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Full text of "Führer durch den Concertsaal"

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FtfHRER 



DURCH DEN CONCERTSAAL 



VON 



HERMAM KRETZSCHMAR. 



I. ABTHEILUNG 



SINFONIE UND SUITE. 



ZWEITES TAUSEND. 



LEIPZIG 

A. G. LIEBESKIND 
1887. 



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VORWOET. 



I Bllr^ vorliegende >Fuhrer durch den Concert- 
lljEfll saal' ging aus einzelnen Aufsatzen her- 
vor, welehe ich im Laufe der Jahre iur die von 
niip geieiteten Coneerte geschrieben habe, urn 
die Zuhorer auf die Auffuhrungen unbekannter 
oder schwierig zu verstehender CompositioDen 
vorzubereiten, 

Fiir die Buchform sind diese Artikel um- 
gearbeitet und dahin vervollstiindigt worden, dass 
die erlauternden Werke in gesehichtlieher Folge 
erscheinen. Da Historic und Kritik unzertrenn- 
lich sind, wird man entsehuldigen, dass die Com- 
positionen und die Componisten auch beurtheilt 
werden. Ich hoffe jedoch mich in dieser Be- 
ziehung durchschnittlich in den gebotnen Grenzen 



iv.'^55441 



{^ehalten zu haben. Den ersten Gesichtspunkt 
fiir Aufnahme oder Weglassung, kiirzere oder 
ausfiihrlichere Behandlung der Werke und Kunst- 
ler bildete ihre Stellung im heutigen Repertoir, 
den zweiten ihre kunstgeschichtliche Bedeutung. 
Aus ersterem Grunde mussten unter anderen, 
einige Compositionen aus der jiingsten Gegen- 
wart zur Zeit noeh unberiicksichtigt bleiben. 



H. KretzschmaT. 





I. 
HSndel und Bach. 

Bintliezell der Sulie, Entwlckeiung der Slnfonie. 



vir nach den Anf3ngen uosrer hentigen Con- 
\ certmusjk fUr Orchester suchen, so mussen wir 
! betrachtliche Strecke zuriickwandem. Die 
altesten Nachrichten ilber die Existenz stsndiger, besol- 
deter oder sBbventionirter Orchester in Deutachland fiih- 
ren uns bis in das O. und U. Jahrhundert hinab. Ea 
sind um diese Zeit vomehmlich die reichen Handelsstadte, 
welche die wild und frei herumstreifenden Pfeifergesellen 
in geordnete VerbSnde zusaramenfassen und in ehrbaren 
zunftahnlichen Fonnen sesahaft und nutzbar machen. 
Das offentliche Leben hot mannigfache Verwendung fur 
die Kiinste der Spielieute: feierliche Feste mit Aufzugen 
undReden; Hochzeiten, Tanfen und Ehrentage im Kreise 
wohlhabender Familien; Tanz und Re^en auf grflnem 
Hag, im Saal und auf der Tenne. Des Soantags, oder 
auch bei andem guten Gelegenheiten, war die Bande von 
Rathswegeu zu einer passenden Tagesstunde auf den 
Plan vor der Stadt entboten, urn allem Volk, das zu hSren 
begehrte, aufzuspielen was scb5n und angebracht war. 












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Im Repertoir jener mittelalterlichen Orchester mag 
die Festmusik den schwachsten Theil gebildet haben. Sie 
nahm wahrscheinlich ihren Ausgang von einfachen Fan- 
faren, welche erst im Laufe der Zeit harmonisirt und zu 
kurzen Toccaten ahnlicher Art ausgebildet wurden, wie 
noch Monteverde eine seiner Oper Orfeo im Jahre 1607 
Senate. als Ouverture vorausschickte. Den Hauptspielstoff fiir 
ernste und feierliche Zwecke bildeten ubertragene Chor- 
stiicke : Motetten und ahnliche Kirchensatze. Diesen Ur- 
sprung tragt auch die Orchestersonate Gabrieli's 
noch deutlich an der Stirn, der wir um das Jahr 1600 
zuerst begegnen und welche die Musikgeschichte als eine 
der altesten kunstm^ssig entwickelten Formen selbstan- 
diger -Instrumentalmusik bezeichnet. Giovanni Gabrieli 
hat sie besonders ausgebildet und eingebiirgert. Die 
Normalgestalt, welche er ihr gab, war dreigliederig. Unter 
diesen drei Satzen ist der erste entschieden bevorzugt; 
der zweite oder der dritte, oft auch beide, sind in der 
Kegel mit rudiment^rer Kurze behandelt. Der Charakter 
dieser Sonate ist ein feierlicher: einfach sind die Har- 
monien, gemessen die Rhythmen. Das Orchester ist mit 
venetianischer Splendiditat in Chore getheilt, welche anti- 
phonisch, wie in Frage und Antwort, in Ruf und Echo, 
das plastische Grundmotiv des Satzes heriiber- und hin- 
ubertragen. Die Orchestersonate verband sich schon 
nach einigen Jahrzehnten mit ihrem gleichfalls noch 
jugendlichen Alters- und Landesgenossen : dem italie- 
nischen Musikdrama. Bei ihm erhielt sie eine nicht un- 
bedeutende Entwickelung, den neuen Namen Sinfonia 
und ein frShlicheres leichteres Wesen. 

Der kraftige kiinstlerische Zug, welcher durch das 
16. Jahrhundert ging, fiihrte der Orchestermusik ziemUch 
gleichzeitig mit der Sonate eine andere grosse Kunstform 
zu, die jener fiir eine geraume Weile an Popularitat und 
praktischer Verwendung sogar voranstand. Das ist die 
Suite. Suite. Die Sonate war ursprunglich das Galastiick der 
Orchester, die Suite ihr Hauskleid. Die Suite ist eine 
volksthiimliche Schopfung; sie gleicht einem Strausschen 






i 

4. 



aus Feldblumen : Tanze und Liedweisen bringt sie locker 
zusammengebunden in einer kunstlerischen Form, deren 
signer Werth sich fast auf Null reducirt. Schlicht, be- 
quem und einfach ist in der altesten Zeit Stiick an Stiick 
gereiht. Den theoretischen Faden, welcher die Theile, oft 
eine sehr grosse Menge, zusammenhalt, bildet die Gemein- 
samkeit der Tonart. Der Inhalt ist lauter Natur, herz- 
liche, natiirliche, Jedwedem verstandliche und liebe 
Musik. 

Die goldne Zeit des Volksliedes und des Tanzes darf 
man nicht in der Gegenwart suchen. Das Mittelalter 
war in diesen Gattungen unvergleichlich productive! und 
verfiigte namentlich iiber einen Reichthum und eine 
Mannigfaltigkeit verschiedener Charaktertanze, von denen 
sieben Acl^^^ute ausgestorben sind. Alle Culturvolker 
Europas steuerten zu diesem Schatze, obenan Frankreich. 
Dieses und unser deutsches Land haben auch an der 
kiinstlerischen Entwickelung der Suite das erste Autor- 
recht. Die Franzosen durfen fiir die Ausbildung dieser 
Musikart auf dem Clavier den erlauchten Namen Coup- 
erins anfiihren; den Deutschen kommt aber allem An- 
scheine nach das Verdienst zu die Suite ins Orchester ge- 
'bracht zu haben. Zu den altesten deutschen Orchester- 
suiten gehort des Frankfurter Perzelius «blasende Musik«. 
Die Spielleute nannten bis in die Mitte des 4 8. Jahr- 
hunderts ihre Orchestersuiten Parti en. In der ersten 
Zeit sind die Suiten oder Partien fiir Blasinstrumente 
geschrieben; die Orchester concertirten hauptsach- 
lich im Freien und waren noch weit davon ab auch 
fiir diese Zwecke die Fiihrerschaft der eben erst empor- 
strebenden Violine anzuerkennen. Die Zahl der Satze 
in der Suite ist ziemlich willkiirlich, unter vier geht sie 
jedoch nicht. Auch fiir die Folge der Satze giebt es 
keine bestimmten Regeln, Der eine Herausgeber liebt 
den vermittelnden Anschluss, der andere den Contrast. 
Nur darin setzte sich eine gewisse Tradition fest, dass 
am Ende der Suite ein sehr flotter, lustiger Satz stand, 
und dass ihr auch ein langsamer ernst sinnender oder 



singender Theil nicht fehlen durfte. Mit der Zeit bertihr- 
ten sich Sinfonia (oder Sonata) und Suite vielfach. Die 
Satze der Suite streifen den Tanzcharakter ab und stellen 
sich auf den thematischen Fuss, welcher allmahlig dem 
ersten Satze der Senate eigen wurde. Auf der andern Seite 
finden wir viele Sinfonien fiir Concert und Opernge- 
brauch geschrieben, die nach Zahl und Charakter der 
einzelnen S^tze nur Suiten sind. Nicht bios mit der 
Rechtschreibung, sondem auch mit der Begriffsbestim- 
mung, Nomenclatur und Terminologie hielten es unsere 
AltvoTjier;! ziemHch frei. 

^*^' Unser heutiges Concertrepertoir, welches in der 
Kammermusik mit vielerlei dankenswerthen »Ausgra- 
bungen« bereichert ist, pflegt bisher in der Orchester- 
litteratur nicht iiber Handel und Bach riickwarts zu drin- 
gen. Gewiss wiirden die Werke der Zeitgenossen und 
Vorganger dieser Meister manche frische, erfreuliche 
Orchesternummer bieten. Aus den Opern des grossen 
Franzosen Rameau z. B. lassen sich reizende Suiten mit 
origineller Instrumentation zusammenstellen ; Alessandro 
Scarlatti's Opern haben einleitende Sinfonien in drei- 
satziger Form, die in ihrer feurigen, flotten Keckheit auch 
die Kritiker des 19. Jahrhunderts elektrisiren konnten. 
In Anbetracht dessen aber, dass vor wenigen Jahrzehnten 
noch auch Handel und Bach als Orchestercomponisten 
bei den Todten lagen, gilt es dankbar zu sein und sich 
mit weiteren Wiinschen zu bescheiden. 

Von Handel sind es die Concerti grossi, von Bach 
die Orchestersuiten in Ddur undHmoU, welchen wir 
zuweilen, seltener oder haufiger, auf den Programmen 
der Orchesterinstitute begegnen. 

Das Concert kam zuerst auf vocalem Gebiete auf. 
Lodovico Via dan a, der bekannte romische Componist, 
veroffentlichte im Jahre 1602 in Venedig seine hundert 
geistlichen » Concerte «, welche den Zweck batten den da- 
mals neuen und noch in der Bildung begriffenen Styl 
des begleiteteh Sologesangs in die mehrstimmige Ge- 
sangsmusik einzufuhren. Zun^chst fur den kirchlichen 



5 

Gebrauch bestimmt, erhielt dieses Singconcert den 
Namen: concerto di chiesa. Angeregt durch das vocale 
Beispiel, vervollkommneten sich im 17. Jahrhundert auch 
die Instrumente in der technischen Virtuositat, bildeten 
das Solospiel aus und bemSchtigten sich gleichfalls der 
Concertfonn. Zunachst nur fiir die Kammermusik, wes- 
halb das Spielconcert, um dessen festere Gestaltung Giu- 
seppe Torelli verdient ist, auch das concerto di camera 
genannt wurde. Bald folgten ihm auch Concerte fiir 
Orchester. Die ersten erschienen von Core Hi im Jahre 
1712 unter dem Titel Concerti grossi* In diesen wechselt 
nicht ein einzelner Solist mit dem Tutti, sondern ein 
Ensemble von Solisten, welche das sogenannte »Concertino« 
bilden, mit dem Chor der Orchesterinstrumente, welcher 
»Concerto« oder «Concerto grosso« heisst. Diese Bezeich- 
nung der grossen Masse als » Concerto « lasst darauf 
i schliessen, dass auch die im Tutti angestellten Stimmen, 

die Ripienisten, wie sie gewohnlich heissen, im gleichen 

• Style beschaftigt waren wie die Sohsten. Das ist auch 

thatsachlich der Fall : das Concerto grosso und das Con- 

s certino haben dieselben Motive und dieselben Schwierig- 

^ keiten. Die Vertreter des Concertino brillirten Allen vor- 

' aus, aber auch fiir das Concerto grosso bleibt ein dritter 

Factor, dem gegeniiber es sich hervorthut. Das ist das 

bescheidene Cembalo, welches im Hintergrunde einfach 

die Harmonien entweder unterstiitzt oder ganz allein 

• . tragt, iiber welche Concertino und Concerto grosso in 

glanzenden Linien hinwegschweifen. Das Cembalo spielt 
die Rolle des Aschenbrodel in der alten Musik, allezeit 
unscheinbar und allezeit unentbehrlich ! Nicht einmal 
ausgeschrieben wurde seine wichtige Partie, sondern nur 
in der Bassstimme skizzirt. Das ist der beriihmte Basso 
continuo 1 

In Han dels » Concerti grossia besteht das Concertino Hftadel 
aus einer ersten, einer zweiten Solovioline und Solocello. Concert! grossi. 
Anderwarts kommen andere Besetzungen fiir das Concer- 
tino vor, aber ein dreistimmiges Ensemble war immer das 
b eliebteste. Als das Trio von 2 Hoboen und Fagott drang 



das Concertino aus den Concerten hiniiber in die Sin- 
fonien und Ouverturen. Die Franzosen lieben ein Con- 
certino von 2 Floten oder 2 Oboen als Oberstimmen und 
als Bass dazu den Chor der Violinen im Unisono gefiihrt. 
Von diesem franzosischen Concertino hat unter anderen 
S. Bach in dem »Et resurrexit« seiner Hmoll-Messe — 
Floten und Oboen combinirend — einen grossartigen Ge- 
brauch gemacht* 

Die gewohnliche Form des Concerts ist in der alten 
Zeit, so wie heute noch, die dreisatzige. Handels Con- 
certi grossi weichen davon ab und nahern sich in der 
Zahl der Satze, die durchschnittlich 4 — 6 betragt, der 
Suite. Doch stehen die Satze nicht wie in der Suite in 
derselben Tonart, auch sind nur wenige declarirte Tanz- 
formen darunter: eine Polonaise im vierten Concert, ein 
Menuett im sechsten, im siebenten der schottische Horn- 
pipe, im achten Allemande und Siciliana, im neunten 
Menuett und Gigue. Fremd sind der Suite ebenso die 
vielen langsamen Satze, die thematisch ausgeftihrten und 
oft fugirten Allegri, wie wir sie in diesen Handel'schen 
Concerten finden. In ihrer Combination von Suiten- und 
Sonatenwesen bildeten Handels Concerti grossi eine neue 
und ungewohnte Erscheinung, und diesem Umstande mag 
es zuzuschreiben sein, dass die Zeitgenossen diese Werke 
anfangs hinter ahnliche Arbeiten von Corelli und dem 
Programmcomponisten Geminiani zuriickstellen wollten. 
Bald aber waren sie die Lieblingsnummern der Londoner 
Musikfreunde, die sich in den schonen Garten von Mary- 
lebone und Vauxhall (wo schon im Jahre 4 738 eine Sta- 
tue Handels aufgestellt wurde) zusammenfanden. 

Handel schrieb seine Concerti grossi, ^ 2 an der Zahl, 
im September und October 4 739; im nachsten April er- 
schienen sie gedruckt. Man kann ihnen in manchen 
Theilen die schnelle Entstehung anmerken. Namentlich 
mit der virtuosen Partie hat es sich Handel durchschnitt- 
lich sehr leicht gemacht. Sie enthalt Unbedeutendes, 
Fliichtiges und Wiederholungen die Menge. Vor 4 50 Jahren 
bereits ohne Anspruch auf Originalitat hingeworfen, ist 



das Figurenwerk dieser Concerte heute zum grossten 
Theile veraltet. Wenn sich aber ein wirklicher Meister 
einmal gehen lasst, so hat das auch seine guten Seiten. 
Es blitzt und spriiht in diesen Concerten von kecken 
Einfailen und ein hinreissender Uebermuth leitet Erfin- 
dung und Ausfiihrung. Auch wo sich der Componist in 
blossen Spiel- und Klangversuchen ausruht, packt ihn 
plotzlich das Genie, und da, wo er wirkliche Gedanken 
aussprechen will, erscheinen sie in einer Frische und 
Ungenirtheit , die etwas Jugendliches hat. Die Mannig- 
faltigkeit der Tongedanken, die Klarheit und Entschieden- 
heit der Stimmungen, die Uebersichtlichkeit und Einfach- 
heit der Formen, eine ungekiinstelte gesunde Musiknatur 
ist diesen Concerten alien eigen. Unter einander zeigen 
sie verschiedenen Werth. Als die vorziiglichsten durfen 
wir das 4., 2., das 6. und 8. hervorheben. 

Das erste steht in Gdur und hat fiinf Satze. Der Hfindel 
einleitende hat eine freie Fantasienform. Ein rauschendes c. g. Nr. i . 

Allegro. _ Soli 

Concertmotiy 4 t 'V** S"2 1 n Jjl ^ T erSffnet ihn. 

Nach 6 Tacten macht es dem Concertino Platz, das eine 
schwarmerisch liebenswiirdige Gesangmelodie anstimmt: 

Ihr wehmiithigerBei- 




keit 



klang wird am Schluss zum Grundton des Satzes. Eigen- 
thiimlich fragend und ernst klingen seine letzten Tacte aus. 
Der folgende zweite Satz antwortet in Kraft und Frohlich- 

^ • Allegro. . , _ 

: ^^fi r JiJSJ J)l|'rrp Jg ^ und stent die- 

sem Hauptgedanken eine bequem beschauliche Betrach- 
tung zur Seite, die formell auf Harmonie und Figuren- 
elementen ruht. Der dritte Satz (E moll 3/4) ist ausgespro- 
chen elegischen Charakters: Die Soloviolinen setzen ein 

Adagi o. , , 1 , 

jlia I J j \ j'f ^ \f^ r ir r ^ . dasTutUschUesst 



8 



diePeriode ab mit: r" P I TJ^ T Cf I f ■ Aehnlich geht 



in Gesprachsweise der Satz weiter. Der Concertcharakter 
kommt in dieser Elegie in besonders klaren und einfachen 
Ziigen zum Ausdruck. Abgeschlossen wird er durch eine 
aiiffallende Trugcadenz, an die sich ein nur vier Tacte 
langes, aber doch viel sagendes Adagio kniipft. Wir begeg- 
ne;i derselben frappanten Form der Gedankenentwickelung 
noch 6fters in diesen Concerten. Sie wirkt, in den Fluss 
des Ganzen plotzlich hineingeworfen , recitativartig und 
bringt deutlicber als andere Elemente zur Auschauung, 
was sich Handel mit diesen Concerten dachte : grosse 
Stimmungsbilder in geschlossenen, aber so frei und locker 
gehaltenen Formen, dass jede Regung des Augenblicks 
darin ein Piatzchen Mnde. Der anschliessende vierte 
Satz ist eine dreistimmige Fuge iiber folgendes Thema: 

Allegro. 

Jji N ' I u ' lr i I I 'll irr^^^ rfifj i, i i 

Sie ist reich mit ruhigeren Episoden ausgestattet, die 
zum Theil das Concertino allein vortragt. Auch sie 
macht am Schlusse einen jener rhapsodischen Gedanken- 
sprunge, von denen eben gesprochen wufde: Wie im 
letzten Ansturm kommen die Instrumente alle im gewal- 
tigen Forte mit dem Thema einhergeschritten. Da mitten 
drin brechen sie ab: Generalpause — lange Fermate 
und nun: schalkhaft ganz im pp der fehlende Schluss! 
Das Finale, der fiinfte Satz, ist etwas derb gehalten: 




Dieser sturmischen Gesellschaft des Concerto grosso 
treten die Soloviolinen als die liebenswurdigen entgegen : 




HftEdel Das zweite Concert [Fdur, vier Satze) ist eins 

c. g. Nr. 2. ^ej. eiridringlichsten und kiirzesten. Handel hat sich das- 



selbe als eine Composition aus nur zwei Abtheilungen 
bestehend gedacht: Nach den Schlussmodulationen zu 
urtheilen geht der erste Satz ohne Pause in den zweiten, 
der dritte in den vierten iiber. Die erste Abtheilung ist 
in der Stimmung erregter, die zweite — wie jene aus 
langsamen Satz und Allegro gebildet — ist mehr gefasst 
und gesammelt. Das Ganze gleicht einem schdnen Herbst- 
tage, mit einem Morgen, wo die Sonne noch gegen einige 
Nebel kampft, einem Tag mit lustigem Wandern, mit 
Ruhen und Traumen im Waldesgriin, und mit dankbar, 
rustig und glucklich gestimmten Stunden der Heimkehr. 
Ein prachtig frommer Zug liegt iiber dem ersten, dritten 
und vierten Satz; der Ausgelassenheit des zweiten kann 
man nicht viel an der Seite stellen. In der Tendenz und 
auch in Einzelheiten erinnert er direct an das Finale von 
Bethovens achter Sinfonie. Wie schade dass dieses Con- 
cert so wenig gekannt ist! Zum Anhalt geben wir die 
wichtigsten Themen. Dem ersten Satze liegt folgende 
gemiithvoUe Melodie des grossen Chors zu Grunde 



jl >> H P I C? f ^ J^* nT*^ P^ ^ ^ - ^^^ Concertino 



schmiegt sich ihm anfangs traulich an mit y |^ plif"^ : . 

Gegen das Ende bin hat es aber Handel aus dem Auge 
verloren. Im zweiten Satze (Dmoll) wird der Spielfertigkeit 
der Geiger mit dem ausgelassen dahin tanzelnden 

^HiyrcFr ^ fpfrrrrrpr^nr j schon etwas zu- 



gemuthet ; noch mehr mit dem kleinen Figurensturm, der 
sich daran knupft. Der dritte Satz ist eine der anmuthig- 
sten Idyllen ernst freundlichen Charakters. Da sitzt der 
Dichter in tandelndem Traumen, aus dem ihn plotzlich 
ein tiefer Herzenston weckt. Dann ziehen wie in weiter 
Entfernung Bilder der Erinnerung vorbei. Alles ist kurz 
gehalten: auf iO Tacte wechseln 3 Tempi: Largo, Adagio 
und larghetto andante! Den Beschluss des Concerts 
bildet eine wohlgemuthe Fuge iiber das Thema 



10 



H&ndel 
C. g. Nr. 3. 



ji'' J r ^ J Ij f 1 iJT^'^r-''' - nir Eindruck beruht 

weniger auf diesem und seiner Durchftihrung, als dem 
Eintritt einer scharf dazu contrastirenden Episode, in 
welcher wieder leiser Gesang von feme voriiberschwebt. 
Das VordrSngen von Elementen edler Sentimentalitat ist 
bezeichnend fiir dieses Concert. Mehr als sonst scheint 
hier die Fantasie des Componisten aus seinem eigenen 
Leben geschopft zu haben. 

Das dritte Concert (E moll^ fiinf Satze) halt sich 
nach alien Richtungen, die es einschlagt, mehr im Bereich 
des Conventionellen. Die Zuge, welche seine Individua- 
litat ausmachen, sind im Wesentlichen ausserlicher Natur. 
Dahin gehort die fiir die Beantwortung sehr schwierige 
Intervallenfolge g dis c im Fugenthema des zweiten Satzes : 

Andante. 

m w * I \^f' r p' i ^ J • ! JjS^ , dahin auch die stark vor- 

geschobene Verwendung massiver Unisono-Effecte im drit- 
ten Satze (Allegro), Der erfreulichste Theil dieses Concertes 
ist der vierte Satz, eine Polonaise , in deren trippelndem 
Thema die ganze zimperliche Graziositat der Roccocozeit 



leibhaftigvorunssteht: ^ ' S J fJr LT ' I" rTTf 1 p 



Hfindel Unter den vier Satzen des vierten Concerts 

c. g. Nr. 4. {A molll) ragen die beiden letzten in Bezug auf Erfindung 

iiber die ersteren weg. Namentlich der letzte hat in der 

launigen Gemachlichkeit seines Grundthema einen gut- 

miithig originellen Zug: 



jit ^ ui i >J^ 



m 




,J »r f r i Tr* rfuplrrr^f rnf r . Belde Allegro- 

etc. 



Handel 
C. g. Nr. 5. 



satze dieses Concerts sind sehr breit ausgefiihrt. Das 
Concertino kommt wenig zur Geltung, in den langsamen 
Satzen ist es ganz iibergangen. 

Das fiinfte Concert {D dur^ sechs Satze) weist in 



ejnzelnen Zugen auf Handels Freund hin» den Clavier- 
componisten Domenico Scarlatti. Die Scarlattischen 
Ziige finden sich namentlich in den trotzig fidelen Uni- 
sonostellen der Geigen im funften Satze (Allegretto C) 
und im dritten Satze, einem flott dahin wirbelnden Presto, 
welches sich zum Vortrag als Einzelnummer sehr gut 
eignet und auch in das allermodernste Programm ganz 
gut hineinpasst. Beide Satze sind im einfach homo- 
phonen Style gehalten. Der einzige fugirte Satz, welcher 
in diesem Concert vorkommt, ist das erste Allegro: 

^l|«" rrf rrrfrfffJ iLf ^ftr . Er hangt mit dem 

einleitenden Theile aufs Engste zusammen und bildet mit 
ihm eine sogenannte franzosische Ouverture ohne dritten 
Theil. Man weiss, dass Handel seinen Concerti grossi noch 
Oboen beizufiigen beabsichtigte ; die schmettemden Mo- 
tive der Violinen, der theatralische Pomp in Klang und 
Aufbau lassen fast vermuthen, dass ihm fiir diese Ein- 
leitung zum funften Concert auch Trompeten vorgeschwebt 
haben. 

Das sechste Concert (G moll) gilt als das schonste Hftndel | 
der ganzen Sammlung. Wie Bumey erzahlt, stand na- c. g. Nr. 6. 
mentlich der dritte Satz desselben, die Musette, bestandig 
in der Gunst des Publicums wie des Componisten und 
wurde von Handel oft zwischeh die zwei Theile seiner 
Oratorien eingeschoben. Der Name Musette, d. i. zu 
deutsch: Dudelsackstuckchen , ist ein liebenswurdiger 
Scherz. Thatsachlich ist das Stuck etwas viel Hoheres: 
ein geniales, eigenartiges Kunstwerk in der Rondo f orm ; 
ein Tongemalde, auf welchem eine Gruppe reizender, cha- 
raktervoller Festscenen aus dem Volksleben — schelmisch 
heiter die einen, pathetisch die anderen — voriiberzieht, 
die in dem refrainartig wiederkehrenden Hauptsatz: 

^ , Largnetto. 

ihren Mittelpunkt finden. Den Musettenton streift dieser 
nur in dem einige Tacte fortklingenden Bass; was ihn 




auszeichnet und einpragt, ist das warme Colorit der tiefen 
Saiten. Eingeleitet wird das sechste Concert durch eins 
der schonsten Larghetti, welches wir aus der alteren Zeit 
besitzen. Handel bezeichnet es selbst als »affetuoso». 
Es eroffnet einen Blick in das Innere einer edlen Seele, 
die in einer bewegten Stunde mit der Melancholie kampft 
und schwere Fragen aufwirft. Welche Unmittelbarkeit 
in dem ganz unerwarteten harten Trugschluss des zweiten 
Tutti! Der zweite Satz: (Allegro ma non troppo) halt an 
der triiben Stimmung noch fest und erganzt, wie formell, 
so auch inhaltlich den ersten. Sein Thema gehort zu 
denjenigen, welche der Fugenform besondere Schwie- 

. Allerro hon troppo. 

rigkeiten darbieten : A ►'^^ f 'fV If ^f f f 1 ^ - Nach der 



Musette haben sich die Wolken zerstreut; da steht ein 
Allegro vor uns, das ganz in riistige Kraft getaucht ist, 
und der Schlusssatz lasst der aufgeraumtesten Heiterkeit 
das Wort. Leicht und kurz gehalten, wie er ist, entspricht 
er nicht den modernen Begriffen eines Finale. Dem 
ausseren Effect kommt es zu Gute, wenn man ihn, wie 
dies bei neueren Auffiihrungen haufig geschieht, mit dem 
vierten Satze den Platz wechseln lasst; dem Ideengang 
aber, welchen Handel in dieser Suite offenbar .verfolgte, 
wird dadurch die Spitze abgebrochen. 

Dem Reiz, welchen schwierige Aufgaben des Satzes 

auf einen seiner Kraft bewussten Tonsetzer auszuuben 

Hftndel pflegen, hat Handel in dem siebenten Concerte {B dur, 

c. g. Nr. 7. vier Satze) sich besonders ersichtlich hingegeben. Der 

erste Satz bringt nach kurzer Einleitung eine Fuge liber 

folgendes seltsame Thema: 

Allegro. 




Dass Handel zu solchen naturalistischen Bildungen neigt, 
kann man in alien seinen Werken bis in den Messias 
hinein (»Alle Gewalt etc.«) verfolgen. Die Trager des Thema 
sind zun3,chst die zweiten Violinen. Damit es aber mach- 



13 ^ 

tiger klingt, hat es Handel von den ersten, die Gewehr 
bei Fuss auf den nachsten.Einsatz warten soUten, mit- 
spielen lassen. Ein zweites Bravourstiick der Satzkunst 
hat Handel in dem Schlusssatze dieses Concertes ge- 
leistet, wo er versuchte, was sich iiber dem monotonen 
Rhythmus eines Hornpipe aufbauen liess, und es wirklich 
auch zu einem, manchmal grotesken, im Ganzen aber 
doch manigfaltigen, Aufzug von 56 Tripeltacten brachte. 
Das Solistenensemble tritt in diesem ganzen CQncert nir- 
gends selbstandig auf. 

Das achte Concert (CwioW, sechs Satze) ist eins Hfindel 
der am sorgfaltigsten gearbeiteten. Namentlich der dritte c. g. Nr. 8. 
Satz (Andante allegro) und der ftinfte (Sicihana) prasen- 
tiren sich in dieser Beziehung sehr stattlich. In beiden 
ruht der geistige Gehalt auf der Ineinanderfiihrung ver- 
schiedener Themen: im ersten wird eine sanguinisch ge- 
dehnte Melodie von einem cholerischen kurzen Motiv 
bald neckisch umflattert, bald ernstlich in ihren Bahnen 
gestort; in der Siciliana bringen die Solo vio linen Guir- 
landen und Blumen herbei, die holde Gestalt des Haupt- 
themas zu schmiicken. Die das Concert einleitende AUe- 
mande hat am Schlusse ihrer Satze frappante Trugcaden- 
zen, der Schlusssatz des Concerts einen ausgesprochenen 



Tanzcharakter : i \}'\. ^ fi ^^ ^ ) I ^ [J 1^ • ^^^ 



langsamen Satze (Grave und Adagio) dienen nur zur 
Ueberleitung. 

Imneunten Concert (F dwr, sechs Satze) lasst sich Handel 
der Componist in der Erfindung etwas gehen. In dem sehr c. g. Nr. 9. 
langen Hauptsatze des Werkes, dem ersten Allegro, sticht 
nur der Schluss hervor: der, ebenso unerwartet als an- 
muthig, ein leises Spiel mit einem bescheidenen Nebenmotiv 
einschiebt. Die interessantesten Satze sind das zweite 
Larghetto mit dem charakteristischen siidlichen Rhythmus 

Larghetto. _ t 

im Thema ^mMTpr i r-TfJ^ I JlJ JJllfrr 



etc 



-* H -»>- 

und die das Finale bildende Gigue, der eine AUerwelts- 
melodie damaliger Zeit zu Grunde liegt: 



iniiiirrrrrif 




Hftndel Das zehnte Concert [D moll^ fiinf Satze) wird mit 

c. g. Nr. 10. einer regelrechten dreisatzigen Iranzosischen Ouvertiire 
eroffnet, die auch als solche declarirt ist. Die franzo- 
sische Ouvertiire, welcher im Verlaufe dieser Be- 
schreibung bereits wiederholt Erwahnung geschah, ist ein 
Abkommling der alten Gabrielischen Senate und dreitheilig 
wie diese. Eingang und Schluss sind langsame Satze, in 
der Mitte steht ein fugirtes Allegro, welches den wich- 
tigsten Theil der Ouverture bildet. Der erste langsame 
Satz hat immer einen sehr spannenden und feierlichen 
Charakter : allarmirende Rhythmen und in sausenden Zwei- 
unddreissigstelfiguren einherglanzenden Geigenklang. LuUy , 
der diesen Typus feststellte, dachte an den koniglichen 
Zuhorer. Der dritte Satz ist in der Kegel sehr kurz, fallt 
auch ganz weg, wie das z. B. bei der Ouvertiire zu 
Handels fiinftem Concert der Fall ist. Der franzosischen 
Ouvertiire steht die italienische gegeniiber. Auch sie 
ist dreisatzig; aber in anderer Anordnung. Sie wird mit 
einem Allegro eroffnet und schliesst mit einem solchen, 
in der Mitte steht ein langsamer Satz, meist idyllischen 
Charakters. Die Gravitat der franzosischen Ouvertiire 
ist diesem italienischen Gebilde ganz fremd: es neigt zum 
Heiteren. Der letzte Satz jagt in ^/g und 12/8 voriiber wie 
eine Taran telle en miniature ; das Hauptgewicht liegt auf 
dem ersten Allegro, das froh und lebendig in freudevoUe 
Regionen eindringt. 

Ausser der franzosischen Ouvertiire hat Handel in 
diesem zehnten Concert noch andere Elemente angebracht, 
die darauf schliessen lassen, dass er iA diesem Werke 
den Charakter der franzosischen Suite wollte durchblicken 
lassen. Es sind dies die Haltung und Benennung des der 
Ouvertiire folgenden langsamen Satzes als »Air« und 
die Benutzung der Yariationenform fiir den Schlusssatz. 



-<^ 15 -ft^ 

Dieser ist im Contrast zu dem vorausgehenden sehr 
langen contrapunctischen DmoUsatz im einfachsten Tanz- 
style und D dur gehalten. Handel liebt es, seinen Zu- 
horern auf den Nachhauseweg eine freundliche Kleinig- 
keit mitzugeben. 

Das elfte Concert (i4 dur) besteht — nimmt man zu- Hftndel 
sammen was zusammen gehort — aus nur drei Satzen. Der c. g. Nr. u. 
erste folgt frei dem Schema der franzosischen Ouvertiire. 
Sein Einleitungstheil (Andante larghetto) praludirt und fan- 
tasirt sehr ungezwungen, geht rein virtuosen Einf alien und 
Spieleffecten nach und streift das Gebiet des Unstaten. Die 
abschliessende Fuge mit einem Thema vol! des gemiith- 

lichsten Humors: ^'Hy tif VP r f r F ' r f r T '^ f ''^^ 



ist sehr kurz abgethan. 

Der zweite Satz des Concerts, durch einige Tacte 
Largo eingeleitet, gleicht in der Anlage und in der Natur 
seines Hauptthemas der herrlichen Musette des sechsten 
Concerts einigermassen, bleibt aber in der Gesammtwir- 
kung bedeutend hinter ihr zuruck, da die Zwischensatze 
nur aufs Virtuose basirt sind. Der letzte Satz ist ganz 
und gar ein lustiges Concert, dem die Form der grossen 
Arie zu Grunde liegt. Es ist eine reizende Gesellschaft : 
die gute Laune spriiht in Trillern, Capricen und langeren 
Ergiissen der Bravour, und der allgemeine Ausdruck der 
Frohlichkeit in demselben kernigen Thema halt alle diese 
kleinen Scenen zusammen. 

Das zwolfte Concert [H moll) hat wieder einen Handel 
Eingang aus zwei Satzen bestehend: Largo und Allegro, c. g. Nr. 12. 
In demselben reizt namentlich das liebenswurdig flotte 
Hauptthema des schnellen Satzes: 

AllCg-ro^^ ^ _ _ _ 2.Viol. 

^ V ^^if f ■ 

l.Viol. 

Der zweite Satz (Larghetto) wird von einer jener 
bei aller Tiefe und Warme doch ureinfachen und klaren 
Melodien getragen, die eine Eigenthiimlichkeit der Hsln- 




-^ 16 



Handel 
Oboenconcerte 



H&ndel 
Feuermnsik 



del'schen Kunst sind. "Wieder begegnen wir hier in der 
Ausfuhrung des Gedankens der Variationenform. Dem 
Schlussallegro, das in bester Stimmung dahinhtipft: 



<6 ' i i H r J ri f J r' j ' '"J f'-f r'T t; : ; '"-J^^ f j t = 



geht ein kurzes, halbverhuUt einherschwebendes Largo vor- 
aus, das durch die Art wie es anfangt — mit einer 
freien Dissonanz — besonders eigenthumlich erscheint. 

Yon sammtlichen zwolf Concerten ist heute das 
sechste das popul&rste. Mit ihm hat die ganze Gattung 
ihren Einzug in das Musikleben wieder begonnen. Es 
steht mit den anderen im [zehnten Jahresbande der 
Handelgesellschaft. Ausserdem hat Ferd. David von ihm 
eine Separatausgabe veranstaltet, welche in der Nuanci- 
rung manche willkommene ErgSnzungen bietet," aber auch 
manchen Missgriff begeht. Zu wunschen ware die Ver- 
breitung dieser frischen Musik in guten Clavierausztigen. 

Neben den »Concerti grossi« kommt Handel als Or- 
chestercomponist noch mit den Oboenconcerten und 
mit der Feuer- und Wassermusik in Betracht. Die 
Oboenconcerte sind ahnlich wie die Concerti grossi Cyclen, 
die zwischen [der Sinfonie und der Suite stehen. Ihre 
Orchesterbesetzung ist diirftiger und das Cembalo spielt 
bei ihrer Ausfuhrung eine wichtigere RoUe. Es sind nicht 
— wie man nach dem Namen schliessen konnte — Con- 
certe fur die Oboe. Handel hat dieses sein Lieblings- 
instrument den Violinen nur zur Verstarkung mit bei- 
gegeben; eine selbstandige SolistenroUe erhalt es in ein- 
zelnen schonen gesangvoUen Largos. Die Wasser- und 
die Feuermusik sind Serenaden in Suitenform ohne her- 
vorragenden Charakter. Ihre Entstehungsgeschichte hat 
sie bekannt gemacht. Die Feuermusik kam bei einem 
Hoffest, das sich durch ein brillantes Feuerwerk aus- 
zeichnete, am 27. April 4 749, zur ersten Auffiihrung. Was 
den Londonern an der Musik gefiel, war die ausseror- 
dentlich starke Besetzung der Blasinstrumente. Handel 
hat in diesem Falle einzelnen Satzen der Suite in fran- 



-* 



17 



zSsischer Art Ueberschriften gegeben: »La paix«, »la 
r^jouissance «. Die Wassermusik, eine Suite von nicht Handel 
weniger als 25 kleinen Stucken, ist mit einer Anecdote Wassermiiflik. 
verkniipft: Freunde Han dels, der bei Georg I. in Ungnade 
gefallen war, veranlassten , dass der Konig bei einer 
abendlichen Vergnugungsfahrt auf der Themse mit dieser 
Musik iiberrascht wurde. Der K6nig errieth den Ver- 
fasser dieser vielstimmigen Ovation und wendete dem 
Componisten seine Huld von Neuem zu. 

Wenn Einer von den vielen Kunstmusikern, die sich 
von der Mitte des 4 7. Jahrhunderts ab der Suite zuwen- 
deten, berufen war in dieser von Hause aus so volks- 
massigen Gattung etwas Ausgezeichnetes zu leisten, so 
war es sicherlich Seb. Bach, dessen Familie, durch die 
vielen tiichtigen Raths- und Stadtmusicanten, die sie den 
thiiringischen Landern Generationen hindurch stellte, mit 
dem alten anheimelnden Pfeiferthum verwachsen er- 
scheint — Bach, der selbst in seinen verschlungensten 
Kunstwerken die Neigung zum Volksthtimlichen bald mit 
grandiosem Humor, bald in kindlicher Naivitat durchblicken 
lasst. Bach hat bekanntlich sehr viele Claviersuiten ge- 
schrieben, Orchesterpartien leider nur vier, was wir um so 
mehr bedauern mussen, als in der Mehrzahl derselben 
der alte einfache Suitengeist in einer Reinheit und Starke 
zum Ausdruck kommt, die andern Tonsetzern, unter 
ihnen auch Handel, nicht erreichbar war. 

Entschiedener als letzterer lehnt sich Bach in seinen 
Orchestersuiten an die Tanzformen: Nur der erste Satz 
— eine regelrechte franzosische Ouverture von 3 Satzen, 
mit der Fuge in der Mitte — gehort der Kunstmusik an. 
Dann kommen Gavotten , Menuetten , Bourses , Giguen, j. s. Baoh 
Tanzweisen aus aller Herren Landern in voUer Naturtreue, Suit en. 
kaum ein wenig idealisirt: iippige Melodien und gebie- 
terische markante Rhythmen. 

Die erste dieser Suiten in Cdur hat ausser der Ou- j. s. Baoh 
verture eine Courante, Gavotte I und H, Forlane, Me-cdur-Suite(Nr.i) 
nuett I und H, Bourse I und H und 2 Passepieds. 

Die Forlane ist ein venetianischer Taiiz in gleich- 



— * i 8 ♦— 



massig ruhiger breiter Bewegung. Hier wird die fiihrende 
Melodiestimme : 



[fill i r rrr'"ir 1 1 1 1 1, , i i n h m' , 



von einem Perpetuum mobile der zweiten Violinen und 
Bratschen begleitet; die Basse stehen wie Zuschauer 
daneben und thun nur das Nothigste um Harmonie und 
Rhythmus zu skizziren. Die Besetzung der Suite besteht 
aus Streichquartett und dem bekannten Blasertrio : 2 Oboen 
und Fagott. Letzteres ist in alter Weise haufig solistisch 
und concertirend verwendet. In Bezug auf die Erfindung 
gehort diese C-dur-Suite nicht zu den hervorragenden 
Werken Bachs. Sie charaktensirt mehr die Zeit als den 
speciellen Meister. Die Biographen setzen sie in Bachs 
J. 8. Bach Cothenex Periode. Dieser gehort auch die HwoW- Suite 
Hmoii-Suite an, deren eigenthtimlicher Zug in der Verwendung der 
(Nr. 2). Flote besteht, welche als einziger Vertreter der Blaser- 
familie dem Streichorchester gegenuber gestellt ist. Doch 
hat man sich nach alter Praxis, mit Ausnahme der spe- 
ciell als Solo bezeichneten concertirenden Stellen, eine 
chorweise, jedenfalls mehrfache Besetzung dieses Instru- 
ments zu denken. In der H-moll-Suite lebt sehr viel 
Grazie. Das Thema ihrer Fuge ist: 

Allegro. 



$ 



Dem ersten Satze folgt ein Rondeau, das einigermassen 
kunstmassig durchgefuhrt ist und die einfache Grenze 
der Suitentheile iiberschreitet. Seine Grundmelodie malt 
aber das bestimmte Tanzbild handgreiflich genug: 




In der darauf folgenden Sarabande fiihren die Oberstim- 
men mit dem Basse einen Canon in der Unterquinte 
durch. Die weitern Satze sind 2 Bourses, eine Polo- 
naise, bei der Bach ausnahmsweise eine Tempobezeich- 
nurig angiebt: »Moderato« ein sicheres Zeichen, dass 



-* 19 -ft^ 

•er darauf besonderen Werth legte; eine Menuett und 
eine keck dahin flatternde Badinerie. Die H-moll-Suit6 
hat als kunstlerischer Beitrag zur Culturgeschichte noch 
ihren NeTsenwerth. Das geschniegelte, fein abgezirkelte 
Wesen der eigentlichen »Gesellschaft« in der Zeit des 
Heifrocks und der Perriicke mit Zopfchen ist hier so fein 
und mit einem so behaglichen Humor gezeichnet, als es 
nur jemals ein Chodowiecki gekonnt hatte. Den Verfasser 
der Matthauspassion, den Schdpfer der protestantischen 
Kirchencantate zeigt die H-moll- Suite von einer seltne- 
ren Seite, als einen vollendeten Kenner und Darsteller 
hofischen Geistes und hofischer Kiinste, als einen Welt- 
kundigen, der die Etiquette bis auf den unscheinbarsten 
pas beherrschte. 

Die beiden andren Suiten Bachs stehen in D dur und 
sind beide in Leipzig geschrieben, moglicherweise fur den 
Telemann'schen Musikverein, einen der Vorlaufer des 
jetzigen Gewandhausconcerts , den Bach von 4 729 — 36 
dirigirte. Dass Bach in Leipzig als Suitencomponist volks- 
thumlich geworden war, beweist die von Spitta dem 
» Tableau von Leipzig im Jahre 4 783« entnommene Mit- 
theilung, in der es bei der Schilderung der Kirmess zu 
Eutritzsch heisst: »Das Chor Musikanten streicht wacker 
zu; debiitirt mit Sonaten von Bach und schliesst 
mit Gassenhauern.w Diese Sonaten konnen nur die Orche- 
stersuiten oder Theile daraus gewesen sein. Bei den ge- 
wohnlichen Orchestermusikern war und blieb »Sonate« der 
Universalname fiir mehrsatzige Compositionen jedweder Art. 

Die erste dieser beiden D dur-Suiten ist auch heute J. 8. Baoh 
wieder popular. Wir wollen nur die Anfangstacte ihrer Ddur-Suite 
Ouvertiire hersetzen : (^'' ^)- 

Grave. 



ijiijyjj j jjf Lmrri i TrLLru ji i^p 



Das Weitere, die in heiterster Kraft dahin schaumendeFuge, 

Allegro. • 

j^tftJl^fQUTlflCIf ^ ^ die entzuckende in selige 



2* 



20 



J. 8. Baoh 

D dnr-Snite 
(Nr. 4). 



Abendstimmung getauchte Air 




rfrf r ''■' ' 



die energischen Gavotten and was noch dazu gehort: 
Bourse und Gigue, das Alles steht jedem Musikfreund 
mit der losen Skizze vollstandig vor der Erinnerung. £s 
ist fast unvermeidlich diese Musik, die aus dem frische- 
sten Quell entspjungen ist, sicH zu merken. Bin 3,usserst 
glucklicher Griff war es, dass Mendelssohn (im J. 4 838) 
gerade mit diesem Werke den als Orchestercomponisten 
ganz vergessenen Grossmeister in den Gewandhaussaal 
und damit in das Concertleben der Gegenwart zuriick- 
fuhrte. »Er wiegt uns sammt und senders auf dem klei- 
nen Finger « schrieb Schumann unter dem frischen Ein- 
druck der Auffiihrung dieser Suite. 

Die andre Suite in Ddur hat unter der Beriihmtheit 
ihrer Schwester ein wenig zu leiden. Seit 4 884 liegt sie 
in einer stattlichen Partitur-Ausgabe vor, welche die um 
die Instrumentalwerke Bachs verdiente Verlagsanstalt 
von C. F. Peters durch den bewahrten Roitzsch hat be- 
sorgen lassen. Es scheint aber, dass davon ein spar- 
licher praktischer Gebrauch gemacht wird. Und doch ist 
sie in doppelter Beziehung sehr interessant : einmal durch 
ihren Eigenwerth, zweitens durch den Vergleich mit der 
andren D dur-Suite, der in der Ouvertiire wenigstens sich 
aufzwingt. Hier ist die Verwandschaft der beiden Werke 
eine eminent nahe; im langsamen Satze sind die Motive 
nahezu identisch, nur in der Behandlung unterscheiden 
sie sich. Man kann der unbekannten Suite den Vorzug 
geben, wenn man dem Klang der Instrumente nach ur- 
theilt. Sie ist pomposer besetzt (3 Oboen und Fagott) 
und der durchgefiihrte Wechsel der Chore: (a) Geigen, 
b) Holzblaser, c) Trompeten mit Pauken) hat einen Reiz 
antiquarischen und auch materiellen Charakters. Die 
Fuge in der Ouvertiire mit diesem Them a: 




. ist von Bach in der Weihnachts-Cantate »Unser Mund 



^ 21 

sei voll Lachenu zum Chore umgebildet. Bach liess die 
Instrumente wie sie waren und componirte Singstimmen 
daruber hinzu. Die weiteren Satze dieser zweiten D dur- 
Suite sind Bourse I und II (die zweite mil einem obli- 
gaten Fagottsolo), Gavotte, Menuetto con Trio und ein 
»R^jouissance« benannter Finalsatz. Die Instrumen- 
tirung in dieser ganzen Suite ist mit besonderem Bedacht 
ausgefiihrt; ein Theil der Wirkung der Composition f&llt 
in ihren Bereich allein. Fiir die modeme Praxis macht 
allerdings der Trompetenchor grosse Schwierigkeiten, 
Schwierigkeiten , die noch bedeutender sind als die (in 
den Originalstimmen wenigstens] gefurchteten der bekann- 
ten D-dur-Suite Nr. 3. 

Auch von den sogenannten Brandenburgischen 
Concerten, welcheBach, sechs an derZahl, im Jahre 4 724 J* 8* Bach 
dem Markgraf Christian Ludwig dedicirte, lassen sich die^'*^^®^^^'" 
ersten vier der Orchestermusik iiberweisen. Sie sind^ ^certe.^^ 
theils als Suiten geformt wie das erste, theils als drei- 
satzige wirkliche Concerte im italienischen Style. Alle 
enthalten eine Fiille prachtiger Musik : heitere Geschichten, 
Schwanke und romantische Schwarmereien und zeigen 
Bachs Originalnatur namentlich nach Seite der Instru- 
mentirungskunst in ihrer ganzen Unerschopflichkeit und 
Kiihnheit. Da gibt es Menuets, von zwei Homern und 
Oboe vorgetragen, ganze Concerte wo die Bratschen die 
Solisten sind, andere wo alle Geigen dreistimmig gefuhrt 
sind. Das Concertino erscheint in mannigfaltigsten Mi- 
schungen. Leider aber sind diese herrlichen Werke unsem 
modernen Orchestern so gut wie entzogen: Wir haben 
keine Quartgeigen, keine Violas da Gamba und vor AUem 
keine Horner und Trompeten, mit denen sich diese hohen 
Bravourpartien ausfiihren liessen. 

Nach Bach und Handel tritt die Suite in den Hinter- 
grund. Sie erscheint nur noch im Gelegenheitsdienst der 
Orchester bei Standchen, Serenaden, Morgenmusiken, 
Gartenconcerten und andem musicaUschen Aufwartungen 
im Freien. Der kaltere Norden war ihr damit so jgut 
wie verschlossen. Es sind haupts&chlich suddeutsche 



-0^ 22 -»- 

und ostreichische Componisten, bei denen sie in der Form 
der Divertissements und Gassationen fernerweit eine- 
mUssige kunstlensche Pflege findet. Im Concertsaal ge< 
langte die dreisatzige Sinfonie zur Meisterschaft, nach« 
dem sie bis dahin ihre baupts&chliche Verwendung als^ 
Opernoavertiire gefunden* Die dramatischen Gompo- 
nisten behandelten die die Oper einleitende Sinfonie 
haufig — aber nicht ausnahmslos — en bagatelle. Dem 
ersten Satze, dem Hauptallegro, wurde durchschnittlich 
eine gewisse Sorgfalt zugewendet, und ganz allmahlich 
und naturlich wuchs er in grossere Formen und in einen 
bedeutenderen Gharakter hinein. In der Verarbeitung^ 
des urspriinglich einzigen Them as ging man bis zur Fuge 
vor und zu demi einen Thema gesellten sich im Laufe 
der Zeit Nebenmotive. Schon im Jahre i 698, in der Ouver- 
tiire zur Sesostris des M. A. Bononcini, treffen wir im 
ersten Allegro auf einen Ansatz zu einem zweiten Thema, 
Es waren aber in der Oper der Sinfonie durch Tradi- 
tion Grenzen der Entwickelung gesetzt. Eine freie Ent- 
faltung im Ausdruck stiess leicht an. Als Graun in seiner 
Ouvertiire jzum Lucio Papirio das fugirte Allegro dem 
Gharakter des Helden angepasst und durchweg in einem 
emsten, strengeuj Tone gehalten hatte', vermerkte Frie- 
drich der Grosse diese Abweichung vom feststehenden 
Brauche keineswegs gnadig. Um die Mitte des achtzehnten 
Jahrhunderts emancipirt sich die Sinfonia von der Oper; in 
einem Breitkopf schen Gatalog vom Jahre i 762 sehen wir sie 
bereits als einen selbstandigen und schon ziemlich bedeu- 
tenden Verlagsartikel. Dieser Gatalog nennt gegen 50 Sin- 
foniecomponisten, von denen keiner weniger als 6 Werke 
gebracht hat. Noch sind die Opemcomponisten dort 
vertreten. Wir bemerken Jomelli, Galuppi und Gluck; 
auch Hasse und Holtzbauer, welchem letzteren 205 Sin- 
fonien zugeschrieben werden. Aber die Mehrzahl der 
dort angefiihrten Sinfoniker hat mit der Oper nichts zu 
thun. Sie reprSsentiren den ersten Stamm einer neuen 
Gattung von Tonkiinstlern, welche ohne Beziehungen zu 
Oper Oder Kirche leben und schaffen. Die Bliithezeit und 
die Herrschaft der Instrumentalmusik beginnt. Als das 



-^ 23 ^ 

Aufgangsgestirn der neuen Periode erscheint Joseph 
Haydn. Es giebt aber einige Kiinstler, welche auf dem 
Gebiete der Sinfonie seine That vorbereitet haben. Von 
Auslandern ist dies der MailSnder Giov. Batt. Sammartini, 
der Lehrer Glucks : (4 700 — 4 770) eine originelle, Haydn an 
Fiille guter Einfalle, an Munterkeit und Beweghchkeit 
nahezu erreichende, an Bildung und kunstlerischer Be- 
herrschnng schwachere Musikematur. Von seinen Sin- 
fonien sind (nur) 24 in Paris bei Leclerc i. J. 4 767 ge- 
druckt erschienen. Als der im Sinfoniefach gleichfalls 
productive und als Operncomponist bekannte Bohme 
MysHweczeck in Mailand zum ersten Male Sinfonien von 
S. horte, rief er aus: nich habe den Vater des Haydns'chen 
Styls entdeckttt. Dass Sammartinis Sinfonien in Wien und 
in den ostreichischen Hauscapellen bekannt waren, scheint 
keinem Zweifel zu unterliegen. Das Vorbild, zu welchem 
sich Haydn selbst bekannte, ist aber nicht Sammartini, 
den er schlechtweg einen »Schmierer« nannte, sondern 
Ph. Emanuel Bach, des grossen Sebastian zweiter 
Sohn, unter dem Zunamen der » Hamburger Bacha von 
Brudern und Verwandten unterschieden. Ph. Em. Bach 
ist weder durch Grosse noch durch Menge der Gedanken 
ausgezeichnet; er hat aber nichts destoweniger fiir die 
Geschichte der Musik als Stylist eine Bedeutung ersten 
Ranges. Er erfand eine neue Art der thematischen 
Durchfiihrung , die hinter der Fuge und den andern 
strengen Formen derNachahmung anGriindlichkeitzuriick- 
stand, sie aber an Schmiegsamkeit und Beweglichkeit bei 
weitem ubertraf und dem Spiele der Laune und des 
Witzes auch in den grosseren Formen einen bequemen 
und allezeit offnen Zutritt gestattete, ohne dass dabei 
die Darstellung — wie dies in der nordisch niederlandi- 
schen Instrumentalschule friiherer Zeit der Fall war — 
der Gefahr phantastischer Willkiir verfiel. Neben seinem 
Lehrbuch »Versuch iiber die wahre Art das Clavier zu 
spielen « hat Bach am nachhaltigsten durch die Pianoforte- 
compositionen gewirkt, die in grossen und kleinen, schwe- 
ren und leichten Formen seiner fleissigen Feder in Menge 
entflossen. Aber System und Geist seiner Kunst kommen 



24 ^^ 

in den Sinfonien, die er s'chrieb, gleich klar zum Aus- 
druck. Ueberdies enthalten die Sinfonien Bachs in der 
Orchesterbehandlung Elemente, die ftir die weitere Ent- 
wicklung der Gattung von Wichtigkeit wurden. 

Von den 4 8 Orchestersinfonien, welche Ph. E. Bach 
nachweislich componirt hat, sind die letzten vier im Jahre 
4 776 entstandenen , allein in Druck gekommen (Leipzig, 
Ph. E. Bach Schwickert 4 780). Es sind dieselben, welche Espagne 
Sinfonien. i. J. 4 860 bei Peters in Leipzig neu herausgab. Die erste 
derselben ist heute wieder bekannter: Das Haaptthema 
ihres ersten Satzes ist dieses 

. Allerx^ di molto^ , , ,^— ^, < i^^ 



von einigen ziemhch unbedeutenden Seitenmotiven, zu 
einem Satze von ungefahr 200 Tacten Lange ausge- 
fiihrt, in welchem man die drei Theile des Sonaten- 
satzes: Themengruppe, Durchfiihrung, Repetition, klar 
unterscheiden kann. Dieser erste Satz modulirt in den 
Schlusstacten nach Esdur, der Tonart des zweiten 
Satzes, einem Larghetto in dem weichen, zu Thranen 
bereiten Style des achtzehnten Jahrhunderts. Mit dem 
Klange der geliebten Floten tritt das Thema des Satzes 

ein: fl'l I Q | || ^ | ^f JH I i^H J^ 1 ^^ . Ein 
Presto in s/sTact 



jjiinf^.£nNi^ ^ 




eio. 

sausenden Laufs, nur selten durch einen ernsteren 
Einfall gehemmt, fuhrt die Sinfonie zu Ende. Der Ty- 
pus der D-dur-Sinfonie kehrt in den anderen wieder: 
geistreiches , lebendiges und spriihendes Finale, anzie- 
hendes oder ertragliches Larghetto und ein verwunder- 
licher Hauptsatz. Denn es ist verwunderlich wie diese 



-* 25 -»>- 

Hauptsatze der Sinfonien des Hamburger Bach im letzten 
Grunde doch ziemlich inhaltlos verlaufen. Sie setzen 
alle mit einem wunderbaren Schwung ein ; mit gewaltiger 
Kraftanstrengung sturmen sie von Anlauf zu Anlauf, ge- 
berden sich in Trillern und allerhand ungewohnlicher 
Melodik nicht selten ganz apart und absonderlich. Aber 
sie zerplatzen wie Seifenblasen ohne Spur und Resultat. 
Es stellt sich diesen heroischen Versuchen nichts Wich- 
tiges entgegen, der Zug gerath in Tandeleien und streift 
am Bedeutenden fluchtig voriiber ; das Ganze kommt nicht 
uber das Phantastische hinaus und bleibt ein brillantes 
Feuilleton. Als die gedanklich bedeutendste der vier 
Sinfonien erscheint uns die zweite in Fdur. 

Die einzelnen Satze suchte Ph. E. Bach, abweichend 
von dem Brauche der itahenischen Opernsinfonie, dadurch 
enger aneinander zu ketten, dass er mit dem ersten in 
den zweiten, mit diesem zu dem dritten iiberleitete, zu- 
weilen ohne Pause von dem einen in den anderen hin- 
einging. Die Besetzung seiner vier Sinfonien ist die 
gleiche: Streichorchester , 2 Floten, 2 Oboen, 2 Horner 
2 Fagotts und Fliigel. Sie verweist auf specifisch ham- 
burgische Verhaltnisse jener Zeit hin: ein starkes, mit 
virtuosen Kraften ausgestattetes Violinenensemble und 
ziemlich m^ssige Blaser. Der Fliigel ist in jener Zeit be- 
reits eine entbehrliche Zuthat. Interessant und Schule 
machend wirkte Bach durch die Behandlung der Instru- 
mente. Unter ihnen herrscht im Vergleich zur alteren 
Weise voile Freiziigigkeit, und sein Orchester formirt sich 
fortwahrend anders und voUzieht die Evolutionen der 
neuen Aufstellungen mit einer Leichtigkeit, die der aiteren 
Praxis fremd war. Auch Bach kennt das Concertino 
noch, er giebt dem bekannten Blasertrio gem die zweiten 
Themen im Hauptsatz. Aber auch jedes andere Instru- 
ment besitzt bei ihm die Solistenqualification und ist 
jeden Augenblick bereit, von ihr Gebrauch zu machen. 
Die solistische Fiihrung geht tactweise von der Oboe 
zur F16te, von einem Chor zum andern, wS-hrend man 
friiher bei solchem Wechsel etwas umstandlicher war. 

•»««< 



II. 



J. Haydn, Mozart, Beethoven. 




|s ist zweifelhaft ob Haydn, als er selbst Sinfonien 
zu schreiben begann, andere als Klaviercomposi- 
tionen des von ihm verehrten Hamburger Meisters 
kannte. Worin er ihm gleicht, das ist ausser der Ver- 
wandtschaft im Temperament, in der Munterkeit und 
Heiterkeit des Geistes: die Freiheit im Ausdruck und die 
leichtere Beweglichkeit im Satzbau. Wenn wir aber im 
Uebrigen nach Mustern und Anregungen fur die Neue- 
rungen suchen, welche Haydn in der Sinfonie vornahm, 
so konnen wir sie auch und wahrscheinlicher, als in den 
Sinfonien von Ph. E. Bach, auf dem Gebiete der Volksmusik 
und der Suite finden. Das Menuett, das Haydn end- 
giiltig der Sinfonie einverleibte , kam direct aus der ost- 
reichischen Tanzmusik, und fiir den Ausbau des kurzen 
langsamen Satzes zum hochgewolbten breiten Adagio 
liegen in der Kunstsuite die ermunternden Muster vor. 
Man priife nur das Andante des zweiten Brandenburg- 
ischen Concerts von S. Bach oder die beiden ruhigen 
Satze, das Larghetto und das Largo im zweiten der Hsln- 
del'schen Concerti grossi. Zudem gehort Haydn zu jenen 
genialen Erfindernaturen , bei den en man vergeblich der 
Gesammtheit der Quellen nachzuspiiren sucht, aus wel- 
chen sie fiir ihre Ideen schopften. Dass auch die Oper 



-«- 27 -»>- 

befruchtend auf Haydns Sinfonienbau einwirkte, wtirde 
namentlich an seinen Adagios nicht zu schwer sich nach- 
weisen lassen. 

Dem inneren Werthe seiner Reform gab Haydn durch 
eine sehr fleissige Production einen fOrdersamen Nach- 
druck. C. F. Pohl schatzt in seiner vorziiglichen Bio- 
graphie die Zahl von Haydns Sinfonien auf mehr als 
anderthalbhundert. In seiner ersten Zeit liess sich Haydn 
zum Componiren drangen und schrieb dann sehr schnell. 
Die Mehrzahl seiner Jugendsinfonien entstand serienweise: 
sechs Stiick auf einem Sitz! Sie wurden in demselben 
en -gros- Style angehort. Noch gegen das Ende des i8. 
Jahrhunderts kam es im Gewandhause vor, dass in einem 
Concert 3 Sinfonien gespielt wurden. Die Capelle, wel- 
cher Haydn die ersten Sinfonien zudachte, war im Streich- 
orchester schwach besetzt, (die Bratschen gehen in der 
Kegel mit den Bassen in der Octave zusammen) und von 
Blasem finden wir nur Floten, Oboen, Fagotts und Hor- 
ner. Trompeten und Pauken sind selten, Clarinetten und 
Posaunen gar nicht verwendet. Als merkwiirdige Aus- 
nahme erscheinen englische Horner. Die kleine Haifte 
aller dieser fruheren Sinfonien ist noch dreisatzig und 
die Satze sind kurz. Die erste, welche im Jahre 4 759 
entstand, als Haydn in der Nahe von Pilsen Musil^- 
director der Hauscapelle beim Grafen Morzin war, hat 
ganz die Maasse der italienischen Ouvertiire: die Allegri 
86 und 84 Tacte, der langsame Satz 78. Seine zweite Sinfo- 
nie aber, (»le midiw) die Haydn 4 764 in Eisenstadt schrieb, 
(sie ist funfsatzig) bringt gleich etwas Ausserordentliches: 
ein Adagio in der Form des Recitativs! Diese Erschei- 
nung, die in den phantastischen Orgelstiicken Buxtehudes 
und seiner Schule ihre hauptsachlichsten Vorlaufer hat, 
zeigt auf einen eigenthiimlichen Zug Haydns: die Hin- 
neigung zu einem dramatischen oder poetischen Plan 
fiir seine Sinfonie. Haydn hat diese Neigung noch in 
spateren Jahren ausdriicklich bestatigt, als er dem Maler 
Griesinger bemerkte, dass er in seinen Sinfonien gern 
einen »moralischen Charakterw geschildert habe. Auch die 



-«- 28 -»-- 



programmartigen Titel, die vielen seiner Sinfonien von 
ihm selbst oder von Andern gegeben wurden, stehen mit 
dieser Thatsache im Einklang : Wir haben da einen Torso 
der »Tageszeiten« in den drei Sinfonien : le midi, le matin, 
le soir, einen »Philosoph«, einen »Zerstreuten«, eine Ab- 
schiedssymphonie, Lamentation, Maria Theresia, la Pas- 
sione, »der Schulmeister «, » Feuersymphonie, La chasse, 
L'ours, la Poule, la Reine, Kindersymphonie , Militar- 
symphonie und noch andere sinfonische Werke, die zum 
Theil in das Bereich der Programmmusik gehoren. In 
Wien und in dem sinnlich lebhaften Siiddeutschland war 
die durch Kuhnaus »biblische Sonaten« inaugurirte 
Tendenz: der Instrumentalcomposition bestimmte Vor- 
gange unterzulegen , anscheinend sehr beliebt. Auch 
Haydns Jugendfreund, der Componist vom » Doctor und 
Apothekerw: C. Ditters v. Dittersdorf gehort ihr mit 
seinen zwolf Sinfonien zu Ovids Metamorphosen an. Ein 
zeitweiliges Ende fand sie erst durch Beethoven. Von 
Haydns friiheren Beitragen zur Programmmusik ist die 
J. Haydn sogenannte Abschiedssinfonie am beliebtesten ge- 
Ai>BcMed88info-worden, vermuthlich ihrer Entstehungsgeschichte wegen. 
Dem Fiirsten Esterhazy fiel es im J. i772 plotzlich ein 
die Capelle zwei Monate langer als gewohnlich auf seinem 
§ommerschloss behalten zu wollen. Da entschloss sich 
Haydn fiir seine Musiker eine Bittschrift einzureichen, 
und zwar eine musikalische. Eines Abends wurde der 
Furst damit iiberrascht. Es war die Abschiedssinfonie, 
die man eine musikalische Pantomime in zwei Satzen 
nennen konnte. Sie beginnt mit einem Allegro, in dessen 
Thema 



Presto. 



me. 




w 



nn^jij - 



wenn der Satz sich schon auf die 



Affaire mit bezieht — man vielleicht die beiden Parteien 
der geschadigten Capelle, die klagenden und die wiithenden. 



-«- 29 -»- 

rasonnirenden , erblicken kann. Die Musik wickelt sich 
sehr hastig hin ; zu emem zweiten Thema kommt es nicht 
und ehe man es vermuthen und fiir gut finden kann, wird 
der Satz abgebrochen : Ein Adagio von mildem Tone, bitten- 
den oder begiitigenden Charakters, — wie man es auffassen 



will-setztein ^^W r ^ll^hUI^ ^UtI^^J 



p 

Es kommt zu sehr freundlichen Tonen. Nach 30 Tacten 
steht in der Partitur beim zweiten Horn : »si parte «. In 
Esterhaz legte der Spieler hier seine Noten zusammen, 
loschte die Lichter am Pulte aus und ging weg. Bald darauf 
verschwand in derselben Weise der Flotist; ihm nach 
der erste Hornist, die OboeblSser u. s. f. Das Orchester 
ward dunkler und leerer. Zuletzt blieben nur noch a 
Geiger tibrig, die den Satz muhsam zu Ende bringen und 
durch schlafrige Wiederholungen zu erkennen geben: 
»Wir konnen auch nicht mehr«. Der Furst verstand die 
originelle Adresse, ging ins Vorzimmer, wo sich die Mu- 
siker inzwischen versammelt hatten, und sagte lachelnd: 
» Haydn, morgen konnen die Herren reisen. « Im Uebrigen 
ist von den Sinfonien Haydn's, welche in den ersten bei- 
den Jahrzehnten seiner Componistenlaufbahn eritstanden, 
heute nur wenig bekannt, was zum Theil mit an der Form 
ihrer ersten Veroffentlichung liegt. Carl Bank hat sich 
kiirzlich das Verdienst erworben uns sechs der schonsten 
von Haydn's Erstlingen in einer inner lich und ausserlich 
vorzuglichen Ausgabe wieder zuzufiihren. Auch »le midi« 
ist daruhter. In der Zeit, wo sich Haydn dem hochsten 
Punkte seiner Meisterschaft naherte, konnen wir ihn be- 
quemer verfolgen. Zu nennen ist hier ausser den aitern 
Sammlungen (Bote und Bock, Andr^) die Wiillner'sche 
Sammlung*), welche in 6 Nummern ein Bild der Ent- 
wickelung des Meisters in dem bedeutenden Jahrzehnt 
i 775-^785 giebt. Den ideellen Abschluss dieser Periode 



*) Leipzig, F. Kistner. 

*) Leipzig, Rleter-Biedermann. 



-«- 30 -ft^ 

bilden die sogenannten 6 Pariser Sinfonien, welchen 
auch die von Wiillner neu aufgefegte Oxford - Sinfonie 
noch zuzurechnen ist. Als die Krone von AUem, was 
bis dahin auf dem sinfonischen Gebiete geschafTen war, 
pflegt man bekanntlich die sogenannten i2 englischen 
Sinfonien zu betrachten, welche Haydn fur die von 
ihm selbst geleiteten Concerte in Hannover Square Room 
zu London comporiirte. 

Eine besondere Bedeutung hat unter alien Ausgaben 

Haydn'scher Sinfonien bisher die Partitur-Ausgabe von 

Breitkopf und Hartel gehabt. In ihren i 4 Nummern war 

fiir die Praxis der unsterbliche Theil des Sinfonikers 

Haydn zusammengefasst. Sie enthait auch Pariser Sin- 

J. Haydn fonien. Es sind dies die Nummern iO und 13, Gompo- 

Sinfonien. sitionen, die manchen Zug offenbaren, den der Meister 

nicht jede Stunde blicken liess. Wir rechnen dahin in 

Sinfonie Nr. 10. der ersten den langsamen Satz , den Haydn selbst als 

(Breitk. u. H.). Capriccio bezeichnet hat. In ihm handelt es sich um 

einen an Episoden reichen Strauss mit unliebsamen Lau- 

nen und Grillen, wie sie zum Gluck im Allgemeinen der 

Phantasie des Componisten fern zu bleiben pflegten. Die 

J. Haydn andere, die Nummer 4 3, interessirt uns besonders durch 

Sinfonie Nr. 13 ihren ersten Satz, dessen Them a 

(Breitk. u. H.). ^ ^ . 

f f jj JT/ 1^ sehr viel Aehnlichkeit mit dem im Finale 

von Beethovens achter Sinfonie hat. Noch uberzeu- 
gender drangt sich die Verwandtschaft auf, wenn man 
Charakter und Durchfuhrung der beiden Satze ver- 
gleicht. Hier wie dort: der unaufhaltsame Zug, das 
tarantellenartige Fortstiirmen, hier wie dort die plotz- 
lichen, verbliiffenden Riickungen der Modulation, die 
frappanten Gegensatze in der Dynamik! Die iibrigen 4 2 
Sinfonien der genannten Ausgabe sind die beriihmten 
englischen. Bilden sie an und fur sich schon eine 
Elite, so thun wir doch gut auch noch unter ihnen eine 



-> 31 ^ 

engere Wahl zu treffen. »Echter Haydn « sind sie 
wohl Alle; aber um sich den richtigen Begriff auch vom 
wganzen Haydn « zu bilden, muss man unter ihnen unter- 
scheiden. Da sind denn die Nummern i, 2, 6, ii und i2 
den iibrigen bedeutend voranzustellen. Sie sind die in- 
haltlich reicheren, diejenigen, in welchen der Tonpoet 
den Weg zum Paradiese sich weniger leicht macht, wo 
er kampft und zweifelt und wo der heitere Grundton 
seiner lebensvollen Bilder durch tiefe und bedeutende 
Schatten die vollere und nachhaltigere Resonanz erhalt. 
Sie sind mit einem kurzen Wort — das man nicht miss- 
verstehen wolle — moderner als die andern, in welchen 
die Scala der Freude virtues und mit immer neuen Nu- 
ancen aber doch so abgespielt wird, dass wir uns ab und 
zu nach einem Gegenmotiv sehnen. Letztere sind — 
und wie wir glauben mit Unrecht — in der Kunstgeschichte 
zum Trager der Haydn'schen Kunst gemacht worden und 
dieser Umstand hat dahin gefiihrt, dass vom »Vater 
Haydn « mit einer Vertraulichkeit gesprochen wird, die 
liber ihre gute Absicht hinaus sich zuweilen bis ins Un- 
schickliche verirrt. Haydn, der als Kiinstler vom »Papa« 
viel weniger hat als der » Vater Wieland «, der immer die 
Frische des Jiinglings bewahrt und von Schw£lchen in 
seinen Werken nur die der Jugend zeigt ! Formell stehen 
sich die beiden Gruppen, in welche wir seine Elite- 
sinfonien theilen, ungefahr ebenbiirtig gegeniiber. Na- 
mentlich auf dem Gebiete, welches Haydn der Instru- 
mentalmusik entdeckt, erobert und ausgebildet hat: der 
Kunst der motivischen Arbeit, der Auflosung der ganzen 
Gedanken in ihre kleinsten selbstandigen Bestandtheile 
und der Entwickelung neuer grosser Bilder aus diesen 
Fragmenten — hier zeigen jene volleren und die leichteren 
Sinfonien, als ganze Gruppen verglichen, keine wesent- 
lichen Unterschiede. 

An der Hand jener Breitkopf'schen Partitur-Ausgabe, 
und ihrer Reihenfolge nachgehend, durchschreiten wir 
kurz die erste Gruppe: 

Die erste Sinfonie in ihr ist die Nr, / {Es dur). Ihr 



-=«- 32 -ft^ 



Hauptsatz hat eine Einleitung, ein Adagio mit folgendem 
Thema: 

Adagio. p. pj ^:^ 

P««k. c«lli BlMe Fagotto *>• 




m 



m 



i 



^ 



J. Haydn Die Mehrzahl der Haydn'schen Sinfonien der spate- 

m^^^il^^ ^H ^ '^^'^ ^®^^ ^^* ^^^ ^^'^ ersten Allegro eine solche feier- 
*^* liche, gedankenvolle , sinnende, trSumende, romanti- 
sche Einleitung. Das Tiefste, was an seiner Fantasie 
vorbeizog, wenn er das ihm vorschwebende oder schon 
fertige Werk mit einem eindringenden Seherblick mass, 
das fasste er in den Klangen solcher Einleitungen zu* 
sammen. Sie sind meist nach dem Charakter der Sin- 
fonie, welche sie eroffnen, verschieden — jedenfalls etwas 
ganz Anderes als die immer im gleichen Typus auftre- 
tenden Einleitungslargi der franzosischen Ouvertiire. Es 
sind neue poetische Musikgebilde, die Nachahmer fanden. 
Auf Cherubini namentlich haben sie tief eingewirkt. Unter 
vielen solchen schonen Einleitungssatzen hat aber der 
hier in Betracht kommende zur Es d«r-Sinfonie noch 
seine besondere Bedeutung. Haydn kommt auf ihn im 
ersten Allegro zweimal zuriick. Das erstemal erscheinen 
die ernsten Ziige des Themas nach der ersten Fermate 
in der Durchfiihrung im schnellen Tempo und nur fur 
einen fliichtigen Augenblick; nach der Reprise fiihrt es 
aber der Componist noch einmal in seiner Origin algestalt 
vor. Solches Zuriickgreifen ist bei Haydn ausserst selten: 
es beweist in diesem Falle, wie wichtig das Thema an 
sich ist. Der Componist stand unter dem Banne desselben 
und gab sich in Folge dessen den heiteren Ideen, welche 
die eigentlichen Them en des Allegro anschlagen erstlich : 

L« . « iii. rrf»- , -r.i _] . ^^^ zweitens : 




II nf^r 




-^«- 



33 



nur bis zu einem gewissen Grade bin. Der Satz bleibt 
viel mebr auf das Ernste und Grosse gerichtet, als man 
nach der ausgesprochen leichten. und launigen Natur 
dieser beiden Fiihrer erwarten soUte. In formeller Be- 
ziehung ist dieses Allegro der Normal typus eines Sonaten- 
satzes, wie er in dieser Regelmassigkeit bei Haydn nicht 
oft vorkommt. Da haben wir ein vollkommen ausgebil- 
detes zweites Thema : auch das obligatorische Tonalitats- 
verhaltniss der beiden Themen — Tonica: Dominant — 
ist stricte eingehalten. Im zweiten Theile, dem soge- 
nannten Durchfiihrungstheil des ersten Satzes, neckt sonst 
Haydn die Zuhorer gern, bringt das Hauptthema in der 
Haupttonart, als woUte er die sogenannte Reprise be- 
ginnen, wahrend es damit noch gute Weile hat. Hier 
aber halt er sich, unbeschadet aller Tiefe urid Genialitat, 
vollkommen schulgerecht. Ebenso normal verlauft der 
dritte Theil : die sogenannte Reprise dieses ersten Satzes. 
Es ist einfache Wiederholung des ersten Theils mit der 
tiblichen Aenderung, dass das zweite Thema nun eben- 
falls in die Haupttonart tritt, und sogar eine gekiirzte 
Wiederholung. Nur die Einfiihrung der Coda, der Mo- 
ment, wo das Einleitungsthema wie ein Geist in die heitere 
Gesellschaft eintritt, steht ausserhalb und iiber jedem 
Usus und lehrt uns die Freiheit des Genies bewundern 
und respectiren. Eine Eigenthumlichkeit von Haydns Ge- 
dankenbau — das plotzliche Absetzen — zeigt dieser 
Satz in besonderer Starke: Er hat nicht weniger als sechs 
beredte Fermaten! In der Instrumentirung sind die Cla- 
rinetten zu bemerken, mit welchen sich Haydn erst in 
England naher befreundete. 

Der zweite Satz ist ein Andante. Es beginnt mit 
folgendem Gedanken von dunkler Schonheit und einem 
im iibermassigen Secundenschritte liegenden aparten Zug : 

Andante. i i'iiiiniMiiii 

Aus ihm entwickelt sich ein langerer Gesang in der zwei- 
theiligen Liedform, dem hierauf ein Alternativ mit marsch- 




34 



artigem Charakter folgt. Durch Versetzung der obigen 
Melodie ins Dur und durch kleine rhythmische Varianten 
hat hier Haydn dem eben angefiihrten Thema ein voU- 
standig anderes Bild abgewonnen. 




Hauptsatz und Alternativ werden hierauf zweimal variirt. 
In der ersten Variation des Altemativs macht sich ein 
Violinsolo sehr bemerklich. Die zweite Variation imponirt 
durch einen gewaltigen Einsatz; zum ersten Male tritt 
hier in diesem Andante die gesammte Blasmusik, von 
Pauken begleitet, im kraftigsten Ton auf den Platz. Nach 
dem leise verhauchenden Ausgang des Violinsolos von 
doppelter Wirkung! Die Kunst der Variation, welcherwir 
schon in den Handel'schen Concerten, aber nur ganz 
vereinzelt, begegneten, tritt mit Haydns Sinfonien in ein 
neues Stadium. Ganz genial ist an dem Andante unsrer 
Sinfonie der Abschluss, die sogenannte Coda, welche nach 
der Fermate beginnt. Sie bildet ein freies Nachspiel zu 
den Variationen; ein poetisches Abschiedswort an die 
vorausgehenden Scenen, in welchem Alles was an Ge- 
danken und Empfindungen voriibergezogen ist, noch ein- 
mal kurz zusammengefasst und potenzirt erscheint. Die 
i 6 Tacte von der iiberraschend einsetzenden Dominanthar- 
monie auf A bis zum Wiedereintritt des Altemativs diirfen 
wir zu dem Genialsten und Eigenartigsten rechnen, 
was in der musikalischen Composition jemals erdacht 
worden ist. Nicht mit Unrecht haben andere darauf hin- 
gewiesen, dass dieses Andante, und namentlich die hier 
erwahnte Episode der Coda, Beethoven beim Entwurf 
vom Trauermarsch seiner Eroica hochst wahrscheinlich 
als Muster vorgeschwebt hat. 

Der dritte Satz dieser Sinfonie ist die Menuett: Ihr 
erstes Thema 



P\if \!^f-\l, l ^ 




-* 35 -&^ 

lasst schon in ungewohnlichen Wendungen der Melodik 
und Rhythmik ahnen, dass dieser Satz uber den ein- 
fachen Tanzcharakter hinausgehen wird; thatsachlich 
ist er ein Charakterstiick hoheren Schlags und macht 
bei allem Fluss und aller Einfachheit der Form ein- 
dringliche Abstecher in das Gebiet des Tiefsinnigen und 
Pathetischen , sich ungewohnlicher Modulationsmittel 
bedienend. Die ausserordentliche Freiheit der Erfindung 
ist noch mehr als im Hauptsatze in dem Trio zu bemer- 
ken, bier namentlich an der Stelle, wo die Violinen, sehr 
launig aufgelegt, das Wort der Homer weiterfiihren. 

Das Finale ruht auf einem einzigen Thema: 

. Presto. . ± ^ 

^riilM rr r If r r Ip crrrir , . Ganz erstaunlich, 



welche Menge wechselnder und schon aneinander schlies- 
send«r Bilder aus diesen wenigen Noten entwickelt 
werden! Es ist eine der grossten Leistungen contra- 
punktischer Kunst! Im Geist dieses Satzes sind ent- 
schieden Mozart'sche Ziige bemerkbar. Wir begegnen 
solchen auch noch in andern von Haydns enghschen 
Sinfonien. Sie legen in einer riihrenden Weise von der 
Tiefe und Echtheit der edelsten Herzensfreundschaft 
und Liebe Zeugniss ab, welche der alte Meister zu dem 
jungen gefasst hatte. Der Tod des letzteren scheint sie 
nur noch inniger zu machen. 

Auch in der Sinfonie Nr, S! {Ddur) scheint Haydn j. Haydn 
bei Mozarts Andenken zu verweilen. Er beginnt mit sinfonie Nr. 2 
Don Juan und schliesst mit Figaros Hochzeit seinen ersten (Breitk. u. H.). 
Satz. Es sind fliichtige, sinnige Ankiange, wortlich kaum 
nachweisbar, aber fiir das Gefiihl nicht misszuverstehen. 

Die Einleitung des ersten Satzes ist diesmal nur kurz, 
hat aber einen wunderbaren, plotzlich verschleierten 
Schluss. Von ihm zu dem durch eine Generalpause ge- 
trennten Allegro fiihrt kaum eine Briicke. Das Haupt- 
thema dieses Allegro ist folgendes: 

3* 



Z tr tt de ] 

ene fro hi c) kraftgeGege strophe Das endlch fo^ende 
zvete Thema Adur) sehe nt nur pro for na da zu sen 
und kehrt m ganzen Satze e n e nz ges Mai an der ge 
hongen Stelle m der Rppr se w eder D e Durchtul rung 
wird zum grossten The I von dem oben e ngeklamn erteu 
Motive des Hauptthemas getragen und erl alt durch se ne 
entsch edenen Rh> thmen c ne z e nl cl stre tbarpn CI a 

Das Andante d eser S nfon e st e us der nteressan 
testen und fur d e Auffassung on Hajdis ge ^t ger Per 
s6iil chke t f"Sr das Verstandn as fe nes kunsilglaubens 
em wicht ger Beitrag Zu On nde IjeRt d eser C mpos t on 
ein etwas erweilerter Lieiisatz m t filgendem Hauptvers 



htjj'u I 



i^^ 



Er wird verachiedenllich i arurt Doch mcht diese 
Variationspartien sind das IlaupLelemeat der CompoaitioD 
sondern die freien Zwischensdtze in deneii sich ein Fond 
von Leidenschatt auslebt, welcher die Bekenner les ge 
miithlichen Vater Haydn a einigermasspn erschrecken 
musa. Immer wieder werden diese etiiimischen Aus 
briiche einer heftigen triiben Empfindnng unterdruckl 
zuruckgedrangt und abgebrochen Beschwichtigend zu 
weilen gewaltsam und halh ironisch kehrt der Componist 
zu dem oben citirten Friedensmotiv zunlclt War ea 
FurcM vor dem DSmoniachen Respect vor der kunst 
lerischen Etiquette, die Haydn zu dieser Fuhrung dieses 
Satzes beatimmten, oder war aie duicheinen besoQderen 
Programmvorwurf bedingt, der verschwipgen bhebf Es 
liegen RSthsel in diesem Satze die aber gluikhcherweiae 
die rein menschliche und kunallerische Wirkung des le 
bensvollen, erregten Seel en gem il des n cht 1 eeintriihtigpn 



37 



Die Menuett dieser Sinfonie ist eine der wuchtigsten 
die vorkommen und sehr mannigfaltig in ihren Bildungen : 
grotesk und intim, drohend und neckisch zugleich; reich 
an formell ungewohnlichen Erscheinungen : Rieseninter- 
vallen, Paukenwirbel mit Crescendo, Generalpausen und 
Generaltrillern. Das Trio bleibt durchaus zart, madchen- 
haft im Blick und frohlich einfach geschmuckt. 

Das Finale beginnt k la Musette 

Sehr leicht moglich, dass dies eine echte Nationalmelodie 
ist, diesmal Jedoch entschieden keine slavische, was des 
Constatirens augenblicklich werth scheint. Denn bekannt- 
lich ist Haydn kiirzlich, alien gelehrten Emstes, als Kroate 
reclamirt worden. Gegen das sehr frohliche Treiben, 
welches sich auf Grund dieses Themas im Finale ent- 
wickelt, bildet das bedeutsam ausgestaltete zweite Thema 
einen herrlichen Contrast. 



jji r?rr ii T T?f I 'I ' T I i iTTT' i J 



J^L.Ji^ M ' If f I f tf If t^\,l '\f ' \ i 



Es wirkt, als wenn ein gliicklicher Mensch, mitten in der 
rauschenden Festesfreude, einen frommen und dankba- 
ren Blick nach dem Sternenhimmel wurfe, und erscheint 
uns als die Perle in der durch und durch genialen Sin- 
fonie ! 

Die Sinfonie Nr. 6 [Gdur) wird mit einer Einleitung J. Haydn 
eroffnet, in welcher die »Jahreszeiten« ihren Schatten Sinfonie Nr. c 
vorauswerfen. Das erste Allegro dieser Sinfonie ist knapp (^"itk. u. H.). 
und gedrungen. Sein erstes Thema 



jiUiilu^i iLu iii'Hp ^.ii jxf r^ri I 



lauft schon nach vier Tacten aus dem ublichen leisen 
Anfang in den sausenden und brausenden Chor ein, der 



-^ 38 

in den meisten Fallen das zweite Glied oder die Reserve 
des Hauptthemas zu bilden pflegt Das zweite Thema, 
im Satz zu keiner Bedeutung gelangend, wird wieder, 
wie so oft bei Haydn, mit einigen Geigenaccorden pralu- 
dirt, die uns in die idyllische Sphare der Harfen- und Gui- 
tarrenmusik versetzen. Die Durchfiihrung ist knapp ge- 
halten; das oben eingeklammerte Achtelmotiv liefert ihr 
den grossten Theil des Materials. Der beriihmteste Satz 
dieser Sinfonie ist das Andante. Sie heisst nach ihm 
die Sinfonie mit dem Paukenschlag. Haydn hatte sich 
den Scherz gemacht, eine sanfte, erst p, dann pp gehal- 




tene Melodie 

«p 

einem kraftigen Accord des voUen Orchesters abzu- 

schliessen, wie man sagt, weil er gegen sein Londoner 
Concertpublicum den Verdacht zeitweiliger Zerstreutheit 
hegte. Der an und fiir sich sehr billige Scherz gefiel 
ganz ungemein. Das Thema wird dann in vier Varia- 
tionen durchgefiihrt, die ausgezeichnet unter einander 
verbunden sind. Besondere Aufmerksamkeit verdient der 
unvermuthete Uebergang nach Es dur in der zweiten und 
der schone Gesang, welchen in der dritten Oboen und Floten 
dem in den Geigen herschreitenden Hauptthema entgegen- 
stellen. Die Coda hat wieder einschlummernden Charakter. 

In der sehr gestaltenreichen Menuett ist das Trio dies- 
mal nicht als Gegensatz, sondern als Erganzung behan- 
delt. Die anmuthig hinflatternde Hauptmelodie des letz- 
teren tragen Violine und Fagott zusammen vor, eine 
Octavverdoppelung, die Haydn namentlich in dem Menuett 
und in den zweiten Themen der Ecksatze auch in andern 
Formen gern anwendet. Die Heimath dieser Instrumen- 
tationsweise ist eine entschieden volksthiimliche. 

Das Finale giebt sich der frohlichen Laune anfangs 
nur mit Vorbehalt hin: sein Hauptthema 

Allegro di m olto. ^ 



39 

hat einige sentimentale Elemente. In der Fiihrung des Satzes 
ist die Ueberleitung zur Reprise bemerkbar; das Haupt- 
thema kommt einigermassen unvermuthet, aber als will- 
kommner Retter aus Irrfahrt und Oede. 

Die M. Sinfonie {Gdur) ist die sogenannte Militar- J. Haydn 
sinfonie. Sie verdankt diesen Beinamen ihrem zwei- sinfonie Nr. 1 1 
ten Satze : einem Allegretto , das auf Grund einer (von (Breitk. u. H.). 
Haydn bearbeiteten ) franzosischen Romanzenmelodie 

ji III I' ^^N^r I r > ■ II I rTJ^irl^ em inhalt- 



reiches Tonbild entrollt, dem man kriegerische Unter- 
lagen wohl ansehen kann. Es ist eine Art Abschieds- 
stimmung in der freundlich sinnigen Marschweise, welche 
die Chore des Orchesters nicht miide werden einander 
zuzusingen. Dann kommt plotzlich das Thema in Moll; 
der Satz erhait einen Mitteltheil, durch welchen grosse 
Schatten ziehen, der ernst stimmt und die Trauer streift: 
wHeute roth — morgen todt«! Unverkennbar ausgeprSgt 
tritt der militarische Charakter des Satzes gegen den 
Schluss vor: Abendstimmung: die Romanze verklingt: 
Da ein Trompetensignal , das im Orchester augenschein- 
lich grosses Aufsehen und Allarm erregt. In der Instru- 
mentirung dieses Andante ist der grosse Apparat von 
Schlaginstrumenten fiir die besondem Tendenzen Haydns 
an dieser Stelle bezeichnend: Ausser den Pauken: 
Triangel, Becken und grosse Trommel ! Einen eigentlichen 
langsamen Satz enthait diese Sinfonie nicht; ahnlich 
wie Beethovens achte. 

Der Hauptsatz beginnt nach einer prachtigen finlei- 
tung, die auch eine Stelle pathetischer Erregung hat, mit 
folgendem Thema von Oboen und Flote allein vorge- 
tragen : 



J J J I* i ""r""r r ^ ^ 



-^ 40 -&>- 



Ehe es noch zu einem zweiten Thema kommt, pas- 
siren wir bereits Partien eigenartigster Erfindung. Die 
Stelle, wo nach der Reprise des Themas in der Domi- 
nant, Geiger und Blaser echt traumerisch unschliissig 
mit den zwei Noten spielen und sich dann im Forte 
heroisch aufraffen, gehort dahin. Darauf unmittelbar setzt 
das zweite Thema, wieder wie von Guitarrenklangen pra- 
ludirt, ein. Es ist eine Melodie von echtem Wiener Blut, 
die zum flotten Marsch einer Infanteriekolonne ganz gut 
passt : 




Dieses den Radetzkymarsch vorauskiindende Thema 
lasst aber den Schwung nicht ahnen, der im Orchester 
losbricht, nachdem sich die Basse der tandelnden Weise 
bemachtigt haben. Die Durchfiihrung des Hauptsatzes 
ruht wesentlich auf diesem zweiten Thema und erhebt 
sich mit ihm ins Grossartige. Die Menuett dieser Sin- 
fonie nahert sich dem alten Style und wiegt sich in 
schwerfaUiger Grazie. Haydn schreibt ausdriicklich »Mo- 
deratott vor. Im Trio scheint sich ein Solopaar zu produ- 
ciren. Das Finale hat ein Hauptthema, 

Presto. 



^ II * pj cJ 



iJi^ ^ [TTJini \ rK .f J>^ l 



^^ 



welches auf leichten Scherz und TS,ndelei hinzudeuten 
scheint. Haydn giebt ihm aber durch Modulationen 
und contrapunktische Umarbeitungen einen schwereren, 
energischen Charakter und flicht erregtere Scenen und 
Momente dunkler Spannung ein; Alles mit wenigen No- 
ten und in einer Kurze, die eine Meisterleistung an sich 
bildet. 

J. Haydn Die letzte Sinfonie in unserer ersten Gruppe: Nr. 4 2 

Sinfonie Nr. i2(Bd«r) begiunt ebenfalls mit langsamer Einleitung vor 
(Breitk. n. H. j. dem Allegro : Die beiden Themen des letzteren sind fol- 
gende : 



41 



a) Andante. 




<.>''%,i-i^j lUi i ii ^j i j i i^j i;i iii^ I 



J J) J J I ^J J J Jp 1 ^ . 



Das erste setzt ausnahmsweise gleich stark und mit 
dem voUen Orchester ein und lasst dann das Piano 
nachfolgen. Das zweite Thema hat in dem Satze grbssere 
Bedeutung, als es durchschnittlich bei Haydn der Fall ist. 
Gleich sein erster Eintritt ist ungewohnlich: es steht 
mit einem gewaltigen Schlage da, fertig wie aus der Erde 
emporgezaubert. An der Durchfiihrung nimmt es einen 
wichtigen Antheil. Doch stehen ihm andere Motive hier 
ebenbiirtig zur Seite; neben dem Achtelrhythmus des 
Hauptthema noch das diesem folgende kurze Seitenmotiv : 

f I ^^ rp riff 

An Reichthum und Mannigfaltigkeit des Materials 
zeichnet sich somit die Durchfiihrung dieses Satzes aus 
und gestaltet ihn zu einem der imposantesten in Bezug 
auf den Aufbau. Dem entspricht eine FtiUe innerer Bewe- 
gung und Energie. Unter den AllegrosStzen Haydns, 
welche Beethoven zum Ankniipfen dienen konnten, muss 
dieser an erster Stelle genannt werden. 

Der zweite Satz mit folgendem Hauptthema 



f^^^jf^rM f^^^^^^^ 



ist auffallend kurz. Mehrmals streift er das leiden- 
schaftlichere und schwermiithige Gebiet, zieht sich aber 
immer mit absichtlicher Eile und in genialen Wendungen 
auf das Ausgangsterrain der elegischen TrS,umerei zu- 
riick. Er gleicht einer Skizze. 



42 



In der Menuett treten dem beh&bigen Tanzcharakter des 



^ 



Hauptthema jl >'" » J IHpJ f f \fSf f T V 

mehrfach beunruhigende Elemente gegeniiber; namentlich 
ein pochendes Unisonomotiv J I J J bringt eine fast 
dramatische Bewegung in der Scene hervor. Das Trio 
sucht mit einer unwiderstehlichen Herzlichkeit zu be- 

schwichtigen : 




Die Me- 

lodie, welche durcb die chromatische Stelle ihre Signatur 
erhalt, wird wieder in der Octav von Oboe und Fagott 
zusammen gespielt. 

Das Finale ist auf das Material eines sehr possirlichen, 
augenscheinlicb der Volksmusik entnommenen Trallerlied- 

^ , Presto. ^^^ ^^ ^ 

Chen sgebaut: ^^'' it JTU J J J I f^ JT] ^L | R 

In seinem Anfangsmotiv bietet es Haydn Gelegenheit zu 

humoristischen Episoden, denen er freie Zwischensatze 

von zuweilen trotziger Kraft gegeniiberstellt. Im Ganzen 

ist dieses Finale eins der wechselvollsten und inhaltlich 

m annigf altigsten. 

J. Haydn Von den Sinfonien der zweiten Gruppe gehort die 

Sinfonie Nr. 3 Nr. 3 [ETdur) ZU den schwacheren. Der erste Satz ent- 

<Breitk. u. H.). behrt der bei Haydn gewohnlichen Inspiration und er- 

scheint vorwiegend als ein Product der Arbeit. Seinen 

vergniiglichsten Theil bildet das zweite Thema 

Allei 




Im zweiten Satze, Adagio [Gdur], wird ebenfalls das 
zweite Thema, mit folgendem Grundmotiv 




zum Hauptgedanken und giebt der Composition einen 
hymnenartigen Ausdruck. Wenn bei Haydn die zweiten 
Themen hervortreten, so ist dies in den meisten Fallen 



-* 43 -&^ 

eine nicht unbedenkliche Erscheinung. Seine besten Satze 
sind vorwiegend diejenigen, wo er ein zweites Thema 
gar nicht braucht. 

Die Menuett der Sinfonie erhebt sich in der Erfin- 
dung Tiber die vorhergehenden Satze. Sie gebort zu der 
Gattung Haydn'scher Menuette, welche den Uebergang 
zum Scherzo Beethovens bilden. Noch hoher steht das 
Finale, in welchem die gute Laune Haydns an dem fol- 
genden kurzbeinigen Thema 



J ' '' 'f^i i rrrr7iiiJ'^^^ i ;r i riTi'[i 



sich wieder in ihrer ganzen Frische aufrichtet. Nament- 
lich an kostbaren Instrumentaleffecten ist der Satz reich. 
In der Sinfonie Nr. 4 (Ddur) macht sich eine ge- 
wisse Gleichformigkeit sowohl innerhalb der einzelnen 
Satze als auch im Verbal tnisse der Satze unter einander 
geltend. Hier sind ihre Hauptthemen. 

. J. Presto. /'S^ --S 

fii^UJ-i i^iUi I. 1 1 1^ jnrr 
iL8.te. ^i" If ^ r r i f to- rf I p ^^ y J.? J . a 1 1 ^ 

Henaetto. 
^ All egretto. 



^^^ p^j i n I II 11^ \\ 11 jT 



Vivace. 



■ I jij N I'ji-ijii 1 1' I in I 



J' 

Das interessanteste Moment der ganzen Sinfonie 
bildet der im Andante die zahlreichen Wiederholungen 
des Hauptthema einleitende, eingeschobene Tact. 

Die Sinfonie Nr. 5 (Ddur) hat ebenso wie die vor- j. Haydn 
letzte ihren schonsten Theil in der zweiten Halfte. Mit sinfonie Nr. 5 
dem Einsatz des Trio in der Menuett, da wo die Blaser (Sreitk. u. h.). 
alle zusammen die allarmirende^n Triolen anstimmen, 
verlasst der Tondichter endlich die Idylle, in der er uns 



-^>- 44 ■^- 

etwas lange festgehalten hat Der bedeutendste Satz ist 

Presto ma non trop po. . 

das Finale /"" II I I I l"f | 7m | i I | l n =p^=;t=f*= 

dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt. 
Seine ersten 3 No ten — bald wie ritterlicher Weckruf 
AUes allarmirend, bald wie geheimnissvolle Stimmen aus 
Waldesdunkel erschallend, jetzt naher, jetzt ferner klin- 
gend — haben im Bau dieses Finale besondere Bedeu- 
tung. Es ist reich an Bildern; die Gruppe vor der Ein- 
fiihrung des zweiten Thema in der Reprise gehort zu 
den phantastischsten Eingebungen. Ihre Pausen, Ferma- 
ten, ihre schnell abbrechenden Schliisse geben der Erkla- 
rungskunst voll zu thun. Vor anderen tragt die Froh- 
lichkeit dieses Satzes ein mannlich schones Geprage. 
Ganz am Schluss taucht Don Juans Bild auf: »Viva la 
liberta !« 
J, Haydn Die Sinfonie Nr. KK {Ddur) gehort der zweiten Gruppe 

Sinfonie Nr. 14 vollstandig an. Der erste Satz, dem ein leichtes Thema zu 

(Breitk. n. H.). ^ ■ Allegro. 

Grunde liegt: i^n < ^ Jjp 

contrapunktirt einigemale strenger und verausgabt einen 
grossen Vorrath gewaltig ausholender Gange; er bleibt 
aber in seiner Frohlichkeit etwas ausserlich und theatra- 
lisch. Das Andante: 




ijijiuj i iiia^f^tttf i gj j;jj;i i pifflp^jq . i 




schwarmt dahin wie vom Gluck befliigelt ; 

zuweilen bricht der Jubel mit Elementargewalt heraus, dann 
wiederzittert es in alien Gliedemwie von heimlicher Freude. 
Auch in dem dunkleren Mittelsatz, der ein MoUthema 
fugenartig durchfiihrt, lebt ein schwelgender Klang. Der 
Schlusstheil des Andante wird zum Concert, wo den 
beiden Soloviolinen alle anderen Instrumente lauschen. 



45 



Die Menuett ist von der aristokratischen Familie und neigt 
dem Zarten zu. Das Trio bringt reizende Soli der Flote und 
des Fagotts, letzteres von der ersten Violine unterstiilzt. 
Das Finale ist ein Rondo mit folgendem kurzgeschiirz- 

Yirace assai. 

ten Hauptthema::^ " * '^' 




Namentlich die Solostellen der Violine, welche die Riick- 
kehr in dieses Thema einleiten, sind von eigenartiger 
Wirkung. 

Die drei iibrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine 
Art Mittelstellung zwischen beiden Gruppen ein. In der 
Tendenz ihrer Hauptsatze, die dem Heroischen und Pa- 
thetischen zuneigen, haben sie etwas Gemeinsames und 
wiirden ohne Weiteres den Sinfonien der ersten Gruppe 
anzureihen sein, wenn sie sich mit diesen an musikali- 
schem Reichthum der Ausfiihrung messen konnten. Die 
bedeutendste unter ihnen ist die Nr. 9 [Cmoll), wohl J. Haydn 
auch die bekannteste. Sie beginnt ohne Einleitung mit Sinfonie Nr. 9 
einem Thema, dessen Doppelnatur weniger auf eine ^^''®^*^- ^* ^•)- 
Sonate als auf die freiere Form der Fantasie hinzuweisen 
scheint : 



,ji|ii,.,f rf i 'r r ^^ 




J J J tTP I r i g ini 



In der weitern Folge beschaftigt sich Haydn vorwie- 
gend mit der erregten Halfte desselben, beginnt aber, wie 
zur Entschadigung, die Reprise ohne diese. Eine grosse Be- 
deutung hat fiir diesen Satz das volksthiimliche freundliche 

zweite Thema : 

Es beschwichtigt die Stiirme und herrscht in dem Wieder- 
holungstheil des Allegro fast allein. Nach der ganzen 
Anlage weist der Satz auf eine friihere Periode von 
Haydns Sinfoniebehandlung hin, in die Zeit, wo Mo- 




-^ 46 ♦>- 



zarts Einfluss zuerst zur Geltung kam. In einzelnen 
Stellen erinnert er ganz direct an ein bestimmtes Werk 
des jiingern Meisters: an dessen C moll - Fantasie. 
Mozart'sche Spuren zeigen auch das Andante can- 
tabile und das Finale. Ersteres hat folgendes Thema: 



^ 



welches in einer 



j{ i''i ii ^iTrr" Ljjrj i} i ^ [ ^ f 

Reihe von Variationen ausgefiihrt wird, von welchen 
namentlich die diistere in Esmoll hervorzuheben ist. 
Im Finale empfiehlt es sich fiir den Zuhorer die ersten 
beiden Tacte des Them as sich einzupragen 




f f ^ •I J J [ p' . Auf ihnen beruhen die zahlreichen 

Fugenbildungen des Satzes; die Melodie in ihrem vollen 
Umfange erscheint nur beim Abschluss grosserer Grup- 
pen. Die durch selbstandige Auffiihrungen verbreitete 
Menuett ist in ihrer Verbindung von Grandezza und 
Schalkheit ein Muster: 




* \f HfLii^rri F^ . Ein ebensb anmuthiges als 



schwieriges Solo des Violoncello bildet das Trio. 

J. Haydn Die Sinfonie Nr. 8 (B dur) hat ihren hervorragendsten 

sinfonie Nr. 8 Satz an zweiter Stelle : Es ist das Adagio cantabile, einer 

(Breitk. u. H.). ^^r wenigen langsamen Satze in Haydn'schen Sinfonien, 

der sich die idyllischen, an die Schaferpoesie anklingenden 

Elemente ziemlich fern halt. Sein Charakter bringt ihm 

der Hymne nahe, und folgendes Motiv m^'i J J I J J) t i 

ist der Haupttrager der andachtig gehobenen frommen 
Stimmung. Die Nebengedanken sind weniger bedeutend, 
ohne die Totalwirkung aber zu storen. Das Finale, dem fol- 



-fr 47 *- 

Presto. 

gendes Thema zu Grunde liegt ^l*'' H friQjlJj l ^*^ 

ist durchweg leicht gehalten. Nur ganz voriiber- 
gehend treten kraftigere Gestalten hinein. Im Haupt- 
satz, dem ersten Allegro , ist ausser dem Hauptthema: 

^ , Allegro. 

B* " J J ^ -^"f U ^ i -^ * ^ ^ °^^^ ^^^ *° ^^^ ^^^ 
sich unscheinbarer Zwischengedanke : , 
£ ^'' " T *^ " I °~l|* I " I zu beachten, der beim 

ersten Male im Anschluss an das zweite Thema als 
Oboensolo auftritt. Das Mozart'sche Geprage, welches 
die Haltung des Allegro zeigt, ist ihm besonders auf- 
gedrUckt. 

In der Sinfonie Nr. 7 (Cdur) bestehen wieder, ahn- J. Haydn 
lich wie in Nr. i engere Beziehungen zwischen Einlei- Sinfonie Nr. 7 
tung und erstem Allegro : das erstere eroffnende Motiv (^reitk. u. H.)> 

jh Ji :^ J^^ ■ I J = kehrt mit der schonen Harmonie, 

auf welcher es ruht, in letzterem wiederholt wieder, noch 
zuletzt in der Coda des Allegro, wo es zu einer selb- 
st9,ndigen Islngeren Episode Veranlassung giebt. Das 
Hauptthema des erten Satzes ist folgendes: 



jj nr i n^' \tf ( \ r ■ 



Der Satz interessirt 



durch sehr interessante Einzelheiten , er nimmt aber im 
Ganzen nicht den hohen Flug, den man nach einem sol- 
chen Anfang erwarten konnte, und erregt die Vermu- 
thung , dass Haydn fiir ihn wie auch fur das Menuett 
dieser Sinfonie eine alte Mappe aufgeschlossen habe. 
Bedeutender sind der zweite Satz, ein Variationenwerk 
mit folgendem Grundthema: 



-^ 48 •^>- 




U ' l'^lL^' '\-' 1 ^ J J ^ i j 



y ' ^^ dim. ^ /'Z' 

in dem die stereotype Wiederholung der Schlussformel : 



C.IJ *^J^J'" I J ganz eigenthiimlich wirkt, und das Fi- 



nale, einer der gelungensten Rondosatze, die wir von 
Haydn besitzen. Das Hauptthema, welches immer, so 
oft es wiederkehrt, vom Frischen tiberrascht und ergotzt, 
ist folgendes: 

Presto assai. ..^^ 

iijiii,rii jjiririrp 




Namentlich am Schlusse dieses Finales zeigt Haydn noch 
einmal die ganze Grosse seiner Gestaltungskraft und lei- 
tet das harmlose Motiv flugschnell aus dem Anmuthigen 
ins Neckische und ins Erhabene und durch die Fiille von 
Regionen, wie sie nur ein grosser Humorist zugleich be- 
herrscht. 



Es ist nicht ganz leicht, vollig genau und gerecht 
den Antheil abzuwagen, welcher Mozart an der Ent- 
wicklung der Sinfonie zukommt. Dass Mozart, wie schon 
oft gesagt worden, Haydn gegenuber als der Zweite er- 
scheint, ist rich tig: Haydn hat der Sinfonie ihr neues 
Gebaude errichtet; aber von dem Geiste, der hineinzog, 
Mozaits ist ein wichtiges Stiick Mozarts Eigenthum. Es sind die 
Sinfonien. EcksStze der Sinfonie, die Allegri, an denen Mozart eine 
Reform vollzog. Sie erstreckte sich nicht wie die Haydns 
auf die Entwicklung, Durchfiihrung und Ausnutzung der 
Themen, sondern sie betraf die Themen selbst. In sie 
fiihrte er ein Element ein, welches die Zeitgenossen als 
ein »cantabiles« bezeichnen. Was das heissen soil, ver- 
steht man sehr leicht, wenn man das Hauptthema im 
ersten Satz der bekannten D dur-Sinfonie Mozarts (Nr. \ 
der alten Ausgabe von Breitkopf und Hartel) oder das ent- 
sprechende in seiner Es dur-Sinfonie (Nr. 3 ebendaselbst) 
mit irgend einem ersten Allegrothema Haydns vergleicht. 



-^ 49 -»- 

Hier immer rasche, vorw^rts eilende Rhythmen, muntere, 
zuweilen leidenschaftliche Themen; immer bestimmte 
und fertige Aeusserungen einer activen, positiv kraftigen 
Stimmung. Dort, bei Mozart: verweilende, sich ausbrei- 
tende Motive, in denen eine schwere Empfindung nach 
Ausdruck ringt, das Pathos eines vollen Herzens, welches 
die Formen des menschlichen Gesangs bald fest ergreift^ 
bald nur fiir einen kurzen Moment zu streifen scheint. 
Diese, im hoheren, im Schiller'schen Sinne, sentimentalen 
Elemente des Seelenleben^ waren der altern Instrumen- 
talmusik selbstverstandlich nicht fremd ; aber sie wurden 
dort in der Kegel fiir sich gehegt und blieben vorzugs- 
weise auf die langsamen Satze beschrankt; in den leb- 
hafteren erhielten sie hochstens Nebenplatze. Nach der 
Meinung Vieler machte sich daher Mozart einer Stylver- 
mischung schuldig, indem er jene sentimentalen Elemente 
in die Hauptthemen und an andere wichtige Stellen der 
Allegri hineinzog, und noch der verdiente Nageli nannte 
den Meister wegen jener Cantabilitat, durch die ein Beet- 
hoven mit vorbereitet wurde, einen nunreinen Instru- 
mentalcomponisten «. Die zweite Halfte des 18. Jahr- 
hunderts war jedoch auch in der Musik die Zeit mancher 
wohlgegluckten und heilsamen Stylvermischung. In der 
ernsten Oper Gluck, in der komischen Piccini, Galuppi, 
Guglielmi, in der Instrumentalmusik Ph. E. Bach und in 
einem bestimmten Umkreise auch J. Haydn! Das waren 
Alle Vertreter einer Richtung, zu welcher Mozart von 
Natur aus hinneigte und in welcher er in der Oper 
gleich von Anfang an unbewusst herzhaft vordrang. Es 
ist bezeichnend, dass Mozart als Sinfoniker den ihm 
eigenen Mischstyl eher merken lasst als den Einfluss 
Haydns. 

Seine erste Sinfonie schrieb Mozart als achtjahriger 
Knabe. Nach Kochels Verzeichniss sind iiberhaupt 49 
Sinfonien Mozarts nachweisbar. Davon besassen wir bis 
vor Kurzem nur 42 im Druck und zwar in der soge- 
nannten alten Partiturausgabe von Breitkopf und Hartel, 
welche wir unseren Erlauterungen hier zu Grunde legen. 



-^ 50 

Diese Zahl ist durch die neue monumentale Gesammt- 
ausgabe*) der Werke Mozarts jetzt auf 47 vermehrt 
worden. Der Zuwachs hesteht grosstentheils aus Jugend- 
arbeiten, unter denen allerdings mehrere: z. B. die Gmoll- 
Sinfonie aus dem Jahre 4 772, die in Adur von 4 773 
mehr als bios biographisches Interesse haben. Aber es 
dauert yerhaltnissm3,ssig lang, es kommt die Zeit der 
»Entftihrung aus dem Serail« heran, ehe Mozart als Sin- 
foniker bedeutend und eigenthumlich wird. Die Mehr- 
zahl seiner friiheren Sinfonien sind Durchschnittsarbeiten 
mit interessanten Einzelzugen. Der Typus, welchen 
Mozart zu Grunde legte, ist die italienische Theater- 
sinfonie, ganz im Gegensatz zu Haydn, der augenschein- 
lich, wenn nicht in der Form, so doch im Geiste seiner 
Sinfonien von Divertissements, Cassationen, Serenaden 
und andern volksthiimlichen und realistischen Zweigen 
der Familie Suite seinen Ausgangspunkt nahm. Die Mehr- 
zahl der Mozart'schen Jugend - Sinfonien steht Hasse'- 
schen und andern Opernouverturen nahe. In den weit- 
ausholenden Einsatzen, in der Allgemeinheit der Ge- 
danken, in der dahinrauschenden, an Figuren und glSn- 
zenden Gangen reichen Rhetorik gleichen sie Festreden. 
Sie haben aber von dieser Abkunft auch einen Vorzug. 
Das ist ein hoher, weihevoller Grundton. Jedermann 
kennt ihn aus der Majestat der Jupitersinfonie , die in 
Bezug auf diese Eigenschaft keineswegs allein steht, son- 
dern gerade darin in den Jugendsinfonien Mozarts zahl- 
reiche Vorlaufer hat. 

Es giebt noch unter den seit langer Zeit bekannten 

Moaart Sinfonien Mozarts solche, die gar nichts Individuelles 

Ddur-Sinfonie haben. Dahin rechnen wir die D dur-Sinfonie Nr. 9, 

(fdTaUen ^rtu ^elche in der aussern Geschichte Mozarts eine gewisse 

tur-Ansgabe von Bedeutung hat. Mit ihr glaubte Mozart in Paris Position 

Breitkopf und fassen ZU konnen. Er schrieb sie fiir die dortigen Con- 

H&rtei). certs spirituels des Director le Gros (im J. 4 778) und fand 

damit grossen Beifall. Sie beginnt: 



*) Leipzig, Bieitkopf und Hartel. 



51 




= . Die ersten 



ete. 



drei Tacte bilden den beriihmten » premier coup d'ar- 
chet«, auf welchen die Franzosen so stolz waren. Das 
war nichts weiter als der gemeinsame Einsatz des ge- 
sammten Orchesters, der allerdings bei der ausser- 
ordentlich vollen Besetzung des Streicherchors einen 
Effect machte, dessen Natur die Pariser Dilettanten einer 
besondern Ueberlegenheit in der Pr&cision zuschreiben 
wollten. Diesen coup d'archet hat Mozart im ersten 
•Satze weidlich ausgenutzt und ihm noch eine Reihe ahn- 
licher dynamischer Raritaten beigesellt, wie er sie selbst 
nagelneu aus der Mannheimer Capelle mitgebracht hatte. 
Das allgemeine Crescendo auf einem einzigen Accord 
spielt darunter eine grosse Rolle. In der Entwickelung 
des Stimmungs- und Gedankenmaterials herrscht, obwohl 
Mozart in dieser Sinfonie dem nlangen Geschmacku aus- 
weichen woUte, eine grosse Umstandlichkeit. Das An- 

dante ^^^ ^^^ J 3 J l T T I T " 1^ ^^ ist ganz 

achtzehntes Jahrhundert; nur eine stolze Unisonofigur 
der Streichinstrumente unterbricht die Ruhe dieser Gess- 
ner'schen Idylle. Das Finale fangt ausnahmsweise einmal 
so an wie Haydn in der Regel seine schnellen Satze 
einzusetzen pflegt: die erste Periode leise und dann ein 
tiichtiges Forte. Weil ich horte — schreibt Mozart an 
seinen Vater — dass ^ie alle letzte Allegro's, wie die 
ersten, mit alien Instrumenten zugleich, und meistens 
unisono anfangen, so ling ichs mit den zwey Violinen 
piano nur acht Tacte an — darauf kam gleich ein Forte, 
mithin machten die Zuhorer (wie ich es erwartete) beim 
Piano sch! — dann kam gleich das Forte. — Sie das 
Forte horen lind die Hande zu klatschen war Eins. Ich 

4* 



52 



ging also gleich vor Freude nach der Sinfonie ins Pa- 
lais Royal, nahm ein gutes Gefrornes, betete den Rosen- 
kranz, den ich versprochen hatte, und ging nach Haus.« 
Man kann die Sinfonien Mozarts in solche theilen, 
bei denen der Ouverturencharakter vorwiegt, und in eine 
andere Classe, welche sinfonisch in der modernen Be- 
deutung des Wortes genannt warden konnen. Daneben 
giebt es noch eine kleinere Gnippe, welche den Cassa- 
tionen und andem suitenartigen Gelegenheitsmusiken 
Moiart nahesteht. Zu letzterer geh5rt die Sinfonie Nr. 8 in D dur. 
Ddur-Sinfonie Sie hat 5 Sfttze , unter ihnen zwei Menuetts, die durch 
Nr. 8 (B. u. H.). ein sehr langes Andante getrennt sind. Es ist eine Com- 
position, die ganz und gar nichts Mozart'sches hat und 
durch ihren altvaterischen Charakter Zweifel erregt be- 
zuglich der Echtheit. Einen gewohnlichen, aber doch in 
der Frische der Darstellung iiberall Mozart'schen Charakter 
Moiart tr&gt die Sinfonie Gdur Nr. 4 2. Sie ist unverkennbar 
Gdur-sinfonie ein Werk aus sehr friiher Jugend und in ihrem Haupt- 
Nr.i2(B.u.H.). g^tze in der knappsten Form der Sonatine gehalten. Die 
ganze Durchfuhrung betragt 30 Tacte und davon fallen 
uber die Haifte auf die transponirte Wiederholung des 
Hauptthema 

Das ganze Andante hat nur 28 Tacte und ist, was bei 
Mozart selten vorkommt, fast nur aus einem einzigen 

^ , Andante. _ ^ 

kurzen Motiv entwickelt: mV \ ^ J jf I ^'^^ h * I 



« 




Aus Suchen und Tasten erhebt sich die Endperiode wie 



ein energischer Entschluss 




Im Trio der 



Menuett steht in der plotzlichen chromatischen Wen- 
dung die vielbesprochene Cantabilitat Mozarts vor uns: 

j'^r'r r \L\f \\\'V\\ l |^rJjJ U t | . Deronginell- 



53 ^ 

ste Satz ist das Finale, welches iiber dem fcurzen Motiv ; 

^ . Allegro. 

fe j} y J J J J H'J n J eine charaktervolle Tanzscene 

ausfuhrt. Es wiirde sich als Nummer eines National- 
ballets eignen. 

Gehort diese Sinfonie der Ouverturengruppe ganz an 
— sie wiirde zur Eroflfnung eines Lustspiels passen ^:— 
so haben wir in dem classischen Dutzend zwei, welche 
einer Uebergangsclasse zuzutheilen siiid. Es sind die 
Sinfonien Nr. 7 (Ddur) und Nr. 4 (Cdur), welche beide 
im Jahre i 780 in Saliburg componirt wiirden. Was diese 
Mittelstellung hauptsachlich bedingt, ist das Verhaltniss 
der beiden Themen im ersten Satze der genannten Sin- 
fonien. Die Hauptthemen sind beidemal festlich, decd- 
rativ, ouvertiirenmassig; es treten ihnen aber breit aus- 
gefuhrte, gesangvolle, selbstandige Melodien gegeniiber, 
wie sie die alte regelrechte Operhsinfonie nicht kennt 
und nicht vertragt. Der erste Satz der siebenten Sin- Mozart 
fonie hat aiich eihe kurze Einleitung. Sein zweites D dur-Sinf onie 

Allegro. Nr. 7 (B. u. H.). 

Thema : ^ j j p'h^ 'O I fl} h J j.^^ ist durch 

das eigene Wesen weniger hervorragend: originell wird es 
nur durch das abschHessende Fortemotiv, welches in die 
schiichternen Tone wie die Stimme einer grollendenVolks- 
menge hineinfahrt und in seiner kurz angebundenen 
Rauhheit einen gewissen Zusammenhang mit dem hoch- 
fahrenden Charakter des Hauptthema aufrecht erhalt. 
Mit demselben Fortemotiv beginnt auch die Durchfiih- 
rung. Nachdem sie mit ihm wiederholt einen breiten 
Crescendoeffect aufgebaut hat, wendet sie sich durchweg 
neuem Material zu, immer spannend und contrastirend, 
nirgends eingehend und verweilend. Es ist der Typus 
eines Ouvertiirenmittelsatzes im alten Style. Das Andante 
hat folgendes Hauptthema: 

Andante. 



54 



das aber, wie gewohnlich in Mozarts friiheren Sinfonien, 
wenig benutzt wird. Unter den vielen Gegenfiguren, die 
ihm Mozart entgegenstellt, sind energische dramatische 
Charaktere. Das Finale der dreis§,tzigen Sinfonie hat 
folgendes Hauptthema : 

Pr«... ff . f f | f f 




Das zweite Thema, ein Satz- 



Mo. 



chen von neckischer Grazie, kommt wenig zur Geltung; 
in der Durchfuhrung bringen die Oboen ein neues Motiv 



^ 



j^ 



|j ■ • C =ff= welches mit dem Hauptthema verschlun- 
M art S^^ ®^^® Reihe reizender Gruppen bildet. Die Cdur- 
Cdnr-Sinfonie ^^^^^^^^ ^^^ ^®™ Jahre -1780 steht der modernen Sin* 
Ur. iO(B.u.fl.). fonic in ihrem ersten Satze noch naher als die gleich- 
alterige in D. Denn bei ihr verlasst auch das Haupt- 
thema das Ouverturengebiet: 




% f 



Seine elegi- 



sche Schlusswendung in das Moll weist iiber die Mozart- 
sche Zeit sogar hinaus. Das zweite Thema aber tragt 
das Geprage der der Ouvertiire unbekannten Cantabilitat 
ganz besonders stark. 

i { i 'T i I' l i TP ' iJ Hi e rTr ir *"^>^^ng 

bXO» 



-^ 55 -&>- 

Nur die Durchfiihrung widerstrebt in ihrer Ungebunden- 
heit und in ihrem starken Verbrauch neuen und ver- 
schiedenen Ideenmaterials den neuen sinfonischen Be- 
dingungen. Interessant ist im Bau dieses ersten Satzes die 
doppelte Reprise des Hauptthemas. Das Andante ist ein 

..M^r^' 

echter Mozart: 





Die resolute Schlusswendung zum Mannlichen kennzeich- 
net ihn. Im Finale, einem rauschenden Allegro im ^/gTact 

mit folgendem Anfang: |p 

herrscht die energische, dramatische Bewegtheit der 
Jupitersinfonie : Stellen, wie die folgende, geben einen 
Begriff von der Deutlichkeit des instrumentalen Dialogs 
und dem bilderreichen Charakter dieses Finale: 




■ '^^ I 'l l' Mi 



Noch entschiedeneren Sinfoniencharakter als in der 
vorhergenannten haben die Themen im ersten Satze der Mozart 
B dur-Sinfonie Nr. M, die im Jahre 1779 zu Salzburg ge- Bdur-Sinfonie 
schrieben ist. In dem Hauptthema ist keine Spur mehr^'* ^^ ^^* "" ^'^' 
von der Ouvertiirenfeierlichkeit friiherer Sinfonien, es 
zieht voll Haydn'schen Geistes daher, zum Malen deut- 
lich eine Originalfigur aus einem lustigen Genrestiick: 

Allegro assai. 

Ganz Zartlichkeit und muntere Anmuth tritt ihm dann 
seine Gefahrtin entgegen: 4^ ^ V^^ T I f" ^ * Die 

Durchfiihrung kiimmert sich um das liebenswiirdige Paar 
leider nicht. Sie bringt ein anderes Lieblingsthema Mo- 



-=0- 56 *>- 



zarts m^ A, \ J^ \ fi* P^^ , welches ihm zum ersten 




Male in seiner Fdur-Messe vom Jahre 4 774 erschienen ist 
und dem er spater in der Jupitersinfonie einen weit sicht- 
baren Ehrenplatz zuwies. Eine andere Vorausnahme der 
Zukunft bietet dieselbe Durchfiihrung in einer Uebergangs- 
episode,welche in Melodie undHarmonie auf einem Passus 
ruht, der mit der Zauberflote und dem Terzett der drei 
Damen weltbekannt wurde. Nach einem weichen Andante 
folgt eine Menuett, die scharfer als eine vorhergehende in 
ihren grossen Intervallen und ihren festen Rhythmen die 
Ziige zum Ausdruck bringt, welche Mozart fiir diese Ton- 
stiicke mit Vorliebe einhalt. Mozarts Menuetts lehnen sich 
durchschnittlich mehr an die alte Schule an als die 
Haydns. Sie sind nicht so witzig und nicht so beweglich, 
als die letzteren, ihr Humor ist schwerer, zuweilen finster, 
streift auch wohl ans Groteske. Immer aber tragt ihn 
ein kraftvolles Element. Das Finale ist die Krone des 
Ganzen: ein Erguss bacchantisch dahinstiirmender, aber 
gutmiithiger Heiterkeit. Jugendliche, ritterliche Manner- 
gestalten sind die Fiihrer dieses frohlichen Schwarms, 
dem Alles zuzustromen scheint vom Adel und vom Volk, 
was Frohlichkeit im Blute fiihlt. Bleibt der Zug einen 
Augenblick bei einem schonen Auge stehen, so braust er 
dann nur um so flotter weiter. Dieses ist das Hauptthema : 

Presto assai. 

Unter den zahlreichen Seitenthemen verdient namentlich 
die droUige volksthiimliche Gruppe hervorgehoben zu 
werden, welche die Blaser (Oboen und Fagott als An- 
klang an das alte Trio), bald nachdem das zweite Thema 
passirt ist, aufstellen: 

Aeussere Veranlassungen wirkten auf die Haltung ein, 
welche Mozart den Hauptsatzen seiner Sinfonien gab. S( 



57 



war die oben angefuhrte Sinfonie Nr. 7 ursprtinglich als 
Serenade angelegi und folglich Mozart ausser Stande, den 
freien Eingebungen seiner Fantasie lediglich zu folgen, 
vielmehr genSthigt, den festlichen Charakter, dem die 
Composition dienen sollte, zum Ausdruck zu bringen. 
Daher der Ouvertiirencharakter ihres ersten Satzes. Aehn- Uozart 
lich verhait es sich mit einer anderen, Sinfonie in D dur, j) ^^^.g^^f^^jg 
welche in unserer Ausgabe die Nr. 5 trSgt. Sie warNr. 5(B. u. H.). 
gleichfalls eine bestellte Festmusik und sollte eine freu- 
dige Feierlichkeit in der mit Mozart in freundschaft- 
lichen und musikalischen Beziehungen stehenden Familie 
Hafner in Salzburg schmiicken helfen. In Folge dessen 
beginnt auch ihr erster Satz wieder in der pathetisch 
gehobenen AUgemeinheit, welche solche musikalische Ge- 
legenheits- und Festdichtungen in der alteren Zeit ein- 
zuhalten pflegten: Der erste Satz hat nur das eine er- 
staunlich gross ausholende Thema: 

Allegpro con spirito. 

^ ^ 





welches mit einer aussergewohnlichen contrapunktischen 
Consequenz durchgefiihrt wird. Gewiss wusste Mozart, 
dass cQese Arbeit vor Kenner kam. Das Andante gleicht 
einem dramatisirten Liede, seine simple Grundgestalt: 

wird bald durch 

Zwischensatze, in denen es sich wunderbar und heim- 
hch regt, verdrangt, bald durch Zuthaten der Dynamik 
und Harmonie, durch Accompagnement und wechselnde 
Seitenglieder machtig gehoben. Menuett und Trio sind 
einfach, aber wirksam contrastirend. Das Finale zeigt in 

seinem Hauptthema 

eine starke Verwandtschaft mit Osmins »Ha wie will ich 
triumphiren «. In der That schrieb auch Mozart diese 
Sinfonie i. J. i782 mitten unter den drRngenden Nach- 
arbeiten der »Entfuhrung«. 




-=0- 58 -«b- 

Zeigt sie schon in den Allegrosatzen Haydn'sche 

Elemente, in dem ersten beziiglich der Durchfiihrung, im 

letzten in der thematischen Erfindung selbst, so tragt die 

nachste Sinfonie (Nr. 6, Cdur) den Haydn'schen Einfluss 

Mozart noch offener zur Schau. Unter den Musikern ist dieses 

c dur-sinfonie, Werk als »LinzerM Sinfonie bekannt. Wahrscheinlich ist 

»Linzer«, Nr. 6 eg diejenige Sinfonie, welche Mozart i. J. 4 783, auf der 

( . u. .). Durchreise durch Linz begriffen, in kurzer Zeit fiir den 

dortigen Musikverein componirte. Nicht eben tief, aber 

ein liebenswiirdiges, frisches Werk, erfreut sie den Musik- 

freund durch vielfache Vorklange der grossten Zeit des 

Meisters und deren Hauptschopfungen : Don Juan und 

Jupitersinfonie, und durch Klangwirkungen, welche ebenso 

durch ihre Eigenart wie durch ihre Einfachheit frappiren. 

Wir machen in letzterer Beziehung namentlich auf die 

Biaserharmonien im ersten Satze aufmerksam. Die 

Hauptthemen der Sinfonie sind: 



Allegro spiritoso. 




«.«.«.. jianr nHrpi i i fr i i f 



Presto. 



^ MT_^n \ M X i /?7fr i r^r? f i p p ^ ^ 



r^ jjli \ \ \ \VrrU '*^r[f^-^r^r ^f \ \rrff\t 



Haydn merkt man im ersten Satz: ausser in der 
langsamen, traumerisch gedankenvoUen Einleitung, na- 
mentlich in der Durchfuhrung, die hier in Haydns Weise 
eingehender bei demselben Motive bleibt und aus ihm 
entwickelt. Dieselbe Methode finden wir im Andante. 
Dann sind auch noch kleinere ZUge Haydn nachgebildet : 
die Einsatze der Allegri vom p zum forte schreitend: kecke, 
iiberraschend in der Modulation wechselnde Periodenan- 
fange: Haydn'sche Lieblingswendungen der Melodie, wie 
der Schluss des Themas im Andante : Eigenheiten der In- 
strumentirung, wie im Trio die Verdoppelung der Melodie- 



-^ 59 *- 

stimme : in der Dynamik unerwartete Accente und Gegen- 
satze. Es ist aber noch genug von Mozarts besonderem 
Wesen in dieser Sinfonie. Nicht bios in der Gesammthal- 
tung, in dem ihm eigenen raschen, kr^ftig elastischen 
Schritt kommt es zum Ausdruck; wir konnen es bis in 
seine kleinen charakteristischen Geberden und Angewohn- 
heiten hinein verfolgen. Sein beliebtes chromatisches 

Ueberleitungsmotiv: m \ I I J I I 1 I ^ kommt wie- 

derholt vor: Zwischen dieser C dur-Sinfonie und der ihr 
folgenden Nr. 4 (D dur) liegt ein Zeitraum von drei Jahren 
und eine kiinstlerische Entwickelung Mozarts, die wir in 
das eine Wort »Figaros Hochzeita fassen woUen. Mit dieser 
Sinfonie ist Mozart als Sinfoniker eine fertige GrSsse. In ihr 
und den ihr folgenden Schwestern — es sind leider nur drei 
— steht er in bestimmter und abgeschlossener Individua- 
litat vor uns: in der ihm ganz eigenen Mischung von 
Kindlichkeit und Ernst, ein Meister, dessen Geiste sich 
die Form gebeugt hat, ein Mensch, dessen Anmuth und 
Liebenswiirdigkeit die Tiefe und den Reichthum seines 
Seelenlebens mehr zu verhiillen als zu oflfenbaren su- 
chen. In der Form zeigen die vier letzten Sinfonien eine 
Wandlung vollbracht, die sich in etlichen friiheren Wer- 
ken bereits vorbereitete. Sie betrifft die Methode in dem 
Durchfiihrungstheil des ersten und letzten Satzes. Wenn 
hier Mozart in den friiheren Sinfonien vorwiegend ganz 
neues Gedankenmaterial aufwarf, so schl3,gt er jetzt den 
Haydn'schen Weg ein und nimmt Themen und Motive 
aus dem ersten Theile des Satzes. Nur das charakteri- 
sirt ihn, dass er den eigentlichen Hauptthemen, dem 
ersten wie dem zweiten, mehr aus dem Wege geht und 
Nebenmotive aus Seiten- und Uebergangsgruppen be- 
nutzt und sich bei secundaren Ideen ausruht und sam- 
melt. Diesen ausserordentlich merkwiirdigen, man kann 
sagen scheuen Zug, hat er einzig bei der subjectivsten 
seiner Sinfonien, der beriihmten G moll-Sinfonie, aufge- 
geben. 



-«■ 60 ♦- 



Die Ddur-Sinfonie Nr. 4 (geschrieben flir die 

Wiener Winterconcerte im December 4 786) hat eine be- 

deutende Einleitung: im Tone freundlicher Ahnung be- 

Mozart ginnend, in der Mitte duster, zum Schlusse uber Seufzer 

Ddur-Sinfonie und Bitten in demuthige Resignation einlenkend: Der 

Nr. 1 (B. u. H.). AUegrosatz ist zwischen eine fragend bange Stimmung 

und die Regungen eines ringenden Kraftgefiihls getheilt. 

Diese Momente treten schon im Hauptthema direct 

neben einander: 

^ Allegro. 

^j)jj J j) i |j J J j)'j)y J J) I J) J J J J)' 




Trompeten 



I _j liij J III Mhj r |i I I I I I I I 



Das zweite Them a 



^j_rr3iJ7nJ7pi|. 

^ *^ 1 1 ■ II'" "^^ 



^ 



^^ 



^ 



rrHrr^ rj u' i ^^ifj'irrrr I f 



^ 



bildet nur 



einen fliichtigen Lichtblick: es repetirt sofort in Moll und 
verschwindet dann auf lange. In der Durchfiihrun^ er- 
scheint aus den Themen allein das oben eingehakte 
Motiv, dem noch zwei andere heftig angelegte Figuren, 
den Uebergangsperioden der Themagruppe entnommen, 



ir ^ ■ ^'^^^r^i^ ii r'''"ynrr 



and' 

zur Seite treten. Es herrscht unter ihnen die engste 
Reibung: das eine kommt nie ohne das andere und wie 
in der Mehrzahl der spatern Instrumentalwerke Mozarts 
geschieht die ganze Ideen- und Formenentwickelung 
nach den Principien des doppelten Contrapuiikts. Ein 
Hohepunkt oder ein Resultat dieser Ideengahrung ist 
nicht zu bemerken, der Schluss retirirt sich wie tastend 



61 



und suchend nach dem Hauptthema zuriick, welches vor 
der eigentlichen Reprise in harmonischen urid melodi- 
schen Umstellungen erscheint, die einen feinen poetischen 
Zug bedeuten. Ein Merkmal der letzten Sinfonien Mozarts 
ist der engere Anschluss in den Charakteren der einzel- 
nen Satze. Wir bemerken ihn auch in dieser Ddur- 
Sinfonie, wenn wir das Verhaltniss des Andante zum 
ersten Satze betrachten. In seinem Thema schon 

Andante. _ _ 

ist die Ver- 




wandtschaft zu erkennen. In diesem Thema liegt noch 
etwas von der gedruckten Stimmung, mit welcher der 
erste Satz begann; nur die Nuance ist eine mildere. Mit 



dem Seitenmotive 4 tf ^^ -^ ^ ^ i _h ~ ' ^^^ ^^ ^^^ ^'^*" 

wickelung des Satzes eine bedeutende Stelle einnimmt, 
strebt das Andante freundlichen Regionen entschiedener 
zu. Durch das energische und finstere Gegenthema 

If. I ' K ftF^=^^= f^= erhalt die ganze Darstellung einen 

dramatischen Charakter. Der Schluss ist iiberraschend 
in seiner sich still verlierenden Form sowohl als in dem 
halb humoristischen Ausdruck. Der Schlusssatz — diese 
Sinfonie hat kein Menuett — bewegt sich auf folgen- 
dem Thema: 

Presto. 




r r r'^f I f r r r I I = in Haydn'schen Bahnen. Die Reprise 

zeichnet sich durch Bevorzugung des zweiten Thema aus. 

Die drei letzten und beruhmtesten Mozart'schen Sin- 
fonien entstanden anderthalb Jahre nach der Ddur- 
Sinfonie (Nr. i) und zwar in der Reihenfolge: Esdur 
(26. Juni) Gmoll (26. Juli) und Gdur (4 0. August 1788). 

Die Esdur) -Sinfonie (Nr. 3), welche, wir wissen 



62 

l[ozart nicht von wem, den Beititel »Schwanengesangu erhalten 

Ed dur-Sinfonie hat, ist unter den letzten Sinfonien Mozarts, vielleicht un- 

(•Schwanenge- tgj. seinen sammtlichen Sinfonien, die Haydn am nachsten 

^tS^u. H.). stehende. Sie raft das Bild dieses Vormeisters nicht bios 

in formalen Nachbildungen wach, sondern namentlich 

durch das geistige Lebenselement, welches sie bewegt. 

Sie ist entschieden dem Frohsinn gewidmet, und wenn 

wir sie als Ausdruck von Mozarts personhcher Stimmung 

betrachten diirften, so war die Zeit, wo er diese Sin- 

fonie schrieb, eine sehr gliickliche. 

Die Einleitung des ersten Satzes beginnt in Pracht 
und Spannung. Ganz am Schlusse nur kommt ein 
schwermiithiger Don- Juan-Klang : 

^ , Adagio. ^—-^ , 

j j^rbH I U If "r I f^^** lJ'^»-ft^» I - Das Allegro 
stellt ihm ein berahigendes Bild entgegen: 

ji'i I,.UI I l|^ IN II Ml I || jjl LI I 

I Ti ij III r^n ji^rir 



Der Wiederholung dieses freundlich zusprechenden 
Gesangs folgt das Haydn'sche Forte: 

{£ p tr jf. I J J I I T_H^ I • ^^ ^^^ ^^^ Ausdrack stolzen 

Kraftgeftihls , welches von nun an im Satze herrscht. 
Er ist eine Art Mozart'scher Eroica, zwar ohne Kampf 
und Sturm; aber in dem knappen, energischen, wuchti- 
gen, bis zum Herausfordernden hingehenden und doch 
immer der Selbstbeherrschung sichern, mannlichen Aus- 
drack der Freude liegt etwas entschieden Heldenmassiges. 
Was Haydnsch ist im Satze, das erscheint aus dem 
Klangregister des Jiinglings auf die Stimme des Mannes 
iibertragen. Die tandelnd anmuthigen Elemente sind 
ferngehalten. Der in gliicklicher Erinnerung schwelgenden 
Schwarmerei ist ein dunkler Ton beigemischt: 



4- 63 




1 1 irii|i 1 1 Ti II rri 




I r* ' p I ' ^ ' 



so lautet das zweite Thema in bedeutsamer Cantabilit&t. 
Ftir die Durchfuhrung, welche sehr kurz ist, hat folgendes 



Nebenmotiv Wichtigkeit 




Mit 



einer Generalpause wird sie abgebrochen, und in der 
genialen Ktirze, mit welcher Mozart an diesem Punkte 
haufig verfahrt, leiten 3 Tacte der Biaser in die Reprise 
iiber. Dem zweiten Satze der Sinfonie, dem Andante, 
liegt folgendes Hauptthema zu Grande 

Andante. „— — — — -^^.^^ 

pU^l_LUA \ i,ll]i-il ^J ^f.r \ r - i , in seiner 

marschartigen Natur an Haydn'sche Vorbilder erinnernd. 
Im zweiten Theile stellt ihm Mozart zunachst ein hef- 
tiges Motiv entgegen, das den Frieden des Satzes wieder- 
holt in Frage stellt. Nach Abschluss dieser F moll-Episode 
beginnen die Blaser ein beschwichtigendes Satzchen, 
das in seiner harmonischen Einfiihrung und in seinem 
imitatorischen Style sich ausserordentlich eindrucksvoll 
bemerklich macht. Die Menuett setzt sehr kraftig ein 

iii''-i-!"pjjijjj i jrT^ i ^' 



I mit prachtiger 



Ausnutzung der Natur der untern Violinsaiten. Das Trio, 
von der Clarinette gesungen und geschwarmt, ist eine 
der lieblichsten Idyllen, die musikalisch gedichtet wor- 
den sind. Das Finale, iiber folgendes Thema gebaut: 

Alle^o. 

ist Haydnsch im Material und im Geist, neckisch, leicht, 
scherzend und tandelnd. Auch die Ueberraschungen 




64 *- 

mit Generalpausen , dynamischen Contrasten, plotz- 
licher Ruckkehr des Themas fehlen nicht. An einzelnen 
Stellen klingen uns specifisch Mozart'sche Tone ent- 
gegen; aber es sind nur kurz eingeworfne Motive. Zur 
Ausgestaltung eines zweiten Themas kommt es nicht; 
vielmehr wird der ganze Satz mit jenen wenigen Grund- 
tacten bestritten, welche oben citirt sind. Es ist nicht 
genug zu bewundern, welches bunte Leben Mozarts Kunst 
und dramatische Phantasie ihnen abgewinnt. Es tummelt 
sich in diesem Finale wie auf den Marktbildern der 
niederlandischen Schule : die komischen Gruppen umsteht 
und belohnt eine lebendige, froh erregte Menge mit 
fortreissendem Gelachter ; die Komik ist von der feinsten 
Art bis zur unfreiwilligen vertreten, und auch der der- 
beren Lustigkeit der Volksmasse ist ein Platzchen mit 
eingeraumt. Siehe im ersten Forte die plump drollige 

Frohlichkeit der Basse: ^iH, J' I [J' I . Wie mit 

einem plotzlichen Windstoss ist der ganze Carneval ver- 
schwunden. 

Im directesten Gegensatz zu dieser Es dur-Sinfonie 
Mozart steht die in GmoU in Bezug auf Inhalt. Man kann nur 
G mou-sinfonie wiinschen, dass Mozart einen solchen seelischen Contrast, 
' ^ ' ' ''' wie er ihn in diesen beiden Werken innerhalb Monatsfrist 
darstellte, nicht auch personlich an seinem eignen Schicksal 
hat durchleben miissen. Gmoll ist eine Tonart, die bei 
Mozart immer etwas Besonderes zu bedeuten hat. Wir 
denken an das Klavierquartett und an das Quintett. Aber 
hier in dieser G moll-Sinfonie vom Jahre i788 ist er doch 
noch anders, als er jemals vorher gewesen. Eine derglei- 
chen leidenschaftliche Hingabe an eine einseitige Stim- 
mung und noch dazu an eine so diistere, kommt in der 
ganzen Kunst liberhaupt nur selten, sie kommt bei Mozart 
nicht wieder vor. Vielen erscheint allerdings heute die- 
ses Werk in Bezug auf seinen Ausdruck gar nicht wei- 
ter der Rede werth, denn es ist Jahrzehnte lang in 
Zwischenactsmusiken geschmacklos verbraucht worden. 



65 



Aber noch im Jahre 4 802 wird diese Sinfonie von Leip- 
zig aus eine » schauerliche « genannt. Diese Bezeichnung 
kommt der eigentlichen Natur der G-moll-Sinfonie viel- 
leicht doch naher als die imitirte Begeisterung, mit wel- 
cher neuere Mozartverehrer uns immer wieder und 
immer wieder nur auf die Anmuth des Werkes aufmerk- 
sam machen. 

Es ist wohl nicht bios zuf allig , dass die G moll- 
Sinfonie keine Einleitung hat. Mozart steht hier sofort 
mitten in der Sache drin: 

Alleg^ro 



i^' i \ l\f\ltO \ t'i 




Das ist allerdings anmuthig in der Form, aber in ihrem Ver- 
haltnisse zum Inhalt erinnert diese Form an das bekannte 
Wort von der »guten Miene zum bosen Spiele«. Der tie- 
fere Zug des Leidens, welcher sich schon in dem Sexten- 
schluss des ersten Abschnitts vom Thema verrath, kommt 
in der Nachsatzperiode noch deutlicher zum Ausdruck: 




und in dem uiimittelbar zugefiigten Schlussmotiv 

^^ A fi^ J bricht die innerliche Er- 

£v^' '^ \ ~ ^ I : regung damonisch durch. 

^ * IJ r * nr r ^^^ zweite Thema bringt 

keinen Gegensatz zum ersten, sondern es erweitert und 

begrundet den erregten und dtistern Charakter der dort 

ausgesprochenen Stimmung durch Tone derWehmuth und 



VioL 



Sehnsucht 




Trotzige 



Kraft lehnt sich dann auf, sie wechselt aber sofort mit 
riih render Klage. In der Durchfiihrung werden die Ver- 
suche den Bann driickender Ideen zu durchbrechen mit 
grosser Kiihnheit, aber erfolglos erneuert, Nach schnei- 
denden Dissonanzen, nach gewaltigen Ausbriichen der 
Heftigkeit endet der Kampf mit einem von den Holzbla- 

5 



66 



-»>- 



sem gedeckten kleinlauten Riickzug in die Reprise. Be- 
merkenswerth ist, dass in dieser Durchfiihrung Alles the- 
matisch ist, ein bei Mozart ganz seltner Fall. Er greift 
weder zu neuen Motiven, noch zu GSngen und Passagen, 
die Phantasie bleibt an das erste Thema gefesselt. Das 
Andante hat zum Hauptthema folgendes Satzchen : 




|j''ii m 



h n,in 



rqi'T^ 




m 



n.TJ 



vnm 



^ j'^ . 



m 



P T T j l 



» y t 



Lf ^ tJ 



f 



Sein zogernder, immer wieder ansetzender Aufbau kiin- 
det den suchenden und fragenden Grundcharakter des 
ganzen Satzes an. Das nachste Gegenmotiv, welches 
ihm Mozart zuschickt, stellt sich kraftvoU einsetzend in 
den Weg und verflattert ebenfalls bei seinem zweiten 

Schritt if ^ r CJ'Tp' l tf ^ t f '^ Ef '^^'^ - Seine Zweiund- 

dreissigstel-Figur bildet mit dem Achtelmotiv des ersten 
Thema im Satze zahlreiche sinnvoUe Combinationen. Ein 
kurzes drittes Thema dieses Andante, beginnend: 

-^yf. > P ^ I 1^ ist ausserordentlich inniger Natur. 
Die Menuett ^. ^' II J M ^ I f I I j I I I I J 



nimmt den Kampf wieder entsclrieden auf; sie ist mit den 
harten Dissonanzen ihres zweiten Theils einer der streit- 
barsten Satze, die auf Grund jener alten zierlichen Tanz- 
form jemals gebildet wurden. Das Trio klingt siiss und 



in kindUcher Unschuld dazwischen. 




67 



Seine zweite Clausel enthalt eine der gefiirchtetsten 
Hornstellen. 

Im Finale herrscht eine einigermassen unheimliche 
Lustigkeit. In Unruhe und Aufregung stiirmt es dahin mit 
seinem Hauptthema: 



j>'-. ij ij f f r if rj|iii i|^fi i | i |.^r i pN tTi 




nnvQibereitete Septimen und anderlei bosartige Elemente 
€rgr%ifend. Mit verzweifeltem Humor jagen die Stim- 
men in der Durchfuhrung emsig contrapunktirend das ver- 
wegene Thema durch die Tonarten — das zweite Thema 
bietet kaum einen Ruhepunkt in der Hast des Satzes. 
Seiner Natur getreu geht er ungestiim und ungeklart zu 
Ende. 

Mozarts letzte Sinfonie, die C dur-Sinfonie Nr. 4, Mozart 
f iihrt den Beinamen der nJupitersinfoniew. Sie darf C dur-Sinfonie 
in mancher Beziehung fiir Mozarts grosste Leistung (^'- ^^' 
im Sinfonienfache gelten und bildet eins der schon- 
sten Denkmaler seines freien, starken und reichen 
Geistes. Keine andere der Sinfonien Mozarts hat diesen 
breiten Wurf der Themen, keine andere verbindet mit 
dem gleichen Reichthum wahrhaft goldener Ideen die 
Einheit im Charakter und die Harmonie der Darstellung. 
Es lebt etwas Antikes in ihr : eine erhabene Heiter- 
keit und ein Schonheitsgefiihl , das auch ihre vollsten 
Lustausbriiche adelt. Ihr erster Satz klingt mit seinem 
Eingangsthema wieder an den festlichen Ouvertiirenton 
der friiheren Sinfonien Mozarts an; aber schon nach 
dem ersten Komma wird der Charakter innerlich 




ffeij * * ^p i r'TTp i ^ ^ 



und so bildet nicht bios dieses Thema — es hat bis zu 
seinem vollstandigen Abschluss die betrachtliche Lange 

5* 



68 



von 23 Tacten — sondern der ganze AUegrosatz eine 
meisterhafte und erquickende Verbindung von ausserer 
gl&nzender Schilderei und edlem Seelenausdruck. £s ist 
im AUgemeinen nicht so schwer Programme zu den 
Meisterwerken unserer classischen Instrumentalmusik zu 
schreiben; bei der Jupitersinfonie kann man der Ver- 
lockung kaum widerstehen. Man sieht die Einzelnen in 
ihren stillen Gedanken dahingehen, die Massen in lauter 
Freude aufschaumen; es wechseln Bilder und Scenen in 
ruhiger Steigerung und Folgerichtigkeit, aber auch mit er- 
schreckenden Zwischenfallen. Merkwiirdig wie trotz des 
festlichen Grundtons die Motive des intimen Gemiiths- 



lebens 




und der 



naiven volksthiimlichen Frohlichkeit : 

I r p denGesammt- 

ausdruck des Satzes bestimmen ! 

Im Andante stellt Mozart drei Fiihrer auf. Sein 
erstes Thema lautet: 

|J!hIjjJhJ_[|i ji I j ^ i '_^ l | l =n 

idiT'irLUjlK Miifiri liTi'" 

Ihm tritt in gewohnter Weise ein zweiter Satz entgegen^ 
von drohender, gegensatzlicher Haltung. Er ist diesmal 
nur kurz skizzirt und geht in einen erhaben friedevoUen 
Gesang iiber 





dessen beweglithes Nachspiel (siehe *) im weitern Ver- 
lauf Anlass zu Combinationen und Wendungen giebt, die 
in ihrer genialen Mischung von Tiefsinn und leichtem 
Spiel gani einzig sind. Die Menuett dieser Sinfonie ruht 
auf sinnig beschaulichem Boden 



69 



j ^ a r 'r 1 *^ r r I p T p T p T ^^ . Ihr Xno hat in der 

Achtelmelodie und in der Instrumentirung Haydn'sche 
Elemente. Der beriihmteste Satz der Sinfonie ist das 
Finale. Man nennt das ganze Werk zuweilen mit 
Bezug auf diesen letzten Satz die Cdur- Sinfonie mit 
der Schlussfuge und noch neulich hat ein Musik- 
schriftsteller , der sich in Speculationen gefallt, nach- 
zuweisen gesucht, wie sich in diesem Finale Faust 
und Helena vermahlen, wie hier die vermeintlich ganz 
contrSren Stylarten der Fuge und Sonate ihre erst- 
malige Verbindung eingehen. Von alledem ist wenig 
wahr. Um diese Sinfonie von andern Cdur-Sinfonien 
Mozarts zu unterscheiden, mag man sie die Sinfonie mit 
der Schlussfuge nennen. In Wirklichkeit aber spielt die 
Fugenform darin eine untergeordnete Rolle. Das Haupt- 
thema des Satzes, dem wir schon friiher begegneten, 

^ o "^--_ ^^^^ nach dem ersten Halbschluss, 

j £ ^ H I ^ I ° I " ^ den der Satz macht, in einer ein- 

fachen Fuge durchgefiihrt, die nach 
2lTacten zu Ende ist. Nach der Reprise des Satzes schliesst 
Mozart nicht einfach, sondem setzt noch eine Coda an, 
die ebenfalls wieder mit einer Fuge beginnt und zwar 
mit einer sogenannten Tripelfuge , bei welcher zu dem 
schon angegebnen Hauptthema noch folgende 2 Sujets 
hinzutreten 



ij!i I'll -^if^Jijjjjijifii lU-U. 




Nach 34 Tacten ist auch diese Fuge wieder zu Ende. 
Das an letzter Stelle angefiihrte Motiv fungirt im Satze 
von vorn herein als sogenanntes zweites Thema. Dass 
es wie auch die ubrigen Motive und Themen in diesem 
Finale mit Riicksicht auf contrapunktische Brauchbarkeit 
erfunden ist und dass der Ausdrucksgehalt dieser Riick- 
sicht nachgesetzt worden ist, braucht nicht erst nach- 
gewiesen zu werden. Wenn wir den Fugenruhm dieses 



-^ 



70 



Finale reduciren mussen, so bleibt dasselbe trotzdem ein 
Meisterstiick der contrapunktischen Kunst, die sich nament- 
lich in Engfuhrungen und canonischen Nachahmungen 
im voUen Glanze zeigt. Und was die Hauptsache istr 
das Finale ist auch im Charakter, im Ausdnick eines 
kraftbewegten festlichen Lebens ein Meisterstiick, wiirdig 
eines Jupiter, eines Olympiers der Kunst. 



L.V.Beethoven Wenn man unter den Sinfonien Beethovens eine 
Cdur-Sinfonie Rangordnung aufzustellen versucht, so ist seine erste 
^ '" ^^' nicht die bedeutendste. Man thut aber dem Werke Un- 
recht, wenn man es schlechthin, wie das zuweilen ge- 
schieht, fur eine Copie im Mozart'schen Styl und im All- 
gemeinen fiir unbedeutend erkl^lrt. Kraft und Lust, 
Frohlichkeit , leichter Scherz, spriihende Heiterkeit, ja 
auch ein wenig Schwarmerei, anmuthiges Traumen — 
aber nur Empfindungen freundlicher Natur bilden den 
Ideenkreis, den Beethoven in seiner ersten Sinfonie durch- 
schreitet. Es sind die Stimmungen, an welche sich die 
Orchestermusik des Siidens in ihren Durchschnitts- 
leistungen bis auf Beethoven hin fast ausschliesslich 
hielt. Nichts von dem tiefen Ernst des nordischen Bach, 
nicht eine Spur von dem Pathos, welches manche der 
Haydn'schen Adagios kennzeichnet, nichts von der Mo- 
zart'schen Melancholie — nichts vor Allem von dem 
Beethoven, welcher die Eroica schrieb, die 5., die 9. Sin- 
fonie, die spatern Quartette, die grossen Claviersonaten, 
eben jenes Beethoven, den wir meinen, wenn wir seinen 
Namen nennen! Und doch ist er schon in der ersten Sin- 
fonie als ein Eigner zu erkennen, wenn nicht in den Ge- 
danken, so doch in der Ausdrucksweise einzelner Stellen. 
Im ersten Satze der Cdur-Sinfonie(Op.21) schliesst sich 
Beethoven in der Erfindung der Themen an Mozart an. 
Das Hauptthema: 



mit welchem, nach einem einleitenden Adagio von kurzem 
Umfang, das Allegro beginnt, hat den allgemeinen, 
spannenden Charakter, welchen Mozart fur seine Ouver- 
ttirensinfonien gem einhait. Es wird in zweimaliger 
Sequenz weiter getragen: ein kraftiges Forte krSnt den 
breiten Aufbau, ganz so wie wir das bei Mozart oft 
gesehen haben. Auch das zweite Thema 

|i r ^'rii i i ' ' "^^'I' ljii I I 



I I E ist ganz Mozartisch. Der jubelnde 

Nachgesang ^ H ii J i r i rr Tr i U T [ ^ welcher ihm folgt, kommt 






wortlich so in der Jupiitersinfonie und in andern Sinfonien 
des Salzburger Meisters vor. Gleich danach tritt aber 
Beethoven selbst in das Orchester. Es ist an der Stelle 
wo die brausende Gdur-Cadenz so ganz plotzlich von 
einem pp. abgelost wird, wo die Basse still uber das 
erste Motiv des zweiten Themas sinnen und die andern 
Instrumente in dunklen und unruhigen Harmonien fest- 
liegen. Die Oboe findet den Ausgang aus der unheim- 
lichen Verzauberung. Das ist zum ersten Male das 
damonische Element Beethovens in der Sinfonie! In 
der Durchfiihrung dieser Gedanken folgt Beethoven der 
Haydn'schen Methode der motivischen Arbeit. Er geht 
aber schon hier liber seinen Meister hinaus, indem er 
solche Motive zur Satzentwickelung herausgreift , welche 
im Zusammenhange des ganzen Themas nur eine iiber- 
leitende und nebensachliche Stellung haben. Es sind be- 
sonders das Motiv aus dem vierten Tact des ersten und 
aus dem fiinften Tact des zweiten Themas. 

Das Andante hat zum Hauptthema eine Melodie: 




IV 



11 5^ ' clr ! ^' 



72 



deren Metrum ungewShnlich ist: 7 Tacte. Sie wird 
fugenmassig kurz durchgefiihrt, dann bewegt sich der 
Satz in Haydn 'scher Weise weiter: auch die con- 
certirenden Triolenstellen fehlen nicht und nicht die leise 
Begleitung der Pauken. Den Charakter behaglich an- 
muthiger Schwarmerei , welchen der Satz tragt, unter- 
bricht nur der Anfang der Durchfuhrung, welcher fiir 
einen Augenblick das Gebiet triiberer Launen streift und 
zwar in Wendungen, deren aphoristischer Styl als Beet- 
hoven'sche Eigenthiimlichkeit nicht zu verkennen ist. 

Den dritten Satz benennt hier Beethoven noch Me- 
nuetto. Die Melodie: 

AUerro molto e vlTaee. ^ ^ t^ a a a* 

' " ' I I If 




ere99. 



hat in ihrem Rhythmus einen Rest von Tanzcharakter, 
in ihrem rastlosen, stiirmischen, feurigen Wesen geht sie 
aber iiber die Natur der alten und auch der Haydn'schen 
Menuetts weit hinaus. In ihrem zweiten Satze steht in 
der Kette trotziger Sforzati, in dem plotzlichen Piano 
mit seinen modulatorischen Irrlichtern, der ganze Beet- 
hoven in seiner Originalitat vor uns. Das Trio ist einer 
jener Satze, in denen der Componist eine grosse Wirkung 
durch elementare Einfachheit erreicht. Auf melodische 
Gedanken und Themata ist hier so gut wie verzichtet; 
der feierliche Klang der ruhigen Blaserharmonien geniigt. 
Als Spohr bei dem ersten deutschen Musikfest zu Franken- 
hausen die \. Sinfonie Beethovens in den grossen Rau- 
men der Kirche auffiihrte, machte nichts solchen Eindruck, 
als dieses Trio. Das Finale ist ein Rondo im Haydn- 
schen Style, leichthin scherzend und tandelnd, ausser- 
gewohnlich kurz. Das Witzigste daran sind die Stellen, 
wo das \. Thema 

Alle gro m oito 9 viTace. 

repetirt. Beethoven lasst ihnen Momente pathetischer 
Spannung vorausgehen. Unter den vier Satzen der 




-^ 73 *- 

Sinfonie ist dieses Finale der am wenigsten eigen- 
thtimliche und ohne Zweifel hat Beethoven in den 
Claviersonaten , welche in der Opuszahl und der 
Entstehungszeit unserer Cdur-Sinfonie vorausgehen — 
sie fallt als Op. 21 in das Jahr 4800 — ganz andere 
Endsatze hingestellt. Aber hannlos hingenommen , wie 
es gemeint ist, kann auch dieses Finale nur erfreuen 
und erheitern; es gehort die ganze graue, in Programm- 
musiktendenzen blind gewordene Rigorosit^t eines Ber- 
lioz dazu, um ein so lebensfrohes und vergnugtes Kunst- 
werkchen einfach als »kindische Musik« abzuthun. Wir 
konnen es nur dem Himmel danken, dass Beethoven 
nicht mit der 9. Sinfonie, mit der grossen Messe in D dur 
debiitirte, sondern mit Werken die, wie das erste Clavier- 
concert, wie die Cdur-Messe und wie diese Cdur-Sin- 
fonie, an die bisherige Schule ankniipften. Das Publikum 
seiner Zeit war entschieden dem heutigen an naiver 
Empfanglichkeit iiberlegen; aber bei der D dur-Sinfonie 
stutzte es doch schon. Die Referenten der Allgemeinen 
Musikalischen Zeitung hielten sich nach der ersten Leip- 
ziger Auffiihrung dieses Werkes (im Jahre 1803) an die 
nicht ganz gelungene Wiedergabe, die Berliner sprechen 
nur (im Jahre 1804) von »den dreiviertel Stunden lang 
ausgefiihrten Sch^ierigkeiten «, so dass sich Rochlitz, der 
erste Kritiker seiner Zeit und einer der ersten Verehrer 
und Pioniere Beethoven'scher Kunst, veranlasst sah, bei 
der nachsten Gelegenheit selbst das Wort zu ergreifen 
und zu versichern, dass diese zweite Sinfonie «das Werk 
eines Feuergeistes bleiben werde, wenn tausend jetzt ge- 
feierte Modesachen langst zu Grabe getragen sind.« Aber 
von der ersten Sinfonie liest man nur, dass sie ein Lieb- 
lingsstiick des Concertpublikums sei. 

Die zweite Sinfonie Beethovens (Ddurop. 36, zu- L. v. Beethovea 
erst aufgefuhrt i. J. 1803) geht einen bei weitem betracht- D dur-Sinfonie 
licheren Schritt iiber den Styl und die Sphare der Haydn- (^r. 2). 
Mozart'schen Sinfonie hinaus. Der erste Satz zeigt dies 
namentlich an der Einleitung und der Coda, die beide 
in Umfang und Inhalt iiber alles bisher an dieser Stelle 



74 



Gewohnte hinausgreifen. Nur die siebente Sinfonie Beet- 
hovens hat einen noch bedeutenderen Einleitungsatz. Der 
der zweiten ist ausgezeichnet durch den herrlichen Ge- 
sang, mit dem er beginnt. Wie ein Bild aus der Stemen- 
welt wirkt diese ebenso erhabene als innige Melodie. 
Darauf wird es wolkig und sehr ernst: es kommt zu einem 
drohenden Unisono von unheimlicher Gewalt: 

Muntere Triolen vertreiben das Unwetter 
5 ft^ |t I J . MnA hellen den Horizont auf Mr das 
^^ 'i^' freundlich schwungvolle Allegro. In 

diesem ist das Verhaitniss der beiden Themen merk- 
wurdig: das zweite erscheint als die Hauptgestalt des 
Satzes. Das erste Thema hat einen gemiithlich humorvoUen 

Ton • y»ttn|^» ^£^\f" f-ffjirrrrif , das zweite 
aber einen triumphirenden : 






^ 



f'/ I ^ ^ff r f$f I p III der Durchfiihrung und 

if ^ ' -"-ij L.jj ^^^ Verbindung der Satz- 

gruppen ist die Doppelschlagfigur aus dem ersten 
Thema von grosser Bedeutung. Neben ihr sind aber in 
Mozart'scher Weise der Ideenentwickelung auch Motive 
aus Themen zu Grunde gelegt, welche nur eine Neben- 

stellung haben, z. B.: 

welches mit dem angefuhrten Unisono-Motiv der Ein- 
leitung verwandt ist, und 





Die Neigung Beethovens, die Zahl der Themen zu 
vermehren, sogenannte Nebenmotive in wichtiger Weise 
zu verwenden und mit den hergebrachten Formen freier 
zu schalten, tritt mehr noch, als im ersten Satze der 



75 



D dur-Sinfonie, in ihrem Larghetto hervor. Die Stellen des 
grSssten Ausdrucks sind hier geradezu diejenigen, an 
welchen die Darstellung an winzigen Motiven haftet, wie : 



ii l<Mj 

■nd 



f 



Das Hauptthema des Satzes: 




eretc. 



]iiL5ij 



ein von Sehnsucht und Wehmuth leise beriihrter Hinweis 
auf Gliick und Frieden, wirkt doppelt poetisch durch die 
Elemente, die es begleiten und bestreiten. Es dauert ziem- 
lich lange und der Weg geht nicht in einfach gerader 
Linie, ehe der kindlich trauliche und einfache Spielplatz 
des zweiten Themas erreicht wird 



f jjr T riL^mririiiriiii i i i ri L g 



Der dritte Satz ist als Scherzo bezeichnet. Mit diesem 
Namen war der Begriff einer bestimmten Form bis zu 
Beethoven nicht verbunden. In der grossen Revolutions- 
zeit der Musik, im 4 7. Jahrhundert, taucht auch er zum 
erstenmale auf und zwar fur kleine, in der Form freie 
und im Inhalt etwas ausgelassene und iibermiithige 
Liebesgesange (fur eine Stimme mit Begleitung). Von da 
wurde er auf das Instrumentalgebiet iibertragen, aber nicht 
haufig angewendet. Beethoven griff ihn zun^chst fur seine 
Claviersonaten auf und machte ihn classisch. Das Scherzo 
der D dur-Sinfonie ist eins der drastischsten. Wie die 
Motive des Hauptthemas 




gleichsam fliichtigund verirrt im Orchester hin und her- 
flattern, jeder Tact eine andere Instrumentirung ! Wie toll 
es der lustige Kobold, der sie jagt und schreckt, treibtl 
Immer das ff auf dem von Natur unbetonten Takte! 
Das Finale erscheint im Anfang mit seinem komisch 



76 



polternden und bSrbeissigen Eingangsmotiv zum Haupt« 
thema : 




wie eine Fortsetzung des Scherzo. Es hat Haydn'sches 
Blut in den Adern. Das zweite Thema: 



Ob. 




eretC' 



eirete. ff 



aber lenkt in die Bahnen jener Cantabilitat ein, welche 
Mozart in das Allegro einfiihrte. Mit welcher Entschieden- 
heit Beethoven diesen neuen Weg weiter schritt und wie 
sehr er den frisch eroffneten Ideenkreis zu erweitern be- 
rufen war, ist an diesem Thema schon fiihlbar. Es ist 
ein kleines Doppelwunder : Adagiogeist in der Allegroform 
und menschlicher Gesang aus dem Munde von Biasing 
strumenten ! 
L. V. Beethoven Die dritte Sinfonie Beetho vens (Es dur, Eroica) ent- 
Esdur-Sinfonie stand im Jahre 1803 und wurde im Januar des folgenden 
(Nr. 3. Eroica). j^hres zucrst in dem Wiirth'schen Concert in Wien aufge- 
fiihrt. Nach dem Bericht, welchen die Allgemeine Musika- 
lische Zeitung dariiber brachte, nicht mit unbezweifeltem 
Erfolge. » Frappante und schone Stellen « heisst's von ihr, 
» energischer , talentvoller Geist« von ihrem Schopfer. 
Aber diese Zugestandnisse werden so gut yrie aufgehoben 
durch Epitheta wie »ausserst lange und schwierige Com- 
position «, n wilde Fantasie, die sich ins Regellose verliert « 
und mehr noch durch das demonstrative Lob einer an- 
deren Esdur-Sinfonie, die in demselben Concert vorkam. 
Diese andere war von Anton Eberl, den heute, vielleicht 
mit Unrecht, Niemand mehr kennt. Die Schwierigkeit 



-<o- 77 

der Eroica lag fiir die Ausfuhrenden so gut vor wie fur 
die Zuhorer. Sie wurde bei der ersten Probe in Wien, 
der Prinz Louis Ferdinand von Preussen beiwohnte, umge- 
worfen ; in Leipzig, in Paris und wo sie sonst in die Hande 
eines gewissenhaften Dirigenten kam, veranlasste sie 
Extraproben. Noch heute ist sie eine der schwierigsten 
Vorlagen, wenn ein intelligentes Orchester seine Meister- 
schaft zeigen soil; namentlich im ersten Satze, dem die 
mechanische Pracision allein nicht beizukommen vermag. 
Bei der ersten Aufftihrung des Werkes im Leipziger Ge- 
wandhause war die Direction so vorsichtig und verstandig, 
inre Abonnenten durch gedruckte Charakteristiken der 
einzelnen SS,tze vorzubereiten. Im Ganzen aber kann 
man sich nur wundern, dass die Musikwelt jener Tage 
sich nicht mehr und langer iiber die Erioca wunderte, 
sondern sie ziemlich bald und allgemein unter die immer 
und regelmassig wiederkehrenden Repertoirwerke auf- 
nahm. Denn dieses Werk war den Zeitgenossen fiber 
Nacht gekommen: in seiner exotischen Pracht musste es 
zunSchst ebenso befremden als entziicken. Von den 
vorausgehenden Werken zur Eroica fehlt die hinreichende 
Briicke. Soviel die ersteren, in erster Linie die Clavier- 
sonaten, bieten und versprechen: dem Ideenreichthum 
dieser Sinfonie gegeniiber, dem Vollgehalt, der Kraft und 
Gediegenheit, der ebenso ktihnen, fast libermassigen, als 
festgefiigten Anlage dieses Werkes gegeniiber erscheinen 
sie nur als kleine Vettern aus einer entfernten Seiten- 
linie. Es ist ein unbegreiflicher Rest um die Stellung 
dieses Werkes in der Geschichte ihres Schopfers. Denn 
Beethoven hat diesen monumentalen Eingangsbau zu 
einer neuen Orchesterkunst auch nicht iiberboten. Er 
setzte ihm Werke zur Seite, welche die einen intimer, 
die anderen popularer sein mogen, aber nur wenige in 
denen jedes Glied so wie in dieser Eroica in Geist, Cha- 
rakter und Poesie getaucht ist, wo die Kunst so sehr wie 
hier auf Figuren, auf Passagen, auf Putz und Ornament, 
auf alien jenen Kitt und Mortel verzichtet hat, dessen 
sich die Musik zur Verbindung ihrer Hauptglieder ge- 



^ 78 ^ 

brauchlicher- und erlaubtermassen bedient. Die Eroica 
bleibt fiir die Macht von Beethovens Schopfergeist das 
starkste Zeugniss, und er selbst erklSrte sie bis zur Zeit, 
wo ))die Neunte« erschien, fiir seine beste Sinfonie. 

Man weiss, dass Beethoven seine Eroica » Bonaparte « 
iiberschrieben hatte. Als aber der Consul sich zum 
Kaiser gemacht hatte, riss der republicanische Tonsetzer 
den Umschlag weg und widmete das Werk nur im AU- 
gemeinen dem »Andenken eines Helden«. Mit diesem Titel 
ist weniger ein eingehendes Programm gegeben, als viel- 
mehr nur eine allgemeine Directive. Man hat bekannt- 
lich den Mittelsatzen bestimmte Bilder aus dem Krieger- 
leben unterzulegen versucht: dem Trauermarsch eine 
feierliche Bestattungsscene der Gefallenen, dem Scherzo 
das geschaftige Treiben des Lagers und der Beiwacht. 
Das mag gestattet sein und jedenfalls nichts schaden. 
In den anderen Satzen ist aber dieser Versuch nicht 
durchfiihrbar; namentlich dem ersten gegeniiber erscheint 
er unbedingt kleinlich! Das ist nicht das Bild einer 
Schlacht, wie Ausleger behauptet haben, sondern das 
einer Heldennatur, deren Hauptziige Beethoven mit einer 
eignen Tiefe des Blicks erfasst hat und in gegenseitige 
Action bringt. Das Eigenthiimliche an dieser Beet- 
hoven'schen Auffassung des Heroischen ist, dass er den 
Elementen der Kraft und des frohen Thatendranges einen 
stark elegischen und pathetischen Gegensatz beimischt. 
Es geht durch den ganzen Satz ein Zug der Trauer, iiber 
die Wunden, welche der Held schlagen muss; vor und 
nach den gewaltigen Streichen, die er fiihrt, erhebt sich 
die Stimme des Mitleids, und seine grossen Entschliisse 
umringt die Wehmuth. Dieser weiche menschliche Zug 
begleitet schon das Hauptthema, das in seiner ersten 
Halfte den Haupttrager des kraftigen, frohlichen Heroen- 
thums bildet 



79 




Bereits im fiinften Tacte mit dem Ian gen verminderten 
Septaccord kommt die schmerzliche Wendung. Noch 
starker ist sie im zweiten Thema ausgebildet: 

\ ^ mit dem libermassigen 

J 4_ Dreiklang; ferner in 

I %i^ ^ d^r wehklagenden E- 

tTV ^ moll-Episode derDurch- 



^il i iiili^ 



fiihrung I i\ T "^ I T 'P T I 'f ^^ 1 ^ . Diese Epi- 



sode machte Beethoven, wenn wir die durch Notte- 
bohm veroffentlichten Skizzen zu dieser Sinfonie recht 
verstehen, geradezu zum Mittelpunkte des ersten Satzes. 
Sie war von vbmherein fertig und fest beschlossen, 
und um sie in die rechte Wirkung zu setzen, Snderte er 
die Entwiirfe zu der ihr vorhergehenden Partie immer 
wieder, bis die Rhythmen so trotzig und die Dissonanzen 
so beangstigend, so realistisch schneidend wurden, wie 
sie jetzt dastehen. Von ahnlicher Tendenr ist auch das 
Nachspielmotiv, welches den wuchtigen Schlagen des em- 
porten Orchesters am Schlusse des ersten Theils folgt: 



'^r I r I r^Tr 'r >t 



^"i. I I J I r ^r T I r i r ^r ^r I r T ^r I r ^r r 



if • 

Es sind die reinen Klagen und Seufzer; ahnlich auch 

die hinsterbenden Anklange an das erste Motiv des 

Hauptthemas, mit denen der Durchfiihrungstheil beginnt. 

Fiir die formelle Bildung des Satzes hat ausser den an- 

gefiihrten thematischen Elementen noch das kurze Motiv 

grosse Wichtigkeit, welches die Ueberleitungsgruppe zwi- 

schen dem ersten und zweiten Thema eroffnet 

n. 






-<o- 80 -&>- 

Der Durchfiihrungstheil dieses ersten Satzes der Eroica 
ist auch fur den Zuhorer einer der schwierigsten selbst 
bei einer geistig vollendeten Aufftihrung; wegen der 
ausserordentlichen Beweglichkeit , mit welcher der Com- 
ponist Ideen und Empfindungen wechselt, und dann we- 
gen der Breite, mit welcher er si© ausfuhrt. Dieser 
Durchfiihrungstheil hat eigentlich zwei Gipfel; nachdem 
der erste passirt ist, scheint der Tonsetzer nochmals zur 
Hohe umzukehren, und als endlich bei der grossen fana- 
tischen Ces dur - Stelle allgemeine Erschopfung in den 
kampfenden Tonmassen eingetreten ist, wendet er sich 
zur Reprise nicht ohne eine Wendung, deren eigenthiim- 
liche Schonheit lange Zeit iiber ihrer absonderlichen 
Form verkannt worden ist. Wir meinen jene Stelle — 
man nennt sie wenig geschmackvoU den Cimiulus — wo 

b 

iiber der tremolirenden Secunde as der beiden Geigen 
das Solohorn leise den Zauberruf intonirt, der Alle wieder 
aus der unheimlichen Erstarrung ruft: das Heldenmotiv 

es g \ es 6. In der ersten Wiener Probe hatte Beethoven 
dieses as gegen die Musiker zu schiitzen, welche meinten, 
es sei ein Fehler vorgekommen; die Herausgeber der ersten 
iranzosischen Partitur corrigirten es als Druckfehler in g; 
auch noch R. Wagner war dieser Meinung. Seit das 
Skizzenbuch Beethovens bekannt ist, darf nicht der lei- 
seste Zweifel mehr gehegt werden, dass Beethoven kaum 
etwas Anderes in seiner Eroica so bestimmt und klar 
gewollt hat als diese vom mechanischen Harmoniestand- 
punkte aus befremdende und unter alien Umstanden ge- 
wagte, aber jedenfalls mit tondichterischer Kiihnheit und 
Feinheit ersonnene Wendung. Auch die Coda des ersten 
Satzes ist ungewohnlich und zwar dadurch, dass der 
Componist bier nochmals auf die Durchfiihrung zuriick- 
greift, wiederum namlich auf die bereits beriihrte Episode 
in Emoll: ein Beweis, wie wichtig sie ihm fiir die Eigen- 
art des Helden war, wie ihn sich Beethoven dachte. 

Der zweite Satz der Eroica, Marcia funebre liber- 
schrieben, die Grenzen eines einfachen Trauermarsches 



-=0- 81 *>- 

aber in jeder Beziehung uberschreitend, besteht aus funf 
Theilen. Der erste Theil stellt zunachst das Hauptthema 

Adagio assai. 

' 1 




' ^^ ^ '^"^ ^^^^■1 U Jl ^ ^'^ Streichquartett auf. Die 

Blaser wiederholen dasselbe, von den Violinen in zitternden 
Rhythmen begleitet. Dann folgt ein Gegenmotiv in Es dur, 
das nach dem Hauptthema zuriickkehrt. Auch diese Gruppe, 
vom Streichquartett zuerst gebracht, wiederholt der Blaser- 
chor, und mit einem kurzen freien Nachspiel in Cmoll 
schliesst dieser erste Theil. Inhaltlich verbildlicht er 
jenen furchtbaren, fassungslosen Zustand der trauernden 
Seele, wo das Gefuhl nach Ausdruck ringt, wo die Klage 
mit der Resignation kampft, wo die Sprache erstarrt, 
versagt und bricht, wo die freundlichen Bilder der Erin- 
nerung nur auftauchen um von den Ausbriichen des hef- 
tigsten Schmerzes verjagt zu werden. Der zweite Theil 
ruft das glanzende Bild des Helden zuriick. Er erscheint 
wie eine Art Apotheose. Das Thema, welches ihn fiihrt, 

in hellem Dur gehalten i E f ^ | f £^'~g H ^ ^ nimmt 

schon beim ersten Halbschluss (in G dur) einen ganz trium- 
phirenden Ton an. Am Schluss dieses Theiles ist die Riick- 
kehr ins Hauptthema, der stets im Laufe des Satzes ein 
leidenschaftlicher Accent vorausgeht, von einem ganz be- 
sonders tiefen und gewaltigen Ausdruck des Schmerzes 
begleitet. Der dritte Theil, welcher mit dem Hauptthema 
(in Cmoll) beginnt, ruht im Wesentlichen auf folgendem 

Thema: 1^ vhi J^Jl I f ' M-ji^^f I -I . In der ersten 
Halfte erscheint es durch die Verkettung mit dem Motiv 
^ y\ J I J l | |J . />^1^ ^^ ^^^ Form einer Doppelfuge. 



«r V 



-^ s% ^ 



Sein Ausdruck ist klagend, aber die Klage hat ihre 
Herbheit verloren und fliesst nun stetig dahin. Die 
Wendungen werden mild, fast freudig. Wieder steigt das 
Bild des lebenden Helden auf: ein leidenschaftlicher, 
begeisterter Aufschwung in der Musik: Da plotzlich: 

I ^ /> das schreck- 




liche Besinnen: »Er ist nicht mehr!« Ein Aufschrei 
in den entlegensten Regionen des Orchesters, ein wilder, 
fast wiister Ausbruch des Schmerzes auf dem As-dur- 
Accord, ein Chaos, aus dem die schmetternden Trom- 
peten den Ausweg suchen. Dann lenkt es mit muhsamer 
Beruhigung iiber in den vierten Theil, welcher im Wesent- 
lichen eine Repetition des ersten Theiles aber mit einem 
grossen Zusatz von Leidenschaftlichkeit und Aufregung 
bildet. Es wird der letzte Abschied genommen ! Der fiinfte 
Theil, die Coda, schliesst das ergreifende Bild versohnend 
ab. Wie Glockengelaute beginnt er in den Violinen, eine 



wehmiithig freundliche Melodie (C t > % J. w | rfrU ' tfi 

klingt wie aus der Feme heriiber, dann geht die Musik 
fiir einen Augenblick in blosse rhythmische Bewegung auf; 
in den Violinen. tout's wie Scfcluchzen. Noch einmal er- 
scheint dann das Marschthema, verflattert aber bald und 
zerfailt in Stiicke. Als es verschwunden , stossen die 
Blaser noch ein letztes leidenschaftlich accentuirtes Lebe- 
wohl aus, iiber das sich sofort eine leise Fermate wie 
Grabesruhe legt. 

Das Scherzo ist von einer ganz eigenthiimlichen An- 
lage. Zum Hauptthema hat es folgende Tacte: 

Presto ^ ^ ^. /-^ ^ /-^ 




Aber dieses theilt sich in die Darstellung mit einem 
Motive, das von Natur nur praludirenden und anlaufen- 



den Charakters ist: 



^m. 



I I M l ^ '^^ F' Lange Ton- 



pp 



-^G- 83 -ft>- 

reihen, aus diesen wenigen Noten gewoben, durchziehen 
den Satz und geben ihm sein phantastisches, heimliches 
Geprage, den merkwurdigen nachtlichen Klang, die 
Aehnlichkeit mit dem Gemurmel einer entfemten 
Menge, mit dem Getose einer geschaftigen Stadt, das 
der Wind auf Meilen hinaustragt zum Wandrer. 
Die Tonart ist Esdur, aber es dauert 92 Tacte, ehe 
sie mit dem Fortissimo des zum ersten Male geschlossen 
vortretenden Orchesters zum Ausdruck kommt. Es ist 
interessant zu wissen, dass Beethoven als dritten Satz 
seiner Eroica eine einfache Menuett schreiben wollte. 
Erst im Laufe der Skizzen kam er auf das eben ange- 
fiihrte schwankende Motiv und damit auf die ganz neue 
Anlage des Satzes. Den Hornern, welche bekanntlich im 
Trio des jetzigen Scherzo eine ziemlich gefurchtete Auf- 
gabe haben, war von Anfang an eine besondere Rolle 
zugedacht, aber im Hauptsatze der Menuett. 

Das Finale der Eroica ist in seiner ersten Halfte ein 
Variationencyclus , dem folgendes einfache Thema zu 
Grunde liegt: 

Dasselbe, welches Beethoven friiher schon zu den Cla- 
viervariationen (Op. 35) und auch zur Musik des Ballets 
»Die Geschopfe des Prometheus « benutzt hat. Von der 
dritten Variation ab baut der Gomponist iiber dieses 
Thema eine innige Gesangmelodie, 



fh r i ^n irp 1 ^ I ? i Tp i f ^ 1 ^; P i fJr TiJr iTp 



dulce 0rit9t. 

welche in dem Satze als zweites Thema fungirt. Nachdem 
sie durchgefiihrt, wird die Variationenform verlassen, das 
Thema erscheint umgestaltet in eirie Fuge; in andern 
Gruppen sind nur wenige Noten benutzt, auf Augenblicke 
verschwindet es ganz. Mit dem GwoW-Satze, der marsch- 
artig kraftig einsetzt, tritt die Variationenform wieder 
ein; die einzelnen Variationen haben freie Schliisse; im 

6* 



— ^ 84 -^^ 

Uebrigen wiederholt sich der ganze Prozess der ersten 
Halfte. Bis dahin erscheint das Finale der Eroica, so viele 
schone Momente darin vorkommen, im Verhaltniss zu den 
andern Satzen etwas zu leicht. Am Ende jedoch, mit der 
frominen Episode , in der das zweite Thema als Andante 
erscheint, erhebt es sich und schliesst allerdings etwas 
kurz abgebrochen, aber mit dithyrambischem Schwunge. 
L. Y, BeethoTen Beethovens vierte Sinfonie {H dur Op. 60), welche 
B dnj-Sinfonie ixn Jahre i806 entstand, wurde im Anfang des Jahres 
®* i808 zuerst in Wien, kurz nacheinander zweimal aufge- 

fiihrt erst im Theater und dann im adligen Liebhaber- 
concert, und erfreute sich sogleich, wie berichtet wird, 
eines reichen Beifalls. Heute theilt sie mit der ihr 
geistig verwandten 8. Sinfonie das Schicksal einer ge- 
wissen Zurucksetzung. Sie erreicht ihre Nachbarn zur 
Rechten und Linken, die Eroica und die CmoW- Sinfonie 
weder in der Breite des Aufbaues und der ausseren Di- 
mensionen noch in der Grossartigkeit der Combinationen ; 
sie ist aber dennoch eins der eigenartigsten und vollen- 
detsten Werke der Beethoven'schen Kunst und reprasen- 
tirt unter den Sinfonien eine Gattung fiir sich. Was sie 
auszeichnet, ist die Frische und Unmittelbarkeit der Ge- 
staltung. Sie gleicht darin einigen der Klaviersonaten, 
dass sie mehr phantasirt und improvisirt, unter einem 
fortwahrenden Zufluss neuer Gedanken entstanden, als 
gearbeitet erscheint. Ein zweites Element, welches sie 
aufs starkste kennzeichnet, ist der romantische Hang, 
das Helldunkel, in welchem die Phantasie, mit Ausnahme 
des letzten, in alien Satzen dieses Werkes zu verweilen 
liebt. Dieser romantische Zug macht sich ausserlich be- 
merkbar in dem zogernden Aufbau der Melodien, in dem 
langen Festhalten der Harmonieii, in der versteckten 
Einmischung der Dissonanzen, in der bald in scharfen 
Contrasten springenden, bald traumerischen Dynamik: 
Erscheinungen, die uns in keiner zweiten Sinfonie Beetho- 
vens so systematisch entgegentreten wie in alien den- 
jenigen Partien der B-dwr- Sinfonie , in denen nicht der 
stiirmische Frohmuth offen proclamirt ist. 



-=«- 



85 



Nach einer dammemden Einleitung bricht das Allegro 
des ersten Satzes in urwiichsiger Derbheit los. Das Haupt- 
thema ist folgendes: 

Allegro TlTaee. 






^^''iiiP^P'»ptt^Hp^p^P^pHj'/^P^P^P> i J^^P>p>p^i 




die beiden Elemente des 

Satzes: frohes Ungestiim und geheimnissvolles Sinnen 
verbindend. Ihm folgt ein selbstandiges Seitenthema, 

welches iiber das Motiv: ^^-Jl JVj- J [ ^ zu einer Re- 
petition des ersten uberleitet. Das zweite Thema zerfallt 
in 2 Hauptgruppen , deren Grundmotive die folgenden 

sind: 7'i>''lLfJlrr Jirrrrp ii'i7f] \ ,i Zwischenihnen 

stehen noch weitere selbstandige Gedanken; die Ueppig- 
keit der Phantasie zeichnet diese Sinfonie aus. Auch 
die Durchfiihrung tiberrascht durch eine ganz neueldee: 

eine herrliche Melodie : J )!' ^"Jf^f | T "f T \\f2-^ 

mit welcher eine Strecke lang die beiden Gruppen des 
Orchesters, Geiger und Biaser einen Wechselgesang voll- 
fuhren. Ganz eigen ist der Schluss dieser Durchfiihrung, 
das Einschlummem der Instrumente in entlegener Tonart, 
die Fiihrerrolle , welche die Pauke in diesem Momente 
iibernimmt, und der eilige Rtickzug, den das verlorene 
Gros unter ihrem immer lauteren Commando bewerk- 
stelligt. In dem Scherzo der C twoW- Sinfonie findet sich 
ein ahnliches und doch wieder sehr verschiedenes Seiten- 
stiick zu dieser Stelle. 

Das Adagio, ein wunderbares Stiick verklarter Poesie, 
hat folgenden Gesang zum Hauptthema: 

Adagio. 




jp cantabiU 



^M-7i:rgfr]r 



? 



Crete. 



m 



-<«- 86 -»- 



Die Form dieses Satzes ist so Tein und einfach, dass 
er keiner Bemerkung bedarf. Das zweite Thema, in dem 
Momente eingefuhrt, wo die vom Anfange an im Satze 
lauernden Geister der Schelmerei und des Humors liber das 
Mass zu gehen Miene machen, wird von der Clarinette 
vorgetragen, das Fagott bringt einen Nachgesang 'dazu. 
In der Stimmung kniipft dieses zweite Thema an die leise 
und edle Melancholie des Hauptthemas wieder an. 

Derdritte Satz, welcher nicht ausdriicklich als Scherzo 
iiberschrieben ist, hat die ausgesprochene Natur eines 
Capriccio. Er lasst eine etwas herausfordernde Lustig- 
keit gegen einige tible Humore ankampfen. Das Anfangs- 
motiv seines Hauptthemas 

gibt den Haupt- 




stoff zum Bau des Satzes. Der in den ersten Tacten dieses 
Themas schon gegebene Gegensatz von 2/4 und 3/4 Tact 
geht durch das ganze Stuck und verstarkt den Eindruck 
einer bald iibermiithigen, bald eigensinnigen Natur. Das 
Trio ist eins der kostlichsten Bilder naiver und unschul- 
diger Freude, eins jener Kunstwerke, die man nicht horen 
kann, ohne die Musiker zu beneiden, welche sie ausfuhren 
diirfen. Die Oboe fiihrt das einfache Thema: 






i I f I r r 1 1' r I r I r r 1 r ^ r 1 r 1^ 



In die Pausen streuen die Violinen allerhand kleine 
Neckereien hinein — am Ende des Trios wachst die lie- 
benswurdigeMelodie zustolzerPrachtheran. Schon der erste 
Satz der Sinfonie zeigt einige Mozart'sche Spuren; sie 
mehren sich im Finale so sehr, dass man die Vermuthung 
kaum abweisen kann, in den Hauptgedanken gehore dieser 
Satz einer friiheren Entstehungszeit an. Seine Themen sind 




U.Viol 



-^ 87 -^s- 

mit dem Nachsatze £^ f^p \ J' /) | J » J f » I J j und 




p p 

Sie ergeben eiuen Satz von brillantem, funkelndem 

Effect, von dramatischer Lebendigkeit und frappantem 
Humor, dessen heitere Natur nur durch einige breite, un- 
barmherzig dissonirende Accorde, die Einfalle einer rauhen 
Laune, gestort wird. 

Die funfte Sinfonie [CmolX] ist mit der Pastoral- 
sinfonie zusammen veroffentlicht worden. Beide Werke, 
welche die Opuszahlen 67 und 68 ttagen, warden auch 
zusammen in demselben Concert zuerst aufgefuhrt, wel- 
ches Beethoven am 22. December \ 808 im Theater an der 
Wien gab, einem Concerte, das durch die Reichhaltigkeit 
seines Programms als Curiosum in der Concertgeschichte 
dasteht. Es umfasste zwei grosse Chorwerke, die Chor- 
fantasie, das Clavierconcert in G, eine freie Fantasie, die 
Pastoralsinfonie (als Nr. 5), die CmoW-Sinfonie (als Nr. 6 
bezeichnet). Gleichwohl sind die beiden Sinfonien zu ver- 
schiedener Zeit entstanden* Die ersten Arbeiten an der 
G moll-Sinfonie reichen bis in die Jahre 4 800 und iSOi zu- 
riick. Das ausserordentliche , in jeder Faser Beethoven- 
sche Werk hat den Meister auch ausserordentlich intensiv 
beschaftigt und ist unter denjenigen Arbeiten, mit welchen 
er sich aussergewohnlich lange trug — vergleichen wir nur 
die Ddur-Messe und die 9. Sinfonie — vielleicht diejenige, 
bei welcher die endgiiltige Form alle Intentionen des 
Schopfers ohne Rest aufnahm. Von vielen Beurtheilern 
wird die C moll-Sinfonie als der Hohepunkt nicht bios 
der Beethoven'schen, sondern uberhaupt der Instrumental- 
musik bezeichnet, jedenfalls ist sie eins derjenigen Kunst- 
werke, uber deren Gewalt Alle einig sind. Selbst Die- 
jenigen, welche amusischen Geistes sind, pflegen vor der 
G moll-Sinfonie eine leise Regung von Respect zu haben. 
Jeder fuhlt, dass aus dieser Sinfonie ein ungewohnlicher 
Geist spricht. Es liegt etwas Titanisches in ihrem Zorn 



-«- 88 ^ 

Tind ihrem Trotze, in ihrem Schm^rze und auch in dem 
Rausche der Begeisterung, in welchem sie schliesslich 
ausmiindet. Man konnte sich vor diesem Kunstwerke 
an vielen Stellen furchten, wenn nicht aus dem Hinter- 
grunde seiner nachtigen Fantasien auch freundlichere 
Genien auftauchten; es wiirde uns transcendental und 
nur ehrwurdig bleiben, wenn es den Blick nicht ausser 
auf unendliche Sternenweiten auch auf trauhches Erden- 
land lenkte, wo uns Boten der Sehnsucht, des Humors 
und diejenigen Menschengeftihle begegnen, welche das 
Walten eines guten Gemiithes verkiinden. Die Darstellung 
in der C moll-Sinfonie ist heiss und urspriinglich, wahr, 
nothwendig einheitlich und dabei so scheinbar einfach 
und klar, dass das Werk trotz der Grosse seines Inhalts 
popular geworden ist. Was diesen Inhalt der C moll- 
Sinfonie bildet, wer getraut sich das ohne Fehler zu 
iibersetzen? Beethoven soil dem ersten Satze dieses 
Werkes das Motto gegeben haben: »So klopft das^chick- 
sal an die Pforte«. Wir betonen aber das Wort »soll«. 
Es ist das Charakteristicum musikalischer Kunstwerke, 
dass sie die Fantasie des Horers anregen, ihn wohl auch 
auf bestimmte Bilder fiihren. Aber es ist vermessen, das 
eine dieser Bilder fur das ausschliesslich richtige zu halten 
und zu proclamiren. Die Zahl der benannten Grossen, 
welche derselben algebraischen Formel entsprechen, ist 
in der Kegel nicht klein: » Ratio multiplex, Veritas una«! 
Aber der allgemeine Gang der Fantasie, nennen wir es 
die Grundidee, in der C moll-Sinfonie ist so klar ausge- 
pragt, dass man sie nennen muss: Es ist der Weg »aus 
Nacht zum Licht«, per aspera ad astra, jener in der sin- 
fonischen Kunst so oft gesuchte und noch ofters verfehlte 
Weg! 
L.T. Beethoven Der erste Satz ist eine der glanzendsten Bestatigungen 
^'"'*Nf^5^^°^^ fiir einen in jeder Kunst sattsam erprobten Erfahrungs- 
satz : dass mit der Schwierigkeit der technischen Aufgabe 
bei starken Geistern auch die Fantasie wachst, der Flug 
der Gedanken kuhner wird und die Ideen an Macht, 
Kraft und Reichthum zunehmen. Von der technischen 



-<• 89 -»>- 

Seite aus betrachtet, ist der erste Satz der Cmoll-Sin- 
fonie eins der verwegensten Kunststucke: Denn sein 
wesentliches Grundmaterial besteht aus den vier Noten, 
welche lapidar und erschreckend den Eingang des Werkes 

^ ^ Allegro con brio. ^ 

bilden : -A^K jj ^ ;j_J | j | . Nach Czerny soil ein 

Goldammer Beethoven im Walde dieses Motiv zuge- 
tragen haben. Zwar hat der Satz ein zweites Thema: 

Aber dasselbe ist in dem grossen psychologischen 
Process nur ein momentanes Beschwichtigungsmittel, 
iiber welches die Combinationen jenes Urmotivs 
achtlos hinwegschreiten. Es wird bei seinem ersten Er- 
scheinen schon von den Bassen mit jenen vier unruhigen 
Grundnoten drohend empfangen, verfolgt und bald in den 
Strudel der wogenden Aufregung hineingezogen. Auch 
Aeltere, namentlich S. Bach, haben mit einem einzigen 
kurzen Motiv zuweilen ausgefiihrte Satze gebildet. Aber 
dies sind Praludien und kleinere Stiicke — hier aber 
haben wir einen ganz colossalen Satz von gegen 500 
Tacten! Dabei aber ist dieses Kunststiick zugleich auch 
die hochste Leistung im leidenschaftlichen Style, welche 
bis dahin vielleicht die ganze Instrumentalcomposition, 
ganz gewiss aber die Orchestermusik aufzuweisen hat — 
eine Leistung, die in der Folge fraglich ob wieder erreicht, 
jedenfalls aber nicht iiberboten worden ist. Den Gang 
des Satzes im Einzelnen zu beschreiben, ist nicht durch- 
fuhrbar, wohl auch nicht nothig. Nach so und so viel 
ruhrenden und erschiitternden Versuchen kommt das 
Ende auf den Anfang zuriick. Es ist das Bild eines er- 
greifenden Kampfes, der durchgefiihrt wird: Wohin wir 
in unserer Fantasie den Schauplatz desselben legen, in 
die menschliche Seele oder in die Natur: seine Phasen 
sind mit der schauerlichsten Deutlichkeit wiedergegeben. 
Den kritischen Mittelpunkt bildet jene Partie im Durch- 
fiihrungstheile, wo das Anfangsmotiv des zweiten Thema 



90 



H" ' i ' i I J ' 



entscheidend eingreifen 
will und einen verzwei- 



^ if if' 

felten und qualvollen Heldentod erleidet. 

Wie eine holde Geisterstimme, die uns mit Trost und 
Hoffnung fiillen will, setzt der zweite Satz (Andante con 
Moto, As dur, s/gTact) mit einem lieblichen Thema ein, 
welches Gelli und Bratschen unisono vortragen: 



^^ 





Die weitere Ausfiihrung 
-J, erinnert an manche Mittel- 

satze in Haydn'schen Sinfonien, indem hier wie dort das 
Hauptthema nach eingetretenen Zwischensatzen auf man- 
nigfache Weise variirt wird. An Originalitat ist es dem 
ersten Satze nicht gleichzustellen, obwohlr der Gedanke, 
immer zwischen dem schmeichelnden, wehmiithigen Haupt- 
theil in As dur einen pomphaften Marsch aus C dur mit 
Pauken und Trompeten eintreten zu lassen, sehr frappant 
wirkt Ohne Zweifel ist diese dreimal auftretende und 
jedesmal mit neuen Ueberraschungen eingefiihrte Cdur- 
Episode als ein Hinweis auf das Finale und seine Freuden- 
sphare zu betrachten, wie iiberhaupt der Charakter dieses 
Andante als eines im Ganzen vermittelnden Theiles nicht 
zu verkennen ist. Der furchtbare Geist, welcher den 
ersten Satz der Sinfonie regierte, ,blickt in dem Andante 
immer noch aus Wetterwolken heraus. Aber es klingt 
ihm muthige Kriegs- und Siegesmusik entgegen und die 
freundlichen und friedlichen Gestalten kommen wieder 
aus dem Versteck hervor. Eine davon, welche in den 
Holzblasem sich unmittelbar an das Hauptthema an- 
schliesst, wirkt ganz besonders durch die Beharrlichkeit, 
mit welcher sie bestandig unverandert — sogar stets in der- 

selben Tonart 
— zuriickkehrt: 




Das thematische Material des dritten Satzes: ist folgendes 
fiir den Haupttheil 

a) Bissf A ^ ^ - Viol. 



fV"' J I - I J J J I J - iJ J Ji J. i r J J i - i 



fiir den das Trio ersetzenden Mitteltheil: 



tj^ i*- - jii* »■■>■- ^R— 1 ir~^^-E - 5 des Haupt- 

thema folgen im Satze unmittelbar wie oben, fiir die 
Entwickelung des Satzes wird besonders das Motiv 6 
ausgenutzt. Wahrend in den meisten andern Sinfonien 
Beethovens im dritten Satze eine ausgelassene Frohlich- 
keit ihre Feste feiert, will bier — wo, wahrscbeinlich 
nicht zufallig, auch die Bezeichnung Scherzo fehlt — die 
gute Laune noch nicht recht in Gang kommen. Das 
nahere Verwandtschaftsverhaltniss, in dem bei Beethoven 
sehr haufig der dritte Satz zum ersten steht, kommt hier 
mit besonderer Deutlichkeit zum Ausdruck. Es zeigt sich 
ausserlich in den vielen Fermaten, welche beiden Satzen 
gemeinsam sind, und mehr noch innerlich in dem vor- 
wiegend diistern Charakter dieses » Scherzo «. Heiter ist im 
Hauptsatze desselben nur der Rhythmus, die Harmonien 
sind gedriickt, die Melodien fragend und schwermiithig, 
fremdartig durch den Klang der Instrumente, welche sie 
an den wichtigsten Stellen vortragen: das Motiv a die sonst 
nur fiir den schweren Dienst verwendeten Contrabasse, das 
Motiv b die Horner. Auch der Mittelsatz, mit seinen poltern- 
den Figuren und seinem eifrigen Fugiren, verwischt den 
Eindruck des Aengstlichen, halb Unheimlichen noch nicht: 
Sein Humor ist etwas forcirt und ungeheuerlich, er deutet 
eine gute Wendung der Sache mehr an, als dass er sie schon 
bringt. Als sich der Larm seiner gewaltigen Laufe mehr und 
mehrverloren hat, erscheintdas Scherzomotiv wieder : dies- 
mal pizzicato. Man hort nichts mehr als einige von den 
Violinen halb hingehauchte Varianten des Motivs b und 
dazwischen ein seltsames, halb unterdriicktes Schluchzen 



-0- 92 -e- 



a) 



der Fagotte. Dann bricht der Gedanke ganz ab. Das 
Orchester macht Miene den bosen Traum zu verschlafen ; 
nur die Pauke halt im pp noch den Rhythmus wach. Es 
folgen einige Tacte voll mysterioser Harmonien und einer 
Ruhe, dass das Ohr zu horen zaudert, bis die Pauken- 
schlage rascher werden, die Violinen sich winden und 
raffen und endlich das ganze Orchester wahrhaft fieberisch 
sich auf den leuchtenden Cdur- Accord stiirzt, mit dem 
der Triumphmarsch des Finale beginnt. Mit seinem un- 
beschreiblichen Jubel, mit Kraft und Schalkheit erstickt 
er alle finsteren Anwandlungen , die aus den friiheren 
Satzen in den Schluss hineinziehen mochten. Die Themen 
sind einfach bis zur Trivialitat: 

Allfig^ro. 



h] 



c) 



d) 




In der Instrumentirung ist nichts Ausserordentliches 
als der Zusatz von drei Posaunen, die hier zum ersten 
Male in Beethovens Sinfonien erscheinen — aber der innere 
Schwung und die Kunst des Componisten erreichen mit 
diesen gewohnlichen Mitteln eine elementare, donner- 
ahnliche Wirkung. 

Mit Recht ist die Cmoll-Sinfonie Beethovens seine 
popularste. Sie war das von allem Anfang ab. Kaum 
bekannt geworden, findet sie sich in den Programmen 
der Virtuosen-Concerte ebenso gut wie auf den eben 
ins Leben tretenden Musikfesten — eine nie versagende 
pi6ce de resistance! 



93 

Wie Beethoven auf die Eroica die vierte Sinfonie 
folgen liess, so schickte er ahnlich auf den schweren 
Kampf der C moll-Sinfonie sich und den Freunden sei- ",' ^' ^®.***^°^.®^ 
ner Muse zur Erholung die Pastorale nach. Nr. e'^ipastoraie. 

Die Biographen erzahlen uns von des Kiinstlers le- 
bendigem Gefiihle fiir die Schonheiten von Wald und 
Flur, von seinem unablassigen Studium der Naturphilo- 
sophie jener Tage. Beethoven hat seinem Wohlgefallen 
an Wachtelschlag und Waldesrauschen , seiner Freude 
und innigen Liebe zu Gottes freier Schopfung in vielen 
Werken Ausdruck gegeben; in keinem glanzender als in 
seiner Pastoralsinfonie. 

Sie gehort bekannthch der Programmmusik an, sie 
ist aber ein Idealwerk dieser Richtung, welche, wie friiher 
schon erwahnt, um die Neige des vorigen Jahrhunderts 
in Siiddeutschland und Wien einen starken Anhang hatte. 
Von keinem Lessing geschreckt, unbekiimmert um die 
— heute noch nicht festgestellten — Grenzen der Musik 
suchte ein grosser Theil der damaligen Instrumental- 
componisten die Stoffe mit der grossten Ungenirtheit in 
alien Gebieten der sichtbaren und der gedachten Welt: 
in Philo Sophie und Geschichte, in den Werken der Dich- 
ter und den Phanomenen der Natur. Jedes Verlags- 
verzeichniss brachte neueBeitrage zur beschreibendenTon- 
kunst: immer mehrere zugleieh: 3 Sinfonien a) Belagerung 
Wiens, b) le portrait musical de la nature, c) Konig Lear 
(im Jahre i792), drei weitere aus derselben Zeit, a) la 
tempesta, b) I'harmonie de la nature, c) la bataille. Und 
noch grosser war dem Anschein nach die Zahl der un- 
gedruckten Versuche, welche auf diesem Felde gemacht 
wurden. Noch bis in die Zeit Schumanns und seiner 
Neuen Zeitschrift hinein lassen sich die Spuren der rei- 
senden Orgelspieler verfolgen, welche standig auf ihrem 
Programm ein » Donnerwetter « mit sich fuhrten. In einem 
Concertzettel des bekannten Abt Vogler findet sich eine 
solche Orgelmalerei , welche vor der Pastoralsinfonie be- 
reits an diese erinnert: »das vergnugte Hirtenleben, von 
einem Donnerwetter unterbrochen, welches aber weg- 



94 

zieht, und sodann die naive und laute Freude desshalb.a 
Beethoven lachte wohl iiber solche Malereien, wenn sie 
kindisch ausfielen, aber er verschmahte sie principiell 
nicht, und es war auch hier, wie Thayer richtig sagt, sein 
Ehrgeiz, die Zeitgenossen in der Anwendung vorhandner 
Kunstformen zu iibertreffen. 

Der erste Satz hat die Ueberschrift : wErwachen hei- 
terer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande. « 
Von der ersten ausfiihrlichen Recension ab, die iiber die 
Pastoralsinfonie erschien (Allgem. Musikal. Zeitung 4 84 0, 
S. 245) bis heute ist immer wieder die Reserve gelobt 
worden , . mit welcher Beethoven sich darauf beschrankt 
habe nur den Empfindungen, den innern Gefiihlen Aus- 
druck zu geben, welche das Landleben erregt. Nicht 
aber soil er versucht haben Aeusserlichkeiten des Natur- 
bildes nachzumalen. So ganz streng ist das nicht zu 
nehmen. Trotz des Titels steht in dem ersten Satze 
manches, was in die Kategorie der Empfindungen nicht 
passt. Die Triolen der Clarinetten und der andern Bla- 
ser nach dem Abschluss des Hauptthemas, der lange 
Triller der Geigen vor der Reprise sind doch zu deut- 
liche Anspielungen auf das Zirpen und Zwitschern der 
Vogel. Der feine Duft in der Instrumentirung, der durch- 
klingende Schalmeienton , die genrehafte kurzlebige Me- 
trik — das Alles ist doch in diesen ersten Satz als der 
musikalische Niederschlag reeller Erscheinungen des 
Naturlebens gekommen. Uns soil das Werk darum nur 
um so lieber sein. Was die technische Structur des 
Satzes betrifft, so zeichnet sie sich durch ihre zarte Be- 
weglichkeit aus und durch einen gewissen Miniaturen- 
charakter des verwendeten Materials. Solche leicht tan- 
delnde Themata hat Beethoven, in der siebenten und 
achten Sinfonie ahnlich, aber in keiner friiheren verwendet : 
Fiir Cantabilitat und grossen Ausdruck bietet nur die 
zweite Halfte des ersten Them a eine bescheidene Unterlage 

Allegro ma non troppo. ^ ^-.^ 



cresc. 



95 



f*^ I r f I /) ■ Der Zusatz von Dankgefuhl, welcher der 




Heiterkeit dieses Gedankens schonmit beigemischt ist,kommt 
in dem Zwischenmotiv, welches zum zweitenThema iiber- 

leitet, nochbe- 

redter heraus 

In seinen immer neuen Wiederholungen kann es sich 

gar nicht genug thun : es wandert durch alle Instrumente, 

iiberall das Bewusstsein der gliicklichen Stunde weekend, 

zu ihrem voUen Genusse ladend. Das zweite Thema 

selbst ist nur der Abschluss der begliickten Schwarmerei : 




\Ui \ ^TT\f^ 



r r' r I r^ ^ - in den formellen Elementen zeigt es sich 



dem ersten Thema mehr verwandt als entgegengesetzt. Fiir 
die Durchfiihrung hat der zweite Tact des ersten Themas 
Hauptbedeutung. Aus ihm entfaltet Beethoven breite 
Bilder, wechselnden Scenen der durchwanderten Natur 
gleich, die zum Staunen imd Lauschen veranlassen. 

Im zweiten Satz hat Beethoven die malende Ten- 
denz offen eingestanden : er nennt ihn: » Scene am Bacha. 
Im Vordergrunde dieser entziickenden Composition stehen 
als die Hauptthemen zwei leicht eingangliche , gesang- 
voUe Melodien, aus denen das ganze gliickliche Behagen 
einer von allem Tagewerk befreiten, der herrlichsten Ruhe 
und den lieblichsten Traumereien hingegebenen Seele 
spricht. Und wir diirfen Alles mitgeniessen. Der Ton- 
dichter fiihrtuns an den sonnigen Waldbach hin, wir 
sehen die glitzernden Wellen dahingleiten und horen ihr 
melodisches, fleissiges Gemurmel. Tausende von Lichtern 
blitzen durch die Baume; von ihren Zweigen, ihren Gi- 
pfeln schallen kleine zarte Stimmen; es neckt sich, es 
lockt sich; es lebt im Laub und im Grase; der Kukuk 
ruft, die Wachtel und die Nachtigall, und aus der Schaar 
der gefiederten noch so mancher andre ungenannte 



-0^ 96 -»- 

Sanger. Es ist ein so lebendiges Bild von dem heim- 
lichen Weben der Natur, so gliicklich gemischt mit mensch- 
licher Poesie, so natiirlich in dieser Mischung und in sei- 
nem ganzen Verlaufe. Wer wird es iiberbieten? 

Im folgenden Satze wird ein »lustiges Zusammen- 
sein der Landleutea geschildert. Man versammelt sich, 
sehr munter und leichtfiissig eilt das junge Volk herbei: 

Allegro. 

if h in 1 1 1 1 M I III I Mil I II ijjtj^^r 

Sofort wird auch der Vorschlag zu einem Talnzc hen gem acht, 

zunachst noch leise : X J | ^ 'f | i n f | i I L -7-g . 

Als immer mehr kommen, und es lauter und lauter wird, 
da ist die Moglichkeit eines Reigens Thatsache und wird 
mit urkraftiger, allgemeiner Zustimmung begriisst. Und 
nun beginnen jene drolligen Scenen, in welchen Beet- 
hoven sich als Bauernmaler mit vollendetem Humor und 
mit weitgehender Reahstik neben und iiber die Teniers, 
J. von Ostade, Adrian Brouwer und die andern Grossen 
der Branche stellt. In der Form dieser Schilderungen 
liegt ein zweiter grosser Spass, denn es ist darin sehr 
tibermuthig die saloppe Art und Weise copirt und paro- 
dirt, in welcher, wie heute noch, auch zur Zeit der Wie- 
ner Meister landliche Orchester zuweilen ihr Pensum 
Tanzmusik absolviren. Das sind ganz die richtigen, immer 
miiden und schlaftrunkenen Bierfiedler. Man hort lange 
Strecken nur begleitende Mittelstimmen und Rhythmus. 
Ddnn setzt eine Oboe ein, aufs Gerathewohl. Sie scheint 
eben erwacht, und hinkt ihre Melodie ein Viertel nach 
der Zeit hinterher. Ab und zu gibt auch ein andrer ein 
paar T5ne drein, um gleich wieder zu verschwinden. Von 
besonderer Komik ist namenthch der stereotype Einsatz 
des ersten Fagott, der immer nur f c blast. Dass Beet- 
hoven specifisch osterreichische Vorbilder fiir diesen aus- 
gelassenen Scherz im Auge hatte, zeigt der zweite Theil 
dieser Tanzmusik, der Zweivierteltact, welcher den Drei- 
viertel ablost. Die alte osterreichische Tanzmusik ist suiten- 



-^ 



97 



massig gehalten und liebt den plotzlichen Wechsel der 
Rhythmen. Nimmt man zu der Melodie dieses neuen Satzes 




mil ihrem Larm und ihren gewaltsamen Accenten, noch 
die breiten Rhythmen und die unbewegliche Harmonic 
der Begleitung, so ist das Bild einer plumpen und schwer- 
falligen Lustigkeit, einer Lustigkeit in Holzschuhen und 
Aufschlagstiefeln, vollendet. Ganz drastisch ist der Schluss 
dieses Mittelsatzes. Man tobt zuletzt, dass der Athem 
ausgeht: eine Fermate mit diminuendo bildet das iiber- 
raschende Ende dieses die Stelle des gewohnlichen Trio 
vertretenden Theils. Die Repetition des Hauptsatzes be- 
ginnt, sie wird aber schon bald durch eine Generalpause 
unterbrochen. Augenscheinlich macht sich etwas Be- 
denkliches bemerkbar. Endlich ist man wieder im alten 
Geleise; schon setzt die Dorfmusik wieder ein: Da 
kommt statt des regelrechten kraftigen Fdur-Accords ein 

^J-J-.l m ^^J tT' ^^ ^^^ Contrabassen und Cellos. Das ist 
'^H^ I ±^ ein Donnerschlag in der Feme. Man fluch- 



M*P 



tet, rettet sich und ruft angstlich und klagend durcheinander: 

Das Grollen 
des Donners 



fi'i niuijiijiiii ifiiTi 

•^ II.ViuL • *• etc. uod*^ PP I.Viol. 



•tc. uoi'" PP I.Viol. 

wiederholt sich, riickt naher, und nun im Fortissimo 

jbricht das Wetter 
Blitzezucken: 



^w;i'ifff i H^ ^E 




WindstSsse fahren ein- 
^^7 her, Regenschauer 

platzen nieder in machtigen Unisonos des ganzen Orchesters : 



jiVj PiPrrrf rrrlJ • 



Auf Momente tritt 
unheimliche Ruhe 



em 



dann zuckt es wieder auf und schlagt scharf und 

7 



-0- 98 

furchtbar drein. Den Ernst der Situation, den Hohepunkt 
der Krisis bezeichnen die Basse mit ihrem diistem Scalen- 
gang und seinen er- ijeLLy fi» rTr- hVTl J ^ 
schreckenden Accenten '" > ^ ^ ^ ^ ' "' ^^^ 



In das furchtbare Grollen und die Aufregung der 
Orchestermassen wirft jetzt auch der Piccolo seine 
schrillen Tone, die Pauke wirbelt starker, und zum 
ersten Male in der Sinfonie brechen die Posaunen 
los. Die Harmonie ist auf einem vier Tacte langen 
Septimenaccord erstarrt! Nun scheint aber auch das 
Schlimmste vorbei zu sein. Und so gewaltig Beet- 
hoven bis hierher im Aufthiirmen und Drohen war, so 
riihrend theilt und glattet er nun die Wogen und lenkt 
zu dem letzten Theil der Sinfonie iiber, dem »Hirten- 
gesangu, der unmittelbar ohne Pause an das »Gewitter« 
anschliesst. Wenn wir an diesem beendeten Satz die 
Wahrheit, die Macht und die Naturtreue der Darstellung 
bewundern, wollen wir nicht vergessen auch der noch 
schwierigeren Kunst, die er hier voll bewiesen, unser 
Augenmerk zu schenken. Das ist das Maass, welches 
Beethoven bei der Ausfiihrung der fiir die Tonkunst dank- 
baren Aufgabe hielt, der souverane Geschmack mit dem 
er aufhorte, nachdem das Nothigste aufs TrefFendste ge- 
bracht war. 

Der »Hirtengesang« (Allegretto %) soil »frohe und 
dankbare Gefiihle nach dem Sturme« schildern. Er thut 
es mit Motiven, welche von hier und da erklingen 
und deren pastoraler Charakter und deren Einfachheit 
Citate unnothig machen. Er thut es mit frommen 
innigen Gesang, mit Wendungen in das muntere 
Gebiet und mit mancher versteckten und sinnigen 
Anspielung an Motive des ersten und zweiten Satzes. 
Aber er thut das Alles in einer etwas sehr ausfiihr- 
lichen Weise, mit Variationen, Fugatos und andern 
Formen, die der Wirkung seiner schonen Idee von jeher 
etwas Eintrag gethan haben. Zu Beethovens Zeit wurde 
darauf hingewiesen, dass Haydn in seinen Jahreszeiten 
das gleiche Sujet, weil kurzer, effectvoUer behandelt babe. 



99 



Die siebente und achte Sinfonie sind wieder Zwillings- 
werke: beide wurden in demselben Jahre 1809 skizzirt 
und spater als op. 92 und 93 verofFentlicht. Die Musik 
beider Werke tragt die Ziige einer und derselben sonni- 
gen Heimath, beide sind von grandioser Heiterkeit, die 
eine mit einem starken Schatten darin, die andere ganz 
ungetriibt — aber merkwiirdiger Weise hat die achte 
nichts von der iiberreichen Popularitat der siebenten, der 
Adur-Sinfonie erringen konnen. Zum Aerger Beetho- 
vens, welcher zu sagen pflegte: die achte sei viel besser 
als die siebente. In Wien wurde Jahre lang die Pasto- 
ralsinfonie schlechthin als die Sinfonie in Fdur ange- 
zeigt, als ob die achte gar nicht existirte. Erst neuer- 
dings zeigen die Concertzettel die Tendenz, dieses Hohe- 
lied des Humors zu Ehren zu bringen. 

Aehnlich wie die zweite Sinfonie eroffnet die sie-i,, 7, Beethoven, 
bente eine lange ausfuhrliche Introduction, ein herr- a dur-sinfonie 
liches, traumerisches Tongemalde , in dessen Bann der Nr. 7. 
Zuhorer ganz vergisst, dass es nur eine Einleitung sein 
soil. Auch Beethoven hat mit gleicher Liebe kaum eine 
zweite Introduction behandelt. Ihre Hauptmotive sind 

Foco sogte nnto. 




beide zum' ersten Male von der Oboe eingefiihrt, 
Aehnlich wie in der letzten Ouvertiire zu »Fidelio«. 
der in E, benutzt Beethoven die ersten beiden Noten 
des Adur-Themas zu romantischen Bildern, iiber 
denen jetzt Mondschein, jetzt der Glanz der pran- 
genden Sonne liegt. Plotzlich , wie auf den Wink eines 
verschwiegenen Programms bricht er dann diese Scene 
erhabner Schwarmerei ab und lenkt in neckischer Fiih- 
rung der Instrumente iiber ins Vivace, dessen Haupt* 
thema 




100 






JJ^JT^ I ^J I _J^i^|.[nir^rpip^.r7] i rrp i 



vi«L ^ r 

zugleich auch im Wesentlichen das Einzige des Satzes 
ist. Derselbe ist in dieser Beziehung, in der Ausbeutung 
eines beschrankten Grundmaterials mit dem Eingangs- 
satze der C moll-Sinfonie verwandt, im Charakter selbst- 
verstandlich ganz verschieden. Beethoven gewinnt dem 
naiven pastoralen Grundgedanken des Satzes Wendungen 
von hoher Pracht und Erhabenheit ab; das Gebiet 
des Leidenschaftlichen und des Dunklen wird nur ge- 
streift. Reich ist der Satz an langgemessenen Perioden, 
Producten einer ungewohnlichen Macht und Grosse der 
Empfindung. Das kurz abbrechende Element, das den 
Schluss der Einleitung charakterisirte, kehrt auch in die- 
sem Vivace wieder: es iiberrascht uns am Eingang der 
Durchftihrung sowohl als an dem der Coda. Letztere 
tritt unter seltnen Zeichen ein: mit Generalpause , mit 
einer ganz unerwarteten Ausweichung der Harmonie nach 
As und einer langen Satzbildung iiber einem kurzen Basso 



ostinato folgenden Inhalts y *»*^ [f*^** Jj i J | |J)^J :iii::j . Was 



«ns andere Stellen vernehmlich genug andeuten, das zeigt 
uns diese ganz deutlich und unverkennbar, dass namlich 
hinter der anscheinend dominirenden, manchmal grellen 
Heiterkeit dieses Satzes dochhohere und ernstere Gedanken 
wachen, die sich nicht iibertauben lassen. Es besteht ein 
Zusammenhang zwischen dieser Stelle und dem edlen Pathos 
der Introduction, ein Zusammenhang der sich auch noch 
in der Melancholie des Allegretto und in den feierlichen 
Visionen, welche dem Trio des Scherzo zu Grunde liegen, 
verfolgen lasst. Wie ein leitender Faden geht durch die 
ersten Satze dieser Sinfonie der halbVerschwiegene Kampf 
zwischen einer jetzt harmlosen, alltaglichen, jetzt wilden 



J J J-* J >< " -> 



J J 



it J 






101 



*>- 



Frohlichkeit und einer hoheren Sinnesart. Die Sinfonie 
erscheint unter diesem Gesichtspunkt als ein Lebensbild, 
aber nicht als ein rein freundliches. Das Ende deckt 
ein iroriischer Humor. 

Der zweite Satz der A dur-Sinfonie, Allegretto tiber- 
schrieben, ist von Alters her beriihmt. Die Berichte aus 
den Jugendjahren des Werkes theilen von jeder Auffiih- 
rung fast mit, dass dieser Theil zur Wiederholung ver- 
langt worden und gebracht sei. Das Allegretto besitzt 
jene seltne Art von Originalitat , die sofort verstanden 
und sympathisch aufgenommen wird. Am Eingang und 
Ausgang des Satzes steht wie eine Erscheinung aus frem- 
dem Lande ein Blaseraccord, auf eine Quartsextharmonie 
kiihn und vielsagend hingestellt. Dann beginnen die 
tiefen Saiteninstrumente still und leise das merkwiirdig 
resignirte Thema: 



I r i .jj i jj].! I I n 1 1 J I"] I 



mit dem gebrochnen Marschrhythmus hinzustammeln. 
Erst mit dem Eintritt der Geigen kommt Fluss in die 
Sprache : Celli und Bratschen begleiten mit einer Melodie 
von innig sehnsiichtigem Ausdruck 



■"t^ l f f^'Tr\ f 




/» 



Je mehr sie aus ihrem anfanglichen Versteck heraus- 
tritt, um so warmer wird der Ton der Darstellung. Wie 
einer Bitte die Verheissung, so folgt diesem edel weh- 
miithigen Satze eine einfach sanfte, freundliche Melodie, 
die wie eine Mutterstimme trostend und zusprechend aus 
der Glarinette weich heriiberklingt: 




•to. 



Der einfache Contrast von Moll und Dur wirkt hier mit 
ganz urspriinglicher Elementarkraft. Die Basse klopfen 






• •. 



* _ _ _ 

* 






•• •• *. »• 



102 

tinter diesem Gesang den alien Marschrhythmus leise 
weiter, der wie Cerberus unter Orpheus' Saitenspiel zu 
erweichen scheint Mit einem Male aber fahrt er wie 
eine Tigertatze hervor; schrill und heftig durchsausen 
die trotzigen Achtel das Orchester von einem Ende zum 
andern. In veranderter und erweiterter Form beginnt 
die Repetition. Nachdem die zweite Gruppe wieder vor- 
beigezogen, folgt das Ende sehr rasch mit all der eigen- 
thtimlichen und schmerzlichen Schonheit eines gewalt- 
samen Abschiedes. 

Mit derselben Erscheinung eines unbarmherzigen Los- 
reissens von prachtigen Bildem endigt auch der dritte 
Satz. Das Trio mit dem Thema: 

Assal meno presto. 

i t< r>7i> i i I rrfTf i 1 1 mrr r i 



bildet den paradiesischen Theil dieses Satzes. Es ist 
nicht auszusagen, welch ein zauberhaftes Tongebilde 
Beethoven dieser einfachen Melodie entlockt hat, wie er 
hier das Schone in immer neuen Arten ausbreitet von der 
lieblichen stillen Idylle, mit welcher die Holzblaser ein- 
setzen, bis zu den im Sonnenglanze strahlenden, festlichen 
und feierlichen Schlusse, in dem das Thema unter Pau- 
ken und Trompetenklang mit dem vollen Orchester wie 
auf dem stolzen Siegeswagen einherzieht. In einer genial- 
energischen Weise, die ohne Gleichen ist, hat Beethoven 
in diesem Trio den Effect einer sogenannten liegenden 
Stimme angebracht. Den ganzen Triosatz durchschimmert 
der gleiche Klang eines festgehaltenen a; bald schwebt 
dieser Ton in den Violinen iiber den Melodien, bald leuch- 
tet er aus den unteren Instrumenten in den Gesang des 
Orchesters hinein; am eigenthiimlichsten an den Stellen 
wo das zweite Horn ihn murmelt. Scharfer als sonst 
woUte Beethoven hier das Trio gegen den Hauptsatz con- 
trastiren lassen. Die Tonarten zeigen das schon: D zu 
F. Der Hauptsatz selbst ist ein echter, der Capricen 
voller Schwarmgeist. 



-<«• 



103 



PresU. 



, rrMM. k) 

f^' J' tL'"-" I ' I 1^ ^ I ' 



J. I r r r 1 1 I M I I f I .1. i "j J J I c"3 i 



cle. 

Seine Haupttriimpfe spielt er in seinem zweiten Theile 
aus, wo auf Grand der Motive a und c der uberraschendste 
Schabernack, namentlich auch in metrischen Dingen ge- 
trieben wird. Der Bau des ganzen Satzes ist abweichend, 
aber einfach, namlich : Hauptsatz und Trio zweimal. Der 
Hauptsatz wird zum dritten Male durchgespielt, auch das 
Trio setzt zum dritten Male ein, gelangt aber nicht iiber 
den zweiten Tact hinaus; sondern Beethoven schlagt ein 
Schnippchen und »spritzt die Feder aus«, wie Schumann 
sagte. 

Das Finale ist einer der ausgelassensten Satze in 
der ganzen Musik. Es tollt daher wie von der Tarantel 
gestochen, jauchzt, schreit auf in wilder Lust: 

AHegro eon brio. 




pocht auf in iiberschaumender Kraft 




und mischt auch in seine Grazie 
etc! einen Zug des Grotesken: 




i? irr Bf1ir »*fr <riif iff ij1if nfr », fTir »'f 7 ^ 




. Ein formelles Element, 

welches sich an diesen Themen nicht einfach beweisen 
iasst, aber in ihrem Zusammenhang ersichtlich wird, ist 
die Hereinziehung ungarischer Rhythmen und Anklange. 



104 



DieCombinationen, in welchen Beethoven das hier skizzirte 

Ideenmaterial entwickelt, streifen zum Theil ans Masslose : 

hervorgehoben sei unter ihnen der colossale Orgelpunkt 

beim Beginn der Coda. Manche Intentionen des Ton- 

setzers sind mit einer gewissen iibermuthigen Hartng,ckig- 

keit ausgefiihrt und auf die Spitze getrieben worden. Es 

l^sst sich nicht leugnen, dass darunter auch die klangliche 

Klarheit und Ausfiihrbarkeit des Satzes gelitten hat. 

L B tho en ^^^ achte Sinfonie (Fdur) beginnt ohne Einleitung 

Fdur-sinfonie ^^^ Themen die eine laute Frohlichkeit , ein Behagen, 

Nr. 8. aber noch nicht einen wirklichen Humor ausdriicken: 

Hauptthema. 
Allepro Tirace. 




T^r \Oii\m 



Seitenthema. 




In dem Abschnitt b des Hauptthemas liegt sogar ein 
sinnendes, zogemdes Element, welches das zweite Thema, 
trotz seines tandelnden Eintritts, theilt und in fast star- 
kerem Grade besitzt. Der Schalk kommt erst spater und 
zwar am Schlusse dieses zweiten Thema wo die Basse 
dem Ritardando und dem Septimenaccord ein rasches 

Ende machen *P pj 'J iJ J ^ ^ | f und Kraft und Leben in 

der Versammlung wecken. Doch bleibt dem ganzen 
Satze ein elegischer Rest — sehr schonen Ausdruck hat 
er in dem zweiten Seitenthema gefunden 




Der Hauptzweck der Durchfiihrung ist ihm die weitere Aus- 
dehnung zu bestreiten, was in einer launig barschen Art auch 



-^ 105 -B^ 

ausgefiihrt wird. Trotzdem behalt er mit dem heimlichen 

Schluss des Satzes: ^^ p ^ p p p | J i i | das letzte Wort. 

Dem stark humoristischen Grundzug dieser Sinfonie 
zuliebe hat Beethoven auf einen langsamen Satz in ihr 
verzichtet und infolge dessen den Mittelsatzen dieses 
Werkes einen von dem an dieser Stelle Gebrauchlichen 
ganz abweichenden Charakter gegeben. Der zweite ist 
ein richtiges Allegretto; es hiipft auf Kinderfiissen dahin, 
jugendlich durch und durch, unschuldig und reizend, 
scheinbar wie in einem Zuge hingeschrieben. Es ist 
eins der genialsten und gewinnendsten Stiicke im gra- 
ziosen Genre. Der dritte Satz ist eine echte Menuett 
im alten Schnitt, in halb liebevoller, halb humoristischer 
Hingabe an altvaterisches Wesen und Branch ausgefiihrt. 
Wie getreu ist die gemiithliche Gravitat und die Innigkeit, 

Tempo di Men. 

mit der vordem ge- ^ ^ f ' des Anfangsmotivs, wie 
tanzt wurde, in dem gf '^ ^ I ' launig die Umstandlich- 

keit, mit der angesetzt, ausgeholt und der Takt probiert 

Tempo di XenuettOj 

wurde, 0, „ ^ ,if ^ K 



m 



irde, ^L II rt, iK^K^^r^ i^^^V^ wiedergegebenlDas 

dem {p ^ it J^ j I Jl Jl fj I TJ^ P Trio ist ein ver- 



klarter Dittersdorf, eine wunderliebliche Idylle aus der alt- 
wienerischen Musikantenzeit , tiber dessen Charakter der 
Clavierauszug keine geniigende Auskunft gibt. Es stehen 
in dem Satze manche kleine Scherze im Style der Dorf- 
musik in der Pastoralsinfonie. — Um alien Missverstand- 
nissen in der Behandlung dieses dritten Satzes vorzubeu- 
gen hat ihn Beethoven » Tempo di Minuetto« iiberschrie- 
ben d. h. nicht ein blosses Titularmenuett, wie sie Haydn 
oft schreibt, sondern eins mit der Poesie und dem Tempo 
der Spiessburgerzeit! 

Das Finale, dessen Hauptthema: 

Alleg^ro Tivace. 



406 



^if ^^rrf hffrr ^ ruft ^ ffTf ^ ^ ^ 



f 

wir schon fniher erwahnten, steht mit seinen thema- 
tischen Wurzeln, aber auch mit seiner Entwickelung, sei- 
nem leichten, schaumenden , geistspriihenden Wesen auf 
dem Boden Haydn'scher Kunst. Es ist ein ins Beet- 
hoven 'sche ausgebauter und iibersetzter Haydn; der jun- 
gere Meister hat den Pulsschlag etwas gesteigert, die 
Ueberraschungen noch nm eine Niiance drastischer ge- 
macht, die Formen verbreitert und Gegensatze hinein- 
gestellt, die dem Alten fern lagen. Unter ihnen verdient 
neben dem zweiten Thema 




Z5rr^ I 



^ f f p l^f 1*^ M "^ namenthch die lyrische Episode 



mit der schonen Abendstimmung hervorgehoben zu 
werden, welche nach den einander kurz folgenden beiden 

Fermateneintritt. j ■ J jJJ I .j J iT^j ^l-j I ' I 

Von der ersten Wiener Auffiihrung der achten Sinfonie 
(Februar i8U) heisst es »dasWerk machte kein Furore «, 
aus andern Orten berichtete man, dass es weniger gefiel 
als die andern. 

Wenn in musikalischen Kreisen schlechtweg von der 
»Neunten« gesprochen wird, ist damit wohl immer die 
neunte Sinfonie von L. v. Beethoven gemeint. In diesem 
L. V. Beethoven abgekiirzten Sprachgebrauche spricht sich die Sonder- 
D moii-sinfonie stellung, welche dieses Werk geniesst, deutlich genug 
mit Schiusschor ^^g gg ^jj-^l mit der neunten Sinfonie ein Cullus ge- 
trieben, der seinen Grund nicht ausschliesslich in dem 
eminenten Kunstwerthe dieses Werkes findet, sondem er 
hat einen nicht unbetrachtlichen Theil kiinstlicher Nah- 
rung in den Theorien erhalten, welche in neuerer Zeit 
an den ausserordentlichen Charakter der neunten Sin- 
fonie gekniipft worden sind. Die Behauptung, dass dieses 



Nr. 9. 



-^ 107 

Werk beim ersten Erscheinen nicht verstanden worden 
sei, gehort, so allgemein hingestellt, ins Reich der Fabel* 
Aus London kamen ganz unverstandige und niedrige Ur- 
theile ; in andern Stadten, auch Leipzig, blieben die Mei- 
nungen beztiglich einzelner Punkte getheilt. Aber in 
Wien erregte die erste Auffiihrung des Werks (7. Mai 
4 824), so roh und ungefeilt sie auch ausfiel, doch den 
hochsten Grad von Enthusiasmus. Und gerade der Ein- 
gang des Finale wird ein Moment des sehgsten Genusses, 
ein Punkt genannt, an welchem Kunst und Wahrheit ihren 
glanzendsten Triumph feiern: das Non plus ultra des 
Werks. Das einzige und noch heute von Vielen getheilte 
Bedenken gegen die Sinfonie ausserte sich in dem 
Wunsche, dass es Beethoven gefallen mochte diesem 
wahrhaft einzigen Finale eine ungleich concentrirtere 
Gestalt zu geben, Nach Czerny soil Beethoven auch 
wirklich eine Umarbeitung dieses Satzes beabsichtigt 
haben. 

Der Hauptpunkt, in dem die neunte Sinfonie formell 
von den vorausgehenden abweicht, besteht darin, dass 
ihr Schlusssatz ein Gesangstiick ist. Wie kam Beethoven 
dazu, eine Instrumentalsinfonie mit Singstimmen zu 
schliessen? Die von R. Wagner zuerst ausgesprochene 
Ansicht, weil er den Bankrutt -der reinen Instrumental- 
musik erkannte und aussprechen wollte, scheint angesichts 
der Streichquartette und Claviersonaten, die Beethoven 
dieser Sinfonie (opus 123) noch folgen liess, nicht halt- 
bar. Die einfache Antwort ist wohl die, dass Beethoven 
urspriinglich nicht eine neunte Sinfonie, sondern dass er 
Schillers Ode »an die Freude« componiren wollte. Die 
Skizzenbiicher zeigen ihn friihzeitig mit diesem Gedichte 
beschaftigt, und schon i. J. 4 793 schrieb Fischreich an 
Charlotte von Schiller: » Beethoven wird auch Schillers 
Freude und zwar jede Strophe bearbeiten«. Aber mit der 
besonderen Schwierigkeit, welche die gedankentiefe Poesie 
Schillers der musikalischen Behandlung entgegensetzt, 
wohlbekannt (wie seine gelegentlichen Aeusserungen be- 
weisen), kam es ihm darauf an, die Freude, welche der 



-«. 108 *- 

Dichter feiert, musikalisch griindlich zu fundiren. Dies war 
eine Aufgabe fiir die Instrumente. Bei einer ahnlichen 
Gelegenheit (der Chorfantasie) hatte er diese sich in der 
concertirenden Variationenform aussprechen lassen. Wenn 
er jetzt die Sinfonieform anwendete, so war dies kein 
durchaus neues Verfahren. Verbindung von Cantate und 
Sinfonie war auch von Anderen schon versucht worden. 
So von P. von Winter in seiner Schlachtsinfonie, die bei 
ihrem Erscheinen (-I8U), so schwer begreiflich das diesem 
Produkt aus Larm und Trivialitat gegeniiber auch sein 
mag, viel Aufsehen erregte und Beethovens » Schlacht bei 
Vittoria« an manchen Orten aus dem Sattel hob. Auch 
eine Sinfonie » Schlacht bei Leipzig « von Maschek (4 84 4) 
gehort zu dieser Mischgattung von Sinfonie und Cantate. 
Freilich war zwischen den Formen der Sinfonie Beet- 
hovens und der anderer Leute ein grosser Unterschied, 
und indem Beethoven fur die Satze, welche zur Vorbe- 
reitung, Begriindung und Einleitung der Ode dienen 
sollten, seine gewohnlichen Sinfonienmasse des Allegro, 
des Scherzo und des Adagio nicht nur beibehielt, sondern 
auch noch steigerte, erhielt Schillers Tempel der Freude 
einen so colossalen Unterbau, ein Fundament von solchen 
Dimensionen, solcher Selbststandigkeit und solchem Reich- 
thum an eigner Schonheit, dass das Hauptwerk, welchem 
dies Alles dienen soil, leicht dariiber vergessen werden 
kann. Wenn man aber einmal weiss und im Auge be- 
halt, wozu die ersten drei Satze der neunten Sinfonie 
da sind, so ist es nicht schwer, ihre Beziehraigen zu dem 
Grundgedanken zu finden. 

Bei der Entwickelung seines Themas beginnt Beet- 
hoven mit der Schilderung eines Zustandes, dem die 
Freude fehlt. Dies ist die wesentliche Idee des ersten 
Satzes. Mit der Formfreiheit , welche die Werke von 
Beethovens letzter Periode auszeichnet, setzt er zu- 
nachst ohne Thema ein. Es wogt und nebelt chao- 
tisch und unbestimmt iiber den beriihmten leeren 
Quinten. Dann, erst nach 4 6 Tacten, steigt in finsterer 
Majestat, voU Kraft und Trotz, aber durch einen Zug 



-^ 



109 



des Leidens gezeichnet, die Heldengestalt dieses Allegro 
zu Tage: 

Alleg^ro non troppo un pooo maestoso. 




P^^ 1 ^^ |f ^^ ^^ ^i^^^^ 



Welch heroischer Eintritt, wie langgemessen der Weg — 
aber wie sonderbar wirr das Ende! Das Thema setzt 
gleich darauf ziim zweiten Male von einer anderen Seite 
ein, in Bdur, ohne sich aber wieder so breit zu ent- 



falten; Ketten, aus dem Motive (ft^ T T r \ ^= gebildet, 



deckenund vorbereiten den Aufmarsch seiner zweiten Half te. 
Es capitulirt am Schluss und iiberlasst unmittelbar das 
Terrain an das zweite Thema und seine Vorlaufer 





; [^ f T P I ^' P I Auch hier das gewaltige 
y ^ ' ^^^^^ / j>crL.etc Langenmass, welches alles 

Gedanken- und Formenwesen der neunten Sinfonie, und 
dieses ersten Satzes insbesondere, charakterisirt. Dieselbe 
damonische Unruhe, welche Empfindung und Fantasie 
immer wieder aufjagt. Sie treibt hier aus dem Reiche 
milder Wehmuth, freundlichen Sehnens, trostlichen Er- 



110 



innerns fort in das Un- p p Ji r-rn ^ i ^f r LTP-T Unmittelbar 
gestiim des Kampfes ^L^ ^ ^ * * b ^ ^'t e- daranreihen 

sich wieder Bilder des Friedens und des seligen Gliickes 




etc. AlleQual schlum- 

mert einen Augenblick ; aber auch aus dem sanft wiegen- 
den Traumgebilde treten Gegensatze erkennbar hervor: 

Im Nu ist ein neuer Ausbruch da, in welchem diesmal 
die wild aufschlagenden Basse die Fiihrung iibernehmen : 

^ — . Die Holzbiaser ver- 



■Hi^^nf lunf ^ 



suchen zu be- 




schwichtigen ; sie bitten urn 
einen freundlicheren Ton: 



und erreichen es, dass derersteTheil des Satzes mit einer ge- 
wissen kraftigen Freudigkeit geschlossen wird. Die Durch- 
fiihrung entroUt das Faustische Bild weiter: Suchen und 
nicht Erreichen, rosige Phantasien von Zukunft und Ver- 
gangenheit und die Wirklichkeit von einem Schmerz er- 
fiillt, der seine Rechte plotzhch geltend macht! Der 
Durchfiihrungstheil ist verhaltnissmassig nur kurz: the- 
matisch wird er hauptsachhch getragen von Bildungen 
aus dem dritten und vierten Tacte des Hauptthemas. 
Das triibe Element tritt in ihm zuruck, um mit vollster 
Kraft bei der Riickkehr in den Hauptsatz auszubrechen 
an jener Stelle, wo die Pauke 38 Tacte lang ihr d wir- 
belt ; wo die beiden Theile des Orchesters heftig und wild 
gegeneinander angehen — einer Stelle, an welcher die 
Mittel der musikalischen Kunst den damonischen Inten- 
tionen Beethovens kaum zu geniigen scheinen. Am 
Schlusse der Coda, in deren Mitte das Horn einen iiberaus 
freundlichen und zuversichthchen Lichtblick fallen lasst, 
wird die freudlose Grundstimmung des Satzes zu voll- 



1i1 



standiger Gebrochenheit. Wir glauben in der Melodie der 
Oboe einea Trauermarsch intonirt zu horeii, bis die 
Klange der anderen Instrumente starker und starker 
werden und noch einmal kurz, aber lapidar, Schmerz 
und Trotz neben einander stehen. 

Der zweite Satz nahert sich der Freude schon mehr. 

17 Vi ' ♦ **V» ' "olto vivace. 

folgendem Thema f^ i ^^ ^^ I rrflT"f"f I T f T L > 

welches spater auch in der Verkiirzung von drei Tacten ge- 
brauchtwird, einFugato erst heimlich und leise: am Schlusse 
im frohlichsten und latitesten Tumult der dahinjagenden 
Instrumente. Nur auf einen kurzen Augenblick wird 
dieses muntere Treiben von M omen ten miiden Sehnens 

Tanzweisen der Blaser: 



ifj^Tn/ ir i| 1 1 hi itf II r j- j f 



denen die Streich- 





«te. 



instrumente in kraftigen Streichen das Anfangsmotiv des 
vorigen Them as f *f f zujauchzen, ersticken sie sogleich. 
Der Mittelsatz, welcher das Trio vertritt, hat als Haupt- 
gedanken folgende Melodie 



Presto. 




r r r r I r • ^r schiagt pastorale Tone an und 



spielt in seinen simplen Hirtenweisen auf landliche Ver- 
gniigungen an, aber auch in machtig mystischen Geigen- 
klangen auf Sonnenaufgange und die erhabenen Freuden 
der herrlichen Natur. 

Das Adagio, der dritte Satz der Sinfonie, hat eine 
abweichende, nichts destoweniger aber sehr klare Dis- 



-^ 112 -&^ 



position. Sein Hauptthema, der inbriinstige Ausdruck 
eines edlen, frommen Sinnes, der in die andere Welt 
hiniiber Fragen zu richten scheint, 

AdaglO; ^ — ^^ BlS»ff^ ^ V iol. 



mesxa voce 




filSser 



Viol. 



Wf=^^rjj^ ^c^ I T' P r r I 




^^^ft 



Blsiser Viol. ^'•*'«<?. r=-^ 

hat die Lange des Periodenbaues, welche der Beethoven 
der letzten Periode hebt. Es schHesst nicht voll ab, 
sondern es schwebt unmittelbar in den Schooss des zwei- 
ten Thema uber 

Andante. 



^j ^^j ;aj%%jmt^.g^ 




PP crttc. 



welches auch ausserlich, nach Tonart und Tactart, die 
Kennzeichen einer v511ig anderen Sphare tragt. Nach 
dieser Themengruppe beginnen Variationen, zuerst iiber 
beide Hauptgedanken, dann uber das erste Thema allein. 
Der ganze Satz strebt einer hoheren Art von Freude zu: 
Da scheint ein Mensch zu traumen vom Himmel und 
vom Wiedersehen, von seinen Jugendtagen und von seinen 
Lieben. Aber Traume gehen zu Ende. Am Schlusse der 
ersten 12 « Tact-Variation verkiinden Trompeten und Horner 
mit einem plotzlichen Signal: 




die Nahe des rauhen Tages. 

Das schone Bild verschwindet, und nun kommt im 
vierten Satze das, was Faust meint, wenn er sagt: »Des 
Morgens wach' ich mit Entsetzen auf «. Gedacht ist wohl 
ohne Zweifel der Anfang des Finale im unmittelbaren 
Contrast zu den Himmel ski angen des Adagio. Im mog- 
lichst schnellen Anschluss an das Ende des letzteren ver- 



113 



liert die wirre Fanfare, der Hollenlarm, mit welchem das 
emporte, heulende Orchester einsetzt, den Charakter des 
Unbegreiflichen, Capriciosen, am besten. Dieser wliste An- 
fang bedeutet den Riickfall in die chaotische Stimmung 
des ersten Satzes. Basse und Celli warnen in kuhnen, 
heftigen Recitativen. Jetzt suchen die Geigen und die 
Blaser nach rettenden Ideen. Die einen bringen eine 
Weise aus dem ersten Satz, die anderen aus dem zwei- 
ten, dann kommt ein Citat aus dem dritten. Nichts ge- 
fallt den BSssen. Endlich intoniren die Oboen etwas 
ganz Neues. Das findet Gnade bei den Vatern des Or- 
chesters. Nachdem sie ihre Zustimmung in einem letzten 
Recitative ausgesprochen, ergreifen sie selbst das Motiv 
und fiihren es zu einer breiten Melodie aus: 

. Alleg ro as sai. 




Es ist dieselbe, zu der dann die Freudenode angestimmt 
wild, und die, rein oder variirt, den leitenden Faden des 
ganzen Finale bildet. Zunachst wird sie in einer Fuge 
durch das ganze Orchester gefiihrt, ohne aber demselben 
auf die Dauer einen geniigenden Halt bieten zu konnen. 
Denn es taumelt nach einem Moment des Herumirrens 
wieder zu jener Schreckensscene zuriick, mit welcher der 
Satz begann. Da kommt weitere Htilfe. Es ist diesmal 
der Sanger des Barytonsolo, der mit den von Beethoven 
selbst eingeschobenen Worten »0 Freunde, nicht diese 
Tone — sondern lasst uns angenehmere anstimmen und 
freudenvoUerew die Ordnung wiederherstellt. Und nun 
beginnt er den Hymnus in obiger volksthumlicher Melodie, 
in welche die anderen Solisten und der Chor dann ein- 
fallen. 

8 



-<■ Hi -&^ 

Von Schillers Ode hat Beethoven nur einige Strophen 
benutzt und aus ihnen eine Reihe musikalischer Bilder 
entwickelt. Er lasst die Creaturen jauchzen um Kiisse 
und um Reben, er tritt mit dem Cherub vor Gott, er 
malt die Bahn, die der Held durchiauft in einem wilden, 
stiirmischen Fugato, dessen Kampfgetose in einem festen, 
sieghaften Pochen endigt. Der Refrain aller Scenen, die 
Beethoven ausfiihrt oder skizzirt, ist das vom Chor wieder 
eingesetzte wFreudew. Am ausfiihrlichsten hat Beethoven 
die Scene des Helden behandelt; die Rucksicht auf die 
Dimensionen des Satzes gestatteten leider nicht, mit 
alien Themen des Gedichts in gleicher Weise zu verfahren. 
Es steht Vollendetes und Angefangenes neben einander, 
und bei aller Begeisterung liber die entzuckende Schon- 
heit des Einzelnen empfinden wir, bewusst oder unbe- 
wusst, in der Totalform des Finale einen Mangel. Be- 
sonders weihevoll und hinreissend sind die Momente, in 
denen sich Beethoven dem Sternenzelt und dem himm- 
lischen Vater nahert, der dariiber wohnt. Die Worte 
»Seid umschlungen, Millionen« hat er in eine Art Cere- 
monie gefasst, die da oben am ewigen Throne zu spielen 
scheint. Spharenhaft sind ihre Schlussklange. Die ir- 
dische Musik vergeht in dieser Nachbarschaft ganz ins 
Stille. Nur wie heimlich setzen die Solostimmen wieder 
mit ihrem »Freude, Tochter aus Elysium « ein; bald aber 
gewinnt das Ensemble seinen Muth wieder und rauscht; 
in einem Enthusiasmus einher, welcher immer starker 
wird und schliesslich in einen volligen Freudentaumel 
ubergeht. Dieses Schlussbild hat Beethoven in dem rea- 
listisch schwungvollen Style ausgefiihrt, der mit ihm* zu- 
erst in die Tonkunst eintrat 





III. 



Nebenm&nner und Gefolge der Classiker. 
Vorl&ufer und Hauptvertreter der Romantik. 




|ie allgemeine Musikgeschichte pflegt bei dem Ca- 
pitel » Sinfonie « schnellen Schrittes von Beethoven 
auf Mendelssohn iiberzugehen. Nur Schubert und 
Spohr werden als Zwischenglieder kurz beriihrt. Es ist 
jedoch interessant und vom historischen Standpunkte aus 
sogar nothwendig, etwas langer bei dem Kreise schopfe- 
rischer Talente zu verweilen, deren Werke fur die her- 
vorragenden Leistungen der classischen Fuhrer den Hinter- 
grund bildeten. 

Der Umbau der Sinfonie aus einer einfachen Ge- 
legenheitsmusik zu einer Tondichtung grossten Styls hatte 
sich in dem verhaltnissmslssig kurzen Zeitraum von sechzig 
Jahren vollzogen. Das musikalische Publikum lebte sich 
wunderbar leicht in die Veranderung hinein, und geradezu 
erstaunlich ist es, wie schnell und richtig das Verhaltniss 
zu Beethoven festgestellt wurde. Man ehrte in ihm eine 
Ausnahmeerscheinung. Beethovens Sinfonien sind die 
einzigen ihrer Zeit, von welchen die Partitur gedruckt 
wurde. Das Hauptbedenken , welches sie verursachten, 
war ihre grosse Schwierigkeit : Die Dilettantenorchester, auf 
welchen die Existenz der damaligen Concertgesellschaften 
ruhte, waren diesen Werken gegentiber quantitativ und 
qualitativ zu schwach. Der bekannte Hofrath Andr6 gab 

8* 



116 *- 

diesem Bedenken den starksten praktischen Ausdruck, 
indem er eine kleine Serie von »leichten« Sinfonien ver- 
ofFentlichte. In einer derselben folgt in der Menuett auf 
einen Walzer als Hauptsatz das Trio in Form eines figu- 
rirten Chorals. Trotz Andr^ und trotz der Schwierigkeit 
blieben aber die Beethoven'schen Sinfonien an der Spitze 
des Repertoirs, liber Haydn und Mozart sogar, und die 
Orchester wurden ihnen zu Liebe mit grossen Kosten all- 
in ahlich umgebildet. 

In den Kreisen der Componisten forderte der Ueber- 
gang in die neue Periode seine Opfer. Die Zahl der 
Stimmen im Sangerwalde minderte sich und ganze Ge- 
schlechter verschwanden. Es war aus mit einer »Sinfonie 
mit Guitarren und mit ahnlichen Curiositaten : es war aus 
mit den alten, rauschenden Theatersinfonien , aus mit 
den concertirenden Sinfonien und den harmlosen Diver- 
tissements, welchen bisher ebenfalls der Titel Sinfonie 
erlaubt war. Wenn jetit die Brandt, Braune, Blyma, 
Weyse, Kuffner und die andern Matadoren des leichten 
Styls an die Thiiren der Concertsale klopften, so scholl 
ihnen, wie dem Tamino in der Zauberflote ein energisches 
iiZuriickw entgegen. Es kamen Zeiten, wo es der Kritik 
gar nicht recht zu machen war, wo diejenigen, welche 
sich in Beethovens Pathos versuchen wollten, schlecht- 
weg » schwiilstig «, die Anhanger Haydns als ))kindisch« 
gescholten wurden, wo man die Form der Sinfonie fiir 
erschopft erklarte und wo fast jede Recension eines 
neuen Werkes den melancholischen Anfang: »Wer jetzt 
noch mit einer neuen Sinfonie hervortritt, der etc.« trug. 

Diejenigen Manner, welche sich unter so erschwerenden 
Umstanden als Sinfoniker zu behaupten wussten, welche 
neben den Classikern auf dem Repertoir standen und 
nach Beethoven einen Platz zu erringen wussten, ver- 
dienen nicht ganz vergessen zu werden. Die Nebenmanner 
der Classiker haben auch ihre historische Bedeutung. Sie 
leisteten den Fiihrern Lehns- und Missionsdienste; das 
Gefolge hielt den Glauben an eine weitere Zukunft der 
Kunst aufrecht. 



117 

Unter den Tonsetzern, welche die genannten Kate- 
gorien bilden, lassen sich zwei Schulen unterscheiden. 
Die eine ist die Wiener, die andere die norddeutsche 
Schule. 

Die Sinfonien der Wiener Schule vertreten, wie vor- 
auszusetzen, den heiteren Charakter der Musik. In ihrem 
Rhythmus und in ihrem Figurenwerk herrscht ein rascher, 
feuriger Geist, die Melodien sind in der Mehrzahl flott 
und munter und geben dem Frohsinn und der Lebens- 
lust einen naiven und herzlichen Ausdruck. Es lebt 
in der Wiener Schule ein starker volksthtimlicher Zug. 
Ein gewisser Localdialect klingt durch, derselbe, in wel- 

AUegro. 

chem Haydn — z. B. in ^ [jjf I T [J ^ T 1 ^^ ^ ^TT- 



Al legro. ^ ^ ^ 



und Mozart - in lS"V^?Tf^^^^ f ir"^-^ 



zuweilen ebenfalls sprechen. 

Die Reprasentanten dieser Wiener Schule sind auch 
der Nationalitat nach grosstentheils Oestreicher und Siid- 
deutsche: die Namen einzelner sind mit in die Lebens- 
geschichte Haydns, Mozarts oder Beethovens verflochten. 

Die an Haydn unmittelbar ankniipfenden Vertreter 
derselben: Gyrowetz, Rosetti, Pleyel, Wranitzky, 
Hoffmeister hat schon Riehl in seinem Capitel ^ber 
»Die gottlichen Philister« geschildert. Ihnen ist noch 
Krommer anzureihen, der, durch die unglaubliche Po- 
pularitat und Verbreitung seiner Quartette und Quintette 
mitgetragen, auch als Sinfoniker weiter drang und sich 
langer hielt als die genannten Schulgenossen. Seine Sin- 
fonien sind denen Haydns im AUgemeinen sehr ahnlich, 
aber von einer niedrigeren Bildungsstufe aus entworfen 
und durchgefiihrt. Die Form hat grosse Mangel, die Ge- 
danken verrathen die derbe Atmosph&re der Zauberoper. 
Gegenwartig wenig bekannte, aber im Repertoir ihrer Zeit 
angesehene, durch Specialziige interessante Sinfoniker der 
Wiener Schule sind: Sterkel, Witt, W61fl, Wilms. 



-^ 118 -&^ 

Das Oestreichische vertritt unter ihnen am ausgeprSg- 
testen Wolffl, Mozarts Salzburger Landsmann: anmuthig, 
gemiithlich, zuweilen intim; auf der Kehrseite nachiassig 
und unselbstandig. Bei Sterkel tritt noch der italienische 
Bildungsgang in Melodien und Formen hervor. Witt ist 
ein kleiner Berlioz, ausgezeichnet durch Experimente und 
Ktinste der Instrumentirung: ganze Adagios mit Pizzicato 
in den Allegros: grosse Trommel und tiirkische Musik! 
Wilms iiberragt die Genossen durch seine leidenschaft- 
lichere Natur, welche sich musikalisch in grossen, kiihnen 
Crescendos und breiten Zwischensatzen aussert. Der be- 
deutendste Wiener aus der Bliithezeit der Classiker ist 
Eberl. Ihn nannte man unter den Grossen der Gat- 
tung und verglich ihn mit Beethoven, mit dem er die 
Gewohnheit theilte, auf Spaziergangen zu componiren. 
Eberl's thematische Erfindung ist wenig originell, viel- 
fach auf Mozart direct gestiitzt, die Figurenbildung alt- 
vaterisch und schablonenhaft. Aber in seiner Harmonik, 
in der Steigerung des Ausdrucks, im gewaltigen Aufbau 
der Perioden, in den zarten Einschaltungen der Schluss- 
theile, in der ganzen Handhabung der Form, lebt ein eige- 
nes und starkes poetisches Talent. Eberl starb jung; sein 
Ruhm als Sinfoniker ruht nur auf wenigen Werken, von 
denen die Sinfonie in D dur ihren Schopfer lange iiberdau- 
erte, auch draussen »im Reich«. In ihrer dreisatzigen Form, 
in dem Violinsolo des Adagio hangt sie noch mit der 
alten Vor-Haydn'schen Periode zusammen; originell ist 
sie in der Disposition des ersten Satzes, welcher zwischen 
der langsamen Einleitung und dem eigentlichen Allegro 
in anziehenden Niiancen einen sehr hiibschen Marsch vor- 
iiberfiihrt; prachtig in ihrem Klang. 

Der geistige Einfluss Beethovens lasst in der Wiener 
Schule sehr lange auf sich warten. Nur Wilms und 
Eberl zeigen unter den Genannten leise Beziehungen zu 
S. Kenkomm. ihm. S. Neukomm, ein directer Schiiler J. Haydns, in 
den Concertsalen Deutschlands bis in die Dreissiger 
Jahre hinein eine gern gesehene Erscheinung — nament- 
lich seine Orchesterphantasie in D, eine zweis^tzige Com- 



U9 ^ 

"position, in der das concertirende Element viel zur Gel- 
tung kommt, war sehr beliebt — schrieb noch im Jahre 
^ 81 8 eine Sinfonia eroica. In ihren Schlusssatz ist Han- 
dels »Seht er kommt etc.« eingearbeitet. Als endlich 
Beethoven von den Wienern eifriger studirt wurde, wirk- x 

ten zunachst die Aeusserlichkeiten des grossen Vorbildes. 
So wurden von Wien aus, dann weit und breit, die Po- 
saunen in den Sinfonien endemisch. Die Dotzauer, Rei- 
cha, Maurer, Moralt — allerlei Talente, voran die klei- 
nen, griffen zu den grossen Instrumenten. Als typisch 
fiir die einreissende Tonverschwendung konnen die Sin- 
fonien von C. Czerny betrachtet werden. Diese beiden C. Caerny. 
platt behaglichen, larmenden Werke tragen die Opus- 
zahlen 750 und 781 ! Aus dem grossen Citatenvorrath 
der ersten (in G moll) ist eine Reminiscenz von Schuberts 
»Erlk6nig« kunstgeschichtlich bemerkenswerth ! Ein andrer 
directer Schiiler Beethovens, der bekannte Ferdinand F. Eies. 
Ries copirt stylistische Eigenthiimlichkeiten des Meisters, 
besonders seine Ueberraschungseffecte : Plotzliche Unter- 
brechungen der Fortepartien — die Geigen schaukeln 
Tacte lang auf leisen Accordnoten — dann eine unver- 
muthete starke Dissonanz, aus der sich aber nichts Beet- 
hoven'sches entwickelt: »Parturiunt montes etc.w! Es 
ist einfach nicht zu verstehen, dass die Kritik in den 
Zwanziger Jahren Ries so lange und so nachsichtig als 
»geistreichen« Gomponisten passiren liess. 

Der erste Tonsetzer, welcher im hoheren Sinne als 
Beethovens Schiiler bezeichnet werden kann und welcher 
zugleich die Wiener Schule und ihren Localton als einer 
der Letzten und als der Glanzendste vertritt, ist Franz F. Sohnbert. 
Schubert. 

Das Hauptwerk unter Franz Schuberts Sinfonien ist 
die grosse Sinfonie in Gdur, welche in der Reihe der 
iibrigen die Nummer 7 tragt. Sie ist ein Ausnahmewerk: 
in der Breite ihrer Formen, in den unaufhorlichen Wieder- 
holungen ihres Periodenbaues, in ihrer »himmlischen 
Lange«, wie sich R. Schumann euphemistisch ausdriickte, 
etwas monstros ; meisterhaft und genial, wie keine andere 



120 



seit Beethoven , in der musikalischen Erfindung , in der 
Starke des melodischen Stroms, in der Fiille schwarme- 
rischer Weisen, in der Urspriinglichkeit und dem Reich- 
thum origineller Tongedanken, die auf Schritt und Tritt 
in diesem Werke entgegensprossen ; liebenswiirdig und un- 
widerstehlich wie eine heiter e, herrliche grossartige Fruhlings- 
landschaft nach der Natur ihrer Phantasie und Stimmung. 
Die Sinfonie beginnt mit einer ausgefiihrten Einlei- 
tung, welche die Horner romantisch eroffnen: 

'^- Andante. ^ ^^ ^ ^ 

F. aAuiert a; ^„f. f r i J.nf i r'pr If f r iipf I f n ^ 

Cdnr-Sinfome « ? r" r" pp 

Nr. 7. Die Holzbiaser nehmen diese fragende Melodie zunachst 
auf, die Celli setzen sie fort. Dann beginnt eine Durch- 
fuhrung iiber die zwei ersten Tacte des Thema. DieserDiscurs, 
von den Holzblasern schiichtern und zagend, von dem Gros 
des Orchesters mit starker Entschiedenheit und einer ge- 
wissen robusten Pracht gefiihrt, endigt mit einem Schluss- 
resultat, welches in dem ersten Satze zu grosser Be- 
deutung gelangt. Es ist das freudig zuversichtliche Motiv 



^) A r' P ^ I I* ^ r r I r ^ ^^ triumphirende Refrain in der 

Dichtung des ersten Satzes. Mit ihm scheint der Berg iiber- 
stiegen. Ohne Aufenthalt, mit formlichem Ungestum geht es 
iiber in das Allegro, das wie in den Strahlen der Morgen- 
sonne vor uns glitzert und flimmert. Ritterlich stolz die Geigen : 

' Jj ^ ^ \ , ' L I . k I , ^^^ freudiger Erwartung 

fr '^ j. j) J. JJ ' i. j) J. ^^ bebend die Holzblaser: 



so bauen die 
beiden Theile 



i rrrr rr i rrr rrr i r ff ^ 

des Orchesters das lange Thema vor uns stiickweise auf. 
In seiner zweiten Halfte giebt es einer grossen Freude 
immer kiihneren und rauschenderen Ausdruck: 

f I | i i J il l i - i r-pr'p i ^ Pr-fi i f f I f • 



-fr 121 ^ 

Echt Schubertisch ist der Abschluss dieses Bildes und der 
Uebergang ins Nachste. Zwei Tacte im Decrescendo 
gehalten — und wir sind aus dem C dur und dem Sturme 
des vollen Orchesters in E moll ! Das zweite Thema setzt 
beschaulich und mit jenem kleinen Anflug von Melancholie 
und Sehnsucht ein, der Schubert immer begleitet: Die 
stark beschaftigten, in dieser Sinfonie fast iiberburdeten 
Holzblaser tragen es 



i I I I l|i I I 'Hi Mil I I I II I IT I 



f T t' f\ \f % f^ ^ tr^' i ^ i/ft I Erst nach 33 Tacten 



und in die fiir diese Stelle zu erwartende normale Tonart 
Gdur. Eigenthumlich ist, dass Schubert schon hier eine 
Durchfiihrung, wenn auch nur eine kleinere, einschaltet. 
Darin zeigt sich deutlich der Einfluss Beethovens. In 
dieser Durchfiihrung durchstreift der Componist einen 
ausserordentlich weiten Ideenkreis. Die Holzblaser 
und das Streichorchester bringen mit dem mimteren: 

' TO r I r «N^ naiv frohliche Klange; die Posaunen 




dicht daneben mysteries schauerliche V 1*7 | t' T [' 

Es ist wie Vogelzwitschem und Waldesrauschen in einer 
Stunde, wo die Natur einschlaft. Die beiden Motive sind 
durch kurz zugesetzte Auftacte aus friiher aufgestellten 
Themen gebildet: das erste aus dem zweiten Thema, das 
Posaunenmotiv aus dem zweiten Tacte der Einleitung. Ein 
ganz eigner und neuer Zug an diesem Sinfoniesatze ist die 
innigeVerbindung des Allegro mit der Einleitung. Diesoben 
unter b. gegebene Refrainthema aus der Einleitung schliesst 
die kleine Durchfuhrung , von welcher hier die Rede ist. 
Es schliesst auch die grosse, die eigentliche Durchfuhrung, 
welche nach ihr beginnt — etwas diister und in Moll 
gehalten — und am Schlusse des ganzen ersten Satzes 
steht herrlich und in vollem Glanze die Melodie vor uns, 
mit welcher die Hdrner die Sinfonie begannen. In 



-^ 122 



der grossen Durchfuhrung des ersten Satzes ist eine 
Combination ^ - _ i * _ - mit einem andern aus 



Combination jt r m t f \ f » ™^^ einem andern aus 
des Motivs J? ^ f f ^ ^^ \ I dem ersten Thema des 



Allegro : ^ f p 1 ^ P 




zube- 



merken. Nach der Reprise kommt eine Coda, welche in 
gesteigerter Empfindung noch einmal auf den freuden- und 
erwartungsvollen Eingang des Allegro einen Blick wirft. 

Das Andante der Sinfonie, ihr zweiter Satz (A moll 2/4 
besteht aus zwei grossen Gruppen. Das fuhrende Thema 
der ersten ist folgendes: 




■ =^ t7"^> "^^T^^ i ^rrr?^ '^. » .. 1 r Es hat einen Ab- 
EJ rV r ' r f f*tii{iJJ :'il rV ' ^ • • scMuss m Dut, der 

ins Land des Gliicks und ungetriibten Friedens weist: 



$^^^^^^\ i r f. ffiT i r ^ 



Zu diesem Hauptthema tritt ein zweites, in welchem die 
Gegensatze des erstern gesteigert und naher an einander 

gerttckt er- ^f f f ^^f ' f fegl^-M^J^ . 
schemen : . VP >.>. tr , 1 ■ ■ ■ ■ 1 1 

.J^ Violinen Jf> Blatter 

Der zweiten Gruppe ist ein ruhigerer Charakter eigen . 
Aus ihr klingen Tone der frommen Andacht und einer 
erhabnen Feierlichkeit, und an einzelnen Stellen herrschen 
ein Ernst und eine Resignation, aus denen die Gedanken 
an das Jenseits zu sprechen scheinen. Wir stehen wie 
durch Magie vor diesem neuen Bilde. Mit einem jener 
kleinen neuen Harmoniewunder, an denen Schubert so 
reich ist, fuhrt er uns von A- nach Fdur. Das Haupt- 
thema dieser zweiten Gruppe ist das folgende: 

I.Vtol. 



Il.Viol. 



j,j, 



-<fr 123 ^ 



Es wird sofort nachdem es aufgestellt ist in kleinen 
Satzchen motivisch entwickelt. Der Wechsel zwischen 
den zwei Choren des Orchesters, den Blasern und den 
Geigern, giebt diesen Satzchen ihre charakteristische 
Form. Von einer besonderen Schonheit ist die Schluss- 
partie dieser zweiten Gruppe, ihr sanfter wehmiithiger 
Abschiedscharakter, das fast iibersinnliche Klangbild, in 
welchem Schubert bier mit den immer leiser, immer 
stockender gebracbten Tonen des Homes und des Streich- 
orchesters das Verschwinden der himmlichen Vision ver- 
anschaulicht. 

Die beiden Gruppen des Andante werden nach die- 
sem Momente ein zweites Mai voriibergefiihrt. Bei die- 
ser Repetition besteht eine Hauptveranderung darin, dass 
die wilden Elemente des oben mit b. bezeichneten The- 
mas der ersten Gruppe einen breiten Spielraum erhalten. 
Sie treiben es bis zu einer sehr bedenklichen Spitze. 
Von ihr aus finden die Celli mit einer ruhrenden Va- 
riante des Thema a. den Uebergang nach der zweiten 
Gruppe, welche diesmal in Adur gehalten ist. — Trotz 
der unendlich vielen Wiederholungen im Kleinen ist die 
Disposition des Andante eine knappe und einfache. 

Das Scherzo, der dritte Satz, erscheint bei Weitem 
complicirter. Namentlich der zweite Theil seines Haupt- 
satzes iibertrifft in der Menge der hier zusammentreten- 
den Ideen und in der Lange seiner Ausfiihrung auch die 
kuhnsten Beethoven'schen Vorbilder. 

Den Anfang des Scherzos macht ein Wechselspiel 
zwischen Blaserchor und Streichorchester , welchem fol- 

j ** A- . Allearro vivace. 

gendes Motiv tf » i ^ | , t=F:=:j 

zu Grunde liegt fi^ ■* j j j Jj^ U J i ' ii j J J « l ' i' ' ' 

Die Violinen, zuerst etwas barsch und burschikos, lenken 
dann in den zartlicheren Ton der Blasinstrumente ein und 
schlagen schmeichelndeineliebenswurdige Tanzmelodie yor 



I ;^ i jfT^' r'^r r r r n' r r MrTHnrfH 



124 



p^ T I r 'r | ftt.p..^ welche jene mit Achtelgewinden aus 

dem Hauptthema umkranzen. 

Der zweite Theil des Hauptsatzes setzt die reizenden 
Schelmereien des ersten fo rt; neuh inzugetragen erscheint ein 

kurzer Gedanke von jj y* ^f^f^X \ ^f^^p 1^^^^"! 
grosser Innigkeit : .{p I . M ' I I ' T I 

Das bewegte Treiben des Scherzo erhalt durch das 
Trio eine kostliche Unterbrechung. Die Blfiser tragen 
einen langen, gefiihlvollen Gesang vor, dessen Haupttheil 
auf folgender Melodie ruht: 



^I'liii i;iru ii I iTi ' I i"Ti I I I 



T f r I rHf r.r 'J' i r i rjr r i Mf 



Das Finale setzt mit einem humoristischen Allarm- 

Allegto vWace. 




signal folgendermassen ein flh \ * '' J 



Von alien Seiten wird zum Aufbruch gerufen. In der 
zweiten Haifte des Hauptthema: 



i t u i r I if *r I f rK'^^ ^ i rV ir r i r ^ 



r ^ ir r ir ^ i ^FT^^ nrlTr rrTrrh^ 



sehen wir den ganzen Orchesterzug in vergnugter Be- 
wegung. 

Im zweiten Thema nimmt die frohe Stimmung des 
Satzes einen sehr behabigen Ausdruck an: 



^ f-Tf- I r rr I r r I rp I ^ ^ I J J I fi f i 



f Tf If r \ r'^ \ ^j_kiJ ' ''J 'n^ \J \ 



-* 1215 -^- 



An dieser Melodie hat Schubert ein ersichtliches be- 
sondres Wohlgefallen gehabt; namentlich auf den breit 
daher schlendernden Anfang in halben Noten greift er 
immer wieder zuruck: Drohnend und mit machtigem 
Nachklang schlagen sie uns aus den Bassen entgegen 
und fuhren die Gedanken von dem dunkleren Wege, den 
sie in der Durchfuhrung streiften, wieder in heitere Spharen 
zuruck. Aussergewohnlich frei tritt die Reprise ein: mit 
dem ersten Thema in Esdur anstatt in der Haupttonart 
G. Namenthch das Finale ist derjenige Satz der Sinfo- 
nie, an welcher sich das Uebermass breiter Ausfuhrung, 
welches dem Werke eigen ist, empfindlich macht. Ohne 
irgerid einen neuen Zug zu bringen, setzt der Schluss 
dieses Satzes immer wieder an und wiederholt in immer 
andern Tonarten die zur Genuge oft vorgetragnen Ge- 
danken. Es ist dies ein Mangel, der von der Ueber- 
schwanglichkeit Schuberts, die uns haufig genug selige 
Momente bereitet, nicht zu trennen ist. Die Cdur-Sin- 
fonie bleibt trotzdem eins der reichsten und beliebtesten 
Kunstwerke. Aber man wiirde sie wahrscheinlich hSu- 
figer auffiihren, wenn sie kiirzer ware. 

Schubert schrieb diese Sinfonie im Jahre 1828, we- 
nige Monate vor seinem Tode ; aber erst 4 Jahre spater 
wurde sie der Oeffentlichkeit bekannt und zwar auf 
Schumanns Veranlassung. Eine noch viel langere Warte- 
zeit haben die iibrigen Sinfonien Schuberts durchmachen 
inussen. Erst im Jahre -1865 kamen die beiden Satze 
zur Auffiihrung, welche von der H moU-Sinfonie vorhan- F. Sohnlert 
den sind. Dass das Werk nicht ein Fragment bleibenHmoii-Sinfonie. 
sollte, ist unzweifelhaft. Die Originalpartitur enthalt noch 
9 Takte als Anfang des Scherzo. Der Entstehungszeit 
nach dem Jahre 1 822 angehorend, also 6 Jahre alter als 
die grosse Gdur-Sinfonie, ist sie dieser doch an kiinst- 
lerischer Vollendung uberlegen: gedrungen in der Dar- 
stellung und frei von den formellen Mangeln der be- 



126 



riihmten Schwester. Es ist eine Eigenheit der kiinst- 
lerischen Entwictelung Schuberts, dass sie in Sprtingen 
auf und abwarts ging. Dem Inhalt nach ist die HmoU- 
Sinfonie mit der grossen in C gar nicht zu vergleichen. 
Hier steht der schwermiithige Schubert vor uns und ent- 
rollt uns in kurzen und ergreifenden Ziigen das Bild 
einer leidenden Seele. Manche Stellen im ersten Satze 
weisen direct auf »Gretchen am Spinnrade« hin, sogleich 
das erste Thema, in welchem unter dem sehnsiichtigen 
Gesang von Clarinette und Oboe (unisono) 

Alleg ro modeif ato. 



pp 




die Geigen auf trslumerisch belebtem Sechzehntelmotiv *) 
hin und herschaukeln. Das zweite Thema, eine landler- 
artige Melodie, setzt dann mit unbeschreiblichem Wohl- 
klang in den Celli ein 



-4^r r r r I ** r''*p I '^ r r_r l^r ^ - Es nimmt die ganze 



Erinnerung in Beschlag: es ist fur seine Stelle fast zu 
schon und macht uns die erschiittemden Gemiithsaus- 
briiche vergessen, welche doch seine Fortsetzung bilden: 



Der zweite Satz, Andante con moto (Edur^/g) bringt 
whimmlischen Balsam« in einfachster Schale. Die 
Melodie, auf welcher sein Hauptthema im Wesent- 

And& nte con m oto. 

lichen ruht, ist ein schlich- J i n f \ f i ff r \ f ' \ ^ - 
ter, frommer Kindergesang : fr tf^* ^j,j, * ^ ^''^ * ' * — 
Das zweite Thema tritt mit den Fragen eines beschwer- 

*) In der Partiturausgabe smd an dieser Stelle mit bemer- 
kenswerther Pietat auch einige o£Fenbare Schreibfehler Schuberts 
conservirt worden. 



-^ 127 -^ 



ten Gemuths dagegen hin. Sie haben in der harmorti- 
schen Fiihrung dieser Partie einen bewunderungswiirdigen 
Ausdruck erhalten. Der ganze Satz ist das glanzendste 
Document fiir die Tiefe des Schubert'schen Geistes, fiir 
den erstaunlichen Reichthum einer Natur, in welcher 
neben der vollen Naivetat des Kindes aus dem Volke 
auch jene Grosse der Empfindung wohnte, die Beethovens 
Theil war. 

Seit kurzer Zeit liegen uns in der verdienstvollen 
Schubert-Ausgabe *) auch die Partituren der iibrigen sechs 
Sinfonien vor, welche Schubert ausser den beiden hier 
geschilderten und in der Praxis eingebiirgerten geschrie- 
ben hat. Von einer : der C dur-Sinfonie Nr. 6, welche in p, Sclinbert 
ihrem ersten Satze Weber'schen Einfluss, im letzten Ver- cdur-sinfonie 
wandtschaft mit dem Finale ^er siebenten zeigt, wissen (Nr. 6). 
wir das Entstehungsjahr nicht genau, wir diirfen es aber 
nach 4 822 setzen. Die andern fiinf fallen in die Zeit 
von -184 3 bis -18-16, ohne dass sich in der Reihenfolge, 
in der sie entstanden, eine fortschreitende Entwickelung 
verfolgen liesse. Dem grossen Sinfoniestyle Beethovens 
nahert sich Schubert am meisten in der B dur-Sinfonie p. Sohnbert 
(Nr. 2) vom Jahre i 8-1 4. Hier strebt er dem grossen B dnr-Sinfonie 
Meister in dem breiten Entwurf der Perioden nach; ja (Nr. 2). 
das Hauptthema des ersten Satzes ist direct aus einem 
ahnlichen im Finale von Beethovens vierter Sinfonie 
hervorgegangen. Gleichzeitig zeigt auch diese Sinfonie 
das Eigene und das Wienerische in Schubert am stark- 
sten, vomehmlich das Andante mit den Variationen: 
^ An^antg:^^^ .-p^ und das keck 



Finale : 



Presto. 




J9* 



Diese B dur-Sinfonie hat von alien der nachgefun- 
denen die ersten Chancen im Concertsaale heimisch zu 
werden. Alle die neugefundenen Sinfonien haben ihre 

♦) Leipzig, Breitkopf & Hartel. 



428 *- 

interessanten Einzelheiten in Beziehungen auf andere 

F. Solmbert beriihmte Werke ihres Componisten : die erste (Ddur v. 

Sinfonien Nr. 1 J. 4 84 3) in dem zweiten Thema des Finale, das mit dem 

°°^^' Lied von der Forelle bestimmte Ziige theilt, die dritte 

(Ddur V. J. 4 84 5) durch einen Anklang an die grosse in 

C dur. Gemeinsam ist ihnen die Meisterschaft im Colorit, 

die angeborene Genialitat in der Mischung und Verwen- 

dung der Instrumente und ein ausgepragter Zug von 

Lebensfreude. Eine Ausnahme von der letzten Eigen- 

schaft macht nur die vierte Sinfonie (CmoU v. J. -184 6). 

E. Sohnbert Sie ist »tragische Sinfonie i*" uberschrieben und als ein 

Tragische Sin- Versuch in diesem Style zu betrachten, wobei Muster wie 

fonie. Beethovens Ouverturen zum Coriolan und zum Egmont 

und die Cherubini's zur Medea zum Grunde gelegen 

haben. Vom eigentlichen ,Wesen tragischer Musik ent- 

halt sie jedoch weniger als die unvollendete Sinfonie in 

H moll. 

Die norddeutsche Schule unterscheidet sich im In- 
halte von der Wiener durch eine Neigung zum hoheren 
Pathos. Sie ist ruhiger und ernster, zuweilen etwas 
trocken. In Form und Styl iibertrifft sie die andere 
durch Gediegenhejt und Soliditat und verrath einen Zu- 
sammenhang mit jener Berliner Contrapunktistenpartei, 
welche unter der Fuhrung Kirnbergers den ersteii Triumphen 
Haydns mit dem Feldgeschrei »Sebastian Bacha entgegen- 
trat. Die Sinfonien dieser Schule sind reich an Imita- 
tionen und Umkehrungen und an Fugenpartien. Sie tra- 
gen die strenge Arbeit gem zur Schau; ja es giebt Werke, 
in welchen das gelehrte Element sich ganz zum Herrn 
macht. Ein charakteristisches Product dieser Richtung ist 
Abt Vogler. die C dur - Sinfonie des Abt Vogler, in deren Finale 
die diatonische Scala als Thema durchgefiihrt wird. Das 
Werk genoss von seinem Entstehungsjahre -184 5 bis nahe 
an die neueste Gegenwart heran ein grosses Ansehen. 

Trotz ihres natiirlichen Gegensatzes zu der Wiener 
Schule schloss sich die norddeutsche keineswegs gegen 
die Classiker ab: Mozart war das Ideal, von welchem 



-^ 129 ^ 

sie ausging, und eins ihrer historischeii Verdienste be- 
steht darin, dass sie sich zum Trager des Beethoven- 
Geistes machte. 

Die ersten Yertreter der norddeutschen Schule sind 
die beiden Romberg und Fr. Schneider. Andreas A. Eomberg. 
Romberg, der Componist der » Glocke «, gait als der aner- 
kannte Fiihrer. Von seinen Sinfonien, unter denen sich 
auch eine mit Janitscharenmusik befindet, ist die in D, 
welche Jahre lang ein Liebling der Orchester war, be- 
sonders h^rvorzuheben. In ihrem ersten Satze, welcher 
in freier und selbstandiger Weise an die tragischen Mo- 
tive des Don Juan anklingt, zeigt sie die der Schule 
eigenthiimlichen ernsten Ziige ausserordentlich deutlich. 
Sein Vetter Bernhard Romberg, einer der grossten B. Komberg. 
Cellospieler seiner Zeit, heute noch durch seine Kinder- 
sinfonie weit bekannt, hat sich in der Gattung der hohe- 
ren Sinfonie durch die »Trauersinfonie auf den Tod der 
Konigin Louise« ein ruhmliches Denkmal gesetzt. Ohne 
Chorale, Begrabnissgesange und ausserliche Hulfsmittel 
wird hier eine erhebende Todtenfeier vollzogen, der lei- 
denschaftliche Schmerz und die sanfte Klage haben den- 
selben natiirlichen schlichten Ausdruck gefunden ; wahres, 
echtes Gefiihl und edle Haltung machen diese Sinfonie 
zu einem hervorragenden Kunstwerk. Nach Geist und 
Styl erinnert es an Mozarts »Maurerische Trauermusik.« 
Friedrich Schneider war einer der Ersten, welche in Fr. Schneider. 
Beethovens Fusstapfen zu treten suchten. Vom Jahre 4 803 
ab hat er iiber vier Jahrzehnte lang das Gebiet der Sin- 
fonie gepflegt und in den Scherzi oft eine bedeutende 
Hohe erreicht. Die Zahl seiner Sinfonien betragt gegen 
zwanzig. 

Als "der letzte und bedeutendste Vertreter des ur- 
spriinglichen Styles der norddeutschen Schule ist W. 
Kalliwoda zu betrachten, der von der Mitte der zwan- W. Kalliwoda. 
ziger Jahre ab ein Vierteljahrhundert hindurch einen 
bedeutenden Platz im Repertoir einnahm. In ihm schien 
das Geschick wieder einen Meister ersten Ranges be- 
scheeren zu wollen. Vielseitig, auf jedem Gebiete sicher? 




-<«- 130 -ft— 

oft neu, originell und doch naturlich und einfach,' macht 
er wiederholt den Eindruck eines Auserlesenen und 
nahert sich der letzten Stufe zur Unsterblichkeit. Obwohl 
das eminente Talent Kalliwodas nicht zu seiner vollen 
Entfaltung gelangt ist und in fast jedem seiner Werke 
ein unfertiger Rest bleibt — hier die iibermassige Breite 
der Ausfuhrung, dort die Ungleichheit der Theile — ist 
doch das Studium seiner Sinfonien sehr genussreich. 
Jede enthalt Perlen und Proben einer musikalischen Ur- 
kraft. In de^ ersten Sinfonie Kalliwodas (Fmoll) machen 
wir auf die schone Einleitung und das naiv kraftige 

(zweite) Themades ^ j.^ „ ^5S^ 
ersten Satzes: ^ ^ 

aufmerksam. Ihr Scherzo hat in dem Hauptthema 

^ J'.k y^.^°% f f if f r I ■^^— I ®^^^ zufallige Aehnlich- 
gi '^ It r I ■ ' ■ ' ' =^^ keitmitdementsprechen- 

den Satze der Schumann'schen D-woW- Sinfonie. Die zweite 
Sinfonie Kalliwodas zeigt bedeutende Fortschritte in der 
Form. Die Verbindungsgruppen sind gedankenvoller ge- 
worden und konnen der Stutze durch Figurenw^erk entrathen. 
Der poetische Glanzpunkt des Werkes liegt in der kleinen 
Coda des Larghetto, welche der scheinbar schon ge- 
schlossenen Darstellnng noch einen ganz neuen traulich 
herzlichen Gedanken in Canonform nachsendet. Die dritte 
Sinfonie Kalliwodas darf im Allgemeinen als ein Haupt- 
werk aus der Periode ihrer Entstehung (4 834) bezeichnet 
werden. Leider ist der letzte Satz den vorhergehenden 
nicht ebenbiirtig und in alien wiinscht man die Darstel- 
lung etwas gedrungener. Ohne diese Mangel wiirde sie 
fiir alle Zeiten die Repertoire zieren konnen. Viele Par- 
tien haben Beethovens grossen und kiihnen Zug ; im zwei- 
ten Them a des ersten Satzes glauben wir uns direct in 
die Sphare der Rassumowsky - Quartette dieses Meisters 
versetzt. Der erste Satz ist einer der charaktervollsten 
Sinfonie-Satze, die je geschrieben worden sind; in seiner 
bliithenlosen Starre und Strengehat er kaum seines Gleichen. 



-* 131 -&>- 




Sein kahles und stei- 
nernes Hauptmotiv 
welches schon fremdartig in die Einleitung hineinklingt, 
gehSrt zu jener Classe von Themen, mit welchen es nur 
ein Genie wagen darf. Die vierte Sinfonie [Cmoll] zeigt den 
Componisten in Formen und Gedanken wieder als einen 
ganz anderen. Ihrem erregten Wesen liegt vielleicht 
ein verschwiegenes Programm zu Grunde; namentlich 
das Finale, wo nach einem hoch leidenschaftlichen Ein- 
gang plotzlich das sinnende Andante wieder erscheint, 
legt diese Vermuthung nahe. Die fiinfte Sinfonie Kalliwodas 
{Hmoll), welche im Ganzen etwas leichter wiegt, hielt 
sich durch das den langsamen Satz vertretende einschmei- 
chelnde Allegretto 

Allegretto. 




lange in der Gunst des Publikums. Die sechste und siebente 
Sinfonie Kalliwodas stehen gegen ihre Vorgangerinnen zu- 
riick und erlangten in den Concertprogrammen keine feste 
Position. 

Eine besondere historische Bedeutung hat die nord- 
deutsche Schule dadurch, dass sie das romantische Ele- 
ment der Musik pflegte und ausbildete. 

Jean Paul nennt bekanntlich die Musik die roman- 
tischste, d. h. die von Natur aus und von jeher roman- 
tische unter den Kiinsten. Und in friiherer wie in neuerer 
Zeit ist mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, 
dass auch schon die Werke S. Bachs und anderer alterer 
Meister romantische Ziige tragen. Geschichtlich datiert 
aber der Begrifif der musikalischen Romantik erst seit 
dem Anfang unsers Jahrhunderts. Zwiespaltigkeit und 
Mischung gait als Wesen der Romantik. In diesem 
Sinne wurden Mozart und Beethoven im Gegensatze zu 
Haydn als romantische Componisten bezeichnet: Mozart 
weil er in seinen Allegrosatzen die Instrumente ohne 
Weiteres aus bewegtem Figurenspiel in ruhigen Gesang 



-^ 132 

iibergehen liess, Beethoven well er Scherzi, d. i. heitere 
Satze schrieb, bei denen man sich angstigen konnte, und 
well er auch sonst in demselben Athem Dinge verband, 
welche im scharfsten Gegensatze zu einander standen. 
Haydn that eins nach dem anderen und hielt seine 
Gedanken und Stimmungen einfach und frei von Mi- 
schungen. Desgleichen auch die Wiener Schule, die ihm 
vorzugsweise folgte. 

In die norddeutsche Schule dringt dagegen der 
romantische Geist schon friihzeitig ein. Wir begegnen 
seinen ersten Spuren bereits bei A. Romberg in den kleinen 
chromatischen Durchgangen und Wechselnoten, welche 
einzelne im Grunde muntere Weisen 

Allegro moderaio. 




(D-dur-Sinfonie) sentimental durchblitzen. Die Heimath 
dieser Art romantischer Musikelemente ist vornehmlich die 
franzosische Oper. In den durch ihre Herbheit der nord- 
deutschen Schule nahestehenden Sinfonien von Tomaschek, 
dem bohmischen »SchillerderMusik«, und von M6hul, welche 
i. J. -184 die deutschen Concertsale mit einem gewissen 
Eclat passirten, greift die Romantik schon tiefer in den 
Satzbau und in die Gedankenentwickelung hinein. Vom 
Jahre 4 84 5 ab wird der romantische Styl der herrschende, 
und alle die Sinfoniker, welche neben Beethoven etwas 
bedeuten, reprasentiren eine Seite des romantischen Gei- 
stes. Die musikalische Romantik hat mit der Romantik in 
Litteratur, Poesie und bildender Kunst fortan mehrere 
Jahrzehnte langhervorragendeBeriihrungspunkte. Auch die 
musikalischen Romantiker kennzeichnet das Festhalten an 
Lieblingsstimmungen, das Hervortreten der Personlichkeit 
des Darstellers in der Darstellung, der subjective Ton und 
die aus diesen Erscheinungen hervorgehende Einseitigkeit 
und GleichfSrmigkeit der Werke. Die musikalischen Ro- 
mantiker pflegen Specialitaten des Gemiithslebens und 
der Fantasie und haben in der Form Manieren, die immer 
wiederkehren und fiir welche sie schnell Nachahmer und 



133 

Schiller fin den. Wie die allgemeine Romantik lauft auch 
die Geschichte der musikalischen im Zickzack. Sie springt 
von dem phantastischen Gebiete auf das sentimentale 
iiber, von da auf das naturfrohe und naive, und lauft 
endlich von dieser letzten Station, von der Hingabe an 
das Genre und an das Kleinleben, in eine Periode der 
Realistik und des Naturalismus aus. Die romantische 
Epoche hat in der Musik sehr belebend und anregend 
gewirkt, Ideen einer friiheren Zeit vertiefend ausgefuhrt, 
neue Klang- und Ausdrucksmittel zum Vorschein gebracht 
und die Litteratur mit Werken bereichert, welche allge- 
meinen bleibenden Kunstwerth haben. Sie bedeutet eine 
zweite Bliithezeit in der Geschichte der Sinfonie und hat 
in Mendelssohn und Schumann zwei Meister hervor- 
gebracht, welche an Originalitat und Reichthum der mu- 
sikalischen Erfindung den grossen Classikern der Wiener 
Periode nahestehen. 

Die phantastische Richtung der Romantik vertritt in 
der Sinfonie zuerst C. Maria von Weber. Von seinenc. M. v.Weber 
zwei Sinfonien, die beide in C dur stehen, ist die spatere 
die bedeutendere. Sie war (vom Jahre -1 8-1 4 ab) Iftngere 
Zeit bei den Orchestern sehr beliebt und durfte auch 
heute noch einer freundlichen Aufnahme gewiss sein. Es 
ist ein bescheidenes, liebenswurdiges und sehr mannig- 
faltiges Werk, heute doppelt mteressant durch die vielen 
Einzelheiten, welche direct auf den Schopfer des Freischiitz 
hinweisen. Das Andante, das poetische Hauptstiick der Sin- 
fonie, hat Wolfschluchtsbasse und Agathecantilenen. In 
seiner diister feierlichen Pracht, in der stillen Schwer- 
muth, welche aus den schmelzenden Klftngen der Blas- 
instrumente spricht, ist es einer der schonsten langsamen 
Satze, welche zur Zeit Beethovens, und gan? unabhangig 
von diesem Meister, geschrieben worden sind. Die freie 
Disposition macht es einer dramatisirten Erzahlung 
ahnlich. Der Schauplatz ist nachtlich, zu den handelnden 
Personen stellt die Geisterwelt Mitwirkende. Im ersten 
Satze, welcher im Style die contrapunktischen Merkmale 
der norddeutschen Schule tragt, uberwiegt der muntere 



-^ 134 ♦- 

ritterliche Ton; die spannenden phantastischen Momente 
liegen in den leisen Solostellen der Contrabasse. Das 
Finale, in welchem immer die H5rner mit komischer Be- 
flissenheit vorausstiirmen, war als einer der drolligsten 
Satze seiner Zeit besonders beliebt. 
H* Onalow. Ein spaterer Vertreter derselben Richtung ist Onslow, 

ein geistreicher, temperamentvoller Componist, welcher 
unter die Ersten gehort, deren Adagios den Beet- 
hoven'schen Maassen nachstreben. Onslow ist apart, ele- 
gant, reich an Ideen, in Figuren und Rhythmen vielfach 
neu ; in den Durchfiihrungssatzen verrathen leider triviale 
Episoden einen Mangel an musikalischer Durchbildung, 
welcher den Werken Onslows eine schnelle Vergessenheit 
bereitet hat. Die verbreitetste seiner Sinfonien war die 
in A dur. Die Hauptthemen ihres ersten Satzes 

g^ Aflegro eplritneso. ^^ ' -W 




JT" J^ j)\ \ J I j mogen den romantischen Charakter 



von Onslows musikal. Erfindung eriautem. Wie die 
Romantiker der phantastischen Richtung von der franzo- 
sischen Oper im AUgemeinen viele Impulse empfingen, so 
zeigen diese und andere Melodien Onslows speciell den Ein- 
fluss der Romanzen Boieldieus. 

Die sentimentale Richtung der Romantiker ist durch 
Mozart imd Cherubini vorbereitet. Sie kommt auch in 
den Sinfonien der Wiener Schule mit Schubert zum Aus- 
druck. Ihre weitere Vertretung findet Jsie hauptsachlich 
in den Sinfonien von L. Spohr und F. Mendelssohn- 
Bartholdy. 

Die Sinfonien von Louis Spohr sind in ihrer Mehr- 
zahl der heutigen Generation bereits wieder fremd ge- 
worden. Fast zwei Menschenalter hindurch war dieser 
unermiidlich strebende Kunstler auf diesem Gebiete thatig 
und nahm an alien den Bestrebungen thatigen Antheil, 
welche von Beethoven bis auf Liszt der Weiterentwicke- 
lung des sinfonischen Styls galten. Die erste unter Spohrs 



-^ 135 -»^ 

gedruckten neun Sinfonien (in Es dur) kam im Jahre 

-184 4, in Stimmen gedruckt, in Umlauf und erfreute 

sich bald ehrenvoUer Anerkennung. Sie zeigt bereits die Li Spohr 

fertige Individualitat des merkwiirdigen Kiinstlers: dieEsdur-Sinfonie. 

Zeitgenossen fanden in ihrer ruhigen Wiirde einen Gegen- 

satz zu dem Feuer Mozarts und Beethovens, lobten die 

weniger gedanklich bedeutenden als angenehmen Melo- 

dien und tadelten die allzuhaufige Wiederkehr seiner 

chromatischen Gauge und die unruhige Modulation. Bis 

gegen das Jahr 4 830 kehrt das Werk auf den Repertoiren 

immer wieder. Seine zweite Sinfonie [D moll) schrieb 

Spohr fiir die philharmonische Gesellschaft in London, die 

mit diesem Werke zugleich die erste Bekanntschaft des 

Tactstocks machte. Spohrs dritte Sinfonie {Cmoll), seine 

vierte (» Weihe der Tone «) und seine fiinfte (C moll) bilden 

den Hohepunkt in der sinfonischen Thatigkeit ihres Ver- 

fassers und sind bis heute noch in den Programmen zu 

finden. Namentlich seine dritte Sinfonie (v. J. -1829) ist 

eins der liebenswiirdigsten Denkmaler der ersten, un- ^' ^P®^ 

schuldigen Jugendzeit der musikalischen Romantik. Manche Cmon-Smfonie. 

Zeilen in dieser Dichtung — wir denken an das zweite 

Thema des ersten Satzes — sind veraltet, aber aus dem 

Ganzen spricht der iiberschwangliche Geist milder, weicher 

Schwarmerei, dem Spohr zuerst einen eignen Ausdruck 

verlieh, no€h in erster Frische. Bei Mozart liegen die 

Quellen dieser Spohr'schen Kunst; Schubert kannte er 

nicht, als er seme ersten Sinfonien schrieb, und von 

Beethoven'schen Anregungen macht er nur einen sehr 

vorsichtigen Gebrauch ; der italienischen und franzosischen 

Oper, Cherubini namentlich, verdankt er Einiges. In der 

Hauptsache schuf sich Spohr seine Sprache selbst, 

und wie viel von den verminderten Schlussintervallen : 

w r l»w f~Tf ^^^ von anderen Wendungen seines 

romantischen Idioms in die Werke mitlebender und folgen- 
der Kiinstler ubergegangen ist, wird man mit Staunen bei 
Betrachtung dieser C-moll-Sinfonie gewahr. Ihr Larghetto 
namenthch, der voUendetste, gedankenreichste und mannig- 



-^ 136 -»>- 



faltigste Satz des Werkes, hat in den Sinfonien gleich- 
zeitiger und spaterer Sinfoniker machtig nachgewirkt. 
Am ersten Satze ist das Beste die Einleitung mit dem 

charakteristischen, suchenden Quintenmotiv A j f jf J = 

und der Schluss der Durchfiihrung, an welchem diese Ein- 
leitung wieder erscheint. Auch das erste Thema des 
Allegro, in seinem Anfang nicht hervorragend , erhalt 
durch die poetische Ankniipfung an das citirte Motiv der 
Einleitung einen werthvollen Schluss. 

DasLarghette [Fdurys) hat zumHauptthemaeinelange, 
behaglich ausgefiihrteMelodie, das Kind einesHerzens, wel- 

Larghetto . 

ches seinen Frieden gefunden m ^ R J \ p f 'iU L J« ^ - 
Nur leichte Schatten finden hier einen Zutritt: 



Der Glanzpunkt dieses Satzes ist 




das Cantabile 




bei .dem Spohr einen neuen Instrument ationseffect an- 
wendete. Sammtliche Geigen, Bratschen und Celli tragen 
die Melodie im Unisono vor. Die Wirkung ist grandios! 
Das Scherzo dieser Sinfonie ist in seiner Herkunft 
verwandt mit dem in Beethovens fiinfter: 

In der Ausfuhrung bleibt es etwas gleichformig. In 
lauter kleinen Ziigen gepflegt, eines lebendigeren drama- 
tischen Impulses baar, bildet es fiir den Zuhorer einen 
einigermassen miihsamen Genuss. 

Der Humor Spohrs vergrabt sich mit Vorliebe in 
Miniaturen. So streiten auch im Finale gegen die 
grossern Intentionen des ktihn scherzenden Hauptthema, 
das an das Finale von Beethovens zweiter erinnert, 



137 



jjw Jjip jJTJ^J J t yJ^IJ^ I tJ^ I J I allerhand kleine 
Arabesken, unter denen namentlch folgende Figur 




einen breiteren Raum einnimmt. 

Die andere C moll-Sinfonie Spohrs (geschrieben im 
Jahre 4 838 fur die Wiener Concerts spirituels) hat eiiie -^^ g j^^ 
pathetischere Tendenz. Sie begiebt sich, allerdings nicfit c_jj^Jii_gj^fQjjjQ 
sehr weit, direct ins Gebiet der Leidenschaften hinein. Nr. 5. 
Spohr war sich der Einseitigkeit seiner musikahschen Na- 
tur bewusst und strebte zeitlebens ernstUch darnach seine 
Phantasie auch ausserhalb der elegischen Grenzen hei- 
misch zu machen. Es ist aber nicht zu verkennen, dass 
ihm bei solchen Versuchen die Origin alitSt des Ausdrucks 
versagt und dass er sobald wie moglich den Riickzug 
auf vertrautes Terrain anzutreten pflegt. Fiir die erstere 
Thatsache bildet das Hauptthema im ersten Allegro dieser 
Sinfonie eine geniigende Illustration: 

Allegro. <-N 





Einen schonen poetischen Zug 
theilt dieser erste Satz der funften 

Sinfonie mit dem der dritten: das Thema der lang- 
samen Einleiturig tritt plotzlich in die Durchfiihrung 
hinein und kehrt dann bis zum Ende des Satzes mehr- 
mals wieder. Der Schluss des Allegro sticht durch Macht 
des Ausdrucks hervor und schliesst das ganze Bild mit 
den Klangen edler Trauer ab. Man hat den Eindruck, 
dass das Werk einer Fortsetzung nicht bedarf. Eigen- 
Ihumlicher Weise, wie im Sinne eines freundlichen Leit- 
sterns fiir das ganze Werk steht die Einleitung zu diesem 
C-moll-Allegro in Cdur! 

Das Larghetto dieser Sinfonie kommt im Geiste und 
auch in der thematischen Erfindung Beethoven sehr nahe ; 



138 



es ist einer der schoasten langsamen S^tze, den Spohr 
geschrieben hat. Der Mittelsatz dieses Larghetto contras- 
tirt mit dem Haupttheile, fiihrt aber seine Aufgabe, eine 
unruhige Scene darzustellen, in einer namentlich nach 
Seite der Instrumentation bin bemerkenswerth originellen 
Weise aus. Wir geben bier das Haupttbema dieses 
Larghetto : 

Larghetto. 




Das Scherzo, ein fiir Spohr aussergewohnlich kraftiger 
Satz, stiitzt sich im Haupttbema auf ein chromatiscbes 



te{g 



Motiv ^1 1 welches, von den Hornern aus durch die 

Blaser wandemd, ein beitres Leben im Orcbester wach 
halt. Der zweite Theil des Hauptsatzes verdankt dem 
Aennchen aus Webers Freischiitz (»Grillen sind mir 
bose Gaste«) Einiges. Das grazios elegische Trio ist den 
Holzblasern in der Hauptsache allein iiberwiesen. 

Im Finale herrscht der Ton einer milden Heiterkeit. 
In kunstvollen Formen fugirend und imitirend, bilden sich 
frohliche Spiele um das dem Haupttbema folgende Seiten- 

satzchen • # H' » I J i J j j J I J l|J l|» I p \1 fv ^ - Alszweites 

Thema des Finale erscheint die Melodie der Einleitung 
zum ersten Satz, Die Sinfonie erhalt dadurch in Form 
und Idee eine sebr schone Abrundung. Mehr als beachtet 
wird, sind die Sinfonien Spohrs reich an solchen geist- 
und sinnreichen Wendungen. 

Zwischen den beiden C moll - Sinfonien steht die 

L. Bpohr »Weihe der T6ne.« Dieses wcharakteristische Tongemalde 

■Die Weihe dfrin Form einer Sinfonie«, wie es der Componist nennt, er- 

^^®*' schien im Jabre -1834, fallt also in eine Periode, in wel- 

cher die Tendenz, die Instrumentalcomposition an poe- 

tische Vorwiirfe zu binden, wieder einmal energisch auf- 

gelebt war. Diese Periode, welcbe zufallig mit der 

Bliithezeit der Romantik in der Litteratur zusammenfailt, 



<«- 139 ^- 

datirt von dem Franzosen H. Berlioz, dem sich Mendels- 
sohn und Gade in ihren poetisirenden Concertouvertiiren 
auf dem Gebiete des Orchesters in besonnener Distanz 
anschlossen; Schumann vertrat eine ahnliche Tendenz 
in der Claviermusik mit seinen Charakterstiicken. Auch 
auf Spohr ubte diese Richtung einen grossen Reiz, und 
in seiner energischen Art ging er gleich praktisch ans 
Werk. Der »Weihe der T6ne« liegt ein ziemlich langes 
Gedicht von Carl Pfeiffer, einem Casseler Freunde des 
Componisten, zu Grunde, welches nach einer Vorbemer- 
kung in der Partitur im Concertsaal bei der Auffiihrung 
der Sinfonie entweder vertheilt oder laut vorgetragen 
werden soil. Die Concertdirectionen begniigen sich in- 
dessen mit einem kurzen Auszug, einer Art Inhaltsangabe, 
die den Tempi der einzelnen Satze beigeschrieben wird 
und die Intentionen von Dichter und Componist, wenn 
auch nicht immer ganz, so doch annahernd trifft. Etwas 
ungliicklich gewahlt erscheint sofort die Bezeichnung des 
ersten Largo: »Starres Schweigen der Natur vor dem 
Erschaffen des Tons«. Thatsachlich will Spohr bier nur 
etwas Aehnliches schildern wie J. Haydn im Chaos der 
Schopfung, wie Beethoven im Anfang der neunten Sin- 
fonie: eine Welt, der die Freude fehlt, in der das Leben 
noch nach Formen ringt. Das thut er in der Einleitung 
durch trage, lastende Melodien in den BSssen und andern 
tiefen Instrumenten und durch wiihlende Harmonien. Der 
erlosende Jubal ist sehr bald geboren: Schon nach 23 
Tacten beginnt das Allegro. Es bringt als Hauptthema 
eine echt Spohr'sche Melodie: 

| i ii u'pii I j^j ^ I L.i |i i ^f if if I r g)/ I .J. J 

Ein zweites Thema besitzt dieser Satz nicht: An seiner 
Stelle erscheint eine lange concertirende Partie, in welcher 
die Holzblaser das Vogelgezwitscher nachzubilden su» 
chen. Dergleichen Aeusserlichkeiten , Kunsteleien und 
unreife Stellen sind in Programmsinfonien nichts Sel- 
tenes. Aber in der »Weihe der T6ne« scheinen sie nicht 



140 



ausschliesslich aus dem Principe hervorgegangen , son- 
dern aus einer temporftren Schwache der musikalischen 
Erfindungskraft , die im AUgemeinen nothigt, das Werk 
— so viel Liebenswiirdiges es enthalt — hinter die bei- 
den C-moll-Sinfonien zuruckzustellen. Namentlich die 
Uebergangspartien von Bild zu Bild, von einem Thema 
zum andern, entbehren der Gedankenkraft und behelfen 
sich mit leerem Figure n werk. Auch die Difehtung zwang 
nicht zu den kleinlichen Malereien, in welchen Spohr die 
Stimmen der gefiederten Sanger wiederzugeben glaubte; 
sie bringt in dem Verse, welchen das Allegro illustriren 
will, eine Reihe hoherer Momente, welche der Componist 
bei Seite liegen liess. Dagegen hat Spohr in diesen Satz 
eine Scene hinein escamotirt, von welcher der Dichter 
nichts weiss: einen Aufruhr der Elemente. Mit seinen 
heftigen AcQeuten bildet er zu der musikalischen Idylle 
der Themengruppe einen nicht unwillkommenen Gegensatz. 
Im zweiten Satze sucht Spohr Wiegenlied, Tanz 
und Standchen zu vereinigen. Namentlich das Wiegen- 
lied ist mit einer sehr gelungenen Melodie wiedergegeben, 
von der man fast bedauert, dass wir sie so wenig un- 
vermischt geniessen konnen 

Andantino. 




PV 



Der Tanz, ein franzosischer Zweivierteltakt, vertreibt 
diese Melodie schnell, und ihn lost spater das Standchen 
ab. Merkwtirdigerweise ist seine Ausfiihrung dem Fagot t 
iibertragen. Es steht im ^/le Tact: 




Diese drei Melodien sind, ahnlich wie in der Ballscene 
des Don Juan, zusammengestellt und bilden in ihren 
Combinationen fiir den Vortrag bedeutende Schwierig- 
keiten. 

Der dritte Satz: » Kriegsmusik , Fortziehen in die 
Schlacht, Gefuhle der Zuriickbleibenden , Ruckkehr der 
Sieger, Dankgebet« beginnt mit einem Marsch (in D). Mit 



-* 1 41 -ft>- 

demselben kehren die Krieger auch nach dem Siege zu* 
rtick. In der Zwischenzeit stimmt die Clarinette in einer 
sehr sprechenden, beklommenen Weise eine klagende 
Melodie an: in den Celli banges Sinnen, das voile Or- 
chester bringt leidenschaftliche Ausbriiche des Schmerzes. 
In der Feme hort man ab und zu abgerissene Motive 
des Marsches. Nach der Ruckkehr der Krieger wird als 
Dankgebet der Ambrosianische Lobgesang: »Herr Gott, 
Dich loben wir« geblasen; die Violinen umspielen ihn 
mit jubelnden Figuren. » 

Der letzte Satz: »Begrabnissmusik, Trost in Thranen« 
iiberschrieben , wird durch ein Larghetto {Fmoll C) einge- 
leitet, welches in seiner Form dem Schlusse des vorher- 
gehenden Satzes, dem »Dankgebet« ^hnlich ist: Der Cho- 
ral »Nun lasst uns den Leib begraben«, von den Celli 
und den beiden Clarinetten vorgetragen, wird von den 
andern Instrumenten mit Motive n begleitet Nament- 
lich die Zwischenspiele , in dumpfen Paukenwirbel ge- 
hiillt, sind ausserordentlich ergreifend und eindrucksvoll. 
Nach dieser Trauerscene folgt der Trost in Thranen als 
Allegretto [Fdur 3/4) mit folgendem Hauptthema: 



| i II 1I1 I I iT I I'Tr I ifPi -4i^^n 

y% rV I r- ^"T" !r~1 ^^ schliesst mit dem Quinten- 
' ' W * f r i :^i=d motiv d a. welches schon im 



^ motiv d g, welches schon im 

ersten Satze eine wichtige Stelle im Thema einnimmt. 
Spohr hat es in alien Satzen dieser Sinfonie untergebracht : 
Hier erscheint es wie der bescheidene Hausgeist in einer 
Ecke versteckt, dort offen im Vordergrunde ; vielfach in 

folgender Form : ^ 6 f T | p j . Immer elegisch, friedvoll 

und auch an den Stellen des Aufschwungs so masshaltend, 
wie es der fromme Grundton der Stimmung verlangt, ist 
dieser Schlusssatz der »Weihe der T6ne« nicht immer 
verstanden worden. Von der gebrauchlichen Haltung 
eines Sinfoniefinales weicht er vollig ab; zum Charakter 



-<fr 142 -6^ 

des Tongem aides , welches mit dem Ausblick auf das 

Jenseits abschliesst, passt er sehr wohl. 

-' Spohr hat spater nur noch eine rein musikalische 

Sinfonie geschrieben. Es ist die Nr. 8 [Gdur)^ welche 

Bpoar nach der instrumentalen Seite manches Neue iind In- 

**^"Jj^*g®'"® teressante enthfilt. Das Scherzo, im Trio mit einem Vio- 
linsolo ausgestattet , ist in der Erfindung, welche sich 
ganz auf das virtuose Element lehnt, der eigenartigste 
ihrer vier Satze. In den ubrigen Sinfonien blieb er von 
der »Weihe der Tone« ab beim Princip der Programm- 
musik. Zunachst kam im Jahre 1841 seine »historische 
L. Bpohr Sinfonie im Style und Geschmack vier verschiedener 

HifitoriBche Sin- Zeitalterw. Der erste Satz soil die Periode Handel und 
fonie. Bach veranschaulichen. Er versucht das in einer aus 
trockenen Sequenzen zusammengebauten Fuge, mit einem 
Pastorale in der Form des Siciliano ('Vg Tact) als Mit- 
telsatz. Der zweite Satz gilt der Periode Haydn-Mozart. 
Dieser stand Spohr selbst geistig am nachsten und da- 
rum ist wohl dieses Andante der gelungenste Satz der 
Sinfonie. Auch hier schaut der chromatische Spohr 
uberall hervor: aber er thut nichts was seine Modelle 
entstellt: Einiger Spasse und Derbheiten, welche Spohr 
den beiden Wiener Meistern insinuirt, waren sie fahig 
gewesen, wenn auch gerade nicht im Andante. Die Beet- 
hoven'sche Periode, als die dritte, ist durch ein Scherzo 
vertreten, welches mit einem Solo von drei Pauken be- 
ginnt. Sie geben das Motiv 

^" * J I f J r I J r J I'T J r u r j i- 

Im Uebrigen schiebt Spohr dem Beethoven einen Eigen- 
sinn zu, welcher selbst fiir diesen iiber alle Moglichkeit 
hinausgeht: In einem Satze, der gegen 400 Tacte um- 
fasst, ein einziger thematischer Gedanke von 8 Tacten 
Lange! Wider alien Beethovenschen Branch bleibt auch 
das Trio an dieser fixen Idee haften! Noch schlimmer 
Ifommt »die allerneueste Periode «, welche den vierten 
Satz einnimmt, weg: Ein Hexengebrau aus Nonen, Sep- 
"timen und freien Dissonanzen, winselnden und schmach- 



-<^ 1 43 ♦^ 

tenden Vorhalten ! So wild ist auch Berlioz nie gewesen, 
so sehr haben auch die Pacini, Mercadante und Meyer- 
beer nicht gelarmt, so siisslich und zerflossen waren Ros- 
sini und Bellini niemals! Und wer in aller Welt mag 
zu den ewigen und tollen Gedankenspriingen dieses Satzes 
gesessen haben ! Ist die Historie in den andern Satzen dieser 
Sinfonie nur unzulanglich — so wird sie hier zur Parodie ! 
Die nachste Prograjnmsinfonie Spohrs (im Jahre 4 842 
veroffentlicht) heisst »Irdisches und Gottliches im Men- t a v 
schenleben« und ist betitelt a's »Doppelsinfonie«! Das ^^ ' ^° ' 
letztere darum, weil in ihr zwei Orchester aufgestellt Gottliches* im 
sind, die sich in der Kegel ablosen, hie und da auchMenscheniebenc 
vereinen. Das erste Orchester hat im Streichquartett 
nur einfache Besetzung. Diese Anordnung fiihrt zu einer 
Reihe neuer und schoner Klangwirkungen , deren hHufige 
Wiederkehr allerdings den Endeindruck schwacht. Sie ist 
ein weiterer Beweis, wie Spohr sich immer etwas Neues 
ausdachte und in seiner Art auch ins Werk setzte. Der 
erste Satz gilt der Kinderwelt. Hier sein Hauptthema: 

Allenetto. 



Gliick schildert er nicht; auch ihn driicken chromatische 
Schmerzen. 

Der zweite Satz schildert die Zeit der Leidenschaf- 
ten. Diese nahen in chromatischen Sechzehntelgangen 
der Basse, storen die friedvollen Melodien der Holzblaser 
und schwellen zu einem Sturm an, der sich in einem 
Allegro (C-Tact) austobt, das in seinem Haupttheil mit 
Sechzehntellaufen angefiillt ist. Eine Art kraftiger Marsch- 
musik bildet einen Widerpart dagegen. 

Der dritte Satz ist iiberschrieben : Endlicher Sieg des 
Gotthchen. Ein Presto in 6/4 Tact [Cmoll) beginnt auf- 
geregt und lenkt dann in freundlich muntere Melodien 
iiber. Sie luhren zu einem Adagio, welches, pompos in- 
strumentirt, mit einem feierlich gehobenen Gesang ein- 
setzt, und, ahnlich wie in der wWeihe der T6ne« der 
Schlusssatz, mild und leise ausklingt. 



-^ 1 44 

Den Vorwurf zu Spohrs letzter Sinfonie (Nr. 9, Hmoll) 

L. Spohr ^ilclen »die Jahreszeiten«. Dieses der musikalischen Kunst 

• DieJahres- ^^^^ bietende Thema wird hier in zwei Abtheilungen ab- 

zeiten «. gehandelt, deren erste den Winter, den Friihling und den 

Uebergang zwischen beiden enthalt, die zweite den Som- 

mer und Herbst. Das dichterische, allgemein kiinstleri- 

sche Talent Spohrs und noch mehr sein musikalisches — 

beide haben sich der reizenden Aufgabe gegeniiber sehr 

kiihl verhalten. Nur der letzte Satz erhebt sich an ein- 

zelnen Stellen, mit einer Paraphrase des Rheinweinliedes, 

uber eine mittlere Temperatur. 

Die sentimentale Richtung der Romantik erreicht in 
Mendelssohn ihre Spitze. Der romantische Beiklang, 
welcher viele Compositionen Schuberts wehmuthig farbt, 
welcher alle Werke Spohrs wie mit einem Hauche von 
Sehnsucht iiberzieht, nimmt bei Mendelssohn einen ener- 
gischeren Charakter an und aussert sich schwermiithig und 
klagend. Mendelssohn ist eine vielseitigere, beweglichere 
und reichere Natur als Spohr und wirft haufig jede ro- 
mantische Fessel ab. Aber die Nachfolger ergriffen die 
romantische Sentimentalitat seiner Werke als Hauptseite 
seines Wesens. 

Mendelssohns sinfonisches Hauptwerk ist die AmoU- 
Sinfonie. Sie ist unter dem Beinamen »die schottische« 
bekannt: die Hauptmelodie des munteren Satzes, welcher 
in ihr die Stelle des Scherzo einnimmt, soil dem reichen 
Volksliederschatz Schottlands entstammen. Aber die 
Beziehungen zwischen dem Werke und seinem Titel sind 
tiefer: M. schreibt, dass ihm die ersten Themen an den 
Statten Maria Stuart's kamen. Die Sinfonie entstammt der 
ktinstlerisch reifsten Periode des Componisten, einem Ab- 
schnitt derselben, wo auch die Frische und der Reichthum 
seiner Phantasie die Hohe jener Jugendtage behaupteten, 
in denen die Sommernachtstraum - Ouverture entstand. 
Die » Walpurgisnacht « , die mit dieser Sinfonie zugleich 
das Licht der Welt erblickte, schickt in dieselbe manche 
Griisse hinein. Das Werk tragt in den gemischten Stim- 
mungen, welche es wiedergiebt, in seiner Hinneigung zum 



-^ U5 

naiv Volksthiimlichen die Kennzeichen der Fruhromantik. 
Es ist unter den Werken, welche diese Richtung in Poesie 
und Kunst hervorgebracht hat, eins der individuellsten 
und zugleich abgeklartesten. An neuen, melodisch ein- 
dringlichen, eigenen Gedanken reich, besitzt die Sinfonie 
in der Darsteilung den zuganglichen Charakter, welcher F- Mendelsaohn 
den Werken Mendelssohns gemeinsam ist, im hohen Grade. AmoU-sinfonie 
Im Periodenbau herrscht ein Masshalten und eine Kegel- (8cJ»o*t"che). 
massigkeit, die uns fast zu gross diinkt. Wenn trotzdem das 
Werk bei seiner ersten Auffiihrung (im Jahre 1842) nur einen 
massigen Anklang erregte, so lag der Grund in der Neue- 
rung, dass Mendelssohn die vier Satze der Sinfonie attacca 
d. h. ohne die gewohnlichen Unterbrechungen auf einan- 
der folgen lasst. Diese Anordnung, welche auf emen 
-engern poetischen Zusammenhang der Satze hinweist, 
schien die Zuhorer zu ermiiden. In der Folgezeit hat 
sie ausser Schumann in seiner D moll- Sinfonie kein Com- 
ponist adoptirt. In den kleinen Sinfonien von Ph. E. Bach 
und der Vor - Haydn'schen Periode liessen sich die 
Pausen zwischen den einzelnen Satzen leichter entbehren. 
Das Thema der Introduction der Amoll-Sinfonie 

^ Andante. 

gehort zu den Lieblingsgedanken Mendelssohns: Paulus 
in der Stunde der Reue, der lebensmiide Elias intoniren 
diese schwermiithige Melodie. In der Schule des Meisters 
ist sie vielfach variirt worden. Mendelssohn hat die 
ausserordentlich bedeutende Idee des Introductionsthemas 
in der Sinfonie nicht weiter verfolgt, im. Adagio nimmt 
er einen fliichtigen Bezug darauf und im ersten Allegro 
kniipft er direct an die vier ersten Noten desselben an. 
Folgendes ist das Hauptthema dieses Allegro: 

'^ ^^ AIleg^TO nn poco agitato. 

^HNJlJ JJJJ 

Die Erregung, welche in dieser Wendung halbverdeckt 
durchscheint, wird mit dem Schlusse des Hauptgedankens: 

10 




U6 




r p p p ir i?J f) I r'^O ' ^ zunachst zu melancho- 

lischer Ruhe gebracht. Bald aber bricht sie in dem Seiten- 
gedanken : 

b) 

mit den heftigen, kurzen Stossen aus, durch welche sich 
Mendelssohns Sprache der Leidenschaft von denen an- 
derer Kiinstler unterscheidet. Das zweite Thema geht 
mit innigen Ton en 




i * /^" P ' £fJ [ ^ TT^ I JJ Jii<r-? I f'jr- i ?f i \ 



^^J' ^ ij-f^^?^ ^^ di® klagende tragische Sphare der Intro- 
duction znriick. 

Ein ausserst liebenswiirdiger ruhrender Nebenge- 

Besonders schon wirkt er, als er gegen den Schluss 
der Durchfiihrung hin sich unmittelbar neben die wilde 
Gestalt des oben mit c) bezeichneten Themas stellt. Diese 
Durchfiihrung selbst ist nicht nur musikalisch formell 
voUendet, sondern auch ein poetisches Meisterstuck , ge- 
nial in Aufbau und Ausdruck der Stimmung. Dieser Ein- 
gang, der Ruhe und Vergessenheit in neuen Traumen 
suchtj die allmahliche Einfuhrung des Conflicts, der nicht 
zu vermeiden war, — die wiederholten Versuche abzu- 
brechen — der endliche Ausgang mit der Trost und Re- 
signation predigenden Melodie der Celli — das wirkt 
Alles mit einer TJnmittelbarkeit, wie sie an dieser Stelle 
in Sinfonien nur selten erreicht wird! Wie ergreifend 
auch der letzte Abschluss des ganzen Allegro — als nach 
alien Stiirmen die Melodie der Introduction ihr freund- 
lich bleiches Antlitz wieder zeigt! In seiner harmonischen 



147 



Mischung von menschlicher Tiefe und Anmuth, freier 
Dichtersprache und vollendeter Form wlirde der Satz 
allein hinreichen die Bewunderung zu erklaren, welche 
Mendelssohn bei seinen Zeitgenossen erregte. 

Anf einem andern Grundcharakter basirt ist der zweite 
Satz der Amoll-Sinfonie, das Vivace. Von dem phan- 
tastischen Elemente, welches Mendelssohn fiir seine 
Scherzi bevorzugt, hat es nichts. Es ist ein kiinstlerisch 
voUendetes Genrebild pastoraler Natur, welches uns nur 
bedauem l&sst, dass Mendelssohn dieses Gebiet so selten 
betreten hat. Die Themen, welche in theilweise strengerer 
Arbeit durchgefiihrt werden, sind folgende: 

Vivace. 




Einen das Trio vertretenden Mittelsatz hat das Vivace 
nicht, aber eine kleine Einleitung von wenigen Takten, 
in der frohliche Signale auf das bevorstehende lustige 
Treiben hinweisen. Auch das Adagio beginnt mit einer 
kurzen Einleitung, die den Zusammenhang mit der Intro- 
duction mit einigen, allerdings sehr feinen Strichen her- 
stellt. Das Hauptthema hat in seiner ersten Halfte fol- 
gende Gestalt: 




J, ^ . ■ . — — ^ tf p 

Unmittelbar nachdem es abgeschlossen , tritt das zweite 
Thema : 




ein, fremdartig und feierlich wie Hamlets Geist. Im gan- 
zen weitern Verlauf des Satzes geht es mit dem andern, 
von dem die Celli bevorzugten Besitz ergreifen, keine 



4 0^ 



148 



nahere Verbindung ein, sondern stellt sich ihm nur, im- 
mer wieder tiberraschend , wie mahnend und warnend, 
entgegen. Diese ungewohnliche Disposition der Themen 
giebt dem Satze einen dramatischen Charakter. 

In dem letzten Satz verschwindet das romantische 
Colorit einigermassen. Die Themen stiirmen einer behag- 
lichen Sphare zu 

Allegr o con sptrite. 




erete. 



erreichen sie jj | J J J J | X.JJTJ? I T J. f 1^ 



und geben den Gefiihlen heroischer Kraft freudigen 
Ausdruck: 



XT 

Was leidende Miene tragt, 



' r pir f pir r r r N' i • wie das Thema 



h \i r 'lu 'r I ii I rin ' r^ if i r \\^m 



jr7~f^p \ t {H jf V r ^^ das riicken liegende Stim- 



men, Orgelpunkte und andere Hiilfsmittel der Instru- 
mentation und der Harmonie in eine verklarende Feme. 
Die bier angefiihrten Themen gehoren dem ersten, 
dem Haupttheile des Schlusssatzes zu. Mendelssohn 
nennt diesen ersten im C-Takt geschriebenen Theil Alle- 
gro guerriero — und bietet damit der Erklarungskunst 
•einen verlockenden Stoff. Der zweite, kiirzere Theil des 
Finale besteht aus einem Satze im ^/y-Takte, in dessen 



Hauptmotive: ^ ^^ j, j ^ 



das schottische Ele- 



ment der Sinfonie noch einmal zu entschiedenster Geltung 
kommt. Diese Wendung bildet in der Melodik der schot- 



-^0- 149 ♦- 



tischen Volksmusik eine stereotype Schlussformel. Be- 
kanntlich fehit der schottischen Scala die Septime. 

Der schottischen Sinfonie steht unter den andern 
Sinfonien Mendelssohns die vierte (Op. 90) an Werth und 
Popularitat am nachsten. Sie heisst die italienische und 
gilt als die kiinstlerische Frucht der langeren italienischen 
Reise, welche der junge Mendelssohn im Jahre 1830 unter- 
nahm. Direkt erkennbare sudliche Elemente bringt die 
Sinfonie in ihrem Schlusssatze: einer ausgelassenen, „ m j i- i. 
bacchantisch lustigen Scene, welcher eine neapolitanische j^'dur-sinfonie 
Tanzform, der wilde Saltarello, zu Grunde liegt. In den (italienische). 
andern Satzen sind Beziehungen zum Siiden nicht nach- 
zuweisen. Der erste Satz mit seinem heiteren Grundton 
hat gleichwohl zu vielen schwarmerischen Parallelen mit 
dem »ewig blauen Himmel des Landes, wo die Citronen 
bliihenw Veranlassung gegeben. Es herrscht in ihm eine 
kraftig gliickliche Pharitasie, die wohl an die Stimmung 
eines Jiinglings denken iSsst, der frohlich und jubelnd 
hinauszieht in die schone Welt. Das erste Thema, wel- 
ches ohne Einleitung einsetzt: 

AJlegro vivace. 




g 



nfp . fff^ . f z hat einen stiirmischen Charakter; 

' ■ „ , I 1 ms fin a '/mraif a • 



das zweite: 




ist ruhiger, hat etwas vom sentimental - romantischen 
Element; aber ein freudiger Schwung lebt auch in ihm. 
In der Durchfiihrung tritt ein neuer dritter Gedanke auf : 



.^ jf» J t ^J ^J^JJlj^J yf ^ I p ^flLT I r\*. ] , welcher dann 

auch in den Schlusstheil des ersten Satzes aufgenommen 
wird. 



-^ 150 -B^ 



Der zweite Satz (Andante con moto, Dmoll beginnt 
wie eine schwermiithige Ballade mit folgendem Haupt- 
thema, zunachst von Bratschen, Clarinette und Fagott 
vorgetragen : 

Andante con moto 




dem dann ein freundlicher Gesang entgegentritt: 




Diese anheimelnde Begegnungsscene wiederholt sich mit 
kleinen Intermezzos einigemale: Die trauernde Gestalt 
hat das letzte Wort und wie mit leisen Seufzern ver- 
schwindet der Satz in die umwolkte Feme. Sind in die- 
sem langsamen Satze schon nordische Anklange nicht 
zu verkennen, so tritt in dem folgenden Satze, einem 
3/4-Takt ohne weitere Gattungsbezeichnung, das deutsche 
Element mit der grossten Bestimmtheit vor. 

Der Hauptsatz dieses traulichen Stiickes kniipft mit 
seinem Landlerthema: 

Con moto moderato. 

f, ii . a r' r r i f j -f I fj lii 1 

an die gemiithlichsten Bilder an, welche die Wiener 
Meister von deutscher Frohlichkeit und Geselligkeit ent- 
worfen haben. In dem Mitteltheil dieses Satzes lebt die 
Romantik unsrer Walder in der Seele des jungen Men- 
delssohn auf : unser C. M. von Weber scheint vor seine 
Phantasie zu treten und in dessen Hornklangen spricht 
der junge Tondichter einige der herrlichsten Zeilen seiner 
italienischen Sinfonie. 

Der letzte Satz, mit einem fanatischen Unisono seinen 
unbandigen Charakter ankiindend, bringt als erstes Thema 
folgendes : 

- Presto. ^,5-^ • * * , 




j " p riJ iLrr L r r c ,1/ crj I p ^ p ^ c-^/iS 



ir 



f ,^rrfp.T^. ^^ 



151 



Es zieht in einer langen Entwickelung auf, durch- 
streift die Ntiancen seelischen Ausdrucks von der zar- 
ten Anmuth bis zum wilden Toben und bringt alle Krafte 
des Orchesters, die Solisten und die Massen in immer 
heftigere Action. Dem Aufmarsch dieses Hauptthema 
folgt eine Nachhut aus derben Elementen, aus stampfen- 
den und pochenden Figuren, wie: 




gebildet. Die weicheren und feineren Geister haben in 
den Kreisen dieses Satzes nur einen bescheidenen Platz 
Das zweite Thema sucht sie einzufuhren: 



jpi ;_[;lY?jQ £jJt,,Ji7j|JT3^ J l j . Ein emeuter 

und langerer Versuch, die ins Bedrohliche steigenden Wogen 
der Frohlichkeit zu glatten, wird in der Durchfiihrung 



dieses Satzes mit der Figur ro JJijJ J ^^^ !!~f_f l ^*^'«^ - 



unternommen. Wie der erste Satz der Adur-Sinfonie 
manches aus der Notturnosphare , so bringt dieser letz- 
tere wortliche Einzelheiten aus den grotesken Partien 
der Sommernachtstraummusik , speciell aus der Ouver- 
tiire. 

Die italienische Sinfonie ist als Nr. 4 erst nach dem 
Tode des Componisten veroffentlicht worden; der Ent- 
stehungszeit nach geht sie der schottischen um mehrere 
Jahre voran : sie wurde von Mendelssohn zuerst im Jahre 
^1833 in der Philharmonischen Gesellschaft zu London 
aufgefiJhrt. Zwischen diesen beiden Hauptsinfonien 
Mendelssohns liegt sein »Lobgesang«, den er als »Sinfo- 
niecantate nach Worten der heiligen Schrifta bezeichnet. 
Die Mischung von Sinfonie und Cantate, wie sie in diesem 
Werke sich zeigt, ist alter als Beethoven und seine neunte 
Sinfonie. Die eigenthiimliche Anlage dieses Lobgesangs 
ist jedoch mit Berufung auf altere Vorlagen noch nicht 
recht zu verstehen. Sie hing wohl mit der bekannten 



F. Mendelssohn 

Lobgesangc 
Sinfonie- 
Gantate. 



-* 152 *- 

Lieblingsidee Mendelssohns zusammen: einmal die Musik 
zu einem ganzen Concertabend zu componiren, um so 
einem gemischten Programme etwas Einheit zu geben. 
Einen Theil dieser Absicht verwirklichte er, als er den 
Auftrag ausfuhrte, die Musik zum Gutenbergfest in Leipzig 
zu componiren (im Jahre 1840). Was die Tonkunst be- 
sitzt, das zog er herbei zu der Dankfeier, welches einem der 
wichtigsten Culturereignisse , einem Wendepunkte in der 
Geschichte der Menschheit gait. Voran Hess Mendelssohn 
die spielenden Massen schreiten. Sie loben den Herrn (im 

ersten Satze) mit Posaunen: .^ i," f C'/ L'J f 1 1^ ^^ ^ .. 

y 

Dann lobt man ihn mit Psalter und Harfen, in einem »feinen 
Ton.tt Dieser feine Ton ist der Kern des ersten Theils 
des Allegretto der Sinfonie (GmoU %); seinen Ausgang: 
bildet eine Choralparaphrase. Dem dritten Satze, dem 
Adagio (Ddur2/4), dem frommsten und ehrfurchtsvollsten 
Theile der Sinfonie scheint der Gedanke zu Grunde zu 
liegen : »Betet an den Herrn in seinem heiligen Schmucke.« 
Er bildet den Schluss des Sinfonietheils im Lobgesang^ 
Nun setzt die Cantate ein. In ihrem ersten Chore sucht 
sie die Verbindung mit dem Vorausgehenden, indem sie 
das oben angegebene Thema des ersten Sinfoniesatzes. 
zu den Worten »Alles was Odem hat, lobe den Herrn<c 
aufnimmt. Der Hohepunkt dieser Cantate ist das dra- 
matische Recitativ des Tenors »Hiiter ist die Nacht bald 
hin?« 

Weniger bekannt, im Drucke erst seit dem Jahre 

F. Mendel8Bolin1868 vorliegend, ist Mendelssohns »Reformationssinfo- 

Eefonnations- nie«. Das Werk ist interessant als ein halb decla- 

Sinfonie. rirter Beitrag Mendelssohns zur Programmmusik. Auf 

die Reformation selbst nimmt es den klarsten Bezug im 

letzten Satz, dessen Mittelpunkt der Choral »Eine feste 

Burgtt bildet. Um ihn herum treten noch kriegerische 

Liedweisen, die den Charakter der Volkslieder des Mittel- 

alters tragen. Der religiOsen, ernsten Seite der Reformation 

selbst, ihrer streitbaren Natur, ihrer Freudigkeit am Kampfe^ 



-^ 153 -9>- 

ihrer Festigkeit im Glauben und im Gottvertrauen ist der 
erste Satz gewidmet. Mit einer gewissen Starrheit und 
Unbeugsamkeit halt diese Composition ein kurzes Motiv 

^ Allegro. 

fest : m ^ \ J. J)l ^-^ ^ ^^^ ^^^ ^®^ Einleitung bis zum 



Schlusse, wie der feste Wachterruf in der Nacht, den 
Satz durchschallt. Wie das Kleinod, dem das Miihen gilt, 
ist die Melodie des Lutherischen Amen (das sogenannte 
wDresdner Amen«, (das auch Wagner in seinen Parsifal 



aufgenommen hat): ^^£^ J J | |» p^f f I " I ^ ^ 



in die erste Abtheilung der Sinfonie hineingestellt. 
Der Zeit der Reformation gilt der zweite Satz, ein 
Allegro vivace, die musikalische Verkorperung einfachen, 
altvaterisch schlichten und kraftigen Frohsinns. Die 
Melodie desselben erscheint als metrische Umbildung des 
zweiten Thema im Vivace der schottischen Sinfonie. 
Das Trio besitzt Weihnachtsklang. Das Andante hat 
nach der Kiirze des TJmfangs und nach seiner erregten 
Haltung Aehnlichkeit mit einem Recitativ. 

Im melodischen Style weicht die Reform ationssinfonie 
von den drei vorhergenannten Werken ab. Nichts von 
den weichen Sext- und Terzvorhalten , welche in den 
Weisen der mittleren Periode immer wiederkehren , und 
wenig von der Riicksicht auf das Violinmassige, welche 
in der Motivbildung der andern Orchesterwerke haufig in 
den Vordergrund tritt. Es geht ein herber, aber cha- 
raktervoller Zug durch die Melodik der Reformations- 
sinfonie, der allein dazu berechtigen wiirde, diese Com- 
position der Jugendzeit Mendelssohns zuzuweisen. Sie 
theilt ihn mit seiner ersten Sinfonie, der in CmolU 
Diese ist (als Opus 11) der philharmonischen Gesellschaft ^' '^^^^^^"^ 
in London gewidmet, vor langerer Zeit schon durch ^ °'^"-^'''^°°^®* 
Schlesinger in einer gestochenen Ausgabe verofFentlicht, 
aber fiir Auffiihrungen so gut wie nicht benutzt worden. 
Der Stoff, weichen sie der Vergleichung und der bio- 
graphischen Betrachtung bietet, ist nicht unbetrachtlich. 



Im Style steht sie auf dem Boden der »Hochzeit des 
Camachott, der »Heimkehr aus der Fremde« und lasst gar 
nichts von der eigenthumlich phantastischen und reich 
beweglichen Natur des Componisten der Sommernachts- 
traummusik ahnen. In den Gedanken folgt sie nament- 
lich der Fiihrung Beethovens; der erste Satz kniipft 
direct an Ideen des Gdur-Concerts, der Coriolanouver- 
tiire und der Waldsteinsonate dieses grossen Vorbildes 
an. Trotz dieser Unselbstandigkeit ist aber das Werk 
wegen der Kraft, Frische, Knappheit und der Entschie- 
denheit, mit der es sich auf gedanklich Wichtiges nchtet, 
ein sehr erfreuliches und besitzt eigne Lebensffihigkeit. 

Die naive Richtung der Romantik tritt mit der phan- 
tastischen ziemlich gleichzeitig in die Musik herein. Ihre 
ersten Vertreter, unter welchen wir den liebenswiirdigen, 
lyrisch schwungvollen F. E. Fesca (vier Sinfonien iSM 
bis 23) nennen, gehoren noch dem Stylbereiche der nord- 
deutschen Schule an. Ihr Hauptmeister ward R. Schu- 
mann. In der grossen Reihe hoher Dichtergaben, deren 
Vereinigung Schumanns Individualitat imposant macht, 
sticht sein naiver Zug besonders hervor. Mit ihm vertritt 
er in der Sinfonie kraftiger, als es vor ihm geschehen, 
jenen Rousseau'schen Zug zur Natur und Einfachheit, 
dessen Aufleben den gesundesten Theil der romantischen 
Bewegung bildet, denselben Zug, welcher unsere Dichter 
zum VolksHed zuriickfiihrte und unsere Maler, Ludwig 
Richter voran, den grossen Schatz vonPoesie neu entdecken 
liess, der sich dem sinnigen Auge in der Alltaglichkeit 
des heimischen Lebens, auf dem naheliegenden Terrain 
des eigenen Landes aufthat. Der jugendhche Ton, die 
grosse Dosis ungezwungener Natiirlichkeit ist es in erster 
Linie, durch welche Schumanns Musik ihre erfreuende 
und erfrischende Macht iibt. Diesen inneren Eigenschaften 
verdankt sie auch viele von ihren eigenthiimlichen for- 
mellen Elementen: die Figuren und Gesang ineinander- 
ziehende Themenbildung , die aphoristischen und ver- 
steckten Melodien, die jetzt ungenirt losen, jetzt seltsam 
verketteten Rhythmen, die Naturlauten gleichenden Dis- 



sonanzen, und alle die neuen Elementarbildungen, durch 
welche Schumanns Schopfungen fiir die weitere Entwicke- 
lung der Tonkunst von grosser Bedeutung geworden sind. 

In die Reihe der Sinfoniker trat Schumann ungefahr 
ein Jahr, bevor Mendelssohns »schottische Sinfonie« 
erschien. 

Die echten Romantiker pflegen ihr Bestes gleich beim 
Anfang zu geben. Schumanns sinfonischer Erstling war 
die Sinfonie in B dur (Op. 38), eine seiner schonsten Ton- 
dichtungen und dasjenige Werk, welches seinem Namen 
mit einem Schlage die historischen Wiirden erwarb. Die 
B dur-Sinfonie halt sich an die bekannten Hauptformen 
der Gattung und bewegt sich im Wesentlichen in ver- 
trauten und jedem Menschen naheliegenden und lieben 
Ideenkreisen — aber Schumann behandelt Idee wie Form 
mit ungewohnlicher Freiheit und Kiihnheit. Ja in der 
kurzen, ungenirten Ausdrucksweise , welche er in einzel- 
nen Satzen entwickelt, liegt eine Originalitat , die nicht 
bios vor 40 Jahren neu war, die auch heute noch 
discutabel sein wiirde, wenn nicht der Grund einer fort- 
reissenden Natiirlichkeit und einer machtigen Phantasie, 
auf denen sie ruht, zu stark durchleuchtete. Schumann S- Solmmaim 
selbst nennt in einem Briefe an Griepenkerl seine B dur- ^ dur-sinfome. 
Sinfonie »in feuriger Stunde geboren.« Sie war in der 
kurzen Zeit von vier Tagen im Entwurf fertig. 

Die poetische Idee des Werkes soil*) mit dem Ge- 
dichte »Du Geist den Wolke triib und schwer« von Adolf 
Bottiger in Beziehung stehen. Die Worte wim Thale zieht 
der Friihling auf« scheinen diejenigen gewesen zu sein, 
welche die Phantasie des Componisten am starksten leiteten. 

Dunklen Bildern und Ideen giebt Schumann in die- 
sem Werke, welches den Stempel einer gliicklichen Zeit 
iaberall tragt, nur so weit Raum, als es das Gesetz des 
Gegensatzes, das Lebenselement der Spnaten- und Sin- 
fonieform, fordert. 



*) Nach einem auf der Leipziger StadtMbliothek beflndliclien 
Widmungsblatt Schumanns an den Dichter. 



156 



Die Einleitung stellt zuerst diesen Gegensatz hin. 
Feierlich und ernst, auch etwas drohend, erhebt sie sich 

Andante un poco maestoso. 

in ihrer ersten Halite. *) -^ ili „ # , i »« # #■ # i !" T-f— 
In lapidarer Form ' ^ '^ ■" j ^ I f g' f P I f ff 

bringt sie das Motiv voraus, welches in dem Gefiige des 
ersten Satzes die Hauptstiitze bildet.*) Klagende Weisen 
tauchen in den Holzblasern auf, schwer und kurz schlagen 
die Massen mit Accorden drein. Da mit einem Male, mit 
einem Ruck in der Harmonie, kommt Flotenklang: der 
Horizont hellt sich auf; in den Geigen beginnt es zu 
rauschen und in einem grossen, machtigen Zug geht es 
iiber in das kr&ftige, frische Leben des Allegro: 

AUe^ro molto vivace. m"^ 

irrffiffff 






\ \f p So lautet das Haupt- 



thema — fur den ersten Satz einer Sinfonie eine unge- 
wohnlich leicht gefugte, fast wunderliche Erscheinung, 
die in ihrer Naivetat dem Geiste Haydns und alterer Meister 
nahe steht. Auch das zweite Thema ist in seiner Bildung 
ungewohnlich : 




Es gleicht mehr einer Kette von Naturlauten als einem 
kiinstlerisch gestalteten Gesang. Was sonst noch an 
Melodie in der Themengruppe vorkommt, das reducirt 
sich auf Scalenmotive und auf kurze und kecke Andeu- 
tungen. Neben diesen anspruchslosen und bagatellartigen 
Ideen stehen aber Perioden, in welchen sich die Harmonic 
in dem grossen Style Beethovens aufbaut, kiihn, sicher 



*) Nach des Componisten erster Intention hiess das Motiv 



2» > » 



dC ^ '^ H p-l [" ' p ! » ■ p I J J [ > gab aber auf deu damals nur 
fill Natuitone eingerichteten Hornern einen komischen Effect. 



-<«• 



157 



-»>- 



und leicht gestaltet. Alles ist vom Leben getragen und 
eine machtig ' drangende Stimmung verrath die unge- 
wohnliche Kiinstlernatur, die auch aus Kleinigkeiten Be- 
deutendes bildet. Die Durchfiihrung nimmt einen dop- 
pelten Anlauf. Das erste Mai geht der Weg iiber die 
beiden ersten Tacte des Hauptthemas. Ihren dunklen 
Combinationen fiigt der Componist noch eine neue, un- 
bestimmt suchende Melodie bei: 




Auf der Hohe angekommen, erhebt die Flote ihre Stimme 
und jubilirt wie eine Lerche mit der losen Sechzehntelfigur, 
welche die zweite Halfte des Hauptthemas bildet. Das Tri- 
angel klingt romantisch drein. Beim zweiten Male geht der 

Weg uber ein Nebenmotiv ^ 1>^ J) lj:j2t}^ Hf' ^ ^f f' ^^ 

und fiihrt unmittelbar in den dritten Theil des Satzes 
iiber. Die Stelle, wo das Hauptthema in den breiten 
Rhythmen der Einleitung von Trompeten und Hornern 
getragen und mit dem vollsten Glanze des Orchesters 
wieder eintritt, ist eine der herrlichsten in alien Sinfonien ! 
Die Reprise ist sehr kurz gehalten, der zweite Theil des 
Hauptthemas sogar iibergangen. Dafur fiigt der Componist 
eine breite Coda an, die sehr viel Neues bringt. Besonders 
schon und innig beriihrt uns nach den stiirmischen und 
hastigen Anlaufen, mit denen sie beginnt, der fromme 
und ruhige Gesang 




f ^r I f' ^ pTp r I - Die rhythmischen Stockun- 



gen, welche den graden Gang dieser Melodie aufhalten, 
sind eine Liebhaberei Schumanns. Aus ihr entwickelte 
sich mit der Zeit mehr und mehr eine erschwerende und 
storende Manier. 

Der zweite Satz (Larghetto Es dur s/g) erscheint durch 
die letzt angefiihrte Episode in der Coda des ersten Allegro 



-0- 160 -&- 

druck eines in Ruhe, Dankbarkeit und Festigkeit gesam- 
melten Gemiithes: 

j^ ^ ii jj i hi Jij f |f rif firrrrri 
^p f_rr/i[.nrvr i fr i rri<'r i ffir^i^ 

Unter den vielen Ziigen des Humors, die sich in diesem 
Finale finden, sei namentlich auf die Stellen aufmerksam 
gemacht, wo sich die Basse mit den Celli und Bratschen 

des Motivs *J« n | J~J f # f .» ^ bemachtigt haben. 

Der Entstehungszeit nach liegt die vierte Sinfonie 
Schumanns (Op. 4 20) nicht weit von der ersten. Sie 
wurde im Jahre 4 84-1 als Nr. 2 aufgefiihrt und erfuhr 
spater, als sie ihre jetzt bekannte Gestalt erhielt, nur 
einige Abanderungen, die sich hauptsachlich auf die In- 
strumentirung bezogen. Sie ist in ihrem Kunstwerth der 
E. Bohumanii B-dur-Sinfonie mindestens gleich, wenn nicht iiberlegen 
Dmoii-Sinfonieund ihr auch im Charakter nahe verwandt. In der Ge- 
schichte der Sinfonieform bildet Schumanns Dmoll- 
Sinfonie ein wichtiges Document. Wir denken hierbei 
weniger daran, dass in ihr genau wie in Mendelssohns 
A-moll-Sinfonie die vier Satze des Werkes ohne Unter- 
brechung auf einander folgen, also gleichsam einen ein- 
zigen grossen Satz bilden sollen, als vielmehr an die 
gliicklichen Versuche Schumanns die einzelnen Satze in 
einen engeren materiellen Zusammenhang zu bringen und 
dem ganzen Werke eine strengere Einheit zu geben: Die 
Introduction ist mit der Romanze, der letzte Satz mit 
dem ersten dutch Gemeinsamkeit und Verwandtschaft 
der Themen verkniipft. Aber auch innerhalb der ein- 
zelnen Satze, namentlich im ersten, zeigt der formelle 
Aufbau gelungene Neuerungen von Bedeutung. Ange- 
sichts der Sicherheit und Leichtigkeit , mit welcher sie 
vollzogen sind, kann man nur erstaunt sein, dass vor- 
mals und neuerdings wieder die Frage aufgeworfen werden 



-^ 161 -»- 

konnte, ob Schumann der grossen Form voUig Herr ge- 
wesen sei. 

Das Thema, mit welchem nach einer etwas schwer- 
miithigen Introduction das erste Allegro einsetzt, ist 
folgendes : 

LaVhaft. 

jfi I jt ^ il!mrniii[jjji^jjj j JTi i, niiPu^ % 

allerdings formell eine blosse Figur, aber eine Figur voll 
Charakter, aus der eine starke Erregung spricht. Es ist 
hochst meisterlich, wie Schumann dieses schwierige Thema 
handhabt, jetzt zum Ausdruck trotzig sturmender Kraft, 
jetzt des Zweifels gebraucht und dann mit ihm in freu- 
dige Regionen einlenkt. In keinem Tacte lasst er das- 
selbe aus der Hand. Ob als Hauptglied, ob als Arabeske, 
immer ist es da und beherrscht die ganze Themengruppe, 
so dass, obgleich AUes singt und lebt, ein zweiter eben- 
burtiger Hauptgedanke in dieser nicht aufkommt. Um 
so iippiger bliihen die neuen Ideen im Durchfiihrungs- 
theile. Da ist zunachst das geheimnissvolle Motiv der 

Posaunen *n »p'^f ^j \ f ^ welches sich mit den 

Umbildungen der Hauptfigur verbindet; da ist ferner 
die feierlich, prachtige, mit Fermaten gekronte Gruppe, 

deren Thema: jf ^'- 5 ^p ^ p H^p ^ f p |^^ j:iJ |bJ) 

spater die Spitze und den Kern des Finale der Sinfonie 
bildet, da ist vor Allem die schone, zarie, echt Schu- 
mann'sche Gestalt, die, noch post festum eintreffend, 
den Platz und die Bedeutung eines zweiten Thema 
in dem Satze erhalt: 



itf7pirP|f-ii i 




p noiee tretc. P trete. ^ 

In der dem Componisten eigenen Weise ist auch diese 
Melodie an verschiedene Instrumente vertheilt. 

Aus der freudigen Sphare, in welche der schwung- 
volle feurige Schluss des ersten Satzes versetzt, ruft 



162 -*-- 

uns der Einsatz des folgenden damonisch ab. Ohne 
Zweifel hat dieser accentuirte D moll -Accord, den die 
Blaser wie einen Schmerzensruf ausstossen, milt dem be- 
kannten Quartsextaccord, welcher das Allegretto in Beet- 
hovens siebenter Sinfonie einleitet, eine geistige Verwandt- 
schaft. Aber bei Schumann wird die Wirkung des ele- 
mentaren Mittels dadurch verscharft, dass die Zwischen- 
pause der beiden Satze wegfallt. Es ist wie ein Regen- 
schauer bei blauem Himmel! Die Romanze mit ihrem 
edel wehmiithigen Gesang 

r^iHiLLiii friQi i^^i 




J!^ J X J I J J*ZJJaJ\ \ \ gehort zu dem Schonsten, was 



die Musik an Volkspoesie besitzt. Mit der grossten Natiir- 
lichkeit schliesst ihr Schumann die nachdenklichen Ge- 
danken an, welche das thematische Material der Intro- 
duction der Sinfonie bilden: 




Die klagende Melodie hat sie geweckt. Eine ausserordent- 
lich liebenswiirdige Idee des Componisten aber ist es, aus 
ihnen den freundlichen , sonnigen Ddur-Satz zu ent- 
wickeln, welcher die Mitte des kleinen Tonbildes ein- 
nimmt. Zu der Schonheit der Zeichnung und der Inten- 
tion kommt hier auch noch der warme milde Klang, den 
die Celli der Melodie geben, und der Reiz, den der zier- 
liche Schmuck der Solovioline dariiber giesst. 

Das Scherzo hat einen kraftigen Humor, am Schluss 
des Hauptthemas 

fn^ \ htr- \ hf i^'r \ hf \Kf i ^»n'r-fi^ 

spricht der Uebermuth der Jugendkraft, der Schumanns 
beste Compositionen kennzeichnet. Aus dem Grund- 



motiv des Hauptthemas: y ^ ^ I I J J J i <l ^ ^T^J 



163 



bildet der zweite Satz zftrtliche und innige Varianten. 
Das weiche, traumerisch sinnige Trio, mit seiner sanft 
dahingleitenden Melodie: 



Clar. 




kehrt nach der Wiederholung des Hauptsatzes zuriick. 
In seine einfache Herzlichkeit mischen sich schmerzliche 
Tone. Es nimmt einen langen Abschied und klingt dann 
noch wie aus weiter Feme wie in Traumesschatten an. Als 
es ganz still geworden, intoniren die ersten Violinen wieder 
das Sechzehntelmotiv des ersten Allegro in der Form eines 

Langsam. 

schiichternen Vorschlags : ffn ^ '^"_ f J* LIlrJ~ Die Posau- 





nen und Horner sind vor der Hand noch anderer 
Meinung und wollen bei der ernsten Weise bleiben. 
Die Mehrheit entscheidet aber zu Gunsten der Violinen, 
die Holzblaser gehen mit ihrem Antrag sogar noch weiter 
und stellen Motive auf, die dem freudigen Gezwitscher der 

Vogel zu gleichen scheinen 

So wird der heitere Charakter des letzten Satzes festgestellt. 
Diese i6 langsamen Takte, weiche den Uebergang vom 
Scherzo zum Finale bilden, enthalten einen Reichthum von 
Fantasie und von musikalischen Ideen, welcher fiir eine- 
eigene neue Composition ausreichen wiirde. Das Haupt- 
thema des Finale ist uns aus der Durchfiihrung des ersten 

Bewegt. 

Satzes bekannt : j ,i t^V %V %P »i 1 1 -T T'^JTIjU • Mit der 

Entschiedenheit, die der Grundstimmung des Finale ent- 
spricht, riickt es sofort im dritten Tacte nach C dur. 
Die Basse in ihrem schwerfalligen Geiste halten noch 
eine ganze Weile an der Sechzehntelfigur fest. Das 
Finale hat seine schwiilen Momente: Sie fmden sich 

welches oft durch das Orchester 
fahrt, namentlich aber am Ein- 



in dem 
Motive 




-^ 164 -fr- 

gang der Durchfuhrung, wo dem iiber das Hauptthema ge- 
bildeten Fugato ganz eigenthiimliche Dissonanzen, in ihrem 
besonderen Klange eine eigenste Erfindung Schumanns — 
vorhergehen. Aber immer folgen diesen fluchtigen Trti- 
bungen Partien von vollendeter Anmuth. Das zweitfr 
Thema ist ihr Haupttrager: 

rfi" J n 'iff i fttxD ' ' jin? i I i i^f^ ciiif I 



in seiner Mischung von Grazie, Caprice und jugendlich 
frohlicher Naivetat ein echter Schumann. Dasselbe geht 
in eine Periode von kiihnem, harmonischem Aufbau iiber^ 
in der die Kraft aufbraust. Der Posaunenklang kenn- 
zeichnet sie. Nach Beendigung der Reprise lenkt der 
Satz noch einmal auf ein ruhigeres Gebiet iiber, mit 
einem unerwarteten neuen Thema: freundhch fragenden 

Charakters: w^ f JLJ ^ ^ft ^ ^ ' ^'^ ^^ stiirmischer 

bricht dann der jubelnde Schluss ein. Er hat die Form 
einer Stretta, frei nach itahenischen Mustern ! Das letzte 
Presto hat noch nie seine Wirkung verfehlt. 

Mit seiner D moll-Sinfonie zugleich brachte Schu- 
mann eine zweite kleine Sinfonie in drei Satzen zur 

B. Sohnmann ersten Auffiihrung, die unter dem Titel »Ouverture, Scherzo 
Ouverttire, imd Finale « als Op. 52 veroffentlicht wurde. Auch diese 

Scherzo, Finale. Sinfoniette zahlt, nach der Haufigkeit der Auffiihrungen 
zu schhessen, unter Schumanns behebteste Compositionen 
und hat den Schiilern dieses Meisters besonders oft als 
Modell gedient. Was sie so anziehend und wirkungsvoll 
macht, ist der stark ausgepragte Ton ritterlich phant- 
astischer Romantik. Darin und in der ganzen Richtung 
der Phantasie erscheint sie als das Seitenstiick zu den 
vierhandigen Marchenbildern. Man konnte ihr eine neuere 
Oder altere wAventiurew unterlegen. Es lebt in ihr ein 
weltfahrender, abenteuerlicher und munterer Sinn, 

t.nj Ji i -" P i , n | I fp I ,rii 

etc. etc. 




Sie erzahlt von Lieben und Sehnen 



(1. Satz.) 




Trio im 
Scherso 

und auch von Fehden und wehrsamen Streichen: 

^^.t. Ji^'ig^te^ , . , I Nicht ohne Be- 

^V< T ifTrr \\J\i J [==: deutung ist es, 

^ 11/ P^-^f f •*•• dassSchumann 

am Eingang des Werkes so deutlich den Geist Cherubinis, 
des Componisten der » Abenceragen « vorbeiziehen lasst. 
Auch Webers romantische Harmonien klingen in der Ouver- 
tiire durch. Musikalische Erfindungen bietet die kleine 
Sinfonie von eigenster und reizendster Art; in der Ausfiih- 
rung steht sie jedoch hinter den beiden Sinfonien in 
B und D betrachtlich zuriick. Die Ungezwungenheit des 
Componisten artet hier vielfach in Lassigkeit und Breite 
aus; ja der letzte Satz tragt in den Mendelssohnschen 
Citaten und in dem eigensinnigen Beharren an alltag- 
lichen Einfallen, in der Monotonie des Rhythmus und 
Metrums die unverkennbaren Spuren einer versagenden 
Phantasie. 

Auf einem andern Boden als diese drei Werke steht 
Schumanns Cdur-Sinfonie, die (als Op. 6i) in der Ver- 
offentlichung der in Dmoll vorausging und bekanntlich j, Sohnmann 
die zweite genannt wird, aber nach der Entstehungszeitcdur-Sinfonie. 
und nach der ersten Auffiihrung Schumanns dritte Sin- 
fonie ist. In dieser Sinfonie hat Schumann hohe pa- 

thetische Intentionen p fl°*.!!°^ **':-"^ ' _ i ( ** j welches 
verfolgt. Das Motiv: fl' * j^" f" LJ ' ' ^ die Trom- 

peten und Horner an den Eingang der feierlich sinnen- 
den Introduction hinstellen, durchzieht, mit Ausnahme 
des Adagio, alle Satze des Werkes wie ein geheimniss- 
volles Geisterwort und bietet uns die Richtschnur fiir 
den aussergewohnlichen Flug , welchen Schumanns Phan- 



-<«• 166 ♦- 



tasie in dieser Tondichtung zu nehmen gedachte. Es 
handelte sich hier fiir den Componisten um die grossen 
Leidenschaften und die hochsten Ideen einer tiefen 
Menschenseele, um Faust'sche Probleme: um den Weiter- 
bau auf jenem grausig schonen Terrain, auf welchem. 
die neunte Sinfonie steht. Es ist auf Grund dieser 
zweiten Sinfonie namentlich, dass Schumann von einer 
Anzahl treu ergebener Verehrer als der »Erbe Beetho- 
vens« proclamirt wird. Wir wissen was Schumann mit 
diesem grossten Tondichter des Jahrhunderts gemeinsam 
hat. Wir stellen die zweite Sinfonie um ihrer Intention 
willen sehr hoch — aber wir glauben doch, dass es eine 
Irrlehre ist, sie als die Hauptsinfonie ihres Autors zu er- 
klaren. Sie ist in dem Werthe der musikalischen Grund- 
ideen selbst sowohl als in ihrer Behandlung ungleich ; sie 
mischt Perlen und Sand und steht an Frische und Na- 
tiirlichkeit der Gestaltungskraft den vorausgehenden Sin- 
fonien sowohl in einzelnen Satzgruppen, wie auch in 
ganzen Satzen nach. Mit der C dur - Sinfonie beginnt ein 
Abschnitt der Entwickelung Schumanns als Instrumen- 
talcomponist, in welcher der naiv - romantische , volks- 
thiimliche Zug seiner Erfindung die vornehmere kiinst- 
lerische Sphare haufig verlasst. Namentlich in den Fi- 
nalsatzen der C dur- Sinfonie und in dem der ihr folgen- 
den Fsdur-Sinfonie tritt diese Erscheinung zu Tage und 
leider gerade an ihren Hauptthemen. Zu dem Besten 
der C dur- Sinfonie zahlt im ersten Satze der Abschnitt, 
welcher das zweite Thema entwickelt, und das Thema 
selbst, welches in der Introduction schon angekiindigt wird: 
AUerro. 



^ V pT" l> I p T t M f|i''r"T' I p T i n y p'rl' s 



^=. Das Hauptthema des Satzes 




P eresc. 



J. j -ifrrM I mtj f" 6 I P i in seiuem capriciosen Cha- 



-♦ 167 -8=- 



rakter allerdings sehr wohl verstandlich , leidet schon 
an der Monotonie des Rhythmus , welche die schwacheren 
Werke Schumanns kennzeichnet. In der Durchfiihrung 
ist ein mtider, stockender Schritt, der die Hohe nur er- 
strebt. Doch sind darin]in der Gattung des leidenden Aiis- 
drucks grosse Schonheiten. Die Glanznummern der Sinfonie 
sind der zweite und dritte Satz; jener ist ein Scherzo, 

welches in dem Haup t- j g ^J^^ j 

satze aus dem MotiveSE * TJJ ' ^i rffpt»' 




entwickelt ist. Es dringt aus der anfangs bewolkten 
Sphare zuweilen zu einer grandios freien Stimmung vor, 
namentlich in den Hdur-Schliissen. Die Friihlingsklange, 
die sich in den Holzblasern vereinzelt horen lassen, er- 
scheinen im ersten Trio zu einem Gedichte zusammen- 
gereiht. Das zweite Trio, welches nach der Repetition 
des Hauptsatzes einsetzt, gehort zu den schwacheren 
Partien der Sinfonie. Der dritte Satz ist ein Adagio, 
das in seiner Anlage einer Phantasie iiber folgendes 
Thema gleicht: 

Adagio. 




Dieser tiefe, seelenvolle Gesang 

beherrscht^en Satz: ein selbstandiges Thema tritt ihm 
nirgends auf die Dauer entgegen. Die wunderbare Melodie 
scheint, der trauernden Peri gleich, den Himmel zu suchen. 
Und sie findet die Pforte offen. Da: an den Stellen, 
wo die Violinen in Trillern von der hochsten Hohe wieder 
herabschweben, kann man einen Blick hineinthun. Dieses 
Adagio, eins von den wenigen neuen, deren Kiirze 
man bedauert, wirft noch etwas von seinem Glanz in 
den letzten Satz der Sinfonie hinein. Kurz nach dem 
Abschlusse des ersten Thema, dessen Hauptkern folgender: 
Allegro moito. ^ ^ dawo dieViolinen 



- ^ 'H P M r P I I r P I ■ I If ihreAchtelfiguren 



<f 



-♦ 168 -»>- 




anfangen — ergreifen im Finale die Celli den Gesang des 
Adagio und bilden aus ihm das zweite Them a des Schluss- 
satzes. Die spatere Stelle — sie ist an den Generalpausen 
leicht zu erkennen — , wo diese schone Melodie gleichsam 
unter allgemeiner Trauer ins Grab gelegt wird, ist eine der 
ergreifendsten im ganzen Finale. An gross gedachten Com- 
binationen ist dieser Schlusssatz reich. Wir rechnen da- 
hin ausser der Einfiihrung des zweiten Thema aus dem 
ersten Satze auch die Aufnahme eines bekannten Beetho- 

venschen Gedankens : 

Was den Eindruck des Finale beeintrachtigt , das hangt 

mit dem Charakter des Hauptthema und seiner mehr 

wiederholenden, als umbildenden Durchfiihrung zusammen. 

Die dritte Sinfonie Schumanns (Esdur Op. 97) riickt 

K. Sohumann den beiden Vorgangen in B- und Dmoll wieder naher. 

Esdur-Sinfonie.Ihr Grundcharakter ist ein heiterer. Wird doch ange- 
nommen, dass sie zu dem frischen Leben des Rhein- 
landes in inneren Beziehungen steht. Sie ist Schumanns 
letzte Sinfonie, entstand in Diisseldorf und kam am Anfang 
der funfziger Jahre zur Veroffentlichung. In ihrem Style 
unterscheidet sie sich von den ersten Sinfonien in Bdur 
und Dmoll, obgleich sie mit ihnen die Richtung der 
Phantasie theilt. Eine gewisse Schwerfalligkeit hat Platz 
gegriffen, die sich in dem ersten Entwurf der Tonge- 
danken und in ihrer nur Transpositionen bietenden Ent- 
wickelung aussert. Ja sogar bis auf die Instrumentirung 
erstreckt sie sich. Der Klang ist oft pomphaft, aber in 
seiner Feierlichkeit monoton ; vorzugsweise marschirt das 
Orchester in schwerer Riistung und breitem Tritt. Wo 
sind die geistvollen, lebendigen, spruhenden und charak- 
teristischen Violinfiguren hingekommen? Doch hat auch 
diese Sinfonie noch sehr schone Partien. Dahin zu 
rechnen ist im ersten Satze namentlich das zweite 
Thema : 

Lebhaft. 




169 



-»>- 



Yom zweiten Satze der Haupttheil, der in einer gewissen 
altvaterischen Frohlichkeit gehalten ist. 

Der Mittelsatz in diesem zweiten Satze, der dem Trio 
des Scherzo entspricht, erhalt eine eigenthiimliche Far- 
bung dadurch, dass die einfache elegische Liedweise, wel- 
che die Holzbl&ser spielen, iiber einen grossen, tremoli- 
renden Orgelpunkt gespannt wird. Fur den bescheidnen 

Grundstoff ■ „ „ r^ TTT^ 1^ i^ T^^; 

desSatzes: -"^ < JylJj ^ ^' ' ' LT rJ"P fuhrung 

sehr reichlich bemessen. Nach dem Andante (As dur C), in 
welchem sich sentimentale Elemente mit tandelnden 
mischen, kommt noch ein zweiter langsamer Satz (E5 
moll C) mit feierlichem Posaunenklang , in den seltsam 
aufgeregte Figuren hineinspielen. Man denkt an ein 
»Gretchen im Dom«. Eine kirchliche Scene zu schildern, 
soil auch in diesem Satze Schumanns Absicht gewesen 
sein. Er schrieb ihn kurz nachdem er einer Feierlich- 
keit im Dome zu Coin beigewohnt und gab ihm urspriing- 
lich eine erklarende Ueberschrift. Von dieser Domscene 
ist noch ein Nachklang im Finale zu finden. In der 
Hauptsache entrollt aber letzteres eine Menge der lau- 
nigsten, anmuthigen und frischen Scenen, in deren necki- 
scher Leichtigkeit wieder der alte Schumann lebt. Nur 
das Hauptthema des Schlusssatzes und die Gruppen, 
welche zu ihm gehoren, bilden eine schwachere Partie. 




IV. 



Die Programmmusik und die nationale 
Richtung in der Sinfonie. 




leben Mendelssohn und Schumann kommen von den 
ubrigen deutschen Componisten, welche zur Zeit 
dieser Meister Sinfonien schrieben, nur die wenigen 
Namen ernstlicher in Betracht, welche im vorhergehenden 
Abschnitt aufgefiihrt sind. Es gingen und kamen noch An- 
dere : die Gahrich, Hesse, Kittl, Liihrss, C. G. Miiller. Ihre 
Werke wurden einmal gespielt und dann mit Hochach- 
tung bei Seite gelegt. Die Spuren, welchen diese Ton- 
setzer folgten, waren hauptsachlich die Mozart's und die 
des jungen Beethoven; einzelne stimmten in den roman- 
tischen Ton Weber's und Spohr's ein. Der friih verstor- 
bene Norbert Burgmiiller ist das einzige unter den 
deutschen Talenten jener Periode, welches einen selbstan- 
digeren und kraftigeren Eindruck hinterliess. Seine Cmoll- 
sinfonie, wenigstens ihre Mittelsatze : Adagio und Scherzo, 
vermogen noch heute zu interessiren. 

Diejenigen Sinfonien, welche neben denen Mendels- 
sohn's und Schumann's Epoche machten, kamen vom 
Auslande: von Hector Berlioz und von Niels Gade. 
Jener eroffnete eine neue Periode der Programmmusik, 
dieser begriindete eine Schule von ausserdeutschen Sin- 
fonikern, in deren Werken Elemente der Volksmusik die 
Grundlage oder eine reiche Zugabe bilden. 



171 

Unter »Programmmusik« versteht man bekanntlich 
eine Musik, welche als die Darstellung bestimmter innerer 
Oder ausserer Vorgange aufgefasst sein will, welche Ge- 
schichten in Tonen zu erzahlen und nachzumalen ver- 
sucht und die Phantasie an gegebene Objecte bindet. Die 
Tendenz dieser Kunstrichtung ist so alt wie die Musik 
und hat ihre natiirliche Stiitze in der Thatsache, dass 
Tonverbindungen wesentliche Merkmale geistiger Ideen 
und kSrperlicher Erscheinungen wiedergeben konnen. In 
der Vocalmusik bildet die Uebereinstimmung von Ton- 
und Textideen ein wichtiges Kriterium fiir den Kunst- 
werth der Compositionen. So lange es eine kiinstlerische 
Instrumentalmusik giebt, sind auch in dieser zu alien Pe- 
rioden Versuche gemacht worden, bestimmte Programme 
durch die Tone zu iibersetzen. Diese Versuche waren 
in der Kegel von neuen, aber auch von verwunder- 
lichen Resultaten begleitet. Immer haben die Pro- 
grammmusiker eine poetische Hinneigung zu Ausnahms- 
zustanden, zu aussergewohnlichen Ereignissen und zu 
Gegenstanden gezeigt, welche ausserhalb der mensch- 
lichen Anschauung und Erfahrung liegen. So schildert 
schon Froberger einmal Jacobs Himmelsleiter, ein ander- 
mal einen Schiffbruch und einen Ueberfall durch See- 
rauber, Kuhnau die » Unsinnigkeit « Sauls. Fiir die 
neueste Epoche der Programmmusik ist eine ahnliche 
Neigung geradezu zum Merkmale gemacht worden. Ist 
von ihr die Rede, so erinnert man sich, mit Unrecht, 
aber doch thatsachlich , in erster Linie der grasslichen 
Stoffe, welche sie zur Behandlung gewahlt hat. Man denkt 
an die Hinrichtungsscene, an den Hollensatz in Berlioz's 
Sinfonie fantastique, an die Banditenscene in seinem Ha- 
rold, an Liszt's Mefistosatz im »Faust«, an den Inferno 
in der Dantesinfonie , an den Mazeppa, den Prometheus 
und die »Hunnenschlacht« des letztgenannten Compo- 
nisten. Das sind Partien, in welchen die neue Programm- 
musik zugleich auch von dem Style, welcher bis dahin 
in den Sinfonien iiblich war, sehr bemerkbar abweicht. 
Wo die Extreme der Leidenschaften , wo ZustSnde der 



-^ 172 ^ 

grossten Erregung, Ereignisse unerhorten Charakters, wo 
die Superlative der Phantasie beriihrt werden soUen, da 
bauen diese Componisten wie die Cyclopen mit iinbe- 
hauenen Blocken. Da lassen sie die Elementarkraft des 
blossen Klanges und des blossen Rhythmus wirken und 
gewahren der Macht des musikalischen Rohmaterials, dem 
physischen Elemente der Musik einen weiten Spielraum. 
Da stiitzen sie ganze Perioden nur auf das Fundament 
dissonanter Harmonien, auf bin- und hersausende chro- 
matische Figuren , auf das brutale Treiben von Motiven 
und Themen, welche die Kunstmusik als trivial verwirft. 
Die Linien dieses naturalistischen Styls liegen bereits in 
Beethoven vor ; iA einzelnen Stellen seiner dritten, sechsten, 
siebenten und neunten Sinfonie beispielsweise. Seine 
Hauptnabrung entnahm dieser Styl jedoch der romanti- 
schen Oper. Man vergisst iiber den Producten gewalttha- 
tiger Charakteristik und iiber den Befiirchtungen , welche 
ihr naturalistischer Styl erregen kann, sehr leicht, dass 
die Werke der Programmmusiker auch sehr reich sind an 
eigenartigen Schonheiten freundlich ruhiger Natur und 
dass ihre Hauptvertreter durch Aufstellung neuer, zweifel- 
los berechtigter Principien und durch Ausbildung neuer 
Ausdrucksmittel die allgemeine Entwickelung der Tonkunst 
gefordert haben. Die Geschichte der Sinfonie ist noch 
jung, denn die Kunst zahlt nach Jahrhunderten. Mag die 
Programmmusik noch so oft Fiasko machen;ihrPrincip wird 
nicht sterben. Nach der ganzen Entwickelung der In- 
strumentalmusik kann in der Zukunft sein Boden nur 
breiter und fester werden. Schon heute liebt das Publi- 
kum einen poetischen Anhalt fiir die sinfonischen Ge- 
bilde und unter den Componisten hat das Programm 
mehr Anhanger, als sich offentlich dazu bekennen. 

Berlioz's Debiit bildet die Sinfonie fantastique 

(i 827). Die Idee zu diesem Werke ist ganz Berlioz's eigene 

H. Berlioz Erfindung , als solche fiir den abenteuerlichen Charakter 

Sinfonie fanta- gemer dichterischen Neigungen lind seiner Ansichten vom 

® *^^®' Wesen und Zweck der Kunst iiberhaupt sehr bezeich- 

nend: Ein junger Kiinstler, liebestoll und lebenssatt, nimmt 



-«■ 173 -^ 

Opium. Die Dosis des Giftes, zu schwach um zu todten, 
bewirkt nur einen tiefen Rausch und eine Reihe von 
Traumen, in denen die Liebesgeschichte des Kiinstlers 
repetirt und zu einem phantastischen ungeheuerlichen Ab- 
schluss weiter gefiihrt wird. Die Musik versucht diese 
Traumbilder in fUnf Satzen wiederzugeben. 

Der erste, »R6veries — Passionsa (Traumereien — Lei- 
denschaften) iiberschrieben , schildert die Zeit der erwa- 
chenden Liebe und der ersten Begegnung mit der Ge- 
liebten. Er besteht aus einem schwermiithigen und sehn- 
suchtsvollen Largo, welches den Platz der Einleitung 
einnimmt, und aus einem leidenschaftlichen Allegro. 

Das Hauptthema des letzteren, von der Flote zuerst 
eingefiihrt : 




p 

soil die Gestalt der Geliebten bezeichnen. Dasselbe kehrt, 
gewohnlich durch zitternde Rhythmen begriisst, als Leit- 
motiv in alien Satzen der Sinfonie wieder, Berlioz nennt 
es ihre «id6e fixe«. Der zweite Satz (Adur 3/g) schildert 
»un bal«, ein Ballfest. Nach einer kurzen Einleitung, 
welche diistre Traumfiguren enthalt, nimmt die Musik den 
Charakter eines deutschen Walzers an: 

^nii-rrrifTr riniij; y i 




Dessen Durchftihrung wird von erregteren, tiefere 
Saiten des Gefiihles anschlagenden Episoden mehrmals 
unterbrochen. In das rauschende Ende des Satzes lachelt 
RossinK herein. 

Der dritte Satz, »Sc6ne aux champs« (Auf dem Lande) 
betitelt, beginnt mit einem Dialog zwischen Englisch Horn 
und Hoboe, welche sich Motive des Kuhreigens zurufen. 
Das Gesamm tor Chester stimmt bald in die landlichen Wei- 
sen ein, bald vertauscht es sie mit dramatischen Phra- 






-^ 174 

sen, welche die Sprache einer zwischen Zweifel und Hoff- 
nung schwankenden Seele reden. An den Stellen, wo 
die wid^e fixeu erscheint, wird der Ausdruck riihrend 
schmerzlich. Der Satz zeigt eine eigenthiimliche Mischung 
von Gemiithsschilderung und Landschaftsmalerei. Ber- 
lioz verstand in einem hohen Grade die Kunst, die dra- 
matische Darstellung seelischer Zustande mit einer an- 
schaulichen, poetischen Wiedergabe der ausseren Scenerie 
zu verbinden. Sein Childe Harold und seine Romeo- 
sinfonie enthalten Musterstiicke dieser Art. In letzterem 
Theile erinnert die »Sc6ne aux champs« vielfach an das 
Andante von Beethoven's Pastoralsinfonie. Hier wie dort 
das Vogelgezwitscher , das Rauschen des Windes, das 
Sauseln der Baume, der Reichthum an naturalistischen 
Details in den grossen Fluss einer klaren musikalischen 
Darstellung eingezogen. Das Hauptthema der pastoralen 
Partie der Scene ist eine gesangvolle Melodie, welche 
fogendermassen anfangt: 

Adagio. 




Sie erscheint, so oft sie wiederkehrt, in immer neuen 
Reizen des Colorits. Von grossartigem Eindruck ist na- 
mentlich die Stelle, wo Basse, Celli und Bratschen, alle 

in vielstimmigen Griff en mit dem Rhythmus SB « BJ ^ 

begleiten. Die Gabe, schone und eigenthiimliche Klange 
zu linden, war Berlioz angeboreh. Kurze Zeit, bevor er 
seine Sinfonie fantastique schrieb, studierte er noch Me- 
dicin. 

Mit dem vierten Satze der Sinfonie »Marche au sup- 
plice« (Der Gang zum Richtplatz) nehmen die Opium- 
traume des jungen Kiinstlers eine abenteuerliche Wen- 
dung, eine Wendung, welche uns den eigentlichen Traum- 
gott der Sinfonie fantastique, ihren Componisten H. Ber- 



175 ^ 

lioz namlich, als Parteiganger janer Blut und Grauel 
liebenden franzosischen Neuromantik zeigt. welche Victor 
Hugo in Epos und Drama einfiihrte: Der junge Kiinstler 
hat seine Geliebte ermordet und wird dafiir hingerichtet. 
Die Musik zu einem solchen dichterischen Vorwurf kann 
nicht anders als schauerlich sein. Dieser Zweck schliesst 
Sparsamkeit in den Mitteln der Instrumentation aus. Kurz 
vor dem Momente, wo das Fallbeil fallt — heftiger Schlag 
des ganzen Orchesters, zwei Pizzicatonoten des Streicher- 
chors, ungeheurer Wirbel sammtlicher Pauken und Trom- 
meln — taucht der Gedanke an die Geliebte noch ein- 
mal auf. Die »id6e fixe« erklingt im Solo einer schrillen 
C-Clarinette. Der Stelle geht ein schroffer Harmonie- 
wechsel von Bmoll (Blaser) und Gmoll (Geigen) voraus, 
welcher bei den ersten Auffiihrungen der Sinfonie in 
Deutschland die Meinungen besonders erhitzte. Eine tie- 
fere Auffassung der ganzen Scene, das tragische Element der- 

All|^etto. 

selben, kommt g ^^^ # ■#■ ^ a* 

inderMelodie: *J< i, ! ' i^ I | i 1" Lj | f I T M 



zur Geltung, welche wiederholt dumpf und schwer durch 
die Basse schreitet. 

Im letzten (fiinften) Satze der Sinfonie — »Songe d'une 
nuit du Sabbatc< (Walpurgisnachtstraum) — kommt der 
Held des Werkes unter die Verdammten: unter Hexen, 
Hollengeister und Gespenster aller Art. Auch die Geliebte 
erscheint an diesem Schreckensort : grausame Verzerrun- 
gen und Verschnorkelungen der id^e fixe der Sinfonie be- 
zeichnen sie musikalisch. Die Musik beginnt unheimlich 
und wird dann wild und grasslich. Mit den schauerlichen 
von Glocken begleiteten Tonen des Dies irae wechselt ein 
diabolischer Tanz, welcher sich in die Form einer Fuge 
kleidet. Das ganze Finale ist eine musikalische Hollen- 
breugheliade und als solche eine Leistung, welche asthe- 
tisch abstosst, technisch aber und kunsthistorisch ihre 
Bedeutung hat. 

Berlioz schrieb spater zu der Fantastique, welche den 



176 ■»>- 

Nebentitel » Episode de la vie d'un artiste « fiihrt, eine 
wenig bekannt gewordene Fortsetzung: »Lelio, ou Retour 
k la vie.a 

Die nachste Sinfonie von Berlioz, welche grbssere 
H. Berlioi Yerbreitung gefunden hat, ist » Harold en Italic «. Sie 
aro d en tahe. ^I^j^^g^ einige der musikalischen Behandlung entgegen- 
kommende Nebenscenen von Byron's »Childe Harold« in 
freier Art nach und ergSnzt und beschliesst dieselben 
mit einem neu erfundenen Finale im Style der franzosi- 
schen Neuromantik. Eigen ist in der Anlage dieser Sinfonie 
das in alien Satzen durchgehende Bratschensolo. Dasselbe 
entstandalsHuldigung fiirden vermeintlichenWohltater des 
Componisten, den beriihmten Paganini. In der poetischen 
Oekonomie des Werkes reprasentirt es die Partie Harold's, 
des Helden. Das Leib- und Leitthema des melancholi- 
schen Ritters, welches diesen bis zu seinem letzten Athem- 

zuge begleitet, ist folgendes: 
Adagio. 

^f r iT , I f I ft i f-rr t i f r ^^ 

*i^ espretg, - 




Der erste Satz zeigt uns »Harold in den Bergen.« Ein 
Largo, dessen erstere Halfte durch ein melancholisch- 
diisteres Fugato der Streichinstrumente gebildet wird, er- 
offnet ihn. Das Allegro, welches ihm folgt, ist ein breit 
ausgefiihrtes Pastoralgemalde, stylistisch und materiell 
dem ersten Satze von Beethoven's siebenter Sinfonie ver- 
wandt. Seine beiden Themen sind: 

liir i T^ g j l ^^^ n^ffi'i^'^rr |iiMiiTi I 



ij.iiLi^i^i'TFi • 




-<o- 1 77 ♦- 



Den Bildern, welche auf Grund derselben entrollt 
werden, mischt Harold mit den Tonen seiner Bratsche 
abwechselnd Jubel und Trauer ein. Die Glanzpartie des 
Satzes beginnt nahe am Ende nach den beiden Ferma- 
ten, welche dem Fugato iiber das Haroldthema voraus- 
gehen. Ueber die machtigen Unisonogange , in welchen 
hier das Hauptthema voriiberrauscht, sind Harmonien 
gebreitet, welche wie blendende Lichtstrahlen wirken. 

Der zweite Satz der Sinfonie heisst »Marche des 
P61erins« (Pilgermarsch). Sein Hauptthema bildet ein 
frommes einfaches Marschlied: 

Alleg^retto. 

tjf\t r I, ) ^iJ.J i J jUjiJiJj i f^-iif I 

Alle acht Tacte wird dasselbe von einer Unisono- 

Phrase der Blaser 
unterbrochen, 

welche anschaulich genug die ihre Litanei hersagende 
Wallfahrerschaar vorfUhrt. Die Mitte des Satzes nimmt 
der Vortrag eines feierHch religiosen, in den ruhigen Rhyth- 
men der alten Zeit gefiihrten Hymnus ein. Harold be- 
kundet seine Nahe mit leisen Arpeggien ; die Basse setzen 
in decenten Pizzicato-Tonen den Rhythmus des Marsches 
fort. Noch einigemal horen wir wie vom Weiten das fromme 
Wanderlied, dann gehen die Tone schlafen. Es kommt die 
Nacht und stille Sterne blinken. Die kleine Composition ist 
ein Meisterstiick, in welchem die Realistik der Darstellung nur 
dazu dient, die Poesie des Bildes noch beredter zu machen. 
Der dritte Satz : "Serenade d'un montagnard des Ab- 
ruzzes k sa maitresse« — »Standchen in den Abruzzen« — 
beginnt mit einem kleinen Scherzosatze, welchem wahr- 
scheinlich eine italienische Originalmelodie zu Grunde 
liegt. Die italienischen Pifferarii waren seit alten Zeiten 
an drolligen, schelmischen Weisen reich und bringen sie 

noch heute auch auf die deutschen M^rkte: 
Allegro assd. 




f II 11 1 1 1 r 



\niirrj \ r pr ^^ 



12 



/ 

/ 



178 

Piccolo und Oboe blasen das zusammen, und Bratschen 

mit Clarinetten geben in ausgehaltenen T6nen und tra- 

gen Harmonien das nothige Dudelsackcolorit dazu. Nun 

/ tritt der Liebhaber auf und stimmt auf dem englischen 

Horn eine schmachtende, anmuthige, gutgemeinte, zuwei- 
len stockende, schiichterne und ungeschickte Melodie an: 

AIl0|fTeUO'. 

in welche die Ge- 




fahrten helfend und hingerissen einfallen. Auch Harold 
stimmt mit ein und sinnt noch den riihrenden Tonen der 
Liebe nach, als die Dorfmusikanten schon langst nach 
Hause gezogen sind. 

Die Idee des Harold-Finale miissen wir wieder auf 
Rechnung jener romantischen Ausschreitungen setzen, 
welche in Frankreich im zweiten Jahrzehnte unseres Jahr- 
hunderts eine Litteratur von Ritter- und Raubergeschichten 
salonfahig machte, fiir die Deutschland nur in den Werken 
von Spies und Cramer geachtete Seitenstiicke kannte. Ber- 
lioz's Jugend, seine Zeit der geistigen Entwickelung fiel 
mitten in diese Periode hinein. In ihrem Geiste dichtete er 
die Schlusssatze zur Sinfonie fantastique und ihm getreu 
lasst er Harold in der Gesellschaft von Banditen zu Grunde 
gehen. Der Satz — »Orgie« iiberschrieben — schildert 
dieses Ende in Ziigen, die zum Theil riihrend sind. Er 
beginnt wie das Finale der neunten Sinfonie mit Remi- 
niscenzen an die friiheren Satze. Vor Harold's Geist tritt 
die fugirte Einleitung aus dem ersten Satze, der Pilger- 
marsch zieht voriiber; als letzte Erinnerung an reinere 
Zeiten tonen Fragmente aus dem Standchen: Die wilde, 
wiiste Orgie verschlingt Alles. Unter ihren brutalen At- 
taken zerbricht auch Harold's Thema und verflattert in 
Brocken. Zuweilen werden die wiithenden Triller, die 
bacchantischen Laufe und die grotesken Tanzweisen der 
Banditenmusik durch unheimliche Klange unterbrochen, 
welche Gewissen, Reue und Strafgericht zu reprasentiren 
scheinen. 

Einen der seltsamsten Versuche, auf dem Gebiete der 



-^ 179 ■»>- 

Sinfonie neue Formen einzufuhren, unternahm Berlioz i. 
J. 4 839 mit seiner dramatischen Sinfonie: »Romeo und g, Berlloi 
Julie«. Das Werk ist musikalisch zu einem Theil Melo- ^j^^^j'^^ ^ j^^^ 
drama, zum andern Sinfonie und zum dritten Oper. Es 
beginnt mit einer Introduction. Eine Fuge schildert den 
Tumult der kampfenden Parteigftnger, mit welchem Shake- 
speare die erste Scene des Dramas eroffnet. Recitative 
von Posaunen und Oboekleiden reprasentiren den schel- 
tenden und Frieden stiftenden Fiirsten. Nun folgt ein 
Prolog, in welchem der Chor in psalmodirendem Ton den 
Inhalt der Tragodie vorausschickt. Derselbe wird mehr- 
fach durch geschlossene Instrumentalsatzchen und durch 
Gesangstucke nnterbrochen , welche musikalisch giinstige 
Punkte der Handlung vorausmalen. Das Orchester weilt 
bei der Schilderung von Lustbarkeiten, der Chor bei dem 
Marchen von der Fee Mab, ein Solist widmet dem Preis 
der Liebe mehrere sehr hiibsche Romanzenverse. Die 
Nummer 2 der Sinfonie ist rein instrumental. Ein An- 
dante und ein Larghetto schildern Romeo's Schwermuth 
und Sehnsucht; ein Allegro gilt dem Ballfest. Die Num- 
mer 3 beginnt mit dem Chor der heimkehrenden Capu- 
lets ; die zweite Halfte ist rein instrumental ; eine aus lang- 
samen und bewegten SStzen gemischte Schilderung der 
Liebesscene zwischen Romeo und Julie. Die Nummer 4 
behandelt nochmals in der Form eines Orchesterscherzo 
Mercutio's Marchen von der Fee Mab. Die Nummer 5 
bringt den Trauerchor bei dem Leichenbegangniss Julia's. 
In der Nummer 6 wird durch einen Orchestersatz Ro- 
meo's Tod geschildert. Die siebente, die Schlussnummer, 
hat die iibliche Form eines Opernfinale. Sie spielt am 
Grabe Julia's. Die beiden Parteien stossen in Choren zu- 
sammen und erneuern den alten Streit in gesteigerter 
Heftigkeit. Die Fuge aus der Introduction wird repetirt. 
Dann erscheint der Pater Laurentio, giebt in Recitativen 
beschwichtigende Erklarungen und mahnt in einer Arie 
zu Frieden und Eintracht. Ein Versohnungschor bildet 
den Abschluss des Werkes. 

Im Ganzen und im Zusammenhang ist diese drama- 

12* 



180 *- 

tische Sinfonie nur ganz selten aufgefiihrt worden ; in ein- 
zelnen Sfttzen verdient sie Beachtung. Unter den Cho- 
ren sind die beiden Nummern, wo die Capulets in der 
Nacht vom Feste heimkehren, und der, wo sie Juliens 
Leichenzug begleiten, durch die Poesie im Style und in 
den Tongedanken unstreitig hervorragend. Noch Bedeu- 
tenderes ist in Instrumentalsatzen geboten. Die Fee Mab 
ist eine einzig und unerreicht dastehende Leistung auf 
dem Gebiete fein phantastischer Elfenmusik. Die Liebes- 
scene in Nr. 3 und Romeo's Soloscene (Nr. 2) sind 
Meisterstiicke in der Berlioz eigenthiimlichen Kunst, die 
stimmungsvolle und lebendige Schilderung ausserlicher 
Situationen und VorgSnge mit einer dramatischen Wie- 
dergabe erregter Seelenzustande zu verbinden. 

Einen Nachfolger, welcher die Idee der ))dramatischen« 
Sinfonie aufnahm, fand Berlioz in F^licien David, des- 
sen Odesinfonie »die Wiiste« in den vierziger Jahren na- 
mentlich wegen ihres orientalischen Colorits grosses Auf- 
sehen machte. Heute ist diese Composition sowie die in 
dieselbe Gattung gehorende Odesinfonie Christoph Co- 
lumbus desselben Autors von den Repertoiren ver- 
schwunden. 

Schon im vorigen Abschnitte ist der Versuche gedacht 
worden, welche Spohr in der Programmmusik unter- 
nahm. Er folgte dieser Richtung mit grosser Reserve und 
vermied sowohl die Stoffe, wie die musikalischen Mittel, 
welche fiir die Berlioz'sche Epoche die charakteristischen 
sind. 

Derjenige Tonsetzer, welcher das Princip der Pro- 
grammmusik nach Berlioz mit der grossten Entschie- 
denheit aufnahm, ist Franz Liszt. Liszt ging aber fiber 
seinen Vorganger wesentlich hinaus und ordnete dem Pro- 
gramm auch die Formen der Compositionen vollstandig 
unter. Seine Sinfonien sind dreisatzig, zweisatzig, ein- 
satzig, je nachdem; die dichterische Idee bestimmt den 
musikalischen Plan. In dieser Freiheit, in der Kiihnheit 
und Sicherheit, mit welcher die Grundlinien des Formen- 
baues entworfen und durchgefuhrt sind, bilden die 



-^ 181 •9>- 

Liszt'schen Sinfonien Originalleistungen , wie sie die Ge- 
schichte der Gattung nicht grSsser kennt, und reprasenti- 
ren eine geistige Kraft und ein kiinstlerisches Gestal- 
tungsvermogen von ausserordentlicher Starke, Auch den 
internen musikalischen Styl der Liszt'schen Musik hat 
vielfach die Forderung bestimmt, dass Ausdruck und 
Darstellung in erster Linie charakteristisch und anschau- 
lich sein miissen, und eine grosse Reihe seiner Eigen- 
thiimlichkeiten sind aus der Treue gegen das Princip 
hervorgegangen. Dahin gehoren die bei ihm noch zahl- 
reicher als bei Berlioz hervortretenden Stellen, wo 
blosse Klangphanomene, rein accordische, instrumentale, 
dynamische und andere naturalistische Bildungen die Tra- 
ger der musikalischen Entwickelung bilden. Dahin geho- 
ren speCifische Eigenheiten der Liszt'schen Rhetorik: ihr 
Reichthum an Interjectionen, an Ausrufungszeichen und 
Gedankenstrichen, an pathetisch fortschreitenden Sequen- 
zen und anderen primitiven Ausdrucksmitteln der musi- 
kalischen Declamation, wie sie Liszt namentlich in den 
Momenten der Extase gern verwendet. 

Andere Erscheinungen des Styls miissen auf die Na- 
tur und die Schranken der musikalischen Begabung Liszt's 
zuriickgefiihrt werden: der vorwiegend eklektische Cha- 
rakter seiner Melodik, seine Abhangigkeit von chromati- 
schen Gangen, melodischen Ausnahmsinterv alien imd an- 
deren Reizmitteln der Diction, die zu stehenden Formeln 
verbraucht werden; endlich der grossere Theil jener Satz- 
bildungen, in denen Perioden und grossere Redetheile durch 
unaufhorliche Wiederholungen und blosse Transposition 
des ersten Gliedes entwickelt werden. Es kommt zu die- 
sen Eigenheiten auch noch der Umstand, dass einzelne 
Compositionen Liszt's augenscheinlich sehr fliichtig hin- 
geworfen sind. Aber eine ausserordentliche Gabe, mit 
wenigen Strichen einen Charakter zu zeichnen, leuchtet 
auch noch aus den schwachsten unter seinen Orchester- 
werken. Die Mehrzahl von alien fesselt durch den Geist 
und die Hingabe, welche sich in der Haltung des Ganzen 
aussprechen, durch die Warme des Ausdrucks, die Macht 




-o» 182 ♦- 

der poetischen Anschauung, welche einzelne Stellen be- 
lebt, durch eine Reihe schoner Momente, deren Genia- 
litat selbst vom Standpunkte des absoluten Musikgenusses 
nicht geleugnet werden kann. Dass aber Liszt, ahnlich 
wie dies Gluck seiner Zeit bei der Operncomposition ge- 
than, auf diesen absolut musikalischen Standpunkt bei 
seinen Programmsinfonien verzichtet, soil der Zuhorer nie 
vergessen und dem Componisten mit einiger Gutwillig- 
keit — den poetischen Gegenstand der musikalischen 
Schilderung fest im Kopfe! — entgegenkommen. In die- 
sem Falle wird man die Formen und den Ideengang der 
Liszt'schen Orchestercompositionen vielleicht- sogar leich- 
ter finden, als die anderer programmloser Symphonien, 
und ihnen Anregung und Genuss verdanken. 

Die Liszt'schen Orchesterwerke umfassen — ausser 
einigen Bagatellen — 2 Sinfonien und 12 sogenannte sin- 
fonische Dichtungen. Unter den beiden Sinfonien ist die 
Faustsinfonie (nach Goethe) die durch die Menge der 
Ideen und durch die Kunst, mit welcher sie entwickelt 
sind, hervorragendere. Sie ist in drei Satzen gehalten, 
welche Liszt »Charakterbilder« nennt, womit also ein An- 
schluss an den scenischen Verlauf der Goethe'schen Dich- 
tung von vornherein abgewiesen wird. Hierin verfahrt 
Liszt ungleich mehr musikalisch, als Berlioz in »Romeo 
und Julie«. 

Der erste Satz gilt der Hauptfigur des Gedichtes, dem 
P. Lifirt »Faust«. Vier Themen sollen die Grundziige seines Cha- 
F»u8t-Smfonie. rakters reprasentiren. Das erste, Zweifel, Gram, Gefiihl 
der Oede ausdriickend : 

* Lento. ^.-r"_ " -— ^ ^— ^ ^ ^ Vj 1 



^ JQT P CeUi.Bratiiehen ^"^ Lsjf l ^TTt:^ 



y^" 1^ >^ -, beruht in seiner vorderen Haifte 
"lib. ^' ^^P ^^r '^p ^ * I auf dem iibermassigen Dreiklang. 



Jf dolente 

Es findet seine nachste Fortsetzung in einer Reihe 
kleiner, freier Monologe, die zwischen den Instru- 
menten wechseln, und tritt dann in ein wildes Allegro 



183 



iiber, in welchem die Klagen des Hauptmotivs von den 
Flammen der Verzweiflung und Emporung umlodert er- 
scheinen. Das zweite Thema ist weniger original als das 
erste, erinnert an Spohr'sche und Schumann'sche Weisen ; 
aber wirkt an seiner Stelle warm und edel. Es repra- 
sentirt lebenswilligere Elemente der Faustnatur: Ringen, 
Streben, Hoffen. Das Hauptglied seines technischen Or- 
ganismus bilden die folgenden Tacte: 

Allegro agitato. 

Am Schlus^ des Satzes, der dieses Thema entwickelt, 
wird die Stimmung wieder trostlos: die Blaser klagen 
und bitten: 





Es folgt eine kurze Episode traumhaft phantastischen 
Charakters, in welcher schattenhafte Figuren (Violini con 
sordini) das erste Thema fliichtig umschweben. Wie eine 
freundliche Vision erscheint nun als drittes Thema eine 
Melodie, aus einem Motive von a entwickelt, welche dem 
schwarmerischen Zuge im Faust, seinem Sehnen und 

Lieben gilt: 

ABdanto. 

I Clar. o. Hort 

C. 




Sie setzt im neuen Tempo ein, wechselt die Tactarten, 
schliesst nicht streng ab und veranschaulicht damit auf 
einmal eine ganze Reihe Freiheiten der Gestaltung, in 
denen Liszt zum Zweck einer lebendigen, dramatischen 
Darstellung vom iiblichen Gauge abweicht. Man wird 
dieses Thema auch im zweiten und im dritten Theile der 
Sinfonie wieder linden. Es bildet eins der wichtigsten 




-^184 ♦- 



»Leitmotive« des Werks. Faust trennt sich von dem be- 
gliickenden Bilde wie vom Freudenrausche ergriffen; die 
Energie erwacht wieder, Thatkraft und Stolz regen sich 
und finden ihren Ausdruck in dem vierten Thema: 

f II' I I I I II Ml J I I II I Mj r f I 



■♦■ etc 



Von da ab folgt der Satz der gewohnlichen Construc- 
tionsart der Hauptsatze in Sonate und Sinfonie: mischt 
und verarbeitet die thematischen Elemente ~ allerdings 
mit Festhalten der Themen im ganzen Umfange — in 
einem Durchfiihrungstheile, und repetirt danach die ganze 
erste Gruppe mit Modificationen , welche als die mora- 
lischen Wirkungen des Thema c) aufzufassen sind: Die 
Liebe hat Faust's Wesen verwandelt. 

Der zweite Satz der Faustsinfonie ist »Gretchen« iiber- 
schrieben. Dieser Gretchensatz ist durch Einzelauffiih- 
rungen bekannt geworden und hat auch in denjenigen 
Kreisen Freunde gefunden, welche der Natur und der 
Form der Faustsinfonie, wie iiberhaupt der ganzen Liszt- 
schen Kunst, apathisch oder feindlich gegeniiberstehen. 
Er verdankt diesen Erfolg der gleichbleibenden Freund- 
lichkeit des Inhalts und der gewinnenden Einfachheit, 
mit der Gretchens holde Madchengestalt gezeichnet ist. 
Ein kurzes Praludium von Floten und Clarinetten leitet 
den Satz ein, dessen erstes, schlichtes Thema einen lieb- 
hchen, zarten Charakter hat: 

Andante. 




Beim ersten Eintritt tragt es die Oboe vor : nur von einer 
Bratsche begleitet, ein Meyerbeer'scher Instrumentations- 
effect! Das zweite Thema: 



dttlve ameroBtt 




■^■^ 



-<«- 185 ^>- 




yoco sretc. 

das vom heimlichen Liebesgltick zu erzahlen scheint, ist 
eine von Liszt's gelungensten Melodien. Eine sehr ge- 
wahlte schone Harmonie erhoht die eigenartige Wirkung. 
Zwischen den beiden Themen liegen einzelne frappante 
Momente: ein Oboeneinsatz auf einer jahen Modulation, 
als wenn in Gretchen plotzlich der Gedanke an Faust 
erwachte: eine kleine Episode, in welcher zuerst Floten 
und Clarinetten, dann die Violinen mit, erst schiichtern 
und leise, dann laut und stiirmisch erregt, um die Motive 




wie um »Er liebt mich« 

una *" 

und »er liebt mich nicht" spielen. Bald nachdem das 
zweite Thema verklungen, setzt das Horn mit dem Lie- 
besgesang des ersten Satzes ein (S. Thema c) : Faust tritt 
auf! Mit diesem Momente beginnt eine wunderschone 
Scene des Gefiihlsaustausches , iiber welches der Instru- 
mentenklang magisches Mondlicht leuchten lasst. In Faust's 
Seele wird es ruhiger und milder, seine diistren Gedan- 
ken tiberkleidet ein heller Schimmer; Jubel und Jauch- 
zen klingen aus seiner Brust, 

Der dritte Satz fiihrt den ^Mephistophelesa ein. Die 
ersten Tacte entwerfen kurz und meisterlich das Signa- 
lement des kalten, frechen, kecken, frivolen Patrons, ge- 
ben ein Bild von seiner herausfordernden Gemeinheit 
ebensowohl als von der vollendeten Sicherheit und Leich- 
tigkeit seines Auftretens. Dann beginnt die »Spottgeburt« 
ihre Arbeit : spotten, verneinen und verhohnen. Die The- 
men Faust's aus dem ersten Satz werden verzerrt, ver- 
renkt und mit burlesken Schnorkeln versehen. Das erste 
Thema wird durch Tempo und angehangte Figuren zur 
Fratze gemacht, das zweite durch einen bissigen Rhyth- 

Allegro vivace. 



mus in folgende Miss- p . h q ^ . . ^ ^ ^^^^^ ^ 
gestalt verwandelt : fr " * * bJ ^ - ^^ ^^^li 



Zur besonderen Zielscheibe seines malitiosen Humors hat 



-♦ 186 ■»>- 

sich Mephisto, »der Geist, der stets verneint«, das Liebes- 
motiv der Sinfonie ausersehen. Er zerreisst es, wirft die 
Stiicke hin und her, verfolgt es^naufhorlich, zieht ihm 
Narrenkleider an: 

Allegro. 






■jo ^j.a Ji^ jj?,iM;j^'j<^:j i^ 



— und auf dem Gipfel des Uebermuthes angelangt, jagt 
er es endlich in einer regelrechten Fuge zu Tode. Es ist 
etwas damonisch Fortreissendes in dieser Schilderung der 
Mephistofelischen Lustigkeit, und die Bewunderung, die wir 
der Virtuositat zollen miissen, mit welcher Liszt die 
Themen der friihern Satze umgebildet hat, wird in Nichts 
dadurch vermindert, dass wir uns an das Muster erin- 
nem, welches in der Sinfonie fantastique von Berlioz hier- 
fiir bereits vorlag. Es kommen iibrigens in diesem Fi- 
nals der Faustsinfonie doch Momente vor, welche iiber 
ein Charakterbild Mephisto's im engeren Sinne hinausgehen 
und an den Verlauf der Goethe'schen Dichtung an- 
kniipfen: Mitten in den wildesten Excessen der Hollen- 
musik ertonen feierliche und dumpfe Klange, die an 
Grab und Geisterwelt erinnern. Gretchens blasses Bild 
schwebt voriiber. Dir Hauptthema (aus dem zweiten Satz) 
tritt schliesslich klar und vollstandig vor und wird zum 
Zauberschild , vor welchem Mephisto das Feld raumt: 
Die Musik geht in ruhigen Orgelton iiber, ein Mannerchor 
tritt auf und declamirt in der alten knappen Weise der 
friihchristlichen Psalmodie »Alles Vergangliche etc.«: Der 
Solotenor flicht in diese einfach weihevollen, kirchlichen 
Klange zum letzten Male Gretchenmotive hinein, und so 
klingt das Werk mit einer mystisch verklarten Wen- 
dung aus. 
P. Lisst Liszt's Dante-Sinfonie hat nur zwei Abtheilungen : 

Dante-Sinfonie. Inferno und Purgatorio, Namen, die uns in Phantasie- 
gebiete fiihren, welche die Musik, in erster Linie die kirch- 
liche, seit alten Zeiten oft genug aufgesucht hat. Dass 



-^ 187 -fr- 

Liszt in seiner Schilderung von Holle und Fegfeuer der 
Divina Comedia Dante's folgt, wird aus einzelnen Ziigen 
des ersten Satzes bemeWcbar, namentlich durch die siisse 
Scene, welche der Erscheinung des classischen Liebes- 
paars, Francesca und Paolo, gewidmet ist. Keineswegs 
aber versucht der Componist die ganze Pragmatik der 
Dichtung ins Musikalische zu iibertragen und den Dich- 
ter auf alien Gangen zu begleiten , sondern beschrankt 
sich, wie in der Mehrzahl seiner Programmcompositionen, 
auch hier darauf, wenige hervorragende Ideen, solche, 
die musikalisch fassbar sind, nachzudichten und denje- 
nigen Theil ihrer Seele bloszulegen, welchen die Tone 
voller und machtiger wiedergeben konnen als die Worte. 
Das Purgatorio tragt eine Art musikalische Ueberschrift: 
eine wuchtige Melodie der Bassinstrumente, die das hier 

Lento. J ^^' — s.^ ^ -^ ^ ^ 

stehende Thema n^ h ■ ^^ p '■ | f [Jj \" P | T «r I f" = 

unter unheimlicher Begleitung von Paukenwirbel und 
Tamtamschlagen in dreimaligem Anlauf hoher und hoher 
tragen. Diese Melodie soil uns die Worte vor die Phan- 
tasie rufen, die iiber Dante's HoUenthor stehen: »Per me 
si va nella citta dolente etc.M Das beriihmte »Lasciate 
ogni speranza etc.«, von Trompeten und Hornern in dem 
bekannten Style der Opernorakel und Geistererscheinun- 
gen hingeschmettert, bildet ihren Abschluss. Der nun fol- 
gende erste Theil gilt der Schilderung der Holle, ihrer 
Schrecken und Schauer, und bestreitet diese Aufgabe mit 
dem Aufgebot aller diistern und furchtbaren Elemente 
der modernen Musik: mit chromatischen Figuren und Mo- 
tiven, mit freien Nonenaccorden und zusammengeketteten 
Dissonanzharmonien , mit einer bald zuckenden, bald 
fieberisch hastenden Rhythmik, mit Instrumentencombina- 
tionen, die drohen und angstigen, mit alien Hiilfsmitteln 
der Tonwelt in ihrer doppelten Natur, als Kunst und als 
Naturerscheinung. Den Abschluss dieser Partie bildet die 
erneute Intonation desThemas des »Lasciate«,jetzt noch von 
Posaunen und Tuben verstarkt. Und nun erklingen dop- 



-0- 1 88 ■6>- 



pelte Harfen, duftig und leicht schweben Figuren in Flo- 
ten und Violionen auf und nieder, die Bassclarinette 
stimmt ein Recitativ an: Clarinetten und englisch Horn 
losen sich mit schmachtenden und wehmiithigen Weisen 
ab : Das classische Paar erscheint in der HuUe eines mu- 
sikalischen Dialoges, der zu Liszt^s schonsten Eriindungen 
zahlt und an Zartlichkeit, Innigkeit und Warme an das 
Beste heranreicht, was die moderne Oper auf diesem 
Gebiete aufzuweisen hat. Das Thema des »Lasciate« ver- 
scheucht dieses liebliche Bild, und die Greuel der HoUe 
vollfiihren einen zweiten Reigen. 

Wenn dieser Satz im Totaleindruck Liszt vorwie- 
gend von der Seite des unerbittlichen Charakteristikers 
zeigt, so ist der Purgatorio dagegen eine Idylle grossten 
Styls, durchaus anheimelnd und mehr als das: auch er- 
hebend. Der erste Theil des Purgatorio beginnt wie eine 
Scene auf der Bergeshohe: Leise sauselnd sammeln sich 
helle Accorde und umwogen uns wie leichte Wolken, an- 
muthig sanfte Melodien, die in Wagner's »Charfreitags- 
zauber« passen wiirden, wechseln mit einer religiosen 

- Andante. 

Weise: j& ^j H j J J | J J J | p g - Mit Recitativen und 

einsamen Violinfiguren wird Umschau gehalten, nach dem 
Wege zum Himmel gesucht und leise der Erde gedacht, 
die mit ihren Leidenschaften unendlich weit abliegt von 
diesem reinen Gefilde. Den zweiten Theil des Purgatorio 
bildet ein Fugensatz iiber folgendes Thema: 
liamentoso. 




i) rn '^p p i)j^J~^ E . Aus diesem Fugensatz e klingen Re- 

signation und Betriibniss. Das oben angefiihrte rehgiose 
Thema schliesst ihn ab und leitet zum letzten Abschnitte des 
Purgatorio iiber: ein em Chorsatze. In ihm intoniren Frauen- 
stimmen das Magnificat und fiihren seine frommen Themen 
in einer einfachen Weise durch, welche sich dem Palestrina- 



-«- 1 89 <— 

styl nS-hert. Das Orchester geht in schimmernden Klangen 
mit; bald zart und mystisch wie eine Aeolsharfe, bald 
machtig und in ruhiger Pracht dahinrauschend. Liszt 
hat fiir diesen Schluss zwei Lesarten gegeben, von denen 
die erste leise ahnungsvoll verhallt, die andere exstatisch 
und verziickt im Forte abbricht. 

Die »sinfonischen Dichtungen« Liszt's sind ein- 
satzige Gompositionen , die sich, der Mehrzahl nach, in 
ihrer Grundform der freien Phantasie nahern, wie sie 
Liszt so haufig angewendet hat, wenn er in seinen Trans- 
scriptionen fiir Pianoforte eine Rundschau uber die wich^ 
tigsten Momente und Themen bekannter Opern : (Don Juan, 
Fliegender Hollander etc.) veranstaltete oder wenn er in 
«Ungarischen Rhapsodien« der gebildeten Welt von den 
Weisen und dem Wesen der Zigeuner musikalischen Be- 
richt erstattete. In dieser ihm gelaufigen Form compo- 
nirte er zunachst auch fiir das Orchester. Die ersten neun 
der sinfonischen Dichtungen erschienen auf einmal imJahre 
4 856, die drei letzten folgten geraume Zeit spater, In 
ihrem Inhalt schliessen sie sich alien gegebenen Program- 
men zwanglos und ungebunden an: Die einen im Gha- 
rakter gross gepinselter Handzeichnungen und Dlustratio- 
nen zu ausseren historischen Momenten, die anderen wie 
Exegesen, welche ethischen Ideen nachsinnen, die mei- 
sten sinnliches Darstellen und inneres Nachfiihlen frei 
vereinend. Auch die sinfonischen Dichtungen verlangen, 
wie Liszt's grosse Sinfonien und theilweise noch mehr 
als diese, etwas Liebe und eine mitarbeitende Phantasie 
vom Horer. 

Der ersten dieser sinfonischen Dichtungen, die zu- 
weilen auch »Bergsinfonie« genannt wird, liegt ein ^* ^^^zt 
Gedicht von V. Hugo zu Grunde: »Ce qu'on entend sur ^.^jjf"®/''/^^'''^ 
la montagne.K Das Gedicht ist eine bedeutende Vision, sinfonischen 
fast im Style der Johanneischen Offenbarungen. Der Dich- Dichtungenj^ 
ter, lauschend »auf entlegner Bergeshohw dem Gerausch, das 
von unten zu ihm dringt, unterscheidet bald den Gegensatz 
zweier Stimmen. Die eine, gewaltig, klar und rein , singt 
vom ewigen Walten der Natur und von der Gottheit; die 



-«^ 190 ■6>- 



andere, dumpf, vol! Schmerzenslaut , voll Weinen, Kla- 
gen, Lastern, voll Angst und Leidenschaft , gehort der 
Menschheit. Der Dichter folgt den Melodien beider, wie 
sie sich kreuzen, sich mischen, und schliesst mit schwer- 
miithigen Betrachtungen und bangen Fragen. Liszt hat 
diesen Schluss geandert, die Gegensatze des Dichters zur 
Versohnung gefuhrt und seiner Musik einen religios feier- 
lichen, hymnenartigen Ausgang gegeben. Der Eingang 
des Werkes folgt dem des Gedichtes und malt in einem 
langen Praludium das verworrene Gemurmel nach, wel- 
ches der Dichter von seiner Bergeshohe zunachst aus- 
schliesslich wahrnimmt. Die Musik bildet hier eine Com- 
bination aus tiefen Trillern und Arpeggien, unterbrochen 
von lang und ruhig hallenden Accorden. Aus dieser Fluth 
reiner Naturklange steigen jetzt freundliche Figuren auf, 
die zur Melodieform hinstreben. Dann setzt das ernste 
Hauptthema des Satzes ein: 



Maestoso. 




^l]phrp\^ vpr r If 1^ ^ welches in erster 



Linie die feierliche Macht der Natur zu reprasentiren 
hat. Die Stimme der Menschheit erklingt in chro- 

matischen _ ^ _^^ ^f^T ^^^ wirft schmerzvolle Disso- 
Seufzern: ^ ^ y nanzen hin: 

/■ 




und fragt in schwer . ^ . 

klagenden Tonen: ' ^H ^\_ ^. T \ff' f I 



Ein erster Durchfuhrungssatz bringt die thema- 
tischen Elemente beider Parteien in leidenschaftliche 
Beriihrung. Die Rojle des Friedensstifters iibernimmt 
ein Andante religioso, das mit Posaunen folgendes Thema 
einsetzt: 



191 



Andante religioso. 



'M^fff i f^ i r-rrTrTf StSwt 



ter Durchfuhrungssatz noch leidenschaftlicher, farben- 
reicher und langer als der erste. Er Iftuft in ein neues 
Thema aus, welches wie Triumphgesang klingt: 




Der eigentliche Abschluss des Werkes ist jedoch nicht 
ihm, sondern dem vorhin beriihrten Andante religioso 
zugetheilt. 

Nr. 2 der sinfonischen Dichtungen ist wTasso« be- 
titelt. Genauer gehort zu dem Titel noch der Zusatz 
wlamento e trionfo«. Denn das lamento bietet dem Zu- 
horer eine sehr willkommene Richtschnur zur Orienti- 
rung im Werke. Es wird in einem Thema verkorpert, wel- 
ches dem venetianischen Volksgesang entnommen ist. 
Heute sind die Lagunenschiffer stumm geworden. Aber 
noch vor wenig Jahrzehnten sangen sie bei jeder Fahrt, 
und einer ihrer Lieblingsgesange, fast ihr standiges Abend- 
lied, waren die Anfangsstrophen von Tasso's nJerusalemw : 
«Ganto I'armipietose e'l Gapitano Che'l gran Sepolcro libero 
di Cristo.w Sie trugen diese in einer merkwiirdig elegischen 
Melodie vor. Als Liszt im Jahre 4 849 zur Goethefeier fiir 
die Auffiihrung des Tasso eine Musik zu schreiben hatte, 
erinnerte er sich jener schwermiithigen und eigenthtim- 
lichen SchifFermelodie und legte sie in folgender Gestalt: 

Adag^io. 




dem musikalischen Lebensbilde des italienischen Dichters 
zu Grunde. In verkiirzter Form, aber immer an den 
iibermassigen Secunden und an den Triolen kenntlich, 
geht dieses Thema als ordnender Geist durch alle Scenen 



F. Liszt 

Tasso. 



192 



F. LiBst 
Preludes. 



F. Liszt 

Orpheus. 



und Abtheilungen der Composition. Es eroffnet das Werk, 
es folgt dem ersten leidenschaftlichen Satze, es drangt 
sich in die heitere menuettartige Tanzscene hinein, welche 
der Repetition des leidenschaftlichen Satzes vorausgeht, 
und es bringt das Werk zum festlichen Abschluss. Die 
ganze Composition kann als eine Reihe von Variationen 
liber jenen Gondoliergesang angesehen werden.' 

Die Nr. 3 der sinfonischen Dichtungen bilden die 
nPr^ludestt. Der Titel, einer Meditation po^tique von 
Lamartine entnommen, ist in diesem Falle mehr irre fiih- 
rend als erlauternd. Die »Preiudes«, wie sie Liszt aus- 
gefiihrt hat, sind eine Reihe Bilder aus dem menschlichen 
Leben: ernste und heitere. Die letztern wiegen bedeu- 
tend vor; die chromatischen Sturme sind auf ein Mini- 
mum beschrankt, und das ist wohl der Grund, weshalb 
die Preludes "unter alien den sinfonischen Dichtungen 
Liszt's die grosste Popularitat und die geringste Oppo- 
sition gefunden haben. Auch in der Form nahern sie 
sich dem allgemeineren Brauche und ruhen, wie in der 
Sinfonie und Son ate liblich, auf nur zwei Them en, von 
denen das erste das feierliche und ernste Element ver- 
tritt: Wir wollen es in derjenigen Form hersetzen, in 
welcher es in der Reihe von Variationen, die es durch- 
lauft, seine vollstandigste Ausbildung erfahren hat: 

Andante. 

-Cetti- 



Das zweite, leicht und anmuthig, zuerst von den Hornern 
gebracht 




wird fiir Liebesidyllen und Pastoralscenen variirt. 

Die Nr. 4, » Orpheus « genannt, ist eine kurze freie 
Fantasie iiber ein mildes, einfaches Thema: 

, AUegro modjrat o. ^ Mit dejn OrfeO, 

^ " ^ l«U-j I J J J J Igh-ih. JlT^ I ' der seine Euri- 



-«- 193 ^ 



dice beweint und den Hades singend besiegt, hat diese 
Composition nichts zu thun. Sie Ifisst die dslmonische 
Macht der Musik, ihre starken und amphionischen Wunder 
ausser Betracht und will nur die verklarende, sanftigende 
und adelnde Macht der Kunst veranschaulichen. Mehr 
als andere der sinfonischen Dichtungen tragt der Orpheus 
ein bedenkliches Merkmal der Programmmusik: den Cultus 
der blossen Stimmung zur Schau. 

Die Nr. 5 und 6: »Prometheus« und »Mazeppa« „ •. 
sind in Bezug auf Charakterzeichnung, Kiihnheit der Skiz- p^ ' .^^^^ 
zirung, Uebersichtlichkeit der Form die bedeutendsten Mazeppa. 
unter alien sinfonischen Dichtungen Liszt's. Namentlich 
im Mazeppa lebt ein Zug damonischer Verve. Im Inhalt 
sind diese beiden Compositionen ebenfalls verwandt: Sie 
schildemGrassliches: die grausamsten korperlichenSchmer- 
zen und — Qualen der Seele dazu! Mehr als alle andem 
Orchestercompositionen Liszt's verbrauchen diese beiden 
Compositionen harte Dissonanzen und die aufregendsten 
Ausdrucksmittel der Musik. Prometheus ist mehr ein Cha- 
rakterbild, an welchem der Trotz einen hervorstechenden 
Zug ausmacht, in Mazeppa nimmt die ausserliche, jedoch 
geniale Malerei des unheimlichen Todesritts den Haupt- 
platz ein. Dem Sturm von qualvollen, qualenden und 
emporten Figuren tritt nur eine getragene Melodie der 
Klage gegenuber. 

Die|.»Festk]lange« (Nr. 7 der sinfon, Dichtungen) 
iibertragen dasselbe Princip einer stark realistischen Schil- 
derung, welches die Composition des Mazeppa beherrscht, 
auf ein freundlicheres Gebiet. Sie fiihren uns verschie- 
dene Momente eines grossen Volksfestes vor: ernstere, 
heitere und groteske. Wir horen, wie aus der Feme, ver- 
einzelte muntere Klange aus dem Festzuge heriiberschal- 
len, wir treten unter die erregte und jubelnde Menge, 
sehen ihre Scherze, ihre Spiele und Tanze; wir nehmen 
an feierlichen Acten Theil und werfen auch BHcke auf 
vertrauliche Scenen, die abseits vom Platze spielen. Diese 
grosse Menge des Stoffes ist vom Componisten zum Theil 
nur leicht skizzirt. Aber er hat den fliichtigen Skizzen 



F. LiBBt 
Festkl&nge. 



194 

eine pragnante Farbe gegeben, welche den verworrenen 
Beiklang, welcher den Kundgebungen und Gefiihlsausse- 
rungen grosser Massen eigen ist, zu einer deutlichen, 
halb humoristischen Anschauung bringt. Keck eingemischte 
Dissonanzen thun dies. Den Haupttrager der musikalischen 
Durchfiihrungen bildet ein der Popuiarmusik entstammen- 

Allegro. 

des Thema: ^ h f f I^lJUZ I f LfJf ' D-^^ ^ 
welches vielfachen Variationen unterzogen wird. 
F. Lisit I^i® »Heldenklage« (H^roide fun^bre Nr. 8 d. s. D.) 

Heidenklage. ist ein Bruchstiick aus einer unveroffentlicht gebliebenen 
Sinfonie, welche Liszt bereits im Jahre 4 830 componirt hat. 
Sie zeigt, dass Liszt schon friih in dem Besitze aller jener 
rhetorischen Styleigenthumlichkeiten war, welche in seiner 
Musik der Deutlichkeit der Declamation und dem Eindruck 
der Grundstimmung den Vorrang iiber die rein musika- 
lische Entwickelung geben. Den Gegenstand der Darstel- 
lung bildet in dieser Composition der Ausdruck eines tie- 
fen und edlen Schmerzes. In seiner starren Form ver- 
bildlicht ihn ein Marschsatz. Zu Grunde liegt ihm ein 
Thema, das sich auf folgendem Motive in . Sequenzen 
entwickelt : 

Grave. ^ 2»^, ^ l^^ — >s, 

a ^ i vJif ^r i f .r r i r p r r i r p f i 



Den zur fliessenden ThrSne, zur 16senden Klage ge- 
milderten Schmerz zeigt die weiche Melodie, mit welcher 
die Blaser den schonen Desdur-Satz des Piu lento be- 



gmnen: 



: i ^'' l >t J 1 .1. J I J J J J I J J J Jg 



TZ 



Die 



Instrumentation dieses Werkes ist stark militarisch: mehr- 

fache Trommeln, auch Tamtam! 
F. Liazt Die Hung aria (Nr. 9 der s. D.) feiert das leidende, 

Hungaria. streitende und siegende Ungarn. Nach einigen Tacten 

banger Einleitung beginnt ein Marschsatz iiber folgendes 

Hauptthema : 



-<fr 195 -0^ 



Andante marciale. 



i I ' jj'i iT^ jr.^' 3 ■!' 3 JTj \ fljfl) \ flj ' 



der die erste Halfte der Composition ziemlich ausfuUt. 
Mehrmals von klagenden Episoden unterbrochen, geht er 
allmahlich in einen erregteren Charakter iiber und fiihrt 
uns schliesslich direct aufs Schlachtfeld, wo die Trompe- 
ten ihre ernsten Weisen hell hinausschmettern. Es setzt 
nun eine ungemein frische und schneidige Musik ein (Vivo 
2/4 Tact), in welcher Schlagfertigkeit und Kraft dem Froh- 
sinn (Triangel) die Hand reichen. Sie fiihrt zu einem 
triumphirenden Abschluss der Composition, zu welchem 
die heitersten und freudevollsten%Volksweisen aus der Hei- 
math des Tonsetzers ihre Spenden bringen. 

Die Nr. -10 der s. D. »Hamlet« schildert uns den F. Liazt 
Helden von Shakespeare's Tragodie von zwei Hauptsei- Hamlet. 
ten: den diister briitenden und den leidenschaftlich wu- 
thenden Hamlet. In der Mitte der Dichtung erscheint 
Ophelia wie in einem Schattenbilde. 

Die ))Hunnenschlacht« (Nr. M der s. D.) beginnt F. Liszt 
wie mit einer Erzahlung vom finsteren Attila. Bald reisst^^i^^enscMacht. 
den Dichter aber die Phantasie mitten hinein in die Schil- 
derung der wilden Kampfe, die in den Ebenen der Cham- 
pagne das Geschick des Abendlandes entschieden. Horner 
allarmiren in erschreckenden Signalen, die Massen fiih- 
ren ihre wuchtigen Streiche, heisser und heisser wird der 
Kampf, — Reitermotive auf der einen Seite wie von den 
Walkiiren des Wagnerschen Nibelungendramas, Choral- 
musik auf der Seite der Christen! Die letztere behalt 
den Sieg und fuhrt das Werk zu einem feierlich jubeln- 
den Ausgang. Die Composition sucht den Anschluss an 
das bekannte Gemalde Kaulbachs, auf dem tiber den 
Wolken die Geister der Gefallenen den Kampf wieder 
aufgenommen haben, durch Instrumentationsvorschriften 
zu erreichen. In ihrer kiihnen realistischen Malerei ge- 
hort Liszt's Hunnenschlacht zu den charakteristischsten 
Werken in der Schule der neueren Programmmusiker. 

Einen sehr freundlichen Abschluss fanden die Or- 

4 3* 



496 ♦- 

F. Lisst chesterarbeiten Liszt's mit der Composition »Die Ideale« 
Dieideaie. (Nr. <2 der s. D.). Sie gehen der Schillerschen Dich- 
tung in den einzelnen Hauptmomenten nach, schildem 
das leidenschaftliche Streben des Junglings, die Macht 
der Begeisterung, die Freuden, welche der Mensch im 
Genuss der Natur, in der Arbeit, in der Freundschaft 
findet, die Leiden der Enttauschung, welche ihm das Leben 
bereitet. Wie der Refrain im Rondo, so kehrt nach je- 
dem dieser kleinen Tonbilder das Them a wieder, welches 
der musikalische Ausdruck des Ideals sein soil, dem der 
rechte Mensch in alien Lagen folgt: eine lange Melodie, 
die wir in ihrer kurzesten Form hier folgen lassen: 

Allegro moderato. ^ 
hh « II I J-^1 I 1 *1 




8 J vJigrnr'^pUr < \ ^ n<j7"rpT.j f \r m 



.1 ,1 1 i"r ~^, n i rr'r rTTr 

Die »Ideale« zeichnen sich durch ihren Reichthnm 
an liebenswurdigen Elementen des Ausdmcks aos; ein 
mild uberschwenglicher, inniger Ton herrscht in ihnen 
Yor. Den absoluten Musiker stort hier fast nur das lange 
Stehenbleiben, das unaufhorliche wortliche Wiederholen 
derselben Motive, welches die Programmpartei als sty- 
listisches Resnltat der entruckt schwelgenden Stimmmig 
zu erklaren geneigt sein durfte. 

Nur wenige Tonsetzer sind bisher in Liszt*s Fuss- 
tapfen getreten, und die Zahl von sinfonischen Dichtongen 
und grossen Sinfonien, welche einem Programm folgen, ist 
verhaltnissmassig eine kleine geblieben. Dass die Richtnng 
mit ansseren mid inneren Hindemissen zn kampfen hat, 
zeigt sich noch starker darin, dass die spateren Vertreter 
derselben fast ohne Ansnahme vermittelnde Wege ein- 
schlagen. Als die an Kuhnheit mid Rucksichtslosigkeit 
der Form hervorragendste, dem Liszt'schen Yorbilde am 
trenesten folgende Leistmig aus der Reihe der Nachfolger 



197 ^ 

diirfte die »Faustphaiitasie« des Ungarn E. v. Miha- 

lovich zu bezeichnen sein, die jedoch im Repertoir kei- 

nen Eingang gefunden hat. Bekannter sind die Arbeiten 

Yon Georg Riemenschn eider: »Nachtfahrt« und )Juli- 

nachtw. Nurdie »Julinacht«, dereinigeVerse vonH.Lingg &. Biemen- 

zu Grunde liegen, ist ausdriicklich als sinfonisches Ge- solineider 

dicht bezeichnet. Sie bildet eine Art Instrumentalcan- Juiinacht. 

tate aus fiinf knappen Satzen, welche ohne Unterbrechung 

auf einander folgen. Der Anfangs- und Schlusstheil sind 

identisch. Die Composition ist in ausserlicher Schilde- 

rung sehr zuriickhaltend: Sie gedenkt nur andeutend der 

SchwUle der Juiinacht und der landlichen Tanzweisen, 

die der traumende Dichter aus der Feme hort ; die Haupt- 

tendenz ist darauf gerichtet, eine Stimmung zu zeichnen, 

die zwischen banger Erregung und still gliicklichem Ge- 

niessen getheilt ist. In der Bildung und Entwickelung 

der musikalischen Gedanken ist kein Atom von Liszt's 

Art, wohl aber der Einfluss von Mendelssohn, Rubinstein, 

auch Spohr zu bemerken. 

Die »Nachtfahrt« entwirft in dreitheiliger, sehr gut Qt, Klemen- 
abgerundeter Form, einem Gedicht von J. N. Vogl fol- Bohneider 
gend, ein knappes Bild der Eindriicke, welche die Nacht Nachtfahrt. 
auf ein dichterisches Gemiith ausiibt. Die Musik skizzirt 
die dunklen Machte, die beklemmenden Elemente, die 
Geisterhand der Nacht; sie gedenkt aber auch des Wal- 
tens freundlich anmuthiger Elfen, und setzt sich zum End- 
ziel, die Ruhe und Frieden athmende Natur des nacht- 
lichen Lebens zu feiern. Das Colorit der Compositionen 
Riemenschneider's ist sehr bliihend, zuweilen aber, be- 
sonders in der »Julinacht«, dick und derb. 

Ziemlich verbreitet sind die sinfonischen Dichtungen ^ j. . 
von C. Saint- Sa6ns. An erster Stelle dessen nDanse^ *?^® 

macabre « (op. 40), zu Deutsch: Todtentanz. Mit den *°^® ™**'* ^^' 
Darstellungen unserer mittelalterlichen Maler. die den Tod 
als Lehnsherrn aller Stande, als Mittelpunkt eines Triumph- 
zuges zeigen, dem Kaiser, Papste und Konige so gut wie 
das arme Bauerlein und der nackte Bettler folgen miis- 
sen, hat dieser Danse macabre nichts zu thun. Im An- 



^ 198 ^ 

schluss an ein Gedicht von H. Cazalis schildert St. SaSns 
den Tod hier als einen Fiedelmann, welcher zur mitter- 
nftchtigen Stunde die klappernden Skelette aus den Gra- 
bern und zu einem wirklichen Taozchen lockt. Miihsam 
und im engsten Kreise von Moll dreht sich die Melodie 



dieses Reigens: fn ^ t V'^J'^H -^^J^l ^J^ r "^^^ was 
der Tod als Violinspieler zur Belebung auf sei- 
ner verstimmten Geige beisteuert (G d a e¥) klingt mehr 
nach Requiem als nach Walzer: 

ttj N J 1 ,1 J l ^j J U J I j^j JI^J^J J i,j j i jJ 

Beide Themen werden in einer Reihe von Variationen 
weiter geftihrt. Die Frohlichkeit bleibt armselig und kiim- 
merlich; immer liegt ein Schatten von Trauer und Klage 
daruber, und in der Instrumentation melden sich die 
schauerlichsten Elemente. Mitten in einem krampfhaften 
Versuche, die Bewegung in Schwung zu bringen, bricht 
die Musik ab. iDer Hahn kraht (in der Oboe) und stiick- 
weise verschwindet das gespenstische Bild. 

An die Originalitat des Todtentanzes reichen die ubri- 

gen sinfonischen Dichtungen von St. Sa6ns nicht heran; 

ihre musikalischen Mittel entstammen zum grossten Theile 

dem Decorationsschatze der franzosischen Oper. Alle drei 

entnehmen ihren poetischen Gegenstand der antiken My- 

8t. Safins thologie. Die erste unter ihnen, »Le rouet d'Omphale« 

Le rouet d'Om- (op. 34 ) iSsst das Spinnradchen in bekannten Figuren 

phaie. drehen. Hercules erscheint in einer gravitatischen Bass- 

melodie. Die Form, welche der Composition zu Grunde 

liegt, ist die der Sonatine. Den Durchfiihrungstheil hat 

St. SaSns dazu benutzt, die verfiihrerische Ueberredungs- 

kunst Omphale's in einer neuen, grazios pikanten Melodie 

zu veranschaulichen. 

St. SaSns Im »Phaeton« ISsst St. Saens den vorwitzigen 

Phaeton. Lenker des Sonnenwagens in einem phantastisch leicht 

flatternden Thema aufsteigen; beim Beginn der Fahrt 

stimmt der Gottersohn eine behagliche Melodie an: 



-* 199 

Allegro. 



^ti J .|J l>^J N iJjJ J J I^J J 1 auf der Hohe 
! des Flugs eine Art Abschiedsgesang an die dem Blick 

i entschwundene Erde: 

Allegro. , 



^i I J J I - Uo I J Als dann die Fahrt aus dem 

if^ — " 
Geleise gerath, repetirt die Flugmusik, aber mit chroma- 

tischen Wendungen, abreissend und von Tonart zn Ton- 

art irrend. Jupiter macht der Verzweiflung und dem 

Leben Phaetons mit einer Trompetenfanfare ein Ende, 

und das Stiick klingt mit einem letzten Citat der Ab- 

schiedsmelodie elegisch aus. 

»La jeunesse d'Herculea (op. 50), die letzte von St. SaSns' 

den sinfonischen Dichtungen des Componisten, das Su- La jeunesse d' 

jet »Hercules am Scheidewege« illustrirend, beginnt nach Hercuie. 

einer kurzen ernsten Einleitung mit einem Thema k la 

^ ^ Allegro. ^ ^ 

Spohr: ^ tS, I . Jj_J I .1 I I I I I I I I I welches 

mit der auf ihm errichteten Satzgruppe die Gestalt der 
Tugend reprasentiren soil. Das Laster erscheint in der 
Form einer Balletmusik, die sehr grazios anfangt, dann 
aber in ein Bacchanale tibergeht, welches man am 
Ende kaum noch fesselnd nennen kann. Zu seinem ver- 
lockenden Theil hahien Auber und Wagner, zu seiner 
roheren Halfte Meyerbeer, Berlioz und Raff beigetragen. 
Der dritte Theil der Composition kniipft wieder an den 
ersten Satz an, wendet ihn aber ins Heroische und streut 
zuckende und blitzende Motive ein, die auf das Feuer 
des Scheiterhaufens und die Apotheose des Halbgottes 
hinweisen. 

Der letztgenannte Componist: Joachim Raff, ist 
derjenige, welcher nach Berlioz und Liszt am erfolg- 
reichsten das Banner der Programmmusik in das Gebiet 
der grossen Sinfonie hiniibergetragen hat. Diejenigen 
unter seinen neun Sinfonien, welche hier in Betracht 



^ 200 



J. Baff 
»Im Waldec. 



kommen, sind die Sinfonie »Im Waldea (op. 153) und die 
»Lenore« (op. 177). Raff hat in beiden Werken die vier- 
satzige Gestalt der Sinfonie etwas modificirt, indem er 
seine Gompositionen in drei Abtheilungen gruppirt; aber 
wenn man die einzelnen Abtheilungen naher priift, so 
findet sich der vermisste vierte Satz irgendwo als bhnder 
Passagier. 

In der Waldsinfonie fiihrt der erste Satz den Titel: 
»Am Tage: Eindriicke und Empfindungen«. Er ist origi- 
nell eingeleitet durch einige prUludirende Tacte, in wel- 
chen die beiden Hauptthemen des Satzes verkurzt ihre 
Schatten voraus werfen. Das erste Thema setzt dann 
im munteren Wandertone ein: 

Allei^ro. 





Der Abschluss desselben 



und die Ueberleitung zum zweiten Thema dauern etwas 
lange, dann aber kommt letzteres als ein echter Raff: 



i ' " f^U i ^>i J I ijij I jtJ J I hi \ ii±^U-^ 



JU J y J I Die Terzenbegleitung der Melodie, Nonen- 



accorde als harmonische Stiitze der Hauptpunkte gehoren 
zum Signalement dieses Componisten; wenn er zum Ge- 
miithe sprechen will, kommt ihm in der Halfte aller Falle 
diese volksliedartige Weise auf die Zunge. Sie folgt ihm wie 
eine Erinnerung aus Heimath und Kinderjahren und fehlt 
fast in keinem von Raffs grosseren Werken. Die Anlage 
des Satzes ist die fiir ein erstes Allegro der Sinfonie 
iibliche. In der Durchfiihrung treten zu den beiden Haupt- 
themen noch allerhand kleine Waldteufel ; auch verschie- 
dene niedliche Kunststiicke (Canons etc.) hat der Compo- 
nist hier untergebracht, welche kaum Jemand beachtet. 
Die schonsten Stellen des Satzes liegen abseits vom Haupt- 



201 



wege: da wo das Orchester still den einfachen Rufen 

des Horns lauscht: -^ j I i I 

Die zweite Abtheilung, betitelt »In der Dammerung« 
besteht aus zwei Satzen: A. »Traumerei« , B. »Tanz der 
Dryaden«, welche dem Adagio und dem Scherzo entspre- 
chen, wie wir sie sonst in der Sinfonie zu finden gewohnt 
sind. Raff hat sie dadurch enger verbunden, dass er ohne 
Pause in das Scherzo iibergeht und an dessen Schlusse 
das Hauptthema des langsamen Satzes noch einmal an- 
klingen lasst. In der »Traumerei« ist die Fiihrung einer 
Melodie iibertragen : 

Adagio. 

^^'i H/ j I j UJ | .i j.ilJi l iJ l jJi JlJjlIILl I 




j J J) I J J I J an welcher man die Kunst bewundern 



kann, mit welcher Raff, ein Genie der Eklektik, Beet- 
hoven'sche, Schumann'sche und Wagner'sche Elemente 
zusammenzuschmelzen verstand. Der in seiner Wirkung 
edle Gesang entspringt der Brust des Traumers. Die 
Traumbilder selbst, welche sich diesem zeigen, bestehen 
aus leichten Gaukeleien: concertirenden Figuren und Phra- 
sen der Biaser. Der »Tanz der Dryaden« — Hauptsatz 
A moll, Trio Adur — ist nichts als ein Pflichttanz, eine 
jener rein handwerksmS,ssigen Leistungen, die den Genuss 
der Raff'schen Compositionen immer wieder erschweren. 
Die dritte Abtheilung der Sinfonie heisst : »Nachts. Stilles 
Weben der Nacht im Walde. Einzug und Auszug der 
wilden Jagd mit Frau Holle und Wotan. Anbruch des 
Tagesw. Man muss fragen, wie kommt auf einmal die 
nordische Sage mit Frau Holle und Wotan in ein Ton- 
werk, welches sich ^- unbeschadet des Dryadencitats — 
bisher in der Sphare einer reinen Naturdichtung bewegt 



202 ^ 

hat? Indess beginnt der Satz zwar gar nicht nachtlich, 
aber musikalisch sehr ansprechend mit einer Fuge iiber 
ein Thema: 

Allegro. 




welches ziemhch ahnlich auch dem Componisten C. Gold- 
mark bei seiner Sinfonie »Landliche Hochzeitw eingefallen 
ist. Aber dann uberkommt Berlioz's boser Geist den Ton- 
setzer und auf Con to der »Frau Holle« entfesselt er ein 
Spectakelstiick, das noch hasslicher, dabei aber viel ge- 
wbhnlicher und uninteressanter ist, als die H611enscenen 
der Sinfonie fantastique und die Orgien des Childe Ha- 
rold. Eine Coda, welche die Fuge wieder aufnimmt 
und leise verklingen Islsst, sucht den Endeindruck zu 
retten. 
J. Baff Die Sinfonie »Lenore« ist Raff's beste Leistung auf 

Lenore. dem hier in Betracht kommenden Gebiete: ein edel ge- 
dachtes Werk, frei von den Auswiichsen einer astheti- 
schen Halbbildung, und musikalisch das Beste zusam- 
menfassend, was Raff zu bieten hatte. Eine voile Origi- 
nalitat der motivischen Erfindung, wie wir sie von den 
Fiihrern und Meistern unserer Kunst verlangen, ist auch 
in der Lenore nicht zu finden. Fast jedes ihrer Themen 
zeigt in einem Theile, zuweilen in der ganzen ersten 
Halfte auf fremdes Eigenthum, hier sind Beethoven's 
Quartette die Quelle, dort tritt uns Schumann's Clavier- 
concert entgegen. Aber die einmal aufgestellten Gedan- 
ken sind in dieser Sinfonie zuweilen mit dem Schwung 
und der Warme behandelt, die den grossen Kiinstler 
macht, und verfiele nicht Raff auch hier bin und wieder 
in bequeme Breite, in das rein formale »Musikmachen«, 
so wiirde die »Lenore« geeignet sein, den Namen ihres 
Schopfers bei der Nachwelt zu fixiren. 

Die erste Abtheilung der Sinfonie schildert das »Lie- 
besgluckw. Sie besteht aus zwei selbstandigen Satzen, die 
dem gewohnlichen ersten Allegro und dem Adagio in der 
Sinfonie entsprechen. In dem Allegro herrscht ein er- 



203 



regter Geist. Die Liebe spricht in Tonen des Ueber- 
schwangs, in Themen, die kein Ende linden wollen: 

J. Alleg^ro. 



;Qi^ Ml' I MJNN f'NJi^^g 



^ 



j! «d>i ., ^TTm- f r ^ I r iT^r i r " i r r ^ * 



T LJ L^XJ i ' . Dem Jubel und dem still glucklichen 

Sinn en folgen Scenen, aus denen Sehnsucht und Dank- 
barkeit zugleich sprechen. 

r' II 1.1 L' I iiTi III I ii ~ 1 1 



Einen der schonsten Momente des Satzes, einen Augen- 
blick still sussen Erinnems, zeichnet Raff wieder mit 
seinem Lieblingsgedanken , mit der Terzenmelodie: 

4 i' plf^P l Q \ft!ff ^^ . In dem Durch- 

fuhrungstheil dieses Allegro lassen sich Kl^nge banger 
Ahnung horen. Der zweite, der langsame Satz der ersten 
Abtheilung gleicht einem Gesprach der Liebenden, be- 
herrscht von dem ruhigen Tone der des Besitzes sicheren 
Liebe. Naive, trauliche, herzliche Gedanken, von der Art wie 

And ante la rghetto. 

das Hauptthema beginnt: 




j»p 



^^ 



werden ausgetauscht ; lachelnd halt der Bursche dem 
Kosen und Flustern seines Madchens still, freund- 
lich bestimmt zusprechend beschwichtigt er die Sorgen 
Lenore's, die in der recitativartigen Gis moll -Epi- 
sode des Satzes einen erregten Ausbruch finden. Die 



-♦ 204 -»- 

zweite Abtheilung, betitelt »Trennung«, besteht in der 
Hauptform aus einem Marsch, der alteiL Zuschnitt 
hat und in manchen Wendungen direct an den »Hohen- 
friedberger« erinnert. Der Krieg ist ausgebrochen: Wil- 
helm muss fort. Ein Mittelsatz (Agitato in CmoU) ent- 
halt die Abschiedsscene der Liebenden: ein Tonbild aus 
leidenschaftlichen, wie rathlos irrenden Figuren, wehmiithig 
klagenden Weisen und schmerzvollen Accenten zu- 
sammengesetzt. Dann setzt der Marsch wieder ein, am 
Schlusse h6rt man ihn wie aus der Feme. Es ist viel 
poetische Kraft in dem einfachen Entwurf dieser zweiten 
Abtheilung. Die dritte Abtheilung behandelt die nWieder- 
vereinigung im Tode« mit Grab- und Choralmusik, in 
welche sinn- und wirkungsvoU die Motive des Trennungs- 
marsches und der langsamen Liebesscene hineingezogen 
sind. Den schauerlichen Geistercharakter der Situation 
deutet ein in den tieferen Instrumenten unaufhorlich wuh- 

lendes kurzes Motiv /^ j) an. 

Von den iibrigen sieben Sinfonien Raff's gehoren noch 
mehrere der Programmmusik an: »In den Alpen«, »Jah- 
reszeiten«, »An das Vaterland«. Wie die unbenannten 
Werke der Gattung aus der Feder des Componisten, unter 
denen die Gmoll-Sinfonie die werthvollste ist, theilen sie 
unleugbare, grosse Schonheiten mit unbedeutenden zier- 
lichen Spiel ereien und oden Partien der blossen Routine. 
Die Vorzijge einer ungewohnlichen, starken Einbildungs- 
kraft, eines warmen Gemiiths, welche dieser Tonsetzer 
besass, wurden wett gemacht durch den Mangel an jener 
Sammlung und Hingabe, welche ein wesentlicher Theil der 
Poesie selbst ist, durch das Fehlen jener Kritik, welche 
Bureaudienst vom Dienste der Kunst unterscheidet. 

Aug. Klnghardt Eine andere Sinfonie »Lenorei(, die ebenfalls der Bal- 
»Lenore« u. lade Burger's folgt, ist von August Klughardt veroffent- 

Ddur-Sinfonie. licht worden. Sie hat vier Satze, unter denen ein Adagio 
wegen seines Reichthums [an innigem, ungekunsteltem 
Ausdruck hervorragt. Auch in den anderen Satzen, wo 
das Element der Situationsmalerei iiberwiegt, spricht Ge- 



-^ 205 

miith und Herz in fesselnden Partien. Das Werk ist we- 
nig bekannt geworden; grossere Erfolge hat der Compo- 
nist in letzter Zeit mit einer freundlichen Ddur-Sin- 
fonie gehabt, welche der Schule der Programmmusik 
nicht angehort. Durchaus wohlklingend, bietet sie im 
letzten Satze auch Originelles. 

Unter denjenigen neueren Sinfonien, welche in der 
hergebrachten viersatzigen Form ein Programm durchzu- 
fiihren suchen, ist als eine der friihesten Abert's »Co- 
lumbusw zu nennen. Eine der musikalisch gehaltvoUsten 
Programmsinfonien der vermittelnden Richtung besitzen 
wir in dem »Wallenstein« von Jos. Rheinberger. J- Rheinberger 
Der Componist hat aus der S chiller 'schen Trilogie die Waiienstein. 
Figur der »Thekla«, die Lagerscene mit der Capuziner- 
predigt und den Tod Wallensteins zur musikalischen Illu- 
stration ausgewahlt und diese drei Objecte an das Adagio, 
das Scherzo und das Finale der Sinfonie vertheilt. Den 
noch freien ersten AUegrosatz benutzt er zu einem »Vor- 
spiel«. Das letztere fiihrt uns am Anfang mitten hinein 
in das frische, kraftige Lagerleben: 

Allegro con fuoco. 



j^upfffffif i rrr ifffffr r ri i T i fn^' 

•^ *j(/^ etc. 

Waiienstein steht hier noch fest und herrisch in der 
Menge; spater zeigt ihn der Componist in seinem Schwan- 
ken zwischen diisteren Ahnungen und freundlichen Zu- 
kunftstrSumen. Auf letztere bezieh'Tsich wohl das eigen- 
thiimliche Thema der Blaser, welches mit dem langen 
Verweilen auf einem Tone beginnt und dann so traulich 
Schubertisch schliesst. Einzelne Melodien des Vorspiels 
sind von einer so ausgepragt weiblichen Schonheit, dass 
sie uns von Waiienstein weg an Max und Thekla denken 
lassen. Dahin gehort das traumerisch wiegende Thema: 



Sinfonie verwendet ist. Dahin wohl kuch die italienisch 



206 



anklingende, direct mit der (erst spater erfundenen) »Man- 
dolinatau verwandte) Melodie: 



"Pit. modontto. 



^t^^j,^rf i fii|jfjjnj- i ^/^jijjjj i ;^- i 




welche die Durchfuhrung einleitet und einen grossen 
Theil derselben tragt. Die Nahe der Schicksalsmachte 
wird im Vorspiel in kurzen schwermiithigen Motiven, in 
Fermaten, welche den lebendig bewegten Gang der Dar- 
stellung bedeutsam unterbrechen, angedeutet. Ihnen na- 
mentlich scheint die hymnenartige Melodie zu gel ten, 
deren Hauptmotiv folgendes ist: 



Sie tritt imme r 



in dunkler Instrumentirung auf, so oft sie in dem Satze 
erscheint. Beim letzten Male geht ihr eine sehr eindring- 
liche Klage aus dem Munde der Clarinette voraus. Auch 
im zweiten, im langsamen Satze der Sinfonie, kehrt sie 
wieder. 

Zu den leichtverstandlichen Werken der Programm- 
musik gehort Rheinberger's Tongemalde nicht; am we- 
nigsten das »Vorspiel« mit seiner Fulle an theilweise sehr 
vieldeutigen Themen. In der musikalischen Behandlung 
des Materials macht sich der Einfluss Beethoven's in einer 
seltenen Starke bemerklich. Durch das »Vorspiel« blickt 
deutlich die zweite »Leonorenouverttire«. 

Das Adagio der* Sinfonie, »Thekla« uberschrieben, 
wird von folgender schonen Hauptmelodie getragen: 



ij'''ff u ijjj)i.rr 'ri II \L^ i^M 



Auch das zweite Them a ist in seinem madchenhaf- 
ten, zarten Charakter nicht misszuverstehen. WShrend 
es die Blaser singen, begleiten die Violinen mit munteren 
Motiven, welche das traumerisch schwarmerische Bild der 
Tochter Wallensteins mit einem anheimelnden Zusatz 
von Zierlichkeit erganzen. Am Ende der Themengruppe 



207 



erscheint eine kleine Episode erregter Natur, welche der 
Blumenscene Gretchens in Liszt's »Faust(( ahnlich ist. Sie 

stutzt sich musikalisch auf das kleine Motiv : A ^ «* J Jj • 

In der Schlusshalfte des Satzes wird Thekla wiederholt 
von Gefiihlen sttirmischer Unruhe ergriffen. In einem 
derartigen Momente ist es, wo das friiher erwahnte 
Hymnenthema des ersten Satzes beschwichtigend eintritt. 
Das Scherzo »Wallenstein's Lager« wird viel einzeln 
aufgefuhrt. Es verdankt diese Bevorzugung seiner be- 
stimmten Charakteristik, der Einfachheit seiner Form und 
seiner launigen Natur. Die Stiitze seines Hauptsatzes 
bildet das Thema: 

AIlc^Tetto. ^ ^m.^ ^- y0^ 



^ 




^^ 



rMr[r[,C rT| ^"^ dasselbe herum reiht sich eine 

, kleine Suite lebendiger Bilder, welche 

das Soldatenleben von seiner frohlichen Seite veran- 
schaulichen. Der Triangel klingt, die Becken; ab und 
zu giebt auch die grosse Trommel grotesk einen dumpfen 
Schlag darein. Man spielt und tandelt anmuthig und 
gemiithlich; zuweilen werden auch die Scenen wilder, 
barsch und derb. Unter den vielen Nebenthemen, welche 
im Satze erscheinen, macht sich besonders das folgende 
bemerkbar: 




Es ist die Melodic zu »Wilhelmus von Nassau «, einem 
niederlandischen Reiterliede, welches in der Zeit der Re- 
formation sehr beliebt war. In versteckteren und offenen 
Anspielungen durchzieht dieser Volksgesang das ganze 
Scherzo vom Anfang an. Schliesslich intoniren es die 
Blaser in seiner Originalgestalt zur Freude des Chorus, 
welcher es brausend aufnimmt. Da auf einmal: General- 
pausen, Dissonanzen — ein Wirrwarr entsteht. Der Ca- 



-♦ 208 ♦- 

poziDer ist da! Seine Predigt Tertritt das Trio des Scherzo. 
Ansserordentlich gelungen hat Rheinberger den bald bis- 
sigen, bald larmoyanten, bald salbnngsvollen Ton nach- 
geahmt. welchen der Pater bei Schiller anschlagt, nnd 
die Drastik der originellen Scene wird in der Mosik noch 
dadnrch erhobt, dass hier ancb die Reaction der nnfrei- 
willigen Zahorer zn einem treffenden lebendigen Aus- 
dnick kommt. Der Hanpttrompf, welchen die ubermii- 
thigen Landsknechte dem Strafredner entgegenstellen, ist 
das Reiterlied. 

Der vierte Satz der Sinfonie, »Wallensteins Toda hat 
einen kurzen Prolog ;Moderato DmoU '^^ welcher den 
tragischen Inhalt des Kommenden in schreckenden and 
klagenden Tdnen kurz feststellt and dem anglucklichen 
He! den einen edien Traaergesang widmet. Dann beginnt 
mit dem Allegro vivace Ddur ^/^ eine Schilderang der 
letzten Stnnden Wallensteins. £in Tongemurmel, dem 
im Scherzo von Beethoven's Eroica ahnlich, sagt ans, 
dass die Scene in der Nahe des Soldatenlagers spielt, 

Wir horen muntere ^ j ^ ,-^j ■ -■ # r i f ' r ir jii 
kriegerische Weisen : gy f HP ^ ^ I f ^J I ' I Jzjib:- 

Auch Wallenstein scheint ihnen zu lauschen, bis er all- 
mahhch in Traumereien versinkt, druckender Natur die 
einen, liebenswiirdig entziickend die anderen: 

l ^ ,i i iri r I rir ■rTr-ri'rnr i.'ii i| . 

- etc. 

Das Schlussbild seiner Visionen (Allegro G) gleicht einem 
Triumphzuge. Wallenstein erwacht. Wieder horen wir 
den Lftrm des Lagers. Der Fortgang ist wie vorhin. Nur 
lenkt die Traumscene jetzt in eine wunderschone Schlum- 
merscene (Adagio ^/g Hdur) iiber. Zum dritten Male be- 
ginnt darauf die Musik mit der Schilderung des Treibens im 
Lager. Wieder traumt Wallenstein. Jetzt aber werden die 
Motive von grellen Signalen der Posaunen and Trompeten, 
von wilden Figuren, von Dissonanzen und von einem 
grUsslichen Aufschrei des ganzen Orchesters abgelost. Die 



209 ^ 



Katastrophe ist vorbei! Mit einem kurzen Epiloge, dessen 
Knappheit auf die Realistik der letzten Scene sehr be- 
ruhigend wirkt, entlasst uns der Componist. 

Schiller hat neuerdings zu anderen Programmsinfonien 
Veranlassung gegeben, die im Publicum noch wenig be- 
kannt geworden sind: M. Moszkowsky*s » Jeanne d*Arc«, 
J. L. Nicod6*s »Maria Stuart« und H. Ruber's »Tella, 

Eins derjenigen Werke, in welchen zwischen Pro- 
gramm und Musik nur ein lockerer Zusammenhang be- g Hofmann 
steht, ist die vielgespielte Sinfonie >)Frithjof« von Hein- .Frithjof* 
rich Hofmann. Der Componist beschrankt sich auf den 
erotischen Theil der bekannten Sage E. Tegner's, und 
entwirft in.dem ersten, zweiten und vierten Satze seiner 
Sinfonie von dem Glticke Frithjofs und Ingeborg's, von 
ihrer Trennung und ihrem Wiederfinden , eine Schilde- 
rung, welche an und fur sich beredt ist, aber sicher auch 
auf jedes andere Liebespaar ebenso gut passen wurde. 
Das Localcolorit, unter welchem wir die Bilder nach dem 
Titel des Werkes gem sehen mochten, ist in einem ein- 
geschobenen dritten 5atze »Lichtelfen und Reifriesena 
extra beigegeben. Im ersten Allegro der Sinfonie, »Frith- 
jof und Ingeborg« iiberschrieben, wechseln, in der Sprache 
der modernen Oper gefliisterte, zartliche Gestandnisse, 
schmeichelnde und kosende Reden und tiberschwang- 
liche, gliihende Erklarungen. Die beiden Hauptgestalten 
sind in ihren Themen mit Motiven charakterisirt , wel- 
che im Finale der Sinfonie wiederkehren. Frithjof mit 

Allegro. 

■ j^ ^'li 11 ffj/ £//![» , Ingeborg mit: 




Der zweite Satz heisst »Ingeborg's Klage«. Das trauernde 
Madchen ist reprasentirt durch: 

Adag^io. 



jti'Mi/^irl B 




ntrtmiw ^ w 



14 



210 ^ 



und durch das Schumann'sche (Cdur-Sinfonie): 

Pi& animato. 

^h J J__r__\\fJ^ ■» TTdT, ^j^ ^^ , das hoffende durch : 



£, V], * j f fi j J I In der sehr kurzen Durchfuhrung ist 

eine Episode der Erinnerung an Frithjof gewidmet. Sie 
steht auch motivisch mit dessen Thema in einem er- 




kennbaren Zusammenhang : '^ iK rj W 

Die »Lichtelfen« des dritten Satzes (»Intennezzo«) wer- 
den durch folgendes Hauptthema gezeichnet: 

Alleg^ro moderato. 




/»/» Viol. c. sord. 



rVi^r i i rirrii ^n^T i . 



Die »Reifriesen« fuhren liber: 

-IS: a:- 




einen Tanz 



aus, dessen wilder Charakter durch hohe Triller und 
durch compacte Blasermassen noch verstarkt wird. Die 
Erfindung und die Entwickelung der Themen zeigt den 
Einfluss von Mendelssohn und Gade. Das Eigenste des 
Componisten liegt in der lebendigen Farbenmischung , zu 
deren Reizen ein Glockenspiel einen aussergewohnlichen 
Beitrag steuert. 

Der vierte Satz, « Frithjof s Riickkehrw, beginnt mit 
einer anschaulichen Einleitung. Hornsignale tonen von 
alien Seiten, allarmirende Figuren der Violinen rufen uns, 
einem festlichen Ereigniss zuzuschauen. Die heimatlichen 
Helden kehren als Sieger zuriick, wie uns das aus Wag- 
ner'schen und Weber'schen Elementen zusammengesetzte 
und mit einem frischen Kopfe gekronte Haupthema sa- 
gen will: 

Allegro vivaoe. ^ £?#*#?'##♦ #♦ 

Ah Jv'rrrtrA \t\[f fffffif rpffifffrrri 

V //v:,i ■ ■ ■ ■ I I 1 



jy Viol. 



Die Seitengedanken und das zweite Thema: 



i^ rT'^ i f^^ i^i 1 1 Hi ijj ii 1^ ii 



wenden sichintimerenHerzensangelegenheiten zu. Schliess- 
lich erscheint Ingeborg mit ihrem Thema aus dem ersten 
Satze der Sinfonie. 

Eine kiirzlich veroffentlichte Programmsuite H. Hof- 
mann's, »Iin Schlosshofea , gehort zu den besten Lei- 
stungen des Componisten. 

Ebenso und noch mehr lose als im »Frithjof« sind C» Goldmark 
die Beziehungen zwischen Titel und Inhalt in der Sin- *HQ*^g|2lt* 
fonie »Landliche Hochzeit« von Carl Goldmark. Der 
Gegenstand ist fiir ein bescheideneres Genrebild, etwa im 
Umfang und Styl der »Festklange« von Liszt, sehr ge- 
eignet; aber fiir eine Sinfonie oder eine grosse Suite — 
das letztere ist die Goldmark*sche Composition eigentlich 
— nicht wichtig genug. Auch ist der landliche Charakter 
des zur Darstellung gewShlten Ereignisses nicht eben ein- 
dringlich veranschaulicht ; einzelne Partien widersprechen 
ihm geradezu. Aber die Goldmark'sche Sinfonie hat 
ihren musikalischen Werth. Sie verbindet Reichthum der 
Phantasie mit einem theilweise eigenthiimhchen, immer 
aber fertigen und sicheren Ausdruck. 

Der erste Satz besteht aus einer Reihe von 12 Va- 
riationen. F. Lachner hat diese Form fur den Eingangs- 
satz der Suite eingefiihrt. Von ihm unterscheidet sich 
Goldmark dadurch, dass er die Yariationen frei durch- 
fiihrt. Nur wenige bringen das ganze Thema; in einzel- 
nen finden wir nur kurze motivische Fragmente dessel- 
ben, in einer dritten Gruppe herrscht nur ein ideelles 
Verhaltniss zum Modell. Der Ueberschrift nach bedeutet 
dieser erste Satz den »Hochzeit^lnarsch«. Im technischen 
Sinne marschmassig sind nur der Anfang und der zu 
diesem zuruckkehrende Schluss. Die Yariationen haben 
wir uns als Figuren aus dem Hochzeitszug oder als Stim- 
mungsbilder zu denken : einzelne phantastisch oder innig 



212 



und beschaulich; die Mehrzahl flott, feurig und freude- 
Yoll. Das Thema selbst beginni, in den Bassen allein, 
mit folgender Periode: 



Moderato. 






welcher der entsprechende Nachsatz folgt. Es schliesst 
mit einem freien Abgesang: 



mriririnrr/ipTpTipttji i pf *;i^'r''rcj i r' 

dessen lange Noten sich sehr hiibsch in den Variationen 
bemerklich machen. Von besonderem Reize ist die In- 
strumentation des Satzes. 

Der zweite Satz — »Brautlied« Uberschrieben — ist 
eine knappe Composition in der Form der dreitheiligen 
Arie. Der Hauptsatz hat reizende Elemente Schubert- 
scher Melodik. Sein fuhrendes Thema ist das folgende: 

Allegretto. 



p ^\\ rjirf . i ;';t^ rr \ a\ un n 



p^CluJ 



Dem Mittelsatz 




giebt 



die ungewohnliche Wahl der Ton art (Unterdominante) 
den Charakter grosser Warme. 

Der dritte Satz, » Serenade «, halt die kunstvollere 
Form der Sonate ein. Seine Themen: 

Allegro moderato. 




i» Clar. 



und das in der Durchfuhrung bevorzugte: 



^ ^»i j;? i r pp t^i rpp ^J!^i llQ r^Pnrrrrp 



sind beide leichter scherzender Natur. In der Instru- 
mentirung, die zuweilen eine dorfmassige Einfachheit be- 
sitzt, und in der Harmonie, in welcher die liegenden Bass- 
quinten eine grosse Rolle spielen, hat der Componist 
landliche Ziige sehr launig eingewebt. 



-^ 213 -»- 

Der langsame Satz der Sinfonie fiihrt den Titel »Im 
Garten«. Die Einleitung dieser Scene und der mit ihr 
identische Ausgang wird mit Recht als der schonste Mo- 
ment der ganzen Sinfonie angesehen. Das Thema, wel- 
ches demselben zu Gninde liegt: 

Andante, piar. i i i jj 

■^ r » - f 1 1*-'^ J J* ^ I J J I J ^^ bildet in dem 



wilden Finale der Sinfonie dann nochmals eine kurze, 

zarte, traumerische Episode. Den mittleren Theil des 

Satzes (Gesdur, i2/g)_Tact bildet ein Liebesdialog, in der 

gliihenden Sprache von Wagner's »Tristan und Isoldes 

gefiihrt. 

Der Schlusssatz der Sinfonie heisst Tanz. Sein Haupt- 

thema : 

Allegro molto. _ :». ^ 




welches zunachst in der Form der Fuge ausgefiihrt wird, 
bringt kecke und volksthiimliche Elemente in die Com- 
position hinein. Unter alien Theilen der Sinfonie ist das 
Finale derjenige, welcher den landlichen Charakter der 
Hochzeit am treuesten veranschaulicht und ein wirkliches 
Stiick realistischer Programmmusik bildet. Eigenthiim- 
lich und mehrdeutig sind die nach Klang und Tonart so 
fremden Hornaccorde, welche an mehreren Stellen des 
Satzes mitten in den starksten Tumult hineintonen. 



Von dem Zeitpunkte ab, wo Haydn ihre Umgestaltung 
begann, blieb die Sinfonie den Deutschen ziemlich allein 
tiberlassen. Nur die Franzosen stellten in langeren Abstan- 
den einzelne nennenswerthe Mitarbeiter, wie: Gossec, 
M6hul, Berlioz. Nach Analogie der Entwickelung, welche 
die Vocalmusik, zuletzt noch in der Oper, genom- 
men hatte, war anzimehmen, dass eines Tages auch die 
Geschichte der Sinfonie den interna tionalen Charakter 
tragen und dass der Wettstreit der Nationen sich auch 
dieser Kunstgattung bemachtigen werde. Nach 80 Jahren 



-♦ 2U ^ 

trat diese Wendung endlich ein. Doch erfolgte sie mit einer 
ebenso wichtigen als iiberraschenden Nuance. Die neuen 
Sinfoniker kamen aus Landera, welche sich an der hdheren 
musikalischen Kunstarbeit bisher nicbt betheiligt batten. Sie 
bracbten neue Weisen, neue Kl&nge, einen ganzen Scbatz 
von Naturmusik mit, fur welcben die Stimmung durch 
die Arbeit der Romantiker aufs Giinstigste vorbereitet 
war. Mit den Programmsinfonien theilen die nationalen 
das realistische Element in der Darstellung; der pathe- 
tische und hochdramatische Zug jener ist ibnen bis auf 
einzelne neueste Ausnahmen russischer Herkunft fremd. 
Ihr liebstes und eigenthumlichstes Gebiet ist das Genre. 

Das erste Interesse fiir die Musik der sogenannten 
Nebennationen erwachte schon am Ende des achtzehn- 
ten Jahrhunderts. Noch ehe Herder's »Stimmen der V61- 
ker« erschienen waren, lenkte Delaborde's »Essai sur la 
musique etc.« die Aufmerksamkeit der gebildeten Musik- 
welt auf die Gesftnge und die Tanzweisen der bisher 
musikalisch unbeachtet gebliebenen Nationen, Die AU- 
gemeine Musikalische Zeitung verfolgte vom Anfang ihres 
Bestehens (4 798) alle Erscheinungen auf diesem Gebiete, 
die Sammlungen und die Berichte. Die wesentlichste 
Beachtung erregten die Scandinavier. Bei ihnen nahm die 
Pflege der alten National weisen zuerst wissenschaftliche 
Formen an, und sie lenkten diesen Schatz zuerst in das 
Gebiet der Kunst hiniiber. Kuntzen, Weyse, P. E. Hart- 
mann schrieben die ersten d^nischen Opern, Opern, in 
welchen der Stoff der Handlung und ein Theil der Me- 
lodien vaterlfindisches Gut waren. Hierdurch angeregt 
und ermuntert, componirte der junge Dane Niels Gade 
seine bertihmte Ouvertiire ^Nachkiange aus Ossian«, wel- 
cher i. J. 4 843 schon seine Cmoll-Sinfonie folgte. In dieser 
Sinfonie fanden die Kenner und die Freunde der nordi- 
H. (Jade schen Poesie den Geist der Frithjofsage und der Edda 
C«oll-Sinfonle. y^jg^gj. gje erschien ihnen wie ein nordisches Musik- 
epos, welches von den alten, gewaltigen Recken und 
ihren Kriegen und Siegen, von schlichten Jagem und 
Hirten und ihren naiv frohen Festen, von einer Natur, 



-^ 215 -^- 



welche unter unscheinbarer Hiille intimen Reiz barg 
und von freundlichen Elementargeistern belebt war, er- 
zahlt. Wie der Stoff neu und poetisch, so war die Dar- 
stellung liebenswiirdig. Das nordische Element drang 
sich nirgends ausserlich auf, technisch blieb es in einigen 
diisteren Balladenmelodien und in kurzen Dialogen der 
Biaser versteckt. Im Style der Composition begegnete 
man dem romantischen Charakter der Zeit. Es war ein 
schoner menschlicher Zug in ihm, dass er der begeister- 
ten Schilderung einen wehmiithigen Ton beimischte, einen 
Ton, welcher der Trauer dariiber Ausdruck zu geben 
schien, dass jene Welt, die in der Tondichtung mit ihren 
Gottern und Helden auflebte, in Wirklichkeit langst da- 
hin gegangen war. In diesem Sinne beginnt der erste 
Satz der Sinfonie mit einem klagenden Prolog: Ein me- 
lancholischer Flor liegt iiber der liebevollen Melodie, die 
wie aus der Feme wahrend der Einleitung durch die In- 
strumente zieht. 

Moderato. 



BLoaeraio. Ylol 

pp" - — • 




!ixi^'iJU i J.jJ l iJ J i'4.jJ 



"» J J J ' J J J ' J I l^= - Dann aber ergreifen die 



Trompeten das Wort und leiten eine Scene ein, in der 
sich rauhe Krafte machtvoll regen. Das Thema 

Allegro. A Bis««r ji 



Viol.1 






■'■ft 



^WW^ 



durch mehrfache Wiederholungen ge- 
l "" ^ * I steigert, bildet den Hintergrund des 
'^ "^ ■ ' Bildes: Der Held tritt auf mit seiner 

Schar: 



216 



Allegro. ^ . ^-^ 

"*^ j^ "^ ' "^ ist uns aus 

der Einleitung bekannt; nur kraftiger und fester steht 
sie hier vor uns. Mit diesem einen Thema hat Gade den 
ganzen Satz bestritten, bald rtickt er ihn in die Feme, 
bald in eine dustere, bald in eine freundlichere Beleuch> 
tung, wendet ihn hier ins Traumerische, dort ins Heroi- 
sche. Nut wahrend der kurzen Durchfiihrung, in welcher 
der 6/4 -Tact der Einleitung wieder einsetzt, tritt ein 
freundlich sinnender Nebengedanke ein: 

Als zweiter Satz folgt ein Scherzo (Gdur ^/g-Tact). 
Das Thema hat in der ersten Halfte nur rhythmisches 
Leben: Melodielos, fassungslos vor freudiger Aufregung, 
rollt es in schnellen Achteln dahin — die zweite Halfte 
bildet ein keckes Citat aus dem Hochzeitsmarsch der 
»Sommernachtstraum « - Musik. Auch im Trio begegnet 
sich Gade mit Mendelssohn. Seinen motivischen Inhalt 
bildet im vorwiegenden Theil eine jener schattenhaft da- 
hinhuschenden Figuren, die Mendelssohn in den phan- 
tastischen Satzen einbiirgerte : 

Vivaee. ^ jf^ 

^ Der Nachsatz 




rtcT treibt ein an- 

p. Viol. c. Bord. 

muthiges Spiel mit Motiven, die der Natur abgelauscht 
zu sein scheinen: 




Den Kern des dritten Satzes (Andantino grazioso, 
Fdur ^4) bildet ein freundlich ernster Gesangssatz, des- 
sen Hauptperiode folgende ist: 



Andantino. 




-<o- 217 ♦- 



Die kurzen Zwischensatze , welche die Wiederhblungen 
dieser Hauptgruppe auseinanderhalten, haben den oben 
bertihrten klagenden Charakter und ruhen auf folgendem 



, . C or. 

Motive: m ^ ■ ^^E^=fca£^±4=3= J ^tt * ^- EinTrio- 



lenrhy thmus , welcher zuerst in der Cellofigur 



fc y ' , r' p pjtf r_r C^iF=^ I ' ' ^^^^ri^t ^^^ dann durchgefiihrt 
1 ^ i^- \jm ±_^ L- ' wird, wirft in die zweite Halfte 

des Satzes hellere Lichter hinein. 

Der letzte Satz beginnt mit einem wahren Freuden- 
allarm. Mit ausgelassenen Dissonanzen setzt das Tutti ein: 

Molto Allef ro. 

£^^\^\^}^} ^^ im breiten Behagen wiegt es sich 



j I J j { J j I schier endlos, wenn die frohliche 



«to. 



Hauptmelodie, deren Schubert'sches Gesicht nicht zu ver- 
kennen ist, angestimmt werden soil: 

ri^'"^?''^?'f rp i rrffrn i rr i f- ^ 



f 1)T tj r I ^ ' • ^^^ ^^^^ ^^^ ^^ selbstandigen, schonen 



Themen liberreich. Mit besonderer Wucht macht sich 
folgende Melodie der Blaser geltend: 



Trrir^ i .-.-r^ U'^ i n-'j i ^ i i° i-'t ' 



die das gesammte Streichor Chester mit breit arpeggirten 
Accorden, wie mit machtigem Harfenklang umrauscht. Die 
ausserordentlichelnstrumentirungskunst, welche Gadein der 
ganzen Sinfonie beweist, feiert hier ihre starksten Triumphe. 
Wenn die Trompeten ihre frohlichen Signale in die glan- 
zend kraftige Scene hineinwerfen, welche um den eben 
skizzirten Gesang sich bildet, da steht Burger's »Lenore« 



-0- 218 *- 



vor uns: »Und jedes Heer mit Sing und Sang — Mit 
Paukenschlag und Kling und Klang — Geschmiickt mit 
griinen Reisern — Zog heim zu seinen Hausern!« 
Auch das Heldenthema aus dem ersten Satze der Sin- 
fonie hat Gade in das Finale hineingezogen. Dass die 
Menge des poetischen Stoffes in diesem Schlusssatze nicht 
ganz bew&ltigt worden ist, l£lsst sich nicht verkennen. 
Auch die anderen SUtze kann man formell vollendet 
nicht nennen, besonders das Scherzo ist unverhaltniss- 
massig breit. Doch aber bleibt der Sinfonie ein mach- 
tiger Zug in der Gestaltung, und in ihren nordischen Me- 
lodien und Motiven ein originelles Element von sicherer 
und grosser Wirkung. 

Unter den ubrigen Sinfonien Gade's — es giebt im 
-„'«^* *.- Ganzen acht — ist die vierte (in Bdur, 4854 veroffent- 
licht) die verbreitetste. Ihr Scherzo — es hat einen 
Spohr'schen Zug im Hauptsatz und zwei allerliebste 
volksmassige Melodien als Trios — ist der beliebteste 
unter den vier Satzen. Im ersten Allegro tritt das scherzende 



Seitenthema : 



und die schelmisch liebenswiirdige Episode 

f ^l f/ l /f I 'f f lf'YI^;i;f l V^ vor der letz- 

ten Intonation des krUftigen Hauptthema ; im letzten Satze 
das recitativartig , zogernd und fragend in den Violinen 
beginnende zweite Thema hervor: 

Allegro. 



B dur-Sinfonie. 







^ r I M' I 



I ■■ I * I '1 ^ 




Es sind die wirklich eigenartig gedachten Stellen der Sin- 
fonie. Das ganze Werk ist von dem abgeklarten Geiste 
milder Anmuth beherrscht und formell eine der reifsten 



-^ 219 *- 

Arbeiten der neueren Composition. Gleichwohl steht sie an 
geschichtlicher Bedeutung hinter der weniger abgerundeten 
Cmoll-Sinfonie Gade^s tiber alien Vergleich weit zuriick. 
Denn in der spateren Sinfonie ist Gade ein hervorragen- 
der Vasall Schumann's und Beethoven's, in jener ersten 
aber erscheint er als die Spitze und der Fiihrer einer neuen 
Epoche. Jene Cmoll-Sinfonie gab der hoheren Instrumen- 
talmusik Impulse von grosster Bedeutung. Sie lenkte mit 
frischer Scharfe den Blick auf die nationalen Lieder und 
Tanze, und bewies, dass dieser Schatz auch fur die 
grossen Formen der Composition nutzbar gemacht wer- 
den konne. Sie appellirte an die Heimathsliebe der Ton- 
setzer in alien L^ndern und leitete eine Bewegung ein, 
die jedenfalls zu den wichtigsten Erscheinungen der neue- 
ren Musikgeschichte zahlt. War diese Bewegung im Liede, 
in der Claviermusik (Field, Chopin), in der romantischen 
Oper Weber's, Boieldieu's, Auber's auch schon vorbe- 
reitet, so gebuhrt Gade doch das Verdienst, sie auf das 
wichtige Feld der Sinfonie gelenkt und da in Fluss ge- 
bracht zu haben. 

Wir haben heute eine Reihe solcher auf nationalen 
Elementen ruhender Sinfonien und sinfonieartiger Werke, 
von denen einige auch im Repertoir Fuss gefasst haben. 
Der danischen Schule gehort zunHchst Emil Hartmann 
an, dessen Esdur-Sinfonie in Styl und Stoff unmittelbar an 
Gade anschliesst. In denselben Kreis sind auch die Nor- 
dischen Suiten von A, Hamerick zu stellen, welche 
allerdings mit Mendelssohn'schen, Wagner'schen und an- 
deren Elementen stark getrankt erscheinen. Ein Posi- 
tives besitzen sie in ihrem eigenen Klangleben. Dem Ver- 
standniss kommen ihre Ueberschriften entgegen. Norwe- 
gen und Schweden sind in der Sinfonie neuerdings 
durch S. Svendsen, in der Claviermusik durch E. Grieg 
speciell vertreten. Diesen beiden »Jungscandinaviern« 
wird zuweilen bewusste Opposition gegen Gade und seine 
danische Schule zugeschrieben. Nur bis zu einem be- 
schrankten Punkte geschieht das mit Recht. Die Ver- 
schiedenheit beider Schulen beruht auf den benutzten 



-^ 220 -ft-- 

Quellen. Die danischen Volksweisen haben vorwiegend 
einen ernsten und strengen Charakter; in ihrer techni- 
schen Structur sind sie jedoch vorwiegend abendlandisch. 
Die scandinavischen Melodien hingegen, welche Grieg 
und Svendsen benutzen, weisen auf ein fremdes Ton- 
system bin, das sicb abseits des grossen europaischen 
Kunststromes entwickelt hat. Stellt man sie, wie es die 
genannten Tonsetzer thun, in unser bekanntes Harmonie- 
gebaude ein, so zwingen sie zu einer freieren Behand- 
lung der Dissonanz, zu manchem grellen Wechsel zwi- 
schen Dur und Moll und zu Accordfolgen , welche uns 
ungewohnt beriihren. Sie reprasentiren eine eigenthum- 
liche Empfindungswelt, in welcher das Traumerische einen 
breiten Raum einnimmt. Ein starker Scbatten von Me- 
lancholic liegt in der Kegel auch noch uber den kurzen 
Tanzweisen, an welchen der norwegische Tonschatz be- 
sonders reich ist. Sie bilden Idyllen, in welchen zu dem 
ergotzlichen Moment auch ein ruhrendes hinzutritt. Das 
letztere liegt in der Beschranktheit der melodischen und 
rhythmischen Kreise, in welchen sich ihre Munterkeit be- 
wegt. In diesem Punkte beriihren sie sich mit der sla- 
vischen Volksmusik. 
J. S. Svendsen Svendsen giebt namentlich in seiner D dur -Sin - 
Ddur-sinfonie. fonie bezeichnende Proben von den Formen und auch 
von der Seele seiner heimathlichen Volksmusik. Das 
Hauptthema des ersten Sates ruht in seinem Grundmotiv 
auf einer kurzen scandinavischen Tanzweise: 
Xolto Allegro. 

h ^f f r ifpr l^pr if or i . Das zweite Thema, 




eine suchende und sehnende Gestalt, bildet gegen die 
drangenden und heftigen Elemente dieser frohlichen Melo- 
die einen sehr starken Contrast. Es besteht nicht aus 
einer einfachen Melodie, sondern aus einer Gruppe melodi- 

scher Satzchen, unter denen dasMotiv= ft j^ \" f ^ f ^ 

fiir die Entwickelung des Satzes die Hauptrolle iiber- 
nimmt. In dem Entwurf dieses Satzes liegt sehr viel 



-* 221 -&>- 

Genialitat. Der Gegensatz zwischen froher Lebens- 
lust und sinniger TrSumerei, welchen die Themen aus- 
sprechen, tritt auch da auf, wo wir ihn nicht erwarten, 
z. B. in der Entwickelung des Hauptthemas selbst, und 
bewirkt unaufhorlich ungesuchte Effecte, kleine und grosse. 
Eine besondere Kunst liegt in der raschen Modulation 
der Stimmungen. Mil einem Schlage versetzt der Com- 
ponist uns aus der Majestat der Bergwelt in die stille 
Schonheit der Fjords. Die dynamischen Mittel nament- 
lich sind mit frappantem Erfolge benutzt. Das einzige, 
formell etwas unreife Element dieses Allegros bilden die 
Fugatos, welche iiber das erste Thema versucht werden. 
Die aus der Hingabe an das Wesen der Volksmusik 
fliessende Neigung zu einfacher Elementarwirkung zeigt 
sich auch in dem Andante der Sinfonie: an der Stelle 
besonders, wo das zweite Thema mit den langen, ,leisen 
Accorden der Streichinstrumente eingeleitet wird, iiber 
welche die Blaser einander sanfte Hirtenmotive zusingen. 
Das Hauptthema dieses Satzes, ein edler breiter Gesang, 
welcher zuerst auf den tiefen Saiten der Violinen erklingt: 

ij* .i» .. .^' i I 11 . I I I , dient im weiteren Ver- 



^M !i , I . I I I ■ I I I == aieni im weiteren Yer- 
& " ^i J IJ J ■' l'^)^ \ iJ lauf des Satzes dazu, 



f 

das glanzende coloristische Talent des Componisten 
zu entfalten. Von besonderer Schonheit ist die Stelle, 
wo es als Hornmelodie von den Pizzicato-Rhythmen der 
Geigen umspielt wird. 

DennordischenCharakter der Sinfonie bringt der dritte 
Satz derselben, ein Allegretto scherzando (Gdur -/4) am ent- 
schiedensten zum Ausdruck. Zwar fangt erin deutscher Ge- 



muthlichkeit an : ^ ^ i J J \ JJ J J \^J i i \ QjJ I Q . 



Aber schon nach 4 2 Tacten beginnt der zweite Satz mit 

einem Motive: A HAj f I T f r f'^ffJ J 1 1* * -f dessenscan- 
dinavische Abkunft durch die untergelegte Harmonie noch 



-0- 222 *- 

deutlicher wird. Von derselben Natur ist das Thema 
des dritten Abschnitts, der in Bdur einsetzt: 




> FlBt« 

Ziemlich spannend klingt er lange aus. Da setzt in den 
Violinen mit ganz wunderbar zart belebten Tonfarben — 
die auf geschickter Benutzung einer seltenen Spielart be- 
ruhen — A dur ein, und daruber intoniren die Holzblaser 
eineneuenordi- ^ ^iJ^ «iJ* «f ? 

sche Melodie: I <ri<> ^f &■«/ | fX' ' f'' f-T I f'^"^ ^ 

Sie ist von Hause aus von etwas derberem Schlage, ent- 
faltet aber ihren ganzen schwerfallig drolligen Charakter 
erst dort, wo sie Basse und Violinen im Canon durch 
ein gewaltiges Forte fuhren, das Trompeten und Horner 
stiirmisch genug einleiten. Schnell wie es gekommen, ist 
es auch vorbei. Der Componist zieht mit der ihm eige- 
nen Raschheit einen phantastischen Schleier iiber die 
Scene, unter welchem sich allmahlich das erste Thema 
des Satzes wieder zu regen beginnt. Es folgen nun Re- 
petitionen in freier Folge. Die Form, durch welche die 
grosse bunte Menge lustiger Bilder in diesem Satze fest 
zusammengehalten wird, ist eine Modification des Rondo- 
satzes. An der Wiederkehr des gemachlichen Haupt- 
themas hat der Zuhorer immer wieder einen Anhalt und 
Sammlungspunkt. 

Das Finale beginnt mit einer Einleitung. Alle The- 
men sind nordisch. In der Durchfiihrung uberwiegt die 
Arbeit die Phantasie. Ein sehr schoner Moment der In- 
spiration ist der Eintritt des zweiten Themas. Er ge- 
bietet den Wolken, und siehe: es erscheint ein freund- 
licher Stem. Dass dieses zweite Thema nichts anderes 
ist, als die Melodie der Einleitung, nur in schnellerem 
Gang, hebt nur die Wirkung. 
J. S. Svendaen Die zweite Sinfonie Svendsen's (Bdur) beruht auf 
Bdur-Sinfonie. einem tieferen Stimmungsgrunde als seine erste. In alien 
ihren Satzen lauert die Schwermuth, und noch im Finale 



-^ 223 -&- 

wechseln die Momente des gewaltsamen Aufraffens der 
Kraft mit Augenblicken ganzlicher Verzagtheit. Am freie- 
Sten von truben Anwandlungen halt sich der dritte Satz, 
eine als Intermezzo bezeichnete Pastoraldichtung, die 
Beethovensch beginnt und dann ganz in dem nordischen, 
neckischen und kindlichen Schalmeienton aufgeht. Auch 
der erste Satz hat eine ausgepragt norwegische Melodie in 
seinem zweiten Thema, welches in diesem Satz die Rolle 
des guten, trostenden, mit Heimaths- und Jugendbildern 
zusprechenden Geistes iibernimmt. Im Andante, das 
manchen Brahms'schen Zug enthalt, hat der freundliche 
Gegensatz in einem kurzen, immer repetirenden — oft 
bescheiden versteckten — Achtelmotiv einen riihrend nai- 
ven, unschuldigen Ausdruck gefunden. In der Form reifer 
als die D dur-Sinfonie, zeigt sich Svendsen in der zwei- 
ten Sinfonie doch weniger originell. Ausser den bereits 
angefiihrten Meistern gehoren noch Schumann (im ersten 
Satz], Schubert (im dritten) zu den Componisten, deren 
Einfluss bemerkbar wird. 

Auch der Englander F. Cowen hat vor einigen Jah- 
ren eine »Scandinavische Sinfonie« veroffentlicht, welche -p, Oowen 
von der Mehrzahl der deutschen Concertinstitute mit Bei- gcandinavische 
fall aufgefiihrt worden ist. Diese Sinfonie gehort je- sinfonie. 
denfalls unter die bedeutendsten Instrumentalcompositio- 
nen, welche seit Jahrzehriten jenseits des Canals ent- 
standen sind. Ware der erste Satz, dessen melancho- 
lisches Hauptthema 

Moderato. 

schliesslich zumQualgeist wird, etwas reicher an Ideen, und 
der letzte ein total anderer, so wUrde diese Sinfonie unter 
diehervorragendsten neuerenNummernihrer Gattungeinzu- 
reihen sein. Die einfachen Ideen des Andante mit dem 
Titel wSommernacht am Fjord«, in welchen ein (im Ne- 
bensaal zu versteckendes) Hornquartett die Traumerei der 
Violinen mit derben Tanzweisen unterbricht, die ganz 
wie aus der Feme heriiberklingen , haben die Poesie und 



-♦ 224 *- 

den Effect fiir sich. Ebenso ist das Scherzo in anderer 
Art wirksam und frappant: ein freundliches Gespenster- 
stuck, in welchem der fliichtige, schattenhafte Charakter 
mit einer genialen Consequenz durchgefuhrt wird. Die 
Geigen hinter Sordinen mit einem eiligen Motive huschend 

Alleg^ro molio. 

jt*'!.} Tj" 11^=31 \iTi ^ ^^ > der Mittelsatz, ein 



Nebel aus zitternden Rhythmen und mysteriosen Modu- 
lationen, in den die Blaser nichts als Accordnoten 
hineintropfen : das Ganze getrieben vom hellen Klang des 
Triangel. Es ist seit der »Fee Mab* von Berlioz in dieser 
eigenen Art von Phantastik vielleicht kein so runder und 
gelungener Satz componirt worden ! 

Gade's Weckruf fand aber auch weit liber die scan- 
dinavischen Lander und Kreise hinaus seinen Wieder- 
hall. Am wenigsten von Belang ist das, was aus Un-* 
garns grossem originellen Musikschatz fiir die grossen 
Formen der Orchestercomposition fruchtbar gemacht 
wurde. Wir registriren hier einfach die Ungarischen 
Suiten von H. Hoffmann und von Raff, 

Von den Franzosen nennen wir G. Bizet's Suite 
I'Arl^sienne und B. Godard's Scenes po^tiques als her- 
&. Bizet vorragende Beitrage zur Nationalmusik in Suite und Sin- 
•lAri^sienne. ^^^^^' ^i® Suite Bizet's bringt eine Reihe von Orchester- 
satzen, welche urspriinglich zu der Musik gehorten, welche 
der Componist der »Carmen« fiir das Schauspiel Daudet's ; 
PArl^sienne d. i. das Madchen von Aries geschrieben 
hatte. In der durchaus geistreichen Musik sind mehrere 
proven (J alische Volksweisen verwendet worden. Der pi- 
canteste und kunstvollste Satz ist das Finale, »Carillon« 
genannt. Die Horner wiederholen in ihm unaufhorlich 
das Motiv eines Glockenspiels: gis e fis. 

Godard's Scenes po^tiques sind kurze pastorale 

B. &odard Skizzen: »Im Walde«, »Auf der Flur«, »Im Gebirge«, »Im 
Scdnes Dorfe«. Ein anmuthiger, keeker Jugendgeist, der in der 

po^tiques. Naturschwarmerei nur eine Gastrolle zu geben scheint, 
spricht daraus. Thematisch sind die kleinen Satze noch 



-^ 225 -0- 

loser und leichter als die der Bizet'schen Suite entworfen 
und durchgefuhrt. Ihr Ha,uptreiz liegt in der wirklich 
poetischen Instrumentation. Der letzte Satz, bei welchem 
die grosse Trommel bedeutend mitwirkt, ist der origi- 
nellste und zeigt das eigentliche Schelmengesicht des 
Autors. 

Von italienischen Beitrftgen zu der nation alen Rich- 
tung ist die Sinfonie von G. Sgambati zu erwahnen, 
in deren viertem Satze, ))Serenata« betitelt, eine italie- 
nische Volksmelodie gebracht wird. Die Sinfonie Sgam- 
bati's ist diejenige unter den Werken der Gattung, welche 
am starksten das nationale Element mit dem leiden- 
schaftlichen Style der Programmmusiker verbindet. 

Von den Slaven haben wir zunSchst Anton Dvo- 
rak zu nennen. Der ausgesprochen nationale Satz in ^* Dvorak 
dessen Ddur- Sinfonie (op. 60) ist das Scherzo. Es un- ^^^'^"S^^^^'"^®- 
terscheidet sich in Form und Charakter kaum von den 
bekannten und bedeutenden »Slavischen Tanzen« dieses 
Componisten und soil wohl auch durch den iiberschrie- 
benen Titel: »Furiant« dieser Gattung zugewiesen werden. 
Ein wildes Blut wallt in diesem Satze; zu der Frische? 
mit welcher sein Hauptthema herein stiirzt, gesellt sich 
auch ein querk5pfiges Element, eine eigensinnige Ausge- 
lassenheit, die in einem aus Beethoven's vierter Sinfonie 
bekannten Wechsel von Zweiviertel- und Dreivierteltact 
und in den dissonirenden Vorhaltsnoten deutlich zum 
Ausdruck gelangt: 

Presto. 




f I 'rp . n 



P ^^f 1? ^ | f "tjf r l"^ f^r f I ^®^ Hauptsatz ist nur 
^ ite. sehr kurz, der Mittelsatz 

dagegen im Beethoven'schen Style breit ausgefiihrt und 
mit einem neuen Thema bereichert. Es ist folgendes: 




15 



^ 226 ^ 




erese. 



Das hier mit b) bezeichnete Schlussglied ist dasjenige, 
welches in der jetzt beginnenden Durchfiihrung beider 
Themen bevorzugt wird. Die im Anfangstheile der neuen 
Melodie liegenden weicheren Elemente bleiben im Hin- 
tergrunde. Das Trio dieses Scherzo entwickelt sich in 
seinem ersten Theile ziemlich zogernd: Sein Thema baut 
sich stiickweise auf und schliesst fragend und unent- 
schieden : 

Keno 




Der Klang des Piccolo bringt darin das national slavi- 
sche Element sehr drastisch zur Geltung. Von der zwei- 
ten Halfte des ersten Theils und durch den anderen Theil 
des Trios regt sich's dann freundlicher: durch die Blaser 
und die Celli streifen ruhige Gauge, die nach Melodie 
zu suchen scheinen. Einen ausgesprochenen wirklichen Ge- 
sangton vermeidet der Componist, der in seinem Scherzo 
weniger einen heiteren Satz, als ein musikalisches Cha- 
rakterbild geben wollte: das Gemalde einer mit unwir- 
schen Elementen kampfenden Frohlichkeit. Das Scherzo 
ist in der Form der einfachste imd iibersichtlichste Satz 
der Dvorak'schen Sinfonie. Die anderen Satze stellen in 
Betreff der Gedankenentwickelung und der durch sie be- 
dingten Form dem Zuhorer durchschnittlich schwere Auf- 
gaben, und es scheint uns durchaus nicht ein blosser 
Zufall zu sein, wenn das Publicum dieser Sinfonie etwas 
kiihl gegeniiber steht. Namentlich durch den ersten Satz 
und durch das Finale geht ein unsteter Zug. Die Phan- 
tasie hat die Menge der Gesichte nicht bewaltigt; die 
Ideen durchkreuzen und verdrangen einander, die Episo- 
den vergewaltigen die Hauptgedanken, und die ganze 
Darstellung macht das Folgen und Verstehen zu einer 
harten Arbeit. 



227 -fr- 



Dererste Satz hat in seiner Themengruppe nicht weniger 
als sechs verschiedene Ideen, welche um dieFuhrung ringen. 

Diese vier Tacte bilden die vordere Halfte des Hauptthema, 
dessen erster Abschluss bereits bedeutend hinausgeschoben 
wird. Nach einer etwas stiirmischen Unterbrechung im be- 
schleunigten Tempo kehrt das Thema im glanzenden Eorte- 
Klang, aber nur auf einen fliichligen Augenblick zuriicfc. Vor 
dem Eintritt des zweiten Thema passiren wir noch eine 
Reihe von Nebenmotiven, aus denen das folgende als 
das ftir die Satzentwickelung wichtigste hervorzuheben ist: 

Das zweite 
Fi3f Thema {in 

Hdur gestellt) gelangt zu keiner Bedeutung, dagegen 
nimmt der ihm folgende Nachsatz: 





im Ideenkreise des Allegro eine hervorragende Stellung 
ein. Der ganze Satz gewahrt das Bild einer um freund- 
liche Ziele kampfenden Stimmung, und enthalt in seinen 
heiteren Partien eine Menge liebenswiirdiger Ziige, blu- 
hende musikalische Einfalle pastoralen und idyllischen 
Charakters. In ihnen ist ein leichter Einfluss Schubert's 
zu bemerken, wahrend fur die pathetischen Excurse, die 
den weniger gelungenen Theil des Satzes bilden, Beet- 
hoven und noch mehr Brahms augenscheinlich zum Muster 
gedient haben. 

Das Adagio (Bdur 2/4) wird von folgendem Hauptge- 
danken beherrscht: 

Adaeio. 




Als zweites Thema folgt ihm ein schwarmerisch zart- 
licher Gesang: 



45 



Si* 



228 



viol. 



in» 



Celli 







dessen Einfiihrung durch eine kurze 

selbstandige Episode, von freudigem Aufschwung beherrscht, 
wunderschSn vermittelt wird. Der ganze Plan des Satzes ist 
noch leicht zu iibersehen : Nach dem Abschluss deiS Seiten- 
themas repetirt die Hauptmelodie, und die eben erwahnte 
Episode leitet zu einer kurzen Durchftihrung liber. Letztere 
setzt mit leidenschaftlicherBewegungein,geht abersehrbald 
in den milden tralumerischen Ton liber, der dem ganzen 
Adagio seinen Charakter giebt. Auch durch seine melo- 
dischen und modulatorischen Wendungen erweist es die 
Verwandtschaft mit dem langsamen Satze von Beetho- 
ven's Neunter. Im Finale seiner Sinfonie steht Dvorak 
wieder auf dem Boden, auf welchem seine dichterische 
Kraft das Eigenartigste und Beste giebt. Die Themen 
dieses Satzes, von denen wir als die hauptsachlichsten 
folgende zwei citiren: 

Allerro con spirito. 



Aiieg^ro con vpiruoj ^ 

U ' n 1 ''^? 1 1 r p r 1 1 rTTf ir pr^^^ ^ , < r cc rr cS* 




sind echt bohmische Melodien, 

die uns an die alte Wiener Sinfonie, an Wenzel Miiller, 
an lustige Sonntags-Nachmittage und an vergnugte Men- 
schen erinnern. In der Durchfiihrung verlasst Dvorak die 
in diesen Weisen gegebene Sphare, zogert und scheint 
tiber die Berechtigung der fidelen Motive in Bedenken zu 
gerathen. Dieser Theil enthalt sehr viele humoristische Ziige 
von grosser Wirkung. Ausserordentlich drastisch ist der 
wilde Einsatz , mit welchem die Horner das Motiv 

. flS jjlt r p r ■ in das pp. des Orchesters hineinwerfen. 

Jedoch nimmt das capriciose Element das Interesse des Zu- 
horers etwas zu lang und zu kiihn in Anspruch. Der Satz 
schliesst mit einem Presto tiber das Thema a). 



-fr 229 *- 

Von weiteren national gefarbten Beitragen bohmischer 
Componisten zur Suite und Sinfonie ist wenig bekannt 
geworden. Wir erwahneh die gedruckte Suite von A. 
Hrimaly wegen ihres »IntennezzoM. 

Starker als in anderen Landern hat sich der.Cultus 
nationaler Musik "in Russland entwickelt. Die hohere 
Orchestercomposition ist hier fast ganzlich in seinen 
Dienst getreten, und selbst diejenigen Componisten, deren 
Bildung eine entschieden westliche und intemationale ist, 
konnen sich jener nationalen Stromung nicht entziehen. 
Das patriotische Streben der jungen russischen Tonsetzer 
wird durch den Reichthum an heimischen Weisen begiin- 
stigt, iiber welche das vielstammige Riesenreich verfiigt. 
Augenscheinlich sind es die der Cultur femer stehenden 
Volkerschaften, zu deren musikalischen Schatzen sich die 
Vertreter der im Entstehen begriffenen Schule besonders 
hingezogen fiihlen. An Gedankengehalt bieten die Wei- 
sen dieser Naturvolker durchschnittlich wenig: vorwiegend 
kurze Tanzweisen , welche sich durch fortgesetzte 
Wiederholungen desselben Motivs weiter fristen. Sie 
halten in Bezug auf melodischen Werth keinen Ver- 
gleich aus mit dem, was die Ungarn und Bohmen auf 
diesem Gebiete aufzuweisen haben, und selbst die Melo- 
dien der Scandinavier sind ihnen an Reichthum der Phan- 
tasie, an Freiheit und Mannigfaltigkeit der Form iiberlegen. 
In dieser Beziehung bieten die russischen AUegrothemen 
der kiinstlerischen Behandlung grosse Schwierigkeiten. 
Aber diese Nomadenmusik hat andere Seiten, von wel- 
chen aus sie auf die kunstmassige Composition sehr be- 
lebend einwirkt. Sie neigt zu dramatischen Formen und 
bietet im rein Klanglichen die erstaunlichsten Original - 
erscheinungen. Das Tonleben jener russischen Stamme, 
welche an den Ufern der Wolga, an den Kiisten des 
Schwarzen Meeres und in den Thalern des Kaukasus dem 
Krieger- und Hirtenberuf obliegen, nahrt sich von den 
Klangen der Natur; ihre Harmonien bilden sie nach der 
Gnade von Instrumenten, welche der sanglustige Reiters- 
mann zu Pferde handhaben kann, ihre Accorde werden 



-* 230 

nicht von gebuchten Kunstlergesetzen geregelt, sondern 
vom Zufall, von der praktischen Bequemlichkeit und dem 
Streben, sich 6eh5r zu schaffen. Von daher kommt in 
den Orchesterwerken der jungrussischen Schule der bu- 
kolische Grundton, die hHufige Verwendung einfacher und 
doppelter liegender Stimmen, von daher kommen die ele- 
mentaren Ausbriiche ungeziigelter Lust, von daher der 
Eifer und auch das Gliick, mit welchem diese Tonsetzer 
ungewohnten instrumentalen und harmonischen Combi- 
nationen nachgehen, die naive Freude an dem Wechsel 
der Klangfarben, das Behagen, mit welchem sie lange 
Strecken ein unbedeutendes Motiv von einem Instrumente 
zum andern wandem lassen. Von der kiinstlerischen 
Seite, in Bezug auf Phantasie und Form gepruft, sind 
diese national-russischen OrchestercompositionenimDurch- 
schnitt erfreulich. Wie jede in der Bildung begriffene 
Schule, hat auch die jungrussische barocke und unreife 
Werke auf ihrem Conto stehen: ungeheuerliche Versuche, 
Stoffe aus der russischen Sage und Geschichte musika- 
lisch zu bewaltigen. Aber die Mehrzahl der Componisten 
halt sich ungefahr an den Typus, welchen Glinka in 
seiner bekannten Kamarinskaja aufgestellt hat. InDeutsch- 
land hat bisher nur wenig von den Arbeiten der natio- 
nalen russischen Schule Eingang gefunden. Die Rimsky- 
Korsakow, Dargomyzsky, Cui, Balakirew sind so 
gut wie unbekannt geblieben; jiingere Collegen haben 
p _ , abschreckend gewirkt. Hauptsachlich ist die Richtung bei 

8° * ^^ iins durch Tschaikowsky vertreten, welcher ihr nur 
halb angehSrt. Seine hier in Betracht kommenden Werke 
sind die Serenade fiir Streichinstrumente (op. 48) und die 
Suite (op. 53) fiir voiles Orchester. Die Serenade enthalt 
in ihrem einleitenden, ersten Satze eine interessante Ver- 
bindung von alter (Handel'scher) und neuer (Schumann'- 
scher) Musik. Ihr zweiter Satz, ein gut imitirter deut- 
scher Walzer, weist namentlich in den zweistimmigen 
Solostellen der Violinen naiv liebenswurdige Zuge auf, 
und ihr dritter, Elegie betitelt, zahlt in seiner schonen 
Abendstimmung zu den poetisch hervorragenden Stucken 



-^ 231 ^ 

der Gattung. Russisch ist nur das Finale, eine Burleske 

iiber ein kurzes Tanzthema. Sie geht in ihren Scherzen 

iiber das Maass hinaus und streift die Trivialit§,t, ein 

Fehler, in welchen der durch Begabung und Bildung iibri- 

gens ausgezeichnete Componist bin und wieder verfallt. 

Die Suite bringt das nationale Element viel entschiedener 

zur Geltung. Der erste Satz durch einige russische The-^'^''*'^*^^^^^*^^ 

men und durch einen geistigen Charakterzug der ganzen ^^^*®* 

Schule: die Hartnackigkeit im Verfolgen kleiner Einfalle. 

Bald naturalistisch, bald gelehrt, versuchen die Instru- 

mente, wie weit sie es mit dem aufgesetzten Motive wohl 

treiben konnen. Der Walzer unterbricht mit vielen Strin- 

gendos und Ritardandos die behagliche Grundstimmung 

seines Hauptthemas. In der Mitte veranlasst das Er- 

scheinen einer gewohnlichen Achtelfigur einen wahren 

Tumult. Specifische russische Melodien hat der Satz 

nicht, aber mehrere der reinen Freude am Klingen von 

Accord und Ton gewidmete, schone Stellen. Namentlich 

der Ausgang des Ganzen gehort in diese Kategorie. Der 

dritte Satz ist eine echt russische Burleske, welcher fast 

von Anfang bis zum Ende ein und dasselbe rhythmische 

Motiv zu Grunde liegt J^f^/T^ ij. • Mit wahrem Fana- 

tismus feiern es die Instrumente. Der vierte Satz ist 
eine gut gedachte Traumerei, in der Form eines Alter- 
nativs. Die beginnende Melodie in A moll ist national, 
der Gegensatz in Adur freie und fiir die Lange nicht 
recht ausreichende Erfindung. An Klangeffecten , Soli 
von englischem Horn, Piccolo, Harfe, hohen Harmonien, 
rauschenden Mischungen des Rhythmus ist dieser Satz 
sehr reich. Der letzte Satz mischt ein russisches, kurzes 
rhythmisch gleichformiges Tanzthema mit freien Stellen, 
deren musikalischer Gehalt wesentlich auf Accord- und 
Instrumentationseffecten beruht. Nicht bios dieser Satz, 
sondern die ganze Suite entfaltet nach dieser Seite hin 
eine unverkennbare Originalitat und aussert eine nach- 
haltige sinnliche Wirkung. 

In neuerer Zeit ist in Deutschland mehrfach die Es- 



-* 232 *- 

dur-Sinfonie von A. Borodin aufgefiihrt worden und 
hat weniger beim Publicum, aber ganz entschieden in den 
f ' s°'f • musikalischen Fachkreisen grosses Interesse erregt Diese 
8 ur- in onie. ginfonie gehort nach ihrem Stofife der jungrussischen 
Schule inniger an, als dies bei den Arbeiten Tschai- 
kowsky's der Fall ist. Sie zeichnet sich durch kunst- 
lerische Reife und Abklarung aus und scheint deshalb 
besonders geeignet, die Bekanntschaft mit dieser fiir die 
Zukunft vielleicht nicht unbedeutenden Richtung zu ver- 
mitteln und ein Bild von dem zu geben, was die Jung* 
russen woUen, was sie beute schon leisten und was ihnen 
noch fehlt. Diejenigen Satze, welche den Nationalcha- 
rakter am scbHrfsten auspragen, sind der erste und 
dritte; der zweite ist zur Halfte russisch und der vierte 
ganz germanisch. 

Der erste Satz beginnt mit einer schwermiithig trSu- 
merischen Einleitung. Die B^sse stellen die Haupt- 

Adag-io. ^ 

melodie auf: V« J',>^l. St t T f p I f P J I J^ pj_2.l T , 



welche von den Holzblasern und Geigern mit auf- 
mimternden Motiven beantwortet wird. Die Harmonie 
deckt die Formen des Gesanges mehr zu, als sie die- 
selben hebt. Da wendet sich die Phantasie mit einem 
energischen Rucke einer heiteren Sphare zu; unver- 
muthet stehen wir im Allegro. In den Hornern und Holz- 
blasern beginnt ein belles, mun teres Klingen, das nur 
auf Rhythmen gestiitzt ist. Die anderen Instrumente 
probieren dazu jetzt zart, jetzt krMtig brausend, Motive, 
die zu dem neuen Tone passen, und endlich ist AUes zur 
frohlichen Fahrt bereit. Die ersten 26 Tacte des Allegro, 
welche der Feststellung von Tonart und Thema vorher- 
gehen, sind fiir das Wesen der russischen Kunstmusik 
charakteristisch: sie zeigen uns ihre Liebe zu den Ele- 
mentarkraften der Musik, ihre Freude am blossen Rhyth- 
mus und am Accord, ihre Neigung, ohne bestimmten Ge- 
dankenpfad, ohne die Stiitze fest erkennbarer Motive 
durch die klangliche Wildniss zu streifen, den Punkt 



233 

welcher sie mit der Natur verkniipft und von der ge- 
sitteten alteren Kunst des Abendlandes unterscheidet, 
den Punkt, in dem ihre Starke und zugleich ihre Schwache 
liegt. Das Thema, welches Borodin nach dem Abschluss 
dieser tumultuarischen Scene aufstellt, ist aus der Me- 
lodic der langsamen Einleitung abgeleitet und hat fol- 

gende Gestalt: ^h T F T p I f P J I J^ pf P' l f - Auf ge- 

wichtige Gegenthemen hat der Componist fast ganz ver- 
zichtet. Ein einziges, das ofter erscheint: 




nimmt seinen Abschluss 

identisch mit dem dfes ersten Thema. Die andereri — unter 

■ tf.i. f^ ^.AA^,^A^.AA 
denen das Geigenmotiv mf\ j K ' J J I I J J J I TT^ 

durch seinen festen Schritt bemerkbar — treten nur 
episodisch auf. Dem jugendlichen, treibenden Ele- 
mente des Hauptthema wird nur voriibergehend durch 
eine sentimentale Wendung Halt geboten. Alles ist in 
diesem Satze Bewegung und sprossendes Leben, aber 
von einer grossen Gleichformigkeit der Gestaltungen. Denn 
diese ruhen bis auf wenige Ausnahmen alle auf der kur- 
zen Form jenes mit a) bezeichneten Thema. Es herrscht 
Poesie in dem Satze: aber es ist die Poesie der Steppe, 
welche uns an den Wechsel von Hohen und Thalern 
gewohnte, stille Platzchen fiirs Gemiith liebende Deutsche 
zunftchst etwas befremdet. Sehr anzuerkennen ist die 
Kunst, mit welcher Borodin das fuhrende Motiv immer 
wieder in neue Orchesterfarben kleidet und den Satz 
ohne Stockungen immer leicht im Fluss erhalt. Beson- 
ders schon ist der Schluss des Satzes, ein Andantino 
mit Abschiedsstimmung, durch rhythmische Verlfingerungen 
der beiden Themen a und b gebildet. 

Der zweite Satz, ein Scherzo (Prestissimo ^/g Esdur) 
hat zum Haupthema folgende Melodie: 



234 



PrettlMlmo. 



f I f I T^' I f ir 'P 1^ die aber in Violinfiguren 



ver- 



steckt und auch wegen ihrer auf die Symmetrie verzich- 
tenden Periodisirung schwer zu verfolgen ist. Als Trio 
bringt dieses Scherzo eine Art Dudelsackmusik , in der 
f olgende drollige Melodie durch die Instrumente wandert : 




a ILT [J ^ I i J J g . Der Satz, welcher als Bild aus 



dem musikalischen Volksleben verstanden sein will, ist 
mit viel Humor durchgefiihrt, namentlich das Fagott tragt 
viel zu einem heiteren Effecte bei. 

Der dritte Satz (Andante ^/i Ddur) zerfallt in drei 
Abschnitte. Der erste beginnt mit einem breiten Gesang 

Andante. 




f Jj ^^1 p J den die Celli anstimmen, englisch Horn 
.^=^1 -L-Tetc. und Flote fortsetzen. Er klingt eigen- 
thiimlich melancholisch, und die Verzierungen, die er ent- 
haitj deuten auf orientalische Abkunft. In der Harmonie, 
die in Dissonanzen still liegt, herrscht ein merkwiirdig 
dammernder Charakter, eine Beklommenheit, der am 
Schlusse dieses Abschnitts ein plotzlicher starker Aufschrei 
Luft macht. Der zweite Abschnitt wird lebendiger, die Vio- 
linen betheiligen sich am Gresange, und in den Blasem zu- 
nachst erhebt sich ein rhythmisches Motiv, das bald naher, 
bald ferner zu klingen scheint. Es verschwindet wieder, 
lebtnurnochin den Schlagen der Pauken fort, tritt dann 
wieder starker auf, wachst bis zur Macht tonender Glocken 
und erregt einen allgemeinen Aufschwung. Das Tutti 
stimmt — wir sind in den dritten Abschnitt eingetreten 
— die Melodie, mit welcher der Satz begann, im Style 



-^ 235 ♦- 



einer feierlichen Freudenhymne an, und mild und sanft 
klingt das Andante aus. ' Per scenische Charakter dieses 
Satzes ist nicht zu verkennen und Iftsst verschiedene 
Deutungen zu. Der Schlusssatz der Sinfonie, zu dessen 

__ Allegro. 

Hauptthema 




Schumann, zu dessen Durchfiihrungstheile Mendelssohn 
die Muster geliefert hat, verl^sst den heimathlichen 
Boden. 




V. 

Die moderne Suite und die neueste Ent 
wickelung der classischen Sinfonie. 




|ie Werke der Nationalen und der Programmmusiker 
bilden einen wichtigen Theil in der sinfonischen 
Production derletzten Jahrzehnte. Jedochreprasen- 
tiren sie nicht die Haup tstromung. Diese halt vielmehr an den 
Traditionen fest, welche in den Werken Beethoven's und 
der Roman tiker niedergelegt sind. Ja: mitten in der beweg- 
testen Zeit des Streites, welcher sich um Werth und Be- 
rechtigung der neuen Programmmusik erhob, um das 
Jahr 4 860, lebte plotzlich eine Kunstgattung wieder auf, 
deren Bliithezeit noch hinter den Tagen der Wiener 
Glassiker zuriickliegt. Es ist die schon im vorhergehen- 
den Capitel wiederholt beruhrte Suite. 

Die Wiedereinfiihrung der Suite entsprach dem prak- 
tischen Bediirfnisse nach einer einfachen musikalischen 
Naturkost, dem Verlangen nach grosseren Orchester- 
compositionen, welche sich, wie die Symphonie, in gebil- 
deten Formen bewegen, den Geist aber mit schwerer Ge- 
dankenarbeit und den Strapazen unserer hohen Cultur 
verschonen soUten. Dass man mit dieser humanen 
Mission gerade die alte Suite betraute, war eine weitere 
Wirkung jenes historischen Sinnes, welcher seit dem Vor- 
gehen Mendelssohn's die Musikwelt starker zu durchdringen 
begann und welcher in den Gesammtausgaben und Ein- 
zelausgaben von Werken alterer Meister, in der Griindung 



237 

und Thatigkeit der Tonkiinstlervereine immer mehr Aus- 
druck und zugleich Forderung fand. Es war ein Jahr- 
zehnt lang der Hauptfehler der modemen Suite, dass 
man ihr das historische Studium und die Abhangigkeit von 
alten Mustern zu deutlich ansah. Die alte deutsche Or- 
chestersuite bildete den Sammelplatz , auf welchem sich 
die charakteristischen Tanz- und Liedweisen allerNationen 
zusammenfanden. Davon ausgehend hatten die moder- 
nen Suitencomponisten sich in erster Linie darnach um- 
sehen miissen, was das neunzehnte Jahrhundert an 
kunstlerisch yerwendbaren Elementen der Volksmusik 
bietet. Und dass es solche bietet, hatte Chopin bewiesen. 
Statt dessen copirte aber die Mehrzahl die Sarabanden, 
Giguen, Couranten, Allemanden der Bach'schen Clavier- 
suite, trug aus der neueren Zeit ein Scherzo, wenn es 
hoch kam, einen Marsch herbei und vervollstandigte das 
Ganze mit Variationen und Fugen. Der oft missverstan- 
dene contrapunktische Styl der Alten wurde ersichtlich 
hoher angeschlagen, als das volksthiimliche Princip ihrer 
Suite, 

Das Verdienst, als der Erste nach hundert Jahren 
wieder Suiten geschrieben zu haben, hat Joachim Raff 
fiir sich in Anspruch genommen.*) Der Hauptantheil an 
der Neubelebung^ und Einfiihrung der alten Kunstform 
muss jedoch Franz Lachner zugeschrieben werden. In 
der Sinfonieperiode der dreissiger Jahre von den Preis- 
richtern, nicht aber vom Publikum ausgezeichnet, fand 
dieser Tonsetzer noch spat in der Suite einen Wirkungs- 
kreis, auf welchem er viele Freude bereitet und seinem 
Namen ein bleibendes Andenken erworben hat. Auch 
Lachner gehort der contrapunktischen Richtung der mo- 
demen Suite an. Aber die wirklich volksthiimliche Natur 
seines Talents aussert sich bei ihm auch, gerade wie bei 
den Alten, in der strengen Form. Seine Fugen sind 
frisch und kraftig, frei und effectvoll. Lachner hat sogar 
fiir die moderne Weiterbildung dieses ebenso schwierigen 



") Siehe M. Hauptmaiin, Brief e an F. Hauler II, 249. 



-^ 238 ♦^- 

als interessanten Styls werthvolle Fingerzeige und An- 
regungen gegeben. Lachner spricht echten Suitenton: 
Auch wo er gelehrt wird, bleibt er klar und versiandlich; 
wenn es nicht anders geht, ist er lieber trivial als gektin- 
stelt, und der Undeutlichkeit geht er so sehr aus dem Wege, 
dass er sich dariiber oft ins Redselige und Breite ver- 
liert. Eine besondere Specialitat in seinen Suiten bilden 
die Marsche. Sie zeichnen sich aus durch eine einfach 
kemigeRhythmik und durch eindringliche Melodien, welche 
oft mit aparten, bluhenden Figuren gewiirzt sind. Oft 
sind diese M&rsche gar nicht declarirt und segeln unter 
der Flagge von Ouverturen und Intermezzos. Aber auch 
an traulichen Idyllen sind die Lachner'schen Suiten reich. 
Eine, im besten Sinne des Wortes, gut burgerliche Poesie 
beherrscht die Mehrzahl seiner Menuetts und Andantes. 
Die Sprache, welche er in ihnen vorzugsweise spricht, er- 
scheint aus den Idiomen Schubert's, Spohr's und Mendels- 
sohn's als ein neues Viertes heHrorgegangen. 
F. Laolmer Unter den sieben Suiten Lachner's ragt die erste 

Suite No. 1 (D jiioll) durch Werth und Popularitat hervor. Ihr erster 
^ ™° '• Satz besonders, ein „Praludium", in welchem das Thema: 

AUeg^TO non tro| 

mit Kraft und Kunst dmxhgefiihrt wird, ist einer der 
effectvoUsten Satze in der neueren Suitenliteratur: natur- 
frisch und mit manchem kecken Harmoniesprung dahin- 
fliessend, originell und individuell in seiner MischUng von 
Derbheit und Anmuth. Der zweite Satz, Menuett, ist 
eins der liebenswurdigsten Rococcobilder in romantischer 
Farbung. Der Hauptsatz tanzelt auf folgender Melodic hin : 

Alleno noB troppo. ^,^ -^^ ^.^ -y^ 

^^11 fx^l<7pfLr l OT L^J ^ ^ 

Das Trio hat dieselbe Grazie, aber mehr Chorcharakter: 
als ob Massen antraten. Sein Thema wird von einer Art 
von Basso ostinato gravitatisch begleitet: 




t 



-<^ 239 -ft- 



ff .f j. ^frnr ri .fmj-j j^j- 




Der dritte Satz besteht aus 
einem Cyclus von Variationen, 
^^ welchen folgendes Thema zu 
Grande liegt: 



AHeg^ro msderato. 



'^L^ hT r f | f f r i rv/rr i > i r f>f |f c r irT^* ^ 



ffpCtm 



urrr\ir"' :rr\fT'Qfnr7?tf i 



i 



Die Bratschen begleiten dasselbe in der oberen Octave. 
Die Variationen — 23 an der Zahl — sind vorwiegend 
im alteren Style gehalten und entfernen sich niemals 
weit vom Thema, welches in andere Tempi und Tact- 
arten gesetzt, mit wechselnden Figuren umkleidet, aber 
einschneidenderen Umbildungen nicht imterzogen wird. 
Die grosse Halfte der Variationen ubt trotzdem die tiefere 
Wirkung von Gharakterstiicken aus; ein Theil ist als 
virtuoses Spielwerk zu betrachten. Den Gyclus beschliesst 
ein Marsch, welcher tiber den Verband der Suite, zu 
welcher er gehort, und aus den Goncertsalen hinaus in 
die Volkscapellen gedrungen ist. Sein Thema allein, 
welches zuerst wie aus weiter Feme horbar wird, genugt 
schon diese Popularitat zu erklaren: 



r [J.f r I f" pJ^aT |T^ Ct f ^ IJ = . Das Finale der 



Suite, ihr vierter Satz, besteht aus einem wehmiithigen 
Andante als Einleitung und einer sehr streitbaren Fuge 
iiber folgendes Thema: 



-0- 240 



AHefro moderate, a 





J CoBtrZklM* CdU Fag. 

Die zweite Suite Lachner's (Emoll) hat unter ihren 

F. Lachner funf Satzen zwei Fugen, welche beide durch eigenthiim- 

^"(Emoin ^ ^^^^ Anlage interessiren. Die eine in dec Gigue durch 

™ die eingelegten homophonen Partien und die dra- 

matisch schwungvollen Steigerungen am Schlusse; die 

andere, im ersten Satze durch die poetische Verbindung, 

welche sie mit der melancholischen Introduction eingeht: 

In dem Moment, wo . der Satz abschliessen konnte, 

taucht das leidenschaftliche Anfangsmotiv der Einleitung 



3uf; setzt sich als zweites 

Thema fest, und die Fuge wird zur Doppelfuge. Das Menuett 
dieser Suite, dessen Trio ein grazioser Canon zwischen 
Violine und Bratsche ist, nahert sich dem Gharakter der 
Mazurka, das Intermezzo, namenthch im Mittelsatze, dem 
Marsch. 

Die dritte Suite Lachner's (Fmoll) beginnt mit 
F. Lachner ^^^^j^ „Praludium" im miiden Ton. Ihr zweiter Satz, 
^TFmoiu ^ Intermezzo, iiberdeckt eine tief elegische Stimmung, aus 
welcher zuweilen pathetische Klagen hervorbrechen, mit 
einem leicht tandelnden Motiv. Die Sarabande bildet 
eine ahnhche Verbindung von gefiihlvoll weichem Gesang 
mit behaglichen Tanzmotiven. Zwischen den beiden Satzen 
steht wieder ein lingerer Variationencyclus, dessen Thema 
mit dem Allegretto von Beethoven's siebenter Sinfonie 
in naher Verwandtschaft steht. Auch dieser Satz klingt 
mild aus. Unter seinen energischeren Partien ragt die- 
jenige Variation hervor, in welcher die Holzblaser uni- 
sono sich auf der chromatischen Scala tummeln. In den 
Schlusssatzen der Suite, einer Courante mit einem Schu- 
mann'schen Violinthema und sehr hiibschen Klangeffec- 
ten, und einer modernisirten, balletmassigen Gavotte 
wirft die Composition alles Triibe ab und wendet sich 
kraftigen Geistes dem Frohsinn zu. 



In der vierten Suite Lachner's (Esdur) ist das 
contrapunktische Element wieder starker vertreten. Der ^' I^aohner 
erste Satz, Ouverture benannt, fugirt am Schlusse, der ^^E^g^^Jj ^ 
funfte, eine sehr kraftig einsetzende, modernisirte Gigue, 
durchaus, und beide Male ist die Fugenform wieder in 
interessanter, freier Weise mit einfach melodischen, an- 
muthigen Episoden durchzogen. Der erste Satz ist nur 
dem Namen nach eine Ouverture, nach dem Charakter 
ein Marsch mit ausserordentlich popuiarem Them a. 
Er gleicht einem Festzug, der von Jungfrauen erofifnet 
und von Militar geschlossen wird. Zwischen den beiden 
Gruppen bildet ein energisch frohes Thema, dessen Hei- 
math in Weber's Euryanthe liegt, den Uebergang. Der 
wirkungsvollste Satz der Suite ist das Scherzo pastorale 
mit einem reizenden Cellosolo im Trio. 

Die funfte Suite Lachner's (Gmoll) weicht von den p. Laolmer 
vorausgehenden wphlthuend durch die Knappheit der suite Nr. 5 
Satze ab. Ihre hervorragendsten Partien sind der Mittel- (CmoU). 
satz des Andante, ein sehr klar wirkender Canon zwischen 
Solovioline und Bratsche, und das Trio im Scherzo, ein 
edler Gesang, auf welchem Schubert's Geist ruht. Im 
Finale, welches in der Form des Sonatensatzes gehalten 
ist, taucht als zweites Thema eine bekannte Oberon- 
gestalt auf. 

Der poetische Plan von Lachner's sechster Suite F. Lachner 
(C dur) steht mit dem deutschen Kriege in den Jahren Suite Nr. c 
4 870 — 74 im Zusammenhang. Schon die Gavotte, welche (Cdur). 
hereinfahrt wie „Zieten aus dem Busch", erinnert an sol- 
datische Elemente. Das Finale ist einer der bedeutendsten 
patriotischen Tribute, welche die Musik jener Zeit dar- 
gebracht hat. Es vereinigt die trauerfeier mit Sieges- 
jubel und Dank. Klagende Recitative im Spohr'schen 
Style leiten eine mild und resignirt gehalteAe Paraphrase 
des Heldenchorals „Ein' feste Burg" ein. So wie die Be- 
gleitmannschaft vomGrabe des Kameraden mit frohlichem 
Spiele wegzieht, folgt dann auch hier der Trauercere- 
monie ein demonstrativ munterer und energischer, kurz 
und keck rhythmisirter Marsch, eine der flottesten Compo- 

i6 



242 *- 



F. Laohneri 

Suite Nr. 7 
kBallsnitea. 



Ji Herbeck. 



J. Baff 

Snite (Gdnr). 

H. Baser 
Snite (A moll). 



sitionen, welche Lachner in dieser seiner Specialgattung 
geschrieben hat. 

Die siebente und letzte Suite Lachner's, ^B^llsuite^' 
genannt, macht mit der Modernisirung der Gattung Ernst. 
Sie besteht, mit Ausnahme des Intermezzo und der In- 
troduction, aus lauter Tanzsatzen, die heute noch prak- 
tisch leben: Polonaise, Mazurka, Walzer, Dreher, Lance. 
Leider ist die vortreffliche Absicht von der musikalischen 
Erfindung wenig unterstutzt worden. Mit erfreulicherem 
Gelingen hat einen ahnlichen Versuch J. Herbeck in 
seinen „Tanzmomenten" durchgefiihrt. 

Die Lachner'schen Suiten waren in dem Jahrzehnt 
ihrer Entstehung sehr behebt imd haben di£ meisten 
Werke der Gattung, welche mit ihnen gleichzeitig hervor- 
traten, bis heute an Lebenskraft weit iibertroffen. Wenn 
sie jetzt anfangen zu altem und aus den Con- 
certsalen zu schwinden, so bleibt ihnen noch lange die 
Sympathie der Freunde des vierhandigen Clavierspiels 
gewiss. 

Unter denjenigen Suiten Bach'scher Richtung, welche 
mit den ersten Arbeiten Lachner's bedeutend concurrirten, 
sind die Cdur-Suite von J. Raff und die Amoll- 
suiteH. Esser's (die zweite dieses Componisten) hervor- 
zuheben. Es sind in erster Linie Documente fur den 
merkwiirdigen Begriff von der Kunst der alten Meister, 
wie er um die Mitte unseres Jahrhunderts noch bei selbst 
bedeutenden Musikern festsass. Auch in den Charakter- 
etiiden des trefflichen Moscheles regnet es eitel „Figural- 
musik" wenn die Alten geschildert werden soUen. Raff 
contrapunktirt steif, gleichformig und so ruhelos und 
hastig, dass Einem der Athem vergeht. Esser jagt barocke 
Passagen mit unablassigen Sequenzen und Imitationen 
im Kreise herum. In Raffs Suite werden erst die letzten 
Satze, das Adagietto, Scherzo und Finale, welche aus 
Mendelssohn'schen und Schumann'schen Quellen schopfen, 
natiirlicher, freier und phantasievoller. Esser hat ausser 
dem Ueberfluss an Vorhalten und archaistischen Disso- 
nanzen aus der alten Suite doch auch etwas von ihrer 



I 



-0- 243 

Kraft (in der Introduzione), und von ihrer Grazie (Alle- 
gretto) in seine Copie gebracht. 

Auch die mit den genannten Werken ziemlich gleich- 
altrige Gdur- Suite von W. Bargiel bildet alte Formen W. Bargiel 
nach: Courante, Allemande, Sarabande, Air und Gigue. Suite. 
Aber der Componist erfiillt sie frisch zu mit modernem, 
zum Theil Schumann'schem, Geiste. Dadurch wird diese 
Suite zu einer der interessantesten Erscheinungen in der 
Gattung. Sie uberragt die Sinfonie Bargiel's an Naturlich- 
keit der Haltung, an Beweglichkeit der Phantasie und 
verdient in's Repertoir wieder aufgenommen zu werden. 

Die contrapunktische Tendenz der modernen Suite j q^ Qnimm 
gipfelt in den beiden Suiten Julius Otto Grimm's. Es g^j^g j^ (>^^^jj. 
sind Suiten in der Form des Canons durchgefiihrt. Die form 
«rste (G dur) fur Streichorchester bewegt sich in knappen Nr. i (C dur). 
Bahnen. Ihrem ersten Satze, welcher den festlichen Ton 
der Mozart'schen Jugendsinfonien anschlagt, liegt das 
Schema der Sonatine zu Grunde. Das Andante hat drei- 
theilige Liedform, der dritte Satz ist ein Menuett ein- 
fachster Fassung ohne Seitensatze, das Finale ein Minia- 
turrondo. Der Canon liegt immer sehr offen oben auf : die 
Stimmen folgen einander in der Octav und in kurzen 
Abstanden ohne Kiinstelei. Nur im letzten Satze wahlt 
Grimm fur den zarten Mittelsatz (in As) die Distance 
achttaktiger Perioden. Trotz der Fesseln in der Schreib- 
art aussert die Composition eine schone geistige und sinn- 
liche Wirkung. Ein besonderer Reiz des Klanges liegt 
iiber dem Andante, welches vom Soloquartett allein vor- 
getragen wird, und iiber dem warm, gemiithlich und innig 
einsetzenden Trio des Menuett. 

Grimm's zweite Suite (Gdur) erregt und befriedigt j, o. Qtrimm 
hohere Anspriiche. Irren wir nicht, so war sie vor der suite in Canon- 
Drucklegung als Sinfonie betitelt. Sie ist fiir voiles Or- form 
Chester geschrieben: ihre Satze haben breite Formen mit ^^' ^ (<>dur). 
ausgefiihrten Durchfiihrungspartien und ihre Gedanken 
durchstreifen grosse Kreise und beruhren entgegengesetzte 
Regionen. Der Zuhorer vergisst iiber dem Gang der 
Leidenschaften die kleinen Reize des Canons, den der 

4 6* 



-^ 244 ■»- 

Componist selbst hftufig auf die Nebenpiatze der Dich- 
tung, in die Begleitungsmotive und in den Figurentheil, 
zuriick verwiesen hat. Obgleich der Canon hier beschei- 
dener auftritt, als in der kleinen ersten Suite, ist er mit 
noch grSsserer Kunst, manichfal tiger, freier und prak- 
tischer gehandhabt. Letzteres dadurch, dass die Melo- 
dien kurzer und scharfer gegliedert sind. Auch bier 
wiegt der Canon in der Octav und mit schnell folgenden 
Stimmen vor; aber es sind, wie im langsamen Satze 
der Canon in der Umkehrung, auch seltenere Arten ver- 
wendet. Auf Momente schweigt die canonische Kunst 
und vor dem Einerlei bewahrt ein haufiger Wechsel in 
der Besetzung der fiihrenden Stimmen. Den grossten 
poetischen Werth hat unter den vier Satzen der Gdur- 
Suite das Adagio, eine ernste Betrachtung iiber das 

Molto Adagio e eiutabile. 

Thema: 




B. JadasBohn Einen Nachfolger auf dem interessanten Pfade fand 

rk,I; G^.««-^o« Grimm in S. Jadassohn, welcher in seiner ersten 
Serenade (Gdur) den Canon als die Form fur leichte 
Gedanken und kleine Scherze benutzt. In seiner zweiten 
Serenade (Ddur) hat derselbe Componist auf den Canon 
verzichtet, in seiner dritten (Adur) ihn auf einen heitern 
Satz (Intermezzo) beschrankt, dafur aber in beiden Werken 
eine Vertiefung des Inhalts angestrebt. 

Die contrapunktische Gruppe der modernen Suiten- 
componisten ist allmahlich durch eine andere Richtung 
verdxangt worden, welche ihren Ausgang von den Diver- 
tissements Mozarts, von den Gartenmusiken des 4 8. 
Jahrhunderts nahm und den ganzen Nachdruck auf den 
idyllischen und einfachen Charakter der Gattung legte. 
, _ , Der nach Zeit und Rang erste ReprSsentant dieser 
^'^^' zweiten Gruppe der modernen Suite ist Johannes 
^^D^durV" Brahms. Seine erste Serenade (Ddur, op. 4 4), welche 
im Jahre 4 862 erschien, besteht aus sechs Satzen. Sie 
beginnt mit einem grossen Allegro in breiter Sonaten- 
form, in welchem der pastorale Ton yorherrscht. Das 



2145 



Horn, ein Lieblingsinstrument des Gomponisten , stellt 
als Hauptthema eine naiv frohliche Melodie 

AUeg^ro moUo. 




bin, welche von primitiven Harmonien begleitet und in 

ungenirten Modulationen weiter gefuhrt wird. Das sinnige 

zweite Thema tritt in einer Fassung auf, die Brahms 
original zugehort 




Tlji rr i fJ>.Jj.i r'^i'^ f I 'fjjli" r i 



f f | f f7f«f || 




Gelli und Bratschen nehmen die zarte Schwarmerei so- 
fort auf und geben ihr im Verein mit den Holzblasern 
den intimsten Abschluss. Ein kurzer Nachgesang, aus 
welchem das reinste Gliick des Herzens spricht, geht in 
ein freudig hiipfendes Seitenthema 




iiber, welches das Material fiir den Anfang der Durch- 
fiihrung liefert. Letztere selbst tragt in einzelnen ge- 
ktinstelten und gewaltsamen Stellen die Merkmale der 
Entwicklungszeit des Gomponisten. Eigenthiimlich schon 
ist der Eingang in die Reprise des Satzes. Darch ein der 
D dur-Harmonie eingeschobenes G riickt das kecke Horn- 
thema bier in ein iiberrascbendes und das Ende der 
Scene kundendes Dammerlicht. Der Schluss des Satzes 
ist ausserordentlich subtil: ein zartes Solo der Flote, zu 
welchem Bratschen und Glarinetten decent die Harmonic 
hinzufiigen. 

Der zweite Satz (Scherzo DmoU 8/4) hat in seinem 
Hauptthema: 

Alle^^o non troppo. 




246 




Aehnlichkeit mit dem in 



Brahms' zweitem Clavierconcert. Die Stimmung zeigt auf 
ein pochendes Herz und wird erst vom Seitensatze ab eine 
ruhig freudige. Ihr thematischer Ausdruck zeigt von da 
ab Wiener Einfliisse, der Seitensatz Schubert'schen : 



^ 






VT l I r^\ I f^W m . das Trio 



Poeo piu moto. 




etc. 



Haydn-Mozart'schen. 

Der Werth des Adagio (Bdur 2/^) ruht besonders auf 
dem Hauptthema, welches eine der herrlichsten melo- 
dischen Erfindungen von Brahms bildet: 
Adagio non troppo. 



Noch schoner fast ist der concertirende Nachsatz: 



£ 




« fl^fij I j »JTO , fl I j^^ l T Ihm folgt ein. 



eine Episode 
Melodie 



iji'' i J J J ' ^ JJj'i JJ'J J J^ ' J Auch ihre Be- 

gleitung mit murmelnden Zweiunddreissigstelfiguren er- 
innert an die „Scene am Bach" in Beethovens Pastoral- 



-«- 247 

sinfonie. Das Adagio zersplittert sich von da ab einiger- 
massen und entschadigt die Aufmerksamkeit vorwiegend 
durch feine Details. 

Den vierten Satz bilden zwei zusammengehorige Me- 
nuetts: (Gdur das erste, Gmoll das Alternativ), welche 
den Originalcharakter der alten Serenade aufs Drastisch- 
ste wiedergeben. Namentlich der Gdur -Satz ist ein 
originelles, kostbar drolliges Genrebild, zu welchem die 
moderne Suitenlitteratur vielleicht nur in dem Walzer 
von Volkmanns Fdur-Serenade ein nahestehendes Seiten- 
sttick aufzuweisen hat. Nur die beiden Clarinetten und 
ein Fagott spielen es: Jene geben die Anmuth und Liebens- 

Moder tio. 

wiirdigkeit in w A - ^Ji j' J j J ^* ' J"T"^ ^^^" <l^s letztere bringt 
in dem komischen Murkybass "J^ J ^ . ^ J ^ I J"*^ J ^ 



mit welchem es die Melodie begleitet, das Costiim der 
alten Zeit hinzu. 

Ein als fiinfter Satz folgendes Scherzo (Allegro ^4) 
beschwort in seinem Hauptthema: 

^ Allegro. 

iSi'n j:i J. i jj J I J I 1 1 1 1 LM I J I 

den Vergleich mit Beethovens zweiter Sinfonie (Trio im 
Scherzo) etwas zu keck herauf und wird bei Auffiihrungen 
am besten gestrichen. 

Ein Rondo beschliesst als sechster Satz die Serenade. 
Sein Hauptthema: 

Allegro. 

y«i!J> i Q/t_^ 

welches einen leichten Anflug von Schumann'schem Wesen 
hat, passt sehr gut zum Bilde einer frShlich nach Hause 
ziehendenGesellschaft. Unter den Nebenthemen desSatzes 
hat das folgende: 





Fit 



i 



US 



fur die Entwickelung und Durchfiihrung hervorragende 

Bedeutung. 

J. BrahniB ^^^ zweite Serenade von Brahms (Adur op. i6), 

Serenade Nr. 2 'iur wenig junger als die in Ddur, verhalt sich zur 

(Adur). letzteren wie die Schwester zum Bruder. Sie ist nocl;i 

zarter, heimlicher, inniger und tiefer; zu gelegener Zeit 

kehrt sie aber auch den Wildfang noch starker heraus. 

Ueber ihrem Klang liegt ein mattes Colorit: wie im ersten 

Satze seines Requiem, wie M^hul in seinem Uthal, hat 

Brahms die Violinen weggelassen und den Bratschen die 

Fiihrung des Streichorchesters ubergeben. An formeller 

Reife steht die Adur- Serenade iiber der ersten, an 

ausserer Wirkung unter ihr. 

Der erste Satz (Allegro moderado, (Jj Adur) hat zum 
Hauptthema eine jener unscheinbaren , ftir Brahms be- 
zeichnenden Melodien, deren seelischer Fonds sich erst 
bei naherem Eindringen erschliesst: 



Alleg^ro moderito. 

CIu-. 




JLoJ \ i- li i 






ig- 



Das zweite Thema, welches der gliicklichen Stimmung 
einen lebhaften, alDer immer noch reservirten Ausdruck 
giebt, hat Wiener Localton: 




Unter den Seitengedanken, welche zwischen den beiden 
Themen auftreten, ist der folgende fiir die Durchfiihrung 

von Wichtigkeit: ^ ^j^ f^T^ ' ff ■* ^^ ^ P ' ^^^eht 
in eine Episode iiber, deren fuhrendes Motiv: 



-«- 2149 ^ 

A J* m \f ^ m \ T t m \ T T ail die Magelone-Romanzen 

des Componisten erinnert. 

Der zweite Satz, Scherzo (Vivace 3/4, Cdur) vertritt 
mit dem Finale die energische Heiterkeit in der Serenade . 

Sein Hauptthema l^tf\T^^ |ff [iff ^ ; von den 

Blasern frisch herausgeschmettert , beherrscht den Satz 
allein. Wie in ihm und in der Mehrzahl der Themen der 
Adur-Serenade, tritt auch in dem sanften Trio die Melodie 
Arm in Arm mit einer Parallel stimme auf: 

^>jlJ^jyiilijj l ^J:^ l JJj l Ji^ l r ^• 

Das ganze Scherzo halt sich in knappen Dimensionen. 
Der dritte Satz : Adagio ('Vs AmoU) hat als erstesThema 

Adagio. ^ 

folgendes:^ ^! | J J.jj J J^ . | j J,J J ^ J 




selbe wird von nachstehender Bassfigur begleitet 



yff jJ^ji^J prplJi)J|;j pp , 3chliesst sich den 



Modulationen der Melodie in Transpositionen an und 
bleibt ihr immer zur Seite, wodurch der Haupttheil des 
Adagio sich der Form des alten Passacaglio nahert. Der 
Charakter des Satzes ist ruhig, sehnend, sinnend und 
traumerisch. Die schnell voriibergehenden, erregten Mo- 
mente in ihm kommen mit dem heftig einsetzenden 



Motiv ijf^^- 



zum Ausdruck. Das zweite Thema: 



und die zugehorige Gruppe bilden nur eia ausdrucksvoUes 
Intermezzo. Weder die Durchfuhrung noch die Reprise 
wissen von ihm. 



250 



Der vierte Satz: „Quasi Menuetto" (Ddur, Vi) ist 
durch das zogernde Element, welches seine freundliche 
Stimmung und seinen schlichten Melodiebau beherrscht: 

Haaptsatz. 



Cl«r. 




f}n \ ^iifii ^ 



Trio. Ob. 




eigenthumlich charakterisirt. 

Der Schlusssatz „Rondo" (Allegro % Adur) erhalt 
durch die Hauptthemen 

Allegro. ^-"-^^ — ^ -, -. Ok. .Ts /T"^ 




seinfrohliches Geprage. Die liebenswiirdige Schiichternheit, 
welche in den Uesichtszligen dieser Serenade einen her- 
vortretenden Theil bildet, blickt noch einmal aus dem 
kleinen, dem zweiten Thema vorhergehenden Seitensatze, 
in welchem sich Clarinetten und Fagotte, anfangs in cano- 

nischem Style, iiber das Motiv i ^^ ^^\\i \p^ | J i,j I 

unterhalten. 

Der von Brahms aufgestellten Ideenrichtung folgt 
auch Robert Volkmann in seinen drei Serenaden fiir 
Streichorchester, halt sich aber in knappen Formen. Das 
Schema der ersten und der dritten Serenade gleicht dem 
der kleineren sinfonischen Dichtungen Liszt's, die zweite 
bildet eine Suite von vier selbststandigen und getrennten, 
aber kurzen Satzen. Die Serenaden von Brahms konnen 
eine Sinfonie ersetzen, die von Volkmann eignen sich 



-^ 251 -&- 



sehr gut zu Zwischennummern im Concert und sind als 
solche auch ausserordentlich beliebt. Dem Inhalt nach 
gehSren sie zu den gelungensten und gehaltreichsten 
Leistungen der neueren musikalischen Genremalerei. Die p «. ,, 
poetisch bedeutendste unter ihnen ist die dritte (Dmoll) °^"^ 

mit dem Solocello. Der Solist hat in dieser Serenade 
eine ahnliche RoUe wie der Solobratschist in Berlioz's 
Haroldsinfonie. Das Cello personificirt einen Melancho- 
licus, der in alien Lagen immer wieder auf sein Leib- 

Larg^betto, non troppo 



Serenade Nr. 3 
(Dmoll). 



thema zu- 
riickkommt: 




Ob der Chor zu- 
stimmtoderwider- 



spricht, der Cellist bleibt bei diesem Motiv; wird jener 
heiter und ausgelassen, so sieht er einsilbig zu, und das 
Freundlichste , was sich ihm abgewinnen lasst, ist eine 

Andante espressiyo. ^.^ 

SrMeioSl ( ; , mf7i i i rrr^rr i rr rfir?rffr i, 

mit welcher die lebendig gehaltene Composition auch einen 
riihrenden und versohnenden Abschluss erhait. 

Die beliebteste unter den Serenaden Volkmanns ist e. Volkmann 
die zweite in Fdur und zwar wegen ihrer zweiten serenade Nr. 2 
Nummer, eines Walzers iiber folgendes Hauptthema: (Fdur). 

Allegretto moderate. 



$ 



P 




•(•. 



Es ist eigentlich kein Walzer, sondern "ein Walzerchen, 
ersichtlich fur alte Leute gedacht — ein Cabinetstiick 
liebenswiirdig altfrankischer Musik. Von den beiden 
Theilen, aus welchen der erste Satz der Serenade be- 
steht: Allegro moderato (Fdur 3/4) und Molto vivace 
(Dmoll 3/^), ist der zweite der originellere : Mit impo- 
santer Consequenz und doch reich an Abwechselung und 
effectvollen Steigerungen ist er auf folgendes sprode 

Volto Ylyace. ^ 

Motiv gebaut:: 




J J~3 p 7 p r L J \ . BesondersschSn 
ist der Eintritt seines Mittelsatzes in Ddur. Die Sere- 



252 




nade schliesst mil einem Geschwindmarsch. Die drei- 
taktige Construction seines Hauptthema, 

AHayro modTtto> _ _ _ 

die Accen- 
tuirung in ihm 

und in dem ganzen Satze verrathen die ungarische 
Atmosphare, welche alle drei Serenaden Volkmann's 
mehr oder weniger durchweht, besonders deutlich. 

Die erste Serenade Volkmann's (Cdur) wird von 
demselben kr§,ftigen Maestoso alia Marcia, welches sie 
eroffnet, auch beschlossen. Die Mitte der Composition 
nimmt ein langeres Allegro vivo ein, welches auf Grund 



ABegro tIyo. 




des Them a: 



eine Reihe keeker, trotziger Gange thut. Die schonsten 
Partien der Serenade bilden die beiden langsamen Satze, 
welche dieses Allegro vivo einrahmen. Der erste ist sehr 
kurz in der Weise der iiberleitenden Largi Handels, der 
zweite hat die dreitheilige Liedform, zum Hauptthema 

n_i J -11 .. Andante sostenuio. 

folgende edel senti- 
mentale Melodic : 




Unter der grossen Zahl j lingerer Tonsetzer, welche 
im Anschluss an Brahms und Volkmann die Suite 
pflegen — R. Fuchs. A. Klughardt, J. Brull, H. Reinhold, 
V. Stanford^ A. Bird etc. — nimmt der Erstgenannte 
einen festen und angesehenen Platz im Repertoir ein, 
Seine drei Serenaden fiir Streichorchester, oft gespielt 
und gern gehort, sind das Product einer harmonischen 
Kiinstlernatur und jener f einen Bildung, welche auch be- 
kannte und gewohnliche Ideen mit neuem Interesse zu 
umgeben vermag. Ein besonderes Talent zeigt Fuchs 
in seinen Serenaden als Colorist. Mit den einfachsten 
Mitteln, Verdoppelung von Mittelstimmen, Theilung der 
einzelnen Instrumente, entwickelt er in seinem Streich- 
orchester ein Leben, eine Abwechslung, einen Reiz im 
Klang, welcher die Wirkung der einfachen Serenaden- 
gedanken wesentlich erhoht. 



253 *- 

Die erste Serenade von R. Fuchs (Ddur) zeigt viel E. Fuchs 
durchdachte Detailarbeit und Hinneigung zu den kleineren Serenade Nr. i 
Kiinsten der Contrapunktik. Die Themen lieben das (Ddur). 
interessante Halbdunkel der Mittelstimmen, einzelne Mo- 
tive, welche wie das die Serenade eroffnende: 

Andante. 




einen platten Ausgang nehmen, 

werden durch Nachahmungen und Umbildungen ver- 
edelt. Durch Innigkeit der Empfindung zeichnet sich 
unter den Satzen der Serenade der Gesdur-Theil des 
Allegro scherzando aus. Der breiteste ist der Schlusssatz 
(DmoU 3/g). Sein Durchfiihrungstheil verlangt Aufmerk- 
samkeit auf das Motiv: 

AUegxo. ^ ^^ 

ii'ii JiiIlHiI J hi iji J 1 1 u 




welches vom Hintergrunde aus langere Zeit neckisch- 
drohend den Satz beherrscht. Das zweite Thema dieses 
Finale lasst von Feme den traulichen Wiener Walzerton 
horen. 

Die zweite Serenade von R. Fuchs (Cdur) ist leb- B. Fuchs 
hafter als die erste und neigt dem Volkstbn mehr zu als Serenade Nr. 2 
jene. Am kecksten kommt er im folgenden Thema des (Cdur). 
Finale zum Ausdruck: 

Presto. 



^ rresio. ^ u± ± 



Das Larghetto dieser Serenade besteht aus Thema und 
vier Variationen, welche, zwischen Dur und Moll wech- 
selnd, vorwiegend figurativ gehalten sind. 

In die dritte Serenade (Emoll) klingen, wie bei B. Fucha 
Volkmann , ungarische Elemente herein. Ihr schonster Serenade Nr. 3 
Satz ist das zarte Allegretto grazioso mit dem in der (Emoii). 
Bratsche versteckten Thema. 

Mit einer Sinfonie in C dur, deren Finale als geist- 
voll und lebendig besonders zu loben ist, hat Fuchs neuerer 
Zeit sich einen Platz in dieser hoheren Gattung erworben. 



-^ 254 *- 



Trotz der Concurrenz von Programmmusik und Suite 
nimmt die Sinfonie classischer Richtung immer noch den 
ersten Rang in der modernen Orchestercomposition ein, 
und ihr Repertoir ist in den letzten Jahren durch eine 
Reihe vortreflflicher Arbeiten bereichert worden, welche 
ihr diese Vorherrschaft noch auf langere Zeit sichem 
helfen. Es ist nicht zu leugnen, dass auf der modernen 
sinfonischen Production das VermUchtniss Beethovens 
immer noch schwer lastet. Es werden in seinen Formen, 
aber ohne seine Phantasie und seine Kunst Durchftihr- 
ungen geschrieben, bei denen wieder gefragt werden 
kann: „Sonate, que me veux tu?" Aber trotzdem re- 
prasentirt die Summe der neueren Sinfoniecomposition 
einen bedeutenden Theil des besten Talents und des 
ernstesten Fleisses, iiber welchen die dermalige musi- 
kalische Generation verfiigt. 

Merkwiirdig bald ist die Herrschaft der Mendelssohn- 
• schen Schule erloschen. Mendelssohn nahm die Geister 
seiner Zeitgenossen mit einer Kraft in Beschlag, der sich 
selbst aitere Tonsetzer nicht entziehen konnten. Reissi- 
ger's Esdur- Sinfonie (i839) bietet hierfiir den Beleg. 
Aber die Sinfoniker, welche sich seiner Richtung ganz 
hingaben, hattisn nur einen kurz dauernden Erfolg. Nach 
einem Jahrzehnt schon schwanden die Sinfonien von 
Taubert, die Esdur -Sinfonie von Rietz, Killers Emoll- 
Sinfonie (mit dem Motto: „Es muss doch Frtihling 
werden") vollstandig vom Repertoir, und die sp^tern 
Hoi, Zellner. Nachzugler der Schule (Hoi: D moll - Sinfonie , J. Zellner 
„Melusina") haben weitere Beachtung iiberhaupt nicht 
mehr gefunden. Auch diejenigen Werke, welche mit 
ihrer geistigen Basis tiefer in Schumann hinabtauchen, 
sind schneller bei Seite gelegt worden, als sie es ver- 
dienten. Wir nennen die bereits erwahnte Sinfonie in 
Cdur von W. Bargiel und die A dur - Sinfonie von 
C. Reinecke, welche in ihren letzten beiden Satzen 
wirklich originelle Erfmdungen des Humors und der An- 
muth bietet. 

In gleicher Progression, wie der geistige Einfluss der 



SeisBiger. 
Tanbert. 

Siets. 

Hiller. 



Bargiel, 
Beineokoi 



-♦ 255 ^ 

Hauptmeister der Roman tik verblasst, wftchst die Ein- 
wirkung Beethovens in der neuen Sinfonie. Neben ihm 
in zweiter Linie tritt das Vorbild Schubert's starker her- 
vor. Seine Cdur-Sinfonie, mit ihrem Finale namentlich, 
und Beethovens neunte Sinfonie sind diejenigen Werke, 
durch welche die friihere Periode in die gegenwartige Sin- 
foniehtteratur am m&chtigsten hineinkhngt. 

Unter den namhaften Sinfonikem der Gegenwart ge- 
biihrt nach der Anciennetat der Vortritt: Anton Rubin- A. Eubinstein 
stein. Seine- erste Sinfonie (F dur), im Jahre i854 ver- sinfonie Nr. 2 
offentlicht, heute nur wenig gekannt, fallt noch in die i^^^^)- 
Bluthezeit der Mendelssohn ' schen Schule und tragt in 
ihren ersten beiden Satzen die Spuren derselben. Ihre 
letzten Satze sind selbststandig und lassen die Vergessen- 
heit bedauem, welche sich uber das ganze Werk gebreitet 
hat. Von den funf Sinfonien des Componisten sind zwei 
Gemeingut der musikalischen Welt geworden: Die 
Sinfonie „ Ocean" und die „dramatische Sinfonie" 
(Nr. 4). 

Obgleich die Oceansinfonie Franz Liszt gewidmet 
ist, steht sie doch mit der Programmmusik nicht im 
engeren Zusammenhang. Ihr Styl ist der Beethoven'sche 
und ihr Titel giebt der Phantasie nur einen leichten An- 
halt. Dass Rubinstein unter die grossten musikalischen 
Erfindernaturen der neueren Zeit gehort, beweist nament- A. RubinBtein 
lich der erste Satz der Oceansinfonie: ein geniales,sinfonie»Ocean«. 
reiches Tonstuck, von machtiger Stimmung getragen, im 
grossen Zuge entworfen, mit glticklichen, eigenthiimlich 
anschaulichen Musikgedanken dargestellt! Sucht man 
nach den naheren poetischen Beziehungen des Satzes 
zum Titel, so stellt sich am ungezwungensten das Bild 
der Ausfahrt ein. Dazu stimmt das erste Thema: 



-^ 256 



^ ' ■.„'"~n ^® ®^ ^^^^ erwartungsvoll leise aufflattert 

•ft ■ * £ =^^f^ und dann in der prangenden Pracht des 

L=-F vollen Orchesters voriiberzieht. Seinen Ab- 

schluss erhalt es in einer breit ausgreifenden , vom warmen, 

innigen Gefuhl durchwogten Gesangmelodie 

tf iO m ' ^. . ^- — r* « IP ■ .. > t . ■ welche in der 



Durchfiihrung 



/ Viol. 




grosse Bedeutung hat. Zu der stillen Majestat des 
Oceans passen die lang und ruhig dahinklingenden Drei- 
klangsharmonien , an denen die Bewegung des Satzes 
so haufig Halt macht. Den drohenden und beRngstigen- 
den Charakter des Meeres deutet das Trompetenmotiv 

an, welches namentlich dort an der 
Stelle, wo das liegende g mit den Har- 

monien des Chors in Dissonanzen lange wechselt, zu sehr 
unheimlicherWirkung gelangt. Das zweiteThemades Satzes: 





»)tJ ^ ^ "i ^ etc. giebt in anmuthiger Form ernst be- 
' " " schaulichen Gedanken Raum. Die Durch- 



E 



fiihrung der vielseitigen Ideen zeichnet sich durch Ruhe 
und Vornehmheit aus. 

In dem zweiten Satze derSinfonie: Adagio (EmollC) 
ist folgende Melodie 



Ada^D non tanto. 




die fuhrende. Das zweite Thema, seinem Charakter nacli 
noch tiefer fragend, fangt mit einer aus Schumann's 
C dur - Sinfonie bekannten Wendung an : 

^ I frf^^ * I rW^' * Ir ^^^ \ ^ =: IndenStreich- 
instrumenten erhalten durchgefiihrte leichte Begleitungs- 



-^ 257 *>- 

figuren die Gedanken an das Spiel der Wellen wach. 
Die Ausfiihrung der Ideen ist knapp ; die poetische Haupt- 
stelle desSatzes liegt kurz vor der Reprise: da, wo das 
Horn seinen Ruf in die Stille hinaus erschallen l§,sst, 
wo die Pauke zu dem Solo der Clarinette ausdrucksvoll 
wirbelt. 

Der dritte Satz (Allegro, 2/4, Gdur) konnte eine lustige 
Seemannsscene bedeuten. Das Hauptthema beginnt derb 

Allegro, A'-^ 

frohlichanimirt .^ »| « ^ ;[j | ^_£j |Lf T \frJt.tS \ f 

CoatrabSMe 

und erweckt bei den anderen Instrumenten in einer 
Reihe wilder Triller ein verstarktes Echo seiner Stim- 
mung. Im zweiten Thema wird der Humor etwas breit 
und querkopfig. Das an und fur sich treffliche Material 
des Satzes ist in der Verarbeitung ziemlich zersplittert 
worden. 

Das Finale beginnt froh bewegt, als wenn es heim- 
warts ginge. 

Das Hauptthema wiegt sich lange auf 

Allegro eon fnoco. 

j£ «f JJ'J 1 r1 J J I J« JjJ I ^^^ ^^^ Sequenzen dieser 
Motive und schliesst dann kraftig bestimmt mit 

jfff»r|rrrii|. ifiip^j 1 , 1 I J :ab. 

Eine dankvolle Stimmung aussert sich in ruhigerer 
Weise auch im zweiten Thema: 




Ihren feierlichstenAusdruckfindet sie aber in dem Chorale, 
welcher von der langsamen Einleitung ab bis zum Schlusse 
des Satzes ein Hauptglied desselben bildet. Gross und er- 
haben gedacht ist das Finale der Oceansinfonie — doch 
sind die poetischen Intentionen musikalisch nicht so ge* 
lungen verkorpert worden wie im ersten Satze. 

In neuerer Zeit hat Rubinstein den vier Satzen seiner 
Oceansinfonie noch einen funften und sechsten hinzu- 



^ 258 ^ 

gefiigt: ein Adagio in Ddur, welches als zweite Nummer 

der neuen Ausgabe an die Gedanken des zweiten Themas 

des ersten Satzes leicht ankntipft, und als vorletzte 

Nummer ein phantastisch belebtes, von innigem Gesangs- 

ton durchzogenes Scherzo in Fdur. 

A. Eubinstein Die „Sinfonie dramatique" (Nr. 4, Dmoll) ist Rubin- 

•Sinfonie drs- stein's bedeutendste Leistung auf dem Gebiete der hohem 

matique*. Orchestercomposition. Nach der natiirlichen Grosse von 

Empfindung und Phantasie, nach der St&rke der ange- 

borenen Dichterkraft, nach Einfachheit und Bestimmtheit 

des Ausdrucks gemessen, bildet sie eine der hervor- 

ragendsten Erscheinungen in der ganzen sinfonischen 

Litteratur. 

Ihr erster Satz namentlich ergreift und erschiittert 
wie wenige Tonstiicke. Dem Inhalte nach tragischer 
Natur, zeigt er manche, auch technisch erkennbare, Be- 
riihrungspunkte mit den Eingangssatzen der Faustsinfonie 
von Liszt und Beethoven's Neunter; mit der letzteren 
in der Menge gewaltiger Trugschliisse und in den ein- 
schneidenden Wirkungen des verminderten Septimen- 
accords. Die Form ist eigenthiimlich, aber einheitlich 
und klar disponirt. Eine Hauptstutze des ganzen Orga- 
nismus bildet die murrende und suchende Figur, mit 

Sie geht im Laufe des Satzes viele Verwandlungen ein: 
erscheint bald in breiten, bald in fliichtig dahineilenden 
Rhythm en, stellt sich jetzt an die Spitze des Orchesters 
und verbirgt sich dann in der Mitte imd in der Tiefe. 
Aber immer ist sie da, regulirt den damonischen Puis 
der Tondichtung mit ihrem Schlage und durchklingt den 
ganzen Satz wie Windesbrausen und Glockengelaute. 
Den regelmSssigen Begleiter dieser Hauptfigur bildet von 
der Einleitung ab das leidenschaftlich zuckende Motiv: 



# 




welches sich mit schmerzhafter Dis- 



259 



sonanz haufig in die Klagen der Instrumente hineinbohrt. 

Der Expositionstheil des Allegro zerfallt in fiinf Scenen. 

Die erste breitet in einem langen Zuge das Hauptthema, 

ein getreues Abbild leidenschaftlicher Verwirrung, bin: 



Allegro moderato. 




^^m 




Seine Aufregung bricht sich an einer Gruppe, in welcher 
die Musik nicht in zusammenhangenden Gedanken, sondern 
in Interjection^n und Naturtonen spricht: in fanatisch 
herausgestossenen Trillern, im kurzen schweren Aufschrei 
der Blaser und in scharfen Dissonanzen, welche in ihrer 
Art und ihrer Einfuhrung an diejenigen erinnern, welche 
im ersten Satze von Beethoven's Eroica der E moll-Episode 
vorangehen. Und nun beginnt die dritte Scene. Von einem 
milden und beschwichtigenden Gesang der Clarinette 
praludirt, tritt das zweite Thema ein , eiiie der schonsten 
musikalischen Darstellungen vom Zustande eines Herzens, 
in welchem die Hoffnung mit der Furcht kampft: 

Co» _^ ^_ Cor. 

J) VJoL 




In jedem Takt ein anderer schoner Zug: Wie die Violinen 
Trost zusprechen, wie das Horn absetzt und ansetzt, hoher 
und hSher geht, zuletzt im langen Gang sich ausspricht, 
selbst in der kleinen Dissonanz des a im ersten Takte 
— in AUem liegt eine Warme, Anschaulichkeit, Unmittel- 
barkeitj eine Naturwahrheit, wie sie nur die genialsten 



^ 260 *- 

Kiinstler ab und zu erreichen. Die Scene wird haupt- 
sachlich auf Grund der beiden eingehakten Takte weiter- 
gefiihrt und endigt mit einer Wendung, welche der eigen- 
thumlichen Schdnheit des ganzen Bildes wiirdig ist: 
Kurz und uberraschend moduliren die Bl&ser in sanften 
Accorden von B- nach Ddur und halten die neue Har- 
monie leise mit einer langen Fermate wie eine freund- 
liche Vision fest. Als sollte der Traum nicht gestort 
werden, bringen darauf die tiefen Streichinstrumente pp 

das Motiv y^ ' ' ' T i*r ''f ' T ' * gehen aber bald mit 

ihm wieder in's Sturmische und zur fiinften Scene des 
Expositionstheils uber, deren Them a heroischer Natur ist: 




f 

Die Durchfuhrung beginnt als wortliche Wiederholung 

der ersten Scenen, setzt aber dann die Schilderung des 
Conflicts zwischen Muth und Zweifel mit selbststandigen, 
neuen thematischen Ideen fort und nimmt nach dem 
Schlusstheil einen triiben und hocherregten Charakter an. 
Mit harten Dissonanzen und chromatischen Passagen, 
welche in Liszt'scher Weise stylisirt sind, wird der 
Uebergang zur Reprise bewerkstelligt, welche den Inhalt 
des Expositionstheils in gesteigertem Ausdruck, das Haupt- 
thema noch wilder und das zweite Thema noch riihren- 
der, recapitulirt. 

Der zweite Satz, ein Presto (Dmoll) in drei Theilen, be- 
ginnt mit einem J ^ ^'^»*^- , ? , , ? . 



kleinen Schreck^ * jjjjj' '^jjjj 

Erst nach diesen durch die Generalpausen machtig ver- 
starkten Allarmsignalen setzt das stUrmische Hauptthema, 
in seiner Construction auf folgendes kurze Modell gestiitzt : 

^jn ' I I I I J . I ®^*^- Diurch das ganze Stiick 

'Y^iiVi i ^ ^U i ^ bleibt ein herber, barter Zug 



vorherrschend. Die freundlichen Seitenpartien, welche 



261 



in mannichfachen Nebenthemen betreten werden, wie: 



Tiol. 



ftj ininirri^rT ii |||— III jpnljpi 





'n .O [ fiihrftn immer wieder 



in den Hauptweg zuriick, und selbst in dem Allegretto, 
welches in dem Satze die S telle des Trio vertritt — der 

AllepD noB troppo. y^^^ 



Anfanglautet: ^ jjtt f Y Nf* ^ ^ ^^ ^^ ~ verdrangen 



BlMcr 

die iiberwiegenden allarmirenden Elemente die Versuche 
znm freundlichen Gesang. 

Das Adagio (Fdur, ^/g) der Sinfonie ist einer der 
schonsten melodiereichsten Satze der neueren Instru- 
mentalmusik, von einer Milde in Charakter und Stimmung, 
die seine Betrachtung zum reinsten Genuss macht. Seine 
Hauptmelodie : 

Adagio. ,»,— ^ 

' -jT^ I J ji JT3 1 rin 



Pmi lt^u 



ffTQjJTJjTp^ ^ 



J jij p'R / ;l] I Ji;i^ i HScf/ Ymrn i 



■ rri J ' I -) I J n J — i^ welcher die Beethoven'schen Ele- 



mente reich vertreten sind, wird durch 

ein Seitenthema abgelost und erganzt, dessen Ausdruck 
und Abschluss eigenthiimlich schon ist: 




^fffteM* = 



[J^I'llM^II' 



Auf diese Hauptgruppe folgt eine Scene, die, melo- 
disch aufBagatellen beruhend, iiber kurze Motive schwarmt 
und in entlegenen Hannonien traumt. In derSussigkeit der 



-«- 262 

Stimmung, in der ungezwungenen Innigkeit des Tons er- 
innert sie an eine Liebesscene. Ueber dem Ende des 
Satzes, wo die B&sse und Celli choralartige Weisen an- 
stimmen, liegt religifise Weihe. 

Nach einer langsamen Einleitung beginnt das Finale 
mit einem Thema, das in seiner sturmischen Natur und in 

Allegro eoB fvoeo. 

seinen An- Jlb ^ Trr^^i 7 " wortlich mit einem sehr 
f angsnoten : y< t^^t Jl * |i — bekannlen Gedanken aus 

Beethoven's Kreutzer-Sonate iibereinstimmti Das Finale 
ist lebendig froh gedacht, aber ziemlich breit and mijL 
Einmischung seltsamer Einfalle ausgefiihrt. Unbedingte 
Sch6nheit in Form undCharakterbesitzt das zweite Thema: 

I I I llJi^li llJlj^l'il'lLUl' I 

Als der junge Rubinstein mit seiner ersten Sinfonie 
auftrat, befand er sich in einer ziemlich zahlreichen 
Gesellschaft mitstrebender Talente: Leonhard, Helsted, 
Pape, Goltermann, Kufferath, Pott, Veit, Wiierst, Ulrich, 
Gouvy, Dietrich. Von diesen vielen neuen Sinfonikern 
der fiinfziger Jahre, welche in der Mehrzahl Mendels- 
sohn'sche Ideen kleiner mtinzten, haben sich nur sehr 
wenige fiir langere Zeit behauptet: Gouvy und Ulrich 
fanden mit mehreren Werken ehrenvolle Beachtung, 
eine populare und bedeutende Position errang nur 
Albert Dietrich rait seiner zweiten Sinfonie in Dmoll. 
A. Dietrich Diese Dmoll-Sinfonie Dietrich's, seit 20 Jahren ein 

Sinfonie DmoU Liebling des Publikums, ist eins der anziehendsten Kunst- 
werke der neueren Zeit. Ihr Schwerpunkt liegt in der 
edel weichen Schwarmerei, in der jugendlich gliicklichen 
Ueberschwanglichkeit , welche alle Partien der Sinfonie 
romantisch durchdringt. Sie hinterlasst, wie wenige 
Compositionen , den starken Eindruck einer eigenen In- 
dividualitat und den Wunsch, dass sich die liebens- 
wiirdige, gehaltvolle Kiinstlernatur, der wir dieses Werk 
verdanken, noch in einer grossen Reihe so freundlicher 
und anmuthiger Sinfonien aussern moge. 



263 



Der erste Satz beginnt heroisch mit folgendem, von 
sammtlichen Streich-Instrumenten im Unisono vorge- 
tragenen Hauptthema: 

Alleg^ro. 




if^ 



Schon im ersten Seitensatzchen aber nahert sich die 
Phantasie friedlichen Regionen und lenkt dann im zwei- 
ten Thema 




in ihr Lieblingsgebiet, in das der herzlichen Idyllen 
ein. Die Mittelsatze der Sinfonie bieten fiir solche 
das Terrain ohne Beschrankung dar. Wir suchen in 
dem Kreise der gleichzeitigen Dichter und bildenden 
Kunstler vergeblich nach Parallelen, wenn wir die ge- 
mtithlich traulichen, einfach sinnigen, und doch vor- 
nehmen Melodien horen, welche uns Dietrich in dem 
Andante und in dem Scherzo seiner D moll - Sinfonie 
bietet. Die Themen seines langsamen Satzes (Andante, 
Fdur), der zwischen ^/g- und ^/g-Takt wechselt: der tr^u- 
merisch freundliche Gesang des Homes 

Aiidant< 



»,..i"nr i rnrr f|r|ii f i-f|rpr p|r>i-rrf| 

Cor. 



a 




iJ. ' i- i- 'y 



und die halbschelmische Weise 
der Celli 




dolci$$. 



pooo creie. 



f^ ' pp r. j^ I f - - klingen wie Volkslieder, reichen 
L P J J' ^ "^ LLjLT ^^^^ ^^6r deren Form in der 



Contrabatte 



264 



kunstvoUen und gew&hlten Anlage und DurchfUhrung 
hinaus. 

Das Scherzo beginnt einfach kr&ftig: 

Allei^ro eneri^eo. Viol. 




ysiftM 




f \f . In seinea Seitensatz 




und in sein 



erstes Trio 



io itiTj^J'j^jnitxJlLUj l| 11^ 

fallen Strahlen aus Schumann'schem Lichte. Das zweite 
Trio ist eine echt Dietrich'sche, herzlich liebe Weise: 




J* Brat»eh«n 



Viol. T 



7' J>J I f^p f I ^' J^J I J- welche sich in empfanglichen 

Gemuthern fiir's Leben festsetzt Einen poetischen Zug 
in der Gestaltung des Scherzo bildet die Einflechtung 
der Hauptmelodie des Adagio. 

Das Finale der Sinfonie ^hnelt im Hauptthema: 

fi'^Trrn^r-iiiii jjimlijiiinTijjii 




wieder einem bekannten Schumann'schen Typus. Das 
zweite Thema: 




' r i^r-|'|ir^ r 



P CttUi u.Brattch. erese. 

bringt noch einmal den eigen schwS.mierischen Zug 
Dietrich's zu warmen, schonen Ausdruck. Die Uebergangs- 



265 



partie zwischen den beiden Themengruppen ist dem 
Humor gewidmet. 

Noch einige Zeit vor das Dietrich'sche Werk, in das 
Jahr 4 863, fallt die Entstehung einer anderen beriihmten 
DmoU-Sinfonie. Es ist die von Robert Volkmann. 

Volkmann's Dmoll-Sinfonie ist die Schopfung eines B. Volkmann 
mannlich kraftigen Geistes, ein fest und gedrungen hin- Sinfonie Nr. i 
gestelltes Werk, welches nach Wesen und Styl der Beet- ^^ ™^^^^' 
hoven'schen Schule angehort. Der erste Satz dieser 
Sinfonie steht mit seinem trotzigen, entschlossenen Zuge 
in directer geistiger Verwandtschaft zu der gewaltigen 
Neunten. Ja, dort an der Stelle, wo am Schlusse der 
Durchfiihrung die Basse von den langen festgebannten 
Harmonien sich trennen und ihre chromatischen Gange 
antreten, da klingen auch die Beethoven'schen Themen 
leibhaftig an! Gleichwohl besitzt die Volkmann'sche 
Sinfonie, und namentlich ihr erster Satz, geistige und 
technische Selbststandigkeit im hohen Grade, eigene be- 
deutende, in Ernst und Frohsinn immer treffende, aufs 
Ziel schnell hingehende Gedanken und eine eigene schlicht 
belebte, auf jeden Prunk und Reiz verzichtende Dar- 
stellung. 

An der Spitze des ersten Satzes steht das Thema: 

BlSMr 



Allei^ro patetico. 




/■=^^ viol. 

mit seinen drohenden und schweren Gedanken. Wahr'end 
es noch leise in den Bfissen fortgroUt, erheben die 
Holzbl^ser und Violinen ihre trostenden und bitten- 



denStimmen: 



und die erste Scene des Satzes schliesst mit einem Com- 
promiss, der die diistere Stimmung in einen heroischen 
Entschluss a. _ b* * * ^ ^* _ ?' :§ !»♦ 

uberleitet: 





4 



-•. 266 ^ 

Es ist eine besondere und sehr bemerkenswerthe 
Idee Volkmann's, an Stelle des einen Themas eine ganze 
dreigliedrige und voUst&ndig dramatisch entwickelte The- 
mengruppe zu setzen. Der Satz bleibt vorwiegend streit* 
barer Natur. Die Momente der Ruhe, wie sie am ent- 
schiedensten das F dur-Thema 




ir I* f r 1^' P r ^^sdruckt, bil- 



den nur Episoden. Die Durchfuhrung wiederholt in ver- 
gr5sserten Verh&ltnissen den Auftritt zwischen den bitten- 
den Blasern und dem grollenden Streichorchester, mit 
welchem der Satz begann, und die gewaltig eingeleitete 
Reprise nimmt den gewohnlicben Verlauf. 

Das Andante (B dur, ^/^ hat zum Hauptthema eine 
hauptsachlich von der Clarinette getragene Melodie, 
welche Frieden suchend folgendermassen beginnt: 

And ante. 

^►'' a r^T77 'i i r^^r' '^^'■Ljl^ iJ '^ J-DievierTakte, 
welche ihr praludirend vorangehen, sind sehr wichtig: 

Sie bringen in gi M J J I Jijtj ; ein Motiv, welches fiir 

die Entwickelung des Satzes die treibende Kraft bildet 
und den kleinen Variationen, welche aus den Fi- 
guren des Hauptthema abgeleitet werden, bestandig zur 
Seite geht. Der im allgemeinen ruhige Ton der kleinen 
Dichtung wird am Ende der Durchfuhrung einmal hoch 
leidenschaftlich. Es ist eine ausserordentlich mysteriose 
Stelle: die, wo nach den gewaltigen As dur- Accorden das 
Horn zu den stillen Modulationen der Violinen 30 Takte 
lang immer sein C anschlagt. Sie ruft auch klanglich 
das Bild aus Wagner's Walktire vor die Phantasie, wo 
Siegmund in seiner Seelennoth, einsam vor dem Herde 
in der dunklen Hiitte nach „Walse" ruft. 

Das Scherzo stimmt einen rustig muntern Ton an. 
In der Figur seines n :^"?^y^ non troppo^ 

Hauptthemas f£ M J J J I J^ ' 




267 



und in der contrapunktischen Form seiner Entwickelung 
leben noch einmal Geist und Methode der alien nord- 
deutschen Schule auf. Das lieblich kosende Trio, welches 
das gesch&ftige Treiben des Hauptsatzes mit landler- 
artigem Tone unterbricht: . ^ 

tragt die reizenden Farben der Friihromantik. 

Das Finale der Sinfonie, ein Tonstuck freudig ge- 
hobenen Charakters fallt, mit seinem Hauptthema: 



Allegro molto. 



^ »» « ««» *»*» >»»»»» 
*^^ '^**^ 



i ,i i i rr i 7j I r r I - , - , r "r |- r r 



und noch mehr mit dem Nachsatz des zweiten Thema: 




i .1 rTTiM I I r "^ p ^^ r f If r I r+ -i 

*J " ClHr. ' ^ OkT^ ' ----rL^ 



in den Stylkreis derMendelssohn-Schumann'schenPeriode. 
Das zweite Thema selbst, eine rhythmisch energische 
Bildung 




ist der HaupttrRger der zwischen Pathos und Frohlich- 
keit hinsteuernden Gedankenentwickelung. Es giebt viel- 
fache Veranlassung zu polyphonen Kiinsten, zu ver- 
wickelten Harmonien und zu seltneren Klangcombi- 
nationen, in welchen der Posaunenton ein wichtiges 
Element bildet. 

Volkmann's zweite Sinfonie (B dur) gehort dem B. Volkmann 
frohen und heitern Gebiete an. Ihr erster Satz vereinigt Sinfonie Nr. 2 
ausgesprochen volksthiimliche Ziige im ersten Thema i^^^^h 

Allegro vivace. ^ 

^t'-in f r i frr r i fff r i rr r'Cir i rf rr i g 



Viol. 



mit specifisch Schumann'schen im Seitensatz: 



268 



^ . viol. 

J i'; I II III 




und im zweiten 
Thema: 




Die Ausfuhrung dieser leitenden Gedanken ist sehr 
knapp; uberraschend schnell tritt der Schluss ein. 

Der zweite Satz: Allegretto (Esdur, Va) ist ein be- 
hagliches Scherzando mit folgendem Hauptthema: 

Allerretto. 

■ -^fc 




# 



Sein Seitensatz tandelt anmuthig auf dem Motiv 
Ciif r ^ ^ r I n ^i^- Unter den mancherlei 



Aehnlichkeiten, welche der ^^'tz mit dem beriihmten 
Allegretto in Beethoven's achter Sinfonie gemeinsam hat, 
tritt als die nachste das folgende Motiv: 

jfl "V hervor. Die originellste Idee 

im Stiicke bildet das Thema des Mittelsatzes : 



r*s 



*t 7 mf 



Eigenthtimlich launisch weicht es in seinen Schliissen 
lange dem Grundton aus. 

Der dritte Satz (Andantino, Gmoll, ^/g) ist nicht viel 
mehr als eine langsame Einleitung zum Finale. Das 
Thema beider Satze ist dasselbe. Das Andantino. bringt 
es in ruhiger Bewegung, in melancholischer Fftrbung und 
in der eigenthumlichen Instrumentirung der Steppenmusik; 

Andantino. , 







269 



das Finale (Bdur, 2/^) im raschen Tempo, in humoris- 

tischer Attitiide und mit aller derjenigen Verve , deren 

es f3.hig ist, am Anfang in folgender Form: 

Allegro vivace. 




Clar. 



4ta. 



Mit ihren beiden letzten Satzen gehort Volkmann's 
Bdur-Sinfonie eigentlich in das vorhergehende Capitel: 
Nationalmusik in der Sinfonie. Sie ist der Kaiserlichen 
Russischen Musikgesellschaft in Moskau gewidmet und 
giebt dieser Widmung durch die Schlusssatze einen emst- 
lich praktischen Ausdruck. Tschaikowsky's Serenade 
(op. 48) stimmt in dem Thema ihres Finale mit dem gleichen 
der Volkmann'schen Bdur-Sinfonie fast wOrtlich iiber- 
ein, und auch die Ausfuhrung in Variationen, welche sich 
von Nummer zu Nummer mehr erhitzen und bis zu 
dithyrambischer Ausgelassenheit weiter gefuhrt werden, 
ist dieselbe, wie sie die russischen Componisten seit 
Glinka fiir ihre kleinen heitem Pastoralmotive zu wahlen 
pflegen. 

Zu den bekanntesten Sinfonien der neuesten Periode Max Bmch 
zahlt die in Es dur von Max Bruch. Sie ist ein Werk sinfonie Nr. \ 
in classischer Richtung, durch einen objektiven Zug in ^ ^ "'^' 
der Darstellung ausgezeichnet, im Inhalt vorwiegend 
heroischer Natur. In der musikalischen Factur zeigt sie 
eine Hinneigung zum Einfachen und Kernigen, kraftige 
Harmonik und volksthiimliche, liederartige Melodik. 

Ihr kiinstlerisch bedeutendster und reichster Satz ist 
der erste (Allegro maestoso C), eine ernste Dichtung, die 
uns wie ein Stimmungsbild am Vorabend eines wichtigen 
Tages anmuthet. Er beginnt ruhig gedankenvoU mit dem 
schonen Hauptthema: 

^\ AUegTo maestoso 

^ Horn 




Die hoffenden Elemente dieser Melodie steigert der 
Nachsatz zum Ausdruck stolzer Kraft: 



270 




ft rti* 



Der ideelle Gegensatz zu dieser Gruppe ist wie diese 

ebenfalls zweitheilig. Er beginnt mil einem Unruhe und 

c) 
Z weifel bergen- 

den Motive: 

und schliesst mit einem in freundlicher Sentimentalit^t 
beschwichtigenden Gesangthema: 

Ir jXi'j I III im M in m'.ili m 




cte. 



Die Durchfiihrung beschrHnkt sich auf verschiedene 
Kreuzungen der Themen a und c. 

Als zweiter Satz folgt ein Scherzo (Gmoll 2/4)) eiii^ 
breit ausgefuhrte und sehr popular wirkende Composi- 
tion, welche mit der Lagerscene in Rheinberger's „Wal- 
lenstein" manche Beriihrungspunkte hat. Das Haupt- 
thema des Satzes ruht auf einem sLusserlich malenden 

Motiv: 

Presto. 




rt* 



welches bald gewaltig in die H5he wirbelt Die Seiten- 
satze bringen frohe 



Rufe jj!>"ifi | J« , l llj% 



und Scenen, die den harmlos enthusiastischen Spielen der 
Jugend zu gleichen scheinen. Das unschuldige Thema: 



271 



wird mit einem unermiidlichen Eifer wiederholt und 
durchgefiihrt. Die Hauptpartie in dem belebten, froh- 
lichen Bilde ist der Mittelsatz mit seiner vom Unisono 
des Streicher- und des Blaserchors heriiber und hin- 
tiber gesungenen derb behaglichen Melodie: 




Der dritte Satz: „Quasi Fantasia" betitelt (Grave, 
Esmoll, C), beginnt in sehr scbwermuthiger Stimmung mit 

^ , Grave. _ 

einer,wiefolgt: j m » f f f ' T^^ ^1 ' ffC'^^'* ' ^ '^ 

ansetzenden und sich bis zum endlichen Abschluss lang 
streckenden Melodie. AUe Motive im Satze tragen den 
Charakter einer bangen Stunde. In der Mitte taucht 
das beunruhigende Thema c) des erten Satzes der Sin- 
fonie wieder auf. Ohne Pause geht dieser langsame Satz 
in das Finale uber, das ahnlich wie in Mendelssohn's 
Schottischer Sinfonie halb programmatisch als „Allegro 
guerriero" bezeichnet ist. Im poetischen Plan der Sin- 
fonie bedeutet dieses Finale die von Aussen kommende 
Rettung, die gluckliche Entscheidung: Der musikalischen 
Form nach ist es eine ausgefjihrte und idealisirte Marsch- 
composition, in welcher ein flottes Thema: 

mit einem 




sentimentalen : 



j!t'' i .iir ir f 71 frnr r r- (TTf' r i 



^ 



etwas einf6rmig wechselt. 



-♦ 272 ^ 

Die zweite Sinfonie von Bruch (Fmoll) ist wenig 
bekannt geworden. Dem diister und trUb beginnenden 
und froh endenden Werke, welches nur aus drei S&tzen 
besteht, liegt offenbar ein Programm zu Grunde, welches, 
wie in fthnlichen FUlIen in der Kegel, nur zum grossen 
Schaden fur die Wirkung und das Verstfindniss der Com- 
position verschwiegen worden ist. Nicht an Ernst der 
Anlage und Arbeit, wohl aber an Frische der musika- 
lischen Phantasie steht diese zweite Sinfonie Bruch's hinter 
der ftlteren zuriick. Der hervorragendste Satz ist der 
mittlere, in welchem intime Gedanken ihren eigenen 
Ausdruck gefunden haben. 

Die nachsten Componisten, welche nach Bruch auf 

dem Gebiete der Sinfonie weitere und andauernde Be- 

achtung gefunden haben, sind Friedrich Gernsheim, 

Felix Draesecke und Hermann Gotz. 

F. Gernaheim Die Gmoll-Sinfonie von F. Gernsheim steht 

Sinfonie Nr. 1 auf classischem Boden und entnimmt der Eroica, der 

(Gmoii). Neunten, dem Violinconcert Beethoven's und der grossen 

C dur - Sinfonie Schubert's eine Reihe merkbarer An- 

regungen. Am selbststandigsten erfindet der Componist 

da, wo die Sinfonie sich auf dem pathetischen Gebiete be- 

wegt. Das in diese Kategorie gehorige Thema, welches 

an der Spitze ihres ersten Satzes steht, ist unter die 

stattlichsten Sinfonie - Gedanken der neueren Zeit zu 

rechnen : 

Allej^ro moderato. 
■+ -»* 

In alien ihren Partien erfreut diese Sinfonie durch 

edle Richtung, durch Geschmack und Masshalten. 

F. Gernsheim Die zweite Sinfonie Gernsheim's (Es dur) ist vor- 

Sinfonie Nr. 2 wiegend idyllischer Natur. Ihre hervorragendsten Satze 

(Esdurj. g.j^^ ^.g mittleren: Notturno (in As) und Tarantella 

(in C). 

Die beiden Sinfonien von F. Draesecke zeigen in 

F. Draesecke. ihrgj^ Autor einen Charakterkopf, welcher streng an 

seinen Ideen festhalt und sie mit einer Consequenz 




273 ^ 

clurchfiihrt, die oft geistreich iind genial, zuweilen aber 
auch ermudend wirkt. Die Elemente einer weicheren 
Empfindung and einer schonen Sinnlichkeit sind in den 
Werken des Componisten durch einzelne Glanzstellen ver- 
treten. Daraus ist in der ersten Sinfonie (Gdur) die 

^ Adagio. ^^ .^ i I . ■» ■ 

Clarinettenmelodie {^ | | 3E p il^rj I ^ IJj^ I ^ ^ 
der Einleitung, aus der z we it en (Fdur) das zweite 

Alleg ro. 

Thema im ersten Satze J ^ ^ j j ^ U p' f\}\§ ^ i J'^ s^~^r ~ 

c.-- - - -o 
hervorzuheben. Im Allgemeinen aber hei*rscht in diesen 
Sinfonien ein barter Zug vor. Ihre Hauptstfirke liegt in 
den humoristischen Satzen. Der drastischen, auch in 
den grotesken und burlesken Excursen immer fein und 
witzig gehaltenen Komik des Scherzo in der ersten und 
des Finale in der zweiten Sinfonie Draesecke's haben 
wir aus der neueren Litteratur wenig zur Seite zu 
setzen. 

Grosserer Popularitat als die letztgenannten Werke h. &8tz 
erfreut sich die Sinfonie (Fdur) von Hermann Gotz, sinfonie Fdur. 
des Componisten der „Zahmung der Widerspenstigen". 
Sie verdankt diese ihrem zweiten Satze „Intermezzo", 
einem der reizendsten Genrebilder der modemen Musik. 
Die Nummer wirkt ebenso durch ihren frohlichen, popu- 
Islren und doch noblen Inhalt, wie durch die originelle 
Anlage. Das Horn beginnt mit: 

«J Allegretto. , V^*-^ 

pi,:\rnsii:i\rrjui:i \ ^ ^ \ T\ |"!'l' - 

Die Holzblaser antworten ebenso naiv mit einem mun- 

Vio- 



teren Thema I L^ j" [ L/f % Cf | ^f welches die 



linen aufnehmen und weiterfiihren. Nach einer luftigen 
Cadenz der Flote setzt der Seitensatz in gedampfterer 
Stimmung ein: 



\S 



i 



274 




E ^i^rrraj) 



Celli, zweite Violinen und Fagotte legen eine sentimental 
sinnende Melodie darunter. 

Der Gedanke und seine Durchfuhrung erinnern eine 
Weile an das Scherzo der Schumann'schen Cdur-Sin- 
fonie, bis die Trompete mit dem Hornthema des Eingangs 
den eignen Phantasiekreis des Componisten wieder fest- 
stellt. Das kindlich heitere Treiben gelangt in einer die 
Stelle des Trio vertretenden Episode uber folgendes Thema 

unpoco meno moto. 




J f] \^^y r] I J I J *^^ einen Augenblick zur Ruhe. 

Von diesem Mittelpunkte aus bewegt sich dann der Satz in 
freien, vorwiegend durch ruhigere Gegenmelodien ver- 
anderten Wiederholungen der ersten Gnippen dem Ende 
zu. Das Adagio (Fmoll, % steht mit dem Intermezzo 
in naherer Verbindung. Das Thema d des letzteren 
bildet den Mittelsatz. Hauptthema ist eine ernste Melodie 

Adagio. 

' ■ ■ » ^ ^ w ^ 

auf deren 




Grund der erste und dritte Theil des Satzes in einfacher 
Sprache eine Reihe von Betrachtungen ausfuhren. Ihr 
tief schwermiithiger Ton macht erst in der Coda (in Fdur) 
einer hofFnungsvolleren Stimmung Platz. 

Von den beiden Ecksatzen der Sinfonie ist der 
erstere d6r hervorragende. Sein Hauptthema ist durch- 
ausromantisch, in seiner Stimmung zwischen sinnigbehag- 
lichem Geniessen, jugendlich stiirmischem Ueberschwang 
und leichten Anwandlungen von Melancholie getheilt: 

Allegro moderato. ^ ^ fai 



TTjTr' J J tfJtfg 




-^ 275 ^ 



Das zweite, freundlich schwarmend: 



« Fiule 




^ weist auf Wag- 
ner's Meister- 

singer hin. Ueber der Verbindung der beiden Ideen liegt 
gleichmassig der Ton liebenswiirdiger Anmuth; doch 
bricht an einigen Stellen auch der Jubel kraftig durch. 

Besonders hervorzuheben ist der Schluss der Durch- 
fiihrung, an dem aus zarten Traumen sich die Phan- 
tasie iiberraschend energisch zum Hauptthema zuriick- 
wendet. 

Der Schlusssatz der Sinfonie ecstrebt kraftigen und 
feurigen Ausdruck. Hierzu dient die ranschende Violin- 
figur, welche das Hauptthema eroffnet: 

Allerro eon fuoco . 




und das resolute Thema 



des Seitensatzes: 









DerGegenpart ist durch eine Melodie vertreten, welche 
nur durch kunstvolle Schlusse zu einem starkeren Ge^ 



halt erhoben wird: £^ J j J f ■ f I f -Tj^ ^ 



Lange erwartet trat zu der Zeit wo die Gotz'sche 
Arbeit erschien, am Ende des Jahres 4 876, endlich auch 
derjenige Tonsetzer in die Reihe der Sinfoniker ein, 
dessen Namen einst die Musikgeschichte, aller Wahr- 
scheinlichkeit nach, an die Spitze der gegenw^rtigen 
Periode der instrument alen Tonkunst setzen wird: JO' 
hannes Brahms. 

18* 



-^ 276 ^ 

Aus den Kreisen der Romantiker hervorgegangen, 
vertritt Brahms das bleibende Princip der romantischen 
Richtang: das Princip der gemischten Stimmangen und 
der raschen Bewegung des Empfindungslebens. Aber 
alle die friiheren Vertreter der musikalischen Romantik 
iibertriflt Brahms durch die Vielseitigkeit des Geistes, 
welche er sich in einer wunderbar zielbewussten und 
energischen Entwickelung erworben, und durch die 
Objektivitfit, die Strenge und Mannichfaltigkeit des Styls. 
Brahms ist unter alien Sinfonikern unsers Jahrhunderts 
der Einzige, welcher Beethoven in der Logik und Oeko- 
nomie des Satzbaues, in der ununterbrbchenen Gediegen- 
heit des Materials und der Arbeit, in dem vomehmen 
Verzicht auf das Conventionelle erreicht Seine Werke, 
naturgemass die Sinfonien voran, sind deshalb auch 
nicht durchweg leicht zu geniessen. Schwer ist vor alien 
seine erste Sinfonie. 
J. Brahms Diese erste Sinfonie (C moll) nahert sich im Cha- 

Sinfonie Nr 1. rakter und im Gauge ihrer Ideen der Beethoven'schen 
( moll). fiinften. Auch sie fiihrt von Kampfen und schweren 
Stunden zur Klarung und zur freudevoUen Freiheit der 
Seele. 

Der Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung 
(Un poco sostenuto, C moll, ^/^, welche das Bild des 
folgenden grossen Allegro in kurzen Strichen voraus- 
zeichnet. Sie braust leidenschaftlich auf — schopft 
Athem und hofft wie dieses — auch die thematischen 
Motive des Allegro klingen in ihr schon an. Unter diesen 
ist das chromatische Thema, mit welchem die Violinen 
sich unter den drohnenden Strichen der Contrabasse in 
die Hohe qualen, dasjenige welches fiir den Bau der 
ganzen Sinfonie hervorragende Bedeutung hat: 

Un poco sostenuto. ^ -^ 

** Jr ^ •to. 

Es steht an der Spitze der Sinfonie und bietet fiir 
den grossten Theil derselben den technischen Stutzpunkt. 
Noch in ihren zweiten und dritten Satz ragt es geistig 



( 

^ 



277 



und leibhaftig hinein; der erste Satz aber ist vollstandig 

Allegro 

auf ihm fundirt. In der Form : i i»''i. \\ f'Tf Up* I T' bildet 

eshierbald die Oberstimme, bald denBass,fungirt in seinem 
contrapunktischen Gewebe als heimlicher Cantus firmus, 
und wirkt als treuer, leitender Geist in guten wie in 
bosen Stunden. Es giebt die Allarmsignale und ruft be- 
schwichtigend den Sturm der Leidenschaft zur Ruhe. 
Das formelle Hauptthema des Allegro ist folgendes: 




ffiB 



^m 



Es tragt die dS,monischen Scenen des Satzes, welche 
mit grosser Energie, Kraft und Scharfe, aber verhaitniss- 
mUssig knapp dargestellt sind. !Eindringlicher, fUr den 
Gesammteindruck des Allegro fast entscheidender, wir- 
ken die Partien in welchen der verzweifelte Ton der 
Kampfesstimmung leiser wird und den milderen Reg- 
ungen Platz macht. Wunderbar schon ist namentlich 
der Uebergang zum zweitenThema: der allmahliche Ein- 
tritt der ruhigeren Bewegung, das Hervortreten klagen- 
der Motive, der sehnsuchtsvolle Ton, in welchem das 
erwahnte chromatische Thema an die Spitze der bitten- 
den Stimmen tritt. Der ganzen Partie ist der Stempel 
der Naturwahrheit aufgedriickt. Das zweite Thema, 
dessen erste Periode zur Orientirung iiber das Ganze 

dienen mag / ' " ' ^ 'fjj' ''' I' ^pj ^' ^pV^ "^[I 'l "fa bildet 

den Abschluss dieser friedlichen Wendung. In geistiger, 
wie in technischer Natur erscheint es ebenfalls von dem 
chromatischen Leitthema der Sinfonie stammend. Ein 
reizender Dialog, von Horn und Clarinette fast nur in den 



/. ^; ^/ -/^^ 



4 . ■^ .!• 1'* 




278 ^ 

€infachsten Naturlauten gefiihrt, fiigt sich an; leider ist 
er nur vonkurzer Dauer. Mit einem unwirschen Rhythmus: 

• ■ y ^S. L f ^ . aus welchem sich das fiir die Entwickelung 

des Satzes wichtige Motiv i t'l T f pfe herausbildet, rufen 

die Bratschen den Chor der Instrumente in die leiden- 
schaftliche Action zuriick. In der Durchfuhrung treten die 
beiden grossen Pianostellen besonders hervor: In der 
plStzlichen Todtenstille , welche sie verbreiten, in dem 
• leisen halb verborgnen Walten ernster Gedanken, haben 
sie etwas Uebersinnliches. Der ersten folgt eine Scene 
von Kraft und Frommigkeit. Die alten Motive des Trotzes 

schliessen sich wie zum 
Choralgesang zusammen : 

Die zweite lenkt in eine Periode iiber, welche den aufge- 
regten Ton der Einleitung verstarkt und gesteigert 
wieder anschlagt und mit dem erschreckendsten Aus- 
druck innerer Emporung in die Reprise iiberleitet. Es 
1st diese Periode eine der gewaltigsten Leistungen im 
pathetischen Style und zugleich ein Meisterstiick in der 
Kunst Uebergange zu machen. Die Reprise nimmt den 
gewohnlichen Verlauf. Als sie aber am Schlusse der 
ersten Themengruppe die damonischen Machte des Satzes 
auf einen neuen hoheren und unerhorten Punkt gefiihrt 
hat, bricht die Musik wie in naturlicher Erschopfung ab. 
Das chromatische Thema wird zu rtihrenden Klagemelo- 
dien erweitert, und wehmuthsvoll elegisch klingt der 
Satz aus. 

Der zweite Satz der Sinfonie (Andante sostenuto, 
Edur, 3/4) steht noch unter dem beklemmendenEinfluss des 
ersten. Soweit er auch dem vorausgehenden Allegro in der 
Tonart und in seinem Trost und Frieden suchenden Ab- 
sichten ausweicht — einige von dessen furchtbaren Ele- 
menten erreichen ihn doch. Sie aussern sich in den 
heftigen Crescendos, in den schrofFen Modulationen ein- 



-* 279 ♦- 



zelner Themen; ja das Allegro schickt auch einige seiner 
Motive wortlich in den langsamen Satz hinein : in das 
erste Thema: 



/Vndante sostenuto 




den chromatischen Passus 
des fiinften Taktes, in den 



Schluss der zweiten Themengruppe das schmerzlich 



wiederholte 




In einzelnen Partien klingt der Ton kindlicher Zu- 
versicht ausserordentlich riihrend durch, so im Nachsatz 

des ersten Thema: ft i i^^i ' * r f f I ^' T f'l^ ^ noch freund- 

licher belebt in dem Sechszehntelspiel , welches Oboe 
und Clarinette als zweites Thema bringen. Der Schluss 
des Andante, wo Horn und die Solovioline mit dem 
zuletzt citirten trostlichen Thema concertiren, wirkt wie 
eine wahre Musica sacra. 

Der dritte Satz der Sinfonie (Un poco Allegretto, 
As dur, 2/4) liegt von dem Charakter des an dieser Stelle 
gebrauchlichen Scherzo weit ab. Er ist im strengen Zu- 
sammenhang mit dem Geist des ersten Satzes gedacht: 
seine Heiterkeit infolgedessen eine gedampfte wie in einer 
frohlichen Stunde, die als die erste auf eine Reihe trau- 
riger Tage folgt. In seinem zweiten Thema namentlich 

Allegretto. 



Aue^retto^ ob. _ , £ ± * 



nrtt Pliiten flva 



ist die Betriibniss merkbar, und an der 
Fortestelle erhebt sich der Accent des 

Schmerzes. Der Grundton des Satzes ist kindlich herzlich. 



^M 




280 



So &assert ihn das Hauptthema, namentlich in der zweiten 
Haifte: 

Cl«r. 




«t«. 



noch mehr das Trio: ein graziSses Wechselspiel zwischen 
Holzbl&sern und Geigen iiber das Thema: 




Bl£«er 
eon 8v> 



▼iol 



In dem zarten Glockchenton der Biaser liegt viel 
Naturklang und ein urspriingliches Instrumentationstalent, 
wie es sich bei Brahms haufig in Bildungen von 
grosster Einfachheit aussert. Der Schluss des Satzes, 
still und halb unerwartet, steht mit dem decenten Cha- 
rakter der Composition im vollen Einklang. 

Das Finale (Adagio, C moll — Andante — Allegro, 

Cdur(^) beginnt mit einem Riickfall in die leidenschaft- 
lich trube Stimmung des ersten Satzes der Sinfonie. 
Schwermtithig setzt das einleitende Adagio ein: 




Die Violinen suchen energisch und desperat in einem 
durch das pizzicato und stringendo sehr scharf charak- 
terisirten Satz, welcher auch an den kritischen Punkten 
des Allegro wiederkehrt, von dem melancholischen Wege 
abzulenken. Vergeblich! Die Phantasie irrt aufgeregt 



im 



dunklen Kreise; uber das Motiv 3E Mi vHm M 

*^ crcse. 



gerath das Orchester in helle Einporung. Die Pauke 
wirbelt fiirchterlich. Da erscheint wie ein friedlicher 
Himmelsbote das Horn mit folgender Melodie: 

. Piu Andante. 

fl U u I \r r\" iT'r i i n i i| i 



-^ 281 ^ 

Wir sind im Andante, dem zweiten Theile der Ein- 
leitung. Die Stimmung sanftigt sich, erhebt sich und 
bereitet den kraftig freudigen Hymnus vor, mit welchem 
der Hauptsatz des Finale, das Allegro einsetzt: 

Allegro Bon troppo. 

Es ist eine 




lange und volksthumliche Melodie, welche sich aus dieser 
ersten Periode gestaltet. Sie bildet den Haupttrager der 
Darstellung imSatze. Unter den anderen Gedanken, welche 
ihr zur Seite treten, ist der wichtigste der schwankende : 



T fir P iV^p pTJ)) J, J^,J % p I J.^ . Zu voriibergehender 
Bedeutung kommen noch die energisch heiteren Motive: 



Jj>i^'i'i 'II j.j, 




vnd 



das innige 



Thema ^ l" f]2 I J \[^r fj j tf ^^ ^^^ ^^^ melancholische : 




r r i^f 'tTi>- ^ 



Der Satz ^iebt ein grossartiges, dramatisch schwung- 
volles Bild einer Siegesstimmung, welche iiber alle Hin- 
dernisse hinwegschreitend bis zum dithyrambischen Jubel 
anwachst. In seinen heitern und seinen ernsten Mo- 
menten wirkt dieses Finale gleicher Weise anschaulich 
und lebendig und aussert einen machtigen Zug. Die 
genialsten und ergreifendsten Stellen des Allegro sind 
wohl die, wo die Hommelodie des Andante wieder- j, Brahma 

kehrt. Sinfonie Nr. 2 

Die zweite Sinfonie von Brahms (Ddur, veroffent- (Ddur). 



I 



282 



licht Ende 4 877) ist ihrem Style nach, welcher pastorale 
Motive und anakreontischeldeen mit geisterhaftenKlangen 
nahe zusammendrangt, eine der romantischsten Compo- 
sitionen des Autors. In der musikalischen Factur steht 
sie hinter der ersten Sinfonie zuriick. Ihr Entwurf ist 
bedftchtiger und lasst mehrmals die Punkte erkennen, 
wo durch Zusatze und Einschiebungen nachgeholfen 
worden ist. Ihrem Inhalt nach nahert sich die Sinfonie, 
in vornehmer moderner Form, dem Phantasiebereich 
der alten Wiener Schule. Ihr Grundton ist ein heiterer, 
und selbst in den schwermiithigen Theilen ihres Adagio 
herrscht seelische Anmuth und ein friedevoUer Sinn. 

Der erste Satz dieser Sinfonie (Allegro non troppo, 
Ddur, 3/4) gleicht einer freundlichen Landschaft, in 
welche die untergehende Sonne erhabene und ernste 
Lichter hineinwirft. An selbststandigen musikalischen 
Ideen iibersteigt er den Bedarf des Schema bei Weitem, 
und einzelne dieser zahlreichen Seitengedanken fesseln 
die Erinnerung mit voller Starke an sich. Das Haupt- 
thema des Satzes besteht aus einem liebenswiirdig fa- 
miliaren, gemtithvollen Dialog zwischen Horn und Holz- 
blasern: 

'^■■ii^'rfirir. Im."" I U I 



Contrab. 



r ' f" 




Die Violinen schattiren mit ruhigen leichten Dreiklangs- 
figuren seinen Abschluss, die Posaunen markiren ihn 
mit Accorden von dunkler Feierlichkeit. Die Ueber- 
gangspartie, in der Mitte imposant auf Fragmente des 
ersten Them as gestiitzt, bringt zwei neue Motive, zu An- 



fang ein mun teres: 




am 



P Viol. 



Ende ein J[ j 
neckisches: tP*^" 




Das zweite Thema, 
welches in seinem 

Anfang einen leichten Anflug Mendelssohn'scher Senti- 
mentalitat aufweist: 



283 




Cdli 



r r-r rrrrrirrTiii 



wird in der Schlussgruppe des Expositionstheils von 
kraftigen Gedanken abgelost, unter denen die beiden 
folgenden hervorzuheben sind: 



und 




Namentlich dieses letzte Thema, durch markige Nach- 
ahmungen verstarkt, setzt sich im Gesammteindruck der 
Sinfonie machtig fest. Die Durchfiihruiig der aufgestellten 
tjedanken ist verhaitnissmassig kurz, im Charakter phan- 
tastisch contrastirend. Die Reprise kommt tiberraschend 
und mit reizenden Varianten. Die Coda des Satzes ge- 
hort zu den schonsten Partien der Sinfonie. Sie ist ein 
Produkt der unmittelbaren Inspiration. Das Horn leitet 
sie mit einer eigenthiimlich zogernden und suchenden 
Melodie ein, und darauf repetiren Violinen und Blaser, 
die einen den anderen immer einhelfend, nochmals in 
Ktirze alles das Freundlichste und Anmuthigste, was 
ihnen auf der vorhergehenden langen Wanderung be- 
gegnet war. 

Den zweiten Satz der Sinfonie (Adagio non troppo, 
Hdur, (^) beginnen die Celli mit einer Melodie folgenden 
Anfangs : 



8^ sub 



if t » ;j_r n ■ r if7-j. ^ ^^i \ \ \ f\^f^' if^^ 



' f \ ffr' p \r welche lange vergeblich nach dem Schliissel 



zu suchen scheint, der aus dem triibsinnigen Kreise heraus- 
ftihren soil. Ihren schwermiithigen Blicken begegnet endlich 
ein freundliches Bild, welches die Phantasie in die Jugend- 




284 



zeit, in die glUcklichen Tage von Spiel and anmuthigem 
Tanz zurtickfiihren will: 




p ittlee 

Ein dritter Theil, gefuhrt von dem Thema: 




pve» ^ 



steigert die trube Stimmung, von welcher der Satz aus- 
ging, bis zu einem leidenschaftlichen Grade. In der 
Durchfiihrung, deren Grundlage die Themen I und III 
bilden, herrscht der aufgeregte Ton vor. Auch im 
Schlusstheil kehrt die liebliche Melodie des i2/g-Taktes 
nicht zuriick; er lUsst in einer traumartig - freundlichen 
Beleuchtung das trauemde Thema der Celli verschwinden. 
Der Haupttheil des dritten Satzes (Allegro grazioso, 
G dur, 2/^, Presto 2/^, Presto ^/g) hat mit dem originellen 
Menuett der D dur -Serenade von Brahms den naiven 
Charakter in Melodik und Instrumentation gemeinsam. 
Das Hauptthema des Satzes hat folgenden Anfang: 

Allegretto yr«xi e»oi^ ^ „.____ 

fiifi ' i " rii ' i'" ri rLi'cj i i'i'LEj 'tilt[:^iir ' 



IJIIJJ • 

Die schlicht anmuthige Melodie ist mit einer glei- 
chen Einfachheit harmonisirt und instrumentirt. Der 
Seitensatz, im Wesenthchen lediglich eine rhythmische 

. Pr etto. ^ ^ 

Umbildung jenes Hauptthema A|jS 



Iwird noch 



durch ein sehr wuchtiges Nebenthema verstarkt 




In ihm wie in dem die Stelle des Trio vertretenden 
3/8-Takte 



« * 



285 



Presto. 




ifrr i ft; i r.rjr i Pf ipV u^'Juf 



i 



P Viol. 

ist der Humor in die Formen der ungarischen Musik gekleidet. 
Das Finale der Sinfonie (Allegro con spirito, D dur, (fc) 
erinnert an die schillernden Farben der Cherubini'schen 
Romantik, sein Geist ist der lustige lebenspriihende der 
Haydn'schen Sinfonie. Im Style dieses Meisters setzt 
auch das phantastisch flotte Hauptthema 

Allegro con spirito.. 




*^r' Pt f r r I Cr rrp r^ ^^ spannenden piano ein, dem 

dann nach einem frappanten Uebergang das ratischende 
Forte folgt. Das erste Seitenthema ist folgendes: 



^m 



M 



I 



r ^ ^ E 



i 



f ^ ' ' f T 
Die behagliche Wirkung des zweiten Thema: 



etc. 



ij '' "iij | jjji U jj ijjjjii_i!iJiriiijT i 



r r r f ^= erhalt in einer Reihe von Seitengedanken, 

patriarchalisch krSftig die einen, in losen Achtelfiguren 
tS,ndelnd die anderen, nachdriickliche Unterstiitzung. 
In der Durchfiihrung bildet eine traulich schwfirmerische 
Episode, welche auf folgendem Thema. ruht: 

"««' ,<r — r 

^"'^' ^ denanmuthi. 




Viol. 



gen Mittelpunkt. 

Die dritte Sinfonie von Brahms (F dur), welche im j. Brahmi 
Jahre 4 883 veroffentlicht wurde, zeichnet das Bild einer sinfonie Nr. 3 
kraftvollen Natur. In der Darstellung dieses Vorwurfs (Fdur). 



i 



286 



verfahrt sie aber insofern ungewohnlich, als die Stelle 
der Conflikte am Ende der Composition liegt. 

Im Style unterscheidet sie sich von ihren Vor- 
gangerinnen durch eine noch grossere Klarheit der Glie- 
derung. Sie zeigt uns den Componisten auf der Bahn 
edler Popularitat immer weiter schreitend: der subjective 
Zug in der Entwickelung tritt noch mehr zuriick, die 
Ideen und ihre Darstellung halten die Sphare des alien 
Menschen Verstandlichen und Fasslichen inne. Vielleicht 
bildet diese dritte Sinfonie von Brahms fur die spatere 
Kunstgeschichte den Ausgangspunkt einer neuen Periode 
der Sinfonie. Denn sie scheint den Bruch mit der 
Beethoven'schen Methode der Satzdisposition einzuleiten, 
indem sie den Schwerpunkt der Composition aus der 
Durchfuhrungspartie in die Themengruppe, aus der Aus-- 
arbeitung und kunstvollen Weiterfuhrung in das Gebiet 
der ersten Erfindung zuriicklegt. Ein stattlicher Gedanke 
folgt dem andern direkt auf dem Fusse, die Melodien 
sind in der Mehrzahl allerdings lang gedehnt und setzen 
eine geubte Auffassungskraft voraus, aber sie erleichtem 
die Aufgabe durch eine ausserordentliche Pragnanz. 

Den ersten Satz, welcher den Grundzug riistig hei- 
teren Frohmuths hat, leitet ein kurzes Praludium von zwei 

^ Allegro con brio. 

Takten ein, dessenmelodischesMotiv g B S J. -J. UmL J« ] T 

in der Entwickelung des Satzes eine selbststandige Aufgabe 
iibernimmt: Es trennt die Gruppen und wird zuweilen 
zu grossen, ausdrucksvollen Melodien erweitert. Das 
Hauptthema des Satzes blitzt kampflustig bald aus Dur, 
bald aus Moll, und entwickelt im raschen Wechsel von 
Ruhe und knapper Bewegung, in seinen grossen Schritten 
und seinem langen Gang eine ungewohnliche Energie; 

AllegjTo con brio. • 




-«- 287 ^ 



Blistrr 

1-V 



Das im unmittelbaren Anschluss folgende Seitenthema: 




gehort zu jenen zahlreichen Episoden des Satzes, die mit 
zarten Regungen die kraftigen Elemente der Composition 
einzuschlummem suchen, Aber vergeblich: es folgen 
ihnen immer nur kiihnere Aeusserungen des starken 
Muths. Die verfiihrerischste in dieser Gruppe von Delilah- 
gestalten ist das zweite Thema: 

Grazloso. 




l» CHr, 



FP 



ijjL^- ^ p^i* | » J J I ^ , welches sich ausserordentlich 



verwandlungsfahig erweist. Von ihm abgeleitete Glieder 
finden sich als die Chorfiihrer der tandelnden, 
wie auch der heroischen Scenen. In der Durch- 
fuhrung erscheint es in Moll und stellt den ernsten 
Charakter dieses Theiles fest. Ein sostenuto in Es, 
dem das Hauptthema zu Grunde liegt, bildet den 
Hohepunkt und zugleich den Schluss ihrer Entwickelung. 
Die Coda stellt die kraftige Erscheinung des Hauptthema 
noch einmal auf ein erhohtes Podium und lenkt dann 
magisch schon zur Ruhe uber. Mit einem letzten leisen 
Citat seiner ersten Takte, ahnlich wie der Eingangssatz 
von Beethovens achter Sinfonie, klingt das Allegro ele- 
gisch aus. 

Das Andante der Sinfonie (G dur, (^) ist eine schlichte, 
fromm gestimmte Dichtung, eine Composition, welche in 
ihrem einfachen Ausdruck seelischen Friedens, in ihrer 
in sich geschlossenen, einheitlichen und leidenschaftslosen 
Haltung kaum einem Seitenstiick in der neueren Sinfonie 
seit Beethoven begegnet. Der grosste Theil des Satzes 
ruht auf dem Thema: 



288 



Andante. 




rciir: 



f r 

Brattehen 



welches in einer Reihe freier Variationen durchgefiihrt 
wird, die an seinem Charakter wenig andern, aber im 
Colorit den herrlichsten Wechsel bieten. Nur auf einen 
Moment tritt ein klagender Ton ein mit 




Diese Melodie, welche formell die Stelle des zweiten 
Thema einnimmt, wird aber nicht weiter benutzt. Nur 
ihr Nachsatz, der in ein mystisches Spiel mit weichen 
Dissonanzen ausl&uft, kehrt am Ende des Satzes noch 
einmal zuriick. 

Vom dritten Satze an (Poco Allegretto, Cmoll, Vs) wird 
der Charakter der Sinfonie triiber. Sein Hauptthema, 
welches ein wenig zu der Weise Spohr's hinneigt 

P090 AUeg^retto. 

(ruiuiMTjjuiMi 




CcUi 



giebt das Bild eines anmuthigen Reigens wie aus dem 
Spiegel einer schonen Vergangenheit, und die Stelle des 
Hauptsatzes, wo die Musik ihren hochsten Reiz entfaltet 



— das Motiv |lj| P l^^I^T T" ^^^ ^^^^^ ^^^*^* ^^® ®^^ " 



ist in der Farbe der Erinnerung und des Traumes ge- 
halten. An der Stelle des Trio steht ein Mittelsatz (in As), 
weichen die Blaser mit dem Ton der Bitte und der 

Resignation fullen 




Er schliesst mit einer Beethoven'schen Wendung. 

Dass der dritte Satz nicht ein feuriges Scherzo ge- 
worden ist, hat, ahnlich wie in der ersten Sinfonie von 
Brahms, seinen Grund in dem poetischen Generalplan 



^«- 



389 



derSinfonie. Dieser dritte Satz vermittelt den Uebergang zu 
dem leidenschaftlich.und oft finster erregten Finale (Allegro, 
F moll, (^). Letzteres bildet den Schwerpunkt des Werkes. 
Das heroische Element der Sinfonie hat hier die Probe 
gegen harte und unfreundliche Gegner zu bestehen. 
Duster phantastisch beginnt der Satz : huschende Figuren, 
dann ein Anhalten und ganzlicher Stillstand der rhythm 
mischen Bewegung: 

'^ Alleg^ro. 



iji'i^iijjjjjj i rmu^j i j i jjjjijtj^^ i 






Noch beklommener und unheimlicher wird derTonmit 
dem Eintritt der Posaunen und dem verschleierten Thema, 



welches ihnen folgt ■ £ )!'& 



n 



Trrprrrrrr 

Gleich darauf bricht der gespannte Bogen und die 
Situation nimmt einen ausgesprochenen Kampfescharak- 
er an. Wild und trotzig fahren die Violinen herein mit: 




die Celli singen siegesfreudig: 




In der Durchftihrung dieser Confliktsperiode finden 
sich mehrere Culminationspunkte — einer der hSchsten 
ist da wo das Thema b im st&rksten Klange den fana- 
tischen Figuren der Violinen entgegengestellt wird. Ein 
merkwiirdig bedeutungsvoller Einspruch des Fagotts be- 
schwichtigt die brandenden Wogen* Die Composition 

49 



290 



lenkt in ein sostenuto fiber, dem die Schdnheit des 
Regenbogenhimmels eigen ist. Die diisteren Themen a 
und b strahlenjetztRuhe and Frieden aus, undwieeine 
verkl&rte Erscheinung zeigt sich an der Ausgangsschwelle 
der Sinfonie noch einmal das heroische Them a ihres 
ersten Satzes. 
J. Brahms Wenn die im Jahre 4885 veroffentlichte vierte Sin- 

Sinfonie Nr. 4 fonie von Brahms (E moll) von vielen Kennern als die 
(EmoU). bedeutendste des Componisten bezeichnet worden ist, 
so griindet sich dieses Urtheil namentlich auf den Aus- 
gang des Werkes. In ihm fiihrt Br-ahms den eigensten 
und machtigsten Theil seiner Individualitat zum ersten 
Male entschieden und bestimmt erkennbar in das sin- 
fonische Gebiet uber: der Sanger der deutschen Todten- 
messe steht vor uns! Im Style geht diese Sinfonie die 
Wege der Vorgangerin: sie iibertrifft die letztere noch in 
der Einfachheit der musikalischen Grundgedanken, in 
ihrer Uebersichtlichkeit und in der auf wenige Haupt- 
gpuppen beschrankten Disposition der Satze. Sie schlagt 
einea schlicht erzahlenden Ton an, und namentlich ihr 
erster Satz gleicht fast einem gross stylisirten Liede. 
Ohne Weiteres setzt sein Hauptthema ein: 

Allegro Hon assai. • ._,^ , .-^ 




eine lange Melodie, deren bewolkter Horizont sich zu- 
weilen etwas aufhellt, um dann einen noch triiberen 
Charakter, oft einen schmerzlichen Accent anzunehmen. 
Das Seitenthema (in den Cellos) und das zweite Thema: 



4 



II V rT I* K V 'f I 'f r' ^ ^ '"'' ' seiches von 
hier aus ia unscheinbaren G^ngen dem zart ver- 



hauchenden Ende zuschreitet, sind Bundesgenossen 
der elegischen Hauptfigur des Satzes. Sie leben mit 
ihr in leisem Zagen dahin, werfen resignirte Fragen 
auf und ruhen in dunklem Sinnen auf langen 
Accorden aus. Den originellen Charakter des Satzes be- 
stimmt das ritterlich frohliche Gegenthema, welches sich 
sofort an den Abschluss der grossen Emoll-Melodie 
heftet, und seine vielseitige Verwendung: 

{fii2rjjaif ii Jr i iin^N I'lriiprjjJ'^^'M'' 

Bald kraftig und gebietend, bald kosend und zartlich, 
neckisch und heimlich, bald fern, bald nah, bald eilig, 
bald sich ruhig ausbreitend, — immer kommt es iiber- 
raschend und stets willkommen, bringt Freude mit und 
giebt dem Gang des Satzes einen dramatischen Schwung. 
Auch hier, wie im Eingangssatz der dritten Sinfonie, ist 
,der Durchfiihrungstheil sehr knapp gehalten und be- 
scheidet sich im Wesentlichen damit, die elegischen Ele- 
mente der Dichtung etwas starker auszusprechen. So 
einfach die ganze Anlage des Satzes erscheint, &o ist sie 
doch im Detail ausserordentlich reich und kunstvoU. In 
jeder Stimme selbststandiges, melodisches Leben, der 
fiihrende Chor der Instrumente und der begleitende stehen 
im iiberwiegenden Theil des Satzes zu einander in einem 
antiphonischen Verhaltniss, das die Wirkung voller macht 
ohne sich aufdringlich zu zeigen. 

Der zweite Satz (Andante moderate, E dur, %) kniipft 
an die elegischen Ideen des ersten an. Er macht im 
Vergleich zu ihm einen ahnlichen Eindruck, als wenn 
Jemand iiber ein aufgeArorfenes Thema eine Geschichte 
aus alter Zeit erz^hlt. Sein Hauptthema 

Andante moderat 





, welches von einigen Takten unison o 

praludirt wird, hat den gleichmassigen Ton der alten Ro- 

4 9* 



-«. 292 ■»- 

manzen and in seinen Harmonieschlussen die charakteri- 
stischen Wendungen der mittelalterlichen Musik. In der 
Mitte des Satzes, da wo die Triolen einsetzen, streift die 
Musik den neutralen Erzahlerton ab, zeigt freudigen 
Antheil, Begeisterung und bricht in herzenswarme Weh- 
klagen aus. 

Der dritte Satz {Presto giocoso, C dur, 2/4) theilt mit 
dem Andante das archaistische Colorit. Namentlich in 
dem Mollschluss des nur fliichtig behandelten Gegenthema 

Presto. 



f^' I ^ ^^^Gj- r ' ^^j j y '^°'»"'* ^»^- 




selbe zu einem starken Ausdruck. Die Heiterkeit dieses 
Presto ist keine unbedingte. Sie streift die schauerlichen 
Elemente wiederholt. In den dumpf und tief herein- 
fallenden Accorden des Hauptthema 

iT 1 1 ^ l i r/ I r r I I j I : in seiner hitzigen, 

rastlosen Rhythmik, in seiner plotzlich aufzuckenden 
Energie, in der vorwiegenden Harte des Charakters 
erinnert der Satz direkt an die damonischen Clavier- 
balladen (op. iO) des Componisten, welche unter die 
poetisch bedeutendsten seiner Jugendwerke gehoren. 

Das Finale (Allegro energico e patetico, E moll, 3/4) 
ist durch die Menge des vorgefiihrten Materials der fiir 
das formelle Verstandniss schwierigste Theil der Sinfonie; 
seinem Gedankengehalt nach ist es einer der ernstesten 
und hochst gestimmten Sinfoniesatze, welche existiren. 

Es beginnt mit einer Reihc schwerer Accorde, zu 
welchen die Posaunen drohende Farben und Accente 
herbeibringen. Alle die Themen, welche nach diesem 
Eingang zun^chst aufgestellt sind, haben einen angst- 
lichen, erschreckten und suchenden Charakter. Unter 
ihnen ist das folgende 



i,;iitr,,mmmfrm tt 



-* 2193 



als das Hauptthema anzusehen. Dasselbe kehrt mehnnals 
im Satze wieder, wird jedoch nicht in der iiblichen Weise 
des Durchfuhrungsschema ausgenutzt. Die Spitze der 
dtisteren Ideengruppe bildet ein langes Flotensolo, welches, 
melodisch und rhythmisch naturgetreu, das Bild eines halt- 
losen Seeknzustandes entwirft. Nach ihm tritt die 
Wendung ein: die Harmonie wechselt pl5tzlich nach 
E dur, die Rhythmik wird breit und ruhig, Clarinette und 
Oboe beginnen trostvoll und fromm zu singen: 

CUr. Ob. Clar. O^t-^^ 

[fill I'lji hi imXi 1 1 JX'i I 'H' 'i'. 

mattoaoUe 

die Po^nnen sprechen feierlich erhabene Requiemge- 
danken aus: 

J 



U^ 



'^Mij^p i-^ l ft- l f f t^ i jtf - 1 ^ ^^ tfi 




Die Composition lenkt in das Gebiet, wo Leid und 
Freude schweigt und das Menschliche sich vor dem beugt, 
was ewig ist. In dieser natiirlichen Hoheit des Ausgangs 
ist die vierte Sinfonie von Brahms eins der gross- 
artigsten und ergreifendsten Werke der sinfonischen 
Litteratur. 

In der, Claviercomposition und im Liede bereits 
merkbar hervortretend, hat die Schule Brahms in der 
Sinfonie bisher nur fliichtige Lebenszeichen gegeben. 
Erst seit neuerer Zeit besitzen wir in der Cmoll-Sinfonie 
von H. vonHerzogenberg ein Werk, welches den Ein-H. v. Henogen- 
fluss dieses Meisters starker zeigt. Der erste Satz dieser berg 
und der Cmoll-Sinfonie von Brahms haben in Idee und sinfonie Cmoii. 
Ausdruck eine grosse Aehnlichkeit. Gleichwohl hat die 
Composition des Jiingers ihren selbststandigen Werth und 
ihre eigene Schonheit. Unter die Theile, welche in dieser 
Richtung am meisten hervortreten, rechnen wir die 
balladenartige Einleitung, welche in der Weise Cade's den 



-^ 294 -ft- 



nordischen Ton anschlM.gt, und das Scherzo. In ihm, das 
auch auf jene Einleitung poetisch sinnvoll zuriickgreift, 
sind der Hauptsatz und das Trio in einer ganz neuen 
Art verbunden: Die beiden Theile wechseln gleich von 
Anfang ab Clausel fiir Clausel im malerischen Contrast. 
Das Adagio, in der Anlage dem von Brahms' zweiter 
Sinfonie entsprechend, darf sich eines tief melodischen 
Zuges ruhmen ; der wie ein femes Bild eingeruckte freund- 
liche Mittelsatz verrath ein eigenes Talent zu einem edel 
volksthiimlichen Musikstyl. 
A. Braokner Jahrzehnte lang wenig bemerkt, haben plotzlich die 

7. Sinfonie Edur.Compositionen des Wiener Tonsetzers Anton Bruckner 
die Beachtung der Musikwelt auf sich gezogen: seine 
siebente Sinfonie E dur hat in den letzten Jahren eine 
grfissere Anzahl von Auffiihrungen erlebt und steht von 
Neuem auf den Programmen. Das Weric hat Gedanken von 
grossem sinfonischen Charakter: das Hauptthema des 
ersten Satzes 



Allegr o modegato. 



aj/'Cor. 



CeUi 



\ i-ifv*rn 



^ ^ 





und noch mehr das des Adagio 



Sehr felerlich. 
t.' Tuba 




orese 



VioL 



J. ;ii J- j'.T I J. hJP JTT] I J J I I i i Ma>r"j> i j 

dim. * ▼ "^^^Z^ 

legen dafiir Zeugniss ab. Aber hohere Originalitat und 
technische Reife suche man in dem Werke nicht. Selbst 
der Contrapunkt ist steif, und der Entwickelung der Ideen 
fehlt die Logik, der Zusammenhang und das Mass in 
einem Grade, wie er in gedruckten Sinfonien unerhort 
ist. Ohne alle Vermittelung, ohne jeglichen Uebergang 
stehen im ersten Satze pathetische Themen und Wiener 
Landlerweisen neben einander, im letzten Choralmelodien 
und infernale Figuren. Der Entwurf dieser Hauptsatze 



-^ 295 

scheint vom Zufall der taglichen Arbeitslaune bestimmt. 
Aber trotzdem hat die Sinfonie ihre positiven Seiten. 
Einmal eine kunsthistorische : sie zeigt zum ersten Male 
den Einfluss Wagner's, dem wir bei Raff, Hofmann, Sgam- 
bati, Goetz und Draesecke nurin kleineren Zugen begegneten, 
in breitesten Spuren. Das Scherzo is fast nur eine Um- 
schreibung des Walktireriritts. Zweitens aber entwickelt der 
Componist ein Talent der Nachdichtung, das in seiner Art zu 
eigner Bedeutung gelangt. Am imposantesten im Adagio. 
Auch hier sieht man die Quellen durch : GotterdSmmerung 
und Neunte Sinfonie. Aber die Wagner'schen Motive sind 
mit einem Schwung und einer Begeisterung ausge- 
fiihrt und erweitert, welche liberwaltigt. Die grosse 
S telle dieses Satzes, wo die Trompete tiber dem Glanz 
des vollen Orchesters mit ihrem G fortleuchtet, gehort 
zu den grossartigsten Toncombinationen der neueren 
Litteratur. 




Berichtignngeii: 

S. 8, Z. 24, lies: vdes Sachsen Perzel(iu8).« 

i> 4 9 : Im 2. Beispiel fehlen fls und cis in der Yorzeichnnng. 

» 50, Z. 2, lies 44 statt 47. 

» 66, 4. Beispiel, letztei Tact heisst das 2. Achtel im Alt 

fls statt fes. 
» 44 6, Z. 48, lies: Brandl, Braun, Blyma. 
n 423, letztes Beispiel, 3. Vlertel im 4. Tact: a statt g. 
» 4 34. Marginal lies: 0. statt H. Onslow. 
» 4 37, 3. Beispiel, 4. Tact: das dritte Vieitel beginnt mit c 

statt es. 
» 4 67, 4. Beispiel, letzter Tact fehit jlf yor e. 
» 4 84, letztes Beispiel, ist »des« yorznzeichnen. 
» 4 94, 4. Beispiel aus »HeIdenklage«. Die zweite Note mass 

des sein. 
» 4 96. Yor dei 3. Zeile des Notenbeispiels ist 3/2 yorzuschreiben, 

Im letzten Tact fehlt iiber den drei Vieitel: eis, fls, 

gis das Triolenzeichen "3". 
» 225, erstes Beispiel, Tact 3 statt d lies: c. 
» 239, zweites Beispiel, Tact 2, letztes Yiertel belsst ces. 
» 245, letztes Beispiel: die 4 Anftactnoten sind Achtel. 
» 246. Im Hanpttbema des Adagio fehlt im letzten Accord des 

5. Tactes B Im Bass. 
» 256. Im 2. Tbema des ersten Satzes, Tact 4, heissen das 4 

Tind 44. Acbtel: h und c. 
» 260. Im letzten Beispiel fehlt der Haken iiber Tact 9 und 40. 
» 264, yorletztes Beispiel, 2. Zelle, 2. Tact, yiertes Achtel 

lies: fls statt g. 
» 267, zweites Beispiel, zweite Note heisst e statt d. 
f> 282, letztes Beispiel: Das H gehort yor a. 
p 294, erstes Beispiel : Die ersten drei Noten belssen : e H e. 




REGISTER 



Abert, J. 205". 
Andre, A. 14 5. 

Bach, J. S. M u. ff. 
Bach, P. E. 23 u. fif. 
Balakirew, M. 230. 
Bargiel, W. 243, 254. 
Beethoven, L. v. 70 u. flf. 
Berlioz, H. 172 u. ff. 
Bird, A. 252. 
Bizet, G. 224. 
Blymma, F. 116. 
Bononcini, M. A. 22. 
Borodin, A. 232. 
Brahms, J. 244 u. ff., 276 u. ff. 
Brandl, J. 116. 
Brann, C. A. B. 116: 
Brnch, M. 269. 
Bruckner, A. 294. 
BruU, J. 252. 
Burgmuller, N. 170. 



Corelli, A. 5. 
Goup^rin, F. 3. 
Cowen, F. 223. 
Cui, C. 230. 
Czerny, C. 119 

Dargomyzskl, A. 230 
David, Fel. 180. 
Dietrich, A. 262. 
Dotzauer, J. F. 119. 
Drasecke, F. 27*2. 
Dvorak, A. 225. 

Eberl, A. 118. 
Egser, H. 242. 

Feska, F. E. 154 
Fuchs, R. 252. 

Gabrieli, G. 2. 
Gade, N. 214. 
Gahrich, W. 170. 



•1 



298 



Galuppi, B. S2. 
Oeminiani, F. 6. 
Oeinshelm, F. 272. 
Gluck, 0*. W. V. 22. 
Godard, B. 224. 
Gotz, H. 273. 
Goldmark, G. 244. 
Goltermann, G. 262. 
Gouvy, Th. 262. 
Graan, K. H. 22. 
Grimm, J. 0. 243. 
Gyrowetz, A. 44 7. 

Handel, G. F. 5 u. ff. 
Hameiik, A. 259. 
Haitmann, £. 249. 
Hasse, J. A. 22. 
Haydn, J. 26 n. ff. • 
Helsted, G. 262. 
Herbeck, J. 242. 
Herzogcnberg, H. v. 293. 
Hesse, A. 4 70. 
HUler, F. 254. 
Hoftoeister, F. A. 44 7. 
Hofmann, H. 209, 24 4, 224. 
Hoi, B. 254. 
Holtzbauer, J. 22. 
Hrimaly, A. 229. 
Hnber, H, 209. 

Jadassobn, S. 244. 
Jomelli, N. 22. 

Kalliwoda, W. 429 u. ff. 
Kittl, J. F. 470. 



Klughardt, A. 204, 252. 
Kiommei, F. 4 4 7. 
Knfferath, F. 262. 
Knff&er, J. 44 6. 

Lachner, F. 237 u. ff. 
Leonhardt, J. £. 262. 
Liszt, F. 4 80 XL, ff. 
Lully, J. B. de 4 4. 

Maschek, Y. 4 4 8. 
Manrer, L. W. 419. 
Mehul, E. N. 4 32. 
Mendelssolin, F. 4 44 u. ff. 
Michalovich, E. ▼. 4 97. 
Monte veide, G. 2. 
Moialt, J. B. 44 9. 
Moszkowsky, M. 209. 
Mozart, W. A. 48 u. ff. 
MuUer, G. G. 4 70. * 
.Mysliweczek, J. 23. 

Neukomm, S. 448. 
Nicod^, J. L. 209. 

Onslow, G. 4 34. 

Pape, L. 262. 
Pezel(ins), J. 3. 
Pleyel, J. 447. * 
Pott, A. 262. 

Eaff, J. 4 99 u. ff., 224, 242 
Rameau, J. P. 4. 
Reicha, A. 4 49. 
Reinecke, G. 254. 
Reinhold, H. 252. 



-^ 299 



Reissiger, G. 254. 
Bheinberger, J. 205, 
Riemenschn eider, G. 197. 
Ries, Ferd. 419. 
Rietz, J. 254. 
Rimsky-Korsakow, N. 230. 
Romberg, A. 129, 132. 
Romberg, B. 129. 
RubinsDein, A. 255 u. ff. 

Sammartini, G. 13. 23. 
Scarlatti, A. 4. 
Scarlatti, D. 11. 
Schneider, F. 129. 
Schubert, Franz. 119 u. ff. 
Schumann, R. 154u.fi'. 
Sgambati, G. 225. 
Spohr, L. 1 35 u. ff. 
Stanford, 0. V. 252. 
Sterkel, J. F. 118. 
St. Saens, C. 1 97 u. ff. 
Syendsen, J. S. 220 u. ff. 



Taubert, W. 254. 
Tomaschek, J. W. 132. 
Torelli, G." 5. 
Tschaikowsky, P. 230. ; 

Ulrlch, H. 262. 

Veit, W. H. 262. 

Yiadana, L. 4. 

Vogler, Abt. 128. 

Yolkmann, R. 250 u. ff.. 
265 u. ff. 

Weber, C. M. v. 133. 
Weyse, .0. E. F. 116. 
Wilms, J. W. 11 8. 
Winter, P. v. 108. 
Witt, F. 118. 
Wolfl, J. 118. 
Wranitzky, P. 117. 
Wuerst, R. 262. 

Zellner, J. 254. 




i 



Im Yerlas: von A. 6. Liebeskind erscbien: 



Diclitimgen Ton Rud. Banmbacli. 

Lieder eines fahrenden Qesellen. 14. Tausend. u(f 3,20. 

Spieliuaxmslieder. 10. Tausend. 

Iileder von der Iiandstrasse. 8. Tausend 

Mein Fruhjahr. 8. Tausend. 

Krug und Tintenfass. 5. Tausend. 

SSlaterog, Alpensage. 19. Tausend. 

Frau Holde. 16. Tausend. 

Fathe des Todes. 6. Tausend. 

Horand und BUlde. 

Prosa. 

Sonunermarehen. 12. Tausend. 
SSrzahlungen und Marchen. 6. Tausend. 



M 2,—. 


Jt 2,—. 


M 2,80. 


M 2,—. 


Jt 2,—. 


Ji 2, . 


JU 2,—. 


M 2,60. 


M 3,~. 


Jt 2,—. 



Nene Poesien. 

Ijiederhort aus Jungfriedel der Spielmann 
von August Becker. 

Idyllen und Seherze von H. Seidel. 

Gedichte eines Optimisten von J. Lohmeyer. 

Gedichte von J o h. Trojan. i '-, 

Scherzgedichte von Job. Trojan. 

Zwolf Balladen von J. v.'Wildenradt. 



M 3,— 
M 2,50 
Jl 3 — 
Jl 2,40 
Ji 2,60 
M 2,— 



Die aussere Form neuhochdeutscher Dicht- 

kunst von R. Assmus. u(f 5,- 



Drack von Breitkopf & Hartel in Leipzig. 



4 



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MM 211986 
SEP 2 6 2002 



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