann  anführt,  wie  Müllenhofi'  daran  fest,  daß 
bei  Tacitus  und  bei  Ammian  von  der  nämlichen  Sache  die  Rede  sei. 


—     68     — 

gesetzlich  mit  hard'dus  zusammenzubringen  ist,  braucht  trotz  Laistner  a. 
0.  kaum  bemerkt  zu  werden;  schon  Müllenhoff  de  ant.  Germ,  poeni  S. 
19  hat  alle  dahinzielenden  Deutungsversuche  mit  Recht  abgelehnt.  Viel- 
mehr ist  barrittffi  offenkundig  eine  humoristische,  in  Anlehnung  an  ha  mis. 
barnre  vollzogene,  volksetymologische  Umgestaltung  des  fremden  harditua. 
vgl.  0.  Keller,  Latein.  Volksetymologie  S.  322  ff.  Unter  diesen  Um- 
ständen muß  die  Erklärung  natürlich  von  der  Taciteischen  Form  des 
Wortes  ausgehen.  Für  den  Xachweis  der  Identität  der  beiden  ist  es 
belanglos,  daß  auch  einige  minderwertige  Handschriften  der  Germania 
haritus  lesen;  mehr  Bedeutung  kommt  vielleicht  dem  Umstände  zu, 
daß   der   Codex  Vaticanus  des  Ammian  regelmäßig  rarrifHS  liest. 

Was  nun  die  Bedeutung  des  Wortes  betrifft,  so  erklärt  Tacitus 
ausdrücklich,  daß  der  bardifus  seinen  Namen  von  der  Vortragsweise 
habe  ;  nach  Ammian  war  aber  eben  das  eigentümliche  gewaltige  An- 
schwellen des  Gesanges  das  Charakteristische.  Der  Versuch  einer  Er- 
klärung wird  daher  gut  tun,  sich  an  diese  Tatsache  zu  halten.  Nun 
taucht  bei  römischen  Autoren  ungefähr  zur  selben  Zeit,  nur  wenig  früher 
als  barditus.  ein  anderes  germanisches  Wort  auf,  worin  anlautendes  b 
einem  germ.  ir  entspricht^):  bimn.  -on fis  =  germ.  wisiind.  Es  ist  ganz 
wohl  möglich,  dass  latein.  barditus  in  ähnlicher  Weise  auf  eine  german. 
Form  mit  anlautendem  ir  zurückgeht;  wir  hätten  demnach  *irardifus 
(etwa  got.  irardips  wie  fuUips)  anzusetzen.  Eine  solche  Form  mit  a' 
gewinnt  natürlich  sofort  die  größte  Wahrscheinlichkeit,  wenn  sie  es  er- 
möglicht, eine  befriedigende  etymologische  Deutung  für  das  Wort  zu 
finden.  Wie  schon  oben  S.  66  bemerkt,  dürfte  dem  Substantiv  ver- 
mutlich ein  schwaches  Verbum  *irardjan  zu  Grunde  liegen.  Zur  Erklä- 
rung scheint  sich  zuerst  ahd.  irartjan  .verderben,  beschädigen'  mit  seinen 
Verwandten  darzubieten,  das  mit  Rücksicht  auf  den  Zweck  des  Gesanges, 
die  Feinde  zu    schrecken    und    zu    verderben,    einen   nicht   unpassenden 


1)  Die  Schreibung  mit  b  für  v  erklärt  sich  aus  der  Eigentümlichkeit  der  latemi- 
schen  Vulgärsprache,  in  der  mancherorts  schon  ziemlich  früh  n  und  b  zusammenge- 
fallen sind.  Infolge  dessen  werden  vom  3.  .Ih.  an  v  und  b  vielfach  unterschiedslos  ge- 
braucht ;  inschriftliche  Belege  für  diese  Vertauschung  von  h  und  v  finden  sich  schon  seit 
demi.  Jh.  n.  Chr.  nicht  ganz  selten;  vgl.  Schuchardt,  der  Vokalismus  des  Vulgär- 
lateins I  131,  III  67;  Seelmann  die  Aussprache  des  Latein,  S.  239  f.  Ms  Belege  für 
diesen  "Wechsel  sind  wohl  auch  gerade  die  neben  binon  und  harr  Uns  gelegentlich  er- 
scheinenden Formen  vison  und  varritus  zu  betrachten.  Speziell  bei  barditus  läßt  sich 
für  die  Schreibung  mit  b  noch  eine  andere  Erklärung  denken:  Das  Wort  wird,  wie 
die  meisten  germanischen  Wörter  zu  jener  Zeit,  den  Römern  vermutlich  durch  gallische 
Vermittlung  zugekommen  sein  (s.  Müllenhotf,  DAK  2,  119  f.);  es  wäre  nun  nicht  un- 
möglich, daß  es  mit  gall.  barJiis  zusammengebracht  worden  wäre  und  sein  b  von  da- 
her bezogen  hätte.  Diese  Zusammenstellung  hat  ja  bekanntlich  auch  in  neuerer  Zeit 
die  Erklärer  des  Tacitus  lange  irregeführt. 


—     69     — 

Sinn  ergäbe.  Doch  würde  diese  Deutung  der  ausdrücklichen  Bemerkung 
des  Tacitus,  daß  der  Vortrag  han/ifus  genannt  werde,  nicht  entsprechen. 
Vollkommen  passend  aber  bietet  sich  außerhalb  des  Germanischen  das 
altind.  rardhaii^  Causativ.  vardlmifatt.  ,stärken,  wachsen  oder  gedeihen 
machen',  zur  Erklärung  dar.  Dem  Causativ  würde  das  vorausgesetzte 
german.  '^irardjau  genau  entsprechen.  Der  trardttim  kann  also  exakt 
die  von  Ammian  geschilderte  Vortragsweise  bezeichnen,  d  h.  die  Schwel- 
lung, das  beständige  Wachsen,  stärker  und  lauter  werden  des  Gesangs, 
das  Crescendo  oder  vielleicht  eher  etwas  konkreter  gefaßt,  das  was  an- 
schwillt, der  Schweller.  Wenn,  was  trotz  der  verschiedenen  Beurteilung 
und  Gruppierung,  die  den  betreffenden  Wörtern  zu  Teil  geworden,  recht 
wohl  möghch  ist,  griech.  ÔQd-ôç  und  ai.  nrdhcâ>i  , aufrecht'  mit  der 
Wurzel  vardh.  bezw.  rerdh  zusammenzustellen  sind  '),  so  ist  der  Umstand 
sehr  bemerkenswert,  auf  den  Curtius,  Grundzüge  der  griech.  Etymologie  "", 
S.  348  hinweist,  daß  oqQ-ôç  und  ilrd/inls  in  der  Anwendung  auf  die 
laute  Stimme  zusammentreft'en  ;  vgl.  auch  dçd-iog  und  ôçQ-iàÇco.  Das 
german.  irard'tfus  würde  sich,  falls  diese  Zusammenstellung  richtig  ist"), 
als  dritter  Zeuge  für  diese  Bedeutungsentwicklung  den  beiden  andern 
zugesellen. 

Über  den  Inhalt  des  BardituS  erfahren  wir  zunächst  leider  gar 
nichts;  Tacitus  braucht  sonst  stets  nur  ganz  allgemeine  und  unbestimmte 
Ausdrücke  wie  cantu^  trii.r  bist.  2,  22  u.  a.  Jedoch  dürfen  wir  wohl 
mit  Bestimmtheit  annehmen,  daß  der  barditus  nicht  einfach,  wie  oft 
angenommen  wird,  ein  unartikuliertes  Getön  war,  sondern  daß  ihm  Worte 
zu  Grunde  lagen.  Mag  auch  die  Bezeichnung  als  canmu  in  dieser  Frage 
nicht  viel  zur  Entscheidung  beitragen,  so  ergibt  sich  dies  doch  aus  der 
einfachen  Überlegung,  daß  die  an-  und  aufregende  Wirkung  des  Gesanges 
viel  mächtiger  ist,  wenn  ihm  ein  bestimmter  Rhythmus  innewohnt;  Rhyth- 


1)  S.  Fick,  Vergleichendes  Wörterbuch  der  indogerni.  Sprachen  *  1  S.  131; 
weitere  Literatur  verzeichnet  Wackemagel,  Altind.  Grammatik  1,  262. 

2)  Dieser  Etymologie  gegenüber  möchte  wohl  die  Tatsache  Bedenken  hervor- 
rufen, daß  andere  Wörter,  die  zur  selben  Sippe  gehören,  auf  germanischem  Gebiet 
nicht  mehr  oder  doch  nicht  mit  Sicherheit  nachzuweisen  sind  ;  denn  man  wird  icort 
,verhum^  nicht  mehr  mit  Schade,  Altdeutsches  Wörterb.  II  S.  1200  hierher  ziehen  wollen. 
Auch  die  Zusammenstellung  von  ahd.  warza  und  wur^  mit  der  Wurzel  vardh  ist  sehr 
unsicher.  Wenn  man,  wie  z.  B.  Kluge,  daran  festhält,  ist  man  genötigt  wegen  der 
verschiedenen  Stufe  der  Dentale  mit  Grassmann  (Kuhns  Zeitschr.  12  S.  92)  eine  früh- 
zeitig neben  vardh.  rrdit  entwickelte  Xebenform  vard,  vrd  anzunehmen.  Doch  ist  es 
ja  bekannt  genug,  daß  in  dem  ältesten  Spraohmaterial,  wozu  auch  die  Eigennamen  zu 
rechnen  sind,  zahlreiche  Wortstämme  erhalten  sind,  die  sich  aus  späterer  literarischer 
Zeit  nicht  mehr  belegen  lassen.  In  unserm  Falle  mag  die  Konkurrenz  von  (aiid.) 
wartjan  .verderben'  und  warten  .Acht  haben,  ausschauen'  mit  ihren  Verwandten  zum 
frühzeitigen  Untergang  des  dem  warditus  zu  Grunde  liegenden  Verbums  *icardjan 
, wachsen  machen-  und  seiner  Sii)pe  wesentlich  beigetragen  haben. 


—      70     — 

mus  setzt  aber  doch  wohl  Worte  voraus,  wenn  auch  sehr  einfache,  die 
sich  zudem  stets  wiederholt  haben  mögen/)  Von  hohem  Werte  für  unsre 
Kenntnis  des  Schlachtgesanges  wäre  es,  wenn  wir  das,  was  Plutarch: 
Marius  cap.  19  von  dem  Verhalten  der  Ambronen  in  der  Schlacht  bei 
Aquae  Sextiae  berichtet,  hier  zur  Vervollständigung  der  ungenügenden 
Angaben  des  Tacitus  und  Ammianus  verwenden  dürften.  Die  Stelle 
lautet:  ovx  àrdxTOiç  ovôe  (laviibÔEoi  cpsQÔfisvoi  ÔQÔfioiç  o-ùôh  âvaçd^qov 
àZaZay/iiov  tévTEç,  àX?.à  y.QOvovjEç  ^vd'fico  tù  djiZa  y.ai  ovvaÀZôfievoi 
Tiâvreg,  âfia  Tr]v  avr  ojv  ècpd-éyyovro  TioÀÀày.tg  jTQogt]yoQi  av  'Afi- 
ßQOJveg  EÏre  àvayMÀovfiEvoi  acpàç  atiovg  eïte  tovç  JioÀEfilovç  Tfj  jiqoôtj- 
ÀôjfJEi  JTQOExcpoßovvTEQ.  Meiucs  Erachtcus  kann  kaum  ein  Zweifel  be- 
stehen, daß  Plutarch  an  dieser  Stelle  wirklich  von  dem  Barditus  handelt. 
Daß  die  Ambronen  Germanen  waren  und  nicht,  wie  die  Alten  angeben, 
die  zur  Zeit  des  Cimbernkrieges  Kelten  und  Germanen  noch  nicht  zu 
unterscheiden  wußten-),  ein  keltischer  Stamm  im  Gefolge  der  Teutonen, 
wird  heute  wohl  kaum  mehr  bezweifelt  werden,  vgl.  Müllenhoff  DAK 
2,  114  ff.  •^)  Nun  wird  aber  nach  dem  einstimmigen  Zeugnis  des  Am- 
mian  und  des  Vegetius  der  barritus  beim  Beginn  des  KamjDfes  ange- 
hoben, wenn  die  Heere  einander  gegenüber  stehen  und  nun  zum  ent- 
scheidenden Stoße  ansetzen;  vgl.  bes.  Ammian  31,  7,  11  und  Vegetius, 
Epit.  rei  milit.  3,  18:  clunwr  antem,  quem  barritmn  vocant,  prius  iwn 
dehi't  aitolli.  qmun  acies  utmque  se  mnxerit.  Imperi forum  emm  vel  igmi- 
vonim  est  vociferari  de  longe,  cum  Itostes  magis  terreanlur.  sl  cum  felorum 
icfu  clamoris  horror  accesserU.  Damit  stimmt  nun  aber  auch  Tacitus 
insofern  überein,  als  auch  er  die  Lieder,  die  die  Germanen  beim  Marsch 
in  die  Schlacht  singen,  von  dem  Barditus  unterscheidet,  und  wie  sich  aus 
dem  Satze  terrent  enim  trejïidantre  prout  sonuit  acies  ergibt,  dieser  erst 
dann  ertönt,  wenn  die  Heere  sich  zum  Kampfe  bereit  gegenüberstehen. 
Gerade  in  demselben  Momente  der  Schlacht  beginnen  nun  aber  auch  die 
Ambronen  ihren  Schlachtgesang,  den  man  wohl  füglich  als  ,Kampfleich' 
bezeichnen  darf.  *)  Die  Schilderung  Plutarchs  deckt  sich  nun  freilich 
mit  derjenigen  des  Tacitus  und  des  Ammian  nicht,  wenn  gleich  der  Zweck 


1)  Am  bestimmtesten,  aber  docli  wohl  nicht  ganz  zutreffend  äussert  sich  Mül- 
lenhoff über  den  barditus,  De  ant.  Germ,  jwesi  p.  20:  facile  perspieu um  est,  etiam  car- 
mina  illa  paiica  lanlum  verba  fuisse,  tjuae  mox  in  slridores  sonosqne  raucos  abierint. 
ititer  (JII08  r  et  u  prœvaluisse  conici  licet.  His  autem  et  animos  accendere  et  hostes 
terrere  cogitabant,  quare  apte  conferri  possunt  cum  tympanùrum  plausu  nostris  militibvs 
mitato]  ähnlich  DAK  4,  138. 

2)  S.  Müllenhoff  DAK  2,  153  ff.  und  Hirschfeld,  der  Name  Uermani  bei  Ta- 
citus und  sein  Aufkommen  bei  den  Römern  in  der  Festschrift  für  Kiepert  (Beiträge 
zur  alten  Geschichte  und  Geographie  S.  259  ff.)  spec.  S.  268. 

^)  Auch  Much,  P  Br  ß  17,  9  hält  am  germanischen  Ursprung  der  Aml)ronen  fest. 
*)  S.  Koegel,  Gesch.  d.  d.  Lit.  1  1,  S.  7  ff 


—     71     — 

des  Gesanges  im  Wesentlichen  übereinstimmend  angegeben  wird  ;  aber  daß 
das,  was  später  namentlich  Ammian  als  das  Charakteristische  liervorhebt,  näm- 
lich das  Anschwellen  des  Gesanges,  damals  beim  ersten  Zusammentreffen 
der  Römer  mit  den  Germanen  als  etwas  mehr  Zufälliges  erscheinen 
und  darum  nicht  besonders  beachtet  werden  mochte,  ist  ja  leicht  be- 
greiflich. Daß  aber  der  Gesang  der  Ambronen  nichts  anderes  als  der 
ßarditus  des  Taeitus  ist,  scheint  mir  namentlich  daraus  hervorzugehen, 
daß  auch  nach  einigen,  für  sich  allein  betrachtet  freilich  nicht  völlig  deut- 
lichen Äußerungen  des  Taeitus  der  Barditus  von  einem  rhythmischen 
Schüttern  und  Zusammenschlagen  der  Waffen  begleitet  gewesen  zu  sein 
scheint:  vgl.  bist.  2,22  adversus  temere  subeuntes  cohortes  Germanorum 
cantu  truci  et  more  patrio  midis  corporihus  super  um  er  o  s  s  eut  a  rjua- 
tientium  und  Ann.  4,  47  von  den  sugambrischen  Hilfstruppen  subsidio 
Sugamhrae  cohortis.  qmiiu  Romanus  cautiuim  et  uriuorinn  tumultn 
trucem  haud  procul  mstrua-erat: 

Die  Schilderung  Ammians  in  Verbindung  mit  derjenigen  Plutarchs 
läßt  uns  nun  aber  deutlich  erkennen,  welcher  Art  eigentlich  dieser 
Schlachtgesang  war.  Wenn  lediglich  die  beständig  wiederholte,  vielleicht 
in  einem  kurzen  Satz  ausgesprochene  Nennung  des  eigenen  Namens,  die 
beim  taktmäßigen  Vorgehen  vom  rhythmischen  Zusammenschlagen  der 
Waffen  begleitet  war,  den  Inhalt  des  Gesanges  bildete,  so  kann  kein 
Zweifel  sein,  daß  wir  den  barditus  einfach  als  sog.  Arbeitsruf  oder 
-gesang  auffassen  müssen.  Delbrück,  Gesch.  der  Kriegskunst  2  S.  45, 
macht  darauf  aufmerksam,  wie  stark  der  innere  Zusammenhalt  der  Ger- 
mauen gewesen  sein  müsse,  ,daß  sie  geringe,  äußere  Ordnung,  zeitwei- 
liges Zurückweichen  und  das  Fehlen  einer  eigentlichen  Befehlsführung 
ertragen  konnten,  ohne  auseinanderzulaufen  oder  auch  nur  an  der  Energie 
der  Gefechtsführung  einzubüßen.'  Speziell  beim  Angriff  ist  nun  eben 
durch  den  Barditus  die  Masse  der  Krieger  zu  einem  gemeinsamen  und 
energischen  Handeln  gleichmäßig  mit  fortgerissen  und  auch  ohne  viele 
Befehle  mit  energischer  Wucht  an  den  Feind  gebracht  worden.  Wenn 
es  ferner  eine  vielfach  beobachtete  Erscheinung  ist,  daß  im  Verlaufe 
der  Arbeit  der  Gesang  immer  kräftiger  oder  auch  immer  schneller 
wird  ^),  so  stimmt  der  Barditus  nach  der  Schilderung  Ammians  auch  darin 
mit  andern  Arbeitsgesängeu  überein.  Die  immer  zunehmende  Steigerung 
der  Stärke  des  Gesanges  —  von  einer  Vermehrung  des  Schnelligkeit 
berichten  die  Quellen  nichts  —  hatte  offenbar  den  Zweck,  auch  die 
Energie  und  den  Kampfesmut  der  Angreifenden  bis  zu  dem  Augenblick, 
da  sie  auf  die  feindlichen  Reihen  prallten,  beständig  zu  steigern. 

Es  wäre  wohl  leichter  gewesen,  über  die  Natur  des  Barditus  ins 
Klare   zu  kommen,   wenn    wir   über   das   Kriegsgeschrei    der    Germanen 

1)  S.  Bücher,  Arbeit  und  Rhythmus  2  s.  -202,  211  f. 


—     72     — 

auch  aus  der  spätem  Zeit  der  Völkerwanderung  etwas  mehr  wüßten. 
Allein  darüber  erfahren  wir  soviel  wie  nichts,  Müllenhoff,  de  cmt.  Gennan. 
poesl  clior.  S.  19,  vermutet,  daß  die  alte  Übung,  den  Barditus  zu  erheben, 
bei  den  Germanen  frühzeitig  außer  Gebrauch  gekommen  sei.  Er  schließt 
dies  daraus,  daß  nur  Tacitus  die  Lieder,  die  sie  beim  Marsch  in  die 
Schlacht  singen,  deutlich  unterscheidet  vom  Barditus,  den  sie  beim  An- 
griff anstimmen,  daß  dagegen  Ammian  (31,  7,  11)  von  den  Goten  be- 
richtet, sie  hätten,  wie  sie  den  Römern  gegenüber  standen  und  zum 
Angriff  vorrückten,  von  den  Heldentaten  der  Vorfahren  gesungen  (Ixirhfwi 
mro  maiorum  laudes  chtmorlhua  sfridehanf  inconditis).  Diese  Angabe 
stimmt  freilich  schlecht  zu  dem,  was  Tacitus  berichtet.  Allein,  wenn  es 
auch  wohl  möglich  ist,  daß  der  alte  Brauch  schon  damals,  anfänglich 
vielleicht  nur  bei  einzelnen  Stämmen,  aufgegeben  war,  —  aus  welchen 
Gründen  er  in  Abgang  gekommen  sein  könnte,  entgeht  uns  freilich  — 
so  kommt  es  mir  doch  wahrscheinlicher  vor,  daß  Ammian  Dinge,  die 
Tacitus  auseinanderhält,  durcheinander  mengt.  ^)  Auch  im  späteren  Mittel- 
alter scheint  in  ähnlicher  Weise  Verschiedenartiges  oft  nicht  auseinander- 
gehalten worden  zu  sein.  -)  Sicher  ist  dann  jedenfalls,  dass  das  Christen- 
tum wesentliche  Veränderungen  der  alten  Verhältnisse  mit  sich  gebracht 
hat.  Denn  der  Schlachtruf  wird  nun  vielfach  zu  einer  Anrufung  Gottes: 
so  sind  z.  B.  die  Rufe  kj/rie  eleison.  AI/eIi(ija.  Deus  noh'iscum  z.  T.  schon 
seit  dem  9.  Jh.  als  Schlachtrufe  belegt,  und  in  späterer  Zeit  singen  die 
Soldaten  auf  dem  Marsche  und  in  der  Schlacht  nicht  selten  geistliche 
Lieder.  ^)  Es  kann  aber  hier  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  diesen  "Wande- 
lungen der  Sitte  im  Einzelnen  nachzugehen.  Dagegen  ist  es  für  uns 
von  der  größten  Wichtigkeit,  festzustellen,  daß  die  alte,  von  Plutarch 
für  die  Ambronen  bezeugte  Sitte,  den  eigenen  Namen  als  Schlachtruf 
zu  verwenden,  noch  das  ganze  Mittelalter  hindurch  im  Schwünge  geblieben 

^)  Wir  werden  diese  laudes  maionim  vermutlich  mit  deu  Liedern,  die  die  Ger- 
manen nach  Tacitus  vor  der  Schlacht  auf  den  Herkules  singen,  zu  vergleichen  haben. 
Die  Erwähnung  des  eigentlichen  Kampfgeschreis  auf  Seite  der  Germanen  kann  Ammian 
aus  stilistisch-rhetorischen  Gründen,  um  das  römische  und  das  germanische  Heer  in 
einen  wirkungsvollen  Gegensatz  zu  bringen,  unterlassen  haben,  wodurch  es  dann  eben 
den  Anschein  gewinnt,  als  ob  die  Gebräuche  der  Germanen  seit  Tacitus  Zeiten  ganz 
andere  geworden  wären. 

2)  Ich  verweise  auf  Alwin  Schultz,  Das  höfische  Leben  z.  Z.  der  Minnesinger 
II 1  S.  ■24-1  ft.  und  die  dort  angeführten  Belege  für  Schlachtgesang  und  Kriegsgeschrei. 
Ich  hebe  hier  namentlich  die  Stellen  aus  der  Kaiserchronik  hervor  (v.  2034,  5304, 
7117,  7203:  Der  Dichter  läßt  hier  die  Kämpfenden  in  den  verschiedensten  Situationen 
stets  ihr  icicUet  singen,  ohne  des  sonst  unzählige  Male  bezeugten  Feldgeschreies,  der 
krie,  je  Erwähnung  zu  tun. 

')  S.  Hoffmann,  Gesch.  des  deutschen  Kirchenliedes  ^  S.  17  f.,  41  ff.  A.  S(!hulz 
(Sao-Marte)  Zur  Waffenkunde  des  älteren  deutschen  Mittelalters  S.  311,  und  besonders 
Du  Gange,  (Hossarkun  niediae  et  infimae  laiinilaiis,  Dissert.  11:  Du  cry  d'armes. 


—     78     — 

ist,  wenn  auch  in  etwas  beschränkterer  Geltung.  Namentlich  in  Frank- 
reich, nach  den  Belegen  bei  Du  Gange  a.  O.  zu  schliefien,  war  es  viel- 
fach gebräuchlich,  daß  edle  Herren,  bezw.  ihre  Truppen  den  Namen  des 
Hauses  als  Kriegsruf  führten:  z.  B.  à  lü  recomse  Moiitohou.  C/nisfel- 
vUain  à  l'arbre  (Vor,  Couct/  à  la  inerreif/e  u.  a.  ^)  Nicht  selten  hatte  darum 
im  Heere  fast  jedes  Fähnchen  seinen  eigenen  Schlachtruf,  was  ein  geisfc- 
Hcher  Schriftsteller,  der  Abt  Guibert  von  Nogent,  als  eine  arrof/atis 
imrtefas  minoruni  bezeichnete.  Eine  in  der  Form  kaum  merklich  ver- 
änderte Fortsetzung  des  alten  Brauches  war  auch  die  Sitte,  den  Namen 
des  Landes  oder  seiner  Hauptstadt  als  Schlachtruf  zu  verwenden,  wofür 
aus  Frankreich  und  aus  deutschen  Landen  zahllose  Belege  beizubringen 
sind  :  z.  B.  ,Hl  MizenJant-  man  lüfe  .schrei:  dlie  hift  irsca/  von  kr  te  f/röz 
,Hurta.  heya  Bei/er/anf:  Jper  itnds  ,Àrrat  sehr  Heu  F/œ/niiu/e:  fier  krie 
iras  Ji'ie  Osferric/r :  .Röme-  diu  krie  was:  .Ansclioinre-  iras  sin  kne.^) 
Daß  der  alte  Gebrauch  bis-  in  die  Neuzeit  nicht  ganz  ausgestorben  ist, 
zeigt  eine  bei  den  quartierweise  veranstalteten  Jugendfesten  der  Stadt 
Basel  festgehaltene  Sitte.  Bei  dem  Zuge  durch  die  Stadt  singen  nämlich 
die  Kinder  in  endloser  Wiederholung: 

fl.  fn  fo  (vermutlich  entstellt  aus  rirat  liorli) 
s'Aesc/tequarfier  fSpale-  Sfeiim/.  u.  s.  w.)  isr//  do. 
Anderorts   mögen    sich    andere  Beispiele  des   alten  Gebrauches    erhalten 
haben.    Die  angeführten  dürften  aber  genügen,  um  einerseits  die  Richtig- 
keit der  Angabe  Plutarchs  zu  verbürgen   und    anderseits  zu  zeigen,    wie 
allgemein  verbreitet  diese  Sitte  vor  Alters  gewesen  sein  muß. 

Nachdem  wir  nun  so  versucht  haben,  das  AVesen  des  Barditus  etwas 
genauer  zu  ergründen,  wird  es  möglich  sein,  auch  die  Stelle  bei  Tacitus 
in  einigen  Einzelheiten  genauer  zu  verstehen,  als  es  bis  jetzt  geschehen 
ist.  Dabei  ist  zunächst  hervorzuheben,  dass  der  Satz  nee  tant  coc/s  ille 
quam  virtuüs  concentus  videfur,  der  an  sich  dem  Verständnis  keine 
sonderHchen  Schwierigkeiten  bereitet,  ungleich  bedeutungsvoller  wird, 
wenn  wir  uns  unter  dem  Barditus  nicht  ein  unartikuliertes  Schreien  oder 
gar  Brummen  denken,    sondern  ein  taktmäßiges,   rhythmisch  geghedertes 


i|  Ohne  Zweifel  sind  noch  viele  der  alten  Wahl-  und  Denksprüche,  in  denen  die 
Familie  genannt  wird,  als  ursprüngliche  Schlachtrufe  anzusehen:  Z.  B.  Achard  flache. 
A  Jamais  Cardevac,  YiiiUame  de  Barras  u.  a.  m.  vgl.  Dielitz,  Wahl-  und  Denksprüche, 
Feldgeschreie  u.  s.  w.  Frankfurt  1,S84.  Daß  diese  Kriegsrufe  auch  als  Signal  zur 
Sammlung  dienten  (s.  Alw.  Schultz,  Das  höfische  Leben  II  1  226,  247),  soll  hier  nur 
erwähnt  werden,  da  sich  diesem  Grebrauche  aus  den  antiken  Autoren  nichts  zur  Seite 
stellen  läßt. 

2)  S.  Alw.  Schultz,  Das  höfische  Leben  TP  S.  246,  Lexer,  Mhd.  Wb.  1.  1 :25. 
Weitere  Beispiele  verzeichnet  A.  Schultz  (San-Marte)  a.  0.  311:  ferner  DWB  5  sp. 
2136  f.  s.  v.  krei,  und  kreide. 


—      74     — 

Rufen  oder  Singen^).  Auch  wird  man  nun  wohl  mit  ziemlicher  Wahr- 
scheinlichkeit vermuten  dürfen,  wenn  es  von  dem  Barditus  heisst  :  futu- 
raeque  pugnae  fortuuam  ipso  canfii  auguraniur ;  terrent  enim  trepidantve 
prout  sonuit  acies.  daß  gerade  die  Art,  wie  der  Gesang  der  Massen 
zusammenging,  für  den  Ausgang  der  Schlacht  vorbedeutend  erschien. 
Klappte  nicht  alles,  hielten  z.  B.  nicht  alle  das  gleiche  Tempo  inne,  so 
mochte  das  für  ein  übles  Vorzeichen  gelten. 

Allerhand  Unklarheiten  und  Schwierigkeiten  enthält  erst  der  letzte 
Satz  :  affectatur  jjraec'qme  asperitas  soni  et  fractum  murmur.  obiectis  ad  os 
sentis,  quo  plenior  et  gravior  vox  repercussu  intiunescat.  Müllenhoff  hat 
von  andern  Erwägungen  ausgehend  vermutet  (DAK  4,  138),  daß  Tacitus 
bei  dieser  Abschweifung  über  den  Barditus  eine  schriftliche  Quelle  be- 
nutzte. Wenn  diese  Vermutung,  wie  ich  glaube,  richtig  ist,  so  dürfen 
wir  wohl  mit  der  Möglichkeit  rechnen,  daß  sich  bei  der  Wiedergabe  des 
ihm  vorliegenden  Berichtes  ein  V^ersehen  eingeschlichen  hat^),  und  wir 
können  auch,  wie  ich  meine,  noch  erkennen,  worin  dieses  Mißverständnis 
besteht.  Der  Fehler  liegt  meines  Erachtens  darin,  daß  Tacitus,  vielleicht 
schon  durch  irgend  eine  Unklarheit  oder  ungeschickte  Ausdrucksweise 
seiner  Quelle  veranlaßt,  das  Anschwellen  des  Gesanges  mit  dem  Vor- 
halten der  Schilde  in  einen  ursächlichen  Zusammenhang  gebracht  hat, 
der  offenbar  gar  nicht  bestand.  Tacitus  scheint  sich,  möglicherweise  in 
Erinnerung  an  eine  Stelle  wie  Caesar,  Bell.  Gall.  1,  52,  wo  die  Germanen 
mit  ihren  Schilden  eine  festgeschlossene  Phalanx  bilden,  vorgestellt  zu 
haben,  die  Schwellung  komme  in  der  Weise  zustande,  daß  die  Schilde, 
die  die  Singenden  vor  den  Mund  hielten,  durch  das  Zurückwerfen  des 
Schalles  freperciissuj  den  Gesang  verstärkten.  Allein  —  von  den  sach- 
lichen Schwierigkeiten  vorläufig  abgesehen,  die  sich  dieser  Auffassung  in 
den  Weg  stellen  —  ist  es  klar,  daß  die  Haltung  des  Schildes  nur  auf 
die  Bildung  des  einzelnen  Tones  von  Einfluß  sein  konnte  ;  wenn  aber 
der  Satz  ([uo  ptenior  et  gravior  vox  reperriis.su  intanuscat.  so  viel  ich 
sehe,  ganz  allgemein,  und  wie  ich  meine,  mit  vollem  Recht  dahin  aus- 
gelegt wird,  daß  der  ganze  Gesang  mehr  und  mehr  angeschwollen  sei, 
so  ist  es  ebenso  klar,  daß  dieses  Anschwellen  von  der  Haltung  der 
Schilde  ganz  unabhängig  gewesen  sein  muß.  Aus  eben  dieser  Stelle  geht 
meines  Erachtens  das  eine  unverkennbar  hervor,  daß  der  Gewährsmann 

1)  Zur  Erläuterung  dieser  Anschauung  dürfte  wohl  ein  Vergleich  mit  dem 
studentischen  Salamander  beitragen,  wenn  gleich  wir  ja  leider  über  die  Herkunft  und 
die  ältere  Creschichte  dieser  Trinksitte  nichts  wissen.  Denn  darin,  daß  alle  Bewegungen 
sämtlicher  Teilnehmer  vollkommen  gleichzeitig  erfolgen,  kommt  ja  nach  studentischer 
Auflassung  gewissermaßen  auch  ein  Concenius  virtidls  zum  Ausdruck. 

2)  Belege  für  solche,  freilich  nicht  eben  häufige  Versehen  und  INIißverständnisse, 
die  meist  durch  eine  unrichtige  Auffassung  der  germanischen  Verhältnisse  bedingt  sind, 
8.  Müllenhofl",  DAK  4,  S.  25  f..  281,  285,  ;«)2  f..  305  u.  a. 


—  To- 
des Tacitus  den  Barditus  ganz  in  derselben  "Weise  als  an  Stärke  immer 
zunehmend  charakterisiert  hat,  wie  später  Ammianus  Marcellinus  :  (ju'i 
clamor  a  temt'i  siwirro  e.rorkm  paulnthn  adK/esceiis  riiu  extolütur  fUictuuni 
cautihus  inUmrum  s.  ob.  S.  67.  Mit  Recht  wird  natürlich  bei  Ammian 
die  Haltung  der  Schilde  als  etwas  für  den  Gesang  ganz  unwesentliches 
gar  nicht  erwähnt.  Auch  andere  Bedenken  sprechen  gegen  die  Richtigkeit 
der  Auffassung  des  Tacitus.  Ausgeschlossen  ist  zunächst  —  was  vielleicht 
kurz  angemerkt  zu  werden  verdient  —  daß  die  germanischen  Schilde, 
die  teils  aus  einfachen  bemalten  Brettern,  teils  nur  aus  Flechtwerk  be- 
standen, das  zwischen  einen  hölzernen  Rahmen  eingespannt  war^).  für 
den  Gesang  etwa  eine  Art  Resonanzboden  hätten  bilden  und  so  wirklich 
zur  Verstärkung  des  Schalles  beitragen  können.  Dagegen  konnte  aller- 
dings das  Vorhalten  der  Schilde  durch  das  Zurückwerfen  der  Schallwellen 
für  die  Singenden  den  Eindruck  einer  Vermehrung  des  Schalles  hervor- 
bringen. xVllein  da  ist  denn  doch  zu  bedenken,  daß  einerseits  in  diesem 
Falle  der  Gesang  an  Fernwirkung  notwendig  das  hätte  einbüßen  müssen, 
was  er  auf  Seite  der  Singenden  zu  gewinnen  schien,  daß  also  der  nebenher 
verfolgte  Zweck,  die  Feinde  zu  schrecken,  nur  schlecht  erreicht  worden 
wäre,  und  daß  anderseits,  und  das  ist  das  Wesentliche,  eine  Haltung 
des  Schildes,  die  die  Schallmasse  so  intensiv,  als  möglich,  zurückgeworfen 
hätte,  die  also  in  wirklich  merkbarer  Weise  den  Eindruck  einer  Schall- 
vermehrung hervorgerufen  hätte,  dadurch  ausgeschlossen  war,  daß  sie 
beim  Vorrücken  den  freien  Ausblick  nach  dem  Feinde  gehindert  hätte. 
Nach  dem  eben  Bemerkten  scheint  es  mir  kaum  zweifelhaft  sein 
zu  können,  daß  der  Ausdruck  ohiecfk  <ad  os>  seutis  ursprünglich  nicht 
die  Erklärung  für  das  Anschwellen  des  Gesanges  geben  sollte,  sondern 
daß  damit  lediglich  die  Umstände  charakterisiert  werden  sollten,  die  mit 
dem  Anstimmen  des  Barditus  zeitlich  zusammenfielen.  AVenn  nämlich 
dieser  Gesang  in  dem  Augenblicke  angehoben  Avurde,  da  der  Angriff 
begann,  so  mußten  natürlich  gleichzeitig  die  Schilde  höher  genommen 
werden,  wohl  so  hoch,  daß  der  untere  Teil  des  Gesichtes  noch  gedeckt 
war.  Spätere  mittelalterliche  Verhältnisse  bieten  hiezu  eine  genaue 
Parallele  :  im  Mhd.  deuten  Wendungen,  wie  den  seilt  zucken,  höher  rucke}). 
ze  hohe  nenten  u.  a.  stets  darauf  hin,  daß  der  Betreffende,  der  den  Schild 
aufnimmt,  sich  zum  Kampfe  anschickt.^)  In  ähnlicher  Weise  wird  hier 
das  ohieclis  seutis  eigentlich  verstanden  werden  müssen.  Dabei  ist  aller- 
dings das  zugesetzte  ad  os  überflüssig  und  störend  ;  denn  daß  dies  etwa 
nach  Maßgabe  von  Verbindungen  wie  ras  (ut  fauces  replere  oder  scrotnni 
ad  medium  comptere  im  Sinne  von  ,bis  zur  Mundhöhe'  verstanden  werden 
dürfte,  scheint  völlig  ausgeschlossen  schon    aus  Rücksicht   auf  die    öfter 

1)  S.  Tacitus.  Annal.  II  14:  Müllenhoff  DAK  4,  lfi8  f. 

2)  Vgl.  Alb.  Schulz  (Sau-Marte)  a.  0.  S.  99. 


—     76     — 

belegte  Redensart  )naniiin  ad  os  ohicere.  Dagegen  ist  es  meines  Erachtens 
sehr  wohl  denkbar,  daß  gerade  die  Wendung  scutis  oMecfis^J  im  Zusammen- 
hang einer  Schilderung  des  Barditus  den  Tacitus  zu  seiner  irrtümlichen 
Auffassung  verleiten  konnte,  die  er  dann  durch  ein  zugesetztes  ad  os 
glaubte  deutlicher  machen  zu  müssen. 

Schwierigkeiten  bereitet  nun  für  das  Verständnis  immer  noch  der 
Ausdruck  fractaiu  nuirmur.  der  auch  schon  ganz  verschieden  gefaßt 
worden  ist,  und  über  dessen  Bedeutung  es  wirklich  kaum  möglich  scheint, 
ins  Klare  zu  kommen.  Im  Allgemeinen  dürfte  es  heute  wohl  üblich  sein, 
fractum  mit  Hinweis  auf  Tacit.  Annal.  14,  20  und  andere  Stellen  in  der 
Bedeutung  .gedämpft'  zu  nehmen  und  fractum  miirmur  als  ,ein  gedämpftes, 
dumpfes  Gemurre'  zu  verstehen;  vgl.  z.  B.  Müllenhoff,  DAK  4,  137  und 
Schwyzer  in  seiner  Ausgabe  der  Germania  (Halle  1902).  Diese  Über- 
setzung hat  aber  schon  Baumstark  in  seiner  Erläuterung  der  Germania 
des  Tacitus  S.  189  mit  Recht  als  verfehlt  zurückgewiesen  ;  denn  ein 
dumpfes  Murren  oder  Brummen  war  doch  kaum  geeignet,  die  eigenen 
Leute  anzufeuern  und  die  Feinde  zu  erschrecken,  und  zudem  scheint 
sich  diese  Auffassung  mit  dem  von  Tacitus  selbst  betonten  vollen  An- 
schwellen des  Gesanges  nicht  wohl  vereinigen  zu  lassen.  Was  Baumstark 
freilich  selber  vorbringt,  ist  aus  sprachlichen  wie  sachlichen  Gründen 
völlig  verfehlt,  da  er  den  Ausdruck  gewaltsam  fast  in  sein  Gegenteil 
verkehrt.  Man  wird  sich  vielleicht  dabei  beruhigen  dürfen,  dass  fractum 
iHurmur  offenbar  in  engem  Zusammenhang  mit  der  oben  geschilderten 
unrichtigen  Auffassung  des  Tacitus  einfach  das  an  den  vorgehaltenen 
Schilden  sich  brechende  Brausen  bezeichnet,  und  in  diesem  Falle  hat 
Baumstark  passend  die  frartac  ad  l'itora  races  (Virg.  Aeu.  6,  556)  ver- 
glichen. 

Immerhin  ist  die  Möglichkeit  nicht  abzulehnen,  daß  Tacitus  auch 
diesen  Ausdruck  aus  seiner  Quelle  übernommen  hat.  Dafür  möchte  viel- 
leicht die  Verwendung  des  Wortes  murmur  sprechen,  das  gerne  vom 
Rauschen  eines  Baches  oder  des  Meeres  gebraucht  wird,  und  das  des- 
wegen hier  sehr  gut  gewählt  zu  sein  scheint,  weil  Ammian  offenbar  als 
Ohrenzeuge  den  Gesang  mit  dem  Rauschen  des  brandenden  Meeres  ver- 
gleicht. Dann  müßte  natürlich  auch  fractum  einen  andern  Sinn  gehabt 
haben,  als  oben  angedeutet.  In  diesem  Falle  dürften  vielleicht  die 
folgenden  Vermutungen  einiges  zur  Erklärung  des  Ausdrucks  beitragen. 
Frai/t/crc  findet  sich  verhältnismäßig  sehr  selten  mit  einem  Objekt  ver- 
bunden, das  einen  Schall  bezeichnet,  und  in  derjenigen  Stelle,  die  mit 
unserer  am  ehesten  zu  vergleichen  ist,  ro.r  aud'ilur  fractos  sonifus  imitatd 
tultarum  (Virg.  Georg.  4,  72)   scheint   über  die  Bedeutung  von   fracfus 


1)  Vgl.  /.  B.  Liv.  2,  10  ;   Virgil.  Aen.  •>,  444. 


—      t  i     — 


ebenfalls  keine  Übereinstimmung  der  Ansichten  erzielt  zu  sein.')  Wenn 
wir  von  der  Grundbedeutung  von  frangere  ausgeben,  so  möchte  sich  für 
fracfuiii  tuuninw  etwa  als  Sinn  ergeben,  daß  das  Brausen  mitten  in 
seiner  vollen  Kraft  plötzlich  gebrochen,  d.  li.  abgebrochen  wird-j  —  als 
Gegensatz  wäre  etwa  ein  allmähliches  Ausklingen  des  Gesanges  zu  denken. 
Wenn  aber  dieses  jähe  Abbrechen  nicht  sowohl  den  Gesang  als  Ganzes, 
als  vielmehr  den  Abschluß  des  einzelnen  rhythmischen  oder  musikalischen 
Satzes  kennzeichnete,  dessen  unaufhörliche  Wiederholung  eben  den  Barditus 
bildete,  so  würde  der  Ausdruck  fractuin  imininfr  .das  (immer  wieder) 
plötzlich  abbrechende  Brausen'  die  Vorstellung,  die  wir  oben  vom  Barditus 
gewonnen  haben,  aufs  beste  ergänzen. 


1)  Die  gewöhnliche,  aber  wenig  präzise  Erklärung  der  Stelle  geht  wohl  auf 
Christ.  Gottl.  Heyne  zurück,  der  in  seiner  Ausgabe  bemerkt  :  Fracti  sonitus  h.  non 
eoniimti,  modo  fortiore  modo  renüssiore  splritu  ;  vgl.  z.  ?>.  Georges  I  2629  s.  v.  Frungo  : 
,Fractl  sonitus  tubar/im.  die  sich  brechenden,  bald  stärkern    bald  schwachem.' 

2)  In  ähnlicher  Weise  erklärt  auch  Kappes  (Vergils  Bucolica  und  Georgica  er- 
läutert von  K.  Kappes,  Leipzig  1876)  die  Fracti  sonilns  Virgils  gewiß  mit  Hecht  als 
,die  kurzen,  abgebrocheneu  Töne  des  Signals.' 


Aus  Seb.  Faeschs  Reisebeschreibung  (1669). 


Von 
Emil  Thoramen. 


Die  Universitätsbibliothek  zu  Basel  bewahrt  unter  den  Manuskripten 
eine  Reisebeschreibung  des  Baseler  Gelehrten  Sebastian  Faesch  aus 
den  Jahren  1667 — 1669,  die  meines  Wissens  nicht  im  Druck  erschienen 
ist,  und  auf  die  icli  durch  Herrn  Prof.  Dr.  G.  Binz  aufmerksam 
gemacht  worden  bin.  In  gefälligem,  wenn  auch  nicht  ganz  fehlerlosem 
Latein  erzählt  Faesch  auf  1 70  Seiten  eines  Duodezbandes,  was  er  zwischen 
dem  25.  September  1667  und  dem  25.  Juli  1669  in  Frankreich  und 
England  gesehen  hat.  über  Biel-Genf  erreichte  er  am  21.  Dezember 
1667  Grenoble,  blieb  dort  zur  Erlernung  der  französischen  Sprache  und 
zur  Fortsetzung  seiner  juristischen  Studien  bis  zum  14.  Februar  1669, 
machte  gelegentlich  Ausflüge  nach  der  Grande  Chartreuse  und  nach 
Vienne,  reiste  dann  über  Lyon,  Roanne,  La  Charité  nach  Paris  und 
über  Rouen,  Abbeville,  Calais  nach  England.  Seine  Heimreise  führte  ihn 
durch  Belgien  und  das  Rheinland,  Avie  aus  dem  Buchtitel  Iter  per 
Galliam,  Angliam,  Belgium  et  tractum  Rheni  zu  schliessen  ist;  doch  ist 
der  Bericht  bald  nach  der  Rückkehr  von  Cambridge  nach  London  abge- 
brochen worden. 

Die  Reisebeschreibung  des  jungen  Gelehrten  überrascht  uns  nicht 
durch  Enthüllung  bisher  unbekannter  Tatsachen;  sie  hält  sich  in  den 
Grenzen  des  Interesses,  das  ein  von  humanistisch-antiquarischen  Studien 
gesättigter  Jünghng  im  17.  Jahrhundert  für  private  und  öffentliche  Ein- 
richtungen eines  fremden  Volkes  haben  konnte.  Er  charakterisiert  mit 
stereotypen  Wendungen  die  hervorragenden  kirchlichen  und  weltlichen 
Gebäude,  er  notiert  geschichtlich  bedeutende  Inschriften,  er  bestaunt 
das  Treiben  fürstlicher  Personen,  er  besucht  berühmte  Gelehrte  und 
lässt  sich  von  ihnen  ihre  Kuriositäten-Kabinette  öffnen  und  die  seltenen 
Stücke  ihrer  Bücher-,  Münzen-  und  Handschriftensammlungen  vorweisen. 
Auch  teilt  er  mit  allen  Gebildeten  des  17.  Jahrhunderts  die   Freude  an 


—     79     — 

mechanischen  und  technischen  Erfindungen  und  Spielereien.  In  Faeschs 
anspruchslosen  Notizen  zeigt  sich  natürlich  nicht  wie  in  den  eingehenden 
Schilderungen  seiner  Landsleute  Felix  und  Thomas  Platter  II  eine  unbe- 
schränkte Neugier  und  eine  für  alles  besondere  im  Wesen  und  Dasein 
der  fremden  Nation  lebendige  Teilnahme^),  auch  nicht  die  behagliche 
Geschwätzigkeit  eines  Wedel")  oder  Kiechel').  Wohl  erwähnt  er  — 
scheu  und  mit  nachträglichen  Ausstreichungen,  wo  es  sich  um  Belustigung 
froher  Menschenkinder  handelt,  sorgfältig  und  lebhaft,  wo  Ausstellung 
von  menschlicher  oder  tierischer  Kraft  und  Geschicklichkeit  zu  beschreiben 
ist  —  die  bekanntesten  Vergnügungsorte  der  Städte.  Wenn  er  wenigstens 
in  England,  dessen  Landessprache  ihm  wie  den  meisten  uns  bekannten 
damaligen  Reisenden  des  Kontinents  fremd  war,  sich  an  Landsleute, 
oder  nur  an  solche  Eingeborene  wendete,  die  ihm  in  lateinischer  oder 
doch  in  französischer  Sprache  antworten  konnten,  so  hinderte  ihn  das 
nicht,  links  und  rechts  selbständige  Beobachtungen  zu  machen.  Daß  der 
zweiundzwanzigjährige  Sprössling  eines  gelehrten  Geschlechts,  selbst  ein 
eifriger  Orientalist  und  Bibliophile,  auf  große  Gelehrte  den  Eindruck 
ungewöhnlich  vielseitiger  Kenntnisse  machte,  das  scheint  aus  den  zum 
Teil  vertraulichen  Mitteilungen  der  Oxforder  Professoren  hervorzugehen. 
Es  mag  sich  deshalb  lohnen,  zwei  Proben  dieses  bescheidenen 
Werkleins  hier  darzubieten.  Ich  wähle  den  Glanzpunkt  der  französischen 
Reise,  die  Szene  am  Hofe  Ludwigs  XIV.,  und  den  ganzen  Abschnitt 
über  die  englische  Reise.  Der  letztere  ist  aus  zwei  Gründen  anziehend: 
erstens,  weil  es  Faescli  vergönnt  war,  dem  denkwürdigsten  Aufzug  der 
akademischen  Bürgerschaft  Oxfords  im  17.  Jahrhundert,  dem  Actus  im 
neuerbauten  Sheldon  Theater,  beizuwohnen;  zweitens,  weil  viele  Aussagen 
Faeschs  über  englische  Dinge  anhand  der  zwei  berühmten  englischen  Tage- 
bücher von  Samuel  Pepys  und  John  Evelyn*)  kontrolliert  werden  können. 
Die  Vergleichung  spricht  mit  wenigen  Ausnahmen  für  die  Zuverlässigkeit 
und  Selbständigkeit  der  knappen  Mitteilungen  Faeschs.  Evelyn  selbst 
wurde  am  Schluß  der  Oxforder  Feierlichkeiten  zum  Ehrendoktor  kreiert, 
freihch  gerade  an  dem  Tage,  an  dem  Faesch  nach  Cambridge  abreiste. 


^)  Msk.  der  Univ.  ßibl.  Basel.  A.  yl  5— S.  Proben  u.  a.  in  Félix  et  Thomas 
Platter  à  Montpellier,  1552—1557.  —  1595—1599  (L.  Gaudin).  Montpellier  1892.  — 
G.  Binz,  Londoner  Theater  und  Schauspiele  im  Jahre  1599.  .\nglia  22. 

2)  Leopold  von  Wedels  Beschreibung  seiner  Reisen  und  Kriegserlebnisse.  Hsg. 
v.  Dr.  Max  Bär,  Baltische  Studien.  45.  Jahrg.  Stettin  1895. 

3)  Die  Reisen  des  Samuel  Kiechel.  Aus  drei  Handschriften  herausg.  v.  Dr.  K. 
D.  Haszier,  Stuttgart,  gedr.  auf  Kosten  d.  litt.  Vereins,  186*>. 

*)  In  den  nachfolgenden  Anmerkungen  zitiere  ich  nach:  The  Diary  of  Samuel 
Pepys  with  an  Introduction  and  Notes  by  G.  Gregory  Smith,  London  1905.  —  Tlie 
Diary  of  John  Evelyn,  Esq.,  F.  R.  S  ,  from  1641  to  1705/6  with  raemoir  edited  l\v 
William  Bray,  Esq.,  London  &  New  York. 


—     80     — 

Eine  Zusammenstellung  der  intimen  Relation  des  sachverständigsten 
Engländers  mit  den  Kommentaren  des  jungen  Ausländers  vermindert 
durchaus  nicht  den  Wert  der  letztem;  sie  zeigt  nur  das  leicht  verständ- 
hche,  daß  der  erstere  die  Vorgänge  mit  dem  Auge  des  väterlich  besorgten 
Ehrenbürgers  und  Staatsmanns,  der  letztere  mit  dem  Auge  des  über- 
legenen und  klug  kritisierenden  Studenten  verfolgte. 

Sein  Aufenthalt  auf  englischem  Boden  dauerte  vom  11.  Juni  alten 
Stils  bis  Ende  Juli  1669;  zwei  Wochen,  vom  14.  bis  zum  28.  Juni, 
verbrachte  er  in  London;  vom  29.  Juni  bis  zum  15.  Juli  verweilte  er 
in  Oxford;  dem  Besuch  von  Cambridge  widmete  er  nur  fünf  Tage,  um 
nach  der  Rückkehr  noch  die  Umgebung  der  HaujDtstadt,  freilich  nur  auf 
kleine  Entfernung,  zu  besichtigen. 

Über  Eaeschs  Persönlichkeit  mögen  folgende  Angaben  Aufschluß 
geben. 

Sebastian  Faesch  wurde  am  8.  Juli  1647  zu  Basel  geboren  als 
Sohn  des  Christoph  Faesch,  J.  U.  D.,  Professors  der  Geschichte  an  der 
Universität  Basel,  und  der  Katharina  Grüntzer.  Siebzehnjährig  bestand 
er  das  Magisterexamen  und  studierte  dann  an  der  Universität  seiner 
V''aterstadt  und  in  Grenoble  Jurisprudenz.  Nach  einer  Reise  durch 
Frankreich  und  England  erlangte  er  zu  Basel  den  Doktorgrad  mit  der 
Dissertation  <^de  insignibus».  Auf  einer  zweiten  Reise  durch  Osterreich 
und  Italien  brachte  ihn  hauptsächlich  seine  Vorliebe  für  Numismatik  in 
freundschaftliche  Beziehungen  mit  ausländischen  Gelehrten.  Der  Besuch 
in  Rom  wurde  Veranlassung  zu  der  Abhandlung  über  den  nummulus 
aereus  Pylaemenis  Euergetae  Regis  Paphlagoniae,  1680.  Wie  er  Thomas 
Gale  von  Cambridge  in  der  Edition  des  Jamblichus  durch  Mitteilungen 
aus  der  reichen  Faeschischen  Bibliothek  unterstützte,  so  förderte  er 
durch  seine  Beiträge  den  Mailänder  Grafen  Francesco  Mezzabarba  in  der 
Herausgabe  der  Numismata  Imperatorum.  Von  1681  wirkte  er  als  Pro- 
fessor institutionum,  seit  1695  als  Professor  codicis  an  der  Universität 
Basel.  Er  starb  am  12.  Mai  1712.  (Vgl.  Athenae  Rauricae,  Basiliae 
1778,  pg.   144—146.) 

I.  Am  Hofe  Ludwigs  XIV. 

1669,  5.  Aprilis.     Mane  hora  nona  in  regiam   itum    ad  videndos  Galliae 

April,  primores,  quorum  maxima  pars  Regem  singulis  mane  venit  salutatum. 
Contulimus  nos  in  conclave  Helvetiorum.  Hie  quoties  vir  magnae  notae 
intrat  referantur  ambae  partes  portae,  cum  alias  una  tantum  pateat,  et 
bipenni  terra  quatitur.  Sic  vidimus  Archiepiscopum  Parisien seni  Mr.  de 
Perefixe  ^)  caerulea  indutura  toga  cui  a  latere  innexa  crux  argentea. 
Senex    est       totus    canus     sed    vegetus.    statura    longus.      Mr.   Seguier 


-     81     - 

cancellarium  Pranciae  -)  qui  sella  portabili  in  conclave  hoc  Helvetiorum 
portabatur.  vir  decrepitus  a  servis  suis  sufïultus.  ibat  ad  Regem  Comte 
de  Soisson''),  80  forte  annorum,  Duc  d'Orléans"*),  Comte  d'Armignac, 
grand  Ecuyer  de  France  '-),  Mr.  Tellier  ^),  Mr.  Colbert  '),  Secrétaires 
d'Etat,  iste  vir  est  50  forte  annorum,  statura  mediocris,  frontem  severum 
ac  oculos  quasi  ad  lacrymas  proclives  prae  se  ferens,  cum  pluribus 
aliis  Ecclesiastici  ac  politici  ordinis.  Finito  Régis  concilio  hora  11  et 
dimidia  apertis  portis  turba  omnis  ad  Régis  procubiculum  (antichambre) 
intromissa  ubi  in  mensam  quilibet  petitionem  suam  ad  Regem  seu  libel- 
lum  ponebat  qui  in  magnum  cumulum  excrevere.  eos  postea  Dominus 
Tellier  sacco  impositos  apportavit.  Hiuc  recessimus  in  primum  conclave, 
interea  scopetarii  ^)  Régis  et  Helvetii  ex  ordine  se  locant  armati  usque 
ad  Sacellum  Régis  qui  non  multo  post  cum  Regina  ^)  ac  universa  aula 
transiit  missara  celebraturus.  Helvetii  caput  nunquam  denudabant.  post 
horae  quadrantem  Rex  rediit  eodeni  ordine  ac  comitatu.  nos  quosdam 
sequimur  per  scalas  et  aulam  ad  conclavia  Reginœ  quacum  Rex  erat 
pransurus.  conclave  hoc  non  erat  amplum  nec  ornatum.  tapetes  habet 
communes,  mensa  apponebatur  vilis  admodum  nec  viginti  solidos  valens, 
ita  ut  dithculter  mihi  persuaderem  Regem  hic  pransurum.  Sed  apponitur 
tamen  mappa  cum  orbibus  aureis  quibus  imposita  mantelia  artificiose 
plicata  cum  cultris  et  furcis  aureis.  Structa  ita  mensa  accedit  tandem 
Rex  horani  circiter  secundam  cum  Regina  et  aulicis.  apponit  se  mensse 
nec  cruce  nec  prece  prsemunitus  et  occupât  locum  superiorem  versus 
caminum,  infra  ipsum  Regina,  in  summitate  mensse  Régis  frater,  ex  altera 
parte  Mademoiselle  de  Montpensier  ^'^)  collocabantur,  infra  hanc  tiliœ 
Reginre  honorariaî  stabant  quse  accumbentes  serviebant.  circum  mensam 
aulici  cum  peregrinis  viris  ac  mulieribus  Regem  observabant  prandentem. 
Quod  personam  Régis  spectat,  grandis  is  est  statura,  vultu  magnifico 
et  magni  quid  referente,  colore  aliquantum  fusco,  cœsariem  portât  subni- 
gram  assumplam,  barbam  parvulam,  corpore  est  repleto.  Regina  parva 
est  statura,  facie  repleta,  genis  inflatis  et  rubore  fulgentibus,  fuco  procul 
dubio  illitis,  crinibus  flavis,  et  si  in  totum  consideretur  formosa  satis. 
Régis  frater  statura  est  satis  brevi,  vultu  fa}mineo  et  rubore  (artificioso 
ut  dicitur)  perfuso,  cœsarie  subnigra  assumpta,  voce  muliebri.  cPtAo/.c//./; 
Mademoiselle  filia  est  40  forte  annorum,  non  formosa,  vultu  masculo  et 
incessu,  nasuta.  A  tergo  Régis  adstabant  duo  medici,  qui  tamen  nihil 
loquebantur  cum  aliis  aulicis,  inter  quos  Comes  de  Charron  ")  capitaine 
des  gardes  Regem  colloquiis  recreabat  adeo  amœnis  ut  Rex  ac  omnes 
aulici  Scopius  se  in  risum  effunderent.  ipse  etiam  Rex  multa  loquebatur. 
cum  tarnen  alias  et  risu  et  loquela  admodum  moderate  utatur.  Mensa 
quinquies  piscibus,  herbis,  ovis  aliisque  cibis  quadragesimalibus'-)  operie- 
batur.    patin.e  argentea»  in  circuitu  floribus  flavis  erant  ornat;e.    tandem 


—     82     — 

bellaria  apponebantur  :  fructus  scilicet  omiiis  generis,  mala,  aurantia, 
citri,  uva,  piuna  damascena,  ex  saccaro  sine  dubio,  haîcque  in  una  patina 
pyramidali  figura  coUocata.  Rex  semel  tantum  potum  poscebat  qui  ipsi 
in  pbiola  crystallina  cum  alia  phiola  aqua  repleta  et  poculo  in  orbe  aureo 
offerebatur.  ipse  infudit  et  miscuit  aqua  quantum  placuit  ac  reddidit 
phiolas  cum  orbe  et  poculo,  sed  comedit  multo  liberalius  ac  summo  cum 
appetitu,  offam  ^^)  prœsertim  qua?  j^rimo  loco  apponebatur  qua  digiti 
etiam  opéra  cochleare  implevit.  Durante  prandio  filius  Régis  Mr.  le 
Dauphin  ^*)  accedit  et  salutato  Rege  ac  Regina  quœ  ipsum  osculabatur 
locum  occupât  inter  Regem  et  Régis  fratrem,  mensse  scilicet  angulum. 
Hic  substitit  continuo  Regem  respiciens  nec  vocem  promens  ullam  nec 
risu  uti  reliqui  se  delectans.  Princeps  est  flavis  crinibus,  parvulus  adliuc, 
colore  subpallido,  forma  alias  satis  egregia.  His  peractis  consurgitur  et 
Rex  ad  sua,  nos  ad  nostra  retulimus.  Prandium  per  sesquihoriura  duravit. 


II.  Reise  nach  Eng-land. 

1669,  Eo  die  20.  lunii  hora  septima  vesperi  navem  conscendimus  ovp  O^etîj 

lunii,  ordinariam,  le  paquetbot  dictam,  accepto  prius  a  Gubernatore  conductu, 
Caletum.  qi  monstratis  sarcinis,  pecunia  etiam  Gallica  cum  Anglica  commutata  in 
hospitio.  Ventus  nobis  minime  favebat,  et  fere  contrarius  erat,  unde 
factum  est  ut  cum  vix  per  semihoram  a  portu  abivissemus,  nausea  me 
ceperit  ingens  et  dolor  capitis  qui  vertigini  mihi  videbatur  simillimus. 
Navis  valde  circumagebatur  nunc  in  hanc  nunc  in  illam  partem.  fluctibus 
etiam  interdum  ex  parte  operieljatur,  ut  nobis  videl)atur  non  sine  discri- 
mine, perventum  tandem  bono  cum  deo  ad  oppidum  Dym  ')  hora  5  ma- 
tutina,  Doveram  enim  intrare  non  permisit  venti  vehementia.  Hic  anchora 
jacta  ac  nos  ab  Anglicis  nantis  ad  terram  niinoril)us  navibus  delati  sumus. 
Hic  duo  solidi  -)  cum  dimidio  erant  solvendi,  cum  totum  mare  pro  quinque 
solidis  trajecissemus.  Ita  a  pluvia  madidi  et  a  mari  defatigati  in  hospitium 
nos  conferimus.  Hic  post  corporis  purgationem  de  emmena  etiam  nostra 
purganda  consilium  inierant  Angli;  sane  omnes  illius  loci  oftïciarios  credo 
confiuxisse  ut  nomine  regio  a  nobis  tamquam  a  linguie  morumque  Angli- 
corura  iraperitis  aliquid  nummorum  exprimèrent;  nec  profuit  Angli 
cujusdara  nobilis,  ut  ajebat,  consortium,  cujus  impensas  quas  nobiscum 
fecit  sine  dubio  vel  inviti  et  nescientes  solvimus.  Quisquis  ille  sit  nebulo 
prohibere  nunquam  volait  ne  pro  inspiciendis  sarcinis,  pro  appulsu,  pro 
capite,  pro  conductu,  pro  jentaculo  etiam  et  posta  solveremus  quju  minime 
erant  solvenda,  uti  postea  comperimus.  Hinc  per  postam  optimis  equis 
sed  sellis  parvis  et  minus  commodis,  ubi  cavendum  ne  quis  decideret  •^), 
Canterbury.  Cantuariam  itum  20  millibus  Anglicis. 


—     83     — 


Hic  per  sequentem  diem  Dominicain  subsistendum  duximus, 
scilicet  alii  e  consortio  Londinum  petebant,  ubi  et  eadem  die  appulerunt. 
Nos  urbem  nostram  lustravimus,  ternplum  imprimis  egregium  et  structura 
superbum.  Prœbendarii  bic  magnis  fruuntur  reditibus,  inter  quos  Dominus 
Casaubonus  *)  quem  sahitare  animus  erat,  sed  adversa  utebatur  valetu- 
dine,  et  Dominus  Molinaeus.  ■'')  Dominum  Stockarum  Scafusianum  ^)  illius 
loci  ministrum  cum  salutassemus,  ad  cienam  is  nos  invitavit  et  humanis- 
sime  excepit.  Ibidem  erat  juvenis  quidam  Polonus  nomine  Moreschi 
medicus,  Gallicae  et  Anglicie  linguœ  peritus  et  Chymiae  imprimis  stu- 
diosus. 

24.  lunii  3.  ')   solutis  sex   solidis  per    St.   Ambour,  ^)  ubi  pransum, 
et  Rocbester  itum  Gravesendam.    Hic  conducta  navi  pro  6  solidis  Lon-  Londinum. 
dinum  properavimus  quo  et  post  solis  occasum    avv   -d-ecf)    appulimus.    In 
primo  bospitio  erat  devertendum  at  tbe  king  of  Spbania.  ^)  Hinc  postero 
mane  navi  superato    ponte    quœsitum    ivimus    cubiculum    apud    pictorem 
quendam  Hollandum  nomine  Hugb  over  against  Jorckbous  in  Cburchlane,  ^°) 
cui    Dominus    Stockarus    nos    commendavit.     Invenimus    bic    Dominum 
Hemman    Bernensem.  ^^)    Hic   nos    spatiatum    duxit   in    aream   quandam 
Lincolningsfietb/-)  ubi  quotidie  sub  vesperam  luctautur  juvenes.  Vidiraus 
bine  Ternplum  8.  Pauli  incendio  omnino  dirutum,    ut  vix  quicquam  nisi     Pauls- 
locus  de  tam  magnifico  et  superbo  olim  restet  œdificio.  Reparare  illud  in-    ehureh. 
cipiunt,  sed  mirum  quam  segniter  et  lente.  ^^)     Adeo  nemo  divina  curat 
quolibet  suis  rebus  ac  œdibus  reficiendis  intento. 

27.  •^.    Inspeximus   arcem    Tower    ad    Tamesim    sitam  cuius    aqua     Tower, 
circumdatur.    Sub  porta  gladios  deponere   moris    est,    nos  tamen  retinui- 
mus.  '^)  Portœ  custode  nos  ducente  de  loco  in  locum  vidimus  : 

1.  Xystum  sclopetis  ^^)  et  lanceis  omnino  refertum  inter  quse  sclope- 
tum  Régi  um. 

2.  Tormenta  majora  quorum  qua?dam  tribus  aut  quatuor  vicibus 
possunt  explodi,  totidem  foraminibus  instructa.  ^^) 

3.  Catapbractariorum  indumenta  '^)  ubi  et  Reges  aliquot  catapbractis 
induti  catapbractariis  equis  insidentes. 

4.  Monstrantur  arma  quandam  Hispanorum  quibus  in  magna  illa 
expeditione  navali  utebantur,  inter  alia  clypei  in  quorum  medio  sclopeta, 
item  bipennes  sclopetis  instructa^,  ^^)  ac  omnis  generis  spicula. 

5.  Tbesaurus  inter  cancellos  ligneos  monstratur,  nos  exterius 
vidimus: 

1.  Turrem  argenteam  3000  tt  Sterlin  aestimatam; 

2.  Sceptrum  Regium  ubi  plurimae  gemma%  cum  imposita  avicula; 

3.  Sceptrum  régis    Rogiers ''•')  in  quo  ametliystus   20000«   StiM-liii: 


—     84     — 

4.  Corona  regalis  variis  gemmis  clistincta  eisque  pretiosissimis  ;  in 
apice  unam  habet  magnitiidinis  admirandœ  ac  pretii  inaestiraabilis.  Forma 
coronae  hsec  est,  intus  holoserica  calotta,  -")  iit  facilius  ges- 
tari  possit,  instructa.  Hie  et  argentum  aurumve  cuditur  quod 
videri  potest.  -^)  Cœterum  singulis  conclavibus  singuli  sunt 
priefecti  qui  omnes  separatira  remunerandi  duobus  vel  3 
denariis.  pro  iiomine  thesaurario  solo  sex  sunt  constituti. 
Soluto  arcis  custodi  qui  nos  erat  coinitatus  de  loco  in  locum  pretio  arce- 
que  exeuntes  bominem  offendimus  qui  feras  Regias,  Leones  scilicet  ali- 
quot, inter  quos  Carolus  I.  et  II.  egregiae  sane  formte  ac  magnitudinis 
terrificse,  cum  aliis  Leonibus  et  Tigribus  monstravit  pro  duobus  nimirum 
denariis.  Hie  et  Leo  cum  cane  inclusus  videtur.  --) 
West-  Hinc  itum  in  Westmünster  navi,  ubi  Regum  ac  plurimorum  Anglise 

münster.   Magnatum  sepulcra  quorum  splendore  quœdam  Gallicis  à  St.  Denys  non 
cedunt, 

Scalis  ascensis  scriniis  inclusi  monstrantur  aliquot  reges  vestiti  ea 
forma  qua  erant  iu  vivis,  in  alio  scrinio  Jacobus  cum  duobus  uxoribus.  ^■^) 
In  apice  porticus  Monasteriensis  (Westmünster  Hof)  palo  infixum  videtur 
Cromvelli  caput  aliorumque  illius  adbœrentium,  uti  et  supra  pontem.  ^"') 
In  templo  Westmonasteriensi  etiam  est  sedes  Parlamenti,  -'")  conclave 
minime  splendidum,  in  cujus  summitate  sella  Régis  holoserico  rubro  prse- 
texta,  ab  utroque  latere  duo  alise  sellée,  infra  tbronum  longi  sunt  sacci 
rubri  lana  repleti  atque  hinc  scamni  ;  ^®)  locus  sane  talibus  congrega- 
tionibus  minime  conveniens,  adeo  ut  miratu  digna  res  sit  illum  peregrinis 
monstrari.  Huic  contiguum  est  aliud  conclave  obscurius  adhuc  ubi  corona 
quîedam  ex  auricalco  -'')  qua  dicunt  Duces  creari.  Hac  capitibus  imposita 
datoque  munere  domum  redivimus. 
Saeellum  20.  lunii.  ^^)  O  Sacellura  Regium  intravimus  ubi  multis  cœrimoniis 

Regium.    litaniam  canere  ac  concionari  audivimus.  E,ex  in  sublimi  loco  conspicie- 

batur  cum  fratre.  -^) 

Prandium  Hoc  bihorii  spatio  finito  ad  prandium  Regium  properavimus.     Locus 

Régis,      hominum  omnium  etiam  infimœ  condicionis  adeo  erat  repletus,  ut  se  in- 

vicem  fere  suö'ocarent.  Mensa  regia  cancellis  ligneis  inclusa  est  quos  sine 

indultu   transire   nemini    permissum    est.     Singulis    ferculis   quidam    cum 

sceptre  argenteo  prsecedebat  in  cujus  apice  corona.  Instructa  mensa  Rex 

accedit  solusque  mensae  accubuit;  illi  servitia  omnia  flexis  genubus  pra;s- 

tabantur.  Durante  prandio  concentus  omnis  generis  instrumentorum  mu- 

sicorum  audiebatur;  nobis  tarnen  prandii  tinem  expectare  impossibile  erat 

ob  effrenam  praesentis  turbte  licentiam.^")    Ergo  per  totum  palatiura  atque 

omnia  fere  conclavia  Regia  (qua^  Gallicis  non  comparanda  splendore  nti 

Withall.    et  ipsa  domus   WithalP')    quamvis    aniplitudine  ac    œdificii    commoditate 

superet  Regiam  Galliie)  ambulatum  ivimus  in  campum  Regium  e  regione 

^arc.       domus  Regiœ  (iile  Parc  dicitur). 


—     85      ~ 

Hic  magnus  damarum  grex  ut  et  volatilium  omnis  generis.  Locus 
est  Régis  deanibulationibus  destinatus  qui  et  a  csena  s&epius  hue  sestivo 
tempore  tendit  ambulatum;  scilicet  eum  ipse  aliquoties  vidi,  ac  semel 
quidem  cum  fratre  suo  Duce  Eboracensi,  qui  tecto  semper  erat  capite, 
et  legato  Gallico  Mr.  Colbert.  ^^)  Quo  tempore  et  très  fœminse  très  por- 
tantes infantulos  nuper  ex  eodem  utero  in  lumen  prognatos  flexis  genubus 
a  Rege  petebant  munus  pro  puerpera.  In  campo  hoc  (Parc)  portica'") 
erecta,  telescopiis  appendendis  apta,  quale  et  eadem  vespera  erat  appensum, 
quinquaginta  pedes  longum,  per  quod  lunam  ejusque   eminentias   optime 

Oobservabant  ingeniosissimi  illi  Regite  societatis  philosophi  ^*),  Satur- 
num  etiam  quem  duas  habere  prominentias  repererunt  sibi  oppositas.'') 

22.  c?  Tendimus  in  locum  qui  Bärengraben  dicitur  ■^^)  trans  Tame-  Bâren- 
sim.  Hic  canes  Anglici  cum  Leone  tribusque  ursis  ac  duobus  Tauris  garten, 
feris  committuntur,  uno  scihcet  postalterum.  Dignum  visu  est  quo  animo 

canes  isti  féroces  bestias  fortissimas  aggrediantur.  In  fine  et  catastrophes 
loco  mulus  immittitur  cui  insidet  simia.  Ilhim  canis  quoquoversum  agit, 
ideoque  misera  simia  casum  metuens  quam  tenacissime  mulo  inhseret 
risusque  materiam  exhibet  astantibus. 

23.  ç.  Trajecta  supra  Lambet"^)  (sic  Archiepiscopi  Cantuarii  domus 
vocatur)  Tamesi  visum  ivimus  ytei^iny/.ia^^)  cuisdam  Tusci  nomine.  In  via 
aniœnissimum  est  œnopolium,  the  Springegarten.  ^^)  Illa  quamvis  a  fœmina 
suo  nobisque  incognito  idiomate  cuncta  explicante  monstrata  sunt  omnis 
generis  naviculae,  exotica  vestimenta,  pisces,  tela,  aves,  caseus,  lignumque 
putrefactum,  Henrici  VIII.  scipio  atque  alia  ejus  generis.  Hic  solvendus 
solidus  pro  persona  quod  nobis  plane  videbatur  insolidum. 

24.  Fallendi  temporis  calorisque  causa  lavatum  abivimus  in  Tamesi. 

25.  Vidimus  Bibliothecam  Westmonasteriensem  manuscriptis  aliquot 
et  impressis  ante  plures  aunos  libris  instructam. 

28.  Per  rhedam  ordinariam  itur  Oxonium  per  vicum  Oxbridg,  ^*') 
ubi  haustum  vini  sumpsimus,  Beconfielth  *^)  ubi  pernoctatum,  Ricotte*-) 
ubi  postero  die  pransum  est. 

Oxonii  divertimus  ad  Angelum,  nosque  postea  ad  mensam  Domini  oxonium. 
M.  Heyde  ^^)  protobibliothecarii  contulimus,  cum  Domino  Axen  Holsato  **) 
viro  humanissimo  pariter  ac  doctissimo  qui   nol)iscum   venerat   Londino. 
(Hic  notas  meditatur  in  Phaîdri  fabulas  qua  s  propediem   in  lucem  dabit 
necnon  tractatum  de  Assassinio.) 

Habitabat  Dominus  Hayd  prope  fedem  S.  Mariœ*^)  a  qua  non 
multum  abest  Collegium  Publicum  in  quo  exercitia  publica  habentur.  *^) 

Ibidem  etiam  est  Bibliotheca  illa  Oxoniensis,  toto  orbe  celeberimn,     Biblio- 
cui  adjuncta  Seldoniana.  '^)  hic  nomina  uostra  dedimus   ut   liber  semper     theea. 
pateret  aditus  pro  quo  octo  solidi  erant  solvendi.     Hic  Dominus  Heyde 
moustravit  libros  quosdam  rariores  ut: 


—     86     — 

Missale  cum  picturis  quo  utebatur  Maria  Regina.  Proverbes  de 
Salomon  escrits  de  la  main  d'une  Ester  Anglaise  en  plus  de  soixante 
caractère  admirablement.  **)  Eraanuelis  Oïlr;  %a(.ißoi  7teQl  '^vwtv  cum  pic- 
turis animalium.")  Officia  Ciceronis  in  pergameno  4*^  impressa  A"  1645 
a  Faustio  per  puerum  suum.  ^'^)  Hieroglyphica  Mexicana,  parvse  deformes 
imagines  in  cartaceo  pictse. 

Acta  Apostolorum  Grasce  Antiquissima. 

Habetur  prœterea  in  hac  bibliotbeca  immensus  numerus  Manuscrip- 
torum  omnis  generis  ex  Bibliotbecis  Bodleiana,  Seldeniana,  Barocciana,  ^') 
et  aliis. 

In  conclavi  quodara  ibidem  ostenduntur  sella  ex  reliquiis  Navis 
celebris  Draconis  ■^-)  composita.  corona  Indica,  tela,cocbleae,  opticaquiedam, 
et  tabellœ  acu  pictse  ab  Angla  passionem  Christi  inferentes. 

In  xysto  longo  armario  inclusa  monstrantur  omnis  generis  numismata 
vetera  et  recentia,  cum  aliis  y.eiur/.ioi^  ut  ense  Henrici  YIII.  etc. 

In  scbola  Medica  seu  tbeatro  anatomico  sceleta  sunt,  calculi,^'^)  et 
Dn.  Wallis,  animalia  quœdam.  Ex  j^rofessoribus  ibi  salutavimus  Dominum  Wallis 
Dn.  Poeok.  celebrem  mathematicum^^^)  et  Dominum  Pocok^*'')  qui  nos  humanissime 
excepit,  et  Manu  scripta  qusedam  Arabica  quorum  non  contemnendam  habet 
copiam  exhibuit,  inter  quîB  Scherif  Aledrici  Geographia  cum  cartis  Geo- 
graphicis  pictis,  cujus  compeudium  edidit  Sionita.^^)  Novum  testamentum 
Syriacum  minutissimo  caractère.  ^^)  Pentateuchum  Samaritanum.  ^^)  Eu- 
clides  Arabice  cum  figuris.  '''^)  Abuulid  Aben  Jona  Lexicon  Hebrœo-Ara- 
bicum. ^^)  Abulfedœ  Historiarum  2  tom.  in  4*^.^**)  Maimonidis  quœdam 
pulcerrime  scripta.  ^') 

Monstravit  inter  alia  modum  scribendi  Syrorum,  nimirum  non  uti 
nos  versolibro  ab  summo  in  imum,  buccinam  Hebra^orum  ex  cornu  arietis, 
spithamœ^-)  longitudine.  Flagellum  Judœorum  ex  corio  bovino, 
bovino  superinducto  et  asinina  ligula  compacto.  de  siclis  *'^)  He- 
brœorum  cum  sermo  incidisset.  illos  suppositi[ci]os  et  novos  se  credere 
asseruit  addcns  historiam  de  Domino  Roo*")  legato  Régis  Anglici  apud 
Turcas.  cui  cum  quidam  Judœus  nummum  aureum  Alexandri  Magni  offerret 
emendum  insauo  i)retio,  Judœus  alius  notus  Legato  rogavit  ut  Legatus 
illum  nummum  per  aliquot  dies  domi  possit  retinere,  quo  impetrato  ipse 
nummum  aliura  finxit  hune  adeo  in  omnibus  exprimentem  ut  dignosci  a 
se  invicem  neuter  potuerit.  Judœo  dein  nummum  repetenti  recentem  hune 
restituit,  qui  nihil  doli  suspicatus  illum  pro  suo  domum  retulit  ac  seniijer 
habuit.  Paratas  habet  celeberrimus  Dominus  Poeok  sex  Proverbiorum 
Arabicorum  Xiliadas  cum  explicationibus  Latinis  et  Arabicis.  '^^) 
Dn.  Cleri-  Dominus  Samuel  Clericus '"•'')  Architypographus  Oxoniensis  et  facul- 

cus.       tsiüs  Juridicai  Pedellus  vir  in  linguis  Orientalibus  optime  versatus  multis 
nos  nominibus  devinxit.  inter  alia  nos  ad  Vicecancellarium  Dominum  FelP^) 


—     87     — 

deduxit,  (jui  humanissime  nos  excepit,  et  qusedam  de  Canonibus  Conci- 
liorum  quos  nunc  de  novo  prelo  coramisere  Oxonienses,  et  quorum  quidam 
etiam  Basileœ  extant,  rogavit.  ^^) 

Dominus  Heyde  hospes  noster  humanus  edidit  Ulug  beg  de  longi-Dn.  Heyde. 
tudine  et  latitudine  stellarum  fixarum  Persice  Latine.  ^^) 

Idem  tamquam  Protobibliotliecarius  confecit  indicem  bibliothecœ 
Oxoniensis.^'')  scripsit  et  librum  de  ludo  Schacchorum  nondumimpressum.^^) 
edidit  Hapbiz  Poetœ  canticum  Persico-Latinum  cum  commentario  Tur- 
cico,  ^-)  et  Historiam  Timuri  Arabice  et  Persice  cum  versione  Latina 
duplici,  nondum  perfecit.  ^'^ 

Collegia  hie  sunt    17    cum  aliis    quinque    quœ  Hall  vocantur.  ^*)  ex    Collegia. 
Collegiis  maximum    et  primum    est    Collegium  Aedis    Christi    cujus   aula 
nostro  tempore  saliente  fonte  ornabatur,  bibliothecara  habet  satis  elegan- 
tem. ^^)  Atque  hœc  Collegia  magnifiée  ut  plurimum  extructa  valde  ornant 
civitatem. 

Interea  9.  lulii  Comitia  Oxoniensia  inchoabantur  quse  primo  illius 
mensis  pro  mora  fieri  non  poterant. ''^)  frequentissima  fuerunt  ob  Theatri 
novi  dedicationem,  quod  certe  sedifieium  est  magnificum  a  Scheldeno 
Arehiepiscopo  Cantuario  et  Academiœ  Cancellario  ")  extructum  magnis 
impensis,  fertur  non  ultra  sedeeim  millia  librarum  Auglicarum  illos 
exeurrere,  ex  una  parte  Collegio  Publice,  ex  aliis  muro  circumdatum  est, 
elegantissimis  marmoribus  Arundelianis  ab  Howarlo  Arundelii  tilio  dona- 
tis  '^)  et  quibusdam  ab  ipso  etiam  Scheldeno,  tarn  Grtecis  quam 
Latinis  conspicuo.  Theatrum  ipsum  hac  forma  videtur  intus- 
que  nobilium,  Doctorum,  fœminarum,  sociorum  etc.  sedes  sunt 
separates.  Peristylia  habet  duo  totum   theatrum  ambientia. 

9.  lui.  Ç  mane  ab  Oratore  Academia?  Domino  South '^'-)  oratio  ha- 
bita egregia,  qua  theatrum  dedicavit,  a  meridie  Orationes  et  carmiua  a 
Junioribus,  qui  scilicet  Magistri  et  Baccalaurei  creabantur,  recitabantur. 

10.  ji  Novi  creati  Doctores  et  Magistri  in  Ecclesia  S.  Mari»  ibant 
obhitum  super  altare  flexis  quidam  genubus,  alii  curvato  corpore,  a 
meridie  disputationes  Philosophie«  habebantur  in  theatro  post  quas  priraus 
terrae  filius**')  in  Doctores  et  Présidentes  aliosque  invehebatur  aeutissime. 
eodem  die  etiam  lectiones  Theologica?  habebantur.  Angli  tales  actus  miro 
excipiunt  applausu,  tussi  scilicet,  grunnitu,  uluhitu,  vel  pulsu  aut  alio 
signo  prout  cuique  placuerit.  *-)  in  disputationibus  assumunt  tantum  et  ne- 
gant,  respondent  fere  nihil. 

12.  ^\  mane  in  Auditorio  Musico  Musica  habita  et  poemata  quœdam  re- 
citatasuntplœraqucinmuHeres,  qute  non  sine  sardonico  risu  excepta  sunt.  ^'^) 
post  meridiem  frequentissimo  actu  cui  ter  mille  plus  minus  homines  iuter- 


N'B.  infra  theatrum  typographia  erigitur.  ""^j 


—     88     — 


Canta- 
bpigia. 


Hantin- 
court. 


fuerunt  in  novo  theatro  Doctores  renuntiati  sunt  qui  et  disputationum 
specimiua  ibidem  exhibuerunt.  Doctor  item  Musices  a  Domino  Wallisio 
renunciatus  Musicam  exliibuit.  Sed  prius  terres  filius  alter  in  Professores 
ipsis  prsesentibus  summa  cum  libertate  idque  absque  figuris  et  tropis 
invehebatur  adque  ideo  non  eo  applausu  quo  primus  exceptus  est.  fuga 
etiam  sibi  postea  consulere  coactus  est,  dum  prior  in  carcerem  conjicie- 
batur.  Dominus  Fell  Vicecancellarius  Actum  Oratione  linivit,  quo  facto 
in  omnibus  Collegiis  potioni  indulsum  est  per  totam  fere  noctem. 

13.  (j-  et  sequente  amicis  valediximus  et  postea 

15.  G[|  vise  nos  dedimus  cum  Domino  Hardero,  ^*)  equos  conduximus 
et  virum  cui  .50  asses  Anglici  Cantabrigiam  usque  quivis  solvimus.  relicto 
ergo  Oxonio  per  oppidum  Bucking[b]am  16  millibus  inde  dissitum  ubi 
pransimus,  per  oppidum  Neuport  11  millibus,  et  Betford^^)  ubi  pernoc- 
tavimus  ad  insigne  Cigni,  sequenti  die  peractis  20  millibus  Cantabrigiam 
ivimus  pransum  quo  et  circa  horam  12.  appulimus,  tota  hac  via  multis 
ambagibus  referta,  et  ideo  inventu  est  difficillima.  cœterum  amœna  fero- 
citate  frumenti  et  infinitis  ovium  gregibus  quos  totidem  comitantur  greges 
corvorum  adeo  ut  ssepius  ad  centum  eorum  simul  conspexerimus. 

Cantabrigise  quœ  adeo  frequentata  uti  Oxonium,  adeo  ut  quibusdam 
in  plateis  ne  muscum  quidem  offendas,  inspeximus  Sacellum  ßegium,  ^'^) 
splendidum  sanc  et  magnificum,  altitudine  etiam  conspicuum,  Bibliothecam 
publicam  quse  Oxoniensi  minime  comparanda.  ^^)  Manuscripta  tarnen  babet 
Hebraea,  Latina,  Grseca,  Arabica,  Malabaica  in  foliis  fuco  expressis. 

In  collegio  Benedictino  ^^)  varia  babent  Manuscripta  ut  Homerum 
cum  Glossis,  Psalterium  Georgii  Papae  etc.  ^^}. 

In  Collegio  S.  Johannis  Manuscripta  Arabica  et  picturœ,^*^)  Palatium 
item  Florentinum  in  lapide  de  pièces  rapportées. 

Collegium  Trinitatis  quod  maximum  est  in  medio  areœ  fontera  babet 
egregium.  ^^) 

Hysteron  est  proteron  praepostera  causa  loquendi. 

Exempli  causa  Cambrigia- Oxonium. 

Quamvis  de  primatu  semper  contendant.  ®-) 

20.  cf.  In  rheda  ordinaria  per  Warr^^)  25  millibus  ubi  pransimus 
et  rbedam  mutavimus,  per  Edmonton^*)  deinde  pagum,  cujus  cerevisia 
in  pretio  apud  Anglos,  Londinum  redivimus. 

25.  lui.  O.  Reginam^")  ad  missam  rheda  euntem  vidimus. 

27.  cf.  Conducta  navicula  itum  in  Hantincourt, '■*'*)  praecipuum  Regis 
suburbanum,  est  ea  domus  tota  latericia  nisi  in  angulis,  ^')  hie  in  interiore 
area  fontem  videbis  ex  marmore  totum  statuis  eximium.  '•*^)  In  Conclavibus 
visu  digna  sunt: 

1.  Pictum  cete^")  quod  Grenvici  ^"")  ante  12  annos  captum,  22  yard 
(Anglicum  est  ulnœ  genus)  longum. 


—     89     — 

2.  Tabulas  qusedam  ab  Andrea  Montagno  Italo  pictse  "")  quarum 
pro  quavis  a  Cardinale  Mazariuo  1000  ÏÏ  Anglici  Cromvellio  oblata. 

3.  Tabula?  Geograpbicfe  viri  altitudine,  in  librum  compact»,  egre- 
gium  opus. 

4.  In  armario  Passio  Christi  matre  perlaruin  expressa  videtur. 

5.  Lectus  pretiosissimus  mille  libris  œstimatus,  nuper  ab  Hollandis 
Régi  dono  datus  cum  raappa  etc.,  vélum  habet  holosericum  rubrum  auro 
argentoque  bene  elaborato  fere  obductum.  "'^) 

6.  Galeria  seu  xystus  cornuum,  omnis  generis  cornubus  quœ  ullibi 
reperiuntur  referta,  '*'^)  in  imo  maximum  cornu  cervi  dcpictum  est  cum 
hac  inscriptione  :  Le  vray  portrait  d'une  corne  de  cerf  dans  le  chasteau 
d'Ambise  en  France  lequel  a  12  pieds  de  hauteur  et  neuf  de  largeur 
et  572  pieds  d'espace  entre  les  deux  branches. 

Cseterum  plurimi  hic  et  egregii  tapetes,  illi  prœsertim  qui  parieti- 
bus  non  affixi  sed  in  caméra  nobis  monstrabantur  asservati  qui  auro 
argentoque  nitent,  adeo  ut  Principem  Hetruriœ  '"'*)  qui  nuper  adeo  hic 
fuit,  asseruisse  ferunt  similes  se  tapetes  per  vitam  non  vidisse.  ^^^) 

Hinc  quia  nobis  falso  relatum  est  Winsorum  30  inde  leucis  abesse,  ^*'^) 
domum  redivimus  in  eadem  navi.  (Hier  bricht  das  Diarium  ab.) 


Anmerkungren  zu  1. 

1.  Hardouin  de  Beaiunont  de  Péréfixe,  lßU5 — 1670.  Erzieher  Ludwigs  XIV.,  später 
sein  Beichtvater,  seit  1662  Erzbischof  von  Paris  und  Provisor  der  Sorbonne, 
Verf.  der  Institiitio  principis  (Paris  16i7)  und  der  Vie  de  Henri  ]  V.  (Paris  1661) 
Biogr.  Univ.  t.  32. 

2.  Pierre  Ségiiier,  1588 — 1672,  seit  1635  königlicher  Kanzler,  Mitbegründer  und 
Protektor  der  französischen  Akademie.     B.  U.  38. 

3.  Eugène  Morice  de  Savoie,  comte  de  Soissons,  1638-1673,  verheiratet  mit  Olympia 
Mancini,  der  Nichte  des  Kardinals  Mazarin,  Oberstleutnant  der  Schweizer  und 
Grisonen,  seit  1672  Generalleutnant,  fand  seinen  Tod  in  der  Armee  Turennes  in 
Westfalen.     B.  U.  .39. 

4.  Philippe  de  France,  Duc  d'Orléans,  Bruder  Ludwigs  XIV.,  1640 — 1701,  in  1.  Ehe 
verheiratet  mit  Henriette  Anna,  Schwester  Karls  II.  Stuart,  in  2.  Ehe  mit  Charlotte 
EUsabeth  von  Bayern.     B.  U.  31. 

5.  Louis  de  Lon-aine,  comte  d'Armagnac,  de  Charny  et  de  Brionne,  vicomte  de 
Marsan,  1641 — 1718.  grand  écuyer  de  France,  sénéchal  de  Bourgogne  et  gouverneur 
d'Anjou.  Généalogie  et  Chronologie  de  la  Maison  Royale  de  France,  Paris  1753. 
t.  VIII.  509. 

6.  Michel  Letellier,  1603—1685,  Staatssekretär  im  Kriegsdepartement,  Vorgänger 
seines  Sohnes,  des  Marquis  de  Louvois.     B.  U.  24. 

7.  Jean  Baptiste  Colbert,  1619 — 1685,  Staatssekretär  und  Finanzminister  Ludwigs  XIV, 
B.  U.  8. 

8.  scopetarius  :  carabinier.  Scopetum  (auch  sclopetum)  =  frz.  escopette  :  carabine 
qu'on  portait  en  bandoulière,  Stutzbüchse. 

9.  Maria  Theresia,  1638-1683,  Tochter  Philipps  IV.  von  Spanien.     B.  U.  26. 

10.  Anne-Marie-Louise  d'Orléans,  Herzogin  von  Montpensier,  1627—1693,  Tochter 
Gastons  von  Orléans,  die  Geliebte  des  Grafen  von  Lauzun.     B.  U.  29. 

11.  Louis  de  Béthune,  comte  de  Charrost,  Chevalier  des  Ordres  du  Roy  et  Gouverneur 
pour  sa  Majesté  de  la  ville  de  Calais  etc.,  wird  als  einer  der  vier  Capitaines  des 
Gardes  du  Corps  genannt  in  L'Estat  de  la  France,  i)ar  N.  Besongne,  Paris  1663. 
p.  124/5. 

12.  Osterfastenspeisen. 

13.  Mehlklösse. 

14.  Louis,  „le  Grand  Dauphin'-,  1661-1711,  der  unbegabte  Zögling  des  Herzogs  von 
Montausier  und  des  Bischofs  Bossuet.  Für  ihn  schrieb  B.  seinen  Discours  sur 
l'histoire  universelle  ;  für  ihn  wurden  die  schönen  lateinischen  Klassikerausgaben 
ad  usum  Delphini  gemacht.     B.  U.  25. 


Anmerkung-en  zu  II. 

1.  Vermutlich  Dymchurch,  westlich  von  Dover.  1"  östlich  Greenwich;  vielleicht  auch 
Deal,  östUch  von  Dover.  Faeschs  Schreibung  von  englischen  Eigennamen  ist 
sehr  unzuverlässig. 

2.  Bolidus  -  Schilling,  deuarius  ~  Peuny,  as  -  Halfpenny. 


—      91      — 

3.  Kiechel  pg.  32  erzählt  von  der  gleichen  Strecke  im  Jahr  1585:  Wür  rütten  düe 
post,  als  süe  do  im  landt  zu  gehn  pflegt,  haben  gahr  deine,  nüdertrechtige  aber 
sehr  gute  pfertlin  miit  geringen  hölzernen  settel,  wölche  müt  thuch  yberzogen, 
hünden  gahr  nüder,  das  einer  am  reytten  leüchtlich  yberaus  schleifi't. 

4.  Meric  Casaubon.  1599 — 1671,  Sohn  des  Isaak  Casaubon  von  Genf,  studierte  zu 
Eton  und  Oxford,  war  Inhaber  mehrerer  Pfründen,  1644  vom  Parlament  derselben 
entsetzt,  nach  der  Restauration  wieder  eingesetzt.  Selbst  fruchtbarer  Schriftsteller 
und  Bewahrer  der  Werke  seines  Vaters  (1850  von  der  Clarendon  Press  Oxford 
herausgegeben)  Dictionary  of  National  Biography,  IX. 

5.  Peter  du  Moulin,  1601 — 1684-,  geb.  zu  Paris,  Pfarrer  von  Adisham  in  Kent,  ano- 
nymer Verfasser  der  roj'alistischen  Schmähschrift  Regii  sanguinis  clamor;  seit 
1660  Kaplan  Karls  II.  und  Pi'äbendar  von  Canterbury.     D.  X.  B.  XXXIX. 

6.  Hans  Stockar  (von  einer  Seitenlinie  des  Schaffhauser  Geschlechts,  dem  der  Ge- 
sandte der  evangelischen  eidgenössischen  Stände  an  das  englische  Parlament  und 
an  den  Herzog  von  Savoyen,  Hans  Jakob  Stockar,  1615 — 1681.  angehörte),  Enkel 
Heinrich  Stockars.  Hauptmanns  in  Iranzösischen  Diensten  und  Stadtbaumeisters 
von  Schaffhausen,  wurde  geboren  1633  als  dritter  Sohn  Hans  Stockars,  1649 
Pfarrer  zu  Beggingen  im  Kanton  Schatfhausen,  später  (durch  Vermittelung  seines 
vornehmen  Vetters?)  Prediger  in  Canterbury,  starb  1709.  Seine  Söhne  Johann 
Martin  und  Heinrich  Hessen  sich  in  London  nieder.     Leu,  Schweiz.  Lexikon. 

7.  Erklärung  der  Planetenzeichen:  O  Sonntag,  ^  Montag,  ^f  Dienstag,  Ç  Mittwoch 
%.  Donnerstag,  O  Freitag,  \i  Sonnabend. 

8.  St.  Ambour  wahrscheinlich  entstanden  aus  flüchtig  notiertem  Sittingbourne  (Sittiu- 
bourn),  der  Ortschaft,  wo  im  16.  und  17.  Jahrhundert  die  Post  zwischen  Canter- 
bury und  Gravesend  für  die  Mittags-  oder  Abendmahlzeit  anhielt.  Vergl.  S. 
Kiechel,  pag.  22.     Evelyn,  Diary,  27.    V"I.  1650. 

9.  King  of  Spain. 

10.  York  House,  früher  dem  Herzog  von  Buckingham  gehörig  (cf.  Evelyn,  27.  XI.  1655), 
von  Pepys  als  Absteigequartier  fremder  Gesandten  erwähnt  (30.  XII.  1660.  6.  VI. 
1663),  lag  am  Strand  in  der  Gegend  von  Villiers  und  Buckingham  Street.  Das 
Haus  des  holländischen  Malers  Hugo?  stand  also  wohl  am  östlichen  Ende  der 
Gasse,  die  St.  Martin's  Place  mit  dem  Strand  verbindet. 

11.  Dürfte  identisch  sein  mit  Daniel  Hemman,  Sohn  des  Bäckers  im  Grossen  Spital 
zu  Bern,  getauft  12.  September  1642,  seit  1659  auf  der  obern  Schule  zu  Bern^ 
wurde  als  Stipendiat  auf  fremde  Universitäten  geschickt;  1671  Schulmeister  in 
Zofingen,  1672  Pfarrer  zu  Reinach,  1677  entsetzt,  1680  Pfarrer  in  Murten,  1696 
in  Thurneu.  gestorben  1715.     Mitteilung  des  Staatsarchivars  Dr.  H.  Türler. 

12.  Lincoln's  Inn  Fields,  südlich  von  High  Holborn,  heute  einer  der  grössten  Squares 
in  London,  von  Inigo  Jones  angelegt,  im  16.  und  17.  .Jahrhundert  ein  elegantes 
Quartier  mit  obstreichen  Gärten  und  Promenaden.  Vgl.  F.  F.  Ordish,  Shake- 
speare's  London,  1897,  pag.  107 — 110. 

13.  Die  Ruinen  der  durch  den  grossen  Brand  im  September  1666  zerstörten  St.  Pauls- 
kathedrale wurden  erst  im  Jahre  1668  weggeräumt.  Samuel  Pepys  bewunderte 
die  Schnelligkeit,  mit  der  der  Turm  abgebrochen  wurde.  Die  neue  Kirche  hoffte 
er  im  Jahre  1669  ersteben  zu  sehen.  Vgl.  Pepys  Diary  26.  VUI.  und  14.  IX- 
1668.  In  Wirklichkeit  wurde  der  Neubau  nach  den  Plänen  von  Sir  Christopher 
Wreu  erst  1675  begtmuen  und  1710  vollendet. 

14.  Dieselbe  Vorschrift  erwähnt  Paul  Hcntzner ,  Itinerarium  pag.  130  (Ausgabe 
Breslau  1617),  S.  Pepys  Diary  30.  X.  1662. 

15.  Vgl.  Anmerkung  II.  8. 


—     92      — 

16.  Paul  Hentzner  sah  1598  tormenta  duo  ex  quorum  altero  très,  ex  altero  septem  globi 
possunt  explodi.     Itinerarium,  pag.  130. 

17.  Schuppenpanzer,  Rüstungen. 

18.  Hentzner  spricht  von  hastae  ex  quibus  ejaulari  potest  ;  Clj'jjei  ex  quibus  quater  jaculatur. 

19.  Ein  Scepter  des  Königs  Roger  finde  ich  nirgends  sonst  erwähnt.  Ofifenbar  ein 
Missverständnis  des  Verfassers. 

20.  Ganzseidene  Kappe. 

21.  Besuche  in  der  Münze  im  Tower  beschreibt  S.  Pepys  9.  III.  und  19.  V.  1663. 
Die  heutige  Royal  Mint,  1811  erbaut,  1882  umgebaut,  steht  östlich  vom  Tower. 

22.  Die  Löwen  erwähnt  auch  Pepys  als  Kuriosität  3.  V.  1662.  30.  IV.  1663. 
P.  Hentzner  sah  neben  drei  Löwinnen  und  einem  Löwen,  namens  Eduard  Vi., 
noch  eine  Menge  wilder  und  zahmer  Tiere;  Itiii.  pag.  131.  Die  Löwen  wurden 
1834  nach  dem  Zoologischen  Garten  in  Regent's  Park  gebracht. 

23.  Missverständnis  des  Verfassers,  da  König  Jakob  I.  nur  einmal,  mit  Anna  von 
Dänemark  (1589 — 1619),  verheiratet  w-ar. 

24.  Cromwells  Leichnam  wurde  nach  einem  Parlamentsbeschluss  vom  4.  Dezember  1660 
am  26.  Januar  1661  in  AVestminster  Abbey  ausgegraben,  am  30.  Januar  zu  Tyburn 
an  den  Galgen  gehängt,  der  Körper  darunter  begraben,  der  Kopf  auf  eine  Stange 
über  Westminster  Hall  gesteckt.  Dieselbe  Strafe  wurde  vollzogen  an  Bradshaw, 
dem  Präsidenten  des  Gerichtshofs,  der  Karl  I.  zum  Tode  verurteilt  hatte,  und 
an  Ireton,  dem  republikanischen  General  imd  Schwiegersohn  Cromwells.  D.  N.  B. 
XIII.  Schon  im  Oktober  1660  waren  andere  Königsmörder  hingerichtet  und  ihre 
Köpfe  über  Westminster  Hall  und  London  Bridge  aufgepflanzt  worden.  Evelyn 
nennt  Axtall,  Carew,  Clements,  Hacker,  Harrison,  Peters  (14.  X.  1660),  Scot, 
Scroope,  Cook,  Jones  (17.  X.  1660).  Vgl.  Pepys  21.  X.  1660:  George  Vine 
carried  me  up  to  the  top  of  his  turret,  wehere  there  is  Cook's  head  set  up  for  a 
traitor,  and  Han'isou's  set  up  on  the  other  side  of  Westminster  Hall.  Here  I  could 
see  them  plainly,  as  also  a  very  fair  prospect  about  London.  19.  April  1662  wurden 
Harkstead,  Okey  und  Corbet,  fernere  Richter  des  Königs,  gehängt  und  gevierteilt. 
Vgl.  Pepys  .30.  XI.  1661,  22.  I.  12.  lU.  17.  111.  und  19.  IV.  1662.  Zur 
Rache  an  den  Leichen  Cromwells,  Bradshaws  und  Iretons  bemerkt  der  fromme 
Evelyn:  This  day  (0  the  stupendous  and  inscrutable  judgments  of  God!)  were  the 
carcasses  of  those  arch  rebells  Cromwell,  Bradshaw  the  Judge  who  condemned 
his  Majestie,  and  Ireton,  son-in-law  to  the  L'surper,  dragg'd  out  of  their  süperb 
tombs  in  Westminster  among  the  Kings,  to  Tyburne,  and  hang'd  on  the  gallows 
there  from  9  in  the  morning  tili  6  at  night,  and  then  buried  under  that  fatal  and 
ignominious  monument  in  a  deepe  pitt;  thousands  of  people  who  had  seene  them 
in  all  their  pride  being  spectators.  Look  back  at  Nov.  22.  1658  (Cromwells  könig- 
liche Bestattung)  and  be  astonish'd!  and  feare  God  and  honor  the  King;  but 
meddle  not  with  them  who  are  given  to  change!  (30.  I.  1661). 

25.  Unrichtige  Angabe.  F.  vermischt  Westminster  Hall  mit  Westminster  Abbey. 
Eine  Verlegung  des  Parlaments  vom  ersten  ins  zweite  Gebäude  hat  meines  Wissens 
nie  stattgefunden, 

26.  Richtig  scamna,  Bänke. 

27.  auricalcum  =  orichalcum,  Messing. 

28.  Dass  der  Autor  vom  27.  Juni  auf  den  20.  Juni  zurückfällt,  hat  seinen  Grund 
darin,  dass  er  zunächst  noch,  bis  zum  Ende  des  französisch-gregorianischen  Monats, 
die  gewohnte  Datierung  fortsetzte,  dann  aber  sich  dem  englisch-julianischen 
Kalender  aupasste,  der  um  10  Tage  im  Rückstand  war,  und  also  statt  des  .30.  Juni 
(eines  Mittwochs)  den  20.  Juni  schrieb. 


—     93     — 

29.  Zum  Grottesdienst  in  der  königlicben  Kapelle  in  Whitehall  vgl.  Pepys,  39.  VII. 
1660.  With  my  Lord  (Sandwich)  to  Whitehall  Chapel,  where  heard  a  cold  sermon 
of  the  Bishop  of  Salisbury's,  Duppa's;  and  the  cérémonies  did  not  please  me,  they 
do  so  overdo  them.  —  Rex  :  Karl  IF.  Stuart,  frater:  Jakob,  Herzog  von  York, 
nachher  König  Jakob  II. 

HO.  Zu  diesem  Tadel  über  die  skandalöse  Unordnung  in  der  Umgebung  des  unwürdigen 
Monarchen  stimmt  genau,  was  Evelyn  zum  Empfang  des  marokkanischen  Ge- 
sandten am  11.  Januar  16S2  notierte:  Das  Gedränge  und  der  Lärm  der  Zuschauer 
(im  Audienzsaal)  war  nicht  auszuhalten,  so  dass  die  Hofbeamten  keine  Ordnung 
halten  konnten.  Darüber  waren  diese  Fremden  zuerst  erstaunt;  denn  bei  allen 
öffentlichen  Anlässen  in  ihrem  Lande,  und  überhaupt  in  allen  türkischen  Landen, 
wird  alles  genau  nach  Herkommen  und  Regel  und  unter  vollständigem  Still- 
schweigen vollzogen. 

31.  Whitehall,  heute  der  Sitz  der  Ministerialgebäude,    dahinter  der  St.  James's  Park. 

32.  Charles  Colbert,  Marquis  de  Croissy,  Bruder  des  Ministers  Jean  Baptiste  Colbert, 
hatte  schon  im  September  1668  (vgl.  Evelyn  IL  19,  IX.  1668)  durch  einen  für 
England  vorteilhaften  Handelsvertrag  den  König  und  seine  Berater  (das  Cabal  Mini- 
sterium )  der  am  23.  Januar  1668  mit  Holland  und  Schweden  geschlossenen  Trippel- 
allianz zuwider  an  Frankreichs  Interesse  gefesselt.  Durch  seine  Mission  im  Jahre  1669 
gewann  Colbert  den  König  zu  einem  Angridskrieg  gegen  Holland  1.  durch  das 
Versprechen  jährlicher  Subsidien  von  ^  120,000  und  ^  80,000  Entschädigung  im 
Falle  von  Unruhen  in  England,  2.  durch  die  Aussicht,  dass  in  einem  künftigen  Krieg 
gegen  Spanien  England  Minorca,  Ostende  und  Südamerika  erhalten  sollte.  Als  Gegen- 
leistung sollte  die  englische  Regierung  50  Schiffe  und  6000  Soldaten  stellen  und 
die  Restauration  der  katholischen  Kirche  durchführen.  Die  endgiltigen  Verein- 
barungen des  berüchtigten  Vertrags  von  Dover  (20.  Mai  1670)  vermittelte  die 
Herzogin  von  Orléans,  Karls  IL  Schwester.     (D.  N.  ß.  Charles  II.  i 

33.  Schutzdach. 

34.  The  Royal  Society  (of  London  for  Improving  Natural  Knowledge)  inoffiziell  seit 
1645,  offiziell  seit  1660  bestehend,  versammelte  sich  im  Gebäude  des  Gres- 
ham  College ,  nach  dem  grossem  Brande  1666  in  Arundel  House ,  der 
Residenz  des  Herzogs  von  Norfolk,  welcher  der  Gesellschaft  durch  Evelyns  Ver- 
mittelung  seine  reiche  Bibliothek  schenkte  (vgl.  Evelyns  Diary  29.  VIII.  1678). 
Encycl.  Brit. 

35.  Für  astronomische  Beobachtungen  zu  schwärmen  war  durch  Karl  II.  Mode 
geworden.  Vgl.  Evelyn ,  3.  V.  1661.  This  evening  I  was  with  my  Lord 
Brouncker,  Sir  Robert  Murray,  Sir  Pa.  Neill,  Monsieur  Zulichem,  and  Mr.  Bull 
(all  of  them  of  our  Society  and  excellent  mathematicians),  to  shew  his  Majestie, 
who  was  présent,  Saturn's  annulus  as  some  thought,  but  as  Zulichem  affirm'd, 
with  his  Ballens  (as  that  learned  gentleman  had  publish'd)  very  neere  eclips'd  by 
the  Moon,  neere  the  Mons  Porphyritis;  also  Juppiter  and  Satellites,  thro'  his 
Majesty's  great  télescope,  drawing  35  foote  ;  on  which  were  divers  discourses. 
14.  V.  1661.  His  Majesty  was  pleas'd  to  discourse  with  me  concerning  several 
particulars  relating  to  our  Society,  and  the  planet  Saturn,  etc.,  as  he  sat  at  supper 
in  the  withdrawing  room  to  his  bed  Chamber.  —  Pepys  hatte  ein  12  Fuss  langes 
Teleskop  auf  seinem  Dach  aufgestellt.  19.  VIII.  1(5(56:  We  did  also  at  night  see 
Jupiter  aud  his  girdle  and  satellites,  very  fine,  with  my  twelve  foot  glass,  but 
could  not  see  Saturn,  he  being  very  dark. 

36.  The  Bear  Garden,  in  Bankside  am  Südufer  der  Themse  gelegen,  dessen  sechseckiger 
Turin    dem    benachbarten    Globe    Theater   ähnlich    war,    (vgl.    Visschers   Ansicht 


—     94     — 

von  London  von  16 Iß  in  Ordish's  Shakespeare's  London)  zog  durch  seine  rohen 
Tierkämpfe  im  16.  und  17.  Jahrhundert  das  unfeine  und  gelegentlich  auch  das 
feine  Londoner  Pul)]ikum  an  und  wird  von  jedem  fremden  Besucher  beschrieben. 
Evelyn  16.  YI.  1670  nennt  die  Schauspiele  im  ßärengarteu  butcherly  sports,  or 
rather  barbarous  cruelties,  und  fügt  bei:  and  I  most  heartily  weaiy  of  the  rude 
and  dirty  pastime,  which  I  had  not  seene,  I  think,  in  twenty  years. 

37.  Lambeth  Palace,  am  Südufer  der  Themse,  bei  Lambeth  Bridge. 

38.  Kleinodien,  Kuriositäten. 

39.  The  Spring  Gardens  in  Vauxhall,  südlich  von  Lamlieth  Palace,  ein  beliebter  länd- 
licher Vergnügungsort  der  eleganten  Welt,  von  Cromwell  geschlossen  (Evelyn  10.  V. 
1654:  :  which  tili  now  had  been  the  usual  rendezvous  for  the  ladys  and  gallants  at 
this  season),  unter  Karl  IL  wieder  viel  besucht.  Pepys,  28.  V.  1669:  I  by  water 
to  Foxhall,  and  there  walked  in  Spring  Garden.  A  great  deal  of  corapagny, 
and  the  weather  and  garden  pleasant;  and  it  is  very  pleasant  and  cheap  going 
thither,  for  a  man  may  go  and  spend  what  he  will,  or  uothing,  all  is  one.  But  to 
hear  the  nigbtingale  and  other  birds,  and  here  fiddles,  and  there  a  harp,  and 
here  a  Jew's  trump,  and  here  laughiog,  and  there  fiue  people  Walking,  is  mighty 
divertising.     Vgl.   29.  V.  1664. 

40.  Uxbridge  am  Colne  in  Middlesex. 

41.  ßeaconsfield  in  Buckinghamshire. 

42.  Ricotte  wahrscheinlich  Verschreibung  für  Didcot.  Rycote  ist  der  Name  eines 
Gutes  des  Earl  of  Abingdon,  2  Meilen  südwestlich  von  Tharae  in  Oxfordshire. 

43.  Thomas  Hyde  D.  D.  1636—1703,  Schüler  des  Arabisten  Wheelock  in  Cambridge, 
1658  Professor  des  Hebräischen  am  Queen 's  College  Oxford,  1665—1701  Ober- 
bibliothekar der  Bodleyan  Library,  1666  Präbendar  der  Kathedrale  von  Salisbury, 
1673  Archdeacon  von  Gloucester,  seit  1691  Nachfolger  Pococks  als  Professor  des 
Arabischen,  1691  Regius  Professor  of  Hebrew  und  Canon  of  Christ  Church;  unter 
Karl  IL,  Jakob  IL,  Wilhelm  III.  Dolmetscher  für  orientalische  Sprachen. 
D.  N.  B.  XXVIII. 

44.  Peter  Axen  aus  Husum  in  Holstein,  1635 — ^1707,  Rechtsgelehrter  und  Humanist, 
studierte  in  Helmstädt,  Leipzig,  Jena  jura  und  art.  hb.,  bereiste  als  Hofmeister 
des  Herzogs  von  Holstein  und  als  Sekretär  des  Barons  Friesen  verschiedene 
Länder,  Hess  sich  1670  als  Advokat  in  Schleswig  nieder.  Übersetzer  und  Verfasser 
verschiedener  historischer,  juristischer  und  philologischer  Werke.  Aus  dem  Italienischen 
übersetzte  er  Phaedri  fabulas  Aesopicas  cum  notis,  im  Manuskript  hinterliess  er 
Notas  in  IV  libros  fabularum  Phaedri  jiosteriores.  Vgl.  Deutsche  Biographie  und 
Jöchers  Gelehrtenlexikon. 

45.  St.  Mary-the-Virgin  in  High  Street,  Universitätskirche. 

46.  Heute  The  Divinity  School  und  The  Old  Schools  genannt,  l)is  1882  für  die  öfifent- 
lichen  Prüfungen  benutzt,  jetzt  der  Bodleyan  Library  eingeräumt. 

47.  Der  älteste  Bestandteil  der  öft'entlichen  Bibliothek  von  Oxford,  von  Herzog 
Humphrey  von  (iloucester  1411  gestiftet,  war  unter  der  Regierung  Eduards  VL 
geplündert  worden.  Sir  Thomas  Bodley  (1545—1613),  Diplomat  im  Dienste 
Elisabeths  und  Jakol)s  I.,  legte  durch  grossartige  Schenkungen  den  Grund  zu  der 
neuen  Bibliothek  (eröffnet  8.  November  1603).  Aus  dem  Nachlass  John  Selden's 
(1584  -  1654),  des  grossen  Juristen,  Orientalisten  und  Polyhistors,  kamen  zirka 
8000  Bände  in  dieselbe  Bibliothek,  in  den  Besitz  der  Universität  Oxford  gelangten 
seine  griechischen  Skulpturen  und  Inschriften.     D.  N.  B.  LI,  220. 

48.  DieselliC  Kuriosität  zeigte  der  Bibliothekar  Barlow  am  11.  Juli  1654  Evelyn  : 
theu   amungst    the  nicer    curiosities,    the    Proverbs  of   Soloraon  written  in  l'rench 


—     95     — 

by  a  lady,  every  chapter  of  a  severall  character  or  haud  tlie  most  exquisite 
imaginable.  Die  Dame  war  nach  einer  Note  zu  Evelyn  ib.  Esther  Inglish,  ver- 
heiratet an  ßartholomew  Kello.  Pfarrer  von  Willinghall  Spain  in  Essex. 

49.  Tov  rro(fojTctTov  ^lÀr^  aiCy^oi  lafißiy.ol  TteQi  ^iLojv  lôionjTog  |ed.  Arsenius,  Archbishop 
of  Monambasia]  llaçà  2.  Saßio),  'Evezlijai  1538.  —  Brit.  Mus.  Catal.  Im  Catal. 
Impr.  Libr.  v.  Hyde  aufgeführt  als  Manuel  Phile,  Liber  de  animalium  proprietatibus 
versu  Jambico,  Gr.  Lat.  p.  210.  —  M.  I.  11.  Art.  Seid.   — 

50.  Ciceronis  Officia  et  Paradoxa,  1465  (nicht  164:5!)  von  Fust  in  Mainz  gedruckt, 
Vgl.  L.  Hain,  Repertor.  bibliograph.  52o8.  Proctor  38.  —  Im  Catal.  Impr. 
Libr.  aufgeführt  als  Ciceronis  Ofdcia,  Mog.  1465.     Arch.  B.  95. 

51.  Jakob  Barozzi,  Mathematiker  in  Venedig,  erbte  die  Bibliothek  seines  Onkels  Franz 
Barozzi,  die  er  durch  zahh'eiche  griechische  Manuskripte  bereicherte.  Xach  seinem 
Tode  wurde  die  Bibliothek  von  einem  englischen  Buchhändler  für  "William  Herbei't, 
.'5.  Earl  Pembroke  (1580—1630),  seit  1617  Kanzler  der  Universität  Oxford,  ange- 
kauft und  der  grössere  Teil  der  Bodleyan  Library  geschenkt.  Den  Rest  kaufte 
Cromwell  aus  Pembrokes  Xachlass  für  dieselbe  Bibliothek.  D.  N.  B.  XXVI. 
Biogr.  L^n.  t.  3. 

52.  Das  Schifi"  des  Sir  Francis  Drake,  auf  dem  er  1577 — 1580  die  Welt  umsegelte, 
lag  bei  Deptford  in  der  Themse  verankert  und  wurde  in  der  Folgezeit  allen 
Besuchern    Londons    als    Sehenswürdigkeit    gezeigt.      Vgl.    Hentzner,    pag.    134. 

53.  Das  Schneiden  der  Nieren-  und  Gallensteine  spielt  in  den  Memoiren  des  17.  Jahr- 
hunderts eine  auffallend  grosse  Rolle.  Pepys  feierte  jeden  26.  März  seine  glück- 
liche Steinoperation  und  ermunterte  andere  zum  selben  Wagnis.  Vgl.  Evelyn, 
10.  V.  1669.  I  went  this  evening  to  London,  to  carry  Mr.  Pepys  to  my  brother 
Richard,  now  exceedingly  afflicted  with  the  stone,  who  had  been  successfuUy  eut, 
and  carried  the  stone  as  big  as  a  tennis-ball,  to  shew  him  and  encourage  his 
resolution  to  go  thro'  the  opération. 

51-'.  John  Wallis,  1616 — 1703,  seit  1649  Savilian  Professor  der  Geometrie  in  Oxford 
und  seit  1658  Universitätsarchivar,  berühmter  Kryplograph.     D.  N.  B      LIX. 

54''.  Edward  Pocock,  1604—1691,  Orientalist,  sammelte  als  Kaplan  der  englischen 
Kaufleute  in  Aleppo  und  der  englischen  Gesandtschaft  in  Konstantinopel  wertvolle 
^Manuskripte  für  die  Bodleyan  Library,  war  Inhaber  der  Pfarrpfründe  von  Childrey 
in  Berkshire,  seit  1636  gelegentlich  Lektor  der  arabischen  Sprache  in  Oxford, 
seit  1660  installiert  als  Professor  der  hebräischen  Sprache  im  Christ  Church  College. 
Seine  Bibliothek  wurde  1693  um  ^  600  für  die  Bodl.  Lib.  angekauft.  D.  X.  B. 
XLVI. 

55.  Geographia  Nubiensis  ex  Arab.  in  Lat.  per  G.  Sionitam  et  Joh.  Hezrouitam,  una 
cum  eorundem  Traetatu  de  uonnullis  Orieutalibus  Urbibus  et  Incolis.  Par.  1619. 
40  n.  13.  Art.  Seid.     (Catal.  Impr.  Libr.  ed.  Th.  Hyde). 

56.  Beschrieben  in  ßibliothecae  Bodleianae  Codicum  Manuscriptorum  Catalogus  a 
Joanne  Uri  confectus,  Oxonii  1737.  Pars  I.  Cod.  Syr.  pag  5:  Novura  Testamentum 
in  octave  XXII,  datiert  A.  D.  1579.  Titel:  Quatuor  Flumina  Aquae  Vitae 
(Maresc.  138). 

57.  Beschrieben  ib.  Pars  II.  vol.  1.  als  codex  1,  Rodl.  345;  datiert  A.  D.  1479  80; 
von  Joseph  Taylor  1668  von  Damascus  heimgebracht. 

58.  Beschrieben  ib.  Pars  I.  cod.  msc.  Hebr.  et  Chald.  pag.  84  CCCCXXXI.  1«  Ele- 
mentorum  Euclidis  Libri  XV,  cum  suis  tiguris,  titulo  'Radicum  et  Fundamen torum' 
signali.     Ans  dem  Arabischen  übersetzt  von  R.  Jacob  ben  Machir  (Hunt,   16). 

59.  Beschrieben  ib.  Pars  I.  pag.  90.  codex  ohartaceus,  anno  Contraetuum  17.32.  Christi 
1420,  exaratus.  folia  370  complectens.     Ibi  reperitur    Operis  Grammatici,    in  duas 


—     96     — 

partes  distributi,  pars  posterior,  Liber  Radicum  nuncupata,  quae  Dictionarium  est, 
voces  nimirum  Hebraeas  Arabice  explicans  :  auctore  Abulwalid  Merwan  Ben  Gian. 
nah  Cordubensi   (Pocock  133). 

60.  Beschrieben  ib.  Pars  I,  pa^.  155:  DCLXXXVI,  datiert  A.  D.  1487,  Titel:  Volumen 
primum  Compendii  de  Historia  mortalium.  Auctor:  Omadeddin  Ismael  Ben  Ali  Ben 
Mahmud  Ben  Mohammed  Ben  Omar  Shahenshah  Ben  Aiub  (Pocock  303).  Vgl.  Abul- 
fedae  Annales  Moslemici  Latinos  ex  Arabicis  fecit  J.  J.  Reiske,  Lipsiae  1754. 

fil.  Porta  Mosis,  sive  Dissertationes  aliquot  a  R.  Mose  Maimonide.  suis  in  varias 
Mishnaioth,  sive  textus  Talmudii  partes  commentariis  praemissae.  .  .  Arabice 
conscriptae.  .  .  et  Latine  éditas.  .  .  cum  appendice  notaruni  miscellanea.  Opera 
E.  Pocockii,  Oxonii  1665.  ■¥>. 

Im  Mscr.  Catal.  sind  von  Maimonides  aufgezählt  (Cod.  Hehr,  et  Chald.  pag.  31 — 92)  : 
Liber  Praeceptoram,  Responsa  ad  Quaesita  de  Jad  Chasaka,  Compendiuna  Tal- 
mudicum,  Coramentarius  in  varies  Talmudis  tractatus,  Commentarius  in  Pirke 
Aboth,  Tractatus  de  Seminibus,  More  Bebochim.    Chronologia,  Logica. 

62.  Spanne. 

63.  Sekel,  hebräische  Münze,  seit  143  v.  Chr.  geprägt. 

64.  Sir  Thomas  Roe,  1581? — 1644,  Gesandter  bei  Jehangir,  Grossmogul  von  Hindustan 
(1614-1619),  bei  der  Ottoman.  Pforte  (1621—1628).  Vom  Patriarehen  Cyrillus 
Lucaris  erhielt  er  für  Jakob  I.  den  Codex  Alexandrinus  der  ganzen  Bibel;  unter 
den  29  von  ihm  angekauften  griechischen  Manuskripten  befand  sich  eine  Original- 
kopie der  Synodalbriefe  vom  Konzil  zu  Basel.  1628  der  Bodl.  Libr.  geschenkt. 
Er  sammelte  auch  Inschriftentafeln  und  Skulpturen  für  den  Herzog  von  ßucking- 
ham  und  den  Earl  von  Arundel.  1629  vermittelte  er  den  Frieden  zwischen 
Schweden  und  Polen  und  bewog  Gustav  Adolf  zur  Invasion  in  Deutschland; 
1638—1642  bemühte  er  sich  in  Hamburg,  Regens  bürg  und  Wien  für  die  Rehabili- 
tation Friedrichs  V.  von  der  Pfalz. 

65.  Die  Sammlung  von  6013  arabischen  Sprichwörtern,  übersetzt  1635,  aber  nicht 
puliliziert.  findet  sich  im  Manuskript  in  der  Bodl.  Libr.  Pocock  392.  Specimina 
davon  hat  H.  A.  Schultens  1773  und  1775  ediert,  (A.hmed  Ibn  Mohammad  (Abu 
Al-Fadli  called  Al-Maidani.  Spécimen  proverbiorum  Meidani  ex  versione  Pocockiana 
edidit  H.  A.  Schultens  Arab.  et  Lat.  London  1773—1775.  Brit.  Mus.  Catalog) 
ebenso  J.  D.  Macbride  in  Fundgruben  des  Orients  Tom.  I.  HL  IV. 

66.  Samuel  Clarke,  1625 — 1669,  wurde  zu  den  .\mtern  eines  Druckereivorstehers  und 
und  Oberpedells  der  juristischen  Innung  zu  Oxford  zuerst  1649  und  wiederum  1658 
gewählt;  Mitarbeiter  an  Walton's  Biblia  Sacra  Polyglotta  1657,  Verfasser  von 
Scientia  Metrica  et  Rhythmica,  seu  Tractatus  de  Prosodia  Arabica,  Oxford  1661, 
publiziert  als  Appendix  zu   Pococks  Lamiatio'  1  Ajam.     D.  N.  B.  X. 

67.  John  Fell,  D.  D.,  1625—1686,  feuriger  Royalist,  1660  zur  Belohnung  für  be- 
ständigen Widerstand  gegen  die  Parlamentspartei  in  Oxford  zum  Dean  von  Christ 
Church  ernannt,  restaurierte  deren  Gebäude,  arbeitete  zelotisch  für  Wiederher- 
stellung der  Kirchen-  und  Schuldisziplin,  1775  Bischof  von  Oxford.  Daneben 
fleissiger  Autor,  Hauptwerk  Edition  des  Cyprian.     D.  N.  B.  XVIII. 

68.  Die  Originalakten  des  Baseler  Konzils  galten  zu  dieser  Zeit  als  ein  Kleinod  in 
der  Manuskriptsammlung  der  Bodleyan  Library.  Evelyn,  dem  dieser  Schatz  von 
'seinem  sehr  gelehrten  Freunde',  Dr.  Barlow,  dem  Bibliothekar,  bei  Gelegenheit 
des  Promotionsfestes  am  11.  Juli  1654  gezeigt  wurde,  notierte  an  zweiter  Stelle: 
The  original  acts  of  the  Council  of  Basil  900  yeares  since  (sie!),  with  the  buUa 
er  leaden  affix,  which  has  a  silken  cord  passing  thro'  every  parchment.  Vgl. 
Anra.  II.  64.  —  Der  Neudruck  ist:  Theodori  Balsamonis  Commentarii  in  Canones 


—     97     — 

Apostolorum,  Conciliorum,  Patrum,  Epistolas  Canoaicas,  inque  Photii  Xomocanonem. 
Graece  Latine  emendato  textu  ac  Versione.  Oxoq.  1672.  —  Zur  Geschichte  des 
Baseler  Konzils  vgl.  Johannes  Haller,  Concilium  Basiliense.  Studien  und  Quellen 
zur  Geschichte  des  Concils  von  Basel.     Basel  1896.     Band  1. 

69.  Ulugh  Beg  Jbn  Shakrukh,  Mirza.  Sive  tabulae  longitudinis  ac  latitudinis  stellarum 
fixaruin  ...  ex  tribus  .  .  .  MSS.  Persicis  .  .  .  luce  ac  Latio  donavit,  et  com- 
mentariis  illustravit  Thomas  Hyde.     Oxonii  1665. 

70.  Catalogus  impressorum  librorum  Bibliothecae  Bodleianae  in  Academia  Oxoniensi. 
Cura  et  opera  Thomae  Hyde  e  Collegio  Reginas  Oxon.  Protobibliothecarii.  Oxonii 
e  Theatro  Sheldoniano.     1674. 

71.  De  ludis  Orientalibus  libri  duo: 

1.  Mandragorias  seu  Historia  Shahiludii  viz.  ejusdem  origo,  antiquitas  ususque  per 
totum  Orientera  celeberrimus  .  .  .  Accedunt  de  eodem  Rabbi  Abraham  Abben 
Eyrae  elegans  poema  rhythmicum.  R.  Bonsenior  Abben  Jachiae  facunda  oratio 
prosaica:  liber  deliciae  regum,  prosa  .  .  per  innominatum . 

2.  Historia  Nerdiludii,  hoc  est  dicere  latrunculorum,  cum  quibusdam  aliis  Arabum 
Persarum,  Indorum,  Chinensium  .  .  .  ludis  tam  politicis  quam  bellicis  .  .  .  item 
explicatio  antiquissimi  Chinensium  ludi  .  .  .  congessit  Thomas  Hyde.    Oxonii  169-4. 

72.  Den  Hafiz  hat  Th.  Hyde  nicht  ediert.  Faeschs  Bemerkung  bezieht  sich  wohl  auf 
den  in  der  Bodl.  Libr.  bewahrten  Cod.  Land  B.  38,  der  im  Manuskr.  Katal. 
von  1737  beschrieben  ist:  Codex  bombycinus.  anno  Hegirae  1025,  Christi  1616, 
exaratus,  Folia  .SOO  complectens.  Exhibet  Hafez  Shii-azitae,  anno  Hegirae  797 
mortui,  carmina  varia  subjecta  Turcica  singulis  interpretatione,  cujus  auctor 
Alsoruri.  Liber,  tomum  operis  primum  constituens,  desinit  in  litera  Alphabeti 
décima  septima. 

73.  "Wurde  nicht  vollendet.  Derselbe  Katalog  nennt  unter  den  Codices  Arabici 
DCCXVII.  einen  codex  bombycinus,  anno  Hegirae  860,  Christi  1455,  transcriptus, 
foliis  165  constans.  Ibi  repraesentatur  Opus  ita  inscriptum:  Mirabilia  Fati  de 
Successibus  Timuri,  qui  vulgo  Tamerlanes  dicitur,  historia  ab  Ahmed  Ben  Arabshah 
scripta,    eadem  quae  Lugduni  Batavorum  publicam  lucem  aspexit.     [Land.  B.  81.] 

74.  Heute  23  Colleges  und  4  Halls. 

75.  Christchurch  College,  1525  von  Kardinal  Wolsey  gegründet.  Für  dessen  Bibliothek 
wurden  1716 — 1761  neue  Gebäulichkeiten  errichtet. 

76.  Die  Comitia  (the  Act),  die  alljährlichen  Promotionsfeierlichkeiten,  fingen  auch 
früher  nicht  am  1.  Juli,  sondern  am  8.  Juli  an  und  erstreckten  sich  über  4  Tage, 
vgl.  Evelyn,  8.— 13.  Juli  1654,  8.— 11.  Juli  1675.  Im  Jahre  1669  begann  das 
Fest  am  9.  und  ging  erst  am  15.  Juü  zu  Ende.  Faesch  fasst  übrigens  unter  dem 
Datum  des  12.  Juli  Vorgänge  zusammen,  die  sich  in  Wirklichkeit  am  10.,  11.  und 
12.  Juli  abspielten.  Evelyn,  der  alte  Schüler  von  Balliol  College,  hatte  als  junger 
Mann  im  Jahre  1654  die  sollemnen  Szenen  des  Festakts  in  der  Kathedralku-che 
voll  innerer  Ungeduld,  voll  Freude  dagegen  die  geselligen  Akte  mit  alten  Freunden 
mitgemacht  und  mit  seiner  Frau  die  Sehenswürdigkeiten  der  Colleges  besucht. 
Dementsprechend  hatte  er  auch  in  seinem  Tagebuch  berichtet.  Jetzt  aber,  anno 
1669,  wo  er  als  hochangesehener  Staatsmann,  als  Freund  des  Königs,  als  Gönner 

'  der  L'niversität  erschien,  der  den  jungen  frivolen  Herzog  von  Norfolk  überredet 
hatte,  seine  berühmte  Sammlung  von  antiken  Marmortafeln  dem  neuen  Festge- 
bäude seiner  alma  mater  zu  schenken  und  zum  Dank  dafür  den  Doktorhut  erhielt, 
jetzt  musste  er  bei  allen  Feierlichkeiten  unter  den  ersten  Würdenträgern  ei-scheinen 
und  sich  huldigen  lassen.  Darum  ist  die  Eintragung  in  seinem  Tagebuch  noch 
beträchtlich    genauer    als    diejenige    unseres    Faesch;    sie    kann    als  der  beste  und 


—     98     — 

zuverlässigste  Kommentar  zu  der   Relation  des  Baseler  Gastes  betrachtet  werden. 
Ich  lasse  sie  zur  Vergleichung  hier  folgen: 

9.  July.  In  the  morning  was  celebrated  the  Encenia  of  the  New  Théâtre,  so 
magnificently  built  by  the  munificence  of  Dr.  Gilbert  Sheldon,  Abp.  of  Canterbui-y, 
in  which  was  spent  £  25,000  as  Sir  Christopher  Wren,  the  architect,  (as  I 
reraember),  told  me  ;  and  yet  it  was  never  seene  by  the  benefactor,  my  Lord  Abp. 
having  told  me  that  he  never  did  nor  ever  would  see  it.  It  is  in  truth  a  fabrick 
comparable  to  any  of  this  kind  of  former  ages,  and  doubtless  exceeding  any  of 
the  présent,  as  this  University  does  for  Colledges,  Librairies,  Scholes,  Students, 
and  Order,  all  the  Universities  in  the  world.  To  the  Théâtre  is  added  the  famous 
Sheldonian  Printing-house.  This  being  at  the  Act  and  the  first  time  of  opening 
the  Théâtre  (Acts  being  formerly  kept  at  St.  Mary's  church,  which  might  be 
thought  indécent,  that  being  a  place  set  apart  for  the  immédiate  worship  of  God, 
and  was  the  inducement  for  building  this  noble  pile)  it  was  now  resolv'd  to  keep 
the  présent  Act  in  it,  and  celebrate  its  dedication  with  the  greatest  splendor  and 
formalitie  that  might  be,  and  therefore  drew  a  world  of  strangers  and  other 
compagnie  to  the  University  from  all  parts  of  the  nation.  The  Vice  Chancellor, 
Heads  of  Houses  and  Doctors,  being  seated  in  magisterial  seates,  the  Vice- 
Chancellor's  chaire  and  deske,  Proctors,  etc.,  cover'd  with  Brocatall  (a  kind  of 
brocade)  and  cloth  of  gold  ;  the  Universitie  Register  read  the  founder's  grant  and 
gift  of  it  to  the  Universitie  for  their  scolastic  exercises  upon  these  solemn  occasions. 
Then  foUow'd  Dr.  South,  the  Universitie's  Orator,  in  an  eloquent  speech,  which 
was  very  long,  and  not  without  some  malicious  and  indécent  reflexions  on  the 
Royal  Society,  as  underminers  of  the  University,  which  was  very  foolish  and 
imtrue,  as  well  as  unseasonable.  But,  to  let  that  pass  from  an  illnatur'd  man, 
the  rest  was  in  praise  of  the  Archbishop  and  the  ingénions  architect.  This 
inded,  after  loud  musiq  from  the  corridor  above,  where  an  organ  was  plac'd 
there  follow'd  divers  panegyric  speeches  both  in  prose  and  verse  interchangeably 
pronounc'd  by  the  young  students  plac'd  in  the  rostrums,  in  Pindarics,  Eclogues, 
Heroics,  etc.  mingled  with  excellent  musiq,  vocal  and  instrumental,  to  entertain 
the  ladies  and  the  rest  of  the  Company.  A  speech  was  then  made  in  praise  of 
academical  learning.  This  lasted  from  11  in  the  morning  tili  7  at  night,  which 
was  concluded  with  ringing  of  beUs  and  universal  joy  and  feasting. 

10.  July.  The  next  day  began  the  more  solemn  Lectures  in  all  the  Faculties, 
which  were  perform'd  in  their  several  scholes,  where  all  the  Inceptor  Doctors  did 
their  exercises,  the  Professors  having  first  ended  their  reading.  The  assembly 
now  return'd  to  the  Théâtre,  where  the  Terrae  filius  (the  Universitie  Buffoone) 
entertain'd  the  Auditorie  with  a  tedious,  abusive,  sarcastical  rhapsodie,  most 
unbecoraing  the  gravity  of  the  Universitie.  and  that  so  grossly,  that  unless  it  be 
suppress'd,  it  will  be  of  ill  conséquence,  as  I  afterwards  plainly  express'd  my  sense 
of  it  both  to  the  Vice  Chancellor  and  severall  heads  of  houses,  who  were  perfectly 
asham'd  of  it,  and  resolv'd  to  take  care  of  it  in  future.  The  old  facetious  way 
of  rayling  upon  the  questions  was  left  off,  falling  wholy  upon  persons,  so  that 
'twas  rather  licentious  lyeing  and  railing  than  genuine  and  noble  wit.  In  my  life 
I  was  never  witnesse  of  so  shamefuU  entertainment.  After  this  ribauldry,  the 
Proctors  made  their  Speeches.  Then  began  the  Musick  Act,  vocal  and  instrumental, 
above  in  the  ballustrade  corridore  opposite  to  the  Vice  Chancellor's  seate.  Then 
Dr.  Wallis,  the  Mathematical  Professor,  made  bis  Oration,  and  created  one  Doctor 
of  Musiq  accordiug  to  the  usual  cérémonies  of  gowne  (which  was  of  white 
damask),    cap,    ring,    kisses,   etc.     Next  follow'd  the  Disputations  of  the    Inceptor 


—     99     — 

Doctors  in  Mediciiie.  the  Speech  of  their  Professor  Dr.  Hyde.  and  so  in  course 
their  respective  créations.  Lastly,  Inceptors  in  Theologie;  Dr.  Compton  (brother 
to  the  Earle  of  Xorthampton)  being  Junior,  began  with  greate  modesty  and 
applause  ;  so  the  rest.  After  which  Dr.  Tillotson,  Dr.  Sprat,  etc.  and  then  Dr. 
Allestree's  speech,  the  King's  Professor,  and  their  respective  créations.  Last  o 
ail  the  Vice-Chancellor,  shutting  up  the  whole  in  a  panegyrical  ovation  celebrating 
their  benefactor  and  the  rest.  apposite  to  the  occasion. 

Thus  was  the  Théâtre  dedicated  by  the  scholastic  exercises  in  ail  the  Faculties 
with  greate  solemnity  ;  and  the  night,  as  the  former,  entertaining  the  new  Doctors 
friends  in  feasting  and  musiq.  I  was  invited  by  Dr.  Barlow,  the  worthy  and 
learned  Provost  of  Queene's  Coll. 

11.  July.  The  Act  Serihon  was  this  forenoon  preach'd  by  Dr.  Hall  in  St.  Marie's 
in  an  honest  practical  discourse  agaiust  Athéisme.  In  the  afternoou  the  Church 
was  so  crowded,  that  not  coming  early  I  could  not  approach  to  heare. 

12.  July.  Monday.  Was  held  the  Divinity  Act  in  the  Théâtre  againe,  when 
proceeded  17  Doctors,  in  ail  Faculties  some. 

13.  July.  I  din'd  at  the  Vice  Chancellor's,  and  spent  the  afternoone  in  seeing  the 
rarities  of  the  publick  libraries,  and  visiting  thè  noble  marbles  and  inscriptions, 
now  inserted  in  the  walles  that  compassé  the  area  of  the  théâtre,  which  were 
150  of  the  most  ancient  and  worthy  treasures  of  that  kind  in  the  learned  world. 
Now  observing  that  people  approaching  them  too  neere,  some  idle  persons  began 
to  Scratch  and  injure  them,  I  advis'd  that  an  hedge  of  holly  should  he  planted 
at  the  foot  of  the  wall,  to  be  kept  breast-high  only,  to  protect  them,  which  the 
Vice  Chancellor  promis'd  to  do  the  next  season. 

14.  July.  Dr.  Fell,  Dean  of  Christ-church  and  Vice  Chancellor,  with  Dr.  Allestree 
Professor,  with  Beadles  and  Maces  before  them,  came  to  visite  me  at  my  lodging. 
—  I  went  to  visite  Lord  Howard's  sons  at  Magdalen  College. 

15.  July.  Having  two  daies  before  had  notice  that  the  University  intended  me 
the  honor  of  Doctorship,  I  was  this  morning  attended  by  the  Beadles  belonging 
to  the  Law,  who  conducted  me  to  the  Théâtre,  where  I  found  the  Duke  of 
Ormond  (now  Chancellor  of  the  Universitie)  with  the  Earl  of  Chesterfield  and 
Mr.  Spencer  (brother  to  the  late  Earl  of  Sunderland).  Thence  we  march'd  to  the 
Convocation  House,  a  Convocation  having  been  call'd  on  purpose  ;  hère,  being  ail  of 
us  rob'd  in  the  Porch  in  scarlett  with  caps  and  hoods,  we  were  led  in  by  the  Professor 
of  Laws  and  presented  respectively  by  name,  with  a  short  eulogie,  to  the  Vice-Chancel- 
lor,  who  sate  in  the  chaire,  with  ail  the  Doctors  and  Heads  of  Houses  and  Masters  about 
the  Roome,  which  was  exceeding  füll.  Then  began  the  Publiq  Orator  his  speech, 
directed  chiefly  to  the  Duke  of  Ormond  the  Chancellor,  but  in  which  I  had  my 
compliment  in  course.  This  ended,  we  were  call'd  up  and  created  Doctors  according 
to  the  forme,  and  seated  by  the  Vice-Chancellor  amongst  the  Doctors  on  his  right 
hand;  then  the  Vice-Chancellor  made  a  short  speech,  and  so  saluting  our  brother 
Doctors,  the  pageantry  concluded,  and  the  Convocation  was  dissolved.  So  formal 
a  création  of  Honorarie  Doctors  had  seldome  been  seene,  that  a  Convocation 
shoudl  be  call'd  on  purpose  and  speeches  made  by  the  Orator;  but  they  could  do 
no  lesse,  their  Chancellor  being  to  receive,  or  rather  do  them  this  honour.  I 
shotild  hâve  been  made  Doctor  with  the  rest  at  the  Publiq  Act,  but  their 
expectation  of  their  Chancellor  made  them  defer  it.  1  was  then  led  with  my 
brother  Doctors  to  an  extraordinary  entertainment  at  Dr.  Mewes,  Head  of  St.  John's 
College,  and  after  aboundance  of  feasting  and  compliments,  having  visited  the 
Vice-Chancellor  and  other  Doctors,  and  gi\eu  them  thanks  for   the    honour    done 


—     100     — 

me,    I  went  towards  home  the  sixteenth.    and  got  as  far  as  Windsor,    and  to  my 
house  the  next  day. 

77.  Gilbert  Sheldon,  1598—1677,  war  1634—40  Pro- Vizekanzler  der  Universität  Oxford 
gewesen,  1648  als  Royalist  abgesetzt  worden,  wurde  nach  Karls  II.  Restauration 
nacheinander  Dean  der  kgl.  Kapelle,  Bischof  von  London,  Erzbischof  von  Canter- 
bury  (1663);  er  war  Nachfolger  Ciarendons  als  Kanzler  der  Universität  Oxford 
(1667),  wurde  aber  nie  installiert  und  resignierte  schon  am  31.  Juli  1669.  (Er 
fiel  bei  Karl  II.  in  Ungnade,  u.  a.  weil  er  ihm  als  einem  Ehebrecher  das  Abend- 
mahl verweigerte.)  Für  das  Abhalten  der  Festakte  (Encaeniai  Hess  er  auf  eigene 
Kosten  1664—1669  durch  den  Architekten  Christopher  Wren,  .,das  Wunderkind 
von  Oxford'-  (Evelyn,  11.  VII.  1654),  das  „Theater'-  bauen.  Die  Gesamtkosten 
beliefen  sich  auf  ^  12,.339  4  s.  4  d.  (Also  war'  Faesch  besser  informiert  als 
Evelyn,  der  persönliche  Freund  des  Architekten).  Der  Grundriss  des  Gebäudes 
ist  ein  Halbkreis,  wie  Faeschs  Skizze  richtig  andeutet;  es  fasst  4000  Personen. 
Auch  zum  Wiederaufbau  der  Paulskathedrale  in  London  steuerte  Sheldon  £  4000 
bei.     Vergl.  D.  N.  B.  LH. 

78.  Die  Universitätsdruckerei,  unter  den  Gallerien  und  unter  dem  Dach  des  Theaters 
eingerichtet,  wurde  1713  in  das  nebenan  liegende  Clarendon  Building,  1830  in  das 
Printing  Office  der  University  Press  an  der  Walton  Street  verlegt. 

79.  Thomas  Howard,  Earl  von  Arundel,  1586 — 1646,  wurde  durch  seine  Heirat  mit 
Alathea  Talbot,  Tochter  des  Earls  von  Shrewsbury,  instand  gesetzt,  die  seinem 
Vater  abgenommeneu  Güter  zum  Teil  zurückzukaufen,  spielte  eine  grosse  Rolle 
am  Hofe  Jakobs  I.  und  Karls  I  ,  verwendete  sich  als  Gesandter  beim  deutschen 
Kaiser  zu  Gunsten  des  Königs  Friedrich  von  Böhmen,  verliess  dann  England, 
augeblich  um  die  englische  Königstochter  auf  der  Flucht  zu  begleiten,  wohnte 
aber  in  Padua  mit  beschränktem  Einkommen  (das  Parlament  hatte  seine  Güter 
sequestriert)  bei  seinem  Enkel  Heinrich,  starb  daselbst  und  wurde  in  Arundel 
(Sussex)  begraben.  Er  hatte  seit  1615  persönlich  oder  durch  Agenten  Statuten, 
Inschriften,  Bilder,  Bibliotheken  (z.  B.  die  Pirckheimersche)  gekauft  und  in  Arundel 
House  in  London  aufgestellt.  Er  verfasste  selber  eine  Beschreibung  ,Marmora 
Arundeliana',  London  16-28.  Ein  Teil  der  Sammlungen,  der  Gräfin  vererbt,  von 
ihr  dem  Sohne  William,  Viscount  Strafford,  wurde  von  dessen  Erben  17-20  ver- 
steigert. Den  Hauptteil  aber  erbte  der  Enkel  Henry  Howard,  der  sechste  Herzog 
von  Norfolk,  und  diesen  veranlasste  sein  väterlicher  Freund  Evelyn,  alle  Inschriften - 
tafeln  der  Universität  Oxford  zu  schenken,  um  sie  vor  dem  Untergang  zu  retten. 
Der  Rest  der  Skulpturen,  an  William  Fermor,  Lord  Leominster  verkauft,  wurde 
von  dessen  Schwiegertochter  Luisa  Fermor,  Gräfin  von  Pomfret,  ebenfalls  Oxford 
geschenkt.  Die  Gemälde,  Gemmen  und  Statuen  (z.  B.  die  Homerbüste)  ge- 
langten nach  allerlei  Schicksalen  ins  Britische  Museum.  D.  N.  B.  XXVIII.  Evelyn 
berichtet  über  seine  Vermittelung  am  19.  Sept.  1667:  To  London  with  Mr.  Henry 
Howard  of  Norfolk,  of  whom  I  obtain'd  the  gift  of  his  Arundelian  Marbles,  those 
celebrated  and  famous  inscriptions  Greeke  and  Latine,  gather'd  with  so  much 
cost  and  industrie  from  Greece,  by  his  illustrions  grandfather  the  magnificent 
Earle  of  Arundel,  my  noble  friend  whilst  he  liv'd.  When  I  saw  these  precious 
monuments  miserablj'  neglected  and  scatter'd  up  and  downe  about  the  garden 
and  other  parts  of  Arundel  House,  and  how  exceedingly  the  corrosive  aire  of 
London  impair'd  them,  I  procur'd  him  to  bestow  them  on  the  University  of 
Oxford.  This  he  was  pleas'd  to  grant  me,  and  now  gave  me  the  Key  of  the  gallery, 
with  leave  to  mark  all  those  stones,  urns,  altars,  etc.  and  whatever  I  found  had 
inscriptions    on    them,    that    were    not    statues.     This    1    did,    and    getting    them 


—     101     — 

remov'd  and  pil'd  together,  with  those  which  were  incrnsted  in  the  garden-vvalls 
I  sent  immediately  letters  to  the  Vice-Chancellor  of  what  I  had  procur'd,  and 
that  if  they  esteem'd  it  a  service  to  the  University  (of  which  I  had  been  a  member) 
they  should  take  order  for  their  transportation. 

Die  Universität  stattete  Evelyn  ihren  Dank  ab  durch  eine  Urkunde,  überbracht  von 
vier  Vertretern,  die  ihm  und  dem  Herzog  ihre  Verpflichtung  ausdrückten  und 
fernere  Ehrungen  verhiessen.  Vgl.  Evelyn,  25  IX.  1()()7.  Am  28.  IV.  1676  über- 
reichte Prid  eaux,  der  gelehrte  Verfasser  der  „Marmora  Oxoniensia  Arundeliana,"  dem 
Gönner  und  dem  Donator  persönlich  seine  Arbeit. 

80.  Robert  South,  D.  D.  1634—1716,  orator  publicus  der  Universität  Oxford  1660  bis 
1677,  daneben  Kaplau  Lord  Ciarendons,  später  des  Herzogs  von  York,  Präbeudar 
von  Westminster  und  Pfarrer  von  Islip  in  Oxfordshire.  (Sein  Hohn  auf  die  Kgl. 
Gesellschaft  der  Wissenschaften  vk^urde  von  Dr.  Waliis  gebührend  zurückgewiesen). 
Er  ist  in  der  Westminster  Abbey  l)egral>en.  6  Bände  Predigten  veröffentlicht 
von  ihm   selber,  6  visitera  nach  seinem  Tode  1717   und  1744.     Vgl.  D.  N.B.  LUI. 

81.  A  Scholar  appointed  to  make  a  satirical  and  jesting  speech  at  an  Act  in  the 
University  of  Oxford.  The  custom  was  discontinued  about  the  beginning  of  last 
(18th)  Century.     Anm.    Lord  Braybrooke's  zu  Pejiys'  Diary,  24  II.  1668. 

82.  Die  Freiheit,  ihre  Zuneigung  oder  Abneigung  gegen  alle,  auch  die  allerhöchsten 
in  einer  Promotion  erscheinenden  Persönlichkeiten  laut  und  lärmend  auszudrücken, 
ein  spezifisch  englisches  Privileg,  haben  die  Universisätsbehörden  trotz  Evelyns 
Entrüstung  bis  heute  den  Studenten  nicht  zu  schmälern  gewagt. 

83.  Vgl.  Pepys,  24.  IL  1668.  I  saw  his  lady  (Frau  des  Bischofs  von  Rochester, 
Catherine  Sheldon,  Nichte  des  berühmten  Erzbischofs  Gilbert  Sheldon)  of  whom 
the  Terrae  Filius  at  Oxford  was  once  so  merry. 

84.  Vermutlich  Nicolaus  Härder,  der  zweite  Sohn  des  Baseler  Stadtschreibers  und 
Dreierherrn  Hans  Conrad  Härder  (älterer  Bruder  des  berühmten  Arztes  Johann 
Jakob  Härder,  1656 — 1711),  der  1670  in  Basel  auf  Grund  der  Disputatio  de  em- 
tione  et  vendione  zum  Dr.  jur.  kreiert  wurde,  nachem  er  schon  1667  Positiones 
Juridicas  de  Transitionibus  veröffentlicht  hatte.  Er  wurde  1678  Schultheiß  des 
Gerichts  von  Grossbasel,  1709  Ratsherr,  1714  Kirchen-  und  Schuldeputat,  1717 
Dreizehnerherr,    1722  Oberstzunftmeister  und  starb  17.S0.     Leu,  Schweiz.  Lexicon. 

85.  Newport  Pagnell  und  Bedford,  beide  in  Buckinghamshire. 

86.  King's  College  Chapel,  von  der  Evelyn  berichtet  (31.  VIII.  1654)  :  where  I  fouud 
the  Chapel  altogether  answer'd  expectation,  especially  the  roofe  all  of  stone.  which 
for  the  flatness  of  laying  ond  carving,  may  I  conceive  vie  with  any  in  Christen- 
dome. The  contignation  of  the  roof  (which  I  went  upon)  weight  and  artificial  joyne- 
ing  of  the  stones  is  admirable.  The  lights  are  also  very  faire,  etc. 

87.  Evelyn  ib.  :  The  Library  is  too  narrow. 

88.  Aelterer  Name  für  Corpus  Christi  College;  vgl.  Heutzner,  pg.  139.  CoUegium 
Corporis  Christi  quod  et  S.  Benedict!  dicitur. 

89.  Faesch  meint  die  Expositio  beati  Gregorii  papae  super  Cantica  Canticorum,  hsg. 
zu  Nürnberg  1478,  zu  Basel  von  Michael  Furter  1496. 

90.  Evelyn  ib:  .  .  went  first  to  see  St.  Jolm's  Colledge,  weil  built  of  brick,  and  Li- 
brairie, wliich  I  think  is  the  fairest  of  that  University.  One  'Sir.  Benlowes  has 
given  it  all  the  Ornaments  of  Pietra  Commessa  (Mosaik),  whereof  a  table  and 
one  pièce  of  perspective  is  very  fine;  other  trifies  there  also  be  of  no  great  value, 
besides  a  vast  old  song-book  or  service,  and  some  faire  inanuscripts.  There  hangs 
in  the  library  the  picture  of  John  Williams  Abp.  of  York  sometime  Lortl  Keeper, 
my  Kinsman  and  their  great  benefactor. 


—     102     — 

91.  Evelyn  ib:  Trinity  College  is  said  by  some  to  be  the  fairest  quadr angle  of  any 
University  in  Europ,  but  in  trutb  is  far  inferior  to  that  of  Ch'ist  Church  in  Ox- 
ford: the  hall  is  ample  and  of  stone,  the  fountaine  in  the  quadrangle  is  graeefuU, 
the  ChapeU  and  Library  faire  ....  The  Library  is  pretty  well  stor'd.  etc. 

92.  Den  hübschen  und  zutreffenden  Merkvers  hat  Faesch  offenbar  in  Oxford  gehört. 
Der  Kampf  um  den  Primat  kommt  heutzutage  bekanntlich  bei  dem  alljährlichen 
Ruderwettkampf  der  beiden  Universitäten  am  sichtlichsten  zum  Ausdruck.  Er  teilt  ganz 
England  in  zwei  Lager:  Hellblaue  und  Dunkelblaue,  Cambridgianer  und  Oxfordianer. 
Wie  schwer  es  den  alten  Herrn  der  einen  Universität  ankommt,  der  andern  Gerechtig- 
keit widerfahren  zu  lassen,  das  zeigt  am  besten  der  angezogene  Bericht  des  äusserst 
vorsichtigen  und  vorurteilsfreien  Evelyn  über  seinen  Besuch  in  Cambridge.  Er 
hat  zwar  die  Sehenswürdigkeiten  von  Cambridge  gewissenhafter  betrachtet  imd  im 
Tagebuch  eingehender  beschrieben  als  sein  Busenfreund,  der  leichtlebige  alte  Cam- 
bridger Student,  Samuel  Pepys  (vgl.  Pepys,  15.  X.  1662,  8.  X.  1667):  aber  man 
fühlt  aus  jedem  Satz  Evelyns,  welche  Anstrengung  ihn  ein  lobendes  AVort  kostet, 
und  mit  welchem  Behagen  er  das  Schlußurteil  hinschreibt:  But  the  whole  town 
is  situate  in  a  low  dirty  unpleasant  place,  the  streetes  ill  paved,  the  aire  tbicke 
and  infected  by  the  Fennes,  nor  are  its  churches  (of  which  St.  Marie's  is  the 
best)  any  thing  considérable  in  compare  with  those  of  Oxford.  —  Billiger  urteilt 
Pepys  über  Oxford:  a  very  svveet  place.     9.  VI.  1668. 

93.  Ware  in  Hertfordshire. 

94.  Jetzt  nördl.  Vorstadt  Londons  in  Middlesex. 

95.  Katharina  von  Portugal,  Gemahlin  Karls  II,  1658 — 1705. 

96.  Hampton  Court  Palace,  westl.  v.  London,  in  Middlesex,  1515  von  Kardinal  Wolsey 
erbaut,  1526  König  Heinrich  VIII.  geschenkt,  Lieblingsaufenthalt  der  Tudors  und 
der  Stuarts,  unter  Wilhelm  III.  durch  Sir  Christopher  Wren  erweitert  und  mit 
holländischen  Gartenanlagen  versehen  (an  Stelle  der  französischen  Karls  II.)-,  heute 
zum  Teil  Museum,  zum  Teil  Altersasyl. 

97.  Arx  Regia  ex  coctis  lateribus  a  Thoma  Wolsaeo  Cardinale  ad  opes  suas  osten- 
tandas  magnifiée  extructa.     Hentzner,  pg.  150. 

98.  Area  ipsa  primaria,  lapide  quadrato  constrata  est,  in  cujus  centro  fons  salientis 
aquse,  corona  deaurata  statuse  justitiae  subposita  tectus  consj^icitur,  quam  columnae 
ex  marmore  albo  et  nigro  sustinent. 

99.  Eigentl.  cetos  {zb  y.ijTog),  Meerungeheuer. 

100.  Greenwich,  ö.  v.  London. 

101.  Der  Triumphzug  Caesars  von  Andrea  Montegna,  1628  von  Karl  I.  durch  Daniel 
Nys  vom  Herzog  von  Mantua  erworben,  von  Faesch  mit  Recht  allen  Gemälden 
dieses  Schlosses  vorgezogen,  übereinstimmend  mit  dem  Urteil  schon  der  damaligen 
Kenner;  vgl.  Evelyn,  9.  VI.  1662,  also  many  rare  pictures,  especially  the  Caesarian 
triumphs  of  Andr.  Mantegna,  formerly  the  Duke  of  Mantua's. 

102.  Dieses  Bett,  das  Pepys  als  wichtigstes  Schaustück  nennt  (12.  V.  1662),  hatte  fol- 
gende Geschichte  :  The  Queene's  bed  was  an  embrodery  of  silver  on  crimson  velvet 
and  cost  £  8000,  being  a  présent  made  by  the  States  of  Holland  when  his  Majesty 
(Charles  II)  returued,  and  had  formerly  been  given  by  them  to  our  King's  sister 
the  Princesse  of  Orange,  and  being  liought  of  her  againe  was  now  presented  to 
the  King.     (Evelyn,  9.  VI.  1662). 

lOB  Die  Geweihsammlung,  von  Königin  Elisabetli  angelegt,  erwähnt  auch  Evelyn  ib.  : 
The  gallery  of  bornes  is  veiy  particular  for  the  vast  beames  of  staggs,  elks,  an- 
telopes,  etc. 


—     10:{     - 

lOi.  Cosimo  III.  von  Medici,  Grossherzog  von  Toscana,  1(}42 — 1723,  scheint  bei  seinem 
Besuch  bei  Karl  II.  im  April  und  Mai  1669  ungewöhnliches  Aufsehen  erregt  zu 
haben.  Pepys  und  seine  Frau  verfolgten  ihn  mit  der  grössten  Neujrierde.  Took 
coach  again  and  went  five  or  six  miles  towards  ßrainford  (Brentford.  w.  v.  London), 
where  the  Prince  of  Tuscany  who  comes  into  England  only  to  spend  money  and 
see  our  Country,  comes  into  the  town  to-day,  and  is  much  expected;  and  we  met 
him,  but  the  coach  passing  by  apace,  we  could  not  see  much  of  bim,  but  he  seems 
a  very  jolly  and  good  comely  man.  (Pepys,  5.  JTV^.  1669,  vgl.  11.  18.  25.  IV 
29.  V.  1669). 

105.  "Wolsey  und  Heinrich  VIII.  hatten  eine  leidenschaftliche  Vorliebe  für  Gobelins 
gehabt.  Die  acht  köstlichsten  (von  Evelyn  für  ein  "Werk  Raphaels  gehalten,  hang- 
ings  designed  by  ßaphael,  very  rieh  with  gold,  von  spätem  Beurteüem  dem 
vlämischen  Maler  Bernard  van  Orley,  f  1541,  zugeschrieben)  stellen  die  Geschichte 
Abrahams  dar. 

106.  Die  wirkliche  Entfernung  von  Hampton  Court  bis  Windsor  beträgt  22  Km. 


Zu 

Ciceros  Briefwechsel  mit  Plancus. 


Von 
Felix  Stähelin. 


So  hohes  Lob  im  allgemeinen  Emile  Julliens  ausführliche  Mono- 
graphie^) über  L.  Munatius  Plancus,  den  Gründer  der  Kolonien  Lugu- 
dunum  und  Raurica,  verdient,  so  läßt  -sie  es  doch  in  der  Verwertung 
des  erhaltenen  Briefwechsels  zwischen  Plancus  und  Cicero  nicht  selten 
an  der  wünschenswerten  Sorgfalt  fehlen.  Dadurch  ist  an  einigen  Stellen 
das  Bild  vom  Lebensgange  dieses  Mannes  etwas  verzerrt  worden.  In- 
dem ich  die  Punkte  zur  Sprache  bringe,  in  denen  ich  anderer  Meinung 
bin  als  Jullien,  ergibt  sich  mir  zugleich  die  Gelegenheit,  mich  hie  und 
da  mit  P.  Groebe  und  C.  Bardt  auseinanderzusetzen  und  die  Darstellung, 
die  ich  in  meiner  eigenen  kurzen  biographischen  Skizze  über  Plancus') 
gegeben  habe,  nachträglich  zu  begründen. 

S.  49  behauptet  Jullien,  am  1.  Januar  43  sei  der  Senatsbeschluß 
gefaßt  worden,  wonach  Plancus  und  die  übrigen  Statthalter  in  ihren 
Provinzen  verbleiben  sollten,  bis  der  Senat  ihnen  Nachfolger  sende. 
Allein  Cicero  selber  schreibt  in  dem  Brief  an  Cornificius  Ep.  XII  22,  3  : 
A.  d.  XIU.  K.  lan.  senatus  frequens  mihi  est  adsensus  cum  de  ceteris 
rebus  .  .  .  tum  de  provincm  ah  eis,  qui  obtinerent,  retinendis  neque 
cuiquam  tradendis,  nisi  qui  ex  senatus  consulto  successisset.  Daraus 
geht  unzweifelhaft  hervor,  daß  die  Anträge,  die  Cicero  am  20.  Dez.  44 
in  der  3.  philippischen  Bede  gestellt  hatte,  vom  Senat  auch  wirklich 
schon  damals  zum  Beschluß  erhoben  worden  sind.^) 


1)  Emile  Jullien,    Le  fondateur  de  Lyon.     Histoire    de  />.    Mtmatius   Planeus. 
Annales  de  l'uniTersité  de  Lyon,  tome  cinquième,  1"'  fascicule.  Paris  1892. 

2)  Basler  Biographien  I  (Basel  15)00),  S.  1  IT. 

3)  Vgl.  Sternkopf,  Philologus  60  (S.  F.  14),  282  ff.  und  Hermes  40,  529  ff. 


—     105     — 

Nachdem  Plancus  längere  Zeit  zwischen  Antonius  und  der  Senats- 
partei hin  und  her  geschwankt  hatte,  richtete  er  endlich  eine  unzwei- 
deutige Ergehenheitsadresse  an  den  Senat,  die  uns  in  Ep.  X  8  erhalten 
ist.  Den  Beweggrund  für  diese  entschiedene  Wendung  von  Antonius 
weg  erhlickt  Jullien  S.  51  darin,  daß  Antonius  dem  Senat  vorgeschlagen 
hatte,  er  wolle  auf  die  cisalpinische  Provinz  verzichten,  wenn  ihm  dafür 
die  transalpinische,  d.  h.  eben  die  des  Plancus,  übertragen  werde  Aber 
dieser  Vorschlag  war  von  Antonius  schon  im  Januar^)  gemacht  worden, 
da  er  von  Cicero  in  der  8.  Philippica  (9,  27)  besprochen  und  in  dem 
Brief  an  Cassius  Ep.  XII  4,  1  erwähnt  wird,  die  beide  in  den  Anfang 
des  Februar  zu  setzen  sind.^)  Die  politische  Schwenkung  des  Plancus 
dagegen  ist  erst  gegen  Ende  März  erfolgt  (s.  u.)  ;  sie  kann  also  durch 
das  Ansinnen  des  Antonius,  ihm  seine  Provinz  wegzunehmen,  nicht  mehr 
beeinflußt  sein^),  um  so  weniger,  als  Plancus  noch  im  März  dem  Senat 
angeraten  hatte,  mit  Antonius  Frieden  zu  schließen!  (Ep.  X  6,  1). 
Der  Grund  wird  vielmehr  einerseits  in  der  zunehmenden  Verschlimmerung 
der  Lage  des  Antonius  vor  Mutina*)  liegen,  andrerseits  darin,  daß 
auch  in  Rom  die  Stimmung  gegenüber  Antonius  von  Tag  zu  Tag  kriege- 
rischer wurde"). 

In  seiner  offiziellen  Adresse  an  den  Senat  gab  Plancus  eine  ein- 
gehende Übersicht  über  seine  militärischen  Hilfsmittel,  die  er  der  Re- 
publik zur  Verfügung  stellte  (Ep.  X  8,  6):  er  hatte  fünf  Legionen,  auf 
die  er  sich  unbedingt  verlassen  konnte;  ebenso  war  er  des  Gehorsams 
der  gallischen  Untertanengemeinden  sicher  und  hatte  aus  ihnen  eine  be- 
deutende Auxiliarkavallerie  ausgehoben.  Es  ist  klar,  daß  auf  diesen 
Brief  Cicero  im  Eingang  seines  Schreibens  Ep.  ad  Brutum  II  2  an- 
spielt :  Planci  animum  in  rem  publicam  egregium,  kgianes,  auxilia,  copias 
ex  litteris  eins,  quarum  exemplum  tibi  missum  arhiiror,  perspicere  po- 
tuisii.  Im  Folgenden  erzählt  Cicero  dem  Brutus,  welche  Mühe  es  ihn 
gekostet  habe,  im  Redekampf  mit  Servilius  einen  Antrag  zu  Grünsten 
des  Plancus  am  9.  April  im  Senate  durchzubringen  (§  3).  Über  dieselbe 
Senatssitzung  berichtet  Cicero  Ep.  X  12  (11.  April)  an  Plancus  selber:  auf 
ein    in    der  Morgenfrühe   des    7.  April    eingetroÖ'enes    hoch    erfreuliches 


1)  Vgl.  Drumann,  Geschichle  Roms  l-  (Berlin  181)U)  182  ff.;  Gardtbauseu, 
AMjvstus  und  seive  Zeit  I  (Leipzig  1891)  96 f. 

2;  Tgl.  Drumann  12  I8fi  ff.;  Ganter.  Fleckeisens  Jahrb.  149  (1894).  (>18; 
Bardt,  Ausyeicählte  Briefe  aus  Ciceronischer  Zeil.  Kommentar  II  (Leipzig  19Ô0),  S.  415. 

3)  Sonderbarerweise  hat  .Tullien  gerade  mit  dieser  gänzlich  verfehlten  Hj'pothese 
triauben  gefunden:  siehe  das  von  Gurlitt  in  Bursiaus  Jahresbericht  Bd.  105  (19lXlIIi, 
S.  157  Anm.  mit  Beifall  angeführte  Zitat  Clarks  aus  Tyrell  und  Purser,  The  corre- 
spondance of  31.  Tullii/s  Cicero. 

^)  Vgl.  Groebe  bei  Di'umaun  1-  449. 

■•)  Vgl.  Bardt  8.  422. 


—     106     — 

Schreiben  des  Plancus  hin  habe  er  sich  augenbHckUch  zum  städtischen 
Praetor  Cornutus  begeben  und  durch  diesen  in  Abwesenheit  der  Konsuln 
den  Senat  sofort  einberufen  lassen  ;  die  Behandlung  der  Sache  sei  zuerst 
durch  religiöse  Bedenken  des  Cornutus  auf  den  S.  A^îril,  dann  infolge 
der  Opposition  des  Servilius  und  der  Intercession  des  P.  Titius  auf  den 
9.  April  verschoben  worden:  an  diesem  Tage  endlich  habe  Cicero  den 
Beschluß  zu  Ehren  des  Plancus  durchgesetzt.  Jenes  Schreiben,  durch 
dessen  Eintreffen  Cicero  in  so  freudige  Erregung  geriet  und  zu  so 
energischem  Eintreten  für  Plancus  angespornt  wurde,  ist  offenbar  kein 
anderes  als  eben  die  offizielle  Ergebenheitsadresse  mit  der  Übersicht 
über  die  Machtmittel  (Ep.  X  8),  auf  die  Cicero  auch  im  Eingang  des 
Briefs  ad  Brutum  11  2  Bezug  nimmt. ^)  Anderer  Ansicht  jedoch  ist 
Bardt  a.  a.  0.  S.  423  und  441.  Er  gibt  an,  die  Antwort  Ciceros  auf  die 
Ergebenheitsadresse  des  Plancus  (X  8)  wie  auch  auf  den  gleichzeitig 
von  jenem  an  Cicero  gerichteten  Privatbrief  (X  7)  sei  uns  vielmehr  in 
Ep.  X  10  erhalten.  In  diesem  Schreiben,  das  das  Datum  a.  d.  111. 
Kul.  Apr.  (80.  März)  trägt,  erklärt  Cicero  etwas  kühl,  man  sei  durch 
einen  —  uns  nicht  mehr  erhaltenen  —  Brief  des  Plancus  in  Rom  ja 
nun  erfreulicherweise  etwas  mehr  als  bisher  im  klaren  über  die  ganze 
Haltung  des  Plancus  ;  er  habe  Lob  geerntet  und  würde,  falls  ein  Konsul 
in  Rom  wäre  und  also  der  Senat  einberufen  werden  könnte,  für  seine 
Vorbereitungen  und  Zurüstungen  auch  vom  Senat  belobigt  werden;  immer- 
hin solle  er  endlich  einmal  vollen  Ernst  machen  und  etwas  zum  Entsatz 
des  bedrängten  Decimus  Brutus  tun,  dann  werde  ihm  der  Lohn  nicht  ent- 
gehen. Ich  muß  gestehen,  daß  mir  diese  Art  von  Anerkennung,  nach- 
dem Plancus  den  Senat  so  entschieden  seiner  unbedingten  Ergebenheit 
versichert  hat,  überaus  mager  vorkommt.  Dieser  Brief  Ciceros  nimmt 
sich,  verglichen  mit  dem  vom  11.  April,  aus  wie  eine  Chamade  neben 
einer  Fanfare.  Äußerst  unwahrscheinlich  ist  es,  daß  der  Senat  über  das 
Schreiben  des  Plancus  X  8  wirklich  nichts  beschlossen,  ja  nicht  einmal 
verhandelt  haben  sollte,  wie  Bardt  S.  442  meint.  Andrerseits  läßt  es 
sich  kaum  ausdenken,  durch  was  für  noch  viel  weitergehende  briefliche 
Zusicherungen  Plancus  den  begeisterten  Erguß  Ciceros  Ep.  X  12  her- 
vorgerufen und  das  Wunder  bewirkt  haben  sollte,  daß  Cicero  den  Senat 
nun  plötzlich  trotz  der  Abwesenheit  der  Konsuln  einberufen  lassen 
konnte  !  Nach  Bardts  —  freilich  unbegründeter  —  Annahme^)  wären 
ja  in  Buch  X  die  Briefe  Ciceros  und  seiner  Korrespondenten  vollständig 
erhalten.  Kann  Bardt  unter  den  vorhandenen  Briefen  des  Plancus  wohl 
denjenigen  namhaft  machen,    dessen  Eintreffen    am    7.  April   die    Repu- 


1)  So  auch  (jroebe  bei  Druniann  I-  209.  ohne  nähere  Begründung. 

2)  a.  a.  0.  Kommentar  I  (Leipzig  1898),  S.  VIII. 


—      107      — 

blikaner  mit  so  freudigein  Aufatmen  l)egrüßt  haben.  —  wenn  es  nicht 
eben  der  Brief  X  8  ist?  Die  Wahrscheinlichkeit  spricht  unbedingt 
gegen  Bardts  Annahme.  Folgende  Erwägungen  erheben  die  Wahr- 
scheinlichkeit zur  Gewißheit.  Plancus  hat,  wie  er  selber  angibt,  zu- 
gleich mit  seiner  Ergebenheitsadresse  einen  Privatbrief  an  Cicero  nach 
Rom  gesandt,  in  dem  er  sich  um  so  kürzer  fassen  konnte,  als  er  gleich- 
zeitig seinen  Vertrauten,  den  römischen  Ritter  M.  Varisidius,  iiersönlich 
zu  Cicero  schickte,  ex  quo  omnia  cognoscere  posses  (Ep.  X  7,  1).  Was 
erfahren  wir  nun  über  den  Überbringer  des  Briefes,  der  am  7.  April 
den  Cicero  zu  jenen  Fanfarenstößen  begeistert  hat?  Es  war  niemand 
anders  als  eben  M.  Varisidius!  Er  begab  sich,  genau  nach  Plancus'  Auftrag 
handelnd,  zuerst  zu  Cicero  und  überbrachte  ihm  ein  Schreiben,  dessen  Lek- 
türe den  Empfänger  „unglaublich  erfreute"  {incredihili  gaudio  sum  elatus 
Cic.  ep.  X  12,  2),  dann  brachte  er  dem  Bruder  des  Plancus,  dem  Praetor 
Cn.  Munatius  Plancus,  ebenfalls  einen  Privatbrief  und  zugleich  ein  offi- 
zielles Schreiben  {et  eas,  quas  publice  [scriiJseras]  X  12,  2).  Xiemand 
wird  bestreiten  wollen,  daß  die  von  Varisidius  am  7.  April  nach  Rom 
gebrachten  Briefe  mit  den  erhalteneu,  im  März  von  Plancus  dem  Vari- 
sidius übergebenen  Briefen  X  7  und  X  8  identisch  sind.  Damit  ist  der 
Beweis  erbracht,  daß  der  Beschluß,  den  der  Senat  am  9.  April  auf 
Ciceros  Antrag  zu  Ehren  des  Plancus  faßte,  eben  die  Anerkennung  für 
die  offizielle  Ergebenheitsadresse  bildete,  die  wir  in  Ep.  X  8  noch  besitzen. 
Der  Bericht  über  diese  Senatssitzung,  den  Cicero  am  11.  April  an 
Plancus  sandte  (Ep.  X  12),  war  bis  zum  26.  April  nicht  in  die  Hände 
des  Adressaten  gelangt.  Denn  der  am  26,  oder  27.  April  verfaßte  Brief 
des  Plancus  Ep.  X  9  läßt  erkennen,  daß  ihm  damals  von  einem  ihn 
ehrenden  Beschluß  noch  nichts  bekannt  war.')  Dagegen  hebt  der  folgende 
Brief  Ep.  X  11  gleich  an  Immortalh  ago  tibi  gratias  agamque,  dum 
vivam  und  versteigt  sich  sogar  zu  der  Wendung  si  de  filii  tui  dignitate 
esset  actum,  amahilius  certe  nihil  facere  poluisses.  Dies  ist  offenbar  der 
Dank  dafür,  daß  Cicero  vom  7.  bis  zum  9.  April  im  Senat  so  energisch 
für  die  Ehrung  des  Plancus  eingetreten  war.  Der  Brief  X  11  muß 
etwa  Ende  April  geschrieben  sein,  da  er  (§  2)  die  frische  Kunde  von 
der  Schlacht  bei  Mutina  (21.  April)  verrät;-)  andrerseits  kann  er  aber 
nicht,  wie  Jullien  S.  54  behauptet,  sich  auf  weitere  Ehrungen  beziehen, 
die  der  Senat  erst  beschlossen  hatte,  nachdem  zwei  Tage  vor  der  Sieges- 
kunde von  Mutina  in  Rom  die  Nachricht  eingetroffen  war,  daß  Plancus 
sich  endlich  gegen  Antonius  in  Bewegung  gesetzt  habe    (Ep.  X  14  und 


1)  Vgl.  Ruete,    Die    Correspoudenz   Ciceros    iu   den    .labren    44    uud   4o    (Straß- 
burger Dissertation,  Marburg  188n),  S.  121. 

2)  Vgl.  Bardt  S.  47.'{. 


—     108     — 

13).  Denn  die  SiegesnachricJit  von  Mutina  kann  erst  am  26.  April,') 
die  Kunde  vom  Vorrücken  des  Plancus  also  nicht  vor  dem  24.  April 
nach  Rom  gelangt  sein.  Mithin  kann  der  Senat  frühestens  am  24.  April 
die  lobenden  Beschlüsse  gefaßt  haben,  und  Plancus  hätte  sie  nicht  vor 
der  zweiten  Hälfte  des  Mai  in  einem  seiner  Briefe  berücksichtigen 
können.  Damals  Avaren  aber  soviel  wichtigere  Ereignisse  eingetreten, 
daß   sein  Schweigen    über  die  neuen  Ehrungen  nur  allzu  begreiflich  ist. 

Schon  am  20.  März  war  im  Senat  ein  Schreiben-)  des  Antonius 
an  Hirtius  und  Octavian  verlesen  worden,  das  uns  Cicero  in  seiner  13. 
Philippica  mit  einem  boshaften  Kommentar  überliefert  hat.  Darin  berief 
sich  Antonius  u.  a.  auf  Verabredungen  mit  Plancus,  die  er  getreulich 
einzuhalten  gedenke  (Phil.  XIII  19,  44)  JuUien  S.  55  bemerkt  -dazu: 
peut-être  .  .  .  Antoine  ignorait-il  la  lettre  officielle  de  Plancus,  näm- 
lich die  Ergebenheitsadresse  Ep.  X  8.  Da  nun  aber,  wie  wir  oben 
sahen,  diese  Adresse  erst  am  7.  April  nach  Rom  gelangt  ist,  so  kann 
nicht  der  geringste  Zweifel  darüber  obwalten,  daß  Antonius,  als  er  jenes 
Schreiben  an  Hirtius  und  Octavian  absandte,  von  der  Schwenkung  des 
Plancus  zur  Gegenpartei  noch  keine  Kenntnis  besaß. 

In  derselben  Senatssitzung,  am  20.  März,  lagen  auch  die  Briefe 
des  Lepidus  und  des  Plancus  vor,  in  denen  übereinstimmend  dem  Senat 
ein  Friedensscliluß  mit  Antonius  empfohlen  wurde.  Mit  Entschiedenheit 
wies  Cicero  in  der  18.  Philippica  (4,  7f. ;  21,49)  diesen  Gedanken  von 
der  Hand,  und  an  die  beiden  Politiker,  die  zum  Frieden  geraten  hatten, 
sandte  er  noch  an  demselben  Tage  entrüstete  Schreiben  :  X  6  an  Plancus, 
X  27  an  Lepidus.  Dem  letztern  wirft  er  schnöden  Undank  gegenüber 
dem  Senate  vor,  der  ihn  doch  mit  so  hohen  Ehren  ausgezeichnet  habe. 
Unrichtig  ist  also  die  Behauptung  Julliens  S.  G3,  daß  Lepidus  nur  einen 
Monat  vor  dem  21.  Mai,  an  dem  er  sich  wieder  an  den  Senat  wandte 
(Ep.  X  34),  die  republikanische  Partei  durch  seinen  Friedensvorschlag 
brüskiert  habe.     Es  lagen  mindestens  zwei  Monate  dazwischen. 

Die  folgenden  Erörterungen  beziehen  sich  auf  den  Brief  des  Plancus 
X  21,  über  dessen  chronologische  Einreibung  noch  die  größte  Meinungs- 
verschiedenheit herrscht.  Während  ihn  nämlich  Ruete  a.  a.  0.  S.  52, 
0.  E.  Schmidt  a.  a.  0.  S.  459  und  Holzapfel,  Berliner  philol.  Wochen- 
schrift 1900,  Sp.  720  nach  Wesenbergs  Vorgang  (in  der  Klotzischen 
Ciceroausgabe  Part.  III,  Vol.  I,  S.  320)  auf  den  14.  Mai  datieren,  lassen 
ihn  JuUien  S.  68,  Groebe  a.  a.  0.  S.  465  ff.  (unter  Beifall  von  Gurlitt 


')  Vgl.  0.  E.  Schmidt  im  Anhang  von  M.  Tulli  Ciceronis  epistulartim  tihri 
aedecim  ed.  L.  Mendelssohn  (Lips.  1893),  S.  458  Anm.  .=î. 

2)  Rekonstruiert  von  Bardt  a.  a.  ().,  Text^  (Leipzig  und  Berlin  1904),  Nr.  10.% 
S.  180  ff.     Statt  „Ende  März"  sollte  es  in  der  Überschrift  heißen  „Mitte  März". 


—     109     — 

a.  a.  O.  S.  151)  und  Bardt  Komm.  S.  473  ff.^)  erst  gegen  Ende  dieses  Monats, 
am  28.  (Bardt)  oder  29.  Mai  (Groebe)  geschrieben  sein.  Den  Ausgangs- 
punkt füi-  die  zeitliche  Fixierung  müssen  die  Worte  X  21,1  bilden: 
scripsique  tili  biduo  ante  coiifidere  me  bono  Lepido  esse  usuriim  com- 
mimique  consilio  bellum  administra turum.  Welches  ist  dieses  2  Tage 
früher  erlassene  Schreiben?  Nach  Wesenberg,  Ruete,  Schmidt  wäre  es 
Ep.  X  15,  nach  Groebe  (Jullien  und  Bardt-)  äußern  sich  darüber  nicht) 
dagegen  X  17.  Prüfen  wir  zunächst  diese  zweite  Annahme.  Man  kann 
zugeben,  daß  sich  aus  X  17  zur  Not  das  herauslesen  läßt,  was  nach 
X  21, 1  den  Inhalt  des  früheren  Schreibens  gebildet  haben  muß.  Schwere 
Bedenken  erregt  aber,  was  Plancus  am  Anfang  von  X  17  dem  Cicero 
über  die  Bewegungen  der  Armee  des  Antonius  meldet:  M.  Antonius  sei 
mit  der  Spitze  seiner  Truppen  in  Forum  Julii  angelangt,  sein  Unterfeld- 
herr P.  Ventidius  Bassus  rücke  zwei  Tagemärsche  hinter  ihm  her.^)  Nun 
fällt  die  Ankunft  des  Antonius  in  Forum  Julii  nach  Groebes  eigenem 
Nachweis^)  auf  den  8.  Mai,  die  des  Ventidius  also  wahrscheinlich  auf 
den  10.  Mai.*)  Daß  Plancus  diese  Angaben  erst  in  einem  Briefe  ge- 
macht haben  soll,  der  nach  Groebes  Annahme  zwei  Tage  vor  X  21. 
also  am  27.  Mai  geschrieben  wurde,  ist  undenkbar.  Denn  am  27-  Mai 
war  Antonius  mit  seinem  ganzen  Heere  längst  nicht  mehr  in  Forum 
Julii,  sondern  hatte  sein  Lager  dem  Lepidus  gegenüber  am  Argenteus 
aufgeschlagen.  Daß  er  sich  dort  schon  längere  Zeit  vor  der  am  29. 
erfolgten  Vereinigung  mit  Lepidus  aufgehalten  haben  muß,  lehrt  die  an- 
schauliche Schilderung  Appians  hei/,  c/r.  3, 83  f.  von  dem  allmähhch 
immer  lebhaftem  und  intimem  Verkehr  zwischen  den  beiden  Lagern 
deutlich.  Plancus  aber  hätte  am  27.  Mai  von  dem  Vorrücken  des  An- 
tonius an  den  Argenteus  längst  Kenntnis  besitzen  müssen.  Denn  er 
befand  sich  um  diese  Zeit  keinesfalls  weiter  nördlich  als  an  der  Isère. 
Nun  beträgt  die  Entfernung  von  Grenoble  bis  Fréjus  in  der  Luftlinie 
210  km.  Diese  Strecke  konnte  ein  Eilbote,  selbst  bedeutende  Umwege 
eingerechnet,  in  4  Tagen  zurücklegen.^)     Der   27.    Mai,    das   angebliche 

1)  In  der  zweiten  Auflage  des  Textheftes  (1904)  S.  188  hat  Bardt  das  im  Kom- 
mentar S.  476  verworfene  Datum  „14.  Mai"  nicht  geändert.  Vielleicht  darf  man  daraus 
schließen,  daß  er  zu  seiner  früheren  Annahme,  die  sich  mit  derjenigen  Schmidts  deckte, 
zurückgekehrt  ist. 

2)  Da  Bardt  annimmt,  der  Briefwechsel  zwischen  Plancus  und  Cicero  sei  uns 
ganz  erhalten  (s.  o.  S.  106l.  kann  auch  er  die  Worte  scr/psi  tibi  bidtto  ante  schwerlich 
auf  einen  andern  Brief  beziehen  als  auf  X  17. 

^)  X  17, 1  :  Antonius  f  Idus  Maias  ad  Forum  1/ilii  cum  primis  copiis  venit;  Ven- 
tidius bidiii  spatio  obest  ab  eo.  Das  korrupte  Datum  ergänzt  Groebe  (S.  46  t  und  bei 
Gurlitt  a.  a.  0.  172  Anm.  3)  überzeugend  a.  d.   VIII  Idus  Maias. 

^)  Danach  sind  meine  Angaben  Basl.  Biogr.  I  13  zu  ändern. 

'"')  Vgl.  Groebe  S.  464,  ferner  im  allgemeinen  über  damalige  Botengeschwiudig- 
keit  Ruete  S.  121  f. 


—      HO     — 

Datum  von  X  17,  liegt  aber  um  volle  19  Tage  später  als  die  Ankunft 
des  Antonius,  um  17  Tage  später  als  die  mutmaßliche  Ankunft  des 
Ventidius  in  Forum  Julii.  Damals  sollte  Plauens  also  erst  von  dem 
Eintreffen  des  Antonius  in  Forum  Julii,  noch  nicht  aber  von  dem  des 
Ventidius  ebendaselbst,  geschweige  denn  von  dem  weitern  Vorrücken 
Marc  Antons  von  Forum  Julii  nach  dem  Argenteus  Kenntnis  gehabt 
haben  ?  Daß  dies  unmöglich  ist,  liegt  auf  der  Hand  ;  und  daraus  ergibt 
sich,  daß  X  17  nicht  erst  am  27.  Mai  geschrieben  sein  kann,  sondern 
näher  an  den  10.  Mai  herangerückt  werden  muß.^)  Das  heißt  mit 
andern  Worten  :  Groebes  Ansicht,  daß  X  1 7  zwei  Tage  vor  X  21 
geschrieben  sei,  ist  unhaltbar.  Steht  es  besser  um  die  andere  Annahme, 
wonach  nicht  Ep.  X  17,  sondern  X  15  der  Brief  ist,  der  zwei  Tage 
vor  X  21  geschrieben  wurde?  In  X  15  schreibt  Plauens  von  der  Süd- 
seite der  soeben  passierten  Isère  aus,-)  er  sei  in  Bezug  auf  die  Haltung 
des  Lepidus  guten  Muts,  da  ihm  Juventius  Laterensis  die  Versicherung 
gegeben  habe,^)  daß  Lepidus  gegen  Antonius  kämpfen  werde  ;  daher  sei 
er  nun  im  Begriff",  nach  Süden  vorzurücken,  um  sich  so  schnell  als 
möglich  mit  Lepidus  zu  vereinigen  ;  zu  diesem  Zwecke  habe  er  soeben, 
am  12.  Mai,  die  Isère  überschritten.  Als  Datum  dieses  Briefes  wird 
mit  großer  Wahrscheinlichkeit  allgemein  eben  der  12.  Mai  angenommen, 
so  auch  von  Groebe  S.  467.  In  X  21  sind  freihch  Ton  und  Stimmung*) 
ganz  anders:  „So  war  es  vorgestern:  ich  vertraute  den  eigenhändigen 
schriftlichen  Versicherungen  des  Lepidus  und  dem,  was  Laterensis  münd- 
lich   beigefügt    hatte  ;    da    kommt   eine  Ordonnanz   (stator)   des  Lepidus 


1)  Schmidts  Ansatz  von  X  17  auf  den  19.  oder  20.  Mai  wird  das  richtige  treffen. 

2)  Und  zwar  wahrscheinlich  aus  Cularo  :  vgl.  Ruete  S.  49  ;  Groebe  S.  464. 

3)  Laterensis  war  vor  dem  12.  Mai  bei  Plancus  persönlich  anwesend  ;  die  "Worte 
qid  tu  tu  fipiid  tue  erat  (X  21.1)  werden  von  denen,  die  diesen  Brief  auf  den  14.  Mai 
ansetzen,  selbstverständlich  nicht  mit  scripsi  tibi  biduo  ante  in  eine  zeitliche  Ver- 
bindung gebracht,  wie  Groebe  S.  466  insinuiert.  Denn  wenn  Laterensis  noch  am  12.  Mai  bei 
Plancus  gewesen  wäre,  hätte  doch  wohl  nicht  schon  am  14.  Mai  ein  Brief  von  ihm 
aus  dem  Lager  des  Lepidus  bei  Plancus  eintretTen  können. 

^)  Die  gegenüber  X  15  völlig  veränderte  Stimmung  vor  allem  hat  seit  Drumann 
I'  (Königsberg  1834)  S.  353  und  355  die  Gelehrten  immer  wieder  zu  einer  spätem 
Datierung  von  X  21  verleitet,  vgl.  Groebe  S.  466.  Und  doch  eröffnet  Plancus  selber 
gerade  aus  dem  richtigen  Gefühl  heraus,  daß  der  Ton  nicht  zu  X  15  passe,  den  Brief 
X  21  mit  den  Worten  puderet  me  inconstanliae  Utterarinn  mearum  etc.  Die 
gedrückte  Stimmung  in  X  21  erklärt  sich  aber,  wie  Holzapfel  Herl.  phil.Woch.  1900,  Sp.  720 
sehr  richtig  ausführt,  hinlänglich  durch  die  Befürchtung  einer  Vereinigung  des 
Lepidus  mit  Antonius.  So,  nicht  als  Hinweis  auf  eine  vollzogene  Tatsache,  ist  mit 
Holzapfel  diiobits  exercitibtis  coniunclis  zu  fassen  (§  5).  „Daß  es  sich  um  eine  noch 
im  Bereiche  der  Zukunft  liegende  Eventualität  handelt,  ist  auch  aus  §  6  etiamsi  ille 
exercitus  descierit,  wo  descieril  nur  als  fut.  ex.  und  nicht  etwa  als  coni.  perf.  be- 
trachtet werden  kaim,  ersichtlich"  (Holzapfel). 


—    111    — 

mit  der  Weisung,  ich  solle  doch  an  der  Isère  bleiben,  da  er  allein  fertig 
werden  könne  ;  kurz  darauf  trifft  ein  verzweifelter  Brief  von  Laterensis 
ein,  wonach  von  der  Haltung  des  Lepidus  das  schlimmste  zu  befürchten 
ist.  Ich  zweifle  daher  an  der  Zweckmäßigkeit  eines  weiteren  Vorrückens 
und  bin  im  Begriff,  zurückzukehren  (jtaqnc  refflfitrua  mm  §  5,  nämlich 
auf  die  Nordseite  der  Isère)."  Der  Überbringer  dieses  Briefes  heißt 
nach  §  3  Laevus  Cispius.  Wenn  die  Datierung  von  X  21  auf  den  14. 
Mai  richtig  ist,  dann  fällt  er  zwischen  X  15  (12.  Mai)  und  X  18  (18. 
Mai).  Der  Gedankengang  von  X  18  ist  folgender:  „Laevus  —  offenbar 
eben  der  Überbringer  von  X  21  ^)  —  und  der  Brief,  den  er  dir  brachte 
—  offenbar  X  21  — ,  konnten  dir  melden,  was  ich  vorhatte  (nämlich 
über  die  Isère  zurückzugehen).  Nun  habe  ich  mich  gleichwohl,  auf  die 
Aufforderung  des  Lepidus  und  die  dringenden  Bitten  des  Laterensis  hin, 
in  die  Gefahr  begeben.  Ich  verlasse  daher  (heute)  am  18.  Mai  die 
Isère,  rücke  südwärts  vor  und  hoffe  mich  in  8  Tagen  mit  Lepidus  zu 
vereinigen."  Aus  dieser  Skizzierung  des  Inhalts  ist  zu  ersehen,  daß 
X  21  sich  trotz  dem  abweichenden  Tone  sehr  wohl  zwischen  X  15  und 
18  einfügt,  und  es  ist  denn  auch  ein  irgendwie  zwingender  Beweis  gegen 
diesen  Ansatz  von  keiner  Seite  vorgebracht  worden.  Daß  der  heißum- 
strittene Brief  nun  aber  zwischen  X  15  und  18  nicht  nur  untergebracht 
werden  kann,  sondern  untergebracht  werden  muß,  ergibt  sich  aus  fol- 
gendem. Plancus  verließ  in  der  Tat,  wie  auch  Bardt  S.  474  f.  und 
Groebe  S.  257  aus  X  18  entnehmen,  am  18.  Mai-)  seine  bisherige 
Stellung  an  der  Isère  und  langte  etwa  eine  Woche  später  beim  Yerdon 
an.  Diese  Tatsache  hätte  unbedingt  in  einem  Brief  vom  29. 
Mai,  vermutlich  dem  ersten,  den  Plancus  aus  seinem  neuen 
Lager  am  Verdon  geschrieben  hätte,  erwähnt  werden  müssen. 
Nun  aber  steht  von  dieser  Tatsache  in  dem  Brief  X  21,  den  Groebe 
auf  den  29.  Mai  ansetzt,  kein  Wort,  sondern  wir  erfahi'en  sie  erst  aus 
dem  Brief  X  23,  den  Plancus  am  6.  Juni  schrieb,  als  er  sein  Lager 
bereits  an  die  Isère  zurückverlegt  hatte.  Welches  ist  dagegen  die  Si- 
tuation in  X  21  ?  „Ich  hatte  die  Isère  passiert  und  hatte  im  Sinn, 
diesen  Fluß  zu  verlassen,  um  mich  mit  Lepidus  zu  vereinigen:  da  kam 
der  Stator  und  der  verzweifelte  Brief  des  Laterensis;    daher   bin  ich  im 

')  Die  Identität  des  Laevus  Cispius  iu  X  "21,  3  mit  Laevus  in  X  18, 1  weist 
Groebe  bei  GurUtt  S.  172  Anm.  1  nach,  glaubt  aber  irrigerweise  den  Auftrag  an  den- 
selben dabo  perferenda  (X  21,  3)  auf  eine  spätere  Sendung,  nach  der  Rückkehr  aus 
Rom,  beziehen  zu  müssen.  In  Wirklichkeit  ist  Laevus  Cispius  in  §  3  ohne  Zweifel  als 
Ulierbringer  von  X  21  gemeint,  nachdem  an  demselben  Tage  oder  einen  Tag  früher 
schon  ein  Eilbote  an  Titius  abgegangen  war. 

2)  Wenn  .Jullien  S.  65  f.  statt  dessen  den  21.  Älai  nennt,  so  beruht  dies  lediglich 
auf  der  in  den  neuern  Ausgaben  beseitigten  schlechten  Lesart  a.  d.  XII.  Kalend.  hin. 
statt  a.  d.  XY.  K.  hm.  in  X  18,4. 


-      112     — 

Begriff  zurückzukehren."  Mit  vollem  Recht  betont  Holzapfel  a.  a.  0., 
daß  Plancus,  als  er  so  schrieb,  seinen  Standort  an  der  Isère  noch  gar 
nicht  verlassen  haben  kann.  Daraus  folgt  mit  Sicherheit,  daß  der  Brief 
X  21  vor  dem  18.  Mai  geschrieben  sein  muß.  In  was  für  seltsame 
Widersprüche  man  durch  den  unrichtigen  spätem  Ansatz  dieses  Schreibens 
verwickelt  wird,  zeigen  insbesondere  Bardts  Ausführungen.  S.  475  läßt 
er  den  sfaior  mit  Hecht  „Mitte  Mai"  an  der  Isère  bei  Plancus  eintreffen, 
dagegen  soll  der  Notschrei  des  Laterensis,  den  Plancus  X  21,  3  unmittel- 
bar nach  dem  skifor  erwähnt,  erst  zwei  Wochen  später  erfolgt  sein! 
All  diese  Unwahrscheinhchkeiten  schwinden  sofort,  wenn  man  als  erwiesen 
anerkennt,  daß  der  Brief  X  21  vor  X  18  geschrieben  ist  und  daß  sich 
demnach  die  Worte  htduo  ante  (21,  1)  auf  X  15  beziehen,  mithin  X  21 
auf  den  14.  Mai  anzusetzen  ist. 

Am  12.  Mai*)  hatte  Plancus  die  Isère  überschritten;  bis  zum  18. 
Mai  aber  blieb  er  an  ihrem  südlichen  Ufer  liegen.  Was  war  der  Grund 
für  diese  lange  Untätigkeit?  Jullien  S.  65  antwortet:  er  wollte  hier  die 
Ankunft  seines  Kollegen  Decimus  Brutus  abwarten.-)  Aber  Brutus  be- 
fand sich  noch  immer  in  der  Poebene,  und  wenn  Plancus  wirklich  aui 
ihn  hätte  warten  wollen,  brauchte  er  die  Isère  gar  nicht  zu  überschreiten. 
Die  hastige  Überbrückung  dieses  Flusses  (Ep.  X  15,3;  21,2)  beweist, 
daß  Plancus  tatsächlich  sofort  nach  Süden  vorzurücken  beabsichtigt  hatte. 
Daß  sich  sein  Vormarsch  doch  noch  um  6  Tage  verzögerte,  erklärt  sich 
hinreichend  aus  dem  Eintreffen  1)  des  Htator,  durch  den  ihn  Lepidus 
zum  Bleiben  aufforderte,  und  2)  des  verzweifelten  Briefes  des  Laterensis, 
aus  dem  Plancus  schließen  mußte,  daß  Lepidus  mit  Antonius  bereits 
geraeinsame  Sache  mache,  sein  eigener  Vormarsch  nach  Süden  also 
zwecklos  wäre.  Jullien  meint  freilich  (S.  66),  die  Ordonnanz  des  Le- 
pidus sei  erst  nach  dem  Aufbruch  von  der  Isère  zu  Plancus  gelangt. 
Das  ist  aber  mit  der  richtigen  Datierung  des  Briefes  X  21  unvereinbar: 
der  stato?'  kann  nicht  später  als  am  14.  Mai  eingetroffen  sein,  da  er  au 
diesem  Tage  von  Plancus  X  21,  2  erwähnt  wird. 

Es  ergibt  sich  aus  dem  richtigen  Ansatz  dieses  Briefes  ferner,  daß 
Plancus  nicht  erst  nach  der  Verlegung  seines  Lagers  an  den  Verdon 
Kunde  von  den  antirepublikanischen  Demonstrationen  im  Heere  des 
Lepidus  (Ep.  X  21,4)  erhalten  hat,    wie  Jullien  S.  67  angibt,    sondern 


^)  Daran  halte  ich  gegenüber  Groebe  S.  4ß4  fest.  Den  von  ihm  wiederholten 
Einwand  Nakes  hat  schon  Ruete  S.  51  f.  widerlegt. 

-)  Vielleicht  schwebt  Jullien  die  Stelle  Ep.  X  18,2  vor.  liier  schreibt  Plancus 
aVjer  unmittelbar  nach  dem  Aufbruch  von  der  Isère:  er  habe  seinen  Standort  verlassen, 
obwohl  es  für  ihn  gefahrloser  gewesen  wäre,  an  der  Isère  zu  warten,  bis  sich  Brutus 
mit  ihm  vereinige  (vgl.  Drumann  12  257).  Die  Stelle  beweist  doch  nichts  für  die  Grründe 
der  Untätigkeit  vom  12.  bis  zum  18.  Mai. 


—     113     — 

bereits  als  er  noch  an  der  Isère  lag.  Endlich  kann  der  verzweifelte 
Brief  des  Laterensis,  den  Plancus  X  21,3  erwähnt,  nicht  —  wie  Dru- 
mann  I'  353.  355,  Jullien  S.  68,  Groebe  S.  466  und  Bardt  S.  476  be- 
haupten —  eine  letzte,  unmittelbar  vor  der  Vereinigung  des  Lepidus 
mit  Antonius  und  dem  eigenen  Selbstmord  an  Plancus  abgesandte 
Warnung,  „sein  politisches  Testament"  gewesen  sein.  Vielmehr  hat 
Laterensis  diesem  Schreiben  später  noch  ein  weiteres,  in  etwas  weniger 
verzweifelter  Stimmung  abgefaßtes  folgen  lassen,  vgl.  Ep.  X  18,  2. 

Am  29.  Mai  hat  sich  die  Vereinigung  des  Lepidus  mit  Antonius 
wirklich  vollzogen  (Plancus  Ep.  23,  2).  Hiemit  bringt  Jullien  S,  69  die 
Bemerkung  des  Cicero  an  D.  Brutus  Ep.  XI  12,2  mm  'die  (Antonius) 
mild  fugisse  a  Mutina  ridetur,  .sed  locuni  t)eUi  (jertndi  mutasse  in  Ver- 
bindung. Allein  dieser  Brief  ist,  wie  Bardt  S.  472  nachweist,  schon  um  Mitte 
Mai  geschrieben.  Demnach  kann  Ciceros  Bemerkung  den  ihr  von  JuUien 
untergelegten  Sinn  nicht  haben,  sondern  nur  den  einer  —  wie  die  Folge 
lehrte,  fruchtlosen  —  Aufforderung  an  D.  Brutus,  durch  nachdrückhche 
Verfolgung  des  Antonius  zu  bewirken,  daß  der  Sieg  von  Mutina  mehr 
bedeute  als  eine  bloße  Verlegung  des  Kriegsschauplatzes  von  Oberitalien 
nach  Gallien. 


Die 
MEPH  TH2  TPArQIAIA^ 

in  der  Tragödie  des  V.  Jahrhunderts. 


Von 
Jakob  Oeri. 


Von  Rechts  wegen  sollte  sich  die  Einteilung  der  Tragödie  aus  der 
logischen  Zergliederung  der  Handlung  ergeben;  wir  aber  glauben  ge- 
wöhnlich unsere  Pflicht  zu  tun,  wenn  wir  das  zwölfte  Kapitel  der  Aristote- 
lischen Poetik  zu  Grunde  legen,  und  kommen  dabei  zu  so  schönen  Re- 
sultaten wie  dem,  daß  die  Rede  des  Aias  änavd-  b  /naxQÔç  (646/92) 
einen  ganzen  Hauptteil  ausmache,  und  daß  anderseits  von  719  bis  865 
alles  zusammenhange,  trotzdem  das  Stück  bei  der  Ortsveränderung  nach 
814  den  tiefsten  Einschnitt  hat,  den  ein  Stück  haben  kann.  Dem  gegen- 
über möge  nun  einmal  gefragt  werden:  Wie  müßten  wir.  wenn  wir 
Aristoteles  nicht  hätten  und  rein  auf  das  vorhandene  Tragödienmaterial 
angewiesen  wären  (dem  hier  auch  der  Kyklops  beigefügt  werden  möge), 
bei  der  Einteilung  verfahren?  Indem  dies  mit  dem  folgenden  Versuche 
unternommen  wird,  muß  vorausgeschickt  werden,  daß  hier  nur  eine 
kurze  Skizze  gegeben  werden  kann,  deren  Verfasser  auf  manches  ver- 
zichten muß.  Man  wird  hier  wenige  Auseinandersetzungen  mit  den  An- 
sichten anderer,  nicht  gerade  vieles  über  die  historische  Entwicklung 
der  Formen,  keine  Beziehung  auf  die  in  deutschen  Landen  so  verrufene 
szenische  Responsion  ')  finden.     Den  Zitaten  sollen  die  am  meisten  ver- 


ij  Nur  darum,  weil  eben  wieder  die  Mär  durch's  Land  geht,  daß  ich  ein  rück- 
sichtsloser Versetilger  sei,  sei  denn  das  doch  gesagt;  Die  sich  über  mehr  als  -tOOO  Verse 
erstreckende  Hauptresponsion  in  Elektra,  Oedipus,  Koloneus,  Trachinierinnen  und  Phi- 
loktet,  von  der  meine  ganze  Argumentation  ausgeht,  erheischt  die  Tilgung  der  zwei 
von  Brunek  aus  Phil,  1365  ausgeschiedenen  Verse,  von  Phil.  1443  f.,  Kol.  614  f., 
640  f.,  S.  mein  Programm  „Die  Sophokleische  Responsion.  Basel  1903".  Wem  das  viel 
scheint,  der  möge  kommen  und  es  sagen. 


—     115     — 

breiteten  Teubner'schen  Ausgaben  zu  Grunde  liegen,  und  wo  längere 
Zitatenreihen  zu  geben  sind,  werde  ich  mich,  statt  an  die  problematische 
historische,  an  die  dortige  Reihenfolge  der  Stücke  halten,  nur  daß  der 
Kyklops  immer  an  den  Schluß  und  der  Rhesos  dahin  gestellt  wird, 
wohin  er  gehört,  nämlich  zwischen  Aeschylus  und  Sophokles.') 


1)  Wenn  dieses  frisch  geschriebene  und  geschickt  komponierte  Stück  in  die  Zeit 
des  zweiten  Seebundes  gehörte,  so  wäre  der  Dichter,  der  sich  dabei  von  allem  Einfluß 
des  Euripides  und  von  allem,  was  Rhetorik  und  Manier  heißt,  freigehalten  hätte,  ein 
Miraculum  der  Weltliteratur.  Diesen  Ruf  verdient  er  nicht,  aber  er  hätte  auch  nicht 
der  Unsitte  unserer  Zeit  zum  Opfer  fallen  sollen,  die  alles  Mangelhafte  auf  Rechnung 
der  Decadenz  setzt  und  nicht  mehr  weiß,  daß  es  auch  eine  vorklassische  Zeit  zu  geben 
pflegt.  Wenn  man  der  alten  Zeit  den  vierten  Schauspieler  (hier  Paris)  nicht  zutrauen 
will,  so  frage  ich:  Welcher  Sterbliche  weiß  denn  darüber,  wie  es  in  den  verschiedenen 
Zeiten  mit  dem  7iaQayoQ)'jyi]j.ia  stand,  etwas  Bestimmtes?  Mein  Mutmaßen  würde  es 
mir  am  ehesten  in  der  Zeit  möglich  erscheinen  lassen,  da  ein  Dichter  selbst  etwa  noch 
als  Schauspieler  auftrat.  Und  was  die  Unmöglichkeit  des  deus  ex  machina  betrifft,  so 
mag  es  sein,  daß  er  in  der  Frühzeit  nicht  jählings  è^  at&éQoç  mv/JHv  herabkommen 
konnte.  Aber  man  wird  eben  primitivere  Mittel  gehabt  haben.  Der  Okeanidenwagen 
des  Prometheus  z.  B.  konnte  doch  wohl  auch  auf  horizontal  gespannten  Seilen  einher- 
fahreu.  Die  Klage  einer  Göttin  um  den  toten  Sohn  aber  ist  doch  ein  gerade  der  stark 
vom  Epos  abhängigen  Zeit  wohl  zuzutrauendes  Motiv.  Auch  die  Kunst  stellte  die 
Göttin,  die  zov  veôô^i^tov  veyiQov  êv  %eiQolv  (poQäStjv  ué^Tiei,,  dar.  Yergl.  die  Pietà 
(Eos  u.  Memnon)  auf  der  schwarzfigurigen  und  der  Duris-Vase  bei  Röscher  II,  2,  S. 
2676  und  I  S.  1265/6.  Wer  nun,  wie  ich,  von  dem  Studium  der  ,«/(>»/  r/]c  rçayqyôlag 
herkommt,  der  kann  gar  nicht  anders,  als  den  Rhesos  früh  ansetzen.  Nicht  nur  läßt 
sich  die  Prologlosigkeit  am  leichtesten  damit  erklären,  daß  wir  es  mit  dem  zweiten 
oder  dritten  Stück  einer  Inhaltstrilogie  zu  tun  haben  dürften,  sondern  Einzelheiten,  auf 
die  ein  Nachahmer  nicht  leicht  verfallen  wäre  oder  die  er  sklavischer  kopiert  hätte, 
sprechen  dafür.  Altertümlich  ist  die  starke  Verwendung  der  Anapäste  in  derParodos, 
und  die  Isolierung  der  Strophen  des  zweiten  Liedes  der  Chorbewegung  (527/64) 
durch  Anapäste  von  Eeinzelchoreuten  hat  ihr  Analogen  nur  in  der  Parodos  der  An- 
tigene; die  kurze,  von  Weherufen  unterbrochene  trochäische  Partie  728/31  hat  das  ihre 
nur  in  Agam.  1343/47  ;  die  Verbindung  von  Trimetern  mit  Anapästen  (733/55)  hat  sich 
Sophokles  im  Oedipus  1312  wieder  gestaltet  u.  A.  Wenn  ich  aber  hier  unwillkürlich 
„wieder"  sage,  so  muß  ich  allerdings  dazu  bemerken,  daß,  irenn  der  Rhesos  alt  ist, 
dann  auch  fast  mit  Notwendigkeit  Sophokles  als  Dichter  muß  angenommen  werden. 
Von  den  vielen  Anklängen  an  den  Aias,  die  bekanntlich  hiefür  sprechen,  möge  hier 
nur  einer  hervorgehoben  sein  :  Aus  Aias  748  fl'.  spricht  die  Lehre,  daß  was  geschehen 
muß,  seinen  Weg  findet,  auch  wenn  eine  andere  Wendung  ganz  nahe  läge  und  aus 
Rhesos  595  die,  daß,  was  nicht  geschehen  darf,  so  nahe  es  liegt,  nicht  geschieht.  Tn 
beiden  Fällen  hängt  die  Entscheidung  vom  Erleben  eines  bestimmten  Momentes  ab; 
aber  wie  schön  ist  dieses  Motiv  der  Schicksalsstunde  variert!  Und  Sophokles  hat  es  ja 
überhaupt  geliebt,  seine  Motive  mutatis  mutandis  zu  wiederholen,  so  daß  auch  die  von 
Wilamowitz  bemerkte  Wiederkehr  eines  solchen  aus  den  Iloifiéveg  uns  nicht  wundern 
darf.  Also  derjenige  Grammatiker  wird  recht  gehabt  haben,  der  beim  Rhesos  den 
Hocpôy.Àsiog  yaçaKTiJQ  durchschimmern  sah;  nur  steht  Sophokles  in  diesem  Stücke  noch 
nicht  auf  seiner  Kunsthöhe,  und  deshalb  wird  man  gut  tun,  es  möglichst  früh,  jedenfalls 
früher  als  den  Aias  anzusetzen. 


—     116     — 

Es  müßte  sich  nun  zuerst  um  die  Einteilung  des  ganzen  in  seine 
Hauptteile  und  dann,  um  die  der  letztern  in  ihre  Nebenteile  handeln. 
Indeß  wird  es  aus  äußern  und  Innern  Gründen  empfehlenswerter  sein, 
weniger  systematisch  vorzugehen  und  sich  auf  einige  wichtige  Kapitel 
zu  beschränken,  bei  denen  unter-  wie  übergeordnete  Partien  in  Frage 
kommen.  Statt  eines  kurzen  Aufsatzes  könnte  sonst  aus  dieser  Abhand- 
lung leicht  ein  Buch  werden. 


Wir  haben  gelernt  und  gelehrt,  die  Hauptteile  der  Tragödien  folgten 
aufeinander  als  Prolog,  Parodos,  I  Epeisodien,  I  Stasimon,  II  Epeiso- 
dien  ....  letztes  Stasimon,  Exodos.  Dabei  dachte  man  sich  die  Parodos 
zwar  etwas  anders  geartet  und  vorgetragen  als  die  Stasima,  aber  im 
Wesentlichen  ihnen  doch  koordiniert.  Dies  war  nun  aber,  wenn  wir  es 
schon  von  Aristoteles  hatten,  das  tiqütov  tpEvôog,  an  dem  die  richtige 
Einteilung  scheitern  mußte  ;  es  sprechen  dagegen  folgende  Gründe  : 

1.  Der  Zweck  der  Parodos  und  der  der  Stasima  ist  durchaus  ver- 
schieden. Mit  jener  führt  sich  der  Chor  ein,  so  gut  als  jede  Person  des 
Stückes  dies  auch  tun  muß,  wenn  sie  nicht  von  andern  vorgestellt 
wird  ;  daß  es  feierlich  oder  doch  in  bewegter  Form  geschieht,  verändert 
den  Zweck  nicht  -,  die  Stasima  und  die  mit  ihnen  zusammen  zu  be- 
sprechenden meUschen  Vorträge  dagegen  sind,  wie  wir  sehen  werden, 
ausnahmslos  Zwischengesänge,  d.  h.  sie  decken  eine  Zwischenzeit,  die 
aus  irgend  einem  Grunde  zwischen  einer  vorangehenden  und  einer 
folgenden  Szene  anzunehmen  ist;  sie  isolieren  die  Szenen  von  einander, 
stellen  aber  dadurch,  daß  sie  selbst  die  Lücke  ausfüllen,  die  Einheit 
der  Zeit  her. 

2  Was  die  Form  betrifft,  so  sind  die  Zwischengesänge,  welche 
nach  dem  sog.  I.  Epeisodion  zwischen  Hauptteilen  vorgetragen  werden 
(wie  übrigens  auch  die  zwischen  Nebenteileu),  rein  iiielisc/ier  Art,  während 
der  Prolog  und  die  spätem  Dialogpartien,  so  vielmelisches  und  anajjästisches 
auch  in  sie  eingesprengt  erscheint,  als  Grundform  durchweg  den  Trimeter 
haben.  Die  Parodos  dagegen  hat  keine  feste  metrische  Grundform. 
Proteusartig  ist  sie  bald  rein  melisch,  bald  enthält  sie  neben  dem  Melos 
Anapäste,  bald  ist  sie  ein  Kommos,  in  dem  Chor  und  Schauspieler  sich 
in  langen  Wechselgesängen  unterhalten,  bald  ein  solcher,  da  sie  es  nur 
mit  kurzen  Worten  tun,  einmal  auch  nur  ein  Vortrag  anapästischer 
Hypermetra  durch  den  Chorführer;  kurz,  der  Dichter  hat  hier  freie 
Wahl,  wie  sonst  bei  den  Hauptteilen  nicht. 

Ist  sie  also  ein  untergeordneter  Teil  ?  Ich  sage  „Ja",  sie  ist  das 
erste  oder  auch  das  zweite  Glied  des  auf  den  Prolog  folgenden  Haupt- 
teils und  auch  wenn  sie  rein  melisch  ist,    im  Prinzip  nichts  anderes  als 


—     117     — 

was    man    bisher    ein    episodisches  Chorikon   nannte.     Hiefür  fällt  noch 
folgendes  in  Betracht  : 

3.  Was  für  die  Parodos  recht  ist,  müßte  auch  für  die  andern 
Partien,  womit  der  Chor  auf-  und  abzieht,  bilHg  sein,  also  für  die 
Epiparodos,  die  Aphodos  (man  verzeihe  mir  das  selbstgebildete  Wort) 
innerhalb  und  die  Exodos  am  Ende  des  Stückes.  Ich  denke  denn  auch, 
daß  die  meisten  nichts  würden  dagegen  haben,  Alk.  861/933,  Rhesos 
527/64,  Hik.  Aesch.  1018/74  als  Hauptteile  zu  erklären.  Aber  würden 
sie  dies  auch  bei  dem  Hypermetrou  Alk,  741/6  oder  gar  bei  jedem 
TioXXal  fzoQ(pal  t&v  öatfioviojv  wagen  ?  Ich  glaube  kaum,  obschon  die 
Konsequenz  es  verlangen  würde.  Die  gleiche  Konsequenz  hat  nichts 
Stoßendes,  wenn  alle  diese  Partien  und  also  auch  die  Parodos  unter- 
geordnete Partien  sind. 

4.  Die  Zwischengesänge  sind  wenigstens  in  der  Zeit  nach  Aeschylus 
nicht  mehr  integrierende,  durchaus  notwendige  Teile  der  dramatischen 
Entwicklung.  So  wenig  man  sie  entbehren  möchte,  so  sehr  die  Seele  des 
Stückes  oft  in  ihnen  lebt  —  man  denke  nur  an  Oed.  863/910  — ,  der 
äußere  Gang  der  Handlung  ließe  sich  fast  immer  ohne  sie  verstehen  ; 
hätte  der  Dichter  sie  weggelassen,  so  hätte  er  eben  nur  ein  anderes 
Mittel  finden  müssen,  um  dem  Aneinanderstoßen  zeitlich  getrennter 
Szenen  seine  Härte  zu  nehmen,  und  da  hätte  er,  wie  wir  nachher  sehen 
werden,  nicht  lange  zu  suchen  gehabt.  Anders  ist  es  mit  der  Parodos. 
Diese  ist  bald  mit  dem  vorhergehenden,  bald  mit  dem  folgenden  so  enge 
verkettet,  daß  ihr  AVegfall  sofort  der  Annahme  einer  Lücke  in  der  Über- 
lieferung rufen  müßte.  Wenn  es  z.  B.  im  Prologe  des  Oedipus  (144) 
heißt  aÀÀOQ  ôt  Kdôfiov  Zaöv  ojô'  dd-QoiÇéToj,  so  niuß  nachher  der  Kad- 
meische  Adel  ganz  notwendig  erscheinen  und  sein  Auftreten  irgendwie 
motivieren,  und  wenn  nach  dem  Päan,  womit  er  dies  tut,  Oedipus  (216) 
ihn  mit  ahslg  anredet,  so  hat  er  ihn  eben  vorher  gehört  ;  das  Lied 
selbst  aber,  so  mächtig  die  Empfindung  ist,  die  sich  in  seiner  Form  und 
seinem  Inhalte  ausspricht,  ist  ein  Teil  der  Exposition  und  steht  zum 
Ganzen  in  keinem  andern  Verhältnis  als  die  Rede  des  Greises  im  Prolog. 
Nicht  anders  steht  es  mit  dem  Dank-  und  Freudengesang  in  der 
Antigone,  mit  dem  Trostgesang  in  den  Trachinierinnen  und  besonders 
mit  allen  denjenigen  Parodoi,  welche  Kommoi  sind;  denn  der  Kommos 
unterscheidet  sich  nur  durch  den  gesteigerten  Ton  vom  sonstigen  Dialog. 

5.  In  vollen  22  von  allen  33  Stücken  schließt  sich  an  die  Chor- 
parodos  entweder  eine  an  den  Chor  gerichtete  Rede  oder  ein  Dialog 
zwischen  Schauspieler  und  Chor.  Wie  nimmt  sich  nun  die  Annahme 
einer  Hauptcäsur  zwischen  beiden  aus,  zumal  wenn  das  Zweite  durch 
parallelen  Inhalt  als  Fortsetzung  des  Ersten  markiert  ist,  wie  El.  Soph. 
230  fï".  und  254  Ô'.,    wo  Elektra  sich   beidemal   wegen   ihres  Verhaltens 


—     118     — 

mit  der  Notwendigkeit  entschuldigt,  oder  Kol.  237/53  und  275/9,  wo  die 
Hikesie  Antigenes  und  die  des  OedijDus  fast  unmittelbar  aufeinander 
folgen  ? 

6.  Bisweilen  ist  die  Chorparodos  auch  einer  vornngehenden  Szene 
eng  koordiniert.  Wer  sich  nämlich  auch  nur  einigermaßen  vom  Buch- 
staben des  Aristoteles  frei  machen  kann,  der  wird  doch  unmöglich,  wenn 
ihr  eine  Monodie  derjenigen  Person  vorangeht,  die  nachher  mit  dem 
Ohore  spricht,  die  Hauptcäsur  erst  hinter  der  Monodie  ansetzen  und 
diese  selbst  dem  Prologe  zurechnen  können.  Hat  es  z.  B.  in  der  Hekabe 
irgendwelche  Wahrscheinlichkeit,  daß  die  Monodie  der  Greisin  zusammen 
mit  der  Rede  von  Polydors  Schatten  den  Prolog  ausmacht  und  nicht 
vielmehr  die  este  Szene  des  folgenden  Hauptteils  ist,  an  die  sich  als 
zweite  die  Parodos  des  Hekabe  apostrophierenden  Chores  reiht  ?  Und 
wie  steht  es  mit  der  Helena  ?  Hier  setzt  ja  der  Chor  gar  erst  mit  einer 
^4/?/istrophe  ein.  Sollten  wir  nun  gezwungen  sein,  die  von  Helena  ge- 
sungene Strophe  und  die  diese  einleitenden  drei  daktylischen  Verse  noch 
dem  Prologe  zuzurechnen  '?    Die  Konsequenz  würde  es  ja  verlangen. 

7.  Könnte  da,  wo  die  Parodos  ein  Kommos  ist,  z.  ß.  in  den 
Herakliden,  dieser  Kommos  eine  tcqcûtî]  Àégig  oÀov  xoqov  heißen  ? 

8.  Wie  steht  es  mit  dem  Namen  nÛQOôoç,  ?  Man  hat  oft,  um  eine 
Entsprechung  zwischen  ihm  und  èçoôog  herzustellen,  die  melischen 
Tragödienschlüsse  bei  Aeschylus  zu  der  Folgerung  benützt,  es  hätte  die 
Exodos  wie  die  Parodos  ursprünglich  melischen  Charakter  gehabt.  Wäre 
es  nicht  richtiger  gewesen,  auch  das  eneiaooiov  heranzuziehen  und  zu 
folgern:  bôôç,  wird  in  allen  drei  Namen  dieselbe  Bedeutung  haben,  und 
zwar  die  gleiche,  die  der  Lateiner  durch  „actus",  der  Deutsche  durch 
die  Zusammensetzung  mit  „Zug"  ausdrückt;  ndQoôoç,  ist  ursprünglich 
das  Aufziehen  des  Chores  und  der  Schauspieler,  èjisiaôôiov  ist  das  nach- 
trägliche Aufziehen  der  Schauspieler,  è'^oôog  das  Abziehen  von  Chor 
und  Schauspielern,  und  nach  diesem  Kommen  und  Gehen  wurden  später 
die  ganzen  Tragödienteile  benannt,  in  denen  es  vorkommt. 

Nach  meiner  Meinung  wäre  also  die  Parodos  die  ganze  den  Ein- 
zugsgesang und  das  bisherige  erste  Epeisodion,  ja  bisweilen  schon  ein 
Stück  des  bisherigen  Prologs  umfassende  Partie;  das  zweite  Epeisodion 
würde  nunmehr  /um  ersten  u.  s.  w.  Um  aber  Konfusion  zu  vermeiden, 
werde  ich  jene  „Parodospartie",  die  bisherige  Parodos  dagegen  „Chor- 
parodos" nennen  und  die  Epeisodien  lieber  nicht  numerieren,  sondern 
nach  dem  Namen  von  Personen  (als  Tiresias-Hämonepeisodien  u.  s.  w.) 
bezeichnen. 

Warum  aber  hat  nun  Aristoteles  der  Chorparodos  die  für  die  er- 
haltene Tragödie  unberechtigte  Bedeutung  eines  Hauptteils  zugewiesen? 
Die    Antwort    wird    sein  :    Er    denkt    eben    nicht    an    die   Tragödie    der 


—     119     — 

klassischen,  sondern  an  die  seiner  eigenen  Zeit,  die  es  gehalten  haben 
wird,  wie  er  angiebt.  Einen  Nachklang  hievon  finden  wir  noch  bei  Seneca, 
bei  dem  allerdings  die  Chorparodos  nichts  ist  als  ein  Zwischenlied  wie 
die  andern  ;  angebahnt  aber  mag  die  neue  Form  schon  Euripides  haben, 
wenn  er  —  um  von  dem  Konzept  der  Aulischen  Iphigenie  keinen  Ge- 
brauch zu  machen  —  in  der  Andromache  und  den  Bakchen  die  neue 
Szene  ohne  vermittelnde  Vorstellung  der  kommenden  Person  durch  den 
Chor  auf  eine  vollstimmige  Chorparodos  folgern  ließ.  Es  ist  zwar  ganz 
klar,  daß  in  diesen  Fällen  das  Auftreten  des  Chors  schon  deshalb  eine 
integrierende  Partie  der  Parodospartie  ist,  weil  sein  Führer  nachher  die 
Rolle  eines  Interlocutors  hat  ;  aber  der  Mangel  an  Vermittlung  zwischen 
dem  rein  chorischen  und  dem  ihm  koordinierten  dialogischen  Teil  ist 
eine  Härte,  die  es  begreiflich  erscheinen  läßt,  wenn  man  später  in  Prolog, 
Chorparodos  und  folgender  dialogischer  Partie  die  Folge  von  drei  Haupt- 
partien sah. 

Einen  unierc/eordneten  Teil  hätten  wir  nun  als  solchen  erkannt; 
damit  ist  aber  die  Frage,  welches  die  Hauptteile  seien,  noch  nicht  gelöst; 
sie  hat  auch,  wie  wir  sehen  werden,  ihre  nicht  geringen  Schwierigkeiten. 
Immerhin  kann  nun  mit  einer  Partie,  für  die  auf  Konsensus  gerechnet 
werden  darf,  der  Anfang  gemacht  werden.     Dies  ist: 

I.  Der  Prolog". 

Der  Prolog  ist  nicht  von  jeher  eine  notwendige  Partie  der  Tragödie 
gewesen;  die  äschyleischen  Hiketiden,  die  jetzt  von  A.  Körte^)  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit  in  die  Zeit  zwischen  Marathon  und  Salamis  gesetzt 
werden,  und  die  Perser  sowie  der  nach  meiner  Ansicht  archaische  Rhesos 
haben  ihn  nicht,  und  daß  die  prologlose  Form  das  Altere  gewesen  ist, 
scheint  mir  Christ  mit  Recht  aus  dem  die  Aufführung  einleitenden  Herolds- 
rufe eioays  röv  xoqôv  zu  erschließen,  der  nicht  leicht  zu  verstehen  wäre, 
wenn  der  Beginn  mit  der  chorlosen  Szene  das  Ursprüngliche  wäre. 
Immerhin  hatten  den  Prolog  schon  die  Phœnissen  des  Phrynichos,  und 
die  treffliche  Wirkung,  die  es  hatte,  wenn  sich  die  Chorparodos  von 
einer  in  niedererm  Tone  gehaltenen  Partie  abhob,  läßt  annehmen,  daß 
die  Neuerung  rasch  beliebt  werden  mußte.  Für  die  spätere  Einführung 
spricht  übrigens  auch  der  Name.  Das  Stück  (Xôyoc,  im  gleichen  Sinne 
wie  in  TQiloyia,  vgl.  das  lat.  fabula)  wird  dagewesen  sein,  ehe  ihm  das 
„Vorstück"   vorangeschickt  wurde.    Und  nun  kommt  es  uns  auf  die  ver- 


1)  Mémoires  Nicole  S.  -289  ff. 


—     120     — 

schiedenen  Typen  dieses  Vorstücks  sowie  darauf  au,  wie  sein  Übergang 
zu  dem  die  Chorparodos  enthaltenden  Teile  sich  darstellt. 

Ehe  ich  aber  hierauf  eingehe,  muß  ganz  kurz  noch  darauf  hin- 
gewiesen werden,  daß,  wie  S.  118  schon  gesagt,  der  Prolog  in  Wahrheit  einige 
Male  anders  abzugrenzen  ist,  als  bisher  geschah.  Der  des  Prometheus 
schließt  (87)  mit  dem  Abgang  der  Peiniger;  der  metrisch  so  merkwürdig 
gemischte  (aber  echte)  Vortrag  ô  ôîoç  aid-rjç  ist  zur  Parodospartie  zu 
ziehen;  denn  das  ^ijôev  (poßrjd-fjg  (128)  ist  als  direkte  Antwort  auf  die 
letzten  Befürchtungen  des  Heros  zu  fassen.  Auch  Klytsemne stras  Trimeter- 
rede  in  den  Eumeniden  (94/139)  darf  vom  folgenden  Eumenidengesange 
nicht  getrennt  werden ,  ebenso  sind  Einleitungen  der  Parodospartie 
die  Monodien,  die  in  der  Sophokleischen  Elektra  und  bei  Euripides  in 
Hekabe,  Elektra,  Jon  und  Troades  der  Chorparodos  vorangehen,  und 
natürlich  gehört  auch  die  anapästische  Partie  vor  dem  eigentlichen  Auf- 
treten des  Chors  in  der  Medea  (96/130)  hieher.  Dies  vorausgesetzt,  zeigt 
der  Prolog  in  den  30  Stücken  folgende  vier  Typen: 

1.  Er  besteht  bloß  aus  einer  Rede  :  Agamenmon.  CJioephoreu. 
Bakchen.  Hekabe,  Euripideische  Hikelid^n,  Jon,  Kyklops. 

2.  Er  besteht  aus  einem  Dialog  oder  auch  einer  durch  die  Haupt- 
person zusammengehaltenen  Gruppe  von  Dialogen  :  Pi^omelheus.  Akts, 
Elektra  Sopli..  Oerttpus.  Kolouetis.  Antigone.  P/iilokfef. 

3.  Er  besteht  aus  der  Rede  einer  von  Beginn  an  anwesenden 
Person  und  deren  Dialog  oder  Dialogen  mit  schon  anwesenden  oder 
nach  der  Rede  erscheinenden  Personen.  Xach  dem  Dialog  hat  die  zuerst 
sprechende  Person  bisweilen  auch  noch  eine  Schlußrede  :  Septem, 
Trachienierinnen,  Alkestis,  Amlromache,  Helena,  HeraMklen,  Herakles, 
Medea.  Orest.  Troades.  Eine  Variante  dieser  Form  ist  es,  wenn  in  dem 
(samt  seinen  "Widersprüchen  echten)  Konzept  der  Aidisclten  Iphigenk^) 
die  Rede  Agamemnons  zwischen  dessen  beide  anapästischen  Dialoge  mit 
dem  alten  Diener  eingelegt  erscheint. 

4.  Eine  erweiterte  Form  zeigt  den  Prolog  gleichfalls  zweiteilig,  aber 
so,  daß  die  beiden  Teile  keine  Person  gemeinsam  haben.  Sie  können 
für  sich  jeden  der  drei  vorgenannten  Typen  zeigen  :  Eu men klen  {Fythiais: 
Typus  1  —  Apoll,  Orest  :  T.  2).  Eanpkle}.^c//c  Elektro  (Auturg  und 
Elektra:  T.  3  —  Orest  an  Pylades:  T.  2").  Hippolgtos  (Aphrodite  :  T.  1  — 
Hippolytos  und  Diener  :  Durch  die  vorangesandten  Lieder  erweiterte 
Form   von  T.  3).     Taurisehe  Iphigenk   (Iphigenie:    T.   1   —  Orest   und 


1)  Für  die  aulische  Iphigenie  verweise  ich  auf  meine  Ausführung  in  dem  Pro- 
gramm von  1905  „Euripides  unter  dem  Drucke  des  Sicilischen  und  des  Dekeleischen 
Krieges"  S.  17-89. 

2)  Ich  glaube,  daß  wir  von  einem  Dialog  auch  dann  sprechen  dürfen,  wenn  eine 
direkt  an  eine  stumme  Person  gerichtete  Rede  von  dieser  nicht  beantwortet  werden  kann. 


—     121     — 

Pylades:  T.  2).   P/tönissen  (Jokaste:    T.  1   —  Teichoskopie  :   T.  2.    Hier 
ist  zwischen  iambischen  Anfang  und  Schluß  ein  Kommos  eingelegt.) 

Neben  dieser  Einteilung  nach  Formen  muß  nun  aber  eine  andere 
einhergehen,  die  sich  auf  die  Vermittlung  des  Prologs  mit  dem  übrigen 
Stück  bezieht.     Nach  dieser  sind  folgende  drei  Fälle  zu  unterscheiden  : 

1.  Der  Prolog  und  die  Parodospartie  sind  durch  einen  äußern 
Vorgang  von  einander  getrennt  :  Agamemnon  (der  Chor  muß  die  Kunde 
von  den  Feuerzeichen  vernehmen),  Akts  (148.  Odysseus  bringt  die  Tat 
des  Aias  aus).  Oedipus  (144.  T>er  Kâô^iov  laôç  wird  aufgeboten).  Anihjone 
(253.  Die  Heldin  vollbringt  ihre  Tat  während  derNacht^).  TrachinkrbnKn 
(103  und  141.  Deianiras  Befürchtungen  sprechen  sich  in  den  trachinischen 
Bürgerhäusern  vor  Sonnenaufgang,  wo  der  Chor  erscheint,  herum. )'^) 
AuUsche  lj)I(igen}e  (Der  Alte  sucht  seinen  Auftrag  zu  erfüllen  und  der 
Chor  sieht  die  Dinge,  die  er  nachher  erzählt).  Taur'ische  Ip/iigenit  (Die 
nachher  vom  Hirten  erzählten  Dinge  begeben  sich.)^) 

2.  Beide  haben  wenigstens  keine  Person  gemeinsam  und  eine, 
wenn  auch  minime,  Pause  muß  zwischen  ihnen  angenommen  werden, 
damit  die  Personen  des  Prologs  Zeit  zum  Abtreten  (oder  Entschweben) 
haben  oder  auch  damit  der  Zuschauer  nicht  das  Gefühl  hat,  es  sei  bloßer 
Zufall,  daß  der  Chor  oder  die  die  Parodospartie  einleitende  Person  nicht 
vor  der  Zeit  schon  erschienen  sei.  Diesen  Fall  haben  wir  schon  im 
Pi'omf'f/feiiH.  wenngleich  der  Held  im  Grunde  schon  während  des  Prologs 
da  ist;  denn  er  ist  hier  nur  stummes  Objekt  und  dürfte  sich  in  den 
Dialog  gar  nicht  einmischen-,  nachher  aber  muß  nicht  nur  für  das  Ver- 
schwinden der  Dämonen,  sondern  für  seine  eigene  Sammlung  vor  dem 
x^usbruch  eine  Pause  angenommen  werden.  In  andern  Dramen  aber  ist 
die  Sache  noch  deutlicher.  In  den  Septem  dürfte  doch  der  Chor  nicht 
konunen,  so  lange  Eteokles  noch  mit  dem  Boten  zu  tun  hat,  in  den 
Eumentden  dürfte  Klytämnestra  das  Gespräch  Orests  mit  Apoll  nicht 
unterl)rechen,  in  der  Sophohiekchen  Elelitra  die  Heldin  nicht  das  Orests 
mit  dem  Pädagogen,  in  der  AfkesHs  der  Chor  nicht  das  des  Thanatos 
und  des  Apoll.  Ebensowenig  dürfte  der  Chor  in  Hippolgtos.  dürfte  Hekabe 
in  der  Hekahe  uiuf  den  Troadea.  Elektra  in  der  Eur'ipidehehen  Elekira  zu 
früh  kommen.  In  Clioephoren.  Kolonens.  Jon  und  P/foenlsxen  sieht  der 
oder  ein  Sprecher  des  Prologs  den  kommenden  Chor  und  in  den  Bakc/nn 


h  übrigens  spielt  auch  der  Prolog  schon  bei  Nacht.  V.  15/lß  ist  nach  acçaroû; 
und  nicht  erst  nach  vvv  zu  interpungieren.  Ismene  wundert  sich,  daß  sie  jetzt,  während 
der  Nacht,  etwas  Neues  wissen  soll. 

-)  Auch  hier  spielt  der  Prolog  bei  beginnender  Nacht. 

')  Es  ist  zu  beachten,  daß  durch  "iSl)  f.  die  Chorparodos  eng  mit  dem  folgenden 
zusammenhängt  ;  die  Zeitliicke  ist  also  vor  ihr  anzunehmen,  trotzdem  man  durch  (U  ft'. 
versucht  sein  könnte,  den  Prolog  und  sie  enge  zusammenzurücken. 


122     • 

ruft  er  ihn  sogar  her,  aber  immer,  um  daun  selbst  sofort  zu  verschwinden; 
eine  Berührung  muß  duichaus  vermieden  werden. 

Wenn  wir  sehen,  wie  peinlich  gewissenhaft  Pausen  der  Handlung 
überall  da,  wo  der  Dichter  den  Chor  zur  Verfügung  hat,  durch  Zwischen- 
gesänge ausgeglichen  werden,  so  hält  es  schwer,  sich  diese  Lücken  ganz 
ohne  Ausgleichung  durch  Musik  zu  denken.  Aber  man  hatte  ja  den  Au- 
leten.  Dieser  mochte,  wemi  auch  nur  mit  ein  paar  Accorden  zwischen 
den  zeitlich  getrennten  Partien  eintreten,  und  ihn  möchte  ich  auch  noch 
in  Anspruch  nehmen  a)  in  den  5  S.  120  f.  angeführten  Fällen  vom  Doppel- 
prolog für  die  Pause  zwTschen  seinen  beiden  Teilen  und  b)  in  den  Zeit- 
lücken der  später  zu  besprechenden  5  Fälle  von  Chorlosigkeit  innerhalb 
des  Stückes  nach  der  Aphodos  und  vor  der  EjDiparodos. 

3.  Von  den  Sprechern  des  Prologs  bleiben  während  der  Parodos 
alle  oder  doch  eine  Hauptperson  auf  dem  Schauplatze,  so  dass  Prolog 
und  Parodospartie  ohne  stärkere  Pause  in  einander  übergehen.  Eine 
Caesur  ist  zwar  hier  vor  dem  Auftreten  des  Chors  wie  vor  jedem  Auf- 
treten von  Chor  oder  Personen  auch  anzunehmen,  und  als  Prolog  wird, 
was  jetzt  so  heißt,  dem  Dichter  und  seinem  Publikum  auch  gegolten  haben; 
aber  ein  Vorstück  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  ist  es  nicht  mehr, 
und  ich  erlaube  mir  daher,  für  diese  Fälle  das  AVort  Pseudo-Prolog  vor- 
zuschlagen. Das  frühste  Stück,  wo  diese  Form  gebraucht  wird,  ist  die 
Mecka.  wo  die  Amme  im  Prolog,  in  der  anapästischen  Einleitung  der 
Parodospartie  und  in  der  Chorparodos  zugegen  ist,  während  der  Pädagoge 
nach  dem  Prolog  abgeht.  Auch  der  P/ti/oktct  hat  eine  abgehende  Person 
in  Odysseus  und  eine  verbindende  in  Neoptolemos.  Sonst  kommt  der 
Pseudoprolog  abgesehen  vom  Ki/k/ops  nur  in  den  Fällen  vor,  wo  Kranke 
oder  um  Schutz  Flehende  oder  Angeflehte  ihren  anfänglichen  Platz  nicht 
verlassen  können,  also  in  Androniac/te.  Helena.  Herak/iden.  Herakles,  Euri- 
pideischen  Hikeliden.  Orest. 

Xur  im  Vorbeigehen  möge  hier  noch  bemerkt  sein,  daß  in  den 
Enn/eniden,  dem  PhUoktet  und  den  Eunpidehclieu  Herak/iden  der  Chor 
während  des  Prologs  von  Anfang  an  auf  dem  Schauplatz  ist.  Hier  be- 
deutet also  seine  Parodos  nicht  ein  Kommen,  sondern  ein  Eintreten  in 
die  Aktion.  Die  Besprechung  der  paar  nichtiambischen  Einlagen  in  den 
Prolog  ist  mit  dem  solcher  Einlagen  in  die  übrigen  iambischen  Teile  zu 
verbinden. 

Was  sollen  wir  nun  aus  dieser  Vielgestaltigkeit  machen?  Wenn 
wir  uns  auch  durch  das  Bewußtsein,  daß  wir  nur  einen  kleinen  Teil  des 
griechischen  Tragödienmaterials  kennen,  zur  Vorsicht  mahnen  lassen, 
se  werden  wir  doch  durch  die  vorliegenden  Tatsachen  auf  eines  unwill- 
kürlich gestoßen,  und  das  ist  der  große  Unterschied  zwischen  Sopho- 
kh'ischer  und  Euripideischer  Art.     Sophokles  hat  vor   allem    keine  Pro- 


—     123     — 

loge,  die  nur  aus  einer  Rede  bestehen,  Euripides  hat  deren  fünf;  So- 
phokles hat  einen  einzigen  Pseudoprolog,  Euripides  acht.  Sophokles  hat 
außer  in  den  Trachinierinnen  nirgends  die  Folge  von  Rede  und  Dialog, 
Euripides  verwendet  sie  in  der  Alkestis,  der  Aulischen  Iphigenie,  den 
Troades  und  in  sechs  von  seinen  acht  Pseudoprologen.  Dafür  sind  die 
Sophokleischen  Prologe  in  sechs  Fällen  rein  dialogisch,  was  die  Euri- 
pideischen  nie  sind;  denn  ohne  Rede  tut  es  Euripides  gar  nie. 

Greifen  wir  aber  darauf  auf  Aeschylus  mit  der  Erwartung  zurück, 
daß  dieser  uns  die  Altertümlichkeit  der  Sophokleischen  Form  bestätigen 
werde,  so  finden  wir  die  rein  dialogische  Gestaltung  des  Prologs  nur  im 
Prometheus.  Agamemnon  und  Choephoren  haben  die  bloße  Rede,  die 
Septem  Rede  und  Dialog,  die  Eumeniden  sogar  den  Doppelprolog.  Ich 
möchte  daraus  folgendes  schließen: 

Nachdem  Aeschylus  einmal  die  prologlose  Form  aufgegeben  hatte, 
kamen  er  und  seine  Zeit  auf  die  verschiedensten  Formen  ;  möglicherweise 
ist  es  sogar  bloßer  Zufall,  daß  sich  in  den  erhaltenen  Stücken  nicht  auch 
ein  Pseudoprolog  findet.  Aber  es  ist  zu  beachten  :  Die  Reden  im  Aga- 
memnon und  den  Choephoren  sind  erstens  kurz  und  zweitens  Selbstge- 
spräche von  durchaus  dramatischem,  nicht  epischem  Charakter;  durchaus 
dramatisch  ist  auch  die  Einleitung  der  Eumeniden,  denn  mit  dem  Gebet 
tut  die  Pythias,  was  ihres  Amtes  ist,  und  nachher  gibt  sie  ihrem  natür- 
lichen Entsetzen  über  das  im  Tempel  Geschaute  xlusdruck,  und  in  den 
Septem  mag  man  es  ja  steif  finden,  daß  zwei  Reden  den  Anfang  machen, 
auf  die  der  Sprechende  keine  Antwort  erhält;  aber  dramatisch  sind  des- 
wegen die  Worte  des  Eteokles  an  die  Käofiov  jio?Jtcu,  der  Botenbericht 
und  das  Gebet  des  Helden  doch  durchaus.  Nirgends  findet  sich  in  den 
Aeschyleischen  Prologen  etwas  Müßiges,  etwas,  das  die  Sprechenden 
nicht  gemäß  ihrem  Charakter  und  der  Situation,  sondern  nur  zur  Infor- 
mation des  Publikums  sagten. 

Daß  es  so  ist,  ist  nicht  ganz  allein  das  Verdienst  des  Dichters,  sondern 
hier  fällt  auch  ins  Gewicht,  daß  er  noch  die  durch  den  Inhalt  verbundene 
Trilogie  hatte,  also  für  das  zweite  und  dritte  Stück  kein  oder  wenigstens 
kein  starkes  Rückgreifen  auf  die  Vergangenheit  brauchte.  Das  wurde 
mit  den  ÔQÙfia  tiqoç  ÔQÙua  dyon'i'^ead-cu  anders.  Die  Einzeltragödie  rief 
einer  viel  tiefern  und  eingehendem  Motivierung,  und  in  dieser  ist  nun 
der  Meister  Sophokles.  Er  verwandte  den  Prolog  als  einleitende  Szene 
und  nutzte  dabei  (wie  übrigens  schon  Aeschybis  im  Agamemnon)  wenigstens 
in  Aias,  Oedipus,  Antigone  und  Trachinierinnen  die  Möglichkeit  der 
zeitlichen  Trennung  zwischen  ihm  und  der  Parodospartie  damit  aus, 
daß  er  zeitlich  bis  um  einen  Teil  der  Nacht  Vorausliegendes  in  die 
Stücke  zog.  Auch  er  läßt  im  Prolog  nie  etwas  erzählen,  das  der  Spre- 
chende nicht  erzählen  müßte.   Es  hat  speziell  der  ganzen  Oberflächlichkeit 


_     124     — 

bedurft,  womit  die  Trachinierinnen  bedacht  werden,  wenn  man  in  Deia- 
niras  Anfangsrede  einen  Euripideischen  Prolog  sah.  Wenn  man  einiger- 
maßen beachtet,  mit  welcher  Weisheit  die  dem  Stücke  zu  Grunde  liegende 
Vergangenheit  auf  Deianira  hier  und  in  der  Szene  der  Gewandübergabe, 
auf  den  nicht  lügenden  Boten,  auf  Lichas  und  auf  Herakles  selbst  ver- 
teilt ist,  und  wie  alles  gerade  an  der  Stelle  angebracht  ist,  wo  es  frucht- 
bar wirken  kann,  wenn  man  ferner  beachtet,  wie  der  gemeinen  Wirklich- 
keit zu  Trotz  Deianira  bei  ihrer  Rede  nicht  einmal  von  der  Belagerung 
(^echahas  etwas  weiß,  so  muß  man  einsehen,  daß  man  es  mit  dem  Gegen- 
teil der  Euripideischen  Art  zu  tun  hat.  Allerdings  beginnt  das  Stück 
mit  einer  Rede;  diese  ist  aber  nicht  an  das  Publikum  gerichtet,  sondern 
ein  Selbstgespräch,  gehalten  in  Gegenwart  der  Dienerinnen,  die  es  hören 
dürfen,  gerade  wie  sie  nach  49 f  ähnliche  .Tai'ôuxQvra  ôôvç^uaTa  schon 
oft  gehört  haben.  In  der  Realität  hätte  die  Klage  der  Heldin  freilich 
eine  andere  Form  ;  an  diese  bindet  sich  aber  der  Dichter  verständiger 
Weise  nicht,  sondern  der  Meister  der  Abbreviatur  zieht  Getrenntes  und 
Zerstreutes  zusammen,  wo  er  statt  mit  vielen  das  gleiche  mit  wenigen 
AVorten  sagen  kann. 

Von  der  Sophokleischen  Kunst  des  Exponierens  hat  nun  Euripides 
wenig  angenommen.  Dafür  hat  er  bekanntlich  die  undramatische  Form 
der  Erzählung  dessen,  was  dem  Stück  als  Vergangenheit  zu  Grunde 
liegt,  bisweilen  auch  dessen,  was  das  Publikum  noch  zu  schauen  bekommen 
wird  und  in  den  Troades  sogar  —  was  ich  mit  dem  Plane  eines  Cyklus 
von  Troischen  Stücken  erklären  möchte^)  — ,  dessen,  was  noch  später 
kommen  wird.  Freilich  dient  die  Anfangsrede  diesem  Zweck  nicht  aus- 
nahmslos: die  Ammenrede  in  der  Medea,  Aethras-Rede  in  den  Hiketiden 
sind  so  berechtigt  als  die  Rede  Deianiras.  Im  ganzen  aber  sind  diese 
Prologe  dramatisch  vom  Übel,  und  entschuldigt  kann  der  Dichter  ihret- 
wegen nur  dadurch  werden,  daß  das  Stück  auch  ohne  sie  fast  oder  ganz 
verständlich  wäre.-)  Daß  er  übrigens  zeitweise  selbst  das  Gefühl  hatte, 
er  sollte  es  anders  machen,  das  beweist  außer  den  genannten  guten 
Reden  der  im  Iphigenienkonzepte  und  jedenfalls  auch  in  der  Andromeda 
gemachte  Versuch,  die  Rede  durch  einen  rorangehenden  Dialog  zu  moti- 
vieren. —  Eine  glückliche  Neuerung,  insofern  sie  der  Geschlossenheit 
der  Handlung  zugute  kommt,  ist  der  doch  wahrscheinlich  von  Euripides 
aufgel)rachte  Pseudoprolog,  den  auch  Sophokles  im  Philoktet  acceptiert  hat. 


')  Vergl.  meine  oben  S.  120  angeführte  Abhandlung  S.  47 ff. 

■-)  Ich  sage  dies  ausdrücklich  auch  vom  Hippolytos.  Wie  viel  besser  als  durch 
die  Aphroditerede  hat  Sophokles  die  Macht  der  Göttin  durch  das  erste  Stasimon  der 
Trachinierinnen  den  Hoereru  zu  Gemüte  gefülirt.  Ohne  es  zu  wollen  ist  dies  herrliche 
Lied  für  uns  die  Kritik  des  Euripides. 


—     125     — 

II.   Die  Zwischengesäng-e. 

Die  Zwischengesänge  haben,  wie  schon  S.  2  gesagt,  den  Zweck, 
Pausen  der  Bühnenhandlung  auszufüllen,  die  dadurch  entstehen,  daß 
eine  folgende  Szene  wegen  irgend  eines  Hindernisses  nicht  unmittelbar 
nach  der  vorhergehenden  eintretend  gedacht  werden  kann.  Damit  soll 
nicht  etwa  gesagt  sein,  daß  nicht  auch  andere  Tragödienteile  die  Zeit 
ausfüllen  hönnen,  die  eine  jenseits  des  Schauplatzes  vorgehende  Handlung 
für  sich  braucht.  Aber  w-ährend  dieses  verhältnismäßig  selten  vorkommt, 
ist  es  beim  Zwischengesang  ausnahmslos  der  Fall,  und  während  jene 
andern  Tragödienteile  annähernd  immer  die  gleiche  Zeit  einnehmen, 
welche  die  Nebenhandlung  in  Wirklichkeit  einnehmen  würde,  kann  auch 
der  kurze  Zwischeugesang  sich  symbolisch  mit  einer  Handlung  von  sehr 
langer  Dauer  decken.  Mit  diesen  Ijiedern,  die  die  einzelnen  Szenen  zu- 
gleich trennen  und  verbinden,  wird  also  eine  ideale  Zeiteinheit  für  alles 
hergestellt,  was  zwischen  dem  ersten  Verse  der  Parodospartie,  ja,  wo 
nach  dem  Prolog  keine  stärkere  Pause  ist,  für  alles,  was  zwischen  dem 
ersten  Verse  des  Stückes  überhaupt  und  dem  letzten  der  Exodor,  liegt. 
Sie  fehlen  nur,  wo  der  Chor  innerhalb  des  Stückes  abgetreten  ist. 

An  sie  knüpfen  sich  nun  viele  Fragen,     "Wir  betrachten 

7.  die  Hindernisse, 

die    einem   ununterbrochenen    Fortgang    der    Handlung    entgegenstehen. 
Diese  sind  negativer  und  positiver  Art.  Ich  unterscheide  folgende  vier  Fälle: 

a)  Wie  nach  S.  121  f.  zwischen  Prolog  und  Parodospartie,  so  muß 
auch  zwischen  spätem  Szenen  durch  ein  Pausieren  der  Handlung  der 
störende  Eindruck  vermieden  werden,  als  wäre  es  bloßer  Zufall,  wenn 
Personen  sich  nicht  treffen,  die  sich  unmöglich  begegnen  dürfen.  Diesen 
Eindruck  hätte  man  z.  B.,  wenn  in  der  Sophokleischen  Elektra  Klytaem- 
nestra  unmittelbar  nach  dem  ersten  Abgange  der  Chrysothemis  (471) 
aufträte.  Darum  das  Stasimon  472/515.  Ebenso  1058/97  (Chrysothemis  — 
Orest),  Rhesos  224/63  (Dolon  —  der  Hirte),  Iph.  Aul.  751,800  (Aga- 
memnon -    Achill),  Med.  627/62  (Jason  —  AegeusJ. 

b)  Die  Szenen  dürfen  sich  überhaupt  nicht  jagen.  Dem  Helden  mirß 
nach  einer  bewegten  Szene  Zeit  gelassen  werden,  Atem  zu  schöpfen  und 
sich  ihrem  Eindruck  hinzugeben.  Dies  ist  speziell  in  drei  Stücken  der 
Fall,  die  durch  eine  immer  oder  fast  immer  auf  dem  Schauplatze  bleibende 
Hauptperson  zusammengehalten  werden,  im  Prometheus,  der  397  435 
zwischen  seinem  Gespräch  mit  Okeanos  und  seiner  mächtigen  Rede  an 
den  Chor,  526/60  zwischen  dem  folgenden  Gespräch  und  dem  Jodialog 
und  887/906  zwischen  diesem  und  der  Exodos  Pausen  haben  muß.  ebenso 


—     126     — 

in  der  Medea  410  45  zwischen  der  Rede  yMxojg  jiÈTiQay.Tai  und  der  fol- 
genden Jasonszene  und  in  den  Troades  511/67  zwischen  Hekabes  Jammer- 
rede und  der  Andromacheszene,  799/859  zwischen  dieser  und  der  Mene- 
laosszene,  1060/1117  zwischen  dieser  und  der  Szene  mit  dem  toten  Kinde. 

c)  Durch  einen  Zwischengesang  wird  auch  der  Vorsprung,  den  ein 
Vorauseilender  vor  dem  später  Nachkommenden  hat,  markiert.  So  könnte 
z.  B,  der  vorhin  unter  a  angeführte,  El.  Soph.  1058/97,  auch  damit  be- 
gründet werden,  daß  nach  der  gegebenen  Fiktion  der  mit  dem  ehernen 
Aschenkruge  von  Strophios  abgesandte  Bote  erst  um  eine  sehr  geraume 
Zeit  später  in  Mykene  ankommen  könnte,  als  der  von  Phanoteus  mit 
der  Freudenbotschaft  natürlich  eilig  herbeikommende  erste  Bote,  und 
daß  diese  Zeitdifferenz  durch  die  Dialoge  660/1057  nicht  genügend  ge- 
deckt erschien.  Wem  dies  aber  zu  künstlich  vorkommt,  der  beachte,  wie 
im  Agamemnon  das  Lied  681/782  die  Heroldszene  von  der  Szene  des 
nachkommenden  Agamemnon  scheidet,  und  vergleiche  damit  Bhesos  342/97 
(Hirtenszene  —  Bhesos),  Trach.  205  21  (Bote  —  Lichas),  Bakch.  1153/64 
(Bote  —  Agaue),  Elektra  Eur.  859/79  (Bote  —  Orest),  Heraklid.  892/927 
(Diener  —  Eurystheus),  Jon  1229/43  (Diener  —  Kreusa  und  gleich 
darauf  Jon).  Im  Konzept  der  Aulischen  Iphigenie  tritt  zwischen  die  441 
schließende  Botenszene  und  die  590  beginnende  Szene  mit  Klystaemnestras 
Ankunft  vor  dem  Liede  543/89  noch  eine  Szene  der  beiden  Atriden; 
man  hat  sich  aber  nach  420  ô\  hier  auch  eine  recht  lange  Zwischenzeit 
zu  denken  ;  denn  der  Bote  bricht  auf,  als  die  Frauen  sich  eben  zur 
Ruhe  niederlassen. 

dj  In  allen  übrigen  Fällen  kann  irgend  ein  sei  es  längere,  sei  es 
kürzere  Zeit  in  Anspruch  nehmender  Umstand  nachgewiesen  werden, 
der  seinen  Platz  in  der  durch  den  Zwischengesang  gedeckten  Zeitlücke 
hat.  Es  werden  Mitteilungen  gemacht,  die  in  der  folgenden  Szene  voraus- 
gesetzt sind,  Personen  werden  angelogen  oder  sonst  bearbeitet,  hin  und 
wieder  muß  jemand  Gelegenheit  haben,  den  Hausgenossen  seine  Stimmung 
zu  zeigen  ;  wichtige  Vorbereitungen  werden  getroffen,  Kleider  gewechselt, 
Opfer,  Bestattungshandlungen  u.  dgl.  vollzogen,  Gänge  und  Reisen  ge- 
macht, Personen  und  »Sachen  empfangen  oder  fortgebracht,  politische 
Akte  ausgeführt,  Leute  gefangen  genommen  und  mißhandelt,  Kämpfe 
vorbereitet,  Schlachten  geschlagen,  eine  Flucht  versucht,  Mord,  Totschlag 
und  Selbstmord  vollbracht.  Auch  ein  längere  Zeit  dauernder  Zustand 
wie  der  Schlaf  oder  ein  motiviertes  Ausruhen  gehört  dahin.  Dies  möge 
aus  dem  folgenden  Verzeichnisse  hervorgehen,  in  dem  ich  der  Über- 
sichtlichkeit wegen  auch  die  unter  abc  genannten  Fälle  nochmals  an- 
führe. Zum  voraus  sei  nur  noch  /iarauf  aufmerksam  gemacht,  daß  es 
sich  hier  nicht  bloß  um  Stasima,  sondern  um  Zwischengesänge  über- 
haupt, auch  um  solche  einzelner  Choreuten  handelt. 


—     127     — 

Aeschylus  Promefhefis.  397/435,  526/60,  887/906.  Siehe  b. 
Septem.  287  368.  Eteokles  stellt  seine  Scharen  auf. 

720/91.  Der  Kampf  findet  statt. 

832/960.  Die  Probulen  fassen  den  Beschluß  wegen  der  Toten. 
Perser.  548/97.  Atossa  holt  die  Grabspenden  (524  f.  609). 

633/80.  Sie  bringt  die  Grabspenden  dar  (619  tf.). 

852/908.  Sie  holt  Gewänder  und  bringt  sie  Xerxes  entgegen  (849  tf.). 
Hikeüden.  419/37.  Der  König  besinnt  sich  (407.  419). 

524/99.   Die  Volksversammlung  findet  statt  (517  ff.  600  f). 

630/709.  Danaos  hält  auf  der  Warte  Wache  (713  ff.). 

776/835.  Danaos  holt  den  König  (774).   Mit  der  Zwischenzeit  deckt 
sich  hier  auch  noch  die  Heroldszene  (836/910). 
Agamemnon.  367/488.  Agamemnons  Rückfahrt. 

681/782.  Siehe  c. 

975/1034.  Nach  dem  Eintreffen  des  Königspaares  wird  ein  Brand- 
opfer vorbereitet,  oder  es  vergeht  doch   so  viele  Zeit,    daß  dies 
fingiert  werden  kann.  (1055  f.) 
Choephoren.  585/652.  Orest  verkleidet  sich  als  Wanderer  (560  f.). 

783/837.  Aegisth  wird  von  der  Amme  geholt  (734  ff.  779  â\). 

935/72.  Klytffimnestra  wird  ermordet  (904  ff.  973  ff.). 
Enmeniden.  321/96.  Athena  kommt  vom  Skamander  nach  Athen  (897  ff'.). 

490/565.  Sie   wählt    und  versammelt   die    Richter  (487  ff.  570  ff.). 
Rhesosdichter.    -R/tesos.  224/63.  Siehe  a.    342/97.  Siehe  c. 
Sophokles.    Akts.  596/645.  Aias  begiebt  sich  in  seine  Rüstung. 

693/718.  Er  entfernt  sich  zu  weit,  um  zurückgerufen  werden  zu  können. 

1185/1222.  Teukros  sucht  eine  Stelle  für  die  Bestattung. 
Elektro.  472/515.  Siehe  a.   1058/97.  Siehe  a  und  c. 

1384/97.  Klytaemnestra  empfängt  Orest  und  Pylades  und  schmückt 
den  Aschenkrug  (1400  f.). 
Oedipus.  463/512.  Kreon  erfahrt  den  Verdacht  des  Oedipus  (513  ff\). 

863/910.  Oedipus  zeigt  im  Palaste  seine  Unruhe  (914  ff.). 

1086/1109.  Jokastes  Verzweiflung. 

1186/1222.  Katastrophe  des  Oedipus. 
Oedipus  aufKolonos.  668/719.  Theseus  bringt  Poseidon  ein  Opfer  dar  (886). 

1044/95.  Er  jagt  den  Thebanern  die  Töchter  des  Oedipus  ab. 

1211/48.  Polyneikes  wird  vom  Poseidonaltar  herbeigeholt. 

1556/78.  Oedipus  tut  seinen  letzten  Gang. 
Antigone.  332/83.  Rückkehr  des  Wächters  zur  Leiche.  Antigone  wieder- 
holt ihre  Tat  und  wird  vor  Kreon  gebracht. 

582/630.   Hämon    macht  Beobachtungen    über    den    Eindruck    von 
Antigones  Behandlung  bei  der  Bürgerschaft  (692  ff".). 

781/800.  Antigone  wird  durch  die  Knechte  herbeigeführt  (760  f.). 


—     128     — 

944/987.  Tiresias  erhält  Bericht  von    ihrer  Verurteilung   und   läßt 
sich  zu  Kreon  führen  (1069  f.). 

1115/52.  Die  Katastrophe  Antigones  und  Hämons. 
Trachinknnnen.  205/21.  Siehe  c. 

497/530.  Deianira  rüstet  das  Nessosgewand. 

633/62.  Sie  macht  ihre  Beobachtung  an  der  Flocke.  Das  Gewand 
wird  überbracht  und  tut  seine  Wirkung.  Hyllos  kehrt  zurück. 

821/62.  Deianira  nimmt  sich  das  Leben. 

947/70.  Hyllos  geht  dem  Vater  entgegen  und  Iningt  ihn  her. 
P/tiloktet.  676/739.  Philoktet  und  Neoptolemos  holen  die  Habseligkeiten 
aus  der  Höhle  (645  f.). 

827/64.  Philoktet  schläft. 
Euripides  A/kestis.  213  37.   Die  Dienerin  meldet    dem  Königspaare,    daß 
der  Chor  mit  wohlwollender  Gesinnung  da  sei  (209  ff.).^) 

435/75.  Admet   und    seine  Leute    lassen   sich    scheren    und   ziehen 
Trauerkleider  an.  (425  ff.) 

568/605.  Admet  schmückt  die  Leiche  der  Alkestis  (607  ff.).  Herakles 
zecht. 

962/1005.    Herakles    siegt   über   Thanatos   und   kehrt  mit  Alkestis 
zurück. 
Audromache.  274/308.  Hermione  läßt  durch  Menelaos  den  Molossos  herbei- 
bringen (263  f.  309  f.). 

464/93.     Andromache    wird    ins    Haus     abgeführt     und    gefesselt 
(433  f.  501  f.). 

766/801.    Menelaos    verläßt    das    Land,    Hermione    gerät    in    Ver- 
zweiflung (732  ff.  804  ff.). 

1009/46.  Orest  und  Hermione  entfliehen.  Peleus  erfährt  es  (1047  0'.). 
Bakchen.  370/433.  Dionysos  wird  gefangen  (352  ff.  434  ff.). 

519/75.  Er  weilt  als  Gefangener  im  Pferdestall  (509). 

862/911.  Pentheus  wird  als  Weib  ausstaffiert  (857  ff.  914  f.). 

977/1023.  Seine  Katastrophe  findet  statt. 

1153/64.  Siehe  c. 
Hekahe.  444/83.  Polyxena  wird  geopfert. 

629/57.    Die    Dienerin   geht   nach   Wasser    (609),    findet   Polydors 
Leiche  und  kehrt  zurück. 

905/51.  Polyraestor  wird  aufgesucht  (889  ff.)  und  zu  Hekabe  gebracht. 

1023/34.  Er  wird  mit  List  entwaffnet  und  geblendet. 


')  Dieser  Gesang  soll  in  dieser  Abhandlung  als  Zwischengesang  angesehen  werden, 
wie  er  auch  bisher  als  Stasimon  galt.  Indes  soll  nicht  verschwiegen  sein,  daß  ich 
nicht  ganz  klar  darüber  bin,  ob  er  nicht  eher  die  Fortsetzung  der  Chorparodos  ist  wie 
Hik.  Eur.  271  85.  Dies  ließe  sich  mit  der  Kürze  der  Zwischenhandlungen  rechtfertigen, 
und  es  müßte  dann  im  folgenden  einiges  anders  gesagt  sein. 


—     129     — 

Hehna.  1107/64.  Helena  zieht  Trauerkleider  an  (1087  ff.). 

1801/68.     Theonoe    belügt    den    Bruder,    Menelaos    wappnet    sich, 

Theoklymenos  schafft  Opfertiere  herbei. 
1441/1511.  Der  Rettungsplan  wird  ausgeführt. 
Elektro.  432/86.   Der  Auturg  holt  den  alten  Diener. 
699/746.  Die  Überlistung  Aegisths  durch  Orest. 
747/50.  (Melische  Trimeter.)  Orest  findet  sich  mit  Aegisths  Knechten 

ab  ;  der  Bote  kommt  zu  Elektra  (844/58), 
859/879.  Siehe  c. 

1147/71.  Klytsemnestras  Ermordung. 
HerakUdeu.  353/80.    Das   athenische  Heer    rüstet    sich    und    erhält    die 
Sprüche  (389  ff.). 
608  29.  Makaria  wird  geopfert. 

748/83.  Die  Schlacht  mit  Eurystheus  wird  geschlagen. 
892/927.  Siehe  c. 
Herakles.  348/441.  Megara  und  die  Kinder  ziehen  Sterbekleider  an  (442  f.). 
637/700.  Herakles  begrüßt  die  Götter  des  Hauses  (606  ff.). 
735/59.  Er  tötet  den  Lykos. 
763/814.  Er  bereitet  das  Siegesopfer  vor. 
815/21.  Das  Nahen  der  Iiüs  und  Lyssa. 
875/886.  Der  Wahnsinn  beginnt. 
887/908.  Herakles  tötet  die  Kinder. 
1016/38.  Er  schläft. 
Hiketkkn.  365/80.  Theseus  befragt  das  Volk,  ob  es  helfen  wolle  (354  ff.). 
598  633.  Die  Schlacht  wird  geschlagen. 
778/93-  Adrast  geht  dem  Leichenzuge  entgegen  und  kehrt  mit  ihm 

zurück  (772  ff.   798). 
955/79,  Die  übrigen  Leichen  werden   fortgetragen   und  verbrannt, 
für  Kapaneus  ein  besonderes  Grab  errichtet  (934  ff.). 
Ilippolytos.  525/64,    Die   Amme    unterhandelt   mit   Hippolytos   und   läßt 
ihn  schwören. 
732  75,  Phaedra  nimmt  sich  das  Leben. 
1102,50.  Hippolytos  findet  seinen  Untergang. 
1268/82,  Der  Schwerverwundete  wird  herbeigebracht. 
Aidisc/te  Iplùgeiùe.  543/89,  Siehe  c.  751  80.  Siehe  a. 

1036/97.    Klytaemnestra   teilt   der  Tochter  das   ihr  Bevorstehende 

mit  (1100  ff.). 
1521/31.  Iphigenie  wird  geopfert  und  gerettet. 
Taurische  Iphtgenie.  392/455.  Orest  und  Pylades  werden  von  Thoas  herbei- 
geholt (334  f.  342). 
1089/1151,    Iphigenie   nimmt    das   Bild    von    seinem   Standort   weg 
(1044  f,   1157  f.). 


—     180      - 

1234  83.  Flucht  der  Geschwister,  Zurückhaltung  des  Schiffes,  der 
Bote  zu  Thoas. 
Jon.  452  509.    Xuthos  empfängt  im  Tempel  sein  Orakel. 

676/724.  Jon  errichtet  das  Prachtzelt  und  bereitet  das  Opfer  vor. 

1048/1105.    Der   Pädagoge   unternimmt    seinen   Mordversuch    und 
kommt  um. 

1229/43.  Siehe  c. 
Medea.  410/45.  Siehe  b  —  627/62.  Siehe  a. 

824  65.  Die  Dienerin  holt  Jason  herbei  (820). 

976/1001.    Die  Kinder  überbringen  den  Schmuck.     Der  Pädagoge 
kommt  zurück. 

1251,92.  Der  Kindermord. 
Oresi.  316  55.  Orest  giebt  sich  auf  Elektras  Mahnung  der  Ruhe  hin  (307  ff.). 

807/43.  Orests  Verteidigungsversuch  in  der  Volksversammlung. 

1353 '65.    Orest    und  Pylades    suchen    die    entschwundene   Helena 
(1490  ff.). 

1537  49.    Sie  rüsten  die  Feuerbrände.     Das  Gerücht  von  Helenas 
Verschwinden  verbreitet  sich  (1543  f.   1529  f.   1550). 
Troades.  511/67  —  799/859  —  1060  1117.  Siehe  b. 
Pliömssen.  638/89.  Kreon  hört  von  der  Verhandlung  der  Brüder  (703  f.). 

784/833.  Menoikeus  holt  Tiresias  herbei  (768  ff.). 

1019/66.    Menoikeus  stürzt  sich  von  der  Mauer.     Eteokles  ordnet 
die  Scharen.     Der  erste  Kampf, 

1284/1307.  Jokaste  eilt  auf's  Schlachtfeld  (1329).  Der  Bruderkampf 
und  Jokastes  Selbstmord. 
Kyklops.  356/74.  Der  Kyklop  verzehrt   in  der  Höhle   die  Genossen    des 
Odysseus. 

495/519.  Odysseus  macht  die  Stange  glühend  (455  ff.). 

608/23.  Der  Kyklop  schläft. 

656/662.  Er  wird  geblendet. 

Hieran  schHeßen  sich  noch  folgende  Bemerkungen  :  1 .  Selbstver- 
ständlich sind  unter  d  viele  Gesänge  angeführt,  die  es  auch  unter  a  und  b 
sein  könnten.  Auch  könnte  z.  B.  der  Gesang  Hik.  Eur.  778/93  unter  c 
angeführt  sein,  weil  er  zwischen  die  Botenszene  und  die  Szene  bei  dem 
angemeldeten  Leichenzuge  fallt.  Anderseits  sind  unter  a  und  b  auch 
Fälle  angeführt,  während  deren  eine  äußere  Handlung  nachweisbar  ist, 
nur  aber  eine  solche,  die  sich  nicht  bloß  mit  ehuni  Zwischengesange 
deckt,  sondern  mit  zweien  und  der  dazwischen  liegenden  Szene.  So  deckt 
sich  in  der  Aulischen  Iphigenie  die  Beratung  Agamemnons  mit  Kalchas 
(746  f.)  mit  der  ganzen  Partie  751/1097.  in  den  Troades  die  Weg- 
führung, Tötung  und  Rückschaffung  des  Astyanax  mit  der  ganzen  Partie 
798/1122. 


—     131     — 

2.  Überhaupt  ist  damit,  daß  der  Zwischengesang  meist  mit  Zwischen- 
handlungen zusammenfällt,  nicht  gesagt,  daß  dieses  äußere  Tun  sich  in 
seiner  Abgrenzung  immer  genau  mit  ihm  decken  müsse.  Antigenes  Selbst- 
mord mag  schon  zugleich  mit  1047,  als  Kreon  sich  gegen  Tiresias  starr- 
sinnig gezeigt  hat,  stattfinden.  Hyllos  wird  schon  bald  nach  Deianiras 
Selbstmord  dem  Vater  entgegen  aufgebrochen  sein,  so  daß  sein  Gehen 
und  Kommen  nicht  bloß  durch  947/70,  sondern  auch  durch  die  voran- 
gehende Ammenszene  gedeckt  ist;  Herakles  geht  in  der  Alkestis  schon 
vor  der  Epiparodos  zum  Grabe  ab  ;  sein  Gehen,  Kämpfen  und  Zurück- 
kommen deckt  sich  also  außer  mit  962/1005  mit  den  vorangehenden 
101  Versen  ;  in  der  Taurischen  Iphigenie  geht  der  Diener  schon  342, 
nicht  erst  392  ab,  um  die  Gefangenen  zu  holen.  Anderseits  zieht  sich 
im  Oedipus  Jokastes  Verzweiflung  noch  über  die  ganze  auf  1086  1109 
folgende  Szene  ;  denn  erst,  als  Oedipus  ins  Haus  stürmt,  hört  der 
Exangelos  auf  sie  zu  beobachten,  und  ebenso  erstreckt  sich  das  Poseidon- 
opfer des  Theseus  und  dessen  Rückkehr  im  Koloneus  von  668^719  noch 
bis  885.  In  der  Medea  setzt  das  Stasimon  976  1001  da  ein,  wo  die 
Kinder,  von  der  Verbannung  freigesprochen,  zur  Mutter  zurückkehren; 
was  sich  nachher  (nach  1157  1221)  bis  zur  Ankunft  des  Boten  begiebt, 
deckt  sich  mit  der  Szene  1002  80  und  der  langen  anapästischen  Partie 
(1081/1115).  Indes  man  beachte,  worauf  später  noch  zurückzukommen 
ist  :  Die  Katastrophe  Kreuses  und  Kreons  würde,  auch  ganz  realistisch 
genommen,  wenn  wir  uns  ihre  Qualen  nicht  besonders  lang  denken 
wollen,  nicht  viel  mehr  Zeit  erheischen  als  die  Deklamation  und  para- 
katalogische  Rezitation  dieser  beiden  Partien. 

Neben  den,  wenn  ich  recht  zähle,  125  Fällen,  da  ein  Hindernis 
des  Fortschreitens  der  Bühnenhandlung  durch  den  Zwischengesang  des 
Chors  gedeckt  wird,  giebt  es  nun  allerdings  auch  solche,  da  diese  Deckung 
nicht  vorhanden  ist.  Dies  sind  aber  ausschließlich  die,  wo  ein  Chor  nicht  zur 
Stelle  sein  kanu.  weil  er  während  des  Stückes  abgezogen  ist,  also  1.  die 
Pause  zwischen  der  delphischen  und  der  athenischen  Partie  der  Eumeniden 
(234),  2.  die  zwischen  der  Choraphodos  des  Rhesos  und  dem  Auftreten 
der  Feinde  (564)  und  3.  die  zwischen  dem  Abgang  Athènes  und  der  Chore- 
piparodos  (674),  4.  die  zwischen  der  Choraphodos  des  Aias  (814)  und  der 
letzten  Rede  des  Helden  und  5.  die  zwischen  dieser  Rede  und  der  Epiparodos 
des  Chors  (865),  6.  die  zwischen  der  Choraphodos  der  Alkestis  und  dem 
Auftreten  des  Dieners  (746),  7.  die  zwischen  dem  Abgang  des  Herakles 
und  der  Epiparodos  Admets  und  des  Chors  (860),  8.  die  zwischen  der 
Choraphodos  der  Helena  und  dem  Auftreten  des  Menelaos  (385)  und 
9.  die  zwischen  der  ersten  Menelaosszene  und  der  Chorepiparodos  (514). 
In    den   Eumeniden    und   im  ersten    der   beiden  Fälle   des  Aias   ist   die 


~     132     — 

Pause  durch  die  Ortsveränderung,  sonst  überall  dadurch  motiviert,  daß 
Personen  und  Chor  sich  noch  nicht  oder  nicht  mehr  treffen  dürfen;  daß 
ich  sie  mir  durch  Flötenspiel  ausgefüllt  denke,  ward  oben  (S.  122)  gesagt. 

2.  Die  Arten  des  Zwischengesanges. 

Wenn  von  mir  das  Wort  Stasimon  bisher  meist  fast  ängtlich  ist 
vermieden  worden,  so  ist  dies  nicht  aus  Purismus  geschehen,  sondern 
Aveil  ein  Name  nötig  war,  der  a/lc  pausenausfüllenden  Gesänge,  nicht  die 
Stasima  allein  bezeichnete.  Allerdings  wiegen  unter  den  Zwischeugesängen 
die  Stasima  stark  vor,  aber  auch  solche,  denen  man  diese  Namen  nicht 
beilegen  kann,  kommen  vor.  Auch  das  Stasimon  aber  hat  seine  Neben- 
gattungen, wie  im  folgenden  dargelegt  werden  möge. 

Was  ist  ein  Stasimon  '?  Die  Eumeniden  muntern  sich  am  Beginne 
der  einem  solchen  vorausgeschickten  Anapäste  (307)  mit  dem  Worte  auf 
äye  ô/j  -Aul  yoQov  äUicofisv.  Sie  werden  dies  während  des  Systems  be- 
sorgen und  stehen  erst  an  dessen  Schlüsse  als  ;ço^ôç,  d.  h.  in  Reigen- 
stellung für  den  folgenden  Gesang  da.  Noch  mehr  aber  sagt  uns  eine 
Stelle  des  Herakles  :  Das  Lied,  das  während  des  Lykosmordes.  von 
Jammergeschrei  unterbrochen,  gesungen  wird  (735/59),  ist  offenbar  nicht 
in  der  Reigenstellung  vorgetragen;  denn  erst  nachher  (761)  heißt  es 
TiQÖg  x^Qovç  TQajiùjfied^a.  Und  am  Schlüsse  (815/21),  nachdem  die  beiden 
Syzygien  gesungen  sind,  ist  es  beim  Auseinanderstieben  des  Chores  mit 
der  Reigenstellung  natürlich  auch  nichts  mehr.  Ein  äußeres  Geschehen 
deckt  sich  nun  hier,  wie  wir  gesehen,  auch  freilich  mit  dem  Anfang 
und  dem  Schlüsse  ;  den  Namen  Stasimon  aber  kann  man  doch  nur  der  ]Mitte 
geben,  wo  der  Chor  seinen  antistrophierenden  Gesang  in  Reigenstellung 
singt.  Sollte  es  bei  dieser  Bedeutung  der  Reigenstelluug  nicht  das 
Natürlichste  sein,  den  Namen  o%doi(iov  {(léXog)  von  der  gtuoic,  eig  x^Q^^y 
herzuleiten  und  als  das  Lied  des  zur  Reigenstellung  angetretenen  Chors 
zu  erklären  ?  x^Q'^^^^  konnte  man  dafür  ja  nicht  sagen,  weil  dieses 
Wort  jede  melische  Äußerung  der  sämtlichen  oder  einzelnen  Choreuten 
bezeichnete. 

Mag  aber  der  Name  zu  erklären  sein,  wie  er  will,  sicher  ist,  daß 
fil/e  antistrophierenden  Chorgesänge  als  Stasima  zu  gelten  haben,  und 
die  Frage  ist  bloß,  ob  dies  /////•  mit  solchen  der  Fall  sei  oder  ob  es 
auch  Stasima  in  monoslrophischer  Form  gebe.  Ich  möchte  mich  für 
letzteres  entscheiden  und  zwar  im  Hinblick  auf  die  beiden  Nebengattungen 
des  Stasimons,  a)  das  Hyporchem  und  b)  das  kurze  Stasimon  der  ge- 
spannten Erwartung. 

a)  f)(fs  /h/porr/tem  darf  vom  Stasimon  ja  nicht  auf  das  Scholion  zu 
Tracb.  216  hin  getrennt  werden;  denn  der  Grammatiker,  der  schrieb  tô 


I 


—     133     — 

fiEÀiôâçiov  oï/y.  è'ari  axdaijLiov,  «//'  vnô  tfjç  fjôovfic,  oQyovvxai,  ging 
jedenfalls  von  der  sicher  falschen  Erklärung  aus,  daß  otûgiihov  ein  Lied 
sei,  das  der  Chor  stehend  singe.  Es  war  ein  Reigenlied,  zu  dem  natürlich 
wie  zu  den  andern  angetreten  werden  mußte,  und  unterschied  sich  von 
diesen  hauptsächlich  durch  die  raschere  Bewegung  der  Tanzenden  und 
dadurch,  daß  ein  Schauspieler  in  den  Reigen  hineingezogen  werden 
konnte,  wie  denn  der  Chor  an  die  Euripideische  Elektra  i,859)  die  Ein- 
ladung richtet:  d-kg  ek  Xoqov,  oj  (fi?.a,  r/voc..  Ich  glaube,  den  Hyporchemen 
auch  das  gewiß  von  sehr  ausdrucksvoller  Bewegung  begleitete  Baukalema 
des  Philoktet  sowie  den  Komos  des  Kyklops  anreihen  zu  dürfen  und 
komme  damit  auf  folgende  Formen  :  a)  Das  Hyporchem  besteht  aus 
einer  gewöhnlichen  Syzygie  :  Hiefür  ist  das  einzige  sichere  Beispiel 
Aias  693/718.  b)  Zwischen  eine  Strophe  des  Chors  und  ihre  Antistrophe 
tritt  eine  vom  Schauspieler  gesungene  Mittelpartie  und  zwar  im  Baukalema 
der  Philoktet  (827/64)  die  vier  Hexameter  des  Neoptolemos,  in  der 
Euripideischen  Elektra  (859/79)  die  sieben  (865)  als  -/M/Mvr/.oz  cbôd  be- 
zeichneten und  demnach  jedenfalls  melisch  vorgetragenen  Trimeter  der 
Heldin  und  im  Komos  (Kykl.  495/518)  eine  metrisch  mit  dem  Strophen- 
paare sich  deckende  Strophe  des  trunkenen  Kyklopen.  c)  Das  Hyporchem 
ist  monostrophisch.  So  Trach.  205,24,  wo  das  Liedchen  des  Chors  von 
zwei  kurzen  Gesängen  einzelner  Choreuten  umgeben  ist,  und  das  kurze, 
mit  àvayoQEvooj^iEv  Bccx/iov  anhebende  Jubellied  Bakch.  1153/64. 
Zwischengesänge  sind  diese  unstrophischen  Partien  sicher.  Warum  sollten 
sie  nicht  auch  Stasima  sein,  zumal,  wenn  meine  Erklärung  des  Wortes 
richtig  ist  ? 

b)  Monostrophisch  sind  auch  einige  der  Lieder,  die  ich  als  /iurzc 
Stasima  der  gespannten  Enrartnnf/  bezeichnen  möchte,  nämlich  das  (sicher 
vollständige)  Lied  auf  Kypris  Hipp.  1268/82  und  der  Piean  Iph.  Aul. 
1521/31,  wozu  man  noch  die  vollstimmigen  Gesänge  Kykl.  356/74  und 
608/23  ziehen  möge.  Diese  kurzen  Gesänge  linden  sich,  wie  die  Hyporcheme, 
auf  die  hier  zurückzukommen  ist,  niemals  bei  Aeschylus,  sind  aber  bei 
Sophokles  und  Euripides  nicht  selten.  Sie  haben  mit  den  Hyporchemen, 
abgesehen  davon,  daß  sie  eine  Zwischenzeit  decken,  den  Zweck  gemein, 
durch  kurzes  Retardieren  die  Spannung  auf  ein  Bevorstehendes  aufs 
stärkste  zu  steigern  und  finden  sich  also  da  ein,  wo  etwas  besonderes, 
zumal  die  das  Stück  entscheidende  Wendung  oder  auch  das  Auftreten 
einer  wichtigen  Person  erwartet  wird,  also,  um  die  Hyporcheme  und  die 
andern  bereits  zitierten  Stellen  einzuschließen,  da,  wo  nach  dem  Weg- 
gange des  Aias  eine  glückliche  Lösung  erwartet  wird  und  nach  dem  Ab- 
gang des  Hämon(Ant.  78 1/800)  die  unglückliche,  nach  dem  desKoloneischen 
Oedipus  (1556/78)  die  Todesnachricht,  nach  dem  Makarias  (Heraklid. 
608/29)   die    von   der    bevorstehenden  Hilfe,    nach    dem  Jokastes  (Phöii- 


—      134     — 

1283/1306)  die  vom  Ausgange  des  Bruderkampfes.  Angemeldete  Kommende 
werden  erwartet  während  der  Hyporcheme  der  Trachinierinnen  (Lichas). 
der  Bakchen  (Agaue)  und  der  Euripideischen  Elektra  (Orest)  und  während 
der  Lieder  Oed.  1086  1109  (der  Hirte),  Hik.  Eur.  778/93  (der  Zug  der 
Leichen);  auch  Alk.  213 '37,  wo  das  Hervortreten  des  Königspaares  mit 
Spannung  erwartet  wird,  mag  hieher  gehören  und  ebenso  trotz  zwei 
Syzygien  Trach.  947/70,  w-o  das  Erscheinen  des  Herakles  bevorsteht; 
denn  die  kurze  erste  Syzygie  dürfte  von  Einzelsängern  vorgetragen  sein. 
Während  des  letzten  Stasimons  des  Hippolytos  steht  die  Schlußw'endung 
des  Stücks  bevor  und  ebenso  während  des  letzten  der  Aulischen  Iphigenie. 
Im  Orest,  wo  —  für  das  Stasimon  singulär  —  Strophe  und  Antistrophe 
getrennt  erscheinen,  ist  man  dort  (1353/65)  auf  den  Ausgang  des  Mord- 
anschlags gegen  Helena,  hier  (1537/49)  auf  den  Angriff  des  Menelaos 
und  dessen  Erfolg  gespannt  und  an  der  ersten  erwähnten  Stelle  des 
Kyklops  auf  das  Schicksal  der  in  die  Höhle  eingetretenen  Odysseus- 
leute,  an  der  zweiten  auf  das  des  ebendahin  abgegangenen  Kyklopen  ; 
auch  während  des  Komos  herrscht  Spannung  auf  die  Wirkung  der  von 
Odysseus  angekündeten  List.  Endlich  gehören  hieher  die  drei  Syzygien, 
die  einer  durch  "Weherufe  aus  dem  Innern  verkündeten  Mordtat  un- 
mittelbar vorangehen:  El.  Soph.  1384/97,  El.  Eur.  1147/62,  Med.  1251/70. 
Es  ist  zu  beachten,  daß  der  Mord  selbst  sich  hier  nie  mit  dem  Strophen- 
paar deckt,  sondern  daß  der  Schrei  bei  Sophokles  in  dem  folgenden 
Kommos,  bei  Euripides  in  der  Epodos  gehört  wird.  —  Nicht  in  einen 
Moment  besonderer  Spannung  fällt  allein  das  Baukalema  des  Philoktet. 
Allen  unter  dem  Namen  der  Stasima  zusammenzufassenden  Zwischen- 
liedern stehen  nun  aber  eine  Anzahl  von  solchen  der  Responsion  ent- 
behrenden Liedern  gegenüber,  für  die  ein  Antreten  zur  Reigenstellung 
nicht  nötig  ist,  weil  sie  größtenteils  nicht  vom  Gesamtchore,  sondern 
von  einzelnen  Choreuten  vorgetragen  werden.  Es  sind  dies  hauptsächlich 
die  oft  von  Wehrufen  eingeleiteten  oder  von  Wehrufen  unterbrochenen 
Lieder,  die  während  einer  im  Innern  des  Hauses  stattfindenden  Mord- 
oder Gewalttat  gesungen  werden  und  also,  weil  sie  sich  mit  einer  äußern 
Handlung  decken,  immerhin  als  Zwischenlieder  zu  bezeichnen  sind.  Hieher 
gehören  Hekabe  1024/34  (Polymestors  Blendung),  Herakles  735/62  (Lykos' 
Ermordung)  und  875/908  (Mord  der  Kinder,  wie  Wilamowitz  mit  Recht 
annimmt,  mit  mehrfachen  kurzen  Unterbrechungen  durch  Amphitryon), 
Kyklops  656/662  (Blendung  Polyphems).  Dazu  gehört  noch  das  Lied 
des  geängsteten  Chors  im  Jon  (1229  43)  und  das  Klagelied  des  Chors 
vor  Amphitryons  Hervortreten  Her.  1016/38.  Auch  zwei  ganz  kurze 
Partien,  die  einem  vorangehenden  Stasimon  angehängt  sind,  müssen  hier 
genannt  sein:  El.  747/50  und  Her.  815  21.  Beide  Male  unterbricht  der 
Vertreter  des  Chors  infolge  eines  überwältigenden  Eindrucks  den  Gesang 


—     135     — 

mit  einem  Ausruf  der  Verwunderung,  um  darauf  zu  Triraetem  über- 
zugehen. Dali  diese  melisch  sind,  dafür  spricht  im  Herakles  der  Abschluß 
durch  andere  Metra,  in  der  Elektra  der  Umstand,  daß  sie  sich  mit  einer 
langen  äußern  Handlung  decken,  wie  dies  sonst  nur  bei  Zwischengesängen 
der  Fall  ist,  und  daß  der  wie  eine  vEQxéqa  ßgovri]  âiôg  erklingende 
Schall  und  die  ovx  uat]fia  Tcvevfiata  eine  den  Vortrag  begleitende 
Instrumentalmusik  gewesen  sein  müssen. 

Warum  aber  habe  ich  gesagt,  diese  Vorträge  entbehrten  der 
Responsion,  während  man  sich  doch  so  viele  Mühe  giebt,  gerade  den 
des  Lykosmordes  in  Strophe  und  Autistrophe  zu  zerlegen  ?  Ich  bitte, 
einmal  alle  Stellen  anzusehen,  an  denen  aus  dem  Innern  eines  Raumes 
Wehrufe  erschallen.  Bei  Aeschylus  finden  sie  sich  Agam.  1343/7  und 
Choeph.  869/874  als  kurze  Kommoi,  bei  denen  von  Responsion  keine  Rede 
ist.  Nahe  verwandt  mit  dem  Agamemnonkommos  durch  die  Mischung 
von  Trochäen  mit  andern  Metren  ist  der  AVagenlenkerkommos  des 
Rhesos  728/32,  der  auch  nichts  von  Responsion  hat;  in  der  Sophokleischen 
Elektra  kommen  sie  im  ersten  von  zwei  der  Überlieferung  nach  nicht 
respondierenden  Teilen  eines  Kommos  (1404/21,  1428/41)  vor,  auch  im 
Orest  (1286/1310)  in  der  mit  nichts  respondierenden  Epode  eines  Kommos  ; 
in  der  Euripideischen  Elektra  (1163/71)  und  in  der  Medea  (1271/92), 
wie  Avir  sahen,  erst  in  der  Epode  des  Stasimons,  in  nicht  antistrophierend 
überlieferten  Gesängen  im  Herakles  (735/62  und  875/908);  in  der  Hekabe 
(1024/38)  und  im  Kyklops  (656/665)  kommen  sie  überhaupt  erst  hinter 
der  gesungenen  Partie.  Ich  will  nun  nicht  bestreiten,  daß  sich  im  Liede 
des  Lykosmordes  und  im  Kommos  der  Sophokleischen  Elektra  innerhalb 
dieser  nicht  respondierenden  Teile  metrische  Motive  in  einer  Weise 
wiederholen,  wobei  der  Zufall  ausgeschlossen  ist;  aber  der  Umstand,  daß 
die  Überlieferung  die  roUsfändir/c  Responsion  in  diesen  Partien  gar  nirgends 
bietet  und  daß  sie  von  Wilamowitz  nur  vermittelst  der  Annahme  her- 
gestellt werden  kann,  die  unterbrechenden  Verse  seien  unberücksichtigt 
zu  lassen  und  so  unschuldige  Stellen  wie  El.  Soph.  1412  odö'  ô  yei'i'fjGag 
naT-ÉQ  und  Her.  760  seien  zu  tilgen,  während  Kaibel  in  der  Elektra 
für  die  bekannten  Lücken  eintritt,')  empfiehlt  mir  das  Festhalten  an 
der  Übersieferung  an  diesen  beiden  Stellen  wie  auch  in  der  Medea  aufs 
stärkste.  Und  warum  sollte  denn  auch  bei  diesen  höchst  bewegten 
Szenen  eine  Störung  der  Responsion  niclit  bewußter  künstlerischer  Ali- 

1)  Eine  Lücke  ist  hier  allerdings  nicht  zu  bestreiten,  aber  gerade  sie  spricht  für 
ein  lokales  Abirren  des  Schreibers  und  nicht  für  eine  stärkere  Textesentstellung.  In 
1431  steht  das  ècp  fjfilv  in  der  Luft  und  die  darauf  folgenden  "Worte  könnten  ebenso 
leicht  den  Schluß  des  folgenden  Verses  bilden.  Man  könnte  Orest  fragen  lasseu 
elaoQÙTé  tiov  tov  ävOQ'  écp'  f^fùp  <ioù  ôoy.iô  ÀV7toi\u£vov^,  worauf  Elektra  bestätigend 
einfiele  :  ;fop£t  yeyrjd'ùjç  ol'toç  èy.  n^Qoaavi'ov. 


—     136     — 

sieht  entspringen,  die  gerade  um  so  stärker  zu  Tage  tritt,  wenn  die 
strenge  metrische  "Wiederholung  sonst  nicht  überall  gesprengt  ist  ? 
Übergangen  möge  hier  alles  Metrische  werden,  und  für  die  Verteilung 
antistrophierender  Stasima  auf  mehrere  Einzelsänger  verweise  ich  auf 
Arnoldt. 

3.  Die  Verbindung  des  Ztuisciiengesangs  mit  l/orhergehendem 
und  Folgendem. 

Von  einer  Geschichte  des  Stasimons  ist  hier  natürlich  abzusehen. 
Daß  der  Chor  überhaupt  bei  Aeschylus  stärker  im  Vordergrunde  des 
Stückes  steht,  weiß  jedermann.  In  den  Eumeniden  ist  er  geradezu  die 
eine  Partei;  in  den  Hiketiden  hat  er  noch  Danaos  neben  sich,  aber  es 
ist  interessant  zu  beobachten,  wie  stark  er  neben  diesem  hervortritt  und 
damit  die  Rolle  des  Chors  in  den  Bakchen  und  den  Hiketiden  des  Eu- 
ripides  neben  den  verwandten  Gestalten  des  Dionysos  und  des  Adrastos 
zu  vergleichen.  Das  muß  sich  natürlich  auch  im  Stasimon  zeigen.  Nicht 
nur  reflektiert  es  stärker  und  öfter  als  bei  den  andern  den  Eindruck 
der  vorangegangenen  Handlung,  sondern  es  ist  mit  den  übrigen  Teilen 
auch  oft  organisch  verbunden.  Sechsmal  (Sept.  822/31,  Pers.  53247, 
623/32,  Hik.  625/29,  Agam.  355/66,  Eum.  307  20)  sind  ihm  anapästische 
Partien  vorangeschickt,  welche,  wie  die  Agamemnonstelle  lehrt  (vergl. 
S.  132),  das  Antreten  zur  Reigenstellung  feierHch  (fünfmal  mit  Gebet) 
begleiten,  eine  Form  die  bei  den  Spätem  für  die  Tragödie  gänzlich  ver- 
pönt war  und  charakteristischer  Weise  nur  vor  dem  Komos  des  Satyr- 
dramas (Kykl.  483/94)  noch  einmal  erscheint.  Ferner  findet  sich  vor  dem 
Stasimon  oder  den  es  einleitenden  Anapästen  einmal  (Eum.  299/306) 
eine  längere  Äußerung  des  Chors  in  Trimetern,  dreimal  (Hik.  1014/17,  Agam. 
351/54,  Choeph.  931/4)  das  für  Aeschylus  charakteristische  Interloquium 
von  vier  Versen,  während  die  spätem  vor  dem  Zwischengesang  niemals 
ein  Interloquium  haben').  Außerdem  mag  darauf  hingewiesen  werden, 
wie  im  ersten  und  zweiten  Stasimon  des  Prometheus  (397,  552)  der 
Chor  den  anwesenden  Helden  anredet  und  die  auf  das  erste  folgende 
Rede  sich  geradezu  als  Antwort  gibt,  wie  Hik.  520  der  König  das  im 
folgenden  (zweiten)  Stasimon  enthaltene  Gebet  provoziert  und  nachher 
das  im  dritten  enthaltene  lobt  (710),  wie  der  v^ivoç  ôéa/.uoç  der  Eume- 
niden (306)  von  diesen  selbst  zum  voraus  angekündet  wird  und  wie 
Athene  (397)  an  ihn  anknüpft,  —  dies  alles  zeigt,  daß  der  Aeschyleische 
Chor,  so  deutlich  er  auch  die  Funktion  hat.  Pausen  auszufüllen,  doch 
auch  im  Stasimon  noch  stark  die  actoris  vices  zu  vertreten  hat.  Ahnliche 
Anknüpfungen    kommen    in    der    spätem    Tragödie   nicht   mehr  oft  vor. 


')  Alk.  892  ist  kein  Interloquium  und  Hik.  Eur.  2(V2'8b  keiu  Stasimon. 


—     137     — 

So  wie  bei  Aeschylus  finden  sie  sich  nur  in  der  Alkestis,  also  einem 
der  frühsten  Stücke.  Hier  beschäftigt  sich  der  Chor  im  ersten  Stasimon 
in  Hemichorien  mit  der  Klage  um  das  erwartete  Königspaar'),  und  zwei 
Strophen  des  letzten  (984/1005)  sind  dem  Tröste  des  anwesenden  Admet 
gewidmet  und  an  diesen  gerichtet.  Die  anwesende  Medea  dagegen  wird 
(655.  997)  nicht  viel  anders  als  der  abwesende  Jason  (990 ff)  apostro- 
phiert, und  wenn  der  Chor  auf  Kolonos  (680)  die  Anrede  géve  anbringt, 
so  wird  damit  nur  die  ausführliche  Schilderung  der  eigenen  Landschaft 
begründet  und  entschuldigt-)  Durch  Vorhergehendes  veranlaßt  ist  das 
letzte  Stasimon  der  Aulischen  Iphigenie  (vergl.  1491  ff)  und  umgekehrt 
weist  das  letzte  Stasimon  der  Trachinierinnen  auf  das  Folgende  hin, 
indem  der  Chor  (962  ff)  den  nahenden  Herakles  erblickt.  Eine  Beziehung 
des  Folgenden  auf  das  vorangehende  Lied  findet  sich  nur,  wenn  die 
Choreuten  zum  Schweigen  aufgefordert  werden^).  Dies  alles  ist  doch 
gegenüber  Aeschylus  sowohl  als  gegenüber  den  Anknüpfungen  an  das 
Parodoslied  sehr  wenig. 

4.  Rückblick  auf  den  Zweck  des  Stasimons. 

Der  Zweck  des  Stasimons  wie  auch  der  übrigen  Zwischengesänge 
bestand,  wie  wir  gesehen  haben,  stets  darin,  die  Zeit  auszufüllen,  welche 
zwischen  Szenen  vergeht,  die  nicht  aneinander  stoßen  dürfen.  Dies 
schließt  selbstverständlich  nicht  aus,  daß  für  den  Dichter  als  solchen  der 
Zwischengesang  auch  seinen  Selbstzweck  hatte,  aber  gerade  da,  wo  es 
in  die  Augen  springt,  daß  vor  allem  ein  Lied  soll  gesungen  werden, 
tritt  auch  die  Absichtlichkeit,  womit  eine  Zeitlücke  geschaffen  wird,  be- 
sonders deutlich  zu  Tage.  So  ist  es  recht  naiv,  wie  in  den  Aeschyleischen 
Hiketiden  der  König  für  sich  eine  Pause  zum  Nachdenken  verlangt,  so 
daß  das  mit  (pQÔvxaov  beginnende  Lied  (418/37)  gesungen  werden  kann, 
und  wie  in  der  Alkesis  (209 ff)  die  Dienerin  dem  Königspaar  erst  melden 
muß,  daß  brave  Leute  herbeigekommen  sind,  damit  dieser  loyale  Chor 
inzwischen  Zeit  zu  seinem  ersten  Stasimon  (213  37)  gewinnt*). 


1)  S.  aber  die  Anm.  auf  S.  128. 

-)  Oed.  1098  ist,  auch  wenn  Oedipus  anwesend  ist,  nicht  anders  als  die  Apo- 
strophierung eines  Abwesenden  zu  beurteilen;  denn  er  lauscht  siclier  hier  dem  Chore 
nicht.  Trach.  222/4  gehört  nicht  mehr  eigentlich  zum  Hyporchem,  sondern  es  ist  ein 
die  Kommenden  anmeldendes  Interloquium  wie  sonst  Anapäste  und  Jamben.  Daß  die- 
jenigen Hyporcheme,  die  zwischen  Strophe  und  Antistrophe  des  Chors  die  Rede  einer 
Person  haben,  dialogische  Form  weisen,  wird  niemand  wuudern. 

•^)  Philekt.  865.  Hipp.  565.  Iph.  Taur.  458,  wo  der  Chor  sich  selbst  dazu  er- 
mahnt.   Kykl.  624. 

■*)  S.  dagegen  d.  Anm.  zu  S.  128. 


—     138     — 

Darauf  aber  miiß  hier  bestimmt  bestanden  werden,  daß  entgegen 
einer  viel  verbreiteten  Meinung  (jar  nie  der  Kommos  ein  Stasimon  ver- 
tritt. Abgesehen  von  dem  gesteigerten  Ton  leidenschaftlicher  Empfindung 
ist  er  Dialog  so  gut  als  jeder  andere  zwischen  Chor  und  Schauspieler 
geführte  Dialog,  und  wenn  je  etwas  während  seines  Vortrags  geschieht, 
so  decken  sich  ganz  wie  in  dem  S.  131  angeführten  Falle  Vorgang  und 
Vortrag  reaîistisc/i.  So  wird  die  erste  Mordszene  der  Sophokleischen 
Elektra  nicht  längere  Zeit  brauchen  als  der  Kommos  1404/21.  der  An- 
griff auf  Helena  im  Orest  nicht  längere  als  der  Kommos  1286/1310,  das 
Kommen  und  Gehen  des  Odysseus  und  Neoptolemos  nicht  längere  als 
der  lange  Kommos  Philekt.  1081  1112;  wenn  je  die  Wirklichkeit  in 
diesen  Fällen  doch  etwas  längere  Zeit  erheischte  als  der  Kommos,  so 
möge  man  bedenken,  daß  dem  ungeduldig  gespannten  Gefühl  die  kurze 
Zeit  eben  zur  langen  wird. 

Aber  brauchen  denn  die  Dichter  nicht  manchmal,  um  die  Gliederunff 
eines  Stückes  zu  markieren,  statt  eines  Stasimons  einen  Kommos?  Ich 
antworte  mit  der  Gegenfrage:  Bedarf  die  Gliederung  eines  Stückes,  um 
bemerkt  zu  werden,  notwendig  eines  Lyrikums,  sei  es  Stasimon  oder 
Kommos?  Die  Betrachtung  der  Stücke  selbst  lehrt  das  Gegenteil.  Mitten 
in  den  Trimetern  sind  Haupt-  oder  starke  Nebencäsuren  anzusetzen, 
sowie  dies  das  Auftreten  einer  Hauptperson  oder  der  Abgang  einer 
solchen  empfiehlt,  so  beim  Auftreten  und  beim  Abgang  Theonoes  in  der 
Helena  (864  und  1031),  beim  Auftreten  Demophons  in  den  Herakliden 
(119),  des  Theseus  im  Herakles  (1162),  des  Hippolytos  in  der  Streit- 
szene mit  dem  Vater  (901),  der  Pythia  und  der  Göttin  im  Jon  (1319, 
1552).  Alle  diese  Stellen  dürfen  ein  Stasimon  einfach  deshalb  nicht 
haben,  weil  die  Handlung  ohne  Pause  fortläuft.  So  kommt  es,  daß  sich 
in  der  Helena  die  Trimeterpartien  nach  der  Epiparodos  übsr  578  Verse 
hin  (528,1106)  ohne  Unterbrechung  folgen,  während  darauf  der  List  und 
Rettung  enthaltende  Schlußakt  seine  vier  Szenen  durch  die  drei  einzigen 
Stasima  des  Stückes  wohl  geschieden  zeigt,  und  so  auch,  nicht  etwa 
daher,  daß  er  eine  späte  Tragödie  ist,  ist  die  Beschränkung  der  Zwischen- 
gesänge des  Philoktet  auf  ein  einziges  eigentliches  Stasimon  und  das 
Baukalema  zu  erklären. 

Und  nun  ist  es  auch  mit  dem  Kommos  nicht  anders.  Natürlich 
beginnt  in  der  Sophokleischen  Elektra  mit  Ismenes  zweitem  Auftreten 
(870)  eine  Hauptpartie  ;  der  vorangehende  Klagekommos  zwischen  Elektra 
und  dem  Chor  ist  aber  nicht  nötig,  um  die  Klytämnestra-  und  die  Ismene- 
szene  auseinander  zu  halten;  denn  dafür  würde  Elektras  Rede  (804/22) 
vfUlig  ausreichen;  er  ist  vielmehr,  was  die  Gliederung  des  Stückes  nichts 
angeht,  in  erster  Linie  dazu  nötig,  daß  der  Tritagoni^t  Zeit  hat,  sich 
aus    dem    Pädagogen    in    Chrysothemis    umzuwandeln,    und    darauf    hin 


—     139     — 

macht  der  Dichter  aus  der  Not  eine  Tugend  und  läßt  den  schon  in 
der  Rede  zu  Tage  getretenen  Schmerz  der  Heldin  in  dem  leidenschaft- 
lichen Dialog  mit  dem  vergeblich  tröstenden  Chor  ins  Riesige  anwachsen. 
Auch  in  Koloneus  ist  es  nicht  aus  der  Handlung  erklärlich,  daß  Theseus 
nicht  sofort  nach  Ismenes  Abgang  erscheint;  aber  die  Umkostümierung 
Ismenes  in  Theseus  zwingt  den  Dichter  den  Kommos  (510/48)  einzu- 
schieben, worin  der  Chor  sich  nach  Oedipus  frühern  Schicksalen  er- 
kundigt. Man  könnte  vielleicht  auch  sagen,  daß  nach  langen  Triraeter- 
partien  etwa  das  Bedürfnis  vorhanden  war,  einen  gesungenen  Teil  ein- 
zuschieben. Aber  auch  das  berührte  die  dramatische  Komposition  nicht. 
lu  summa  der  Kommos  vertritt  das  Stasimon  so  wenig,  als  etwa  ana- 
pästische Systeme  dies  tun,  die  zwischen  zwei  Partien  stehen. 

Aber  wie  steht  es  nun  mit  der  Gliederung  durch  den  Zwischen- 
gesang selbst?  Eines  muß  jedenfalls  zugegeben  werden,  daß,  wo  immer 
er  eintritt,  ein  neues  Glied  der  Handlung  ansetzt.  Dies  ist  aber  nicht 
die  Folge  des  Zwischengesangs,  sondern  nur  die  des  Neubeginnens  nach 
der  durch  den  Zwischengesang  gedeckten  Unterbrechung.  Also  gliedert 
dieser  selbst  die  Handlung  nicht,  sondern  er  koinzidiert  nur  mit  der 
Ghederung  in  allen  den  Fällen,  da  eine  Handlungslücke  gedeckt  werden 
muß,  während  er,  wo  dies  nicht  der  Fall  ist,  ruhig  fehlen  kann.  Er  hat 
außer  seinem  Selbstzweck  nicht  noch  zwei  andere,  sondern  nur  den  einen 
des  Pausenausfüllens. 

Zu  diesem  Resultat  läßt  sich  auch  auf  folgendem  Wege  gelangen: 
AVäre  der  Zwischengesang  an  sich  das  gliedernde  Organ,  so  dürfte  er 
nicht  nur  nie  fehlen,  sondern  er  müßte  auch  notwendig  in  der  "Weise 
angebracht  sein,  daß  die  Gliederung  durch  ihn  zum  deutlichen  Ausdruck 
gelangte;  es  müßten  z.  B.  die  ausführlichen  Stasima  die  Hauptpartien 
trennen  und  zwischen  Nebenpartien  dürften  bloß  Hyporcheme,  kurze 
Slasima  und  unstrophische  Gesänge  von  Einzelchoreuten  stehen.  Bis 
zu  einem  gewissen  Grade  ist  dies  wirklich  auch  der  Fall:  die  letztge- 
nannten Gesänge  scheiden  immer  nur  Nebenpartien  von  einander, 
und  auch  die  meisten  Hyporcheme  und  einige  kurze  Stasima  werden  so 
verwandt.  Aber  von  einer  Konsequenz  hierin  sind  die  Dichter  doch  weit 
entfernt.  Alle  Stasima  der  Helena  scheiden  nur  die  Nebenteile  derjenigen 
Hauptpartie,  welche  sich  unter  dem  Titel  List  und  Rettung  subsumieren 
ließe.  In  Herakliden  und  Hiketiden  ist  derjenige  Hauptteil,  der  den 
Kampf  enthält,  durcli  Stasima  in  zwei  Hälften  getrennt.  Von  demjenigen 
Teil  des  Herakles,  der  die  Rettung  der  Familie  vor  Lykos  enthält,  ist 
durch  das  lange  Stasimon  687  —700  ein  Minimalepeisodion  von  33  Versen 
abgeschnitten;  ein  solches  ist  auch  die  Ammenszene  der  Trachinierinnen; 
beide  wird  man  doch  unmöglich  als  Hauptteile  bezeichnen,  und  Ahnliches 
kommt  auch  sonst  vor. 


—      140      — 

Aber,  wenn  das  Stasimon  die  Hauptgliederung  nicht  mehr  sicher 
angibt,  woher  sollen  denn  ir'tr  sie  kennen?  Die  Antwort  ist  im  ersten 
Satze  dieser  Abhandlung  gegeben:  dadurch,  daß  uir  selbst  die  Stücke 
logisch  zergliedern.    Ist  denn  das  etwas  so  Schreckliches? 

III.  Die  einzelnen  Teile  der  dialog-ischen  Partien. 

Das  lange  Kapitel,  das  hier  beginnen  müßte,  auszuführen,  muß 
einer  spätem  Gelegenheit  vorbehalten  sein;  hier  kann  ich  nur  —  unter 
Vorbehalt  nachheriger  Änderungen  -  den  Gang  angeben,  der  mir  dafür 
vorschwebt;  mit  einer  einzigen  Ausführung  werde  ich  mir  noch  gestatten,  zu 
zeigen,  was  sich  für  die  Chorparodos  ergibt,  von  der  ich  ausgegangen  bin. 

Ich  werde  davon  auszugehen  haben,  daß  mit  dem  Üliergange  zu 
einer  neuen  Art  von  Metren  notwendig  auch  eine  szenische  Abgrenzung 
verbunden  ist.  Wollen  wir  also  die  einzelnen  Teile  erkennen,  so  werden 
wir  stets  in  erster  Linie  Melos,  Anapäste  und  dialogische  Metren  im 
engern  Sinne,  d.  h.  Trimeter  und  trochäische  Tetrameter  (was  beides 
ich  der  Kürze  wegen  unter  dem  Xamen  lambus  zusammenfasse)  zu 
sondern  haben.  Hiemit  kreuzt  sich  aber  eine  zweite  Sonderung  nach  der 
Beteiligung  des  Chors.     Es   sind    nämlich    folgende    fünf  Fälle    möglich: 

1.  Der  Chor  ist    (wie    ja   meist    auch   beim  Stasimon)    allein  anwesend. 

2.  Die  Personen  sind  allein  anwesend.  3.  Chor  und  Personen  sind  an- 
wesend und  durch  Dialog  verbunden.  4.  Der  Chor  hat  in  Gegenwart 
von  Personen  allein  das  Wort.  5.  Die  Personen  haben  in  Gegenwart 
des  Chors  allein  das  Wort.  So  ergeben  sich  15  Kombinationen,  die  alle 
—  wenn  auch  einige  nur  vereinzelt  —  in  der  Tragödie  vorkommen.  Daß 
von  den  so  gewonnenen  Teilen  einige  wieder  weitergeteilt  werden  können, 
versteht  sich  von  selbst;  die  15  koordinierten  Teile  aber  sind  nach  dem 
Metrum  folgende: 

1.  Reines  Me/o.s  des  Chors  ohne  Anwesenheit  von  Personen  kommt 
in  Liedern  der  Chorbewegung,  zumal  in  den  Fällen  von  bloß 
chorischer  Chorparodos  vor. 

2.  Melos  ohne  Chor  findet  sich  als  Monodie  und  Duett  in  den 
Prologen   der  Andromache  und  der  Phönisseu.^) 

3.  Chor  und  Personen  sind  beteiligt  in  allen  den  unter  sich  sehr 
verschiedenen  gesungenen  Dialogen,  die  man  unter  dem  Namen 
Kommos  begreift,  sowie  meist  in  denen,  wo  Melos  und  Ana- 
päste gemischt  erscheinen. 

4.  Der  Chor  tritt  melisch  in  Gegenwart  von  Personen,  aber  ohne 
deren    Einmischung    auf   in    einigen   vollstimmigen   Parodosge- 

^)  Die  Trimeter  der  Duette  und  der  Kommoi  denke  ich  mir  entweder  melisch 
oder  mit  Parakataloge  vorgetragen    und    ziehe  sie    auch  in   letzterm  Pralle  zum  Melos. 


—     141      — 

sängen     nach     vorangegangenem    Pseudoprolog    und    in    allen 
melischen  Interloquien. 

5.  Die  Personen  tragen  das  Melos  vor  stummem  Chore  vor  in 
allen  außer  den  unter  2  genannten  Monodien  und  Duetten. 

6.  Der  Chor  trägt  Ändßüsfc  ohne  Anwesenheit  von  Personen  in 
den  anapästischen  Partien  der  Parodos  vor. 

7.  Personen  haben  Anapäste  ohne  Anwesenheit  des  Chors  in  den 
Prologen  der  Alkestis  und  der  aulischen  Iphigenie. 

8.  Chor  und  Personen  sind  zusammen  bei  den  anapästischen  Dia- 
logen der  Chorbewegung  beteiligt. 

9.  Der  Chor  hat  in  Anwesenheit  von  Personen  eine  anapästische 
Partie  für  sich  in  den  reflektierenden  und  der  Mehrzahl  der 
ein  Kommen  und  Gehen  begleitenden  Interloquien,  sowie  in 
einzelnen  Partien  der  Chorbewegung. 

10.  Die  Personen  haben  in  Gegenwart  des  Chores  anapästische 
Systeme,  wenn  sie  ihr  eigenes  Kommen    und  Gehen  begleiten. 

11.  Von  dem,  was  ich  a  potiori  lambus  nenne,  findet  sich  Einzel- 
vortrag des  Chores  ohne  Anwesenheit  von  Personen  nur  da 
vor,  wo  der  Chor  in  der  Exodos  nach  Abgang  der  Personen 
noch  einige  Schlußtrochäen  spricht,   z.  B.  Oed.   1524  ff. 

12.  Die  Personen  allein  haben  im  lambus  das  Wort,  wo  der  Chor  nicht 
möglich  ist:  im  Prolog  und  zwischen  Aphodos  und  Epiparodos. 

13.  Chor  und  Personen  sind  zusammen  beteiligt  in  der  Mehrzahl 
der  Aeschyleischen  Dialoge  und  bei  den  Spätem  in  einer  be- 
stimmten Art  von  „Chordialogen",  hauptsächlich  solchen,  die 
Szenen  einleiten  oder  abschließen. 

14.  Der  Chor  spricht  in  Anwesenheit  von  Personen  iambische 
Interloquien,  sowohl  der  reflektierenden  als  der  einen  Kom- 
menden einführenden  Art. 

15.  Die  Personen  tragen  in  Anwesenheit  des  Chors  alle  die  iam- 
bischen  und  trochäischen  Partien  vor,  bei  denen  der  Chor 
überhaupt  zugegen  sein  kann. 

Dies  wären  mit  Weglassung  von  ünwichtigerm  die  Einheiten,  so- 
weit sie  sich  durch  die  genannten  Kombinationen  ergeben.  Wie  man 
sieht,  occupieren  nun  aber  die  zwölfte,  dreizehnte  und  fünfzehnte  weitaus 
den  größten  Teil  der  Tragödien,  und  da  ist  es  selbstverständlich,  daß 
sich  an  die  so  gegebene  noch  eine  weitere  Einteilung  anschließen  müßte, 
wobei  als  Teilungskriterien  neben  dem  Wechsel  von  lamben  und  Trochäen, 
hauptsächlich  Auftreten  und  Abgang  von  Personen,  AVechsel  von  Eeden, 
und  in  kürzern  Worten  gehaltenem  Dialog,  auch  reine  luhaltsindizien 
in  Frage  kämen.  Man  könnte  so  durch  Teilen  und  wieder  Teilen  ziemlich 
weit  kommen,  auch  die  Stichomythie  müßte  einer  Betrachtung  unterzogen 


—     142     — 

werden  ;  doch  soll  dies  hier  nicht  geschehen.  Wenn  aber  jemand  daran 
Anstoß  nimmt,  daß  ich  an  14  ter  Stelle  dem  kurzen  iambischen  Chor- 
interloquium  neben  den  langen  Personenpartien  eine  gewisse  Selb- 
ständigkeit eingeräumt  habe,  der  möge  bedenken,  daß  das  iaitihlsche 
Interloquium  in  seiner  Funktion  mit  dem  melischen  und  anapästischen 
enge  zusammengehört,  und  daß  es  nicht  wohl  angeht,  für  dieselbe  Funktion 
(hier  die  des  Vorstellens  eines  Kommenden  und  die  des  Reflektierens 
über  Vorangegangenes)  bald  relativ  selbständige,  bald  unselbständige 
Glieder  zu  verwenden. 

Überhaupt  müßte  nun  ein  wichtiges  Kapitel  von  den  Funktionen 
handeln,  wofür  die  einzelnen  Formen  bestimmt  sind.  Die  Fragen  :  Welche 
Formen  sollen  benachbarte  Partien  von  einander  isolieren?  Welche 
sollen  der  lebhaften  Empfindung  Einzelner  Ausdruck  geben?  Welche 
sollen  das  Auftreten  und  den  Abgang  Einzelner  und  des  Chors  be- 
gleiten? Warum  wählt  der  Dichter  für  die  gleiche  Funktion  bald  diese, 
bald  jene  Form?  u.  s.  w.  müßten  uns  beschäftigen.  Und  zuletzt  würden 
wir  von  den  Teilen  wieder  zum  Ganzen  zurückkehren  und  erkennen,  wie 
die  vielen  Einzelteile  sich  unter  große  Hauptteile  subsummieren  lassen 
und  hätten  damit  die  Architektur  der  Tragödie  in  ihren  konstruktiven 
Teilen  wie  in  ihren  Zierformen  erkannt. 

Auch  in  ihren  Proportionen  wäre  sie  zu  erkennen;  aber  davon  zu 
reden,  ohne  auf  das  verpönte  Gebiet  zu  kommen,  wäre  schwer.  Darum 
schHeße  ich,  um  wenigstens  ein  Beispiel  zu  geben,  mit  einer  kurzen  Er- 
örterung, die  sich  an  meine  anfängliche  Besprechung  der  Chorparodos 
und  an  die  obige  Andeutung  über  die  verschiedenen  Formen  für  eine 
und  dieselbe  Funktion  anschließt,    Ihr  Gegenstand  sind: 

Die  Formen  der  Chorbewegung. 

Daß  Chorparodos  und  Exodos,  Aphodos  und  Epiparodos  zusammen- 
gehören, und  daß  sie  nicht  wie  die  Zwischengesänge  zu  betrachten, 
sondern  integrierende  Teile  derjenigen  Hauptpartien  sind,  worin  sie  vor- 
kommen, haben  wir  am  Anfang  dieser  Abhandlung  (S.  117)  gesehen.  Es  gibt 
aber,  wie  für  die  Parodos  besonders  Masqueray  und  Weil  schon  betont 
haben,  in  der  Tragödie  nicht  leicht  einen  Teil,  der  proteusartig  bald  in 
dieser,  bald  in  jener  Form  erscheinend,  doch  immer  demselben  Zwecke 
dient,  wie  diese  Gesänge  der  Chorbewegung.  Lesen  wir  sie  einmal  nach 
dem  obigen  Verzeichnis  der  15  Formen  (wenn  auch  nicht  ganz  in  der 
gleichen  Reihenfolge)  aus  einander,  um  dann  mit  wenigen  Bemerkungen 
zu  schließen, 

a)  Reines  Melos  des  Chors  (nach  1)  ohne  anwesende  Personen 
und  ohne  Anapäste  haben  die  Chorparodoi  der  Septem,  der  Choephoren, 
des  Oedipus,    der  Trachinierinnen,    der   Bakchen,    des   Hippolytos,    der 


—     143     — 

Aulischen  Iphigenie  und  der  Phönissen,  die  Epiparodos  der  Helena 
(515/27;  Menelaos  hält  sich  bis  541  ver])orgen)  und  das  (hier  mitzu- 
nehmende) Exodoslied  der  tzcotio^uttoi  in  den  Eumeniden.  Dabei  möge 
unerörtert  bleiben,  wo  etwa  statt  des  vollstimmigen  Gesanges  Vortrag 
durch  Einzelchoreuten  anzunehmen  sei;  nur  das  sei  (auch  für  die  fol- 
genden Fälle)  kurz  angedeutet,  daß  Verteilung  auf  die  Hemichorien  hier 
relativ  häufiger  vorkommt  als  in  den  Zwischengesängen.  Somit  gehört 
hieher  auch  das  Exodoslied  der  Aeschyleischen  Hiketiden  (1018  73), 
dessen  dritte  und  vierte  Syzygie  hemichorienweise  vorgetragen  sind  und 
die  Ejjiparodos  des  Aias  (866/78),  zu  welcher  der  folgende  Kommos 
mit  Tekmessa  nicht  mehr  gehört. 

b)  Reines  Melos  des  Chores  bei  Anwesenheit  von  Personen  (nach 
4)  haben  außer  den  Parodoi  der  Eumeniden  und  der  Euripideischen 
Hiketiden,  wo  der  Chor  von  Anfang  an  zugegen  ist,  noch  die  auf  Pseudo- 
prologe  folgenden  der  Andromache,  des  Herakles,  des  Kyklops  und  die 
hemichorienweise  vorgetragene  des  Jon  (184/218).')  Auch  das  Lied  271  85 
in  den  Euripideischen  Hiketiden  wird  hieher  zu  zählen  sein;  denn  die 
Hikesie  an  Theseus  steht  der  an  Aethra  durchaus  parallel,  und  da  wir 
es  hier  mit  einem  Zwischengesange  ganz  sicher  nicht  zu  tun  haben,  und 
es  sich  auch  um  kein  bloßes  melisches  Interloquium  handeln  kann,  so 
bleibt  gar  keine  andere  Annahme  übrig  als  die  einer  Fortsetzung  der 
Parodos.  Endlich  gehört  hieher  auch  die  Epiparodos  der  Eumeniden 
(255/275),  bei  welcher  der  Chor  wie  bei  der  Parodos  die  Personen  schon 
vorfindet. 

c)  Von  kommatischen  Formen  kommen  (nach  3)  in  Betracht  1.  die 
der  langstrophigen  gesungenen  Dialoge,  die  wir  in  den  Parodoi  der 
Sophokleischen  und  der  Euripideischen  Elektra,  der  Helena  und  der 
taurischen  Iphigenie  haben,  2)  die  des  lebhaften  Dialogs  in  kurzen 
Worten  in  den  Parodoi  der  Herakliden  und  des  Orest,  in  der  Aphodos 
der  Helena  (330/85),  die,  wie  solche  Kommoi  einige  Male,  in  eine  Monodie 
ausläuft,  und  in  Parodos  und  Exodos  der  Troerinnen;  in  der  Parodos 
allerdings  nur  im  ersten  der  beiden  Strophenpaare,  während  das  zw'eite 
in  der  Form  a  gehalten  ist. 

d)  In  reinen  Anapästen  (nach  6)  gehalten  und  nicht  in  Gegenwart 
von  Personen  vom  Chor  vorgetragen  sind  nur  Exodoi.  Hier  ist  vor  allem 
der  überlieferte  Schluß  der  Septem  (1053  77),  der,  wenn  er  auch  nicht 
äschyleisch  ist,  doch  sicher  einer  Autführung  dienen  sollte,  mit  einem 
vollstimmig  und  zwei  hemichorienweise  vorgetragenen  Systemen  zu  nennen. 
In  den  Choephoren  verabschiedet  sich  der  Chor  nach  Orests  Abgang 
wenigstens  noch  mit  12  anapästischen  Reihen,  später,  von  der  Antigone 

1)  AVie  konnte  man  je  darauf  verfallen,  den  darauf  folgenden,  viel  längeren 
Kommos  in  ein  antistrophisches  Verhältnis  zur  Epode  der  Parodos  bringen  zu  wollen? 


—      144     — 

au.  kommen  nur  die  bekannten  Schlußsvsteme  vor,  von  denen  das  der 
Sophokleischen  Elektra,  wenn  auch  das  aicéç/iia  'Atqécdç,  darin  apostro- 
phiert ist,  doch  jedenfalls  erst  nach  dem  Abgange  der  Geschwister 
vorgetragen  ist,  wie  auch  das  des  Rhesos  nach  dem  Hektors,  und  ebenso 
nach  dem  der  je  weilen  vorhandenen  Personen  das  jioÂÂcd  fioQ(pal  xzX. 
in  Alkestis,  Andromache,  Helena  und  das  letzte  Wort  des  Chors  an 
Hippolytos  und  den  Phönissen.  In  andern  Fällen  mag  man  zweifeln,  ob 
das  Exodikon  nicht  von  der  scheidenden  Person  noch  angehört  werden 
soll,  oder  ob  es  reine  Gefühlsäußerung  des  Chors  ist;  doch  neige  ich 
für  Hekabe,  Herakliden,  Herakles,  taurische  Iphigenie  (ohne  den  unechten 
Schluß  1497/9)  eher  zu  letzterm.  Endlich  gibt  es  auch  sieben  Fälle, 
wo  diesen  nach  Abgang  der  Personen  vorgetragenen  Anapästen  andere 
Anapäste  vorangehen,  die  aber  durch  eine  Abgangscäsur  von  ihnen  ge- 
schieden sind:  die  letzten  Worte  des  Teukros  im  Aias  (1402/17)  und 
die  Apolls  im  Orest  (1682/90),  die  des  Herakles  und  des  Hyllos  in  den 
Trachinierinnen  (1259 — 74;  denn  das  Folgende  gehört  sicher  der  Chor- 
führerin) und  die  Dialoge  des  Philoktet,  Xeoptolemos  und  Herakles  im 
Philoktet  (1445/68),  des  Dionysos,  der  Agaue  und  des  Kadmos  in  den 
Bakchen  (1367/92)  des  Chors,  der  Dioskuren  und  der  Geschwister  in 
der  Euripideischen  Elektra  (1292/1356),  Jasons  und  Medeas  in  der 
Medea  (1389/1414);  es  ist  zu  beachten,  daß  diese  Dialoge  meist  mit 
einem  längern  System  des  letzten  Redners  schheßen. 

e)  In  Gegenwart  von  Personen  (nach  9)  sind  abschließende  Chor- 
anapäste —  um  mit  diesen  zu  beginnen  —  mit  Sicherheit  nur  in  den 
Euripideischen  Hiketiden  und  (sehr  unfertige)  im  Konzept  der  Aulischen 
Iphigenie  vorgetragen  zu  denken.  An  früheren  Stellen  der  Dramen  ist 
in  solchen  Choranapästen  die  ganz  singulare  Chorparodos  der  Hekabe 
(98/153),  die  Aphodos  der  Alkestis  (741/6)  und  im  Prometheus  das  als 
eine  zweite  Parodos  zu  betrachtende  System  (277/83)  gehalten,  womit 
der  Chor  den  Wagen  verläßt,    um   sich    auf  die  Orchestra  zu  begeben. 

f)  Rein  anapästische  Dialoge  zwischen  Chor  und  Personen  (nach  8) 
siud,  wenn  wir  die  unter  d  angeführten,  vom  letzten  Worte  des  Chors 
durch  eine  Cäsur  getrennten  Partien  nicht  mitrechnen,  als  Bewegungs- 
partien selten.  Außer  der  Exodos  des  Prometheus  mit  ihren  fünf  Systemen, 
bei  denen  der  Chor  nicht  das  letzte  Wort  hat  (1040/93),  ist  hier  eigent- 
lich nur  der  in  kurzen  Worten  gehaltene  und  von  1751  bis  zum  Schlüsse 
fortlaufende  anapästische  Exodosdialog  des  Koloneus  zu  nennen. 

g)  In  einigen  Fällen  werden  die  Schlußanapäste  durch  Trochäen 
ersetzt,  die  zwar  eines  der  beiden  gewöhnlichen  Dialograetra  sind,  durch 
ihre  lebhaftere  Bewegung  aber  doch  auch  einer  besonders  starken  Em- 
pfindung Ausdruck  geben  können.   Im  Agamemnon  geschieht  dies  (nach 


—     145     — 

13)  in  der  Streitszene  zwischen  Aegisth,  Klytämnestra  und  dem  Chor*), 
im  Oediims  und  Jon  (nach  11)  in  den  Schlußworten  des  allein  auf  dem 
Schauplatz  verbliebenen  Chors,  denen  aber  (wie  den  letzten  der  unter  d 
angeführten  anapästischen  Schlußszenen)  Dialoge  im  gleichen  Metrum 
vorangegangen  sind. 

h)  Keine  eigene  Form  hat  die  Chorbewegung  für  die  Aphodos  in 
den  Eumeniden  und  dem  Aias  und  für  die  Exodos  im  Kyklops.  In  den 
Eumeniden  rundet  der  Dichter  den  vorhergehenden  Trimeterdialog  sym- 
metrisch schön  ab  (225/34),  in  den  beiden  andern  Fällen  schließt  er 
mit  einem  Chordistichon,  das  aber  noch  durchaus  zur  vorangehenden 
Partie  gehört. 

Außer  (loi  Bewegungspartien,  die  in  einer  der  fünfzehn  Formen 
gehalten  sind,  gibt  es  nun  aber  noch  eine  Anzahl  solcher,  bei  denen 
eine  Kombination  von  Melos  und  Anapästen  (resp.  Trochäen)  zur  An- 
wendung kommt.  Diese  ist  doppelter  Art: 

i)  Anapästische  Partien  gehen  den  melischen  einfach  voran  in  den 
Parodoi  der  Aeschyleischen  Hiketiden  und  des  Aias  (bis  200,  wobei  sich 
die  Formen  d  und  a  vereinigen),  und  in  der  Exodos  der  Perser  (von 
907  an  :  f,  c)  oder  sie  nehmen  sie  in  die  Mitte,  wie  in  der  Parodos  der 
Perser  (bis  194:  d,  a,  d)  und  der  Alkestis  (d,  a,  d).-) 

k)  Die  vom  Einzelnen  rezitierten  Anapäste  gehen  dem  Melos  nicht 
nur  voran  oder  folgen  ihm,  sondern  drängen  sich  zwischen  die  melischen 
Partien  hinein.  Man  pflegt  in  diesen  Fällen  von  der  kommatischen  Ver- 
wendung der  Anapäste  zu  sprechen.  Indes  möchte  ich,  ohne  zu  leugnen, 
daß  der  Chor  und  der  Einzelne  hier  oft  mit  einander  sprechen,  den 
Ausdruck  lieber  vermeiden  und  in  Beherzigung  des  Umstandes,  daß  es 
den  Dichtern  hauptsächlich  auf  das  Isolieren  der  vollstimmig  vorge- 
tragenen Strophen  und  auf  den  metrischen  Kontrast  ankommt,  von  kon- 
tra><üerenden  (oder  imUereuden)  Anapästen  reden.  Zweimal  sind  die 
Einzelnen  die  Führer  des  Chors  selbst,  nämlich  in  der  Aphodos  des  Rhesos 
(527/64:  a,  d,  wo  die  anapästische  Partie  den  Führern  der  Hemichorien 
zufällt)  und  in  der  Parodos  der  Antigone  (bis  154;  denn  das  System 
155/61  leitet  das  Folgende  ein:  a,  d).  Auch  in  den  Parodoi  des  Koloneus 
und  des  Philoktet,  spricht  der  Chor  in  den  Anapästen,  so  weit  sie  dia- 
logisch sind,  noch  etwa  ein  Wort  mit  (dort  a,  nachher  b,  f,  hier  b,  f 
und  e)  ;  in  denen  des  Prometheus  und  der  Medea  stehen  dem  Melos 
des  Chors   allein    die  Hauptpersonen  mit  Anapästen  gegenüber,    ebenso 

'i  Vielleicht  aber  würden  wir  besser  sagen,  daß  doiu  Agamemnon  als  dem  ersten 
Stücke  der  Trilogie  eine  eigentliche  Chorexodos  überhaupt  fehlen  durfte  ;  das  dritte 
hat  dafür  deren  zwei. 

2)  Ich  würde  ]31f  schreiben  Ttdvva  yÙQ  f^ôri  <iaq'iv'^ieTiÀeatat,  .Tai-rwr  ôè  &eCoi' 
<iEÏa^ènl  ß(üfA.oTg  y.vÀ. 

10 


—     14ü      — 

in  dem  ersten  Exodosliede  der  Eumeniden  (916/1021)  Athene  (b,  e)  und 
in  den  Epiparodos  der  Alkestis  Admet  (e,  c).  In  der  Parodos  des  Rhesos 
verbinden  sich  die  Foiinen  i  und  k,  insofern  eine  längere  anapästische 
Partie  dem  von  Anapästen  unterbrochenen  Melos  (c,  nachher  b,  d)  vor- 
angeht. Etwas  Besonderes,  aber  ganz  im  Geiste  der  alten  Zeit  Gehal- 
tenes ist  die  Epiparodos  des  Rhesos  (675/721).  Hier  nehmen  ein  kurzes 
Melos  und  eine  längere  Syzygie,  deren  Strophen  in  Hemichorien  aus- 
gehen, einen  statt  in  Anapästen  in  Trochäen  (nach  13)  gehaltenen  Dialog 
zwischen  Odysseus  und  dem  Chor  in  die  Mitte;  man  mag  dabei  an  die 
unter  g  angeführten  Trochäen  denken. 

Hier  sei  noch  darauf  hingewiesen,  daß  eine  Chorbewegung  sich 
dreimal^)  in  zwei  Akten  vollzieht,  und  daß  so  der  Prometheus  (mit 
277/84)  und  die  Euripideischen  Hiketiden  (mit  271 '85)  zu  zwei  Parodoi,^) 
die  Eumeniden  mit  916/1020  und  dem  Liede  der  Propompoi  zu  zwei 
Exodoi  kommen.  Auf  einiges  andere,  das  noch  zu  sagen  wäre,  muß  hier 
verzichtet  werden,  zumal  sei  Erörterung  der  ästhetischen  Gründe,  warum 
die  Dichter  im  einzelnen  Falle  diese  oder  jene  Form  wählen,  der  Einzel- 
betrachtung der  Stücke  überlassen. 

Nur  daran  sei  erinnert,  daß  die  kommatischen  Formen  und  die 
Dialoge  zwischen  dem  Chor  und  einem  in  Anapästen  sprechenden  Schau- 
spieler (nach  k)  für  die  Parodos  bloß  dann  möglich  sind,  wenn  ein 
Schauspieler  vorhanden  ist,  also  nach  Pseudoprolog  und  in  den  S.  120 
namhaft  gemachten  Fällen,  wo  die  Parodos  eines  Schauspielers  der  des 
Chor  vorangeht.  —  Und  ferner  muß  ein  Blick  auf  die  Konkurrenz  der 
anapästischen  und  der  melischen  Formen  geworfen  werden.  Ein  solcher 
sagt  uns,  daß  die  Anapäste  den  Bewegungspartien  hauptsächlich  in  den 
altern  Zeiten  eigen  sind.  Aeschylus  und  Sophokles  (sowie  der  Rhesos- 
dichter)  haben  sie  in  Menge,  Sophokles  noch  im  Philoktet  und  im 
Koloneus  ;  bei  Euripides  dagegen  beschränken  sie  sich  in  der  Parodos 
(resp. Epiparodos)  auf  die  ältesten  erhaltenen  Stücke:  Alkestis  und  Medea. 
Dann  kommt  noch  die  sonderbare  Tatsache,  daß  die  Parodos  der  Hekabe 
rein  anapästisch  ist;  sonst  kommt  dieses  Metrum  bei  ihm  nur  in  der 
Aphodos  der  Alkestis  und  den  unter  d  besprochenen  kurzen  Schlußsystemen 
für  die  Chorbewegung  vor  ;  es  ist  zu  beachten,  daß  die  einzige  metrisch 
reichere  Exodos,  die  er   hat,  die    der  Troades,  keine  Anapäste    enthält. 

Zum  Schlüsse  ein  kurzes  Wort  über  die  den  Bewegungspartien 
vorausgehenden  und  folgenden  Teile,  soweit  sie  nicht  wie  gewöhnlich 
reiner  Trimeterdialog  sind.  Was  jene  betrifi't,  so  ist  darauf  hinzuweisen, 
daß  ein  einziges  Mal,  bei  Aeschylus,  die  unmittelbar  auf  das  letzte 
Stasimou  folgende  Chorexodos  sich  mit  der  Exodos  überhaupt  deckt:  es 

'j  Vcrgl.  aber  noch  die  Aiim.  auf  S.  128 
2)  Vgl.  S.   148  und  144. 


—     147     — 

ist  dies  bei  der  (nach  i)  anapästisch  beginnenden  und  in  einen  Kommos 
übergehenden  Schlußszene  der  Perser  der  Fall.  Sonst  hat  Aeschylus 
die  Eigentümlichkeit,  etwa  einmal  (Hik.  1014/17,  Choeph.  1063/4,  Eum. 
140/2)  ein  Aufmunterungswort  des  Chorführers  in  Trimetern  voran- 
zuschicken, das  aber  immerhin  noch  zum  Vorangehenden  gehört;  man 
mag  dabei  an  die  bei  ihm  auch  Stasirais  vorangehenden  Chorinterloquien 
denken  (vgl.  S.  136).  Alle  drei  Dichter  haben  die  oben  (S.  120)  besprochenen 
Monodien  oder  sonstigen  Vorträge  in  den  Fällen,  da  nach  dem  Prolog 
vor  dem  Chore  eine  Person  ihre  Parodos  hat.  Vor  der  Chorexodos 
haben  wir  die  unter  d  und  g  angeführten  Dialoge  in  gleichem  (anapästischen 
oder  trochäischen)  Metrum  und  ferner  im  Koloneus  und  der  Antigone 
die  langen  kommatischen  d-qrjvoi,  in  den  Phönissen  das  Klageduett  und 
die  trochäische  Rede  des  Oedipus. 

Nach  der  Chorparodos  wird  so  gut  als  in  andern  Fällen  bisweilen 
(Prom.  284/97,  vgl.  S.  128  Pers.  150/4,  Ant.  155/61,  Hipp.  170/5,  Troad. 
230/34)  ein  Auftreten  von  der  kommenden  Person  selbst  oder  vom  Chor 
in  Anapästen  angemeldet.  Im  Rhesos  führt  sich  noch  der  Epiparodos 
der  Wagenlenker  durch  den  merkwürdig  von  Trimetern  unterbrochenen 
und  abgeschlossenen  anapästischen  Vortrag  (733/55)  ein.  Im  Jon  ist  der 
anderswo  in  Trimetern  gehaltene  Chordialog,  wodurch  der  Kommende 
mit  dem  Anwesenden  anknüpft,  durch  einen  metrisch  an  die  Parodos 
anklingenden  Kommos  ersetzt  (219/37):  In  der  Hekabe  folgt  statt  einer 
Trimeterrhesis  der  Heldin  eine  Monodie  und  ein  Duett  ;  man  sollte 
denken,  daß  hier  absichtlich  der  musikalische  Reichtum  des  Voran- 
gehenden und  Folgenden  einen  Ersatz  für  die  metrische  Einfachheit  der 
Chorparodos  bieten  sollte.  Ganz  singulär  sind  die  reichen  Partien,  die 
sich  an  Chorparodos  und  Epiparodos  des  Aias  anschließen  (201/62  und 
879/973).  Beidemal  folgt  hier  auf  das  Auftreten  des  Chors  das  der 
Tekmassa,  nach  der  Parodos  in  einer  Verbindung  der  Formen  i  und 
k,  d.  h.  ganz  wie  in  der  Parodos  des  Rhesos. 

Singularitäten  aber  haben  wir  bei  dieser  Betrachtung  die  Menge 
gefunden.  Sie  predigen  uns  von  einer  relativ  großen  Freiheit  der  Dichter 
und  warnen  dringend  davor,  kritische  Zweifel  gegen  eine  Form  bloß 
deshalb  zu  erheben,  weil  sie  sonst  in  der  Tragödie  nicht  nachzuweisen  ist. 


Le  fabliau  du  Buffet 

publié  par 
Albert  Barth. 


Classification  des  manuscrits.  —  Quatre  manuscrits,  à  ma  connais- 
sance, contiennent  le  petit  fabliau  Du  Buffet: 

1)  A  =  Bibl.  nat.  f.  fr.  837,  f'^  275  V  —  277  r°.  Fin  du  XIIP  siècle. 

Cef.  A.  Tobler,  Li  proverbe  au  vilain,  Leipzig  1895,  p,  VI). 

2)  B=  Bibl.  nat.  f.  fr.   1553,  f-^  505  r"  —  506  r^     Seconde  moitié 

du  XIIP  siècle,  (cf.  G.  Ebeling,  Auberee,  Halle  a.  'S.  1895 
p.  77). 

3)  6'  =  Bibl.  nat.  f.  fr.  1593,  f^  118  v°  —  120  v°.    Seconde  moitié 

du  XIIP  siècle,  (cf.  ibid.  —  XI V^  siècle,  d'après  G.  Paris, 
Le  lai  de  l'oiselet,  dans  „Légendes  du  moyen  âge",  Paris 
1903,  pag.  271). 

J'ai    conservé   les  sigles  du  Recueil  Général   (III,    387) 
pour  désigner  ces  trois  mss.  qui  ont  été  souvent  étudiés. 

4)  /)  =  Chantilly,  Musée  Condé  n°  475,  f"*  215  r°— 217r<>.  XIIP  siècle. 

(Voir  la  description  détaillée  de  ce  ms.  que  M.  G.  Raynaud 
a  donnée  dans  la  Romania,  t.  XXIV,  p.  446  ss).  ^) 

J'ai  pris  copie  des  quatre  mss.,  les  variantes  fournies  par  le  Recueil, 
Général  n'étant  pas  toujours  suffisantes  ni,  en  général,  d'une  exactitude 
rigoureuse.   — 

Nos  manuscrits  ne  semblent  pas  trop  s'éloigner  de  l'original;  en 
effet,  sur  un  peu  plus  de  260  vers,  37  sont  absolument  identiques  dans 
les  quatre  versions,  et  il  est  permis  d'y  ajouter  une  trentaine  d'autres 
qui  ne  se  distinguent  entre  eux  que  par  des  variantes  minuscules. 

Est-il  possible  de  préciser  certains  rapports  entre  les  quatre  ma- 
nuscrits ? 


1)  Ce  ms.  renferme,  entre  autres,  le  fabliau  du  Boucher  d'Abbeville  dont  je 
prépare  une  éditioD  critique;  chemin  taisant,  j'ai  recueilli  les  matériaux  delà  présente 
publication. 


—     149     — 

Il  n'y  a  qu'un  critérium  pour  décifler  la  question  ^)  :  La  commu- 
nauté d'erreurs.  Autre  restriction  à  faire:  il  peut  arriver  que  des  copistes 
indépendants  l'un  de  l'autre  tombent  dans  la  même  erreur;  toutefois,  ce 
cas  n'est  qu'une  exception  à  la  règle  qui  veut  qu'une  faute  commune  lie 
les  mss.  en  une  même  famille. 

Cela  dit,  je  ne  vois  qu'un  seul  passage  de  quelque  importance  : 
V.  100,  et  ce  vers  semble  parler  en  faveur  d'un  groupement  B  D  -\-  C 
contre  A: 

(Le  sénéchal,  furieux,  accueille  par  des  injures  le  vilain  „qui  vient 
de  charrue":) 

V.  99  :     Veez  quel  louceor  de  pois  ! 

A  continue  : 

V.   100:  Vous  estes  venuz  seur  mon  pois 
(Ceenz,  foi  que  doi  saint  Espir!) 

B  D  disent  au  contraire  : 

N'estes  pas  venus  sor  mon  pois  .  .  . 

De  même  C: 

Il  n'est  i^as  uenuz  sor  men  pois  .  .  . 

Or  c'est  un  contresens,  à  mon  avis.  Le  sénéchal  veut  dire,  évidem- 
ment: „Vous  êtes  venu  en  dépit  de  moi",  ,seur  mon  pois'  ne  pouvant 
signifier  que  ,en  dépit  que  j'en  aie^-) 

BD  -j-  C  présenteraient  donc  ici  une  faute  commune. 

On  peut  se  demander  toutefois,  si  la  leçon  de  BD  n'est  pas  simple- 
ment une  périphrase  de  A,  c'est  à  dire,  s'il  ne  faut  pas  l'interpréter 
plutôt  comme  une  interrogation,  une  ,question  rhétorique'  négative,  apte 
à  rendre,  avec  plus  d'énergie  que  la  proposition  assertive  de  A,  le  re- 
proche amer  du  sénéchal  —  :  „N'êtes-vous  pas  venu  en  dépit  de  moi  ?" 
Mais  les  considérations  de  M.  A.  Schulze  (Der  altfranzösische  direkte 
Fragesatz,  Leipzig  1888,  Kap.  II)  sur  les  „Füllwörter  der  Negation"  ne 
me  paraissent  pas  venir  en  aide  à  cette  opinion;  voir  notamment  le  §  18. 
(On  s'attendrait  plutôt  à  „N'estes  vous  venus  s.  m.  p.  ?''  Des  quelques 
exemples,  cités  au  §  20,  qui  annoncent  l'usage  moderne,  le  second  seule- 


ij  On  sait  qu'il  est  dangereux  de  baser  uue  olassitication  uiiiquemeut  sur  des 
omissions  communes;  voir  les  remarques  importantes  de  M.  Foerster,  Erec,  p.  XXXVI 
iHom.  bibl.,  t.  XIII,  1891)). 

2)  Voir  sur  cette  expression  G.  Ebeling,  Auberee,  note  au  v.  294;  cf.  M — R  I.  97  : 
Quar  quant  li  preudom  veut  avoir 
Forée,  se  li  tesoit  pois, 
Et  si  estoit  tout  seur  son  pois. 
Voir  aussi  les  nombreux  exemples  recueillis  par  C-rodefroy  ;  comparer  les  expres- 
sions analogues  ,sor  mon  defandement'  („Et  espousait  ma  mère  s.  m.  d."  Orson  lö9()), 
sur  ma  deffense'  (Richars  li  biaus  955  =  sans  mon  assens  9(U). 


—     150     — 

ment  (Mir.  X.  D.  IX  [1.  XI],  531)  pourrait  être  comparé  à  notre  vers*); 
or,  comme  presque  tous  les  autres,  il  n'est  pas  antérieur  à  la  seconde 
moitié  du  XTV^  siècle;  cf.  aussi  Paris-Langlois,  Chrestomathie  du  moyen 
âge^  p.  LXXIX).  —  De  plus,  le  vers  suivant  (v.  101)  semble  terminer 
une  assertion  positive  peremjjtoire. 

Je  m'arrêterai  donc  au  groupement  B  D  C  contre  A,  et  voici  d'autres 
passages  qui,  en  partie  au  moins,  rendent  probable  cette  classification  ; 
mais  il  importe  de  faire  remarquer  dès  l'abord  qu'aucune  de  ces  leçons 
n'est  fautive.  Dans  la  plupart  des  cas,  il  est  même  difficile  de  choisir 
entre  les  deux  versions  (soit  Aetj:'  =  BDC),  et,  indirectement,  cet  état 
de  choses  confirmerait  notre  classification  qui  laisse  la  question  indécise 
dans  tous  les  cas  suivants  où  B  +  C  +  D  sont  d'accord  contre  A.") 

vv.  82 — 3    (Je  néglige  ici  les  menues  variantes,  v.  la  varia  lectio). 
A  :  A  tant  ez  I-  vilain  Raoul, 

■I-  bouuier,  qui  vient  de  charrue. 
OBD:  A  tant  ez  vous  uenir  Raoul, 

Vn  vilain,  qui  vient  de  charrue. 
La  leçon  de  A  évite  le  double  emploi  de  , venir',  tout  en  renforçant 
et    en   précisant   la   notion    de    ,vilain':   il   me    semble  plus  naturel  d'en 
dériver  la  leçon,  plus  banale,  de  CBD  que  d'admettre  l'inverse.  — 

Après  le  v.  116,  BDC  ajoutent  deux  vers;  voici  ce  passage  dans 
le  contexte: 

V.  114:     «Sire,»  fet  il,  «por  saint  Germain! 
Je  vieng  mengier,  quar  i'  oï  dire 
Que  tuit  en  ont  sanz  contredire, 

A.... BDC:  Mais  ie  ne  sai  ou  ie  me  siesce, 

Car  tuit  sont  plain  et  banc  et  siege, 

V.  117:  Si  ne  me  sai  ou  asseoir.» 
Je  n'ose  pas  décider  si  ces  deux  vers  appartenaient  à  l'original. 
On  pourrait  y  voir  un  remplissage;  mais  peut-être  doivent-ils  peindre, 
par  le  moyen  de  la  répétition  (v.  116*  et  117),  l'embarras  où  se  trouve  le 
vilain  ahuri  et,  de  plus,  insister  sur  le  manque  de  place  pour  mieux 
préparer  l'acte  brutal,  ce  ,prêt  du  buffet',  centre  et  pivot  de  notre  fabliau. 
Si  la  leçon  de  B  +  C  +  D  est  la  bonne,  il  va  sans  dire  que  ce  passage 
ne  les  réunit  pas  en  une  même  famille  :  A  (ou  son  modèle)  aurait  sauté 
alors  les  deux  vers,  peut-être  à  cause  du  début  analogue  dans  116  et 
1  !<)''.    C'est  cette  dernière  hypothèse  qui  me  paraît  la  plus  probable.  — 

')  Notons  toutefois  qu'ici  le  verbe  est  suivi  du  pronom  personnel:  („Pour  quoy 
me  veulz  tu  traveillier,  tirant  fel,  plain  de  cruauté?)  N'as  tu  pas  assez  tourmenté  Des 
autres  sergenz  Jhesu  Crist?'" 

^)  Si  la  préft  rence  a  été  donuée  dans  la  suite,  le  plus  souvent,  à  la  leçon  de  A, 
n'est  l'étude  interne  des  mss.  qui  m'y  a  décidé. 


—     151     — 

V.  184.  A:  Tu  en  es  chëus  en  mes  las. 
CBD;  Tu  es  chëus  en  raauuais  las. 
,mes',  dans  A,  c'est  l'adj.  mais  „mauvais",  fréquent  surtout  au 
Nord  et  au  Nord-Est^)  (cf.  Foerster,  Aiol  6141;  Herzog,  Neufranzösische 
Dialekttexte,  Leipzig  1906,  p.  123  s.  v.  mas,  et,  en  général,  la  carte 
„mauvais"  de  l'Atlas  Linguistique  et  l'article  de  M.  Horning  que  nous 
citerons  dans  la  note  au  v.  184).  Il  est  peu  probable  que  le  scribe  de 
A  ait,  de  son  chef,  introduit  un  mot  qui  ne  semble  pas  être  propre  à 
son  dialecte  (français  du  centre).-)  — 

V.  215.  A:  Li  quens  en  a  gete    I-  ris. 

CBD:  Quant  li  quens  Tot,  si  en  a  ris. 
La  leçon  de  A  est  moins  banale  que  l'autre.  — 
vv.  257-8:  Si  dist  a  soi:   «Qui  siet,  il  sèche;» 

A:  Et  puis  si  dist:  «Qui  va,  il  lèche. 
BDC:  Et  si  dist:   «On  ki  va,  il  leke. 
A  donne  la  forme  courante  du  proverbe  (cf.  la  note).  — 
Notons  finalement  qu'au  vers  207,  les  deux  leçons 

A:  Jugiez  ...  BDC:  Fêtes  jugier  .  .  . 

disent  absolument  la  même  chose:  BDC  appartient  au  type  ,Faites  moi 
escouter',  étudié  par  M.  A.  Tobler,  V.  B.  I^  p.  20  ss. 

Voici  la  liste  des  autres  passages,  plus  insignifiants  encore,  où  une 
leçon  .r  (=BDC)  s'oppose  à  une  leçon  A,  sans  qu'il  soit  possible  de 
déterminer  de  quel  côté  est  l'erreur,  disons  mieux,  l'inadvertance  :  ■^) 

vv.  26,  40,  45,  46,  52,  69,  114,   122,  124,  126,  134,  (140),  141, 
159,   167.    170-1,    188,    196,    202,   207,  217,  218,  230,  231, 
246,  260. 
Pour  tous  ces  passages,  j'ai  adopté  la  leçon  de  A.  En  une  douzaine 
de  cas,  x  (=  B  D  C)  a  été  préféré  : 

vv.  47,    71-2,   80,   93,   97,   115,   148,  146,   155,   176,    199;   284, 
236  (cf.  la  note  aux  vers  232-7). 
Dann  /'mtérieur  de  la  famUk  x.  B  et  D  semblent  être  ptus  proc/ie- 
ment  apparentés  Qjj. 

Nous  avons  parlé  plus  haut  du  vers  100,  où  BD  +  C  s'opposent  à 
A;   mais  selon  toute  apparence,   la  leçon  de  BD  était  déjà  dans  ,/'.    — 
L'omission  commune  des  vv.  23—4  ne  nous  dit  rien  non  plus,  puisque 
B  a  supprimé  toute  cette  partie  du  prologue  (vv.  12—24).  — 

')  Dans  le  ms.  picard  B,  ce  mot  figure  deux  fois,  aux  vers  29  et  247. 

-)  Il  est  vrai  qu'un  intermédiaire  entre  l'orio^inal  et  A  pourrait  l'avoir  introduit  ; 
ce  passage  est  donc  indifferent. 

3)  Les  chiffres  mis  entre  parenthèses  indiquent  des  passages  où  A  et  a:  se 
distinguent  seulement  par  des  détails  de  forme. 


—     152     — 

Mais  voici  un  passage  plus  significatif.  Au  v.  35,  la  leçon  de  C, 
outre  qu'elle  est  appuyée  par  l'autorité  de  A,  est  moins  banale  que  celle 
de  BD  et  cadre  mieux  avec  le  vers  qui  suit;  à  mon  sens,  ,pesoit'  a  été 
introduit  par  y.  modèle  commun  de  B  et  D.  (La  bévue  de  D  ,qui  l'en 
pesoit'  s'explique  par  une  contamination  avec  la  seconde  moitié  du  vers 
suivant  , qu'il  ne  creuoit').  — 

vv.  91—2.  Ces  deux  vers  manquent  à  B  et  à  D  ;  mais  ils  sont  de 
ceux  qui  ne  permettent  pas  de  tirer  une  conclusion  quelconque.  — 

vv.  133-4: 
C:  Li  quens  manda  [les]  menestreuz      BD:  Li  quens  a  fait  crier  entr'eus 
Et  si  a  fait  sauoir  entr'euz  Et  fait  sauoir  as  menestreus 

La  leçon  de  A  (=  texte)  : 

Li  quens  manda  les  ménestrels 
Et  si  a  fait  crier  entr'  éls 
qui  est  certainement  la  bonne,  permet  de  se  faire  une  idée  de  la  manière 
dont  ont  procédé  les  copistes  de  la  famille  x: 

X  présentait  probablement  encore  la  leçon  de  l'original,  témoin  C 
qui  a  remplacé  seulement  , crier'  par  , sauoir',  mot  incolore;  //.  au  con- 
traire, a  conservé  , crier',  mais,  anticipant  le  contenu  du  v.  134,  il  a  été 
obligé  de  reprendre  , menestreus'  pour  le  besoin  de  la  rime  et  d'introduire 
la  cheville  ,fait  sauoir'.  ') 

Indiquons  les  autres  rencontres,  pour  la  plupart  insignifiantes,  de 
B  et  D: 

1)  Contre  C  (+ A):  vv.  3-4,   10,  (31),  32,  33,  60,  69,  (71),  80,  85, 
112,  131,  136,   142,  143,   151,  (161),   167,  173,  (240),  (262). 

Dans   tous   ces   cas,    A  -h  C   nous    ont   fourni  la  leçon  du 
texte  critique. 

2)  Contre  C   seul    (A  étant   difterent)  :    vv.  10,    116  b   (A  manque), 
171,   187.  207,  217,  241,  246. 

(Pour  le  groupement  BD  +  A,  voir  plus  loin.) 
Les  lieux  autres  combinaisons  possibles  dans  l'intérieur  de  la  famille 
X,  à  savoir  CB  et  CD,  ne-  sont  f/uère  probables. 
I.  C4  B: 

V.  48.    boiax    D;  linaus  |]  A:  bouciaus. 
jboiax*,  c'est  sans  doute  la  leçon  de  ./•  et  de  //.•  D  Va  modifiée  de 
son  chef.  — 

V.  80.    C:  tex    X-  ou  (tex)  -IX-    B:  tex    X-  et  -IX-  || 
D(i  A):  tels  -XXXIX 
Cette  rencontre  est  un  pur  hasard  :  le  chifi're  n'est  rien  —  pourvu 
que  la  rime  soit  satisfaite.  — 

1)  Je  crois  doue  que  la  préseuce  de  .sauoir'  dans  les  deux  groupes  de  la  famille  x 
est  tout  accidentelle 


à 


—     158      - 

V,  86.    Il  semble  qu'ici  C  et  B  aient  une  faute  en  commun. 
B:  Qui  moût  de  tin  lait  plain  estoit. 
C:  Qui  moût  estoit  de  lait  plain. 
Cela  donne  un  sens  absurde  ;  de  plus,  le  scribe  de  B  qui  gribouille 
a  violé  la  rime.   Mais  il  manque  une  syllabe  à  C  :   il  faut  donc  rétablir 
.pelain"  que  le  copiste,  par  inadvertance,  n'a  pas  compris. 
Voici  l'énumération  des  autres  passages: 

1)  Contre  D  (+A):  vv.  3.  42,  51  (texta),  88,  103.  123,  125.  159, 
169,  177,   182,  187,  200,  228,  236,  239. 

2)  Contre  D  seul  (A  étant  différent)  :  vv.  28  (texte),  52,  53  (texte), 
58,  71  (texte),  80  (texte),  82,  (93),  94,  (185-6  manquent  à  D), 
188,  215,  229   30,  260. 

(CB  +  A,  voir  plus  loin). 

IL  C  +  D: 

Ces  passages  sont  nombreux,  B  étant  très  fautif  (cf.  plus  loin 
A+C  +  D  contre  B)  ;  ils  donnent  généralement  la  leçon  de  x.  Seuls 
sont  intéressants  les  cas  où  B  +  A  sopposent  à  C  +  D,  et  ce  sera  une 
contre-épreuve  :  en  etfet,  si  notre  classification  n'est  pas  fausse,  ces  quelques 
rencontres  de  B  et  A  doivent  être  fortuites.  ')  Or  il  s'agit  notamment 
de  deux  passages  qui  ne  figurent  ni  dans  A  ni  dans  B. 

Après  le  V.  8,  C  +  D  ont  deux  vers  qui  semblent  être  de  rem- 
plissage; pour  cela  même  il  n'est  guère  possible  de  décider  s'ils  appar- 
tenaient à  l'original  ou  s'ils  ont  été  introduits  par  .r  et  omis  dans  la 
suite  par  le  scribe  de  B. 

Il  en  est  de  même  pour  les  vv.   147-8  que  j'ai  mis  pourtant  dans 
le  texte  critique;    là,   il  est  possible  que  A  et  B,    trompés  par  le  début 
presque  identique  des  vers   147  et  149,    aient  sauté  les  deux  vers   indé- 
pendamment l'un  de  l'autre.    Même  si  les  deux  passages  ont  appartenu 
à  l'original  (chose  que  je  croirais  assez  volontiers),  la  rencontre  négative 
de  B  et  A  peut  être  tout  accidentelle;  car  B  a  beaucoup  d'autres  lacunes 
où  l'omission  n'est   pas  aussi    aisée  à  expliquer    que  dans    les  deux  cas 
précités  (quant  à  une  autre  lacune  probable  de  A,  voir  ci-dessus,  p.  150).  — 
v.  50.    CD:  morcel  ||  AB:  chapon. 
J'ai  préféré  la  leçon  de  CD:  étant  donné  ,poucin'  (qui  est  fixé  par 
la  rime),  , chapon'    devait    se    présenter   facilement    à  l'esprit  d'un  scribe 
quelconque;  l'inverse  est  moins  probable.  — 
V.   179.    (v.   178:  ....  lors  furent  qoi) 

CD:  Li  sergent  quant  il  le  commande  (texte). 
AB:  Puisque  li  sires  le  commande. 


1)  Nous  laissons  de  côté  celles  qui  sont  tout  à  fait  insignifiantes. 


—      154     — 

Je  ne  crois  pas  qa'on  puisse  attribuer  quelque  importance  à  ce 
passage  où  s'opposent  deux  leçons  doublement  attestées  ;  l'une  ou  l'autre 
aurait  pu  figurer  indifféremment  dans  Toriginal. 

Voici  les  autres  rencontres  de  C  et  D: 

Ij  Contre  B  (+  A):  vv.  (3,  4),  8  (texte),  9,  33,  (35,  42),  59  (texte), 
75,  97  (texte),  (102),  144,  (15(3,  248). 

2)  Contre  B  seul  (A  étant  différent):  vv.  43,  46,  52.  88.  (90),  122, 
128  (texte),  155,  191,  (196),  234  (texte). 

3)  Contre  A  seul  (B  manquant):  vv.  14  (texte),  (15),  20,  (21),  22, 
164,  (221-2),  224,  225. 

(CD  +  A,  voir  plus  loin.) 

Ces  considérations  permettent,  semble-t-il,  de  nous  arrêter  au  groupe- 
ment admis  et  d'exprimer  par  la  figure  suivante  la  filiation  des  quatre  mss.  : 

O 


X 


y 


A  CED 

Passons  rapidement  en  revue  les  autres  combinaisons  théoriquement 
possibles. 
Groupes  ternaires. 

1)  A  CD  contre  B. 

Il  n'y  a  aucune  preuve  en  faveur  de  ce  groupement.  La  rencontre 
de  ces  trois  mss.  donne  toujours  la  bonne  leçon  ;  B  fourmille  d'inadver- 
tances et  de  fautes  grossières.  Les  vers  qui  appartiennent  à  B  seul  sont 
certainement  de  remplissage;  voir  dans  la  varia  lectio  après  les  vers 
198,  226  (où  il  fallait  trouver  une  rime,  le  v.  225  qui  la  contenait  ayant 
été  omis  avec  les  six  vers  précédents),  256.  Il  n'en  est  pas  de  même  des 
vers  qui  manquent  à  ß  :  Les  vv.  13-24  pourraient  être  supprimés,  à  la 
rigueur;  mais  il  semble  bien  que  l'omission  des  vv.  37-8,  et  en  même 
temps  l'ordre  différent  adopté  pour  les  \y.  39—46  (qui  font  suite,  dans 
B,  à  47-52)  s'expliquent  par  une  distraction  du  scribe  qui,  après  avoir 
copié  les  vv.  35-6  (pesoit  :  enragoit)  aura  été  (comme  il  arrive  souvent) 
induit  en  erreur  par  une  rime  postérieure,  semblable  à  celle  qu'il  venait 
d'écrire  (à  savoir  45-6:  haoit:  dire  ooit),  de  manière  à  continuer  par  le 
V.  47  plutôt  que  par  le  v.  37;  après  coup,  s'apercevant  de  sa  bévue,  il  a 


—     155     — 

voulu  iutroduire  les  vers  sautés;    toutefois,  il  a  oublié  de  marquer,    par 
un  renvoi  en  marge,  la  place  qui  leur  convient. 

Omissions  indubitables  de  B  (témoin  la  rime  négligée):  v.  118  et 
v.  164;  de  même  les  vv.  219-25  (pour  observer  les  convenances  de  la 
rime,  le  scribe  a  trouvé  bon  cette  fois  d'introduire,  après  le  v.  226,  un 
vers  de  son  cru,  cbeville  pitoyable  qui  détruit  maladroitement  le  jeu  de 
mots  sur  lequel  pivote  tout  le  récit). 

La  combinaison 

2)  ACB  contre  D 

mérite  mieux  notre  attention. 

D  débute  par  ces  quatre  vers  : 

Trubers  en  ces  fablel  fablie 

Qui  de  bien  dire  ne  s'oublie; 

Car  honnours  est  —  bien  s'i  acorde  — 

Qui  le  bien  set  qu'il  le  recorde. 

Selon  M.  Raynaud  (Romania,  t.  XXIV,  p.  449),  ce  Trubert  serait 
l'auteur  du  fabliau.  ACB  auraient  donc  ici  une  lacune  en  commun,  de 
même  après  les  vers  46  (2  vv.)  et  52  (6  vv.)  et,  par  conséquent,  forme- 
raient une  famille;  car  il  serait  bien  étonnant  que  ces  trois  rencontres 
fussent  accidentelles  dans  une  pièce  qui  ne  compte  pas  même  300  vers. 
J'ai  de  la  peine  à  me  ranger  à  l'avis  de  M.  Raynaud.  Ces  vers  me 
font  l'impression  d'un  début  postiche  ^),  ajouté  sans  doute  par  le  premier 
venu  des  jongleurs  qui  colportaient  les  fabliaux  et  en  rimaient  eux-mêmes. 
Ce  récitateur  public  aurait  trouvé  bon  d'ouvrir  la  séance  par  une  banale 
profession  de  foi,  sans  se  douter  peut-être  qu'il  s'emparait  ainsi  du  bien 
d'un  rimeur  anonyme;  il  aurait  intercalé  aussi  les  deux  autres  passages, 
notamment  les  six  vers  relatifs  aux  ménestrels  (v.  la  varia  lectio  au 
vers  52).  Si  l'assertion  de  M.  Raynaud  n'est  pas  appuyée  par  des 
preuves  positives  (et  je  n'en  vois  guère) ,  elle  ne  me  paraît  pas 
soutenable  devant  les  arguments  (plus  forts  sans  être  décisifs)  qui 
témoignent  en  faveur  de  la  classification  admise  plus  haut.  Les  deux 
autres  passages  cités  qui  figurent  dans  D  seulement  ne  peuvent  pas 
décider  la  question,  et  toutes  les  autres  rencontres  de  A  +  B  +  C  ne 
donnent  jamais  une  mauvaise  leçon,  tandis  que  D  n'oÔre  pas  toujours 
une  leçon  satisfaisante. 

Voici  la  liste  des  passages  en  question  (ils  sont  nombreux  parce  que 
D,  comme  le  montrent  déjà  les  trois  intercalations,  a  disposé  assez  libre- 

^)  Notons  d'ailleurs  cjue  notre  texte  ne  connaît  pas  encore,  au  suhj.  présent  des 
verbes  en  —  er.  l'e  analogique  de  la  3^  pers.  du  sing.  (cf.  v.  210);  or  le  quatrième  de 
ces  vers,  si  je  le  comprends  bien,  présente  déjà  une  forme  analogique:  recorde 
(:  acorde  indic).  Je  traduis;  .,Car  c'est  un  devoir  honorable  (.Eiirenpflicht'  en  alle- 
mand) — •  il  (se.  Trubert)  s'y  conforme  bien  —  que  celui  qui  sait  le  bien  le  fasse  con- 
naître (se.  aux  autres)''. 


—     156     — 

ment  de  son  modèle):  vv.  4,  28,  (50,  55),  57,  58,  60,  61,  66,  71,  95, 
98,  102,  106,  112,  113,  117,  123,  129,  132,  139,  143,  144,  155,  159, 
172,  174-5,  182,  192,  193,  195,  199,  (201),  205,  (207-8),  209,  210,  213, 
214,  (216),  218,  231,  (232),  233,  (239),  243,  244,  250,  251,  252,  254, 
255,  256,  257,  259,  260,  262. 
3)  ABD  contre  C. 

Ces  rencontres  donnent  toujours  une  bonne  leçon.  Le  scribe 
de  C  étant  très  négligent,  j'ai  préféré  la  leçon  de  A  -i-  B  +  D  également 
dans  les  quelques  cas  où  le  choix  reste  douteux. 

Cf.  les  vers  2,  (10),  (25),  29,  35,  45,  50,  51,  53,  54,  65,  69;  après 
72,  C  ajoute  un  vers  qui  est  superflu;  77,  78,  83,  87,  (88,  90),  99,  103, 
105,  106,  (108,  110),  115,  117,  119,  122,  125,  126,  (138),  139,  141,  (144, 
151,  152,  161,  165),  170,  (171),  181,  187,  189,  192  (manque  à  C),  193, 
195,  196,  198,  199,  202,  206,  210,  (211,  212),  226,  227,  235,242,  243, 
250,  (254). 
Groupes  binaires. 

1)  A  +  C. 

Seuls  sont  intéressants  les  passages  où  une  leçon  A  +  C  s'oppose  à 
une  leçoQ  B  +  D;  ces  cas  ont  été  énumérés  et  discutés  plus  haut  (p.  152). 

Au  vers  37 

D:  De  duel  ||  AC:  D'orgueil  ||  (B  manque) 
on    peut   très  bien  maintenir  cette  dernière  leçon  ;    car  c'est  de  l'orgueil 
blessé  qu'il  s'agit  :  l'orgueil  du  sénéchal  est  blessé  par  l'affabilité  de  son 
seigneur. 

2)  A  +  D. 

Voir  ci-dessus,  p.  153. 

Au  seul  vers  51,  la  leçon  de 

BC:  Menioit  j|  AD:  Menia 
m'a  paru  préférable;  mais  il  n'était  pas  absolument  nécessaire  de  l'intro- 
duire dans  le  texte.   Dans  tous  les  autres  cas,  A  +  D  donnent  la  bonne  leçon. 

3)  A  -\-  B. 

Ces  rencontres  ont  déjà  été  examinées  (v.  p.  154).  De  même,  dans  les 
quelques  cas  où  le  groupe  A  l-  B  se  forme  sans  que  C  et  D  soient  réunis 
à  leur  tour,  il  ne  s'agit  que  de  similitudes  minuscules,  tout  accidentelles 
(sauf  aux  vv.  132,  139,  193,  195,  243,  où  B,  par  exception,  a  seul  con- 
servé fidèlement  la  leçon  de  //  et  ./•);  cf.  les  vers  54,  (87),  95,  97,  98, 
108,  (144),   146,  228. 

Le  dia/ecte  fin  fiihliiui.  —  Avant  d'aborder  l'étude  de  la  langue,  il  im- 
porte de  faire  une  remarque  sur  le  caractère  des  rimes  de  notre  texte.  Si  bien 
des  fabliaux,  comme  l'a  observé  M.  Bédier  (Les  fabliaux  ^,  p.  342  ss.),  sont  „à 
peine  rimes",  le  nôtre,  en  revanche,  témoigne  d'un  certain  culte  pour  la  rime. 
On  n'est  pas  allé  quérir  la  rime  riche,  dit  encore  M.  Bédier;  notre  auteur. 


—      157     — 

au  contraire,  Fa  manifestement  pourchassée.  Il  aimait  les  jeux  de  mots^), 
et  de  même  il  aimait  à  jouer  avec  les  rimes.  Sur  100  vers  français,  douze, 
en  moyenne,  sont  rimes  richement:  „Cette  proportion  (seil.  12%  de  rimes 
riches  constatées  dans  le  Tristan  de  Thomas)  doit  représenter  exacte- 
ment celle  que  la  langue  française  offrirait  d'elle-même  à  tout  poète  qui 
n'aurait  nul  souci  ni  de  la  consonne  d'appui,  ni  de  jeux  de  rimes,  ni 
d'aucune  recherche  de  versification"  (Bédier,  Le  roman  de  Tristan  par 
Thomas,  t.  II.  [1905].  p.  32).  Mais  notre  texte  renverse  cette  propor- 
tion ;  ici,  les  rimes  suffisantes  sont  le  petit  nombre:  sur  182  rimes,  20 
seulement  sont  suffisantes  ;  les  autres  sont  riches,  léonines,  dissyllabiques 
etc.,  cf.  la  statistique  dressée  par  M.  Freymond  dans  son  étude  „Über 
den  reichen  Reim  bei  altfranzösischen  Dichtern  bis  zum  Anfang  des 
XIV.  Jahrhunderts",  Zeitschr  f.  rom.  Phil.  VI  (1882),  p.  29,  No.  177 
(M.  Freymond  a  constaté,  dans  le  ,Dit  du  buffet',  84%  de  rimes  plus 
ou  moins  riches,  exactement  la  même  proportion  que  l'on  rencontre  dans 
le  ,Diz  dou  vrai  aniel'  (No.  181);  ce  chiffre  n'est  dépassé  que  par  les 
Nos.  184,  185,  187  de  sa  liste  qui  présentent  85-87%  de  rimes  riches). 
Il  faut  dire  pourtant  que  bien  des  rimes  prétendues  ,riches'  sont  de 
pauvres  rimes,  en  ce  sens  qu'elles  devaient  se  présenter  plus  facilement 
à  l'esprit  du  conteur  qu'une  rime  simplement  suffisante.  "') 

Voci,  pour  déterminer  le  dialecte  et  la  date  du  fabliau,  les  quelques 
traits  linguistiques  que  les  rimes  et  la  mesure  des  vers  font  ressortir. 
P    ménestrels  :  entr'  eis  (134,  232), 
^    donc  -eus  <,  -ales:ëus  -<  ïllos. 

Cette  rime  semble  exclure  le  territoire  wallon-picard  (de  même 
la  partie  orientale  de  la  Champagne)  qui  connaît  bien  -eis,  -es  <;  -aies 
(cf.  A.  Tobler,  vrai  aniel,  p.  XXIX),  mais  qui  dit  aus,  iaus  <,  ïl- 
los (cf.  Suchier,  Aucassin  *,  p.  68.  Dans  Huon  de  Bordeaux 
on  rencontre,  à  l'intérieur  du  vers,  les  trois  formes:  eus,  çaus, 
ciaus.  cf.  aussi  entr 'ex  Aucassin  2,2o  et  Foerster,  Aiol, 
p.  XXXIX). 

En  francien,  la  confusion  de  eu  et  eu   s'est  opérée  probable- 
ment dès  le  commencement  du  XIII*^  siècle  (Suchier,  Altfrz.  Gramm., 
p.  86). 
2^^    maleur:  leur  (76). 

La  contraction  de  ëur  en  env  est  propre  surtout  aux  parlers 
de   l'Orléanais,    de    la   Perche   et   de   la  Normandie   (Grundriss   I-. 
p.  744). 
3"    fu  (fuit):  fu  (focu  252). 

*)  Ce  fabliau  ne  roule  que  sur  un  jeu  de  mots. 

2)  P.  ex.  les  rimes  appelées  par  M.  Freymond  „bequeme  reiche  Reime"   (loc.  cit. 
p.  19),  et  non  seulement  celles-ci. 


—     158     — 

C'est  une  rime  picarde  (cf.  Foerster,  chev.  as  II-  esp.,  p.  XL; . 

Aiol  474.    Dans  le  Boucher  d'Abbeville,  par  Eustache  d'Amiens, 

elle  ne    figure    pas  moins    de    cinq  fois).     Cette    rime    se   rencontre 

aussi  dans  Rustebuef;  mais  le  produit  francien  de  focu  est  feu. 
4'^    Ö  +  i  >  ui: 

cuit  (cögito):  recuit  (recuctum  28). 

Cette  rime  exclut  la  Normandie   occidentale    et   le  Sud-Ouest 

en  général. 
5*^    è  i,  ai  sont  confondus  à  la  rime  : 

plains  (plenus):  plains  (planctus  30). 
6*^    Confusion  de  s  et  de  ;; 

V.  la  rime  citée  sub  5*^; 

cors  (corpus  pi.):  recors  (recort  +  s  62); 

l'as  (habes):  las  (laqueos  184). 

Au  Xll^  siècle,  ce  trait  caractérise  les  dialectes  du  Nord  ;  mais 

dans  le  courant  du    XIIP  siècle,    la   réduction    de  ts   à    s    devient 

générale. 
7"    .s*  est  muette  devant  une  consonne  : 

trahitres:   tristres   (10);    cf.    aussi   la   rime    léonine  ramposna: 
dona  (194). 
S^    i  final  libre  s'est  amuï  : 

fu  (fuit):  fu  (focu  252). 

(En  picard,  ce  -/  s'est  maintenu  très  longtemps,    cf.  Romania 

XXX,  p.   104). 
9"^    siesce:  siege  (116  b). 

siesce   (=  siece),    subj.  de  siec  sedeo  (pic,    p.  ex,  Aucassin  10,2i; 

cf.  pic.  mèche:  mec  mitto);  pour  l'explication  de  ces  formes,  voir 

Foerster,  Aiol,   p.  LI  et  Zeitschr.   f.   rom.  Phil.  XXVIII,  p.  502; 

Suchier,  Grundriss  I-,  p.  772  et  783. 

c:  fi  n'offre  rien  de  surprenant  (cf  Rustebuef:  sache:  outrage, 

cloche  :  reloge,  Mojsisovics,  Metrik  und  Sprache  R.'s,  Heidelberg  1906, 

p.  45).  Pour  siege  <;  *sedicum,  cf.  Neumann,  Zeitschr.  f.  rom.  Phil. 

XIV,  p.  554. 
10"    Uc  atone    interne   placé    en    hiatus    devant   la    voyelle    tonique    est 

maintenu  en  général  : 

contëor  (13,  22),  mentëor  (14),  loucëor  (99);   eus  (182);    ëust 

(128,   165),  pëust  (129),  pëusse  (203);  ch  eu  s  (participe  184),  bëu 

(199j,  vëu  (205).  ^ 

Exceptions:  maleur  (75),  v.  sub  2";  are  s  tu  z  (:  reuestuz  260) 

pour  arestëuz  (p.  ex.  Aiol  5218,  9196,  9487,  cf.  Foerster,  note  au 

V.  915)  est  dû  à  l'analogie  des  formes  fortes  du  parfait  (cf.  Suchier, 

Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  II,  p.  282  ss.).  Il  faut  expliquer  de  la  même 


—      159     — 

façon  un  cas  d'élision  où  Vc  se  trouve  dans  la  syllabe  initiale  du 
participe  passé  :  jut  (102,  cf.  Aucassin  14,  e,  14),  à  côté  des  exemples 
cités  chëus,  bëu,  vëu.  A  signaler  encore  vez  (103,  212)  auprès  de 
veez  (99);  il  est  permis  peut-être  d'expliquer  la  première  forme  par 
l'influence  analogique  de  ez,  cf.  le  prov.  vec  —  si  ce  n'est  pas 
simplement  vides  qui  commence  à  empiéter  sur  le  domaine  de 
V  i  d  e  t  i  s. 

Pour  le  français  du  continent,  l'élision  de  Ve  atone  antétonique 
est  attestée  sporadiquement  dès  la  tin  du  XII®  siècle,  au  moins  dans 
les  parlers  normands,   picards,    wallons,    lorrains    (cf.  Suchier.    Au- 
cassin ^,   p.  B8;    Tobler,    Versbau  ^,    p.    53-,    G.  Paris,    Orson,    p. 
XXXVI). 
11°    No,  Vo  auprès  de  Xostre,  Vostre: 
Vo  buffet  et  vo  nape  (168). 
Vostre  seneschal  (190). 

Les  formes  no,  vo  sont  propres  surtout  au  picard  et  au  wal- 
lon; vo  se  rencontre  aussi  dans  Rustebuef  (Herr.  Arch.  65,  p.  87; 
Mojsisovics,  p.  48);    cf.  en  outre  Romania  XXIX,  p.  595. 

12^    La  première  personne  du  singulier  de  l'indicatif  présent  I  ne  prend 
pas  encore  Ve  analogique: 

cuit  (cogito)  :  recuit  (28);  cuit  (202,  assuré  par  la  mesure  du 
vers);  cuit:  acuit  (210).  Ces  deux  rimes  attestent  la  prononciation 
cuit  (non  cuic);  la  dernière  constate  en  même  temps,  pour  le  sub- 
jonctif présent  I,  l'absence  de  Ve  analogique  à  la  troisième  personne 
du  singulier. 

13*^    Première  personne  du  pluriel:  —  on  s  (non       ornes): 
Disons  (250);  mais  sommes  (74). 

14"    sauroit:  auroit  (135-6), 

de  deux  syllabes  (non  aueroit  etc.) 

15*^   La  déclinaison  à  deux  cas  est  observée. 

Dans  trahitres:  trist  res  (10),  Vs  analogique  peut  avoir  été 
ajouté  par  les  scribes.  Il  n'est  pas  possible  de  déterminer  si  sire  a 
déjà  Vs  analogique  (cf.  les  vv.  114,  187,  200,  206,  233,  où  les  mss. 
ont  sire  (vocatif);  216,  240,  249,  où  ils  donnent  sire  ou  sires 
(cas  sujet);  161,  255:  seignor  (cas  régime);  il  en  est  de  même 
pour  autre  (les  leçons  des  mss.  ditierent,  cf.  les  vv.  140,  141,  142, 
143,  148:  c'est  probablement  li  uns  qui  a  entraîné  li  autres), 
subst.  fém.  :  mauuestiez  (90),  passions  (106),  cf.  Grundriss  ,1-, 
p.  787.  Il  est  possible  que  ces  deux  formes  aient  appartenu  à 
l'original, 
adject.  fém.:  grant  (120,   127). 


—     16Ü     — 

16^    tien  (tuum)  :  Tien  (tene  228). 

cf.  Grundriss  I-.  p.   791. 
17"    tuit  (n.  pi.   71.  116.  116  b). 

Cette  forme  est  remplacée,  au  XIIP  siècle,  par  tout  (tous). 
18^  V.  224:  Mes  il  nen  ose  por  le  conte.  ^Jusqu'au  XIIP  siècle,"  dit 
G.  Paris  (ehrest,  du  m,  â.  '^j  p.  XCIIn.),  „devant  un  mot  commençant 
par  une  voyelle,  on  peut  employer  nen  au  lieu  de  ne  et  éviter 
ainsi  Télision"  (cf.  aussi  Tobler,  Versbau^  p.  60).  Nen  n'est  plus 
dans  Rustebuef  (cf.  Mojsisovics,  p.  14);  devant  une  consonne,  il  se 
rencontre  encore  dans  Froissart  (Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  II,  p.  4  n.  2). 
19°    On  ne  trouve   que  les  cas  connus  d'élision  obligatoire   et  facultative; 

17^  aspirée  compte  parmi  les  consonnes  (cf.  vv.    120,  223). 
20*^    Vu  le  caractère  spécial  de  la  rime,    il  semble  permis    d'attribuer  à 
l'original  la  forme  gales  (163:  Gales  164);    peut-être    aussi  nelui 
(42:  celui  41),  pourciaus  (47:  bouciaus  487  ;  cf.  purcelli,  Gloses  de 
Cassel  n."  82).  — 

Plusieurs  rimes  importantes  manquent;  il  va  de  soi  qu'il  n'y  a  pas 
à  tirer  d'indications  de  ces  preuves  négatives  pour  la  patrie  de  notre 
petit  fabliau  (Manquent  à  la  rime  :  Le  produit  de  e  +  ï  ;  en  ^'"**-  :  an  '^°"*  .• 
le  produit  de  -   iala;  mi,  etc.). 

L'ensemble  des  traits  linguistiques  cités  et  le  mélange  de  plusieurs 
particularités  dialectales  qui  s'y  révèle  permettent,  semble-t-il,  de  loca- 
liser en  Picardie  le  fabliau  Du  Buffet  (3"\  6",  9'\  IP),  en  le  rap- 
prochant pourtant  de  la  Normandie  et  de  l'Ile  de  France  (P,  2*^,  8",  10"), 
et  de  lui  assigner  pour  date  le  commencement  du  XIIP' siècle  (1**,  10'\ 
12'\   15",   160,   170^   isc^. 

Notre    texte    contient-il    des   allusions,     historiques    ou    littéraires, 
qui  permettent  de  vérifier  les  conclusions  basées  sur  l'étude  de  la  langue  ? 
Les  éditeurs  du  Recueil  Général  en  allèguent    deux   qu'ils  croient 
telles: 

1)  Voici  ce  qu'ils  disent  dans  leur  note  au  v.  218  (t.  III,  p.  393; 
c'est  le  V.  216  de  notre  édition):  „Le  comte  Henri,  dont  il  est  ici  question, 
est  sans  doute  Henri,  comte  de  Champagne,  auquel  fait  aussi  allusion, 
mais  un  peu  confusément,  le  fabliau  de  la  Plantez  (cf.  p.  173)".  M. 
Bédier,  dans  la  première  édition  de  son  livre  (p.  464),  a  déjà  relevé  la 
faiblesse  de  cette  remarque  :  „Pour  notre  part,  nous  soupçonnons  Henri 
d'être  là  pour  la  rime  ;  et  comme  il  y  a  eu  d'ailleurs  des  centaines  de 
comtes  Henri  au  moyen  âge,  il  n'y  a  aucune  raison  de  croire  qu'il 
s'agisse  d'un  comte  Henri  de  Champagne.  D'ailleurs,  qui  est  ce  comte 
Henri  de  Champagne  dont  parle  la  Plantez  et  qui  serait  le  même  que 
celui  du  Vilain  au  buffet?  Les  éditeurs  (p.  380)  déclarent  n'en  rien 
savoir.  Quelle  nécessité  de  faire  une  note  pour  identifier  un  inconnu  avec 


—     161     — 

un  inconnu?  Pour  le  dire  en  passant,  M.  Gr.  Paris  (Litt.  fr.  au  ra.  âge, 
p.  113)  a  reconnu  en  ce  comte  Henri  de  Champagne  le  roi  de  Jérusalem 
Henri,  mort  en  1197."^) 

2)  Au  vers  148  (qui  manque  à  A  B),  un  des  jongleurs  „dit  l'er- 
berie."  Or  on  lit  dans  le  Glossaire-Index  (t.  VI,  p.  320):  „Erberie" 
(Allusion  au  Dit  de  1'),  de  Rutebeuf." 

Cette  assertion  ne  me  semble  pas  plus  fondée  que  la  précédente. 
,Erberie'  est  un  nom  générique  (comme  .riote'  v.  142,  .jenglerie'  v.  143), 
et  il  est  certain  qu'il  y  a  eu,  tout  comme  des  comtes  Henri,  des  dits 
de  l'erberie  par  centaines  au  moyen  âge.  Si  l'erberie  de  Rustebuef  est 
seule  -)  à  nous  conserver  un  représentant  de  ce  genre  de  parodie,  s'en- 
suit-il de  là  que  toute  allusion  à  l'erberie  se  rapporte  nécessairement 
à  la  composition  de  Rustebuef?  La  parodie  du  boniment  de  ,mire*  était 
sans  doute  une  pièce  du  répertoire  de  chaque  jongleur.  Dans  les  foires 
où  l'on  prêtait  l'oreille  au  boniment  sérieux  du  charlatan,  on  en  applau- 
dissait aussi  la  parodie  improvisée  par  un  jongleur  quelconque. 

Il  est  probable  que  des  considérations  analogues  ont  porté  M. 
Groeber  (Grundriss  II,  1,  p.  904)  à  s'exprimer  avec  réserve  sur  l'identi- 
fication proposée  par  les  éditeurs.^)  Selon  M.  Groeber,  notre  fabliau 
serait  de  l'extrême  fin  du  XIII«  siècle  ;  *)  c'est  aller  trop  loin,  semble- 
t-il  (voir  ci-dessus,  p.   160).  — 

Quant  à  l'aspect  extérieur  du  texte,  j'ai  reproduit  A  pour  la  graphie 
et  pour  les  formes.  C'est  le  meilleur  des  quatre  mss.  au  point  de  vue 
de  la  tradition  de  ce  fabliau,  et  le  scribe  a  été  assez  consciencieux.  Son 
dialecte  ne  semble  pas  coïncider  tout  à  fait  avec  celui  de  l'auteur,  ') 
mais  les  traits  linguistiques  qu'il  m'a  été  possible  de  dégager  plus  haut 
sont  trop  peu  nombreux  et  trop  généraux  pour  qu'on  puisse  tenter  une 
reconstruction  de  l'original  qui  ne  soit  pas  chimérique.   — 

Le  fabhau  Du  Buffet  n'est  pas  de  ceux  qui  se  transmettent  à 
travers  les  littératures.  Il  fait  partie  de  ce  petit  groupe  de  récits  qui, 
selon  M.  Bédier,  ne  peuvent  appartenir  qu'au  moyen  âge  français,  comme 


1)  cf.  aussi  G.  Paris,  La  littéi-ature  normande  avant  l'annexion  (Paris 
1899),  p.  41  n  1. 

2)  Ou  presque  seule,  cf.  De  la  goûte  en  l' a i n e,  composé  vers  le  même  temps 
(Romania,  t.  XVI,  p.  495);  et  je  vois  que  Jubinal  a  publié,  avec  les  deux  pièces  qu'on 
vient  de  nommer,  une  troisième  erberie  (Oeuvres  complètes  de  Rutebeuf,  t.  I.  Paris 
1839,  p.  468). 

3)  „   .  .  .  der  mit  dem  Dit  de  l'Erberie  vielleicht  Rutebuefs  Gedicht  meint." 
*)„...  noch  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  angehören  wird." 

•^j  La  même  remarque  s'applique  aux  autres  mss.  :  B  est  purement  picard  (Nord- 
Est)  ;  C  et  D  se  rapprochent  de  A.  On  sait  d'ailleurs  que  beaucoup  de  mss.  otfrent 
un  mélange  de  graphies  et  de  formes  appartenant    tantôt  au  modèle  tantôt  au  copiste. 

11 


—     162     — 

fondés  sur  un  jeu  de  mots  (Les  fabliaux  -,  p.  283;  on  pourrait  y  ajouter 
les  deux  pièces  obscènes  De  l'aveine  por  Morel  et  De  porcelet, 
citées  à  la  page  284  sub  4^  b).  En  effet,  l'aventure  plaisante  qu'il  ra- 
conte (peut-être  d'après  un  fait  réel,  contemporain)  repose  sur  un  jeu 
de  mots  de  l'ancienne  langue,  savoir  sur  le  double  sens  de  ,buffet'  qui 
signifiait  à  la  fois  , siège'  (sorte  de  tabouret,  escabeau)  et  , soufflet*^)  (cf. 
Tobler,  Y.  B.  Il-,  p.  261 — 2).-)  La  Rio  te  du  monde,  si  riche  en  ca- 
lembours, m'en  offre  un  autre  exemple  intéressant:  „Se  je  di  a  un 
vilain:  „Je  te  donrai  un  bufet,"  il  s'ira  clamer  de  moi;  et  encore  valt 
uns  buffes  v-  sols  u  VI-  a  mètre  en  le  maison  d'un  borgois"  (Zeitschr. 
f.  rom.  Phil.,  t.  VIII,  p.  283,  1.  50;  cf.  p.  284,  ms.  de  Berne).  Ceux 
qui  ont  parlé  de  notre  fabliau  n'ont  pas  dit  que  l'auteur  joue  en  même 
temps  avec  ,prester'  (=,donner  à  condition  qu'on  rendra',  puis  , donner', 
.tendre*  tout  court  ^):  c'est  dans  son  sens  général,  bien  entendu,  que  le 
sénéchal  emploie  ce  mot.  ,Prester  un  buffet'  signifie  donc  ici  les  deux 
choses:  ,tendre  un  siège'  et  , prêter  un  soufflet".  Le  sénéchal  se  sert  de 
l'équivoque  de  ,buffet'  pour  donner  un  soufflet  à  Raoul  au  lieu  du 
siège  demandé;  mais  le  vilain  rusé  profite  à  son  tour  de  la  double 
interprétation  que  comportent  les  paroles  du  sénéchal  pour  rendre 
honnêtement  (intérêt  et  principal,  s'entend)  le  soufflet  qu'on  lui 
a  prêté. 

Il  est  donc  clair  que  le  récit  ne  peut  subsister  sans  le  jeu  de  mots. 
Cela  veut  dire  en  même  temps  que  la  propagation  de  notre  conte  (comme 
en  général  de  toute  histoire  fondée  sui'  un  jeu  de  mots)*)  s'est  heurtée 
aux  limites  de  la  langue,  voire  même,  à  l'intérieur  de  la  langue  française,  au 
seuil  de  la  Renaissance;  car,  dans  le  français  littéraire,  .buffet*  (=  soufflet)  a 
bientôt  cédé  à  ,buôe'  et  à  , soufflet'  (on  ne  trouve  plus  que  ,buffe'  dans 
Amyot  et  dans  Montaigne,  cf.  Hist.  htt.,  t.  XXIII,  p.  213);  par  consé- 
quent, l'excellent  Legrand  d'Aussy,  ^)  „n'ayant  pu  la  [se.  cette  équivoque] 
faire  passer  dans  notre  langue",  a  été  obligé  d'  „y  suppléer  par  quelque 


1)  Ce  dernier  mot  est  d'origine  onomatopéique  ;  l'étymologie  du  premier  est  in- 
connu; M.  Koerting  (n^  1629;  le  rattache  au  second,  de  même  Littré,  et  déjà  Ménage. 
—  Il  est  curieux  de  voir  qu'un  mot  du  fr.  moderne,  à  savoir  pouf,  a  une  origine  et 
un  double  sens  analogue  (je  néglige  ici  les  autres  significations):  1)  interjection  2) 
sorte  de  tabouret  (dans  ce  cas,  on  écrit  aussi  pouff).  Cela  confirmerait,  en  principe, 
la  conjecture  des  savants  qu'on  vient  de  nommer;  reste  à  trouver  une  explication 
suffisante. 

2)  M.  Groeber  (Grundriss  II,  1,  p.  904)  traduit  par  mégarde,  .Serviertisch'. 
8)  cf.  aussi  Foerster,  Aiol  7384. 

*)  Il  y  a  des  exceptions,  cf.  Bédier,  Les  fabliaux-,  p.  283  n.,  et  ce  que  nous  allons 
dire  plus  loin  sur  notre  jeu  de  mots. 

^)  Fabliaux  ou  contes,  fables  et  romans  du  XII'  siècle,  traduits  ou 
extraits  par  L.  d'A.,  t.  U^  (Paris  1829),  p.  363. 


—     163     — 

chose  d'équivalent."  Il  a  remplacé  le  ,buffet'  par  un  ,coup  de  pied^,  ') 
et  il  a  intitulé  l'histoire  ainsi  modifiée  Le  siège  prêté  et  rendu;  il 
va  de  soi  qu'elle  n'a  pas  gagné  à  ce  remaniement,-)  pas  plus  qu'à  l'imi- 
tation d'Imbert  qui  s'est  inspiré  de  cette  traduction.^) 

Chose  curieuse:  L'anglais  a  emprunté  les  deux  mots  (buffet  , siège, 
et  ,souiïlet')  à  l'ancien  français  en  conservant  jusqu'à  nos  jours  leur 
signification  première*),  de  sorte  qu'il  serait  possible  de  raconter  en 
anglais  ^)  cette  même  aventure  qu'on  n'a  pu  renouveler  en  français  sans 
la  modifier  et  la  gâter. 

Notons  finalement  que  l'italien  connaît  aussi  jbufifetto'  avec  un 
double  sens  analogue  a)  soufflet*^)  b)  petite  table  ^)  que  je  rencontre 
encore  dans  le  fameux  Malmantile  Racquistato:  a)  c.  II,  str.  17 
.tavolino'  ;  b)  c.  XI,  str.  47,  v.  la  note  des  savants  commentateurs).  En 
outre,  .buffetto*  se  trouve  dans  l'expression  consacrée  ,pan  buffetto'  (=p. 
finissimo),  et  Burchiello  n'a  pas  manqué  l'occasion  d'équivoquer  sur  ce  mot  : 

„E  pan  buftetto,  e  cacio  scappezzone"  (Son.  66)  ®).  — 

Abstraction  faite  du  jeu  de  mots,  si  nous  réduisons  notre  histoire 
à  sa  plus  simple  formule,  nous  sommes  en  présence  d'un  thème  narra- 
tif certainement  très  répandu:  Un  homme  qui  s'introduit  dans  un  banquet 
sans  avoir  qualité  pour  y  être  admis  (soit  qu'il  ne  se  présente  pas  en 
habit  de  fête,  soit  qu'il  n'ait  pas  été  invité  du  tout,  un  intrus  en  somme) 
réussit,  grâce  à  son  bon  sens  naturel,  non  seulement  à  se  tirer  d'affaire, 
mais  encore  à  tourner  l'aventure  à  son  profit.  —  On  voit  que  cette  for- 
mule est  assez  générale  pour  comprendre  toute  une  série  de  contes  popu- 
laires, enrichie  sans  cesse  par  de  nouvelles  aventures  tirées  du  grand  livre  de 
la  Vie.  Si,  par  caprice  de  collectionneur,  on  recueillait  ces  historiettes 
plus  ou  moins  amusantes,  on  en  ferait  sans  doute  un  gros  album  de  bons  mots, 
mais  rien  de  plus.    Je  citerai  pourtant  deux  nouvelles,  ne  fût-ce  que  pour 


1)  loc.  cit.,  p.  360:  L'autre  |sc.  le  sénéchal],  furieux,  lui  allonge  de  toute  sa 
force  un  coup  de  pied  dans  le  derrière:  .,Tiens,  lui  dit-il,  asseois-toi  là-dessus,  je  te 
prête  ce  siège-là."  —  Le  vilain  ne  manquera  pas  de  lui  rendre  la  pareille. 

2)  C'est  une  traduction  plus  ou  moins  libre.  L'auteur  qui  a  eu  différents  mss. 
sous  les  yeux  (A,  B,  C),  a  suivi  surtout  B,  en  supprimant  quelques  passages  et  en 
ajoutant  des  phrases  de  délayage  :  il  explique  plutôt  le  conte  qu'il  ne  conte  lui-même 
Ce  qu'il  dit  à  la  page  5  sur  la  fidélité  de  ses  traductions  n'est  donc  pas  tout  à  fait  exact. 

3)  70  vers  qu'on  peut  lire  aussi,  à  la  suite  du  conte  en  prose,  dans  l'édition 
citée  de  Legrand  d'Aussy,  p.  366^8.  Imbert  a  supprimé  la  jolie  scène  des  jongleurs 
et  toute  la  fin  à  partir  de  la  vengeance  du  vilain. 

*)  Toutefois,  buffet  , soufflet"  n'est  plus  qu'un  ,mot  littéraire';  buffet  ,siège'  =  a 
three-legged  stool. 

^)  On  trouverait  é^^alement  le  correspondant  de  ,prester:  lend. 

6)  De  nos  jours  plutôt  =  biscottino  ,chiquenaude'. 

")  Aujourd'hui  au  sens  restreint  du  fr.  moderne  buffet;  cf.  aussi  buffè. 

8)  cf.  Malmantile,  c.  XI,  str.  44,  note. 


—     164     — 

montrer,  eu  deux  représentants  différents  de  temps  et  de  pays,  l'univer- 
salité du  thème.  Ces  deux  histoires  se  ressemblent  d'ailleurs  en  ce  que 
leurs  héros  sont  deux  chercheurs  de  franches  lippées  qui  s'invitent  eux- 
mêmes,  tandis  que  dans  notre  fabliau,  le  vilain  crasseux  est  au  moins  en 
droit  de  se  croire  invité  comme  tout  le  monde 

La  première  est  la  nouvelle  51  de  Sacchetti  que  je  résume  avec 
les  paroles  de  M.  L.  di  Francia  (F.  Sacchetti  novelliere,  Pisa  1902,  p. 
204)  :  „Facendo  un  convito  messer  Bonaccorso  Bellincioni,  ser  Ciolo, 
ch'era  goloso,  senz'essere  invitato,  si  presentô  a  desinare.  •  Dicendogli  i 
servi  che  se  ne  andasse,  perché  non  era  degl'  invitati,  l'ingordo  vecchietto 
rispose  che  non  voleva  fare  tal  disonore  a  Bonaccorso:  „se  io  non  sono 
stato  invitato,  non  è  mio  difetto;  la  colpa  è  stata  di  chi  l'ha  avuto  a 
fare."  Cosi  rimase  a  dispetto  dei  servi,  e  quando  il  signore  udi  la 
cosa,  ordinô  loro  che  per  ogni  festa  lo  invitassero  insieme  con  gli  altri." 
La  nouvelle  se  termine  par  des  réflexions  morales  et  par  cette  phrase: 
.  .  .  ed  egh  si  dice  che  fu  il  primo  [se.  ser  CioloJ  che  disse,  tornando 
dal  desinare  di  messer  Bonaccorso  a  casa  sua,  queste  parole,  o  questo 
motto  che  vogliam  dire:  „Chi  va  lecca,  e  chi  sta  si  secca."  On  remar- 
quera à  la  fin  de  notre  fabliau  que  le  vilain  résume  Texpérience  de  la 
journée  par  le  même  dicton  populaire;  c'est  qu'au  fond  la  situation  des 
deux  jlécheurs'  est  la  même. 

La  nouvelle  105  de  Bonaventure  Des  Periers  raconte  une  histoire 
analogue,  à  cette  différence  près  qu'ici  le  parasite  est  un  voyageur,  „un 
Hybernois",  qui  „se  proposa  de  cognoistre  les  manières  de  faire  des 
nations  estrangeres  et  leur  usage  de  parler",  et  qui  „se  sçavoit  bien 
entregenter  en  toutes  compaignies"  ;  grâce  à  sa  „gaillardise  et  prompti- 
tude d'esprit,  il  captivoit  le  plus  souvent  la  bonne  grâce  de  ceux  qui, 
en  le  regardant  seulement,  l'eussent  du  tout  rejette"  ;  la  nouvelle  en 
donne  un  exemple. 

M.  L,  di  Francia  (loc.  cit.)  n'a  pas  manqué  de  renvoyer  à  ce 
dernier  conte:  „  ...  11  motivo  perô  sembra  tradizionale,  e  dubito  che 
il  popolo  florentin  o  lo  attribuisse  gratuitamente  al  noto  parassita.  Di 
questa  congettura  mi  ofi're  la  prova  un  novellatore  francese  .  .  .  che  .  . 
racconta  un  fatto  analogo  al  nostro.  Per  la  qualcosa  non  si  esce  da 
questo  dilemma  :  o  vogliamo  ammettere  che  la  novella  italiana  sia  passata 
in  Francia  per  tradizione  orale,  perché  bisogna  escludere  che  Bonaven- 
tura abbia  potuto  conoscere  Topera  manoscritta  del  Sacchetti;  oppure 
dobbiamo  riconoscere  che  essa  era  tanto  nelle  tradizioni  del  popolo 
italiano,  quanto  del  francese,  il  che  mi  pare  più  probabile." 

A  n)on  sens,  ce  , dilemme'  n'existe  pas  ;  il  a  été  imaginé  pour  l'amour 
de  la  théorie.  Le  conte  français  pourrait  reposer  tout  aussi  bien  sur 
un  fait  contemporain.   Des  histoires  de  ce  genre  arrivent  réellement, 


—     165     — 

en  tout  temps  et  partout  ')  -,  on  n'a  pas  besoin  de  les  recueillir  pieusement 
dans  la  tradition  séculaire;  la  littérature  narrative  se  retrempe  sans 
cesse  à  sa  meilleure  source,  la  vie.  Est-ce  que  de  nos  jours  on  a  entiè- 
rement perdu  le  sens-  de  la  réalité  pour  vouloir  construire,  à  tout  prix, 
une  tradition  littéraire  partout  où  l'on  rencontre  une  simple  histoire  qui, 
dans  le  monde  réel,  peut  s'être  passée  hier  encore,  et  pour  la  millième 
fois,  avec  des  variations  infinies?  — 

Dans  notre  fabliau,  l'auteur  prend  partie  pour  le  vilain  contre  le 
sénéchal,  donc  pour  le  faible  contre  le  fort  (cf.  Bédier,  Les  fabliaux-, 
p.  331).  Mais  il  ne  faut  pas  vouloir  attribuer  une  valeur  typique  à  ce 
triomphe  du  vilain.  Si  r,animal  farouche',  appelé  Vilain,  n'a  pas  le  dessous 
cette  fois,  c'est  qu'avec  lui  les  conteurs,  maltraités  par  le  serviteur  avare 
du  bon  comte,  prennent  leur  revanche,  et  encore  faut-il  satisfaire  la 
morale  publique  :  Le  sénéchal  s'est  fait  haïr  de  tout  le  monde  ;  sa 
,cuivertise'  mérite  d'être  punie;  il  sera  donc  puni.  Tant  pis  pour  lui  si 
c'est  un  vilain  crasseux  qui  est  appelé  à  exécuter  l'arrêt  prononcé  par 
la  vox  populi  -'!) 


1)  Cf.  p.  ex.  les  conseils  que  M.  Coquelin  Cadet  donne  „Aux  jeunes  gens  pauvres" 
dans  son  Livre  des  convalescents  (Paris,  Flammarion,  p.  66 — 7). 

2)  Notre  fabliau  a  été  publié  d'abord   par  Barbazan,    t.    I    (Paris  1756),    p.  233 
ss.  ;  puis  par  Méon,  t.  III  (1808),  p.  148  ss.,  et  en  dernier  lieu  par  Montaiglon,  1.  cit. 


Du  Buffet. 


^iui  biau  set  dire  et  rimoier, 

Bien  doit  sa  science  amoier 

A  fere  chose  ou  l'en  aprenge, 

Et  dire  que  l'en  n'i  mesprenge. 
5   Et  cil  ne  fet  mie  folie 

Qui  d'autrui  mesfet  se  chastie: 

Li  cortois  cuers  et  li  gentiz 

Est  au  bien  aprendre  ententiz. 

Et  li  fel,  enuieus,  trabitres, 
10  Si  est  toz  iors  enbrons  et  tristres, 

Quant  il  ot  le  bien  recorder, 

Quar  il  ne  s'i  puet  acorder. 

Quant  il  ot  aucun  conteor, 

Si  dist  :  „Ha  Dieus  !  Quel  menteor! 
15  Cist  en  tuera  ia  tels    XX- 

Dont  ainz  nus  a  estor  n'en  vint, 

c.  Le  dit  du  bufet  (d'une  main  ijostérieure)  A,  dou  vilain  au  buffet  B,  ci 
commence  li  diz  dou  bufet  C,  dou  uilain  qui  randi  le  bufet  D.  —  D  débute  par  ces 
4  vers: 

Trubers  en  ces  f'ablel  fablie, 

Qui  de  bien  dire  ne  s'oublie; 

Car  honneurs  est,  bien  s'i  acorde, 

Qui  le  bien  set  qu'il  le  recorde. 
1 — 4  écrits    sur  8   lignes   à   cause   de   la   miniature   A.  — ■  1   De  biax  dis  dire 
etr.  B;  l'initiale  manque  à  C.  —  2  auoie  C  '  me  vaurai  molt  bien  a.  B.  —  3EtB| 
dire   ch.    BD    ou    B  C   apraigue   CD.    —    4   et    D  I  (tant  B)    faire  B  D  '  c'on  B  j  mes- 
praigne  CD.  —  5 — 6  manquent  dans  D.  —  5  Car  B,  Ne  C  |  ciex  B|manquedansD. 

—  6   manque   dans    D.    —     8   a   bien   a.   D,    bien    a    a.   C  |  entendre   AB.    —    CD 
ajoutent  ces  2  vers: 

8a  Mes  li  mauuais,  fel  et  cuuers  (M.  l'auer,  enuieus,  couuers  D) 

8b  Est  a  mal   aprandre  aouuers  (couuers  D). 
9  maluais  fel  et  tr.  B  ■  l^i    faus  bons  auers  (cuiuers  D)  et  traites  CD.  —  10  11  e.   C  | 
Est  tout  adies  B  D    dolans    Bjt'stres  A,  tistres  C.   —    11  Dou  bien  qaiit   il    ot  r.    B| 
les  biens  C.  —  12—24  manquent  dans  B.  -  13  oit  D    manque  à  B.  —  14  dit  C  | 
Ha   dieu  D,    Oiez  A    mancjue  à  B.    —     15  eis  D,    cil  C    tel  vint  CD    manque  à  B. 

—  16  aius  un  D, -I-seul  C    en  estour  D,  a  estout  C  j  ne  C|  manque  à  B. 


—     167     — 

N'onques  ne  furent  ne  de  meré." 
Moût  par  li  est  au  euer  amere 
L'example  des  biens  qu'il  ot  dire, 
20  Que  toz  muert  et  d'anui  et  d'ire. 
Mes  l'en  deuroit  bien  escouter 
Conteor  quant  il  set  trouer. 
Por  qoi?     Por  ce  c'on  i  aprent 
Aucun  bien,  qui  garde  s'en  prent. 

25  JL''ore  en  auant  eis  fabliaus  conte 

Qu'il  ot  en  la  meson  d'un  conte 

•I-  seneschal,  si  con  ie  cuit 

Félon  et  auer  et  recuit  ; 

De  toz  maus  visces   estoit  plains. 
30  Sachiez  qu'il  ne  fust  gueres  plains 

De  nului  qui  leenz  venist, 

S'aucuns  anuis  li  auenist; 

Quar  plains  estoit  de  mal  afere. 

Quant  il  veoit  son  seignor  fere 
3ô  A  nului  bien,  si  se  deruoit, 

Por    I-  petit  qu'il  ne  creuoit 

D'orgueil  et  d'anui  et  d'enuie. 

Li  quens  qui  menoit  bone  vie, 

Qui  plains  estoit  de  grant  renon, 
40  Ne  se  fesoit  se  rire  non 

De  la  mauuestie  de  celui; 

Quar  bien  set  qu'il  n'aime  nului 

Qui  reperier  viengne  en  l'ostel. 

Conquis  i  auoit  •!•  los  tel 

17  nez  C  ]  manque  à  B.  —  18  Tant  p,  D  |  aumere  (aumere?)  D  \  manque  à  B.  — 
19  bons  D  I  oit  D  I  manque  à  B.  —  20  Qu'il  en  (eu  manque  à  C)  art  tous  (tot  Cl 
de  duel  et  d'ire  D  C  |  manque  à  B.  —  21    M.  on  C  D    doit  moût  b.  Djmanque  àB. 

—  22  veut  tr.  A,  s.  conter  C  D  |  manque  à  B.    —    23-24  manquent  dans  D.  — 
23  manque  à  B  D.    —    24  ci  pr.  C  |  manque   à   B  D.     —    25   eist   f.    C  |  romans  B 
L'initiale  manque  à  B  C.  —  26  Qui  eut  B  [  l'ostel  a  un  c.  B  C  D.   —  27  iou  cuic  B. 

—  28  Vilain  A,  Fol  D    f.  et  cuuert  B  i  et  uiout  r.  D.  —  29  mais  vises  B,  malices  C. 

—  30  Et  s.  C  I  n'est  g.  C  |  .)ou  cuic  ki  ne  fu  B.  —  31  nelui  BD.  —  32  S'uns  grans 
a.  B  D.  —  33  Tant  C  D  j  estoit  pi.  C,  par  e.  D,  molt  e.  B  put  a.  B.  —  35  nelui  C  D 
bien]  manque  à  C  |  molt  li  B,  qui  l'en  D  |  pesoit  BD.  —  36  Et  p.  B,  Par  C,  A  bien 
p.  D  vn  poi  B  !  n'enragi)it  B.  —  37 — 38  mau(]uent  dans  B.  —  37  De  duel  D| 
manque  à  B.  —  38  belle  u.  D  mancjue  à  B.  —  39 — 46  Dans  B,  ces  vers 
viennent  après  47 — 52.  -  39  Et  qui  e.  D  [  Li  quens  ki  molt  estoit  preudon  B.  — 
40  s'en  B  C  D.  —  42  Car  b.  voit  C,  Il  voit  b.  B  nelui  C  D.  —  43  herbergior  C  D 
vigne  C  1  a  l'ost.  D  |  Qui  laiens  venist  osteler  B.  —  44  ot  cil  C,  a  vn  1.  itel  B. 


—     168     — 

45  Que  toz  li  mondes  le  baoit, 

Qui  sa  mauuestie  connissoit. 

Mes  li  vilains  comme  porciaus 

S'encressoit  et  plains  ses  bouciaus 

Beuoit  de  vin  en  larrecin, 
50  Maint  cras  morcel  et  maint  poucin 

Menioit  toz  sens  en  sa  despensse; 

A  autre  honor  fere  ne  pensse. 

Li  quens  qui  lu  cortois  et  sages, 

Enuoie  par  tout  ses  messages 
55  Et  mande  qu'il  veut  tenir  cort. 

Renommee  qui  par  tout  cort, 

Est  par  le  pais  espandue. 

A  cort  vienent  sanz  atendue 

Chevalier,  escuier  et  dames, 
60  Qui  tant  ne  font  pas  por  lor  âmes 

Comme  il  fesoient  por  les  cors  ; 

Et  sachiez,  tels  est  mes  recors  : 

Qui  tant  por  les  âmes  feroit 

Com  por  les  cors,  ne  soufferroit 
65  En  enfer  paine  ne  tonnent. 

Moût  i  ot  riche  atornement. 

Quiconques  veut,  en  la  cort  entre; 

Tels  i  vient,  au  mien  escientre, 

45  Car  C  |  trestous  li  mons  B  C  D.  —  46  dire  ooit  (oit  B  C  D  B.  -  D  ajoute  ces 
2  vers: 

Quant  ot  plus  biens  entre  ces  mains, 

Tant  en  fist  il  largesses  mains. 

47—52  Dans  B,  ces  vers  précèdent  les  vv.  o9— 46.  —  47  Et  A.  —  48  S'en- 
gressoit  C  '  de  dens  s.  b.  B  |  boiax  B  C,  linaus  D,  —   49  Buuoit  B  |  du  \ .  C,  le  v.  B. 

—  50  Mains  D  |  gras  C  |  chapon  A,  capons  B  |  mains  D  |  pucin  C.  —  51  Menia  A  D  | 
lors  ens  d.  C.  —  52  Qu'a  D,  Car  a  B,  Car  C  ,  nulle  h.  C  D,  nul  autre  bien  B  1  fere] 
manque  à  B.  —  D  ajoute  Ti  vers: 

Les  menestreus  haoit  a  mort; 

Mauuaitie  qui  leur  point  et  mort 

Li  fait  hair;  ia  n'i  uenist 

Ménestrel  qui  bien  n'auenist 

Se  de  lui  peust  eschaper 

Sans  batre  ou  ferir  ou  gaber. 
53  Mais  li  c.  C  |  ert  B,    est  C  |  uaillans  D,    et  preus  et  s.  A.    —    54  Enuoia  D,  Fait 
mander  C.  —  55  qui  D.  —  57  S'est  D  |  respendue  B.  —  58  A  la  c.  vont  B  C,  Tout  i 
uindrent  D.         59  Chevaliers  escuiers  D,  Escuier  ch.  AB.         60  ne  font  pas  tant  D 
les  a  B  D.  -  -  61  eles  f  B  1  feissent  D.  —  62  sachies  que  B.   —  65  infer  B  i  p.  et  t.  C. 

—  66  estorement  D.  —  67  vient  B.  —  68  uint  D,  va  B  |  par  le  m.  e.  D,  ke  m.  e.  B. 


—     169     — 

Qui  onques  n'ot  saouls  este, 
70  Ne  en  yuer  ne  en  este  ; 

Mes  tuit  ont  assez,  sanz  dangier, 

Vins  et  viandes  a  mengier  ; 

Quar  li  quens  l'auoit  commande. 

„Moût  en  sommes  ore  amende," 
75  F  et  li  seneschaus,  „en  maleur: 

Il  n'i  metent  gueres  du  leur. 

Si  demande  chascuns  qui  vient 

Qanques  li  estuet  et  couient, 

Aussi  qu'il  ne  coustast  I-  oef, 
so  Et  l'en  i  voi  tels    XXXIX- 

Qui  piec'a  ne  furent  saoul," 

A  tant  ez    I-  vilain  Raoul, 

•I-  bouuier,  qui  vient  de  cliarrue. 

Li  seneschaus  celé  part  rue 
85  Ses  iex,  s'a  choisi  le  vilain 

Qui  moût  estoit  de  lait  pelain: 

Deslauez  ert,  s'ot  chief  locu  ; 

Il  ot  bien    L-  auz  vescu 

Qu'il  n'auoit  eu  coiffe  en  teste. 
90  Mauuestiez  qui  maint  homm  e  ent  este 

A  fere  anui  et  vilonie 

Et  cruauté  et  félonie, 

Ot  si  le  seneschal  soupris, 

A  poi  qu'il  n'est  de  duel  espris, 
05  Quant  le  vilain  vit  enz  entrer  ; 

Venuz  li  est  a  rencontrer, 

69  Quil  B,  C'o.  C  I  onques]  manque  à  B  D  !  n'auoit  B  C  D  pas  s.  e.  B  D.  —  71  tout  B  D  | 
en  oreut  D  j  assez]  manque  à  D'à  mengier  A.  —  72  v.  et  v.  sanz  dangier  A.  — 
C  aj  oute  ce  vers: 

ont  il  assez  a  grant  plante. 

75  Dist  CD.  —  77  Se  B  I  chaucuns  C,  cascun  B  !  que  wet  C.  —  78  Quanqu'il  C, 
Qùque  D,  Chou  ki  B  |  c.  et  e.  C.  —  79  Aiissi  si  n.  B,  A.  com  C.  —  80  Mais  D  |  v. 
chi  B  D,  S'en  i  \-ienent  A  \  X  et  IX  B,  X  ou  tex  IX  C.  —  81  Que  B.  —  82  ez 
vous  (euuous  Bi  venir  (uenu  Di  R.  BC  D.  —  83  vilain  B  CD  j  vint  C  I  kierue  B.  — 
85  si  c.  B  D.  —  86  lai  p.  D,  lait  plain  C,  de  fin  lait  plain  estoit  B.  —  87  iert  D, 
iu  C  I  et  ot  C,  son  c.  B  |  bochut  B,  beu  C.  —  88  Que  b.  ot  D,  Bien  auoit  B  C  | 
LX  CD,  -C-  B  I  uiscu  C.  —  89  Qui  n'a.  point  c.  en  sa  t.  B.  —  90  Mauuaistie 
(Mauuitie  C)  D  C,  Maluaist  B  '  mant  C.  —  91—92  manquent  dans  BD.  — 
91  uilenie  C  manque  à  B  D.  —  92  Outrage  orguuel  et  grant  folie  C  j  manque  à  BD. 
—  93  Et  ot  C,  a  A  I  souprins  D,  sorpris  A.  —  94  A  pou  D.  Par  po  C,  Por  I-  poi  B 
dou  d.  D  I  esprins  D  j  n'enrage  vis  B.  —  95  Q.  il  le  uit  D  i  leans  C,  dedanz  D.  — 
96  enconter  B. 


—     170     — 

Corouciez,  bousouflez,  plains  d'ire; 

Tout  maintenant  li  Jurist  a  dire  : 

„Veez  quel  louceor  de  pois  ! 
100  Vous  estes  venuz  seur  mon  pois 

Ceenz,  foi  que  doi  saint  Espir  ! 

Jut  a  ou  palier  por  crespir. 

Vez  comme  il  fet  la  paelete  ! 

Il  couient  mainte  escuelete 
105  De  poree  a  farsir  son  ventre. 

La  maie  passions  i  entre! 

Ja  n'ert  bons  tans  tant  comme  il  viue." 

Ainsi  li  seneschaus  estriue, 

Qui  toz  muert  de  duel  et  d'engaingne. 
110  „Noiez  soit  en  vne  longaingne, 

Qui  la  voie  vous  enseigna  !" 

Li  vilains  l'ot,  si  se  seigna, 

Et  fist  croiz  de  sa  destre  main. 

„Sire,"  fet  il,  „por  saint  Germain! 
115  Je  vieng  mengier,  quar  i'  oi  dire 

Que  tuit  en  ont  sanz  contredire; 
ii6aMes  ie  ne  sai  ou  ie  me  siesce, 
iiebQuar  tuit  sont  plain  et  banc  et  siege, 

Si  ne  me  sai  ou  asseoir." 

„Je  te  presterai    I-  seoir," 

Ce  dist  li  seneschaus  par  truffe; 
120  La  paume  hauce,  vne  grant  buffe 

Li  done,  puis  fet    I-  sifflet  : 

„Siet  toi,"  fet  il,  „sor  cest  buffet 

Que  ie  te  prest(e),  or  te  siet  sus!" 

Li  seneschaus  se  trest  en  sus, 
125  Se  li  a  fet  nape  liurer, 

97  HoiirsouHes  coureceus  D,  C.  souflez  A,    Dolans  et  h.  C,   Ires  b.  B  |  et  pi.  AB.    — • 

98  Mitinteuaut  si  C,  Et  puis  D  [  print  C,  commensa  D.  —  99  mangeour  C.  —  100  N'estes 
pas  BD,  Il  n'est  pas  C.  —  101  Chaieus  B.  —  102  Geu  CD  j  aues  B  |  on  p.  C,  ou 
paaler  B,  el  colier  D.  —  103  Vees  BC  |  palette  C.  —  104  conuenroit  B  |  maint  BD. 

—  105  amplir  C.  —  106  Li  ni.  paisions  B,  paission  C,  menoison  D  |  li  e.  C.  — 
107  iert  B  C  D.  -  108  Aiiisinc  C,  Aiusis  D  |  le  seneschal  C.  —  109  tot  C  |  Qui  plains 
est  B  1  (le  duel  et  d'auuui  D,  d'ire  C.  —  110  N.  fust  ore  en  grant  1.  B  |  longaaigne  C. 
112  oit  D  I  s'en  BD.-  113  fait  D.  114  dist  B  |  par  B  C  D.  -  115  G'i  vienc  B  j 
vig  C  I  (|ue  ie  oi  d.  A.  —  116  tout  B  !  escondire  B.  —  116»'*'  manquent  dans  A.  — 
116»  (Mills  BCD)  1  sieche  B,  sieso  D  |  manque  d  ans  A.  -  lie^»  ((^'ar  CD)  |  C.  trestuit  C, 
Que  tot  B  ,  me  s.  ]A.  D  |  bant  B  |  et  banc]  manque  à  C  |  li  s.  C  |  manque  dans  A. 

-  117  Car  D  |  seoir  C.  -  118  ou  s.  D  |  Ce  vers  manque  à  B.  -  122  Or  (te  B) 
sie  B  C  D  I  sus  C  I  ce  b.  BCD.  —  123  Jf  le  B  C  |  prest  pour  seoir  sus  D.  -  124  trait 
BCD.    -    125  Pui.s  B,   Kt  i»iiis  li  fait  C. 


—     171     — 

Et  mes  et  vin  por  enyurer 

Li  fet  doner  a  grant  foison, 

Por  ce  qu'il  eust  aclioison 

Que  il  peust  le  vilain  batre, 
130  Que  des  or  se  gardast  d'enbatre 

En  la  cort  a  prince  n'a  conte. 

Que  vous  feroie  plus  lonc  conte  ? 

Li  quens  manda  les  ménestrels 

Et  si  a  fet  crier  entr'  eis, 
135  Qui  la  meillor  truffe  sauroit 

Dire  ne  fere,  qu'il  auroit 

Sa  robe  d'escarlate  nueue. 

L'uns  ménestrels  a  l'autre  rueue 

Fere  son  mestier  tel  qu'il  sot. 
140  L'uns  fet  l'yure,  l'autres  le  sot; 

Li  vns  chante,  li  autres  note, 

Et  li  autres  dit  la  riote, 

Et  li  autres  la  ienglerie  ; 

Cil  qui  seuent  de  iouglerie, 
145  Vielent  par  deuant  le  conte  ; 

Et  tels  i  a  qui  fabliaus  conte. 

Ou  il  ot  mainte  gaberie, 

Et  li  autres  dit  l'erberie. 

Et  si  i  a  mainte  risée. 
150  Li  vilains  qui  auoit  penssee 

De  lui  vengier  de  son  mesfet 

Que  li  seneschaus  li  ot  fet, 

Tant  atent  que  tuit  furent  qoi. 

126  Viande  et  v.  B,  Vins  uiandes  D,  Vin  et  viandes  aporter  C.  —  127  venir  B 
faison  B.  —  128  Por  ce  qu'auoir  puist  a.  A,  Por  que  il  li  truist  oc.  B.  —  129  Car  C, 
Comment  il  puist  B,  Car  il  uoloit  D.  —  130  Car  C,  Pour  ce  qu'il  s.  g.  D,  Dorenauant 
le  gart  B.  —  131  A  cort  C,  En  l'ostel  B,  En  ostel  D  j  n'a  pr.  D,  de  pr.  ne  de  c.  C, 
au  roi  v  a  c.  B.  —  132  Et  q.  \.  ferai  ie  1.  c.  C,  Encui  v.  f.  un  1.  c.  D.  —  133  Li] 
Initiale  dans  D  |  les]  manque  à  C  j  a  fait  crier  entr'eus  BD.  —  134  sauoir  C  |  Et 
fait  sauoii-  as  (a  Bi  menestreus  BD.  —  135  millor  CD,  milor  B.  —  136  Faire  ne 
d.  B  D  1  il  B.  —  137  reube  B.  —  D  intervertit  ce  vers  et  le  suivant;  mais 
l'erreur  est  corrigée  à  la  marge  (1).  a.).  —  138  L'un  ménestrel  C  |  reueue  B.  — 
139  Son  m.  f.  C  1 1.  con  s.  D.  -  140  Li  uns  B,  L'un  D  l'autre  B  C  D.  —  141  baie  BC D 
et  li  a.  C,  li  autre  D.  -  142  dist  BD.  —  143  autre  A,  tiers  B  D  |  dist  1.  g.  D.  — 
144  Caus  C  I  uiuent  C  D  \  iuglerie  C,  jenglerie  D.  —  146  Aucuns  A  !  ot  D,  est  C.  — 
147 — 48  sont  intervertis  dans  D,  manquent  dans  AB.  —  147  a  D  j  manque 
dans  AB.  —  148  E.  i.  autres  autre  [sic]  dist  l'erbrie  D  i  manque  dans  AB.  —  149  V 
il  auoit  B,  La  ou  il  ot  C,  Il  i  ot  dit  A.  ~  150  Et  1.  v.  ki  ot  p.  B.  -  151  D.  li  v.  C| 
ce  (che  B)  m.  DB.  —  152  le  seneschal  C  -   153  Atendi  tant  k'il  f.  ohoi  B, 


—     172     — 

Li  seneschaus,  ne  sai  por  qoi, 
155  S'en  vint  conter  deuant  le  conte. 

Qoi  que  li  seneschaus  li  conte, 

Li  ^^lains  sa  nape  a  cueillie; 

Tout  bêlement,  sanz  escueillie, 

En  vient  deuant  le  conte  et  garde 
160  Le  senesclial  qui  ne  se  garde 

De  lui  —  a  son  seignor  entent  — 

Et  li  vilains  la  paume  estent 

Qu'il  ot  dure  et  plaine  de  gales: 

N'ot  si  fort  homme  iusqu'en  Gales 
i6â  Plus  l'eust  dure,  au  mien  cuidier. 

Tout  ausi  comme  a  souhaidier 

En  la  ioe    I-  grant  cop  li  frape, 

Puis  dist:   „Vo  buffet  et  vo  nape 

Vous  rent,  ia  ne  l'en  quier  porter: 
170  A  homme  fet  mauues  prester 

Qui  ce  ne  rent  que  l'en  li  preste." 

Tantost  la  mesnie  s'apreste 

Au  conte,  por  le  vilain  batre  : 

Dolent  sont,  quant  voient  abatre 
175  Le  seneschal  aus  piez  le  conte. 

Mes  li  quens  iure  que  le  conte 

Voudra  oir  et  le  por  qoi 

Il  l'a  féru;  lors  furent  qoi 

Li  sergent,  quant  il  le  commande. 
^^°  Et  li  quens  au  vilain  demande 

Por  qoi  son  seneschal  laidi  : 

„Trop  par  eus  le  euer  hardi, 

154 — 55  sont  intervertis  dans  C,  mais  le  scribe  a  corrigé  l'erreur  en 
marge  (b.  a.).  —  155  Se  v.  B,  En  v.  A,  S'en  ua  D  |  parler  D,  tout  droit  B.  — 
156  Choi  B,  Que  CD.  —  157  s.  n.  prent  errant  B.  —  158  acoillie  C  [  Grant  aleure 
maintenant  B.  —  159  S'en  vint  C,  Se  vint  B,  Vint  D    et  le  senescal  g.  B  j  regarde  D. 

—  160  Li  seneschaus  D  \  Et  chius  qui  ne  s'en  prenoit  garde  B.  —  161  H  C  |  signor  B  D. 

—  162  sa  p.  B.  —  163  dures  plaiunes  D  |  auoit  grande  pi.  d.  g.  B  j  iales  D.  — 
164  N'a  CD  I  ce  vers  manque  à  B.  —  165  l'auoit  B  I  a  mono.  C.  —  166  T.  ensi 
ke  por  s.  B.  —  167  Les  B  C  D  |  L]  manque  à  B  C.  —  169  Ren  D,  Renc  B  |  le  B  C.  — 
170  Maluais  fait  B  C  D  [  a  home  (manque  à  C)  pr.  BC,  emprunter  C  (—  2).  —  171 
Qant  B  C  D  '  il  (on  C)  n.  renc  B  D  C  |  ce  (chou  B)  qu'on  C  B  D  '  prest  C.  —  172  Tant 
tost  B,  A  tant  D.  —  173  Le  c.  D,   Les  le  c.  B.  —  174  virent  a.  B,  il  noient  batre  D. 

—  175  au  pie  B,  deuent  D.  -  176  Et  B  1  a  dit  A.  —  177  sauoir  B  C.  —  178  Taire 
les  fait,  si  f.  choi  B.  —  179  Pui8(|ue  li  sires  (lor  sire  B)  A  B  !  desqu'il  C  |  lor  c.  B.  — 
181  le  s.  C.   —  182  Molt  p.  BC,  Trop  as  eu  D  |  eus  or  1.  c.  h.  B. 


—     178     — 

Quant  tu  deuant  moi  feru  l'as; 

Tu  en  es  cheus  en  mes  las; 
185  Tu  as  fet  trop  grant  mesprison; 

Garder  te  ferai  ma  prison." 

„Sire,"  fet  cil,  „or  m'entendez 

Et    I-  petitet  m'escoutez  : 

Orainz,  quant  ie  ceenz  entrai, 
190  Vostre  seneschal  encontrai, 

Qui  est  fel  et  glous  et  eschars; 

Ses  vilains  mos  et  ses  eschars 

Me  dist  assez  et  ramposna, 

Yne  grant  buffe  me  don  a 
195  Et  puis  si  me  dist  par  abet 

Que  seisse  sor  cel  buffet. 

Et  si  dist  qu'il  le  me  prestoit, 

Et  puis  a  mengier  m'aportoit. 

Et  quant  i'ou  beu  et  mengie, 
200  Sire  quens,  qu'en  feisse  gie, 

Se  son  buffet  ne  li  rendisse  ? 

Je  cuit  moût  bien  que  g'i  perdisse, 

Tost  i  peusse  auoir  domage. 

Rendu  li  ai  par  tesmoingnage, 
205  Si  que  vous  bien  veu  l'avez. 

Sire  quens,  ainz  que  vous  lauez, 

Jugiez  se  i'ai  de  rien  mespris 

Par  qoi  ie  soie  ceenz  pris; 

Quar  bien  li  ai  rendu,  ie  cuit, 
^^°  S'est  droiz  li  seneschaus  m'acuit, 

184  Tu  es  ch.  en  mauvais  1.  CBD  —  185 — 86  manquent  dans  D.  —  185  Et  si  C, 
Car  moût  B  [trup]  manque  dansBC  '  mesproison  B  |  manque  à  D.  —  186  manque 
à  D,  —  187  f.  il  D  I  Sire  quens,  fait  il,  e.  B,  Dist  le  vilain:  Sire  e.  C,  —  188  petit 
B  C,  •!•  petit  et  D  i  si  m"esc.  B  C  D.  —  189  Jui  C  |  chains  B.  —  191  mesdisans  et  e.  C, 
Qui  mesdisans  est  et  e.  D,  Qui  molt  est  auers  et  e.  B.  —  192  félons  m.  A  ]  esclas  D 
C  omet  ce  vers.  —  193  Assez  me  dist  C  |  M.  d.  et  moût  me  r.  D  !  remprosna  B.  — 
194  Et  vne  b.  B.  —  195  si]  manque  à  C  !  Et  après  m.  d.  D.  —  196  Q.  iou  sessisc  B  | 
sus  C  I  cest  (ce  C  D)  b.  B  C  D.  -  197  Car  il  d.  B,  Il  d.  C.  —  198  Et]  manque  à  C  ; 
m'aporteroit  C.  —  B  ajoute  2  vers: 

Jou  manga  et  bue  a  plente 

Tant  con  iou  vauc,  la  merchi  De. 
199  Et  desque  C  |  i']  manque  à  D  |  io  eue  B,  os  D,  i'ai  A  |  but  B.  —  200  ke  B  C. 
—  201  ni  li  D.  —  202  crui  BCD  |  moût]  manque  à  G  [  ke  iou  p.  B.  —  205  Vous 
meismes  D.  —  206  S.  q.,  qui  veu  l'auez  G.  —  207  Faites  (Faite  B)  iugier  B  G  D  |  se 
i'ai  (ie  C)  m.  B  G  D  |  mesprins  D.  —  208  P.  q.  ne  s.  B  |  prias  D.  —  209  Rendu  li  ai 
si  con  ie  c  D.  —  210  Drois  est  D  |  m'en  quit  G. 


—     174     — 

Quant  li  rent  ce  qu'il  m'a  preste, 
Et  vez  me  ci  tout  apreste 
D'un  autre  buffet  rendre  encore, 
Se  cil  ne  li  siet  qu'il  eut  ore." 

215  Li  quens  en  a  gete  •!•  ris, 
Quit  ot  non  mesire  Henris, 
Et  lors  commença  la  risée 
Qui  en  pièce  ne  fu  linee. 
Li  seneschaus  ne  set  que  face, 

220  Qui  sa  main  tenoit  a  sa  face 
Qui  durement  li  frit  et  cuist. 
Ce  qu'il  les  voit  rire  li  nuist; 
Au  vilain  feist  moût  de  honte, 
Mes  il  nen  ose  por  le  conte 

225  Qui  durement  l'a  desfendu. 
Et  dist  li  quens:  „Il  t'a  rendu 
Ton  buffet  et  ce  q'ot  du  tien." 
Et  dist  li  quens  au  vilain:   „Tien 
Ma  robe  qui  n'est  pas  vsee; 

230  Quar  fet  as  la  meillor  risée 
Seur  toz  les  autres  ménestrels." 
Li  ménestrel  dient  entr'  eis  : 
„Par  foi,  sire,  vous  dites  voir.  — 
Sachiez  qu'il  la  doit  bien  auoir.  — 

*3â  Ainz  mes  si  bon  vilain  ne   vi.  — 
Le  seneschal  a  bien  serui.  — 
Rendu  li  a  sa  cuivertise." 
Por  ce  est  fols,  qui  mal  atise, 


211  chou  ki  B  I  prest  C.  —  212  Et  ueez  C.  —  213  D'une  autre  buffe  B,  De  randre 
a.  b.  e.  D.  —  214  ciel  A,  celé  B,  eis  D  !  li]  manque  à  B  |  ki  e.  o.  B  j  ot  C,  a  D.  — 
215  Qant  li  quens  B  C  D  I  l'ot  (manque  àB)  C,  l'entant  D  |  si  en  (s'en  D)  a  ris  B  CD. 
-  216  II  eut  a.  n.  B  !  mesires  H.  D,  sire  H.  B.  —  217  Et  puis  C,  Adont  BD  fu 
B  C  D  '  grande  B  D,  moût  grans  C.  —  218  Que  B  |  a  (a  a  D;  B  C  D  '  passée  D.  — 
219  —  25  manquent  dans  B.  —  220  Qui  t.  s.  m.  C  [  manque  dans  B,  —  221  Car 
C  I  cuit  C  D  !  manque  dans  B.  —  222  les]  manque  dans  A  C  |  moût  1.  n,  A  |  nuit 
C  D  I  manque  dans  B.  —  223  manque  dans  B.  —  224  n'osoit  C  D  |  tout  p.  1.  c.  D  | 
manque  dans  B.  —  225  Car  l)ien  C,  Que  moût  bien  D  |  li  C  D  |  auoit  C  |  manque 
à  B.  —  226  Lors  D,  Chou  B  |  dit  C  1  t']  manque  à  C.  —  B  ajoute:  Molt  grant 
buffe,  car  l'ai  veu.  —  227  (cou  ch'  oc  B),  ce  qu'a  C.  —  228  Lors  D  |  Li  cuens  a  dit  C, 
Et  puis  a  dit  B  |  ai  v.  A.  229  (reube  B).  -  230  Tu  as  (t'as  D)  fait  (faite  D)  B  C  D  | 
millor  (milor  B)  C  D  B.  —  231  Que  nus  des  autres  (de  tous  ces  D)  m.  B  C  D.  —  232 
minestres  D.  —  233  Certes  D.  -  234  S.,  il  B,  Quar  il  le  d.  moût  b.  a  A.  —  235 
One  m.  C.  —  236  Bien  a  1.  s.  s.  B  C,  Vo  s.  A.  -  237  (cuuertise  B  C). 


—     175     — 

Et  qui  a  mal  fere  labeure. 
240  Ce  que  sires  done  et  sers  pleure, 

Sachiez,  ce  sont  lermes  perdues. 

Il  sont  vues  genz  esperdues 

Qui  a  nul  bien  ne  se  regardent, 

Que  ce  qu'il  ont  a  garder,  gardent 
245  Si  estroit  que  nul  bien  n'en  font, 

Que  toz  li  biens  en  lor  mains  font, 

Que  nus  n'en  a  ne  preu  ne  aise; 

Moût  est  la  richoise  mauuaise 

Dont  li  sires  n'est  honorez. 
260  Disons  tuit  :  Diex  soit  aorez 

Du  seneschal  qui  batuz  fu; 

Ars  et  bruis  soit  en   •!•  fu. 

Qui  le  bien  a  fere  destorne,   — 

Li  vilains  de  la  cort  s'en  tome, 
255  Qui  la  robe  au  seignor  enporte  ; 

Et  quant  il  fu  hors  de  la  porte, 

Si  dist  a  soi:   „Qui  siet.  il  sèche;" 

Et  puis  si  dist  :  „Qui  va,  il.  lèche: 

S'a  mon  ostel  fusse  arestuz, 
260  Ne  fusse  a  pièce  reuestuz 

De  robe  d'escarlate  nueue; 

L'en  dit:  Qui  bien  chace,  bien  trueue." 

239  Ne  BC  I  au  m.  f.  B  I  mau  D.  -  240  sire  B  D  |  etj  mtinque  aß.-  241  On 
(L'en  D)  dist  B  D  |  ce  sont  trop  bien  1.  p.  C.  —  242  vne  geut  C.  —  243  en  n.  b.  D  | 
Q'  -a*  [sic]  nul  b.  faire  u.  s.  gardent  C.  —  244  Et  D  |  en  garde  D.  —  245  n'|  man- 
que à  B.  —  246  Car  B  \  toz]  manque  à  BGD  |  dedans  1.  m.  C,  entre  1.  m.  B  D.  — 
247 — 48  B  intervertit  ces  2  vers: 

Por  cho  est  la  ricoise  maise 

Dont  crestiens  ne  puet  auoir  aise 
248  irichesce  CD).   —  249  Et  dont  sires  B.  —  250  Dites  D  |  tout  B  I  D.  en  soit  aore 
C.  —  251   férus  D.  —  252  s.  il  en  fu  D.  —  254  Le  uilain  C  I  A  itant  li  uilains  s'en 
t.  D.  —  255  Qui  robe  d'escarlate  D  I  (reube  B».  —  256  ot  passe  1.  p.  D.  —  B  ajoute 
ces  2  vers: 

Si  fut  molt  lies,  baut  et  ioiant; 

Son  chemin  akieut  maintenant 
257  S.  d.  assez  D.  —  258  puis]  manque  à  B  C  D  |  on  ki  va  B  C  D.  —  259  S"  en  ma 
maison  D  |  fuisse  B.  —  260  Jeu  ne  fuisse  a  p.  B,  A  p.  ne  f.  C  '  X.  f.  oant  D  |  viestus 
BC,  si  bien  uestus  D,  —  261  (roube  C,  reube  B).  —  262  On  B  [  dist  B  D  |  il  le  tr.  D, 
Explicit  le  dit  du  buftet  A,  Chi  define  dou  \-ilain  au  buffet  B,  Explicit  dou 
buffet  CD. 


Remarques. 

2.  amoier  .diriger  vers  un  but',  de  meta;  v.  Tobler.  vrai  aniel^,  v.  35,  —  cf. 
le  début  du  .Sot  Chevalier^  (  M-R  I,  p.  220). 

3.  chose  =  œuvre  (cf.  Ombre  10: A  faire  aucune  plesant  euvre).  —  aprenp^e. 
Pour  l'explication  des  subjonctifs  en  -ge,  cf  Suchier.  Grundriss  I-.  p.  78B;  Nyrop. 
Gr.  bist.  II,  §  134  R. 

9.  trahitre(s)  <  *tradictor,  cf.  Xeumann.  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XIV., 
p.  573:  Jahresbericht  I.  p.  79;  Tobler,  V.  B.  I^,  p.  304  (s.  v.  trait-  . 

10.  Si.  cf  vrai  aniel  v.  77:  Et  li  mainsnés.  si  estoit  teus,  .  .  et  la  note  de 
M.  Tobler  (v.  aussi  V.  B.  I-,  p.  12  n.i;  pour  la  ponctuation,  cf  Foerster,  Zeitschr.  f. 
rom.  Phil.  XXYIII,  p.  507. 

14.  dist  (A)  est  une  graphie  picarde  (=  dit  C);  cf.  Foerster.  chev.  as  -II-  esp., 
p.  LX  et  note  au  y.  4816. 

19.  exemple  subst.  fém.,  comme  souvent  en  anc.  fr. 

20.  Comp,  le  v.  109. 

22.  Les  conteurs  se  donnent  quelquefois  le  nom  de  ,trouveurs',  p.  ex.  Lai  d'Ari- 
stote,  V.  54  (M-R  V,  p.  245;  cf  I,  p.  8). 

24.  soi  prendre  garde  d'auc.  r.  =  fr.  mod.  prendre  garde  à  qc;  cf.  Mätzner, 
Altfrz.  L.,  p.  114  (II,  v.  12).  — 

L'introduction  morale  est  presque  de  style  dans  les  fabliaux,  cf  notamment  le 
prologue  du  Lai  d'Aristote  (M-R  V,  p.  243),  si  semblable  au  nôtre. 

25.  eis  (<1  eist.  +  s)  est  une  forme  picardo-waUone. 

28.  recuit  ,fourbe'  <  recoctum  qui  a  déjà  ce  sens  (senex  recoctus  Ca- 
tulle). La  métaphore  est  empruntée  à  la  fonderie:  aurum  recoctum,  or  recuit  fou 
simplement  or  cuit  Elie  1105)  -or  esmeré;  mais,  tandisque  esmeré  a  gardé  le 
sens  de  .pur*  (cf.  Mätzner,  Altfrz.  L.  IV.  v.  22;  „Sa  grant  biaute  fine  et  fresche, 
esmeree"),  recuit  a  pris  ici  la  nuance  péjorative  (qu'il  n'a  pas  toujours)  de  ,raffiné" 
qui  indique  un  excès  de  raffinage  (M.  Foerster,  Richars  li  biaus,  p.  XX  n.,  cite  quel- 
ques autres  exemples;  cf.  aussi  Littré  s.  v.);  comp,  .quintessencié'.  —  L'italien  dit  avec 
une  image  pareille  ,di  tre  cotte'  (furfante  — ). 

29.  De  touz  malices  (C).  ,malice'  est  ici  masc,  cf.  Foerster,  Rieh.  4399  (qui 
renvoie  en  outre  à  Scheler.  Baud.  Condé,  p.  428,  note  au  v.  103) 

33.  mal  afere.    En  anc.  fr.,  ,afi'aire'  est  toujours  masc. 

39.  Cest  une  phrase  toute  faite,  cf  p.  ex.  Chev.  au  baril,  v.  4. 

44.  los.  subsi  masc,  ,réputation',  de  laus  (exclamation  adrairative).  En 
général,  los  signifie  ,gloire',  ,honneur';  ici,  c'est  une  vox  media  (de  même  Auberee. 
v.  398 1. 

46.  co  unis  soit.  La  réduction  de  «>  d  >>  i  devant  -ss-  est  une  particularité 
du  picard  (et  des  parlera  du  Nord-Est,  cf  Suchier,  Auc.^,  p.  69). 

48.  ses  bouciaus  =  ,8on  ventre',  d'après  les  éditeurs.  Godefroy  cite  un  autre 
passage  semblable  au  nôtre:  Et  eraplent  sovent  lor  bouciaus  De  pain,  de  vin,  de  cras 
morsiaus.  —  D'ordinaire,  boucel  signifie  ,petit  tonneau,  petit  baril,  outre,  vaisseau', 
et  il  n'est  pas  toujours  facile  de  choisir  entre  ces  dififérents  sens.  M.  Foerster.  dans  le 


—     177     — 

glossaire  de  son  Aiol.  distingue  deux  mots:  „b  o  c  h  e  1 ,  für  bocel  (boz-ellum) 
8.  m.  trinkgefäss"  (Aiol  5675),  et  ^boucel  s.  m.  Schlauch"  (Elie  1060)^  mais  il  me 
semble  que  dans  le  premier  cas  on  peut  traduire  par  ,outre'  tout  aussi  bien  que  dans 
le  second,  et  les  „-ii-  boucieus"  de  ce  dernier  passage  pourraient  être  aussi  deux  barils. 
Quant  à  l'étymologie,  boucel  est  le  diminutif  de  bout  ,tonneau'  (et  ,outre'?  M-R  I, 
p.  226),  comme  l'it  botticello  de  botte;  mais  à  côté  de  bout,  l'anc.  fr.  connaît 
bote  et  bote  =  fr.  mod.  boute  et  botte  ,tonneau'.  L'origine  de  bocel  (dans  le 
passage  d'Aiol)  est  toute  différente,  selon  M.  Foerster.  —  Bouciaus  , outres'  signifie 
donc  ici,    au  fig.,  .boyaux'  (leçon  de  B  C;   je    ne    comprends  pas  linaus  D). 

50.  poucin  <C  pullicïnu,  pucin  (C)  ■<  *23ûlicînu,  cf.  Grammont,  Rev.  des 
1.  rom.  1898,  p.  287. 

51.  despensse.  Il  s'agit  naturellement  de  , dépense-  au  sens  de  , office',  cf.  Rieh. 
562  (=  despoise,  .Jahrbuch  X.  251). 

56.  cf.  dans  le  Lai  du  Conseil  (dont  je  compte  donner  bientôt  une  nouvelle 
édition)  un  passage  analogue  sur  Fama: 

Quar  Novele  ne  s'endort  mie, 
Ainz  est  moût  tost  par  tout  alee, 
Maint  pais  et  mainte  contrée 
A  cerchie  en  moût  petit  d'eure. 
62  SS.     „Mais",    ajoute  gravement    le    conteur,    „leurs    pratiques    mondaines  les 
damnent".     Aucassin  sait  que  toute  la    bonne  compagnie  se  donne  rendez-vous  à  l'enfer. 
64.  soufferroit.    Il  n'est  i^as  nécessaire  d'admettre  que  cette  forme  vienne  de 
souffreroit  (comme,  p.  ex.,  ploerrai  <  plorerai,  juerrai  <;  jurerai;  elle  peut 
continuer  directement  su f ferre,  cf.  Risop,  .Tahresber.  IV,  1,  p.  212  (mais  l'inf.  italien 
offerrere  dont  parle  M.  R.  n'existe  pas^) ;  Dante  et  d'autres  (p.  ex.  Boccaccio,  Pulci) 
connaissent  off  er  ère,  prof  fer  ère,  et  je  ne  vois  pas  comment  ces  formes  pourraient 
appuyer  l'explication  donnée  ci-dessus  pour  soufferroit). 

68-9.     Pour  la  leçon  de  B,  cf.  Tobler,  V.  B.  12,  p.  127. 

71.  sanz  dangier  =  sans  obstacle  =  à  discrétion  (cf.  Aiol  1485i.  Son  con- 
traire est  a  dan  gier  (si  li  donoit  l'an  a  maugier  Moût  povremant  et  a  dangier  Char- 
rete  6162;  a  grant  dangier  Yvain  530-4);  dangier  d'auc.  r.  =  rareté,  défaut  de 
qc.  (Mais  penses  del  ceual  c'ait  a  mengier,  Del  feure  et  de  l'auaine  ne  soit  dangiers, 
Aiol  227—8;  comp,  l'expression  faire  dangier  d'auc.  r.:  Ne  li  faites  mie  dongier 
De  vostre  fromant  qui  est  boens,  M-R  IV^,  p.  145;  cf.  Ebeling,  AubereeSlO);  je  trouve 
encore  dans  les  Cent  nouv.  nouv. :  .  .  .  s'il  y  avoit  danger  de  litz,  la  belle  paillade 
est  en  saison  (n^  XXX,  p.  153  de  l'édition  publiée  par  le  bibliophile  Jacob  qui  a  mal 
compris  ce  passage).  —  11  est  intéressant  de  voir  que  par  grant  dangier  a  le 
même  sens  que  sanz  dangier  (prist  a  mengier  des  viandes  par  grant  dangier.  Car  il 
en  avoit  a  foison,  Claris  9627)  et  à  la  fois  „malgré  soi,  à  contre-coeur".  M.  Tobler  a 
expliqué  cette  contradiction  ajîparente  (Li  proverbe  au  vilain,  p.  117). 

72.  viande  «  *vivanda,  pour  vivenda)  «nourriture,  vivres'  =  anc.  fr.  vi- 
taille  (Huon  3628,  Orson  855).  On  sait  que  viande  a  gardé  ce  sens  général  pendant 
tout  le  moyen  âge.^j  Cela  exclut  l'étymologie  proposée  par  M.  Koerting  (vit  and  a. 
v.  le  n"  10266  du  Woerterbuch^);  les  raisons  qu'il  veut  alléguer  contre  vi  vend  a  ne 
sont  pas  valables  (Pour  la  dissimilation  du  v  intervocalique,  cf.  viaz  «<  vivacius 
(et  en  outre  les  imjjarfaits  en  -ebam)j  vivenda,  en  roman,  ne  signifie  pas  seulement 
„zu  lebende  Dinge,"  cf.  l'it.  lavanda  et  Herzog,  Streitfragen,  p.  98  n.).   En  ces  dernières 


1)  M.  Risop  le  cite  d'après  M.  Meyer-Lübke,  Littbl.  1892,  c.  15.5,  et  l'erreur  est  déjà  dans  rit  al. 
Grammatik,  p.  244.  (Elle  est  corrigée  dans  la  Grammatica,  p.  186.) 

2)  Et  pltts  longtemps  encore,  cf.  Grundriss  P,  p.  800. —  fr.  mod.  viande  =  char  en  anc.  fr. 

12 


—     178     — 

années,  on  a  rejeté  pom-tant  vivenda  à  cause  de  Tit.  bidanda  („que  bidande  mandi- 
cate?",  Ritmo  Cassinese  (Fin  du  XIII«  siècle)  et  ailleurs,  cf.  Gaspary,  Zeitschr.  f.  rom. 
Phil.  IV  (1880),  p.  612),  voir  Tobler,  H.  Arch.  C,  p.  220;  Littbl.  1907,  c.  18;  Vers- 
lehre*, p.  75  („altit.  bidanda  von  vita");  Ebeling,  H.  Arch.  CV,  p.  433  (qui  préfére- 
rait vitanda).  Mais  est-il  sûr  que  ce  soit  là  une  forme  plus  archaique  que  l'it.  vi- 
vanda?  On  peut  également  y  voir  *  vi  van  da,  avec  dissimilation  du  second  v  (cf. 
padiglione),  et  M.  Meyer-Liibke  l'a  expliqué  de  la  sorte  ((rramm  atica,  p.  75). 
Il  est  possible  qu'en  français  aussi  *vivanda  ait  passé  d'abord  par  l'intermédiaire  de 
*vidanda  (cf.  Vivien  Vézien,  saint  Vidian).  —  mengier.  Graphie  picarde  (cf.  Fried- 
wagner,  Sprache  des  Huon,  p.  26  s.)  qui  annonce  peut-être  la  prononciation  moderne 
(rainger,  cf.  Nyrop,  Gr.  hist.  I^,  §  215  R.). 

74 — 5.  amande  en  maleur,  au  sens  ironique,  en  allem.  ,ver.schlimmbessert'. 
amender  s'emploie  aussi  comme  verbe  neutre  (Mätzner,  Altfrz.  L.,  XXVI,  v.  3),  cf. 
le  proverbe  „Jamais  cheval  ne  méchant  homme  n'amenda  pour  aller  à  Rome".  —  M. 
Herzog  (Streitfragen,  p.  98  n.)  a  proposé  une  nouvelle  étymologie  de  ce  mot. 

76.  c'est  à  dire:  ils  mangent  entièrement  aux  dépens  d'autrui:  cf.  Auberee  42U — 2: 
Dame  Auberee  lor  atome  Ce  qu'ele  set  que  lor  fu  buen,  Quar  il  n'i  auoit  riens  du  suen, 
V.  la  note  de  l'éditeur;  cf.  plus  loin  v.  227. 

78.  es  tue  t.  Sur  l'étymologie  de  ce  mot,  voir  en  dernier  lieu  Ebehng.  H. 
Arch.  CVI,  p.  196,  et  Tobler,  Sitzungsber.  du  6  févr.  1902. 

79.  Aussi  que  f=  com  C),  cf.  Tobler,  V.  B.  l^,  p.  17-4  —  •!•  oef,  valeur 
minime;  on  pourrait  citer  une  centaine  d'expressions  analogues,  ')  dont  plusieurs  sont 
devenues  des  renforcements  indispensables  de  la  négation. 

81.  Sur  pieç'a,  cf  Tobler,  V.  B.  IF,  p.  Iss. 

82.  Raoul,  cf  Nyrop,  Gr.  hist.  12,  §  270  1^. 

86.  pelain  (<;  *pilamen)2)  ,extérieur,  apparence,  mine'  (cf.  M-R  III,  188  =  de 
laide  hure  IV,  212;  mètre  auc.  en  mal  pelai  n,  V,  164  =  en  mauvais  état);  cf.  l'it. 
pelame  qui  a  conservé  encore  le  sens  primitif:  1)  complesso  dei  peli  2)  qualità  di 
pelo  3)  indole;  et  cf  Lafontaine,  L'anneau  d'Hans  Carvel:  „Babeau  .  .  .  Fut  du  bon 
poil,  ardente  et  belle." 

87.  locu  ,échevelé",  voir  les  nombreux  exemples  recueillis  par  Godefroy. 

89.  Cela  explique  pourquoi  le  vilain  a  ,chief  locu'.  Voir  sur  la  coiffe  A. 
Scliultz,  Das  höfische  Leben  zur  Zeit  der  Minnesänger,  I^,  p.  241  et  j).  168;  les  pas- 
sages cités  de  Neidhart  sur  la  coiffe  de  nuit  sont  instructifs. 

91.  vilonie,  pour  vilenie,  d'après  félonie  (et,  vice  versa,  felenie),  cf.  Neu- 
mann, Littbl.  1883,  c.  17;  Risop,  Begriftsverwandtschaft  und  Sprachentwicklung  (Berlin 
1903),  p.  8. 

94.  A  poi  que  ...  ne  +  iudic,  cf  Tobler,  V.  B.  P,  p.  58  s. 

99.  louceor  de  pois  =  ,avaleur  de  pois'  (fr.  mod.  ,c'est  un  avaleur  de  pois 
gris'),  cf.  Loukepois^)  (Recl.  de  Moilliens,  CXLVI,  8).  C'est  un  mot  normanno-pi- 
card*).  M.  Homing  (Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXI,  p.  456  ss)  rattache  louche  ,cuiller' 
à  Cochlea;  on  serait  tenté  pourtant  d'expliquer  toute  cette  famille  par  une  onomatopée 
(cf.  l'allem.  lutschen). 

101.  Espir,  subst.  verbal  de  espirer  {-  it.  spiro),  cf  G.  Paris,  Remania 
VII,  p.  464. 

102.  „Pour  toute  coiffure  (toilette)". 


>)  Déjà  Ubiaiid  (Ueber  das  altfranz.  Epos)  a  remarqué  leur  fréquence  dans  l'ancienne  langue. 

2)  M.  Foerster  (Chev.  as.  II.  aap.  3746)  préférerait  ilériver  le  mot  de  peUis. 

•)  Et  ,humere  de  broet',  cf.  M-K.   1,  p.  6. 

*)  Il  est  vrai  que  son  aire  est  un  peu  plus  étendue. 


—     179     — 

103.  Faire  la  paelete,  .être  joyeux',  propr.  ,fêter  la  poêlée-.  („Dans  certaines 
provinces,  nom  donné  à  une  petite  fête  à  la  fin  de  la  moisson  ou  de  la  vendange." 
Littré  s.  V.  poêlée.)  Godefroy  en  cite  un  autre  exemple,  mais  sans  expliquer  cette 
locution;  voir  Du  Gange  s.  v.  Patella  (=  festum  fui-furis).  Pour  le  développement  du 
sens  (,célébrer  une  fête  spéciale'  >  , s'amuser')  cf.  .faire  la  noce'  et  l'allem.  , oralen' 
gralesieren',  de  .Gral'  (Hertz,  ParzivaH,  p.  463  ss.). 

106.  passion  a  le  sens  général  de  .souffrance,  torture',  à  peu  près  comme 
goûte  (sur  ce  dernier  mot,  cf.  Ebeling,  Auberee  107);  d'après  M.  Woelfflin  (Münch- 
ner Sitzungsber.  1894,  p.  114),  passio,  dans  la  terminologie  des  médecins,  était  un 
euphémisme  comme  aegritudo,  vitium;  mais,  d'autre  part,  la  langue  de  l'église  a 
donné  à  ce  mot  une  signification  particulière  (cf.  la  locution  , souffrir  mort  et  passion-.)  — 
Me  n  ois  on  (D)  a  un  sens  spécial  (.diarrhée',  cf.  Tobler,  Sitzungsber.  du  19  janv.  1893). 

109.  eng  aingn  e ,  (cf.  dépit-  M-R  I,  p.  308).  Voir  sur  ce  mot  Tobler,  Mittheilungen, 
p.  260;  Foerster,  Rieh.  4489. 

110.  longaingne,  Jatrine'  (au  fig.,  terme  d'injure,  v.  Paris-Jeanroy,  Extraits 
des  chroniqueurs  fr.*,  p.  154);  cf.  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XVII,  p.  317. 

121.  Pourquoi  ce  sifflet?  Est-ce  pour  rendre  plus  claire  encore  la  valeur  onomatopéi- 
que  de  ce  que  le  sénéchal  entend  par  .buffet'?  Ce  serait  alors  le  bruit  sifflant  qu'on 
profère  quelquefois  en  donnant  un  soufflet. 

124.  soi  traire  en  sus,  ,s'éloigner',  , se  retirer' (allem.  , sich  verziehen-)  :  traient 
soy  en  sus  les  gelous,  Clef  d'Amors  175;  cf.  Orson  950.  952;  traire  en  sus,  v.  n., 
M-R  I,  p.  286;  de  même  soi  traire  en  la:  Pur  deu,  trahez  vous  en  la,  Vus  ki  ne 
amez  mie,  Rom.  u.  Past..  p.  209;  traire  en  la,  v.  n.,  M-R  I,  p.  263;  soi  traire 
ariere,  Guigemar  772.  Pour  le  contraire:  Dame,  traies  vous  ca,  Auberee  370;  Traiiés 
en  cha.  M-R  II.  p.  46. 

129.  Car  ^C)  =  Que,  cf.  Tobler,  Versbau^,  p.  62. 

132,  C'est  une  formule  de  transition,  cf.  Foerster,  Rieh.,  p.  XVII;  ibid.  v.  383 
Qu'en  feroie  long  siermonnage  ?  —  Que  vos  dirai?  (L'Erberie  Rustebuef,  Jubinal  t.  I,' 
p.  254);  Je  qu'en  diroie?  (M-R  III,  p.  151);  Que  diroie  de  ses  bontez?  (Erec  93i; 
Que  vous  iroie-je  contant,  Ne  les  paroles  alongant?  iM-R  1,  p.  318);  Que  vous  feroie 
plus  lonc  conte,  Vous  qui  savez  a  ce  que  monte?  Ne  ferai  plus  longue  demoure 
(ibid.,  p.  326);  M-R  I,  pp.  14,  17;  III,  pp.  82,  85  etc. 

140.  cf.  B.  de  Condé,  Conte  des  Hiraus,  v.  6à  :  L'uns  fait  l'ivre,  L'autres  le 
chat,  li  tiers  le  sot;  Le  bachelier  d'armes  (Jubinal,  Nouv.  Rec.  I,  p.  328)  :  Ja  ne  ferai 
le  fol  ne  l'ivre,  Ne  ne  dirai  parole  estoute,  Car  Dieus  het  vilenie  toute;  Durmart  vv. 
15101  ss.  (Hertz,  Spielmannsbuch^,  p.  17). 

141.  Cf.  Flamenca  v.  606:  L'us  diz  los  motz  e  l'autr'  eis  nota. 

142.  la  riote,  voir  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.   VIII.  p.  275  ss. 

143.  la  ienglerie.  Il  s'agit  probablement  d'une  pièce  telle  que  .Des  deux 
bordeors  nbauz.'  (M-R  I,  p.  1  ss.)  et  ,La  contregengle-  (II,  p.  -257  ss.).  M-R  II,  p. 
242:  Molt  bien  sevent  de  tricherie,  D'enchauntemeuz  e  geuglerie. 

145.  A  côté  de  vieler,  on  rencontre  aussi  violer  (Rieh.  2283). 

146.  tels  i  a,  cf.  Tobler,  Mitth.,  p.  269. 

149.  risée,  synonyme  de  trufe,  bourde,  gab  (cf.  G.  Paris,  Manuel-,  §  74 
et  §  83.) 

151.  De  lui  vengier,  cf.  Tobler,  vrai  aniel  36.  —  son  meslet  =  son  injui-e, 
iniuria  sua  (cf.  Salluste,  De  couiur.  Cat.,  c.  51:  non  ita  est,  neque  cuiquam  mortalium 
iniuriîe  suse  parvse  videntur;  c'est  l'usage  constant  dans  Salluste);  v.  aussi  Tobler. 
V.  B.  112.  p.  84. 

156.  Qoi  (Que  C  D)  que,  cf.  ibid.  III,  p.  7  ss. 


—     180     — 

158.  sanz  escueillie  ne  fait  que  varier  tout  bêlement;  sur  le  verbe  es- 
coillir,  voir  Tobler,  vrai  aniel  28. 

163.  gales,  , callosités',  de  galla;  gale  , rogne'  est  probablement  le  même  mot. 
Sur  g  a  lia,  voir  Schuchardt.  Zeitschr.  f.  rom.  Phil..  t.  XXIX,  p.  323. 

167.  BCD:  Leslaioe,  probablement  par  confusion  avec  l'expression  si 
fréquente  les  l'oïe.  sur  laquelle  voir  la  note  de  M.  Foerster  au  v.  1216  de  Richars 
li  biaus;  cf.  Tobler,  V.  B.  R  p.  197  (où  il  faut  lire  Ombre  717). 

170.  Cf.  Tobler,  V.  B.  1«,  p.  216  ss. 

174.  (La  mesnie  s'apreste  172:)  Dolent  sont,  cf.  ibid.  p.  230. 

184.  Cf.  M-R  I,  p.  326:  Or  est  chëus  en  mal  lieu  (fam.  ,tomber  dans  le 
lacs-  =  être  dans  l'embaiTas).  —  mais  =  , mauvais',  voir  plus  haut.  p.  6.  M.  Horning 
(Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVIII,  p.  197  ss.  identifie  même  ces  deux  mots  :  mawais  [cf 
mavais  Aiol  2461)  >  maais  >■  mais. 

185.  mesprison,  vox  media:  au  sens  actif  =  .mesfet'  (comme  ici);  au  sens 
passif  =  ,adversité    (Prov.  au  vilain  195i,  cf.  la  note  de  M.  Tobler). 

186.  prison  =  ,priso  nnier' ;  cf.  it.  prigione  (Decameron  II,  6;  prigio- 
niere.  dans  cette  même  nouvelle  =  .geôlier'). 

192.  es  chars,  subst.  verbal  de  escharnir,  =  it.  scherno. 

195.  ab  et,  v.  Tobler,  vrai  aniel  366. 

204.  1  i  =  it.  glielo  ;  de  même  au  v.  209. 

208.  Tous  les  mss.  ont  par  (non  por  comme  on  lit  dans  le  Rec.  Gén.  III,  p. 
206).  —  cf.  Ebeling,  Auberee  284. 

214.  ne  li  siet  .ne  lui  convient  pas'  (non:  ,ne  lui  suffit  pas')  ;  cf.  Riote  (Zeit- 
schr. f.  rom.  Phil.  VIII,  p.  288):  Querres  autre  maistre,  se  cil  ne  vous  siet.  — 

Legrand  d'Aussy  fait  ici  une  réflexion  curieuse  sur  le  langage  du  vilain  (1.  cit., 
p.  364):  „Les  gens  du  peuple  qui,  dans  tous  les  siècles,  ont  dû  nécessairement  avoir, 
par  le  défaut  de  leur  éducation,  un  langage  corrompu  et  un  patois  à  eux,  chez  les 
fabliers  n'ont  rien  de  tout  cela.  Le  bouvier  et  le  roi  y  parlent  absolument  la  même 
langue.  Je  ne  sais  à  quoi  attribuer  ce  défaut  de  costume,  si  ce  n'est  à  l'ignorance  de 
ces  poètes,  qui,  ne  connoissant  point  les  bienséances  de  style,  ont  fait  parler  tout  le 
monde  comme  eux." 

218.  en  pièce,  cf.  Tobler,  V.  B.  Il2,  p.  2. 

222.  Le  sénéchal  comprend  que  le  succès  d'hilarité  obtenu  par  Raoul  nuit  à  sa 
propre  cause:  Le  vilain  a  les  rieurs  de  son  côté,   donc,  il  a  cause  gagnée. 

231.    „seur  toz  les  autres,  ménestrels." 

232 — 7.  Les  ménestrels,  après  avoir  acclamé  le  jugement  du  comte  (v.  232), 
s'entretiennent  sur  l'aventure  plaisante  et  son  dénouement  ;  ce  n'est  donc  pas  un  dis- 
cours suivi,  mais  une  série  de  petites  phrases  dontchacune  est  dite  par  un  autre  des  assistants. 

235.    Ainz  mes.     Sur  ainz-ains,  cf.  Foerster,  Charrette  183. 

238 — 53.  Réflexions  du  conteur;  c'est  la  morale  de  l'histoire  (selon  le  Rec. 
Gén.,  ces  vers  continueraient  plutôt  le  discours  des  ménestrels). 

238.    atise  (à  côte  de  attice,  cf.  Ebeling,  Auberee,  p.  154). 

240—1.  Comp.  Tobler,  Li  prov.  au  vil.,  n"  106-,  Ulrich,  Proverbes  ruraux  et 
vulgaux,  ZFSL,  t.  XXIV,  p.  5,  n"  107,  et  p.  17. 

257—8.  Cf  Tobler,  1.  cit.,  n'>  135  ;  Ulrich,  1.  cit.,  n«  .385;  Novati,  Giorn.  stor., 
XVIII,  p.    131;  et  voir  ci-dessus,  p.  KU. 


Untersuchungen  zum  altenglischen  sogenannten  Crist. 


Von 
Gustav  Binz. 


Die  altenglische  Dichtung,  der  man  den  Namen  Crist  beizulegen 
pflegt,  ist  in  den  letzten  Jahren  mit  erneutem  Eifer  studiert  worden. 
Vor  allem  die  Frage,  ob  sie  ein  einheitliches  Werk  Cynewulfs  sei  oder 
in  mehrere  von  einander  unabhängige  Stücke  zerfalle,  von  denen  nur 
das  mittlere  mit  Sicherheit  Cynewulf  zugeschrieben  werden  könne,  hat 
man  eingehend  erörtert.  Trotzdem  der  neuste  Herausgeber  dieses  Denk- 
males altenglischer  Poesie,  der  im  übrigen  um  das  Verständnis  desselben 
hochverdiente  Albert  S.  Cook,  an  der  lange  Zeit  allgemein  angenommenen 
Meinung  von  der  Einheitlichkeit  festhält,  muß  ich  mich  zu  der  von 
Trautmann,  Blackburn,  Bamouw,  Bourauel,  Schwarz  und  anderen  ver- 
tretenen Auffassung  bekennen,  welche  die  Zerlegung  in  mindestens  drei 
selbständige  Dichtungen  und  die  Beschränkung  von  Cynewulfs  Verfasser- 
schaft auf  den  zweiten  Teil  für  unabweislich  ansieht.  Ihre  Beweismittel, 
die  mir  genügend  scheinen,  zu  mehren  und  zu  stärken,  kann  ich  darum 
nicht  für  meine  Aufgabe  halten.  Wenn  sich  indessen  im  Verlauf  der 
folgenden  Untersuchungen  neue  Stützen  für  sie  ohne  Mühe  gewinnen 
lassen  sollten,  so  wäre  dies  ein  nicht  zu  verachtendes  Nebenergebnis 
meiner  Arbeit.  Ich  will  vielmehr,  einen  schon  früher  gelegentlich 
(Zs.  f.  d.  Phil.  36,  273)  von  mir  ausgesprochenen  Gedanken  wieder  auf- 
nehmend und  weiter  verfolgend,  versuchen,  aus  einer  eingehenderen  Be- 
trachtung des  dritten  Teils  (V.  867  ff.)  mir  ein  Urteil  über  das  Ver- 
hältnis desselben  (Cr.  III)  zu  der  altsächsischen  Dichtung  zu 
bilden.  Die  Vermutung,  daß  ein  solches  Verhältnis  bestehe,  wird  nahe 
gelegt  durch  eine  Reihe  von  sprachlichen,  stilistisclien  und  metrischen 
Eigentümlichkeiten  des  Cr.  III,  für  welche  aus  der  übrigen  ae.  Dichtung 
keine  oder  nur  höchst  spärliche,  aus  der  altsächsischen  Dichtung  dagegen 
überraschend  viele  und  auffällige  Analogien  beigebracht  werden  können 


—     182     — 

Die  Anhandiiahme  einer  solchen  Untersuchung  scheint  mir  umso 
dringender,  als  neuerdings  in  einer  unter  Trautmauns  Einfluß  entstandenen 
Bonner  Dissertation  auf  einen  Teil  der  sich  hiebei  aufdrängenden  Fragen 
eine  Antwort  gegeben  worden  ist,  welche  den  Tatsachen  meines  Erachtens 
nicht  nur  nicht  gerecht  wird,  sondern  die  Dinge  geradezu  auf  den  Kopf 
stellt.  In  den  Bonner  Beiträgen  zur  Anglistik  Heft  17,  1905,  S.  1 — 50 
handelt  Otto  Grüters  „über  einige  Beziehungen  zwischen  altsächsischer 
und  altenglischer  Dichtung".  Er  geht  darauf  aus,  „zu  zeigen,  daß  ein 
Teil  der  as.  Genesis  und  eine  Stelle  des  HeHand  von  der  ae.  Dichtung 
abhangen"  und  faßt  die  Ergebnisse  des  ersten  Teils  seiner  Untersuchungen 
folgendermaßen  zusammen  (S.  34)  : 

„1.  Ein  Abschnitt  des  Crist  [V.  1380  ff]  berührt  sich  mit  der  as.  Genesis 
[ae.  Genesis  B  V,  235 — 760],  auch  mit  Stellen,  die  in  ihrer  Sprache 
deutlich  as.  Gepräge  tragen. 

2.  Diese  Übereinstimmungen  in  Ausdrücken  und  im  Stabreim  lassen 
sich  bei  dem  Reichtum  der  ae.  Sprache  nicht  aus  lateinischen  Quellen 
herleiten,  ganz  abgesehen  davon,  daß  es  unwahrscheinlich  wäre,  daß 
die  Dichter  für  verschiedene  Gegenstände  aus  demselben  lateinischen 
Werke  geschöpft  hätten,  oder  daß  gar  eine  lateinische  Dichtung 
vom  jüngsten  Gericht  auf  einer  andern  vom  Sturze  der  Teufel  beruht 
hätte,  oder  umgekehrt. 

3.  Die  Berührungen  können  sich  nicht  etwa  unabhängig  von  einander 
aus  den  verwandten  Stoffen  ergeben  haben;  denn  die  ae.  Dichtungen, 
die  denselben  Gegenstand  wie  die  as.  Genesis  behandeln,  zeigen 
solche  Übereinstimmungen  nicht  —  die  andern  ae.  Dichtungen  über 
das  jüngste  Gericht  stehen  der  as.  Genesis  ganz  fern. 

4.  Es  bleibt  also  nur  noch  übrig  anzunehmen,  daß  die  as.  Genesis  und 
der  Abschnitt  des  Crist  auf  verwandten  ae.  Dichtungen  beruhen, 
da  an  ältere  as.  christliche  Dichtungen  nicht  zu  denken  ist." 

Weniger  deutlich  äußert  Grüters  sich  über  die  Beziehungen  zwischen 
Cr.  III  und  Heliand.  Seine  wichtigsten  Gedanken  lassen  sich  ungefähr 
so  resümieren  :  Durch  Zusammenschieben  von  Heliand  V.  1033  ff  und 
V.  3591  ff  erhalten  wir  ein  Ganzes,  das  mit  den  Reden  Christi  in 
Cr.  V.  1380  ff  und  in  „Christi  Höllenfahrt  usw."  ausgeprägte  Ähnlich- 
keit hat  (S.  36).  Durch  Vergleichung  mit  den  übrigen  ae.  Dichtungen 
wird  der  Wert  dieser  Übereinstimmungen  zwar  erheblich  vermindert, 
aber  doch  nicht  völlig  aufgehoben  (S.  48).  Heliand  hängt  von  der  gleichen 
Überlieferung  ab,  wie  Crist,  Christi  Höllenfahrt  und  Phönix.  Auf  S.  49 
finden  wir  das  Zugeständnis  :  „Die  as.  Genesis  macht  zwar  nicht  den 
Eindruck,  daß  sie  das  Werk  eines  Übersetzers  oder  Bearbeiters  wäre, 
der  sich  ängstlich  an  sein  Vorbild  angeklammert  hätte.  Es  weht  in  ihr 
ein  ganz  eigener,  ursprünglich  anmutender  Geist  der  Freiheit  und  Größe, 


—     183     — 

den  ein  Übersetzer  schwerlich  aus  seiner  Vorlage  in  sein  Werk  hinüber- 
gerettet hätte,  den  man  auch  in  den  ae.  religiösen  Dichtungen  nirgend 
so  kräftig  verspürt." 

Warum  man  den  im  letzten  Satz  seiner  vierten  Schlußfolgerung 
(S.  34)  ausgesprochenen  Gedanken,  den  er  selbst  am  Ende  des  Zitates 
von  S.  49  nur  mit  Mühe  zurückdrängen  zu  können  scheint,  nicht  auf- 
kommen lassen  dürfe,  das  ersieht  man  aus  Grüters'  Ausführungen  nicht. 
Denn  eine  Begründung  seiner  Ansicht  kann  man  es  doch  nicht  nennen, 
wenn  er  S.  33  sagt:  „Die  bisher  gefundenen  Beziehungen  erklären  sich 
am  einfachsten  —  von  wahrscheinlich  darf  man  kaum  reden  — ,  wenn 
man  annimmt,  daß  die  as.  Genesis  in  dem  Abschnitte,  der  uns  beschäftigt, 
auf  einem  ae.  Gedichte  gleichen  Inhalts  beruht,  das  seinerseits  aus  älteren 
Dichtungen  geschöpft  hätte,  die  auch  der  Verfasser  des  Cr.  III  benutzte." 
Der  dort  beigefügte  Hinweis  auf  die  ähnliche  Meinung  Trautmanns  wird 
als  Ersatz  für  einen  Beweis  kaum  gelten  dürfen  ;  denn  wenn  auch  noch 
keine  kritischen  Besprechungen  über  Trautmanns  Kölner  Vortrag,  worin 
er  den  Hehand  als  Übersetzung  aus  dem  ae.  erwiesen  zu  haben  hoffte, 
zu  meiner  Kenntnis  gelangt  sind,  glaube  ich  doch  mit  der  Annahme 
kaum  zu  irren,  daß  Trautmann  mit  diesem  Gedanken  und  seiner  Be- 
gründung sich  keinen  größeren  Beifall  errungen  habe  als  mit  der  ähn- 
lichen Behauptung  über  das  Hildebrandshed. 

Das  wirkliche  Verhältnis  des  Crist  zur  as.  Dichtung  ist  somit  durch 
Grüters'  in  eine  petitio  principii  auslaufende  Arbeit  nicht  bestimmt. 
Die  von  ihm  angewandten,  auf  Vergleichung  des  Inhalts  und  der  Aus- 
drucksweise sich  beschränkenden  Mittel  konnten  dazu  auch  gar  nicht 
ausreichen,  um  so  weniger,  als  die  wenigen,  wirklich  für  engere  Be- 
ziehungen sprechenden  Übereinstimmungen  unter  der  von  ihm  mit  großem, 
aber  nutzlosem  Eifer  zusammengehäuften  Masse  nichtssagender  Ähnlich- 
keiten verschwinden.  Wollen  wir  zu  einer  sichereren  Antwort  auf  die 
uns  beschäftigende  Frage  gelangen,  so  müssen  wir  die  Untersuchung 
auf  eine  breitere  Grundlage  stellen  und  alle  zuverlässigen  Kriterien 
herbeiziehen.  Solche  finden  wir  im  Wortschatz,  in  den  Laut-  und 
Flexionsformen,  in  der  Syntax,  dem  Stil  und  der  Metrik.  Den  Weg  zu 
ihrem  Gebrauch  hat  uns  Sievers  in  seiner  Schrift  über  den  Heliand  und 
die  angelsächsische  Genesis  (Halle  1875)  gewiesen. 

1.  Wortschatz. 

Die  Anwendung  dieses  Kriteriums  erheischt  deswegen  besondere 
Vorsicht,  weil  wir  nicht  mit  unbedingter  Sicherheit  den  Umfang  des 
ae.  bezw.  as.  Wortschatzes  bestimmen,  beide  gegen  einander  abgrenzen 
können.    Im  allgemeinen  wird  der  Zweifel  über  Zugehörigkeit  oder  Nicht- 


—     184     — 

Zugehörigkeit  zum  ae.  geringer  sein  als  über  diejenige  zum  as.,  da  für 
das  Englisclie  die  Quellen  unvergleichlich  viel  reicher  fließen.  Finden 
wir  nun  im  Cr.  III  Wörter,  die  dem  ae.  sonst  fremd,  im  as.  aber  belegt 
sind,  so  wird  der  Verdacht,  daß  wir  es  mit  einer  Entlehnung  aus  dem 
as.  oder  mit  einem  stehen  gebliebenen  Rest  aus  einem  as.  Yorbild  zu 
tun  haben,  um  so  dringender,  je  geläufiger  die  dadurch  ausgedrückten 
Begriffe  und  Vorstellungen  sonst  der  ae.  Dichtung  sind,  also  da,  wo  es 
sich  um  Dinge  handelt,  für  welche  die  ae.  Dichtersprache  eine  mehr  oder 
weniger  große  Fülle  von  anderen  Bezeichnungen  aufweist. 

Am  Wortschatz  des  Cr.  III  ist  aber  in  der  Tat  vieles  recht  auf- 
fallend. Schon  Trautmanu  hat  zwar  (Anglia  18,  385)  auf  die  von  Cynewulfs 
Sprache  abweichende  Zusammensetzung  derselben  aufmerksam  gemacht 
und  sie  durch  Belege  illustriert,  die  Sache  aber  nicht  weiter  verfolgt. 
Cook  hat  in  seinem  Glossar  die  nach  Grein  nirgends  sonst  in  der  ae. 
Dichtung  begegnenden  Wörter  oder  Wortzusammensetzungen  durch  ein 
besonderes  Zeichen  hervorgehoben.  Wenn  man  noch  einige  Fälle,  in 
denen  dieses  aus  Versehen  weggelassen  ist,  hinzurechnet,  so  findet  man 
in  den  rund  800  Versen  des  Cr.  III  die  unverhältnismäßig  hohe  Zahl 
von  113  sonst  in  ae.  Dichtung  und  meistens  im  ae.  überhaujDt  nicht 
nachzuweisenden  Wörtern.  Diese  Zahl  wird  aber  noch  bedeutungsvoller, 
wenn  wir  die  Wörter,  welche  in  dieser  Liste  enthalten  sind,  näher  an- 
sehen.    Es  sind,  nach  Cooks  Ausgabe  citiert,  die  folgenden  : 

ahêatan  941.  Cid/otja  1604.  ü/jjsnes  1473.  itnroruld  93t).  andyête  1244. 
äscomian  1298.  mTehiuf/tKt  1011.  mtoUan  1319.  ruTri/snuiii  113'6.  atolearf od 
1265.  hi/ild-minan  869.  Inrinmin  1175.  hlsëou  =  moisten,  drench  1087. 
hktn/ccfiH  1445.  hlœdiceki  1391.  hj/s/ncr/ëas  1325.  crj/bh  1425.  dëadfinn 
1206.  dëadlêfj  982.  drëorigferluî  1108.  efenmkel  1402.  eftlëan  1099. 
eornest  iß\xh?,i.)  1100.  fUceiitûce/i  1565.  feor/idolg  1454.  feorhgonui  1548. 
fërdpeu'it  1183.  finidtecdu  1275.  firenfronnicud  1117.  premjeorn  1605. 
firtiminnig  1378.  fircnireon-  1300.  1398.  fo/cdrijht  1066.  foidrast  1028. 
foretûcen  892.  foredoncol  1191.  fffrsiceart  983.  gedf/ran  =  ehren,  preisen 
1644.  ge/irëow  =  lamentation  938.  peirjfan  (trans.  =  to  endear)  1644. 
geondsëmn  972.  goldfralwc  995.  grorne  (adv.)  1204.  liUimfœst  1554. 
heühcüf  978.  htdrdeindt  (1.  /tennnnc'uk'  ?)  1443.  heanmicalu  1608. 
heurmulege  1434.  hellcwalu  1189.  helhbeulii  1426.  heofondugud  1654. 
/Hohdrgit  1541.  Innfëdu  1012.  Ii'ingrnn  1354.  /i/ëod  13öS.  //rë(îënd}g  94-1. 
/tredcrcoffi  1328.  /nnr.<>  1443.  niagencarfcde  963.  1410.  luagenfolc  876. 
mœgeninuïdor  926.  luagugeogud  1428.  mwiciceahu  1416.  nuwforinirht 
1094.  niUniromni  1279.  inordorhUa  1624.  niordorlëan  1611.  mûr  1142. 
ingrmn  1143.  mdnrnht  1257.  ngdg(  ireft/d  14Ö0.  ödriTfmi  1266.  ofhrëomn 
933.  onhëodan  1169.  on/täfc  895.  oittm/g  1420.  rarii  1396.  1459.  .<i(rpllie. 
scrEft  1305.    .srg/dirrecrende  1160.   .Htgeinëre  1530.    .s/ifc  1250.    somodfœst 


—     185     — 

1580.  fipütl  1121.  1435.  Hffiftfd'sf  080.  siKtfinênsfan  900.  .svm.s-^V-  1510. 
Hirœ.slTce  1338.  siregdi/un  954.  st/iihi/nttii  1299.  si/z/fd/i  1082.  aiinlicc  1479. 
.s7//z/?/7  919.  1132.  1281.  1376.  .sv/y//v7.s-/  1320.  föin  1211.  //vY/r-  1165. 
ffi)if/o/(/}NUU  llöO.  (Têothtinulor  WbA.  (Tur/nr/Tta n  128S.  1331.  iiithëtcf/  \Hll. 
iinefi n  l-ib9.  ifiif/eai-o  814.  iinHcomkude  1324.  unsirêk  1438.  lOfHtJfre  lAHH. 
imtu'ëo  960.  Kiifri/nte  1562.  n'Œf/dëor  981 .  u'œbnfyr  9Sl.  weonTinui  1\3H. 
iromiryrcende  1092.  woriildpear fende  1350.  irorii/dind/  1006.  iroruldirJte 
1477.  n'i/nsifinïTc  911. 

Dazu  kommen  noch  einige,  die  außerhalb  Cr.  III  nur  noch  in  der 
Psalmenübersetzung  begegnen,  welche  auch  andere  Eigentümlichkeiten 
mit  Cr.  III  gemein  hat:  pedwelkin  1127.  f/etreininaii  1150.  Af'/7'//f.  Iitff/or 
1487.  sekf/escot  1480.  ^rp<"  1503.  wŒdki  1495.  .sroy/r/  findet  sich  aulier  in 
Cr.,  Psal.,  Genesis  B.  noch  einmal  im  Güdläc. 

Bei  vielen  von  diesen  Wörtern  kann  und  wird  die  Beschränkung 
ihres  Vorkommens  auf  Cr.  III  auf  Zufall  beruhen.  Einige  aber  sind 
zweifellos  unenghsch  :  crijhh  (im  Cr.  I  dafür  hinn  !)  =--  as.  knbhki:  (jedjjntu. 
vgl.  dyran  =  loben  in  Genes.  B.  V,  257  =  as.  diurian,  preisen;  nmgugeof/iKt. 
eine  Abstraktbildung  zu  *iuaf/ugeong  =  as.  tuac/ujang:  mûr  =  as.  mûr  (st.  m  ?) 
neben  mura  st.  fem.,  myrran  =  as.  merrian  :  Wm  =  a.s.  tOm  neben  (önii. 
das  der  ae.  Übersetzer  der  as.  Genesis  in  Genesis  B.  V.  804  absicht- 
lich vermieden  zu  haben  scheint.  Zum  mindesten  dadurch  auffallend, 
daß  sie  ae.  sonst  nicht  angetroffen  werden,  trotzdem  sie  keine  abwegs 
liegenden  Vorstellungen  ausdrücken,  sind  œdeklugmt.  h'iprgccan.  die 
Zusammensetzungen  mit  dëa<t  -.  die  Composita  nydgeweakl  und  irynsumfTc. 
die  allerdings  auch  in  den  erhaltenen  Resten  as.  Dichtung  umsonst 
gesucht  werden.  Noch  lebhafter  erinnern  uns  an  das  as.  die  zahl- 
reichen Zusammensetzungen  mit  ßren  - .  vgl.  as.  pnuddd.  flrinqudla. 
firinquidi.  firinsprdka.  finnsimdea,  firimrerk.  zumal  da  auch  bei  den 
englischen  Wörtern  die  gleiche  Abschwächung  der  ursprünglichen  Be- 
deutung des  ersten  Bestandteils  zur  steigernden  Funktion,  wie  bei 
einem  Teil  der  as.,  festgestellt  werden  kann,  ähnlich  wie  dies  bei  den 
Compositis  mit  ßeod  -  der  Fall  ist,  vgl.  as.  tliiodarlmti.  tlüodgod.  tli'iod- 
giimo.  Ihiodkumug.  f/iiodqiidla.  Ili'iodskaäo.  t/iiodtrc/o.  Das  ae.  zeigt  sonst 
keine  solche  Vorliebe  für  diese  Zusammensetzungen.  Auch  dem  liearmcwkk. 
hearmcwcdu  und  hearmsk'ge  können  wir  leichter  entsprechendes  aus  dem 
as.  zur  Seite  stellen  (liarmgitnir/ff.  /lanm/iftdi.  //aniiskara.  /larmurrki. 
als  aus  dem  ae..  wo  solche  Composita  fast  ganz  auf  Cr.  IIL  Psalmen. 
Genesis  und  Andreas  beschränkt  sind,  die  manche  sprachlichen  und 
metrischen  Auffälhgkeiten  mit  einander  gemein  haben.  Ebenso  sind 
endhch  die  Zusammensetzungen  mit  einem  Participium  der  Gegenwart 
im  zweiten  Teil,  wie  firinfnmmeud.  scyJdwreccende,  unscomiciide, 
iromicyrcende.  iconddpear fende,  wenn  ich  recht  sehe,  as.  Sprachgebrauch 


—     186     — 

geläufiger  als  dem  ae.  AVas  die  Zusammensetzungen  mit  un-  anlangt,  so 
hat  schon  Franz  Schwarz  in  seiner  Dissertation  (Cynewulfs  Anteil  am 
Crist,  Königsberg  1905)  S.  102  auf  den  bedeutenden  Unterschied  der 
drei  Teile  des  Crist  in  der  Häufigkeit  derselben  (Cr.  I  und  II  je  5, 
Cr.  III  28  Belege)  aufmerksam  gemacht.  Eine  Durchsicht  von  Greins 
Sprachschatz  zeigt,  daß  wieder  Cr.  III,  Genesis,  Andreas  und  Psalmen 
ein  Hauptkontingent  zu  der  Liste  solcher  Komposita  stellen.  Das  ist 
vielleicht  doch  nicht  ganz  zufällig.  Jedenfalls  verdient  hervorgehoben  zu 
werden,  daß  auch  in  der  as.  Dichtung  eine  verhältnismäßig  stattliche 
Zahl  solcher  Bildungen  überliefert  ist. 

Zu  einzelnen  Wörtern  noch  ein  paar  Bemerkungen.  CuTruHiued  1133, 
nur  einmal  in  Cr.  III,  findet  eine  Parallele  in  Heliand  5628  git/irusmod, 
das  freilich  nur  auf  Konjektur  für  hsl.  r/ithismod  beruht,  forden 
partiz.  =  verbrecherisch,  böse,  5  mal  in  Cr.  III,  einmal  auch  in  Andr.  43, 
entspricht  genau  einem  as.  farduan  (3  mal  im  Heliand).  cß]  =  lascivia 
(as.  (jêl)  Cr.  1084  begegnet  sonst  nur  noch  in  Genes.  B.  327.  wëde 
915.  1671  =  as.  u'ôdi  vermag  Grein  außerhalb  des  Cr.  III  nur  ein  einziges 
Mal  nachzuweisen  ;  ebenso  begegnen  frœt  und  eihk/eonf/  außerhalb  des 
Cr.  III  und  Andreas  je  nur  1  mal.  Auffällig  ist  der  häufige  Gebrauch 
von  ücTene,  scjjne  und  von  .svra  some,  die  beide  im  as.  sehr  beliebt  sind. 

Einige  Wörter  haben  im  Cr.  III  eine  Bedeutung,  die  sich  im 
ae.  sonst  nirgends  belegen  läßt,  wohl  aber  im  as.:  Jiord  1047  =  „Ge- 
danken", wie  im  Hei.  1762.  (d/dan  1073.  1549  =  „achten  auf,  beachten", 
entsprechend  dem  as.  a/ifon.  fore  el(l)Pëodiun  1083.  1336  im  Sinne  von 
„vor  allen  Menschen"  (so  wohl  auch  im  Andr.  972)  zu  vergleichen  mit 
dem  as.  fdder  (dof/tiado  Hei.  4746,  während  nach  Grein  ae.  elpëod  sonst 
nur  „natio  peregrina"  heißt,  ricalu  hat  im  ae.  stets  den  Sinn  von 
„Tod";  in  den  Zusammensetzungen  kearmcimlu  1608,  hellcnrihi  1189 
und  nJdnrfdn  1257  paßt  aber  diese  Bedeutung  gar  nicht  in  den  Zu- 
sammenhang; dieser  verlaugt  vielmehr  „Qual",  so  daß  wir  der  Annahme 
kaum  entgehen  können,  daß  an  diesen  Stellen  ein  as.  qudla  st.  f.  zu 
cH'a/u  anglisiert  erscheine.  Diese  Komposita  sind  freilich  im  as.  nicht 
belegt;  das  kann  aber  leicht  auf  Zufall  beruhen.  Für  substantivisches 
(fc/rrëoir  -=  „AVehklage"  998  können  wir  weder  aus  dem  ae.  noch  aus  dem  as. 
einen  weitem  Nachweis  erbringen;  aber  daß  as.  ein  Verbum  /treuivan  „be- 
klagen" vorkommt,  das  ae.  mit  dieser  Bedeutung  fehlt,  verdient  Beachtung. 
onbeodnn  „entbieten,  kundtun"  1169,  im  englischen  ganz  vereinzelt,  erscheint 
im  Heliand  öfter.  .s//77y  Icticr  1161  „schwere  Krankheit"  ist  im  englischen 
kaum  anderswo  in  diesem  Sinne  zu  belegen,  während  as.  kgcr  mehrfach 
so  begegnet.  Zu  hi(/œd  V.  1307  haben  Grein  und  Gollancz  die  Bedeutung 
„beichtet"  gefordert,  die  dem  ae.  Verbum  hcf/ün  sonst  völlig  fehlt.  Dürfte 
man  sich  vielleicht  vorstellen,  daß  ein  as.  hif/e/dd.  „beichtet"  zu  Grunde 


—     187     — 

liegt,  das  von  einem  englischen  Leser  mißverstanden  und  falsch  ins 
englische  übertragen  worden  wäre  ?  Holthausen  erwähnt  im  as.  Elementar- 
buch §  476  eine  3.  Sing.  Ind.  Präs.  begêd  „begeht"  ;  daneben  hat  viel- 
leicht ein  bkjftd  existiert,  wie  steid  neben  nted,  und  diese  Form  hätte, 
etwa  noch  mit  einem  silben trennenden  li  zwischen  e  und  i  versehen,  viel- 
leicht zu  einer  Verwechslung  mit  dem  neben  regelmäßigem  hUjihkl  nach 
Holthausen  §  428,  Anm.  1  vermutlich  möglichen  higelüd  Anlaß  geben 
können.  Allerdings  kommt  dem  higel/an  im  as.  in  den  überlieferten  Sprach- 
resten nur  die  Bedeutung  „sich  vermessen"  zu,  daß  ihm  aber  auch  die 
Bedeutung  „beichten"  innegewohnt  haben  werde,  dürfen  wir  aus  dem 
dazu  gehörigen  Verbalabstraktum  higihf  „Beichte"  schließen. 

Weil  sie  zwei  Wörter  enthalten,  die  mir  besonders  beweiskräftig 
scheinen,  muß  ich  die  Verse  1541 — 1548  ganz  liieher  setzen: 

Ne  mseg  |?8et  hâte  dsel  of  heolodcynne 

in  sinnehte  synne  forbsernan, 

tö  widan  feore  wom  of  |?^re  säwle  ; 

ac  ]>sêr  se  déopa  sëad  drêorge  fëded, 

grundlêas  gîemed  g*sta  on  }?êostre, 

sëleà  hy  mid  ])y  ealdan  lige  ond  mid  }>y  egsau  forste, 

wrâ]?um  wyrmum  ond  mid  wlta  fêla, 

frêcnum  feorhgômum,  folcum  sce[dct]ed. 

Das  âjia^  ÀsyôftEvov  /teolodcgn  1541  glossiert  Cook  mit  ,,  dwellers 
in  hell".  Woher  anders  als  weil  der  Zusammenhang  es  zu  fordern  scheint, 
nimmt  er  das  Recht  zu  dieser  Übersetzung  ?  heolod-  gehört  doch  zweifellos 
zum  Verbum  helan  „verbergen";  es  ist  vollkommen  verständlich  und  nicht 
im  mindesten  anstößig  im  Compositum  heolodhehu  Wal.  45  =  „unsichtbar 
machender  Helm".  Im  as.  finden  wir  dafür  helidhelm.  Dieses  hat  der 
Übersetzer  oder  wenigstens  der  Schreiber  der  einzigen  Hs.  der  Genesis  B., 
die  wahre  Abstammung  verwischend,  durch  hœledlielw  übertragen,  w^as 
gewiß  fälschlich  auf  lut'led  „Held"  bezogen  wurde.  Den  umgekehrten 
Fehler,  meine  ich,  finden  wir  hier.  Ein  as.  helidkaum  (Hei.  2624),  das 
wörtlich  im  ae.  hätte  lueJedcgn  ergeben  müssen  (im  ae.  nicht  zu  belegen, 
immer  dafür  hwleda  cgu).  ist  verwechselt  worden  mit  dem  helid-  von 
IteUdhehn  und  in  sinnloser  Weise  durch  ae.  Inolodcgn  wiedergegeben. 

Beim  letzten  Vers  der  zitierten  Stelle  scheinen  mir  fast  alle  bis- 
herigen Erklärungsversuche  unbefriedigend.  Daß  das  hsl.  scended 
durch  scedded  zu  ersetzen  sei,  wird  man  wegen  des  Dativs  folciini.  zu 
dem  kein  anderes  Verbum  mit  ähnhcher  Bedeutung  passen  will,  zuge- 
stehen müssen.  Es  wird  dann  in  feorJigüninm  das  Mittel  und  Werkzeug 
der  Schädigung  stecken.  Thorpe  übersetzt  nun  „with  rugged  fatal  gums 
afflicteth  people",  GoUancz  „with  sharp  and  deadly  jaws  it  scatheth  folk", 
Whitman  mit  Cooks  Billigung  „it  shall  afflict  the  multitudes  with  hateful 


—     188     — 

serpents,  with  countless  torments,  with  jaws  deadly  and  terrible."  Daß 
hier  fjöma  „Gaumen"  für  den  alles  verschlingenden  Rachen  der  Hölle 
gebraucht  sei,  wäre  an  und  für  sich  kein  verwerflicher  Gedanke;  aber 
die  Parallelisierung  mit  u'urmum  und  mal  inte  fehl  macht  es  wahr- 
scheinHcher,  daß  mit  den  frëcnum  feor/if/ömum  entweder  etwas  diesen 
Arten  von  Qualen  koordiniertes  oder  etwas  sie  alle  zusammenfassendes 
gemeint  sei,  was  beim  Höllenrachen  kaum  der  Fall  wäre.  Dazu  kommt 
noch,  daß  die  Übersetzung  de  a  diu  jau'S  bezw.  fatal  (/Hins  meines  Er- 
achtens  direkt  falsch  ist.  feor/i  heißt  „Leben"  und  kann  den  Sinn  von 
„deadly",  „fatal"  höchstens  in  einer  Zusammensetzung  annehmen,  deren 
zweiter  Teil  eine  Bedrohung  oder  Vernichtung  des  Lebens  ausspricht. 
Grein  übersetzt  daher,  die  grausame  Ironie  des  Dichters  besser  treffend 
„mit  fui'chtbarer  Nahrung  die  Völker  plagend",  indem  er,  ausdrücklich 
auf  sis.  f/öma  st.  f.  „epulae"  hinweisend,  feor/if/öme  f.  im  Wörterbuch  mit 
„alimentum  vel  provisio  vitae"  erläutert.  Ein  furchtbares  Mahl,  eine 
entsetzliche  Bewirtung  sind  die  vielen  Höllenstrafen  in  der  Tat.  Im 
Englischen  ist  aber  das  Wort  *göm.  wie  es  dort  wohl  lauten  müßte, 
ganz  unbekannt,  während  es  im  as.  als  goma  st.  f.  sehr  häufig  auftritt. 
Wir  werden  darum  mit  dem  Schluß,  daß  in  feorhfiöinuni  in  etwas  anglisierter 
Gestalt  ein  as.  Wort  stehen  geblieben  sei,  kaum  fehlgehen.  Anstößig 
bleibt  freihch  der  erste  Teil  auch  dann  noch.  Sollte  am  Ende  eine  Zu- 
sammensetzung fernfjonum  „Höllenmähler"  zu  Grunde  liegen  ? 

2.  Laut-  und  Wortformen. 

Ein  zweites  Kriterium  für  as.  Einfluß  liefern  Laut-  und  Wortformen, 
die,  im  englischen  ungewöhnlich  oder  geradezu  unerhört,  ganz  erklärlich 
und  verständlich  werden,  sobald  wir  annehmen  dürfen,  daß  sie  nicht  originales 
Englisch,  sondern  schlecht  übertragenes  Altsächsisch  repräsentieren. 

Einige  lautliche  Sonderbarkeiten  des  Cr.  III  hat  Cook  in  seiner 
grammatischen  Einleitung  notiert  :  snTtr,  sicäse  statt  sicœr,  sicœse  (as.  su'äi'. 
.sH'ûa),  das  c  in  Indrijeton.  namentlich  aber  die  aufi"ällige  Verschiedenheit 
von  Cr.  I.  II.  III.  inbezug  auf  die  Form  der  Vorsilbe  he-,  hl-,  Cook 
rechnet  dafür  die  folgenden  Verhältniszahlen  aus:  Cr.  I  he-^Vit  b'i-. 
Cr.  II  he-  =  ^'3  hi.  Cr.  III  öe-  =  Vis  hi-.  Im  as.  ist  die  Form  ebenfalls 
weit  überwiegend  ht-.  Das  bedeutende  Übergewicht  der  hi-  über  die  he- 
in Cr.  III,  für  das  man,  freilich  nicht  ohne  Bedenken,  den  Schreiber 
der  Hs.')  verantwortlich  machen  könnte,  würde  somit  unter  der  Voraus- 
setzung eines  as.  Vorbildes  nicht  mehr  so  verwunderlich.  Zu  bemerken 
ist  hiezu,  daß  ///-  neben  f/e-  in  Cr.  III  fehlt.  Durch  das  Metrum  ge- 
sichert finden  wir  im  V.  9ül*  die  Form  ceareua  für  den  Gen.  Plur.  eines 

1)  Man  vergleiche  z.  B.  die  Schreibung  in  der  Hs.  von  Cynewulfs  Juliana. 


—     189     — 

starken  Femininimis.  Xacb  Sievers  Ags.  Grammatik  §  252,  Anm.  4. 
kommen  solche  Genitivformen  im  kentischen  und  westsächsischen,  aber 
erst  nachälfredisch,  vor.  In  der  Cura  pastoralis  fehlen  sie  noch  ganz. 
Daß  die  im  allgemeinen  konservativere  Sprache  der  Dichtung  diesen  Neu- 
bildungen früher  Eingang  gewährt  hätte,  als  die  Prosa,  ist  kaum  an- 
zunehmen. Dies  cearciia  würde  somit  vielleicht  zur  Erlaogung  eines 
terminus  post  quem  für  die  Entstehung  des  Cr.  III  verwertet  werden 
können,  wenn  nicht  auch  die  Möglichkeit  bestände,  daß  ein  as.  /lOrono  — 
so  lautet  die  Form  dort  schon  frühe  ganz  regelmäßig  —  des  iVEetrums 
wegen  unverändert  ins  Englische  übernommen  wäre.  Beachtung  verdient 
ferner  das  Verhältnis  der  Formen  he/l-  :  /lel/e-  in  den  Zusammensetzungen. 
Unzweifelhaft  echte  Komposita  sind  nur  die  mit  /le//-  beginnenden  Wörter. 
Bei  denjenigen  Wortgruppen,  deren  erster  Teil  /ic//e-  lautet,  wird  gar 
nicht  immer  mit  Sicherheit  entschieden  werden  können,  ob  nicht  eher 
eine  syntaktische  Verbindung  von  Genitiv  +  Nomen  anzunehmen  ist.  In 
allen  übrigen  Zusammensetzungen  mit  Jö-stämmen  zeigt  der  erste  Kom- 
positionsteil im  ae.  meines  Wissens  immer  einen  Konsonanten,  nie  ein  -t 
im  Auslaut.  Umso  mehr  muß  ein  helle-  auffallen.  Da  unser  Verdacht 
schon  aus  anderen  Gründen  rege  ist,  sind  wir  geneigt  zu  vermuten,  daß 
auch  hier  Einfluß  des  as.  mit  seinen  mit  hel/i-  beginnenden  Zusammen- 
setzungen im  Spiele  sein  könnte.^)  Wenn  den  bisher  angeführten  laut- 
lichen und  flexionellen  Erscheinungen  eine  absolute  Beweiskraft  nicht 
beigemessen  werden  kann,  so  scheint  eine  solche  dem  letzten  noch  zu 
besprechenden  Falle  in  um  so  höherem  Grade  zuzukommen.  V.  1565  und 
1598  ist  statt  der  sonst  häufig  begegnenden  Formel  fTrci  heani  eine  Ver- 
bindung preua  bearii  überliefert.  Grein  übersetzt  sie  mit  .,Frevelkinder", 
„peccatores",  wofür  er  aber  keinerlei  Analogon  beizubringen  vermag. 
Thorpe  und  Gollancz  wollen  in  fTra  hcmn  ändern  und  würden  damit 
wirklich  eine  dem  ae.  Gebrauch  angemessene  Besserung  in  den  Text 
bringen.  Wie  erklärt  sich  aber  das  überlieferte  preua  '^  Ich  glaube  ein- 
fach als  Lesefehler  eines  ae.  Übersetzers,  der  ein  as.  pnlio  als  prhm 
verlas  und  nun  ziemlich  gedankenlos  mit  prcna  übersetzte. 

3.  Syntax. 

Da  mir  eine  erschöpfende  Durcharbeitung  der  syntaktischen  Ver- 
hältnisse des  Cr.  IIT  aus  verschiedenen  Gründen  unmöglich  ist,  muß  ich 
mich  darauf  beschränken,  ein  paar  mehr  zufällige  Beobachtungen  und 
einige  bei  der  Durchsicht  syntaktischer  Monographien  ausgezogene  Notizen 
hier  zusammenzustellen.  So  lange  wir  der  Heliandsyntax  Behaghels  nichts 


').Vgl.  hiezu  Weyhe  in  Beitr.  z.  Gesell  d.  d.  Spr  u.  Lit.  HO.  79  ft". 


—     190     — 

gleichwertiges  für  die  ae.  Dichtung  an  die  Seite  zu  stellen  haben,  werden 
wir  das  der  Syntax  entnommene  Kriterium  für  unsere  Aufgabe  nicht 
mit  erwünschter  Sicherheit  handhaben  können.  Doch  lassen  sich  viel- 
leicht einige  Erscheinungen  anführen,  welche  im  ae.  ungewöhnlich,  aus 
dem  as.  aber  wohlbekannt  sind,  und  die  darum  im  Verein  mit  den 
übrigen  Auffälligkeiten  zur  Sicherung  der  Annahme  as.  Einflusses  auf 
Cr.  III  herangezogen  werden  dürfen. 

Ich  wiederhole  zunächst  aus  Barnouws  Dissertation,  was  er  in  der 
Genesis  B.  als  spezifisch  as.  anspricht:  „Im  ae.  wird  im  Gegensatz  zum 
as.  ühralda  als  Substantiv  empfunden.  Im  Heliand  hat  es  seine  adjektivische 
Natur  zu  behaupten  gewußt^  (S.  76).  Was  für  den  Heliand  gesagt  wird, 
gilt  in  gleicher  AVeise  für  Cr,  III,  wo  a/irahki  nur  adjektivisch  in  der 
auch  im  Andreas  V.  751.  925  und  1622  wiederkehrenden  Formel  ahralda 
(fod  vorkommt. 

Ebendort  erklärt  Barnouw  die  Verwendung  des  einfachen  Demon- 
strativpronomens im  Sinne  von  „dieser"  (on  pum  Jêohte  =  in  dieser  Welt) 
für  as.  Was  ihn  dann  bestimmt,  bei  der  genau  entsprechenden  Fügung 
Cr.  III  1096''-  ISTl**  on  päm  dœge  das  Stäben  des  „Artikels"  auf  Nach- 
ahmung des  Beowulf  zurückzuführen,  ist  mir  nicht  ganz  verständlich. 
Wenn  es  in  der  Genesis  vom  as.  Original  stammt,  kann  das  auch  im 
Cr.  III  der  Fall  sein. 

Nach  Barnouws  Feststellungen  S.  168  ff  ist  für  Cr.  III  die  von 
der  Verbindung  Adjektiv  +  Substantiv  auf  den  Artikel  ausgeübte  An- 
ziehungskraft kennzeichnend.  Auch  damit  rückt  dieses  ae.  Stück  an  die 
Seite   von  Genesis  B.  und  Heliand  (vgl.  Behaghel  Syntax  §  47.  53  ff.). 

Endlich  hebt  Barnouw  die  dreimalige  Verwendung  von  sesylfa=  „der- 
selbe" (1208  .s't  stj/fa  njii'nuj.  1153^1154^  py  sy/fan  dœge.  1148^  on  pU 
sy/fan  ildj  hervor.  Bei  Cynewulf  begegnet  sie  nicht  ein  einziges  Mal. 
Grein  gibt  außerhalb  Cr.  III  fast  nur  aus  der  Psalmenübersetzung  Be- 
lege. Im  Heliand  ist  sie  verbreitet  (Behaghel  Syntax  §  216  J.  I.)  Wir 
finden  sogar  den  Halbvers  Cr.  1148**  wörtlich  wieder  im  Heliand  V.  517*  : 
an  thea  stWim  tid.  Auch  pœt  sylfe  =  „ebenso"  ist  außerhalb  Cr.  III 
und  Psalmenübersetzung  nur  1   mal  nachgewiesen. 

Ob  B.'s  Behauptung,  daß  der  Artikel  vor  zweigliedrigen  Ausdrücken 
(Genitiv  +  Substantiv)  Cynewulf  ungeläufig  sei,  den  Tatsachen  entspricht, 
vermag  ich  mit  meinen  unzulänglichen  Sammlungen  augenblicklich  nicht 
nachzuprüfen.  Völlig  fehlt  er  keinesfalls  ;  ich  brauche  nur  auf  Cr.  699 
Hêo  yodcH  ryrcc  und  Elene  176  se  yäsfa  lielin  hinzuweisen.  Die  allmähliche 
Ausbreitung  dieser  Konstruktion  in  der  ae.  Dichtung  müßte  erst  noch 
näher  verfolgt  werden.  Inzwischen  mag  die  Beobachtung  nicht  uninteressant 
sein,  daß  in  Cr.  III  verhältnismäßig  viele  Beispiele  bei  einander  stehen 
(V.  106*  üo  hyman  stefn,   1063*  se  eng/a  pryni  ond  se  egsan  prëa,  1200 


—     191     — 

J>ü  itii/f/ïiH  ttico/ndes  lare.  1546  ni'id  py  (f/mn  fornkj.  Auch  hiezu  bieten 
Genesis  B,  und  Heliand  zahlreichere  Analogien,  z.  B.  Genes.  B.  492  und 
Ö2S  pone  dëactes  hëa/ii.  512  on  Piïm  hêlintan  lieofna  rïce;  Heliand  V.  401 
an  Ihera  Dauides  Inirçi.  538  te  thés  cunhujea  hobt,  1471  tt  thcm  (jodes 
altere.  2905  an  that  (joden  thlonont. 

Beachtenswert  ist  sodann  die  Stellung  des  Artikels  in  der  Ver- 
bindung Substantiv  +  Artikel  +  schwach.  Adjektiv  :  of  slœpe  pu  fientan 
891,  ir  vor  ade  päni  hak/an  911,  dönies  pœs  nùdan  1205,  ÎTf  päd  scyne 
1469.  Sievers  (Heliand  und  Genesis  S.  40)  hat  einige  Parallelen  aus 
Genesis  B.  —  die  sich  übrigens  noch  vermehren  ließen  —  und  aus 
Heliand  zusammengestellt.  Im  ae.  begegnen  freilich  auch  im  Beowulf, 
in  Genesis  A.,  im  Daniel  und  in  der  Psalmenübersetzung  vereinzelte 
Beispiele  einer  solchen  Wortfolge.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  wird  man 
lieber  mit  Barnouw  S.  93  f.  eine  losere  Fügung,  appositioneile  Nach- 
stellung eines  mit  dem  Artikel  verbundenen  absoluten,  also  substantivierten 
Adjektivs  darin  erkennen  (vgl.  Behaghel  Heliandsyntax  §  209).  Dem  Ge- 
brauch des  Cr.  III  entsprechendes  bieten  aber  in  größerem  Umfange 
nur  Genesis  B.  und  Heliand. 

Von  Cynewulfs  Sprachgebrauch  weicht  Cr.  III  durch  die  Verwendung 
des  Possessivpronomens  sTn  ab.  Simons  (Cynewulfs  Wortschatz)  belegt  es 
nur  aus  Andreas  und  zwar  1 1  mal  in  reflexivem,  3  mal  in  anaphorischem 
Sinne.  Cr.  III  zeigt,  soweit  das  wenig  umfängliche  Material  überhaupt 
ein  Urteil  zuläßt,  eher  das  umgekehrte  Verhältnis  :  2  reflexivische,  3 
anaphorische  Verwendungen,  und  entfernt  sich  damit  noch  weiter  als 
der  Andreas  von  dem  sonst  zu  beobachtenden  ae.  Gebrauch,  der  reflexives 
sTn  allein  zu  gestatten  scheint.  Den  fünf  Belegen  für  ,wi  (refl.  1209  h  y 
se  sylfa  eynhig  ni  hl  sine  llehonuin  lysde  of  firenuni  und  905  fi".  Cynwt .  .  . 
Cristes  onsyn .  . .  on  se  fan  st  vête  smum  folce,  anaphorisch  1036  f.  snal 
on  lëoht  cuman  sTnra  weorca  wlite.  1167  f.  ponne  yod  n'olde  ofer  sine 
(des  Meeres)  yde  gän,  1223  Crlste  sylfum  yecorene  bi  cystum  pu  œr 
Sinne  meide  georne  lustmn  Icestun  on  hyra  Ilfdaguni)  stehen  zahlreiche 
für  hls,  Mre,  hyra  u.  s.w.  (Uli.  1120.  1125.  1151.  1168.  1216  u.  s.w.) 
sowohl  in  anaphorischer  als  in  reflexivischer  Bedeutung  gegenüber.  Ganz 
ähnlich  wie  im  Cr.  III  liegt  die  Sache  im  Heliand  (vgl.  Holthauseu, 
as.  Eleraentarb.  §  330.  334). 

•  Ein  weiterer  der  Syntax  des  Cr.  III  eigentümlicher  Zug  ist  die 
häufige  Verwendung  eines  Partizip  Präs.  eines  Verbums  in  attributiver 
Stellung.  Während  in  Cr,  I  Beispiele  derselben  nur  neben  den  Vokativen 
Crist  (nergende  Crist  157,  hœlende  Crisf  250)  und  yod  (lifgende  god  273  — 
so  auch  einmal  in  Cr.  II  755  —  und  nergende  god  361)  begegnen  (vgl. 
Hertel,  der  syutakt.  Gebrauch  des  Verbums  im  „Crist".  Leipziger  Diss.  1891, 
S.  25),    sind  sie   im  Cr.  III   keiner   solchen    Beschränkung   unterworfen. 


—     192     — 

Folgt  das  Partizip  dem  Substantiv,  so  kann  man  zweifeln,  ob  man 
attributives  oder  appositionelles  Verhältnis  annehmen  soll  (Cr.  I  231 
leoht  Itxende,  Cr.  III  981  icœtre  w'mnendum.  1219  scyppend  scmendej: 
attributives  ist  sicher,  wo  das  Partizip  dem  Substantiv  vorausgeht.  Für 
diese  Wortfolge,  abgesehen  vom  Vokativ,  bietet  nur  Cr.  III  Belege  : 
sorgende  folc  889,  cirehneude  fyr  958,  lügende  leg  973,  weallende  iciga 
984,  iraldende  god  1010,  1161%  wecdkudne  iTg  1250,  cinpemle  cearo  1285, 
irëpende  mr  1289,  sceppenüum  sceadan  1395.  Wie  weit  dieser  Gebrauch 
sonst  im  ae.  sich  feststellen  läßt,  kann  ich  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen; 
ich  kann  nur  bezeugen,  daß  ich  Tausende  von  Versen  christlicher 
Dichtungen  durchgelesen  habe,  ohne  einem  Beispiel  dafür  zu  begegnen, 
außer  Eleue  580.  1110  lacende  iJg.  Im  as.  ist  er  nicht  gerade  reich  ent- 
wickelt, aber  doch  nachweisbar  (Behaghel,  Heliandsjntax  §  107),  einige 
Fügungen  decken  sich  sogar  fast  ganz  oder  völlig  mit  den  angeführten 
altenglischen,  z.  B.  libhiendes  godes.  uuallamU  finr. 

Endlich  darf  vielleicht  noch  auf  die  Vorliebe  für  die  Satzverknüpfung 
durch  eac  =  âs.  ök.  teilweise  a.uch=  Jak  (?)  z.  B.  V.  V.  1107,  1152,  1163, 
1169,  1258,  1276,  1457)  aufmerksam  gemacht  werden. 


4.  Stil. 

Daß  der  Cr.  III  mit  der  as.  Dichtung  im  Stil  sich  berühren  werde, 
ist  bei  der  ausgedehnten  Gemeinsamkeit  des  Formelschatzes  von  vorne 
herein  zu  erwarten.  Es  finden  sich  in  der  Tat  manche  Ü^bereinstim- 
mungen,  von  denen  die  wichtigsten  hier  angeführt  Averden  mögen  (die 
nur  aus  Cr.  III  belegten  Formeln  sind  mit  Stern  versehen). 

Cr.  IIL  As.  Dichtung. 

870*^0".  swa  oft  .  .  .  Hei.  4358  ff.:  Mütspelli  cumit 

pêoî  )?rîstlîce   pe   on   |>ystre  an  thiustrea    naht   ai   so 

fared  thiof  ferid 

on  sweartre  niht  darno  mid  is  dâdiun 

*877''  beorht  and  blî|?e  Hei.  5808:  berht  endi  blîthi 

*879''  eordan  rïces  Hei.  erthriki.  Gen.  B.  eordrice 

883,  993  trume  andtorhte  (tungol)  Hei.  3628  :  torht  tungal 

884  f.  sû]?an  and  norj^an  Gen.  B.  806  f.:  westan  odde  êastan 
êastan  and  westan  Sudan  odde  nordan 

=  as.  Gen.  15  f.:  uuestan  efto  ostan 
Sudan  efto  nordan 

902  mödum  âhycgau  Hei.:  githenkian  an  mode 
*989  on  mode  à[»encan 

904*  J?urh  heofona  gehleodu  Gen.  B.  584:  hëah  heofona  gehlidu 


193     — 


911  wlitig,  wynsumlic 
*913*  lufsum  ond  lî|>e 

*971  on  |?â  m^ëran  tïd 
973.   1181  hèahgetimbro 
*978f.  ond  hêahcleofu  ]?ä  wid 

holrae  œr 
.  .  .  foldan  sceldun 
*1007''  on  I^one  m^êran  beorg 
*1026^  moncynnes  gehwone 
1046  ofer  middangeard  monna  dêëde 


*  1054*^  se  nuera  dseg 

1 1 29  forhte  gefêlan  frêan  ):»rôwinga 
1132'' f.  ...  sunne  weard  âdwfêsced 
)7rèam  â|;rysmod 


*1148^  on  ])îi  sylfan  tîd 

1156  eftlifgende  ûp  âstodan 

1157  fseste  bifen  (lies  bifangen) 


1178  f.  hû  fêla  f>â  onfundun 

pä  gefêlan  ne  magun 
1210^  )?urh  milde  môd 
1277^  ond  hselej^a  bearn 
*1385^.  1473.  1498  f.  l?onc  ne  wisses 
*  1386  . . .  swâ  scîenne  gesceapen 

hœfde 
*1438  unswêtne  drync  ecedes 

ond  geallan 
*1443  hosp  and  heardcwide 

(lies  heanncwide?) 
1451  wite  )?olade 

*1452  yfel  earfedu 


Hel.  1393  :  wlitig  endi  wunsam 
Gen.  B.  468  :  lïde  and  lofsura 
Hel.  2063:  alloro  lîdo  lofsamost 
Hel.  4299.  4354  :  thiu  marie  tid 
Gen.  B.  739:  hèahgetimbro 
Hel.  1396:  hôh  holmclibu 
Hel.  4736:  an  thiu  holmclibu 

hôhor  stigan 
Hel.  4234:  en  mari  berg 
Hel.  4234  :  mankunnies  manag 
as.  Gen.  194:    obar   thesan    middil- 

gard  manna  kunnias 
as.  Gen.  336'':  obar  middilgard 
Hel.  4249.  4310:  an  themu  mâreon 

daga 
Hel,  5662^:  gifuolian  is  êndagon 
Hel.  5625  ff.:  huo  thiu  sunna 

uuard  gisuorkan  .  .  . 

.  .  .  ac  sia  scado  farfeng 

thimm  endi  thiustri  endi  so 
githrusmod  nebal 
Hel.  517*:  an  thea  selbun  tîd 
Hel.  5672''f. :  libbiandi  astuodun 

upp  fan  erdu 
Hel.  43:  fasto  bifangan 
as.  Gen.  209  :  fasto  gifangan 
Gen.  B.  374:  fœste  befangen 
Hel.  5676:  to  filo  thés  gifuolian 

thie  gio  mid  firihon  ne  sprac 
Hel.  1958:  thurh  mildean  môd 
Hel.  4330  :  o  bar  helido  barn 
Hel.  thank  witan 
Gen.  B.  549:  scëone  gesceapene 

Hel.  5645:  habdun  im  unsuôti 

ecid  endi  galla  gimengid 
Hel.  5303:  hosc  endi  harmquidi 

Hel.  u.  Gen.  B.  öfter:  wîti  tholoian 

bezw.  wïte  ['olian 
Hel.  1502.  3373.  4586:  ubil  arbêdi 

13 


194      - 


1512  f.  Farad   nu  âwyrgde  willum 

biscyrede 

engla  drëames    on  ëce  fyr 

I?  se  t   w  se  s  Satané    ond   his 

gesïjjum  mid 

dëofle  gegearwad. 

*1526^  on  grimne  grund 

*1531  on  Jjset  dëope  dsel 


Hel.  4420f.  :  faran  so  forfôcane  an 

that  fiur  êwig 

that  thar  gigareuuid 

uuard  godes  nnd- 

sacun 


Gen.  B.  407  :  J?äs  grimman  grundas 
Gen.  B.  421  :  on  J?âs  dëopan  dalu 
Gen.  B.  305:  on  |?ä  dëopan  dala 
Hel.  5170:  diop  dôdes  dalu 
as.  Gen.  29  :   an  ênam  diapun  dala 
*1538*'f.  lîge  gebundne  swylt  Hel.  2603f:    thar    sculun    sia    gi- 

]?röwiad  b  u  n  d  e  n  e      bittra      1  o  g  n  a 

thrâuuerk  tholôn 
1618*.  1636»  ait  dômes  dsege  Hel.  4333*:  êr  dômes  dage 

1664*  weorud  wlitescynast  Hel.  3578  :  wlitiskônie  werold 

Trotz  einigen  bemerkenswerten  Beispielen  wird  man  die  Beweis- 
kraft dieser  Ähnlichkeiten  nicht  überschätzen  dürfen.  Nur  wenige  von 
diesen  Formeln  sind  auf  Cr.  III  und  Genesis  B.  beschränkt.  Auch  unter 
den  S}'nonymen  für  bestimmte  Begriffe  wie  Gott,  Christus,  Hölle,  jüngstes 
Gericht  finden  sich  nur  vereinzelt  solche,  welche  aus  Cr.  III  allein  be- 
legt und  zugleich  as.  nachgewiesen  wären.  Außerdem  darf  nicht  ver- 
schwiegen werden,  daß  gerade  in  denjenigen  Partien  beider  Dichtungen, 
die  ähnliche  Gegenstände  behandeln,  (die  Zerstörung  Jerusalems  und 
der  jüngste  Tag  Hei.  4270— 4451  =  Cr.  869—1080,  1344—1548  und 
die  Kreuzigung  Hel.  5506 — 5712  =  Cr.  1128 — 1198)  die  Darstellungen 
zwar  im  allgemeinen  den  gleichen  Gedankengang  erkennen  lassen,  aber 
in  Einzelheiten  und  besonders  auch  im  sprachlichen  Ausdruck  nicht  un- 
bedeutend von  einander  abweichen.  Nur  eine  auch  feinere  Fragen  be- 
rücksichtigende eingehende  Untersuchung  und  Vergleichung  des  Stiles 
könnte  entscheidendes  beibringen  ;  eine  solche  ist  hier  schon  durch  die 
Rücksicht  auf  den  zur  Verfügung  stehenden  Raum  ausgeschlossen.  Kann 
somit  in  der  unvermeidlichen  Beschränkung  das  stilistische  Kriterium 
für  unsere  Hypothese  nichts  beweisen,  so  wird  man  es  doch  andrerseits 
auch  nicht  zur  Widerlegung  derselben  verwenden  können.  Nicht  Gleich- 
heit der  Verfasser  von  Cr.  III  und  Heliand  wollen  wir  dartun,  sondern 
nur  die  Benutzung  eines  as.  Vorbildes,  das  selbst  in  manchen  Punkten 
von  Heliand  und  Genesis  verschieden  gewesen  sein  mag.  Die  nicht  ganz 
klare  Disposition  des  Cr.  III,  die  häufigen  Wiederholungen  und  die 
durch  den  Wechsel  zwischen  Erzählung  bezw.  Schilderung  und  daran 
geknüpfter  moralischer  Ermahnung  bedingte  Verschiedenheit  des  Stiles 
drängen  den  Gedanken   zur  Erörterung  auf,    daß    ein  Verse   machender 


—     195     — 

Moralprediger  ein  erzählendes,  schilderndes  Gedicht  in  sein  Werk  hinein 
verarbeitet  habe,  daß  sich  also  bei  einer  genaueren  Betrachtung  Cr.  III 
als  ein  aus  verschiedenen  Bestandteilen  zusammengefügtes  Gedicht  heraus- 
stellen würde.  Diese  Möglichkeit  kann  ich  hier  nur  andeuten  und  muß 
ihre  Diskussion  anderer  Gelegenheit  vorbehalten. 

5.  Metrik. 

Die  Metrik  des  sogenannten  Crist  hat  in  der  schon  erwähnten,  im 
ganzen  sorgsamen  Königsberger  Dissertation  von  Franz  Schwarz  neuer- 
dings (1905)  eine  Darstellung  erfahren,  welche  alle  früheren  Arbeiten 
auf  diesem  Gebiet  von  Frucht,  Cremer  u.  a.  überholt  und  überflüssig 
gemacht  hat.  Deutlich  ergibt  sich  daraus,  daß  Cr.  III  von  Cynewulfs 
Gedichten  so  stark  abweicht,  daß  Gleichheit  der  Verfasser  ausgeschlossen 
ist.  Leider  treten  die  Besonderheiten  des  Cr.  III  infolge  des  Fehlens 
einer  Inhaltsübersicht  und  einer  Zusammenfassung  der  wichtigeren  Er- 
gebnisse bei  Schwarz  nicht  so  klar  hervor,  als  es  zu  wünschen  wäre. 
Einige  der  am  meisten  in  die  Augen  springenden  Erscheinungen  seien 
daher  hier  hervorgehoben. 

1.  Cr.  III  weist  unter  den  Beispielen  des  Typus  A^  auffallend  viele 
auf  (die  von  Schwarz  gegebenen  Belege  sind  unvollständig),  in  denen 
die  erste  Hebung  auf  einer  Präposition  oder  einer  Konjunktion  liegt 
z.  B,  1075  of  päm  ëctie,  1097  m'td  ßt/  weoräe,  1444  ymb  nun  hëafod, 
1431  ond  pü  mealite  (Schwarz  S.  30  f.). 

2.  In  Cr.  III  finden  sich  ungewöhnlich  viele  zweite  Halbverse  vom 
Typus  B  und  C  mit  schweren  und  umfänglichen  Eingangssenkungen 
(Schwarz  S.  34.  46). 

3.  Zwei-  und  mehrsilbiger  Auftakt  ist  häufig  (S.  57  f.). 

4.  Schwellverse  sind  sehr  zahlreich  und  aufiallend  gebaut  (S.  59  ff.). 

5.  Possessivpronomen  ist  häufig  Träger  des  Stabreims  (S.  65). 

6.  B-verse  allitterieren  oft  nur  auf  der  letzten  Hebung  (S.  66). 

7.  In  der  Verwendung  der  Doppelallitteration  ist  Nachlässigkeit  zu 
bemerken  (S.  68). 

8.  Reim  wird  nicht  ungerne,  aber  in  anderer  Weise  als  bei  Cynewulf 
angewendet  (S.  81). 

9.  Das  Verhältnis  von  Hakenstil:  Zeilenstil  ist  im  Cr.  III  5  :  4,  im 
Cynewulfschen  Cr.  II  wie  5  :  2  (S.  87). 

10.  Während  Cynewulf  (auch  im  Cr.  II)  Wörter  mit  langer  Stammsilbe, 
deren  zweite  Silbe  sich  erst  in  ae.  Zeit  aus  silbenbildenden  1,  r,  m,  n 
entwickelt  hat,  stets  zweihebig  gebraucht,  ist  die  Zweihebigkeit  in 
Cr.  III  unter  20  Belegen  solcher  Wörter  nur  dreimal  gesichert  (S.  96). 

11.  Flektierte  Formen  von  f cor/t,  matrli  haben  bei  Cynewulf  kurze,  im 
Cr.  III  lange  Stammsilbe  (S.  96). 


—     196     — 

12.  Aufzulösende  Formen  sind  bei  Cynewulf  gar  nicht  oder  nur  ver- 
einzelt, in  Cr.  III  aber  sehr  häufig  anzutreffen  (S.  98). 

13.  In  Cjnewulfs  sicheren  Werken  kommt  dem  Worte  tcorold  immer 
nur  eine  Hebung  zu,  so  daß  man  für  Cjnewulf  vielleicht  bereits 
Einsilbigkeit  dieses  Wortes  annehmen  darf.  Cr.  III  dagegen  liefert 
neben  16  Belegen  für  einhebiges  icoro/d  auch  zwei  für  zweihebiges 
(S.   101). 

Aus  diesen  Eigentümlichkeiten  zieht  Schwarz,  indem  er  sich  vor- 
nehmlich auf  die  Kriterien  10 — 13  stützt,  den  Schluß,  daß  Cr.  III  älter 
sein  müsse  als  Cynewulf.  Im  Vorbeigehen  erwähnt  er  freilich  auch  die 
Möglichkeit,  daß  die  sprachlich-metrischen  Abweichungen  statt  auf  zeit- 
licher auf  dialektischer  Verschiedenheit  beruhen,  da  z.  B.  die  westsächsische 
Mundart  die  alten  Sprachformen  länger  bewahre,  als  die  nordhumbrische. 
Aber  die  größere  Wahrscheinlichkeit  hat  seiner  Meinung  nach  die  An- 
nahme für  sich,  daß  verschiedenes  Alter  für  die  unterschiede  verant- 
wortlich zu  machen  sei.  Diese  Meinung  scheint  ungenügend  begründet. 
Daß  die  unter  10 — 13  aufgeführten  Besonderheiten  als  Zeugnisse  höheren 
Alters  angesehen  werden  können  und  in  vielen  Fällen  so  angesehen 
werden  müssen,  soll  keineswegs  geleugnet  werden.  Aber  beim  Cr.  III 
dürfte  eine  solche  Interpretation  durch  die  (in  Kriterium  1 — 9)  daneben 
vorhandenen  zahlreichen  Anzeichen  für  nachlässigere,  gegen  die  in  älteren 
Denkmälern  beobachteten  Regeln  des  Allitterationsverses  oft  verstoßende 
Verstechnik  ausgeschlossen  werden.  Diese  verraten  einen  Verfall  der 
alten  Kunst,  wie  er  nur  bei  den  jüngeren  Erzeugnissen  altenglischer 
Dichtung,  und  selbst  bei  ihnen  kaum  in  solchem  Umfange,  sich  fest- 
stellen läßt.  Einige  von  den  metrischen  Eigentümlichkeiten  im  besonderen, 
namentlich  aber  das  vereinte  Auftreten  aller  in  einem  einzigen  Gedicht 
werden  meines  Erachtens  überhaupt  erst  recht  verständlich  unter  der 
Voraussetzung,  daß  wir  in  Cr.  III  nicht  rein  englische,  sondern  von 
kontinentalgermanischen,  niederdeutschen  Vorbildern  beeinflußte  metrische 
Form  erkennen  müssen. 

Fassen  wir  die  ausschlaggebenden  Kriterien  etwas  näher  ins  Auge, 
80  ist  zunächst  zu  bemerken,  daß  wir  kaum  mit  Schwarz  genötigt  sind, 
in  Versen  wie  färcnfücen  ftoren.  iridif/orh/ëoni  f/en'or/if  u.  s.  w.  die  auf 
ursprünglich  silbenbildenden  Konsonanten  endigenden  Wörter  fäcen, 
iäcen,  wundor  u.  s.  w.  als  metrisch  einhebig  anzusehen,  wenn  wir  an- 
nehmen dürfen,  daß  im  zwoihebigen  Gebrauch  derselben  die  im  Altsächsischen 
nach  Sievers  Altgerm,  Metrik  §  116  ganz  gewöhnliche  Art  der  metrischen 
Behandlung  solcher  Wörter  sich  im  Englischen  wiederspiegle. 

Zu  11.  In  den  Versen  1073  fëorc.s  frälirc.  Iöl3  sc  /je  im /lis  fêore 
nyle,  1592  flra  f cor  um  verlangt  das  Metrum  nur  dann  Länge  der  Stamm- 
silbe in  fêores.  fêore,  fSorum.  wenn  wirklich  die  kontrahierte  Form  die 


—     197     — 

originale  ist.  Dürfte  aber  an  ihrer  Stelle  eine  unkontralnerte  as.  Form 
fern/icH  u.  s.  w.  als  ursprünglich  dastehend  vorausgesetzt  werden,  so  wäre 
damit  den  Anforderungen  der  Metrik  ebenfalls  vollkommen  genügt. 

Zu  12.  Die  zahlreichen,  von  Trautmann  und  Schwarz  zusammen- 
gestellten Verse,  welche,  damit  sie  metrisch  genügend  werden,  Auflösung 
der  überlieferten  kontrahierten  Wortformen  verlangen,  würden  auch 
unter  der  Voraussetzung  alle  richtig,  daß  man  die  entsprechenden  as. 
Formen  dafür  einsetzen  dürfte.  Das  im  einzelnen  nachzuweisen,  wäre 
überflüssig,  da  jeder  die  Umsetzung  leicht  selbst  vornehmen  kann.  Ein 
von  Trautmann  übergangener  Vers  bedarf  vielleicht  besonderer  Be- 
sprechung. 946*  ponne  eall  Prëo  wird  von  Schwarz  zu  dem  A^typus 
gerechnet.  Das  wäre  aber  zweifellos  ein  recht  schlechter  Vers.  Könnte 
er  nicht  dadurch  entstanden  sein,  daß  ein  tadelloser  altsächsischer 
B-vers  ilian  alla  tlirUi  bei  der  wörtlichen  Übertragung  ins  ae.  zerstört 
wurde  ? 

Zu  13.  Unter  der  Voraussetzung  einer  as.  Grundlage,  die  ircro/d 
gar  nicht  anders  als  zweisilbig  gebraucht  haben  könnte,  würde  das  zwei- 
hebige  icorold  neben  einhebigem  in  Cr.  III  ebenfalls  verständlich.  In 
der  Regel  könnte,  wenn  der  einhebige  Gebrauch  wirklich  zweifellos 
sicher  ist  (vgl.  die  Bemerkungen  zu  10),  der  englische  Umdichter  die 
seiner  Zeit  angemessene  einsilbige  Form  angewandt  haben,  gelegentlich 
aber,  durch  das  Metrum  gezwungen,  bei  der  zweisilbigen  Form  seiner 
Vorlage  geblieben  sein. 

Die  Hoffnung,  daß  die  von  mir  vorgeschlagene  Interpretation  der 
sprachlich-metrischen  Eigentümlichkeiten  des  Cr.  III  den  Tatsachen  ohne 
Zwang  gerecht  werde,  wächst  noch  durch  die  Beobachtung,  daß  diese 
metrischen  Kriterien  mit  den  für  as.  Vorlage  sprechenden  rein  sprach- 
lichen und  stihstischen  in  besonders  reichem  Maße  in  den  erzählenden 
und  schildernden  Partien  zusammentreffen,  während  umgekehrt  die  an 
Merkmalen  des  Verfalls  des  Allitterationsverses  und  Stiles  reicheren 
predigtartigeu,  moralisierenden  Teile  fast  keine  Kriterien  irgend  welcher 
Art  liefern,  aus  denen  auf  Zusammenhang  mit  der  as.  Dichtung  ge- 
schlossen werden  könnte.  Doch  wäre  es  gewagt,  eine  reinliche  Aus- 
sonderung der  verschiedenen  Bestandteile  mit  Rücksicht  auf  die  Ab- 
hängigkeit vom  as.  vornehmen  zu  wollen. 

Welche  Bedeutung  diesem  Ergebnis  meiner  Untersuchungen,  falls 
es  sich  stichhaltig  erweisen  sollte,  für  die  Beziehungen  der  ae.  christ- 
lichen Dichtungen  untereinander  und  für  ihre  Chronologie,  wie  auch  für 
die  Geschichte  der  as.  Literatur  zukäme,  brauche  ich  nicht  weiter  aus- 
zuführen. 

Basel,   14.  März   1907. 


Der  Kothurn  im  fünften  Jahrhundert. 


Von 
Alfred  Körte. 


Person*  pallfeque  repertor  honest» 

Aeschylus  et  modicis  instravit  pulpita  tiguis 

et  docuit  niagnumque  loqui  uitique  cothurno. 

Diese  Verse  der  horazischen  ars  poetica  (278  ff.)  gelten  seit  alters 
für  das  grundlegende  Zeugnis  über  Aiscbylos'  Verdienste  um  die  äußeren 
Formen  der  dramatischen  Aufführungen.  Freilich  an  pulpita  modicis 
tignis  instrata  in  Aischylos'  Zeit  glaubt  heute  fast  niemand  mehi',^)  aber 
Horaz'  Angaben  über  Aischylos'  Bühnentracht  erfreuen  sich  ziemlich 
allgemeinen  Ansehens.  Sie  werden  gestützt  durch  ein  reichhaltiges  grie- 
chisches Zeugnismaterial,  das  Friedrich  Schœll  in  der  Einleitung  zu 
Ritschis  Ausgabe  der  Sieben  gegen  Theben  S.  29  ff.  bequem  zusammen- 
gestellt hat.  Allerdings  wird  die  Erfindung  der  Maske  nur  noch  von 
Porphyrio  (zu  dieser  Stelle),  von  Euanthius  (de  fabula  I,  2)  und  zweifelnd 


1)  Meines  Wissens    hält  nur   Albert    Müller 
dargestellt"  S.  56  ff  an  ihnen  fest. 


.Das    attische   Bühnenwesen    kurz 


—     199     — 

von  dem  Pariser  Traktat  (Cramer  Anecd.  Par.  J.  19)  Aischylos  zuge- 
schrieben,') aber  die  sonstigen  Eigenheiten  des  späteren  Tragöden- 
kostüms, Schleppgewand  und  Stelzenschuhe  führt  eine  stattliche  Reihe 
von  Gewährsmännern  auf  ihn  zurück.-)  Es  macht  wenig  aus,  daß  die 
Zeugen  über  den  Namen  des  aischyleischen  Stelzenschuhs  nicht  einig  sind, 
daß  er  bei  Horaz,  Porphyrio,  in  der  Vita  und  dem  Pariser  Traktat 
y.6d-OQvog,  bei  Suidas  efißccTJ^g,  bei  Philostrat  und  Themistios  oy.Qißag 
heißt,  denn  in  der  Sache  stimmen  alle  offenbar  überein. ^)  Alle  diese 
Nachrichten  über  Aischylos'  Neuerungen  in  der  Bühnentracht  gehen  ohne 
Frage  auf  eine  ältere  griechische  Autorität  zurück,  deren  Zeit  und 
Glaubwürdigkeit  zunächst  ermittelt  werden  muß.  Da  ist  es  denn  von 
großer  Bedeutung,  daß  Aristoteles  in  seiner  Skizze  der  Entwicklung  der 
Tragödie  (Poet.  4)  von  Aischylos'  Verdiensten  um  das  tragische  Kostüm 
noch  nichts  weiß,  während  er  doch  seine  übrigen  Neuerungen  so  nach- 
drücklich hervorhebt.  Aristoteles'  Schweigen  ist  keinesfalls  aus  seiner 
Gleichgültigkeit  gegen  die  äußeren  szenischen  Mittel  zu  erklären,  denn 
er  berücksichtigt  ja  die  oy.T}voyQaq)ia  als  Erfindung  des  Sophokles.  Es 
drängt  sich  dann  weiter  die  Frage  auf,  woher  Jxonnie  denn  überhaupt 
ein  Gelehrter  in  Aristoteles'  Zeit  oder  noch  später  erfahren,  wie  Aischylos' 
Schauspieler  aussahen  und  wodurch  sie  sich  von  denen  des  Phrynichos, 
Choirilos,*)  Thespis  unterschieden?  Aus  den  Tragödien  selbst  kann  wohl 
eine  methodische  Interpretation  erschließen,  daß  seit  dem  und  dem 
Stück  eines  bestimmten  Dichters  am  Spielplatz  ein  Haus  mit  bemalter 
Vorderansicht  vorausgesetzt  wird,  aber  unmöglich  kann  ein  Tragiker 
seine  Helden  verraten  lassen,  daß  sie  eine  Maske  vor  dem  Gesicht, 
Holzklötze  unter  den  Füßen  und  ein  gepolstertes  Schleppgewand  tragen. 
Kann  man  etwa  der  Lektüre  des  Britanniens  oder  der  Phaedra  ent- 
nehmen, daß  Nero  und  sein  Hof  in  Racines  Zeit  Allongeperücken  und 
Galanteriedegen,  die  griechischen  Heroinen  aber  Reifröcke  trugen? 

Eine  mit  Aischylos  gleichzeitige  attische  Prosaliteratur  gab  es 
nicht,  selbst  Jon  von  Chios  hätte  höchstens  über  die  Schauspielertracht 
in  Aischylos'  letzter  Zeit,  aber  nicht   über   die   seiner  Vorgänger  etwas 


1)  Nach  Suidas  v.  AiayvÀoç  erfand  er  nur  die  7i()oaù)7Teta  ôetvà  y.al  XQw^iaat, 
KexQifff^éva  uud  dasselbe  scheint  Philostrat  vit.  Apoll.  VI  11  zu  meinen. 

2)  Vita  Med.  13,  Suidas  v.  AlayvÄog,  Philostr.  vit.  Soph.  I  9,  vit.  Apoll.  VI 
11,  Themist.  or.  26  p.  382  D.  Gram.  Anecd.  Par.  I  p.  19. 

3)  Roberts  Versuch  (22'es  Hallisches  AVinckelmannsprogramm  S.  28  f  i  r.o&oçvog 
von  efißdtt]c  als  wesentlich  verschieden  zu  trennen,  scheitert  trotz  der  einen  Dio-Stelle 
LXIII  22,  4  an  dem  reichen  von  Amelung  bei  Pauly-Wissowa  V  2482  ff  unter  i/*ßdc 
beigebrachten  Material.  Lukian  z.  B.  gebraucht  beide  "Wörter  unterschiedslos  neben 
einander  Gall.  2(i,  de  sait    27,  mehr  darüber  unten  S.  211  f. 

'*)  Nach  Suidas  v.  XoiçiÀog  gab  es  auch  Leute,  die  diesem  die  Erfindung  der 
Masken  und  des  tragischen  Kostüms  beilegen  wollten. 


—     200     — 

erzählen  können  —  wenn  überhaupt  damals  irgend  jemand  für  solche 
Beobachtungen  Interesse  gehabt  hätte.  Zuverlässige  literarische  Nach- 
richten aus  der  ersten  Hälfte  des  V.  Jahrh.  lagen  also  Aristoteles'  Nach- 
folgern ebensowenig  vor  wie  uns.  Nun  hätten  freilich  die  für  antiquarische 
Forschung  interessierten  Gelehrten  des  IV.  und  III.  Jahrhunderts  die 
bildliche  Überlieferung  zu  Rate  ziehen  können,  Pinakes  siegreicher 
Choregen  gab  es  wenigstens  aus  der  Zeit  nach  480^)  und  gewiß  haben 
sie  nicht  selten  die  Schauspieler  im  Kostüm  treulich  wiedergegeben,  aber 
Aristoteles'  Beispiel,  der  einen  solchen  Pinax  des  Thrasippos  Pol.  VIII  6, 
1341  a.  35  zum  Beweise  für  die  Ausübung  des  Flötenspiels  in  attischen 
Bürgerkreisen  anführt,  hat  offenbar  keine  Nachfolge  gefunden,  niemals 
wird  ein  Denkmal  zur  Erläuterung  des  ältesten  Kostüms  benutzt. 

Die  Generation  nach  Aristoteles  bevorzugte  eine  ganz  andere, 
reichlich,  aber  nicht  rein  fließende  Quelle  für  die  Geschichte  der  Tragödie, 
nämlich  die  alte  Komödie.  Bei  Athenaios  I  21  f.  wird  ganz  offen  der 
kritische  Grundsatz  ausgesprochen  naQd  âè  rolg  xtof-uyoîç  rj  tzsqI  xöjy 
TQayixwv  aTiàxtixai  tiLotiç  und  dieser  Satz  steht  mitten  in  einer  dem 
Chamaileon  von  Pontos  entlehnten  Auseinandersetzung  über  Aischylos' 
Verdienste  um  die  Tanzkunst.  Da  zum  Belege  für  die  dem  Chamaileon 
entnommenen  Angaben  aristophanische  Verse  zitiert  werden,  ist  es 
zweifellos,  daß  die  grundsätzliche  Benutzung  der  Komiker  für  die  Tragiker 
eben  die  Methode  des  Chamaileon  w^ar.-)  Weiter  führt  uns  nun  ein 
Blick  auf  die  vorausgehenden  Sätze  21  d  xal  AloxvÀog  âè  ov  /nôvov  è$€VQ€ 
Tr(v  Ttjg  GTo'krß  evTiQknsiav  xal  oefxvôxr^Ta^  t]v  QrfkwaavxES  oi  leQOcpdvTai 
xal  daöovxoi  d^iqJiévvvyzaL  dkld  xal  7io?J.d  ay^iaxa  oQxr^orixd  avrôç  è§- 
evQÎoxojv  di'eôlôov  roîg  /ô^fit^aîs'.  Xaf.iai'/.è(.')v  yovv  rcçiôrov  avrôv  (frjGi 
Gx^^ficcTÎaai  Tovg  yoQovg  xré.  Bei  der  engen  Verbindung  beider  Sätze 
dürfen  wir  als  sicher  annehmen,  daß  Athenaios  auch  die  Angabe  über 
Aischylos  als  Erfinder  der  evnQÈTitia  xal  ne/nvôrj^s  T^îjg  oroîîjç  dem 
Werke  des  Chamaileon  Uaçl  Aioxvlov  entnahm,  und  weiter,  daß  Cha- 
maileon seine  Anschauungen  über  Aischylos'  Verdienste  um  die  Bühnen- 
tracht auf  demselben  Wege  gewonnen  hat,  wie  die  über  Aischylos' 
Leistungen  für  die  Orchestik.  Chamaileon  ist  der  älteste  Schriftsteller, 
der  dem  Aischylos  eine  Spezialuntersuchung  widmete,  und  sein  Werk 
hat  stark  gewirkt,^)  wie  besonders  die  sehr  oft  wiederholte  Geschichte 
von  Aischylos'  Trunkenheit  und  Sophokles'  Urteil  über  sie  lehrt,"*)  in 
ihm  werden  wir  unbedenklich  den  oben  gesuchten  ältesten  Gewährsmann 
für  die  einhellige  Tradition  über  Aischylos'  Neuerungen  im  Kostüm  er- 


i)  Plut.  Them.  .5. 

2)  Das  hat  Leo  bereite  hervorgehoben,  Die  griechisch  römische  Biographie  S.  105. 

3)  Vgl.  Leo  a.  a.  0.  104  f. 

*)  Die  Stellen  gesammelt  von  Schoell.  a.  a.  0.  S.  14  f. 


—     201     — 

kennen  dürfen.^)  Durch  die  Erkenntnis  seiner  Methode  ist  uns  aber 
mittelbar  auch  das  Urteil  über  seine  Glaubwürdigkeit  gegeben,  wir  haben 
uns  an  seine  Gewährsmänner  die  alten  Komiker  zu  halten.  Gewiß 
konnten  die  Dichter  der  alten  Komödie,  wenn  sie  auch  meist  erst  ein 
Menschenalter  nach  Aischylos'  Tode  zu  dichten  begannen,  aus  mündlicher 
Tradition  noch  mancherlei  darüber  wissen,  wie  in  der  Väter  Zeiten  die 
Tragöden  ausgesehen  hatten,  aber  es  ist  selbstverständlich,  daß  sie  solch 
Wissen  mit  derselben  freien  Phantasie  und  derselben  ungebundenen 
Laune  verwerteten  wie  andere  historischen  Kenntnisse.  Grundsätzlich 
müssen  also  Chamaileons  Nachrichten  über  Aischylos'  Kostümneuerungen 
ebenso  mißtrauisch  betrachtet  werden,  wie  die  aus  gleicher  Quelle  stammen- 
den Geschichten  von  Euripides'  Hahnreischaft  und  Perikles'  Anstiftung 
des  peloponnesischen  Krieges. 

Es  trifft  sich  nun  gut,  daß  wir  noch  die  Komikerstelle  besitzen, 
auf  der  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  ganze  Vorstellung  des  Cha- 
maileon  und  seiner  Gefolgschaft  beruht.  In  den  Fröschen  verteidigt  sich 
Aischylos  gegen  den  Vorwurf,  seine  Helden  führten  Worte  von  der 
Größe  des  Lykabettos  und  Parnassos  im  Munde  mit  den  Versen  1058 ff. 

aÂÂ'  (0  xay.ôôaifiov  àvày/.t] 
f-isyâkiov  yviofiwv  xal  ôiavonâv  ïoa  y.al  rd  QrjjiiaTa  tIxteiV 
xakXiog  slxôg  rovg  r^fiiif^eovs  toîç  Q7Jf,iaot  {^leiÇoGi  '^QTjOd^ai 
xal  yàq  rolg  t/narloiç  rj-iwv  xqwvtui  noXv  os/uvoTéQOioiv, 
àf-iov  xQt^oTwg  xaTaôslçavTog  ôis/iV/Lirjvw  av.  Evq.  xi  ÔQÛaag; 
AîoX'  TiQWTov  /iièv  Tovg  ßaaiAsvovrag  ()dxi'  dfiTitaxiôv,  ïv^  èkeivol 
.     Toîg  dvd^Qnmoig  tfaivoivr^  eivai  xré. 

Die  Sprache  der  Helden  muß  groß  und  feierlich  sein  wie  die 
Tracht  in  der  sie  auftreten,  das  hat  iiischylos  gelehrt,  Euripides  aber 
mißachtet.  Da  haben  wir  Aischylos  als  Erhnder  der  aefxvÔTSQa  iftària 
so  gut  wie  der  Qt-f-iara  ^leiÇova,  grade  das  AVort  osfivoTJ^g  kehrt  bei 
Chamaileon-Athenaios  wieder  und  liegt  in  Übersetzung  bei  Hotaz  vor. 
Es  war  nur  natürlich,  daß  Chamaileon,  und  die  ihm  folgten,  in  die  nach 
Aristophanes'  Zeugnis  von  Aischylos  erfundene  as^ivrj  uroXf^  alles  ein- 
schlössen, was  die  Schauspieler  i/trer  Zeit  von  gewöhnlichen  Sterblichen 
unterschied,  also  außer  dem  langärmeligen,  bis  auf  die  Füße  reichenden 
Prachtgewand  auch  die  Erhöhung  durch  Stelzschuhe^)  und  vielleicht  auch 
die  Maske.  Wie  eng  für  späteres  Empfinden  grade  diese  Steigerung s- 
mittel  der  äußeren  Erscheinung  mit  tragischer  Erhabenheit  zusammen- 
gehörten, zeigt  recht  eine  Stelle  des  Philostrat  vit.  Apoll.  VI  11  êrd-v^ut^^eig 

1)  Es  verdient  Beachtung,  daß  auch  in  der  Mediceischeu  Vita  2  die  eb^tjuara 
des  Aischylos  durch  Aristophanesverse  erläutert  werden. 

■-)  Es  wird  sich  unten  S.  210  ergeben,  daß  in  Chamaileons  Zeit  die  Erhöhung  der 
Schuhe  noch  nicht  so  weit  fortgeschritten  war  wie  in  der  Kaiserzeit. 


—     202     — 

ôè  {Aloyv'/.os)  y.aï  r/;v  Téyvy]v  cos  nqoGcpvà  tlÎ)  f.isya).si(i)  fià'/.'/.ov  ?j  x(j[) 
y.aTaßeßkrjiepoj  te  xai  vTiô  Ttôôa  axavoTioiiag  f.iÈv  rjiparo  sîy.ao[.ièvr^ç  roîg 
Tcöv  rjQ(ôcf)v  eïôsaiv,  oxQißavTog  ôé  Tovg  vTcoxQtrdg  dveßlßaosv^  cog  ïaa 
èxsivoig  ßaivoiEv,  èad^i)uaoi  te  rrgiüTog  ixôouTjOEv.  a  TiQÔocpoQov  tJqojoî  te 
xal  rjQcoioLv  r^o&ï]od^aL^  o^ev  ^Ad^t/vaîoi  naTÉqa  liev  avxov  TÎ^g  TQayojôiag 
^yovvTO. 

Freie  Auslegung  einer  ganz  allgemein  gehaltenen  Aristophanesstelle^) 
hat  also  die  spätere  Vulgärmeinung  erzeugt,  und  sobald  man  diesen  ihren 
Ursprung  erkannt  hat,  ist  man  auch  von  ihr  befreit. 

In  Aristophanes'  Zeit  wirkte  die  Tracht  der  tragischen  Schauspieler 
fremdartig,  und  man  wußte,  daß  sie  seit  Generationen  diesen  unattischen 
Charakter  besaß,  das  ist  das  einzige,  was  man  den  Versen  der  Frösche 
mit  Sicherheit  entnehmen  kann.  Weiterhelfen  zum  Verständnis  von 
Ursprung  und  Aussehen  des  tragischen  Kostüms  der  klassischen  Zeit 
können  nur  Zeugnisse  anderer  Art. 

Mit  dem  Bühnenkostüm  stellt  Chamaileon  bei  Athenaios  a.  a.  0. 
die  Tracht  der  flierophanten  und  Daduchen  zusammen,  und  in  der  Tat 
lehren  die  Denkmäler  und  vereinzelte  Schriftstellernachrichten,  daß  diese, 
und  außer  ihnen  auch  Flötenspieler  und  Kitharoden,  gleich  den  tragischen 
Schauspielern  den  langen  prächtigen  Armelchiton  trugen.-)  Daß  die 
stolzen  Priestergeschlechter  von  Eleusis  ihre  Amtstracht  der  Bühne  ent- 
lehnt hätten  wie  Chamaileon  behauptet,  ist  ganz  undenkbar,^)  aber  auch 
die  zuletzt  von  Bethe*)  verfochtene  Zurückführung  der  verwandten  Kostüme 
auf  alte  Göttertracht  läßt  sich  nicht  so  glatt  durchführen,  wie  es  zunächst 
scheint.  Ich  wenigstens  vermag  den  Einwurf  Roberts,^)  daß  ein  yurcov 
XEiQiôonôg  bei  alten  Götterbildern  nicht  nachweisbar  sei,  nicht  zu  wider- 
legen. Die  unläugbaren  Schwierigkeiten  löst  wohl  am  besten  Prings- 
heims  Annahme  (a.  a.  0.  S.  14),  daß  als  gemeinsame  "Wurzel  des 
tragischen,  musischen  und  eleusinischen  Kostüms  die  Festtracht  —  und 
zwar,  ^vie  ich  hinzusetzen  möchte,  die  jonische  —  der  Peisistratidenzeit 
anzusehen  sei;^)   damals   hat  Thespis   die   erste  Tragödie   in  Athen   auf- 

1)  Es  ist  natürlich  nicht  zu  erweisen,  daß  Chamaüeon  neben  dieser  nicht  noch 
andere  Komikerstellen  benützt  hat,  aber  sicherlich  lassen  sich  alle  späteren  Folge- 
rungen leicht  aus  den  Versen  der  Frösche  herausspinnen. 

2)  Das  Material  für  die  Tracht  der  eleusinischen  Priester  ist  vortrefflich  ge- 
sammelt und  erläutert  in  Pringsheims  wertvoller  Dissertation  Archaeologische  Beiträge 
zur  Geschichte  des  eleusinischen  Kultes  S.  1 — 14. 

3)  Meines  Wissens  ist  von  den  Neueren  nur  Amelung  bei  Pauly-Wissowa  III 
221H  geneigt  ihm  Glauben  zu  schenken. 

*)  Prolegomena  zur  Geschichte  des  Theaters  S.  42  ff   und  Arch.  .lahrb.  XI  294. 

•'')  23'*"  Hallisches  Winckelmannsprogramm  S.  Iß. 

'')  Als  besonders  charakteristisch  für  die  Entstehung  der  Hierophantentraclit  in 
der  Peisistratidenzeit  hebt  Pringsheim  itiit  Recht  die  Frisur  hervor,  die  er  auf  der 
Lovatellischen  Urne  trägt. 


—     203     — 

geführt,  damals  hat  das  eleusinische  Heiligtum   eine   bedeutsame  Umge- 
staltung erfahren. 

Was  sich  für  den  bunten  Armelchiton  bisher  nicht  nachweisen  läßt, 
die  Zugehörigkeit  zum  Kostüm  des  Dionysos,  läßt  sich  nun  aber  für 
den  tragischen  Kothurn,  dem  diese  Untersuchung  in  erster  Linie  gilt, 
mit  voller  Sicherheit  dartun.  Um  den  Beweis  überzeugend  zu  führen, 
muß  ich  leider  mancherlei  wiederholen,  was  schon  von  andern  ähnlich 
gesagt  ist.^) 

Das  wichtigste,  vielfach  falsch  interpretierte  Zeugnis  steht  in  den 
Fröschen  46  ff.  Herakles  kann,  als  er  dem  Dionysos  die  Tür  öffnet,  das 
Lachen  nicht  verbeißen 

OQwv  ksovTrjv  ènï  xQoy.coTc[}  y.£i/-iévï]v. 

xiç  6  vovg;  xL  xàd^oqvos  xat  QÔiiakov  ^wrjhd^éxrjv; 

Dionysos  hat  den  ihm,  dem  Weichling,  eigentümlichen  Kleidungs- 
stücken, Safrankleid  und  Kothurn,  die  Attribute  des  Herakles,  Löwen- 
fell und  Keule  beigesellt  und  diese  erborgten  Zeugen  dorischer  dqeTt] 
passen  schlecht  zu  der  jonischen  TQvcprj.  Von  Schauspielertracht  ist  hier 
gar  nicht  die  Rede,  nur  die  den  beiden  Göttern  zukommenden  Kleidungs- 
und Ausrüstungsstücke  werden  einander  gegenübergestellt.  Von  dem 
xQoxcoTÖg  sagen  die  älteren  Schollen  mit  Recht  Jiovvaiaxov  cpÔQSf-ia  6 
xQoxioTÔg,^)  und  daß  der  Kothurn  zur  typischen  Dionysostracht  gehörte, 
bestätigt  —  wenn  es  einer  Bestätigung  bedürfte  —  Pausanias  VIII  31,  4: 
Im  Tempel  des  Zeus  Philios  zu  Megalopolis  fällt  ihm  nämlich  die  Ähn- 
lichkeit des  Kultbildes  mit  Dionysos  auf  xôd^oQvoi  zs  yÙQ  xd  v7iodr]f.iaxâ 
ioxiv  avxc[j  xai  eyßi  rfj  yßiQi  exTHüf.ia  xfj  âè  éxéça  d-vQOov.  Wie  der 
Kothurn  des  Dionysos  aussieht,  erfahren  wir  freilich  weder  von  Aristophanes 
noch  von  Pausanias,  aber  da  helfen  Herodot  und  Vergil  weiter.  Herodot  er- 
zählt VI  125  die  lustige  Geschichte  von  Alkmaion,  dem  Kroisos  zum  Lohne 
für  die  Unterstützung  seiner  Untertanen  in  Delphi  so  viel  Geld  ver- 
sprach, als  er  auf  einmal  aus  der  Schatzkammer  forttragen  könne.  Das 
fängt  der  kluge  Athener  folgendermaßen  an  evdvg  xid-oiva  j-iêyav  xai 
xÔIttov  TTollov  xaraXinôi-iEvog  xov  xi^ojvos,  xo-0-ÔQvovg  invg  svQioy.s 
tvQvxdxovg  èôvxag  vnoôr^odfisvog  tJïs  êg  xôi'  ^)]0avQ6v,  èg  xôv  ol 
xaxriyéovxo^  eoneooh  de  êg  omqov  iprjyf.taxog  TiQÛra  (.ikv  naQsoaçe  TtaQÙ 
tàg  xvT]ftag  xov  yçvoov  ooov  êxiiJQ80v  ol  xô-i^oQvot,  /nexd  âè  xôv 
xôXtiov  nàvxa  nlr^odi-ievog  yqvoov  xai  èg  xdg  xglyag  t/;>  xeq^a'/.r^g  ôian:doag 


1)  Ygl.  Crusius  Philol.  48  S.  701  ff  und  Robert  2-2te8  Hallisches  Winckelmanns- 
progi'amm  22  ft". 

2)  Dies  in  Attika  nur  von  Weibei-u  geschätzte  Grewand  (Amelung  bei  Pauly- 
Wissowa  ni  2324)  tragen  im  üppigen  Sybaris  die  Ritter  in  Prozessionen  Athen.  XII 
519  c.  Zur  Kleidung  des  Dionysos  gehört  der  xpoKwroV  in  der  berühmten  :rouni]  des 
Ptolemaios  Philadelphos  nach  Kallixenos  von  Rhodos  bei  Athen.  V  198  c. 


—     204     — 

Tov  iprj'/f-iaTOii  xal  a'AÂo  kaßojv  êg  rô  arô/iia  èçi'^is  êx  tov  d-i]GavQ()i\  a'kxiov 
/.lèi^  l-iôyis  Tovg  y.ad-ijQiovg  TiavTÏ  ôè  leo^i  oîxtog  uàklov  jj  dvd-çoiiKi). 

Vergil  ruft  Georg.  II  7  den  Gott  an: 

Hue,  pater  o  Lenaee,  veni,  nudataque  musto 
tingue  novo  niecum  derepfis  crura  cothurni>i. 
dazu  bemerkt  der  Kommentar  des  Probus:  Cothurni  sunt  calceamentorum 
gênera  venatorum,  quibus  crura  etiam  muniuntur;  cuius  calceamenti  effi- 
gies est  in  simulacris  Liberi  et  Dianae. 

Danach  sind  die  Kothurne  Schaftstiefel,  die  an  den  Waden  ziem- 
lich hoch  hinaufreichen/)  und  es  gilt  nun  Dionysosdarstellungen  mit 
solchen  Stiefeln  zu  suchen.  Die  schwarzfigurige  Vasenmalerei  liefert  so 
viel  ich  sehe  kein  Material,  sie  gibt  im  allgemeinen  nur  denjenigen 
Göttern  und  Helden  Stiefel,  die  besonders  viel  zu  laufen  haben, ^)  vor 
allen  dem  Hermes,  und  die  vorkommenden  Stiefelformen  entsprechen 
nicht  dem  aus  Herodot  gewonnenen  Bilde  des  Kothurns.  Auf  rotfigurigen 
Yasen  des  strengen  und  des  Übergangstils  trägt  dagegen  Dionysos  nicht 
selten  Stiefel  mit  hohem  Schaft,  und  von  dieser  Zeit  an  verschwinden 
sie  nie  wieder  ganz  aus  der  Tracht  des  Gottes.  Von  älteren  Beispielen 
aus  der  ersten  Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts  nenne  ich  folgende  : 

1.  Gerhard  Auserl.  Vasenb.  Taf.  64 

2.  „  „■  „  „     84-85 

3.  Monum.  d.  Inst.  XI  50 

4.  Compte  Rendu  de  St.  Pet.   1867  Taf.  IV 

5.  „  .,        „     „       „      1867     „      VI 

6.  Dareraberg-Saglio  Dictionn.  des  antiqu.  I  629  Fig.  712,  wieder- 
holt bei  Baumeister  Denkm.  1434  Fig.  483. 

Ich  mache  besonders  auf  die  an  letzter  Stelle  genannte  Darstellung 
aufmerksam,  weil  die  Stiefel  hier  sehr  hoch  sind  und  der  Gott  zugleich 
einen  laugen  frauenhaften  Chiton  aus  dünnem  Stoff  trägt,  der  besonders 
an  den  Dionysos  der  Frösche  gemahnt.'')  Dieselben  Stiefel  tragen  auf  streng- 


')  Daß  der  •A.öd-oQvog  im  Gegensatz  zu  den  éuiiÛTtjç  einen  weiten  Schaft  gehabt 
habe,  folgert  Robert  S.  32  mit  Unrecht  aus  der  Erzählung  Herodots,  Alkmaion 
nimmt  natürlich  viel  zu  weite  Exemplare  der  höchsten  ihm  bekannten  Stiefelform,  um 
möglichst  viel  Gold  rings  um  die  Unterschenkel  stopfen  zu  können. 

-)  Von  den  vielen  Figuren  der  Franoo:s-Vase  sind  nur  Hermes,  die  Gorgonen 
und  einer  der  kalydonischen  Jäger  (Thorax)  beschuht. 

3)  Jüngere  Beispiele  aus  der  Vasenmalerei  des  fünften  Jahrh.  sind  Miliin  Peint,  de 
vases  ant.  I,  9,  Compte-Rendu  1861  T.  IV;  an  Skulpturen  nenne  ich  den  Dionysos  des 
Kaiamis  in  Tanagra  s.  Reisch  Arch.  .Jahresh.  IX  230  Fig.  65,  das  Relief  von  Koropi 
bei  Reisch  Griech.  Weihgesch.  124  Fig.  12,  den  Dionysos  aus  Tralles  in  Konstanti- 
nopel (früher  fälschlich  Apollon  genannt),  das  Relief  von  der  Skene  des  Dionysostheaters 
in  Athen  s.  Svoronos,  Das  Athener  National-Museum  Taf.  62;  andere  Beispiele  bei 
Reinach  Répert.  de  la  Stat.  I.  S.  383  und  391. 


—     205     — 

rotfigurigen  Vasen  mehrfach  Silène/)  auf  etwas  jüngeren  auch  Thamyris-) 
und  Artemis.^) 

Daß  diesen  Stiefeln  des  Dionysos  der  Name  Kothurn  gebührt,  ist 
nach  Aristophanes,  Herodot  und  Vergil  nicht  zu  bezweifeln,  und  zum  Überfluß 
wird  es  durch  ihre  Wiederkehr  bei  Artemis  bestätigt,  denn  auch  diese 
—  und  zwar  sie  allein  von  allen  Göttinnen  —  kommt  in  der  Literatur 
mit  Kothurnen  vor.^) 

Sicherlich  sind  diese  hohen  Stiefel  nicht  in  Attika  erfunden,  sondern 
von  auswärts  übernommen  worden,  und  zwar  deutet  ihr  Vorkommen  bei 
Thamyris,  später  auch  bei  Orpheus^)  sowie  ihre  Verbindung  mit  einem 
thrakischen  Mantel  bei  dem  Silen  der  Duris-Vase  entschieden  auf  thra- 
kischen  Ursprung.  Anderseits  sind  die  Kothurne  nach  Herod.  I  155  und 
VI  125  im  sechsten  Jahrhundert  in  Lydien  zu  Haus,  und  so  ist  es  wahr- 
scheinlich, daß  sie  als  Tracht  des  Dionysos  zuerst  auf  dem  Umweg  über 
Jonien  nach  Attika  gelangt  sind. 

Fragen  wir  nun,  wie  sich  der  tragische  Kothurn  zu  dem  des 
Dionysos  verhält,  so  wird  man  von  vornherein  voraussetzen  dürfen,  daß 
die  Fußbekleidung  des  Tragöden,  die  den  gleichen  Xamen  führt  wie 
die  des  Gottes,  ursprünglich  auch  von  gleicher  Form  gewesen  ist,^)  und 
diese  Voraussetzung  wird  denn  auch  voll  bestätigt  durch  die  beiden  einzigen 
Denkmäler  aus  dem  Ende  des  fünften  Jahrhunderts,  die  uns  tragische  Schau- 
spieler in  Kostüm  zeigen.  Auf  der  Xeapler  Satyramphora,  deren  Mittelgruppe 
am  Kopf  dieses  Aufsatzes  nach  Mon.  d.  Inst,  III  31  wiederholt  ist,  wird 
das  Kostüm  der  Schauspieler ''J  mit  minutiöser  Treue  wiedergegeben  und 
gerade  deshalb  hat  das  scheinbare  Fehlen  des  Kothurns  oft  Erstaunen 
erregt.^)     In  Wirklichkeit   tragen    sowohl  Herakles    wie    der    von  Prott 

1)  Psykter  des  Duris  Furtwängler-Reichhold  Griech.  Vas.  Taf.  48,  ferner  Mon.  d. 
Inst.  V  35,  Gerhard.  Auserl.  Vas.  57. 

2)  Mon.  d.  Inst.  Il  23  und  YIII  43. 

3)  Bull.  Nap.  n.  s.   VI,  5. 

*)  Verg.  Ecl.  VII  32  iiuniceo  stal»is  suras  evincta  cothuruo.  Vgl.  Prob,  zu  Verg. 
Georg.  II  32. 

5)  Der  Orpheus  des  Neapler  Reliefs  trägt  besonders  hohe  Stiefeln  wesentlich 
derselben  Art.  Vgl.  jedoch  S.  212. 

6)  Es  ist  vielleicht  nicht  übei-flüssig  noch  einmal  zu  betonen,  daß  für  eine 
stelzenartige  Erhöhung  des  Kothurns  schlechterdings  kein  literarisches  Zeugnis  aus  dem 
fünften  .Jahrhundert  vorhanden  ist. 

'I  Daß  die  Schauspieler  im  Satyrspiel  mit  Ausnahme  des  Silen  das  gleiche  Kostüm 
hatten  wie  die  Tragöden,  hat  schon  Wieseler  Götiinger  Studien  II  (1847)  628  ß"  ge- 
zeigt, und  bestätigend  tritt  der  von  Bethe  Arch.  Jahrb.  XI  Taf.  2  veröffentlichte  An- 
dromedakrater  hinzu,  wo  fi-eilich  auf  treue  Durchführung  des  Bühnenkostüms  ver- 
zichtet ist.  aber  an  dem  Chiton  der  Heldin  genau  die  gleichen  prächtigen  Muster 
wiederkehren  wie  auf  der  Satyrvase. 

8)  Vgl.  den  vortrefflichen  Aufsatz  von  Prott  Schedae  philologae  H.  Usener 
oblatae  S.  53. 


—     206     — 

wohl  mit  Recht  Laomedon  benannte  König  Kothurne,  nämlich  eben  die- 
selben hohen  Schaftstiefel,  die  wir  bei  Dionysos  kennen  gelernt  haben, 
nur  in  besonders  reicher  Ausstattung,  und  um  jeden  Zweifel  auszu- 
schließen, hat  auch  der  Gott  selbst  auf  unserem  Bilde  augenscheinlich 
ganz  dasselbe  Schuhwerk  wie  seine  menschlichen  Diener.^) 

Auf  dem  ungefähr  gleichzeitigen  Schauspielerrelief  aus  dem  Piraeus, 
das  zuletzt  von  Studniczka  eingehend  gewürdigt,^)  aber  leider  noch  immer 
nicht  ausreichend  abgebildet  worden  ist,  verdecken  leider  die  langen 
Chitone  bei  allen  drei  Schauspielern  die  Schuhe  großenteils,  aber  nichts 
hindert,  diesen  die  gleiche  Form  zu  geben  wie  auf  der  Satyrvase,  und 
ganz  sicher  ist,  daß  sie  nicht  mit  stelzenartigen  Klötzen  oder  auch  nur 
mit  starken,  erhöhenden  Sohlen  versehen  sind. 

Diesen  positiven  Zeugnissen  für  den  stelzenlosen  Kothurn  des 
fünften  Jahrhunderts  möchte  ich  noch  zwei  negative  anreihen,  Tragiker- 
stellen, die  sich  mit  dem  Gebrauch  des  Stelzenschuhs  nicht  vertragen. 
Euripides  läßt  im  Orestes  1369  ff.  den  Phryger  selbst  erzählen,  er  sei 
vom  Dach  gesprungen, 

IfdQyslw  çiq)os  èx  ^avàrov  Tiécpsvya 

ßacßaQOic  evuÛQiaiv 

xsÔQtoTà  naoràôcov  vTikç  réga/icva 

Jo)QLy.âs    T£    TQL'/KvCfOVÇ. 

Dieser  Sprung  vom  Dach  der  Skene  war  für  den  maskierten  Schau- 
spieler unter  allen  Umständen  eine  unangenehme  Sache;  wenn  aber  der 
ärmste  Klötze  unter  den  Schuhen  trägt,  wie  sie  etwa  die  Elfenbein- 
statuette von  Rieti  zeigt,  so  ^nrd  das  Springen  eine  unmögliche  Zumutung, 
die  der  so  klug  für  die  Bedürfnisse  der  Bühne  schaffende  Dichter  nie 
an  seine  Künstler  gestellt  hätte.  Diese  Notlage  hat  denn  auch  die  Schau- 
spieler, als  der  Kothurn  erhöht  wurde,  zu  einer  Interpolation  veranlaßt.'^) 
Zwischen  den  Gesang  des  Chors  und  die  Monodie  des  Phrygers  sind  un- 
organisch die  Verse  eingeschoben   1366: 

à'/JÀ  xTvneî  yàq  xlfjd^Qa  ßaoiXixojv  âô^tov 
aiyr^GüT.  è'çto  yÛQ  riç  exßaivst.  ^Qvycôv 
ov  Tievoôfieo&a  xdv  ôôftoiç  oTitog  èxei. 


^)  "Wieseler  hat  das  ganz  richtig  gesehen  S.  634,  aber  dann,  wie  so  oft,  eine 
treffende  Beobachtung  durch  einen  Wust  toter  Gelehrsamkeit  erstickt. 

2)  Mélanges  Perrot  307  ff;  seinem  Zeitansatz  „eher  noch  im  fünften  als  im  frühem 
vierten  Jahrhundert"  stimme  ich  durchaus  zu,  aber  seine  Deutung  der  Masken  scheint 
mir  unsicher. 

3)  Daß  der  Sprung  den  Schauspielern  auch  ohne  Stelzenschuh  unbequem  war 
und  sie  zu  einer  Textänderung  führen  konnte,  will  ich  natürlich  nicht  leugnen,  aber 
nach  Aufkommen  des  Stelzenschuhs  mußten  sie  solchen  Ausweg  suchen. 


—     207      - 

Das  gelehrte  Scholion  zu  1366  hat  die  Interpolation  ganz  richtig 
gewürdigt,  die  Verse  seien  von  den  Schauspielern  eingelegt  ïva  /tirj 
xaxoTia^cüoiv  dno  rùJv  ßaaleiov  ôôfcojv  xa&a'/.Xù(.iEvoi. 

Die    andere  Stelle  hat  bereits  Crusius^)  herangezogen  und  Robert^) 
hat  sich  vergeblich  bemüht,  ihre  Beweiskraft  zu  erschüttern.    Aischylos' 
Agamemnon    scheut  sich  bei   seinem  feierlichen  Einzug,  die  von  Klytai- 
mestra  hingebreiteten  Purpurteppiche  mit  Schuhen  zu  betreten,  und  läßt 
sich  noch  auf  dem  Wagen  stehend    die  Fußbekleidung  abnehmen  935  ff. 
aûJ  si  ôoy.sî  OOL  tuvS-^  vrcal  ng  aQßvkag 
kvoi  rdyog  tïqÔôov/mv  e'j-ißaaiv  Tioôôg 
xal  Toloôé  /<'  ejiißaivov^^  à'/.ovQyéoiv  dsow 
///;  TIS  TiQÔoiod^av  of-iuazoç  ßä/.oi  (piyôvog. 

Trug  Agamemnon  den  Stelzschuh,  so  erschien  er  bei  seinem  Ein- 
zug in  den  Palast  plötzlich  um  ein  beträchtliches  Stück  kleiner,  und  das 
mußte  lächerlich  wirken.  Unmöglich  kann  man  Aischylos  zutrauen,  daß 
er  ganz  aus  freien  Stücken  ein  Motiv  erfand,  welches  in  einem  wichtigen 
Augenblick  die  szenische  Wirkung  empfindlich  störte.'^) 

So  vereinigen  sich  bildliche  und  literarische  Zeugnisse  des  fünften 
Jahrhunderts  —  und  nur  solche  dürfen  für  uns  maßgebend  sein  —  zu 
dem,  wie  mir  scheint,  sicheren  Ergebnis  :  Der  Kothurn  ist  ein  ursprüng- 
lich nichtgriechischer  Stiefel  mit  hohem  Schaft,  den  Dionysos  seit  An- 
fang des  fünften  Jahrhunderts  vielfach  trägt,  von  dem  Gotte  geht  er, 
wohl  in  aischyleischer  Zeit,*)  auf  die  tragischen  Schauspieler  über,  die 
ihn  ganz  in  der  gleichen  Form  ohne  jede  künstliche  Erhöhung  mindestens 
bis  zum  Ausgang  des  fünften  Jahrhunderts  bewahren. 

Ich  könnte  hier  mit  dem  Hinweis  darauf  schließen,  daß  der  Kothurn 
in  der  nachgewiesenen  Form  auch  auf  den  unteritalischen  Vasen  des 
vierten  Jahrhunderts,  deren  Beziehungen  zum  Theater  ja  bekannt  sind, 
außerordentlich  beliebt  ist,  es  tragen  ihn  hier  nicht  nur  die  Theater- 
könige wie  Kreon^),    Oinomaos^),  Lykurgos^),    Phineus*),    Agamemnon^), 

')  Phiiol.  48,  704. 

2)  A.  a.  0.  S.  32. 

3)  Robert  hilft  sich  mit  der  verzweifelten  Annahme,  das  Ausziehen  werde  nur 
markiert  —  dann  mußte  das  Publikum  doch  mindestens  im  Augenblicke  des  Absteigens 
sehen,  daß  der  König  ungeachtet  seiner  feierlichen  Erklärung  den  Purpur  mit  Schuhen 
betrat. 

^)  Bei  Aischylos'  Neigung  für  das  Exotische  ist  es  wohl  wahrscheinlich,  daß  gerade 
er  die  Schauspieler  mit  der  fremdartigen  Fußbekleidung  ausgestattet  hat,  die  damals 
für  Dionysos  aufgekommen  war,  aber  beweisen  läßt  sich  das  nicht. 

5)  Huddilston  Cxreek  tragedy  in  the  light  of  vase  paintings  Fig.  23,  24. 

6)  Ann.  d.  Inst.  1840  tav.  N,  1851  tav.  Q. 

7)  Mou.  d.  Inst.  V  22. 

8)  Furtwängler-ßeichhold  Taf.  60. 

9)  Furtwängler-Reichhold  Taf.  89. 


—     208     - 

sondern  auch  jüngere  Helden  wie  Orestes^),  Pylades"^),  Myrtilos^),  Pelops*) 
und  mit  besonderer  Vorliebe  die  Figuren,  die  erst  durch  die  Tragödie 
in  die  Sage  eingeführt  sind,  so  Apate  ^)  und  verwandte  Rachegeister  ^), 
ferner  die  Pythia  der  Eumeniden "),  die  Trabanten  der  Könige*)  und 
ständig  die  Pädagogen.^) 

Es  scheint  mir  aber  doch  wünschenswert,  noch  einige  Fragen  kurz 
zu  erörtern,  die  mit  meinem  Thema  in  engem  Zusammenhang  stehen, 
und  Einwürfen  vorzubeugen,  die  ich  voraussehe.  Zunächst  bedarf  es  der 
Rechtfertigung,  daß  ich  konsequent  ein  Denkmal  bei  Seite  gelassen  habe, 
welches  nach  Robert  entscheidende  Bedeutung  für  die  ganze  Frage  hat, 
nämlich  das  auf  Marmor  gemalte  Bild  einer  tragischen  Szene  aus  Herculaneum. 
Robert  hat  es  in  seiner  vorzüglichen  Publikation  (22  tes  Hallisches 
Winckelmannsprogramm  Taf.  II  S.  14 — 37)  für  die  treue  Kopie  des 
Anathems  erklärt,  das  der  Chorege  des  Euripides  im  Jahre  428  weihte, 
und  meinen  Widerspruch  gegen  diese  These^")  hat  er  im  28ten  AVinckel- 
mannsprogramm  S,  17  Anm.  1  entschieden  zurückgewiesen.  Hier  ist 
die  Heldin,  nach  Robert  Phaidra,  durch  hohe  Kothurne,  eine  Maske 
mit  mächtigen  Onkos  und  starke  Auspolsterung  des  Körpers  zu  einem 
Scheusal  herausgeputzt,  das  dem  Schauspieler  von  Rieti  kaum  etwas 
nachgibt.  Robert  selbst  erkennt  die  Beweiskraft  der  Satyrvase  und  des 
Piräusreliefs  für  ihre  Entstehungszeit  durchaus  an,  die  Agamemnonstelle, 
die  früher  für  ihn  selbst  ausschlaggebend  war,^^)  schiebt  er  jetzt  bei  Seite, 
und  so  kommt  er  zu  der  eigentümlichen  Theorie,  daß  Euripides  den 
hohen  Stelzenschuh  hatte,  daß  man  ihn  unmittelbar  nach  seinem  Tode 
radikal  beseitigte,^-)  daß  dann  bald  nach  Alexander  ein  Schuh  mit  hoher 
Sohle  eingeführt  wurde,  der  sich  allmählich  in  der  Kaiserzeit  wieder  zu 
dem  Stelzenschuh  des  fünften  Jahrhunderts  auswuchs.  Und  dies  merk- 
würdige Hinundher,  das  noch  toller  wird,  sobald  man  der  Agamemnon- 
stelle ihr  Recht  läßt,  soll  man  zu  glauben  gezwungen  sein,  weil  das 
Original    des    Marmorbildes    nach   Robert   ins    5  te   Jahrhundert  gehört, 

i)  Huddilston  Fig.  5,  19,  20. 

2j  Huddüston  Fig.  18. 

3)  Mon.  d.  Inst.   V  2.S. 

*)  Ann.  d.  Inst.  1840  tav.  N.  1851  tav.  Q. 

5)  Furtwängler-Reichhold  Taf.  88. 

6)  Huddilston  Fig.  15  u.  2ß. 

')  Huddilston  Fig.  5,  der  sichtbare  Teil  des  Stiefels  entspricht  durchaus  dem 
Kothurn  des  Orestes. 

8)  Furtwängler-Reichhold  Taf.  60,  Mon.  d.  Inst.  V  22,  X  20. 

'■*)  Huddüston  Fig.  14,  15,  23,  24,  Mon.  d.  Inst.  V  22,  Mon.  nouv.  ann.  1836 
Taf.  5. 

1")  Deutsche  Literaturzeitung  1899  Nr.  44. 

")  Hermes  31  S.  548  Anm.  1. 

'2)  Die  Neapler  Satyrvase  setzt  er  S.  25  Eade  des  fünften  Jahrhunderts. 


—     209     — 

„was  übrigens  jedem  sein  Stilgefühl  von  selbst  sagen  sollte."  Man  ver- 
gleiche doch  einmal  den  herculanensischen  Schauspieler  mit  denen  der 
Satyrvase  und  des  Piraeusreliefs  genauer,  da  liegen  so  fundamentale 
Unterschiede  vor,  daß  ein  Übergang  von  der  herculanensischen  Phaidra  zum 
Laomedon  der  Vase  innerhalb  von  rund  20  Jahren  eine  völlige  Revo- 
lution in  der  Bühnenkunst  bedeutet  haben  würde.  Es  handelt  sich  keines- 
wegs nur  um  die  Stelzenschuhe,  die  übermäßig  große,  gleichsam  gedunsene 
Kopfmaske  und  die  Auspolsterung  des  ganzen  Körpers,  aus  dem  die  Arme 
dann  so  puppenhaft  kurz  hervorragen,  gehören  notwendig  dazu.  Wohl  be- 
wahren die  Gestalten  der  Vase  und  des  Reliefs  in  Schnitt  und  Schmuck 
ihrer  Gewänder  einen  Hauch  altertümlicher  Strenge  und  fremdartigen 
Prunks,  aber  sie  sind  trotz  Maske  und  buntem  Chiton  doch  lebende 
Menschen  des  fünften  Jahrhunderts,  nur  genau  so  weit  von  den  attischen 
Bürgern  verschieden  wie  die  Helden  der  Euripideischen  Tragödien;  die 
Heroine  des  Marmorbildes  ist  dagegen  vollkommen  in  schwülstiger  Kon- 
vention erstarrt,  eine  Puppe,  kein  Mensch.  Und  von  einer  so  gewaltigen 
Umwälzung  der  theatralischen  Mittel  binnen  kurzer  Zeit  sollten  wir  gar 
nichts  erfahren,  auch  nicht  durch  die  Komödie,  der  doch  gerade  damals 
die  Tragödie  so  sehr  interessant  ist? 

Nimmt  man  nun  hinzu,  daß  die  Tracht  des  herculanensischen 
Schauspielers  notorisch  der  Entstehungszeit  des  Marmorbildes  entspricht, 
daß  man  sich  damals  überhaupt  für  Theaterdarstellungen  interessierte, 
und  daß  das  Bild  künstlerisch  weitaus  das  schlechteste  der  vier  im  selben 
Haus  gefundenen  ist,  so  wird  man  aucb  dem  feinsten  Stilkritiker  die  Be- 
rechtigung absprechen  dürfen,  auf  Grund  dieses  Zeugnisses  die  aus  Denk- 
mälern und  Schriftstellern  des  fünften  Jahrhunderts  sich  ergebende  Ent- 
wicklung des  tragischen  Kostüms  jäh  zu  durchbrechen.  Ich  halte  es, 
um  eine  der  Möglichkeiten  anzudeuten,  für  durchaus  denkbar,  daß  der 
Maler  einen  alten  Pinax  benutzte,  aber  dem  Protagonisten,  der  ja  allein 
Kothurn  und  Zubehör  trägt,  mit  den  äußeren  Mitteln  seiner  zeitgenös- 
sischen Bühnentechnik  zu  der  ihm  unerläßlich  scheinenden  tragischen 
Würde  verhalf.  Die  menschlich  kämpfende  Medeia  des  Euripides  ent- 
sprach   ja    auch    dem    späteren    rhetorischen    Geschmack    nicht    mehr. 

Wenn  ich  früher')  die  allmähliche  Erhöhung  des  Kothurns  schon 
in  die  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts  verlegte  und  die  Erzählung  des 
Demochares  von  Aischines  Sturz-)  auf  der  Bühne  für  diese  Annahme 
verwerten  wollte,  so  ziehe  ich  das  Roberts  Einspruch  gegenüber  zurück 
und  gebe  ihm  zu,  daß  eine  künstliche  Erhöhung   der  Schauspieler  nicht 

1)  a.  a.  O. 

-)  vit.  Aesch.  7  p.  269  Westerm.  Übrigens  kam  es  für  meine  Zwecke  nicht  auf 
die  Wahrheit  der  Anekdote  des  Demochares  an,  sondern  darauf,  ob  sie  seinen  Zu- 
hörern glaublich  scheinen  konnte. 

14 


—     210     — 

vor  der  Zeit  Alexanders  begonnen  zu  haben  scheint.^)  Sobald  man  ein- 
mal mit  einer  starken  Sohle  den  Anfang  gemacht  hatte,  wuchs  dann 
der  Kothurn  unaufhaltsam  bis  zu  den  abscheulichen  Stelzen  der  Kaiserzeit, 
die  Gestalt  der  Tragödie  auf  der  Homerapotheose  des  Archelaos  von 
Priene  zeigt  die  Entwicklung  schon  recht  weit  fortgeschritten. 

Ferner  muß  ich  noch  eingehen  auf  die  sonstigen  Xachrichten  über 
Kothurne,  die  von  ihrer  Verwendung  im  Theater  absehen,  und  auf  die 
ganz  ähnlichen  Stiefelformen,  die  oft  mit  ihnen  zusammengeworfen 
werden.  Fest  steht  zunächst,  daß  in  aristophanischer  Zeit  auch  von 
Frauen  Kothurne  getragen  wurden  ;  der  geplagte  Blepyros  in  den  Ekkle- 
siazusen  hat  seine  Âaxcûvixal  nicht  finden  können  und  eilt  infolgedessen 
auf  die  Straße  346  ig  xo)  y.o&ÖQvo  toj  ti6ö  ev^slg.  Dieselben  Schuhe 
hat  er  kurz  vorher  319  IleQGixal  genannt.  Auch  Lys.  658  wird  der 
Kothurn  als  Frauenschuh  genannt.^)  Weiter  erfahren  wir  durch  Xenophon 
Hell.  II  3,  30,  der  politisch  wetterwendische  Theramenes  habe  den 
Spitznamen  xöd^OQvog  gehabt  xal  yàç  6  xéd'OQvog  aQ/nörTsiv  /iièv  roîg 
noGÏv  äiKforecoLg  doxsl,  dnoßkETiei  ôè  arr'  ducpoTéQcJv,  dieser  Spitzname 
hat  auch  einer  gegen  Theramenes  gerichteten  Komödie  des  Philonides 
den  Titel  KôO^oçvoi  geliefert.^)  Alle  späteren  Grammatikerzeugnisse,  die 
immer  wiederholen,  der  Kothurn  passe  auf  beide  Füße,  gehen  ersichtlich 
auf  diese  Xenophonstelle  zurück,  haben  also  keinen  selbständigen  Wert  *) 
Ein  Stiefel,  der  auf  beide  Füße  passen  soll,  muß  entweder  eine  dem 
Fuß  gar  nicht  angepaßte,  vorn  ganz  breite  Form  der  Sohle  haben,  und 
so  faßt  man  im  Anschluß  an  Etym.  Magn.  xod^oQvog  yvvaty.su )v  vnöor^/iia 
TETçâywvov  t6  Gyr^f-ia  aQuöCov  dfj.(pOTéQoig  rolg  nooL  die  Sache  in  neuerer 
Zeit  meist  auf,  oder  aber  er  darf  gar  keine  feste  Sohle  haben,  sondern 
muß  ganz  aus  weichem  Leder  oder  Filz  bestehen.  Derartige  sohlenlose, 
dem  Fuß  sich  leicht  anpassende  Stiefel  sind  heute  in  Kleinasien  sehr 
beliebt,  besonders  bei  den  Tscherkessen,  sie  bedecken  den  ganzen  Unter- 
schenkel wie  ein  lederner  Strumpf  und    werden  im  Haus    anbehalten,^) 

')  Das  Material  gibt  Robert  2.2^^^  Winckelmanusprogramm  S.  26  ff.  Ich  wiU  noch 
bemerken,  daß  ich  die  Rückführung  der  porapejanischen  Friesbilder  Mon.  d.  Inst.  XI 
.SO — 32  auf  Vorlagen  des  4ten  .Jahrhunderts  für  möglich  halte. 

*)  Mit  der  Frage,  welche  Vög.  91)4  Peithetairos  an  Meton  richtet  xlç  t)  'nCvoia, 
ilg  Ô  itô&OQvog  zrjg  ôôov;  weiß  ich  nichts  anzufangen,  alte  und  neue  Erklärungsver- 
suche sind  gleich  unbefriedigend;  der  Berliner  könnte  sagen  „wat  soll  ick  mir  da  for'n 
Stiebel  draus  machen?" 

3)  Fragmente  bei  Kock  CAF  I  255.  Die  Pluralform  des  Titels  ist  natürlich 
wie  bei  Ahvai,  'AQXî^oy^oi,  Haioôoc  u.  s.  w.  zu  erklären.  Vgl.  Wilamowitz  Aristoteles 
und  Athen  I  180  Anm.  84. 

■*)  Sie  sind  am  vollständigsten  zusammengestellt  in  G.  C.  W.  Schneiders  attischem 
Theaterwesen  1()3  ft'. 

*)  Im  Haus  die  Stiefel  anzubehalten,  mit  denen  man  über  die  Straße  gegangen 
ist,  verstößt  sonst  bekanntlich  in  der  Türkei  durchaus  gegen  die  gute  Sitte. 


—     211     — 

während  man  für  die  Straße  einen  ganz  niedrigen  Überschuh  mit  fester 
Sohle  darüberzieht J)  In  Ermanglung  weiterer  Zeugnisse  glaube  ich,  daß  die 
von  attischen  Frauen  getragenen,  von  Xenophon  erwähnten  Kothurne 
diesen  kleinasiatischen  weichen  Stiefeln  entsprachen.  Die  Drohung  der 
Frauen  in  der  Lysistrate  657  si  ôè  Âvn^asig  ri  ,ae,  rojde  ■/dipr^y.xcj 
Tiaràçio  Ttfj  y.od^ÔQvvj  rr/v  yvdd-ov  läßt  sich  mit  einem  solchen  Stiefel 
mindestens  ebensogut  ausführen  als  mit  einem,  der  feste  Sohlen  hat. 
Es  verdient  jedenfalls  Beachtung,  daß  die  Kothurne  der  Satyrvase  keine 
abgesetzten  Sohlen  haben  und  fast  wie  Strümpfe  aus  feinem  Leder  oder 
Stoff  den  Fuß  umschließen;  auch  auf  den  Abbildungen  des  Schauspieler- 
reliefs kann  ich  keine  Angabe  der  Sohlen  bemerken. 

Von  hier  aus  lassen  sich,  glaube  ich,  auch  die  ziemlich  dunklen 
Beziehungen  des  Kothurns  zu  den  ef-ißdrat  und  ef-ißdöeg  aufklären. 
Leider  ist  ja  die  reinliche  Scheidung,  welche  PoUux  zwischen  den  beiden 
letztgenannten  Fußbekleidungen  vornimmt  IV  115  xal  rà  vnoôfjfiaTa 
xod^OQvoi  f.ikv  rd  TQayixd  xal  eaßdas(s\  sußdrai  ôè  rd  xcofuxd,  nach 
Ausweis  des  von  Amelung  bei  Pauly-Wissowa  V  2484  f.  zusammen- 
gestellten Materials  nicht  durchzuführen,  beide  werden  beständig  durch- 
einandergeworfen, und  zwar  ist  es  besonders  interessant,  daß  die  gold- 
durchwirkten Schuhe  aus  Purpurfilz,  welche  der  wie  ein  Tragödienheld 
herausgeputzte  Demetrios  Poliorketes  trug,  von  Duris  bei  Athenaios 
XII  535  f.  efißdrai,  von  Plutarch  vit.  Dem.  41  dagegen  sfißdosg  genannt 
werden.  Beide  Namen  werden  auch  in  gleicher  Weise  für  den  Tragödien- 
schuh gebraucht,^)  die  Embades  mitunter  ausdrücklich  dem  Dionysos 
beigelegt,^)  sie  sind  beide  in  der  späteren  Literatur,  die  ihre  attischen 
Vokabeln  aus  dem  Lexikon  bezieht,  von  Kothurn  überhaupt  nicht  mehr 
zu  scheiden,^)  Pollux  VII  85  gibt  das  für  die  e/.ißdO€g  halb  und  halb  zu, 
wenn  er  sagt  tïjv  ôè  lôéav  -Aod-oQvoig  TUTteivoig  aoùxev. 

In  der  Zeit  des  Aristophanes  und  Xenophon  besteht  im  Gebrauch 
ein  ganz  klarer  Unterschied,  sf.ißdg  ist  ein  Männerschuh  —  als  Blepyros 
seine    tf.ißaO€g   nicht    findet,    nimmt   er    notgedrungen    die    -AÔd-OQvoL    der 


^)  Beim  Reiten  begnügen  sich  die  Tscherkessen  nicht  selten  mit  dem  sohlen- 
losen Stiefel. 

-)  efißatai  heißt  die  Erfindung  des  Aischylos  bei  Suidas  s.  v.  Äia^vAag,  als 
tragischer  Stelzschuh  kommt  das  "Wort  besonders  bei  Lukian  vor  Necyora.  l(i,  Jup.  trag. 
41,  Saturn,  ep.  19,  de  saltat.  27,  de  hist.  conscr.  22,  aber  auch  bei  Cassius  Dio  LXIII 
22  und  sonst,  efißdoeg  steht  dafür  z.  B.  Bekker  Anecd.  746,  Luc.  Pseudolog.  19, 
Arr.  Epict.  I  29,  41,  43. 

^)  Kallidemos  bei  Athen.  V  200  d,  Luc.  ßacch.  2. 

*)  Besonders  charakteristisch  ist,  daß  Lukian  bei  seinen  ewig  wiederkehrenden 
Schauspielervergleichen  zur  Abwechslung  statt  efißäiai  oder  efißdöeg  auch  einmal 
wieder  kô&oqvoi  sagt  Gall.  26. 


—     212     — 

Gattin^)  —  und  zwar  tragen  ihn  besonders  ältere-)  und  ärmere  Leute;^) 
über  seine  Höbe  erfahren  wir  nichts,  der  laßcczr^g  dagegen  ist  sicher, 
wie  der  Kothurn,  ein  Stiefel  mit  hohem  Schaft,  denn  Xen.  de  re  equ. 
12,  10  empfiehlt  dem  Reiter  zum  Schutze  der  Füße  und  Unterschenkel 
e/ußaTat  aus  starkem  Leder.  Wenn  wir  nun  auf  dem  Parthenonfries 
eine  ganze  Anzahl  Epheben  hohe  Reiterstiefel  tragen  sehen/)  und  diese 
auch  sonst  bei  Reitern  des  fünften  Jahrhunderts  wiederfinden  z.  B.  dem 
Polydeukes  der  Talos-Vase  (Furtwängler-Reichhold  Taf.  38  —  39),  so 
werden  wir  sie  unbedenkhch  IfißccTai  nennen  dürfen.  Auf  dem  Parthenon- 
fries sind  die  Träger  der  l^ußatai  nicht  selten  mit  der  tbrakischen  Pelz- 
mütze ausgerüstet^)  und  das  spricht  dafür,  daß  auch  die  Stiefel  aus 
Thrakien  stammen.^)  So  kommen  wir  für  die  lußaTai  zum  gleichen 
Ursprung  wie  für  die  y.od^oovoL  und  es  ist  in  der  Tat  mitunter  nicht 
auszumachen,  ob  man  einen  Schaftstiefel  -/.odoQvos  oder  sußccrr^g  nennen 
soll,  im  Schnitt  sehe  ich  keinen  Unterschied,  aber  im  Stoß"  und  seiner 
Bearbeitung  werden  sie  verschieden  gewesen  sein.  Ich  denke  mir  die 
Entwicklung  folgendermaßen:  Der  hohe  derbe  thrakische  Stiefel  wird 
einmal  von  den  Joniern  und  Lydern  übernommen,  von  diesen  erheblich 
verfeinert,  vielleicht  auch  schon  gelegentlich  in  Filz  übersetzt,  und  so 
kommt  er  als  Dionysos-  und  Frauentracht  zu  den  Athenern  unter  dem 
Namen  yu)&OQVog,  anderseits  lernen  ihn  die  Athener  auch  in  seiner  un- 
gemilderten  Derbheit  bei  den  Thrakern  kennen  und  nehmen  ihn  als 
Reiterstiefel,  li.ißcirrjg,  an.  Sobald  auch  der  efxßdTrjg  verweichlichte  — 
um  es  drastisch  auszudrücken  —  und  statt  aus  starrem  Leder  auch  aus 
purpurnem  Filz  hergestellt  wurde,  wie  es  uns  Duris  von  Demetrios  be- 
richtet, fielen  y.ô-3-OQvoL  und  lußcciai  tatsächlich  zusammen,  und  es  ist 
kein  Wunder,  daß  die  späteren  Schriftsteller  zwischen  beiden  Namen 
keinen  Unterschied  mehr  machen.^) 

Giessen. 


1)  Ar.  Eccles.  314  und  346  vgl.  auch  342.  507. 

2)  Ar.  Plut.  759. 

3)  Ar.  Eccles.  fi33.  Wesp.  447;  Js.  V  11. 

*)  Michaelis  Parthenon  Taf.  IX  3.  8,  19.  20  X,  4,  14,  26—40  XI  54,  56  XIU 
74,  76,  106 -lOy,  116,  117,  122,  127,  133. 

5)  Michaelis  Taf.  IX  8,  19,  X  4,  36,  XIII  108.  117,  120. 

^)  Pollux  VII  85  erklärt  die  efißdaeg  für  ein   Sçûxtov  evQri^a. 

')  [Dieser  Aufsatz  war  schon  gedruckt,  als  ich  die  Arbeit  von  Kendall  Smith 
Harvard  Studies  in  Classical  Philology  XVI  123  ff.  kennen  lernte,  die  auf  anderm 
Wege  zu  wesentlich  gleichen  Ergebnissen  kommt] 


Die  Anfänge  der  Kartographie  in  der  Schweiz 

mit   Seb.    Schmids    Anleitung   zum    Kartenzeichnen    a.    d.    J.    1566. 


Von 
Rudolf  Lug-inbühl. 


Die  Basler  Universitäts-Bibliothek  besitzt  unter  der  Signatur  A  A  I  82 
ein  deutschgeschriebenes,  24  Kleinquartseiten  umfassendes  Manuskript, 
das  als  die  älteste  Anleitung  zum  Kartenzeichnen  in  der  Schweiz  be- 
zeichnet werden  muß  und  sich  überhaupt  als  eines  der  ältesten  Werke 
über  Kartographie  ausweist.  Es  hat  den  Magister  Sebastian  Schmid 
zum  Verfasser  und  stammt,  wie  aus  einer  Bemerkung  auf  dem  Titelblatt 
hervorgeht,  aus  dem  Besitze  des  berühmten  Basler  Buchdruckers  Henric 
Petri.^)  Die  Vermutung  Hegt  nahe,  daß  es  dieser  drucken  lassen  oder 
für  eines  aus  seiner  Offizin  hervorgehenden  Werke  z.  B.  für  S.  Münsters 
Cosmographie,  die  1567  wieder  neu  erschien,  verwenden  wollte;  doch 
geschah  dies  nicht.  Ein  summarischer  Überblick  über  die  vorausgehenden 
kartographischen  Bestrebungen  namentlich  in  der  Schweiz  mag  das  Ver- 
ständnis der  Schrift  Schmids  erleichtern. 

Fast  bis  gegen  Ende  des  19.  Jahrhunderts  galt  Agidius  Tschudis 
Karte  zu  seiner  „Alpisch  Rhaetia''  1538  als  die  älteste  Karte  der  Schweiz.-) 
Leider  konnte  bis  jetzt  kein  Exemplar  derselben  ausfindig  gemacht 
werden.  Sie  ist  einzig  in  der  zweiten  Ausgabe  von  Tschudis  „Rhaetia" 
1560  erhalten,  von  der  man  lange  auch  nur  ein  einziges  Exemplar  mit 
der  Karte  kannte,  das  sich  auf  der  Universitäts-Bibliothek  in  Basel  be- 
findet, bis  1885  Prof.  H.  Graf  in  den  Mitteilungen  der  naturforschenden 
Gesellschaft  in  Bern  nachwies,  daß  auch  di^  dortige  Stadtbibliothek  im 
Besitz    eines    Exemplares    sei.^)     Beinahe  um  die   gleiche    Zeit  erschien 

1)  Ueber  Henric  Petri  und  vgl.  Heitz  und  C.  Chr.  BernouUi,  Die  Basler  Biicherniarkeu 
XXIII  f.,  Stockmeyer  und  Reber,  Beiträge  zur  Basler  Buchdruckergeschichte  S.  147. 
Allg.  D.  Biogr.  XXV  521  f. 

2)  So  noch  R.  "Wolf  in  seiner  grundlegenden  Arbeit  :  Grescliichte  der  Vermessunoea 
in  der  Schweiz.     S.  5. 

3)  Beitrag  zur  Kenntnis  der  iiltesten  Schweizerkarte  von  .\eo;idius  Tschudi 


—     214     — 

iü  Band  VI  der  „Quellen  zur  Schweizer  Geschichte"  Konrad  Türsts  Schrift 
de  situ  Confoederatorum,  herausgegeben  von  Meyer  von  Knonau  und 
Herrn.  Wartmann  mit  einer  Karte  der  Schweiz  in  Facsimile  als  Beilage.') 
Während  der  Text  Türsts  noch  in  4  Exemplaren  vorhanden  ist,  findet 
sich  die  Karte  nur  in  2.-)  Diese  Arbeit  samt  der  Karte  entstand  in  den 
Jahren  1495 — 1497  in  Zürich.  Mithin  müssen  wir  nun  als  älteste  Karte 
der  Schweiz  diejenige  des  Konrad  Türst  ansehen.^)  Sie  ist  zwar  sehr 
primitiv,  aber  doch  eine  ganz  lobenswerte  Arbeit.*)  Sich  in  der  Länge 
von  Lindau  bis  zum  Genfersee,  in  der  Breite  von  Rotweil  bis  Giornico 
erstreckend,  bezeichnet  sie  Flüsse  durch  blaue  Linien,  Ortschaften  durch 
braun  gehaltene  Türmchen  und  Häuschen  und  Erhebungen  durch  grün 
abgetönte  Häufchen.  Ist  sie  auch  nicht  frei  von  starken  Verzeichnungen, 
führt  z.  B.  die  Saane  durch  das  Simmental  nach  Freiburg,  gibt  sie  doch, 
wiewohl  ohne  ausgeführtes  Gradnetz  die  astronomische  Lage  ziemlich 
richtig  an. 

Allein  die  Karten  Türsts  und  Tschudis  schienen  für  die  AVeit  nicht 
zu  existieren.  Als  Sebastian  Münster^)  1540  eine  neue  Ausgabe  des 
Ptolemäus  bei  Petri  veranstaltete  und  ihr  mehrere  neue  Tafeln,  worunter 
fünf  für  die  Schweiz,  beifügte,  galten  letztere  allgemein  als  die  ersten 
Karten  dieses  Landes.*')     Wohl  war  durch  die    Entdeckungen,    die    Er- 


')  S.  1.  72. 

2)  Nämlich  auf  der  Wiener  Hofbibliothek  und  in  Privatbesitz  (Wunderly  von 
Muralt)  in  Zürich, 

3)  So  verdienstlich  es  ist,  dass  J.  Landreia  im  Anzeiger  f.  d.  Schweizergeschichte 
X  80  if  auf  die  3  seltenen  Salamanca-Karten  von  1555,  1563 — 1566  hinweist,  so 
scheint  mir  doch  seine  Behauptung,  daß  Salamancas  Karte  die  erste  bedeutendere 
selliständige  Gesamtkarte  der  Eidgenossenschaft  und  der  verbündeten  Gebiete  sei. 
zu  weitgehend,  immerhin  näherer  Prüfung  würdig, 

■*)  Vierteljahrsschrift  der  naturforschendeu  Gesellschaft  in  Zürich  XXV  428. 
5)  Über  Seb.  Münster  vgl.  R.  Wolf,  Biographien  zur  Kulturgeschichte  der 
Schweiz  II  1—20;  S.  Vögelin  im  Basler  Jahrbuch  1882  S,  110  ff.  Allg.  D.  Biogr., 
Art.  S.  M.,  ganz  besonders  aber  die  grundlegende  Monographie  v.  Victor  Hantzsch: 
S.  Ms.  Leben,  Werke  und  wissenschaftliche  Bedeutung  in  den  Abhandlungen  der  phiiol, 
histor.  Klasse  d.  kön.  sächsischen  Gesellschaft  d.  Wissenschaften  Bd.  XVIII.  No.  III 
1—187. 

•>)  I)ie  Schweiz  verdankt  Seb,  Münster  folgende  Karten: 

a.  1538.    Karte  d.  Schw.,  v.  Tschudi    entworfen,    v.  S,  Münster   durchgesehen   zu 

de  prisca  ac  vera  Alpina  Rhaetia  descriptio.     Basel  1538. 
It,  1538     Karte  zu    Jul.    Solin,    No.  10    Helvetia,    vorige     Karte  in    reduziertem 

^Nlasstabe, 
c.  1540,  zu  CI.  I'tülemäus  Xo.  33:  Helvetia,  teils  nach  Tschudi  teils  nach  der 
Schweizerkarte  d.  Strassburger  Ptoleniäusausgabe  von  1513.  No.  48 
Lacus  Constantiensis.  Die  3.  u.  4.  Aufl.  der  Münstersche  Ptoleniäus- 
ausgabe (Basel  1545  u,  1551),  enthielt  dazu  No.  34.  Valesiae  charta  prior. 
(Mit  Recht  hebt  hier    Münster  hervor,    dass  diese  Karte  die  erste    sei, 


—     215     — 

tindung  des  Buchdruckes  und  den  Humanismus  das  Studium  der  Karto- 
graphie neu  belebt  worden;  allein  ihre  Entwicklung  schloß  sich  seit  der 
ersten  lateinischen  von  Karten  begleiteten  Ausgabe  des  Ptolemäus  durch 
Jak.  Angelus  in  Yicenza  im  Jahre  1475  auf  100  Jahre  d.  i.  bis  auf 
Ortelius  und  Mercator  fast  ganz  an  den  Alexandriner  Geographen  an; 
beinahe  alle  Kartensammlungen  bestanden  ausschliesslich  aus  Ptolemäus- 
ausgaben,  die  das  Prototyp  unserer  modernen  Atlanten  bilden  und  deren 
Zeichensprache  sich  noch  in  vielen  Stücken  bis  heute  erhalten  hat.^) 
Wenn  auch  Tschudi,-)  Seb.  Münster^)  und  Stumpfe)  eigene  Vermessungen 
angestellt  haben,  so  stützen  sich  ihre  Schweizerkarten  doch  auf  Ptole- 
mäusausgaben,  namentlich  auf  die  Karte  der  römischen  Alpenprovinzen, 
diejenigen  S.  Münsters  speziell  auf  die  schöne  Tabula  Helvetise  der 
Straßburger  Ptolemäusausgabe  von  1513.  ^)  Die  Schweiz  verdankt 
übrigens  Stumpf  die  ersten  Spezialkarten  in  Ptolemäischer  Weise  ge- 
zeichnet,*^) und  betretts  Seb.  Münsters  soll  nicht  verschwiegen  werden, 
daß  die  von  ihm  für  seine  „Cosmographia"  1544  erstellten  26  neuen 
Karten  „die  Grundlage  und  der  Ausgangspunkt"  des  gesamten  deutschen 
Kartenwesens  sind".^) 

Selbstverständlich  weckte  das  Bedürfnis  nach  besseren  Karten 
auch  dasjenige  nach  besseren  Projektionsmethoden.  Der  Ingolstadter 
Professor  Joh.  Stab  (-|-  1522)  lehrte  1502  die  erste  Projektionsmethode, 
die  ganze  Kugeloberfläche  in  der  Ebene  auszubreiten**).  Auf  ihn  gestützt 
veröffentlichte  1514  der  Nürnberger  Johannes  Werner  (j-  1528)  sein 
j.Libellus  de  quatuor  terrarum  orbis  in  piano  figurationibus",  als  Anhang 
zu  einer  lateinischen    Übersetzung    des    ersten    Buches  der    Geographie 

welche  jemals  vom  Wallis  entworfen  worden.)  No.  35  Valesiae  altera 
tabula,  No.  3(5  Helvetia  I  Rheni  tabula. 

d.  1544,  Cosmographia  No.  7  Helvetiae  moderna  descriptio  =  No.  36  Doppelblatt 
Im  Text  S.  331  Wallis  aus  der  Vogelschau  =  oben  No  34  u.  35  ver- 
kleinert. S.  351  Der  Genfersee  aus  der  Vogelschau  z.  T.  nach  Stumpf. 
S.  382  Der  Wifelsburgergau  aus  der  Vogelschau  z.  T.  nach  Stumpf. 
S.  528  Bodensee. 

Dazu  seine  Basler  Karte  1544  u.  1574  als  fliegendes  Blatt.  1575  in 
Ortelius  Theatrum  u.  1580  in  Wurst isens  Chronik  herausgegeben.  Vgl. 
V.  Hantzsch  1.  c.  123. 

1)  Vgl.  W.  Wolkenhauer,   Leitfaden  der  CTeschichte  d.  Kartographie.     S.  20.  u 
die  daselbst  angeführte  Literatur. 

-)  Alpisch  Rhaetia. 

3)  Cosmographia  1544  und  folg.  Jahre. 

*)  Schwytzer  Chronik.     1548. 

5)  V.  Hantzscl)  1.  c.   S.  76. 

6)  R.  Wolf  1.  c.  S.  14. 

M  W.  Wülkenhauer  1.  c.  S.  2i). 
8)  Wolkenhauer  1.  c.  S.  24. 


-      216     — 

des  Ptolemäus,  worin  er  drei  Methoden  lehrte,  die  Kugeloberfläche  in 
Gestalt  eines  Herzens  auf  einer  Ebene  darzustellen,  darunter  die  erste 
flächentreue  Projektion/)  H.  Glarean  (-}-  1562)  gab  1527  in  seinem 
Büchlein  ,,De  Geographia  liber  unus"  die  erste  Anweisung  zur  Zeich- 
nung der  einen  Globus  überziehenden  Kugelstreifen,  da  man  bis  dahin 
unmittelbar  auf  die  Kugel  gezeichnet  hatte. ■^)  Einflußreicher  als  die 
genannten  war  das  ,,Libellus  de  locorum  describendorum  ratione''  des 
Löwener  Medizin-Professors  Raiijer  Gemma  Frisius  (-f  1555),  das  1533 
zugleich  mit  Peter  Appians  Cosmographicus  liber  und  Glareans  Geographiae 
liber  unus  auf  Blatt  LVII — LXVI  erschien.  Gemma  unterscheidet  drei 
Arten  der  Landesvermessung.  ,,Negare  profecto  non  possum,  quin  omnium 
modorum  certissimus  in  hac  re  sit  is  qui  per  longitudines  ac  latitudines 
locorum  incedit.  postea  autem  is  qui  per  latitudines  et  angulos  positionis 
regiones  describit:  Ultimo  vero  loco  qui  per  solos  positionis  angulos 
agit.  Quem  modum  hie  primum  ponimus,  eoque  aliis  facilior  sit  et 
vulgarior,''  Schon  Sebastian  Münster  benutzte  zum  Teil  Gemma  für 
seine  Cosmographia^).  Im  Jahre  1551  schrieb  Georg  Joachim  von 
Lauchen  genannt  Joachim  Rhäticus  (y  1574).  Schüler  des  Gopernicus, 
in  deutscher  Sprache  eine  Chorographie,  die  er  dem  Herzog  Albrecht 
von  Brandenburg  widmete  und  worin  er  die  drei  Arten,  wie  man 
chorographicas  tabulas  machen  könne,  hauptsächlich  in  Anlehnung  an 
Gemma,  jedoch  ohne  ihn  zu  nennen*)  erklärte.  Ganz  unabhängig  von 
Rhätikus  verfaßte  Sebastian  Schmid  seine  Chorographia  und  Topographia, 
die  wir  hier  folgen  lassen.  Auch  er  hält  sich  an  Gemma  Frisius,  nennt 
ihn  sogar,  bietet  aber,  soweit  es  ihm  innerhalb  der  erwähnten  Schranken 
möghch  ist,  eine  selbständige,  leicht  verständliche  Bearbeitung  des 
schwierigen  Themas.  Wir  schicken  noch  voraus,  was  wir  über  den 
Verfasser  Seb.  Schmid  in  Erfahrung  bringen  konnten. 

Sebastian  Schmid  studierte  Theologie,  brachte  es  indes  nicht  zum 
theologischen  Examen.^)  Im  Jahre  1579  besorgte  er  die  Xeu-Ausgabe  von 

1)  W.  Wolkenhauer  1.  c.  S.  21. 

2)  W.  Wolkenhauer  1.  c.  S.  26. 

3)  Und  zwar,  was  ich  einer  miiodlichen  Mitteilung  des  Hrn.  Prof.  Dr.  Fritz 
Burckhardt  verdanke,  nicht  erst  in  seiner  großen  154-1:  zum  ersten  mal  herausgekom- 
menen Cosmographia  (1.  Buch,  2.  cap.i  sondern  schon  in  der  15.S6  erschienenen  kleinen 
Schrift  Mappa  Europae,  1537  u.  1558  neu  aufgelegt  unter  dem  Titel  Cosmograpbei 
Mappa  Evropae.  iV.  Hautzsch  1.  c.  S.  3i),  148,  145). i  S.  Münster  hebt  dabei  das  unten 
von  Seb.  Schmid  als  .ander  wj's"  besprochene  und  erklärte  Verfahren  hervor.  Vgl. 
Fritz  Burckhardt:  Über  Pläne  und  Karten  des  Baselgebietes  aus  dem  17.  Jahrhundert 
in  Basler  Zeitschrift  für  (ieschichte  und  Altertumskunde  V  292  und  352. 

*)  Mit  Briefen  des  Joachim  Rhäticus  von  Prof.  Dr.  F.  Hipler  veröffentlicht  in 
Zeitschrift  für  Mathematik  und  Physik  XXI.  Jahrgang  Itist.-literar.  Abteiig.  S.  125  —  1.00. 

•'')  Jakob  Burckhardt,  Die  (Tegenn'formation  in  den  ehemaligen  Vogteien  Zwingen, 
Pfeffingen  und  Birseck  S.  178.  In  keinem  der  mir  zugänglichen  Matrikel  bûcher  konnte 
ich  seinen  Namen  finden. 


—     217     — 

Seb.  Münsters  Horologien.*)  1588  treffen  wir  ihn  als  Lehrer  in  dem 
Basel  benachbarten  badischen  Dorfe  Weil,-)  Kurz  darauf  ließ  er  sich 
vom  Bischof  von  Basel  als  evangelischer  Pfarrer  in  Laufen,  dann  in 
Therwil  und  Allschwil  gebrauchen,  um  sich  hier  als  lutherischen  Geist- 
lichen gegen  die  reformierten  Basler  ausspielen  zu  lassen.  Es  ist  des- 
halb auch  begreiflich,  dass  letztere  nicht  aufs  beste  auf  ihn  zu  sprechen 
kommen,^)  —  Als  Ort  der  Abfassung  nennt  Schmid  „apud  novem  ec- 
clesias"'.  Aber  welches  von  den  über  30  Xeunkirch  gemeint  ist,  konnte 
ich  nicht  in  Erfahrung  bringen.  —  Zum  Schluß  sei  hier  noch  einer  Ver- 
mutung Ausdruck  gegeben.  Seb.  Schmid  benützt  als  erstes  Beispiel 
Zürich  und  dessen  Umgebung,  was  auf  eine  nähere  Erforschung,  viel- 
leicht gar  V^ermessung  dieser  Ortlichkeiten  schließen  läßt.  Im  gleichen 
Jahre,  als  er  seine  Anleitung  schrieb,  kam  daselbst  Joost  Murers  be- 
rühmte Zürcher  Karte  heraus,  wozu  die  sechs  Holztafeln  noch  vorhanden 
sind-,  jene  wurde  sogar  noch  1860  neu  aufgelegt.  Es  ist  nicht  unmöglich, 
dass  Seb.  Schmid  bei  der  Erstellung  dieser  Karte  Murer  behiflich  ge- 
wesen ist."^) 

Chorog-raphia  et  Topog-raphia.  ^) 

Underrichtuug,  wie  man  recht  und  kunstlich  ein  iede  landschaft 
ahcontrefehen  und  in  grund  legen  solle,  dur  M.  Sebastianum  Schmid  zu 
bsonderem  wolgefallen  etlicher  siner  guten  günner  und  diser  kunst  heb- 
haberen  zusammen  getragen  und  vertütscht  anno  domini  1566. 

descripsi  1567     1.  Septembris 

apud  novem  Ecclesias 

sum  Henrici  Petri. 

Vorred  in  nachfolgende  underwysung  von  beschrybung  der  land- 
schaften,  so  man  nempt  in  grund  legen. 

Des  ganzen  erdbodens  gelegenheit  und  der  uationen  und  hinderen 
abtheilung  mit  sampt  dem  wüssen  und  vscirklen,  in  welchem  clima  oder 
parallela  ein  iedes  glegen,  was  ouch  ufgang  und  nidergang  der  sonnen 
(nach  eines  ieden  orths  erhöhung  des  poli)   per    tags   und   nachts    lenge 


1)  Viktor  Hantzsch,  1.  c.  S.  170. 

-)  .lakob  Burckhardt  1.  c.  S.  99.  Ich  wandte  mich  darum  an  das  General-Landes- 
archiv in  Karlsruhe,  erhielt  aber  durch  die  verdaukenswerte  Grerälligkeit  des  Hrn.  Dir. 
Obser  zur  Antwort,  daß  daselbst  nichts  ausfindig  gemacht  werden  konnte,  weil  die 
Akten  ülier  den  Kirchen-  und  Schuldienst  in  AVeil  nicht  bis  ins  Kî.  Jahrhundert  zu- 
rückreichten. 

3)    V^gl.  Jak.  Burckhardt  1.  c.  S.  111  u.  182. 

*)  R.  Wolf,  1.  c.  S.  1(5. 

*)  Text  nach  Weizsäckerschen  Grundsätzen  ediert,  doch  wurde  y  als  Längen- 
bezeichnung beibehalten. 


—     21S     — 

mit  sich  bringe;  desglichen  wie  dise  universalbeschrjbungen  des  ganzen 
erdbodens  oder  oucli  der  grösseren  strecken  der  weit  als  Europae,  Asiae, 
Afiricae  oder  sonst  ganzer  nationen  und  konigrychen  als  Tutschlands, 
Franckrychs,  Hispaniens  zu  machen  sygind  und  die  land  sampt  iren 
stetten,  fläcken.  wassern,  bergen  nach  rechter  art  und  kunst  der  cosmo- 
graphie inzeschryben  sigend,  sind  wir  uf  dismal  nit  willens  zu  beschryben. 
sonder  da  man  allein  ein  gewisses  ort  oder  landtschaft,  als  da  ist  die 
ganz  Eidgnoschaft,  die  Pfalz,  oder  noch  ein  kleinereu  cirk,  gegne  oder 
glegenheit,  als  das  Zürichpiet,  das  Läberthal,  den  Bodensee  mit  sinen 
umbliegenden  orten  und  fläcken  begart  grundlich,  eigentlich  mit  allen 
sinen  ortheren,  wasseren,  flecken,  dorfleren  etc  zu  entwerfen  und  abconter- 
fehen  nach  rechter  kunst  der  cosmographi  und  topographi,  welches  man 
nempt  ein  landtschaft  in  grund  legen  und  wend  da  hier  für  bringen  die 
formen,  wysen  und  gattungen,  so  uns  bedunckend  die  allerbesten  und  ge- 
schicktisten  ze  sin  mit  bester  truw  und  flyss,  so  wir  vermögend. 

Die  erst  wys  und  form, 

ein  landschaft  ze  beschryben  und  in  grund  zu  leggen  us  erkantniss  der 
wyte  eines  ieden  orts  zu  dem  andern. 

Zum  ersten  mustu  machen  ein  mäßleiteren  der  mylen  noch  der 
wyte  und  lenge  der  landschaft,  die  du  begarst  zu  beschryben,  und  magst 
die  machen  klein  oder  gross  nach  dinem  gefallen  und  der  proportion 
der  feldierung.  Als  wann  ich  weite  beschryben  die  loblich  statt  Zürich 
mit  irem  gebiet  und  anderen  umbligenden  orthren  umb  6  myl  und  breit 
darumb,  so  mach  ich  die  mäßleiteren  der  mylen  als  lang  als  die  feldierung 
sin  muss  der  ganzen  taflen,  und  teil  ouch  ein  iede  myl  ab  in  halb  mylen 
und  vierteil  der  mylen,  damit  ich  im  inschryben  der  orthren  den  mylen 
konde  zugeben  oder  darvon  nemmen,  wie  es  die  nothdurft  erfordret,  und 
nachmals  wyter  wirt  gemeldet  werden;  dan  die  mylen  nit  glich  sind, 
demnach  so  setz  ich  in  die  mitte  der  feldierung  nach  rainem  gefallen  das 
centrum,  das  ist  den  punten  der  lagerstat  der  stat  Zürich.  Centrum  ist 
der  mitlescLt  punt  eine  ieden  cirkels.  Das  centrum  einer  stat  ist  der 
mittelpunkt  ;  dan  oft  umb  mer  zierd  der  landschaft  willen  malet  man 
die  stet  grosser  dan  si  sind  ze  rechnen  gegen  der  proportion  der  ganzen 
feldierung  ;  und  damit  man  aber  wüsse,  wo  das  recht  läger  oder  mittel- 
])unkt  hige  einer  ieden  stat,  onangesehen  wie  gross  si  der  maier  gemachet 
bat,  uf  al  oder  etlich  syten  vom  waren  centro,  so  verzeichnet  man  es 
mit  einem  ringlin  und  einem  punten  darin,  welcher  punten  uns  das 
centrum,  das  ist  das  lager  und  rieht  punt  der  selbigen  stat  bedütet. 

Witer  so  setz  ich  das  centrum  einer  anderen  stat,  die  nach  irer 
wyte  von  der   stat  Zürich    in    dise    min    landtafel    komen    soi    und    uf   (j 


—     219 


mylen  oder  merthalb  6  mylen  von  Zürich  glegen  ist,  und  setze  si  ietz 
in  nach  der  wyte  der  mylen,  die  ich  mit  dem  cirkel  nim  uss  der  raäß- 
leiteren,  und  setzen  si  oben  oder  unden  nach  der  wyte  der  mylen  von 
Zürich  in  der  feldierung  nach  niinem  gutdüncken  und  ich  wil,  das  si 
von  Zürich  obsich  oder  nidsich  glegen  ist.  Und  mochte  einer  umb  bessers 
Verstands  willen  die  vier  orth  der  weit,  als  da  ist  ortus  ufFgang,  occasus 
nidergang,  meridie  mittag  und  septentrio  mittenacht  schriben  in  die  vier 
orth  der  feldierung  dermaßen,  das  wenn  die  feldierung  vor  im  lige  zu 
oberst  stunde  mittennacht,  zu  unterst  mittentag,  und  an  der  rechte  syten 
hette  uffgang  und  an  der  lingen  syten  nidergang.  Und  wenn  ich  nun 
die  ander  stat  iugeschriben  han  und  ich  ietz  die  drit  stat  ouch  insetzen 
wil,  so  ist  mir  von  nöten  zu  wüssen  derselben  3.  stat  wyte  von  beden 
voringschrybnen  steten  und  nim  uss  der  meßleiteren  mit  dem  cirkel  die 
wyte  der  mylen  dises  driten  orths  von  beden  vorderigen  orthen  und 
setzen  den  einen  fuß  des  cirkels  in  das  centrum  deren  stat,  deren  wyte 


ich  mit  dem  cirkel  gnomen  hab  und  riß  mit  dem  anderen  fuss  des  cirkels 
einen  bhnden  cirkelriss;  glicherwys  nim  ich  ouch  die  wyte  uss  der  mess- 
leiteren  mit  dem  cirkel  der  anderen  stat  von  diser  dritten,  die  ich  begär 
ingeschriben  und  setz  doi  einen  fuss  des  cirkels  in  das  centrum  diser 
andere  stat,  so  ich  schon  ingeschryben  hab  und  rissen  mit  dem  anderen 
fuss  des  cirkels  ouch  ein  blinden  cirkelriss.  Wo  nun  disere  ireren  blinden 
cirkelriss  ein  anderen  anrürrend,  da  ist  das  centrum  der  dritten  stat, 
welches  du  gewiss  finden  magst,  so  du  ein  rechte  linien  züchst  von  des 
einen  orts  centro  bis  zum  centro  des  anderen  orts.  So  aber  die  zwen 
blinden  cirkelriss  ein  anderen  abschnydend,  welches,  so  es  geschieht,  so 
schnydend  si  einanderen  an  zweien  orten  ab,  so  ist  dan  des  dritten 
orts  centrum  oder  läger  am  entwederen  derselben  zweien  orten,  welches 
du  ietz  lichtlich  wirst  konden  finden,  so  du  trachtest,  uff  welche  syten, 
die  recht  oder  link  das  drit  ort  abwycht  und  glegen  ist  gegen  den 
anderen  zweien  vermügeschten  zu  rechnen. 

Xofa:  ein  blinder  cirkelriss,  ein  blinde  linien  oder  blinde  buch- 
staben  sind  die  im  rechten  werch  nit   sollen    gesehen    werden,   die 


220     — 


man  allein  bruucbt,  etwas  anders  damit  zwegen  zu  bringen  und  uss- 
richte  ;  welches,  so  es  geschehen,  man  sinen  nachwerts  nit  mer 
bedarf,  nit-  änderst,  dan  wie  man  zu  volfüren  ein  gebüw  oder  ein 
hus  gemalen  ein  grüst  und  brüge  machet,  der  mau  nach  geschech- 


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^ïTijpiqDnacp: 


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nem  buw  und  ussgemachtem  gmäld  wider  hinweg  thut.  Und  diser 
blinden  cirkelriss  mit  iren  zahn  und  linien  werdend  wie  in  folgenden 
tiguren  zu  underschied  der  anderen,  die  im  werch  sichtig  l)lil)en 
sollend,  mit  roter  färb  machen. 

Und  damit  dir    die    sach    dister    verstentlicher    sige,    so    nim    das 
vorgend  byspyl,    da    icli    wil    beschryben    die   glegeuheit   und   landschaft 


221      

Zürich,  uff  6  myl  darunil)  wyt  und  Ijreit  und  mach  zum  ersten 
die  melileiteren  der  mylen  und  teilen  si  us  in  mylen,  halbmylen 
und  viertheil  der  mylen.  demnach  so  setz  ich  zersten  in  der  feldie- 
rung  die  stat  Zürich  und  die  stat  Schaffhusen  nach  der  wyte  der 
mylen,  die  ich  mit  dem  cirkel  us  der  m essl eiteren  nim  ;  das  ist  4  mylen. 
Nun  wolte  ich  gern  ietz  ouch  andere  stet  inschryben,  als  Costantz, 
Wyl  im  Thurgouw,  Winterthur,  Eglisow,  Zurzach,  Keiserstul,  Raper- 
schwyl,  so  nim  ich  die  wyte  der  stat  (.'ostantz  von  Zürich  (ist  6  mylen) 
mit  dem  cirkel  in  der  messleiteren  und  setzen  einen  fuss  des  cirkels  in 
das  centrum  der  stat  Zürich,  mit  dem  anderen  fuss  heschrib  ich  einen 
blinden  cirkelriss  ;  demnach  nim  ich  ouch  die  wyte  der  stat  Schafhusen 
von  Constantz,  ist  4  mylen  mit  dem  cirkel  us  der  messleiteren  und  setz 
den  einen  fuss  des  cirkels  in  das  centrum  der  statt  Schafhusen  und  be- 
schryb  mit  dem  anderen  cirkelfuss  ouch  ein  blinden  cirkelriss,  der 
den  vordrigen  an  zweien  ortnen  abschnyt.  So  ich  aber  weiss,  das  Co- 
stantz von  Zürich  und  Schaff'husen  obsich  wycht,  so  nim  ich  us  dem 
den  punkten  der  abschnydung  der  zweien  blinden  cirklenrissen,  der  ob- 
sich abwycht,  und  teil  und  sprich  das,  das  sige  der  stat  Costantz  centrum. 
Nüt  änderst  musstu  handien  mit  allen  anderen  orten,  steten  vnd  fläcken 
inzusetzen,  als  wen  ich  ietz  begerte,  in  min  forgenomne  tafel  ouch  zu 
setzen  die  stat  Winterthur,  die  zwo  myl  von  Zürich  und  4  von  Costantz 
ligt,  so  nim  ich  mit  dem  cirkel  die  wyte  zweier  mylen  uf  der  messleiteren 
und  setz  den  einen  fuss  des  cirkels  in  das  centrum  der  stat  Zürich  ;  mit 
dem  anderen  fussbeschrvb  ich  einen  blinden  cirkelriss  ;  demnach  nim  ich  ouch 
mit  dem  cirkel  die  wyte  4  mylen,  und  setz  den  einen  fuss  in  das  centrum 
der  stat  Costantz,  und  mit  dem  anderen  beschryb  ich  ouch  einen  cirkel- 
riss und  wo  er  den  vorgehenden  cirkelriss  berürt,  da  sprich  ich,  syge 
das  centrum  oder  lager  der  stat  Winterthur.  besieh  die  vorgende  figur. 
Nit  anderist  mustu  handeln  mit  allen  anderen  orten  inzuschryben,  die 
du  in  den  tafel  tragen  wilt.  Und  wan  du  also  nach  rechter  kunst  alle 
stet,  fläcken  und  dorfer,  hoff  ingeschryben  hast,  so  kanstu  dan  ouch 
lichtlich  inschryben  die  berg,  see,  wasserstromen,  bech,  wie  ein  iedes 
an  sine  gewüssne  umbligende  stet,  flecken,  dorfer  grentzen  und  anflißt 
und  von  einem  ort  an  das  andere  stosst.  Als  wan  ich  wolte  den  Zürich- 
see mit  sinen  umbligenden  steten  und  dorferen  beschryben  nach 
rechter  rat  diser  kunst.  so  setzen  ich,  nachdem  ich  die  stat  Zürich 
vorn  inzichnet,  zum  ersten,  darnach  die  stat  Raperschwyl  als  die  ob- 
riste  grenzen  des  Zürichsees  und  such  ein  centrum,  wie  vorglernet 
ist  und  sprich  das  Raperschwyl  2  myl  lige  von  Zürich  und  3  von  Winter- 
thur und  finden  ein  lager  oder  centrum  durch  die  blinden  cirkelriss. 
Wan  ich  nun  ein  lager  han,  so  such  ich  dan  ouch  Küßnach,  Meilen, 
Stäfen  am  Zürichsee  ;  darzu  rechnen  ich  ouch  die  breite  des  sees,  inzu- 


222     

schriben  die  dorfer  der  anderen  syten  als  Dallwyl,  Horgen  und  Wädi- 
schwyl  und  han  ein  rechnung  einesteils,  wie  wyt  ein  iedes  von  Zürich 
gelegen  und  andersteils  wie  wyt  ein  iedes  von  sinem  dorf  gegen  im  über 
ennet  dem  see  ist,  ouch  lieg  und  schryb  si  all  ordentlich  in. 

Verhesserimg  diser  hiinsi. 

Und  siehst  derhalben,  wie  lichtlich  alle  ort  niogind  ingschryben 
werden,  wan  du  allein  allwegin  die  wyte  eines  ieden  orts  von  dem  anderen 
gwiß  und  eigentlich  weist  uff  land  und  wasser.  dise  kunst  wäre  ouch 
ganz  gwüss  und  on  allen  fäl,  wan  die  mylen  uff  erden  ein  anderen  glich 
werind  wie  die  gradus  an  den  himlenscirklen.  Diewyl  aber  die  mylen 
niemermee  glich  sind,  so  folget,  das,  wan  du  allein  einfeltig  nachfolgest 
der  meßleiteren  im  inschriben  der  ortheren  und  steten  mit  glychen  mylen, 
das  es  ja  nothalben  nit  allenthalben  gwüß  zutreffen  kan.  Da  magstu  aber 
ietz  die  sach  treffen,  so  du  den  mylen  zugibst  oder  abnimpst  nach  gestalt 
der  Sachen  und  si  in  wenig  oder  vilen  stunden  mögend  gangen  werden; 
und  mochtest  in  diner  meßleiteren  mylen  machen,  deren  iede  3  stund 
zimlichs  fussgangs  lang  were  und  so  du  dan  ein  myl  hettist  inzuzeichnen, 
die  länger  wäre  dam  3  stund  fussgangs,  iren  zugeben  oder  so  si  kurzre 
von  iren  nemmen. 

Die  ander  wys  vnd  form. 

Wir  werdind  in  underwysung  diser  kunst  uns  diser  Ordnung  be- 
flyssen,  das  wir  allerwegen  die  verstentlicher,  aber  minder  gwüssi  form 
und  gattung  zum  ersten  beschryben  werdend,  damit  es  den  anfortrenden, 
die  dieser  kunst  begirig,  dister  verstentlicher  syge  und  nach  und  nach 
ie  ein  wys  und  form  us  der  anderen  wüssind  zu  verbesseren.  Und 
diewyl  die  erst  vorgesetzt  form  zwar  die  allerlichtist,  aber  ouch  die  aller 
ongewissischt  ist  von  wegen  der  ungliche  der  mylen,  wie  vorgmeldet.  so 
wend  wir  ietz  in  diseren  anderen  leren,  wie  du  eigentlich  und  kunstlich 
selber  kanst  erfaren,  wie  wyt  ie  ein  ort  oder  stat  von  der  anderen  lige. 
Und  wirt  das  zuwegen  bracht  durch  die  angulos  positionum,  wie  es  die 
gierten  nennend,  wir  aber  umb  kurze  willen  von  denselben  nit  forhabens 
sind,  vil  meidung  ze  thon,  sonder  allein  einfeltig  beschryben  wyss  vnd 
form,    wie  diss  zu  volbringen  syge. 

Zum  ersten  mustu  haben  ein  gerecht  Astrolabium  oder  so  du  keins 
hast,  so  mach  dir  us  mosch,  kupfer  oder  einer  anderen  geschlachten 
materi,  die  sich  nit  entwinde  oder  krumb  werde,  ein  runde  schyben  zu 
dem  abmessen  solcher  gestalt.  Zeichne  zum  ersten  das  centrum  der 
schyben  mit  A.  Jn  dises  centrum  A  setz  den  einen  fuss  des  cirkels  und 


-     228     — 

span  den  anderen  fuss  us  nach  der  wyte  der  ganzen  schyben  und  riss 
einen  runden  eirkelriss  umb  und  umh;  dan  dreh  den  cirkel  eins  fingers 
breit  oder  eins  halben,  je  nach  der  proportione  und  grosse  der  schyben; 
so  du  machest  (ie  grosser  du  si  aber  machest,  ie  gwüsser  und  gschickter 
si  zu  bruchen  ist),  bal3  zusaraen,  und  riss  widerurab  ein  ganzen  eirkelriss 
durch  die  ganze  schyben.  nach  irer  runde.  Zwüschend  dise  zwen  eirkel- 
riss mustu  nochmals  die  zal  schryben.  "Witer  thu  den  cirkel  umb  ein 
wenig,  (ongefar  ums  hanfsomlins  breit)  nach  baß  zesamen  und  riss  den 
ganzen  driten  eirkelriss.  Zwüschend  disem  und  dem  mitlesten  mustu 
schryben  die  gradus,  die  du  voren  weist;  nach  solchem  zu  ziech  in  mitten 
durch  das  centrum  A   ein  grade    linien  ^)  durch  die  ganz  schyben  durchus 


und  die  vorzogen  eirkelriss;  diese  linien  bezeichne  bi  iren  enden  mit 
C.  E.  Demnach  züch  ein  andere  linien  ouch  miten  durch  das  centrum 
A  biß  hinus  zum  end  der  ganzen  schyben,  wie  die  vorgesetzt  und  be- 
zeichne si  by  iren  enden  mit  B.  D.  Und  dise  linie  B.  D  soi  mit  der 
vorgenden  linien  C.  E.  die  ganze  schyben  in  4  gliche  teil  (die  man 
quadranten  nempt)  teilen.  Dise  -t  quadranten  teil  wyter  ein  ieden  in 
90  gradus.  Dise  gradus  verzeichne  in  das  kleiner  und  inner  spatiura 
zwüschend  den  runden  cirkelrissen,  und  in  das  grosse  und  usser 
spatium  schryb  die  zalen,  so  du  vor  von  dem  ussersten  eirkelriss  biß 
an  den  mitlisten  kleine  linien  gezogen  hast,  grad  nach  dem  linier 
US  dem  centro  A  und  schryb  die  zalen  in,  das  du  anfahist  von  D  und 
B  uff  bed  syten  nidsich  und  obsich  von  10,  20  bis  in  90,  die  zesamen 
komend  in  C.  E,  wie  dich  die  hernach  gesetzt  figur  genugsam  lert.  Witer 
schrib  zu  C  ufgang,  zum  E  nidergang,  zum  B  mittentag  und  zum  D 
raittenacht.  So  ist  die  ganz  schyben  grüst  zu  folgendem  bruch. 

Allein  das  du  noch  uff  das  centrum  A  setzest  die  mäßregel  oder 
abgesiebt,  die  die  gierten  Dioptram  nennend  mit  sinen  ußgerichten 
federlinen  und  löcblinen  darin  in  aller  wys  und  form,  wie  es  im  ruggen 
des  astrolabi  gebrucht  würt  und  davon  verzeichnet  ist.    Zu   diserem  in- 

1)  Dise  mittellinie  würd  sonst  genampt  der  diameter  der  messschyben.  Dan  ein 
iede  grade  linien,  die  mitten  durch  das  centrum  eines  ieden  cirkels  gat  und  in  zerteilt 
in  zwen  gliche  teil  oder  halbcirkelschyben  würt  diameter  genampt. 


—     224     — 

strumeiit  der  schyben  raust  oucli  hau  einen  compass  mit  einer  guten  und 
gengen  magnetzungen.  Und  so  nun  solichs  alles  gerüstet  hast,  so  solt  du 
wüssen,  das  du  zu  beschrybung  einer  landschaft  oder  lands  dise  instru- 
menta an  zweien  orten  brachen  must.  Welche  zwei  ort  ich  nemmen 
würd  die  stend,  da  man  die  anderen  uml)liegenden  orth  abmist,  die  du 
begerst  inzuschryben.  Und  sig  derhalben  am  ersten  stand  uff  einen  hohen 
thurm  oder  berg.  da  du  getruwest   am  witisten  umb  dich  zu  sähen  und 


nim  das  Astrolabium  oder  runde  schyben  und  setz  dis  etwan  uff  in 
massen,  das  es  nach  der  blywag  emborstande,  und  an  keiner  syten  mer 
den  an  der  andren  nidsich  sehe  und  das  du  ongehindert  ringswys  fry 
ussehen  kondist.  Darnach  setz  den  compass  uf  die  linien  des  mittags 
derraassen,  das  die  linien  der  12  stund  schnurrichtigs  uff  der  linien  B 
D  stände  und  darab  nit  wyche.  Und  ruck  dan  das  Astrolabium  oder 
schyben  uf  sinem  läger  mit  dem  compass  und  magnetzungen  so  lang  und 
vil,  biß  das  die  magnetzung  recht  instadt.  Und  dan  bevestne  das  Astro- 


—     225     — 

labium  oder  messchyben,  das  es  nit  me  ab  diser  stat  wyche,  biß  du 
ailes  abgemessen  hast.  Und  thu  den  compass  hinweg,  dass  er  sin  ampt 
ussgericht  hat  und  setz  die  dioptram  oder  messregel  in  das  centrum  A 
und  such  durch  die  lochiin  der  abgesiebt  ie  ein  orth  nach  dem  anderen 
die  du  gesehen  magst  (oder  doch  zum  minsten  die  glegenheit,  wo  es 
hinnuss  ligt;  dan  oft  ergibt  es  sich,  das  die  stet,  flecken,  etlich  in 
thäleren  und  hinder  den  bergen  verljorgen  liggend,  und  man  dennoch 
wol  weiß,  wo  sie  hinus  liggend,  ob  man  si  schon  nit  sehen  mag,)  die 
du  begerst  iuzuschryben.  Und  wan  du  eins  eigentlich  gefunden  hast,  so 
verzeichne  nebendsich  registerswys  uf  ein  bapir,  wie  vil  gradus  dasselbig 
ort  abwycht  von  der  mittagslinien,  es  sige  gegen  ufgang  oder  nidergang  ; 
darnach  such  ouch  die  abwychung  des  anderen  driten  und  vierten  orts 
und  zeichne  si  alle  flyssig  uf.  Ker  aber  guten  flyss  an,  das  das  Astro- 
labium gwüss  und  recht  stände  nach  den  vier  orten  der  weit  und  du 
eigentlich  durch  die  messlöchlin  der  orten  aller  abwychung  abmessist. 
Und  so  du  nun  am  ersten  stand  alle  ort  abgemessen  hast,  so  nim  die 
instrumenta  und  verfüg  dich  an  den  andern  stand,  da  du  ouch  truwst 
wyt  umb  dich  zu  sehen  und  handel  überall,  wie  vor  im  ersten  stand  und 
zeichne  aber  flyssig  uf  in  ein  papir  registerwys  das  abwychen  aller  orthen 
von  der  mittaglinien  desselbigen  anderen  stands,  es  syge  gegen  ufgang 
oder  nidergang. 

Und  so  du  nun  dises  alles  hast  ufgericht,  so  fach  an  die  ort  in- 
schryben  in  die  furgenomne  tafel  und  das  dergestalt  :  Nim  fur  dich  die 
feldierung,  darin  du  disere  ingenomne  landtschaft  entwerfen  wilt  und 
zeichne  darin  das  lager  oder  centrum  des  ersten  stands,  da  du  alle  ort 
abgemessen  hast  und  setz  dan  in  dasselbige  centrum  einen  fuss  des 
cirkels  ;  mit  dem  anderen  beschryb  ein  zymlich  grosse,  einen  blinden 
cirkelriss  ;  den  teil  bald  in  4  quadranten  und  ein  iede  quadranten  in  sine 
90  gradus  und  schrib  darzu  die  nammen  der  4  orten  der  weit  als  uf- 
gang, nidergang,  mitentag,  mittenacht.  Demnach  nim  fur  dich  des  ersten 
Stands  register  der  abgemessnen  orten  und  such  in  diserem  cirkel  ir 
abwychen  und  der  mittagslinien  gegen  ufgang  oder  nidergang  und  such 
dan  US  dem  centro  des  cirkels  (das  ouch  das  centrum  ist  des  ersten 
stands)  ein  grade  linien  durch  den  gradum  des  abwychens  eines  ieden 
orts,  und  schryb  zu  einer  jeden  linien  mit  blinden  buchstaben  den  namen 
desselben  orts.  Dan  erst  nach  volfurtem  werch  und  man  aller  stetten 
centra  durch  bede  linien  funden  hat,  kan  man  ire  nammen  ustruckenlich 
darzuschryben.  Darnach  verzeichne  in  der  linie  des  abwychens  des 
anderen  stands  das  centrum  desselbigen  anderen  stands  und  nim  das- 
selbig centrum  als  wyt  von  des  vorigen  stands  centro  als  dir  wolgefelt 
und  dich  bedunkt  die  ganze  feldierung  nach  der  proportion  inzeschryben 
alle  furgenomne  ort  erlyden  möge    und  setzen    den    einen    cirkelriss    in 

15 


-     226     — 

das  ietz  gezeichnet  centrum  des  anderen  stands  und  beschryb  mit  dem 
anderen  fuss  einen  blinden  cirkelriss  in  glicher  wyte  oder  grosse,  wie 
der  vorgend  im  ersten  stand  und  teilend  den  ouch  in  sine  4  quadranten 
und  ein  iede  quadranten  in  sine  90  grad,  doch  mit  dem  bescheid,  das 
die  mitaglinien  des  ietzigen  cirkels  ein  parallelalinien  syge  mit  der 
mittaghnien  des  cirkels  des  ersten  stands.  ^)  das  ist,  das  si  glich  wyt 
stünde  allenthalben  von  der  vorigen  mittagslinien.  Und  so  dises  geschehen, 
so  nim  fur  dich  das  ander  register  des  abwychens  aller  orten,  so  sond 
ingeschryben  werden,  das  ich  im  anderen  grund  verzeichnen  kan:  und 
züch  ich  US  dem  centro  dises  cirkels  grade  linien  durch  die  gradus 
aller  Orten,  wie  dich  das  register  lert  in  aller  form  wie  vor  im  ersten 
cirkel  ouch  beschehen  ist.  Und  wo  ietz  eines  orts  bede  Knien  sines  ab- 
wychens, so  US  bede  stenden  centris  gond,  ein  anderen  abschnydend,  da 
wüss,  das  es  das  centrum  selbigen  ortes  ist. 

Damit  aber  die  sach  dister  verstentlicher  syge,  so  nimm  dis 
Exempel.  Du  wolist  gern  in  grund  legen  und  beschryben  einen  teil 
Brabants  und  Flanderen  umb  die  stat  Antorff  gelegen.  Damit  du  nun 
disere  dister  ringer  volbringist,  so  styg  zu  Antorff  uf  den  hohen  thurm 
mit  dinen  Instrumenten.  Und  setz  das  Astrolabium  oder  messchyben  uff 
ein  läger  darzu  komlich,  und  mit  hilf  des  compass  und  magnetzungen 
stel  es  nach  den  4  orten  der  weit.  Darnach  befestne  es,  das  es  ab 
diserem  läger  nit  wychen  möge,  sonder  sich  nit  endere,  und  thu  den 
compass  hinweg  und  setz  in  das  centrum  die  messregel  oder  dioptram 
und  fach  an  das  abwychen  gegen  ufgang  oder  nidergang  zu  messen  der 
orthen,  so  beschriben  wilt.  Und  findst,  das  die  stat  Gent  (exempelwyss 
setzend  wir  solichs  nit,  das  es  grad  also  sige)  abwycht  von  miternacht 
gegen  nidergang  80  gradus.  Diss  verzeichne  in  den  rigerstlin  des  ersten 
stands.  Die  stat  Lyra  wycht  ab  von  mittentag  gegen  ufgang  60  gradus, 
die  stat  Melchel  8  grad  von  mitentag  gegen  nidergang,  Löwen  4  grad 
von  mitentag  gegen  ufgang,  Bruchsal  25  grad  von  mitentag  gegen 
nidergang,  Mittelburg  60  grad  von  miternacht  gegen  nidergang  und 
Bergen  20  grad  von  miternacht  gegen  nidergang.  So  du  nun  zu  Antorff 
alle  ort  hast  flyssig  uffgezeichnet  in  ein  register,  die  du  begerst  inze- 
schryben,  so  züch  ich  dan  gen  Brüssel  mit  denen  instrumenten,  dan  die 
selbig  stat  der  ander  stand  sin  soi,  und  so  du  durch    dine    instrumenta 


'j  Paralellalinien  ist,  da  zwo  oder  raer  linien  glich  wyt  von  ein  anderen  stond 
an  allen  iren  ortheu  dermassen,  das  wan  man  si  überus  lang  züge,  si  doch  nimmermer 
baß  zusaraen  oder  wyter  von  einanderen  kemind. 

A B 

(j -D 

Die  linien  A  B  ist  ein  paralellalinien  mit  der  linien  C  D  und  ins  gegenteil,  so 
ist  die  linien  C.  i),  ein  paralella  A  B. 


227 


suchest.  Wie  vor  bei  Antorff,  so  findstu,  das  Löwen  von  mitentag  gegen 
uffgang  ligt  oder  abwycbt  76  grad,  Melcbel  und  Lyra  in  einer  linien 
von  miternacbt  gegen  ufgang  48  grad.  Genth  von  miternacht  gegen 
nidergang  29  grad,  Mittelburg  33  grad  von  miternacht  gegen  nidergang 
und  Bergen  5  grad  von  miternacht  gegen  uffgang.  das  alles  verzeichne 
in  ein  register  des  anderen  stands.  Und  fachst  ietz  wider  an,  die  fur- 
genomne  feldierung  mit  disen  steten  und  orten  zu  zieren.  Und  .verzeich- 
nest derhalben  vast  in  der  mitte  der  feldierung  einen  puncten,  der  dir 
bedütet  das  centrum  der  stat  Antorff;  darin  setz  du  den  einen  fuss  des 
cirkels  uud  mit  dem  anderen  beschryb  einen  blinden  cirkeli  iss  ;  den  teil 
in  4  quadranten,  und  schryb  darzu  die  4  ort  der  weit,  nämlich  ufgang, 
nidergang,  mitentag  und  miternacht.  Und  ein  ieden  der  4  quadranten  teil 
in  90  gradus.  Darnach  so  nim  für  dich  das  register  der  verzeichneten 
orten  des  ersten  stands  und  such  grade  linien  eines  ieden  orts  durch 
die  grad  oder  puncten  sines  abwychens.  Und  so  du  aller  orten  linien 
gezogen  hast,  so  nim  dan  die  linien  der  stat  Brüssel  und  verseichne 
darin  ein  puncten,  der  da  syge  das  centrura  der  stat  Brüssel  und  mach 
dan  fern  oder  nach  von  Antorff  nach  der  proportion  der  ganzen  feldie- 
rung und  wyte  der  orten,  so  du  drin  schryben  wilt.  In  disem  centro 
beschryb  ouch  ein  blinden  cirkelriss  und  teil  den  in  4  quadranten,  doch 
das  die  Mittaglinien  der  stat  Brüssel  ein  parallellinien  syge  mit  der 
mitaglinien  der  stat  Antorff,  wie  doben  gemeldet  ist  und  teil  ein  ieden 
quadranten  in  90  gradus  und  schryb  ouch  darzu  die  4  ort  der  weit; 
witer  züch  us  diserem  centro,  (das  dir  die  stat  Brüssel  bedüt)  grade 
linien  allen  orten  nach  irem  abwychen,  wie  vor  in  dem  ersten  cirkel. 
Und  wo  nun  ietz  die  zwo  linien  eines  orths  einanderen  abschnydend, 
da  ist  das  centrum  derselbigen  stat.  Wo  es  sich  aber  begebe,  als  es  ouch 
etwan  beschiebt,  das  eines  orts  bede  linien  diser  zweien  stenden  paral- 
lellinien wärind  und  derhalben  einanderen  niemee  abschnident,  dan 
muss  man  zu  dem  selbigen  ort  ein  anderen  stand  suchen  zu.  eintwede- 
ren   der   vorderigen,    damit   man    es   oucb   inschryben   konde.      Die  see, 


Register  des  ersten  stands  zu  Antorff  : 

Register  des  andern  stands  7u  Brüssel:           ;     a 

Gent  von  miternacht  gegen  niderganpf  . 

80 

Löwen  von  mitentag  gegen  ufgang  .     . 

76   1 

Lyra  von  mitentag  gegen  ufgang    .     .60 

Melchel  von  miternacht  gegen   ufgang  |  ,43 

Melcliel  von  mitentag  gegen  nidergang       8 

Lyra  von  miternacht  gen  ufgang     .     .43 

Löwen  von  mitentag  gegen  ufgang      .       4 

Grent  von  miternacht  gegen   nidergang  !  29    ! 

Brüssel  von  mitentag  gegen  nidergang 

25 

Mittelburg  von  miternacht  gegen  nider- 

33 

Mittelburg  von  miternacht  gegen  nider- 

gancr 

g^^g 

60 

Bergen  von  miternacht   gegen  ufgang       9 

Bergen  von  miternacht  gegen  nidergang     20 

1 

1 

—     228     — 

wasserstromen,  das  anfliessend  mer,    die    berg   etc.  wirstu   ietz   lichtlich 

konden    inschriben,    nachdem    du    weist,     wie    ein  iedes    in    das    ander 

grenzen,  als  in  der  ersten    form    gnugsam    anzeigt  ist.     Und    ist   disere 
andere  form  gwüsser  dan  die  erst. 

Also  magst  nach  geschechnem  werch  die  ganze  feldierung  in  ein 
form  infassen  und  inen  orten  herumb  zieren  nach  dinem  wolgefallen  und 
danmithin  den  titel  darüber  schryben,  welches  landes  oder  gegne  disere 
conterfehung  syge. 


Wan  du  begärst,  in  mylen  dise  tafel  uszeteilen  und  sine  bend  umb 
verzeichnen,  oder  das  man  sonst  mit  dem  cirkel  konde  messen,  wie  vyl 
mylen  ie  ein  ort  vom  anderen  syge,  so  nim  ich  die  wyte  zweier  stete, 
deren  wyte  ich  eigentlich  weiss,  und  teil  dasselbig  spatium  in  so  vil  teil 
(die  mir  mylen  bedütend)  als  der  mylen  sind  und  mach  darnach  ein 
messleiteren  zu  der  ganzen  taflen.  Als  Antorff  ligt  von  Mechel  4  mylen 
zimlichs  weg«,  so  teil  ich  ietzunder  die  wyte  zwüschend  den  steten  An- 
torff und  Mechel  in  4  spatia,  deren  ein    iedes   ein  myl    bedüt,    und   ietz 


—     229     — 

nach  der  wyte  diser  spatien  mach  ich  ein  messleiteren  der  mylen  zu  der 
taflen.  beschouwe  die  vorgesetzte  figur. 

Die  drit  wys  vnd  form. 

Us  disen  zweien  ietz  beschribnen  formen  würt  die  drit  wys  und 
form  zuwegen  bracht,  welche  ganz  licht  ist,  so  du  allein  eigentlich  ver- 
standen hast  die  zwo  vergeuden  formen  oder  gattungen,  von  welchen 
doben  gnugsam  giert  ist.  Und  setz  das  ein  ort  in  die  feldierung  nach 
rechter  proportion.  Als  so  es  ongefar  ist  imm  miten  in  der  landschaft, 
die  du  beschryben  wilt,  so  setze  es  ouch  in  die  mitte  der  feldierung,  und 
also  verstand  es  ouch  von  den  anderen.  In  diserem  centro  beschryb  ietz 
dan  ein  cirkel;  den  teil  in  360  teil  oder  gradus;  das  ist  zum  ersten  in 
4  quadranten  und  ein  ieden  quadranten  in  90  gradus,  wie  du  doben  giert 
bist,  welches,  so  es  geschehen,  so  züch  us  dem  centro  rechte  Knien  der 
abwychung  oder  glegenheit  der  orten  und  steten,  die  du  inschryben  wilt 
und  an  disem  ersten  stand  abgemessen  hast,  wie  du  doben  giert  bist. 
Demnach  mach  ein  messleiteren  der  mylen  nach  der  grosse  und  pro- 
portion der  feldierung  in  der  landtschaft  gerechnet,  die  du  zu  beschriben 
Vorhabens  bist.  Us  diser  messleiteren  nim  ietz  eins  ieden  orts  wyte  von 
dem  centro  des  ersten  stands  und  cirkelrisses  und  setz  allwegen  den 
einen  fuss  des  cirkels  in  das  centrum  des  cirkelrisses  oder  des  ersten 
stands,  und  mit  dem  anderen  fuss  nach  ein  puncten  uff  der  linien  des 
abwycheus  eines  ieden  orts  oder  stats  diser  glegenheit ^  da  vor  im  ersten 
stand  abgemessen  hast.  Und  diser  punct  ist  das  centrum  derselbigen 
stat.  So  das  geschehen,  so  züch  darnach  in  ein  andere  stat  oder  ort, 
US  denen,  die  du  ietz  ingezeichnet  hast,  und  such  da  ouch  wie  am  vorigen 
ort  anderer  steten  glegenheit  und  abwychen  gegen  demselbigen  ort  oder 
stat.  Nämlich  so  riss  abermals  urab  das  centrum  des  selbigen  orts  ein 
cirkelriss  und  teil  den  in  360  gradus  wie  den  vorigen,  doch  das  allwegen 
die  mittagslinien  des  ietzigen  anderen  cirkels  ein  parallelalinien  syge 
mit  der  mittagslinien  des  vorigen  cirkelrisses,  so  zum  ersten  gmachet 
hast  im  ersten  stand  oder  stat.  es  syge  dan  sach,  das  bed  stet  oder  ort 
mit  iren  mitagslinien  in  ein  grade  linien  komind.  das  ouch  etwan  beschicht. 

yota.  Dan  vil  stet  komend  oft  in  ein  mittagslinien,  welche  nämlich 
glich  wyt  vom  nidergang  und  uffgang  ligend,  ob  si  glichwol  onglich  von 
mittentag  und  miternacht  glegen  sind,  wie  du  in  den  grossen  Universal- 
taflen  der  ganzen  weit  sehen  kanst,  als  Bononia  in  Italia,  Augsburg  und 
Nuremberg  in  Schwaben  und  Lünenburg  us  den  seesteten,  etlich  band 
allsamen  ein  meridianum  33  gradum,  wie  (es)  Gemma  Phrisius,  dem  wir 
gern  nachfolgend,  [beschribt],  ob  si  glich  wol  vom  mitentag  und  miter- 
nacht ongHch  wyt  ligend;    beschaw  sin    universaltafel.     Und   so   du  nun 


—     230     — 

Jen  cii'kel  hast  usgeteilt  wie  vor  in  360  gradus,  so  schryb  abermals  in 
andere  umbligende  ort  durch  die  hnien  ires  abwychens  und  die  mess- 
leiteren  der  myleu,  wie  vor  im  ersten  stand  geschehen  ist.  also  magst 
du  ouch  furfaren  und  den  3.  und  4.  und  noch  me  stend  brachen,  so  dir 
einer  oder  zwen  nit  gnug  sind  inzeschryben  alle  ort  oder  stet,  so  du 
willens  bist,  biß  du  alles  ingezeichnet  hast  nach  dinem  willen.  Mit  einem 
kurzen  exempel  wil  ich  es  dir  bas  zu  verston  geben.  Als  syge  die  erst 
stat  oder  ort  so  wie  den  ersten  stand  nemmend  A  und  die  vmbligenden 
stet,  so  du  ouch  gern  weltist  beschryben,  sygend  B.  C.  D.,  und  das  B 
wyche  ab  vom  mitentag  gegen  nidergang  30  gradus,  das  C  von  miter- 
nacht  gegen  nidergang  70  gradus,  das  D  vom  mitentag  gegen  uffgang 
80  gradus.  Darzu  so  ligt  das  B  dry  myl  wegs,  das  C  fier  vnd  das  D 
fünf  vom  A.  So  riss  nun  ein  cirkelriss  im  ceutro  A;  den  teil  in  sine  4 
quadranten  und  ein  ieden  quadrant  in  90  gradus,  so  ist  uberal  in  360 
gradus.  Demnach  so  such  us  dem  centro  A  rechte  Knien  des  abwychens 
den  steten  B.  C.  und  nim  darnach  us  der  messleiteren  der  mylen  die 
wyte  einer  ieden  stat  von  der  stat  A  und  trag  si  mit  dem  cirkel  vom  A 
dem  centro  uf  die  linien  irs  abwychens,  so  hast  ir  glegenheit  und 
centro  funden.  "Wie  du  nun  gern  weltist  feerer  faren  und  noch  me  stet 
und  iläcken  inschryben,  so  da  ligend  umb  die  stat  D  und  du  vor  in  der 
stat  A  nit  hast  sehen  konden  und  ir  glegenheit  und  abwychen  erfaren 
als  da  ist  die  stat  E  und  F,  so  züch  in  die  stat  D  und  miss  durch  dine 
instrumenta  ab  diser  zweien  steten  abwychen  und  glegenheit  von  der 
stat  D  und  erfarst,  das  die  stat  E  abwycht  von  mitentag  gegen  uffgang 
70  gradus  und  die  stat  F  20  gradus  von  mitentag  gegen  nidergang. 
Darzu  erfarst,  das  die  stat  E  6  mylen  und  die  stat  P  7  mylen  von  der 
stat  D  lygend,  so  riss  derhalben  im  centro  D  ein  cirkelriss  und  teil 
den  in  4  quadranten  und  ieden  quadranten  in  80  gradus,  doch  das  die 
mittaglinien  ein  parallellinien  syge  mit  der  mittaglinien  der  stat  A.  Und 
zuch  dan  wyter  us  dem  centro  der  stat  D  die  linien  der  abwychung  der 
stat  E  und  F  und  nim  zum  letsten  der  wyte  ire  mylen  von  der  stat  D 
uf  der  messleiteren  der  myle  und  trag  si  mit  dem  cirkel  uf  ire  linien, 
80  hast  die  centra  der  stat  E  und  F  ;  besieh  die  figur.  Und  ist  dises 
gar  ein  fyne  form,  ein  land  zu  l^eschryben,  da  einer  mochte  an  einem 
ort  derselbigen  landtschaft  anheben  und  faren  mit  dem  abmessen  nach 
siner  lenge  und  breite  und  der  stende  so  vil  bruche,  biß  dass  er  das 
ganz  land  beschryben  hete  mit  allen  sinen  steten  und  fläcken,  als  wan 
einer  den  Riiinstroni  mit  sinen  umbligenden  und  anstossenden  steten  und 
fläcken  beschryben  wolte,  so  fieng  er  an  zu  Chur,  hete  da  den  ersten 
stend,  messe  da  ab  die  umbligenden  ort.  Den  anderen  stand  hctte  er  in 
Meyenfeld,  den  driten  zu  Ijindow,  den  4.  zu  Costantz,  den  5.  zu  Schaff- 
husen  und  also  ferer  biss  an  das  gross  tutsch  march,  allein  das  man  gut 


—     2:u     — 

flyss  aukere  mit  den  mylen,  diewyl  dieselbigen  nit  glich  sind,  das  man 
inen  zugebe  und  abnemme,  wie  ich  dan  in  der  ersten  form  gnug- 
sam  han  angezeigt  und  were  die  best  Verbesserung,  das  man  mylen 
rechnete,  deren  eine  3  stund  zimlichs  fussgangs  thete  und  nach  diseren 
ietz  all  andere  mylen,  die  lenger  oder  kürzer  werind,  justificierte  oder 
verbesserte. 


Sf^iL.^«.\\c».cKt 


Nach  geschechnem  werch  magst  ouch  diser  conterfehung  in  ein 
form  fassen,  wie  doben  gemeldet  und  du  wirst  darin  schryben  allmalen 
nach  den  4  orten  der  weit,  so  es  dir  gefellig.  Item  du  kanst  ein  compass- 
zungen  darin  malen  nach  usswysung  der  mittagslinien  und  dienend  die- 
selbigen  compass  darzu,  das,  wan  man  die  taflen  uff  ein  tisch  leit  und 
ein  rechten  eompass  uff'  den  gemaleten  setz  und  danenthin  die  tafel 
uff  den  tisch  ruckt,  biß  das  die  raagnetzunge  instat,  das  man  dan  sieht, 
wo  hinus  ein  iedes  ort  glegen  ist. 


Die  Mathematik  auf  dem  Gymnasium. 


Von 
Otto  Spieß. 


Motto:  Das  Was  bedenke,  mehr  bedenke  Wie! 
(Goethe:  Faust  11.) 

Die  vornehmliche  Aufgabe  des  Gymnasiums  kann  wohl  darin  ge- 
sehen werden,  daß  es  die  Jugend  durch  Einführung  in  die  Werke  der 
Wissenschaft  und  Kunst  mit  einem  unvergänglichen  Schatz  von  Charakter- 
und  Geistesbildung  versehen  soll.  Zu  diesem  nicht  scharf  zu  um. 
grenzenden  Begriff  gehört  außer  einem  gewissen  Maß  von  Kenntnissen 
vor  allem  ein  wahres  Verständnis  für  die  idealen  Werte  der  Menschheit 
und  ein  offener  Sinn  für  alles  Große  und  Schöne.  Als  bestes  Mittel 
dies  zu  erreichen  galt  lange  das  Studium  der  klassischen  Sprachen,  der 
Geschichte  und  der  Literatur.  Als  daher  um  die  Mitte  des  vorigen 
Jahrhunderts  Mathematik  und  Naturwissenschaften  dem  gymnasialen 
Unterricht  in  erhöhtem  Maße  eingefügt  wurden,  da  wurde  dies  von  den 
Humanisten  größtenteils  als  ein  Eingriff  in  ihre  heiligen  Rechte,  als  ein 
Angriff  gegen  die  höhere  Bildung  empfunden.  So  traten  jene  Fächer 
gleich  von  Anfang  an  in  einen  entschiedenen  Gegensatz  zur  Philologie, 
der  sich  auch  heute  noch,  wenn  auch  weniger  schroff,  fühlbar  macht. 
Wenigstens  ist  kaum  zu  bestreiten,  daß  der  Geist,  mit  dem  Mathematik 
und  Physik  gelehrt  werden,  ein  anderer  ist  als  der  in  den  Latein-  und 
Griechischstunden  herrscht.  Es  sind  zwar  auch  gelegentlich  Stimmen 
laut  geworden,  die  den  Naturwissenschaften  dieselbe,  wo  nicht  gar  höhere 
bildende  Kraft  zusprachen  wie  den  Sprachfächern,  doch  scheint  die  bis- 
herige Erfahrung  dieser  Ansicht  nicht  günstig  zu  sein.  So  werden  denn 
die  „Realfächer"  von  den  Philologen  doch  mehr  oder  weniger  als  Kon- 
zessionen an  den  materialistischen  Zug  der  Zeit  angesehen,  von  denen 
ein  großer  idealer  Gewinn  nicht  zu  erwarten  ist. 

Wenn  dies  richtig  ist,  was  vorläufig  niclit  bestritten  werden  soll, 
so  geht  also  ein  beträchtlicher  Teil  der  dem  Gymnasium  zur  Verfügung 


—     233     - 

stehenden  Zeit  für  dessen  höchste  Zwecke  verloren.  Das  ist  aber  gerade 
in  unserer  Zeit  sehr  zu  bedauern.  Es  ist  nämlich  nicht  zu  leugnen,  daß 
der  Idealismus  gegenwärtig  einen  schweren  Kampf  zu  bestehen  hat  gegen 
die  anwachsende  Verflachung  und  Verrohung,  wie  sie  eine  natürliche 
Folge  der  sozialen  Bewegungen  sind.  Gewerbe-  und  Handelsschulen  bis 
hinauf  zu  Realschulen  und  Realgymnasien  predigen  mehr  oder  weniger 
laut  die  Lehre  von  der  Nützlichkeit,  und  so  wird  bei  einem  großen 
Teil  der  Bevölkerung  gerade  in  dem  Alter,  das  der  Begeisterung  am 
meisten  fähig  ist,  dem  „Zug  nach  oben"  wenig  oder  gar  nicht  Rechnung 
getragen.  Dem  gegenüber  hat  das  Gymnasium  die  doppelte  Pflicht  mit 
allen  Kräften  den  Idealismus  zu  unterstützen.  Dazu  sollte  es  aber  vor 
allem  eine  geschlossene  Einheit  bilden,  d.  h.  seine  ganze  Zeit  in  den 
Dienst  seiner  höchsten  Aufgabe  stellen.  Damit  will  ich  indes  nicht  etwa 
die  Rückkehr  zum  Gymnasium  alten  Stils  befürworten,  ein  solcher  Vor- 
schlag würde  auch  dem  Geist  der  Zeit  schnurstracks  entgegenlaufen.  Die 
zahllosen  Reformvorschläge  Berufener  und  Unberufener  sind  vielmehr  im 
allgemeinen  bestrebt,  den  altsprachlichen  Unterricht  noch  weiter  zu  be- 
schneiden und  dafür  eine  Schar  neuer  Fächer,  wie  Verfassungskunde, 
Nationalökonomie,  Kunstgeschichte  u.  s.  f.  bis  hinab  zum  Schachspiel 
(Tarrasch)  mit  einem  Stündlein  zu  beteiligen.  Wohin  das  schließlich 
führen  wird  ist  nicht  abzusehen.  Soll  das  Gymnasium  trotzdem  auf  sein 
Ziel  nicht  verzichten,  so  sehe  ich  nur  ein  Mittel,  das  darin  besteht.  Jedes 
UnterrkhtsfacJi  in  gleic/ter  Weise  /nnimn istisch  zu  het reihen.  Dabei  ver- 
stehe ich  unter  dem  humanistischen  Betrieb,  daß  der  Lehrstoff  nicht  um 
des  praktischen  Gebrauches  willen,  sondern  rein  wissenschaftlich  be- 
handelt werde  und  zwar  nicht  im  Sinn  des  Spezialisten,  sondern  im  steten 
Rückblick  auf  die  Gesamtwissenschaft.  Ich  halte  es  in  der  Tat  für  nütz- 
licher, wenn  jede  Schule,  statt  ewig  am  Plane  zu  ändern,  vom  status 
quo  ausginge  und  dafür  sorgte,  durch  die  Art  der  Behandlung  aus  jeder 
Stunde  den  größtmöglichen  Gewinn  zu  ziehen.  Die  Frage  was  gelehrt 
wird  scheint  mir  nämlich  weniger  wichtig  zu  sein,  als  n'ie  gelehrt  wird. 
Es  hat  deshalb  zu  allen  Zeiten  gute  Schulen  gegeben,  weil  es  gute 
Lehrer  gab. 

Meine  Behauptung  ist  also  die:  Es  kann  jedes  Fach  so  hehandelt 
werden,  daß  ein  idealer  Gewinn  dabei  herausschaut.  Daß  Unterschiede 
bestehen  soll  deshalb  nicht  bestritten  werden.  Ich  werde  nun  im  Fol- 
genden den  Beweis  bloß  für  ein  einziges  Fach,  die  Mathematili.  zu  führen 
suchen  und  es  den  Lehrern  der  übrigen  Fächer  überlassen,  die  Betrach- 
tungen auf  ihr  Gebiet  zu  übertragen.  Ich  wähle  speziell  die  Mathe- 
matik, einmal  weil  sie  als  Hauptfach  gilt,  und  dann  weil  gerade  ihr  mehr 
als  formale  Wirkung  meist  abgesprochen  und  tatsächlich  auch  im  Unter- 
richt nicht  erstrebt  wird. 


—      234      - 

Der  Mathematik  ist  auf  den  Gymnasien  durch  drei  bis  vier  Wochen- 
stunden,  die  sich  durch  alle  Stufen  hindurchziehen,  ein  ziemlich  breiter 
Raum  gesichert.  Außerdem  kommt  sie  auch  in  den  Physikstunden  ge- 
legentlich zur  Anwendung.  Während  seiner  langen  Schulzeit  beschäftigt 
sich  also  der  Gymnasiast  (und  um  wieviel  mehr  der  Realschüler)  nach 
einander  ziemlich  eingehend  mit  Arithmetik.  Algebra.  Logarithmenrechnen, 
Elementargeometrie,  Trigonometrie  und  endlich  mit  der  analytischen 
Geometrie,  die  ihn  an  die  Schwelle  der  höheren  Analysis  führt.  Man 
sollte  denken,  von  alle  dem  werde  doch  etwas  haften  bleiben,  der  Abi- 
turient werde  eine  einigermaßen  richtige  Vorstellung  vom  Wesen  der 
Mathematik  mit  ins  Leben  nehmen?  Das  Gegenteil  ist  der  Fall,  Es 
ist  allgemein  bekannt,  daß  die  weitaus  größte  Mehrzahl  der  Gebildeten, 
die  nicht  gerade  durch  Beruf  oder  Neigung  der  Mathematik  nahestehen, 
von  deren  Inhalt  und  Bedeutung  kaum  eine  Ahnung  besitzt.  Intelligente 
und  auf  verschiedenen  Gebieten  wohlunterrichtete  Leute  sehen  in  ihr  nichts 
als  eine  geistlose  Spezialität,  der  sie  eine  kräftige  Abneigung  entgegen- 
bringen. Daß  überhaupt  die  Mathematik  eine  selbständige  Wissenschaft 
ist,  die  ihre  besondere  Aufgabe  hat,  scheinen  die  wenigsten  Leute  zu 
wissen,  vielmehr  gilt  ihr  Name  als  Sammelwort  für  Physik,  Astronomie. 
Meteorologie,  praktische  Mechanik,  Geodäsie  und  Statistik.  Wenn  man 
von  einem  Gymnasialfach  sagen  kann,  daß  es  seinen  Zweck  nicht  er- 
reiche, so  ist  es  die  Mathematik.  Für  die  meisten  Schüler  sind  die  auf 
sie  verwandten  Stunden  verlorene  Zeit,  einen  Beitrag  zur  allgemeinen 
Bildung  des  Publikums  leisten  sie  nicht. 

Was  sind  nun  die  Ursachen  dieses  Fiasko's?  Genügt  die  Zahl  der 
Stunden  noch  nicht?  Oder  gibt  es  keine  guten  Mathematiklehrer?  Keines 
von  beiden  kann  ich  zugeben,  der  wahre  Grund  scheint  mir  tiefer  zu 
liegen.  Fragt  man  ein  wenig  im  Publikum  herum,  so  erfährt  man  frei- 
lich bald  die  Lösung  des  Rätsels.  Die  Mathematik,  so  hört  man  da,  ist  eben 
langweilig,  trocken,  ein  geisttötender  Formelkram,  bei  dem  man  sich  nichts 
denken  kann.  Außerdem  nützt  sie  Einem  nichts  und  ist  lediglich  eine  Plackerei, 
die  man  möglichst  rasch  vergißt,  sowie  man  sie  los  ist.  Philosophisch 
gebildete  Personen  belegen  etwa  diese  Ansicht  noch  durch  einige  Kraft- 
sprüche aus  Schopenhauer  und  Hegel.  Andere  dagegen  bekunden  zwar 
vor  der  Mathematik  einen  bedeutenden  Respekt,  versichern  uns  aber  zu- 
gleich mit  Wärme,  daß  ihnen  persönlich  der  Sinn  dafür  gänzlich  abgehe. 
Überhaupt  sei  diese  Wissenscliaft  nur  für  wenige  Auserwählte  verständ- 
lich und  ein  Genuß,  für  die  übrigen  Sterblichen  aber  zu  abstrakt,  zu 
hoch.  Weiter  als  zum  Auswendiglernen  im  Grund  unverstandener  Formeln 
brächten  es  die  meisten  nie.  So  weit  die  vox  populi.  Muß  uns  nun  diese 
niclit  als  vox  Dei  gelten?  Läßt  sich  gegen  dieses  mit  solcher  Über- 
zeugung ausgesprochene  Urteil  überhaupt  etwas  einwenden?     Jedenfalls 


—     235     — 

fühlt  man  sich  zu  der  Frage  gedrängt:  Mit  welchem  Recht  treiht  man 
dann  eigentlich  auf  dem  Gymnasium  soviel  Mathematik,  wenn  ein  bleibender 
Gewinn  eingestandener  ]\Ia(ien  nicht  zu  erwarten  ist?  Denn  eine  dumpfe 
Erinnerung  an  die  Handhabung  der  Logarithmentafel  wollen  wir  nicht 
als  einen  solchen  Gewinn  gelten  lassen.  Wozu  nicht  lieber  die  Zeit  auf 
Geschichte  oder  Literatur  verwenden?  Etwa  bloß  der  Wenigen  wegen, 
die  von  der  Mathematik  später  im  Leben  Gebrauch  machen  werden? 
Das  wäre  nicht  der  Mühe  wert,  denn  das  mathematische  Pensum  auch 
der  obersten  Klassen  kann  von  einem  begabten  Schüler  bei  Privatunter- 
richt in  wenigen  Wochen  bezwungen  werden,  wie  ich  mich  mehrfach 
überzeugen  konnte.  Und  was  dem  Fünfzehnjährigen  noch  schwer  fällt, 
das  erfaßt  einige  Jahre  später  der  Student  mit  Leichtigkeit.  Zudem 
muß  die  darstellende  Geometrie,  die  für  die  Praxis  so  wichtig  ist,  so- 
wieso nachgeholt  werden.  Soll  also  die  Mathematik  zu  einer  so  breiten 
Vertretung  berechtigt  sein,  so  müssen  schwerwiegende,  die  allgemeine 
Bildung  betreffende  Gründe,  ins  Feld  geführt  werden. 

Hören  Avir  denn  die  hauptsächlichen  Argumente,  welche  von  den 
Schulmännern  für  die  Notwendigkeit  eines  gründlichen  Mathematikunter- 
richts geltend  gemacht  werden.  Da  wird  zunächst  betont,  daß  das  Ver- 
ständnis der  Physik  und  ihrer  ins  praktische  Leben  eingreifenden  An- 
wendungen ohne  tüchtige  mathematische  Kenntnisse  nicht  erworben  werden 
kann.  Die  Mathematik  wird  also  bloß  als  ein  Instrument  aufgefaßt,  das 
zum  Begreifen  der  Physik  nicht  entbehrt  werden  kann.  Dann  hat  aber 
das  Mathematikstudium  nur  einen  Sinn,  wenn  es  wirklich  ausgiebig 
für  physikalische  und  technische  Aufgaben  verwertet  wird.  Der  Physik- 
unterricht auf  der  Schule  verfährt  aber  wesentlich  experimentell  und  kon- 
kret, so  daß  schon  aus  Zeitmangel  nur  wenig  gerechnet  werden  kann. 
Es  wäre  auch  geradezu  falsch,  auf  dieser  Stufe  die  Physik  vorwiegend 
mathematisch  zu  behandeln,  das  würde  die  verbreitete  aber  unrichtige 
Vorstellung  erwecken,  als  sei  die  physikalische  Erkenntnis  ein  bloßes 
Eechenexerapel.  Es  kommt  in  der  Schule  vielmehr  darauf  an,  die  Ver- 
hältnisse qualitativ  zu  erfassen;  erst  wenn  dies  geschehen  ist  kann  die 
Analysis  weiter  helfen.  Also  mit  dem  Physikunterricht  kann  der  breite 
Mathematikunterricht  nicht  begründet  werden. 

Den  Hauptnutzen  der  Mathematik  sehen  indeß  die  Schulmänner 
von  jeher  in  ihrer  formalen  Wirkung.  In  der  Tat  bilden  die  logische  Ver- 
kettung aller  Sätze,  wie  sie  beim  Ausarbeiten  eines  geometrischen  Be- 
weises zu  Tage  tritt,  die  Reinheit  und  Strenge  aller  Schlüsse  eine  vor- 
treffliche Schule  des  Denkens.  Leider  darf  gerade  diese  Seite  unserer 
Wissenschaft  auf  der  Schule  nicht  zu  stark  ausgenützt  werden.  Die 
kristallinische  Gesetzmäßigkeit  des  mathematischen  Lehrgebäudes,  die 
der    Stolz    seiner  Erfinder,    der  Griechen,    bildete,    kommt    dem  Schüler 


—     236     — 

nicht  recht  zum  Bewußtsein.  Denn  gerade  die  Behandlung  der  Grund- 
lagen fallen  in  eine  Zeit,  in  der  die  logische  Kraft  noch  zu  schwach 
entwickelt  ist,  so  daß  man  die  Sätze  mehr  anschaulich  aufzeigen  als 
streng  beweisen  darf.  Immerhin  wird  ein  guter  Unterricht,  der  die  Schüler 
zum  Arbeiten  zwingt,  zweifellos  zur  Klarheit  und  Präzision  des  Denkens 
beitragen,  auch  wenn  diese  Wirkung  denselben  nicht  zum  Bewußtsein 
kommt.  Doch  die  formale  Seite  der  Mathematik  zeigt  sich  noch  in  anderer 
Weise  durch  ihre  Verwandtschaft  mit  der  Sprachiüissenschafi.  Die  Ana- 
lysis  hat  sich  nämlich  für  den  Ausdruck  ihrer  Gedanken  eine  besondere 
Sprache  geschaffen,  die  freilich  mehr  geschrieben  als  gesprochen  wird. 
Diese  Sprache  besitzt  ihre  Grammatik  und  Syntax  wie  jede  andere  und 
es  wäre  für  einen  linguistisch  geschulten  Mathematiker  eine  Aufgabe, 
die  Regeln  der  Algebra  einmal  vom  sprachwissenschaftlichen  Gesichts- 
punkt aus  zu  betrachten.  Ihre  ersten  Anfänge  finden  wir  in  den  Hiero- 
glyphen der  Ägypter,  heute  besitzt  man  in  ihr  ein  wunderbares  Instru- 
ment, das  die  komj)liziertesten  Vorstellungsreihen  in  wenigen  Zeichen 
darzustellen  erlaubt.  Dabei  ist  diese  Sprache  lebendiger  als  man  denkt, 
auch  der  Analyst  sieht  auf  schönen  .S//7  und  strebt  nach  Elcf/auz  seiner 
Formeln.  Diese  ganze  Seite  der  Mathematik  wird  übrigens  nach  meiner 
Ansicht  zu  wenig  hervorgehoben.  Der  Schüler  bekommt  die  Algebra 
wie  eine  Schreibmaschine,  deren  Handhabung  ihm  gezeigt  wird,  ohne 
daß  er  über  ihren  Wert  und  ihr  Wesen  ins  Klare  käme.  Man  dürfte 
ihm  aber  wohl  an  Beispielen  nachweisen,  daß  die  Gleichungen,  die  er 
ansetzt,  nichts  sind  als  gewöhnliche  Sätze,  geschrieben  in  einer  höchst 
knappen  Stenographie,  die  nach  und  nach  durch  immer  weitergehende 
Abkürzung  aus  dem  ursprünglich  vollständig  ausgeschriebenen  Text  her- 
ausgewachsen ist.  Diese  Einsicht  wird  ihm  diese  Symbolik  weniger  ab- 
strus erscheinen  lassen  und  ihn  dazu  bringen,  in  der  Mathematik  den  In- 
halt vom  Ausdrucksmittel  zu  unterscheiden. 

Freilich  werden  die  Philologen  hiezu  bemerken,  daß  in  dieser  Be- 
ziehung dann  doch  das  Studium  einer  wirklichen  Sprache  noch  vorteil- 
hafter sei .  weil  in  dieser  die  ganze  Geistesarbeit  eines  Volkes  sich 
wiederspiegle,  während  die  Algebra  eine  Fachsprache  sei,  die  bloß  mit 
einer  engen  Zahl  von  Begriffen  operiere.  Und  darin  haben  sie  zweifellos 
Recht.  Überhaupt  läßt  sich  das,  was  wir  vorhin  an  der  Mathematik  ge- 
rühmt haben,  auch  von  der  Altertumsforschung  behaupten.  Auch  die 
klassische  Philologie  mit  ihrem  vorsichtigen  Abwägen  der  Wahrschein- 
lichkeiten ist  eine  „exakte"  Wissenschaft;  kritische  Schärfe  und  gewissen- 
haftes Arbeiten  ist  dort  ebensogut  zu  lernen,  und  logische  Finessen,  die 
etwa  die  Mathemathik  voraus  hat,  sind  ja  auf  der  Schule  doch  nicht  zu 
behandeln.  Wenn  also  die  Mathematik  wirklich  keine  andere  als  formale 
Bildung  erzeugt,  so  ersetze  man  sie  lieber  durch  das  Griechische,  damit 
dies  Eine    wenigstens   recht   gelernt  wird,    statt  beides  nur  ungenügend. 


—     287     — 

Aber  die  Mülliemalik  is/  n'irlil  /y/o/;  farmal.  iiidil  hliti.;  riii  t/ris/- 
relc/ief<  Spie/  inif  Fif/iireii  iiiul  /jüilen.  Wie  bei  den  alten  Sprachen 
schließlich  nicht  die  Grammatik,  die  Formenlehre  das  Hauptelement  ihrer 
bildenden  Kraft  ausmacht,  sondern  der  durch  sie  vermittelte  Kultur- 
inhalt, so  ist  auch  die  mathematische  Formelsprache  nicht  der  Zweck, 
sondern  bloß  das  unentbehrliche  Mittel,  um  zu  dem  hochbedeutenden 
Inhalt  der  Wissenschaft  zu  gelangen.  Dort  erst  liegen  die  Schätze, 
die  dem,  der  sich  durch  die  Hieroglyphenschrift  am  Eingang  nicht  ab- 
schrecken läßt,  als  reicher  Gewinn  anheimfallen.  Auf  diesen  Kern  und 
Zielpunkt  der  Mathematik,  in  dem  ihre  eigentümliche  Kraft  und  Schön- 
heit wurzelt,  muß  aber  der  Schüler  so  viel  als  möglich  hingewiesen 
werden,  ihn  soll  der  Lehrer  nie  aus  dem  Auge  verlieren,  er  (illein  end- 
lich ist  es.  der  die  Maf/ieutafik  herec/dif/f,  rds  Hai/pffnc/i  mit  Ciimiifmum 
aufzutreten.  Und  nun  erblicke  ich  den  Grund  zu  dem  geringen  Erfolg 
des  üblichen  Mathematikunterrichts  eben  darin,  daß  diese  Forderung 
nicht  beachtet  wird,  daß  die  Schüler  über  die  tiefe  Bedeutung  der  vor- 
getragenen Sätze  und  Methoden  nichts  erfahren.  Die  jungen  Leute  lernen 
von  der  Mathematik  eben  nur  die  formale  Seite  kennen,  die  dürre  Ab- 
straktion, das  mechanische  Rechnen  mit  Buchstaben  und  Zahlen,  und 
scheinbar  gleichgiltige  Eigenschaften  geometrischer  Figuren.  Sie  sind 
schließlich  imstande,  die  Tangente  an  eine  Ellipse  zu  konstruieren  und 
die  Winkel  eines  Dreiecks  aus  den  Seiten  zu  berechnen.  Was  das  alles 
für  einen  Sinn  hat,  bleibt  ihnen  ein  Rätsel.  Der  Hinweis  auf  die  nütz- 
lichen Anwendungen  rührt  den  künftigen  Juristen  wenig.  Das  ist  dann 
Sache  des  Ingenieurs,  denkt  er,  zu  was  ein  Instrument  erlernen,  das  man 
niemals  gebrauchen  wird?  Will  man  mehr  als  ein  flüchtiges  Wissen 
erzielen,  so  muß  durch  alle  Mittel  das  Interesse  der  Schüler  erregt  werden. 
—  eine  alte  Wahrheit,  so  oft  gehört  als  nicht  beachtet.  Das  Gedächtnis 
der  meisten  Menschen  läßt  bloß  lose  aufgelegten  Ballast  bald  wieder 
fallen,  soll  etwas  Bleibendes  geschaffen  werden,  so  muß  das  zu  Erlernende 
in  etwas  Bleibendem  verankert  werden,  nämlich  im  Erkenntnistrieb, 
in  der  Freude  am  Bedeutenden  und  Großen,  kurz  in  irgend  einem  idealen 
Interesse.  Auch  für  die  Mathematik  ist  dies  das  einzige  Mittel,  wenn 
sie  das  ungünstige  Vorurteil  des  Publikums  besiegen  will.  Ist  dem 
Schüler  einmal  die  innere  Bedeutung  dieser  Wissenschaft  aufgegangen, 
so  mag  er  die  Formeln  und  Lehrsätze  vergessen,  der  große  Gesamtein- 
druck bleibt  und  stellt  eben  den  geistigen  Gewinn  dar. 

Aber  worin  besteht  denn  dieser  ideale  Wert,  der  solche  Wunder 
wirken  soll?  fragt  gewiß  mancher  Leser  und  denkt  dabei  kopfschüttelnd 
an  Sinus  und  Cosinus.  Es  ist  meine  Aufgabe  denselben  aufzuzeigen  und 
noch  anzudeuten  wie  der  Unterricht  daraus  Nutzen  ziehen  kann.  Zu 
diesem  Zweck  beginne  ich  damit,  die  Anklagen  gegen  die  Mathematik, 
die  ich  oben  zusammengestellt  habe,  zu  entkräften. 


—     238     — 

Die  Mathematik  ist  langweilig,  so  hörten  wir  zuerst,  ist  eine  geist- 
tötende und  unfruchtbare  Sklavenarbeit.  Erkundigt  man  sich  näher,  was 
unter  der  Mathematik  verstanden  werde,  so  erfährt  man:  „Hechnen". 
.,Die  ganze  Analysis  linitorum  et  infinitorum  läuft  im  Grunde  doch  auf 
Kechnen  zurück"  sagt  z  B.  Schopenhauer.  Für  das  „gebildete"'  Publi- 
kum ist  in  der  Tat  der  Mathematiker  nichts  anderes  als  ein  Mann  der 
viel  und  gern  rechnet,  Xun  ist  das  Rechnen  ein  mechanisches  Operieren 
mit  Zahlen,  das  die  technische  Ausführung  eines  oft  sehr  banalen  mathe- 
matischen Gedankens  bezweckt  und  freilich  keinen  xA.nspruch  auf  Unter- 
haltsamkeit erhebt.  Es  verhält  sich  somit  zur  Mathematik  genau  so  wie 
die  Fingerübungen  eines  Klavierspielers  zur  Musik.  Das  systematische 
Rechnen  ist  zwar  ein  ausgezeichnetes  Mittel  zur  Disziplinierung  des 
Geistes,  damit  dieser  nicht 

—  die  Kreuz  und  Quer 
Irrlichteliere  hin  und  her 
und  besitzt  also  sicher  einen  pädagogischen  Wert,  den  wir  nicht  verachten 
wollen.  Die  Genugtuung,  wenn  die  Rechnung  „stimmt",  verschafft 
sogar  einen  Genuß,  ja  die  bloße  Fähigkeit  des  Rechnens  kann  schließ- 
lich angenehm  empfunden  werden,  wie  z.  B.  (Uiul-i  von  einer  gewissen 
„Poesie"  des  Tabellenrechnens  spricht.  Doch  mit  alledem  wollen  wir 
es  Xiemand  verargen,  wenn  er  das  Rechnen  langweilig  findet.  Xur  geht 
dies  die  Mathematik  nichts  an.  Man  frage  nur  einmal  die  großen  Ver- 
treter derselben  um  ihre  Meinung,  man  wird  da  merkwürdige  Aussprüche 
vernehmen:  „Das  Leben  ist  nur  für  zwei  Dinge  gut",  mit  Poisson,  „um 
Mathematik  zu  treiben  und  darin  zu  unterrichten".  Und  der  Neupytha- 
goreer  Bjrp/tfjrios  vergleicht  die  Mathematik  mit  der  Lotosfrucht,  von 
der  keiner  mehr  lassen  kann,  der  einmal  davon  gekostet  hat.  Derartige 
Äußerungen  könnten  gehäuft  werden.  Man  wird  zugeben,  solcher 
Enthusiasmus  wäre  nicht  möglich,  wenn  die  Mathematik  bloß  im  Rechnen 
bestünde.  Diese  ewige  Verwechslung  zwischen  beiden  so  heterogenen 
Tätigkeiten  sollte  einmal  energisch  bekämpft  werden.  Unterstützt  wird 
sie  übrigens  durch  die  Schule  selbst,  die  noch  vielfach  den  niederen 
Rechenunterricht  unter  dem  Namen  Mathematik  einführt.  Aber  schon 
die  alten  Griechen  hatten  jene  mechanische  Tätigkeit  unter  der  Bezeich- 
nung Loffiaük  scharf  von  der  so  hoch  gehaltenen  Mutitem  getrennt.  Dies 
Beispiel  dürfte  auch  heute  wieder  nachgeahmt  werden. 

Bevor  man  also  die  Mathematik  langweilig  schilt,  lerne  man  sie 
erst  ein  wenig  kennen.  Dem  steht  nun  der  zweite  Einwurf  entgegen: 
die  Mathematik  sei  für  die  Durchschnittsbegabung  nicht  faßbar,  um  Ge- 
fallen an  ihr  zu  finden,  sei  ein  besonderer  Sinn  erforderlich,  der  den 
Wenigsten  gegeben  sei.  Diesem  Einwand  fehlt  nicht  jede  Berechtigung, 
er  wird  aber  sicher  viel  zu  stark  betont.    Zweifellos  ist  für  ein  tieferes 


—     239     - 

Erfassen  der  Mathematik  eine  spezielle  Fähigkeit  nötig,  glauben  doch 
einige  Physiologen  ein  eigentliches  Organ  dafür  im  Gehirn  lokalisieren 
zu  können.  Diese  Fähigkeit  ist  aber  durchaus  nicht  so  selten,  sondern 
n.  m.  A,  besitzt  sie  jeder  normal  veranlagte  Mann.  Es  verhält  sich  da- 
mit wohl  ungefähr  wie  mit  dem  Sinn  für  Musik,  Das  vollkommene  Fehlen 
desselben  ist  nahezu  so  selten  wie  das  Talent  zu  eigener  Produktion,  die 
große  Masse  ist  doch  mehr  oder  weniger  stark  dafür  empfänglich.  Es 
ist  auch  a  priori  unwahrscheinlich,  daß  es  mit  dem  mathematischen  Ta- 
lent anders  stehe  als  mit  dem  Talent  zum  Zeichnen,  Yersemachen,  Sprachen- 
lernen und  dgl.  mehr.  Nur  sind  sich  die  meisten  Leute  desselben  nicht 
bewußt,  weil  es  bei  ihnen  nie  geweckt  wurde.  Es  haben  mir  mehrfach 
Schüler  versichert,  daß  ihnen  die  mathematische  Begabung  absolut  mangle, 
bei  denen  bei  näherem  Zusehen  ein  ganz  hübsches  AuOassungsvermögen 
zum  Vorschein  kam.  Man  kann  eben  den  üblichen  Mathematikunter- 
richt, der  bloß  auf  die  Form  statt  auf  den  Inhalt  geht,  von  der  Schuld 
nicht  freisprechen,  die  große  Zahl  der  Schüler  von  unserer  Wissenschaft 
abzuschrecken.  Statt  Wein  wird  ein  leerer  Becher  kredenzt,  der  viel- 
leicht von  Gold  ist  und  kunstvoll  gearbeitet,  aber  doch  nur  ein  leerer 
Becher. 

Ich  bestreite  also  sowohl,  daß  die  Mathematik  an  sich  langweilig, 
als  daß  sie  für  das  Gros  der  Schüler  unverständlich  sei.  Nach  meiner 
Ansicht  kann  das  Interesse  aller  Schüler,  die  überhaupt  höherer  Inter- 
essen fähig  sind  (und  andere  gehören  nicht  ins  Gymnasium),  für  dieses 
Fach  gewonnen  werden,  wenn  nur  der  Lehrer  stets  die  lebendige  Wissen- 
schaft, nicht  das  tote  Wissen  im  Auge  hat.  Was  diese  Wissenschaft 
eigentlich  will,  in  was  ihr  Wesen  und  ihr  Wert  besteht,  das  habe  ich 
jetzt  auseinanderzusetzen.  Natürlich  ist  hier  nicht  der  Ort,  um  dieses 
Thema  gründlich  zu  besprechen,  ebensowenig  um  die  mir  vorschwebende 
Lehrmethode  vorzuzeichnen.  Es  handelt  sich  bloß  darum,  in  ein  paar 
Sätzen  dem  Kenner  die  Richtung  meiner  Vorschläge  anzudeuten  und 
dem  Laien  wenigstens   eine  Idee  von   dem  Gegenstande   zu   verschaffen. 

Jede  Wissenschaft  hat  ihre  besondern  Objekte,  die  sie  benennt, 
unter  sich  vergleicht  und  nach  Prinzipien,  die  vom  Stand  der  Erkenntnis 
abhängen,  klassifiziert.  Sie  scheidet  und  verknüpft,  sammelt  und  ordnet 
das  Material,  es  dem  Philosophen  überlassend  die  Summe  aller  Erfah- 
rungen von  einem  ^Mittelpunkt  aus  zu  begreifen.  Die  Objekte  der  Mathe- 
matik sind  die  Za/i/.  die  Funktion  und  die  geometrische  Form.  Woher 
stammen  diese  Objekte,  aus  der  Natur  oder  aus  dem  menschlichen 
Geist?  In  dieser  Frage  wurzelt  das  Interesse,  das  von  jeher  be- 
deutende Philosophen  der  Mathematik  entgegengebracht  haben,  man 
denke  an  Pythagoras,  Plato,  Descartes,  Leibnitz  und  Kant,  um  nur  die 
größten  zu  nennen.    Die  Antworten  darauf  lauten  sehr  verschieden,  heute 


—     240     — 

sagt  man  gewöhnlich:  sie  stammen  aus  beiden.  "\"on  der  Mutter  Natur 
rührt  es  her,  daß  die  Mathematik  die  unentbehrhche  Helferin  der  Physik 
ist,  vom  Vater  Verstand  hat  sie  die  logische  Strenge  und  die  Allgemein- 
gültigkeit ihrer  Sätze.  Erklären  wir  dies  kurz.  Irgend  welche  Dinge 
in  der  Natur  bilden  eine  größere  oder  kleinere  Menge  ;  das  Charakte- 
ristikum einer  Menge,  das  der  Verstand  daraus  abstrahiert,  ist  die  Zcüü. 
Alle  Dinge  sind  i'eräuderUdt  und  von  einander  abhängig;  die  Mathematik 
bildet  danach  den  Begriff  der  veränderlichen  Zahl,  Variable  genannt  und 
der  Funktionen  einer  solchen.  Alle  Dinge  im  Raum  besitzen  eine  Form; 
das  Studium  der  Formen  erfüllt  die  Geometrie.  Man  sieht,  die  Natur 
liefert  Erscheinungen  und  der  mathematische  Verstand  formt  danach 
Begriffe,  die  aber  keine  genauen  Kopien  der  Originale  sind,  sondern  ver- 
einfachte Typen,  Ideale.  Die  Mathematik  ist  also  eine  idealistische 
Wissenschaft  (man  denke  an  Plato!). 

Doch  was  bezweckt  die  Mathematik  mit  diesen  Abstraktionen,  aus 
denen  sie  ihr  Netz  spinnt.  Antwort:  Die  großen  ProlAeme  der  Welt 
bringt  sie  damit  auf  ihre  einfachste  Fmmi,  indem  sie  alles  Unwesentliche 
abstreift  und  jene  dadurch  dem  Angriff  zugänglicher  macht.  Das  ist  ihre 
Mission,  darin  ruht  ihre  Bedeutung.  Einige  Beispiele  sollen  dies  noch 
verdeutlichen.  AVelche  Rolle  spielt  nicht  in  allen  Gebieten  der  Unend- 
lichkeitsbegrifff  Wie  soll  der  Mensch  die  unendliche  Mannigfaltigkeit 
aller  Formen  und  Veränderungen  übersehen?  Die  Geometrie  hat  zuerst 
gezeigt,  wie  das  Unendliche  bezwungen  wird  durch  das  (resetz.  indem  sie 
z.  B.  lehrt,  wie  die  unendlich  vielen  Punkte  einer  Kurve  durch  das  Ge- 
setz dieser  Kurve  völlig  bestimmt  werden.  So  lernten  dann  die  übrigen 
AVissenschaften  von  der  Mathematik  auch  ihren  unendlichen  Stoff  nach 
Gesetzen  zu  ordnen.  Doch  diese  Gesetze  zu  finden  ist  schwierig;  am 
leichtesten  ist  es  noch  in  denjenigen  Gebieten,  wo  das  Material  der  ge- 
nauen Messung  zugänglich  ist,  daher  es  auch  diese  sog.  exakten  Wissen- 
schaften in  der  Aufstellung  von  Gesetzen  am  weitesten  gebracht  haben. 
Man  hat  es  oft  den  Mathematikern  zum  Vorwurf  gemacht,  daß  sie  überall 
„messen"  statt  „ins  Wesen"  einzudringen.  Aber  das  Messen  ist  ihnen 
gar  nicht  Zweck,  sondern  bloß  Mittel,  um  das  verborgene  Gesetz  zu  ent- 
decken. Wenn  die  Pohzei  die  Körperteile  des  Verbrechers  mißt,  so 
geht  ihr  Interesse  auch  nicht  auf  die  Zahlen,  sondern  diese  dienen  nur 
den  Mann  eindeutig  zu  „bestimmen",  um  ihn  trotz  aller  Verwandlungen 
wieder  zu  erkennen.  Genau  so  wägt  der  Chemiker  seine  Substanz  und 
findet  das  Gesetz  von  der  Konstanz  der  Masse,  und  so  mißt  der  Phy- 
siker die  Energien  eines  mechanischen  Systems  und  bemerkt,  daß  ihre 
Summe  bei  allen  Prozessen  erhalten  bleibt.  Docli  wenn  einmal  ein  solches 
Gesetz  erkannt  ist,  dann  muß  dasselbe  gewissermaßen  interpretiert,  d.  h. 
in  seine  äußersten  Konsequenzen   verfolgt  werden.     Zu    diesem  Zwecke 


—     241     — 

muß  es  von  allem  Stofflichen  befreit  und  möglichst  prägnant,  d.  h.  eben 
mathematisch  ausgedrückt  werden.  ]Man  stellt  es  z.  B.  graphisch  dar 
durch  eine  Kurve.  Jede  Kurve  repräsentiert  ein  Gesetz  und  alle  ihre 
Eigenschaften  sind  bloß  Konsequenzen  dieses  Gesetzes.  Doch  ein  Gesetz 
kann  noch  bequemer  analytisch  formuliert  werden,  und  heißt  dann:  Funk- 
tion. Sucht  jede  "Wissenschaft  zu  Gesetzen  zu  gelangen,  so  ist  die  Funk- 
tionenlehre  also  die  AVissenschaft  von  den  Gesetzen  selbst.  Es  genügt 
die  Funktionen  oder  die  Kurven  zu  studieren,  um  alle  denkbaren  Ge- 
setzmäßigkeiten, die  sich  quantitativ  bestimmen  lassen,  zu  beherrschen. 
Z.  B.  die  eine  Funktion  y  =-  ex-  liefert  sowohl  die  Bahn  eines  Geschosses, 
als  den  Weg  eines  fallenden  Körpers  zu  einer  gewünschten  Zeit,  oder 
die  Erwärmung  eines  Drahtes  durch  einen  elektrischen  Strom,  oder  die 
Zentrifugalkraft  eines  rotierenden  Rades.  Sie  ist  eben  der  einfachste 
Ausdruck  für  diese  verschiedenen  physikalischen  Verhältnisse,  von  dem 
aus  diese  alle  gleichzeitig  überblickt  werden.  Man  wende  nun  nicht  ein, 
solche  Dinge  seien  zu  hoch  für  die  Schule  und  gehörten  erst  an  die  Universität. 
Vor  einem  Menschenalter  haben  die  jungen  Leute  schon  mit  16  Jahren 
die  Hochschule  bezogen  und  die  Hörsäle  der  Philosophen  gefüllt.  Ein 
Lehrer,  der  jene  tieferen  Beziehungen  kennt  und  darüber  reflektiert,  wird 
sie  auch  den  Schülern  klar  machen  können.  Die  trigonometrischen 
Funktionen,  der  Gegensatz  von  Gerad  und  Krumm,  die  Definition  einer 
Kurve  durch  ein  Gesetz,  das  Tangentenproblem  sowie  zahlreiche  Auf- 
gaben der  Physik  sind  ebensoviele  Anknüpfungspunkte  für  allgemeine 
Betrachtungen.  So  belehrt  ward  der  Schüler  alle  diese  Dinge  mit  ganz 
andern  Augen  betrachten,  er  sieht  die  Zusammenhänge  und  ahnt  hinter 
den  Figuren  und  Formeln  die  Majestät  der  Wissenschaft. 

Der  tiefere  Sinn  der  Mathematik  läßt  sich  aber  auch  erkennen  durch 
das  Studium  ihrer  Geschichte.  Die  mathematische  Wissenschaft  ist  nicht 
von  heute,  sondern  sie  kann  sich  eines  zweiundeinhalbtausendjährigen 
Alters  rühmen.  Aus  zarten  Wurzeln  sehen  wir  den  heute  gewaltigen 
Baum  herauswachsen,  an  dessen  Gedeihen  der  bohrende  Erkenntnisdrang, 
die  künstlerisch  spielende  Phantasie  und  das  praktische  Bedürfnis  in 
gleicher  Weise  Anteil  haben.  Da  sieht  man,  wne  die  schärfsten  Geister 
einer  Epoche  gegen  eine  hartnäckige  Schwierigkeit  Sturm  laufen,  bis  diese 
überstiegen  oder  wenigstens  umgangen  ist.  Da  verfolgt  man,  wie  der 
mathematische  Gedanke  um  Ausdruck  ringt,  wie  er  sich  langsam  eine 
Sprache  schafft  und  wie  mit  der  Vervollkommnung  der  Form  wieder  der 
Inhalt  wächst.  Und  wer  die  Blicke  etwas  weiter  schweifen  läßt,  erkennt 
wie  in  der  Spezialgeschichte  sich  der  Zeitgeist  spiegelt.  Die  Zeiten 
metaphysischen  Hochflugs,  der  kritische  Rückschlag,  der  Realismus,  die 
scholastische  Unfreiheit,  sie  alle  drücken  auch  der  Mathematik  ihren 
Stempel   auf.     Ja   gelegentlich  steigt  diese  Wissenschaft  auch  von  ihrer 

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—     242     — 

Höhe  herab  in  die  Arena  der  OffenÜichkeit,  um  im  Streit  der  Prin- 
zipien das  entscheidende  Gewicht  in  die  Wagschale  zu  werfen.  Immer 
wenn  das  reine  Denken  seine  Triumphe  erkämpft,  da  tritt  die  Mathe- 
matik auf  den  Plan  und  zeigt  die  Macht  ihrer  Waffen,  so  bei  Pytha- 
goras,  bei  Plato,  bei  Koppernikus,  und  bei  Kant.  Eine  passende  Gelegen- 
heit für  den  Lehrer,  diese  geschichtliche  Rolle  der  Mathematik  aufzu- 
zeigen, bietet  etwa  das  Fallgesetz.  Das  Uavia  ^eï  Hcrak/ifs  hatte  auf 
die  Schwierigkeit  aufmerksam  gemacht,  die  beständig  fließende  Welt  zu 
begreifen.  Umsonst  quälte  sich  das  Altertum  damit  ab,  den  Begriff  der 
Bewegung  von  den  anhaftenden  Widersprüchen  zu  befreien,  selbst  Aristo- 
teles kam  damit  nicht  ins  Beine-,  so  hing  man  denn  der  Bewegung  den 
Makel  der  UnvoUkommenheit  an  und  ging  ihr  möglichst  aus  dem  Weg. 
Die  Neuzeit  aber  erkannte  den  Wert  der  Bewegung.  Kopjjernikus  nahm  sie 
für  die  Erde  in  Anspruch,  dies  widerstritt  aber  derperipatetischen  Bewegungs- 
lehre und  so  mußte  diese  gestürzt  werden.  Dies  tat  Ga/iki  indem  er 
das  wahre  Fallgesetz  entdeckte  und  zum  ersten  Mal  eine  ungleichförmige 
Bewegung  mathematisch  zu  behandeln  lehrte.  Das  aber  konnte  er  nur 
mit  Hilfe  eines  Gedankens,  der  längst  vor  ihm  in  der  reinen  Mathematik 
entstanden  war.  Das  einfachste  Bild  einer  stetig  veränderlichen  Größe 
ist  nämlich  eine  krumme  Linie,  deren  Richtung,  Flächeninhalt,  Bogen- 
länge etc.  von  Punkt  zu  Punkt  sich  ändern.  In  dieser  geometrischen 
Form  das  Stetige  bezwungen  zu  haben,  war  nun  die  unvergängliche 
Leistung  von  Archimedes.  Und  diese  Archimedische  Methode  benützte 
Galilei,  benützte  Kepler  für  seine  Planetengesetze,  benützten  und  ver- 
einfachten viele  andere,  bis  schließlich  daraus  die  Infinitesimalrechnung 
entstand,  die  dem  dynamischen  Verständnis  der  Welt  allerorts  die  Wege 
erschloß.  So  steht  das  unscheinbare  Fallgesetz  im  Angelpunkt  einer 
großen  geistigen  Umwälzung.  In  Galilei's  herrlichen  Dialogen  kann  man 
genauer  sehen,  wie  der  Kampf  zweier  Weltanschauungen  mit  mathe- 
matischen AV äffen  ausgefochten  wird. 

Das  Gesagte  wii*d  genügen  um  den  Wunsch  zu  begründen,  man 
möchte  den  Gymnasiasten  auch  etwas  über  die  Geschichte  der  exakten 
Wissenschaft  zukommen  lassen.  Interesse  und  Verständnis  der  einzelnen 
Probleme  werden  dabei  sicher  gewinnen.  Ich  möchte  dies  aber  nicht 
nur  der  Mathemathik  zulieb  anraten,  sondern  auch  um  der  kulturge- 
schichtlichen Bildung  willen.  So  manche  Episode  aus  der  älteren  Mathe- 
matik verdiente  allgemeiner  bekannt  zu  sein.  Vor  allem  dürfte  es  an 
einem  Gymnasium  am  Platze  sein  gehörig  zu  betonen,  daß  die  wissen- 
schaftliche Mathematik  eine  Schöpfung  der  (rniclnn  ist.  Wenn  es  als 
ein  Hauptmittel  der  Veredlung  gilt,  sich  in  die  AVerke  jenes  hochsinnigen 
Volke  zu  versenken,  so  möge  man  nicht  vergessen,  daß  der  Mann,  in  dem 
man  gern    die   Blüte    des   Griechentums  verkörpert  sieht,    keinen  Nicht- 


—     243     — 

mathematiker  ins  Allerheiligste  seiner  Gedanken  zulassen  wollte.  Über- 
haupt scheint  das  Verständnis  für  Mathematik  im  Altertum  weit  mehr 
als  notwendigen  Bestandteil  der  Bildung  angesehen  worden  zu  sein,  als  in 
unseren  Zeiten.  (Goethe  z.  B.,  den  man  gelegentlich  mit  Plato  vergleicht, 
war  der  Mathematik  direkt  abgeneigt.)  Sicher  ist,  daß  die  Feinheit  des 
griechischen  Geistes  nirgends  in  glänzenderem  Lichte  erscheint,  als  bei 
der  Entdeckung  des  Irrationalen  durch  Pythagoras  oder  bei  der  Kreis- 
messung Archimeds.  Das  Hauptwerk  Euklids,  das  noch  heute  als  bestes 
Leln'lnich  der  Eknientarfieonidrle  im  Sr/udf/ebraiich  dient,  ist  so  unver- 
gänglich und  in  seiner  Weise  so  vollkommen,  wie  eine  Statue  des 
Praxiteles,  Der  Lehrer,  der  diese  Dinge  kennt,  wird  gern  hie  und  da 
eine  Viertelstunde  opfern,  um  einige  Proben  dieser  griechischen  Mathe- 
matik einzuschalten.  Manche  der  geometrischen  Schriften  der  Alten  sind 
mit  längeren  Einleitungen  versehen,  die  man  den  Schülern  vorlesen  kann, 
und  die  ihnen  die  alte  Welt  einmal  von  einer  Seite  zeigen,  von  der 
man  sie  sonst  nie  zu  sehen  bekommt. 

Ich  hoffe  die  bisherigen  Ausführungen  seien  eindringlich  genug  um 
die  Überzeugung  zu  erwecken,  daß  Mathematik  und  Humanismus  keine 
Gegensätze  sind,  daß  sich  vielmehr  die  Mathematik  sehr  zum  eigenen 
Vorteil  humanistisch  betreiben  läßt.  Ich  meine  damit  natürlich  nicht, 
daß  sich  der  Unterricht  ganz  in  Naturphilosophie  und  Geschichte  auf- 
zulösen habe,  oder  daß  man  den  Aufgaben  der  Praxis  vornehm  aus  dem 
Wege  gehen  solle.  Unser  Bestreben  ist  im  Gegenteil  dahin  gerichtet, 
möglichst  alle  Seiten  der  Wissenschaft  den  Schülern  vorzuführen,  aber 
so,  daß  jeder  Zweig  als  natürlicher  Ausfluß  ihres  innersten  Wesens  er- 
scheint. Man  gebe  bloß  das  Prinzip  auf,  in  der  verfügbaren  Zeit  nur 
möglichst  viel  Wissensstoff  in  die  Köpfe  hereinzupumpen,  beschränke 
vielmehr  sein  Programm,  ohne  etwas  Wesentliches  abzuschneiden,  so, 
daß  man  Zeit  hat,  durch  philosophische  Betrachtungen  und  historische 
Exkurse  den  Stoff  zu  vertiefen.  So  allein  ist  zu  hoffen,  daß  mit  der 
Zeit  das  Vorurteil  gegen  die  „öde"  Mathematik  gebrochen,  daß  ein 
bleibender  Gewinn  des  mathematischen  Unterrichts  und  damit  eine  gleich- 
mäßigere Bildung  erzielt  werde. 

Doch  gesetzt  einmal,  dieser  Vorschlag  fände  allgemeinen  Beifall, 
so  bleibt  noch  die  wichtige  Frage  zu  erledigen,  wie  diese  Reform  des  Unter- 
richts durchzusetzen  sei.  Über  Nacht  geht  dies  natürlich  nicht.  Mit 
Verordnungen,  Programmen,  Lehrbüchern  u.  dgl.  ist  erst  das  wenigste 
getan,  denn  die  beste  Lehrvorschrift  kann  geistlos  befolgt  werden.  Son- 
dern der  Faktor,  der  den  Erfolg  allein  zu  garantieren  vermag,  ist  die 
Persönlichkeit  des  Lehrers.  Mathematik  richtig  zu  lehren  ist  eine 
Kunst,  die  hohe  Anforderungen  stellt.  Soll  der  Unterricht  nicht  bloß 
Kenntnisse,    sondern  Erkenntnis  erzielen,    so  muß  der  Lehrer   mehr  als 


-     244     — 

bloß  Fachmann  sein.  Wer  Euklids  Elemente  oder  Descartes'  Geometrie 
nie  in  der  Hand  gehabt  hat,  wer  sich  nie  mit  den  Grundlagen,  der  Ge- 
schichte und  der  Philosophie  der  Mathematik  beschäftigt  hat,  kann  zwar 
noch  immer  ein  tüchtiger  Lehrer  sein,  doch  wird  er  schwerlich  eine 
tiefere  Wirkung  erzielen.  Ein  Lehrer  gar,  der  kaum  imstande  ist  den 
Inhalt  seines  Leitfadens  zu  beherrschen  und  dessen  ganze  Kunst  im  Ein- 
pauken von  Formeln  besteht,  sollte  an  keiner  höhern  Schule  zugelassen 
werden.  Man  sehe  also  hei  de}'  Wafif  eines  Matluinaliklelirers  für  obere 
Klassen  auch  auf  hunuinistische  Bildung  und  a/Igemeinere  Interessen.  Frei- 
lich woher  solche  Lehrer  leicht  bekommen?  Es  ist  nämlich  nicht  zu 
leugnen,  daß  dem  Vorurteil,  die  Mathematik  habe  keinen  Bildungswert, 
durch  deren  Vertreter  häufig  Vorschub  geleistet  wird.  Es  ist  nicht  ganz 
aus  der  Luft  gegriffen,  wenn  man  so  oft  hört,  die  Mathematiker  seien 
gewöhnlich  einseitige  Schablonenmenschen,  in  ihre  Spezialität  verbohrt, 
ohne  Sinn  für  AVerte,  die  sich  nicht  berechnen  lassen.  Wahr  ist  jeden- 
falls, daß  der  Studiengang  vieler  späterer  Mathematiklehrer  viel  zu  ein- 
seitig ist.  Die  jungen  Leute,  die  für  dies  Fach  vielleicht  nicht  einmal 
ein  tieferes  Interesse,  sondern  bloß  einige  Leichtigkeit  im  Erlernen  des- 
selben besitzen,  hören  das  gewöhnliche  Repertoire  von  naturwissenschaft- 
lichen Kollegien  durch,  wobei  sie  sich  wohl  hüten,  „zuviel"  zu  lernen 
oder  gar  Zeit  an  unnötige  Xebenstudien  zu  verschwenden.  Diese  ver- 
lassen dann  die  Universität  vielleicht  mit  Auszeichnung,  ohne  daß  man 
ihnen  im  übrigen  viel  von  Bildung  anmerkt.  Es  ist  daher  vor  allem  die 
Aufgabe  der  höheren  Lehranstalten,  den  Studierenden  beizubringen,  daß 
zum  tieferen  (nicht  bloß  formalen)  Verständnis  von  Mathematik  und 
Physik,  wie  sie  von  einem  Gymnasiallehrer  unbedingt  gefordert  werden 
muß,  eine  gewisse  philosophische  und  historische  Bildung  unerläßlich 
ist.  Weiter  muß  dann  natürlich  an  allen  Universitäten  dafür  gesorgt 
werden,  daß  regelmäßige  Vorlesungen  über  Geschichte  und  Philosophie 
der  exakten  Wissenschaften  abgehalten  werden.  Noch  besser  wären  viel- 
leicht besondere  Kurse  über  mathematische  Pädagogik,  wie  sie  z.  B.  Prof. 
Pringsheifn  vorschlägt.  Die  Hochschulen  haben  ja  leider  die  Fühlung 
mit  den  Schulen  teilweise  verloren  und  kümmern  sich  viel  zu  wenig  um 
die  Bedürfnisse  der  Pädagogen.  Diesen  ist  mit  der  Anhäufung  von  Tat- 
sachen, auf  die  sich  die  mathematisch-naturwissenschaftlichen  Kollegien 
meist  beschränken,  allein  nicht  gedient,  sie  sollten  den  Stoff  auch  in 
einer  ihren  Zwecken  entsprechenden  Verarbeitung  überliefert  bekommen. 
Also  auch  die  Universitätsmathematik  muß  sich  herablassen  An- 
strengungen zu  machen,  wenn  der  Mathematikunterricht  an  den  Schulen, 
speziell  am  Gymnasium,  in  humanistischem  Sinne  reformiert  werden  soll. 
Überhaupt  ist  dieser  Hochschuhnatheniatik  vorzuwerfen,  daß  sie  sich 
wenig  oder  gar  nicht  bemüht  bei  einem  weiteren  Publikum  Verständnis 


—     245     — 

zu  finden,  ohne  zu  bedenken,  daß  dies  für  sie  selbst  Folgen  haben  kann. 
Es  ist  wenigstens  bemerkenswert,  daß,  während  die  Naturwissenschatten 
für  die  breitesten  Schichten  popularisiert  werden,  eine  populäre  Mathe- 
matik meines  Wissens  nicht  existiert.  Und  doch  wäre  eine  solche  kein 
Ding  der  Unmöglichkeit,  so  paradox  dies  auch  solchen  vorkommen  mag, 
die  von  der  Mathematik  nur  die  formale,  rechnerische  Seite  kennen. 
Denn  die  Grenzen  der  weitverzweigten  Wissenschaft  ragen  von  ver- 
schiedenen Seiten  in  die  gewöhnliche  Interessensphäre  des  gebildeten 
Publikums  hinein,  von  wo  aus  daher  dessen  Aufmerksamkeit  auf  mathe- 
matische Fragen  gelenkt  werden  könnte. 

Fassen  wir  zum  Schluß  das  Gesagte  nochmals  kurz  zusammen. 
Wir  gingen  aus  von  der  Tatsache,  daß  die  Mathematik  von  der  Mehr- 
zahl der  Gebildeten  ignoriert  oder  völlig  verkannt  wird.  Die  Schuld 
erblicken  wir  in  der  üblichen  Unterrichtsweise,  die  dieses  Fach  bloß  von 
realen  und  formalen  Gesichtspunkten  aus  behandelt.  Soll  eine  Besserung 
eintreten,  so  muß  vor  allem  der  ideale  Wert  der  Wissenschaft,  ihr  letzter 
Zweck  und  Inhalt  gelehrt  werden.  Das  Gleiche  gilt  für  Physik,  Chemie 
und  die  beschreibende  Naturwissenschaft.  Eine  solche  humanistische 
Behandlung  des  Stoffs  wäre  auch  im  Interesse  der  einheitlichen  Durch- 
führung des  gymnasialen  Erziehungsgedankens  zu  begrüßen.  Dazu  braucht 
es  aber  Lehrer,  die  neben  guten  Fachkenntnissen  auch  historische  und 
philosophische  Interessen  besitzen.  Der  systematischen  Ausbildung  solcher 
geeigneter  Lehrkräfte  haben  daher  die  Universitäten  in  höherem  Maße 
als  bisher  Rechnung  zu  tragen. 

Wir  haben  uns  bei  unseren  Ausführungen  streng  auf  das  huma- 
nistische Gymnasium  beschränkt,  um  uns  nicht  mit  denjenigen  Schulmännern, 
die  bloß  praktische  Ziele  des  Unterrichts  gelten  lassen,  auseinander  setzen 
zu  müssen.  Wir  glauben  allerdings,  daß  auch  für  Realschulen  eine  Dosis 
Philosophie  nicht  zu  verachten  wäre,  da  damit  größeres  Interesse  und 
dadurch  wieder  leichteres  Verständnis  erzielt  werden  könnte.  Alle  Ein- 
seitigkeit ist  schließlich  unfruchtbar. 

Unsere  Vorschläge  haben  wenigstens  den  Vorteil,  daß  sie  schon 
durch  Einsicht  und  guten  Willen  der  maßgebenden  Persönlichkeiten  einiger- 
maßen erfüllt  w^erden  können,  ohne  daß  einschneidende  Änderungen  im 
Schulplan  getroffen  werden  müßten.  Denn  sie  zielen  bloß  auf  die  Ver- 
besserung der  Qualität,  nicht  der  Quantität.  Und  da  bekanntlich  die 
Lehrer  nicht  nach  der  Qualität,  sondern  nur  nach  der  Quantität  ihrer 
Unterrichtsstunden  honoriert  zu  werden  pflegen,  so  erwächst,  wenn  wir 
vom  letzten  Punkte  absehen,  auch  dem  Staatsbudget  aus  unserem  Vor- 
schlag keine  Mehrbelastung.  Besonders  dieser  Umstand  berechtigt  mich 
zu  der  Hoffnung,  daß  da  und  dort  diesen  Anregungen  Gehör  geschenkt 
und   die  Wirkung    eines    humanistischen  Mathematikunterrichts    auf  die 


—     246     — 

Schüler  erprobt  werde.  Ich  bin  ja  überzeugt,  daß  einzehie  Lehrer  dies 
seit  langem  schon  versucht  haben,  doch  sind  diese  jedenfalls  bis  heute 
vereinzelt  geblieben.  Meine  eigenen  Erfahrungen  in  dieser  Hinsicht  sind 
an  Zahl  noch  gering,  haben  mich  aber  in  dem  Glauben  bestärkt,  daß  der 
angegebene  Weg  der  richtige  sei.  Möge  er  bald  von  vielen  betreten 
werden  ! 

Basel,  7.  April  1907. 


Zur  Komposition  des  Velleius. 

Von 
Friedrich  Münzer. 


Es  bedarf  keiner  Rechtfertigung,  wenn  einer  in  Basel  tagenden 
Versammlung  von  Philologen  einige  Bemerkungen  über  Velleius  darge- 
bracht werden;  in  Basel  ist  ja  Velleius  vor  bald  vierhundert  Jahren  ans 
Licht  gezogen  worden.  *)  Wie  kommt  es  wohl,  daß  ohne  den  glücklichen 
Fund  des  Beatus  Bhenanus  im  Kloster  Murbach  ums  Jahr  1515  beinahe 
die  ganze  Existenz  des  Velleius  in  völliges  Dunkel  gehüllt  wäre?  Die 
Antwort  darauf  kann  nur  sein  Werk  selbst  geben.  Es  ist  eines  von  den 
literarischen  Erzeugnissen,  wie  sie  in  Zeiten  einer  weiten  Verbreitung 
allgemeiner  Bildung  täglich  entstehen  und  vergehen;  sein  Verfasser  ge- 
hört zu  jenen  Literaten  der  römischen  Kaiserzeit,  die  kürzlich  Wila- 
mowitz  (Griech.  Literaturgesch.  151)  treffend  charakterisiert  hat:  „Die 
Journalisten  verschneiden  den  alten  schweren  Stoff,  den  die  Gelehrten 
mit  saurer  Arbeit  einst  gewoben  hatten,  zu  den  Läppchen  ihrer  Essays 
und  Artikelchen  und  bilden  sich  ein,  er  gehörte  ihnen,  weil  sie  ihm  von 
sich  ein  paar  Flitter  und  Schleifen  aufsetzen,  wenns  Glück  gut  ist,  einen 
Similibrillanten."  Der  Zufall,  der  uns  den  Velleius  zum  größern  Teil 
erhalten  hat,  hat  es  mit  ihm  und  mit  uns  gut  gemeint,  indem  er  die 
letzten  Abschnitte  bewahrte  und  die  ersten  untergehen  ließ,  während  sonst 
meistens  das  Umgekehrte  eingetreten  ist;    denn  Velleius  hat  die  letzten 


1)  Nachdem  dann  vor  siebzig  Jahren  die  Entdeckung  der  Amerbachschen  Ab- 
schrift in  der  Basier  BibHothek  das  Interesse  für  Velleius  von  neuem  belebt  hatte,  ist 
auch  in  der  Schweiz  das  Beste  geschrieben  worden,  was  wir  über  Velleius  im  allge- 
meinen besitzen,  von  dem  damals  in  Zürich  tätigen  H.  Sauppe  im  Schweizerischen 
Museum  1837.  I  1.S3  ff.  =  Ausgewählte  Schriften  (Berlin  1896i  B9  ff.  (mit  den  Seiten- 
zahlen des  Originaldrucks,  die  daher  zitiert  werden).  Der  Gesamtauffassung  des  Velleius 
bei  Sauppe  steht  meine  eigene  bisweilen  näher  als  der  bei  Klebs  Philologus  1890. 
XLIX  285  ff.  Vgl.  außerdem  noch  Peter  Geschichtl.  Literatur  über  die  römische 
Kaiserzeit  I  382  ff. 


—     248     — 

Abschnitte  am  selbständigsten  und  am  leichtesten  niederschreiben  können, 
und  wir  müssen  sie  am  höchsten  schätzen,  weil  sie  unser  Wissen  am 
meisten  bereichern.  Wir  haben  darum  Grund,  dem  Zufall  zu  danken, 
aber  wir  dürfen  unser  Urteil  nicht  von  ihm  allein  bestimmen  lassen. 
Eine  Geschichte  der  römischen  'Literatur,  die  ihren  Namen  wirklich  ver- 
dient, kann  an  Velleius  vorübergehen,  ohne  ihn  auch  nur  zu  nennen.') 
Darin  liegt  ein  hartes  Urteil,  das  jedoch  nicht  unberechtigt  ist;  zu 
seiner  Begründung  soll  auch  die  folgende  Untersuchung  beitragen,  zu- 
gleich die  Probe  einer  Quellenkritik,  die  nicht  in  erster  Linie  durch 
Quellenvergleichung  zum  Ziele  gelangen  will. 

In  dem  Werke  des  Velleius  erkannte  Sauj^pe  158  „nicht  sowohl 
eine  Entwicklung  der  Begebenheiten  in  ruhiger  Zeitfolge,  als  den  Katalog 
einer  chronologisch  geordneten  Galerie  von  Porträts  aus  der  römischen 
Geschichte,  jede  Xummer  begleitet  von  allerlei  historischen  Notizen  über 
die  Persönlichkeit  des  Porträtierten."  Eine  solche  Art  der  Behandlung 
war  bei  den  Griechen  für  die  Geschichte  ihrer  Literatur,  Wissenschaft 
und  Kunst  die  allein  übliche  gewesen,  während  sie  in  der  Geschichte 
der  Völker  und  Staaten  mehr  die  große,  zusammenhängende  Entwicklung, 
als  die  Wirksamkeit  einzelner  Persönlichkeiten  erfaßten.  Diese  Auffassung 
der  politischen  Geschichte  begann  sich  in  Rom  zu  ändern,  je  mehr  die 
persönliche  Herrschaft  Einzelner  als  das  letzte  Ziel  aller  Kämpfe  hervor- 
trat. Der  Anteil  der  PersönlichklRten  an  dem  Werdegange  des  röraisclien 
Volkes  wurde  mehr  und  mehr  ins  Licht  gesetzt,  von  den  Einen  durch 
Verherrlichung  ihrer  Ahnen  in  Wort  und  Schrift  und  Bild,  von  den 
Andern  durch  die  der  eigenen  Verdienste.  Und  wenn  man  den  langen 
Reihen  der  hellenischen  Geistesgrößen  trotz  aller  Mühe  keine  recht  eben- 
bürtigen römischen  zur  Seite  zu  stellen  vermochte,  so  zählte  man  mit 
desto  mehr  Stolz  die  Männer  auf,  die  den  eigenen  Staat  so  hoch  über 
die  gefeiertsten  der  hellenischen  Staaten  erhoben  hatten.  Unter  diesem 
Gesichtspunkt  des  wachsenden  Interesses  für  die  Persönlichkeit  in  der 
Geschichte  können  mancherlei  Erscheinungen  im  Leben  und  in  der  Lite- 
ratur der  letzten  republikanischen  Zeit  betrachtet  werden;  die  neue 
Monarchie  hat  auch  in  diesem  Punkte  ihr  feines  Verständnis  für  die 
Forderungen  und  Strömungen  ibrer  Zeit  bekundet:  Die  Ahnengalerie 
nicht  eines  Geschlechtes,  sondern  des  ganzen  Volkes,  das  adeliger  war 
als  alle  anderen,  hat  erst  der  Dichter  in  begeisterter  Vision  geschaut, 
und  dann  der  Kaiser  in  vollem  Glänze  erstehen  lassen,  natürlich  so, 
daß    seine    und  seines  Hauses  Herrlichkeit    alle    andere    überstrahlte.  *) 


')  Leo  Rom.   Literaturgesch.  Hbb^^-il-i. 

-)  Kür  die  hier  gegebenen  Andeutungen  sind  viele,  aber  nicht  alle  Belege  in 
Leos  l{uche  über  die  Griechisch-römische  Biographie  und  in  Premersteins  Artikel 
„Elogium"  (Pauly-AVissowa  V  2442  ff.)  zu  finden.     Daß  zwischen  Vergils  Heldenschau 


—     249     — 

An  diese  ganze  Entwicklung  knüpft  Velleius  an;  der  Abstand  einer 
Generation  bezeichnet  freilich  einen  tiefen  Abfall  in  jeder  Hinsicht. 
Doch  kommt  es  hier  nicht  darauf  an,  wie  sich  bei  ihm  der  Abschluli 
der  Porträtgalerie  gestaltet*),  sondern  der  Anfang;  soweit  wir  sehen 
können,  löst  sich  ihm  die  Geschichte  Roms  in  die  der  großen  Römer 
auf,  weil  sie  von  ihm  zum  guten  Teile  nur  aus  Biographien  zusammen- 
gesetzt worden  ist.-) 

Die  meisten  historischen  Persönlichkeiten  hatten  nicht  besondere 
Biographien  von  verschiedenen  Verfassern  erhalten,  sondern  nur  solche 
innerhalb  umfassenderer  Sammlungen.  Allgemein  anerkannte  Größen, 
wie  Marius  und  Sulla,  ■^)  Pompeius  und  Caesar  durften  natürlich  in  keiner 
solchen  fehlen;  bei  anderen  Männern  konnte  der  Sammler  eine  ver- 
schiedene Auswahl  treffen,  wie  es  z.  B.  Xepos  und  Plutarch  bei  den 
berühmten  griechischen  Feldherren  getan  haben.  *)  Von  Augustus  wird 
bezeugt  (vgl.  CIL  I-  p.  186),  daß  er  für  seine  Ruhmeshalle  die  Feld- 
herren auswählte,  die  Rom  groß  gemacht  hatten;  er  schloß  aber  nach- 
weislich auch  Männer  nicht  aus,  die  wie  M'.  Valerius  Maximus  und 
Ap.  Claudius  Caecus  ihren  Ruhm  wesentlich  daheim  und  im  Frieden  er- 
worben hatten.  Wer  dagegen,  wie  der  Auetor  de  viris  illustribus  urbis 
Romae  die  ganze  römische  Geschichte  in  Form  von  Biographien  zur 
Darstellung  bringen  wollte.^)  durfte  keine  darin  genannte  Persönlichkeit 
übergehen,  auch  wenn  sie  bei  der  Nachwelt  nicht  in  guten  Andenken 
stand,  ja  sogar  wenn  sie  die  Größe  Roms  zu  mindern  und  zu  stürzen 
getrachtet  hatte.  Gleichsam  in  der  Mitte  zwischen  diesen  entgegenge- 
setzten Staudpunkten  steht  Plutarch  mit  seiner  Auswahl  der  berühmten 
Römer,  denn  er  „handelt  ausschließlich  von  Männern,  die  Geschichte 
gemacht  haben,  und  doch  verwahrt  er  sich  nachdrücklich  dagegen,  Ge- 
schichte zu  schreiben"  (Leo  Griech.-röm.  Biographie  146).  Er  zog  daher 
den  Kreis  weiter  als  Augustus,  indem  er  auch  einen  Coriolan  und  einen 

> 

und  dem  Plane  des  Augustus  für  die  Ausschmückung  seines  Forums  ein  Zusammen- 
hang besteht,  braucht  nur  ausgesprochen  zu  werden,  um  einzuleuchten  (vgl.  Norden 
Kommentar  zu  Yerg.  Aen.  YI  S.  3U9).  Nicht  zugänglich  ist  mir  G.  Schön  Die  Ele- 
gien des  Augustusforums  und  der  Liber  de  vir.  ill.  Progr.  von  Cilli  1895. 

1)  „Ist  Caesar  der  Positiv,  Augustus  der  Kompai-ativ,  so  sollte  Tiberius  als 
Superlativ  sie  übertreffen"  (Peter  Geschichtl.  Lit.  I  387). 

-)  Vgl.  von  Früheren  Sauppe  155  ff.  Burmeister  De  fontibus  Vellei  Paterculi. 
Diss.  Berlra  1894  =  Berliner  Studien  f.  klass.  Philol.  XV  1  S.  21  ff.  Leo  Griech.-r.im. 
Biographie  240  f. 

3j  Bei  Vergil,  der  als  Dichter  in  der  Auswahl  freier  ist,  durfte  allerdings  Sulla 
fehlen,  auf  dem  Augustusforum  aber  nicht  (vgl.  CIL  P  p.  196  el.  XX). 

•*)  Vgl.  Christ  Gesch.  der  griech.  Lit.*  677. 

5)  Ganz  aus  dem  Plane  heraus  fällt  sem  22.  Kapitel:  Aesctilapim  Roinani  ad- 
veetus  ;  vgl.  auch  Leo  Griech.-röm.  Biographie  310. 


—     250     — 

Sertorius  und  auch  die  Gegner  des  Caesar  und  des  Augustus  selbst, 
Cato,  Brutus,  Antonius,  aufnahm  ^)  ;  aber  er  ging  nidit  so  weit  wie  der 
Auct.  de  vir.  ill.,  der  sogar  Männern  wie  Mancinus,  Saturninus,  Fimbria 
und  Cinna,  dem  Sohne  Marius  und  Sex.  Pompeius  besondere  Abschnitte 
widmete.  Die  Schriften  de  viris  illustribus,  die  dem  Velleius  vorlagen, 
konnten  nun  ihrerseits  eine  sehr  verschiedene  Auswahl  der  berühmten 
Männer  getroffen  haben,  und  Velleius  selbst  konnte  sich  ihnen  auch 
wieder  sehr  frei  gegenüberstellen.  Denn  wenn  er  die  ganze  römische 
Geschichte  behandeln  wollte,  so  mußte  er  eigentlich  solche  Quellen  be- 
vorzugen, die  den  geschichtlichen  Stoff  in  der  üblichen  chronologischen 
Anordnung  boten,  und  nur  in  zweiter  Linie  solche  heranziehen,  die  ihn 
in  Biographien  zerlegten.  Aber  es  ist  für  ihn  sehr  bezeichnend,  daß  er 
vielmehr  in  großen  Abschnitten  die  Biographien  zu  Grunde  legt  und 
den  Geschichtsdarstellungen  nur  das  entnimmt,  was  zu  der  Verbindung 
und  Ergänzung  jener  notwendig  ist.  Das  ist  bei  den  bedeutendsten  Per- 
sönlichkeiten, die  im  Zeitalter  der  Bürgerkriege  eine  Rolle  gespielt  haben, 
und  namentlich  bei  denen  der  Herrscher  Caesai',  Augustus,  Tiberius  am 
deutlichsten;  Velleius  verzichtet  immer  mehr  auf  die  Heranziehung  von 
allgemein  geschichtlichen  Darstellungen,  je  mehr  die  einzelne  Biographie 
von  dem  gesamten  geschichtlichen  Stoff  in  sich  aufzunehmen  hatte.  Aber 
dasselbe  hat  er  auch  in  den  früheren  Partien  getan;  nur  gibt  er  sich 
dort  notgedrungen  seiner  Neigung  nicht  in  demselben  Maße  hin,  sondern 
muß  das  Gerüst  seines  Werkes  aus  chronologisch  fortschreitenden  Ge- 
schicbtswerken  entnehmen,  darf  nur  zu  seiner  Ausschmückung  und  Ver- 
kleidung die  biographische  Literatur  verwerten.  Das  Streben,  beide 
Gattungen  miteinander  zu  verljinden  und  die  zweite  möglichst  zu  bevor- 
zugen, führt  nun  zu  einer  sehr  unruhigen  und  ungenießbaren  Darstellung, 
während  die  späteren  Abschnitte  mehr  in  einem  Zuge  geschrieben  sind. 
Die  Analyse  der  ersten  Teile,  die  uns  von  der  römischen  Geschichte 
erhalten  sind,  bildet  die  Grundlage  der  folgenden  Untersuchungen. 

II. 

Velleius  hat  nicht  nur  die  römische,  sondern  die  allgemeine  Ge- 
schichte geschrieben,  daher  ist  von  den  Biographien  der  Nichtrömer 
auszugehen.  Bei  dem  Verlust  der  ganzen  griechischen  Geschichte  kommen 
lediglich  die  von  Römerfeinden  in  Betracht,  von  denen  der  Auetor  de 
vir.  ill.  vier  Könige  behandelt,  Pyrrhos.  Antiochos,  ]Mithridates  und 
Kleopatra.     T)ar)   die  Könige  Porsena   und  vollends  Jugurtha  fehlen,  ist 


1)  üb  die  1  leiden  Ci raccheu  .Statueu  auf  dem  Augustusturum  erhielten,  ist  zweifel- 
haft, obgleich  ihr  Vater,  der  zweimal  triumjjhiert  hatte,  dort  niclit  fehlen  durfte  (CIL 
P  p.  195  el.  XVI I,  und  (iracchi  t/euns  von   Vergil.  Aen.   \'J  Si'2  oreiiannt  wird. 


—     251     — 

befremdend,  aber  wobl  gerade  aus  alter  Tradition  der  hellenistiscben 
Geschichtsclireibung  zu  erklären,  indem  die  Lebensbeschreibung  von 
Barbarentursten  nur  in  der  ihrer  Gegner  untergebracht  wurde.  Statt 
einer  zusammenhängenden  Erzählung  des  Porsenakrieges,  worin  der  König 
die  Haujitperson  gewesen  wäre,  gibt  der  Auct.  de  vir,  ill,  die  Veran- 
lassung des  Krieges  im  Leben  des  Tarquinius  Superbus  (8,5)  und  die 
drei  wichtigsten  Episoden  unter  den  Namen  ihrer  Helden  Horatius 
Cooles,  Mucius  Scaevola  und  Cloelia.  Bei  Jugurtha  hätte  doch  sein  Tod, 
wie  ihn  Plut.  Mar.  12  erzählt,  jeden  antiken  Historiker  oder  Biographen 
zur  packenden  Darstellung  reizen  müssen  ;  aber  schon  bei  Sallust  schließt 
die  Lebensgeschichte  vielmehr  (lug.  113,7):  Inf/url/ta  Sul/ae  riiir/iis  Ira- 
ditur  et  ab  eo  ad  Mar'mm  dcducifnr^)-^  dasselbe  ist  beinahe  alles,  was  der 
Auct.  de  vir.  ill.  von  dem  Numider  meldet,-)  und  auf  dasselbe  ungefähr 
beschränkt  sich  auch  Yelleius.  Bei  ihm  fällt  es  besonders  auf,  daß  er 
der  Aufführung  Jugurthas  im  Triumphe  des  Marius  nichts  mehr  hinzu- 
fügt (II  12,1),  da  er  doch  von  Perseus  nach  der  Aufführung  im  Triumphe 
des  Siegers  (I  9,5  und  6)  den  ganz  gleichgültigen  und  unrühmlichen 
Tod  mit  Angabe  von  Ort  und  Zeit  der  Erwähnung  wert  findet  (I  11,1). 
Im  Negativen  zeigt  sich  hier  also  eine  Übereinstimmung  verschiedener 
Biographiensammlungen. 

Perseus  ist  von  ihnen  allerdings  nicht  gleichmässig  beachtet  worden  ; 
der  Auct.  de  vir.  ill.  gedenkt  seiner  nur  in  der  Vita  seines  Überwinders 
L.  Aemilius  Paullus  in  aller  Kürze  (56,3);  dem  Velleius  dagegen  stand 
eine  Lebensbeschreibung  des  letzten  Makedonenkönigs  zu  Gebote  und 
wurde  nun  von  ihm  verknüpft  mit  der  des  Aemilius  Paullus.  Beiden 
gemeinsam  war  der  wichtigste  Abschnitt,  die  Schlacht  bei  Pydna;  in 
diesem  Knoten  verschlingen  sich  bei  Vell,  I  9,4  gewissermaßen  die  vor- 
her und  wieder  nachher  getrennten  Fäden  beider  Lebensläufe.  Der  An- 
fang der  Biographie  des  Perseus  ist  mit  dem  größten  Teile  des  ersten 
Buches  verloren  gegangen;  das  Erhaltene  beginnt  19,1:  *  *  *  qaa/tt 
timutrat  hostis.  e.rpetit.  iiani  hkunio  adeo  varia  fortana  cum  connulUnis 
conßUerat.  u1  plerumque  superior  foret'^)  magnamque  park  m  Graeciae  in 


1)  Ygl.  114,  3:  lugnrtham  Romam  adduci  nuntiatum  est. 

-)  Auct.  de  vir.  ül.  62,1:  Metellus  de  lugurtha  rege  yiimidiae  triinnphavU;  67,1: 
Marius  liigurtham  captum  ante  currum  egit:  75,2:  Sulla  lugnrlham  a  Boccho  in  deditionem 
accepit.  Über  Vell.  n  9.4  s.  u.  S.  263. 

3)  Foret  ist  eine  alte  Konjektur  für  das  überlieferte  fuit,  das  Rhenanus  still- 
schweigend in  fiierit  änderte.  Scholl  Rhein.  Mus.  LUI  525  findet  den  Oredanken  un- 
logisch: Adeo  varia  fort ima,  iit  plerumque  sujjerior  foret;  aber  auch  vom  Viriathischen 
Kriege  heißt  es  11  1,3:  Quod  ita  varia  forluna  gestum  est,  ut  saepius  Romanorum 
gereretur  adversa,  sodaß  Yelleius  doch  wohl  glaubte,  in  dieser  Form  seinen  Gedanken 
besonders  fein  ausgedrückt  zu  haben.  Ygl.  auch  55.1  von  Caesar:  Primo  varia  forluna, 
mox  pugnavit  sua  (und  dazu  wieder  63,5:  Plancus dubia,  ist  est  sua  fide).  Nach 


—     252     — 

societateiti  auaui  jxrdNccref.  Ist  auch  der  verstümmelte  Anfang  nicht 
sicher  zu  ergänzen,  so  war  doch  offenbar  Perseus,  der  liost'm  des  Relativ- 
satzes, vorher  mit  Namen  genannt  und  eingeführt,  da  er  sonst  nicht 
Subjekt  des  folgenden  Hauptsatzes  sein  könnte.     Dann    wird    er  wieder 

Subjekt  und  Hauptperson  9,4:  Ifi  Persum coefiit  e  Macedonia  pro- 

fiujere,  quam  tl/e  ünquens  in  insidtun  Samothraciam  profuifd^)  tempUque 
m  relif/ioni  supplircni  cndid'd.  ad  einu  Cn.  Octarhis  praetor,  f/ai  c/assi 
praeerat,  percenit  et  ratione  magis  (juam  vi  permasit,  ut  se  Romanorum 
fidei  committeret.  ita  Paulhts  martmum  nohdimmumque  regem  in  triumpito 
diixit.  Verglichen  mit  der  kurzen  Andeutung  der  Entscheidungsschlacht 
erscheint  diese  Erzählung  der  persönlichen  Schicksale  des  Königs  un- 
verhältnisraässig  breit;  die  Verknüpfung  mit  dem  Vorhergehenden  ist 
ungeschickt;  nicht  nur  das  Wort  pro f tigere  wird  wiederholt,  sondern  in 
der  Bemerkung  9,6,  daß  der  Triumph  des  Paullus  die  früheren  rel  magni- 
fadine  regis  Persei  übertrofi'en  habe,  wird  auch  der  Gedanke  des  Satzes  ita 
PauJlus  cet.  noch  einmal  kürzer  ausgedrückt.  Das  alles  spricht  für  die 
Verbindung  zweier  Vorlagen,  von  denen  die  eine  den  Blick  nur  auf  den 
König  richtete.  Unmittelbar  an  das  von  ihm  Berichtete  schließt  sich 
dann  an  11,1:    Post  cietum  cajJtuntf/ae  Persen.    qui   quadriennio  post   in 

lihera  custodia  Allme  decessif,  Pseudop/filipjnis breii  temeritatis  poenas 

(ledit.  Hier  wird  erstens  der  Ausgang  des  Perseus  erzählt,  dessen  Fehlen 
niemand  als  eine  Lücke  empfinden  würde,  und  eng  damit  verbunden 
wird  über  zwei  Jahrzehnte  hinweg  die  Geschichte  des  falschen  Philippos. 
Wahrscheinlich  hatte  die  benutzte  Perseusbiographie  einen  Anhang  über 
den  angeblichen  Sohn  ihres  Helden,  gerade  wie  auch  beim  Auct.  de  vir. 
ill.  trotz  des  Zeitabstandes  der  Sohn  des  Decius  unmittelbar  an  den 
Vater,  der  Sohn  Marius  ebenso  an  den  Vater  —  vor  Cinna  und  Fimbria  — 
angehängt  wird.  Vielleicht  darf  man  weitergehend  vermuten,  daß  in  der 
Vorlage  des  Velleius  die  ganze  Reihe  der  makedonischen  Könige  dar- 
gestellt war-)  bis  herab  auf  den  Prätendenten,  der  deshalb  nicht  mit 
seinem  wahren  Namen  Andriskos  bezeichnet  wurde,  sondern  nur  mit  dem 
angemaßten,  weil  dieser  seine  Aufnahme  in  die  Reihe  rechtfertigte. 

Auch  eine  Lebensbeschreibung  des  Mithridates  dürfte  dem  Velleius 
zur  Verfügung  gestanden  haben,  wenngleich  sie  nur  für  dessen  Anfänge 

Abfassung  meines  Aufsatzes  lerne  ich  die  Bemerkungen  von  Noväk  Wien.  Stud.  XX  VIII 
285  kennen,  die  mit  meinen  eigenen  hier  völlig  ühereiustimnien. 

Ï)  Das  ülierlieferte  jirofunit  wird  allgemein  in  perfiii/it  geändert  unter  Be- 
rufung auf  23,.S:  Maior  pars  nobilUatii,  ad  Sitllam  in  Acliaiam perfinjU.,  kann 

aber  auch  verteidigt  werden  durcli  die  Überlieferung  24,2:  Cum  coUcjiue  eins  ....  ad 
Sullain  p rofiifiUment. 

')  Der  Anfang  der  Reihe  liegt  vor  liei  Nepos  de  reg.  2,1,  der  hier  von  den 
Viten  Philipps  und  Alexanders  nur  den  Schluß,  das  Lebensende,  aufninmit.  Vgl.  auch 
S.  254,2. 


—     258     — 

benutzt  und  später  bei  Seite  gelassen  wurde,  weil  der  geschicbtliclie 
Stoff  obnebin  gewaltig  anscbwoll.  An  die  Notiz  1117,1:  ilitiisithtliiDi 
inkruut  ij.  J^nnpiius  et  L.  OjrNc/im^  SiiUu.  schließt  sich  als  die  genaue 
Fortsetzung  an  II  18,3  Ende:  Sorte  ofwenif  Sullae  Asia  proiiiicKt  :  zwischen 
beide  Sätze  schiebt  sich  aber  erstens  die  ganze  Vorgeschichte  Sullas 
und  zweitens  die  des  Mithridates.  Die  letztere  (18,1 — 8)  wird  in  die 
denkbar  ungeschickteste  Form  gekleidet,  als  Vordersatz  zu  dem  ange- 
führten kurzen  Hauptsätzchen  gestaltet,  durch  Parenthesen  und  Exkurse 
zu  den  Parenthesen  unterbrochen,  durch  die  ungenaue  Zeitbestimmung 
jK-r  ea  tcmpora  lose  mit  der  genauen  Datierung  nach  den  Konsuln  ver- 
knüpft. Aufgelöst  in  ihre  Bestandteile,  läßt  sie  sich  passend  mit  der 
Vita  Mithridats  beim  Auct.  de  vir.  ill.  76  vergleichen:  Der  Huld  wird 
mit  Namen  und  Titel  eingeführt  fMtf/iriflafes  Poiiticii.s  rcr  Vell.,  Mif/iri- 
(kites  red-  Pont}  Auct.  1);  seine  Abstammung  ist  bei  Vell.  weggelassen; 
es  folgt  die  Charakteristik,  beim  Auct.  1:  mof/nfi  vi  (uihnl  et  corporia. 
ergänzt  durch  zwei  Anekdoten  als  Belege  für  beide  Seiten,  bei  Vell.  im 

Kern  übereinstimmend  (semper  (uümo  ma.nmus mtfes  nuumj.  aber 

breiter  und  kunstvoller  ausgeführt  mit  einer  Fülle  echt  Velleianischer 
Antithesen.^)  Von  dem  Mithridatischen  Kriege  geben  beide  Schriftsteller 
dieselben  drei  Tatsachen  au:  Erstens  occupata  A.sia  Vell.,  ausführlicher 
Auct.  2:  Nicomeden  Bit/ii/nia.  Anof)arzanen  Cappadœia  exputtt  :  zweitens 
die  Ermordung  der  in  Asien  weilenden  Bömer;  drittens  den  Abfall  der 
Griechen  von  Rom  mit  Ausnahme  der  ßhodier.  Bei  der  zweiten  mit 
besonderer  Genauigkeit  erzählten  Tatsache  ist  die  Übereinstimmung 
zwischen  Vell.  und  Auct.  3  eine  vollständige;  bei  der  ersten  ist  die 
scheinbare  Abweichung  nur  eine  Folge  der  starken  Verkürzung  der  Vor- 
lage und  bei  der  dritten  eine  Folge  der  persönlichen  Neigung  des  Velleius, 
die  Treue  der  Rhodier,  die  eigentlich  Nebensache  ist,  so  stark  zu  be- 
tonen, daß  er  die  Hauptsache,  die  Treulosigkeit  der  übrigen  Griechen, 
darüber   fast  vergißt.-)     Seine   Zusammenfassung  alles    Gesagten:    Cum 

1)  Die  Einführung:  Vir  neque  silendus  neqite  dicendus  sine  cura,  erinnert  weniger 
an  I  2,1:  Codrvs  vir  no)i  prnelereundiis,  als  an  andere  Stellen,  II  17,1:  (Sulla)  vir  qui 
nerpie  adfinem  vicloriae  (vgl.  dazu  Herwerden  Mnemosyne  XXXII  98  f.)  satis  laudari  neque 
post  victoriain  salis  vilu/jeravi  j)Oiest:  67,1:  Huius  totius  temporis  (der  Proskriptionen 
der  Triumvim) /or/?^na;«  ne  deflere  quidem  qvigquam  satis  potvit,  adeo  nemo  exprimere 

verbis  polest;  101,1:  C.  Caesar tarn  varie  se  ibi  yessit.nt  nee  laudaturum  magna 

nee  vituperati/rum  medioeris  materia  deßciat.  Der  pointierte  Ausdruck  darf  in  solchen 
Fällen  nicht  üVier  die  Unsicherheit  des  Urteils  und  die  Armut  des  Gedankens  täuschen. 
Die  Charakteristiken  des  Yelleius,  die  Sauppe  160  noch  zu  günstig  beurteilt,  sind 
meistens  gerade  so  einseitig  wie  die  des  Xepos  oder,  wenn  die  Meinungen  der  Vor- 
gänger auseinandergehen,  aus  Widersprüchen  zusammengesetzt.  Über  Sulla  wörtlich 
dasselbe  bei  Val.  Max.  IX  2,1:  Quem  neque  laudare  neque  vituperare  quigquam  satis 
digne  polest. 

2)  Vgl.  den  Exkurs  am  Schluss  des  Aufsatzes  S.  277  f. 


—     254     — 

tembiUs  Italiae  quoqiie  vkkretur  immiiierc.  ist  von  ihm  selbständig  hin- 
zugefügt, um  die  Verbindung  zwischen  den  Viten  des  Mithridates  und 
des  Sulla  herzustellen  -,  sie  ist  falsch,  nicht  nur  weil  sie  übertreibt,  sondern 
auch  weil  sie  der  Zeitfolge  der  Ereignisse  widerstreitet.^)  Es  ist  möglich, 
daß  Velleius  auch  weiterhin  noch  einmal  einen  Blick  auf  die  Biographie 
des  Königs  geworfen  hat;  bei  der  verhältnismäßig  eingehenden  Wieder- 
gabe der  Friedensbedingungen  Sullas  23,6  könnte  der  ungeschickte  Satz- 
bau für  eine  Vermischung  zweier  Quellenstellen  sprechen,  und  bei  der 
sonst  kurzen  Erwähnung  des  Todes  Mithridats  40,1  die  Worte:  ülthnns 
omnium  iuris  sui  regum  praeter  Parthicos.  für  die  Benutzung  einer  Samm- 
lung von  Königsviten,  worin  diese  die    letzte  war;-)    auch    die    an    ganz 

unpassender  Stelle  eingeflickte  Notiz  II  4,1  :  Populo  Romano  heredilate 

relicta est  a  Nicomede  Bitinjma.  könnte  daraus  stammen,  weil  diese 

Veranlassung  des  dritten  Mithridatischen  Krieges  sonst  von  Velleius 
nirgends  berührt  wird.  Aber  mit  Sicherheit  läßt  sich  nur  für  die  An- 
fänge des  Königs  die  Benutzung  einer  Vita  annehmen,  die  aus  einem 
biographischen  Sammelwerk  stammen  muss.  Andere  Königsbiographien 
kommen  für  die  erhaltenen  Teile  des  Velleius  überhaupt  nicht  in  Be- 
tracht; eine  solche  der  Kleopatra  hat  er  entweder  nicht  gehabt  oder 
nicht  verwertet. 

Von  Römerfeinden,  die  nicht  Könige  waren,  sind  Hannibal  und 
Viriathus  beim  Auct.  de  vir.  ill.  in  besonderen  Kapiteln  behandelt.  Was 
Velleius  von  Hannibal  erzählte,  wissen  wir  nicht;  wenn  die  Bezeichnung 
Mithridats  als  odio  in  Romanos  Hannibal  (II  18,1)^)  vermuten  läßt,  daß 
die  bekannte  Anekdote,  wie  Hannibal  als  Knabe  den  Römern  ewigen 
Haß  geschworen  habe,  von  ihm  nicht  übergangen  worden  ist,  so  folgt 
daraus  nichts,  weil  ebenso  wie  die  Biographen  Hannibals  (Nep.  Hann. 
1,3  ff.  Auct.  de  vir.  ill.  42,1),  auch  die  Geschichtschreiber  des  Hanni- 
balischen  Krieges  (Polyb.  III  10,7  ff.  Liv.  XXI  1,4.  Appian.  Hann.  3) 
mit  dieser  Anekdote  ihre  Darstellung  zu  eröffnen  liebten.  Was  dem 
Viriathus  beim  Auct.  de  vir.  ill.  die  Ehre    einer    besondern  Vita  einge- 


')  Sie  beruht  in  letzter  Linie  auf  dem  Bericht,  daß  Mithridates  durch  eine 
Gesandtschaft  der  Italiker  aufgefordert  wurde,  nach  Italien  zu  ziehen,  und  darauf  ant- 
wortete, er  wolle  dies  tun,  sobald  er  Asien  unterworfen  habe  (Diod.  XXXVII  2,  11). 
Sulla  hatte  die  Provinz  erhalten,  als  der  König  den  Angriff  eröffnet  hatte,  lange  vor 
dessen  großen  Erfolgen  (vgl.  Bernhardt  Chronologie  der  Mithridatischen  Kriege.  Diss. 
Marburg  =  Progr.  Dortmund  1896  S.  9  f.). 

2)  Eine  solche  Sammlung  hatte  z.  B.  Nepos  gegeben  vgl.  de  reg.  1,1;  s.  auch 
Leo  Griech.-röm.  Biographie  145.  Bei  Velleius  kann  man  den  Schluß  der  attischen 
Königsreihe  vergleichen  I  2,1  f.,  woran  8,2  f.  anknüpft. 

3)  Dieser  sprichwörtlichen  Verwendung  des  Namens  Hannibal  scheint  keine  der 
anderweitig  bekannten  ganz  ähnlich  zu  sein,  vgl.  Otto  Sprichwörter  der  Römer  158, 
wo  die  schon  o.  S.  2.').},1  angezogene  Stelle  des   Val.  Max.  IX  2,1  hinzuzufügen  ist. 


—     255     — 

tragen  hat,  war  das  Gegenteil  von  dem,  was  den  Jugurtha  um  diese 
Ehre  brachte  :  Von  den  römischen  Feklherren,  die  gegen  Viriath  kämpften, 
war  keiner  so  bedeutend,  daß  ihm  eine  eigene  Biographie  gewidmet 
werden  konnte,  und  jedenfalls  keiner  geeignet,  um  in  seiner  Biographie 
die  Geschichte  des  Lusitaners  unterzubringen,')  Aber  die  Existenz  einer 
Yiriathusvita  läßt  sich  auch  für  die  frühere  Zeit  wahrscheinlich  machen, 
wenn  man  seine  Darstellung  bei  Velleius  II  1,3  trotz  ihrer  Kürze  mit 
der  des  Auct.  de  vir.  ill.  71,1  ff.  vergleicht.  Die  Anfänge,  die  Erfolge 
und  der  Ausgang  des  Viriathus  werden  so  dargestellt,  daß  er  selbst  die 
Hauptperson  ist,  und  daß  von  seinen  römischen  Gegnern  nur  der  An- 
stifter seiner  Ermordung  genannt  wird.  Die  Chronologie  wird  dabei 
gröblich  vernachläßigt:  Tr'iHte  de'inde  et  contamelUmim  hcUam  in  Hisjjfin'm 

ducb  latronam    Viriatlto  secufum  est sed  infennipfo  Vtnat/w  fraude 

Servlli  Cuepionis  yumantbmm  gramis   exarsit.   Iiaec   urbs 

cum  afios  duces.  tum  Fomjmum ad  turpmma  dedudU  foedera 

nee  minus  turpia  ac  detest(dnli(t  Mancinum  Hnstilium  consulem.  Nicht 
nach  der  Zerstörung  Karthagos,  sondern  spätestens  im  Anfang  des  Jahres 
dieser  Katastrophe,  vielleicht  schon  im  vorhergehenden  607  =147  wurde 
Viriathus  Oberfeldherr  der  Lusitaner;')  seine  Ermordung  fällt  ins  Jahr 
615  =  139,  aber  vorher  war  der  Konsul  Q.  Pompeius  613  =  1-41  von  den 
Numantinern  geschlagen  und  als  Prokonsul  614  =  140  zum  Friedens- 
schluß gezwungen  worden;  dann  befleckte  Mancinus  sein  Konsulat  von 
617  =  137  mit  dem  Schimpf  eines  neuen  Vertrages.  Nachdem  Velleius 
weiterhin  über  die  Zerstörung  Numantias  621  =  133  hinaus  die  Ge- 
schichte des  Zerstörers  Scipio  Aemilianus  bis  zu  dessen  Tode  625  =129 
hinabgeführt  hat,  kehrt  er  II  5,1  ff.  noch  einmal  zu  den  gleichzeitigen 
spanischen  Ereignissen  zurück  :  Ante  tempus  excisae  Sumantiae  praeclara 

in   Hispania   militici   D.  Bruti   fuit  (616  =  138  bis  618  =  136) et 

ante  eum  paucis  cinnis secerum  i/Iius  Q.  Macedonid  in  his  gentilms 

Imperium  fuit  (611  =  143  und  612  =  142) Iiic  virtute  et  sereritate 

facti,  af  Fabius  Aemilianus discijjUna  in  Hispania  fuit  clarissimus 

(609  =  145  und  610  =  144).  Hier  erscheinen  plötzlich  die  Namen  der 
römischen  Statthalter,  die  gegen  Viriathus  und  die  Seinen  glücklich  ge- 

1)  Die  letztere  Bemerkung  ist  deswegen  nicht  ganz  überflüssig,  weU  Metellus 
Macedonicus  im  Viriaihischen  Kriege  gekämpft  und  eine  eigene  Vita  in  den  Samm- 
lungen de  viris  iUustribiis  erhalten  hat  (s.  u.  S.  264  f.).  Daß  übrigens  der  einzelne  Autor  in  der 
Auswahl  der  berühmten  Römer  nicht  fest  an  die  seiner  Vorgänger  gebunden  war,  ver- 
steht sich  von  selbst  und  kann  durch  das  Beispiel  des  Fabricius  gezeigt  werden;  Verg. 
Aeu.  VI  843  f.  hebt  ihn  hervor,  imd  Hygin  scheint  ihn  für  sich  behandelt  zu  haben 
(frg.  .3  Peter  bei  Gell.  I  14,1),  aber  nicht  allein  Plutarch.  sondern  auch  der  Auct.  de 
vir.  ill.  hat  seine  Geschichte  fast  ganz  in  die  des  Pyrrhos  hineingearbeitet. 

2j  Vgl.  Kornemann  Die  neue  Liviusepitome  aus  Oxyrhynchus  (Klio.  Beiheft 
U)  96  ff  116  ff. 


—     256     — 

kämpft  haben,  und  hier  erscheinen  sie  in  genauer  chronologischer  Reihen- 
folge, nur  in  der  umgekehrten,  von  unten  nach  oben.  Die  seltsame  Zer- 
reißung der  eng  zusammengehörigen  Ereignisse  im  ersten  und  im  fünften 
Kapitel  fordert  eine  Erklärung:  Velleius  griff  erst  bei  der  Zerstörung 
Numantias  wieder  zu  einem  Geschichtswerk,  das  die  übliche  chrono- 
logische Anlage  hatte,  und  er  ließ  nun  seine  Augen  hierin  rückwärts 
schweifen  bis  zu  dem  Jahre  der  Zerstörung  Karthagos,  mit  dem  er  die 
Erzählung  im  zweiten  Buche  begann,  ohne  dabei  zu  beachten,  daß  er 
dieselben  Dinge  vorher  schon  einmal  erzählt  hatte,  nur  unter  anderm 
Gesichtspunkte  und  folglich  nach  einer  andern  und  andersartigen  Quelle. 
Daß  diese  Quelle  eine  Vita  Viriaths  war,  ist  durch  die  Prüfung  der 
Komposition  in  weit  höherem  Grade  wahrscheinlich  geworden,  als  durch 
die  Yergleichung  mit  Parallelberichten.  Die  Vita  Viriaths  konnte  aber 
nur  in  einer  Sammlung  von  Biographien  ihren  Platz  gefunden  haben, 
die  nicht  allein  die  berühmten  römischen  Feldherren  enthielt,  sondern 
auch  die  nichtrömischen  ^)  in  größerer  Vollständigkeit  als  das  Buch  des 
Nepos  de  excellentibus  ducibus  exterarum  gentium. 

Man  darf  nun  den  Schluß  ziehen,  daß  nicht  allein  für  die  römische 
und  für  die  neueste  Geschichte  von  Velleius  solche  Sammlungen  ver- 
wertet wurden,  sondern  bereits  für  die  griechische  und  vom  Anfang 
seines  Werkes  an.  Der  kurze  Abschnitt  über  Lykurg  I  6,3,  die  Genea- 
logie des  makedonischen  Königshauses  I  6,5  und  die  Einführung  Kimons 
in  dem  bei  Priscian  erhaltenen  Fragment  aus  der  großen  Lücke  sind 
offenbar  derartigen  Ursprungs.  Einen  bestimmten  Autornamen  zu  suchen, 
scheint  mir  wie  schon  Burmeister  26  aussichtslos,  da  wir  von  den  Ver- 
tretern der  ganzen  Gattung  de  viris  i/histrihus  in  Ciceronischer  und 
Augustischer  Zeit  nur  sehr  wenig  wissen,^) 

1)  Zu  den  Römerfeinden  kann  gewissermaßen  auch  Sertorius  gerechnet  werden, 
dem  Plutarch  eine  besondere  Biographie  eingeräumt  hat,  während  er  beim  Auct.  de 
vir.  ill.  nur  ganz  flüchtig  in  denen  seiner  beiden  Gegner  Metelhis  Pius  (63,2  :  Ser- 
torium  Hispania  expvlit)  und  Pompeius  (77,4:  Sertorium  vieil)  erwähnt  wird.  Seine 
erste  beiläufige  Erwähnung  begleitet  Velleius  25,3  mit  dem  Ausruf:  Serlorivm  —  pro 
quanti  mox  belli  facem  !  —  et  miiltos  alios,  und  man  würde  nun  bei  ihm  eine  Dar- 
stellung dieses  furchtbaren  Krieges  erwarten  (vjïl.  Il  8,.3.  105,1  u.  S.  271).  Aber  ledig- 
lich am  Schluß  der  Charakteristik  des  Pompeius  29.5  heißt  es:  Vt  a  Sertorio  Metellus 
laitdaretin-  nit/f/is,  I'ompeiwi  timeretur  valiilins^  und  daran  schließt  sich  unmittelbar  das 
Ende  des  Sertorius,  das  seines  Mörders  Perpenna  und  das  des  ganzen  Krieges  30,1. 
Der  Widerspruch  zwischen  jener  pathetischen  Ankündigung  und  der  dürftigen  Aus- 
führung dieses  Themas  ist  so  befremdend ,  daß  mau  sogar  eine  Lücke  annehmen 
wollte;  violleicht  ist  er  eher  damit  zu  erklären,  daß  Velleius  in  seiner  Eile  gleichsam 
einen  Mann    über  Bord    fallen  ließ.     Vgl.  .\hnlichos  u,  S.  272. 

2)  Vgl.  Leo  firiech.-röm.  Biographie  13(i  tf. 


—     257     — 

III. 

Die  erste  in  den  erhaltenen  Teilen  des  Velleius  benutzte  Biographie 
eines  römischen  Feldherrn  ist  die  des  L.  Aemilius  Paullus.  Seine  Auf- 
nahme unter  die  allgemein  anerkannten  Viri  illustren  ist  außer  Zweifel. 
Nachdem  ihn  in  repul)likanischer  Zeit  seine  Nachkommen  durch  öffent- 
liche Denkmäler  auf  dem  Fabierbogen  und  in  der  Basilica  Aemilia  ge- 
ehrt hatten,  hat  ihn  Vergil  (Aen.  VI  838 — 840)  verherrlicht,  hat  Augustus 
seine  Statue  auf  seinem  Forum  aufgestellt,  haben  Plutarch  und  der 
Auetor  de  vir.  ill.  sein  Leben  geschrieben.')  Velleius  hat  aus  einer  Bio- 
graphie des  Paullus  drei  Stücke  entnommen,  von  denen  die  beiden  ersten 
so  eng  mit  einander  verbunden  sind,  daß  sie  als  eines  erscheinen.  Das 
erste  Stück  ist  1 9,8  :  Tum  senatus  populusque  Romanus  L.  Aemiliiim 
Paulliim,  qui  et  praetor  et  consul  triumphaverat,  virum  in  tantiim  lau- 
dandum,  in  quantum  intellegi  virtus  potest,  consulem  crearif,  filium  eins 
Paulli,  qui  ad  Cannas  quam  tergiversanter  perniciosam  rei  puhlicae  pug- 
nam  inierat,  tarn  fortiter  in  ea  mortem  obierat.  Offenbar  hat  Velleius 
die  Lebensbeschreibung  erst  eingesehen,  als  er  in  der  geschichtlichen 
Darstellung  zu  dem  Zeitpunkt  gelangte,  in  welchem  die  große  geschicht- 
liche Rolle  des  Helden  beginnt,  zum  Antritt  seines  zweiten  Konsulats 
586  =  168;  er  holt  nun  aus  dieser  Quelle  alles  Bemerkenswerte  nach, 
TiQuieLc,  i]d^og,  yivoç,  die  drei  Kapitel,  die  dort  natürlich  in  der  umge- 
kehrten Reihenfolge  standen.  Das  yévo^  führt  keiner  der  Biographen  über 
den  Vater  hinauf,  obgleich  schon  der  Urgroßvater  und  der  Großvater 
das  Konsulat  erlangt  hatten,  weil  erst  von  jenem  der  Ruhm  der  Familie 
datierte;  noch  besser  als  Auct.  de  vir.  ill.  56,1:  Filius  eins  qui  ad  Cannas 
cecidit,  läßt  sich  Plut.  Pauli.  2  vergleichen:    yJèu/.lov  ôe  Uai/lov  xh  tcsqï 

Kâvvag  axîy/^ua  ri']v  xe   cfoorr^oir  ciiia  /.ai   xr^v  avàqkiav  èôei^s xovxov 

viôg  /.t'/..;    hieraus    folgt    nämlich,    daß    Velleius    seine    Antithese 

quam  tergiversanter  —  tarn  fortiter  bereits  vorgezeichnet  fand.  Die 
Charakteristik  des  Paullus  ist  im  Ausdruck  sein  Eigentum,  wie  die 
meisten  anderen  auch;  er  hat  sie  bis  auf  eine  bezeichnende  Abschwächung 
wörtlich    noch    einmal   für   einen    seiner  Zeitgenossen    verwendet.^)     Die 


1)  Das  Elogium  vom  Fabierbogen  CIL  I-  p.  198  el.  XXIV  (=  Dessau  Inscr.  sei. 
43);  von  dem  aus  der  Basilica  Aemilia  ein  Fragment  ebd.  p.  341,  zusammengesetzt 
mit  einem  zweiten  von  Hülsen  Archäol.  Anzeiger  1900,5;  Klio  11  262  f;  von  dem 
Elogium  des  Augustusforums  Kopie  aus  Arretium,  am  Schluß  verstümmelt,  ebd.  p.  194 
el.  XV  (=  Dessau  57 1. 

2)  Er  sagt  von  C.  Antistius  Vetus  43,4:  Viri  in  tantuni  boni,  in  Quantum  hu- 
mana  simplicitas  intellegi  potent.  Die  simpliciias,  deren  Einführung  an  Stelle  der 
virtus  die  Abschwächung  von  laudandus  in  bonus  nach  sich  zieht,  rühmt  er  auch  an 
den  gleichzeitigen  Domitiem,  an  deren  Charakter  sonst  nichts  zu  rühmen  war  (11  102, 
und  72,3;    vgl.  S.  275).     Nach  Inhalt  und    Form  verwandt   mit  der  Charakteristik  des 

17 


—     258     — 

Notiz  über  die  7toaS,ug  d.  h.  bei  einem  Römer  hauptsächlicb  über  den 
Cursus  bonorum  ist  trotz  ibrer  Kürze  wicbtig,  weil  sie  die  zu  Über- 
treibungen neigende  panegyriscbe  Tendenz  der  Vorlage  offenbart-,  die 
Erwerbung  eines  Triumphes  wäbrend  der  Praetur  in  Spanien  kennt  nur 
die  auf  dem  Fabierbogen  zum  Ausdruck  kommende  Familientradition,') 
Das  zweite  Stück  der  Paullusvita  über  den  makedonischen  Krieg  fällt 
sachlich  zusammen  mit  einem  Abschnitt  der  Perseusvita  und  mit  jeder 
historischen  Darstellung  dieser  Ereignisse  (o.  S.  251);  nur  seine  Verbin- 
dung mit  dem  Vorhergehenden  und  dem  Folgenden  verdient  Beachtung. 
Während  nämhch  nach  Liv.  XIjIV  17,7  Makedonien  dem  Konsul  durchs 
Los  zufiel.')  ist  es  nach  der  ausdrücklichen  Angabe  des  Plut.  Pauli.  10 
(und  Justin.  XXXIII  1,6)  ihm  nicht  durch  den  Zufall  der  Losung, 
sondern  in  außerordentlicher  Weise  durch  Volksbeschluß  übertragen 
worden,  und  diese  für  ihn  ehrenvollere  Auffassung  scheint  auch  bei 
Velleius  zu  Grunde  zu  liegen,  der  nach  Erwähnung  der  Mißerfolge  der 
früheren  Konsuln  betont:   Tum  senatus  populusque  Romamis  L.  Aemilimn 

Paullum comulem  creavit.'"^)  Der  Anfang  des  dritten  Stückes  10,3  : 

Lucio  auiem  Paullo  Macedonkae  victoriae  compofi  quati^or  filii  fuercy 
knüpft  nicht  an  die  historischen  Xotizen  über  den  Triumph  9,6  an,  son- 
dern an  die  weiter  zurückliegenden  über  den  Sieg  9,4.  Für  den  Triumph 
bot  ein  Historiker  reicheren  Stoff  als  ein  Biograph,  der  nur  für  die  per- 
sönlichen Schicksale  des  Paullus  lierangezogen  wurde  ;  die  Folge  dieses 
Quellenwechsels  war,  daß  die  Erzählung  selbst  im  Zickzack  von  dem 
Triumph  zu  den  vorausgegangenen  Ereignissen  und  dann  wieder  zu  dem 
Triumph  zurückführt. 


Paullus  ist  die  des  Ti.  Gracchus  II  2,"2:  Taiitis  denique  adornatus  viriutifius,  ijuantas 
perfecta  et  natura  et  industria  mortalis  condicio  recipit:  auch  sie  wird  wörtlich  auf 
einen  Zeitgenossen  übertragen,  aber  ohne  Einschränkung,  weil  es  Drusus  der  Bruder 
des  Kaisers  ist,  97,2:  Adulesceriii  tot  taniarumqne  virtutum,  qiiot  et  quantas  natura 
mortalis  recipit  vel  industria  /»erficit. 

1)  Vgl.  Mommsen  zu  der  Insclirift.  ßurmeister  22.  Hier  könnte  also  einer  der 
übelberüchtigten  aus  der  Familieneitelkeit  entsprungenen  falsi  triumphi  (Cic.  Brut.  62) 
vorliegen,  der  in  die  Literatur  de  viris  illustribus  eingedrungen  wäre.  In  anderen 
Fällen  ist  dagegen  nicht  von  Fälschung  die  Rede,  sondern  die  Flüchtigkeit  und  die 
rhetorische  Übertreibung  kommt  nur  auf  Rechnung  des  Velleius,  wenn  er  II  10,8  .,fast 
allen"  Domitii  Ahenobarbi  ïriumphalomamente  zuweist  und  sowohl  dem  Metelius  Macé- 
doniens I  11  i),  wie  dem  Metelius  Numidicus  II  15,4  neben  honorem  auch  (riiimjdii  in 
der  Mehrzahl,  obgleich  jeder  nur  einmal  triumphiert  hat. 

2j  Vgl.  auch  Cic.  de  div.  I  1Ü3:  Cum  ei  bellum  ul  cum  rege  Ferne  gereret.  ob- 
t  ig  ins  et. 

3)  Vgl.  auch  elog.  XV  :  Herum  cos.,  ut  cum  rege  [Per] sc  bellum  gereret,  ap[8eu)t 
fjaclus  est.  Deutlicher  allerdings  elog.  XVII.  XVIII  (-  Dessau  öU)  von  Marius:  Extra 
sortem  bellum  cum   lugnrlha  rege  Muinid.  cos.  gesslt. 


—     259     — 

Das  dritte  Stück  der  Paullusvita ')  handelt  nicht  nur  über  die 
letzten  Schicksale,  sondern  auch  über  die  Nachkommenschaft  des  Helden. 
Livius  XL V  40,7  sagt  nur:  Duobus  e  ßliis,  quos  duobua  datis  in  adop- 
tionem  solos  nomiim  sacrorum  familiaeque  heredes  retinuerat  dornt,  und 
spricht  nicht  von  den  beiden  älteren  Söhnen;  nur  vorher  in  der  Be- 
schreibung des  Triumphes  (40,4)  nennt  er  ihre  Namen  und  weiterhin  in 
der  Rede  des  Paullus  (41,12)  die  der  Geschlechter,  in  die  sie  einge- 
treten waren.  Velleius  handelt  an  der  Stelle  9,3,  die  der  angeführten 
Livianischen  genau  entspricht,  weit  eingehender,  als  in  diesem  Zusammen- 
hange notwendig  wäre  (vgl.  damit  auch  Plut.  Pauli.  35.  Auct.  de  vir. 
ill.  56,4),  von  den  älteren  Söhnen  und  ihren  Adoptivvätern  und  weist 
später  12,3  ausdrücklich  hierauf  zurück.  Es  schiebt  sich  also  zwischen 
Livius  und  ihn  eine  biographische  Mittelquelle  ein,  die  am  Schluß  der 
Biographie  ebenso  über  die  Nachkommen  des  Helden  handelte,  wie  am 
Anfang  über  seine  Vorfahren  und  dadurch  auch  die  genealogische  Ver- 
bindung zwischen  den  verschiedenen  monographisch  behandelten  Männern 
herstellte. 

IV. 

Das  Leben  des  Scipio  Aemilianus  durfte  selbstverständhch  in  keiner 
Biographiensammlung  fehlen  ;  es  ist  für  die  des  Hygin  und  des  Plutarch 
bezeugt  und  beim  Auct.  de  vir.  ill.  erhalten;  von  den  Unterschriften 
unter  seinen  öffentlich  aufgestellten  Statuen  besitzen  wir  die  des  Fabier- 
bogens,  kennen  aber  auch  die  des  Augustusforums.-)  Bei  Velleius  zeigt 
sich  die  Benutzung  einer  Vita  Scipios  gleich  in  dessen  Einführung. 
Nachdem  die  griechisch-makedonische  Geschichte  bis  zur  Zerstörung  von 
Korinth  608  =  146  herabgeführt  ist,  wird  zu  der  gleichzeitigen  von  Kar- 
thago übergegangen  112,2:    Et   suh   idem   tempus .sfatuif  senalus 

Cartliuginem  excidere.^)  Aber  darauf  folgt  nicht  etwa  die  Erklärung  oder 
der  Beginn  des  Krieges  im  J.  605  =  149,  sondern  12,3:  Ita  eodem  tem- 
pore P.  Scipio  Aemilianus consul  creatus  est  (für  607  =  147),  und 


')  Über  das  Verhältnis  dieses  Stückes  zu  Livius  vgl  Burmeister  39  f.  und  über 
die  Gestaltung  des  Textes  Scholl  Rhein.  Mus.  LUX  522  f.  Es  ist  aber  sehr  möglich, 
daß  schon  die  biographische  Mittel  quelle  den  historischen  Bericht,  wie  er  bei  Livius 
vorliegt,  verkürzt  und  verschoben  hat,  auchweundie  Fointe  ante paucos  —  post  pauciores 
dies  Eigentum  des  Velleius  ist. 

')  Hygin  vgl.  Gell.  III  1,1  mit  VI  1.2.  dazu  Pauly-Wissowa  IV  1439,20  ff. 
Peter  Bist.  Rom.  relliquiae  II  p.  CV;  Plutarch  vgl.  Ti.  Gracch.  21.  C.  Gracch.  10, 
dazu  Apopthth.  Scip.  Min.;  Elogium  des  Fabierbogens  CIL  P  p.  198  el.  XXV  (=  Dessau 
43),  des  Augustusforums  Plm.  n.  h.  XXII  13  ;  vgl.  noch  Verg.  Aen.  VI  842  f. 

^)  Weshalb  Halm  und  mit  ihm  EUis  exscindere  dem  überlieferten  exeidere  vor- 
ziehen, ist  mir  unverständlich  angesichts  des  Gebrauchs  von  exeidere  in  den  ganz  ähn- 
lichen Fällen  II  4.2.  3.  5.  5.1  u.  a. 


—     260     — 

erst  dann  als  beiläufiger  Nachtrag  12,4:  Bellum  Carthagini  iam  ante 
hlennium  a  priorihus  consuUhm  inlatum  maiore  vi  IntuUt.  So  wird  frei- 
lich der  Held,  der  Karthago  vernichtete,  in  wirkungsvoller  Weise  als 
der  dafür  vorausbestimmte  eingeführt,  aber  infolge  der  Vorliebe  des 
Autors  für  biographische  Quellen  und  infolge  seiner  Unfähigkeit,  diese 
mit  den  annalistischen  in  ein  rechtes  Verhältnis  zu  bringen. 

Wieder  sind  in  dem  ersten  Stücke  der  Vita  dieselben  drei  Be- 
standteile zu  unterscheiden,  wie  in  dem  entsprechenden  der  Paullusvita, 
Herkunft  und  Charakter,  hier  in  der  Form  von  Appositionen  und  Re- 
lativsätzen zum  Namen  hinzugefügt,  und  die  Vorgeschichte,  die  hier  um- 
fangreicher und  als  sehr  unbeholfene  Parenthese  in  den  zweiten  Satz 
eingeschoben  ist;  wieder  bildet  dann  der  erste  Hauptsatz  die  Verbindung 
zwischen  diesem  ganzen  Teile  und  dem  zweiten  Stück,  indem  er  die  Wahl 
zum  Konsul  berichtet.  Von  den  Ahnen  Scipios  nennt  Velleius  hier  den 
leiblichen  Vater,  den  Adoptivvater  und  den  Adoptivgroßvater  ;  er  rühmt, 
daß  die  rir/us.  die  den  Vater  Paullus  auszeichnete  (I  9,3),  auf  diesen 
Sohn  übergegangen  sei,  wie  er  auch  II  5,3  ähnliches  von  dem  andern 
Sohne  Fabius  Aemilianus  aussagt;  was  er  über  den  Adoptivvater  110,3 
und  12,3  bringt,  ist  alles,  was  man  überhaupt  von  diesem  wußte.  ^)  Die 
Charakteristik  Scipios  sucht  die  des  Paullus  noch  zu  überbieten  und 
rührt  in  der  Form  jedenfalls  wieder  von  Velleius  her.  -)  Von  den 
früheren  Taten  werden  genannt  die  Erwerbung  einer  (Jorona  muralis  in 
Spanien  und  die  einer  Corona  ohsidiona/ls  in  Afrika  und  ein  erfolgreicher 
Zweikampf  in  Spanien  ;  es  sind,  wie  Burmeister  24  richtig  gesehen  hat, 
dieselben  Taten,  die  auch  der  Auct.  de  vir.  ill.  58,2 — 4  verzeichnet,  mit 
etwas  grösserer  Ausführlichkeit  und  in  genauerer  chronologischer  An- 
ordnung,'^) aber  ebenfalls  als  die  einzigen  außer  der  Teilnahme    an    der 

1)  Vgl.  Cic.  Brut.  77.  Cato  35.  de  off.  I  121;  dazu  Hermes  XL  90. 

2)  Mit  der  Zusammenstellung  von  ingenin»)  und  studia  ist  die  von  natura  und 
indvatria  bei  Ti.  Gracchus  und  Drusus  zu  vergleichen  (s.  S.  257  f.,  2)  und  mit  der  Bezeich- 
nung als  eminentissimns  saeculi  siti  die  ähnlichen  des  Metellus  Numidicus  und  des 
Rutilius  RufuB  (s.  S.  266,2). 

•J)  Alle  diese  Angaben  standen  gewiß  auch  unter  der  Statue  des  Augustusfo- 
rums.  Daß  die  militärischen  Auszeichnungen  auf  den  Elogien  ebenso  verzeichnet 
waren,  wie  auf  anderen  Ehren-  und  Grabschriften  (vgl.  deren  Zusammenstellung  l)ei 
Steiner  Bonner  Jahrb.  CXIV  47  ff.),  ist  selbstverständlich  und  wird  für  die  Corona  ob- 
sidionalix  Scipios  durch  Pliu.  n.  h.  XXII  13  ausdrücklich  bezeugt.  Für  die  Aufführung 
seines  Zweikampfes  in  der  Inschrift  sprechen  zwei  Analogien:  Romulus  war  nach  Ovid. 
fasti  V  565  dargestellt  mit  den  Spolia  opiiua,  die  er  aus  einem  Zweikampf  davonge- 
tragen hatte,  und  Valerius  Corvus  nach  Gell.  IV  11,10  mit  dem  Raben,  der  ihm  in  seinem 
Zweikampf  beigestanden  hatte;  im  Elogium  des  Romulus  (IV)  wird  diese  Darstellung 
besonders  ausführlich  erläutert,  und  in  dem  des  Corvus  muß  es  ebenso  gewesen  sein. 
Für  die  ehrenvolle  Art  der  "Wahl  Scipios  zum  Consul  vgl.  als  Seiteustück  im  Elogium 
des  Valerius  Maxiinus  (V)  die  Bemerkung:  Pri<im>>itsi/iifrn>  iilbiin  mnjjis/rdlKm  ffererel, 
dirlalor  dicliis  e«l:   vgl.  aucli  8.  25H,."{. 


—     261     — 

Schlacht  bei  Pydna,  die  Velleius  ale^  zu  weit  zurückliegend  übergangen 
hat.  Übereinstimmung  zwischen  beiden  Autoren  herrscht  dann  darin, 
daß  sie  die  Wahl  Scipios  zum  Konsul  während  seiner  Bewerbung  um 
die  Adilität  erwähnen  und  daß  sie  den  zweiten  Hauptteil  der  ganzen 
Vita,  die  Zerstörung  Karthagos,  in  aller  Kürze  erledigen. 

Velleius  hat  dann  andere  Quellen  zur  Hand  genommen,  aber  die 
Vita  Scipios  nicht  aus  den  Augen  verloren.  Er  schloß  das  erste  Buch 
ursprünglich  ')  mit  einem  besondern  rhetorischen  Prunkstück,  einer 
oiy/.oiGig  der  Zerstörer  von  Karthago  und  Korinth,  zu  der  er  zwar  das 
meiste  aus  Eigenem  hinzutat,^)  aber  einige  Tatsachen  der  Vita  ent- 
lehnte, wie  die  Freundschaft  Scipios  mit  Polybios  und  Panaitios  ;  die 
Erwähnung  des  Letzteren  läßt  darauf  schließen,  daß  er  etwas  über  die 
Gesandtschaftsreise  gelesen  hatte,  auf  der  der  Philosoph  im  J.  615  =  139'*) 
den  Helden  begleitete^  und  ähnliches  muß  auch  dem  Auct.  de  vir.  ill. 
58,7  vorgelegen  haben,  der  freilich  statt  des  Panaitios  den  römischen 
Freund  Scipios  C.  Laelius  einsetzt  (vgl.  Plut.  Apophth.  Scip.  Min.  14  u.  a.). 
Velleius  hat  aber  die  Gesandtschaftsreise  selbst  und  die  ihr  voraus- 
gehende gemeinsam  mit  Mummius  geführte  Zensur  Scipios  übergangen, 
obwohl  diese  von  den  anderen  Biographen*)  erzählt  wurde  und  ihm  bei 
der  Vergleichung  beider  Männer  gut  zu  Statten  gekommen  wäre;  erst 
als  er  in  der  Konsulliste  wieder  Scipios  Namen  findet,  schlägt  er  die 
Vita  von  neuem  auf. 

Es  war  schon  davon  die  Rede,  wie  er  im  zweiten  Buche  erst  den 
Krieg  gegen  Viriathus,  dann  den  gegen  Xumantia  erzählt  ;  die  Kapitu- 
lation des  Mancinus  führt  ihn  auf  den  daran  beteiligten  Ti.  Gracchus, 
und  erst  nachdem  er  dessen  ganze  Geschichte  und  die  gleichzeitigen 
Ereignisse  in  Asien  dargestellt  hat,  kehrt  er  zum  numantinischen  Kriege 


1)  ]Mit  dem  Ende  des  13.  Kapitels  reißt  nicht  nur  der  Faden  der  Erzählung 
ab,  um  im  Anfange  des  zweiten  Buches  wieder  aufgenommen  zu  werden,  sondern  auch 
der  der  moralisierenden  Betrachtung;  die  an  Yinicius  gerichtete  Mahnung  berührt  sich 
nahe  mit  den  ersten  Sätzen  des  zweiten  Buches,  und  die  zwischen  beiden  stehenden 
Exkurse  lagen  nicht  von  Anfang  an  im  Plane  des  Autors.     Vgl.  Sauppe  151  Anm. 

2)  Vgl.  Leo  Griech. -röm.  Biographie  149.  Aus  Scipios  erster  Charakteristik 
12,3  wiederholt  Velleius  hier  noch  zweimal,  daß  der  Held  in  Krieg  und  Frieden  stets 
derselbe  gewesen  sei;  den  Gedanken,  daß  er  otium  und  negotium  in  rechtem  Gleich- 
gewicht zu  halten  wußte,  verwendet  er  ähnUch  98,8  für  die  Schilderung  seines  hochan- 
gesehenen Zeitgenossen  L.  Biso.  Die  Antithese  von  otium  und  negotium,  die  wohl  so 
alt  ist.  wie  die  lateinische  Literatur  (vgl.  Cato  Orig.  praef.  bei  Cic.  pro  Plane.  66 
Enn.  Iphig.  p.  159  Vahlen^  bei  Gell.  XIX  10,11;  Terent.  Andr.  prol.  20),  wird  er 
überhaupt  nicht  müde  anzuwenden,  so  in  den  Charakteristiken  des  Maecenas  88,2  und 
des  Sentius  Saturninus  105,2,  außerdem  noch  II  1,1. 

3)  Vgl.  Klio  V  135  f. 

^)  Von  Hygin  bei  Gell,  lll  4,1  (s.  o.  S.  259,2),  von  Piutarch  nach  Apophth.  Scip. 
Min.  9  und  11.  vom  Auct.  de  vir.  ill.  58,9. 


—     262     — 

zurück  und  berichtet  nun  dessen  Beendigung  durch  Scipio  und  den  Aus- 
gang dieses  Helden,  um  nochmals  von  der  Zerstörung  Numantias  an  die 
spanischen  Dinge  rückwärts  zu  verfolgen  bis  zum  Jahre  der  Zerstörung 
Karthagos  und  Korinths.  Diese  vorwärts  und  rückwärts  springende  An- 
ordnung kann  nur  durch  eilige  Kompilation  verschiedenartiger  Vorlagen 
erklärt  werden,  und  zu  ihnen  gehören  neben  einem  geschichtlichen  Leit- 
faden vor  allem  die  Lebensbeschreibungen  des  Ti.  Gracchus  und  des 
Scipio  Aemilianus.  Denn  unbekümmert  um  den  Wechsel  von  Zeit  und 
Ort  verfolgt  Yelleius  die  Schicksale  dieser  Männer  eine  Strecke  weit 
bis  zu  Ende  und  wird  dadurch  gezwungen,  bald  von  späteren  Jahren 
auf  frühere  zurückzugreifen,  bald  von  der  äußeren  Geschichte  auf  die 
innere,  und  umgekehrt.  In  diesem  Stück  der  Scipiovita  ergänzen  sich 
Velleius  und  der  Auetor  de  vir.  ill.  gegenseitig  in  solcher  Weise,  daß 
man  leicht  eine  vollständigere  Vorlage  rekonstruieren  kann:  Velleius 
gab  bei  der  Belagerung  Karthagos  I  12,4  die  Zeitdauer  nicht  genau  an, 
tut  es  aber  dafür  bei  der  Numantias  II  4,2;  der  Auct.  de  vir.  ill.  58,5  f. 
macht  es  umgekehrt.  Velleius  erwähnte  I  13,2  den  aus  Afrika  heimge- 
brachten Siegesbeinamen  Scipios  und  übergeht  den  angeblich  bei  Nu- 
mantia  erworbenen  ;  *)  auch  damit  macht  es  der  Auct.  de  vir.  ill.  umge- 
kehrt. Die  Wiederherstellung  der  Disziplin  im  spanischen  Heere  läßt 
Velleius  im  Gegensatz  zu  dem  Auct.  de  vir.  ill.  bei  Seite,  vielleicht  weil 
er  gerade  dasselbe  als  einzige  rühmliche  Leistung  von  Scipios  Bruder 
Fabius  kannte  und  meldete  (II  5,3).  Aus  Scipios  letzten  Lebensjahren 
werden  dieselben  beiden  x\ussprüche,  die  auch  in  Plutarchs  Biographie 
aufgenommen  waren  (vgl.  Ti.  Gracch.  21.  Apophth.  Scip.  Min.  22),  von 
Velleius  II  4,4  und  vom  Auct.  de  vir.  ill.  58,8  wiedergegeben,  der  erste 
von  jenem  und  der  zweite  von  diesem  vollständiger;  bei  Scipios  Tode, 
ül)er  den  die  Nachrichten  weit  auseinandergehen,  haben  beide  allein 
und  abweichend  von  allen  den  kleinen  auffallenden  Zug  gemein,  daß  die 
Leiche  „mit  verhülltem  Haupte"  hinausgetragen  wurde.-)  In  der  breiten 
Ausführung  des  Schlusses  der  Vita  vermischen  sich  bei  Velleius  eigene 
Betrachtungen,  Reminiszenzen  aus  der  Leklüre'')   und  Daten    aus   histo- 

1)  \V1.  darüber  Pauly-Wissowa  IV  1456,24  ff. 

2)  luun  corpitH  velfilo  capite  ein  tum  est  Vell.  II  4,0.  Ohrolnto  va  pile  elatiis 
Auct.  de  vir.  ill.  58,10-  Wie  fest  dieser  Zug  für  Velleius  gegeben  war,  zeiift  seine 
Verwendunj/  zu  einer  Antithese,  die  Sauppe  174  mit  Recht  zu  den  geschmacklosesten 
unseres  Autors  rechnet.  Zur  Sache  vgl.  Pauly-Wissowa  IV  1458.  Kornemaun  Klio 
Beiheft  I  9. 

3)  .\uf  den  Anklang  von  \'ell.  II  4.5:  Post  bis  exrisos  lerrores  rei  pithlicae  an 
Cic.  pro  Mur.  58  hat  schon  Sauppe  178  hingewiesen;  Kornemann  a.  O.  11  fügt  noch 
Cic.  rep.  I  71  hinzu.  Cicero  hat  pro  IMur.  75  die  von  Laelius  vorfaßte  Leichenrede 
auf  Scipio  zitiert  und  legt  in  der  Schrift  de  rep.  die  Worte  dem  Laelius  in  den  Mund  ; 
vii'lleicht  darf  man  sie  daher  auf  dessen   Laudatio  Scipionis  zurückführen. 


—     203     — 

Tischen  Quellen;')  der  Vita  entlehnt  sein  dürfte  die  Notiz  114,7:  In 
priorem  coNSK/atian  creafus  est  anno  octaro  et  tricesimo,  die  sich  unge- 
zwungen mit  der  früher  besprochenen  I  12,3  verbindet:  Aedilituteni  petenH 
conm/  creatus  est;  die  ursprüngliche  Verbindung  beider  Angaben  hat 
erst  Velleius  gelöst,  weil  er  anfangs  die  zweite  nicht  zu  verwerten  ge- 
dacht hatte. 

Noch  ein  Excerpt  aus  diesen  späteren  Partien  der  Scipiovita  hat 
er  bei  anderer  Gelegenheit  nachgetragen.  In  dem  literarhistorischen  Ex- 
kurse II  9,1  ff.  zählt  er  erst  die  Kedner  auf,  dann  die  dramatischen 
Dichter,  zuletzt  die  Geschichtschreiber;  den  zwei  letzten  Gruppen  wird 
noch  je  ein  Dichter  als  eete/fer  angehängt,  der  eine  Gattung  der  Poesie 
allein  vertritt,  Lucilius  für  die  Satire  und  Pomponius  für  die  Atellane. 
Von  den  Historikern  steht  an  der  Spitze  Sisenna,  der  iatri  tum  iurenis 
gewesen  sei.  Dieses  iam  tum  paßt  nach  unserer  Kenntnis  vortrefflich 
auf  die  Todeszeit  des  vorher  genannten  Lucilius.  Nun  fällt  aber  dem 
Velleius  eine  Tatsache  aus  dem  Leben  dieses  Dichters  ein,  die  er  in 
einem  Relativsatz  im  Plusquamperfekt  nachträgt:  Qui  sut)  P.  Afrkano 
yumantino  I/etto  eques  mUitaverat.  und  diese  eingeflickte  Notiz  zieht  eine 
weitere  Parenthese  nach  sich:  Quo  quidem  tempore  lurenes  udliuc  lugurtlta 
ac  Marius  sut)  eodem  Afrkano  mUitantes  in  iisdem  castris  dufkere.  quae 
postea  in  contrariis  facerent.  Lucilius,  Marius  und  Jugurtha  sind  nur 
durch  die  Kriegskameradschaft  miteinander  verbunden;  nur  eine  über 
den  numantinischen  Krieg  handelnde  Vorlage  kann  dem  Velleius  ihre 
drei  Namen  in  dieser  Verbindung  geliefert  haben,  und  als  solche  kommt 
nur  die  Scipiovita  in  Betracht.  Es  war  berechtigt,  daß  er  die  Notiz  im 
Leben  Scipios  überging  (vgl.  II  4,2),  und  es  war  begreiflich,  daß  er  sie 
in  dem  des  Marius  nicht  gebrauchte,  weil  er  gar  nichts  von  dessen  feind- 
lichem Zusammentreôen  mit  Jugurtha  zu  sagen  hatte  (vgl.  II  11,1  f.  12,1 
O.S.  251):  um  sie  nicht  ganz  fallen  zulassen,  hat  er  sie  hier  untergebracht,  wo 
sie  vom  Thema  völlig  ablenkt,  im  Stil  nicht  zu  der  Umgebung  paßt  und 
den  Leser  völlig  verwirrt.  Für  die  eilige  und  mechanische  Arbeitsweise 
des  Velleius  ist  dieses  Beispiel  besonders  lehrreich,  weil  es  auch  modernen 
Gelehrten  Schwierigkeiten  bereitet  hat,  die  leicht  vermieden  werden 
können,  wenn  Zusätze  und  Einschiebsel  des  Verfassers  erkannt  und 
kenntlich  gemacht  werden.-) 

1)  Vgl.  II  4,5:  M\  Äquilio  C.  Semproiiio  considihus  abhinc  antws  centum  et 
sexaginta,  welche  Datierung  mit  einer  Reihe  anderer  zusammengehört  (vgl.  die  während 
des  Druckes  erscheinende  Zusammenstellung  von  Groebe  Hermes  XLII  308  Beilage). 

-)  Noch  Niese  liei  Pauly-Wissowa  IV  1512,20  ff.  sagt,  daß  Velleius  den  Sisenna 
„zum  Zeitgenossen  des  numantinischen  Krieges  mache"  ;  andere  haben  sich  damit  zu 
helfen  gesucht,  daß  sie  iam  tum  auf  das  unmittelbar  vorhergehende  postea  und  somit 
auf  die  Teilnahme  des  Marius  am  Jugurthinischeu  Kriege  beziehen,  doch  ist  das  sachlich 
und  sprachlich  wenig  befriedigend. 


—     264     — 


Zu  den  berühmtesten  Familien  der  plebeischen  Nobilität  gehört  die 
der  Caecihi  Metelli.  Vertreter  dreier  Generationen  werden  vom  Auetor 
de  vir.  ill.  unmittelbar  nach  einander  vorgeführt,  und  zwar  beginnen 
ihre  Biographien  folgendermaßen:    61,1:    Q.  Caec'f/his  Mctellus  a   doniita 

Macedonla   .Uacedoniciis.  praetor    Pseii(hj>/ii/}ppum vicit;    62,1: 

Q.  CaecUiiis  Metellus  Xumidicus.  qui  consul  de  lugurt/ia  reffe  Xumidiae 
triumphartt ;  63,1:  Q.  Metellus  P'ais  Xum'idk't  fiUus  — Pins  quki  patrein 
lacrlmls  et  prec'dnis  adsidue  fali  exsitio  schlechte  Überlieferung)  rerocavit. 
Damit  vergleiche  man  Velleius  I  11,2:  Q.  Metetlus  praetor,  cui  ex  lirtnte 
Macedonici  nomen   inditum  erat,  praeclara  mctoria  ipsum   Tscil.  Pseudo- 

philippninj  (/entemque  superarit:  II  11,2:  Metelti et  tr'tumphus  fuit 

clarissi/nus  et  meritum  ex  cirtute  ei  cof/nomen  Xufnidici  inditum;  II  15,3  f.: 
Q.  Metetlus.  Xumidici  fllius.  qui  meritum  cognomen  Pii  eonsecutus  erat: 

quippe  expulsum  ci  vi  täte pietate  sua restituit  pafrem.     Zur 

Unterscheidung  dieser  drei  Q.  Caecihi  Metelli  sind  unentbehrlich  die 
von  ihnen  selbst  erworbenen  persönlichen  Beinamen  -,  sie  mußten  in  jeder 
ausführlicheren  Biographie  an  die  Spitze  gestellt  werden  mit  der  notwen- 
digen Erläuterung,  auch  wenn  ihre  Erwerbung  nicht  das  erste  bemerkens- 
werte Ereignis  aus  dem  Leben  des  betreffenden  Mannes  war.  Daß 
Velleius  diese  Anordnung  vorfand,  folgt  namentlich  aus  dem  anstößigen 
Plusquamperfekt  inditum  erat  bei  dem  Macédoniens;  er  arbeitete  so 
flüchtig,  daß  er  eine  ähnliche  Fassung  der  Notizen,  wie  wir  sie  beim 
Auct.  de  vir.  ill.  noch  lesen,  mißverstand  und  falsch  umschrieb,  indem 
er  das  früher  Erwähnte  auch  für  das  früher  Geschehene  hielt.  Bei  allen 
drei  Cognomina  hebt  er  die  Erwerbung  durch  den  Träger  als  das  Wesent- 
liche hervor;  zweimal  kehrt  ex  virtute  inditum  und  zweimal  meritum 
cognomen  wieder,  sodaß  die  Fassung  der  Angabe  als  sein  Eigentum  er- 
scheint.') Mit  dem  individuellen  Beinamen  pflegt  er  dann  auch  weiter- 
hin die  so  eingeführten  Persönlichkeiten  zu  bezeichnen  (vgl.  Macedouicus 
111,3.  12,1.  115,2). 

^)  Wenn  nicht  die  Überlieferung,  sondern  Velleius  selbst  für  indilum  erat  verant- 
wortlich ist,  erledigen  sich  von  selbst  die  vorgeschlagenen  Änderungen,  wie  Mommsens: 
inditurus  erat  (seil.  Pxeudopliilippufi)  und  die  dagegen  erhobenen  Bedenken  Schölls  Rhein. 
Mus.  Uli  522.  An  der  Stelle  über  Numidicus  ist  der  Text  leicht  verderbt;  die  an- 
genommene Verbesserung  Halms  verdient  entschieden  den  Vorzug  vor  der  von  E'lis 
angenommenen  Konjektur  von  Thomas;  gegen  diese  wendet  sich  auch  Xovâk  Wien. 
Stud.  XXVIII  29fi  f.,  dessen  eigene  Vorschläge  ich  indes  auch  nicht  billige.  Zum  Ver- 
gleich mit  den  angeführten  Stellen  bieten  sich  namentlich  die  über  Mummius,  .\uci. 
de   vir.    ill.    (»0,1:      L.  Miimmius,  devicla  Achaia  Acliaiats,  adverstis    Carintitios  missus 

oel.;  Vell.  I  1;{,2:    Deviclne  a  se  pentin  nomine  honoralitx ajrpellatun  oit  Aclini- 

cus\  nee  (juintfunm  ex  novin  honiinibnn  prior  Mvminin  cognomen  vir  title  parliim  vindi- 
cavil.  Hier  nimmt  der  Auct.  de  vir.  ill.  wieder  das  Cngnomen  und  seine  Erklärung 
vorweg,  und   Vell.  hebt  wieder  die  Erwerbung  durch  die  rirtim  hervor. 


—     265     — 

Auf  den  Namen  folgt  in  der  Vita  gewöhnlich  die  Herkunft;  Velleius 
und  der  Auct.  de  vir.  ill,  stimmen  darin  üherein,  daß  sie  das  Verwandt- 
S(;haft8verhältnis  des  dritten  Metellers  zum  zweiten  angeben  —  MnmUl'Ki 
fjUna  — ,  das  des  zweiten  zum  ersten  —  er  war  dessen  Bruderssohn  — 
übergehen. 

Von  den  Taten  des  Macedonicus  gehören  in  den  geschichtlichen 
Zusammenhang  nur  die  in  Makedonien  und  Achaia  I  11,2,  deren  Er- 
zählung 12,1  mit  einer  Rückverweisung  (nt  pracdLäniiHiJ  wieder  aufge- 
nommen wird.  Eingeschoben  ward  nun  ein  längerer  biographischer  Ex- 
kurs, der  in  der  Zeit  bis  um  drei  Jahrzehnte  tiefer  hinabgeht  und  in 
einem  ersten,  von  Velleius  durch  weitere  Exkurse  ausgestalteten  Al)- 
schnitt  die  Denkmäler  des  Metellus  aufführt  —  Portikus,  Reiterstatuen- 
gruppe, Tempel,  —  in  einem  zweiten  sein  fast  sprichwörtlich  gewordenes 
Glück,  —  Lebensstellung,  Familie,  Lebensende.')  Auf  diese  Vita  weist 
Velleius  zweimal  zurück,  direkt  mit  ([uas  prnedi.ri/tiKs  II  1.2  und  in 
anderer  Form  mit  U/ius  Q.  Macedonki  115,2;  in  beiden  Fällen  hat  er 
die  Erwähnung  des  Mannes  in  anderen  Quellen  gefunden;  im  ersten 
stellt  er  nur  fest,  daß  er  die  Tatsache  bereits  aus  der  Biographie  ent- 
nommen habe;  im  zweiten  benutzt  er  den  Anlaß,  um  aus  dieser  noch 
eine  Anekdote  einzulegen,  deren  breite  Erzählung  in  offenkundigem 
Mißverhältnis  zu  ihrer  Umgebung  steht  (s.  o.  S.  255),  -) 

Der  Schluß  der  Vita  des  Macedonicus  wurde  fast  von  selbst  zu  einer 
annähernd  vollständigen  Übersicht  über  die  Geschichte  seines  Hauses, 
I  11,  7:    Morim  citis  /editni  pi'o  rontrh  m^tukriud  (/iiaffxor  fi'/ii.  un  na 


1)   Mit    der    Einführuug    des    Exkurses    11,3:      Hie    est    Metellus    Macedonicus, 

qui vgl.  die    entsprechende  zweier    kleineren   Einlagen    verwandter   Art  II  1,4 

und  7,5.  Über  den  ga»zen  biographischen  Exkurs  hat  schon  Burmeister  22  f.  das 
Wesentliche  gebracht.  Daß  der  erste  Abschnitt  11,3  —  5  von  Velleius  selbständig  aus- 
gestaltet ist,  zeigt  die  Ineinanderschachtelung  der  Relativsätze  und  die  Rück- 
verweisung im  Anfang  des  zweiten  Buches,  wo  auch  die  Zusammenstellung  von 
htxuria  und  magnificenlia  wiederkehrt.  Der  zweite  Abschnitt  11,6  f.  weist  namentlich 
nähere  Verwandtschaft  mit  Plin.  n.  h.  VII  142  ff.  auf,  wo  eine  Quelle  derselben  Gat- 
tung zu  Grunde  liegt  wie  bei  Velleius.  Bei  beiden  wird  z.  ß.  vorausgesetzt  die  enge 
Verbindung  zwischen  dem  Triumph  über  Makedonien  und  dem  Siegesbeinamen  Mace- 
donicus (vgl.  dasselbe  bei  Xumidicusi,  obgleich  Velleius  hier  den  letzteren  wegläßt, 
weil  er  ihn  vorher  erwähnte,  und  Plinius  142  den  ersteren,  weil  er  ihn  später  erwähnt 
(145.  146»;  dagegen  kennt  Cicero,  dem  Metellus  als  römisches  Gegenstück  des  glück- 
lich gepriesenen  Tellos  (Herod.  I  -SO)  ganz  geläufig  ist,  den  Siegesbeinamen  über- 
haupt nicht,  und  Valerius  Maximus,  von  dem  dasselbe  gilt,  verwendet  ihn  nur  einmal 
(IV  1,12)  zur  Unterscheidung  des  Macedonicus  und  Numidicus.  Mit  der  Pointe  am 
Schluß  von  Vell.  I  11,7  vgl.  übrigens  Val.  Max.  II  10.5. 

-)  Eine  Polemik  gegen  die  Beanstandung  und  Änderung  des  illius  (bei  EUis 
und  nach  ihm  bei  Paulson  Eranos  IV  178  f.)  ist  nach  den  obigen  positiven  Darlegungen 
überflüssig. 


—     266     — 

consularis  et  cenmrim.  alter  (Wisularis.  terf'ms  consul  {ß39  =^  115), /juarfus 
iondidatus  consulatus.  quem  honorem  adepfus  est.  Keiner  von  diesen  vier 
Söhnen  erreichte  den  Ruhm  des  Briiderssohnes,  des  Numidicus,  und 
damit  einen  festen  Platz  in  der  Reihe  der  Virl  i/fiistres:^)  wohl  aber 
wurden  sie  insgesamt  auch  in  dessen  Vita  noch  einmal  erwähnt,  nämlich 
im  Anfang,  in  dem  Abschnitt  über  die  Herkunft. 

Die  Verwertung  der  Vita  des  Numidicus  zeigt  insofern  Ähnlichkeit 
mit  der  der  Perseusvita,  weil  auch  sie  mit  einer  anderen  Biographie  zu- 
sammengearbeitet wurde,  mit  der  des  Marius.  Beide  setzen  ein  mit  dem 
Jugurthinischen  Kriege  und  haben  hier  einen  gemeinsamen  Abschnitt 
über  den  Konflikt  ihrer  beiden  Helden.  Velleius  II  11,2  folgt  zu- 
nächst der  Biographie  des  Marius,  aus  der  er  vorher  dessen  Herkunft 
und  Charakteristik  entlehnt  hat,  bis  zum  Antritt  des  Konsulats  und 
des  Oberbefehls  in  Numidien^  nun  wendet  er  sich  zu  der  des  Metellus 
und  entnimmt  ihr  die  entsprechenden  Stücke,  verteilt  sie  aber  in  eigen- 
tümlicher Weise.  Er  stellt  voran,  was  am  meisten  sein  Eigentum  ist, 
die  Charakteristik  11,  1;-)  er  bringt  die  Taten  bis  zum  Konflikt  mit 
Marius  in  den  Nebensätzen  11,  2  unter:  Trahentis  iam  'in  fertium  annum 
bellum  und  (Jul  Ina  Iiigurtham  acte  fnderni  :  er  verwendet  zuletzt  den 
Anfang  der  Vita  über  Namen  und  Familie  des  Helden,  jene  Notiz  in 
dem  schon  zitierten  Satze  11,2  Ende  (o.  S.  264),  diese  in  der  Einlage  11,3: 
npnnlo  (inte  Domitlae  familiae  (10,2  s.  S.  274),  ita  CaecUkie  notandaclaritudo 
f.s7.  (/Kippe  intra  duodecini  ferme  annoH  Iiubis  tempoi^ls  consules  fiiere 
Metern  auf  cenmrea  aiit  Iriumpharunt  rnnplms  duodecies,  nt  ujypareat. 
(inemadmodiim  urhuim  imperiorumque.  ita  gentium  nunc  florere  fortunam. 
nunc  soiescere.  nunc  interire. 

Wie  Sueton  bei  den  Claudiern,  Liviern  und  Domitiern  (s.  S.  273),  so 
zählt  Velleius  hier  bei  den  Metellern  die  drei  Gattungen  der  Auszeich- 
nungen zusammen,  Konsulate,  Zensuren,  Triumphe,  •^)  aber  nicht  für  die 
ganze  Geschichte  des  Geschlechts,    sondern  nur   für   eine   kurze  Spanne 


')  Die  Ehreninscliril't  des  einen  von  ihnen  CIL  I'^  p.  200  el.  XXXV  gehört 
nicht  zu  deneu  des  Augustusforums.  Dagegen  sind  von  der  des  Xumidicus  hier  zwei 
kleine  Fragmente  erhalten  (ebd.  p.  190  el.  XIX  ),  und  außer  dem  Auct.  de  vir.  ill.  hatte 
auch  Plutarch  dessen  Lehen  geschrieben  (vgl.  Mar.  29,10). 

-)  Er  nennt  Metellus  nullt  secimdmn  saeculi  siii.  Positiv  ausgedrückt  hat  er 
dasselbe  bei  .Sci[)io  Aeinilianus  I  12,.S:  EinlneritiSKimus  mecitli  siii.  und  beides  überboten 
bei  Rutilius  Rufus  II  l.S,2:  Vir  non  .saecnli  siti,  sed  omnis  aeri  optlmiis,  wo  freilich 
die  Wahl  des  Adjektivs  wieder  eine  Abschwächuug  bedeutet  (vgl.  S.  257.2  ).  Vir  niiUi  seatn- 
dux  heißt  der  eigene  (iroßvater  des  Velleius  II  76,1,  sicherlich  in  Erinnerung  au  den 
Ausruf  seines  Ahnherrn  Deciim  Mnjfius  Campanorum  fjriitce/m  (II  10,2)  bei  Livius 
XXIII   10.7:  Aiilli  CdiH/xuioriim  nee  und  ii  s  vinclus  ad  morlein  rapior. 

•')  Di<;taturen  und  (Jvatiunen ,  die  Sueton  noch  mitrechnet,  kommen  für  die 
Blütezeit  der  Met« Her  nicht  in    Betracht. 


—      267      - 

Zeit.  Die  daran  angeknüpfte  Betrachtunj^  gehört  zu  seinen  eigenen  Lieb- 
lingsgedanken,') und  in  doppelter  Hinsicht  erscheinen  dabei  die  Caecilii 
Metelli  als  Gegenstück  zu  den  Domitii  Ahenobarbi:  Dem  zeitlichen 
Nebeneinander  der  Ehren  bei  jenen  steht  das  zeitliche  Nacheinander  bei 
diesen  gegenüber;  aber  das  Haus  jener  ist  trotz  seiner  weiten  Verzweigung 
ausgestorben,  das  Geschlecht  dieser  steigt  trotz  der  beschränkten  Fort- 
pflanzung immer  höher.  Doch  so  sehr  auch  die  Zusammenfassung  der 
Ehren  der  Meteller  für  den  bestimmten  kurzen  Zeitraum  dem  Velleius 
gelegen  kommt,  so  ist  sie  darum  noch  nicht  von  ihm  selbst  vorgenommen, 
sondern  schon  fertig  vorgefunden  worden.  Man  mag  die  Listen  der 
Konsuhl,  Zensoren  und  Triumphatoren  nach  Belieben  durclisehen,  — ■  die 
Rechnung  stimmt  nie  genau,  daß  auf  zwölf  Jahre  zwölf  Meteller  kommen; 
aber  der  durch  das  Wörtchen  ferme  entschuldigte  Fehler  ist  am  kleinsten, 
wenn  man  als  Ausgangspunkt  das  Konsulatsjahr  des  Numidicus  645  =  109 
nimmt  ;  von  hier  rückwärts  gehend  erhält  man  die  Summe  für  vierzehn 
Jahre.  Mit  dem  Konsulatsjahr  des  Numidicus  setzt  seine  Biographie  ein, 
um  sogleich  bis  zu  dem  Triumphe  im  J.  648  =  106  hinabgeführt  zu  werden; 
also  fand  Velleius  an  ihrem  Anfang  unter  jenem  Jahre  die  Zusammen- 
stellung an  der  sonst  für  die  Herkunft  des  Helden  bestimmten  Stelle. 
Er  hat  sie  noch  ein  zweites  Mal  verwendet,  und  zwar  schon  etwas 
früher.  Nachdem  er  die  Gracchische  Bewegung  im  Zusammenhange  dar- 
gestellt hat,  fällt  sein  Blick  auf  die  Geschichte  des  Jahres  641  =  113, 
das  Konsulat  des  Cn.  Papirius  Carbo  und  des  C.  Metellus.  Von  ihnen 
ist  Carbo  damals  als  erster  römischer  Feldherr  mit  den  Kimbern  zu- 
sammengetroffen ,  -)  und  Metellus ,  der  jüngste  Sohn  des  Macedonicus 
(I  11,7  s.  S.  265 f.),  nach  Thrakien  gesandt  worden;  dieser  kehrte  aus  seiner 
Provinz  am  13.  Juli  643  =  111  im  Triumphe  heim,  an  demselben  Tage, 
wie  sein  nächstälterer  Bruder,  der  Konsul  im  Todesjahre  des  Vaters 
639  =  115  gewesen  war,  aus  Sardinien.  Den  von  C.  Metellus  begonnenen 
thrakischen  Krieg  beendete  sein  zweiter  Nachfolger  im  Kommando, 
M.  Minucius  Rufus,  644  =  110  als  Konsul  entsendet  und  648  =  106  als 
Triumphator  heimberufen.  Von  den  inneren  Ereignissen  im  Konsulats- 
jahr des  C.  Metellus  erregte  Aufsehen  die  Verurteilung  seines  einen 
Amtsvorgängers  0.  Cato  wegen  Erpressungen  in  Makedonien.  Diese  ver- 

1)  Der  ganze  Exkurs  am  Eude  des  ersten  Buches  von  Iß.l  an  ist  der  Darlegung 
dieses  Gedankens  gewidmet,  und  die  Vorliebe  dafür  hat  Velleius  auch  in  den  literar- 
historischen Kapiteln  des  zweiten  Buches  (9,1  ti".  und  86,2  ff.)  manche  Persönlichkeiten. 
die  nicht  eigentlich  Zeitgenossen  waren,  eng  an  einander  rücken  lassen.  Zu  I  18.1  Auf. 
vgl.  noch  1  7,4  Schluß,  zum  Ganzen  die  bekannte  Stelle  Flor,  praef.  4. 

2)  Vgl.  II  12,2  S.  271.  Die  Bedeutung  jenes  Jahres  hebt  z.  B.  Tac.  Germ.  37  scharf 
hervor.  Die  Flüchtigkeit  des  Velleius  zeigt  sich  in  seiner  willkürlichen  Formulierung 
der  Notiz;  im  J.  641  -  113  durfte  weder  von  den  Teutonen  noch  von  einem  Rheiu- 
übergange  die  Hede  sein. 


—     268     — 

scbiedeiien  Begebenheiten  führt  Velleius  II  8,1 — 3  in  folgender  Anord- 
nung und  Verknüpfung  vor  :  Mandetur  deinde  memoriae  severitas  iiidi- 
cioriim,  quippe  C.  Cato  ....  damnafus  est.  circa  eadem  tempora  duo 
Metern  fratres  uno  die  tritimphanint  ....  tum  Cimhrl  et  Teutones 
transcendere  Wienum  ....  per  eadem  tempora  clariis  .  .  .  Minuci  .  .  . 
triump/ius  fuit.  In  einer  einfachen  und  knappen  chronologisch  geordneten 
Geschichtsdarstellung,  zumal  in  einer  Geschichtstabelle,  waren  alle  diese 
Tatsachen  in  ihrem  richtigen  Zusammenhange  klar  zu  übersehen  ;  Velleius 
aber  sucht  diesen  Zusammenhang  vielmehr  zu  verdecken  und  den  Ein- 
druck zu  erwecken,  als  hätte  er  den  Stotf  von  überall  her  zusammen- 
gesucht. Diesen  Eindruck  verstärken  Einschiebsel,  die  wirklich  anders- 
woher stammen,  nämlich  die  auf  den  Doppeltriumph  der  Meteller 
folgenden  Notizen  :  Non  minus  darum  exemplum  et  adhuc  unicum 
Fulvi  Flacci  —  eius,  qui  Capuam  ceperat,  —  filiorum,  sed  alferius  in 
adoptionem  dati,  in  coUegio  consu/atus  fuit;  adoptivus  in  Acidini  Manlii 
familiam  datas,  nam  censura  Metellorum  patruelium.  non  qermanorum 
fratrum  fuit,  quod  solis  contigerat  Scipionibus.  Daß  eine  merkwürdige 
Tatsache  dazu  anregt,  verwandte  Fälle  zum  Vergleich  heranzuziehen,  ist 
sehr  begreiflich  und  auch  lehrreich  ;  ')  dieser  Versuchung  darf  aber  ein 
Historiker,  der  sich  die  Kürze  so  zur  Pflicht  macht  wie  Velleius^),  nicht 
in  diesem  Maße  nachgeben,  wie  es  hier  geschieht:  Er  springt  hier  von 
dem  Metellertriumph  des  Jahres  643  =  111  zurück  zum  Konsulat  des 
Jahres  575  =  179,  bei  dem  auch  die  Capitolinischen  Fasten  anmerken: 
Hei  fratres  germani  fuerunt,  von  hier  weiter  bis  zum  Jahre  543  =  211, 
in  welchem  Q.  Fulvius  Flaccus  Capua  einnahm,')  darauf  wieder  vorwärts 
bis  zu  der  Zensur  der  Vettern  C.  Metellus  und  Metellus  Numidicus 
652=102,  und  deren  Erwähnung  veranlaßt  ihn  zu  einer  weiteren  Parallele, 


Ï)  Ganz  passend  vergleicht  z.  B.  Velleius  FI  26,3  und  88.3  zwei  Muster  von 
Frauentreue  aus  Sullanischer  und  Augustischer  Zeit,  die  sich  Valerius  Maximus  in 
seinen  Kapiteln  de  amore  coniiujaU  (IV  6i  und  de  fide  iixonim  erga  viras  (VI  7)  ent- 
gehen ließ.  Interessant  ist  es,  wie  Tacitus  solche  von  Kuriositätensammlern  gezogene 
Parallelen  scheinbar  ablehnt,  tatsächlich  aber  seinen  eigenen  künstlerischen  Absichten 
dienstbar  zu  machen  versteht  (vgl.  Agr.  22.  bist.  I  7.  III  37.  51  ann.  I  9.  IV  G5.  VI 
28.  28.  XII  24.  XIII  3.  XV  41). 

2)  Vgl.  die  Stellen  bei  Sauppe  142. 

3)  Diese  Notiz  hat  Velleius  wohl  aus  dem  Gedächtnis  eiugeflochten,  denn  die 
Geschichte  seiner  Vaterstadt  Capua  und  ihrer  Umgebung,  aus  der  auch  sein  Freund 
M.  Vinicius  stammte  (Tac.  ann.  VI  15),  ist  ihm  wohl  vertraut  (vgl.  I  4.2.  7,2  fl".  14,;i 
II  25,4  [dazu  CIL  X  p.  Ml]  44,4.  81,2),  und  jene  Einnahme  Capuas  durch  die  Römer 
von  543  =  211  fällt  ihra  sogar  da  als  die  einzige  ein,  wo  er  vielmehr  an  die  frühere 
von  41ß  =  .'{38  denken  sollte  (I  7,4  vgl.  nach  Früheren  Burmeister  16.  Hülsen  l>ei 
Pauly-Wissowa  III  15.')f),  während  Nissen  Ital.  Landeskunde  II  <)Ü7  mit  Unrecht  dem 
Velleius  genau  folgt). 


—     2H9     — 

die  um  mehr  als  zwei  Jahrhunderte  zurückführt.  ')  Dieses  Hin-  und 
Hereilen  stört  den  ruhigen  Fluß  einer  Darstellung,  die  chronologisch  fort- 
schreiten will,  aufs  empfindlichste;  die  rasch  zusammengerafften  Notizen 
werden  nur  mechanisch  in  einander  geschoben,  damit  ja  keine  verloren 
gehe.  Von  ihnen  allen  gehören  aber  sachlich  und  zeitlich  am  engsten 
zusammen  die  am  weitesten  auseinander  gerissenen  über  die  Meteller; 
ist  doch  der  freilich  von  Velleius  nirgends  genannte  C.  Metellus  der  eine 
der  beiden  Konsuln  des  Jahres  641  =  113,  von  dem  überhaupt  ausge- 
gangen wird,  der  eine  der  beiden  Brüder,  die  im  J.  043  ^111  zusammen 
triumphierten,  der  eine  der  beiden  Vettern,  die  im  J,  652  =  102  zu- 
sammen die  Zensur  verwalteten,  während  sein  j^mtsgenosse  hierbei  der 
Numidicus  ist,  von  dessen  Führung  dieses  Amtes  Velleius  sonst  nirgends 
spricht.  Die  Vita  des  Numidicus  gab  eine  Zusammenstellung  der  Kon- 
sulate, Zensuren,  Triumphe  der  Meteller  in  jener  Zeit;  sie  wird  auch 
bemerkt  haben,  daß  einmal  zwei  Triumphe  zusammenfielen,  und  sie  muß 
von  der  Zensur  des  Helden  gehandelt  haben.  Die  Notiz  über  die  Triumphe 
war  gleichsam  das  Stichwort,  mit  dem  Velleius  die  chronologische  Quelle 
verließ  und  zu  der  biographischen  überging. 

Zum  letzten  Male  hat  er  die  Vita  des  Numidicus  für  den  Abschnitt 
benutzt,  in  welchem  sie  sich  mit  der  seines  Sohnes  Metellus  Pius  deckte.  In 
der  Darstellung  des  Bundesgenossenkrieges  versucht  er  als  G-egenstücke 
auszuarbeiten  eine  Liste  der  römischen  und  eine  der  feindlichen  Feld- 
herren IT  15,3  und  16,1;  aber  während  die  zweite  einheithch  und  einer 
historischen  Quelle  entlehnt  zu  sein  scheint,  übergeht  die  erste  alle  Kon- 
suln dieser  Jahre  und  die  etwa  sonst  von  Velleius  selbst  genannten  Führer, 
wie  den  tüchtigen  T.  Didius  (II  15,1.  16,2.4)  und  nennt  als  clarissimi 
imperatores  Romani  nur  Cn.  Pompeius  Cn.  Pompei  Magm  pater,  C. 
Marins  .  .  .  .,  L.  Sulla  ....  Q.  Metellus  Numidici  ßlius,  qui  meritum 
cognomen  PH  consecutus  erat.  Bei  keinem  dieser  vier  Männer  bezeichnet 
der  Bundesgenossenkrieg  den  Höhepunkt  seiner  Laufbahn;  wohl  aber 
sind  sie  alle  wegen  ihrer  sonstigen  Bedeutung  in  die  Biographiensamm- 
lungen aufgenommen  worden,  in  denen  keiner  jener  anderen  römischen 
Feldherren  des  Bundesgenossenkrieges  einen  Platz  erhalten  hat.  Dem 
Beinamen  des  Metellus  Pius  fügt  nun  Velleius  als  Erläuterung  die  ganze 
Geschichte  von  der  Verbannung  und  der  Rückberufung  seines  Vaters 
hinzu,  obgleich  er  damit  den  erstrebten  Parallelismus  in  den  Verzeich- 
nissen der  Römer  und  der  Italiker  zerstört,  in  der  Erzählung  selbst 
um  ein  Jahrzehnt  zurückspringt  und  nicht  einmal  eine  Verbindung  mit 
der  früher,  an  der  richtigen  Stelle  (II  12,6)  gegebenen,  kurzen  Behand- 
lung der  betreffenden  Dinge  herstellt.     Der  Schlußsatz:    Xec  triump/iix 

')  Über  die  Zeit  der  Zensur  der  Scipionischen  Brüder  vgl.  Pauly-Wissowa  IV 
1428,14  ff. 


—     270     - 

IwnorWusquc  quant  auf  causa  eusi/ii  aut  exsUio  aut  reditu  clarlor  fuit 
XumicUcus.  läßt  deutlich  erkennen,  daß  die  Vita  des  Numidicus  und  die 
damit  zusammenhängende  des  Pius  die  Grundlage  bilden. 

Daß  die  letztere  bei  weitereu  Erwähnungen  des  Pius  herangezogen 
wurde,  ist  nicht  zu  erweisen  ;  gesichert  erscheint  aber,  in  welcher  Weise 
die  Metellerviten  eines  biographischen  Sammelwerkes  angelegt  waren 
und  von  Velleius  ausgebeutet  wurden.  Gerade  sie  zeigen  uns,  wieviel 
bei  ihm  Schein  ist,  wie  oft  er  ein  im  Grunde  einfaches  und  bequem  her- 
gerichtetes Material  so  verwendet  hat,  als  ob  er  es  mühsam  und  selb- 
ständig zusammengetragen  hätte;  von  seiner  historischen  Forschung  und 
von  seiner  literarischen  Komposition  lassen  sie  uns  gleichmäßig  gering 
denken. 

VI. 

Da  eine  Erschöpfung  des  Themas  an  dieser  Stelle  weder  beab- 
sichtigt noch  möglich  ist,  seien  nur  einige  weitere  Fälle  herausgegriffen, 
in  denen  die  Bevorzugung  biographischer  Quellen  bei  Velleius  leicht  zu 
erkennen  und  für  den  sprunghaften  und  ungleichmäßigen  Charakter 
seiner  Erzählung  verantwortlich  zu  machen  ist.  Daß  der  Anfang  der 
ersten  Römerbiographie  I  8,4:  Roniulus  Marüs  fl/lus  ultus  iumrias  avi 
Homani  urhem  PariUhus  in  Palatio  condidit,  den  des  entsprechenden 
Elogiums  vom  Augustusforum  (CIL  I^  p.  187  el.  IV):  Roniu/us  Marfis 
filiuH  urhem  Romam  condidit,  Wort  für  Wort  in  sich  schließt,  wird  ein 
Zufall  sein,  aber  ein  bezeichnender.  In  den  letzten  Abschnitten  des  ersten 
Buches  ist  sodann  neben  den  Viten  des  Scipio  Aemilianus  und  des 
Metellus  Macédoniens  und  mit  jeder  von  ihnen  einmal  verknüpft  eine 
Vita  des  Mummius  Achaicus^)  benutzt  worden  (I  12,  1.  13,2  und  4); 
was  von  ihrem  Inhalt  hier  unbenutzt  blieb,  wird  bei  späterer  Gelegen- 
heit (II  128,2)  angebracht,  woraus  zu  ersehen  ist,  daß  auch  sie  in  der 
gewöhnlichen  Weise  auf  die  Herkunft  den  vollständigen  Cursus  honorum 
des  Helden  folgen  ließ.  Im  Beginn  des  zweiten  Buches  ist  mit  der 
Lebensbeschreibung  des  Ti.  Gracchus  (II  2,1  ff.)  die  seines  Gegners 
Scipio  Nasica  (II  3,1  f.)')  verbunden  worden;    in  die  Haupterzählung  von 


1)  Seine  Biographie  ist  nur  erhalten  beim  Auct.  de  vir.  ill.,  aber  auch  Verg. 
Aen.  VI  8.36  f.  verherrlicht  ihn,  der  unmöglich  auf  dem  Augustusforum  gefehlt 
haljen  kann,  zumai  da  Nachkommen  seiner  Tochter  zum  höchsten  Adel  zählten  (Suet. 
Galba  .3). 

2)  Die  Aufnahme  dieses  Scipio  Nasica  unter  die  Viri  illustreü  ist  zwar  nicht 
beglaubigt,  al)er  dennoch  möglich.  Einer  seiner  Nachkommen  stellte  sein  Blogium 
öffentlich  auf  (Cic.  ad  Att.  VI  1,1')»  und  der  Auetor  de  vir.  ill.  widmet  seinem  Groß- 
vater und  Vater,  die  er  für  identisch  hält,  ein  eigenes  Kapitel  (44)  und  seinen  eigenen 
Schicksalen  ziemlich  viel  Beachtung  (H4,y).  Wie  Ti.  Gracchus  mag  daher  auch  Nasica 
zu  den  Männern  gehört  haben,  die  zwar  keinen  Platz  iu  der  Ruhmeshalle  des  Augustus, 


—     271     — 

ihrem  feindlicben  Zusammenstoß,  dem  Höhepunkt   ihrer  Geschichte,    ist 
bei  beiden  Herkunft,  Charakter  und  Vorgeschichte  eingefügt. 

Der  Krieg  mit  den  Kimbern  und  Teutonen  bis  zum  Auftreten  des 
Marius  wird  II  12,2  in  einem  Vordersatze  abgetan,  dessen  Nachsatz 
lautet:  Populm  Romanus  non  alium  lantis  hostibus  magis  idoneum 
mperatorem  quam  Marium  est  ratus\  tum  multiplicati  consulatus  eius. 
Der  Tatbestand  wie  seine  Formulierung  entspricht  genau  dem  beim 
dritten  makedonischen  und  beim  dritten  panischen  Kriege.  Velleius  folgt 
der  Quelle  der  einen  Gattung  bis  zu  dem  bestimmten  Stichwort,  das 
auch  in  der  der  andern  Gattung  wiederkehrt,  dem  bedeutsamen  Schlußwort 
Sallusts  (lug.  114,3  f.):  Marius  consul  absens  f actus  est,  et  ei  décréta 
provincia  Gallia,  isque  kalendis  lanuarns  (650  =  104)  magna  gloria 
consul  triumphavit.  et  ea  tempestate  spes  atque  opes  in  illo  sitae.  Nach- 
dem Velleius  in  dem  ihm  vorliegenden  Geschichtsabriß  die  entsprechende 
Notiz  gefunden  hat,  geht  er  zunächst  wie  bei  den  spanischen  Kriegen  II  ö,  1  ff. 
(s.  o.  S.  255 f.)  rückwärts  von  dem  Jahre  der  Wiederwahl  des  Marius 
und  deren  Ursache  bis  zu  dem  ersten  Zusammentreffen  der  Römer  mit 
den  Deutschen  und  dann  wieder  vorwärts  von  diesem  Anfang  der  Kämpfe 
über  die  Mitte  bis  zu  jenem  Ende  :  Cum  Caepionem  Manliumque  con- 
sules  (649  =  105)  et  ante  Carhonem  (641  =  113)  Silanumque  (645  =  109) 
fudissent  fugassentque  ....  Scaurumque  Aurelium  ....  trucidassent 
(649  =105  unmittelbar  vor  Caepios  Niederlage).  Der  früheste  hier  er- 
reichte Zeitpunkt  ist  der  bereits  II  8,3  (o.  S.  267 f.)  berührte;  dort  weist 
Velleius  vorwärts  :  Cimhri  et  Teutoni,  multis  mox  nostris  suisque  cladibus 
nohiles,^)  hiev  rückv^ärts  :  JJt  praediximus\  so  knüpft  er  den  Faden,  den 
er  zerrissen  hat,  selbst  wieder  zusammen. 

Von  hervorragenden  Männern  der  Nobilität,  die  eine  Zeitlang  mit 
Cn.  Pompeius  wetteiferten,  scheinen  durch  besondere  Biographien  in  den 
Sammlungen  L.  Lucullus  und  Metellus  Creticus  ausgezeichnet  zu  sein, 
deren  Kriegstaten  zwar  durch  seine  Erfolge  in  Schatten  gestellt,  aber 
von  den  Standesgenossen  mit  Recht  hoch  gepriesen  und  durch  den  Triumph 
belohnt  wurden;-)  ihre  Viten   sind    von   Velleius    33,1 — 34,2    und    noch- 

wohl  aber  in  den  gleichzeitigen  Sammlungen  von  Biographien  berühmter  Römer  bean- 
spruchen durften.  Seiner  Vorgeschichte  gehört  bei  Velleius  der  Einschub  über  seine 
Wahl  zum  Pontifex  maximus  trotz  des  Perfekts  /actus  est  an  (vgl.  Pauly-Wisaowa  IV 
1508.53  ff.,  auch  Kornemann  Kilo.  Beiheft  I  3),  dessen  Gegenstiick  inditum  erat  I  11.2  o. 
S.  256,1. 

1)  Vgl.  105,1:  Cherusci  —  gentis  eius  Arininius  mox  nostra  clade  nobilis 
mit  118,2,  wo  der  Volksname  überhaupt  nicht  mehr  genannt  wird;  zu  25, .80  s.  S.  256.1. 

2)  Lucullus  hat  seinen  Platz  auf  dem  Augustusforum  (CIL  I^  p.  196  el.  XXI 
=  Dessau  60)  und  in  den  Sammlungen  Plutarchs  und  de  vir.  ill.  erhalten;  bei 
Metellus  Creticus  ist  anzunehmen,  daß  er  auf  jenem  nicht  fehlte,  da  sein  Siegesbeiname 
von  dem  hohen  Adel  der  Augustischen  Zeit  noch  geführt  wurde  (vgl.  Pauly  -  Wissowa 
III  1212  Nr:  88— 90j. 


—     272     — 

mais  40,5  mit  einander  und  mit  der  des  Pompeius  verglichen  und  zu- 
sammengearbeitet worden.  Der  Bruder  des  einen,  M.  Lucullus,  durfte 
wegen  seines  ebenfalls  ruhmvollen  Triumphes,  der  Mitkonsul  des  andern, 
Q.  Hortensius,  wegen  seiner  Beredsamkeit,  auf  Grund  deren  ihn  Yelleius 
36,2  mit  Cicero  zusammenstellt,  zu  den  berühmten  Männeni  jener  Zeit 
gerechnet  werden,  und  neben  ihnen  Q,  Catulus  nicht  nur  wegen  seines 
durch  die  Anekdote  32,1  f.  belegten  Ansehens,  sondern  auch  wegen 
seines  Wiederaufbaus  des  Capitolinischen  Tempels.^)  Diese  fünf  Männer 
werden  48.6  in  der  Reihenfolge  ihrer  Konsulate,  also  nach  dem  Alter  auf- 
gefühi-t  und  beglückwünscht,  weil  sie,  cum  sine  invidia  in  re  publica 
floruissent  eminuissentque  sine  periculo,  qiiieta  mit  cerie  non  praecipitata 
fatali  ante  inilium  hellorum  ciuilium  morte  functi  sunt.  Abgesehen  da- 
von, daß  die  eigene  Erzählung  des  Yelleius  von  Lucullus  und  Metellus 
34,2  und  40,5  dem  sine  invidia  geradezu  widerspricht,  ist  die  ganze 
Zusammenstellung  und  Betrachtung  etwas  sonderbar;  aber  ihre  Veran- 
lassung ist  gewiß  keine  andere,  als  daß  gerade  diese  Persönlichkeiten 
zweiten  Ranges  aus  der  Zeit  des  Pompeius  in  einer  Biographiensammlung 
behandelt  waren,  und  daß  Velleius,  wenn  sonst  nichts  aus  ihrem  Leben, 
so  wenigstens  ihr  Lebensende  kurz  erwähnen  wollte  (wie  Xepos  de  reg. 
2,1  0.  S.  252,2). 

Es  hat  Velleius  sich  nicht  damit  begnügt,  den  Bestand  der  vor- 
handenen Biographiensammlungen  aufzunehmen,  sondern  er  hat  auch 
versucht  ihn  zu  vermehren.  So  entwirft  er  von  dem  revolutionären 
Tribunen  P.  Sujpicius  Rufus  II  18,5  ein  Bild,  dessen  einzelne  Züge 
aus  anderen  Berichten  meistens  nicht  zu  belegen  sind  ;  aber  bei  näherem 
Zusehen  erkennt  man  darin  dieselben  Züge,  wie  in  den  besser  beglaubigten 
Porträts  der  Gracchen  (II  2,2  vgl.  6,1)  und  des  M,  Livius  Drusus  (II  13,1), 
und  der  Verdacht  wird  rege,  daß  Velleius  diesen  Mann,  der  vorher  nicht 
zu  den  berühmten  gezählt  hatte,  nach  dem  Schema  des  Demagogen  selbst 
gezeiclinet  habe.  In  den  späteren  Partien  verleitet  ihn  sein  "Wunsch, 
auch  die  Träger  von  Nebenrollen  in  dem  großen  Drama  der  Bürger- 
kriege nicht  ohne  eine  Charakteristik  zu  lassen,  nicht  selten  zur  Wieder- 
holung derselben  ziemlich  oberflächlichen  Schilderungen,  so  bei  Curio 
und  Caelius  (48,3  und  68,1),  bei  dem  Verhältnis  des  xlntonius  zu  Lepidus 
und  des  Brutus  zu  Vatinius  (63,1  und  69,3),  auch  bei  dem  Verschwörer- 
paar Murena')  und  Caepio  und  bei  dem  Zensorenpaar  Plauens  und  Paullus 

')  Daß  diese  Tat  einem  Triumph  und  Siegesbeinamen  gleichgeaehtet  wurde, 
zeigt  Galbas  Verhalten,  qui  Htatnarum  titulis  //ronepnlem  se  Quinli  Caiitli  Capitolini 
semper  agcri/taerit  (Suet.  Galba  2  vgl.  seine  Rede  bei  Tac.  bist.  I  15  Anf.)  und  eine 
Stelle  wie  Tae  bist.  IM  72:  Liiftilii  Citliili  uomen  inter  tan/n  Caesarnui  opera  un(/ur 
ad    Vitelliuin  mansit.     Velleius  bat  die  Sache  freilich  übergangen. 

2)  Vgl.  Cichorius  Hermes  XXXIX  4()7.1 


—     273     — 

(91,2    und  95,3);    in    der   Kegel    sind    solclie    Zutaten    schon    an    ihrer 
Einführung  und  Fassung  leicht  zu  erkennen. 

xA.ber  gerade  bei  Velleius  sehen  wir,  daß  nicht  nur  er  selbst  den 
Kreis  der  berühmten  Römer  zu  erweitern  strebte,  sondern  da(i  sich  auch 
andere  in  dieser  Richtung  betätigten.  Es  lag  ja  in  der  Natur  der 
Sache,  daß  in  den  Biographien  römischer  iStaatsmänner  und  Feldherren 
das  yévog  einen  breiteren  Raum  beanspruchte,  als  in  denen  der  griechischen. 
Von  Alters  her  war  in  den  Laudationen  der  Verherrlichung  des  einzelnen 
Verstorbenen  die  seiner  Ahnen  vorangegangen,')  und  nicht  selten  wurde 
der  verblichene  Schimmer  ihres  Ruhmes  durch  den  weit  glänzenderen 
des  seinigen  überhaupt  erst  sichtbar  gemacht.  So  ist  es  bei  Sulla,  bei 
Pompeius,  bei  Caesar,  bei  Augustus,  bei  Tiberius  gewesen.  Es  ist  kein 
Zufall,  daß  sogenannte  Elogien  von  Männern,  die  in  der  Republik  über- 
haupt nicht  bis  zum  Konsulat  emporgestiegen  waren,  fast  ausschließlich 
Ahnen  und  Verwandten  der  neuen  Herrscher  gehören,  zwei  Julii  Caesares, 
dem  C.Octavius,  dem  Livius  Drusus,-)  und  Sueton  schickte  den  Biographien 
der  Kaiser,  die  zum  alten  Adel  gehörten,  außer  einer  Behandlung  ihrer 
direkten  Vorfahren  und  besonders  gefeierten  Familienglieder  stets  eine 
zusammenfassende  Übersicht  der  ganzen  Geschichte,  der  Ehren  und 
Würden  ihres  Hauses  voraus.'^)  Bei  Velleius  läßt  sich  leicht  feststellen, 
daß  er  solche  Übersichten  schon  für  Sulla  (II  17,2)  und  für  Pompeius,*) 


')  Vgl.  Vollmer  Jahrb.  f.  Philol.  Suppl.  XVIIl476f.  Der  Unterschied  zwischen 
Griechen  und  Römern  ist  bei  Plutarch  deutlich;  er  will  zwar  das  yévog  bei  beiden 
gleichmäßig  berücksichtigen  (vgl.  Leo  Griech.-röm.  Biographie  180  f.),  kann  aber 
meistens  bei  jenen  nur  über  die  nächsten  Vorfahren  des  Helden  mühsam  etwas  er- 
mitteln, bei  diesen  dagegen  aus  einem  reichen  familieugeschichtlichen  Material  nach 
Belieben  eine  Auswahl  treffen.  Zwischen  Anfang  und  Ende  der  Entwicklung  sind  als 
Mittelglied  notwendig  die  AVerke  de  viris  illusiribiis  aus  Ciceronischer  nnd  Augustischer 
Zeit  einzusetzen. 

2)  CIL  12  p.  198  f.  el.  XXVII  =  Dessau  48;  XXVIII;  XXIX  =  47;  XXX  =  49. 
Daß  das  günstige  Ui-teil  des  Velleius  II  13. 1  über  Livius  Drusus  durch  die  Rücksicht 
auf  Tiberius  beeinflußt  ist,  bemerkte  richtig  Sauppe  168. 

3)  Diese  Summierung  ist  bei  den  Juliem  verloren  und  fehlt  bei  den  Octaviern 
(Aug.  2)  wegen  der  (Teringfügigkeit  und  bei  den  Sulpiciem  wegen  der  Menge  der 
Einzelposten  (Galba  3);  sie  liegt  vor  für  die  Claudier  (Tib.  1),  Livier  (Tib.  3)  und 
Domitii  Ahenobarbi  (Xero  1  s.  u.).  Vgl.  auch  Tac.  ann.  XÎII  3  über  die  Laudatio  auf 
Kaiser  Claudius:    Antiquitatem  generis,   consulatus  triumpliosque  maiorum  eiuimerabat. 

^)  In  der  Vorlage  des  Velleius  war  vermutlich  bereits  der  Vater  des  Pompeius 
unter  die  Viri  illustres  aufgenommen,  wofür  schon  die  Art  seiner  Anführung  II  15,3 
spricht  (s.  o.  S.  269),  sowie  die  Anknüpfung  der  Vita  des  Sohnes  durch  das  Selbstzitat 
29,1.  Auch  die  allgemeine  Bemerkung  über  das  Geschlecht  21,5  ist  an  das  Haupt- 
und  Schlußkapitel  der  Vita  des  Vaters  (21,1 — 4)  angehängt  und  dann  von  Velleius 
selbst,  nicht  von  einem  Interpolator,  zu  dem  nachträglichen  Einschub  an  früherer  Stelle 
II  1,4  verwendet  worden.     Xach  dem  großen  Pompeius  wird  dann  in  dem  von  Velleius 

18 


—     274     — 

dann  aber  vor  allem  für  Caesar  (41,1),  Augustiis  (59,2)  und  Tiberius 
(75,1  und  3  vgl.  71,3.  94,1)  in  der  landläufigen  Literatur  de  viris  iUustribus 
vorfand,  ebenso  wie  er  selbst  die  adlige  Herkunft  beachtete,  wenn  er 
Zeitgenossen  gleichsam  zu  diesem  Range  erhob.  ^)  Vielleicht  am  besten 
zeigt  aber  seine  Behandlung  der  Domitier,  wie  damals  die  Anerkennung 
und  die  literarische  Behandlung  von  Persönlichkeiten  der  republikanischen 
Zeit  als    Viri  illustres  noch  in  beständiger  Entwicklung  war. 

Notetur  Domitiae  familiae  pecuUaris  quaedain  et  ut  clarissima,  ita 
artata  numéro  félicitas.  Septem  ante  hunc  nohilissimae  simplicitatis  iu- 
venem,  Cn.  Domitium  fiiere,  singuli  omnino  parentibus  geniti,^)  sed 
omnes  ad  consulatum  sacerdotiaque^  ad  triumphi  aiitem  {triumphantum 
Novak  Wien.  Stud.  XXVIII  297  f.)  paene  omnes  pervenerunt  insignia. 
Diese  Übersicht  über  die  Geschichte  der  Familie  giebt  Velleius  II  10,2 
bei  der  Erwähnung  eines  Ahenobarbus,  der  bereits  als  der  dritte  in  der 
Reihe  zum  Konsulat  und  als  erster  —  und  unseres  Wissens  einziger'')  — 
zum  Triumph  gelangt  ist.  Mit  demselben  Manne,  den  er  allerdings  mit 
seinem  Sohne  zusammenwirft,  eröffnet  auch  Sueton  Nero  1  die  Reihe 
der  berühmten  und  erwähnenswerten  Mitglieder  des  Hauses,  und  auch 
er  rechnet  aus,  daß  im  ganzen  sieben  das  Konsulat  geführt  haben.  Aber 
was  er  und  die  sonstige  Überlieferung  von  den  folgenden  Domitiern  zu 
melden  wußte,  war  nicht  eben  das  Vorteilhafteste;  denn  der  eine  hatte  als 
einer  der  unversöhnlichsten  Gegner  Caesars  bei  Pharsalos  geendigt  ;  der 
andere  hatte  mit  den  Caesarmördem  und  dann  mit  Antonius  gegen 
Augustus  gekämpft,  bis  er  den  Untergang  des  Antonius  und  das  eigene 
Ende  greifbar  nahe  sah;  der  dritte  hatte  freilich  den  Ruhm  des 
römischen  Namens  weiter  als  jeder  andere  Römer  bis  über  die  Elbe  ge- 
tragen, —  aber  dergleichen  hörte  wiederum  Tiberius  nicht  gern  rühmen.*) 

benutzten  Buche  de  viris  iUustribus  ebenso  wie  in  dem  späten  uns  vorliegenden  noch 
sein  Sohn  Sextus  einen  Platz  erhalten  haben  (vgl.  besonders  73,1  f.,  auch  77,3.  79,5 f.). 

1)  Vgl.  außer  den  Zeugnissen  über  sich  selbst  und  seinen  Gönner  Vinicius  die 
über  Vetus  43,4,  MessaUinus  112,2,  Lepidus  114,5,  Gaetulious  116,2,  Varus  117,2,  Cal- 
dus  120,6  (ähnlich  auch  Tac.  ann.  VI  29  Ende  über  Scaurus,  XII  12  über  Cassius). 
Am  bezeichnendsten  ist,  wie  er  bei  Seiau  einerseits  alle  Beweise  für  die  Zugehörig- 
keit zum  Adel  hervorsucht  (127,3  vgl.  Cichorius  Hermes  XXXI X  469).  anderseits  alle 
Praecedenzfälle  für  das  Emporsteigen  dieses  homo  novus  (127,1.  128,1  ff);  vgl.  dazu 
Tac.  ann.  IV  40,  auch  8. 

2)  Ähnliches  wird  I  6,2  von  den  babylonischen  Königen  hervorgehoben.  Vgl. 
auch  S.  267 

3)  Wenn  bei  Sueton:  Funcli  consulat ibtis  septem,  triunipho  censurnf/iie  duplici, 
an  zwei  Zensuren  und  zwei  Triumphe  gedacht  werden  muß,  so  bietet  dies  eine  Schwie- 
rigkeit (vgl.  Mommsen  Rom.  Forsch.  1  73,5)  ;  bei  Velleius  sind  wegen  des  Ausdrucks 
triumphi  ins  ig  nid  jedenfalls  die  Ornamcnta  triumphalia  des  Konsuls  von  738  -  16 
mitgerechnet;  über  die  auch  dann  noch  l)leibende  Übertreibung  vgl.  o.  S.  258,1. 

*)  Vgl.  die  Behandlung  der  germanischen  Erfolge  des  Drusus  und  des  Germani- 
CU8  95,1.  97,3.  129,2;  dazu  Bonner  .Jahrbücher  CIV  68.     Rhein.  Mus.   I,XII  165,1. 


—     275     — 

So  hat  denn  Velleius  von  dem  ersten  und  dem  dritten  fast  ganz  ge- 
schwiegen ;  jenen  nennt  er  nur  flüchtig  einmal,  wo  er  es  gar  nicht  ver- 
meiden kann  (50,1);  und  von  diesem  erwähnt  er  trotz  seines  großen 
Interesses  für  die  germanischen  Dinge  und  für  die  Kriegstaten  der 
Feldherren  des  Augustus  überhaupt  keine  Taten,  sondern  nur  die 
eminentissima  ac  nohiUssima  simplicitas  (72,3  s.  o.  S.  257,2);  von  dem  Partei- 
gänger der  Caesarmörder  und  des  Antonius  hel)t  er  fast  nur  hervor,  wie 
er  sich  diesen  selbständig  gegenübergestellt  und  sie  rühmlich  verlassen 
habe  1 72,3.  76,2.  84,2).^)  Aber  was  ihn  trotz  aller  dieser  Schwierig- 
keiten bestimmte,  das  erlauchte  Haus  der  Domitier  immer  wieder  zu 
preisen,  ist  ein  Ereignis  der  jüngsten  Vergangenheit:  Ende  des  Jahres 
28  n.  Chr.  hatte  Tiberius  mit  besonderen  Feierlichkeiten  seine  Enkelin 
Agrippina  dem  Cn.  Domitius  vermählt,  den  Velleius  als  nohilissimae 
simpUcitatis  (II  10,2)  und  clarissimus  iuvenis  (72,3)  rühmt,  und  zwar 
hatte  der  Kaiser  damit  die  entfernte  Verwandtschaft  mit  seinem  eigenen 
Hause  und  den  alten  Adel  des  Domitierhauses  ehren  wollen.  -)  Darum 
also  war  es  für  die  Schriftsteller,  die  den  Bedürfnissen  des  Tages  Rech- 
nung trugen,  unerläßlich,  diesen  Adel  zu  feiern. 

Die  Untersuchung  hat  sich  auf  einen  kleinen  Teil  der  Schrift  des 
Velleius  beschränkt  und  manche  Umwege  gemacht.  Wenn  ihr  Verfahren 
kompliziert  und  künstlich  erscheinen  sollte,  so  ist  doch  ihr  Ergebnis  ein 
einfaches  :  Velleius  hat  viel  von  der  Art  und  Unart  des  mittelmäßigen 
Journalisten.  Seinen  Wissensstoff  schöpft  er  bereits  in  stark  verdünnter 
Gestalt  aus  Kompendien,  in  denen  man  sich  rasch  orientieren  kann, 
aus  übersichtlich  angelegten  Geschichtstabellen  und  Biographiensamm- 
lungen ;  die  scheinbar  weit  hergeholten  und  viel  umfassenden  Kenntnisse 
hat  er  aus  ziemlich  wenigen  Büchern  erworben.  Von  dem  jeweiligen 
Vorgänger  hängt  er  ab  in  der  Auswahl,  in  der  Anordnung  ^)  und  in  der 

1)  'Wie  nach  der  offiziellen  Auffassung  nur  die  Königin  von  Aegypten  bekriegt  und 
besiegt  worden  war,  nicht  M.  Antonius,  so  werden  bei  Velleius  auch  andere  Männer 
als  Domitius  wesentlich  nach  der  Haltung  beurteilt,  die  sie  der  Königin  gegenüber  be- 
obachtet hatten  (Plancus  83,1.  PoUio  86,3;  vgl.  auch  über  Antonius  selbst  85,3  und  6). 

2)  Tiberius  neptein  Agrippinam ,  Germanico  oriain,  cum  cor  a  m  Cn.  Bomitio 
tradidisset,  in  urbe  celebrari  nuptias  iussil.  In  Bomitio  super  ve tustaiem 
gener  is  propinqmim  Caesaribus  sanguinem  deUgerat:  nam  is  aviam  Octaviam  et  per 
eam  Augustum  avunculum  praeferebat.  In  diesen  Sätzen,  mit  denen  Tacitus  das  Jahr  28 
und  das  vierte  Buch  seiner  Annalen  schUeßt.  ist  jedes  Wort  wohl  überlegt  und  ver- 
mutlich so  oder  ähnlich  aus  dem  Munde  des  Kaisers  selbst  geflossen.  Tacitus  aber 
zeigt  an  dieser  bedeutsamen  Stelle  zum  ersten  Male  die  Frau,  die  die  zweite  Hälfte 
der  Geschichte  der  Claudischen  Dynastie  beherrscht,  und  als  Gegenstück  dazu  in  den 
nächsten  Sätzen,  den  ersten  des  fünften  Buches,  zum  letzten  Male  die  andere,  die  das 
in  der  ersten  Hälfte  getan  hat,  LiWa. 

3)  Wenn  er  versucht,  seinem  Stoffe  durch  Disposition  nach  neuen  Gesichtspunkten 
etwas  Xeues  abzugewinnen,  so  begeht  er  Flüchtigkeiten    und  Versehen    in  Fülle  ;    wie 


—     276     — 

Beurteilung  des  Stoffes;  die  Selbständigkeit  bestellt  oft  nur  darin,  daß 
er  verschiedenartige  Vorgänger  mit  einander  zusammenbringt.  Aber  in 
der  flüchtigsten  und  rohesten  Weise  werden  alle  Notizen  an  einander 
gehängt  und  in  einander  geschoben;  mit  modernen  Schlagwörtern^)  und 
einem  bereit  gehaltenen  Vorrat  von  Pointen  und  Phrasen  -)  wird  dem 
Einzelnen  eine  scheinbare  Frische  und  Originalität  verliehen,  während 
im  ganzen  Sprache,  Stil  und  Komposition  den  bescheidensten  Ansprüchen 
nicht  genügen  können.  Zum  bestimmten  Tage  in  Eile  fertig  gestellt, 
giebt  das  Werk  den  Bedürfnissen  und  den  Meinungen  des  Tages  Aus- 
druck. Nur  als  ein  Ganzes  kann  es  gewürdigt  werden,  und  die  Kritik 
der  historischen  Quellen  ist  nicht  zu  trennen  von  der  Prüfung  der 
sprachlichen  und  stilistischen  Eigenart ,  ^)  der  persönlichen  Ansichten 
und  der  literarischen  Technik  des  Verfassers.  Im  Werte  wird  Velleius 
dadurch  bei  uns  als  Philologen  nicht  steigen,  sondern  eher  sinken  ;  doch 
unvermindert  bleibt  der  Wert,  den  er  für  uns  als  Deutsche  hat,  denn 
heut  noch*)  gilt  die  Empfehlung,  die  einst  Rhenanus  der  Editio  princeps 
an  Friedrich  den  Weisen  mitgab  :  Mendnit  quorundam,  qune  nullorum 
sunt  proclila  litteris,  sallim  qui  hodie  exstmt.  qiialis  est  deletarum  cum 
Varo  legionnm  Arminio  diice  historin  et  quae  de  Marohoduo  Marco- 
manorum  rege  .scribif,  haud  duhifi  tuae  celsittidini  fanto  gratiorafutura, 
quanto  minus  etiam  doctissimis  inris  hactenus  fuere  cognita. 

dies  für  den  Exkurs  über  die  Kolonien  d  14,1 — 16,5  vgl.  II  7,7  f.)  Sauppe  147  ff.  ge- 
zeigt hat,  so  ist  es  auch,  wenngleich  in  geringerem  Maße,  für  die  über  die  Provinzen 
(.S8,l— 89,.3),  über  die  Unterwerfung  Spaniens  (i)0,l — 4),  über  die  Geschichte  der  Litera- 
tur und  andere  kleinere  nachweisbar. 

')  Der  Gebrauch  oder  \ielniehr  Mißbrauch  von  Virtus  bei  Velleius  verdient 
z.  B.  wohl  eine  nähere  Prüfung.  Auf  das  Lob  der  Simplicitas  bei  Zeitgenossen  ist  o. 
S.  257,2  hingewiesen  worden  (vgl.  noch  llß,4.  125,5);  auch  die  Bezeichnung  rühmlicher 
Taten  und  Eigenschaften  als  würdig  der  alten  Zeit  durch  priscus.  antiquus  u.  dgl.  sei. 
erwähnt  (vgl.  z.  B.  78,3.  8(5,2.  92,2.  5.  116,.^.   125,4.  127,4).    Anderes  bei  Sauppe  176  ff. 

-)  Bisweilen  stehen  drei  und  vier  Pointen  neben  einander,  um  denselben  einen 
Gedanken  recht  effektvoll  auszudrücken,  z.  B.  60,2.  64,1  f.  72,2.  5.  92,5.  115,5.  121,1. 
Auch  zur  Schilderung  gesvisser  Situationen  und  Charaktere  werden  immer  dieselben 
Züge  und  Wendungen  wiederholt;  man  vergleiche  z.  B.  mit  einander  die  Segnungen 
der  Herrschaft  des  Augustus  89,3  und  des  Tiberius  126,2  <auch  89,1  mit  99,3  und 
10.^,4),  die  Milde  Caesars  52,6  und  die  des  Augustus  85,.").  die  Schilderungen  des 
Maecenas  88,2,  des  L.  Piso  98,3  und  des  Seiauus  127,4. 

■'')  So  steht  der  häufige  Gebrauch  von  clarns  und  verwandten  Ausdrücken 
(Sauppe  177)  gewiß  in  Keziehung  zur  Verwertung  der  Schriften  .,ül)er  berühmte  Män- 
ner.'" Auch  die  verschiedenen  Arten  der  Anknüpfung  —  mit  allgemein  gehaltenen 
Angaben  über  Gleichzeitigkeit  oder  Aufeinanderfolge  in  der  Zeit,  mit  dem  durch 
(jiiijipe  verstärkten  Relativ,  mit  Rückverweisungen  —  können  der  Analyse  und  Quellen- 
kritik gute  Hilfsmittel  geben. 

*)  Vgl.  die  ganz  übereinstimmenden  Worte  Rankes  Weltgesch.  111  2,272.  Spa- 
latin,  auf  doäsen  Anregung  die  Basler  Velleiusausnabe  seinem  Kurfürsten  gewidmet  wurde, 
liat  sie  aufs  gründlichste  benutzt  zur  Abfassung  der  ersten  deutschen  Biographie  des 
Arminius. 


Exkurs  zu  S.  253. 

Ein  Thema,  das  den  Velleius  wegen  seiner  eigenen  Herkunft  interessierte, 
ist  das  Verhältnis  von  Bundesgenossengemeinden  zu  Rom;  es  veranlaßt  ihn 
zu  einer  Anzahl  von  Abschweifungen,  die  in  keinem  rechten  Verhältnis  zu 
seiner  sonstigen  Kürze  stehen.  Die  Erwähnung  Massilias  im  Caesarischen 
Bürgerkriege  begleitet  er  50,3  mit  der  Bemerkung,  die  Stadt  sei  fide  melior 
quam  consilio  prudentior  gewesen,  was  er  dann  näher  begründet.  AuflFallender 
ist  schon  ein  zweiter  Fall:  Nachdem  er  II  17,1  gesagt  hat:  Finito  ex  maxima 
parte,  nisi  quae  Nolani  belli  manebant  reliquae,  Italico  bello,  könnte  er  sich 
bei  der  Darstellung  der  Sulpicischen  Revolution  begnügen  zu  sagen  II  18,4: 
Sorte  obvenit  Bullae  Äsia  provincia.  is  egressus  urbe  cum  circa  Xolam  mora- 
retur P.  Sulpicius  tribunus  pl.  cet.  ;  er  brauchte  nicht  nochmals  zu  be- 
tonen, weshalb  Sulla  bei  Nola  verweilte.  Aber  vollends  ungeschickt  und  un- 
motiviert ist  die  Parenthese:  Quippe  ea  urbs  pertinacissime  arma  rdinebat 
exercituque  Romano  obsidebatur  velut  paeniteret  eius  fidei,  quam  omnium  sanc- 
tissimam  bello  praestiterat  Punico;  hier  verbindet  sich  mit  dem  Interesse  für 
die  Bundesgenossentreue  noch  das  für  die  campanische  Heimat  (vgl.  S.  268,3), 
das  den  Velleius  schon  in  der  Geschichte  der  griechischen  Kolonisation  bei 
der  ersten  Erwähnung  von  Kyme  und  Neapolis  in  die  Worte  ausbrechen  ließ 
I  4,2:  Utriusque  urbis  eximia  semper  in  Romanos  p'des  facit  eas  nobilitate 
atque  amoenitate  sua  dignissimas. 

Von  der  Bundestreue  der  Rhodier  spricht  er  zweimal  und  vergleicht  sie 
stets  mit  dem  gleichzeitigen  Verhalten  anderer  Bundesgenossen.  Beim  Perseus- 
kriege  schiebt  er  in  die  aus  biographischen  Quellen  geflossene  Darstellung  ein 
I  9,2:  Quin  Rhodii  quoque,  fidelissimi  antm  Romanis,  tum  dubia  fide  speculati 
fortunam  proniores  regis  partibus  fuisse  visi  sunt;  et  rex  Eumenes  in  eo  bello 
médius  fuit  animo,  neque  fratris  initiis  neque  suae  respondit  consuetudini.  Beim 
Mithridatischen  Kriege  wird  nach  Erwähnung  des  Blutbades  von  666  =  88  ein- 
geschoben 1118,3:  Quo  tempore  neque  fortitudine  adversus  Mithridatem  neque 
fide  in  Romanos  quisquam  Rhodiis  par  fuit  —  horum  fidem  Mytilenaeorum 
perfidia  inluminavit,  qui  M'.  Aquilium  aliosque  Mithridati  vinctos  tradiderunt, 
—  qtiibus  überlas  in  unius  Theophanis  gratiam  postea  a  Pompeio  restitula  est. 
Die  Einführung  zeigt  schon,  daß  Velleius  von  der  Biographie  des  Mithridates 
zu  einer  chronologischen  Geschichtsdarstellung  übergeht,  und  nun  läßt  er  hier 
wieder  seinen  Blick  rückwärts  schweifen,  da  die  Belagerung  von  Rhodos  auf 
die  Gefangennahme  des  Aquilius  und  die  Ermordung  der  Italiker  gefolgt  ist, 
während  die  Begnadigung  der  Mytilenaeer  wiederum  der  übrigen  Erzählung 
bis  au  das  Ende  des  dritten  Mithridatischen  Krieges  vorauseilt.  Der  Satzbau 
ist  an  dieser  ganzen  Stelle  ohnehin  höchst  schwerfällig  und  ungeschickt,  und 
wird  durch  diese  Parenthesen  geradezu  ungeheuerlich. 


—     278     — 

Doch  am  auffallendsten  tritt  das  Interesse  für  das  Thema  der  Bundes- 
treue in  einem  andern  Exkurse  zu  demselben  ersten  Kriege  gegen  Mithridates 
zu  Tage,  23,4 f.:  Si  quis  hoc  rehellandi  tempiis,  quo  Athenae  oppugnatae  a 
Sulla  sunt,  imputât  Atheniensibus,  nimirum  veri  vetustaiisque  ignarus  est:  adeo 
enim  certa  Atheniensiutn  in  Romanos  fides  fuit,  ut  semper  et  in  omni  re,  quid- 
quid  sincera  fide  gerer etur,  id  Romani  Attica  ßeri  praedicarent.  ceterum  tum 
oppressi  Mithridatis  armis  homines  miserrimae  condicionis  cum  ah  inimicis 
tenerentur,  oppugnabantur  ab  amicis  et  animos  extra  moenia,  corpora  necessi- 
tati  sernientes  intra  muros  habehant.  Das  unterbricht  nicht  nur  störend  den 
riuß  der  Erzählung,  sondern  fällt  auch  im  Tone  merkwürdig  aus  ihr  heraus. 
In  der  Tat  hat  es  eine  bestimmte  Spitze:  Bald  nachdem  im  J.  18  n.  Chr. 
Germanicus  bei  seinem  Besuche  Athens  mit  den  Athenern  alle  erdenklichen 
Liebenswürdigkeiten  ausgetauscht  hatte  (Tac.  ann.  II  53),    erschien  dort  sein 

Gegner  Cn.  Piso  und:    civitatem  Atheniensem  .    oratione   saeva   increpat, 

oblique  Germanicum  perstringens,  quod  contra  decus  Romani  nominis  tion 
Athenienses  tot  cladibus  exstitictos,  sed  cotiluviem  illam  nationum  comitate  nimia 
coluisset:  hos  enim  esse  Mithridatis  adversus  Sullam,  Antonii  adversus 
divum  Augustum  socios  (ebd.  55).  Es  hatte  also  vor  Kurzem  ein  Mann  in 
hoher  Stellung  Einspruch  erhoben  gegen  die  Verwöhnung  Athens,  wie  sie  auch 
von  Augustus  unverdient  und  ohne  Dank  geübt  worden  war  (vgl.  Rostowzew 
Festschrift  für  0.  Hirschfeld  303 ff.);  jetzt  war  dieser  Mann  eine  gefallene 
Größe  (vgl.  Vell.  II  130,3),  und  mit  ihm  fiel  der  Verurteilung  auch  seine  athener- 
feindliche Gesinnung  auheim;  diese  Polemik  mit  Waffen  der  griechischen  Rhe- 
torik^) kennzeichnet  wiederum  Velleius  als  den  beflisseneu  Diener  der  öffent- 
lichen Meinung  des  Tages. 


1)  Die  'AiTLv.ii  TiioTiç  war  nicht  bei  den  Römern,  sondern  bei  den  Griechen 
sprichwörtlich;  zu  den  von  Otto  Sprichwörter  der  Römer  44  angeführten  Belegen  aus 
den  griechischen  Paroemiographen  ist  Sen.  controv.  III  8  p.  254,18  Kießl.  hinzuzufügen, 
worauf  Wöfflin  Archiv  f.  lat.  Lexikogr.  VIJ  145  hinwies;  doch  geht  auch  dies  auf 
griechische  Quelle  zurück.  —  Daß  wie  Augustus  auch  Tiberius  in  einem  guten  persön- 
lichen Verhältnis  zu  Athen  stand,  kann  man  vielleicht  aus  der  Zahl  der  ihm  dort  er- 
richteten Statuen  schließen  (vgl.  dagegen  die  wenigen  für  Xero  und  die  Flavier  CIA. 
III   Ind.  p.  .309). 


Die  Einführung  des  gregorianischen  Kalenders 
in  der  Schweizerischen  Eidgenossenschaft. 

V^on 
Rudolf  Thommen. 


In  dem  Kalender,  dessen  sich  die  Angehörigen  der  christlichen 
Konfessionen  bedienen,  sind  zwei  ursprünglich  von  einander  unabhängige 
Elemente  in  etwas  eigentümlicher  Weise  vereinigt.  Erstens  der  Kalender 
im  engeren  Sinne  des  Wortes,  d.  h.  die  übersichtliche  Anordnung 
kleinerer  Zeitmaße  zu  einer  höheren  Zeiteinheit  —  der  Tage  zu  Wocheu 
und  Monaten,  der  Monate  zu  einem  Jahre  —  und  zweitens  der  so- 
genannte Festkalender,  d.  h.  der  Summe  der  über  das  ganze  Jahr  ver- 
teilten kirchlichen  Festtage,  die  teils  an  ein  bestimmtes  Datum  gebunden 
sind,  teils,  nämlich  das  Osterfest  und  die  davon  abhängigen  Sonn-  und 
Feiertage,  innerhalb  bestimmter  Grenzen  im  Ansatz  hin-  und  her- 
schwanken. 

Diese  beiden  Elemente  sind  ebenso  verschieden  nach  ihrem  Wesen 
wie  nach  ihrer  Herkunft. 

Das  erste,  der  eigentliche  Kalender,  stammt  aus  dem  heidnischen 
Altertum  und  zwar  in  der  Form,  die  ihm  Julius  Cäsar  im  Jahre  46 
V.  Chr.  gegeben  hat.  Xach  diesem  erlauchten  Reformator  heißt  auch 
der  Kalender  und  das  einzelne  Kalenderjahr  bis  zum  Zeitpunkte  der 
am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  vorgenommenen  Umgestaltung  der 
julianische  Kalender  und  das  julianische  Jahr.  Das  zweite  Element, 
der  Festkalender,  ist  christlichen  Ursi^rungs  und  namentlich  in  Bezug 
auf  den  Ansatz  der  Osterfeier  das  Ergebnis  einer  Jahrhunderte  langen, 
vielfach  stürmischen  und  kampferfüllten  Entwicklung.  —  Dieser  Ansatz 
beruht  auf  Normen,  die  schon  im  5.  Jahrhundert  in  Alexandrien  an- 
gewendet, von  dem  Abte  Dionysius  exiguus  in  Rom  im  Jahre  525 
aufgegriffen,  die  Anerkennung  des  Papstes  und  damit  allmählich  die 
ausschließliche    Geltung    innerhalb    der    christHchen    Kirche    gewonnen 


—     280      - 

haben.  Dionysius  ist  beiläufig  bemerkt  auch  der  Erfinder  unserer  Ara, 
der  Zählung  der  Jahre  nach  Christi  Geburt,  die  übrigens  infolge  eines 
von  ihm  gemachten  Rechenfehlers  nicht  einmal  ganz  genau  ist. 

Für  die  Bestimmung  des  Osterfestes  lassen  sich  jene  Normen  am 
übersichtlichsten  dahin  zusammenfassen,  daß  Ostern  auf  den  ersten 
Sonntag  nach  dem  Frühlingsvollmond  angesetzt,  und  wenn  dieser  selbst 
auf  einen  Sonntag  fällt,  auf  den  nächsten  Sonntag  verschoben  werden 
muß,  wobei  unter  Frühlingsvollmond  der  auf  den  21.  März  als  den  Tag 
der  Frühlings-Tag-  und  Nachtgleiche  fallende  oder  der  gleich  nachher 
eintretende  Vollmond  verstanden  wird.  Aus  der  Kombination  dieser 
Merkmale  ergibt  sich  die  dem  Wesen  eines  Kalenders  geradezu  Hohn 
sprechende  Tatsache,  daß  Ostern  auf  35  verschiedene  Monatsdateu  vom 
22.  März  bis  25.  April  fallen   kann. 

Beiden  Elementen,  dem  Kalender  und  dem  Festkalender,  gemein- 
sam ist  der  Umstand,  daß  sie  auf  cyklischer  Berechnung  aufgebaut  sind, 
der  julianische  Kalender  auf  einem  vierjährigen  Cyklus  von  drei  Gemein- 
jahren und  einem  Schaltjahr,  und  die  Osterrechnung  auf  der  Gleichung: 
19  julianische  Jahre  =  235  Mondmonaten. 

Die  logische  Voraussetzung  der  Anwendbarkeit  solcher  Cyklen  ist 
nun  die,  daß  ihre  Angaben  mit  den  maßgebenden  Himmelserscheinungen 
als  der  unverrückbaren  Grundlage  aller  Kalendermacherei  jeweilen  überein- 
stimmen. Allein  diese  Voraussetzung  traf  weder  bei  dem  einen  noch 
bei  dem  andern  Cyklus  zu  und  besonders  die  Berechnung  von  Ostern 
litt  an  einem  doppelten  Fehler,  indem  die  Ungenauigkeit  der  oben  an- 
geführten Gleichung  bewirkte,  daß  nach  310  Jahren  die  wirklichen  Neu- 
und  Vollmonde  um  1  Tag  früher  eintraten  als  die  cyklisch  berechneten, 
und  die  Vernachläßigung  der  sogenannten  Präzession  der  Frühlings-Tag- 
und  Nachtgleiche  bewirkte,  daß  ihr  Termin  nach  128  Jahren  sich  eben- 
falls um  1  Tag  nach  rückwärts  verschob.  Wenn  man  also  im  Abend- 
land geglaubt  hatte  in  dem  Computus,  wie  man  im  früheren  Mittelalter 
die  Kalenderrechnung  nannte,  einen  stets  giltigen  Führer  zu  besitzen, 
so  war  auch  dieser  Glaube  irrig  und  er  wurde  schon  früh  auf  eine 
harte  Probe  gestellt.  Deshalb  weiß  sich  der  bibelfeste  Computist  Konnid, 
der  um  1200  lebte  und  gewiß  zu  seinem  Schrecken  für  das  Aquinoctium 
schon  eine  Differenz  von  6  Tagen  und  für  den  Frühlingsvollmond  eine 
solche  von  3  Tagen  gegenüber  der  cyklischen  Rechnung  bemerken 
mußte,  nicht  anders  als  mit  der  Erklärung  zu  helfen,  daß,  da  der 
Mond  am  3.,  der  Mensch  aber  erst  am  G.  Tage  erschaffen  worden  sei, 
Adam  den  schon  drei  Tage  alten  Mond  für  den  Neumond  gehalten 
und  dieser  Fehler  mit  allen  andern  Sünden  sich  auch  auf  das  Menschenge- 
schlecht vererl)t  habe.  Indessen  diese  von  dem  alten  Rechenmeister  be- 
klagten Fehler  wuchsen  natürlich  im  Laufe  der  folgenden  Jahrhunderte, 


I 


—     281     — 

so  daß  auch  seine  resignierte  Schlußfolgerung  nicht  mehr  paßte,  sondern 
der  Gedanke  von  der  Unzulänglichkeit  des  christlichen  Kalenders  und 
der  Notwendigkeit  seiner  Verbesserung  sich  mit  unwiderstehlicher  Gewalt 
aufdrängen  mußte.  In  der  Tat  wurden  noch  in  demselben  18.  Jahr- 
hundert Stimmen  in  diesem  Sinne  laut  und  später  haben  sich  mehrere, 
auch  sonst  in  der  Kirchengeschichte  ausgezeichnete  Männer  um  die 
Lösung  des  Problems  bemüht,  so  z,  B.  Roger  Bacon,  Peter  d'Ailly, 
Nikolaus  Cusa.  Aber  die  von  ihnen  wie  von  anderen  sternkundigen 
Personen  gemachten  mannigfaltigen  Vorschläge  zur  Verbesserung  des 
Kalenders  erreichten  alle  ihr  Ziel  nicht.  Inzwischen  hatten  die  Laien 
seit  der  Erfindung  und  Ausbreitung  der  Buchdruckerkunst  angefangen 
sich  in  diesem  Punkte  von  der  Kirche  zu  emanzipieren.  Sie  verfertigten 
sich  ihre  Kalender  selbst  und  waren  erfinderisch  genug,  um  dieses 
wichtige  Hilfsmittel  des  täglichen  Lebens  sogar  in  einer  für  Analphabeten 
brauchbaren  Weise  herzustellen.  Unterstützt  wurden  sie  darin  von 
einigen  Gelehrten,  unter  denen  Georg  von  Peuerbach  und  Johann  Müller 
oder  Regiomontanus,  weil  von  Königsberg  in  Franken,  vortreffliche 
Kalender  oder  wie  man  damals  sagte  Almanache,  da  sie  nur  für  ein 
Jahr  giltig  waren,  vornemlich  auf  empirischer  Grundlage  herausgaben. 
Diese  Selbständigkeit  des  Publikums,  von  der  natürlich  wie  immer  auch 
die  Geistlichen  profitierten,  und  das  Übergewicht,  das  die  dogmatischen 
und  kirchenpolitischen  Fragen  durch  die  Reformation  erhielten,  haben 
ohne  Zweifel  dazu  beigetragen,  daß  die  Frage  der  Kalenderreform,  die 
noch  von  Leo  X.  auf  dem  5.  Laterankonzil  im  Jahre  1512  mit  Eifer, 
jedoch  ohne  Ausdauer  behandelt  worden  war,  nachher  ganz  in  den 
Hintergrund  trat.  Auch  das  Konzil  von  Trient  begnügte  sich  damit,  in 
der  letzten  Sitzung  ganz  flüchtig  dem  Papste  Auftrag  zu  geben,  Meß- 
buch. Brevier  und  Kalender  zu  reformieren.  Und  diesem  Auftrag  ist 
selbst  wieder  erst  Gregor  XIII.  (1572—1585)  nachgekommen.  Der 
Reformplan,  der  von  dem  Kalabresen  Aloisius  Lilius  entworfen,  von 
dem  Papste  zum  voraus  genehmigt  und  von  der  durch  ihn  eingesetzten 
Kommission  mit  wenigen  Änderungen  gebilligt  worden  war,  enthielt 
keinen  einzigen  neuen  Gedanken,  griff  vielmehr  in  der  Hauptsache  von 
allen  schon  früher  gemachten  Vorschlägen  den  für  die  Praxis  unge- 
schicktesten heraus,  nämlich  durch  Ausschaltung  von  10  Tagen  die  um 
so  viel  zurückgewichene  Frühlings-Tag-  und  Xachtgleiche  wieder  auf  den 
21.  März  zurückzuführen.  Zur  Erklärung,  wenn  auch  nicht  zur  Ent- 
schuldigung dieses  Verfahrens  muß  der  Umstand  dienen,  daß  der  21.  März 
als  unverrückbares  Datum  für  das  Äquinoctium  galt,  weil  dieser  Termin 
nach  dem  Zeugnis  des  Dionysius  exiguus,  der  sich  freihch  dabei  nur 
einen  frommen  Betrug  erlaubt  hatte,  von  der  Kirchenversammlung  zu 
Nicaä  von  325  festgesetzt  worden  war. 


—     282     — 

Demgemäß  verfügte  nun  der  Papst  in  der  Bulle  „Liter  gravissimas" 
vom  15.  Februar  1582,  mit  der  er  zugleich  der  Chiistenheit  von  dem 
Reformwerk  Kenntnis  gab,  daß  man  von  dem  4.  Oktober  desselben 
Jahres  sogleich  auf  den  15.  Oktober  überzugehen  hätte.  —  Allein  die 
Durchführung  dieses  Befehles  stieß  in  verschiedenen  und  zumal  in 
den  paritätischen  Staaten  auf  beträchtliche  Schwierigkeiten.  Auch  die 
schweizerishe  Eidgenossenschaft  gehörte  zu  ihnen  und  im  folgenden 
soll  der  Verlauf  der  Aktion  an  der  Hand  der  offiziellen  Akten  kurz 
dargestellt  werden. 

Zum  vollen  Verständnis  der  Darstellung  ist  hier  noch  eine  Be- 
merkung über  die  damalige  politische  Formation  der  Schweiz  im  allge- 
meinen einzuschalten.  Sie  bestand  bis  zum  Jahre  1798  aus  drei  ver- 
schiedenen Elementen;  1,  den  eigentlich  regierenden,  auf  der  Tagsatzung 
ständig  vertretenen  XIII  Orten,  2.  den  mit  ihnen  verbundenen,  politisch  nicht 
ganz  gleich  berechtigten,  jedoch  sonst  souveränen  Zugewandten  und  3. 
den  von  ihnen  beherrschten  Untertanenländern.  Die  XIII  Orte,  nach 
der  Zeitfolge  ihres  Eintrittes  in  den  Bund  geordnet,  waren:  Uri.  Schwyz, 
Unterwaiden,  Luzern,  Zürich,  Glarus,  Zug,  Bern,  Freiburg,  Solothurn, 
Basel,  Schaffhausen  und  Appenzell.  —  Zu  den  Zugewandten,  die  hier 
in  Frage  kommen,  gehörten:  Stadt  St.  Gallen,  Biel,  Mülhausen  i/E., 
Wallis  und  Graubünden.  —  Die  Untertanenländer  endlich  sind  der 
Aargau,  der  Thurgau,  die  rheintalischen,  jetzt  im  Kanton  St.  Gallen  ver- 
einigten Vogteien  und  die  Vogteien  „ennet  Gebirgs",  d.  h.  südlich  der 
Alpen,  der  jetzige  Kanton  Tessin.  In  Bezug  auf  diese  Untertanenländer 
ist  mit  Übergebung  von  Einzelheiten  noch  darauf  hinzuweisen,  daß  nicht 
alle  von  allen  XIII  Orten  gemeinsam,  sondern  jedes  einzeln  von  einer 
aus  verschiedenen  Orten  gebildeten  Gruppe  beherrscht  und  verwaltet 
wurde. 

Mit  Brève  vom  15.  Juni  1582  stellte  nun  Gregor  XIII.  auch  an 
die  katholischen  Orte  —  Uri,  Schwyz,  Unterwaiden,  Luzern,  Zug,  Frei- 
burg und  Solothurn  —  das  Begehren,  sie  möchten  den  neuen  Kalender 
einführen,  wie  es  die  anderen  katholischen  Fürsten  und  Obrigkeiten  be- 
reits getan  hatten.  Indessen  dieser  Wunsch  blieb  zunächst  unberück- 
sichtigt, offenbar  deshalb,  weil  die  gerade  damals  wieder  sehr  ernsthafte 
Verstimmung  zwischen  ihnen  und  Bern  wegen  Genf  und  Savoyen  das 
Interesse  der  schweizerischen  Politiker  vollständig  absorbierte.  —  Erst 
fünf  Vierteljahre  später  wurde  der  Gegenstand  auf  der  gemeineidgenös- 
sischen Tagsatzung  zu  Baden  vom  10.  November  1583  zur  Sprache  ge- 
bracht, indem  Luzern  beantragte,  man  möge,  da  bereits  in  Italien,  Spanien, 
Frankreich  und  großenteils  auch  in  Deutschland  der  neue  Kalender  ein- 
geführt sei,  zu  Vermeidung  fernerer  Konfusion  sich  über  dessen  Einl'ülirung 
auch  in  der  Eidgenossenschaft  verständigen.    Zugleich  erklärten  Luzern, 


—     283     — 

üri,  Schwyz,  Zug,  Freiburg  und  Solothurn,  daß  sie  den  neuen  Kalender 
in  der  Weise  einzuführen  beschlossen  hätten,  daß  er  mit  dem  12.  Januar 
1584  in  Kraft  treten  und  auf  diesen  Tag  das  Fest  des  hl.  Vinzenz,  das 
sonst  auf  den  22.  fällt,  geschrieben  und  genannt  werden  solle.  Auch  in 
diesem  Beschlüsse,  gegen  den  bei  der  uneingeschränkten  Landeshoheit 
der  einzelnen  Orte  prinzipiell  nichts  einzuwenden  war,  der  aber  in  einer 
wirklich  gemeinsamen  Angelegenheit  jede  Rücksicht  auf  die  Mitstände 
beiseite  ließ,  spiegelt  sich  das  trotzige  Selbstbewußtsein  wieder,  das  die 
katholischen  Orte  im  Gefühl  ihrer  damaligen  politischen  Überlegenheit 
beseelte.  Um  so  peinlicher  muß  es  für  sie  gewesen  sein,  daß  die  doch 
unbefleckten  Glaubensgenossen  von  Ob-  und  Nidwaiden  dem  Beschlüsse 
zunächst  nicht  nur  nicht  beitraten,  sondern  überhaupt  eine  ganz  unbe- 
greifliche Renitenz  an  den  Tag  legten.  Auf  einer  Konferenz  der  V  Orte  — 
dies  der  Sammelname  für  die  katholischen  Stände  Uri,  Schwyz,  Unter- 
waiden, Luzern  und  Zug  — ,  die  auf  "Wunsch  Nidwaldens  nur  wenige 
Tage  später  wegen  verschiedener  politischer  Angelegenheiten,  aber  auch 
wegen  des  neuen  Kalenders  nach  Luzern  einberufen  wurde,  ist  dessen 
Annahme  nochmals  „für  höchst  nötig  erachtet"  worden.  Trotzdem  wurde 
der  Anschluß  Unterwaldens  noch  nicht  erreicht,  ja  es  grifl'  bei  den 
andern  katholischen  Orten  sogar  die  Befürchtung  Platz,  Unterwaiden 
könnte  sich  bezüglich  der  Annahme  des  neuen  Kalenders  von  ihnen 
„sondern".  Xoch  im  März  des  nächsten  Jahres  wurde  es  deshalb  gemahnt, 
das  zu  unterlassen,  mit  dem  desperaten  Zusatz,  „im  Falle  es  doch  nicht 
statt  haben  möchte,  seinen  Angehörigen  wenigstens  zu  befehlen,  sich  alles 
Trotzes  und  aller  Schmähungen  gegen  die,  welche  hierin  gehorsamen,  zu 
enthalten,  indem  man  sonst  Fehlbare  strafen  würde".  Der  Widerstand 
gegen  die  Neuerung  ging,  me  man  sieht,  vom  Volke,  nicht  von  den  Be- 
hörden aus.  Eben  deshalb  erwies  er  sich  auch  gegen  den  von  den  an- 
deren katholischen  Orten  ausgeübten  Druck  als  zu  schwach  und  in  der 
Zeit  zwischen  dem  12.  März  und  5.  Juni  1584  wurde  der  neue  Kalender 
auch  in  Unterwaiden  angenommen.  Damit  war  die  kompakte  Einheit  der 
politischen  Interessen,  auf  die  die  altgläubigen  Orte  begreiflicherweise  das 
größte  Gewicht  legten,   wieder  hergestellt. 

Für  den  weiteren  Verlauf  der  Angelegenheit  kam  nun  alles  darauf 
an,  wie  sich  die  evangelischen  Orte  entscheiden  würden,  ob  für,  ob  gegen 
die  Annahme  des  neuen  Kalenders.  Dabei  verdient  bemerkt  zu  werden, 
daß  auch  dieser  Gegenstand  von  der  reformierten  Partei  mit  der  ihrer 
damaligen  Politik  überhaupt  anhaftenden  Schlaffheit  behandelt  wurde,  die 
den  Widerpart  in  seiner  keck  ausgreifenden  Weise  nur  bestärken  mußte. 

Erst  im  März  1584  hielt  Zürich  es  für  nötig,  die  evangelischen 
Städte  und  Zugewandten  zu  einer  Konferenz  nach  Lenzburg  einzuladen, 
wo   die    „verschiedenen  Unrichtigkeiten",    die    sich   in    der  Eidgenossen- 


—     284     — 

scLaft  wegen  des  neuen  Kalenders  erhoben  hatten,  besprochen  wurden. 
Dabei  war  man  einstimmig  der  Ansicht,  vorläufig  bei  dem  alten  Kalender 
zu  verharren.  Dieser  Beschluß  wurde  nun  keineswegs  durch  das  brüske 
Vorgehen  der  katholischen  Orte  hervorgerufen,  sondern  beruhte  auf  Er- 
wägungen allgemeiner  Art,  die  die  Protestanten  aller  anderen  Länder 
ganz  ebenso  beeinflußten  und  die  von  einem  thurgauischen  Geistlichen 
folgendermaßen  resümiert  werden  :  Die  evangelischen  Stände  nahmen  den 
neuen  Kalender  nicht  an  1.  weil  der  Papst  desse^i  Einführung  ex 
cathedra  und  unter  Androhung  der  Ungnade  Gottes  und  der  Apostel 
Petrus  und  Paulus  befohlen  hatte,  2.  weil  der  Kalender  mit  allerlei 
Superstitionen  von  den  Feiertagen  der  Heiligen  angefüllt  sei.  8.  weil  man 
kathohscherseits  die  Annahme  mit  Schmähungen  begleitet  und  die  Hotf- 
nung  geäußert  hatte,  daß  man  den  Gegnern  bald  auch  den  Glauben 
nehmen  werde  und  4.  weil  nach  der  Verkündung  der  päpstlichen  Bulle 
viele  Astronomen  Ijeider  Konfessionen  darauf  hinwiesen,  daß  in  einem 
Jahrhundert  eine  neue  Berichtigung  nötig  werde.  —  Man  wird  diese 
Gründe,  die,  soweit  sie  konfessionell  sind,  einer  so  glaubensstarken  Zeit 
sehr  wohl  anstehen,  um  so  mehr  respektieren  müssen,  als  die  Reformierten 
sich  gewiß  nicht  verhehlt  haben,  daß,  wie  Kaiser  Rudolf  Tl.  in  einem 
Briefe  an  Basel  hervorhebt,  „die  ungleiche  Haltung  des  Kalenders  in 
vill  wege,  sonderlich  auch  der  marckhte,  wechsseil  unnd  zallungen,  recht 
unnd  gerichtshandlungen  halben  vast  grosse  konfusion  unnd  unrichtigkhait 
verursacht". 

Wenn  diese  Übelstände  sich  schon  bei  dem  Übergang  von  refor- 
miertem auf  katholischen  Boden  sehr  unliebsam  bemerklich  machten,  so 
mußte  das  in  besonders  hohem  Maße  auf  einem  eidgenössischen  Gebiet 
der  Fall  sein,  auf  dem  die  Interessen  der  beiden  religiösen  Parteien  sich 
sozusagen  täglich  und  stündlich  durchkreuzten  —  in  den  Untertanen- 
ländern, 

Die  katholischen  Orte  hatten  nicht  gesäumt,  gemäß  dem  am  10.  No- 
vember 1583  gefaßten  Beschluß  den  neuen  Kalender  auch  hier  einzu- 
führen und  sofort,  ohne  die  mitregierenden  Orte  zu  befragen,  den  Land- 
vögten die  entsprechenden  Weisungen  erteilt.  Allein  Zürich  ließ  sich  das 
in  Bezug  auf  den  Thurgau  nicht  gefallen,  sondern  verbot  dem  dortigen 
Landvogt  —  für  1584  war  dies  Oswald  Meyenberg  aus  Zug  —  das 
Mandat  in  betreff  des  neuen  Kalenders  zu  publizieren  und  verhandelte 
schriftlich  und  mündlich  mit  den  op])ositionellen  Elementen.  Die  katho- 
lischen Orte  wichen  trotzdem  nicht  um  Haaresbreite.  Vom  Vogte  über 
Zürichs  Maßiiahinen  benachrichtigt,  schrieben  sie  ihm,  daß  man  datiir 
halte,  ein  Beschluß  der  Mehrheit  müsse  aufrecht  erhalten  werden  ;  dem 
Vogte  selbst  befahlen  sie,  das  Mandat  zu  vollziehen  und  die  Ungehor- 
samen zu  bestrafen    Darüber  kam  es  zwischen  den  drei  uniuittelbar  be- 


—     285     — 

teiligten  Parteien  zu  einem  Scliriftenaustausch,  der  die  V  Orte  bei  ihrer 
Konferenz  vom  17.  April  1584  zur  Erklärung  veranlaßte,  .,daß  die  Re- 
formation des  Kalenders  geschehen  müsse."  daß  sie  aber  „in  der  Sache 
auch  keine  besondere  Eile  haben". 

Ebenso  beklagte  sich  auch  Bern  darüber,  daß  in  der  Gemeinde 
Bucheggberg  durch  die  einseitige  Einführung  des  neuen  Kalenders  von 
der  solothurnisclien  Regierung  seine  Hoheitsrechte  beeinträchtigt  worden 
seien.  Beide  Städte  fanden  sich  daher  veranlaßt.  Zürich  den  V  Orten, 
Bern  denen  von  Solothurn,  das  Recht  vorzuschlagen,  d.  h.  den  Streitfall 
unter  Berufung  auf  die  ßundesbriefe  durch  ein  Schiedsgericht  entscheiden 
zu  lassen.  Dieses  „Rechtsgebot"  verursachte  bei  den  V  Orten  einige  Auf- 
regung. Aber  wie  um  ihren  Standpunkt  mit  aller  Deutlichkeit  zu  mar- 
kieren, beschlossen  sie  auf  einer  Konferenz  in  Luzern  am  5.  Juni  1584 
einhellig;  daß  die  gemein-eidgenössische  Jahri'echnung  zu  Baden  nach 
dem  neuen  Kalender  gehalten  und  Zürich,  Bern  und  Glarus  schriftlich 
gebeten  werden  sollen,  die  Jahrrechnung  dessenungeachtet  mit  ihnen  zu 
besuchen,  damit  auch  die  Landvögte  der  Grafschaft  Baden  wegen  ihres 
Aufrittes  sich  zu  verhalten  wissen. 

Eben  auf  der  nächsten  solchen  Jahrrechnungstagsatzung  am  17.  Juni. 
11.  z.  noch  alten  Stiles,  prallten  nun  die  Meinungen  der  beiden  Parteien 
sehr  lebhaft  auf  einander. 

Die  Boten  der  V  Orte  eröffneten  vor  der  Tagsatzung  folgendes: 
Sie  haben  Auftrag,  gegen  die  von  Zürich  und  Glarus  als  mitregierende 
Herren  der  Landgrafschaft  Thurgau  klagend  aufzutreten.  Noch  sei  im 
frischen  Gedächtnis,  wie  vor  einiger  Zeit  eine  Reformation  des  Kalenders 
vorgenommen  worden.  Auf  Martini  des  verflossenen  Jahres  habe  die  Mehr- 
heit der  Orte  den  neuen  Kalender  angenommen.  Li  der  Überzeugung, 
daß  ein  Beschluß  der  Mehrheit  aufrecht  erhalten  werden  müsse,  habe 
man  den  Landvögten  befohlen,  die  entsprechenden  Mandate  zu  erlassen. 
Nun  haben  sie  schon  vielfältig  vernehmen  müssen,  daß,  obschon  diese 
Angelegenheit  weder  den  Landfrieden  noch  die  Religion  irgendwie  be- 
rühre, einige  Untertanen  im  Thurgau  sich  unter  Drohungen  der  Voll- 
ziehung widersetzen  und  dadurch  beinahe  zu  verstehen  geben,  als  seien 
die  Y  Orte  nicht  auch  regierende  Orte  der  Laiidgrafschaft  Thurgau  ; 
sie  haben  daher  mit  Strafen  gedroht.  Zürich  aber  habe  ihnen  auf  den 
Fall,  daß  sie  mit  Strafen  fürfahren  wollen,  das  Recht  vorgeschlagen. 
Da  nun  die  Unruhen  sich  von  Tag  zu  Tag  weiter  ausdehnen,  so  bitten 
sie  um  Hilfe,  damit  man  die  Widerspenstigen  zum  Gehorsam  bringe.  — 
Zürich  verantwortete  sich  damit,  daß  über  diese  Sache  nie  ein  formeller 
Beschluß  gefaßt  worden  sei,  daß  sie  übrigens  nicht  gar  so  gering  sei, 
wie  man  sie  darstellen  möchte,  und  daß  der  Papst  sie  durch  seinen 
Bannspruch    zu  einer  geistlichen  gestempelt  habe.  —  Auch  Bern  stellte 


—     286     — 

die  Ungelegenheiten  dar,  die  die  Einführung  des  neuen  Kalenders  mit 
sich  bringe. 

Zwei  Punkte  verdienen  hier  Beachtung.  Das  eine  ist  die  trotzige 
Rücksichtslosigkeit,  mit  der  die  V  Orte  den  Mehrheitsbeschluß  geltend 
machen.  Denn  wenn  die  Richtigkeit  dieser  Behauptung  rein  zahlen- 
mäßig auch  nicht  angegriffen  werden  konnte,  indem  von  den  13  stimm- 
berechtigten Ständen  7  im  Sinne  der  V  Orte  votiert  hatten,  so  bestand 
diese  Majorität  eben  doch  nur  aus  den  katholischen  Orten  und  eine  die 
ganze  Eidgenossenschaft  berührende  Frage  war  also  einseitig  von  einer, 
noch  dazu  sehr  exklusiven  Partei  entschieden  worden.  Das  zweite  ist, 
daß  der  Schwerpunkt  der  ganzen  Aktion  überhaupt  weniger  in  dem  be- 
handelten Gegenstande  selbst  lag,  als  vielmehr  darin,  daß  wegen  der 
allgemeinen  politischen  Situation,  wegen  des  fortwährend  gespannten  Ver- 
hältnisses zwischen  den  beiden  Städten  und  den  V  Orten  auch  durch 
einen  an  sich  so  unpolitischen  Stoff  wie  die  Kalenderreform  die  vorhan- 
denen Gegensätze  leicht  in  bedrohlicher  Weise  gesteigert  werden  konnten. 
Irgend  ein  unberechenbarer  Zufall  genügte  dann,  um  schließlich  den 
erregten  Parteien  die  Waffen  in  die  Hände  zu  drücken.  Wurden  doch 
noch  zwei  Jahre  später  die  Y  Orte  durch  die  Kunde  alarmiert,  daß  im 
Thurgau  auf  Anstiften  zweier  Prediger  abermals  Unruhen  wegen  des 
neuen  Kalenders  zu  besorgen  seien  und  daß  die  Bauern  mit  Sturm,  Zürich 
aber  mit  300  Schützen  gedroht  hätten. 

Es  war  also  ein  großes  Glück,  daß  auch  ernsthafte  Vermittler  zur 
Stelle  waren  und  sich  Gehör  verschafften.  Zwischen  Zürich  und  den  V 
Orten  konnten  die  an  der  Verwaltung  des  Thurgau  unbeteiligten  Kantone, 
zwischen  Bern  und  Solothurn  irgendwelche  andere  Orte,  unter  denen  Basel, 
Schaff  hausen  und  Appenzell  sogar  laut  Bundesbrief  zum  „stille  sitzen" 
und  zur  gütlichen  Intervention  verpflichtet  waren,  zu  vermitteln  suchen. 
Das  ist  denn  auch  von  Seiten  der  genannten  Orte  in  Verbindung  mit 
Freiburg  und  Solothurn  geschehen  und  ihre  Bestrebungen  wurden  leb- 
haft unterstützt  von  dem  französischen  Gesandten  Heinrich  von  Fleury, 
natürlich  nicht  aus  persönlichem  Wohlwollen  für  die  Söhne  des  Teil, 
sondern  aus  dem  engherzigen  politischen  Grunde,  alles  zu  verhüten,  was 
die  Werbung  schweizerischer  Soldaten  durch  die  französische  Krone  be- 
hindern könnte. 

Zunächst  setzten  die  vermittelnden  Orte  nach  weitläufigen  Erörte- 
rungen es  durch,  daß  dieses  Handels  wegen  ein  anderer  Tag  nach  Baden 
auf  den  16./26.  August  ausgeschrieben  wurde.  Auf  dieser  Tagsatzung 
wurden  von  den  fünf  Schiedorten  mit  Rat  und  Wissen  des  französischen 
Anibassadors  nach  nochmaliger  Anhörung  beider  Parteien  folgende  Ar- 
tikel vorgeschlagen  :  der  Span  soll  bis  auf  Martini  eingestellt  sein  ;  l)eidc 
Parteien  sollen  ihre  Untertanen  in  den  gemeinsamen  Vogteien  zur  Ruhe 


—     287     — 

ermahnen  ;  die  Fest-  und  Feiertage  sollen  dort  bis  auf  weitere  Verein- 
barung nach  dem  neuen  Kalender  gehalten  werden;  wenn  sie  aber  jemand 
nach  dem  alten  Kalender  feiern  wollte,  so  wird  ihm  das  freigestellt;  die 
bisher  wegen  solcher  Übertretungen  verfallenen  Bußen  sollen  aufgehoben 
sein.  Diese  „Mittel"  fanden  zwar  die  Zustimmung  der  V  Orte,  nicht  aber 
der  beiden  Städte  und  „estans  les  uns  et  les  autres  fort  roides  à  main- 
tenir leurs  prétentions",  wie  Fleury  schon  im  Juli  dem  Könige  geschrieben 
hatte,  bedurfte  es  noch  wiederholter  Unterredungen,  bis  endlich  auf  der 
Tagsatzung  vom  24.  Februar/ 6.  März  1585  eine  Einigung  erzielt  wurde. 
Die  darüber  aufgenommene  und  von  den  Vertretern  der  Schiedorte  — 
Remigius  Fäsch  und  Wolfgang  Sattler  von  Basel,  Hans  Meyer,  Alt- 
Bürgermeister  zu  Freiburg,  Ritter  Hans  von  Langen  genannt  Heid  von 
Solothurn,  Dr.  Johann  Conrad  Meyer,  Bürgermeister  von  Schaffhausen, 
und  Bartholomäus  Theiler,  Alt-Landammann  von  Appenzell  —  unter- 
zeichnete Urkunde  bestimmt:  Das  Gebiet  der  streitenden  Orte  selbst  wird 
durch  diesen  Vergleich  nicht  berührt.  Um  der  unter  den  Untertanen  in 
den  gemeinen  Vogteien  wegen  des  Kalenders  ausgebrochenen  Zwietracht, 
die  leicht  „gemeiner  loblicher  Eidtgnoschafft  zu  grosser  unruw  gereichen 
möchte"  zu  begegnen,  sollen  die  regierenden  Orte  durch  Gesandte  „dye 
underthanen  zu  beiden  parthyen  und  relligionen  ganz  ernstlich  vermanen, 
das  sy  fridtsam  .  . .  ungevecht  und  ungehaßt  inn  und  ußerthalb  der  kir- 
chen,  ouch  in  wirtshüsern  und  anderschwo  verblyben,  einanderen  diß 
spännigen  Calenders  halb  ungetratzt  sollen  laßen  by  einer  .  ,  .  bestimpten 
straaff".  Die  Untertanen  sollen  die  Fest-  und  Feiertage  „mitt  einanderen 
nach  uswysung  deß  nüwen  calenders  fyren".  Doch  dürfen  die  Evange- 
lischen folgende  Festtage,  nämlich  Weihnachten,  St.  Stephan,  St.  Johann, 
Neujahr,  „ostertag  und  Ostermontag,  uffahrt  (Christi  Himmelfahrt),  ptingst- 
tag  und  Pfingstmontag  wol  nach  dem  altten  calender  fyren",  von  den 
KathoKschen  daran  unverhindert.  „Ein  überträttende  Person"  zahlt  5  fl. 
dem  Landvogt  und,  „wenn  einer  oder  meer  sich  dermaaßen  so  widerspäuig 
erzeigen,  so  soi  ein  landvogt  den  an  ehre  lyb  und  gutt  ze  straffen  wol 
gewalt  haben".  Auch  sollen  die  Katholischen  an  diesen  von  den  Evan- 
geHschen  gehaltenen  Festtagen  „schuldig  sein"'  jeweilen  am  „vormittag 
aller  irer  handarbeit  werken  und  geschäften  gänzlich  still  ze  ston".  Das- 
selbe gilt  auch  für  die  EvangeHschen  bei  der  Feier  des  Fronleichnams- 
tages durch  die  Katholiken  „an  den  orten,  da  beid  relligionen  in  einer 
kirchen  by  einauderen  gehaltten  werden".  Die  gleichen  Gebote  und  Zu- 
geständnisse —  die  Feiertage  sind  nach  dem  neuen  Kalender  zu  halten, 
die  Evangelischen  dürfen  die  oben  genannten  Festtage  nach  dem  alten 
Kalender  feiern,  Vormittagsruhe  der  Katholischen  an  diesen,  der  Evan- 
gelischen am  Fronleichnamstag  —  werden  auch  auf  „die  gemeine  her- 
schaft und  vogty  im  Rhyntal"   ausgedehnt,  wohin  auch  die  von  Appenzell 


—     288     — 

„raeertheil  kilchgenoßen  sind  und  beid  relligionen  den  nüwen  calender 
angenommen"  haben.  —  Von  den  Zurzacher  Märkten,  die  „gänzlich  nach 
dem  nüwen  calender  ze  haltten  unkommlich  und  ettlichen  jarmerkten  und 
mäßen  abbruch"  tun  möchte,  soll  der  Pfingstmarkt  wie  bisher,  der  Verena- 
markt (1.  September)  aber  auf  den  11.  September  X.  St,  „byß  wyterer 
verglychung  gehalten  werden".  —  Ferner  sollen  „die  jarrächnungen  zu 
Baden",  die  man  bisher  drei  Wochen  nach  Pfingsten  abgenommen  hatte,  „deß- 
glichen  ouch  die  jarrächnung  ennets  gebirgs"  (über  die  tessinischenVogteien) 
nach  dem  neuen  Kalender  „uff  St.  Johannstag  (24.  Juni)  angefangen  .  .  . 
werden,  biß  wir  uns  in  einer  loblichen  Eidtgnoschafft  under  einanderen 
zu  glycher  zyt  wyter  brüderlichen  vereinbaren".  —  Das  Friedenswerk 
schließt  mit  der  wohltuenden  Bestimmung,  daß,  „wiewol  vil  unrüwiger 
personen  zu  allen  theilen  dises  spännigen  caländers  möchten  bus- 
fellig  worden  syn".  doch  das,  „was  bisher  beschächen,  gütlich  ufgehept 
syn"   soll. 

Beide  Parteien  verdankten  den  Schiedorten  die  dieses  Handels 
wegen  gehabte  Mühe  und  die  VIII,  die  Grafschaft  Baden  regierenden 
Orte  gaben  ihrem  Landvogt  Befehl  mit  aller  Beförderung  das  Mandat 
zu  publizieren,  übrigens  fand  die  Jahrrechnungstagsatzung  sowohl  im 
Jahre  1585  wie  1586  noch  zum  alten  Termin  statt  und  die  letztere  Tag- 
satzung sah  sich  daher  veranlaßt  jene  Bestimmung  der  Übereinkunft  zu 
wiederholen  mit  dem  Zusatz,  daß  am  St.  Johannstag  die  Boten  der  VIII 
Orte  sich  einfinden  sollen,  um  die  Vogtei- Geschäfte,  und  acht  Tage  später 
die  Boten  der  fünf  anderen  Orte,  um  die  gemein- eidgenössischen  Ange- 
legenheiten vorzunehmen.  Dieser  Beschluß  wurde  ebenfalls  den  Land- 
vögten mitgeteilt,  damit  sie  ihre  Untertanen  anweisen  mit  ihren  Ansprachen 
und  Appellationen  rechtzeitig  zur  Stelle  zu  sein. 

Die  in  dem  Vergleich  vorgesehene  Entsendung  einer  besonderen  Bot- 
schaft in  den  Thurgau  wurde  von  den  regierenden  VII  Orten  auf  den 
31.  März  1585  festgesetzt  und  die  katholischen  V  Orte  beschlossen  dazu 
einsichtsvolle  Männer  zu  wählen,  die  „mit  Ernst  und  Nachdruck"  handeln 
sollten.  Immerhin  wurde  ihnen  aufgetragen,  sich  vorher  in  Zürich  mit 
den  anderen  Boten  von  Zürich  und  Glarus  über  ihr  Verhalten  zu  ver- 
ständigen. 

Wie  man  sieht,  so  ist  der  schließlich  angenommene  Vergleich  von 
den  zuerst  gemachten  Vorschlägen  inhaltlich  nicht  sehr  verschiede»,  mit 
antleren  Worten,  wenn  die  diese  Vorschläge  ablehnenden  beiden  Städte 
gehofft  hatten,  durch  längere  Unterhandlungen  eine  mehr  ihrem  Stand- 
punkt, also  der  Erhaltung  des  alten  Kalenders  günstige  Schlußakte  zu 
gewinnen,  so  war  auch  diese  Erwartung  an  der  unl)eugsamen  Haltung 
der  altgläubigen  Majorität  zunichte  geworden.  Denn  der  resultierende 
Kompromiß  räumte  doch  unzweifelhaft  dem  neuen  Kalender  den  Vorzug 


—     289     — 

vor  dem  alten  ein  und  dokumentierte  damit  ebenfalls  die  augenblickliche 
Überlegenheit  der  im  Sinne  der  Gegenreformation  tätigen  Mächte. 

Ein  ernsthaftes  Nachspiel  erlebte  der  Kalenderstreit  noch  im  Kanton 
Appenzell,  wo  die  vornehmlich  den  jetzigen  Halbkanton  Appenzell  außer 
Rhoden  bewohnende  reformierte  Bevölkerung  gegen  den  von  der  Regie- 
rung angenommenen  neuen  Kalender  sich  sträubte  und  die  Gegensätze 
zwischen  den  beiden  Religionsparteien  schließlich  eine  eidgenössische 
Intervention  und  die  Trennung  dieses  als  letzten  souveränen  Mitgliedes  an- 
gegliederten Ortes  der  alten  Eidgenossenschaft  in  zwei  Halbkantone  im 
Jahre  1597  herbeiführte.  Hierüber  haben  schon  J.  C.  Zellweger  in 
seiner  Geschichte  des  appenzelHschen  Volkes,  8.  Bd.,  2.  Al)tlg.,  S.  22  ff. 
und  S.  119  ff.  und  Dr.  C.  Ritter  in  der  Schrift,  Die  Teilung  des  Landes 
Appenzell  im  Jahre  1597,  Trogen  1897,  mit  erschöpfender  Benützung 
der  Quellen  gehandelt. 

Damit  waren  also  auch  auf  eidgenössischem  Gebiete  zwei  ungleiche 
Kalender  in  Gebrauch  gesetzt  und  hier  wie  auswärts  verursachte  dieser 
Umstand  mancherlei  Störungen  auch  in  außerkirchlichen  Dingen.  Na- 
mentlich der  über  Gebiete  verschiedener  Konfessionen  sich  erstreckende 
Warentransport  erfuhr  Hemmungen,  die  zu  lebhaften  Klagen  Anlaß  gaben, 
so  daß  man  sie  durch  interkantonale  Übereinkünfte  zu  beseitigen  suchte. 
Es  vereinbarten  z.  B.  auf  einer  im  Januar  1603  in  Rapperswäl  gehaltenen 
Konferenz  Zürich,  Schwyz  und  Glarus,  daß  jeder,  der  an  einem  Orte, 
wo  Werktag  ist,  Waren  aufladet  und  abführt  und  an  einen  Ort  kommt, 
wo  Feiertag  ist,  mit  seiner  Fuhr  ungehindert  weiter  fahren  könne,  damit 
der  Paß  frei  und  offen  bleibe  ;  dabei  soll  sich  jeder  in  Worten  und 
Werken  bescheiden  zeigen.  Aber  1614  beklagt  sich  Zürich  doch  wieder, 
daß  man  in  Schwyz  Güter  an  Feiertagen  nicht  führen  noch  „recken" 
dürfe,  und  ersucht  um  Abstellung  des  Verbotes,  da  es  mit  dieser  Arbeit 
eine  andere  Bewandtnis  habe  als  mit  anderen  an  Sonn-  und  Feiertagen 
untersagten  Arbeiten. 

Diese  Begebenheiten  betreffen  sämtlich  nur  den  Kern  der  alten, 
aus  den  XIII  Orten  und  deren  Untertanenländern  bestehenden  Eidge- 
nossenschaft. Die  Einführung  des  gregorianischen  Kalenders  hat  aber 
auch  in  den  zwei  größten  zugewandten  Orten,  die  schon  seit  dem  14. 
Jahrhundert  zu  ihr  in  mannigfaltigen  Beziehungen  standen,  die  Geister 
beschäftigt  —  nämlich  in  Graubünden  und  im  Wallis. 

Um  die  Vorfälle  im  Wallis  zu  verstehen,  muß  man  von  der  mit 
dem  Namen  verknüpften  Vorstellung  einer  politischen  Einheit  abstrahieren 
und  sich  daran  erinnern,  daß  in  diesem  merkwürdigen,  halb  geistlichen, 
halb  weltlichen  Staate  zunächst  einmal  das  untere  Wallis,  also  das  Ge- 
biet westlich  von  Conthey  und  der  Morges  erobertes  Untertanenland  war, 
über  das  der  Bischof  und  die  sieben  Zehnten  des  Ober-Wallis  —  Sitten, 

19 


—     290     — 

Siders,  Leuk  (die  drei  unteren)  und  Raron,  Visp,  Brieg  und  Groms 
oder  Conches  (die  vier  oberen)  als  Herren  geboten.  Zwischen  diesen 
beiden  Herren  herrschte  sehr  oft  und  gerade  auch  in  der  hier  in  Rede 
stehenden  Periode  ein  recht  schlechtes  Einvernehmen,  da  die  auf  ihre 
schwer  errungene  Freiheit  stolzen  Zehnten  argwöhnisch  das  bischöfliche 
Regiment  beobachteten  und  sich  ihm  sogar  in  rein  kirchlichen  Ange- 
legenheiten entgegen  stemmten,  wenn  ihre  Selbständigkeit  irgendwie 
berührt  zu  werden  schien.  Nur  in  einem  Punkte  war  die  Talschaft  auch 
damals  so  gut  wie  einig,  sie  war  im  Wesentlichen  katholisch  geblieben 
und  hatte  alle  Ketzerei  entschieden,  obgleich  nicht  ohne  Anstrengung 
erstickt.  In  diesem  Kampf  um  die  Glaubenseinheit  waren  die  Walliser 
nicht  bloß  unterstützt,  sondern  zum  Teil  beinahe  geleitet  worden  von 
ihren  alten  politischen  Freunden,  den  V  Orten,  deren  Eifer  ihnen  selbst 
schließlich  unbequem  wurde. 

Auch  im  Kalenderhandel  spiegeln  sich  diese  politischen  Verhältnisse 
des  Landes  wieder.  Als  der  Papst  dem  Bischöfe  von  Sitten,  Hildebrand  I. 
von  Riedmatten,  die  Verkündung  und  Einführung  des  neuen  Kalenders 
befahl,  mußte  ihn  das  Unter- Wallis  aus  Auftrag  seines  geistlichen  Herren 
sogleich  annehmen.  Die  sieben  Zehnten  aber  mußten  dazu  erst  bewogen 
werden  und  deshalb  richtete  Hildebrand  am  20, /30.  März  1582  einen 
umständlichen  Erlaß  an  sie,  in  dem  er  für  die  Annahme  geltend  machte 
„die  große  Notwendigkeit,  die  Arbeit,  die  es  gekostet,  den  Befehl  des 
Kaisers  und  des  Papstes  und  zwar  unter  der  Strafe  der  Exkommunikation 
gegen  die  Ungehorsamen,  den  Gehorsam,  den  er  selbst  leistet  und  den 
sie  ihm  geschworen,  seine  Konfirmation,  die  ihn  3000  Kronen  gekostet 
und  die  er  einbüßen  müßte,  wenn  er  abgesetzt  würde  u,  s.  w."  Allein 
diese  bewegliche  Motivierung  prallte  an  den  trotzigen  Landleuten  voll- 
ständig ab.  Aus  den  bisher  bekannten  Quellen  ist  nicht  zu  ersehen,  ob 
der  Bischof  in  dieser  Angelegenheit  noch  weitere  Schritte  getan  hat  oder 
nicht.  Gewiß  ist  nur,  daß  sie  im  Anfange  des  17.  Jahrhunderts  noch 
auf  demselben  Punkte  stand  wie  im  Jahre  1582.  Mau  ersieht  das  aus 
der  Instruktion  für  die  Boten  der  VII  katholischen  Orte,  die  in  dem 
wieder  ausbrechenden  Streite  des  Bischofs  und  Domkapitels  mit  den 
sieben  Zehnten  im  Mai  1600  intervenieren  sollten.  Es  wird  ihnen  darin 
auch  empfohlen,  sich  mit  den  beiden  Parteien  wegen  des  Kalenders  zu  be- 
sprechen, und  in  der  ihnen  aufgetragenen  vertraulichen  Unterredung  mit 
dem  Bischof  sollen  sie  ihn  und  das  Domkapitel  ersuchen,  dahin  zu 
wirken,  daß  die  Landschaft  den  neuen  Kalender  endlich  einführe.  Aber 
auch  diese  Einwirkung,  wenn  sie  überhaupt  statt  hatte,  blieb  ohne  Er- 
folg. Bei  Gelegenheit  der  Beschwörung  des  Bundes  der  VII  katholischen 
Orte  mit  dem  WalHs  in  Sitten  Ende  Oktober  1602  wurde  nämlich  das 
Begelireii  betioffend  Annahme    des  gregorianischen    Kalenders    erneuert, 


—     291     — 

freilich  wieder  erfolglos.  Auch  auf  eineui  großen  Rechtstag  zwischen  dem 
Bischof  und  Domkapitel  und  der  Landschaft  in  Visp  vom  15.  — 17.  März  Uj()4 
erreichte  der  bischöfliche  Statthalter  von  den  Abgeordneten  der  Zehnten 
nicht  mehr,  als  daß  sie  die  Sache  unter  Zusicherung  ihrer  möglichsten 
Bemühung  in  den  Abschied  nahmen.  Und  doch  hatte  er  die  Ein- 
führung des  neuen  Kalenders  durch  den  Hinweis  schmackhaft  zu  machen 
gesucht,  daß  daraus  ein  gutes  Einvernehmen  mit  allen  katholischen 
Ständen  erfolgen  würde  und  zu  hoffen  sei,  der  Papst  werde  dann  etliche 
junge  Leute  aus  der  Landschaft  auf  seine  Kosten  studieren  lassen.  Daß 
der  Widerstand  gegen  den  neuen  Kalender  seine  Wurzeln  nicht  nur  in 
der  jeder  bäuerlichen  Bevölkerung  eigenen  streng  konservativeu  Lebens- 
auffassung hatte,  sondern  auch  in  rein  politischen  Gründen,  beweisen  die 
im  März  1627  wieder  von  Abgeordneten  der  VII  katholischen  Orte  mit 
den  VII  Zehnten  in  Leuk  und  Sitten  geführten  Unterhandlungen  zum 
Zwecke  eines  Ausgleichs  zwischen  ihnen  und  ihrem  Bischof  Hilde- 
braud  II  Jost.  Auf  die  von  Bischof  und  Domkapitel  schrifthch  vorge- 
legten elf  Klagepunkte  antworteten  die  Boten  der  Zehnten  u.  a.,  daß, 
was  den  vom  Bischof  verlangten  vollkommenen  Gehorsam  in  geistlichen 
Sachen  betreffe,  der  Landrat  darin  nicht  willfahren  könne;  denn  dann 
würde  der  Bischof  ihnen  gebieten,  den  neuen  Kalender  einzuführen,  er 
könnte  die  Unehelichen  ehelich  machen,  den  von  den  Altvordern  abge- 
schafften Bann  wieder  einführen,  Kirchherren  in  den  Pfarreien  ein-  und 
absetzen,  ja  die  Landschaft  bei  fremden  Höfen  berechtigen.  Gerade  in 
der  Kalenderfrage  kam  es  zu  einer  bemerkenswerten  Kraftprobe.  Da 
die  Geistlichkeit  dazu  ermahnte,  die  Fest-  und  Feiertage  nach  dem 
neuen  Kalender  zu  halten,  verordneten  die  Abgeordneten  der  Zehnten, 
daß  man  bei  dem  alten  Kalender,  in  dem  ihre  frommen  Alten  gelebt, 
verbleibe.  Werden  die  Festtage  nach  dem  neuen  Kalender  verkündet, 
so  hat  sie  niemand  zu  halten  und  die  Sigristen  haben  nicht  nach  der 
neuen  Zeit  zu  läuten.  Wo  die  Pfarrer  die  Verkündung  der  Festtage 
nach  dem  alten  Kalender  unterlassen,  soll  deren  Verkündung  durch  den 
Weibel  geschehen. 

Auf  diese  Weise  haben  die  Zehnten  den  Streit  um  den  Kalender, 
der  zu  einem  Kampfmittel  in  dem  Streit  um  politische  Macht  über- 
haupt geworden  war,  noch  viele  Jahre  fortgeführt.  Sie  operierten  mit 
ihm  recht  geschickt.  Jm  Jahre  1628  versicherten  ihre  Boten  einmal,  wenn 
statt  des  unruhigen  Bischofs  ein  neuer  gewählt  würde,  sei  die  Annahme 
des  gregorianischen  Kalenders  unzweifelhaft,  um  sich  gleich  nachher  wieder 
hinter  der  Erklärung  zu  verschanzen,  man  werde  die  Zehnten  zu  der 
Annahme  zu  bereden  suchen,  könne  aber  mit  dem  geraeinen  Manne  in 
einer  ungewohnten  Sache  nicht  gut  eilen.  Xach  46  Jahren  noch  Angst 
vor   Übereilung    vorschützen,    geht   wirklich   nur  in    diplomatischen    Ver- 


—     292     — 

handlungen  an.  Von  diesem  Standpunkte  aus  war  freilich  auch  nicht 
abzusehen,  wann  der  gemeine  Mann  die  nötige  Fassung  gewonnen  haben 
würde,  um  sich  des  neuen  Kalenders  zu  bedienen. 

Über  diese  Zustände  im  Wallis,  die  schließlich  auch  die  Aufmerk- 
samkeit der  Kurie  erregten,  waren  natürlich  die  katholischen  Orte  der  Eid- 
genossenschaft, besonders  die  V  Orte,  beunruhigt.  Allein  da  gerade  diese 
durch  ihr  früheres  Dreinfahren  die  Sympathien  ihrer  Nachbarn  ein  wenig 
verscherzt  hatten  und  damals  keine  bedeutende  politische  Persönlichkeit 
besaßen,  so  fanden  sie  den  Weg,  man  darf  fast  sagen  den  Mut  zu  einer 
wirksamen  Intervention  nicht  mehr.  Auf  der  Konferenz  in  Luzern  am 
6.  und  7.  Oktober  1637,  wo  von  der  Beschwörung  des  Bundes  mit  Wallis 
die  Rede  war,  begnügten  sie  sich,  es  der  Diskretion  ihrer  Gesandten 
anheimzustellen,  wenn  sie  glauben  Eingang  zu  finden,  freundliche  In- 
sinuationen zur  Annahme  des  neuen  Kalenders  zu  machen,  wenn  sie 
aber  auf  Schwierigkeiten  stoßen,  das  zu  unterlassen,  weil  dieses  Volk  mit 
Liebe  und  Freundhchkeit  behandelt  werden  muß.  In  so  sentimentaler 
Weise  beschlossen  die  V  Orte  ihre  Vermittlertätigkeit  im  Wallis,  ohne 
daß  über  den  Verlauf  ihrer  letzten  schüchternen  Botschaft  etwas  be- 
kannt wäre.  Erfolg  hatte  sie  keinen.  Denn  erst  im  Jahre  1656  haben 
nach  einer  einstweilen  unkontrollierbaren  Nachricht  endlich  auch  die 
Zehnten  den  neuen  Kalender  angenommen. 

Was  Graubünden  betrifft,  so  genügt  es  hier  die  Tatsache  anzu- 
führen, daß  der  neue  Kalender  von  den  katholischen  „Gerichten",  die 
hauptsächlich  im  Gebiete  des  sogenannten  Obern  oder  Grauen  Bundes 
im  Vorder-Rheintal  (Disentis)  zu  suchen  sind,  ohne  Widerspruch  ange- 
nommen, von  den  reformierten  Gerichten  aber  im  Januar  1585  durch 
Abstimmung  verworfen  wurde.  Denn  da  das  Problem  als  ein  kirchliches 
aufgefaßt  wurde,  stand  die  Entscheidung  nicht  der  obersten  Landes- 
behördo,  dem  konfessionell  gemischten  Bundestag,  sondern  den  einzelnen 
Gerichten,  bez.  Gemeinden  zu.  Infolge  dessen  hat  sich  der  julianische 
Kalender  bei  den  evangelischen  Bündnern  bis  tief  ins  18.,  ja  in  einzelnen 
Talschaften  sogar  bis  ins  19.  Jahrhundert  erhalten.  Die  erste  Gemeinde, 
die  den  neuen  Kalender  annahm,  war  das  Puschlav  (Poschiavo)  im  Jahre 
1756,  aber  fast  der  ganze  Zehn-Gerichtsbund,  dessen  Hauptbestandteil 
das  Prättigau  bildete,  bequemte  sich  erst  im  Jahre  1812  und  da  nur 
höchst  widerwillig  zur  Anerkennung  der  neuen  „Zyt".  „Unter  den  Menschen 
verpönt,  hat  der  alte  Kalender  im  Stalle  seinen  Herrschersitz  aufge- 
schlagen; denn  der  Bauer  von  altem  Schrot  und  Korn  wird  es  nicht 
leicht  duhlcn,  daß  seine  Kühe  nach  dem  neuen  Kalender  kall)ern."  — 
Die  einzehicn  Phasen  dieser  überraschend  späten  Wandlung  hat  im 
übrigen  J,  Hdtt  recht  gut  geschildert,  auf  dessen  Schrift  „Die  Elinfiihrung 
des  neuen  Kalenders  in  Graubünden,  Leipzig,  W.  Engelmann  1863" 
hiemit  gleichfalls  verwiesen  sei. 


—     293     — 

Wenn  also  die  evangelischen  Bündner  die  letzten  in  Europa  waren, 
abgesehen  von  den  Russen,  die  sich  dem  im  16.  Jahrhundert  reformierten 
Kalender  unterworfen  haben,  so  hatte  dieser  bäuerliche  Starrsinn  doch 
die  gute  Folge  für  sie  gehabt,  daß  es  ihnen  erspart  blieb,  Teilnehmer 
einer  kläglichen  halben  Maßregel  zu  werden,  die  sich  alle  anderen 
Protestanten  zu  Schulden  kommen  ließen.  Auf  Betreiben  des  Corpus 
Evangelicorum,  das  von  Leibniz  und  anderen  Gelehrten  darin  unterstützt 
wurde,  willigten  nämlich  im  Jahre  1699  die  protestantischen  Stände  zwar 
in  die  Annahme  des  gregorianischen  eigentlichen  Kalenders,  jedoch  ohne 
den  Festkalender.  Wegen  der  der  Festrechnung  anhaftenden  Mängel 
wollten  sie  Ostern  empirisch  bestimmen.  Den  Ausgleich  zwischen  den 
beiden  Kalendern  bewerkstelligten  sie  dadurch,  daß  sie  vom  18.  Februar  1700 
auf  den  1.  März  übergingen.  Dieses  unvollständige  Produkt  mußten  nun 
wohl  oder  übel  auch  die  schweizerischen  evangelischen  Orte  annehmen, 
wenn  der  Wirrwarr  nicht  noch  größer  Averden  sollte. 

Mit  Schreiben  vom  30.  Dezember  1699  gaben  ihnen  die  evangelischen 
Fürsten  und  Stände  des  Reichskonvents  in  Regensburg  Kenntnis  von  der 
Änderung  des  Kalenders  und  luden  die  evangelische  Eidgenossenschaft  ein, 
diese  Verbesserung  der  Zeitrechnung  ebenfalls  anzunehmen.  Auf  einer  Kon- 
ferenz der  Boten  der  evangelischen  Orte,  sowie  der  Städte  St.  Gallen,  Mül- 
hausen  i.  E.  und  Biel  in  Aarau  vom  20. — 24.  April  17Ô0  wurde  zunächst 
allseitig  anerkannt,  daß  der  neue  Kalender  für  Handel  und  Wandel  ohne 
Bedenken  angenommen  werden  könnte.  Evangelisch  Glarus  eröffnete,  es 
müßte  vor  seiner  zustimmenden  Erklärung  einen  einhelhgen  oder  Mehr- 
heitsentscheid der  Landleute  einholen.  Der  Abgeordnete  von  St.  Gallen 
meinte,  über  diese  Materie  seien  schon  viele  Schmutz-  und  Stichworte 
geflossen  und  es  könnten  allerlei  Händel  daraus  entstehen.  Trotzdem 
nahm  er  die  Sache  ad  référendum.  Schließlich  fand  man  es  am  zweck- 
mäßigsten, den  Gegenstand  auf  die  bevorstehende  Tagsatzung  zu  ver- 
schieben, dann  die  Gedanken  der  katholischen  Orte  zu  sondieren  und 
erst  nachher  vor  der  gesamten  Session  aufzutreten.  Auf  dieser  Tag- 
satzung am  4,  Juli  lief  alles  glatt  ab.  Zürichs  Bote  erwähnte  des  welt- 
kundigen Beschlusses  der  protestantischen  Stände  des  Reichstages  und 
ihrer  Einladung  an  die  evangelischen  Orte  und  betonte,  daß  Zürich 
damit  keine  Neuerung  suche,  sondern  wünsche,  daß  in  den  gemeinen 
Vogteien  jede  Religion  bei  ihren  Freiheiten  belassen  werde.  Die 
katholischen  Orte  möchten  durch  ihre  Geistlichkeit  zur  allgemeinen  Be- 
ruhigung erklären  lassen,  daß  es  auf  keinen  Eintrag  an  der  katholischen 
Religion  abgesehen  sei.  Unter  dieser  Bedingung  erklärten  sich  deren 
Boten,  ohne  hiezu  instruiert  zu  sein,  mit  dem  Plane  einverstanden. 
Demgemäß  beschlossen  die  evangelischen  Orte  samt  Biel  und  St.  Gallen 
noch  während  derselben  Tagsatzung,    daß  man  zwar  in  dem  laufenden 


—     294     — 

Jahre  ohne  Konfusion  nichts  ändern  könne,  daß  aber,  wenn  die  vor- 
behaltene Genehmigung  der  Orte  eingegangen  sein  werde,  das  künftige 
Jahr  1701  mit  dem  12.  Januar  anfangen  und  die  11  vorhergehenden 
Tage  leerstehend  gelassen  werden  sollen.  Von  der  erfolgten  Ratifikation 
soll  dann  dem  Reichskonvent  Mitteilung  gemacht  werden.  Dieser  Be- 
schluß gelangte  u.  z.  ausnahmslos  in  allen  evangelischen  Orten  und  Zu- 
gewandten zur  Ausführung. 

Über  die  letzte  Phase  der  Einführung  des  gregorianischen  Ka- 
lenders ist  nicht  mehr  viel  zu  sagen.  —  Infolge  der  ungeschickten  Tren- 
nung des  Festkalenders  vom  übrigen  Kalender  und  der  verschiedenen 
Berechnungsweise  des  Osterdatums  bei  Protestanten  und  Katholiken 
waren  in  Bezug  auf  dieses  Hauptfest  in  den  Jahren  1700,  1724  und 
1744  Zeitdiiferenzen  entstanden,  die  in  den  Jahren  1724  und  1744  zu 
ärgerlichen  Szenen  Anlaß  gegeben  hatten.  Um  ihrer  Wiederholung,  die 
freilich  dem  Zeitalter  der  Aufklärung  und  Humanität  übel  angestanden 
hätte,  vorzubeugen,  beschloß  auf  Anregung  Friedrichs  d.  Gr.  hin  das 
Corpus  Evangelicorum  am  13.  Dezember  1775,  die  astronomische  Be- 
rechnung von  Ostern  fallen  zu  lassen,  womit  die  vollständige  Überein- 
stimmung zwischen  dem  verbesserten  und  dem  gregorianischen  Kalender 
hergestellt  war.  Wohl  nur  um  die  Fiktion  einer  gewissen  Selbständigkeit 
zu  wahren,  ordnete?  das  k.  Patent  vom  7.  Juni  1776  die  ausschließliche 
Geltung  des  „verbesserten  Reichskaleuders"  an.  Die  Evangelischen  in 
der  Schweiz  aber  sind  auch  damals  dem  Beispiele  ihrer  Glaubensgenossen 
im  Reiche  gefolgt  mit  Ausnahme  der,  wie  schon  erwähnt,  dem  alten 
juhanischen  Kalender  noch  über  ein  ganzes  Menschenalter  anhänglichen 
Bündner. 


Zur  Entstehung  von  Piatons  „Staat". 


Von 
Karl  Joël. 


In  dieser  viel  behandelten  Streitfrage,  die  kaum  feste  objektive  Kriterien 
mitbringt,  empfiehlt  es  sich  wohl  nachgerade  ohne  lange  Debatte  einfach 
seine  Stimme  abzugeben  und  seinen  subjektiven  Eindruck,  beinahe  wie 
der  Kunsthistoriker  die  Entscheidung  seines  Stilgefühls,  kundzuthun 
und  zu  analysieren.  Aus  den  einzigen  antiken  Nachrichten,  der  zweifel- 
haften von  den  zuerst  bekannt  gewordenen  duobüs  fere  libris  (welchen'?') 
des  „Staats"  (Gell.  XIV  33)  und  der  mehrfach  und  besser  bezeugten 
von  dem  beim  toten  Philosophen  gefundenen  Wachstäfelchen  mit  dem 
korrigierten  Anfang  des  Werkes  kann  man  nichts  und  alles  folgern, 
sogar  daß  Piaton  den  „Staat"  von  rückwärts  geschrieben  hätte  und 
sterbend  mit  dem  Anfang  schloß.  Auch  die  Sprachstatistik,  selbst  wenn 
sie  die  Folge  der  Dialoge  am  Schnürchen  aufzählen  könnte,  würde  damit 
noch  nicht  wissen,  ob  sich  diese  Folge  in  zehn  oder  sechzig  Jahren 
vollzog,  und  also  nur  relative  Daten  geben.  Ihr  einziger  absoluter 
terminus  post  quem  für  den  „Staat",  Piatons  erste  sizilische  Reise,  von 
der  ihn  Dittenberger  die  berühmte  Partikel  heimbringen  läßt,  war  nicht 
nur  auch  ohne  dieses  Reiseandenken  klar  und  naheliegend,  sondern  ist 
auch  durch  den  „Staat"  selber  (577  B)  bezeugt.  Die  Hinweise  auf 
frühere  Dialoge  endlich  werden  wohl  nicht  viel  nützen,  wenn  diese 
Dialoge  selber  nicht  datierbar  und  die  Hinweise  zweifelhaft  sind.  Hat 
man  doch  sowohl  den  Lâches,  Phädrus,  Philebus  u.  a.  Dialoge  im 
„Staat"  als  auch  den  „Staat"  in  ihnen  vorausgesetzt  gefunden!  Ich  be- 
kenne mich  den  Hinweisen  gegenüber  auch  sonst  ungläubig,  einfach  weil 
sie  unkünstlerisch  wären.     Der  Dramatiker  Piaton  schreibt  hier,  als  ob 


'l  Blaß  z.  B.  denkt  au  das  „Mittelstück'-  des  Staates,  andere  an  die  ersten 
Bücher;  noch  eher  hätte  ja  die  Tyrannenverketzerung  in  den  letzten  Büchern  Xenophou 
zu  dem  v.)n  Grellius  behaupteten  Widerspruch  reizen  können. 


—     296     — 

er  vorher  nie  geschrieben,  ja  nie  gelehrt  hätte,  als  ob  es  keine  platonischen 
Schriften  gäbe,  keine  Akademie  und  keinen  Piaton  —  und  das  in  einem 
Werk,  das  er  schon  durch  die  Gesprächspartnerschaft  seiner  Brüder,  ja 
durch  bezeichnende  Anrufung  des  Jtalg  'Açioiùivoç.  an  den  entscheidendsten 
Stellen  (368  A  427  D  580  B)  als  sein  eigenstes  Werk  proklamiert.  An 
Krohnsunmöglichem  Gedanken,  alle  Dialoge  ausser  dem  „Staat"  zu  athetieren, 
ist  das  einzig  Interessante,  daß  er  eben  doch  möglich  war,  weil  der 
„Staat"  die  anderen  Dialoge  nicht  braucht,  und  das  einzig  Gesunde  das 
Gefühl  dafür,  daß  der  „Staat"  in  besonderem  Sinne  Piatons  Eigenwerk 
und  eine  selbständige  Totalität  ist.  Wir  sind  so  mangels  fester  äußerer 
Handhaben  für  die  Erfassung  des  „Staats"  auf  den  „Staat"  selbst  zurück- 
verwiesen, auf  seine  immanente  Erklärung. 

Daß  der  „Staat"  als  Frühwerk  unmöglich  ist,  daß  er  die  gereifte 
Frucht  eines  Denkerlebens  in  die  Scheuern  bringt,  sieht  jeder;  aber 
man  kann  ihn  geradezu  als  Spätwerk  ansprechen,  und  es  lohnt  sich  wohl 
die  markanten  kräftigen  Alterszüge  hervorzustellen,  die  darum  noch 
keine  schwächlichen  oder  starren  Greisenzüge  sind..  Das  nächstliegende 
Kennzeichen  dafür  ist,  daß  im  „Staat"  nicht  mehr  der  Kämpfer  spricht, 
sondern  der  Sieger,  ja  Sieggewohnte,  nicht  mehr  der  kritische  Dialektiker, 
sondern  der  Meister  und  Prophet  aus  der  Fülle  der  Positivität,  die 
eigentlich  dem  Wesen  des  Dialogs  widerspricht,  die  ihn  auch  streng 
genommen  mit  dem  Drama  aufhebt,  die  ihn  in  echter  Art  als  Debatte 
nur  noch  herablächelnd  anwendet  in  der  Jiaiöid  des  I.  Buchs ^),  die  dann 
ihn  mitschleppt,  um  einen  Herold  und  Trabanten,  einen  tragischen  Chor 
zu  haben,  als  stimmungsvolle  Resonanz  und  warme  Sanktion  und  stets 
bereiten  Impresario  für  alle  Wendungen  der  Bede.  Der  Partner  ist 
längst  nur  noch  der  fragende,  eifrige,  gehorsame,  bewundernde  Schüler 
(vgl.  nam.  die  demutsvollen  Äußerungen  432  C  595  E  596  A).  Die 
Lehrautorität  ist  stabilisiert.  Mit  Lächeln,  ja  mit  Verachtung  blickt 
Piaton  herab  auf  die  Debattierlust  der  Jünglinge  (593  BC,  vgl.  499  A), 
mit  Hohn  denkt  er  an  Zustände,  da  der  Lehrer  den  Zuhörern  mit 
Furcht  und  Schmeicheln,  sie  ihm  mit  Mißachtung  begegnen  (563  A). 
Lange  Übung  und  Lehrerfahrung  spricht  aus  der  immer  wieder  für  das 
Staatswohl  betonten  Auswahl  der  leicht  gefährdeten  philosophischen 
Naturen  nach  Gedächtniskraft,  Gelehrigkeit,  Festigkeit  u.  s.  w.  (pp.  486. 
491  fl".  503.  535.  537). 


1)  die  gelbst  so  fern  ist  von  der  anovôri  des  im  Rhetorenkami>t'  parallel  gehenden 
(rorgias!  Hirzel  findet  schon  im  Thrasymachosgespräch  Sokrates  führender  als  in  den 
Tugenddialogen  dJial.  I,  240  Anna.)  und  giebt  (241,2)  Anzeichen  für  den  Seheincharakter 
des  Dialogs  in  den  folgenden  Büchern.  Auch  die  Beobachtung  (S.  243),  daß  große 
Denker  namentlich  in  alter  Zeit  ihr  System  gern  erst  spät  als  ihre  Lebenssumme 
geben,  verdient  Beachtung. 


—     297     — 

Es  interessiert  vielleicht  manchen  die  persönliche  Erinnerung,  dali 
unser  so  frühgeschiedener,  einst  mit  Jünglingsmut  genial  anregender 
Dümmler,  dessen  Name  für  den  Basler  Philologentag  nicht  ungenannt 
bleiben  mag,  bei  aller  Liebe  zu  Piaton  gerade  das  Hauptwerk  ob  seines 
autoritativen,  orthodoxen  Charakters  wenig  sympathisch  fand.  Und  man 
vergesse  nicht,  was  alles  den  Herrschern  im  platonischen  Staat  in  die 
Hand  gegeben  ist:  sie  bestimmen  die  Grösse  des  Landes  und  Volkes 
(423  BC),  den  Stand  und  Beruf  des  Einzelnen  (415BC  423  C  D), 
seine  Wohnung,  seinen  Besitz  (416  543  AB),  wann  und  wen  er  heiraten 
soll,  welche  Kinder  aufgezogen^  welche  ausgesetzt  (458  —  461  546 B) 
und  wie  sie  erzogen  werden  ;  sie  verhindern,  daß  Eltern  ihre  Kinder 
erkennen  (460  D),  sie  unterdrücken  jede  Neuerung  in  Kunst  und  Er- 
ziehung d.  h.  doch  im  Geistesleben  i424B),  sie  üben  zum  Heil  der 
Bürger  gegen  sie  Betrug  u.  a.  m.,  kurz  sie  sind  allmächtig,  wie  nie  ein 
Herrscher  war,  weil  sie  nicht  nur  das  Individuum  in  allen  Grundbe- 
tätigungen des  Lebens,  sondern  auch  die  Zukunft  binden.  Solche  Autorität 
kann  nur  installieren,  wer  selber  als  Autorität  grau  geworden,  wer 
längst  sich  patriarchalisch  warm  fühlt  auf  dem  Thron  der  Wahrheit. 
Wie  hart  schneidet  Piaton  alle  Neuerung  und  damit  allen  Fortschritt 
ab  (422  A  424  B),  wie  streng  fesselt  er  als  Censor  die  Kunst  und 
engt  sie  ein  zum  knappen  Ausdruck  des  Moralischen,  zum  bloßen 
Hymnus  (vgl.  607  A),  wie  kalt  nimmt  er  ihr  das  Meiste  an  Formen  und 
Mitteln,  alles  was  Leidenschaft,  Phantasie  und  Schaulust  erregt  (399  ff. 
604ff.,  vgl.  die  Urteile  411  A  475  D  476  B  493Dj,  wie  setzt  er  sie 
herab  als  bloßes  Spiel  (602  B)  und  Schattenbild,  an  Wahrheitswert 
hinter  dem  ehrlichen  Handwerk  stehend  (599  ff.),  eine  Lockung  der 
Menge  und  der  Ungebildeten,  ein  Stachel  der  Lüste  und  Affekte,  eine 
Verführung  zur  Staatsverderbnis  (568  C  602— 607);  wie  feindlich  hält  er 
geradezu  Gericht  über  den  ganzen  Astheticismus  seines  Volkes,  wie 
ketzerrichterlich  opfert  er  das  Drama,  das  er  doch  selber  gepflegt  nicht 
nur  in  den  Anfängen  seiner  Schriftstellerei,  sondern  auch  auf  ihrer  Höhe 
als  Künstler  des  Dialogs,  und  dessen  Sieg  und  dessen  Meister  er  noch 
im  Schönheits-  und  Liebesfest  seines  Symposion  gefeiert  hatte  —  und 
jetzt  bekennt  er,  daß  er  mit  der  Poesie  seine  Jugendliebe  preisgiebt 
(607  E  f.,  Tgl.  595  C)  und  lächelt  herab  nicht  allein  auf  die  ästhetischen 
Genüsse  der  Jugend  (390  A  397  D  608  A),  auch  auf  die  Erotik  (402  E 
468  C  474  DE),  sie  nur  als  Köder  zur  Tapferkeit  und  Mittel  der  Selek- 
tion, also  praktisch  wertend  (ib.),  und  streng  moralisch  verpönt  der 
Autor  des  Phädrus  hier  Rep.  402  E  403  AB  in  der  Liebe  Sinnenlust 
und  Überschwang,  die  dort  gepriesene  (lavia,  und  düster  fremd  macht 
der  Autor  des  Symposion  hier  Rep.  573  fl\  (vgl.  noch  587  A)  den  Eros 
geradezu  zum  bösen  Prinzip,    ausdrücküch    zum    zvçapvoç,   zum    eigent- 


—     298     — 

liehen  Verführer  und  Herrscher  in  der  Brust  des  schlechtesten  der 
Menschen,  des  Tyrannen  —  scheint  nicht  Piaton  hier  sich  neben  den 
greisen  Sophokles  und  den  greisen  Kephalos  zu  stellen,  die  er  froh  sein 
läßt,  die  Liebe,  den  tollen  Despoten  nun  los  zu  sein  (329  CDj  ? 

Dazu  nehme  man  die  Schätzung  des  Alters  im  Staat!  Daß  die 
Herrschenden  jiQEaßvreQoi  sind,  die  Beherrschten  vecoteqoi.  ist  von 
Anfang  an  „offenbar"  (412  C);  das  Schweigen,  sich  Verneigen,  Aufstehen 
der  Jüngeren  vor  den  Alteren  ist  so  seilest  verständlich,  daß  es  nicht  ein- 
mal der  Gesetze  darüber  bedarf  (425  Aß)  ;  auch  greise  Männer  und  Frauen 
dürfen  sich  in  der  Palästra  entkleiden,  ohne  lächerlich  zu  werden  (452  B). 
Furcht  und  Scham  halten  die  Jüngeren  gegen  die  Alteren  im  Zaum  ; 
der  Altere  aber  soll  alle  Jüngeren  beherrschen  und  züchtigen  (465  A), 
die  Jüngeren  sollen  alle  Alteren  als  ihre  Väter  ansehen,  gegen  die  sie 
ehrfurchtsvoll,  sorgsam  und  gehorsam  sein  müssen  (468  C  D).  Mit  der 
Aufhebung  der  Familie  ist  alle  Pietät  von  den  Eltern  auf  das  Alter 
übergegangen.  Nie  ist  ein  so  ausgesprochener  Patriarchalstaat  auch  nur 
erdacht  worden,  ein  Staat,  in  dem  so  alles  auf  die  Autorität  des  Alters 
abgestellt  ist.  Gewiß  auch  auf  die  Autorität  des  Wissens,  aber  das  ist 
eben  das  Bezeichnende,  daß  die  Autorität  des  Wissens  geradezu  an  die 
des  Alters  gebunden  wird.  Selbst  das  Mannesalter  ist  nur  Prüfungs- 
zeit der  werdenden  Herrscher  (413  E  539  E);  erst  mit  50  Jahren 
werden  sie  zur  Schau  der  Idee  des  Guten  reif  befunden  (540  A)  —  ich 
frage,  ob  dies  ein  Mann  gefordert  haben  kann,  der  nicht  selbst 
diese  Grenze  längst  überschritten.  Er  blickt  auf  die  Männer 
von  35 — 50  als  véovq  herab  (539  E).  Und  weiter  wird  gefordert,  daß 
der  Richter  kein  véoç,  sondern  ein  yéçon'  sei,  weil  er  nur  dann  die  Un- 
gerechtigkeit wie  die  Gerechtigkeit  wahrhaft  erkennen  kann  (409)  — 
ich  frage,  ob  einer  dies  fordern  kann  (zumal  in  einem  Werke,  das  der 
wahren  Erkenntnis  der  Gerechtigkeit  und  Ungerechtigkeit  gewidmet  ist), 
der  nicht  selbst  yeqoiv  ist. 

Man  gewinnt  bei  Versenkung  in  den  „Staat"  geradezu  den  Ein- 
druck, dass  der  schwere  moralisch-philosophisch- politische  Kampf,  den 
hier  Piaton  ansticht,  im  letzten  Grunde  auch  ein  Kampf  der  Generationen 
ist.  Er  stellt  seinen  Staat  am  schärfsten  gegen  Demokratie  und 
Tyrannis.  Die  Demokratie  nennt  er  563  E  ausdrücklich  jugendlich  und 
läßt  sichs  vom  Partner  bestätigen,  und  er  brandmarkt  es  voll  Verachtung, 
daß  sich  in  ihr  die  Jungen  den  Alten  gleichstellen,  ja  die  Greise  sich 
nach  den  Jünglingen  richten  (563 AB).  Der  demokratische  Typus  ent- 
steht, wenn  der  Jüngling  nicht  auf  die  Mahnungen  der  Alteren  hört 
und  seine  Begierden  und  Lüste  freigiebt  (560  (J  tt'.)  -,  wenn  er  dann 
älter  geworden  und  sich  der  Begierdenschwarm  verlaufen  hat,  kommt 
ein  Zustand,  der  jedenfalls  erträglicher  ist  (561  A  B)  als  der  tyrannische 


—     299     — 

Seelenzustand,  der  iin  IX,  Buch  olïenkundig  als  wildeste  .JugendtoUheit, 
als  Raserei  der  Begierden,  als  Baccliantik  und  Erotik  geschildert  wird, 
als  Übermut  bis  zur  Gewaltthat  gegen  die  greisen  Eltern  und  älteren 
Brüder  (574BC615C)-  Der  bekannte  Vorwurf  des  Dionys:  „Deine 
Reden  sind  greisenhaft"  (yeQovTiojoi)  und  Piatons  Antwort;  „und  deine 
tyrannenhaft"  (Diog.  Laert.  III  18),  Worte,  die  wohl  nicht  zwischen  dem 
erst  40jährigen  Piaton  und  dem  älteren  Dionys,  sondern  erst  zwischen 
dem  jüngeren  und  dem  Sechziger  gewechselt  sein  können,  zeigen  jeden- 
falls, daß  Piaton  und  der  Tyrann  als  Alterstypen  kontrastierten.  Die 
jungen  Bürger,  heißt  es  Rep.  568  A,  halten  zum  Tyrannen.  Statt  des 
tyrannisch  rasenden  Jünglings  regiert  im  platonischen  Staat  der  philo- 
sophische Greis.  Mit  dem  Bewußtsein  schärfster  Paradoxie,  ja  der 
Umkehrung  geltender  Ansichten  fordert  Piaton,  daß  im  Idealstaate  die 
Philosophie  gerade  am  Avenigsten  Sache  der  Jugend  sei  und  gerade  am 
reinsten  Sache  des  Alters,  wenn  die  Körperkraft  schwindet,  und  er 
höhnt  über  alle,  die  nach  dem  Greisenalter  hin  geistig  erlöschen,  ohne 
sich  wieder  zu  entzünden  (497  E  498  ABC).  Kann  man  noch  zweifeln, 
daß  hier  ein  Greis  im  besten  Sinne  pro  domo  redet  und  daß  der  „Staat" 
ein  Altersbekenntnis  ist?  Allerdings  sehr  lernfähig  fühlt  sich  der  Greis 
nicht  mehr;  die  vielen,  großen  novoi  überläßt  er  Jüngeren  (536 D). 
Dafür  ist  die  Dialektik,  die  ihm  einst  die  Philosophie  war,  herabge- 
stiegen zur  Übung,  zur  letzten  Vorstufe  der  eigentlichen  Philosophie, 
die  nun  zur  reinen  Spekulation,  ja  zur  Mystik  erhoben  ist.  Der  Greis 
triumphiert  in  der  Philosophie,  in  der  Politik,  in  der  Moral  und  schließlich 
in  der  Glückseligkeit.  Der  Ungerechte  ist  bei  Beginn  des  Glückswett- 
laufs voraus  ;  er  hat  die  Lust  in  der  Jugend,  aber  die  Strafe  im  Alter. 
Der  Gerechte  aber  siegt  an  Glückseligkeit  im  Alter  und  im  Tode  (613  C  ff.). 
Auffallend  oft  — •  ein  Zeichen,  welche  Gedanken  dem  Lebensalter  Piatons 
nahelagen,  —  würd  auch  der  ehrenvollen  Bestattung  und  der  Unsterblichkeit 
der  philosophischen  Staatspatriarchen  als  heroischer  Menschen  gedacht 
(414  A  427  B  469  AB  498  C  503  A  540  BC). 

Als  Kennzeichen  des  Alterswerks  möchte  ich  ferner  die  Ansätze 
von  Zahlenmystik  im  „Staat"  ansprechen,  nicht  einfach  weil  überhaupt 
phantasiereiche  Köpfe  im  Alter  zu  dergleichen  Symbolismus  neigen  — 
der  Idealstaatsgründer  Comte  gerät  später  auch  in  Zahlenmystik  — , 
sondern  namentlich  weil  uns  ja  Aristoteles  meldet,  daß  in  Piatons  Spät- 
zeit der  mathematische  Charakter  seiner  Philosophie  sich  stärkte  bis  zu 
einer  Symbolisierung  der  Ideenlehre  zur  Idealzahlenlehre.  Nicht  die 
Schätzung  der  Mathematik  als  solche  ist  im  „Staat"  auffallend,  obgleich 
nur  wenige  andere  Dialoge  noch  von  ihr  Spuren  zeigen,  wohl  aber  die 
Energie,  mit  der  hier  im  VII.  Buch  die  mathematischen  Wissenschaften. 
Asti'onomie  und  Harmonielehre  eingeschlossen  (vgl.  nam.  529  DE  531  BC), 


—     300     — 

wesentlich  als  Illustration  für  die  Zahlenspekulation  gewertet  werden, 
worin  sich  schon  die  Idealzahlenlehre  ankündigt,  und  die  fast  fanatische 
Betonung,  mit  der  sie,  namentlich  die  Geometrie,  als  die  einzigen  ernst- 
haften Wissenschaften,  die  einzigen  rein  intellektuellen  Vorbereitungen 
für  den  kriegerisch-philosophischen  Herrscher  außer  der  Dialektik,  aber 
dreimal  so  ausführlich  wie  diese,  behandelt  werden.  Das  stimmt  gut  gerade 
erst  zur  zweiten  sizilischen  Reise,  wo  die  politisch-moralische  Reform 
Piatons  sich  zunächst  in  den  Staubwolken  zeigte,  die  um  den  Tyrannen- 
palast aufgewirbelt  wurden  durch  die  unaufhörlichen  Sandzeichnungen 
geometrischer  Figuren,  und  die  Piaton  feindlichen  Höflinge  ihren  Spott 
ausließen  über  die  Methode,  durch  die  Geometrie  glücklich  zu  werden 
(Plut.  Dion  13f.,  vgl.  auch  ep.  III  319  C). 

Die  Zahlenwertung  bekundet  sich  ferner  in  der  Trichotomie  des 
„Staats",  die  sich  schon  durch  die  Fortsetzung  bei  Xenokrates  als 
Tendenz  der  mehr  mystischen  Altersperiode  Piatons  zeigt.  Nicht  nur 
ruht  die  Struktur  des  Systems  im  „Staat"  auf  der  Dreizahl  der  Seelen- 
teile und  der  Stände  •  das  triadische  Schema  vibriert  auch  sonst  in  allen 
Teilen  des  „Staats".  Bald  nach  dem  „Vorspiel"  des  I.  Buches  beginnt 
die  Glaukonrede  mit  der  Unterscheidung  von  drei  Gattungen  des  Guten 
(857)  und  baut  sich  weiterhin  auf  nach  jiqojtov,  ôsvteqov,  tgixov  (358  C). 
Das  Sehen  heißt  der  kostbarste  Sinn,  weil  es  zu  Gesicht  und  Gesehenem 
noch  eines  tqItov  bedürfe,  des  Lichts  (507  CD),  und  dies  sei  symbolisch 
für  die  Erkenntnis,  die  auch  des  tqitov  bedürfe  in  der  Idee  des  Guten. 
Für  alles  giebt  es  drei  Künste  (601 D),  der  darstellende  Künstler  ist 
der  dritte  von  der  Wahrheit  (597  E  599  A).  Drei  Gänge  giebts  für 
den  Sieg  des  Gerechten  (583  B).  Vom  Königlichen  an  hat  das  dritte 
Schattenbild  der  Oligarchische,  vom  Oligarchischen  an  das  dritte  der 
Tyrannische,  sodass  sich  durch  Potenzierung  dieser  als  729  mal  unglück- 
licher herausstellt  wie  der  Königliche  (587  CDE).  Hier  haben  wir  eine 
Zalilenmystik,  die  nur  noch  übertrofifen  wird  von  der  berühmten  geo- 
metrischen Zahl  p.  546,  die  über  das  Heil  des  Staates  entscheiden  soll. 
Endlich  zeigen  die  Zahll)estimratheiten  im  Schlußmythus,  wie  der 
„Staat"  schon  hineinragt  in  Piatons  Spätblüte,  wo  seine  mathematische 
Phantasie  vorwaltet.  Der  Pamphylier  wird  nach  zehn  Tagen  aufge- 
nommen und  liegt  am  zwölften  auf  dem  Scheiterhaufen.  Seine  Seele 
fährt  an  einen  Ort,  wo  je  zwei  Spalten  einander  gegenüberliegen.  Dort 
kommen  die  Seelen  hin  in  tausendjähriger  Wanderung,  zelmmal  für 
jede  Untat  je  nach  liundert  Jahren  Buße  leidend.  Sieben  Tage 
bleiben  sie  dort;  am  achten  Aufbruch,  am  vierten  Ankunft  dort, 
wo  es  noch  eine  Tagereise  zur  Spindel  der  Notwendigkeit  sei,  deren 
(TtpôvôvÀoi  nun  mit  wahrer  Lust  am  Zählen  beschrieben  werden  —  ich 
linde  45  Zahlwörter  auf  noch  nicht  einer  Teubnerseite  (616  D  Ende  bis 


—     301     — 

617  B  Ende)  bis  zu  den  TQelg,  den  Parzen,  vor  denen  jeder  erloost, 
als  der  wievielste  er  sein  Schicksal  zu  wählen  hat.  Damit  vergleiche 
man  die  Jenseitsraythen  im  Gorgias  und  im  Phaidon,  die  kaum  eine 
einzige  Zahlbestimmung  enthalten  —  die  vier  mit  Namen  überlieferten 
Flüsse  der  Unterwelt  und  das  eine  Jahr  im  Tartaros  Phaed.  114  A  wird 
man  kaum  rechnen. 

Auf  Piatons  Spätzeit  weist  doch  wohl  auch  im  „Staat"  die  ekstatisch- 
agnostische  Schilderung  der  Idee  des  Guten  mit  dem  superlativischen 
Lichtvergleich  und  der  hierarchischen  Zuspitzung  des  Ideensystems,  die 
von  der  sokratischen  Begriffsdialektik  am  weitesten  abliegt,  die  auch  mit  der 
Ideenlehre  als  solcher  noch  nicht  gegeben  ist,  die  ferner  mit  anderm  Meta- 
physischem hier  nur  in  wenigen  wohl  sicheren  Altersschriften  (Timaios, 
Philebus)  Parallelen  hat  und  die  am  weitesten  dem  Neuplatonismus  entgegen- 
kommt. Mit  der  hierarchischen  Vereinheitlichung  ist  die  Stufenfolge 
der  Ideen  in  Idealzahlen  als  Graden  sehr  nahegelegt  —  also  nach 
Aristoteles  die  Lehre  des  greisen  Piaton. 

Tiefe  Resignation  mischt  sich  am  Schlüsse  des  IX.  Buchs  gar 
wundersam  mit  einem  Prophetenglauben  an  die  Wahrheit  des  Ideals  — 
so  spricht  einer,  der  auf  das  Leben  überschauend  herabsieht  und  in 
der  Ferne  noch  das  gelobte  Land  erblickt.  Der  Partner  nur  betont 
hier  die  Unwirklichkeit  des  Idealstaats,  Sokrates  aber  seine  Möghchkeit, 
und  noch  entschiedener  tut  ers  VI  499  502  AB  VII  540  ff.,  und  die 
Sehnsucht  jenen  zu  verwirklichen  geht  ihm  noch  über  das  ruhige  Bewußt- 
sein im  Wintersturm  der  Ungerechtigkeit  sich  selbst  geschützt  und  be- 
wahrt zu  haben  und  nun  gefaßt  und  ergeben  aus  dem  Leben  zu 
scheiden  (496  D  ff.)  —  so  spricht  doch  wohl  die  Altersstimmung.  Aber 
auch  sonst  gabs  für  solche  merkwürdig  aus  Hoffnung  und  Verzicht 
gewobene  Stimmung  wohl  nur  eine  Zeit  im  Leben  Piatons.  Zwei 
politische  Perioden  enthielt  es,  die  für  einen  Staatsbau  Anregungen, 
Hoffnungen  boten,  die  Frühzeit  und  die  Alterszeit.  Der  Mann  aus  dem 
Stamme  der  Kodros  und  Solon,  der  Neffe  des  Kritias  und  Charmides 
war  in  Athens  bewegtester  Zeit  wahrlich  in  politischer  Luft  aufgewachsen, 
war  Politiker  in  tiefster  Wurzel.  Aber  alle  möglichen  Hoffnungen 
wurden  der  B,eihe  nach  geknickt,  die  aristokratische  mit  dem  nicht  un- 
verschuldeten Sturz  der  Dreißig,  die  demokratische  mit  der  Hin- 
richtung des  Sokrates,  die  fernhinschweifende  monarchische  mit  der 
Tyrannis  des  älteren  Dionys ,  von  der  Piaton  feindlich  und  hoff'- 
nungslos  schied.  Enttäuschung  im  Herzen  findet  er  nun  reichlichen 
Trost  in  der  wissenschaftlichen  Lehrwirksamkeit,  bis  ihm  nach  Jahr- 
zehnten an  der  Schwelle  des  Greiseualters  mit  dem  syrakusischen 
Regierungswechsel  die  alten  Hoffnungen  zögernd  belebt  werden  und 
mit  der  zweiten  sizilischen  Reise  ein  politischer    Johannistrieb  erwacht, 


—     302      — 

der  praktisch  zweifelnd,  theoretisch  hofft.  Die  erste  Periode  war  zu 
voll  von  praktischen  Hoffnungen,  die  mittlere  zu  voll  von  praktischer 
Enttäuschung  und  theoretischer  Arbeit,  nur  die  letzte  bot  zwischen 
wiedererwachter  Hoffnung  und  zweifelndem  Verzicht  die  rechte  Stimmung 
für  eine  Abklärung  der  Praxis  an  der  inzwischen  gewonnenen  Theorie, 
für  den  Ausbau  eines  Idealprogramms  im  ., Staat". 

Fragen  wir  nun,  ob  sich  zu  dieser  letzten  allgemeinen  Betrachtung, 
der  man  noch  nicht  zu  glauben  braucht,  noch  speziellere  Lebensdaten 
im  ..Staate"  spiegeln.  577  AB  bekennt  Piaton  ausdrücklich,  die  Tvran- 
nis  nach  Autopsie  zu  schildern.  Der  „Staat"  ist  also  erst  vollendet 
unter  der  Nachwirkung  einer  der  sizilischen  Reisen,  aber  welcher?  Kein 
Zweifel,  dass  der  spätere  Aufenthalt  in  Syrakus  eine  weit  tiefere  Tendenz 
und  Wirkung  hatte  als  der  erste.  Wir  sprechen  eigentlich  zu  Unrecht 
von  drei  sizilischen  Reisen  —  der  VII.  platonische  Brief  zählt  viel- 
mehr die  zweite  als  erste  (337  E  .352  A,  vgl.  336  E  .330  0  336  B).  Phyton 
kam  zuerst  nach  Sizilien  nicht  auf  einer  Sonderreise  von  Athen,  sondern 
im  Anschluß  an  die  Italienfahrt  in  seinen  Wanderjahren  —  einige 
berichten  sogar  nur  um  der  Sehenswürdigkeiten  willen  (Diog.  Laert. 
III  18.  Olympiod.  4,  Apul.  dogm.  Plat.  4.  Athen.  XI  507B)  ;  man  bezweifelt 
jedenfalls  ob  auf  Einladung  des  älteren  Dionys.  Der  VII.  Brief  sagt 
nichts  von  solcher  Einladung,  und  Plutarch  bezeugt  das  Gegenteil,  indem 
er  erst  durch  Dion  den  schon  anwesenden  Piaton  zu  einer  Unterredung 
mit  Dionys  zusammenführt  (Plut.  Dion  4  f.),  die  bald  zum  Zusammen- 
stoß wird.  Piaton  hatte  auch  der  gefestigten  Tyrannis  und  dem  männ- 
lich fertigen  Dionys  nichts  zu  sagen,  und  dieser  jenem  noch  weniger. 
Der  erste  syrakusische  Aufenthalt  war  ohne  politische  Tendenz  und 
ohne  tiefe  Wirkung  auf  Piaton.  Es  ist  bezeichnend,  daß  die  vorwiegend 
von  den  sizilischen  Dingen  handelnden  platonischen  Briefe,  ob  echt  oder 
erfunden,  sämtlich  erst  in  die  Zeit  des  jüngeren  Dionys  datiert  sind;  von  der 
sog.  1.  Reise  redet  nur  der  berichtende  7.  Brief,  aber  wie  kurz  im 
Vergleich  zu  den  andern  Reisen  !  Und  auch  er  redet  niclit  von  Dionys, 
sondern  nur  von  Dion  und  sieht  in  dessen  Bekanntschaft  mit  Piaton 
die  einzige  Frucht  dieses  Aufenthalts,  da  jener  in  Dion  den  Plan  zur 
Aufhebung  der  Tyrannis  aufkeimen  ließ,  aber  wohlgemerkt  —  unbe- 
wußt (àXàv^avov  ifiavxôv  327  A).  Und  Plutarch  (Dion  4)  läßt  damals 
Piaton  ausdrücklich  wie  zufällig,  wie  durch  göttliche  Bestimmung,  ohne 
die  geringste  menschliche  Absicht  nach  Sizilien  kommen. 

Wie  ganz  anders  Jahrzehnte  später  die  „zweite"  Reise:  Der 
60jährige  Piaton  kommt  in  moralpolitischer  Mission,  gerufen  von  Dien, 
von  den  Pytliagoreern,  von  dem  jüngeren  Dionys  selbst!  Es  galt  die 
Umbildung  des  Tyrannen  in  einen  gesetzlich  gerechten  König  (Plut. 
Dion   10.    12'.     Man  braucht  der  Nachricht  nicht  zutrauen,  daß  Piaton 


—     303     — 

sogleich  Land  und  Menschen  für  seinen  Idealstaat  forderte  (Diog.  Laert. 
III  20  f.j.  Aher  dem  7.  Brief  darf  man  trauen,  der  sehr  plausibel  von 
jener  gemischten  Stimmung  des  Philosophen  zur  Zeit  der  2.  und  3. 
Sizilienfahrt  berichtet,  die  uns  soeben  als  Grundstinnnung  des  „Staates" 
durchklang,  und  von  jenen  an  den  jüngeren  Dionys  geknüpften,  von 
ihm  getäuschten  Hoffnungen,  daß  die  Gerechtigkeit  zur  Herrschaft 
komme,  daß  Philosophie  und  Staatsregiment  eins  würden,  daß  allein 
der  einsichtsvoll  gerechte  Staat  und  Mann  als  glückselig  offenbar  würden 
und  im  Gerechten,  Tapferen,  Besonnenen  und  Philosophischen  die  (vier- 
fache) Tugend  triumphiere  (ep.  VII  335  CD  336  AB)  —  das  ist  genau  das 
Programm  des  „Staates"  und  so  nur  des  „Staates"').  Ob  echt,  ob  un- 
echt, wären  uns  die  Briefe  nicht  erhalten,  so  würden  wir  ihnen  trauen, 
schon  weil  wir  Plutarch  trauen,  der  aus  ihnen  schöpft.  Doch  wie  kann 
man  der  Kopie  trauen  und  nicht  dem  Original?  Rteder  in  seiner  Echt- 
heitsapologie der  Briefe  (Rhein.  Mus.  190(5  S.  463.  471)  findet  in  ihnen 
sprachliche  Verwandtschaft  mit  dem  „Staat",  namentlich  in  dem  bald 
nach  der  2.  Reise  datierbaren  13.  Brief,  und  schon  Ritter  (Unters, 
über  Plato  S.  108)  konstatiert  von  ihm:  „Seine  Sprache  ist  derjenigen 
der  Resp.  näher  verwandt  als  der  der  Leges."  So  führt  auch  dies  zu 
der  Annahme,  die  an  sich  die  natürlichste  und  wahrscheinlichste  ist, 
daß  der  „Staat"  der  für  die  politische  Spekulation  anregendsten  Epoche 
entstammt,  der  Zeit  der  2.  sizilischen  Reise. 

Ist  der  fertige  „Staat"  die  Ursache  oder  die  Folge  der  zweiten 
Sizilienreise?  Es  läge  am  nächsten,  daß  Piaton  dem  Bekanntwerden 
des  „Staates"  den  Ruf  nach  Syrakus  verdankt.  Wir  wissen  es  anders; 
die  pythagoreischen  Freunde  und  Dion,  die  er  einst  in  persönlichem 
Umgang  gewonnen,  rufen  ihn  jetzt  für  den  neuen  lenksamen  Herrscher. 
Kein  Wort  verlautet,  daß  bei  dem  Ruf  bereits  die  Kenntnis  des  platonischen 
„Staates"  eine  Rolle  gespielt  hatte;  ja  der  Bericht  im  7.  Brief,  der 
alles  mündhchem  Einfluß  zuschreibt,  spricht  nur  dagegen  (vgl.  330 AB 
338 D  340 f.).  Und  ich  meine,  wenn  der  junge  Tyrann  Buch  VIII  und 
IX  des  „Staates'-  gelesen  hätte,  dann  hätte  er  kaum  Piatons  Ankunft 
mit  einem  Dankopfer  begrüsst  und  ihn  wie  den  Sonnengott  auf  weißem 
Viergespann  eingeholt,  sondern  ihn  ertränken  lassen,  wo  es  am  tiefsten 
ist,  oder  sonst  wie  sein  Vater  ihn  zum  Henker  gewünscht.  Nicht  genug, 
dass  er  andernfalls  den  Bock  zum  Gärtner  gemacht  hätte,  dass  es  wäre, 
als  ob  Napoleon  sich  Fichte  oder  der  Zar  sich  Bebel  wie  einen  Halb- 
gott zum  Berater  einholte,  vor  allem  konnte  doch  der  junge  Dionys 
nicht   die   furchtbare    Brandmarkuug    seines   Vaters    hinnehmen,    wie    sie 

1)  Vgl.  vorher  lep.  VII  335  Ai  auch  den  Kampf  der  unsterblichen  Seele  gegen  die 
Lüste  und  das  Grericht  in  der  Unterwelt  entsprechend  dem  Schluß  des  , Staates". 


—     304     — 

Platon  hier  in  der  Entstehungsgeschichte  der  Tjrannis  vorführt,  die 
zwar  mit  allgemeinen  Zügen  namentlich  noch  von  der  attischen  Tyrannis 
verwohen,  doch,  wie  man  längst  erkannte,  stark  am  älteren  Dionys 
orientiert  ist,  ohne  dem  Retter  Siziliens  vor  den  Carthagern  gerecht  zu 
werden.  Als  Einführung  am  syrakusischen  Tyrannenhofe  ist  der  „Staat'' 
offenkundig  unmöglich.  Man  brauchte  nicht  erst  gegen  Piatons  Einfluß 
einen  Philistos  zu  berufen;  der  „Staat"  hätte  reichlich  zur  Diskreditierung 
genügt,  und  so  sehe  ich  nicht,  wie  er  vor  der  2.  sizilischen  Heise  bekannt 
gewesen  sein  kann,  und  ich  sehe  auch  nicht,  wie  der  Piaton,  der  das 
IX.  Buch  geschrieben,  sich  noch  als  politischer  Erzieher  an  den  Tyran- 
nenhof begeben  konnte. 

Piaton  bekennt  den  Tyrannen  nach  eigenem  Eindruck  zu  schildern, 
und  man  nahm  zumeist  ohne  weiteres  an,  daß  sich  dies  auf  den  älteren 
Dionys  beziehe.  Gewiß,  für  die  Genesis  der  Tyrannis  im  VIII.  Buch 
konnte  nur  der  ältere  Modell  stehen.  Aber  das  Bekenntnis  steht  im 
IX.  Buch,  wo  es  sich  nicht  um  das  Historische  der  Tyrannis,  sondern 
um  den  konkreten  tyrannischen  Mann  handelt,  und  da  erscheinen  zunächst 
typische  Züge,  die  von  beiden  Dionysen,  aber  näherliegend  vom  jüngeren 
genommen  sein  können.  Was  da  von  Xeid  und  Treulosigkeit  (gegen 
Dion  ?),  Ängsten  und  Mißtrauen,  Höflings-  und  Schmeichlerregiment 
(Phihstos,  Damokles?)  gesagt  ist  (575  E  577  E  578  A  E  579  580  A),  das 
hat  Piaton  beim  jüngeren  Dionys  reichlich  erlebt  und  zum  eigenen 
Schaden  erfahren.  Daß  der  Geschilderte  durch  das  Geschick,  nur 
passiv  (nicht  durch  sich  selbst)  auf  den  Tyrannenthron  kam  (578  C 
579 C),  daß  sich  vom  Besten  in  andern  (Dion?)  leiten  lassen  solle, 
wem  das  Beste  nicht  in  eigener  Brust  regiere  (590  CDE),  weist  mehr 
noch  auf  den  jüngeren  Dionys  und  läßt  noch  eine  Hofinung  durch- 
schimmern, die  ja  Piaton  für  ihn  noch  hegte,  aber  nicht  für  seinen 
väterlichen  Vorgänger.  Vor  allem  aber  ist  die  Grundcharakteristik  des 
tyrannischen  Mannes  als  traumhaft  lebenden,  verführten,  vom  Eros 
beherrschten  Schwelgers  und  Trunkenbolds  (571  C  ff.  578  576  B  578  f. 
580  E  587  C)  ja  unmöglich  für  den  zu  Piatons  Zeit  schon  älteren,  an- 
erkannt mäßigen,  nüchternen  und  tatkräftigen  Vater,  wohl  aber  sehr 
passend  für  den  Sohn,  der  nach  Plutarch  (Dion  7,  s.  auch  Vergleichung 
des  Dion  und  Brutus  4)  gerade  die  von  jenem  ererbte  feste  Herrschaft 
dadurch  schwächte,  daß  er  sich  beständig  zu  erotischen  und  bacchantischen 
Ausschweifungen  verführen  ließ,  wie  er  seine  Regierung  mit  einem  90- 
tägigen  Gelage  begann  und  selbst  bei  Freunden  verachtet  war,  weil  Trunk, 
Spiel  und  Weiber  zumeist  sein  Leben   ausfüllten').     Endlich  passen  die 

'l  Vgl.  übrigens  hier  in  Plutarchs  Schilderung  die  Umbeuennung  der  Tugenden 
in  Laster  durch  den  Verführer  des  jüngeren  Dionys  (c.  8)  und  die  seelische  Königs- 
burg (c.  10  Schi.)  mit  der  demokratischen  Verführung  l{ep.  560 Oft",  und  die  Demokratie 
als  Kramladen  aller  Verfassungen  c.b';i  mit  Rep.  557  D. 


—     305     - 

entscheidenden  Worte  Piatons  577  AB,  dali  er  mit  dem  Tyrannen  zu- 
samraengewohnt.  dali  er  ihn  im  häuslichen,  intimen  Leben  belauscht, 
im  Verkehr  mit  seinen  Angehörigen,  wo  er  am  meisten  vom  feierhehen 
Zeremoniell  entblößt  sei,  —  dies  Bekenntnis  paßt  doch  nicht  auf  das 
nur  einmal  nachweisbare  kritische  Zusamm entretien  mit  dem  älteren 
Dionys,  sondern  nur  auf  den  in  langer  Gastfreundschaft  erlebten 
täglichen  Verkehr  Piatons  mit  dem  jüngeren  Dionys,  als  dessen  ovaaixov 
xai  ovvÉojtov  ihn  der  VII.  Brief  bezeichnet  (350  C,  vgl.  in  Plutarchs 
Schilderung  nam.  c.  16). 

Nach  alledem  ist  der  zweite  und  wohl  längere  und  eindrucksreichere 
syrakusische  Aufenthalt  im  „Staat"  vorausgesetzt.  Und  frische  sizilische 
Eindrücke  mit  ihren  grelleren  Farben  und  stärkeren  Kontrasten  lassen 
sich  durchspüren,  nicht  weil  Piaton  einmal  syrakusische  Tafelfreuden 
und  sizilische  Üppigkeit  verwirft  (404  D,  vgl.  ep.  VII  326  BC  327  B  336  D) 
—  es  giebt  auch  korinthische  und  attische  Üppigkeit,  fügt  er  wohl  für 
die  Ohren  jener  hinzu,  die  seine  Sizilienreisen  mißdeuteten;  aber  die 
krasse  Schilderung  des  unter  dem  älteren  Dionys  nicht  so  unglücklichen 
Tyrannenstaats,  seiner  Knechtschaft  und  Zerrissenheit,  seiner  Schwelgerei 
und  Not  zeigt  Erlebtes.  Doch  auch  zum  Aufbau  des  Idealstaats  dürften 
neue  sizilische  Erfahrungen  beigetragen  haben.  Die  Frage  der  Wieder- 
herstellung zerstörter  Griechenstädte,  die  nach  den  Briefen  zwischen 
Piaton  und  dem  jüngeren  Dionys  diskutiert  wurde  (vgl.  nam.  ep.  III 
315  ff.  VII  331  E  ff,),  mußte  die  Spekulation  über  eine  Staatseinrichtung 
ab  integro  anregen.  Die  dringenden  Mahnungen  zu  milderer  Krieg- 
führung gegen  Hellenen  und  zum  Zusammenstehen  gegen  die  Barbaren 
(Bep.  V  469 ff.)  bekommen  noch  ein  anderes  Gesicht,  wenn  man  (statt 
nur  an  Platää)  an  das  sklavenreiche  Syrakus  denkt,  wo  nicht  nur  die 
Steinbrüche  dem  Athener  redeten,  wo  auch  die  oft  tyrannisch  grau- 
sam geübte  Behandlung  anderer  sizilisch  -  italischer  Griechenstädte  und 
namentlich  die  unaufhörlich  drohende  Karthagergefahr  die  jüngste 
politische  Situation  bestimmten  (vgL  z.  B.  ep.  III.  VII  332E333  A336A). 
Ferner*)  die  vom  Idealstaat  ferngehaltene  Gefahr  der  Hypertrophie,  des 
künstlichen  Wachstums   bis   zum  Auseinanderfallen   in   mehrere   Staaten 


1)  Die  absolute  FrauenemanziiDation  im  „Staaf-  ist  vielleicht  mitbegründet  durch 
die  Bekanntschaft  mit  bedeutenden  Frauen  fwie  der  Schwester  des  jüngeren  Dionys 
Plut.  21),  die  sich  für  Piaton  interessierten  (ib.  19).  In  Plutarchs  Dion  ist  überhaupt  viel 
von  den  Frauen  die  Rede,  die  eben  in  der  Hofluft  stets  grössere  Rolle  spielten  als  in 
andern  Verfassungen.  Dazu  kommt  natürlich  der  Einfluss  der  Pythagoreer,  deren 
Schule  so  reich  an  Frauennamen  ist.  Von  Piatons  beiden  Schülerinnen  stammt  eine 
aus  dem  j^ythagoreisch  wichtigen  Phlius.  Beide  aber  müssen  erst  Piatons  Spätzeit 
angehören,  da  sie  noch  Speusipp  hörten  (Diog.  Laert.  11146  IV 2).  Daß  Axiothea  durch 
die  Lektüre  des  „Staats"  in  die  Akademie  geführt  worden  sein  sein  soll,  spricht  des- 
halb nicht  gegen  dessen  Spätdatierung. 

20 


—     306      ~ 

ist  wohl  mehr  von  dem  buntscheckigen  Syrakiis,  das  Diouys  zur  größten 
Stadt  von  Hellas  anschwellen  ließ,  als  von  Athen  abgesehen.  So  sehr 
Piaton  den  Gegensatz  der  Staatsteile  verabscheut,  die  Sonderung  von 
Herrscher,  Heer  und  Volk  in  Syrakus  hat  doch  vielleicht  in  seiner  Staats- 
gliederung verschärfend  nachgewirkt.  So  verächtlich  er  öfter  von  den 
Söldnern  spricht,  die  ihn  dort  als  Tyrannengegner  haßten  (Plut.  Dion  19), 
das  syrakusische  Berufsheer  in  seinen  Sonderquartieren  hat  ihm  imponiert 
—  das  zeigt  wohl  sein  kasernierter  Wehrstand.  Und  wohlgemerkt!  Er 
muß  bewahrt  werden,  daß  er  nicht  fremd  und  feindlich  zur  Stadt  stehe 
(wie  die  Söldner  zu  Syrakus),  und  ferner:  er  entsteht  aus  der  üppigen 
Stadt,  die  für  die  Entfaltung  ihrer  Üppigkeit  erobern  muß  (372 E  373  f.), 
die  nachher  wieder  „gereinigt'"  wird  (399  E). 

Überhaupt  diese  Reinigung,  diese  ganze  Staatsreform,  denn  dies 
ist  es  mehr  noch  als  Staatsgründung,  und  diese  Staatsreform  nur  von 
oben  bei  völliger  Gleichgiltigkeit  gegen  das  Volk,  kurz  dieser  platonische 
Idealstaat  ist  doch  dem  attischen  Horizont  weit  entrückt,  ist  im  Grunde 
nur  eine  Pythagoreisierung  des  schwelgerischen,  zerrissenen,  erobernden, 
tyrannisch  regierten  Syrakus.  Dort  in  der  sizilisch-italischen  Sphäre 
war  die  Philosophie  in  den  Pythagoreern  der  Herrschaft  am  nächsten 
gekojnmen,  war  das  Hellenentum  am  weitesten  ausgeschritten  in  moral- 
politischer Reform  und  am  weitesten  in  schwelgerischer  Immoralität,  zu 
der  größten  Tyrannis,  meint  Plutarch  (Dion  50),  die  jemals  aufgekommen; 
dort  grenzten  die  Gegensätze  am  schärfsten  aneinander,  dort  wurde  die 
Staatsfrage  zur  Charakterfrage,  ob  der  jüngere  Dionys  dem  Vorbild  des 
älteren  folgte  oder  dem  des  Archytas  und  dem  Rate  des  Piaton  und 
Dion.  Wie  der  Mann  so  der  Staat  —  das  Prinzip  des  platonischen 
„Staates"  mußte  dort  in  die  Augen  springen.  Der  „Staat",  der  im 
Hause  eines  ausgewanderten  Syrakusiers  und  in  Gegenwart  des  Lysias, 
eines  Mahnredners  gegen  die  sizilische  Tyrannis  spielt,  der  ferner  vom 
Tyrannenverfechter  Thrasymachos  bis  zum  Unterweltsmythus,  wo  die 
schlimmsten  und  meisten  Verdammten  Tyrannen  sind  (615  CD)  und  in 
der  größten  Tyrannis  das  schlimmste  Los  erwählt  wird  (619 BC),  als 
Gegensatz  von  Vernunft  und  Begierde,  Tugend  und  Laster  den  Gegen- 
satz von  Weisenherrschaft  und  Tyrannis  behandelt,  dieser  „Staat"  ist 
geboren  aus  dem  Ringen  des  Philosophen  mit  der  sizilischen  Tyrannis, 
aus  dem  Ringen  von  politischer  Hoffnung  und  Verzweiflung,  wie  es  in 
seiner  Seele  gerade  durch  den  jüngeren   Dionys  erregt  wurde. 

Piaton  bekennt  es;  er  sieht  eine  Aussicht  für  seinen  Staat,  wenn 
sich  den  Scihncn  jetziger  Herrscher  oder  ihnen  selbst  eine  wahre  Liebe 
zu  wahrer  Philosophie  eiuHößen  ließe  (499 BC).  Man  hat  diese  Stelle 
})ereits  auf  den  jüngeren  Dionys  bezogen  (Hirmer,  Jahrb.  f.  Philol. 
Suppl.  23.66^S),   auf  die  Zeit,   da  er  als    Kronprinz  philosophische  Hofl*- 


—     307     - 

nungeil  weckte,  und  damit  den  „Staat"  schon  mindestens  ans  „Ende 
der  siebziger  Jahre"  gerückt.  Aber  der  junge  Dionys  weckte  als  Kron- 
prinz, der  er  übrigens  und  gerade  für  Dion  wohl  nicht  unbestritten  war 
(Plut.  6),  gerade  keine  philosophischen  Hoffnungen,  sondern  lebte  in 
völliger  Unbildung,  in  banausischer  Beschäftigung,  von  jedem  Verkehr 
abgeschlossen,  an  Charakter  verkrüppelt  (ib.  9  f.)  und  begann  seine 
Regierung  höchst  unphilosophisch  (ib.  8),  bis  Dion  in  ihm  Geschmack 
an  Wissenschaft  und  überhaupt  edlere  Interressen  entzündet  und  damit 
erst  die  Hoffnungen  weckt,  die  Piaton  nach  Sizilien  führten  (ib.  Î)  ff.). 
So  weist  die  Stelle  erst  auf  den  regierenden  Dionysius  junior,  der  ja 
auf  dem  Thron  doch  immer  nur  der  Sohn  blieb,  —  und  man  vergesse  nicht, 
daß  hier  Piaton  von  den  Söhnen  der  Herrscher  „oder  ihnen  selbst" 
hoffnungsvoll  spricht,  was  er  gewiß  vom  älteren  Dionys  nicht  getan 
hätte.  Auch  473  D  hofft  er  auf  die  jetzigen  Herrscher  selbst,  aber  nur 
wenn  sie  (pi/.oao(fi'jGOJoi  yvr^mojg  te  y.ai  ly.avüz,  und  ähnlich  doch  schon 
an  der  genannten  Stelle  499  ßC:  wenn  ihnen  „wahre  Liebe  zur  wahren 
Philosophie"  eingeflößt  werden  könnte.  In  diesen  Wendungen  khngt 
es  deutlich  durch,  als  hätte  Piaton  bereits  auf  der  2.  sizilischen  Reise 
das  schwankende  Dilettieren  des  jungen  Herrschers  erfahren,  der  sich 
zu  den  Philosophen  rechnete  und  der  bald  sich  Piaton  mit  begeisterter 
eifersüchtiger  Hingebung  in  die  Arme  warf,  bald  dem  ja  auch  wissen- 
schaftlichen Apologeten  der  Tyrannis  Philistos  (Plut.  11.36)  folgte  oder 
sein  Bedürfnis  nach  Sokratik  lieber  von  Aischines  oder  Aristipp  stillen  ließ. 
Und  ums  noch  deutlicher  zu  machen,  spricht  Piaton  es  502  A  B  noch  einmal 
aus,  daß  es  wohl  philosophisch  angelegte  Thronerben  geben  könne,  daß  diese 
zwar  fast  notwendig  verdorben  werden  müßten,  daß  aber  doch  einer  einmal 
gerettet  werden  könnte,  der  dann  genüge  den  Idealstaat  in  die  Wirk- 
lichkeit zu  übersetzen.  Der  dies  schrieb,  kannte  einen  solchen  Thron- 
erben, kannte  bereits  seine  Gefahren  und  Verderbnisse.  Der  dünne 
HoÖnungsfaden,  der  in  Piatons  Seele  die  reale  Möglichkeit  seines  Ideal- 
staats hält,  heißt  Dionys  d.  J.,  der  zeitweihg  wenigstens  sich  philosophisch 
zeigte  und  leise  Hoffnung  bot  seinen  Verderbnissen  /u  entrinnen.  In 
der  Hoffnung  durch  diesen  einzigen  Mann  ganz  Sizilien  moralpolitisch 
zu  retten,  sagt  Plutarch  (Dion  11),  ist  Piaton  dem  Ruf  nach  Syrakus 
gefolgt,  und  er  hat  trotz  aller  Enttäuschung  auch  nachher  den  jungen 
Herrscher  und  seine  Freundschaft  nicht  ganz  aufgegeben. 

An  Dionys  IL  erkannte  Piaton,  daß  das  Heil  der  Staaten  ein 
Charakterproblem  ist,  daß  es  der  Reform  mehr  noch  am  Haupt  als  an 
den  Gliedern  bedarf.  Es  galt  den  Tyrannen  in  einen  König  zu  wandeln 
—  so  berichtet  Plutarch,  so  sagen  es  die  platonischen  Briefe,  und  das 
IX.  Buch  des  „Staats"  spiegelt  es  wieder  in  der  Antithese  und  Glücks- 
konkurrenz des   königlichen  und    des    tyrannischen  Mannes   und  Staates 


—     308     — 

(576  D  E  580  BC  587),  und  der  Schlußmythus  predigt  eindringlich: 
Tyrannis  ist  nicht  Glück  und  Schicksal,  sondern  Unheil,  verwirkt  aus 
eigener  Wahl  und  Schuld.  Also  wähle,  Herrscher,  und  wenn  du's  nicht 
kannst,  laß  dich  beraten.  Darum  schwankt  im  „Staat"  wie  in  den 
Briefen  das  Ideal  zwischen  Königtum  und  Aristokratie  —  vgl.  den  Vor- 
schlag des  Mehrkönigtums  im  8.  Brief.  Es  klingt  hei  entfernter  Hoff- 
nung doch  schon  im  „Staat"  die  Enttäuschung  der  2.  Reise  und  kein 
rechtes  Vertrauen  mehr  durch  zur  absoluten  persönlichen  Monarchie, 
und  gerade  der  haltlose  Jüngling  auf  dem  syrakusischen  Thron  gab  die 
Folie  zum  festen  Altersregiment  des  „Staates".  Dabei  war  dem  jungen 
Dionys  philosophischer  Sinn  nicht  abzusprechen  —  und  darum  stehen 
schwere  Erfahrungen  hinter  den  wiederkehrenden  Lehren  des  „Staats", 
daß  gerade  begabte  und  philosophische  Naturen  am  leichtesten  und 
schlimmsten  und,  wenn  sie  Thronerben  sind,  fast  notwendig  verdorben 
würden  (491  494  f.  502  A  519  A  B),  daß  gerade  verdorbene  philosophische 
Naturen  den  Staaten  das  größte  Unheil  bringen  (495  B),  daß  zur 
Empfänglichkeit  Festigkeit  kommen  müsse  (503  C),  und  daß  wer  sich 
nicht  selbst  beherrschen  könne,  sich  beherrschen  lassen  solle  zum  Heil 
des  Staates  (590  C  ff.,  vgl.  die  Mahnung  an  den  jüngeren  Dionys 
ep.  VII 331  Ef.)  Die  Erfahrungen  mit  dem  jüngeren  Dionys  sprechen 
aus  dem  „Staat",  die  Enttäuschungen  der  zweiten  Reise,  die  noch  eine 
letzte,  abstrakte  Hoffnung  ließen  und  nun  zum  Ausbau  der  frommen 
Wünsche,  zur  Aussprache  der  in  Syrakus  nur  halb  vernommenen  und 
schlecht  beherzigten  Staatsmoral,  der  unerfüllten  Reformpläne  trieben  — 
vielleicht  als  Programm  für  Dion,  als  er  im  Kreise  der  Akademie  lebte, 
vielleicht  auf  seine  oder  anderer  Schüler  Anregung ^  Speusipp  hatte 
Piaton  nach  Syrakus  begleitet,  und  seit  dem  Regierungsantritt  des 
jüngeren  Dionys  zieht  ein  wachsender  politischer  Geist  in  die  Akademie, 
der  sie  schließlich  Schwerter  schleifen  ließ  zum  Kampf  für  Dion.  Im 
Jahre  367  erst  begannen  Piatons  Hoffnungen  zu  spielen,  und  ohne  alle  Aus- 
sicht auf  mögliche  Verwirklichung  —  das  bekennt  er  sehr  entschieden 
499  502  AB  540  E  —  hätte  er  den  „Staat"  nicht  geschrieben.  So 
trifft  alles,  was  von  eigenen  Erlebnissen  und  Stimmungen  im  „Staate" 
anklingt,  mit  den  früher  gekennzeichneten  Zügen  dahin  zusammen,  den 
„Staat"  als  Alterswerk  zu  erweisen. 


Bei  all  dem  Gesagten  ging  ich  von  der  Kompositionseinheit  des 
platonischen  „Staates"  aus.  Oder  vielmehr,  es  war  ein  indirekter  Selbst- 
beweis dieser  Einheit,  daß  keine  Gegeninstanz  heraussprang  und  Zitate 
aus  den  verschiedensten  Büchern  sich  zwanglos  zusammenschlössen. 
Aber  ich    möchte    auch   positiv   diese  Einheit   vertreten.     Daß  im  Jahr- 


—     309     — 

hundert  des  Evolutionismus  eine  genetische  Auffassung  des  „Staates"  auf- 
kam, daß  dem  historisch-naturaUstisclien  Zeitgeist  des  späteren  19.  Jahr- 
hunderts der  „Staat"  nicht  gebaut,  sondern  gewachsen  schien,  war 
lehrreicher  für  die  Zeit  als  für  den  „Staat".  Man  zerlegte  ihn  und 
reihte  die  Stücke  hintereinander,  Analyse  mit  Genese  verwechselnd. 
Und  es  war  leicht  aus  dem  „Staat"  ein  Mosaik  zu  machen;  ein 
sokratischer  Dialog  über  die  Gerechtigkeit,  eine  Idealstaatsschilderung, 
eine  Wissenschaftslehre,  eine  politisch-moralische  Dekadenzentwicklung, 
eine  Literaturkritik,  eine  Eschatologie  —  welch'  unlogischer  Kopf  hat 
dieses  Sammelsurium  schichtweise  abgelagert!  Gerade  genetisch,  wo 
das  Ganze  aus  den  heterogensten  Teilen  zu  erklären  wäre,  ist  der 
„Staat"  unverständlich;  nur  logisch,  wenn  das  Ganze  die  Teile  bindet,  ist 
seine  Anlage  erklärbar. 

Man  stritt,  ob  das  bindende  Thema  der  Staat  oder  die  Gerechtig- 
keit sei.  Man  zählte  also  Piaton  zu  den  kleinen  Denkern,  denen  der 
nackte  Stoff  der  Form  vorausgeht,  die  sich  zum  Thema  ein  Gebiet 
wählen,  das  man  etwa  in  einem  Kolleg  behandelt,  und  nicht  zu  den 
großen  Denkern,  die  schreiben  um  eines  Dogmas  willen.  Das  Thema 
des  „Staats"  ist  nicht  ein  Stoffgebiet,  sondern  eine  These,  ein  Satz,  in 
dem  der  Staat  Subjekt  und  die  Gerechtigkeit  Prädikat  ist.  Nun  streite 
man  doch,  ob  zu  einem  Satze  das  Subjekt  oder  das  Prädikat  nötiger 
ist!  Gerechtigkeit  und  Staat  sind  verbunden  vom  ersten  Buch,  wo 
Thrasymachos'  Tjrannenrecht  diskutiert  wird,  bis  zum  letzten,  wo  der 
Tyrann  im  Jenseits  die  Strafe  des  Ungerechtesten  leidet.  Man  ließ  sich 
durch  Piatons  künstlerische  Einkleidung  täuschen  und  meinte,  er  wolle 
von  der  Gerechtigkeit  reden,  verfalle  dann  auf  die  Analogie  des  Staates 
als  Erkenntnismittel  der  Gerechtigkeit;  dann  wachse  ihm  das  Staats- 
thema über  den  Kopf,  das  Erkenntnismittel  werde  zum  Selbstzweck, 
und  endlich  müsse  er  wieder  in  das  Gerechtigkeitsthema  einlenken, 
dazwischen  Weiteres  nach  wechselndem  Bedürfnis  einschichtend. 

Jene  Theorien  erscheinen  mir,  um  sie  zusammenzunehmen,  nicht 
anders,  als  behauptete  man  von  einem  Dramatiker,  er  habe  erst  den 
ersten  Akt  als  selbständiges  Drama  erfunden  (Buch  I),  event.  noch  mit 
dem  Schluß  des  fünften  Akts  (2.  Hälfte  des  X.  Buchs);  femer  sei  der  zweite 
Akt  selbständig  erschienen  (BuchlP/s  bis  IVV2),  vielleicht  sogar  zuerst 
als  des  Gellius  duo  lere  libri  oder  auch  zusammen  mit  dem  vierten  Akt 
(Buch  VIII.  IX);  weit  später  seien  dann,  auch  wieder  einzeln,  der 
dritte  Akt  (Buch  V,  VI,  VII)  und  der  letzte  oder  dessen  erste  Hälfte 
hinzugeschrieben  worden.  Und  man  deutete  so  als  mechanisches  Konglo- 
merat, was  organisch  als  echtes  Drama  herausgedacht  ist.  Wie  im 
echten  Drama  antworten  sich  erster  und  letzter  Akt,  dort  festliches 
Leben  und  Jugendtreiben,    hier  Tod   und  Gericht,  dort   die  Exposition, 


—     310     — 

die  ira  dramatischen  Crescendo  das  Problem  spannt,  den  Knoten  schürzt 
bis  zu  den  Glaukon-  und  Adeimantosreden,  hier  Lösung  des  Knotens 
Faden  für  Faden,  im  Vorzug  des  Grerechten  vor  dem  Ungerechten,  erst 
an  sich,  dann  im  Glückslohn  im  Leben  und  schließlich  im  Tode.  An 
anderer  Stelle  möchte  ich  das  erste  Buch  deuten  und  zu  zeigen  suchen, 
daß  es  als  reines  Vorspiel  nie  selbständig  sein  konnte,  wozu  man  es 
nur  aus  gar  zu  naher  Parallelisierung  mit  den  anderen  Tugenddialogen 
zu  machen  suchte,  deren  Frühdatierung  übrigens  auch  willkürlich  ist 
fvgl.  Festschrift  z.  Ehren  Heinzes  1905  S,  79.)  Diese  andern  Dialoge  be- 
weisen oder  vielmehr  widerlegen  mit  ernsthaften  Argumenten  und  geben 
wenigstens  ein  kritisches  Resultat,  mit  dem  sie  selbständig  hinausgehen 
können.  Reji.  I  aber  giebt  gar  kein  Resultat,  da  es  auffallend  und 
bewußt  sophistisch  beweist  (was  man  schon  vielfach  gesehen)  und  dem- 
gemäß alles  positiv  wie  negativ  Bewiesene  am  Schluß  ausdrücklich  wieder 
zurücknimmt.  Seine  naiôid  ist  nur  der  Anreiz,  der  die  anovöi]  der 
späteren  Bücher  hinter  sich  fordert. 

Wie  im  echten  Drama  entsprechen  sich  ferner  2.  und  4.  Akt 
als  Aufstieg  und  Abstieg  (Buch  II  ff,  und  Buch  VIII  f.),  und  wer  die 
Bücher  V  ff.  als  Nachtrag  herausschneidet,  nimmt  dem  Drama  den 
dritten  Akt,  den  Höhepunkt,  ja  den  eigentlichen  Sinn.  Zunächst  ist  zu 
erwägen,  daß  die  ôdôç  ävo)  und  die  ööbc,  Tidro)  sich  bedingen  ;  der  Aufstieg 
des  Philosophen  bis  zur  Höhe  des  Ideals,  bis  zur  Sanktion  durch  die 
Idee  des  Guten  in  den  mittleren  Büchern  ist  gerade  so  notwendig  wie 
der  Abstieg  in  der  Skala  bis  zum  Tyrannen.  Denn  der  Sinn  des  „Staats" 
ist  der  Ringkampf  des  Philosophen  mit  dem  Tyrannen,  und  darin  zeigt 
er  sich  wieder  als  der  mächtige  Niederschlag  der  zweiten  sizilischen 
Reise,  die  Piaton  zum  aktiven  Politiker  machte.  Wir  müssen  deshalb 
das  Dogma  des  „Staates"  zur  Antithese  erweitern;  es  ist  der  Sieg  des 
gerechten  Staates  d.  h.  des  philosophischen  über  den  ungerechten  d.  h. 
den  tyrannischen.  Ohne  die  Folie  des  Tyrannenstaats  hätte  Piaton  nie 
seinen  Idealstaat  geschrieben.  Die  Extreme  bedingen  sich  hier,  und  so 
bedingen  sich  wie  Licht  und  Schatten  die  Schilderungen  in  den  Büchern 
II  ff.  und  VIII  ff.  Die  drei  letzten  Bücher  des  „Staats"  sind  schon  im 
Programm  des  Werks  gefordert.  Mit  dem  Anfange  des  zweiten  Buchs 
ist  die  Aufgabe  gestellt  ebenso  das  Wesen  der  Ungerechtigkeit 
wie  der  Gerechtigkeit  zu  schildern  und  Beide  in  Wert  und  Glück  kon- 
kurrieren zu  hissen.  Die  pohtischen  Verfallstypen  sind  in  der  Mehrheit 
der  Stände,  damit  in  den  verschiedenen  Herrschaftsmöglichkeiten  schon 
angelegt,  und  die  Gefahren  umstehen  von  Anfang  an  den  Idealstaat, 
der  sich  emporarbeitet  aus  der  aufgeschwemmten  Stadt,  aus  dem  begehr- 
lichen Erwerbsstaat  und  aus  dem  leicht  in  unmusisclie  Einseitigkeit  ver- 
fallenden Kriegsstaat  /um  IMiilosophenstaat.  Die  Skala  des  Abstiegs 
ist  schon   im    II.    lincli,  im  Aufstieg  angelegt. 


—     .Sil      — 

Platon  will  weder  bloß  die  Gerechtigkeit  definieren ,  wobei  der 
Staatsbau  zum  Erkenntnismittel  oder  zur  überwuchernden  Metapher 
herabsinkt,  noch  will  er  bloß  einen  idealen  Staat  bauen,  wobei  wieder 
die  Gerechtigkeitsfrage  als  bloßer  Anlaß  zurücktritt.  Piaton  will  von 
Anfang  an  den  gerechten  Staat  dem  ungerechten  gegenüberstellen,  Piaton 
ist  hier  weder  Ethiker  mit  politischer  Episode  noch  Politiker  mit  ethischem 
Anlaß,  sondern  der  Sinn  des  „Staates"  ist  die  Einheit  von  Ethik  und 
Pohtik.  Das  Politische  ist  von  Anfang  an  ethisch,  das  Ethische  politisch. 
Es  ist  nicht  wahr,  daß  der  platonische  Staatsbau  realistisch  beginnt, 
historisch  sich  entwickelt.  Der  Staat,  der  den  Schuster  früher  als  den 
Hirten  und  Jäger  hat.  der  Staat,  der  rein  aus  der  Arbeitsteilung  ent- 
steht, ist  eine  Konstruktion  und  zwar  bewußt  in  der  Tendenz,  die  otxsio- 
nqayia.  in  der  schliesslich  die  Gerechtigkeit  gefunden  wird,  schon  als 
Staatsanfang  zu  setzen.  Die  Gerechtigheit  ist  also  nicht  nur  Erkenntnis- 
ziel, sondern  schon  Voraussetzung  des  Staatsbaus.  Das  Politische  ist  von 
Anfang  an  ethisch,  aber  auch  umgekehrt.  Der  Staatsbau  ist  nicht  nur  ein 
Erkenntnismittel,  eine  Metapher  der  Gerechtigkeit,  sondern  die  Gerechtig- 
keit ist  als  solche  i^olitisch,  eine  Ständetugend,  die  Seele  des  Einzelnen 
ist  eine  Mikropolis.  In  der  staatlich  gegliederten  und  geordneten  Seele 
allein  sind  erst  die  Tugenden  möglich  und  faßbar,  deren  sonst  versuchte 
Erfassung  die  platonischen  Tugenddialoge  widerlegen.  Die  Politik  löst 
hier  die  Rätsel  der  Ethik  wie  die  Ethik  das  Problem  der  Politik.  Die 
Einheit  von  Seele  und  Staat  ist  ja  nur  zugleich  Begründung  und  Aus- 
druck der  Einheit  von  Moral  und  Politik,  denn  die  Moral  ist  nun  einmal 
seelisch,  und  jene  Einheit  bedeutete  eben,  dass  die  Politik  eine  Charakter- 
frage war.  und  das  wurde  sie  in  der  Frage,  ob  der  Philosoph  oder  der 
Tyrann  auf  dem  Thron  saß.  In  Syrakus  zeigte  es  sich,  daß  Seele  und 
Staat  eins  sind,  daß  die  gerechte  Herrscherseele  den  Staat  retten,  die 
ungerechte  ihn  ruinieren  mußte.  Syrakus  gab  erst  die  Größe  des  Pro- 
blems, die  Macht  des  Exempels  für  den  Grundgedanken  des  platonischen 
„Staats". 

Aber  die  Einheit  von  Staat  und  Gerechtigkeit,  von  Moral  und 
Politik  war  Programm,  war  Konstruktion.  Der  Tyrann  hatte  die  Wirk- 
lichkeit, der  Philosoph  das  Ideal.  Und  das  Ideal  mußte  verankert  werden 
in  der  Denkbarkeit,  in  der  prinzipiell  theoretischen  Gültigkeit,  da  es  die 
konkrete  praktische  Gültigkeit  nicht  für  sich  hatte.  Und  darum  bedarf 
der  Idealstaat  der  Festigung  des  Ideals  in  der  Ideenlehre.  Ohne  diese 
Festigung  von  oben  her.  d.  h.  ohne  das  VI.  und  VII.  Buch  hängt  der 
platonische  Staat  in  der  Luft.  Die  Idee  des  Guten  ist  der  wirkliche 
König  dieses  Staates.  Daß  die  Idee  des  Guten  herrsche,  ist  ja  nur  der 
abstrakteste,  akzentuierteste,  letzte  Ausdruck  dafür,  daß  alle  Herrschaft 
moralisch   sein    müsse    und    daß    die  Moral    zur  Herrschaft  berufen  sei; 


—     312     — 

kurz  die  Herrschaft  der  Idee  des  Guten  ist  die  prinzipielle  Sanktion  für  die 
Einheit  von  Politik  und  Moral.  Die  Hegemonie  der  Idee  des  Guten  in 
der  Ideenlehre  spiegelt  wohl  schon  das  Politischwerden  Piatons;  sie 
macht  auch  die  Ideenwelt  zu  einem  geordneten  Staat,  die  Metaphysik 
selber  wird  politisch,  damit  die  Politik  ihr  Ideal  metaphysisch  begründen, 
aus  dem  Absoluten  ableiten  kann,  —  und  dieser  Zentralnerv  des  platonischen 
Staats  soll  spätere  Zutat  sein? 

Der  Staat  ist  konstruiert,  ist  deduktiv  abgeleitet,  von  oben  her 
bestimmt;  das  Volk  ist  nur  der  gleichgültig  behandelte  Ernährer  des 
Wehrstands;  der  Wehrstand  ist  nur  der  Helfer  der  Philosophen,  die 
Philosophen  nur  die  Schauer  der  Ideen,  der  Staat  nur  die  Lebensver- 
wirklichung der  Ideen,  die  Hineinbildung  von  Ewigkeitswerten  ins  Leben. 
Die  Philosophenherrschaft  ist  ja  nur  die  Ideenherrschaft.  Oder  ist  der 
platonische  Philosoph  nicht  leer  ohne  die  Ideen  ?  Und  die  Philosophen- 
herrschaft steht  da  als  der  Kern  des  platonischen  Staats  und  ist  schon  sein 
Keim,  daher  auch  vom  7.  Brief  (p.  325  A)  in  vaticinatio  post  eventum  als 
frühes  Leitprinzip  herausgehoben  ^),  Ist  nicht  die  Ideenlehre  selber  schon 
das  Herrentum,  die  Inthronisierung  der  sokratischen  Begriffe  ?  Mit  der 
Ideenlehre  und  der  Staatsfrage  ist  für  Piaton  die  Philosophenherrschaft 
gegeben.  Aber  als  echter  Lehrer  und  Künstler  führt  er  nun  seinen 
„Staat"  nicht  deduktiv,  nicht  von  der  Zentralidee  aus  vor,  aus  der  er  in 
seinem  Kopf  geboren  war,  sondern  epagogisch  auf  die  Zentralidee  hin. 
Ich  will  nicht  all  das  Treffliche  wiederholen,  wodurch  Hirzel,  Th.  Gomperz, 
Natorp  u.  a.  hier  die  methodische  Kunst  Piatons  aufdecken;  vor  allem 
im  Aufstieg  vom  Leichtesten  zum  Schwierigsten.     Die  mittleren  Bücher 


1)  Daraus,  daß  nach  der  dortigen  Äußerung  Piaton  den  Rep.  V  478  D  fixierten 
Gedanken  des  Philosophenköuigtums  bereits  bei  der  ersten  italisch-sizilischen  Reise 
gehabt  habe,  vermag  ich  weder  mit  Zeller  zu  folgern,  daß  der  7.  Brief  unecht  sein 
muß,  noch  mit  Blaß,  daß  Piaton  damals  bereits  die  einschlägige  Partie  des  „Staats" 
veröffentlicht  haben  müsse.  Weshalb  auch  veröffentlicht?  Der  7.  Brief  sagt  davon 
nichts.  Und  ist  es  nicht  so  natürlich,  daß  Piaton  retrospektiv  die  erste  Reise  als 
Bestimmung  im  Lichte  der  späteren  sah,  und  daß  er  das,  was  ihm  vielleicht  damals 
als  Ahnung  vorschwebte,  nachträglich  schärfte  zu  dem  klassischen  Ausdruck,  den  er 
später  gefunden?  Daß  er  aber  damals  nicht  einmal  vor  Dion  sich  beuyiißl  als  Staats- 
reformer gab,  meldet  derselbe  7.  Brief  327  A.  Zudem  ist  ja  gerade  die  das  Philosophen- 
königtum verkündende  Partie  des  „Staats"  diejenige,  die  von  seinen  genetischen  Zer- 
teilem  als  späteste  behauptet  wird,  auch  von  Blaß  selbst,  der  übrigens  ebendort  (Att. 
Bereds.  IlJ2..H8()rt.)  mit  Lutoslawski  den  „Staat"  der.'i.  (vorletzten)  Schriftenperiode  Piatons 
zuweist  und  (ib.  .889)  selbst  beachtenswerte  Kennzeichen  nur  für  den  späteren 
Stil  Piatons  im  „Staate"  aufweist.  Und  doch  soll,  was  zur  Gelliusnachricht,  was  zum 
I^kklcsiazusenspott  und  was  zu  jener  Äusserung  im  7.  Brief  paßt,  früh,  vorder  1.  Reise, 
also  vor  dem  40  Lebensjahr,  veröffentlicht  sein?  Dann  liat  Platon  das  meiste  des  ,,Staats" 
zweimal  veröffentlicht.  Alle  genetischen  Theorien  führen  so  zu  Verdoppelungen  des 
.,Staats"  und  sind  schon  dadurch  bedenklich. 


—     813     — 

(Vff.)  bringen  nicht  Nachträge,  Einschiebsel,  sondern  die  schwersten  Kraft- 
proben des  Staatssystems,  die  großen  „Wellen",  die  es  überwinden  muß, 
die  härtesten  Paradoxieen,  die  den  Staat  erst  ganz  zum  Idealstaat  machen  : 
den  extremen  Sozialismus  in  der  Aufhebung  der  Familie  und  noch  para- 
doxer die  Philosophenherrschaft.  Wären  dies  bloße  Nachtrüge,  so  hätte 
es  Piaton  bequem  gehabt  sie  im  III.  und  IV.  Buch  an  den  entsprechen- 
den Stellen,  die  er  ja  angibt  (414  A  42:-J  E  f.j,  ohne  sichtbare  Vernie- 
tung einzufügen.  Aber  gerade,  daß  er  besondere  Teile  aus  ihnen  macht, 
zeigt,  daß  sie  planmäßig  herausgehoben  und  nicht  nachträglich  einge- 
schoben sind.  Piaton  führt  seinen  Staat,  den  er  von  oben  her  erfaßt, 
der  wie  kein  andrer  Staat  Leitung  von  oben  ist,  von  unten  herauf  vor, 
erst  den  Nährstand,  dann  den  Wehrstand,  zuletzt  den  Lehrstand,  dessen 
Herrschaft  doch  der  Angelpunkt  des  platonischen  Staatsbaus  ist.  Wer 
da  meint,  daß  dieser  Ausbau  des  herrschenden  Lehrstands  nachträglich 
eingeschoben  sei,  der  kehrt  den  Sinn  des  ganzen  Staatsbaus  um,  der 
nimmt  dem  Staat  den  Kopf  und  mehr,  der  macht  Piaton  zum  Phantasten, 
denn  er  mutet  ihm  zu,  daß  er  einen  Staatsplan  entworfen,  ohne  über 
dessen  Möglichkeit  nachzudenken  oder  für  sie  einzutreten.  Denn  aus- 
drücklich erklärt  Piaton,  daß  diese  Möglichkeit  steht  und  fällt  mit  der 
Philosophenherrschaft;  also  die  zur  Verwirklichung  nötige  Einsicht  in 
diese  Möglichkeit  fordert  die  Rechtfertigung  und  systematische  Einführung 
der  Philosopheuherrscher  :  der  Philosoph  allein  wirkt  das  Heil  in  der 
Einheit  von  Staat  und  Moral,  der  Tyrann  wirkt  das  Gegenteil  —  in 
diesem  Gedanken  sind  alle  Teile  des  Staats  begründet. 

Aber  macht  hier  nicht  die  Kunstkritik  in  der  ersten  Hälfte  des 
X.  Buches  eine  Ausnahme  ?  Ich  bekenne,  daß  sie  mir  lauge  eine  hinein- 
geworfene Zutat,  ein  fremder,  schwer  verdaulicher  Brocken  schien  in 
der  klaren  Speisenfolge,  die  Piaton  selbst  von  seinem  „Staate"  fordert 
(354  A  B,  vgl.  den  Bewirtungsvergleich  auch  im  Rückblick  auf  den 
., Staat"  in  der  Einleitung  des  Timaios).  Auch  Zeller,  sonst  von  der  Ein- 
heit des  „Staates"  überzeugt,  sieht  hier  allein  einen  Nachtrag.  Aber 
der  eine  kleine  Riß  erweitert  sich  sogleich  zu  Konsequenzen,  die  den 
geschlossenen  Bau  erschüttern.  Zeller  kann  sich  den  Nachtrag  nur  er- 
klären als  Antwort  auf  Angriffe,  die  Piatons  Literaturkritik  im  IL  und 
III.  Buch  erfahren  habe,  woraus  folge,  daß  diese  Bücher  früher  ver- 
öffentlicht sein  müssen.  Damit  ist  der  „Staat"  zerrissen,  ohne  daß  der 
Einschub  an  dieser  Stelle  begründet  wäre;  und  schHeßlich  antworten 
konnte  Piaton  auch  besser  in  einer  andern  Schrift,  bevor  er  hier  in  sein 
Kunstwerk  bineinflickte.  Aber  wir  brauchen  ja  keinen  fremden  Angriff 
und  keine  frühere  Veröffentlichung  der  ersten  Bücher,  um  zu  erklären, 
warum  Piaton  noch  einmal  auf  die  Kunstkritik  zurückkommt.  Was  er 
hier  im  X.  Buch  sagt,    konnte  er  ja  im  IL  und  III.  nicht   sagen,    weil 


—     314     — 

es  sogleich  mit  der  Ideenielire  argumentiert,  die  dort  noch  gar  nicht 
eingeführt  war  ;  vor  allem  aber  beginnt  ja  Piaton  selbst  die  Wiederauf- 
nahme des  Literaturthemas  hier  X  595  A  B  mit  der  Erklärung,  daß 
erst  durch  die  (im  IL  und  III.  Buch  noch  unbekannte)  Dreiteilung  der 
Seele  die  Verbannung  des  Dramas  deutlich  begründet  Averde.  Damit  hat 
er  ja  selber  die  Bückkehr  zu  jenem  Thema  genügend  begründet.  Oder 
sollte  er  nicht  die  V  erantwortung  gefühlt  haben,  seine  ungeheure  kunst- 
feindliche Paradoxie  mit  vollständiger  Deutlichkeit  zu  begründen  ? 

Es  ist  auch  weiter  verständlich,  warum  Piaton  diesen  nun  einmal 
erst  in  späteren  Büchern  möglichen,  rein  negativen  Abschluß  der  Literatur- 
kritik zurückschiebt  bis  ans  Ende  des  negativen  Teils,  der  politisch- 
moralisch absteigenden  Skala.  Das  Drama  gehört  ihm  in  die  Dekadenz, 
die  er  bis  zur  Tyrannis  hinabgeführt.  Er  sieht  im  Drama  wie  in  der 
Tyraunis  die  Hypertrophie  der  Leidenschaft,  die  Ümkehrung  der  idealen 
Seelenkonstitution,  die  Stachelung,  ja  die  äußerste  Forcierung  der  Lüste 
und  Affekte,  die  Inthronisation  des  3.  Seelenteils,  der  gerade  dienen 
soll,  —  darin  liegt  das  v(m  Piaton  selber  aufgedeckte  logische  Band,  das 
die  erste  Hälfte  des  X.  mit  dem  IX.  Buch  verbindet.  Dazu  kommen 
noch  associative  Beziehungen,  ja  unterbewußte  formale  Gedankenbrücken, 
die  mir  noch  tiefer  als  der  logische  Fortgang  zu  beweisen  scheinen,  daß 
Piaton  das  X.  Buch  hinter  dem  IX.  geschrieben.  Er  hat  hier  in  der 
Tyrannenkritik  sich  eingestellt  auf  die  Methode  der  Unterscheidung  und 
Wertung  des  Originals  und  des  Abbilds,  von  dem  wiederum  ein  Abbild 
oder  Schattenbild  abfällt  (s.  nam.  IX  583  B  586  B  587  B  ff.\  Dieselbe 
Metapher  der  doppelten  „Schattenbilder"  spinnt  sich  sogleich  in  der 
Kunstkritik  des  X.  Buches  fort  (597  ff.  600  E  601  B  605  C).  Der  Tyrann, 
folgert  das  IX.  Buch,  steht  in  dritter  Potenz  mit  seinem  Schattenbild 
der  wahren  Lust  hinter  dem  König  zurück  (587  B ff.);  der  Tragödien- 
dichter, folgert  das  X.  Buch,  ist  der  dritte  Nachbildner  vom  Könige 
und  der  Wahrheit  ab  (597  E)  —  der  „König"  ist  hier  nur  als  Nach- 
klang des  IX.  Buchs  in  blinder  Gedankenassociation  zu  verstehen.  Die 
messende  Vernunft  nur  lehrt  das  Wahre  über  die  leichttrügerischen 
Lüste  —  so  predigt  das  IX.  Buch  584  ff.,  so  auch  die  Literaturkritik 
des  X.  603  Ô".  Und  Piaton  ließ  den  Tyrannenhof  (Geometrie  treiben. 
Tyrannis  und  Tragödie  monumentalisieren  die  Lüge,  appellieren  an  die 
Lüste.  Durch  die  dramatische  Muse,  sagt  Piaton  607  A,  kommen  Lust 
und  Jammer  im  Staate  ans  Regiment  statt  des  Gesetzes  —  wie  in  der 
Tyrannis.  Beide  bringen  das  Schlechte  im  Staate  zum  Siege  (605  B) 
und  erheben  das  vielgestaltige  Tier  im  Menschen  (vgl.  IX  588  ff., 
X 606  AD)  —  die  biologische  Allegoristik  der  schlechten  Lüste  im  IX.  Buch 
spielt  hier  noch  leiser  im  X.  nach. 

Wie  so  unverkennbar  Motive  des  IX.  Buchs  in  der  Literaturkritik 
des  X.  fortwirken  und  sie  mit    festen  Fäden    nach    sich    ziehen,    so    hat 


—     315     — 

sie  auch  noch  ein  sicherndes  Vorzeichen  sclion  am  Ende  des  VIIT.  Buches 
gleichsam  in  einem  Wetterleuchten,  das  ankündigt,  dali  der  Autor  tief 
der  Tragödie  grollt  und  nur  auf  den  passenden  Augenblick  wartet,  ein 
Gewitter  über  sie  entladen  zu  lassen.  Da  wird  568  A  B  der  Tnigiker- 
spruch  gebrandmarkt,  daß  die  Tyrannen  weise  seien  durch  der  Weisen 
Umgang  —  was  allerdings  dem  von  der  zweiten  Syrakusreise  Heim- 
gekehrten wie  ein  Hohn  im  Ohre  klingen  muß.  Da  werden  ib.  B  C  die 
Tragiker  aus  dem  Idealstaat  ausgewiesen  als  Lobredner  der  Tyrannis 
und  als  Verführer  zur  Tyrannis  und  Demokratie,  die  beide  deshalb  auch 
den  Tragikern  Ehren  spendeten.  Woran  denkt  hier  Piaton  V  Woher 
dieser  Groll  gerade  gegen  die  Tragödie  ?  Man  begreift  die  Verbindung 
der  Demokratie  mit  der  Tragödie,  die  der  Menge  eitle  Lust  ist 
(602  B  604  E  605  A)  und  im  demokratischen  Athen  gepflegt  ward.  Viel- 
leicht haben  damals  auch  die  Erfahrungen  mit  seiner  Choregie  (Plut. 
Dion  17)  Platon  gegen  die  manchen  Dichtern  blühende  Volksgunst  ein- 
genommen. Aber  die  Verbindung  von  Tragödie  und  Tyrannis,  ja  ihre 
innerliche  Einssetzung  in  der  Wirkung,  die  hier  und  eben  im  Anschluß 
des  X.  Buchs  an  das  IX.  zum  Ausdruck  kommt  —  wie  ist  dies  zu  er- 
klären? Ich  meine,  hier  ist  lichtgebend  die  Tatsache,  daß  der  ältere 
Dionys  ein  leidenschaftlicher  Verehrer  der  Tragiker  war,  Reliquien  von 
ihnen  erwarb,  selber  Tragödien  dichtete  (und  gerade  solche,  die  Leiden- 
schaften hochtrieben  und  Götter  und  Helden  klein  zeigten:  Adonis, 
Alkmene,  Leda,  der  wahnsinnskranke  Herakles,  den  Silen  durch  ein 
Klystier  zu  heilen  sucht),  und  endhch  daß  beiden  Lenäen  des  Jahres  367  mit 
seiner  Tragödie  "Extoçoç  Zviça  der  syrakusische  Tyrann  im  demokratischen 
Athen  den  Preis  erhielt  —  da  haben  wir  die  Ehrungen,  die  Demokratie 
und  Tyrannis  der  Tragödie  zuwenden,  da  haben  wir  den  Piaton  ver- 
haßten Sieg  der  Leidenschaft  über  Götter  und  Helden,  und  da  vor  allem 
die  faktische  Vereinigung  von  Tragiker  und  Tyrann  —  vor  dem  Jahre 
367  hat  Piaton  jene  Stelle  nicht  geschrieben.  Wenn  er  übrigens  im  X.  Buch 
so  merkwürdig  die  Kritik  der  Tragödie  mit  dem  Blick  auf  Tische  und 
Bettstellen  beginnt  und  den  Xachbildner.  bei  dem  er  vor  allem  an  den 
Tragiker  denkt,  gerade  unter  den  Tischler  herabsetzt,  so  sieht  es  fast 
aus.  als  dächte  er  an  den  jüngeren  Dionys,  der  als  Kronprinz  nur  Tische 
und  anderes  Holzgerät  zu  verfertigen  wußte  (Plut.  Dion  9),  während  sein 
Vater  Tragödien  schrieb,  und  als  solle  damit  gesagt  sein:  besser  Tischler 
als  Tragiker  !  Ich  will  es  nicht  behaupten,  ich  will  auch  nicht  auf  den 
Tragiker  Dionys  großen  Wert  legen,  aber  ein  Zufall  ist  es  doch  nicht, 
daß  ein  Tyrann,  an  rçayr/J]  Jioß^t]  gewöhnt  (577  AB),  in  der  Heimat 
der  Rhetorik,  der  Pflegstätte  der  Mimen,  in  dem  zu  allen  Zeiten  greller 
Schaustellung  und  heißer  Leidenschaft  günstigen  Sizilien  Tragödien 
schrieb  —  der  Tragödienpreis    des  Jahres  367    und   die  Erlebnisse    auf 


—     316     — 

dem  auch  politisch  vulkanischen  Boden  Siziliens  öffneten  Piaton  (mehr 
noch  als  die  Tragödien  des  Kritias)  die  Augen  über  den  innerlichen  ge- 
fährlichen Zusammenhang  von  Tyrannis  und  Tragödie  als  triumphale 
Ausgestaltungen  der  Leidenschaft  —  darum  wirft  er  hier  eine  der  andern 
auf  den  Scheiterhaufen  nach.  Der  Autor  des  Phaidon  nimmt  damit  Ab- 
schied von  seiner  künstlerischen  Vergangenheit  und  schickt  zürnend  die 
Mimen  zurück,  die  er  einst  von  Syrakus  heimgebracht. 

Es  bleibt  noch  eine  die  Einheit  des  Staates  bedrohende  Gegen- 
instanz: die  Einleitung  des  Timaios,  die  nurRep.  II  369  —  V  471  als  vorge- 
tragene Staatslehre  rekapituliert.  Als  erstes  Resultat  der  scharfsinnigen  und 
lehrreichen  Äusserungen  von  üsener-Brandt,  Zeller,  Rohde,  v.  Arnim, 
H.  Schöne,  Hirzel,  Th.  Gomperz,  Raeder,  Diels-Wendland  u.  a.  zu  dieser 
Frage  ergiebt  sich,  daß  die  Timaios-Einleitung  entweder  auf  einen  andern 
„Staat"  zurückblickt  oder  daß  die  im  wesentlichen  formalen  Abweichungen 
als  fiktive  aus  dem  Zweck  der  Rekapitulation  zu  erklären  sind  :  denn 
die  formale  Anlage  läßt  sich  nun  einmal,  da  Gesprächspersonen,  Ge- 
sprächszeit, und  Gesprächsprogramm  (auch  Gesprächsform,  s.  H.  Schöne, 
Piatons  Tetralog.  S.  6)  so  weit  differieren,  mit  unserm  „Staat"  nicht 
vereinigen.  Wird  nun  hier  ein  früherer  „Staat'"  rekapituliert,  dann  ist  der 
bösen  Konsequenz  nicht  zu  entrinnen,  daß  der  Timaios  mit  dem 
anschließenden  Kritias,  da  er  unsern  ., Staat"  noch  nicht  berücksichtigt, 
vor  ihm  geschrieben  sei,  oder  man  muß,  da  auch  die  Sprach- 
kriterien Timaios  und  Kritias  spät  setzen,  wie  einen  doppelten  „Staat", 
so  auch  einen  doppelten  Timaios  (wenigstens  eine  doppelte  Einleitung) 
und  einen  doppelten  Kritias  setzen.  Wenn  zudem  wirklich  Piaton  das  in 
der  Timaios-Einleitung  hingeworfene  Programm  einer  Tetralogie  oder 
vielmehr  Pentalogie  vor  unserm  „Staat"  ganz  erfüllen  wollte,  so  ist 
davon  nicht  viel  mehr  als  das  leere  Schema  übrig.  Der  „Staat"  hätte 
sich  losgerissen,  der  Kritias  ist  unvollendet,  der  Timaios  müsste  später 
eingeschoben  sein  (Rohde,  v,  Arnim),  vom  Hermokrates  ist  nicht  einmal 
das  Thema  da,  vom  letzten  Partner  und  Autor  eines  zu  erwartenden  Àôyoç 
nicht  einmal  der  Name.  Und  der  Plan  einer  Tetralogie  soll  Piatons  Früh- 
zeit angehören,  während  man  doch  sonst  gerade  annimmt,  daß  er  auf  die 
Verknüpfung  von  Dialogen  erst  spät,  wohl  gar  erst  durch  die  Länge  des 
„Staates"  verfiel,  womit  aber  wieder  die  Ganzheit  unseres  „Staates"  vor 
der  Timaiostetralogie  vorausgesetzt  ist! 

Oder  ist  der  rekapitulierte  „Staat"  ein  späterer,  von  dem  aber  wieder 
nichts  übrig  blieb,  da  ja  selbst  das  beim  toten  Piaton  gefundene  Wachs- 
täfelchen laut  Quintilian  und  Dionys.  Hai.  nur  den  Anfang  unseres  „Staats" 
enthielt?  Es  will  mir  scheinen,  daß  wir  einen  anderen  früheren  oder 
späteren  „Staat'*  doch  erst  in's  Leben  setzen  dürten,  wenn  der  erhaltene 
nicht  ausreicht.  Aber  ergiebt  ja  sachlich  nur  zu  viel,  da  die  Rekapitulation 


—     817     — 

kaum  drei  Bücher  befaßt.  Es  sieht  ja  wohl  wie  ein  merkwürdiges,  beweisen- 
des Zusamiiientreti'en  aus,  daß  Piaton  im  Timaios,  Aristoteles  in  seinen 
Zitaten,  vielleicht  auch  Aristophanes  in  den  Ekklesiazusen  und  Xeno- 
phon  nach  Gellius  wesentlich  2 — H  Bücher  des  „Staates"  (in  II— V)  zu 
kennen  scheinen.  Aber  erstens  bedarf's  dafür  einer  Erklärung?  Auch  im 
20.  Jahrhundert  noch  würde  ein  Schilderer  und  Kritiker  des  platonischen 
Idealstaats  wesentlich  diese  Bücher  zitieren  und  zu  kennen  scheinen,  weil  nur 
sie  ihn  positiv  darstellen,  während  das  erste  und  letzte  Buch  Prolog  und  Epi- 
log geben,  das  VIII.  und  IX.  Gegenbilder  des  Idealstaats,  das  VI.  und  VII. 
seine  prinzipielle  Krönung,  die  weit  mehr  in  die  Wissenschaft,  ja  Meta- 
physik schlägt  als  in  die  Politik.  Und  zweitens  ist's  mit  jener  Überein- 
stimmung nicht  weit  her.  Daß  die  ,. Ekklesiazusen"  den  Staat  berücksichtigen, 
ist  eine  unbezeugte  und  unbeweisbare,  nur  moderne  und  schon  unmoderne, 
höchst  vage  Hypothese.  Was  Gellius  von  Xenophon  behauptet,  glaubt  heute 
niemand,  und  selbst  wenn  an  der  Nachricht  von  den  zuerst  herausge- 
kommenen duo  fere  libri  etwas  wäre,  so  weiß  man  zunächst  nicht,  ob  es 
die  très  fere  libri  sind,  die  der  Timaios  rekapituliert;  auch  kann  der  hier 
skizzierte  Inhalt  ja  ursprünglich  ebenso  in  \/2  Buch  wie  in  6  Büchern  aus- 
geführt sein,  und  er  müßte  ja  vor  den  Gesprächspersonen  des  Timaios. 
beim  Fehlen  des  Gerechtigkeitsthemas  etc.  z.  T.  anders,  also  wohl  auch  in 
etwas  anderm  Umfang  vorgetragen  sein.  Aristoteles  ferner  weiß  nicht 
nur.  daß  Piaton  mit  dem  Idealstaat  noch  reichlich  andere  Erörterungen 
verbindet  (Pol.  II,  6.  1264b  39),  sondern  er  behandelt  ja  auch  das  VIII. 
Buch  des  „Staats"  am  Schlüsse  seines  V.,  und  wenn  ihm  noch  nicht  unser 
„Staat"  vorlag,  so  müßte  er  ja  unecht  sein.  Endlich  die  Timaioseinleitung 
will  nur  die  Hauptpunkte  der  Staatslehre  und  zwar  nur  der  vom  besten 
Staat  (eben  in  II  ff.)  rekapitulieren  (17  C  19  A)  und  kann,  da  Piaton  hier 
deren  Grundzüge  in  die  attische  Urzeit  zurückprojizieren  will,  die  Philo- 
sophenbildung natürlich  noch  nicht  brauchen,  die  auch  für  die  bloße  Vor- 
führung der  kriegführenden  Bürger  (vgl.  Tim.  19.  27  A  B),  für  die  hier 
historische  und  gerade  nicht  philosophische  Darstellung  überflüssig  ist.  — 
dies  betonen  z.T.  Zeller  und  Th.  Gomperz  mit  Recht.  So  erklären  sich  die 
Beschränkungen  der  Rekapitulation  einfach  und  völlig  genügend  aus  ihrem 
Zweck  und  rufen  nicht  nach  einem  andern  ,. Staat",  der  sich  auch  sicherlich 
stärker  in  sachlichen  Abweichungen  verraten  hätte. 

Sind  nun  die  wesentlich  dialogisch-formalen  Abweichungen  als 
solche  gar  nicht  aus  der  Einleitung  des  Timaios  selbst  zu  verstehen  ? 
Dieser  giebt  sich  äußerlich  als  Fortsetzung  eines  sokratischen  Àôyog.  der 
inhaltlich  ein  Teil  des  „Staates"  ist.  Ist  er  darum  notwendig  als  Fort- 
setzung geschrieben  oder  hat  er  —  dies  ist  zu  unterscheiden  —  viel- 
leicht nur  ein  Interesse,  Fortsetzung  zu  scheinen  ?  Man  nehme  den  Timaios  als 
anschließende  Fortsetzung  geschrieben  —  würde  Piaton  dann  so  ausführhch 


—     318     — 

rekapitulieren,  was  unmittelbar  vorher  zu  lesen  ist?  Rekapituliert  erimKritias 
oder  Sophistes  oder  Politikos,  wo  er  doch  eben  an  einen  vorangehenden 
Dialog  anknüpfen  will  ?  Und  lassen  jene  Bücher  des  „Staats",  deren  Fort- 
setzung der  Timaios  sein  soll,  ihn  wirklich  als  solche  ahnen  ?  Sie  müssen 
allerdings  wohl  etwas  anders  ausgesehen  haben,  wenn  Sokrates  das  Staats- 
gespräch statt  mit  Glaukon  und  Adeimantos  mit  den  berühmten  prak- 
tischen Politikern  des  Timaios  geführt  haljen  soll.  Oder  muß  es  nicht 
etwa  wie  die  andern  Gaben  beim  Gesprächspicknick  hier  vielmehr  ein 
Vortrag  des  Sokrates  gewesen  seii,i,  der  somit  in  einer  namentlich  für 
einen  frühen  „Staat"  doch  wohl  ungewohnten  Rolle  erscheinen  würde  ? 
Aber  weiter  denke  man  sich  die  Tetralogie  (oder  Pentalogie)  gemäß  der 
Einleitung  des  Timaios  komponiert  :  Der  Idealstaat  des  Sokrates,  die 
Kosmologie  des  Timaios,  der  Staatsmythus  des  Kritias  —  welche  Dis- 
positionslogik traut  man  Piaton  zu,  wenn  man  die  légère  nachträgliche 
Begründung  der  Redenfolge  Tim  19.27  AB,  die  nicht  einmal  das  Themades 
Hermokrates,  ja  auch  nicht  einmal  den  Namen  des  ursprünglich  auch  zur  Rede- 
spende verpflichteten,  entschuldigten  letzten  Gesprächspartners  zu  nennen 
weiß,  wirklich  zum  Kompositionsschema  macht  und  den  „Staat"  schon 
im  Hinblick  auf  Timaios  und  Kritias  konzipiert  denkt  !  Wenn  sich  nun 
zudem  noch  herausstellt,  daß  die  Einleitung  des  Timaios  vielmehr  als 
Aïitwort  auf  Angriffe  komponiert  ist,  die  der  „Staat"  erfahren,  so  ist 
damit  der  Schein  der  Fortsetzung  erklärt,  ja  gefordert  und  zugleich 
die  Wirklichkeit  der  Fortsetzung,  der  unmittelbare  und  ursprünglich 
tetralogische  Anschluß  des  Timaios  an  den  „Staat"  widerlegt,  da  ein 
fremder  Eingriff  dazwischen  liegt,  auf  den  hin  die  Anknüpfung  erst  nach- 
träglich angelegt  sein  kann. 

Man  tut,  als  ob  Piaton  uns  gegenüber  zu  treuer  Rekapitulation 
verpflichtet  wäre,  und  man  konstruiert  gemäß  dieser  Verpflichtung  einen 
andern  „Staat".  Aber  Piaton  rekapituliert  nicht,  um  uns  ein  treues 
Zeugnis  zu  liefern,  sondern  um  seine  Ijehren  zu  verteidigen.  Er 
rekapituliert,  was  er  und  wie  er  es  dazu  braucht.  Mit  keinem  Wort 
sagt  er,  daß  er  das  Gespräch  im  Hause  des  Kephalos  fortsetze,  daß  er 
seine  Staatsschrift  rekapituliere.  Er  will  seinem  Idealstaat  eine  Sanktion 
geben  und  muß  dazu  dessen  Verfassungsgrundzüge  wieder  vorführen,  da 
er  als  Dramatiker  sich  nicht  direkt  auf  eine  frühere  Schrift  berufen 
kann  -,  er  schneidet  sich  deshalb  aus  seiner  Staatsschrift  nur  die  ein- 
schlägigen Bücher  heraus  und,  was  noch  beweisender,  aus  diesen  wieder 
nur  das  Einschlägige,  nicht  z.  B.  die  Literaturkritik,  die  Gerechtigkeits- 
lehre, die  parallele  Dreiteilung  der  Seele  u.  a.,  das  dort  mit  der  Staats- 
lehre eng  verquickt  ist.  Nur  was  er  hier  voraussetzen  muß,  holt  er  sich 
so  heraus  und  steckt  es  in  den  Rahmen  eines  tingierten  Vorgesprächs  — 
und  hat  uns  nicht  Piaton  an  fiktive  Einleitungen  zur  Genüge  gewöhnt? 


—     319     — 

Das  V^erhältnis  von  „Staat"  und  Timaios  liegt  so  klar  und  einfach, 
wenn  man  nichts  anderes  dazwischen  setzt  als  die  Aufnahme,  die  Piatons 
„Staat"  finden  mußte  und  wirklich  gefunden  hat.  Ist's  nicht  selbst- 
verständlich, daß  die  Kritiker  den  Idealstaatsgründer  als  Phantasten,  als 
Laien  in  der  Politik,  als  Saul  unter  den  Propheten  hinstellten,  daß  sie 
ihn  als  unpatriotisch  brandmarkten  und  schleunigst  nach  Abhängigkeiten 
suchten  ?  Wir  wissen,  daß  seinem  „Staat"  Plagiate  (vgl.  Diog.  Laert.  III  .'{7) 
vorgeworfen  und  namentlich  nachgesagt  wurde,  daß  er  ägyptische  Ein- 
richtungen kopiert^).  Man  frage  sich,  wie  Piaton  auf  diese  Vorwürl'e  am 
l)esten  antworten  konnte,  und  man  erhält  die  Einleitung  des  Timaios. 
Ihr  nennt  meinen  Staat  einen  phantastischen  Mythus,  ein  theoretisches 
Gebilde,  das  praktisch  nicht  leben  und  sich  wehren  kann?  Ich  will  ihn 
auf  den  Boden  der  Realität,  èm  làÀrjd-éç  führen,  ich  will  zeigen,  wie  er 
lebt  und  sich  im  Kriege  entfaltet,  ich  will  ihn  genetisch  darlegen,  erst 
in  den  Naturbedingungen,  dann  in  seiner  historischen  Angelegtheit,  und 
dabei  wird  sich  der  ideale  Zukunftsstaat  schon  in  der  Urzeit  wirksam 
und  wirklich  zeigen  —  so  verkündet  es  Piaton  Tim.  19.  26  CD  27  A  B. 
Ihr  sagt  ferner,  ich  verstehe  nichts  von  Politik,  und  ihr  spottet  über  die 
Philosophenherrschaft  ?  Hier  führe  ich  euch  Männer  vor,  die  zugleich 
Philosophen  und  Pohtiker  waren  (s.  Tim.  p.  19),  und  lasse  sie  für  mich 
zeugen  ;  ihr  seht,  daß  ich  nicht  ohne  politischen  Anhalt  bin  :  Timaios 
repräsentiert  meine  pythagoreischen  Verbindungen,  Hermokrates  meine 
syrakusischen  Erfahrungen  (die  also  für  den  ., Staat"  ebenso  vorausge- 
setzt werden  wie  die  These  der  Philosophenherrschaft)  und  Kritias  meine 
Familientradition,  die,  wie  ich  euch  nun  erzählen  will,  zu  Solon  herauf- 
reicht, dem  besten  Staatsreformer,  und  ein  Mann  mit  solchen  Antecedentien 
soll  unpolitisch  sein  ?  Ihr  streitet  mir  Originalität  und  Patriotismus  ab 
und  sucht  meine  Vorbilder  in  Ägypten  ?  Aber*  meine  Weisheit  ist  weder 
importiert  noch  ererbt,  seht,  selbst  dersizilische,  der  italische  und  der  attische 
Staatsmann  hören  mir  zu,  bekennen  sich  mit  dem  „Staat"  von  mir  „be- 
wirtet" (Tim.  17)  ;  der  Pythagoreer  gab  mir,  wie  ihr  hören  werdet,  nur  seine 
Physik  ;  der  politischen  Vergangenheit  meiner  Familie  verdanke  ich  die 
heimische  historische  Tradition,  und  aus  dieser  heraus  will  ich  euch 
meinen  „Staat"  patriotisch  illustrieren  und  lasse  mir  vom  Familienheros 
Solon,  der  es  wissen  muß,  bestätigen,  daß  die  Ägypter  uns  kopiert  haben, 
nicht  ich  die  Ägypter,  und  daß  die  Bürger  meines  „Staates"  nicht 
Exoten,  sondern  Autochthonen,  unsere  eigenen  Urväter  sind  (p.  26  f.)  — 
und  Krantor,  der  erste  Piatonkommentator  bestätigt  uns  ausdrücklich, 
daß  die  Kritiaserzählung  gegen  den  Vorwurf  der  Ägypterkopie  gerichtet 

h  Vielleicht  will  auch  Xenophon  den  „Staat"  treffen,  indem  er  Mem.  III  6  den 
sich  vordrängenden  politischen  Dilettantismus  Glaukons.  des  Bruders  Piatons  und 
Hauptgesprächspartners  im  .,Staat"  in  Grund  und  Boden  kritisiert. 


—     320     — 

ist  (Proklos  im  Timäuskommentar  p.  24  E).  Dem  gegenüber  will  sich 
Piaton  hier  als  Patriot  bekennen  und  singt  den  Kritiashymnus  zu  Ehren 
der  heimischen  Göttin  zur  Zeit  der  Panathenäen. 

So  zeigen  sich  Gesprächsdatum,  Gesprächsprogramm  und  Gesprächs- 
personen der  Timaioseinleitung  erfunden  für  die  Antwort  auf  die  Kritik,  die 
der  ,.Staat"  erfahren,  aber  nicht  für  den  „Staat"  selbst.  Andererseits  ist  für 
diese  Antwort  die  im  „Staat"  gegebene  Situation  unbrauchbar^)  in  allen 
Stücken,  in  Ort  und  Zeit,  Programm  und  Personen,  Sokrates  einge- 
schlossen ;  denn  Piaton  muß  ihn  nun  abdanken,  er  muß  zeigen,  daß  er 
selber  mehr  ist  als  Sokratiker,  daß  Lebensmächte,  Traditionen,  Erfah- 
rungen und  Kenntnisse  hinter  seinem  „Staat"  stehen,  die  Sokrates  nicht 
vertreten  konnte.  Erst  aus  diesem  Bedürfnis  erwuchs  der  Gedanke  der 
übersokratischen  Tetralogie.  Sollte  nun  Piaton  unserm  Aktensinn  zuliebe 
die  Neues  erfordernde  Situation  in  die  alte  des  „Staates"  hineinzwängen? 
Was  lag  ihm  an  der  Situation  V  Er  braucht  nicht  die  Schrift,  nicht  das 
Gespräch  am  Bendideenfest,  nur  die  angegriffenen  Lehren,  und  er  steckt 
sie  nun  in  den  Rahmen  eines  fingierten  Vorgesprächs,  wie  es  den  Be- 
dürfnissen der  neuen  Situation  entspricht.  Wäre  es  wirklich  in  dieser 
Form  gehalten  und  geschrieben,  dann  brauchte  er,  wie  gesagt,  es  nicht 
zu  rekapitulieren.  Nur  gerade  weil  die  Form  neu  geworden,  muß  er  den 
alten  Inhalt,  den  er  braucht,  durch  Wiederholung  identifizieren.  So  lösen 
sich  wohl  mit  einem  Schlage  alle  Rätsel  der  Timaios-Einleitung  aus  der 
Einfügung  des  kritisierten  Lihalts  des  „Staats"  in  die  neu  geforderte 
Form  seiner  Verteidigung. 

Nur  im  letzten  Winkel  bleibt  noch  ein  dunkles  X.  :  der  anonyme 
vierte  Partner  des  Vorgesprächs.  Man  witterte  Piaton  selbst  dahinter  — 
aber  er  hat  sich  sonst  nie  als  Gesprächszeugen  genannt,  schon  darum 
nicht,  weil  er  sich  dann  nicht  mit  Sokrates  oder  sonst  dem  Protagonisten 
identifizieren  kann.  Und  wenn  er  nur  seine  Abwesenheit  entschuldigen 
will,  Avarum  nennt  er  sich  nicht  wie  im  Phaidon  ?  Nun  hat  v.  Arnim 
(vgl.  auch  Schöne  a.  a.  O.  18)  als  einzige  Instanz  gegen  Hirzels  fiktive 
Deutung  des  Vorgesprächs  diesen  Anonymus  ausgespielt,  der,  wenn 
das  Vorgespräch  nur  in  der  Rekapitulation  lebte,  eine  völlig  unnütze 
und  darum  unmögliche  Zutat  wäre.  Das  Argument  ist  fein;  aber 
wenn  er  in  einem  wirklichen  Vorgespräch  eine  Rolle  gespielt  hätte, 
wäre  dann  die  AValirung  seiner  Anonymität  hier  nicht  ebenso  völlig 
unnütz  und  darum  unmöghch  ?  So  kann  seine  Existenz  nicht  aus 
einem  wirklichen  Vorgespräch  übernommen,  sondern  nur  aus  äußerem 
Grunde  hier  eingefügt  sein,  was  aber  wieder  den  fiktiven  Charakter  des 

')  I'er  „Staat"  zeijçt  so  {^ar  nicht,  daß  er  das  kennt  und  IterücksichtiKt,  worauf 
die  Timaioseinleitung  bereits  antwortet,  —  auch  dies  si)richt  gegen  deren  frühe  Voraus- 
nähme, die  Hohde  kühn  ansetzen  muß. 


—     321     — 

Vorgesprächs  voraussetzt.  Und  wirklich  muß  ja  Piaton  noch  einen  Zeugen 
dieses  Vorgesprächs  (d.  li.  einen  Leser  des  „Staates")  setzen:  den 
Kritiker,  dem  die  Timaios-Einleitung  antwortet.  Und  pflegt  nicht  Piaton 
seine  lebenden  Gegner  zu  verhüllen  ? 

Vielleicht  aber  können  wir  ihm  das  Visier  noch  weiter  lüften.  Der 
Kritiker  stellte  Piaton  als  unpatriotischen  Plagiator,  als  Agyptomanen 
hin.  Und  erinnert  nicht  der  platonische  Ständestaat  an  den  ägyptischen 
Kastenstaat,  wie  ihii  Isokrates'  Busiris  schildert  ?  Ja,  die  Schilderung 
zeigt  eine  so  frappante  Ähnlichkeit,  daß  sie  bewußt  sein  muß  und  daß 
man  auch  bereits  die  Beziehung  dieses  Busiris  auf  Piatons  „Staat"  er- 
kannt hat,  für  dessen  Datierung  aber  damit  nichts  feststeht.  Denn  Blaß 
kann  nur  konstatieren,  daß  Isokrates  dort  „die  "Würde  eines  schon  be- 
währten Sophisten  annimmt";  daß  ferner  Lysias  gegen  den  „Sokrates"  des 
Polykrates  noch  kurz  vor  380  geschrieben  haben  muß,  hindert  natüi-lich 
Isokrates  nicht,  gegen  eine  andere  Schrift  dieses  Rhetors  1 — 2  Jahr- 
zehnte später  zu  schreiben  —  wenn  nicht  überhaupt  dieser  gegen  einen 
mit  Namen  genannten  Lebenden  damals  ungewohnt  scharfe  offene  Brief 
des  Isokrates  nur  Einkleidung  ist;  denn  es  ist  mehr  von  Philosophie  als 
von  Busiris  die  Rede.  Die  Beziehung  auf  den  platonischen  „Staat"  ist 
zweifellos,  nicht  wegen  der  bloßen  Parallelisierung  mit  der  ägyptischen 
Kastengliederung,  sondern  weil  für  diese  Isokrates  in  der  Seele  des 
Busiris  dieselbe  Begründung  gelesen  haben  will,  die  Piaton  das  Prinzip 
der  Arbeitsteilung  zur  Grundlage  seines  Stände-  und  Berufsstaats  machen 
läßt  :  àeï  rolç  avrolç  rag  avràç  ^cçâ^siç  [.leTay^iQiZeG&aL  jtQoaéza^ev  siôioç  roig 
idv  u€Taßa'/./.oufvoLg  ràg  Içycioiag  ovôl  rcçog  ïv  rtov  içyojv  ay.Qißcög  P/ovraç, 
Toig  ô'e/cl  ralg  aitalg  ^cçâBsoi  ovvcyvjg  ôutuévovrag  slg  v7CSQßoArv  ïy.aGzov 
u7COTeAoîvT6g  (Bus.  16,  vgl.  Rep.  369  D  E  37C  ABC  374  394  E  397  E 
433  A  434  A  ff.).  Damit  man  aber  nicht  zweifle,  daß  er  hier  an  den 
berühmten  Philosophen  des  „Staates"  denkt,  fährt  Isokrates,  die  technisch- 
politischen Vorzüge  der  ägyptischen  Berufsteilung  hervorhebend,  ib.  17 
fort  :  wäre  v.aï  twv  cpikooocpcüv  rovg  vtÙq  tcöv  toioctiov  /Jynv  t/ciysiQOLVTag 
y.cà  uÛ/.lot  evôo/.iuoùvrag  rr^v  iv  Alyv7tx(i)  /cQoaiosloS^aL  Tto/.ireiav  Itiulvùv. 
Teichmüller,  der  die  Beziehung  zuerst  gesehen,  spricht  von  einem  „ver- 
leumderischen Lobe"  Piatons,  der  hier  als  Plagiator  an  ägyptischen  Ein- 
richtungen hingestellt  werde.  H.  Gomperz,  der  (TViener  Studien  1905 
S.  30  ff.)  die  Beziehung  besser  begründet,  ohne  ihr  Motiv  zu  erfassen, 
meint:  „eine  willkürlichere  Deutung  kann  man  sich  kaum  denken."  Ich 
glaube,  daß  Teichmüller  das  Tatsächliche  gesehen  oder  wenigstens  ge- 
ahnt hat.  Piaton  wird  doch  nun  einmal  hier  als  Anhänger  der  ägyptischen 
TioÄiTfla  zitiert,  wozu  er  doch  nicht  das  mindeste  Recht  giebt.  Die 
einzige,  nur  herabsetzende  Zitierung  Ägyptens  Rep.  436A  zeigt,  daß  er  von 
dorther  nicht  seinen  Ständestaat  bezogen.   Soll  es  ein  Kompliment  sein, 

21 


—     322     — 

wenn  man  den  Autor  eines  Staatssystems  als  Anhänger  eines  andern 
anspricht  ?  War  Kant  davon  erbaut,  als  Anhänger  Berkeleys  zu  figurieren? 
Nun  wissen  wir  ja  durch  Krantor,  daß  Piaton  von  Zeitgenossen  als 
Nachbildner  ägyptischer  Staatseinrichtungen  wirklich  verspottet  worden, 
und  daß  er  zui'  Abwehr  den  im  Timaios  angekündigten  Àôyoç  des  Kritias 
komponierte.  Ist's  nun  nicht  klar,  daß  wir  hier  in  Isokrates  den  Spötter 
vor  uns  haben  und  in  seinem  Busiris  den  Hauptanlaß  für  die  Timaios- 
Einleitung  ? 

Dann  mag  er  wohl  auch  der  Anonymus  sein,  der  sich  von  Piatons 
„Staat"  „bewirten"  ließ,  aber  wahrlich  nicht  der  Anstandspflicht  der 
Dankbarkeit  entsprach  (Tim.  17A).  Der  Busiris  zeigt  ihn  jedenfalls  als 
ôaiTVfiév,  als  Ausschlachter  von  Piatons  „Staat".  Außer  dem  heilsamen 
Prinzip  der  Arbeitsteilung  im  Dreiständestaat  erscheint  §  18  der  Ge- 
horsam des  Wehrstands  gegen  die  üqxovteq,  die  Syssitien  und  die 
aoij^diojv  UGy.i]GiQ,  doch  bezeichnender  §  21  f.  die  Tieçi  xi^v  (pqôvi^aiv 
in:ifi£ÀEia  der  Priester  und  çûoaocpiag  âoxrjaig  für  die  Seelen.  Ent- 
scheidendaberist §23  die  Altersautorität  und  die  moraUsche  Abzweckung 
der  mathematisch-logischen  Erziehung  :  Kai  lovg  ßhi'  n:Q£oßvT£Qovg  enl 
TU  (liyiaia  rùv  :^Qay[iai(ßv  STa^av  (was  nach  §  50  nicht  Isokrates'  An- 
sicht zu  entsprechen  scheint),  vobg  ôà  vsontQovg  à/aeÀ.'^GavTag  xüv  fjôovojv 
en  äazQOAoyla  y.ai  Àoyiafioîg  y.al  yecof.i£TQia  oiarQißeiv  Eneiaav,  was  als 
förderlich  zu  anderm,  namentlich  aber  zur  âçaxrj  gerühmt  werde.  Man 
braucht  dies  nur  zu  lesen,  um  den  Inhalt  des  VI.  und  VII.  Buchs  des 
„Staats"  wiederzuerkennen.  Wie  in  verstimmten,  z.  T.  falsch  gegriffenen 
Tönen  klingen  auch  in  der  übrigen  Schilderung  lauter  Motive  des  „Staats" 
an:  die  Zweitstellung  der  lakedaemonischen  Verfassung  (§  17.  19),  das 
rechte  Verhalten  des  Wehrstands  in  Bezug  auf  Eigenes  und  Fremdes  (19), 
die  Kritik  der  Medizin  (22),  die  moralische  Lüge  der  Oberen  und  das 
Unterweltsgericht  (24). 

Damit  man  aber  ja  den  steten  Seitenblickbemerke,  beeifert  sich  Isokrates 
nochmals  (28)  zu  erklären,  daß  nicht  er  der  Entdecker  dieses  philosophisch- 
politischen Ideallandes  sei,  sondern  viele  der  Lebenden  und  der 
Früheren  wie  Pythagoras,  der  zuerst  die  Philosophie  von  Ägypten  nach 
Hellas  gebracht  habe  (womit  der  pythagoreisierende  Piaton  doppelt  an 
Ägypten  gebunden  wird).  Ich  fürchte,  die  Agypterfahrt  des  Pythagoras 
wird  durch  diese  bekanntlich  früheste  Bezeugung  hier  ebensowenig  ge- 
sichert wie  Piatons  Fahrt  ebendahin,  die  jüngst  erst  von  Prächter  be- 
zweifelt worden.  Isokrates  bekennt  offen,  daß  er  im  Busiris  schwindelt  (33). 
Und  kann  es  wohl  ernsthaft  gesagt  sein,  wenn  er  behauptet,  daß  wir 
unter  ägyptischen  Gesetzen  völlig  glücklich  leben  würden  (20),  wenn  er 
das  Scheusal  Busiris  mit  den  lächerlich  leersten  Zeugnisgründen  zum 
moralphilosophischen  Idealstaatsgründer  macht  und  von  den  Scheußlich- 


—     323     — 

keiten,  die  ihn  allein  berühmt  gemacht,  nach  einem  Rezept  reinigt,  das 
er  wiederum  bekannten  Partieen  von  Piatons  „Staat"  entlehnt  hat:  man 
dürfe  den  Dichtern  nicht  trauen,  die  Göttern  und  Göttersöhnen  allerlei 
Unmoralisches  angehängt  und  nun  zur  Strafe  für  ihre  Lügen  l)lind  um- 
herirrten u.  s.  w.  (38  ff.)  ? 

Man  sieht,  es  ist  Methode  in  dieser  Platonisierung  des  Busiris 
oder  vielmehr  in  dieser  Agyptisierung  des  platonischen  „Staates",  die 
offenbar  die  Pointe  dieses  rhetorischen  TtaiyvLov  ist,  für  dessen  Phantasie 
sich  Piaton  mit  der  Phantasie  des  Kritias  revanchiert.  Die  Uber- 
trumpfung  des  Polykrates  ist  nur  Schau-  und  Scheingefecht,  und  dessen 
Busiris  —  hier  parallel  seinem  „Sokrates"  zitiert  —  war  vielleicht  selber 
schon  eine  solche  antiphilosophische  Satire  (natürlich  noch  nicht  gegen 
Piatons  „Staat"),  in  der  selbst  Orpheus  und  Aiolos  sich  philosophisch 
ausdeuten  ließen.  Die  ßusirispanegyrik  der  Rhetoren  scheint  sich 
gegen  den  Tjrannenhaß  der  Sokratiker  gerichtet  zu  haben.  Wenn  des- 
halb H.  Gomperz,  der  den  Busiris  zu  ernst  nimmt  und  der  S.  31,  1  die 
platonischen  Schriften,  derb  zu  reden,  gar  zu  sehr  im  Gänsemarsch  her- 
vortreten' läßt,  mit  Recht  für  den  Busiris  die  ganze  Politeia  voraus- 
setzt, da  Buch  II  ff .  Vif.  X  benützt  würden,  so  kann  man  auch  noch 
das  VIII.  und  IX.  Buch  berücksichtigt  finden  nicht  nur  in  der  Lake- 
dämonierkritik,  sondern  vor  allem  in  der  satirischen  Gesamttendenz, 
Piatons  Staat  auf  den  Kopf  zu  stellen,  indem  er  als  Werk  des  ver- 
rufensten orientalischen  Tyrannen  erscheint.  Doch  wie  dem  sei,  die 
durch  Kj-antor  gesicherte  Tatsache,  daß  die  Einleitung  des  Timaios  erst 
auf  eine  Kritik  des  „Staates"  antwortet,  und  der  Umstand,  daß  Timaios 
und  Kritias  sich  ausdrücklich  als  Sanktion  und  Illustration  des  „Staates" 
geben,  rücken  diesen  wieder  in  die  Nähe  jener  wohl  annähernd  letzten 
Spätwerke  Piatons,  und  so  schlagen  alle  Indizien  dahin  zusammen,  den 
„Staat"  als  geschlossenes  Alterswerk  zu  erweisen. 


Zur  Agglutination  in  den  französischen  Mundarten. 


Von 
Ernst  Tapp  ölet. 


Die  fortschreitende  Erkenntnis  auf  dem  Gebiete  des  Lautwandels 
ist  einem  siegreich  vorrückenden  Heereszug  vergleichbar,  der  den  größten 
Feind  der  wissenschaftlichen  Forschung,  den  Zufall,  zu  bezwingen  unter- 
nommen hat.  Der  Heereszug  besteht  aus  Truppen  verschiedener  Art 
und  verschiedener  Stärke:  voran  die  zwei  Großmächte  Lautgesetz 
und  Analogie.  In  edlem  Wettstreit  um  den  Vorrang  ringend,  schienen 
sie  eine  Zeit  lang,  dem  Feinde  gewachsen  zu  sein.  Doch  je  näher  man 
zusah,  desto  mehr  entdeckte  man  des  Willkürlichen,  des  Unerklärlichen. 
Es  mußten  Hülfstruppen  requiriert  werden,  ihnen  kam  die  Aufgabe  zu, 
den  leidigen  „Ausnahmen"  auf  den  Leib  zu  rücken,  sie  hatten  eine  Art 
Kleinkrieg  zu  besorgen. 

Die  wichtigsten  dieser  Hülfstruppen  heißen  :  Satzphonetik  und 
Überhäufigkeit,  Yolksetymologie  und  Contamination,  Onomatopoeie  und 
Kindersprache,  Dialektmischuug,  Metathese,  Assimilation  und  Dissimilation. 
Zu  dieser  bunten  Schar  gehört  auch  die  Agglutination,  der  diese 
Studie  gewidmet  sein  soll. 

Wir  verstehen  unter  „Agglutination"  und  ihrem  Gegenteil, 
der  „Deglutination"^)  eine  Reihe  von  Lautveränderungen,  die 
davon  herrühren,  daß  ein  im  Satzzusammenhang  stehendes  Wort 
„falsch",  d.  h.  der  grammatischen  Tradition  zuwider,  abgetrennt 
wird  und  in  dieser  seiner  neuen  „irrtümlichen"  Gestalt,  vielfach 
die  alte  rechtmäßige  Form  verdrängend,  in  der  Sprache  Aufnahme 
f  i  n  d  e  t. 

Jede  Mundart  liefert  dazu  Beispiele.  In  Basel  gibt  es  ein  Sankt 
AWan-  und  ein  Sankt  Elisahei/ten-Quartür.  In  der  Mundart  sagt  man: 
er  wohnt  in  dr  Dalhe,  in  ttr  Dels/jetc.    Der  r/ ^'orschlag  stammt  offenbar 


')  Wie  ich  für  die  „Abtrennung"  oder  negative  Agglutination  zu  sagen  vorschlage. 


—     825     — 

vom  Schlußlaut  in  Sankt  her.')  Das  Gegenteil  liegt  vor,  wenn  man  hier 
zu  Lande  Leute  aus  dem  Volk  sagen  hört:  mir  hän  e  gueti  Akonissin 
gfia  =  wir  haben  eine  gute  Diakonissin  gehabt.  Hier  ist  die  erste  Silbe 
des  Fremdwortes  als  Artikel  oder  als  Demonstrativpronomen-)  gefaßt. 
Ebenso  schlimm  wie  den  Basler  Diakonissinnen  erging  es  schon  im  18. 
Jahrhundert  den  berühmten  Basler  Leckerli^,  wenn  sie  nach  dem  (^enfer- 
see  exportiert  wurden.  Der  Volksmund  verkürzte  sie  zu  éci'ekts.  So 
sagt  Rousseau  (Nouv.  Héloïse  IV,  10):  La  Fancfwn  nie  servit  den  gauffres. 
des  écrelets.  Das  ist's,  was  wir  mit  Deglutination  bezeichnen.  Puristen 
bleibt  es  unbenommen,  der  „Verwachsung"  eine  „Entwachsung"  gegen- 
überzustellen. Ob  das  Italienische  neben  seinem  concrezionb  —  so  be- 
nannt von  Flecchia  —  ein  discrezione  im  linguistischen  Sinn  duldet, 
muß  ich  den  Herren  vom  Arc/iivio  glottologico  zu  entscheiden  überlassen. 
Die  Verwachsungs-  und  Abtrennungserscheinungen  sind  sehr  mannig- 
faltig. Im  Prinzip  sind  sie  überall  da  möglich,  wo  eine  enge  syntaktische 
Verbindung  ohne  genügendes  Korrektiv  immer  wiederkehrt.  Daher  so 
häufig  bei  Eigennamen  Landre,  Langlois,  Lille,  Lendit,  denn  zur  Zeit 
als  Landré  noch  André,  der  Herr  Langlois  noch  Anglois,  die  Ortschaft 
Lille  noch  lie  und  der  Jahrmarkt  zu  St.  Denis  noch  Endit  hieß,  zu 
dieser  Zeit  sagte  man  nie  oder  fast  nie  un  André,  un  Anglois,  vor  jene 
„Insel"  in  Flandern  zwischen  den  Flüssen  Deule  und  Lys  setzte  man 
nie  weder  den  unbestimmten  noch  den  Pluralartikel,  desgleichen  bei 
Endit.  Kaum  aber  werden  je  Appellativa  wde  ami,  arbre,  eau,  ouvrier 
agglutinieren,  weil  die  Verbindungen  l'ami,  un  ami,  mon  ami,  les  amis, 
des  amis,  quelques  amis,  beaucoup  d'amis  etc.  sich  mehr  oder  weniger 
die  Waage  halten  und  so  die  überlieferte  Wortform  vor  einem  Eingrifi 
der  Satzphonetik  bewahren.  Zwischen  jenen  Eigennamen  von  ein- 
seitiger syntaktischer  Verwendung  und  diesen  sog.  Gebrauchswörtern 
von  allseitiger  syntaktischer  Verwendbarkeit  ist  ein  überaus  großer 
Spielraum.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  die  Wahrscheinlichkeit  einer 
Agglutination  abhängt  von  der  Häufigkeit  der  entsprechenden  Stellung 
des  Wortes  im  Satz.     Geil  und  œuf  sind  einer  Plural- Agglutination  aus- 

i|  A  priori  könnte  allerdings  der  r/- Vorschlag  auch  vom  weiblichen  Artikel  her- 
rühren. Die  Mundart  sagt  dä^sdie  für  „die  Asche''.  Für  Herleitung  aus  Sankt  ent- 
scheidet der  Umstand,  daß  die  Verbindungen  mit  Sankt  fast  so  zahlreich  sind  wie 
die  Kirchen  in  Basel  (vgl.  Sankt  Johann.  Sankt  Peter,  Sankt  Leonhard  etc.).  Und 
wie  eng  das  Sankt  mit  dem  Xamen  der  Heiligen  verwachsen  ist,  zeigt  der  Ausdruck 
zet  Lienert  „zu  Sankt  Leonhard",  worauf  mich  Kollege  ßinz  aufmerksam  macht.  Die- 
selbe Agglutinatioüserscheinung  glaubt  Michel  ßreal  fürs  Französische  nachgewiesen  zu 
haben,  z.  E.  Saint  Chelvis  aus  Sainch-Elvis  -  Sanctus  HUarius  s.  Romania  2,329.  Sicherere 
Beispiele  finden  sich  bei  Schätzer.  Herkunft  und  Gestaltung  der  franz.  Heiligennamen 
Diss.  Münster  1905  p.  89. 

-)  Artikel,  wenn  der  Vorgang  von  der  Schriftsprache  beeinflußt,  Demonstrativum, 
wenn  er  rein  dialektischen  Ursprungs  ist.  Die  Mundart  sagt:  d'arbet  =  die  Arbeit, 
aber  die  Arbet  mach  i  nit  =  diese  Arbeit  tu  ich  nicht. 


—     326     — 

gesetzt,  bei  ombrU  Nabel  und  uvre  Euter  ist  eine  Singular- Agglutination 
zu  erwarten. 

Was  die  Wortklassen  anbelangt,  so  kommen  Verwachsungen  vor 
zwischen  Artikel,  Pronomina,  Präpositionen  und  Hülfsverba  einerseits 
und  Substantiva,  seltener  Adjektiva,  und  Verba  andrerseits.  Hier  soll 
ausschließHch  von  Nominal- Agglutination  mit  dem  Artikel  im  Singular 
die  Rede  sein,  allerdings  müssen  wir  bemerken,  daß  es  nicht  auszu- 
machen ist,  ob  in  Fällen  wie  nabit  (für  habit),  zoiseaux  étenailles  die 
Verbindungen  un  habit  oder  mo7i  habit,  les  oiseaux,  quelques  oiseaux  etc. 
les  tenailles  oder  des  tenailles  zur  Agglutinierung  geführt  haben. 

Zur  richtigen  Beurteilung  dieser  und  ähnlicher  Secreta  des  Sprach- 
lebens bedarf  es  vor  allem  zahlreicher  und  sicherer  Beispiele.  Erst 
wenn  diese  vorliegen,  ist  die  Frage  reif  zu  einer  prinzipiellen  Erörterung. 

Die  Agglutinationsbedingungen  sind  in  jedem  Sprachgebiet  ver- 
schieden. Ob  die  Vermutung  Försters  (Zs.  rom.  Ph.  15,51-),  Sehre 
im  Rolandslied  sei  entstanden  aus  ipse  +  Ehro,  das  Richtige  trifft,  kann 
erst  eine  Untersuchung  der  Agglutination  im  Katalanischen  kompetent 
entscheiden. 

Wir  haben  unsere  Jagd  nach  Beispielen  auf  das  galloromanische 
Sprachgebiet  beschränkt,  und  müssen  auch  da  uns  gestehen,  das  Revier 
oft  nur  flüchtig  durchstöbert  zu  haben.  Wollte  man  drauf  ausgehen,  das 
Wild  bis  in  alle  entlegensten  Schlupfwinkel  zu  verfolgen,  so  wäre  des 
Jagens  kein  Ende.     Von  Zeit  zu  Zeit  muß  Umschau   gehalten   werden. 

So  viel  ich  sehe,  wurde  der  Gegenstand  bis  jetzt  immer  mehr  ge- 
streift als  eingehend  erörtert.  Jede  Mundartenraonographie  brachte 
einen  kleinen  Beitrag  zur  Verwachsungsfrage,  hie  und  da  wurden  in 
Zeitschriften  und  anderswo  zweifelhafte  Fälle  diskutiert,  hier  soll  eine 
systematischere  Behandlung  des  Themas  in  der  angegebenen  Umschränkung 
versucht  werden. 

Die    wichtigsten   Vorarbeiten,    die    für    uns    in   Betracht    kommen, 
sind  folgende. 
1887  A,  Horning,   die    ostfranzösischen   Grenzdialekte    zwischen   Metz 

und  Beifort.    Franz.  Studien  V. 
1889  D.  Behrens,    norm,    non  =  n'on   Zs.  f.  rom.  Philologie    13,322—323 

wo  Beispiele  für  ndbit.     Vgl.  ib.  p.  405,  407  ff.,  wo  Beispiele  für 

zoiseaux  und  étenailles. 
1895  W.  ]\I  eyer-Lübke,  zur  Syntax  des  Substantivums,  Zs.  rom.  Phil.  19, 

3(»5  ff.  und  477  ff. 

1902  A.  Thomas,   Mélanges  d'étymologie  française  (passim). 

lilO.-{  E.  Tapp  ölet,  l'agglutination  de  l'article  dans  les  mots  patois, 
Bulletin  du  (xiossaire  des  patois  de  la  Suisse  romande  1,  3-8, 
2,  22  —  20,  :{,  37—40.  Vgl.  dazu  die  Rezension  von  Herzog, 
Zs.  r.  Phil.  30,;.o«  (abgek.  Tap.) 


—    :{27    — 

1904  Kr.  Nyrop,  Grammaire  historique  de  la  langue  française  §§  289, 

488—491,  502. 
1906  J.  Désormaux,  l'agglutination  de  l'article  dans  les parlers savoyards, 

Revue  de  philologie  franc.  20,  168 — 182  (Abgek.  Désorm.) 
Geijer,   Studier  i  fransk   linguistik   (Arsskrifter   d'Upsal  1887)   der  das 

Thema  behandelt  haben  soll,  war  mir  leider  nicht  zugänglich. 

Meine  Hauptquelle  für  die  Beispiele  war,  wie  natürlich,  der  Atlas 
linguistique  de  In  France,  Lieferg.  1 — 26.  Hierin  wurden  fast  alle  in 
der  Schriftsprache  vokalisch  anlautenden  Substantiva  auf  Agglutination  hin 
geprüft,  98  an  Zahl.  Von  diesen  98  der  Agglutination  ausgesetzten 
Atlas-Wörtern  haben  tatsächlich  29  agglutiuiert. 

"Wir  behandeln  hier  nur  zwei  Arten  von  Verwachsung,  jenachdem 
ein  /  oder  ein  n  dem  Wort  vorgeschlagen  wird.  Wir  bezeichnen  sie 
mit  Typus  lahit  und  Typus  nahit. 

1.*  Typus  labit. 

Dieser  Typus  ist  der  häufigste  von  allen  Agglutinationen.  Es  ist 
auch  fast  der  einzige,  der  in  der  Schriftsprache  zum  Durchbruch  ge- 
kommen ist.  Er  setzt  voraus,  daß  in  gewissen  Verbindungen  das  Wort  mit 
oder  ohne  Artikel  gebraucht  werden  konnte.  Neben  der  Ausdrucksweise  : 
dans  ce  cas  nous  partirons  endemain  stand  offenbar  als  gleichbedeutend: 
dans  ce  cas  nous  partirons  Tendemain.^)  Da  der  Gebrauch  schwankte 
und  da  kein  un  endemain,  kein  d' endemain,  kein  des  endemains  korri- 
gierend einwirkte,  so  ging  das  Gefühl  für  die  echte  Form  verloren  und 
die  Agglutination  war  vollzogen. 

Weniger  einfach  liegen  die  Dinge  bei  mrklichen  Substantiven  wie 
lierre,  hérisson,  anse  etc.  Beim  Kollektivbegriff  „Epheu"  wird  man  wohl 
auszugehen  haben  vom  partitiven  Gebrauch,  man  sagte  promiscue  :  il  y 
avait  bien  d'hierre  und  il  if  avait  bien  de  Phierre,  auch  darf  man  wohl 
an  Wendungen  denken  wie  vieux  comme  hierre  neben  vieux  comme 
l'hierre,  s.  Meyer-Lübke  Zs.  rom.  Phil.  19,3i9fif.  Auch  hier  ist  die  syn- 
taktische Freiheit    der  Nährboden  für  die  Verwachsung.  -) 


^)  Bei  Bonaveniure  des  Periers  finde  ich  auf  derselben  Seite  :  le  jour  des  nopces 
fut  lendemain  (tou  Jacob  fälschlich  Vendemain  geschrieben)  und  weiter  unten  :  La  nuit 
se  passe  :  le  lendemain  elles  se  trouvèrent  devant  leur  père,  .  .  .  (Xouv.  Récréations 
et  Joyeux  Devis  p.  23  bei  Cramier).  Dasselbe  Schwanken  ist  für  die  Zeit  vor  der 
Agglutination  vorauszusetzen.     Vgl.  Meyer-Lübke  Zs.  rom.  Ph.  19.438. 

2)  Ich  bin  mit  der  diesbezüglichen  Bemerkung  Herzogs  Zs.  r.  Ph.  30,368  völlig 
einverstanden,  natürlich  ist  die  ganze  Erscheinung  nur  syntaktisch  zu  verstehen,  aber  das 
mehr  populär-wissenschaftliche  Bulletin  war  nicht  der  Ort,  dies  auszuführen.  Von  écornes 
wird  in  der  Fortsetzung^  dieser  Arbeit  die  Rede  sein. 


—     328     — 

"Wir  geben  die  Beispiele  in  alphabetischer  .Anordnung. 

laberdan  m.  aus  Aberdeen,  frisch  eingesalzener  Stocktisch  (Sachs- 
Villatte).  Das  deutsche  „Laberdan"  aus  dem  Französischen. 

labit  m.  für  hubit  in  der  Volkssprache  Xyrop  p.  432. 

lacoun  m.  kleiner  Kahn.  prov.  aus  frz.  accon,  das  seinerseits  eine 
Deglutination  ist  aus  dem  deutschen  „Nachen",  s.  Zs.  rom.  Ph.  14,366. 

lade  m.  aus  andain.  Atlas  Blatt  40  Vienne  507. 

làfyàua  etc.  f.  aus  äfyaaa  etc.  gentiane  in  Savoyen.  Atlas  Bl.  640, 
H.  Savoie  944,  945;  RPGR  II  37;  Désorm.  173.^) 

làgar  m.  aus  hangar,  in  Bourberain  RPGE,  III  90,  in  Savoyen 
Désorm.  173. 

lajö  m.  -<  *lajo  aus  ajonc  (13  Jh.  ajou)  Atlas  Bl.  21  Indre  505) 
auch  najonc  und  jajonc  kommen  vor. 

lamsö  m.  aus  hameçon  xA.tlas  Bl.  682  Marne  128  neben  amso, 
lèmso  Vosges  78  neben  emso. 

laudier  m.  für  afr.  andier  Feuerbock,  Tap.  4;  Umdi  Jons  (Isère; 
ßev.  de  phil.  fr.  7,267  ;  landrès  Béarnais. 

laudîule  f.  aus  andouille  Tap.  8. 

laugrezole  f.  „groseille"  neben  engresale  Désorm.  172. 

laiita  Tante,  Aosta,  s.  meine  Verwandtschaftsnamen  p.  101. 

lau  voué  m.  „orvet"  Tap.  7. 

lapi  m.  Sellerie,  aus  api,  dem  lat.  apium  entlehnt  ;  apl  ist  im  ganzen 
Süden,  außer  in  der  Gascogne,  verbreitet,  Atlas  206  lapi  vornehmlich  in  der 
östlichen  Guyenne:  Lot,  Tarn  et  Garonne  ganz;  Tarn,  H.  Garonne,  Lot 
et  Garonne  je  4  mal;  Aude  3  mal;  Aveyron,  Ardèche  je  2  mal;  Ariège, 
Dordogne  je  1  mal.  Unabhängig  davon  agglutinierte  dasselbe  Lehnwort 
noch  an  zwei  Orten  nämlich: 

lapyo  m.  „ache"  Lavallaz,  patois  d'Hérémence  173;  ferner  leppe 
in  Wissembach  (Vosges)  Thomas.  Mél.  67. 

larui  m.  heftiger  Wind,  neben  arni,  unsicher  Désorm.  173. 

las  etc.  f.  aus  anse  (du  pot)  Atlas  Bl.  45.  Verbreitung  sporadisch 
in  3  weit  auseinander  liegenden  Gebieten.  1.  Loire  Inf.  3  mal,  Calvados, 
Ile  et  Vilaine,  Morbihan,  Mayenne  je  1  mal.  2.  B.  Pyrénées  2  mal,  Landes 
1  mal.  3.  Vosges  58.  Sehr  merkwürdig  ist,  daß  neben  dem  Typus  lanae 
auch  der  Typus  nanse  vorkommt,  wenn  auch  in  etwas  geringerem  Um- 
fang. Über  das  Prinzipielle  dieses  Falles  weiter  unten. 

läsiva  f.  <  ""àhiva  Atlas  633  gencive  H.  Savoie  957.  Die  Form 
erscheint  im  Atlas  vereinzelt  umgeben  von  jasiva. 


'i  üfi/irrui  erklärt  Gilliéron  1.  c.  durch  Deglutination  aus  dîifyàna  (das  Gejjenteil 
von  doi-f'^  üncier  -  Hcicr  etc.).  Sollte  nicht  eher  der  Anlaut  'zafyänn,  iufyütia  als 
l'lural-Ä  gefasst  worden  seiuV 


—     329     - 

lavö  etc.  Onkel,  Atlas  Schweiz  976,  979;  im  Aostatal  meine  Ver- 
wandtscliaftbuamen  p.  lül. 

lé  m.  Eibe  in  branche  de  lé  =  branche  d'if,  Désorm.  173. 

lègyà  {(7  mit  Neigung  zu  e)  m.  (V)  Eichel,  Atlas  Bl.  ()4H  des  glands 
Yonne  108,  allerdings  umgeben  von  glu.  Aber  da  die  Form  als  vieilli  be- 
zeichnet ist,  nehme  ich  an,  sie  gehe  auf  aglan  mit  jener  Gegend  eigen- 
tümlichen Färbung  eglä  zurück.  Nicht  ausgeschlossen,  aber  mir  durch 
keine  Beispiele  belegt,  wäre  die  Verwachsung  les  +  glands.  Vom  syntak- 
tischen Standpunkt  scheint  letzteres  sogar  wahrscheinlicher,  da  von  der 
Eichel  unendlich  viel  häufiger  im  Plural  gesprochen  wird;  aber,  wenn 
unsere  Erklärung  von  aglan  (s.  Tap.  23),  richtig  ist,  so  muß  im  franz. 
Sprachgebiet  der  Singular  vorgeherrscht  haben. 

leiji  „acide"  ^)  aus  acetum  nach  Lavallaz,  Hérémence  173. 

leudemaiu  m.  aus  endemain,  beide  Formen  leben  im  Altfranzösischen 
nebeneinander  (s.  z.  B.  Bartsch,  Chrestomathie,  wo  3  mal  endemain  und 
3  mal  lendemain).  Auch  die  heutigen  Mundarten  kennen  die  artikellose 
Form,  z.  B.  béarn.  endouniaa. 

Der  Fall  ist  mit  leto  s.  u.  sui  generis.  Endemain  und  entour  sind 
überhaupt  ursprünglich  keine  Substantive,  sie  w^erden  es  erst  durch  die 
Verbindung  mit  dem  Artikel  und  zwar,  Pendemain  wohl  auf  Veranlassung 
von  la  veille  (schon  13  Jh.  Littré),  vielleicht  auch  von  l'autrier,  das  nach 
Zs.  r.  Ph.  19,488  ebenfalls  schon  früh  erstarrte-),  und  l' entour  wie  It 
dessus,  le  dedans  etc. 

Überdies  ist  le  lendemain  mit  l'hiver  die  einzige  Zeitangabe  und 
gehört  zu  den  ganz  wenigen  Abstrakta,  die  der  Verwachsung  erlegen  sind. 

Lendit,  Messe  zu  St.  Denis  vom  11.  Juni  an,  verdankt  die  Agglu- 
tination seiner  Verwendung  als  Ortsname.  Die  Entwicklung  ist  folgende: 
indictus  sc.  dies  bedeutete  den  für  Messe  und  Jahrmarkt  angesetzten  Tag, 
dann  den  Platz,  Champ  du  lendit,  wo  der  Jahrmarkt  abgehalten  wurde. 

lèrtè  m.  -<  orteil  Tap.  7. 

lèto  m.  Umgebung  aus  entour  Hérémence  173.  Vgl.  das  bei  lende- 
main Gesagte. 

levier  aus  évier  Wasserstein,  in  der  Sprache  des  niedern  Volkes 
weit  verbreitet,  s.  Sachs- Villatte,  für  Lyon,  Désorm.  173,  gelegentlich  mit 
Umbildung  in  lavier  unter  dem  Einfluß  von  laver,  lavoir. 

lëyo  f.  aus  *êyo  „allée"  in  Puybarraud  (Charente)  RPGE,  III  198. 

licorne  f.  Einhorn.  Ich  nehme  folgende  Umgestaltungen  an:  uni- 
cornis    ergibt   zunächst   *imcorne,   woraus    durch  Dissimilation    mit   dem 


1)  Vennutlich  das  Adjektiv,  fiir  die  Beurteilung  der  Agglutinationsmöglichkeit 
ist  dies  zu  wissen  unerläßlich. 

-)  l'endemain  kann  aber  auch  elliptisch  entstanden  sein  aus  le  jotir  en  dcmair, 
das  unserem  „am  Tage  drauf"  entspräche. 


—     330     — 

unbestimmten  Artikel  afr.  incorne,  mit  Verwachsung  liiicorne,  und  mit 
Denasalisieruug,  vielleicht  unter  Einfluß  des  italienischen  licorno,  zu 
licorne. 

lierre  m.  ,.Ei3heu"  aus  afz.  hierre  ■<  hèdera.  Das  älteste  Beispiel 
von  Verwachsung  stammt  aus  dem  16.  Jh  (Littré).  Formen  ohne  /  leben 
in  zahlreichen  südprovenz.  Patois,  so  hauptsächlich  in  der  Provence  : 
Atlas  Bl.  768  èyro^  èro,  eure  etc.  in  den  Dep.  Var  ganz,  Drome  6  mal, 
Alpes  Mar.  und  Basses  Alpes  je  5  mal.  Hautes  Alpes  2  mal  (+  2  ital. 
Dörfer),  Vaucluse  2  mal,  Bouches  du  Rhône  1  mal  ;  ferner  èbré,  édro  etc. 
Pyrénées  Orientales  ganz,  Aude  4  mal,  Ariège  1  mal.  Ob  wirklich  in 
ganz  Nordfrankreich  die  agglutinierte  Form  gesiegt  hat,  Avie  es  der  Atlas 
zeigt,  möchte  ich  auf  Grund  der  Angaben  von  Littré  bezweifeln,  Littré 
gibt  hierre  für  Berry,  Normandie  und  Picardie.  Wenn  auch  Littré  aus 
altern  Wörterbüchern  schöpft,  so  ist  nicht  anzunehmen,  daß  in  den  paar 
Jahrzenten,  die  zwischen  jenen  Wörterbüchern  und  den  Reisen  Edmonds 
liegen,  alle  /?/erre-Formen  verschwunden  seien. 

Leider  ist  lierre  bis  jetzt  die  einzige  schriftsprachliche  Agglutination, 
deren  Verbreitung  wir  durch  den  Atlas  feststellen  können.  Woher  mag 
die  große  Verbreitung  kommen?  Jedenfalls  zum  geringsten  Teil  von  der 
Schriftsprache,  denn  die  Formen  haben  meist  echt  dialektisches  Gepräge, 
auch  die  Bekanntheit  der  Pflanze  spricht  dagegen.  Man  hat  dann  an 
Einfluß  von  lier,  ligare  gedacht,  so  Gröber,  Meyer -Lübke  und  zuletzt 
Schuchhardt  (Zs,  r.  Ph.  31,33  u.  i),  aber  die  meisten  südhchen  und  viele 
der  nördlichen  Formen  Frankreichs  stimmen  lautlich  nicht  zu  Her,  noch 
weniger  die  italienischen  Formen.  Endlich  macht  Schuchhardt  1.  c.  als 
mitwirkende  Ursache  noch  die  Reduplikation  (lellera,  ninöht)  geltend, 
und  in  der  Tat  sagen  italienische  Kinder  gern  lellera  für  ellera\  aber 
das  ist  m.  E.  nicht  Reduplikation,  sondern  eben  Agglutination,  wie  wi 
lenfant,  im  labil,  un  loiseau  in  der  französ.  Kindersprache.  Die  italie- 
nischen /-Formen,  lellera,  lella  „Alantwurzel"  (-<  inula)  etc.  sind  für 
mich  eine  Bestätigung  dafür,  daß  auch  drüben  in  Frankreich  nichts  an- 
deres im  Spiele  ist  als  der  Artikel.  Bedenken  wir,  wie  häufig  gerade 
Pflanzennamen  nach  dem  Typus  labil  agglutinieren,  s.  meine  Erörterungen 
darüber  am  Schluß. 

Die  Formen  für  lierre  sind  übrigens  von  verwirrender  Mannigfaltig- 
keit. Schuchhardt  legt  die  Grundlage  zu  einer  Spezialuntersuchung  des 
Wortes,  indem  er  1.  c,  Mischung  von  lieüera.  hnila  und  lielenia/n  an- 
nimmt. Recht  auffallend  ist  die  Pluralagglutination  ,/V///v>  etc.  f.  besonders 
in  der  Gascogne  Atlas   Bl.  768. 

liiidzu  111.  Alt  Wurst  in  Freiburg,  wolil  gleicher  Stamm  wie  ((iiflontlle. 
Hibliiitli<'()iic  roinMiK'  de  la  Suisse  par  M.    1855   p.   171. 


—     331     — 

lingot  m.  Goldbarre  aus  ent^lisch  'nufol.  das  nach  Murray  auf  dem 
deutschen  Eiiif/n/J  beruht.  L'nifittt  kommt  schon  1405  vor,  ein  unjol  auf 
franz.  Boden  ist  mir  nicht  bekannt,     Lehnwort  wie  Inherd/w. 

lirsà  m.  aus  irm  =  hérisson  Atlas  Bl.  687  belg.-wall.  182,  liirml. 

liuerze  <;  orge  Désorm.  172. 

liverua  f.  -<  hiberna  Blindschleiche. 

livre  f.  •<  ehriüca  Taumellolch  Atlas  Bl.  706  ivraie,  vornehmlich 
im  Westen,  nur  sporadisch  Calvados  5  mal.  Côtes  du  Nord  4  mal,  Ille 
et  Vil.  3  mal.  Somme  3  mal,  Oise  2  mal,  Seine  et  Oise,  Mayenne,  Maine 
et  Loire,  Loir  et  Cher,  Indre  et  Loire;  Doubs,  Dordogne  je  1   mal. 

livro  m.  aus  iiher  Euter,  Atlas  1020  pis  Doubs  3  mal,  H.  Saône 
2  mal,  Beifort,  Vosges,  Meurthe  et  ]\Ioselle  je  1  mal.  Über  die  Ver- 
breitung von  ivre  und  livre  in  der  Schweiz  Tap.  5  ff.  Das  Wort  ist  vor- 
wiegend frankoprov.  Savoyen  scheint  keine  Agglutination  zu  kennen, 
sonst  halten  sich  beide  Formen  ungefähr  die  Wage, 

lo  m.  aus  le  luniU  Höhe,  Sjjitze  Tap.  8.  Der  Atlas  685  en  haut 
gibt  Mo  H*^  Savoie  945,  aus  In  le  liant,  es  kann  allerdings  auch  aus 
dem  benachbarten  Uuo  erklärt   werden. 

los  aus  OS  Knochen  (?)  altfranz.  Born.  32,624. 

lœs  f.  aus  ces  =  ostiiim    „porte  d'entrée"    in  Plagne    (Bernerjura). 

loirie  f.  <;  oiiie  Erbschaft  Tap.  8. 

lokè  m.  <;  hoquet,  dialektisch  und  vulgarfranz.  Tap.  8,  Nyrop  I  432. 

lonibril  m.  aus  omhril  <i  *innbillruli(m,  Nabel,  schon  afr.  lomhril 
(z.  B.  Romania  1,443),  das  Wort  gehört  zu  den  launenhaftesten  des  ganzen 
romanischen  Wortschatzes.  Wir  beschränken  uns  natürlich  auf  die  Frage 
des   Anlautes.^) 

Der  Atlas  Bl.  921  bietet  das  Bild  eines  krausen  Durcheinanders. 
Auf  Abgrenzungen  muß  man  bald  verzichten.  Beim  Anlaut  sind  drei 
Fälle  zu  unterscheiden:  omhril,  lomhril  und  nombril.  Ombril  ist  sehr 
selten,  einmal  Lot  et  Garonne  657,  dann  in  Hérémence  (Lavallaz  258). 
Der  Typus  lombril,  wo  die  Artikel- Agglutination  außer  Frage  steht,  ist 
über  ganz  Frankreich  hin  verbreitet,  umfaßt  aber  selten  ein  ganzes 
Département,  tritt  überhaupt  so  sprunghaft  auf,  daß  ich  auf  eine  Auf- 
zählung verzichten  muß.  Entsprechend  verhält  es  sich  endlich  mit  dem 
dritten,  schriftsprachlichen  Typus  nombril:  er  beherrscht  zwar  so  ziem- 
hch  den  W^esten  Nordfrankreichs,  besonders  das  Gebiet  zwischen  Seine - 
Inférieure  und  Charente,  aber  im  übrigen  ist  die  Verteilung  so  sporadisch 
wie    bei  lomhril.     Von    wo    der  eine  oder  der  andere  Typus  herstammt, 


1)  Am  ausführlichsten  —  aber  noch  lange  nicht  ausführlich  genug  —  hat  das 
Wort  behandelt  Zaune/:  die  rom.  Xamen  der  Körperteile  p.  161.  Leider  fehlte  ihm 
noch  der  Atlas. 


—     332     — 

ließe  sich  höchstens  an  Hand  älterer  Quellen  feststellen,  namentlich  er- 
gäbe sich  auch  da  ein  beständiges  Nebeneinander  von  lonihrU  und  nombril. 
Vgl.   die  Erörterungen  bei  nombril.  Typus  nahit. 

loubrezale  f.  „airelle-myrtille"  aus  dem  gewöhnlichen  ambresalle. 
Savoyen  Desorm.  172. 

lonpie  aus  onpie.  gewöhnlicher  anj/ie,  Himbeere  Desorm.  172. 

loriot  m.  aus  afr.  oriol  niireolam  Goldamsel  Tap.  4.  Desorm.  169. 

lörve  m.  aus  orcet  Blindschleiche  in  Arzier  (Kanton  Waadt). 

Iota  f.  aus  dem  süddeutschen  Hulte  Tragkorb  Tap.  8,  Desorm.  170. 

louet,  auch  levé,  m.  aus  *oue1  =  ptü  Mistel  ;  Bridel  Glossaire  de 
la  Suisse  romande  225. 

loiièytau  aus  *octanum    „mesure  pour  les  droits  d'alpage''  Tap.  8. 

louvra  f.  aus  aura,  nur  belegt  in  dem  Satz  :  l  fa  lu  louera  =  il 
fait  du  vent,  in  Farvagny-le-Grand,  Kanton  Freiburg. 

luette  f.  aus  Ki'itta  Halszäpfchen,  s.  auch  Tap.  5. 

liiiset  m.  „petite  lucarne"  Tap.  8,  aus  hu'iH  <^  ostUim.  hängt  viel- 
leicht aber  auch  mit  luire  zusammen. 

lutséran  m.  Eule,  zu  huchtr  zurufen,  Tap.  7. 

Ittvzar  etc.  m.  aus  *urzar  =  Winter,  Atlas  Bl.  698  hiver,  Creuse 
602,   702,  704,  umgeben  von  ivèr,  auch  iczywè  etc. 

lyèrb  f.  aus  lierbe,    ostfranz.  Horning,  Grenzmundarten  §   191. 

lyé/  f.  aus  herse  <.  türpkem  ostfranz.  ib. 

II.  Typus  nabit. 

Die  ^«-Beispiele  fliessen  merklich  weniger  zahlreich  als  die  mit  /- 
Vorschlag,  entsprechend  der  geringeren  Verwendung  des  unbestimmten 
Artikels.  Eine  Reihe  hieher  gehöriger  Fälle  hat  in  verdienstlicher  Weise 
Behrens  zusammengestellt  (Zs,  r.  Ph.   13,323). 

nabit  m.  aus  habit  neuprov.  (Behrens). 

uädzö  ni.  aus  adz<).  von  dem  es  umgeben  ist,  Stechginster  Atlas 
Bl.  21   ajonc  H.  Vienne  604. 

nage  m.  aus  âge  z.  B.  in  der  Verbindung  à  cotre  n'(i(/c.  die  Nyrop 
I  282  aus  Puitspelu  zitiert.  Das  Beispiel  kann  doppelt  gedeutet  werden. 
Erstens  kann  es  sich  bei  der  Frau  aus  dem  Volk,  die  das  sagt,  um  ein 
dialektisches  Possessivpronomen  rotron  handeln  und  dann  ist  alles  in 
()rdnung.  Oder  das  n  stellt  sich  immer  ein,  wo  ein  Possessivum  vor 
(if/e  tritt,  luich  nuni  df/e.  tini  df/e,  s<ni  dt/r,  sagt  man  auch  notre  n'dge, 
votre  n'iif/r.  leur  n'd(/e.  also  noch  reine  Analogie,  die  aber  leicht  die 
Grenzen  des  possessiven  Gebrauchs  überschreiten  und  in  ständige  Ver- 
wachsung übergehen  kann.  Blatt  9  (/ucl  dge  des  Atlas  zeigt  nichts 
Derartiges. 


-     883     — 

nàjarn  Eidechse  aus  *(7jarn.  das  seinerseits  durch  Deglutination  aus 
kljarii  =  lézard,  häutig  in  Pas  de  Calais,  entstanden  ist.  Atlas  Bl.  7f3H 
Pas  de  C.  296,  ferner  nnjanl  Pas  de  C.  283  und  ndjdf  Nord  295. 
Diskutiert  wird  dieser  Fall  bei  nonihr'il.  Die  vokalisch  anlautenden 
Formen  sind  mir  aus  dem  Norden  nicht  belegt. 

nante  f.  Tante,  aus  ante,  hauptsächlich  aus  mou  +  ante.  s.  meine 
Yerwandtscliaftsnamen  p.   101. 

nantö  m.  aus  hanneton,  Atlas  Bl.  GS3  Indre  et  Loire  40(j. 

nar  m.  aus  arc,  in  Mons  (Behrens). 

Das  f.  aus  anse,  Henkel,  ziemlich  häufig,  aber  meist  ganz  sporadisch. 
Atlas  Bl.  45  :  Maine  et  Loire  6  mal.  Mayenne  5  mal,  Orne  2  mal,  Loire 
Interieure  und  Ille  et  Vilaine  je  1  mal,  endlich  völlig  isoliert  Landes  675. 
vgl.  la  /anse. 

ne  m.  aus  e  =  œil,  ostfranz.  Honiing  §  191.  Sehr  verbreitet  ist 
bei  diesem  Wort  die  Pluralagglutination  fe  z-jjeii.  Bei  )te  spielt  natür- 
lich weniger  der  Artikel  als  das  Possessivum  mit. 

ne  aus  e  =  hain  <;  hamum,  Angelhacken,  Atlas  Bl.  682  Verbrei- 
tung: Sarthe  4  mal,  Maine  et  Loire  8  mal.  Orne,  Eure  et  Loir,  Loir  et 
Cher,  Loiret  je  2  mal,  Eure.  Indre  et  Loire,  Indre  je  1  mal;  endlich 
in  belg.-wallon.  191.  Hier  scheint  die  agglutinierte  Form  über  die  nor- 
male siegen  zu  wollen,  im  hamum-Gehiet  finden  sich  mehr  ne  als  e. 
Behrens  bestätigt  den  Atlas  durch  seine  Angaben. 

nentille  Linse  aus  entille,  das  sich  allerdings  nur  im  Süden  und 
sehr  sporadisch  findet.  Atlas  Bl.  758.  mntille  ist  stark  verbreitet  über 
ganz  Frankreich  mit  Ausnahme  der  ganz  nördlichen  und  ganz  südlichen 
Ma.,  besonders  in  der  Champagne,  in  Burgund.  Normandie,  Saintonge, 
Poitou  etc.  Über  das  Prinzipielle  bei  nomhril. 

nèp  f.  Wespe  aus  vèp,  von  dem  es  umgeben  ist.  Atlas  672  Nord  282. 

neroun  m.  Reiher,  aus  héron  neuprov.  (Behrens). 

ùèrso  m  Igel,  aus  hérisson  belg.-wallon.  187,  199.  Ferner  nursâ 
belg -wallon.  184,  7iisi'è  (vieilli!)  Nord  295:  niereson  in  Mons  (Behrens) 
und  in  Blonay  (Waadt)   Tap.  39. 

ùirfindà  f.  Schwalbe,  aus  ironde  in  Atlas  697  H.  Loire  814. 

nœziy  f.  Sauerampfer,  Atlas  954  oseille  Saône  et  Loire  2  mal. 
Côte  d'Or  und  Jura  je  1  mal.  Häufiger  ist  das  Diminutivum  nœziyot 
f.  Doubs  6  mal.    Côte  d'Or    und   ff®    Saône  je  2  mal,    Saône   et  Loire 

1  mal.     Eine    lautliche    Variante    davon    scheint  zu    sein    mziyœ    Jura 

2  mal,  Côte  d'Or  1  mal. 

nombril  etc.  m.  aus  ombril,  über  dessen  Verbreitung  bei  lomhril. 
Hier  ist  die  Hauptfrage  : 

wie  ist  der  /^-Vorschlag  zu  deuten?  Ich  sehe  nur  zwei  Mög- 
lichkeiten :  Dissimilation  wegen  des  dreifachen  /  in  le  lomhril  oder  Ag- 


—     334     - 

glutination  aus  Verbindungen  wie  petit  comme  un  ombril  d'enfant,  cela 
ressemble  à  un  ombril,  oder  le  bébé  joue  avec  son  ombril.  Gewöhnlich 
wird  das  erstere  angenommen  und  es  lassen  sich  in  der  Tat  einige  wenige 
analoge  Fälle  anführen  :  so  afr.  nlvel  (ebenso  prov.  und  span.)  aus  le 
livel,  nomble  Hirschziemer  aus  le  lomble  -<  lumbulus  Lende.  ^)  Diesen 
beiden  von  Meyer-Lübke  (Gram.  I  479  ff.)  angeführten  Beispielen  kann 
ich  aus  meiner  Sammlung  noch  mundartliche  beifügen:  nämlich  das  weit 
verbreitete  nenülk  für  knülle  (Atlas  ßl.  758),  ferner  —  allerdings  ohne  /im 
Stamm  —  näjarn  Eidechse,  aus  lajarn,  so  Atlas  Bl.  766  lézard  Pas  de 
Calais  296,  ebenso  najard  f.  Pas  de  Calais  283,  mijclt  Î.  Nord  295;  und 
nazerh  für  luzerne  mit  volksetymologischer  Anlehnung  an  herbe. 

Aber  gerade  diese  mundartlichen  Beispiele  machen  uns  irre  an  der 
dissimilatorischen  Erklärungsweise,  denn  wir  finden  im  Atlas  folgende 
Typen  vertreten  : 

lentille  enlille    (südfrz.)    nentille    und     gentille 

lézard  ezard  tiézard 

luzerne  uzerne  nuzerne 

So  betrachtet  erscheinen  die  ;?-Formen  als  Agglutination  aus  dem  un- 
bestimmten Artikel.  Bei  luzerne  mag  dies  ungewohnt  erscheinen,  aber 
was  wissen  wir  über  Gebrauch  und  genaue  Bezeichnung  jenes  Sonder- 
lings nuzérb?  Warum  soll  es  nicht  z.  B.  einen  Kleeacker  überhaupt 
bezeichnen?     Vgl.  Schlussbemerkungen. 

Wenn  auch  heute  die  Verbreitungsgebiete  sich  nicht  decken  und 
die  vokalisch  anlautenden  Formen  selten  sind,  wie  übrigens  auch  das 
einfache  ombril  fast  ausgestorben  ist,  so  dürfen  wir  getrost  annehmen, 
das  sei  früher  anders  gewesen,  auch  würde  ein  noch  reichlicheres  Ma- 
terial als  es  der  Atlas  bietet,  sicher  ein  oft  wesentlich  anderes  Bild 
darbieten. 

Bleiben  nireau  und  omble.  Was  diese  anbelangt,  so  sind  wir 
vorläufig  genötigt  die  Zwischenstufen  *irel  und  *omhle  anzusetzen.  Viel- 
leicht werden  weitere  Forschungen  sie  zu  Tage  fördern.^) 

Für  nombril  aus  un  ombril  etc.  sprechen  nun  ferner  die  gar  nicht 
so  seltenen  Fälle,  wo  dasselbe  Wort  in  zwei,  ja  drei  Arten  agglutiniert : 
so  bietet  uns  der  Atlas  u.  a.  folgende  Forraenpaare: 


')  Hier  spricht  allerdings  gegen  die  »Agglutination  der  Umstand,  daß  das  Wort 
nach   Littré  und  Sachs-Vill.  meist  im  Plural  vorkommt. 

2)  Die  Wörter  fehlen  im  Atlas.  Godefroy  gibt  omble,  das  aber  in  der  angeführten 
Stelle  nur  als  „Nabel"  kann  gedeutet  werden.  Ahnlich  steht  es  mit  Ivel  =  égal,  das 
sich  z.  B.  in  der  Verbindung  par  ivel  de  =  ait  ras  de  mit  nivel  liegrifHich  fast  deckt. 
Vielleicht  sind  "omhlc  und  *ivel  in  diesen  nah  verwandten   Wörtern  aufgegangen. 


—     335     — 

von    ajonc        Stechginster:    le  la  jonc        und    le  najonc 
von    anse         Henkel  :    la  Ifuisc         und    In  nanse 

von    hérisson  Igel  :    le  lérisso)i     und    /e  ni'ri.sson. 

Ebenso   von    habit        Kleid  :    le  lalnl  und    le  mth'il. 

Diese  Doppelagglutmationen  geben  zu  denken.  Sie  lassen  die   V'er 
wachsung  als  etwas  sehr  Zufalliges  erscheinen.  Erhöht  wird  dieser  Ein- 
druck durch  das  folgende  Wort.     Vgl.  meine  Schlussbemerkungen. 

iiou  auch  nen  und  norm,  lut  „man"  aus  on.  Verbreitung  nach  Atlas Bl. 
407  on  dit,  651  on  glisse:  Manche  (mit  Inseln)  10  mal;  Puy  de  Dôme  6, 
ferner  vereinzelt  in  Creuse,  Cantal,  Aveyron,  H.  Loire,  Corrèze,  Dor- 
dogne  etc.  Hier  im  Süden  gehen  die  Formen  o,  lö  und  iio  bunt  durch- 
einander. Neben  lö  lindet  sich  auch  lo.  Im  Dép.  Manche  steht  nur  iio, 
mi  und  noz^  nuz  vor  Vokalen.  Wie  sind  die  Formen  etymologisch  und 
lauthch  zu  deuten  y  Es  liegt  kein  gewichtiger  Grund  vor,  die  norman- 
nischen Formen  von  den  südlichen  zu  trennen.  Etymologisch  kommen  nur 
in  Betracht  lat.  iiOü  und  lioiiio.  Die  provenzalische  Mischung  von  ö,  lo 
und  110  schließt  )tos  aus. 

Hält  man  an  homo  fest,  so  liegt  der  Fall  lautlich  wie  bei  nombril  ; 
also  Dissimilation  oder  Agglutination?  Zu  dem  bei  nombril  Gesagten 
kommt  hier  als  erschwerendes  Moment  hinzu,  daß  Ion  kein  die  Dissimi- 
lation rechtfertigendes  /.  weder  vorn  noch  hinten,  enthält.  Darauf  hat 
teilweise  schon  Behrens  in  seinem  anregenden  Artikel  über  non  =  non 
Zs.  r.  Ph.  13,322  aufmerksam  gemacht.  Ist  es  nichts  mit  der  Dissimi- 
lation, sagt  er  sich,  so  bleibt  nur  Agglutination.  Mir  will  scheinen,  es 
sei  noch  ein  Drittes  möglich. 

Behrens  setzt  non  dem  Typus  nabit  gleich.  Das  geht  nicht  wohl  an, 
denn  liabil  etc.  hat  substantivische  Funktion,  on  nicht  bezw.  nicht  mehr. 
Bei  un  Imbil  läßt  sich  etwas  denken,  bei  im  on  nicht.  Sollte  nicht  non 
durch  bloße  Analogiebildung  entstanden  sein?  Die  Gleichung  wäre: 

oncle  :  loncle  :  noncle  =  on  :  Ion  :  non.  Ebenso  ombril  :  lombril  :  nom- 
bril u.  a.,  aber  auch  Wörter,  bei  denen  die  Verbindung  keine  stehende 
geworden  ist,  können  auf  on  gewirkt  haben,  so  vor  allem  homme  (in  der 
Aussprache  ömj,  ^lonime.  ^noinme,  so  z.  B.  ongle.  *longle,  *nongle;  ombre 
Vombre,  *noml}re:  ferner  *o/\  ^lor,  nor  (aus  en  or)  oder  gar  an.  *lan.  -nan. 
Vielleicht  ist  auch  manche  andere  sog.  Agglutination  auf  diese  mehr 
äußerliche  Art  zu  stände  gekommen. 

nonk  m.  Onkel  aus  oncle,  wobei  natürlich  die  Possissiva  die  Haupt- 
schuld tragen,  das  zeigt  das  Walion.  le  mononk\  die  Formen  sind  vor- 
nehmlich im  Wallonischen  zu  Hause.  Vgl.  meine  Verwandtschaftsnamen 
p.  101.  Der  Atlas  hat  nur  ndnofkj  Meurthe  et  Moselle  7  mal.  Pas  de 
Calais  4,  Vosges  3  mal,  Meuse  und  belg. -wallon,  je  1   mal. 

nortsa  f.  Hexe,  aus  orca  Tap.  39. 


—     336     — 

noy  f.  Gans,  aus  o'ie^  ostfrz.  Horning  §  191. 

nur  f.  Stunde,  aus  hmre.  ostfrz.  Horning  §  191. 

uûzërb  f.  Luzerne  aus  uzerne  Atlas  789  Mayenne  349.  Zwar  ist 
im  Atlas  nùzérlt  von  luzerne  umgeben,  aber  die  vokalisch  anlautende 
Form  bedeckt  das  ganze  Dé}).  Pas  de  Calais  und  findet  sich  außerdem 
isolitirt  in  Corrèze  609, 


Ein  vereinzelter  Fall  von  Verwachsung  ist  das  afr,  Adjektiv  nastre. 
dessen  pejorative  Bedeutung  erst  durch  die  Herleitung  ins  rechte  Licht 
gerückt  wird.  Xasire  beruht  auf  falscher  Abtrennung  von  v'dainustre. 
das  eine  Verstärkung  von  vUa'oi  ist.     Zs.  r.  Ph.  3 1,220 ff. 

Von  Interesse  ist,  daß  die  «-Agglutination  häufig  auftritt  in  der 
Kindersprache  :  les  neuf  cuits,  les  uauiuuiu.r  etc.  und  in  der  Negers^n'ache, 
dem  Kreolischen:  nahit.  ndnie  s.  Romania  10,6ii. 

Endlich  sei  darauf  hingewiesen,  daß  der  ;/-Zusatz  überaus  häufig 
ist  im  Germanischen  und  im  Neugriechischen. 

Aus  dem  Schweizerdeutschen  z.  B.  seien  erwähnt  :  Xast  für  Ast, 
vgl.  Nastloch  ;  Xack  für  Ack  =  Beigeschmack  ;  Xötenimlt  für  Ötemli,  Atem  ; 
Xergl  aus  Erggel,  Ercker-,  Xäiü  aus  Atti,  Vater,  übrigens  auch  lu'tu 
drätfi.  mein  Vater;  Xau'i  aus  Ahne,  Großmutter;  Xürsch  aus  Arsch; 
Xürtsfheü  aus  Ursula.  Geschwür  am  Augeulied  ;  Xev't  aus  Eri,  Schelt- 
wort für  ein  Weib  im  Aargau;  X'ifjel  aus  Igel;  Xeber  aus  Eber,  Thur- 
gau  (nach  Mitteilung  von  Prof.  J.  Ulrich  -|-). 

Auch  das  Englische  kennt  Beispiele  :  ncui  Wassermolch  aus  an 
eu't  Murray,  nkk-name  aus  an  ekœname  (Muret). 

Besonders  reich  ist  das  Neugriechische.  Auch  hier  spuckt  der 
unvermeidliche  Nabel.  Er  heißt:  voucpaXôç.  aus  xbv  ôiicpaZôp,  oder  der 
Weg  VOÔÔÇ  aus  Ti]p  ôôôv,  die  Sonne  vijÂiog  aus  töv  ij/uov  etc. 

Solche  Beispiele  hat  über  40  zusammen  gestellt  Gustav  Meyer 
in  den  Analecta  (rraeciensia.  (Grazer  Festschrift  zur  Wiener  Philologen- 
versammlung 1 — 23).  Vgl.  Albert  Thumb,  Beiträge  zur  neugriechischen 
Dialektkunde  Indogerm.  Forsch.   7 1-20. 

So  viel  der  Beispiele.  Ich  muß  es  mir  versagen,  hier  auf  die  zahl- 
reichen andern  Fälle  von  Agglutination  und  Deglutination  einzugehen, 
gedenke  sie  aber  später  im  Zusammenhang  zu  behandeln. 

Prinzipielles. 

Fassen  wir  die  Erscheinung  als  solche  ins  Auge.  Eine  gegebene 
Verwachsung  sprachhistorisch  erklären  heißt  die  Bedingungen  klar- 
legen,  unter  denen  sie  entstanden  ist.     Wir  können  zwei  Arten 


—     337     — 

von  Bedingungen  unterscheiden:  1.  Lautliche  uiid  2.  Syntactisch- 
h  e  gri  t'fl  i  che. 

Sehr  einfach  lautet  in  unsern  beiden  Fällen,  hih'il  und  iiahiL  die 
lautliche  Vorbedingung  :  das  in  Frage  stehende  Wort  muß 
vokalisch  anlauten.  Bei  den  einzelnen  Vokalen  ist  keinerlei  Vor- 
hebe für  den  einen  oder  für  den  anderen  zu  beobachten. 

Alle  vokahsch  anlautenden  französichen  Wörter  sind  somit  der 
Agglutinationsgefahr  ausgesetzt,  das  sehen  wir  aus  der  Kindersjjrache 
und  aus  dem  Kreohschen.     Aber    nur    wenige    müssen    dran  glauben. 

Von  den  98  im  Atlas  untersuchten  Substantiva  wiesen  15  den 
/-Vorschlag,  14  den  //  Vorschlag  auf.  Warum  bheben  die  übrigen  von 
der  Epidemie  verschont?  Warum  finden  wir  kein  lanü  und  kein  iKuiieau 
für  (uii't  und  Imniedu  ?*  Und  warum  hängt  sich  im  einen  Fall  ein  /  ans 
Wort,  warum  ein  n  im  andern?  Das  liegt  offenbar  an  der  Gebrauchs- 
art der  Wörter,  an  ihrer  Stellung  in  der  lebendigen  Rede,  kurz,  an 
ihrer  Syntax  und  diese  ihre  Syntax  wiederum  ist  bedingt  durch  ihren 
geistigen  Inhalt.  Daher  glaub  ich  von  syntaktisch-begrifflichen 
Agglutinationsbedingungen  sprechen  zu  müssen. 

Es  gibt  Begriffe,  die  sozusagen  nie  eine  Verbindung  mit  dem 
unbestimmten  Artikel  (ohne  Adjektiv)  eingehen,  z,  B.  :  Milch,  Gerste, 
Eppich,  Einhorn  ;  andere,  die  eine  starke  Abneigung  gegen  Possessiva 
haben,  wie  ungewohnt  klingen  z.  B.  mein  W^ind,  deine  Blindschleiche, 
sein  Henkel  oder  ihr  Stechginster!  In  solchen  Fällen  dürfen  wir  die 
Annahme  einer  Agglutination  von  vorneherein  abweisen.  Ecok  du  hon 
sens. 

Achtzig  agglutinierte  Wörter  liegen  vor  uns,  57  mit  /.  23  mit  n.  Wie 
verhalten    sich  diese  Wörter  zu  ihrer  Affinität   mit   den  Artikeiformen  ? 

Meyer- Lübke  stellt  darüber  folgenden  a  priori  einleuchtenden 
Grundsatz  auf:  „das  Herüberziehen  eines  flexivischen  Elem  entes 
zum  Stamm  ist  nur  dann  möglich,  wenn  die  betreffende 
flexivische  Form  ein  besonderes  Übergewicht  über  die  andern 
hat."  Zs.  r.  Ph.  19,504.  Als  typische  Beispiele  führt  er  an:  rum. 
imparatu/  „Kaiser",  weil  nur  ein  einziges  Wesen  dieser  Art  im  Lande 
existiert  (vgl.  „l'Empereur"  bei  Béranger,  und  das  Heinesche  „UndderKaiser, 
der  Kaiser  gefangen",  die  Verbindung  nähert  sich  dem  Eigennamen),  ferner 
Li/lc  und  Liscü  biancn  (eine  der  liparischen  Inseln,  aus  isc/iki  <;  insula), 
weil  für  die  An-  und  Bewohner  nur  diese  eine  „Insel"  in  Betracht 
kam,  endlich  exemplifiziert  M.-L.  auch  mit  unserem  lendemain,  dessen 
ausschließliche  Verwendung  mit  dem  bestimmten  Artikel  wir  schon  an- 
fangs betont  haben. 

Zu  unserer  Beispielsammlung  übergehend,  scheiden  wir  zunächst 
als  unsicher    oder    im    Gebrauch    uns    völlig    unbekannt    aus:    loueifton. 


—     338     — 

lundouUle.  ümhu.  Itiisei.  lurm.  leijL  lo.  loirie.  leto.  /hif/ot.  los,  norisd.  nage. 
LendU  erklärt  sich  wie  Lille;  Lcmiecry  Antichrist,  das  Nyrop  I  432 
anführt,  gehört  zu  rum.  impàraliil. 

Die  übrigen  behandeln  wir  nach  begrifflichen  Gruppen.  Zuerst  die 
mit  /-Vorschlag, 

Fünfmal  sind  wir  auf  Körperteile  gestoßen,  die  entweder  über- 
haupt oder  an  einem  Glied  des  Körpers  nur  in  einem  Exem- 
plar vorkommen,  so:  Halszäpfchen,  Zahnfleisch,  NabeF),  Euter;  große 
Zehe.  Sehen  wir  uns  bei  den  übrigen  nicht-agglutinierten,  aber  vo- 
kalisch anlautenden  Körperteilen  um,  so  finden  wir,  daß  sie  —  vom 
nicht  volkstümlich  entwickelten  estomac  abgesehen  —  durch  ihr  mehr- 
faches Vorkommen  am  Körper  dem  Plural  mehr  zuneigen  als  dem 
Singular:  so  wU.  oreille,  épaule,  aisselle,  ongle,  os.  Einige  davon  weisen 
auch  tatsächlich  eine  Pluralagglutination  auf,  nämlich  zgeux.  Atlas  Bl. 
932,  zongles  Horning  §  191,  zos  Atlas  Bl.  953.  Das  alles  kann  nicht 
Zufall  sein,  hier  stimmt  die  Natur  der  Körperteile  zu  autfallend  mit  dem 
Wesen  der  Agglutination. 

Eine  zweite  ähnliche  Gruppe  bilden  Dinge  im  Hauswesen.  Jedes 
Haus  hat  eine  Eingangstür  (lœck),  eine  Flur,  einen  Schuppen-,  jede 
Küche  bat  einen  Wasserstein,  jeder  kleinere  Bauer  besitzt  nur  eine 
Egge,  und  trägt  jedenfalls  nur  eine  „Hutte"  am  Rücken  (daher  be- 
schreibend la  hotte  au  dos).  Hier  allerdings  wird  der  Boden  unsicher, 
man  muß  sich  davor  hüten,  den  Gebrauch  des  Wortes  nach  seinem 
Agglutinationsschicksal  zu  bestimmen. 

In  dritter  Linie  seien  die  ganz  ungewöhnlich  häufigen  Pflanz en- 
und  Tiernamen  besprochen:  33  Fälle  von  80,  /  und  w  Beispiele  zusam- 
mengenommen.-) 

Hier  versagt  die  Theorie  vom  „einmaligen  Vorkommen"  gründlich. 
Sie  kann  höchstens  für  das  „Einhorn"  und  für  die  „Eule"  (latséran) 
einigermaßen  in  Anspruch  genommen  werden.  Bei  den  Pflanzennamen 
hat  oflenbar  die  kollektive  Vorstellung  bestimmend  auf  die  Agglu- 
tination" gewirkt.  Wörter  wie  ., Gerste",  ,, Sellerie",  werden  selten  mit 
dem  unbestimmten  Artikel  oder  im  Plural,  noch  seltener  mit  Possessiven 
gebraucht.  Hierlier  gehören:  Epheu,  Eppich  (lapijoj  und  Stechginster, 
Gerste,  Selleri,  Enzian;  Eichel,  (als  Schweinefutter),  Mispel,  auch  Gras 
(herbe).     Der    kollektiven    Deutung    widerstrebt    ///  Eibe;    und    schwer 


')  (Tegen  dieae  Auslegunjr  spricht  nur  nombril,  weim  aus  im  (Jiii/iril  entstandeu. 

3}  Wenn  Veraiutungen  darüber  erlaubt  siud,  so  würde  ich  es  in  Zusamnieuhang 
brintfen  mit  einer  gewissen,  allgemeinen  Unsicherheit  ini  Gebrauch  dieser  dem  Bauer 
oft  nicht  sehr  geläufigen  Wörter,  eine  Unsicherheit,  die  auf  Unkenntnis  der  Sache 
beruht.  Botanik  und  Zoologie  sind  bekanntlich  gerade  nicht  die  starken  Seiten  des 
Landmanus. 


—     339     — 

verständlich  sind  die  drei  savoyischen  Beereiinamen:  Stachelbeere,  Heidel- 
beere und  Himbeere,  wo  wir  keine  andere  Agglutination  als  die  mit 
Plural  z  erwartet  hätten.  Wenn  die  etymologisch  unklaren  Wörter  nicht 
anders  zu  deuten  sind,  so  muß  auch  hier  wie  bei  gland  kollektive 
Deutung  angenommen  werden. 

Bei  den  Tiernamen  liegen  die  Dinge  weniger  durchsichtig  als  bei 
den  Pflanzennanien.  Der  Tiemame  schwankt  viel  mehr  hin  und  her 
zwischen  bestimmtem  und  unbestimmtem  Artikel,  das  bestätigt  eine 
Gegenüberstellung  der  Fälle:  8  unserer  Tiernamen  agglutiuieren  mit  /, 
7  mit  //,  einer,  hérisson^  mit  beiden  und  das  in  der  gleichen  Gegend. 
Mehrere  von  diesen  15  Beispielen  agglutinieren  außerdem  im  Plural; 
so  zoies,  zironde/les,  zannetom  (s.  Atlas).  Die  Tiernamen  mit  /-Vor- 
schlag sind  :  Einhorn  und  Eule,  Blindschleiche  und  zwar  bei  drei  ver- 
schiedenen Wörtern.  Goldamsel,  Igel  und  Stockfisch.  Halten  wir  ihnen 
gegenüber  die  mit  //  -  Vorschlag  :  Maikäfer,  Schwalbe,  Wespe,  Reiher, 
Eidechse  und  Igel,  so  sehen  wir  bald,  daß  —  von  Hcome,  lutseran  und 
laherdan  (Kollektivum)  abgesehen  —  aus  der  Xatur  der  Tiere  kein 
Grund  für  das  Vorwiegen  des  bestimmten  oder  des  unbestimmten  Ge- 
brauches kann  abgeleitet  werden.  Wir  stehen  hier  vor  einem  sogenannten 
„Zufall",  dessen  Willkür  nur  durch  Häufung  der  Beispiele  und  durch 
Vertiefung  in  die  Santax  der  Wörter  gemindert  werden  kann. 

Meyer -Lübke  (Zs.  r.  Ph.  19,5C4)  möchte  in  solchen  Fällen  den 
/-Vorschlag  nicht  als  ^Artikel  gefaßt  wissen,  sondern  ihn  grundsätzlich 
anders  erklären,  z.  B.  durch  Einfluß  sinnverwandter  Wörter,  lierre  wegen 
Zier,  lavier  Wasserstein,  wegen  lavtr.  Es  wird  schwer  halten,  dieses 
methodische  Desiderat  zu  erfüllen.  Weist  nicht  die  große  Zahl  der 
Fälle  auf  gleichen  Ursprung? 

Was  die  übrigen  /-Wörter  anbelangt,  die  sich  jeder  begrifflichen 
Kategorie  entziehen,  so  leuchtet  die  Häufigkeitserklärung  bei  einem 
ohne  Weiteres  ein,  nämlich  bei  hoquet,  man  denke  an  die  Redensarten 
avoir  le  Iioquet ,  donner  le  hoquet  à  qn.  jemanden  in  Verlegenheit 
bringen,  auch  hoquet  ist  eine  Art  Sammelbegriff  für  die  rasch  sich 
folgenden  Schluckbewegungen. 

Ebenso  steht  bei  hiver  und  ouvra  Wind  (il  fait  du  vent,  le  vent  souffle^) 
wohl  öfter  der  bestimmte  Artikel.  Daß  habit  und  anae  schwanken, 
das  sagt  uns  schon  die  Doppelagglutination  labit  und  nabit,  lanse  und 
naiise. 

Über  die  «-Wörter  können  wir  uns  erheblich  kürzer  fassen.  Das 
Bemerkenswerteste  ist  hier,  daß  in  keinem  der  Fälle  der  unbestimmte 
Artikel  so   unlösKch   verwachsen  erscheint,    wie  der  bestimmte    etwa  bei 


^)  Vgl.  übrigens  larni. 


—     340     — 

lendemain,  luetle  oder  hoquet.  Zwangsagglutinationen  gibt  es  hier  nicht, 
um  so  schwieriger  ist  der  Häufigkeitsnachweis  der  /z- Verbindungen. 
Unsern  beiden  Haupterklärungsinittehi:  einmaliges  Vorkommen  und 
Kollektivität,  steht  hier  nichts  Analoges  gegenüber.  Warum  das  eine 
Dorf  nanse  oder  nérisson,  das  andere  aber  lanse  oder  lérisson  bevorzugt, 
bleibt  ein  Rätsel.  Bei  den  paar  Pflanzennamen:  Luzerne,  Ampfer, 
Linse,  Ginster,  darf  an  Verbindungen  wie  &est  de  la  honnê~iizerne,  c'est 
de  la  finê^oseUle  gedacht  werden.  Daß  bei  oncle,  tante,  œil,  habit  u.  a. 
die  Possessiva  den  Ausschlag  gaben,  liegt  auf  der  Hand-,  wie  sich  die 
w-Form  allmählich  ausdehnen  kann,  haben  wir  beim  votre  n^age  der 
banne  femme  de  M.  Puitspelu  gesehen. 

Sollen  wir  zum  Schluß  unsern  gegenwärtigen  Eindruck  wieder- 
geben, so  können  wir  sagen,  daß  im  Allgemeinen  das  Häufigkeitsprinzip 
Meyer-Lübkes  sich  bewähren  zu  wollen  scheint,  daß  aber  bei  der  Deutung 
des  einzelnen  Falles  wir  durch  unsere  Unkenntnis  über  die  Verwendung 
des  Wortes  im  Satz  noch  gar  zu  oft  in  Verlegenheit  geraten. 


Une  Source  des  „Tragiques". 


Par 
Charles  de  Roche. 


11  y  a  vingt  ans  bientôt  que  nous  possédons  les  œuvres  complètes 
d'Agrippa  d'Aubigné.  Leur  publication,  tâcbe  délicate  et  laborieuse, 
comblait  une  regrettable  lacune.  Disons  —  on  ne  l'a  pas  assez  fait  — 
combien  nous  devons  aux  infatigables  savants,  M.  M.  Eu  g.  Réaume  et 
F.  de  Caussade,  d'avoir  mené  à  bonne  fin  une  entreprise  menacée 
de  difficultés  qui  pouvaient  paraître  insurmontables.  Les  six  volumes 
de  leur  publication,  calque  fidèle  des  manuscrits  originaux,  conservés 
au  Cbâteau  de  Bessinges,  contiennent  1500  pages  entièrement  inédites. 
Et  l'on  est  heureux  de  pouvoir  ajouter  que  ce  n'est  ni  la  fureur  de 
l'inédit,  ni  aucun  esprit  de  spéculation  qui  les  a  tirées  de  l'ombre  des 
archives  famiHales  de  M.  Tronchin.  Seul  le  noble  dessein  de  faire  la 
lumière  plus  complète  autour  de  celui,  qui  fut  peut-être  l'esprit  le  plus 
intrépide  et  le  plus  vigoureux  de  son  siècle,  a  présidé  à  ce  labeur. 
D'Aubigné  a  grandi  depuis,  et  grandira  peut-être  encore,  à  mesure  que 
sa  vie  et  son  œuvre  seront  mieux  connues  et  abordées  sans  parti  pris. 
M.  Brunetière  sans  doute  devait  en  penser  autrement.  Le  grand  critique 
avait  ses  raisons  pour  frapper  de  son  silence  la  mémoire  d'un  chef 
huguenot  qui  avait  tout  fait  pour  affranchir  la  conscience  d'une  tradition 
religieuse  quelques  fois  séculaire,  dont  l'autorité  suprême,  reconnue  et 
humblement  acceptée,  pouvait  aux  yeux  de  lévolutionniste  seule  garantir 
l'avenir  d'une  France  heureuse  et  prospère. 

La  mine  ouverte,  M.  Réaume  en  a  lui-même  tiré  et  réuni  les 
principales  richesses  dans  cette  excellente  biographie  qui  forme  aujour- 
d'hui le  cinquième  livre  de  son  édition. 

Depuis  1892  une  série  d'études  d'inégale  valeur  ont  parlé  de  d'Au- 
bigné ou  de  son  œuvre.  Parmi  les  plus  marquantes  il  faut  signaler 
d'abord  la  publication  des  Misères,  premier  livre  des  Tragiques,  faite  sous 
la  dii-ection  de  M.  Bédier,  par  quelques-uns  de  ses  élèves.    Elle  est  pré- 


—     342     — 

cédée  d'une  notice  remarquable  de  la  main  du  maître  sur  l'établissement 
d'un  texte  critique  des  Tragiques  et  accompagnée  des  variantes  et  de 
notes  explicatives.  Un  autre  genre  d'étude  fut  cette  appréciation  délicate 
du  lyrisme  des  Tragiques  que  notre  regretté  maître  M.  Warnery 
donna  dans  une  de  ses  conférences  académiques  à  Neucbâtel.  Elle  a  toute 
la  valeur  d'un  jugement  esthétique  porté  par  un  poète  sur  un  autre.  Ce 
fut  une  exellente  contribution  aussi  que  le  travail  de  M.  Trénel  sur 
l'éJêmenl  Inhlique  dans  l'œuvre  poétique  d'A.  d'Auhigné.  Le  style  biblique 
du  poète  y  est  étudié  de  très  près.  Son  répertoire  analytique  explique 
plus  d'un  passage  obscur  des  Tragiques  dont  il  facilite  réellement  l'in- 
telligence. De  l'Allemagne  nous  est  venu  une  thèse  de  doctorat  sur 
d'Auhif/né jjoète.  M.  Winker  y  aborde  quelques  problèmes  chronologiques, 
expose  sa  versification  et  relève  la  valeur  des  poésies  religieuses  dont 
quelques-unes,  vibrantes  d'émotion  sincère,  sont  bien  au-dessus  des  pro- 
ductions contemporaines  du  genre.  A  notre  humble  avis  l'auteur  a  été 
trop  indulgent  pour  le  ])oète  du  Piinïemps,  trop  sévère  pour  le  poète  des 
Tragiques.  Le  premier  n'est  encore,  à  peu  d'exceptions  près,  qu'un  habile 
imitateur  de  Ronsard  et  de  Pétrarque;  l'autre  par  contre,  est  foncière- 
ment original.  Les  Tragiques  donneront,  comme  par  le  passé,  la  véri- 
table mesure  de  son  talent.  Malgré  ses  défauts,  graves  et  nombreux, 
ce  poème  reste  la  plus  vigoureuse  production  poétique  de  son  temps. 
Elle  gagne  à  mesure  que  d'autres  œuvres  du  XYI'^  siècle,  trop  longtemps 
accréditées  et  surfaites,  se  trouvent  entachées  de  plagiats  inattendus,  et 
ne  supportent  qu'en  pâlissant  les  vives  lumières  des  études  critiques  de 
littérature  comparée.  —  Dernièrement  encore  le  savant  directeur  de  la 
Revue  Chrétienne.  M.  Viénot,  pubhait  un  article  suggestif  sur  dAuliigné 
hunumste.  Il  remarque  qu'on  a  peu  parlé  en  France  de  ce  genre 
d'écrivains  et  pourtant  les  humoristes  n'ont  pas  fait  défaut.  Ce  vigoureux 
XVL  siècle,  rempli  du  bruit  des  armes  et  des  haines  des  partis,  du  sang 
des  carnages  et  de  lueurs  sinistres,  ce  siècle  aux  contrastes  violents  a 
connu  l'humour,  l'humour  vrai,  qui  jaillit  du  cœur  autant  que  du  cer- 
veau, qui  „fleurit  sur  les  ruines"  et  dont  on  a  dit  qu'il  était  le  baiser 
de  la  douleur  et  de  la  gaité.  Et  c'est  précisément  dans  le  camp  des 
Huguenots,  qu'il  a  éclaté  souvent  avec  une  verve  et  une  franchise  extra- 
ordinaires. Agrii)pa  d'Aubigné  en  est  un  bon  exemple;  combien  d'épi- 
sodes de  sa  vie,  combien  de  pages  de  ses  romans  en  sont  comme  l'illustra- 
tion vivante! 

Ces  publications  suffiraient  à  montrer  que  Sainte-  beuve  se  trompait 
lorsqu'il  croyait  en  1854,  (]ue  bientôt  «iOn  aurait  tout  dit  sur  d'Auhigné^ 
et  pour  et  coulre^  et  alentour;  on  t aurait  ewhrassé  dans  tous  les  setis.» 
Non  pas;  pour  la  bonne  raison  que  d'Aubigné  est  de  ceux  dont  on 
n'aura  jamais  tout  dit.      Pour  le  moment  plus  d'un  point  de  sa  vie  reste 


—     H43     — 

obscur,  plus  d'une  contradiction,  apparente  ou  réelle,  subsiste,  notamment 
celles  qui  empêchent  d'arrêter  définitivement  quelques  dates  importantes, 
celle  de  sa  naissance  par  exemple,  ou  celle  de  la  première  édition  de 
ses  Trafiques.  L'étrange  poème  à  lui  seul  soulève  quelques  problèmes. 
Une  première  question  importante,  abordée  ailleurs  déjà,  est  celle  des 
sources.    Nous  nous  proposons  d'y  apporter  ici  une  petite  contribution. 

On  sait  que  la  Bible,  les  Anciens,  surtout  Tacite,  Sénèque,  Lucain 
et  Juvénal,  les  Pères,  St.  Augustin  et  Tertullien,  l'histoire  ecclésiastique 
et  profane,  ancienne  et  moderne,  auteurs  italiens  et  français,  ont  mêlé  de 
leurs  éléments  à  ce  grand  poème.  On  les  y  retrouve  tantôt  mal  amalgamés 
dans  la  concision  de  son  vers  d'airain,  tantôt,  mais  plus  rarement, 
intégralement  refondus  et  admirablement  coulés  au  moule  de  sa  stance 
avec  tout  l'éclat  d'un  métal  nouveau  et  marqués  alors  de  l'empreinte 
indélébile  du  poète.  D'Aubigné  a  beaucoup  lu,  et  grâce  à  une  excellente 
mémoire  beaucoup  retenu.  Les  citations  et  les  réminiscences  abondent. 
Mais  où  placer  dans  cette  existence  agitée  du  soldat  le  temps  de  ses 
lectures?  Il  serait  téméraire  de  vouloir  trop  affirmer;  mais  à  deux 
époques  de  sa  vie  elles  durent  être  particulièrement  fortes  et  fécondes, 
variées  et  étendues:  aux  années  de  première  jeunesse  d'abord,  de  sept 
à  quinze  ans,  puisque  dès  cet  âge  il  «lisait  aux  quatre  langues»,  latine, 
grecque,  hébraïque  et  française,  «traduisit  te  Crito  de  Platon»  sous  la 
haute  et  sévère  discipline  de  savants  renommés  tels  que  Jean  Göttin, 
Peregim,  Jean  Morel  ou  Mathieu  Béroalde,  puis  aux  vingt  dernières 
années  du  siècle  qui  furent  la  phase  théologique  de  sa  vie.  Celle-ci 
commence  jDar  le  remords  et  le  doute  religieux,  par  la  recherche  d'une 
base  raisonnée  aux  croyances  réformées  et  à  sa  foi  personnelle.  Il  dit 
dans  la   Vie  à  ses  enfants: 

„Mais  vouant  que  le  Parti  estait  attaché  à  la  Religion,  et  lug  à  elle, 
là  le  Diable  pretiaut  le  temps  à  ceste  occasion,  il  se  resolut  de  fouler  aux 
j/teds  foute  préoccupation  d'enseignements  et  de  nourriture,  et  estudier  à 
hon  escient  aux  controverses  des  Religions,  et  cerclier  avidement  .si  en  ta 
la  Romaine  il  se  pourroit  trouver  une  miete  de  salut.  La  colère  le  pt 
eschap2)er  et  esclatter  son  desseing,  qui  donna  envie  au  Sieur  de  Sainct- 
Luc.  de  Lausac.  d'Alas  et  autres  ennemis  Ripistes  de  lug  enrager  livres 
de  tous  costés.  Le  premier  qu'il  entama  fut  Paniqarole.  qu'il  rejetta 
comme  bavard.  Le  second  fut  Campianus.  duquel  il  admira  l'éloquence: 
ce  n'estait  pas  ce  qu'il  cercho'd.  et  pourtant  en  le  rejettant.  il  mit  sur  le 
titre  Declamationes  au  lieu  de  Rationes.  Pais  lug  tomba  en  main  ce 
qu'on  avoit  lors  de  Bellarmin.  Il  embrassa  la  metthode  et  la  force  de 
ce  livre,  et  prent  goust  à  la  candeur  apparante  de  laquelle  tes  lieux  ad- 
versaires sont  cités  par  cest  autheur:  il  espère  avoir  trouvé  ce  qu'il  cliercltoit. 
S' estant  pourtant  mis  à  une  curieuse  analgse.  avec  le  secours  de   Witaker 


—     344     — 

et  de  Sihrand  Lu  her  t.  il  fi' affermit  jilus  que  jeimais  en  m  Religio?!,  et 
respondit  à  ceux  qui  s'enqueroyeni  du  fruict  de  sa  lecture  et  de  son  des- 
seine/.  qu'il  l'aroit  destruict  jxir  son  labeur,  pour  ce  qu'il  mettoit  les  genoux 
à  terre  auparavant.'^     (O.  C.  L  p.  58  et  59.) 

L'année  1589  marque  la  première  étape  clans  cette  évolution. 
Après  quinze  ans  de  service  dévoué,  le  fier  Huguenot  se  retire  de  la 
cour  en  son  château  de  Maillezais.  «Cette  retraite  fut  le  premier  repos 
qu'il  eust  essayé  depuis  Taage  de  quinze  ans  jusque  à  trente-sept,  ou 
environ,  quHI-  avoit  alors:,  pouvant  dire  avec  vérité  que,  liormis  les 
temps  des  maladies  et  des  blessures,  il  ne  s'estoit  point  veu  quatre  jours 
de  suite  sans  courvee.«  Après  un  second  retour,  suivi  d'un  second 
départ  de  la  cour,  nous  trouvons  d'Aubigné  préoccupé  des  intérêts 
religieux  et  politiques  de  son  parti.  C'est  le  temps  des  controverses, 
des  pamphlets  et  des  discussions.  Il  prend  part  active  et  toujours  au 
rang  des  premiers  orateurs,  aux  synodes,  assemblées,  colloques  ou  autres 
réunions  des  réformés.  Quinze  jours  après  l'échec  de  Duplessis-Mornay 
contre  l'éloquent  Du  Perron  (mai  1600),  notre  capitaine  n'hésite  pas 
d'affronter  ce  redoutable  adversaire  pour  relever  la  cause  compromise 
des  protestants.  On  sait  que  l'issue  de  cette  joute  oratoire  fut  toute 
à  son  honneur.  Non  seulement  il  avait  fort  irrévéremraent  fait  transpirer 
le  grand  Convertisseur,  mais  il  avait  écrit,  ce  qui  plus  est,  son 
dissidiis  patrum,  auquel  on  avait  promis  une  réponse  qui  ne  vint 
jamais.  Peu  de  temps  après,  le  père  Cottin  essuya  à  son  tour  l'âpreté 
de  sa  théologie  et  de  sa  dialectique.  Cette  activité  du  controversiste 
présuppose  des  temps  d'études  et  des  lectures  étendues.  Les  lettres  de 
cette  époque  en  ont  conservé  les  traces.  L'une  d'elles,  bien  que  sen- 
siblement postérieure,  me  semble  particulièrement  significative.  Elle  est  de 
1616  et  adressée  à  Simon  Goulard,  ministre  protestant  à  Genève. 
(O.  C.  I  p.  472.) 

j,  Vous  avez,  y  dit-il,  effacé  et  coi'rigé  ma  pet'ite  glo'ire.  en  me  faisant 
rostre  ingrat,  lorsque  de  si  hing  parmy  les  fempestes  de  tant  d'affains. 
vous  avez  daigné  savoir  qui  j'estais,  que  je  faisais,  et  parmy  mes  labeurs 
d'enfant  fan  prix  des  vôtres)  mettre  de  l'huyk  en  nui  lampe  par  vos  pre- 
.S77//.S.  Lorsqui  la  publigue  di.^pute  que  j'eus  avec  le  Cardinal  du  l\rron 
me  laissa  a  pr(uirer  les  disciwds  des  Peres  en  mattiere  de  la  />>//.  vous  m'en- 
voyastes  un  Mutan.  et  rostre  papa  non  papa,  par  l'a  y  de  desquels  princi- 
palement je  fournis  à  nui  promesse,  de  laquelle  Henri  IV  estait  en  quelque 
façon  fidcjusteur.  et  en  l'autre  exacteur.  Votre  soin  m'estonna  en  bien- 
faisant: si  ji'  ne  /mis  soufrir  que  la  pose  fmcte  pour  respirer  (sur  l'ohli- 
f/ation  (/ni  ji  nw  sens  a  vous)  me  rende  criminel  fit  Huibly.^  Et  plus 
loin:  .//  (i/iisy  a  j  irez  avoir  mugueté  les  sciences  rfiambrit  rfs.  j'ay  trouvé 
(ju'ilhs  (sloipiil  menteresses  ou  impuissantis  di    im   ronh  nirr.  /nais  que  le 


—     345     — 

/vy^o.s,  crdii  salaire  des  /a/jciirs.  (sht'tl  dans  h  m/ron  ih  Sarra.  (/aata/ 
inesmes  il  n'y  auroil  en  la  Theologie  autre  frnicl  f/ar  di  sajn''irois<-r  n  la 
mort.  De  telle  estude  sont  eschappez  quelques  livrets  anonimes  ou  im- 
primez soubs  d^ autres  noms,  et  dernieranenl  les  Trar/iques  que  /e  vous 
envoyerois,  si  je  ne  savais  bien  qu'ils  ont  passé  jusqu'à  vous.,  et  par  là 
eu  moyen  de  vous  ennuyer.,  si  ce  n'est  qu'en  la  bonté  que  vous  m'avez 
fait  pai'oislre,  et  en  l'amour  d'un  hon  dessein  mal  exseeuté,  vous  n'avez 
pas  voulu  iirere,  secare''.  Ce  qui  frappe  c'est  de  voir  d'Aubigné  dé- 
signer ses  Tragiques  comme  un  fruit  de  ses  lectures.  Le  nom  du 
destinataire  de  la  lettre  a  son  importance  aussi.  Goulard  a  publié  comme 
auteur,  traducteur  ou  simple  éditeur  un  grand  nombre  d'ouvrages  ayant 
trait  la  plupart  à  l'histoire  de  la  Réforme.  Son  nom  reste  attaché  à 
l'histoire  des  persécutés  protestants  de  France  et  de  l'étranger.  Sur  ce 
point  il  eut  comme  prédécesseur  le  savant  imprimeur  Jean  Crespin, 
qui,  né  à  Arras  en  Artois,  s'était  établi  à  Genève  vers  1550,  où  il  mourut 
en  1572.  Ce  réfugié  avait  publié  en  1556  un  „/fecwe//  de  plusieurs 
personnes  qui  ont  constamment  enduré  la  mort  pour  le  nom 
du  Seigneur,  depuis  J.  Wicliff  jusques  au  temps  présent,  avec 
une  troisième  partie  contenant  autres  excelles  personnages 
puis  nagueres  exécutés,  pour  une  même  confession  du  nom  de 
Dieu'\  Après  avoir  été  remanié  et  augmenté  ce  livre  devint  le  grand 
volume  infolio  qui  porte  le  titre:  Histoire  des  martyrs,  ou  histoire 
des  vrais  témoins  de  la  vérité  de  l' Evangile  Cavec  V ancre  de 
Jean  Crespin).  Genève  iolO.  Après  sa  mort,  S.  Goulart  continua 
cette  œuvre  dont  on  vit  successivement  paraître  cinq  éditions  nouvelles. 
La  dernière  est  de  1619;  elle  comprend  douze  livres,  et  va  jusqu'à  l'année 
1610.  Richement  documenté  ce  martyrologe  se  prêtait  admirablement 
aux  ^^réparations  apologétiques  d'un  pamphlétaire  et  controversiste.  D'x\u- 
bigné  doit  l'avoir  lu  et  relu,  peut-être  en  avait-il  fait,  après  la  Bible,  son 
livre  de  chevet.  La  preuve  c'est  ce  quatrième  et  sixième  chant  des 
Tragiques  qui  en  sont  le  puissant  et  vibrant  écho. 

En  effet,  les  deux  livres,  Feux  et  Vengeances,  dont  le  premier 
„est  tout  entier  au  sentiment  de  la  religion  de  l'autheur'',  et 
l'autre  ^théologien  et  hislorial'',  remontent  directement  à  l'ouvrage 
de  Crespin.  Non  seulement  la  plus  grande  partie  des  épisodes  et 
exemples  cités  par  d'Aubigné  s'y  retrouvent,  mais  l'idée  génératrice 
même  du  sixième  livre  a  dû  surgir  à  la  lecture  de  cet  ouvrage.  Il 
suffit  pour  s'en  convaincre  de  lire  les  premières  pages  du  premier  livre 
sur  les  Persécutions  de  l'Eglise  primitive  et  les  Jugemens  de  Dieu  sur 
les  persécuteurs  de   l'Eglise.^)     Sans    doute    les    connaissances   du    futur 

1)  Les  renvois  qu'on  trouve  dans  rédition  Lalanne  des  Tragiques  ne  son*^  pas 
assez  complets  pour  donner  une  idée  de  ce  que  d'Aubigné  doit  à  Crespin. 


—     346     — 

historien  dépassent  le  cadre  de  \\,Histoire  des  martyrs'-'-  qu'il  a  sous 
les  3' eux;  et  plus  d'une  fois  les  faits  contemporains  dont  il  a  été  témoin 
oculaire  revivent  en  sa  mémoire.  Alors  les  souvenirs  personnels  s'éveillent, 
le  hantent  et  viennent    se  mêler    et    s'ajouter  au  récit    de  la    chronique. 

Maint  exemple  me  cerche,  et  je  ne  cerche  pas. 

(  Vengeances  v.  921.) 
Ou  plus  loin: 

Xos  yeux  mesmes  ont  veu,  en  ces  derniers  orages, 

(Vengeances  v.  951) 

Au  souvenir  des  amitiés  lointaines  le  soldat  s'attendrit  et  trouve 
des  accents  touchants: 

Nostre  grand  Beroalde  a  veu,  docte  Gastine, 
Avant  de  mourir,  ces  traicts  fruicts  de  sa  discipline; 
Ton  privé  compagnon  d'escholles  et  de  jeux 
L'escrit:  le  fasse  Dieu  ton  compagnon  de  feux! 

[Les  Feux  v.  981.) 

Toutefois  les  retours  de  ce  genre  sont  clairsemés;  pour  l'ensemble, 
il  s'en  tient  à  sa  source.  Sans  s'y  perdre  un  instant,  il  en  dispose 
en  maître  et  en  artiste,  pour  la  faire  servir  à  ses  intentions.  A  la 
prose  pastorale  et  incolore  de  son  modèle  il  substitue  la  langue  du  soldat- 
poète.  Dans  les  soubresauts  des  emportements  éclate  la  véhémence  de 
son  tempérament  fougueux,  à  travers  les  éhms  de  la  foi,  qui  va  jusqu'à 
l'extase,  on  sent  l'ardeur  de  son  imagination  exaltée.  A  pareil  contact  la 
phrase  périodique,  sobre  et  terne  de  la  chronique  se  fond,  se  ramasse, 
se  corse,  se  condense  en  vers  d'une  concision  telle  que  souvent  ils  en 
deviennent  obscurs.  Parmi  les  données  de  l'histoire  il  va  d'instinct  aux 
extrêmes,  aux  antithèses  et  aux  contrastes  violents;  il  fond,  s'il  en  a  le 
choix,  sur  le  détail  frappant,  même  hideux,  sur  le  trait  qui  peint,  le  mot 
qui  porte,  sur  l'image  saisissante  qui  fait  frémir,  cherchant  avant  tout  à 
esînoum'tr  son  lecteur,  ce  qui  pouvait  alors  paraître  le  but  le  plus  élevé 
de  l'art  d'écrire. 


LES  FEUX   —   VENGEANCES. 

HISTOIRE  DES  MARTYRS,  PERSECUTEZ  ET 
MIS  A  MORT  POUR  LA  VERITE  DE  L'EVAN- 
GILE, DEPUIS  LE  TEMPS  DES  APOSTRES 
JUSQUES    A    LAN    1597    PAR    JEAN    CRESPIN. 


348 


Les  Feux. 

V.  53-56.  Ames  dessous  P autel  victime  des  idolles, 
p.  151.         Je  preste  à  voz  courroux  le  fiel  de  mes  paroUes, 
En  attendant  le  jour  que  VAnge  délivrant 
Vous  aille  les  portaux  du  Paradis  ouvrant. 


V.  59  —  72.   Vieillards,  de  qui  le  poil  a  donné  lustre  au  sang, 
p.  151.         Et  de  qui  le  sang  fut  décoré  du  poil  blanc: 

Hus,  Hyerosme  de  Prague,  images  bien  cognuës 
Des  tesmoings  que  Sodome  a  traîné  par  les  rues, 
Couronnez  de  papier,  de  gloire  couronnez 
Par  le  siege  qui  a  d'or  mitrez  et  ornez 
Ceux  qui  n'estoient  pasteurs  quen  papier  et  en  tiltres, 
Et  aux  Evesques  d'or  faict  de  papier  les  mitres. 
Leurs  cendres  qu'on  jetta  au  vent,  en  l'air,  en  Veau 
Profitèrent  bien  plus  que  le  puant  monceau 
Des  charongnes  des  Grands,  que  morts  on  emprisonyie 
Dans  un  marbr''  ouvragé:  le  vent  leger  nous  donne 
De  ces  graiyies  partout;  l'air  presqu'en  toute  part 
Les  esparpille,  et  l'eau  à  ses  bords  les  départ. 


V.  73—76.  Les  pauvres  de  Lyon  avoient  mis  leur  semence 
p.  151.         Sur  les  peuples  d'Alby;  l'invincible  constance 

Des  Albigeois,  frappez  de  deux  cent  mille  morts, 
S'espandit  par  l'Europe  et  en  peupla  ses  bords. 


841) 


Histoire  des  martyrs,  persécutez  et  mis  à  mort  pour  la 

vérité  de  l'Evang-ile,  depuis  le  temps  des  Apostres  jusques 

à  l'an  1597  par  Jean  Crespin. 

Frontispice:  Apoca/j/psie  VI.  ver.  IX.  et  X. 
Je  vy  SONS  l'diitel  /es  (iihch  de  ceux  qui  auaient  esté  tuez  pour 
la  parole  de  Dieu,  et  pour  le  tesmoignage  qu'ils  maintenoyent. 
Et  elles  cricyent  à  haute  voix,  disaiis,  iusques  à  quand,  Seigneur 
sainct  et  véritable,  ne  iuges-tu,  et  ne  venges-tu  nostre  sang 
de  ceux  qui  habitent  en  la  terre? 

livre  2.    fol.  50a — 66b.     Jean  Hus,  Bohémien. 

fol.  67a  — 70b.     Hierome  de  Prague,  Bohémien, 
fol.  61b— 62a.     On  auoit  fait  faire   une  couronne  de  papier, 
environ  de  la  hauteur  d'une  coudée:  en  laquelle  on  avoit  peint 
trois  diables  horribles,  et  escrit  un  titre  en  grosse  lettre,  as- 
savoir ce  mot,  Heresiarcha,  qui  signifie  prince  ou  maistre  des 

hérétiques 

11  }■   avoit   là  un   certain    prestre  a  cheval,    vestu    d'une  robe 

verte, Et  ainsi  qu'il  prioit,  il  leva  les  yeux  au  ciel,  et 

ployant  le  col,  il  fit  tomber  de  sa  teste  ceste  belle  couronne 
de  papier  qu'on  lui  avoit  mise  ....  Ils  firent  diligence  à  re- 
cueillir les  cendres,  et  les  ieterent  dedans  le  Rhin,  afin  qu'il 
ne  restast  rien  de  cest  homme  sur  la  terre,  tant  petit  que 
ce  fust. 

fol.  69  a.  Apres  que  la  sentence  eut  esté  ainsi  prononcée 
presque  en  ceste  façon,  on  apporta  à  Hierome  une  couronne 
de  papier  où  il  y  avoit  des  diables  peints  à  l'entour  .... 
Cependant  on  apporta  son  iict  et  tout  le  reste  de  son  meuble 
de  la  prison,  et  on  ietta  le  tout  dedans  le  feu:  et  quand  tout 
fut  consumé,  on  ietta  les  cendres  dedans  le  Rhin. 

livre  3.  fol.  133b.  Au  Lyonnois,  après  leur  premier  nom  de  Vaudois, 
qu'ils  ont  eu  d'un  nommé  Pierre  Valdo.  on  les  a  appelez 
Poires  de  Lyon. 


—     350     — 

Les  Feux. 

V.  85 — 90.  Ainsy  la  vérité,  far  ces  mains  desvoilee, 
p.  151.         Dans  le  Septentrion  estetidit  sa  volée; 

Dieu  ouvrit  sa  prison  et  en  donna  la  clef, 

La  clef  de  liberté,  à  ce  vieillard   Wiclef: 

De  lui]  fut  l'ouverture  aux  testnoings  d' Angleterre, 

Encor  plus  honorée  en  martyre  qu'en  guerre. 

V.  91—96.  Là  on  vid  un  Bain  an,  qui  de  ses  bras  pressoit 
p.  152.        Les  fagots  emhrazez,  qui  mourant  emhr assoit 

Les  outils  de  sa  mort,  instruments  de  sa  gloire, 
Baisant  victorieux  les  armes  de  victoire. 
D'un  céleste  brasier  ce  chaud  brasier  esmeu 
Een^amma  ces  fagots  par  la  bouche  de  feu. 


V.  97 — 100.  Frich  après  l'imita,  quand  sa  main  clesliee 
p.  152.  Fut  au  secours  du  feu  ;  il  prit  une  poignée 

De  bois  et  la  baisa,  tant  luy  semblèrent  beaux 
Ces  eschellons  du  Ciel  comni'  ornements  nouveaux. 


V.  101 — 104.  Puis  l  Eglise  accoucha  comme  d'une  ventrée 
p.  152.  De  Thorb,  de  Beiverland,  de  V  invaincu  S  autre  e, 

Les  uns  doctes  prescheurs,  les  autres  Chevaliers, 
Tous  à  droict  couronnés  de  célestes  lauriers. 


V.  105—124.  Bien  que  trop  de  hauteur  esbranlast  ton  courage, 
p.  152.  {Comme  les  monts  plus  hauts  souffrent  le  plus  d'orage), 

Ta  fin  pourtant  me  faict  en  ce  lieu  te  nommer, 
Excellent  Conseiller  et  grand  Primat  Kr  ammer; 
Pour  ta  condition  plus  haute  et  plus  aimable, 
La  vie  te  fut  douce  et  la  mort  détestable. 


V.  119.  Mais  ceux  de  qui  la  vie  a  passé  comme  un  jeu, 
p.  152.  Ces  cœurs  ne  sont  point  cœurs  à  digérer  le  feu  : 


851     — 


Crépin. 


livre  2.    fol.  30— 42b.     Jean  Wicleff. 

Il  nous  faut    poursuivre    et   commencer    ce    deuxième  livre    à 
Jean  Wicleff,  Anglois  de  nation,  où  l'on  verra..: 


livre  2.    fol.  i^H.     George  Baynam,  Anglois. 

Au  demeurant,  G.  B.,  se  monstra  fort  patient  et  constant  au 
milieu  des  flammes  ardentes:  voire  en  telle  sorte,  qu'ayant 
pris  des  fagots  entre  ses  bras,  il  sembloit  qu'il  embrassast  la 
mort.  Et  sans  changer  de  face,  adressa  sa  parole  au  peuple, 
ayant  toujours  les  yeux  fichez  sur  lui  :  exhortant  tous  de 
persévérer  constamment  en  la  foy,  jusqu'à  ce  que  la  flamme 
luy  eust  osté  la  parole  et  l'haleine,  et  lui  eust  fait  fondre  le 

cerveau et  pour  quelque    temps  il  reprima  l'ardeur, 

tellement  (|u'il  recouvra  encore  quelque  peu  de  voix,  et  eut 
moyen  de  parler  derechef  au  peuple,  iusqu'à  ce  qu'il  eust 
perdu  toute  vigueur  et  force  du  corps. 

livre  2.  fol.  lOOb-  104.  le  an  F  rit  h,  de  Londres,  hommes  de  lettres. 
.  .  .  après  qu'on  eut  ietté  sur  lui  les  flambeaux  de  paille  pour 
allumer  le  feu,  il  print  de  ses  deux  bras  quelques  fagots  qui 
estoyent  là  monstrant  ouvertement  qu'il  n'avoit  point  regret 
d'exposer  son  corps  aux  flammes  pour  une  cause  si  iuste, 
qui 

livre  2.   fol.  42b.     Guillaume  Sautree,  Anglois. 

fol.  42b— 49b.     Guillaume  Thorp,  Anglois. 

fol.  49b — 50.    M.  Jean  Beverlav,  annonciateur  de  la  parole 

de  Dieu. 

livre  6.  fol.  378  — 383b.  Thomas  Cranmer,  Primat  d'Angleterre, 
fol.  381.  dedict  de  Cranmer:  Le  Th.  C.  reiette  et  renonce 
à  toute  rheresie  de  Luther  et  de  Zwingle,  ensemble  à  toute 
doctrine  contraire  à  la  pure  et  sainte  doctrine.  Outre  je 
confesse  et  croy  fermement  une  sainte  Eglise  Catholique,  hors 
laquelle  il  n'y  a  salut  aucun:  etc. 

La  misère  et  affliction  de  C. 

La  grande  tristesse  de  C.  représentée  extérieurement.  Oraison 


—     352     — 

i»es  F'eux. 

C'est  pourquoi/  de  ces  grcmds  les  noms  dedans  ce  temple 
Ne  sont  pour  leur  grandeur,  mais  pour  un  rare  exemple, 
Bare  exemple  de  Dieu,  quand  par  le  chaz  estroict 
D'un'  esguille  il  enßle  un  cable  qui  va  droid. 


V.  125 — 134.  Poursuivons  les  Anglois  qui  de  succez  estranges 
p.  153.  Ont  fait  nommer  leur  terre  à  bon  droict  terre  d'Anges: 

Tu  as  ici  ton  rang,  o  invincible  Haux, 
Qui  pour  avoir  promis  de  tenir  les  bras  hauts 
Dans  le  millieu  du  feu,  si  du  feu  la  puissance 
Faisoit  place  à  ton  zèle  et  à  ta  souvenance  : 
Sa  face  estait  bruslee,  et  les  cordes  des  bras 
En  cendres  et  charbons  estoient  cheutes  en  bas, 
Quand  Haux,  en  octroiant  aux  frères  leur  requeste, 
Des  os  qui  furent  bras  fit  couronne  à  sa  teste. 


F.  135—146.  0  quels  cceurs  tu  engendres!  o  quels  cœurs  tu  nourris, 
p.  153.  Isle  sainte  qui  eus  pour  nourrisson  Nor  ris! 

On  dit  que  le  Chrestien  qui  à  gloire  chemine 
Va  le  sentier  estroict  qui  est  jonché  d'espine: 
Cettuy-ci,  sans  figure,  a,  pieds  nus,  cheminé 
De  Vhuis  de  sa  prison  au  supplice  ordonné: 
Sur  ces  tappis  aigus  ainsi  jusqu'à  sa  place 
A  ceux  qui  la  suivront  il  a  rougi  la  trace, 
Vraie  trace  du  ciel,  beau  tappis,  beau  chemin, 
A  qui  veut  emporter  la  couronne  à  la  fin  : 


—     353     — 


Crépin. 


de  C:  .  .  Finalement  que  ceux  qui  s'enrichissent  selon  le 
monde,  et  qui  abondent  en  biens,  se  proposent  diligemment 
devant  les  yeux  ces  mots  de  Jesus  Christ,  Qu'il  est  bien  diffi- 
cile que  te  riche  entre  j am ain  au  royaiune  des  deux. 

livre  5.    fol.  80(3 — 310b.     Thomas  Haux,  Anglois. 

.  .  .  De  ses  propos  et  de  sa  constance,  ils  (ses  compagnons) 
eurent  grande  consolation  et  assistance,  neantmoins  espouvantez 
de  l'appréhension  de  l'horreur  de  la  mort  et  du  tourment 
du  feu  qui  leur  estoit  appresté  le  prièrent  d'autant  qu'il  les 
devoit  précéder,  qu'au  milieu  des  flammes,  s'il  estoit  pos- 
sible, il  leur  fist  quelque  signe,  par  lequel  ils  fussent  mieux 
acertenez,  s'il  y  avoit  si  grand  tourment  en  ce  genre  de  sup- 
plice, qu'on  ne  pust  retenir  memoire  et  constance  en  icelui. 
Ce  que  ce  bon  ieune  homme  promit  de  faire  si  avant  qu'il 
pourroit  pour  l'amour  d'eux  et  voici  le  signe  qu'ils  eurent 
entre  eux  :  Si  la  force  et  la  violence  de  la  flamme  estoit  into- 
lérable, qu'il  demeurast  paisible  sans  se  bouger:  mais  si  elle 
estoit  tolerable,  et  pour  estre  endurée  facilement,  qu'il  eslevast 
les  mains  en  haut  par  dessus  la  teste  avant  qu'il  rendist 
l'esprit. 

Apres  qu'ils  eurent  ainsi  conclu  entre  eux,  et  confermé  leurs 
cœurs  par  mutuelles  exhortations,  l'heure  du  martyre  estant 
IJrochaine,  les  bourreaux  prindrent  Haux,  et  l'attachèrent  au 
posteau  estroitement  avec  une  grosse  chaine  de  fer  à  l'en- 
tour  de  son  corps  ....  le  feu  fut  mis  au  bois  :  ,  .  .,  ayant 
desia  la  bouche  retroite  de  la  violence  du  feu.  la  peau  toute 
grillée,  et  les  doigts  bruslez,  ainsi  que  tous  attendoyent  qu'il 
deust  alors  rendre  l'esprit,  se  souvenant  de  la  promesse  qu'il 
avoit  faite,  il  esleva  les  mains  l'une  contre  l'autre. 

livre  2.   fol.  82  b.     Ci7iq  fidèles,  exécutez  à  mort  en  Angleterre. 

Cinq  hommes  de  Xorthfolch  furent  mis  à  mort  pour  la  con- 
fession de  l'Evangile.  Le  premier  Thomas  Norys,  fut  bruslé 
à  Norwic,  l'an  M.  D.  VII,  Quelque  temps  après,  assavoir, 
l'an  M.  D.  X.  un  prestre  nommé  Thomas  fut  dégradé  en 
une  petite  ville  appellee  Erkek,  et  depuis  a  esté  bruslé  à 
Norwic.  Il  est  escrit  de  lui,  que  cependant  qu'il  estoit  encore 
en  prison,  il  se  desdit  à  la  persuasion  et  sollicitation  deg 
autres,  mais  il  se  repentit  et  a  cause  de  ceste  repentance  fut 

2.^ 


-     354     — 

ires  Feux. 

Les  pieds  deviennent  cœur,  Vame  du  Ciel  apprise 
Faid  mespriser  les  sans,  quand  le  Ciel  les  mesprise. 

V.  147  —  206.  Dieu  vid  etc. 

/;.  irys.  

De  deux  cœurs  plus  que  d'homme,  en  sexe  de  femelle, 
Deux  cœurs  Chrestiens  Anrjlois,  — —  —  — 

L'une  croupit  long  temps  en  la  prison  obscure. 

Contre  les  durs  tourments  elle  fut  la  plus  dure  : 

Elle  fit  honte  au  Diable  et  aux  noires  prisons: 

Elle  alloit  appuiant  d'exemple  et  de  raisons 

Les  esprits  défaillants  ;  nul  incenteur  ne  treuve 

Xul  tourment  qui  ne  soit  surmonté  par  Askeuve. 

Quand  la  longueur  du  temps,  la  laide  obscurité 

Des  cachots  eut  en  vain  sondé  sa  fermeté, 

On  présente  à  ses  yeux  V espouventable  géhenne, 

Et  elle  avoit  pitié,  en  souffrant,  de  la  peine 

De  ces  faux  justiciers,  qui  aiant  essayé 

Sur  son  corps  délicat  leur  courroux  desploié. 

Elle  se  teut,  et  lors  furent  bien  entendues, 

Au  lieu  d'elle,  crier  les  cordes  trop  tendues. 

Achevé  tout  l'effort  de  tout  leur  appareil, 

Xon  pas  troublé  d'un  pleur  le  lustre  de  son  œil, 

Oeil  qui  fiché  au  Ciel,  au  tourment  qui  la  tuë 

Xe  jette  un  seul  regard  pour  esloigner  sa  venë 

D'un  seul  bien  qu'elle  croit,  quelle  aspire  et  prétend, 

Le  juge  se  despite,  et  luy  mesme  retend 

La  corde  à  double  nœud,  il  met  à  part  sa  robbe; 

L'inquisiteur  le  suit;  la  passion  desrobbe 

La  pitié  de  leurs  yeux;  ils  viennent  remonter 

La  géhenne,  tourmentez  en  voulant  tourmenter  ; 

Ils  dissipent  les  os,  les  tendons  et  les  veines. 

Mais  ils  ne  touchent  point  à  Vame  par  les  geines  : 

La  foy  demeure  ferme,  et  le  secours  de  Dieu 

Mit  les  tourments  à  part,  le  corps  en  autre  lieu.  . 

Sa  plainte  seulement  encor  ne  fut  ouïe, 

Hors  l'aine  toute  force  en  elle  esvanouïe. 

Le  corps  fut  emporté  des  prisons  comme  mort  : 

Les  membres  deff aillants,  l'esprit  devint  plus  fort. 

Du  lict  elle  instruisit  et  consola  ses  frères 

Du  discours  animé  de  ses  douces  misères; 

La  vie  la  reprit,  et  la  prison  aussy  ; 

Elu  acheva  le  tout,  car  aussy  tod  voicy. 


—     355     — 

Crépin. 

condamné  à  marcher  sur  des  espinos  et  chausse-trapes  en 
allant  au  feu,  qui  lui  estoit  appresté  pour  le  dernier  supplice. 

livre  4.    fol.    171b  —  176b.     Anne  Askeve,  damoiselle  Angloise. 

Quels  tourments  ceste  vertueuse  femme  endura  au    sortir  de 

la  prison  de  Nevvgat: ,    ils  me  donnèrent   la  torture, 

atin  que  par  tourment  ils  tirassent  de  ma  bouche  ce  qu'ils 
n'avoient  peu  par  interrogations.  Et  qu'ils  m'eurent  long 
temps  tenue  en  la  géhenne,  voyans  qu'en  ces  tourments,  ie  ne 
disoy,  pas  un  seul  mot,  mesme  ne  bougeoy'  le  corps,  monsieur 
le  Chancelier  et  monsieur  Rych  furent  plus  despitez  que 
paravant,  et  tout  soudain  despouillerent  leurs  robes  et  eux 
mesmes  prindrent  les  engins  de  la  torture,  pour  faire  oftice  de 
bourreaux  :  et  usèrent  d'une  telle  violence  que  presque  ils 
me  brisèrent  les  membres,  et  ne  s'en  fallut  gueres  que  je  ne 
mourusse  entre  leurs  mains.  Le  gouverneur  de  la  tour 
apercevant  cela  fut  d'avis  que  je  fusse  ostee  de  ceste  gé- 
henne. Quand  ils  m'en  eurent  retirée  le  cœur  me  faillit,  et 
je  n'avoy'  plus  de  force  en  mes  membres:  lors  ils  m'appli- 
quèrent des  fomentations  et  me  firent  aucunement  retourner 
les  forces  et  la  vie. 

Je  demeuray  couchée  par  terre  l'espace  de  deux  heures, 
tandis  que  Monsieur  le  Chancelier  m' exhortoit  par  paroles  douces 
de  renoncer  à  mes  opinions,  et  que  j'accordasse  à  leurs  décrets. 
Mais  mon  Seigneur  et  bon  Dieu  m'arma  d'une  telle  constance, 
que    je     n'abandonnay    jamais     la     confession    pure    de  son 

Evangile:  et 

Apres  qu'on  m'eust  ainsi  torturée  je  fus  menée  en  une  petite 
maison,  où  l'on  me  mit  dedans  un  lict.  Là  je  senti  des  dou- 
leurs extremes  par  tous  les  membres  de  mon  corps,  mais  . . . 
Le  Chancelier  m'envoya  dire  par  un  messager,  que  si  je  vou- 
loye  quitter  mes  opinions  et  erreurs,  je  n'auroy'  faute  de  rien: 
autrement  je  seroy  remenee  en  prison  obscure:  et  de  là  au 
supplice  pour  estre  bruslee.  Je  lui  manday  ceste  réponse  par 
le  mesme  messager,  qu'il  n'y  avoit  si  horrible  ne  si  cruelle 
mort,  que  je  n'aimasse  mieux  endurer  autant  qu'on  vou- 
droit,  que  de  renoncer  une  seule   fois    à  la    foy    donnée  à  la 

vraye  religion 

Supplice  et  tin  d'A.  A. 


356 


Ues  Feux. 

Pour  du  faux  justicier  couronner  l'injustice, 
De  gloire  le  Martyr,  on  dresse  le  supplice. 
Quatre  Martyrs  trembloie-nt  au  nom  mesme  du  feu. 
Elle  leur  départit  des  présents  de  son  Dieu, 
Avec  son  ame  encor  elle  mena  ces  âmes 
Pour  du  feu  de  sa  foy  vaincre  les  autres  flammes. 
„Où  est  ton  aiguillon  '^  ow  est  ce  grand  effort  ? 
0  Mort  !  où  est  ton  bras  (disoit-elle  à  la  Mort)  ? 
Où  est  ton  front  hideux,  de  quoy  tu  espouvantes 
Les  hures  des  sangliers,  les  bestes  ravissantes  ? 
Mais  c'est  ta  gloire,  o  Dieu,  il  n'y  a  rien  de  fort 
Que  toy,  qui  sçais  tuer  la  peine  avec  la  mort  : 
Voicy  les  yeux  ouverts,  voicy  son  beau  visage  ; 
Frères,  ne  tremblez  pas;  courage,  amis,  courage!" 
(Elle  disait  ainsyj  et  le  feu  violent 
Ne  hrusloit  pas  encor  son  cœur  en  la  bruslant  ; 
Il  court  par  ses  costez,  enfin  leger  il  rolle 
Porter  dedans  le  Ciel  et  Vame  et  la  parolle. 


V.  207 — 280.  Or  l'autre,  avec  sa  foy,  garda  aussi  le  rang 
p.  155.  D'un  esprit  tout  Royal,  comme  Boyal  le  sang. 

Prisonnière  ça  bas,  mais  Princesse  là  haut, 
Elle  changea  son  throne  empour  un  eschaffaut, 
Sa  chaire  de  parade  en  l'infime  sellette, 
Son  carosse  pompeux  eti  l'infâme  charette. 
Ses  perles  d'Orient,  ses  brassards  esmaillez 
En  cordeaux  renouez  et  en  fers  tous  rouillez. 

Le  peuple  gémissant  portoit  part  de  sa  peine, 
En  voiant,  demi-mort,  mourir  sa  jeune  Royne, 
Qui  dessus  l'eschaffaut  se  voiant  seulement 
Ses  gands  et  son  livret  pour  faire  testament, 
Elle  arrache  ses  mains  maigres  et  menues 
Des  cordes  avec  peine,  et  de  ses  deux  mains  nues 
Fit  présent  de  ses  gands  à  sa  Dame  d'atour, 
Puis  donna  son  livret  aux  gardes  de  la  tour, 
Avec  ces  mots  escrits  :  „Si  Vame  deschar gee 
Du  fardeau  de  la  terre,  au  ciel  demi  changée, 
Prononce  vérité  —  —  —  —  — 
v.  243.  Hay  ton  corps  pour  l'aimer,  apprens  à  le  nourrir 
De  façon  que  pour  vivre  il  soit  prest  de  mourir 


—     357     — 

Crépin. 

Jean  Lacels,  Jean  Adlam,  et  Nicolas  Deleniam 
Anglois. 

(jtn  tro}^  /io/n»if.s  furent  esineus  et  e/f'raf/ez  nii  comlKif.  iiinis 
vof/ans  ht  conttfancc  d'une  feninw  (/ut  lefi  nroitipat/noi/  nu 
mppUct.  veceuretil  telle  consolation  t/ue  la  mort  m  leur  fui 
rien. 

Il  leur  print  bien  d'estre  avec  Anne  Askeve,  car  iaçoit  qu'ils 
fussent  hommes  douez  de  grans  dons,  neantmoins  l'exemple 
d'icelle  et  ses  prières  leur  firent  avoir  meilleur  courage.  Ils 
eurent  matière  de  plus  grande  consolation  en  ceste  espèce  de 
mort  si  horrible,  non  seulement  de  ce  qu'ils  voyoyent  sa  con- 
stance invincible  :  mais  aussi  pour  ce  qu'ils  furent  exhortez 
par  elle,  ce  qui  leur  osta  toute  frayeur. 


livre  5.    fol.  255 — 257b.    leane  Graye,  tille  du  duc  de  Suffolc. 

Entre  foutes  les  femmes  (l'Angleteri-e  .  .  .  reste  Jane  (le  Suffolc 
se  trouvera  avoir  esté  la  perle:  non  seulement  pour  les  dons  et 
grâces  singulières  (pi'elle  a  voit,  tnais  sur  tout  pour  sa  constance 
admirable  que  Dieu  lui  a  donnée,  de  tnaintenir  etc. 
Cela  fait  elle  se  leva  sur  ses  pieds  et  bailla  ses  gands  et  mouchoir 
à  Dame  Tylnée  sa  servante,  le  livre  au  seigneur  Bruge,  ...  : 
puis  se  voulant  despouiller  commença  à  destacher  première- 
ment sa  grand'  robe.  Là  le  bourreau  acourut  pour  lui  aider  : 
mais  elle  le  pria  de  la  laisser  un  peu  et  se  tournant  vers 
deux  sienes  nobles  servantes  se  laissa  desvestir  par  icelles. 
Et  après  qu'elles  lui  eurent  osté  ses  ornemens  et  son  atour 
de  teste  lui  baillèrent  le  bandeau  en  la  main,  dont  elle  se 
devoit  fermer  les  yeux.  Sur  cela  le  bourreau  se  mettant  à  genoux, 

lui  requit  humblement  lui  vouloir  pardonner le 

bourreau  ayant  desgainé,  lui  coupa  la  teste  l'an  du  Seigneur 
M.  D.  L.IV. 

Les  paroles  dites  pctr  ceste  noble  Dame  quand  on  la  menait  au 
supplice 


358      — 


Les  Feux. 


Toujours  reigle  à  la  fin  de  ton  vivre  le  courn, 
Chacun  de  tes  jours  tende  au  dernier  de  tes  Jours. 
De  qui  veut  viwe  au  Ciel  Vaise  soit  la  souffrance 
Et  le  Jour  de  la  mort  celuy  de  la  naissance.^'' 

Achevant  ces  présents,  l'exécuteur  vilain, 
Pour  la  Joindre  au  posteau  voulut  prendre  sa  main 
Eir  eut  horreur  de  rompre  encore  la  modestie 
Qui  jusqu'au  beau  mourir  orna  sa  belle  vie  ; 
Elle  appréhenda  moins  la  mort  et  le  couteau 
Que  le  salle  toucher  d'un  infame  bourreau  : 
Elle  appelle  au  secours  ses  pasles  Damoyselles 
Pour  descouvrir  son  col;  ces  fillettes  novelles 
Au  funeste  mestie)',  ces  juteux  instruments 
Sentirent  jusqu'au  vif  leur  part  de  ses  tourments. 

V.  274.  Les  mains  qui  la  paroient  la  parèrent  encore  : 
V.  278.  La  lame  du  bourreau  de  son  sang  fut  mouillée  : 

V.  281—290.  Le  ferme  doigt  de  Dieu  tint  celug  de  Bilnee, 
p.  157.  Qui  à  sa  pemdtiesme  et  craintive  Journée, 

Voidut  prouver  au  soir  s'il  estoit  assez  fort 
Pour  etidurer  le  feu  instrument  de  la  mort. 
Le  geolie^-,  sur  le  soir,  en  visitaut  le  treuve 
Faisant  de  la  chandelle  et  du  doigt  son  espreuve: 
Ce  feu  lent  et  petit,  d'indicible  douleur, 
A  la  première  fois  luy  affoiblit  le  cœur. 
Mais  après  il  souffrit  brusler  à  la  chandelle 
La  peau,  la  chair,  les  nerfs,  les  os  et  la  moelle. 


291 — 318.  Le  vaillant  Gardiner  me  contraint  cette  fois 

158.  D'animer —  —  —  — 

Tout  son  sang  escuma,  luy  reprochant  son  ayse 
En  souffrant  adorer  Vidolle  Portugaise. 
Au  magnificque  apprest  des  nopces  d'un  grand  Roy, 
La  loy  de  Dieu  luy  fit  mettre  aux  pieds  toute  loy, 
Toute  crainte  et  respect,  les  tourments  et  sa  vie. 
Et  puis  il  mit  aux  pieds  et  Vidolle  et  l'hostie 
Du  Cardinal  sacrant  :  là,  entre  mille  fers. 
Il  desdaigna  le  front  des  portes  des  Enfers  : 


—     859     — 

Crépin. 

Vi  comme  si  tu  devois  mourir  journellement.  Mœurs  en 
telle  sorte  que  tousjours  tu  vives  sans  jamais  mourir.  Que 
la  fragile  fiance  de  la  vie  incertaine  jamais  ne  t'abuse. 


livre  2.    fol.  98.     Thomas  Bilnee,  .  . 

On  dit  ceci,  que  le  jour  devant  que  B.  eut  esté  envoyé  au 
feu,  passant  la  nuict  en  prières,  ainsi  que  sa  garde  dormoit 
il  mit  son  doigt  en  la  flamme  de  la  chandelle,  pour  essayer 
s'il  pourroit  endurer  la  violence  du  feu  ;  mais  aussi  tost  qu'il 
eut  approché  son  doigt  (comme  la  chair  resistoit)  il  le  retira, 
et  commença  à  reprendre  sa  chair  disant,  comment?  tu  ne 
peux  endurer  la  brusleure  d'un  de  tes  membres,  et  comment 
pourras-tu  endurer  la  brusleure  de  tout  ton  corps  ?  Et  quant 
et  quant  mit  derechef  son  doigt  en  la  flamme  de  la  chandelle 
et  endura  la  douleur  du  feu. 

livre  4.    fol.   199b — 201.     Guillaume  Gardiner,  en  Portugal. 

L'excellence  de  ce  martyr.  Nopces  du  Eoy  et  Eoyne  de 
Portugal.     Gardiner   ne   peut   souffrir    d'idolâtrie    du  Roy   et 

de  la  Cour Finalement  le    Cardinal   vint    à   l'endroit 

de  la  Messe,  auquel  tenant  l'oublie  en  l'une  des  mains  et  la 
remuant  sur  la  platine  la  contournoit  d'un  costé  et  d'autre. 
Là  Gardiner  ne  pouvant  plus  souffrir  si  grande  impieté, 
s'adressa  promptement  vers  le  Cardinal;  et  (qui  est  la  cause 
presque  incroyable)   en    la   présence    et    veuë   du   Roy   et  de 


360     — 


Les  Feux. 


Il  vainquit  en  souffrant  les  peines  les  plus  dures, 

Les  serfs  des  questions  il  lassa  de  tortures  : 

Contre  sa  fermeté  reboucha  le  tourment, 

Le  fer  contre  son  cœur  d'un  ferme  diamant  ; 

Il  avalla  trois  fois  la  ser'viette  satiglante  : 

Les  yeux  qui  le  voioient  souffraient  peine  evidente. 

Il  beut  plus  qu'en  humain  les  inhumanités, 

Et  les  supplices  lents  finement  inventez; 

On  le  traine  au  supplice,  on  couppe  sa  main  dextre, 

Il  la  porte  en  la  bouche  avecque  sa  senestre, 

La  baise;  l'autre  poing  luy  est  couppé  soudain, 

Il  met  la  bouche  à  bas  et  baise  l'autre  main  : 

Alors  il  est  guindé  d'une  haute  poulie, 

De  cent  nœuds  à  cent  fois  son  ame  se  deslie: 

On  brusle  ses  deux  pieds,  tant  quïl  eut  le  sentir, 

On  cherche  sans  trouver  en  luij  le  repentir. 

La  mort  à  petit  feu  lui  oste  son  escorce, 

Et  lui  à  petit  feu  oste  à  la  mort  la  force. 


V.  330 — 346.  Dieu  poursuivit  Satan,  et  luy  fit  guerre  ouverte 
p.  159.  Jusqu'en  V Amérique,  où  ces  peuples  nouveaux 

Ont  esté  spectateurs  des  faits  de  nos  bourreaux. 
Leurs  flots  ont  sceu  noier,  ont  servi  de  supplices, 
Et  leurs  rochers  hautains  prestes  leurs  précipices. 

Ce  ti'est  en  vain  cpue  Dieu  desploia  ses  thresors 
Des  bestes  du  Brésil  aux  solitaires  bords, 


V.  3.57—376.  Venot,  qucdre  ans  lié,  fut  en  fin  six  sepmaines 
p.  159.            En  deux  vaisseaux  poinctus,  continuelles  geinnes  ; 
Ses  deux  pieds  contremont  avoient  ploie  leurs  os; 
En  si  rude  posture  il  trouva  du  repos. 
On  vouloit  desrober  au  public  et  aux  veuës 
Une  si  claire  mort,  mais  Dieu  trouva  les  grues 
Et  les  tesmoings  d'irus.     Il  demandait  à  Dieu 
Qu'au  bout  de  tant  de  maux  il  peust  au  beau  millieu 
Des  peuples  l'anoncer,  —  —   — —  —  —  — 

Dieu  l'ouït,  l'exauça,  et  sa  peine  cachée 
X'eust  peu  jamais  trouver  heure  mieux  recerchee  : 
Il  fut  la  belle  entrée  et  spectacle  d'un  Boy, 
Aiant  Paris  entier  spectateur  de  sa  foy. 


—     361     — 

Crépin. 

toute  la  noblesse  de  tous  les  Estats,  arracha  d'une  main  le 
dieu  de  paste,  et  marcha  soudain  dessus:  de  l'autre  il  renversa 
sa  platine.  Cela  estonna  tellement  toute  rasseml)lee  de  prime 
face  que  le  peuple  .... 

La  (jehenne  de  fa  serviette  usitée  en  Portugal:  Or  non  contens 
encores  des  remonstrances  qu'il   leur   avoit  tenues,    au  défaut 

des  lettres —  — ,  ils  adiousterent  encores  une  nouvelle 

manière  de  torture,  de  laquelle  on  o'avoit  gueres  auparavant 
oui  parler  et  laquelle  passe  la  cruauté  des  autres  tourmens. 
Ils  firent  coudre  un  linge  quasi  en  rondeur,  et  le  luv  four- 
rèrent dedans  le  gosier,  puis  le  firent  distiler  eu  l'estomach, 
estant  attaché  par  le  dernier  bout  avec  une  petite  corde 
qu'ils  tenoyent  en  la  main,  puis  le  retiroyeut:  ce  qu'ils  con- 
tinuèrent par  plusieurs  fois,  pour  le  faire  plus  languir,  et  pour 
lui  arracher  et  ulcérer  les  parties  intérieures.  Or  estant  les 
bourreaux  faschez  des  tortures  et  cruautez  desquelles  ils 
avoyent  inhumainement  martirizé  ce sainct  personnage, 

livre  7.    fol.  399  b — 404  b.    Dieu  recueille  une  église  au  pays  du  Brésil, 
partie  de  l'Amérique  Australe, — 


livre  4.    fol.   185b.     M.  Florent  Venot. 

La  constance  de  F.  V.,  —  — ,  est  digne  de  memoire,  car 
elle  a  esté  mesme  en  estonnement  aux  plus  grands  adversaires 
de  la  vérité.  Il  n'y  a  espèce  de  tourment  qu'il  n'ait  enduré 
l'espace  de  quatre  ans  et  neuf  jours,  qu'il  fut  destenu  pri- 
sonnier en  la  ville  de  Paris.  Entre  autres  tourmens  de  la 
prison,  il  fut  environ  six  sepmaines  en  un  lieu  où  il  ne  se 
pouvoit  coucher  ni  estre  debout  sinon  sur  le  bout  des  pieds 
le  corps  estant  courbé.  Geste  espèce  de  tourment  est  appelée 
par  les  maistres  inventeurs  de  ce  tourment  »la  chausse  ou 
hotine  à  l'hippocras^  pour  la  figure  qui  est  au  bas  estroite, 
et  grosse  en  eslargissant.  Il  n'y  a  eu  criminels  au  rapport 
d'eux-mesmes,    qui   ait  peu  endurer  ce  tourment  quinze  jours 


862     — 
JLes  Feux. 


r.  384 — 3i>0.  Il  esveilla  celw/  sont  les  discours  s^i  beaux 
p.  160.  Donnèrent  cœur  aux  cœurs  des  quatorze  de  M  eaux, 

Qui  (en  voiant  passer  la  charrette  enchainee 
En  qui  la  saincte  trouppe  à  la  mort  fut  mejiee) 
Quitta  là  son  mestier,  vint  les  voir,  s^enquerir, 
Puis  instruit  de  leur  droid  les  voidut  secourir, 
Se  fit  leur  compagnon  et  en  fin  il  se  jette. 
Pour  mourir  avec  eux,  lu>/  mesme  en  la  charrette. 


V.  427 — 4i')4.  Les  Lyonnais  aussi  résistèrent  à  Dieu, 
p.  lf)2.  Lors  que  deux  frères  saincts  se  rirent  au  miUieu 

Des   feux  estiucellans,    —  —  —   —   —  —   —   — 


-      363      - 

Crépin. 

au  plus  sans  estre  en  danger  de  mort,  ou  de  transport  par 
rage  et  aliénation  de  sens.  —  —  —  — 

Vous  prétendez  par  longs  touriuens  débiliter  la  force  de 
l'esprit,  ou  de  me  faire  mourir  en  la  prison:  mais  vous  y 
perdez  temps,  car  j'espère  que  Dieu  me  fera  la  grâce  de 
persévérer  jusque  à  la  fin  et  de  bénir  son  sainct  Nom  en 
ma  mort.  Quelque  temps  après  il  eut  heureuse  issue  de  son 
souhait  voire  en  ceste  saison  fort  convenable  pour  manifester 
aux  plus  braves  de  la  Cour  de  France,  que  la  vérité  de 
l'Evangile  est  plus  forte  et  puissante  que  —  —  —  —  — . 
En  ces  pompes  et  festins  solennels  ordonnez  par  le  Roy, 
après  son  entrée  en  la  ville  de  Paris,  —  —  —  —  — .fut 
produit  pour  estre  sacrifié.  Et  pour  lui  faire  plus  grand 
opprobre,  ou  pour  l'intimider  on  le  fit  spectateur  de  la  mort 
des  autres  martyrs  du  Seigneur,  qui  ce  jour-là  endurèrent 
la  mort  en  divers  lieux  en  la  dite  ville  de  Paris.  Et  com- 
bien que   ce  personnage    eust   la   langue    coupée:    neantmoins 

Il  fut  donc  exécuté  le  dernier  estant  fort  travaillé  de  corps: 
et  fut  bruslé  vif  en  la  place  Maubert  environ  les  2  heures  après 
midi  le  neufieme  de  juillet  du  dit  an   1549. 

livre  4.  fol.  170— 172b.  De  ceux  de  la  tille  de  Meaiix:  et  de 
quatorze  martyrs  exécutez  en  icelle.  Cependant  avint  un 
acte  notable  par  une  grande  providence  de  Dieu,  qui  resjouit 
et  consola  merveilleusement  ces  pauvres  patiens  oppressez 
de  fascherie  et  travail  tant  d'esprit  et  de  corps.  Comment 
ils  passoyent  par  la  forest  Livry,  laquelle  est  à  trois  lieues 
de   Paris,    se    présenta    à  eux    un    homme    d'un    petit    village 

voisin — ,    tisserand    de    toile    de    son    métier:    lequel 

commença  à   suivre   les   chariots   exhortant   tous  à  persévérer 
en  la   confession   de    la   vérité.     Prenez  courage,    disoit-il,  — 
—  —  —  —  —  —  —    et    sans    autre    inquisition    le    lièrent 

et  le  garrottèrent,  puis  le  jetterent  dedans  le  chariot  des  plus 
criminels.  —  —  car  cet  homme  tout,  frais  en  son  ardeur  leur 
servit  de  refraischissement  et  nouveau  secours  etc. 

livre  4.    fol.  201  — 231b.    Martial   Alba,    Pierre  Escrivain,    Bernhard 

Seguin,  Charles  Faire,  Pierre  Kavihere: lesquels  furent 

constituez  prisonniers  en  la  ville  de  Lyon,  le  premier  jour 
du   mois   de   May,   M.  D.  LU.    —   —   —,   après   avoir   receu 


—     364     — 

Les  Feux, 

Un  grand  feu  fut  pour  eux  aux  Terreaux  préparé; 

Ces  deux  frères  priaient,  quand  —   —  —  —  —   — 

V.  455—402.  Autres  cinq  de  Lyon,  liez  de  mesmes  nœuds, 
p.  162.  Xe  furent  poind  dissouts  par  les  fers  et  les  feux: 


V.  469  —  514.  Heureuse  Graveron,  qui  ne  sceut  ton  courage? 
p.  163.  Qui  ne  cognent  ton  cœur  non  plus  que  ton  voiage  ? 

L'hommage  fut  à  Dieu  qu'en  vain  tu  apprestois 
A  un  vain  Cardinal,  ce  fut  au  Rog  des  Rois, 

Sa  soeur  la  trouve  en  pleurs  finissant  sa  prière, 

Son  visage  luisît  de  nouvelle  beauté 
Quand  Varrest  lui  fut  leu  :  le  bourreau  présenté. 
Deux  qui  V acompagnoient  furent  pressez  de  tendre 
Leurs  langues  au  couteau; —  —  —  —  —  — 


V.  526 — 5)42,  Il  fallait  que  la  terre  aussi)  fust  leur  bourelle. 

p.  164.  ' 

Je  veux  tirer  à  part  la  constante  Marie, 
Qui  (votant  en  tnespris  le  tombeau  de  sa  vie 
Et  la  terre,  et  le  coffre,  et  les  barres  de  fer 
Oh  elle  allait  le  corps,  et  non  Vame  estouffer) 


—     365     — 

Crépin. 

sentence.  —  —  — ,  laquelle  estoit  en  somme  d'estre  menez 
au  lieu  des  Terreaux,  et  là  estre  bruslez  vifs  iusque  à  y  faire 
par  le  feu  entière  consomption  de  leurs  corps.  Le  dernier 
supplice. 


livre  7.  fol.  481b.  Philippe  de  Lwis,  damoiselle  de  Graverori  en 
Perigueux. 

Quant  le  lieutenant  la  voulut  renvoyer,  elle  luv  fit  ceste 
requeste  :  Monsieur,  vous  m'avez  osté  ma  sœur,  et  avez 
commandé  que  je   fusse    enfermée  seule:  ie  voy  bien  que  ma 

mort  aproclie; c'est  à  présent,  je  vous  prie  m'ottroyer 

que  i'aie  une  Bible  ou  un  nouveau  testament  pour  me  conforter. 
(Clinet,  et  Gravelle  ses  compagnons  ont  baillé  leurs  langues 
au  couteau)  la  Damoiselle  estant  requise  de  bailler  sa 
langue,  le  fit  alaigrement,  disant  ces  paroles,  puis  que  je  ne 
plains  mon  corps  plaindroy-je  ma  langue?  Non,  non.  Tous 
trois  estant  ainsi  acoustrez  partirent  du  Palais.  —  —  — . 
La  Damoiselle  sembloit  encores  les  surmonter  en  constance, 
car  elle  n'estoit  aucunement  changée  de  visage:  mais  assise 
dessus  le  tombereau  monstroit  une  face  vermeille,  voire  d'une 
excellente  beauté.  Elle  avoit  au  paravant  pleuré  son  mari, 
et  portoit  le  dueil  habillée  de  linges  —  —  —  —  — ,  mais 
alors  avoit  posé  tous  ses  habillements  de  vefvage  et  reprins 
le  chaperon  de  velour  et  autres  acoutremens  de  joye,  comme 
pour  recevoir  ceste  heureux  triomphe  et  estre  jointe  à  son 
époux  Jésus  Christ.  Estant  arrivez  à  la  place  Maubert, 
lieu  de  leur  mort,  avec  ceste  constance  ils  furent  ars  et 
bruslez:  Clinet  et  Gravelle  vifs,  la  Damoiselle  estranglee  après 
avoir  esté  flamboyée  aux  pieds  et  au  visage. 

livre  3.  fol.  161b.  Marion,  femme  d' Adrian,  cousturier  de  Tournay. 
Estant  venue  sur  reschafi"aut,  et  ayant  aperceu  la  terre,  le 
coffre  et  les  preparatives,   tant  s'en  fallut  qu'elle   s'estonnast 

de  ce  cruel  apareil. .     Quand  M.  fut  estendue  dans 

ce  coffre,  les  trois  barres  la  serrant  estroitement,  —  — .  En 
ce  tourment  cruel,  la  vertueuse  femme  fut  suffoquée  et 
couverte  de  terre,  et  ainsi  finit  son  martyre. 


—     366     — 

Les  Feux 

ôiH — 612.  Entre  ceux  dont  l'esprit  peut  esire  traversé 
1G5.  De  l'espoir  du  futur.,  du  loyer  du  passé, 

Du  Bourg  aura  ce  rang ^  son  cœur  pareil  à  l'aage, 
A  sa  condition  l'honneur  de  son  courage, 
Son  esprit  indompté  au  Seigneur  des  Seigneurs 
Sacrifia  son  corps,  sa  vie  et  ses  honneurs. 

En  allant  à  la  mort,  tout  plein  d'authorité, 

Il  prononça  ces  mois:  „ —  —  — —  —  —    — 

„Mais  ce  pleur  vous  tourmente  et  vous  est  inutile. 
Et  ce  pleur  n'est  qu'un  pleur  d'un  traistre  crocodile. 

Du  Bourg  prés  de  la  mort,  sans  qu'un  visage  blesme 
L'habillast  en  vaincu,  se  devestit  sog  mesme 
La  robbe,  en  s'escriant  :  „Cessez  vos  bruslements. 
Cessez,  o  Senateurs  !  tirez  de  mes  tourments 
Ce  profit,  le  dernier,  de  changer  de  courage 
En  repentance  à  Dieu."     Puis  tournant  son  visage 
Au  peuple  dit:  „Amis,  meurtrier  je  ne  suis  point: 
C'est  pour  Dieu  l  immortel  que  je  meurs  en  ce  poinct." 
Puis  comme  on  Veslevoit,  attendcmt  que  son  ame 
Laissast  so)i  corps  heureux  au  licol,  à  la  fiamme  : 
„Mon  Dieu,  vray  luge  et  Père,  au  millieu  du  trespas 
Je  ne  Vay  point  laissé,  ne  m' abandonne  pas  : 
Tout  puissant  de  ta  force  assiste  ma  foiblesse  : 
Ne  me  laisse,  Seigneur,  de  peur  que  je  te  laisse." 


2j.  623—720.  Mais  Dieu  voulut  encor  à  sa  gloire  immortelle 
p.  167.  Presch  er  dans  l'Italie  et  en  Rome  infidelle, 

Vous  avez  veu  du  cœur,  voulez  vous  de  l'adresse. 
Et  voir  le  fin  Satan  vaincu  par  la  finesse  ? 
Montalr.hine,  l'honneur  de  Lombardie,  il  faut 
Qu'en  ce  lieu  je  t'esleve  un  jüus  brave  eschafaut 
Que  celui  sur  lequel,  aux  portes  du  grand  temple, 
Tu  fus  martyr  de  Dieu  et  des  martyrs  l'exemple. 
D Antéchrist  descouvrant  —    —   —  —  —  — 


Besolut  de  cacher  ses  meurtres  désormais 
De  la  secrette  nuict  soubs  les  voiles  espais. 


—     367      - 

Crépin. 

livre  7.    fol.  4(i7b— 47ôb.    Anne  Du  Bourg,  Conseiller  au  parlement 
de  Paris. 

Le  dernier  ronilmf  cf  nolahlc  i.s.sne  de  M.  Ihi  lid/in/. 
De  la  remonstrance  qu'il  lit  A,  ses  juges. 
Admonition  cligne  que  tous  Juges  et  Magistrats  entendent. 
Pourquoy  le  glaive  donné  aux  Magistrats.  —  Ayant  encores 
repris  son  propos  par  une  grande  véhémence,  jusques  à  faire 
larmoyer  ses  luges,  leur  disoit  qu'ils  l'avoyent  fait  mourir 
pour  n'avoir  voulu  reconoistre  iustice,  —  —  — .  Et  après 
avoir  continué  longuement  ce  discours,  il  dit  pour  conclusion, 
Cessez,  cessez  vos  bruslements,  et  retournez  au  Seigneur  en 
amendement  de  vie,  afin  que  vos  péchez  soient  effacez:  que 
le  meschant  deslaisse  sa  voye  et  ses  pensées  perverses,  et 
qu'il  se  retourne  au  Seigneur,  il  aura  pitié  de  lui.  Vivez 
donc,  et  méditez  en  icelui,  ô  Senateurs,  et  moy  je  m'en  vay 
à  la  mort.  Ainsi  fut  mené  lié  en  la  manière  acoustumee, 
dedans  une  charrette,  à  la  place  nommée  S.  Jean  en  Grève, 
—  —  — ,  monstrant  toujours  un  visage  asseuré,  iusque  niesme 
à  despouiller  (estant  venu  au  lieu  du  supplice)  lui  raesme  ses 
habillemens:  et  estant  nud  iettant  de  grands  soupirs,  0  Dieu, 
disoit-il  au  peuple,  mes  amis,  je  ne  suis  point  ici  comme  un 
larron  ou  meurtrier:  mais  c'est  pour  l'Evangile.  Et  comme 
on  l'eslevoit  en  l'air,  disoit  souvent,  Mon  Dieu,  ne  m'abondonne 
point,  alin  que  je  ne  t'abondonne:  iusques  à  ce  qu'il  fut 
exécuté,  pendu  et  estranglé,  sans  sentir  le  feu,  ceste  grâce 
lui  ayant  esté  faite  par  ses  luges.  Ainsi  il  scella  de  son 
propre  sang  ce  qu'il  avoit  signé  de  sa  main,  comme  il  avoit 
protesté  par  sa  confession. 

livre  5.    fol.  264b.     leau  Molle,  et  un  Tisseran  de   Peruse. 

Jean  Molle  estoit  natif  de  Montalcin,  ville  assize  au  territoire 

de  Siene 

Ainsi  donc  le  cinquiesme  jour  de  septembre  de  Tau  M.  D. 
L.  III,  il  fut  mené  avec  plusieurs  autres  para  vaut  emprisonnez 
pour  le  fait  de  la  Religion,  au  temple  qu'ils  appelent  Santa 
Maria  di  Minerva,  atin  que  ceux  qui  ne  voudroyent  abjurer 
fussent  condamnez  sur  le  champ  et  envoyez  au  feu. 
Estant  escheu  à  Jean  de  parler  à  son  tour,  il  demanda 
congé  de  dire  ouvertement  ce  qu'il  avoit  eu  pensée  :  ce  qui 
lui  fut  octroyé.  Lors  entamant  le  propos  il  répéta  et  con- 
ferma  par  vives  raisons,   proposées    d'une   grande    véhémence 


368     — 
IjOs  Feux. 


Ce  vieil  soldat  de  Chirst  feignit  un  repentir, 
Foict  ses  jnf/es  venir,  et  après  la  sentence 
Leur  promet  d'annoncer  entière  repentance 
De  ses  fausses  erreurs  et  que  publicquement 
Il  se  desisteroit  de  ce  que  faussement 
Il  avoit  enseigné:  on  assura  sa  vie, 
Et  sa  promesse  fut  de  promesses  suivie. 

Et  Montalchine  fut  conduit  pjonr  se  desdire 
Sur  Veschaffaut  dressé:  là  du  peuple  il  fut  veu 
En  chemise,  tenant  deux  grands  torches  de  feu  : 

(Son  discours). 
V.  717.  Les  peupAes  tous  esmeus  commançoient  à  troubler: 
Il  jette  gayement  ses  deux  torches  en  Vair, 
Demande  les  liens,  et  cette  ame  ordonnée 
Pour  Vestou-ffer  de  nuicf  triomphe  de  journée. 

V.    719 — 788.    Vous,  Gastine  et  Croquet,  sortez  de  vos  tombeaux: 
p.  170.  leg  je  planterag  vos  chefs  luisants  et  beaux  : 

An  milieu  de  vous  deux  je  logeray  Venfance 
De  vostre  commun  fils,  beau  mirouer  de  constance. 


y,   SSS — 890.   Et  Le  Brun,  Da  up)  hin  ois,  doctement  avisé, 
j),  175.  Quand  il  eut  sa  sentence  avec  plaisir  ouië, 

Bespondit  qu'on  Va  voit  condamné  à  la  vie. 


V.  1823 1350.  Quand  la  guerre,  la  peste  et  la  faim  s'apjprochoient, 

p.  188.  Les  trompettes  d'Enfer  plus  eschauffez  preschoient 

Les  armes,  les  fagots,  et,  pjour  appaiser  l'ire 
Du  Ciel,  on  présentent  un  fidelle  au  martyre  : 

Vous  deschirez  encor  et  les  noms  et  les  vies 
Des  inhumanitez  et  mesmes  calomnies 
Que  Borne  la  payenne  infidelle  inventa, 
Lors  que  le  fils  de  Dieu  sa  bannière  y  planta. 


—     369     — 

Crépin. 

et  ardeur  d'esprit  tout  ce  qu'il  avoit  paravant  enseigné  et 
pressé  en  divers  lieux  touchant  les  articles  pour  lesquels  il 
estoit  accusé  d'heresie  :  comme  du  Péché  Originel,  de  la 
lustification  de  la  foy,  des  bonnes  œuvres,  etc.  .  .  .  En 
témoignage  de  ces  choses,  reprenez  maintenant  ceste  chan- 
delle que  vous  m'avez  baillée.  Quoy  disant  il  jetta  par  terre 
le  plus  loin  qu'il  peut,  et  d'un  visage  courroucé,  la  chandelle 
allumée,  qu'il  tenoit  en  la  main. 


livre  10.  fol.  TOI.  Nicolas  C'roquet,  Philippe  et  Richard  de 
Gastines,  père  et  fils,  marchans  de  la  ville  de  Paris. 
(Des  actions  particulières  durant  leur  emprisonnement,  combien 
que  la  Cour  de  Parlement  se  soit  fort  gardée  d'en  publier 
quelque  chose,  si  est-ce  qu'elle  a  assez  manifesté  par  sentence 
et  arrest,  les  raisons  pour  lesquelles  on  les  a  fait  mourir: 

livre     3.    fol.   117.    Estienne  Brun,  Dauphinois. 

Au  mois  de  luin  de  ceste  mesme  année,  Estienne  estant 
mené  devant  les  luges  pour  ouïr  sentence  de  mort,  les  aborda 
en  ceste  sorte,  disant,  Pouvres  gens  que  pensez-vous  faire"? 
vous  me  voulez  condamner  à  la  mort  :  vous  vous  trompez,  ce 
sera  à  la  vie. 

livre     6.    fol.  474—478.     (édit.  d.   1570)! 

Touchant  la  persécution  de  l'Eglise  des  fidèles  à  Paris. 
Cependant  le  bruit  couroit  par  tout  de  ceste  prise:  et  propos 
divers  se  tenoient  de  ça  et  de  là,  touchant  ce  qui  s' estoit  fait 
à  l'assemblée  et  la  commune  opinion  estoit,  qu'on  s'estoit  à 
ressemblée  pour  faire  un  banquet,  et  puis  paillarder  pesle 
mesle  les  chandelles  esteintes. 
idem.  fol.  477. 

24 


—     370     — 

Les  Feux. 

Xous  sommes  des  premiers  images  véritables  : 
Lnprudents  vous  prenez  des  Nerons  les  vocables. 
Encontre  ces  Chrestiens  tout  s'esmeut  par  un  bruit 
Qu'ils  mangeoient  les  enfants,  qu'ils  s  assembloient  la  nuict 
Pour  tuer  la  chandelle  et  faire  des  meslanges 
D'inceste,  d'adultère  et  des  crimes  estranges. 
Ils  voioient  tous  les  jours  ces  Chrestiens  accusez 
Ne  cercher  que  Vhorreur  des  grands  feux  embrasez, 
Et  Cyprian  disoit:  „Les  personnes  charnelles 
Qui  aiment  leurs  plaisirs,  cerchent-ils  des  fins  telles  ? 
Comment  pourroit  la  mort  loger  dans  les  désirs 
De  ceux  qui  ont  pour  Dieu  la  chair  et  les  plaisirs  ?" 


—     371     — 

Crépin. 

fol.  477b.    Iiistin   Martyr,   (ui   Dialogue   qu'il  a  fait  avec 

Trijphon  contre  les  luifs. 

Car,  qui   est   celuy   qui   estant   voluptueux  et   charnel,  aille 

ioyeusement  à  la  moi't,  par  laquelle  il  perd  toutes  ses  com- 

nioditez  et  plaisirs? 

Saint  Cyprien  au  premier  Traitté  contre  Demetrian. 

Tu  dis  que  plusieurs   se   plaignans,    estiment   que  les  guerres 

qui  s'esmeuvent  souvent,  les  pestes,   les  famines,  les  longues 

pluyes    adviennent   à  cause    de    nous,    et   que  tous  les  maux 

dont    le    monde    est    troublé,     nous   doivent    estre    imputez, 

d'autantque    nous    ne    servons  point  à  leur  dieux:    or    qu'ils 

sacbent    au    contraire   que,   c'est  pourautant    que  Dieu   n'est 

point  servy  par  eux. 


V.    561-575.  p.  208. 

V.    587—594.  p.  209. 

^,  007^650.  p.  210. 

V.     651-666.  p.  211. 

V.    689-693.  p.  212. 

V.     702.  p.  213. 

V.    768-890.  p.  214. 

V.    893-903.  p.  218. 

V.    924.  p.  219. 

V.  1061-1064.  p.  223. 

V.  1064—1074.  p.  223. 

V.  1075—1082.  p.  228. 

V.  1083-1094.  p.  224. 

V.  1095-1100.  p.  224. 

V.  1101-1108.  p.  224. 

V.  1109.  p.  225. 

V.  1110.  p.  225. 

V.  1111—1112.  p.  225. 

V.  1027—1150.  p.  225. 


—     872  — 

Livre  cinquième. 
Les  Fers. 


Livre  sixième. 

Vengeances. 

V.     516—536.    p.  254.    Néron. 
V.    537 — 552.    p.  255.    Domitian. 
V.    553 — 564.    p.  255.    Adrian. 

V.    565 — 586.    p.  256.    Severe,   Hermhiian,    Valerian,  Saporez. 
V.    597 — 646.    p.  257.    Aurelian,    Diocletian,    Maximian, 

Maximin. 

V.    647-650.    p.  258.    Julian. 
(V.  506—650.) 


')  Nous  n'avoas  pas  parlé  du  chant  cinquième  pour  lequel  les  rapprochements, 
comme  on  le  voit,  sont  encore  possibles.  Mais  les  emprunts,  si  emprunts  il  y  a,  étant 
moins  fidèles  et  moins  fréquents,  et  l'élément  historique  qui  prédomine  dans  les  Fers 
nous  semblant  devoir  remonter  à  des  sources  plus  directes,  nous  nous  sommes  bornés  ici 
à  des  renvois. 


—     373     — 


Crépin. 


livre     8. 

fol. 

557 — 5(il. 

livre     8. 

fol. 

583— 584b. 

livre     8. 

fol. 

592— 594b. 

livre  10. 

fol. 

712—716. 

livre     8. 

fol. 

133— 14(j. 

livre     2. 

fol. 

71b. 

livre  10. 

fol. 

703b— 708b. 

livre  10. 

fol. 

707  b. 

livre  10. 

fol. 

706. 

livre  10. 

fol. 

708  b— 709  b. 

livre  10. 

fol. 

712b-716. 

livre  10. 

fol. 

717— 719b. 

livre  10. 

fol. 

718b. 

livre  10. 

fol. 

709b— 712;  720- 

-722. 

livre  10. 

fol. 

722. 

livre  10. 

fol. 

589—591. 

livre     8. 

fol. 

594  b. 

livre  10. 

fol. 

722b— 724b. 

livre  10. 

fol. 

716. 

livre 
livre 
livre 

1. 
1. 
1. 

livre 
livre 

1. 
1. 

livre 
livre 

1. 
1. 

Crépin. 

fol.  9.     Persécution  de  r Eglise  chrestienne  sous  Néron. 
fol.  9b.     Seconde  persécution  de  V Eglise  sous  Domitian. 
fol.  10 — 14.     La  quatrième   persécution  sous    Adrian   An- 
tonin,   

fol.  13.     Cinquième  persécution  sous  Severus. 
fol.  14.     Neuvième  persécution  sous  Aurelian. 
La  neuvième  et  longue  persécution  sous  Diocletietn,   Maxi- 
mian et  M  a  xi  m  in. 
fol.  15 -17b. 

fol.  27  b— 31b.    Discours  des  jugemens  de  Dieu  sur  quelques 
persécuteurs  de  P Eglise  primitive  chrestienne. 


—     374     — 

Vengeances. 

V.  767—777.  Archevesque  Ärondel,  qui  eu  la  Cantorbic 
p.  262.  Voulus  tarir  le  cours  des  paroles  de  vie. 

Ton  sein  encontre  Dieu  enflé  d'orgueil  souffla, 
Ta  langue  blasphémante  encontre  toi  s^ enfla  : 
Et  lors  qu'à  vérité  le  chemin  elle  bousche, 
Au  pain  elle  ferma  le  chemin  et  la  bouche. 
Tu  fermais  le  pjassage  au  subtil  vent  de  Dieu  : 
Le  vent  de  Dieu  passa,  le  tien  n'eut  point  de  lieu. 
Au  ravissetir  de  vie  à  ce  poinct  fut  ravie, 
Par  V instrument  de  vivre  et  l'une  et  Vautre  vie  : 
L'Eglise  il  affama.  Dieu  luy  osta  le  pain. 


v.  779 — 786.  L'affamé  qui  voulut  saouler  sa  brute  rage 
p.  262.  Du  nez  d'un  bon  pasteur,  l'arracher  du  visage, 

Le  casser  de  ses  dents  et  l' avaller  après, 
Fut  puni  comme  il  faut:  car  il  sortit  exprés 
Des  bois  les  pjhis  secrets  un  loup  qui  du  visage 
Luy  arrache  le  nez  et  luy  cracha  la  rage: 
Il  fut  seid  qui  sentit  la  vengeance  et  le  coup 
Et  qui  seul  iiTita  la  fureur  de  ce  loup. 

V.  799 — 801.  Le  stupide  Mesnier,  ministre  d'injustice, 
p.  262.  Tout  pareil  en  désirs  sentit  pareil  supplice, 

Supjpjlice  remarquable. 


V.  819 — 836.  Qui  veut  scavoir  comment  la  vengeance  divine 
p.  263.      ♦     A  bien  sçeu  où  dormait  d'Herode  la  vermine 
Pour  en  pjersecuter  les  vers  persécuteurs, 
Qu'il  voye  le  tableau  d'un  des  Inquisiteurs 
De  Merindol  en  feu.     Sa  barbarie  extreme 
Fut  en  horreur  aux  Boys,  aux  persécuteurs  mesme. 
Il  fut  bannis;  les  vers  suivirent  son  exil, 
Et  ne  peut  inventer,  cet  inventeur  subtil, 
Armes  pour  empescher  cette  pjetite  armée 
ly empwizonner  tout  l'air  de  puante  fumée. 


—     375     — 

Crépin. 

livre  2.  fol.  75.  La  mm't  estrange  de  T.  A  ion  de),  Archevesfjue  dp. 
(Jantorbie. 

Durant  ce  temps  cest  Archevesque  Thomas  Arondel  mou- 
rut l'an  1415,  (selon  que  recite  Thomas  de  Gascongne  en 
son  dictionaire  Theologique)  d'une  estrange  et  horrible  mort.  La 
langue  lui  devint  si  enHee  et  grosse,  qu'elle  lui  remplissoit 
toute  la  bouclie:  de  manière  que  quelques  jours  avant  sa 
mort  il  ne  pouvoit  rien  avaler  ne  mesme  parler:  et  mourut 
comme  affamé  en  grand  desespoir.  Plusieurs  disoient  en 
Angleterre  que  c'estoit  à  cause  qu'en  son  temps  il  avoit  lié 
la  parole  de  Dieu,  et  par  grandes  cruautez  empesché  le  cours 
d'icelle:  .  . 

livre  8.   fol.   532b.  Histoire  des  'persécutions  a'Angrongne. 

Il  avint  de  ce  temps-la  qu'un  homme  de  Briqueras,  nommé 
Jean  Martin  Trombaut:  lequel  se  vantoit  par  tout  qu'il 
couperoit  le  nez  au  Ministre  d'Angrongne,  fut  Inen  tost  apres 
assailli  d'un  loup  enragé  qui  lui  mangea  le  nez,  et  puis  il 
mourut  enragé.  On  n'a  point  entendu  que  le  loup  ait  jamais 
fait  autre  mal  ne  dommage.  Cela  fut  connu  par  tout  le  pays 
circonvoisin. 

livre  4.  fol.  183  b.  Me  ni  er  eschappé  des  hommes  tombe  es  mains 
de  Dieu: 

Or  ce  Menier  qui  sembloit  verdoyer  en  toute  prospérité, 
fut  tantost  après  arraché,  estant  saisi  d'un  flux  de  sang,  qui 
lui  esmeut  les  parties  honteuses  et  lui  engendra  une  carnosité 
et  rétention  d'urine:  et  mourut  avec  cris  et  despitemens  hor- 
ribles, sentant  un  feu  qui  le  brusloit  depuis  le  nombril  ius- 
ques  en  haut,  avec    extreme   infection  de    ses   parties  basses. 

livre  3.  fol.  142.  Tourmens  horribles  en  la  mort  de  lean  de  Roma. 
On  sçait  assez  de  quel  rage  il  affligeoit  les  povres  chrestiens. 
Une  des  peines  de  laquelle  il  s'avisa  pour  tourmenter  ces 
povres  gens  de  Provence,  estoit  d'emplir  des  botines  de 
graisse  chaude,  et  de  les  faire  chausser  à  ceux  qu'il  vouloit 
tourmenter.  Dont  le  feu  roy  François  estant  averti,  com- 
manda par  lettres  patentes  envoyées  au  Parlement  de  Provence, 
qu'en   toute   diligence   on   l'apprehendast:   —  —  —  —   mais 

de  Roma, ,  se  retira  de  bonne  heure  à  Avignon, . 

Puis    après    tomba    malade    d'une    maladie    espouvantable    et 


—     37( 


Vengeances. 

Ce  chasseur  dechassa  ses  compagnons  au  loing, 
Si  qu'un  seul  d'enterrer  ce  demi  mort  eut  soing, 
Luij  jetta  un  chrochet  et  eniraisna  le  reste, 
Des  Diables  et  des  vers  allumettes  de  peste, 
En  un  trou  :  la  terre  eut  horreur  de  Vestouffer, 


V.  837—840.  Du  Prat  fut  le  gibier  des  mesmes  animaux: 
p.  264.  Le  ver  qui  l'esveilloit,  qui  luy  contoit  ses  maux, 

Le  ver  qui  de  longtemps  pecquoit  sa  conscience 
Produisit  tant  de  vers  quils  percèrent  sa  jjanse. 


V.  848—858.  L'Aube  Spin ,  qui  premier,  d'une  ambition  folle, 
p.  264.  Cuida  fermer  le  cours  à  la  vive  parolle, 

Et  qui  bridant  les  dents  par  des  baaillons  de  bois. 
Aux  mourans  refusa  le  soldas  de  la  voix. 
Voyant  en  ses  costez  cette  petite  armée 
Grouiller,  l'ire  de  Dieu  en  son  corps  animée 
Choisit  pour  ses  parrains  les  ongles  de  la  faim. 
Lié  par  ses  amis  de  l'une  et  l'autre  main, 
Comme  il  grinçoit  les  dents  contre  la  nourriture. 
Ses  amis  d'un  baaillon  en  firent  ouverture  ; 
Mais  avec  les  cotais  dans  sa  gorge  coula 
Un  gros  amas  de  vers  qui  à  coup  Vestrangla. 
Le  céleste  courroux  luy  parut  au  visage. 
Xid  pour  le  deslier  n'eust  assez  de  courage  : 
Chacun  trembla  d'horreur,  ei  chacun  estonné 
Quitta  ce  baaillonneur  et  mort  et  baaillonné. 


—     377     — 

Crépin. 

inconnue  aux  Médecins.  Horribles  douleurs  le  saisirent:  et 
ni  avoit  fomentations  ni  onctions  qui  peussent  servir  pour 
lui  donner  repos:  et  qui  plus  est,  il  n'y  avoit  personne  qui 
sceust  demeurer  près  de  lui.  Il  fut  mené  à  l'hospital,  et 
recommandé  d'estre  bien  traitté:  mais  nul  n'osoit  approcher 
de  lui,  pour  l'infection  et  puanteur  qui  sortoit  des  plaies 
pourries  de  son  corps.  —  —  —  — -.  Et  ainsi  cest  homicide 
et  blasphémateur,  ayant  affligé  plusieurs  tideles  par  tournions 
nouveaux,  pour  la  tin  de  ses  cruautez  il  receut  confusion 
horrible:  atin  qu'il  fust  à  tous  persécuteurs  exemple  du 
iugement  de  Dieu,  et  de  la  vengeance  qu'il  fera  du  sang 
espandu  à  tort  et  sans  raison. 

livre  7.  fol.  428b.  Déclaration  de  plusieurs  iugemens  de  Dieu:  Il 
y  a  auparavant  autres  exemples  mémorables  du  iugement 
de  Dieu,  comme  de  la  mort  du  Chancelier  et  Legat  du  Prat, 
qui  fut  le  premier  qui  défera  au  Parlement  la  conoissance 
des  hérésies,  et  qui  donna  les  premières  commissions  pour 
faire  mourir  les  tideles.  Car  il  mourut  en  la  maison  de 
Nantouillet  iuraut  et  despitant  Dieu  et  fut  trouvé  son 
estomach  percé  et  rongé  de  vers. 

livre  7.  fol.  494.  Xoùibles  Jugemens  de  Dieu  sur  certains  persécu- 
teurs et  apostats. 

—  —  entre  autres  iuges  de  ces  Martyrs,  Laub  es  pin  Con- 
seiller au  Parlement  de  Grenoble, —  — .     Quant  à  L., 

peu    après    ces    exécutions,    estant    devenu    amoureux    d'une 

Damoiselle  — .    Estant  raesprisé  d'elle,  il  s'anonclialit 

tellement,  que  ne  tenant  compte  de  sa  propre  personne  il 
fut  accueilli  de  poux  qui  prinrent  telle  place  en  lui  qu'on 
ne  les  en  i^eut  jamais  chasser.  Car  ils  croissoyent  sur  lui 
et  sortoient  de  toutes  les  parties   de   son   corps,    comme   l'on 

voit   sortir  la   vermine  d'une   charongne  pourrie. _  — - 

et  pour  abréger  ses  iours  conclud  de  se  laisser  mourir  de 
faim,  ioint  que  les  poux  le  tenoyent  de  si  court  à  la  gorge, 
qu'ils  sembloyent  le  vouloir  estraugler.  Ceux  qui  voyoyent 
ce  piteux  spectacle  furent  grandement  esmeus  et  de  compassion 
qu'ils  en  avoyent  conclurent  de  le  faire  manger  voulust-il 
ou  non:  et  pour  lui  faire  prendre  des  coulis  et  pressis,  d'autant 
qu'il  y  resistoit  de  sa  force  ils  lui  lièrent  les  bras,  et  le 
baaillonnerent    d'un    baston     pour    tenir    sa   bouche    ouverte, 


—     378     — 

Vengeances, 


V.  887 — 894.  Four  tm  péché  pareil,  mesme  peine  evidente 
p.  265.  Brusla  Po  nt-cher,  l'ardent  chef  de  la  Chambre  ardente- 

Uardeur  de  cettuy  cy  se  vid  venir  à  l'œil. 
La  mort  entre  le  cœur  et  le  bout  de  Vorteil 
Fit  sept  divers  logis,  et  comme  par  tranchées 
Fartage  fassiegé,  ses  deux  Jambes  haschees 
Et  les  cuisses  après  servirent  de  sept  forts  ; 
En  repoussant  la  mort  il  endura  sept  morts. 

V.  895 — 902.  DEvesque  Ca  s t élan,  qui  d'une  froideur  lente 
p.  265.  Cachoit  wi  cœur  bruslant  de  haine  violente, 

Qui  sans  colère  usoit  de  flammes  et  de  fer, 
Qui  pour  dix  mille  morts  n'eust  daigné  s'eschauffer, 
Ce  fier  doux  en  propos,  cet  humble  de  col  roide 
Jugeait  au  feu  si  chaud  d'une  façon  si  froide  : 
L'une  moitié  de  lut/  se  glaça  de  froideur, 
L'autre  moitié  fuma  d'une  mortelle  ardeur. 

V.  041 — 946.  Le  Rhosne  en  a  sonné,  alors  qu'en  hurlements 
p.  267.  Reniai  me  et  Revêt  desgorgeoient  leurs  tourments. 

,,J'cn  (dit  l'un)  condamné  le  sang  et  l'innoncence." 


v.  973.  Le  Cardinal  Folus,  plein  des  mesmes  Desmons, 
p.  268. 


v.l019  —  10'-iH.Je  me  haste —   —   - 

p.  269.  D'Olivier  Chancelier  le  tableau  et  l  exemple 

Cettuy  cy  visité  du  Cardinal  sans  pair, 


S'escria  de  deux  voix:  ,.0  Cardinal  maudit, 


—     87iJ     — 

Crépin. 

pendant  qu'on  lui  mettoit  la  viande  dedans.  Estant  ainsi 
baaillonné  il  mourut  comme  une  beste  enragée  de  l'abondance 
des  poux  qui  entrèrent  iusques  eu  sa  gorge.  Et  disoir.-on, 
mesme  entre  ceux  de  la  Religion  Romaine,  que  du  niesme 
tourment  qu'il  avoit  inventé  contre  les  Ministres  de  Valence 
les  envoyant  baaillonnez  au  supplice,  il  avoit  esté  puni  par 
un  iuste  iugement  de  Dieu. 

livre  7.  fol.  423b.  Avez  vous  jamais  entendu,  comme  feu  Poncher 
Archevesque  de  Tours,  poursuyvant  l'érection  d'une  Chambre 
ardente,  fut  bruslé  du  feu  de  Dieu,  qui  lui  commença 
au  talon:  et  se  faisant  couper  un  membre  après  l'autre, 
mourut  misérablement,  sans  qu'on  peust  jamais  trouver  la 
cause  ? 


livre  7.  fol.  423b,  Comme  Caste llanus  s'estant  enrichi  par  l'Evangile 
et  ayant  rejette  la  pure  doctrine  pour  retourner  à  son 
vomissement,  voulant  persécuter  la  ville  d'Orléans,  fut  touché 
en  la  chaire  du  doigt  de  Dieu  et  d'une  maladie  inconue 
aux  médecins,  bruslant  la  moitié  de  corps,  et  l'autre  froide 
comme  glace,  mourut  avec  cris  et  gemissemens  espouvantables- 


livre  7.  fol.  454b.  Renialme.  Iceluy  en  cas  semblable  ayant  iugé 
à  mort  quelques  povres  innocens,  receut  aussi  soudain  une 
horrible  sentence  de  Dieu  au  mesme  lieu:  de  sorte  qu'il  fut 
mené  à  demi  désespéré  à  sa  maison,  où  tost  apres  mourut« 
criant  et  lamentant  qu'il  avoit  iugé  le  sang  innocent. 

livre   7.    fol.  423b.    Le  Cardinal  Polus  Anglois   —  —  —  —    —   — . 

mourut  incontinent  après  Marie  en  la  mesme  sepmaine,  de 
regret,  d'appréhension  et  espouventemens  horribles  qui  l'ac- 
compagnèrent en  la  mort. 

livre  8.  fol.  517.  Durant  ce  temps  le  Chancelier  de  France,  François 
Olivier  —  —  —  fut  saisi  d'une  grosse  maladie:  durant 
laquelle  il  iettoit  de  grans  soupirs  sans  cesse  et  aftligeoit  sa 
personne  en  façon  fort  estrange  et  espouvantable.  Il  fut  en 
ce  tourment    visité   par  le    Cardinal   de    Lorraine,    lequel 


—     380     — 

Venffeances. 

Tu  nous  fais  tous  damner  /"  Et  à  cftte  parolle 
Cette  peste  s'en  va  et  cette  ame  s'envoUe. 

c.  1034 — 1064.  Cette  force  inconnue  et  ces  bonds  violents 

p.  260.  Eurent  mesme  moteur  que  ces  grands  mouvements 

Que  sent  encor  la  France  ou  que  ceux  qui  parurent, 
Quand  dans  ce  Cardinal  tous  les  Diables  moururent- 


Uair  noirci  de  Démons  ainsi/  que  de  nuages 
Creva  des  quatre  parts  cl'hnpetueux  orages  : 
Les  vents,  les  postillons  de  l'ire  du  grand  Dieu 
Troublez  de  cet  esprit  retroublerent  tout  lieu  : 
Les  déluges  espaiz  des  larmes  de  la  France 
Rendirent  l'air  tout  eau  de  leur  noire  abondance. 
Cet  esprit  boute-feu,  au  bondir  de  ces  lieux, 
De  foudres  et  d'esclairs  mit  le  feu  dans  les  deux. 


lllô — IW).  De  Lizet  l'orgueilleux  la  rude  ignominie, 
272.  De  luy,  de  son  Simon  la  mortelle  manie, 

La  lepjre  de  Romma  et  celle  qu'un  plus  grand 
Pour  les  siens  et  pour  soy  perpétuelle  prend  ; 
Jje  despoir  des  Marins,  dont  l'un  à  mort  se  blesse, 
Les  foyers  de  Ruzé  et  de  Faye  VEspesse. 


JS'ote:  Ayant  l'inteution  de  publier  ailleurs  les  textes  complets  nous  avons  cru  pouvoir 
nous  dispenser  ici  des  variantes  (|ui  ont  servi  à  établir  le  texte  critique  des  Feux 
et  des    Vengeances. 


—     381     — 

Crépin. 

s'estaiit  esloigné  de  lui,   ce  Chancelier  s'escria,   disant:  „Ha! 
Cardinal,  tu  nous  fais  tous  damner." 

livre  12.  fol.  754b.  Mort  du  Cardinal  de  Lorraine:  Tost  apres  et 
sur  la  fin  de  ceste  année,  Charles  Cardinal  de  Lorraine, 
l'un  des  principaux  de  la  maison  de  Guise,  cauteleux  et 
cruel  persécuteur  des  Eglises,  des  plusieurs  années  aupara- 
vant, et  l'un  des  premiers  conseillers  et  promoteur  des  guerres 
civiles  et  massacres  en  France,  et  d'infinies  confusions  ailleurs, 
—  —  — ,  tomba  malade  et  mourut  frénétique  et  insensé  de- 
dans Avignon,  où  à  l'heure  de  son  trespas  survint  une 
tempeste  en  l'air  si  horrible  que  tous  en  estoient  esperdus. 
Le  peuple  tout  ravi,  confessoit  que  cest  orage  extraordinaire 
en  une  ville  Papale.  —  — ,  ne  signifioit  chose  qui  ne  fust 
remarquable,  et  pensant  au  Cardinal,  chacun  disoit  que  ce 
sage  mondain  recevoit  en  la  vigueur  de  son  aage  et  au  plus 
fort  de  ses  desseins  le  loyer  de  ses  deportemens  —  — ; 
bref  qu'une  si  méchante  ame  ne  devoit  pas  sortir  par  une 
bonne  et  paisible  porte. 

livre  7.  fol.  423  b  — 424.  lean  Rusé  Conseiller  au  Parlement  —  —, 
fut  pris  du  feu  au  petit  ventre,  et  à  peine  fut  conduit  en 
sa  maison  que  le  feu  se  print  à  ses  parties  secrètes:  dont 
misérablement  il  mourut,  bruslant  par  tout  le  ventre,  sans 
monstrer  aucun  signe  de  reconoistre  Dieu. 
Pierre  Lise  t.  premier  President  en  la  dite  Cour,  auteur  de 
la  chambre  ardente,  fut  desposé  de  son  estât  pour  estre  conu 
privé  de  son  bon  sens,  Dieu  lui  ayant  osté  l'entendement. 
lean  Marin,  Lieutenant  criminel  de  la  Prevosté  de  Paris, 
—  —  — -,  fut  finalement  frappé  des  loups  aux  iambes,  dont 
ayant  perdu  l'usage  mourut  aliéné  de  son  sens,  après  plusieurs 
jours  avoir  renié  et  blasphémé  Dieu.  —  —  L'inquisiteur  de 
Roma  en  Provence,  tomba  à  lopins  si  puant  que  nul  ne 
pouvoit  approcher  de  lui. 


—     382     — 

Bibliographie  : 

Eug.  Reaume  et  F.  de  Caussade  :  O  e  u  v  r  e  s  c  o  m  p  1  è  t  e  s  d  (i  T  h  é  o  d  o  r  e 

Agrippa  d'Aubigné,    Paris,  Lemerre,  1873 — 1892.    6  vol. 
H.  Boiirgin,  L.  Foulet,  A.  Garnier,  Cl.-E.  Maure,  A.  Vacher:  Les 

Tragiques,    Livre    premier:     Misères.     Paris,    Armand 

Colin  &  C«,  1896. 
H.    Warner  y:    Un   soldat-poète   au   XVl^  siècle.     Bibliothèque 

Universelle.     Novembre  1897.     N**  23. 
J.   Trénel:    L'élément  biblique   dans  l'œuvre   poétique 

d'Agrippa  d'Aubigné.   Paris,  Librairie  Leopold  Cerf,  1904. 
Wilhelm   Winker:  Théodore  Agrippa  d'Aubigné  der  Dichter. 

Diss    Leipzig,  1906. 
J.  Viénot:  Un  humoriste  du  XVI*  siècle.   Agrippa  d'Aubigné. 

Revue  Chrétienne.      P'"  novembre  1906. 

Bâle.  Ch.  de  Roche. 


La 

poésie  religieuse  patoise  dans  le  Jura  bernois  catholique. 

(Noëls.  —  Chants  de  fêtes  religieuses.  —  Complaintes.) 

Par 
Arthur  Rossât. 


Introduction.  La  littérature  patoise  du  Jura  beruois  catholique 
(Vallée  de  Delémont,  Ajoie  ou  Pays  de  Porrentruy,  et  Franches-Mon- 
tagnes), nous  offre  une  très  grande  variété  de  poésies  populaires,  dont  la 
plupart  sont  fort  anciennes  et  se  rencontrent,  plus  ou  moins  remaniées, 
dans  le  romancero  populaire  des  diverses  provinces  de  France.  Nous 
avons  là  une  image  fidèle  des  mœurs,  des  habitudes  et  du  caractère  par- 
fois naïf  et  bonhomme,  souvent  finement  observateur,  toujours  malin  et 
gouailleur  de  ce  peuple  si  éminemment  français  par  sa  bonne  humeur  et 
sa  gaieté. 

Bien  que,  malheureusement,  on  ait  commencé  beaucoup  trop  tard 
à  recueillir  les  trésors  épars  que  la  tradition  orale  avait  conservés,  les 
recherches  que  j'ai  entreprises  dès  1894  m'ont  cependant  fourni  un  matériel 
intéressant  et  varié,  et  j'ai  eu  la  chance  de  faire  parfois  de  fort  jolies 
découvertes:  chansons  d'amour,  pastorales,  rondes  et  danses,  berceuses, 
chants  à  boire,  chansons  satiriques,  etc.  Parmi  tous  ces  genres,  les 
poésies  religieuses  (noëls,  chants  de  fêtes,  complaintes)  ne  sont  pas  les 
moins  abondamment  représentées.  Il  m'a  donc  semblé  qu'un  travail  qui 
réunirait  et  classerait  en  un  tout  harmonique  ces  chansons  religieuses, 
pourrait  intéresser  les  ])hilologues  et  les  folkloristes.  C'est  dans  ce  but 
que  j'ai  entrepris  cette  étude  sur  la  poésie  relipkjise  patoise  dans  le  Jura 
heniois  caf/tolique.  Je  ne  citerai  que  des  chants  que  j'ai  moi-même  ré- 
coltés; il  m'eût  été  facile  d'allonger  ma  liste  en  reproduisant  toutes  sortes 
de  chants  religieux  français  et  patois  publiés  dans  les  almanachs  ou  les 
suppléments  littéraires  des  journaux  du  pays,  mais  ce  n'eût  plus  été  un 
travail  original,  et  cela  m'aurait  conduit  trop  loin. 


—     384     — 

Je  donne  d'abord  les  noëls,  ensuite  toutes  les  poésies  inspirées  par 
une  idée  religieuse  ou  une  fête:  Nouvel-an,  Rois,  Carnaval,  mois  de  Mai,  etc.; 
enfin  quelques  complaintes. 

Comme  je  l'ai  dit  ci-dessus,  ces  chants  se  retrouvent  presque  tous, 
avec  plus  ou  moins  de  variantes,  dans  d'autres  parties  de  la  France,  sur- 
tout dans  la  Franche-Comté;  car,  ne  l'oublions  pas,  au  point  de  vue  du 
patois,  le  Jura  bernois  appartient  non  à  la  Suisse  romande,  mais  à  la 
France  bourguignonne. 

On  ne  m'en  voudra  pas  de  ne  pas  donner  ici  la  liste  des  nombreuses 
publications  spéciales  sur  la  chanson  populaire  dans  les  diverses  provinces 
françaises.  —  Quant  aux  auteurs  jurassiens  bernois  qui  se  sont  occupés 
de  la  poésie  religieuse,  on  peut  citer  feu  M.  Xavier  Ko/i/er.  qui,  dans 
son  Etude  littèrmre  sur  (/ue/f/ues  poèmes  en  jjafois  de  rancien  Evtché  de 
Bàle,^)  (p.  5 — 9)  nous  donne,  malheureusement  pas  In-extenso.  quelques 
noëls  et  chants  de  fêtes;  puis  M.  J'abbé  Daucourt.  qui  a  publié  dans  les 
Archives  Suisses  des  Traditions  populaires'-)  une  douzaine  de  noëls  français 
et  patois.  —  Moi-même,  j'ai  fait  paraître  dans  ces  même  Archives  (Vol. 
III — VII)  toute  une  collection  de  Cf/ants  patois  jurassiens,  dont  les  quinze 
premiers  numéros  sont  des  chants  religieux. 

C'est  dire  qu'une  partie  du  présent  travail  a  déjà  été  publiée.  Je 
la  reproduis  tout  de  même,  d'autant  plus  qu'ainsi  l'occasion  m'est  fournie 
de  corriger  quelques  fautes  d'impression  et  de  transcription  phonétique 
de  ma  première  publication.  —  Par  contre,  le  plus  grand  nombre  des 
chants  religieux  imprimés  dans  ce  travail  sont  complètement  inédits. 

On  remarquera  tout  de  suite  combien  le  texte  de  ces  chants  reli- 
gieux a  souvent  été  altéré  et  contaminé  par  la  tradition  orale;  quelques- 
unes  de  ces  altérations  sont  vraiment  typiques.  Mais  n'est-ce  pas  juste- 
ment un  phénomène  curieux  et  intéressant  pour  le  folkloriste  que  de  se 
rendre  compte  des  changements,  des  contaminations,  des  méprises  et  des 
mutilations  que  le  peuple  fait  subir  à  un  texte  primitif? 

Je  répéterai  ici  le  système  de  transcription  phonétique  que  j'ai  déjà 
expliqué  dans  Archives  III  p.  257 — 258. 

a)   Voyelles. 

J'indique  par  —  et  -  les  voyelles  longues  et  brèves, 
ë  =  e  long  ouvert  (frç.:  t^'te,  pn-e,  je  nu-ne). 
e  =  e  bref  ouvert  (frç.:  e&ei,  ^orivaii). 
ê  =  e  long  fermé  (frç.:  forer',  premier,  àivai). 
ë  =  e  bref  fermé  (frç.:  dr'part,  pr'rir). 
9  =  e  muet  (frç.:  pé-tit,  Itver,  je  ie  \e  donne), 
œ  =  eu  ouvert  (frç.:  c(p\xy,  peui\  leur). 

1)  Cette  Etude  sert  d'introduction  au  poème  patois  des  Paniers  (Porrentruy,  1849) 

2)  Sc/iweizerisc/ies  Archiv  fär   Volkskunde  (Vol.  II.  p.  41  sq.  et  III.  p.  41  sq.) 


—     385     — 

o  =  eu  fermé  (fVç.:  itcH,  feu,  \eui). 

9  =  0  long  ouvert  (trr.:  encore,  bord,  mort). 

9  =  0  bref  ouvert  (frç.  :  donne,  police,  botte). 

9  =  0  long  fermé  (frç.:  cote,  chaud,  veau). 

u  =  frç.  ou. 

Ü  =  frç.  u. 

Les  nasales  sont:  à  (frç.:  cho//t,  euïant)-^  é  (frç.:  pahi,  moyr//);  o 
(frç.:  hon.  coto>?);  en  outre  notre  patois  possède  les  nasales  pures  d'<. 
d'//  et  d'u:  î  (bi);  û  (txét;^û)-,  û  (bù). 

b)  Consonnes. 
p,  b,  t,  d,  k,  1,  m,  n,  r,  f,  v  ont  la  même  valeur  qu'en  français, 
g  est  toujours  guttural,  même  devant  e  et  /. 
n  =  n  mouillée  (frç.  (/n:  a//>^eau,  ligne). 
s  =  spirante  sourde  (frç.:  savoir,  ceci,  cesse,  seul). 
z   =  spirante  sonore  (frç.:  poi.s-on,  ^èlej. 
X  =  chuintante  sourde  (frç.:  cAeval). 
j    =  chuintante  sonore  (Jeune,  ,^enre). 
X  =  médiopalabale  sonore  (allemand:  ich)-^  son  particulier  au  pateis  ajoulot 

ou  patois  de  Porrentray  (latin:  cl  ou  ft).   Ex:  î  xô  (clou),  le  ;^ë  (clef), 

;çôtï  (flatter),  ^Cv/^q  (gonfler).    Le  vddaîs  ou  patois  de  Delémont  rend 

ce  son  par  ./'.'  (î  xô,  Iç  xç,  xetï,  gôxë).     [Cf.  Note  117.) 
y  =  médiopalable  sonore  (allemand:  ja)\  yâdine  (Claudine),  yî  (lin). 
w  est  la    w  anf/kùs  et  correspond  au  premier  élément  de  la  diphtongue 

01  (pu'ä  =  frç.:  pois;  v/rä  =  frç.:  voir). 

L  mouillée  n'existe  pas  dans  notre  patois. 

Il  n'est  pas  nécessaire  d'indiquer  par  un  accent  la  syllabe  tonique. 
Notre  patois  accentue  régulièrement  la  dernière  syllabe  non  muette  de 
chaque  mot. 

La  traduction  que  je  donne  est  toujours  littcra/e.  et  je  n'ai  jamais 
voulu  faire  de  bon  français  au  détriment  du  sens.  —  J'ai  mis  entre 
crochets  [  ]  les  mots  exigés  par  la  phrase  française. 

Le  trait-d'union  indique  les  liaisons  (lêz-éraï,  bin-ëkâmï,   î  bél-àfè). 


25 


386     — 


I.  Noëls. 


1.*)  Noël  en  patois  de 

1.  ëkûta,  djâna  mèrïa, 
àtà  txësanàto. 

s'a  se  bel-èdJ9^)  dï  sîa 
tx^')  nç  dyà  novëlata, 
k'el  txëtà  to  èsèbya: 

Alléluia  ! 
Gloire  à  l'Eternel 
Et  paix  dessus  la  terre! 

2.  vil  aie  VÖ,  me  bë  bwàrdjîa, 
Dans  cette  nuit  sombre? 

VÖ  trov9rë  lu  Messie 
k'ä  vanï  â  mode. 

—  le  merke  po  lu  trovë? 

—  à  Bethléem  el-â  ne, 
de  ëno  êtàb  frëda, 
àtra  [le]  bue  e  l'çne. 

3.  —  käk9,  käka  evö  la  dwä 
à  l'o  da  l'ëtâle. 

noz-ëvî  bî  ojû  pûarë 
dâ  vwa^)  no  berbïjate 
dô  bôdjo,  Ôxa*)  djoze; 
vwasï  ïn-ovîa  bî  fre, 
lôz-ëbra  sô  djiovrë. 
dô,  bona  merîa.^) 

4.  mô  dùa,  k'e  fe  fre®)  sï 
pu  set9  pOr  ermäta! 
l'ovïa  â  àko  bî  grâ 

po  ëtr9  à  l'ëtâb. 
pî9ra,  prà  de  bäkyä 
e  no  fe  î  bû  fûala, 
pu  seta  pôr  ermät9. 
k'â  sï  k9  trëbyat9. 

5.  vô  n'é  gëra  d'àtàdama, 
mô  bël-Ôxa  djoze, 

da  vanï  lodjî9  sï 
de  sèta  ëtâla  frëd9! 


Courroux  (Val  de  Delémont). 

Ecoute,  Jeanne-Marie, 

Entends  chansonnette. 

C'est  ces  (belles)  beaux  anges  du  ciel 

Qui  nous  disent  [des]  nouvelles, 

Qu'  (elles)  ils  chantent  tous  ensemble  : 


Où  allez-vous,    mes  beaux  bergers, 

Vous  trouverez  le  Messie 
Qui  est  venu  au  monde. 

—  La  marque  pour  le  trouver? 

—  (En)  A  Bethléem  il  est  né, 
Dans  une  étable  froide, 
Entre  le  bœuf  et  l'âne. 

—  Frappe,  frappe  avec  le  doigt 
(En)  A  l'huis  de  l'étable. 

Nous  avions  bien  entendu  pleurer 
Depuis  vers  nos  (petites)  brebis. 
Donc,  bonjour,  oncle  Joseph; 
Voici  un  hiver  bien  froid, 
Les  arbres  sont  givrés. 
Donc,  bonne  Marie. 

Mon  Dieu!  qu'il  fait  froid  ici 
Pour  cette  pauvre  petite  âme! 
L'hiver  est  encore  bien  grand 
Pour  être  à  l'étable. 
Pierre,  prends  des  brindilles 
Et  nous  fais  un  bon  petit  feu. 
Pour  cette  pauvre  petite  âme 
Qui  est  ici  qui  tremblotte. 

Vous  n'avez  guère  d'entendement, 
Mon  bel  oncle  Joseph, 
De  venir  loger  ici 
Dans  cette  étable  froide! 


*)  Publié  Arch.  III  p.  259  sq.,  et  par  M.  Daucourt  Arch.  III  p.  43  sq. 


—     887 


S8  vôz-ëta  î  bù  txëpii 
bçtxi  î  pô  se  partù; 
kär  Iç  bîza  Odjàla 
sèta  pôr  çrmata. 

6.  —  vôz-ë  bèl-ë  garmçnô,'^) 
è  vo  fâ  ëvwa  pasyàsa. 

pwä  le  vël  è  damèdê 

se  trôvê  rëzïdàsa. 

nç  n'è  k*î  bûa  ë  în-ën9; 

dï  môda  s'àn-è  mokë, 

sa  nôz-êtî  rétxa 

djëkù  no  mànarè^)  fêta. 

7.  —  dïta  dô,  oxa  djozé, 
Il  so  se  bàdàta? 

merîa,  prà  sô  méyôla, 
é  fë  se  kùtxata 
madlô,  réyûe^)  sô  yê. 
djà  l'ëdarê,  la  bërsare, 
dïzft  txèsanâta 
pu  sèta  pôr  érmate. 

8.  pïarà,  fû^'')  vïta  é  l'ôtâ, 
jîrà  tc)n-ët;çëyàta, 

î  morsalä  da  pê  frâ; 

fë-yï  se  sopâta. 

bota-le  à  sï  pyëtë; 

s'èl-â  tro  txâda,  xôxa  yï.^^) 

la  pôr  äfe  pûara, 

s'a  da  fre  k'ë  grûla. 

9.  na  lëxîa  nu  vanï 
dadë  sëta  ëtâla; 

lu  popô  ä  àdramï 

dadë  se  kûtxàta. 

vwàsï  vanï  to  d'î  ko 

trwâ  rwâ  montés  sur  chameaiu 

Des  présents  apportent 

käka  ^^)  à  lé  pôarta. 

10.  màdlô,  vî  î  po  vwa 
t;çù  käka  à  lé  pôarta, 

é  dï-yï  ka  l'afë  dôa, 

Que  doucement  s'approche. 


Si  vous  êtes  un  bon  charpentier 
Bouchez  un  peu  ces  pertuis; 
Car  la  bise  gèle 
Cette  pauvre  petite  âme. 

Vous  avez  (bel  à)  beau  murmurer, 

Il  vous  faut  avoir  patience. 

Par  les  villes  [nous]  avons  demandé 

Sans  trouver  résidence. 

Nous  n'avons  qu'un  bœuf  et  un  âne; 

Du  monde  s'en  (a)  est  moqué. 

Si  nous  étions  riches 

Chacun  nous  (mènerait)  ferait  fête. 

—  Dites  donc,  oncle  Joseph, 
Où  sont  ses  bandelettes? 
Marie,  prends  son  petit  maillot, 
Et  fait  sa  couchette. 
Madelon,  fais  son  lit. 
Jean  l'aidera,  le  bercera, 
Disant  chansonnettes 
Pour  cette  pauvre  petite  âme. 

Pierre,  cours  vite  à  la  maison, 

Prends  ta  petite  écuelle. 

Un  petit  morceau  de  pain  frais; 

Fais-(y)-lui  sa  petite  soupe. 

Mets-la  (en)  dans  ce  plat. 

Si  elle  est  trop  chaude,  souffle(s-y)- 

Le  pauvre  enfant  pleure,        [la-lui. 

C'est  de  froid  qu'il  grelotte. 

Ne  laissez  personne  venir 
Dedans  cette  étable; 
Le  poupon  est  endormi 
Dedans  sa  couchette. 
Voici  venir  tout  d'un  coup 
Trois  rois  montés  sur  chameaux; 

Frappe [nt]  à  la  porte. 

Madelon,  (viens)  va  un  peu  voir 

Qui  frappe  à  la  porte, 

Et  dis(-y)-lui  que  Tenfant  dort. 


388 


vwasï  î  poe-l'ètxërbonô! 
so  l'afè  la  vwä,  vœ  krïë. 
tïra-ta  drie  lëz-âtro, 
rëtyura  te  berbata! 

11.  t'ëtô  bî  ma  rlëvë 
pu  aie  à  vwayëdja! 
ë-t8  î  rëxa-txDmanë '^) 
Ö  bî  î  mä  sëdje? 

txè  l'àfè  ère  dramï, 
ka  t'vware,  vœ  trazi. 
ta  derô  ëvwa  ôta! 
ta  fë  pavù  â  môda! 

12.  —  vôz-êta  bïn-ëkfimï 
da  mô  nwa  vëzëdja! 

le  djâ  da  nota  pëyï, 
s'a  yôta  naturel. 
ï  n'  sde  p'  xa  mâvë 
kom  ï  sdé  ètxerbonë, 
Cherchant,  Je  vous  prie 
Ce  beau  fruit  de  vie. 

13.  noz-ë  travërsîa  le  më, 
le  bö,  le  kàpëna, 

pu  vanï  ëdorë  lu  rwa 
dï  sïa  e  da  le  tëara. 
Son  étoile  nous  a  conduits. 
Nous  éclaire  jour  et  nuit. 
Jusqu'ici  ^*)  nous  montre 
Le  Sauveur  du  monde. 

14.  —  vanï  do  vwä  iiötra  afè, 
el-â  de  seta  krêtxa; 

mè  vanï  to  bëlmà 

c  c 

k'e  na  sa  rôvwaya. 

—   lu  bel-afë  k'  voz-e, 

ë  k'é  dôa  bî,  da  le  ...  !  ^^) 

dadè  se  kretxäta! 

lu  bû  dfia  lu  kràxa!^^) 

15.  no  kromrë^^)  ë  l'afè 
de  djôlîa  bwëtata. 

VÖ  trovrë  pëa  '*)  dadè 
pu  yï  çtxtë  röbäta. 


Voici  un  vilain  encharbonné! 
Si  l'enfant  le  voit,  [il]  veut  crier. 
[Re]tire-toi  derrière  les  autres, 
(Récure)  Nettoie  ta  barbiche! 

Tu  étais  bien  mal  (re)lavé 

Pour  aller  en  voyage! 

Es-tu  un  (racle-cheminée)  ramoneur 

Ou  bien  un  (mal  sage)  méchant? 

Quand  l'enfant  aura  dormi, 

Qu'il  te  verra,  [il]  veut  sursauter. 

Tu  devrais  avoir  honte! 

Tu  fais  peur  au  monde! 

—  Vous  êtes  bien  stupéfaits, 

De  mon  noir  visage! 

Les  gens  de  notre  pays, 

C'est  leur  naturel. 

Je  ne  suis  pas  si  mauvais 

Comme  je  suis  encharbonné. 


Nous  avons  traversé  les  mers, 
Les  bois,  les  campagnes, 
Pour  venir  adorer  le  roi 
Du  ciel  et  de  la  terre. 


—  Venez  donc  voir  notre  enfant, 
Il  est  dans  cette  crèche; 

Mais  venez  tout  doucement 
Qu'il  ne  se  réveille. 

—  Le  bel  enfant  que  vous  avez, 
Et  qu'il  dort  bien,  Dieu     F  ...  ! 
Dedans  sa  crêchette!" 

Le  bon  Dieu  le  (croisse)  bénisse! 

Nous  donnerons  à  l'enfant 

Des  jolies  petites  boites. 

Vous  trouverez  toujours  bien  dedans 

Pour  (y)  lui  acheter  [une]  petite  rol)e. 


—     389 


Voici  fie  l'or  et  de  l'argent, 
De  la  myrrhe  et  de  renrens. 
Pour  le  reconnaître 
Qu'il  est  de  tout  être. 

16.  noz-à  rvè  à  no  pt)yi. 
Or  adieu,  morïa! 

Pi'iez  pour  nous  votre  fils 
ka  da  119  eya  pïdîa. 
sa  le  dyêr  vî  sï, 
rafûta  à  notra  poyï. 
vôz-ërë  tërata, 
djerdî  ë  màjanata. 

17.  —  madlô,  ë-ta  bî  vu 
fër  lé  gramesa, 

ixè  sï  nwä  s'a  rat/alë 
po  gretë  se  fesa?^^) 
el  â  pœtmà  nwä. 
sï,  më  lëz-âtra  so  djôlï; 
bë  txëpë  da  näs 
k'el  ë  txû  yô  tëtata. 

18.  —   pïara,  ë-ta  prezîmë 
à  se  djolîa  träsäta 

k'el  evî  pàdû  ä  ko, 

k'é  fëzî  dyîdyanata? 

—  vo  vo  trôpë  furieusement  : 

s'a  de  txînata  d'ërdjà, 

bêla  ë  djolïtïta, 

ka  vâyà  bî  sa  râpa. 

19.  —  Mar'te.  Joseph  è  afë 
k'â  de  le  kretxata, 

edûa!  sa^'')  noz-à-rvè 
vwa  no  berbïjata. 
no  vë  vwardë  no  moto, 
no  pësrë  â  pçpô. 
Qu'en  lui  grâce  abonde 
po  rëtxtë  lu  môda! 

20.  —  ravanï  no  vwa  savà, 
ravanï  à  vël.-^) 

komëdë  bî  à  to 

se  djà  de  môténe.--) 


Nous  [nous]  en  (r)allons  en  nos  pays. 

Or  adieu,  Marie! 

Priez  pour  nous  votre  fils 

Que  de  nous  [il]  ait  pitié. 

Si  la  guerre  vient  ici, 

(Courez)  Réfugiez- vous  en  notre  pays. 

Vous  aurez  petite  terre, 

Jardin  et  maisonnette. 

—  Madelon,  as-tu  bien  vu 
Faire  la  grimace, 

Quand  ce  noir  s'est  reculé 

Pour  gratter  ses  joues? 

Il  est  vilainement  noir. 

Oui,  mais  les  autres  sont  jolis; 

Beaux  chapeaux  de  noce 

Qu'ils  ont  sur  leurs  (petites)  têtes. 

—  Pierre,  as-tu  fait  attention 
A  ces  jolies  petites  tresses 
Qu'ils  avaient  pendues  au  cou, 
(Qu'elles)  Qui  faisaient  drin!  drin  ! 

—  Vous  vous  trompez  furieusement  : 
C'est  des  chaînettes  d'argent, 
Belles  et  joliettes, 

Qui  valent  bien  cent  rappes. 

—  Marie,  Joseph  et  [r]enfant 
Qui  est  dans  la  petite  crèche, 
Adieu!  Or  nous  [nous]  en  (r)allons 
Vers  nos  petites  brebis. 

Nous  allons  garder  nos  moutons. 
Nous  penserons  au  poupon. 
Qu'en  lui  grâce  abonde 
Pour  racheter  le  monde! 

—  Revenez  nous  voir  souvent. 
Revenez  en  visite. 

[Re] commandez  bien  à  tous 
Ces  gens  des  montagnes  (?). 


—     390 


ravoni  vwä  nötra  äfe; 
nö  vö  pârè  pfi  päre, 
e  meriänäta 
sërë  kömeräta. 


Revenez  voir  notre  enfant; 
Nous  vous  prendrons  pour  parrain, 
Et  Mariannette 
Sera  la  petite  commère. 
(Feu  M.  l'abbé  Dizard,  curé  de  Courroux.) 


2.*)  Cantique  patois  sur  l'adoration  des  bergers  et  des  mages. 

Je  dois  à  l'obligeance  de  feu  M.  le  curé  doyen  Echemann,  à  Cour- 
rendlin,    le  noël  suivant    qui    parfois    explique  ou  complète  quelques  ex- 
pressions ou  strophes  du  précédent.   Je  laisse  les  titres  des  couplets  tels 
que  M.  Echemann  les  a  notés. 
Yif 


■y.  j  j-  j>  j  I  ^  ^  J   I  J  ^  j--  i'  I  j  j  ! 


vùa-lê     VÖ,    me      bê    bwàr-djîa,      En  cet  -  le   nuit  Hom-hre? 


^ 


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^    ^'   J    j' 


i 


nôz-â-là  vwä     le  Messie,     k'â  va  -  nî    â      mô-da      la  txa  -  mi  pö" 


/i  ;  j'  j-  p^ 


j>)  I    #     ^ 


:it=^ 


la    tro-vê?  e      Belli-  lé  -  eni    è      fât  -à  -le,    de      êna     ê  -  ta  -  la 


}.'}'  \  ^'  J'   J= 


>  T^ 


^ 


froi  -  de,       à     -    tra    la  bûa      è  l'ë  -  na. 

1.  Visite  des  bergers. 

—  vu  alë-vo,  me  bë  bwardjîa,         — Où  allez-vous,  mes  beaux  bergers, 
En  cette  nuit  sombre?  En  cette  nuit  sombre? 

—  nôz-alà  vwä  le  Messie 
k'â  vanï  à,  raôda. 

—  la  txemî  pu  la  trovë? 

—  e  Betldéeni  è  fât-alë, 
de  ena  ëtâla  froide. 
àtra  la  bûa  ë  l'ëna. 


—  Nous   allons  voir    {ou:  vers)   le 
Qui  est  venu  au  monde.       [Messie 

—  Le  chemin  pour  le  trouver? 

—  A  Bethléem  il  faut  aller, 
Dans  une  étable  froide, 
Entre  le  bœuf  et  l'âne. 


2.  En  arrivant  à  la  porte  de  l'itahle. 


käka,  käka  ëvo  la  dwa 
à  l'o  da  l'ëtâla. 
—  se  bê  xîre  ka  vwälä, 
Ö  k'è  sôt-ëmâbla! 


Frappe,  frappe  avec  le  doigt 
A  l'huis  de  l'étable. 
—  Ces  beaux  messieurs  que  voilà, 
Oh  !  qu'ils  sont  aimables  ! 


!=)  Voir  Arch.  III,  p.  26-1,  n"  2. 


—     891     — 


—  dü8  vöt'  bodjç,  Ôxa  djöze! 

vwäli  rüvt'9  k'â  bî  frç, 
lêz-ëbre  so  djîavrê. 
bodjo  do.  merîa. 


—  Dieu  [soit]  votre  bonjour,  oncle 

[Joseph  ! 
Voici  l'hiver  qui  est  bien  froid, 
Les  arbres  sont  givrés. 
Bonjour  donc,  Marie. 


3. 

vç  n'ë  dyër  d'àtîidamfi, 
mô  bêl-ôxa  djôze, 
da  vanï  lôdjîa  ïsî, 
de  st'ëtâla  froide. 
s'  vôz-êtî  1  bù  txepù, 
vç  rbotxrî  to  se  pertù, 
po  sta  pôar  ermäta 
k9  le  bîja  ëdjâla. 


Reproches  à  Saint- Joseph. 

Vous  n'avez   guère   d'entendement, 
Mon  bel  oncle  Joseph, 
De  venir  loger  ici, 
Dans  cette  étable  froide. 
Si  vous  étiez  un  bon  charpentier, 
Vous  reboucheriez  tous  ces  pertuis, 
Pour  cette  pauvre  petite  âme, 
Que  la  bise  gèle. 


4.  Excuses  de  Saint- Joseph. 


—  vôz-ë  bél-ë  grmwanë, 
fät-evwä  pâsyàso. 
pe  le  vël  è  damèdë 
se  trôvë  rêzïdàsa. 
no  n'è  k'î  bûa  ê  îu-ëna; 
dï  môda  nô  sô  rfùzë. 
sa  nôz-ëtî  retxa, 
txét;i;u  no  ferë  fêta. 


—  Vous  avez  (bel  à)  beau  murmurer, 

[II]  faut  avoir  patience. 

Par  les  villes  [nous]  avons  demandé 

Sans  trouver  résidence. 

Nous  n'avons  qu'un  bœuf  et  un  âne  , 

Du  monde  nous  sommes  refusés. 

Si  nous  étions  riches, 

Chacun  nous  ferait  fête. 


—  màdlô,  vë  vita  vwâ 
t^u.  kàka  à  le  pôarta; 
dï-yï  ka  not'  äfe  döa, 
dùsamà  s'êprôxa. 
ö!  txn  à  sï  pœ  rètxërbwàné? 
not'àfè  vœ  fer  e  pûarë. 
tîra-ta  drïa  lëz-âtra, 
rëtyûra  te  berbâta! 


5.  Arrivée  des  mages. 

— ■  Madelon,  va  vite  voir 


Qui  frappe  à  la  porte; 
Dis-(y)  lui  que  notre  enfant  dort. 
[Que]  doucement  [il]  s'approche. 
Oh  !  qui  est  ce  vilain  encharbonné  ? 
Notre  enfant,  [il]  veut  [le]  faire  (à)pleu- 
[Re]tire-toi  derrière  les  autres,  [rer. 
(Récure)  Nettoie  ta  barbiche! 


6'.  Le  roi  nègre  recommande  de  ne  pas  avoir  peur. 
vôz-éta  bî  ëkâmï  Vous  êtes  bien  stupéfaits 


da  mô  pœ  vëzëdja! 
le  djà  da  notre  pays 
s'a  lûat«  naturel. 


De  mon  vilain  visage  ! 
Les  gens  de  notre  pays 
C'est  leur  naturel. 


392     - 


ï  na  sde  pa  xï  mâvê 
kom-^)  ï  sde  ëtxorbwanë, 
Cherchant,  je  vous  prie, 
Ce  beau  fruit  de  vie. 


Je  ne  suis  pas  si  mauvais 
Comme  je  suis  encharbonné. 


nô  krômrè  ë  l'àfè 
de  djôlîa  bwâtata, 
k'ë  ï  ërë  pë  dadè 

c  c       •       X    c 

po  yï  etxtë  robâta. 

vwâsï  da  l'öe  ë  da  l'ërdjà, 

da  le  mir  e  da  l'àsà, 

ce  ' 

po  la  rakonâtra 

k'ël  â  pe  dxù  tot-âtra-*) 


Nous  donnerons  à  l'enfant 

Des  jolies  petites  boîtes, 

(Qu')il  y  aura  par  dedans 

Pour  lui  acheter  [une]  petite  robe. 

Voici  de  l'or  et  de  l'argent, 

De  la  myrrhe  et  de  l'encens, 

Pour  le  reconnaître 

Qu'il  est  par  dessus  tout  autre. 


8.  On  envoie  Madelon 

madlô,  vë  vïta  à  l'otà, 
prâ  ena  etp^éyata, 
î  bù  morse  da  pè  frä, 
fë  yï  d'ie  söpäta. 
bôta  le  de  sï  pyetê  sï: 
s'i  â  tro  txâda,  xoxa  yï. 
la  poar  afè  pûara, 
s'a  da  frwä  k'ë  grûla. 


faire  de  la  soupe  pour  l'enfant. 

Madelon,  va  vite  à  la  maison, 

Prends  une  petite  écuelle, 

Un  bon  morceau  de  pain  frais, 

Fais-(y)  lui  de  la  soupe. 

Mets-la  dans  ce  plat-ci; 

Si  elle  est  trop  chaude,  souffle  (s-y)- 

Le  pauvre  enfant  pleure,     [la]  lui. 

C'est  de  froid  qu'il  grelotte. 


9.  Réflexions 

—  pîara,  e-ta  prezîmë 
txû  se  djôlïa  träsäta 
k'el  ëvî  pàdû  â  ko, 
ka  fèzî  gàgyâta? 

—  vo  vô  trôpë  ëxùrîamà: 
s'a  de  txînata  d'ërdjà, 
bêla  e  djolïata, 

k'vàyà  bî  sa  râpa. 


sur  les  mages  qui  sont  partis. 

Pierre,  as-tu  pris  garde 

(Sur)  A  ces  joliespetites tresses 

Qu'ils  avaient  pendues  au  cou, 

Qui  faisaient  glin!  glin! 

—  Vous  vous  trompez  assurément  : 

C'est  des  chaînettes  d'argent, 

Belles  et  joliettes, 

Qui  valent  bien  cent  rappes. 


—  pïara,  motxa  î  po  tô  nël 
fât-e  k'à  ta  l'dîja? 
ma  vëtï,  mâl-ovarnë,^*"') 
y'ç  da  twä  pidîa. 


Pierre,  mouche  un  peu  ton  nez 
Faut-il  qu'on  te  le  dise? 
Mal  vêtu,  mal  (hiverné)  nourri, 
J'ai  de  toi  pitié. 


398 


sa  t'ç  frç,  prà  mô  mètç, 
sa  t'ç  fè,  prà  di  toatxç.") 
Reprenffs  (hnc  huletnc 
P9  rapyôra  à  l'èdja. 


Si  tu  as  froid,  prends  mon  manteau, 
Si  tu  as  faim,  prends  du  f^âteau. 
Reprends  donc  haleine 
Pour  (re)plaire  à  l'ange. 


//.  Rf'fJe.fioH.s. 

Adam  (était)  eût  été  bon  »arçon 
Sans  sa  sèche  (gorge)  bouche. 
Il  a  mordu  dans  la  poire  sauvage, 
[II]  nous  a  mis  (au  vent)  dehors. 
S'il  eût  labouré  ses  champs 
Et  sa  femme  à  coups  de  poing, 
Nous  aurions  victoire 
Sur  (la  petite  ange  noire)  le  diable. 
(Patois  de  Courrendlin,  Val  de  Delémonr.) 

Voici  maintenant  quelques  altérations  de  ce  noël;  une  poésie  de 
20  strophes  devait  nécessairement  être  remaniée  et  mutilée  par  la  tradi- 
tion orale. 

La  première  m'a  été  chantée  par  Pierre-Joseph  Mamie,  de  Bonfol, 
né  en  1827.  Jamais  mon  homme  n'a  voulu  démordre  de  l'arrangement 
de  ses  couplets;  à  toutes  mes  observations,  il  s'est  contenté  de  me  ré- 
pondre eu  branlant  la  tête:  s'a  (tïx)  k'e  l'fCi  txetê  =  c'est  ainsi  qu'il  le 
f(u(t  chanter! 


Adam  çto  bù  gêrsô 
se  se  sätxa  goardja. 
èl-ç  mC)9-®)  de  la  byäso,-^) 
nöz-e  mï  à  l'oara.^'^) 
s'èl  dexa  lebûrë  sô  txè 
ç  se  fana  ê  ko  da  pwè, 
nôz-erî  vïktwâra 
txû  l'èdjata  nwâra. 


3.*)  Noël  en 

1.  êkùtë,  djàna-mërîa, 

txèsnata  nùvela. 
s'a  lêz-èdja  dï  sïa 
ka  txètà  novëlata, 
à  txëtè:  â!  c/loria! 
tot-àswana:  AUeluia! 
Gloire  éternelle 
Rir  dessnr  la  terre! 

2.  é  sô  vnû  to  d'î  ko 

se  trwà  rwa,  txû  de  chameau, 
è  vè  kàkë  à  lé  pûatxa.'^^) 

3.  djàna-mërïa,  ve  t'a  vûa 
txu  kàka  à  le  pûatxa, 

ë  dï  yO  ka  l'afë  dûa. 

Que  doucement  s'approchent. 

*)  Voir  Arch.  III  p.  268. 


patois  de  Bonfol  (Ajoie). 

Ecoutez,  Jeanne-Marie, 
Chansonnettes  nouvelles. 
C'est  les  anges  du  ciel 
Qui  chantent  [des]  nouvelles, 
En  chantant:  Ah!  f/loria! 
Tous  ensemble  :  A/feluia  ! 


Ils  sont  venus  tout  d'un  coup 
r:        Ces  trois  rois,    sur    des  chameaux; 
Ils  vont  iraj^per  à  la  porte. 

Jeanne-Marie,  va-t'en  voir 

Qui  frappe  à  la  porte, 

Et  dis-leur  que  l'enfant  dort, 

Que    doucement   [ils]   s'approchent; 


—     394 


s'a  sï  pœ  nwä  l'àtxërbwt'iiê 
ka  not'  afë  ë  te  rëkrïê.^-) 
vé  t'a  drïa  léz-âtra 
rétyùrio  te  berbät8! 

4.  tyß  vo  rpêsre,  pwä  xï, 
ravanï  à  vêla. 

no  bàteyerè^^)  not'  afè, 
no  vo  pràdrè^*)  po  pârè; 
vo  dû,  lé  mëyànata,^' 
sere  lé  komërata. 

5.  e  sô  raie  promanë 
xù  se  villes  sombres. 
Là  où  le  Messie  est  né. 
Est  venu  au  monde. 

Eu  marchant  pour  le  chercher. 
A  Bethléem  ils  l'ont  trouvé. 
de  ena  étale  froide 
àtra  le  bûa  ë  l'ëna. 

6.  Pierre,  e-te  bï  prezîmë 
txû  se  djôlia  trâsato? 

—  te  ta  trôpa  exurîemà: 
s'a  de  txînàto  d'érdjà 
ke  fëzî  gliglmàta, 
ke  vâyî  bî  sa  râpe. 

7.  reyûa  yï  sÔ  yë, 
fe  yï  se  sopato. 

vwali  dï  pëpë^^)  pwa  lï; 
s'ël  ä  trö  txâ,  yS^^Yß  J^i 
txëte  yï  txësnate: 
dû8,  dü9,  me  puer  ermäte. 

8.  Hélas!  ke  pàsî-vo, 
mô  bêl-Ôxa  djôzé, 
de  venï  do  vo  lodjïe 
dadë  st'  ëtâle  froide  ? 
vo  k'voz-ëte  î  bô  txépû, 
rebutxïe  to  se  patxû;^^) 
kär  l'afè  grûle, 

s'a  dï  frwa  k'él  àdûre. 

La  seconde  altération    me 
Fahy,  née  en  1825. 


C'est  ce  vilain  noir  encharbonné 
Que  notre  enfant  a  tant  (ré)crié. 
Va-t'en  derrière  les  autres 
(Récurer)  nettoyer  ta  barbiche! 

Quand  vous  repasserez  par  ici, 
Revenez  en  visite. 
Nous  baptiserons  notre  enfant, 
Nous  vous  prendrons  pour  parrains; 
Vous  deux,  la  Mariannette, 
Serez  les  (petites)  commères. 

Ils  sont  (r)allés  promener 
Sur  ces  villes  sombres, 


Dans  une  étable  froide 
Entre  le  bœuf  et  l'âne. 

Pierre,  as-tu  bien  fait  attention 
(Sur)  A  ces  jolies   petites  tresses? 
—  Vous  vous  trompez  furieusement  ; 
C'est  des  chaînettes  d'argent 
Qui  faisaient  glin!  glin! 
Qui  valaient  bien  cent  rappes. 

Fais-lui  son  lit, 

Fais  lui  sa  petite  soupe. 

Voici  de  la  bouillie  par  là  ; 

Si  elle  est  trop  chaude,  souffle-la-lui  ; 

Chante-lui  chansonnettes  : 

Dors,  dors,  ma  pauvre  petite  âme. 

Hélas!  que  pensiez-vous, 
Mon  bel  oncle  Joseph, 
De  venir  donc  vous  loger 
Dans  cette  étable  froide'' 
Vous  (que  vous)  qui  êtes  un  bon  char- 
Rebouchez  tous  ces  trous;  [pentier. 
Car  l'enfant  grelotte, 
Cest  du  froid  qu'il  endure, 
vient  de  M""^  Marie-Jeanne  Guélat,    de 


—     895 


4.  Noël  en  patois  de  Fahy  (Ajoie). 


1.  ëkiitê,  djàn9-mr'rï8, 
sta  txèsanata. 

s'a  lëz-èdjat8  dï  sï9. 
ka  vlà  vnï  à  vêla  ta. 

2.  vç  n'e  p'  bî  prezîmë 
à  se  djôlîa  trâsata 

k'el  è  xù  yo  têtuta, 
ka  pwetxà  gogayäta.^^) 
—  vo  vo  tropë  exûrîamà: 
s'a  de  txînâta  d'érdjà, 
bêla  e  djöliäta, 
ka  vâlî  bî  sa  râpa. 

3.  vo,  sï  grà  se  djôze, 
k'vôz-êta  àkwe  û  si  bù  txepù, 
rbotxïa  to  se  patxù, 

ka  st'  afè  grilla; 

s'a  d'frwa  kèl  àdûra. 


Ecoutez,  Jeanne-Marie, 
Cette  chansonnette. 
C'est  les  petits  anges  du  ciel 
Qui  veulent  venir  en  visite. 

Vous  n'avez  pas  bien  pris  garde 

A  ces  jolies  petites  tresses 

Qu'ils  ont  sur  leurs  têtes, 

Qui  (portent)  font  glin,  glin  (?). 

—  Vous  vous  trompez  assurément: 

C'est  des  chaînettes  d'argent, 

Belles  et  joliettes, 

Qui  valaient  bien  cent  rappes. 

Vous,  ce  grand  saint  Joseph, 
(Que  vous)qui  êtes  encore  un  si  bon  char- 
Rebouchez  tous  ces  trous,     [pentier, 
(Que)  cet  enfant  grelotte; 
C'est  de  froid  qu'il  endure. 


La  troisième  altération  m'a  été  communiquée  par  M.  Sébastien 
Chételat,  de  Montsevelier,  tailleur  à  Delémont.  Dans  tous  ces  noëls,  la 
mélodie  est  la  même  que  celle  que  j'ai  notée. 


5,  Noël  en  patois  de  Montsevelier  (Delémont). 


1.  t;çù.  a-s'ka  kaka,  käka,  kaka 
à  l'o  da  l'ëtâla? 

—  se  bë  xîra  ka  vwälä, 

ö!  k'e  sô  ëmâble! 

à  vwalï  û  k'â  pœtamà  nwa! 

lëz-âtra  sô  pu  djôlï; 

bêla  djôliàta. 

k'vâyà  bî  sa  räpa.-^^) 

2.  —  piarä,  motxa  î  po  to  ne; 
fât-è  k'à  ta  l'dvoxa? 

niiï  vëti,  mâl-ovarnë, 
da  twä  y'ê  pïdia. 
ast'ë*")  fre,  prà  mô  mëtë, 
ast'ë  fë,  prà  dï  totxë, 
pô  rapâra  alëna, 
pÔ  rapyëra  à  l'ëdja. 


Qui  est-ce  qui  frappe,  frappe,  frappe 

A  l'huis  de  l'étable? 

—  Ces  beaux  messieurs  que  voilà, 

Oh!  qu'ils  sont  aimables! 

En  voilà  un  qui  est  vilainement  noir  ! 

Les  autres  sont  plus  jolis; 

Belles,  joliettes, 

Qui  valent  bien  cent  rappes. 

Pierre,  mouche  un  peu  ton  nez  ; 

Faut-il  qu'on  te  le  dise? 

Mal  vêtu,  mal  nouiTi, 

De  toi  j'ai  pitié. 

Si  tu  as  froid,  prends  mon  manteau 

Si  tu  as  faim,  prends  du  gâteau, 

Pour  reprendre  haleine. 

Pour  (re)plaire  à  l'ange. 


396 


3.  Adiuii  çtë  bô  gorso 
se  se  satxa  goardja. 
el  ë  morjù  de  î  byàso, 
e  i-y'e  lëxia  so  trô^o. 


Adam  était  bon  garçon 

Sans  sa  gorge  sèche. 

Il  a  mordu  dans  une  poire  sauvage, 

Et  il  y  a  laissé  son  tronçon. 


6.  Noël  en  patois  de  Courgenay  (Ajoie). 


^,b-:/.    /•     /      i    /|     ^     ^      J     I     ;•/    j-i'l    ^'    ''^ 


kê    bru     à-tàt    -    ô     pwà  xi?         kê  brû    à-tàt  -  0    pwà  xï? 


l-j^   J-   J  I  ^    J-^^ 


^O   I  ^    ^'  > 


P^E^ 


s'â     lö       lu      k'â      ê      bèr  -    bi  —  .  !        vi  -  ta  -  ma       de  -  pâ-djîa 


i 


^'   J-  '  J    i 


j^  /  I  /  .^  J: 


bô  -  ta    vit  -  ma 


vo: 


ô     k'à       la        txœ-sa! 


la    rù   -    djè 


^  J^  ^  J-  I    j    j 


ë  -  prç    se    kèr    -    kê  -  sa. 

1.  kë  bru  àtàt-ô  pwa  xï? 
s'â  lo  lu  k'â  ë  berbï! 
vïtamà  dëpâdjîa  vo  ! 

0  k'à  la  txœsa! 

botà  vitmà  la  rùdje*^) 

épré  se  kerkesa. 

2.  —  nô,  s'a  le  Jless'fè  k'â  no 
da  le  vïardja  mena. 

vïtamà  dëpâdjà  no 

d'âlë  l'edorë 

ë  d'ï  fër  nô  politë.^-) 

3.  twa,  kola,  t'é  de  sülö 

e  po  ena  bel  rüdja  vesta; 
s'â  twa  k'ta  fare  l'àtrë, 
tyè  no  srèz-ârïvë. 

/w  C  c 

4.  lö  bôdjwë,  déma  mena  ! 
nôz-è  âxï  êna  pteta  fyata 
p()  bresîa  vot'  äfnä. 

po  tota  peyûra,*'^) 


Quel  bruit  entend-on  par  ici? 
C'est  le  loup  qui  est  aux  brebis! 
Vite(ment)  dépêchez-vous  ! 
Oh  !  qu'on  le  chasse  ! 
Mettons  vite(ment)  le  Bouget 
Après  sa  carcasse. 

—  Non,  c'est  le  Messie  qui  est  né 
De  la  Vierge  Marie. 
Vite(ment)  dépêchons-nous 
D'aller  l'adorer 
Et  (d'y)  de  lui  faire  nos  politesses. 

Toi,  Colas,  tu  as  des  souliers 
Et  puis  une  belle  veste  rouge; 
C'est  toi  (que  tu)  qui  feras  l'entrée, 
Quand  nous  serons  arrivés. 

Le  bonjour,  Dame  Marie! 
Nous  avons  aussi  une  petite  tillette 
Pour  bercer  votre  petit  enfant. 
Pour  toute  paye  (?), 


t^è  k'vç  farë  dï  pêp*^, 
vy  yi  béyarê  lo  re;çûr8. 


397     — 

Quand  (que)  vous  ferez  de  la  bouillie, 
Vous    lui  donnerez   (la    raclure)    le 

[gratin. 
(M.  Girard-Mouliat,  à  Courgenay.) 


Dans  les  deux  numéros   suivants,    il  y  a  non  seulement  altération 
du  texte  in'imitif,  mais  encore  contamination  de  deux  chansons. 


7.  Patois  de  Courtedoux  (Ajoie). 


i 


;*  j^  /  ^"^^=^ 


/  j:  j' 


# 


"  / 1  x 


mé    t;^ù  -  lât       ï       n'sô    tro  -  ve. 


mè    t;fù-lat        ï 


j'  j  /  /i  j  j^  j:  j  I  j-  J-^ 


^^^ 


n'sê    tro  -  ve;    ï      krè  k'à    ma    l'ë      de  -  rô  -  bê, 


^ 


kê    mâ-li-sa! 


/  j^  :"  \  ^^ 


ï 


^ 


k'à  m'iè    rè  -  pwètxa 


â        pu 


tô 


k'ï      le      ve  •  ta     vï 


ta] 


1.  Ö  me  t;çiilat8  ï  n'së  trovê; 
ï  kre  k'à  ma  l'ë  dérobe. 

Ö  kë  mâlïsa! 

k'à  m'ie  rëpwëtxa  ä  pu  tô 

k'ï  le  vêta  vita! 

2.  0  n'a-s'pa  le  mâlédïksyô! 
y'e  vëtï  më  txâs  e  rt;i^ölo', 
soll  m'àgrëna. 

ï  kre  ka  pu  t;çûta  àn-o, 
mwë  à  fë  d'bëzëiia. 

3.  0  twà,  kola,  t'ë  de  sùlë; 
ta  ta  se  bî  përë, 

t'ë  rùdja  vësta. 
tîra-nô  tu  d'àbërë 
d'iè  politesse. 

4.  Ö  mër,  nçz-ë  àkwô  î  bré 
po  brasïa  not'  äfe 

de  seta  peyilra. 

t;çè  vo  yï  farë  dï  pëpë, 

y'  erë  le  rojûra.**) 


Oh!  ma  culotte  je  ne  sais  trouver; 
Je  crois  qu'on  me  l'a  dérobée. 
Oh!  quelle  malice! 
Qu'on  me  la  rapporte    au  plus  tôt 
Que  je  la  vête  vite! 

Oh!  n'est-ce  pas  la  malédiction! 
J'ai  (vêtu)  mis  mes  chausses  (à  re- 
Oela  me  fâche,     [culons)  à  rebours  ; 
Je  crois  que  plus  [de]  hâte  on  a, 
Moins  on  fait  de  besogne. 

Oh  !    toi,  Colas,  tu  as  des  souliers  ; 
Tu  te  sais  bien  parer. 
Tu  as  veste  rouge. 
Tire-nous  tous  d'embarras 
De  la  politesse. 

Oh  !  mère,  nous  avons  encore  un  ber- 
Pour  bercer  notre  enfant         [ceau 
Dans  cette  balle  de  froment. 
Quand  vous  (y)  lui  ferez  de  la  bouillie, 
J'aurai  le  gratin. 


398 


Quand  les  gens  iront  tous  moissonner, 

J'en  aurai  cinq  à  garder. 

Oh  !  quelle  affaire  ! 

Aussitôt  que  l'un  est  (r)apaisé, 

Voici  l'autre  qui  bêle! 

(M.  Louis  Stouder,  fabricant  d'horlogerie,  de  Courtedoux, 
à  Porrentruy,  né  en  1840.) 


5.  t^è  le  djà  âdrè  tu  mûexanë, 
y 'an  -  erë  sît;ç8  è  vwêdjé. 
Ö  kêl-efçre! 

exïtô*^)  k'yû  â  repejïa, 
vwalï  l'âtra  ka  bêla  ! 


8.  Patois  de  Bressaucourt  (Ajoie). 


1.  Ö  pï9r-djozë,    t'é  éne    mèrî8. 
n'ëtî-vo  pa  bi  lœdjîa 

txëa  le  vâtlara?^*^) 
venï  vo  lœdjïa  txëa  no, 
vo  serë  de  nötra. 

2.  Ö  n'a-s'  pa  le  malédiction! 
y'ë  vëtï  më  txâs  e  rt;falô; 
soll  m'âgrena. 

ï  kre  ka  pu  t;fùta  àn-ô 
mwè  à  fe  da  bëzéna. 

3.  iyè  s'a  k'ië  djà  âdrè  môaxanë 
y'ân-erë  sît;ja  e  vwadjë. 

Ö  kêl-efëra! 

iyjè  s'a  k'yû  serë  râperjïa,*^) 

vwalï  l'âtra  ka  bêla! 

4.  Ö  mër,  nôz-è  àkwè  î  brë 
po  brasîa  set-afè 

de  se  pëyûra. 

t^Q  vo  yï  farë  dï  pepe, 

mwâ  y'erë  le  rojûra. 


Oh!  Pierre-Joseph,  tu  as  une  Marie. 
N'étiez-vous  pas  bien  logés 
Chez  la  Vautière? 
Venez  vous  loger  chez  nous, 
Vous  serez  des  nôtres. 

Oh!  n'est-ce  pas  la  malédiction! 
J'ai  mis    mes  chausses   à   rebours; 
Cela  me  fâche. 

Je  crois  que  plus  [de]  hâte  on  a, 
Moins  on  fait  de  besogne. 

Quand  (c'est  que)  les  gens  iront  mois- 
J'en  aurai  cinq  à  garder       [sonner. 
Oh  !  quelle  affaire  î 
Quand  (c'est  qu')un  sera  apaisé, 
Voilà  l'autre  qui  bêle  ! 

Oh!   mère,   nous   avons    encore   un 
Pour  bercer  cet  enfant       [berceau 
Dans  sa  balle  de  froment. 
Quand  vous  lui  ferez  de  la  bouillie, 
Moi  j'aurai  le  gratin. 


(M""^  Daucourt-Duplain,  née  en  1819,  à  Bressaucourt.) 


9.  Noël  en  patois  de  Miéeoupt  (Ajoie).^^) 


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î      be    mè  -  tï 


ma  yô    -    vè,        ka    îè  tî9r    pra- 


^  '^  ^'  I  j  j  I  j.  j'  I  /  ;■  j'U  I  j.  j'i  J  j 


hê   son  blanc  man -te  -  let,    txè  -ta     nô  -  lë,      nô  -  le,    no -lêt-ew- cor 


—     399 


1.  î  bê  m«Hî 
ï  ma  yovê, 

ka  le  tiar  prafië 
son  blanc  mantelet. 
txètJÏ  nolÇ',  nôlê, 
nôlêt-encor. 

2.  i  m'a  sœt-alë 
t;ç8rï  kolïne 

ka  sa  promanë 

de  so  djêrdïne. 

txètà,  etc. 

3.  ka  fêta  vo  lï 
gàrsonë  djolï? 

—  y'  êkùta  txètë 
la  rôsïnôlé. 

txètà,  etc. 

4.  ka  di  de  sô  txè, 
dï  k'à  Bethléem 

ä  ne  la  nôlê 

txètà,  etc. 

5.  di  k'à  Bethléem 
â  ne  la  nölö. 

é  no  pétxà  tu 
vûar  l'àfàtale. 
txètà,  etc. 

6.  nôz-à  fdéna  vûar 
la  patë  pöpnä, 

ka  se  mër  kutxë 
àn-î  mëyolà. 

txètà,  etc.*^) 


Un  beau  matin 
Je  me  levai. 
Que  la  terre  prenait 
Son  blanc  mantelet. 
Chantons  Xolé,  Xolé, 
Xolé-t-encor! 

Je  m'en  suis  allé 
Quérir  Colinet 
Qui  se  promenait 
Dans  son  jardinet. 
Chantons,  etc. 

Que  faites-vous  là 
Garçonnet  joli? 
—   J'écoute  chanter 
Le  rossig7iolet 

Chantons,  etc. 

Qui  dit  dans  son  chant. 
Dit  qu'à  Bethléem 
Est  né  le  Xolé  (Xoëlj 


Chantons,  etc. 


Et  nous  partons  tous 
Voir  l'enfuntelet. 
Chantons,  etc. 

Xous  [nous]  en  fûmes  voir 
Le  petit  poupon 
Que  sa  mère  couchait 
(En)  Dans  un  petit  maillot. 
Chantons,  etc. 
(M""«  Bertha  Pheulpin,  à  Miécourt.) 


400 


II.  Le  Bon-An. ^'0 
10.*)  Bon-An  en  patois  de  Courroux. 


Lent  (, 


ë        y'è  ôt       djö    ke     nâ     ât    -    è  -  yû,    txè  -  ta       nô- 


I  f  J  M  r  r  r  i-|nJ  j-J  j'i  j.  ;^^jL^ 


^ 


vwfî    -   si     la    bon  -  à        k'â 


V9 


-  ni,  txè    -  ta     no  -  ê,    nç 


e: 


1.  è  y'é  ôt  djoke  na^^)  at-ëyù,^-)        Il  y  a  huit  jours  que  Noël  (est  été) 


txètà  nöö, 
vwasï  le  bôn-à  k'â  vanï, 
txètà  noë,  noë! 


Chantons  Noël,     [a  eu  lieu, 
Voici  le  Bon -An  qui  est  venu, 
Chantons  Noël,  Noël. 

Pour  réjouir  les  jeunes  gens, 


2.  po  rëdjoyï  le  djûana  djä. 

txètà  noë, 
X8  bî  le  grç  kom  le  pate,'""^) 
txètà  noë,  noë! 

3.  eportë-no  le  brek^*)  evè 

txètà  noë, 
î  bo  morse  da  votra  pè, 
txètà  noë,  noë! 

4.  éna  bënapwënïa  da  votra  ërdjà        Une  bonne  poignée  de  votre  argent, 

txètà  noë, 
î  bô  pyatë  da  vö  beüä 
txètà  noë,  noë! 


Si  bien  les  (gros)   grands    (comme) 
[que  les  petits. 

Apportez-nous  la  „brique"  avant, 
Un  bon  morceau  de  votre  pain. 


Un  bon  plat(eau)   de   vos  beignets. 


11.**)  Bon-An  en  patois  de  Delémont. 

1.  ë  y'é  fit  djo  ka  nâ  ât-ëyû  II  y  a  huit  jours,  etc. 

txètà  noë, 
vwasï  la  bôn-à  k'â  vanï 
txètà  noë,  noë! 

2.  po  rëdjoyï  le  djûana  djà, 

txètà  noë, 
xa  bî  le  vëya^^)  ka  le  djûana, 
txètà  noë,  noë! 

3.  xa  bï  le  pâte  ka  le  grô 

txètà  noë. 


Pour  réjouir  les  jeunes  gens. 
Si  bien  les  vieux  que  les  jeunes 

Si  bien  les  petits  que  les  grands. 


*)  Voir  Arch.  III  p.  269,  n"  3. 
**)  Voir  Arch.  III  p.  270,  n«  4. 


—     401 


X8  bï  le  pôvra^^)  ka  le  retxa 
txètà  nço,  nçë! 

4.  epôrtë  no  le  bret;ç9  èvè. 

txètà  nyê, 
ï  bô  mçrsê  da  vötra  pè 
txètà  nçê,  nçë! 

5.  î  l)o  djano*')  da  vô  pôma 

txètà  noe, 
î  bù  mûrsè  da  votra  lô, 
txètà  noê,  nôë! 

6.  1  bù  txèbô  dâ  votra  tüt;'^**) 

txètà  nôë, 
ena  bona  pànarè  d'erdjà  se  kùtë 
txètà  nôë,  noê! 


Si  bien  les  pauvres  ({ue  les  riches. 

Apportez-nous  lu  „bri(iue"  avant, 
Un  bon  morceau  de  votre  pain, 

un  bon  tablier  plein  de  vos  pommes, 
Un  bon  morceau  de  votre  lard. 

Un  bon  jambon  depuis  votre  cheminée, 

Une  bonne  panerée  d'argent  sans 

[compter. 


(Feu  M.  Benoni  Köhler,  cordonnier,  né  en  1830,  Delémont.) 


12.*j  Le  Bon-An  des  Capucins  (Patois  de  Develier). 

Il  y  a  huit  jours,  etc. 


1.  è  y'è  Ôt  djô  ka  nâ  ât-èyu 

txètà  nôë, 
vwàsï  la  bon-à  k'â  vanï 
txètà  nôë,  nôë! 

2.  ka  dûa  banâxa  sï  kûvà. 

txètà  nôë, 
to  se  k'yï  sô  vot;çû  kôtà! 
Etc. 

3.  ka  dfia  banâxa  le  kàpûsî 

Etc. 
e  yï  beya  ëde  dï  bo  vi! 
Etc. 

4.  se  por  përa  la  raërïtà  bî. 

Etc. 
e  vë  ë  mëtëna  xa  métî! 
Etc. 

5.  se  por  përa  vè  é  nii  pie, 

Etc. 
s'a  pô  àtrë  dadè  la  sîa! 
Etc. 


*)  Voir  Arc/i.  Ilf  p.  271.  n-  5. 


Que  Dieu  bénisse  ce  couvent. 

Tous  ceux  qui  y  (sont)  ont  vécu 

[contents! 

Que  Dieu  bénisse  les  capucins 
Et  (y)  leur  donne  toujours  dubon  vin  ! 

Ces  braves  pères  le  méritent  l)ien, 
Ils  vont  aux  matines  si  matin! 

Ces  pauvres  pères  vont  à  nu-pieds, 
C'est  pour  entrer  dedans  le  ciel! 


26 


—     402     — 

6.  no  yï  t;^uâjà^^)  bî  ce  bonheur,  Nous  leur  souhaitons  bien  ce  bonheur, 

Etc. 
dû8  lé  prëzerva  da  malheur!  Dieu  les  préserve  de  malheur! 

Etc. 

7.  da   vo  bî  nô  vô  rmérsyà,  De  vos  biens  nous  vous  remercions, 

Etc. 
éna  bwana  ànê  no  vô  swatà!  Une   bonne    année    nous    vous  sou- 

Etc.  [haitonsl 

(M.  Saulcy,  ancien  instituteur,  Develier.) 


13.  Bon-An  en  patois  d'Aile  (Ajole). 


1.  vwasï  la  bôn-à  k'â  vanï, 
ka  to  la  môda  â  redjùyï, 

txètà  nôë! 

2.  le  vétxa  â  pré  k'è  fé  trâ  vë, 
e  y'àn-è  û  k'à  î  bwê  kom  î  tore! 

Etc. 

3.  noz-ëvî  fê  dï  bu  twetxë, 
k'ëtê  to  frâyîa  d'nit/arë! 

Etc. 


Voici  le  Bon- An  qui  est  venu. 
Que  tout  le  monde  est  réjoui, 
Chantons  Noël! 

La  vache  au  pré  qui  a  fait  trois  veaux, 
Il  y  en  a  un  qui  a  un  ventre  comme 
[un  taureau! 

Nous  avions  fait  du  bon  gâteau, 
Qui  était  tout  graissé  de  morve! 

(Joseph  Billieux,  à  Aile). 


?  bonsoir,     ?  Bon- An! 

Voici  le  premier  jour  de  l'an. 


14.*)  Bon-An  en  patois  de  Mervelier  (Delémont), 

1.  ädö'^)  bôswâr,  adô  bon-à! 
vwasï  la  parmïa  djc»  da  l'a. 
]Sotre  Seigneur  nous  aime  tant 
Qu'il  le  renouvelle  tous  les  ans. 

2.  îiotre  Seigneur  a-t-un  jardin 
Jji  où  il  croit  du  pain  et  du  vin. 
C'est  pour  nourrir  ses  orphelins. 

3.  A  vous,  Madame,  et  d'action., 
La  charité,  donnez- nous- la! 
Au  paradis  la  retrouverez-vous.^^) 

4.  ka  dûa  banâxa  sta  mâjô, 
tô  per  àmê,^^)  to  per  àsô!^-) 
Et  le  maître  de  la  maison 

Que  Dieu  lui  donne  sa  hénédiction  ! 

(Charles  Mouttet-Naiserez,  né  en  1826,  à  Mervelier.j 

*j  Voir  Arcli.  IIl  p.  273,  n'  7. 


Que  Dieu  bénisse  cette  maison, 
Tout  par  le  milieu,  tout  par  en  haut! 


403 


Outre  les  chants  de  Nouvel-An  ci-dessus,  l'Ajoie  connaît  encore 
un  autre  Bon- An  qui  a  dû  être  fort  répandu  et  très  populaire,  et  dont 
ou  retrouve  la  mélodie  presque  telle  quelle  jusqu'à  Montbéliard. 

15,*)  Bon-An  en  patois  d'Ajoie 


1^-/^  J  /  H^^  ^1  J   ^l^ylj  JIJ.^ 


bô-swâ,  bô  -  swâ,  mê  •  tra       do    se    lyo!  vwà-sï      la  bon  -  à 


il  «j    IJ  J 


j  j  U.^'l  j  ^  N'  /l  J 


^ 


k'â     va  -  ni,    ka       tô    la  raôda   â 


re 


djô 


yi- 


ka       dûa    vt) 


rrU^^â 


<i  \J  JTTTT^^ 


bôta  an  -  î     bon  -  à  ! 


ka        diia 


vo 


dô 


bwâna 


a  -  ne! 


1 .  bôswa,  bôswa,  mëtra  da  se  lyô  !  ^^) 
vwasï  la  bôn-à  k'â  vanï, 

ka  tô  la  môda  â  rédjovï. 
ka   dûa  vo  bota  àn-î  bôn-à! 
ka  dûa  vo  dô^^)  le  bwâna  ànë! 

2.  ëtè  le  grô  ka  le  pâté, 
ka  to  la  môda  â  redjoyï. 

ka  dûa,  etc. 

3.  le  dûsa  vîardja  èt-î  djédjî^^) 
k'e  yï  krâxe  dï  pè  é  dï  vî, 
k'é  yï  krâxë  da  tô  le  bî. 

ka  due,  etc. 

4.  nota  Seigneur  s'y  promenait 
èvô  î  bâtô  d'érdjà  fârë. 

ka  dûa,  etc. 

5.  lo  pu  brâv  àna  dï  peyï 
s'a  lô  . . .  .®^)  ka  lô  vwâli. 
ka  dûa  lo  bota  àn-i  bôn-à! 
ka  dûa  vô  dô  le  bwâna  ànë! 


Bonsoir,  bonsoir,  maître  de  ces  lieux  ! 
Voici  le  Bon-An  qui  est  venu, 
Que  tout  le  monde  est  réjoui. 
Que  Dieu  vous  mette  en  un  bon  an  ! 
Que  Dieu  vous  donne  la  bonne  année  ! 

Autant  les  gros  que  les  petits, 
Que  tout  le  monde  est  réjoui. 

La  douce  Vierge  a  un  jardin  [du  vin, 
(Qu'il  y)  Où  il  croissait  du  pain  et 
Où  il  croissait  de  tous  les  biens. 

Notre  Seigneur  s'y  promenait 
Avec  un  bâton  ferré  d'argent. 

Le  plus  brave  homme  du  pays 
C'est  le  ...  .  que  (le)  voici. 
Que  Dieu  le  mette  en  un  bon  an! 
Que  Dieu  vous  donne  la  bonne  année  ! 


Que  Dieu  bénisse  cette  maison, 
Toutes  les  lattes  et  les  chevrons  î 


6.  ka  dûa  bnîa®^)  sta  mâjô, 
to  le  leta  e  le  txavîrô!*^*) 
ka  dûa,  etc. 

(Communiqué  par  M™^  Fenk-Mouche,  institutrice,  à  Porrentruy.) 

*)  Voir  Arch.  III  p.  272,  n"  6. 


404 


16.  Bon- An  en  patois  de  Poprentruy. 


1.  vwasï  le  bôn-à  k'â  vanï 
ka  to  la  mode  â  rçdjoyï. 
ka  dû8  vo  bots  àn-î  bon-à, 
me  dû8  vo  dô  le  bwän9  àne! 

2.  Notre  Seigneur  s'y  promenait 
emô  se  txè,  êvâ  se  pré, 

evô  ï  bâtô  d'erdjà  fârë. 
ko  due,  etc. 

3.  le  dûso  vï9rdJ8  çt-î  djédjî 
k'e  yï  krâxe  do  to  le  bî, 
k'e  yï  krâxë  dï  pè  e  dï  vî. 

ke  dÛ8,  etc. 

4.  ka  dû9  bnëxœxa  sta  mâjô, 
ka  to  le  leta  e  le  txavrô, 

to  so  ka  pà  ëz-àvïrô  ! 
ka  dûa.  etc. 


Voici  le  Bon-An  qui  est  venu. 
Que  tout  le  monde  est  réjoui. 
Que  Dieu  vous  mette  en  un  bon  an, 
Mais  Dieu  vous  donne  la  bonne  année  ! 

Notre  Seigneur  s'y  promenait 

En  haut  ces  champs,  en  bas  ces  prés, 

Avec  un  bâton  ferré  d'argent. 

Ladouce  Vierge  a  un  jardin  [biens, 
(Qu'il  y)  Où  il  croissait  de  tous  les 
(Qu'il  y)  Où  il  croissait  du  pain  et 

[du  vin. 

Que  Dieu  bénisse  cette  maison, 
(Que)  Toutes  les  lattes  et  les  chevrons, 
Tout  ce  qui  pend  aux   environs! 


5.  ë  dyà  k'vôz  e  d'ie  bwana  ëdwëya  -,  ^^)  Ils  disent  que  vous  avez  de  la  bonne  andouille  : 

beyîta  nôz-à  t;fët;fû  î  bùtxa,  Donnez-nous-en  [à]  chacun  un  petit  bout, 

î  bütxä  kmà  î  manavla,'^'^)  TTn  petit  bout  comme  un  petit  levier, 

î  manavla  kmà  în-êtla.'*)  Un  petit  levier  comme  un  petit  foyard. 
ka  dûa,  etc. 


6.  ë  dyà  k'vôz-ë  dï  bô  twëtxê;'-) 
beyîta  nôz-à  t;fot;çû  î  mwexê,^^) 

î  mwexë  kmà  î  t;^û  d'pyetë, 
1  t;fù  d'pyetë  kmà  î  t;^û.vë 
ka  dûa,  etc. 

7.  e  dyà  k'vOz-e  de  bwana  nojeya;''*) 
beyîta  noz-à  t;^ët/û  ena  pwenîa, 
ena  pweöla  kmà  ena  tetxîa,'^) 
ena  tetxia  kmà  ena  bêsetxîa^^) 

ka  dûa,  etc. 


Ils    disent    que   vous  avez    du   bon  gâteau: 
Donnez-nous-en  [à]  chacun  un  morceau. 
Un  morceau  comme  un  (culj  fond  de  plat, 
Un  fond  de  plat  comme  un  cuveau. 

Us  disent  que  vous  avez  de  bonnes  noisettes; 
Donnez-nous-en  [à]  chacun  une  poignée, 
Une  poignée  comme  une  poche  pleine. 
Une  poche  pleine  comme  une  besace  pleine. 


8.  ç  dyà  k'vöz-e  d'ië  bwana  gota;'^'')  Us  disent  que  vous  avez  de  la  bonne  goutte; 
beyîta  noz-à  t/ët/u  î  vwärä,  Donnez-nous-en  [à]  chacun  un  petit  verre, 

î  vwârà  kmà  î  swäyatä,  Un  petit  verre  comme  un  petit  seau, 

ï  swäyatä  kmà  î  vêxala.  Un  petit  seau   comme  un  tonnelet. 

(Feu  M.  Cœudevez,  né  en  1830,  à  Porrentruy.) 


—     405     — 

17.  Variante  en  patois  de  Roeourt  (Ajoie). 

1.  à  dï  k'voz-è  d'ié  bwêna  èdwéya;   On  dit  que  vouz  avez  de  la  bonne  andouille  ; 
bçyîta  noz-à  vûar  î  bûtxa,  Donnez-nous-en  voir  un  petit  bout, 

ë  pö  prë  grà  kmà  în-êtla.  A  peu   près  grand  comme  un  petit  hêtre. 

2.  à  dï  k'voz-é  d'iç  bwena  gota;     Ou  dit  que  vous  avez  de  la  bonne  goutte; 
bèyïta  nôz-à  vûar  î  vwâra,  Donnez- nous  en  voir  un  petit  verre, 

é  pô  prê  grà  kmà  î  swäy^tä.  A  peu  près  grand  comme  un  petit  seau. 

(Gustave  Quiquerez,  aubergiste,  à  Roeourt.) 

18.  Variante  en  patois  de  Cœuve  (Ajoie). 

à  dï  k'voz-é  t;çûe  î  pua;  On  dit  que  vous  avez  tué  un  porc; 

s'a  po  sôlï  k'no  vûà  vûa  C'est  pour  cela  que  nous  venons  voir 

s'no  n'serî  evwä  î  bû  d'bùdî,  Si  nous  ne  saurions  avoir  un  petit  bout  de  bou- 

è  axï  î  ptè  vwâr  da  vî.  Et  aussi  un  petit  verre  de  vin.  [din, 

(M^"®  Thérèse  Ribeaud,  ancienne  institutrice,  née  en  1834, 

à  Cœuve.) 

On  me  permettra  de  transcrire  ici  un  Bon-An  en  patois  de  Montbéliard, 
plus  complet  que  ceux  que  j'ai  moi-même  récoltés  dans  le  Jura  bernois.  Il 
sera  aussi  intéressant  de  comparer  ce  patois  Montbéliardais  au  patois  ajoulot 
et  au  vâdais.  Malheureusement  je  ne  possède  pas  assez  à  fond  cet  idiome 
pour  oser  en  donner  une  transcription  phonétique. 


Lent 


i 


19.  Bon-An  en  patois  de  Montbéliapd. 


-r-^j  f  "r  ■^=i=^ 


^^  d 


Voi     -     ci    lou    bon      an  qu'à    ve    -    ni 


port  de  voix 


rr=î_ 


^ 


^ 


n    ->     I    «i^ 


^3 


r  '■  / 


^ 


^ 


^^^^^ 


Yoi     -     Cl     lou  bon        an        qu'à  ve  -  ni  Que     tout     lou    monde    â 


W^^ 


^ 


i    j\  i.J'   ^ 


ï^ 


ré  -  djo  -  yi,     A  -  tant   les  grands  que         les      pe-tets.       Due       vos 


^ 


g 


See^ 


r^-]  I  p  C^^5^ 


bou   -   tait  dans     n'bouène        on  -  naie      Dans  n'bouène         on- 


naie     se  vos  len    -    trai. 


—     406 


1.  Voici  lou  bon  an  qu'à  veni 
Que  tout  lou  monde  â  rédjoyi, 
Atant  les  grands  que  les  petets. 
Due    vos    boutait  dains   n'bouène 


onnaie 


Dans  n'bouène  onnaie,  se  vos  reu- 

[trai! 

2.  Tschampai  nos  de  vos  bons  côtis 
Que  sont  pendus  aï  vos  reutis. 

Due  vos.  etc. 

3.  Tchampai  nos  de  vos  bons  tcbam- 
Que  sont  pendus  aï  vos  bâtons,  [bons 

4.  Tchampai  nos  lou  pô  tout  entie, 
Les  oroiir  et  les  quaître  pies. 

5.  Copai  a  lai  sans  rêgaidjai, 
Mais  prentes  vadj'   de  vos  côpai. 

6.  Baillies-nôs  de  vos  êtchâlons 
Que  sont  dedans  lai  tchambre  â  long. 

7.  Baillies-nôs  de  vôt'  bon  toutché 
Qu'à  dans  l'airtche  â  pie  de  vot'  lé. 

8.  En'      poignie     d'ordjent    sans 

[comptai, 
Mais  prentes  vadj'  de  vos  trompai. 

9.  L'aflenot  qu'à  i  bre  coutchie 
De  lai  main  de  Due  sait  soignie! 

10.  Due  bénisse  cete  mâson 
Tout  par  en  me,  tout  par  en  son! 

11.  Et  lou  maître  de  lai  mâson, 
Due  li  dene  bouène  fôson! 

12.  Et  lai  maîtresse  de  cions, 
Due  en  ait  grand  compassion! 

13.  Xôs  ans  les  pies  tout  edgeolais 
Et  lai  bairbe  toute  dgievraie. 


Voici  le  Bon -An  qui  est  venu 
Que  tout  le  monde  est  réjoui, 
Autant  les  grands  que  les  petits. 
Dieu  vous    mette    dans    une  bonne 

[annéel 
Dans  une  bonne  année,  (si)  voici  que 
[vous  rentrez  ! 

Jetez-nous  de  vos  bonnes  côtelettes 
Qui  sont  pendues  à  vos  rôtis  (?) 

Jetez-nous  de  vos  bons  jambons 
Qui  sont  pendus  à  vos  bâtons. 

Jetez-nous  le  porc  tout  entier, 
Les  oreilles  et  les  quatre  pieds. 

Coupez  au  lard  sans  regarder, 
Mais  prenez  garde  de  vous  couper. 

Donnez-nous  de  vos  noix 

Qui  sont  dedans  la  chambre  au  long, 

Donnez-nous    de   votre  bon  gâteau 
Qui   est   dans   l'arche    au   pied    de 

[votre  lit. 

Une  poignée  d'argent  sans  compter, 

Mais  prenez  garde  de  vous  tromper. 

Le  petit  enfant  qui  est  au  berceau  cou- 
De  la  main  de  Dieu  soit  soigné!    [ché 

Dieu  bénisse  cette  maison 

Tout  par  au  milieu,  tout  par  en  haut  ! 

Et  le  maître  de  la  maison, 
Dieu  lui  donne  bonne  foison! 

Et  la  maîtresse  de  céans, 
Dieu  en  ait  grand'  compassion! 

Nous  avons  les  pieds  tout  gelés 
Et  la  barbe  toute  givrée. 


—     407     — 

14.  Se  vos  ne  veuillais  ran  denai,         Si  vous  ne  voulez  rien  donner, 
En'  fâ  pê  tant  nos  erratai,  11  ne  faut  pas  tant  nous  arrêter, 
Car  âtre  pai  nos  v'iien  ollai.  Car  autre  part  nous   voulons  aller. 

15.  Due  bénisse  cete  raâson,  Dieu  bénisse  cette  maison, 
Monsieur  .  .  .  .,  ses  bés  gochons,  Monsieur  .  .  .  .,   ses  beaux  garçons, 
Ses  beir  gaichottes   tout  di  long!        Ses  belles  filles  tout  du  long! 

{Almanach  des  Bonnes  Gens  du  Pays  de  AJonlbéliard, 
Année  1895.) 

D Almanach  ajoute  :  „Le  Vieux  Bon-An,  connu  depuis  peut-être 
plus  de  trois  siècles  dans  notre  pays,  n'y  est  déjà  presque   plus  chanté. 

Il  y  a  50  ans  à  peine,  pendant  la  nuit  du  31  décembre,  les  habitants 
de  Montbéliard  parcouraient  encore  les  rues  en  le  chantant. 

A  minuit,  ils  entraient  les  uns  chez  les  autres,  on  s'embrassait, 
on  buvait  du  vin  du  pays  en  mangeant  une  andouille  ou  en  cassant 
des  noix. 

Dans  les  plus  humbles  ménages,  comme  dans  les  plus  riches 
familles,  l'année  alors  commençait  gaîment." 

M.  John  Viénot  donne  3  variantes  de  ce  Bon-An  dans  ses  Vieilles 
Chansons  du  Pays  de  Monthéliard  (Montbéliard  1897)  p.  11  et  sq.  Il 
dit  (p.  11  note  1):  „La  veille  du  jour  de  l'an,  pendant  la  nuit,  les 
jeunes  gens  parcourent  les  rues  des  villes  et  des  villages  en  chantant  le 
Bon  an  ;  ils  s'arrêtent  aux  portes  des  principaux  habitants  et  ne  cessent 
leurs  chants  que  lorsqu'on  leur  a  donné  quelque  chose.  Ce  chant  du 
nouvel  an  se  chante  avec  quelques  variantes  dans  la  Franche-Comté  et 
le  pays  de  Porrentruy.'' 

Voici  maintenant  la  façon  dont  les  enfants  remerciaient  les  personnes 
qui  les  gratifiaient  d'une  pièce  de  monnaie  ou  de  tout  autre  cadeau 
(Cf.  N«  12,  str.  7,  N°  14,  str.  4,  N°  15,  str.  6,  N«  19,  str.  15).  Ces 
remerciements  se  disent  aussi  après  le  chant  des  Rois.  (Cf.  N°  24,  str.  4, 
N°  25,  str.  3  et  26,  str.  3). 

*)  no  vô  rmërsyà  de  bî  ka  vô  no  fêta,        Nous  vous  remercions  des  biens  que 

[vous  nous  faites, 
no  prïrè   dûa  per  se  divine  grâce        Nous  prierons  Dieu  par   sa  divine 

[grâce 
k'ena  âtra  ànê  vô  nôz-à  poyoxî  beyî9        Qu'une  autre  année   vous    nous   en 

[puissiez  donner 
a  grôsa  djö8  é  à  bona  sètè!  En  grosse  joie  et  en   bonne  santé! 

(M.  Oscar  Broquet,  Courrendlin.) 
*)  Voir  Arch.  III.  p.  278. 


408 


Mais  si  on  les  renvoyait  les  mains  vicies,  ils  chantaient: 

Nous  vous  remercions  de  votre  sèche 

[croûte; 
Gardez-la  hien  pour  mouiller  votre 

[soupe. 
Après   votre   mort,   les    chiens,    les 
[chats  vous  pisseront  dessus! 


nô  vo  rraarsyà  da  vötra  sätxa  krota 
prèdjia  le  bî  po  moyîa  vôtra  sopa 


èprë  vot'  moa,  le  txî,  la  txè  vô  pixrè 
le  txî,  le  txe  vô  pïxrè  dxû  !         [dxû, 


M.  Xavier  Köhler  (Paît.  p.  8)  cite  le  couplet  suivant: 

ka  due  vo  beya  de  reta  esë,  Que  Dieuvous  donne  des  souris  assez, 

pa  da  txe  po  lêz-etrepë,  Pas  de  chat  pour  les  attraper, 

pa  d'bâtô  po  lëz-ësànë!  ....  Pas  de  bâton  pour  les  assomme]!... 

La  même  malédiction   se  retrouve   dans    le  Bon-An  Montbéliardais 
que  j'ai  cité  plus  haut: 

Due  vos  dene  des  raittes  aissai, 
Ne  tchin  ne  tchait  po  les  aittrapai, 
Pouèn  de  bâton  pou  les  tiuai  (tuer). 

Autre  remerciement  en  patois  de  Miéeourt. 


nô  vô  rmërsyà  de  bî  ka  vô  no  fêta; 

no  prîarè  dfla  par  sa  divine  grâce 
k'ë  vô  bëyœxa  sètë,  prospérité, 
ena  pyesa  à  peredï 
é  txvâ  xû  éna  bërbï. 


Nous  vous  remercions  des  biens  que 

[vous  nous  faites; 
Nous  prierons  Dieu 
Qu'il  vous  donne  santé,  prospérité. 
Une  place  au  paradis 
A   cheval  sur  une  brebis. 
(M""«  Bertha  Pheulpin,  Miéeourt.) 


Autres  remerciements  en  patois  de  Grandfontaine. 

à  vo  rmërsyë  d'vot  swätxa  krötäta,        En  vous  remerciant  de  votre  sèche 

[petite  croûte, 
vwadjë  le  vo  pu  fer  vôtra  söpäte;        Gardez  -  la  -  vous  pour   faire    votre 

à  l'âtra  môda  En  l'autre  monde       [soupe; 

le  txî,  le  txe  vô  pïxrè  dxû.  Les  chiens,  les  chats  vous  pisseront 

[dessus. 


nô  vô  rmërsyà  de  bî  ka  vô  nô  fêt; 

no  prïrè  dûa  pë  se  divine  grâce 
k'à  l'âtra  môda  ë  vo  beyœxa    ré- 
[compense. 


Nous  vous  remercions  des  biens  que 
[vous  nous  faites; 
Nous  prierons  Dieu  .  .  . 
Qu'en  l'autre  monde  il  vous  donne 

[récompense. 
(Xavier  Babey,  Grandfontaine.) 


409     — 


III.  La  veille  des  Rois. 


20.*)  La  „pèyïsô"  (Chant  des  bouviers). 

C'est  un  chant  qu'on  ne  connaît  qu'à  Develier  (Vallée  de  Delémont) 
et  qui  se  dit  le  soir  du  5  janvier,  veille  des  Rois.  Les  jeunes  bouviers 
(/ê  hony  le  chantent  en  parcourant  le  village,  et  accompagnent  chacun 
des  ,.(ltxalöh(T^  d'un  vigoureux  coup  de  fouet.  D'où  vient  ce  chant  si 
particulier?  A  quoi  fait-il  allusion?  Quelle  fête  doit-il  commémorer?"') 
On  ne  le  sait  plus,  comme  on  ignore  aussi  tout  k  fait  ce  que  signifient 
ces  mots  de  „pçyîso''  et  de  „otxa/ô/jo'^ .  En  publiant  ce  chant  dans  Arc/i. 
III  p.  274,  n°  8,  je  l'ai  intitulé  la  „i;e7.v//o";  c'est  ainsi  que  l'avait  appelé 
un  vieillard  de  Develier,  M.  Chappuis,  crieur  public,  qui  m'en  avait  in- 
diqué les  paroles  en  1894.  Mais  un  autre  vieillard  du  même  village, 
Pierre-Joseph  Monnin,  né  en  1822,  qui  dans  son  enfance  a  chanté  bien 
des  fois  cette  chanson  avec  d'autres  bouviers,  et  m'en  a  fourni  la  mélodie, 
m'a  affirmé  que  de  son  temps  on  disait  la  „J)Ç!/fSo"'  et  non  la  „pf/st/o^'. 
Je  fais  donc  la  rectification  et  transcris  la  version  de  Pierre-Joseph 
Monnin  comme  plus  ancienne  et  plus  authentique. 

Lent  -, 


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s'a        dix  kom  él  -  â 


J   1  '^"  I  ^^j"-^^-r-=l=^^-f-*'  I  S'   ^^ 


vwa.  s'a       bî,    je     vous   sa 

1.  s'a  stû  swa  î  swa 
niAvayù  k'iêz-âtra  swa; 
pur  se  VO  bît-ô^^)  vwa. 
s'a  dix  kùm  el-â  vwa, 
s'a  bî,  Je  vous  sâve.^'') 

ôtxâlôbô! 

2.  s'a  l'swa  d'iè  pêyïsô; 
èlôdjîa  VÖ  bétô,^^) 

pe  drwâta  è  per  rêzô.*^) 
s'a  dix,  etc. 

*)  Voir  Arc/i.  III  p.  274.  n"  8. 


ve.  Ö    -    txâ  -  lô  -  bô! 

C'est  ce  soir  un  soir 
Meilleur  que  les  autres  soirs; 
Pour  cela  vous  vient-on  voir. 
C'est  ainsi  comme  il  est  vert. 
C'est  bien,  je  vous  sauve 
Otchâlôbô  ! 

C'est  le  soir  de  la  „Payisson" 
Allongez  vos  tresses  de  chanvre, 
Par  droite  et  par  raison. 


—     410     — 


3.  noz-âdrè  êvâ  le  pré, 
r9t;fodr8  le  rôzë, 

le  grôsa  e  le  manûa. 
s'a  dix,  etc. 

4.  noz-âdrè  duz-ë  du. 
le  tête  dado  rdjù. 
nôz-âdrè  txù  rpomê,**^) 
noz-âdrè  txù  rreme'^*) 

s'a  dix,  etc. 

5.  nôz-âdrè  e  lé  txérÛ9, 
no  vîrarè  le  rô9;^^) 
nôz-àn-erè  l'ëtrëj^^J 

not  mëtra  erë  la  grè. 
s'a  dix,  etc. 

6.  nôz-âdrè  drî9  txëtë.®^) 
nôz-erë  dï  lësë;^*) 
nôz-à  frë  dï  metô,^^) 

tè  k'e  y'e  d'pïar  â  fô. 
s'a  dix.  etc. 


Xous  irons  en  bas  les  prés, 

Recueillir  la  rosée, 

La  grosse  et  la  menue. 


Nous  irons  deux  à  deux, 
La  tête  dessous  le  joug. 
Nous  irons  sur  le  rouge-fauve. 
Nous  irons  sur  le  tacheté. 

Nous  irons  à  la  charrue, 
Nous  tournerons  les  sillons; 
Nous  en  aurons  la  paille, 
Notre  maître  aura  le  grain. 

Nous  irons  derrière  „Château.'" 
Nous  aurons  du  lait; 
Nous  en  ferons  du  sérac, 
[Aujtant  qu'il  y  a  de  pierres  au  fond. 


(Pierre- Joseph  Mounin,  né  en  1822,  Develier.) 


411 


IV.  Les  Rois. 

J'aurais  pu  passer  presque  complètement  cette  fête  sous  silence, 
parce  que  le  Jura  catholique,  de  même  que  la  Franche-Comté,  ne  connaît 
plus  de  version  patoise  de  ce  chant.  D'où  cela  provient-il  ?  Voici  ce 
que  dit  à  ce  sujet  M.  A.  Biétrix  (Chants  patois  du  Pays  d'Ajoie,  p.  10): 

„Quoique  déjà  vieux,  ce  chant  n'est  que  la  traduction  d'un  autre 
beaucoup  plus  ancien,  en  patois,  comme  celui  du  Nouvel-An.  Mais  nos 
vieillards  les  plus  âgés,  à  l'époque  de  notre  jeunesse,  ne  se  souvenaient 
que  de  l'avoir  encore  entendu,  mais  ne  l'avaient  plus  retenu.  On  nous 
disait,  à  ce  sujet,  que  c'étaient  les  moines  de  Miserez  qui  l'avaient  ainsi 
changé.  Or  comme  les  moines  qui  avaient  occupé  ce  prieuré  avaient 
disparu  depuis  près  de  deux  siècles  et  avaient  été  remplacés  par  les 
PP.  Jésuites,  c'est  à  ceux-ci   qu'on    devait  la  rénovation    de    ce   chant.'^ 

J'en  suis  donc  réduit  à  donner  la  version  française,  très  populaire, 
et  qui  se  chante  encore  dans  tous  nos  villages.  Trois  jeunes  gens 
déguisés,  représentant  naïvement  les  trois  rois,  et  portant  une  étoile 
qu'ils  font  rapidement  tourner  au  bout  d'une  longue  canne,  vont  d'auberge 
en  auberge  répétant  les  couplets  de  l'Epiphanie. 


21.  Les  Rois. 


Lent 


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Trois  Rois  nous  nous  somm'sren-con-trés  Ve  -  nant  de    di-ver- 


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ses  con  -  trées.  Nous     somm's    i    -    ci      tous  trois      ve  •  nus  Pour 


NJr^^O/IO-^  ^'^1  ^^^^^^ 


a  -   do  -  rer    l'En    -    fant      Je -sus,  Pour 


do  -  rer    l'En- 


^z:  j-  i 


fant      Je  -  sus. 

1.  Trois  Rois  nous  nous  somm's  ren-  2.  En  quinze  jours  quatre  cents  lieues, 

Venant  de  diverses  contrées,  [contrés  Avons  couru  en  cherchant  Dieu. 

Nous  somm's  ici  tous  trois  venus*)  Une  étoile  nous  a  conduits 

Pour  adorer  l'Enfant  Jésus.  Et  nous  éclaire  jour  et  nuit. 


')    Vor.:  Nous  somm's  ici  font  droit  venus. 


—     412 


3.  Nous  l'avons  vue  en  Orient, 
En  Orient  sur  Betliléem. 

En  poursuivant  notre  chemin 
Avons  trouvé  ce  grand  Dauphin. 

4.  Dans  l'étable  l'avons  trouvé 
Dans  une  crèche  emmailloté. 
Un  bœuf,  un  âne  sont  autour 
Le  réchauffant,  lui  font  la  cour. 


5.  Dans  cette  étable  l'avons  trouvé 
Là  où  nous  l'avons  adoré; 

Xous  lui  avons  fait  de  beaux  présents 
D'or  et  de  myrrhe   et   de  l'encens. 

6.  Le  roi  Hérode,  ce  méchant, 
Xous  demande  après  cet  enfant, 
Pour  l'adorer  ainsi  que  nous; 
Mais  le  faux  traître  était  jaloux. 

(M.  Oscar  Broquet,  à  Courrendliu.) 


22.  Les  Rois  des  Capucins. 


1.  Trois  Rois  nous  nous  sommes  ren- 
Venant  de  diverses  côtés.       [contrés 
Nous  sommes  ici  tout  droit  venus 
Pour  adorer  l'enfant  Jésus. 

2.  Passant  par  dessus  ^")  un  couvent 
Xous  n'avons  pas  tardé  longtemps 
De  nous  y  faire  insinuer 

Et  d'avoir  permission  d'entrer. 

3.  Etant  tous  trois  bien  fatigués, 
Nous  cherchons  l'hospitalité. 
Vous  plaira-t-il  nous  l'accorder, 
Nous  donnant  un  peu  à  manger? 


4.  Nous  ne  mangeons  pas  de  gebier, 
Ni  ne  cherchons  les  petits  pieds, 
P(//drix,  bégasse,^^)  ni  dindons, 
Poulets,  ni  lièvres,  ni  pigeons; 

5.  Mais  du  pâté  et  du  jambon. 
Boudin  blanc,  rouge,  et  saucisson. 
Tout  ce  que  fournit  la  saison  ;    [vons. 
Nous  le  mangeons  quay?/6^-)nous  l'a- 

6.  Pour  du  vin,  nous  n'en  buvons  pas . . 
Que  chacun  son   pot   par  repas, 
N'en  buvant  qu'un  verre  à  la  fois, 
Comme  font  partout  les  grands  B,ois. 


7.  Permettez-nous  de  nous  asseoir. 
Que  le  frère  nous  apporte  à  boire, 
A  boire,  aussi  et  à  manger, 
Car  nous  ne  pouvons  plus  chanter. 

(Feu  M.  Metthez,  instituteur,  à  Courgenay.) 


23.  Chant  des  Rois  (recueilli  à  Courrendlin). 

Il  existe  un  autre  texte  des  Rois,  très  populaire  aussi  dans  tout 
le  Jura,  et  qui  se  chante  encore  de  nos  jours,  mais  sur  une  mélodie 
différente.  C'est  une  sorte  de  Noël  qui  doit  être  assez  ancien  et  qui 
nous  fait  assister  à  l'arrivée  des  trois  rois  à  Bethléem.  Malgré  la  longueur 
de  ce  texte,  je  me  vois  dans  l'obligation  de  le  transcrire  ici,  sans  cela, 
on  ne  comprendrait  pas  facilement  les  altérations  et  la  parodie  que  j'en 
donne  ci-après. 


413 


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^ÊL 


Que        di  -  rons-nous,  Mes-sieurs,  de  cette       é  -  toi  -  le,  Que 


f    fv-Ji  J.l  j^  s-  i'  ^  J.  J^  VI  j  J^Ji 


nous  voy  -  ons      si      gra  -  ci-euse    et     bel 

-  le?     EU 

e    a    pré-dit      se- 
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"1/        > 

Ion   mon    ju   -   ge-raent      Du       vrai  Mes-sie      le      saint  a  -  vè  -  ne- 


S 


r  I  e  ^t    rJ-i 


ment,     le  saint   a    -    vè    -     ne -ment. 


1.  Que  dirons-nous,  Messieurs,  de  cette  étoile. 
Que  nous  voyons  si  gracieuse  et  belle  !  ^^) 
Elle  a  prédit  selon  mon  jugement 

Du  vrai  Messie  le  saint  avènement. 

2.  Je  reconnais  par  mon  art  et  science 
Qu'elle  a  prédit  du  Sauveur  la  naissance. 
Nous  avons  vu,  et  sommes  fort  joyeux 
Que  nous  voyions  venir  le  Roi  des  Cieux. 

3.  Or  allons  donc,  allons  le  reconnaître, 
Puisqu'il   est  Dieu  et  le  souverain  Maître. 
Nous  lui  offrirons  de  l'or  excellent 

Pour  démontrer  qu'il  est  le  Koi  puissant. 

4.  Pour  démontrer  sa  divine  nature, 
Pareillement  aussi  sa  sépulture, 

Nous  lui  offrirons  de  la  myrrhe  de  bon  cœur, 
Laquelle  sera  de  très  bonne  odeur. 

5.  Et  nous  voulons  montrer  par  évidence 
Qu'il  est  vrai  Dieu,  qu'il  a  grande  puissance. 
Nous  lui  offrons  de  l'encens  pour  présent, 
Lequel  sera  très  odoriférant. 

6.  Or,  sus!  allons,  voyez,  Messieurs,  l'étoile 
Qui  va  devant.  0  mon  Dieu,  qu'elle  est  belle  ! 
Certainement  nous  sommes  bien  heureux 
Que  nous  voyions  venir  le  Roi  des  cieux. 

7.  Assurément,  depuis  ma  géniture 

Je  n'ai  point  vu  faire  moins  de  froidure. 


—     414     — 

Il  me  paraît  que  nous  sommes  en  été, 
Voyant  le  temps  si  doux  et  tempéré. 

8.  On  n'entend  rien  de  la  sanglante  guerre 
Que  toute  paix  maintenant  sur  la  terre. 
Toute  l'année  semble  plus  tempérée 
Qu'elle  ne  l'était  durant  l'arche  dorée. 

9.  Or  nous  voici,  Messieurs,   dans  la  Judée; 
Jérusalem  est  en  cette  vallée. 

Allons  le  roi  Hérode  saluer, 

Et  le  logis  du  Sauveur  demander. 

10.  O  Dieu,  grand  Roi  de  magnificence, 
Princes  tous  trois  venus  de  notre  province, 
Pour  adorer  des  Juifs  le  Roi  puissant-, 
Nous  avons  vu  l'étoile  en  Orient. 

11.  —  Qu'est-ce  que  ce  Roi?  il  me  faut  le  connaître. 
Sus,  dites-moi,   scribes,  où  doit-il  naître? 

Je  n'entends  point  qu'il  y  ait  d'autre  roi 
Dans  la  Judée,  qui  soit  au-dessus  de  moi. 

12.  —  Or  allons  donc,  ô  rois  de  haute  ligne, 
Ce  Roi  naîtra  en  Bethléem  Judée. 

—  Rapportez-moi  le  fait  de  cet  enfant. 
Et  l'adorer  j'irai  pareillement. 

13.  —  Voici,  Messieurs,  l'étoile  revenue, 
Que  nous  avions  auparavant  perdue. 
Elle  s'arrête  en  ce  lieu,  pauvre  lieu; 

Il  faut  que  là  soit  né  le  Roi  des  Cieux. 

14.  A  deux  genoux,  la  tête  découverte, 
Pour  adorer  ce  grand  Prince  céleste; 
0  Roi  des  rois,  je  te  baise  la  main, 
Et  te  reçois  pour  mon  Dieu  souverain. 

15.  0  Dieu  puissant,  humblement  te  supplie 
A  deux  genoux  que  jamais  ne  t'oublie. 

0  Roi  des  rois,  je  te  baise  la  main, 
Et  te  reçois  pour  mon  Dieu  souverain. 

16.  0  Roi  puissant,  ô  Sauveur  débonnaire, 
Ayez  de  moi  pour  servir  de  mémoire. 

0  bon  Messie,  je  te  baise  la  main. 
Et  te  reçois  pour  mon  Dieu  souverain. 


—     415     — 

17.  Oh!  retournons  tous  en  notre  province 
Et  repassons  vers  Hérode  le  prince, 

Et  par  le  fait  vraiment  l'en  assurer  ; 
Il  y  viendra  comme  nous  l'adorer. 

18.  —  Allez-vous-en,  ô  rois,  par   autre  voie. 
Il  n'est  besoin  que  Hérode  vous  voie. 

Il  ne  veut  pas  le  Sauveur  adorer, 
Mais  pour  certain  le  veut  aller  tuer. 

19.  —  Le  malheureux  aurait-il  le  courage 
De  le  tuer  au  lieu  d'y  rendre  hommage  ? 
N'allons  donc  point  par  le  plus  court  chemin, 
Puisque  son  cœur  est  si  plein  de  venin. 

(M.  Oswald  Fromaigeat,  fils,  Courrendlin.) 

24.  Altération  des  Rois. 

1.  Que  dirions-nous,  Messieurs,  de  cette  étoile 
Que  nous  voyons  dessur  la  sainte  Ahèlef^*) 
Elle  a  prédit,  selon  mon  sentiment, 

Du  vrai  Messie  le  saint  avèlement.^'") 

2.  Allons  donc,  Rois,  allons  le  reconnaître; 
Puisqu'il  est  roi,  il  est  le  souverain  maître. 
Nous  y  offrirons  de  l'or  très  excellent 
Pour  y  montrer  qu'il  est  le  ßoi  puissant. 

3.  A  deux  genoux,  la  tête  découverte, 
Pour  adorer  ce  grand  Prince  céleste, 

0  Roi  des  rois,  je  vous  baise  les  mains, 
Je  vous  reçois  pour  mon  Dieu  souverain. 

4.  no  vo  rmërsyà  de  bî  ka  vo  no  fêta, 
no  prîarë  dûa  par  sa  divine  grâce, 
k'en9  âtre  ànê  vo  nôz-à  pôyoxî  beyï 

à  gros8  djôa  e  po  bona  sètë. 
(Feu  Justin  Köhler,  cordonnier,  né  en   1820,  à  Delémont.) 

25.  Autre  altération  des  Rois. 

1.  ka  dirî-no,  Messieurs  de  cette  étoile 
Que  nous  voyons  dessu/'  la  sainte  èbële?^®) 
k'ël  è  prêdï  sï  lo  mèdjîa,  je  mange  *^) 
Du  vrai  Messie  le  saint  arèlement. 


—     416 


2.  Dieu  pourvoira  bientôt  dans  cette  affaire. 
Mais  cependant,  il  faut  parler  de  boire. 
Allons  ici,  dans  ces  prochains  logis, 
dëpâdzïa  v6,  y'e  grà  swa,  mëz-èmï.^^) 

3.  nô  vo  rmersyà  de  bî  ke  vo  no  fête. 
Nous  prierons  Dieu,  par  sa  divine  grâce, 
k'ene  âtr8  ànë  vo  poyoxî  noz-à  beyla^^) 
En  grande  et  en  bonne  santé. 

(Marianne  Conscience-Kohler,  née  en  1856, 
Chapelle  du  Vorbourg,  Delémont.) 

26.  Parodie  en  patois  de  Beurnevésin  (Ajoie). 


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Allegro 


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ka       dï  -  rè     nô      da     le    ma  -  lï  -  sa       nwâ-ra?   si   vêya  là- 

>       >         > 


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pu      k'ê  tô        â  -  mwà-dje     se       bër  -  ba,     pô 
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J^i^  J  I  J 


kör  -  bà,    le    kör -bâta      d'à  -  le        ë   -   kûr      à         lé  grèdja  â      t;çù- 


j-rM  ^   ^   J:  >l   J   1 


rïa,        à  le      grèdja    â    t'/iX    -    rie. 

1.  ka  dire  no  da  lé  mâlïsa  nwâra?  Que  dirons-nous  de  la  malice  noire? 
SI  vêya  làpù^'^")  k'e  to  àmwadjë  se  Ce  vieux  buveur  qui  a  tout  em .  ...  sa 

[berba,  [barbe, 

pô  àpëtxîa  lo  korba,  le  korbata  Pour  empêcher  le  Corbat,  la  Corbatte 

d'alê  êkûr  à  le  grèdja  ä  t;/ürla.  D'aller  battre  le  blé  dans  la  grange  au  curé. 

2.  no   s'a  ^•'^)    râdrë   txïa   le   vëya  Nous  (s')nous  en  irons  chez  la  vieille 

[mërâsa,  [mairesse, 

no  le  trovrë  k'ela  farë  de  txâse,  Nous  la  trouverons  qu'elle  fera  des  bas. 


èxûriamà  ëtàdë  sez-ëmà. 


Assurément  attendant  ses  amants. 


3.  à  vo  rmërxyë  da  vötra  sätxa  kröta,  En  vous  remerciant  de  votre  sèche  croûte, 
vâdjë  le  pïa  po  fera  vötra  sôpa.  Gardez-la  seulement  pour  faire  votre  soupe, 
no  pârè  de  piera  po  kâsë  vo  fnëtra,  Nous  prendrons  des  pierres  pour  casser  vos  fe- 
e  dé  keyô  po  vo  kâsë  Iç  do.  Et  des  cailloux  pour  vous  casser  le  dos.  [nêtres, 

(Nicolas  Lanzard,  né  en  1834,  à  Beurnevésin.) 


—     417     — 


V.  Carnaval. 


27.*)  Karïmàtrà.    Carnaval  en  patois  de  Delémont. 


^  b  y,  j  I  J    J^    J   j-  I  ^    /  ^^iFÇ^. 


^ 


kà    -    rï  -  luà  -  trà     k'â     drïa    txï     nô,    ka       pua  -  ra,     ka 


r<^i  '  /  n^^^^^ 


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pua  -  raî         kà    -    rï  -  ma  -  trà   k'a      dria  txï    no     ka     puara  so     sôr! 


/  j  j^  rr^  ^  j^  j^  j*l  j  j'  ■  /  / 


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i 


bi      vlà  -  tïa   y'à  -  drô    txi    vu,   mê    ï       n'ô-za,    mê      ï  n'ô  -  za: 


j>    ^   j    ji/   J^i^'^/ 


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[?    (^    u  ^ 


bï      vlà  -  tïa     y'â   -  drô    txï    vô,    mê      ï    n'ôza,  ï      n'ô  -  za     -    rô. 


J'  j'  ;'  j  I  ^  ^'  J  '  1 1  /  J' 


è 


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-   vi       yi    pêa^bin  -  ër  -  dia-mà,    kâ    -    rï  -  ma  -  trà 


0  !  ô  ! 


.^    i'   j'   J^l  J^^  J'/l/   / 


^m 


vî      yï   pèa     bin    -    er  -  dia-mà,  kâ  -   rï  -  ma  -  trà 


1.  karïmàtrà  ^'^'-)  k'â  dria  txï  nô, 
ka  pûara,  ka  pûara! 

—  bï  vlàtîa  y'âdrô  txi  vô, 
më  ï  n'oza,  me  ï  n'ôza, 

bî  vlàtîa  y'âdrô  txï  vo, 
me  ï  n'ôza,  ï  n'ôzarô. 

—  vî  yï  pêa  bîn-ërdîaraà, 
karïmàtrà,  ô!  ô  ! 

vî  yi  pêa  bîn-érdiamà 
karïmàtrà  ô! 


Carnaval  qui  est  derrière  chez  nous, 
Qui  pleure,  qui  pleure! 

—  Bien  volontiers  j'irais  chez  vous. 
Mais  je  n'ose,  mais  je  n'ose, 
Bien  volontiers  j'irais  chez  vous. 
Mais  je  n'ose,  je  n'oserais. 

—  Viens-y  seulement  bien  hardiment, 

Carnaval,  oh!  oh! 
Viens-y  seulement  bien  hardiment, 
Carnaval,  oh! 


*)  Voir  Arch.  III  p.  280,  n"  14. 


27 


418 


2.  karïmàtrà  k'ä  drïa  txî  no  . 

ke  puera  (bis)! 

—  bî  vlàtïa  ï  debotxrö  vot  kâklô/'^^) 

me  ï  n'öza,  etc. 

—  debôtxa  lo  péa  bïn-erdîamà, 

Etc. 

3.  kàrïmàtrà  k'â  drîa  txl  no 

ka  pûara  (bis)! 

—  bî  vlàtïa  ï  pâro  ena  fçrtxata, 

me  ï  n'öza,  etc. 
-—  pràz-à  pëa  ena  bïn-érdîamà 
Etc. 

4.  kàrïmàtrà  k'â  drïa  txï  no 

ka  pûara  (bis)! 

—  bî  vlàtïa  ï  pärö  Tbiidï, 

me  ï  n'oza,  etc. 

—  prà  lo  pëa  bîn-èrdïamà, 

Etc. 

5.  kàrïmàtrà  k'â  drïa  txï  no 

ka  pûara  (bis)  ! 

—  bî  vlàtïa  ï  vo  ràbresro, 

me  ï  n'ôza,  etc. 

—  ràbres-ma  pëa  bîn-erdïamà 

Etc. 

6.  kàrïmàtrà  k'â  drïa  txï  no 

ka  pûara  (bis)! 

—  bî  vlàtïa  ï  kùtxrô  évô  vô, 

me  ï  n'ôza,  etc. 

—  kùtxïa  pëa  bîn-erdïamà, 

Etc. 


Bien  volontiers  je  déboucherais 

[votre  poêlon  . . . 
Débouche-le  seulement  bien  har- 
Etc.  [diment. 


Bien  volontiers  je  prendrais  une 
[fourchette. 

Prends-en  seulement  une  bien 
[hardiment. 


—  Bien  volontiers  je   prendrais  le 

[boudin. 

—  Prends-le  seulement  bienhardi- 

[ment. 


Bien  volontiers  je   vous   (r)em- 

[brasserais. 
Embrasse-moi    seulement    bien 
[hardiment. 


Bien  volontiers  je  coucherais  avec 

[vous. 

■   Couchez    seulement  bien  hardi- 

[ment. 


7.  kàrïmàtrà  k'â  drïa  txï  no 
ka  pûara  (bis)! 

—  bî  vlàtïa  ï  vo  l'ferö, 

me  ï  n'ôza,  etc. 

—  fé  lo  pëa  bîn-()rdïamà, 

Etc. 

(Feu  Justin  Köhler, 


—  Bien  volontiers  je  vous  le  ferais. 

—  Fais-le  seulement  bien  hardiment, 
cordonnier,  né  en  1820,  Delémont.) 


419     — 


*)  Ce  karïmàtm  se  chantait  aussi  sur  une  autre  mélodie; 
Vit- 
il 


^K,  j.   J^   ;.   ;^^ /r^qZj_^L,,4_^ 


kâ  -  ri  -  ma  -  trà   k'â    drîa  txî   no,    ka      pùa  -  ra,   ka    pûa-ra, 


^ 


^+^1/   /T-^E^^E^ 


ï 


^^^ 


ki'i  -  ri   -  ma  -  trà  k'â  drïe  txî     nô,    kd  pûora  pu     rù.  —  bî    vo  -  là  -  tia  y'ä- 


J    J  M'    J    J^g 


^ — N- 


^ 


ï 


£ 


^ 


drô    txi    vç,   m'ï      n'ö-za,    m'ï        n'y  -  za,         bî     va  -  là  -  tîa      y'i 


i 


J'  J    r-  \^  '^  r  IJ'  J^  J'  r  J'ir  J'  j  ^- 


drô  txi     vô,  m'ï     n'o  -  za-    ro!    —  va  -  ni      yï  p«;9    bin-rr  -  dîa-mà,  ka- 


^   I  I  /  /  /  l^U-J^ 


JM  ;   J"  j. 


£ 


ri  -  ma-  trà,  kâ   -  ri  -  ma  -  trà,      va  -  ni     yi     pëa  bïn  -  ër  -dïa  -  mà,kà- 


f     ^  r 


ri   -   ma  -  trä! 


(Célestin  Carabinier,  né  en   1838,  Delémont.) 
28.**)  Autre  Carnaval  en  patois  de  Delémont. 


^ 


P 


>  ;  I  r  g   f  elf  r  -f=^ 


^ 


kâ    -  ri  -  ma  -  trà    k'â       dria    txi     nô    ka  pua    -  ra,  ka 


-^^ 


J    I    J-   J'    J^  J   il     i-  J"     ^ 


pùa    -    re.        le    bël-ô  -  tas    i  ê      dmè  -  dé       k'as  k'çl    é  -  ve. 


-fs — I IV 


0^ 


-^ — K- 


#      ä     0 — r 


^^^^^ 


-  bi     vlà  -  tia  y"â  -  drô  txi    vô,      m'ï        n'ô     -     za, 


1     no-  za-ro.— a- 


BF-î^/  j   J-l  J     J^^T-^ 


trô,     à  -  trë,  kâ    -  ri  -  ma  -  trà, 

1.  karïmàtrà  k'â  drîa  txî  no 
ka  pûara.  (bis) 

*)  Voir  Arch.  III  p.  282. 

**)  Voir  Arch.  III  p.  283,  n'  15. 


bin  -  ér-  dïa-  ma! 

Carnaval  qui  est  derrière  chez  nous 
Qui  pleure. 


420     — 


Iç  bel  otäs  ï  è  dmède 
k'âs  k'él  ëvë. 

C    j      c        c 

—  bî  vlàtîa  y'ädrö  txï  vo, 

m'ï^"*)  n'oza,  ï  n'ozarô, 

—  àtrë,  àtrë,  karïmàtrà, 

bîn-èrdîamà! 

2.  t'/è  karïmàtrà  fdét-àtrê, 

e  pû9ro.  (bis) 

lé  bel  ötäs  ï  ë  dmèdë 

k'âs  k'el  ëvë. 

—  bî  v]àtî8  y'àbrësrô  vôt  mïiiota, 

m'ï  n'ôze,  ï  n'ozaro. 

—  àbrësîa  le,  karïmàtrà, 

bm-ërdîamà  ! 

3.  t^ê  karïmàtrà  l'ët-ëyii  bî  àbrësîa, 

e  pûara.  (bis) 

le  bel  ötäs  vî  rdamëdë 

k'âs  k'el  ëvë. 

—  bî  vlàtia  ï  kùtxrô  devô  vot  mïnote  ; 

m'ï  n'oz9,  ï  n'özarö. 

—  kiitxîa,  kûtxia,  karïmàtrà, 

bîn-érdîamà  ! 

4.  t;çë  karïmàtrà  ât-eyû  kûtxîa 

e  pûara.  (bis) 

le  bel  ötäs  vî  rdamëdë 

k'âs  k'el  ëvë. 

—  bî   vlàtïa   ï  kâsrô   Tkordo   d'ie 

[kornäta  da  vöt  mïiiota; 
m'ï  n'ôzë,  ï  n'özarö. 

—  kâsë,  kâsë,  karïmàtrà, 

bîn-ërdîamà  ! 

5.  tyè   karïmàtrà   œ   kâsë   l'kordô 

[d'ië  körnäta  d'ie  mïnota, 
e  pûara.  (bis) 
le  bel  ötäs  ï  e  dmëdë 
k'âs  k'él  ëvë. 

—  bî  vlàtïa  ï  voz-à  frö  etè; 

m'ï  n'oza,  i  n'özarö. 

—  fêta,  fêta,  karïmàtrà, 

bîn-ërdîamà  ! 


La  belle  hôtesse  lui  a  demandé 
(Qu'est-)ce  qu'il  avait. 

—  Bien  volontiers  j'irais  chez  vous, 
Mais  je  n'ose,  je  n'oserais. 

—  Entrez,  entrez.  Carnaval, 

Bien  hardiment! 

Quand  Carnaval  fut  entré, 
Il  pleure. 


—  Bien    volontiers   j'embrasserais 

[votre  mignonne. 

—  Embrassez-la,  Carnaval, 

Bien  hardiment! 

Quand    Carnaval   l'a    eu  bien    em- 

[brassée, 
La  belle  hôtesse  vient  redemander 
(Qu'est-)ce  qu'il  avait. 

—  Bien  volontiers  je  coucherais  avec 

[votre  mignonne. 

—  Couchez,  couchez,  Carnaval, 

Bien  hardiment! 

Quand  Carnaval  a  été  couché, 


—  Bien  volontiers  je  casserais  le 
[cordon  de  la  cornette  de  votre 
[mignonne  ; 

—  Cassez,  cassez,  Carnaval, 

Bien  hardiment! 

Quand  Carnaval  eut  cassé  le  cordon 
[de  la  cornette  de  la  mignonne. 


—  Bien  volontiers  je  vous  en  ferais 

[autant; 

—  Faites,  faites,  Carnaval, 

Bien  hardiment! 
(M.  Rais,  fossoyeur,  à  Delémont.) 


—     421     — 


VI.  La  Passion. 

29.*)  le  pâsyo  dï  du  djëzû.     La  Passion  du  doux  Jésus.    (Patois  d'Ajoie.) 

Lent  .  __i___A 


r£v^'^^^^|^^-4.^t-^=^^t^^^^^ 


Iç       pâ  -  sy     -    o     di  dû      djé    -   zu       k'êl        a    trixto 


J     M  J' 


^ 


5 


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JN  J    /- 


ë       do  -  là  -  ta!       ë  -  kù   -   tê  le,     po    -  tèz  -  ê  grà,        s'ç    vu 


jhj-^^'l/j^j^lj^j^ 


pyé    da      l'a  -  ta  -  dra,         pu 

1.  le  pâsyô  dï  dû  djëzû, 
k'el-â  trïxta  e  dolàta! 
èkûtê-le,  patez-e  grà, 

po  xû  lu  para  ëgzàpya. 

2.  el  e  djûnë  karàta  djo 
se  mèdjïa  sôtanèsa; 

èl  e  Dièdjïa  trâ  grè  da  byê, 
l'ât-ëvû^"^)  résôsïtë. 

c  /cet 

3.  dvë  k'sa  se  trâ  djo  pêsë, 
vë  vwarë  d'âtra  ëgzàpya. 

o!  vo  vwarë  mô  t;KÛa  grûlê 
koma  ena  fœya  da  tràbya. 

4.  vo  vwarë  mô  kûa  flàdjàlë 
da  töta  ftara*"^)  redja. 

Cl!  vo  vwarë  mô  se  kùlë 
to  la  lô  da  më  màbra. 

5.  vo  vwarë  mé  tëta  korànê 
évô  ena  ëpëna  byàtxa; 

vo  vwarë  mô  dû  pîa  ;ijûlë  ^^'') 
é  më  dû  bre  ëtàdra. 

6.  vo  vwarë  më  gûardja  ebrovë 
da  fïal  e  da  vïnëgra; 

vo  vwarë  mô  t;ijùa  trêpâxia 
évô  ëna  fîara  làsa. 

(Communiqué 

*)  yoir  Arch.  III  p.  279.  n»  13.  — 


xù        lu     para    èg    -    zà  -  pya. 

La  Passion  du  doux  Jésus, 
Qu'elle  est  triste  et  dolente! 
Ecoutez-la,  petits  et  grands, 
Pour  sur  lui  prendre  exemple. 

Il  a  jeûné  quarante  jours 
Sans  manger  soutenance; 
Il  a  mangé  trois  grains  de  blé, 
Il  (est)  a  été  ressuscité. 

Avant  qu'[il]  se  soit  trois  jours  passé, 
Vous  verrez  d'autres  exemples. 
Oh  !  vous  verrez  mon  cœur  trembler 
Comme  une  feuille  de  tremble. 

Vous  verrez  mon  corps  flageller 
De  toute  (fière)  cruelle  rage. 
Oh!    vous  verrez   mon   sang  couler 
Tout  le  long  de  mes  membres. 

Vous  verrez  ma  tête  couronnée 
Avec  une  épine  blanche; 
Vous  verrez  mes  deux  pieds  clouer 
Et  mes  deux  bras  étendre. 

Vous  verrez  ma  bouche  abreuver 
De  tiel  et  de  vinaigre; 
Vous  verrez  mon  cœur  transpercer 
Avec  une  cruelle  lance, 
par  M""«  Fenk-Mouche,  Porrentruy.) 

(G.  Doucieux,  Romancero  populaire,  p.  61,  V. 


—     422     — 

Les  jdIus  vieilles  personnes  donnent  ce  chant  comme  extrêmement 
ancien.  —  A  ce  propos  voici  ce  que  dit  M.  P.  Bietrix  (décédé  en  1905, 
âgé  de  plus  de  80  ans)  dans  l'Appendice  de  sa  Grammaire  patoise  (1897): 
,,Ce  chant  si  naïvement  triste,  avec  un  air  approprié,  nous  fut  appris 
par  une  digne  mère,  alors  que  nous  n'avions  encore  que  trois  ou  quatre 
ans  d'âge.  Nous  n'avons  jamais  pu  l'oublier.  C'est  l'un  des  plus  vieux 
morceaux  patois  dont  on  puisse  avoir  le  souvenir.''  (p.   145.) 

M.  le  professeur  Chapuis,  à  Porrentruy,  a  bien  voulu  me  com- 
muniquer la  mélodie  de  ce  chant,  que  M.  Biétrix  lui-même  a  eu  la  bonté 
de  lui  chanter. 


423     — 


VII.  Chants  de  Mai. 


La  coutume  de  chanter  le  premier  mai  est  une  de  celles  qui  s'est 
le  mieux  conservée  dans  nos  campagnes;  il  n'y  a  pas  bien  longtemps  qu'elle 
était  encore  célébrée,  et  j'ai  recueilli  des  pîtx3-më  de  vieilles  personnes  qui 
les  avaient  encore  chantés  dans  leur  enfance,  en  allant  de  porte  en  porte 
ou  de  village  en  village  récolter  quelques  pièces  de  menue  monnaie  ou 
du  beurre,  des  œufs,  etc.  Dans  son  introduction  au  poème  patois  des 
Paniers  (p.  9),  M.  X.  Köhler  dit  avec  raison  :  „La  chanson  des  filles 
de  mai  de  Fancien  évêché  ressemble  beaucoup  à  celle  des  blondes 
maienzetta  du  canton  de  Fribourg.''  Cet  usage  qu'on  retrouve  dans  toute 
la  Suisse,  existe  encore  dans  d'autres  pays  •,  tout  le  monde  connaît  les 
triînazos  de  Lorraine  et  de  Champagne  (cf.  P.  Tarhé  :  Poètes  de  Cham- 
pagne antér.  au  XYP  s.  tome  II,  p.  XXIII,  XXI Y  ;  -  Jul.  Tier  sot  : 
Hist.  de  la  Chanson  popul.  en  France,  p.  194  ;  -  John  Viénot  :  Vieilles 
chansons  du  pays  de  Montbéliard,  p.  49  etc.)*).  ,,Cet  usage,  dit  Lo  pia 
Ermonèk  loûrain  (le  petit  Almanach  lorrain,  année  1879,  p.  81),  cet 
usage  dérive  évidemment  de  la  fête  que  les  Romains  célébraient  à  la 
même  époque  en  l'honneur  de  Maïa,  Maja,  divinité  que  l'on  croit  être 
la  même  que  Cybèle  ou  la  Terre." 

Dans  le  Jura  catholique,  ces  chants  s'appellent  :  pitx^-nië  =  le  mai 
qui  pique,  qui  point,  qui  commence.  On  dit  communément  en  patois  : 
fdjç  Jxmasd  e  pitxf  =  le  jour  commence  à  piquer,  à  poindre.  (Arch.  III 
p.  27.5,  note  8). 

30.**)  Pït;fa-më.    Le  premiep  Mai.    (Patois  de  Delémont.) 


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me,  k'nô  sot  -  à    -    tre         de     sta      vél,      pô       U 


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vô     dja-rên,        è      la     bCia  -  ra    da     vo 


*)  A  signaler  deux  articles  intéressants  de  ^NLNI.  William  Robert:  La  Fête  de  Mai 
(Maïentze),  Arch.  I  p.  229;  et  Fritz  Cftabloz:  La  Fête  de  Mai,  Coutumes  neuchdteloises 
et  vaudoises,  Arch.  U,  p.  14  sq.  — 

**)  Voir  Arch.  III  p.  275.  n"  9.  —  Mais  la  musique  n'a  pas  encore  été  imprimée. 


424     — 


4J\    Jt-   /    i^ 


Js    j^     J     I    j:-    ;^-;fs--.^HhV'^E 


vètx.       no     sô       râ  -  le       vwà    vô    byë,      la     se     byè      ê         la    sa- 


ë-dja;    no     sô     râ  -  le    vwà      vôz  -  è  -  vwôn  •    prè  -  y 


-  va       dfia     k'no 


j'  ,h  j  I  J-  ;■  i'  ;■!  i^  "^  J  I  /■  J'  J^ 


lé     rè  mwâna.  è  -   na      pïa  -  ra       txê-yô  -  le        dûa    le     vwà  -  ya 

■J"   J'  J:  /  I  J-  J-  J    I  >  J'   J-     1^   I   J'!^^^ 


dé  -  djâ  -  le      à         kê  -  tra    pê!         â  -  tra     pê 


no 


sot  -  â  -  It 


J-      J'    j'I       ^'      J^i"      J'      =^i^,fi-^F!-^ 


^>==^i=|=N 


^ 


txi      se      xï 


ra 


txi      se      dëm,   txî         lé      pu   grô    byr  -  djë  d'ié  vél. 


^^ 


ïî 


j;  /  ;'  J-  I  ^^i^ 


bë-jït.  no       î        pö  d'bûar  pö    rvï  -  rïa      nô        mi  -  jô  -  là    -    ta; 


js  js  j>  J  I  /^  ;  I  ;:  /  ;-  /fE^^ 


± 


bë  -  yit 


no 


PO 


d'ië       pö      frë  -  yïa     no       txër  -  bö   -   né. 


/;^//|J^'^J^J^ 


^^ 


£ 


s'a   Ipù    bel     à     -    fè       dï      sïa       ka       s'a     sô  -  nîa,       tç    pé  dvè, 


i^^ 


;■    j^    j^ 


9^^ 


ï 


tç    pé    dria,     s'a      le       pu 

s'a  lo  mô,  lo  pit;^a-nië, 
s'a  lo  parmïa  djo  da  më, 
k'no  sôt-àtrê  de  sta  vël, 
po  la  pê  ë  le  ferëna, 
è  lëz-ûa  da  vô  djarëna, 
e  la  bûara  da  vo  vëtxa. 
no  sô  râle  vwà  vô  byë, 
la  se  byë  ô  la  sâvëdja; 
no  sô  râle  vwà  vôz-ëvwëna; 
preyà  dûa  k'no  le  remwàna. 
ena  pïara  txëyçlë,'"**) 


bel  krü      dï  sïa. 

C'est  le  mai,  le  pique-mai, 
C'est  le  premier  jour  de  mai, 
Que  nous  sommes  entrés  dans  cette 
Pour  le  pain  et  la  farine,       [ville» 
Et  les  œufs   de  vos  poules, 
Et  le  beurre  de  vos  vacbes. 
Nous  sommes  allés  voir  vos  blés, 
Le  sain  blé  et  le  sauvage  ; 
Nous  sommes  allés  voir  vos  avoines; 
[Nous]  prions  Dieu   qu'il    nous   les 
Une  pierre  cailloutée  (?)     [ramène. 


-      425 


àixd  \è  vwäya  dedjâlç 
à  këtra  pö! 

âtra  pô  no  sùt-rdê, 

txî  se  xîr,  txï  se  dèma, 

txï  It;  pu  grô  bordjë  d'io  vèl. 

bôyît-iK)  î  pu  d'bûar, 

po  rvïrïa  no  mïjolato; 

bêyït-nô  î  pö  dlë 

pô  frêyîa  no  txërbônê/**') 

s'a  l'pû  bël-ate  dï  sîa 

k's'â  Sonia '^*') 
tç  pë  dvè,  to  pë  drîa. 
s'a  le  pu  bel  krii  di  sîa. 

(Feu 


Dieu  la  veuille  dé<^eler 
En  quatre  parts  ! 

Autre  part  nous  sommes  allés 
Chez  ces  messieurs,  chez  ces  dames, 
Chez  les  plus  gros  bourgeois  de  la  ville. 
Donnez-nous  un  peu  de  beurre 
Pour  retourner  nos  omelettes  ; 
Donnez-nous  un  peu  de  lard 
Pour  graisser  nos  grillades. 
C'est  le  plus  bel  enfant  du  ciel 

Qui  s'est  signé 
Tout  par  devant,  tout  par  derrière. 
C'est  la  plus  belle  croix  du  ciel. 
Justin  Köhler,  né  en  1820.  Delémont.) 


31.*)  Autre  pit/a-me. 

s'a  lô  më,  lu  pit;^a-mê, 
pu  lo  parmïa  djo  da  mê, 
no  sô  to  trçvë  à  le  vël, 
pu  l'pë  é  le  fërëna, 
pu  l'bûra  da  vo  vëtxa. 
la  sî  byë  é  la  sâvëdza, 
töt-ä  pïar  ë  txêyolë. 
âtra  pë  noz-è  è  fera, 
txï  le  xîr  é  txï  le  dëma, 
txï  l'përvô  d'ié  vël,  • 
vël,   vël  de  vël. 


(Patois  de  Couppoux.) 

C'est  le  mai,  le  pique-mai. 
Pour  le  premier  jour  de  mai. 
Nous  [nous]  sommes  tous  trouvés  à 
Pour  le  pain  et  la  farine       [la  ville, 
Pour  le  beurre  de  vos  vaches. 
Le  sain  blé  et  le  sauvage, 
Tout  est  pierre  et  caillouté. 
Autre  part  nous  avons  à  faire. 
Chez  les  messieurs  et  chez  les  dames, 
Chez  le  prévôt  de  la  ville, 
Ville,  ville  des  villes. 
Bernasconi-Gueniat,  à  Courroux.) 


32.*)  Autre  pit/a-mç 

vwasï  lô  më,  lo  pït;<a-mê, 

s'a  lô  pramia  djô  da  më. 

no  sôt-àtrê  de  sta  vël 

pô  la  pë  ë  le  fërëna, 

é  lëz-ûa  da  vç  djaréna, 

è  la  bûra  da  vo  vëtxa. 

no  sôt-ëyû  vwa  vô  byë, 

vwâ  vô  byë,  vwa  vôz-âvwëna; 

e  sô  xï  bel  ka  se  djarmè. 


")  Voir  Arch.  III  p. 


(Patois  de  Vermes.) 

Voici  le  mai,  le  pique-mai, 
C'est  le  premier  jour  de  mai, 
Nous  sommes  entrés  dans  cette  ville 
Pour  le  pain  et  la  farine. 
Et  les  œufs  de  vos  poules. 
Et  le  beurre  de  vos  vaches. 
Nous  sommes  (été)  allés  voir  vos  blés, 
Voir  vos  blés,  voir  vos  avoines. 
Elles  sont  si  belles  que  Saint  Ger- 

[main  (?) 

276,  n'  10,  -277,  n'  11. 


—     426     — 


àûd  le  prézérva  de  djâlë, 
e  da  pî9r  àtxéyolê! 
sa  vo  valë  bî  fer. 
âti'8  pë  nôz-èt-e  fer, 
txîa  le  xïr,  txîa  le  démo, 
txïa  lé  bordje  d'ie  vél; 
à  le  txèbra  tô  davê, 
tôta  pjèna  da  byè  pè-, 
à  stë  dï  mita, 
tota  pyèna  da  fromà-, 
à  stë  to  darîara, 
tota  pyèna  da  danîa. 
beyîa-no  î  po  dï  bûra 
po  rvïrîa  no  mïjolâta;"^) 
bêyîa-nô^^-)  î  pô  dï  le 
po  fre}la  no  txérbonë. 


Dieu  les  préserve  de  geler  fou:  de  gelées). 
Et  [d'être]  de  pierres  encailloutées  ! 
Si  vous  voulez  bien  faire, 
Autre  part  nous  avons  à  faire, 
Chez  les  messieurs,  chez  les  dames. 
Chez  les  bourgeois  de  la  ville; 
En  la  chambre  tout  devant, 
Toute  pleine  de  pain  blanc  ; 
En  celle  du  milieu, 
Tout  pleine  de  froment  ; 
En  celle  [de]  tout  derrière, 
Tout  pleine  de  deniers. 
Donnez-nous  un  peu  (du)  de  beurre 
Pour  retourner  nos  omelettes  ; 
Donnez-nous  un  peu  de  lard 
Pour  graisser  nos  grillades. 
Ç^leUe  Fleury,  institutrice,  à  Vermes.) 


33.*)  Autre  pit/a-më, 

s'a  nômë^*^)  la  pït;^a-më, 

s'a  la  pramia  djô  da  më. 

no  sôt-eyû  vwä  vö  byë, 

vwä  vöz-evwena. 

nô  lêz-ë  bï  swà^**)  trovê. 

dûa  le  vwêrde  da 

ë  da  plar  àtxéyolê  1 


(Patois  de  Courrendlin.) 

Cest  nommé  le  pique-mai, 
C'est  le  premier  jour  de  mai. 
Nous  sommes  (été)  allés  voir  vos  blés. 
Voir  vos  avoines. 

Nous  les  avons  bien  facilement  trouvés. 
Dieu  les  garde  de  geler  fou  :  gelées) 
Et  [d'être]   de  pierres   encailloutés. 
(M,  Oscar  Broquet,  fils,  à  Courrendlin.) 


34.  Autre  pit;fa-me. 

àtra  më  e  mê  pït;ca  mê, 

s'a  ädjdo  l'pramïa  djo  da  mê, 

txë  le  xïr,  txë  lé  déma, 

txë  lô  pravo  da  le  vel. 

à  le  txèbra  davë 

tota  pyëna  da  byà  pè; 

à  lé  txèbra  daria, 

tç  pyè  da  t;m  d'penia; 

à  lé  txèbra  dï  mwatà 

tota  pyëna  de  fromà. 


(Patois  de  Bonfol.) 

Entre  mai  et  mai  pique-mai, 

C'est  aujourd'hui  le  premier  jour  de  mai, 

Chez  les  messieurs,  chez  les  dames, 

Chez  le  prévôt  de  la  ville. 

(En)  A  la  chambre  de  devant 

Toute  pleine  de  pain  blanc  ; 

A  la  chambre  derrière, 

(Tout  plein)  beaucoup  de  culs  de  panier; 

A  la  chambre  du  milieu 

Toute  pleine  de  froment. 


*)  Voir  Arch.   III  p.  278,  n"  12. 


—     427 


leyet-nö  î  pu  d'iê 
P9  rvïrïa  no  txerbynç; 
bèyet-nô  î  po  d'bûar 
po  rvïrïa  no  mïjolâta. 
Si  vç  ma  n'vlë  rà  bèyia, 
ma  n'fêt  pa  xï  etérdjïa. 
âtra  po  nôz-èt-è  fer, 
txê  le  xïr  e  txê  le  dënia, 
txë  la  pravo  da  le  vçl. 


Donnez-nous  un  peu  de  lard 
Pour  retourner  nos  grillades  ; 
Donnez-nous  un  peu  de  beurre 
Pour  retourner  nos  omelettes. 
Si  vous  (me  ne)  ne  me  voulez  rien  donner, 
(Me  ne)  ne  me  faites  pas  (si)  tant  attarder. 
Autre  part  nous  avons  à  faire, 
Chez  les  messieurs  et  chez  les  dames, 
Chez  le  prévôt  de  la  ville. 
(Marie  Macquat,  née  en  1840,  Bonfol.) 


—     428     — 

VIII.  La  Saint-Martin. 

Sous  le  titre  de  „La  St-Martin  en  Ajoie",  ^^■')  Mgr.  F.  Chèvre, 
curé -doyen  à  Porrentruy,  a  publié  les  lignes  suivantes  sur  le  sens  et 
l'origine  de  cette  fête  : 

„Un  nom  populaire  en  Ajoie,  c'est  celui  de  St-Martin,  dont  la 
fête  a  lieu  le  11  novembre.  A  l'approche  de  ce  jour,  le  peuple  des  cam- 
pagnes s'apprête  à  le  célébrer  en  toute  liesse.  La  fleur  de  farine,  dans 
chaque  famille,  va  se  changer  en  jolis  gâteaux  couverts  d'une  couche 
de  crème  bien  fraîche.  En  même  temps,  pour  les  arroser,  chaque 
cultivateur  est  fier  de  venir  en  ville  remplir  son  tonnelet  d'un  vin 
pétillant,  d'où  va  sortir  maintes  chansons.  Puis,  çà  et  là,  dans  les  villages, 
se  dressent  des  salles  de  danse,  où  la  jeunesse  bruyante  ira  prendre 
ses  ébats. 

D'où  vient  ce  culte  joyeux  rendu  au  thaumaturge  des  Gaules  ? 
En  voici  la  naïve  origine  : 

La  St-Martin  d'hiver,  comme  disent  les  chartes  du  XIII'^  siècle, 
était  l'époque  fixée  à  tout  débiteur  pour  payer  ses  comptes  au  créancier. 
Or,  ce  devoir  rempli,  on  se  donnait  tout  à  la  joie  d'avoir  payé  ses 
dettes.  Joie  bien  louable  assurément.  En  outre,  la  St-Martin  marquait 
la  fin  des  travaux  champêtres.  Les  récoltes  achevées,  c'était  le  repos, 
le  doux  repos  de  l'hiver  et  de  ses  longues  soirées,  dont  l'ennui  était 
trompé  par  les  jeux,  la  lecture  et  les  récits  d'auteurs.  N'était-ce  pas  là 
encore  un  sujet  de  joie  bien  naturelle  pour  l'ouvrier  des  champs  ? 

Voilà  pourquoi,  chaque  année,  la  verte  Ajoie  s'écrie  avec  bonheur: 
Fêtons,  fêtons  bien  le  bon  St-Martin.'' 

35.  le  se  metxL  La  Saint-Martin.  (Patois  de  Villars  sur  Fontenais,  Ajoie.) 

1.  â  ta  pësë,  t;^ë  vue  le  se  mètxî,^^")      Au   temps   passé,    quand    venait  la 

[Saint-Martin, 
txëtxû  pàse  è  ràpyë  se  bwexäta.  Chacun  pensait  à  remplir  sa  (petite) 

[bourse. 
txêt;f8  bëxata  sôdjë  bî  ka  l'sî  Chaque  tille  songeait  bien  que  le  sien 

vre  l'èvïtë  pu  pose  le  fètàta.  Viendrait  l'inviter    pour   passer    la 

[(petite)  fête. 
Ref?'.  fêta  d'ié  se  metxî.  Fête  de  la  Saint-Martin, 

s'k'à  s'êmûzë  bî!  Ce  qu'on  s'amusait  bien  ! 

mo  dûa!  s'k'à  yùkë,^")  Mon  Dieu!  ce  qu'on  sautait, 

mo  dûa!  s'k'à  koayanê!"'^)  Mon  Dieu!  ce  qu'on  taquinait! 

patôta  fyolàta,  vêyo  botwàyàte!'^^)  Petite  fiole,  vieille   (petite)   bou- 

t;fè  rvarç  sï  ta,  Quand  reviendra  ce  temps,  [teille! 

sï  ta  dé  vèt-à?  Ce  temps  des  vingt  ans? 


—     429     — 

2.  û  ta  p('St'.   t;^f'  vnô   le  se  môtxî,      Au  temps    passé,    quand    venait   la 

[Saint-Martin. 
rêz^'  to  frâ,  se  müsti;tx9  à  twodjc; '-")      Rasé  tout  frais,  ses  îuoustaches  on 

[retroussait  ; 
à  s'fazê  fer  de  vëtûr*^^)  k'alî  bï.  On  se  faisait  faire   des    habits   qui 

[allaient  bien, 
îtçnotiiba '^-J  dadrîarmôda,  dêsùlê.      Un    «tuhe»    tout   neuf  de   dernière 
Refr.  [mode,  des  souliers. 

3.  â  ta  peso,  iyy  vue  le  se  metxî,       Au   temps   passé,    quand    venait  la 

[Saint-Martin, 
pwâ  dô  l'bre  mwanë  se  bwên9  emîs,      Parsouslebrasmener  sa  bonne  amie, 
ä  käbare,  to  se  djilana  nôz-âlî  Au  cabaret,  tous   ces  jeunes    nous 

[allions 
vïrïe  kêk9  twè.  pêsë  djôyoza  vî9.  Tourner     quelques     tours,     passer 

Refr.  [joyeuse  vie. 

4.  â  ta  pësê,  t/è  vnê  le  se  metxï,       Au  temps    passé,    quand    venait   la 

[Saint-Martin, 
kë  sakrê  t/ota  à  rpwëtxê  à  Tötä!        Quelle    sacrée   «cuite»   on    reportait 

[à  la  maison  ! 
t;çè  vnë  l'swa,  à  n'ëtë  pli  trö  fie.         Quand  venait  le  soir,  on  n'était  plus 

[trop  lier, 
dâk'à^-^)  bôlê,  êtë-sa  î  xï  gro  ma?      (Dès  qu'on)  Quand  même  on  roulait, 
Refr.  [était-ce  un  si  grand  mal  ? 

5.  â  ta  pésë,  êpré  le  se  mëtxî,  Au    temps   passé,    après    la    Saint- 

[Martin, 
to  ëtë  vo,   le  bwëx  ë  le   gösäta.^-^)      Toutétaitvide,labourse  et  le  gousset. 
mâd'tot,mâd'vàtr8,lëz-àrway9  swanî;      Mal   de   tête,    mal    de    ventre,    les 

[oreilles  sonnaient  ; 
kë  rûd9  mïzër9!  àn-évë  lé  kr9vät9.      Quelle  rude   misère!     On    avait   la 
Refr.  [«crevette». 

6.  â  djwë  d'adjdo,  t;çè  vî  lé  se  metxî,      (Au  jour  d')  aujourd'hui,  quand  vient 

[la  Saint-Martin, 
tot-ä  dj9  vo,  lé  bwex  e  le  gosät9,        Tout  est  déjà  vide,  la  bourse  et  le 

[gousset. 
pwëx  k9  mïtnè  s'a  tû9dJ9  lé  se  mëtxî;      Parce  que  maintenant  c'est  toujours 

[la  Saint-Martin, 
mëtî  â  swa,  à  s'ràpyâ  le  pèsata.  [Du]  matin  au  soir,  on    se   remplit 

Refr.  Pa  panse. 

(M.  Célestin  Jacquat,  à  Yillars  sur  Fontenais.) 


430 


Vif 


36.  se  mëtxî.    Saint-Maptin.    (Patois  de  Fahy,  Ajoie.) 


I  ^o  t-  y:.     T.    ^   ^  \   f-  ^ 


^ 


^ 


sè      mê  -  txi, 


fû 


ê      grà       trè, 


vî      txîa    no 


C     J'     /    J|=4-J     I    J      J^     / 


^ 


m 


ta  -  ni  tâbya  Ô    -     vï  -  î 

sè  métxî,  é  f û  é  grà  trè, 
vî  txî9  nô  tanï  tâbya  ovie, 
e  se  notra  rëvwaya  mëtî. 


sè     no  -  tra    rè-vwâyemë    -    tî. 

Saint-Martin  (il)  fuit  à  grand  train, 
Viens  chez  nous  tenir  table  ouverte, 
Et  sois  notre  réveil-matin. 
(M.  Périat,  fils  Sylvain,  à  Fahy.) 


37.  Parodie  des  Vêpres  des  Morts.    (Patois  de  Charmoille.) 
Cette  parodie  se  chante  après  qu'on  a  fêté  Saint-Martin.   Celui  qui 
la  chante  commence  par  dire: 

ë  bî,  mïtnë,  no  vlà  àtërê   le   bnïa-      Eh  !  bien,  maintenant,  nous  voulons 

[sô.  ^'^^j  [enterrer  la  Saint  Martin. 

Puis  il  entonne  (Musique  du  Vespéral  Bâlois): 

1.  Bonitm  riimm  acuit  ingenium. 
Venite  ut  potemus. 

Venite  to,  mëz  emï, 
ëpotxë  kâya  è  padrï, 

Salutari  nosira. 
bwâr  d'sï  bô  vî 
da  mïno  djok'ë  mêdï, 
djmë  à  n'a  fde  raprï 

in  confessione: 
kâr  à  bwayè  d'sï  bô  vî, 

juhilemus  eis. 

2.  Boniim  rinum  acuit  ingenium. 
Venite  ut  potemus, 
quoniam  to  se  bô  përa  kodjalïa 
dët;jjovrà  î  pëtê  d'vî 

d'sît/a  pîa. 
funduverunt  nianus  ejus, 
ë  po  bâkû  de  yot  kovà 
txëtë  bî  djôyozamà: 

Deus  noster. 
no  sô  tç  dç  ptéz-ÎDÇsà; 
sed  oves  pascue  ejus. 

Venite  ut  potemus. 


Venez  tous,  mes  amis, 
Apportez  cailles  et  perdrix. 

Boire  de  ce  bon  vin 
Depuis  minuit  jusqu'à  midi, 
Jamais  on  n'en  fut  repris 

Car  en  buvant  de  ce  bon  vin, 


Puisque  tous  ces  bons  pèresCordeliers 
Découvrent  un  pâté  de  vin 
De  cinq  pieds. 

Et  puis  Bacchus  dans  leur  couvent, 
Chantait  bien  joyeusement  : 

Nous  sommes    tous    des   petits   in- 

[nocents  ; 


431 


3.  Hodie  sa  l'bô  vi  vnë  ç  mâkç 
Hélas!  k'âs-ka  davïdrç 

Corda  vostra? 
çdé  Iç  bçtaya  â  pîa  dï  yê, 
pô  bwâr  à  le  sètë  d'sêz-émï, 
o  bî  noz-àtraya  s'porïrî 

tentationis  in  deserto. 
le  gro  vâr  vâyà  bî  le  pté, 

Opera  mea, 
Bonum  vinum  acuit  ingenium. 

Venue  ut  potemus. 

4.  Quadrapinta  omnes  y'e  vët;çû; 
djuië  mùn-œya  n'e  vu 

k'iû  b<5  vi  fzë  ma 

in  corde  meo. 
î  djo  i  sérmà  ï  fzô 
k'djmë  vî  ï  n'bwärö; 
më  sa  fœt-m  ira  mea, 
pôxka  djmë  lô  vî  n'è  trûbyë 

requiem  meam. 

Vernie  ut  potemus. 

5. Requiem aeternam  donaei,  Domine, 

é  po  à  to  se  bô  bwayù 
djôyozamà  luceat  eis! 


Aujourd'hui  si  ce  bon  vin  venait  à  raan- 
Hélas  !  qu'est-ce  que  deviendrait  [quer 

Toujours  la  bouteille  au  pied  du  lit, 
Pour  boire  à  la  santé  de  ses  amis, 
Ou  bien  nos  entrailles  se  pourriraient. 

Les  gros  verres  valent  bien  les  petits. 


J'ai  vécu  ; 

Jamais  mon  œil  n'a  vu 

Que  le  bon  vin  faisait  mal. 

Un  jour  un  serment  je  faisais 
Que  jamais  vin  je  ne  boirais  ; 
Mais  ce  fut 
Parce  que  jamais  le  vin  n'a  troublé 


Et  puis  à  tous  ces  bons  buveurs 
Joyeusement 

(Joseph  Bron,  Charmoille.) 


38.  Autre  papodie  en  patois  de  Develier. 
Bomim  vinum    ëtra    redificnre    cor     Le  bon  vin  être  .  .  . 
omnibus. 

Le  bon  vin  réjouit  le  cœur  de  l'homme, 
chasse  la  mort,  procès,  chagrin. 

se   pérôl   sô    tïrîa    di  setîama    bôtô      Ces  paroles  sont  tirées  du  septième 
d'me  t;çùlata.     Verse  à  boire!  bouton  de  ma  culotte. 

(Pierre-Joseph  Monnin,  né  en  1822,  à  Develier). 

39.  Autre  parodie  en  patois  de  Courtedoux. 
Ego  videntes  et  lionorabo. 

tota    vetxa   ka    n'è   p'    da   kûa  n'sa      Toute  vache  qui  n'a  pas  de  queue  ne  se 
sérë  èverê  lé  mûatxa  txû  l'dô.  saurait  chasser  les  mouches  sur  le  dos. 

se   pérôl   sô    tïria    dï   iyji   dï   vëxë.      Ces  paroles  sont  tirées  du  (cul)  fond 
chapitre',  vwax  e  bwâr.  du  tonneau,  chapitre;  Verse  à  boire! 

(Louis  Vetter,  à  Courtedoux.) 


432 


IX.  Complaintes. 

Les  trois  complaintes  suivantes  m'ont  été  chantées  par  une  vieille 
personne  de  Courtedoux  (Ajoie),  Agathe  Sangsue,  née  en  1833,  actuellement 
à  l'Hospice  des  Vieillards  de  St-Ursanue.  Elle  les  a  apprises  de  sa 
mère,  morte  en  1881  à  l'âge  de  93  ans.  Toute  vieille  qu'elle  est,  elle 
a  encore  une  voix  très  jolie  et  très  juste,  de  sorte  qu'il  m'a  été  bien 
facile  de  noter  exactement  les  mélodies  si  originales  qu'elle  m'a  chantées. 

40.  Complainte  de  la  Ste-Vierge  et  du  Mauvais  Riche. 
(Patois  de  Courtedoux.) 

Moderato 


i(^^c   J  \^i-^^ 


d    J  '  J  h^  ^-  J 


le  se  -  ta    vîardja  i 


put 


ra 


sô    tro  - 119   d'èr- 


^^ 


ife^ 


^t,  J    I  J    J  -'J  I  ^  J'  J'^.J 


•      w       -  é  #-W- — ^ 

di  -  ra:   Mire,  que  pieu- rez-vons  tant? 


djà. 


so 


xer 


ve 


l^y  J-  J'  j  '  j^  j- 1  J    ; 


A  -  ce   Ma  -  ri  -  a,     gra  -  ti 

1.  le  sëta  vîardja  ï  pÛ9ra 
xil  sô  trôna  d'erdjà. 

so  xer^-^)  fï  ï  ve  dira: 
Mère,  que  pleurez-vous  tant  f 
Ave  Maria,  gratia  plena. 

2.  —  ï  pûara  sï  pûara  môda 
k'àdûra  tê  da  fè. 

-    na  pûareta  pa,  me  mëra, 
nô  le  résezîarè. 

3.  na  pûaréta  pa.   me  mëra, 
no  le  résezîarè. 

vo  lëz-àvïarë  dmëdë 
à  le  pôatxa  dï  retxa. 

4.  —  rëtxa,  fet-no  l'âmona 
po  f amour  de  Jésus! 

le  rnyata  da  votra  tâla 
fêta  no  lô  bëyïa, 

5.  —  le  rnyata  da  mç  tâla 
s'a  po  beyîa  à  më  txî', 

ë  m'etrëpà  de  lîavra, 
twa,  ta  m'na  prà  rà. 


a    pie  -  na^"^^) 

La  Sainte  Vierge  (y)  pleure 
Sur  son  trône  d'argent. 
Son  cher  fils  (y)  lui  va  dire  : 
Mère,  que  pleurez-vous  tant  ? 

—  Je  pleure  ce  pauvre  monde 
Qui  endure  tant  de  faim. 

—  Ne  pleurez  pas,  ma  mère. 
Nous  les  rassasierons. 


Vous  les  enverrez  demander 
A  la  porte  du  riche. 

—  Riche,  faites-nous  l'aumône 
Pour  l'amour  de  Jésus  ! 

Les  miettes  de  votre  table 
Faites-nous  les  donner. 

—  Les  miettes  de  ma  table 
C'est  pour  donner  à  mes  chiens; 
Ils  m'attrapent  des  lièvres, 

Toi,  tu  ne  me  prends  rien. 


—     438     — 


6.  ä  bü  da  trä  samêna 
la  rçtxa  s'a  vî  ô  mœrï; 
s'a  vè  tç  drwä  kàkë 

à  1|  pö9tx8  dï  përëdï. 

7.  —  ovra  ma  Tperedi, 
se  pïara,  mon-emï. 

—  Retire-toi,  mauvais  riefle^ 
de  le  flâma  êternéla.^-*) 

8.  ta  n'è  p'vôyû  fër  l'ainona 
Pour  l'amour  de  Jésus. 
tota  fœya  ka  swatxa 

na  sërë  ràvwàdjï. 
Ave  Maria,  etc. 

41.  Complainte  du  Pauvre 


4%^^,^^^^,^ 


Au  bout  de  trois  semaines 
Le  riche  s'en  vient  à  mourir  ; 
[II]  s'en  va  tout  droit  frapper 
A  la  porte  du  paradis. 

—  Ouvre-moi  le  paradis, 
Saint  Pierre,  mon  ami. 

—  Retire-toi,  mauvais  riche 
Dans  les  flammes  éternelles. 

Tu  n'as  pas  voulu  faire  l'aumône 
Pour  l'amour  de  Jésus. 
Toute  feuille  qui  sèche 
Ne  saurait  reverdir. 


Pèlerin.    (Patois  de  Courtedoux.) 
-Vn — iT- 


W 


^-/   /   / 


s'ë    -  të      si    püar      pöa  -  ra, 


SI 


pua  -  ra      pe  -  la- 


1 J'  M'  ^-^ji^^^ 


^  /■  j'  j 


ri. 


s  a 


ve 


a   -    mo 


na 


1(3         la       dï      grà   txa- 


1  j  I  ^^  J^J^ 


œî,         lu        la    dï   grà   txa 

1.  s'êtë  si  pûar  pôara,^-'') 
sï  pûara  pëlarî; 

s'a  vé  dmèdë  l'âmona 
Ici^^"')  la  dï  grà  txami.  (bis) 

2.  s'a  vë-  tô  drwà  kàkë 
à  le  pôatxa  d'ëna  dëma. 

—  Ö  dëma  !  ô  djàtïya  dëma  î 
ovîat  m'î  pô  le  pôatxa  ! 

3.  epœl  se  sërvàta 
po  yï  vanï  ovîa. 

—  ovëat-yï  vo  le  pôatxa  ; 
s'a  vô  k'ië  ëbwiirdjïe.^^^) 

4.  —  pôara.  mo  bë  pôara, 
vanï  vô  do  sopë. 


mi. 


C'était  ce  pauvre  pauvre, 
Ce  pauvre  pèlerin; 
[II]  s'en  va  demander  l'aumône 
Le  long  du  grand  chemin. 

S'en  va  tout  droit  frapper 
A  la  porte  d'une  dame. 

—  0  dame  !  ô  gentille  dame  ! 
Ouvrez-moi  un  peu  la  porte  1 

[Elle]  appelle  sa  servante 
Pour  (y)  lui  venir  ouvrir 

—  Ouvrez-lui  vous  la  porte  ; 
C'est  vous  qui  (l'a)  l'avez  invité. 

—  Pauvre,  mon  beau  pauvre, 
Venez  (vous)  donc  souper. 


28 


434 


5.  ëpœl  se  sèrvàta 
po  lo  mwanê  sopê. 

—  mwanët-yï  vo,  mëdema. 
s'a  vo  k'ie  ébwàrdjïa. 

6.  —  pôara,  mô  bê  poara, 
V9I1Ï  vo  dô  kùtxïa. 


[ElleJ  appelle  sa  servante 
Pour  le  mener  souper. 

—  Menez- [r]y  vous,  madame, 
C'est  vous  qui  (l'a)  l'avez  invité. 

—  Pauvre,  mon  beau  pauvre, 
Venez  vous  donc  coucher. 


7.  épœl  se  sërvàta 
po  lo  mwanê  kùtxïa. 

—  mwanét-yï  vo,  medéraa, 
s'a  vo  k'I'ë  ébwàrdjîa. 

8.  —  poara,  mô  bë  pôsra, 
ët8-vo  bî  bü9txia? 

—  Ö  Olli!  me  djàtïya  déma, 
to  mwè  k'ie^^-)  bù  de  pïa. 

9.  él  ât-alë  t;ç9rï  ât;^8 
po  yï  bûatxîa  le  pie. 
ân-àtrè  de  le  txèbra, 
ël-e  vu  tô  réluant^^^) 

10.  —  po8r9.    mô  bë  poara, 
éta-vô  Jésiis-Chrisff 

—  9  oui\  mé  djàtïya  déma, 
lo  rwâ  dï  perédï. 

11.  votre  pyesa  k'â  fêta 
âme  lo  péredï. 

—  e  stëa  d'më  servàta, 
levü  él  sérët-ï?^^*) 

12.  —  lé  pyës  da  vot'  servàta? 
à  pu  fô^'^^)  dëz-àfîa. 

s'a  dïna^^®)  da  sôn-âma 
d'àlë  à  pérédï. 


[Elle]  appelle  sa  servante 
Pour  le  mener  coucher. 

—  Menez -[1'] y  vous,  madame, 
C'est  vous  qui  (l'a)  avez  invité. 

—  Pauvre,  mon  beau  pauvre, 
Etes-vous  bien  (bouché)  couvert  ? 

—  Oh  !  oui,  ma  gentille  dame, 
Tout  (moins  que)sauf  le  bout  des  pieds. 

Elle  est  allée  chercher  quelque  chose 
Pour  lui  couvrir  les  pieds. 
En  entrant  dans  la  chambre. 
Elle  a  vu  tout  resplendissant. 

—  Pauvre,  mon  beau  pauvre, 
Etes-vous  Jésus- Christ  ? 

—  Oh  !  oui,  ma  gentille  dame, 
Le  Roi  du  paradis. 

Votre  place  (qui)  est  faite 
Au  milieu  du  paradis. 

—  Et  celle  de  ma  servante, 
(Là)  où  (elle)  sera-t-(y)  elle  ? 

—  La  place  de  votre  servante  ? 
Au  plus  [projfond  des  enfers. 
C'est  digne  de  son  âme 
D'aller  en  paradis. 


42.  Complainte  de  Dame  Nourpiee.    (Patois  de  Courtedoux.) 


m 


-^r^ 


j    j  /  M  J"  >  I  /  /'  ^  ^ 


^ 


dé  -  ma  nour  -  li  -  ce  s'àn   -   â      râ  -  le       à       reau 


f -  / 1  j  j-  j^lj^^r^Ë^ 


dé  -  ma  now  -  ri  -  ce     s'àn    -    â     râ  -  le      à         l'eau. 


435 


1.  dçrae  nour?ices'êin-âralcàreau(bis) 

2.  Quand  elle  frevlenne)  rccknt}^'') 

[trouve  Penfant  hrûlé.  (bis) 

3.  Elle  le  recherche  dans  les  cendres 

[et  le  charbon, 

Qu'elle  le  recherche  dans  les  cendres 

[et  le  charbon. 

4.  Elle  ne  retrouve  k'î  patë  l'o  dï  frù, 
Qu^ elle  ne  retrouve  k'î  patê  l'o  dï  fro. 

5.  Elle  fenveloppe,  l'ât-alë  àfermë, 
dadè  so  köfra  l'ât  aie  àférmë. 

6.  La  fausse  vieille  s'a  vê  lé  ret/iizë. 

[(bis) 

7.  dèm    lé   rëna    môta    xû   so    txvä 

[grïjo.  (bis) 

8.  —  Dame  naurriceje  viens  voir  mon 

[enfant,  (bis) 

9.  —  dém  lé  rëna,  de  se  txèbrata  aie. 

[(bis) 

10.  tre  diisa  vïardja,  ràdë  mwa  inon- 

[cifèîi")  (bis) 

11.  La  terre  est  dure,  je  n'y  saurais 

[entrer,  (bis) 

12    Les  eaux  sont  grosses,  je  n'y 
[saurais  passer. ^^^)  (bis) 

13.  Ouvre  le  coffre,  trouve  V enfant 

[vivant,  (bis) 

14.  Une  belle  rose  pour  son  amuse- 

[ment.  (bis) 

15.  dém  lé  rens,  tonï  votra  popo  ;  (bis 

16.  Si  je  le  garde,  il  est  en  danger 

[de  mort,  (bis) 


Dame  nourrice  s'en  est  (r)allée  à  l'eau. 


17.  —  QuHlvit,qu'ilmeiirt,^^^)gardez- 

[Vencore  un  an.  (bis) 

18.  La  fausse  vieille  fut  brûlée  sur 

[le  champ,  (bis) 


qu'un  petit  os  du  front 

l'est  allée  enfermer, 

Dedans  son  coffre  l'est  allée  enfermer. 

s'en  va  la  raccuser. 

Dame  la  reine  monte  sur  son  cheval 

[grison. 


Dame  la  reine,  dans  sa  cbambrette 

[allez. 

Très  douce  Vierge,  rendez-moi  mon 

[enfant  ! 


)      —  Dame  la  reine,  tenez  votre  poupon  ; 


436     ~ 


Complainte  de  Sainte  Catherine. 

J'ai  recueilli  deux  versions  de  cette  complainte  si  connue  du 
martyre  de  Ste  Catherine  (cf.  Romancero  popul.  de  France,  p.  391).  La 
première  provient  de  Courtedoux  (Ajoie)  et  n'a  que  quelques  mots  de 
patois  ;  l'autre  m'a  été  chantée  à  Tramelan-dessous,  en  pays  protestant  ; 
texte  très  altéré. 

43.  Version  de  Courtedoux. 


iÇ^\  jsU  /  j  j'i  J_,h'/  I  ^-  /  j-;- 


Ca  -  the  rine      é  -  tait    fil  -  le,       le  fè  -  ya     dï    grâ 


^g^ 


^    /    J^    J> 


î; 


ï 


^^ 


ï^ 


rwà,  Ca  -  the-rine     é  -  tait         fil  -  le,      le         fé  -  ya      di      grà    rwa.  A- 


;  j-/|;'^lJ^;-jJM  =^^ 


ve 


Ma 


na. 


1.  Catherine  était  fille,  I 
le  féye  dï  grà  rwa.         J 

Ave  Maria 

Sawta  Catherina.  (sic.) 


San    -    la    Ca  -  the  -  ri 

La  fille  du  grand  roi. 


2.  Son  père  était  païen, 
Sa  mère  ne  l'était  pas. 

3.  Un  jour  étant  en  prière 
Son  père  va  la  trouver. 


4.  —  ka  fét8-vô,  me  fëye, 
ka  fët8  dokyi*«)  le?' 


—  Que  faites-vous,  ma  fille. 
Que  faites  donc  là  ? 


5.  —  J'adore  Dieu,  mou  père, 
Que  vous  ne  faites  pas. 

6.  —   N'adore  pas,  ma  fille. 
N'adore  pas  ce  Dieu-là. 

7.  Adore- moi,  ma  fille, 


10.  On  fit  venir  ces  roues, 
Ces  roues  ne  tournaient  pas. 

11.  —  Va  me  chercher  mon  sabre 
Et  ce  grand  couteau-là. ^^^) 

12.  —  Que  faire  de  ce  sabre 
Et  de  ce  grand  couteau-là? 

8.  —  Non,  non,  non,  non,  mon  père,      13.  —  Pour  couper  la  tête 
J'aimerais  mieux  mourir!  A  ma  fille  Catherine, 

9.  On  fit  venir  ces  lames,  14.  Qui  adore  Dieu  le  Père, 
Ces  lames  ne  coupaient  pas.                 Moi  qui  ne  l'adore  pas. 


437      - 


15.  Et  sou  bourreau  de  père 
La  tête  lui  trancha. 


l(i.   Des  anges  descendirent 
Chantant  des  doux  cantiques  : 
Ave  Maria, 
Sawta  Oathtrina. 
(Marguerite  Cattin,  née  en   1829,  ;\  Courtedoux.) 


44.  Version  de  Tramelan-dessous. 


i 


^ 


^m 


i^^E^E^J 


Sî 


Ca-the-rine      é  -  tait         fil-le,    La        fil  -le    d'ungrand 


^  J-  T  j'  j'J  I  J'  J  J'  ^  Jl  J  /  J  / 


roi.  Son  père  é-tait  pa  -  ïen,  Sa     mèr'  ne    Té  tait  pas.   A  -  ve    Ma  -  ri- 


j.  j  j  /  j^  ^ 


1^^ 


^ 


iS 


ï 


¥m^' 


^ 


a     San  -  ta   Ca-  tha  -  ri 


na, 


De 


i     Ma  -  ter,    Al  -  le  -  lu 


ya! 


1.  Catherine  était  fille, 
La  fille  d'un  grand  roi. 
Son  père  était  païen, 
Sa  mèr'  ne  l'était  pas. 
Ave  Maria,  Sa«ta  Catharina, 
Dei  Mater,  x\lleluya! 


2.  —  Quittez,  quittez,  ma  fille, 
Adoré rc^''^)  celui-là. 
—  Oh  !  non,  oh  !  non,  mon  père, 
Adorère  celui-là. 


3.  Son  père  de  colère 
La  tête  lui  trancha  .... 
(Marianne  Etienne,  née  en   1820.  à  Tramelan-dessous.) 


Remarques. 

^)  Le  mot  e(lJ9.  ainsi  que  le  diminutif  Mjatd  sont  du  féminin;  le 
même  phénomène  se  retrouve  en  provençal  (cf.  Gilliéron.  Afkts  I'mßuisf. 
au  mot  ange). 

2)  /^9  =  qui,  que,  pron.  relatifs.  (Delémont  et  Porrentruy  disent 
krj).  Ce  traitement  se  retrouve  dans  tous  le  Val  Terby  (Vicques,  Cour- 
chapoix,  Corban,  Mervelier,  Montsevelier)-,  Courroux,  à  la  limite,  a  tx^ 
et  k9  (cf.  vers  suivant).  Cette  prononciation  a  fait  donner  le  sobriquet 
de  txotxè  (=  ceux  qui  disent  txd)  aux  gens  de  ces  villages.  ^Nô  so  le 
lyotxe  de  ta  Vvâ  =  Nous  sommes  les  txj}tx{  f^^i^^  ^.out  le  Val,"  me  disait 
M.  le  curé  de  Courchapoix.  —  C'est  du  reste  la  façon  de  parler  du 
poème  patois  Les  Paniers,  par  le  Curé  F.  Raspieler,  de  Courroux 
(Porrentruy,  1849).     [Note  parue  Arch.  III  p.  259.] 

^)  dâ  vu'd  =  depuis  vers,  da  =  de  ex  =  dès,  depuis,  i  n  l'e  pvù 
dâ  otd  djg  =  je  ne  l'ai  pas  vu  depuis  huit  jours.  —  vwa  =  versus  =  vers. 
[Note  parue  Arch.  III  p.  260.] 

*)  oxâ  =  afvjuncuhi  +  ittu;  seul  mot  pour  oncle;  le  simple  oxd 
n'existe  pas.  C'est  le  mot  qu'on  emploie  avec  les  enfants,  quand  il  s'agit 
d'un  inconnu:  „e  fvû  sfoxâf  —  dï  vïtmu  bodjg  (7  sfoxa.  —  bey^  lé  nu 
a  sfoxa  =  as-tu  vu  (cet  oncle)  ce  monsieur?  —  Dis  vite  bonjour  à  ce 
monsieur.  —  Donne  la  main  à  ce  monsieur. 

^)  Passage  corrompu.  J'ai  entendu  la  version:  hodjô  do,  mérid  = 
bonjour  donc,  Marie   (cf.  n°  2,  str.  2).     [Note  parue  Arcli.  III  p.  260.] 

^)  Frlgldu  donne  régulièrement  fré,  fredd:  friscu  =  frU.  frâtxd 
(str.  8).     [Note  parue  Arch.  III  p.  260.] 

')  Cette  façon  de  parler  a  passé  dans  le  français  jurassien.  On 
entend  dire,  par  exemple:  Oh!  cet  enfant,  vous  avez  hel  à  dire,  vous 
avez  bel  à  faire,  il  n'écoute  rien.     [Note  parue  Arch.  III  p.  260.] 

^)  La  forme  ma  ne  fminare)  est  très  ancienne  et  se  retrouve  Paniers 
v.  153,  220,  etc.  La  nasale  est  amenée  par  Vm  initiale  (cf.  mlttere 
=  mdtr^:  mapls  ■=  me  (mais);  nupllas  =  nds.  —  De  nos  jours,  on  dit 
partout:  murine. 

^)  Le  verbe  rëgud  =  1°  raccommoder,  repriser,  réparer:  j'êyu^  dëz- 
çyo,  de  txüs  (des  vêtements,  des  pantalons),  reyüd  end  Ixi'S  (casse,  casse- 
role); 2"  arranger:  rçyiid  1  yë  (faire  un  lit).  Le  poème  patois  des  Paniers 
donne  au  vers  594:  eyiid-le  do  to  mœ  =  arrange-la  de  ton  mieux;  et 
vers  708  :  1d  yt  rcymrë  dddf)  si  yrç  mertë  =  tu  les  lui  raccommoderas 
dessous  ce  gros  marteau.  Ma  note  1,  Arch.  III  p.  261  a  une  faute 
d'impression;  lire  9^ëyud  et  non  rëyûë. 

^°)  Le  verbe  fiïrd  n'a  pas  le  sens  de  fuir,  mais  celui  de  courir 
(cf.  Paniers  v.  95:  fà  t'a  vih  =  cours  vite).  Inusité  de  nos  jours;  on 
dit:  rîtç. 


—     439     — 

*•)  Il  est  inexact  de  traduire  j'(u'^  iji  par  muffle  densus  (comme 
M.  Daucourt  le  fait  Arc/t.  111  p.  48  str.  8);  il  faut  traduire  par:  souf/les-i/ 
=  souffle-ki-lnL  forme  très  fréquente,  même  dans  le  français  jurassien. 
Ex.:  donnes-y,  prêtes-y  (cf.  le  vers  4  de  cette  même  str.  8:  f(-Ut). 
souffler  -=  xàxê  (Delémont)  et  ;f/7<v;çf  (Ajoie).     Cf.  n"  3,  str.  7. 

^-)  Forme  du  singulier,  au  lieu  du  pluriel  kdka  que  demande  le  sens. 

^*)  Le  mot  ordinaire  pour  ramoneur  est  plutôt  7  rëjr^-tiÏÏ  que  rï'.r^- 
tramwf  (cf.  \\°  11,  str.  6). 

*')  Pour:  jusqu'à  ce  quHci.  On  entend  communément:  „J'attendrai 
jusque  quand  il  viendra."  Le  patois  dit  toujours  djok  pour  jusqu'à  ce 
que.  Ex.:  i  vœ  dmùrë  si  djok  él  erÇ  fini  =  je  veux  demeurer  ici 
{jusqu^il  aura)  jusqu'à  ce  qu'il  ait  fini.     [Note  parue  Arc/i.  III  p.  262.] 

^^)  Dans  ma  première  publication,  j'ai  traduit:  ef  qu'il  dort  bien 
tranquillement,  ajoutant  en  note  que  je  n'étais  pas  certain  de  cette 
traduction,  que  m'avait  donnée  une  seule  personne  de  Courroux;  les 
autres  ne  comprenaient  pas  ce  ddlf.  —  Aujourd'hui,  j'y  vois  plutôt  l'alté- 
ration d'une  exclamation  dont  le  premier  élément  serait  non  pas  dd.  mais 
dt  =  Dieu;  ce  serait  peut-être  la  leçon  donnée  par  M.  Daucourt  {Arclt.  HT, 
p.  50,  str.  14):  ê  k'è  dôd  hl,  de  CèmUdè!  =  Et  qu'il  dort  bien,  Dieu 
l'amende!  Cette  très  vieille  interjection,  inusitée  aujourd'hui,  nous  aiderait 
à  comprendre  notre  passage.  Ou  sait  assez  le  nombre  infini  d'excla- 
mations et  de  formules  de  bénédiction  ou  d'exécration  dont  les  patoisants 
émaillent  leurs  discours.  —  Donc  je  proposerais  de  remplacer  ce  ddlë 
par  de  TëmiAdè!  qui  donnerait  au  vers  le  nombre  de  pieds  nécessaires 
(cf.  Àrcli.  VI  p.  275,  note  2,  et  276,  note  1).  Ce  du;)  Femade  =  Dieu 
l'amende,  —  l'afhéliore!  serait  assez  analogue  à  ,.Dieu  le  croisse !'■'■  du 
vers  suivant. 

^®)  C'est  la  formule  qu'on  adresse  à  une  personne  qui  éternue: 
diïd  vô  krâxd!  =  Dieu  vous  bénisse!  (crescat  =  krâxa;  crescere  =  krâtrd). 

^'')  krçmë  =  faire  cadeau,  donner;  allemand  bernois  chrome  (cf. 
Arch.  Y  p."  224,  note  1). 

1^)  pëd  =  seulement.  Ex.  :  v7  pëd  !  =  viens  seulement,  viens  donc, 
viens  toujours!  (cf.  n°  27,  str.  1).  Peut-être  faut-il  lii'e  ici,  comme  n°  2, 
str.  7,  pë  dddè  =  par  dedans,  sens  plus  simple  et  plus  naturel. 

'^)  Le  mot  fësd  =  joue,  et  non  pas  fesse;  y'è  ma  a  le  fësd  =  j'ai 
mal   à  la  joue;   end  efesJd  =  une  gifle.     [Xote    parue  Arch.  III  p.  263.] 

-^)  Même  emploi  que  le  vieux  français  si,  servant  à  unir  deux 
membres  de  phrases,  comme  l'allemand  so.  Dans  une  prière,  j'ai  trouvé: 
«  no  di  bo  dÜ9,  si  m'kùtxrê  =  Au  nom  du  bon  Dieu,  {si)  je  me  coucherai 
{Arch.  III,  n°  28).     Cf.  n«'  19,  str.   1. 

^^)  àlë  a  cet.  =  aller  en  visite  (de  jour);  la  visite  de  nuit  que  les 
garçons  font  aux  filles  s'appelle  l'ôrrd;  àlë  à  fövra.  —  A  quelqu'un  qui 
ne  sait  comment  se  tenir,  ni  que  faire  de  ses  mains,  qui  est  emprunté, 
on  dit:  lï  dire  k'fê  a  vél'  =  on  dirait  que  tu  es  en  visite! 

--)  Passage  évidemment  corrompu. 

-^)  Tournure  allemande  :  ich  bin  nicht  so  böse,  wie  ich .....  .    (cf. 

note  53). 


—     440     — 

-•')  Cf.  n°  1,  str.  15,  qui  est  sans  doute  la  version  originale.  Nous 
aurions  alors  ici  une  altération,  parce  que  le  chanteur  n'aurait  pas  com- 
pris: qu'il  est  de  tout  être,  et  aurait  corrigé  en  la  leçon  actuelle. 

^^)  Cette  strophe  et  la  suivante,  que  nous  retrouvons  n^  5,  str.  2 
et  3,  n'ont  aucun  rapport  avec  ce  noël;  c'est  une  contamination  d'une 
autre  chanson  ajoutée  au  texte  primitif  par  la  tradition  orale.  [Ârc/i. 
ni  p.  266.] 

^^)  ovdrnë  (Vâdais)  ou  ovduë  (Ajoie)  ^  hiverner,  nourrir  en  hiver. 
Expression  très  pittoresque:  mâl-ovarnë  =  mal  hiverné,  mal  nourri.  On 
comprend  facilement  qu'il  faut  nourrir  le  bétail  qu'on  hiverne. 

-^)  Le  mot  tÇdtxë  {força  +  ellu)  =  gâteau,  est  ajoulot;  le  vâdais 
emploie  plutôt:  dl  tho  (cf.  le  patois  Vaudois:  kdiiû). 

-*)  On  a  les  deux  formes  mUd  et  mçrji}  =  mordu,  de  l'infini  moddrà 
(cf.  n°  5,  str.  3). 

■'*)  Le  hydsd  est  la  poire  sauvage  (la  pomme  sauvage  =  hotxî).  Cf. 
frç,  blocier,  beloce.  Bridel  {Gloss.  du  patois)  donne  blesson  et  blosson. 
[Ârch.  III  p.  267.] 

^")  Le  latin  aura  =  œrd,  vent;  d'où  ôdrèyïd  =  venter,  faire  du  vent 
(cf.  le  vieux  frç,  ore). 

^')  pûdtxd  est  ajoulot;  le  vâdais  dit:  pUdrtd. 

^^)  Le  verbe  rékrië  a  plutôt  le  sens  de  décrier,  mais  ici,  il  a  le  sens 
du  simple:  crier. 

^^)  Le  verbe  baptizare  a  donné:  bàtèyïd\  on  rencontre  aussi  la  forme 
bàtïzïd,  mais  c'est  une  influence  du  frç.  Baptismurn  =  bâtëm. 

^*)  La  forme  pradre  est  frç.  Le  verbe  pre[hen]dere  =  par,  d'où 
le  futur,  f  pare,  m  pare.  A-t-on  voulu  ainsi  éviter:  ng  vg  pare  pQ 
pare?  Je  le  pense,  car  pî'àdre  est  absolument  inusité,  de  même  qu'un 
infinitif:  pradrd. 

^^)  Expression  très  fréquente  =  Marianne  et  toi,  vous  serez  les  mar- 
raines. 

^^)  C'est  le  mot  allemand  Pappe  =  bouillie  pour  les  enfants;  s'em- 
ploie aussi  dans  le  patois  du  canton  de  Vaud  rddô  pâpéj. 

'^'')  L 'Ajoie  dit:  pdlx'à;  le  Vâdais:  pdrtû  (cf.  n'^  1,  str.  5). 

^^)  pwçtxë  ggg^ydt^  =  rendre  un  son  argentin,  faire  glin,  glin.  Re- 
marquer les  diverses  expressions  que  nous  avons  rencontrées:  fer  dytdyd- 
nätd  (n«  1,  str.  18);  fër  gâgydtd  (n°  2,  str.  9);  fër  gngltndta  (n°'3,  str.  6). 
—  L'ajoulot  dit:  pûdtxë  ou  pwétxë,  le  vâdais:  pgrtë. 

^^)  Remarquer  ici  l'altération. 

^^)  J'ai  noté  cet  a  prosthétique  qu'on  entend  si  souvent  dans  notre 
patois,  de  même  que  dans  le  français  populaire,  surtout  au  début  d'une 
phrase  et  devant  un  mot  commençant  par  une  consonne.  On  en- 
tend bien  plutôt  dl'txva  que  Vtxciï  (=  le  cheval);  dl'pe  que  t'pe  {=  pain); 
on  dit  aussi  en  français:  dl'dix  dd'trèfle,  dl'neuf  dd'pigue,  etc.  —  Dans 
notre  passage,    cet  d  est  compté  pour  la  mesure  du  vers,    et  se  chante: 


J^-J^J-  i'  I  J  /  j    I  j'  /  /  ;^  I  ;'  ;■ 


8  -  st'ë  frè,  prà    mô    mè  -  tê,  a  -  stë  fe,  prà       dï      tô-txê,  etc. 


—     441     — 

*^)  C'est  le  nom  du  chien  des  bergers. 

*'^)  Ce  mot  ptjlïtë  ne  s'emploie  pas-,  on  dit  partout:  polttçsd. 

*^)  Ce  mot  de  pçyni'd  est  une  altération  et  ne  peut  signifier:  paye 
ou  payement  ■=  pçy^,  p^ysma.  Pour  voir  comment  la  contamination  a 
eu  lieu,  il  n'y  a  qu'à  comparer  cette  str.  4  avec  les  n"  7,  str.  4  et  8, 
str.  4.  Dans  ce  dernier  passage,  le  mot  pçyu/rd  a  son  sens  habituel: 
halle  de  froment;  on  parle  de:  hrdsü  Taft  f/e  atd  pnjnrd  =  bercer  l'en- 
fant dans  cette  balle  de  froment.  Celui  qui  a  altéré  notre  chant,  a  cru 
que  ce  pèyiïrd  signiûâit  payement  (littéralement:  payure)^  etil  a  arrangé 
son  texte  en  conséquence. 

^^)  Cf.  n°  6,  str.  4:  rèxiïrd.  Le  patois  a  deux  mots  pour  désigner 
le  résidu,  le  gratin,  la  raclure.  1"  rcyfirà  (Ajoie)  ou  rêxurd  (Vâdais)  (de 
r^X^  ou  rêxë  =  racler)  se  dit  plutôt  de  la  raclure  du  pétrin  {Iç  rçxurd 
dlç  me):,  et  2*^  rojard  =  résidu,  crasse,  gratin  (cf.  n°  8,  str.  4),  ce  qui 
reste  au  fond  d'une  casserole,  d'une  marmite,  surtout  lorsqu'on  y  a  cuit 
de  la  bouillie. 

*^)  Il  y  a  ici  influence  du  français;  le  patois  ajoulot  a  la  forme 
CiXdW  (aussi  =  äxi)\  mais  on  emploie  plutôt,  dans  le  vâdais  surtout,  la 
forme  xdtç  =  sitôt. 

'*^)  La  Vautière  =  la  femme  „i/?*  Vaiitier''-^  nom  de  famille  de 
Courtedoux. 

*^)  C'est  une  corruption  de  répejid  ou  ëpejïd  =  apaiser. 

*^)  Ce  si  gracieux  noël  n'est  pas  de  notre  pays;  on  n'a  qu'à  voir 
des  mots  comme  bßine,  djerdwé,  âfat^lè;  ce  sont  des  mots  tirés  du 
français.  Dans  notre  patois,  le  diminutif  —  ittu  =  -  a  (cf.  str.  6:  ihë- 
yôlâ).  —  Ce  chant  est  donné,  avec  une  autre  mélodie,  dans  le  recueil 
intitulé:  Vieux  JSmls  composés  en  l'Honneur  de  la  naissance  de  ISotre- 
Seigneur  Jésus-Christ  (Nantes,  1876)  P""  vol.,  p.  57. 

*^)  Comme  je  le  dis  dans  mon  introduction,  M.  l'abbé  Daucourt 
(loc.  cit.)  a  publié  un  certain  nombre  de  noëls,  la  plupart  français,  pro- 
venant soit  d'un  manuscrit  datant  d'une  centaine  d'années  et  conservé  à 
la  cure  de  Miécourt,  soit  d'une  collection  de  36  noëls  (manuscrit  de  1750) 
ayant  appartenu  à  feu  M.  Xavier  Köhler,  l'éditeur  des  Paniers.  Deux 
de  ces  noëls  {Arch.  III,  n°  1  et  2)  sont  en  français  et  patois  alterné: 
les  anges,  la  Sainte  Vierge,  St.  Joseph  parlent  français;  les  bergers  s'ex- 
priment en  patois.  Le  1"  noël  a  20  couplets;  les  strophes  14,  15  et  20 
sont  en  patois  franc-comtois;  il  n'intéresse  donc  pas  notre  domaine  juras- 
sien bernois.  —  Le  2''  noël  a  3  strophes  patoises,  les  n°^  2,  4  et  6;  mais 
des  mots  comme  schigno  (maître,  seigneur)  et  gairgesses  (bas,  guêtres) 
sont  absolument  inconnus  au  patois  jurassien.  Il  s'agit  donc  ici  d'un 
autre  patois  qu'on  a  translaté  avec  jjIus  ou  moins  de  bonheur  en  patois 
vâdais.  —  C'est  pour  cela  que  je  ne  les  reproduis  pas  ici. 

^")  Dans  V Appendice  de  sa  Grammaire  patoise  (Manuscrit  de  la 
Bibliothèque  de  l'Ecole  cantonale  de  Porrentruy,  1897),  M.  A.  Biétrix 
dit  (p.  154,  155):  „Le  soir  du  Nouvel-an,  les  enfants  allaient  devant 
chaque  maison,  en  le*  (le  Chant  du  Nouvel-an)  chantant  de  toute  leur 
voix  criarde,  et  d'après  l'usage  immémoriah  Puis  après  venaient  les 
grands  garçons  du  village  qui  le  chantaient  de  même,  pas  plus  mélodieuse- 


—     442     — 

ment,  il  faut  bien  le  dire,  et  qui,  une  fois  admis  dans  les  maisons,  où 
ils  étaient  impatiemment  attendus  j^ar  les  jeunes  filles,  faisaient  danser, 
sauter  celles-ci  à  cœur  joie,  et  bien  souvent  même  les  bonnes  vieilles 
mamans.  —  Du  ijroduit  de  la  collecte  qui  se  faisait,  on  se  mettait  de 
nouveau  en  fête  le  dimanche  suivant  à  l'auberge  du  village,  où  chaque 
garçon  était  accompagné  de  son  amie  préférée". 

^^)  JSâ  =  natale,  mot  populaire.  Au  refrain,  txetà  mjë,  nous  avons 
affaire  au  mot  français'  noël.     (Note  à'Arch.  III  p.  270). 

^^)  Littéralement:  est  été.  Le  parfait  du  verbe  ctre  se  conjugue 
non  avec  l'auxiHaire  avoir,  mais  avec  être.  Le  parler  populaire  dit  aussi: 
Je  suis  été.     C  est  une  influence  de  l'allemand. 

^^)  Si  bien  les  gros  comme  les  petits,  tournure  allemande  (voir  n°  11, 
str.  2:  si  bien  les  vieux  que  les  jeunes;  cf.  aussi  note  23). 

°*)  La  Jjriqiie'-''  =  un  morceau  quelconque;  même  signification  que 
dans  les  autres  patois  de  la  Suisse  romande.  —  Le  patois  de  Delémont 
dit  hretX'i  (cf.  n°  11,  str.  4). 

^^)  L'adjectif  vëii9  a  la  même  forme  pour  les  deux  genres.  Ex  :  ? 
T'ëyd  pcîpo,  un  vieux  grand-père;    é?id  vëi/d  m?n7,   une  vieille  grand'mère. 

^^)  A  côté  de  pôLTd,  on  a  aussi  la  forme  proclitique  pgr  (Va.)  et 
pûdr  (Aj.).  Ex.:  mo  pgr  àfe,  mon  pauvre  enfant;  me  pçr  hêxatd  =  ma 
pauvre  fille.  Mais  on  dit:  el  Ci  pövrd,  il  est  pauvre.  (Note  d'Arch.  III 
p.  271.)     [Voir  note   129.] 

^^)  Le  Dictionnaire  patois,  de  Guélat  (manuscrit  de  la  Bibliothèque 
de  l'Ecole  Cantonale  de  Porrentruy)  donne  au  mot  djmo  les  deux  sens 
de  genou  et  giron.  Ce  dernier  mot  est  pris  ici  dans  son  sens  primitif: 
pans  de  vêtements  d'où  le  sens  de  tablier,  et  tablier  plein  (note  à'Arch. 
III,  p.  271). 

^®)  Pour  cheminée,  on  emploie  plutôt  tilê  que  txdmdnê.  Ramoneur 
se  dit  plutôt  rêxd-tûë  (Vd.)  ou  rëyj-lïië  (Aj.)  que  rêxd-txdmdnë  (cf.  n**  1, 
str.  11).  ' 

^*)  Du  verbe  txüätrd  =  accorder,  souhaiter.  On  dit  aussi  en  français 
poj)ulaire:  je  le  lui  corde  bien;  ce  mot  se  retrouve  dans  nos  patois  suisses 
romands. 

^^)  Mot  dont  on  ne  connaît  pas  le  sens;  c'est  évidemment  la  cor- 
ruption, par  la  tradition  populaire,  du  vieux  mot  èdo  =  adonc.  donc, 
alors,  qui  existe  encore  dans  nos  patois,  mais  qui  commence  à  se  perdre. 
Ex.:  él  ëiê  èdo  rmër  d'ié  kçmund  =  il  était  alors  le  maire  de  la  commune. 
—  De  nos  jours,  alors  se  dit:  dali. 

^^)  Très  joli  exemple  de  la  façon  dont  le  peuple  altère  parfois  un 
texte  (note  à'Arch.  III  p.  274). 

^^)  dmë,  adv.  =  (en)  au  milieu;  le  mot  ordinaire  est  mita  (cf.  n°  39, 
str.   11). 

*')  PÇ>'  ^^^  ="  par  en  haut;  on  a  encore  aujourd'hui  l'expression  // 
aso  =  là-haut.  Ex.:  vè  vwû  II  dso  m'txara  sgli  =  Va  voir  là  haut  me 
chercher  cela  (note  d'Arch.  III  p.  274). 

''■')  Ce  mot  ///Ö  est  français;  le  latin  locu  a  donné  régulièrement  ifüd 
(cf.  focu  =  fi'iB:  jocu  =  djüd).  Voir  Paniers,  vers  480:  d^  sti)  giïd  dd  dëlg 
=  dans  ce  lieu  de  douleur. 


—     443     — 

®*)  Forme  du  snbj.  présent.     Cf.  l'ancien  frç.  (hiU. 
^''')  Ce  mot  du  patois  ajoulot  n'est  pas  employé  dans  le  vâdais;  le 
mot  habituel  est:  cohortile  =  ty/n'tt  (Del.)  et  tx&txi  (Aj.). 

*")  Les  enfants  mettent  ici  le  nom  de  la  personne  chez  qui  ils 
chantent. 

^^)  Bnld,  subj.  prés.,  n'est  pas  la  forme  habituelle;  on  dit  plutôt 
bnâxd  (cf.  n°  12,  str.  2.    et  n''  14,  str.  4;    puis  n**  16,  str.  4:    hnëXŒXd). 

^^)  Mot  du  patois  ajoulot;  le  vâdais  dit:  txdcrd. 

®*)  Le  latin  inäudi/ia  a  donné:  edfref/.)  (A.joie)  et  èdpif^  (Delémont). 

''")  Diminutif  de  nidiivë  =  levier  de  l)ois,  servant  à  soulever  des 
blocs  ou  des  billes,  des  troncs. 

''^)  Diminutif  de  ëtë  =  le  hêtre,  le  foyard,  appelé  aussi  rfô.  (de 
fagiis)  ou  le  pïdrtxd  {pertica). 

'^)  Le  latin  torca  +  ellii  a  donné  tiréijcë  (Aj.)  et  tOixë  (Vd.). 

'^)  Mot  ajoulot,  le  vâdais  dit  môrsë  (cf.  n°  2,  str.  8,  et  1,  str.  8). 

"*)  Pour  désigner  les  noisettes,  on  a  les  deux  mots:  uujëip  et  nù.ratB. 
diminutif  de  nùxd  =  noix.  —  On  a  le  proverbe:  ànë  d'nojèud.  linë  d'txönd 
=  année  de  noisettes,  année  de  bâtards. 

'''")  En  Ajoie,  on  emploie  le  mot  léf.vB  (allem.  Tanche)  =  la  poche; 
tetxJd  =  littéralement:  une  pochée,  une  poche  pleine.  Le  vâdais  dit:  énd 
bëgàU;  Tasche  +  ata  =  tètxu. 

^^)  Littéralement:  une  hesacée:  eue  bësêfx^  =  une  besace  (Aj.). 

''')  La  ^.gouffe^^  désigne  toujours  l'eau-de-vie. 

''®)  On  sait  pourtant  que  le  5  janvier  est  consacré  à  S'unéon  le 
Sfj/Ufe.  né  en  390  à  Sisan.  en  Syrie;  ce  saint  célèbre  ayant  été  pâtre  dans 
son  enfance,  est  devenu  le  patron  des  bergers  (cf.  Ker/er.  Die  Patronafeii 
der  HeUigen). 

'^^)  Altération  pour  v7t-o  =  vient-on. 

^^)  Dans  Avch.  III  p.  274,  n°  8,  str.  1,  j'ai  la  variante:  .S''(7  bien, 
je  vous  salue.  Tout  ce  chant  est  très  altéré,  et  la  leçon:  s'a  07.  Je  cous 
sUrc.  n'a  pas  plus  de  sens  que  l'autre.  —  sUcè  est  la  l""^  pers.  sing,  du 
prés,  indic,  qui  dans  le  vâdais  se  conjugue:  i  sâvè.  ta  sdv.  f  sâv.  nô 
säva.  vg  sâvë,  é  sâra. 

^^)  Je  dois  ici  corriger  une  erreur  de  ma  première  traduction,  Arch. 
III  p.  274,  n°  8,  str.  2:  ëlodjT)  va  fjéto:  j'ai  écrit  d'abord />f/o  et  traduit: 
a/longez  vos  liàtons.  C'est  inexact;  il  faut  lire  />(7o  =  tresse  de  chanvre; 
7  Iteto  d'txeud  =  trois  poupées  de  chanvre  tressées  ensemble. 

^-)  Le  mot  rëzo  est  français;  le  patois  dit:  rëjo. 

^^)  Le  moip()më{\yQ\.),prnuë{A.i.)  désigne  un  bœuf  pommelé,  rouge-fauve. 

^■*)  rçmë  {rametlu)  =  tacheté,  rayé,  à  ramages  (fém.  r(incld).  Ici 
donc  un  bœuf  tacheté.  —  On  dit  aussi  1  te  rémë  =  une  salamandre  {te  = 
triton,  salamandre  d'eau;  te  rèmë  =  triton  rayé,  salamandre  de  terre). 
—  Le  patois  de  Develier  connaît  une  autre  expression:  ta  rëm  =  à  foison. 
On  dit,  d'une  place  dans  la  forêt,  pleine  de  fraises  ou  de  framboises: 
è  g'àn-e  fÇ  rëm  =  il  y  en  a  à  foison;  std  pyès  ä  tô  rèmë  =  cette  place 
est  toute  tachetée,  bariolée  de  fruits  {rumatu). 


—     444     — 

'^■')  r{)d  =  sillon  (latin  /vV/«). 
86)  ^^tre  =  paille  (sfraïuen). 
^^)  Nom  d'une  métairie  en  dessus  de  Develier. 
s«)  /^sf  =  lait  (hilicelfu). 

^®)  ;y/^7o  =  séraC;  lait  caillé;  c'est  ce  qui  reste  quand  on  a  enlevé 
le  fromage. 

^")  Au  lieu  de  dessus:  très  employé  dans  le  français  populaire  (cf 
n°  24,  str.   1). 

^^)  Ces  trois  mots  ont  été  francisés  d'après  le  patois:  on  dit  djdhïâ 
(gibier),  pddri  (perdrix),  b(;gès3  (bécasse). 

®-)  Prononciation  populaire  de  quand:  quan/e  je  serai,  quan/e  vous 
viendrez,  etc. 

^^)  Var.  :  Que  nous  voyons  dessus  la  sainte  étable. 

®*)  Nous  avons  ici  une  très  intéressante  contamination;  le  chanteur 
a  fondu  en  une  seule  les  deux  leçons  de  n'*  23,  str.  1  :  Que  nous  voyons 
I  si  gracieuse  et  belle       I  ^  ^j^^^^^^  j^^  ^^^-^^^^  j^j^-j^  ç^^  j^^ji^  ^  jj^^,. 
l  dessus  la  samte  etable  I  ^ 

^^)  Naturellement   le  peuple    n'a   pas    compris  ce  mot   d'uvènenunt. 

^^)  Même  altération  que  n°  24.  str.  1. 

^')  Littéralement:  Qu'elle  a  prédit  ce  long  mauf/ej'.  je  mange.  Le 
texte  français:  el/e  a  prédit  selon  mon  jugement,  n'a  pas  été  compris  par 
le  chanteur,  qui  l'a  transformé  à  son  idée.  Quand  j'ai  demandé  à  mon 
sujet:  Qu'est-ce  que  cela  veut  d'ire'?  elle  m'a  répondu:  t!  vç  sëtd  ht!  tye 
dn-o  fe.  é  po  k'é  y'é  prii  ë  medjïd.  s'a  î  lo  medjïd:  e  po  däli.  je  mange! 
=  E/i  !  vous  savez  bien  !  Quand  on  a  faim,  et  puis  qu'il  y  a  beaucoup)  ci 
manger,  c'est  un  Jong  manger^:  et  puis  alors,  je  mange!  —  Et  voilà 
l'explication,  en  tous  cas  beaucoup  moins  abstraite  que  le  texte  français. 

^'')  Traduction:  Dépêchez-vous,  j'ai  grand'  soif,  mes  amis. 

^®)  Traduction:   Qu'une  autre  année  vous  puissiez  nous  en  donner. 

^*"')  Cette  forme,  absolument  inusitée,  doit  être  une  altération  du 
verbe  Idpë  —  laper;  î  Icipû  =  un  lapeur,  un  buveur.  Le  frç.  a  du  reste 
faniper  =  boire  avec  excès;  mais  je  ne  sache  pas  que  le  patois  ait  Idpë. 

"'^)  Dans  le  pluriel  des  verbes  réfléchis,  le  patois  emploie  très  sou- 
vent comme  pronom  régime  le  pronom  s<):  Ex.:  i  nïkùtxd  (=  je  me  couche), 
td  t'h'ûtxd.  ê  s'Jxûtxd.  nç  s'Jiùtxa.  v6  s'iiûtxïd.  ê  s'kulrd.  (Voir  Arch.  Y, 
p.  207,  note  1.) 

'*'-)  Le  latin:  quadragesimum  intrantent  a  donné  kdrimiitrd.  que  le 
vâdais  prononce  presque  toujours  kàrîm(}trd.  ou  même  kârimôtrd  =  Car- 
naval. —  Le  mot  carême  =  kurënid  est  féminin  dans  le  vieux  patois 
Iquadrages'imaj;  à  Courroux  (Val  de  Delémont),  les  vieux  disent  encore: 
n()  so  (ï  lé  lairëmd.  nous  sommes  à  la  carême;  è  no  fa  djudnë  lé  kârëmd 
dtîdrmd  =  il  nous  faut  jeûner  la  carême  entièrement.  —  Le  Dictionnaire 
patois  de  Guttat  donne:  Imrmd,  sans  indication  de  genre  (cf.  Arch.  IX, 
p.  26,  note  168). 

^"'^)  kdklo  =  poêlon  en  terre  de  Bonfol. 

^^*)  Remarquer  l'élision:  m'î  n'ôzd  =  me  î  n'ôzd  (cf.  n"  27,  str.  1). 


—     445     — 

^°''')  Le  participe  érii  est  ajoulot;  Delémont  dit:  f/i/ii  (cf.  n°  28, 
str.  3,  4). 

^"*'')  Le  patois  emploie  encore  /"T"-?.  fém.  fidr  (lat.  féru)  dans  le  sens 
de:  aif/rc.  aride:  f/f  fTà  t.rô  =  des  choux  aigres,  de  la  choucroute;  ici 
fîdr  a  le  sens  de  crael  (cf.  v.  6). 

^^'')  Le  latin  c/  et  fl  &  donné  ,r9  en  vâdais  et  yj  en  ajoulot:  cfavu  = 
œô,  xQ>  clave  =  .vê.  yTr.  flore  =  .ro.  yin :  conflare  =  gd.rê.  f/oyç:  ^miscfu)- 
lare  =  m  eue.  mâxe,  etc. 

^*^**)  Ixeijole  dérive  de  tdeyo  =  caillou.  Ce  passage  est  altéré;  voir 
le  sens  exact  au  n°  32;  on  prie  Dieu  de  préserver  les  hlés  et  les  avoines 
d'être  dttçi/ôlë  d'jïïor.  „encailloutés  de  pierres,"  c'est-à-dire  recouverts  de 
pierres. 

^^^)  Dans  Arclt.  III  p.  276,  note  2,  je  n'ai  pas  pu  donner  une  expli- 
cation satisfaisante  de  ce  freyu  no  txerhonë.  A  ce  moment  (1899),  je 
ne  connaissais  pas  encore  un  mot  du  patois  de  Besançon,  qui  m'a  mis 
sur  la  voie  :  la  kèrhùnUdd  =  grillade  de  porc,  chair  ou  boudin  qu'on  grille. 
Nous  avons  donc  ici  un  ancien  mot  qui  s'est  perdu,  mais  qu'on  retrouve 
dans  ce  mai,  et  dans  les  n°^  32  et  34,  sous  une  forme  altérée.  —  frhßd 
=  fricare. 

^^*')  sohJd  (Vd.),  ?,iiiiJd  (Aj.)  =  signer,  faire  le  signe  de  la  croix.  Sif/uer 
(unterschreiben)  =  sliiç.  —  La  voyelle  est  presque  toujours  nasalisée 
devant  fi.  Ex.:  h^sam  (besogne),  karand  (carogne),  ram  (teigne),  l.vétand 
(châtaigne),  rerga/î)  (vergogne),  rasa  ni  f  (renseigner),  pè/ià  (peigne),  sènid 
(saigner),  etc 

^^^)  C'est  le  mot  ordinaire  pour  omelette:  mijol  ou  mijolatd:  en 
français  populaire,  on  dit  aussi  une  mijenle. 

'^^)  La  forme  de  l'impératif  est  héyJtd-nô,  mais  on  dit  aussi:  l>è(ild-nQ. 
''^)  Altération  pour  s'a  16  me  =  c'est  le  mai. 

^^*)  in  sica.  expression  très  fréquente:  s'a  hl  swa  ^  c'est  bien  facile, 
bien  aisé. 

^^^)  Notre  Ami,  Livre  de  lecture  pour  les  Ecoles  secondaires,  par 
M.  Marchand,  Porrentruy. 

^'^^)  Le  patois  ajoulot  dit:  metn.  le  vâdais:  merll. 

^^^)  Le  verbe  HÛkë  =■  sauter  en  l'air,  danser.  On  a  le  substantif: 
ènd  yükäld  =  une  fille  étourdie,  légère. 

^**)  kodi/dnë  =  littér.  couillonner;  taquiner,  agacer,  chicaner. 

^^^)  Remarquer  le  grand  nombre  de  diminutifs:  hwéxâta.  fëtàtd. 
fi/olâtd.  Ijotn'dydfà.  gçsdtd,  pèsdtd. 

^^°)  C'est  la  forme  de  l'imparf.  du  verbe  lOadra,  part,  passé  löddjil 
ou  twèdjû  (Ajoie)  et  tçdrjû  (Delémont). 

^^^)  En  patois  ena  rëturd  =  un  habit,  un  vêtement;  énd  bel  vêiurd. 
ëm  nov  vët'àrd  =  un  bel  habillement,  un  vêtement  neuf. 

^*^)  C'est  le  mot  français  populaire  pour  désigner  le  chapeau  de 
soie,  le  chapeau  haute  forme. 

^-^)  Le  patois  dd  kd  n'a  pas  le  sens  du  français  dès  que.  mais  il 
signifie:  quand  même,  si  même.     Dans  le  parler  populaire,  tout  le  Jura 


—     446     — 

dit  encore:  Dès  qu'il  durait  un  million,  il  le  dépenserait!  (=  quand  même 
il  aurait .  .  .). 

^'^*)  Littéralement:  ht  (/oiŒseite.  On  devrait  dire //a/Y<7<?.  Dans  .IrrV/. 
V,  n°  102,  str.  4,  nous  avons:  h  monïà  ftrd  so  (lôxu.  -  mt-(;lyjï  lui  donna 
=  Le  meunier  tire  sa  bourse.  —  cent  écus  lui  donna.  On  sait  que  le 
mot  gousset  signifie;  1^  le  creux  de  l'aisselle;  2^  pièce  à  la  partie  de  la 
manche  d'une  chemise  qui  correspond  au  gousset;  3'*  anciennement  petite 
/jourse  que  l'on  portait  d'abord  sous  l'aisselle  et  que  l'on  attacha  ensuite 
au  dedans  de  la  ceinture  de  la  culotte.  —  (Cf.  L'ittré:  gousset.)  C'est 
plutôt  dans  ce  dernier  sens  qu'il  faut  l'entendre  ici. 

^-'^)  Dans  le  Jura,  të  tnndso  se  célèbrent  le  second  dimanche  de 
novembre,  et  sont  une  réjouissance  à  l'occasion  de  la  St-Martin.  C'est 
donc  autre  chose  que  la  hénichon  fribourgeoise,  qui  est  la  fête  patronale 
d'une  localité.  —  Dans  ce  morceau,  je  note  naturellement  le  latin  tel 
qu'on  me  l'a  prononcé 

''-^)  La  mélodie  devrait  commencer  en  pt  majeur  pour  se  terminer 
en  ré  mineur.  Cependant  ma  vieille  m'a  toujours  chanté  le  commence- 
ment en  fa  mineur,  ce  qui,  à  la  5®  et  6^  mesure,  complique  le  passage 
à  ré  mineur:  néanmoins  elle  ne  s'est  jamais  trompée  et  n'a  jamais  fait 
une  note  fausse. 

'-^)  C'est  le  mot  franc.,  dont  l'introduction  est  récente  dans  nos 
patois  et  ne  s'applique  qu'à  quelques  mots  seulement:  xér  émt.  xérpër,  etc. 
Le  latin  caru  donne  régulièrement  txïd,  fem.  txw'.  —  Le  Dictionnaire 
de  Guélat  donne  même  à  txTâ  le  sens  de  cher,  bien  aimé. 

^"^)  Fldnid  est  ici  un  terme  d'église.  Le  Isitinflamma  a  donné  régulière- 
ment xënid  (Vâdais)  et  ;çë/??a  (Ajoie). 

^^^)  Expression  très  intéressante  qui  nous  montre  les  deux  formes 
provenant  de  jmuperu:  pôrrd  (Vd.),  podr  (Aj.),  et  pûdr,  pur  en  proclise. 
[Ci.  note  56.) 

^^^)  Remarquer  l'altération:  lold  (=  long  le)  au  lieu  de  b  lo  (=  le  long). 

^^^)  éhu'àrdjJd  =  littér.  héberger;  ici  accueillir,  inviter.  —  La  fin  de 
cette  strophe  n'est  pas  à  sa  place;  elle  est  la  même  que  str.  5;  mais  le 
pauvre  n'est  pas  encore  èhwdrdjïd. 

^^-)  Remarquer  l'expression  mwe  k3  =  moins  que,  sauf. 

^"^)  Influence  du  mot  patois  ryïi^  =  reluisant,  brillant,  resplendissant; 
(verbe  rgurd  =  reluire);  c'est  d'après  ryùe  qu'on  a  formé  réluant. 

^■^*)  Littéralement:  Là  où  elle  sera-t-g?  =  Où  sera-t-elle? 

^^■')  Le  patois  fo  est  adjectif  et  signifie  profond.  sfCw  â  fod?  = 
Cette  eau  est  profonde.  Le  français  populaire  dit  aussi:  Ce  trou  est  fond, 
cette  eau  est  fonde. 

^^^;  Remarquer  l'altération;  on  veut  justement  dire  le  contraire: 
C'est  indigne  de  son  âme  d'aller  en  paradis;  elle  est  digne  d'aller  en  enfer. 

*^^)  Le  peuple  emploie  quelquefoie  ces  formes:  elle  revienne,  elle 
veuille  fvœgdj  pour  la  3*  pers.  sing,  féminin  =  elle  revient,  elle  veut. 

^^^)  C'est  une  prière    que  Dame  nourrice  adresse  à  la  Ste- Vierge, 

*^^)  Ces  deux  strophes  11  et  12  qui,  au  premier  abord  semblent 
être  interpolées,  appartiennent  pourtant  bien  à  notre  complainte.     C'est 


—     447     — 

la  suite  de  la  prière:  Dame  nourrice  n'a  d'autre  refuge  que  la  Vierge; 
la  terre  est  trop  dure  pour  qu'elle  puisse  s'y  cacher,  les  eaux  trop  hautes 
pour  les  passer  et  s'enfuir. 

"°)  Au  lieu  du  suhjoiicfif:  qu'il  rire  ou  qu'il  meure. 

"')  Ce  mot  dokd  a  ici  deux  syllabes,  pour  la  mélodie. 

^*^)  Ce  couteau-là  est  une  altération  de  coutelas,   que  le  peuple  ne 
connaissait  pas. 

^^^)  J'ai  transcrit  cet  infinitif  adorer  de  cette  façon,  comme  le  pro- 
nonçait la  chanteuse. 


Markellinos'  Pulslehre. 

Ein    griechisches    Anekdoton 

vou 

Hermann  Schöne. 


Unsere  Kenntnis  der  antiken  Pulslehre  beruht  bisher  auf  folgenden 
Schriften  : 

1.  Galen's  Grundriß  ;ieQi  rojv  Gifvyj-iüv  toTç  eioayoiiavoig  (YIII 
453  f.  Kühn). 

2.  Galen  tteq}  ôiafpoQÙQ  acpvyiioji'  (VIII  493  f.). 

3.  Galen  jteqi  ôiayv(j)O£0)Z  ocpvyacbv  (VIII  766 f.). 

4.  Galen  tieqI  tüv  ev  toTz  açvyiioTg  uhUov  (IX   If.). 

5.  Galen  tieqI  TTQoyvtooEojg  oçvyfiojv  (IX  205 f.). 

6.  Galen  ovvoipiç  jieqI  acpvy^iMv  (IX  431  f.). ^) 

7.  Galen  jieqi  xçeiuq  acpvyfiojv  (V  149 f.). 

8.  Dem  sog.  Galen  jieqi  aq)vyfiojv  tiqôç  'Avronnov  (fiÀOfia&fi  y.al 
(pi26ao(pov  (XIX  629  f.). 

9.  Den  pseudogalenischen  öqoi  larQiy.oi  (XIX  404 f.). 

10.  Dem  sog.   Rufus  tieqI  GCfvy/nojv  (Oeuvres  de  Rufus  d'Ephèse 
p.  219f.  Daremberg-Ruelle). 

11.  Pseudo-Soranus  de  pulsibus  und  peri  sfigmon  (Anecd.  gr.-lat. 
II  263 f.  und  275 f.  Rose). 

Ihnen  reiht  sich  die  bisher  ungedruckte  Schrift  des  Markellinos  an. 
die  auf  den  folgenden  Blättern  mitgeteilt  werden  soll.  Sie  bietet  eine 
Anzahl  wertvoller  Nachrichten,  die  bisher  aus  anderen  Quellen  nicht  be- 
kannt gewesen  sind,  und  verdient  daher  publiziert  zu  werden.  Auch  die 
zahlreichen  anonymen  Traktate  jteqI  agyvyficov,  die  sich  bei  der  Aufnahme 
der  antiken  Medizinerhandschriften  durch  die  Berliner  Akademie  gefunden 
haben,  enthalten  vielleicht  wertvolles  Material,  doch  liegen  Abschriften 
derselben  noch  nicht  vor. 


1)  Über  diesen  Traktat  handelt  Job.  Gossen,  De  Galeni  libro  qui  avvoxpcç  ntçl 
oq>vy{*üv  inscribitur.  Diss.  Berlin  1907.  Im  Übrigen  vgl.  Daremberg.  Recherches  sur 
la  sphygmologie  antique  (Rufus  p.  614 f.);  M.  AVellmann,  Die  pneumatische  Schule  bis 
auf  Arcbigenes  (Philolog.  Unters.  XIV)  S.  170 f. 


—     449     — 

Ein  Arzt  des  Namens  Muqxe/jJvoç  ist  meines  Wissens  aus  anderen 
Quellen  bisher  nicht  bekannt.-)  Warum  ein  medizinisclier  Schriftsteller 
der  Kaiserzeit,  der  den  Pneumatiiver  Archigenes  und  dessen  Anhänger 
zitiert,  also  frühestens  im  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  gelebt  hat,  diesen  Namen 
nicht  geführt  haben  könnte,  ist  nicht  abzusehn.  Trotzdem  ist  dem  Ver- 
fasser der  vorliegenden  Schrift  das  Mißgeschick  zugestoßen,  daß  sein 
Name,  noch  ehe  die  Abhandlung  gedruckt  war,  von  zwei  verschiedenen 
Gelehrten  durch  Konjektur  geändert  worden  ist.  Weigel  zitiert  ihn  als 
Marcellus/'j  und  Skevos  Zervos,  der  die  Schrift  ebenso  wie  Weigel  in 
einem  der  zwei  Wiener  Codices  gelesen  und  gelegenthch  erwähnt  hat, 
identifiziert  den  Verfasser  ohne  weiteres  mit  Marcellus  aus  Side.^)  Selbst 
wenn  es  feststände  —  was  nicht  der  Fall  ist  — ,  daß  dieser  Arzt  Mar- 
cellus aus  Side  eine  prosaische  Schrift  rrtç/  açvy^uojv  verfaßt  hätte, 
würde  ich  es  nicht  für  gerechtfertigt  halten,  der  Identifizierung  zuliebe 
in  unserer  Schrift  den  durch  die  besten  Hs.")  gebotenen  Autornamen 
Markellinos  zu  ändern  oder  auch  nur  zu  verdächtigen.  Tatsächlich  wissen 
wir  aber  nur  von  medizinischen  Gedichten  des  Marcellus  aus  Side.*^)  Darum 
wird  man  gut  tun,  auf  jede  Änderung  zu  verzichten  und  einen  neuen, 
uns  bisher  unbekannten  Arzt  MccQxeßJjpog  anzuerkennen. 

Eine  andere  Frage  ist,  ob  sich  nicht  vielleicht  an  anderer  Stelle 
eben  dieser  Name  bisher  unter  einer  leichten  Korruptel  verbirgt. 

Im  Codex  gr.  Bononiensis  bibl.  univ.  .3632  (s.  XV)  sind  nämlich 
zwei  Serien  von  Arzteporträts  mit  griechischen  Namensbeischriften  er- 
halten, über  die  Olivieri  in  seinem  Katalog  der  griechischen  Handschriften 
in  Bologna  berichtet.")  In  der  ersten  Reihe  erscheinen  neben  Ascle- 
piades,  Soranos,  Archigenes,  Rufus  und  zahlreichen  anderen  Namen  auch 
fir^vàç  Ô  x^'QovQyog  f^3Ii]väg  ô  /eiQovQyôg)  /  fiäyvog  (MäyvogJ  /  fiaçxe- 
2,f]voç  /  ôioaxoQ7]ôi]g  fAiooxoQÎôijgJ ;  an  anderer  Stelle  (f.  213)  ô  fiayvoç 
aci)q)i]GT^ç  fö  Mdyvog  aog)i(JTJ]QJ  /  ô  iiaQ'AE?^i]voQ.  In  beiden  Fällen 
liegt  es  nahe,  Maçy.EÀZîpog  herzustellen  und  diesen  Arzt  mit  dem  Ver- 


-)  Vgl.  J.  A.  Fabricius,  Elenctius  medicorura  veterum  (ßibl.  gr.  XIII,  Harabiirgi 
1726);  C.  Gr.  Kühn,  Additamenta  ad  el.  med.  vet.  a  Jo.  A.  Fabricio  . .  exhibitum  (.SO 
Univ.-Programme,  Lipsiee  1826^1837). 

^)  Thesaurus  Dindorfiorum  s.  v.  ôe^tojaig:  „Marcellus  De  pulsibus  Cod.  Vindob. 
c.  1:  'H  Ô.  tov  vooovvTog'^  AVeigel.  Ohue  Zweifel  sind  Markellinos'  Worte:  tov  vo- 
oovvTog  i)  öe^i'ojaig  (unten  c.  I  Z.  29)  geraeint. 

■1)  Skevos  Zervos,  Ein  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Sphygmologie.  Wiener  kli- 
tiscbe  Rundschau,  herausg.  von  Obermaier  und  Kunn  XVI  (  1902l  Xr.  29  S.  581-583. 

5)  Man  vergleiche  hierzu  die  adu.  crit.  zur  Überschrift  und  zur  Subscription 
des  Textes. 

''i  Marcelli  Sidette  medici  fragmenta  recogn.  M.  Schneider.  Commentât  Rib- 
beckianas  (Lips.  I8881  S.  115—1.31. 

")  Olivieri.  Studi  ital.  di  filologia  classica  III  il895)  S.  453 f. 

29 


—     450     — 

fasser  der  Schrift  >t£(»î  o(ft'yfià)v  zu  identiüziereu.  Ob  in  dem  Bilde 
selbst  ein  brauchbarer  Rest  antiker  Tradition  bewahrt  ist  oder  nicht, 
ließe  sich  nur  angesichts  der  Bologneser  Handschrift  entscheiden. 

Das  Bild  des  MarkeUinos,  das  man  aus  der  einzigen  erhaltenen 
Schrift  gewinnt,  gestattet,  soviel  ich  sehe,  keine  sichere  Datierung.  Die 
gespreizte  Stilisierung  der  Einleitung  und  des  Schlußabschnitts  legen  zu- 
nächst den  Gedanken  an  einen  Jatrosophisten ®)  nahe;  aber  da  er  sich 
auf  der  anderen  Seite  auf  zahlreiche  Fälle  aus  seiner  eigenen  Praxis 
beruft,'^)  so  ist  er  doch  wohl  ein  Arzt  von  Beruf  gewesen.  Er  trägt, 
wie  billig,  eine  große  Verehrung  für  Hippokrates  zur  Schau,  zitiert  viel- 
fach die  Herophileer,  einmal  auch  Asklepiades,  schließt  sich  einmal  mit 
ausdrücklichen  Worten  dem  Archigenes  und  seinen  Anhängern  au  und 
beruft  sich  zum  Schluß  auf  ein  Diktum  des  Erasistratus.  Ein  starker 
Widerwille  gegen  die  empirischen  Arzte  macht  sich  gelegentlich  in  kräftigen 
Worten  Luft.  Also  ein  Eklektiker  dogmatischer  Richtung,  der  in  seiner 
Doktrin  anscheinend  hauptsächlich  pneumatischen  Ärzten  folgt  und  auch 
das  ältere  historische  Material  vielleicht  zum  Teil  pneumatischer  Ver- 
mittelung  verdankt.  Galen  ist  in  der  Schrift  weder  mit  Xamen  genannt 
noch,  wie  es  scheint,  benutzt;  daraus  läßt  sich  jedoch  nicht  von  vorn- 
herein mit  Sicherheit  schließen,  daß  MarkeUinos  vor  Galen  gelebt  haben 
müsse.  Die  Sprache  und  die  ganze  Behandlung  des  Gegenstandes  weist 
den  Traktat  wohl  eher  in  eine  spätere  Zeit,  in  der  die  großen  medi- 
zinischen Schulen  der  Kaiserzeit  nicht  mehr  fortbestanden. 

Erhalten  ist  die  Schrift  in  4  Handschriften: 

1.  Vindobonensis  medicus  grsecus  16  (s.  XIV)  f.  3 19  ff.  (kopiert 
von  S.  Mekler). 

2.  Parisinus  grœcus  2332  (s.  XV)  f.  149 ff.'«)  (verglichen  von  H. 
Rabe). 

3.  Vindob.    med.    gr.    15    (s.   XV)    f.    101  ff\    (verghchen    von    S. 
Mekler). 

4.  Bononiensis   gr.  bibl.  univ.  3632   (s.  XV)    f.  65 ff,,    von    dem 
ich  keine  Kollation  besitze.-'^) 


^)  Von  einem  Jatrosophisten  ist  wohl  die  pseudogalenische  éTitôei^iç  verfaßt,  die 
den  Titel  el  ^i]>ov  to  y.aTÙ  yaoTQoc  führt  (XIX  158 f.  Kühn). 

9)  Vgl.  c.  XXXI  Z.  429. 

!<•)  H.  Omont  im  Inventaire  sommaire  hat  den  Autornamen  MarkeUinos  Ijei  der 
Aufnahme  der  Hs.  übersehen;  auch  Costomiris  (Etudes  sur  les  écrits  inédits  des  anciens 
médecins  Grecs:  Revue  des  études  Grecques  II.  JII.  IV.  V.  X.),  der  die  griechischen 
Medizinerhandschriften  in  Paris  von  neuem  untersucht  hat  (11  343),  ist  nicht  darauf 
aufmerksam  geworden. 

11)  Vgl.  H.  Diels,  die  Handschriften  der  antiken  Ärzte.  Griechische  Abteilung 
(Abh.  der  Berliner  Ak.  li)05  u.  1906)  II  S.  (ÎO. 


—     451      — 

Vindob.  16  bietet  allein  die  vollständige  Faüsunw  des  Traktats; 
Paris.  2832  und  Vindob.  15,  die  unter  sich  nahe  verwandt  sind,  geben 
einen  stark  gekürzten  Text.  Das  Verhältnis,  in  dem  diese  beiden  Hand- 
schriften zu  einander  stehen,  läßt  sich  bestimmt  bezeichnen. 

Im  Großen  und  Ganzen  bieten  sie  einen  übereinstimmenden  Text 
der  Epitome  und  weichen  in  den  dieser  abgekürzten  Fassung  eigentüm- 
lichen Lesarten  meist  gemeinsam  vom  Vind.   16  ab. 

Vind.  15  enthält  nirgends  Worte,  Satzglieder  oder  Sätze,  die  im 
Paris.  2332  etwa  fehlten. 

Dagegen   bietet    Paris.  2332  mehrfach   Worte  und  Satzglieder,  die 
durch  Vind.  16  als  echt  erwiesen  werden,  im  Vind.  15  al)er  durch  Ver- 
sehen ausgelassen  sind.     So  z.  B. 
Z.  87 — 88   Tov  aibiiaiog 
109  Ô 

187  xii'i'iosiç  —  188   ià)v 
193  ÜGTiEQ  yÙQ  —   194  äcaicog 
378  Tf]v  vor  avßfieiQiav 
460  èaiiv 

466  y.ciTÙ  —  467  tiqogtieoovou 
Mithin  kann  Paris.   2332  nicht  aus  dem  Vindob.  15  abgeschrieben  sein. 
Dagegen  wird  die  entgegengesetzte  Annahme,  nämlich  daß  Vind.  15 
aus  Paris.  2332  stamme,  durch  mehrere  Gründe  empfohlen: 

155  ÔEI  Paris.  ,,was  aber  leicht  in  y  ei  verlesen  werden  konnte" 
(Rabe);  -/ei  Vind.   15. 

ISl   OUI'  /.ÉyouEv  Paris.-,  ovi'  /.öyov  EiraiiEi'  Vind.   15. 
490  y.iviifiaiog  Paris,  (das  i  steht  nahe  am  y.  und  etv\-a5  tiefer, 
so  daß  die  beiden  Buchstaben  leicht  für  das  Compendium  von  y.al 
gehalten  werden  konnten);  y.aiPt]uazog  Vind.  15. 

493  EÇEiaiv  Pa.ris.  („aber  eq-  sieht  fast  wie  ovq-  aus''  Rabe); 
ocQEiair  Vind.    15. 

498  ÖQÜod-cu  ursprünglich  Paris.,  „dann  ist  von  derselben 
Hand  ad-  durch  Kreuz-  und  Querstriche  getilgt,  so  daß  es  jetzt 
einem  (f  ähnlich  sieht,  und  lat  darüber  geschrieben"  Rabe;  Eßu- 
(paiiai  Vind.   15. 

Durch  die  Annahme,  daß  Vind.  15  aus  Paris.  2332  geflossen  sei, 
wird  in  allen  diesen  Fällen  die  Entstehung  der  im  Vind.  15  vorliegenden, 
jedesmal  verderbten  Lesart  zureichend  und  auf  eine  unmittelbar  ein- 
leuchtende Art  aufgeklärt.  Somit  scheidet  der  Vind.  15  als  unselbständige 
Textquelle  aus  der  Betrachtung  aus. 

Was  endlich  den  Bononiensis  3632  betriftt,  so  beginnt  darin  nach 
Olivieri's   Angabe'^)   die  Schrift   mit  den  Worten   —(fvyuô)v   x^i[yEiv   y.al 

^2)  Stud.  ital.  III  (18VJÔI  S.  445. 


—     452     — 

nsQÏ  ofpijyiioji'  uou  x(j)j  fiud-i'iv  (unten  Z.  2)  und  schließt  xiiv  èjiinZoyJjv 
f'xoiv  (unten  Z.  485j.  Der  Text  reicht  von  fol.  ßö"" — e?"",  hat  also  einen 
auffallend  geringen  Umfang.  Zu  Anfang  stehen  Worte,  die  in  der  Pariser 
Epitonie  fehlen;  am  Schluß  fehlt  eine  Partie,  die  nicht  nur  im  Vind.  16, 
sondern  auch  in  der  Pariser  Epitome  erhalten  ist.  Somit  kann  diese  am 
stärksten  gekürzte  Fassung  nicht  aus  der  Pariser  Handschrift  abgeleitet 
sein.  Die  aus  dem  Anfang  angeführten  Worte  gestatten  den  Schluß,  daß 
der  Text  in  dieser  Handschrift  sehr  verwahrlost  ist. 


Die  Nachricht,  daß  Herophilos  sich  einer  AVasseruhr  bedient  hat, 
um  die  Pulsfrequenz  zu  messen  und  Fiebererscheinungen  zu  konstatieren, 
ist  sehr  merkwürdig  und  verdient  genauere  Erwägung;  soweit  meine 
Kenntnis  reicht,  ist  sie  anderwärts  nicht  überliefert. 

„Herophilos  setzte,  wie  berichtet  wird,  auf  die  Pulsfrequenz  als 
ein  sicheres  Symptom  so  großes  Vertrauen,  daß  er  eine  Wasseruhr  her- 
stellte, deren  Kapazität  der  festgestellten  Anzahl  der  normalen  Puls- 
schläge einer  jeden  Altersstufe  entsprach.  Beim  Krankenbesuch  pflegte 
er  die  Wasseruhr  aufzustellen  und  dem  Fiebernden  den  Puls  zu  fühlen; 
je  mehr  Pulsschläge  dann  über  die  Normalzahl  hinaus  bis  zur  voll- 
ständigen Füllung  der  Wasseruhr  vorübergingen,  um  so  viel  mehr  war 
nach  seiner  Erklärung  der  Puls  beschleunigt,  d,  h.  stärkeres  oder 
schwächeres  Fieber  vorhanden."    So  lautet  der  Bericht  des  Markellinos.'^) 

Herophilos  unterschied  in  seiner  Theorie  über  die  Rhythmen  des 
Pulses  wahrscheinHch  4  Altersstufen.'*)  An  diese  wird  man  daher  auch 
im  vorliegenden  Fall  zu  denken  haben.  Und  da  bei  Markellinos  nur 
von  einer  Wasseruhr  die  E,ede  ist,  die  aber  doch  zu  Beobachtungen  an 
Patienten  verschiedenen  Alters  und  verschiedener  Normalfrequenz  des 
Pulses  gedient  haben  soll,  so  muß  das  Instrument  regulierbar  gewiesen  sein. 

Bei  der  Wasseruhr  dient  zur  Messung  einer  bestimmten  Zeitfrist 
das  Wasserquantum,  das  während  dieses  Zeitraums  aus  einem  Gefäß  in 
ein  anderes,  tiefer  stehendes  abfließt;  der  Ablauf  der  Frist  kann  ent- 
weder an  dem  sich  entleerenden  oder  an  dem  sich  füllenden  Gefäß  beob- 
achtet werden.  Bei  der  Klepsydra  des  Herophilos  wurde  der  x\ugenblick 
konstatiert,  in  dem  sich  das  untere  Gefäß  vollständig  gefüllt  hatte  {eig 
xrv  hi/ùrçLooiv  xf^g  ylexlrvdqag).  Mithin  kann  die  Messung  von  mindestens 
4  verschiedenen  Zeitfristen,  auf  die  das  Instrument  eingerichtet  gewesen 
sein  muß,  nur  durch  eine  jedesmal  dem  Zweck  entsprechende  Veränderung 
der  Kapazität  des  unteren  Gefäßes  ermöglicht  worden  sein. 


13)  Z.  260 ff. 

")  M.  Wellmann,  die  pneumatische  Schule  bis  auf  Archigenes  S.  192.  Aller- 
dings ist  ein  direktes  und  ganz  einwandfreies  Zeugnis  hierfür  nicht  vorhanden  und  es 
ist  denkbar,  daß  Herophilos  7  ii^uy.îai  geschieden  hat. 


—     453     — 

Eine  solche,  nach  Bedürfnis  regulierbare  Wasseruhr  empfiehlt 
Aeueas  in  der  Schrift  über  Städteverteidigung  für  den  mihlärischen 
Gebrauch,  um  bei  Nacht  je  nach  der  Jahreszeit  die  Wachtfristen,  deren 
Anzahl  feststand,'^)  länger  oder  kürzer  zu  bestimmen.  Er  sagt:'")  ov 
ô''av  tqÔtcov  Ïocoç  /mI  xoivcug  [.lay.QoriQi'Jv  r^  ßQay^vTtqiov  KriDv  Kirchhoff^ 
vv/.Tiav  yi<y>vof.iévtov  xaï  jcàaiv^'^)  ai  (pv'/M/.al  yiyvoivvo,  jcqoç  xAeifJÛôçav 
Xçi]  cpv'/.c'coaeiv.  TavTr]v  ôe  ovfißdk'/Leiv  ôiaôoyî;  tneçlôog,  (.lùlXov  ôt  uvTTg 
y.s/.rjQwGd^at  rà  ïowdsv,  /.cà  iia-Açoréçcov  ah  yi<y>vOf.iévwv  riov  vv/.tiùv 
arpctiQùod^ctL  TOC  y.i]QOv,  'îva  7t/.éov  ïôiOQ  xojofj,  ßgaxuTeQwv  dl  7CQoa7tkâootoi)-aL 
{rcçorceUiOOeod^ca  M),  'lvci  ï/.aooov  ôéyr^xai. 

Augenscheinlich  werden  hier  zwei  verschiedene  Lösungen  des  tech- 
nischen Problems  aufgeführt.  Die  verderbten  Worte  {zavTrjv  oh  at\ußa'/.k€tv 
—  uegiöog)  sind  der  Überrest  der  ersten  xA.lternative,  deren  Herstellung 
bisher  nicht  gelungen  ist.^"*)    Mit  iià'/j.ov  ôè  wird  eine  zweite,  enipfehlens- 


15)  Vgl.  Rhesos  5  mit  den  Scholieii  und  Vater's  Belegen. 

Iß)  Comment,  poliorcet.  c.  "22,  24  f.  Ich  gebe  die  Lesarten  des  ]M(ediceus  = 
Laur.  gr.  LV  4)  nach  Photographieea,  die  mein  Vater  besitzt. 

1")  y.al  näaiv]  â.iaatv  die  Herausgeber  seit  Casaubonus.  Aber  wenn  mich  meine 
Sprachempfindung  nicht  täuscht,  so  steht  der  Dativ  vor  al  (pvÀay.ai  nicht  an  der 
richtigen  Stelle.  Aeneas  schrieb  vermutlich  loco^  y.al  Tcärjiv  y.oivwç;  tiùgiv  wurde  aus- 
gelassen und  dauQ  am  Rande  y.al  tiùoiv  nachgetragen,  und  dieses  geriet  an  falscher 
Stelle  in  den  Text. 

1^)  Tavtr^v  de  fteraßdÄAeiv  ôià  ôéy'  i)fi£Qojp  Hercher  (im  Nachtrag  zur  gr.  und 
im  Text  der  kl.  Ausg.);  widerlegt  von  Hilfinger,  Zeitmesser  d.  ant.  Völker  S.  8  Anm. 
—  tavvrjV  ôe  avußtcAÄecv  ôiaàoyf^  <;«iàj>  fieçîôog  Hug  Proleg  (Progr.  Zürich  1874) 
S.  41.  —  So,  oder  ravti]  6.  a.  ôiaSo/i^v  <<«tàj>>  ueQtôog  Hug  in  d.  Ausg.;  dagegen 
Hertlein  Jen.  Lit.  Ztg.  1874  Sp.  797.  —  ravitjv  ôe  Sxjze  av^ißdÄÄeiv  uùÀJ.ov  ôiafpo- 
çaïç  ijueçiuv  (an  forte  ijiieQivalg  in  ^ueçiôog  laiet?)  aiTfjç  y.ey.rjQôJa&at  zà  eaad-ev  A.  C. 
Lange  de  Aen.  comm.  pol.  S.  196 f.  — -  zavvrjv  ôè  avfißdÄAeiv  ôiaôoyf^  <i^HÇ  ^9P^>««^- 
qCôoç  Schenkl  Burs.  Jahresber.  1884  Abt.  I  S.  165.  —  zavzrjg  ôè  irvußdAÄetv  eig  ôia- 
ôoxt]v  zàg  fteQÎôag  Kœchly,  Gr.  Kriegsschrittsteller  I  8Ü  mit  der  Übersetzung:  „Die 
Einteilung  der  Wasseruhr  bestimmt  man  ungefähr  für  die  Ablösungen-*  und  folgender 
Erläuterung  S.  170:  -Die  Klepsydren  .  .  .  waren  Hohlkugeln,  oben  mit  einer  größeren 
runden  halsartigen  Öffnung  — ■  avP.ög  —  zum  Einfüllen,  unten  mit  einer  Anzahl  kleinerer 
Löcher  —  zQV7it)uaza  —  versehen,  welche  wie  bei  einem  Durchschlag  zusammenstanden 
und  daher  geradezu  auch  /;i9-Md3  genannt  werden.  Durch  letztere  floß  das  Wasser  lang- 
sam in  ein  darunter  stehendes  Gefäß  ab:  s.  Aristot'.  problem.  XVI  8.  .le  nachdem 
man  nun,  wie  Aeneas  vorschreibt,  eines  oder  mehrere  dieser  Löcher  mit  Wachs  ver- 
klebte, konnte  man  das  Wasser  mit  größerer  Langsamkeit  abfließen  lassen."  Diese 
Auffassung  ist  mit  den  Worten  des  Aeneas  und  auch  mit  Kœchly's  eigener  Übersetzung 
derselben  nicht  vereinbar:  „besser  ist  es,  sie  inneii  mit  Wachs  auszuschmieren,  und  wenn 
die  Nächte  länger  werden,  immer  etwas  von  dem  Wachs  wegzunehmen,  damit  sie  mehr 
Wasser  fasse,  werden  sie  kürzer,  Wachs  einzukleben,  damit  sie  iceniger  auf  nehme' .  Die 
Löcher  eines  Instruments  von  der  Form  einer  Gießkannenbrause  wird  niemand  von 
innen  mit  Wachs  verstopfen  wollen.  Die  y.XexpvÔQa  des  Anaxagoras  (Diels'  Fr.  d.  Vorso- 
kratiker  2  S.  .808,   2.Sff.)    und  Empedokles   iS.  200,  22 ff.)   hat   vielleicht   gar   nicht  als 


—     454     — 

wertere  Methode  eingeleitet:  die  Veränderung  der  Kapazität  wird  diircli 
Einbringen  oder  Wegnehmen  von  Wachs  im  Inneren  bewirkt;  ob  es  sich 
dabei  um  das  Gefäß,  das  gefüllt  oder  das  geleert  wird,  handelt,  gestattet 
der  AV ortlaut  der  Stelle  des  Aeneas  nicht  zu  entscheiden. 

Ahnlich  mag  die  Klepsydra  des  Herophilos  eingerichtet  gewesen 
sein.  Sein  Versuch,  zu  exakten  Beobachtungen  zu  gelangen,  ist  ein  be- 
deutsamer Fortschritt  der  wissenschaftlichen  Methode;  nicht  weniger 
bedeutsam  aber  ist  die  Tatsache,  daß  sein  Verfahren  sich  im  Altertum 
nicht  durchgesetzt  hat,  sondern  wieder  in  Vergessenheit  geraten  ist. 


Im  kritischen  Apparat  bezeichnet 

V  den  Vmdob.  med.  gr.  16  s.  XIV. 
P  den  Paris,  gr.  2332  s.  XV. 

<  >  bezeichnet  zugesetzte,  [  ]  getilgte  Buchstaben  und  Worte. 
Die  Überschriften  fTiçoyçâfi/iata)  der  einzelneu  Kapitel  (Àôyoi) 
stammen  vom  Verfasser  des  Traktats  und  sind  nicht  etwa  spätere  Zu- 
sätze (vgl.  Z.  282.  309  ff.).  Solche  Jicoyccifißara  sind  uns  z.  B.  auch 
für  Archigenes'  Buch  ITeqI  acfvyfiojv  durch  Galen  (VIII  627  f.  Kühn) 
bezeugt. 

S.  Mekler    und   H.  Habe    bin    ich    für    ihre    liebenswürdige  Unter- 
stützung zu  großem  Danke  verpflichtet. 


Zeitmesser  gedient.  Simplieius  iu  Aristot.  de  cselo  comra.  S.  524,  19 f.  Heiberg:  y.Äe- 
ipvÔQa  ôé  éaziv  àyyeîop  atevooTOiiov  TiXatvTéQav  êyov  ßduiv  fii'/.Qaîg  ÔTialg  y.aTazeTQi]- 
uÉvov  (—  ftévTjvP],  ô  vvv  i)ÔQaQnaya  y.aXovai.  Der  Xame  hôçdQna^  legt  m.  E.  die 
Vermutung  nahe,  daß  dieses  Instrument,  ähnlich  wie  der  atcfcov,  zur  Entnahme  von 
Wasser  gebraucht  worden  ist,  das  man  dann  fein  verteilt  abrieseln  ließ;  im  praktischen 
Leben  kann  es  zu  sehr  vielen  verschiedenen  Zwecken  gedient  haben.  Damit  dürften 
identisch  sein  zu  Asyö/iteva  aQjidyia  àyyeîa  mit  mehreren  Löchern  im  Boden  ([Alexandri 
Aphrod.]  Probl.  T  95  Phys.  et  med.  gr.  min.  I  p.  32  Ideler);  vgl.  Joannes  Philoponus 
in  Arist.  Phys.  p.  .069,  22:  573,  15:  608,  17  Vitelli.  —  Ähnlich  urteilte  schon  Büfinger, 
Zeitmesser  S.  7.  Anm.  über  Arist.  probl.  XVI  8.  —  Die  als  Zeitmesser  verwendeten 
Klepsydren  hatten  wahrscheinlich  in  der  Regel  nur  eine  Ausflußöftnung;  vgl.  das  Frag- 
ment des  Heron  aus  der  Schrift  tisqI  vôqIù}v  toQocfy.oTieiojv  (Opera  t.  I  p.  454  Schmidt]  : 
y.azaay.evd^eTui  .  .  äyyelov  zt,  k'yov  ÔTirjV  ôjç  uv  y.Âeipiàça.  Sellistverständlich  konnte 
man  aber  auch  eine  nur  als  "Wasserschöpfer  dienende  y.ÀerpvÔQa,  wenn  die  Flüssigkeit 
daraus  ganz  laugsam  abfließen  sollte,  nur  mit  einer  einzigen  Ausflußöffnung  versehen. 
Eine  solche  verwendet  Heron  Pneumat.  II  27  (t.  I  p.  284,  14 ff.  Schmidt),  wo  Schmidt's 
Übersetzung  („AVasseruhr")  dem  modernen  Leser  zunächst  eine  unzutreffende  Vorstellung 
erwecken  muß. 


MAPKEAAINOY  HEPI  20YrMDN. 

I.  2(pvy(.iov  d-<iy>EÏv  y.ccï  :t£oI  acfi'yucov  oaa  xçij  fiad^eîv  Tiävv  noÀZù 

ôiEV)]vox£'    ro  fièv  yàç  ovx  oîô'  et  rig   tùv  iôionojv  ov'/.   hô?.- 

fi7]a£v   Tj  Tov  laTQog  /}  tov  (pt/Jcnçog  eïi'ai  ôôzav  àyanoiV    y.ai 

5 x^Àen^ov  ovôiv  eivai  ôoy.eh  Trùaiv  è'geoTi.  tijv  ôè  negi  ocpvyi.i(bv 

ar]ߣiojGiv  ôià  ttjp  X^'-QoÇ  èfiTisiçiav  y.cù  ôici  yvojß7]c  d^eojQiav  —  dxvoj 
Xéysiv  —  fj  ojiavicoç,  yé  tiç  T]  ovôsîç  ô  /nad^ojp  te  y.ui  fiEAETijaaQ  EVQÉd-i]- 
rfl  TE  yàç  ôià  tùv  ôaxTvZcov  àcpfi  JioÀÀqj  Jiàvv  XQÔvo)  ôeÎ  ôovÀeveiv 
TOV    Àoyia/iiôv,    avTi]v    ôè    Tijv    aïad^r^oiv    àvdnaXiv   Tayd^ijVai    Jiaçà   t/] 

10  yi'ùuï]  y.ai  (pojg  èy.EÏd^Ev  Aaßovaav  jiaiÔEVi^r^vcu  to  jtid&rifia.  y.ai  eti  yÙQ 
ovvoÔEVGUi  ÔEÎ  TiQÖg  TUVTCc  axQißÜQ  aïod-rjoh'  TE  y.cù  vovv  ôib  y.ai  tov 
'EQvd'Q<aî>ov  EJifivEoa  d-avfiäaavTa,  nùg  é'vioi  jIqotietéoteqov  tôjv  'Hqo- 
g)iÀEiù)v  axQißsiac  tù  Jiqona  êôoaav  Ttj  TiEçi  Exy.QÎaEOJV  jiQayfiaTEÎçf  y.a- 
ToèÔEv  yÛQ  q)i]oiv  dyyjvoiag  eàûttovoç  ÔEÎa&ai  Ti^v  nEçi  acfvyßojv  e/uttei- 

15  Qiav.  TOV  ÔÈ  TaçavTÎvov  'Hçay.ZEiôijv  y.ai  0ûîvov  Tovg  èfiJiEiçty.ovç 
ccxQf]OTov  ÀéyovTaç  tijv  jiEçi  oçvy/iiojv  at]ߣiojaiv  tîç  ovx.  àv  ôixaicoç 
ftEfii]V£vai  ôô^EiE  Toi'ç.  El  g  at]fiEicüatv  TOvg  laTçiy.ovg  èy.xôJiTOVTag  o(p^a?.- 
ßovg;  y.ai  tù  fiÈv  tov  oéuaTog  öuiiutu  fiôvov  ïaaui  to  ttuçôv,  XQÔvog 
TE  yàq  avTOtg  y.ai  TÔîiog  y.ai  axÔTog  Eig  yvàjaiv  Jio/.éiiita'   d-igig  ôÈ  ozvo)- 

20  JiEOTÉQa  h]TQOv  xai  TÖ  xEXQv/i/iÉvov  èd-EdaaTO  xai  to  ^ie'/./.ov  no/./.dxig 
EfiavTEvaaTO.  tovto  fiÈv  ovv  ovô'  oî  AvyxÉoyg  i]ôvvi]^}]oav  eI'çeIv  ô- 
(f&a/./iioi.  t/ç  ô'  àv  xai  ^ETajiEiaEiEv  adTOvg  Àôyog  Tovg  vn'  avTMv  tmv 
jiçayfidTCuv  /li]  ôvoojJiovtnÉvovg;  dvayxaia  yÙQ  xai  i)  ôt'  ovQOiv  te  xai 
oxvßdAcuv  xai    Iôqojtmv   y.ai    tmv  cUÀojv  èxxQiaEOV  èmçaivofiÉvcov  èni- 

25  axExpig,   à?J.'  ov  ôir^vExtjg   ovôe  dyâiçiaTog,  xai  dn:07T£^iJiEi   tov   texvItijv 

12  Heraclidem  Erythrêeum.  Herophili  sectatorem.  dicit. 

19  S-iiis  6-vœ:TeaTéQa  ir^rçov  verba  ex  deperdito  aliquo  libro  Hippocrateo  desumpta 
esse  videntur;  potest,  ut  in  opère  Tieçl  ßeAojv  è-aïQsaioç    composite   locura    habuerint. 

1    ,Ma()x'7  TtEQl    acpvuy    -\-    V    év   tô)     tov    fiaçxeÀÀîvov   neQÏ    acpvyuwv    P 

2  2(fvy^iov  —  5  ë^eoTi  om.  P  2^..£ivY  atpvyuwv  &t"yeiv  cod.  Bononiensis.  S  post 
rtç  intercapedo  septem  litteramm  capaxA';  fort.  sl<Tp>Tls<ît  oùôeîçy.  4  ayayojv  \ 

4  post  y.ai  intercapedo  quindecim  litteraruni  V  5  t^v  ôè  TieQi  G(pvuÔjv  P  7  fii, 

CT.TßWfJc  V  l'  10  y.ai  en.   —    19  7T0?.éiiia  om.  P  lo  ttsqI  arfvy/nwv  noayfiaTela  V 

14  (faoïv  V  17  f.  Tr^:  lazQi/.i'ç  19  axo.TÔç  si:  V  19  »><'|tj|  t|  in  r:is.  W 

&>]iiç  V  à^voTTEGTÉQa  \  \    (O  \u  Ut.  P     21    oî'v  ov!)'  V     l'2  r/V  —  •'■•  /'.£(^ei  om    P 


30 


—     456     — 

jioÀ^MXiç   [iiqôlv  èyrojy.ôta-   //  ôè  èm    ii]v   x^^Q^    ^^^   y.d^ivovioç,   t'y.ruaiç 
jiQÙTOv    iiEv    ^aôia    y.al    ôiijvexfiç,    £djiQ£m]ç   te   xai   EvGyJi(i(j)v    yul    xo 

„OQEÎ  TE  ÔELVà  d'iyydvEl  %E  àl]ÔÉù}v"  OVX  È'xOVOa.  Xal  è'axivf  EVÔVEIÏGTOV  71QOÇ 

TÖV d^EQCcjiEvovTa  Tov  vooovvtoç  fj  ôeç,îo)oiq,  oÏov  ûv  eï/ô])]  d-éccficc  ßaoiAEvc 
iaxQOv  ÔEÔfiEvoç  ÔQÉyoyv  Ti]v  ÔE^idv  yMi  uv  %e  yaxaAdßr]  tö  yJv7]fia  xfjç 
àqxriQiaç,  ô  iaxQoç,  e^qev  o  è^fjXEi,  äv  ^'vTionea^  (iiqôÉv,  atj/iEiovxai  yMi  xôxe 
xai  olÔEV  EX  xf]g  âaçpvy^îaç  xb  vôarj/A.a.  àvad^EÎf]  <v>  ô'âv  xi]v  evqegiv  avxov 
d-Eip,  dvd-Qù)Jiù}<v>  ô'^IjiJioyQdxEi  ^vEvxoQ  ÈyEÏd^Ev  xov ^lad'rjfiaxoç,  Eiç,  avxôv. 
xovxo  ÔÈ  ovxÉx'  äv  EixdÇoifii,  dÂ/J"  ijôi]  y.ai  ÔEÎy.vvfir  ,,(pA£ßojv"  yàq  ,,ôia- 
G(pvyë,iEQ  y.ai  dvanvoî]  nvEvfiovoç,  xad^'  f]Àixif]v  xai  Ë,v[i(po)va  <xai  ôid-  35 
(po)va>  yMi  vovGOv  y.ai  vyiEÎaç  Gi]/[iEÎa"-  (pkeßac  yàg  xàç  dQxr/QÎaç  gvv- 
Tj^Eç,   avx(o   xaÀElv,    oxe   yal   UQxrjQiav   oÎôe   xbv   ßcoy/ov.   xaiçEi   xoivvv 

fiùÀÀov  TiQoç  cpAEßag  dçxrjQicûv   < >    dvxl  xi]c  tcqoç,  xçaxEÎav  ôfio)- 

vv/iiaç  ôià  xijv  xaxù  xb  GOJfia  ôfioi6x7]xa  y.ai  ôiôxi  uficpo)  yJxQvnxai 
dvaxofiPjç  Eiç  ÔEÎË,iv  ÔEÔfiEva  y.ai  zà  è'çya  <xrjç>  (pvGEOJç  èv  attxoîç  40 
ô^«.  dÀÀà  xal  j  (fvÀa  ä  xad-'  fjÀixiap  ^vfiqxbvco  xe  <xal  ôiacpôjvio 
xfjg  ôiaGCpvy^ioç  xovg  xe  evqvB'^ovç  xal  TcaQUQQv&fiovg  xal  éxEçoQQvd'/.wvg 
èôiôa^Ev  <.  .  .>xoi  ßgaxvAoyice,  navxi  xco  ôfjÀov.  fivçiojv  ôè  xal  u?J.o)v 
ÖVXOJV,  ôi'  &r  âv  xig  xtjv  ôiù  Gcpvyfiojv  Gr/fiEÎcjGiv  dnoÔEi^EiE,  ^laxQOÀoyiag 
(fEÎGOfiai.  fiExà  Ô£  xovxo  Aiyifiiôg  xe  xal  XQvoinnog,  è'jiEixa  'Eqaoi-  45 
Gxqaxog  xeXeiôxeqov  xal  xaià  xi]v  '"Innoxqdxovg  yvùfirjv  ij^avxo  Gfpvyfiov 

< >     od-EV    flOl    ÔOXEÎ    xal    Xfjg     Ôl      IxXQÎGEWV     GJ/flElOJGEMg     XÙ     JlOÀÂà 

xaxafiEÀtjGag    Gvvd-éod'ai    xfi    ôià    Gcpvyfiojv    d'EOjQÎa.    'IjiTioxQdxovg   yÙQ 
nqbg  EJiiyvwGiv  xojv  voGrj^dxœv    tioÀvjiqôgojjXov   dd-Qoioavxog   fiavxixijv 


28  Hippocrates  tisqI  cpvaôjv  c.  1  t.  VI  p.  90  Littré:  ô  j-iev  yÙQ  IriTQoç  ôqFj  (ÔQet 
U.  de  Wilamowitz  ad  Euripidis  Hippolyt.  vs.  188)  ze  àeivù.  &iyydvei  te  aijôéùjv  en 
àAAOTQÛ]aî  ze  ^vfixpoQf^aiv  lôlag  xuQnovzat  ÀvTzaç- 

'jy  narratio  de  amore  Antiochi,  Seleuci  régis  filii,  al)  Erasistrato  deprehenso 
(Fuchs,  Erasistratea  p.  20)  spectari  non  videtur;  potest  ut  aut  ea  spectentur.  quœ  de  Per- 
diccse  amore  ab  Hippocrate  deprehenso  Soranus  habet  in  vita  Hipp.  p.  450  AVestennanu 
aut  quœ  Galenus  narrât  XIV  p.  ß59  K. 

34  Hippocrates  neçi  zçocpr^ç  48  t.  IX  116  Littré:  (pÄeßöiv  ôiaocpvy^iEç  (sic  A) 
y.ai  àvanvori  nveL\uovoç  {nvevixazoç  Littré  perperam)  ■/.ad'  i)Ài>icr^v  nul  §i\u(p(ova  y.ai 
ÔLÛfpoiva  xal  vovaov  y.al  iiyielrjg  ari^ffia  y.ai  vyieirjç  ^iiàÀAov  >}  voùaov  y.ai  vovaov 
fiùÀÀov  ?j  i)yieîr^g-   ZQO^pij  yàç  zal  nvevfAa. 

o7  cf.  Graleuus  t.  XIII  p.  2  K. 

47  indicavi  hiatum,  quo  et  Herophili  et  Herophileorum,  proxinii  Heraclidis  Ery- 
threei  mentionem  haustam  esse  conicio. 


28  ovçel  V       evoveiazov  (sic)  V:   an    avovifiazov?       29   äv    el'ôi^  V        83  avcj 
6^l7i7ioy.Qdzri  V  38  lacunam  indicavi;  fort.  àQzr^Qc<,ag  nQ0(T7i;acaAaf.ißdv^  cov  40 

À  a 
fort,  aizaîg     41  (pv  V;  non  extricavi.  ze    :  I  '   (po)vo}  V     43  ante  zw  très  litt,  evanidae 
43  Tzavzl  zo  V  47  ihenyçluso^g  V  49  àç&QoCaavzog  V 


—     457     — 

50  /Ml  Jiävra  eiç  rovro  êçaviauvcoç  „a  y.ai  lôfïv  y.ai  i}iyfh<  y.ul  ày.ovaai 
ioTiV  u  xal  Tfi  öif)€i  y.al  ifi  àcpfi  ycù  r/]  «xo//  y.ul  t»/  ^ivl  y.ui  7f]  yÀMOotj 
xcù  t[i  yi'i'ofifj  è'anv  ai  od- é  a  d'eu",  ojiojc,  ur^êèv  ty(fvyt}  vôorjta  rovç  [ivQtovç 
ifjç  %éxvt]ç,  ôq)d'aÀfiovç,  xal  tieqI  ^ih'  xmv  aÂÀcov  ocriüy/iatcc  y.araÀi- 
JTÔVTOÇ    xeÀeicoç    ôiôciay.oi'ia,    ib    IlQoyvojOTixôv,     ro   IlQOQQriTixôv,    xàg 

ô5  Kœay.ùç  ITçoyi'œaeiç,  ti)v  ôè  tisqI  acpvyfiojv  d-sojçiav  evqÔ)v  E?.axxov 
ßviiuric  è'xovaav  TJyç  elç  ôiôaaxaÂlav  yQEÎaç,  xb  Àdjiov  ot)  JiQooEçsvQev, 
àÀÀà  f^ià/ûoj'  êôîôa^e-  txeqï  ôe  xcjv  ü/.äcov  olov  ouquv  öxt  xà  'Ituioxqûxovç 

àvEVÔEiOC.    È'XEI,    aVTuÇ    EGubjirjOE. 

II.  Ti  fiEv  oûv  Eoxi  xaxà  xi]v  yÉvEGiv  à  agrvyfiôç,  eïx'  èxd^vfiiaaiç  èfi- 
Ho  (fviov  d-EQiiov  xaià  xijv  ôÀxi]v  at^axQECpo^iiévov  xal  xaxà  xi]v  ôianvoîjv 
JTçbç  ôiaoxo/JiV  unÀovfiévov,  Tiçbg  à^ucforéçaç  xàç  xivi]OEiç  xà)V  äQxr/Qiibv 
èjiayofiÉv(ov  xù  aiofiaicr  eïxe  QEVßct  JivEvfiaxoç  xoQ^vovxoç  èv  dQxr^çiaiç 
êi'aQfiôi'iov  ÔQÔfiov  j\i  .iciQÙ  xaoôi'ag  TiEid^ôuEvov  ßoZfi  xe  xcù  xaxà  xà 
.i/.äyicc  luv  dQn]Qiùv  ôÀxfj-  eïte  ôôbg  àéçog  àvayxaiu  nçbg  ÀEnxo/.iÉQEiai>, 
65  È7IEI  TU  Tidvxu  xb  rxvEv^ià  èaiiv  è^ocpÔQOV  UEÏ  xcù  ôi'  èniipavEiaç  xaxà 
xb  axô^a  xcov  àçxriQiùv  xaîç  fivqiaig  ôôoîg  é'ÀxExai,  aÂÀoç  xé  tioxe  xal 
aÀÀOQ  ôiôcî^Ei  Àôyoz'  EÎg  yÙQ  xijv  nQoxEqiÉvi^v  Jiçay^iaxEi'av  xi  noxé  èaxiv 
ô  a(pvy/ii6g,  ôgixcog  EiôÉvai  XQV,  ^ô  ô'  v(p'  oï)  yivExai  ^  jtwç  ^  ôi'  öxi 
fii]  ^r]d^Èi>  où  /.eiTTEi. 

^0  III.   Ti'ç   <ô-    OQog  a(fvy,uov. 

OuiE  'iTXTxoxQdxrjg  o'ôxe  Aiylfiiog,  u/JJ  ovôt  XQvoiJiTTog  ovôÈ  'Egaai- 
axçaxoQ  ojQioavxo  oçov  ofpvy^iov'  ol  fiÉvxoi  vEonEçoi  ccÂXoi  aXÂog'  xal 
à  uÈv  'Hyi]xcöQ  fiôvov  a(pvyfi6g  èaxiv  dçxtjQiùv  ôidaxaaig  xal  ovaxoÀt)' 
BaxxEÎog  ôè  ô  'HçocfiÂEiog  o(pvy/iibi>  eÏtiev  eÏvui  ôiaaxoÀi]v  xal  avaxo?.i]v 
75  èv  ndoaig  xaig  ùçitiçlaig  âfia  yiyvo}.iÉvriV  à  ôè  'Eçvd-Qaîog  'HQUx/.EÎâtig 
é'cpi]  ôidaxaoïi'  xal  ovoto/J]v  dQxiiQiojp  xal  xaçôiag  vjib  tonixî^g  ôvvd- 
^lEcog  jTÂEiaToôvi'aii()vat]g  etiixeXov^eviiv.  'Ad^i]vaiog  ôe  ovxoi'  o(pvy!.ibv 
EiJiEv  EÎvai  ôiajivoijv  (pavEQÙv  Jiçbg  aïod-i]an>  ooov  ècp'  éavxfj  xaçôiag 
xal  dqxrjQiCjv  'AaxÂriJiiuôt]g  ôè  èv  xco  ITeqI  àvanvoflg  adxov  avvxdyfiaxi 

.00  Hippocrates  de  ofiicina  medici  c.  1   (t.  III  272  Littré  =  t.  Il  30  Kuehlewein)  « 
y.al  lôeîv  —   aia&éa&ai. 

54  ro  llQoyvcùozr/.ôv}  t.  II  p.  110— liJl  Littré  =  t.  I  p.  78—108  Kuehlewein. 
.54  zà  UQOQQriTiKÔv]    aut  prius  :ïq.  (t.  V  p.  510 — 575  L.)  aut  alteruni  (t.  IX  p. 

1  —  75  L.)  dicit  aut  utrumque.  sed  hoc  minus  probabile. 

55  TÙç  Kcûay.àg  ^çoyviôaeiç]  t.  V  p.  588  -  733  L. 

50  &/i'/£iv  Y  .52    i'oea&ai    V    ^         53    awrayadiiov    V  5(5    tî,v   e.   ô. 

V  O 

XQeiav  V  65  éxei:  V  (i5  è^ocpÔQov  V  72  ioQÎaavvo  V  ÔQÎaato  P  73   u6v 

V  ovTojg  P  77  Ttß.euo  ôvva{.ioôar]S  V  .tÀeîaico  âwa^iovori^  P  79  ev  rw  piene 

evanida  V-,  habet  P 


—     458     — 

iogioaTO  löv  a(fvy^ibv  ôiuoto/Jjî'  y.ai  ovotoZi^i'  y.uQÔiuç  y.ui  ùqzi]qiu)V  »' 
fifùv  de  açioToç  eïvai  âoy.EÎ  OQog  acpvyfiov  ô  xai  naçà  'Aç/iyàvei  y.eîfiE- 
rog'  ton  ôi'  âiaoTo/Jj  y.ui  nvoro/Jj  yMQÔiag  y,ui  ùqti]qio)v  (pvoiy.i].  âia- 
OToÂi]  fièv  ovv  y.ai  ovaroÀi)  £Ï(}t]Tai,  èueiôij  tovto  d-ecoQovfiev  yiyvôutvov 
y.aià  rbv  oçvyfwr,  y.aQÔîag  te  y.al  àQT}]Qt(jJv  jiçôaxEiTui,  ÈTiEiôij  fiôvcov 
TOVTOJV  ÔQcoiiEi'  âiuoTo/Jfi'  yiyvofiÉvf]V  fj  yÙQ  ^ifjviy^  i]  tieqi  tov  èyy.£-  85 
(paÀov  EÏJiEQ  y.ul  agjvÇEi,  ànb  tiov  uqtviqiojv  fj  naTttQyJ]  yiyvExai  aï)xfj, 
aï  TE  (pXEßEQ  aï  èv  laîg  vôooig  aq)vÇovaai  ov  yMTÙ  cpvaiv  è'^ovrog  tov 
acbuaTog  tovto  Jidaxovaiv  ôià  tovto  ovv  rcQÔoy.EiTUi  toj  oço)  tô  xaTÙ 
(fvGip,  'iva  T«ç  TOiavTug  t7iEy.(pvyü)fiEv  E7it]QEi'ag. 

IV.   Tqj  08  o(fvyftqj  al  Àéyoï'Tai  naQÉJiEO&ui  jioiÖTrjTEg  al  xoivÔTUTai  w 
èfil  jïdvTOJv  d^EùjQovfiEvai  aïÔE'    fiÉyE&og,    aq)0ÔQÔTrjg,  àuvÔQÔTrjg,  Tayog, 
7ivxvÔTi]g,  7T?,i]QÔTi]g,  Tdhg.    ôuaÂOTr^g,   ^vd-fiôg'  uTiaaai  yàç  aï  ToiavTai 
ôiacpoQoi  EÎg  Tainag  vjiayd^ijGovTai. 

TOV  ovv  fiEyéx^ovg   tov  xaTÙ  tov  ag)vyfiov  ojg  èv  tc/mtei  TÇEÎg  eîgi 
ôiaçpoçai'   o  te    uÉyag   oifvyubg   y.aZovfiEvoç   y.u)   ô    iiixçbg   xai  ô  fiÉoog.  9» 
fiÉyag  /tiÈv    ovv  èoTi    açvyubg  ô  ôidoTaoïv   è'xojv    yiyvofiÉvi]v,    fiixçbg  Ô£ 
ô  vjiEvavTÎog  tovto),  fiéoog  ÔÈ  ô  fiSTaçv  tovtoji'. 

i)  ÔÈ  oçoÔQÔTrjg  fi  èv  tô  ocpvyfio)  TdTTETai  fikv  èm  T/)g  xaTÙ  tijv 
EzcoGiv  oiag,  ôttôtuv  Tvyj]  TOiavTi]  Tig  ovaa.  üotieq  ovv  xdv  Toîg  dÀZoïg 
xivovfiÉvoig  f]  aq^oÔQÔTtjg  èm  Tfjg  èxdoTOv  ßiag  TÎ&ETai,  ovTwg  e'xei  xaî  loo 
èjTi  T/)c  xivrjaEOjg  tojv  àQTJ]QioJv.  r/)ç  ôÈ  o(poÔQÔTriTog  xal  avTr^g  ojg  èv 
Ji/MTEL  TQEÎg  EiGi  ôiucpoQai  O  TE  Gfoôçbg  aq)vyfibg  xaÀoviiEvog  xal  ô  àfiv- 
ôçbg  xaî  ô  iiÉGog'  açoôçbg  uev  odv  èoTi  G(pvyiibg  ô  ßiaiav  ttjv  uthogiv 
T/}g  à(pf^g  JTOioî\UEvog,  duvôçbg  ôÈ  o  èx  tojv  evuvtîwv  dod-Ev/ig,  uÉoog  Ô£ 

ô    flETaçi)    TOVTOXV.  lO.î 

/}  ÔE  7lh]QÔTi]g  TÛTTETUl  UEV  Em  TOV  JIOGOV  Tfjg  vÂi]g  vjiaQxovorjg 
èv  xaîg  àQTijQiaig.  ôiatpoQai  ôé  eîgi  xal  Tamijg  cog  èv  JiÀdTEi  TQEÎg,  o  te 
JcP^rjQ7]g  G(fjvyubg  xaZovuEvog  xai  ô  xEvbg  xai  ô  iiÉGog.  jr/.rjQ7]g  fiEv  ovv 
èoTi  GCfvyubg  ô  âiarid-Eig  ti]v  aiGx^i]Giv  oinog  Cog  ixavcog  evôoB'ev  è/htie- 
7i/.rjGfi£Vi]g  Tfjg  àQTt]Qiag,  xEvbç  ôÈ  ô  èvavTi'og  tovtco,  fiÉoog  Se  ô  uetu^v  no 
TOVTOiv.  xal  à  fiEv  7iXr]Qi]g  yivETai  vjib  dôôrjg)ayiù)v  te  xal  tô  gvujtuv 
EÎJiEÎv  tnb  T?)ç  uÔQOTÉQag  ôiaiTïjg,  ô  ôè  xEvbg  éjib  èvôelag  xal  xevÔ)- 
GEùjg  ToiovTog  yivETai.  o  ôè  jièoog  ènb  Tfjg  iiETa^v  ôiaiTi]g. 


83  deojQovitevov  V  d-eojQovuev  P       84  re]  f.  âe       85  /«^vfg  VP       90  aq>vy/^à> 
î/  ÀéyovTu  7iaQa'ae(j&ut  P     f.  y.oivÔTUTa  91  aiôai  P  92  al  evanuit  P  9ß 

<7(fvyudg  om.   P  97   hnevaviiujç  V  ^)8  il  ôè  —  101   ÙQTiiçiojv  et  102  arpvyfiàg 

y.a/.ovuevoç  oni.   P         103  oiv  et  acf^vyubç  om.  P  107  ôjç  èv  TtÀdzei  et  108  acfvy- 

ftog  om.   P  111    ÙTid  V  112  y.evàg]   fiiy.çôg  P 


—     459      - 

V.   Tio.  ô  TQojioç  èjiufpîjg  affvyfiov. 

11;-.  IIoP.ÀàJp  xai    TioixiÀcov    yivofiivcov   maiofiânov   ôtà    liiv    ÙTieiçiav 

tojv  fiij  ôwaiiivcov  a)]fi£iovod-ui  ôiù  rTiç  ijTuçrjÇ  jijv  nQoooraar 
TOÎç  aq)vyf(oîç.  dxclßeiai'  orx  dvE^lTaoTor  aval  (ovio  èaxe/ifftroi 
JiaQEÀÎTiOfiEV.  yMi  yÙQ  nâri'  rivèg  èi>  {;jioÀrjif'ei  ivyxàvovreq  tojv 
laTQoJv    ovy.    emßcUJ^ovrec,    ov    ôeî    rQÔnoi'    tijv    à(pi]v    nj    xiv/joei    t/)ç 

120  àQTijQÎag,  ovxi  tov  Jiaçà  (pvoiv  a(pvyfiöv  ovy.  tyi'oyauv,  tlÂÀù  y.ui 
TÔv  y.arà  (pvoii'  oïovrai  naçà  (pvaiv  è'xEiv  ycù  ôÀéi}Qiov  fiÈv  tôv 
àxivôvvor  elvai,  rbv  Ôe  novijQov  acort'jQiov,  y.ad-ôÀov  JiZavôjfiEvoi  jteqi 
rijv  ai]fiEi'ojaiv  èy.  r/yg  ^ij  ôeoptojç  yiyvofiÉi'7]g  Enacpfjç.  âià  ôti  Tavra  àvuy- 
xaîov    èonv    ciyQißij    jijv    ejiéqeioiv    t>)ç    a^;)ç    JioiEÎOi^ai.    EiOEÀd-ûvra 

12Ô  Toivvv  jIqoç   ror  UQçojaroi'   ôéoi'  egùv  ovy.    Evd-vç  ejiißüAAEiv  rijv  XeJqu 

lOÎQ    GÇVyflOÎÇ.    JTQOJTOV  flEV  yÙÇ    djïQETCEÇ  XCÛ  VJTc'cyQOiy.OV    EÎvai  VOfllOTÉOl' 

èjiiaTdvTa  tqj  voaovvri  tov  îcnçov  ÜJiTEod^ai  nuQayqîi^ia  tiôv  acvyßojv. 

ÔEVTEQOV    ÔÈ    Ôlà    GJlOVÔijÇ,   èÀï]Àvd-6Ta  TTQOÇ    TOV  UQQCOGTOV,    olu    aVflßuivEIV 

EÏcod^EV,  EÎy.ôg  EGTiv  ETI  y.cci  T(o  jivEvfmTi  TETacayfiEvoj  y.aï  fiETEÔJçqj  Tvy- 

13L'  xàvOVTl    JTQOGJTE?.ät£lV    Tt^l'    U(pi)v .    JIQOç  ÔÈ  TOVTCO    CCÔtOÇ    Ô    TOV    y.ÛflVOVTOZ 

Gcpvyfibg  tqo7T)]i>  tivcc  y.ai  àÀÀoi'coGiv  cog  èni  rô  ttP.eîgtov  draôéxETCci  -tçôc 
Ti]V  EÏGoôoi'  TOV  iccTQEvovTog,  iJTOi  y£yt]&ÔTog  ôi'  èÀjn'ôog  TaxEÎag  dvuQ- 
QÔiGEcog  y.cà  fiûÀiOTa  ei  7ioÀÀi)v  ô  lUTçàg  eç,iv  ëy^Ei  Tj  ÔEÔoiy.ÔTog  êi'  dirôj- 
Xeluv  dy.ovGEod'cd  tl  (pavXov  naçà  tov  îaTQOv.  xal  ccîôojg  ôe  y.aî  Ey.Ji/.i]- 

1  iô  ÇfÇ  dP.ÀOIOVGd'CCI  nOlEÎ  TOV  GqJVyflOV  tov  VOGOVVTOg  JlQOg  TIJV  EÏOOÔOV,  GEft- 
VOTÊQOV    TE    y.cà    d^lOJlQETlOVg    Ol'TOg    TOV    IClTQEVOVTOg    JTQÖg    JlCÛÔag    EÎGIÔV- 

Tog  ))  JiaQ&Évovg  Tj  yvvaJy.ug  ovy.  Eid^iGfiÉi'ug  ôçànd^ai  ttqôteqov  F/  y.ai 
iôioniy.bv  ßiov  ènai'fjQrifiÉvag.  tovtmv  ovv  evexu  y.cà  tcTjv  TOihoig  ôtioicov 
OV  xçi]  JiQog  T}]i'  JiQOJTiji'  EÏGOÔov  Evd-vg  JiaQaxQijfia  ujiTEGd'ai  Ton'  G(fvy- 

lio  iiüv,  nvvd^ai'ô^iEvov  ôe  tieqi  tov  voGiifictTog,  ^lûPaoTU  f^iEV  Tiaq'  avTOv  tov 
xdfivoi'Tog,  àv  EvoTad-fj  Tvxf]  tov  P^oyiGftôv  è'xcov,  f)  y.ài  îiccqù  tojv  oi- 
XEiœv  oiov  ànb  noiag  nçocpÛGECog  i)  vÔGog  tJQ^aro,  y.cà  jteqi  JiJJjd'Ovg 
i]fiEQcov  y.ai  tteq}  tüv  èv  t/)  vôgco  JiaQO^vafiojv  Te  y.cà  dvÊGEov,  y.cà  eï 
TivEg  èy.y.QÎGEiç  EyévovTO-   Gv^ißdAP.ETCCi  yÙQ  y.cà  tccvtcc   noZv  ti  nçog  t/}î' 

14.=^  dxQißf/  Gi]fiEio}Gii'.  y.cà  ô  GCpvyfwg  TEÂEUog  djioy.ad-iGTCiTCu.  yiriî&7]aôfi£vog 

f.iôvov  xar'  amb  tô  jxd^og.  XQi]  ôÈ  è(p'  ty.uTÉQCig  ràg  YßiQctg   ejiißd/./.Eiv 

TIJV  ÔEt,tdi\   îV    EÏ   xai    ETEQÔGcpvy.Tog   ô    y.cqivoiv    Ell],    y.aTa/.ctfißdrijTai, 

èv    Eyyon'io)     ôe    tco     GX'JfiCiTi     t/Jç    X^'Q^Ç    aitTEod^ai    y.cà    èjiiy.Eifiévi]g, 

114  ô  om.  P  115  IToÀÀcTjv  —   124  TTOiela&ai  om.  P  120  an    <^u6vovy 

TOV 

acpvyitöv?      125  ttqo^  aQQOJOTOV  P      128  è?.r^?.vQ-(uTa  P      loO  roîno  YP       182  fort,   ài 

ao 
iP.Tiîôa       13o  ëyoi  P       133  fort.   <-/.«t  :TQoa6oy.ÔJVtog'>  à-/..      134  cùôm  P       135  eïôov 

tiev 
TOV  P       140  f.ièv]   ôè  P        145  icy.ciß>,v  P       147    }]v  el   VP       148  ityyü)vio>  V.  àyy.  aut 

èyy.  P     àjioy.eiftsi>i,g  V 


—     4()()      — 

ßijiE  aicoQOviilévriç  —  yivaiui  yÙQ  /.aï  .iuqù  luviu  iQOJit)  tiç  loù  o(fvyfiov 
—  jwr/re  jieciAafißdvovTa  at\ujiavta  %bv  yMQjiôp  —  èçyarajôeç  ydç  —  »5o 
«//'  é'i>i}u  ôiaar]fiaiv£i  lo  y.ivri^ia  irjg  ÛQirjçiaç-  ovte  ^ijv  évl  ôaxTvÀCj) 
,-zoieîod-ai  ii]v  ènacpîiv,  ô'jojieq  è'vioi  Jioiovai  ôi  ùAutoveiav  ë^eojç,,  toÎç 
ôè  léiQuaiv  T]  loîg  tqioI  ôay.TvÀoiç,  ojiojg  èy.  :ioÂÂFjç  t/}s  èjiEQeioEOiç  xai 
yMTÙ  Jio/ûù  ^ÉQt]  yivofiÉvrig  y.axalafißdvrixai  iriç  dQjrjQÎag  fj  xivrjai,g. 
ÔEÎ  ÔÈ  firjxe  xoixpojç  èq)djiT£ad^ai  firjTE  ?dav  Tui^ovialg]  Tt]v  àQi^çiav,  fié-  J05 
at]v  Ô£  noiovfiEvov  ti]v  èjiÉQSiaiv.  ovioi  yàç  àv  t]  dvxihupig  Tf]c.  xivi^- 
oEog  yiyvon  uv  dxQißrjc,  td  te  fiEyéd^t]  xal  xàç  acpoÔQ6xt]Tag  xaxvxi]xag 
TE   y.ul    ßgaoüirfiag   y.cù    ràç   d/./.ug    ràg  xaià    ibv   ocpvyfibv   ov[i(po)viag 

E.Tld'ECOQEÎl'    E^EGll    XOÎC    E(fa,T  TOUÉl'OlQ.     XUl    TOVTO    ÔÈ    TlUQaCfV/MyxioV,     XO 

fiîl  Evd-Éojg  y.ovfpi'ÇEiv  xi/p  uffî^v  djio  xov  (7(pvy!.iov,  olov  fiEià  uiav  ?/  ÔEv-  le« 
lEçav  7i?,ï]yriv,  dÂÂù  nÂEiovag,  oloi>  uetù  àÈy.u  rj  ôvoxaiÔExa,  y.al  fidXiaxa 
è(p'  5)v  voamidxiûv  vTtonxEVExai  xaxorjd-Eid  xig  EÎvai  tieqI  xovg  o(pvy[iovg- 
ojç  OGOi  JE  (iExà  /.aap  f/  ôevxéqup    JiÀrjyi]v   dcpinxapxai   xfjg   èjiacpfig,    â- 
ay.i]oiv  y.al  ovyyv/ipaalap  ÈJiiÔEiy.vvuEPOi  loîg  îôuoiaig,  otxoL  jiiaiovoi  ueqï 
TÙ^  yuTa/Jul^Eig  dôr/Mv   xvyyßvopxog,    eî   /<fi^'  P]P  'fjtpaxo  xiç   ôiaaxoÂi^v,  i«» 
ocbtEi  xi]p  avTi]p  ôidoiaoïp  ô  o(pvyfibg  t)  uExaßEßArixE,  xal  udZioxa  xàtv 
dpü}fid?^0iv  xal  dxdxxoiP  ovx  tnoaisixôpioip  Jiçbg  xijv  7iQÖni]P  xr^  àcpfjg 
ijxÉQEioiv,  dÀÀ'  vaxEQov,  xal  xojv  ôiaÂEiJiôvxoiv  xal  x&v  siaÀivÔQOfiovpxù)v, 
cog  TiaQaaxi^aofiEP.    xqf}  ovp   y^QÔvia    èçpdnxsa&ai,  ïpa  xal  xavra   xal  xà 
?.oi7iù  tCjp  JiEQi  xbv  Gcpvy/ibv  lôioj/idxMV  xaxaAdßcj/iEP  xal  ovxojg  aï  te  ^''^ 
oi'fiEiojnEig   TiQoy.ôJixMuiv   xal   uo(fa?>.EÏg   xoîg    Jidd-Eoip  èg   avxfjg   xf^g  ôià 
TLOP  <jq:vyj:u7jp  a)]UEtô)i)£0}g  vjiayoQEvô/iEpai    toÎq  fiEiiad-rixôoi. 

VI.   TiPL  ôiacfÉQEi   layvitjg  :ivxpôu]xog. 

UeqI  ôe  layvirfiog  xal  7ivxpôxi]xog  OliEiiai  eI  ôia(pÈQOVGip  d/.- 
Ài]Àù)P  aï  TioiôiriXEg.  xal  è'vioi  fiEV  ovx  oïopxai  ôiacpÊQEip  dÀZî]Z(ûv  fj  ^^^ 
fiôvii  xfi  (poivff  ))fiîp  ÔÈ  TiuiiTcô/J.ri  oGt]  EÏpai  EP  avxoîg  ôiacpoQÙ  rj 
Tcvxvbv  EÎvai  xbv  G(pvy/ibp  îj  xayvp  T]  ex  xùv  èpapiîojp  dQaibv  xal 
ßQaovp.  .  xb  ôÈ  Tiùp  ovTO)  GacpriPiGd-riGExai.  xoù  Gcpvyuov  xà  JiQOjxa 
fiEQf]  ÀÉyofiEv  EÏvai  ôvo,  ôiaGxoÂr/P  xal  gvgxo/JjP.  xal  xovtojp  àxdxE- 
Qop  ôiapÉfiExai  ôixff  fj  fiÈv  ôiaGxoÀrj  Eig  xb  ôiaGxÉ/JcEG&aî  xe  xal  iso 
GVPEGrdÂd-ai.  ôiaGxÉÂ/.EGd-ai  ,uèp  oûp  EÎvai  PJyofiEP  xb  Jiçbg  xb  èxxbg 
XOJQEÎP  xî]P  dçniçiav,  ôiEGTUÀ&ai  ôÈ  xb  Jiçbg  xb  èxxbg  d(fixpot\uÉPi]v 
xf]v  àçxriQÎap  è:TiuépEiP  xqôpop  xipù  d/.îpi]rop'  yM/.oî\uEP  ôÈ  xovxo 
êjifjQE/irjGiv.     GVGTÉÂÂEGd-ai    ÔÈ    EÏvui    (ça/iEv    ib    -Tçôç    ib    é'pôop    dpa- 


ai 


149  é(oçovfuvr,g  V,    èaj^ovaéviiÇ   P  159   t^EOxai,   P  163    oaot    i£    VP 

171  sq.  emendatio  iiicerta;  fort.    <^idoeigy    toIç  n:d&.  et  v:zayoçevcovtai  173  rt  V 

174  Tivy.voTTjToç  y.al  Ttw/vTr/toc  P  176  f.   ôè   <âoy.eiy  180  h*c  lacunosa  181 

:rçôg  zo  om.  P  182  ôieaTccÀ&at]  rjvvetjTciÀ&ai  P     évzàg  VP 


—     4()1      — 

185  ^(OQeTv  Tiji'  ÜQTijQiav,  oweardÀd^ai  ôè  rô  dqjixi'ovfiérrjv  tîç,  rb  ëvôov 
èjiij[iév£ij>  XQÔi'ov  Tti'd.  y.aP^ehai  ai  y.ai  rovro  ènr^Qtfiiioig.   rtoaÛQOiv  ovv 

fl£Qù)V    TOV     aq)VyflOV    d-ECOQOVflévOJl'    JÙ    fi£V    ÔVO    yJVt'jOElÇ,    ElOl,     JÙ    Ôt    ÔÏ'O 

èjitjQE^u'lOEiç.  yi Vorrat  rotvvv  t)  fth'  rayviiy^  y,ui   fj  ßQaovTtjc,  tojv  yuvt'i- 

GECOV    èvÔflUTU,     ij    ÔÈ     JlVXVÔJIjÇ     yMl     àçaiÔTIjg    TOJP     è7l1]QEflt'jaE0}V    ô    flEV 

190  yàq  xivovfiivoç  ag)vyf.ioç  ôPuyoxQoviônEQOv  raxi'i  yMÀEirai,  ô  ôe  tioZv- 
XQOvuoTîQOV  ßQciovc,  Ô  ÔÈ  dvajicivôfiEi'og  ôZiyiaro7>  xqôvov  tivxvôç-  ô  ôe 
ènriQEfiùiv  TiZéiova  xqôvov  àçaiâç.  acKpijç  rj'  är  y.cd  omcog  ô  Àôyog  yi- 
voiTO.  äoJiEQ  yciQ  ÀÉyoTCci  ßccoitiiv  Tiç  Eig  dyçop  rayjcog  y.ai  ßQaotojg  y.cd 
âÀÀog  Tivxrojg  y.cd  cÎQcciàjg,  ov  xcctù  TJyg  avjTjg  or^iiaai'ag  nd^EfiÉPon'  rojv 

19Ô  ôvofidrcoi'  clÀÀcc  y.ccrcc  ôiag)ÔQOv[g],  TuyÈoig  (lév  Tiva  ti}v  bôbv  àvvEiv  ri^v 
dnb  rijg  TiôÀEcog  Eig  avrb  ib  ^oiçiov,  dçccicog  ôÈ  eîg  tb  xoyqiov  djiiévui. 
xal  7id?uv  Tivxvcbg  ^liv  riva  noQEVEod^ai  à?dya  xà  fiExa^v  rcov  f]/.iEQCjn' 
ôiaotij^iara  noiovfiEvov,  ßgaoecog  ôe  Ti]v  avTi]v  bôbv  dvvEiv  jiuQaji/.7j- 
afcog  Ô£  y.aî  èm  tcov  acpvyf^iojv  rb  roiovrov  i)7C0Tcinr£i  yiyvôfiEvor.  Eorn' 

200  ovv  ocpiryubg  rccybg  xcd  nvxvbg  ô  xal  rijv  xivijaiv  Eyoiv  rayEÎccv  y.cd  ri^r 
èjTt]Q£fi7iafv  ôÀtyiur}]v,  f]  ruyvg  xai  dçaibg  ô  rijv  fiÈv  xivijaiv  ôictocotov 
ô/ioiav,  rb  ôè  ôidZeififia  yçovicbrEçov  e'xojv,  Tj  ex  rùv  èvcivricov  ßcaovg 
xal  nvxvbg  ô  rb  fiÈv  ôidÀEififia  ôÀiyov  XExriifiévog,  ri]v  ôè  xiv7]Oiv  no- 
ÀvxQOviojréçav  jioiovfiEvog,  T]  ßcaovg  xcd  dqcubg  ô  xcd  xivovfiEvog  ßga- 

205  ÔÉCOg    xal    EJlJJQEflOJV    XQÔVOV    JIÀEI'OVU. 

\I\.  IIeqi  ôfiaZôr)]rog  xal  dvoißdPMv. 

'OfiaÀôv  T£  xcd  rErayfiEvov  ocpvyfibv  xal  àvcbfiaP.ov  xal  uraxrov 
Evioi  f^iEV  ovx  oïovrai  ôiacpÉQEiv  àÀh'jÀcov,  ov  fiijv  ÔQd-cbg  ys  cpQOvovvrEg. 
cfcdvErai    yàç  èv  rovroig  7ia/ii7iôÀÀi]    rig    eIvcu  ôiacpoqà.    rdrrExai  yccç  ô 

210  fiÈv  ôfiaÀbç  acpvyjitbg  ènl  rov  îoug  è'xovrog  ràg  xiv/jOEig,  ô  ô'  dvchficc?.og 
EJil  rov  dvioovg.  ùjotieq  yàç  ô^iaÀÈg  eîvcci  È'ôacfog  ÀÉyErai  rb  l'oov  xcd 
EX  %ùv  Evavriwv  dvojfiaÀov  xal  clvioov,  ovr ojg  e'xei  xcd  ènl  rov  acpvy^iov. 
ô  I.IEV  ovv  ôjLiaÀbg  ocpvy^ibg  nclvrcog  xcd  reray^iÉvog  èariv,  on  ov[re]  ftô- 
vov   ïoog   vndqxEi   raîg  JiÀriyaîg,    «//«  xcd  ëv  rivi   clvaÀoyia  d^EOJQEÎrai- 

215  ô  ÔE  TEray^Évog  oi)  Jtdvrcog  xcd  ôjLiaÀôg'  èvôéxErai  yàq  a-ùrbv  xalroi  dva- 
Xôyovg  È'xovra  ràg  nXijyàg  oficog  fit]  l'oov  Eivai.  ô  yovv  naçà  fuccv  yi- 
yvô/iiEVog  vvvl  fitv  fiEÎÇojv  èÀdrrojv  ôè  avd-ig  rErayfiévog  èari'v,  ov  jiti)v 
xcd  ô/tiaÀôg.  rcbv  ôè  rEray^iévcov  xal  rojv  drdxrcov  xcd  rcov  ôuccÀcov  xcd 
rojv    dvco/idßuov    ol  f^iÈv  xarcc  idav  ôiacpoQdv    eîoi    roiovroi,    dt  ôè   xarà 

220  ÔVO,  0?  ÔÈ  xarà  Ji/.Ei'ovag.  xarà  fiîav,  ei  oi'roj  rvxoi,  oçoÔQorrjrcc  Âccu- 
ßdvovrog  rov  ocpvy/^iov  xal  ovrug  cîvojjiidÀov  )}  drdxrov  yivo/névov. 


185  eig  tù  VP      186  y.uÀehai]  Àéysrat  V     y.al  om.  P     190  ovv  P      192  aarfî;g 

—  yévoiTo  om.  P     oûrog  V              194  ov  —  199  yiyvofievov  om.  P  201  âçaîg  P 
202  eyojv  om.  P        203  ô?.iyiatov  ëyojv  P        20fi  fort.  àvùJiiaÀozijTog  209  (faîvetat 

—  ôiaqoçd  om.  P     TCCTTezai]   ôiacpéçei  P              210  (j(fvyfiög  om.  P  220  Tv^'i   V 
Tvyoi  P 


—     4(i2     — 

VIII.    Tic,   o  tov  JivQéoGOvioç  acpv/fiôç. 

Ovjco  ôvactiôxaarôv  ioci  xul  ôvoyiuidXrimov  to  /cvqehtixöp  jidd'oç, 
&Gi£  ov  fiôvov  oi  iarçol  neql  tfjç  aliiaç  aviov  ôiscpoji'rioav  aofßov  %vy- 
XavovGfiç,,  àÀÀà  'Acù  tzeqï  tf]c,  ar]fi£i(bo€Mç,  tfjç  xe  uÀÀi]g  '/.al  trig  ôià  220 
TOV  ocpv/fiov  yivofih>t]ç,  yMÎtoi  jiQOÔrjÀMTéQag  enaq^ovatjc,.  oi  ^itv  yàç 
jivxvbv  ibv  G(pv'/[-ibv  xov  tivqéggovioç  ÀÉ'/ovgi  nàvv  JiQOGavccTcavôfievoi 
%M  orif.i£iù)  xcp  xarà  xt]v  jivKvoioiv.  êvioi  ôh  y.ul  ocpoôqbv  elnov  yive- 
G&ai  xbv  G(pvyf,wv  o'i  ôh  f^iei^ova  xov  xaxà  (pvGiv  ènï  xov  jivqêggovxoç, 
EVQiGXEod-af  aÀÀoi  ôé  xiveç  xu^iiv  EÎnov  EÎvai  xbv  G(pvy[Â,bv  Ènï  xojv  nv-  230 

QEGGÔl'XOV.    xivi  ÔLCKpÉQEl  XUXVXYIÇ  7lV7iVÖX)]X0g,  EV  XOlÇ  EpLJlQOGd'EV  ElJlOflEV, 

ôiôaozaÀiag  ôè  ëvEza  dyccißovg  f,ivrifiovEVGO^iEv  xojv  JxaÀaioJv,  oncog  Exa- 
axog  avTÜv  ijvéx^^  jieqI  xov  Gg^vyfiov  xov  y.axà  xbv  jzvqexôv. 

IX.   Tig  f]  XqvGiTinov  GiÛGig  <jieqI>  xov  G(fivyf.ioîj  xov  xaiù  xbv  tivqexôv. 

XçÔGinnog  ôià  xov  G(pvyi.iov  orj^iEiovfiEvog  xbv  jxvçExbv  tivxvôxeqov  235 
äjiEcprjvaxo  yivEod-ai  xov  xaxà  (pvoiv  Gcpvyfiov,  &g  (prjGiv  'EçaGiGXQaxog, 
xal  xQixrjQLOV  xfjg  Jivxvôxfjxog  tjiExid^Exo  xbv  ôiaxsivovxa  f^iéxQi  xEGoàçoiv 
açid^fiMP  Ejxl  XOJV  xaxà  cpvGiv  èxôvxMV.  TivxvoxÉQag  fikv  yàq  yivofiévr^g 
xfjg  xivrjGEcog  xüv  âQxt]QLCov  xal  ev  ànb  xùv  àqxd^fiôjv  f)  ôevxeqov  èxd'Ài- 
ßsod-ai,  nqb  xov  àQid-/txrioai  xà  xéoGaça  g)d-avovar]g  xfjg  àqxïjQiag  jxdXiv  2*0 
ôiaGxéZÀEG&ai,  jivqexov  Grj^sîov  côexo  xovxo  xvyxdvEiv. 

X.   Tig  ))  'EçaGiGXQdxov  Gxdoig  jieqï  xov  ocpvy^ov  xüv  jivqeggôvxcov. 

Kai  avxbg  ôe  'EqaoioxQuxog  dEÏ  jxuQSJiôfiEvov  oÏExai  xoj  tivqexm 
xvyxdvExv,  xuv  fiij  jiaçfj  jiÀfid-og  d'Eç/.iaoiag,  cog  Iv  xoTgÜEci  jxvqexojv  (pr]Glv 
<  .  .  >  ovxcog-  [œg]  „xoîg  jivqéggovoiv  fj  xivrjGig  nvxvoxéça  fièv  yivExai  jiùgi,  245 
GcpoÔQOxEQa  ÔÈ  xoïg  jiÀEÎGxoig" .  xavxfjv  ôe  xijv  nvxvôxrjxa  iôioj^ia  goj^eiv 
ÀÉyEi  ojg  Ejii  (pÀEy/iovîj  XEXQaf,ift£Vï]  <v>  .  xal  Àôyq)  fiÈv  àvE^éxaGxov  xal  dvEQ- 
fiflvEvxov,  'bnb  ôh  xf/g  xQißixXjg  yvfivaGiag  ôià  xijg  â(pijg  xaxaAafißdvExai. 
naçad-r/GOfiEv  ôh  xal   avxov   Àé^iv   'EqaGioxQdxov    xovxov    è'xovGav   xbv 

XQÔJIOV    ,,jiWVI]    Ô'    rj    TCèQl    Xfj    XlvrjGEl    Ôldd-EGig    XCOV    JIVQEGGÔVXMV    EdoVVO-  250 

jiiog  xal  dxQißrjg  xip  yE  é'^iv  è'xoi'ii  xal  où  ôiaifJEvôo^iÉi'qj,  dVC  avxrjv  xe 
<xr]v>  x^g  ^Aey/iiovijg  èmxaGiv  xal  uvegiv  xal  xr^v  jieqI  oXov  xb  Gojfia 
ôidd-EGiv  Ixavcjg  ôiaorj/naivEi." 


"223  ôvniôyaatov   V  àvoTO'/arsxov  •/..   à.  è.  P  "225  v.u\  ôià  tTjç  tov  VP  228 

là  naià  P  231   tcvi  —  284  Jivçetôv  om.  P  231  fort,  tîvi  <ift£v  ovvy>  237 

TSTTUQoiv  V  23i)  sq.  enieiidalio  incerta.  242  */  om.  V     tdatg  P  244  f.    <rô 

^iVÄvöv  TOV  (X(pvyitov   .iéiiatôv  ti  tovtov  arj^ielovy    Tvy.  244  œg  —  JivçeTcJv  otn.  P 

248  fort.  y.uiaÄuft jdvea&ai         249  Ttaça&rjao^uev  —  250  tqöjiov  om.   P  250  (pi]alv 

ovio)ç-  fiôvri   ô'   ij   P 


—     4«)8     — 

XI.  Tlg  fj  'Hçog)iÀov  OTccoii;  jieqi   lov  açv'/fioù   lûjv  n^vQEnaôvtoiv. 

255  '0  de  'HçôcfiÀog  ::ivqt(jaeiv  ùjiecfrivaio   ibv  uv&qo)7iov,  ömhav  nv- 

xi'ôreço^  xal  fiiî^op  /.ai  acpoÔQÔiEQoç  ô  acfv/fidg  yévi]iui  fuiù  jioXXfiç 
d'£Q,uaaiccç  êvôov,  ei  fiiv  ovv  jiQoa^aÀÀd^eie  il/v  acpoÔQÔTijTa  y.al  xo  fiè- 
ye^oç,  ê'vôomv  lOv  jIvqetov  Aufißdroviog-  xijv  ôe  Jivxv6rr]za  loyv  ocfv- 
yfiojp  ÙQxouêvMv  te   rœv    nvQExôiv   jiçôjTt^v  ovvlaraa&ai  y.al  nv^iTiaou- 

250  jiiÉVEiv  fiÉXQi  r/)ç  TEÀEÎaç  aviùv  ÀvoEOjg  ZéyEi.  ovro)  ôe  rfi  7ivy.voa(fvz,ia 
ibv  ^HQÔ(pi?.ov  d-açQEÎi'  Âôyog  ôg  ßEßaioj  ar^^EÎco  XQojfiEvov,  wote  y./.E- 
tpvÔQav  y.aiaoy.Evdoai  xojQr^Tixtjv  dgid-iiov  qi^tov  tüv  y.aiù  (pvaiv  ö(pv- 
yfiùjp  £xdaTi]Q  i)Àix(ag  Eioiôvia  te  Tiqbg  ibv  UQQoaxov  xal  rid-ivia  t//î/ 
xÀEtpvâçav  äTCTEßd^ai    lOv  Tivqéoaoviog'  öaco  ô'  uv  tiIeIoveç  TiaQÉÂd^oiEV 

idô  xivrjaEig  rcp  acpvyfiü  tiuqù  ib  xaià  (pvaiv  eiç  xijv  èxjtZ^Qioaiv  xf^ç  xâe- 
ipvÔQag.  xoooî'Tco  xal  xbv  acpvyubv  tcvxvôxeqov  d.io(fuivEiv,  xoviéaxL  Jiv- 

QÉaOELV    Tj   fià/J.OV    î]    ^xxov. 

XII,    Tig  i)  'Ao/.ÂT]Jxidôov   axdaig  tieqI  xov  acfvyfioD    io)i'  .tvqegoôvxcov. 

'AoxXri7iidôi]g  xf^ç  èvavxiag  yvd>firig  xoïg  ^QOEiçr^fiÉPOig  dvÔQdox 
270  y.ad'iararai.  Tf]v  yàç  Èm  xb  ocfOÔQÔiEQov  xov  ag)v/fiov  TraçaÂÀaytyi'  fiExà 
d^Eç^iaoiag  xid-Exai  xov  tivqexov  aiiuEÎoi'  /ojQlg  (faveqùg  aixiag  ovvioxa- 
fiÉvr]v.  y.al  yàç  :i:vy.i'ôïi]Ta  xàjv  o(pvyfi(bv  roîg  .rÀEiarotg  TiaQÉJiEad^ai  (fi^ai 
xù)V  7xvQEaaôvxù)P,  où  :i:di'xcog  ÔÈ  nvQÉoaEiv  xovg  Tivxvbv  Eyovxag  xbv 
ocpvy^ôv. 

275  XIII.    Tig  /;  'IrcTcoxQdxovg  oïdaig  .teqI   lOv  rcvQEiov. 

'LiJioxQdzr'iV  vJio/Mfißdvovai  ari^EÏov  EiQiy/.lvai  xov  jivqexov  fiÉye- 
d^og  fiExà  7ivxv6xr]xog  îj  xdy^ovg  ôià  x)]v  ev  'Eixiôrjfdaig  Àé^iv  ovxojç  eiçr^- 
fiÉvijv  vn    avxov'  „èv  xoîaiv  ôgvxdxoiai  xôjv  tivqexùv  ol  a(pvyf.iol  nvxvol 
xal  fiéyioxoi."  ovxoj  fiÈv  ôt]  EiQt]ad-oj  xal  ib  rtaç'  "IjiJxoxçdxEi  ôoxovv  EÎvai 
280  ar^fiEÎoi>   ïov  .ivqexov. 

XIY.   Tl  oi]!.iEÎov  'AçyjyÉvrig  n'd-Erai   lOv  .xvqexov. 

^xÀiiçbv  vneXaßEv    oùxog  ô  dvijQ   EÎvai    îôiov    xal    dytoQiGxov    gi\- 
uEÎov   (hg   EV   xco  IIeqI   a(pvy[iùv  ßiß/Jco.    Ilçagayôçag  ôe  fiéyav,  xaxvv, 

277  Hippocrates  Epid.  IV  20  t.  V  p.  158  Littré  êv  roiaiv  a^vTävoiai  twv  TtvQsiôjv 
ol  acpvyuol  tiv-avôtutol  y.al   uéyiatoi. 

À 

254  TÎg  r,Qo  rdaig  F                 259  ze  om.  P                2(îl  ßeßatojg  P  ßXeipvOQav  P 

264  ßÄE^pLOQav  P         265  ßÄEipvacag  toaovtov  P  rooovto  V         268  tîs  àay.?.i]7tidèovg 

xdaiç  Tieçl  ij(pvyuov  nvQeijaôvzoiv  P           275  rig  '^In;7io7.Qdiovç  vdaig  P  279  rw  P 
281  ziâerai  zov  om.  P 


—     464     — 

a(poÔQOP  top  o(f'vy^ibv  ilvui  hi)  tojv  nvQtaoôinov  i^itià  Tinomov   av/i- 
jiTOJjiiärojv  EVQiay.ôftevov,  âitj'ovç  te  xai  x^tQ[ii]ç  y.ai  xEcpaÀa/yiuç  xai  avfi-  285 

TlÀOXfjÇ  {lExà    Tù)V   JTQOElQriJilÉVMV  JlOlOXrjTOJV  iÔlÔTIJTUÇ  l)  ftEioJOIÇ  TOV  71VQE- 

Tov  èçydacicrd-cct  JiQOEiQijfiÉvw. 

XV.   Tig  à  roù  (pQEvijriÇovTOç  acpvyfwg. 

'0  TOV  (fQEviiTixov  Gcpvy^oç  Tuyvç  fi,év  èoTi  xai  jtvxvoç  y.ul  UTax- 
Toç,  y.cà  TÙ  ^lEV  no/j.à  tnxQÔg,  è'oTi  rj'  ote  y.ai  fiéyEd'og  È'ycov.  èvioig  ÔÈ  290 
xal  vjiOTQÉfiEii'  ôoyEÎ.  yai  eotiv  ote  TEÀécog  ovfiJiEOOvoa  f}  UQTijQÎa  ènav- 
ioTUTai  àd^QÔtog  ndÀiv.  y.al  tigî  fùv  vjiootoXijv  [lôviqv  Eivai  Tf^g  àçTi]- 
qiag,  aÀÀoig  ô'  ad  y.ad'EÀxvafiôv.  fiETaßäZAEi  ôÈ  ô  Toiomog  TÛyjaTa  Eig 
fivQfirjyJÇovTa. 

XVI.    Tig  b  TOV  ÀJjd'açyiy.ov  aqjvy^ôg.  a^r, 

Tà)i>  ôè  /.r^d-açyiy.dn'  ô  ocpvyfiog,  otuv  ßad^Eia  y.aTucpoQÙ  fj,  fiéyag 
èoTi  y.al  àQuiog  y.cà  olov  vTiôao^icpog,  Ti]v  èv  t//  n?^riyii  acpoÔQÔTijxa  O'ùy. 
Exwv  —  ôoy.EÎ  fiEv  yàç  f]  àQTi]Qia  <^etù>  ^ol^ov  Tivbg  y.aî  tôvov  t^  à(ffi 
jiQOGTiiJiTEiv,  oè  avvEJTETai  Ô'  uvTï]  To  y.oi  JiÀijaoEiv  tavTÔv  —  6)g  ßqaovg 
ÔÈ  y.ai  void'rig  /xitù  tîjv  ôiacjToÀijv  /.al  Ti]v  gvoto?J]v  ôià  JioZÀov  tov  XQÔ-  soo 
^<ov  jiQog  Ti]v  /.ivijGiv  ènaviôjv. 

XVIT.   Tig  b  7T?.EVQiTiy.ov  arfvyfiôg. 

nZEVQiTi/.ov  Gffvyfibg  xöt'  àçxàg  T(3  fiÈv  fisyed-Ei  ovfifiETçog  Tayvg 
TE  y.al    Jivy.vôg    /.al   tîjv  7iZi]yi]v   oteçeùv  è'^oiv,    naçEfKfaivojv  ôé  ti  /.al 
TOV  '/aTà  Ti]v  GyÀi]Qiav  lôiojfiaTog-  egti  ô'  ote  /.al  ài'OJuaÀog  y.al  aTay.TOç  300 
yivcxai.    etiitelvouévov  ôe   tov  Jidd-ovç  /my.çbg   yivETUi    y.al  àavÔQbo,   y.al 
Tuyvz  fiàÂÀov  ijjiEQ  Tivy.rôg. 

XVIII.   Tig  b  JieQiJivEvuoviy.ov  GCpvyfiôç. 

Bçaêvg,  uçaiôg,  vjiôao^cfog,   ài'dj/j.aÀog,  UTay.Tog'  etiitelvouévov  ôe 
TOV  Jiâd'ovg  y.al  b^Eiaç  %fjg  àvajivofjç  yivofiévrjg  sixÔToyç  b  Gçpvyfiog  xaxa-  sio 
ofiixçvvETai  ojg  àv  tov  nvEVfiaTog  ßEßiaGfievog  ôioÔEvovTog,  àjLivÔQog  ôe 
xal  Jivy.vbg  y.al  Tayvg  tôte  utcoteP^tul. 


285  y.al  av^ii7TÀoy.i]g  —  287  7içoeiçi]fA,év(ûv  om.  P        286  sq.  emendatio  incerta; 
f.   [fÂerà]  et  >^"   unajasig  t.  n.  è.  ôvva{,iévr)g.  289  '0  tov  —  ayvyfidç  om.  P  29.^ 

aÀÀoiç  —  y.ai}£Ày.vafi6v  om.  P     ô'av  Y  295  acpvyfAÔç  om.  P  296  Tiov  — 

0(fjvyu6s  oiri.  P       2t)7  y.al  dçaiàç  — •  zî/v  in  P  non  iam  dispiciuntur        298  ()v^ov  VP 
299  éavTOv]  emendatio  incerta.  302  acpvyfîos  om.  P  ;i03  JlÀevQiTiy.où  aq)vyf*ög 

om.  P     i^èv  ta  ftèv  f.iéyE&oç  P  .S08  acpvyubg  om.   P  .SU  fort,  tiotb. 


—     465     — 

XIX.   7Vs  ô  y.uQÔiuy.ov  ag)vyfi6ç. 

MixQÔç  <o>  a(pvy/iôç  en'  avxojv  y.ai  jivxvoç  y.ui  do&evijç  y.at  vyqbç, 
315  TQOfiôjôijç   TE  yMt  âvMiiaZoç  yal  cctccxtoç. 

XX.   2Yç  ô  Tov  axofiaxiy'Ov  ocpvyfiôç. 

'EyyvTCCTa  ôoxeî  tov  xaQÔianov  rvyxdveiv  /.ai  yÙQ   roîg  âÀÀoiç  rn]- 

fieioiç   ôvaôidxQiToi   eiaiv  ö  to  y.açôiayog    y.aî  ô  a70f.iaxtyj)ç-    ëyei  fiévTOi 

yf  JioÀÀiii'  ôiu(fOQâv.    ô  ^ev  yùç  joyv  yaQÔiaxojv    acfvy/nôg  èaxiv  ôtioÎoç 

320  Et'Qr]Tai,   ô  Ô£  Tü)V  OTO^aymoiv  ànZovoTeçoç  xai   ßgaoinecog    xai  açaiô- 

TEQoç  avyy.çivôfievoç  Jiçoç  tov  tcov  y.açôiccyojv  acpvyfiôv. 

XXI.   Tig  ô  yo/.EQiy.ov  açvyfiôg. 

MixQÖg,  dfivÔQÔg,  nvxvög,  Tayvg.   TOiomog  ôé  egti  y.cà  ô  tmv  vnb 
ôiaQQoiag  èvoyjyovfiévcov. 

325  XXII.   Tig  O  avvayyixov  acpvyfiôg. 

Tov  fiEyéd-ovg    ydçiv  y.cà    t//ç  a(poôçÔT)]Tog  f^iéaog.    jiÀiiV  è^içaivMV 

Tl  Xal   VTCÔGO^KpOV,    EJllTElVO/lÉVOV  ÔÈ  TOV  Jldd-OVg  fllXÇÔg  JTOTE  xui  dfivÔQog. 

XXIII.   Ti'g  ô  djTOJTÀriXTixov  a(pvy[iôg. 
Méyag  xai  ocfoÔQog  xcii  Tayvg. 

330  XXIV.   Ti'g  ô  TETUVixov  G(fvyßog. 

Méyag  fi£i>  aufifiÉTQcog,   GCfoôçog  ôè  xai  Gx?.)jQÖg   ôiuTETU^iÊvr]g  Tijg 
àQTrjqiag  olov  yoçôîjg. 

XXV.   Tii'Eg  01  xad^'  IxdGTtjv  fjZixiav  xutù  (çvgiv  Gçvyfioi. 

nuQÊTiETUi  Toîg  vt]Jiloig  xaxà  cpvGiv  G(pvy/iidg  Tayvg  te  xal  nvxvog 
335  ^  nixQog  xal  dfivôqôg'  èri  te  igi]  t)  ôiaoTOÀi)  xal  fj  GVGTOÀi]  en  amojv 
Ei)QÎGXETai.  Toîg  ÔE  Èv  ai)ç,i]GEi  ijârj  yivo/^iévoig  iràoi  toj  fiEyé&Et  xal  t/) 
G(poôq6ti]ti  EJTiÔEÔojxojg  EvQiGXETai  0  Gcpvyfiog  xal  Jioaœg  ßcaovTEQog  xal 
dçaiÔTEQog  naçà  <Tovy  tojv  vijmoiv.  TOÎg  ôe  ßEiQaxioig  xal  roîg  GvvEyyî^ovGi 
xfi  dxfifj  ^ueICcov  nolv  xal  oçoôçÔTEQog  ßgaouTECog  te  xal  dgaiÔTeçog, 
340  Toîg  ÔÈ  èv   aÔTfi    t/)  dxfif]   TvyydvovGi    fiéyiGTog    ndvv    xal    GcpoôçÔTaTog 


314   acpvyfto;  èTi'  avTÔ)v  om.   P  316  a(fvyi.i6g  om.  P  319  ôttoIoç  t'ativ  V 

322  (j(pvyf.iôs  oin.  P  3"27  vTtôao^itpoç  VP  828  acpvyfibç  om.  P  3^0  a(fvy- 

fiôç  OUI.  P  384  et  naçénezai  et  xarà  (fvaiv  ocfvy^uog  om.  P     re  om.  P  3^5  frt 

ze  om.  P  339  fteî^ojv]  co  ex  o  fec.  m.  eadem  V:  iieî^ov  P 


—     4üG     — 

y.ui  ßQuovxaiog  xal  ÙQuiôiuiog  -/ml  '/.uià  no/.b  JiQotxojv  tojv  jiqojiùjv 
fjAiyuayv.  lolg  ôè  ànb  xfjç  àxf-ifjg  nqbç  %b  yf}Qctç  ànonÂivovaiv  rjôi]  âid- 
(foQoç  yîvexai  ô  aipvy/iiôç'  toIç  fikv  yàç  fiixQov  fistà  xrjv  dxfitjv  7iQo[a]£À- 
d^oùai  xco  ^leyéd-ei  xal  xrj  GcpoÔQÔxr/xi  TiaQanXrjaiôç  èaxi  orpvyfiqj  xcp 
XMV  èyyit,ôvxo)v  xfj  uxfif/  xaï  toîç  y^Qovixoïç,  oiaactj/iiaoiv  ô  uxjxbç,  xq)  345 
xcTjv  àx^aÇôi'xwv,  jiÀiiv  en  ôÀiyov  ôia<À>Àdtxù)v  ßQaovxecoc  xuï  âçaiô- 
xEQog  yEyovcbç.  xoîç  ôè  jiQsaßvxaic  rjorj  xq)  fisyed-Ei  xal  xfj  ofpoÔQÔxr^xi 
flXaxxoifiévoç  xal  xoîç,  xQovixoîç  ôiaoxfjfiaaiv  r]i)^f]fiévoç,  ßqaovxEQOc  xal 
àqaiôxEQOç,  yEyovcbç,  xoîç  ôÈ  yrjçaioîç  naçÉTiExai  acpvyfibç  fiixçôxrjxoç  [iev 
XÛQiv  xal  àfivÔQÔxrixoç  TiaQanXrjoioç  xco  xmv  vrjjiiojv,  xdx£t  àè  tiàeÎoxov  350 
?^Ei7iô{iEvoç.  £711  iiEV  yuQ  xcj)v  vrjmcov  ol  xayvxaxoL  xal  nvxvôxaxoi,  ènï 
ôe  tcjjv  yj]Qaicdp  ßcaovxaxoi  xal  ÙQaiôxaxoi.  xal  eIç  xooavxaç  fièv  ôt] 
fjÀixiaç  xEfivovoiv  en  dxQißkc  xbv  ocpvyfiôv  xlveç  ôe  ovx  eïç  xooavxaç, 
dÀÀ'  eIç  xÉaoaqaç,  aiç  naîôa,  /iiEiQdxiov,  dxfidCovxa,  yÉqovxa'  fji^iEÎç  ôe 
Tiçbç  %b  èjii/iEÀÉaxEQOV  xal  ôiôaaxaÀixcbxEQOv  dcpoqojvxEç  ovx  eIç  xicyaa-  355 
Qaç,  àÂÀ'  EIÇ  EJixd,  xad-à  xal  'IjiJioxqdxriç  ev  xco  ITeqI  eßoofidoojv  rpçovEÎ 
xal  ol  'AQxiyÉvEioi,  xé^ivovteç  xdç  xe  fjZixiaç  xal  xbv  ocpvyfiôv,  ojg  EÎvai 
viqjiLov  xal  Jiaîôa  <xal>  fiEiçûxiov  xal  dxfidÇovxa  xal  yàçovra  xal  jtqeg- 
ßvxr]v  xal  ytiçaiôv. 

XXVI.   Tiç  vcp'  Exdoi^ç  o)Qaç  xoù  exovç  dnoxEÀEÎxai  ocpvyiiôç.  36o 

"Qqa  d-EQivri  txdoxtjç  fihxiaç  ccÀÀdxxsi  xbv  acpvyfibv  xal  naçéxEi 
(jiiXQÔxEQOv,  dxovcjjxEQOv  xayvxEQOv  XE  xal  nvxvôxEQOv.  xal  xi  yÙQ  ^  ovfi- 
cpcovov  vfjniov  xfj  ^Àixla  dnoôiôcooi  xb  xivrifia;  XEifiôiv  Ôe  (iixqôxeqov  xal 
df.ivÔQÔxEQOv  ßqaovxEQOv  XE  xal  clçaiôxEçop  tioleÎ  xbv  ocpvyfiôv,  Ofioiov 
fj/uxlcc  ysQovxixfi.  èaç  ôè  xal  (fd-ivônwQOv  f.iEaovvxa  fiÉyiaxov  xal  365 
acpoÔQÔxaxov  xdyEi  te  xal  nvxvôxrjxi  avfifisxQov,  o^ioiov  jiaqÉxovia 
Gcpvyfibv  dxfidÇovxi. 


356  Hippocrates  de  septimanis  c.  5  (t.  VIII  p.  636  et  t.  IX  p.  486  Littré  =  Phiio 
de  opificio  mundi  c.  36  p.  40,  7  sq.  Cobn  [Vratislav.  1889]  reapse  hsec  habet:  év  àv- 
&QÔi7iov  (fvaei  éTiTÛ  elaiv  Siçai,  äg  fjÄiy.i'ag  y.aZéovatv,  Tiaiôlov,  naîç,  /■leiçdy.iov,  vea~ 
vCanoç,  àvi'iQ,  TiQeaßvvrig,  yéçcjv  xal  Tiaiôiov  [xév  êariv  àyçiç  kma  èrùv  ôôôvzojv 
exßoAfjS'  Tiatç  ô'ayçi  yovi^ç  éxipvatog  êg  zà  ôlg  émâ-  fieiçdy.iov  d'a^çt  yeveùov  Àa- 
yvùioiog  èç  tu  zQÏg  éjizd'  veavCaaog  ô'ayçig  av^ijaiog  ôÀov  zov  acôfiazog  ég  zà  zez^axig 
éTczd'  àvrjQ  d'  àyQtg  évbg  ôéovzog  Tzevz^aovza  êg  zà  énzdxig  éjizd'  TiQsaßvzrjg  ô'ayçi  tzev- 
zrf/iovza  é'I,  ég  zà  éTtzdy.ig  ôy.zo'}  (ày.zdy.ig  éjzzd  Altwegg)-  zo  ô'èvzev&ev  yéçcov.  Cf.  ibid. 
p.  77  scj.;  Roscher,  Hcbdomadenlehren  (Lpz.  1908). 


342  àTtb  zF^g  ày-f-ir/g  om.  P  343  zoîg  —  317   Ijôij   om.  P  348    f/Àazzo- 

fiévog  P  ut  videtur  349  yeçatolg  P  352  xal  eiç  —  359  ytjQaiov  om.  P  352  zoi- 

avzag  V  3.56  eùôoudôoiv  V  360  é(p'  éy.dazjjg  P  363  v^jzCov  aut  vt^Tzica  V; 

T]  G.  vriTziov  P         364  àuiôgôzEÇov  P     à^uîceQov  ex  àfivôçôzeQov  fec.   P         367  àxfid- 
^ovtu  VP 


—     467     — 

XXVII.  TivEç  elolv  ol  aivôvvùÔEig  acpvy[xol  xaKOPOfiaofitvoi. 
Tà)v  ôi]  o(pvyf.iG)V  âvayxaîov  xal  %ù  ôvôfiaia  tyJHni)-ui.  ovro)  yùç 
370  up  evamiôiEQOv  ôiôaxO-Ei'ii^isv  zàg  nQoai]yoQtaç  zuTuiûç^uviEg  avn7)v. 
xEîrca  ôe  xal  Jiaq'  "HQOfpiÀEÎoiç  xal  Jiaqà  'ÂQXiyEVEioiç  xoôtojv  xaruÀoyoç. 
xaÀEhai  yÙQ  à  fiÉv  m;  Èx?.Ei7Ton'  ocpvy^ôç,,  o  ôb  ôiaXEincov,  h  (Ye  naXiv- 
ÔQO/i((op  xal  ôoQxaôi^ojv  xal  rQo^coôr]ç  xal  fiôovQog.  dxoÀovd^oiç  ÔÈ  jieqi 
èxâoiov  ÀÉ^o^iEv. 

375  XXVIII.   TIg  h  èxÀEÎJTcoi'  acpvyfiàg. 

'0  èxÀelJicor  xaÀovfiEvoç  acpvyfÀOç  xal  un    avtov  xov  ùvô^iutoç  èfi- 

(faivEi  ib  JiEçl  avTov  lôiojjtia.  èÀaiTOv/A^voç  yÙQ  ùeI  fiàÀÀov  xaid  te  tô 

fiéyEd-og  xal   rtjv  acpoÔQÔttira  xal  xatà  ti)i>  av/ifiEjQiap    loù  TÛ^ovg   xal 

irjg  TivxvuTijTog    %6    téÀeov    exÀeîtiojv    ovxéti    (paivEiai.    ôià    xal   iv  jolg 

380  JIÜVV    'x^aXETiolg   xal    ôÀEd'çioig    iovtov   TÎd^EjiiEv    ojg   jiQooi]^iaivov%a   xbv 

OÀE&QOV. 

XXIX.   Tig  à  ôtaÀEiJioii'  a(fvyfi6g. 

'0  ôiaÀEi'jTOJV  xaXovuEvog  G(pvyßög  navTEArj  ^iev  à<paviO(.iov  où  noiEÎ  Tfjg 
xatà  trjv  àçTiiQiav  xivriOEOig,  àd-Qocog  ôe  ànoxonElg  xal  Ifptjoi^yßaag  xatà 

385  ^^ip  ovaxoÀtjV  xQÔvov  Tivà  EJiavEQXExai  nâXiv.  xal  è'aziv  èv  avtoj  fj  ôia- 
(fOQÙ  TOiavTi]  Tig.  ôiaÀEÎJiEi  yàç  ijjoi  naq  oPayonÉQag  --'..>  xalTOÙToylvEiai 
TETayjii£Vù)g  ï]  chccxicog.  jiote  jliev  yàç  ^etù  xcÀEtovag  acfijyfiovg  oJov  %Èa- 
aaqag  t]  névtE  ôiaÀEÎJiojv,  avd-ig  f-irj  (pvÀd^ag  irjv  tâ^iv,  fiEzà  ôvo  /}  zQEÎg 
nÀi]yàg  ôiaÀEiJTEf    })  èx  tùv  èvavxiù)v  fiEzà  ohyonÉqag  ôiaaroÀàg  èna- 

390  vÈQXExai  ènl  xàg  jiÀEÎovag'  ^  tô  è'vxaxzov  (pvÀdaoEi,  ti]v  avtt]v  îoôxrixa 
jioiovfiEV <oç>  xùjv  xaxà  xù  öiaAdfi^axa  XQovoiV.  xov  i^iEV  oëv  naq'  bXiycùxÈ- 
qag  dvxanoôôioEig  G(fivyiiov  ôiaÀEinovxa  fiàÀX.ov  bXéd'Qiov  vofiiaxéov, 
xov  Ôe  naqà  7i?<.Eiovug  f]Txop,  oîov  xôv  Tiaqà  fdai'  xivijoiv  xov  naçà 
ôi'O,   xal  xov  Jiaçù  ôvo  xov  naqù   xçEÎg,    xal  xov  jutçù    XQEÎg  xov  Jiaqà 

395  xÉooaqag,  xal  xaxà  xà  f$/)g  ofioicog.  onov  f^iÈv  yàç  avvEXEGxÉQag  ovotjg 
xijg  xaxà  xov  acpvyfiôv  èvEçyEÎag  xal  ov  ôiaxEfivofi£vr]g  Tzvxvùg  vno  xov 
ôiaÀEt'jtovxog  a(pvy/.iov,  È'xi  xijv  ôvvafiiv  EQQcoad-ai  vjioÀrjjixéov,  oxe  ôe  ov, 
xoèvaviiov. 


368  naTcavofiaauévoi  oni.  P         .%9   Twv  —  372  yàç  om.  P         .'^TO  fort.  âiaÂe- 
yd'eîri^tev  371   fiQotfiAîoig  VP     àqyiyévei  oîg  Y  374  Àé§ouev  ex  —  cofiev 

fec.  P  375  rt'ç  —  acpvyuôg  om.  P  376  y.aÄovjAEvog  —  377  lâCco^ua  om.  P  377 
yÙQ  om.  P  380  ôjç  av  P  tov  om.  F  382  rig  —  aq^vyftôg  om.  P  .383  ôiaÀetTi 
litterœ  et  384  à&QÔiag  evan.  in  P  385  xeicu  —  386  na  non  dispiciuntur  in  P  386 
fort.   <Z.àvra7toô<baEig  i]  Tcaçà  7i?-eiovag'>.  387   Offvy^iovg    om.  P  387    olov 

ô^^  y           389  oiccavoÄr^g  YP  392  Tiovta  et  393  vijacv  et  396  yeiag  litterse  evau. 

in  P  397  éç v.TOÀr,:iï:alov  P 


—     4()8     — 

XXX.    Tic  ô  JTuZn'ôQOficov  ocfvyuôç. 

ï)  ÔÈ  :ra?urÔQOfioji' a(fvy,uôç  èariv  ô  jiZeIovu  xqovov  èv  rfi  avaTOÀfj  *o^> 
fiivoiv  y.ai  (fuvTuoiuv  ùjtoteàojv  TiavxeZovç  àaçvygia^,   eha  nàhv  Ijiu- 
viGiâ^ievoç  y.ui  :T/.i]a(7(oi'.    ooco  (Tuv  ôiù  n?MovoQ   jTUÀivÔQO/urjari    y^qôvov, 
ToaovTO)  fiùZ?.6v  èoTiv  ô/.ed-QtônuTog  ôià  jo  xov   'Çonr/.oi'    rôvov   fisÀSTÙv 
èy.  rov  y.ajù  /.ôyov  àjiô/./.vod-ai.  ovjieq  yàç  xqÔjiov  ai  Àvxt'icit<ai>(f?.6y£ç 
fÂEiod^eîaai  to  tivq  aîçpviôiov  èxÀeinovaiv,  sid^'  oaov  oi)  oßevpvvrai  téàeov,  405 
Tov  avTov  tqÔttov  xal  fj  ÇœriyJ]  ôvvafiiQ  èy  xov  y.aj'  ôÀiyov  aßevvvfievrj 
y.cci    71Q0Z   èÀccyjaTOV   avfi7T?,7]^aju^£Vi]    ud-QÔojç    ànoyÔTiTeTai.    axéaiv   ôk  ô 
nciÀivÔQOfiiov  ^Qog  tov  ôia/.eijiovra  è'yei  TOiavrt]v  avvvjrdQxovoav  àZÀrj- 
ÀoiQ.  oijTE  yàç  ô  ôiakEÎTKûv  ôvvaxai  votjd'iivai  ôiya  xov  TiaÀivôçofiovvxoç 
ovxE  XOJQtç  xov  ôiaÀEijiovxog   ô   jia/.ivÔQOucov,    dÀÀ'    àpciyy.i]    ooyoai  xov-  4io 
Tovç.  JiQoç  àÀÀi]Àovg  xoiavxijv  xiva  oyéGiv,  Ivu  vot]d-àjaiv  exccxeqoi.  ôeÎ  yàç 
xov  f.ièv   ôiaÀEijiovxa    açvyfidi'   f.iExai3dÀÀEiv   èy  yivrjoEOjg  sic   âxivt]Giav, 
xov    ÔÈ   7ia?JvÔQOfiovvxa   xodvavxlov    Eiç    yivijOiv    è^   dyivr]aiaQ.   firjjioxE 
ovv,  et  yqi]  qdvai    TuZ)]d-éç,    roîg    icQoyEVEOxÉQOig   fiÈv  avEyçdcpr^auv    ojç 
ôiacfÉQOVGUi  à/J.i]/.on'  ai  noiôxiixEg  atnui  xùv  Gffvyuùv,    ôiEvr^vôyuGi  ôi  ^i» 
[lôvoig  xolg  ôvôfiuGi  ; 

XXXI.   Tig  ô  ôoQy.uôi'Ço)v   <G(fvyiiôg>. 

'0  ôoQy.aôiÇojv  Gfpvyfioc  y.aÂEÎxai  xai  ôtJiZaGidÇcov,  ujiXovg  ôé  egxiv, 
EV  ^uià  ôiaGxÛGEi  ôlg  7i?J]ggo)v.  eîtcc  ôiaGTE/ùôjiiEvog.  ôiuGxÛGa  yàç  fj  àç- 
xijçia  y.ui  jTaçaGyovGa  çpavxuGiav  GVGxoÀfjg,  exi  fiExéojQog  xvyydvovGa,  4-'o 
jid/uv  jiQOGEjiiôiiGxaxai  xai  xÔxe  xi]v  ôcpEiÂofiévr^v  äjioAaßovGa  gvgto?J]v, 
ôfioicog  ègEQ<Ed->iÇEi  xi]v  àcpijv  ôiJiÀr^v  èv  xtj  ^uù  ôtaoxoÀf]  Jioiovfiévi] 
TTJv  oQfxrp^.  oi^Ev  xai  ôoQxaôl^tov  6  xoiovxog  èy.Âr^d^i]  G(pvyi.i6ç  ovx  axÔTrojç. 
tôoTiEQ  yàg  al  âoQy.dôcÇ  èv  xoïg  ÔQOiioig  zà  jLièv  nqona  uiyQÙ  oiaßalvovaiv, 
eira  aufviôiov  t:iï  tq  /lieIÇov  è^a/./Mvxai  xaï  uQog  xov  deçà  ^uexeoQLO&EÎoai  425 
7id).LV  TiQond/.'Aovrai  ttqIv  STiiß^vai  Trß  yîjs^  ovxùj  xal  o  doQxaôi^oJv  otpvy- 
/uog  /niyçàg  xai  djuvôçàg  TioirjaduEvog  xàg  TiQUixag  âiaaxoA^ç  ènï  ttXêov 
ôtaoxé/j.cxai  xai  uévojv  èv  xfj  avxfi  ôiaoTOÂrj  ttqo  tov  tieoeIv  nd/.Lv  tiqÔo- 
éTTiôiiorduavos  tï/J^ogel    xrjv  àifrv.    'Hq6(fi/.os  uÈv  ovv  o  TiQonog  ovoudoag 

399  ayv/fiög  om.  P  401  à.-r  .  teP.ôjv  P  402  ô  .  .  ôià  P     :TuÀt,vÔQOfii'jg 

Tj  YP  403  ToaovTOv  P     tov  evan.  in  P  403  fort.  ôÀe&çiojTSQog  404  fort. 

xar'  àPUyov         104  P.v/vîai,  VP     (fP.ôyaig  V  (pP.àtyaig  P         405  aßevvvzai  VP        40fi 

/ , 
aßevvvuevov  YP  407  -/.ai  evan.  P     avf(7TÀr^^a/.<  Y     av^tîtÀr^^afiévri  P  410  ovie 

ô  TTuÀivôçoftojv  '/ojfjig  TOV  ôiaÀeÎTTovTog  P  411   éy.dTSQ  ^  ;  evan.  in  P  413 

aP.ivÔQouoi'VTa  evan.  P  414  i]&£g  evan.  P  419  ôsî  Y  ôeîg  P  422  é^eçc^ei  YP 
423  ô  TOiovTog  et  acfvyiiôg  om.  P  425  ècfvlôiov  P  ftezeoyQiad-flaat  P  428  Tiéasig  Y 
TTeoùv  P     -Tooc  Ti   6.  YP  429  jiQWTog  Y 


—     4()9     — 

HO  ôoQxaôUdvza  mfv'/uôv  (fr^oiv  äna^  èoQaxévai  tui  tivoç  evvovx'>^\  'i/'î^'  '^£ 
ovvsxcôg  lîiï  T(~)v  tqywv   èTiércsoav  h  re  (fQsvr^Ttxali;   y.ai  aa^t) taxais  ()ia- 

XXXII.  Tl<^  <)  /.iv()/i/yAuwp  o'(fiv)'fiôi;. 

V)  iivQjiir^y.l Lo)v  ovo/iia^ôiiisvog  (îcfvyfios  Tansivôç  êoTi  xai  oisvog  /.aï 
43Ô  di^tvÖQot;  loxvQO)^,  ovarolrjv  ohyoxQÔviov  noiotv  /}  ôoyiôv  noielv,  a/./,' 
avcôiyev  olovsi  anaiçop,  râxa  ,«£v  ôià  ttjv  fiiy.Q()Tijia  tov  ^ivQfu-yjtç,  (ft 
7ïaQÔf.i()iOs  o)v  TOinvrôg  èariv  ô  otpvyfiôg,  xàya  àk  xal  ôià  rrv  i^ucfeceiav 
tÎ^v  tcqÔç  tj}v  y.ivi]Oiv.  (ooTieQ  yÙQ  avsvQa  ßaivsi  xo  'Ç<[k)v  xal  fiixQCc  y.aï 
aôaqxa  xal  okcog  (w  avyxivovvra  rrjv  ataOi]Oiv,  ouko  ôi)  xal  rcQog  xr^v  àcprjv 
440  0  (jqvy/iids  xoiavxr^v  Timsîrat  xrjv  aï(Td-''^(>iP  duvÔQoxdTT^v  xal  fiixQorâxr-v 
ovrexfj  tr  xal  yf^Qwaav.  svQÎaxexai  oè  ènl  xaçôiaxcÔv'  xal  ènl  xon>  d/Mov 
ôè  d^scDQEÎxai  ryvvFxéoxEQOv  xü)v  rôrj  Tiçôg  xcô  xsÀevxâv  bvxcov. 

XXXIII.  Tlg  0  GxMh]xiÇv)v  a(f'vy/ii6g. 

Y)  ôè    oxo'/j'xuoji'    xakov uevug    o(fvy/.iog    ex  xmv  avxcîiv  xcîi  /iivQiiitjxl- 

445  Çovxi  uvuéaxr^xè.  xarà  fièv  èviovg  ovdèv  (haq)éQsi  rj  xrj  7iQO(J}]yoQi(x  .«ôi//, 
xaxd  ôè  xoi>g  dxQtßeaxeQOP  xoîg  lôicô/naai  xtov  acpvyjtuôv  TiaQay.okovS-r^oavrag 
iyeioqelxai  na^aKkayr]  xig  èv  xolg  xivrj/iiaai  xoîg  txaxÉQcoO-ev  xal  ôiacps- 
Qovorg  exvxov  sixûzojg  xtjg  ovofiaa/ag.  ô  ,uèv  ydg  ^avQinfjxuon.,  wt;  TiQostQrj- 
xafiev,  naQéy^BL  (favxaoiav  jlivqu r^xog  viio  xf]  dipfi  rceQinaxovvTog^  o  ôè  ox(o- 

4âo  '/.r/xiÇo)v  x^v  xivr^GLv  GxoY/.r/.og  TiaQanlrfiLav  èv  xfi  Tiuçaîa  Tioisïxai  TVQog 
xijv  à(p}]v.  ovnsQ  ovv  xqÔttov  axoj/^r^^  /iiixQÔxaxog  xiîi  aco/naxi  xvyxdvtov  xivsî- 
xai  xaiydneq  ©  Q  iysiQofiévwv  èv  avxt^,  xwv  ôè  tiqootiitixôvxov  djiù  xwv 
xeXevxaUov  {.isqvw  axQi  Tr^g  xscpaXrjg,  xovxov  ôrj  xov  xqôttov  xal  6  acpvy^idg 
<ô>  axiuÂT]xiÇ(')v  xaxalaf-ißdvexai  xdg  xivrjaeig  èjciavvdnxcov  xalg  TiQoixaig  è(ps- 

405  b'Tfe'  >fo:Tà  xrjv  ôoxovoav  slvai  tisqI  avxov  ôiaGxn'/.i]v  itisxd  xov  xal  xo  Ttvsviia 
xo  xivovv  xj)v  dQxtjqiav  7]v(ofiévov  {.lèv  vnoninxexv,  tcü/jS]v  ôè  xi]v  dxoviav 
xal  tt^g  eiTislv  dmôksiav  è'yjiv.  ènl  ôè  xov  /.ivQ/iirfxiUovxog  nàv  xovvavTÎov 
èoxiv  et-çelv  vtiotiItixel  ydq  oiov  ei<g>  iio'KLd  xal  '/.enrd  xaxaôir^Qr^f-iévuv  xo 
nvsviiia   xal    ôid   Tovrf*    Lia/Mtv   avyxiveîv  ôoxeî  xiv   aïa^r^oiv.  a/.Â'  oitos 

460  /iièv  ovTtog  èaxlv  o/.éx)-Qi()g,  o  ôè  oxioh]xuiov  r^ixov  xivôvvoiôr^g. 


430  qp"  V  ft^al  P  4So  a(fvyfi6^  —  434  rrcpuy/io^  oui.  P  4)j  T^  où  ôo/iùjv 
P  :  manifestum  hoc  interpolationis  a  breviatore  factse  indicium  -ißfi  fort.  <,y,aÀeÎTai 
ôè  fivQuriKÎ^cuvy   TÛya  437   râxa  —  441  /»/pwaav  om.   P  439  aôaQia]   fort. 

àôiaÎQeia  442  rô  VI'  443  acpvyfiôs  om.   P  444  '0  ôè  —  448  ôvouaaiag 

om.   P  4i5  fort    f.i£v<Coöi'>  448  yàQ\  ovv  P     n:QoeîçtiTai  P  451   itr/.QÔ- 

zr^tog  V     of.T£^    —    458  hicoTiLTiTeiv  om.   P  452  legendum  videtur  y.a&d.-ieQ  y.c- 

yJ^(x}v;  cf.  Hultschius  ad  Pappum  t.  III  jj.   129.      fort    .-rçoTtiTitôvroiv  457  t'y^v   \' 

457  à7i6A^.eLav  syuiv  fiezà  xov  y.al   zà  .ivevtia   to  -aivovv   ti^v   àçir^çiav    i^voiuévov  iièv 
vji07iln,TEiv  è:il    P  45Ü  xai  —  aïa&tjaiv  om.   P 


—     470     — 

XXXJV.    Tl^  o  ftvovQi'Çotv  acpvyfiôg. 

O  ôè  f.ivovQuii)v  o(fv'/ji(og  xitev/^e  Tavrr-g  rr-g  ovoiAaoias  uno  tov 
TitQÏ  avTov  nyjluaiog.  eoci  ôi  Tio/.vaiôr^g  y.aï  TioÂvxlvrTos-,  tx  xrß  tojv  àvo- 
f-idkuv  xai  drâxTov  diacpaQÜg  xrjv  èîiiGvviyeoiv  sU.rjcpv')^.  oiav  yaQ  /usi- 
■^(ijiJ  TTQOGTCèoovaa  Tihjyrj  dal  xai  i-iu/.kov  xarà  %6  èçrg  ofiixQvvr^aiy  (xvov-  46= 
qtiv  aTioTe/.cî  o(fvyuôp,  f]  ozav  Ti/.r^'/ij  oxcqaonéqa  vTiontaovaa  xarà  ci]v 
jcQOJxr^v  iycaqji^v  auvöoihacov  7tkr]aGrj,  r>  otuv  jcvy.vôraQOv  7CQ007caoovOa  àaï 
■/.al  LiCü.Kov  àçaioréga  <i)> ,  7)  orav  rayvréQa  ccTtOTaAsod^eloa  rj  y.ivrjatç  voxeqov 
fl  ßQuövvovoa  /■  av.  tcùv  avavTiwv  cltio  xov  OjuL'/.QVvouévov  TtQO/.ÔTCxrj  ItcI  xb 
fialtov  rj  a/,  xov  uqaiov  arcl  xb  7cvy.v6xaqov  i]  av.  xov  ßcaoeoc  aicl  xo  xuyî-  470 
xaqov.  xai  xovxo  yivsxai  Ttoxa  fûv  xarà  /.lalwotv  r;  a(paiqaotv.  Tcoxa  ôa  y.uxà. 
itqood^aOLv  ïj  auBr^oiv.  oï  ovv  xolovxol  oixeLcog  xaKovvxai  f.ivovQl^ovxaç  0(pvy- 
f.ioL  ovvLoxuvTUi  ôa  y.al  ü/j.a  uvoloojv  xoiavxa  xtvà  Ttaql  xov  Ofpvyuôv,  a 
ôLy.caov  ly/.urarà^aL  xfj  yQccrpf^  Tto/.v/ia&aîaç  yûqiv.  t^xoi  yào  a/,  xwv  vjcaç- 
y.aïuâvi'jv  ItxI  tt/Jov  îj  aQxVjQÎa  Tvoialxat  xr^v  ôidoxaGiv  GrfoÔQÔJg  y.al  xayjcog.  ^^ô 
a/,  ôà  xwv  TiQog  xo)  y.aQjci^)  ueQwv  xaneivôig  y.al  ßgaoacog  log  an  okiyov  mc- 
x£G-9-ai  xf^g  acpr^g'  rj  xocvavxiov  ay.  xwv  vnaQy.aiiiévwv  arc'  oi.iyov  rtoialxai 
xry  èiôyy.vjGLV  y.al  uod-avr^  xai  ßQaovxeQuv  xîjv  /.ivrjGLv,  ax  ôh  xwv  Ttobg  xo 
y.açTXw  Liaqwv  anl  7c/.éov  ôdGxavaL  y.al  xayyvai  xb  y.Lvr\iia.  ylvaxai  ôà  y.6ov- 
Qog  y.al  xoexq)  xw  xq/jtcw,  ôxav  jtqwxog  TtKaxvg  VTtOTcaGwv  ocpvyabg  aig  xo-  48o 
Qvq)r^v  y.axu/.r^Sïf  Gxavr^v  ?)  ax  GxavôxxjXog  elg  rckaxvxr^xu  r)  agBainevog  Gcpo- 
ÔQwg  av.  xfjg  ßäoawg  y.ivalGÔ^ai  jtqbg  xw  xaKai  xijç  ôiaoxo/Sjg  axovog  yévrjxai. 

XXXV.   Tîg  u  TQOucôôrjg  Gq)vyuôg. 

0  ôà  xoouojôr^g  y.a/.ovaavog  Gcpvyfj.bg  rcoixû.wxaxog  xul  xivôvvw  <^ôéG>  xaxôg 
Igxlv  ay.  xwv  drojuâ/.ojv  y.al  axdy.xojv  xr^v  l7CL7C/My.i]v  ayjov.  oxav  yccQ  xar'  485 
uû.a  uàv  uâorj  xâyior.  y.ax^  uû.a  ôà  ßqaOLOv  \\  aqxr^qia  TcqoGTCiTCxrj  xj)  acpfj 
y.al  ur^ôâ7toxe  av  avxw  xw  yqôvqj  uavi],  a/j.à  xa&â7taq  xivovfxâvï]  xe  xai  xqa- 
ôaivouâvï]  xaxaXaußdvriruL  xai  olov  ajtiTtkoxr^v  xwv  XLvîuatov  àxaxâqwv,  xijg 
xa  xaxà  xijv  ôiaGxoÂrjv  xai  xî^g  xaxà  <xr[v>  GvGxoLr^v,  ayovGa,  xrjvLxavxa  xi- 
yvxai  xb  xdyog  y.al  o  qv^ubg  a7il  xov  xolovxov  xw^iaxog.  ovx  axÔ7iwg  ovv  490 
XLvag  wuoiwGav  xr^v  xoiavxr^v  xov  Gcpvyuoî  xîvrjGiv  xw  yivouévo)  Tiaql  xolg 
a§a/.ovxiGuoig  xwv  ôoqdxojv  y.qaôaGi.iw'  xa&aTtaq  yàq  xavxa  xaxà  rijv  fpoqàv  xai 
xr^v  aqaiGtv  aTtiGaLexai  xqouwôr^  Ttavxayôdsv  ôiôôvxa  xov  Ttaql  avxolg  xKôvov,  oï- 
Tiog  xai  xip'  aqxr^qlav  avqÎGxaG^aL   oa'/.avouévr^.    xwv  ôà  ôiaGxohov  xai  xwv 

462  (j(fvyuàs  om.   P  AiVo  tioàà.  eiâî^g  P  465  fieî^ov  V     auiy.Qvvszai  VP 

467   7i/.t]aaii   P  \{\\)  TiQoy.ÔTizai  P  474  iyy.uzaP.d^ai  P  480  fort.  n^Qùivov 

ÀÀec 
481  y.araÀr^^ti  P  482  to  xe        P  484  a<pvyii࣠ ora.  P  48ß  zdxeiov  et  ßccc- 

ôetov  P        489  zi^v  y.azà  avazoÀr/v  V  zi^v  avazo/J^v  (omisso  xazà)  P        491  ôftoîojaav 

a 
P  492  y.QÔaatiàj  P  49')  î'çaaiv  Y  tQeiaiv  P 


—     471      — 

495  avOTohùv  i/ùo  €Ôoi]aov  ôiôccay^aXiag  içovfuev  /.ai  tcaçâôuyiiû  ri  jcagà  roig 
Hçfxpûeîotg  ri(yîuevov  toioCtov.  wojcsq  yûq,  rpaai,  ZQivcrßaaiv  uvhZv  rceçi- 
Tsd-évxiov  kejcTorûciov  açcr/vliov,  ijcsixa  lu7CV€v<T^évrojv  vjco  rov  uovaovoyoù 
Twv  avXôJv,  7CQog  tr^v  ôiaÔQOur^v  ôt  /.cù  xrv  eumiooiv  TQOf^aûôi-g  avro/v  OQÙrca 
yJvrjatg   Ivel    roîç    TQVTcr^/iiaaiv,    nv/.  'ior^ç    ocôè  of.ia'Ar^g   yivofuvrjg  aiTWv  rr^g 

500  ÔLaOaXeîotiog  ohov,  cüJm  lUTHoçiÇouévcov  /xa  akka  ittv  fifoi]  uâ'/./.ov,  /.ux' 
ÙÛm  ô'r^Txov,  y.uï  y.aO-''u  lùv  6ixovojT€Qov  hcariOxuLitvtov,  y.a^'u  ôt  aoOevt- 
ax€QOv,  Oixoj  (J/;  /.al  ri^v  âçxr^Qiav  /.ivelod^ai  léyovOLv  àvio^iâÂojç  y.axù  /lév 
XL  ôiC(GX€/J.ou(rr.v  iiéoog  Ini  jt/Jov,  y.axà  ôf  xl  ï'/.axxov  /.cd  7cl  i-ilv  ßuao- 
X6Q0V,    ni]   Ôl    CcG^ivéOX€Q0V. 

505  XXXVI.  E(p'  ôoov  oiv  ijUlv  ôvraxov  }]v  vceQÏ  xrv  vfWjOiv  xov  7CSqI  arpty- 

jiitôi'  ovvxây/iiaxog,  xavta  ovveiorivéyy.a.uev.  xo  ôè  tv  7toLkoîg  iÔLOXQ07Ccîrte(jov 
urj  y.ctxà  xov  I/iTto/.Qcéxrp'  oxi  §€V07CQ€7tèg  /.ai  f.irj  Bûvr^d^eg  y.axacpçovr^d^ifxoj. 
a//à  xfj  TtQog  xcc  aXXa  7caQa^éo€L  /.QiS^r/xw.  êi  ôé  xig  r^  y.ax  aAoXovd^iav  r- 
'/.axci  7Co}.vvoiav  y.çeixxova  xiov  rif.i€Qwv  evQOi,  avxôg  fie  ^Egaalorçarog  çisxai 

510  aei  TtKéov  veioxéçu  7ca'Kaiäg  eîg  avçeoir  ôiôovg. 

Tü.og  xwv  7caQi  acpayiicüv  MaQ/.a/./.ivov. 

507  Hippocrates  de  fracturis  c.  1  t.  III  p.  414  Littré  =  t.  II  p.  40  Kuehlewein  : 
àÀP.à  yàç  TioÀÀàovTOj  Tavrt^g  r//ç  zéyvriç  y.QÎveTui.  to  yÙQ  ^si'OTiQeTiÈg  ovtioj  avviévzeg  el 
XQtjoTÔv  y.al  fiùÀÀov  iTiaivéovmv  /"  to  avvrjd'eg  (Laur.  47,7  et  Marc.  269;  ^vv^&eç 
Vatic.  276),  3  i[ôii  oiôauii'  on   '/Qi-iOTov,  y.al  to  àÂÀÔKOTov  ^uàÀAov  ^  rô  eijôtjÀov. 

495  TTaçaôeiyfiaTi  YP         496  i)Qoq>iAîoig    VF     (paalv  P  497  fivaovçyov  VP 

498  ôs]  f.  Te  498  ôqùtui  ex  ôçàa^ai  fec.  P         501  ô'  om.  P         509  ijfie<TépQO)v 

Makler  probabililer  510  à  .  .  TTÀéov  V  del  7i?Jov  P  veoi  ....  uaP.aiàg  V  veoneQ  .  . 
jiaÀai  .  .  P     ôiôovg  om.  P  511  TÙtv  om.  P     uaQKsÀÀivov  VP. 


Nachträg"e. 

s.  452  t.  :  Der  Aufsatz  von  Photiadis  Tieçl  zTjg  ôiy.aatiy.fjg  y.Àe^vÔQag  {'A&i]và 
XVI  (Athen  1904)  52],  auf  den  mich  H.  Diels  gütigst  hingewiesen  hat,  ist  mir  nicht 
zugänglich. 

S.  4.55 ff.  :  Cod.  ßononiensis  36.^2.  von  dem  ich  während  der  Korrektur  durch 
H.  Rabe's  Güte  eine  Kollation  erhalte,  ergibt  folgende  Verbes.serungen  :  Z.  1  3[açy.e- 
À^vov  Tieçl  acpvyiiojv  (bestätigt  den  Xamen  Maçy.sÀÀlvog)  '6  zig  y.al  ^éy^Qi  tov  lônoTrfV 
(also  r.  X.  u.  TÔJV  iôiojTÔJv)  4  y.al  Siöti  xo  7i()ùyiia\y\  \  6  àiâ  xai  (also  te)  y.  \  7  ôy.vôj 
Àéyeiv  iiï  ietwa  fiîj  ob?)  ajiavîog  ye  Tilg  (also  OTTÛviôg  yé  ttg)  |  28  evôvriOTOv  (verstärkt 
Wahrscheinlichkeit  meines  Vorschlags;  möglich  auch  evôvriTov)  ;  41  ^vii(pd)vo)  zai  y.al 
ôiacpûvoi  (bestätigt  meine  Ergänzung)  4.3  àTzoQQvxoj  ßQayvP.oyia  (vieil,  richtig:  à:ioQ- 
çvTq}  ßcayvÄoyia  ajhtenti  breviloqiientia  ?  denn  ànoQtjriTio  scheint  unpassend  64  f.  Xetito- 
liÉQiav  al'fiaTog  èy.ij  (also  Äe7TT0fieQeiai>  aifiuTog,  èTiel)  118  tovto  tö  ay.alua  icaQ.  (also 
xovTO  TO  ay.éuiia)  148  àyoivîo)  ôè  to  aytiiiazt]  (vieil,  ayoyvuo  Se'  to)  ayt',ttaTc)  '  290 
earrjv  (also  sotiv)  ôè  y.al  oze  ^léye&og  (bewahrt  vieil,  die  richtige  Wortstellung)  i  .303 
afvyiiôg  éoTi  y.az  àoyàg  (wobl  richtig)  .380  dg  äv  nQoaiuévovTa  lalso  Cog  àv  .Tpoa;;- 
fAaivovTa)    452  y.u&â.-reç  y.vy.Àov  (also  même  Deutung  des  Kompendiums,  y.vxÀMP,  Itestatigt  i. 


AiyipLOZ  45.   71. 

'ÄQ'/jyevrß    .  .   iv   iio  IIeqI  acpvyfiojv 

]3ißZup  28  1 .     'ÂQ'/jyévei  81. 
'Aç/jyéveioi    357.     'ÄQXiyevEioic.  6l\. 
'Aay./.rjTCLdô  i]ç,   èv  tco  ITeçl  àvujivofiç, 
aviov  GvvTÛyfiaTi  79. 


Baxx^log  à  'HçiKfi/.eioç  74. 

'EçaoloTçaTog  45.  71.  286.  tV  toiq 
IleQi  nvQETOJV  243.  509.  'Eçaoï- 
orQCCTOv   242.  249. 

o'EQvd-Qaïog  'HQay./,eiôi]Z~ih.  lov'Eov- 
d-Q<aî>ov  (näml.  'HQaxÂEtôrjv)  12. 

"HyfiTùiç  73. 

o'EQvd-QCiîog  'HQuyJMôi]z  75.  (vgl.  12.) 
ibv  TuQUvùvov  'HQuy.ÀEÎôijv  15. 
^Hçôcpi/^OQ  255.  429.    'HQoq)iÀov  254. 

^HqÔ(pl?.ov  261. 
Bay.xEÎoç  o  "HçocplÂEioz  74.    "Hqoffi- 

ÂEioiv   12.     'HçocfiÂEioig  371.  496. 

"iTiTioyçÛTr^z  71.  355.     'I:n:7i<>y.Qdzovg 
46.  48.  57.  275.     ^iTiTioyçûxEi  33. 
279.     'IjiJioxQCCTriv  276.  507. 
Zitate:  faus  verlorener  Schrift?)  19. 
(II  HO  Littré)  54. 
(III  272  L.)  50—52. 
an  414  L.)  507. 
(V  158  L.)  277. 
(V  510  oder  IX   1   L.)  54. 
(V  588  L.)  55. 
(VI  90  L.)  28. 
(èv  tQ  JJeql  kßooficioov  VIII 
636  und  IX  436  L.)  356. 

.1  vyy.Éù)g  21 . 


Namenverzeichnis 

(nach  den  durchgezählten  Zeilen  des  Textes) 

2IaQy.EÀ/Jvov  1.  511.  vgl.  f/filv  431. 
Tàn>  7ia?Mi(x}v  232. 
Uça^ayoçag  283. 

Ol    TlQOyEVÊGTEQOl    414. 

Tov  TaQavTivov  'NçuxÀeiôr^v  15. 

0ÛÏVOV  15. 

XpvGi.T.'ioc  45.  71.  235.  XqvoItitiov  234. 


Über  die  älteren  Definitionen  des 
Pulses  (vgl.  II.  Schöne,  Be  Aristoxeni 
IIeq)  Ti^Q  'HQO(fi/.ov  atoÉGEMQ  Vihro  terüo 
dednio  (Bonn»  1 893)  und  Geîlius  XVIII 
10)  berichtet  Markellinos  cap.  III  z.  T. 
ungenau.  Man  vergleiche  die  Defini- 
tionen des 

Archigenes  (Z.  81  f.)  mit  Galen  VIII  754, 
Asciepiades(Z.79f.)niitGalenVIII757f., 
Atbenœus  (Z.  77 f.)  mit  Galen  VIII  756, 
Bacchius  (Z.  74f.)  mit  Galen  VIII  732, 
Heraclides  Erythr.  (Z.  75 f.)  mit  Galen 
VIII  743. 

Die  Anführung  des  Hegetor  (Z.  73) 
bestätigt  meine  Darlegung  Apollonius 
r.  KUhim  Einltg.  S.  XXV  A.  45.  Die 
Pulsdefinition  des  Hegetor  war  m.  W. 
bisher  unbekannt;  Mark,  hat  sie  viel- 
leicht aus  der  doxographischen  Über- 
sicht im  7.  Buche  Ue^I  r/Jc  ^Hoocfi/.ov 
UÎQÈGECÙZ  von  Heraclides  v.  Erythrae 
(vgl.  Galen  VIII  746)  direkt  oder  durch 
pneumatische  Vermittelungübeniommen, 
deun  gerade  aus  diesem  Buche  stammt 
offenbar  auch  das  Zitat  des  EQvd-Q<aI>  og 
Z.   12 


Franz  Krutters  Bernauerdrama. 


Von 
Albert  Geßler- 


In  meinem  Basler  Gymnasialprogranmi  (1906)  .,Ziir  Dramaturgie 
des  Bernauerstoffes.  Altes  mid  Neues"  habe  ich  von  drei  schweizerischen 
Bearbeitern  der  „Agnes  Bernauer"  berichtet:  Gottfried  Keller,  Franz 
Krutter  (S.  15)  und  Arnold  Ott  (S.   16—22). 

Von  Kellers  „Agnes  Bernauer"  wissen  wir  aus  Briefen  an  Hermann 
Hettner  und  an  Emil  Kuh.  Jenem  schrieb  er  am  15.  Oktober  1853:') 
„Ich  werde  expreß"  —  nämlich  um  die  dramatischen  „Verhunzer"  Gott- 
helfs  zu  ärgern  —  „eine  , Agnes  Bernauerin'  machen  und  damit  Hebbel 
und  Melchior  Meyr  zusammen  attackieren."  An  Kuh  heißt  es  am 
6.  Dezember  1874  :''^)  „Einen  , Herzog  Albrecht'  resp.  , Agnes  Bernauerin' 
hatte  ich  in  den  fünfziger  Jahren  in  Berlin  ausgedacht,  als  Hebbel  und 
Melchior  Meyr  miteinander  zumal  darüberher  gerieten.  Ich  hätte  das 
blühende  Leben  und  das  mörderische  Eingreifen  in  die  Exposition  ver- 
legt und  dann  das  tragische  Wüten  des  Sohnes  gegen  den  Vater  zum 
Hauptinhalt  des  Trauerspiels  gemacht."  Schon  in  meinem  Programm 
habe  ich  darauf  hingewiesen,  daß  sich  Keller  in  der  Grundauffassung 
Hebbel  nähert,  d.  h.  er  scheint  mit  richtigem  dramatischem  Feingefühle 
gemerkt  zu  haben,  daß  Agnesens  Schicksal  nur  traurig,  nicht  tragisch 
ist,  und  darum  hätte  er  es  noch  weiter  zurückgedrängt  als  seine  Vor- 
gänger, nämlich  in  die  „Exposition"  hinein;  sein  Stück  wäre  darum  ge- 
wiß eher  ein  „Herzog  Albrecht"  als  eine  „Agnes  Bernauer"  geworden. 
Dennoch  scheint  mir,  wäre  es  wohl  weniger  auf  Meyrs  „Herzog  Al- 
brecht" als  auf  Hebbel  herausgekommen.  Jener  nämlich  l)ürdet  einem 
Intriganten  die  ganze  Schuld  am  Zwiste  zwischen  dem  Herzog  Albrecht 
und  dessen  Vater  Herzo»  Ernst  auf,    und    wie  dieser  Bösewicht  —  der 


1)  Baechtold  :  Gottfried  Kellers  Leben.  Seine  Briefe  und  Tagebücher.    II.  S .  229. 

2)  Baechtold  III.   S.  172. 


—     474     — 

Kanzler  Adelsreiter  —  entlarvt  ist,  findet  die  Versöhnung  statt.  Den 
Tragiker  Hebbel  aber  hatte  gerade  das  tragische  Verhältnis  zwischen 
Vater  nnd  Sohn  gereizt:  der  Vater^  der  Agnes  töten  muß,  wenn  das 
Höhere,  der  Staat,  das  Dasein  von  Hunderttausenden,  gerettet  oder  ge- 
schützt werden  soll  ;  der  Sohn,  dem  das  Liebste  geraubt  wird  und  der 
nur  schwer  erkennt,  daß  er  nicht  im  Widerstände  beharren  darf.  Auch 
hier  erfolgt  schließlich  Versöhnung,  aber  von  innen  heraus,  aus  der  Er- 
kenntnis, daß  jeder  verzichten  muß:  Ernst  auf  Herrscherglück,  Albrecht 
auf  Herzensglück,  und  daß  sie  in  einer  höhern  Einheit,  derjenigen  der 
Pflicht,  das  Glück  Vieler  zu  schaffen,  sich  finden  können.  Keller  nun 
hätte  aber  auch  Hebbel  „attackiert".  Ist  es  erlaubt,  eine  Vermutung  zu 
äußern,  so  darf  sie  sich  wohl  an  das  Wort  „tragisches  Wüten  des 
Sohnes  gegen  den  Vater"  anschließen  und  aus  diesem  den  Schluß  ziehen, 
daß  das  „Wüten"  des  Sohnes  gegen  den  Vater  dem  Sohne  zum  tragischen 
Verhängnis  hätte  werden  sollen,  also  ihn  zum  Tode  geführt  hätte,  zum 
Untergang  im  Kampfe  mit  dem  Vater.  Damit  wäre  —  vielleicht  ohne 
Intrigantenkünste  —  auch  ein  echt  tragischer  Schluß  gewonnen  gewesen, 
ähnlich  demjenigen,  den  Otto  Ludwig  einmal  geahnt  hatte,  als  er  erwog, 
ob  nicht  Albrecht  der  Geliebten  nachsterben  solle. ^)  „Tragisches  Wüten'' 
ist  dann  allerdings  nicht  bloßes  „Nachsterben,"  sondern,  wie  gesagt,  eher 
Untergang  im  Kampfe  gegen  den  Vater.  Damit  hätte  vielleicht  (s.  mein 
Programm  S.  15)  Keller  die  Forderung  Bulthaupts  erfüllt:  „Nur  Albrechts 
Tod  im  Rachekampf  gegen  die  Mörder  seines  Weibes  hätte  das  Werk  ge- 
endet, wie  es  enden  mußte  .  .  .  Nur  so  wird  jeder  Macht  ihr  Recht,  der 
Staats kunst  wie  dem  Herzen."^)  Auch  daß  Keller  sein  geplantes  Stück 
ein  „Trauerspiel"  nennt,  läßt  darauf  schließen,  daß  in  seiner  Idee  das 
„tragische  Wüten''  Albrechts  dessen  Tod  verursacht  hätte.  Da  Keller 
nichts  aufgezeichnet  hat,  muß  es  bei  diesen  Vermutungen  bleiben.  Daß 
er  über  Hebbel  hinausgelangt  wäre,  darf  man  jedoch  nach  dem  Wenigen, 
was  er  dramatisch  geleistet  hat^),  bezweifeln.  Eines  aber  wird  man  ge- 
wiß behaupten  können  :  Keller  hat  den  Bernauerstoff  ernstlich  bedacht  ; 
er  scheint  Hebbels  und  Meyrs  Motivierungen  und  Ausführungen  genau 
geprüft  zu  haben  und  ist,  ganz  aus  Eigenem,  auf  eine  neue  Lösung  ge- 
kommen. Das  Spärhche,  was  wir  über  seinen  Plan  wissen,  wird  also 
immer  eine  Etappe  in  der  Entwicklung  des  Bernauerstoffes  zum  Bernauer- 
drama  bedeuten. 


')  .Julius  Petii  „Der  Agnes  Bernauerstoff  im  deutschen  Drama;  mit  besonderer 
Berücksichtigung  von  Otto  Ludwigs  handschriftlichem  Nachlass".  Diss.  Rostock  (Berlin, 
Ullsteins  Buchdruckerei  1892).  S.  46. 

2j  Bulthaupt  „Dramaturgie  des  Schauspiels"  4.  Aufl.  (1894)   III.  S.  155. 

^)  S.  das  Fragment  „Thérèse"  aus  dem  Jahre  1851.  (G.  Kellers  Nachgelassene 
Schriften  und  Dichtungen"  Berlin  1893.  S.  297  ft.) 


—     475     — 

V'iel  sorgloser,  aber  niclit  ungeschickt  ist  mit  dem  Stoffe  der  Solo- 
thurner  Franz.  Knitter  umgegangen,  dessen  Stück  ich  hei  der  Ab- 
fassung meines  Programms  nur  aus  einer  kurzen  Probe  hei  Weher- 
Honegger  und  aus  einer  Andeutung  Honeggers  kannte.')  Seither  hat 
mir  Prof.  AValther  von  Arx  in  Solothurn,  der  mit  einer  Arbeit  über 
Franz  Krutter  beschäftigt  ist,  zwei  Manuskrijjte  der  „Agnes  Bernauer" 
zugänglich  gemacht,  und  es  ist  mir  möglich,  darzutun,  wie  der  Solo- 
thurner  Jurist  und  Dichter  mit  dem  Stoffe  verfahren  ist. 

Vorher  sei  einiges  über  Franz  Krutter  mitgeteilt.  Ich  folge  dabei 
im  Wesentlichen  einer  Arbeit,  die  ein  Freund  des  Dichters,  Alfred 
Hartmann,  im  Jahre  1874  in  der  „Illustrierten  Schweiz"  hat  erscheinen 
lassen.-)  Franz  Krutter  wurde  aus  angesehenem  solothurnischem  Patrizier- 
geschlecht am  5.  August  1807  geboren.  Sein  früh  verstorbener  Vater,  ein 
tüchtiger  Geschäftsmann  und  insbesondere  zur  Zeit  der  Helvetik  (1798  — 
1803)  ein  geachteter  Beamter,  ließ  ihm  in  den  Stadtschulen  —  Primar- 
und Mittelschule,  Gymnasium  und  Lyceura  —  eine  gute  Bildung  geben  ; 
ein  junger  Geistlicher  war  daneben  sein  Hauslehrer.  Der  Lyceums- 
unterricht,  der  nach  Jesuitenart  den  Zöglingen  auf  Grund  lateinischer 
Handbücher  Philosophie,  Physik  und  Mathematik  beibrachte,  sagte  dem 
begabten  Jüngling  nicht  zu.  Er  flüchtete  sich  zu  den  deutschen  Klas- 
sikern und  machte  bald  selbst  Versuche  im  Dichten.  Den  etwa  Zwanzig- 
jährigen schickte  dann  der  Vater  nach  München  zum  Rechtsstudium. 
Aber  mehr  als  das  Jus  nahmen  die  Kunstsammlungen,  der  Umgang  mit 
Freunden  und  das  Theater  den  jungen  Schweizer  Aristokraten  in  An- 
spruch. Möglicherweise  hat  er  bei  seinen  häufigen  Theaterbesuchen  in 
München  einmal  Törrings  „Agnes  Bernauerin"  gesehen  und  hat  im  Be- 
ginne der  1840er  Jahre,  als  er  an  eigene  dramatische  Arbeiten  ging, 
sich  dieses  Stückes  erinnert. 

In  München  wurde  Krutter  Burschenschafter  (Markomanne)  und  hat 
in  seiner  Verbindung  die  ernst  freiheitliche  Richtung  seines  Lebens  em- 
pfangen. Unter  den  Dichtern,  die  er  am  meisten  liebte,  war  Uhland  der 
höchst  verehrte,  und  diesem  nach  hat  er  damals  schon  Balladen  gedichtet. 
Von  München  ging  er  nach  Heidelberg,  von  da  über  Dresden,  Prag  und 
Wien  nach  Paris.      In    der    französischen  Hauptstadt    war    einer  seiner 


1)  „Die  poetische  Xationalliteratur  der  deutschen  Schweiz.  Musterstücke  aus  den 
Dichtungen  der  l^esten  schweizerischen  Schriftsteller  von  Haller  bis  auf  die  Gegenwart. 
Mit  biographischen  und  kritischen  Einleitungen."  Band  I  — HI  (  Glarus  1866 — 67)  von 
Robert  AVeber,  Bd.  IV  (Glarus  1876)  von  J.  .1.  Honegger.  Cf.  Band  IV.  S.  295)  und  .405-308. 

^)  „Die  Illustrierte  Schweiz."  (Bern,  .1.  Dalp'sche  Buchhandlung)  IV.  Jahrgang 
S.  179-188.  —  Auch  in  Brummers  ,.Lexikon  der  deutschen  Dichter  und  Prosaisten 
des  19.  Jahrhunderts-  (Leipzig.  Reclam)  findet  sich  eine  Notiz  über  Krutter:  lid.  I  S  350. 
Einiges  hat  mir  Prof.  von  Arx  mündlich  mitgeteilt. 


—     476     — 

Oheime  schweizerischer  Gesandter;  er  schloii  sich  aber  nicht  eng  an 
ihn  an,  wie  ihm  überhaupt  Paris  nicht  sehr  zusagte,  sondern  reiste 
bald  in  die  Schweiz  zurück,  nach  Genf,  und  bildete  sich  da  in  der  fran- 
zösischen Sprache  aus.  Im  Jahre  1830  trat  er  in  die  Kanzlei  des  solo- 
thurnischen  Appellationsgerichtes  ein,  um  sich  juristisch-praktisch  zu 
schulen.  Nicht  lange,  und  er  wurde  Appellationsgerichtsschreiber.  Sein 
Glücksstern  ging  auf  :  er  dichtete,  bald  in  seiner  Kanzlei,  bald  in  seinem 
„Museum",  einem  in  malerischer  Unordnung  gehaltenen  heimeligen 
Winkel  im  Hause  seiner  Mutter.  Den  andern  galt  er  als  Sonderling; 
er  lebte  eben  sein  eigenes  Leben,  und  an  dieses,  das  innerlich  so  reich  war, 
wie  es  äußerlich  unbedeutend  schien,  knüpfte  er  bald  dasjenige  einer 
geliebten  Frau,  die  Hartmann  schildert  als  „ein  Mädchen  voll  Anmut 
und  Liebreiz,  von  schier  elfenhafter  Zartheit,  man  hätte  sagen  mögen 
aus  Sonnengold,  Aethcrblau  und  Rosenglut  gewoben".  Leider  wurde  ihm 
die  Gehebte  nach  kurzer  Ehe  entrissen  ;  er  hat  dann  später  ihre  Schwester 
geheiratet.  Die  Gedichte  dieser  Glückszeit,  namentlich  Balladen,  brachte 
der  „Schweizerische  Merkur",  den  Henne  und  Reithard  herausgaben. 
Krutter  zeichnete  nicht  mit  seinem  eigenen  Namen,  sondern  als  „Valentin 
Namelos".  Im  Jahre  1835  war  er  unter  den  Gründern  des  von  Alfred  Hart- 
mann redigierten  „Morgensterns,  Zeitschrift  für  Literatur  und  Kritik," 
die  allerdings  nur  einen  einzigen  Jahrgang  (1836)  erlebt  hat.  Krutter 
schrieb  für  dieses  Blatt  „die  Sage  vom  ungetreuen  Sibich",  eine  novel- 
listische Erzählung  in  Prosa,  sowie  eine  Reihe  von  Skizzen,  besonders 
über  Reisen,  die  er  mit  Freunden,  Hammer  (dem  späteren  Bundesrat, 
f  1907)  und  Alfred  Hartmann,  gemacht  hatte.  Nochmals  beteiligte  er 
sich  an  einem  solchen  Unternehmen;  es  war  1839  das  von  dem  Solo- 
thurner  Martin  Disteli  und  dem  Basler  Hieronymus  Heß  illustrierte, 
von  Krutter,  Hartmann  und  Rektor  Georg  Schlatter  redigierte  literarische 
Taschenbuch  „Alpina".  Aber  nicht  mehr  Lyrik,  Balladen  und  Prosa- 
Erzählung  nahmen  nun  sein  Hauptinteresse  in  Anspruch,  sondern  das 
Drama. 

In  Solothurn  gab  es  ein  Liebhabertheater,  gut  eingespielt  und  mit 
höheren  Ambitionen,  wagte  man  sich  doch  sogar  an  Shakespeare  und 
an  Gœthe  ;  Präsident  war  der  Maler  Disteli,  der  Rollen  wie  den  Shylock 
spielte.  Für  dieses  Theater  schrieb  Krutter  1840  ein  im  Jahre  1841  auch 
gedruckt  erschienenes  dramatisches  Märchen  „Salomon  und  Salomeh", 
Tieckisch  angehaucht,  dem  Stoffe  nach  dem  Volksbuche  von  Salomon 
und  Markolf  entnommen,  reich  an  lustigen  Episoden,  darum  ein  Erfolg 
der  Solothurner  Liebhaberbühne.  —  Einen  Solothurner  Dramatiker  muß 
aber  vor  allem  ein  „AVengi"  locken  ;  Krutter  schrieb  ihn  als  „vaterlän- 
disches Schauspiel"  unter  dem  Titel  „Schultheiß  Wenge,"  zugleich  aber 
auch    als  Tendenzdrama  ;    denn    aus  den  mit  kräftigen  Strichen  gezeich- 


—     477     — 

neten  Zwistigkeiten  der  Reformationszeit  mit  ihren  religiösen  und  politischen 
Schlagwörtern  erkannte  man  leicht  die  gegen  Jesuiten  und  Ultramontane 
gerichteten  Gesinnungen  der  Zeit  vor  dem  Sonderbundskriege.  Das 
Stück  wurde  auf  dem  Solothurner  „Stadttheater",  der  Bühne  des  ehe- 
maligen Jesuitenkollegiums,  verboten,  damit  nicht  in  der  politisch  aufge- 
regten Zeit  die  Gegensätze  sich  noch  verschärfen  möchten.  Gedruckt  wurde 
es  1845.  Fast  zu  gleicher  Zeit  muß  die  am  12  Februar  1843  erstmals 
aufgeführte  „Agnes  Bernauer"  entstanden  sein,^)  von  der  unten  eingehender 
die  Rede  sein  wird.  Im  Jahre  1846  veröffentlichte  Krutter  im  ,. Solothurner 
Wochenblatt'^  (S. 9 ff. leine  Abhandlung  über  die  Solothurner  Dramatiker  des 
16.  Jahrhunderts.  Seine  eigene  dramatische  Arbeit  ruhte.  —  Da  trat  im 
Jahre  1860  neben  dem  Ernst  auch  der  Humor  hervor  in  einem  über- 
mütigen Fastnachtsscherz  .,Die  Gasbraut",  den  Krutter  mit  drei  Freunden. 
Rektor  Schlatter,  Alfred  Hartmann  und  Dr.  med.  Rud.  Oskar  Ziegler, 
zusammen  gearbeitet  hatte.  Das  mutwillige  Stückchen  war  zur  Eröffnung 
der  Gasbeleuchtung  in  Solothurn  geschrieben  und  stak  voll  von  satirischen 
Anspielungen;  so  richtete  sich  schon  der  Titel  gegen  ein  kurz  vorher 
erschienenes  Schauerdraraa  „Die  Barrikadenbraut''  von  Xaver  Amiet. 
Das  Ganze  ist  eine  der  gemütlichsten  schweizerischen  Gelegenheits- 
dichtungen. Ihr  Stil  war  der  des  „Postheiri'',  des  satirischen  Wochen- 
blattes, das  viele  Jahre  hindurch  in  Solothurn  erschienen  ist.  Xach 
längerer  Pause  schrieb  Krutter  dann  ein  historisches  Drama  ,, Kaiser 
Tiberius",  das  als  Trilogie  gedacht  war,  von  der  aber  nur  zwei  Stückt 
(„Der  falsche  Agrippa"  und  „Sejanus")  gedichtet  worden  sind.  Es  ist 
nie  etwas  davon  aufgeführt  worden,  sondern  Krutter  hat  nur  einige 
Szenen  daraus  in  einem  Rathausvortrage  dargeboten.  Es  überraschte 
durch  die  Parteinahme  für  Tiberius  und  war  eine  Art  Ehrenrettung; 
dies  befremdet  uns  heute  weniger  als  jene  Zeit,  die  noch  in  dem  ziel- 
bewußten, strengen  und  harten  Mehrer  des  Reiches  nur  einen  wahn- 
sinnigen Tyrannen  und  Wollüstling  sah,  —  Von  der  römischen  Geschichte 
wandte  sich  Krutter  zur  schweizerischen  und  schrieb  die  „vaterlän- 
dische Staatsaktion"  (d.  i.  ein  politisches  Drama)  „Samuel  Henzi  oder  der 
Bürgerlärmen  in  Bern"  (als  Manuskript  für  die  Bühne  gedruckt  Solothurn 
1868).  Es  stehen  sich  da  zwei  edle  Männer  gegenüber:  der  Idealist  Henzi, 
Dichter,  Philosoph  und  —  Yerschwörer  gegen  das  patrizische  Regiment 
in  Bern,  und  der  Schultheiß  Steiger  als  Vertreter  der  historischen  Staats- 
idee. Diese  siegt.  Henzi  fällt;  aber  Steiger  muß  ihn  achten.  Schon  Lessing 
hatte  den  zu  seiner  Zeit  (1749)  aktuellen  Stoff'  angefaßt,  doch  sein  Werk 
blieb  Fragment;  Krutters  Stück  aber  ist  vollendet.-)    Sein  letztes  Drama 

1)  Protokoll  der  Liebhabertheater-Gesellschaft. 

2)  Der  Stotf  scheint  damals  in  der  Luft  gelegen  zu  haben:    denn    1867  war  des 
Baslers  Theodor  Meyer-Merian  Trauerspiel  .,Sanuiel  Henzi"  erschienen. 


—     478     — 

war  das  Trauerspiel  „Julian  und  Francesco'',  eine  Tragödie  der  Freund- 
schaft, geschöpft  aus  der  Üorentinischen  Geschichte  des  Jahres  1478, 
wo  die  Pazzi  die  Medici  zu  stürzen  versuchten  und  Giuliano  Medici  unter 
den  Dolchen  der  Pazzi  fiel.  Bei  Krutter  sind  Julian  Medici  und  Francesco 
Pazzi  Freunde,  und  das  Verhängnis  will's,  daß  dieser  des  Julian  Mörder 
wird.  Es  herrscht  die  Intrigue  in  dem  Stück,  dazu  viel  Mißverständnis, 
und  es  ist  wohl  nicht  so  ganz  zu  Unrecht  verschollen,  wie  Hartmann 
meint,  wenn  er  nach  Mitteilung  der  letzten  Szene  sagt  :  „Dieses  Trauerspiel 
Krutters  ist  dem  Besten  ebenbürtig,  was  das  deutsche  Drama  der  neueren 
Zeit  aufweisen  kannJ)  Und  dennoch  hat  keine  große  Bühne  davon  Notiz  ge- 
nommen. Es  ging  ein  oder  zweimal  auf  einem  kleinen  Liebhabertheater 
über  die  Bretter  und  ward  dann  begraben.  Warum  ?  Weil  der  Dichter 
keiner  Koterie,  keiner  Kameraderie  angehörte."-) 

Krutter  hat  die  Dichtkunst  immer  nur  als  „Diletto"'  betrieben, 
ohne  daß  er  deswegen  Dilettant  im  gewöhnlichen  Sinne  wäre.  —  Er  blieb 
Obergerichtsschreiber,  blieb  es  lange,  bis  er  endlich  zum  Richter  auf- 
rückte. „Aber,"  sagt  Hartmann  —  und  es  kann  das  nur  ein  naturali- 
sierter Solothurner  wie  er  so  gerade  heraussagen  —  „die  hochgehende 
Welle  eines  politischen  Sturms  in  jenem  Glase  Wasser,  welches  den 
geographischen  Namen  Solothurn  trägt,  spülte  ihn  eines  kühlen  Morgens 
von  dieser  ehrenhaften  ßuhestelle  hinunter."  Er  wurde  dann  jVIitglied 
des  KJriminalgerichtes  (1856),  auch  des  Schwurgerichtes  und  war  Sup- 
pléant am  Obergericht.  Politisch  war  er  gemäßigter  Liberaler,  als  Per- 
sönlichkeit furchtlos,  offen  und  wahr,  ein  ganzer  Mann.  Er  starb  am 
15.  November  1873. 

Nun  seine  „Agnes  Bernauer-'. 

Es  ist  oben  von  zwei  Manuskripten  die  Rede  gewesen.  Das  eine 
gibt  das  Stück  so,  wie  es  kurz  vor  der  ersten  Aufführung  des  Jahres  1843 
gedichtet  worden  sein  wird.  Bei  der  Aufführung  im  Liebhabertheater  hat 
dann  Krutter  erkannt,  wo  sein  Werk  an  Längen  litt  und  hat,  als  am 
15.  Juli  1849  zum  eidgenössischen  Musikfeste  das  Drama  nochmals  ge- 
geben wurde,  die  zweite  verbesserte  Redaktion  hergestellt  ;  nach  dieser 
zitiere  ich.-^j 

Krutter  hat  sich  dabei  sehr  wahrscheinlich  an  gar  keine  Vorbilder 
gehalten;  es  wäre  auch  im  Jahre  1842/43  höchstens  der  alte  Graf  Törring 
mit  seinem  guten  „vaterländischen  Trauerspiel"  :  „Agnes  Bernauerin"*)  in 

1)  Für  das  Jahr  1874,  da  Hartmann  so  schreibt,  mag  dieses  Urteil  nicht  ganz  ein- 
seitig sein;  außer  Wilbrandt  (.,Arria  und  Messalina"  1874;  und  Anzengruber  („Der 
Meineidbauer"  1871)  produzierten  da  die  Lindner.  l'Arronge  und  Moser. 

3)  £s  ist  übrigens  nicht  einmal  als  Bühuenmanuskript  gedruckt  worden. 

•*j  Eine  dritte  Aufführung  fand  1880  statt. 

*)  München  1780  fabgedruckt  in  Kürschners  ., Deutscher  Xat.-Lit."  Bd.  138  ed. 
Ad.  Hauffen). 


—     47Î)     — 

Frage  gekommen,  und  dessen  AVerk  dürfte,  wie  oben  gesagt,  der  Solo- 
thurner  Dichter  einmal  gesehen  haben,  aber  ohne  daß  Anlehnungen  zu 
erkennen  wären.  Er  dramatisierte  ganz  einfach  die  Geschichte,  wie  er 
sie  fand')  und  wollte  nicht  mehr  geben  als  ein  bewegliches  Theaterstück; 
allerdings  haben  dann  auch  die  tieferen  Charakterprobleme  sein  Interesse 
geweckt. 

Sehen  wir  das  Stück  genauer  an.  Es  ist  in  Versen,  stellenweise 
schwungvollen  fünffülMgen  Jamben  geschrieben  und  beginnt  in  Augsburg 
in  der  Nacht  nach  dem  Turnier,  an  dem  Herzog  Albrecht  teilgenommen 
hat.  An  einer  abgelegenen  Stelle  der  Festwiese  treffen  wir  Agnes  und 
ihren  Vater,  den  Bader.-)  Er  haßt  die  Adligen,  fühlt  sich  geistig  ihnen 
überlegen  : 

,.Sie  können  manches  ritterliche  Hirn 
Und  manch  Prälatenhirn  zusammenkneten, 
Bis  eins  draus  wird,  wie  es  ein  Arzt, 
Ein  ßader,  heißt  es  —  braucht." 
So  poltert  er  ;  Agnes  hört  nicht  hin,  sondern  erzählt  naiv  beglückt, 
daß  der  junge  Herzog  sie,  die  doch  unter  dem  gemeinen  Volke  gewesen  sei, 
gegrüßt  habe  ;  ja  schon  am  Sonntag  habe  er  ihr  am  Kirchenportal  etwas 
zugeflüstert,  aber  sie  habe  vor  Angst  nicht  verstanden.  Der  Alte  ist  stolz  : 
„Das  aber  tut  dem  alten  Kaspar  wohl. 
Wenn  jene  stolzen  Mächtigen  der  Erde, 
Die  Alles,  Alles,  außer  Mond  und  Sternen 
Füiv  käuflich  achten,  bei  dem  Bettler  betteln 
Und  dann  gesteheu  müssen  :  einen  Schatz, 
Wonach  ihr  Wunsch  vergeblich  ringt  und  trachtet. 
Besitzt  der  Bettler,  den  sie  schnöd   verachtet." 
Sie   gehen    ab,    Ritter    treten    heran,    Hans    und   Perzival  Zenger, 
Junker  Georg.     Hans  Zenger  beklagt  das  Verschwinden  der  guten  alten 
Kleidertracht,  mit  ihr  schwänden  auch  Treue  und  Tugend.^)  Der  Herzog 
tritt  hinzu,  im  Gespräche  mit  dem  Stadtschreiber  ;   auch  dieser  läßt  — 
wie   Kaspar    Bernauer    —    Bürgerstolz    blicken.      Albrecht    erzählt    den 
Rittern  zornig,  daß  ihm  die  Braut,  Elisabeth  von  Württemberg,  mit  dem 
Werdenberger  durchgegangen  sei.  Mun  kommt  ein  feiner  Zug;  Perzival  sagt  : 

„Ihn  trieb  der  Liebe  süsse  Allgewalt'', 
und  Albrecht  antwortet: 

„Das  habt  Ihr  aus  den  welschen  Ritterbüchern! 
Der  Liebe  Allgewalt  und  Heldenmut, 

1)  Bei  F.  .1.  Lipowsky  „Agnes  ßeruauerinn"  (München  1801). 

2)  In  der  ersten  Fassung  spielt  diese  erste  Szene  zu  Hause. 
ä)  Dies  wohl  eine  Anspielung  auf  schweizerische  Verhältnisse. 


—     480     — 

Verrücktheit  gar  aus  Liehe  kömmt   in  Liedern, 
Doch  nicht  im  Leben  vor." 

Und  weiter: 

„Straf  mich  der  Himmel,  wenn  ich  je  ein  Weib 
Aus  Absicht  auf  Verehlichung   entführe." 

Er  will  den  Werdenberger  zum  Zweikampfe  fordern.  Da  sieht  er 
Agnes,  die  mit  ihrer  Muhme  den  Platz  wieder  betreten  hat.  Er  geht 
auf  das  schöne  Mädchen  zu  und  führt  es,  obgleich  es  widerstrebt, 
zum  Tanzplatze.  Bürger  ziehen  vorbei  und  schelten  auf  die  Patrizier 
und  die  Beamten  der  Stadt,  die  's  gar  zu  bunt  trieben-,  zu  ihnen  gesellt 
sich,  unerkannt,  Ruprecht,  ein  reicher  Bürgerssohn,  dem  die  Liebe  zur 
Bernauerin  den  Kopf  verrückt  hatte,  so  daß  er  schon  vor  geraumer  Zeit 
davongegangen  war.  xAber  seine  Leidenschaft  hat  ihn  wieder  nach 
Augsburg  gezogen,  und  nun  muß  er  erfahren,  daß  der  junge  Herzog  die 
schöne  Agnes  verführen  will.  Mit  ihr  tritt  Albrecht  zu  den  Tischen  ;  seine 
glühenden  Beden  ängstigen  sie  ;  sie  enteilt.  Er  freut  sich  halb  über  den 
Mißerfolg  seiner  Versuche  dieser  Reinheit  und  Schönheit  gegenüber  .  .  . 
ihn  verlangt  nach  Einsamkeit.  —  Am  Morgen  streicht  er  um  Bernauers 
Haus  ;  Hans  Zenger  macht  ihm  Vorwürfe,  daß  er  das  Kind  habe  ver- 
führen wollen.  Agnes  geht  mit  der  Muhme  vorbei  zur  Kirche-,  sie 
bekennt  der  Begleiterin,  wie  schwer  es  ihr  falle,  daß  sie  mit  dem  Herzog 
getanzt  und  seine  Reden  angehört  habe,  und  doch  müsse  sie  ihm  alles 
verzeihen.  Da  tritt  Albrecht  heran  und  spricht  von  Reue  und  —  Liebe. 
Zenger  und  die  Muhme  tadeln  ihn,  weil  er  neue  Umstrickungsversuche 
mache.  Da  steckt  der  Herzog  dem  Mädchen  seinen  Ring  an  einen  Finger 
und  will  sie  gleich  zur  Trauung  führen  :  Haus  und  die  Muhme  sollen 
Zeugen  sein.  Zenger  will  nicht  widersprechen  :  er  kennt  Albrechts  un- 
beugsamen Sinn;  aber  —  er  fürchtet  die  Folgen  so  raschen  Handelns. 
—  In  der  nächsten  Szene  tritt  Ruprecht  in  Bernauers  Wohnung  und 
bittet  den  Bader  abermals  um  Agnesens  Hand  ;  er  wird  als  zu  vornehm 
abgewiesen,  auch  wie  er  nachweist,  daß  er  in  die  Bürgerlichkeit  hinunter- 
gestiegen, d.  h.  zu  Salerno  Arzt  geworden  sei.  Xur  ein  Bader,  ein 
„verachteter  Bader"  soll  Bernauers  Kind  heimführen.  Ruprecht  will  ein 
Bader  werden,  um  der  Liebe  willen.  Das  rührt  den  harten  Bürgersmann  ; 
er  will  die  Tochter  Ruprecht  geben,  wenn  es  diesem  gelinge,  ihre 
Liebe  zu  gewinnen.  Da  kommt  die  Muhme  zurück  mit  dem  Geheimnis 
vom  hohen  Glücke  der  Nichte.  Sie  kann's  nicht  verhalten:  Agnes  ist 
Albrechts  Gattin.  Ruprecht  ist  niedergeschmettert.  Kaspar  Bernauer 
nennt  die  Muhme  eine  Kupplerin  und  verflucht  die  Tochter. 

Der  erste  Akt  hat  viel  lebendige  Bewegung.  Die  Exposition  ist 
ganz  natürlich  aus  der  Situation  und  —  was  die  Hauptsache  ist  —  aus 


—     481      _ 

den  Charakteren  heraus  entwickelt  ;  sie  ist  also  echt  dramatisch.  Alhrecht, 
der  zuerst  einfach  verführen  will,  dann  auf  dieselbe  Weise,  die  er  kurz 
vorher  verhöhnt  hat,  von  der  Liehe  erfaüt  wird,  ist  glaublich  motiviert, 
übrigens  auch  aus  Zengers  Bemerkung  heraus,  die  uns  deu  unbeugsamen 
AVillen  des  jungen  Fürsten  erkennen  läßt.  Der  Adelshaß  des  alten 
Bernauer  ist  das  Ressentiment  des  lange  Verachteten  gegen  die  Ver- 
ächter: man  sieht  das  Bürgertum  sich  emporheben.  Ruprecht  ist  ver- 
ständlich, wenn  auch  nicht  als  notwendig  eingeführt;  er  hat  eine  Art 
Parallelfigur  in  jenem  Raimund,  der  in  Otto  Ludwigs  erstem  Bernauer- 
Entwurfe  „Der  Liebe  Verklärung"  aus  den  Jahren  1835—1840  „»Studien 
und  Aussichten  hingegeben  hat,  um  den  Badersack  zu  tragen".  Die 
Entwicklung  ist  dann  allerdings  eine  ganz  andere  :  Agnes  liebt  Ruprecht 
nicht  wieder,  und  ihre  „Schuld",  wenn  Krutter  überhaupt  eine  annimmt. 
liegt  nicht  hier. 

Im    zweiten    Akte    sind    wir    in    Vohburg   und    treffen  Agnes    und 
Albrecht  im  Liebesgespräche.  Agnes  bittet  den  Gemahl,  der  Einladung 
seines  Vaters  zum  Turnier  in   Regensburg  Folge  zu  leisten,  damit  nicht 
die  Ritter  sagen,  seine  Frau  habe  ihm  den  Edelsinn  gelähmt  ;  sie  fühlt 
sich  nämlich  —  in  aller  Demut  zwar  —  als  Rittersfrau  ;  in  ihrer  Seelen- 
größe   möchte    sie    auch    nicht,    daß  Albrecht  seinen  Vater,  „den  guten 
Greis",  durch  Fernbleiben  betrübe.     Albrecht  gibt  ihr  nach  : 
„Ich  geh  nach  Regensburg,  doch  leichter  war  mir's 
Beim  Sturm  auf  der  Hussiten  Schwerterwagen, 
Die  mörderischen,  als  bei  diesem  Ritt.  — 
Sei  dies  Gefühl  nicht  üble  Vorbedeutung!" 
Zur  Muhme,  die  Albrecht  wegen  seines  Weggangs  tadeln  will,  sagt 
Agnes  dann,  sie  habe  ihn  auch  weggeschickt, 

„daß  er  der  Liebe  Kelch 
Xicht  raschen  Zugs  bis  auf  die  Neige  schlürfe 
Und  dann  der  Ehe  lästig  Band  verwünsche." 
Gleich    darauf  wird  ihr  jedoch    das  Herz   schwer.     Da   kommt  ihr 
Vater;    sie    fleht   ihn    an,    den  Fluch    zurückzunehmen,    den  er  über  sie 
ausgesprochen  hat.     Kaspar  Bernauer  aber  nennt  Albrecht  immer  noch 
Verführer,   Agnesens  Ehe    mit   ihm   eine  Buhlschaft;    der  junge  Herzog 
werde  Gemahl  bleiben, 

„so  lang  die  Lust 
In  seinem  Blute  braust.     Dann  wird  er  sich 
Zu  helfen  wissen,  mit  BewiUigung 
Des  römischen  Stuhles  und  der  Reichsgesetze 
Die  mißgeborne  Herzogin  entlassen." 
Sie  solle,  meint  er,  die  sträfliche  Verbindung  einfach  zerreißen  und 
mit  ihm  heimkehren.     Agnes  aber  will  dem  Gatten    treu    bleiben.     Der 

81 


—     482     — 

alte  Vater  verzweifelt.  —  Die  zweite  Szene  bringt  das  Turnier  zu 
Regensburg.  Wir  sehen  Herzog  Ernst  ;  er  meint,  Albrecht  schäme  sich 
des  Skandals  der  Württembergerin  mit  dem  Grafen  von  Werdenberg 
und  habe  sich  darum  so  lange  nicht  vor  dem  Vater  gezeigt.  Albrecht 
selbst  nennt  sich  uuvermählt.  Da  wird  der  Augsburger  Patrizier  Junker 
Georg  von  den  Schranken  gewiesen,  weil  er  nicht  turnierfähig  sei  ; 
Perzival  Zenger  bürgt  jedoch  für  Georgs  Rittertum.  Dieser  höhnt, 
man  halte  sonst  die  alten  Satzungen  nicht  so  peinlich,  da  man  zum 
Exempel  keinem  mehr  wegen  einer  Buhlschaft  die  Schranken  schließe. 
Das  bringt  Ernst  und  die  Ritter  auf:  Georg  muß  den  nennen,  den  er 
meint  ; 

„Wo  nicht,"  ruft  Ernst, 

„so  bricht  der  Herold  Euern  Schild 
Und  treibt  mit  Schlägen  Euch  aus  diesem  Kreise!" 

Da  macht  Georg  kund,  daß  Albrecht  die  Baderstochter  Agnes 
Bernauer  auf  der  Yohburg  als  Buhlerin  halte.  Auf  dieses  hin  weist  der 
Herold  den  Herzogssohn  aus  den  Schranken.  Ernst  ist  wütend;  er  werde, 
schnaubt  er,  den  Sohn  enterben.  Nun  bekennt  Albrecht,  daß  Agne& 
seine  Gattin  sei.     Ernst  will  das  Schwert  ziehen. 

A  Ihr  echt:  ....   „Ihr  wart  mein  Vater, 

Ihr  wart  mein  Retter  in  der  Schlacht  bei  Alling. 
Xun  Inn  ich  Dankes  quitt.     Ihr  seid  mein  Todfeind! 
Nach  Straubing  führ'  ich  meine  Herzogin, 
Und  wer  verweigert,  ihr  zu  huldigen, 
Dem  sag'  ich  Fehde  an  auf  Tod  und  Leben, 
Und  Fehde  jedem,  welcher  hier  furniert!'' 

Der  II.  Akt  gelangt  leicht  und  natürlich  auf  die  Höhe  des  Turniers- 
und der  Absage  des  Sohnes  an  den  Vater,  sowie  des  Zornes  Ernsts 
über  Albrechts  Verbindung.  Angenehm  berührt  es,  daß  Krutter,  unab- 
hängig von  J.  A.  von  Törring,  die  Turnierszene  lebendig  zu  gestalten  ver- 
mocht hat  ;  er  braucht  keinen  Vizedom,  der  Albrecht  beleidigt.  Seltsam 
ist  nur,  daß  dieser  sich  unverheiratet  nennt;  das  ist  etwas  wie  Charakter- 
schwäche. Ebenso  hat  Agnes  eine  Anwandlung  von  Eitelkeit  gehabt, 
in  den  zwar  gleich  nachher  wieder  bereuten  Worten  :  „Daß  er  der 
Liebe  Kelch  nicht  raschen  Zugs  bis  auf  die  Neige  schlürfe  und  dann  der 
Ehe  lästig  Band  verwünsche."  Das  ist  ein  Augenblick  des  Zweifels. 
Man  könnte  hier  von  Ansätzen  zu  „Schuld"  im  ßühnensinne  sprechen, 
d.h.  von  Einbußen  der  Persönlichkeit;  aber  es  sind  Schwankungen  der 
Stimmung.  Das  Tiefere  :  in  Albrecht  die  Wahrhaftigkeit  des  Empfindens, 
in  Agnes  die  Echtheit  der  Liebe,  wird  nicht  berührt.  Krutter  scheint 
oberflächliche  Mittel  zu  verschmähen. 


—     488     — 

Der  m.  Akt  spielt  in  Straubing.  Albrechts  Vasallen  haben  eben 
der  Herzogin  Agnes  gehuldigt.  Albrecht  will  fort  nach  Ingolstadt  zu 
Ernsts  Feind  Ludwig.  Agnes  möchte  ihn  zurückhalten  ;  sie  will  nicht, 
daß  ihr  Name  Kampflosung  werde. 

Albrecht:       ,.Sie  wollen  dich  von  meinem  Herzen  reißen; 
Ich  will  dich  schützen  gegen  eine  Welt  ! 
So  wie  für  dich    steh  ich  für  Recht  und  Freiheft. 
Das  Land  kann  heftiger  nicht  bluten  als  mein  Herz.  ') 
Agnes,  leb  wohl!  —  Zu  Pferde,  Perzival!" 
Perzival  Zenger  tröstet  Agnes,  Vater  und  Sohn  seien  aufbrausende 
Trotzköpfe,  aber  am  Ende  werde  alles  gut  werden.    Sie  reiten.    Agnes, 
allein,  betet  :  sie  weiß  sich  rein,  rein  auch  vom  Streben  nach  eitler  welt- 
licher Ehre  ;  ihre  einzige  Sünde  sei  die  Liebe, 

^und  dies  Gefühl  kann  nimmer  Sünde  sein 
Es  kommt  von  dir  ja,  Vater  .   .  .  ." 
Dann  aber  zeigt  sich  ihr  doch  auch  die  selbstische  Seite  : 

„Wehe  mir  ! 
Verkehrt  sich  mir  in  Frevel  das  Gebet. 
Daß  ich  im  Rausche  selbstischen  Entzückens 
Der  Welt  Gesetz  und  Pflicht  und  Schranken  brach, 
Des  besten  Vaters  liebsten  Wunsch  vergiftet  .  .  . 
Das  war'  des  Himmels  Werk  ?  —  Vermessen  Weib  !" 
Schließlich  jedoch  traut  sie  sich  selbst  und  ihrem  Gefühle  wieder: 
„Und  war'  es  Sünde,  was  ich  tat,  ich  kann 
Sie  nicht  bereun.     Was  hülf  auch  Reue  ? 
Gefällt  es  dir,  mich  prüfend  heimzusuchen. 
In  Demut,  Herr,  erwart'  ich  deine  Hand. 
Ihn  aber,  Herr,  errette  vom  Verderben 
Und  führ'  ihn  aus  der  schrecklichen  Versuchung, 
Die  ihn  mit  Höllennetzen  will  umgarnen  ! 
Bedarf  es  eines  Opfers,  sieh  mein  Haupt  ! 
Dies  sei  der  Lohn,  die  Strafe  meiner  Liebe." 
Dann  kommt  eine  reizvoll  poetische  Szene. 
Muhme:  .  .  .  Du  willst  beten,  Kind; 

Ich  will  zur  Schloßkapelle  dich  geleiten. 
1)  Dieser  Vers   mit    seinem    überzähligen  Jambus   stand  in  der   ersten  Fassung 
nach  den  zwei  (später  ausgelassenen)  Zeilen  : 

..Drum  wenn  mein  Land  bei  meinem  Sieg  gewinnt, 
So  mag  es  auch  bei  meinem  Kampfe  dulden;" 
darauf  hieß  es  : 

„Nicht  heft'ger  kann  es  bluten  als  mein  Herz". 

Das  ist  ungeschickt  durch  den  oben  zitierten  jambischen  Sechsfuß  ersetzt. 


—      484     — 

Agnes:      leb  habe  sebon  gel)etet. 
Mubme:  Hier  im  Saal? 

Wer  kann  bier  beten,  wo  nicbts  Heibges 
Das  Herz  zur  Andacbt  stimmt,  die  Pracbt  der  Welt 
Das  Auge  fesselt  und  den  Sinn  zerstreut, 
leb  könnte  bier  nicbt  beten. 
Agnes:  Traurigkeit 

Kann's  überall." 
Sie  bittet  darauf  den  Ritter  Hans  Zenger,  ihr  für  den  Fall  ibres 
Sterbens  ein  Grab  bei  den  Karmelitern  zu  bestellen  ;  die  Mubme  meint, 
das  sei  ihres  Amtes  und  geht.  Trübe  Ahnungen  beklemmen  Agnesens 
Herz  ;  auch  der  Tag  ist  trübe.  Da  kommt  Ruprecht,  um  ihr  zu  sagen, 
wie  sehr  er  sie  verachte  und  daß  er  wisse,  ihr  Glück  mit  Albrecht  sei 
eine  Lüge.  Agnes  weist  ihn  sanft,  doch  bestimmt  ab  und  sagt  ihm  dazu, 
sie  wäre  nie,  auch  wenn  sie  ihn  geliebt  hätte,  die  seine  geworden,  da 
er  mit  dem  Aufgeben  seines  Standes  sich  als  Schwächling  gezeigt  habe  ; 
ein  Mann  von  Mut  wage  es, 

....   „die  Geliebte  zu  erbeben  ; 
Doch  zu  der  Gattin  Stand  herabzusteigen, 
Das  ist  ein  Opfer  feiger  Schwäche  nur." 
Ruprecht  muß  das  zugestehen  und  geht.  Agnes  gibt  ihm  zum  Ab- 
schied eine  Kette.     Dann  versinkt  sie  wieder  in  Gedanken  : 
„Ist  meine  Ehe  nicht  ein  Bleigewicht 
An  Albrecbts  Schwinge,  das  den  Flug  ihm  hemmt  ?" 
Ihre  Angst  steigt  :  Die  Muhme  kehrt  nicht  zurück  vom  Karmeliter- 
kloster;  man  solle  ihr  Geleit  entgegensenden,  fordert  Agnes  von  Ritter 
Hans.     Da  kommt  Ruprecht  wieder   und   meldet,    daß  gewaffnetes  Volk 
die  Burg  umschleiche.  Zwei  Herren  von  München  begehren  Einlaß  •,  sie 
halten  Hans  Zenger  durch  ein  Gespräch  auf.    Unterdessen  dringen  Be- 
waffnete   ein  ;    Zenger    ficht   mit   den   Rittern.     Agnes    tritt    hinzu    und 
wünscht  Frieden  ;  die  Ritter  beschimpfen  sie.   Ruprecht  droht  ihnen  den 
Tod  an.    Da  erscheint  Herzog  Ernst  und  erklärt  Agnes  und  den  Ritter 
Zenger  für  gefangen  ;  Ruprecht  wird  weggewiesen. 

Auch  in  diesem  dritten  Akte  steigt  die  Handlung  noch  echt  drama- 
tisch an  ;  außerdem  gewährt  er  Einblicke  in  Agnesens  Charakter. 
Sie  ist  rein  -,  dennoch  liegt  ein  Tragisches  in  ihr  :  sie  muß  ihrer 
Individuabtät  folgen,  die  sie  den  Herzogssohn  lieben  heißt.  Sie  weiß, 
daß  sie  sich  damit  in  Gegensatz  zum  Vater  des  Gatten  und  zur  Welt,  d.  b. 
zum  bayrischen  Staate,  setzt  ;  aber  sie  muß  verharren,  obschon  sie  ahnt, 
daß  die  widerstrebenden  Gewalten  mächtiger  sein  werden  als  ihre  Liebe. 
Doch  diese  gibt  ihr  Kraft,    auszuharren,  ja   den   Tod  zu   leiden,   wenn 


—     485     - 

nur  Albrecht  nicht  ins  Verderben  stürzt.  Krutters  Agnes  ist  also  nicht 
nur  die  stille  liebende  Dulderin  ;  sie  hat  Charakterstärke  und  zeigt  sie 
deutlich  auch  in  der  Art,  wie  sie  an  Ruprecht  die  Schwäche  tadelt,  die 
er  mit  seinem  Standeswechsel  gezeigt  habe.  Sie  ist  ein  wtmig  Virago, 
nicht  ohne  Anlehnung  —  das  dürfte  ihr  oben  zitiertes  Gebet  gezeigt 
haben  —  an  Schillers  „Jungfrau  von  Orleans".  Sie  bleibt  aber  dabei 
schlicht,  und  die  Szene  mit  der  Muhme  webt  einen  poetischen  Duft  um 
sie 5  nicht  die  Strahlenkrone  der  Johanna  d'Arc,  sondern  einen  eigen- 
artigen zarten  Lichtkranz.  Mau  wird  auch  gerade  daraus  in  Krutter 
den  über  den  Dilettantismus  hinausragenden  Dichter  erkennen.  Ferner 
ist  die  Knappheit  der  Sprache,  die  wohl  dann  und  wann  an  Schiller  und 
Shakespeare  anklingt,  aber  doch  sich  frei  hält  vom  Schwulste  der 
Schillerepigonen  —  im  Jahre  1348  bezw.  1849!  —  eine  nicht  zu  unter- 
schätzende Eigenschaft  des  Solothurner  Dramatikers. 

Der  IV.  Akt  zeigt  uns  Agnes  im  Kerker.  Sie  hat  nur  Angst 
um  die  Muhme  ;  für  sich  fürchtet  sie  nicht  ;  sie  ist  einfach  auf  das 
Schlimmste  gefaßt.  Die  Richter  kommen,  ihr  das  wegen  Bezauberung 
Albrechts  gefällte  Urteil  zu  bringen.  Sie  anerkennt  es  im  vornherein  nicht: 

....   „Baierns  Herzogin 

Kennt  keinen  andern  Richthof  über  sich 

Als  Deutschlands  Fürsten,  unter  Kaisers  Vorsitz." 
Da    wird    ihr    zugemutet,     sie    solle    freiwillig    den    Ehebund    mit 
Albrecht  lösen  : 

„Rein  muß  das  Blut  in  Fürstenadern  kreisen, 

Und  wie  der  leise  Hauch  der  Ketzerei 

Den  Strahl  der  Gnade  trübt  in  Christenherzen, 

So  macht  die  standeswidrige  Verbindung 

Den  blanken  Glanz  des  Seelenadels  rosten 

Und  tilgt  die  Achtung,  die  dem  Herrscher  ziemt." 
So  sagt  man  ihr.  Sie  werde,  heißt  es  weiter,  wenn  sie  in  die 
Trennung  willige,  von  Herzog  Ernst  außer  Landes  versorgt  und  wie 
ein  Edelfräulein  gehalten  werden.  Agnes  empfindet  deutlich  den  "Wider- 
spruch zwischen  der  Anklage  auf  Zauberei  und  diesem  Anerbieten,  und 
sie  antwortet  : 

„Nun  spricht  mich  Euer  Autrag  selber  frei. 

Die  heuchlerische  Klage  fällt  zusammen  ; 

Mein  ganz  Verbrechen  ist  ein  Ehebund, 

Geschlossen  nach  der  Kirche  heil'gen  Bräuchen." 
Sie  will  Albrecht  und  dem  Himmel  den  Eid  halten,  selbst 

„wenn  Albrechts  Liebe  — 

Verzeih,  mein  Gatte    diese  Lästerung  — 


—     486     — 

Wenn  Albrecbts  Liebe  sieb  in  Haß  verkebrte; 
Wenn  er  micb  von  sieb  triebe,  sterben  könnt  icb 
Ob  solchem  Jammer,  aber  nie  ihn  lassen  !" 
Da  liest  man  ihr  das  Urteil  :  Tod  durch  Ertränktwerden.  Agnes 
bleibt' ruhig  :  Noch  lebt  ihr  Gatte,  und  noch  lebt  Gott,  um  Rechenschaft 
zu  fordern.  Der  Prior  der  Karmeliter,  der  mit  den  Richtern  gekommen 
ist,  mahnt  sie  zur  Vorbereitung  aufs  Sterben,  statt  Rachegedanken  nach- 
zuhängen. Sie  gehen  in  die  Kapelle.  Die  Freiknechte  bleiben  zurück-, 
als  solcher  hat  sich  auch  Ruprecht  anwerben  lassen.  Ein  Genosse 
meint  zu  ihm,  Agnes  werde  sich  wohl  aufs  Hexen  verstehen,  darum 
fürchte  sie  das  kalte  Donaubad  nicht.  •  Agnes  kommt  zurück  ;  sie  bittet 
den  Prior,  der  sie  voll  christlicher  Ergebung  gefunden  hat,  er  solle 
Albrecht  raten,  zu  verzeihen,  wie  sie  verzeihe  ;  auch  ihren  Vater  solle 
er  trösten.  Da  fällt  Ruprecht  sie  mit  wahnsinniger  Leidenschaft  an  : 
Er,  Henkersknecht,  will  sie  zum  Weibe  begehren.  Das  dürfe  man  ihm 
nach  Gesetz  und  Recht  nicht  weigern.^)  Wenn  sie  ihm  übergeben  werde, 
wolle  er  entsagen  und  sie  in  ein  Kloster  führen;  er  selbst  werde 
Kartäuser  werden  ;  Agnes  verwirft  dies  als  Lüge  gegen  Gott  und  gegen 
Albrecht,  verwirft,  trotzdem  sogar  der  Prior  wankt.  Der  Henker  kommt; 
Ruprecht  wird  aufgefordert,  die  Gefangene  zu  bringen  ;  da  reißt  er  das 
Freimannskleid  ab  und  stürzt  fort. 

Wächter:  „Den  hat  sie  auch  behext!" 
Sogar  der  IV.  Akt  bringt  noch  lebensvolle  Entwicklung.  Wenn 
auch  Krutter  auf  die  eigentliche  Gerichtsszene  verzichtet  hat,  ihr  Nach- 
klang im  Kerker  ist  noch  stark  genug,  um  das  Interesse  zu  fesseln, 
umso  mehr,  als  Agnes  sich  dabei  wirklich  groß  zeigt.  Die  dann, 
themagemäß,  schnell  und  tief  sinkende  Handlung,  wird  durch  Ruprecht 
nochmals  aufgehalten.  Auch  die  Versöhnung  Albrechts  mit  dem 
Vater  wird  vorbereitet,  schwächlich  allerdings  ;  denn  ein  so  leicht 
entflammbarer,  in  Liebe  und  Haß  so  leidenschaftlicher  Mensch  wie 
Albrecht  wird  sich  in  Wirklichkeit  kaum  durch  des  Priors  Hinweis  be- 
stimmen lassen,  zu  verzeihen,  weil  Agnes  darum  bitte  und  weil  auch 
sie  verziehen  habe.  Krutter  besinnt  sich  dann  auch  anders.  Sehen 
wir  zu. 


1)  Dieser  Zug  geht  auf  eine  Stelle  zurück,  die  der  sehr  belesene  Krutter  wohl  gerade 
in  Melchior  Schulers  „Taten  und  Sitten  der  Eidgenossen"  (1842)  gefunden  hatte.  Es 
heißt  dort  (III,  469)  :  „Der  Rat  (von  Solothurn)  verurteilte  1()32  eine  Kindsmörderin 
zum  Tode.  Da  bot  sich  ein  junger  Mann  von  Regensburg  an,  sie  zu  heiraten.  Nach 
uralter  Sitte  ward  ihr  nun,  auf  F'ürbitte  der  Geistlichkeit,  das  Leben  geschenkt.  Das 
Paar  ward  auf  dem  Rathaus  getraut  und  dann  auf  ewig  verwiesen.''  Mitteilung  von  Prof. 
von  Arx.  Zu  vgl.  auch  Bsechtold  „G.  Kellers  Leben"  III  S.  42 f.  zu  „Dietegen",  für 
den  Keller  aus  derselben  Quelle  geschöijft  hat. 


—     487     — 

Der  V.  Akt  beginnt  am  Donauufer.  unterhalb  Straubinj;.  Agnesens 
Leiche  ist  aufgebahrt  ;  der  Karmeliterprior  und  Vater  Kaspar  Bernauer 
sind  dabei,  dieser  voll  Schmerz  über  die  Strafe,  die  den  Ungehorsam 
getrofteu  habe  ;  al)er  er  findet,  sie  sei  gerecht.  Albrecht  kommt  mit 
Ludwig  von  Bayern-Ingolstadt  ;  jener  sieht  die  Leiche  der  Gattin. 
Kaspar  Bernauer  weist  ihn  weg  ;  da  sinkt  Albrecht  ohnmächtig  nieder. 
In  diesem  Augenblick  erkennt  der  alte  Augsburger  Adelsfeind,  daß 
Albrechts  Liebe  echt  gewesen  sei  ;  sein  eigenes  Leben  hingegen  habe 
nur  den  Haß  gekannt  ;  der  Tod  seines  Kindes  sei  die  Strafe  dafür.  Er 
geht.  Albrecht  kommt  zu  sich  und  —  rast.  Der  Prior  mahnt  zur  Demut. 
Albrecht  will  sich  bemeistern  ;  da  erst  erfährt  er,  daß  sein  Vater  Ernst 
ihm  die  Gattin  habe  töten  lassen.  Nun  schwört  er  fürchterliche  Rache  : 
„Auf  Münchens  Trümmerhaufen  will  ich  stehn!  .  .  .'j 
.  .  .  Jetzt  will  ich  handeln,  rasen,  rächen,  strafen!" 
Ernst  soll  vor  ihm  im  Staube  liegen. 

Die  zweite  Szene  geht  im  Schlosse  zu  Straubing  vor  sich.     Ernst 
bedauert  den  Ausgang  : 

„Was  ihr  erzählt  von  ihrem  frommen  Ende. 
Hat  mich  bewegt,  und  w^ünschen  möcht'  ich  gern, 
Ein  sanfter  Mittel  hätte  sich  geboten 
Zur  Lösung  dieses  unglücksel'gen  Bunds." 
Er  wird  zu  Agnesens  Ehren  eine  fromme  Stiftung  machen.   Wieder 
ist  Ruprecht  da  ;  er  will  Ernst  erdolchen,  wird  jedoch  entwaffnet.  Ernst 
hält  Albrecht  für  den  xluftraggeber  und  will    den  Sohn    ächten.     Doch 
Ruprecht  erklärt,  er  sei  in   niemandes  Dienst  ;    er   bittet    um    den  Tod. 
wird    aber   als   wahnsinnig  weggejagt.^)     Er   will    sich    töten;    da    rufen 
Knappen:    „Der  Feind!    Der  Feind!"     Albrecht    und    der  Ingolstädter 
sind  in  Straubing,  ja   schon  im  Schlosse.     Ernst  kämpft   gegen  Ludwig, 
wird  bedrängt  und  ruft:  'nen  Schild!  'nen  Schild! 

Alb  recht  (stürzt  dazwischen  und  bedeckt  ihn  mit  seinem  Schilde) 
Ich  bin  dein  Schild!" 
Ohne  Agnes  und  ohne  Ehre  kann  er  nicht   leben,    also  wenigstens 
die  Ehre  retten.     Darum  Versöhnung. 

Prior:  „Wohl  dir!  Du  hast  das  eigne  Herz  bezwungen. 

Die  Ehre  such  in  deines  Landes  Heil, 
Und  deine  Agnes  lächelt  in  Verklärung 
Auf  dich  hernieder,  dein  und  Baierns  Engel. 
i|  Hier  endete  in  der  ersten  Fassung  der  i.  Akt;    der  fünfte  gab  —  in  langer 
Zerdehnung  —  Albrechts  Wüten  und  den  Schluß. 

2i  Die  erste  Fassung  hat    den  Erdolchiingsversuch    nicht  ;    hingegen   wird   dann 
Ruprecht  nochmals  eingeführt. 


—     488     — 

Albrecht:  Herzog,  ich  stelle  mich  vor  dein  Gericht. 

Ernst:  So  mag  der  Kaiser  zwischen  uns  entscheiden." 
Wie  gesagt,  Knitter  hatte  schon  im  vierten  Akt  eine  Versöhnung 
als  möglich  vorausgesehen  :  Verzeihung,  weil  Agnes  verziehen  habe. 
Das  mochte  dem  Dichter  zu  schwächlich  erscheinen,  und  er  läßt  im 
fünften  Akte  Albrecht  gehörig,  ganz  seinem  Charakter  entsprechend, 
wüten  ;  unbegreiflich  erscheint  nur,  daß  der  junge  Herzog  längere  Zeit 
hindurch  nicht  weiß,  daß  sein  Vater  Agnesens  Mörder  ist.  Hier  hätte 
im  Interesse  der  gerade  am  Ende  ganz  straff  zu  führenden  Handlung 
gekürzt  werden  sollen.  Besser  ist  Ernst  gezeichnet  :  sein  Bedauern,  daß 
es  nicht  anders  habe  gemacht  werden  können,  ist,  wenn  auch  nicht  stark 
genug  motiviert,  hebbelisch  von  Hebbel,  und  hier  darf  nun  wohl  noch- 
mals hervorgehoben  werden,  daß  Krutter,  gleich  wie  Hebbel,  ohne  einen 
Intriganten  auskommt,  auf  den  Ernsts  „Schuld"  abgewälzt  werden  kann. 
Allerdings,  ich  wiederhole,  Ernst  ist  nicht  tief  genug  gefaßt  ;  seine 
Motive  werden  nur  sehr  oberflächlich  berührt  ;  er  ist  mehr  Wüterich 
als  Staatsmann.  Aber  er  bleibt  sich  treu.  Wie  Ruprecht  ihn  ermorden 
will,  ahnt  er  ein  Komplott  Albrechts  und  will,  so  versöhnlich  er  gewesen 
ist,  den  Sohn  ächten.  —  In  Bezug  auf  diesen  kommt  dann  dem  Dichter  ein 
guter  Gedanke  :  so  leidenschaftliche  Menschen  wie  Albrecht  schlagen  in 
ihren  Entschlüssen  oft  plötzlich  um.  Deshalb  mitten  aus  dem  Kampfe 
gegen  den  Vater  heraus  das  Wort  :  „Ich  bin  dein  Schild  !"  Damit  war 
eine  Lösung  gegeben,  nicht  einmal  gar  gewaltsam.  Vielleicht  hätte  sogar 
ein  Hebbel,  der  Verfechter  der  Individualität,  so  etwas  gebilligt.  Jeden- 
falls ist  Krutter  hier  originaler,  dramatischer  als  Cordelia  Ludwig,  die 
im  Jahre  1899  ihrer  Vaters  Bemauer-Fragment  vollendet  hat^)  und  die 
Versöhnung  herbeiführt,  indem  ein  Reiter  —  zu  spät  —  ein  weißes  Tuch 
schwingt  zum  Zeichen,  daß  Ernst  Agnesen  begnadigt  habe.  So  Avird 
Ei'nst  gereinigt,  und  der  intrigante  Vizedom  büßt  erst  noch  mit  dem 
Leben;  Albrecht  aber  wird  durch  eine  Vision  zur  Versöhnlichkeit  ge- 
Ijracht.  Also  alles  ganz  äußerlich.  Bei  Krutter  jedoch  wächst  die  Ver- 
söhnung aus  Albrechts  Charakter,  mindestens  aus  seinem  Temperament. 
Leider  ist  dies  nicht  knapp  genug  gegeben  ;  es  sind  Reste  anderer, 
bloß  bedachter  Möglichkeiten  stehen  geblieben  ;  es  fehlt  also  eine  letzte 
verstandesstrenge  dramaturgische  Überarbeitung.  Das  Wort  des  Priors, 
mit  einer  sonst  Krutter  nicht  eigenen  sentimental-religiösen  Färbung, 
schwächt  den  mächtigen  Eindruck  wieder  ab.  Noch  aber  wäre  die  Sache 
nicht  verdorl)en,  hätte  der  Dichter  hier  den  Schlußpunkt  gesetzt.    Doch 


')  „Agnes  Bernauer  Volksschauspiel  in  fünf  Aufzügen  von  Otto  Ludwig.  Unter 
Benutzung  ungedruckter  Manuskripte  für  die  Bühne  bearbeitet"  von  C.  Ludwig.  Berlin, 
Köln,  Leipzig,  Albert  Ahn  1900. 


—     489     — 

fia  stand  rlie  Historie,  und  hatte  er  dieser  im  Wesentlichen  schon  vorher 
keine  Gewalt  angetan,  so  wollte  er  ihr  auch  im  Schlüsse  treu  bleiben  ; 
der  hieß:  Versöhnung  der  beiden  Streitenden  durch  Kaiser  Sigismund. 
Deswegen  stellt  sich  Albrecht  im  vorletzten  Verse  vor  Ernsts  Gericht, 
und  deswegen  schließt  das  Stück  mit  dem  Hinweis  auf  den  Entscheid  des 
Kaisers.  Das  ist  sehr  schwach,  mindestens  unkonsequent,  also  undramatisch. 
Nicht  Albrecht  muß,  nach  menschlichem  und  dramatischem  Recht  und 
Ermessen,  gerichtet  werden,  sondern  Ernst.  Da  hat  Hebbel  das  schlechthin 
Mögliche  und  Wahre  erschaut  :  Ernst  legt  alles  in  die  Hand  des  Sohnes  ; 
er  übergibt  ihm  den  Herzogsstab: 

„Der  macht  dich  zum  Richter  deines  Vaters  ....  Trag  ihn  Ein 
Jahr  in  der  Furcht  des  Herrn  wie  ich!  Kannst  du  mich  lossprechen, 
so  rufe  mich,  und  ich  selbst  will  mich  strafen,  wie  du's  gebeutst  !  Im 
Kloster  zu  Andechs  bin  ich  zu  linden." 

Das  ist  der  echte,  innerlich  einzig  mögliche,  also  der  wahrhaft 
dramatische  Schluß.  Daß  auch  Krutter  einen  guten  Ausgang  ge- 
funden hat,  sei  nochmals  hervorgehoben;  nur  hat  er  ihn  stark  abge- 
schwächt. 

Die  anfechtbarste  Figur  des  Dramas  ist  Ruprecht.  Nicht  daß  er 
menschlich  undenkl)ar  wäre;  aber  es  gibt,  so  nett  er  anfangs  einge- 
führt ist,  keine  volle  innere  Notwendigkeit  für  seine  Existenz  im  Stücke. 
Er  bringt  nur,  manchmal  allzu  offensichtlich  vom  Dichter  dazu  verwendet, 
äußeres  Leben  in  einzelne  Szenen;  echte  dramaturgische  Ökonomie  bedürfte 
seiner  jedoch  nicht.  Wenn  in  Krutter  Dilettantisches  steckt,  so  zeigt 
es  sich  in  der  sorglosen  Verwendung  dieser  zwar  an  sich  nicht  un- 
interessanten, aber  künstlerisch  überflüssigen  Treibfigur.  Eigentümlich  : 
Krutter  kommt  einerseits  ohne  Intriganten,  sogar  ohne  Intrigue  über- 
haupt aus:  das  hebt  sein  Stück  künstlerisch  und  menschlich  gewiß;  ander- 
seits glaubt  er  eine    Gestalt   wie   diesen  Ruprecht   brauchen    zu    müssen. 

Sodann  ist  die  innere  Umwandlung  des  alten  Bernauer  vom  gewiß 
dem  Leben  nachgezeichneten  Adelsfeind  zum  zerknirschten  Hasser  seiner 
selbst  eine  gar  schnelle.  Sehr  fein  ist  dagegen,  wie  der  Dichter  Eigen- 
schaften des  Vaters  sich  im  reineren  weiblichen  Naturell  der  Tochter 
spiegeln  läßt  :  sie  hat  etwas  von  seinem  Stolze,  nur  fehlt  diesem  das 
Haßvolle.  Auch  ein  bischen  List  erkennen  wir  in  ihr  ;  allerdings  wächst 
sie  nicht  zur  „Schuld",  sondern  bleibt  nur  Anwandlung;  dadurch  wird 
ihr  das  allzu  Engelhafte  ein  wenig  genommen,  und  das  ist  nur  vom 
Guten. 

Der  Aufbau  des  Dramas  ist  einfach,  doch  ist  immer,  man  kann 
fast  sagen:  instinktiv,  das  Richtige  getroffen;  die  Handlung  „schleppt" 
nirgends,  sondern  entwickelt  sich  klar  zum  Höhepunkt  und  fällt  dann, 
nicht  einmal  gar  zu  rasch,  zu  dem  teils  so  guten,  teils  so  trivialen  Schlüsse 


—     490     — 

hin.  Und  Hauptsache  :  sie  wächst  aus  den  Charakteren,  wenn  diese  auch 
nicht  gar  tief  geführt  sind.  Es  ist  Freskomalerei,  Volksdramatik  im 
rechten  Sinn,  ohne  Mätzchen  sentimental-opernhafter  Artund  ohnelntriguen- 
Un  Wahrscheinlichkeiten. 

Die  Sprache  ist,  wenn  auch  nicht  immer  glatt,  doch  nicht  ohne 
Reiz,  frei  von  Phrasen  und  Gesuchtheit,  auch  wenn  hie  und  da  Schiller 
anklingt  oder  wenn  —  shakespearisch  —  untergeordnete  Personen  wie 
der  Kerkermeister  Prosa  sprechen. 

Im  Ganzen  :  Krutters  Bernauer-Drama  verdient  recht  wohl  in  der 
Reihe  der  Vorläufer  des  Hebbel'schen  Werkes  genannt  zu  werden.  Der 
Stoff  ist  darin  naiv  und,  was  besonders  erfreulich  ist,  unabhängig  von 
andern,  geschickt  angefaßt.  Jedenfalls  hat  Krutter  das  Problem  der 
Dramatisierung  des  ßernauerstoffes  besser  gelöst  als  (1889)  Arnold  Ott; 
als  Volksdrama  übertrifft  das  Krutter'sche  Stück  auch  Martin  Greifs 
AVerk.^)  Vor  Otto  Ludwigs  „Agnes  Bernauer"  hat  es  mindestens  den 
Vorzug,  vollendet  zu  sein.  Über  Melchior  Meyrs  „Herzog  Albrecht" 
dürfte  es  sich  durch  seine  von  jedem  Raffinement  freie,  vielleicht  zu 
schlichte,  aber  gewiß  nicht  undramatische  Handlung  erheben. 

Krutters  Dichtung  wird  also  die  Mitte  halten  zwischen  Törrings 
kräftigem  Heldendrama  und  Hebbels  endgiltiger  Behandlung  des  Stoffes.-) 
Originalität  wird  ihm  nicht  abgesprochen  werden  können.-^) 


1)  Über  Ott  und  Greif  cf.  mein  Programm  S.  16 — 25.  über  beide  handelt  aucli 
Carl  Behrens  in  „Agnes  Bernauer  i  historiens  og  digtningens  lys",  Kopenhagen  1906 
S.  96—101. 

2)  Über  Hebbels  Drama  s.  R.  M.  Werner  in  Bd.  III  seiner  historisch-kritischen 
Ausgabe.     Einl.  S.  XXIX— XL I.  ferner  mein  Progr.  S.  10—13. 

3j  Herr  Prof.  von  Arx  läßt  —  laut  mündlicher  Mitteilung  —  meine  Hoffnung, 
daß  das  Stück  durch  den  Druck  weiteren  Kreisen  möchte  bekannt  gemacht  werden 
nahezu  zur  Gewißheit  werden.  Sollte  es,  wie  ich  erwarte,  in  der  zweiten  knappereu, 
dramatisch  und  theatralisch  wirksameren  Fassung  ediert  werden,  so  zweifle  ich  nicht, 
daß  es  für  Volksbühnen  ein  bestes  Drama  sein  wird.  Dem  wirklichen  Theater  bliebe 
Hebbel,  der  Volksbühne  Krutter.  Damit  wäre  eigentlich  die  Frage  der  Dramatisierung 
des  Bernauerstoftes  gelöst. 


Ferndissimilation  von  r  und  /  im  Deutschen. 

Ein  Beitrag-  zu  den  Prinzipien  des  Lautwandels. 

Ton 
Eduard  Hoffmann-Krayer. 


Die  Erscheinung  der  Ferndissimilation  d.  h.  der  Entähnlichung 
zweier  homorganer  Laute  in  ein  und  demselben  AVorte,  war  mir  schon 
längst  aufgefallen,  und  ich  hatte  dafür  Material  gesammelt,  lange  bevor 
ich  ihre  prinzipielle  Bedeutung  erkannt  hatte.  Welchen  Sprachbeflissenen 
sollten  nicht  mundartliche  Bildungen  wie  Spedakel  für  Spektakel,  Quudier 
für  Quartier,  Ladriiff  für  französisch  La  Retraite  zum  Aufmerken  und 
Nachdenken  nötigen  '? 

So  sammelte  ich  denn  vorderhand  alles,  was  mir  in  dieses  Gebiet 
einzuschlagen  schien  :  Deutsches  und  Fremdsprachliches,  ohne  zunächst 
eine  Gesetzmäßigkeit  feststellen  zu  wollen.  Erst  auf  Grund  eines  größeren 
Materials  fing  ich  an  zu  erkennen,  daß  in  vielen  Fällen  der  Akzent 
von  ausschlaggebender  Bedeutung  sei.  und  allmählig  begann  ich  auch 
wahrzunehmen,  daß  neben  dem  Akzent  gewisse  artikulatorische  Kombi- 
nationen die  Dissimilation  erleichterten  oder  erschwerten.  Die  anfangs 
recht  verwickelt  erscheinenden  Verhältnisse  hatten  sich  schon  ziemlich 
geklärt,  als  mir  die  Arbeit  von  Grammont  „La  Dissimilation  consonan- 
tique  dans  les  langues  indo-européennes  et  dans  les  langues  romanes"  in 
der  „B,evue  Bourguignonne"  T.  Y,  (Dijon  1895)  bekannt  wurde.  So  reich- 
haltig diese  Arbeit  ist,  so  glaubte  ich  doch  nicht  auf  eine  Weiterbehand- 
lung des  Gegenstandes  verzichten  zu  dürfen,  zumal  da  ich  in  einzelnen 
Punkten  auf  andere  Ergebnisse  gelangt  war  und  da  mir  die  Erscheinung 
namentlich  vom  sprachprinzipiellen  Standpunkte  aus  als  Beispiel 
von  sporadischem  Lautwandel  besonders  lehrreich  schien.  Wüßte 
ich  doch  keine  Lautbewegung,  wo  physiologische  und  psychologische  Trieb- 
kräfte so  kaleidoskopartig  durcheinanderspielen,  und  wo  die  ,, lautgesetz- 
liche Regelmäßigkeit"  den  Beobachter  so  sehr  im  Stich  läßt,    wie  gerade 


—     492     — 

die  vorliegende.  Wenn  eine  lautliche  Erscheinung  dazu  angetan  ist, 
die  Theorie  von  der  Ausnahmslosigkeit  der  Lautgesetze  zu  schänden 
zu  machen,  so  ist  es  die  Ferndissimilation. 

Sie  tritt  hier  auf  und  dort  auf,  in  einer  Sprache  häufiger  als  in 
der  andern  (so  z.B.  im  Italienischen  häufiger  als  im  Französischen:  niercolcd'i 
gegen  mercredi  u.  s.  w.);  aber  auch  innerhalb  ein  und  derselben  Sprache 
ist  sie  ganz  unregelmäßig  (it.  Dial.  cartel  neben  coltello)  und  selbst  inner- 
halb der  einzelnen  Mundarten  durchkreuzen  sich  die  verschiedensten 
Tendenzen,  heben  sich  auf  oder  verstärken  sich  (s.  die  Zusammenstellung 
am  Schluß).  Es  ist  ein  unruhiges  Durcheinanderschwirren  von  „Laut- 
gesetzen", eine  Inkonsequenz  und  Halbheit  in  der  Durchführung  der- 
selben, daß  jeder  Freund  feinsäuberliclier  Gesetzmäßigkeit  in  Verzweiflung 
geraten  möchte.  Hier  werden  Einem  so  recht  die  Augen  geöffnet  über 
die  Willkür,  mit  der  der  Sprachgeist  über  seine  Mittel  verfügt. 

Wir  wollen  al)er  deshalb  nicht  verzweifeln  und  einer  völligen  Regel- 
uud  Zügellosigkeit  Raum  geben,  sondern  vielmehr  zu  diesen  Beobach- 
tungen wissenschaftlich  Stellung  zu  nehmen  suchen.  Die  Naturgesetz- 
theorie ist  ja  immer  noch  kein  ganz  überwundener  Standpunkt,  und  wer 
weiß,  ob  sie  nicht  vielleicht  binnen  Kurzem  in  neuer  Gestalt  wieder 
auftaucht;  aber  in  der  Sprachwissenschaft  hat  man  nun  doch,  so  gut  wie 
in  der  Volkskunde,  erkennen  gelernt,  daß  die  Sprache  nicht  etwas  vom 
Sprechenden  Losgelöstes,  Selbständiges  darstellt,  sondern  ein  Produkt 
seiner  Psyche.  Ich  möchte  sagen:  die  Sprache  ist  eine  physische 
Form  der  Psyche,  wie  die  Geberde,  der  Gesichtsausdruck. 

Nun  wäre  es  aber  durchaus  falsch,  wenn  man  die  Sprache  als  etwas 
rein  Psychisches  erklären  wollte.  Wäre  die  Sprache  nur  Gedanke,  so 
wäre  sie  gewiß  ein  Teil  dessen,  was  wir  Psyche  nennen.  Von  dem  Augen- 
blick an  aber,  wo  sie  mit  physischen  Mitteln  erzeugt  wird,  ist  sie  in  die 
Grenzen  der  physischen  Leistungsfähigkeit  der  Organe  gebannt  und  wird 
bis  auf  einen  gewissen  Grad  von  ihnen  abhängig  sein,  wie  der  Komponist 
an  die  Leistungsfähigkeit  der  Musikinstrumente,  der  Bildhauer  an  die 
Eigenschaften  des  Marmors  gebunden  ist. 

So  wäre  demnach  die  Sprache  eine  von  Psyche  und  Physis 
gleichzeitig  bedingte  Funktion?  Ohne  Zweifel!  aber  trotzdem  ist 
sie  nicht  ein  Zwitterding  aus  heterogenen  Faktoren ,  sondern  etwas 
durchaus  Homogenes,  dem  sprechenden  Individuum  Angehörendes.  Die 
Sprache  ist  eine  in  physischer  Gestalt  auftretende  Psyche.  Weil 
die  Gedankenübertragung  ohne  sinnliche  Mittel  im  physischen  Leben  un- 
möglich ist,  nimmt  der  Gedanke  ein  sinnliches  Kleid  an.  So  ist  auch  unser 
Leib  (unsere  Physis)  nur  die  sinnlich  Avahrnehmbare  Einkleidung  unserer 
Psyche  oder  besser  die  dem  physischen  Leben  durch  Mimicry  angepaßte 
Kruste  derselben.     Im  Ganzen  verhält  sich  die  Seele  zum  Leib,  wie  im 


—     4f)3     — 

Einzelnen  die  Epidermis  zu  den  Körperteilen,  die  sie  bedeckt.  Die  Seele 
(Psyche)  ist  also  ra.  E.  nicht  wesensverschieden  vom  Leih  (Physis),  son- 
dern nur  formverschieden  oder,  wenn  man  will,  grad verschieden.  Bei  der 
starken  Wechselwirkung  zwischen  Seele  und  Leib  kann  man  sich  dem 
Eindruck  nicht  verschlielien,  daß  die  Seele  im  Grunde  nur  eine 
feine  bisher  unmeßbare  Substanz  des  Leibes  darstelle. 

Wenn  also  Physis  und  Psyche  eins  sind,  so  ist  auch  die  Sprache 
kein  Zwitterding  mehr,  sondern  ein  durch  die  Physis  bedingter 
Ausdruck  der  Psyche. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  müssen  die  sog.  Lautgesetze  be- 
trachtet und  beurteilt  werden.  Es  gibt  ja  gewiß  rein  psychische  Laut- 
veränderungen (die  immer  als  solche  anerkannt  worden  sind):  so,  wenn 
ich  nach  dem  auf  Umlaut  beruhenden  Plural  Äste  auch  ein  Hii/se  bilde, 
wo  ich  „lautgesetzlich"  Haine  sagen  sollte;  aber  auch  der  „spontane" 
und  „kombinatorische"'  Lautwandel  beruht  insofern  auf  psychologischen 
Faktoren,  als  es  ja  die  Psyche  ist,  welche  die  muskelbewegenden  Nerven 
in  Aktion  setzt.  Eine  Assimilation  an  folgenden  Laut  kann  demnach 
als  ein  unbewußtes  Vorausdenken  aufgefaßt  werden,  was  ein  verfrühtes 
Einstellen  der  Sprachorgane  bewirkt;  die  Assimilation  an  einen  vorher- 
gehenden Laut  könnte  man  dagegen  als  ein  untätiges  Verharren  in  der 
eben  eingenommenen  Stellung  ansehen.  Und  nicht  anders  verhält  es  sich 
mit  den  akzentuellen  Veränderungen;  denn  auch  der  Akzent  beruht  ja 
ursprünglich  auf  rein  psychischen  Grundlagen. 

Trotz  alledem  müssen  wir  in  der  Sprache  von  physiologischen 
Momenten  sprechen;  denn  wir  empfinden  es  zu  deutlich,  welch  eine 
weite  Kluft  gähnt  zwischen  dem,  was  man  von  jeher  physiologischen  und 
dem,  was  man  psychologischen  Sprachwandel  genannt  hat.  Man  mag  nun 
definieren,  wie  man  will;  aber  um  die  Tatsache  kommt  man  nicht  herum, 
daß  z.  B.  die  Assimilation  durch  die  physischen  Sprachorgane  geboten 
ist,  die  Analogie  nicht.  Die  Assimilation  ist  daher  nach  wie  vor  eine 
vorwiegend  physiologisch,  die  Analogie  eine  vorwiegend  psychologisch 
bedingte  Sprachveränderung. 

Auch  unsere  Ferndissimilation  geht  in  ihren  Uranfängen  gewiß  überall 
auf  die  Psyche  zurück,  in  Anbetracht,  daß  die  Entähnlichung  gleicher 
Laute  unbewußt  ein  psychisches  Behagen  verursacht,  und  daß  überdies 
in  vielen  Fällen  derjenige  Laut  sich  der  Veränderung  unterwerfen  muß, 
der  zum  Verständnis  am  wenigsten  notwendig  ist.  Aber  wenn  wir  z.  B. 
eine  Dissimilation  wie  Balhier  <.  Barbier  mit  einer  anderen  wie  M(in/- 
heere  <;  mürberi  vergleichen,  so  wird  uns  der  wesentliche  Unterschied 
zwischen  beiden  sofort  klar.  In  BaJh'ar  hat  sich  das  zweite  ;•  erhalten, 
weil  es  auf  einen  betonten  Vokal  folgte,  in  Maulbeere  dagegegen,  weil 
die  Vorstellung  des  Begrifi's  .Beere'  fest  mit  dem  Kompositum  Maalheen 


—     494     — 

verknüpft  war.  Im  ersten  Fall  haben  wir  somit  eine  durch  physiologische, 
im  zweiten  eine  durch  psychologische  Momente  bewirkte  Lautveränderung 
vor  uns. 

Wenn  wir  nun  aber  glauben,  daß  jedes  Wort,  welches  zwei  ge- 
trennte r  enthält,  das  eine  davon  dissimiliere,  so  sind  wir  im  Irrtum. 
Wir  haben  es  hier  eben  nicht  mit  einem  ausnahmslosen  Lautgesetz,  auch 
nicht  mit  einem  „durchkreuzten"  Lautgesetz  zu  tun,  sondern  mit  einer 
„Tendenz",  einer  physiologischen  Neigung,  gleiche  Laute  zu  dissimilieren. 
Steht  dieser  Neigung  das  geringste  Hemmnis  entgegen,  so  wird  ihr  nicht 
nachgegeben,  und  die  Dissimilation  tritt  nicht  ein.  So  hat  die  eine  Sprache 
ßalhier,  die  andere  Barbier  (It.  z,  B.  harhkre,  weil  das  Stammwort  harha 
dem  etymologischen  Bewußtsein  noch  vorschwebt);  ja  im  selben  Dialekt 
hört  man  die  eine  Familie  Barbier,  die  andere  Baibier  sprechen,  je  nach 
dem  Bildungsgrad,  der  Tradition,  der  Sprachmischung  oder  andern 
Agentien  in  den  betreffenden  Familien. 

Auch  kann  die  Dissimilation  verschiedene  Richtungen  einschlagen. 
Für  , klingeln'  finden  wir  im  Ahd.  vereinzelt  die  Form  kingilon^  während 
heute  eher  die  Form  /îningeln  gehört  wird.  Die  Verschiedenheit  erklärt 
sich  daraus,  daß  jene  ahd.  Schreiber  nicht  nur  die  beiden  /  als  lästige 
Häufung  gleicher  Konsonanten  empfanden,  sondern  auch  die  beiden  Nasale 
(in  *kmngilön),  die  sich  allenfalls  hätten  einstellen  können.  Daneben  aber 
besteht  von  den  ältesten  Zeiten  bis  in  die  neueste  auch  die  Form  kUngeln, 
sei  es  wegen  des  bewußten  Zusammenhangs  mit  klingen,  sei  es,  weil  das 
Bedürfnis  für  Klangwechsel,  wie  es  einzelne  Individuen  empfanden,  nicht 
in  weitern  Kreisen  zum  Durchbruch  gelangt  ist. 

AVir  müssen  es  uns  versagen,  das  hochwichtige  Kapitel  von  dem 
Einfluß  des  Individuums  auf  die  Sprache  hier  zu  berühren;  ich  kann 
hier  nur  andeuten,  daß  die  Anschauungen,  die  ich  in  meiner  Schrift  „Die 
Volkskunde  als  Wissenschaft"  (Zürich  1902)  und  später  in  den  „Hess. 
Blättern  für  Volkskunde*'  (II,  57)  für  die  Sitte  vertreten  habe,  sich  in 
allen  Teilen  auch  auf  die  Sprache  anwenden  lassen. 

So  wird  auch  die  Ferndissimilation  von  einzelnen  Individuen  aus- 
gegangen sein.  Damit  möchte  ich  nicht  etwa  die  Meinung  ausgesprochen 
haben,  es  sei  einem  Einzelnen  plötzlich  eingefallen,  er  könnte  in  die 
Gleichförmigkeit  etwas  Abwechslung  bringen,  und  so  sei  die  Ferndissi- 
milation entstanden.  Aber  ich  glaube  bestimmt,  daß  bei  einzelnen  Indi- 
viduen die  Tendenz  zur  Dissimilation  größer  ist,  als  bei  andern.  Solche 
Individuen  lassen  dann,  zunächst  in  der  flüchtigen  Konversation,  durch 
Versprechen,  die  Dissimilation  eintreten.  Geschieht  dies  öfter,  und  haben 
die  betreffenden  Individuen  Einfluß  auf  ihre  Umgebung,  so  kann  die 
dissimilierte  Form  Wurzel  fassen  und  von  diesem  Zentrum  aus  immer 
weitere  Kreise  ziehen  ;  andernfalls  bleibt  die  dissimilierte  Form  vielleicht 


—     495     — 

nur  auf  die  eine  Person  beschränkt  oder  sie  verhallt,  ein  Kind  des 
Augenbicks,  unbeachtet  im  Winde.  Die  Entstehung  und  Ausbrei- 
tung eines  Lautgesetzes  beruht  also  nicht  auf  einem  Natur- 
gesetz, sondern  sie  ist  rein  von  zufälligen  Verumständungen 
abhängig.  ') 

Die  Ferndissimilation  ist  also  ein  Versprechen,  äiinlich  wie  die  Haplo- 
logie,  und  zwar  wird  dieses  Versprechen  umso  häufiger  vorkommen,  je 
flüchtiger  die  in  Frage  kommenden  Konsonanten  sind,  je  schwieriger  die 
Aussprache  der  ursprünglichen  Form  ist,  und  je  weniger  sich  der  Spre- 
chende durch  das  Schriftbild  oder  durch  das  etymologische  Bewußtsein 
beinflussen  läßt.  Daher  ist  die  Ferndissimilation  weitaus  am  meisten  bei 
den  ähnlich  klingenden  und  doch  verschieden  artikulierten  Liquiden 
nachweisbar;  daher  findet  sie  sich  auch  am  meisten  in  euphonischen 
Sprachen  oder  bei  Völkern,  die  viele  Analphabeten  zählen. 

Daß  wir  im  folgenden  nur  einen  kleinen  Ausschnitt  aus  dem  weit- 
schichtigen Gebiet  der  Ferndissimilation,  nämlich  die  von  r  und  /,  be- 
handeln, bedarf  nach  dem  Vorausgeschickten  keiner  besonderen  Recht- 
fertigung mehr.  Handelt  es  sich  doch  nicht  um  eine  erschöpfende  Dar- 
stellung der  Erscheinung,  sondern  um  einen  lehrreichen  „Schulfall",  dem 
es  vielleicht  vergönnt  ist,  das  seinige  zur  Entfernung  gewisser  linguistischer 
Vorurteile  beizutragen, 

L  Physiologische  Momente. 
A.  Wirkung  des  Akzentes. 

"Wenn  zwei  gleiche  Laute  in  einem  Worte  stehen,  so  bleibt  ge- 
wöhnlich derjenige  erhalten,  der  unmittelbar  auf  einen  betonten  Vokal 
folgt,  während  der  andere  zur  Dissimilation  neigt. 

1.  /•  .  r 

a)  Das  unbetonte  /*  wird  /.  das  betonte  bleibt. 
«)  Erstes  r  betont. 

y  .  r  >  /■  .  / 

Ortsn.  Schweiz,  ßi'ird/ef  <  *Bur(g)dolf  (bei  F.  Platter,  Anf.  17. 
Jh.:  ,Burtolf')  <  Burgdorf-,  Ursele  <  Urseren;  Sparblig  <  Sparr(en)- 
berg;  Herdele  <  Herderen;  Hirsele  <  Hirseren;  Herhligen  u.  Herhlingen 
<  Herbrigen  (zu  Herbrig  ,B.erhei'ge')  ;  bad.  MärsJt  <  *Märsrt  <  Mersen- 
hart;  BergaVingen  <  Berngeringen;  Birtel/d/c/i  (1348),  jetzt  Berchtolfh- 
kirch  <  Birterkilch  (a.  1298);  5^p?'Äo/--//d/«  <  Herbortsheim  ;  Personen- 
name Beriet.  Berl'd.  Bcriiz,  Berit  <  *Bernrt  <  Bernhart. 


')  Daneben  kommen  auch  auf  bewußter  individueller  Initiative  beruhende  Laut- 
veränderungen  vor. 


—     496     — 

Eigennamen  sind  überhaupt  für  die  Beobachtung  lautlicher  Ver- 
schiebungen besonders  ergiebig,  weil  sie  in  vielen  Fällen  schon  früh 
etymologisch  verdunkelt  oder  nicht  durch  eine  große  Zahl  analoger 
Formen  geschützt  waren. 

Bei  Appellativen  kann  die  Dissimilation  dadurch  erleichtert 
werden,  daß  ähnliche  Formen  mit  /  vorkommen,  was  eine  Vermischung 
in  der  Psyche  des  Sprechenden  herbeiführt.  Wenn  schon  überhaupt 
Wechsel  zwischen  den  Suffixen  -er  und  -el  nicht  selten  nachweisbar  ist, 
wie  z.  B.  in  Kiefer:  Kiefel.  Panter:  PanteL  Zunder:  Zuudel:  mhd.  (inker: 
anhel  usw.,  wie  viel  leichter  wird  das  -el  durch  Dissimilation  eintreten  ! 
Daher  Formen  wie  Mardel  „Marder",  Erkel  „Erker"  (lit.  érkeJh),  Körpel 
„Körper",  Marnie/  „Marmor"  (ahd.  nmrmid,  friaul.  märmul^  span.  nmr- 
niol),  Mörtel  <C  mlat.  mortarium.  Morse/  „Mörser"  (ahd.  mormU  neben 
morsari),  Turteltaube  <  lat.  turtur  {shd.  furti/-);  xieWeicht  auch  Krüppel 
<;  Krüper  „Kriecher";  Schweiz.  SUranipflc  „Sauerampfer"  (und  darnach 
das  einfache  Ampfle),  mhd.  martel  „Marter",  merteluufje  (ahd.  martelou 
[0.])  und  darnach  analogisch  martUie.  das  den  Hauptakzent  auf  dem  zweiten 
/■  hat,  dorpel  neben  dorper  „Dorfbewohner",  kerkel  „Kerker"  (span. 
eiircel)'^  {iriez-.  spTc/i-.  tor-wertel  ,.-Wärter"  (schon  ahd.  wartal  u.  Zu- 
sammensetzungen neben  wartari);  ahd.  tregil  „Träger"  neben  tragari, 
trihil  „Wagenlenker",  hiril  „Träger",  reitrihtil  „Wagenlenker".  Möglicher- 
weise liegen  aber  bei  den  letztgenannten  Ableitungen  auf  -al.  -il  wirklich 
ursprüngliche,  nicht-dissimilierte  Bildungen  vor,  die  ihrerseits  aber  jeden- 
falls dazu  beitragen,  bei  ehemaligen  y-Ableitungen  die  Dissimilation  her- 
beizuführen. Nach  den  zahlreichen  ahd.  Bildungen  auf  -alDn.  -ilOn.  -olön 
ist  auch  ahd.  nwrmurün  schon  früh  auf  analogischem  Wege  zu  murnii- 
lön.  murinulön  geworden.  Vermutlich  gehört  in  diese  Rubrik  auch  got. 
nuräli  „Schweißtuch"  -<  lat.  orarium. 

Vgl.  span.  drho],  port,  ûrvol,  friaul.  ärbul,  mail,  ei-bol  <C  It.  arborem,  sp.  carcel 
<i  carcerem  ;  avers.  Barbla  <C  Barbara;  gr.  y.eQßsAog  neben  yJcßsQog. 

ß)  Zweites  r  betont 

r  .  r  >  1  .  r 

Balhier,  schwyz.  paliere  <C  parieren,  alagu.  (Deutsch-Piemont)  Pulcjaz 
nach  *pulgiere  „purgieren",  soloth.  u.  elsäss.  melitiere.  meletiere  „meri- 
tieren",  aarg.  fahliziere,  darnach  Faldikanf,  der  Volksschriftsteller  Stutz 
(Zürcher  Oberl.)  hat  Flaktur,  Schwalm:  hahrarise//  „barbarisch",  daneben 
Imriraliüeh  mit  etymologischer  Anlehnung  an  Adjektiva  auf  -alisch.  wie 
kannibalisch,  martialisch,  infernalisch,  bestialisch,  ebd.  ohselfieren  „obser- 
vieren", Saargebiet  und  eis.  Se/talewari  „charivari";  hieher  wohl  auch  Goethe 
irrUckteliereii,  Hans  Sachs:  Seekeltari  <^  Sekretari,  wobei  die  Anlehnung  an 
Seckel  mag  mitgespielt  haben. 


—     497     —    - 

Vgl.  Jon.  d-t]Àr}TijQ  „Jäger"  <;  &i]çrjzi'jç;  yaAay.Tiloes;  It,  jtlurio  <;  prurio;  Plae- 
torius,  Lcmuria  •<  *Remuria  (nach  Ovul,  Fast.  5,479);  mit.  nlniariti  „Schrank"  (mhd. 
alinerlïii,  port.-alemt.  almairo)  <C  armarium,  vglt.  albenja  (it.  u.  sp.  albert/o,  prov. 
albere,  frz.  aubenje)  <i  ahd.  hariberga. 

b)  Das  unbetonte  /■  wird  n. 

}'.)''>  n  .  r 
Hier   liegen   mehr   oder    weniger   deutlich   Analogiebildungen    nach 
ähnlichen  Lautgruppen  vor. 

Schwaliu  :  tttfuif/iercti  „markieren",  nach  mankieren;  Hef/fUfhr  -< 
segerdar  „Sekretär",  etwa  nach  Sekundär  oder  Referendar;  peiukririeren 
(daneben  peder  wie  l'en)  „perturbieren",  Anlehnung  unklar. 

c)  Das  unbetonte  r  fällt  weg,  das  betonte  bleibt. 

a)  Erstes  ;•  betont. 

r  .?•>;■.  — 

Basl.  Geschlechtsname  Biirket  <  Burghart,  Fnrket  <<  Forcart; 
Schweiz.   Bernet  <C  Bernhart,  Eret  <^  Erhart. 

]\Ian  kann  sich  fragen,  weshalb  in  diesen  Fällen  das  unbetonte  /* 
nicht  zu  /  geworden  sei  (*ßt(rkelf  usw.).  Der  Ausfall  des  /•  mag  seinen 
Grund  darin  haben,  daß  r  vor  Dental  in  denjenigen  Mundarten  gerne 
schwindet,  wo  es  mit  der  Zungenspitze,  also  dentalartig  artikuliert  wird(s.  u). 

Ein  vereinzelter  Fall  ist  Schweiz.  Vierehrötli  <C  Viererbrötli  (Schw. 
Id.  V,  958).  Hier  waren  3  r  vorhanden,  wovon  das  mittlere  ausfiel; 
das  erste  war  durch  den  Akzent,  das  dritte  durch  den  vorausgehenden 
Konsonanten  und  lieide  überdies  durch  das  etymologische  Bewußtsein 
geschützt. 

ß)  Das  zweite  ;•  betont. 

Basl.  u.  eis.  (Juad'nr  „Quartier'-  (lit.  kcaiëra),  Schwalm  pederwieren 
„perturbieren"  (s.  o.)^(ver-Jagedieren  „akkordieren",  odinür:  ebd.  Hatsc/iier 
und  Haschkrfei'j  -<  it,  arciere  ,, Bogenschütze",  Schweiz,  mmchiere  „mar- 
schieren". 

Auch  hier  standen  die  ausgeworfenen  r  vor  einem  dentalen  Kon- 
sonanten, in  dem  sie  artikulatorisch  aufgegangen  sind.  Der  bad.  Orts- 
name Rodshér  \  Rordsbérg,  mit  3  r.  wieder  wohl  auch  nicht  anders 
erklärt  werden  können. 

Dagegen  ist  der  Ausfall  vor  /  deshalb  erfolgt,  weil  das  Wort  schon 
ein  /  enthielt,  also  eine  Dissimilation  von  unbetont  ;•  zu  /  nicht  statt 
haben  konnte:  B^üer  <  Parlier,  mhd.  Partiz.  vloru  <  verlorn,  Plur. 
Prät,  rlurn  <C  verlurn,  zu  Verliesen  „verlieren",  und  nach  diesen  Formen 
analogisch  der  Inf,  cUesen  (s.  Z.  f.  hd.  Mda.  1,  31). 

32 


—      498     — 

So  erkläre  ich  mir  auch  den  Ausfall  in  schwalm.  (tldinieren  „alar- 
mieren" nur  durch  den  Umstand,  daß  schon  ein  /  vorhanden  war,  und 
also  kein  *alal)nkren  entstehen  konnte. 

In  basl.  ('ver-)sch(unerkrt  „verlieht"  <  verscharmeriert  (frz.  charmé), 
mit  3  oder,  das  ver-  hinzugerechnet,  sogar  4  /■.  kann  ich  mir  dagegen  den 
Wegfall  nicht  erklären,  da  sich  ein  *i'ersc/ialme?'iert  recht  wohl  denken 
ließe  und  eine  etymologische  Anlehnung  nicht  ersichtlich  ist. 

2.  l  .  l 

a)  Das  unbetonte  /  wird  ;•,  das  betonte  bleibt. 
a)  Erstes  /  betont. 

HUUrtingen  <  Hiltolvingen  (a.  1175);  mhd.  pfdUr  neben  pfellel 
<  lat.  palliolum;  nhd.  Alher  „Weißpappel"  (ahd.  alhärt;  it.  albero  <  lat. 
albulum. 

ß)  Zweites  /  betont, 

Schweiz,  kämt.  Franéll  {\\i.  frunelis),  schwyz.  merankoüsch,  luz.  Ortsn. 
Rotte rt.scJnr'fl  <  ßatoltzwil;  eis.  ,Alßwiler  od.  Orßiriter  (a.  1490)  <  Als- 
wilre  (a.   1243),  jetzt  Orschweier. 

Vgl.  lt.  cœrulens  <i  *caeluleus,  PariUa  „Fest  der  Paies"  <CPalilia;  sip.  coronél, 
it.  scarpello,  sp.  escarpelo  <<  lt.  scalpellum  „Lanzette",  rät.  kurte,  mail,  cortél  <C  cul- 
tellum  „Messer",  afrz.  gourpille  -<  vulpeculum,  dial.  gorpil;  carcul  <<  calcul;  lit. 
smarktèlis  neben  smalktèlis  „dichte  Stelle  im  Wald"  ;  sp.  port,  arfil  „Schachfigur'-  << 
arab.  alfil. 

b)  Das  unbetonte  /  fällt  weg,  das  betonte  bleibt. 
a)  Erstes  /  betont. 

Schw.  Ortsn.  Helfetsii'il  <  Helfoltiswilare  (a.  882),  Althhofen  < 
Alteloshovin  (a.  1180),  bad.  Ältuifjen  <  Alt(e)lingen,  BUIa/fngen^  Bilal- 
fingen,  Gö/s/iaiiseu  <;  Geltelshausen,  Helms/ieim  <  Helmoltsheim,  Zei/s- 
heim  <  Cilolfesheim  (a.  766). 

Der  Wegfall  dieser  /  erklärt  sich  am  ungezwungensten  durch  den 
vorbeigehenden  Ausfall  des  unbetonten  Vokals,  was  eine  Vereinfachung 
der  daraus  entstehenden  Konsonantenhäufung  nach  sich  zog. 

ß)  Zweites  /  betont. 

l  .  l  >  —  .  l 
Zürch.   limnlud  „Bleistift"  <  lt.  plumbale. 
Vgl.  gr.  rpuvAos  <  (pÀavÀoç. 


—     499     — 

c)  Das  unbetonte  /  wird  n.  das  betonte  bleibt. 
a)  Erstes  /  betont. 

/./>/.  ^/ 
Eis.   Kührutcr  <^  Kalwiler  „Apfelsorte"  (frz.  all n Ht). 

ß)  Zweites  /  betont. 

/  .  f  ^  II  .  / 
Dial.    verbreitet  Xi/Je  „Lilie",    zorntal.   nii/c    <^   lullen    „lutschen", 
it.  yoUliard  <;  Lollhard,  dial.  Xieh-  <.  Liele  „Waldrebe". 

Vgl.  sp.  nivél,  frz.  niveau  <.  *libelluin  „Wage";  sp.  nombril  <i  lombril;  port. 
neyalko  „Bündel"  <  *ligacalum. 

In  allen  Beispielen  haben  Avir  anlautendes  /,  In  dieser  Stellung 
scheint  demnach  das  /  weniger  widerstandsfähig  gewesen  zu  sein,  als  das 
y  (s.  u,).  Das  Auftreten  des  n  mag  durch  das  n  des  unbestimmten  Ar- 
tikels (ein-,  roman,  un-)  nocli  besonders  gefördert  worden  sein. 

B.  Wirkung  der  Artikulation  (bezw.  der  Stellung  im  Worte). 

i.  r  .  r 

a)  r  hinter  Konsonant  Avird  geschützt. 
a)  Das  andere  wird  /. 

aa)  Erstes  r  hinter  Konsonant. 
Kons  /•.>•>-  Kons  r  .  / 
Aarg.    Spreud   „Spreuer",   verbreitet   C/trisfoffel  (sp.  C/iristolmf)  <C 
Christophor(us),  mhd.  ^;/vo/    „Prior",   friel.   trisol    „Tresor";    hieher   (?) 
Trielsclier  (Weinhold,  mhd.  Gr.  §  212)  für  Trierscher  „Einer  aus  Trier"  (?); 
in    diesem  Falle   wäre    die   Dissimilation    eingetreten    trotz    der   Betont- 
heit des  mittleren  r.  Ortsn.  bad.   Bruiigo/s/ieiiii  <;  Brungersheim. 
Vgl.  lit.  Grygolis  „Gregorius",  afrz.  contralier  (Rol.  1741). 

ßß)  Das  zweite  /*  hinter  Konsonant, 
r  .  Kons  ?•>■/•  Kons  /• 
Belfrid  <  mit.  helfrédus  <  *berfredus  <  Bergfrid,  PUger.  Pi/grim 
{ii.  ptl leg i'ino,  îvz.  pèlerin)  <  \t  pelêgiinus  <,  peregrinus;  alagu.  A/em- 
brast  „Armbrust";   eis.  Kaljanter  (gr.  xoÀlavÔQop,  -/.oqiavÔQOv,  mit.  coü- 
andrum)  „Coriander". 

Vgl.  lt.  meletrix  neben  meretrix,  albitrare  n.  arbiträre,  celebrum  n.  cerebrum, 
telebra  „Bohrer"  n.  terebra;  it.  Geltrude,  sp.  taludro  „Bohrer"  <  lt.  tarala-um  ;  frz. 
dial.  malbre,  daUre  <.  dartre  „Flechte". 

ß)  Das  dissimilierte  r  fällt. 

aa)  Das  zweite  r  fällt,    wenn   es   ebenfalls   hinter  Kon- 
sonant steht. 


—     500     — 

Kons  y  .  Kons  /•  .  ">  Kons  r  .  Kons. 

Ahd.  (■risc'mnNöii  -\  criscrimmön  „mit  den  Zähnen  knirschen",  graub. 
propi  „eigentlich,  wirklich"  (schon  lat.  j)roj)/H^>,  it.  proj/zo^  vulgärfrz.  propti- 
faire)  <.  proprius. 

Vgl.  lat.  praestliiiae  <C  praestrigiae  „Gaukeleien"  crebesco  <  crebresco ,  it.  prête, 
fraie,  ksi.  prostït  „verbreitet"  zu  prostrtti. 

In  den  deutschen  Beispielen  (es  ist  deren  freilich  nur  ein  echtes) 
wie  auch  in  einigen  außerdeutschen  scheint  das  /■  ausgefallen  zu  sein, 
weil  es  der  unbetonten  Silbe  angehörte.  Für  die  lat.  Beispiele  ist  viel- 
leicht auf  den  altlateinischen,  zurückgezogenen  Akzent  zu  schließen. 

ßß)    Das    erste    ;•    fällt,    wenn    es    vor    einem    dentalen 
Momentlaut  steht. 

rDent  .  r  ■>  —  Dent  .  r 
Dial.   dt.    Güdrohe    „Garderobe",    bair.    Gefi'udÎH,   basl.   eis.    Laäräff 
„Zapfenstreich"  <;  Lardrätt  -<  La  retraite. 

Vgl.  die  Form  frz.  mautrisii/re,  die  sich  für  meurtrissure  in  einem  alten  waadt- 
ländischeu  B-ezeptbuch  findet  (Schweiz.  Arch.  f.  Volkskunde  X,  48). 

b)  r  erhält  sich  vor  Konsonant  (außer  in  gewissen  Sprachen 

vor  Dental,  wo  es  sich  gern  assimiliert). 

a)  Das  dissimilierte  r  wird  zu  /. 

aa)  Das  erste  r  vor  Konsonant. 

/■  Kons  .  r  ~>  ?•  Kons  .  / 

Schwz.  (XV.  Jh.)  merzen  <.  merzerie. 

Vgl.  gr.  ;MOç^o/ît5rrw  „schrecke",  zu  ,Mdp^(0()oj  „Furcht".  Hippokr.  dva/a()ya/lf^ft) 
„gurgle  auf",  yuQyaÀsév,  zu  yaçyaç-,  fioçftvÀoç  Name  eines  Fisches  (Ath.7,313)  < 
ftoQfivQos;  vulglt.  armolaeia  <i  àçfioçayJa ;  it.  mercoledi  sp.  miercöles  <  Mercurii  dies  ; 
%ulgärfrz.  arbolis  <C  herboriste. 

ßß)  Das  zweite  r  vor  Konsonant. 

r  .  r  Kons  y>  /  .  r  Kons. 

Röttl.  Chr.  ElUguri  <  Héricourt;  abair.  salworltt  „Panzerschmid" 
<  sar(o)worht5  Ortsn.  Klofderr  <  Krofdorf  (Germ.  37,409);  in  diesem 
Beispiele  kann  aber  auch,  wie  sicher  bei  ob.  Nah.  Kulfürai  und  dem 
Ortsnamen  Mcuilhurcf  (sprich  Mulhrg)  <  Mürberg  das  etymologische 
Bewußtsein  für  den  zweiten  Teil  erhaltend  gewirkt  haben. 

Vgl.  ved.  (tlarti  „regt  sich"  <  *ararti;  gr.  K^JtaQ'/oç  neben  KQÎtaQyoç  (wo 
ül>rigen8  auch  das  etymologische  Bewußtsein  die  Erhaltung  des  zweiten  r  unterstützt). 

ß)  Das  dissimilierte  r  fällt  Aveg. 

aa)  ?•  K  0  n  s  .  ;•  >>  r  K  o  n  s  .  — 

Nd.  Arielei  <  Artilrei  <  Artillerie  (Beitrr.  30,  209). 


—     501     — 

Der  Wegfall  erklärt  sich  aus  dem  Vorhandensein  eines  /  und  durch 
die  Nähe  der  Substantiva  auf  -eli'i  (Bettelei,  Frömmelei,  Gaukelei  usw.). 

ßß)  r  .  r  Kons  ">  —  .  /■  Kons. 

Schwz.  Ortsn.  Udrf  -<  Urdorf,  Geschlechtsname  (iT^rlipcnjcr  -^  Girs- 
perger.  Diese  beiden  Beispiele  lassen  sich  schwer  in  eine  bestimmte 
Rubrik  einreihen,  weil  bei  ihnen  auch  das  erste  r  vor  Konsonant 
steht,  und  dieser  Konsonant  überdies  noch  ein  Dental  ist,  wo  Ausfall 
in  schweizerischen  Mundarten  ohnehin  gern  erfolgt. 

c)  Anlautendes  r  erhält  sich. 
a)  Das  dissimilierte  r  wird  / 

anl.  ;•  .  >>  anl.  r  .  / 

Reigel  neben  Reiger  „Reiher",    durch    reiche   Analogie   erleichtert. 
Vgl.  sp.  port,  roble  „Eiche"  •<  roborem  ;  sp.  )-olo  (alban.  rate)  •<  rarum. 

Von  dieser  Tendenz  der  Erhaltung  des  r  im  Anlaut  weicht  ab  das 
eis.  en'crdnts  <  Reverenz  (Eis.  Jahrb.  1904,  S.  199),  das  ich  mir  einst- 
weilen nicht  erklären  kann. 

ß)  Das  dissimilierte  /'  fällt. 

anl.  >■./•">  anl.  r  •  — 

Ortsn.  bad.  Rodshe  <,  *Rödsberg,  Renschbe  <  Rensberg,  während 
sich  sonst  -berg  in  Ortsnamen  jener  Gegend  erhält  (Zeitschr.  f.  hd. 
Mda.  5,  189)  \  Schwalm  Rahud  „Rapport",  eis.  Rampa  <  frz.  rempart. 
In  diesen  Fällen  siegt  das  anlautende  /'  über  das  vorkonsonantische 
offenbar  wegen  seiner  grösseren  Festigkeit.     Über  Rahäd  s.  u.  d  ß. 

d)  Vor  dentalen  Konsonanten  fällt  r  ferndissimilatorisch 
gerne  aus  wegen  seiner  Zungenspitzenartikulation. 

a)  Das  erste  r  vor  Dental. 

/•  Dent.  .  /•  ">  —  Dent.  •  /• 

Nhd.  Köder,  schw.  CItëder  <  Kerder,  dial.  M  ad  er  „Marder",  fadem, 
Katzer  „Karzer",  nd.  Attelrle  <  Artillerie  (Beitr.  30,  209),  schwyz.  Appreit 
<  Ortbrett  (Schw.  Id.  V,  900),  Epperi  „Erdbeere",  altbasl.  Spi(chjweter 
<.  spichwerter  „Speicherwärter",  bern.  Meiatshere/  -<  Meinhartsberg 
(a.  1262);  vgl.  auch  obiges  Tf/fr/' <  Urdorf,  G ischjjerger  <.Girspcrgei", 
ferner  altzürch.  Fosfsr  <;  Forster  „Förster",  dt.  dial.  Maser  „Mörser-'  ; 
endlich,  da  ja  auch  das  n  als  Dental  gelten  kann.  Glaner  „Glarner" 
(Bewohner  von  Glarus).  —  In  nord.  Dialekten  findet  sich  raßer  <^  V8er|?er 
„wird",  aujpir  <.  myr)?ir  „mordet." 

Vgl.  arm.  matiirn  <C  uaQvvQiov. 


—     502     — 

ß)  Das  zweite  r  vor  Dental. 
Sichere  Beispiele  für  diesen  Fall  stehen  mir  einstweilen  nicht  zur 
Verfügung  ;  denn  entweder  lauten  sie  mit  r  an,  wie  liahad  „Rapport" 
und  können  somit  ebensogut  unter  c  ß  (s.  o.)  fallen,  oder  sie  enthalten 
3  r.  wodurch  eine  weitere  Unklarheit  bezüglich  der  Rubrizierung  entsteht. 
So  kann  der  bad.  Ortsname  ^ROchberf/  (aus  älterm  *Rordsberg),  den  wir 
oben  als  Grundlage  für  Rödsbe  erschlossen  haben,  wie  auch  der  Ge- 
schlechtsname Roder f  <^  Rordorf  zu  c  /3  (Erhaltung  des  anlaut.  rj.  oder 
zu  d  ß  (Schwund  des  r  vor  Dental),  oder  zu  b  /3  ßß  (Erhaltung  des  r 
vor  Kons.,  in  -herg)  gehören. 

2.  l.l. 

a)  /  hinter  Konsonant  wandelt  sich  gern  zu  r. 
a)  Das  erste  /  hinter  Konsonant. 

Kons/  .  /  >-  Konsr  .  / 
Bair.    Fräckelein  <  Flaconlein    (Schmeller    1,    806);    mhd.   sprTzel 
<  ^splltil  (?);  schw.   Krupele  <  ^=Klugel  (?). 

Vgl.  gr.  (pQaysÄÄovv  für  (fÄ. 

ß)  Das  zweite  /  hinter  Konsonant. 
/  .  Kons  l  ">  l  .  Kons  r. 
Deutsche  Beispiele  fehlen  zur  Zeit. 
Vgl.  gr.  Ti)Äey.Qog  neben  TrjÄey.Äog;  lt.  lucrmn,  simulacrum,  lavacrnm  ■<  -dum. 

b)  Stehen    beide   /   hinter   Konsonant,    so    neigt    das    erste 
ziTm  Schwund. 

Kons  /  .  Kons  /  >  Kons  —  .  Kons  / 
Nhd.  I  0//6'/  <C  *flugla-;  möglicherweise  auch  schw.  siirpße  „schlürfen" 
<;  *slurpfilon  ;  doch  ist  hiefür  auch  lat.  sorbeo  und  seine  Sippe. gegen- 
wärtig zu  halten. 

Vgl.  gr.  axTtayÄog  „erschrecklich"  zu  TiÄayr/vai;  frz.  faible  -<  flebilem. 

c)  Hinter   anlautend   k  ist   der  Wandel   von  /  >>  n  häufig. 

kf  .  /  >  kn  .  / 
Nhd.  Knäuel  <;  rahd.  kliuwel,  Knoblauch  -<  klobelouch,  Knüppel  neben 
Klüppel  (wo  Bildungen  wie  Knopf,  Knoten  die  Dissimilation  werden 
erleichtert  halben)  ;  schw.  chnüblle  „klauben"  neben  chlüble,  ('Jniücliel 
„Knäuel"  n.  Chlüchen,  CInnunmel  dasselbe  n.  Chlummel,  Clmungele  n. 
Chlungele,  zugerisch  knöfiple  „leise  klopfen"  -^ klöppeln;  nd.  knenl'ik  „klein- 
lich", scherzhaft  kninf/eln  für  klingeln.  In  gewissen  ahd.  Mundarten 
scheint  hier  dagegen  Abfalltendenz  beim  ersten  /  geherrscht  zu 
haben  :  kiiif/fbui/'/.  lünkilonti,  kinf/ilon     (Graff  4,  564). 


—     503     — 

d)  /  vor  Konsonant  wandelt  sich  zu  /•. 
a)  Das  erste  /  vor  Konsonant. 

/Kons  /  >•  ?*Kons  .  / 
Appenz.  Hurtil  \  *Haltel  -<  Halbteil. 

Vgl.  gr.  àçyaXéoç  <  àÀyaÀéog,  lit.  verbliudaa  „Kameel"  neljen  velblmdaa, 
nbret.  derc'hel  „uehmen"  <;delc'hel;  engl,  cornel  <  colonel. 

ß)  Das  zweite  /  vor  Konsonant. 

/  .  /Kons  ■>  /  .  yKons 
In  dem  bad.  Ortsn.  Hilpertmii  <.  Hiltpoltsau  haben  wir  zwei  /  vor 
Konsonant,  von  denen  das  zweite  sich  wandelt. 

Vgl.  gr.  y.EcpaXaQyriç,  Y.ecpaÄacyta  „Kopfschmerz"  zu  äAyog;  ebenso  yÀctjaaaçyla 
ueben  yÀojaaaÀyt'a,  Äaifiacyog  „geschwätzig"   aus  Aaifiög  und  äAyog. 

e)  /  im  Anlaut  der  Stammsilbe  oder  der  betonten  Silbe 
erhält  sich. 

aj  Das  dissimilierte  wird  zu  /■. 

anl.  /  .  /  ">  anl.  /  .  r 
Nidwald.  Lumnure  neben  Lammele  „Messerklinge"  (app.  Lummere) 
<^  lat.  lamella;  Rolandsl,  liitzer  -<  lutzel. 

Vgl.  lat.  hinaris,  popiilaris,  sœcularis.  singularis  (und  darnach  analogisch  militaris 
usw.,  s.u.)  •<  lunalis  usw.;  sp.  port.  liKjar  <<  localem,  port,  lombar  neben  lombal  „zu 
den  Lenden  gehörig".  Mitbeteiligt  ist  diese  Ercheinung  auch  bei  hierum,  lavncrum  (s.  o.). 

[ß)  Das  dissimilierte  wird  zu  ;?.] 

[anl.  /  .  /  >•  anl.  /  .  n] 
[Schweiz,  fj'iene  „Waldrebe"  neben  Liele  <;  ahd.  liola.  Diese  Er- 
scheinung widerspricht  der  unter  A  2  c  /j  verzeichneten,  wonach  /  .  be- 
tont /  ^  u  .  I  wird.  Es  ist  daher  zu  vermuten,  daß  in  diesem  Falle 
nicht  Dissimilation,  sondern  La  ut  vertäu  seh  ung  (aus  Xie/e.  s.  o.) 
vorliegt.] 

II.  Psycholog-ische  Momente. 

A.  Das  etymologische  Bewusstsein  als  erhaltende  Kraft. 

1.     /■.;•>/-.  /. 

Schweiz.  Miseréri  sollte  nach  den  physiologischen  Dissimilations- 
tendenzen *M}seIh'i  ergeben  (s.  o.  I  A  1  ßj.  im  Prättigau  lautet  die 
Form  aber  MiscrF/l.  was  einesteils  auf  das  etymologische  Bewußtsein 
von  miser,  andernteils  vielleicht  auf  Anlehnung  an  Diminutive  auf  -h 
zurückzuführen  ist. 


—     504     — 

2.  /•  .  >•  ^  y  .  /. 

Südböhm.  Hlälkcr  „stärker"  (Fromm.  Mda.  6,  505,  39).  Das  et.  Be- 
wußtsein des  Komperativsufiixes  überwiegt  das  der  Stammsilbe;  schwz. 
Tägliger  „Bewohner  von  Tägerig",  et.  Bewußtsein  der  toponymischenEndung; 
dt.  Maidheere  <C  ahd.  mürljeri  (niengl.  nmJherie  neben  raurberie),  et.  Bew. 
des  zweiten  Bestandteils  ;  ebenso  in  ob.  Nab  Juüfürst.  bad.  He/rnsf/orf 
<; Hermsdorf  (mit  Unterstützung  durch  die  Volketymologie  Herrn-  >-  Helm), 
während  in  schwalm.  BlUmoder  „Bergamotter"  wieder  das  bekannte  und 
durch  viele  Analogien  gestützte  Suffix  -er  erhalten  blieb. 

3.  /■./•>/•.— 
Ohne  deutsche  Beispiele. 

Vgl.  it.  arato  <  aratro,  das  eigentlich  ein  'alatro  erwarten  ließe  (s.  B  1  a  a  ßß). 
Die  Stammsilbe  ar-  wird  durch  verwandte  Bildungen  gestützt. 

4.  y  .  r  >  —  .  /• 

Das  zweite  /•  von  älternhd.  Acklerei  -<  Arklerei  „Artillerie" 
(s.  Beitrr.  30,  209)  findet  seine  Stütze  in  den  zahlreichen  Substantiven 
auf  -(l)erei;   Ufer  <;  tirol.  Urfar(?)  „Überfahrstelle  an  e.  Fluß". 

Hier  könnte  allerdings  auch  das  oben  (B  1  d  «)  erwähnte  fodern 
seinen  Platz  finden,  wenn  man  annimmt,  daß  die  häufige  Endung  -ern 
durch  die  Analogie  gestützt  worden  wäre. 

Vgl.  it.  Federico,  durch  andere  Namen  auf  -rico  gestützt;  airz.  penre,  c&i.  pendre 
„nehmen",  durch  die  Infinitivendung  -re  gestützt. 

5.  /./>/.>■ 

Ohne  deutsche  Beispiele. 

Vgl.  lt.  militarü,  palmaris,  fam  il  iuris,  exemplaris,  nach  der  Analogie  von  htnaris, 
regulär is  usw.,  wobei  übrigens  das  noch  im  Worte  befindliche  andere  /  behilflich  ge- 
wesen sein  mag.  Gehören  hieher  auch  gr.  cpÀavQoç,  sp.  alcacer  neb.  alcacel  „Gretreide" 
<;  arab.  alcacil  infolge  des  etymologischen  Bewußtseins  der  Stammsilbe? 

6.  /  .  /  >  r  .  / 

Eis.  Porischinel  „polichinel"  -,  PortseininJ  -<  balsamina,  wo  das  /  als 
bekannte  Fremdwort-  bezw.  Diminutivendung  erhalten  blieb.  In  davos. 
Furballe  <;  Fülballe  „ein  Spiel"  mag  das  etymologische  Bewußtsein  von 
Balle  der  artikulatorischen  Tendenz  (s.  o.  B  2  d  a)  zu  Hilfe  gekommen  sein. 

7.  /./>/.// 
Deutsche  Beispiele  fehlen. 

Vgl.  it.  filomena  in  Anlehnung  an  Namen  und  Appellative  auf  -ena. 

8.  /./>».  I 

Schwz.  Fazenetl'i  <  it.  fazzoletto,  eis.  Flascheneil  <  frz.  flageolet 
(wobei  das  erste  /  nicht  in  Betracht  käme),  Hàresènel  <  Paresölel  Dim. 
von  „parasol",  Pfinftn/e  <  Pastillele  „pastille",  rappenauisch  Straicheniah 
<  Streichhölzle  ;    überall    durch  das   etymologische  Bewußtsein    der  Di- 


—     505     — 

minutivendung.      Vielleicht  auch  mhd.  .\7/Ifiitf  -^  Livland  durch  das  et. 
Bewußtsein  von  -laut. 

B.  Die  „Volksetymologie--  als  umgestaltende  Kraft. 
Hier  sind  wir  nur  auf  Vermutungen  angewiesen. 

1.  r  .  r  ^  r  .  / 

Falls  obiges  Misereli  nicht  durch  miser  gestützt  ist,  so  hat  die 
falsche  Anlehnung  an  die  Diniinutivendung  -li  das  /'  zu  /  gewandelt. 

2.  r  .  r  ^   /  .  r 

Eis.  Mckri  -\  Mereré  -^  mairie  „Bürgermeisteramt",  vielleicht  durch 
Anklänge  an  Bildungen  auf  frz.  -erie  (fonderie,  laiterie  etc.)  bewirkt. 
Unter  Umständen  auch  bad.  Ortsn.  Helmsdorf  <^  Hermsdorf,  wenn  das 
ApiDellativ  Helm  den  Anstoß  zur  Dissimilation  gegeben  hat. 

Vgl.  frz.  altérer  „Durst  erregen"  (falls  das  Grundwort  wirklich  *arteriare  „einen 
entzündeten  Hals  haben"  ist).  Dann  wäre  Anlehnung  an  altérer  „verändern"  anzu- 
nehmen.    It.  albero  „Baum",  nach  albero  „Weiß^jappel"  (s.  o.  I.\"2aai. 

Grundsätzliche  Bemerkung-en. 

Überblickt  man  obige  Zusammenstellungen,  so  wird  man  unschwer 
die  darin  enthaltenen  Widersprüche  erkennen.  Es  war  mir  auch,  wie 
ich  schon  eingangs  gesagt  habe,  nicht  darum  zu  tun,  ein  neues  .,aus- 
nahmsloses  Lautgesetz"  aufzustellen,  sondern  im  Gegenteil  an  Hand 
dieser  vielgestaltigen  und  weitschichtigen  Erscheinung  zu  zeigen,  wie 
unberechenbar  die  sprachlichen  Bewegungen  sind,  selbst  da,  wo  eine  laut- 
physiologische Tendenz  nachweisbar  ist. 

Wie  die  verschiedeneu  in  Betracht  kommenden  Momente  mit  ein- 
ander in  Konflikt  geraten  können,  möge  im  Folgendem  gezeigt  sein. 

A.  Physiologische  Momente  im  Kampf  mit  psychologischen. 

1.  Die  Artikulation  gegen  das  etymologische  Bewußtsein 
und  die  Analogie. 

a)  Die  Artikulation  ist  stärker:  Rödsfw  <  Rödsberg  (d.h. 
anlautend  /•  ist  fester  als  das  etym.  Bew.  und  die  Analogie 
von  -berg). 

b)  Das  etym,  Bew.  bezw.  die  Analogie  ist  stärker:  Täg- 
liger  <.  Tägriger  (d.  h.  die  i^nalogie  des  Suffixes  -er  ist 
stärker  als  die  Lautgruppe  -gr-j. 

2.  Der   Akzent   gegen    das    etym.    Bew.   und    die   Analogie, 
a)  Der  Akzent  ist  stärker:  SjKU'hlig  <^  Sparbrig,  obschon  -brig 

-^  -berg  in  zahlreichen  andern  Fällen  vorhanden  gewesen  wäre. 


—     50()     — 

b)  Das  etym.  Bewußtsein  bezw.  die  Analogie  ist  stärker: 
stä/ker  <;  stärker.  Obschon  das  r  der  Stammsilbe  unter  dem 
Akzent  steht  und  schon  durch  das  etyraolog.  Bewußtsein  des 
Positivs  , stark'  hätte  geschützt  sein  sollen,  hat  doch  das  -er 
des  Komparativs  den  Sieg  davongetragen.  Beim  Gegenüber- 
stehen so  mächtiger  Faktoren  pflegt  gewöhnlich  die  Dissi- 
milation zu  unterbleiben. 

B.  Physiologische  Momente  im  Kampf  unter  sich. 

1.  Artikulation  gegen  Akzent. 

a)  Die  Artikulation  ist  stärker:  Kode?'  (d.h.  die  Tendenz, 
daß  r  vor  Dentalen  in  der  Dissimilation  gern  wegfalle,  über- 
wiegt die  Tendenz,  daß  /■  unter  Akzent  sich  erhalte. 

b)  Der  Akzent  ist  stärker:  Balh'ier  (d.  b.  Erhaltung  des  r 
unter  dem  Akzent  überwiegt  die  Erhaltung  des  r  vor  Konsonant.) 

2.  Artikulation  gegen  Artikulation. 

Foderii.  Obschon  r  sich  sonst  vor  Konsonant  hält,  neigt  es  vor 
Dental  doch  zum  Ausfall.  (Bei  frz.  dial.  rudlhre  ist  das  /'hinter 
Konsonant  fester,  als  das  r  vor  Konsonant). 

Wie   ein  Gegeneinanderwirken,    so    kann    natürlich    auch    ein    Zu- 
sammenwirken mehrerer  Momente  in  Betracht  kommen. 

A.  Physiologische  und  psychologische  Momente. 

1.  Akzent  und  etymologisches  Bewußtsein,  bezw.  Analogie: 
poliere  <^  parieren  (d.  h.  /•  kann  erhalten  bleiben  sowohl  des 
Akzentes  als  auch  der  starken  Analogie  von  -iere  wegen). 

2.  Artikulation  und  etymologisches  Bewußtsein  bezw. 
Analogie:  Fosfer  <^  Forster  (d.  h.  das    erste  /•  muß    weichen 

,       wegen  seiner  Stellung  vor  Dental  und  Avegen  der  starken  Analogie 
von  -er.) 

B.  Zwei  physiologische  Momente. 

1.  Akzent  und  Artikulation:  Her/t/if/eu  <^  Herbrigen,  wo  das 
erste  r  sowohl  unter  Akzent,  als  vor  Konsonant  steht. 

2.  Artikulation  und  Artikulation:   Ladrätt  aus   Lardrätt,    wo 

das  erste  r  vor  Dental  dem  Abfall  geneigt,    das  zweite  hinter 
Konsonant  geschützt  ist. 

C.  Zwei  psychologische  Momente 

können  unter  Umständen  angenommen  werden  (doch  läßt  sich  das  ja 
kaum  feststellen)  bei  MtserÉli.  wo  das  etymologische  Bewußtsein  von 
miser  und  die  falsche  Anlehnung  an  das  Diininutivsuffix  -li  gleichzeitig 
im  Spiele  gewesen  sein  können. 


Wolfram  von  Eschenbach  und  einige  seiner  Zeitgenossen. 


Von 
John  Meier, 


Wolfram  von  Eschenbacb  und  Gottfried  von  Straßburg, 
die  beiden  einzigen  großen  Epiker  der  mittelhochdeutschen  Litteratur. 
sind  in  ihren  Lebensanschauungen  und  Kunstbegriffen  so  verschieden, 
wie  es  nur  möglich  ist.  Wenn  sie  sich  im  Leben  begegneten,  mußten 
sie  sich,  wie  zwei  feindliche  Sterne  bei  ihrem  Zusammentreffen  nur 
desto  heftiger  abstoßen.  So  weiß  man  denn  auch,  daß  ein  feindlicher 
Zusammenprall  stattgefunden  hat  :  nach  der  allgemeinen  Ansicht  hat 
Gottfried  in  der  bekannten  litterarischen  Stelle  im  Tristan  (4619  ff.  ;  be- 
sonders 4635  ff.)  Wolfram,  ohne  ihn  zu  nennen,  angegriffen,  und  dieser 
hat  dann  im  Willehalm  (4,  19  ff.)  darauf  erwidert.  Der  Parzival  soll 
nach  der  Vulgäransicht  früher  als  der  Tristan  verfaßt  sein  und  die  be- 
kannten Übereinstimmungen  der  Einleitung  des  Parzival  mit  Gottfried 
(Parz.  1,  19  =  Trist.  4636)  sollen  sich  so  erklären,  daß  Gottfried  Wolframs 
Bild  vom  Hasen  aufgegriffen  habe,  um  ihn  desto  wirksamei-  zu  verhöhnen. 

Diese  Ansicht  hat  sich  wohl  trotz  gelegentlichem  Widerspruch 
(Kläden,  Von  der  Hagen's  Germ.  5,  222ff.,  Baier,  Germ.  25  [1880].  403ff.), 
der  wegen  seiner  nicht  besonders  scharfen  Begründung  ohne  tieferes 
Eingehen  abgewiesen  wurde,  allgemein  durchgesetzt,  und  erst  ganz  neuer- 
dingshaben Burdach  (D.Rundschau  29  [1902],  253;  dann  auch Sitzungsber. 
der  Berliner  Akademie  1906.  S.  409)  und  Rieger  (Zs.  fdA.  46  [1902], 
178)  die  scheinbar  ganz  überwundene  Aufstellung  wieder  aufgenommen. 
Auch  ich  bin  seit  Jahren  dieser  Ansicht,  die  ich  auch  stets  im  Kolleg 
vorgetragen  habe,  und  die  nachfolgenden  Zeilen  sollen  den  Versuch 
machen,  zum  Teil  auf  Grund  neuen  Materials,  ihre  Richtigkeit  zu  erweisen. 

Daß  Wolfram  bereits  im  Parzival  Gottfrieds  Tristan  gekannt  hat 
und,  allerdings  ohne  Xamennennung,  an  verschiedenen  Orten  gegen 
ihn  opponiert,  scheinen  mir  eine  Anzahl  Stellen  mehr  oder  minder  deutlich 
zu  zeigen. 


—     508     — 

AVolfram  erwähnt  leicht  tadelnd  Parz.  292,  18 ff,,  daß  Herr  Hein- 
rieh von  Yeldeke  wohl  davon  gesprochen  habe,  wie  man  Minne  er- 
werben, nicht  aber,  wie  man  sie  festhalten  solle  und  gebraucht  offenbar 
als  Anspielung,  duz  er  smen  houm  gein  iuwerm  arde  maz.  Man  hat 
bei  Veldeke  dies  Bild  vergebens  gesucht  (Lachmanns  Deutung  auf 
En.  1826  ff.  ist  wohl  allgemein  abgelehnt),  und  es  steht  auch  nirgends 
bei  ihm,  wohl  aber  bei  Gottfried  in  der  erwähnten  litterarischen  Er- 
örterung. Ich  setze  beide  Stellen  neben  einander  und  sperre  durch  den 
Druck  da,  wo  ich  wörtliche  Anklänge  sehe, 

von  Veldeken  Heinrich  her  Heinrich  von  Veldeke  sinen  boum 

4725  der  sprach  uz  vollen  sinnen.  mit  kunst  gein  iuwerm  arde  maz  : 

wie  wol  sang  er  von  minnen  !  20  het  er  uns  dô  bescheiden  baz, 

wie  schöne  er  sînen  sin  besneit  !  wie  man  iuch  süle  behalten  ! 
er  hat  herdan  gespalten, 

er  impfete  daz  erste  ris  wie  man  iuch  söl  erwerben. 

in  tiutscher  zungen  :  von  tumpheit  muoz  verderben 

da  von  sît  este  ersprungen,  manèges  tôren  hoher  funt. 

von  den  die  bluomen  kämen,  Parz.  292.  18  ff. 

4740  dâ  si  die  spsehe  uz  nâmen 

der  meisterlichen  fünde; 

und  ist  diu  selbe  künde 

so  wîten  gebreitet, 

so  manège  wis  zeleitet, 
4745  daz  alle,  die  nu  sprechent. 

daz  die  den  wünsch  dâ  brechent 

von  bluomen  und  von  rîsen 

an  werten  und  an  wîsen. 

Trist.  4724  ff. 

Wolfram  meint  wohl  bei  Veldeke  die  Geschichte  der  Dido  uad 
vor  allem  auch  die  Reflexionen,  in  denen  sich  Lavinias  Mutter  der  Tochter 
gegenüber  in  Bezug  auf  das  Wesen  der  Minne  ergeht  und  in  denen 
auch  nur  das  Auftreten  und  die  Gewalt  der  Minne  geschildert  wird.') 
Unter  Veldekes  Einfluß  ist  auch  die  ganze  Reflexion  über  die  Minne  zu 
Stande  gekommen,  worauf  schon  Behaghel  (En.  CCXVI)  aufmerksam 
macht,  aber  von  Gottfried  beeinflußt  ist  wohl  der  Gebrauch  des  bei 
jenem  an  reflektierenden  Stellen  so  beliebten  Vierzeilers  (eine  Minne- 
reflexion Gottfrieds  Trist.  12187  ff.)  und  vor  allem  die  Verwendung  des 
Bildes  vom  Baum  der  Kunst.  Wolfram  erkennt  Veldekes  Bedeutung  an, 
aber  er  opponiert  doch,  mehr  scherzhaft,  gegen  die  Art,  wie  Gottfried 
Veldeke  als  Muster  aufgestellt  (lüie  wol  sang  er  von  minnen  und  wie 
schone  er  sinen  sin  besneit)  und  die  Meinung  ausgesprochen  hatte,  daß 


1)  Vgl.  zH.  En.  1)846'^  Parz.  291.  Uff.   und   292.    29 f. •   Behaghel   (En.  CCXVI) 
erinnert  noch  an  Parz.  292.  7  ff.  '-^.  En.  10249. 


—     509     — 

alle  Nachfolger  die  Feinheit  ihrer  „meisterlichen  Funde"  von  seinem 
Baum  entlehnten.  Ohne  Gottfried  zu  nennen  macht  er  Opposition:  ,der 
von  dir  so  gelohte  Veldeke,  er  hat  auch  nur  über  das  Entstehen  der 
Minne  geredet  und  hat  leider  einen  wichtigen,  ja  den  wichtigsten  Punkt 
fortgelassen,  nämlich  wie  man  sie  festhalten  kann.' 

Es  liegt  in  Wolframs  Art,  daß  er  gern  an  Stellen,  wo  er  litterarische 
und  persönliche  Anspielungen  macht,  sich  nicht  mit  einer  begnügt, 
sondern  daß  ihm  dabei  noch  anderes,  ähnliches  in  den  Sinn  kommt, 
was  er  denn  auch  gleich  verwertet.  Die  verdeckten  und  offenen  An- 
spielungen finden  sich  bei  ihm  meistens  nestervveis,  so  z.  B.  Parz.  899,  11 
(Veldeke);  401,  6  (Erec);  404, 1  (Heitstein)-  404,  28  (Veldeke)  und  419,  12 
(Veldeke);  420,  26  (Nibelungen);  421,  13  (Heldensage).  So  scheint  mir 
auch  an  unsrer  Stelle  in  den  voraufgehenden  Versen  auf  Tristan  und 
Isolde,  wie  Hartmanns  Gregorius  angespielt  zu  sein  (vgl.  schon  Martin 
zu  291,  22  und  27).     Es  heisst  dort  •' 

ir  (Frau  Minne)    zucket   manegem    wîbe  ir  pris, 

unt  rät  ir  sippiu  âmîs. 

und  daz  manec  hêrre  an  sînem  man 

von  iuwerr  kraft  hat  missetan, 

unt  der  friunt  an  sime  oesellen 


unt  der  man  an  sime  hérren. 

Parz.  291,  21.') 

Auch  an  einer  andern  Stelle  des  Parzival,  wo  Wolfram  Hartmanns 
Iwein  erwähnt  und  Frau  Lunête  tadelnd  nennt,  meine  ich  in  den  darauf 
folgenden  Versen  eine  stillschweigende  Verurteilung  von  Gottfrieds  Heldin 
Isolde  zu  lesen  : 

swelch  wîp  nû  durch  geselleschaft 

verbirt,  und  durch  ii-  zühte  kraft. 

pflihte  an  vremder  minne. 

als  ich  michs  versinne. 

Iset  siz  bî  ir  mannes  leben, 

dem  wart  an  ir  der  wünsch  gegeben. 

kein  beiten  stet  ir  also  wol  : 

daz  erziuge  ich.  ob  ich  soi. 

Parz.  43ß.  11. 

Als  der  tiimbe  Parzival  in  Torenkleidung  an  den  Artushof  kommt, 
apostrophiert  Wolfram  Hartmann  von  Aue  folgendermaßen  : 


ij  Was  heißt  diu  (die  Minne)  stlez-  üf  in  ir  krefte  ris  :-'  Die  bisherigen  Erklärungen, 
die  bei  Martin  zusammengestellt  sind,  genügen  nicht.  Sollte  es  nicht  bedeuten  können, 
.sie  pfropfte  auf  ihn  den  Zweig  ihrer  Macht  auf  ?  Parz.  221,  26  f.  kann  nicht  dagegen 
sprechen.  "Wenn  die  Erkläi-ung  Recht  hat,  ist  Wolfram  das  Bild  unter  Gottfrieds  Ein- 
fluss  (er  impfete  daz  erste  ris)  in  den  Sinn  gekommen.  —  Zu  bemerken  ist,  daß 
Wolfram  die  bei  Gottfried  beliebten  Vierzeiler  verwendet. 


—     510     — 

min  hèr  Hartmann  von  Ouwe, 
frou  Ginovêr  iuwer  frouwe 
und  iuwer  hêrre  der  künc  Artus, 
den  kumt  ein  min  gast  ze  hûs. 

bitet  hüeteu  sin  vor  spotte.  alsolhes  spottes  wart  dâ  vil 

ern  ist  gige  noch  diu  rotte  :  getriben  über  den  palas. 

si  sulen  ein  ander  gampel  nemn  :  der  arme  truhsœze  was 

daz  lâzen  sich  durch  zuht  gezemn.  ir  gige  unde  ir  rotte  ; 

anders  iuwer  frou  Enide  si  triben  in  mit  spotte 

uut  ir  muoter  Karsnafide  umbe  und  umbe  als  einen  bal. 

werdent  durch  die  mül  gezücket  dâ  wart  von  spotte  michel  schal, 

und  ir  lop  gebrücket.  Tristan  11362  if. 

soi  ich  den  munt  mit  spotte  zern, 
ich  wil   minen    friunt    mit    spotte    wern. 
Parz.  Ii3,  21  ff. 

Wolfram  bat  hier  zugleich  Entlehnungen  aus  dem  Tristan  gemacht, 
wie  die  daneben  stehenden  Übereinstimmungen  beweisen  (vgl.  auch 
Parz.  143,  27:  Trist.  11366  f.),  und  er  zielt  damit  deutlich  auf  einen 
andern,  dessen  Ideal  Hartmann  von  Aue  war,  wie  er  öffentlich  ausge- 
sprochen hatte.  Wenn  nun  in  ganz  ähnlicher  Weise  Wolfram  gleich 
darauf  von  Parzival  sagt  : 

in  zôch  nebeln  Curvenal  : 

er  künde  kurtôsîe  niht, 

als  ungevarnem  man  geschiht, 

SO  wird  dies  wohl  nicht  auf  Eilhards,  sondern  auf  Gottfrieds  Tristan  zu 
beziehen  sein. 

Eine  ähnliche  O^oposition,  wie  oben,  wo  neben  Hartmann,  der  ge- 
nannt ist,  doch  Gottfried  deutlich  mitgeraeint  wird,  scheint  mir  in  der 
Selbstverteidigung,  die  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Buch  einge- 
schaltet ist,  vorzuliegen.  Hier  wird  keine  der  Persönlichkeiten  namhaft 
gemacht,  gegen  die  sich  Wolfram  wendet,  aber  man  hat  Reinmar  von 
Hagenau  und  Hartmann  von  Aue  deutlich  erkannt.  Ihnen  scheint  sich 
mir  auch  Gottfried  zuzugesellen.     Die  Verse 

ich  solt  iu  fürbaz  reichen 

an  disem  meere  unkundiu  wort. 


swer  des  von  mir  geruocbe, 
dem  zels  ze  keinem  buoche. 


beziehe  ich  auf  Gottfrieds  Vorwürfe  Tristan  4681  ff.  (vergl.  Parz.  115,  8  'x. 
Tristan  4684  f.),  und  erst  das  Folgende  ist  auf  Hartmann  gemünzt,  der 
in  den  Anfängen  des  Iwein  und  Gregorius  seine  Gelehrsamkeit  be- 
tont hatte. 

Die  Stellen,  an  denen  Wolfram  im  Parzival  auf  Gottfried  anspielt, 
sind  über  verschiedene  Bücher  zerstreut  ;  sie  finden  sich,  abgesehen  von 


—     511     — 

der  eingeschobenen  Selbstverteidigung,  in  Buch  III,  VI,  IX.  Also  schon 
in  den  am  frühesten  verfaiiten  Büchern  des  Parzival  hat  Wolfram  den 
Tristan  Gottfrieds  gekannt.  Aber  was  hat  denn  Gottfried  vorgelegen 
und  ihm  das  Material  zu  seinem  Urteil  gegeben  ?  Wir  werden  annehmen 
müssen,  daß  Wolfram  diese  Bemerkungen  erst  bei  einer  zweiten  Aus- 
gabe anfügte,  und  daß  Gottfried  die  erste  Ausgabe  vorlag,  als  er  in 
seinem  Tristan  Wolfram  angriff-  Wie  viel  genau  er  gekannt  hat,  das 
wird  kaum  mit  Sicherheit  festzustellen  sein.  Nimmt  man,  was  ich  für 
wahrscheinlich  halte,  an,  daß  die  Stelle  im  Tristan  7939  ft'.  sich  gegen 
Parz.  481,  (j  ff'.  (Buch  IX)  wendet,  so  muß  man  es  wohl  als  sehr  möglich 
hinstellen,  daß  Gottfried  mindestens  Parz.  Buch  I — IX  vorlag  und  daß 
er  auf  Grund  dieser  Kenntnis  die  oft  erwähnte  litterarische  Kritik  Wolf- 
rams schrieb,  gegen  die  meines  Erachtens  sich  Wolfram  an  den  ver- 
schiednen  vorhin  erwähnten  und  andern  noch  zu  nennenden  Stellen  und 
vor  allem  auch  in  seiner  Einleitung  gewandt  hat. 

Um  aber  sicheren  Boden  unter  den  Füßen  zu  gewinnen,  müssen 
wir  noch  mit  einigen  Worten  auf  die  Interpretation  der  litterarischen 
Stelle  eingehen.  Schon  seit  langen  Jahren  war  es  meine  Überzeugung, 
daß  die  gewöhnliche  Erklärung  von  Tristan  4663  ff.  falsch  sei,  und  ich 
glaubte  hier  mit  Sicherheit  Vorwürfe,  die  aus  dem  Leben  und  Treiben, 
wie  der  Sprache  der  Gauner  entlehnt  waren,  wiederzuerkennen.  Bei 
einer  Unterhaltung,  die  ich  mit  K.  Burdach  Januar  1905  in  Berlin 
hatte  und  wo  ich  ihm  davon  berichtete,  machte  dieser  mich  auf  seinen 
mir  unbekannt  gebliebenen  Aufsatz  ,Der  mythische  und  der  geschicht- 
liche Walther'  (D.  Rundschau  29  [1902])  aufmerksam,  wo  er  S.  253  ff. 
einen  großen  Teil  des  auch  von  mir  Gefundenen  schon  veröffentlicht  hatte. 
Ich  betone  dies  Zusammentreffen  vor  allem  deshalb,  weil  seine  Zufällig- 
keit doch  dem  ganzen  eine  erhöhte   Wahrscheinlichkeit  gibt. 

Gottfried  apostrophiert  4663  ff.  den  bekämpften  Ungenannten  : 

vindsere  wilder  meere, 

der  mtere  wildeneere, 

die  mit  den  ketenen  liegent 

und  stumpfe  sinne  triegent, 

die  golt  von  swachen  Sachen 

den  kinden  kunnen  machen 

und  ÛZ  der  bühsen  giezen 

stoubîne^)  mergriezen  : 

die  bernt  uns  mit  dem  stocke  schate. 

niht  mit  dem  grüenen  meienblate, 

mit  zwîgen  noch  mit  esten. 


')  stoubecjen  M.  stonbi/jen  B,  siuicigen  E.   Alle  übrigen  hdschl.  Lesarten  weisen 
auf  stoublne  zurück. 


—     512     — 

Wer  die  sind,  die  mit  den  Ketten  lügen,  darüber  hat  man  nur 
Unbefriedigendes  zu  sagen  gewußt.  Das  Richtige  ist,  daß,  was  auch 
Burdach  hervorhebt,  an  Gaunerklassen  zu  denken  ist.  die  im  Liber 
Vagaformn  von  1510  (Kluge,  D.  Gaunersprache  1,  39j  Lofouer  ge- 
nannt und  so  geschildert  werden  :  das  sind  heiler,  die  spi'echenn,  sie 
seien  VI  oder  VII  jar  gefangen  gelegen,  vnd  tragen  der  ketten  mit  gnm, 
darin  sie  gefangen  sind  gelegen.  Ahnlich  sind  die  Vopper,  die  lassen 
sich  an  ysin  ketten  füren,  als  ob  sy  vnslnnig  weren  (1.  c.  S.  46  ;  vergl. 
auch  die  Sündveger  S.  48).  Aber  auch  die  zur  Täuschung  Einfältiger 
Gold  aus  geringwertigen  Metallen  fälschen  oder  von  Erde  gemachte  Perlen 
aus  der  Büchse,  in  der  sie  aufbewahrt  werden,  herausrollen  lassen,  sind 
bei  den  Gaunern  nachzuweisen.  Es  ward  im  Liber  Vagatorum  folgender 
Gaunertric  geschildert  (Kluge,  D.  Gaunersprache  1,52):  Item  Es  sind 
auch  efllcJi  vnder  den  vorgenanten,  ican  sie  inn  die  dörffer  kummen  so 
haben  sie  fingerlin  ron  kimterfei  gemacht,  vnd  heschgssen  ein  ßngerlin  mit 
kot  und  sprechen  dann  sie  haben  es  fanden  ob  einer  das  kauff'tn  wall,  so 
irent  dan  ein  einfaltige  hützin  es  sg  silber  vnd  kennen  es  nit,  vnnd  gibt 
im  VI  pfennig  oder  mer  dar  vmh.  da  mit  wärt  sie  dann  betrogen,  dm 
seihen  gleichen  pater  noster  oder  andere  Zeichen,  die  sy  vnder  den  mentlen 
tragen,  die  hei.^sen  viltner. 

Die  Lesart  stoubege,  die  noch  besser  zu  dem  ganzen  Verfahren 
passen  würde,  wird  durch  die  handschriftliche  Überlieferung,  wie  es 
scheint,  nicht  als  die  richtige  erwiesen.  Wiltner  heißt  diese  Gaunerart, 
mhd.  nildenœre:  sie  sind  Leute,  die  wildez  als  zam  ausgeben.  Und 
das  gleiche  wird  Wolfram  von  Gottfried  vorgeworfen  :  Erfindern  wilder, 
seltsamer,  unecliter,  falscher  Geschichten,  Verfälschern  der  Erzählungen 
und  Gaunern,  die  das  Publikum  täuschen  mit  falschen  Waren,  wird  er 
gleichgestellt.  Die  welche  das  tun,  geben  uns  kein  tiefes,  noch  nach- 
haltiges Ergötzen.  Ihre  Dunkelheit  wird  hervorgehoben,  und  daß  man 
die  Glosse  in  den  „schwarzen  Büchern"  suchen  müsse,  führt  uns  eben- 
falls in  das  Milieu  der  Gauner  hinein. 

Was  Wunder,  wenn  Wolfram  über  diese  Art  der  Polemik  in  den 
Harnisch  geriet  und  nun  auch  in  seiner  Einleitung  derb  zupackte:  Dunkel- 
heit, Versclirobenheit,  Stillosigkeit,  Fälschung  des  Überlieferten  und 
Täuschung  des  Publikums  hatte  Gottfried  ihm  vorgeworfen.  Und  auf 
diese  Vorwürfe  geht  er  an  den  verschiedenen  Stellen  seiner  Dichtung 
ein  ;  vor  allem  in  der  Einleitung  zum  Parzival,  auf  die  ich  in  Kürze 
deshalb  noch  eingehen  muß.^) 


')  Ich  gehe  hier  absichtlich  nicht  polemisierend  auf  abweichende  Ansichten 
anderer  ein,  sondern  gebe  nur  dem  Zweclie  entsprechend  das  nach  meiner  Meinung 
richtige  in  positivon  Aufstellungen. 


—     513     — 

In  ihren  ersten  vierzehn  Versen  stellt  Wolfram  das  Thema  seiner 
Dichtung  auf  und  ich  bin  mit  Xolte  (Der  Eingang  des  Parzival  [Mar- 
burg lüUO]  Ö.  4î>  f.)  der  Ansicht,  daß  der  hier  herrschende  ruhige  Ton 
sich  von  dem  folgenden  lebhaften,  polemischen  Teile  (1,  15 — 4,  8)  so  ab- 
hebt, daß  es  höchst  wahrscheinlich  wird,  Wolfram  habe  beides  nicht 
hinter  einander  gedichtet,  sondern  den  ersten  Abschnitt  schon  einer 
früheren  Ausgabe  seines  Werkes,  die  vor  den  Tristan  fallen  würde,  vor- 
gesetzt. Daß  die  Abschnitte  auch  zahlenmäßig  gut  stimmen  (1,  1  — 14; 
4,  9—26  =  32  Verse),  scheint  mir  als  ergänzend  nicht  ganz  gleichgültig 
trotz  Leitzmanns  heftiger  Opposition  (Zs.  fdPh.  35,  137). 

In  diesen  ersten  vierzehn  Versen  erscheint  mir  alles  klar,  wenn 
man  einen  bisher  übersehenen  Punkt  noch  beachtet:  nâchgehûre  be- 
zeichnet ein  dauerndes  Verhältnis  und  ist  g]eiclil)edeutend  mit  geselle^ 
was  der  jüngere  Titurel,  der  meines  Erachtens  immer  noch  mehr  als 
bisher  zur  Einzelerklärung  heranzuziehen  ist,  noch  deutlicher  ausdrückt 
durch  den  Zusatz  ilit  die  lenge  (22,  1).  Es  ist  hier  die  Charakteranlage 
gemeint  (vgl.  Bötticher  Herrigs  Archiv  107  [1901],  140)  und  es  drückt 
fast  das  gleiche  aus,  wie  der  Bibelspruch  Jakobi  1,  8  :  \lr  duplex 
aiiimo  inconstans  est  in  omnibus  vus  suis.  Der  zivivel  (dessen  Be- 
deutung mir  Noite  nach  dem  Vorgange  andrer  endgültig  richtig  bestimmt 
zu  haben  scheint),  der  dauernd  in  dem  Herzen  Wurzel  gefaßt  hat,  führt 
zur  Hölle.  Wo  sich  aber  unablässig  strebender,  zielsicherer  Sinn  (Leitz- 
mann  Zs.  fdPh.  35,  132,  wo  weitere  Litteratur)  schwarz  und  weiß  ab- 
setzt, da  ist  zugleich  Schmach  und  Zierde.  Auch  hier  handelt  es  sich 
bei  dem  parieren  nur  um  ein  gelegentliches  Herantreten  an  eine  anders 
geartete  Grundlage.  Der  Gegensatz  wäre  ein  verzaget  mannes  muot,  der 
sich  parieret^  der  dann  in  die  Hölle  kommen  würde,  weil  hier  die  ständige 
Grundlage  das  Schlechte  wäre.  Der  Geselle  des  Wankes  (eine  dauernde 
Verbindung  wird  ausgedrückt  !)  ist  schwarz,  der  dem  stäte  Gedanken 
eignen  weiß.  Drei  Kategorien  :  die  im  Charakter  unstäten,  von  zwivel 
erfüllten  (1,  1  f . -,  1,  10  ff.),  die  im  Charakter  ganz  stäten  (1,  13  f.),  die 
deren  Charakteranlage  gut  ist,  aber  an  die  im  Laufe  des  Lebens  imstœte, 
untriuwe,  wanc  herantreten  kann.  Das  ist  bei  Parzival  der  Fall,  als  er 
untriuwe  gegen  Gott  begeht  (462,  18  f.)  und  ihm  absagt  (332,  1  ff.).  Die 
stœie  bewährt  er  aber  im  Verhältnis  zu  seiner  Gattin  und  der  stäte 
Charakter  hilft  ihm  die  untriuwe,  den  icanc  zu  überwinden. 

Diese  einleitenden  Bemerkungen  waren  offenbar  als  dunkel  und 
verschroben  angegriffen  worden,  so  daß  sich  Wolfram  in  einem  ersten 
Teile  (1,  15 — 2,5)  zu  den  Angreifem,  die  er  als  tumbe  Hute  bezeichnet, 
wendet,  während  er  in  dem  zweiten  (2,  5 — 2,  22)  zugibt,  daß  auch  eine 
Ergänzung  für  tvise  Hute  noch  am  Platze  sei  (vgl.  Parz.  399,  4  min 
leiser  und  min  tumber).     Dies  fliegende  Gleichnis    (absichtlich    doppelte 

33 


—     514     — 

Bedeutung  :  fliegend,  rasch  beweglich  und  Vogelgleichnis)  ist  einfältigen 
Leuten  gar  zu  schnell,  sie  vermögen  es  nicht  mit  ihren  Gedanken  zu 
fassen,  denn  es  bewegt  sich  hin  und  her  wie  ein  aufgescheuchter  Hase. 
Für  die  folgenden  strittigen  Verse  ist  etwa  zu  ergänzen  ,Es  liegt  diese 
Unklarheit  und  Unsicherheit  im  Wesen  des  Bildes'  :  ein  Spiegel  und  die 
Träume  des  Blinden  (formelhaft,  vergl.  Walther  122,  24  ff.,  Singenberg 
Schweiz.  MS.  51,  11  und  23  Xo.  30,  Hardegger  HMS.  2,  135  Str.  4) 
geben  nur  ein  ungenaues  und  flüchtiges  Bild  und  gewähren  deshalb  nur 
kurze  Freude.  Darum  macht  mir  der,  der  das  tadelt,  ungerechte  und 
grundlose  Vorwürfe,  die  mich  nicht  treffen.  Fürchte  ich  mich  davor,  so 
bin  ich  gerade  so  klug  als  wenn  ich  Treue  da  finden  will,  wo  es  ihre 
Art  ist  zu  verschwinden,  wie  Feuer  im  Brunnen  und  Tau  in  der  Sonne. 

Dunkelheit  und  Schwerfaßbarkeit  liegen  im  Wesen  des  Bildes, 
meint  AVolfram  und  beweist  es  durch  den  Spiegel  und  den  Traum  des 
Blinden.  Darum  kann  ihn,  wie  er  denkt,  deshalb  kein  Vorwurf  treffen. 
Für  diese  Interpretation  spricht  die  im  jüngeren  Titurel  (47,  1  ff.) 
stehende  Formulierung  : 

Ein  glas  mit  zin  vero^ozzen  vncl  treume  des  blinden  triegent, 

Hat  leraan  des  verdrozzen  so  wundert  mich  uiht  ob  die  gein  mir  kriegent. 

Diese  Bemerkungen  Wolframs  richten  sich,  wie  schon  Rieger  (a.  a.  O.) 
meint,  gegen  Gottfrieds  Kritik  (daß  es  eine  persönliche  Abwehr  ist,  dafür 
könnte  auch  der  Gebrauch  der  ersten  Person  2,  26  ff.  sprechen),  und  mir 
scheint  sogar  in  2,  1  f.  noch  eine  ganz  besonders  bissige  Bemerkung  zu 
liegen,  die  sich  etwa  gegen  die  mangelnde  triuwe  von  Gottfrieds  Helden 
und  Heldin  richtet. 

Im  Folgenden  wendet  sich  Wolfram  an  die  Weisen  und  erkennt 
offenbar  einen  Teil  von  Gottfrieds  Polemik  als  berechtigt  an,  für  welche 
Beziehung  auch  der  jüngere  Titurel  eintritt,  wenn  er  Str.  33,  4  sagt: 

Durch  sinnericher  1ère  muoz  ich  die  wilden  mer  zam  hie  stellen. 

Wolfram  zeigt  uns,  daß  positiv  und  negativ  fvliehen  unde  jagen 
formelhaft  vergl.  Zs.  fdA.  13,  175,  Haupt  zu  Neidh.  XLI,  12  und  Penis 
Schweiz.  MS.  7,  7  Nr.  5)  die  Erzählung  gute  Lehren  giebt.  Wer 
sich  auf  alles  versteht,  weder  durch  falsches  Unterlassen  noch  Tun,  noch 
überhaupt  sonst  unrichtig  handelt,  an  dem  hat  Frau  Witze  ihr  Meister- 
stück gemacht.  Dagegen  führt  ein  falscher  Charakter  in  die  Hölle  und 
ist  auch  eine  Vernichtung  alles  Adels,  aller  Tüchtigkeit  {falsch  fje- 
selledicher  muot  2,  17  =  eine  der  Falschheit  gesellig  verbundene  Ge- 
sinnung; vergl.  der  imstœte  geselle  1,  10).  Seine  (vorgegebene,  schein- 
bare) Treue  versagt,  verschwindet  bei  der  ersten  Gelegenheit,  wo  sie  sich 
bewähren  soll.  Das  ist  der  Sinn  der  dunklen  Stelle.     Und   dieser    Sinn 


—     515     — 

paßt  hier  vortreftlicb  :  Wie  bei  dem,  der  imverzageten  maiines  muof  be- 
sitzt, auch  ein  parieren  mit  unstate  nicht  ewig  schadet,  sondern  über- 
wunden wird,  so  kann  hier  umgekehrt  ein  innerlich  falscher  nmot  die 
Treue,  mit  der  er  sich  pariert  hat,  nicht  halten;  bei  der  Probe  versagt  sie. 

Soweit  ist  hier  von  Männern  die  Rede.  Der  folgende  Teil  (2,  2.3 
bis  3,  24)  handelt  von  Frauen,  während  in  den  bisherigen  Distinktionen 
(unrichtig  hier  Xolte!)  von  Männern  geredet  war.  Hier  wird  ein  Ideal 
für  Frauen  aufgestellt  (vergl.  ähnlich  Parz,  819,  4).  Parallel  mit  2,  20  li". 
steht  die  Bemerkung,  daß  das  falsche  Lob  der  Frauen  keine  Dauer  habe. 

Im  Folgenden  scheint  mir  eine  direkte  Bekämpfung  von  Gottfrieds 
Heldin  und  ein  Rechtfertigen  seines  eignen  Verfahrens  vorzuliegen,  zum 
Teil  mit  von  Gottfried  verwendeten  Ausdrücken  und  Bildern: 

manec  wîbes  schœne  an  lobe  ist  breit  :         wir  haben  ein  bœse   coiiterfeit    (falsche 
ist  dâ  daz  herze  conterfeit.  in  daz  vingerlin  geleit  [Minne) 

die  lob  ich  als  ich  solde  und  triegen  uns  dâ  selbe  mite, 

daz  safer  ime  golde.  Trist.  12809  ff. 

Parz.  3.   11  tl'.ii 

"Wolfram  will  nicht  Schönheit  ausschließlich  bewundern,  sondern 
er  schätzt  höher  echte  Weiblichkeit  (edeln  rubhi).  wenn  sie  auch  nicht 
eine  so  schöne  Außenseite  hat.  '^) 

In  dem  sich  dann  anschließenden  Teile  geht  Wolfram  näher  auf 
das  Thema  seiner  Dichtung  ein  und  charakterisiert  sie.  Er  hebt  die 
Schwierigkeit  der  Aufgabe  hervor,  indem  er  zugleich  damit  auf  eine 
Stelle  in  Gottfrieds  Tristan,  ihn  ironisch  verhöhnend  (4,  5),  an.spielt.  Der 
Passus  steht  in  der  Einleitung  der  litterarischen  Stelle. 

nu  lât  min  eines  weseu  dri,  ob  ich  der  sinne  hfete 

der  ieslîcher  sunder  i^hlege  zwelve,  der  ich  einen  hân. 

daz  miner  künste  widerwege  :  mit  den  ich  umbe  solte  gân, 

dar  zuo  gehörte  wilder  fuut3|  und  wyere  daz  gefiiege, 

op  si  in  gerne  tseten  kunt  daz  ich  zwelf  zungeu  triiege 

daz  ich  iu  eine  künden  wil.  in  min  eines  munde, 

si  beten  arbeite  vil.  der  iegelîchiu  künde 

Parz.  4,  2  ff.  sprechen,  alse  ich  sprechen  kan, 

iue  wiste,  wie  gevâhen  an  u.  s.  w. 

Trist.  4602  0'. 

Mit  Absicht  sind  wir  erst  über  die  weitgehenden  und  wichtigen 
Folgerungen  hinweggegangen,  die  sich  aus  der  Kritik  Gottfrieds  ziehen 
lassen.     Wir  wollen  dies  jetzt  nachholen.  Wie  wir  sahen,  warf  Gottfried 

1)  Vergl.  Landegg  Schweiz.  MS.  237,  21,  Litschauwer  HMS.  2,  386a. 

-)  Ich  interpungire  etwas  anders  als  Lachmann:  Punkt  nach  3,  18.  Die  Klam- 
mern bei  o,  19  fallen  fort,  und  ein  Komma  tritt  an  den  Schluß  der  Zeile,  während 
nach  3,  20  ein  Pimkt  zu  stehen  hat. 

^)  Vergl.  icildiu  mare  503,  1. 


—     516     — 

Wolfram  vor  allem  vor,  daß  er  seinem  Publikum  gefälschte  und  unechte 
Geschichten  als  wahr  verkaufe.  Und  wir  werden  sicherlich  diesem  Aus- 
spruch eines  litterarisch  versierten  Dichters,  wie  Gottfried,  der  auch  in 
der  französischen  Litteratur  zu  Hause  war,  Beachtung  schenken  müssen.  Hier 
spricht  also  ein  Zeitgenosse  Wolfram  von  Eschenhach  die  Richtigkeit  seiner 
Erzählungen  ab  und  scheint  sie  als  erfunden  und  von  der  Überlieferung  ab- 
weichend hin  zu  stellen.  Gottfried  hat  offenbar  bemerkt,  daß  Wolframs 
Erzählung  über  Chrestien  hinausgeht  und  zum  Teil  freie  Erfindung  dar- 
stellt. Es  scheint  mir  dies  ein  nicht  unwichtiges  Argument  gegen  die 
Existenz  Kyots  zu  sein. 

Wir  werden  uns  weiter  die  Frage  vorlegen  dürfen,  ob  nicht  die 
merkwürdige,  an  bestimmte  Tristanstellen  anklingende  Art,  in  der  Wolfram 
von  Kyot  und  der  Auffindung  der  Graldichtung  spricht,  direkt  unter 
dem  Einfluß  Gottfrieds  zu  stände  gekommen  ist.  Ob  es  nicht  eine 
ironische  Verspottung  Gottfrieds,  indem  er  die  ganze  tolle  Geschichte 
über  das  Gralbuch  ausheckt,  und  zugleich  doch  eine  Beschwichtigung 
des  großen  Publikums  war,  das  auf  die  durch  eine  Quelle  bezeugte 
Authentizität  Wert  legte,  die  Wolfram  damit  beabsichtigte? 

Wolfram  sagt: 

Swer  micli  davon  ê  fragte  sine  sprachen  in  der  rihte  uiht, 

unt  drumbe  mit  mir  bâgte,  als  Thomas  von  ßritanje  giht, 

ob  ichs  im  niht  sagte,  der  aventiure  meister  was 

unpris  der  dran  l>ejagte.  und  an  britûnschen  buochen  las 

Parz.  453,  1  ff.           aller  der  lanthêrren  leben 

Kyot  der  meister  wis  nnd  ez  uns  ze  künde  hat  gegeben, 

diz  msere  begunde  suochen  Als  der  von  Tristande  seit, 

in  latînschen  buochen.  die  rihte  und  die  wârheit 

begunde  ich  sêre  suochen 

er  las  der  lande  chronica  in  beider  hande  buochen 

ze  Britâne  und  anderswâ,  waischen  und  latinen, 

ze  Francriche  unt  in  Jrlant  :  und  begunde  mich  des  pinen, 

ze  Anschouwe  er  diu  meere  vant.  daz  ich  in  sîner  rihte 

Parz.  455,  2.           rihte  dise  tihte. 

Vgl.  827,  1  ff.                                                    aVistan  149  ff. 

Noch  einmal  im  Willehalm  ist  Wolfram  auf  Gottfrieds  Angriffe 
zurückgekommen,  denn  ihn  meint  er  wohl,  obgleich  er  ihn  nicht  nennt, 
wenn  er  dort  (4,  19  ff.)  sagt: 

ich  Wolfram  von  Eschenbach. 
swaz  ich  von  Parzival  gesprach 
des  sin  âventiur  mich  wîste, 
etslîch  man  daz  prîste  : 
ir  was  ouch  vil,  diez  smsehten 
und  baz  ir  rede  wsehten. 

Auch  hier  wieder  betont  Wolfram  speziell  noch  seine  Quellen  treue 
(des  sin  aveiüiure  mich  ivisie).   Lustig  spottend  weist  er  an  einer  andern 


—     517     — 

Stelle  den  Vorwurf  der  Dunkelheit  seiner  Geschichten  und  der  Unbe- 
hülflichkeit  seiner  Darstellunix  zurück,  indem  er  zugleich  offenbar  Gott- 
fried   ebenso  wie  in  der  Einleitung   zum  Parzival    als    Innip   bezeichnet: 

Herbergen  ist  loschiern  genant. 

8Ô  vil  hau  ich  der  spräche  erkant. 

ein  ungefiieger  Tschampâneys 

künde  vil  baz  fraiizeys 

dann  ich.  swiech  franzoys  spreche. 

seht  waz  ich  an  den  reche, 

den  ich  diz  msere  diuten  so!  : 

den  zteme  ein  tiutschiu  spräche  wol  : 

min  tiutsch  ist  etssvâ  doch  so  krump, 

er  mac  mir  lihte  sin  ze  tump 

den  ichs  niht  gâhs  bescheide  : 

dâ  sûrae  wir  uns  beide. 

Wh.  237,  3  ff. 

In  Gottfried  erkannte  Wolfram  offenbar  einen  ihm  gewachsenen 
und  gefährlichen  Gegner,  daher  die  Schärfe  und  Bitterkeit  des  ohne 
Namensnennung  geführten  Kampfes.  Eine  ganz  andere  Stellung  nimmt 
Wolfram  zu  H  art  mann  von  Aue  ein.  Wo  er  ihn  nennt,  behandelt 
er  ihn  etwas  von  oben  herunter  und  traktiert  ihn  mit  gutmütigem  Spott  (Parz. 
143,  21-,  826,  28).  Er  zieht  ihn  auf  wegen  seiner  Eitelkeit  auf  seine  gelehrte 
Bildung  (Parz.  115,  27)  und  bekämpft  seine  lockere  Anschauung  über  das 
Herzensverhältnis  zwischen  den  Gatten,  wie  sie  im  Rat  der  Lunete  zur 
Geltung  kommt  (Parz.  253,  lOff.  ;  436,  5  ff.).  Mehrfach  al)er  trifft  er 
Hartmann  nur  deshalb,  weil  ihn  Gottfried  als  den  ersten  der  Epiker 
gepriesen  hatte.  Öfters  auch  zitiert  er  ihn  blos  (Parz.  401,  8 ff.;  583,  26 ff.). 
Anerkennender  steht  er  zu  Yeldeke,  obwohl  er  auch  hier  —  zum 
Teil  wieder  in  versteckter  Polemik  gegen  Gottfried  —  dies  und  das  auszu- 
setzen hat  (Parz.  292,  18  ä\).  Im  Ganzen  aber  spricht  Wolfram  rühmend 
von  ihm  und  lobt  seine  große  Kunst  (Parz.  404,  29;  Wh.  76,  25; 
415.  7  ff.;  vergl.  Behaghel  En.  CCXVI  ffV).  Er  benutzt  die  Enéide  öfters 
(Parz.  399,  11;  419,11;  481,30;  504,25;  589,  8  und  14;  590,  7  ö\  und 
592,  Iff".;  767,  2  ff'.  ;  Wh.  229,  27).^)  Seine  Kenntnis  der  Enéide  verrät 
er  erst  vom  VI.  Buch  des  Parzival  an.  An  einer  Stelle  scheint  er  noch 
gegen  Veldekes  äußerliche  Anschauung  von  der  Minne  zu  opponieren 
und  im  Wortlaut  unter  dem  Einfluß  der  Enéide  zu  stehen,  was  in  der 
Hauptsache  schon  Behaghel  (Eu.  CCX  VII  f.)  bemerkt  hat  : 
Manec  min  meister  sprichet  so,  der  minnen  got  Cupîdô 

daz  Amor  unt  Cupîdô  end    Âmôr  sin  broeder 

unt  der  zweier  muoter  Avenus  end  Venus  sin  moeder, 

den  liuten  minne  gebn  alsus,  die  hân  mich  onsachte  gewont. 

En.  10156. 

1)  Ist  das  Bild  vom  waijen  der  Minne  (Parz.   130.    4)    von  Veldeke    (En.  9841) 
angeregt? 


518 


mit  geschôze  und  mit  fiure. 
diu  minne  ist  ungehiure. 
swem  herzenlîchiu  triuwe  ist  bî, 
der  wirt  nimmer  minne  frî, 
mit  freude,  etswenn  mit  riuwe. 
reht  minne  ist  wâriu  triuwe. 
Cupîdô,  dîn  strâle 
mîn  misset  zallem  mâle  • 
als  tuot  des  hérn  Amôres  gêr. 
sît  ir  zwêne  ob  minnen  hêr. 
unt  Vénus  mit  ir  vackeln  heiz, 
umb  solhen  kurober  ich  niht  weiz. 
sol  ich  der  waren  minne  jehn, 
diu  muoz  durch  triuwe  mir  geschehn. 
Parz.  532,  1  ff. 
Weiter  vgl.  noch  Wh.  24,  5  und  25,  14. 

Gegen  die  Minnesänger  hat  Wolfram  manches  einzuwenden  (Parz. 
115,  13  f.;  587,  7)  und  speziell  Reinmar  von  H  agenau  verfolgt  er  mit 
leichtem  Spotte.  Schon  L.  Grimm  (Wolfram  von  Eschenbach  und  die 
Zeitgenossen  I.  Diss.  Leipzig  1897)  hat  S.  22  ff.  auf  ein  paar  Fälle  hin- 
gewiesen, bei  denen  ich  allerdings  im  Gegensatz  zu  Grimm  überall 
AVolfram  den  Spott  über  ihm  bekannte  Stellen  Reinmars  zuweisen  möchte. 
Möglich  aber  nicht  sicher  liegt  eine  Beziehung  zwischen  Parz.  188,  20  ff. 
und  MF.  164,  21  ff.  vor,  wo  von  der  Stummheit  der  Liebenden  bei  ihrem 
Zusammensein  die  Rede  ist.  Wahrscheinlicher  schon  ist  eine  Beziehung 
von  Parz.  127,  26ff.  und  131,  19  zu  MF.  172,  9ff.  und  181,   11  f. 

swâ  du  guotes  wîbes  vingerlîn 

mügest  erwerben  und  ir  gruoz 

daz  nim. 


der  hère  Amor  hat  mich  geskoten 

met  den  guldînen  gère. 

des  moet  ich  quelen  sére. 

end  moet  et  koupen  dure 

met  den  heiten  füre 

brennet  mich  frouwe  Vénus. 

En.  10110. 

sint  her  (Dido)  Venus  die  strâle 
in  dat  herte  geskôt, 
si  leit  ongemac  grôt, 
die  märe  frouwe  Dîdô. 
doe  quam  der  hère  Cûpîdô 
met  sînre  vackeln  dar  toe. 

En.  860  ff. 
Vgl.  808  f.  ;  11060  ft'.  ;  11078  ff. 


weiz  got,  wîbes  vingerlîn 

daz  sol  niht  sanfte  nû  zerwerben  sîn. 


diu  frouwe  was  mit  wîbes  wer  : 
ir  was  sîn  kraft  ein  ganzes  her. 

Parzival. 


niemer  wirde  ich  âne  wer  : 
bestât  er  mich,  in   dunkt  min   eines   Vi]) 
[ein  ganzez  her. 

Reinmar. 

Die  realistische  Ausdeutung  eines  poetischen  Bildes  zeigt  sich  Parz. 
584,  12  ff.,  wo  offenbar  Reinmars  Gedicht  MF.  194,  21  ff.,  das  übrigens 
auch  noch  HMS.   1,  338  nachgeahmt  ist,  zu  Grunde  Hegt: 

Orgelûse  dringt  in  Gawans  Herz  : 

wie  kom  daz  sich  dâ  verbarc 
so  groz  wîp  in  so  kleiner  stât? 
si  kom  einen  engen  ])fat 
in  Gâwânes  herze, 


daz  aller  sin  smerze 

von  disem  kuniber  gar  verswant. 

ez  v/as  iedoch  ein  kurziu  vvant. 

dâ  so  lanc  wip  inne  saz, 

der  mit  triuvven  nie  vergaz 


ein  minneclîchez  wunder  dô  geschach  : 
si  gie  mir  alse  sanfte  dur  mîn  ougen 
daz  si  sich  in  der  enge  niene  stiez. 
in  mînem  herzen  si  sich  nider  liez  : 
dâ  trage  ich  noch  die  werden  inne  tousfen. 


La  stân,  là  stân  !  waz  tuost  du,  stelic  wîp. 
daz  du  mich  heimesuochest  an  der  stat 
dar  so  gewaltecHche  wîbes  lîp 


—     519     — 

sÎD  (ii<  nstlichez  wachen.  mit  starker  heimesuoche  nie  getrat? 

niemeu  sol  des  lachen.  genâde.  irouwe!  ich  mac  dir  niht  gestrîten. 

daz  alsus  weriîchen  man 
ein  wîp  enschumpfieren  kan. 

Stoscli    (Zs.    fdA.    27,  817  f.)    hat  darauf  hingewiesen,    daß    eine 
Stelle  in  der  Selbstverteidigung  Wolframs, 

sin  lop  hinket  ame  spat, 

swer  allen  frouwen  sprichet  mat 

durch  sin  eines  frouwen 

(Parz.  115.  5  ff.),  gegen  Reinmar  (MF.  159,  9  ff.)  gerichtet  ist.  Ähnlich 
spricht  sich  Gottfried  über  Isolde  aus  (Trist.  8291  ff.),  wo  er  es  aber 
ablehnt,  durch  ihr  Lob  andere  Frauen  zu  erniedrigen  : 

daz  si  alle  lobes  von  wîben  sagent, 
swaz  si  mit  lobe  ze  mseren  tragent, 
deist  allez  hie  wider  ein  niht. 


mit  ir  enist  kein  ander  wip 
erleschet  noch  geswachet, 
als   maneger  mjere    machet  u.  s.  w. 
Vergl.  Parz.  338,  8  ff. 

Auch  "Walther  von  der  Yogelweide  hat  jene  Reiniuarstelle 
aufgegriffen  und  bekämpft  (111,  23  f.),  wogegen  Reinmar  MF.  197,  8 
repliziert. 

Hier,  wie  mitunter  auch  sonst  (Parz.  297,  24  ff.)  weiß  sich  Wolfram 
mit  Walther  eins,  aber  auch  sie  beide  hat  der  Gegensatz  der  Kunstan- 
schauungen in  Polemik  verwickelt,  die  Burdach  (a.  a.  0.)  scharfsinnig  im 
Einzelnen  verfolgt  hat.  Auch  hier  ein  Hin  und  Her.  Wolfram,  ganz  Ritter, 
sieht  auf  Walther,  den  wandernden  Spielmann  und  Minnesänger,  etwas  herab 
und  dieser  fühlt  sich  ihm  an  modischer  Feinheit  der  Kunst  überlegen. 
So  hat,  wie  Burdach  (D.  Rundschau  29  [1902],  246  ff'.)  meint,  Wolfram  Parz. 
294,  21  angefangen,  sich  an  Walther  (40,  19  ff.)  zu  reiben  (vergl.  Haupt 
zu  Neidhard  77,  25).  Dieser  hat  mit  einer  Anspielung  in  dem  Spruch 
20,  4  ff.  geantwortet  und  Wolfram  hat  das  verächtlich  hingeworfene 
kemphe  dann  Parz.  115.  3  lobend  aufgenommen  (vergl.  Neidh.  78,  21  f., 
worauf  Stosch  a.  a.  0.  hinweist).  Er  hat  den  schmachtenden  Minne- 
sänger in  der  Parodie  auf  den  Spruch  vom  Spießbraten  (17,  11  ff.)  von 
neuem  im  Wiilehalm  286,  19  ff",  verspottet.  Dagegen  vermag  ich  zu 
meinem  Bedauern  aus  verschiedenen  Gründen  Burdach  nicht  beizustimmen, 
wenn  er  in  der  Stelle  Wh.  186,  7  ff.  eine  Anspielung  auf  Walthers  Spruch 
von  dem  Wasser,  womit  er  in  Tegernsee  bewirtet  war,  sieht.  \l 


1)  Steht  das  Bild,  das  einen  Mann  als  der  minnen  insii/el  bezeichnet,  bei  "Wolfram 
585,  21  und  Walther  82.  5  in  näherer  Beziehung? 


—     520     — 

Wie  über  Reinmar  und  AValther,  so  spottet  Wolfram  auch  über 
Xeidbart  von  Reuental  im  Willehalm,  indem  er,  seine  Manier  witzig 

tadelnd,  bemerkt: 

man  muoz  des  sîme  swerte  jeben, 
het  ez  her  Nîthart  gesehen 
über  sînen  geubühel  tragen, 
er  beguudez  sinen  friunden  klagen. 

Auch  die  Dichtungen  der  Heldensage,  voran  das  Nibelungenlied 
(Parz.  420,  25  ff;  421,  5  ff.)  benutzt  er,  um  spöttlich  in  seiner  Dichtung 
zu  charakterisieren  und  macht  daneben  aber  auch  gelegentlich  Anspie- 
lungen auf  andere  Dichtungen  der  Heldensage  (Parz.  420,  22;  421, 
23  ff.;  Wh.   139,   16  ff.;  384,   18  ff.) 

Das  Wichtige  und  Interessante  l)ei  all  diesen  Anspielungen  ist  nicht 
so  sehr  die  genaue  Litteraturkenntnis  des  Dichters,  sondern  der  über- 
raschende Einblick,  den  wir  in  die  Bildung  seines  Publikums,  der  feinen 
höfischen  Gesellschaft,  erhalten.  Die  eben  erwähnten  Anspielungen  und 
gewiß  noch  zahlreiche  andere,  die  wir  nicht  mehr  erkennen,  müssen  trotz 
den  vielfach  nur  leichten  Anklängen  von  den  Zuhörern  sofort  in  ihren 
Beziehungen  verstanden  sein,  da  sonst  der  W^itz  vollständig  versagt  hätte. 
Welch  eine  Tiefe  und  Weite  der  litterarischen  Bildung,  welch  eine  Fein- 
heit des  Verständnisses  und  Leichtigkeit  der  Auffassung,  welch  eine  Ab- 
rundung  und  Gleichmäßigkeit  der  Bildung  in  diesen  höfischen  Kreisen 
setzt  das  alles  voraus  !  In  der  Tat  eine  hohe  geistige  Kultur,  die  an 
den  htterarisch  interessierten  größeren  und  kleineren  Höfen  und  in  der 
feinen  ritterlichen  Gesellschaft  vorhanden  gewesen  sein  muß,  und  ein  hoch- 
entwickeltes künstlerisches  Gefühl,  das  vom  Inhalt  abgesehen,  auch  die 
veine  Form  als  solche  zu  schätzen  wußte,  wenn  ja  dies  gerade  in  der 
Lyrik  dann  auch  zu  Übertreibungen  führte.  Nicht  ganz  gleichmäßig  in 
ihrer  Geschmacksrichtung  und  Ausbildung,  aber  überall  doch  vertraut 
mit  den  bedeutendsten  litterarischen  Erscheinungen,  so  daß  die  Dichter 
jener  Tage  —  eine  wichtige  Tatsache  und  eine  Vorbedingung  künstle- 
rischer Wirkung!  —  auf  ein  hochentwickeltes  und  meist  geistig  interes- 
siertes Publikum  zählen  konnten.  Daß  der  Geschmack  der  Zeit  vielfach 
auseinander  ging,  zeigen  uns  die  bald  mehr,  bald  minder  deutlich  her- 
vortretenden Fehden  der  Dichter,  und  daß  gerade  eine  als  Mensch  und 
Künstler  so  extrem  und  individualistisch  angelegte  Persönlichkeit  wie 
Wolfram  von  Eschenbach  aktiv  und  passiv  eine  entschiedene  Stellung- 
nahme in  künstlerischen  Fragen  ganz  besonders  herausforderte,  das  ist 
leicht  verständlich,  und  das  haben  uns  auch  die  vorstehenden  Seiten  gelehrt. 

Basel,  im  September  1906. 


Elterliche  Teilung. 

Von 
Ernst  Rabel. 


Der  französische  Code  civil  art.  1075 — 1080  faßt  unter  dem  Namen 
der  partages  faits  par  père,  mère  ou  autres  ascendants  entre  leurs  des- 
cendants einige  Rechtsgeschäfte  zusammen,  deren  Vorgeschichte  sowohl 
in  die  justinianische  Gesetzgebung  als  in  die  deutschrechtlichen  Grund- 
lagen der  Coutumes  zurückgreift.  Wendet  sich  unser  Blick  noch  weiter 
zurück,  so  fällt  er  auf  eine  aufgelöste  Zahl  von  Erscheinungen,  auf  elter- 
liche Teilungen,  welche  den  verschiedensten  gesellschaftlichen  Organi- 
sationen und  den  mannigfaltigsten  Stufen  der  Rechtsentwicklung  ange- 
hören, den  abweichendsten  Zwecken  dienen  und  vielmals  ihre  Gestalten 
abwandeln.  Einem  so  stark  zerfließenden  Thema  einige  Worte  zu  widmen, 
schiene  wertlos,  wäre  nicht  gerade  die  Vielheit  in  den  Funktionen  der 
elterlichen  Teilung  oft  verkannt.  Xoch  jüngst  meinte  ein  verdienstlicher 
holländischer  Gelehrter  ganz  allgemein,  und  ungefähr  gleichzeitig  ein 
italienischer  Forscher  im  Hinblicke  auf  Attika  die  vermeintlich  einheit- 
liche Einrichtung  schlagwortartig  kennzeichnen  zu  dürfen. ') 

Der  Xame  „elterliche  Teilung"  deckt  keinen  technischen,  geschweige 
denn  einen  für  alle  Rechte  gültigen  Begriff,  da  Rechtsform,  Effekt  und 
Zweck  variieren.  Insofern  wir  jedoch  dabei  zunächst  an  einen  Parens 
als  Subjekt,  Abkömmlinge  als  Begünstigte  und  an  ein  Vermögen  oder  einen 
Vermögenskomplex  als  Objekt  des  Rechtsgeschäfts  denken,  so  ergibt  sich 
immerhin  die  nicht  gleichgültige  Frage,  welche  besonderen  Entwicklungen 
derartige  Rechtsakte  etwa   im  Laufe    der  Zeiten  erfahren  haben  und  in 


1)  J.  C.  Naber  fil.,  Mnemosyne  X.  S.  34,  1906,  64 — 72;  er  beantwortet  seine  den 
Papyrusurkundeu  gegenüber  aufgeworfenen  (p.  66)  Fragen:  quid  sit  divisio  und  quid  sit 
testamentum  ?  mit  einer  rein  formalen,  aus  der  J ustinianischen  Kompilation  abgeleiteten 
Unterscheidung.  —  Vincenzo  Arangio-Ruiz,  La  successione  testamentaria  secondo  i  papiri 
greco-egizii,  Xap.  1906;  vgl.  unten  S.  5o3  X.  1. 


—     522     — 

welchem  Verhältnis  sie  zu  anderweitigen  Rechtsinstituten  stehen.  Diese 
Frage  gewinnt  noch  an  rechtsgeschichtlicher  Schärfe  dort,  wo  die  alten 
Rechte  selber  Ausdrücke  wie  divisio,  fieçiofiôç  und  ähnliche  gebrauchen. 
Auf  zwei  durch  einen  solchen  Sprachgebrauch  möglicherweise  beleuchtete 
Punkte  darf  man  sofort  hinweisen  :  auf  die  nähere  Beziehung  zu  anderen 
Verteilungen  der  Vermögensstücke,  im  Gegensatze  zur  Erbeinsetzung  auf 
Quoten  ;  und  auf  den  gedanklichen  Zusammenhang  mit  Auseinander- 
setzungen an  gemeinscliüfllkhem  Gut, 

Die  nachfolgenden  Zeilen  stellen  sich  aber  nur  die  bescheidene 
Aufgabe,  das  Gesagte  beispielsweise  zu  illustrieren.  Das  deutsche  Recht 
mit  seinen  zahlreichen,  durch  viele  Jahrhunderte  in  festen  Gedanken- 
bahnen verlaufenden  Nachrichten  gewährt  uns  sehr  rasch  eine  deutlich 
umschriebene  Gruppe  hierher  gehöriger  Akte  ;  das  helle  Licht  der  klassisch- 
römischen Überlieferung  zeigt  uns  einen  anderen,  geringer  Erläuterung 
bedürftigen  Typus.  Um  so  mehr  Fragen  ergeben  die  spärlichen  und  doch 
so  reizvollen  Quellen  des  griechischen  Rechtskreises.  —  Fühlte  sich  unter 
den  um  das  hellenische  Recht  hochverdienten  deutschen  Philologen  der 
eine  oder  andere  angeregt,  den  schon  berührten  sprachlichen  und  den 
sich  beigesellenden  kulturgeschichtlichen  Problemen  nachzugehen,  so  wäre 
der  hauptsächlichste  Wunsch  erfüllt,  der  dieses  juristische  munusculum 
levidense  an  Basels  freudig  begrüßte  Gäste  begleitet. 

I.  Deutsches  und  römisches  Recht. 

1.  Die  Vermögensgewalt  des  Hausvaters,  die  güterrechtliche  Stellung 
der  Ehefrau  und  die  Berechtigungen  der  Töchter  haben  im  Laufe  der 
deutschen  Geschichte  mannigfache  Veränderungen  erfahren.  Alle  ihre 
Schicksale  wirkten,  ein  jedes  in  seiner  Art,  auch  auf  die  Natur  der 
elterlichen  Zuwendungen  rechtlich  bestimmend  ein.  Aber  die  zu  Anfang 
unserer  historischen  Tradition  einzigen  Akte,  und  noch  im  späteren 
Mittelalter  die  häufigsten  der  Geschäfte,  welche  als  elterliche  Teilungen 
angesprochen  werden  dürfen,  erhalten  doch  ihre  besondere  Kennzeichnung 
durch  die  Ausstrahlungen  desjenigen  Institutes,  das  ursprünglich  das 
gesamte  Familienrecht  beherrschte  und  lange  hin  in  dessen  Mittelpunkte 
stand  :  der  Hausgenossenschaft.  Gaben  des  Vaters  an  den  Sohn  bis  zum 
Betrage  des  Kindesanteils  am  Hausvermögen  sind  Auseinandersetzungen 
im  wahrsten  Sinne  des  "Wortes. 

Der  sich  emanzipierende  Sohn  bekam  vermutlich  in  der  sogen, 
germanischen  Vorzeit  stets,  in  der  fränkischen  Zeit  soweit  es  der  Vater 
wollte,  seinen  Anteil   ausgefolgt,^)    War  es  hier  das  Bedürfnis  des  Ab- 


1)  Vgl.  Brunner,  Deutsche  Rechtsgeschichte  1-,  108  ;   Schröder,  Deutsche  Rechts- 
geschichte, ^271.  322f. ;  über  das  deutsche  Mittelalter  vgl.  746. 


—     523     — 

köramlings  nach  wirtschaftlicher  Selbständigkeit,  so  war  es  dann  die 
Furcht  vor  einer  Yerwirrunji  oder  Schädigung  der  Güter,  die  im  Mittel- 
alter bei  der  Wiederverheiratung  eines  überlebenden  Elternteils  zur  „Ab- 
schichtuug"  der  Kinder  führte^);  oft  mit  der  rechtlichen  Verpflichtung 
der  Witwe,  bisweilen  auch  des  Witwers  zu  dieser  Lösung  des  Beisitzes.') 

Seit  frühen  Zeiten  kam  es  ferner  vor,  daß  der  alternde  oder  kränk- 
liche Bauer  sein  Gut  an  den  nächsten  „Erben"  abtrat,  gegen  lebens- 
länglichen Unterhalt  oder  Rückbehaltung  eines  Teiles  seines  Besitztums.'') 
Auch  da  war  die  Grundlage  der  Transaktion  die  bisherige  Gemeinder- 
schaft, die  Veranlassung  aber  ebensowohl  das  Verlangen  des  Greises 
nach  Ruhe,  wie  das  Begehren  der  Gemeinder  nach  rühriger  Bewirtschaf- 
tung ihres  genossenschattlichen  Eigens.  Beides  genügte,  um  auch  die 
bei  solcher  Gelegenheit  vorgenommene  Teilung  des  Gutes  unter  mehrere 
Söhne,  trotzdem  dadurch  die  Kommunion  ihr  Ende  fand  und  sich  der 
Gedanke  der  Erbauseinandersetzung  einmischte,  nur  als  eine  besondere 
Abart  desselben  Rechtsgeschäftes  aufzufassen.  Dort  Übergang  der  Ober- 
leitung, da  Autiösung  der  Gemeinschaft  ;  und  später  als  die  hausgenossen- 
schaftliche Verfassung  erschüttert  war,  x\btretung  aus  dem  Eigenvermögen 
des  Vaters,  sei  es  an  alle  Kinder,  sei  es  an  einen  Sohn,  der  die  Ge- 
schwister zu  versorgen  verspricht  —  im  Grunde  verknüpft  alle  diese 
Geschäfte  die  Nachwirkung  jenes  Gedankens,  der  rein  und  deutlich  im 
älteren  Systeme  zutage  tritt.  Die  Schriftsteller  des  deutschen  Privat- 
rechts vernachlässigten  freilich  nachmals  diesen  historischen  Zusammen- 
hang. Sie  haben  die  übriggebliebenen  neueren  Rechtsfigureu  begrifflich 
auseinanderanalysiert  und  jede  einzeln  als  Kombination  aller  möglichen 
Bestandteile  erklärt,  oder  höchst  unzulänglich  als  successio  anticipata. 
„erfrühte  Erbfolge"  zusammengefaßt.*)  Entschloß  man  sich  endlich  ein 
„eigentümliches  deutsch -rechtliches  Institut"  anzuerkennen,  so  ist  die 
„Eigentümlichkeit"  auch  nur  gegenül)er  dem  römisch  -  gemeinen  Recht 
ganz  richtig. 

In  einem  unmittelbaren  Zusammenhang  mit  der  abschwächenden 
Entwicklung  des  Gemeinschaftsrechts  steht  schließlich  das  sog.  Freiteils- 
recht des  Vaters.    Gegen  Herausgabe  eines,  in  den  Stammesrechten  ver- 

')  Heusler,  Institutionen  2,  472 f.     Schröder  a.  a.  0.  741. 

-)  Rive,  Vormundschaft  2,2,  150.  Schröder,  Gesch.  d.  ehel.  Güterrechts  2,  1.182  ff. 

^)  Brunner,  Grundzüge  d.  d.  Rg.  ^209.  —  Ton  einem.  Anspruch  der  i  großjährigen) 
Söhne  auf  Teilung  vreiß  nur  eine  vereinzelte  Stelle  des  Schwabenspiegels,  Wack.  159 
Lassb.  186.  In  der  Auslegung  scheinen  Rive  a.  0.  2,2.  152  und  Schröder  Güterr. 
2,1,  123.  1565  unsicher.  Vielleicht  hat  der  Spiegier  das  Recht  auf  Absonderi/ni/  und 
Aussteuer  (Sachssp.  2,19.1)  mit  dem  auf  Teiking  verwechselt.  Vgl.  aber  Eichhorn. 
Rechtsg.  2  §371,  d. 

■*)  Vgl.  bes.  Hillebrand,  Deutsches  Priv.  R.  2751  :  Gerber  dass.  ''."J?!.  531. 
Kraut  Grundriß  §  262. 


—     524     — 

schieden  bestimmten  Teiles  des  Hausvermögeus  an  die  Kinder  erlangte 
der  Vater  die  Verfügungsfreiheit  über  den  Rest;  in  erster  Reihe  zu 
Gunsten  der  Seelgaben  an   die  Kirche,  i) 

Von  alledem  besteht  heutzutage,  wo  nicht  noch  Gemeinderschaft 
vorkommt,  wie  z.  B.  in  schweizerischen  Gebirgstälern,  nur  noch  die  Guts- 
abtretung (Altenteil,  Altvaterrecht  u.  ä.)  in  Verhältnissen,  die  durch  das 
enge  Zusammenleben  der  Familienglieder  der  alten  Wirtschaft  „zu  ge- 
meinsamem Gedeihen  und  Verderben"  ähneln.  Auch  in  Rom  war  dieses 
Geschäft  nichts   ganz  Unbekanntes.-) 

2.  Wollte  man  nun  aber  den  ältesten  Römern  die  Hausgemeinschaft 
zuschreiben^),  so  ist  diese  doch  jedenfalls  in  den  Zeiten  unserer  haupt- 
sächlichen Quellen  längst  dem  Individualeigontum  des  pater  familias  ge- 
wichen. In  der  Kaiserzeit,  die  dessen  potestas  als  etwas  seit  Urzeiten 
her  bestehendes  behandelt  und  bereits  dabei  angelangt  ist,  sie  wieder  zu 
beschränken,  hebt  sich  vor  allem  als  eine  von  der  Erbeinsetzung  auf 
Quoten  verschiedene  Institution  die  letz-üvillige  Distribution  hervor.  Sie, 
auf  die  der  Ausdruck:  divisio  bonorum,  patrimonii  vorwiegend  gemünzt 
ward*),  konnte  innerhalb  wie  außerhalb  des  Testaments  stattfinden,  ut 
et  memoria  defuncti  non  violetnr  parentis  et  occasiones  litium  dirimantur, 
wie  Constantin  nachmals  sagte.'')  Zärtliche  Verwandte,  die  bei  einer 
Nachlaßteilung  zu  Hyänen  werden,  haben  nie  gefehlt,  und  antike  Moral- 
predigten versäumten  nicht,  die  Erbteilung  Brüdern  als  schöne  Gelegen- 
heit zu  empfehlen,  ihre  Selbstlosigkeit  zu  beweisen:  daß  sie  nicht  wie 
die    opuntischen  Brüder  Charikles    und  Antiochos    erst   zufrieden  seien, 

1)  Brunner,  Grundzüge  §  57.     Schröder  D.R.G.  .S.36. 

2)  Dig.  .82..S7..3:  .eine  rechtliche  Situation  von  ganz  frappierender  Ähnlichkeit 
mit  der  Gutsübergabe".     Hellwig,  Verträge  auf  Leistung  an  Dritte  S.  10  X.  1.3. 

^)  Strikt  nachweisbar  ist  nur  das  antiquum  consortiuna,  quod  iure  atque  verbo 
Romano  appellabatur  ercto  non  cito,  Gellius  1,  9,  12  ;  sonstige  Quellen  bei  Girard, 
^Manuel  de  droit  romain  ^573  X.  8  und  Lit.  bei  Cohn.  Zschr.  f  vgl.  Rechtsvdss.  13, 
f>4.  Doch  ist  in  den  weitgehenden  Behauptungen  von  Wilutzki.  Vorgesch.  des  Rechts, 
2  (190.3)  97  und  sonstiger  allzu  kühner  Rechtsvergleicher  ein  Korn  Wahrheit.  Am  be- 
merkenswertesten bleibt  die  Stellung  der  hausangc-hörigen  Erben  als  notwendiger  (sui, 
dornest  ici,  necessarii  i,  ganz  abgesehen  von  deren  theoretischer  Erklärung  in  der  klassischen 
feststehenden  Lehre  :  Gai.  2,157  Sed  sui  quidem  heredes  ideo  appellantur.  quia  domestici 
heredes  sunt  et  vivo  quoque  parente  quodammodo  domini  existimantur.  Dies  hat  sieher 
schon  Sabinus  gelehrt,  da  Paui.  D.  28.2  1 .11,  libra  2  ad  Sabinum  dieselben  Worte  bringt. 
Zweifelhafter  ist  bereits  die  Vermutung,  die  „Legate"  des  ältesten  Manzipationstesta- 
ments  hätten  die  gesetzlichen  Erben  als  Erben  gedacht,  was  namentlich  Ehrlich,  Atti 
del  congresso  intern,  di  scienze  storiche,  Roma  1903,  vol.  9,  329—337  annimmt. 

*)  Vgl.  die  Stellen  bei  Xaber  a.  O.  S.  6ß  X.  4,  zu  welchen  auch  die  Vergleich- 
ung  des  im  Vocab.  Jurispr.  Rom.  unter  „dividere"  und  „divisio"  beigebrachten  Materials 
keine  wesentliche  Ergänzung  verschaß't.  Xur  selten  heißt  das  Verteilen  der  Erbschaft 
auf  Quoten  dividere,  so  Ulp.  D.  28,5  1.  13  §  4. 

s)  C.  Theod.  2,  24,  1  i.  f. 


—     525     — 

bis  sio  einen  silbernen  Becher  und  ein  Gewand  je  in  die  Hälfte  geteilt 
haben. ^)  Der  Erblasser  beugt  den  Streitigkeiten  vor.  Er  weiß  auch  die 
Teilung  besser  den  Bedürfnissen  der  Einzelnen  anzupassen  als  der  Richter 
und  vermeidet  scheinbare  oder  wirkliche  Willkür  des  letzteren.  Dies  und 
ähnliches,  wie  der  Wunsch  des  Testators,  ein  ihm  teures  Objekt  in  die 
(3bhut  eines  bestimmten  Erben  gelangen  zu  lassen,  sind  noch  heute  bei 
den  romanischen  Völkern  die  gangbaren  Beweggründe  zum  Ausl^au  des- 
selben Instituts.  Eine  letztwillig  in  ordentlicher  Form  erklärte  Teilungs- 
anordnung des  Erblassers  erkennt  natürlich  auch  das  Deutsclie  Bürg. 
Gesetzbuch  §  2042  als  bindend  an.  Diese  ,,Papierteilung"  nun,  im  Gegen- 
satz zur  vorher  besprochenen  Realteilung,  ist  eine  Anweisung  an  den 
Teilungsrichter,  cogitatione  futurse  successionis  officium  arbitri  dividenda* 
hereditatis  prfeveniendo.-)  Naturgemäß  stellen  dabei  die  Quellen  eller liehe 
Anordnungen  in  den  Vordergrund.  Eine  eigene,  durch  Formlosigkeit 
und  seit  Justinian  wenigstens  durch  Formerleichterung  ausgezeichnete 
Rechtsfigur  wurde  väterliche  oder  mütterliche  Teilung  aber  erst,  als  die 
übrigen  nichttestamentarischen  Verfügungen  seit  Constantin  an  die  neue 
Codizillarform  gebunden  wurden.^) 

Über  der  gebührenden  Betonung  dieser  distributiven  letztwilligen 
Teilung  darf  indessen  nicht  vergessen  werden,  daß  sie  praktisch  in  mate- 
rielle Begünstigungen  des  einen  oder  andern  Erben  überzugehen  pflegt  und 
die  juristische  Konstruktion  dem  Rechnung  tragen  muß.  Sodann  ist, 
damit  die  Gegenüberstellung  des  deutschen  und  des  römischen  Rechts 
nicht  zu  einseitig  ausfalle,  an  zweierlei  zu  erinnern. 

Es  bedarf  keines  Beweises  mehr,  daß  die  in  den  Digesten  überaus 
häufige  institutio  heredis  ex  re  certa,  die  Einsetzung  auf  einzelne  Sachen 
oder  Vermögensmassen  einer  alten  Gewohnheit  entsprach.*)  Bildet  sie 
doch  geradezu  die  überall  dem  Laien  nächstliegende  Testierart.  Nichts 
ist  dafür  bezeichnender,  als  daß  sie  sogar  in  Rom  nicht  auszurotten  war, 
wo  von  altersher  die  Universalsukzession  als  Fortsetzung  der  Persön- 
lichkeit und  der  Hausgewalt  die  leitende  Idee  der  Erbfolge  darstellte  und 
juristische  Beratung  das  Publikum  zu  der  Gepflogenheit  der  Erben- 
bestellung nach  unciae  zu  erziehen  strebte.')  Es  ist  also  nicht  genug 
zu  sagen,    die  Distribution    des  Vermögens    auf  die  Quoten  sei  auch  im 

1)  Plutarch  de  fraterno  amore  p.  483  D — c.  11  i.  f. 

2)  C.  Just.  3,  .36,  21. 

3)  Über  das  Nähere  unteiTichtet  am  besten,  wenn  auch  nicht  durchgehend  unan- 
fechtbar Polacco,  Della  divisione  operata  da  ascendenti  fra  discendenti,  1885,  bes.  GO — 65. 

*)  Dies  hat  J.  E.  Kuntze,  Über  die  Einsetzung  auf  bestimmte  Nachlaßstücke, 
Dek.  Progr.  Leipz.   1875  hervorgehoben.    Die  Quellen  s.  bei  Windscheid,  Pand.  3  §  553. 

5)  Auch  Nichtjuristen  kennen  die  Testamente  des  Virgil.  Donatus  Vita  Yirg.  37, 
(Reifferscheid,  Suet.  Rel.  p.  63,  9)  und  bei  Cic.  ad  Att.  7,  2.  2  (dazu  Girard.  Manuel  de 
droit  rom.  *823f.);  13.  48.  1. 


—     526     — 

Testament  erlaubt  gewesen.  Sie  war  häufig  dessen  einziger  Inhalt  in- 
sofern, als  man  zwar  heredes  ernannte,  aber  nicht  auf  Quoten  sondern 
auf  bestimmte  Stücke,  und  erst  die  juristische  Analyse  die  aliquanten 
Verfügungen  in  aliquote  Erbeinsetzungen,  Vorvermächtnisse  und  Teilungs- 
anordnungen zerlegte. 

Zum  andern  fehlten  —  natürlich  —  auch  in  Rom  nicht  väterliche 
Zuweisungen  an  die  Kinder  durch  Rechtsgeschäft  unter  Lebenden.  Und 
auch  diese  haben  ihre  besondere  Geschichte.  In  einem  die  väterliche 
Gewalt  so  überaus  genau  durchbildenden  Rechte  mußte  die  Gültigkeit 
der  Zuwendung  zunächst  von  der  Emanzipation  des  Hauskindes  abhängen. 
Die  Schenkung  an  einen  Gewaltuntertänigen  begründete  das  faktische 
Verhältnis  des  Peculiums,  entbehrte  aber  mangels  eigener  Vermögens- 
fähigkeit des  Kindes  der  rechtsgeschäftlichen  Wirksamkeit  und  wurde 
bei  der  Erbteilung  geradezu  ignoriert.')  Daß  eine  Bestätigung  durch 
Testament  —  Scsev.  D.  10.2  1.  39  §  5  —  oder  Erbvergleich  nach  dem 
Tode  des  Vaters  —  Pomp.  D.  41,10  1.  4  §  1  —  bindend  wirkte,  ist 
damit  vereinbar.  Aber  es  lag  nahe,  schließlich  in  einer  tatsächlich 
vollzogenen  divisio  paterna  der  Aktiva,  namentlich  wenn  sie  von  einer 
Aufteilung  der  Passiva  begleitet  war,  eine  stillschweigend  enthaltene  letzt- 
willige Anordnung  zu  erblicken.  Und  dies  muß  bereits  Papinian  D.  10,2 
1.  20  §  3  getan  haben,  als  er  von  einer  väterlichen  Teilung  sine  scrip- 
tura,  d.  h.  ohne  Teilungsbeurkuudung-),  meinte,  non  videri  simplicem 
donationem,  sed  potiiis  supremi  iudicii  divisionem,  was  von  einer  Papier- 
teilung nicht  gesagt  sein  kann.  Als  Folge  (cf.  1.  33)  ist  zu  denken,  daß 
die  Zuweisung  im  iudicium  familise  erciscundse  aufrecht  zu  erhalten  war, 
also  auch  zugunsten  nicht  emanzipierter  Kinder  galt.  Außerdem  leitet 
Pap.  eod.  aus  der  Ordnung  der  Schuldenhaftung  durch  den  Vater  auch 
noch  (plane)  eine  eigene  Klage  der  Bedachten  gegen  einander  aus  Ver- 
einbarung (placita)  ab.  Wie  es  mit  dem  vom  Vater  zurückbehaltenen  Ver- 
mögen stehe,  regelt  er  1. 32  eod.  Dieser  Rechtszustand  wurde  in  einem  Kaiser- 
erlaß des  Jahres  260  als  indubitati  iuris  erklärt^)  und  von  Diokletian  im 
Jahre  281  als  ex  prseceptis  statutorum  recepta  humanitate  feststehend.*) 


1)  Pap.  Vat.  IVag.  294—296.  Darau  kann  auch  Ciceros  rhetorische  Frage  Verr. 
2,1,44  §  113  nichts  ändern. 

-)  Anders  Naber  a.  0.  67  N.  5:  „id  est  ueque  testamento  neque  codicillo"  ;  und 
so  offenbar  die  Meisten.  Wäre  dies  richtig,  so  ließe  sich  an  eine  Interpolation  nach 
C.  J.  .'},36,  26  denken.  Aber  damit  scheint  mir  der  Gedanke  der  Stelle,  die  an  Ko- 
dizille nicht  denkt,  verwischt;  denkt  man  an  solche,  so  wäre  nicht  abzusehen,  warum 
ein  mündliches  Fideikommiß  nicht  wirken  soll,  wie  ein  schriftliches.  (Ulp.  fr.  25,3.)  Im 
Teilungsinstrument  wäre  dagegen  regelmäßig  eine  letztwillige  Verfügung  ohne  weiteres 
mit  enthalten,  und  darum  war  es  wichtig,  ein  solches  aus  dem  Tatbestand  auszuschalten. 

3)  Cod.  Gregorianus  3,  8,  2.     Treffend  Cuq  Inst.  1 2,689. 

4)  Vat.  frag.   281. 


—     527     — 

Es  ist  daher  vollständig  irrtümlich,  zu  l)ehaupten,  dali  man  vor  Diokletian 
C.  J.  3,30  1.  16  (a.  293)  auf  die  Absicht  des  Vaters,  ein  Kodizill  zu  er- 
richten, geachtet  und  daher  eine  vom  Vater  als  Schenkung  schlechtweg 
gewollte  Teilung  erst  noch  von  der  Bestätigung  der  Miterben  nach  des 
ersteren  Tode  abhängig  gemacht  habe.') 

Allerdings  verordnet  schließlich  Constantin  (\  Theod.  2,24  1.  2  :  die 
reale  („de  bonis  usurpandis")  Teilung  des  mütterlichen  Vermögens  durch 
die  Kinder  im  Auftrage  der  Mutter  sei  dadurch  bedingt,  daß  ein  Wider- 
ruf der  letzteren  bis  zu  ihrem  Tode  ausbleibt.  Dies  hat  aber  mit  dem 
Rechtszustand  des  3.  Jahrhunderts  nichts  zu  tun,  da  die  Mutter  keine 
Gewalt  über  die  Kinder  hatte  und  Vergabungen  an  nicht  gewaltunter- 
worfene Kinder  immer  gewöhnliche  Schenkungen  gewesen  waren.-)  Die 
Entscheidung  erklärt  sich  daraus,  daß  der  Kaiser  (eingangs)  zum 
erstenmal  in  unseren  Quellen^)  die  elterliche  Teilung  unter  den  verbotenen 
Vertrag  über  die  Erbschaft  eines  Lebenden  subsumiert.  Dies  ist 
gezwungen  konstruiert,  da  die  Mutter  verfügt  (prsecipit),  aber  vermutlich 
heilsam  gewesen. 

Elterliche  Teilungen  verschiedener  Art  tauchen  bei  sehr  zahlreichen 
Völkern  auf;  übereinstimmend  zeigen  sie  uns,  daß  es  derartige  Rechts- 
gepflogenheiten in  Zeiten  gibt,  wo  das  Testament  noch  unbekannt  ist.^) 
Uns  fesseln  am  meisten  die  griechischen  Überlieferungen. 


1)  So  Polaeco  61.  81.  dem  z.  B.  Schneider,  Krit.  V^ierteljahresschr.  28,420;  Costa, 
Papiniano  o,  58  folgen.  Auch  das  bei  Xaber  67  vor  N.  7  Gesagte  ist  unzureichend.  Die 
eben  zitierten  Kaiserkonstitutionen  werden  regelmäßig  ignoriert,  und  die  demnächst 
zu  besprechende  des  Constantin  hat  offenbar  irregeleitet. 

2)  C,  J.  3,  29,  2  v.  J.  256  sagte  dieses  Selbstverständliche  (cf.  Yat.  fr.  294  ff.) 
noch  ausdrücklich. 

3)  Später:  C.  J.  2, 3  1.  30  §  3.  —  Überaus  lehrreich  ist,  wie  das  Constantinische 
Gesetz  von  der  Lex  Romana  Rhsetica  Cm-iensis  (vgl.  Brunner,  D.  R,.  G.  1-517)  2,22,2  miß- 
verstanden wurde  :  (mater)  ipsas  res  postea  dum  vivit  teuere  potest  et  ipsa  divisio  post 
eius  mortem  firma  permaneat.  Dem  deutschen  Recht  ist  es  selbstverständlich,  daß  eine 
reale  Teilung  bei  Lebzeiten  der  Mutter  stattfinden  kann;  dagegen  ^\•ird  als  etwas  Be- 
sonderes hervorgehoben,  daß  die  Verteilung  von  einem  Vorbehalt  des  Nießbrauchs  der 
Mutter  bis  zum  Tode  begleitet  sein  könne  und  dabei  die  Zuwendung  als  bindend  gedacht. 

i)  Über  Palestina  (Deut.  21,  15.  17,  Ev.  Luc.  15,  12f.)  und  Indien  s.  Polaeco  24 f; 
über  die  altrussische  Prawda  Ruska  Ehrlich  a.  0.  332  N.  1;  Tonking-,  Post,  Grund- 
lagen d.  Rechts  281.  Übh.:  Post.  Ethnol.  Jurispr.  2,  182  (Ozean.  Völker,  Perser, 
Germanen);  198;  200^.     AVilutzki,  Vorgesch.  175. 


—     528     — 

II.  Griechenland.') 

Menschliches  Leben  mag  sich  wiederspiegehi,  wenn  Kronos  den 
Uranos  und  Zeus  den  Kronos  der  Gewalt  entsetzt.-)  Aber  eine  Be- 
ziehung auf  den  Übergang  der  Hausgewalt  findet  sich  weder  da,  noch 
selbst,  wenn  Laertes,  von  Haus  und  Hof  zurückgezogen,  seinen  Weinberg 
und  Obstgarten  bestellt,  und  in  des  Odysseus  Abwesenheit  Telemach 
sich  70  xcärog  èvi  oi'y.co  beimisst.'^) 

Weniger  pikant,  aber  ergiebiger  sind  unsere  Nachrichten  aus  Gortyn, 
Naupaktos  und  Attika. 

1.  Mitten  in  die  vom  germanischen  Rechte  her  vertrauten  Gedanken- 
gänge versetzt  uns  das  Stadtrecht  von  Gortyna.  Col.  IV  1.  23ff. :  „Der 
Yater  bestimmt  betreffs  der  Teilung  i  tùô  ôaiaioçj  über  sein  Vermögen, 
die  Mutter  über  das  ihnge.  Solange  sie  leben,  besteht  kein  Zwang  für 
sie  zu  teilen.  Aber  wenn  eines  der  Kinder  (zu  einer  Zahlung)  verurteilt 
ist,  so  soll  ihm  sein  Anteil  ausgefolgt  werden."*)  Es  ist  schwierig,  genau 
zu  erkennen,  ob  der  Naturalanteil  oder  Geld  auszufolgen  war,  und  ob 
mehr  an  das  Interesse  des  Verurteilten  oder  das  der  Gläubiger  oder  an 
beides  gedacht  ist.  Dagegen  dürfte  kaum  ein  Zweifel  darüber  erlaubt 
sein,  daß  die  Ausnahme  immer  Ausnahme,  und  nicht  ehemals  Regel  '') 
w\ar.  Nicht  darum,  weil  der  Vater  stets  der  y,Herr  der  Kinder  und  des 
Vermögens"  gewesen  sein  muß,^)  denn  die  vergleichende  Rechtsgeschichte 
lehrt,  daß  die  Verfügungsfreiheit  des  Vaters  auf  Kosten  der  Wartrechte 
der  Erben  zu  steigen  pflegt  ;  wohl  aber  deshalb,  weil  im  indischen  wie 
im  deutschen  Recht  auch  die  Mitberechtigung  der  Kinder,  soweit  wir 
dies  verfolgen  können,  regelmäßig  nur  eine  latente  war.  ' 

Diese  latente  Mitberechtigung  ihrerseits  wird  durch  unser  Gesetz 
mit  der  denkbar  größten  Deutlichkeit  erwiesen,  indem  es  in  einem  Falle 
die  Bindung  fallen  läßt.  Überdies  fülirt  die  elterliche  Teilung  denselben 
Namen  wie  die  Auseinandersetzung  unter  den  Miterben,  col.  V,  28  : 
âaTsîad'at,  und  der  Unterschied  erschöpft  sich  darin,  daß  erstere  in  der 


^)  Am  besten  erkannt  ist  der  Sinn  der  einschlägigen  Stellen  bei  Beaucbet,  Hist. 
du  droit  privé  de  la  rép.  ath.  3.  127;  639  Die  letzten  deutschen  Darstellungen  des 
griechischen  Rechts:  Meier-Schœmaon-Lipsius,  Att.  Proz.  2,  579  X.  1  u.  Hermann- 
Thalheim,  Rechtsalt.  *  63  N.  2  kennen  nicht  einmal  den  Namen  der  elterlichen  Teilung. 

-)  Ihering.  Vorgesch.  d.  Indoeurop.  53. 

3)  Od.  1,  189;  16,  138.  —  fl,  359];  21,  353.  Glotz,  Solidarité  de  la  famille  36 ff. 
erinnert  auch  an  Oineus  u.  Agrios. 

*)  Tdv  nuTtQa  röv  téxvov  y.al  zôv  y.çefAdvov  y.acteQÖv  ê/Aev  ràô  ôaiaiog,  y.al  vàv 
fiaiéça  zôv  J^ô\y]  avzàç  y.çefidzov.  ^Aç  y.a  ôoovzi,  /*è  èndvavy.ov  lfie{^v\  ôazid'&af  al 
èé  zig  àza^eît,  àTioôdzzad'd'ai  zôi  àzafiévoi  ài  êyçazzai. 

5)  Hierfür  Dareste,  Xouv.  rev.  histor.  10,  256;  Rec.  des  inscr.  jur.  gr.  1,  462  N.  2. 

6)  Se  Guiraud,  propriété  99f.  und  Glotz,  Solidarité  263 f. 


—     529     — 

Regel  nicht  verlangt  werden  darf,  letztere  nach  dem  offenbar  vorge- 
schrittenen ^)  Zustand  des  Rechtsbuchs  durchsetzbar  ist.  Die  Kinder  sind 
als  die  Erben,  ja  als  am  Vermögen  anteilnehmend  gedacht.  Allerdings 
separiert  col.  VI  2  ff.,  wenigstens  zum  Teil  neuernd  (1.  24),  die  Ver- 
mögensmassen der  Familienglieder.  Trotzdem  kann  aber  ein  Anrecht 
der  Kinder  an  dem  Elterngut  im  Ganzen  bestehen,  oder  sogar  an  den 
einzelnen  Stücken,  insofern  dem  Vater  Schenkungen  regelmäßig  nicht 
erlaubt  zu  sein  scheinen  (X  15,  XII  17). 

Das  Stadtrecht  gedenkt  auch  noch  des  Beisitzes  des  Witwers  bei 
beerbter  Ehe,  verordnet  aber  für  den  Fall  der  Wiederverheiratung  nicht 
Teilung,  sondern  die  Endigung  der  „Herrschaft"  des  Vaters  —  d.  h.  der 
Sache  nach  seines  Nießbrauchs  —  am  Muttergut  (VI  44). 

2.  Das  ziemlich  alte-)  Gesetz  über  die  Verhältnisse  der  nach 
Naupaktos  ausgewanderten  hypoknemidischen  Lokrer  sagt  in  §  8  fH)  : 
„Wenn  einer  (in  der  Heimat)  seinen  Vater  und  seinen  Vermögensanteil 
dem  Vater  zurückgelassen  hat,  so  darf  der  Kolonist,  Avenn  der  Vater 
gestorben  ist,  seinen  Anteil  dahinnehmen."  Auch  hier  hat  der  Sohn  bei 
Lebzeiten  des  Vaters  einen  Anteil  (tö  fiéQO(^  xöv  xçe^ûtoi')  und  es  ist 
als  möglich  gedacht,  daß  eine  Totteilung  bei  der  Auswanderung  statt- 
findet.    Sie  wird  wohl  im  Belieben  des  Vaters  gelegen  haben. 

3.  Die  attischen  Reden  lassen  uns  in  einen  überaus  merkwürdigen 
Rechtszustand  blicken.  Man  w^eiß  genügend,  daß  die  aus  Gortyn  und 
Sparta  bekannte  Hausgenossenschaft  bei  den  Joniem  sich  stark  verlor 
und  manche  Gelehrte  scheinen  darum  dieses  Institut,  das  die  Vertreter 
der  vergleichenden  Rechtswissenschaft  zum  „Angelpunkt  der  ganzen 
historischen  Rechtsbetrachtung"  ^)  erheben,  bei  der  Darstellung  attischen 
Rechtes  noch  immer  beiseite  zu  setzen,  obwohl  Beauchet  bereits  einen 
ernstlichen  Versuch  zur  Würdigung  desselben  unternommen  hat.^) 
Man  wird  aber  dem  Vorgang  der  Germanisten  folgen  müssen,  welche 
neuestens  mehr  und  mehr  zu  einer  fundamentalen  Unterscheidung  von 
Familie  im  engern  und  im  weiteren  Sinne,  d.  i.  von  Haus  und  Verwandt- 


1)  Beauchet,  Hist.  du  droit  privé  3,  424. 

-)  Ed.  Meyer,  Forschungen  1,  293  vermutet  Entstehung  vor  den  Perserkriegen. 
Die  Ausgaben  und  Übersetzujigen  verzeichnet  Michel,  Rec.  Nr,  285  S.  222. 

3)  G.  Cohn.  Zschr.  f.  vgl.  Rechtsw.  13.  50.  Castülejo  y  üuarte  u.  Rüben,  ebd.  17, 113. 

*)  Beauchet,  Hist.  1.  6;  3,  424.  Einiges  bereits  bei  Leist,  Altarisches  Jus  civile, 
sehr  treffend  die  kurzen  Bemerkungen  von  Ed.  Meyer,  Gesch.  d.  Altertums  2,  86.  90  vgl. 
296.  Aber  neuestens  hat  wieder  Glotz,  a.  0.  das  Fehde-  und  Sühnerecht  mit  nahezu 
ständiger  Vernachlässigung  des  Hausbegriffs  auf  das  yévoç  aufgebaut,  das  gar  nicht  nur 
Familie  ist  (Swoboda.  Z.  d.  Sav.  St.  26,  240.  244).  Für  das  Erbrecht  bleibt  ebenfalls 
noch  viel  zu  tun. 

34 


—     530     — 

Schaft  gelangt  sind.')  Auch  das  griechische  Haus,  or/.oç,  oiy.ia,  loria^J 
u.  s.  w.  ist  eine  soziale,  wirtschaftliche  und  kultuelle  Einheit,  auf  der 
das  Familienrecht  und  ein  gutes  Stück  des  Blutrechts  ruht.^)  Davon  gibt 
es  im  klassischen  Athen  zahlreiche  Erinnerungen  in  Rechtssätzen,  nament- 
lich in  jenen  der  Erbfolgeordnung  und  des  Erbschaftserwerbs,  und  in 
Sprachwendungen  wie:  oîxoç  ègsQt^^ovTUi,  dTioÀÀvTai^j,  EÎanoiEÎv  elg  töv 
oîxov,  èxTioiEÎv  èx  Tov  oïxov,  èglataad^ai  rov  oïv.ov.  Vielleicht  liegt 
sogar,  denkbar  wäre  es,  ein  engerer  Rechtssinn  der  oiy.£iÔT7]Q  zugrunde, 
wenn  Leostratos  ti]v  xarà  tov  vôfiov  orAeiôitjja  gegenüber  seinem 
Sohne  verliert,  indem  er  ins  väterliche  Haus  zurückkehrt,  Leokrates 
aber  im  fremden  läßt.^)  Allerdings,  dies  alles  sind  nur  noch  Reste. 
Athen,  die  Stadt  des  Handels  und  des  beweglichen  Kapitals  ist  auch 
der  Ort  einer  grundsätzlich  unbeschränkten  Verfügungsfreiheit  des  Haus- 
vaters über  sein  Gut  geworden.  Der  einzige  Fall  einer  Vermögens- 
gemeinschaft zwischen  Vater  und  Sohn,  den  die  Neueren  aufstellen, 
dürfte  auch  zu  leugnen  sein.'^)     So  ergibt   sich    die  Notwendigkeit   einer 


1)  Vgl.  Huber.  Syst  d.  Gesch.  d.  Schweiz.  Privatrechts,  4.  234  und  bes.  Brunner, 
Deutsche  Rechtsg.  l'^,  92.     Auch  die  „Sippe"  hat  mehrfache  Bedeutungen,    ebd.  112. 

2)  Vgl.  die  Wbb.5  für  olyJa  namentlich  Aristot.  Pol.  1,  1,  17  Tiäaa  yuQ  oUla 
ßaaiÄevEzai  vtio  tov  nQeaßvtdiov,  auch  Lys.  18,  21.  Wenn  oiy.og  bei  Isokr.  de  pace 
88  dem  ye'vog  u.  bei  Michel  Rec.  403  f.  der  (pvÄt^,  vielleicht  auch  wenn  er  bei  Pindar 
Isthm.  6,  65  der  TidxQa  entgegengesetzt  wird,  so  ist  ein  Personenkreis  und  nirgends 
das  Hausvermögen  (Recueil  des  inscr.  jur.  gr.  2,  215  für  Isokr.  res  famiharis)  gemeint. 
(Von  dem  bekannten  oÏKog  Ae^eÀcioiv,  Ditt.  Syll.  -  295,  N.  18,  gilt  besonderes.)  — 
'lazia  als  „Haus"  in  dem  oben  ang.  Ges.  von  Naupaktos  hat  Meister,  Ber.  d.  sächs. 
Ges.  47,  294,  .305  f.  richtig  erklärt. 

3)  Vgl.  oben  S.  529  N.  4. 

4}  Daraufweist  v.  Wilamowitz,  Arist.  u.  Athen.  2,  266  hin,  der  aber  diesen  „Haus- 
bestand" durchwegs  als  „gentilizischen  Begriff-*  faßt.  —  Nebst  den  Rednerstellen  vgl. 
auch  Plat.  Leg.  11,  p.  925  C  i.  f. 

^)  [Dem.]  44,  26  (die  Rede  ist  eine  Fundgrube  auch  für  die.  oben  berührten 
Wendungen).  —  übrigens  legt  das  jedenfalls  sophistische  Argument  bei  Isse.  1,  20 f.  die 
Vermutung  nahe,  daß  gerade  die  Übergebung  der  olaetoi  (in  dem  dritten  Sinn  des  Hesy- 
chius  vo  oIkeIoi:  oi  Kat  oinCav  ndvteç)  nach  der  geltenden  Interpretation  des  solonischen 
Gesetzes  über  die  ^mvia  das  Testament  inoffiziös  machte.  Jedenfalls  dürfte  ja  Isseus 
den  Dopjielsinn  der  olaeiözfjc:  Verwandtschaft  und  Vertrautheit  mißbrauchen  (so  auch 
Wyse,  Speeches  of  Isse.  204).  Und  sprachlich  deuten  die  oh.eToi  doch  offenbar  näher 
auf  die  Hausgenossen  hin,  als  die  berühmten  ôfioalTivoi,  ôfAÔKanot,  und  ô^uozQdjie^oi. 
Aber  freilich  sind  sie  im  gewöhnlichen  attischen  Sprachgebrauch  die  Verwandten  über- 
haupt; und  auch  der  Hinblick  auf  Herodot  (s.  d.  Wbb.)  verhindert  eine  bestimmtere 
Fassung  der  hier  mit  allem  Vorbehalt  aufgestellten  Hypothese. 

'•)  Bei  Isœ.  6,  38  glauben  nach  dem  Vorgang  von  Schœmann  Opusc.  ac.  1,  272 ff. 
die  Meisten,  so  auch  Beauchet  3,  487 — 490,  eine  Gemeinschaft  zwischen  Euktemon  und 
Philoktemon  zu  sehen.  Aber  Phil,  hat  wohl  nur  das  väterliche  Vermögen  faktisch 
verwaltet,  vgl.  neuestens  Wyse  a.  0.  484.  528.  Wenn  auch  ihm  ein  Ät^tovQystv  zuge- 
schrieben  ist  —    ein  übrigens    bisher  m.  W.    nie  erörterter  Punkt  — ,    so   kann   dieses 


—     531     — 

Art  von  duplex  interpretatio  der  attischen  Quellen.   Sie  reden  eine  alter- 
tümliche Sprache  und  denken  häufig  modern. 

Auszugehen  ist  von  der  berühmten  Schilderung  der  Herkunft  der 
Buseliden. 

[Dem.]  43  c.  Macart.,  19.  Buselos  hatte  5  Söhne,  xctl  ohxoi 
äjiaviec  —  àvôçEç  èytvoviOs  y.al  ôih'sifiev  aùroTç  xriv  ovoiav  o  Jiatr/ç 
ânaoi  xaÀôJç  y.al  ôiy.aicoç  üojieq  Jiçoafjy.si'^)  —  veifidfievoi  ôè  Trjv 
ovaiav  yvvaîy.a  uvtùv  é'y.aaTOç  è'yr]fiE  xatà  rovç  vôfiovg  —  y.al  Tialôeg 
iyévoi'TO  amoïz  cLtcioi  y.cd  Tiaiôo)v  naîôeç,  y.cù  èyivovio  nivie  oixoi 
èy.  rov  Bovoé/.ov  oïy.ov  éfoç  oviog,  y.al  XO)qIç.  i'y.aoTOç,  (oxei  zbv  èavxov 
i'/iov  y.al  Èy.yôvovz  kainov  noiovfxsvoQ. 

Niemand  könnte  unter  der  vollsten  Heirschaft  der  Hausgenossen- 
schaft die  Auflösung  des  Hauses  in  mehrere  plastischer  schildern.  Der 
Vater  teilt  das  Hausvermögen  —  wohl  noch  unter  Lebenden,  als  die 
Söhne  „Männer  geworden  waren"  — -^  die  Teilung  ist  begleitet  von  der 
Absonderung  ('/coçh  oixeTi'j,  und  die  letztere,  nicht  die  erstere  wird 
es  gewesen  sein,  die  für  die  Gründung  der  neuen  oixoi  wesentlich  war, 
genau  so  wie  bei  den  Deutschen.  Den  Beweis  hiefür  liefert  [Dem.]  44, 10.  18. 
Archiades  behält  mit  seinem  Bruder  Midylides  in  Athen  ui'Éiii]tov  oéaiav, 
geht  aber  nach  Salamis  seinen  eigenen  Wohnsitz  begründen  f^coy.ei  y.u^' 
atröv  Ev  jfi  2a/.ajiiTi'ij  und  geAvinnt  damit  den  eigenen  olxoç  (2.  19.  27. 
28  u.  ö.)^)  ;^co()k  oîxeïv  begründet  die  begünstigte  Stellung  der  Frei- 
gelassenen und  der  Sklaven.  ^)  Es  bedeutet  die  Absonderung  vom  Hause, 
gleich  jener,  die  manche^}  als  einstmalige  Voraussetzung  der  Emanzipation 
des  Haussohns  vermuten.  Ihr  gewöhnlichster  Fall  trat  naturgemäß  bei 
der  Verheiratung  ein,  jedenfalls  bekundete  diese  die  echte  Absonderung 
gegenüber  einer  zeitweiligen  Entfernung  und  pflegte  daher  eigens  erwähnt 
zu  werden.  Auch  jener  Kolonist  von  Naupaktos  ist  abgesondert  und  hat 
noch  sein  fiéçog   tojv  yQi]fiäxuiv  in  der  Heimat. 

Ahnliches  gilt  von  [Dem.]  47,  34.  Der  Sprecher  will  eine  Zwangs- 
vollstreckung   gegen  Theophemos    durchführen,    nimmt  Zeugen    mit    und 

aus  dem  Vermögen  des  Vaters  erfolgt  sein.  Ich  erinnere  an  die  römische  Lehre,  wo- 
nach die  munera  des  Sohnes  als  solche  des  Vaters  gelten,  da  sie  dessen  Vermögen  be- 
lasten, und  an  die  Anwendung  dieser  Lehre  in  Ägypten.  Vgl.  Corp.  Pap.  Rain.  1,  20 
und  Mitteis  dazu  S.  104  bei  N.  6. 

1)  Eine  Pflicht  zur  Teilung  oder  Gleichteilucg  beweisen  diese  Worte  nicht,  aber 
immerhin  eine  gewisse  Gebräuchlichkeit  des  Vorgangs. 

-)  Das  Letztere  verkennt  Dareste.  Plaid,  civ.  2,  81  X.  7. 

^)  Freigelassene:  Bekker  Anecd.  1.  316,  11.  [Dem.]  47  c.  Euerg.  et  Mnes.  72: 
àffiîxo  yÙQ  ijTco  tov  TtazQoç  xov  éuov  éÀevd'éça  xal  X^Q'''S  ^''^-^'^  J*«*  avôça  êayev.  Wie 
Ueauchet  2,  446  X.  2  diese  Frau  für  eine  Sklavin  erklären  kann,  verstehe  ich  nicht. 
—  Sklaven:  Beauchet  a.  0.  Über  die  SovÄoi,  die  in  den  Buden  des  Theseion  Handel 
trieben,  v.  Wilamowitz.  Hermes  22.  119  X.  1. 

*)  Vgl.  Beauchet  2,  104.     Dafür  vermisse  ich  noch  die  Beweise. 


—     532     — 

geht,  da  der  Schuldner  sich  nicht  zeigt,  zu  dessen  Bruder  Euergos  mit 
der  Frage:  jiôtequ  peve/urjfiévog  eïi]  tiçoç,  töv  àôeÀcpàv  /}  xoivij  i]  ovoia 
EÏrj  a-ÙTOÏQ.  Auf  die  Antwort  des  Euergos  hin  :  öxi  v£V£fi7]fj,évoç  eïrj  xai 
X(àQlç  oly.oh]  ô  ߣÖ(fi]f.ioc,  avroç  ôè  nagà  rqj  narQi  —  erkundigt  sich 
der  Gläubiger  nach  der  Wohnung  des  Theophemos  und  verfügt  sich  mit 
dem  Amtsdiener  dahin.  Wieder  sind  Teilung  und  Absonderung  koordiniert, 
obwohl  verbunden.  Auch  hier  ist  unsicher,  ol)  die  Teilung  durch  den 
Vater  geschah.  Dies  wäre  eine  Abschichtung  des  einen  Sohnes  wie  in 
Ev.  Luc.  25,  12'),  der  letztere  wäre  „abgeteilt"  im  Sinne  des  Sachsen- 
spiegels, hätte  keinen  Erbanspruch  mehr.  Man  wird  auch  an  Plato  ge- 
mahnt, der  freilich  infolge  seiner  eigenartigen  wirtschaftspolitischen  Er- 
wägungen und  daher  viel  allgemeiner  als  Grundsatz  für  das  testamentarische 
véfieiv  des  Vaters-)  aufstellt,  er  solle  denjenigen  Sohn  ausschliefen,  der 
bereits  seinen  eigenen  Hausstand ■^)  besitzt:  Leges  11,  7  p.  923  D:  öiq) 
ô'àv  TOJP  viÉojv  vnàQXOV  oïy.oç  f],  jui]  véfuiv  tovtù)  tojv  yQtjficcTOJv.  Mög- 
lich wäre  auch  eine  Auseinandersetzung  des  Euergos  und  des  Theophemos 
über  gemeinsames,  z.  ß.  Muttergut.  Allein  die  Ungewißheit  rührt  hier 
wie  im  Falle  des  Buselos  doch  nur  davon  her,  daß  die  Sprache  zwischen 
der  einen  und  der  andern  „Teilung"  nicht  unterscheidet. 

Daß  aber  „Teilungen"  unter  Lebenden  vorkamen,  bezeugt  aus- 
drücklich Lysias  19,  36  f.  Konon  und  Nikophemos  behielten  den  größten 
Teil  ihres  Vermögens  auf  Kypros  und  ließen  ihren  Söhnen  in  Athen 
nur  das  Nötige,  dieses  freilich  zu  freiem  Recht ^),  wie  die  Fortsetzung  zeigt; 

37.  jiQÖg  Ô£  TOVTOiç  èvd'vfisîad'E  ÖTi  y.al  eï  tiç  fitj  y.r}]adfiEvog  âÀÀà 
naqà  tov  naxQoç,  jiacaAaßoiv  toTç  natal  ôiévEfiEV,  o&/.  èÀd^ioia  àv  avro) 
éjiéZiJiE'  ßovZovrai  yàg  tcccvtec  vnb  tmv  Jiuiôoiv  d^EçanEVEo^ai  e^ovieç 
XQrjfiara  fiàPJ.ov  T]  exeIvojv  ÔEÎod-ai  ùtcoqovvteç,. 

Die  Befürchtung  eines  König  Lear-Schicksals  war  es  also,  die  von 
allzu  freigebigen  Entäußerungen  abhielt.  Eines  Kommentars  bedarf  die 
Stelle  nicht  weiter.  Xur  ist  abermals  auf  eine  Reminiszenz  zu  achten  : 
bei  ererbtem  Gut  lag  die  Teilung  näher  als  bei  der  Errungenschaft,  ein 
Gegensatz   der   narçcoa   und    uvTÔy.jijTu,    der   für   die    deutsche  Teilung 


1)  So  Naber  66.  Daß  sich  die  Wendung:  vevefiijuévog  nQog  tov  àôeAffôv  auf 
eine  solche  Er))abfindung  des  Sohnes  beziehen  kann,  ist  zweifellos,  obwohl  damit  bei 
Dem.  36  pro  Phorm.  10  u.  Lysias  16  pro  Mant.  10  eine  Auseinandersetzung  der  Miterben 
gemeint  ist. 

'-)  Anders  Hruza,  Heiträge  z.  griech  Farn.  R.  2.  180,  der  von  „Erbteüung  unter 
Kindern"  spricht. 

3)  Nicht  „ein  Haus  besitzt". wie  Hieron.  Müller  7,  2,  376  übersetzt. 

*)  Nicht  dagegen:  i,yovvTO  ôè  y.al  tu  iy.el  (Kypros)  ô^oîcog  [Cobet]  acpiaiv  elvai 
au  ojaneQ  Y.al  zu  èy.eïva:  gemeint  ist  „sicher",  nicht  „eigen";  Rauchenstein,  Ausg.  Reden, 
z.  d.  St. 


—     533     — 

entscheidend  wirkte,  dem  griechischen  Recht  aber  auch  sonst  bekanntlich 
nicht  fremd  war. 

So  gibt  denn  keine  dieser  Stellen  ein  reines  Bild  des  einzelnen 
Vorgangs  ;  alle  zusammen  machen  sie  klar,  daß  inmitten  einer  indi- 
vidualistisch gestalteten  Eigentumsordnung  sich  uralte  Vorstellungen  be- 
haupteten. Modern  zu  konstruieren  wäre  das  dem  Lysias  vorschwebende 
Geschäft  wohl  als  Vorempfang  aus  dem  rntcrlic/ten  Vermögen  mit  An- 
rechnung auf  den  Erbteil,  und  durchaus  nicht  als  Abschichtung.  Unter- 
stellen wir  dem  Buselos  eine  Teilung  mit  Zurückbehaltung  von  bona 
indivisa,  so  erinnern  wir  uns  der  Schwierigkeiten,  an  denen  nachmals 
die  Analyse  der  sehr  romauistisch  angehauchten  älteren  Germanisten 
scheiterte,  als  sie  die  „erfriihte  Erbteilung"  vorfanden.  Denn  hier  wie 
dort  lebt  eine  Gepflogenheit  fort,  die  aus  dem  Systeme  der  Hausgenossen- 
schaft stammt  und  nur  höchst  notdürftig  in  die  Begriffe  der  modernen 
Rechtsordnung  übersetzt  werden  kann.  Rechtshistorisch  ist  gerade  der 
ursprüngliche  Zusammenhang  der  realen  Teilung  mit  dem  Anteilsrecht 
der  Erben  von  Wichtigkeit,  mag  dieses  sich  auch  bei  den  Griechen 
frühzeitig  zu  einer  mehr  oder  weniger  des  Rechtszwangs  enthobenen, 
morahsch  oder  durch  den  Brauch  gebotenen  Berücksichtigung  der  Kinder 
verflüchtigt  haben. 

Ist  es  übrigens  der  archaistische  Grundgedanke,  der  die  an- 
scheinende Eigentümlichkeit  der  pseudo-demosthenischen  Stellen  verur- 
sacht, so  ergibt  sich  noch  etwas  anderes;  es  bedarf  dann  nicht  noch 
vielen  Beweises,  daß  diese  Stellen  uns  nicht  berechtigen,  von  einer  eigen- 
artigen „griechischen  elterhchen  Teilung"  zu  reden,  die  immer  und  überall 
Realteilung  hätte  sein  müssen,^)  daß  etwa  eine  letztwillige  undenkbar 
war.  Verfügt  doch  schon  Herakles  in  den  Trachinierinnen  des  Sophokles 
V.  163,  falls  er  nicht  binnen  eines  Jahres  und  dreier  Monate  zurückkehre, 
r]v  rexvoig  fioÎQUv  ^aiçojaz  yr^z  oiaiQeiijv  véuoi.  Auch  gilt,  was  oben 
von  der  Erbeinsetzung  auf  bestimmte  Sachen  gesagt  wurde,  mutatis  mu- 
tandis  für  Griechenland.  Die  bemerkenswerteste  Erscheinung  in  dieser 
Richtung  bilden  die  „das  ganze  Vermögen  erschöpfenden  Verfügungen 
ohne  ausdrückhche  Erbeneinsetzung",-)  als  deren  Musterbeispiele  die  Testa- 
mente der  Philosophen  Theophrast,  Strato,  Lyko  und  Epikur  zu  gelten 
haben,  und  zu  denen  eine  Analogie  in  den  attischen  Gerichtsreden  nach- 
zuweisen nur  darum  nicht  gelingt,  weil  man  nicht  weiß,  inwiefern  dort 
letztwillige  Adoptionen  zu  unterstellen  seien. 

1)  Diesem  methodischen  Fehler  verfallt  V.  Arangio-Ruiz,  Succ.  test.  176.  178 
bei  der  Zuteilung  der  ägyptischen  Papyri  an  griechisches  und  ägyptisches  Xationalrecht. 

2)  Schulin.  Griech.  Testament  29.  Merkwürdig,  daß  er  bei  seiner  scharfsinnigen 
Auslegimg  nicht  auf  die  Analogie  der  longobardischen  Vergabungen  aufmerksam  wurde. 
Dieselbe  schlägt  ebenso  stark  durch,  wie  die  des  Adoptionstestaments.  Dies  sowie  meine 
S.  535  dargelegten  Beobachtungen  hoffe  ich  noch  näher  auszuführen. 


—     534     — 


III.  Papyri. 

In  den  klassischen  Zeiten  des  Pharaonenreichs  gab  es  noch  kein 
Testament,  wohl  aber  bereits  die  elterliche  Teilung,  mit  sofortiger  Wirkung, 
die  nur  durch  einen  Vorbehalt  des  Nutzgenusses  abgeschwächt  zu  werden 
pflegte.^)  Es  liegt  nahe,  als  eine  Fortbildung  dieses  Instituts  einmal  den 
angeblichen  Kaufvertrag  des  Pap.  Casati,^)  sodann  die  ôfioÀoyEÎ-Urknnde 
des  ägyptischen  Priesters  Stotoetis  BGU  1,  86  (155  n.  Chr.)  anzusehen. 
Dieser  Akt,  der  das  ganze  Vermögen  an  Kinder  und  Frau  vergibt,  be- 
dient sich  der  Form  einer  Liberalität  unter  Lebenden:  ô/iioXoyeî:  ovyxoiQO), 
und  erreicht  die  Bedingung  durch  den  Tod  des  Gebers  mit  dem  Zusatz 
f^iETCi  rijv  EavTov  lElevrijv  und  einer  Klausel,  die  bei  m.  E.  zweifelsfreier 
Ergänzung  die  Verfügungsfreiheit  bis  zum  Tode  vorbehält.^)  Der  erstere 
Zusatz  allein  hätte  auch  nur  die  Verwaltung,  nicht  das  Verfügungsrecht 
gewahrt.  Dies  ersieht  man  jetzt  aus  den  yafiiKal  yQacpai,  die  Wilcken 
jüngst  publizierte;^)  aber  auch  bereits  aus  der  ôôoiç,  fiEià  ri]v  téàevttiv 
BGTI  993  V.  J.  127  v.  Chr.,  deren  sofortige  Rechtsübertragung  an  Frau 
und  Tochter  vor  allem  ^)  aus  der  Bezahlung  der  tibertragungsgebühr 
(col.  4)  folgt,  die  durch  ôiayQag)rj^)  des  olxopo/iioç  und  des  T07ioyQafi/.iaT£vg 
(Flurbuch-Beamten)  vorgeschrieben  ist.  Das  Geschäft  spielt  gleichfalls 
zwischen  Ägyptern.  Man  darf  es  eine  donatio  post  obitum  im  tech- 
nischen Sinn  der  Germanisten  nennen,  und  es  gehört  hieher  auch  inso- 


1)  Die  weiteren  bei  Arangio-Ruiz  10 — ^12  von  seinem  Gewährsmann  Revillnut 
übernommenen  Behauptungen  sind  wohl  noch  zu  überprüfen.  Vgl.  übrigens  neuestens 
den  Kommentar  zu  den  elterlichen  Schenkungen  in  den  Inschriften  von  Mten  bei 
fioulard,  Rec.  de  travaux  rel.  à  la  Phil,  et  à  l'Archéol.  ég.  et  assyr.  29,  1807. 

2)  Pap.  Paris  5  col.  1  u.  2  ;  näheres  Zschr.  d.  Sav.  St.  ßd.  28. 

^)  1.  23fif. :  ê^'  öv  ôe  yQovov  yr£[pt|»/  ô  ônoÀoyàiv,  è'yeiv  avrov  Ttjv  xarà]  ToJv 
lôîoiv  7idv[^i(ov1  ôÀoaxeQij  è^ovalav  TtùJÀeTv,  i}7ioTi&eaira\^i^,  éréçoig  7iaçao[v]yyù)ÇEtv 
(statt  — •  QovvTOJv).  wie  bereits  Arangio  172  X.  ähnlich  vorschlägt.  —  Daß  dies  kein 
prätorisches  Testament  sei,  wie  Dareste  früher  meinte  (dagegen  Araugio  172f ),  hat  er 
selbst,  Xouv.  études  183  bereits  anerkannt. 

*)  Arch.  f.  Pap.  F.  4,  130.  140.  Die  Zuwendungen  /.levà  tijv  tojv  yovécov  tsÀcvr/jv 
(1.  40;  2,   Ui)  hindern  nicht,  daß  die  Enkel  darüber  testieren  dürfen  (3,  11). 

■>)  Arangio-Ruiz  p.  187 — 189  übersieht  diesen  entscheidenden  Umstand  und  be- 
tont statt  dessen  die  Form  als  avyyçaif^.  Die  Worte  II  10  '^Ey.ôvzeg  avveyQdxpawo, 
die  Schul lart  in  den  Singular  korrigierte,  dürften  allerdings  aufrechtzuhalten  (so  auch 
P.  M.  Meyer.  Klio  6,  438)  und  vielmehr  im  folgenden  die  Namen  der  Beschenkten  ein- 
zu.schalten  sein.  Aber  wer  das  Testament  der  Griechen  und  Ägypter  nicht  als  etwas 
gegenüber  der  Schenkung  inter  vivos  grundsätzlich  Abgeschlossenes  ansieht,  wird  auf 
das  avyyQd(p£i,v  nicht  allzuviel  Gewicht  legen;  vollends  aber  nicht  auf  das  ôfioÀoysîv, 
betreffs  dessen  wir  derzeit  noch  nicht  klar  sehen. 

«)  Vgl.  Wilcken.  Arch.  f.  Pap.-F.  2,  388  u.  P.-Amh.  52. 


—     535     — 

fern  als  der  Schenker  erklärt:  ü.to/ne/iiaQixti'af  ffiEià  liiv  iaviov  it?.ev- 
TTjv).  MfQiÇeiv  wird  auch  sonst  vom  Erblasser  gesagt. ')  Da  aber  unsere 
Urkunden  bisher  meistens  nur  Verfügungen  zu  Gunsten  der  Kinder  und 
der  in  Ägypten  eine  große  Rolle  spielenden  Frau  enthalten,  so  läßt  sich 
noch  nicht  entscheiden,  ob  gerade  diese  Geschäfte  den  Namen  „Teilung'' 
vorwiegend  trugen.  Im  weiteren  werden  wir  in  der  Tat  einige  elterliche, 
Teilung  genannte,  Rechtsgeschäfte  zusammenstellen  können.  Und  gerade 
die  Fürsorge  für  die  engste  Familie  ist  wohl  für  die  Entwicklung  auch 
des  Testaments  nicht  gleichgültig  gewesen. 

Aber  man  muß  auch  für  Ägypten  feststellen,  daß  letztwillige  Teilung 
dort  nicht  bloß  reine  Distribution  ist  oder  auch  nur  aus  dieser  hervor- 
gehende Begünstigung,  sondern  Teilung  des  Vermögens  schlechthin.  Die 
ptolemäisch-griechischen  Testamente  pflegen  weder  einen  Erben  ('yJ^7]Q0- 
vôfiOQ)  zu  ernennen  noch  Quoten  zuzumessen,  sondern  sind  regelmäßig 
gehäufte  Einzelvergabungen.  Da  sie  überdies  noch  gerade  so  wie  jene 
Philosophentestamente  mit  ihren  (5/dw,a/-Verfügungen  die  Herkunft  aus 
der  Schenkung  verraten,  so  darf  man  zugleich  behaupten,  daß,  wenn  die 
ISIakedonier  wirklich  mit  ihrer  ôtccd-i'jKt]  nach  Ägypten  ein  völlig  neues 
Element  eingeführt  haben  sollten  —  was  noch  keineswegs  feststeht  — , 
sie  doch  nur  einige  Schritte  auf  derselben  Bahn  weiter  gelangt  waren, 
die  auch  vor  den  Ägyptern  lag.  Ich  erwähne  dies,  weil  es  uns  davor 
warnt,  eine  allzu  scharfe  Trennung  zwischen  den  griechischen  und  ägyp- 
tischen in  griechischer  Sprache  beurkundeten  Liberalitäten  zu  versuchen. 

Die  genauere  Geschichte  des  gräko-ägyptischen  Testaments  wird 
die  Aufgabe  haben,  festzustellen,  ob  etwa  die  oiad-t)-Ai]  als  Intestatkodizill 
aufzufassen  ist,  wobei  die  Kinder  die  Erben  wären,  oder  ob  die  Universal- 
sukzession an  sich  vernachläßigt  wurde.  Hier  sind  solche  Geschäfte  zu 
betrachten,  die  sich  entweder  Teilung  nennen  oder  sachlich  in  eine  der 
oben  berührten  Kategorien  der  elterlichen  Zuw^endungen  fallen. 

Eine  wahrhafte  väterliche  Gutsabtretung-)  mit  sofortiger  Wirkung 
(1.  12)  enthält  die  yàçiç  alwvia  xai  âvacpaÎQSTog,  Grenf.  2,  71,  a.  244 — 8 
n.  Chr.    Sie  betrifft  einen  ganzen  ^'ermögenskomplex  (1.   13),  wenn  auch 


')  Vgl.  nebst  den  weiter  unten  ang.  Beisp.  :  ueçtauôg  in  Drytons  3".  Testament 
Cirenf.  1,  21.  1.  13,  womit  auf  ein  früheres  Testament  hingewiesen  ist:  Oxy.  8,  491, 
I.  15  ä  êuéçiaa  avtoîç  =  1.  8  rà  è?,evaôueva  elg  avzovg  é'  ôvôuarôg  fiou.  ebd.  493  1.  6.  8 
ôiaxàaaeiv  toîç  Téxvotg  .  .  ê(p'  Coi  èàr  alçr^vat  fieçiaiiCJi.  Wenn  dagegen  in  Oxy.  -î- 
489  (a.  117  n.  Chr.)  1.  10.  19  den  Kindern  verboten  wird,  andern  zu  fieçc^eiv,  als  den 
Abkömmlingen,  und  im  Ehepactum  daselbst  n.  496  (a.  127  n.  Chr.)  1.  11  dem  Mann 
erlaubt  wird,  otg  èàv  ;JotV.>;[rat]  iiEQiL,ei\v\,  so  kann  der  Sprachgebrauch  doch  durch 
den  Gedanken  an  das  gegensätzliclie  ueQÎ^eiv  rotg  zéxvoig  beeinflußt  sein.  —  Im  Syrier- 
testament BGU  3,  895  (2.  Jh.)  1.  30  steht  das  "Wort  in  einem  fi-agmentari sehen  Passus. 

-)  So  treffend  schon  Wenger.  Stellvertretung.  t90ß.  106. 


—     536     — 

wohl  nicht  das  ganze  Vermögen  überhaupt.  Die  Herausgeber  vermuten 
noch  Verfügungen  zugunsten  anderer  Personen;  sicher  scheint  nur,  daß 
hier  oder  anderweitig  eine  Anordnung  zu  gunsten  der  Töchter  getroffen 
ist,  welche  die  Söhne  IT  2  anerkennend) 

Geradezu  ôiaiçeaiç  sowie  die  Auseinandersetzungen  zwischen  Mit- 
erben nennt  sich  die  Urk.  BGU  4,  1013  (Zeit  des  Claudius  oder  Nero); 
in  der  eine  Frau  erklärt:  fiEfiEQinlévaij  u.  z.  nach  der  Schubart'schenj 
durch  den  Namen  ôiaiçeaiç  selbst  nahegelegten  Ergänzung:  jàno  t^ç 
èpEa%(barjç  fjfiÉQaJç,  —  also  sofort,  ferner  unwiderruflich  (1.  20 f.)-)  ihren 
Töchtern  ein  Haus  zugeteilt  zu  haben,  das  ihr  gehört,  1.  11,  demnach 
nicht  etwa  Vatergut  ist.  Sie  sichert  sich  zugleich  eine  Leibrente,  1.  12  — 15. 
Das  Stück  ist  freilich  in  so  schlechtem  Zustand,  daß  diese  Auslegung  nur 
als  wahrscheinlich  gelten  darf.  Wir  hätten  mit  derselben  eine  mütter- 
liche Gutsabtretung  vor  uns. 

Seitenstücke  hiezu  bieten  Fay.  97  a.  78:  fieçirela  (ein  Unikum!), 
f]v  [evsJfiE  (b  naifiQ)  ^ßelv  tteqkjH'  und  Oxy.  2,  243  a.  79:  fiEfiEçi- 
ofiévojv  i)7iö  xfjç  (.ujtçbç.  ZijvaQÎov,  otcôte  TtEçifjv;  endlich  aus  sehr  später 
Zeit  (6 — 7.  Jh.)  der  dem  jüdischen  Recht  angehörende  Rechtsfall  Oxy. 
1,  131,  wo  der  Vater  bei  Lebzeiten  dem  jüngeren  Sohn  David  das  Land 
der  Mutter  zuwies  und  als  er  zu  sterben  kam,  den  Sohn  damit  zum 
größten  Teil  abgefunden  erklärte.  In  den  ersteren  Urkunden  ist  zwar 
eine  bloß  letztwillige  Zuwendung  nicht  ganz  ausgeschlossen,  die  reale 
aber  doch  durch  den  Wortlaut  gewiß  näher  gelegt. 

In  verschiedenen  Ehegüterverträgen  —  denn  als  solche  sind  die 
„Eheverträge"  hauptsächlich  anzusehen  —  treten  Eltern,  besonders 
die  Mutter  von  Mann  oder  Frau  mit  Vergabungen  auf,  die  teils  als 
sofortige  Ausstattung  gedacht  sind,  teils  aber  Verfügungen  von  Todes 
wegen  darstellen.  Der  Form  nach  sind  diese  letzteren  Schenkungen 
mit  Vorbehalt  der  Verwaltung  oder  aber  auch  der  Verfügung  bis  zum 
Tode.^)  In  den  besterhaltenen  Urkunden  hat  Satabous,  die  Mutter,  ihr 
ganzes  Vermögen  unter  ihre  Kinder  verteilt  und  erklärt  ihren  Willen 
mit  geringfügigen  Abweichungen  zweimal  anläßlich  der  Errichtung  der 
Ehepakte  von  zwei   (längst  verheirateten)  Paaren;    wenn  man  nicht  um- 


1)  In  1.  7 — 12  scheint  dagegen  auf  eine  frühere  vom  Vater  ausgestellte  Urkunde 
Bezug  genommen,  auf  die  sich  die  Söhne  nicht  mehr  berufen  dürfen. 

2)  Dagegen  scheint  sich  1.  17  f.  auf  die  Verfüguogsfreiheit  der  Beschenkten  zu 
beziehen.     And.  M.  Arangio  184  N.  —  Über  BGU  2,  48B  vgl.  dens.  179 f. 

3)  Ersteres:  Arch.  4,  130  (vgl.  oben).  Letzteres:  avyxcDQOvaa  fiera  r/;v  éavri^g 
leÄevtiiv  mit  è^ovaîa  nwÄetv,  vjioTi&ead^ai,  ôia&éad-ai  BGU  1,  251  a.  81;  1,  183  (3, 
71iJ)  a.  8n,  1.  25  (sämtlich  die  divisio  der  Satabous  betreuend].  Fragmentarisch  sind 
Oxy.  2.  265  a.  81-95,  1.  9—12.  20.  43—45;  BGU  1.  252  a.  98,  1.  lOff.  Sehr  wichtig 
dafür  ist  Cod.  .T.  2,  H,  15,  woran  mich  Herr  Hans  Lewald  treffend  erinnert. 


—     537     — 

gekehrt  mit  Mitteis  annehmen  will,  daß  die  divisio  parentis  inter  liberos 
der  Hauptzweck  war  und  nebenher  den  Anlaß  zur  Verbriefung  des 
Frauengüterrechts  bildete.')  Jedenfalls  ist  das  Formular  einer  Real- 
teilung hier  durch  Rückbehaltungsklauseln  zum  Testament  gestaltet  — 
offenbar  unpassenderweise,  da  zwar  eine  durch  den  Tod  befristete,  nicht 
aber  eine  widerrufliche  Vergabung  beabsichtigt  war.-)  BGÜ  1^  18.^  ist 
vom  yçaçpEîov  ausgefertigt  und  trägt  den  roten  Cbaragma-Stempel.  Aber 
daraus  folgt  nichts  für  die  Hegisirieru'ng  der  Verfügungen  der  Mütter.^) 
Endlich  bietet  uns  P.  Oxy.  4,  718  auch  noch  Nachrichten  über 
die  Auseinandersetzung  einer  Witwe  mit  den  Kindern  über  das  durch 
den  Ehevertrag  denselben  verfangene  V^atergut.  Die  Eltern  „verfingen" 
(xaxéoxov  1.  15)  den  Kindern  ihr  Vermögen,  offenbar  auf  die  uns  aus  CPR 
28  und  dem  Edikt  des  Mettius  Rufus^)  bekannte  Art.  Auch  in  diesem 
Stück  ist  nun  von  der  Mutter  erzählt,  daß  sie  euéçias  (1.  29)  gelegentlich 
der  Eheverträge  des  einen  Sohnes  und  der  Tochter;  d.  h.  ihnen  ihr 
Vermögen  abteilte,  sei  es  daß  sie  dazu  durch  den  eigenen  Ehevertrag 
schon  bei  Lebzeiten  verpflichtet  war,  oder  auch  nicht.  Ob  sie  aus  eigenem 
etwas  hinzutat,  ist  gleichgültig,  da  der  um  Verbuchung  seiner  y.ajoyj] 
nachsuchende  zweite  Sohn  mindestens  tut,  als  ob  al  ttjç  firjxQÖc  UQOvqai 
(1.  36,  cf.  24)  mit  dem  vom  Vater  hinterlassenen  Grundstück  (1.  22  tu 
avrov)  identisch  wären. 

So  liefern  uns  schon  jetzt  die  Papyrusurkunden  den  sprechenden 
Beweis  für  die  Vielgestaltigkeit  der  Geschäfte  —  unter  Lebenden  und 
von  Todeswegen,  unwiderruflich  und  widerruflich  —  die  unter  dem  Xamen 
der  Teilung  gehen. 

Ein  besonderes  Institut  ist  die  elterliche  Teilung  l)ei  hausgenossen- 
schaftlicher Verfassung  als  Ausfolgung  des  fiÉçoç  tojv  XQi]^iäjo)v,  und 
auch  in  anderen  Zuständen,  sofern  sie  erfrühte  Erbteilung  oder  Abfindung 
eines  Kindes  oder  Ausstattung  mit  Anrechnung  auf  den  Erbteil  darstellt. 


1)  Mitteis,  Hermes  30,  610f.,  der  weiter  eine  bis  zur  mütterlichen  Teilung  be- 
standene Hausgenossenschaft  vermutet.  Gegen  seine  Hypothese  Arangio-Ruiz,  216 — 8. 
Auch  letzterer  nimmt  aber  wenigstens  an,  es  handle  sich  um  eine  auf  der  Grundlage 
der  alten  ägj'ptischen  divisio  parentis  erwachsene  Rechtsbildung.  —  "Wenn  Mitteis  ferner 
wegen  des  oben  berührten  Testaments  des  Stotoetis  BGU  8ß  von  einem  Kampf  spricht, 
den  das  Testament  „mit  der  älteren  Form  der  divisio  parentis  zu  bestehen  hatte",  so 
möchte  ich  den  darin  enthaltenen  Gegensatz  zwischen  beiden  Instituten  minder  schroff 
ausdrücken  ;  aber  mit  Naber,  Mnemosyne  34,  65  N.  3  betreffs  des  höheren  Alters  der 
Divisio  fragen:  „Unde  datum  hoc  sentit?-  wird  künftig  wohl  niemand  mehr  wollen. 

2)  Andere  Ansichten  bei  Arangio-Ruiz  2 14  f. 

3)  And.  M.  Nietzold.  Ehe  in  Ägypten  75,  vgl.  35 — 40. 

i)  P.  Oxy.  2,  237  VID  35.  —  In  CPR.  1.  28  ist  1.  1  mit  Wilcken  Arch.  1.  491 
X.  1  zu  lesen  avyyQa(poôia&>iy.r,g,  und  1.  8  mit  Hunt,  Gott.  Gel.  Anz.  1897.  1.  464: 
'jBav  T£  fii]  y.TÀ. 


—     538     — 

Das  Recht  zur  Teilung  ergibt  sich  dort  aus  der  Verwaltung,  da  aus  dem 
Eigentum  des  Vaters.  Die  aus  gleichen  Wurzeln  stammende  Befugnis 
zur  letztwilligen  Teilungsanordnung  verliert  sich  in  entwickelteren  Verhält- 
nissen in  allgemeineren  Instituten;  doch  wird  sie  ihrer  Eigenart  halber  in 
der  Kaiserzeit  und  später  privilegiert.  Unterfällt  aber  auch  die  elterhche 
Zuwendung  weiter  zu  fassenden  Rechtsbegriffen,  so  hat  doch  ihre  dem 
affectus  paternus  entspringende  Häufigkeit  geschichtlich  auf  die  Ausbildung 
manches  Rechtsinstitutes  eingewirkt.  Der  Historiker  hat  daher  allen 
Grund,  ihr  in  der  Geschichte  unentgelthcher  Verfügungen  einen  ähnlichen 
hervorragenden  Platz  einzuräumen,  wie  ihn  die  Zuwendung  an  Heilig- 
tümer und  Kirchen  seit  langem  besitzt. 


University  of  British  Columbia  Library 

DUE  DATE 


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UNIVERSITY    OF    B  C     LIBRARY 


3  9424  01157  9346 


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