Skip to main content

Full text of "Everest adventures"

See other formats


Google 


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  preserved  for  generations  on  library  shelves  before  it  was  carefully  scanned  by  Google  as  part  of  a  project 

to  make  the  world's  books  discoverable  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 

to  copyright  or  whose  legal  copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 

are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  culture  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  maiginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  file  -  a  reminder  of  this  book's  long  journey  from  the 

publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  tliis  resource,  we  liave  taken  steps  to 
prevent  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  technical  restrictions  on  automated  querying. 
We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  of  the  files  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  fivm  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  system:  If  you  are  conducting  research  on  machine 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  large  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encourage  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attributionTht  GoogXt  "watermark"  you  see  on  each  file  is  essential  for  in  forming  people  about  this  project  and  helping  them  find 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  responsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can't  offer  guidance  on  whether  any  specific  use  of 
any  specific  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  means  it  can  be  used  in  any  manner 
anywhere  in  the  world.  Copyright  infringement  liabili^  can  be  quite  severe. 

About  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organize  the  world's  information  and  to  make  it  universally  accessible  and  useful.   Google  Book  Search  helps  readers 
discover  the  world's  books  while  helping  authors  and  publishers  reach  new  audiences.  You  can  search  through  the  full  text  of  this  book  on  the  web 

at|http: //books  .google  .com/I 


Google 


IJber  dieses  Buch 

Dies  ist  cm  digitalcs  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  R^alen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 

Rahmen  eines  Projekts,  mil  dem  die  Biicher  dieser  Welt  online  verfugbar  gemacht  weiden  sollen,  sorgFaltig  gescannt  wurde. 

Das  Buch  hat  das  Uiheberrecht  uberdauert  und  kann  nun  offentlich  zuganglich  gemacht  werden.  Bin  offentlich  zugangliches  Buch  ist  ein  Buch, 

das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  offentlich  zuganglich  ist,  kann 

von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Offentlich  zugangliche  Biicher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kultuielles 

und  wissenschaftliches  Vermogen  dar,  das  haufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randl>emerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 

nerung  an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Dmen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nu  tzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mil  Bibliofheken  in  parfnerschafflicher  Zusammenarbeif  offenflich  zugangliches  Material  zu  digifalisieren  und  einer  breifen  Masse 
zuganglich  zu  machen.     Offentlich  zugangliche  Biicher  gehiiren  der  OfTentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hiiter.     Nichtsdestotrotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfiigung  stellen  zu  konnen,  haben  wir  Schritte  untemommen,  urn  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  veihindem.  Dazu  gehiiren  technische  Einschrankungen  fiir  automatisierte  Abfragen. 
Wir  bitten  Sic  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nuizung  derDateien  zu  nickikommemellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  Tiir  Endanwender  konzipiert  und  mochten.  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  fur  personliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisienen  Abfragen  Senden  Siekeine  automatisierten  Abfragen  iigendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
iiber  maschinelle  Ubersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  duichfuhren,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  groBen  Mengen 
niitzlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fordem  die Nutzung  des  offentlich  zuganglichen  Materials  fiirdieseZwecke  und  konnen  Ihnen 
unter  Umstanden  helfen. 

+  Beihehallung  von  Google-MarkenelemenlenDas  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  fmden,  ist  wichtig  zur  Information  iiber 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendem  weiteres  Material  iiber  Google  Buchsuche  zu  fmden.  Bitte  entfemen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalitdt  Unabhangig  von  Direm  Ver wend ungsz week  mussen  Sie  sich  Direr  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzu stellen,  dass  Dire  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafurhalten  fur  Nutzer  in  den  USA 
offentlich  zuganglich  ist,  auch  fiir  Nutzer  in  anderen  Landem  offentlich  zuganglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  kiinnen  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulassig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  iiberall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

tJber  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin.  die  weltweiten  In  form  at  ion  en  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zuganglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesem  dabei,  die  Biicher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstiitzt  Autoren  und  Verleger  dabci.  neue  Zielgruppcn  zu  erreichen. 
Den  gesamten  Buchtext  kiinnen  Sie  im  Internet  unter|http:  //books  .  google  .coiril durchsuchen. 


irBRARY 

UNIVERSITY    or 
CALIFORNIA 


FOHRER 
DURCH  DEN  KONZERTSAAL 


VON 


HERMANN  |RRETZSCHMAR 


I.  ABTEILUNG: 

SINFONIE  UND  SUITE 

I.  BAND 

yiERTE,  YOLLSTANDIO  NEUBEARBEITETE 
AUFLAGE 


LEIPZIG 
VERLAG  VON  BREITKOPF  &  HARTEL 

1913 


Alle  Rechte,  auch  das  der  Ubdneizung,  vorbehalten. 


Das  Reoht  des  Einzdlabdruoks  und  ddBsen  Weiteryergebung 
Biebt  auBBchlieBlich  den  Yerlegem  Breitkopf  &  Hartel 

in  Leipzig  zn. 


Oopyright  1913  by  Breitkopf  &  Hartel,  Leipzig. 


VORWORT 

zur  ersten  Auflage. 

Der  Yorliegende  ^Fiihrerdurch  den  Konzertsaal"  ging 
aus  einzelnen  Aufsatzen  hervor,  welche  ich  im 
Laafe  der  Jahre  fur  die  von  mir  geleiteten  Konzerte 
geschrieben  habe,  um  die  ZuhOrer  auf  die  Auffuh- 
rungen  unbekannter  oder  schwierig  zu  verstehender 
Kompositionen  vorzubereiten. 

Fur  die  Bachform  sind  diese  Artikel  umgearbeitet 
unddahin  vervoUstairdigt  worden,  daB  die  erl&uterten 
Werke  in  geschichtlicher  Folge  erscheinen.  Da  Historie 
vndKritikunzertrennlich  sind,  wird  man  entschuldigen, 
daJB  die  Kompositionen  und  die  Komponisten  auch  be- 
urteilt  werden.  Ich  hofTe  jedoch  mich  in  dieser  Be- 
ziehung  durchschnittlich  in  den  gebotnen  Grenzen 
gehalten  zu  haben.  Den  ersten  Gesichtspunkt  fiir 
Aufnahme  oder  Weglassung,  kurzere  oder  ausfuhr- 
lichere  Behandlung  der  Werke  und  Klinstler  bildet 
ihre  Stellung  im  heutigen  Repertoire,  den  zweiten  ihre 
kunstgeschichtliche  Bedeutung.  Aus  ersterem  Grunde 
muBten  unter  anderen  einige  Kompositionen  aus  der 
jungsten  Gegenwart  zurzeit  noch  unberucksichtigt 
bleiben. 

Rostock,  26.  September  1886. 

Dr.  Hermann  Kretzschmari 

IkademUcher  Lehrer   der  Muaik  an   der  Landesnniversitftt 
OroOherzogl.  n.  sUdtischer  Musikdirektor  zu  Rostock. 


IV187£?540 


IV 


Zur  zweiten  Auflage. 

Das  Erscheinen  einer  zweiten  Auflage  bietet 
mir  willkommene  Gelegenheit,  fur  die  freundliche 
Aufnahme,  die  mein  „Fuhrer^  gefunden  hat,  herzlich 
zu  danken. 

Im  wesentlichen  ist  das  Buch  geblieben,  wie  es 
war.  leh  konnte  mich  darauf  beschrSLnken,  einzelne 
Irrtumer  zu  berichtigen  und  da  und  dortdas  geschicht- 
liche  Bild  zu  erganzen. 

Leipzig',  September  1890. 

Dr.  Hermann  Kretzschmar, 

AnOerordentlicher  Profetisor  an  der  Universitiit  Leipzig 
and  Univfr<4itat8mu8ikdirektor. 


Zur  dritten  Auflage. 

Wegen  Cberbiirdung  und  Krankheit  des  Ver- 
faasers  hat  diese  Abteilung  des  ^Fiihrers^  seit  Jahren 
im  Handel  fehlen  mussen.  Jetzt  erscheint  sie  betracht- 
lich  ver&ndert.  Die  H&ndelschen  Concerti  grossi, 
S.  Bachs  Brandenburger  Konzerte,  die  sinfonischen 
Dichtungen  Liszts  und  seiner  Nachfolger  sind  wegge- 
lassen  und  f^r  den  in  Vorbereitung  begriffenen  Schlufi- 
teil  des  Werkes  (Konzerte,  Ouverturen  usw.)  zuruck- 
gestellt  worden.  Trotzdem  ist  die  neue  Auflage  doppelt 
so  stark  wie  die  vorhergehende  und  der  besseren  Hand- 
lichkeit  wegen  in  zwei  B&nde  zerlegt  worden.  Die 
Vermehrung  kommt  eines  Teils  auf  die  &ltere  Geschichte 
von  Suite  und  Sinfonie;  zum  andren  waren  eine  groBe 


Anzahl  yon  Werken  aus  jungster  Zeit  ganz  nea  auf- 
zunehmen.  Wenn  die  meisten  von  diesen  sehr  aus- 
fQhrlichbehandelt  worden  sind,  so  zwangen  dazu  &uBre, 
praktische  Grunde.  Grunds&tzlich  bin  ich  nach  wie 
Yor  der  Meinung:  dafi  der  Erkl&rer  sich  vor  allem  der 
Kurze  befleiBigen  und  bei  denen,  welche  sich  mit  Sin- 
fonienbesch&ftigen,  einigeKenntnis  in  der  musikalischen 
Formenlehre,  mindestens  die  F&higkeit,  Turen  und  Fen- 
ster  zu  unterscheiden,  voraussetzen  soil.  Ich  babe  es 
deshalb  trotz  gutiger  Aufforderungen  aberhials  vermie- 
den,  immerwieder  zu  sagen,  aus  wie viel  Takten  die  und 
die  Melodien  bestehen,  in  welchen  Tonarten  sie  be- 
ginnen  und  schlieBen,  und  mich  darauf  beschrankt, 
den  Leser  mit  Dingen  des  SluBren  Mechanismus  nur 
so  weit  zu  behelligen,  als  sie  besondre  Wichtigkeit 
haben.  Mein  Bestreben  ging  dahin:  anzuregen,  ins 
Innre  und  Intime  der  Werke  und  der  Kiinstlerseele 
zu  fuhren  und  wom5glich  den  Zusammenhang  mit  der 
Zeit,  mit  ihren  besondren  musikalischen  Verh&ltnissen, 
mit  ihren  geistigen  Str5mungen  aufzudecken. 

DaB  mein„Fuhrer"  auch  andere  zu  gleichen  Ver- 
suchen  yeranlaBt  hat,  ist  mir  sehr  schmeichelhaft; 
daB  er  zuweilen  ohne  weitres  benutzt  wird,  noch  mehr. 
Doch  erlaube  ich  mir  darauf  aufmerksam  zu  machen, 
daB  inF&llen  wOrtlicherEntlehnung  schweigende  Dank- 
barkeit  oder  yerlegne  GansefuBchen  nicht  genflgen, 
sondern  daB  dann  der  literarische  Anstand  yollstan- 
dige  Quellenangabe  yerlangt. 

Dem  Publikum  und  meinen  Kritikem  bin  ich  fur 
die  freundliche  Aufnahme  auch  der  zweiten  Auflage 
yerbunden. 


Zum  Schlusse  spreche  ich  den  VorstlLnden  von 
Bibliotheken  und  Archiven,  sowie  den  Herren  Verlegern 
—  insbesondere  den  Herren  Breilkopf  &  Hartel  — 
die  auch  die  Arbeit  an  dieser  Auflage  bereitwilligst 
durch  tJberlassung  von  Materialien  unterstutzt  haben, 
herzlichsten  Dank  aus. 

Leipzig,  Oktober  1898. 

Dr.  Hermann  Kretzschmar, 

AaOerordenilicher  Professor  an  der  Univemit&t  Lf>ipzi|j^. 

Zur  vierten  Auflage. 

Obwohlauch  die  dritte  Auflage  seiteinemJahrzehnt 
vergrifTen  war,  bin  ich  erst  jetzt  imstande,  eine  neue 
vorzulegen.  Sie  unterscheidet  sich  von  der  Vorgfingerin 
durch  die  Aufnahme  einer  groBenAnzahl  weitrerWerke 
aus  alter  und  neuer  Zeit. 

Fiir  Zuweisung  von  Handschriften  bin  ich  Herrn 
0.  oe.  Universitatsprofessor  Dr.  Guido  Adler  in  Wien 
und  meinem  Berliner  Kollegen  Professor  Dr.  Johannes 
Wolf,  vcaDrucken  den  Herren  Breitkopf  &  Hartel,  so- 
wie der  Deutschen  Musiksammlung  der  K5nigl.  Biblio- 
thek  zu  Berlin,  insbesondere  ihrem  Vorsteher,  Herrn 
Oberbibliothekar  Professor  Dr.  Altmann,  und  ihrem 
Bibliothekar  Herrn  Dr.  H.  Springer,  zu  auCerordent- 
lichem  Dank  verpflichtet. 

Schlachtensee,  November  1912. 

Dr.  Hermann  Kretzschmar, 

Getaeiiner  Kegieruhgsrat,  Professor  an  der  Universit&t 
Berlin,  Director  der  Edniglichen  Hochschale  f^r  Musik 
und    dP8    KOnigliclien    Akademifchrn    Institates    fttr 

Kirchenmusik. 


INHALT. 


I.  Band. 

Seite 
Yon  Gabrieli  bis  Bach.    Blutezeit  der  Orchestersonate  uud 

der  Saite,  Entwicklung  der  Sinfonie 1 

J.  Hafdii,  Mozart,  Beethoven 109 

Nebenminner  nnd  Gefolge  der  Klassiker.     VorUufer  und 

Hanptvertreter  der  Romantik 251 

II.  Band. 

Did   Programmusik  und  die  nationale  Richtung    in    der 

Sinfonie 333 

Die  modeme  Suite  und  die  neueste  Entwickelung  in  der 

klassiscben  Sinfonie 669 


I. 
Von  Gabriel!  bis  Bach. 

Bliitezeit  der  Orchestersonate  und  der  Suite, 
Entwicklung  der  Sinfonie. 


mn  wir  nach  den  Anfftngen  nnsrer  heatigen  Kon- 
zertmusik  fQr  Orchester  snchen,  so  mussen  wir  eine 
betrflchtlicheStrecke  znruckwandera  und  einGebiet 
betreten,  das  wir  znr  Zeit  mit  wissenschafUicher  Sicherheit 
hdchstens  in  den  Umrissen  iibersehen.  Ftlr  die  Beantwor- 
tung  der  Frage:  wie  entstand  nnd  wie  entwickelte  sich 
das  Orchester,  sind  wir  vorwiegend  auf  indirektes  Material 
angewiesen.  Solche  Hilfsqnellen  bieten  sich  in  Mitteilnngen, 
welche  SLltere  Mnsikschriftsteller  fiber  Instnimente  und 
Spielleute  machen,  in  gelegentlichen  musikalischen  No- 
tizen  bei  Dichtem,  in  Briefen,  Reisebeschreibungen, 
Biographien  von  Laien,  in  Darstellungen  zeitgendssischen 
Mosiktreibens  auf  alten  Bildem  and  Skulpturen,  viertens 
in  Bestallungen,  Rechnungen,  Verordnungen  und  anderen 
anf  Musiker  und  Musik  bezQglichen  Erlassen  in  den  Akten 
von  Staats-,  Kirchen-,  Schul-  und  GemeindebehOrden, 
von  Innungen  und  Gesellschaften  und  endlich  in  alten 
Instrumenten.  Erst  verhflltnismflfiig  sp&t  treten  zu  diesen 
Auskunftsstellen  fiber  Bestand,  Aufgaben  und  Tfttigkeit 
von  Orchestem  als  wichtigste  Zeugnisse  geschriebene  oder 
in  Stimmbtkchem  gedruckte  Noten. 

Die  Mitteilungen  der  fllteren  Musikschriftsteller  haben 
bisher  nur  einen  geringen  Ertrag  gegeben,  weil  das 
Mittelalter,  auch  das  spfltere,  die  Spielmusik,  die  Volks- 

Kretzielimar,  Ffthrer.    I,  1.  1 


mtisik  and  die  ganze  Profanmusik  grands&tzlich  ignoriert. 
Die  bemerkenswer teste  Ausnahme  bildet  der  erst  in 
nenerer  Zeit  (durch  Johannes  Wolf)  ans  Licht  gezogene 
Joannes  deGrocheo*);  unter  seinen  Nachfolgern  sind  be- 
Bonders  Sebastian  Virdang  (Masica  getuscht  1611)  tind 
Michael  Pr&torius  (Syntagma  musicum  1618}  hervorzn- 
heben.  Eine  zusammenfassende  nnd  kritische  Durch- 
arbeitung  des  gesamten  zu  dieser  Gruppe  geh5renden 
Materials  steht  noch  ans. 

Noch  weniger  ist  fdr  die  AusnCitzung  der  Laien- 
literatur  geschehen,  obwohl  sie  sehr  wertvolie  Auskunft 
aber  die  Verwendung  der  Spiellente  and  fiber  die  Stellnng 
der  Instrumentalmasik  im  5fTentlichen  and  privaten  Leben 
verspricht.  Mit  gaten  Ergebnissen  hat  anlftngst  H.  J.  Muser 
diese  Qaelle  nach  den  sozialen  Verhftltnissen  der  mittel- 
alterlichen  Musiker  befragt**}. 

Die  Wichtigkeit,  die  alte  Instrumente  fClr  eine  (je- 
schichte  des  Orchesters  haben,  bedarf  keiner  Auseinander- 
setzdngf  leider  aber  reicht  der  Besitz  anserer  Instra- 
mentensammlungen.  von  wenigen  Aasnahmen  abgeseben, 
nirgends  ilber  das  16.  Jahrhandert  zarQck. 

Da6  die  Bilderquellen,  die  sich  far  die  Masik  des  alten 
Orients  als  die  wichtigsten,  zuweilen  als  die  einzigen 
Zeagen  erwiesen  haben,  auch  von  der  Musik  des  Mittel- 
alters  and  der  ihm  folgenden  Zeit  wertvolie  Berichtegeben, 
bat  znerst  Scheuerleer  erkannt,  Eduard  Bahie  and  Hago 
Leichtentritt***)  haben,  seinen  Anregungen  folgend,  den 

*)  Sammelbinde  der  Intematlonalen  MoBikgesellscbaft  I, 
65  und  ff. 

**)  Hans   Jonrhim   Moser:   Die  Maslkgenossenscbaften    Im 
deutacben  Mittelalier.     1910. 

♦•♦)  Scheuerleer,  D.  F.:  Oude  Mafilkinst^amenten  en 
Prenten  en  Foto<?raflen  nsw.  1898.  Buble,  Dr.  Edv.:  Die 
mnsikalischen  Instiumente  in  den  Miniatnren  des  fruhen  Mlttel- 
alters.  1903.  Leichtentritt,  Hugo:  Was  lebren  uns  die 
Bildwerke  des  14.  — 17.  Jahrhunderts  uber  die  Instrumental- 
musik?     (Sammelbinde  d.  I.  M.  G.  VII,  8.) 


Beweis  erbracht,  daB  aus  den  Werken  der  bildenden  Kunst 
noch  reiche  mnsikgeschichtliche  Ausbeute  zu  schOpfen  ist. 

Verh&ItnismftOig  am  fleifiigsten  und  daza  am  frUhesten 
ist  miter  den  genannten  Hilfsqnellen  die  vierte,  die  Akten- 
qaelle  benutzt  worden.  Schon  Forkel  gibt  in  der  Eia- 
leitong  seiner  Uniyersalgeschichte  wertvolle  Mitteilungen 
ftber  die  Stadtpfeifereien  und  die  Schulchdre  seiner  Zeit, 
nach  ihm  hat  dann  August  Reifimann  seiner  Musikge- 
schichte  einige  verdienstyoUe  Aktennotizen  fiber  erste 
OrchestergrQndungen  in  deutschen  Reichsst&dten  einge- 
f&gt.  Die  Hauptarbeit  hat  sich  hier  in  den  groBen  und 
kleinen  Beitrfigen  zur  musikalischen  Landes-  und  Orts- 
geschichte  vollzogen,  die  seit  der  Mitte  des  neunzehnlen 
Jahrhunderts  erfreulicher  Weise  sich  fortw&hrend  bei 
alien  Nationen  vermehrt  haben  und  bereits  heute  eine 
solche  Menge  bilden,  daB  hier  nicht  einmal  die  wichtigsten 
angeffkhrt  werden  k5nnen  *}.  Zu  ihnen  kommt  noch  eine 
Reihe  von  Arbeiten,  die  in  den  Archiven  und  Jahrbuchem 
allgemeiner  Geschichts-  und  Altertumsvereine  Unterkunft 
gefnnden  haben,  wie  z.  B.  Grulls  Beitrftge  zur  Geschichtc 
der  Stadt  Wismar  im  Mecklenburgischen  Urkundenbuch 
Yon  1879.  Nur  das  reichste  und  bedeutendste  StCkck  der 
ganzen  Gruppe  soil  hervorgehoben  werden:  Es  sind  Adolf 
Sandbergers  »Bemerkungen  zur  Biographie  Hans  Leo 
HaBlers  und  seiner  BrQder,  sowie  zur  Musikgeschichte 
▼on  Nfirnberg  und  Augsburg***)  M it  den  mannigfaltigen 
und  lebendigen  Bildern,  die  hier  vom  Spielmannswesen 
der  beiden  Reichsstftdte  entrollt  werden,  wird  zugleich 
musterhaft  bewiesen,  wie  eine  scheinbar  unl5sbare  Auf- 
gabe  zu  emem  guten  Ende  gefQhrt  werden  kann,  wenn 
der  Autor  sich  nicht  die  Miihe  verdrieBen  ISlQI,  verborgenen 
Wegen  nachzusptiren. 

Trotz    dieses     mangelhaften    Zustandes    der    Vor- 
arbeiten  )assen  sich  immerhin    einige   Richtpunkte  fQr 


*)  Der  Leser  kann  sich  lelcht  in  dem  Katalog  der  Musik- 
bibUothek  Peters  niber  orietitieren. 

**)  DenkmUer  der  Toiikunst  in  Bayern  Y,  I,  Elnleitung. 

1* 


die  Friihgeschichte  des  Orchesters  feststellen.  Sicher 
scheint  es,  dafi  den  ersten  AnstoB,  einzelne  moralisch 
und  technisch  wtkrdigere  Spielleute  aus  der  unehrlichen 
Kaste  der  Gaakler  herauszuziehen  und  in  dffentlichen 
Dienst  zu  nehmen,  schon  friih  im  Mittelalter  die  diva 
necessitas,  die  Notwendigkeit,  fQr  die  Sicherheit  von 
St&dten  und  Burgen  gegen  Oberf&lle,  gegen  Wassers-  und 
Feuersnot  zu  sorgen,  gegeben  hat.  Der  einzelne,  einfache 
TQrmer,  der  die  Stadt  bewacht,  mit  Horn,  Tuba,  Trom- 
pete  warnt  und  allarmiert,  bildet  Qberall  den  Grundstock 
der  sogenannten  Stadtpfeifereien,  auf  den  Rirchtlirmen  ver- 
lauft  ein  groBer  Teil  ihrer  Geschichte.  Auf  ihnen  haben 
in  den  meisten  kleinSn  Stfidten  bis  weit  ins  neunzehnte 
Jahrhundert  die  Meister  mit  Gesellen  und  Lehrlingen  ge- 
haust,  und  auch  in  grdBeren  Stadtorchestern,  dem  Leipziger 
z.  6.,  haben  noch  znr  Zeit  der  Grundung  des  neuen  deut- 
schen  Reichs  einzelne  Mitglieder  —  zuweilen  waren  es 
hervorragendeVirtuosen  —  Ttkrmerposten  bekleidet  Bis  auf 
den  heutigen  Tag  hat  sich  in  mancher  Stadt,  die  ihre 
Stadtmusik  der  Gewerbefreiheit  geopfert  hat,  doch  der 
TUrmer  erhalten,  namentlich  im  alten  Hansagebiet  ruft 
er  noch  hier  und  da  die  Nachtstunden  mit  Signalen  und 
Weisen  ab,  die  ihres  hohen  Alters  wegen  schleunigst  ge- 
sammelt  werden  sollten. 

An  den  FurstenhOfen  war  der  musikalische  Wftchter 
in  der  Kegel  ein  Trompeter,  der  auch  als  Herold,  als 
Kourier  und  zu  vielen  anderen  Zwecken  des  Hofdienstes 
verwendet  und  ziemlich  bald  durch  Kollegen  unterstGtzt 
wurde.  Bereits  urn  1400  zieht  Karl  VI.  in  Reims  mit 
30  Trompetem  ein,  Ludwig  XL  hat  gar  54  im  Dienst'*'). 
Auch  in  Italien  gibt  es  solche  groBe  Trompeterorchester: 
Lucrezia  Borgia  z.  B.  wird  1601  in  Ferrari  mit  13  Trom- 
petem und  8  Schalmeienbl&sern,  ein  andermal  mit  24 
Trompetern  und  entsprechend  vielen  Schalmeiblftsern 
eingeholt.    Ftir  Deutschland  haben  wir  pr&zisere  Angaben 

'*')  M.  Brene  t:  Les  concerts  en  France  sous  I'ancien  regime. 
1900  (S.  11). 


erst  aos  der  zweiten  H&lfte  des  16.  Jahrhunderts.  Da 
h&lt  sich  der  Herzog  von  Liegnitz,  eiaer  der  kleineren 
FUrsten  (nach  den  Denkwurdigkeiten  Hans  von 
Schweinichens)  12  Trompeter.  Diese  Hoftrompeter  nahmen 
eine  angesehene  Stellung  ein,  an  einzelnen  Pl&tzen  mdgen 
sie  sogar  Offiziersrang  gehabt  haben'*'),  Dberall  bildeten 
sie  eine  eigne  stolze,  von  den  gewdhnlichen  Spielleuten 
beneidete  Gilde.  Wirkten  sie  mit  letzteren  zusammen, 
worde  ihnen  eine  besondere  Empore  einger&umt,  in  ein- 
zelnen alten  Musiks&len  hat  sich  diese  erhohte  Trompeter- 
loge  noch  bis  heute  erhalten.  Diese  Sonderstellung  und 
diese  Sonderrechte  wurden  auch  von  den  St&dten  an- 
erkannt.  Nar  die  eigentlichenPatriziergeschlechter  durften 
zur  Hochzeitsmusik  Trompeter  bestellen,  und  noch  zu 
den  Zeiten  Sebastian  Bachs  war  die  Erlaubnis,  eine  so- 
genannte  Trompetensnite  spielen  za  lassen,  mit  beson- 
deren  Kosten  verknUpft.  In  neuerer  Zeit  ist  die  Ansicht, 
dafi  sich  das  Ansehen  der  alten  Trompeter  auch  auf  her- 
vorragende  musikalische  Leistungen  gestHtzt  babe,  zwar 
bezweifelt  worden  ****),  doch  verbieten  allein  schon  die 
Trompetenpartien  Bachs  und  H&ndels  hierUber  zu  streiten. 
Nicht  bios  die  Trompeten,  sondern  alle  Blasinstrumente 
batten  im  17.  und  18.  Jahrhundert  konzertierenden  Charak- 
ter  und  muBten,  namentlich  die  Oboe,  technisch  weit 
mehr  leisten,  als  der  heutige  Orchesterdienst  verlangt; 
erst  die  Wiener  Schule  en  than  d  sie  von  den  virtuosen 
Verpflichtungen. 

Am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  begegnen  wir  auch 
den  ersten  Milit&rmusikern.  Georg  Frunsberg,  der  Vater 
der  Landsknechte,  war  es,  der  filr  jedes  Fahnlein  zwei 
Oder  drei  Spielleute,  haupts&chlich  fiir  den  Signaldienst 
einstellte.  Erst  im  18.  Jahrhundert  entwickeln  sich  dar- 
ans,   und  wie   es  scheint   nach   preufiischem   Vorgang, 

*)  I.  S.  Altenburg:  Versuch  einer  Anleitung  znr  heroisch- 
moslkalischen  Trompeter-  and  Paakerkunst     1795. 

♦♦)  H.  Eicbborn:  Die  Trompete  in  alter  nnd  neuer  Zeit. 
1881. 


stattliche  Oboistench((re.  Die  btkrgerliche  Instrumental- 
musik  hat  lange  an  dem  einzigen  Spielmann  festgehalten, 
in  Dresden  bescbrftnkte  sich  noch  1572  die  Stadtmusik 
anf  einen  Kopf  *).  Aber  die  Aufgaben  des  Turmers  scheinen 
sich  bald  erweitert  zu  haben.  Zur  Bewachung  tritt  die 
BegrQfiang,  die  Unterhaltung  und  Erbauung  der  BUrger- 
schaft,  die  HSlt  diese  Zwecke  vordem  lediglich  auf  die 
Bedienung  durch  wandernde  und  vagabundierende  Musi- 
kanten  angewiesen  war.  Nach  dem  Ausweis  von  Ver- 
ordnungen  und  Bildem  gibt  der  amtlich  bestellte  Pfeifer 
Yom  14.  Jahrhundert  ab  zur  Morgen-,  Mittags-  und  Abend- 
stunde  von  seinem  Turm  herab,  oder  von  einer  andren 
geeigneten  Stelle  aus  ein  geistliches  oder  weltliches  StQck 
zum  beaten,  er  erscheint  bei  Festen  und  Aufztkgen,  bei 
Hochzeiten,  Taufen  und  andren  Ehrentagen  der  Familie, 
er  spielt  an  Sonn-  und  Festtagen  und  bei  weiteren  guten 
Gelegenheiten  auf  dem  Markt,  auf  einer  Empore  oder 
Nische  des  Stadthauses,  auf  dem  Plan,  dem  Anger  —  in 
Basel  auf  der  Rheinbr^cke  —  auf,  er  fehlt  bei  keinem 
Tanz  im  Grunen,  auf  der  Tenne  oder  im  Saal.  Noch 
aus  der  zweiten  Hsllfte  des  17.  Jahrhunderts  haben  wir 
viele  Tanzbilder,  namentlich  von  Teniers,  auf  denen  nur 
ein  einziger  Spielmann  t&tig  ist,  und  auf  dem  Land,  im 
Spreewald,  in  entlegenen  Gebirgsddrfern  ists  auch  heute 
nicht  selten,  dafi  das  ganze  Tanzorchester  aus  einem 
einzigen  Klarinettisten  oder  einem  Fiedler  besteht  Neben 
der  Trompete  tritt  fQr  solche  Gelegenheiten  schon  in  der 
Zeit  der  Miniaturen  die  Geige  auf,  in  der  Zeit  der  Bilder 
auch  die  Gambe,  die  Laute  und  die  Viola,  besonders  be- 
liebt  wird  [nach  DQrer,  Rafael,  auch  Teniers)  f&r  den 
Volksbedarf  der  Dndelsack;  auf  den  Handwerksbildern 
des  Jost  Amanns  (16.  Jahrh.)  stellt  sich  dann  die  Guitarre 
mit  ein.  Die  Hausmusik  kennt  vom  15.  Jahrhundert  ab 
kleine  um  den  Hals  gehangene  Orgeln,  sogenannte  Por- 
tative, die  besonders  gem  von  vornehmen  Damen  und 

*]  G.  Wastmann:    Ans   Leipzigs   Yergangenheit   (Artlkel: 
Die  Leipziger  Stadtmnsikanten).     1885. 


heiligen  Franen  gespielt  werden.  In  Holbeins  Totentanz 
tiitt  aach  der  tod  als  Kavalier  mit  einem  Psalterinm 
anf.  Schlagzeug  fehlt,  nur  anf  italienischen  Bildern  des 
16.  Jahrhnnderts  kommt  aosnahmsweise  der  Triangel  vor, 
in  Dentschland  gilt  er  damals  noch  als  >freindes  Instru- 
ment*. 

Der  vermebrte  Bedarf  und  die  Notwendigkeit,  ftkr 
Nachwuchs  zu  sorgen,  die  znr  Vererbung  des  Gewerbes 
in  derselben  Familie  and  sp&ter  zu  fSrmlichen  Masiker- 
dynastien  f&hrte,  e^&ren  es  einfilbh  genug,  daB  aus 
dem  einen  Spielmann  bald  mehrere  wurden.  So  begegnen 
wir  scbon  in  den  Miniatnren  des  12.  Jabrhnnderts  zwei 
Spielleuten,  das  erste  Bild  —  es  ist  aus  der  Schule  Meister 
Wilbelms  —  mit  zwei  Instrumentalisten  stammt  aus  dem 
14.  Jabrhundert  and  befindet  sich  im  Dom  za  Aacben. 
Zwei  En  gel  masizieren  da,  der  eine  anf  der  Bratsche, 
der  andre  aaf  einer  Laatenharfe.  Einen  Violaspieler  and 
einen  Harfner  zeigt  dann  aacb  die  Gruppe  der  Seligen 
im  Campo  santo  za  Pisa.  Bratscbe  and  Psalterium 
kommen  aaf  den  frtLhesten  italieniscben  Bildern  haafig 
Yor,  wie  nocb  heute  das  Ensemble  von  Geige  and  Guitarre 
in  der  italieniscben  Volksmasik  heimisch  ist.  Aacb  Geige 
and  Laate,  Gambe  and  Lante,  F15te  and  Harfe,  FlOte 
and  Laate  zeigen  sicb  auf  italienbcben  Bildern  des 
16.  Jabrhnnderts,  z.  6.  bei  Giov.  Bellini  (in  der  Kirche 
dei  Frari  in  Venedig)  zasammen.  Memling  bringt  eine 
beilige  Katharine  mit  Portativ  and  Harfe,  and  auf  dem 
gegen  1600  entstandenen  Konzert*  des  Giorgione  (Florenzi 
Pitti}  erscheint  zum  erstenmal  neben  der  Gambe  ein 
kleines  Klavier.  Zwischen  dem  Instramentalsolo  and 
dem  Instrnmentaldaett  gibt  es  noch  eine  merkwCkrdige 
Zwiscbenstufe:  das  ist  der  za  gleicber  Zeit  zwei  Instru- 
mente  spielende  Masiker.  Er  findet  sich  scbon  in  den 
von  Riano*)  bescbriebenen  spanischen  Teppicbgem&lden 
des  13.  Jahrhnnderts  and  vorber  aaf  Miniatnren  F15te 


*)  Juan  Riano:  Oritical  and  bibliographical  notes  on  Early 
Spanish  Music.     1887. 


und  Trommel  handhabend,  Holbein  bringt  ihn  in  den 
Illastrationen  zum  Alien  Testament  wieder  zu  Ehren,  von 
da  kehrt  er  bis  ins  17.  Jahrhundert  hftufiger  wieder  and 
lebt  ja  hente  noch  in  dem  auf  Mftrkten  und  Volksfesten 
Affen,  BUren,  Kamele  vorfiihrenden  und  dabei  Dudelsack 
and  Trommel  zagleich  regierenden  Italiener.  Am  Hofe 
des  Herzogs  Anton  von  Lothringen  hat  dieser  Doppel- 
spieler  unter  dem  Titel  » Grand  joueur  du  taboarin«  einen 
hohen  musikalischen  Posten  mit  den  Befugnissen  eines 
Generalmusikdirektors  gebildet***). 

Ensembles  von  drei  Instrumentalisten  tauchen  erst 
im  15.  Jahrhundert  auf,  bei  Carpaccio  mit  Laute,  Bratsche, 
Zinken ,  bei  Giov.  Bellini  und  andren  Malern  mit  zwei 
Lauten  und  kleiner  Geige,  mit  Laute,  Gambe,  F16te,  mit 
F15te,  Harfe,  Portativ,  mit  Horn,  Laute,  Orgel.  Noch  von 
Teniers  besitzen  wir  (Alte  Pinakothek  in  Mttnchen)  ein 
Bauernbild  mit  F15te,  Laute  und  Geige.  Darnach  hat 
sich  also  das  selbstftndige  Instrumentaltrio  weit  in  die 
Zeit  hinein  erhalten,  wo  fQr  Gesang  und  Instrumente 
Iftngst  der  vierstimmige  Satz  die  Kegel  war.  FDr  das 
18.  Jahrhundert  bezeugt  das  Goethe  (in  Wahrheit  und 
Dichtung)  mit  der  Beschreibung  des  Einzugs  des  soge- 
nannten  Pfeifergerichts  bei  der  Kaiserkrdnung  im  Frank- 
furter R5mer.  Das  stellten  drei  Niirnberger  Stadtmusi- 
kanten,  und  Sandberger  teilt  (a.  a.  0.)  eine  der  alten  fUr 
diesen  Zweck  bestimmten  Intraden  mit.  Noch  grbfiere 
Wichtigkeit  hat  das  Ensemble  dreier  Spieler  als  Episode 
und  Gruppe  im  gr5fieren  Ganzen,  in  der  Sinfonie  noch 
bei  Haydn,  in  der  Oper  bei  Lully  und  andren  Kompo- 
nisten,  in  der  Kirchenmusik  in  S.  Bachs  Hmoll-Messe; 
die  groBte  Bedeutung  hat  es  als  Concertino  bei  Gorelli 
und  im  Concerto  grosso  seiner  Schule  erlangt.  Auf- 
f&Uig  ist,  dafi  auf  den  Bildern  die  drei  Instrumente  nie 
zur  gleichen  Gattung  geh5ren.  Dagegen  kann  es  ein  Zu- 
fall  sein,  dafi  in  dieser  Quelle  Quartette  und  Quintette 
von  Instrumenten  bedeutend  friUher  auftreten   als   das 


*)  Albert  Jacquot:  La  musique  en  Lorraine.     1SS2. 


Trio,  n&mlich  schon  im  14.  Jahrhundert.  So  bringt  Casen- 
tino  (Florenz,  Ufficile)  Harfe,  Laute,  Zither,  Portativ, 
Spinelio'  Aretino  (Florenz,  Akademie)  Bratsche,  F15te, 
Laute,  kleine  Pauke  und  Dudelsack,  Rafael  ist  (Galerie 
des  Vatikan)  mit  einem  Quartett  von  zwei  Geigen,  Harfe, 
Tamburin  and  (Perugia,  Pinakothek)  mit  einem  Quintett 
von  F15te,  Geige,  Kniegeige,  Laute  and  Zinken  vertreten. 
Das  interessanieste  der  spftteren  Quartettbilder  ist  Paolo 
Veroneses  Hochzeit  von  Kana  (Venedig,  Akademie),  denn 
die  zwei  Bratschisten  sind  Veronese  und  Tintoretto,  der 
Fldtist  ist  Bassano,  der  Bafigeiger  Tizian. 

In  den  deutschen  Stadtorchestern  scheint  die  Drei- 
zahl  eine  Zeitlang  die  Norm  gewesen  zu  sein:  Mit  Hans 
Nail  and  seinen  zwei  S5hnen  beginnt  1479  die  Geschichte 
der  Leipziger  Stadtmusik,  1500  wird  sie  auf  vier  K5pfe 
erhdht  und  bleibt  nun  bis  zum  Jahre  1738,  wo  den 
vier  Blftsem  endlich  nocb  drei  Kunstgeiger  zugertthrt 
werden,  auf  diesem  Bestand'*').  Auch  N&rnberg  und 
Augsburg  halten  sehr  lange  an  einer  vier-  oder  fUnf- 
kdpfigen  Stadtmusik  fest  *'*'),  und  Deutschland  wird  wah- 
rend  des  16.  Jahrhunderts  in  seinen  kommunalen  Or- 
chestem  rQckst&ndig.  Bartholomftus  Sastrow,  der  Stral- 
sunder  Bftrgermeister,  ist  erstaunt,  als  er  1593  auf  dem 
Reichstag  zu  Speier  zum  erstenmal  in  der  Kapelle  des 
Kurftbrsten  von  Sachsen  Blftser  und  Streicher  zusammen- 
spielen  hdrt***],  und  noch  zw51f  Jahre  sp&ter  ist  den 
Stralsnndem  kunstm&Bige  Geigenmusik  ein  fremdes  Phft- 
nomen.  Ganz  andre  Verhftltnisse  bestanden  in  Italien. 
Zur  selben  Zeit,  wo  Luther  bei  uns  von  den  »b5sen 
Geigem  and  Fiedlem«  spricht,  findet  Albrecht  D&rer  in 
Venedig  Instrumentalisten  und  insbesondere  Violin isten 
als  angesehene  Glieder  der  besten  Gesellschaft.  Auch  in 
den  Niederlanden  geh5ren  sie  dam  als  zu  den  vornehmen 

♦)  G.  Wustmann  (a.  a.  0.). 
♦♦)  A.  Sandberger  (a.  a.  0). 
*♦♦)  Bartholomii  Sastrows  Herkunft  etc.  (Ausgabe  von  1823) 
I,  S.  298. 


Leuten.    Weil  Italien  das  klassische  Land  anch  der  Or- 
chestermusik  ist,   schickt  der  Nflmberger  Pfeifer  Gans 
um   1560  seine  S5hne  zum  letzten  Schliff  nach  Ferrara 
Auch  mit  der  st&rkeren  Besetzung  der  Orchester  ist  Italien 
Yorangegangen.    Die  ersten  Belege  hierfiir  bilden  Engels- 
bilder  des  14.  Jahrhunderts.   Auf  einem  solchen  (Miinchen, 
Alte  Pinakothek)  bring!  z.  B.  Lippo  Memmi  zwGlf  Instru- 
mente.    Indes  mufi  bei  diesen  Engelsbildern  angenommen 
werden,  daB  die  Phantasie  der  Maler  um  des  Himmels 
willen  von  der  Wirklichkeit  abgewichen  ist.    Aber  auch 
als  Phantasiebilder  haben   sie  dadurch   geschichtlichen 
Wert,  dafi  sie  die  in  der  Zeit  gebrfiuchlichen  Instrumente 
in  einer  Obersicht  zusammenfassen :  Portativ,  Bratsche, 
Laute,  Harfe,  F]5te,  groOe  and  kleine  Trommel,  Hand- 
trommel,  Pauke  und  Cymbeln.    Diese  Zahl  wird  in  einer 
ziemlich    gleichzeitigcn   franz5sischen   Ballade    auf   den 
Tod  Machaults  bis  zur  13,  in  einem   Bericht  des  Juan 
Ruiz  von  1352  sogar  auf  28***)  gebracht.    Nur  einmal,  in 
der  islandischen  Sage  von  Sigmund  dem  Schweiger,  wird 
erz&hlt,  daB  eine  gr50ere  Anzahl  von  Instrumenten,  es 
sind  acht,  Fldte,  Posaune,  Symphon,  Psalterium,  Harfe, 
Quintema  und  Orgel,  bei  einem  Gastmahl  auch  wirklich 
zusammenspielen**).   Es  kann  sich  da  aber  nur  um  Aus- 
nahmef&Ue  und  um  Unisono-Spiel  handeln,  &hnlich  wie 
bei  den  Vokalch5ren  des  Gregorianischen  Chorals.    Doch 
lag,  wie  bei  diesen,  Teilung  in  Gruppen  und  der  Reiz  der 
Antiphonie  nahe.     Tats&chlich  kommen  auch  auf  zahl- 
reichen  Engels-  und  Heiligenbildern  des  14.  Jahrhunderts 
Doppelorchester  vor,  und  da  ists  interessant,  daB  an  der 
Zahl  der  Instrumente  immer  die  Akkordinstrumente  einen 
groBen  Anteil  haben,  in  der  Kegel  die  gr5Bere  (f&nf  von 
neun)  oder  die  kleinere  H&lfte  (sechs  von  vierzehn)  des 
ganzen  Ensembles  bilden.    Dieser  Reichtum  an  Akkord- 
instrumenten  dauert  auf  den  Bildern  bis  ins  17.  Jahr- 


*)  W.  Ambros :  Musikgeschicbte  II,  508. 
**]  AngolHamerich:  Stadien  fiber  islindische  Masik  (Sam- 
melb.  d.  I.  M.  0.  I). 


handert  fort  and  wird  darch  weitere  Quellen  bestfttigt, 
darch  Inventaryerzeichnisse  nftmlich  und  durch  gelegent- 
liche  Angaben  liber  Orchesterbesetzung.  So  enthielt  (nach 
Sandberger)  die  »Masikkammer«  der  Fagger  in  Augsburg 
mehrere  bunderlLauten.  Die  praktische  Verwendung  derlei 
Instrnmente  zeigt  die  der  Parti tur  des  Monteverdischen 
Orfeo  Yorgedruckte  Orchesterliste,  die  aufier  groBen  Gem* 
balis  Harfen,  Orgeln,  Regale  und  Chitaroni  verlangt.   Aus 
einer  Recbnung  vom  Jahre  1664  wissen  wir,  daS  auch 
im  Venetianiscben  Opernorchester  drei  Cembali  und  The- 
orben  mitwirkten*),  ja  auch  noch  die  H&ndelschen  Parti- 
tucen  yerlangen   zur  AusfUhrung    der  als  BaBstimmen 
skizzierten  Harmonie  eine  Mehrzabl  von  Akkordinstru- 
menten,  aufier  Cembalo  und  Orgel  oft  noch  Harfen  und 
Lauten,  and  leiden,  wenn  das  iibersehen  wird,  im  Klang. 
Auf  den,  im  Gegensatz  zu  den  Engelsbildem  zuver- 
I9.ssigeren  Prozessionsbildern  tritt  die  st&rkere  Besetzung 
erst  mit   Guido  Reni  ein    und   f&Ut  mit  den   hochsten 
Zahlen  auf  Akte,  wo  die  Instrnmente  mit  S§,ngem  zu- 
sammenwirken.    Bs  muB  aber  dam  als  auch  ftir  die  reine, 
selbstandige  Orchestermusik  eine  stSxkere,  koloristisch  er- 
giebigere  Besetzung  Platz  gegriffen  haben.     Hatten  sich 
bis  dabin  die  Stadtpfeifer  mit  dem  ja   die  voile   Har- 
monie deckenden  Quartett  begnflgt  und  der'Abwechslung 
nur  so  welt  Recbnung  getragen,  daB  sie  mit  Quartetten 
der  einzelnen  Blasinstrumente,  Schalmeienquartetten,  Po- 
saunenquartetten,  ja  auch    Fldteuquartetten   aufwarten 
konnten,  wie  das  teils  Kompositionen  wie  Scheins  Suite 
f&r  4  Krummhdrner,  teils  alte  Inventarverzeichnisse,  in 
denen  die  Blasinstrumente  nach  Fudern,  d.  h.  Futteralen 
mit  je  vier  gleichartigen,  aber  in  der  Gr5Be  registerartig 
verschiedenen  StQcken  angefiihrt  werden,  beweisen,  so 
wachsen  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts,  als  von  Italien 
her  neue  Instrumentenkombinationen,  darunter  das  Zu- 
sammenwirken  von  Bl&sem  und  Geigern,  bekannt  werden 
und  sich  der  Sinn  f&r  KUnge  und  ihre  Mischungen  frisch 

*)  Jahrbacb  der  Masikbibliothek  Peters  fur  1900,  S.  58. 


belebtydie  Stadtpfeifereien  in  den  grOfieren  Orten  Deutsch- 
lands  auf  sechs  und  sieben  Kdpfe.  Dazu  kommen  Expek- 
tanten  and  Lehrlinge  und  bei  besonderen  Anl§,ssen  Ver- 
sUlrkung  durch  auswftrtige  KoUegen.  Die  Leipziger 
Stadtmusikanten  z.  B.  wurden  am  Anfang  des  17.  Jahr- 
handerts  ab  und  zu  nach  Dresden  bestellt,  die  Leipziger 
wiederum  laden  die  durch  ihre  guten  Trompeten  be- 
riihmten  Naumburger  Stadtpfeifer  zu  Gast.  Der  Raum 
auf  den  Kirchtiirnien  reicbt  zur  Herberge  f&r  die  ver- 
grdfierte  Stadtmusik  nicht  mehr  aus,  von  Ratswegen 
wird  ihr  deshalb  ein  eigenes  Haus  zur  Verftigung  gestellt, 
als  dessen  Verwalter  das  Haupt  der  Pfeifer  fortan  h&ufig 
den  Titel  »Hausmann«  f&hrt.  Die  Erinnerung  an  diese 
Zeit  lebt  noch  heute  in  zablreichen  Pfeifergassen  und 
PfeifergliBchen.  Fiirstlichem  Brauche  folgend  halten  sich 
jetzt  auch  manche  Patrizier  ihre  Hauskapellen,  die  Freude 
am  Orchesterklang  verbreitet  sich  durch  alle  Schichten 
so  stark,  da6  an  vielen  Orten  die  st&dtisch  bestellten 
Spielleute  fCbr  Nachfrage  und  Auftrftge  nicht  mehr  aus- 
reichen.  In  Augsburg  haben  sich  infolgedessen  schon 
bis  zum  Jahre  1603  vierzig  »fremde  Spielleute «  ohne  Kon- 
zession  und  ohne  Btirgerrecht  angesiedelt.  Die  Stadt- 
pfeifer tkberlassen  ihnen  das  Spiel  beim  Tanz,  nur  wenn 
im  Rathaussaal  Ball  gehalten  wird,  beanspruchen  sie  das 
Recht  auf  den  »Pfeiferstuhl«,  die  kleine  Empore,  die  ja 
heute  noch  hie  und  da  erhalten  ist.  Ihre  Hauptfunktion, 
die  Mitwirkung  beim  Gottesdienst,  bei  offenthchen  Feier- 
lichkeiten  und  das  sogenannte  »AbbIasen«  am  Morgen, 
am  (frUhen)  Mittag  und  am  Abend  wird  ihnen  meistens 
sehr  angemessen  vergiitet,  dazu  kommt  noch  ein  reich- 
licher  Nebenverdienst  bei  Familienfesten,  insbesondere 
bei  den  verschiedenen  Zeremonien  der  Verlobung,  bei  den 
>Handschlagen<  und  den  >Lautmerungen<,  beim  »Hofieren< 
des  Br&utigams  und  selbstverstslndlich  bei  der  Hochzeit 
selbst.  Nur  wird  in  der  Zeit  der  Kleiderordnungen  bei 
den  Hochzeitsmusiken  streng  auf  Unterschiede  gehalten. 
Je  nach  dem  Stand  des  Brftutigams  werden  Posaunen  — 
im  Singular  oder  Plural  —  zugestanden    oder  versagt. 


— •    13    ^^ 

In  NQrnberg  muB  IGOO  ein  dreichOriges  HochzeitsstUck 
Leo  HaBlers  onaafgefQhrt  bleiben,  well  der  Br&utigam 
kein  Privilegierter,  sondern  Kaufmann  ist 

Nicht  blofi  der  Kirchendienst,  sondern  auch  die  neu- 
modische,  die  Mitwirkung  von  Cembalis  and  Lauten  for- 
demde  Profanmusik  fahrte  zu  einer  engeren  Verbindang 
der  Sladtpfeifer  mit  den  Organisten,  die  ja  immer  zu- 
gleich  Cembalisten  und  hftufig  auch  gute  Lautenspieler 
waren.  Infolgedessen  begrQnden  jetzt  Kandidaten,  die 
sich  fur  die  Stelle  eines  Pfeifers  oder  Zinkenisten  melden, 
ihre  Bewerbung  damit,  dafi  sie  auch  Orgel  spielen  k5nnen, 
die  Organislen  wiederum  rDcken  mit  in  die  Reihe  der 
Stadimusikanten  oder  an  ihre  Spitze.  Es  erscheinen  ge- 
meinsame  Verordnungen  >f&r  die  Organislen  und  Stadt- 
pfeifer«,  bei  dem  Organislen  werden  die  »Aufwartangen< 
beslelll,  er  beslimml  bei  'den  sogenannlen  »8lillen  Mu- 
siken<  wie  viele  und  welche  Spieler  zur  Laule  und  zum 
Cembalo  zugezogen  werden,  er  wird  hier  und  da  als 
»An;himusicus«  angeftthrl.  NQmberg  beruft  1600  L.  Hafiler 
als  »Oberhaupl  der  Stadlpfeifer«  und  schlieBl  in  diese 
Bestallung  den  Organislen diensl  ein,  Leipzig  r&uml  einige 
Menschenaller  spftter  dem  Organislen  der  Neuen  Kirche 
das  Rechl  ein,  unabh&ngig  vom  Thomaskanlor,  als  dem 
obersten  Direklor  der  Sladlmusik,  ein  eigenes  Orchesler 
za  grQnden  nnd  zu  leilen.  Sludenlen  bilden  es,  und 
damit  sind  wir  bei  dem  wichligen  ProzeB  der  Versl&rkung 
der  alien  Stadlmusiken  durch  Laienkrftfte,  bei  der  lelzten 
VergrdBemng  der  Orchesler  durch  mehrfache  Beselzung 
der  Streichinslrumenle  und  bei  modernen  Verh&llnissen 
angelangl. 

Da  die  Ireibende  Hauplkrafl  fUr  diese  Wandlung  in 
der  ftufieren  Geschichle  der  Orchesler  die  Enlwicklung 
der  Komposilion  war,  so  isl  die  Frage  wichlig;  was  haben 
die  alien  Orchesler  gespiell?  Bis  vor  kurzem  war  die 
Mosikgeschichle  geneigl,  den  Anfang  einer  selbslftndigen 
Orchesterkomposilion  ersl  an  das  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderls  zu  selzen,  aber,  wie  neuere  Untersuchungen, 
bei  denen  sich  namenllich  Hugo  Riemann  hervorgelan 


hat,  ergaben,  da6  die  alte,  scheinbar  unbegleitete,  mehr- 
stimmige  Vokalmusik  in  Messe,  Motette  und  weltlichem 
Chorlied  stark  und  wesentlich  auf  die  Mithilfe  tod 
Orchesterinstrumenten  und  Orgeln  rechnet,  so  hat  sich 
auch  herausgestellt,  daB  die  Orchesterkom position  fast 
bis  in  die  Zeit  zuriickreicht,  wo  der  Minnegesang  begann. 
Sie  hat  heute  ebenso  alte  Dokumente  vorzulegen  wie  die 
Lauten-  und  Orgelmusik;  die  Zeit,  wo  auf  den  Bildern 
noch  der  Spielmann  im  Singular  tkberwiegt,  ist  da  zuerst 
mit  einer  einzigen  vom  Ende  des  12.  Jahrhunderts  stammen- 
den  estampida,  im  13.  Jahrhundert  schon  mit  mehreren 
Stacken  in  englischen  Handscbriften  und  im  14.  Jahr- 
hundert endlich  mit  ganzen  Sammlungen  franzdsischer 
upd  italienischer  Kompositionen,  die  sich  in  der  Pariser 
Nationalbibliothek  und  im  Britischeu  Museum  finden, 
vertreten.  Es  sind  durchweg  einstimmige  TanzstQcke,  die 
in  der  Mehrzahl  zu  der  Familie  der  eben  erwfthnten 
estampida,  im  franz5sischen  estampies  genannt,  zum 
kleineren  Teil  zu  den  danses  royales  gehdren'*')  Schon 
Grocheo  kennt  dieestampie  als  stantipes  und  berichtet, 
daB  sie  mit  dem  cantus  coronatus  und  dem  rondellus 
eine  besonders  beliebte  Form  von  Instrumentalmusik  sei, 
bei  Festen  spielten  die  Jongleurs  damit  reichen  Leuten 
auf.  Was  in  der  Zeit  der  einstimmigen  Mosik,  wo  sich 
die  AusfUhrenden  im  wesentlichen  auf  Ged&chtnis  und 
Improvisation  verlassen  durflen,  veranlafit  haben  mag, 
gerade  estampies  aufzuschreiben,  ist  der  ihnen  eigene 
Mangel  an  Symmetrie,  der  das  Behalten  und  Wiedergeben 
verb altn ism UBig  erschwert.  Es  wechseln  acht-  und  sechs- 
taktige  Perioden,  vier-  und  zweitaktige  Abschnitte.  Die 
isolierten  Zweitakter  markieren  die  Hauptschltlsse  and 
geben  ihnen  metrisch  und  modulatorisch  einen  eigen- 
sinnigen  Zug,  zu  dem  sich  die  sanft  und  leicht  bin- 
gleitende  Melodie  in  Gegensatz  stellt.  Das  Ganze  wird 
•eine  Mischung   von   Anmut  und  Keckheit,  aus  der  der 

'*')  Pierre  Aubry:  Les  plus  anciens  te&tes  de  mnBiqiie  instru- 
mentale  (Mercare  musical,  September  1906). 


15 


Geist  d«r  Tronbadonrzeit  spricht.    Die  folgenden  Takte: 


briDgen  die  erstea  2  Abschnitte  einer  solchen  estampie, 
das  ganze  Stiick  hat  ihrer,  je  nachdem  4,  6  oder  7.  Die 
danse  royale  oder  estampie  royale  unterscheidet  sich 
von  der  gewdhDlichen  estampie  haupts&chlich  darch  einen 
Reichtum  an  groBeren  Intervallen,  der  ihren  Charakter 
ins  Kr&ftige  nnd  Heroische  hebt,  und  durch  geringeren 
Umfang  der  Satzteile: 


etc 


Diese  Satzteile  oder  Perioden  heiBen  pnncta,   genau 
80  wie  in  den  gleichalterigen   zwei-  und  dreistimmigen 
englischen  Orgelkompositionen,  mit  denen  nns  unl&ngst 
Wooldridge  bekannt  gemacht  hat*},  Das  Panktum  ist  ein 
offenes  (apertum),   wenn   der  SchluO    in    die  H5he,   ein 
festes  (clausam),  wenn   er  in   die  Tiefe  geht.    Bei  dem 
Vergleich  zwischen  den  estampies  und  den  Orgelsfttzen 
f&llt  znerst  auf,  daB  die  ersteren  melodisch  viel  reifer 
und  wertvoller  sind.    Kein  Wunder:  anf  die  Beweglich- 
jEeit  und  Freiheit  der  Melodie  drtkckte  in  den  Orgels&tzen 
zunftchst  noch  die  Mehrstimmigkeit.     Noch    starker  ist 
zwischen  den  beiden  Arten  der  Unterschied  in  der  metri- 
«chen  Struktur:  die  OrgelstQcke  ziehen  in  durchschnitt- 
lich  lilngereu  Perioden  voriiber,  die  estampies  sind  kurz 
und  scharf  gegliedert.  Dieser  von  ihrer  Tanzbestimmung 
berkoromende  Zag   behauptet  sich  auch  in    der  mehr- 
«timmigen  Orchestermusik,  soweit  sie   weltlicher   Natnr 
ist^  B0<  h  auf  lange  hin,  bis  ins  16.  Jahrhundert  wird  ihm 
selbst  in  den  uberwiegenden  Fftllen  Rechnung  getragen, 


*)  H.  £.  Wooldridge:  Early  English  harmony  from  the  lOtti 
to  the  l&th  century.     1897. 


i 


-^    16    ^>- 

wo  die  zwei*,  drei-  und  fiinfstimmigen  Satze  imitieren, 
fagieren  oder  sonstwie  kunstvoll  kontrapunktieren.  Die 
Metrik  ist  gradezu  das  sicherste  Kriterium,  nach  dem  man 
in  zweifelhaften  Fftllen  feststellen  muB,  ob  eine  mehr- 
stimmige  Komposition  fiir  Singstimmen  oder  fiir  Instra- 
mente  gemeint  ist. 

Die  ftltesten  zweistimmigen  Kompositionen  fDr  Or- 
chesteriostramente  sind  uiis  in  den  eben  erw&hnten 
englischen  Handschriften  des  13.  Jahrhunderts  erhalten. 
Der  zweistimmige  worde  von  dem  voUeren  Satz  nicht 
verdrHngt.  Johann  Walther  bringt  1642  onter  seinen 
26  Fngen  fQr  Zinken  ein  reichliches  Drittel,  9  Sttick  fur 
zwei  Zinken,  und  John  Morley  1595  eine  ganze  Samm- 
lung  zweistimmiger,  zum  Teil  instrumentaler  Canzonetten; 
im  Aufwartungsdienst  der  Stadtmusikanten  gab  es  kleine 
Siflndchen  im  Zimmer  und  andere  Falle,  ffir  die  nur 
zwei  Spielleute  vorgesehen  waren.  Erst  als  mit  dem 
17.  Jahrhundert  die  voile  akkordische  Klavierbegleitung 
beliebt  wnrde,  litt  die  Freude  am  reinen  Duo  und  die 
Produktion  der  Gattung  wurde  mehr  und  mehr  auf 
Unterrichtszwecke  eingeschr&nkt.  Mit  welchem  Unrecht, 
lehrt  jede  gute  AufTQbrung  etwa  eines  Spohrscben 
Violinduos.  Jene  ftltesten  englischen  Kompositionen  fUr 
zwei  Instrumente  entsprechen  den  heutigen  Forderungen 
an  einen  reinen  Satz  vielfach  nicht.  In  einem  von  Wool- 
dridge  (a.  a.  0.)  gedruckten  Duett  f&ngt  beispielsweise  der 
Quintus  punctus  folgendermafien : 


j^j  li  J  ijijJi,,  ' 


rr      t  f    f  f ?f    " 


T» 


an.  Die  Stelle  stebt  durchaus  nicht  allein,  sondern  eine 
grofie  Zahl  ganz  ghnlicher  beweisen,  da6  unter  den 
Simultanharmonien  der  Zeit  die  Quintenparallelen  ebenso 
beliebt  waren  wie  die  Sextenparallelen  und  die  Oktaven^ 
Terzengftnge  merkw&rdigerweise  viel  weniger.  Auch  an 
kiibnen  Dissonanzen  sind  die  Sfttze  so  reich,  dafi  man 
an  Schreibfehler  denkt.     Der  Bntwurf  der  StQcke  geht 


gew(ihnlich  von  der  Unterstimme  aus.  Diese  besteht  ent- 
weder  aus  einem  langsam  vorgetragenen  Binchstfick  der 
Skala,  das  mit  primitiv  lustigen,  raschen  Motiven  kontra- 
punktiert  wird,  z.  B. : 


I  '  JM  JMjJIj  Ijll  I  lljljlj  jlj  IIJ 

A G F_____     E 


Oder  sie  ist  einer  Tanzweise  entnommen,  deren  einzelne 
Abschnitte  ostinatoartig  durchgefiihrt  werden: 

Es  stefat  im  Einklang  mit  der  Bilderquelle,  da6  die 
mtesten  Kompositionen  fur  drei  Orchesterinstrumente  dem 
15.  Jahrhundert  angehoren.  Bamberger,  Berliner,  Floren- 
tinerHandschriften  enthalten  allerdings  schou  aus  friiherer 
Zeit  dreistimmige  Instrumentals&tze,  aber  als  reich  und 
st&ndig  gepflegte  und  dabei  aucb  voll  entwickelte  Kunst 
begegnen  sie  uns  erst  in  der  niederlandischen  Schule,  in 
der  sie  mit  Arbeiten  Obrechts,  P.  de  le  Rues,  Brumels, 
A.  Agricolas,  Hofhaimers  und  Senfls  belegt  werden  k5nnen. 
Sie  haben  dem  Anschein  nach  einen  besonders  eifrigen 
Vertreter  in  Heinrich  Isaac  gefunden,  dessen  drei- 
stimmigen  S^tze,  24  an  Zahl,  vor  einigen  Jabren  in  Neu- 
druck  erscbienen  sind '*'*},  mit  ihnen  zusammen  auch 
33  vierstimmige  und  1  funfstimmiges,  die  mit  den  ersteren 
in  Technik  und  Charakter  Ubereinstimmen.  Ob  diese 
Arbeiten  auch  wirklich  samtlich  fUr  Instrumente  be- 
stimmt  sind,  ist  noch  nicht  ganz  ausgemacht;  einen  Teil 
wird  man  auch  jetzt  noch,  wie  es  fruher  mit  alien  ge- 
schah,  als  Vokalkompositionen  ansehen  diirfen,  denen  nur 
deshalb  kein  Text  beigegeben  wo r den  ist,  weil  er  sich 
als  so  bekannt  voraussetzen  lieO,  daO  eine  kurze  Ober- 

*)  Au8  London:  Harleiana  978,  gutigst  mitgeteilt  von  Herrn 
Professor  Johannes  Wolf. 

♦♦)  DenkmUer  der  Tonknnst  in  Osterreich  XIV,  I.    Heraus- 
gegeben  von  Johannes  Wolf. 

Kretzschmar,  Flkhrer.    I,  ].  2 


18 


Bchrift  (Wohl  anf  ^t  Gsell,  Sflfier  Vetter,  Si  dormiero, 
Poor  Yous  plaisir  a.  a.)  gentgie.  GrQndliche  Unter- 
snchungen  der  Liedliteratnr  der  Isaacschen  Zeit  haben 
diese  Frage  welter  zu  kl&ren.  Bei  eioer  Gruppe  der 
dreistimmigen  S&tze  liegt  die  vokale  Nator  sehr  nahe. 
Das  sind  die  St&cke,  bei  denen  der  Tenor  einen  breiten 
cantas  firmus  vortr&gt,  den  Oberstimmen  and  BaB  mit 
bewegten,  wechselnden  and  kanonisch  oder  frei  imitieren- 
den  Motiven  amspielen.  Doch  ist  ihre  Zahl  nor  klein, 
die  liberwiegende  Menge  der  Isaacscben  Sfttze,  der  drei- 
stimmigen wie  der  vierstimmigen,  erweist  sicb  schon 
durch  die  karze  Gliederang  in  vier-  and  zweitaktige  Ab- 
schnitte  grade  so  als  instramental,  wie  das  handert  Jahre 
frflher  bei  den  estampies  der  Fall  war.  Dazn  kommt  ein 
zweites,  schon  von  den  Schriftstellern  des  13.  Jahr- 
handerts  hervorgehobenes  Merkmal  instrnmentaler  Kon- 
stroktion.  Das  ist  die  Seqaenz:  Von  ihr  macht  Isaac, 
wie  die  folgenden  zwei  Proben  zeigen  m5gen: 


I 


jk-r/jjj 


^m 


^ 


^m 


^m 


■^iTrrr 


^m 


^m 


^ 


etc. 


^ 


^^ 


^ 


^ 


^^ 


^^ 


^P 


3x: 


^f 


rjfv 


FT 

m 


j^__^5^ 


^ 


^ 


^m 


xc 


XI= 


g^ 


^ 


^^ 


m 


^m 


m 


^ 


^ 


P 


^fp" 


rtr-r^ 


'jttr  nr 


m 


nrriyf 


TiT-T^T 


rr 


etc. 


m 


^^ 


^i 


^ 


^m 


^ 


einen  reichen  Gebraach.    Auf  das  instramentale  Konto 


ist  ferner  auch  eine  freiere   ^  j_  ^^  ,       i     i  i  i 

BehandlungderDiasonanzzu  g^M  JJJ'JJ*^  g"*  '^    ^ 

seUen,  z.  B.  in  0  Venus  bunt:  gI! a1_     g 

Die  vorstehenden  kurzen  Auszflge  veranschaulichen 
zur  Grenfige,  dafi  die  Orchesterkomposition  des  15.  Jahr- 
hunderts  trotz  einzelner  Ziige  formeller  Verwandtschaft 
sich  fiber  den  Charakter  der  einstimmigen  Estampies 
und  der  ersten  englischen  Versnche  im  zweistimmigen 
Instmmentalsatz  sebr  hocb  geboben  bat.  Das  sind  keine 
T&nze  mebr,  sondern  das  ist  eine  Unterbaltungsmnsik, 
die  zwar  an  volkstQmlicbes  Material  anknQpft,  aber  um 
es  bdcbst  individuell  und  mit  einem  stattlichen  Aufwand 
yon  Kunst  und  Geist  zu  entwickeln.  Es  ist  ein  Kammer- 
stil,  der  sicb  an  einen  sebr  gebildeten  Rreis  wendet  und 
ZnbOrer  voraussetzt,  welcbe  die  Beziebungen  zwiscben 
den  Stimmen  sofort  erfassen  nnd  die  Reize  dieses 
Stimmenspiels  zu  wtirdigen  wissen.  Diese  Musik  ist  die 
Bliite  meisterlicbster  Rontrapunktik,  leicbt  und  obne 
TQfteIn  entworfen,  aber  genau  auf  Abwecbslung  und  deut- 
Ucbe  Wirkung  berecbnet.  Das  siebt  man  namentlicb 
daran,  wie  Isaac  die  Nacbabmungen  bald  aus  der  H5be 
nacb  der  Tiefe,  bald  umgekebrt  f&brt,  bald  w5rtlicb,  bald 
in  Umkebrung  und  anderen  Varianten  antwortet  Die 
MehrzabI  seiner  SAtze  wird  man  als  Parapbrasen  be- 
kannter  Lieder  zu  deuten  baben,  bei  etiicben  (La  Marti- 
nella,  Morra  u.  a.)  bat  er  sicb  aber  Programmaufgaben 
gestellt.  Es  kommen  aucb  in  den  Liedparapbrasen 
Tonmalereien  vor,  eine  sebr  bttbscbe  in  der  Nummer  36: 
»Si  dormieroc.  Da  wird  mit  der  variiert  mehrmals 
wiederkebrenden  Stelle: 


^*j:raiJjJUJJJJL!JiJJL!yjjj  I  ^  " 


auf  das  Scbwanken  von  Bildern  und  Vorstellungen  ange- 
spielt,  das  dem  Einscblafen  gem  vorbergeht. 

Die  GrundzQge  der  Isaacschen  Arbeiten  kebren  nun 
aucb  in  dem  >Libro  I  delle  canzoni  da  sonar*  Ton  Flo- 

2* 


-^    20    ^— 

rentio  Maschera  wieder,  das  1684  zu  Brecia  in  vier 
StimmbQchern  erschien  nnd  das  langeZeit  als  der  Anfang 
selbst&ndiger  Orchesterkomposition  angesehen  worden 
ist.  Davon  zu  iiberzeugen,  gentlgen  die  Anf&nge  der 
beiden  Canzonen,  die  Wasielewski  aus  diesem  Werke  zum 
Neudruck  gebracht  hat*): 

Le  Capriola.  Canzone. 


"J  i"i,iiii  ;iu;y'riijMdirH 


Die  Themen  haben  den  Charakter  des  Tanzliedes, 
allerdiugs  eines  herb  und  elegisch  gestimmten,  aber  doch 
die  rhythmische  Bestimmtheit  and  Knappheit  der  Gattung, 
und  sie  haben  die  zahlreichen  und  scharfen  C&suren,  die 
schon  die  estampies  auszeichneten.  Die  Ausf&hrung  ge- 
langt  zu  Dimensionen,  wie  sie  das  15.  Jahrhundert  f&r 
Orchesterstflcke  noch  nicht  kennt,  zu  einem  Umfang  von 
107  und  143  Takten  und  sie  folgt  dabei  noch  demselben 
Prinzip,  nach  dem  auch  Isaac,  de  la  Rue  und  die  an- 
deren  Niederl3,nder  verfuhren:  kunstvolle  Arbeit,  jedoch 
mit  vermin derter  Kraft  und  Energie.  Die  Runst  besteht 
f&r  Maschera  fast  ausschlieBIich  im  Fugieren,  dabei  macht 
er  die  Fuge  zu  einer  auff&Uig  leichten,  auch  dem  ein- 
fachsten  Volk  verst&ndlichen  Form.  In  der  ersten  Can- 
zone erreicht  er  das  durch  best&ndige  wdrtliche  Wieder- 
holung  kleiner  und  groBer  Abschnitte;  die  ganze  Capriola 
besteht  aus  zwei  Teilen  und  jeder  Teil  wieder  aus  zwei 
vOIlig  gleichlautenden  Hftlften.  Ein  und  derselbe  Ganz- 
schluB  (GmoII)  kommt  deshalb  in  hundert  Takten  sechs- 
mal  und  verbreitet  fiber  die  Komposition  ein  Einerlei,  das 
nur  deshalb  nicht  als  hilflos  wirkt,  weil  es  augenschein- 


*]  I.  W.  von  Wasielewski:  Instramentalsltze  vom  Ende  des 
16.  bis  Ende  des  17.  Jahrhunderts.     1874. 


-^     21     ^^ 

iich  beabsichtigt,  wahrscheinlich  in  dem  Text  der  Capriola 
begrttndet  ist.  In  der  zweiten  Canzone  erleichtert  Ma- 
schera  das  ZuhOren  und  Folgen  durch  fortw&hrenden 
Gedankenwechsel.  Dem  ungraden  Anfang  folgt  im 
22.  Takt  ein  Allabreve,  und  in  ihm  bring!  er  nacheinander 
ftLnf  verschiedene  Themen,  die  auch  nicht  mehr  streng 
fugenmftfiig,  sondern  nur  in  zwanglosen  Imitationen  ver- 
arbeitet  werden. 

Der  durch  die  groBe  Verschiedenheit  der  beiden  Stiicke 
Mascheras  nahe  gelegte  SchluB,  daB  mit  der  Bezeich- 
nnng  Canzone  ein  bestimmter  Formenbegriff  nicht  ver- 
bunden  sei,  ist  richtig  und  gilt  nicht  bloB  flir  die  Can- 
zonen,  sondern  fur  alle  Arten  Orch ester musik  des  17. 
Jabrhunderts.  Mascheras  Sammlung,  die  schon  1693 
zum  zweiten  Male  aufgelegt  wurde,  hatte  den  Drnckern 
das  Signal  zur  fleiBigen  Bestellung  der  Orchesterkom- 
position  gegeben.  Noch  vor  SchluB  des  16.  Jabrhunderts 
traten  dem  Maschera  andere  Oberitaliener  mit  Canzonen 
und  Ricercares  zur  Seite,  noch  vie]  stUrker  regt  sich  aber 
neues  Leben  in  dem  Gebiete  von  dem  Augenblicke  ab,  wo 
durch  Einfiihrung  der  Oper  und  namentlich  auf  Grand  von 
Monte verdis  Orfeo  die  Instramentalmusik  gewissermaBen 
die  hSheren  Weihen  erhW.  Da  veroffentlichen  Marini, 
Fontana,  Monte  Albano,  Tarqn.  Merula,  Neri, 
Allegri,  Mezzaferrata,  Bassani,  Vitali  und  andere 
angesehene  Musiker  neue  Sammlungen  von  vier-  und 
mehrstimmiger  Orchestermusik  und  mit  Legrenzi  treten 
auch  die  Operakomponisten  mit  in  die  Konkurrenz  ein*}. 
Auch  die  Zahl  der  Kompositionsarten  wS.chst,  neben  der 
Canzone  erscheint  die  Fantasie,  die  Sonate,  die  Sinfonie, 
das  Capriccio.  Die  Canzone  legt  es  jetzt  auf  Gegensatz- 
lichkeit  an,  es  I5sen  sich  schon  durch  die  Taktart  streng 
geschiedene  Themen  ab,  oder  sie  wird  zu  einer  drama- 
tisch  erregten  Szene,  in  der  Charakter  und  Tempo  sich 
drei-,  vier-  und  fiinfmal  ^ndern.    Diese  zweite  Art  ver- 


*)  Zar  Orientierang  wird  empfohlen  Wasielewskis  berelts  ge- 
Dftnnte  Sammlung. 


— ♦    22    *^ 

treten  Merula  und  NerL  Die  Fantasie  macht  schon  dnrch 
ihren  Namen  auf  Formenfreiheit  Anspruch.  Es  gibt 
Fantasien,  die  vollstflndig  den  mehrthemigen  Canzonen 
gleichen,  und  andere,  die  einfache  Fugen  mil  einer  breiteD, 
homophonen,  im  Takt  mil  dem  Hanptsatz  kontrastieren- 
den  Episode  sind.  Eins  der  schdQsten  Beispiele  dieser 
zweiten  Art  ist  Banchieris  > Fantasia  in  Eco  movendo 
nn  Registro*,  die  in  der  Episode  das  alte  Echo  zn  Ehren 
bringt.  Am  reichsten  an  Spielarten  ist  in  der  Orchester- 
mnsik  des  17.  Jahrhonderts  die  Sonate.  Der  Aufban 
variiert  von  der  EinsAtzigkeit  bis  zu  siebenteiligen  Satz- 
kr&nzen;  die  dreisfttzige  Kammersonate  wie  die  vier- 
s&tzige  Kirchensonate  treten  in  dieser  gemischten  Gresell- 
schaft  schon  verh&ltnismftBig  fr&h  anf,  aber  die  herr- 
schenden  Formen  werden  sie  erst  gegen  den  Anfang  des 
18.  Jahrhnnderts  von  der  durch  die  Mitwirknng  des  Cem- 
balo gestempelten  Kammermusik  aus.  Ahnlich  bunt  ver- 
lAuft  die  erste  Entwicklung  der  Sinfonie,  doch  erhAlt  sie 
vom  Anfang  an,  den  wir  nach  dem  Ton  Riemann  ge- 
brachten  Beispiel  ins  15.  Jahrhnndert  verlegen  kOnnen, 
eine  einheitliche  Marke  dnrch  den  Verzicht  auf  strengen 
Stil  and  Imitationskflnste.  Das  Hanptfeld  ihrer  Ausbildnng 
wird  die  Oper. 

Neben  dem  leidenschaftlichen,  feurigen  Vitah,  der  aber 
mehr  von  der  Kammer  ans  in  die  Geschichte  der  Instrn- 
mentalmnsik  eingriff,  ragt  nnter  den  auf  Maschera  folgeji- 
den  Orchesterkomponisten  am  bedeutendsten  Giovanni 
Gabrieli,  der  Neife  jenes  Andrea  Gabrieli,  der  als  Or- 
ganist von  San  Marco  1586  die  ersten  fanfstimmigen 
Sonaten  ver5ffentlicht  hat,  hervor. 

Mit  ihm  beginnt  die  goldene  Zeit  einer  eigentftmlich 
feierlichen,  erhabenen  und  edien  Orchestermusik,  der 
wir  aus  unserer  neueren  Literatur  nichts  an  die  Seite  zu 
setzen  haben.  Sie  wurzelt  in  dem  Geiste,  in  welchem 
w&hrend  des  16.  und  17.  Jahrhnnderts  Kirchen,  Staaten, 
StAdte  und  Korporationen  groBe  Feste  begingen.  Sie  hat 
insbesondere  das  Geprftge  Venetianischer  Runst:  der  Glanz 
und  die  Pracht,  der  Ernst  und  die  Hoheit,  die  uns  in  den 


^^    23    ^^ 

Meisterwerken  des  Montagna,  des  Paolo  Veronese  and 
des  Tizian  ergreifen  nnd  erheben,  die  nns  musikalisch 
in  den  Madrigalen  des  L.  Marenzio  so  tief  berOhren,  sie 
kennzeichnen  anch  die  Canzonen  and  Sonaten  des 
Giovanni  Gabrieli.  Seine  Haaptarbeiten  sind  die  in  den  CiiotmibI 
>Sinfoniae  sacra ec  von  1597  (zweite  Aaflage  1615)  ent-  C^fti»rtell. 
haltenen  Stflcke:  nS,mlich  vierzehn  Canzonen  and  zwei 
Sonaten. 

Aas  dieser  Sammlang,  die  darch  45  Cbormotetten 
vervollstAndigt  wird,  hat  Wasielewski  (a.  a.  0.)  einige 
Nammem  verSffentlicht,  von  denen  namentlich  die  eine, 
die  Sonate  mit  dem  Titel  >Pian  e  forte«,  neaerdings  in 
geisUichen  and  in  historischen  Konzerten  h&afiger  ver- 
wendet  wird.  Aach  in  dieser  Isoliertheit  and  in  der 
fremden  Umgebong  scheint  dieKomposition  tiberall  mAchtig 
gewirkt  za  haben.  Nicht  anpassend  zieht  ein  Bericht- 
erstatter*)  Wagners  »Parsifal«  heran,  am  den  Eindrack 
der  Sonate  za  beschreiben. 

Alle  diese  Gabrielischen  Orchesters&tze  haben  einen 
verhftltnismftfiig  bescheidenen  Umfang:  darchschnittlich 
70  bis  80  Doppeltakte.  Weil  aber  ihr  Aafbaa  sehr  scharf 
gegliedert  ist,  wirken  sie  breit  and  imposant.  Es  ist  das 
eine  &hnliche  Erscheinang,  wie  bei  den  Hftndelscben 
ChQren,  wie  bei  der  Architektar  der  An  tike  and  der 
Renaissance.  Das  (}eheimnis  liegt  wohl  in  dem  gllick- 
lichen  Verhftltnis  einer  an  and  foir  sich  bedeatenden  Er- 
findang  za  einer  ebenso  bedeatenden,  klaren,  bestimmten, 
in  jedem  Gliede  abschliessenden  and  vollen  Aasf&h- 
rang.  Es  ist  eine  Masik,  die  ein  Goethe  bewandert 
haben  wtkrde. 

Einige  dieser  Gabrielischen  Orchesterkompositionen 
sind  aaf  zwei  Instramentencbdre  verteilt.  Der  erste 
Chor  beginnt  in  der  Regel  mit  einem  l&ngeren  Thema 
feierlicher,  zaweilen  aach  elegischer  oder  freadiger  Natar. 
Das  wiederholt  der  zweite  Chor  wOrtUch.  Dann  treten 
beide  za  einem  freien  Abschla^  im  majestfttischen  Klang 

*)  Leipziger  Nachrichten,  3.  November  1892. 


— *     24     4^ 

zusammen.  Im  weiteren  Verlauf  wird  der  Charakter  der 
Musik  erregter;  die  Chdre  Ziehen  in  engen  Nachahmungen 
dahin,  in  belebten,  znweilen  verwickelten  Rhythmen  das 
Eingangsthema  umspielend.  Oder  auch:  es  folgt  ein 
zweiter  Satz,  der  sich  in  Charakter  und  Form  vom  ersten 
scharf  abhebt,  dem  geraden  ein  en  ungeraden  Takt  gegen- 
nberstellt.  Entschiedenen  und  h&nfigen  Taktwechsel  liebt 
ja  die  Ultere,  an  Impulsen  reiche  Zeit  auch  in  der  Vokal- 
musik.  Oft  IftBt  es  Gabrieli  bei  diesen  zwei  S^tzen  eines 
Stocks  bewenden  und  schlieBt  mit  einem  freien  Anhang, 
in  dem  die  Oberstimmen  beider  Ch5re  mit  virtuosen  Wen- 
dungen  hervortreten,  um  nach  altem,  klugem  Brauch  den 
Schlufi  hervorzuheben,  auszuzeichnen,  eindringlich  und 
packend  zu  gestalten.  Manche  der  Gabrielischen  Kom- 
positionen  gehen  aber  Uber  dieses  zweisfitzige  Schema 
weit  hinaus  und  stellen  motettenartig  nach  dem  ersten 
Tutti  Oder  dem  zweiten  Thema  noch  eine  lange  Reihe 
grofier  und  kleiner  Gedanken  auf,  als  g£llte  es  einen  ge- 
heimen  Text  zu  erschdpfen.  Zu  dieser  zweiten  Klasse 
geh5rt  die  Sonate  »pian  e  forte*. 

Sie  vertritt  ihre  Familie  und  die  ganze  Gabrielische 
Instrumentalmusik  HuBerst  vorteilhaft,  weil  sie  sehr  tkber- 
sichtlich  und  regelm&6ig  aufgebaut  ist  und  weil  sie 
zweitens  den  Klangbesitz  des  Gabriehschen  Orchesters  in 
seiner  Eigent&mlichkeit  und  in  seinem  Reichtum  vor- 
fuhrt.  Aus  den  piano  gehaltenen  Abschnitten,  in  denen 
der  zweite  Chor  den  ersten  abI5st,  klingt  es  wie  Char- 
freitag;  aus  den  mit  leichten  Obergangen  erreichten 
Stellen  im  forte,  bei  denen  die  Chore  zusammentreten, 
wie  Ostern.  Namentlich  der  elegischen  Eingangsstimmung 
gibt  der  reiche  Harmonieapparat  der  alten  Tonarten  einen 
seltsam  beweglichen  Ausdrnck.  Die  Besetzung  des  Or- 
chesters, die  nicht  bei  alien  StQcken  angegeben  ist,  be- 
steht  in  dieser  Sonate  aus  einem  Quartett  von  Cornetten 
(Zinken)  und  drei  hohen  Posaunen  fur  den  ersten 
Chor,  fur  den  zweiten  aus  Bratsche  und  drei  tiefen  Po- 
saunen. In  einzelnen  protestantischen  Orten  besteht 
hente   noch   die  Sitte,    daB  an  hohen  Festen,  bei  vor- 


— ^    25    o>- 

nehmen  Trauungen  and  anderen  auBerordentlichen  Ge- 
legenheiten  ein  Posaunenquartett  deQ  Choralgesang  be- 
gleitet.    Dieser  Brauch  ist  ein  ehrwiirdiger  Nachklang  der 
Mnsik  fr&herer  Zeiten,  in  denen  er  sich  bis  ins  16.  Jahr- 
hundert  zurQck  verfolgen  IftBt.    Dem  ausgehenden  16.  and 
dera    ganzen    17.    Jahrbnndert    war    die    Posanne    das. 
Normaliastrament  aller  Feierlichkeit.   So  wie  bier  steben 
wir  aacb  nocb  in  den  Instrumentals&tzen,  die  z.  B.  Monte- 
verdi and  Scbtktz  in  ibren  Vokalkompositionen  einlegen, 
Oder  bei  selbst&ndigen  StUcken   wie  der  acbtstimmigen 
Canzone  des  Tiburtio  Massaino  fl608)  vor  vollstftndigen 
Posaanenorcbestem.    Die  neuere  Zeit  kennzeicbnet  der 
Violinenklang;  sie  gibt  in  den  Gabrieliscben  Sonaten  ein 
erstes  Lebenszeicben   mit   der  Oberstimme   des  zweiten 
Cbors.     Nocb   aber  sind   es   nicbt  die  boben  Violinen, 
sondem  die  Bratscben.    Der  Sinn  f&r  Rlangfarben  and 
die  Gabe,  mit  ibnen  aaf  Empiindang  und  Pbantasie  zu 
wirken,  bebt  Gabrieli  bocb  flber  die  vorbergebenden  and 
gleicbzeitigen  Orcbesterkomponisten,    durcb    die  Pracbt 
des  Kolorits  wirkt  er  modem  and  vertritt  zagleicb  einen 
Grandzag  yenetianiscber  Kanst.    Wie  fein  bedacbt  ist  in 
der  Sonate   >pian  e  forte<    das  Verbd.ltnis   der  beideu 
Cbdre!  Der  zweitesetztimmer  eine  Quinte,  Sexte,  meistens 
eine  Oktav  tiefer  ein  als  der  erste.  Dadarcb  klingen  seine 
Wiederbolangen  immer  viel  emster,  dankler,  gebeimnis- 
yoller.   Um  so  mebr,  als  die  beiden  CbOre  im  Freien  weit 
voneinander,  in  der  Kircbe  aaf  verscbiedenen  Emporen 
aafgestellt  waren.    Den  groGen  Raum  setzen  ancb  die 
Tattis  voraas;  in  anseren  beatigen  Konzerts&len  klingen 
diese  Kircben-  and  Festsinfonien  za  stark.    Sie  baben 
nocb,  eine  grofie  Anzabl  wenigstens,  eine  andere  Scbwierig- 
keit  Mr  den  modemen  Hdrer:  Sie  entwickeln  nicbt,  wie 
die    neaere   Instmmentalmusik   vorzagsweise    tut,    ibre 
Perioden  and  Sfttze  mit  Wiederbolangen  and  Verwand- 
langen   eines   Tbemas   oder  eines  Motivs,    sondem   die 
Musik  8tr5mt  daber  in  der  Form  >anendlicber  Melodiec, 
am  einen  Wagnerscben  Aasdrack  zu  gebraucben.    Aucb 
in  den  eincbOrigen  Rompositionen  dieser  Gattung  mocbte 


— ^    26    ♦^ 

man  auf  den  Reiz  des  Chorwechsels  nicht  ganz  ver- 
zichten.  Man  ersetzte  und  deutete  ihn  dadorch  an,  daO 
einzelne  Stimmen  mil  dem  vollen  Chor  wechselten,  man 
brachte  zweitens  gern  das  sogenannte  »Echo«  an.  Eine 
kleine  Gruppe  Ton  Spielern  iu  einem  Nebenraum,  jeden- 
falls  entfernt  unil  mdglichst  versteckt  aufgestellt,  wieder- 
holt  sparsam  oder  reichJicher  kleinere  und  gr50ere  Ab- 
schnitte  der  Musik  des  Hauptchors.  Unter  den  Liebhabern 
des  Orchesterechos  verdient  neben  dem  schon  erwfthnten 
Banekieri.  Banchieri  der  Bologneser  Domkapellmeister  Bassani 
Basml.  genannt  zu  werden.  Eine  viel  grdOere  Bedeutnng  hat 
das  Echo  aber  in  der  mehrstimmigen  Gesangsmusik  des 
16.  Jahrhunderts.  Tiele  Wiederholungen  in  den  ChOren 
jener  Zeit,  die  uns  befremden,  sind  sofort  verstftndlich  und 
schdn,  wenn  man  sie  dem  Echo  gibt.  Ein  naheliegendes 
Beispiel  bietet  das  weltbekannte  >Ecce  quomodoc  yon  Jacob 
Handl  (Gallns)  mit  der  Refrainstelle:  >Et  erit  in  pace«. 

Das  zweichdrige  Orchester  G.  Gabrielis  hat  sich  weit 
ins  18  Jahrhundert  hinein  erhalten,  wir  finden  es  in 
S.  Bachs  Matthfluspassion,  Hasse  hat  es  in  der  Oper, 
Cannabich  in  der  Sinfonie. 

Die  einch5rigen  Orchesterkompositionen  des  G.  Ga- 
brieli  haben  offenbar  eine  andere  Bestimmung  als  seine 
doppeIch5rigen ;  sie  setzen  andere  R&ume  und  andere 
Stimmung  voraus.  Die  Violinen  kommen  in  ihnen  mebr 
zur  Geltung,  die  Musik  ist  weltlichen  Gharakters  und 
mischt  nach  venetianischer  Art  Heiterkeit  mit  Wtirde. 
Man  kann  an  Verm&hlungsfeiern  und  andere  Familien- 
feste  in  bohen  Patrizierhftusem  denken.  Ein  Glanzsttick 
dieser  Art  ist  die  als  Nr.  VIII  in  der  Wasielewskischen 
Sammlung  mitgeteilte  sechsstimmige  Canzone  fiir  zwei 
Violinen,  zwei  Cometten  und  zwei  Posaunen,  eine  Kom- 
position,  interessant  durch  den  Wechsel  fr5hlicher  und 
frommer  Stimmung.    Ein  munter  bewegtes  Thema: 

^  Allegro  maestoso.    Cornett.p.p.^^         Setzt     ein     UUd      Iftuft 

^n  "_        |jJ3jj]*JJ    durch  die  Stimmen;  ein 

Ffff^rr   f  r   f       ^^  breiter,  emster  Gesang 
Teoorposanoe.  des  vollen  Orchesters, 


— t    27    *— 

dnrch  den  Rhythmus  allein   schon   scharf  geschieden: 
#A«^..         A  ^»^  n.^.^..  1         tritt  ihm  entgegen.    Dieser 

(VioliMn  and  ToUes  Orcfaester.)  «t     *.     i  •    j     t    ia        •   l 

^^^  ^  ^■."'o^^i   —  ,  Wechsel     wiederholt    sicn 
-V^^^^l  ^'  I  ^Z"  '  M'  I  fQnfmal  und  so,   daB  die 
^  '       Grappen  immer  breiter,  and 

namentlich  die  Abschnitte  im  Tripeltakt  immer  majestA- 
tischer  werden.  Dann  kr5nt  ein  freier  Schlufi,  die  Frea- 
digkeit  des  StQcks  zar  Ausgelassenheit  steigernd  —  im 
kleinen  ein  Vorl&nfer  Beethovenscher  Finalaosgflnge  —  das 
Ganze.  Will  jemand  —  mid  ansere  Masikschnlen  mlifiten 
das  wollen  —  die  Gegenwart  wieder  mit  G.  Gabrielis 
Orchesterkompositionen  bekannt  machen,  so  eignen  sich 
die  beiden  hier  geschilderten  St&cke  ganz  besonders  dazu. 
Auch  wohl  deshalb  noch,  weil  ihre  Besetzang  mit  den 
moderoen  Mitteln,  sons!  so  hftnfig  ein  Stein  des  Anstofies 
f&r  die  Wiederbelebang  alter  Tonknnst,  keine  Schwierig- 
keit  macht  Vergleicht  man  die  eben  erwAhnte  Canzone 
mit  Canzonen  Mascheras  nnd  anderer  Oberitaliener,  so 
dberragt  Gabrieli  die  Mitarbeiter  nnverkennbar  an  innerer 
Lebendigkeit  und  feinem  Geschmack.  Der  letztere  zeigt 
sich  namentlich  in  seiner  Behandlnng  der  kontrapunk- 
tischen  Formen.  Die  Nachahmungen  werden,  auch  wenh 
sie  sich  mit  Leichtigkeit  viel  weiter  ftihren  lieOen,  immer 
bei  Zeiten  abgebrochen,  auf  die  &bliche  Fnge  verzichtet 
Gabrieli.  Darin  liegt  ein  allgemeiner  formeller  Fort- 
scbritt,  die  Emanzipation  vom  strong  polyphonen  Stil. 
Aber  der  Orchestersatz  hat  dem  Gabrieli  anch  nach  an- 
deren  Seiten  eine  selbstandige  Entwicklung  zu  danken. 
I.  V.  Wasielewski  irrt,  wenn  er  meint,  die  Instrumental- 
masik  Gabrielis  babe  einen  ganz  vokalen  Charakter. 
Nein,  Gabrieli  hat  zuerst  die  eigenen  nattlrlichen  Mittel 
des  Orchesters,  seine  Oberlegenheit  im  Klanglichen  be- 
merkt  und  zar  Geltung  gebracht.  Die  fr&here  and  gleich- 
zeitige  Vokalkomposition  hat  nirgends  einen  so  impo- 
santen  Wechsel  von  Farbe  and  Klangst&rke,  wie  ihn  die 
Sonate  piano  e  forte  zeigt,  sie  kennt  auch  die  Mischang 
kontrftrer  Stimmangen  in  der  Freiheit  and  Raschheit, 
die  wir  in  Gabrielis  Canzonen  begegnen,  nicht. 


--^    28    ^^ 

Die  Orchestermusik  G.  Gabrielis  hat  auf  einen  weiten 
Umkreis  in  der  femeren  Geschichte  der  instrumentalen 
Romposition  nachgewirkt,  namentlich  mit  seinen  Fest- 
sonaten.  Ihren  Ton  und  Geist  finden  wir  noch  lange  in 
den  kurzen  eins&tzigen  Instrumentalsinfonien,  die  in  den 
geistlichen  Vokalkonzerten  and  Kantaten  des  17.  und 
18.  Jahrhunderts  vorkommen.  Allgemein  zug&ngliche  Bei- 
Kalier  spiele  bieten  d»  die  Romposition  en  Raiser  Leopolds  I.*). 
Leopold  I.  Dj^jjn  gehoren  hierher  viele  S  chttt z sche  Stficke,  so  die Ein- 
leitungen  zu  den  7  Worten  und  zu  der  Historie  von  Absa- 
lon.  Hervorragend  weihevolle  Sinfonien  stehen  an  der 
Spitze  der  Rantaten  Franz  Tunders,  auch  der  Buxte- 
hudesund  Z  a  chows.  Noch  Bach  hat  der  iiberhaupt  alter- 
tfimlich  gehaltenen  Osternkantate  > Christ  lag  in  Todes- 
banden«  eine  Sinfonie  im  Gabrielischen  Stil  vorausge- 
schickt.  Auf  das  Gabrielische  Muster  st&tzt  sich  eine  ganze 
selbst&ndige  Literatur  eins&tziger  Festsonaten  fur  Bl&ser- 
orchester,  die  in  den  MusikschrHnken  aller  Instrumental- 
kapellen  ausreichend  vertreten  war.  Den  ganzen  Umfang 
dieses  Runstgebietes  festzustellen,  bedarf  es  noch  beson- 
derer  Untersuchung.  Gepflegt  wurde  es  von  hervorragen- 
den  und  von  unbekannten  Romponisten ;  denn  es  war  in 
der  Sitte  der  Zeit  begrUndet.  Wir  kdnnen  es  auch  heute 
nicht  ganz  entbehren,  obwohl  unser  5ffentliches  Leben 
auf  musikalischen  Schmuck  und  musikalische  Weihe  bis 
zu  einem  bedenklichen  Grade  verzichtet  hat.  Fast  will 
es  scheinen,  als  sollte  die  Tonkunst  ins  Ronzert  gesperrt 
und  da  stranguliert  werden!  Tatsache  ist,  daB  die  heu- 
tigen  Romponisten  fur  Feierlichkeiten,  wie  sie  sich  bei 
Einweihungsakten,  bei  solennen  Empf&ngen  und  Be- 
griiBungen  vollziehen,  wenig  komponieren,  und  wenn  sie 
es  tun,  treffen  sie  nur  selten  den  richtigen  Stil.  Beethovens 
Ouvertare  >Zur  Weihe  des  Hauses<  und  C.  M.  v.  Webers 
Jubelouvertiire  in  alien  Ehren,  aber  man  h5rt  sie  jetzt 
an  Stellen  und  bei  Gelegenheiten,  wo  sie  keinesfalls  hin- 

*)  Masikallsche  Werke  der  Kaiser  Ferdinand  III.,  Leopold  L 
nnd  Joseph  L     Herausgegeben  von  Guido  Adier.     Bd.  L 


-^    29    ^- 

passen!  So  empfehlen  wir  denn  den  Dirigenten,  die  urn 
ein  feierliches  Sl&ck  in  Verlegenheit  sind,  einen  Griff  in 
die  alte  Zeit  der  einsfttzigen  Gabrielischen  Sod  ate.  Unter 
dreierlei  Titeln  bergen  die  Archive  die  Reste  dieser  Ton- 
familie:  als  Sonaten,  Sinfonien  und  als  geistliche  Kon- 
zerte  (Sacri  concerti).  Bei  dieser  dritten  Grappe  tritt 
zaweilen  zu  den  Orchesterinstrumenten  noch  Begleitung 
der  Orgel  oder  eines  anderen  Harmonieinstruments.  Sie 
lassen  sich  daher  in  der  Kegel  nur  in  Rirchen  oder  grofien 
SAIen  verwenden.  Die  Mehrzahl  der  hierhergeborigen 
Kompositionen  ist  aber,  ganz  fthnlicb  wie  bei  der  fiJteren 
Suite,  f&r  Bl9,serch5re  bestimmt  and  alle  sind  nur  in 
SUmmdrucken  Torhanden;  zu  einer  neuen  Ausgabe  in 
Partitur  baben  es  bisher  nur  die  von  Wasielewski  mit- 
geteilten  Sttkcke  gebracht  So  finden  sich  z.  B.  aus  un- 
serer  Klasse  in  der  k5niglichen  Bibhothek  zu  Berlin 
folgende  Nummern:  D.  Castelli:  Sonate  concertante 
(Venedig  1621);  F.  S.  Ertelius,  Symphoniae  sacrae  (M&n- 
chen  1611);  Gabr.  Fattorini,  Sacri  concerti  (Venedig  1616); 
Fr.  Giuliani,  Sacri  concerti  (Venedig  1619);  G.  Picchi, 
Canzoni  da  sonare  (Venedig  1626).  Aus  italienischen 
Bibliotheken  w&ren  da  noch  hinzuzuffigen :  Fiore,  Sin- 
fonie  da  chiesa  (Modena  1699)  und  Bergonzi,  Sinfonie 
da  chiesa  (1708).  Um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts 
kommt  in  Italien  der  Gabrielische  Stil  aus  der  Mode  und 
wird  von  der  mehrs&tzigen  Rirchensonate,  die  in  der 
Kegel  drei-  und  vierstimmige  Violinmusik  ist,  verdrftngt 
Aber  Nachfolger  der  Gabrielischen  Sinfonie  finden  sich 
auch  in  Italien  noch  bis  ins  19.  Jahrhundert.  Der  Vene- 
tianer  Buzzuola  ist  einer  ihrer  letzten  Vertreter.  Seine 
>Piccole  sinfonie  ad  uso  della  Basilica  di  San  Marco* 
haben  Meyerbeerschen  Geist,  aber  die  eins&tzige  Form 
Gabriel  is. 

In  Deutschland  finden  wir  einen  der  letzten  Meister 
im  Sonatenstil  in  Gottfried   Reiche,  jenem  Leipziger  GottfrleA 
Stadtmusikus,  fftr  den  Seb.  Bach  seine  gefUrchteten  Trom-     B«iek«. 
petenpartien  geschrieben  hat.  Aus  seinem  Hauptwerk:  >24 
neue  Quatrocinia«  (Leipzig  1696)  empfehlen  wir  zur 


-<^    30    ♦-- 

Einf&hrang  Damentlich  das  Bdur-StQck  Uber  das  Thema: 

,  Pompoao.   _  Damit  beginnt  in  markiger  Har- 

Arf  A  \lfl'fr^\-^^  monie  der  erste  Teil.  Ein  mittlerer 

ff     '^      -^'rur'     r  '  wendetdieMelodielngeradenTakt: 

und    f&hrt   sie   in    Fagenform 

'/^^'^  J*  I  ff  rj*rJ^**«    durch    die   Instramente,   hier, 
y         r  -^  r'  'f  T       •   ^ie  tiberaU  ein  Blftserquartett 

von  Comett  und  drei  Posaanen.  Jedemiann  kann  nur 
fiber  die  formelle  Tiichtigkeit  und  die  wirklich  bohen 
Gedanken  in  dieser  und  in  Ahnlicben  Arbeiten  des 
schlichten  Mannes  erfreut  sein.  Sie  zeigen,  wie  sich 
auch  bescheidene  Krftfle  auf  diesen  Kunstzweig  verstan- 
den.  Noch  vor  Reiche  gehdrt  der  eben  falls  Leipziger 
Stadtpfeifer  Job.  Petzel  mit  seiner  »Hora  decima« 
von  1670  hierber.  Aucb  das  ist  eine  Sammlung  feier- 
licber  Sonaten,  wie  sie  vor  Tiscbe  vom  Leipziger  Rat- 
hausturm  tagt&glicb  abgeblasen  wnrden,  einsAtzig,  aber 
schon  vom  Muster  der  venetianiscben  Opemsinfonie  be- 
einQuCt.  Das  wohl  letzte  Lebenszeicben  Gabrieliscber 
Kunst  in  Dentschland  dQrften  die  »Tnrmsonaten«  Fr. 
Scbneiders  sein,  die  der  Romponist  des  >WeItgericbts< 
als  17j&briger  Gymnasiast  in  Zittau  gescbrieben  hat.  Nacb 
seiner  C  dur-Sinfonie  zu  scbliefien,  bat  wabrscbeinlich 
R.  Scbumann  diese  Turmsonaten  Scbneiders  gekannt. 
Der  PlaOscbe  Blftserchor  in  Berlin  spielt  sie  beute  wieder 
mit  grofier  Wirkung,  und  in  der  Lausitzer  Heimat  des 
Komponisten  sollen  sie  nie  vergessen  worden  sein,  in  einem 
Bauer  namens  Schdnfelder  hat  Schneider  dort  sogar  noch 
am  Ausgang  des  19.  Jahrbunderts  einen  Nachfolger  ge- 
fnnden*).  Den  indirekten  EinfluO  der  Gabrieliscben 
Sonate  kann  man  noch  in  den  OratorienouvertQren  Leos, 
Hasses,  J.  Haydns  (»Sieben  Worte<]  spfireD,  aber  er  wird 
im  18.  Jahrhundert  unter  der  Herrschaft  der  neapolita- 
nischen  Schule,  der  der  feierlich  gebaltrne  Ton  selbst  in 
der  eigentlichen  Kirchenmusik  fremd  war,  immer  geringer. 
Wie  scbnell  aber  die  alte  Orchestersonate  in  jener  nber- 

*)  Mitteilung  des  Herrn  Musikdirektor  Stobe  in  Zittau. 


-^    31    iP— 

produktiven  Zeit  vergessen  wurde,  das  kann  man  daraua 
ersehen,  daB  Gerber  in  seinem  so  vortrefflichen  Lezikon 
die  groOen  Gabrielis  gar  nicht  erwfthnt. 

Die  Orchestercanzone  trat  ihre  Steliung  im  Laufe 
des  17.  Jahrhanderts  an  eine  neue  Gattung  welUicher 
Mnsik  ab:  die  Suite.  Unter  diesem  Namen,  der  sich 
im  18.  Jahrhundert  mehr  und  mehr  verbreitete,  verstehen 
wir  bente  eine  Folge  von  mehreren  in  sicb  abgeschlossenen 
Stficken,  in  deren  Inhalt  und  Form  die  Tanz-  und  Lied- 
musik  fiberwiegt.  Die  Sonate  war  eine  freie  und  neue 
Scb5pfnng  der  hdcbsten  und  gebildetsten  RQnstlerkreise; 
die  Heimat  der  Suite  ist  die  Volksmusik.  Wahrscheinlich 
ist  sie  so  alt,  wie  das  Instrumentenspiel  tiberbaupt.  Denn 
wenn  Spiellente  zwei  im  Cbarakter  verschiedene  Stftcke 
—  einen  Cbonl  und  gleicb  darauf  einen  Tanz  z.  B.,  wie 
wir  das  in  Deutschland  bei  UmzQgen  und  Morgenst&ndcben 
nocb  tagtSglicb  bOren  k5nnen  —  unmittelbar,  ohne  l&ngere 
Pause,  bintereinander  spielen,  so  ist  die  Suite  fertig. 
Geschrieben  und  gedruckt  zeigt  sie  sich  zuerst  in  der 
Lantenliteratnr  des  16.  Jabrbnnderts*).  Bald  darauf  aber, 
nftmlicb  1671,  kommt  auch  schon  (in  L5wen  bei  Peter 
PhalesiuB)  eine  Sammlung  von  Suitensfltzen  fQr  Or-  Suiten  des 
ehester  heraus.  Sie  bringt  unter  dem  Titel  >liber  primus  Ph^lesius. 
leviorum  carminum  etc*  Paduanen,  Passamezen,  Alle- 
manden,  Galliarden,  Branles  und  &bnliche  StUcke,  dazu 
aber  auch  S&tze  mit  programmatischen  Oberschriften, 
z.  B.  Den  Post: 


^vumwM^ 


Wie  hierbierdurchrhythmischeUmbildung  demHaupt- 
satze  noch  eine  »Reprise<  abgewonnen  wird,  so  kommen 


*)  Wolf  Heckels  LauCfenbacb  1562. 


--^    32    ^>- 

bei  anderen  Stiicken  solche  Variationen  als  >Volten«. 
Immer  wird  auf  diese  Weise  die  Galliarde  aus  der  Pa- 
daane  gewonnen,  aber  auf  diese  F^Ue  und  auf  den  Zu- 
sammenhang  nur  zweier  Satze  beschr&ukt  sich  die 
Variationskunst  in  dieser  Phalesiusschen  Suitensamm- 
lung.  Schon  sie  zeigt,  da6  in  der  internationalen,  durch 
die  Namen  der  S&tze  belegten  Arbeitsgemeinschaft,  unter 
deren  Obbut  die  Orchestersuite  ihre  erste  Entwicklung 
fand,  dem  englischen  Anteil  eine  besonders  gute  Zensur 
gebiihrt.  Das  fnscheste  StQck  unter  alien  ist  ein  >Bransle 
d'eccosec,  der  gleich  metrisch  apart  beginnt: 


^i%r  rN  J  i^i-Jy  J  K<^ 


Englische  Die  Engl&nder   haben   sich  auch  weiterhin  bei  den 

Smten.  Jugendleistungen  der  Orchestersuite  ausgezeichnet.  Sie 
Morley.  er5ffnen  1699  mit  Thomas  Morleys  > Consort  lessons 
made  by  diverse  exquisite  authors  for  six  instruments 
etc€  die  Zeit  des  regelm&Bigen  Suitendrucks  und  stehen 
in  ihm  Jahrzehntelang  im  erfolgreichen  Wettbewerb  mit 
den  Deutschen.  In  der  Elisabethischen  Periode  waren 
nicht  bios  englische  Chorlieder  und  Kom5dianten,  son- 
dern  im  Gefolge  der  letzteren  auch  englische  Spielleute 
Uber  den  Kanal  gekommen.  Diese  waren  es,  die  von 
Hamburg,  an  zweiter  Stelle  von  Frankfurt  und  LQbeck 
aus  den  deutschen  Markt  mit  zahlreichen  Sammlungen 
von  Orcbestersuiten  ihrer  Landsleute  beschickten,  an  der 

Simpson.  Spitze   die    Komponisten   Theodor   Simpson    (1607*), 
Brftde.  1610,     1617   und    1620)    und    William    Brade   (1609, 
1614,  1617). 

In  der  Form  und  dem  Ausbau  der  mehrs&tzigen  Suite 
halten  die  englischen  Arbeiten  mit  den  gleichzeitigen 
deutschen  nur  eben  Schritt.  Sie  bleiben  l&nger  als  diese 
bei  den  zwei  S&tzen:  Paduane  und  Galliarde  und  be- 
quemen  sich  ersichtlich  erst  unter  deutschem  Einflufi  zur 

♦)  Diese  erste  Sammlung  ist  von  den  Verlegern  Hildebrand 
und  FuUsack  gezelchnet.  * 


33 


Anfbahme  von  AUemande  und  Corrente.  Ein  eigner  nnd 
konservatiyer  Zug  ist  nur,  da6  sie  die  Padaane  znweilen 
dnrch  eine  Canzone  ersetzen.  Meistens  teilt  diese,  homo- 
phon  gehalten,  mil  dem  italienischen  Master  blofi  den 
Namen;  nnr  einmal  bring!  Simpson  (in  der  Hamburger 
Sammlnng  von  1617)  eine  Canzone,  die 


beginnt,  dann  in  nngraden  Takt  dbergeht  und  weiter  mil 
dem  mebrmaligen  Wechsel  beider  Themen  sicb  als  eine 
gutgemeinte  Nachbildung  des  oben  zitierten  MeisterstOcks 
G.  Gabrielis  erweist.  Aber  origin ell  und  bis  zu  ein  em 
gewissen  Grad  bedeutend  sind  diese  engliscben  Suiten 
darch  ein  en  starken  Zug  von  VolkstUmlichkeit.  Er  ftuGert 
sich  stilistisch  in  rubigen  und  bewegten  Sfttzen  ziemlich 
gleicbm&fiig  dadurcb,  da6  Nacbabmungen  fast  ausscbliefi- 
lich  in  die  beiden  obersten  Stimmen  gelegt  werden,  wo 
sie  auf  den  Laien  am  leichtesten  wirken.  Thematisch 
kommt  er  vorzugsweise  in  den  schnelleren  Sfttzen  zum 
Ausdruck  und  zwar  durch  Marscbweisen,  den  en  zum  Teil 
durcb  Oberscbriften  ein  beimatlicher  Ursprungsstempel 
aufgedrdckt  ist    So  stebt  bei  Brade  Uber  dem  Them  a: 


»ComwaIl8cber  Aufzug«  bei  einem  anderen  liest  man: 
•Mylady  Wratb's  Maskeradec.  AucbinDeutschlandscheinen 
dieEngl&nder  charakteristischen  Weisen  nacbgegangen  zu 
sein,  Bateman  w&nscbt  bei  einem  seiner  Sfttze,  daB  man  an 
»N Aglein  (Nelken  ?)  Blumen «  ^  

denke,  ein  anderer  sncht  Al^  p'  p  p'/'f  jf I -^  f  f  = 
>den  alten  Hildebrandc  mil  ^  -^  d  j^ 

vorzustellen. 

Unter  den  weiteren  Merkmalen  der  gem  ein  vers  t&nd- 
lichen  Tendenz  tritt  die  Beliebtheit  von  wArtlichen  Motiv- 
wiederholungen  hervor:  es  ist  keine  Jf  f  f  f  m  \ 
Seltenheit,  dafi  eine  Formel  wie:  g  '  I  f  ^ 
vier  Takte  nacheinander  fUIt 

Kretzschmar,  Fthitt.    I,  1.  3 


— •    34    ^^ 

Da6  die  Soiten  der  Engender  in  Deatschland  bekannt 
waren,   ist  wenig-      » ^^^ 

stens    wahrschein-    /y "  T  f  I  f    T  f    l^f"  r  f    I  ^^^ 

lich:  Simpsons: 

findet  sich  im  Flori-    ^^^   ^_ 

legium    Georg    Muf-    ifi  UA    I '"  |'  I  ""*  '^  '    '  ■' 
fats  in   der  Gestalt:    ^  '     ' 

In  Deatschland  bCirgert  sich  die  Orchestersuite  nach 
1600  rasch  ein  und  durchlauft  in  vier,  chronologisch  nicht 
streng  geschiedenen  Stufen  ihre  erste  bedeutende  Ent- 
wicklang.  NOrnberg  ist,  sowie  fur  das  deutsche  Chorlied 
des  16.,  so  auch  fiir  diese  alte  deutsche  Orchestersuite 
des  17.  Jahrhunderts  der  Hauptdruckort. 

Auf  der  ersten  jener  vier  Stufen  begegnen  wir  Suiten 
als  Sammlungen  von  T&nzen  ein  und  derselben  Sorte, 
Hft«iM»BB.  ^^®z.  B.  in  Valentin  Hausmanns  24  >Neuen  Intraden* 
von  1604  Oder  in  Benedict  Widmans  »Neuer  musikalischer 
Kurzweil«  von  1608.  Wie  bei  diesem  letztgenannten 
Autor,  so  finden  sich  auf  dieser  ersten  Stufe  iiberhaupt 
haufig  den  Melodien  Texte  beigegeben.  Hier  lebt  also 
noch  entschieden  die  Zeit,  in  der  beim  Tanzen  auch  ge- 
sungen  wurde;  in  der  spHteren  Suite  macht  sie  sich  durch 
Verwendung  alter  Liedmelodien  noch  bemerkllch. 

Dann  kommen   Hefte  mit  zweierlei  T&nzen;  in  der 

Kegel  erst  eine  Anzahl   gravitatischer  Paduanea,   dann 

genau  oder  annfthernd  ebensoviele  neckische,  muntere 

L.  Hftfior.  Galliarden.     Beispiel:    L.  HaClers    >Neuer  Lustgartenc 

von  1601. 

Auf  der  dritten  Stufe  gesellen  sich  zu  den  Paduanen 

und  Galliarden  noch  Intraden.    Das  sind   marschartige 

Stficke.    die    den    Paduanen    nahe    stehen.      Beispiel: 

M.  Fmok.  Melchior  Francks  Pavanen,  Galliarden  und  Intraden. 

Coburgk  1603. 

Den  AbschluB  jener  ersten  Entwicklung  der  deutschen 
Orchestersuite  bilden  Werke  in  vier  S&tzen.  Die  Wahl 
und  Folge  der  Satze  ist  bei  dieser  Stufe  verschieden ;  doch 
haben  die  meisten  zu  ihr  gehdrigen  Suiten  Paduanen  und 
Galliarden  behalten.    Valentin  Hausmann  z.  B.  ordnet  so 


-^    35    ^>^ 

an:  Intraden,  Passamezzen,  Paduanen,  Galliarden  1604, 

Paul  B&werl  (Penrl)  bringt  Paduanen,  Intraden,  Dantz  p.  Pemrh 

Qnd  Galliarden  (1611)  hintereinander. 

Erst  hier  an  dieser  yierten  Stafe  steben  wir  yor  der 
Suite  im  modernen  Sinn.  Dort,  an  den  vorhergehenden 
Stufen,  schiittet  der  Komponist  gewissermaCen  jede  Sorte 
massenweifi  yor  uns  bin,  zur  beliebigen  Auswabl.  Hier 
flberreicbt  er  uns  fertige  Str&usschen.  Die  Wahl  und 
Zusammenstellung  der  Blumen  ist  das  Werk  des  Geistes 
und  des  Geschmacks  eines  bestimmten  KUnstlers,  und  es 
kann  nicbt  feblen,  dafi  sicb  das  Walten  einer  bdberen 
Kunst  in  dieser  neuen  Suite  nocb  in  weiteren  Merkmalen 
&ufiert  Am  meisten  ins  Auge  fallt  unter  ibnen  der 
Gebraucb  der  Variationenform.  Sie  findet  sicb  bereits  bei 
Hausmann  in  der  Weise,  dafi  der  Passamezzo  als  Tbema 
aufgestellt  und  dann  noch  in  fiinf  bis  secbs  namentlich 
rhythmisch  bedeutend  und  sinnvoU  erfundenen  Verwand- 
lungen,  die  ausdrQcklich  als  Variationen  bezeicbnet  sind, 
yorgefuhrt  wird.  Dadurcb  gewann  die  Suite  breite  Formen 
und  die  Mdglichkeit,  einen  bedeutenden  Gedanken  n&her 
auszulegen.  Sie  hat  aber  davon  immer  nur  bescheidenen 
Gebraucb  gemacbt  und  sicb  in  der  Kegel  auf  eine  Varia- 
tion beschr&nkt.  Man  QberlieG  solche  Kunst  der  Orgel- 
komposition  und  blieb  mit  der  Suite  in  den  Grenzen  der 
Yolksmusik  und  in  erster  Linie  immer  daraaf  bedacbt, 
kleine  aber  sinnf&llige  Tonbilder  zu  erfinden. 

Daneben  gibt  es  noch  eine  zweite  Art  yon  Varia- 
tionssuiten,  bei  der  aber  die  Variationen  undeklariert 
unter  den  Qblicben  Satznamen  passieren.  Sie  entsteht 
dadurcb,  dafi  das  Tbema  des  Anfangsstiicks,  yielleicht 
einer  Paduane,  auch  far  AUemande,  Courante  und 
Galliarde  benutzt  wird,  natiirlich  nicbt  wortlich,  sondern 
rhythmisch  und  metrisch  umgebildet  und  mit  neuen 
Melismen  behangen.  Der  Vorgang  ist  ein  &hnlicher,  wie 
in  der  Vokalmesse  des  16.  Jahrhunderts,  durch  deren 
S&tze  sicb  bekanntlich  leitende  Themen  Ziehen.  Diese 
Art  yon  Variation  beschrfinkt  sicb  oft  auf  die  Umbildung 
der  beiden  MittelstQcke.    Bei  Pearl,  dem  Hauptvertreter 

3* 


36 


dieser  zweiten  Variierungsart  finden  wir  die  tfaematische 
Einheit  der  vier  Stticke  verh&ltnism&fiig  am  h&ufigsten, 
zuweilen  allerdings  nar  in  sehr  zarten  Andeutungen  er- 
kennbar.    Die  zweite  seiner  Suiten  beginnt 


in  der  Paduane:  At  f  f Tff^ 


in  der  Intrade 


im  Dantz: 


in  der  Galli«de:    jl  W  p  1 1   t^f  \,\j   I  I  J 


Die  3.  Paduane: 


li 


Intrade:    jlljn  |    I  J  I  J (i|lJ_L|-J 


Dantz: 


^9 


Galliarde : 


Die 6. Paduane ■■p^^  f  t  I  f  |?|  f  f-?!  J  ^  (■   g 
IntraHe:     jjr'*"'  |'  f  I     f'Tf   l["7'''^ 


P 


Dantz: 


Galliarde : 


37 


Die  7.  Padaane :      A^if  U^  t  f  l-Qf  J 
Intrade:    jlb»«  fT^  \fT}  |"  f  H"'! 

Dantz:    jfH  f  \fFU  f  \^^ 
GaUiarde:    jjitiiii  f  Tt  f  f  f  |  |., 

Die  10.  Padaane :     ^l\  f  f  T  f  \^  f  T 
Intrade:     i  <H  F  f  F  ££=t 


Dantz: 

GaUiarde:     jiftl  J  [["trT  iP  P  ^'F   Ti 

Die  Einheit  der  Suite  als  Ganzes,  die  Zusammen- 
gehOrigkeit  der  vier  Teile  ist  von  einzelnen  Kdnstlern  der 
vierten  Stufe  stftrker  betont,  schftrfer  zum  Ausdnick  ge- 
bracht  worden.  Bs  waren  aber  Ziele,  denen  man  allge- 
mein  and  von  jeher  zastrebte;  allerdings  mit  einem  viel 
bescheideneren  Mittel:  Man  hielt  die  S&tze  in  derselben 
Tonart,  and  bei  dieser  Gleichheit  der  Ton  art  ist  die  Saite 
bekanntlich  immer  geblieben.  Das  ist  nach  modemen 
Anschaaangen  fast  ein  Fehler.  Denn  wir  kCnnen  in  der 
Knnst  von  Abwecbslung,  Gegensfttzlichkeit,  Steigerung 
and  dramatisch  anregenden  Elementen  aller  Art  kaum 
genag  haben.  Das  geht  in  unserer  Tanzmusik  bisweilen 
bis  an  die  Karrikatar.  Ganz  anders  die  ftltere  Zeit  Die 
sacbte,  wenn  es  sich  nicht  gerade  am  Heiligen-  and 
Mftrtyrerbilder  handelle,  in  der  Kanst  ruhige  Sammlung 


-<^    38    ^^ 

nnd  Erhebang,  reihte  gern  Verwandtes  aneinander  und 
verweilte,  den  Standpunkt  immer  nur  schrittweise  ver- 
schiebend,  gerne  lange  in  Betrachtung  desselben  Themas. 
Diesem  Znge  ruhigen  Eindringens  kam  die  Fuge  beson- 
ders  entgegen;  er  kommt  aber  auch  in  dem  Tonarten- 
verh&ltnis  der  Snitens&tze  znm  Ansdruck.  Die  Tonart 
bleibt  immer  dieselbe ;  sie  weist  gewissermaOen  dem  Zu- 
h5rer  die  Stellung  an,  die  er  dieser  Kunst  gegentiber 
einnehmen  soil:  wie  vor  der  laterna  magica  leidenschafla- 
los  genieOend,  erfreut,  erw&rmt,  aber  nie  hingerissen  und 
im  seelischen  Gleicbgewicht  gestOrt. 

Noch  in  einem  anderen  Pankte  stand  die  Orchester- 
snite,  vom  ersten  Auftreten  an,  kilnstlerisch  bis  zar 
Musterhaftigkeit  fertig  da.  Das  ist  die  sogenannte  Stimm- 
ffibrang.  Ob  man  die  Suite  fQr  4,  5,  6  oder  7  Instrumen- 
talstimmen  schrieb,  diese  Stimmen  waren  alle  als  leben- 
dige  Individuen  gedacht,  an  den  Motiven,  Themen, 
Melodien  der  Musikstilcke  ziemlich  gleichm&6ig  beteiligt, 
die  Hauptgedanken  in  freien,  leichten  Nachahmungen 
aufnehmend  oder  mit  eignen,  zierlichen,  anfeuemden 
Erfindungen  umspielend.  Von  den  Klangeffekten  ihres 
Orchestersatzes  verwendet  aucb  die  alte  Suite  mit  eben- 
soviel  Vorliebe  als  Gescbick  das  Ecbo,  ohne  das  ja  — 
es  sei  nocbmals  bemerkt  —  weder  die  Gesang-  nocb  die 
Instrumentalkomposition  des  17.  Jahrbunderts  zu  denken 
ist.  Ihm  am  n&chsten  kommt  der  Wechsel  von  Solo  und 
Cbor.  Mit  diesem  Mittel  geht  sie  unvergleicblich  weit 
Qber  das  in  der  mehrstimmigen  Gesangkomposition  der 
frUheren  Zeit  abliche  MaO  hinaus  und  gibt  dem  geist- 
lichen  Vokalkonzert  ihres  Jahrbunderts  unverkennbar 
Anregungen  und  Vorbilder.  Diese  innere  Einrichtung, 
dieses  innere  Leben  innerhalb  der  Stimmen  ist  eine  der 
bedeutendsten  Z&ge  der  alten  Orchestersuite:  er  setzt  die 
Phantasie  des  H5rers  fortw&hrend  in  Bewegung,  stellt 
sie  vor  Szenen,  als  wenn  die  Menge  dem  voranschreiten- 
den  Helden  zustUrmte,  in  seinen  Ruf  einstimmte. 

Die  oben  aus  Peurl  beigebrachten  Zitate  verm5gen 
vielleicht  einen    kleinen   Begriff    vom   Geist   und   vom 


--^    39    ^^ 

Charakter  der  Orchestersoite  in  ihrer  ersten  Periode  zu 
geben.  Es  ist  eine  Kunst  nach  dem  Motto:  fromm  and 
frohlich.  Der  Frohlichkeit  dienen  die  drei  letzten  Stftcke 
mit  sich  steigerndem  Eifer.  Aber  auch  die  Galliarde  geht 
Die  bis  zur  Ausgelassenheit;  sinnige  Anmut  bleibt  das 
Gebiet,  auf  dem  die  einzelnen  S&tze  einander  zu  Qber- 
bieten  sachen.  So,  wie  wir  es  aas  diesen  TOnen  h5ren, 
so  fQhlten  nnd  so  gaben  sich  die  deutschen  BQrgerkreise 
am  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  in  ihren  frohen  Stunden : 
sittig  and  liebenswikrdig.  Als  das  eigent&mlichste  Slfick 
dieser  alten  Orchestersuite  darf  man  die  Padaane  be- 
zeichnen.  Aach  sie  ist  dem  Hamor  nicht  anzag&nglich; 
ihren  Haaptzag  bildet  aber  der  Ernst  and  die  feierliche 
Sonntagsstimmang.  Sie  hat  wie  die  Gabrielische  Or- 
chestersonate  von  Haas  aas  kirchlichen  Geist.  Einzelne 
ToDsetzer,  wie  der  sttddeatsch-gemtitliche  Pearl,  setzen 
sich  aber  ihn  hinweg,  ja,  es  gibt  sogar  »]astige  Pada- 
anen«;  aber  bei  der  Mehrzahl  der  Saitenkomponisten 
onserer  Periode  bleibt  doch  der  gehobene  Feiertagston 
so  sehr  das  wesentliche  Merkmal,  dafi  M.  Pr&torias  in 
seinem  Syntagma  die  Paduanen  anter  die  im  Gottes- 
dienst  braachbaren  MasikstiJicke  einreihen  konnte.  Die 
schdnsten  Master  solcher  erhaben  and  kirchlich  anklingen- 
den  Padaanen  hat  Melchior  Franck  geschrieben*).  Der 
ILufiere  Aafbau  der  Padaane  voUzieht  sich  in  drei  scharf 
and  klar  geschiedenen  Teilen.  (Die  Dreiteilang  bildete 
auch  bei  den  fibrigen  S&tzen  der  Suite  die  Kegel,  Zwei- 
nnd  Vierteilang  sind  Aasnahmen.)  Der  Umfang  des  ersten 
Tells  wechselt  von  acht  oder  nean  bis  za  20  Takten,  der 
zweite  ist  hftafig  sehr  karz  (vier  Takte),  der  dritte  wieder 
ansgedehnter.  Die  Padaane  setzt  immer  rahig,  breit  and 
gehalten  ein,  in  einem  Ton,  der  im  Anfang  von  Wagners 
Meistersinger-Vorspiel  merkwQrdig  getrea  aoflebt  Dann 
regt  es  sich  in  Figaren,  Seqaenzen  bescheiden  aber  plan- 

*)  Ausgew&hlte  InBtrnmentalwerke  von  Melchior  Franck  nnd 
Valentin  Hanfimann  im  16.  Band  der  Denkm&ler  Deutscher  Ton- 
knnet 


40 


voll  and  fest,  zuweilen  in  einer  etwas  steifen  Anmat 
Der  zweite  Teil  schliefit  entweder  an  den  Anfang  an  oder 
stellt  sich  mil  Motiven  der  Energie  and  Kraft  in  Gegen- 
satz  za  ihm.  Der  letzte,  der  dritte  Teil,  bringt  neue  iiber- 
raschende  Einf&lle  in  schnellen  Noten,  die  aas  alien  Ecken 
widerklingen.  Mit  diesem  Ende  reicht  die  Padaane  der 
Weltlast  and  FrShlichkeit  die  Hand.  Die  orsprttngliche 
and  alleinige  Vertreterin  dieser  Empfindungselemente  in 
der  Saite  ist  die  Galliarda  (Gagliarda  italienisch,  Gaillarde 
franzdsisch).  Sie  steht  immer  im  angeraden  Takt  and 
hat  in  der  Kegel  drei  gleich  groGe  Teile,  deren  Umfang 
von  vier  bis  za  16  Takten  steigt.  Der  ilaOeren  Form 
nach  ist  die  Galliarda  der  modernste  anter  den  S&tzen 
der  alten  viers&tzigen  Saite.  Sie  liebt  die  Symmetrie  wie 
die  Wiederholang  im  Satzbaa,  and  sie  zeichnet  zweitens 
die  Oberstimme  vor  den  andern  darch  reichere  Beweg- 
lichkeit  aas.  Zwei  reizende  Beispiele  fur  diesen  ersten 
Zag  fin  den  sich  bei  M.  Franck: 


i^itfW 


(Nr.  27  in  den  Pavanen  etc.  von  1603) 
and  bei  HaaGmann: 


All«^reno. 


i  ^  1  r '  p  r  f  1 1 J^ 


G_  O G-  D 


^m 


ffrwTp     r    f  ^  r   '  fT   il     G. 

Zugleich  aach  geben  diese  beiden  BrachstCicke  ein 
Bild  von  dem  Darchschnittscharakter  der  Galliarde.  Ihn 
beherrschen  sichtlich  noch  dieselben  mittelalterlicben  An- 
schauangen  tkber  die  Grenzen  weltlicher  Kanst,  denen 
sich  aach  Dichtang  and  Malerei  lange  genag  zu  beagen 


*)  Der  Takt  ist  hier  in  moderner  Form  iibersetzt. 


41     0^ 

hatten.  Der  Aasdrack  aller  Empfindangen,  auch  der  der 
Freude,  stand  unter  dem  Gesetz  der  gesellschaftlichen 
Ehrbarkeit.  Im  Madrigal  noch  schflchtern,  entschiedener 
in  der  Oper  ging  die  Musik  eben  erst  daran,  diese  Fesseln 
der  Sitte  zu  durchbrechen  und  sich  in  der  naturtreuen 
Darstellung  m&chtiger  Leidenschaften  za  versuchen.  Die 
Instnimentalmiisik,  die  bei  dieser  Aufgabe  bald  die  wich- 
tigsten  Dienste  leistete,  blieb  in  der  Suite  durchaus  noch 
zurdckhaltend.  Es  sind  nur  einzelne  Stellen  in  den  alten 
Orchestergalliarden)  bei  denen  der  Ton  einer  neuen  Zeit 
sich  vernehmlich  macht,  hanpts^chlich  in  der  Form  er- 
regter  Rhythmen,  die,  als  sie  neu  waren,  auGerordentlich 
tibermiitig  und  komisch  gewirkt  haben  ^r--— 
mnssen.  So  f&hrt  z.  B.  die  Francksche  J  JJ  J  J'^jJiJ^ 
Galliarde,  deren  erster  Teil  eben  an-  .^.^^^^pl^  = 
gegeben  wurde,  folgendermafien  fort:    '  '  '  '  ' 

Der  Galliardengeist  lebt  auch  in  der  sp&teren  Suite 
unter  andren  Formen  und  Nam  en,  unter  denen  nament- 
lich  Grigue  und  Menuett  hervorzuheben  sind,  fort,  und 
noch  die  neueste  Instrumentalmusik  sucht  ihn  festzu- 
halten,  z.  B.  die  Brahmssche  Sinfonie  in  ihren,  das  Scherzo 
ersetzenden  AUegrettis.  Aber  am  m&chtigsten  wirkt  er 
doch  da,  wo  er  zu  Hause  ist,  n&mlich  in  der  Orchester- 
suite  aus  dem  Anfang  des  17.  Jahrhunderts.  Sie  ver- 
kCrpert  altdeutsches  Leben  und  Empfinden  von  einer 
Seite,  mit  der  die  Gegenwart  jeden  Augenblick  wieder 
eine  unmittelbare  und  segensreiche  Verbindung  anknlipfen 
kann.  Es  sind  deshalb  nicht  bloO  kalturgeschichtiiche, 
son  dem  auch  k£knstlerisch  menschliche  Grtinde,  die  die 
Wiederbelebung  und  Wiederbenutzung  dieser  alten  Of- 
chestersuiten  empfehlen.  Mindestens  ebenso  schnell,  wie 
die  alten  Armeem&rsche  es  getan  haben,  wurde  sie  sich 
heute  wieder  einbUrgern,  und  wenn  sie  in  unseren  Volks- 
konzerten  der  vielfach  kSstlichen,  aber  ebenso  vielfach 
tiberreifen  Walzer-  und  Operettenmusik  von  Job.  Straufi 
und  seiner  Schule  den  Platz  etwas  streitig  machte,  so 
wQrden  tiefer  blickende  Kunstfreunde  damit  nur  zufrieden 
sein  ddrfen.   Bisher  ist  von  dem  ungeheuren  Vorrat  von 


-— »    42    *^ 

Stimmendrucken  alter  Orchestersuiten  nur  wenig  in  Par- 
titur  vorgelegt  worden.  Da  bietet  sich  also  dem  deatschen 
Musikverlag  mit  den  Suiten  von  Demantius,  Moller,  Stade, 
Peurl  etwa  eine  lohnende  Aufgabe. 

Unter  den  Qbrigen  Stiicken,  die  in  der  viersfttzigen 
Suite  zwischen  Paduane  und  Galliarde  entweder  vennit- 
teln  oder  den  zwischen  diesen  beiden  Hauptst&cken  be- 
stehenden  Gegensatz,  bald  abgeschw&cht,  bald  gesteigert, 
wiederholen,  kommt  die  Intrade  am  hclufigsten  vor;  man 
kann  sagen,  sie  bildet  die  Regel.  Das  ist  deswegen^  auf- 
f&llig,  weil  sie  der  Paduane  so  sebr  gleicht,  dafi  man  sie 
fast  f&r  einen  Konkurrenten  von  andrer  geograpbischer 
Herkunft  halten  kann.  Auch  sie  hat  von  Haas  aus  einen 
feierlichen  Ouvertfirencharakter.  Deshalb  wird  sie  von 
vielen  Komponisten  und  zwar  bis  ans  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts  an  die  Spitze  der  Suiten  gestellt.  Doch  hat  sie 
sich  im  Laufe  der  Zeit  als  ganz  besonders  verwandlnngs- 
f&hig  und  fiir  kurzgefafite,  eindeutige  Definitionen,  wie 
sie  nach  dem  Vorbilde  Matthesons  noch  heute  in  musi- 
kalischen  W5rterbiichern  beliebt  sind,  schlecht  geeignet 
erwiesen.  Wir  haben  ebensoviel  Intraden  im  geraden, 
wie  im  ungeraden  Takt;  ja  es  kommt  h&ufig  bei  den  in 
AUabreve  geschriebenen  vor,  da6  der  dritte  Teil  in  ^2 
umsetzt.  Job.  Groh  baut  seine  Intraden  in  dreitaktigen 
Abschnitten  auf,  V.  Hausmann  in  zweitaktigen ,  Franck 
mischt  beide  Arten.  Die  Freiheit  und  Mannigfaltigkeit  der 
Form  und  des  Charakters,  in  der  sie  auftritt,  h&ngt  sicher- 
lich  damit  zusammen,  dafi  die  K,omponisten  an  die  Gelegen- 
heit  und  den  Zweck  dachten,  fiir  den  sie  diese  ErOffnungs- 
musiken  schrieben.  So  sind  die  Intraden  von  M.  Franck 
alle  ganz  besonders  lebhaft  und  gl&nzend:  sie  waren  filr 
die  Hochzeit  des  Landgrafen  Moritz  von  Hessen  bestimmt. 

Der  Hausmannsche  Typus  der  viers&tzigen  Suite 
herrscht  ein  reichlicbes  Jahrzehnt,  dann  wird  sie  zu- 
n&chst  fflnfs&tzig.  Paduane  und  Galliarde  fangen  an, 
als  dritter  Satz  folgt  eine  Gorrente,  d.  i.  ein  6/4-Takt, 
bei  den  Franzosen  etwas  unruhig,  leidenschaftlich  ge- 
halten,  bei  den  Italienern  mit  reichlichem  Figurenwerk 


-^    43    ♦^ 

versehen,  bei  den  Deatschea  weich  und  anmutig,  unge- 
f&hr  im  Menaettenton  von  Mozarts  Don  Jaan.  Den  vier- 
ten  und  fUnften  Satz  bilden  Allemande  and  Tripla. 
Die  Allemande  ist  wie  der  »Dantz<  Peurls  ein  Vierviertel- 
takt  im  Cbarakter  eines  Heldenlieds  entschieden  and 
kr&ftig,  die  Tripla  nichts  als  eine  Variation  der  Allemande, 
eine  Umbildung  in  ungeraden,  in  der  Kegel  ein  3/2-Takt 
Wie  die  Allemande  durch  ibren  Liedton  auf  die  Zeit  yer- 
weist,  in  der  beim  Tanzen  gesungen  worde,  so  fuhrt  auch 
die  Tripla  auf  eine  alte  Sitte,  auf  den  beim  Volk  schon  seit 
dem  Altertam  beliebten  Nacbtanz,  der  ja  ancb  in  die 
Kfinste  der  Mei^ersinger  hineingewirkt  bat,  zuriick.  Die 
Tripla  bildet  einen  durcb  Steigerung,  durcb  Einsetzen 
der  letzten  Kraft  ausgezeicbneten  Abscblufi  der  Suite. 
Aucb  in  der  Zeit  der  fttnfs&tzigen  Suite  steht  der  Cba- 
rakter, ja  sogar  der  Rbythmus  der  einzelnen  S&tze  keines- 
wegs  nnbedingt  fest,  nocb  weniger  aber  bleibt  er  im 
Wecbsel  der  Zeiten  derselbe.  Wenn  Mattheson  also  z.  B. 
die  Allemande  als  »das  Bild  eines  zufriedenen  oder  ver- 
gndgten  GemUtes,  das  sicb  an  guter  Rube  und  Ordnung 
crgotzt«,  beschreibt,  so  trifft  das  auf  die  Allemanden  des 
18.  Jabrbunderts  meist,  ffir  die  des  17.  nur  wenig  zu. 

Die  ausgezeicbnetsten  Arbeiten  in  der  funfs&tzigen 
Orcbestersuite  bat  Jobann  Hermann  Scbein  in  seinen  H.  Sokeln. 
Bancbetto  musicale  (1617)  geliefert.  Diese  Sammlung 
entb&lt  20  Nummern,  dazu  nocb  eine  Intrada  fClr  Zinken, 
Viglin,  Fldte  und  Bai3  und  eine  Paduane  filr  vier  Krumm- 
bdrner.  Der  Wert  dieser  Scbeinscben  fQr  allerlei  Instru- 
mente,  >bevoraus  auf  Violen<  zu  gebraucbenden  Suiten 
berubt  einmal  darauf,  dafi  die  S&ize  durcb  motiviscbe 
Yerwandtscbaft  sicb  enger  zum  Ganzen  zusammen- 
scbliefien,  zweitens  auf  der  Beweglicbkeit  von  Scbeins 
Phantasie.  Sie  &u6ert  sicb  durcb  den  ganz  ungew6hnlicben, 
eigentlicb  stilwidrigen  Tempowecbsel  innerbalb  der  S&tze 
und  durcb  EinfQbrung  keck  naiver  Motive  an  Stellen,  wo  sie 

nicbt  erwartet  warden :   ^       

So   beginnt  z.  B.  eine  g  ^  JJ  J  J  J  •^    |  -  |etc, 

BA^nAi*       PoiliiavkAn       tmU     J  "  "♦♦♦♦♦      T- 


seiner   Paduanen   mit "^  tttTT~T 


-—t    44    «— 

Mit  solchen,  weit  iiber  das  von  M.  Franck  Versuchte  hia- 
ausgehenden  Freiheiten  nimmt  Schein  gewissermaOen  Ein- 
fftlle  voraus,  mit  denen  nach  zweihundert  und  xnehr  Jabren 
sein  Erzgebirgischer  Landsmann  Robert  Scbumann  die 
WQrde  des  zeitgenOssischen  Sinfoniestils  dnrchbrach.  Aber 
dafi  die  Suiten  Scheins  auch  an  einfacher  Anmut  und 
Innigkeit  reich  sind,  geht  schon  aus  dem  ersten  besten 
Griff  in  seine  Thematik,  z.  B. 

Courante  .    Allcmandc. 


hervor. 

Die  H&ndelschen  Klaviersuiten ,  anch  ein  Teil  der 
S.  Bachs  haben  noch  die  Mnfs&tzige  Anordnung,  aber 
die  S&tze  bringen  ziemlich  viele  neue  Namen:  Prelu- 
dien,  Sarabanden,  Airs,  PaGepieds,  Gavotten,  Bourses, 
Gavotten,  Menuetten,  Gignen.  Sie  sind  zum  Teil  die 
Folgen  des  dreifiigjfthrigen ,  die  V51ker  dnrcheinander 
schQttelnden  Krieges,*er  bat  in  die  In  strum  entalmnsik 
etwas  Kosmopolitismus  herein getragen.  Das  zeigt  sich 
zuerst  in  der  Klaviersuite  bei  Ebner  und  Froberger,  aber 
bald  wird  auch  die  Orchestersuite  verSnderungsIustig, 
greift  nach  neuen  Tanzarten  und  sucht  sich  zweitens 
der  hCheren  Kunst  zu  n&hern. 

Mit  dieser  Annaherung  sind  am  ersten  und  ent- 
schiedensten  die  Engl&nder  vorgegangen,  bei  denen 
W.  Lawes  schon  1645  eine  fiinfsfitzige  Orchestersuite  mit 
Continuo  veroffentlicht*}.  In  Deutschland  beginnt  zu 
gleicher  Zeit  der  Obergang  mit  dem  ersten  Suiten werke 
l.BoiMMfiUer.Johann  Rosenmtillers,  seinen  Paduane-n,  AUe- 
manden,  Couranten,  Balletten,  Sarabanden.  Die 
Galliarde  und  die  Tripla  Scheins  sind  hier  verschwunden, 
neu  erscheinen  Ballette  und  Sarabanden  und  mit  ihnen 
franzdsischer  und  spanischer  Einflufi.  1654  kommt  eine 
zweite  Sammlung  Rosenmiillerscher  Orchestersuiten,  seine 
>Studentenmusik«.  Der  Vorrede nach  schon  in  frUherer 


*)  Exemplar  Hamburger  Stadtbibliothek. 


— ^    45    ♦— 

Zeit  fflr  die  Akademische  Jagend  von  Leipzig  komponiert, 
bringt  sie  zu  Anfang  sieben  einzelne  Paduane  und  dann 
zehn  Saiten  mit  der  SatzordnuDg:  Paduane,  Allemande, 
Conrante,  Ballo,  Sarabanda,  stimmt  also  mit  den  Saiten 
von  1646  uberein.    Aber  neu  ist,  wenigstens  far  Deutsch- 
land,  daB  zu  den  Orchesterinstrumenten  aucb  ein  Basso 
continue  hinzutritt.   Das  bedeutet  Mitwirkung  eines  Cem- 
balo Oder  eines  &hnlichen  Akkordinslruments,  Umzag  aus 
der  friscben  Luft  in  den  gescblossenen  Raum  der  Kammer 
Oder  des  collegium  musicum.    Rosenmaller  besteht  dem 
Anschein  nacb  nicbt  auf  diesem  Basso  continuo,  sondern 
will  ihn  wohl  nur  fQr  den  Fall  empfohlen  haben,  dafi 
die  Suiten,  wie  er  anheimstellt,  statt  mit  fiinf  nur  mit 
drei  obligaten  Instrumenten  (Violen)  besetzt  werden.    £r 
scbwankt  also,  kurz  gesagt,  zwiscben  italieniscber  and 
deutscher  Praxis;  nacb  lezterer  war  die  Suite  fiir  Instru- 
mente  Orchestermusik,  nach  ersterer  Kammermusik,  von 
einem  Geiger,  einem  FlOtisten,  oder  von  einem  Geiger- 
paar    mit  Unterst&tzung    eines   Gembalisten   ausgefubrt. 
Die  Italiener  des  17.  Jabrbunderts  verdffentlicben  desbalb 
aucb  ibre  Saiten   nicbt  wie  die  Deutscben   unter  dem 
Nihnen  des  Anfangssatzes,  als  Paduanen  oder  Intraden, 
sondern  sie  beifien  bei  ibnen  in  der  Kegel  Sonate  da 
camera.     Diesen  Titel   tr&gt   nun    aucb    die   n&cbste 
Sammlung  von  Suiten,  die  RosenmQller  1670  zu  Venedig 
ver5ffentlicbt:   Sonate  da  camera  cioe:  Sinfonie,  Alle- 
mande,  Correnti,  Balleti,  Sarabande  da  son  are  con  6  stro- 
menti  da  arco  ed  altri  etc.*).    Hier  ist  also  RosenmQUer 
einen  Scbritt  weiter  gegangen:  er  stellt  es  nicbt  ins  Be- 
lieben,  ob  die  Suiten  fQnfstimmig  obne  Continue  oder 
dreistimmig  mit  Continuo  gespielt  werden  sollen,  sondern 
er  kombiniert  deutscbe  und  italieniscbe  Praxis,   diese 
vertritt  der  Continuo,  jene  die  faofstimmige  Besetzung, 
die  nacb  dem  Scblufi  des  Titels  »ed  altri<  sogar  noch 
—  etwa  durcb  Beigabe  von  Bl&sern  —  gesteigert  werden 


*)  Neadrnck  (heransgegeben  von  K.  Nef)  in  DenkmUem 
D.  T.    Bd.  XVUI. 


--»    46    «^ 

daxf.  Noch  wichtiger  aber  ist  an  diesem  Hefte  Rosen- 
mailers  der  Ersatz  der  Paduane  durch  eine  Sinfonie  and 
zwar  durch  eine  breit  enlwickelte  umfangreiche  Sinfonie, 
die  deutlich  aus  dem  Typus  der  spezifisch  Venetianischen 
Opernsinfonie  herausgearbeitet,  feierlich  und  spannend 
mit  breiten  Akkorden,  Fermaten  and  Generalpaasen  be- 
ginnt,  dann  erregt  mit  scharfem  Wechsel  langsamer  and 
schneller  Perioden  fortf&hrt  and  als  Mittelpankt  des  Ton- 
bildes  eine  der  fiir  die  Venetianische  Oper  so  charakte- 
ristischen  volkstiimlichen  Barkarolenmelodien  (3/2  Takt) 
hinstellt,  die  ja  noch  H&ndel  so  liebt  Sie  macht  noch 
einmal  der  Reprise  des  Adagio- Allegro  Platz,  schlieOt 
aber  dann  die  ganze  Sinfonie.  Mit  den  Violinsonaten 
Franz  Bibers  bilden  also  diese  Sonate  da  camera  Rosen- 
miillers  das  erste  Beispiel  von  der  Einwirkang  des  Masik- 
dramas  auf  die  Instrumentalmasik:  Formen,  die  aufs 
engste  mit  dem  Theater  and  mit  ganz  besonderen  dra- 
matischen  Eigenheiten  zusammenhftngen,  and  die  nar  in 
diesem  Zusammenhang  einen  Sinn  haben,  werden  im  Ver- 
traaen  auf  die  sichere  and  starke  S,ai3ere  Wirkang  in 
einen  ganz  iremden  Boden  verpflanzt.  Mit  der  Rosen- 
mUllerschen  Sinfonie  war  in  der  Suite  die  Einheit  des 
Stils  and  der  volkstiimliche  Grundcharakter  vernichtet, 
die  Gattang  bezahlte  die  scheinbare  Bereicherung  mit 
einem  frtihzeitigen  Untergang. 

Mit  Rosenmiillers  Sonate  da  camera  ist  die  Zeit  der 
alten  deutschen  Orchestersuite  im  Stile  Hausmanns  vor- 
bei;  unter  den  vereinzelten  Nachziiglern,  die  sie  noch 
J.  Petiel.  vertreten ,  verdient  JohannPetzel  besondere  Beachtung. 
Auch  das  Leben  dieses  Tonsetzers  scheint  sehr  bewegt 
verlaufen  zu  sein :  er  war  in  Prag  Augustinermdnch,  ehe  er 
als  Stadtpfeifer  erst  in  Bautzen,  dann  in  Leipzig  zur  Musik 
kam.  Seine  Suiten  waren  neben  denen  von  Peurl  und  dem 
Hamburger  J.  Schop  bis  ins  18.  Jahrhundert  hinein  die 
beliebtesten  undverbreitetsten.  Wenigstens  fiir  die  deutsche 
Schweiz  ist  das  jiingst  durch  Nef  nachgewiesen  worden*). 

♦)  Karl   Nef,    Die   Collegia    musica    in    der    reformierten 
deutschen  Schweiz  ...     St.  Gallen  1897. 


47 


Es  sind  frische  und  anmutige  Kompositionen ,  die  sich 
besonders  durch  Schlichtheit  des  Ausdrucks  empfehlen; 
sie   halten    am   Vaiiierea    der   alien   viersfttzigen   Suite 

nOCh  SOWeit    ^Allemaiide.      ^,^  ^  

fest,  dafi sie  i  »  fl  |  f  Itifrr  f   I  |7  |  ll|    || 


gernjezwei 
benachbar- 
teS&tzever- 
binden,  z.B. 
Oder 


Coannte 


BaUet. 


Ebensoviel  Interesse  wie  die 

^  .,^^,. Musik  verdienen  die  Titel  von 

w"  f  f  ^'  trll^l*  r  f  r      Petzels  Hauptwerken :  >L e i p - 
yr      I    I   I    «  -ui  tai  •       2iger   Abendmusik*    (1669) 

und  >B'llnfstimmige 
b  1  asen  de  Musik* 
(1686).  Denn  siezeigen 
uns  den  gesellschaftlichen  Boden,  auf  dem  die  Suite 
zur  BlQte  kam  und  zugleich  das  musikalische  Kleid, 
in  dem  sie  am  liebsten  einherging.  Die  ftltere  Zeit  ver- 
braucbte  viel  mehr  Musik  unter  freiem  Himmel,  als 
unsere  Gegenwart,  die  sich  nervenm5rderischen  Ma- 
schinen-  und  Wagenlftrm  ruhig  gefallen  iMfit.  aber  jede 
Art  von  Musik,  von  Kunst  iiberhaupt,  prinzipiell  in  die 
H9,u8er  sperrt.  Wo  es  in  friiheren  Jahrhunderten  in  der 
Gremeinde  oder  in  der  Familie  etwas  zu  feiem  gab,  den 
Einzug,  den  Aufenthalt  von  Standespersonen,  bei  Um- 
ztigen,  Volksfesten,  Kindtaufen,  Hochzeiten,  Geburtstagen, 
Jubil9,en,  da  schickte  man  nach  den  Stadtmusikanten, 
den  Pfeifern,  nach  dem  »Hausmann<  und  seinen  Leuten, 
die  von  den  >Aufwartungen«  auf  Pl&tzen,  StraBen  und 
G&rten,  bei  Festen  und  Schm^usen  ihre  Haupteinnahmen 
batten,  und  liefi  Suiten  spielen.  Weil  die  Orchestersuite 
in  erster  Linie  Platz-  und  StraGenmusik  und  nichtKammer- 
musik  war,  blieb  sie  im  Gegensatz  zur  Klaviersuite  bei 
den  volkstUmlichen  Satzformen,  deshalb  setzte  man  sie 
auch  vorzugsweise  fur  Blasinstrumente,  am  liebsten  Cor- 
netten  und  Posaunen.  Peurl,  UauBmann  und  andre  Ver- 
treter  der  viersStzigen  und  fiinfsfttzigen  Suite  bemerken 


— ♦    48    ^^ 

allerdings  auf  den  Titein  gern  >sonderlich  auf  Violen  zu 
gebrauchen<.  Aber  diese  Bemerkung  ist  wohl  meistens 
liar  eine  captatio  benevolentiae,  ein  frommer  Wunsch, 
vom  Ehrgeiz  eingegeben.  Denn  die  Streichmusik  war  am 
,  Anfang  des  17.  Jahrbunderts  das  Neueste  und  gait  fQr 
etwas  Besonderes.  Der  Stil  der  Stimmen  zeigt  nur  selten 
eine  ausgesprocheae  VioHnennatur.  Das  sind  die  Ver- 
ba.ltnisse,  die  Petzel  nocb  einmal  in  seiner  >BIasenden 
Mnsik«  veranschaulicbt;  die  »Leipziger  Abendmusik«,  ob- 
wobl  sie  17  Jahre  &lter  ist,  steht  dagegen  unter  moder- 
neren  Einfltissen,  vielleicht  unter  demselben  fortscbritt- 
lichen  Lokalgeist,  der  wie  vordem  auf  RosenmQlIer  nocb 
bis  auf  Bacb  und  Hiller  auf  die  Leipziger  Musiker  gewirkt 
hat.  Die  zw5If  Suiten  der  Abendmusik  haben  Basso 
continuo  und  sind  mit  Ausnahme  der  letzten,  bei  der 
Petzel,  wie  das  auch  bei  andren  vorkommt,  seinen  ganzen 
nocb  vorhandenen  Vorrat  an  geeigneten  T&nzen,  in  der 
H5he  von  17  StQck  ausschflttet,  in  sieben  S&tze  geteilt, 
nftmlicb  Sonata,  Allemande,  Courante,  Ballett,  Sarabande, 
Brandle,  Gigue.  Neu  und  mdglicherweise  eine  Nachwir- 
kung  der  englischen  Ftihrung  in  der  deutschen  Orchester- 
suite  ist  die  Brandle;  ihr  kQnstlerisches  Geprage  erhftit 
die  Abendmusik  durch  den  Kopfsatz,  die  Sonata,  die  wie 
bei  RosenmttUer  von  der  Venetianischen  Opemsinfonie 
ausgeht,  aber  die  Gegens&tzlichkeit  im  Aufbau  etwas 
Qbertreibt. 

Zwei  wichtige  Suitensammlungen,  die  ebenfalls  in  den 
RosenmuUerscben  Kreis  gehdren,  sind  die  »Deliciae  musi- 
cales<  des  Regensburger  auch  durch  Lieder  bekannten  Kan- 
u. KrmdMthAler.  tors  Hieronymus  Kradenthaler  und  Jakob  Scheiffel- 
J.  Beheiffelh«t.  h^ts  »LiebIicherFrahlingsanfang€.  Die  Suiten  des  ersteren, 
1676  neun  Nummern,  und  1676  zw51f  Nummern  stark  in 
NQrnberg  erschienen,  bestehen  aus  Sonatina,  Arie,  Sara- 
bande,  Aria  und  Gigue,  die  Scheiffelhuts,  1685  in  Augs- 
burg, acht  an  Zahl,  veroffentlicht,  haben  Preludium,  AUe- 
mande,  Courante,  Ballo,  Sarabande,  Aria,  Gigue.  Das 
Preludium  Scheiffelhuts  und  die  Sonatina  Kradenthalers 
bringen  unter  andrem  Namen  die  Rosenm&llersche  Sin- 


--*    49    ^>- 

fonie,  neu  ist  in  den  beiden  Sammlnngen  die  Aria,  nnter 
der  Scheiffelhut  einen  langsamen,  Kradenthaler  einen 
schnellen  Satz  versleht,  aber  beide  Komponisten  bauen 
ihre  Arien  auf  ausgepr&gt  franz5sische  Rhythmen,  in 
denen  sich  zum  erstenmal  in  der  deutschen  Orchester- 
snite  der  Einflnfi  Lnllys  nnd  seiner  »Airs«  &ufiert. 

Scheinbar  gehdrt  in  die  Gmppe  der  Sonaten- Suite 
anch  der  undatierte,  aber  nach  den  Lebensumst&nden  des 
Komponisten  zeitlich  in  die  N&he  Rosenmiillers  fallende 
Hortus  musicns  des  Hamburger  Adam  Reincken*).  A.BelHekem. 
Denn  die  Suiten  dieser  Sammlung  beginnen  ebenfalls 
mit  einer  Sonata  und  lassen  ibr  Allemand,  Courant  und 
Saraband  folgen,  eine  Gigue  scblieOt.  Aber  Reincken 
Qberrascht  uns  mit  einer  ganz  neuen  Art  von  Sonate: 
Sie  besteht  aus  drei  Teilen,  einem  Adagio  von  ungef&hr 
20  Takten,  einer  durchschnittlich  50  Takte  langen  Allegro- 
fuge  und  einem  gegen  40  Takte  betragenden  Satz,  in 
dem  zweimal  ein  langsames  mit  einem  schnellen  Tempo 
wtrchselt.  Dieser  dritte  Teil,  bei  alien  sechs  Suiten  des 
hortus,  der  schOnste,  ists  allein,  der  noch  am  Zusammen- 
hang  mit  RosenmOller  und  der  Venetianischen  Musik  fest- 
h&lt,  im  tibrigen  sind  die  Sonaten  Reinckens  der  Opem- 
ouverture  Lullys  nachgebildet.  Die  deutsche  Orchester- 
suite  begnflgt  sich  nicht  mehr  mit  der  Einfiigung  einzelner 
fraDzdsischer  Elemente,  sondern  sie  begibt  sich  ganz  unter 
die  Herrschaft  der  franzbsischen  Musik.  Bald  folgt  ihr 
auch  das  deutsche  Lied  auf  diesem  Wege.  Das  deutlichste 
Merkmal  der  neuen  Herrschaft  bildet  die  dreiteilige  Ouver- 
t&re  als  KopfstQck  der  Suite,  aber  dartkber  hinaus  hat 
sich  in  alien  S&tzen  ein  vollst&ndiger  Wechsel  des  Stils 
vollzogen.  Die  Gigue  ist  ein  Fugensatz,  alle  andren  Tanz- 
s&tze  sind  kunstvoUer  und  reicher  an  kontrapunktischer 
Arbeit  geworden,  vor  allem  aber  sind  die  Suiten  Reinckens 
Musik  far  Streichinstrumente  und  wurzeln  mit  der  Er- 
findung  ganz  in  der  Natur  der  Yioline.    Am  deutlichsten 

*)  Nengednickt  als  13.  Stlick  der  Maatschappig  ubw.,  her- 
ansgegeben  Ton  Riemsdijk. 

KretsBclimar,  Ffihrer.    I,  1.  4 


50 


zeigen  das  die  Schlofitene  der  Sonate,  in  denen  Solo- 
yioline  und  Solocello  konzertieren ,  erst  innig  singend, 
dann  in  gl&nzender  Technik  dahinsausend.  Eine  ganz 
individoelle  Marke  trS,gt  der  Hortus  in  der  Neigung  zu 
osUoaten  Stellen. 

Das  erste  Werk,  das  sich  often  zam  franzosischen 

A.  StoffMl.  StU  bekennt,  sind  Agostini  Steffanis  >Sonate  da  camera* 

von  1679.    Sie  stellen  an  die  Spitze  eine  franzOsische 

Oovertiire  in  Lullys  Stil.     Dann  folgt  mil  16,  zum  Teil 

l.8.Ku8er.  zehnsfttzigen  Suiten,  JohannSigismundKusser  fur 
acht  Streichinstramente.  Sie  sind  1682  in  Stuttgart  als 
>Composifeion  de  musique  suivant  la  m^thode  frangaise 
contenant  Ouvertures  etc.*  verOfifentlicht  worden.  Alle 
beginnen  mit  dreiteiligen  Oavertiiren  im  Stile  Lallys 
und  zeigen  dessen  Einflufi  auch  in  der  Bevorzugung 
von  Air  und  Chaconne,  wahren  aber  motivisch  und  im 
Charakter  eine  so  bedeutende  Selbst&ndigkeit,  dafi  sie, 
wie  fast  jede  Note  Kussers,  durch  einen  Neudruck  all- 
gemein  bekannt  gemacht  zu  werden  verdienen.  Unter 
seinen  Nachfolgern  mu6  der  Rudolstfidter  Kapellmeister 

P.BrlelbMk.  Philipp  Erlebach  hervorgehoben  werden.  Seine  1693 
zu  NQrnberg  verdffentlichten  Suiten  tra^en  den  Titel: 
Sechs  Ouverttkren  nach  franzdsischer  Art.  Wie  in  der 
HauOmannschen  Zeit  Pavanen  oder  Intraden,  werden  von 
jetzt  ab  auf  hundert  Jahre  die  deutschen  Orchestersuiten 
anf  dem  Markt  —  wiederum  nach  dem  Namen  des  An- 
fangssatzes  —  als  OuvertQren  ausgeboten.  Die  Ouver- 
tQren  im  modernen  Sinne  heifien  in  der  Kegel  Sinfonie. 
Besiegelt  und  allgemein  gtiltig  wurde  der  Obergang 
ins  franz5sische  Lager  durch  die  Orchestersuiten  von 
Qeorg  MiffAt.  Georg  Muff  at.  Sie  fQlIen  zwei  Sammlungen,  von  denen 
die  erste  als  »Florilegium  primum<  in  Augsburg  1695,  die 
zweite  als  »Florilegium  secundum*  in  Passau,  wo  der 
Komponist  am  bischdflichen  Hofe  als  Kapellmeister  und 
Pagenhofmeister  angestellt  war,  1698  erschien.  Der  erste 
Band  enthftlt  sieben,  der  zweite  acht  Suiten  oder,  wie  sich 
Muffat,  als  Sohn  seiner  Zeit  auch  hier  poetisch  ausdrtlckt: 
Fasciculi,  d.  i.  BAndel.    Der  Name,  den  die  deutschen 


Musiker  am  liebsten  fiir  die  Orchestersuite  branch  ten,  war: 
Parthey  oder  Partie.  Die  15  Saiten  nmfassen  112  S&tze, 
in  der  Kegel  bilden  sieben  einen  Faszikel.  Die  Besetznng 
ist  fQr  alle  fUnfstimmiges  Streichorchester:  Violin  e,  Viola, 
Bafi,  dazn  Violetta  nnd  Qainta  Parte,  jenes  eine  kleinere, 
dieses  eine  grdOere  Sorte  Bratsche  als  die  hente  gebrftnch- 
liche.  Zn  diesen  Streichinstrumenten  kommt  noch  der 
bezifferte  Basso  continno,  also  die  Begleitung  des  Cem- 
balo, die  ja  seit  RosenmMler  scbon  eingebtirgert  war. 
Mit  Ausnabme  von  zweien  steht  an  der  Spitze  aller  Fas- 
cicnli  eine  regelmaOige  franzosische  Onvertflre,  drei- 
s&tzig,  wie  sie  Lully  eingefUhrt  hatte:  Anfang  und  Ende 
langsam,  in  der  Mitte  eine  bewegte  Fnge.  Einmal  ist 
dieser  Typus  der  franz5sischen  Ouvertlire  durch  einen 
Rivalen,  eine  italieniscbe  Sinfonie  ersetzt.  In  den  T^nzen 
selbst  zeigt  die  Mnffatscbe  gegen  die  alte  deutsche  Or- 
chestersnite  der  ersten  Periode  einen  kQnstleriscben  Riick- 
gang:  Von  thematischer  Verbindnng  sich  folgender  Sfitze, 
vom  Variieren  ist  keine  Rede  mebr;  nicht  um  Einbeit 
bandelt  es  sich,  sondem  um  eine  Vielbeit  scharf  geson- 
derter  Gestalten.  Mit  einigem  Rechte  darf  man  die  Suite 
Georg  Muffats  Renaissancesuite  nennen.  Eines  der  Haupt- 
ziele  aller  Renaissance,  die  Steigerung  des  individuellen 
Gehalts  im  Kunstwerk,  erscheint  als  ihr  Hauptziel.  Des- 
halb  liegt  es  Muffat  fern,  wie  seine  Vorg&nger  eine  be- 
schr&nkte  Anzahl  von  Tanzarten  immer  zu  wiederholen: 
Er  hat  die  gebr^uchlichsten  Arten  seiner  Zeit,  Gaillarde, 
Courante,  Sarabande,  Gavotte,  Passacaille,  Bourse,  Me- 
nnett,  Gigne  —  die  zweite  Suite  des  zweiten  Florilegium 
bringt  sie  in  der  angegebenen  Reihenfolge  zusammen  — ; 
es  treten  zn  ihnen  noch  Allemande,  Canaries,  Chaconne, 
Contredanse,  Rigaudon,  Rondeau,  Traquenard,  Entree, 
Ballett,  Air.  Aber  in  der  Mehrzahl  von  Mufifats  Suiten- 
s&tzen  wird  auf  jedes  bekannte  Schema  verzichtet,  der 
Komponist  geht  neuen,  oft  verwegenen  Aufgaben  nach 
nnd  sncht  sie  mit  den  besten  Mitteln  zu  losen.  Besonders 
das  zweite  Florilegium  entrollt  ein  &u6erst  buntes  Stuck 
Programmusik ,   einen  Ausschnitt   aus  den  Flegeljahren 

4* 


— ♦    52    ^^ 

dieser  Richtung,  der  alles  iiberbietet,  was  sonst  ans 
Frobergers  und  Couperins  Zeit  bekannt  ist  Spanier, 
Holiftnder,  Englftnder,  Italiener,  Franzosen,  Kavaliere, 
Bauern,  Dicbter,  Tftnzer,  Fechlmeisler,  Gendarmcn,  K6cbe, 
Scbornsteinfeger,  Genien  und  Gespenster  —  alles  will 
diese  Musik  malen  kdnnen,  auch  kdrperliche  Gebrechen, 
die  dem  Ton  nnd  dem  Rhythmus  ersicbtlich  keinen  An- 
knQpfungspunkt  bieten :  Einen  Lahmen  kann  der  Kompo- 
nist  andeuten,  aber  einen  Bucklichten? 

An  solchen  Mifigrififen  bat  die  Renaissance  weniger 
Schuld,  als  die  franzdsische  Oper.  Durch  die  Hedeutong, 
die  in  ihr  die  Balletts  batten,  kam  die  choreograpbische 
Kunst  aaf  den  geschichtlichen  Gipfel  ibrer  Leistungsf&big- 
keit  und  ibres  Selbstvertrauens  und  mutete  folgerecbt 
aucb  ibrer  Gehilfin,  der  Musik,  gelegentlicb  unm5glicbe 
Dienste  zu.  Den  Zusammenbang  mit  Ballett  und  Tanz 
bekennt  Muffat  in  den  —  in  lateiniscber,  deutscber,  ita- 
lieniscber  und  franz6sischer  Spracbe  gescbriebenen  — 
Yorreden  seines  Florilegiums,  Die  Fasciculi  seien,  sagt 
er,  bei  den  Festen  des  Passauer  Hofs,  beim  Konzert 
(»Instruinenten-Zusammenstimmung€  ubersetzt  er  das), 
beim  gl&nzenden  Empfang  bober  G&ste,  vornebmlich 
aber  aucb  bei  den  Tanzttbungen  der  adligen 
Jugend  aufgefiibrt  worden.  Die  StQcke  des  zweiten 
Florilegiums  nennt  er  geradezu  Balletts,  und  man  siebt 
ibnen  in  der  Mebrzabl  die  Herkunft  vom  Tbeater,  von 
der  Pantomime  nicbt  blo6  an  einem  Punkte  an.  Hier 
verrftts  die  Oberschrift  der  ganzen  Suite,  sie  ist  der  Titel 
eines  Schauspiels  oder  eines  Balletts,  dort  wird  an  einer 
Stelle  gesungen,  dort  gar  mit  Pistolen  gescbossen. 

Wir  baben  es  also  bei  diesem  Suitenwerk  Muffats  mit 
Ballettmusik  nach  franz5sischem  Muster  zu  tun.  Wieder- 
boit  nennt  er  Lully  als  sein  besonderes  Vorbild.  Ibn  er- 
reicht  er  aucb  ziemlicb,  UbertrifTt  ibn  in  der  Arbeit,  aber 
mit  Hfindel  und  Gluck  darf  man  ibn  nicbt  vergleichen, 
wie  das  neuerdings  gescbeben  ist*);  am  allerwenigsten 

*)  L.  Stollbrock:  Georg  und  Gottlieb  Moffat.  Rostocker 
DisserUtioii  1888. 


— ^    63    4^ 

mil  Rameao.  Das  dentsche  Element  iiberwiegt  in  seiner 
Mnsik  mil  seinen  Vorteilen  und  Nachteilen.  Seine  Knnst 
braucht  etwas  Platz.  Darum  sind  die  I&ngeren  Sfttze  die 
besten,  wie  die  vereinzelte  Passacaille  in  der  3.  Suite  des 
zweiten,  der  Rigaudon  in  der  n&chsten  Suite  desselben 
Bandes.  Desgleichen  zeichnen  sich  auch,  wie  man  es 
von  dem  Verfasser  des  Apparatus  musico-organisticus  er- 
warten  darf,  die  Fugen  in  den  OuvertHren  durch  eine 
Yollendete  Natarlichkeit  und  Leichtigkeit  aus.  Muffats 
Talente  iiegen  auf  der  Seite  des  Gemtkts  und  der  an- 
mutigen  Heiterkeit  Als  einer  der  vorzilglichsten  Melo- 
diker  des  melodienreichen  17.  Jahrhunderts,  Lully  an 
diesem  Pnnkt  weit  Qberragend,  schreibt  er  in  den  Ein- 
leitungen  der  Ouvertiiren,  in  der  Form  von  Sarabanden 
nnd  Airs  langsame  S&tze,  die  sich  in  die  Seele  des  Hdrers 
auf  lange  hineinsingen.  In  den  Giguen,  Menuetts  und 
den  ihnen  verwandten  Satzarten  bat  er  wenig  Neben- 
buhler;  in  den  Giguen  namentlich  ist  er  oft  vdllig  neu, 
erinnert  an  das  19.  Jabrhundert  mit  der  phantastischen  Be- 
weglichkeit  und  der  ungewdbnlicben  Metrik  seiner  Weisen 
^^^S?i     ..^-^  ,„^^  ^  Aber   die  Kunst 

'if'Jiy  r'llfp  I  jTT]  J   1^^  files  Pointierens, 
^^^^^  ^-^      •     '  "   der     f rap  pan  ten 

Erfindung,  in  der  die  Grdfie  und  die  Eigentumlicbkeit  der 
Franzosen  ruht,  ist  Muffats  Sache  nicht.  Kleine  Malereien 
gelingen  ihm  manchmal:  Ganz  ergStzlicb  gibt  er  z.  B. 
einmal  das  L&rmen  der  Messer  wieder,  mit  denen  Fleisch 
geklopft  und  gehackt  wird,  trefflich  ist  an  derselben  Stelle 
—  zweite  Suite  des  zweiten  Florilegiums  —  die  Lustigkeit 
der  KUkchei^ungen  gezeicbnet.  ,Aber  viel,  viel  haufiger 
sind  die  Beispiele  verfehlter  Ahnlichkeit:  Die  Bauern 
iiaben  dieselben  ZQge  wie  die  Elavaliere  und  Gespenster. 
Um  unter  die  Gr56en  der  Tonmalerei  sich  zu  erbeben, 
ist  die  Rhetorik  des  Komponisten  zu  bescbeiden  und  zu 
sehr  auf  Wiederholungen  in  alien  drei  Elementarreichen 
der  Musik  angewiesen. 

Noeh  weniger,  wie  zwischen  den  Titeln  der  Einzeln- 
sAtze  und  ihrer  Musik,  lUfit  sich  eine  Obereinstimmung 


— ^    54     ♦— . 

zwischen  den  Oberschriften  der  ganzen  Suiten  und  ihrem 
mosika]ischen  Charakter  feststellen.  Es  ist  schon  erw&hnt 
worden,  daO  diese  Oberschriften  im  zweiten  Florilegium 
oft  Namen  von  Theaterstucken  sind ;  im  ersten  sind  sie 
in  der  Mehrzahl  reine  RUtsel.  Nur  bei  dem  vierten  and 
dem  sechsten  Stflcke,  die  Impatientia  und  Blanditiae 
heifien,  lassen  sich  ohne  Gewalt  einige  Beziehongen 
zwischen  den  Werken  und  den  Namen  nachweisen. 

Auf  die  Entt&uschungen ,  denen  der  moderne  H5rer 
der  Muflatschen  Suiten  entgegengeht,  hiuzuweisen*,  ist 
deshalb  zeitgemHO,  weil  die  beiden  Florilegien  unl&ngst 
in  Partiturform  neugedruckt  worden  sind*).  Schon  vor- 
her  sind  in  den  Leipziger  Akademischen  Orchesterkon- 
zerten  die  Blanditiae  aufgefiihrt  worden  und  nach  andern 
Stellen  weiter  gedrungen.  Die  Muffatsche  Musik  ist  trotz 
der  ndtigen  Einschr&nkungen  geschichtlich  und  kQnst- 
lerisch  wert  gekannt  zu  sein.  Wer  sie  auffflhrt,  mu6 
aber  wissen,  wie  weit  die  Noten  wortlich  bindend  sind 
und  wo  sie  der  Erg&nzung  bed&rfen.  Von  sonstigen  Frei- 
heiten  des  Yortrags  alter  Musik  abgesehen,  arbeiten  die 
Suiten  Muffats,*wie  die  Instrumentalmusik  und  der  Solo- 
gesang  ihrer  Zeit  im  allgemeinen,  mit  einem  sehr  grofien 
Apparat  von  Yerzierungen  und  Spielmanieren,  die  nicht 
gedruckt  wurden  und  die  die  heutige  Musik  nicht  mehr 
kennt.  In  der  Vorrede  des  zweiten  Florilegiums  gibt 
Muffat  dartlber  den  deutschen  Musikern,  denen  dieser 
Zierrat  noch  etwas  fremd  und  neu  war,  genaue  An- 
weisungen.  Nach  ihnen  muC  der  Dirigent  die  Stimmen 
erst  ausarbeiten.  Der  ganze  Charakter  dieser  Musik  wird 
durch  diese  »Agr^ments€  und  Ornamente  mit  bestimmt. 
Aus  ihnen  spricht  der  an  Kleinleben  unerschdpflich  reiche, 
vermittelnde,  glftttende,  allezeit  graziOse  Geist  des  Rokoko. 
Der  heute  so  beliebte  grofie  Ton,  die  langen  Noten,  die 
weiten  Intervalle  waren  ihm  rauhe  und  robe  Erscheinun- 
gen ;  durch  eingelegte  Gftnge,  durch  ein  best&ndiges  Gleiten, 

*)  Denkm&ier  der  Tonkanst  in  Osterreich,  Band  I,  2  und 
II,  2.     Wien  1894  und  1895. 


— »    65    4^ 

Schleifen  und  Trillern  setzte  er  ihre  Wirknngen  aufier  Kraft 
Auch  ein  guter  Klavierauszug  der  Florilegien  mttfite  mil 
dieser  Stileigentiimlichkeit  rechnen. 

Muffat  verfolgte  mit  der  YerSffentlichnng  seines  Flori- 
legiums  noch  h5here,  kunstgeschichtliche  Zwecke.  Es 
sollte  in  Deutschland  der  franzdsischen  Schule  dieHerr- 
schaft  {kber  dieltalienische  gewinnen.  Die  Italiener  pfleg- 
ten  seit  dem  Anfang  des  Jahrhunderts  mit  groOem  Eifer 
das  Konzert  Yon  ihm,  namentlich  von  dem  ihm  inne- 
wohnenden  Hang  zn  »nnm&6igen  L&ufen  nnd  Spriingen*, 
zu  virtuosen  Aufierlichkeiten  und  zu  allerhand^Blendwerk, 
furchtete  Maffat  filr  den  musikalischen  Geist  der  Zukonft 
mit  Recht  ernste  Gefahren  nnd'snchte  ihm,  allerdings  viel 
zu  sp&t,  durch  die  nach  seiner  Meinung  yiel  solidere  nnd 
gestkndere  Kunst  der  franzdsischen  Charakterballetts  den 
Weg  nach  Deutschland  zu  versperren.  Das  gelang  nicht; 
bereits  1701  hat  Muffat  selbst  zw51f  Instrumentalkonzerte 
nach  italienischem  Muster  drucken  lassen,  aber  es  nnter- 
liegt  keinem  Zweifel,  dafi,  soweit  es  sich  um  Violinen, 
Cembalo  und  franzdsische  Ouvertiire,  also  um  die  An- 
nMherung  an  die^hShere  Kunst,  an  Konzert  und  Kammer- 
musik  handelt,  das  Florilegiam  fQr  die  Orchestersuite  in 
Deutschland  vorbildlich  geworden  ist. 

Es  hat  sich  bis  nach  Schweden  verbreitet  und  ist 
erst  durch  das  Exemplar  in  Upsala  wieder  bekannt  ge- 
worden, es  wird  in  der  Vorrede  des  bald  zu  erwilhnen- 
den  Zodiacus  neben  dem  »Joumal  du  printemps*  und 
neben  des  »Pythagoreischen  Schmidts  F^nklein*  als  die 
bedeutendste  Sammlung  von  Orchestersuiten  hervor- 
gehoben. 

Der  Komponist  jenes  »Journal  du  printemps<"ist 
der  in  alter  und  neuer  Zeit  wegen  seiner  Klaviersttkcke 
gefeierte  Badische  Hofkapellmeister  Kaspar  Fischer.  K. Fiieker. 
Die  1696  zu  Schlackenwerth  verSffentlichte,  seit  kurzem 
nengedruckte*]  Sammlung  enth&lt  acht  Suiten,  die  alle 
mit  einer  franz5sischen  OuvertQre  beginnen  und  dieser, 

♦)  Denkm&ler  D.  T.,  10.  Band  (herausgegelen  v.  E.  v.Werra). 


--^    66    «— . 

je  nachdem  drei  bis  sieben  Tftnze  bekannter  Art  oder 
Balletts&tze  mit  ei^en  Oberschriften  folgen  lassen.  Von 
letzterer  Art  kommen  vor:  Air  des  Combattants,  Trac- 
quenard.  Fischer  h&lt  seine  S&tze  auffallend  kurz,  selbst 
die  OuvertCtren ;  nur  die  Cbaconnen  und  Passacaille,  die 
fast  in  keinem  Sttkcke  fehlen,  macheu  eine  Ausnabme. 
Von  alien  Snitenkomponisten ,  die  zum  Kreise  Muffats 
gehOren,  ist  er  der  am  st&rksten  franzOsisch  gef&rbte, 
selbst  f&r  die  Instmmente  wfthlt  er  gallische  Bezeich- 
nungen,  und  der  leichte,  galante  Charakter  seiner  Musik 
geht  nicht  Ctber  die  AnsprQcbe  binaus,  denen  die  durch- 
schnittlicben  Kostgftnger  der  LuUyscben  Oper  gewachsen 
waren.  Jedoch  erfindet  er  friscb,  entwickelt  fliefiend  und 
bat  koloristiscb  besonderes  zu  bieten.  Seine  Suiten  sind 
sftmtlich  Trompeten suiten,  sie  yerwenden  die  Trompeten 
gl&nzend  und  sind  Ctberhaupt  im  Klanglicben  aufierordent- 
lich  reich  an  Abwecbslung  und  an  natQrlichen,  wirkungs- 
vollen  Einfallen.  Ersichtlich  hat  ihm  hierfQr  die  Bekannt- 
schaft  mit  dem  Konzert  gentktzt,  nach  dessen  Muster  ist 
in  alien  S&tzen  die  Abl5sang  von  groOer  und  kleiner  Be- 
setzung,  von  Trio  und  vollem  Chor  durchgefQhrt. 

Die  das  >Pythagoreische  Schmidts  F&nklein<*) 
repr&sentierenden  sieben  Suiten,  deren  Komponist  der 
B.MA7r.  Mtlnchner  Hofmusiker  Rupert  M ay r  ist,  geh5ren  eigent- 
lich  zur  Avantgarde  Muffats,  denn  sie  sind  schon  1692 
(zu  Augsburg)  erscbienen  und  bekennen  sich  in  der  Mehr- 
zahl  noch  zu  RosenmQUer  und  zur  Venetianischen  Sin- 
fonie,  wie  Mayr  in  einem  1678  erschienenen  »Arion 
sacer€,  einer  Art  Pendant  zu  Kuhnaus  bibliscben  Historien, 
sogar  noch  ganz  im  Haufimannschen  Typus  arbeitet.  Die 
Satzzahl  in  Mayrs  FQnklein  reicht  von  vier  bis  sieben, 
in  der  Benennung  der  S&tze  tritt  der  Ballettcharakter 
sehr  zurtlck,  im  Stil  berrscht  eine  solide  Polyphonie,  im 
Charakter  Innigkeit  und  deutsches  Wesen.  In  dieser 
letzteren  Beziehung  berCthrt  er  sich  mit  dem  eben  ange- 

*}  VgL  Bernh.  Ulrich:  Die  »Pythagoreischen  Schmidts  Funk- 
lein<  (Sammelbinde  der  I.  M.  G.  IX,  1). 


f&hrteo  Zodiacus,  deijenigen  Sammlung  von  Orchester- 
soiteD,  welche  die  grdBte  Ausbeute  treuherzigen  und 
naiven  Humors  ergibt.  Sie  ist  1698,  ebenfalls  zu  Augs- 
burg, mit  blofier  Andeutung  des  Verfassers  durch  I.  A.  S. 
erschieuen.  Neuerdings  erst  ist  festgestellt  worden*),  dafi 
sich  uuter  diesen  Bacbstaben  ein  im  Qbrigen  unbekannt 
gebliebeoer  Musiker  namens  Schmierer  birgt.  Die  Zahl  J.  a.  B^lnlerer. 
seiner  Suiten,  die  er  Parthyen  nennt,  betrftgt  sechs,  jede 
hat  acht  S£ltze,  an  der  Spitze  immer  eine  franz5sische 
Ouverture  und  die  Allemande  in  der  Kegel  im  langsamen 
Tempo.  Die  letzte  Suite  bringt  ein  sch5nes,  gesang- 
m&fiiges  Stdck  unter  dem  Xitel  »Melodiec.  Fischern  &hnelt 
Schmierer  in  der  Ausnutzung  konzertierenden  Stils. 

Noch  geh5rt  in  die  Umgebung  des  Florilegiums  eine 
Suiten  sammlung,  die  1696  (in  Numberg)  als  »  Con  cor  s 
discordiac  verdffentlicht  worden  ist.    Ihr  Komponist  ist 
Anton  Aufschnaiter,  der  Ende  des  17.  Jahrhunderts A.  Aifiekaalter. 
zu  Passau  als  Kapellmeister  lebte  und  damach  sehr  wohl 
zu  Muffat  direkte  Beziehungen  gehabt  haben  kann.    Auf- 
schnaiter spricht  nicht  wie  seine  Kollegen  von  Komddien 
und  Balletten,  sondem  bestimmt  seine  Suiten  ausdrijkck- 
lich  zu  Serenaden,  zu  St&ndchen  im  Freien  zu  spielen. 
Deshalb  haben   sie  keinen   Continuo.    Die  Suiten  sind 
s&mtlich  ftknfs&tzig,  vier  haben  am  Kopf  eine  franzOsische 
OuvertQre,  je  eine  eine  Chiaconne  und  ein  Entree.   Musi- 
kalisch  erfreuen  sie  durch  sehr  gute  melodische  Quali- 
t&ten.    Dafi  die  deutsche  Orchestersuite  sich  im  letzten 
Yiertel  des  17.  Jahrhunderts  unter  die  franzdsische  FQh-  FranzSsUche 
rung  stellt,  ist  das  Werk  Lullys.    Allerdings  hat,  wie  man      Suiten. 
sich  aus  der  Sammlung  Ecorchevilles  **}  iiberzeugen  kann, 
die  franzOsische  Orchestersuite  schon  friiher  in  Musikern 
wie  G.  Dumanoir,  Mazuel  und  andren  Mitgliedem  der 
sogenannten  petits  violons  sehr  begabte  Vertreter  und  in 
der  Menge  der  S&tze  und  deren  vorwiegend  zweiteiligem 

*)  A.  G5hler:  Die  Mefikataloge  im  Dienste  der  musikali- 
schen  Qeschichtflforschong  (Sammelband  d.  I.  M.  G.  Ill,  2). 
**)  Jules  Ecorcheviile:  Vingt  Suites  d'Orchestie  1906. 


-^    58    i>^ 

Anfbau  ihre  besonderen  Ziige  gehabt.  Aber  sie  kanD 
weder  durch  ihr  Wesen  noch  durch  ihre  Entwicklung 
einen  Vorrang  beanspruchen :  die  T&nze  sind  die  auch 
in  Deutschland  gebr&uchlichen  oder  bekannten  und  ihre 
Aneinanderreihung  h§,lt  sich  in  Frankreich  sogar  linger 
auf  einer  dem  HauGmannschen  Typus  entsprechenden 
Stufe,  als  in  Deutschland,  der  Venetianische  EinfluO  be- 
rdhrt  sie  gar  nicht.  Erst  Lully  lenkt  die  Aufmerksamkeit 
der  deutschen  Suitenkomponisten  auf  Frankreich  nnd 
bekehrt  sie  zu  den  Ouvertiiren.  Im  C^brigen  ist  die  Stelle, 
an  der  sich  das  national  franz5sische  Suitentalent  am 
gl&nzendsten  zeigt,  der  Balletteil  der  Opern.  Da  braucht 
man  sie  nur  herauszunehmen  und  zusammenzustellen. 
Oft  bietet  eine  einzige  Szene  das  gesamte  Material  zu 
einer  vollst&ndigen  Suite;  denn  Charaktert^nze  und  Bal- 
letts  bilden  den  Grundstock  und  oft  die  reichliche  H&lfte 
der  Musik  in  der  §.lteren  franz5sischen  Oper.  So  sind 
denn  fruher  schon  einzelne  S&tze  aus  Lullys  und  Ra- 
meaus  Opern  mit  Erfolg  ins  Konzert  gebracht  worden*). 
Neuerdings  erm5glicht  die  Ausgabe  von  drei  »6allet- 
J.  P.  Bahimii.  suitenc**)  R am e au s  ein  bequemes  Studium  dieses Meisters. 
Sie  sind  dazu  bisher  noch  wenig  benutzt  worden,  wahr- 
scheinUch  deshalb  nicht,  weil  nur  sehr  wenige  Musiker 
und  Musikfreunde  eine  Ahnung  von  der  Bedeutung  Ra- 
meaus  haben.  Wie  er  im  allgemeinen  ohne  jedes  Be- 
denken  der  grolBte  Tonsetzer  Frankreichs  und  ein  eben- 
bUrtiger  Zeitgenosse  von  HS,ndel  und  Bach  genannt 
werden  darf,  so  ist  er  auf  dem  besonderen  Gebiet  der 
Suite,  des  poetischen  Charakterstiicks,  der  geschmack- 
vollen  Programmusik  geradezu  unvergleichlich.    Er  ver- 

*]  Lully:  »Gel^bre  Gavotte«  und  Menuet  de  Bourgeois 
Gentllhomme ;  Rameau:  Musette  et  Tambourin  des  »Fet^s 
d'Heb^c,  Rigaudon  de  >Dardanus<,  fragments  de  » Castor  et 
Pollux*  in  Gevaerts  Repertoire  des  Societies  philharmoniques. 
**)  Drei  Ballettsuiten  aus  Acante,  Zoroaster  und  Platte. 
Leipzig,  Rieter-Biedermann.  Den  hier  versuchten  Titel  »Ballett- 
suitec  hat  sich  inzwlschen  auch  Felix  MottI  zu  eigen  gemacht. 


--^    69    H^ 

tritt,  gegea  Lully  and  Maffat  gehalten,  eine  neue  Zeit 

uad  eiae  Knnst,   die  die  Scbdaheitsideale   der  Claade 

Lorrain  and  Poassin  mil  dem  Realism  us  der  NiederlSlnder 

zu  verbiadeD   weifi.    GroO   and  vielseitig  im  £rfinden, 

besonders  origiaell  im  Hamoristiscben,  im  Anmatigen  and 

Innigen,  ist  er  im  Gestalten  ein  ecbter  Virtuos.   £r  spielt 

mit  der  Form  and  gewinnt  ibr  nacb  alien  Seiten  voU- 

endete,  bier  darcb  Breite  and  Umfang«  da  darcb  Feinbeit 

der  Verscblingangen  {kberrascbende  Neubildungen  ab.    In 

seiner  Melodik,  in  seiner  Rbytbmik,  ijkberall  wimmelt  es 

von   ganz   eigenen,  scb5nen  and   fesselnden  £inf&llen; 

nicbt  am  wenigsten  in  seiner  Instrumentation,  in  der  wir, 

beispielsweise  in  der  Pizzicato-Gavotte  von  >Acante  et 

Cepbissec,  Klangwirkangen  begegnen ,  die  vor  ibm  nie- 

mand  gebabt  bat  and  die  beute,  nacb  hundertundfQnfzig 

Jabren,  von  ibrer  Friscbe  nicbt  das  geringste  eingebCtfit 

baben.    Hier  kommt  er  in  der  Zeit  and  im  Rang  unmittel- 

bar  nacb  Monteverdi.    Wenn  die  Franzosen  nocb  beute 

in  ibrer  Oper  der  Ballettmusik  eine  Stellung  einr&umen, 

die  die  Deutscben  nicbt  begreifen,  so  ist  das  die  Nacb- 

wirkung  Rameaas.    Wagners  Ballettmusik  zam  Pariser 

Tannb&aser  war  ein  Opfer,  nicbt  dem  Jockeyklub,  son- 

dern  einer  grofien  bistoriscben  Tradition   dargebracbt. 

Aucb  Glack  bat  sicb  ibr  beagen  m&ssen,  and  er  batsie  c.w.f.GU«k. 

lieb  gewonnen.    Waren  lange  Zeit  der  >Furientanzc  and 

der  »Reigen  seliger  Geister<   aas  Orpheus  die  einzigen 

Beitrftge  zar  Suite,  die  man  von  ibm  kannte,  so  ist  das 

neaerdings  anders  geworden.    Wir  haben  da  a.  a.  die 

Ballettmusik  aus  >Paris  and  Helena*   von  ibm  vor- 

liegen,  Mottl  bat  als  >Ballettsuite<  StQcke  aus  ver- 

scbiedenen  Opern  Glucks  zusammengestellt;  aucb  der 

grOlBte  Teil  seines  1761  gescbriebenen  Balletts  »Do  n  Juan< 

ist  vor  einigen  Jabren  in  Form  einer  vierslltzigen  Orcbester- 

soite  dem  Konzert  zagefQbrt  worden*).     Dieses  Ballett 

bracbte  pantomimiscb  dieselbe  Handlang  mit  denselben 

Personen  and  in  derselben  Szenenfolge  zur  Darstellung, 

*)  Leipzig,  Breitkopf  &  Hirtel. 


-^    60    ^^ 

die  sp&ter  Mozart  als  Oper  komponiert  hat.  Gluck  hat 
riele  S&tze  aas  diesem  Ballett  fiir  nachfolgende  Opern 
benutzt,  die  Hdllenfahrtmusik  z.  B.  ist  der  »Furientanz< 
geworden.  Mehrere,  namentlich  unter  den  kleinen  und 
kleinsten  Stticken  des  »Don  Jaanc  haben  eiDen  hohen 
Klangreiz,  so  das  Pizzicatostftndchen  der  Bauem.  Neben 
Wien  war  Stuttgart  unter  Karl  Eugen  ein  Hauptplatz  fQr 
solche  Ballettpantomimen;  von  den  hier  entstandenen 
F. Deller.  Arbeiten  Dellers  and  Rudolfs  werden  n&chstens  die 
jr.  Bidolf.  DenkmlUer  Deutscher  Tonkunst  reichere  Proben  bringen. 

Neben  der  neuen  Muffatschen  Yiolinensuite  bestand 
natUrlich  die  alte  Blasersuite  noch  weiter  und  so  lange 
fort,  als  es  noch  St&ndchen  und  allerhand  » Aufwartungen« 
im  Freien  gab.  Sie  begegnet  uns  noch  in  den  Divertisse- 
ments, Cassationen  und  &hnlichen  Kompositionen  Haydns 
und  Mozarts.  Auch  G.  F.  Handels  Feuer-  und  Wasser- 
musik  gehorten  ursprQnglich  zu  dieser  Klasse  von  Suite. 
Die  Violinen  und  die  OuvertSiren  sind  ihnen  erst  spfiter 
zugesetzt;  die  Feuermusik  hat  heute  noch  kein  Cembalo. 
HSadel,  Die  Feuermusik  kam  bei  einem  Hoffest,  das  sich 

Feuermiuik.  (j^jch  gin  brillantes  Feuerwerk  anszeichnete,  am  27.  April 
1749  zur  ersten  Aufftihrung.  Was  den  Londonern  an  der 
Musik  gefiel,  war  die  aufierordentlich  starke  Besetzung 
der  Blasinstrumeute,  welche  die  Feuerwerks-Musik  aus- 
zufShren  batten.  Nur  selten  mochte  bis  dahin  eine  solche 
Harmoniemusik  aufgestellt  worden  sein:  9H5rner,  9Trom- 
peten,  24  Oboen,  12  Fagotte,  3  Pauken.  Das  HauptstQck 
der  Suite  ist  jetzt  die  glftnzende  OuvertGre,  mit  ihrem 
freudelachenden,  farbenpr&chtigen  Allegro,  welches  Clber- 
raschender  Weise  nach  dem  zweiten  Lento  nochmals 
einsetzt.  Die  iibrigen  S&tze  haben  einfachen  Tanz-  und 
Liedstil:  Im  Anschlufi  an  die  entsprechenden  Bilder  des 
Feuerwerks  tragen  einzelne  Oberschriftea :  der  sch5ne, 
weiche  SiciUano  heiOt  >la  paixc,  der  darauf  folgende 
Marsch,  in  dem  die  Trompeten  wieder  an  die  Spitze 
HiBdel,  treten  »la  r^jouissance*.  Die  Wassermusik,  eine  Suite 
WassennuBik.  yQ^  nicht  weniger  als  20  kleinen  StQcken,  ist  mit  einer 
Anekdote  verknUpft:  Freunde  H&ndels,  der  bei  Georg  I. 


--*    61     i>^ 

in  Ungnade  gef alien  war,  veranlaOten,  daQ  der  K5nig 
bei  einer  abendlichen  VergnQgangsfahrt  auf  der  Themse 
mil  dieser  Musik  iiberrascht  wurde.  Der  Kdnig  erriet 
den  Verfasser  der  vielstimmigen  dvation  and  wendete 
dem  Komponisten  seine  Huld  von  neuem  zu.  Noch  weniger 
als  die  Feuermnsik  darf  man  die  Wassermusik  so  ohne 
weiteres  ia  nnsem  heutigen,  an  philosophische  Offen- 
barungen  gew5bnten  Konzertsaal  verpflanzen.  Das  sind 
dnrchweg  leichtere  UnterhaltangsstQckchen  heiterer  oder 
anmntiger  Natar,  aber  dnrchaus  fQr  den  Zweck  entworfen, 
einer  frOhlichen  Gesellschaft,  die  abends  auf  der  breiten 
Themse  fuhr,  in  geh5rigen  Zwischenpansen  zam  besten 
gegeben  zn  werden;  bei  geh5riger  RQrzang  und  Einrich- 
tnng  wird  jedoch  die  Suite  mit  dem  Reize  ihrer  Horn- 
und  Trompetenklftnge  ein  einsicbtiges  Publikum  aucb 
heute  noch  staunen  machen  und  erfreuen. 

Lange  Zeit  waren  Feuer-  und  Wassermusik  nur  aus 
alten,  unglaublich  verstQmmelten,  englischen  Ausgaben 
bekannt.  Der  47.  Band  der  Hfindelausgabe  Chrysanders 
bringt  die  Werke  zum  ersten  Male  in  reiner  Form. 

Wenn  einer  von  den  vielen  Kunstmusikern,  die  sich 
von  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  ab  der  Saite  zuwen- 
deten,  berufen  war,  in  dieser  von  Hanse  aus  so  volks- 
m&Bigen  Gattung  etwas  Ausgezeichnetes  zu  leisten,  so  war 
es  sicherlich  Seb.  Bach,  dessen  Familie,  durch  die  vielen 
tilchtigen  Rats-  und  Stadtmusikanten,  die  sie  den  thflrin- 
gischen  Lftndem  Generationen  hindurch  stellte,  mit  dem 
alten  anheimelnden  Pfeifertum  verwachsen  erscheint  — 
Bach,  der  selbst  in  seinen  verschlungensten  Kunstwerken 
die  Neigung  zum  Volkst&mlichen  bald  mit  grandiosem 
Humor,  bald  in  kindlicher  Naivitftt  durchblicken  IftOt 
Bach  hat  bekanntlich  sehr  viele  Klaviersuiten  geschrieben, 
Orchesterpartien  haben  sich  bis  jetzt  leider  nur  vier*) 
gefunden,  was  wir  um  so  mehr  bedauern  milssen,  als  in 

*)  Sie  sind  Im  31.  Jahrgang  der  OesamUosgabe  von  Bachs 
Werken  (darch  die  Bachgesellschaft)  nnter  dem  ^blichen  Titel 
> Onyertfiren  <  veroffentlicht 


— ^    62     «^ 

der  Mehrzahl  derselben  der  alte  einfache  Suitengeist  in 
einer  Reinheit  und  Starke  znm  Ausdnick  koromt,  die 
andern  Tonsetzern  nicht  erreichbar  war. 

Entschieden  lehnt  slch  Bach  in  seinen  Orchestersuiten 

an  die  Tanzformen:  Nur  der  erste  Satz  —  eine  regel- 

rechte  franz5sische  Oavert0re  von  drei  S&tzen  mit  der 

Fuge  in  der  Mitte  —  gehdrt,  nach  Muffatschem  System, 

J.  B.  Baeky  der  Kunstmusik  an.    Dann  kommen  Gavotten,  Menuetten, 

Suiten.     Bourses,  Gigaen,  Tanzweisen  aus  aller  Herren  Landern 

in  voller  Naturtreue,  kaum  ein  wenig  idealisiert:  Qppige 

Melodien  und  gebieterische,  markante  Rhythmen. 

J.  B.  Back,  Die  erste  dieser  Suiten  in  C  dur  hat  auOer  der  Ouver- 

^rS'^?***  tiire  eine  Courante,  Gavotte  I  und  II,  Forlane,  MenuettI 

^'-  ^'       und  II,  Bourse  I  und  II  und  2  Passepieds. 

Die  Forlane  ist  ein  venetianischer  Tanz  in  gleich- 
maOig  ruhiger,  breiter  Bewegung.  Hier  wird  die  fckhrende 
Melodiestimme: 


von  einem  Perpetuum  mobile  der  zweiten  Violinen  und 
Bratschen  begleitet;  die  B&sse  stehen  wie  Zuschauer 
daneben  und  tun  nur  das  Notigste  um  Harmonie  und 
Rhythmus  zu  skizzieren.  Die  Besetzung  der  Suite  geht 
iiber  MufTat  hinaus,  sie  besteht  aus  Streichquartett  und 
dem  bekannten  B]d.sertrio:  2  Oboen  und  Fagott.  Letzteres 
ist  in  alter  Weise  h&ufig  solistisch  und  konzertierend  ver- 
wendet.  In  bezug  auf  die  Erfindung  gehdrt  diese  Cdur- 
Suite  nicht  zu  den  hervorragenden  Werken  Bachs.  Sie 
charakterisiert  mehr  die  Zeit  als  den  spezie]len  Meister. 
Die  Biographen  setzen  sie  in  Bachs  Kothener  Periode. 
J.  8.  Baeii,  Dieser  geh5rt  auch  die  H moll-Suite  an,  deren  eigentfim- 
Hmoll-Suite  Hcher  Zug  in  der  Verwendung  der  F16te  besteht,  welche 
(Nr.  2).  j^ig  eii^2iger  Vertreter  der  Blaserfamilie  dem  Streichor- 
chester  gegeniibergestellt  ist.  Doch  hat  man  sich  nach 
aller  Praxis,  mit  Ausnahme  der  speziell  als  Solo  bezeich- 
neten  konzertierenden  Stellen,  eine  chorweise,  jeden falls 
mehrfache  Besetzung  dieses  Instruments  zu  denken  oder 


63 


aber,  man  fQhrt  die  Suite  als  Kammermusik  auf,  nimmt 
nar  eine  Flote  und  doppeltes  Streichquartett*].  In  der 
H  moll-Suite  lebt  sehr  viel  Grazie.  Das  Them  a  ihrer  Fuge  ist: 


Allog^ro. 


Dem  ersten  Satze  folgt  ein  Rondeau,  das  einigermafien 
kunstm&fiig  durchgefuhrt  ist  und  die  einfachen  Suiten- 
mafie  Qberschreitet.  Seine  Grundmelodie  malt  aber  das 
bestimmte  Tanzbild  handgreiflicb  genug: 


In  der  darauf  folgenden  Sarabande  fnhren  die  Ober- 
stimmen  mit  dem  Basse  einen  Kanon  in  der  Unterquinte 
durch.  Die  weitern  Slltze  sind  2  Bourses,  eine  Polonaise, 
bei  der  Bach,  da  Polonaisen  noch  ziemlich  neu  und  un- 
bekannt  waren,  ausnahmsweise  eine  Tempobezeichnung 
angibt:  »Moderato<,  ein  Menuett  und  eine  keck  dahin- 
flatternde  Badinerie.  Die  H moll-Suite  hat  als  kUnstleri- 
scher  Beilrag  zur  Kulturgeschichte  noch  ihren  Neben- 
wert.  Das  geschniegelte,  fein  abgezirkelte  Wesen  der 
eigentlichen  »Gesellschaft<  in  der  Zeit  des  Reifrocks  und 
der  Perrucke  mit  Zopfchen  ist  bier  so  fein  und  mit  einem 
80  behaglichen  Humor  gezeichnet,  als  es  nur  j  em  als  ein 
Chodowiecki  gekonnt  h&tte.  Den  Verfasser  der  MatthHus- 
passion,  den  Schopfer  der  protestantischen  Kirchenkantate 
zeigt  die  H  moll-Suite  von  einer  selteneren  Seite,  als  einen 
vollendeten  Kenner  und  Darsteller  hdfischen  Geistes  und 
hofischer  KQnste,  als  einen  Weltkundigen,  der  die  Eti- 
quette bis  auf  den  unscheinbarsten  pas  beherrschte. 

Die  beiden  andren  Suiten  Bachs  stehen  in  Ddur  und 
sind  beide  in  Leipzig  geschrieben,  moglicherweise  fiir  den 
Telemannschen   Musikverein,    einen    der  VorlHufer    des 

♦)  Es  gibt  von  diesem  Werk  eine  Ansgabe  von  H.  v.  Bulow, 
die  aber  der  Bachschen  Mnsik  darch  unnatCirUche  Phrasierang 
Oewalt  antut 


— ♦    64    ^— 

jetzigen  Gewandhauskonzerts,  den  Bach  von  1729—36 
dirigierte.  Es  sind  sogenannte  Trompetensuiten,  Suiten 
mit  dem  vollen  Orchester  der  Bachschen  Zeit.  Sie  waren 
eine  Zeitlang  das  Neueste  und  Vornehmste,  was  in  dieser 
Art  Musik  zu  haben  war.  Wie  das  groGe  Gel&ute,  moBten 
sie,  wie  schon  bemerkt,  besonders  bestellt,  bewilligt  nnd 
bezahlt  werden.  DaB  Bach  in  Leipzig  als  Suitenkompo- 
nist  volkstttmlich  geworden  war,  beweist  die  von  Spitta 
dem  >Tableaa  von  Leipzig  im  Jahre  1783«  entnommene 
Mitteilung,  in  der  es  bei  der  Schilderung  der  Kirmes  zu 
Eutritzsch  heifit:  >Das  Chor  Musikanten  streicht  wacker 
zu;  debQtiert  mit  Sonaten  von  Bach  und  schliefit 
mit  Gassenhauernc  Diese  Sonaten  kdnnen  nur  die  Or- 
chestersaiten  oder  Teile  daraus  gewesen  sein.  Bei  den 
Laien,  und  auch  bei  den  gewdhnlichen  Orchestermusikern 
war  und  blieb  »Sonate«  der  Universalname  fCkr  mehr- 
s&tzige  Kompositionen  jedweder  Art. 
J.  s.  Back,  Die  erste  dieser  beiden  Ddur-Suiten  isf  auch  heute 

Ddar  Suite  wieder  popular.    Wir  woUen  nur  die  Anfangstakte  ihrer 
(Nr.  8).      OuvertQre  hersetzen: 

Grave. 


Das  Weitere,  die  in  hei-       AUe^ro 

terster  Kraft  dahinschftu-  ^  ^  »  J? 

sch&umende    Fuge,    die  ™ 

entzQckende,  in  selige  Abendstimmung  getauchte  Air*), 

Leaig.  ff._  _^_,  d>®  energischen  Gavotten  und 

^'i^     |TLr^£^phJ    I  und  was  noch  dazn  geh6rt: 

Bourse  und  Gigue,  das  alles 
steht  jedem  Musikfreund  mit  der  losen  Skizze  vollst&ndig 
vor  der  Erinnerung.  Es  ist  fast  unvermeidlich ,  diese 
Musik,  die  aus  dem  frischsten  Quell  entsprungen  ist,  sich 
zu  merken.    Ein  &u6erst  glQcklicher  Griff  war  es,  dafi 

*)  Sie  wird  in  der  bek&nnten  Wilhelmisohen  Bearbeitung 
fiir  Solovioline  dnrch  die  TranspoFltion  tuf  die  tiefen  Saiten 
im  Ghar&kter  entstellt. 


-^    65    ^— 

Mendelssohn  (im  Jahr  1838)  gerade  mit  diesem  Werke 
den  als  Orchesterkomponisten  ganz  vergessenen  Grofi- 
meister  in  den  Gewandhaassaal  und  damit  in  das  Konzert- 
leben  der  Gegenwart  zurfickffthrte.  >£r  wiegt  nns  samt 
und  sonders  anf  dem  kleinen  Finger«  schrieb  Schumann 
unter  dem  frischen  Eindruck  der  AuffCLhrung  dieser  Suite. 

Die  andre  Suite  in  Ddur  hat  entweder  unter  der  Be-  jr.  S.BM]iy 
rfUuntheit  ihrer  Schwester  oder  aber  unter  der  Bequem-  i>d"-Smte 
lichkeit  der  Dirigenten  bisher  zu  leiden  gehabt.  Noch  ehe  ^  '  ^^* 
sie  in  der  Bachausgabe  erschien,  hat  sie  (1881)  Roitzsch 
bei  Peters  in  Partitur  herausgegeben.  Trotzdem  ist  sie 
so  gut  wie  unbekannt  geblieben.  Brenet,  der  franzosische 
Geschichtsschreiber  der  Sinfonie  nennt  sie  gar  nicht.  Und 
doch  ist  sie  in  doppelter  Beziehung  sehr  interessant: 
einmal  durch  ihren  Eigenwert,  zweitens  durch  den 
Vergleich  mit  der  andern  Ddur-Suite,  der  in  der  Ouver- 
t&re  wenigstens  sich  aufzwingt.  Hier  ist  die  Verwandt- 
schaft  der  beiden  Werke  eine  eminent  nahe;  im  lang- 
samen  Satze  sind  die  Motive  nahezu  identisch,  nur  in 
der  Behandlung  unterscheiden  sie  sich.  Wie  die  erste 
Ddur- Suite  in  ihrer  Air,  so  hat  diese  zweite  in  der 
zweiten  Bourse  einen  Treffer,  der  nie  versagen  wird. 
Das  ist  ein  ganz  eigenes  StQckchen  Bachscher  Melancho- 
lic;  in   heite-        ^^ 


ge   der  Oboe: 

nm  sie  herum  der  beunruhigte  Solofagott  und  der  lau- 

schende  und  aufmunternde  Chor! 

Die  Fuge  in  der  OuvertCire  mit  dem  Thema: 


ist  von  Bach  in  der  Weihnachts-Kantante  >Unser  Mund 
sei  Yoll  Lachenc  zum  Chore  umgebildet.  Bach  liefi  die 
Instrumente  wie  sie  waren  und  komponierte  Singstimmen 
dar&ber  hinzu.  Die  weiteren  S&tze  dieser  zweiten  Ddur- 
Suite  sind,  soweit  sie  nicht  schon  erwfthnt  wurden: 
Bourse  I,  Gavotte,  Menuette  con  Trio  und  ein  >R6jouis- 

Kretzsehmar,  Flilirer.    I,  1.  5 


-^    66    ^^ 

sance«  benannter  Finalsatz.  Die  Instramentierung  ist 
in  dem  ganzen  Werke  mit  besonderem  Bedacht  ausge- 
filhrt;  ein  Teil  der  Wirkung  der  Komposition  f&Ut  in  ihren 
Bereicb  allein.  Fflr  die  moderne  Praxis  macht  allerdings, 
abgesehen  von  der  Notwendigkeit,  die  drei  Oboen  jede 
mehrfach  zn  besetzen,  der  Trompetenchor  grofie  Scbwierig- 
keiten,  Schwierigkeiten,  die  noch  bedeutender  sind,  als 
die  (in  den  Originalstimmen  wenigstens)  gef&rchteten  der 
bekannten  Ddur-Suite  Nr.  3. 

Trotz  des  starken  Verbrauchs  an  Orchestersuiten  sind 
im  18.  Jahrhundert  keine  mehr  gedruckt  worden.  Auch 
die  Bachschen  lagen  bis  auf  nnsere  Zeit  nur  handschriftlich 
vor.  Unter  den  Zeitgenossen  Bachs,  die  sich  der  Suite 
widmeten,  ist  der  "WeiCenfelser  Philipp  Krieger  mit 
seiner  »Feldniusik«  (1704)*)  bervorzuheben.    Der  frucht- 

p.o.TelemMia.barste  ist  P.  G.  Telemann,  der  unter  dem  Pseudonym 
Melante  ganze  B&nde  gedruckter  oder  handschriftlicher 
Suiten  —  man  spricbt  von  600  —  hinterlassen  hat,  die 
sich  auf  zahlreiche  Bibliotheken  unter  der  Rubrik  >Ouver- 
tUren<  verteilen.  Viele  davon  sind  Programmusiken, 
eine  hat  den  Titel  >Musique  de  table «.  Neben  ihm  ver- 
dient  der  als  kirchlicher  Tonsetzer  wohl  heute  noch  be- 

J.  D.  Zelemka.  kannte  Job.  Dismas  Zelenka,  ein  geborener  B5bme  und 
mit  S.  Bach  zugleich  zum  Hof-  und  Kirchenkomponisten 
der  Kapelle  in  Dresden  ernannt,  Beachtung.  Die  vor- 
malige  musikalische  Privatsammlung  Sr.  MajestILt  des 
Konigs  von  Sachsen  besitzt  von  Zelenka  eine  Trompeten- 
suite  in  F,  fiber  deren  Humor  wohl  schon  das  Fugen- 
thema  der  OuvertQre: 


f~f  J  ^  Jf    unterrichtet.  Was  ist  das  fQr  ein  droUiger  Ein- 

^     ^"^    fall,  sich  auf  dem  Sechzehntel-Motiv  festzu- 

rennen,  und  was  gibt  das  ffir  einen  grotesken  Scherz,  wenn 

*)  Zwei  Partien  daraus  nengedruckt  in  Eltners  Monats- 
heften  (29.  Jahrgang). 


»_^    67     ^^ 

die  Oboen  in  Terzen  sich  um  die  Stelle  abmUhen!  In  dem 
guten  Blick  und  der  Vorliebe  fur  lustige  Nebenmotive  haben 
wir  einen  Zag,  an  dem  die  slavische  Masik  noch  beute  zu  er- 
kennen  ist.  Mil  der  Onvert&re  teilt  ihn  auch  der  SchlaBsatz 
von  Zelenkas  Suite,  eine  >Folie«,  mit  f olgendem  Hauptthema: 
,    AUegro.    ^  ^  *  •  -.        aus  dem  im  Ver- 

dritten  Taktes  bevorzugt  wird.   Diese  Folie  ist  sehr  lang 

and  eifrig  durchgearbeitet,  ein  Zeichen,  da6  die  hdbere 

Knnst  in  der  Suite  sich  nicht  mebr  mit  der  OuvertClre 

begnngen  wollte,  daB  man  das  Wesen  der  Suite  nicht 

mehr  recht  verstand.   Freilich  war  berelts  die  Ouvert^re 

ein  Fremdkorper  in  der  Gattung,  und  es  war  nur  folge- 

richtig,  dafi  man  wie  den  Kopfsatz  auch  andre  Teile  der 

Suite   auf  ein  hdheres  Niveau   zu  heben   suchte.    Das 

Journal  du  prinptemps  und  der  Zodiacus  fOhren  zu  diesem 

Zweck  in  den  Tanz-  und  Balletts&tzen  das  konzertierende 

Element,  den  Wechsel  von  Soli  und  Tutti,  von  Triobeset- 

zung  und  vollstimmigen  Orchester  ein.   Der  erste  Kompo- 

nist,  der  einen  entschiedenen  Schritt  weiter  geht,  ist  wohl 

der  berlihmte  Verfasser  des  Qradus  ad  Parnassum,  der 

Wiener  Oberkapellmeister  Josef  Fux  in  seinem  >Con-  jroief  Fax. 

centus  musico  instrumen talis*  von  1701.    Die  in  diesem 

Werk   enthaltenen   Orchestersuiten   folgen  Fischer  und 

Schmierer  im  Konzertieren  und  variieren  sogar  diese  Vor- 

bilder  u.  a.  mit  virtuosen  FagottsoliS}  aber  sie  greifen 

darfiber  bin  aus  tief  in  den  Auf  ban  und  in  die  Natur  der 

Suite  ein,  in  dem  sie  die  Einheit  der  Tonart  aufgeben, 

Bdur  z.  B.  mit  Gmoll,  DmoU  mit  Ddur  abwechseln,  vor 

allem  aber  dadurch,  da6  sie  gelegentlich,  sei  es  in  der 

Mitte  Oder  am  Ende  der  Suite,  einen  Tanzsatz  oder  ein 

Lied  darch  eine  regelrechte  muntere  Fuge  ersetzen.    Im 

iibrigen  gehdren  die  Suiten  von  Fux*)  zu  den  kdstlichsten 

und  interessantesten  Leistungen  im  Bereich  des  Muffat- 

*)  Eine  in  D  moll  und  eine  in  B  dor  in  den  Denkm&lern 
der  Tonknnst  in  Osterreich  IX,  2. 

6* 


68    ♦.- 


schen  Typus.  Fax  belebt  die  Form,  indem  er  ein  Allegro 
mit  einjgen  Takten  Adagio  unterbricht,  fttr  den  Klang 
sorgt  er  durch  eine  ausgearbeitele  Dynamik,  in  der 
reizende  Echos  eine  Hauptrolle  spielen;  was  er  aber 
nach  der  volkstQmlichen  Seite  bietet,  mag  der  Anfang 
des  Passepieds  in  der  Bdnr-Suite,  das  die  Beischrift: 
>Der  Schmied«  trftgt, 


4^^JbF-if  f  r  n^^4ft^^^if  r  ir 


•etc 


veranschanlichen. 

Die  Weiterbildnng  des  Muffatschen  Suitentypus  ist 
demnach  schon  vor  Zelenka  da,  er  erf&hrt  aber  bald 
anch  eine  Rfickbildung,  die  mit  seiner  Aafl5sung  and  mit 
dem  Yorl&ufigen  Ende  der  Saite  abschliefit.  Bedeutangs- 
YoU  f&r  diesen  Prozefi  sind  zan&chst  die  Saiten  (Oaver- 
PMtoleoM.  tttren)  Pantaleons.  Das  ist  der  Dresdner  Klavier-  and 
Violinspieler  Pantaleon  Hebenstreit,  der  darch  die  Er- 
findung  einer  neuen  Art  yon  Hackebrett,  die  er  mit  seinem 
Vomamen  belegte,  weltbekannt  warde.  Bei  ihm  verliert 
die  Oaverttire  den  franz5sischen  Charakter.er  gibt  die  Fage 


aaf  and   halt  den  ouverture 

Mittelsatz   als  ein-  ^^^^^^^ 

A  I-     "Xr         "    ■ ~^ 


facheS)  lastiges  Al 

legro.    DafQr  kehrt 

er  za  der  Methode      ^ 

Pearls  and  Scheins  2.^^^^ 


^r^^ 


zarQck    and    ver- 
kn&pf t  dieOavertdre 


Air  de  Chiconne. 

F'" 


^-^:^ 


f 


motivisch  mit  den     JkJU^-^  -^/3-^pJ_i^  -j_-| 

beiden      folgenden  ^-y^T^f    ^"^^^  f 
Saitensatzen,zB.*):  '      ^       r    f  r 

Den  Schlafi  bildet  eine  Boar^e  mit  Menuett  als  Mittel- 
satz, die  ihr  eigenes  thematisches  Material  hat.  Ver- 
knfipfangen  aber  zwischen  den  drei  ersten  S&tzen  dor 
Saite  finden  sich  anch  bei  Zeitgenossen  Hebenstreits. 


*)  Darmstadter  Hofbibliothek  in  Mms.  38<J5.  Nr.  I. 


--^    69    ^^ 

Auch  Johann  Friedrich  Fasch,  der  Zerbster  Hof-  f.  FMeh. 
kapellmeister,  einer  der  bedeutendsten  Saitenmeister, 
schreibt  nebea  voUstftndig  franzdsisch  gehaltenen  Ouver- 
iQren  andre,  die  wie  die  Hebenstreitschen  die  Fuge  fallen 
lassen,  and  drittens  solche,  die  aus  einem  einzigen  Satze, 
einem  freien  Allegro  bestehen.  In  diesem  letzten  Falleliegt 
eine  Abwendung  von  franz5sischer  nnd  Hinwendung  za  ita- 
lienischer  Kunst,  insbesondere  zu  dem  Konzert  der  Italiener 
vor.  Eine  Bdar- Suite*)  Faschs  best&tigt  das  gewisser- 
maOen  thematisch,  denn  das  Hanptthema  ihrer  Ouvertdre: 
Allegro  ist    im    italieni- 


r'/rr"'  ■" 


schen     Konzert 
eine    Art  Aller- 


weltsthema  und  als  solches  unter  andren  auch  von 
Seb.  Bach  f&r  das  dritte  Brandenburgische  Konzert  auf- 
gegriffen  worden.  Es  verdankt  die  noch  bis  Mendels- 
sohn nachweisbare  Beliebtheit  augenscheinlich  seiner 
Wandlangsffthigkeit.  Die  folgenden  S&tze  haben  bei 
Fasch  teils  BallettQberschrifteD,  wie  »JardiDier8«,  teils  ver- 
zichten  sie  aaf  jede  Bezeichnnng  ihres  Gharakters.  In 
ihrer  Inslrumentierung  machen  sich,  wie  bei  Fux  die 
begleiteten  Fagottsoli,  romantische  Stellen  fQr  das  Horn 
bemerkbar;  auch  das  ist  eine  Annftherung  an  die  alte 
HauBmannsche  Suite,  der  Serenade ncharakter  macht  sich 
wieder  geltend.  Die  Satzzahl  schwankt  bei  Fasch,  er 
bevorzugt  einen  Aufbau  von  sechs  and  acht  S&tzen,  hat 
aber  auch  k&rzere,  and  bei  seinen  Mitarbeitern  taucht 
wieder  die  alte  viersfttzige  Suite  auf.  Von  dem  NQrn- 
berger  Johann  Pfeiffer  haben  wir  eine  solche  vier-  joh.Pfelirer. 
s&tzige  Hornsuite,  die  folgendermafien  anordnet:  a)  Ouver- 
tfire,  b)  Andante,  c)  AUegrezza,  d)  Allegro  e  Vivace.  Setzt 
man  da  statt  der  Allegrezza  einen  Menuett  ein,  so  ist  die 
Haydnsche  Sinfonie  fertig.  Als  interessanterVertreterdieser 
Suite  am EndederGattungistnochChristophForster**) 

*)  Ebenda:  Mm;.  3S7],  Nr.  1. 
**)  S.  Hugo  Riemann:  Die   franz5sische  Oavertiire  (Or- 
chesterfiaite)  in  d\fiT  ersten  Hilfte  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
(Musikalisches  Wochenblatt  1899). 


zu  nennen.  In  Norddeutschland  nnd  Mitteldeatschland 
wird  in  der  zweiten  H&lfte  des  18.  Jahrhunderts  die 
Orchestersuite  auch  in  den  Handschriften  immer  sel- 
tener.  In  Siiddeutschland  and  Osterreich  lebt  sie  weiter, 
aber  auch  hier  wird  der  Muffatsche  Typus  nar  von 
einer  Minderheit,  in  der  sich  in  freierer  Weise  der  Bohme 
Franc  Tama.  Franz  Tuma*)  hervortat,  vertreten.  Die  Mehrzahl 
der  Komponisten  pflegen  die  Gattung  in  einer  neuen' 
Mischung  von  Volks-  und  Knnstmusik,  bei  der  franzdsi- 
sche  Ouvert&re,  Cembalo  nnd  grofies  Streichorchester 
gefallen  sind.  Satzarten  und  Instrumente  deuten  noch 
entschiedener  als  in  der  HauOmannschen  Zeit  auf  den 
Gebrauch  im  Freien  und  bei  Aufwartungen  and  SUnd- 
chen  bin.  Den  Aufmarsch  der  Musikanten  markiert  eine 
eins&tzige  Introduzione,  die  zuweilen  gleich  als  Marcia 
bezeichnet  ist,  das  Ende  der  Huldigung  und  den  Abzug 
der  Spieler  meldet  ein  Finale,  das  immer  aus  einem 
besonders  flotten  Allegro  besteht.  Die  Zahl  der  Sfttze 
schwankt  zwischen  vier  und  acht,  fast  nie  fehlt  unter 
ihnen  ein  Menuett,  zuweilen  findet  sich  dieser  Lieblings- 
tanz  der  Werther-  und  Luisenzeit  auch  zweimal,  an  seiner 
Seite  die  Polonaise.  Einen  weiteren  Unterschied  gegen 
die  Haufimannsche  Periode  bildet  die  Verwendung  obli- 
gater  Soloinstrumente  und  die  Einlage  virtuos  konzer- 
tierender  Episoden,  zu  denen  gelegentlich  auch  der  Kontra- 
bafi  herangezogen  wird.  Ferner  ist  die  Einheit  der 
Tonart  gefallen /^  mindestens  in  einem  Satz  kommt  die 
Unterdominante  zu  Ehren.  In  der  FClhrung  der  Instru- 
mente zeigt  sich  der  EinfluB  des  Quartetts  and  der  neuen 
Kammermusik,  Nachahmungen  sind  sehr  beliebt,  und  zu- 
weilen wird  ein  hfibsches  Allegretto  in  einem  ganzen 
Zyklus  von  Variationen  ausgekostet.  Diese  neuen  Suiten 
haben  verschiedene  Gattungsbezeichnungen:  Kassation, 
Serenata,  Divertimento.  Mit  dieser  letzten  ist  ihr 
Wesen  am  besten  bezeichnet,  denn  immer  sind  sie  eine 


*)  Proben   aus  Tamaschen  Suiten  hat  in  Klavierausziigen 
0.  Schmidt  yerofTentlicht. 


Quelle  feinsten  Vergnflgens  und  Behagens  fiir  Gemut  und 
Phantasie,  kleine  Feste  der  Anmut,  der  Liebenswfirdigkeit, 
des  Scherzes  und  der  Sch&kerei.  T&umerei,  Pathos  und 
Innigkeit  liegen  ihnen  ferner,  aber  als  Bilder  artigen  Froh- 
sinns  gehdren  sie  zu  den  Dokumenten  der  Zeit  und  bilden 
eine  Ergftnzung  der  Haydnschen  Sinfonie  nach  der  Seite 
schlichten  Biirgertums.  Waren  sie  bis  jetzt  in  unseren 
Notenschrftnken  nur  durch  die  ziemlich  unbeachteten 
Beitrftge  Wolfgang  Mozarts  vertreten,  so  steht  mit 
der  eben  beginnenden  Gesamtausgabe  der  Werke  Jos. 
Haydns  Qine  sehr  betrftchtliche  Vermehrung  zu  erwarten. 
Aus  einem  solchen  Haydnschen  Divertimento  fUr  Blfiser 
ist  der  originelle  Chorale  St.  Antoni  entnommen,  Uber 
den  Brahms  seine  bekannten  Orchestervariationen  ge- 
schrieben  hat.  Auch  der  Salzburger  Michael  Haydn 
ist  ein  meisterlicher  Yertreter  dieser  neuen  Suite,  sein 
Divertimento  in  G  aus  dem  Jahre  1786*)  kann,  wenn  man 
seinen  beschaulich  biederen  Humor  mit  den  gleichzeitigen 
Scherzgedichten  vergleicht,  wieder  einmal  als  Beleg  da- 
ffir  dienen,  dafi  man  das  echte  Deutschland  des  18.  Jahr- 
hnnderts  nicht  bei  seinen  Vor-Goetheschen  Poeten,  sondem 
bei  seinen  Musikern  suchen  mu6.  Auch  Leopold  Mozart 
hat  Qber  dreiBig  solche  >grofie  Serenaten  darinnen  fur 
verschiedne  Instrumente  Solos  angebracht  sind«  geschrie- 
ben,  doch  sind  sie  verschollen. 

Bine  besonders  reich  angebaute  Klasse  bilden  unter 
den  Divertimentis  des  ausgehenden  18.  Jahrhunderts  die 
>Divertimenti  a  tre«.  Mit  ihrer  kleinen  Besetzung 
kamen  sie  auf  der  einen  Seite  den  Verh&ltnissen  der 
nntersten  Gassen-  und  Schenkenmusik  entgegen,  auf  der 
andren  reizten  sie  die  hOhere  Komposition,  sich  an  be- 
scheidenen  Mittein  zu  erproben,  und  fanden  so  den  Weg 
in  die  Kammermusik.  Hier  vertritt  sie  heute  noch  Beet- 
hovens  Streicherserenade. 

Neben  die  Gabrielische  Orchestersonate  und  neben 
die  Suite  tritt  schon  bald  im  17.  Jahrhundert  als  eine 


*)  DenkmUer  der  Tonkunst  In  Osterreich  XIV,  2. 


dritte   Galtang   selbstftndiger  Orchestermusik    die   SId- 
fonie. 

Das  Wort  Sinfonie  fdhrt  una  einige  Jahrtausende  za- 
ruck:  Die  griechischen  Theoretiker  gebrauchen  es  zuerst 
in  dem  Sinne  eines  melodischen  Intervalls;  bei  den  miltel- 
alterlichen  Mnsikschriftstellern  erh&lt  es,  von  Hucbald, 
von  Guido  von  Arezzo  ab,  die  Bedeutung  des  Zusammen- 
klangs,  des  Akkords.  Zur  Bezeichnung  eines  wirklicben 
MusikstUcks  kommt  es  wohl  zum  ersten  Male  im  15.  Jabr- 
bnndert  auf  der  von  Riemann*)  mitgeteilten  >Leipziger 
Symphoniac,  einer  auf  den  Gegensatz  von  Andante  und 
Allegro  gebauten,  f&r  Instrumente  und  Singstimme  be- 
stimmten  Komposition  vor.  Im  16.  Jahrhundert  endlich 
erscheint  das  Wort  auf  den  Titeln  von  Kompositionen 
allgemein  poetisierend:  Waelraut  1594:  Symphonia  an- 
gelica, Engelskl&nge,  G.  Gabrieli  1597:  Sacrae  symphoniae, 
fromme  Kl&nge,  Adr.  Banchieri  1607 :  Ecclesiastische  Sin- 
fonie, geistliche  Klange.  Es  bergen  sich  zun&chst  unter 
diesen  Sinfonien  Sfitze  von  ganz  verschiedener  Form, 
vokale  und  instrnmentale.  Erst  in  der  Oper  wird  die 
MoBteyerdU  Sinfonie  ausschlieOlich  Orchestermusik.  In  Monteverdis 
Sinfonie.  Qrfeo  werden  Szenen  und  Akte  durch  Orchestersfttze  von 
m&6iger  L&nge  (6,  10,  12  Doppelakte)  eingeleitet  und  ab- 
geschlossen,  die  als  Sinfonien  bezeichnet  sind  im  Gegen- 
satz von  andern,  die  Strophen  eincs  Gesangs  vorbereiten- 
den  InstrumentalsHtzchen,  die  Ritornello  heifien**). 
Wir  haben  also  hier  Sinfonien  zum  ersten  Male  im  Sinne 
kurze^  instrumentaler  Einleitungen.  So  wird  das  Wort 
bekanntlich  noch  lange,  bis  in  die  Zeiten  der  Bachschen 
Kantaten  gebraucht.  Mattheson  kennt  es  fast  nur  von 
dieser  Seite.  Diese  Monteverdischen  Sinfonien,  die  zum 
Tell  in  ihrem  feierlichen  und  erhabenen  Charakter  noch 
einen  deutlichen  Zusammenhang  mit  der  Kirche  und  mit 


*]  Hugo  Riemann:  Handbncb  der  Mnsikgescbichte  II,  1, 
S.  207  u.  ff. 

**)  Alfred  Heufi:  Die  Instrumental stucke  des  Orfeo  (Sam- 
melbande  1,  I.  M.  G.  IV,  3). 


73 


Gabrieli  haben,  geh5ren  mit  zu  den  bedeutendsten  H5he- 
punkten  in  der  Kunst  des  gro0en  italienischen  Meisters. 
Ein  solches  Mittel  zur  Beseelong  der  Handlung  hatte  bis 
dahin  keine  Art  von  Drama  besessen.  Auch  der  Chor 
der  griechischen  TragOdie  bleibt  dahinter  zurCkck.  Denn 
diese  Monteverdischen  Sinfonien  gaben  nicht  bloO  der 
Stimmung  an  wichtigen  Stellen  m&chtigen  Ausdnick, 
sondem  sie  verknQpften  auch  entfernte  Szenen  in  einer 
innigen  poetischen  Weise,  die  nen  war,  die  sp&ter  ver- 
gessen  und  erst  dnrch  Komponisten  unsrer  Zeit,  ins- 
besondere  dorch  R.  Wagner  wieder  entdeckt  worde.  Bins 
der  schdnsten  Beispiele  f&r  diese  Verwertung  der  Instra- 
mentalmnsik  bietet  Monteverdis  Orfeo*)  im  dritten  Akt: 
Die  Sinfonie,  unter  deren  schanerlichen  Posannenkl&ngen 
hier  Orfeo  zum  Hades  hinabsteigt,  hdren  wir  in  dem 
Angenblick,  wo  Charon  den  Bitten  des  SUngers  weicht 
zum  zweitenmal:  jetzt  aber  gedftmpften  Tons  im  Brat- 
schenkolorit  Unter  den  n&chsten  Nachfolgern  Monte- 
verdis ist  Ginlia  Caccini  als  Vertreterin  dieser  kleinen 
szenischen  Sinfonien  zu  bemerken;  in  der  Venetianischen 
Schule  zeichnet  sich  Cavalli  darin  besonders  aus.  Ihm  CaTaiiu 
gelingen  namentlich  malerische  Anfgaben,  die  Schiide-  Sinfonien. 
rung  eines  Sonnenanfgangs,  einer  Fahrt  auf  ruhigem 
Meer  (Sinfonia  navale  in  >Didone«)  ganz  herrlich. 

Eine  Hauptbedentung  gewann  die  Oper  fiir  die  Sin- 
fonie von  dem  Augenblick  ab,  wo  die  Sinfonie  zur  £r- 
dffnung  der  Mnsikdramen  verwendet  wurde.  Schon  Monte- 
verdi hat  diesen  Versuch  gemacht  Doch  blieb  man  noch 
]ange  dabei,  die  Handlungen  mit  einem  gesungenen  Pro- 
log einzuleiten.  Erst  in  der  Venetianischen  Schule,  etwa 
von  1660  ab,  haben  alle  Opern  Instrumentalprologe  und 
zwar  mit  dem  Titel  Sinfonie.  Mit  diesen  Venetianischen 
Opemsinfonien  —  auf  sie  wird  in  dem  Bande  0ber  die 
Onvert&re  nfther  einzugehen  sein  —  beginnnt  dieGe- 


Veneti&nischo 
Sinfonie. 


*)  Der  Orfeo  Montererdis  i^t  teilweise  im  10.  Bande  der 
>PobUkationen  der  Gesellschaft  fur  Musikforschung«  veroffent- 
licht  woiden. 


schichte  der  modernen  Sinfonie  und  zwar  ist  diese 
Jugendzeit  einer  ihrer  rQhmlichsten  und  gehaltvollsten 
Abschnitte.  Es  sind  Kompositionen  von  m&Bigem  Um- 
fang  —  von  35  bis  zu  70  Takten  —  und  nur  eins&tzig; 
aber,  durch  Wechsel  von  Takt  und  Tonart  scharf  und 
reichgegliedert,  bergen  sie  innerbalb  dieses  einen  Satzes 
einen  mannigfaltigen  Inhalt,  eine  verhaltnismftBig  grofie 
Reihe  von  Bildern,  die  in  der  Kegel  ebenso  wirkungsvoll 
wie  naturlicb  aneinanderschlieCen.  Im  Vergleich  zur 
Gabrielischen  Sonate  fiihren  sie  in  eine  viel  buntere  und 
gestaltenreichere  Welt  und  schildern  neue  Aufgaben  mit 
neuen  Mitteln.  Die  ge-  ffff  ^^^  denen  nocb  H&ndel 
brocbenen  Rhythmen:  t  I  fc  I  und  das  18.  Jahrhundert 
Erregung  und  Unruhe  wirkungsvoll  zeichnen,  die  General- 
pausen  und  Fermaten  sind  hier  beimiscb.  Denn  wie  sie 
anekdotenbaft  und  unruhig  waren,  so  waren  diese  Vene- 
tianiscben  Opern  aucb  an  Wundern  und  Schrecken,  an 
Spannung,  Entselzen  und  tberrascbungen  aller  Art  mebr 
als  reicb.  Allen  diesen  ErdfTnungssinfonien  war  aucb 
ein  feierlicber,  langsamer,  breiter  An  fang  gemeinsam,  der 
zuweilen  in  der  Mitte  und  sebr  b&ufig  am  Ende  wieder- 
kebrt,  ein  Tribut  von  dem  Komponisten  der  Verwandt- 
schaft  zwiscben  Musikdrama  und  griechiscber  Trag5die 
gezollt! 

Aber  viel  stftrker  als  die  typiscben  treten  an  diesen 
Venetianiscben  Sinfonien  die  individuellen  Ziige  bervor. 
Gerade  darin  liegt  ibr  Hauptwert,  dafi  sie  immer  ein  Bild 
von  dem  Drama  geben,  dem  sie  vorangestellt  sind;  das 
macbt  sie  unter  einander  so  verscbieden,  gibt  den  ein- 
zelnen  ibr  scharfes,  cbaraktervolles  Gesicbt.  Man  weiG 
aus  diesen  Sinfonien  obne  weiteres,  was  im  Drama  zu 
erwarten  ist:  ob  Krieg  und  Kampf,  Scbauer  und  Ungliick, 
Oder  ob  heitre  und  elegiscbe  Elemente  die  Oberband 
baben.  In  knapper  Form  entwickeln  sie  einen  reichen 
Inbalt,  aus  dem  deutlicb  und  beberrscbend,  wie  der  Berg 
aus  der  Ebene,  ein  HauptstQck  hervortritt.  Diesen  Mittel- 
punkt  bildet  in  der  Sinfonie  von  Luzzos  >Medoro«  z.  B. 
die  wilde  und  allarmierende  Episode,  die  gleicb  nacb  den 


BinleituDgstakten  einsetzt,  in  der  von  Cavallis  >Ercole« 
der  Abschnitt,  wo  die  Sextakkorde  in  ungestiimer  Hast 
und  Kraft  dahinjagen,  eine  kdhne  Anwendung  der  alten 
Fauxbourdon-Harmonie;  in  der  Sinfonie  von  Sartorios 
>Se]eaco€  prftgt  sich  die  heimliche,  zarte  Melodie  ein, 
die  auf  das  Traumbild  in  der  Oper  deutet;  aus  der  von 
Cestis  >Poino  d'oroc  begleiten  uns  lange  die  freudigen 
Lieder,  die  das  Orchester  dem  Eingangschor  >di  feste  di 
giabili«  entnimmt*).  In  der  Kegel  sind  die  wichtigsten 
Themen  in  den  Venetianischen  Sinfonien  ganz  so  wie 
heute  in  der  FreischQtz-,  in  der  Oberon-,  in  der  Tann- 
h&userouvertiire  den  Hauptszenen  der  Oper  entnommen. 
Die  wahre  Heimat  der  modernen  Programm- 
onvertfire,  die  einzelne  Schriftsteller  mit  Glack,  andre 
mit  Hftndel  nnd  Rameau  einsetzen  lassen,  ]iegt  also  in 
der  Venetianischen  Oper.  Sie  ist  bis  heute  spurlos 
vergessen  gewesen,  nur  ihre  Orchesterbesetzung  lebte  in 
der  Sinfonie  der  folgenden  Zeit  weiter.  Diese  Besetzang 
besteht  aus  Streichinstrumenten  und  Akkordinstrumenten, 
Cembalis,  Regalen  etc. ;  von  Blasinstrumenten  kommt  fast 
nur  die  kriegerische  Trompete  vor. 

Die  Neapolitanische  Schule,  die  am  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts  die  Ftkhrung  in  der  Oper  iibemimmt,  stellt  eine 
neue  Sinfonie  art  auf.  Die  Sinfonie  erscheint  bei  ihr  zum 
ersten  Male  in  der  modernen  Form  und  Bedeutung  einer 
mehrs&tzigen  Komposition,  eines  hSheren  Gegenstficks 
zur  Suite.  Diese  Neapolitanische  oder  italienische  italienische 
Sinfonie  besteht  aus  drei  kurzen  Satzen  in  der  Folge:  Sinfonie. 
Allegro,  Largo,  Presto  oder  einer  Hhnlichen.  Immer  bildet 
ein  langsamer  Satz  die  Mitte  zwischen  zwei  bewegten. 
Kurze,  hHufig  taktmftfiig  ausgezfthlte  Pausen  trennen  ihn 
in  der  Kegel  vom  vorhergehenden  und  dem  folgenden 
Allegro ;  zuweilen  wird  er  an  den  ersten  Satz  durch  einen 
Trugschlufi  n&her  herangezogen.  Das  erste  Allegro  steht 
im  geraden,  das  zweite  im  ungeraden  oder  im  ^/g  und 

*)  Diese  Oper  ist  in   den  >Denkm&leTn  der  Tonkunst  in 
Osteneichc  Teioifentlicht. 


is/g  Takt.  Beide  siad  in  der  ersten  Zeit  verh&Itnism&fiig 
knapp  gehalten,  zwischen  16  and  30  Takten  schwankt 
ihr  Umfang.  Der  langsame  ist  meislens  der  ktirzeste 
von  den  drei  S&tzen,  zugleich  aber  der  stattlichste  im 
Klang:  in  der  Regel  zeichnet  ihn  ein  schones  Solo  der 
Oboe  Oder  der  Fldte  aus. 

Die  Gesamtform  dieser  italienischen  Sinfonie  ist  ein 
sehr  gliickliches  St&ck  bester  Renaissanceknnst.  Die  drei 
Sfttze  bilden  ein  leicht  iibersichtliches,  scharf  gegliedertes 
und  duroh  den  einfachen,  klaren  Gegensatz  zwischen  Be- 
wegang  nnd  Rnhe  S^thetisch  vol!  befriedigendes  and  wirk- 
sames  Ganze,  eine  im  Grande  einheiUich  oder  einsfitzig 
gedachte  fr5hliche,  glftnzende  Festmasik,  die  nar  in  der 
Mitte  elegisch  anterbrochen  wird,  am  ein  ranschenderes, 
im  Ton  der  Freade  gesteigertes  Ende  za  finden.  Master 
ftir  diesen  Typas  bot  bereits  die  Vokalkomposition  z.  B. 
im  Kyrie  der  Messe;  aach  in  dem  grofien  Wirrwarr  ver- 
schiedenster  Sonaten-  and  Canzonenformen,  den  die  Ent- 
wicklang  der  jungen  Instramentalmasik  im  17.  Jahrhandert 
bildet,  taacht  er  mit  aaf.  Es  ist  das  Verdienst  des  grofien 
1.  Bc»rlfttti.  Alessandro  Scarlatti,  ihn  gewissermafien  zam  zweiten 
Male  erfanden  za  haben.  Soweit  es  sich  Qbersehen  Iftfit, 
hat  dieser  Meister  in  seinen  Opern  die  italienische  Sin- 
fonie aasschliefilich  verwendet  and  sie  damit  and  mit 
der  Wacht  seines  Namens  f&r  den  ganzen  Bereich  der 
italienischen  Schale  darchgesetzt  Sie  hat  sich  bis  heale 
behaaptet  —  denn  streichen  wir  aos  anserer  modemen 
Sinfonie  das  Scherzo,  so  steht  der  Grandrifi  der  alten 
italienischen  Sinfonie  vor  ans;  ausnahmsweise  haben  ein- 
zelne  neae  Sinfoniker,  Liszt,  Raff,  Tschaikowsky  fiir  be- 
stimmte  Werke  aaf  die  anverf&lschte  Dreis&tzigkeit  za- 
rdckgegriffen.  Sie  ist  aas  der  italienischen  Sinfonie  in 
das  virtaose  Konzert  hinilbergegangen  and  hat  sich  da 
bekannthch  bis  aaf  die  Gegenwart  rein  erhalten. 

Durch  die  innere  Einrichtang  steht  ans  anter  den 
drei  Satzen  der  italienischen  Sinfonie  der  erste  am 
nachsten,  weil  er  sich  zwar  nicht  immer,  aber  doch 
meistens  in  drei  Teilen  aasspricht.   Nehmen  wir  z.  B.  das 


77     «-- 


erste  Allegro  von  Scarlattis  Sinfonie  zu  >Ii  trioafo  deF 
OQore«*).  £s  ist  ein  Satz  von  17  Takten.  Die  ersten 
Violinen  leiten  ihn  mil  folgendem  Thema  ein: 


fiPiCJLr^t''^f-r-rtgifM 


*f  F  U  rj^-p^^P-f^    Darau  schlieBt  sich  ein  zweiter 

Abschnitt,  in  dem  die  B&sse  und 
nach       ihnen  ^        durch  die  Tonarten  tragen. 

die  Violinen  ^jj  |  f  j  =  Er  geht  von  Cdur  ttber  Ddur, 
nnr  dasMotiv:  ^     Emoll,  Gdur  nach  C  zuruck 

und  schlieBt  mil  dem  zwGlften  Takte,  der  uns  wieder  vor 
den  Anfang  des  Satzes  fQhrt.  Wir  haben  also  in  diesem 
Miniatnrsatz  doch  schon  ganz  deutlich  das  Gerippe  des 
ersten  Satzes  der  Haydn-Beethovenschen  Sinfonie,  oder 
wie  man  gewdbniich  sagt,  das  Sonatenschema  vor  uns: 
a}  Themengruppe,  b)  Durchffihrung,  c)  Wieder- 
holang,  und  was  das  wichtigste  ist,  den  Durchftihrungs- 
teil  nach  den  Prinzipien  gestaltet,  die  noch  heute  gelten. 

Der  langsame  Satz  hat  h&ufig  die  einfache  zweiteilige 
Liedform;  zuweilen  bringt  er  gar  kein  Thema,  sondern 
markiert  nur,  priiludienartig  modulierend,  die  Stelle,  wo 
das  GemUt  ruhen  und  trSlumen  will  und  darf.  Der 
schlieBende  schnelle  Satz  zerf&llt  in  der  Kegel  in  zwei 
Teile,  die  thematisch  verwandt  sind  und  beide  wiederholt 
werden.  Obwohl  die  angefUhrte  Sinfonie  (und  die  zu 
•Amor  volubilec)  Hauptbeispiele  von  Scarlattis  klanglicher 
Bescheidenheit  sind,  indem  sie  von  Blasinstrumenten  nur 
die  F15te  (im  langsamen  Satz)  verwenden,  lassen  sie  doch 
erkennen,  was  er  fur  die  Technik  und  den  Glanz  der 
Violinen  im  Orchester  bedeutet. 

Im  letzten  Drittel  des  17.  Jahrhunderts  war  zu  der 
italienischen  eine  franz5sische  Oper  gekommen  und  auch 

*)  Es  ist  die  114.  Oper  des  Komponisten,  ihr  Entstehungi- 
jahr  1718. 


— ^    78    «— 

die  Franzosen  entschieden  sich  ftir  eine  Instrumental- 
Fi-anz&sische  sinfonie  als  Einleitangsstiick  der  Oper.  Diese  franzSsi- 
Sinfonie.  sche  Sinfonie  oder  Ouverture,  die  sehr  h&nfig  die 
jr.  B.  Lvlif.  Lullysche  genannt  wird,  obschon  sie  bereits  bei  Cambert 
vorkommt,  besteht  eben falls  aus  drei  S&tzen,  aber  in  der 
Anordnung  Grave,  Allegro,  Grave.  Auch  darin  unter- 
scheidet  sich  die  Form  dieser  franz5sischen  Sinfonie,  der 
wir  in  der  Suite  der  MufTat,  H&ndel,  Bach,  Zelenka  be- 
reits begegnet  sind,  von  der  der  italienischen,  daC  der 
erste  Satz  in  der  Kegel  ohne  Pause  in  den  zweiten  und 
ebenso  dieser  in  den  dritten  ubergeht.  Nimmt  man  noch 
hinzu,  da(3  der  dritte  Satz  (das  zweite  Grave)  zuweilen 
eine  w5rtliche  und  vollstftndige ,  oder  aber  abgekUrzte 
Wiederholung  des  ersten  langsamen  Satzes  ist,  so  ergibt 
sich  fur  die  franzdsische  Sinfonie  eine  grdfiere  Abrundung 
und  Geschlossenheit.  Sie  neigt  noch  mehr  als  die  itali- 
enische  zur  EinsHtzigkeit ;  das  in  der  Mitte  stehende,  in 
der  Kegel  fugierte  Allegro  ist  nicht  bios  drtlich  der  Mittel- 
punkt  des  Ganzen,  sondem  auch  dem  Umfang  und  dem 
Geist  nach,  und  das  zweite  Grave  bleibt  so  oft  weg,  daC 
es  neuere  Historiker  Uberhaupt  nicht  zum  Schema  rechnen. 
In  der  Tat  ist  auch  aus  jener  franz5sischen  Sinfonie  des 
17.  und  18.  Jahrhunderts  die  einsMzige,  langsam  ein- 
geleitete  Ouvertiire  der  Cherubini  und  Beethoven  hervor- 
gegangen;  ja  selbst  die  langsamen,  so  beliebten  und  so 
dummen  jEinleitungen  des  modernen  Walzers  stammen 
aus  dieser  Quelle. 

Sowohl  die  italienische,  wie  die  franzosische  Sinfonie 
stellen  sich  eine  ganz  andre  Aufgabe,  als  die  Venetian i- 
anische.  Diese  sucht  m5glichst  viele  und  m5glichst  ge- 
treue  Miniaturbildchen  aus  dem  folgenden  Musikdrama 
vorauszuwerfen.  Jene  beiden  wollen  weniger  ein  bestimm- 
tes  Theaterstiick ,  als  vielmehr  ein  Fest  einleiten.  In 
Venedig  waren  die  Opernbuhnen  Volkstheater,  in  Neapel 
und  Paris  Hofinstitute.  Diesem  Gharakter  der  Opernauf- 
fiihrung  tragen  die  neuen  Sinfonietypen  Kechnung;  die 
italienische  betont  dabei  die  heiteren  and  gl&nzenden 
Seiten  des  Festes,  die  franzdsische  die  feierlichen  und 


— ^     79    «^ 

majest&tischen.  Fehlte  doch  der  Roi  Soleil  bei  keinerwich- 
iigen  Vorstellung  seiner  Academie  Roy  ale  de  musique! 

Mosikalisch  haben  die  italienische  und  die  franzosi- 
sche  Sinfonie  vor  der  Venetianischen  die  stattlichere  Form 
und  die  M5glichkeit  voraus,  eine  gew&hlte  Idee  eingehen- 
der  zu  verfolgen.  Aber  der  Verzicht  auf  die  Anregnngen, 
die  der  Phantasie  des  Komponisten  aus  dem  Drama  zu- 
stromten,  ist  der  Entwicklung  der  beiden  Typen  nnheil- 
voll  geworden.  Die  franz5siscbe  Sinfonie  hat  dabei  weniger 
gelitten.  Dank  Lully,  der  sich  daranf  verstand,  in  seinen 
Allegris  trotz  des  steifen  Einerleis  der  ewigen  Fagen, 
doch  einigermafien  den  Charakter  des  kommenden  Dramas 
anzukiinden  nnd  wenigstens  klar  zu  machen,  ob  die  Oper 
heroisch  oder  pastoral  sein  werde,  waren  in  der  franz5- 
sischen  Sinfonie  Charaktergemillde  ersten  Ranges  m5glich, 
wie  sie  jedermann  in  Glucks  Iphigenienouverture  c.w.T.einek. 
kennt  und  in  H&ndels  herrlicher  OuverttLre  zu  » A  grip-  6.  F.  H»del. 
pina€*)  kennen  sollte.  Seitensttlcke  zu  diesen  Meister- 
werken  wolle  man  in  den  Opem  Rameaus  aufsuchen,  J.  p.  Bameav. 
von  denen  auch  jede  bescheidenere  Musikbibliothek  einige 
Ezemplare  zu  besitzen  pflegt.  Rameau  war  es,  der  den 
Obergang  aus  der  dreisfttzigen  Sinfonie  zur  einsHtzigen 
Ouvertfire  mit  langsamer  Einleitung  anbahnte.  Freilich 
scheinen  die  bedeutendsten  Sinfonien  nicht  immer  die 
beliebtesten  gewesen  zu  sein.  Das  zeigt  jene  Anekdote 
von  Friedrich  dem  Grofien,  der  es  Graun  sehr  verdachte, 
dafi  er  in  der  Ouverture  zu  »Papirio<  die  Fuge  durch  ein 
charaktervoUes,  frei  geformtes  Allegro  ersetzt  hatte  **). 

Die  Vorlagen,  die  Scarlatti  den  Italienern  gab,  waren 
geringer.  Die  Musik  seiner  Sinfonien  ist  sinnig,  anmutig, 
munter  und  geistvoll,  aber  Gr5Ce  und  Tiefe  streift  sie 
Dur.  Das  Beste,  was  seine  Sinfonien  bieten,  liegt  auf  der 
sinnlichen  Seite  in  einem  gUnzenden,  geisireichen  Kon- 
zertieren,  in  einer  sinnigen  Figurenbildung,  im  blenden- 

*)  57.  Lieferung  der  deutschen  Handelausgabe. 
**)  L.  Schneider,   Geschichte  der  Oper  in  Berlin  (1852), 
■S.  lit  atellt  den  Sacbyerhalt  verkehrt  dar. 


^^    80    ♦^ 

den  Kolorit,  Eigenschaften ,  die  z.  B.  die  Ouverttkre  zq 
>I1  prigionero  fortunato<  (1709)  mil  ihren  Trompeten- 
chOren  und  ihrem  Solocello  aufs  schQnste  vereint.  Was 
Hohes  in  der  italienischen  Sinfonie  mdglich  war,  das 
L.  Leo.  zeigen  die  Oralorieneinleitungen  Leonardo  Leos,  von 
denen  die  za  >St.  Elena  al  Calvario«*)  seit  etlichen 
Jahren  in  Partitardruck  vorliegt  Das  ist  grofie  nnd  edle 
Traner  in  nnvergftnglichem,  fQr  alle  Zeiten  musterhaften 
Ton!  Solche  Werke  sind  aber  leider  in  der  italienischen 
Schule  die  Ansnahme.  Mil  L.  da  Vinci  beginnt  in  ihrer 
Sinfonie  ein  Verfall,  der  die  Mehrzahl  ergriff  nnd  dem 
die  Versuche  einzelner  emster  Tonsetzer  dauernd  Einhalt 
zn  tnn  nicht  vermochten.  Anfierlich  wnchs  sie.  Die  Sfttze 
wnrden  alle  drei  Iftnger  und  reicher  im  Ausbau.  Der 
erste  f&gte*  —  das  Beispiel  gab  auch  f&r  die  franz5siscbe 
Sinfonie  das  virtuose  Konzert  —  ein  zweites  Thema  ein, 
der  dritte  wendete  sich  der  vielgliedrigen  und  die  £r- 
iindung  reizenden  Rondoform  zu.  Aber  das  innere  Wesen 
der  italienischen  Sinfonie  ward  immer  leerer  und  Iftp- 
pischer. 

Den  erfrenlichen  Teil  bilden  die  langsamen  Sfttze. 
Sie  haben  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  in  der  Kegel 
die  grofie  dreiteilige  Liedform  —  a)  Hauptthema  als 
Doppelperiode  zweimal,  zwischen  dem  ersten  und  zweiten 
Mai  ein  mit  Figuren  ausgestattetesSeitenthema;  b)  zweites 
Thema  znm  Hauptthema  in  Tongeschlecht  und  Charakter 
in  Gegensatzgebracht;  c)  Wiederholung  von  a  in  gektlrzter 
Form  —  und  bringen  in  ihr  die  eigentiUnliche,  weiche, 
edle  Empfindsamkeit  des  18.  Jahrhunderts  in  freundlich- 
wehmtitigen  Melodien  und  in  einer  Reinheit  zur  Anschau- 
ung,  die  den  anderen  Kiinsten  jener  Zeit  nicht  erreichbar 
war,  am  wenigsten  der  durch  moralische  und  mytholo- 
gische  Zopfe  gefesselten  Dichtkunst.  Zuweilen  waren  die 
Komponisten  hier  noch  zu  stLOen  Erfindungen  durch  die 
Liebesszenen  angeregt,  die  in  der  Oper  und  dem  Ora- 
torium   des  18.  Jahrhunderts  einen   sehr  breiten  Raum 


*)  Bel  Breitkopf  &  HarteL 


-<^    81 


einnehmen.  Um  so  schlimmer  stand  es  in  der  Regel  nm 
den  ersten,  den  Hauptsatz  der  Sinfonie.  Einige  Zitate 
werden  genQgen,  einen  Begriff  von  der  hier  Ubiichen 
Thematik  zn  geben: 


a) 


m 


Allegro. 


£E 


==^ 


^ 


^m 


^Iff  |P  I  .tllTiTi  itlLTi 


M 


rrr  r   r 

(Rdckkehr  zum  Anfang  in  einer  ein 
'*'•      Takl  langen  Figur) 


fi  ft    ate.  (fthnlich  wie  bei  a) 

Allegro. 


e)  Jiy"      JJJJ    IJIjijIJIJirFIJTl^l  etc 


AUegTO 


etc. 


•>!J'";trr.fOrjiftrf^^ 


"Pi/jl"  ''I  ^  ff  ir  r  f  if_[)i  I  I 


etc 


Beispiel  a  ist  der  Anfang  zu  der  Sinfonie,  mit  der  L.  d  a 

Vinci  seine  »Semiramis«  einleitei    b  und  c  sind  von l. d« yiKei.    ^ 

Pergolesi,  das  eine  ist  der  Anfang  znr Sinfonie  der  Oper  e.B.PergoiMi. 

Kretiiekmar,  Ffthrer.    I,  1.  6 


— ^    82    ^— 

>Salastia<,  das  andere  vom  Oratorium  »San  Guglielmoc. 
Diese  Sinfonie  hat  derKomponist  nochmals  fiir seine  letzte 
5.  Joneiii.  Oper  »01ympia<  verwendet.  Mil  d  beginnt  J  om  ell  idle 
Sinfonie  seines  Oratoriums  >Abramoc,  mil  e  Leonardo 
Leo  seine  Olympiade,  mil  f  Perez  den  >Deinofontec,  mit  g 
Teradellas  den  >Artaserse<,  mith  Trajetta  den  >Farnace<. 
Diese  Beispiele  lieOen  sich  endlos  vermehren.  Die  Methode 
bleibt  dieselbe:  lustige,  t&ndelnde,  stets  unbedeutende 
Motive  mit  stump  fern  Behagen  oder  mit  gespreiztem  hohlen 
Pathos  wiederholt.  Und  dabei  handelt  es  sich  um  lauter 
groOe  Namen,  zum  Teil  um  Meister,  die  der  Oper  im 
Ubrigen  reformatorische  Dienste  geleistet  haben.  Genau 
wie  der  Aufbau  der  Themen  ist  auch  die  Entwicitlung  der 
S&tze:  mechanisch,  bequem  und  geistlos!  FluO  haben 
die  AUegri,  und  weiC  man,  was  das  verschwenderisch 
verwendete  Echo  darin  f&r  eine  RoUe  spielt,  so  klingen 
sie  meistens  auch  ganz  hQbsch,  und  viele  waren  als  Lust- 
spielouverturen  ganz  annehmbar.  Aber  der  Aufgabe,  ernste 
Dramen  einzuleiten,  bleibeursie  so  ziemhch  alles  schuldig 
und  bieten  kaum  mehr  als  eine  vergniigliche  Portiers- 
musik.  Die  Entwicklung  der  Sinfonie  bei  den  Neapolitanern 
zeigt  geradezu  erschreckend ,  was  aus  der  Instrumental- 
musik  werden  kann,wenn  sie  selbstherrlich  den  Zusammen- 
hang  mit  Poesie  und  hoherem  Geistesleben  verschmslht. 
Den  Zeitgenossen  entging  dieser  Verfall  der  Opernsinfonie 
nicht.  Schon  Mattheson  mahnt  im  »Kern  der  melodischen 
Wissenschaftc  (§  97)  die  Komponisten,  dafi  die  Sinfonie 
einen  kurzen  Begriff  und  >eine  kleine  Abbildung«  einer 
Handlung  geben  soil,  und  Quantz  verlangt  in  seinem 
bekannten  >Versuch  ete«  (18.  Hauptstiick,  §  43)  dasselbe. 
Der  Zusammenhang  mit  dem  Inhalt  der  Oper  sei  viel 
wichtiger  als  die  dreisatzige  Form,  es  geniigten  wohl 
auch  2  Satze  oder  einer.  Die  Sinfonien  sfthen  eben  so 
aus  wie  bei  den  schlechten  Malern  Luft  und  Licht,  zu 
denen  pa.ssendoder  nicht,  in  der  Kegel  die  Qbriggebliebenen 
Farben  benutzt  werden. 
A.  HMie.  Eine  Besserung  setzt  mit  Ad.  Hasse  ein.    Die  Allegri 

gewinnen  unter  dem  EinfluB   des  Konzerts  an  Gehalt. 


^^    83    ^— 

Die  Form,  friiher  von  der  EttLde  beherrscht,  wendet  sich 
der  Sonatine  zu,  ein  zweites  Thema,  meist  kurz  und 
hubsch,  wird  die  Kegel,  und  man  versucht  kleiae  Durch- 
fahrungen.  Manche  Komponisten  legen  dabei  auf  einen 
sebr  scharfen  Gegensatz  zwischen  erstem  und  zweitem 
Thema  das  Gewicht,  andere  versachen  der  ganzen  Sinfonie 
einen  neuen  GrundriG  zu  geben.  So  ziehen  L.  Leo  in  der 
Einleitung  zur  Olympiade,  Minoja  in  einer  B  dur-Sinfonie 
das  Andante  in  die  Mitte  des  erslen  Allegro  hinein  und 
verzichten  auf  den  dritten  Satz.  Damit  ist  die  eins&tzige 
Sinfonie,  die  Opernouvert&re  der  nenen  Zeit  bei  den 
Italienern  eber  fertig  als  bei  den  Franzosen.  Prtift  man 
aber  die  Thematik  Basses  und  seiner  Genossen  auf  das 
Verhaltnis  zum  Drama,  so  steht  man  noch  lange  vor  dem 
Neapolitanischen  Leicbtsinn.  Die  Sinfonie  za  Hawses 
Dido  z.  B.  fftngt  folgendermaOen  an: 


Thema:  {CCT '  fiber  die 

Grazie  binaus;   erst  in   der  sebr  kurzen  Durcbffibrung 

dunkelts  ein  wenig  von  der  Unterdominant  ber.    Eine 

grfindlicbere  Anderung  voUzieht  sicb  erst  unter  dem  Ein- 

fluB  der  Franzosen.     Porpora  und  Perez  leiten  ein-  Porpora. 

zelne  Opern  mit  franzOsiscben  Sinfonien  ein,   und  bei  Perei. 

Piccini  zeigt  sichs  endlich,  daO  die  Italiener  wieder  im  pieeini. 

stande  sind,  in  der  Sinfonie,  wenn  nicht  tragische,  doch 

ernste  Tdne  anzuscblagen.    Unter  den  Deutscb italienern 

hat  sicb  scbon  frfiher  Heinrich  Graun  durcb  eine  wUrdige  h.  Oraon. 

und  inbaltreicbe  Thematik  ausgezeicbnet. 

An    dieser   Entvricklung   eines   neuen    Sinfonietyps 
haben  aucb  die  italieniscben  Akademien  ein  Yerdienst. 
Scbon    friib  im    18.  Jabrbundert  scbreiben   angesehene 
Komponisten,  unter  ibnen  B.  Mar  cello,  ffir  den  Aka-  B.  Marceiio. 
demiegebraucb  Sinfonien,  die  neue  poetiscbe  Aufgaben 

6* 


--^    84    ^— 

in  zum  Teil  neuer  Form  darchfuhren.   Hier  wird,  z.  B.  in 

Locftteiu.  Locatellis  Trauersinfonie,  die  Sinfonie  zuerst  viers&lzig, 

(jalimberti.  beiGalimberti  sogar  schon  mit  dem Menuett  als  zweiten 

Tarttnt.  Satz.    Er  wird  auch,  bei  Tartini  z.  B.,  in  der  dreisaizigen 

Akademiesinfonie  verwendet,    da  als  SchlaOsatz.     Die 

Viers&tzigkeit  kommt  allerdings  auch  in  der  gleichzeitigen 

Oper  vor,  z.  B.  in  L.  Leos  Sinfonie  zum  Farnace :  Allegro, 

Andante,  Menaetto,  Marcia. 

Noch  viel  gUnstigere  Aussichten  fUr  die  Unabh&ngig- 
keit  von  Oper  und  Theater  boten  sich  aber  der  Sinfonie 
in  Deatschland. 

Vom  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  ab  mehren  sich 
hier  die  Orchester  schnell  und  betr&chtlich.  Der  hohe 
and  niedere  Adel  tut  es  den  Fiirstenhdfen  nach;  gut 
Oder  schlecht,  aber  so  ziemlich  jedes  SchloO  hat  seine 
Hauskapelle.  SchUlar  und  Studenten,  dem  Beispiel  der 
italienischen  Akademien  folgend,  griUnden  freiwillige  colle- 
gia musica,  die  BQrgerkreise  ihnen  nach.  Um  die  Mitte  des 
Jahrhunderts  ist  das  ganze  Land  mit  einem  dichten  Netz 
von  Musikvereinen  tiberzogen,  die  alle  in  >w5chentlichen 
Ronzertenc,  einmaligen  und  doppelten,  ungemein  viel 
Instrumental-  und  Orchestermusik  verbrauchen.  Komddien 
und  Konzerte  sind  dieHaupthindernisse  derGelehrsamkeit, 
klagt  1763  der  musikfeindliche  Ernesti*^).  Es  ist  niemals 
vorher  und  nachher  wieder  soviel  Instrumentalmusik  kom- 
poniert,  gespielt  und  angehOrt  worden,  als  in  jenen  Tagen. 
Die  Zeugnisse  dafQr  liegen  in  den  Briefen  Mozarts  und 
in  den  Lebensbeschreibungen  von  Quantz,  Dittersdorf, 
Gyrowetz  und  anderen  nambaften  Musikern  jener  Zeit 
vor,  in  den  Archivresten  der  Bibliotheken  und  in  den  Ver- 
lagsverzeichnissen.  Sinfonien,  Konzerte  werden  immer 
biindelweise  angefiihrt  Im  quantitativen  Sinn  ist  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  die  Glanzzeit  der  Instrumentalmusik 
in  Deutschland;  dort  liegen  die  Anfftnge  und  Ursachen 
ihrer  Vorherrschaft. 


*)  G.  Wustmann,    >Aus  Leipzigs  Vergangenheit*  (Leipzig 
1885),  S.  289. 


--^    85    ♦^ 

Dafi  in  der  ersten  H§.lfte  jener  Periode  die  Sinfonie 
zorncktritt,  kOnnte  nicht  wundernehmen,  auch  wenn  sie 
besser  gewesen  wUre.  Denn  sie  hatte  an  dem  neaen 
Yirtuosenkonzert  einen  ubenn3,chtigen  Nebenbuhler.  Wie 
handert  Jabre  frfiher  Monodie,  Solo-  and  Bubnengesang 
die  eigentlicbe  >nuoye  masiche«  der  Generation  waren,  die 
den  dreiOigj&brigen  Krieg  erlebte,  so  scbienen  fur  die, 
welche  mit  Friedrich  dem  GroCen  jung  waren,  die  Wunder 
des  Orpbeas  in  den  Violinkonzerlen  der  Torelli,  Vivaldi, 
Corelli  wieder  aofzuleben.  Unter  alien  Erwerbungen,  die 
die  Mosik  in  den  letzten  Jabrbunderten  gemacbt  bat,  war 
die  des  virtaosen  Konzerts  die  bedeutendste;  keine  andere 
hat  den  inneren  und  Hufieren  Wirknngskreis  der  Tonkunst 
so  gewaltig  erweitert.  lodes  den  Diiettantenkraften  der 
neuen  Collegia  musica  mafite  den  virtuosen  Anfordernngen 
des  Konzerts  gegen&ber  ein  Erdenrest  von  Tecbnik  zu 
tragen  peinlicb  bleiben  und  den  Wunscb  nacb  einer  andren 
Gattung  von  instrumentaler  Ensemblemusik  nabe  legen. 
Da  fiel  denn  der  Blick  naturgemS.6  auf  die  im  Aufbau 
mit  dem  Konzert  ganz  identiscbe  italieniscbe  Sinfonie  und 
sie  begann  allm&blicb  jenem  zur  Seite  zu  treten,  es  zu  er- 
setzen.  Wir  kQnnen  diesen  ProzeB  mit  einer  interessanten 
Arbeit  S.  Bacbs  belegen.  Derselbe  Band  der  Bacb-  g.  Bach, 
ausgabe  *),  der  die  Orcbestersuiten  entb&lt,  bringt  als  Sinfonie  in  F. 
Anbang  eine  Sinfonie  in  F,  aus  drei  S&tzen  bestebend, 
Allegro,  Adagio,  als  ScbluGsatz  ein  Menuett  (mit  2  Trios). 
Diese  Sinfonie  ist  aber  nicbts  als  eine  Umarbeitung  von 
Bacbs  erstem  brandenburgischen  Konzert;  der  ^^  Takt, 
der  dort  (ad  libitum)  dem  Menuett  vorausgeht,  ist  wegge- 
lassen  und  der  nur  sparlicb  konzertierende  Violino  piccolo, 
das  Soloinstrument  des  Konzerts,  ist  einfacb  gestrichen. 
Sonst  stimmt  alles  w5rtlicb.  Aucb  wenn  Bacb  selbst 
nicbt  der  Bearbeiter  dieser  Sinfonie  sein  sollte,  bleibt 
sie  ein  wichtiges  Dokument  fur  einen  gescblcbtlicbeu 
Hergang:  die  Entstebung  und  das  Empordringen  einer 
selbst^ndigen  Kouzertsinfonie.    Fur  Frankreicb  l^lfit 

*)  31.  Jahrganj,  Erste  Lieferun^. 


-«y    86    ^— 

sich  dieser  CbergangsprozeO  dokumentarisch  belegen: 
H.  Attbert.  Der  Pariser  Violinist  M.  Aubert  ver5ffentlicht  1730  ein 
Heft  Sinfonien  im  italienischen  Stil,  die  er  >  Concerts  de 
Symphoniec  nennt,  mit  der  Begrtindung,  die  Konzerte 
Corellis  und  Vivaldis  seien  wider  den  franz5sischen  Ge- 
schmack  und  vor  allem  sie  seien  fUr  die  Dilettanten 
zu  schwer*).  Die  selbstftndige  Sinfonie  verdankt  ihre 
Existenz  der  Einrichtung  regelm&Oiger  Konzerte,  insbe- 
sondere  den  collegiis  musicis  der  Studenten  und  anderer 
Dilettanten,  und  befestigt  sich  auBerordentlich  schnell  in 
ihrer  Stellung. 

Schon  urn  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  sehen  wir 
die  Sinfonie  unabhSlngig,  das  alte  VerhSlltnis  zur  Oper 
gelQst;  es  wird  allroahlich  moglich,  daG  sich  begabte  Ton- 
setzer  vorwiegend  oder  ausschlieClich  der  Komposition 
fars  Konzert,  fQr  die  Instrumente  widmen,  die  Orchester- 
sinfonie  wird  jetzt  in  Stimmen  gedruckt  und  schnell  ein 
^anz  bedeutender  Handelsartikel.  In  dem  Breitkopfschen 
Katalog  von  1762  finden  wir  funfzig  Sinfoniekomponisten. 
bekannte  Meister  wie  Gluck,  Hasse,  Galuppi,  Jomelli, 
Graun,  Hiller  und  heute  vergessene  LokalgrdOen  durch- 
einander;  keiner  hat  es  unter  einem  halben  Dutzend  ge- 
tan.  Als  Beweise  hochster  Fruchtbarkeit  finden  sich  in 
den  Bibliotheken  aus  jener  Zeit  auch  Sinfonien  von 
Dilettanten  komponiert:  Friedrich  der  GroGe,  Max  Joseph 
von  Bayern,  der  Baron  von  Munchhausen  erscheinen 
unter  dieser  Autorengruppe.  Das  Ausland  tritt  mehr  und 
mehr  zuriick  und  koromt  qualitativ  bald  ganz  auGer  Be- 
tracht.  Die  deutsche  Produktion  aber  verteilt  sich  auf 
folgende  drei  Bezirke:  die  Wiener,  die  Mannheimer  und 
die  Norddeutsche  Schule. 
Wiener  Schule.  In  Wien  beginnt  die  Konzertsinfonie  mit  Antonio 
A.  Caldara.  Caldara,  der  bekanntlich  1716  in  den  kaiserlichen 
Dienst  trat 

Seine   noch  erhaltenen   Sinfonien,  12  an  Zahl,  sind 
fUr    vierstimmiges    Streichorchester    mit    Continuo    ge- 


*)  Michel  Brenet:  Leg  concerts  en  France  (1900),  S.  152. 


-H^    87    ♦^ 

schrieben  nnd  —  bis  auf  eine  zweis&tzige  Ausnahme  — 
nach  dem  bekannten  Grundrifi  Scarlattis  aufgebaut.  Je- 
doch  weichen  die  langsamen  S&tze,  denen  in  der  Mehr- 
zahl  acht,  zweien  nnr  sechs  uad  einem  einzigen  vierzehn 
Takte  eingerfinint  sind,  durch  diese  KUrze  und  den  da- 
darch  bedingten  Charakter  einer  blofien  Episode  oder 
Oberleitung  von  der  Norm  ab. 

Drei  Sinfonien  scbicken  auch  dem  ersten  Allegro 
eine  getragene  und  breitere  Einleitung  voraus  und  nSUiern 
sich  daroit  dem  franz5siscben  Typus.  Im  allgemeinen 
steht  Caldara  abseits  von  jeder  Art  gleicbzeitiger  Opem- 
sinfonie  und  geht  in  seinen  Gedanken  und  seiner  Arbeit 
die  Wege  eines  Originalgeistes. 

Vor  den  Italienern  zeichnet  er  sich  namentlich  durch 
eine  emste,  wtirdige  Thematik  und  durch  einen  ge- 
diegenen,  fesselnden  Orchesterstil  aus.  Mit  freudigem 
Staunen  begegnet  man  in  der  Zeit  der  Vinci  und  Pergo- 
lesi  Sinfonieanf&ngen  wie: 

Andante. 


Allegro  moderato 


ete.  (5.  Sinfonie) 


b)  i>Ln   I  >r'|ll^j''P'niJ'J|Jl|JJ|JfJ-'    I       etcg.BiBfonie) 

Alleg^ro.  _ 

CH  mollSinfonie) 


*)  i(  i  ,^i'yi  j'lrCTQ  ^- ^ «' 


Sinfonie) 

Hinter  der  Freude  an  Fuge  und  Kanon,  die  den  Satz 
bestimmt,  die  zuweilen  auch  Augenblicke  stockender  Er- 
iindung  verdeckt  oder  billigere  Einfftlle  adelt,  steht  wohl 
das  Beispiel  Joseph  Fuxens,  des  Freundes  und  Vorge- 
setzten  Caldaras.  Aber  auch  venetianische  Traditionen, 
die  fiber  Sartorio,  Cesti,  Cavalli  bis  auf  G.  Gabrieli 
zurQckgehen,  tauchen  in  seinem  Sinfoniesatz  in  der  Form 
plOtzlicher  Tempokontraste  auf.    Einige  Takte  Adagio  sind 


--(^    88    ^^ 

keine  Seltenheit  in  Caldaras  Allegris.  Am  uberraschendsten 
HoBert  sich  dieser  dramatische  Geist  im  Larghetto  der 
f&Dften  Sinfonie,  wo  die  erste  Violine  fthDlich  wie  in 
Alberlis  Bdur-Konzert  oder  in  Spohrs  Gesangszene  un- 
begleitete  Rezitative  anstimmt,  im  ersten  Satz  der  zwdlften 
Sinfonie  begegnet  uns  sogar  ein  erregter  Wortwecbsel 
sfimtlicber  Stimmen  iiber  ein  kurzes,  zweit5niges  Motiv. 
In  den  Allegris  sind  die  Stellen  derartiger  Exkurse  die 
Zwischensfitze,  mit  denen  Caldara  gern  die  Regelm&Big- 
keit  der  Page  nnd  des  strengen  Satzes  unterbricht.  Die 
elfte  Sinfonie  beginnt  sogar  mit  einer  solchen  drama- 
tischen  Slelle: 
Allegro. 

"l~n   ».    I  J  J   ..^ J, jn  J  J  ,j,.r-L_ 

etc. 


Sie  weist  zugleich  durch  die  Entschiedenheit,  mit  der  die 
erste  Violine  das  Wort  fiihrt,  anf  eine  weitere  EigentQm- 
lichkeit  des  Caldaraschen  Sinfoniestils  bin:  wie  zum  Rezi- 
tativ  fCihrt  ibn  der  Drang  nach  sprechendem  Ansdruck 
wiederholt  zn  konzertierenden  Episoden,  zu  Solis  und 
Duetten  bin,  die,  zwischen  den  eigentlichen  Dnrcbftih- 
rungen  des  Themas  eingeschaltet,  Stimmungskrisen,  Mo- 
men  te  gewaltiger  Erregung  und  Versuche  zum  Aus- 
weichen  bezeichnen.  Dieses  konzertierende  Element 
Caldaras  bat  in  der  Wiener  Scbule  und  Uber  sie  binaus 
am  nachbaltigsten  fortgewirkt,  doch  sind  auch  andere 
von  ihm  gegebene  Anregungen  nicbt  unbeachtet  ge- 
blieben. ' 

In  die  Caldarasche  Zeit  ffillt  eine  als  Partita  betitelte 
Sinfonie  (in  B)  des  Wiener  Hofklaviermeisters  Matteo 
M.  Sehioger.  Schl5ger,  die  desbalb  beachtenswert  ist,  weil  sie,  mit 
1722  datiert,  den  dreisfitzigen  Aufbau  der  italieniscben 
Sinfonie  durcb  einen  zwischen  Largo  und  Finale  einge- 
schobenen  vierten  Satz  erweitert  und  zwar  durch  einen 
Menuett  (Bdur)  mit  Trio  (Gmoll).  Auch  ein  Cembalo- 
konzert  (Adur)  Schldgers,  das  seine  romantische  Natur 
und  seine  moderne  Richtung  noch  deutlicher  zeigt,   als 


-^    89    ^— 

die  Sinfonie,  hat  als  dritten  Satz,  als  Finale  ein  Tempo 
di  Minaetto.  Es  scheint  sich  demnach  die  in  alien  L&n- 
dem  und  von  Meistern  wie  Corelli  und  H&ndel  angebahnte 
Verbindnng  von  Sinfonie  und  Suite  in  Wien,  dem  klassi- 
schen  Boden  der  Volkskunst,  der  Heimat  der  WaldmiUler, 
Schubert,  StrauO  und  Anzengruber  schon  im  ersten 
Drittel  des  achtzehnten  Jahrhunderts,  gleich  in  der 
Form  voUzogen  zu  haben,  an  der  dann  von  J.  Haydn  ab 
fQnf  Generationen  festgehalten  haben. 

Da  Wien  zugleich  die  wichtigste  deutsche  Eingangs- 
stelie  fCir  italienische  Mnsik  war,  kann  es  nicht  befremden, 
daO  der  hdhere  Geist  Caldaras  und  der  venetianische 
EinfluO  in  der  Wiener  Konzertsinfonie  schon  bald  dem 
neapolitanischen  Tone  weicht.  Er  wird  zuerst  bei  Georg 
von  Reutter  stark  vernehmlich.  Nur  seine  Einleitung  g. t. Rentter. 
znm  >Ritorno  di  Tobia<  (1733)  macht  als  einsS.tzige 
franz5sische  OuvertUre  eine  Ausnahroe,  seine  ubrigen 
Sinfonien,  die  je  nach  der  Yerwendung  als  Sonaten,  In- 
traden,  als  Servizio  di  Tavola  betitelt  sind,  haben  bis 
auf  eine  Tafelmusik  von  1757,  die  aus  Intrade,  Lar- 
ghetto,  Menuetto  con  Trio  und  Finale  besteht,  auch 
da,  wo  man  Suitenform  erwartet,  die  drei  S&tze  der 
neapolitanischen  Schule  und  werfen  in  deren  Art  vor- 
wiegend  leichte  und  flotte  Gelegenheits-  und  Unterhal- 
tungsmusik  bin,  bald  spektakeind,  bald  rQhrsam,  hier 
durch  renommistische  SprtLnge  und  abgerissene  Rhythmen, 
dort  durch  verwegene  L&ufe  der  B&sse  reizend.  Wie 
Hasse  und  andere  Deutsche  geizt  auch  Reutter  darnach, 
das  neueste  Italienisch  zu  sprechen,  l&Ot  aber  tiberall 
Beweise  einer  h5heren  und  besseren  Bildung  einflieBen, 
einmal  das  direkte  Muster  Caldaras,  nftmlich  einen  sehr 
hfibschen  Kanon  zwischen  Violine  und  Cello  im  Andante 
einer  Cdur-Sonate  von  1741,  die  nach  dem  fiir  Orgel  ge- 
setzten  Continuo  fur  die  Kirche  bestimmt  gewesen  sein 
mufi.  Diese  Son  ate  ist  noch  dadurch  beachtenswert,  dafi 
sie  uns  Al.  Scarlatti  als  Reulters  Lehrmeister  zeigt. 
Das  Konzert  zweier  BlaserchOre,  mit  dem  sie  beginnt  und 
schliefit: 


90 


1.  Satz. 


Allegro. 


P 


t 


^ 


^m 


M   I  tnj 


i 


ete. 


Presto. 


Finale 


I 


f^ 


P 


^ 


i 


^ 


wm 


etc. 


i 


darf  roan  direkt  oder  indirekt  auf  die  friiber  ange- 
fiihrte  Sinfonie  zum  Prigioniero  fortunato  zurCickfiihren. 
Nicht  blofi  die  konzertierenden  Bl&serch5re  des  Scar- 
latti kehren  bei  Reutter  wieder,  sondern  er  bat  sicb  fiir 
seine  Konzertsinfonie  den  ganzen  technischen  Apparat*) 
angeeignet,  auf  dem  der  glftnzende  und  festlicheCharakter 
der  Orcbestermusik  des  neapolitaniscben  Meisters  berubt. 
Die  in  Secbzebnteln  und  Sextolen  in  die  H5he  rauscben- 
den  Oder  einfacbe  Tbemen  umspielenden  und  verzieren- 
den  Yiolinen  baben  daran  einen  Hauptanteil.  Unter 
diesen  Tbemen  kommt  das  Hexacbord,  das  ja  aucb  von 
Fux  und  Caldara  gem  benutzt  wird  und  sogar  noch  bei 
Haydn  und  Beetboven  auflaucbt,  sebr  b&ufig  vor.  DaB 
aber  Reutter  aucb  etwas  von  der  LiebenswQrdigkeit  und 
Schalkbaftigkeit  Scarlattis  besitzt,  zeigen  namentlicb  die 
zweiten  Tbemen  seiner  Allegri.  Immer  sind  sie  liber- 
rascbend  eingefiihrt,  zuweilen  aucb  originell  gestaltet,  das 
der  vorbin  angefiibrten  Intrade  z.  B.  durcb  die  VerzOgerung 

Aucb  bei  Reutter  feblen  die  Ankl'ange  an  die  bei- 
mische  Volksmusik  nicbt  ganz,  das  Andante  einer  Ddur- 


Sinfonie  z.B.-jft-^ 


beginnen  die  ft   Jt  LfJ  f  e/ff  ICT-J 
Oboen    mil:  0  D 


etc. 


die  Bratscben 

antworten 
gleicblautend. 


♦)  In  dem  Servizio  di  Tavola  sind  die  Partien  der  Oboen 
und  Fagotte  nicht  in  die  Partitnr  aufgenommen ,  sondern  als 
Anhang  beigegeben. 


91 


Aber  die  italienischen  theatralischen  Elemente  tiberwiegen  , 

die  landsmannschaftlichen  traulichen  Regno  gen  voll- 
st&ndig. 

Eine  stftrkere  dsterreichische  F&rbung  zeigen  die 
Sinfonien  des  Klaviermeisters  Christopb  W  a  g  e  n  s  e  il.  Chr.WageBsell. 
Zur  gnten  HUlfte  haben  sie,  auch  wenn  sie  dreis£ltzig 
sind  und  wenn  sie  zur  Einleitung  von  Opern,  zu 
Clemenza  di  Tito  z.  B.,  bestimmt  sind,  Menuetls.  Selbst 
in  einem  viers&tzigen  Konzerto  grosso  von  1766  kommt 
ein  Menuett  vor.  Aber  auch  seine  langsamen  S&tze 
scblagen  zuweilen  T5ne  ein,  die  den  einfachen  Mann  an 
seine  Abendlieder  erinnern  konnten,  das  Andante  einer 
GmoU-Sinfonie  von  1766  beginnt  z.  B.  folgendermafien: 

ji  ini/i_fnijMi^i 

Solche  Heimatsklange  haben  mit  dazu.beigetragen, 
daB  die  Sinfonien  Wagenseils  sich  ungew5hnlich  weit  ver- 
breiteten  und  bis  nach  Bay  em  hiniiber  in  die  Stifte  und 
ElSster  drangen.    Die  Themaiik  seiner  Allegri  laOt  in-  , 

dessen  keinen  Zweifel  dartiber,  daB  auch  Wagenseil  in 
erster  Linie  Italienisch  sprechen  will.  Der  Anfang  der 
eben  angefiihrten  6  moll- Sin f on ie: 

Allegro.  .      -5_ 


Oder  der  zur  Clemenza  di  Tito: 


Cirrrr  II  iJJJ 


etc. 


sind  Yincischen  Geistes.  Jedoch  erreicht  er  auch  von 
solchen  Themen  aus  immer  ein  hdheres  Niveau  und  fUhrt 
die  Satze  in  einer  vollentwickelten  modemen  Sonaten- 
form  mit  einer  Themengruppe,  die  auBer  einem  schOnen 
zweiten  Thema  in  der  Kegel  noch  mehrere  Nebenmotive 
bringt  und  namentlich  mit  DurchfUhrungen  durch,  welche 
verkleinert  Beethovensche  MaBverhllltnisse  vorausspiegeln. 


-— fr    92    ^^ 

Von  den  76  Takten,  aus  denen  der  erste  Satz  der  vor- 
hin  zitierten  Gmoll-Sinfonie  besteht,  fallen  40  auf  die 
Durchfiihrung.  Auch  in  der  Detailarbeit,  in  der  Gestaltang 
der  Obergange,  in  den  bewegten  Mittelstimmen,  in  der 
lebendigen,  reich  mit  Dissonanzen  gewiirzien  Harmonie,  in 
den  aparten  und  feinen  Wandlungen  kleiner  Einf&Ue  erhebt 
sich  Wagenseil  bedeutend  fiber  die  Neapolitaner.  Mit  den 
konzertierenden  Andantes  tritt  er  in  die  Spnren  Caldaras. 
Am  weitesten  n&bert  sich  dem  weltbekannten  Gha- 
rakter  der  Wiener  Sinfonie  der  Organist  der  Karlskirche, 
e.  M.  Moiiii.  Georg  Matthias  Monn  (1717—1750]*}.  Das  Reich  hat  von 
diesem  Komponisten  erst  lange  nach  seinem  Tode  darch 
sechs  Quatuors  erfahren,  die  1806  gedruckt  und  in  der 
Allgemeinen  Musikalischen  Zeitung  sehr  anerkennend 
rezensiert  warden.  Aber  auch  seine  Landsleute  scheinen 
sich  otur  wenig  um  ihn  gekflmmert  zn  haben;  Hanslicks 
Geschichte  des  Wiener  Konzertwesens  kennt  seinen  Namen 
nicht,  und  seine  groOen  Werke,  von  denen,  nach  dem 
Traegschen  Katalog,  im  Jahre  1799  Opern,  ein  Oratorium, 
Messen  (auch  eine  GeneralbaBschule)  vorhanden  waren, 
sind  von  den  groOen  Instituten  der  Kaiserstadt  nicht  be- 
obachtet  worden.  Damit  h&ngt  wahrscheinlich  auch  die 
bescheidene  Besetzung  seiner  Sinfonien,  von  denen  in 
jiingster  Zeit  wieder  sechzehn  zum  Vorschein  gekommen 
sind,  zusammen.  Nur  eine  Ddur-Sinfonie  aus  dem  Jahre 
1740  und  eine  Es  dur-Sinfonie  hat  FlOten,  Oboen,  Fagotte 
und  H5rner,  von  den  ubrigen  sind  neun  fur  vierstimmiges, 
funf  fUr  dreistimmiges  Streichorchester  mit  Continuo  ge- 
schrieben,  so  da6  wenn  nicht  im  allgemeinen  der  Chor- 
charakter  der  Stimmen  zn  deutlich  wfire,  gefragt  werden 
k5nnte :  oh  bier  Kammermusik  oder  Orchestermusik  vor- 
liegt.  Sicher  verlangt  auch  die  zierliche  Thematik  in 
einigen  seiner  langsamen  Satze,  wie  in  dem  altneapoli- 
tanisch  anklingenden  Andante  der  Hdur-Sinfonie: 

*)  Elnige  Stucke  tor  Monn,  Reutter  u.  a.  sind  in  den 
Denkmilern  der  Tonkunst  in  Osterreich  (XV.  Jahrg.,  2.  Halbbd.) 
gedruckt,  das  iibrige  Material  hat  Herr  Prof.  Dr.  G.  Adler  freund- 
lich  zur  Yerfugung  gestellt. 


93 


eine  Solovioline,  wie  das  noch  bis  zu  Diltersdorf  h&ufiger 
vorkommt. 

Nur  drei  der  Monnschen  Sinfonien  sind  viers&tzig 
und  briiigen  als  dritten  Satz  den  Menaett,  der  bei  den 
dreisfttzigen  sich  nnr  in  einer  Esdur-Sinfonie  und  da  an 
zweiter  Stelle  findeL  Monn  hat  darnach  auf  den  Menuett, 
als  nftchstliegendes  und  daher  in  seiner  Bedeutung  gem 
fiberschHtztes  Symptom  einer  neuen  vermeintlich  anti- 
italienischen  Sinfoniekunst  einen  wesentlichen  Wert  nicht 
gelegt.  Dafur  ergiefit  sich  aber  bei  ihm,  &hnlich  wie  spftter 
bei  J.  Haydn,  der  volkstUmliche  Musikgeist  uber  alle  Sfttze, 
die  Fugensfitze  der  franzOsischen  OuvertQren  einge- 
schlossen.  In  einer  (Sonata  iiberschriebenen)  Adur-Sin- 
fonie  folgt  nach  einer  wundervoU  schdnen  und  natdrlich 
kontrapunktierten  Einleitung  folgendes  Fugenthema: 

In  seiner  drolligen  Beschaulichkeit  httte  *es  leicht 
in  die  Trivialitfit  fiihren  kSnnen,  Monn  aber  spottet  ihrer 
durch  Engf&hrungen  und  andere  Mittel  geistreicher  Kunst 
mit  einer  Sicherheit,  die  an  B&rgersche  Balladen  erinnert. 
Wie  die  andren  S&tze  zu  diesem  Eingang  harmonieren, 
m5gen  ihre  Anfangstakte  zeigen: 
Andante. 


Henuett 


i""X'iyi;iTi^ifMMj  I 


Fin.1..   j¥||>    \f7^ 


m 


— •     94    <^- 

Jedenfalls  ist  in  diesem  Ideenensemble  keiae  Spur 
ilalienischer  Sinfonie,  dafur  aber  in  dem  aus  dem  Ton  des 
18.  Jahrhanderts  ganz  heraosfallenden  Andante  ein  deut- 
licher  Anklang  neuer,  fremder  Musikquellen.  Im  allge- 
meinen  sind  die  Andantes  und  die  langsamen  S&tze  der 
Monnschen  Sinfonien  diejenigen  Stellen,  an  denen  sich 
noch  starker  italienischer  EinfluG  zeigt.  Das  Andante- 
thema  der  Esdur-Sinfonie: 


schlieBt  sogar  mit  der  Lombardischen  Manier.  Da6  auch 
die  Allegri,  besonders  in  den  Kopfthemen  noch  hftnfig 
italienisch  anklingen,  kann  nicht  befremden,  erst  Haydn 
und  Beethoven  haben  die  deutsche  Sinfonie  von  diesem 
Tribut  volistSndig  befreit.  Frei  von  allem  Italienischen  sind 
unter  Monns  ersten  S&tzen  alle  die,  welche  dem  Schema  der 
LuUyschen  Ouvertfiren  angehdren.  Sie  interessieren  im 
AUegroteile,  meist  einer  Doppelfuge,  durch  die  Beherr- 
schung  der  Form,  eigner  ist  Monn  in  der  Behandlung 
der  langsamen  Einleitungen.  An  Stelle  der  gewohnten, 
in  punktierten  Rhythmen  und  rauschenden  Skalenfiguren 
einherschreitenden  Gravitat  und  Feierlichkeit  bringt  er 
da  beschaulich  sinnende  und  singende  Motive  oder  aber 
er  wendet  sich  von  suchenden  und  fragenden  Anfftngen 
aus,  die  an  Astorgasche  Kantaten  erinnern,  schnell  ins 
Leidenschaftliche,  wirft  wilde  Figuren  bin,  unterbricht  das 
Adagio  mit  einem  pl5tzlichen  Allegro,  wUhlt  in  Nach- 
ahmungen  und  macht  dem  erstaunten  Zuh6rer  warm. 
Eine  dieser  langsamen  Einleitungen  kommt  von  B  dur 
aus  im  fttnften  Takt  nach  Hdur.  Mit  dieser  Umbildung 
der  langsamen  Einleitung  hat  sich  Monn  an  einer  Arbeit 
beteiligt,  die  auch  Rameau,  H&ndel  und  Gluck  in  die 
Hand  genommen  batten  und  die  dann  Haydn  zum  Ab- 
schluB  gebracht  hat.  Die  anderen  ersten  Sinfonies£ltze 
Monns,  die  in  der  Scarlattischen  Art  lediglich  aus  einem 
langeren  Allegro  bestehen,  beschr&nken  das  italienische 
Element  in  der  Regel  auf  die  bekannten  Poch-  undAkkord- 


95 


motive  des  ersten  Taktes  ( J  j  j  2  ^^^'))  ^^^  ^^^^  ^^»  ^^ 
es  einen  weiteren  Raum  eianimmt,  bestimmt  es  niemals 
den  Gesamteindrack,  sondern  dieser  ergibt  sich  aus  dem 
Wiener  Ton  der  Monnschen  Thematik,  aus  den  Kl&ngen 
naiver  Lebensfrende ,  die  in  mannigfachen  Spielarten, 
vom  rnhig  sinnigen  Behagen  und  frdhlicher  Anmut  bis 
za  fenriger,  aber  liebenswflrdigen  Keckheit,  die  lebhaften 
S&tze  Moons  durcbziehen.  Die  sanfiere  Grnppe  vertreten 
die  ersten  S&tze  der  D  dnr-Sinfonie  von  1740  und  der 
Esdur-Sinfonie,  die  energischere,  zuweilen  stiirmiscbe  und 
wilde  am  entschiedensten  eine  6  dur-Sinfoniei  die  von 
dem  Anfang: 


Alleg^ro. 


Hrcfjjiittcrce^rtc. 


aus  ein  zwdlftaktiges  Haupttbema  aufbaut 

Noch  urspriknglicher  und  neuer  als  in  den  ersten 
AUegris  ist  Monn,  wenn  aucb  nicht  liberal!,  in  den  leb- 
baften  ScbluBsfttzen  seiner  Sinfonien.  Charakteristisch  sind 
da  Tbemen  wie  die  folgenden: 

Presto. 
0 


Presto. 


^)^H^  r  ir  ■,  girrp  I J 


Presto. 


namoptlich 
b)  und  c) 
mit  ihren 
in  Jugend- 
kraft     und 

Ritterlichkeit  dabinhastenden  Zweivierteltakten  bringen 
die  ersten  Lebenszeichen  einer  ganz  bodenst&ndigen 
Wiener  >Aufgekndpftheit€  in  den  Sinfonien.  Auf  diesen 
Boden  stellt  sich  von  den  spftteren  Meistern  besonders  gem 
W.  Mozart  in  seinen  besten  Salzburger  und  in  den  Wiener 
Sinfonien,  die  aus  der  Zeit  des  jungen  Ehegliicks  und  der 
>Entfikhrung«  stammen,  alles  Vorherige  aber  tiberbietend 
Beethoven  mit  dem  Finale  der  Achten.  Dafi  Monn  zu 
diesem  Ton  feurigen  und  doch  arligen  Obermuts  wie  zu 


--fr    96    ^^~ 

den  andren  AnOerungen  Wiener  Wesens  in  seiuen  Sin- 
fonien  von  der  Saitenmusik,  insbesondere  von  den  Diver- 
timentis  her  gekommen  war,  zeigt  sich  in  der  Verwen- 
dnng  der  Blftser  in  den  beiden  mil  Blasinstrumenten  ver- 
sehenen  Sinfonien.  Namentlich  die  wirknngsvoilen  Soli 
der  Horner  sind  in  der  damaligen  Sinfonie  eine  ange- 
nehme  Neuerscheinung. 

Obwohl  Monn  im  Kontrapunkt,  wie  seine  Fngen,  wie 
es  auch  die  zahlreichen  Beispiele  schdner  Imitationen  be- 
weisen,  mehr  als  ansgelernt  hat,  hat  er  eine  Bedeutung 
fUr  die  Weiterentwicklung  der  sinfonischen  Form  nicht 
eriangt.  Wohl  zeichnen  sich  seine  tfberg&nge  vom  ersten 
zum  zweiten  Thema  durch  Gediegenheit,  durch  Verzicht 
auf  Figurenphrasen  aus,  wohl  flberrascht  er  hier  und  da 
durch  einen  Reichtam  an  Nebengedanken  und  ab  und 
zu  auch  durch  Ans&tze  zu  motivischer  Arbeit.  Aber  die 
DurchfUhrungen  seiner  ersten  S&tze  sind  im  alten  Bequem- 
lichkeitstil  nichts  als  Transpositionen  der  Themengruppe 
ohne  vertiefende,  eingehende  und  erweiternde  Ziele.  Er 
hat  der  Sinfonie  einen  neuen  Ideenkreis  erschlossen,  es 
aber  anderen  uberlassen,  dessen  Gehalt  auszuspQren  und 
zu  erschCpfen. 

Von  weiteren  Vertretern  der  Wiener  Schule  sind  noch 
F.eaAmMB.  Florian  GaOmann  und  Joseph  Starzer  hervorzuheben, 
J. Storier.  GaOo^nn,  weil  er  Themen  bringt,  die  wie: 

Allegro. 

^^ 

schon  in   den   Kreis   der   Mozartschen   Kantabilitat  ge- 
hdren,  Starzer  wegen  der  Bedeutung  seiner  Quartette. 
Sie  lassen  es  bedauern,  daO  seine  Sinfonien  sich  nicht 
erhalten  haben. 
Mannheimer  Mannheim,  das  unter  Karl Theodor  durch  Sch weizers 

Schule.  >Alceste€  und  Holzbauers  >Gunther«  fUr  die  deutsche 
Oper,  durch  Schillers  >R&uber€  fiir  das  deutsche  Schau-' 
spiel  zum  Vorort  wurde,  hat  unter  dem  genannten  Kur- 
fdrsten  auch  fur  die  Geschichte  der  vorhaydnschen  Kon- 
zertsinfonie  besondere  Bedeutung  eriangt.  Die  Mannheimer 


bat  von  den  drei  in  Betracht  kommenden  Schulen  die 
schftrfste  Rnfiere  Physiognomie,  ibre  Sinfonien  anter- 
scbeiden  sicb  niebt  bloB  von  den  anderen  deutschen, 
sondern  aucb  von  alien  italienischen  und  franzdsischen 
darch  ibre  ungew5bnlicbe  Dynamik  und  Omamentik; 
in  jener  sind  sie  absolat,  in  dieser  wenigstens  scbeinbar 
neu.  Das  gew5hnlicbe  Not^nbild  der  Akademie-  iind 
Konzertsinfonien  um  die  Mitte  des  18.  Jahrbunderts  ist 
dasselbe  wie  das  der  Bacbscben  Passionen  nnd  der 
Handelschen  Oratorien:  es  ist  arm  an  Vortragszeicben. 
Es  gibt  nun  Komponisten,  deren  Werke,  wie  die  Kantaten 
des  Darmst&dter  Hofkapellmeisters  Graupner,  mit  f.  und  p. 
reicber  und  sebr  reicb  ausgestattet  sind,  die  in  dem- 
selben  Takte  mit  den  St&ikegraden  einmal  Oder  mebrere 
Male  wecbseln  und  damit  bekunden,  da6  die  Dynamik 
nicbt  1  linger  dem  freien  Ermessen  der  Dirigenten  und 
Virtuosen  dberlassen  werden  kann.  Sie  bilden  indessen 
Ausnabmen.  Den  Mannbeimern  gebiibrt  nun  das  Ver- 
dienst,  daB  sie  die  Ausnabme  zur  Regel  gemacbt  baben. 
Sie  sind  die  ersten,  die  ibre  Sinfonien  so  durcbbezeicbnen, 
wie  sie  klingen  soUen,  und  sie  baben  damit  nicbt  allein 
die  Sicberbeit  des  Vortrags  unendlicb  erleicbtert,  sondern 
aucb  ffir  den  musikaliscben  Durchscbnitt  den  Sinn  fQr 
Farbenspiel  und  Klangscbattierung  gesteigert  und  neu 
belebt;  sie  sind  die  Babnbrecber  des  modemen  Orebester- 
kolorismus  geworden.  Es  war  nur  natiirlich,  daO  die 
Mannbeimer  Sinfoniker  selbst  diesem  Ausdrucksmittel 
aucb  neue  Wendungen  abzugewinnen  sucbten.  Unter 
ibnen  ist  das  sogenannte  Mannbeimer  crescendo  durch 
Barney  und  Scbubart  bervorgehoben  und  besonders  be- 
r&bmt  geworden.  Nun  ist  das  crescendo  allerdings 
scbon  in  der  venetianiscben  Oper  vereinzelt,  es  ist 
im  18.  Jabrbundert  bei  vielen  Tonsetzern,  bekanntlicb 
aucb  bei  S.  Bacb,  nacbweisbar.  Aber  wenn  aucb  ein 
Mozart  diesem  Mannbeimer  crescendo  eigne  Worte 
widmet,  so  mu6  es  docb  wobl  eine  Spezialit&t  sein,  und 
so  ist  es.  Die  Mannbeimer  Sinfonien  bringen  das  cres- 
cendo einmal  unvergleicblicb  b&ufiger  a  Is  es  Vorg&nger 

Kretzscliinsr,  Fflhrer.    I,  1.  7 


--^    98    ^^ 

und  Zeitgenossen  verlangen  oder  voraussetzen,  sie  legen 
zweitens  ihre  Kompositionen  auf  die  gr56tmogliche  Wir- 
kang  dieses  Effektes  an,  indem  sie  h&ufig  mil  ihm  —  ge- 
nau  wie  die  nachmaligen  Stretti  Rossinis  —  das  Aaf- 
steigen  eines  Motives  begleiten : 

Presto.  ^      ^  it    fr\ 


*    •  oreac.  ilf  J^ 


Man  muB  sich  bei  dieser  Mannheimer  Reform  der  Dynamik 
daran  eiinneni)  dafi  zu  der  Zeit,  wo  sie  vollzogen  wurde, 
bei  den  Komponisten  tlberhaupt  der  VerlaO  auf  die  alten 
KUnste  des  Improvisierens  und  Erg&nzens  zu  schwinden 
beginnt.  H&ndel  und  Bach  schreiben  bei  einzelnen  Sonaten, 
Sperontes  fiillt  bei  einzelnen  Liedern  das  Akkompagne- 
ment  aus.  Auch  die  Mannheimer  Sinfoniker  scheinen 
dem  alten  Continuo-Spiel  nicht  mehr  recht  zu  trauen 
und  suchen,  allerdings  nicht  ganz  konsequent,  die  obli- 
gaten  Orchesterinstrumente  auf  voile  Harmonie  zu  bringen. 
Ganz  griindlich  dagegen  rftumen  sie  mit  dem  alten  Ver- 
fahren  der  freien  melodischen  Erganzung  auf  und  schreiben 
in  ihren  Sinfonien  konform  den  dynamischen  Vortrags- 
zeichen  zum'  ersten  Male  auch  alle  die  sogenannten 
wesentlichen  Manieren  aus.  So  bietet  die  Mannheimer 
Schule  auch  nach  Seite  der  verschiedenen  Arten  von 
Vorschl&gen,  Vorhalten  und  Verzierungen  ein  ganz  neues 
Notenbild,  das  den  nichteingeweihten  Zeitgenossen  — 
unter  ihnen  sogar  ein  Burney  —  wohl  gar  als  neuer 
Stil,  als  neue  Musik  erscheinen  mochte,  zumal  die  Kom- 
ponisten, gerade  so  natQrlich  wie  von  den  dynamischen 
Effekten,  auch  von  den  alten  wesentlichen  Manieren  einen 
reicheren  Gebrauch  machten.  Auch  diese  Mannheimer 
Neuerung  drang  bald  durch  die  ganze  deutsche  Musik, 
womit  noch  lange  nicht  gesagt  ist,  daO  jeder,  der  sich 
ihr  anschloO,  damit  uberhaupt  auf  den  Boden  der  Mann- 
heimer Schule  trat.  DarQber,  wie  sich  die  Mannheimer 
Sinfonien  Uber  Deutschland  verbreiteten,  wird  sich  Be- 
stimmtes  erst  dann  berichten  lassen,  wenn  wir  das  Reper- 


1 


--^    99    ♦^ 

toir  unserer  collegia  musica  n&her  kennen  gelernt  haben. 
Dagegen  stehen  ihre  Erfolge  im  Ausland  durch  englische 
und  franzdsische  Verlagsverzeichnisse  fest;  auf  Frank- 
reich,  wo  sie  durch  Mich.  Brenet  noch  weiter  bestfttigt 
werden,  muBte  bei  den  starken  koloristischen  Neigungen 
der  heimischen  Musik  die  Mannheimer  Dynamik  allein 
schoD  unwiderstehlich  wirken. 

Mit  dieser  eingreifend  praktischen  und  modemen 
Einkleidung  der  Mannheimer  Sinfonien  verbindet  sich, 
wenigstens  bei  einigen  Komponisten,  ein  erfreulicher  und 
fesselnder  innerer  Gehalt.  Da  die  Grtinder  und  ersten 
Vertreter  der  Mannheimer  Schule  in  der  Mehrzahl  ein- 
gewanderte  Osterreicher  sind,  besteht  hier  Wesensver- 
wandtschaft  mit  der  Wiener  Schule.  Auch  ihr  —  nicht 
ganz  erreichtes  —  Ziel  ist  Freiheit  vom  italienischen  Joch,  . 
Ersatz  der  Theaternichtigkeiten  durch  seelische  Erleh- 
nisse  aus  dem  Gebiete  des  Frohsinns  und  der  Beschau- 
lichkeit.  Den  bedeutendsten  Meister  hierffir  stellt  die 
Mannheimer  Schule  in  Johann  S  t a  m  i  t  z  (1717— 67J*J,  einen  Joh.  stauiti. 
der  wenigen  deutschen  Instrumentalkomponisten ,  die 
Arteaga  kennt.  Wenn  auch  Stamitz  die  eigensten  Proben 
seines  Wesens  und  K5nnens  nicht  in  seinen  Sinfonien, 
sondem  in  seinen  Triosonaten  niedergelegt  hat,  so  sind 
doch  jene  immerhin  natiirlich  liebenswQrdige  AuOerungen 
einer  schwungvoUen ,  ebenso  optimistischen  wie  revolu- 
tion&ren  Pers5nlichkeit,  einer  Karl  Moor-Natur  und  einer 
in  Dichtung  und  Kunst  Kraft  und  Freiheit  verherrlichen- 
den  Zeit.  Die  Mannheimer  Reform  der  Dynamik  paBt 
sich  so  sehr  den  pers5nlichen  Anlagen  Stamitzens  an, 
dafi  sie  sehr  wohl  auf  ihn  zurdckgehen  kann.  Die  erup- 
tiven,  unbedeutende  Motive  in  gl&nzende  Beleuchtung 
emporhebenden  fortes  entspringen  bei  ibm  einer  Mozar- 
tisch  feurig  gliihenden  Seele,  die  langen  und  h&ufigen 
crescendi  einem  m&chtigen  Willen  und  demselben  weiten 

*)  Sinfonien  der  Mannheimer  Schule  [in  den  Bayrischen 
Denkmilem  der  Tonkunst  (3.  Jahrg.  Bd.  I,  T:  Jahrg.  Bd.  II  und 
S.  Jahrg.  Bd.  II). 

7* 


— ^    100    >- 

und  sicheren  Blick,  der  Uberall  aus  der  Fiihrung  der  Form 
hervortritt.  Hier  namentlich  in  der  Erweiterung  der  Haupt- 
themen  zn  gro6enThemengruppen,in  derZerteilanggrdOe- 
rer  Gedanken  und  der  Umstellang  und  Entwicklung  solcher 
Telle.  Zum  Signalement  von  Johann  Stamitz  gehdren  noch 
die  hftufigen  dreimaligen,  herrischen,  ungenierten,  humo- 
ristischen  Wiederholungen  desselben  Taktes,  z.  B.: 

Presto. 


Ferner      der 
Reichtum  an 

Einf&llen  fQr  Nebens&tze,  Dbergange,  seltener  flir  den 
Durchfiihrungstei].  Nach  der  Gesamtheit  seiner  sinfti- 
nischen  Eigenschaften  verdient  Johann  Stamitz ,  so  wie 
es  Gerber  (im  alten  Lexikon)  tut,  unter  den  Vertretern 
des  fibergangs  zwischen  der  italienischen  Opemsinfonie 
und  Joseph  Haydn  ausgezeichnet  zu  werden;  ihn  als 
Schopfer  eines  neuen  Typs  zu  feiern,  hinder!  aber  schon 
die  altmodische  Natur  seiner  Durchfiihrungen. 

Eine  fthnlich  hervorragende  Stellung  wie  Johann 
Stamitz  nimmt  in  der  Friihzeit  der  Manuheimer  Franz 
F.x.Bichter.  Xaver  Richter  (1709—1789)  ein.  Eigen  ist  Richter 
erstens  durch  seine  Vorliebe  fiir  eine  der  Sinfonie,  bis  auf 
Ausnahmen  wie  Caldara,  grunds&tzlich  fremde  Polyphonie, 
zweitens  durch  einen  ernsten,  tiefsinnigen  Zug,  der  sich 
weniger  in  den  Themen  selbst,  als  in  ihrer  Entwicklung 
geltend  macht,  da  besonders  durch  merkwiirdig  unbe- 
'  stimmte,  fragende,  ja  desperate  Schldsse  auf  verminderten 
Sept-  und  auf  Sekundakkorden  mit  Fermaten  und  Gene- 
ralpausen,  AuGerungen  einer  ergreifenden  Resignation, 
die  mit  ganz  fthnhchen  Mitteln  in  den  letzten  Sinfonien 
J.  Haydns  wiederkehren.  Auch  in  anderen  rhetorischen 
Eigenheiten  £lul3ert  sich  die  kontrastierende  Regsamkeit 
von  Richters  Phantasie.  Da  verstummt  pl5tzlich*das  voile 
Orchester,  nur  die  Violinen  musizieren  mit  einem  vier 
Takte  langen  festgehaltenen  hohen  a  weiter;  hier  gibt  er 


-^    101     <i^ 

unversehens  einer  sinnigen  Melodie  durch  Verlegung  in 
die  tieferen  Saiten  einen  ganz  fremden  Charakter,  dort 
tritt  ein  zweites  Thema  ganz  anders  ein,  als  man  er- 
wartet.  Kurz  er  ist  ein  Dichter,  der  sich  mil  den  her- 
gebrachten  Reimen  nicht  begnUgt  und  in  dessen  Hand 
sich  das  Tonmaterial  fortw&hrend  neu  belebt,  der  mit  Nach- 
satzen,  Nachspielen,  Kombinationen  mehrerer  Themep, 
Zerlegung  der  Hauptgedanken  technisch  wie  geiatig  fesselt, 
den  Verstand  und  die  Empfindung  des  H5rers  gleichm&Big 
besch&ftigt  und  znweilen  m&chtig  packt.  Die  volksttimliche 
Richtung  der  Zeit  vertritt  Richter  deutlicher  als  Stamitz, 
zuweilen  mit  fdrmlichen  LiedanklsLngen.    In  seiner  Fdur- 

Sinfonie    (op.   IV,  ^^_^ 

Nr.  2)  z.  B.  h5ren  il>''a  **  ^  ^  f  \Fff  *»  f  f  f  \r^r  ^*«- 
wir    im   Andante  «)'     ~     ^— •— '      '-'-' 

im  Trio    ^  ,  Mit  demHauptteil  seiner 

desMe-^i^f  f  f  |  P'^^Thematik  kntipft  aber 
nuett:    ^  i^  »  ^  Richter  an  die  heitere 

T&ndelei  des  italienischen  Ideenkreises,  an  Sinfonien  wie 
sie  fur  die  Oper  Trajetta,  fQr  das  Konzert  Sammartino 
geschrieben  hat,  an.  Dafi  er  dartiber  hinauskommt,  ver- 
dankt  er  aafier  dem  angeborenen  Naturell,  der  Solidit&t 
der  alten  Schule,  in  der  er  aufgewachsen  ist  und  die  sich 
zuweilen  auch  noch  in  Spezialit&ten  wie  die  Solmisations- 
ihem^n  bekundet. 

Es  liegt  in  der  &uOerlichen  Natur  der  Mannheimer 
Reformen,  dafi  schon  bald  nach  dem  Tode  von  Johann 
Stamitz  ein  Verfall  eintritt.    Zuerst  wird  er  bei  Anton 
Filtz  (1725—60}  sichtbar  und  zwar  in  Hauptthemen,  die  a.  Fiitz. 
wie  das  im  ersten  Satze  der  Adur-Sinfonie: 


jJJJj.'^IJl^J^^^^ 


P 

einen  argen  Rflckfall  in  die  neapolitanische  Windigkeit 
der  Vinci  und  Genossen  bedeuten.  Doch  hat  Filtz  auch 
bessere  Sinfonien  geschrieben,  zu  denen  namentlich  die 
in  Es  (op.  2/Nr.  6)  gehdrt,  und  seine  Menuetts  sind  so 


102 


Caiuiabicli. 


I.  Holsbavr. 


zieinlich  alle  sehr  erfreulich.  Ahnlich  verhalt  sichs  mil 
Joseph  Toeschi  mit  Franz  Beck,  Ernst  Eichner  und 
anderen  Vertretern  der  Schule.  Zum  Teil  Iftfit  sich  ihren 
l^nfonien  gate  ileiOige  Arbeit  nachriitimen,  aberderldeen- 
gehalt  ist  unselbst&ndig  und  erinnert  an  die  Nichtigkeit 
der  italienischen  Opernsinfonie.  Die  frischeste  Kraft  der 
Gruppe  ist  noch  Karl  Stamitz,  der  &ltere  Sohn  Johanns^ 
dessen  Werke  sich  auch  ziemlich  stark  verbreitet  za 
haben  scheinen.  Ein  neuer  Aufschwung  zeigt  sich  in 
der  Mannheimer  Schule,  als  in  den  siebziger  Jahren 
Christian  Cannabich  und  andere  das  koloristische 
Problem,  durch  das  die  Schule  zu  eigner  Bedeutung  ge- 
langt  war,  vom  Frischen  aufgreifeu  und  weiter  gestalten. 
D«n  Anstofi  hierzu  hat  mdglicherweise  die  neue  5ster- 
reichische  und  suddeutsche  Suite  gegeben,  denn  mit 
deren  Serenaden  und  Divertimentis  teilt  die  Mannheimer 
Sinfonie  der  zweiten  Periode  die  Neigung  zum  Konzer- 
tieren  der  Instrumente  und  den  Aufmarsch  und  Wechsel 
zahlreicher,  voran  blasender  Solisten.  Die  neue  Sinfonie- 
arbeit  der  Schule  gipfelt  in  Sinfonien  fQr  Doppelorchester, 
einer  Gattung,  die  sich  nur  spHrlich  entwickelt  hat  und 
unsrer  Zeit  nur  aus  Versuchen  L.  Spohrs  bekannt  ge- 
worden  ist  Cannabich  mu6,  obwohl  er  ungleich  ist 
und  sichs  bei  einzelnen  Sinfonien  im  italienischen  Fahr- 
wasser  bequem  macht,  den  bedeutenden  Mannheimern 
beigezfthlt  werden.  Seine  DurchfQhrungen  gehdren  zu 
den  freiesten,  an  Inhalt  und  Uberraschungen  reichsten,  er 
gelangt  in  interessanter  Arbeit  zu  eigenen  Wendungen, 
wie  es  seine  Themen  in  den  Bafistimmen  sind,  und  hat 
namentlich  mit  Chromatik,  mit  der  Figurenbildung  und 
den  Modulationen  seiner  Andantes  stark  auf  W.  Mozart 
gewirkt. 

Auch  der  bekannte  Ignaz  Holzbaur  hat  noch  in 
dieser  zweiten  Periode  fleiGig  mitgearbeitet.  Sein  Nach- 
lafiverzeichnis  spricht  von  205  Sinfonien  und  Konzerten 
verschiedener  Art.  Darunter  laOt  sich  wenigstens  eine  Sin- 
fonie fur  die  neue  Cannabichsche  Richtung  reklamieren : 
es  ist  ein  in  Schwerin  aufbewahrtes  F  dur-Stiick  fiir  zwei 


103 


konzertierende  Fagotten.  Die  Mehrzahl  der  Holzbaurschen 
Sinfonien  sind  dreis&tzig  und  Qberhanpt  nach  &lterem 
Master,  daher  anch  ohne  die  beruhmten  Mannheimer 
crescendi  durchgefUhrt.  Ihre  bedeutendsten  Teile  sind 
die  geistreichen  Reprisen  in  den  ersten  Sfttzen. 

In  der  Norddentschen  Schnle  sind  die  Arbeiten 
derjenigen  Berliner  Komponisten  mafigebend,  die  zum 
gr56ten  Teile  als  Hofmusiker  Friedrichs  des  Grofien  ihre 
Konzertsinfonien  fflr  die  hinter  dem  Jfigerhofe  tagende 
»Musikalische  Gesellschaftc  von  Janitzsch  und  fUr  die 
bdrgerlichen  Collegia  von  Schale  und  Sack  schrieben. 
An  ihrer  Spitze  stehen  die  GebrUder  Graun,  der  Kapell- 
meister Heinrich  und  der  Konzertmeister  Johann  Gottlieb 
Graun.  Heinrich  Graun  hat  allerdings  nur  Opemsin- 
fonien  geschrieben,  aber  sie  sind  ebenso  wie  die  Opem- 
sinfonien  Hasses  sehr  viel  in  Konzerten  aufgefQhrt  worden 
und  haben  den  Stil  der  Sinfonie  dadurch  weiter  gef6rdert, 
daB  sie  den  ersten  Satz  grundsfttzlich  tkber  ein  Haupt- 
motiv  des  ersten  Themas  entwickeln.  Die  Sinfonie  zum 
Ezio  f &ngt  z.  B.  an : 


j«».ij  wyj^lj^ir^CCtfr  Jifffj 


Da  ffthrt  nun  gleich  nach  diesem  SchluB  die  Musik  mit  dem 
Motiv  des  ersten  Taktes  im  Bafi  —  erst  in  D,  dann  in  h, 
in  G  etc.  —  fort.  Das  war  eine  Methode,  die  der  Einheit 
eines  l&ngeren  Satzes  zu  gute  kam,  die  aber  auch  die 
Komponisten  auf  emste  und  strengere  Arbeit  verwies,  eine 
Methode,  die  Phantasiereichtum  sowie  Lust  an  Arbeit  und 
Kunst  voraussetzend,  die  Harmlosigkeit  der  italienischen 
Sinfonieallegris  ebenfalls  ausschloO.  Daraus,  dafi  sich 
Graun  hierin  mit  Monn,  Job.  Stamitz  und  anderen  Wienern 
und  Mannheimern  begegnet,  ersieht  man,  daO  der  Drang, 
den  Geist  der  Sinfonie  zu  heben,  in  Deutschland  gegen  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts  allgemein  war  und  daO  keiner 
der  drei  Schulen  der  alleinige  Anspruch,  eine  neue  Zeit 
herbeigefuhrt  zu  haben,  zugestanden  werden  kann.    Jo- 


Norddenische 
Schnle. 


Heinriek 


-^    104    ^_ 

Gottlieb  hann  Gottlieb  Graon  fu6t  auf  den  Anregungen  seines 
Gravn.  Bruders  und  baut  sie  in  seinen  fttr  die  Zeit  ungew5hnlich 
vollstimmig  besetzten  Konzertsinfonien  zu  einem  Konzer- 
tieren  der  einzelnen  Orchestergruppen  aus,  hierin  ein 
Vorlfiufer  der  zweiten  Mannheimer  Schule.  Hiller  meint 
Gottlieb  Grann,  wenn  er  in  den  >Wochentlichen  Nach- 
richtenc  (1770)  schreibt: 

>Die  deutschen  Sinfoniesetzer  .  . .  sehen  nicht  sowohl 
darauf,  ein  simples  Them  a  zu  erfinden,  als  schdne  Wir- 
kungen  durch  die  grofie  Menge  verschiedener  Instrumentc 
zu  erhalten,  die  sie  anbringen,  und  durch  die  Art,  wie  sie 
dieselben  nacheinander  arbeiten  lassen  . . .  Ihre  Sinfonien 
sind  eine  Art  von  Konzerten,  wo  die  Instrumente  sich 
wechselweise  zeigen,  wo  sie  sich  auffordern  und  antworten 
und  miteinander  streiten  und  sich  wieder  vereinen.c  Die 
kunstvoUe  Arbeit  wurde  durch  beide  Graun  ein  Merk- 
mal  der  Berliner  und  weiterhin  der  Norddeutschen 
Schule.  Von  der  Verwendung  von  Kopfmotiven,  vom 
Konzertieren  der  Orchestergruppen  aus,  steigert  sie  sich 
bis  zu  einer  formlichen  >Fugen-  und  Kanontechnikc,  wie 
sich  M.  Flueler*}  ausdriickt.  Die  Lust  am  Fugieren  und 
Imitieren  hat  sich  bei  den  Berlinern  und  Norddeutschen 
bis  in  die  Zeit  der  ersten  Romantik  behauptet  Nicht 
bloB  in  den  Sinfonien  C.  M.  v.  Webers,  sondem  auch  noch 
in  denen  Robert  Schumanns  ist  die  Fuge  eine  bevorzugte 
Form  der  Satzentwicklung,  und  es  darf  hinzugefiigt  werden, 
eine  von  Natur  aus  sehr  berechtigte.  In  der  Thematik 
gleichen  die  Norddeutschen  Sinfoniker  zunHchst  den 
Wienern  und  Mannheimern.  Auch  sie  bemtihen  sich,  an 
Stelle  des  bloBen  italienischen  Klingklangs  heitre,  zu 
einer  guten  gesellscbaftlichen  Unterhaltung  geeignete 
Tongedanken  zu  setzen.  Spd.ter  tritt  bei  ihnen  mehr 
und  mehr  ein  ernsterer  Zug  hervor  und  unterscheidet 
die  Berliner  Sinfonien  von  der  leichten  Beweglichkeit  der 
Suddeutschen.    Von  ihm  aus  lehnen  sie  den  Menuett  ab 


*)  Max  Flueler,    Die    Norddeutsche    Sinfonie    zur    Zeit 
Friedrlchs  des  GroBen.     Berlin  1908. 


-^    105    ^^ 

uud  greifen  J.  Haydn  an.  Das  war  nicht  bloBe  Philistro- 
sitat  sonderD  auch  die  gestinde  Emplindung,  daO  der  neue 
vierte  Satz  eine  asthetische  EiDheit  sprengte. 

Nach  den    beiden  Grauns   ist  anter  den  Vertretern 
der  Berliner  Schale  Franz  Benda  zu  nennen.     Seine Fram Benda. 
fast  nor  fiir  Streichinstmmente  geschriebenen  Sinfonien 
sind  denen  von  Gottlieb  Graun  zum  Verwechseln  fi.bn]ich, 
und  tats&chlich  haben  Bibliothekare  Graunsche  Sinfonien 
dem  Benda  zugeschrieben.     Zu  den  talentvolleren  Sin- 
fonikern  der  Berliner  Schule  gehort  dann  noch  Christoph 
Schaffrath,  eine  grazidse  frohgemute  Musikantennator.  Ch.  schaffkrath. 
Bei  weitem  schw&cher  sind  Christian  Friedrich  Schale,  F.Sehaie. 
ein  Trabant  Heinrich  Grauns,  und  Carl  Joseph  Rode- J. Bodewald. 
wald,    der  sich  von    einem    Italiener    gew5hnlichsten 
Schlags  kaum  unterscheidet.    Auch  die   Sinfonien   der 
beiden  bekannten   Theoretiker  Marpurg   und   Kirn- 
berger  kdnnen  nur  wenig  interessieren,  h5her  stehen 
Christoph  Nichelmann,   von   dem   sich  aber  nur  ein c. Mcholmamn. 
StQck  erhalten  hat,  GeorgBenda,  Heinrich  Roll e  und Geor^ Benda. 
Friedemann  Bach.    Von  Sachsen,  die  in  der  Norddeut- **•  ^®w«- 
schen  Schule  hervorgetreten  sind,  mflssen  der  Dresdner '^'****"*" 
Georg  Neruda  und  der  Leipziger  Thomaskantor  Gottlieb  q.  xerada. 
Harrer,  der  in  seinen  Sinfonien  viel  h6her  steht  als  iuG.  Uarrer. 
seinen    Yokalkompositionen ,    angeftlhrt  werden.     Auch 
Job.   Adam   Hiller    geh5rt    unter    die    besseren    Nord- j.  a.  Hilier. 
deutschen. 

Der  der  Gegenwart  am  meisten  bekannte  Vertreter 
der  Norddeutschen  Sinfonieschule  ist  Philip p  Emanuel 
Bach,  der  sogenannte  Hamburger  Bach.  Ph.  Em.  Bach  Phii.  Em.  Bach, 
ist  weder  durch  Grdfie,  noch  durch  Menge  der  Gedanken 
ausgezeichnet;  er  hat  aber  nichtsdestoweniger  fiir  die 
Geschichte  der  Musik  als  Stilist  eine  Bedeutung  ersten 
Ranges.  Er  erfand  eine  neue  Art  der  thematischen 
DurchfGhrung,  die  hinter  der  Fuge  und  den  andern 
strengen  Formen  der  Nachahmung  an  GrUndlichkeit  zu- 
r&ckstand,  sie  aber  an  Schmiegsamkeit  und  Beweglichkeit 
bei  weitem  tibertraf  und  dem  Spiele  der  Laune  und  des 
Augenblicks   auch  in  den   gr5Beren  Formen  ein  en  be- 


-^    106    ^- 

quemen  and  allezeit  ofTnen  Zutritt  gestattete,  ohne  daG 
dabei  die  Darstellung  —  wie  dies  in  der  nordisch  nieder- 
I&ndischen  Instrumentalschule  frfiherer  Zeit  der  Fall  war 
—  der  Gefahr  phantastischer  WillkQr  verfiel.  Bach  ist 
in  dieser  seiner  Art  einer  der  ersten  und  bemerkens- 
wertesten  Vertreter  franzosischer  Bildungsideale  in  der 
deutschen  Instrumentalmusik.  Rich te ten  doch  in  der 
zweiten  Hftlfte  des  vorigen  Jahrhunderts  selbst  die  Lieder- 
komponisten  (der  Berliner  Schule)  ihre  Angen  anf  die  in 
Frankreich  gebotenen  Master.  Neben  seinem  Lehrbach 
>Versach  0ber  die  wahre  Art  das  Klavier  zu  spielenc  hat 
Bach  am  nachhaltigsten  darch  die  Pianofortekomposi- 
tionen  gewirkt,  die  in  groOen  and  kleinen,  schweren  and 
leichten  Formen  seiner  fleiGigen  Feder  in  Menge  ent- 
ilossen.  Aber  System  und  Geist  seiner  Kunst  kommen 
in  den  Sinfonien,  die  er  schrieb,  immer  noch  fUhlbar 
zum  Ausdrack.  Oberdies  enthalten  sie  in  der  Orchester- 
behandlung  Elemente,  die  fQr  die  weitere  Entwicklong 
der  Gattang  von  Wichtigkeit  warden. 

Gerber  schreibt  in  seinem  Lexikon  dem  Ph.  E.  Bach 
>ein  paar  Dutzend  Sinfonienc  za.  Davon  sind  zu  Bachs 
Zeiten  hdchstens  nur  10  in  Stimmen  gedrackt  worden, 
vier  davon  im  Jahre  1780  (bei  Schwickert  in  Leipzig). 
Diese  sind  es,  welche  Espagne  im  Jahre  1860  bei  Peters 
in  Leipzig  neu  heraasgab.  Die  erste  derselben  wird  heate 
wieder  gespielt:  Das  Hauptthema  ihres  ersten  Satzes  ist 
dieses 

x>K-v     1      t      W-^K  1      \      r^^     ,  Eswird,  flankiert 

?^"Lfr^.^  pffll'    ."    von  einigen  ziem. 

U-^    U^JT   tJjJ  LLP      ^r^    lich  anbedeuten- 

den  Seitenmotiven,  zu  einemSatze  von  ungefsLhr  200Takten 
L&nge  ausgeftthrt,  in  welchem  sich  die  drei  Teile  des 
Sonatensatzes:  Themengruppe,  DarchfQhrung,  Repetition, 
klar  unterscheiden.  Dieser  erste  Satz  moduliert  in  den 
Schlufitakten  nach  Es  dur,  der  Tonart  des  zweiten  Satzes, 


-^     107     «^ 

einem  Larghetto  in  dem  weichen,  zu  Trilaen  bereiten 
Stile  des  18.  Jahrhunderts.  Mit  dem  Klange  der  geliebten 
Fldten  tritt  das  Thema  des  Satzes  ein: 


jiMimiiiir'ijii-iiiij  ,1 


sansenden  Laufs,  nur  selten  dnrch  einen  ernsteren  Einfall 
gehemmt,  fuhrt  die  Sinfonie  zu  Ende.  Diese  Scarlattische 
Gmndform  and  auch  der  seelische  Typus  der  D  dur- 
Sinfonie  kehrt  in  den  anderen  wieder :  geistreiches,  leben- 
diges  und  sprQhendes  Finale,  anziehendes  oder  ertr&gliches 
Larghetto  nnd  ein  verwnnderlicher  Hanptsatz.  Denn  es  ist 
verwunderlich,  wie  diese  HauptsS.tze  der  Sinfonien  —  und 
auch  der  Konzerte  —  des  Hamburger  Bach  doch  ziemlich 
inhaltlos  verlaufen.  Sie  setzen  alle  mit  einem  wunderbaren 
SchwuDg  ein;  mit  gewaltiger  Kraftanstrengung  stflrmen 
sie  von  Anlauf  zu  Anlauf,  geberden  sich  in  Thllern  und 
allerhand  ungew5hnlicher  Melodik  nicht  selten  ganz  apart 
und  absonderlich.  Aber  sie  zerplatzen  wie  Seifenblasen 
ohne  Spur  und  Resultate.  Es  stellt  sich  diesen  heroischeu 
Versnchen  nichts  Wichtiges  entgegen,  der  Zug  gerfit  in 
Tandeleien  und  streift  am  Bedeutenden  flfichtig  vorflber ; 
das  Ganze  kommt  nicht  fiber  das  Phantastische  hinaus 
und  bleibt  Feuilleton  und  Strohfeuer.  Nur  die  gedank- 
lich  bedeutendste  der  vier  Sinfonien,  die  zweite  in  F  dur, 
erhebt  sich  fiber  diese  Stufe.  Beim  unmittelbaren  Hdren 
der  Bachschen  Sinfonie  findet  jedoch  die  Kritik  keine 
Zeit  zu  ihren  Bedenken;  die  S&tze  gehen  unmittelbar 
ineinander  fiber  und  das  Ganze  rauscht,  angeregt  und 
anregend,  verh&ltnismafiig  schnell  vorfiber. 

Die  Besetzung  der  vier  Sinfonien  (Streichorchester, 
2  FI5ten,  2  Oboen,  2  Hdrner,  2  Fagotts  und  Flfigel)  weist 
auf  speziflsch  hamburgische  Verh&ltnisse  jener  Zeit  bin: 
ein  starkes,  mit  virtuosen  Kr&ften  ausgestattetes  Yiolinen- 
ensemble  und  ziemlich  mafiige  Blftser.  Der  Flfigel  ist 
in  jener  Zeit  bereits  eine  entbehrliche  Zutat.    Interessant 


-^    108    ^— 

und  Schule  machend  wirkte  Bach  darch  die  Behandlang 
der  Instrumente.  Unter  ihnen  herrscht  im  Vergleich  zar 
filtered  Weise  voile  FreizUgigkeit,  und  sein  Orchester 
forzniert  sich  fortw&hrend  anders  und  vollzieht  die  Evo- 
lutionen  der  neuen  Aufstellung  mit  einer  Leichtigkeit, 
die  der  &lteren  Praxis  fremd  war.  Auch  Bach  keDnt  das 
>Concertinoc  des  Konzertorchesters  noch,  er  gibt  dem  be- 
kannten  Bl&sertrio  gem  die  zweiten  Them  en  im  Haupt- 
satz.  Aber  aoch  jedes  andere  Instrument  besitzt  bei  ihm 
die  Solistenqualifikation  und  ist  jeden  Augenblick  bereit, 
von  ihr  Gebrauch  zu  machen.  Die  solistische  Ffihrung 
geht  taktweise  von  der  Oboe  zur  F15te,  von  einem  Chor 
zum  andern,  w&hrend  man  friiher  bei  solchem  Wechsel 
etwas  umstfindlicher  war. 

Durch  die  Arbeit  der  drei  Schulen  kam  es  im  letzten 
Drittel  des  18.  Jahrhunderts  zu  einer  Scheidung  von 
Opemsinfonie  und  Konzertsinfonie.  Die  erstere  wurde 
einsfitzig,  die  Konzertsinfonie  behielt  drei  oder  vier  Sfitze 
und  wird  daher  hftufig  als  Sinfonie  p^riodique  d.  h. 
als  mehrsfttzige  Sinfonie  angezeigt. 


11. 
J.  Haydn,  Mozart,  Beethoven. 


|er  grofie  Aufschwung,  den  die  Pflege  der  Sinfonie 
in  Deutschland  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhnnderts 
nahm,  brachte  ihre  innere  Entwicklung  wohl  in 
Gfthrung,  aber  zu  keinem  bedentenden  AbschluG.    Die  ge- 
meinsame  Arbeit  dei^  drei  Schnlen  hat,  wie  noch'Ph.E.  Bach 
zeigt,  weder  die  italienische  Thematik  vollstandig  aus- 
schalten  kdnnen,  noch  weniger  ist  es  ihr  gelnngen,  die  Form 
der  Sinfonie  aach  nnr  in  dem  Grade  mit  dentschem  Geist  zn 
fiilleD,  wie  er  sich  anderwftrts  schon  Iftngst,  in  den  Sonaten 
S.  Bachs  etwa,  geltend  gemacht  hat.    Aach  diejenigen 
Sinfoniekomponisten,  die  wie  die  beiden  Bdhmen  Mysli-  Hysliireezek. 
weczek  nnd  Zach,   wie  Gottwald,    Camerloher,  2*<^k- 
Schwanberger,  Rosetti  und  wie  der  viel  g^spielte  ^*^^jj*'^y 
Londoner  Bach  auBerhalb  bestimmter  Schulen  stehen,  Schwanberger. 
tragen  zwar  zum  Teil  in  die  Ideenrichtang  oder  in  die  Rosetti. 
Formbehandlung  der  Sinfonie  interessante  Einzelziige  hin-  ^^'  ^■«^»« 
ein,   aber  das  Gesarotergebnis   ilndern   sie  nicht.     Erst 
Josef  Haydn  wandelte  sie  urn  und  zwar  so  grUndlich 
und  gewaltig,  daB  seine  Reform   der  Sinfonie  eine  der 
bedeatendsten  Taten  der  gesamten  Kunstgeschichte  ge- 
nannt  werden  darf. 

Wenn  wir  auf  die  Frage,  worin  bestand  Haydns 
Reform  der  Sinfonie,  mit  unseren  Handbtichem  der 
Musikgeschichte  und  mit  den  musikalischen  Lexicis  ant- 
worten:  in  der  EinfUhrung  des  Menuetts,  so  bleiben  wir 


i 


-^    110    ^^ 

allerdings    den    Tatsachen    das   meiste    und    das   beste 
schuldig. 

Haydn  hat  den  Menuett  nicht  in  die  Sinfonie  einge- 
fiihrt)  sondem  ihm  nur  in  der  intern ationalen  Sinfonie 
allgemeines  BUrgerrecht  erworben.  Es  handelt  sich  dabei 
im  Menuett  um  ein  StUck  volkstQmlicher  Musik  im  all- 
gemeinen.  Die  Wiener  Schule  n&herte  sich  mit  der  Auf- 
nahme  dieses  Tanzsatzes  in  die  Sinfonie  der  Suite,  und 
Haydn  war  es,  der  die  von  andern  groBen  Meistern,  von 
Corelli  und  namentlich  von  H&ndel  auf  dem  Gebiete  des 
Konzerts  versuchte  Auss5hnung  der  hdheren  Tonkunst 
mit  der  einfachen  gesunden  und  reichen  Volksmusik 
auf  dem  Gebiete  der  Sinfonie  zu  einem  in  seiner  Art 
ganz  vollendeten  Und  wundervollen  AbschluB  brachte. 
Ihm  gelang  es,  in  den  Formen  der  italienischen  Sinfonie 
den  Suitengeist  heimisch  zu  machen;  ftir  diejenigen  — 
kann  man  sagen  —  die  diesen  neuen  Geist  im  alten 
Hanse  nicht  merkten,  wurde  der  Menuett,  der  modemi- 
sierte,  l&ndlerartige,  dsterreichische  Menuett,  noch  be- 
sonders  drein  gegeben.  Im  letzten  Allegro,  im  Schlufi- 
satz,  hielt  anch  die  italienische  Sinfonie  auf  eine  gemein- 
verstandliche,  ungesuchte,  an  Tanz  anklingende  Frdhlich- 
keit.  Aber  in  den  anderen  SS,tzen  ist  zwischen  ihr  und 
Haydn  ein  elementarer  Unterschied :  Der  erste  Satz  hat 
bei  den  Italienern  weit  ausholende,  umst&ndliche,  bei 
aller  Trivialit&t  auf  Theaterfiifien  einherstolzierende 
Themen;  bei  Haydn,  bei  dem  sp&teren  Haydn  wenigstens, 
dem  Haydn,  den  heute  alle  Leute  meinen,  wenn  sie 
seinen  Namen  nennen  —  knappe,  sofort  fertige,  unge- 
ktlnstelte,  lustige,  gemfitlich  beschauliche  Weisen,  die 
wie  aus  dem  Volksmund  genommen  klingen,  sicher  fUr 
ihn  wie  geschaffen  und  doch  dabei  immer  so  edel  sind, 
daB  sie  auch  die  vornehmen  und  hohen  Geister  erfreuen, 
erw&rmen  und  fesseln.  Seine  langsamen  Satze,  seine 
Adagios,  Andantes,  Larghettos  entwickeln  oft  den  Tief- 
sinn  S.  Bachs,  die  EmpfindungsgrdBe  Handels,  sind  erregt 
ohnegleichen ;  aber  ihren  Ausgang  nehmen  sie  meistens 
von  dem  Boden  des  KinderUedes.    Wer  denkt  da  nicht 


— ^   111   ^>- 

an  das  Andante  mit  dem  Pankenschlag?  Es  fiihren  ge- 
rade  von  diesen  S&tzen  goldene  Faden  nach  dem  Rohr- 
aaer  Elternhaas  Haydns,  zu  den  Abendstunden,  da  der 
Vater  die  Harfe  schlug  und  die  Kinder  sangen.  Familien- 
abkunft  und  Heimat  haben  einen  grofien  Anteil  an  der 
Sinfonie  Haydns;  sie  haben  zum  Teil  ihre  Richtang  auf 
den  Gedankenkreis  der  Suite  bestimmt,  ihre  schnelle  und 
weite  Verbreitung,  ihre  ungeheure,  bis  beute  bewSlhrte 
Popnlarit&t  begriindet. 

Aber  der  volkstiimliche  Charakter  der  Haydnschen 
Sinfonie  ist  nnr  der  eine  Teil  ihrer  Nenerung.  Er  ruht 
auf  der  Erfindung  der  Gedanken.  Wichtiger  noch  ist,  wie 
das  sehon  frtihzeitig  bemerkt  worden  ist*],  der  andere: 
die  Auslegung,  Verwendung  des  thematischen  Materials, 
das,  was  Theologen  und  Philologen  die  Exegese  nennen. 
Hierfilr  standen  der  &lteren  Zeit  in  der  Instrumentalmusik 
vor  allem  Fuge  und  Variation  zur  VerfQgung.  Beide 
Formen  arbeiteten  fast  ausschlieBIich  mit  dem  Thema 
in  seiner  ganzen  Ausdehnung  und  L&nge.  In  zweiter 
Linie  erst  kam,  namentlich  durch  das  Ronzert,  die  Ent- 
wicklung  eines  Tonsatzes  auf  Grund  von  Bruchstucken 
des  Themas,  auf  Grund  sogenannter  Motive  in  Branch. 
Haydn  machte  nun  diese  motivische  Entwicklung  zum 
Prinzip  des  Satzbaues,  und  eine  besondere  Eigenheit  von 
ihm  war  es,  daB  er  solche  Teile  des  Themas,  solche 
Motive  zu  dem  Zweck  gem  heranzog,  die  im  Zusammen- 
haug  der  thematischen  Periode  zurQcktreten,  denen  man 
nichts  Bemerkenswertes  ansieht.  Ein  Hauptbeispiel  fiir 
dieses  Haydnsche  Verfahren  bietet  die  D  dur- Sinfonie 
Nr.  2  (der  neuen  Partiturausgabe  von  Breitkopf  &  H&rte), 
die  zweite  der  Londoner  Siofonien,  in  ihrem  ersten  Satz. 
Da  ist  der  ganze,  groBe  DurchfQhrungsteil  und  auch  ein 
gutes  StQck  der  Ubergangspartien  in  der  Themengruppe 
aus  dem  3.  und  4.  Takte  des  Hauptthemas,  aus  dem  zweiten 

*)  L.  Gerber:  Uber  gearbeitete  Instrumentalmnsik ,  be- 
8onders  uber  Sinfonie.  Allgemeine  Musikalische  Zeltung  1813, 
S.  457  u.  ff. 


--^     112    *>- 

Abschnitt  des  Vordersatzes  hergestellt,   der  also  lautet: 

Nun  vergleiche  man  ein- 
J  J  J  •  ^^^  mal,  wie  unbedeutend  diese 
r  ==■  beiden  Takte  im  Them  a 
selbst  bleiben,  andererseits  was  fiir  eine  Skala  von  Emp- 
findungen  Haydn  mit  ihnen  durchspielt.  Das  geht  von 
der  entzUcktenTr&umerei  bis  zum  entsetz  ten,  vers  weifelten 
Toben. 

Dieses  neae  Haydn sche  Verfahren  lieB  die  Grund- 
hnien  der  in  der  italienischen  Sinfonie  herrschenden 
Forraen  im  Anfangs-  und  Schlnfisatz  unbertthrt.  Wir 
haben  im  ersten  Sinfoniesatz  bei  Haydn  nach  wie  vor 
die  drei  Hanptteile:  Themengruppe,  Durchfahrung,  Re- 
prise: das  Schema  also  des  sogenannten  Sonatensatzes. 
Seine  Schlol^s&tze  bleiben  bei  der  bisher  Qblichen  Rondo- 
form  —  eine  Art  Instrumentaliibertragung  des  Rundge- 
sangs  —  Oder  sie  verwenden,  wie  der  erste  Satz,  eben- 
falls  das  Sonatenschema.  Aber  die  Teile  selbst  sind  be- 
tr&chtlich  erweitert  Ganz  besonders  gilt  das  von  der 
Durchfiihrung  des  ersten  Satzes,  die  dessen  wichtigsten 
and  spannendsten,  in  der  Regel  auch  l&ngsten,  nmfang- 
reichsten  Teil  bildet.,  Gleicht  die  Themengruppe  der  Ex- 
position im  Drama,  so  bringt  die  Durchfiihmng  die 
Katastrophe,  enth&lt  das  bewegteste  Sttkck  ans  dem  in 
der  Komposition  vorgefUhrten  Lebensbild.  Dem  lang- 
samen  Satz  gab  Haydn  eine  ganz  neue,  dem  Sonaten- 
charakter  des  ersten  Satzes  nachgebildete,  in  der  Durch- 
fiihrung kttrzer  gehaltene,  oder  aber  aus  Variationen 
herausgewachsene  Gestalt.  Die  Variationenform  verdankt 
die  Stellnng,  die  sie  in  der  modernen  Sinfonie,  im  Quartett 
und  in  alien  Zweigen  des  Sonatengebietes  einnimmt,  dem 
Meister  Haydn.  Zwischen  ihm  und  der  alten  Orchester- 
suite  der  Haufimann  und  Genossen  liegt  eine  Zeit,  da  sie 
ihr  Dasein  bescheidentlich  auf  dem  Klavier  und  im  Schul- 
dienst  fristete.  Der  Menuett  allein  bewahrt  den  Charakter 
der  Volksmusik,  den  die  anderen  Sdtze  der  Haydnschen 
Sinfonie  im  Anfang,  in  den  Themen,  zeigen,  auch  im 
weitern  Verlauf.    Er  besteht  aus  einem  in  zwei  Klanseln 


I. 


-— ♦    113    ^>— 

geteiltea  Hauptsatz,  einem  Trio  als  Gegensatz  und  der 
Wiederholung  des  Haaptsatzes.  Im  &u6eren  Gefdge  wie 
.  im  Inhalt  verliert  er  die  praktischen  Zwecke  des  Tanzes 
Die  ganz  ans  deD  Augen  und  verzichtet  deshalb  auf 
DarchfQhmng,  thematische  Arbeit  und  alle  Ktinste  der 
Anslegung. 

Eine  erstaunlich  grofie  Anzahl  V9n  Musikfreunden 
and  Mosikem  —  onter  diesen  Namen  von  gewichtigstem 
Klang  —  glaubt,  den  »Papa  Haydn*,  den  >gemtitlichenc, 
den  >kindlichen«  Haydn,  mit  einem  Beisatz  von  Her- 
ablassung  verehren  zu  diirfen,  weil  er  in  den  Themen 
seiner  bekannten  Sinfonien  sich  sehr  nngeniert  als  Brader 
Lastig  gibt  und  in  demselben  Kreise  harmloser,  von  der 
Oberfl&che  geistigen  Lebens  gescbdpften  Ideen  drebt. 
Sie  1U>ersehen  ganz  den  inneren  Zusammenbang,  der 
zwiscben  der  Thematik  der  Haydnscben  Sinfonie  und 
den  Werken  der  Berliner  Liederschule,  noch  mehr  aber 
den,  der  zwiscben  den  Themen  und  der  Metbodik  ibrer 
Entwicklung  bestebt.  Die  Metbode,  in  der  Haydn  seine 
Gedanken  entwickelt,  ausnutzt,  zum  groGen  Tonsatz  aus- 
fdbrt  und  erweitert,  liebt  bedeutende,  durch  eigne  Wen- 
dnngen  ausgezeichnete  Themen  nicht;  sie  kann  sie  nur 
selten  gebrauchen.  Auch  die  Macbt  und  Unmittelbarkeit 
der  ersten  Erfindung,  der  immer  von  neuem,  frisch  ein- 
setzenden  Inspiration  bat  fQr  sie  wenig  Wert.  Tonge- 
danken,  die  sicb  fflr  die  Haydnscbe  Metbode  eignen  sollen, 
m&ssen  klar  und  reicb  gegliedert  sein,  vor  allem  unbe- 
scbr&nkte  Verwandlungsf&bigkeit  besitzen.  Das  Wesen 
der  Haydnscben  Sinfonie,  ihre  Eigentumlicbkeit  berubt 
nicbt  auf  den  Themen  und  Ideen,  ihrem  Eigenwert  und 
ibrem  ersten  Eindruck,  sondem  auf  dem  Grad  von  Kunst, 
mit  dem  der  Komponist  sie  behandelt,  darauf,  was  er 
aus  ibnen  zu  macben  weiB.  Haydn  scbuf  seine  Sinfonien 
aus  einem  fthnlicben  Glauben,  aus  dem  beraus  Aeschylus 
und  Sophokles  ihren  TragSdien  Volkssagen  zu  Grunde 
legten,  Sch&tz  und  H&ndel  Allerweltsmotive  und  nach- 
weislich  fremde  Erfindungen  f&r  ihre  Kompositionen  be- 
nutzten:    aus   dem  Glauben  und  der  Anschauung:  die 

Kr«tztclLmar,  Fftlirer.    I,  ].  8 


-^     114    ^- 

Originalit&t  und  der  Gehalt  der  Grundideen  ist  fiir  groBe 
Runstwerke  weniger  wichtig,  als  die  Begabung  des 
Kiinstlers.  Ein  Sinfoniker,  der  in  der  Methode  Haydns 
etwas  leisten  will,  muO  einen  anfierordentlich  reichen 
beweglichen  Geist,  er  muG  die  F&higkeit  besitzen,  ein 
and  dasselbe  Thema  mit  tausend  verschiedenen  Lichtern 
zu  belenchten,  mit  ihm  in  alle  Turen  und  Tore  seines 
Phantasie-  und  GemUtslebens  einzudringen.  Er  muB  eine 
Persdnlichkeit  sein,  die  sich  ihrer  Ffille  und  Eigenart 
freuen  darf  und  daraus  mit  voUendeter  Freibeit  mitzu- 
teilen  weiB,  was  am  Platze  ist.  War  die  Sinfonie  vor 
Haydn  eine  Festmusik,  so  wurde  sie  durch  ihn  eine  Ton- 
dicbtung  intimster  Art:  der  Subjektivit&t  des  Komponisten 
wurde  ein  grSBerer  Anteil  angewiesen,  als  ihn  bisber  die 
Orchestermusik  gekannt  hatte.  Es  war  fortan  —  urn 
mit  Brabms  zu  sprechen  —  >kein  SpaB«  mehr,  Sinfonien 
zu  schreiben. 

Zu  dem  Suitengeist,zu  der  durch  dieBetonung  thema- 
tischer  Arbeit  erweiterten  Satzform  der  Haydnschen  Sin- 
fonie tritt  als  eine  dritte  Neuerung  die  Beseitigung  des 
Cembalo  aus  dem  Orehester,  aber  erst  von  seiner  mittleren 
Zeit  ab.  Man  kann  diese  MaBregel  auf  die  Anregung 
der  Gluckschen  Oper  oder,  was  wohl  das  Richtigere  ist, 
auf  das  Beispiel  der  alten  Orchestersuite  und  ihrer  sfld- 
deutschen  Rechtsnachfolger,  der  Cassationen,  Serenaden, 
zuriickf&hren.  Im  letzteren  Falle  bedeutet  sie,  wie  die 
Einfiihrung  des  Menuett,  wie  die  Thematik  der  Haydnschen 
Sinfonie,  ebenfalls  eine  Ann&herung  an  die  Br&uche  der 
gleichzeitigen  Volksmusik.  In  dem  Augenblick,  wo  die  In- 
strumente  des  Haydnschen  Orchesters  von  dem  Cembalo 
Abschied  nehmen,  richten  sie  untereinander  eine,  iiber  alle 
bisherige  Konvention  hinausschreitende  Freibeit  des  Ver- 
kehrs  ein.  Das  Konzertieren  und  das  Solospiel  wechselt  in 
einer  Beweghchkeit,  die  wohl  von  H&ndel  z.  6.  in  den 
Oboenkonzerten,  von  Ph.  E.  Bach,  von  den  Mannheimem 
vorbereitet,  aber  in  der  Haydnschen  Weise  bisher  noch 
von  niemandem  durchgefuhrt  war.  Indem  das  Solorecht 
von  jetzt  ab   alien  Instrumenten  ohne  Ausnahme  ver- 


-^    115    ^^ 

liehen  and  in  bun  tester  Reihe,  nnter  Umst&nden  takt- 
weise  von  einem  zum  andern  wandernd,  ansgeubt  wnrde, 
gewann  das  Orchester  mit  Haydn  einen  Reicbtum  und 
einen  Reiz  des  Rolorits,  der  die  Wirkungen  seiner  Sin- 
fonien  auf  die  Zeitgenossen  m&cbtig  forderte.  Wir  aller- 
dings  haben  von  der  Scbdnbeit  und  Eigenheit  des  Haydn- 
schen  Orchesterklanges  in  vielen  F&llen  gar  keine  Ahnung, 
weil  wir  sie  durch  das  Mifiverhfiltnis  zwiscben  der  6e- 
setzung  der  Geigen  und  der  der  Holzbl&ser  grundlicb  ver- 
derben.  Das  vemichtet  namentlich  die  Haydnscbe  Kunst 
der  Farbenmiscbung.  Ein  Beispiel:  In  der  bubscben 
G  dur-Sinfonie  Nr.  13  (Partiturausgabe  von  Breitkopf  & 
H&rtel;  kommt  im  ersten  Satz  mehrmals  eine  Stelle 
vor,  an  der  zu  den  von  den  BUssen  gebraucbten  Vari- 

H^^pt-^  >■<■  «  <■  I  rp  f  r  I  r>  r  r  |!!£LLC-i 

thexnas :  V"  iT  V 

die    boben    In-        ^^  jk/^  /^    %./^     ♦ 
strumente     mit     Jj^J^^  I  I   I    ri 
der  Figur:  ^  '  tafcifti" 

kontrapunktieren.  Diese  Figur  klingt  auBerordentlich 
scbelmiscb,  weil  die  Oboen  mitspielen  und  in  den  Geigen- 
ton  eine  drollige  Farbung  bineintragen.  Diese  Nuance 
mu6  aber  verloren  geben,  wenn,  wie  das  bei  unseren 
Orcbesteraufftkbrungen  anstandslos  passiert,  die  ersten 
Geigen  zebn-  bis  zwanzigfacb,  die  Oboen  aber  einzein 
besetzt  sind.  Der  Dirigent  muB  notwendigerweise  die 
Besetzung  des  Orchesters  kennen,  die  zur  Zeit  Haydns 
ublicb  war,  und  danacb  seine  Einricbtungen  treffen.  Obne 
etwas  bistoriscbes  Wissen  gebt's  eben  aucb  den  soge- 
nannten  Klassikern  gegentiber  nicbt! 

Nur  wenige  Musiker  sind  sicb  darUber  klar,  daB  die 
Beseitigung  des  Cembalo  aus  dem  Sinfonieorchester  aucb 
mit  einem  kunstlenschen  Nacbteil  verbunden  war.  £r 
liegt  darin,  daO  wir  jetzt  zur  FUUung  der  Harmonie, 
Angabe  des  Rhytbmus  und  anderer  elementarer  und 
mecbaniscber  Aufgaben,  fQr  die  vor  Haydn  das  Akkord- 
instrument  da  war,  eine  Anzabl  von  Ktinstlern  in  Betrieb 

8* 


— ^    116    ♦^ 

setzen  miissen.  Wie  sehen  die  Stimmen  der  BIftser,  der 
zweiten  besonders,  in  modemen  Orchesterwerken  oft  aos ! 
Zwei,  drei  Fiilltdne,  dann  wieder  zehn,  oder  auch  zehn- 
mal  zehn  Takte  Pausen,  selten  eine  melodische,  thema- 
tische,  fiir  sich  sinnvolle  Stelle.  —  Es  ist  ein  geradezu 
demoralisierender  F&rberdienst,  der  trefflichen  Rtinstlem 
zagemntet  wird,  und  fiber  knrz  oder  lang  wird  es  dahin 
kommen,  dal3  wir  das  Cembalo  oder  einen  Ersatz  dafiir 
wieder  zurQckholen.  In  London  mufite  iibrigens  Haydn 
wohl  oder  iibei  bei  Aufffihrangen  eigner  oder  fremder 
Sinfonien  sich  das  Klavier  gefallen  lassen,  wohl  aucb 
selbst  spielen*). 

Unter  den  Neuerungen  der  Haydn  schen  Sinfonie  ist 
das  Prinzip  der  motivischen  Entwicklung,  der  thematischen 
Arbeit  die  wichtigste.  Sie  hat  die  Zuknnft  der  Sinfonie 
bis  heute  beherrscht.  Ihr  Geist,  ihr  Cbarakter  war  mit 
der  Individualit&t  Haydns  auf  engste  verbunden.  Haydn 
war  mit  seinem  Scharfsinn,  seiner  Schlagfertigkeit,  seinem 
Witz  f&r  diese  Methode  geschaffen.  Und  doch  hat  er 
sich-  ihr  erst  zugewendet,  nachdem  er  die  Mitte  seines 
Lebens  l&ngst  tiberschritten,  —  fihnlich  wie  im  Oratorinm, 
auch  beim  Betreten  dieses  seines  eigensten  und  glftnzend- 
sten  Gebietes  ein  Knnktator! 

Von  den  vielieicht  150  Sinfonien,  die  Haydn  kom- 
poniert  hat,  ist  die  gate  H&Ifte  unverdffentlicht  geblieben, 
nicht  einmal  in  Stimmenausgaben  gedruckt  worden. 
Namentlich  die  Arbeiten  aus  den  ersten  beiden  Jahr- 
zehnten  seiner  T&tigkeit  als  Sinfoniker  waren  bisher 
schwer  zngfinglich.  Dem  ist  endlich  dnrch  die  ersten 
drei  B&nde  der  im  Jahre  1909  begonnenen  Gesamtaus- 
gabe  der  Werke  Haydns  abgeholfen  worden,  welche  die 
zwiflchen  1769  and  1770  entstandenen  vierzig  Sinfonien 
vorlegen.  Haydn  ist  &hnlich  wie  Beethoven  erst  beiro 
Eintritt  ins  Mannesalter  an  die  Sinfonie  herangegangen, 
aber  dann  auch  vom  ersten  —  f&r  die  von  ihm  geleitete 


*}  Oriesinger,  G.  A. :  Biograpbische  NoUzen  iiber  J.  Haydn 
(1810),  S.  60. 


-^    117    ^— 

Or&flich  Morzinsche  Kapelle  geschriebenen  —  StUck  ab  in 
der  Regel  seine  eigene  StraOe  gezogen  und  hat  dabei 
eine  enorme  Wandlangsf&higkeit  bewiesen.  Schon  beim 
Vergleich  der  ersten  mit  der  zweiten  Sinfonie  tritt  sie  Die  ersten 
hervor.  Dort  walten  komische  Einfftlle,  Rftnste  der  tlber-  Sinfonien. 
raschnng,  der  Obertreibung,  des  grotesken  Humors  her- 
vor, hier  in  der  C  dur-Sinfonie,  mit  der  er  in  Eisenstadt 
antritt,  ist  er  eine  ganz  andere,  feinere  Natur,  ein  Kflnstler, 
der  den  Witz  and  seioen  Stolz  darin  sticht,  ans  wenig 
viel  zu  machen.  Man  fQhlt  sich  bei  diesem  Werke  bereits 
in  die  Londoner  St)h&re  versetzt  nnd  steht  schon  hier 
dem  groBen  Meister  der  motivischen  Entwicklang  und 
der  thematischen  Arbeit  gegenflber.  Mit  einem  Teil  dieser 
frQheren  Sinfonien  gab  Haydn  Beitrftge  zur  Programmusik. 
Die  Rich  tang  war  zu  Haydns  Zeit  anter  den  Instrumental- 
komponisten  noch  von  Muffats  Suiten,  Frohbergers  und 
Knhnaus  Klavierstflcken  her  beliebt  und  in  der  Sinfonie 
durch  Mftnner  wie  Dittersdorf  (Sinfonien  zu  Ovids  Meta- 
morphosen)  Mysliwesczek  (6  Sinfonien  fiber  die  Monate 
Januar  bis  Juni),  G.  Stamitz  (la  chasse),  Tessarini  (la 
stravaganza),  Rosetti  (Sinfonien:  » Calypso  undTelemach<, 
»Der  Sturz  Phaetons*),  Pichel  (nean  Sinfonien  Ciber  die 
neun  Musen]  u.  a.  vertreten.  Er  selbst  hat  seine  Neigung 
zu  ihr  noch  in  spftteren  Jahren  bekannt,  als  er  dem  Hof- 
rat  Griesinger  bemerkte,  daB  er  in  seinen  Sinfonien  gem 
einen  >moralischen  Gharakter<  geschildert  babe*).  Wie 
sehr  das  Publikam  Haydns,  namentlich  das  franzSsische, 
einen  poetischen  Anhalt  in  den  Sinfonien  liebte,  das 
sagen  uns  die  Beinamen,  mit  denen  es  die  Werke  Haydns 
belegte:  Wir  haben  da  einen  Philosoph,  einen  »Zer- 
streutenc  (il  distratto),  einen  Schulmeister,  eine  Lamenta* 
tion,  eine  Passion,  eine  Maria  Theresia,  einen  Landon, 
eine  la  Heine,  la  ehasse,  la  poule,  einen  Tours,  eine' 
Fenersinfonie,  eine  Militftrsinfonie,  eine  Kindersinfonie 
and  noch  eine  ganze  Reihe  merkwtirdiger  Namen.  Car- 
pani,  der  italienische  Biograph  Haydns,  der  Librettist  der 

*)  Griesinger.     S.  117. 


i 


-^    118    ^^ 

italienischen  >SchdpfuDg<  behaaptet,  dalB  Haydn  diesen 
SiDfonien  alien  ausgefuhrte  Novellen  und  Geschichten 
untergelegt  habe*).  Soweit  es  sich  um  Kompositionen 
aus  spHterer  Zeit  ban  deli,  stehen  jedoch  diese  Xitel  dem 
Wesen  der  Kunsiwerke  meistens  sebr  fern  nnd  beften 
sicb  nar  an  Kleinigkeiten  und  Aufierlicbkeiten  der  im 
Ubrigen  vollkommen  normalen  and  formgerecbten  Sin- 
fonien.  Die  ersten  wirklicben  Beitr&ge  Haydns  zur  Pro- 
grammasik  sind  die  1761  komponierten  Sinfonien  le 
Die  matin,  le  midi,  le  soir,  die  Teile  eines  die  >Tageszeiten< 
Tageszeiten.  benannten  Zyklus,  dessen  viertes  Stiick,  la  nuit,  wabr- 
scheinlicb  verloren  gegangen  ist.  Haydn  hat  sich  an 
dem  Tbema  der  Tageszeiten,  das  im  18.  Jahrbundert 
auch  von  Dicbtern  and  Malern  bebandelt  worden  ist, 
sinnig  und  witzig  die  der  Musik  zug&nglichen  Seiten 
J.  Haydn,  bernusgesacbt  Der  Morgen  (le  matin)  gibt  ibm  in  den 
le  matin.  Ecks&tzen  and  im  Menaett  Gelegenbeit  zu  stimmangs- 
reichen  Wanderbildem  mit  Lercbengesang  and  anderer 
Natarmasik,  mit  Wecbsel  von  Sonnenscbein  and  Wolken, 
stillem  Traumen  and  lautem  Jubel.  Da  der  Morgen  aber 
auch  die  Zeit  des  Lernens  ist,  bringt  der  zweite  Satz  die 
Parodie  einer  Musikstande,  eine  der  in  der  &lteren  Vokal- 
masik  so  beliebten  Solmisationsszenen.  Die  Scbfiler 
(Geigerchor)  tragen  von  D  aas  die  Gdar-Skala  vor  and 
spielen  falschlich  b,  da  f&llt  der  Lebrer  (Solovioline) 
beftig  ein  and  zeigt  ibnen,  da6  es  b  sein  mal3.  Nacb 
dieser  Rorrektar  greift  eine  freie  and  anmatige  Unter- 
haltung  Platz. 
le  midi.  Der  Grandgedanke  von  le  midi  ist  eine  in  die  Form 

eines  Concerto  grosso  gekleidete  solenne  Tafelmasik.  Im 
ersten  Satz  erinnert  sie,  sich  an  ein  Glucksches  Tbema  an- 
lebnend,  an  das  Festmahl,  von  dem  Don  Juan  zur  Holle 
weggefuhrt  warde.  Mit  diesem  Bild  im  Kopfe  wird  Haydns 
Zuhorern  das  merkw&rdige  Adagio  verstftndlicb  gewesen 
sein,  das  mit  vorausgebendem  Rezitativ  als  zweiter  Satz 
folgt.   Der  genannte  Carpani  erz&blt,  dafi  Haydn  in  einer 

*)  Carpani,   Giuseppe:  Le  Haydine  (Milano  1S12),   S.  69. 


119 


seiner  iltesten  Sinfonien  sich  einen  Dialog  zwischen  Gott 
and  einem  verstockten  SUnder  gedacht  habe.  Nun:  der 
zweite  Satz  von  le  midi  ist  dieser  Dialog.  Im  Rezitativ 
spricht  Gott-Vater  zum  Siinder,  im  Adagio  spricht  (in  der 
Stimme  des  Cellos)  der  Siinder  mil  and  wird  za  Gnaden 
aafgenommen.  Der  Glanzpankt  der  Yersdhnangsszene 
ist  die  vor  dem  SchlalB  eingelegte  Kadenz  von  Violine 
and  Cello,  ein  Unikam  anbegleiteten  Daettspiels.  Menaett 
and  Finale  balten  ohne  Bezug  auf  besondere  Vorg&nge 
an  der  Idee  der  konzertierenden  Tafelmasik  fest. 

Le  soir  ist  eine  Art  sinfoniscbes  Seitenstiick  za 
Dittersdorfs  Doktor  and  Apotheker  and  Sbniicben  Kunst- 
werken  des  biirgerlichen  Behagens  and  ansprachslosen 
Glticks,  von  traulicben  Tanzweisen  and  Kinderliedern  be- 
lebt  Aacb  die  Wandermotive  aas  le  matin  taacben 
wieder  aaf,  and  den  Schlnfi  bildet,  wie  in  so  vielen  Kon- 
zerten  and  Sinfonien  der  Zeit,  eine  »Tempesta«,  die 
Schilderang  eines  schweren  Unwetters,  die  in  Frieden 
aasklingt. 

Wie  in  den  »Tageszeiten«,  die  nar  in  dem  Rezitativ 
des  »midic  einen  anregelm&Bigen  Einleitangssatz  bringen, 
bftlt  sich  Haydn  aacb  in  seinen  anderen  Programmsin- 
fonien  innerbalb  der  gewohnten  viers&tzigen  Sinfonieform, 
aber  er  macht's  mit  seinem  Gedankengang  den  Zah5rern 
nicbt  leicht.  Seine  Weihnachtssinfonie  z.  B.  (Nr.  26) 
wird  man  nar  verstehen,  wenn  man  daran  denkt,  daO 
die  Kirche  die  Adventszeit  als  ernst  and  triibe  aaffafit. 
Ohne  weiteres  zag&nglicb  ist  die  Programmsinfonie  (Nr.  31) 
»Mit  dem  HornsignaN,  »Auf  dem  Anstand«,  mit 
dem  darcbgehenden  H5rnerklang  and  den  reizenden,  ge- 
mtit-  and  phantasievollen,  brillant  abschlieBenden  Varia- 
tionen  des  Finale. 

Die  bekannteste  Programmsinfonie  Haydns  ist  die 
sogenannte  Abscbiedssinfonie  geworden,  vermatlich 
ibrer  Entstehangsgescbicbte  wegen.  Dem  Fttrsten  Ester- 
hazy  fiel  es  im  Jahre  1772  pl5tzlicb  ein,  die  Kapelle  zwci 
Monate  linger  als  gewobnhch  aaf  seinem  SommerscbloB 
bebalten  za  woUen.   Da  entscblofi  sich  Haydn,  fljir  seine 


le  soir. 


Weihuachts- 
Binfonie. 


Mit  dem 
Hornsignal! 


J.  HaydBy 

Abschieds- 
sinfonie. 


--♦     120    Kj^ 

Musiker  eine  Bittschrift  einzureichen ,  und  zwar  eine 
musikalische.  Eines  Abends  wurde  der  FUrst  damit  Uber- 
rascht.  Es  war  die  Abschiedssinfonie,  ein  Werk  in  fCknf 
S&tzen,  das  in  den  ersten  drei  ebenso  verl&uft,  wie  die 
viersfttzigen  Sinfonien  Haydns  aus  sp&terer  Zeit.  Mil  dem 
vierten  beginnt  die  Pantomime.  Er  ist  ein  rasches  Finale, 
in  dessen  Them  a 

^■*iiViir7r^      1 1  I'J^j 

J  J  J  J  Iji  J  ^  l'^''  ^|J  ^  -wennderSatz 
"*      ^     *  **■  '  sich    schon    auf 

die  AffJLre  mit  bezieht  —  man  vielleicht  die  beiden  Par- 
teien  der  gesch&digten  Kapelle,  die  klagenden  and  die 
wtitenden,  r&sonnierenden ,  erblicken  kann.  Die  Masik 
wickelt  sich  sehr  hastig  hin;  za  einem  zweiten  Them  a 
kommt  es  nicht,  and  ehe  man  es  vennaten  and  ffir  gut 
finden  kann,  wird  abgebrochen :  Ein  Adagio  von  mildem 
Tone,  bittenden  oder  begdtigenden  Charakters,  —  ftafier- 
licb  dem  zweiten  Satz  der  Sinfonie  gleichend  —  setzt  ein 

f^i\  Hjj  I  f^  iH  I  rp ilX^tfcr  I  rjj  I 

Es  kommt  zu  sehr  freundlichen  T5nen.  Nach  30  Takten 
steht  in  der  Partitur  beim  zweiten  Horn:  >sl  parlec  In 
Esterh&z  legte  der  Spieler  hier  seine  Noten  zasammen, 
I5schte  die  Lichter  am  Pulte  aas  und  ging  weg.  Bald 
darauf  verschwand  in  derselben  Weise  der  F15tist;  ihm 
nach  der  erste  Hornist,  die  Oboeblaser  usf.  Das  Or- 
chester  ward  dunkier  und  leerer.  Zuletzt  blieben  nur  noch 
2  Geiger  Ubrig,  die  den  Satz  mUhsam  zu  Ende  bringen 
und  durch  schiafrige  Wiederholungen  zu  erkennen  geben: 
»Wir  kOnnen  auch  nicht  mehr«.  Der  FUrst  verstand  die 
originelie  Adresse,  ging  ins  Vorzimmer,  wo  sich  die  Musiker 
inzwischen  versammelt  hatten,und  sagte  l&chelnd:  »Haydn, 
morgen  konnen  die  Herren  reisen*.  Der  gegluckte 
Kunstlerstreich  sprach  sich  bald  herum  und  kam  von  den 


— ^     121    ^>- 

achtziger  Jahren  ab  wiederbolt  in  Zeitungen  and  BUcher. 
Haydn  soil  spftter  auch  eine  Einzagssinfonie  geschrieben 
haben,  in  der  die  Masiker  nacheinander  eintreten,  Lichter 
anbrennen  nnd  zn  spieien  anfangen.  Nachweislich  ist 
die  Idee  der  Abschiedssinfonie  —  englisch  heifit  sie  candle 
overtare  —  in  dieser  umgekehrten  Richtnng  von  Ditters- 
dorf  nnd  Pleyel  ausgenutzt  worden.  Mendelssohn,  der  sie 
im  Februar  1838  ins  Gewandhaus  zu  Leipzig  brachte  (in 
einem  historiscben  Konzerte],  nennt  sie  in  einem  Briefe 
an  die  Schwester  Rebecca  >ein  knrios  melancholiscbes 
Stfick«.  Ahnlicb  scbildert  Schumann  und  vor  ihm  Rochlitz 
den  Eindrnck  von  H5ren  und  Zosehen.  Griesinger  nennt 
sie  einen  >dnrchgef&hrten  masikalischen  Scherz«  nnd 
sieht  in  ihr  ein  Haaptbeispiel  fflr  Haydns  Schalkheit. 
Heate  pflegt  man  leider  die  Sinfonie  in  der  Regel  nach 
der  Andr^schen  Ausgabe  aufzuftihren,  die  nnr  die  zwei 
letzten  S&tze  enth&lt,  und  zwar  nach  E  moll  transponiert. 
Das  Original  steht  in  Fis  moll,  ein*er  fflr  Orchesterkompo- 
sitionen  sehr  wenig  gebrauchten  Ton  art,  die  hier  aber 
ihre  grofie  Bedeutung  hat.  Denn  die  Instrumente  klingen 
wie  belegt,  wie  heiser,  wie  schlecht  aufgelegt  und  miO- 
gestimmt,  das  Adur  des  letzten  Adagio  dann  aber  um 
so  unwiderstehlicher. 

Schon  dieser  eine  Fall  beweist,  wie  raffiniert  Haydn 
sich  auf  das  Gbarakterisieren  verstand.  Die  Wiedergabe 
absonder]icherZust&nde,Stimmungen  undGestalten  muOte 
ihn  deshalb  m&chtig  reizen.  Sein  Talent  fiihrte  ihn  un- 
willkilrlich  zur  Programmusik,  und  wie  dem  jungen 
Schiller,  dem  jungen  Berlioz,  dem  jungen  Schumann 
scheinen  ihm  das  Phantastische,  das  Problematische,  das 
Seltene  die  eigentlich  bedeutenden  Aufgaben  der  Kunst 
zu  umgrenzen.  Haydn  schwamm  in  jener  StrOtaung  der 
Romantik,  die  dem  spftteren  Goethe  so  entsetzlich  war; 
was  ihn  hinein  getrieben  hatte,  ob  Wieland,  ob  die  fran- 
zosische  Oper,  Iftfit  sich  nicht  sagen.  Musikalisch  ist 
alien  den  Sinfonien,  die  dieser  Periode  Haydns  angehdren, 
ein  Streben  nach  Originalit&t  und  Individualit&t  eigen, 
das  zuweilen  zu  bedeutenden  und  merkwurdigen  Themen 


— *    122    ^>- 

fuhrt,  im  Ganzen  jedoch  nur  Eigenheiten  zweiter  Klasse 
ergibt  Die  Themengruppe,  der  Haydn  in  sp&terer  Zeit 
sehr  oft  nicht  einmal  ein  zweites  Thema  gdnnt,  ist  in 
diesen  Werken  der  bedeutendste  unter  den  drei  Teilen 
des  ersten  Satzes.  Dagegen  ist  die  Durchftthrnng  in  der 
Kegel  nur  sehr  obenbin  in  einem  gewissen  al  freso-Stil 
bebandelt  Sie  zeigt  Charakter,  aber  keinen  eigentlichen 
geistigen  Inhalt.  Alles  in  allem  ist  dieser  friihere  Haydn 
das  reine  Gegenteil  von  dem,  den  seine  sp&teren,  die  noch 
heute  weltbekannten  Sinfonien  zeigen. 

J.  Haydn,  Weil  sie  in  Klavierauszagen  vorliegen,  geben  auch 

Sinfonie  >Maria  »der  Schulmeisterc  und  >Maria  Theresia*,  die  der  Periode 

Xhere6ia«.  ^^^  Abschiedssinfonie  angeboren,  bequeme  Gelegenfaeit. 
einen  Blick  auf  Haydn  in  der  Zeit  seines  ersten  Stils 
zn  werfen. 

Die  Sinfonie  >  Maria  Theresiac  wurde  bei  einem 
Besucb,  den  die  Kaiserin  im  September  1773  in  Esterhdz 
abstattete,  anfgefiihrt  und  erhielt  daher  ibren  Namen. 
Haydn  wird  das  Werk  aus  dem  Vorrat  fertiger  Sinfonien 
in  der  Erwartung  hervorgeholt  haben,  damit  Ehre  ein- 
legen  zu  konnen.  Sie  ist  so  freigebig  erfunden,  dafi  man 
aus  dem  mitgeteilten  Material  gut  zwei  Sinfonien  her- 
stellen  k5nnte,  die  selbst&ndige  und  eigne  tbematiscbe 
Ausstattung  der  Obergangsgruppen  erinnert  mehr  an  den 
jungen  Beethoven  als  an  den  fertigen  Haydn.  Die 
pI5tzliche  Ausweichung  nach  Cmoll  im  13.  Takte  des 
ersten  Satzes  z.  B.  ruft  unwillkiirlich  eine  frappante 
Stelle  in  Beethovens  erster  Sinfonie  (Themenpruppe  t 
das  pldtzliche  pp.  nach  der  Gdur-Cadenz)  vor  die 
Phantasie. 

Der  Ton,  in  dem  sonst  Majestftten  begriifit  zu  werden 
pflegen,  kommt  in  dieser  Sinfonie  der  Kaiserin  nicht  vor, 
aber  das  »Willkommen<,  das  sie  bietet,  kann  an  Herzlich- 
keit,  an  Frische  und  Kindlichkeit  nicht  iibertroffen  werden. 
Ein  so  begruBter  Gast  kann  nicht  zweifeln,  da6  er  unter 
liebenswUrdige,  gliickhche  und  auch  interessante  Menschen 
gekommen  ist.  Wer  die  Sinfonie,  ohne  den  Namen  des 
Autors  zu  wissen,  hort,  wird  hie  und  da  auf  Mozart  raten 


— »     123    ^>— 

woUen,  namentlidf  wenn  das  Hauptthema  des  ersten  Satzes 
j>boen  Oder      wenn 


rJ  J  T  J  Stellen  kom- 

j  r  P  r   I     *    I  n^cni  wie  der 
C-J— ^-*    "  Abachlufi  der 


«r  LLT   r    f  '  CJ-t-J^         Abschlufi  der 

CorniiDflMsQb.  ersten  groBen 

Periode,"        viouiitfi.  ■  ^   ^     .trillem.Beide,Haydn 

in  der  die  A  J-  jjJTiI  J  J  J  I  *  1  wie  Mozart ,  hatten 
Violinen :  ^        *~  fflr  solche  Flllle  eine 

gemeinsame  Quelle:  die  italienische  Schule.  Den  flotten, 
temperamentvoUen  Zug,  der  sich  in  den  guten  Opemsin- 
fonien  der  Italiener  findet,  hat  diese  >Maria  Theresia«  sich 
wohl  zn  eigen  gemacht:  das  wird  der  Monarchin  nach  der 
mnsikalischen  Erziehung,  die  ihr  zu  teil  geworden  war, 
sehr  wohl  gefallen  und  sie  empf&nglich  und  freandlich 
fOr  die  Menge  neuer  Humore  gestimmt  haben,  die  Haydn 
aus  seinem  eigensten  Innern  dreingab.  Sie  finden  sich 
in  alien  S&tzen:  Die  hervorragendsten  sind  im  ersten 
die  poltern- 

sonofiguren :       •' 

die   die  zarten   Klilnge   des  zweiten  Themas  veijagen. 
Im   zweiten   Satze    liegen    sie   im   Anfang    des   Haupt- 
themas  selbst,  in  dem  Widerspruch  zwischen  dem  leich- 
ten     Charak-^Adagio.    ^^^..^  _^   .     ,     ,        . 
ter   der   Ver- ibfj  ^^=f=^^^r^m'^^i\^^ 
zierangsfigur :  ™      JJ       "^^  C:        *^  ^^J^  ~ 

and  dem  etwas  schweren  Klang  der  tiefen  Violinsaiten: 
noch  mehr  in  den  Stellen,  die  die  Oberg&nge  vom  ersten 
zum  zweiten  Thema,  von  der  Durchfuhrang  zur  Wieder- 
holung  bilden.  Es  ist,  als  wenn  diese  paar  Takte  mit 
dem  pldtzlichen  HOrnerklang,  mit  dem  Vogelgezwitscher, 
das  aus  den  Violinen  tont,  in  die  philosophischen  Tr&ume- 
reien  des  Satzes  hineinmahnten:  Siehst  du  nicht,  wie 
sch5n  die  Welt  ist!  Der  Tr&umer  aber  f&llt  wieder  in 
Tiefsinn  und  Grubelei  und  stellt  in  dem  TrugschluB  bei 
der  Fermate  —  bier  darf  man  an  den  Hamburger  Bach 


-^     124     *^ 

denken  —  eine  Frage  an  das  Schicksal.     Wie  seltsam 

verl&uft  sich  der  Menuett  in  der  zweiten  Klansel  aas  der 

Klarheit  und  Sicherheit  des  Tanzliedes,  von  dem  Motiv: 

Allegretto.  gelockt  und  gebannt  ins  Danke], 

A     f-  JBitJ^  ^°s  Dickicht!    Und  als  kaum  wieder 

ii^  yO^^^      alles  in  Ordnung  —  was  f&r  eine 

^'~      '  neue  Oberraschung : 


li^xni^'^^^'i^ 


Kriegsvolk  in  Sicht?  Wahrscheinlich.  Eswirdjaim  Menuett 
so  ernst  undungew5hnlich:  Moll  und  der  schwereAusdruck: 

Wenn  die  Kaiserin  tiberhaupt  schon  je  etwas  so 
origineii  und  doch  einfach  Lustiges  gehOrt  hatte,  wie 
das  Thema  des  letzten  Satzes,  der  tiberhaupt  nur  das 
eine  hat  —  so  war  das  wohl  kaum  in  einer  Sinfonie  der 
Fall  gewesen. 

So  etwas  kann  doch  nur  die  Musik,  und  unter  den  Musi- 
kern  kann  es  so  nur  J.  Haydn ! 

Die  Dnrchftthrungen  dieser  hUbschen  und  eignen 
Gedanken  sind  allerdings  nach  dem  sp&teren  Haydnschen 
Mafistab  gar  nicht  als  solche  zu  bezeichnen;  es  sind 
mehr  freie  und  kurze  Phantasien,  die  mit  den  Themen 
und  den  Ausgangspunkten  der  S&tze  keinen  oder  nur  ge- 
ringen  Zusammenhang  haben.  Ein  Spafi,  den  sich  Haydn 
an  dieser  Stelle  in  der  Periode  der  Abschiedssinfonie 
gem  erlaubte,  fehlt  auch  in  >  Maria  Theresia«  nicht: 
Das  Hauptthema  kehrt  im  ersten,  wie  im  letzten  Satz  in 
der  ursprUnglichen  Tonart,  bald  nachdem  die  Dnrch- 
fQhrung  eben  erst  begonnen,  zuriick.    Jedermann  glaubt 


— ^    125    ^— 

and  bedauert,  dafi  die  Wiederholung  schon  einsetzt  und 
daB  sich  darin  eben  jedermann  verrechnet,  ist  der  Humor 
an  der  Sache. 

Anch  im   ersten   Satz .  der  Sinfonie   >Der  Schul-     J. Hftyda, 
meister«  bring!  Haydn  diesen  witzigen  Treffer  an,  hier  e.v^SfL 
aber  wesentlich  versch&rft.  Das  Orchester  holt  sehr  ent- 
schieden  immer  wieder  mil  dem  klopfenden  Rhythmus 

n^  I  j  ^^^^  A  dor  aus,  die  Harmonie  liegt  auf:  b-d-f-gis. 
Aber  im  entscheidenden  Moment  hat  Haydn  sich  das  gis 
als  as  gedacht,  und  da  sind  wir  wieder  in  Esdur  am  An- 
fang  der  Sinfonie: 


Allegro  dl  iBolUi. 


Scholmeister. 


So  lautet  der  Vordersatz  des  Themas;  der  Nachsatz 
folgendermafien : 

Das  ist  jedenfalls  ein  merkwUrdiges  Thema,  ganz 
und  gar  nicht  von  der  Art,  die  Haydn  in  den  Londoner 
Sinfonien  bevorzugt.  Es  hat  Programmblut  und  regt  an, 
an  bestimmte  Vorg&nge  zu  denken,  auf  die  es  gemiinzt 
sein  k5nnte.  Die  freundliche,  sanfte  Ansprache  der  vier 
piano-Takte,  das  pl5tzliche  Dreinwettern,  das  Nachzucken 

des  j,  j  ],  die  gewaltsame  RQckkehr  in  den  leisen,  zarten 
Ton  —  das  lielBe  sich  ohne  zu  groBe  Kiihnheit  in  das 
Bild  einer  Schulstunde  zusammenbringen,  wo  die  Unter- 
weisung  hftufig  genug  durch  Schelten  unterbrochen 
werden  muB.  Wir  h&tten  dann  eine  Erklftrung  ftlr  den 
Titel  der  Sinfonie  »Der  Schulmeister<,  die  mit  dem 
weiteren  Verlauf  des  Satzes  ganz  gut  zusammenpaBt 
Denn    Unterbrechungen,    Oberraschungen,    halb    Ubers 


1 


126 


Knie  gebrochene  Schlttsse  —  Symptome  des  Zornes  — 
geben  ihm  sein  besonderes  Gepr&ge.  Pohl  (II,  262)  fiihrt 
den  Beinamen  der  Eomposition  auf  den  zweiten  Satz, 
das  Adagio  zurUck,  auf  den  »abgemessenen  6ang<  seines 
Themas : 


ijj'  J.1i 


nicht  widersprechen  im  Gegenteil:  Wir  erwarten  bei 
einem  Programme  daB  alle  S&tze  der  Sinfonie  an  seiner 
Durchfiihrung  teilnehmen. 

Die  hier  mitgeteilte  achttaktige  Periode  wird  sofort 
in  variierter  Form  wiederholt  und  nochmais  im  Halb- 
schlufi  beendet;  dann  erst  kommt  der  Nacbsatz,  der  das 
Thema  in  die  Haupttonart  B  dar  zarttckf&brt.  Aucb  diesem 
gleichfalls  achttaktigen  Nachsatz  folgt  seine  Variation 
auf  dem  FuBe. 

Wir  baben  also  ein  Thema,  das  in  breiter  Anlage 
32  Takte  umspannt.  Diese  AuCerlicbkeit  ist  zu  beacbten, 
weil  in  den  folgenden  Variationen  iiber  dieses  Thema, 
aus  denen  sich  das  Adagio  bildet,  die  zweiten  Perioden  — 
als  w5rtliche  Wiederholungen  der  ersten  —  nicht  aus- 
geschrieben,  sondem  nur  durch  Wiederholungszeichen  an- 
gegeben  sind.  Es  wUre  in  diesem  Falle  ein  Verstofi  gegen 
die  Metrik  und  das  EbenmaB  der  Komposition,  wenn  man, 
was  sonst  ja  zuweilen  statthaft  oder  geboten  ist,  diese 
Wiederholungszeichen  ignorieren  wollte. 

Aucb  das  Finale  der  Sinfonie  ist  ein  Variationensatz 
und  zwar  Uber  das  Thema: 

Presto. 


Zwar  liegt  dem.Ganzen  das  Rondoschema  zu  Grunde; 
doch  treten  die  Zwiscbens&tze  ganz  zurUck.  —  In  die 
sorgenfreie    GemUtlichkeit    dieses    ScbluBsatzes     platzt 


I 


— !►    127    «>- 

(hinter  dem  siebenten  Teilstrich)  nach  dem  Dialog,  den 
die  hohen  xmd  die  tiefen  Instrmnente  Uber  das  Motiv: 

fQhren,  eine  sehr  aufgeregte 
Szene  herein.  Wieder  einer 
jenerZwischenf&lIe^an  denen 
diese  Schalmeistersinfonie  so  reich  ist!  Diesmal  scheint 
er  erfreulicher  Natur  gewesen  zu  sein,  denn  das  S&tz- 
chen  schliefit  ganz  still  entzilckt  auf  einer  Fermate  auf 
dem  unerwarteten  f-as-ces-des.  Wie  alle  S&tze  des 
>Schiilineister«  ungewOhnlich  mit  einem  kleinen  Stich 
ins  Karrikierte  ansklingen,  so  auch  das  Finale.  Aber 
das  Klndliche  and  R&hrende,  der  milde  Glanz  des  Abend- 
rots  flberwiegt  doch  ganz  entschieden.  Es  ist  eine  Stelle 
von  jener  Poesie  und  Schdnheit,  mit  der  uns  eine  andere 
Perle  der  Schalmeister-Literatur,  Jean  Pauls  Schulmeister 
Wuz,  entzUckt. 

Was  bei  Haydn  zu  dem  schroffen  Wechsel  der  kUnst- 
lerischen  Anschauungen  gefUhrt  hat,  IftCt  sich  nur  ver- 
muten.  Zum  Teil  scheinen  ihn  die  Werke  Ph.  Em.  Bachs 
beeinflufit  zu  haben.  AIs  ihm  einmal*)  von  der  Ver- 
wandschaft  seiner  Musik  mit  der  des  bereits  erw&hnten 
Mail&nder  Tonsetzers  Sammartini  gesprochen  wurde, 
wies  er  diesen  vielzitierten  Lehrer  Glucks  als  einen 
»Schmierer<  heftig  zurfick  und  nannte  ausdrUcklich  den 
Hamburger  Bach  sein  Vorbild.  Wohl  konnte  er.  sich  von 
diesem  Tonsetzer  angezogen  fiihlen:  denn  er  glich  ihm 
an  Temperament,  an  Munterkeit  und  Heiterkeit  des  Geistes. 
Dann  muBten  ihn  aber  auch  die  modernen  Elemente  in 
Bachs  Musik  m&chtig  erregen.  Die  neue  Zeit,  die  Zeit 
der  Rousseauschen  Natiirlichkeit  und  des  franzosischen 
Esprit,  sprach  aus  keines  Zweiten  T5nen  so  deutlich, 
wie  aus  den  Klaviersonaten  Bachs  mit  ihrer  Freiheit 
des  Ausdrucks,  der  Beweglichkeit  und  Zwanglosigkeit, 
mit  der  sie  den  Satzbau  betrieben  und.  allerhand  bis 
dahin  streng  getrennte  Stile  durcheinander  mischten. 
Man  kann  schon  in  den  ersten  Sinfonien  Haydns  ver- 

♦)  Oriesinger.    S.  15. 


-^    128    ♦^ 

einzelte  Anregnngen  Ph.  Em.  Bachs  annehmen.  N&her 
kennen  gelernt  und  eingestanden  studiert  hat  er  ihn 
aber  wahrscheinlich  erst  in  sp&teren  Jahren,  wo  er 
reif  genug  war,  sich  vor  den  Ausschreitangen  Bachs 
zn  h&ten. 

Anch  an  die  &aJ3ere  Lebensgeschichte  Haydns  knftpft 
sein  nener  Sinfoniestil  merkbar  an.  Im  Jahre  1773  hatte 
sein  >Stabat  Mater c  den  Beifall  Hasses  und  der  italie- 
nischen  Schnle  gefunden.  Haydn  war  mit  einem  Schlag 
ein  bertthmter  Mann  geworden  und  schrieb  nun  auch 
seine  Sinfonien  nicht  mehr  ftlr  den  kleinen  Eisenstadter 
Kreis,  sondem  fiir  das  ganze  musikalische  Europa.  Mit 
der  Weltklugheit,  die  schon  aus  Haydns  Bildern  spricht 
trug  er  dieser  Tatsache  Rechnung,  verzichtete  auf  die 
melancholischen  und  schwer  verst&ndlichen  Sonderlieb- 
habereien  seiner  Phantasie,  wenn  er  fortan  an  Sinfonien 
ging  und  suchte  statt  dessen  dem  Geschmack  der  tonan- 
gebenden  Gesellschaft  seiner  Zeit  Rechnung  zu  tragen. 
Hierbei  war  es  von  entschiedener  Bedeutung,  dafi  die 
ersten  und  dann  die  meisten  ausw&rtigen  Bestellungen 
auf  Haydnsche  Sinfonien  von  Paris  einliefen.  Von  1779 
ab,  wo  das  Concert  de  la  Loge  Olympique,  die  Nach- 
folgerin  der  alten  Concerts  spirituels  von  1724,  die  heute 
noch  in  den  Concerts  du  Conservatoire  fortleben,  Haydn 
einfOhrte,  war  er  der  popul&rste  Instrumentalkomponist 
der  franzdsischen  Hanptstadt.  Der  Verleger  Sieber  in 
Paris  gab  nach  und  nach  63  Haydnsche  Sinfonien  in 
Auflagestimmen  heraus,  man  handelte  wie  etliche  Jahre 
fraher  mit  unechten  Phil.  Em.  Bach*)  so  jetzt  mit  ge- 
f&lschten  Haydn**),  1810  verSffentlichte  Leduc  sogar 
Partituren  von  26  Haydnschen  Sinfonien.  Von  Paris  aus 
drang  dann  der  Ruf  der  Haydnschen  Sinfonie  nach  Wien, 
nach  Deutschland  undEnglandunderzeugte  jenen  Haydn- 
kuitus,  der  bis  ins  19.  Jahrhundert  hinein  durch  Anlegen 
von  Sammlungen,  Errichtung  von  Konzertsttlen,  Griindung 


*)  H.  Bitter:  Die  Sohne  Bachs  1868,  II.,  S.  332. 
♦*)  Siehe  Gyrowetz'  Selbstbiographle  S.  45, 


— *    129    ♦— 

vonVereinsverbftnden  das  allgemeine  Mnsikwesen  mannig- 
fach  f6rderte.  Die  Vergleiche  Haydns  gingen  vom  >Oellert 
der  Musikc  vom  musikalischen  Ariost  bis  zum  PhObns 
Apollo  and  entsprangen  einer  v511ig  nngekUnstelteii  Be- 
geistening,  die  nicht  znm  kleinsten  Teil  mit  darauf  be- 
rahte,  dafi  die  Zeit  Haydns  den  besten  Teil  ihrer  Bildnng, 
ihres  geistigen  Wesens  in  den  Sinfonien  dieses  Meisters 
wiederfand.  Sie  waren  in  voUendeter  Weise  anf  den  Ton 
jener  Klasse  gestimmt,  die  vor  der  franz5sichen  Revo- 
lution, unter  dem  sogenannten  ancien  regime,  an  der 
Spitze  der  europ&ischen  Menschh^it  stand.  Damm  klingt 
ans  den  Tbemen  dieser  Sinfonien  des  zweiten  Stils  immer 
wieder  derselbe  anacreontische  Gmndton  heraus,  der 
Ton  der  Anmnt,  Heiterkeit  und  Sorglosigkeit,  der  denen 
ein  far  allemal  vorgeschrieben  war,  die  auf  den  Adels- 
schldssem  und  in  den  Salons  der  hOheren  Btlrgerscbaft 
verkehrten.  Jener  Ton,  in  dem  die  Frivolitftt  des  »Morgen 
wieder  lastik«,  die  tiberscbftmnende  Lebenskraft  des  >Carpe 
diem<  mit  den  Gef&hlen  edelster  Humanit&t,  des  »Seid  um- 
schlungen  Millionenc  zusammentraf. 

Nicbt  minder  finden  wir  aber  in  den  Haydn  schen 
Sinfonien  jene  Kunst  der  Konversation,  jene  Virtuositftt 
im  geiBtreichen  Gedankenaustausch  wieder,  die  wftbrend 
des  18.  Jahriiunderts,  soweit  franzosische  Bildang  reicbte, 
also  innerbalb  des  ganzen  zivilisierten  Europa  unter  den 
fa5cbsten  innern  Gtitern  obenanstand.  Man  lese  nur  die 
unubertreffliche  Scbilderung,  die  Frau  von  Stael  in  ihrem 
bekannten  Buche  >Deir  Ailemagne*  von  dieser  franzd- 
sischen  Konversation  entwirft,  und  suche  dann  die  her- 
vorragendsten  ihrer  Merkmale  in  der  Haydnscben  Musik. 
Wer  die  Knltur  des  vergangenen  Jahrhunderts  getreu  und 
voUst&ndig  iibersehen  will,  darf  an  den  Haydnscben  Sinfo- 
nien eben80wenigvorbeigehen,als  an  den  franz5sischenEn- 
cyclop&disten.  Sie  f&hren  die  Gegenwart  vor  das  Bild  eines 
gesellschaftlichen  Geistes,  der  dem  heutigen  in  mancher 
Hinsicht  iiberlegen  ist  und  zum  Muster  dienen  kann. 

Da6  die  Sinfonien  Haydns  ihrer  Zeit  auch  Schwierig- 
keiten  macbten,  erfahren  wir  aus  England,  wo  man  sich 

KretzBchmar,  Ffthrer.    I,  1.  9 


--»    130    «^ 

1792  beklagte,  daB  die  deutsche  Instrumentalmusik  aus- 
geartet  sei*).  £s  ist  nicht  zn  leugnen,  dafi  auch  das 
heutige  Publikum  dem  vielfachen  Gehalt  der  Haydnschen 
Siafonien  und  der  groCen  Bedeutnng  Haydns  voile  Ge- 
rechtigkeit  nicht  widerfabren  l&fit.  Zum  TeU  aus  Un- 
f&higkeit.  Denn  die  Haydnsche  Sinfonie  verlangt  eine 
grdBere  Kunst  im  Folgen  and  H5ren,  als  die  alte  italie- 
nische  und  der  grofite  Teil  der  modernen  Werke.  Mit 
der  unvergleichlichen  Beweglichkeit  ibrer  Gedanken  setzt 
sie  die  Ffthigkeit  schnellen  Verstebens  und  des  scharfen 
Erfassens  auch  der  kleinsten  und  feinsten  Wenduogen 
voraus.  Weil  sie  diese- nicht  besitzen,  kommen  soviele 
Dilettanten,  Kritiker,  Spieler,  Dirigenten  iiber  die  Be- 
wunderung  des  Haydnschen  Humors  nicht  hinaus.  DaB 
Haydn  auch  tief,  leidenschaftlich  und  damonisch  ange- 
legt  ist,  entgeht  ihnen,  weil  er  diese  Gebiete,  auBer  in 
den  langsamen  S&tzen,  immer  nur  kurz  —  in  Einleitungen, 
in  den  Generalpausen,  Fermaten  seiner  AllegrosS.tze,  an 
den  Schl&ssen  der  Durchfuhrungen  —  streift. 

Den  Noten  nach  darf  man  das  Jahr  1780  als  die 
Zeitgrenze  hinstellen,  in  der  der  neue  Sinfoniestil  Haydns 
seine  Ausbildung  abgeschlossen  hat.  Diese  Annahme  hat 
neuerdings  ihre  diplomatische  Best&tigung  durch  einen 
Brief*"*)  gefunden,  in  dem  der  Komponist  dem  Fikrsten 
von  Oettingen-Wallerstein  eine  Partie  frischer  Quartette 
mit  dem  Bemerken  anbietet:  »8ie  sind  auf  eine  ganz  neue 
besondere  Art*.  Von  den  Pariser  und  den  in  ihre  Nfthe 
gehorigen  Sinfonien,  in  denen  sich  dieser  neue  Stil  zu- 
n&chst  zeigt,  sind  La  Chasse,  L^ours,  La  Poule,  La  Reine 
und  die  Oxfordsinfonie  wenigstens  dem  Namen  nach  all- 
gemein  bekannt.  Keine  von  ihnen  gehdrt  zur  eigentlichen 
Programmusik,  und  Haydn  ist  aii  den  Titeln,  die  sie 
tragen,  mit  Ausnahme  der  ersten,  wie  schon  bemerkt, 
voUst&ndig  unschuldig.    Es   sind  Kosenamen,   die  mehr 

♦)  F.  Pohl:  Haydn  und  Mozart  in  London  U,  S.  180. 
♦*)  Adolf    Sandberger:     Zur    Geschichte    des    Haydnschen 
Strelchquartetts.     Nbrdlingen  1899. 


--^    131    <^- 

an  zuf&llige  Einzelheiten,  als  an  das  Wesen  der  Werke 
ankniipfeD,  mehr  die  musikalischen  Liebhabereien  des 
franzOsischen  Yolks,  das  diese  Beinamen  erfand,  be- 
lenchten,  als  den  Inhalt  der  Sinfonien.  Sie  entstanden 
in  den  Jahren  1781—1788  und  zeigen  so,  wie  sie  hinter- 
einander  folgen,  dass  auch  Haydn  auf  dem  Weg  zur 
voUen  Meisterschaft  gelegentlich  gestrauchelt  und  rUck- 
wftrts  geglitten  ist.  Nach  ihrem  Wert  aufgestellt,  wQrden 
die  genannten  Sinfonien  die  Reihe  geben:  La  Foule, 
L'ours,  La  Reine,  La  Chasse,  Oxford-Sin fonie. 

In  der  Zeit  der  Pariser  Sinfonien  bewegt  sich  Haydn 
noch  in  dem  reicheren  and  weiteren  Stimmnngskreise 
seines  ersten  StUs  and  nimmt  wohl  in  der  Ausfiihrang 
seiner  Themen,  aber  nicht  bei  ihrer  Erfindang  aaf  den 
Geschmack  der  groBen  Welt  RQcksicht.  Wenn  die  Kom- 
positionen  dieser  Periode  im  allgemeinen  den  Charakter 
von  Gelegenheitsdichtungen ,  Herzensergiefiungen  and 
Augenblicksbild^n  aus  dem  Leben  ihres  Sch5pfers  haben, 
80  ist  das  bei  La  Poule  ganz  besonders  der  Fall.  Diese  j.  Hftydn, 
Sinfonie  erz&hlt  von  unrahigen,  trUben  and  ernsten  La  Poaie. 
Stunden.  Bin  Rest  von  Sorge  and  Furcht  wohnt  auch 
in  ihrem  Menuett  and  ihrem  Finale,  w&chst  in  diesem 
sogar  zar  Leidenschaft  •  and  Erregang  an.  So  hat  sie 
denn  den  Vorzag  der  geistigen  Einheit  und  Zusammen- 
geh5rigkeit  sftmtlicher  S&tze,  die  ja  so  hllufig  in  der 
neueren  Sinfonie  fehlt;  auf  der  andern  Seite  l&fit  sie, 
namentUch  in  den  EcksHtzen,  nicht  verkennen,  dafi  der 
Komponist  seinem  Stoff  noch  nicht  mit  der  menschlichen 
Freiheit  gegentiberstand,  die  das  Kunstwerk  nicht  ent- 
behren  kann. 

Der  erste  Satz  raht  auf  einem  Hauptthema  von  16  Takten^ 

von  denen  drei  Viertel  dorch  freie  Wiederholang  der  Periode 

AUegro  eon  spiriio.  gebildet  sind. 

(Jnwillen  aus; 
bei  der  n&chsten  Weiterf&hrung  des  Themas  bleibt  kein 
Zweifel,  da6  die  Elemente  des  zweiten  Abschnitts,  die 

9* 


132 


der  Kraft  und  Energ^e,  Anstalt  machen,  das  Feld  zu  be- 
hanpten.  Beim  33.  Takt,  nai^hdem  das  Thema,  variiert, 
zum  zweiten  Male  vorbei  gezogen,  tritt  ein  munteres, 
lebensfreudiges  Motiv: 


in   seine  FuBtapfen.    Nach  einigen  G&ngen,  die  es  tut, 
verliert  es  sich  aber  unerwartet  ins  piano  and  pianissimo. 


j^f) 


tritt  wie  auf  den  Fufispitzen  (nftmlich  in  j^  •f  J^  «  j^ 
bei  Seite,  um  einer  wichtigen  Erscheinnng  Platz  zu  maiden. 
Das  sogenannte  zweite  Thema  ists,  das  als  hoherer  Ver- 
b&ndeter  gegen  die  dunkle  Macht  des  flauptthemas  eintritt: 


Der  Dicbter  ist  an  den  Busen  der  Natur  gefldchtet. 
Wenigstens  haben  die  Franzosen  nacb  diesem  Tbema 
nnd  einer  gleicb  darauf  folgenden  Stelle,  wo  die  Oboe- 
ziemlicb    lange    auf    demselben    Ton    den    Rbythmus 

J    J  I    J    k    angibt,  die  Sinfonie  als  La  Ponle  getauft. 

J.  J  J.  J  J'  ^uf  die  Dauer  vermag  jedoch  dieser  naive 
Freund  nichts  gegen  die  Not  der  Situation.  Vergebens 
erhebt  er  seine  Stimme  noch  einmal  am  Anfang  der 
DurchfQbrung.  Diese  selbst  gehdrt  ganz  den  bedrob- 
licben  Tdnen,  mit  denen  das  Hauptthema  beginnt.  Sie 
suchen  mit  besonderem  Eifer  aus  den  tiefen  Regionen 
her,  in  den  BaBinstrumenten  zu  schrecken.  Doch  ist 
ibre  gespenstische  Kraft  geringer  als  der  Komponist  be- 
absichtigt  hat.  Sie  verstehen  sich  so  wenig  zu  ver- 
wandeln  und  zu  entwickein,  daC  wir  den  ganzen  ersten 
Satz  unserer  Sinfonie  trotz  der  ansehnlichen  und  klaren 
Intentionen,  die  ihm  zu  Grundeliegen,  zu  den  schwftchsten 
Leistungen  Haydns  rechnen  mQssen.  Mit  L'ours,  La  Reine 
steht  La  Poule  in  Bezug  auf  die  DurchfUhrung  auf  der 
Stufe  von  Versuchsarbeiten ;  nur  das  Prinzip  erhebt  sie 
Uber  die  Sinfonien  des  ersten  Stils. 


-^    133    ^-- 

Ein  schdner,  reicher  und  interessaater  Satz  ist  das 
■Andante.  Was  er  will,  sagt  das  Hauptthema  schon  ge- 
DQgend  in  seiner  ersten  Hftlfte: 


jft'^if  ijijiJjjlf^ 


Nftmlich  beruhigen.  Wie  es  aber  in  der  L5sung  dieser 
Anfgabe  nach  den  besten  Wegen  suchend  die  Richtung 
tadert,  wie  es  dabei  erschreckt,  gehindert  and  gestOrt 
wird,  das  hat  Haydn  in  ein  em  Tonbilde  ansgefQhrt, 
welches  wir  unter  die  unmittelbarsten,  draraatisch  be- 
deutendsten  Leistnngen  der  Instrumentalmusik  ttberhaupt 
z&hlen  m&ssen.  Wenn  wir  uns  die  vier  Sfttze  unserer 
Sinfonie  als  die  Hauptteile  einer  spannenden  Geschichte 
denken  woUen,  so  enthftlt  das  Andante  das  Kapitel  der 
Entscheidung.  Ganz  ilberwftltigend  hat  darin  Haydn  den 
Znstand  der  ftufiersten  Seelenspannung  gescbildert:  wie 
die  Erwartnng,  die  das  Schlagen  des  Herzens  nnter- 
drttcke'n  m5chte,  dem  lanten  Aufschrei  weicbt  and  ein 
Geftlhl  ins  andere  st&rzt,  das  ist  mit  einem  wunderbaren 
Realismns  dargestellt 

Die  fieberbafte  Stelle  beginnt  mit  einer  abw&rts  saosen- 
den  Skala  in  ZweiunddreiBigsteln  im  forte,  daraaf  folgen 
zwei  Takte,  wo  nur  in  den  Violinen  noch  jiL  j  ,  j  t 
ein  Schatten  von  Ton  sich  regt  —  fast  wie  j^^  J  ^  j:  ^ 
im  1.  Satz  der  Eroica  beim  »Kamalas<  —  ^ 

and  dann  dorchs  ganze  Tutfi  ein  fortissimo! 

Der  Menaett  gibt  der  Freade  in  ziemlich  eigensinnigen, 
Zwei-  and  Dreiviertel  untereinander  werfenden  Rhyth- 
men  Aasdrack,    ^^  Aiiej^rgtio. 

wie  schon  der  rf*g  TM  ^-  I  Tr  J  ^^  I  J.  I  ^^ 
Anfang   zeigt:   ff  *  ^    '  f    ^  U        UJ   ■■  "  ■  'J  J  = 

Es  klingt  fast  slavisch,  deutet  in  der  massigen  Be- 
setzung  and  den  stattlichen  Unisono-Figaren  aaf  Volks- 
mengen  and  Feste  im  Freien.  Von  diesem  Grande 
hebt  sich  dann  das  Trio  mit  dem  anmutigen  FlOten* 
solo: 


i 


134 


^^^^^^ 


als  reizende  Idylie  ab.    Das  Finale  ruht  auf  dem  Tbema 


jhMi  Mg|i  pigmr^fa  I 


Einige  Ausgaben  scbreiben  fUr  das  Tempo  Presto, 
andere  Vivace  vor.  £s  ist  wieder  einer  von  den  Fftllen, 
der  uns  den  Mangel  einer  kritischen  Gesamtausgabe  der 
Haydnscben  Sinfonien  fiiblbar  macbt.  Presto  gebt  ganz 
und  gar  nicht,  Vivace  allenfalls!  Die  Melodie  n&bert  sicb 
nach  Taktart  und  Cbarakter  den  Sicilianos  des  18.  Jabr- 
hunderts.  £s  bandelt  sicb  in  ibr  nicht  um  stUrmiscbe 
Freude,  sondern  um  ein  besonnenes,  wonniges  GenieBen 
eines  schwer  errungenen  GlUcks.  In  der  DurcbfUbrung 
leben  die  Sturme,  die  dem  frohen  Ende  vorausgingen 
nocb  einmal  auf.  Sie  setzt  mit  dem  Tbema  in  DmoU 
ein  und  gebt  dann  in  beftiges  Toben  und  Lftrmen  fiber. 
Glucklicberweise  ist  sie  nur  kurz. 
J.  HftydB,  Die  mit  dem  Beinamen  L*ours  belegte  C dur-Sinfonie 

L'ours.  stammt  mit  La  Poule  aus  demselben  Jabre  1786  und  &bnelt 
ibr  darin,  daB  aucb  bei  ibr  der  erste  Satz  am  wenigsten 
gelungen  ist.  Aucb  er  hat  ein  inbaltreicbes  und  ergiebiges 
Hauptthema: 

in  das  sicb,  wie  in  die  Seele  eines  recbten  Jiinglings, 
Feuer,  Kraft  und  Anmut  teilen.  Haydn  stellt  ihm  ein 
zartes,  zweites  Tbema  entgegen: 


£ 


irfi  i^j'  i:gci^^ 


§l&\\trra vrf|f1^|rfge^ 


ate. 


-^    135    ♦^ 

Das  Eigentumliche  an  dem  Satze  ist  aber,  dai3  der  Ober- 
gang  von  dem  ersten  zum  zweiten  Gedanken  nicht  bloB 
sehr  lang  ist,  sondern  ancb  sehr  vie!  Leidenschaft  und 
Erregung  verbraucht.  £s  kommt  namentlich  an  der  Stelle, 
wo  in  der  Mitte  der  Instrumente  das  g  als  liegende 
Stimme  fortdr5hnt,  zu  einer  Wirkung,  die  sich  fiir  den 
Verlauf  des  Satzes  als  furchtbar  einpr&gt  und  SchluB  nnd 
Ausgieich  verlangt.  Damit  ist  dem  Durchfilhrungsteile 
die  Spitze  abgebrochen,  und  in  der  Tat  bringt  er,  mil 
Ausnahme  des  Eingangs,  an  dem  das  Motiv  c  des  Haupt- 
themas  wieder  auftaucht,  nicht  viel  anderes  als  Wieder- 
holung  der  Themengruppe  in  an  dem  Tonarten. 

Was  dieser  erste  Satz  etwa  schuldig  bleibt,  das 
bringen  die  andern  reichlich  wieder  ein.  Das  Andante 
hat  ein  Thema  von  ganz  voliLsttimlicher  Natur;  es  ist 
auch  in  der  einfachsten  Art,  die  sich  denken  1ft fit,  auf- 
gebaut.    Der  Hauptsatz  beginnt  mit: 


fyii  Hn  II  qm^iu.' 


ein  Nachsatz  von  ebenfalls  vier  Takten  schliefit  in  F  dur 
ab.  Nun  kommt  ein  Mittelteil  —  16  Takte  lang  —  der 
mit  der  echt  Haydnschen  Wendung: 


^^g 


in  den  ersten  Teil  zuriicklenkt:  Wir  haben  es  also  mit 
einem  dreiteiligen  Lied  als  Hauptsatz  zu  tun.  Das  wird 
dreimal  in  verftnderter  Instrumentation  angestimmt;  vor 
die  erste  und  zweite  Wiederholung  treten  Zwischens&tze 
in  Moll,  gehamischt  wie  Riesen,  die  alLes  zerschmettern 
wollen.  Aber,  wie  es  mit  Goliath  und  David  erging,  so 
auch  hier:  die  kleine  Unschuld  wird  uns  durch  diesen 
Gegensatz  nur  immer  lieber,  behftlt  das  letzte  Wort  und 
benutzt  die  Gelegenheit  zu  einer  Coda,  in  der  sich  noch- 
roals  ihr  Humor,  ihre  Kraft  und  ihre  Anmut  regen. 


M    I 


-^    136    ♦^ 

Die  Glanzpartie  der  Sinfonie  ist  ihr  Finale,  dem  nicht 
die  Rondo-,  sondem  die  Sonatenfonn  gegeben  ist  Sein 
Hauptthema: 

Vlvaoe  aMal. 


dreht  sich  lastig  und  ausgelassen  im  engen  Kreise.  Seine 
besondere  F&rbung  erh&lt  es  dnrch  den  begleitenden 
Bafi,  der  den  Satz  ganz  allein  beginnt  und  hartnftckig 
anf  demselben  Ton  fortbrummt.  Zuweilen  nntersttktzt 
ihn  als  zweite  Stimme  seine  Qainte  —  das  gibt  dann 
einen  Pastoral klang,  der  uns  mittlerweile  sehr  gei&nfig 
geworden  ist,  denn  nenere  Komponisten  kOnnen  obne 
ihn  kamn  noch  die  einfachste  Tanzszene  schreiben.  Zn 
Haydns  Zeiten  war  es  eine  ganz  nnerhdrte  Keckheit,  in 
eine  Sinfonie  derartige  Sorten  von  Yolksmnsik  hinein- 
zuziehen.  Wie  m5gen  die  ersten  Zah5rer  gestutzt  haben, 
als  ihnen  diese  Jahnnarktskunst,  diese  lebensgetrene 
Nachahmung  des  Dadelsacks  entgegentrat !  Der  tkber- 
mtttige  Streich  ist  aber  so  frisch,  so  geistvoll  und  hin- 
reisend  durchgefuhrt,  dafi  er  Haydn  zum  hochsten  Ruhm 
ausschlug.  Die  Pariser  fanden  ungeheuren  Gef alien  an 
dem  BrummbaC;  nach  ihm  tauften  sie  die  Sinfonie  mit 
dem  Namen  L'ours  und  reihten  sie  unter  ihre  erkl&rten 
Lieblinge.  Die  Wirkung  eines  solchen  realistischen  Ein- 
falls,  wie  er  diesem  Finale  zu  Grande  liegt,  wird  immer 
kurz  sein,  wenn  ihn  nicht  die  Runst,  mit  der  er  ver- 
wendet  wird,  nachtr&giich  adelt  Und  dieses  GiQck  ist 
unserm  B&renbafi  in  vollstem  MaB  zuteil  geworden.  Die 
Idee  des  fortklingenden  Basses  wandelt  Haydn  sofort  in 
die  der  liegenden»Stimme  um.  Wenn  die  Ian  gen  Tdne  dann 
in  den  Violinen  anschlagen,  dreht  sich  in  den  B&ssen 
die  drollige  Figur  des  bewegten  Motiys  wie  ein  Wirbel- 
wind.  Dann  schwingt  sich  der  Komponist  auf  dem  Motiv 
im  fr5hlichen  Sturm  und  mit  der  Sicherheit 
des  Virtu osen  nach  einer  Stelle,  wo  aus- 


J>|JG3 


137 


geniht  warden  kann.  G  dor  ist  erreicht  and  fest  ergriffen. 
Da  setzt  ein  zartes,  behagliches,  zweites  Tbema  ein  in 
den  Oboen 


iM 


•"•r-f  I 


^m 


In  dieser  Gesellschaft  darf  es  nicht 
zn  viel  Ansprtkche  machen,  den 
Schlnfitakt  der  auf  8  Takte  an- 
gelegten  Periode  schlftgt  der  BrummbaB  nieder.  Noch 
einmal  versucht  eine  zarte  Stimme  sich  GehOr  za  ver- 
schaffen  —  anch  sie  verschlingt  der  Sturm;  mit  einem 
wilden,  chromatischen  Zug  setzt  die  letzte  Periode  der 
Themengruppe  ein.  Die  Durchf&hning,  die  im  ganzen 
nnr  knrz  ist,  ftberbietet  die  Ansgelassenheit  des  vorher- 
gehenden  Teils  dadurch,  dafi  sie  das  nftrrische  Treiben 
in  ganz  entlegenen  Tonarten  fortsetzt.  Wir  sind  aos 
G  dur  pl5tzlich  nach  F,  von  da  nach  E  dur  gestoBen. 
Von  da  geht  es  nach  Ddnr  zuruck,  and  von  diesem 
Pankt  aos  wird  das  Thema  als  neckischer  Kontrapankt 
vorwiegend  in  den  Bftssen  gebracht  and  bald  die  Reprise 
erreicht  An  Munterkeit  and  Witz  ist  dieser  SchlaCsatz 
von  L'oors  eine  von  Haydns  hochsten  Leistangen. 

Die  Sinfonie  >La  Reine<  soil  der  KOnigin  Maria  j.  Hftyda, 
Antoinette  besonders  gefallen  and  daher  ihren  Beinamen  L^  Reine. 
erhalten  haben.  Sie  ist  eine  Altersgenossin  von  L'ours  and 
La  Poule  and  steht  mit  ihnen  auch  in  Bezag  aaf  den 
Wert  des  ersten  Satzes  aaf  derselben  Stafe.  Das  Inter- 
essan teste  an  ihm  sind  die  Mozartschen  Ziige  in  der 
korzen,  sebr  majest&tisch  einsetzenden  Einleitang  and  im 
Thema  des  Allegros: 


--♦    138    ^^ 

Das  ist  das  Sinnen  und  Tr&umen,  das  romantische 
Z5gern,  dem  sich  der  Meister  von  Salzburg  gem 
flberl§,6t,  wenu   das  Spiel  beginnen   soil.    Es  ist  auch 

der     flotte,     ritterliche  ^ ^ 

Schritt,  mit  dem  er  dann    iJi  j^pfpfiftf  iT  f  ^  Vr 
doch  sich  erhebt,  wenn  W      L>l   ■"        '       '    I    M 
Hay  da    nun     fortf&hrt:  •/' 

Selten  ist  bei  einer  Sinfoniekomposition  Haydn  von  dem 
Ausgangsgedanken  eines  Allegro  so  gefesselt  worden,  wie 
dieses  Mai.  Er  wiederholt  es  zun&chst  in  B  dur  noch  ein- 
mal,  dann  kommt  es  in  Fdur,  dann  in  der  Durchftibtung 
in  As  dur  und  zwar  immer  mit  Ausnahme  der  Tonart 
voUstandig  wortlich.  Auch  die  Zwischens&tze,  die  diese 
Wiederholungen  unterbrechen,  haben  immer  denselben 
Charakter:  Es  sind  Szenen  der  Aufregung  und  zwar  fast 
alle  in  der  primitiven  Weise  von  Haydns  erstem  Stil  aus 
dem  zuletzt  angef&hrten  Viertelmotiv  gebildet.  Ein  zweites 
Thema  ist  im  Satze  nicht  da,  und  erst  am  Schlusse  der 
Durchfuhrung  gewinnt  der  Komponist  dem  ersten  einige 
neue  und  tiefere  Wendungen  ab  durch  Nachahmungen 
und  Anwendung  weiterer  kontrapunktischer  Kunst 

Der  zweite  Satz  von  »La  Reine«  ist  ein  Allegretto, 
das  aus  einem  Variationenzyklus  fiber  ein  Thema  mit 
folgendem  Anfang: 

besteht.  Es  ist,  zu  einem  dreiteiligen  Lied  vervollst&ndigt, 
die  Melodie  einer  franz5sischen  Romanze  von  >la  gen- 
tille  et  jeune  Lisette«.  Dieser  Herkunft  des  Themas 
wegen  hat  Haydn  dem  ganzen  Satz  die  Oberschrift  >Ro- 
manzec  gegeben.  Pohl  findet  in  ihr  nahe  Verwandtschaft 
mit  der  Romanze  der  Militilrsinfonie.  Sie  beschr&nkt 
sich  aber  darauf,  daJ3  beide  Stiicke  den  Ehythmus 
^^^  benutzen.   In  unsrer  Romanze  liegen  die 

i    /m   I  J  Reize  der  Variationen  in  der  Instrumen- 


-^    139    ^^ 

tierang,  in  der  F&rbang,  in  der  Geschicklichkeit,  mit  der 
Haydn  das  Thema,  das  immer  w5rtlich  wiederkehrt,  mit 
anmatigen  Kontrapnnkten  verdeckt.  Nene  Gestalten  fQhrt 
nicht  einmal  der  MoUsatz  ins  Bild  ein. 

Der  Mennett  der  Siofonie  hftlt  sich  ungew5hnlich  straff 
nnd  bestimmt  Wenn  er  nicht  im  Dreivierteltakt  st&nde, 
konnte  er  marschierende  Soldaten  begleiten.  Um  so  loser 
t&ndelt  das  Trio;  fast  scheint  es,  als  soUten  bier  die  In- 
stmmente  nor  an-  und  eingespielt  werden  —  so  sehr 
entschlftgt  sich  die  Komposition  jeder  Gedankenlast.  Das 
Finale  hat  wieder  die  Form  des  Sonatensatzes  und  singt 
einen  Hymnus  auf  Behaglichkeit  und  Zufriedenheit.  Die 
Themen  sind: 

Presto.  ^.^^^ 


jl^fiftnfLi'^ 


Es  ist  das  einer  der  seltenen  Falle,  wo  Haydn  sich  dem 
etwas  trocknen  Geiste  der  deutschen  Moraldichter  seiner 
Zeit  n&hert  In  der  Durchfuhrung,  die  mit  dem  ersten 
Thema  in  den  B&ssen  einsetzt,  erhebt  er  sich  aber 
m&chtig.  Sie  ist  so  bewegt  und  an  den  Stellen,  wo  sie 
Yon  Dmoll  aus  eine  Reihe  von  verminderten  Sept- 
akkorden  in  gewaltigen  Abs&tzen  anlauft,  so  gewaltig, 
da6  man  den  Satz  unter  den  merkwiirdigsten  Stucken 
in  der  Haydnschen  Sinfoniekomposition  in  Ehren  hai- 
ten  mu6. 

Die  Sinfonie  >La  Chassec  ist  diejenige  in  unserer   j.  Haydi, 
Reihe,  die  wenigstens  fQr  einen  Teil  ihren  Namen  von  La  Chasee. 
Haydn  selbst  erhalten  hat.   Dieser  Teil  ist  das  Finale.    Er 
ist  im  Jahre  1781  als  Einleitung  zum  dritten  Akt  der  Oper 


— »    140    ^>— 

>La  fedelta  premiata«  komponiert.  In  diesem,  each  der 
italienischen  Intrigaenschablone  verfertigten  Siticke  f&hrt 
Diana  die  heillos  verfizte  Handlung  za  einem  gedeihlichen 
Ende,  und  dies  Auftreten  der  Jagdgdttin  hat  Haydn  be- 
Dutzt,  eine  sonst  durch  den  Dichter  unendlich  gehemmte 
Fhantasie  in  erwUnschte  Bewegung  za  setzen.  Fiir  die 
masikalische  Schilderung  von  Jagd  und  Jagen  hatte  sich 
in  Kantate,  Oper,  Sonate  und  Sinfonie  lange  vor  Haydn 
ein  fdrmlicher  Kanon  ausgebildet.  Es  war  ein  Lieblings- 
gegenstand  der  Tonsetzer.  So  d&rfen  wir  auch  von 
Haydn,  obwohl  er  bekanntlich  Jftger  von  Fach  war, 
fQr  die  Orchesterphantasie  in  der  er  die  Jagd  und  ihre 
Gdttin  feierte,  keine  neuen  Motive  erwarten,  sondern  wir 
wollen  uns  freuen,  daB  er  alte,  zweckentsprechende  Weisen 
im  lebensvoUen  Bilde  auf  uns  wirken  I'AQt 

Der  Satz  beginnt  nalQrlich  mit  H5rnem.  Sie  tragen 
ein  Fanfarenmotiv  vor,  in  das  aber  auch  Oboen,  Fa- 
gotte,      sftmtliche   ^^  ^,^     Dieses     ge- 

Streichinstr amente  ^nm  B  i  f  P  T  ff  I  f\     samte      Or- 
mit      einstimmen:  <^    "  ^     i    r  i    r  ■  -    »    '  Chester  setzt 
unmittel-  ♦  #  -.  welches  fiir  den 

bar  daran  ^j^  p  |  fl  T  ^  f  p  |  i^^Durchfuhrnngs- 
das  Motiv :  iJ  i  i    i  i  ^^.j  ^^^  Satzes 

grofie  Wichtigkeit  erlangt  Es  bildet  dort  den  Trager  der 
Bewegung,  der  Jagdfreude  und  wechselt  von  zwei  zu  zwei 
Takten  mit  den  Mo-  . 

«^«»  <»«  R^i'o  -pd  ifi  pi  r  I  f  ri  P'  I  r  I  r 

desWaldfriedens  als:  ^ 

Ahnlich  wie  in  der  Jagdszene  der  >Jahreszeiten«  kommt 
am  SchluB  der  Durchfiihrung  eine  Minute  gewaltiger  Auf- 
regung :  Es  sind  die  Augenblicke,  wo  es  sich  entscheidet, 
ob  der  J&ger  oder  ob  das  Wild  GlUck  haben  soil.  Die 
letzten  Kr&fte  werden  angesetzt,  der  SchuB  f&llt:  Domi- 
nantseptakkord  und  Fermate !  Wir  vermissen  —  die  Stelle 
der  Jahreszeiten  im  Kopf  —  hier  die  Pauke.  Aber  sie 
ist  nicht  n5tig.  Haydn  versteht  es,  mit  seinen  Violinen, 
Bratschen,  Gellis,  Bassen,  mitFldte,  Oboen,  Fagotts  und 
zwei  Hornern  >gro6es  Orchester«  zu  spielen.  Gait  ja  doch 


-^    141    V- 

diese  Besetzung  fUr  Sinfonien  eine  Zeitlang,  in  Nord- 
dentschland  wenigstens,  ftlr  bedeutend.  Benda  nannte 
sie  ansdrUcklich  in  den  tfberschriften :  grofies  Orchester. 
Zu  einer  ganzen,  viersfitzigen  Sinfonie  wnrde  La  Chasse 
im  nflchsten  Jahre  vervollst&ndigt;  als  der  Fiirst  von 
Esterhazy  von  einer  l&ngeren  Reise  zurQckkehrte,  f&hrte 
ibm  Haydn  das  Werk  vor.  Man  wfirde  nacb  unseren 
bentigen  Begriffen  erwarten,  da6  die  Vorders&tze  mit  dem 
ScbluBsatz  in  geistiger  Verwandtscbaft  steben  und  der 
Jagd  vielleicht  eine  Reihe  von  Waldbildern  vorausscbicken, 
etwa  in  der  Weise  der  Rafibcben  Waldsinfonie.  Anders 
das  18.  Jabrbnndert,  dem  Wald  nnd  Gebirge  nur  be- 
schr&nkt  als  poetische  Gegenstftnde  galten.  Jedenfalls 
waren  dem  Natnrfrennde  jener  Zeit  Ebenen  mit  Kanftlen 
and  Pappelalleen  lieber.  Wir  mUssen  auf  ein  solches 
Programmband  zwischen  den  Sfttzen  von  >La  Cbasse« 
verzicbten  and  daranf:  die  Beziebangen,  die  zwischen 
ibnen  zweifellos  bestanden,  die  Grande,  wesbalb  die  Slltze 
so  sind,  wie  sie  sind,  angeben  zu  k5nnen.  Der  FQrst  bat 
den  Sinn  der  Ovation  and  der  Komposition  jedenfalls 
verstanden,  and  wir  fdblen  ohne  weiteres,  daB  die  Sin- 
fonie einen  stark  persdnlicben  Zag  zeigt,  den  Cbarakter 
von  tiefen  Lebenseindrdcken  tr&gt.  Sie  gebdrt  mit  der 
Oxfordsinfonie  za  denjenigen  Werken  der  in  Betracht 
kommenden  Periode,  die  eine  viel  grOfiere  Menge 
Herzensw&rme  aosstrablen,  als  das  bei  Haydn  darch- 
scbnittlicb  der  Fall  ist.  Aucb  Jagdsinfonien  aus  Haydns 
erster  Periode  baben  diesen  stfirkeren  Gemtitston,  die 
Erklftrong  ergibt  sicb  aus  ihrer  Verwendung  an  Hubertus- 
tagen,  bei  denen  der  heimgegangenen  Genossen  gedacbt 
warde.  Am  stSrksten  trftgt  diesen  Cbarakter  der  Erinnerang 
der  erste  Satz  der  Sinfonie.  Eine  berrlicbe  Einleitang 
empfUngt  ans  mit  emst  sinnenden  T5nen  and  zeigt  in  der 
Feme  auf  freundliche,  lieblicbe  Bilder.  In  ibrer  Kfirze, 
ibrem  Reicbtum  ist  sie  eins  der  sch5nsten  Beispiele  dafQr, 
was  Haydn  aaf  diesem  Gebiete  der  Andeutungen  zu  bieten 
vermag.  Sie  scblieBt  in  A  dur,  der  Oberdominant  von  D, 
der  Tonart  der  Sinfonie.    Und  nun  setzt  das  Allegro  ein : 


142 


Allegro 


^!''''"^7|'  t  If 


y=  lautet  die  erste  H&lfte 

des  Them  as. 

Ist  das  aber  nicht  seltsam,  ein  D  dor- Allegro  und  der 
Anfang  in  G,  in  der  Unterdominant?  Ja,  anOergewdhnlich 
ists,  aber  auch  sehr  bedeutongsvoll.  Die  Phantasie  des 
Tondichters  weilt  nicht  in  der  Gegenwart.  Die  Noten  sagen 
uns,  was  ein  anderer  Poet  jener  Zeit  in  dieWorte  gefafit  hat : 

Ich  denk'  an  euch,  ihr  blmmlisch  schiinen  Tage 
Der  seligen  Vergangenheit. 

GlUckliche  Stunden  und  Tage  sind  es,  die  vor  die 
Erinnerung  des  Meisters  treten;  vielleicht  hat  sie  sein 
Herr  mit  ihm  geteilt.  Sp&ter  wird  das  trauliche  Bild 
aus  der  Vergangenheit  noch  mit  einer  breiten  Melodie 
weiter  gef&hrt,  die  folgendermafien  Mozartisch  beginnt: 

^^  und  liber 

ft  ,<tLrrf,ffi,«rrr¥n^fJ^i  Tcttt! 

ten,  flber 
dunkle  Modulationen  zum  Adur-SchluC  geht.  Sie  ver- 
tritt  in  der  Themengruppe  die  Stelle  eines  zweiten  Themas. 
Die  Durchftihrung  ist  geteilt  zwischen  eine  Hftlfte  des 
Ireudigen  Schw&rmens  fiber  das  verkiirzte  Anfangsmo- 
tiv  des  Haupt- 
themas ,  das 
in  der  Form: 

in  Nachahmungen  und  Engfuhrungen  von  alien  Stimmen 
tUchtig  darchgearbeitet  wird.  Noch  einmal,  gl&nzend  und 
golden,  drangen  sich  die  >himmlisch  sch5nen  Tage<  Yor 
die  Seele :  In  der  zweiten  Halfte  der  Darchfuhrung  kommt 
Erkenntnis  und  die  Klage  zum  Durchbruch:  dafi  es 
sich  um  Vergangenes  handelt.  Die  S&tze  sind  hier  Uber 
das  elegi-  j  j  j  j  j  gebildet,  das  einigemal  sehr  rtth- 
scheMotiv   n^  rend,  traurig  und  schmerzlich  zu 

uns  spricht. 


-^    143    4^- 
Der  zweite  Satz  ist  in  seinem  Anfang: 

Aodaote. 

eine  leibliche  Schwester  des  weltbekannten  Andante  mil 
dem  Paokenschlag.  Es  teilt  mit  ihm  tlhythmus,  Metrom 
und  den  Charakter  der  Kinderszene.  Auch  in  den  Lie- 
dern  der  >Zauberfldte<,  im  >Donauweibchen<,  in  den 
Singspielen  Wenzel  MCillers  hat  es  zahlreiche  Verwandte 
aus  dem  ersten  Grade;  in  jeder  Faser  bekundet  es  die 
Zugeh5rigkeit  zur  niederdsterreichischen  Volksmusik.  Ja, 
wenn  man  will,  kann  man  aus  den  Noten,  die  die 
Viertel  anfangen,  das  Kaiserlied  >Gott  erhalte  Franz 
nsw.c  heraush5ren.  Freilich  endet  die  Melodie  nicht  so 
einfach.  Im  9.  and  10.  Takte,  die  den  Schldfi  bilden, 
wendet  sie  sich  deatlich  genug  ins  Wehmtltige  und  ffigt 
mit  Halbkadenz  and  Fermate  dem  reizenden  Bildchen 
ein  >Ach  dahin!<  an.  £s  wiegt  aber  fQr  den  Kunstwert 
dieses  Andante  sehr  schwer,  daC  es  sich  dem  ersten  Satz 
innerlich  so  eng  anschliefit,  so  eng,  dafi  niemand  den 
Sinn  and  das  VerhsLltnis  mifiverstehen  kann.  Es  ist,  als 
woUte  es  aus  dem  Schatz  alter  schdner  Erinnerangen 
der  vorhin  so  obenhin  erschlossen  wurde,  ein  besonders 
anheimelndes,  spezielles  Stack  hervorholen,  ein  StUck 
aas  der  Kinderzeit  meinen  wir.  In  der  Komposition 
k&mpft  die  Freade  mit  der  Traaer.  Der  Traaer  ist  aber 
ein  Aasdrack  gegeben,  eben  so  schhcht  and  einfach,  wie 
es  das  Volkslied  ist,  von  dem  der  Satz  ausgeht.  Karze 
Generalpaasen  and  Fermaten  vermilteln  ihn.  Und  die- 
selben  Eigenschaften  hat  der  Aafbaa  dieses  vollendeten 
Kanstwerkchens:  a)  Thema,  24  Takte,  b)  erste  Darch- 
fahrang,  haaptsftchlich  in  Moll,  etwas  erregt  and  pathe- 
tisch,  mit  wanderschonen  AnklS.ngen  der  Haaptmelodie 
aas  der  Tiefe,  26  Takte,  c)  Thema  wie  a,  d)  zweite 
Durchf&hrang  mit  innigen  Klagen  aaf  es— cis— d  and 
kleinen,  erregteren  Nachahmangen ,  20  Takte,  e)  Thema 
zam  dritten  Male,  mit  karzem,  sanftem  Nachgesang. 


-^    144    ♦— 

Auch  im  Menuett  finden  wir  die  Merkznale  der 
Erinnerungsfeier:  frohe  Bilder  und  der  Schatten  der 
Verg&nglichkeit  dariiber.  Diese  letzten  sind  der  Grund 
der  chromatisch  romantischen  Motivffihrnng,  die  diesem 
Satz  eigenttlinlich  ist,  sowie  der  ins  Klagende  und 
Schwermdtige  iibergreifenden  Haltnng  der  zweiten 
Klausel : 


•| I II I'll  III 


Sinfonie. 


Wir  haben  in  La  Chasse  eine  Sinfonie  von  h5chster 
VoUendang.  Eigene  Grundideen  verbinden  sich  mit  einer 
Ausffthmng,  bei  der  alle  Teile,  gleich  gelangen  in  sich, 
sich  als  Glieder  desselben  Ganzen  erweisen.  Kein  Wunder 
daram,  daB  diese  Sinfonie  sich  besonders  schnell  und 
weit  verbreitete.  Sie  wurde,  was  viel  sagen  wollte,  auch 
in  Ilalien  bald  bekannt.  Pohls  Biographie  gibt  die  nftheren 
Daten. 
J. HaydB,  Die  Ox ford-Sinfonie,  die  Haydn  im  Jahre  1788  ffir 

Oxford-  Paris  schrieb,  ist  im  Zusammenhang  mit  >La  Chasse* 
genannt  worden.  Sie  haben  beide  den  persdnlichen  Be- 
zag  auf  Haydns  eigenes  Leben,  gehen  von  einem  ele- 
gischen  Riickblick  aus,  den  der  gereifte,  alternde  Mann 
auf  die  dahingegangene  Jugend  wirft.  Die  Verwandt- 
schaft  erstreckt  sich  aber  auch  auf  die  formelle  VoU- 
endung  der  zwei  Sinfonien.  Haydn  vertritt  nicht  bios 
das  Prinzip  der  thematischen  Arbeit,  der  motivischen 
Entwicklung,  der  grtindlicben  Auslegung  der  Gedanken, 
sondern  er  handhabt  es  auch  als  Meister.  Ohne  Be- 
denken  darf  man  in  dieser  Beziehung  die  Oxford-Sin- 
fonie  einige  Stufen  hoher  als  die  um  sechs  Jahre  Ultere 
Jagdsinfonie  und  auf  eine  Linie  mit  den  besten  Londoner 
Sinfonien  stellen.  Haydn  hat  auf  seinem  Weg  zur 
Oxfordsinfonie  sich  in  einem  frtiher  nicht  vorhandenen 
Grade  der  Kunst  bem&chtigt,  den  Inhalt  eines  Themas 
mittels  kontrapunktischen  Feinheiten  zu  erschopfen  und 
im  ^pannendsten   Ton    dem   Zuhorer   vorzufQhren.     Er 


I 


-^    145    *^ 

oAhert  sich  in  derBehandliing  YOuEngf&brungen,  im  Reich- 
tarn  Yon  schwierigeQ  and  aafregenden  NacbahmangeB  der 
Weise,  die  mil  Mozart  gleieh  geboren  war.    Mit  dieser 
sorgfftltigen  Aasarbeitang  der  Form,  mit  diesem  liebe- 
volleren  Bingehen  ins  Kleinleben  der  Stimmen  ist  aber 
sichtlich   aaeh   die  Beweglichkeit  and  Leichtigkeit  von 
Haydns  Geist  im  allgemeinen  gewachsen.   Wir  bemerken 
das  an  der  spielenden  Sicberheit,  mit  der  er  jetzt  kleine, 
kontrapanktische   Nebenmotive    aafzonehmen    and   zur 
Gedankenverbindung  za  benatzen  pflegt,  die  er  frdber 
nach  einmaligem  Gebraach  wQrde  haben  fallen  lassen. 
Das  zeigt   ans  namentlich  der  erste   Satz   der  Oxford- 
sinfonie.    Er  scheint  keine  Nebenpartien,  keine  Verbin* 
dangsabsebnitte,  keine  Obergftnge  za  haben.   Alle  Fagen, 
wo  die  Glieder  aneinanderstofien,  sind  mit  organischen 
Motiven  tlberwachsen,  alles  schlieGt  eng  and  natUrlich 
zasammen.   Ja,  es  ist  Erklflrern  dieses  ersten  Satzes  be- 
gegnet,   daB  sie   eine   begleitende    Geigenfigar   ffir   die 
Haaptstimme   gehalten  haben.     Dem   Lernenden   kann 
nor  ernstlich  geraten  werden,   alle   die  Stellen    aofzu- 
sachen,  an  denen  Haydn  einen  nebens^chlichen  Melodie- 
schlafi,  ein  F&llmotiY  aafnimmt  and  zam  Trftger  des  Ge- 
dankenbaues   macht.     Man  kann  mit   einem   gewissen 
Recht  die  Oxfordsinfonie  Haydns  Eroica  nennen.     Der 
neae  Stil  ist  bier  fertig. 

Wenn  der  erste  Satz  in  ihr  and  in  der  Jagdsinfonie 
dieselbe  poetische  Idee  haben,  ein  elegisches  Erinnerangs- 
bild  vorfQhren  wollen,  so  tan  sie  das  doch  verschieden. 
Die  Oxfordsinfonie  zeigt  den  Romponisten  in  einer  viel 
st&rkeren  Weise  erregt  and  ergriffen.  Das  sieht  man 
schon  an  der  Einleitang,  man  sieht  es  dann  besonders 
daran,  dafi  er  im  Allegro  gar  nicht  von  dem  ersten  Ab- 
schnitt  seines  Haaptthemas 

AUeKro.  .  ^^ 


lassen    kann.     Das   Thema   erstreckt   sich,    ins   Starke 
and  Zarte  greifend,  noch  lang  bin,  bis  die  16taktige 

Kretzachmar,  Fahrer.    I,  1.  jO 


--^    146    ^^    ' 

Periode  fertig  ist.  Aber  Haydn  kommt  iminer  wieder  aaf 
die  ersten  ffinf  Noten  zur&ck.  Bald  liegen  sie  obeo,  bald 
in  der  Mitte,  bald  nnten,  bald  olfen,  bald  Uberdeckt  da. 
Er  kann  sich  nicht  berabigen.  Das  zweite  Thema  kommt 
darnm  erst  ganz  am  Schlusse  der  Tbemengrappe.  Es  ist 
eine  Buffogestalt,  aus  vielen  komischen  Opern,  znletzt 
noch  aus  Rossinis  »Barbier<  bekannt.  Hier  wirkt  es  aber 
doch  wie  eine  freundlicbe,  beimlicbe  Vision:  es  spricht 
wie  ein  guter  Freund,  wie  ein  liebes  Kind: 

Durch  die  Wogen  der  Darcbftlhrang  dient  es  mebrmals  als 
helfender  Lotse  und  hilft  den  verlorenenWeg  wieder  fin  den. 
So    h&nfig      Qg    ^  ebenso      bestftndig 

im  ersten  Satz  m'  p^  p  p  |.  I  J  kommt  nnn  im 
gefragt  wurde:  *^^3  Adagio  die  Antwort: 

Adagio  cantabile.  ^^^  ^^^ 


Das  Tbema  wird  zur  Staktigen  Periode  YervoUst&ndigt, 
dann  wiederbolt  Hierauf  folgen  6  Takte  Mittelsatz, 
dann  unser  Tbema  schon  wieder,  und  mit  dieser  Ent- 
schiedenheit  bleibt  es  auch  far  die  Folge  an  der  Spitze 
des  Formenbaus.  In  die  Mitte  des  Satzes  stellt  Haydn 
ein  wildes  MollstUck,  aus  dem  D&monen  ihre  F&uste  vor- 
strecken.  Aber  der  kleine  Engel  aus  Ddur  lili3t  sich 
nicht  bange  machen,  nur  eine  kleine  Weile  kommt  er  ins 
Stocken.  Es  ist  das  eine  sehr  interessante  S telle,  die  die  Fer- 
maten  und  Septimenakkorde  genflgend  kenntlich  machen. 
Die  Erregung,  die  wir  im  ersten  Satz  der  Oxford- 
sinfonie  bemerken,  dauert  auch  in  dem  Menuett  noch 
an.  Synkopen  und  Generalpausen  sind  seinem  Haupt- 
satz  eigen.  Erst  im  Trio  bringt  der  Gesang  den  Hdrem 
den  Frieden,  dessen  wir  sonst  an  dieser  Stelle  von  An- 
fang  an  sicher  zu  sein  pflegen.  Selbst  im  Finale  diirfen 
wir  dem    frohen   Ausgang   noch  nicht  ganz   unbedingt 


147 


traneD.    Das  erste  Thema  hat  in  seinem  Gesicht  bei  allerr 
Regsamkeit  einen  launischen  Zug 

Presto. 


m 


1  I  Ji  -I   J^  I  J  "^  I      ^^^    benimmt    sich    insofern 
*'  J' J   '   '  i/  J      h5chst   eigent&mlich ,    als    es 


nach  Art  der  unb&ndigen  Tarantella  nnmittelbar  hinter- 
einander  viennal  wiederkehrt.  Im  weiteren  Verlanf  ver- 
schwindet  es  einige  Male  ohne  alle  Ursache,  bricht  ab, 
setzt  uns  vor  sehr  verlegene  Pausen  und  springt  wie  ein 
Kobold,  der  nicht  zu  fassen  ist,  aus  den  hohen  Blflsem 
in  die  BaOinstrumente.  In  der  DurchfObrung  entfaltet 
Haydn  sehr  wirksam  schwierige  KQnste  des  doppelten 
Kontrapnnktes.  So  bleibt  die  Oxford-Sinfonie  von  Anfang 
bis  zn  Ende  originell.  Haydn  hat  das  Werk  selbst  hoch  ge- 
stellt  Als  er  im  Jali  1791  nach  Oxford  zur  Promotion  reiste, 
legte  er  fQr  alle  Fillle  diese  Pariser  Sinfonie  in  seinen 
Koffer.  Sie  trat  schlieBlich  anch  wirklich  an  die  Stelle  der 
nrsprflnglicb  fQr  die  Feierlichkeit  bestimmten  Kompositioir 
and  wurde  seitdem  nnter  dem  Namen  Oxford-Sinfonie  ein 
Liebling  der  englischen  Konzerte.  Spftter  hat  Haydn  ihrem 
Orchester  noch  Trompeten  und  Pauken  hinzugefugt. 

Kurze  Zeit  vor  die  sogenannte  Oxforder  f&Ut  eine  andere      j.  Hajda, 
bedentende  G  dar-Sinfonie,  die  ebenfalls  der  Pariser  Gruppe  o  dur- Sinfonie 
angeh(^rt.    Die  bekannte  Partiturausgabe  der  Haydnschen  ^''  *'  ^^-  *  ^•^• 
Sinfonien  von  Breitkopf  ft  H&rtel  bringt  sie  als  Nr.  13. 

Sie  beginnt  mit  einem  kurzen  Adagio,  daB  wie  eine 
Morgenandacht  die  lostige  Ansfahrt  einleitet,  die  im  Allegro 
sich  voUzieht.    Dieser  Allegrosatz  hat  schon  im  Thema: 


nnverkennbare  Verwandtschaft  mit  dem 
Hauptthema  im  Finale  von  Beethovens  achter 
Sinfonie.  Man  weiC  ja,  da6  Beethoven,  weil  ihm  die  Anf- 
gabe  reizte  oder  auch  ausObermut  die  Arbeiten  andrer  Ton- 
setzer  zuweilen  zum  Ausgangspunkt  eigner  grofier  Kompo- 

10* 


-^    148    ♦— 

siiionen  nahin.  So  hat  er  sich  mit  voUer  Absicht  nach- 
weisbar  an  Hllndel,  Mozart,  am  hHufigsten  aber  an  unsern 
Haydn  angelehnt.  An  ihn  gerade,  weil  er  sich  von  diesem 
Tonsetzer  mehr  als  von  einem  andern  beeinflufit,  geschult 
und  gefdrdert  wuBte.  Ihn  direkt  zu  tlberbieten,  reizte  ganz 
besonders.  Noch  fiberzeugender  aLs  beim  bloBen  Vergleich 
der  Themen  dr&ngt  sich  die  Verwandtschaft  des  Haydn- 
schen  Allegros  und  des  Beethovenschen  Finales  auf,  wenn 
man  Charakter  and  OurchfUhrung  der  beiden  Sfttze  prdft. 
Hier  wie  dort:  der  unaufhaltsame,  stftrmische  Zug,  die 
pl6tzlichen  verblUffenden  Stocknngen  der  Modi;dation,  die 
polaren  Gegensfitze  in  der  Dynamik!  Bei  Beethoven  ist 
der  Schwank  nur  noch  um  einige  Grade  toller  gehalten. 
Mit  der  ihr  in  der  Stimmung  ganz  fremden  Oxford-Sinfonie 
hat  die  nnsre  im  ersten  Satze  einige  formelle  ZUge  ge- 
mein:  Anch  bei  ihr  tritt  das  zweite  Thema  sehr  znrtick,. 
beschwichtigt  f&r  den  Augenblick,  ohne  Spuren  zu  hinter- 
lassen.  Auch  bei  ihr  sind  Mo-  *  -  i  ^  virtuoszum 
tive  dea  Hauptthemas,  besonders  i-J  '  LJ  Aufbau  der 
Obergangspartien  verwendet.  Auch  bei  ihr  ganz  neben- 
sftchliche,  znfMllige  Melodiewendungen  zum  Trager 
der  Weiterentwicklung  aufgegriffen.  Ein  sch5nes  Bei- 
spiel  hierfur  ist      ^   _     _  lautet  das  letzte  Wort 


der  SchluO  der  i^^  f  r'^fT^  ^^^  Violinen  und  dar- 
Themengruppe :         '   '   '   '  an  kntipft  der  Anfang 

der  OurchfUhrung  an,  trftgt  die  Figur  im  diminuendo- 
nach  esy  wo  heimlich  das  Hauptthema  anknCipft.  Die 
Durchfiihrung  ist  besonders  meisterlich  in  der  GrdBe  der 
Gruppierung. 

Der  zweite  Satz  ist  ein  MeisterstOck  Haydnscher 
Variierungskunst.  Er  beginnt  mit  dem  Gesang  (Oboe^ 
Cello  dazu  in  8va  sub.): 

Largo.  _^  .r— -^g^.       ,        -?e  ^O 


.  ■  ^      .  Diese  8  Takte  ent- 

If    ^'I^P  ^   l|?  ^*    *      halten    das   voll- 
^  stfindige   Thema. 


^^    149    <^^ 

Wir  hdren  es  siebeumal  ohne  Anderang  in  seinen  Motiven, 
nut  einmal  nach  Adur  and  einmal  nach  Fdur  transpo- 
uiert  Auch  keinen  eigentlichen  Gegensatz  hat  ihm  Haydn 
gegenttbergesteHt.  Die  Wiederholungen  werden  nur  darch 
Zwischens&tze  unterbrochen,  die  sith  mit  einer  einzigen 
Ausnahme  —  es  ist  die  A  dur- Variation ,  sie  umfafit 
16  Takte  —  auf  vier  und  acht  Takte  beschrftnken  und  in 
die  Stimmiing  des  Haaptthemas  einlenken,  bis  anf  einige 
ff-Takte  nicht  einmal  aus  seinem  piano  heraustreten.  In 
den  Variationen  selbst  herrscht  mit  Ausnahme  der  ersten 
und  dritten,  wo  die  ersten  Geigen,  und  der  filnften,  wo 
die  zweiten  Geigen  in  Zweiunddreissigsteln  kontrapnnk- 
tieren  und  begleiten,  durchaus  der  rubige  Rhythmus 
der  Hauptmelodie.  Und  doch  wilrden  wir  nicht  made, 
wenn  der  Satz  in  fthnlicher  Weise  noch  einige  Minuten 
fortdauerte.  Das  macht  seine  schQne  wunderVolle  Stim- 
mung,  die  an  Sonntage,  an  Kirchenstunden  in  der 
Kinderzeit,  an  Tr&ume  vom  Paradies  and  ewigen  Frieden 
erinnert.  In  England  wird  die  Melodie  wirklich  in  den 
Kirchen  zu  der  Hymne:  »Praise  God,  from  whom  all 
blessings  flow«  gesuogen.  DaC  Beethoven  das  Thema 
wiederholt  benutzt  hat,  ist  bekannt.  AuBerordentlich  ist 
aach  der  unQbertrefFliche  Wohlklang,  der  Reichtum  von 
Farben,  den  Haydn  seinem  doch  bescheidnen  Orchester 
hier  abgewinnt.  Auch  seine  Leistung  in  der  Romanze 
von  >La  Reine<  reicht  noch  nicht  an  das  in  diesem 
Variationensatz  Gebotne  heran. 

Im  Haaptsatz  des  Menuett  geht  Haydn  mit  der  zweiten 
Klausel  tiefer  in  die  Auslegung  des  thematischen  Gehalts 
hinein,  als  es  sonst  bei  ihm  an  dieser  Stelle  Ublich  ist. 
Der  originellste  Einfall  im  Satze  ist  der,  dafi  an  den 
leisen  SchlQssen  der  beiden  Teile  die  Pauke  sich  wie 
von  fern  bemerklich  macht.  Auch  diese  Idee  ist  bei 
Beethoven  —  in  seiner  ersten  Sinfonie  —  auf  frucht- 
baren  Boden  gefallen.  Jener  unvermutete  Eintritt  der 
Pauke  hat  fcir  das  Trio  des  Menuetts  seine  Folgen  ge- 
habt:  Bratschen  und  Fagotte  bereiten  den  richtigen  Boden 
zum  Iftndlichen  Tanz  durch  immerw&hrendes  Anschlagen 


--^    150    ^>— 

der  Bafiquinten:  aber  die  Melodieinstramente,  Geigen, 
Floten  UDd  Oboen  kommea  bei  allem  eifrigen  Drehen 
nicht  recht  von  der  Stelle. 

Erster  Saiz  und  Finale  scheinen  in  dieser  Sinfonie 
die  RoUen  tauschen  zu  wollen.  Der  SchlaBsatz  bleibt 
mil  seinem  Thema: 


zun&chst  hinter  der  Flottheit  des  Sinfonieanfangs  zurUck. 
Aber  je  weiter  wir  in  dem  Rondo,  das  Haydn  fiber  diesen 
Hauptgedanken  aufbaut,  vordringen,  desto  grdBer  wird 
unser  Erstannen,  unser  VergnUgen  ilber  die  Fiille  von 
guter  Laune,  von  Witz,  die  ans  auf  Scbritt  and  Tritt 
entgegenspruht.  Eine  Wendung  immer  keeker  und  drol- 
liger  als  die  andere,  jeder  Themeneintritt  eine  Ober- 
raschung  und  eine  Lust!  Nach  dem  dritten  Einsatz  des 
Hauptthemas  kommt  im  If.  ein  Kanon,  in  welchem  sich 
fiber  20  Takte  lang  Violinen  und  B&sse  in  Entfemung 
eines  Viertels  um  das  Thema  streiten,  erst  die  einen 
dann  die  anderen  an  der  Spitze.  Nach  dieser  tollen 
Hetzpartie  folgt  eiu  um  so  dezenterer  Obergang:  die 
Instrumente  tropfeln  die  Tone  nur  noch  leicht  bin.  Dann 
das  Thema  zam  letztenMale:  Generalpause  mit  Fermate 
und  ein  freier  SchluB  im  dithyrambischen  Stil! 

Als  die  klassischen  Vertreter  des  Haydnschen  Stils 
gelten  die  sogenannten  12  englischen  Sinfonien, 
welche  Haydn  fur  die  von  ihm  selbst  geleiteten  Konzerte 
in  Hannover  Square  Room  zu  London  in  den  Jahren  1791 
und  1794  —  jeden  Monat  eine*)  —  komponierte.  Die 
bereits  angeffihrte  Partitur-Ausgabe  von  Breitkopf  & 
H&rtel  bringt  sie  in  den  Nummern  1—9,  11,  12  und  14. 

Bilden  sie  an  und  fur  sich  schon  eine  Elite,  so  tun 
wir  doch  gut,  auch  noch  unter  ihnen  eine  engere  Wahl 
zu  treffen.  >Echter  Haydnt  sind  sie  wohl  alle;  aber 
um  sich  den  richtigen  BegrifT  auch  vom  >ganzeu  Haydn « 


♦)  Griesinger  a.  a.  0.,  S.  11 


/. 


151 


zu  bilden,  mafi  man  unter  ihnen  unterscheiden.  Da  sind 
denn  die  Nommem  1,  2,  6,  11  und  12  den  ftbrigen  be- 
deatend  voranzostellen.  Sie  sind  die  inhaltlich  reicheren, 
diejenigen,  in  welcben  der  Tonpoet  den  Weg  2111^  Para- 
diese  sicb  weniger  leicht  macht,  wo  er  kftmpft  nnd 
zweifelt  nnd  wo  der  beitere  Grundton  seiner  lebensvollen 
Bilder  darcb  tiefe  und  bedentende  Schatten  die  voUere 
nnd  nachhaltigere  Resonanz  erbftll.  Sie  sind  mit  einem 
kurzen  Wort  —  das  man  nicht  miBverstehen  wolle  — 
moderaer  als  die  andem,  in  welcben  die  Skala  der 
Freade  virtuos  and  mit  immer  neuen  Nuancen  aber  docb 
so  abgespielt  wird,  da6  wir  uns  ab  und  zu  nacb  einem 
Gegenmotiv  sehnen.  Letztere  sind  —  und  wie  wir 
glauben  mit  Unrecbt  —  in  der  Kunstgeschicbte  zum 
Trftger  der  Haydnscben  Kunst  gemacbt  worden  nnd 
baben  zu  dem  scbon  berdbrten  lii[3verst&ndnis  vom 
>Papa  Haydn <  gefQhrU  Haydn,  der  immer  die  Friscbe 
des  Jflnglings  bewabrt  und  von  Schwftcben  in  seinen 
Werken  nur  die  der  Jugend  zeigt!  Formell  steben  sicb 
die  beiden  Gruppen,  in  welche  wir  seine  Elitesinfonien 
teilen,  ungef&br  ebenbiirtig  gegenOber.  Namentlicb  auf 
dem  Gebiete,  welcbes  Haydn  der  Sinfonie  entdeckt,  er- 
obert  und  ausgebildet  bat:  der  Kunst  der  motiviscben 
Arbeit,  der  Aufldsung  der  ganzen  Gedanken  in  ibre 
kleinsten  selbst&ndigen  Bestandteile  und  der  Entwicklung 
neuer  groOer  Bilder  aus  diesen  Fragmenten  ^  bier  zeigen 
jene  volleren  und  die  leicbteren  Sinfonien,  als  ganze 
Gruppen  verglichen,  keine  wesentlichen  Unterscbiede. 

An  der  Hand  jener  Breitkopfschen  Partitur-Ausgabe, 
nnd  ihrer  Reibenfolge  nacbgebend,  durcbscbreiten  wir 
kurz  die  erste  Gruppe: 

Die  erste  Sinfonie  in  ibr  ist  eine  von  mebreren  in  Es.     j.  HmydB, 
Ibr  Hauptsatz  hat  eine  Einleitung,  ein  Adagio  mit  folgen-  Sinfonie  Nr.  1 
dem  Thema:  <^'***^  *  ^•>- 

Adagio.  |1.  i^Tpi 

1^^    CflH  BIm*  Psfofto 


«tp 


i 


-^    152    «^ 

Die  Mehrzahl    der  Haydnschen  Sinfonien  der  spHteren 
Zeit  hat  vor  tiem  ersten  Allegro  eine  solche  feierliche, 
gedankenvoUe,  sinnende,  tr&umende,  romantische  Ein- 
leitang.   Das  Tiefste,  was  an  seiner  Phantasie  vorbeizog, 
wenn   er  das  ihm   vorschwebende  oder   schon   fertige 
Werk  mit  einem  eindriogenden  Seherblick  mafi,  da  fafite 
er  in  den  Rljingen  solcher  Einleitnngen  zusammen.    Sie 
sind  meist  nach  dem  Charakter  der  Sinfonie,  welche  sie 
er5ifnen,  verschieden  —  sie  baben  sich  auch  Yon  ihren 
eigentlichen  Vorbildern,  den  immer  im  gleichen  Typus 
auftretenden  Einleitungslargis  der  franzdsischen  Onver- 
ttire  weit  entfemt.    Auf  Cherobini  namentlich  haben  sie 
tief  eingewirkt.  Unter  vielen  solchen  schGnen  Einleitungs- 
sfttzen  hat   aber  der  hier  in   Betracht  kommende  zur 
Esdor-Sinfonie  noch  seine  besondere  Bedentang:  Haydn 
kommt  auf  ihn  im  ersten  Allegro  zweimal  zuriick.    Das 
erste   Mai   erscheinen    die    ernsten   Ztkge    des   Themas 
nach    der    ersten   Formate    in    der   DnrchfQhrung    im 
schnellen  Tempo  und  nur  fftr  einen  flftchtigen  Augen- 
blick;   nach  der  Reprise  fQhrt  es   aber  der  Komponist 
noch  einmal  in  seiner  Originalgestalt  vor.    Solches  Zu- 
rQckgreifen  ist  bei  Haydn  &uOerst  selten:  es  beweist  in 
diesem  Falle,  wie  wichtig  das  Thema  an  sich  ist.    Der 
Komponist  stand  nnter  dem  Banne  desselben  und  gab 
sich  infolgedessen  den  heiteren  Ideen,  welche  die  eigent- 
lichen     Themen              r  rf- .  ^  ^  m^_         ^   f  f        ^''^^ 
des   Allegro   an-  ft  * >  B  ^  ^  ^  I  ^  f  ^  f*  [f  [f  I        *  Izwei- 
schlagen,erstlich:  '  tens: 

*  K  * 


nur  bis  zu  einem  gewissen  Grade  bin.  Der  Satz  bleibt 
viel  st&rker  auf  das  Ernste  und  GroCe  gerichtet,  als  man 
nach  der  ausgesprochen  leichten  und  launigen  Natur 
dieser  beiden  Ffthrer  erwarten  sollte.  In  formeller  Be- 
ziehung  ist  dieses  Allegro  der  Normaltypus  eines  Sonaten- 
satzes,  wie  er  in  dieser  RegelmftBigkeit  bei  Haydn  nicht 
oft  vorkommt.     Da  haben  wir  ein  voUkommen  ausge- 


-^    153    «^ 

bildetes  zweites  Thema:  auch  das  obligatorische  Tonali- 
Utsverhftitnis  der  beiden  Themen  —  Tonika:  Dominant 
—  ist  genan  eingehalten.  Im  zweiten  Telle,  dem  soge- 
nannten  DurchfQhruagsteil  des  ersten  Satzes,  neckt  sonst 
Haydn  die  Zuhdrer  gern,  bringt  das  Hanptthexna  z.  B.  so, 
als  wollte  er  die  sogenannte  Reprise  beginnen,  wfthrend 
es  damit  noch  gute  Weile  hat  Hier  aber  h&lt  er  sich, 
unbeschadet  aller  Tiefe  and  Qenialitftt,  voUkommen  schul- 
gerecht.  Ebenso  normal  verl&aft  der  driite  Teil:  die  so- 
genannte Reprise  dieses  ersten  Satzes.  Es  ist  einfache 
Wiederholttng  des  ersten  Teils  mit  der  Qblicben  Anderung, 
daB  das  zweite  Thema  nun  ebenfalls  in  die  Haupttonart 
tritt,  and  sogar  eine  gekiirzte  Wiederholung.  Nnr  die 
EinfflhniDg  der  Coda,  der  Moment,  wo  das  Einleitungs- 
thema  wie  ein  Geist  in  die  heitere  Gesellschaft  eintritt, 
steht  anfierhalb  nnd  Uber  jedem  Usus  and  lehrt  uns  die 
Freiheit  des  Genies  bewandern  and  respektieren.  Eine 
Eigentftmlichkeit  von  Haydns  Credankenbau  —  das  pldtz- 
liche  Absetzen  —  die  pointenreiche  eindringliche,  oft 
verbKiffende  Rhetorik,  eine  Fracht  franz5sischer  Masik- 
stodien  —  zeigt  dieser  Satz  in  besonderer  Stftrke:  Er 
hat  nicht  weniger  als  sechs  beredte  Fermaten!  In  der 
Instrumentierung  sind  die  Klarinetten  zn  bemerken, 
mit  welchen  sich  Haydn  erst  in  England  nS,her  be- 
freondete. 

Der  zweite  Satz  ist  ein  Andante.  Es  beginnt  mit 
folgendem  Gedanken  von  dunkler  Schdnheit  and  einem 
im  Uberm&Oigen  Sekandenschritte  liegenden  aparten  Zug : 

-    ,     Andante. ^^^^^ 

Aus  ihm  entwickelt  sich  ein  l&ngerer  Gesang  in  der 
zweiteiligen  Liedform,  dem  hieraaf  ein  Altemativ  mit 
marschartigem  Character  folgt.  Darch  Versetzang  der 
obigen  Melodie  ins  Dar  and  darch  kleine  rhythmische 
Varianten  hat  hier  Haydn  den  eben  angefUhrten  Themen 
ein  vollstftndig  anderes  Bild  abgewonnen. 


154 


Hauptsatz  und  Alternativ  werden  hierauf  zweimal  variiert. 
In  der  ersten  Variation  des  Alternativs  macht  sich  ein 
Yiolinsolo  sehr  bemerklich.  Die  zweite  Variation  im- 
poniert  darch  einen  gewaltigen  Einsatz;  zum  ersten  Male 
tritt  bier  in  diesem  Andante  die  gesamte  Blasmusik,  von 
Pauken  begleitet,  im  krSlfligsten  Ton  auf  den  Platz. 
Nach  dem  leise  verhauchenden  Ausgang  des  Violinsolos 
von  doppelter  Wirkung !  Der  Satz  belegt  wieder,  daB  die 
Kunst  der  Variation  mit  Haydns  Sinfonien  in  ein  neues 
Stadium  tritt.  Ganz  genial  ist  an  dem  Andante  unsrer 
Sinfonie  der  AbscbluG,  die  sogenannte  Coda,  welche  nacb 
der  Fermate  beginnt.  Sie  bildet  ein  freies  Nachspiel  za 
den  Variationen,  ein  poetisches  Abschiedswort  an  die 
vorausgehenden  Szenen,  in  welchem  alles,  was  an  Ge- 
danken  nnd  Empfindungen  vorUbergezogen  ist,  noch  ein- 
mal  kurz  zusammengefaGt  und  potenziert  erscbeint.  Die 
16  Takte  von  der  tiberrascbend  einsetzenden  Dominant- 
harmonie . auf  ii  bis  zum  Wiederein tritt  des  Alternativs 
dQrfen  wir  zu  dem  Genialsten  und  Eigenartigsten  rechnen, 
was  in  der  musikalischen  Romposition  jemals  erdacbt 
wordcn  ist.  Nicht  mit  Unrecht  haben  andere  darauf  bin- 
gewiesen,  daO  dieses  Andante,  und  namentlicb  die  bier 
erwabnte  Episode  der  Coda,  Beethoven  beim  Entwurf  vom 
Trauermarsch  seiner  Eroika  h5chst  wahrscbeinlicb  als 
Master  vorgeschwebt  hat. 

Der  dritte  Satz  dieser  Sinfonie  ist  derMenuett:  Sein 
eistes  Thema 


V  1 1  i!!'i|l  I  iCi  I 


l&fit  schon  in  ungewdhnlichen  Wendungen  der  Melodik 
und  Rhythmik  ahnen,  da6  dieser  Satz  Uber  den  ein- 
facben  Tanzcharakter  hinausgehen  wird;  tats&cblich  ist 
er  ein  Charakterstiick  boheren  Schlags  und  macbt  bei 
allem  Flu6  und  aller  Einfachheit  der  Form  eindringliche 


--^    155    «^ 

Abstecher  in  das  Gebiet  des  Tiefsinnigea  und  Pathetischen, 
sich  ungewohnlicher  Modulationsmittel  bedienend.  Die 
aafierordentlicbe  Freiheit  der  Erfindung  ist  noch  mehr 
als  im  Hauptsatze  in  dem  Trio  zu  bemerken,  bier  nament- 
licb  an  der  Stelle,  wo  die  Yiolinen,  sehr  launig  aufgelegt, 
das  Wort  der  H5mer  weiterfdhren. 

Das  Finale  ruht  anf  einem  einzigen  Thema: 

Presto. Ganz      erstaunlich, 

in^trr  r  ir  r  p  IfTrr  hf       welche Menge wech- 
"*  '  selnder   und   sch5n 

aneinander  schliessender  Bilder  aus  diesen  wenigen  Noten 
entwickelt  werden!  Es  ist  eine  der  groOten  Leisiangen 
kontrapunktischer  Kunst!  Im  Geist  dieses  Satzes  sind  ent- 
schieden  Mozartsche  ZQge  bemerkbar.  Wir  begegnen  sol- 
cheh  anch  noch  in  andem  vonHaydns  engiischenSinfonien. 
Sie  legen  in  einer  rUhrenden  Weise  von  der  Tiefe  und  Echt^ 
heit  der  edelsten  Herzensfreundschaft  und  Liebe  Zeugnis 
ab,  welche  der  alte  Meister  zu  dem  jungen  gefaBt  hatte. 
Der  Tod  M ozarts  scheint  sie  nur  noch  inniger  zu  machen. 

Besonders  in  der  Sinfonie  Nr.  2  (D  dur)  verweilt  Haydn     j.  HAjda. 
bei  Mozarts  Andenken  unverkennbar.    Er  beginnt  mit  Don  Sinfonie  Nt.  2 
Juan  und  schliefit  mit  Figaros  Hochzeit  seinen  ersten  Satz.  ^^'■®**^-  *  "  >• 
Es  sind  fliichtige  sinnige  Anklftnge,  wortlich  kaum  nach- 
weisbar,  aber  fiir  das  GefQhl  nicht  mifiz avers tehen. 

Die  Einleitung  des  ersten  Satzes  ist  diesmal  nur 
kurz,  hat  aber  einen  wunderbaren,  pldtzlich  verschleierten 
Schln0*  Darauf  Generalpause,Yer8tummen  und  Scbweigen, 
als  m&fite  der  Dichter  schwere  Gef&hle  niederk&mpfen. 
War  es  die  frische  Nachricht  vom  Tode  Mozarts?  Der  An- 
fang  des  Allegro  IfiGt  diese  Annabme  zu,  denn  es  setzt  aus- 
gesprochen  elegisch,  leicht  klagend  ein,  tritt  auff&llig  aus 
dem  Phantasiekreis  der  englischen  Sinfonien  heraus.  Sein 
Hauptthema,  das  ein  rubiges  Tempo  verlangt,  ist  folgendes : 

AUegro. 


J  I J  J  I  ■  I    t        I  Erst  der  frohlich  krSlftige  Nachsatz 
iL''^  1*  j  ■>  iL^^i  '  i  bringt  das  eigentliche  rasche  Zeit- 


--*    156    ♦^ 

maB.  Das  endlich  folgende  zweite  Thema  (A  dur)  scheint 
nar  pro  forma  da  za  sein  and  kehrt  im  ganzen  Satze  ein 
einziges  Mai,  an  der  gehOrigen  Stelle  in  der  Reprise, 
wieder.  Die  Darchf&hrttng,  zum  grSfiten  Tell  von  dem 
oben  eingeklammerten  Motive  des  Hauplthemas  getragen, 
ist  schon  frtlher  als  Masterbeispiel  Haydn  scher  Art 
erwUhnt  worden.  Sie  erhfilt  durch  die  entschiedenen 
Rhytbmen  des  zagrunde  liegenden  Motivs  einen  ziem- 
iich  streitbaren  Charakter.  Nicbt  ausgeschlossen  ist,  da6 
dieses  Motiv  eine  Reminiszenz  war.    Ein  Klavierkonzert 

von  174S'  beginnt^  ^^""f  J   -^JJJ^^l^  ^  ^-H^ 


Das  Andante  dieser  Sinfonie  ist  eins  der  interessan- 
testen  und  fur  die  Auffassnng  von  Haydns  geistiger 
Pers5nlichkeit,  fftr  das  Verst&ndnis  seines  Kunstglanbens 
ein  wichtiger  Beitrag.  Zu  Grunde  liegt  dieser  Komposition 
ein  etwas  erweiterter  Liedsatz  mit  folgendem  Hauptvers: 

Andante. 


Er  wird  verscbiedentlich  variiert.  Doch  nicbt  diese 
Variationspartien  sind  das  Hauptelement  der  Komposition, 
sondem  die  freien  Zwischens&tze,  in  den  en  sich  ein 
Fond  von  Leidenschaft  auslebt,  welcher  die  Bekenner 
des  >gemUtlichen  VaterHaydn«  einigermaOen  erscbrecken 
rauO.  Immer  wieder  werden  diese  sttlrmischen  Ausbrficbe 
einer  heftigen  trdben  Empfindung  nnterdrdckt,  zurflck- 
gddr&ngt  and  abgebrochen.  Beschwicbtigend,  zuweilen 
gewaltsam  und  halb  ironisch  kebrt  der  Komponist  zu 
dem  oben  zitierten  Friedensmotiv  zurtkck.  War  es  Furcbt 
vor  dem  Damoniscben,  Respekt  vor  der  k&nstleriscben 
Etiquette,  die  Haydn  zu  dieser  Fuhrung  dieses  Satzes 
bestimmten,  oder  war  sie  durch  einen  besonderen  Pro- 
grammvorwurf  bedingt,  der  verschwiegen  blieb?  Es 
liegen  R^tsel  in  diesem  Satze,  die  aber  glUcklicher- 
weise  die  rein  menschlicbe  und  kfinstlerische  Wirkung 
des  lebensvolien,  erregten  Seelengem&ldes  nicbt  beein- 
tr&chtigen. 


157 


Der  Menuett  dieser  Sinfonie  ist  einer  der  wuchtigsten, 
die  Yorkommen,  nnd  sehr  mannigfaltig  in  seinen  Bil- 
daogen:  grotesk  und  intim,  drohend  und  neckisch  zu- 
gleich;  reich  an  formell  angewdhnlichen  Erscbeinungen : 
Rieseaintervallen,  Paukenwirbeln  mit  Crescendo,  Gene* 
ralpauaen  und  Generaltrillern.  Das  Trio  bleibt  durcb- 
au8  xart,  m&dchenbaft  im  Blick  und  frdblicb  einfach  ge- 
scbmiickt. 

Das  Finale  beginnt  h.  la  Musette  wie  die  B&rensinfonie, 


A.  Kuhacz  weist  nacb,  dafi  dieses,  sowie  das  Tbema  vom 
Andante  und  vom  Finale  der  vorhergebenden  Esdur- 
Sinfonie  in  kroatiscben  Volksliedern  vorkommen'*}.  Ob* 
wobl  die  Priorit&tsfrage  nicbt  entscbieden  ist,  spricbt 
vieles  dafUr,  daC  sie  Haydn  daher  entnommen  bat. 
Gegen  das  sebr  frOblicbe  Treiben,  welcbes  sicb  auf 
Grund  dieses  Tbemas  im  Finale  entwickelt,  bildet  das 
bedeutsam  ausgestaltete  zweite  Tbema  einen  berrlicben 
Kontrast. 


jf  i..j^  f  r*  II'  Mf  t^if  ti>ij  -If  -ij 


Es  wirkt,  als  wenn  ein  gliicklicber  Mensch,  mitten  in  der 
rauschenden  Festesfreude,  einen  frommen  und  dankbaren 
Blick  nacb  dem  Stemenbimmel  wiirfe,  und  erscbeint  uns 
als  die  Perle  in  der  durch  und  durcb  genialen  Sinfonie! 

Die  Sinfonie  Nr.  6  (Gdur)  wird  mit  einer  Einleitung     j.H»)dB, 
eriSffnet,   in  welcber  die  >Jabre8zeiten<  ibren  Scbatten  Sinfonie  Nr.  6 
Yoranswerfen.   Das  erste  Allegro  dieser  Sinfonie  ist  knapp  <B'«i^^  *  "  >• 
und  gedrungen.    Sein  erstes  Tbema 

*)  Siehe  daruber  U.  Kelmann  in  Allg.  Musik-Zeitnng  1893, 
S.  525  u.  ff. 


158 


finjitiLuQiuj  I  'ii^i  ^.ijjgrfrii 


I&uft  schon  nach  vier  Takten  aus  dem  fiblichen  leisen 
Anfang  in  den  sausenden  und  brausenden  Chor  ein,  der 
in  den  meisten  F&IIen  bei  Haydn  das  zweite  Glied  oder 
die  Reserve  des  Hauptthemas  zu  bilden  pflegt.  Das 
zweite  Thema,  im  Satz  zu  keiner  Bedeutung  gelangend, 
wird  wied^  roit  einigen  Geigenakkorden  pr&ludiert,  die 
uns  in  die  idyllische  Sphare  der  Harfen-  und  Gaitarren- 
musik  versetzen.  Die  DurchfQhrung  ist  knapp  gehalten ;  das 
oben  eingeklammerte  Achtelmotiv  liefert  ihr  den  grdOten 
Teil  des  Materials.  Der  beriibmteste  Satz  dieser  Sinfonie  ist 
das  Andante.  Sie  heiOt  nach  ihm  die  Sinfonie  mit  dem 
Paukenschlag,  bei  den  EngUndem  >the  surprise*.  Haydn 
schlieBt  bier  eine  sanfte,  erst  je>,  dann  j^pgehaltene  Melodie 

mit  einem  kr&ftigen 
Akkord   des  vollen 
^"*  '  '  '  *  '    *  ^  ^     Orcbesters,  wie  Gy- 

rowetz*)  behauptet,  aus  Schelmerei,  wie  Haydn  selbst 
sagte**},  um  das  Publikum  mit  etwas  Neuem  zu  tlber- 
raschen.  Der  an  und  fur  sich  sehr  billige  Scfaerz  gefiel 
ganz  ungemein  und  ist  wiederholt  nachgebildet  worden, 
u.  a.  von  Carl  M.  v.  Weber  in  der  Ouverture  seines  eben*^ 
falls  fQr  London  bestimmten  >Oberon«.  Das  Thema  wird 
dann  in  vier  Variationen  durchgefuhrt,  die  ausgezeichnet 
untereinander  verbunden  sind.  jBesondere  Aufmerksam- 
keit  verdient  der  unvermutete  Ubergang  nach  Esdur  in 
der  zweiten  und  der  schone  Gesang,  welchen  in  der 
dritten  Oboen  und  Fldten  dem  in  den  Geigen  her- 
schreitenden  Hauptthema  entgegenstellen.  Die  Coda  bat 
wieder  einschluromernden  Charakter. 

In  dem  sehr  gestaltenreichen  Menuett  ist  das  Trio 
diesmal  nicht  als  Gegensatz,  sondern  als  Erg&nzung  be- 
handelt  Seine  anmutig  hinflatternde  Hauptmelodie  tragen 

♦)  Gyrowetz,  Selbstbiographie  S.  59. 
♦♦)  Griesinger  S.  55. 


— *     159    *— 

Violine  und  Fagott  zusammen  vor,  eiae  Oktawerdoppelung, 
die  ilaydn  namentlich  in  dem  Menuett  und  in  den  zweiten 
Themen  der  Ecks&tze  auch  in  andern  Fonnen  gem  ah- 
wendet  Die  Heimat  dieser  Instrumentationsweise  ist  eine 
entschieden  volksttimliche. 

Das  Finale  gibt  sich  der  frohlichen  Laune  anfangs 
nur  mit  Yorbehalt  hin:  sein  Hauptthema 

Allegro  di  molto. 

r 
hat  eihige  sentimentale  Elemente.    In  der  Fiihrung  des 
Satzes  ist  die  Oberleitung  zur  Reprise  bemerkenswert; 
das  Hauptthema  kommt  einigermafien  unverroutet,  aber 
als  willkommener  Retter  aus  Irrfahrt  und  Ode. 

Die  11.  Sinfonie  (Gdur)  ist  die  sogenannte  Milit&r-      J.  HAjda, 
sinfonie.    Sie  verdankt  diesen  Beinamen  ihrem  zweiten  Smfonie  Nr.ii 
Satze:    einem   Allegretto,    das    auf   Grand   einer   (von   <»'e»**^- *  H.). 
Haydn  bearbeiteten)  franz5sischen  Romanzenmelodie 

^  . — ^     .-^        ein      inhalt- 

^»r7pfrir  '■  ir  r  frrnr  r<l  reiches  Ton- 


bild  entrollt, 

dem  man  kriegerische  Unterlagen  wohl  ansehen  kann. 
Es  ist  eine  Art  Abschiedsstimmung  in  der  freundlich 
sinnigen  Marschweise,  welche  die  Ch5re  des  Orchesters 
nicht  mCkde  werden  einander  zuzusingen.  Dann  kommt 
pl5tzlich  das  Them  a  in  Moll;  der  Satz  erh&lt  einen  Mittel- 
teil,  durch  welchen  groBe  Schatten  Ziehen,  der  ernst 
stimmt  und  die  Trauer  streift:  >Heute  rot  —  ihorgen  tod!< 
Unverkennbar  ausgepr&gt  tritt  der  milit£lrische  Charakter 
des  Satzes  gegen  den  SchluB  vor:  Abendstimmung:  die 
Romanze  verklingt:  Da  ein  Trompetensignal,  das  im 
Orchester  augenscheinlich  groOes  Aufsehen  und  Alarm 
erregt.  In  der  Instrumentierang  dieses  Andante  ist  der 
groBe  Apparat  von  Schl  agin  strum  enten  fQr  die  besondern 
Tendenzen  Haydns  an  dieser  Stelle  bezeichnend:  AuBer 
den  Pauken:  Triangel,  Becken  und  groBe  Trommel!  Einen 
eigentlichen  langsamen  Satz  enthalt  diese  Sinfonie  nicht, 
&hnlich  wie  Beethovens  achte. 


160 


Der  Hauptsaiz  beginnt  nach  einer  prftchtigen  Ein- 
leitnng,  die  auch  eine  Stalle  pathetischer  Erregung  hat,  mit 
folgendemThema,  vod  Oboen  and  F15te  allein  vorgetragen: 


»• 


Ehe  es  noch  zu  einem  zweiten  Thema  kommt,  pas- 
sieren  wir  bereits  Partien  eigenartigster  Erfindung.  Die 
Stelle,  wo  nach  der  Reprise  des  Themas  in  der  Domi- 
nant,  Geiger  und  Bl&ser  echt  tr&umerisch  unschlussig 
mit  den  zwei  Noten  spielen  und  sich  dann  im  Forte 
heroisch  aufraffen,  gehfirt  dahin.  Darauf  unmittelbar  setzt 
das  zweite  Thema,  wieder  wie  von  GuitarrenUftngen  prS,* 
ludiert,  ein.  Es  ist  eine  Melodie  von  echtem  Wiener  Blut, 
die  znm  flotten  Marsch  einer  Infanteriekolonne  ganz 
gut  paOt: 


Dieses  bis  auf  den  Radetzkymarsch  in  der  ostreichischen 
Kunst-  und  Volksmusik  immer  wiederkehrende  Thema 
l&Bt  aber  den  Schwung  nicht  ahnen,  der  im  Orchester 
losbricht,  nachdem  sich  die  Basse  der  t&ndelnden  Weise 
bemUchtigt  haben.  Die  Durchfdhrung  des  Hauptsatzes 
ruht  wesentlich  auf  diesem  zweiten  Thema  und  erhebt 
sich  mit  ihm  ins  Grofiartige.  Der  Menuett  dieser  Sinfonie 
nahert  sich  dem  alten  Stile  und  wiegt  sich  in  schwer- 
falliger  Grazie.  Haydn  schreibt  ausdrticklich  »MQderato« 
vor.  Im  Trio  scheint  sich  ein  Solopaar  zu  produzieren. 
Das  Hauptthema  des  Schlufisatzes 

«  Fresto. 

scheint  auf  leichten  Scherz  und  T&ndelei  hinzudeuten. 
Haydn  gibt  ihm  aber  durch  Modulationen  und  kontra- 


-^    161    ^-~ 

panktische  Umarbeitungen  einen  schwereren,  energischen 
Charakter  and  flicht  erregtere  Szenen  and  Momente 
daakler  Spannung  ein;  alles  mit  wenigen  Noten  und  in 
einer  Kdrze,  die  eine  Meisterleistung  an  sich  bildet.  Die 
MiliUlrsinfonie,  die  bis  beute  eine  der  beliebtesten  ge- 
blieben  ist,  gilt  in  England  als  die  Krone  der  Haydnscben 
Sinfonien,  in  London  wurde  sie  binnen  Jahresfrist  sieben- 
mal  aufgefQhrt*). 

Die  letzte  Sinfonie  in  unserer  ersten  Grappe,  Nr.  12      J.  Haj da, 
(Bdar),  beginnt  ebenfalls  mit  langsamer  Einleitung  vor  ^'®,?i*?I;^^ 
dem   Allegro:    Die   beiden   Themen    des   letzteren   sind   <»"»«•*»•)• 
folgende: 
a)  Allegro. 


b) 


Das  erste  setzt  ausnahmsweise  gleich  stark  und  mit 
dem  vollen  Orchester  ein  und  l&fit  dann  das  Piano  nach- 
folgen.  Das  zweite  Thema  hat  in  dem  Satze  gr50ere 
Bedeutung,  als  es  durchschnittlich  bei  Haydn  der  Fall 
ist.  Gleicb  sein  erster  Eintritt  ist  ungew5bnlich:  es  steht 
mit  einem  gewaltigen  Schlage  da,  fertig  wie  ans  der 
Erde  emporgezaubert  An  der  DurchfUhrung  nimmt  es 
einen  wichtigen  Anteil.  Doch  stehen  ihm  andere  Motive 
hier  ebenbUrtig  zur  Seite;  neben  dem  Achtelrhyth- 
mns  des  Hauptthemas  ^  ,  ^  ,  ^ — .  ^  .»  # 
noch  das  diesem  fol-  i  fc*"  I  |  l|p  f  P  |  T  ^ 
gende  kurze  Seitenmo  tiv :     •^  *f 

An  Reichtum  und  Mannigfaltigkeit  des  Materials 
zeichnet  sich  somit  die  Durchf&hrung  dieses  Satzes  aus 
und  gestaltet  ihn  zu  einem  der  imposantesten  in  bezug 


*)  0.  F.  Pohl:  Haydn  u.  Moz&rt  in  London  U,  233,  269,  289. 
Eretstcbmar,  F&hrer.    I,  1.  H 


162 


auf  den  Aufbaa.  Dem  entspriiiht  eine  Fiille  innerer  Be- 
wegnng  und  Energie.  Unter  den  Allegros&tzen  Haydns, 
welche  Beethoven  zum  AnknQpfen  dienen  konnten,  muQ 
dieser  an  erster  Stelle  genannt  werden.  - 

Der  zweite  Satz,  von  Haydn  anch  in  einem  Klavier- 
trio  verwendet,  mit  folgendem  Hauptthema 


tf"^^ji' V'l  "Mf?^^^^^^^ 


ist  auffallend  kurz.  Mehrmals  streift  er  das  leidenschaft- 
lichere  und  scbwermtltige  Gebiet,  zieht  sich  aber  immer 
mit  absichtlicher  Eile  und  in  genialen  Wendungen  auf 
das  Ausgangsterrain  der  elegischen  Tr&umerei  zuruck. 
Er  gleicht  einer  Skizze. 

In  dem  Menuett  treten  dem  behabigen  Tanzcharakter 
des  Hauptthemas 

AUe^ro.  fc        *  _^\    mehrfachbe- 

il^'lJINJ^f  iHl,  I  I  l^il  rfr^  unruhigende 
^        /^  Elementege- 

genfiber;  namentlich  ein  pochendes  Unisonomotiv  J  [  J  j 
bringt  eine  fast  dramatische  Bewegung  in  der  Szene 
hervor.  Das  Trio  sucht  mit  einer  unwiderstehlichen, 
spezifisch  Wienerischen  Herzlichkeit  zu  beschwichtigen: 

Die  Melodie,  welche  durch 
die  chromatische  Stelle 
ihre  Signatur  erhalt,  wird 
wieder  in  der  Oktave  von  Oboe  und  Fagott  zusaromen 
gespielt. 

Das  Finale  ist  auf  das  Material  eines  sehr  possier- 
lichen,  augenscheinlich  der  Volksmusik  entnommenen 
Tr&llerliedchens  gebaut: 

Pratto. ^^^^^    ^ ^ In  seinem  An- 

^  ~  ^"^^  •>  '  "  "  "^  ■  -*i  4j  I  ^  let  es  Haydn 
Gelegenheit  zu  humoristischen  Episoden,  denen  er  freie 
Zwischensatze  von  zuweilen  trotziger  Kraft  gegenttber- 
stellt.  Im  ganzen  ist  dieses  Finale  eins  der  wechsel- 
vollsten  und  inhaltlich  mannigfaltigsten. 


163 


Von  den  Sinfonien  der  zweiten  Gruppe  geh5rt  die     j.  HAydn, 
Nr.  3  (Esdur)  zu  den  schwftcheren.    Der  erste  Satz  ent-  Sinfonie  Nr.  3 
behxt  der  bei  Haydn  gewohnlichen  Inspiration   und  er-  <^"**^-  * "  >* 
scheint  vorwiegend  als  ein  Produkt  der  Arbeit.    Seinen 
vergnfiglichsten  Teil  bildet  das  z*7eite  Thema 


,    Alle  ro.  ^    .^ 

Im  zweiten  Satze,  Adagio  (Gdur),  wird  ebenfalls  das 

zweite  Thema,  zum  Hanptgedanken   und 

mit  folgendem  ft  ^  f  ^  i  f  ^^^^  ^^^  Komposition  einen 
Grundmotiv      ^  *  "    "  '     hymnenartigen    Ausdruck. 

Wenn  bei  Haydn  die  zweiten  Tbemen  hervortreten,  so  ist 
-dies  in  den  meisten  Ffillen  eine  nicht  uobedenklicbe  Er- 
scheinung.  Seine  besten  Sfttze  sind  vorwiegend  die- 
jenigen,  wo  er  ein  zweites  Thema  gar  nicht  branch t. 

Oer  Menuett  der  Sinfonie  erhebt  sich  in  der  Erfin- 
dnng  {Lber  die  vorhergehenden  SStze:  Er  gehdrt  zu  der 
•Gattung  Haydnscher  Menuette,  welche  den  Obergang 
zum  Scherzo  Beethovens  bilden.  Noch  h5her  steht  das 
Finale,  in  welchem  die  gute  Laune  Haydns  an  dem  fol- 
genden  kurzbeinigen  Thema 


sich  wieder  in  ihrer  ganzen  Fnsche  aufrichtet.    Nament- 
lich  an  kostbaren  Instrumentaleffekten  ist  der  Satz  reich. 

In  der  Sinfonie  Nr.  4  (D  dur)  macht  sich  eine  gewisse     j.  H»jdii. 
OleichfOrmigkeit  sowohl  innerhalb  der  einzelnen  Ssltze  als  Sinfonie  Nr.  4 
auch  im  Verh&ltnisse  der  Sfitze  unter  einander  geltend.  (B'^itk.  A  H.>. 
Hier  sind  die  Hauptthemen. 


Presto. 


JLScte. 


Aadaato 


^^^^ 


11* 


164 


twfiito. 


grctto. 


^       Vivace. 


Den  interes- 
±  santesten  Ein- 
fallderganzen 
Sinfonie  bildei 
der  im  Andan- 
te die  zahlrei- 

chen  Wiederholungen  des  Hauptthema  einleitende,  ein- 

geschobene  Takt. 

J.  llAjda,  Die  Sinfonie  Nr.  5  (Ddur)  hat  ebenso  wie  die  vorletzte 

Sinfonie  Nr.  5  ihreu  sch5nsten  Teil  in  der  zweiten  Hiilfte.  Mit  dem  Einsatz. 

(Breitk.  ft  H.)   ^^g  rj^^  j^  ^^j^  Menuett,  da  wo  die  BlUser  alle  zusammen 

alarmierende  Triolen  anstinmmen,  verl&i3t  der  Tondicbter 

endlich  die  Idylle,  in  der  er  uns  etwas  lange  festgebalten 

hat.  Der  bedeu-       .  .  Presto  ma  BOB  troppo. 

tendste  Satz  i  a  ■  n  iflf  pT5 
ist  das  Finale 
dessen  Thema  schon  unverkennbar  romantisch  anklingt. 
Seine  ersten  3  Noten  bald  wie  ritterlicher  Weckruf  alles 
alannierend,  bald  wie  geheimnisvolle  Stimmen  aus 
Waldesdnnkel  erschallend,  jetzt  n£lher,  jetzt  ferner  klin- 
gend  —  haben  im  Ban  dieses  Finale  besondere  Be- 
deutuDg.  Es  ist  reich  an  Bildem;  die  Gruppe  vor  der 
Einfiihrung  des  zweiten  Thema  in  der  Reprise  gehdrt  zu 
den  phantastischsten  Eingebangen.  Ihre  Pansen,  Ferma- 
ten,  ihre  schnell  abbrechenden  SchlQsse  geben  der  Er- 
kl&rangskunst  voU  zn  tun.  Vor  anderen  trUgt  die  Fr5h- 
iichkeit  dieses  Satzes  ein  milnnlich  schones  Geprage. 
Ganz  am  SchluO  taucht  Don  Juans  Bild  auf:  »Viva  la 
liberta !« 
J.  HAjdiiy  Die  Sinfonie  Nr.  14  (D  dar)  geh5rt  der  zweiten  Grappe- 

Sinfonie  Nr.  14  vollst&ndig  an.    Der  erste  Satz,  dem  ein  leichtes  Thema 

(Breitk.  A H).   zu  Grunde  liegt: 

^     Allegro.  ,  ,         f^    ^    ->  p-; kontrapunk- 

V  ■  \~-^    -^   -  -  I  ^  I  1  I  1  1  I  u-i  ^—  r  1    ^^^^  stren- 

ger  und  verausgabt  einen  grofien  Vorrat  gewaltig  aus- 
holender  GAnge;  er  bleibt  aber  in  seiner  Fr5hlichkeit 
etwas  ftufierlich  und  theatralisch.    Das  Andante: 


165 


•  -•  «-  -.^ 


w 


schwilrmt  dahin  v(\e  vom  Gliick  begfliigelt; 
zuweilen  bricht  der  Jubel  mit  Elementar- 
gewalt  herans,  dann  wieder  zittert  es  in 
alien  Gliedern  wie  von  heimlicher  Freude.  Auph  in  dem 
dankleren  Mittelsatz,  der  ein  Mollthema  fugenartig  durch- 
f&hrt,  lebt  ein  schwelgender  Klang.  Der  SchluBteil  des 
Andante  wird  zum  Konzert,  wo  den  beiden  Soloviolinen 
alle  anderen  Instnimente  lanschen.  Der  Menuett  ist  von  der 
aristokratischen  Familie  und  neigt  dem  Zarten  zu.  Das 
Trio  bringt  reizende  Soli  der  Fldte  und  des  Fagotts,  letz- 
teres  von  der  ersten  Yioline  nnterstQtzt.  Das  Finale  ist 
ein  Rondo  mit  folgendem  kurzgeschurzten  Hauptthema: 

Tivaee  Mtai.  _  Namentlich  die 

Solostellen  der 
Yioline,  welche 
die  Rtlckkehr  in  dieses  Thema  einleiten,  sind  von  eigen- 
artiger  Wirknng. 

Die  drei  Ubrigen  Sinfonien  (Nr.  7,  8,  9)  nehmen  eine 
Art  Mittelstellung  zwischen  beiden  Gruppen  ein.    In  der 
Tendenz  ibrer  Hanptsfttze,  die  dem  Heroischen  und  Pa- 
thetischen  zuneigen,  haben  sie  etwas  Gemeinsames  und 
warden  ohne  weiteres  den  Sinfonien  der  ersten  Gruppe 
anzureihen  sein,  wenn  sie  sich  mit  diesen  an  musika- 
lischem  R^ichtum  der  Ausftihrung  messen  konnten.   Die 
bedeutendste  unter  ihnen  ist  die  Nr.  9  (Cnioll),  wohl     J.H»yda, 
auch  die  bekannteste.    Sie  beginnt  ohne  Einleitung  mit  SmfonieNr.9 
einem  Thema,  dessen  Doppelnatur  weniger  auf  eine  So-  (^'■®»*^-  *  **•)• 
nate  als  auf  die  freiere  Form  der  Fantasie  hinzuweisen 
scheint: 


fh  yf  rr|T  r 


ij  jrfni)  inj_|i  ir 


166 


In  der  weiteren  Folge  bescfaHftigt  sich  Haydn  vor- 
wiegend  mil  der  erregten  Hflllte  desselben,  beginnt 
aber,  wie  zur  Entschadignng,  die  Rep^rise  ohne  diese. 
Eine  groGe  Bedeutung  hat  fQr  diesen  Satz  das  volks- 
tOmliche  freundllche  zweite  Thema: 

.^  Es  beschwichtigt 

pK  Pir  pipr  |t  f  ijl  I g JJ  , J  =  die  StOrme  und 
^  ^  ^  ^  herrscbt  m  dem 
Wiederholangsteil  des  Allegro  fast  allein.  Nach  der 
ganzen  Anlage  weist  der  Satz  auf  eine  frOhere  Periode 
von  Haydns  Sinfoniebebandlung  bin,  in  die  Zeit,  wo 
Mozarts  Einflafi  zuerst  zar  Geltung  kam.  In  einzelneii 
Stellen,  z.  B.  dem  oben  angefUbrten  Hanptthema  des 
ersten  Satzes ,  erinnert  er  ganz  direkt  .  an  ein  be- 
stimmtes  Werk  des  jiingeren  Meisters:  an  dessen  Cmoli 
Fantasie,  Mozartsche  Sparen  zeigen  aucb  das  An- 
dante cantabile  nnd  ^  ,        ^^     -h  ^^->>  . —     , 

das  Finale.   ErsteresiteSi  |LT   [^f^  r'J^  f 
hat  folgendes  Thema  :^'  ^ 

welches  in  einer  Reihe  von  Variationen  ausgefQhrt  wird, 
von  welchen  namentlich  die  dUstere  in  EsmoU  bervor- 
zuheben  ist.  Im  Finale  empfiehlt  es  sich  fflr  den  Zu- 
h5rer,  die  ersten  beiden  Takte  des  Themas  fest  zu  balteu 


•  AnfihnenberahendiezahlreichenFngen- 

f  r  J-3  J^  I  pi    bildungen   des  Satzes;   die  Melodie   in 

ibrem  vollen  Umfange  erscheint  nur  beim 
AbschlnB  gr5Berer  Grnppen.  Der  darch  selbst&ndige  Anf- 
fdbrangen  verbreitete  Menueit  ist  in  seiner  Verbindnng 
von  Grandezza  und  Schalkheit  ein  Master: 


gUy^'^m 


Ein  ebenso  anmutiges  als  schwie- 
riges  Solo  des  Violoncello  bildet 
das  Trio. 


-^    167    ^^ 

Die  Sinfonie  Nr.  8  (B  dar)  hat  ihren  hervorragendsten     J.  HAyda, 
Satz    an    zweiter  Stelle:    Es  ist  das   Adagio  cantabile,  ^'?^%^Ji® 
einer  der  wenigen  langsameu  S&tze  in  Haydnschen  Sin-  (^^^^^^'  *  "•> 
fonien,  der  sich  die  idyllischen,  an  die  Scb&ferpoesie  an- 
klingenden  Elemente  ziemlich  fern  hftlt.    Wie  das  Largo 
der  Gdnr-SinfonieNr.  13  bat     ^  ist  der 

er  entschiednen  Hymnen-  -ft  ^  it  J  J"l  J  h^  -  Haupt- 
cbarakter,   folgendes  Motiv  tr&ger 

der  and&chtig  gebobenen  frommen  Stimmung.  Die 
Nebengedanken  sind  weniger  bedentend,  ohne  die  To- 
talwirkung  aber  zu  storen.  ^  ^  Pf»to. 
Das  Finale,  dem  folgen* 
des  Thema  zugrnnde  liegt  ^^  ^'^ 
ist  darchweg  leicht  gehalten.  Nur  ganz  voriibergehend 
f reten '  kr&ftigere  Gestallen  hinein.  Im  Hauptsatz,  dem 
ersten  Allegro,      ■   AUegru.  noch    ein 

ist  auCer  dem .  ft  "^  "  i  J  I  -J-"|*  U  ^  j  -^  *  J  ^  ^^  "°^  ^^' 
Hauptthema:   ^      f^  "^     sich     un- 

scheinbarer  Zwi-  f  d,  „^^„  i  rfH^i  i  ■■  i  z»  beach- 
schengedanke :  fr  ^  I '  I  I  ^'^  1^3  ten ,  der 
beim  ersten  Male  im  AnschlaB  an  das  zweite  Thema  als 
Oboensolo  auftritt.  Das  Mozartsche  Gepr&ge,  welches  die 
Haltang  des  Allegro  zeigt  ist  ihm  besonders  aufgedrQckt. 

In  der  Sinfonie  Nr.  7  (Gdnr)  bestehen  wieder,  &hn-     a.HAyda, 
Hch  wie  in  Nr.  1 ,  engere  Beziehun-    ^  .^^^  Sinfonie  Nr.  7 

gen  zwischen  Einleitung  und  erstem  A  J.  ^  H^  \  J  <^'®*^^  *  ''•>• 
Allegro:  das  erstere  erdfTnende  Motiv 
kebrt  mit  der  schdnen  Harmonie,  anf  welcher  es  ruht,  in 
letzterem  wiederholt  wieder,  noch  zuletzt  in  der  Coda 
des  Allegro,  wo  es  zu  einer  selbst&ndigen  langeren  Epi- 
sode Veranlassnng  gibt.  Das  Hauptthema  des  ersten  Satzes 
ist  folgendes: 

TWace. 


^.    Der  Satz  interessiert 

jjJIpril'     Ipppip      durch    sehr   interes- 

santeEinzelheiten,  er 


— ^    168    ♦— 

nimmt  aber  im  ganzen  nicht  den  hohen  Flag,  den  man 
nach  einem  solchen  Anfang  erwarten  k5nnte,  nnd  erregt 
die  Vermntung,  daB  Haydn  f&r  ihn  wie  ancfa  f&r  den 
Menuett  dieser  Sinfonie  eine  alte  Mappe  aus  der  Zeit 
aufgeschlossen  babe,  da  er  noch  onter  dem  EinflnC  der 
italienischen  Scbule  stand.  Denn  in  deren  Stil  gehdrt  vor 
allem  das  Haaptthezna.  Bedeutender  sind  der  zweite  Satz, 
ein  Variationenwerk  mit  folgendem  Grundthema: 


in  dem  die  stereotype  Wiederholung  der  Schlnfiformel: 

ganz  eigent&mlich  wirkt,  und  das  Finale, 

f  IJ*JTJ''iJ     einer  der  gelungensten  Rondosfttze,  die 

wir  von  Haydn  besitzen.  Das  Haupt- 
thema,  welches  immer,  so  oft  es  wiederkehrt,  vom  frischen 
tiberrascht  und  ergdtzt,  ist  folgendes: 

Presto  assai.  ...^  ± 

jijiiiriiLlj'ii'Ln'rf 

Namentlich  am  SchluBe  dieses  Finales  zeigt  Haydn  noch 
einmal  die  ganze  GrdBe  seiner  Gestaltungskraft  und  leitet 
das  harmlose  Motiv  flugschneli  aus  dem  Anmutigen  ins 
Neckische  und  ins  Erhabene  und  durch  eine  Ftille  von 
Regionen,  wie  sie  nur  ein  groBer  Humorist  zugleich  be- 
herrscht. 

In  neuerer  Zeit  sind  >Beethovenabende«,  Orchester- 
konzerte,  in  denen  lediglich  Beethovensche  Sinfonien  ge- 
spielt  werden,  in  Aufnahme  gekommen.  Auch  Haydn- 
abende  und  Haydnmatineen  sind  m5glich  und  kdnnen 
sehr  genuBreich  sein,  sie  durfen  sich  aber  nicht  auf 
Sinfonien  beschrfinken.  Denn  so  sehr  seine  Sinfonie- 
musik  anregt,  so  fiillt  sie  doch  die  Seele  nicht,  sie  be- 
darf  einer  ErglUizung.  Dem  18.  Jahrhundert  brachte 
■oMrta  diese  Erg&nzung  W.  A.  Mozart:  Haydn  hat  der  Sinfonie 
Sinfonien.  ^\^  neues  Gebftude  errichtet;  aber  von  dem  Geiste,  der 
hineinzog,   ist  ein   wichtiges    Stuck   Mozarts   Eigentum. 


-^    169    i,^ 

£s  sind  die  Ecks&tze  der  Sinfonie,  die  AUegri,  an  denen 
Mozart  eine  Reform  vollzog.  Sie  erstreckte  sich  nicht 
wie  die  Haydns  auf  die  EntwickluDg,  Diircbf&brung  und 
Aiisnutzung  der  Themen,  sondem  sie  betraf  die  Tbemen 
selbst.  In  sie  fabrte  er  ein  Element  ein,  welcbes  die 
Zeitgenossen  als  ein  »cantabiles«  bezeicbnen.  Was  das 
beifien  soil,  verstebt  man  sebr  leicbt,  wenn  man  das 
Haupttbema  im  ersten  Satz  der  bekannten  D  dur-Sinfonie 
Mozarts  (Nr.  38  der  nenen  Gesamtausgabe  von  Breit- 
kopf  &  Hftrtel)  oder  das  entsprecbende  in  seiner  Es  dur- 
Sinfonie  (Nr.  39  ebendaselbst)  mit  irgend  einem  ersten 
AUegrotbema  des  letzten  Haydn  vergleicbt.  Hier  immer 
rascbe,  vorw&rts  eilende  Rbytbmen,  muntere,  zuweilen 
leidenscbaftliche  Tbemen;  immer  bestimmte  und  fertige 
Aufierungen  einer  aktiven,  positiv  krftftigen  Stimmung. 
Dort,  bei  Mozart:  verweilende,  sicb  ausbreitende  Motive, 
in  denen  eine  scbwere  Empfindung  nacb  Ausdruck  ringt, 
das  Patbos  eines  voUen  Herzens,  welcbes  die  Formen 
des  menscblicben  Gesangs  bald  fest  ergreift,  bald  nur 
fQr  einen  kurzen  Moment  zu  streifen  scheint.  Diese,  im 
hdberen,  im  Scbillerscben  Sinne,  sentimentalen  Elemente 
des  Seelenlebens  waren  der  ftlteren  Instrumentalmusik 
selbverstftndlicb  nicbt  fremd,  aber  sie  wurden  dort  in 
der  Kegel  far  sicb  gebegt  und  blieben  vorzugsweise  auf 
die  langsamen  S^tze  bescbr&nkt;  in  den  lebbaileren  er- 
bielten  sie  bocbstens  Nebenpl&tze.  Nacb  der  Meinung 
vieler  macbte  sicb  daber  Mozart  einer  Stylvermiscbung 
scbuldig,  indem  er  jene  sentimentalen  Elemente  in  die 
Haupttbemen  und  an  andere  wicbtige  Stellen  der  Allegri 
bineinzog,  und  nocb  der  verdiente  N&geli  nannte  den 
Meister  wegen  jener  Kantabilit&t,  durcb  die  ein  Beetboven 
mit  vorbereitet  wurde,  einen  »unreinen  Instrumental- 
komponisten«.  Die  zweite  H&lfte  des  18.  Jabrbunderts 
war  jedocb  aucb  in  der  Musik  die  Zeit  mancber  wobl- 
geglftckten  und  beilsamen  Stylvermiscbung.  In  der 
ernsten  Oper  Gluck,  in  der  komiscben  Piccini,  Galuppi, 
Guglielmi,  in  der  Instrumentalmusik  Ph.  E.  Bacb  und  in 
einem   bestimmten  Umkreise   aucb  J.  Haydn!     Mozarts 


--^     170    ♦^ 

Kantabilii&t  entsprach   aber  auch  einer  geistigen  Str5- 

mung   des  18.  Jahrhnnderts,   die   dem  Optimismus   des 

spfttern  Haydn  mindestens  die  Wage  hielt.    Auf  Haydns 

Seite:    der  Adel  und  ein  absterbendes  Geschlecht,   auf 

^  .        der    Mozarts    das    junge    anfsirebende    BQrgertum,    die 

FiUirer  der  Literatur,  Knnstwerke  wie  Clavigo,  R&uber^ 

Kabale  und  Liebe,  wie  Hogarths   Bilderzyklen.     In  der 

Sehnsucht  nach   einer  gerecbteren  und  vollkoromneren 

Welt   kam   der  Pessimism  us  der   Aufklllrung   mit   dem 

gl&ubigen  Christentum  zusammen,  berlihrte  sicb  —  ohne 

es  zu  wissen  —  Mozart  mit  dem  ihm  verhafiten  Voltaire. 

Mozart  steht  als  Vertreter  der  kantabilen  Richtung  be- 

w.  A.  Mozart,  reits  in  seiner  ersten  Sinfonie  vor  uns,  die  er  als  acht- 

Esdur-Sinfonie  jfthriger  Knabe  scbrieb.     Das  Hauptthexna  ihres  ersten 

<Nr.  1  der  G.-A.).  sj^t2es  ist  SO  eine  .Mischung*  von  Ritterlichkeit  in  den 

ersten  Takten  und  frommem  Kircbenklang  im  Nachsatz: 


\       I       I   I  i  -    I  f  ^  Me.    ^^^      *  Kantabilit&t  € 
'  "  '  "  '  ^  '  ■.        '         seiner   Instrumental- 

musik  berubte  dem- 
nach  in  allererster  Linie  auf  individuellen  y  angebomen 
und  ererbten  Anlagen.  Zeigt  sie  sich  ja  doch  audi, 
wenn  schon  viel  schwM,cher,  in  den  Kompositionen  des 
Vaters:  Leopold  Mozart,  den  wir  tiberdies  aus  den 
Brief  en  als  einen  bigotten  Mann  und  argen  Pessimisten 
kennen.  Glucklicherweise  h&lt  jedoch  bei  Wolfgang  Mozart 
den  weltfliichtigen  Elementen  eine  starke  »Frohnatur<  kdst- 
lichster  Art  und  eine  unversiegliche  lebensfrohe  Jugend- 
frische  immer  die  Wage.  Der  Priester,  der  Weltweise  in 
ihm  wird  stets  von  dem  Kavalier  begleitet ;  wie  ein  neuer 
Minnes&nger  repr&sentiert  Mozart  auch  die  besten  Adels- 
elemente  seiner  Zeit.  Daher  die  undbertreffliche,  die 
unerreicht  harmonische,  die  hellenische  Wirkung  seiner 
Kunst,  Freilich  in  seinen  Sinfonien  ist  sie  nicht  uberall 
zu  finden,  sie  zeigen  zum  groOen  Teil,  dafi  Mozarts  Herz 


--^     171     ^»— 

f&r  die  Instramentalmusik  nur  schw&cher  schlug.  Von 
den  49  Sinfonien  Mozarts,  die  KOchels  Verzeichnis  nach- 
weist,  besafien  wir  bis  vor  knrzem  nar  11  im  Drack  und 
zwar  in  der  sogenannten  alten  Partitnrausgabe  von 
Breitkopf  &  H&rtel,  die  ^m  diesen  nocb  eine  zw51fte,  aber 
anechte  hinznfugte.  Diese  Zahl  ist  darch  die  neue 
monamentale  Gesamtansgabe'*')  der  Werke  Mozarts  jetzt 
auf47yennebrtworden.  DerZuwachs  besteht  grofitenteils 
aas  Jngendarbeiten  *^),  unter  denen  allerdings  mehrere : 
z.  B.  die  Gmoll-Sinfonie  ans  dem  Jabre  1772,  die  in 
Adur  von  1773,  die  3  D  dnr- Sinfonien  Nr.  4,  17,  20,  die 
B  dnr-Sinfonie  Nr.  24,  die  C  dur-Sinfonie  Nr.  28  der  Ge- 
samtansgabe  mehr  als  bloB  biographisches  Interesse 
haben.  Aber  es  dauert  verbftltnism&fiig.lange,  eskommt 
die  Zeit  der  »EntfQbrung  aus  dem  Serail*  beran,  ehe 
Mozart  als  Sinfoniker  gleichm&fiig  bedentend  and  eigen- 
tfimiicb  wird.  Die  Mehrzahl  seiner  frQberen  Sinfonien 
sind  Darcbscbnittsarbeiten  mil  interessanten  Einzelztigen 
and  hobscben  Einf Allen;  am  reizendsten  &u6ert  sich  sein 
kindliches  Wesen  in  den  Andantes  und  Schlofis&tzen. 
Ein  Teil  dieser  Jagendarbeiten  zeigt  in  der  Aufnabme 
des  Menaett  and  in  der  Themenbildung  den  Einflafi  der 
Wiener  Schule,  die  Mebrzahl  aber  folgt  dem  Vorbild  der 
italienischen  Tbeatersinfonie,  wie  sie  ungefflhr  Hasse'  be- 
handelte.  In  den  weitausholenden  Eins&tzen,  in  der 
Allgemeinheit  der  Gedanken,  in  der  dahinrauschenden, 
an  Fignren  and  gl&nzenden  G&ngen  reichen  Rhetorik 
gleichen  sie  Festreden.  Manche  haben  aber  von  dieser 
Abkanft  aach  einen  Vorzag.  Das  ist  ein  hoher,  weihe- 
voller  Grandton.  Jedermann  kennt  ihn  aus  der  Majestfit 
der  Jupitersinfonie,  die  in  Bezag  auf  diese  Eigenscbaft 
keineswegs  allein  stebt,  sondern  gerade  darin  in  den 
Jagendsinfonien  Mozarts  zahlreiche  Vorl&ufer  hat. 

£s  gibt  noch  unter  den  seit  langer  Zeit  bekannten 
Sinfonien  Mozarts  solche,  die  gar  nichts  Individuelles 

*)  Leipzig,  Breitkopf  &  Hirtel. 
**)  Detlef  Schultz:  Mozarts  Jugendsinfonle.     Leipzig  1900. 


--•     172    ♦^ 

MoKtrt,      haben.    Dahin   rechnen  wir   die  Ddur-Sinfonie  Nr.  31, 
Ddur-Sinfonie,  welche  in  der  ftufiern  Geschichte  Mozarta  eine  gewisse 
fNr*fiderG*A)  Bedeutung  hat   Mit  ihr  glanbte  Mozart  in  Paris  Position 
fassen  zu  kdnnen.    Er  schrieb  sie  ftkr  die  dortigen  Con- 
certs spirituels  des  Direktor  le  Gros  (i.  J.  1778)  and  fand 
damit  grofien  Beifall.    Sie  beginnt: 

Allegro.  , 


1 1 


1 1'  ^>.   I  J   J   I  J1 


Die  ersten  drei 

^^ Takte     bilden 

•*«•  denberAhmten 
»premier  coup  d^archett,  auf  welchen  die  Franzosen  so 
stolz  waren.  Das  war  nichts  weiter  als  der  gemeinsame 
Einsatz  des  gesamten  Orchesters,  der  allerdings  bei  der 
aofierordentlich  voUen  Besetzong  des  Streicherchors  einen 
Effekt  machte,  dessen  Natur  die  Pariser  Dilettanten  einer 
besondern  Oberlegenheit  in  der  Pr&zision  znschreiben 
wollten.  Diesen  coup  d'archet  hat  Mozart  im  ersten  Satze 
weidlich  ausgenutzt  und  .ihm  noch  eine  Reihe  &hnlicher 
dynamischer  Rarit&ten  beigesellt,  wie  er  sie  selbst  nagel- 
neu  aus  der  Mannheimer  Kapelle  mitgebracht  hatte.  Das 
allgemeine  Crescendo  auf  einem  einzigen  Akkord  spielt 
darunter  eine  groBe  Rolle.  In  der  Entwicklung  des 
Stimmungs-  und  Gedankenmaterials  herrscht,  obwohl  Mo- 
zart in  dieser  Sinfonie  dem  »langen  Geschmackc  aus- 
weichen  woUte,  eine  grofie  Umst&nd^chkeit.   Das  Andante 

AndtBte.         .        g'g^g^    ist  ganz  acht- 

AiKJ^fi  ^^\^-^  J  J  jiiiiiirr  llirbf  Przehntea  Jahr- 
**  '    viiiiB.         -^  ^  hundert ;     nur 

eine  stolze  Unisonofigur  derStreichinstrumente  unterbricht 
die  Ruhe  -  dieser  Gessnerschen  Idylle.  Das  Finale  fangt 
ausnahmsweise  einmal  so  an,  wie  Haydn  in  der  Regel 
seine  schnellen -S&tze  einzusetzen  pflegt:  die  erste  Periode 
leise  und  dann  ein  tfichtiges  Forte.  »Weil  ich  hdrtet 
—  schreibt  Mozart  an  seinen  Vater  —  »dal3  sie  alle  letzte 
Allegros,  wie  die  ersten,  mit  alien  Instrumenten  zugleich, 
und  meistens  unisono  anfangen,  so  fing  ichs  mit  den 


-<^    173    «^ 

zwey  Violinen  piano  nur  acht  Takte  an  —  darauf  kam 
gleich  ein  Forte,  mithin  machteh  die  Znh5rer  (wie  ich 
es  erwartete)  beim  Piano  sch!  —  dann  kam  gleich  das 
Forte.  —  Sie  das  Forte  h5ren  and  in  die  HS.nde  zu 
klatschen  war  eins.  Ich  ging  also  gleich  vor  Frende  nach 
der  Sinfonie  ins  Palais  Royal,  nahtn  ein  gates  Gefromes, 
betete  den  Rosenkranz,  den  ich  versprochen  hatte,  and 
ging  nach  Haas.c 

Man  kann  die  Sinfonien  Mqzarts  in  solche   teilen, 
bei  denen  der  OavertGrencharakter  vorwiegt,  and  in  eine 
andere  Klasse,  welche  sinfonisch  in  der  modernen  Be- 
deatang  des  Wortes  genannt  werden  kdnnen.    Daneben 
gibt  es  noch  eine  kleinere  Gruppe,  welche  den  Kassa- 
tionen   and    andem    saitenartigen    Gelegenheitsmusiken 
nahesteht.     Za    letzterer    gehdrt    die   Sinfonie    (in    D)       Moiart, 
Nr.  8  der  alten  Ausgabe  von  Breitkopf  &  H&rtel.    Sie  Ddur-Sinfoni* 
hat  5  Satze,  anter  ihnen  zwei  Menuetts,  die  durch  ein  Nr.8(B.AH.). 
sehr  langes  Andante  getrennt  sind.    Es  ist  eine  Kompo- 
sition,  die  ganz  and  gar  nichts  Mozartsches  hat  and  durch 
ihren  altv&terischen  Charakter  Zweifel  erregt  beziiglich 
der  Echtheit. 

Es  gibt  dann  noch  eine  Obergangsklasse,  bei  der  die 
Haaptthemen  des  ersten  Satzes  beide  festlich  dekorativ 
and  ouvertdrenmftfiig  gehalten,  aber  durch  gesang voile 
and  oft  breit  ausgefCihrte  Nebenmotive  in  der  Wirkung 
beschrftnkt  sind.  Unter  den  bekannteren  Werken  Mozarts 
gehdrt  za  dieser  Elasse  die  Salzborger  G  dor-Sin  f on ie  Moxurt, 
von  1780  Nr.  34  der  Gesamt- Ausgabe.  AUerdings  verlftBt  c  dur-Sinfonio 
bei  ihr  das  Hauptthema  das  Ouvertflrengebiet:  ^r.u  (G.-A.). 

Allegro.  . 

ni-iff/rfif  fir ,  i  r  i\TrxTr\ 

^.1  ±-L»  Seine    elegi- 

1    ifrf/ff  [f  T\pwpn^p^fi*\f^  ■  I     sche  Schlufi- 

'  'f  '  K    r    ■  I   ^  wendung   in 


174 


das  Moll  weist  fiber  did  Mozartsche  Zeit  sogar  hinaua. 
Das  zweite  Thema  aber  tr&gt  das  Grepr&ge  der  der  Ouver- 
tupe  nnbekannten  Kantabilit&t  ganz  besonders  stark. 


t  fl  1^1  1 1 


ir  rri  if  *'c?Li  igi 

tie. 


Nur  die  Darchfiihrung  widerstrebt  in  ihrer  Ungebundenheit 

and  in  ihrem  starken  Verbrauch  neuen  und  verschiedenen 

Ideenmaterials  den  neuen  sinfonischenBedingangep.  Inter- 

essant  ist  im  Bau  dieses  ersten  Satzes  die  doppelte  Reprise 

des  Haaptthemas. 

Das  Andante   ist 

ein  echter  Mozart : 

Die  resolute  SchluOwendung  zum  M&nnlichen  kennzeich- 

net  ihn.    Im  Finale,  einem  ^  Alleyro  tw. 

raiischenden  Allegro  im  ^/g- 

TaktmitfolgendemAnfang:  ^    / 

herrscht    die    energische,    dramatische   Bewegtheit   der 

Jupitersinfonie:  Stellen,  wie  die  folgende,  geben  einen 

Begriff  von  der  Deutlichkeit  des  instrumentalen  Dialogs 

und  dem  bilderreichen  Charakter  dieses  Finale: 


Noch  entschiedeneren  Sinfoniencharakter  als  in  der 

vorhergenannten  haben  die  Themen  im  ersten  Satze  der 

Mosurt,       Bdor-Sinfonie  Nr.  33,  die  im  Jahre  1778  zu  Salzburg  ge- 

Bdur-Sinfonie  schrieben  ist.    In  dem  Hauptthema  ist  keine  Spur  mehr 

Ar.  83  (G.A).  ^^^  ^^^  OuvertOrenfeierlichkeit  frflherer  Sinfonien,  es  zieht 

YoU  Haydnschen  Geistes  daher,  zum  Malen  deutlich  eine 

Originalfigur  aus  einem  lustigen  Genrestuck: 

Allerro  asaal. 


>pPO 

ifi  I  *'  II ,  |i  l|i  |i  "|i  II    r  ipii^r  Pi  I 


-^    175    «— 

Oanz  ZS,rtlichkeit  und  muntere  Anmut  tritt  ihm  dann 
seine  Ge-   ^  ^^^   ^.  Die    DurchfUhrung   klim- 

fahrtin      ■Jli*^\  Qp  f  \   f"^  mert  sich  um  das  liebeQ^ 
entgegen:    *  wiirdige  Paar  leider  nicht. 

Sie  bring!  ein  anderes,  in  der  Kunstmusik  seit  der  Nieder- 
l&ndischen   Schule  welches   ihm 

heimisches  Lieb-  A »  J_  I  j«  |  0*  TlJi— |  zam  ersten 
lingsthema  Mozarts  Male  in  seiner 

Fdur-Messe  vom  Jahre  1774  erschienen  ist  und  dem  er 
spater  in  der  Jupitersinfonie  einen  weit  sichtbaren  Ehren- 
platz  zuwies.  Eine  andere  Vorausnahme  der  Zakunft 
bietet  dieselbe  Durchfiihrung  in  einer  Obergangsepisode, 
welche  in  Melodie  und  Harmonie  auf  einer  Wendung  raht, 
die  mil  der  Zauberfldte  und  dem  Terzett  der  drei  Damen 
weltbekannt  wurde.  Nach  einem  weichen  Andante  folgt 
ein  Menuett,  der  sch&rfer  als  die  vorhergehenden  in  groBen 
Intervallen  und  festen  Rhythmen  die  Zuge  zum  Ausdruck 
bhngt,  welche  Mozart  fiir  diese  Tonstucke  mit  Vorliebe 
einh&lt.  Mozarts  Menuetts  lehnen  sich  durchschnittlich 
mehr  an  die  alte  Schule  an  als  die  Haydns.  Sie  sind 
nicht  so  witzig  und  nicht  so  beweglich,  als  die  letzteren, 
ihr  Humor  ist  schwerer,  zuweilen  iinster,  streift  auch  wohl 
ans  Groteske.  Immer  aber  tragt  ihn  ein  kraftvoUes  Ele- 
ment. Das  Finale  ist  die  Krone  des  Ganzen:  ein  Ergufi 
bacchantisch  dahinsturmender,  aber  gutmiitiger  Heiterkeijt. 
Jugendliche,  ritterliche  M&nnergestalten  sind  die  Fiihrer 
dieses  frdhlichen  Schwarms,  dem  alles  zuzustr5men  scheint 
vom  Adel  und  vom  Volk,  was  Fr5hlichkeit  im  Blute  fiihlt. 
Bleibt  der  Zug  einen  Augenblick  bei  einem  sch5nen  Auge 
stehen,  so  braust  er  dann  nur  um  so  ilotter  welter.  Im 
Hauptthema: 

'     Presto  assai.  . 

erkennt  man  unschwer  Fleisch  und  Blut  aus  dem  £r< 
dffnungssatz  der  Sinfonie.  Unter  den  zahlreichen  Seiten- 
themen  verdient  namentlich  die  droUige  volkst&mhche 
Gruppe  hervorgehoben    zu  werden,   welche   die   Bl^ser 


176 


D  dor-Sinfonie 
Nr.86  (G.-A.). 


(Oboen  und  Fagott  als  Anklang  an  das  alte  Trio),  bald 
nachdem  das  zweite  Thema  passiert  ist,  aufstellen: 


Die  anvermuteteD  f  darin  weisen  auf  Mannheim. 

Aufiere  Veranlassungen  haben  wahrscbeiniich  sehr 
stark  auf  die  Haltung  eingewirkt,  welche  Mozart  denHanpt- 
sfttzen  seiner  Sinfonien  gab.  Wie  die  Haydnscbe  Sinfonie 
aus  einer  Kreuzung  mit  der  Suite  hervorging,  so  scheint 
man  am  Ausgang  des  18.  Jahrhunderts  in  Osterreich  uber- 
baupt  den  Begriff  der  Sinfonie  nicht  so  streng  genommen 
und  ihn  auf  mehrs&tzige  Orcbestermusik  jeglichen  Cha- 
rakters  angewendet  zu  haben.  So  erkl&rt  sich  bei  Mozart 
das  scbeinbare  Schwanken  in  den  Gmndsiltzen  und  in 
seiner  Entwicklung  als  Sinfoniekomponist.  Der  eben  be- 
trachteten  B  dur-Sinfonie  folgt  eine  Arbeit,  die  D  dur-Sin- 
fonie  Nr.  35,  die  zum  Teil  wie  eine  Art  Rtkckfall  in  den 
Serenadenstil  aussieht.  Sie  ging  auch  aus  einer  Serenade, 
einer  Festmusik  hervor,  die  eine  freudige  Feierlichkeit 
in  der  mit  Mozarts  in  freundschaftlichen  und  musikali- 
schen  Beziehungen  stehenden  Familie  Hafner  in  Salzburg 
schmiicken  half.  Als  Serenade  begann  sie  mit  einem 
Marsch  und  hatte  zwei  Menuetts.  Als  sie  nun  Mozart  in 
ein  Wiener  Konzert  als  Sinfonie  brachte,  strich  er  den 
Marsch  und  den  einen  Menuett.  Aber  ihrem  jetzigen  ersten 
Satz  ist  das  unbestimmte  Pathos  geblieben,  welches  solcbe 
musikalische  Gelegenheits-  und  Festdichtungen  in  der 
ftlteren  Zeit  einzuhalten  pflegten.  Dieser  erste  Satz  hat 
nur  das  eine  erstaunlich  groO  ausholende  Thema: 

Aileg^o  eon  spirlto 


welches  mit  einer  auOergewohnlichen  kontrapunktischen 
Konsequenz  durchgefiihrt  wird.  GewiB  wufite  Mozart, 
daO  die  Arbeit  vor  Kenner  kam.  Das  Andante  gleicht 
einem  dramatisierten  Liede,  seine  simple  Grundgestalt: 


177 


wird  bald  durch  Zwi- 
schensfttze,  in  denen 
68  sichwunderbarund 
heixnlich  regt,  verdr&ngt,  bald  durch  Zutaten  der  Dynamik 
und  HarmoDie,  durch  Akkompagnement  and  wechselnde 
Seitenglieder  m^chiig  gehoben.  Menuett  und  Trio  sind 
einfach,  aber  wirksam  kontrastierend.   Das  Finale  zeigt  in 

seinem  ^^^^^  ^  rT'">t     ■        ^"'^  starke  Ver- 

Haupt-  jt  ^1  ffl  pTj  i  J  J  ■  I  f  J  fJ  3  I  JjJ  wandtschaftmit 
thema  ^  Osmins>Ha,wie 

will  ich  triumphieren«.  In  der  Tat  schrieb  auch  Mozart 
diese  Sinfonie  i.  J.  1782  mitten  unter  den  dr&ngenden  Nach- 
arbeiten  der  >Entf&hrung€. 

Zeigt  sie  schon  in  den  Allegrosfttzen  Haydnsche  Ele- 
mente,  in  dem  ersten  beziiglich  der  Durchfiihrung,  im 
letzten  in  der  thematischen  £rfindung  selbst,  bo  tr&gt  die 
n&chste  Sinfonie  [Nr.  36,  C  durj  den  Haydnschen  Einfluss  Xosut, 
noch  o£fener  zur  Schau.  Unter  den  Musikem  ist  dieses  ^  dor-smfonie, 
Werk  als  »Linzer< -Sinfonie  bekannt.  Wahrscheinlich  ist  ^/ 3e°^G'-A.)- 
es  diejenige  Sinfonie,  welche.  Mozart  i.  J.  1783,  auf  der 
Durchreise  durch  Linz  begriffen,  in  kurzer  Zeit  fiir  den 
dortigen  Musikverein  komponierte.  Nicht  eben  tief,  aber 
ein  liebenswtlrdiges  frisches  Werk,  erfreut  sie  den  Musik- 
frennd  durch  vielfache  Vorkl&nge  der  grofiten  Zeit  des 
Meisters  und  deren  HauptschOpfungen:  Don  Juan  und 
Jupitersinfonie,  und  durch  Klangwirkungen,  welche  ebenso 
durch  ihre  Eigenart  wie  durch  ihre  Einfachheit  frappieren. 
Wir  machen  in  letzterer  Beziehung  namentlich  auf  die 
Bl&serharmonien  im  ersten  Satze  aufmerksam.  Die  Haupt- 
themen  der  Sinfonie  sind: 


Allegro spiritoso.    ^  fl  ^^    |     ..     I  J.    J^  f   J    l^'J     j 


Kretiselimar,  F51irer.    I,  1. 


12 


178 


Presto.         1         I 

[fll  II"|II|Vm  ll  MMlTl 

Haydn  merkt  man  im  ersten  Satz:  aafier  in  der  lang- 
samen,  tr&umerisch  gedankenvollen  Einleiiung,  nament- 
lich  in  der  Darchfiihrung,  die  hier  in  Haydns  Weise  ein- 
gehender  bei  demselben  Motive  bleibt  und  aus  ihm  ent- 
wickelt.  Dieselbe  Metbode  finden  wir  im  Andante.  Dann 
sind  anch  noch  kleinere  Ziige  Haydns  nachgebildet:  die 
Eins&tze  der  Allegri  vom  p  zum  forte  schreitend:  kecke, 
iiberraschend  in  der  Modulation  wechselnde  Perioden- 
anlange:  Haydnscbe  Lieblingswendungen  derMelodie,  wie 
der  Schlufi  des  Tbemas  im  Andante:  Eigenheiten  der  In- 
stramentierung,  wie  im  Trio  die  Verdoppelang  der  Melodie- 
stimme:  in  der  Dynamik  unerwartete  Akzente  und  Gegen- 
s3,tze.  Es  ist  aber  noch  genug  von  Mo z arts  besonderem 
Wesen  in  dieser  Sinfonie.  Nicht  bloO  in  der  Gesamt- 
haltuog,  in  dem  ihm  eigenen  raschen,  krUftig  elastischen 
Schritt  kommt  es  zum  Ausdruck;  wir  k5nnen  es  bis  in 
seine  kleinen  charakteristischen  Geberden  und  Angewohn- 
heiten  hinein  verfolgen.  j  kommt  wie- 

Sein  beliebtes  chromatid  ^  J  ^  jji  J  ^  i  =derholt  vor. 
schesUberleitungsmotiv:      *    **    ^  Zwischen 

dieser  G  dur-Sinfoaie  nnd  der  ihr  folgenden  Nr.  38  (D  dur) 
liegt  ein  Zeitraum  von  drei  Jahren  und  eine  kunstle- 
rische  Entwicklung  Mozarts,  die  wir  in  das  eine  Wort 
'Figaros  Hochzeit<  fassen  wollen.  Mit  dieser  Sinfonie 
ist  Mozart  als  Sinfoniker  eine  fertige  GroOe.  In  ihr  und 
den  ihr  folgenden  Schwestern  —  es  sind  leider  nur 
drei  —  steht  er  in  bestimmter  und  abgeschlossener  Indi- 
vidualitat  vor  uns:  in  der  ihm  ganz  eigenen  Mischung 
von  Kindlichkeit  und  Ernst,  ein  Meister,  dessen  Geiste 
sich  die  Form  gebeugt  hat,  ein  Mensch)  dessen  Anmut 
und  Liebenswurdigkeit  die  Tiefe  und  den  Reichtum  seines 
Seelenlebens  mehr  zu  verhiillen  als  zu  ofTenbaren  suchen. 
In  der  Form  zeigen  die  vier  letzten  Sinfonien  eine  Wand- 
lung  vollbracht,  die  sich  in  etiichen  friiheren  Werken  be- 
reits  vorbereitete.    Sie  betriflt  die  Metbode  in  dem  Durch- 


179 


fiihrungsteil  des  ersten  und  letzten  Satzes.  Wenn  hier 
Mozart  in  den  friiberen  Sinfonien  vorwiegend  ganz  neues 
Gedankenmaterial  anfwarf,  so  nahert  er  sich  jetzt  dem 
Haydnschen  Weg  und  nimmt  Themen  und  Motive  aus 
dem  ersten  Teile  des  Satzes.  Eigen  ist  ihm  dabei,  dafi 
er  nicht  die  eigentlichen  Hauptthemen,  sondem  Neben* 
motive  aus  Seiten*  und  Obergangsgruppen  benutzt  und 
sich  bei  sekundaren  Ideen  ausruht  und  sammelt.  Diesen 
aufierordentlieh  merkwtirdigen,  man  kann  sagen  scheuen 
Zug  hat  er  einzig  bei  der  subjektivsten  seiner  Sinfonien, 
der  beruhmten  Gmoll-Sinfonie,  aufgegeben. 

Die  Ddur-SinfonieNr.38  (geschrieben  fur  die  Wiener       Mos«rt, 
Winterkonzerte  im  Dezember  1786)  hat  eine  bedeutende  Ddur-Sinfonie 
Einleitung:  im  Tone  freundlicher  Ahnung  beginnend,  in        ^  ^   "  ^" 
der  Mitte  duster,  zum  Schlusse  iiber  Seufzer  and  Bitten 
in  demiitige  Resignation  einlenkend.   Der  Allegrosatz  ist 
zwischen  eine  fragend  bange  Stimmung  und  die  Regungen 
eines  ringenden  Kraftgefiihls  geteilt.  Diese  Momente  treten 
schon  im  Hauptthema  direkt  nebeneinander: 

^       Allegro. 

g>'N>J^J  J  Jil^iJ  J  J  J>lJ>y  J-J>'J>JJ  J-J>' 


Tronprtvn 


f 


f7i\l  iiti  n\t^  r  p  \  i  J  J  J  I J 


r  rr 

Das  zweite  Thema 


yi 


_  bildet  nur  einen 

tiert  sofort  in  Moll  und  verschwindet  dann  auf  lange.  In 
der  Durchfiihrung  erscheint  aus  den  Themen  allein  das 
oben  eingehakte  Motiv,  dem  noch  zwei  andere,  heftig 
angelegte  Figaren.  den  Obergangsperioden  der  Thema- 
gruppe  entnommen: 

12* 


180 


I  ,■  J  tfiif  f  ^cli;  f  1% 


zar  Seite  treten.  Es  herrscht  unter  ihnen  die  eogste 
ReibuDg:  das  eine  kommt  nie  ohoe  das  andere,  and  wie 
in  der  Mehrzahl  der  spateren  Instramentalwerke  Mozarts 
geschieht  die  ganze  Ideen-  und  Formenentwicklung  Dach 
den  Prinzipien  des  doppelten  Kontraponkts.  Ein  Hdhe- 
punkt  Oder  ein  Resnltat  dieser  Ideeng&nmg  ist  nicht  zo 
bemerken,  der  SchlaO  zieht  sich  wie  tastend  und  suchend 
nach  dem  Hauptthema  zurCkck,  welches  vpr  der  eigent* 
lichen  Reprise  in  harmonischen  und  melodischen  Um- 
stellungen  erscbeint,  die  einen  feinen  poetischen  Zug 
bedeuten.  Ein  Merkmal  der  letzten  Sinfonien  Mozarts 
ist  der  engere  Anschlufi  in  den  Charakteren  der  einzelnen 
S&tze.  Diesen  Zusammenhang  zeigt  unsere  Ddur-Sinfonie 
besonders  stark.  Wie  er  innerhalb  des  ersten  Satzes  die 
Gestaltung  und  das  Wesen  von  Einleitung  und  Allegro  be- 
einflufit,  so  bestimmt  er  auch  das  VerhUltnis  dieses  ersten 
Satzes  zum  Andante.  Schon  im  Hauptthema  dieses  Andante 
Aadanto.  ^  __       ist  die  Verwandt- 

jschaft  zu  erken- 
nen.  Inihmliegt 
noch  etwas  von  der  gedruckten  Stimmung,  mit  welcher 
der  erste  Satz  begann;  nur  die  Nuance  ist  eine  mil- 
dere.Mitdem  p  N  l  J  1  i  ■  ^^  ^°  der  Entwicklung 
Seiten  motive  {jy^^^^V^lJ)  ~  des  Satzes  eine  bedeu- 
tende  Stelle  einnimmt  und  gem  in  kanonischer  Stimm- 
fiihrung  erscheint,  strebt  das  Andante  fregandlichen  Re- 
gionen  entschiedener  zu.  »  f-m,  t-t-t-  f  kommt  der 
Durch  das  energische  tfi  j  ^^j^^^^g£=  energische 
und  finstere  Gegenthema  ^     f  ^     und     dra- 

matische  Cbarakter,  der  dem  ganzen  Satz  eigentiimlich 
ist,  aufierlich  am  deutlichsten  zum  Ausdruck.  Er  be- 
herrscht  den  Geist  des  ganzen  Satzes  in  dem  Grade, 
daO  alle  die  Stimmung  aufklilrenden  und  freundlicben 
Abschnitte  nur  Versuche  bleiben.  Daraus  erkl&rt  es 
sich,  daO  das  siiOe  zweite  Thema  des  Andante  (in  Ddur) 


— ^       181       H>>- 

atif  dessen  Verlauf  nicht  die  geringste  Wirkung  ubt. 
Ihre  gr56te  Macht  entfalten  die  dunklen  Seelenmftchte 
in  der  Durchftkhruog,  wo  sie  selbst  das  Hauptthema 
ins  TrQbe  und  Bange  (Dmoll,  EmoU)  wenden.  Der 
SchluB  ist  Qberraschend  in  seiner  sich  still  verlierenden 
Form  sowobl  als  in  dem  halb  humoristischen  Ausdrnck. 
Da6  diese  D  dnr-Sinfonie  anf  die  alte  dreis&tzige  ita- 
lienische  Form  zurQckgreift,  scheint  kein  Zufall  zu  sein, 
sondem  das  ist  ein  £rgebnis  der  Innerlichkeit  dieser  Mosik, 
der  Stflrke  and  Echtheit,  mit  der  sie  die  Spannung  des 
Gem&ts  widerspiegelt,  in  der  sich  Mozart  zur  Zeit  dieser 
Komposilion  befand.  Ein  Menuett,  der  Tanzsatz  des  ftuBer- 
lichen  Herkommens  wegen,  wftre  Mozart  in  jenen  Stun- 
den  mehr  als  bloBe  Verirrung  des  Stils,  wftre  ihm  eine 
LQge  gewesen.  Eine  Szene  der  Gemfitlichkeit  paBt  in  das 
Seelenbild,  das  diese  Sinfonie  gibt,  nicht;  eher  geht  es 
mit  einem  gewaltsamen  Humor.  Ihm  wendet  sich  der 
SchlaBsatz  zu.  Sein  Hauptthema  soil  und  will  Frdhlich- 
keit  bringen,  zum  Aufra£fen  helfen. 

Presto. 


ttber  Abschnitte  der  Nachdenklich- 
keit  und  stQrmischen  Erregung  ge- 
langt  die  Darstellung  zu  dem  zwei- 
ten  Thema  (in  Adur),  das  mit  einem  Anflng  von  Resig- 
nation ein  frohliches  Behagen,  eine  Art  GlCkck  in 
der  BeschrS.nkung  ausspricht.  Die  Kftmpfe,  die  der 
Ideengang  der€infonie  erwarten  IftOt,  sind  in  der  Durch- 
f&hrung  und  im  ersten  Teil  der  Reprise  enthalten,  in- 
desseu  mehr  nur  angedeutet  als  vorgefQhrt.  Schon 
hieraus  ergibt  sich,  daO  das  Finale  an  UrsprGnglichkeit 
und  seelischer  Macht  die  beiden  ersten  Satze  nicht  er- 
reicht. 

Die  drei  letzten  und  beriihmtesten  Mozartschen  Sin- 
fonien  entstanden  anderthalb  Jahre  nach  dieser  Ddur- 
Sinfonie  und  zwar  in  der  Reihenfolge:  Esdur  (26.  Juni) 
Gmoll  (25.  Juli)  und  Cdur  (10.  August  1788;. 


— (►    182    ^^ 

Xoxart,  Die  Es  dur*Sinfonie  (Nr.  39),  welche,  wir  wissen 

Es  dur-Sinfonie  nicht  von  weiD,  den  Beititel  »Schwanengesang«  erhalten 

^gesan^P'    hat,  ist  unter  den  letzten  Sinfonien  Mozarts,  vielleicht 

Nr.  39  (G.-A.).  unter  seinen  samtlichen  Sinfonien,  die  Haydn  am  nS^chsten 

stehende.    Sie  ruft  das  Bild  dieses  Vormeisters  nicht  blo6 

in   formalen  Nachbildungen  wach,   sondern  namentlich 

dnrch  das  geistige  Lebenselement,  welches  sie  bewegt. 

Sie  ist  entschieden  dem  Frohsinn  gewidmet,  und  wenn 

wir  sie  als  Ausdruck  von  Mozarts  personlicher  Sttmmnng 

betrachten  dQrften,  so  war  die  Zeit,  wo  er  diese  Sinfonie 

schrieb,  eine  sehr  glUckliche. 

Die  Einleitang  des  ersten  Satzes  beginnt  in 
Pracht  nnd  Spannung.  Ganz  am  Schlusse  nur  kommt 
ein     schwer-  Adagto.  ^^.^ 

miitiger  Don     f^  ri.  n    ,  ^J    If  "f   I  f  >!  kJ  l/)M  J^Ttj 
Juan-Klang:  'l^ 

Das  Allegro  stellt  ihm  ein  beruhigendes  Bild  entgegen: 


t  f^r  \^fT7^  \  i'  nil  iTTii  iijh  ifi:! 


Der  Wiederholung  dieses  freundlich  zusprechenden 
Gesangs  folgt    ^  _,^        _  ^       _       »  Es  ist  der  Aus- 

das  Haydn-  m  ^'j  j,  I  J  J  M  J  J^l  J  druck  stolzen 
sche     Forte:  7  "*  ^^^  ^       Kraftgeffihls, 

welches  von  nun  an  im  Satze  herrscht.  Er  ist  eine  Art 
Mozartscher  Eroica,  zwar  ohne  Kampf  und  Sturm;  aber 
in  dem  knappen,  energischen,  wuchtigen,  bis  zum  Heraus- 
fordemden  hingehenden  und  doch  immer  der  Selbstbe- 
herrschung  sichern,  m9.nnlichen  Ausdruck  der  Freude  liegt 
etwas  entschieden  Heldenmafiiges.  Was  Haydnsch  ist  im 
Satze,  das  erscheint  aus  dem  Klangregister  des  Jtknglings 
auf  die  Stimme  des  Mannes  iibertragen.  Die  tandelnd 
anmutigen  Elemenle  sind  ferngehalten.  Der  in  glucklicher 
Erinnerung  schwelgenden  Schwarmerei  ist  ein  dunkler 
Ton  beigemischt: 


183 


r  f  r  irlj|> Ti  f'T\"  I  fTrnfr  r>jg  1 1  i|i  m  i 

so  IftQtet  das  zweite  Thema  in  bedeutsamer  Kantabilitat. 
Fur  die  DurchfQhrung,  wel-       ^  ±\^f.  ±^f±f,f 
che  sehr  kurz  ist,  hat  folgen-       1   HT  i  hd\m\\     * 
des  Nebenmotiv  Wichtigkeit 

Mit  einer  Generalpause  wird  sie  abgebrochen,  und  in  der 
genialen  Kurze,  mit  welcher  Mozart  an  diesem  Punkte 
h&ufig  verfilhrt,  leiten  3  Takte  der  Bl^ser  in  die  Reprise 
fiber.     Dem  zweiten  Satze  der  Sinfonie,  dem  Andante, 

liegt    folgen-  Andante.  ^g;;__^      i — ^ ^^ 

desHauptthe-  iHij  JJJfll  >iT  JTW  I  rvjjrfLT  I  Q 
mazngrunde  ^'"^     -^ 

in  seiner  marschartigen  Natur  an  Haydnsche  Vorbilder 
erinnernd.  Im  zweiten  Teile  stellt  ihm  Mozart  zun&chst 
ein  heftiges  Motiv  entgegen,  das  den  Frieden  des  Satzes 
wiederholt  in  Frage  stellt  Nach  AbschlnB  dieser  F  moll- 
Episode  beginnen  die  Blftser  ein  beschwichtigendes  S^tz- 
chen,  das  in  seiner  barmonischen  EinfQhrung  und  in 
seinem  imitatorischen  Stile  sicb  aufierordentlich  eindrucks- 
voU  bemerklich  maeht.  Der  Menuett  setzt  sehr  krS.ftig  ein: 
^  ,    AUegretto.         _„,,i<*f^    ^*    mit  prSch tiger Aus- 

'^     ^  ■*  der  untern  Violin- 

saiten.  Das  Trio,  von  der  Klarinette  gesungen  und  ge- 
schw&rmt,  ist  eine  der  lieblichsten  Idyllen,  die  musikalisch 
gedichtet  worden  sind.  Das  Finale,  Uber  folgendes  Thema 
gebaut: 


AUe^To 


ist  Haydnsch  im  Material  und  im  Geist,  neckisch,  leicht, 
scherzend  und  tandelnd.  Auch  die  Oberraschungen  mit 
Generalpausen ,     dynamischen    Kontrasten,     plotzlicher 


-<^    184    «^ 

Rackkehr  des  Themas  fehlen  nicht.  An  einzehien  Stellen 
klingen  uns  spezifisch  Mozartsche  T5ne  entgegen;  aber 
es  sind  nor  korz  eingeworfene  Motive.  Zur  Aasgestaltong 
eines  zweiten  Themas  kommt  es  nicht;  viehnehr  wird 
der  ganze  Satz  mit  jenen  wenigen  Grandtakten  bestritten, 
welche  oben  zitiert  sind.  Es  ist  nicht  genng  zu  be- 
wundern,  welches  bunte  Leben  Mozarts  Kunst  und  dra- 
matische  Phantasie  ihnen  abgewinnt  Es  tummelt  sich 
in  diesem  Finale  wie  auf  den  Marktbildern  der  nieder- 
l&ndischen  Schnle:  die  komischen  Grruppen  lunsteht  and 
belohnt  eine  lebendige,  froh  erregte  Menge  mit  fort- 
reiGendem  Gel&chter;  die  Komik  ist  von  der  feinsten 
Art  bis  zur  nnfreiwilligen  vertreten,  und  auch  der  der- 
beren  Lustigkeit  der  Volksmasse  ist  ein  Platzchen  mit 
eingerftumt  Siehe  im  ersten  Forte  die  _  ^  ffff 
plump  drollige^  dem  Anfang  des  Menu-  ^  >^  &J  '  I  p  '  ■  i 
etts  verwandte  Frdhlichkeit  der  Basse:  ^ 

Wie  mit  einem  pldtzlichen  WindstoG  ist  der  ganze  Kar- 
neval  verschwunden. 

Im  direktesten  Gegensatz  zu  dieser  Es  dur-Sinfonie 
Moiart.       steht  die  in  GmoU  in  Bezug  auf  Inhalt    Man  kann  nur 

^?«>1g^aT  ^^^''^^^^^  ^^^  Mozart  einen  solchen  seelischen  Kon- 
trast,  wie  er  ihn  in  diesen  beiden  Werken  innerhalb 
Monatsfrist  darstellte,  nicht  auch  personlich  an  seinem 
eignen  Schicksal  hat  durchleben  mtissen.  G  moll  ist  eine 
Tonart,  die  bei  Mozart  immer  etwas  Besonderes  zu  be- 
deuten  hat.  Wir  denken  an  das  Klavierquartett  und  an 
das  Quintett.  Aber  hier  in  dieser  G  moU-Sinfonie  vom 
Jahre  1788  ist  er  doch  noch  anders,  als  er  jemals  vorher 
gewesen.  Eine  dergleichen  leidenschaftliche  Hingabe  an 
eine  einseitige  Stimmung  und  noch  dazu  an  eine  so 
dtkstere,  kommt  in  der  ganzen  Kunst  ilberhaupt  nur  selten, 
sie  kommt  bei  Mozart  nicht  wieder  vor.  Vielen  erscheint 
allerdings  heute  dieses  Werk  in  Bezug  auf  seinen  Aus- 
druck  gar  nicht  weiter  der  Rede  wert,  denn  es  ist  Jahr- 
zehnte  lang  in  Zwischenaktsmusiken  geschmacklos  ver- 
braucht  worden.  Aber  noch  im  Jahre  1802  wird  diese 
Sinfonie  von  Leipzig  aus  eine  >schauerlichec  genannt. 


185    ^- 


Diese  Bezeichnung  kommt  der  eigentlichen  Natur  der 
Omoll-Sinfonie  vielleicht  doch  nfther  als  die  imitierte 
Begeistemog,  mil  welcher  nenere  Mozartverehrer  uimb 
immer  wieder  und  immer  wieder  nur  anf  die  Anmut  des 
Werkes  aafmerksam  machen. 

Es  ist  wohl  nicht  blofi  zuf&Ilig,  dafi  die  GmoU-Sin- 
fonie  keine  Einleitung  hat.  Mozart  steht  hier  sofort 
mitten  in  der  Sache  drin: 


Allegro 


^  t"b  fi  'in  1 1  cm 


Das  ist  allerdings  anmutig  in  der  Form,  aber  in  ihrem 
Verhftltnisse  zum  Inhalt  erinnert  diese  Form  an  das  be- 
kannte  Wort  von  der  >guten  Miene  zum  bosen  Spiele* 
Der  tiefere  Zng  des  Leidens,  welcher  sich  schon  in  dem 
SextenschlaG  des  ersten  Abschnitts  vom  Thema  verrftt, 
kommt  in  der  Nachsatzperiode  noch  dentlicher  zum 
Ansdruck: 


und  in  dem   un- 
mitt^bar  zugefdg- 1£ 
ten    SchluGmotiv  ^ 


ii 


I 


i     $4 


I 


bricht  die 
innerliche 
Erregung 


Ln7 — *  L/  r 

d&monisch  dnrch.  Das  zweite  Thema  bringt  keinen 
Gegensatz  zum  ersten,  sondem  es  erweitert  und  begrfin- 
det  den  erregten  und  dUstern  Charakter  der  dort  ausge- 
sprochenen  Stimmung         ^isk^   ok.    ^,.^  ^^ 

durch  Tone  der  Weh-  li^  ^'Ylt'Crrrk  fTrlf^r 


mut  und  Sehnsucht 
Trotzige  Kraft  lehnt  sich  dann  anf,  sie  wechselt  aber 
sofort  mtt  rfUirender  Klage.  In  der  Durchftthrung  werden 
dieVersuche,  denBann  drfickender  Ideen  zn  durchbrechen, 
mit  grofier  Kuhnheit,  aber  erfolglos  erneuert.  Nach 
schneidenden  Dissonanzen,  nach  gewaltigen  Ausbr&chen 
der  Heftigkeit  endet  der  Kampf  mit  einem  von  den  Holz- 
blftsern  gedeckten  kleinlauten  Rfickzug  in  die  Reprise. 
Bemerkenswert  ist,    dafi  in   dieser  DurchfQhrung   alles 


186 


thematisch  ist,  ein  bei  Mozart  ganz  seltener  Fall.  Er 
greift  weder  zu  neuen  Motiven,  noch  zu  Giingen  und 
PassageD,  die  Phantasie  bleibt  an  das  erste  Thema 
gefesselt.  Das  Andante  hat  zum  Hauptthema  folgendes 
Satzchen : 


i 


^ 


^ 


SE 


I'^'L^.   if^f^ 


[?''■'> 


hf^-^^j^n^ 


f  f   ^ 


f 


Sein  z5gernder,  immer  wieder  ansetzender  Aufbau  kUn- 
det  den  suchenden  and  fragenden  Gnindcharakter  des 
ganzen  Satzes  an.  Das  n&chste  Gegenmotiv,  welches 
ihm  Mozart  zuschickt,  stellt  sich  kraftvoll  einsetzend 
in  den  Weg  und  ver-    ^  ^  f  

flattert    ebenfalls    bei  J »    '    f  tJ'^^^Sf^ti  ^J^  ^'^'^ 

seinem  zweiten  Schritt  J' 

Seine  Zweiunddreifiigstel-Figur  bildet  mit  dem  Achtelmo- 

tiv  des  ersten  Themas  im  Satze  zablreiche     .  jtn     jTN 

sinnvolle    Kombinationen.     Ein    kurzesim'    fit'  ^^ 

drittes  Thema  dieses  Andante,  beginnend:        ' 

ist  aufierordentlich  inniger  Natur. 

Der   4  ^b  ,       ,  I    _  )  ^    I  I    n  I  -T — : —  nimmt    den 

Kampf  wie- 


Menuett 

der  entschieden  auf;  er  ist  mit  den  harten  Dissonanzen 
seines  zweiten  Teils  einer  der  streitbarsten  Satze,  die  anf 
Grund  jener  alten  zierlichen  Tanzform  jemals  gebildet 
wurden.  Das  Trio  klingt  sdfi  und  in  kindlicher  Unschuld 
dazwi'^-^^  ,  ,  J  ,  _  ,  I  Seine  zweite  Klausel  enth&It  eine 
schen.yRr §  \  i  f  f  \^  der  gefiirchtetsten  Hornstellen. 
Im  Finale  herrscht  eine  einigermaBen  unheimliche 
Lustigkeit.  In  Unruhe  und  Aufregung  sti!krmt  es  dahin 
mit  seinem  Hauptthema: 


187 


f I'  J II 1 1  rr  ^iii'i iMiiiiiiii II  I  n 


^ *!'  Ill  I' 

anvorbereitete  Septimen  und  anderlei  bdsartige  Elemente 
ergreifend.  Mit  verzweifeltem  Humor  jagen  die  Stimmen 
in  der  Durchfdhrung  emsig  kontrapunktierend  das  ver- 
wegene  Thema  durch  die  Tonarten  —  das  zweite  Them  a 
bietet  kaum  einen  Rnhepunkt  in  der  Hast  des  Satzes. 
Seiner  Natur  getreu  geht  er  ungestiim  nnd  ungeklfirt 
zu  Ende. 

Mozarts  letzte  Sinfonie,  die  Cdur-Sinfonie  Nr.  41, 
ftkbrt  den  Beinamen  der  >Jupitersinfonie<.  Sie  darf  in 
mancher  Beziehung  fiir  Mozarts  groGte  Leistung  im  Sin- 
fonienfache  gelten  und  bildet  eines  der  schdnsten  Denk- 
m&ler  seines  freien,  starken  und  relchen  Geistes.  Keine 
andere  der  Sinfonien  Mozarts  hat  diesen  breiten  Wurf 
der  Themen,  keine  andere  verbindet  mit  dem  gleichen 
Reichtum  wahrhaft  goldener  Ideen  die  Einheit  im  Cha- 
rakter  und  die  Harmonie  der  Darstellung.  Es  lebt  etwas 
An  tikes  in  ihr:  eine  erhabene  Heiterkeit  und  ein  SchOn- 
heitsgef&hl,  das  auch  ihre  vollsten  LustausbrUche  adelt. 
Ihr  erster  Satz  khngt  mit  seinem  Eingangsthema  wieder 
an  den  festlichen  Ouverttirenton  der  friiheren  Sinfonien 
Mozarts  an;  aber  schon  nach  dem  ersten  Komma  wird 
der  Charakter  innerlich 

und  so  bildet  nicht  bloG  dieses  Thema  —  es  hat  bis  zu 
seinem  vollstHndigen  AbschluQ  die  betrHchtliche  L&nge 
von  23  Takten  —  sondem  der  ganze  Allegrosatz  eine 
meisterhafte  und  erquickende  Verbindung  von  ftuGerer 
glftnzender  Schilderei  und  ediem  Seelenausdruck.  Es  ist 
im  allgemeinen  nicht  so  schwer,  Programme  zu  den 
Meisterwerken  unserer  klassischen  Instrumentalmusik  zu 


188 


schreiben;  bei  der  Jupitersinfonie  kann  man  der  Ver- 
lockung  kaum  widerstehen.  Man  siefat  die  einzelnen  in 
ihren  stillen  Gedanken  dahingehen,  die  Massen  in  lauter 
Freude  aufsch&umen ;  es  wechseln  Bilder  und  Szenen  in 
ruhiger  Steigerung  und  Folgerichtigkeit ,  aber  auch  mit 
erschreckenden  Zwischenf&Uen.  Merkwtirdig,  wie  trotz  des 
festlichen  Grundtons  ^  ,^rr^    ^  ♦•  i5->^ 

die  Motive  des  inti-a£=£=T  \\^  ■  \k  T/^p  fP^r*'rjgg 
men   Gemutslebens  ^  ^  r  -  r  i^    t^  y  - 

und  der  naiven  .^         ^ 

volkstamlichen  i_  j  Trt^^^l^^'^^'fPffi  P^ 
FrOhlichkeit :     *^  ^  '  '        ' 

den  Gesamtausdruck  des  Satzes  bestimmen! 

Im  Andante  stellt  Mozart  drei  Fiihrer  auf.    Sein  erstes 
Thema  lautet: 


Ibm  tritt  in  gewohnter  Weise  ein  zweiter  Satz  entgegen  von 
drohender.  gegensfttzlicher  Haltang.  Er  ist  diesmal  nur  kurz 
skizziert  und  geht  in  einen  erhaben  friedevoUen  Gesang&ber 


dessen  beweglicbes  Nachspiel  (s.*)  im  weiteren  Verlauf  AnlaG 
ztt  Kombinationen  und  Wendungen  gibt,  die  in  ihrer  geni- 
alen  Mischung  von  Tiefsinn  und  leichtem  Spiel  ganz  einzig 

sind.  Der  Menuett  dieser^     fu'lkT'^.  .r"^ 

Sinfonie  ruht  auf  sinnig^  8  T  T  l^f  P  r  ipTprpTK'    f 
beschaulichem    Boden       ^ 

Sein  Trio  hat  in  der  Achtelmelodie  und  in  der  Instrumen- 
tierung  Haydnsche  Elemente.  Der  berilhmteste  Satz  der 
Sinfonie  ist  das  Finale.  Man  nennt  das  ganze  Werk  zu- 
weilen  mit  bezug  auf  diesen  letzten  Satz  die  C  dur-Sinfonie 
mit  der  Schlufifuge,  und  noch  neulich  hat  ein  Mnsikschrift- 


-^    189    ^^ 

sUUer,  der  sich  in  SpeknlatioDen  gef&llt,  nachzuweisen 
gesucht,  wie  sich  in  diesem  Finale  Faust  nnd  Helena  ver- 
mablen,  wie  hier  die  venneintlich  ganz  konir&ren  Stilarten 
der  Fuge  and  Sonate  ihre  erstmalige  Verbindung  eingehen. 
Von  alledem  ist  wenig  wahr.  Um  diese  Sinfonie  von  andern 
Cdnr-Sinfonien  Mozarts  zu  unterscheiden,  mag  man  sie  die 
Sinfonie  mil  der  SchlaOfnge  nennen.  In  Wirklichkeit  aber 
spielt  die  Fugenform  darin  eine  untergeordnete  Rolle.  Das 

Hanptthema  des  ^       .       ^  ^^    wird  nach  dem  er- 

Satzes,  ein  altegjtf  "I*  1^1"!  sten  HalbschluO,  den 
Allerweltsmotiv  ^  der  Satz  machi,  in 

einer  einfachen  Fuge  durchgefiihrt,  die  nach  21  Takten 
zu  Ende  ist  Nach  der  Reprise  des  Satzes  schliefit  Mozart 
nicht  einfach,  sondem  setzt  noch  eine  Coda  an,  die  eben- 
falls  wieder  mit  einer  Fuge  beginnt  und  zwar  mit  einer 
sogenannten  Tripelfuge,  bei  welcher  zu  dem  schon  an- 
gegebenen  Hauptthema  noch  folgende  2  Sujets  hinzutreten 


Nach  34  Takten  ist  auch  diese  Fuge  wieder  zu  Ende. 
Das  an  letzter  Stelle  angeftlhrte  Motiv  fungiert  imSatze 
von  vomherein  als  sogenanntes  zweites  Them  a.  Da6  es 
wie  auch  die  dbrigen  Motive  und  Themen  in  diesem  Fi- 
nale mit  RQcksicht  auf  kontrapunktische  Brauchbarkeit 
erfunden  ist  und  dafi  der  Ausdrucksgehalt  dieser  RQck- 
sicht nachgesetzt  worden  ist,  braucht  nicht  erst  nach- 
gewiesen  zu  werden.  Der  Schlufisatz  der  Jupitersinfonie 
ist  und  bleibt  ein  Meistersttick  der  kontrapunktischen 
Kunst,  die  sich  namentlich  in  Engffihrungen  und  kano- 
nischen  Nachahmungen  im  voUen  Glanze  zeigt,  aber,  wie 
sich  im  folgenden  Kapitel  zeigen  wird,  ist  er  darin  in  der 
Periode  der  Klassiker  kein  Unikum.  Jedoch  in  der  Haupt- 
sache  erhebt  er  sich  Uber  alle  verwandten  Arbeiten  in 
der  gleichzeitigen  Sinfonik :  nftmlich  unser  Finale  ist  auch 
im  Charakter,  im  Ausdruck  eines  kraftbewegten  festlichen 
Lebens  ein  Meistersttkck,  wiirdig  eines  Jupiter,  eines  Olym- 
piers  der  Kunst. 


--^    190    ^^ 

Mozart  und  Haydn  waren  pers5Dlich  befreundet, 
liebten  einander  als  KiinsUer;  aber  wie  das  bel  starken 
lQdividualitS.ten  nattirlich  ist,  keioer  wirkte  auf  den  an- 
dern  kunstlerisch  wesentlich  ein.  Haydn  bringt  zuweilen 
einige  kantabile  Wendungen,  Mozart  eignet  sich  bei  guter 
Laune  humoristische  Effekte  Haydns  an,  aber  im  Wich- 
tigsten,  in  dem  neuen  Prinzip  der  motivischen  Gedanken- 
entwicklung  folgt  er  ihm  nur  ansnahmsweise.  Wie  jahr- 
zehntelang  italienische  und  franz5sische  Sinfonien  neben- 
einander  hergegangen  waren,  so  lieB  sich  die  weitere 
Geschichte  der  Sinfonie  bereits  auf  eine  neue  und  feind- 
selige  Teilung  in  eine  Haydnsche  und  eine  Mozartsche 
Schule  an.  Da  ereignete  sich  eine  jener  gltlcklichen 
FQgungen,  wie  sie  die.Kunstgeschichte  in  ihren  gr56ten 
Zeiten  mehrfach  zeigt.  £s  kam  ein  Dritter,  der  die 
Lebenstaten  seiner  beiden  grofien  Vorm&nner  zusammen- 
L.T.BeethoTen, fafite.  Ludwig  von  Beethoven  erschien  und  gab  mil 
Cdur-Sinronie  neun  Sinfonien  einem  vollen  Jahrhundert  zu  tun!  Und 
(Nr.  1).  QQ^}^  immer  nicht  konnen  wir  sagen,  da6  das  richtige 
Verh&ltnis  zu  diesen  Ausnahmswerken  gefunden  set. 

An  die  Sinfoniekomposition,  den  Hauptteil  seiner  Un- 
sterblichkeit,  trat  Beethoven  verh&ltnismUBig  sp^t  und 
bescheiden  heran.  Seit  kurzem  liegt  allerdings  in  der 
Jenaer  Sinfonie.  sogenann ten  Jenaer  Sinfonie  ein  Werk  vor,  das  ihn  der 
auBern  Beglaubigung  nach  zum  Verfasser  haben  kann. 
Ihr  Stil  ist  aber  f&r  Beethoven,  auch  wenn  wir  eine  sehr 
fruhe  Entstehungszeit  annehmen,  auff alien  d  glatt  und 
lUBt  eher  auf  einen  Komponisten  aus  der  Gruppe  Van- 
hall-Pleyel-Rosetti  schlieBen.  Deijenigen  Sinfonie,  die  der 
Meister  selbst  als  seine  erste  bezeichnet  hat,  gehen  in 
den  Klaviersonaten  des  op.  2,  in  der  Trauerkantate  auf 
Joseph  II.  viel  bedeutendere  und  &ltere  Werke  voraus. 
Jedoch  leicht  hat  er  das  neue  Gebiet  nicht  genommen. 
Wir  k5nnen  bei  ihm  nicht  nur  die  fertigen  Kompositionen, 
sondem  auch  die  Entwttrfe  und  Vorarbeiten  dazu  stu- 
dieren.  Oberall  und  jederzeit  begleiteten  ihn  schmale  blaue 
Notenhefte,  in  die  er  alle  Einf&Ue  und  Versuche  eintrug. 
Sie  sind  uns  als  die  sogenannten  »Skizzenbucher<  Beet- 


— t     191     ^^ 

hovens  zum  groBten  Teil  erhalten  geblieben  —  die  KgL 
Bibliothek  in  Berlin  besitzt  die  meisten  — ,  und  Gustav 
Nottebohm  bat  eine  Auswahl  ihres  Inhaltes  in  den  Drnck 
gebracbt*).  Nach  diesen  Dokumenten  hat  Beethoven  an 
seiner  ersten  Sinfonie  schon  im  Jahre  1791  angefangen, 
aber  erst  im  April  1800  kam  sie  als  Op.  25  zur  Auffiih- 
rung**).  Man  sieht  mit  der  heutigen  Beethovenbrille  dem 
Werke  die  zehn  Jahre  Arbeit  nicht  an,  man  tut  ihm  aber 
Unrecht,  wenn  man  es  schlechthin,  wie  das  in  der  Regel 
geschieht,  fQr  eine  Kopie  im  Mozartschen  Stil  und  im 
allgemeinen  flir  unbedeutend  erkl&rt,  Kraft  und  Lust, 
Frdhlichkeit,  leichter  Scherz,  spriihende  Heiterkeit,  ja 
auch  ein  wenig  Schw&rmerei,  anmutiges  Traumen  —  aber 
nur  Empfindungen  freundlicher  Natur  bilden  den  Ideen- 
kreis,  den  Beethoven  in  seiner  ersten  Sinfonie  durch- 
schreitet  Es  sind  die  Stimmungen ,  an  welche  sich  die 
Orchestermusik  des  Stidens  in  il:^en  Durchschnittsleistun- 
gen  bis  auf  Beethoven  bin  fast  ausschlieBIich  hielt.  Nichts 
von  dem  tiefen  Ernst  des  nordischen  Bach,  nicht  eine 
Spur  von  dem  Pathos,  welches  manche  der  Haydnschen 
Adagios  kennzeichnet,  nichts  von  der  Mozartschen  Me- 
lancholie  —  nichts  vor  allem  von  dem  Beethoven,  welcher 
die  Eroica  schrieb,  die  6.,  die  9.  Sinfonie,  die  spftteren 
Quartette,  die  groGen  Klaviersonaten,  eben  jener  Beet- 
hoven, den  wir  meinen,  wenn  wir  seinen  Namen  nennen ! 
Und  doch  ist  er  schon  in  der  ersten  Sinfonie  als  ein 
Eigner  zu  erkennen,  in  erster  Linie  im  Ausdruck  einzelner 
Stellen,  im  kiihnen  Vortrag  und  Wechsel  der  Gedanken. 
Diese  Eigenschaft  war  es ,  die  C.  M.  v.  Weber  im  Auge 

*)  G.  Nottebohm:  1.  Ein  Skizzenbach  von  Beethoven  (1862). 
2.  Ein  Skizzenbuch  B.'s.  vom  Jahre  1803  (1880).  3.  Beet- 
hovenlAna  (1872).  4.  Zweite  Beethoveniana  (1887).  AUe  Leipzig : 
Rieter-Bledermann. 

*^)  Die  genauesten  Angaben  fiber  Vollendung  und  erste  Auf- 
fuhrungen,  Stlmmen-  und  Partiturverlag  der  Beethovenschen  Sln- 
fonlen  bletet:  Georg  Grove:  Beethoven  and  his  Nine  Symphonies, 
London  1896. 


-^    192    <>- 

haben  xnochte,  als  er  die  erste  Sinfonie  Beethovens  eine 
•feorig-strOmendec  nannte. 

Im  ersten  Saize  der  Cdur- Sinfonie  (Op.  21)  schliefit 
sich  Beethoven  in  der  Erfmdung  der  Themen  an  Mozart 
an.    Das  Hauptthema: 

<"j.j^ij.43ijjjjjj.|jUJ  I  'I   Ti   II 

mit  welchem,  nach  einem  sehr  eigenwillig  auf  dem  Sep- 
timenakkord  einsetzenden  Adagio  von  kurzem  Umfang, 
das  Allegro  begin  nt,  hat  nicht  blo6  den  allgemeinen, 
spannenden  Charakter,  welchen  Mozart  f&r  seine  Ouver- 
turensinfonien  gem  einh&lt,  es  ist  geradezu  eine  Variante 
sum  Hauptthema  des  ersten  Satzes  der  Jupitersinfonie. 
Es  wird  in  zweimaUger  Sequenz  weiter  getragen:  ein 
krftftiges  Forte  krOnt  den  breiten  Aufbau,  ganz  so  wie 
wir  das  bei  Mozart  oft  gesehen  haben.  Auch  das  zweite 
Thema 


jjirr'mif-^^-'^i^^ 


^-r^     .<rr-J    J       ist  ganz  Mo- 
JTid   lAui  A       zartsch.  Der 
I  i  jubelnde 

Nachgesang 

welcher  ihm  folgt,  kommt  w&rtUch  so  in  der  Jupitersin- 
fonie und  in  andern  Sinfonien  des  Salzburger  Meisters 
vor.  Gleich  danach  tritt  aber  Beethoven  selbst  in  das 
Orchester.  Es  ist  an  der  Stelle,  wo  die  brausende  Gdur- 
Kadenz  so  ganz  plotzlich  von  einem  pp.  abgel5st  wird, 
wo  die  Basse  still  Uber  das  erste  Motiv  des  zweiten  The- 
mas  sinnen  und  die  andern  Instrumente  in  dunklen  und 
unruhigen  Harmonien  festliegen.  Die  Oboe  findet  den 
Ausgang  aus  der  unheimlichen  Verzauberung.  Das  ist 
znm  ersten  Male  das  dfimonische  Element  Beethovens  in 
der  Sinfonie!  In  der  Durchf&hrung  dieser  Gedanken  folgt 
Beethoven  der  Haydnschen  Methode  der  motivischen  Ar- 
beit.   Er  geht  aber  schon  bier  im  Herausgreifen  und  Be- 


193 


Yorzugen  der  kleinen  nnd  unscheinbaren  Motive  und  in 
den  kt&hnen  modnlatoriBchen  Umbildangen,  denen  er  sie 
anterzieht,  fiber  seinen  Meister  binaus.  Es  sind  beson- 
ders  das  Motiv  aus  dem  vierten  Takt  des  ersten  and  ans 
dem  ftknften  Takt  des  zweiten  Themas. 

Das  Andante  bat  zmn  Haupttbema  eine  Melodie: 


deren  Metram  ungew5bnlicb  ist:  7  Takte.  Sie  wird  fugen- 
mftfiig  kurz  dnrcbgef&brt,  dann  bewegt  sicb  der  Satz  in 
Haydnscber  Weise  weiter:  aucb  die  konzertierenden 
Triolenstellen  feblen  nicbt  und  nicht  die  leise  Begleitung 
derPanken*).  Den  Cbarakter  bebaglich  anmntiger  Scbw&r- 
merei,  welcben  der  Satz  tr&gt,  unterbricht  nur  der  An- 
fang  der  DnrcbfQbmng.  Aber  bier  ist  er  auch  scbon  der 
ganze,  der  einzige,  der  erscbreckend  grofie  Beetboven, 
den  man  aus  Tausenden  beraus  erkennt.  Mit  den  bloGen 
zwei  ersten  Noten  des  Hanpttbemas  scbwingt  er  sicb  da 
in  H5ben,  taucht  in  Tiefen,  die  niemand  erwartet  hat. 
Alles  gebt  blitzscbnell,  aphonstiscb  andentend  vor  sicb. 
Es  sind  mehr  Abnnngen  als  Bilder,  Blicke  mit  dem 
Sebeinwerfer  in  weite  Femen  getan.  Aber  wer  die  Stelle 
tkberhaapt  verstebt,  wird  sie  zu  den  nngehenersten  Ein- 
gebungen  von  Beetbovens  wunderbarem  and  fracbtbarem 
Genie  recbnen. 

Den  dritten  Satz  benennt  bier  Beetboven  noch  Me> 
naetto.    Die  Melodie: 


AUafpro  molto  «  ▼iTaee 


ere9«. 


ist,  wie  aucb  die  Einleitong  zum  Finale,  eigentlicb  nichts 
als  ein  alter  Solmisationsscberz,  sie  bat  in  ibrem  Rhytb- 
mus  einen  Rest  von  Tanzcbarakter,  in  ibrem  rastlosen, 
stUrmiscben,  fearigen  Wesen  gebt  sie  aber  tU)er  die  Natur 


*)  Siehe  S.  149  dieses  Bnchs. 
KreizsclimAr,  F&hrer.    I,  1. 


13 


-^^     194    ,,_ 

der  alien  und  auch  der  Haydnschen  MeDuetts  weit  hin- 
aus.  In  ihrem  zweiten  Satze  steht  in  der  Kette  trotziger 
Sforzati,  in  dem  pldtzlichen  Piano  mit  seinen  modula- 
torischen  Irrlichtem,  in  den  eigensinnig  humoristischen 
Bildnngen  urn  die  drei  Noten  J  |  J  J  der  sp&tere  Scherzo- 
meister  in  voller  Originalitat  vor  una.  Das  Trio  ist  einer 
jener  S&tze,  in  den  en  der  Komponist  eine  grofie  Wirknng 
durch  elementare  Einfachheit  erreicht  Auf  melodische 
(jedanken  und  Themata  ist  hier  so  gat  wie  verzichtet; 
der  feierliche  Klang  der  ruhigen  Blaserharmonien  geniigt. 
Als  Spohr  bei  dem  ersten  deutschen  Mnsikfest  zn  Fran- 
kenhausen  die  erste  Sinfonie  Beethovens  in  den  groGen 
R&umen  der  Kirche  auffilhrte,  machte  nichts  solchen 
Eindrack,  als  dieses  Trio*).  Das  Finale  ist  ein  Rondo  im 
Haydnschen  Stil,  leichthin  scherzend  und  t&ndelnd,  auOer- 
gewdhnlich  kurz.  Das  Witzigste  daran  sind  die  Stellen, 
wo  das  erste  Thema 


Allegro  molto  «  TlTace. 


repetiert.  Beethoven  Ififit  ihnen  Momente  pathetischer 
Spannung  vorausgehen.  Unter  den  vier  S&tzen  der  Sin- 
fonie ist  dieses  Finale  der  am  wenigsten  eigenttlmliche, 
und  ohne  Zweifel  hat  Beethoven  in  den  Klaviersonaten, 
welche  in  der  Opuszahl  und  der  Entstehungszeit  unserer 
Cdur-Sinfonie  vorausgehen  —  ganz  andere  Endsfttze  hin- 
gestellL  Aber  harmlos  hingenommen,  wie  es  gemeint 
ist,  kann  auch  dieses  Finale  nur  erfreuen  und  erheitern; 
es  gehOrt  die  ganze  graue,  in  Programmusiktendenzen 
bUnd  gewordene  Rigorosit&t  eines  Berlioz  dazu,  um  ein 
so  lebensfrohes  und  vergnugtes  Kunstwerkchen  einfach 
als  >kindische  Musik<  abzutun**). 

*)  (Leipziger)  AUgemeine  Musikalische  Zeitung,  Jabrgang  12, 
S.  745  u.  ff. :  >Nachricht  von  einem  In  Thuringen  seltnen  Musik- 
fe8te<  (verfafit  vom  Lexikographen  Gerber). 

**)  H.  Berlioz:  A  travers  chants  I  (Cbersetzung  von  R.  Pohl): 
Kritische  Studie  dber  die  Sympbonien  von  Beethoven. 


--♦     196    ♦^ 

Wir  konnen  es  nur  dem  Himmel  danken,  dafi  Beet- 
hoven nicht  mit  der  neunten  Sinfonie,  mil  der  grofien 
Messe  in  Ddor  debdtierte,  sondem  mit  Werken,  die,  wie 
das  erste  Klavierkonzert,  wie  die  Cdnr-Messe  nnd  wie 
diese  C  dor-Sinfonie,  an  die  bisherige  Schnle  anknQpften. 
Das  Publikom  seiner  Zeit  war  entschieden  dem  heutigen 
an  naiver  Empfftnglichkeit  dberlegen ;  aber  hei  der  D  dnr- 
Sinfonie  stntzte  es  doch  schon.  Die  Referenten  der  AU- 
gemeinen  Mnsikalischen  Zeitang  hielten  sich  nach  der 
ersten  Leipziger  Anff&hrung  dieses  Werkes  (im  Jahre  1803) 
an  die  nicht  ganz  gelnngene  Wiedergabe,  die  Berliner 
sprechen  nnr  (im  Jahre  1804)  von  »den  dreiviertel  Stnnden 
lang  ausgefQhrten  Schwierigkeiten«)  so  daB  sich  Rochlitz,  * 
der  erste  Kritiker  seiner  Zeit  and  einer  der  ersten  Ver- 
ehrer  and  Pioniere  Beethovenscher  Knnst,  veranlaCt  sah, 
bei  der  nftchsten  Gelegenheit  selbst  das  Wort  zu  ergreifen 
and  za  versichem,  da6  diese  zweite  Sinfonie  »das  Werk 
eines  Fenergeistes  bleiben  werde,  wenn  tausend  jetzt  ge- 
feierte  Modesachen  langst  za  Grabe  getragen  sind«. 
Aber  von  der  ersten  Sinfonie  liest  man  nor,  dafi  sie  ein 
Lieblingsst&ck  des  Konzertpablikoms  sei. 

Die  zweite  Sinfonie  Beethovens  (Ddur,  Op.  86,  za- L.T.BeethoTeH, 
erst  aufgefQhrt  im  Jahre  1803)  geht  einen   bei  weitem  Ddur-Sinfonie 
betr&chtlicheren  Schritt  Qber  den  Stil  and  die  Sphftre  der       ^^  ^^- 
Haydn-Mozartschen  Sinfonie  hinaas.    Der  erste  Satz  zeigt 
dies  namentlich  an  der  Einleitang  and   der  Coda,  die 
beide  in  Umfang  and  Inhalt  alles  bisher  an  dieser  Stelie 
Gewohnte  tkberragen.    Nar  die  siebente  Sinfonie  Beet- 
hovens hat  einen    noch  bedeutenderen  Einleitangsatz. 
Der  der  zweiten  ist  ausgezeichnet  darch  den  herrlichen 
Gesang,  mit  dem  er  beginnt.  Wie  ein  Bild  aas  der  Stern  en- 
welt  wirkt   diese   ebenso  erhabene  als  innige  Melodie. 
Daraaf  wird  es  wolkig  and  sehr  emst:  es  kommt  za  einem 
drohenden  Unisono  von  nnheimlicher 
Gewalt,  das  nns  sp&ter  fast  w5rtlich  in 
der  neanten  Sinfonie  wieder  begegnet:  "^^^^  "^   V 

Muntere  Triolen  vertreiben  das  Unwetter  and  hellen  den 
Horizont   aaf  fUr  das  freundlich  schwangvoUe  Allegro. 

13* 


196 


In  ihm  ist  das  Verh&ltais  der  beiden  Themen  merkwtirdig: 

das  zweite  encheint  ab  die  Hauptgestalt  des  Satzes. 

Das  erste  Thema  hat  einen  gemjitlich  hamoryoUen  Ton,  er- 

erklingt  aber  vorerst  ^  J*         ^  ^  A    i 

nup  leise,   heimlich 

nnd   erwartongsvoll 

das  zweite  aber  erhebt  sich  triumphierend : 


BIlMI 


TktH 


^ji    J    I   'III    U  II  I  M  iTi  I  Ij^  I"T| 

^.    ^  ^  In  der  Dorchftlhrung  und  der 

r  r,'/  I  f  V^  r  f  >f  I  p  Verbindung  der  Satzgnippen 
if  .  ist  die  Doppelschlagfigur  aus 

dem  ersten  Tbema   von  grofier  Bedentnng.    Neben  ihr 

sind   aber  in  Mozartscher  Weise   der  Ideenentwicklung 

anch  Motive  aus  Themen  zn- 

gmnde  gelegt,welche  nor  eine 

Nebenstellnng  haben ,  z.  B. : 

nnd 


Das  erste  dieser  beiden,  das  erregte,  drohende  DmoU- 
Motiv,  verkntlpft  Einleitong  and  Hauptsatz  in  iihnlicher 
Weise,  wie  das  in  der  Haydnscben  Esdnr-Sinfonie  Nr.  X 
der  Rail  ist  Es  ist  der  erste  Versnch  Beethovens,  in 
seinen  Sinfonien  das  Sonatenschema  weiter  zn  bilden, 
seine  Form  dem  Gharakter  nnd  Inhalt  der  Ideen  des 
Satzes  anznpassen. 

Die  Neignng  Beethovens,  die  Zahl  der  Themen  zn 
vermehren,  sogenannte  Nebenmotive  in  wichtiger  Weise 
za  verwenden  und  mit  den  hergebrachten  Formen  freier 
zu  schalten,  tritt  mehr  noch,  als  im  ersten  Satze  der 
Ddur-Sinfonie,  in  ihrem  Larghetto  hervor.  Die  Stellen 
des  gr56ten  Ausdmcks  sind  hier  geradezu  diejenigen,  an 
welchen  die  Darstel-    p  .  ^^ .^  t  ^**  Haupt- 

lung    an     winzigen   ^^^J\  wf  UCff^      thema 


Motiven  haftet,  wie: 


des  Satzes: 


197 


ein  TOO  Sehnsucht  ond  Wehmut  leise  berUhrter  Hinweis 
auf  Gltlck  and  Frieden,  wirkt  doppelt  poetisch  durch  die 
Elemente,  die  es  begleiten  and  bestreiten.  Es  daaeri 
ziemlich  lange  and  der  Weg  geht  nicht  in  einfach  gerader 
Linie,  ehe  der  kindlich  traaliche  and  einfache  Spielplatz  ycm 

irj;^rTTfiQjrnTiriiiriTiiii  i  rigj 

erreicht  wird.  Diese  scbalkbafte  Weise,  die  den  Himmels- 
tGnen  des  Haaptthemas  die  behaglicben  Kl^nge  iidiscben 
Glddcs  gegen&bentellt,  aas  den  weiten  Weltenr&omen  die 
Pbantasie  beimfQbrt  in-^  den  Abendfrieden  von  Haos- 
Familie  and  Freanden,  bildet  nor  den  Anbang  des  zweiten 
Tbemas: 


iiiLUd  lyi 


Btellt  es  aber  in  den  Scbatten. 

Der  dritte  Satz  ist  als  Scberzo  bezeichnet.  Mit  diesem 
Namen  war  der  Begriff  einer  bestimmten  Form  bis  za 
Beethoven  nicbt  verbanden.  In  der  grofien  Revolations- 
zeit  der  Masik,  im  17.  Jahrhandert,  taacht  aach  er  zam 
ersten  Male  aaf  and  zwar  far  kleine,  in  der  Form  freie 
and  im  Inhalt  etwas  aasgelassene  and  tlbermtitige  Liebes- 
gesftnge  (fiir  eine  Siimme  oder  mehrere,  meistens  mit 
Begleitnng).  Von  da  warde  or  aaf  das  Instramentalge- 
biet,  aasnabmsweise  aach  aaf  die  Sinfonie  Qbertragen, 
aber  nicht  h&afig  angewendet  Beethoven  giiff  ihn  za- 
nflchst  far  seine  Klaviersonaten  aaf  and  machte  ihn 
klassisch.  Das  Scherzo  der  D  dar-Sinfonie  ist  eins  der 
drastischsten.    Wie  die  Motive  des  Haaptthemas 


198    ♦.- 


gleichsam  flftchtig  nnd  verirrt  im  Orchester  bin  and  her- 
flattern,  jeder  Takt  eine  andere  Instrumentierong!  Wie 
toll  es  der  lustige  Kobold,  der  sie  jagt  und  schreckt, 
treibt,  wie  tibenntktig  er  mit  der  mnsikalischen  Grammatik 
spielt:  Immer  das  /jfauf  dem  von  Natur  unbetonten  Takte! 
Diese  Art  Humor  ist  noch  in  keiner  Sinfonie  zum  Vor- 
scheln  gekommen.  Das  ist  der  grandios  barocke  Beet- 
hoven! Und  bald  darauf  wieder  etwas  Neues:  Unerh5rt 
ausgelasaen  brdllen  s&mtliche  Instrumente  14  Takte  lang 
nur  den  einen  Ton,  fis,  am  Anfang  des  zweiten  Teils 
▼om  Trio.  Das  ist  der  naturalistische  Beethoven,  derselbe 
Beethoven,  der  vor  den  Hftusem  vermeintlicher  und 
wirklicher  Widersacher  die  wildesten  Injurien  in  die  stUle 
Nacht  hinaustobte!  Das  Thema  des  Trios  selbst  steht 
der  Berserkerszene  wie  ein  bittendes,  zartes  Weib  gegen- 
dber.  Seine  T5ne  bilden  dieselbe  Folge  wie  im  Trio  der 
9.  Sinfonie,  nur  die  Rhythmik  ist  anders: 


P 

Das  Finale  verweist  mit  den  ersten  zwei  Noten 
parodistisch  auf  die  Einleitung  des  ersten  Satzes,  mit 
dem  (jegensatz  von  poltemder,  bfirbeiBiger  Rauhheit  und 
zarter  Abwehr  nimmt  das  Hauptthema 


'  ""^  ^  ^  fr  f  r ';  '  '  J, '  ^ 


•««. 


die  Humore  des  Scherzos  auf.    Es  hat  Haydnsches  Blut 
in  den  Adem.    Das  zweite  Thema: 


ereBe.  4ff 


--•     199    ♦^ 

aber  lenkt  in  die  Bahnen  jener  KantabilitAt  ein,  welclie 
Mozart  in  das  Allegro  einfflhrte.  Mil  welcher  Entschieden- 
heit  Beethoven  diesen  neaen  Weg  weiter  schritt  nnd  wie 
aehr  er  den  frisch  erdffneten  Ideenkreis  zu  erweitem  be- 
rafen  war,  ist  an  diesem  Thema  schon  ffthlbar.  Noch 
mebr  setzt  die  Dnrchftkhrung  in  Erstannen,  die  die  heitren 
Oder  innigen  Gedanken  dieser  Themen  ins  Majestfltische 
und  Gewaltige  wendet  Wenn  schon  das  ganze  Finale 
sich  mit  dem  der  8.  Sinfonie  mehrfach  bertihrt,  so  tnt 
dies  namentlich  der  Schlufi.  Anch  da  wirds  vor  dem 
jnbelnden  Ende  noch  einmal  abendlich  still  and  ge- 
sammelt  Grofi  ist  anch  die  biographische  Bedeutung 
dieser  zweiten  Sinfonie,  einmal  wegen  der  engen  Ver- 
wandschaft  mit  der  Neunten,  zweitens  als  Dementi  des 
sogenannten  Heiligstftdter  Testaments,  mit  dem  sie  gleich- 
altrig  ist.  Im  Gegensatz  zn  jenem  verzweifelten  nnd 
stark  miBbranchten  Ansbruch  angenblicklicher  Melan- 
cholie  enth&lt  die  Sinfonie  ein  festes  nnd  gesammeltes 
Bekenntnis  znr  Kraft,  ziir  Lebensfreude  nnd  zom  Gott- 
vertrauen. 

Die  dritte  Sinfonie  Beethovens  (Esdnr,  Eroica) L.T.BMtho?eB9 
wnrde  im  Jahre  1804  vollendet  and  im  n&chsten  Jannar  Esdiur-Siiifonje 
zaerst  in  dem  Wiirthschen  Konzert  in  Wien  anfgeffthrt.  ^'-  •»  Broloa). 
Nach  dem  Bericht,  welchen  die  AUgemeine  Mnsikalische 
Zeitang  daraber  brachte,  nicht  mit  nnbezweifeltem  Er- 
folge.  »Frappante  and  sch5ne  Stellen*  heifits  von  ihr, 
»energischer,  talentvoller  Geist«  von  ihrem  Schopfer. 
Aber  diese  Zngest&ndnisse  werden  so  gat  wie  aafgehoben 
darch  Epitheta,  wie  »ftaBerst  lange  and  schwierige  Kom* 
position*,  »wilde  Phantasie,  die  sich  ins  Regellose  ver- 
Iiert«,  and  mehr  noch  darch  das  demonstrative  Lob  einer 
anderen  Esdnr-Sinfonie,  die  in  demselben  Konzert  vor- 
kam.  Diese  andere  war  von  Anton  Eberl,  den  heate, 
vielleicht  mit  Unrecht,  niemand  mehr  kennt.  Die  Schwie- 
rigkeit  der  Eroica  lag  fttr  die  Aasf&hrenden  so  gat  vor 
wie  fOr  die  Zahdrer.  Aaf  letztem  Umstand  Grewicht 
legend^  verlangte  Beethoven  (in  einer  Bemerknng,  die  aaf 
den  Stimmen  der  ersten  Aaflage  steht),  dafi  die  Sinfonie 


_^     200    *^ 

m5glich8t  an  den  Anfang  des  Konzerts  gestellt  werde. 
Sie  wurde  bei  der  ersten  Probe  in  Wien,  der  Prinz  Lonis 
Ferdinand  von  PreuBen  beiwohnte,  umgeworfen;  in  Leipzig, 
und  wo  sie  sonst  in  die  H&nde  eines  gewissenhaften  Diri- 
genten  kam,  veranlafite  sie  Extraproben.  Habeneck  in 
Paris  liefi  sie  sich  sogar  ein  grofies  Fr&bstiick  kosten. 
Noch  hente  ist  sie  eine  der  schwierigsten  Vorlagen,  wenn 
ein  intelligentes  Orchester  seine  Meisterschaft  zeigen  soil; 
namentlich  im  ersten  Satze,  dem  die  mechaniscbe  Prft- 
zision  allein  nicht  beizukommen  vermag.  Bei  der  ersten 
AoffOhrnng  des  Werks  im  Leipziger  Gewandhanse  war 
die  Direktion  so  vorsichtig  und  verst&ndig,  ihre  Abon- 
nenten  dnrch  gedmckte  Charakteristiken  der  einzelnen 
Sfttze  vorzubereiten.  Im  ganzen  aber  kann  man  sich 
nnr  wundem,  daB  die  Musikwelt  jener  Tage  sich  nicht 
mehr  und  Iftnger  dber  die  Eroica  wunderte,  sondem  sie 
ziemfich  bald  tind  allgemein  unter  die  immer  and  regel- 
m&Big  wiederkehrenden  Repertoirwerke  aufhahm.  Denn 
dieses  Werk  war  den  Zeitgenossen  iiber  Nacht  gekommen: 
in  seiner  exotischen  Pracht  muBte  es  zunftchst  eben- 
so  befremden  als  entzQcken.  Yon  den  vorausgehenden 
Werken  zur  Eroica  fehlt  die  hinreichende  Briicke.  So- 
viel  die  ersteren,  in  erster  Linie  die  Klaviersonaten, 
bieten  und  versprechen:  dem  Ideenreichtnm  dieser  Sin- 
fonie  gegenQber,  dem  Yollgehalt,  der  Kraft  und  Ge- 
diegenheit,  der  ebenso  kflhnen,  ja  UbermaBigen,  als 
festgeftigten  An!  age  dieses  Werkes  gegentkber  erscheinen 
sie  nur  als  kleine  Vettern  aus  einer  entfemten  Seiten- 
linie.  Es  ist  ein  unbegreiflicher  Rest  um  die  Stellung 
dieses  Werkes  in  der  Gescbichte  ihres  Schdpfers.  Denn 
Beethoven  hat  diesen  monumentalen  Eingangsbau  zu 
einer  neuen  Orchesterkunst  auch  nicht  tUi>6rboten.  Er 
eetzte  ihm  Werke  zur  Seite,  welche  die  einen  intimer, 
die  anderen  popullU'er  sein  mogen,  aber  nur  wenige, 
in  denen  jedes  Glied  so  wie  in  dieser  Eroica  in  Geist, 
Charakter  und  Poesie  getaucht  ist,  wo  die  Kunst  so 
sehr  wie  hier  auf  Figuren,  Passagen,  auf  Putz  und 
Ornament,   auf   alien  jenen   Kitt  and  M5rtel  verzichtet 


-— *    201     <^ 

hat)  dessen  sich  die  Musik  znr  Verbindnng  ihrer  Haupt- 
glieder  gebr&uchlicher-  imd  erlaubtermaBen  bedient.  Die 
Eroica  bleibt  fur  die  Macht  von  Beethovens  SchGpfer- 
geist  das  st&rkste  Zeugnis,  und  er  selbst  erkl9.rte  sie  bis 
zur  Zeit,  wo  »die  Neante«  erschien,  PSa  seine  beste  Sin- 
fonie. 

Man  weifi,  dai3  Beethoven  seine  Eroica  »Bonaparte« 
iiberschrieben  hatte.  Als  aber  der  Konsnl  sich  znm 
Kaiser  gemacht  hatte,  rifi  der  republikanische  Tonsetzer 
den  Umschlag  weg  and  widmete  das  Werk  nur  im  all- 
gemeinen  dem  »Andenken  eines  Helden«.  Mit  diesem 
Titel  ist  weniger  ein  eingehendes  Programm  gegeben, 
als  vielmehr  nur  eine  allgemeine  Direktive.  Man  hat 
bekanntlich  den  Mittels&tzen  bestimmte  Bilder  aus  dem 
Kriegerleben  unterzulegen  versucht:  dem  Trauermarsch 
eine  feierliche  Bestattungsszene  der  Gefallenen,  dem 
Scherzo  das  geschS^ftige  Treiben  des  Lagers  und  der 
^eiwacht  Das  mag  gestattet  sein  und  jedenfalls  nichts 
schaden.  In  den  anderen  S&tzen  ist  aber  dieser  Ver- 
such  nicht  durchfiihrbar;  namentlich  dem  ersten  gegen- 
iU>er  erscheint  er  unbedingt  kleinlich!  Das  ist  nicht 
das  Bild  einer  Schlacht,  wie  Ausleger  behauptet  haben, 
^ndem  das  einer  Heldennatur,  deren  HauptzQge  Beet- 
hoven mit  einer  eigenen  Tiefe  des  Blicks  erfafit  hat 
und  in  gegenseitige  Aktion  bringt.  Das  Eigentdmliche 
an  dieser  Beethovenschen  Auffassiing  des  Heroischen 
ist,  daO  er  den  Elementen  der  Kraft  und  des  frohen 
Tatendranges  einen  stark  elegischen  und  pathetischen 
Gegensatz  beimischt.  Es  geht  durch  den  ganzen  Satz 
ein  Zug  der  Trauer  Qber  die  Wunden,  welche  der  Held 
schlagen  muB;  vor  und  nach  den  gewaltigen  Streichen, 
die  er  ftUirt,  erhebt  sich  die  Stimme  des  Mitleids,  und 
seine  grofien  Entschliksse  umringt  die  Wehmut  Dieser 
weiche  menschUche  Zug  begleitet  schon  das  Haupt- 
thema,  das  in  seiner  ersten,  vielleicht  aus  Mozarts  Ouver- 
tilre  zu  >Bastien  et  Bastienne<  entnommenen  H^fle 
den  Haupttr&ger  des  krftftigen,  fr5hlichen  Heroentums 
bildet 


202 


M-^f^  Mr  I  r  if  ifr'' V''^ 


(•V»«Bb> 


Bereits   aber  im    fiinften  Takte  mit   dem   langen   ver- 
minderten  Septakkord 


kommt  die  schmerz-  ^  .  *r"\^  :i  :i  :i  jjj  ^  j"  ^ 
KcheWendung.  Noch  At'  jjij-ijiHai  C^^ 
starker  ist  sie  im  zwei-  ^      i  •    #  *  I    »  #'#    _pnf-f 


I 


ten  Them  a  ausgebildet: 

mil  dem    tibermftOigen  Dreiklang;    ferner  in  der  web- 

klagenden  E  moll  -  Episode  der  Dorchftihrahg 

^    .     X ."r^    ^^^-#1^    #        Diese  Episode  machie 

^\  PT  ir'Pr  I'r  '  T^  1'^  Beethoven,  wenn  wir 
'^  die  dnrch  Nottebohm 

verdffentlichten  Skizzen  zn  dieser  Sinfonie  recht  verstehen, 
geradeza  znm  Mittelpnnkte  des  ersten  Satzes.  Sie  war  von 
▼omherein  fertig  und  fest  beschlossen,  und  nm  sie  in  die 
rechte  Wirknng  zu  setzen,  ftnderte  er  die  Entwikrfe  zn  der 
ihr  vorhergehenden  Partie  immer  wieder,  bis  dieRhythmen 
so  trotzigi  die  Dissonanzen  so  beftngstigend,  so  reailistisch 
Bchneidend  wnrden,  wie  sie  jetzt  dastehen.  Yon  fthnlicher 
Tendenz  ist  auch  das  Nachspielmotiv,  welches  den  wuch- 
tigen  Schlftgen  des  empl^rten  Orchesters  am  Schlusse  des 
ersten  Teils  folgt: 


Es  sind  die  reinen  Klagen  nnd  Seufzer;  fthnlicfa  auch 
die  hinsterbenden  Ankl&nge  an  das  erste  Motiv  des 
Hanptthemas,  mit  denen  der  Durchflihrangsteil  be- 
ginnt  FQr  die  formelle  Bildnng  des  Satzes  hat  anBer 
den  angefiihrten  thematischen  Elementen  noch  das 
kurze    Motiv   groBe    Wichtigkeit,    welches   die   Oberlei- 


— *    203    ^>- 

tnngsgruppe  zwischen  ok; ciat.        ev"*^  ^'^^^^^ 

dem  ersten  und  zwei-  jf  j^  P'  P  hp  r^^flTp  '  P  i^f  ^  ft  1 1»  ■ 
ten    Thema    erSffnet^^^  FT  MMT^  '  r^yT]r^ 

Es  klingt  wie  Fragen  und  Bedenken.    Deshalb  folgt  ihm 

ll^hwi^!    ifi'iU  jjiiri  If  rTirrrif ' 

tigung     in  p 

und  diesem  ein  Motiv  des  emeuten  Aufscfawungs  nach: 
^  />^  . /-K  DerDurchftthrungs- 

f|f.|  f  fff  ^ff    p7    I    „     ...teil    dieses    ersten 
J   '  I     M     I    I'  Satzes  der  Eroica 

stellt  an  das  ZnhGren  und  Verstehen  ganz  neue,  bis  dabin 
noch  nie  erhobene  Anfordeningen  wegen  der  aufierordent- 
lichen  Beweglichkeit,  mit  welcher  der  Komponist  Ideen  und 
Empfindungen  wechselt,  wegen  der  Breite,  mit  weicber 
er  sie  ausfftbrt  und  drittens  weil  er  zur  Tbemengrappe 
ein  ganz  ungewohntes  Yerhftltnis  einnimmt.  Er  ist  dies- 
mal  keine  Exegese,  sondem  er  bat  unverkennbar  pragma- 
tische  Bedeutung,  er  bringt  die  Hauptsache:  die  Scbilde- 
rung  des  Kampfes,  den  der  Held  leitet  Diese  durcbaus 
dramatiscb  gebaltene,  aufregende  Schilderung  gipfelt  in 
der  Szene,  wo  sicb  Blftser  und  Geigen  gewissermaBen  in 

einander  festrennen,  wo  die  Sekunde  $  so  gr&Blicb  durcb 
die  Harmonien  scbreit.  Das  ist  Schlag  und  Scbmerz,  und 
darauf  kommt  naturgetreu  und  lebenswabr  die  EmoU- 
Klage.  Sie  ist  das  eigentliche  zweite  Tbema  des  Satzes, 
und  wir  steben  vor  ibr  wieder  bei  einem  gewaltigen  Ver- 
sucb  Beetbovens,  die  Sonatenform  frei  zu  beleben.  Nach- 
dem  dieaer  Gipfel  passiert  ist,  setzt  Beetboven  ein  zweites 
Mai  an:  Der  Feind  ist  getroffen,  aber  nicbt  vemicbtet. 
So  beginnt  der  Kampf  zum  zweitenmal  und  diesmal  endet 
er  bei  der  fanatiscben  Gesdur-Stelle,  die  allm&blicb  in 
TotenstiUe  ftbergebt  und  mit  einer  Wendung  scbliefit,  deren 
eigenttlmliche  ScbSnheit  lange  Zeit  iiber  ibrer  absonder- 
lichen  Form  verkannt  worden  ist  Wir  meinen  jene  Stelle 
—  man  nennt  sie  wenig  gescbmackvoll  den  Kumulus  — 

wo  uber  der  tremolierenden  Sekunde  m  der  beiden  Geigen 


-— ^     204    ^— 

das  Soiohom  leise  den  Zanbermf  intoniert,  der  alle  wieder 
aus  der  unheimlichen  Erstatrang  raft:  das  HeldenmoiiT 
ei  jf  I  ei.  In  der  ersteii  Wiener  Probe  hatte  Beethoven 
dieses  as  gegen  die  Mnsiker  zn  schfttzen,  welche  meinten, 
es  sei  ein  Fehler  vorgekommen;  die  Herausgeber  der  ersten 
franzGsischen  Partitnr  korrigierten  es  als  Drackfehler  in  g\ 
'auch  noch  R.  Wagner  war  dieser  Meinung.  Seit  das  Skiz- 
zenbuch  Beethovens  aus  dem  Jahre  1808  bekannt  ist,  darf 
nicht  der  leiseste  Zweifel  mehr  gehegt  werden,  dafi  Beet- 
hoven kaum  etwas  ^nderes  in  seiner  Eroica  so  bestimmt 
nnd  klar  gewoUt  hat,  als  diese  vom  mechanischen  Har- 
moniestandpunkte  aus  befremdende  und  unter  alien  Um- 
stAnden  gewagte,  aber  jedenfalls  mit  tondichtehscher 
Kiihnheit  und  Feinheit  ersonnene  Wendung.  Mit  Grewalt 
rafft  sich  der  Sieger.  Die  Reprise  beginnt  and  verl&aft 
in  herrlichen  Varianten.  Da  ist  gleich  das  Them  a  in  Fdor 
vom  Horn,  dann  in  Des  von  der  Fldte  gebracht.  Es  ist  als 
wenn  nach  gefallener  Entscheidung  sich  alles  freier  and 
grdfier  regte.  Auch  die  Coda  ist  angewdhnlich,  am  moisten 
dadurch,  dafi  der  Komponist  bier  noohmals  auf  die  Durch- 
fUhrung  zarttckgreift,  wiederum  n&mlich  auf  die  bereits 
bertihrte  Episode  in  EmoU;  ein  Beweis,  wie  wichtig  sie  fftr 
die  Eigenart  des  Helden  ist,  wie  ihn  sich  Beethoven  dachte. 
Der  zweite  Satz  der  Eroica,  Marcia  funebre  Uber- 
schrieben,  die  Grenzen  eines  einfachen  Trauermarsches 
aber  in  jeder  Beziehong  tLberschreitend,  besteht  aus  fQnf 
Teilen.    Der  erste  Toil  stellt  zunilchst  das  Hauptthema 

1     wi  Pj]^^-^— —  ^™  Streichquartett auf.  Die 

*«  J  J  1  J"^yjjygfazja:^  Blftser  wiederholen  es,  von 
i^=—  "^  '  *r  den  Violinen  in  zitternden 

Rhythmen  begleitet,  aus  denen  es  wie  femer  Trommelschlag 
klingt.  Dann  folgt  ein  Gegenmotiv  in  Esdar,  das  nach  dem 
Hauptthema  zurflcklenkt.  Auch  diese  Gruppe,  vom  Streich- 
quartett zuerst  gebracht,  wiederholt  der  Blaserchor,  und  mit 
einem  kurzen  freien  Nachspiel  in  Gmoll  schliei3t  dieser 


205 


erste  Teil.  Inhaltlich  verbildlicht  er  jenen  forchtbaren, 
fassungslosen  Znstand  der  trauernden  Seele,  wo  das  Ge- 
ftthl  nach  Ansdmck  riDgt,  wo  die  Klage  mit  der  Resignation 
k&mpft,  wo  die  Sprache  erstarrt,  versagt  und  bricht,  wo  die 
frenndliehen  Bilder  der  Erinnerung  nnr  auftauchen,  ran  Yon 
den  Ausbrachen  des  heftigsten  Schmerzes  verjagt  zu  wer- 
den.  Der  zweite  Teil  raft  das  gl&nzende  Bild  des  Helden 
znriick.  Er  eracheint  wie  eine  ^  ^^  ^-^^•^  s  „, 
Art  Apotbeose.  Das  fObrende  -£'']r^^Y-^ff=i^^j^.^^:Si=: 
Tbema,  in  bellem  Dur  gebalten  ^  f  o^-  ^^ 

nimmt  schon  beim  ersten  Halbschlufi  (in  6  dur)  einen 
ganz  trinmphierenden  Ton  an.  Am  SchlnO  dieses  Teils  ist 
die  Rtkckkehr  ins  Haupttbema,  der  stets  im  Laufe  des  Satzes 
ein  leidenschaftlicber  Akzent  vorausgeht,  von  einem  ganz 
besonders  tiefen  nnd  gewaltigen  Ausdrnck  des  Schmerzes 
begleitet  Der  dritte  Teil,  welcber  mit  dem  Haupttbema 
(in    G  moll)    beginnt,. 


rnbt  im  wesentlicben y^ 
auf  folgendem  Tbema : 


^^Tr'— 3rt7f^ 


er- 


In    der    ersten    H&lfte    cr-  i». 

scbeint  es  durch  die  Ver-  A  Hi  J  I  J  lu.  Affli^ 
kettung  mit  dem  Motiv:  ^  «?  ^  V  ' '' 
in  der  Form  einer  Doppelfuge.  Sein  Ausdruck  ist  klagend, 
aber  die  Klage  bat  ibre  Herbbeit  verloren  und  flieBt  nun  stetig 
dabin.  Die  Wendungen  werden  mild,  fast  freudig.  Wieder 
steigi  das  Bild  des  lebenden  Helden  auf:  ein  leidenscbaft- 
licber  beseister*  ^\ 

Da       pl5tzbcb:  — 

das  Bchrecklicbe  Besinnen:  »Er  ist  nicbt  mebrU  Ein  Auf- 
scbrei  in  den  entlegensten  Regionen  des  Orcbesters,  ein 
wilder,  fast  w&ster  Ausbrucb  des  Scbmerzes  auf  dem  As  dur- 
Akkord,  ein  Cbaos,  aus  dem  die  scbmetternden  Trompeten 


*)  Mit  dem  gleichen  tjbergang  schliaBt  der  erste  Teil  von 
»Lord  HelDrichc,  einer  bekannten  Ballade  von  Neefe,  Beethovens 
Bonner  Lehrer. 


_^    206    «>- 

den  Ausweg  sachen.  Dann  lenkt  es  mil  mtttisamer  Benihi- 
gung  fiber  in  den  vierten  Teil,  welcher  im  wesentlichen 
eine  Repetition  des  ersten  Teils,  aber  mit  einem  groOen  Zn- 
satz  von  Leidenschaftlichkeit  und  Anfregong  bildet.  Es  wird 
der  letzte  Abschied  genommen!  Der  ffinfte  Teil,  die  Coda, 
schlieBt  das  ergreifende  Bild  versGhnend  ab.  Wie  Glocken- 
gel&ute,  das  Beethoven  fthnlich  auch  in  seiner  Trauerkan- 
tate  auf  Joseph  II.  ankhngen  laBt,  ^^^  -^^.^ 

beginnt  er  in  den  Violinen,  eine  jt  ri»  J.  p  |  p  f  ^\^^^X^ 
wehmfitig    frenndliche    Melodie  r^  ■  -  *  ij^  ■  -  - 

klingt  wie  ans  der  Feme  herUber,  dann  geht  die  Mnsik 
ffir  einen  Angenblick  in  bloGe  rhythmische  Bewegung  auf; 
in  den  Violinen  t5nts  wie  Schluchzen.  Noch  einmal  er- 
scheint  dann  das  Marschthema,  verflattert  aber  bald  und 
zerf^llt  in  Stiicke.  Als  es  verschwunden,  stofien  die  Blflser 
noch  ein  letztes  leidenschaftlich  akzentuiertesLebewohl  aus, 
fiber  das  sich  sofort  eine  leise  Fermate  wie  Grabesruhe  legt. 

Das  Scherzo  ist  von  einer  ganz  eigentfimlichen  An- 
lage.    Zum  Hauptthema  hat  es  folgende  Takte: 

Presto  , ^  —      ^A  .      /^i 

Aber  dieses  teilt  sich  in  die  Darstellung  mit  einem 
Motive,  das  von  Natur  nur    &  x  Lange  Ton- 

prftludierenden  und  «.n-"^-^V-j  h  J  J  Ij  J  '•<^iV^ft">  aus 
laufenden  Charakters  ist:  pp  diesen  we- 

nigen  Noten  gewoben,  durchziehen  den  Satz  und  geben 
ihm  sein  phantastisches,  heimliches  Geprftge,  den  merk- 
w&rdigen  n&chtlichen  Klang,  die  Ahnlichkeit  mit  dem 
Gemurmel  einer  entfemten  Menge,  mit  dem  Get5se  einer 
gesch&ftigen  Stadt,  das  der  Wind  auf  Meilen  hinaustr&gt 
zum  Wandrer.  Die  Tonart  ist  Esdur,  aber  es  dauert  92 
Takte,  ehe  sie  mit  dem  Fortissimo  des  zum  erstenmal  ge- 
schlossen  vortretenden  Orchesters  zum  Ausdruck  kommt. 
Es  ist  interessant  zu  wissen,  dafi  Beethoven  als  dritten  Satz 
seiner  Eroica  einen  einfachen  Menuett  schreiben  woUte. 
Erst  im  Laufe  der  Skizzen  kam  er  auf  das  eben  angeffihrte 
scbwankende  Motiv  und  damit  auf  die  ganz  neue  Anlage 


-^    207     ^^ 

des  Satzes.  Den  H5mern,  welehe  bekanntlich  im  Trio  des 
jetzigen  Scherzo  eine  ziemlich  geMrchtete  Anfgabe  haben, 
war  von  Anfang  an  eine  besondere  RoUe  zagedacht,  aber 
im  Hauptsatze  des  Mennett.    Der  Held  anf  der  Jagd? 

Das  Finale  der  Eroica  ist  in  seiner  ersten  Hftlfte  ein 
Variationenzyklus,  dem  folgendes  einfache  Thema  zu- 
grand  e  liegt: 


a?^^^^^^=^fjtfe 


dasselbe,  welches  Beethoven  frQher  schon  zu  den  Klavier- 
variationen  (Op.  36)  und  zur  Musik  des  Ballets:  >Die  Ge- 
schdpfe  des  Proinethea8«  benutzt  hat*).  Von  der  dritten 
Variation  ab  bant  der  Komponist  Qber  dieses  Thema  eine 
innige  Gtesangmelodie, 

if''"  rr'^rirrrlirl>i''^^^''i'|gc^fe4A- 

welehe  in  dem  Satze  als  zweites  Thema  fungiert.  Nach- 
dem  sie  durchgeffthrt,  wird  die  Variationenform  verlassen, 
das  Thema  erscheint  omgestaltet  in  eine  Fuge;  in  andem 
Grappen  sind  nur  wenige  Noten  benntzt,  auf  Angenblicke 
verschwindet  es  ganz.  Mit  dem  GmoU-Satze,  der  marsch- 
artig  kr&ftig  einsetzt,  tritt  die  Variationenform  wieder  ein; 
die  einzelnen  Variationen  haben  freieSchliksse,  im  Qbrigen 
wiederholt  sich  der  ganze  ProzeO  der  ersten  Hftlfte.  Bis 
dahin  erscheint  das  Finale  der  Eroica,  so  viele  sch5ne 
Momente  darin  vorkommen,  im  Verh&ltnis  zu  den  andem 
Sfttzen  leicht  gefugt:  eine  Reihe  fr5hlicher  Bilder  von  der 
Krieger  Heimkehr,  frei  nach  BQrgers  Versen:  »Und  alles 
Volk  mit  Sing  nnd  Klang,  geschmtlckt  mit  grflnen  Reisem, 
zog  heim  zu  seinen  Hftusem.«  Am  Ende  jedoch,  mit  der 
frommen  Episode,  in  der  das  zweite  Thema  als  Andante 
aaftritty  erhebt  es  sich  und  schliefit  allerdings  etwas  kurz 
abgebrochen,  aber  mit  dithyrambischem  Schwunge. 

*  Paul  Bekker  weist  in  seinem  ausgezeichneten  Beethoven - 
bach  daiauf  hin,  dafi  zwiscben  der  Promethenssage  and  der 
Idee  der  Eroica  ein  Zusammenhang  besteht. 


-^     208    *— 

L.?.B««tloTeii,  Beethovens  vierte  Sinfonie  (Bdur,  Op.  60),  welche 
Bdnr-Sinfoiiie  intt  Jahre  1806  entstand,  wurde  im  Anfang  des  Jahres 
*  *'  1807 .  znerst  in  Wien  kurz  nacheinander  zweimal  auf- 
gefiihrt,  erst  im  Theater  und  dann  im  adiigen  Liebhaber- 
konzert,  und  erfreute  sich  sogleich,  wie  berichtet  wird, 
eines  reichen  Beifalls.  Heute  teilt  sie  mit  der  ibr  geistig 
verwandten  achten  Sinfonie  das  Schicksal  einer  gewissen 
Znrftcksetzang.  Sie  erreicht  ihre  Nachbam  znr  Rechten 
und  Linken,  die  Eroica  und  die  C  moll- Sinfonie  weder  in 
der  Breite  des  Aufbaues  und  der  aufieren  Dimensionen, 
noch  in  der  GroOartigkeit  der  Kombinationen;  sie  ist 
aber  dennoch  eins  der  eigenartigsten  und  voUendetsten 
Werke  der  Beethovenschen  Kunst  und  repr&sentiert  unter 
den  Sinfonien  eine  Gattang  f&r  sich.  Was  sie  auszeich- 
net,  ist  die  Frische  und  Unmittelbarkeit  der  Gestaltung. 
Sie  gleicht  darin  einigen  der  Klaviersonaten,  daO  sie 
mehr  phantasiert  und  improvisiert,  unter  einem  fort- 
w&hrenden  Zuflufi  neuer  Gedanken  entstanden,  als  ge- 
arbeitet  erscheint  Zweitens  zeichnet  sie  sich  aus  duroh 
eine  andauemd  heitre  und  glflckliche  Grundstimmung, 
die  sich  allerdings,  wie  bei  Beethoven  zu  erwarten,  nicht 
vdllig  rein,  sondem  in  romantischer  F&rbung  &uBert 
Man  bemerkt  diesen  romantischen  Zug  in  dem  zdgern- 
den  Aufbau  der  Melodien,  in  dem  langen  Festhalten 
der  Harmonien,  in  der  versteckten  Einmischung  von 
Dissonanzen,  in  der  bald  in  scharfen  Kontrasten 
springenden,  bald  tr&umerischen  Dynamik:  Erschei- 
nungen,  die  uns  in  keiner  zweiten  Sinfonie  Beethovens 
so  systematisch  entgegentreten  wie  in  der  Bdur- Sin- 
fonie. Sie  schattiert  auch  die  freudigen  Farben  ein 
wenig.  Aber  die  StQrme  diistrer  Leidenschaft  bleiben 
ihr  fern,  und  uber  dem  Ganzen  leuchtet  eine  solche 
Menge  hellen  und  wtonenden  Sonnenscheins,  dai3  man 
die  Zeit,  wo  diese  Sinfonie  entstand,  zu  den  am  we- 
nigsten  getriibten,  zu  den  sch5nsten  Tagen  aus  Beethovens 
Leben  rechnen  m5chte.  Grove  setzt  sie  geradezu  mit  einer 
Yerlobung  Beethovens  [mit  Theresa  von  Brunswick)  in 
Verbindung. 


-^    209    *>— 

Nach  einer  Einleitung.  die  ganz  von  geheimnisvoller 
Erwartung  und  Spannung  erfullt  ist,  bricht  das  Allegro 
des  ersten  Satzes  mit  SchlS^gen  von  urwuchsiger  Derbheit 
los.  Nach  dem  sttirmiscben  Einsatz  gelangen  wir  zu 
folgendem  Hauptthema: 

Allej^ro  vlTace. 

^      '     -^.^         ±      das  die  beiden  Elemente 

n  *^  ^  r  If  f  f  r  I  e'T"  r  des  Satzes:  frohes  Un- 
'^  -^       gestUm     und    heimlich- 

glnckliches  Sinnen  verbindet.  Ihmfolgt  _.«. 

ein  selbstftndiges  Seitenthema,  welches  fj^j*  Jl  3=i^?^=3=f 


^ 


dber  das  kindlicher  Freude  voile  Motiv : 
zu  einer  Repetition  des  ersten  Themas  uberleitet.  Diese 
Wiederholung  schliei3t  mit  einer  Synkopenstelle,  die  eine 
gewaltige  Herzenserregung  kundet.  Zauberschnell  bricht 
sie  ab.  Das  zweite  Thema,  das  nun  erscheint,  zerf&llt  in 
zwei  Hauptgrnppen,         ^ — ^.^  ci*r. 

deren  Grundmotive  ^^nf^f  -1  If  T  I'  H^  A^^  ^7^^ 
die  folgenden  sind:         '^  ■»**^        '  ' -^ 

Die  zweite  Gruppe  tritt  als  Dialog,  als  Kanon  (in  der  Ok- 
tav)  zwischen  Klarinette  nnd  Fagott  auf.  Zwischen  ihnen 
stehen  noch  weitere  selbstHndige  Gedanken,  unter  denen 
eine  weitausholende,  aus  Sequenzen  Uber  ein  Motiv  in  (stac- 
cato gegebnen)  Halbennoten  gebildete  Passase,  die  Sam- 
meln  und  Kl&ren  bedeutet.  der  wichtigste  ist.  Uppigkeit  der 
Phantasie  zeichnet  diese  Sinfonie  aus.  Auch  dieDurchfUh- 

rung  Uberrascht  durch  ^ .    i  ^^77^^   ,  /^» 

eine  ganz  neue  Idee :  a^^Tf  ^\*^  W   ^^'^  I'T  ^^^ 


eine  herrliche  Melodie 
die  formell  der  Emoll-Klage  in  dei:  Durchfiihrung  des 
ersten  Eroica-Satzes  entspricht.  Mit  ihr  voUfiihren  eine 
Strecke  lang  die  beiden  Gruppen  des  Orche^ters,  Geiger 
und  Blaser.  einen  Wechselgesang.  Er  ist  fQr  lange  Zeit 
die  letzte  AuBerung  fertiger  Gedanken  im  Satze.  Tiefste 
Ruhe,  tiefster  Frieden  breiten  sich  uber  eine  gluckliche 
Seele.    Imroer  leiser  huschen  durch  die  Geigen  ilUchtige 

Kretzschmtr,  Ffihrer.    I,  1.  14 


_^    210    ♦— 

Schatten  des  Hauptthemas,  die  Akkordnoten  aus  den 
ersten  beiden  Takten.  Diese  lange  D&mmeraDgsstelle 
kennzeichnet  die  vierte  Sinfonie.  Ganz  eigen  ist  der  Schlufi 
dieser  DarchfUhrung,  das  Einschlummern  der  Instrumente 
in  entlegener  Tonart,  die  FUhrerrolle,  welche  die  Pauke 
in  diesem  Momente  Ubemimmt,  nnd  der  eilige  Rtickzug, 
den  das  verlorene  Gros  unter  ihrem  immer  lauteren 
Kommando  bewerkstelligt.  In  dem  Scherzo  der  C  moll- 
Sin  fonie  findet  sich  ein  &hnliches  und  doch  wieder  sehr 
verschiedenes  Seitensttick  zu  dieser  Stelle. 

Das  Adagio,  ein  wunderbares  Sttick  verkl&rter  Poesie 
und  der  intimste  von  alien  langsamen  Sd.tzen  der  Beet- 
hovenschen  Sinfcmien,  hat  folgenden  Gesang  znm  Haupt- 
them  a:  , 

Adagio. 

p  cantabilc 


^^^g?-nrF=£^^f^ 


^ 


errac. 

Die  Form  dieses  Satzes  ist  so  rein  und  einfach,  daB 
er  keiner  Bemerkung  bedarf.  Das  zweite  Them  a,  in  dem 
Momente  eingefiihrt,  wo  die  vom  Anfange  an  im  Satze 
lauemden  Geister  der  Schelmerei  und  des  Humors  Qber 
das  MaB  zu  gehen  Miene  machen,  wird  von  der  Klari- 
nette  vorgetragen,  das  Fagott  bringt  einen  Nachgesang 
dazu.  In  der  Stimmung  knUpft  dieses  zweite  Thema 
an  die  leise  und  edle  Melancholie  des  Hauptthemas 
wieder  an. 

Der  dritte  Satz,  welche  nicht  ausdrflcklich  als 
Scherzo  iiberschrieben  ist,  hat  die  ausgesprochene  Na- 
tur  eines  Gapriccio.  Er  IftBt  eine  etwas  herausfor- 
dernde  Lustigkeit  gegen  einige  bed&chtigere  Hum  ore  an- 
k&mpfen.  Das  An-  a  , 
fangsmotiv  sei- 
nes Hauptthemas  "  -^ 
gibt  den  Hauptstoff  zum  Bau  des  Satzes.  Der  in  den 
ersten  Takten  dieses  Them  as  schon  gegebene  Gegensatz 


211 


▼on  s/4  und  3/^  Takt  geht  durch-das  ganze  St&ck  und 
verst&rkt  den  Eindruck  einer  bald  iibenniitigen ,  bald 
eigensinnigen  Natur  eines  liebenswiirdigen  Wildfangs. 
Das  Trio  ist  eins  der  kOstlichsten  Bilder  naiver  und  nn- 
schnldiger  Freude,  eines  jener  Kunstwerke,  die  man  nicht 
b5ren  kann,  obne  die  Musiker  zu  beneiden,  welcbe  sie 
auffUhren  dftrfen.    Die  Oboe  ffihrt  das  einfache  Thema: 


jft''r  iQic  r7r  t  in.trir  rif  nr  n  1 


^^ 


erc»e. 


I  r  I  r  r  I  r  H'  ^^ 


In  die  Pausen  strenen  die  VioUnen  allerhand  kleine 
Neckereien  hinein  —  am  Ende  des  Trios  w&chst  die 
liebenswQrdige  zftrtliche  Melodie,  vielleicht  der  Abkdmm- 
ling  einer  Wallfahrtshymne ,  zn  stolzer  Pracfat  heran. 
Schon  der  erste  Satz  der  Sinfonie  zeigt  einige  Mozartsche 
Spnren;  sie  mehren  sich  im  Finale  so  sehr,  dai3  man  die 
Vermutnng  kanm  abweisen  kann,  in  den  Hauptgedanken 
geh5re  dieser  Satz  einer  frttberen  Entstebungszeit  an. 
Seine  Tbemen  sind 


ILVioT 


mit  dem  Nachsatze    jjt^  f  H I  ^'^  I  J)  *  J)  *  I    J     I    iind 


Sie  ergeben  einen  Satz  von  brillantem,  funkelndem 
Effekt,  von  dramatischer  Lebendigkeit  und  frappantem 
Humor,  dessen  heitere  Natur  nur  durch  einige  breite, 
unbarmherzig  dissonierende  Akkorde,  die  Einf&lle  einer 
rauben  Laune,  gestdrt  wird. 

Die  fQnfte  Sinfonie  (Cmoll)  ist  mit  der  Pastoral- L.T.BeethoTeii, 
sinfonie  zusammen  ver5ffentlicht  worden.  Beide  Werke,  Cmoll -Sinfonie 
welcbe  die  Opuszablen  67  und  68  tragen,  wurden  aucb         ^'-^ 

14* 


--•     212     %^ 

zQsammen  in  demselben  Konzert  znent  aafgefQhrt,  wel- 
ches BeethoYen  am  22.  Dezember  1806  im  Theater  an  der 
Wien  gab,  einem  Konzerte,  das  dorch  die  Reichhaltigkeit 
seines  Programms  als  Knriosnm  in  der  Konzertgeschichte 
dasteht  Es  umfafite  zwei  grofie  Chorwerke,  die  Chor- 
fantasie,  das  Klavierkonzert  in  O,  eine  freie  Fantasie, 
die  Pastoralsinfonie  (als  Nr.  6),  die  Cmoll>Sinfonie  (als 
Nr.  6  bezeichnet).  Gleichwohl  sind  die  beiden  Sinfonien 
zu  verschiedener  Zeit  entstanden.  Die  ersten  Arbeiten 
an  der  CmoU-Sinfonie  reichen  bis  in  die  Jahre  1800  und 
1801  zurQck.  Das  aufierordentliche,  in  jeder  Faser  Beet- 
hovensche  Werk  hat  den  Meister  anch  aufierordentlich 
intensiv  beschftftigt  and  ist  unter  denjenigen  Arbeiten, 
mit  welchen  er  sich  auBergewdhnlich  lange  trug  —  ver- 
gleichen  wir  nnr  die  Ddur-Messe  und  die  neante  Sinfonie 
—  vielleicbt  diejenige,  bei  welcher  die  endgtlltige  Form 
alle  Intentionen  des  Sch5pfers  ohne  stftrkeren  Rest  anf- 
nahm.  Von  vielen  Beurteilem  wird  die  CmoU-Sinfonie  als 
der  H5hepunkt  nicht  bios  der  Beethovenschen ,  sondern 
uberhaupt  der  Instrumentalmusik  bezeichnet,  jedenfalls  ist 
sie  eins  derjenigen  Knnstwerke,  Uber  deren  Gewalt  alle 
einig  sind.  Mit  der  C  moll- Sinfonie  bekehrte  der  junge 
Mendelssohn  den  alten  Goethe  zu  Beethoven*).  Selbst 
diejenigen,  welche  amusischen  Geistes  sind,  pflegen  vor 
der  C  moll-Sin  fonie  eine  leise  Regung  von  Respekt  zu 
haben.  Jeder  fiihlt,  da6  aus  dieser  Sinfonie  ein  unge- 
wdhnlicher  Geist  spricht.  Es  liegt  etwas  Titanisches  in 
ihrem  Zorn  und  ihrem  Trotze,  in  ihrem  Schmerze  und 
auch  in  dem  Rausche  der  Begeisterung,  in  welchem  sie 
schlieBlich  ausmiindet.  Man  kdnnte  sich  vor  diesem 
Kunstwerke  an  vielen  Stellen  fQrchlen,  wenn  nicht  aus 
dem  Hintergrunde  seiner  n&chtigen  Phantasien  auch 
freundlicbere  Genien  auftauchten;  es  wiirde  uns  trans- 
zendental  und  nur  ehrwiirdig  bleiben,  wenn  es  den  Blick 
nicht  auGer  auf  unendliche  Stern  wei ten  auch  auf  trau- 
liches  Erdenland   lenkte,   wo  uns  Boten  der  Sehnsucht. 


*)  F.  Mendelssohn,  Briefe  (25.  Mai  1830). 


— ^    213    4>-- 

des  Humors  nnd  diejenigen  MenschengefQhle  begegnen, 
welche  das  Walten  eines  gaten  GemUles  verkfinden. 
Die  Darstellung  in  der  Cmoll-Sinfonie  ist  heifi  und  ur- 
sprungHch,  wahr,  notwendig  einheitUch  und  dabei  so 
scheinbar  einfach  und  klar,  d&Q  das  Werk  trotz  der  Grdfie 
seines  Inhalts  populSr  geworden  ist  Was  diesen  Inhalt 
der  Cmoll-Sinfonie  bildet,  wer  getraut  sich  das  obne 
Fehler  zu  iibersetzen?  Beethoven  soil  dem  ersten  Satze 
dieses  Werkes  das  Motto  gegeben  haben:  »So  klopft  das 
Schicksal  an  die  Pfortec  Wir  betonen  aber  das  Wort 
»soil<.  Es  ist  das  Charakteristikum  musikalischer  Kunst- 
werke,  da-Q  sie  die  Phantasie  des  Horers  anregen,  ihn 
wohl  auch  auf  bestimmte  Bilder  fuhren.  Aber  es  ist  ver- 
messen,  das  eine  dieser  Bilder  fftr  das  ausschlieClich 
richtige  zu  halten  und  zu  proklamieren.  Die  Zahl  der 
benanntenGr5Ben,  welche  derselben  algebraischen  Formel 
entsprechen,  ist  in  der  Kegel  nicht  klein:  »Ratio  multi- 
plex, Veritas  una«!  Aber  der  allgemeine  Gang  der  Phan- 
tasie. nennen  wir  es  die  Grundidee,  in  der  Cmoll-Sin- 
fonie ist  so  klar  ausgepr&gt,  daO  man  sie  nennen  mu6: 
Es  ist  der  Weg  »aus  Nacht  zum  Licht<,  per  aspera  ad 
astra,  jener  in  der  sinfonischen  Kunst  so  oft  gesuchte  und 
noch  Ofters  verfehlte  Weg! 

Der  erste  Satz  ist  eine  der  gl^nzendsten  Bestfitigungen 
fiir  einen  in  jeder  Kunst  sattsam  erprobten  Erfahrungs- 
satz :  dafi  mit  der  Schwierigkeit  der  technischen  Aufgabe 
bei  starken  Geistern  auch  die  Phantasie  w&chst,  der  Flug 
der  Gedanken  kflbner  wird  und  die  Ideen  an  Macht,  Kraft 
und  Reichtum  zunehmen.  Von  der  technischen  Seite  aus 
betrachtet,  ist  der  erste  Satz  der  C  moll-Sinfonie  eins  der 
verwegensten  KunststUcke:  Denn  sein  wesentliches  Grund- 
material  besteht  aus  den  vier  Noten.  Aiie^ro  c en  brio.  ^ 
welche  lapidar  und  erschreckend^f^riJczy  7  J^-j~hzj — \ 
den  Eingang  des  Werkes  bilden:^"  *  '  '  *~^  *^  * 
Schindier  behauptet  in  seiner  Biographie,  da6  Beethoven 
sie  und  ihre  gleich  folgende  Transposition  in  einem  lang- 
sameren  Tempo  gewiinscht  babe,  wodurch  sie  gewisser- 
mafien  als  Motto  hervorgehoben  wurden.    Wenn  der  Ge- 


--fr    214    %^ 

w&hrsmann  hier  zaverldssig  ist,  bleibt  doch  anch  die 
andere,  die  leidenschaftlichere  Aaffassang  der  Stelle  bei 
Recht  bestehen.  Nach  Czemy  soil  ein  Goldammer  Beet- 
hoven im  Walde  dieses  von  Spobr^O  wegen  Mangel  an 
>W&rde«  getadelte  Motiv  zngetragen  haben.  Zwar  hat 
der  Satz  ein  zweites  Thema: 


i 


if         -f      if' 

Aber  es  ist  in  dem  grofien  psychologiscben  ProzeO  nur 
ein  momentanes  Beschwichtignngsmittel,  Qber  welches 
*  die  Kombinationen  jenesUrmotivs  achtlos  hinwegschreiten. 
Es  wird  bei  seinem  ersten  Erscheinen  schon  von  den 
B&ssen  mit  jenen  vier  nnrahigen  Grundnoten  drohend 
empfangeD,  verfolgt  nnd  bald  in  den  Strudel  derwogen- 
den  Aufregang  hineingezogen.  Auch  &ltere,  namentlicb 
S.  Bach,  haben  mit  einem  einzigen  kurzen  Motiv  za- 
weilen  ausgefQhrte  S&tze  gebildet.  Aber  dies  sind  Pr&- 
Indien  nnd  kleinere  Stdcke  —  hier  aber  haben  wir  einen 
ganz  kolossalen  Satz  von  gegen  500  Takten!  Dabei 
aber  ist  dieses  Kunststdck  zugleich  auch  die  hdchste 
Leistung  im  leidenschafllichen  Stile,  welche  bis  dahin 
vielleicht  die  ganze  Instmmentalkoro position,  ganz  gewiO 
aber  die  Orcfaestermnsik  aufznweisen  hat  —  als  musica 
appassionata  eine  Leistung,  die  in  der  Folge,  fraglich  ob 
wieder  erreicht,  jedenfalls  aber  nicht  tiberboten  word  en 
ist  Den  Gang  des  Satzes  im  einzelnen  zu  beschreiben, 
ist  nicht  durchf&hrbar,  wohl  auch  nicht  n5tig.  Nach  so 
und  so  viel  rfthrenden  und  erschCkttemden  Versuchen 
koromt  das  Ende  auf  den  Anfang  zurtlck.  Es  ist  das 
Bild  eines  ergreifenden  hartn&ckigen  und  verzweifelten 
Kampfes,  der  darchgefiihrt  wird:  Wohin  unsere  Phan- 
tasie  den  Schauplatz  desselben  legen  mag,  in  die 
menschliche  Seele  oder  in  die  Natur:  seine  Phasen  sind 
mit  der  schauerlichsten  Deutlichkeit  wiedergegeben. 
Es  ist  ein  Ringen   ohne  Gnade   und  ohne   Nachgeben, 


*)  L.  Spohr,  Selbstbiograpbie  I,  S.  229. 


— o    215    ^>~ 

das  Seitenstftck  zum  ersten  Satz  der  Eroica,  aber  ohne 
Klage.  Den  kritischen  Mittelpankt  bildet  jeoe  Partie 
im   Durchftthrungsteile,    j 

wo     das     Anfangsmo-     ff  ^  7"J"I     J     t     J      ^    J  ^ 
tiv  des  zweiten  Thema        ^  if         if      ^^ 

entscheidend  eingreifen  will.  Die  Stelle  bat  eine  drama- 
tische  Gewalt,  wie  sie  in  der  Instramentalmusik  ganz  selten 
vorkommt  Wirds  gelingen  oder  nicht?  Als  Streicher  und 
Blftser  mit  dem  Halbenmotiv  wechseln,  scbeinl  voile  £r- 
sch5pfung  eingetreten  and  das  Ende  nahe  zu  sein.  Aber 
der  Held  rafft  sicb  wieder,  weicht  und  bebt  abermals;  doch 
schliefilich  steht  er  wieder  fest  in  alter  Kraft.  Mit  einem 
pl5tzlichen  Ruck  steben  wir  vor  dem  Anfang  des  dritten 
Teils:  der  Reprise.  Sie  ist  wie  immer  bei  Beetboven 
keine  w5rtlicbe  Wiederholnng.  Unter  den  WenduDgen, 
die  ibren  Ausdruck  und  ibre  Wirkung  mftcbtig  steigern, 
sind  die  freie  Kadenz  der  Oboe  und  die  Coda  bervorzu- 
beben.  Die  Oboe  spricbt  wie  eine  Menscbenstimme,  ganz 
unbescbreiblich  riibrend  aucb  desbalb,  weil  es  die  einzige 
Stelle  in  dem  durcb  und  durch  mftnnlicben  Satz  ist,  wo 
das  Herzeleid  zu  Worte  kommt  Seit  Haydns  frtlberen 
Werken  war  es  das  erste  Mai,  dafi  wieder  ein  Komponist 
in  der  Sinfonie  Rezitativ  verwendete.  Beetboven  bat 
mit  der  Stelle  ein  klassisches  Beispiel  ftir  Macbt  und  Wert 
der  alten  freien  Kadenz  gegeben. 

Entscbieden  der  Hoifnung  zugewendet,  docb  von 
Sorge  und  Zweifel  noch  leicbt  gestreift,  setzt  der  zweite 
Satz  (Andante  con  Moto,  Asdur,  Vs  Takt)  mit  einem 
lieblichen  Tbema  ein,  welcbes  Celli  und  Bratscben  uni- 
sono  vortragen: 


p 


^fl  1    ^    I P-^  ^^®  bohen  Holzbl&ser  fab- 

*  /    */*     '®^    unmiltelbar   fort   mit 

^      ♦•     £->      --N  A^r\       die  Geigen  fftb- 

'/  fcK>  U  I    '     I  ^^  '     I  M     I  r    FJj^  ren  dieses  Tbe- 
"       i»         /•      t»  I  '     ■-  _i_L_  ^^  ^^  Ende  und 


-^    216     ♦^ 

ihm  folgt,  von  Klarinetten  and  Fagotts  eingefuhrt,  auf 
dem  Fu6e  die  Marschweise: 

lioloe  _  Violino. 

T'  rLJrCJT    I  r  '  ^^  ^®^®°  ^^^^ Melodien  liegt das 

ganze  Material  des  Andante  vor 
uns,  in  ihrer  Folge  zusammengedr&ngt  der  Verlanf  der 
Komposition.  Das  Thema  der  Holzbl&ser  kommt  immer 
gleichlautend  wieder,  selbst  die  Tonart  wird  in  keiner  Wie- 
derholung  ver&ndert  Es  ist  der  Leitstern,  der  fest  am 
Himmel  steht  und  freundlich  blinkt.  Der  Marsch,  der  drei- 
mal  mit  Pauken  und  Trompeten  in  Cdur  voriiberzieht, 
bedeutet  Triumph  und  Sieg  und  wirft  einen  Blick  voraus 
in  die  Sphftre  des  Finales  der  Sinfonie.  Die  Grundform 
des  Andante  ist  die  einfache  eines  Variationengebildes  in 
Haydnscher  Art.  Das  Hauptthema  wird  erst  in  Sechzehntel-, 
dann  in  ZweiunddreiGigstelform  gebracht,  der  leichte  Ron- 
flikt  der  Gefiihle,  der  in  ihm  liegt  also  gesteigert  and  er- 
regter.  Zu  dieser  Wendung  tragen  die  iibrigen  Faktoren 
der  Komposition  alle  ihr  Teil  mit  bei.  Auf  der  ganzen 
Linie  wird  die  Farbengebung  leuchtender,  insbesondere 
wirkt  die  Sprache  der  Zwischensatze  immer  dringlicher, 
80  sehr:  da6  die  Nebenthemen  —  der  Gesang  der  Holz- 
blaser  und  die  Marschmelodie  —  den  Gesamteindruck 
des  Satzes  fast  mehr  bestimmen  als  das  Hauptthema.  Un- 
ter  den  Episoden  pr&gen  sich  namentlich  zwei  bedeutungs- 
voll  ein:  Die  eine  ist  der  Obergang  aus  dem  ersten  Cdur 
des  Marschsatzes.    Die  Trom-     ^^^gs^  ^^ 

peten  klingen  mit  der  Quinte  Ji\y  I  1*"^^  l~^^ 
fast  herausfordernd  lang   bin   '^    " "  i^-  /    » 

Da  mahnt    ^  ,  ,    ^  ,  ■  .  .         EsgehtnachFmoU, 

es  in  den  *  VY  ^  I  f  fj  I  f  es  wird  plotzlich 
Streichern  "^  *^  finster  fiirs  Ohr,  und 

wie  Samiel  im  >Freischiitz<  zieht  in  der  Feme,  gespenster- 
haft  zu  dem  dea  der  aHB  paqn  &^^  ^^™  ^  ^^^  B&sse 
Geigen  der  Rhythm  us  ^  ^  J  JJJ   vorilkber;  die  Kampf- 


217 


geister  des  ersten  Satzes  sind  noch  nicht  tot.  Die  zweite 
Episode  tritt  nach  der  ZweiunddreiGigstelvariation  des 
Hauptthemas  mit  dem  interessanten  es  in  der  Fldte  (von 
dem  Berlioz  in  seinen  Memoiren  eine'  F^tis  betreffende 
Anekdote  erzfthlt,  die  an  den  Kumnliis  der  Eroica  erinnert) 
ein.  DieGeigen  geben  Guitarrenakl^orde,  ein  kleiner  Dialog 
zwischen  Klarinette  and  Fagott  variiert  den  Anfang  des 
Hauptthemas,  and  nun  beginnt  in  den  obem  Holzbl&sem 
ein  tr&unierisch  holdes  Spiel  paarweise  in  Terzen,  die 
Paare  in  Gegenbewegung.  Die  Stelle  ist  nur  karz,  aber 
sie  bildet  einen  der  freondlichsten  and  lieblichsten  Aagen- 
blicke  in  der  ganzen  C  moll-Sinfonie. 

Das    thematiscbe  Material   des    dritten    Satzes    ist 
folgendes  ftlr  den  Hauptteil: 


a>  Bi»»*»  ^      ±        A  ^     ▼»nl.  ^ 

j|ii^  iJ  I  I  1^  Mr  If  I  r^,ijv  If  r  irn 


»» 


^  I  Tl  J   I    ..  44-J-J-W=Uri  J  I  J,  I  [*  J  J  I, 


fQr     den     das 


Trio   ersetzen-    ^'li,  J  I  JT?^f^JJ  J  J  ^^j^^ 

den    Mittelteil :  '  '  / 


den  Mittelteil: 
Die  Teile  a  (fur  dessen  vier  erste  Takte  Beethoven,  nach 
Ausweis  des  von  Nottebohm  verGffentlichten  Skizzenbuchs, 
den  Anfang  des  Finale  von  Mozarts  G moll-Sinfonie  be- 
nutzte)  and  b  des  Hauptthema  folgen  im  Satze  unmittel- 
bar  wie  oben ;  fOr  die  Entwicklung  des  Satzes  wird  beson- 
ders  das  Motiv  b  ausgenutzt.  Wfthrend  in  den  meisten 
andern  Sinfonien  Beethovens  im  dritten  Satze  eine  aas- 
gelassene  Frohlichkeit  ihre  Feste  feiert,  will  hier  —  wo, 
wahrscheinlich  nicht  zufallig,  auch  die  Bezeichnung 
Scherzo  fehlt  —  die  gute  Laune  noch  nicht  recht  in  Gang 
kommen.  Das  n&here  Verwandtschaftsverh&ltnis,  in  dem 
bei  Beethoven  sehr  h^uiig  der  dritte  Satz  zum  ersten  steht, 
kommt  hier  mit  besonderer  Deutlichkeit  zum  Ausdruck. 
Es  zeigt  sich  ftuBerlich  in  der  Identitat,  welche  zwischen 
dem  Hornmotiv  und  dem  Hauptrhythmus  des  ersten  Satzes 


--♦    218    ♦^ 

besteht,  ferner  in  den  vielen  Fermaten,  welche  beiden 
S&tzen  gemeinsam  sind,  and  mehr  noch  innerlich  in  dem 
vorwiegend  ddstem  Charakter  dieses  > Scherzo*.  Heiter 
ist  in  seinem  Hatiptsatze,  &hnlich  wie  in  den  Ecks&tzen 
Yon  Mozarts  Gmoll-Sinfonie,  nor  der  Rhythmus,  die 
Harmonien  sind  gedrdckt,  die  Melodien  fragend  and 
schwermdtig,  fremdartig  darch  den  Klang  der  Instra- 
mente,  welche  sie  an  den  wichtigsten  Stellen  vortragen: 
das  Motiv  a  die  sonst  nur  fiir  den  schweren  Dienst  ver- 
wendeten  Kontrab&sse,  das  Motiv  b  die  Hdrner.  Aach 
der  MittelsatZf  mil  seinen  poltemden  Figaren  and  seinem 
eifrigen  Fagieren,  verwischt  den  Eindruck  des  Angst- 
lichen,  halb  Unheimlichen  noch  nicht:  Sein  Humor  ist 
etwas  forziert  and  angeheaerlich ,  er  deutet  eine  gate 
Wendung  der  Sache  mehr  an,  als  da6  er  sie  schon  bringt. 
Ais  sich  —  wie  Berlioz,  dem  wir  hier  ausnahmsweise 
das  Worjt  geben  wollen,  sagt*)  —  der  Larm  seiner  ge- 
waltigen  Laufe  mehr  and  mehr  verloren  hat,  erscheint 
das  Scherzomotiv  wieder:  diesmal  >pizzicato<.  Man  h5rt 
nichts  mehr  als  einige  von  den  Violinen  halb  hingehauchte 
Varianten  des  Motivs  b  and  dazwischen  ein  seltsames, 
halb  anterdrUcktes  Schluchzen  der  Fagotte.  Dann  bricht 
der  Gedanke  ganz  ab.  Das  Orchester  macht  Miene,  den 
bdsen  Traam  za  verschlafen;  nar  die  Pauke  hftlt  im  pp 
noch  den  Rhythmns  wach.  Es  folgen  einige  Takte  voll 
mysteri5ser  Harmonien  and  einer  Ruhe,  dafi  das  Ohr 
za  h5ren  zaadert,  bis  die  Paakenschl&ge  rascher  werden, 
die  Violinen  sich  winden  and  raifen  and  endlich  das 
ganze  Orchester  wahrhaft  fieberisch  sich  aaf  den  leach- 
tenden  Cdur-Akkord  stiirzt,  mit  dem  der  Triamphmarsch 
des  Finale  beginnt.  Mit  seinem  anbeschreibhchen  Jabel, 
mit  Kraft  and  Schalkheit  erstickt  er  alle  fiusteren  An- 
wandlangen,  die  aas  den  frUheren  S&tzen  in  den  Schlafi 
hineinziehen  m5chten.  Die  Themen  sind  einfach  bis  znr 
Trivialitftt: 


*)  U.  Berlioz,    A  travers  chants    (Deutsch  von    K.  Pohl) 
S.  39. 


219 


AUegfro. 


•)  jj  ■  f  r  I  ^'  P  mrrp-TTTpTf-^- 1  r-  ri  i-m^^ 


^-■Trrfif     etc. 


*>  rf-j  if'llfif  il-lLu  jifTj  i-T"  irrr'r:;!'^ 

•^  y  tic. 


b)  scheint,  wie  Grove  richtig  bemerkt,  von  einem  Neben- 
tbema  im  Andante  der  Mozartschen  Jupitersinfonie  ab- 
geleitet  zu  sein,  den  .^  das      in     der 

Nacbsatz  von  c)  be-  y  T  I  ff  f  I  f  -  Durchfuhrung, 
gleitet  ein  BalBmotiv  namentlicb  aus 

dem  Munde  der  Posaunen  gewaltig  und  majest&tisch 
wirkt  und  fast  ibrer  ganzen  ersten  H&lfte  za  Grande 
Ijegt.  Der  eigentumlicbe  Zug  an  dieser  Durcbfubrang 
ist,  da6  sie,  beim  kritiscben  Ponkte  angelangt,  pldtz- 
lieb  still  abbricbt  and  das  Scberzo  zaruckkebren  IfiGt 
Die  Idee  selbst  ist,  hocbst  wahrscbeinlicb,  einer  Cdar- 
Sinfonie  von  Dittersdorf  entnommen,  aber  die  Wirkang, 
mit  der  sie  Beetboven  bier  verwertet  bat,  so  ursprCing- 
licb  als  mdglicb:  Bankos  Geist  an  der  Festtafel!  Damit 
war  aacb  Spobr,  der  wie  C.  M.  v.  Weber  begreiflicber- 
weise  an  Beetbovens  Sinfonien  mancbes  aaszasetzen 
batte,  sebr  einverstanden. 

In  der  Instramentierung  ist  nicbts  Aufierordentlicbes 
als  der  Zasatz  von  drei  Posaanen,  die  bier  zam  ersten 
Male  in  Beetbovens  Sinfonien  erscbeinen,  Piccolo  and 
Kontrafagott  —  aber  der  innere  Scbwung  and  die  Runst 
des  Komponisten  erreicben  mit  diesen  gew5bnlicben 
Mitteln  eine  elementare,  donnerfthnlicbe  Wirkung.  Ecbt 
Beetboveniscb  ist  die  Bebarrlicbkeit,  mit  welcber  das  end- 


-^    220    ^^ 

liche  Ende  immer  wieder  hinausgeschoben  and  umgangen 
wird.  Schliefilich  muB  es  doch  kommen,  aber  nicht  ohne 
elnen  letzten  neuen  Trumpf:  ein  freudezitterndes  Presto 
iiber  das  Them  a  d, 

Mit  Recht   ist  die  C  moU-Sinfonie  Beethovens  seine 

popul^rste.    Sie  war  das  von  allem  Anfang  ab.    Kaum 

bekannt  geworden,  flndet  sie  sich  in  den  Programmen 

der  Virtuosen-Konzerte  ebenso  gut  wie  auf  den  eben  ins 

Leben  tretenden  Musikfesten  —  eine  nie  versagende  pi^ce 

de  resistance! 

L.T.BeethoTen,         Wie  Beethoven    auf  die  £):oika  die  vierte  Sinfonie 

Fdur-Sinfonie  folgen   lieC,   so  schickte  er  Hhnlich  auf  den   schweren 

Nr.6,Pa3torale.j^^jjjpf  der  Cmoll-Sinfonie  sich  und  den  Freunden  seiner 

Muse  zur  Erholung  die  Pastorale  nach. 

Die  Biographen  erz§.hlen  uns  von  des  Kunstlers  leben- 
digem  Gefiihle  fiir  die  Schonheiten  von  Wald  und  Flur, 
von  seinem  unabl&ssigen  Studium  der  Naturphilosophie 
jener  Tage.  Beethoven  hat  seinem  Wohlgefallen  an 
Wachtelschlag  und  Waldesrauschen ,  seiner  Freude  und 
.innigenLiebe  zu  Gottes  freier  Schdpfung  in  vielen  Werken 
Ausdruck  gegeben;  in  keinem  gl&nzender  als  in  seiner 
P  astoralsinf 0  nie. 

Sie  gehort  bekanntlich  der  Program musik  an,  sie 
ist  aber  ein  Ideal  werk  dieser  Rich  tun  g,  welch  e,  wie  friiher 
schon  erw&hnt,  um  die  Neige  des  18.  Jahrhunderts  in 
Siiddeutschland  und  Wien  einen  starken  Anhang  hatte. 
Von  keinem  Lessing  geschreckt,  unbekUmmert  um  die 
—  heute  noch  nicht  festgestellten  —  Grenzen  der  Musik 
suchte  ein  groBer  Teil  der  damaligen  Instrumentalkom- 
ponisten  die  Stoffe  mit  der  grSCten  Ungeniertheit  in  alien 
Gebieten  der  sichtbaren  und  der  gedachten  Welt:  in 
Philosophie  und  Geschichte,  in  den  Werken  der  Dichter 
und  den  Phfinomenen  der  Natur.  Jedes  Verlagsverzeich- 
nis  brachte  neue  BeitrMge  zur  beschreibenden  Tonkunst: 
Thayer  zitiert  aus  2  Anzeigen  des  Veriegers  Traeg: 
6  Sinfonien  a)  Belagerung  Wiens,  b)  le  portrait  musikal 
de  la  nature,  c)  R3nig  Lear  (im  Jahre  1792),  drei  weitere 
aus  derselben  Zeit,  a)  la  tempesta,  b)  Tharmonie  de  la 


-^     221     ♦^ 

nature,  c)  la  bataille.  »Le  portrait  musikal  de  la  nature* 
war  eine  ds&tzige  Komposition  des  Stuttgarter  J.H.  Knecht, 
der  als  Tonmaler  grofies  Ansehen  genoB.  Und  noch  grofier 
war  dem  Andchein  nach  die  Zahl  der  ungedruckten  Ver- 
suche,  welche  auf  diesem  Felde  gemacht  wurden.  Noch 
bis  in  die  Zeit  Schumanns  und  seiner  Neuen  Zeitscbrift 
hinein  lassen  sicb  die  Spuren  der  reisenden  Orgelspieler 
verfolgen,  welche  wie  Bohner  und  Klotze  standig  auf 
ihrem  Programm  ein  >Donnerwetter«  mit  sich  fiihrten. 
In  einem  Konzertzettel  des  bekannten  Abt  Vogler  findet 
sich  eine  solche  Orgelmalerei,  welche  vor  der  Pastoral- 
sinfonie  bereits  an  diese  erinnert:  »das  vergnUgte  Hirten- 
leben,  von  einem  Donnerwetter  unterbrochen ,  welches 
aber  wegzieht,  und  sodann  die  naive  und  laute  Freude 
deshalb*.  Beethoven  lachte  wohl  iiber  solche  Malereien, 
wenn  sie  kindisch  ausfielen,  aber  er  verschm&hte  sie 
prinzipiell  nicht,  und  es  war  auch  hier,  wie  Thayer  richtig 
sagt,  sein  Ehrgeiz,  die  Zeitgenossen  in  der  Anwendung 
vorhandener  Kunstformen  zu  iibertrelTen.  Doch  hat  es 
ihm  wohl  einige  Muhe  gemacht,  bei  der  Pastoralsinfonie 
tiber  die  Angabe  seiner  Programmideen  ins  Reine  zu 
kommen.  Einmal  steht  im  Skizzenbuch:  wer  einen  Be- 
griff  Yom  Landleben  h&tte,  mftsse  den  Komponisten  ohne 
alle  Titelhilfen  verstehen.  Dann  gibt  er  in  der  Partitur, 
in  den  geschriebnen  und  gedruckten  Stimmen  die  Uber- 
schriften  mit  klemen  Unterschieden.  Vom  Anfang  bis  zum 
Schlufi  bleibt  er  aber  bei  der  Bemerkung,  da6  die  Sinfonie 
>mehr  Ausdruck  der  Empfindung  als  Malerei*  sein  soUe. 
Ober  dem  ersten  Satz  steht  jetzt:  »Erwachen  bei- 
terer  Empfindungen  bei  der  Ankunft  auf  dem  Lande*. 
Von  der  ersten  ausfiihrlichen  Rezension  ah,  die  Uber 
die  Pastoralsinfonie  erschien*),  bis  heute  ist  immer  wieder 
die  Reserve  gelobt  worden,  mit  welcher  Beethoven  sich 
darauf  beschrankt  habe,   nur  den  Empfindungen,   den 


*)  AUgemeine  Musikalische  Zeitung  IS  10,  S.  241.  Ebenda 
aacb  iiber  die  Cm  oil- Sinfonie:  S.  630.  Der  zweite  Aufsatz  ist 
von  E.  T.  A.  Roffraann,  dem  Gespenster-Hoffmann. 


-^     222     ^^ 

innern  GefCkhlen  Ausdruck  zu  geben,  welche  das  Land- 
leben  erregt.  Nicht  aber  soil  er  versucht  haben,  AuBer- 
lichkeiten  des  Naturbildes  nacbzamalen.  So  ganz  streng 
ist  das  nicht  zn  nehmen.  Trotz  des  Titels  steht  in  dem 
ersten  Satze  manches,  was  in  die  Kategorie  der  Emp- 
findungen  nicht  pafit.  Die  Triolen  der  Clarinetten  nnd 
der  anderen  Bl&ser  nach  dem  AbschluO  des  Hauptthemas, 
der  lange  Triller  der  Geigen  vor  der  Reprise  sind  doch 
zu  deutliche  Anspielungen  auf  das  Tun  und  Treiben,  das 
Zirpen  und  Zwitschern  der  V5gel.  Der  feine  Daft  in  der 
Instrumentierang,  der  durchklingende  Schalmeienton,  der 
BrummbaGklang,  die  genrehafte  kurzlebige  Metrik  —  das 
alles  ist  doch  in  diesen  ersten  Satz  als  der  musikalische 
Niederschlag  reeller  Erscheinungen  des  Naturlebens  ge- 
kommen.  Uns  soil  das  Werk  damm  nur  um  so  lieber 
sein.  Was  die  technische  Struktnr  des  Satzes  betrifiR, 
so  zeichnet  sie  sich  durch  ihre  zarte  Beweglichkeit  ans 
und  durch  einen  gewissen  Miniaturencharakter  des  ver- 
wendeten  Materials.  Leicht  t&ndelnde  Themata  hat  Beet- 
hoven auch  in  der  ersten,  der  vierten,  der  siebenten  und 
achten  Sinfonie  verwendet.  Aber  sie  sind  da  weder  so 
kurz  wie  in  der  sechsten,  noch  werden  sie  so  naiv  und 
zugleich  kfthn  hinter  einander  weg  wiederholt  Kleine 
eintaktige,  einviertelige  Figuren  kommen  10,  20,  30mal 
hintereinander.  Es  ist  neuerdings  vermutet  worden,  dafi 
Beethoven  bei  der  Pastorale  unter  slavischem  Einflofi 
gearbeitet  habe*).  Wohl  m5glich:  Diese  Sinfonie  nimmt 
tats&chlich  die  ganze  Neurussische  Schule  vorweg.  FUr 
Kantabilit&t  und  groGen  Ausdruck  bietet  nor  die  zweite 
H&lfle  des  ersten  Them  a  eine  bescheidene  Unterlage 

Allci^ro  ma  Don  troj 


^  —  -  ereic. 

i/P-l^  If   r  I  J'    ^^^  Zusatz  von  DankgefUhl,  welcher  der 
'     "  '/■  ^    ^^  Heiterkeit  dieses  Gedankens  schon  mit 


*j  Vgl.  Kuhacz,  X.  Sammlung  Kroatischer  Yolkslieder 
(Agram  1878 — 85)  Bd.  Ill,  und  den  Aafsatz:  >Da8  Kroatiscbe 
in  der  Pastoralsinfoniec  in  AUg.  Musikzeitung  1893,  S.  538. 


— ♦     223    ♦^ 

beigemischt  ist,  kommt  in  dem  Zwischenmotiv,  welches 
zum   zweiten  Thema  dberleitet,   noch   beredter  heraus 

^  ^ ^      In  seinen  immer 

>.  I  r  r  f  ^  I     f^^^^nenen    Wieder- 

holungen  kann 
es  sich  gar  nicht  genug  tun :  es  wandert  durch  alle  Instru- 
mente,  tiberall  das  Bewnfitsein  der  glUcklichen  Stuade 
weekend,  zn  ihrem  vollen  Genusse  ladend.  In  verwandten 
Bildungen  kommt  anch  die  »Szene  am  Each*  nnd  der 
•Hlrtengesang*  des  Finale  darauf  znrCkck.  Das  zweite 
Thema  selbst  ist  nnr  der  Abschlnfi  der  begliickten 
Schwftrmerei: 


|Kt  i^TTi^^ 


In  den  formellen  Elementen  zeigt  es  sich 
r  f  p  f  i  r       ^^^  ersten  Thema  mehr  verwandt  als  ent- 

gegengesetzt.  F&r  die  DurchfQhmng  hat 
der  zweite  Takt  des  ersten  Themas  Hauptbedeutung.  Aus 
ihm  entfaltet  Beethoven  breite  Bilder,  wechselnden  Szenen 
der  durchwanderten  Natnr  gleich,  die  zum  Staunen  and 
Lanschen  veranlassen.  Dem  Anschein  nach  sind  sie  alle 
Ahnlich  leicht  entworfen  wie  die  entsprechenden  Ab- 
sehnitte  der  4.  Sinfonie.  Beidemale  handelte  es  sich  um 
Ideen,  mit  denen  Beethovens  Phantasie  spielen  konnte, 
nicht  zu  ringen  brauchte.  Soil  aus  diesem  Durchflihrungs- 
teil  etwas  hervorgehoben  werden,  so  m5chte  man  gleich 
beim  Eingang  beginnen.  Hier  sind  die  scharfen  Biegungen 
so  auffftllig  und  fesselnd,  die  der  Weg  macht.  Von  B  nach 
Dy  dann  nach  Q  und  3,  immer  gehts  im  scharfen  Rnck: 
Landschaftliche  Oberraschungen !  Vom  Glfinzenden  wendet 
sichs  nun  zum  Intimen,  und  wie  der  Wechsel  auch  weiter- 
geht,  der  Genufi  w&chst  nur.  Weil  menschliche  Schw&che 
anroutige  Kunstwerke  hinter  die  leidenschaftlichen  stellt, 
sind  wir  —  England  ausgenommen  —  fUr  den  ersten 
Satz  der  Pastoralsinfonie  nicht  so  dankbar,  wie  ers  ver- 
dient.  Steht  er  doch,  wie  es  Beethoven  auch  sichtlich 
gewollt  hat,  dem  ersten  Satz  der  fiinften  an  Kunstwert 


-^    224     «— 

mindestens  gleich.  Moritz  von  Schwind  and  nach  ihm 
neuere  Maler  haben  die  Pastoralsinfonie  zu  illustrieren, 
Theaterdirektoren  und  andere  Leute  von  Phantasie  haben 
sie  szenisch  und  mit  lebenden  Bildem*}  aufzufQhren  ver- 
sucht.  Ftlr  die  andren  Sfttze  mdgen  diese  Versuche  an- 
nehmbar  sein ;  von  dem  Inhalt  und  Charakter  des  ersten 
geben  sie  keine  AhDung. 

Im  zweiten  Satz  hat  Beethoven  die  malende  Tendenz 
offen  eingestanden:  er  nennt  ihn:  »Szene  am  Bachc. 
Im  Vordergrunde  dieser  entzQckenden  Komposition  stehen 
als  die  Hauptthemen  zwei  leicht  eing&ngUche  gesangvoUe 
Melodien,  aus  denen  das  ganze  glflckliche  Behagen  einer 
von  allem  Tagewerk  befreiten,  der  herrlichsten  Ruhe  und 
den  liebhchsten  Traumereien  hingegebenen  Seele  spricht 
Und  wir  d&rfen  alles  mit  geniefien.  Der  Tondichter 
fUhrt  uns  an  den  sonnigen  Waldbach  bin,  wir  sehen  die 
glitzerndenWellendahingleitenund  hSren  ihr  melodisches, 
fleiOiges  Gemurmel.  Tausende  von  Lichtem  blitzen  durch 
die  BSLume;  von  ihren  Zweigen,  ihren  Gipfeln  schallen 
kleine  zarte  Stimmen;  es  neckt  sich,  es  lockt  sich;  es 
lebt  im  Laub  und  im  Grase;  der  Kuckuck  ruft,  die  Wachtel, 
die  Nachtigall,  der  Goldammer  und  aus  der  Schar  der 
gefiederten  noch  so  mancher  andre  ungenannte  S&nger. 
£s  ist  ein  so  lebendiges  Bild  von  dem  heimlichen  Weben 
der  Natur,  so  gliicklich  gemischt  mit  menschhcher  Poesie, 
so  nattirhch  in  dieser  Mischung  und  in  seinem  ganzen 
Verlaufe.  Die  Musik  des  Satzes  ist  fast  mehr  klanglich 
als  gedanklich.  Es  trillert  fortwahrend  in  Violin  en, 
Floten,  Oboen,  die  B&sse  und  H6rner  halten,  durch 
Synkopen  doppelt  bemerklich,  lange  T5ne,  es  schwirrt 
von  kleinen  Motiven.  Das  erste  Thema  im  Satze  wachst 
sich  aus  solchen  verstreuten  Anatzen  ziemlich  unmerklich 
zu  einer  Melodie  aus  (B  dur),  schwftrmerisch,  tr&umerisch, 
mit  einem  frommen  Anklang.  Das  zweite  Thema,  das 
die  Fagotts  bringen,  spricht  Freude  und  Entziicken  etwas 

*)  Vg].  Jahn,  0.  Oesammelte  Aufsatze:  S.  2G0  » Beethoven 
im  Malkastenc. 


--•.    225    <^ 

lebhafter  aus,  aber  doch  immer  noch  zart.  Die  Durch- 
fiihrnng  ist  kurz,  modnliert  aber  viel.  Da,  wo  sie  nach 
Gdur  tritt,  \&Qi  sich  in  einem  Arpeggio  der  Flote 
—  wie  Beethoven  Schindler  mitteilte  —  der  Gold- 
ammer  hdren.  Der  beriihinte  Scherz,  wo  Nachtigall, 
Wachtel  nnd  Knckuck  znsammenwirken,  befindet  sich  in 
der  Coda. 

Im  folgenden  Satze  wird  ein  »liistiges  Zusammensein 
der  Landleutec  geschildert  Man  versammelt  sich,  sehr 
munter  und  leichtfQfiig  eilt  das  junge  Yolk  herbei: 

Allegro. 

fi!irirrfirJrU^JiJjjiiJjjij,jjjijjjjij 

Sofort  wird  anch  der  Vorschlag  zu  einem  Tfinzchen  ge- 
macht,  zn-  ^    ^        Als     im- 

nftchst   ;^  J  li*    *r  J  t^  *r    f  -rf-f~t^^=f$^meTmehi 
noch  leise:'!?  "  "  '  '     '  ^^--kommen, 

nnd  es  lauter  und  lauter  wird,  da  ist  die  M5glichkeit 
einea  Reigens  Tatsache  und  wird  mit  urkrftftiger  all- 
gemeiner  Zustimmung  begrtiGt.  Und  nun  beginnen  jene 
drolligen  Szenen,  in  welchen  Beethoven  sich  als  Bauem- 
maler  mit  vollendetem  Humor  und  mit  weitgehender 
Realistik  neben  und  ttber  die  Teniers,  J.  von  Ostade, 
Adrian  Brouwer  und  die  andern  6r513en  des  Faches  stellt. 
In  der  Form  dieser  Schilderungen  liegt  ein  zweiter  groBer 
Spafi,  denn  es  ist  darin  sehr  Qbermtitig  die  saloppe  Art 
und  Weise  kopiert  und  parodiert,  in  welcher,  wie  heute 
noch,  auch  zur  Zeit  der  Wiener  Meister  l&ndliche  Orchester 
zuweilen  ihr  Pensum  Tanzmusik  absolvieren.  Das  sind 
ganz  die  richtigen,  armen,  miiden  und  schlaftrunkenen 
Bierfiedler.  Man  hdrt  lange  Strecken  nur  begleitende 
Mitteistimmen  und  Rhythmus.  Dann  setzt  eine  Oboe 
ein,  aufs  Geratewohl.  Sie  scheint  eben  erwacht  und 
binkt  ihre  Melodie  ein  Viertel  nach  der  Zeit  hinterher. 
Ab  und  zu  gibt  auch  ein  anderer  ein  paar  T5ne  drein, 
um  gleich  wieder  zu  verschwinden.  Von  besonderer 
Komik  ist  namentlich  der  stereotype  £insatz  des  ersten 
Fagott,  der  immer  nur  f  e  blfist.    Da6  Beethoven  spezi- 

KretzBchmftr,  Ffthrer.    I,  1.  15 


226 


fisch  ostreichische  Vorbilder  fftr  diesen  .ausgelassenen 
Scherz  im  Auge  hatte,  zeigt  der  zweite  Teil  dieser 
Tanzmusik:  der  Zweivierteltakt,  welcher  den  Dreiviertel 
abl5st.  Die  alte  dstreichische  Tanzmusik  ist  suiten- 
m&6ig  gehalten  und  liebt  den  pl5tzlichen  Wechsel  der 
Rhythmen.  Nimmt  man  zu  der  Melodie  dieses  neuen 
Satzes 


mil  ihrem  L&rm  und  ihren  gewaltsamen  Akzenten  noch 
die  breiten  Rhytbmen  und  die  unbewegliche  Harmo- 
nic der  Begleitung,  so  ist  das  Bild  einer  plumpen  und 
schwerf&lligen  Lustigkeit,  einer  Lustigkeit  in  Holzschuhen 
und  Aufschlagstiefeln,  volleodet.  Ganz  drastisch  ist  der 
SchluG  des  Mittelsatzes.  Man  tobt  zuletzt,  da6  der 
Atem  ausgeht:  eine  Fermate  mit  diminuendo  bildet 
das  Uberraschende  £nde  dieses  die  Stelle  des  gewdhn- 
lichen  Trio  vertretenden  Teils.  Die  Repetition  des  Haupt- 
satzes  beginnt,  sie  wird  aber  schon  bald  durch  eine 
Generalpause  unterbrocben.  Augetischeinlich  macht  sich 
etwas  Bedenkliches  bemerkbar.  Endlich  ist  man  wieder 
im   alten  Geleise;  schon   setzt  die  Dorf-  AUegro. 

musik  wieder  ein:   Da  kommt   statt  des   yA>  g  f  j^ 
regelrechten  kr&ftigen  Fdur-Akkords  ein         jS» 
in    den   Kontrabfissen   und   Cellos.     Das   ist   ein   Don- 
nerschlag    in    der    Feme.     Man    flQchtet,    rettet    sich 
und  ruft  &ngstlich  und  klagend   durcheinander : 

Das   GroUen 

des  Donners 

wiederholt 


II.ViuL 


«(o.  «Bd*^       i*P  I  Viol. 


i 


sich,  rUckt  na-  s       s     2*  ♦• 

her,    und    nun   Ij^        |         \T    U\f  ^l__ 

im      Fortissimo  ^        ^^  ^^  ^T 

bricht        das  ^  ^  ft U    WindstOBe 

Wetter      los.  ^^^-j^'V  *  -    \  ,  fJ  V    fahren  ein- 
Blitze  zucken :  ^  '^^^  her,Regen- 

schauer    platzen    nieder    in    mUchtigen   Unisonos    des 


--^    227    ^►^ 

ganzen  ^   .      ±'   ^    ^.  Auf  Momente 

Orche-  A  ^^^^  '  P  I  ly  f  P  T  f  P  ^  I  ^  ^i**  unheim- 
sters :     •^         ^  liche  Rahe  ein, 

dann  zackt  es  wieder  auf  und  schlagt  scharf  and  farcht- 
bar  drein.  Den  Ernst  der  Situation,  den  Hdhepunkt  der 
Krisis  bezeichnen  die  B&sse  mit  ihrem  dustern  Skalen- 

gang     und    set-  r^-^    .    ^-i  ^^  ^*^ 

nen  erschrecken-  ^  i>''i>  T  f  I  f"  kf  I  f^»  Jl^i  furcht- 
den      Akzenten:  -^  ^         ^         i^^  bare 

GroUen  und  die  Aufregung  der  Orchestermassen  wirft 
jetzt  auch  der  Piccolo  seine  schrillen  Tone,  die  Pauke 
wirbelt  starker,  und  zum  ersten  Male  in  der  SInfonie 
sttlrmen  die  Posaunen  drein.  Die  Harmonie  ist  auf 
einem  vier  Takte  langen  Septimenakkord  erstarrt!  Nun 
scheint  aber  auch  das  Schlimmste  vorbei  zu  sein. 
Und  so  gewaltig  Beethoven  bis  hierher  im  Auft&rmen 
und  Drohen  war,  so  rfihrend  teilt  und  gl&ttet  er  nun 
die  Wogen  und  lenkt  zu  dem  letzten  Teil  der  Sinfonie 
fiber,  dem  »Hirtengesang« ,  der  unmittelbar  ohne  Pause 
an  das  »6ewitter<  anschliefit.  Wenn  wir  an  diesem 
beendeten  Satz  die  Wahrheit,  die  Macht  und  die  Natur- 
treue  der  Darstellung  bewundern,  wollen  wir  nicht  ver- 
gessen,  auch  der  noch  schwierigereu  Kunst,  die  er  hier 
voll  bewiesen,  unser  Augenmerk  zu  schenken.  Das  ist  das 
MaC,  welches  Beethoven  bei  der  AusfQhrung  der  ftir  die 
Tonkuust  dankbaren  Aufgabe  hielt,  der  souver&ne  6e- 
schmack  mit  dem  er  aufhdrte,  nachdem  das  N5tigste 
aufs  treffendste  gebracht  war. 

Der  >Hirtengesangc  (Allegretto  Vs)  soil  »frohe  und 
dankbare  Gef&hle  nach  dem  Sturme«  schildem.  Er  tut 
es  mit  Motiven,  welche  von  hier  und  da  erklingen  und 
deren  pastoraler  Charakter  und  deren  volkstiimliche  Ein- 
fachheit  Zitate  unnotig  machen.  Er  tut  es  mit  frommem 
innigem  Gresang,  mit  Wendungen  in  das  muntere  Gebiet 
und  mit  mancher  versteckten  und  sinnigen  Anspielung 
an  Motive  des  ersten  und  zweiten  Satzes.  Aber  er  tut 
das  alles  in  einer  etwas  sehr  ausfuhrlichen  Weise,  mit 
Variationen,  Fugatos  und  andern  Formen,  die  derWirkung 

16* 


— »     228    >- 

seiner  schdnen  Idee  von  jeher  etwas  Eintrag  getan  haben. 
Zu  Beethovens  Zeit  warde  darauf  hingewiesen,  da6  Haydn 
in  seinen  Jahreszeiten  das  gleiche  Sijget,  well  ktirzer, 
efFektvoller  behandelt  habe.  Der  fonnell  beachtens- 
werteste  Zng  an  der  Pastor alsinfonie  ist  ihre  Dreis&tzig- 
keit  Sie  zieht  gleich  wie  die  fflnfte,  die  mit  ihr  ent- 
stand,  Scherzo  and  Finale  znsammen.  Wir  finden  andere 
Merkmale  eines  solchen  Parallelismos  an  Beethovenschen 
Werken  h&ufig. 

Die  siebente  und  achte  Sinfonie  sind  wieder  Zwillings- 
werke:  beide  warden  in  demselben  Jahre  1809  skizziert, 
beide  1812  —  die  achte  in  Linz  —  vollendet,  bald  nach 
einander  im  Dezember  1818  und  Febraar  1814  aafgefQhrt 
and  spftter  als  op.  92  und  93  verOffentlicht.  Die  Musik 
beider  Werke  tr&gt  die  Zdge  einer  and  derselben  sonnigen 
Heimat,  beide  sind  von  grandioser  Heiterkeit,  die  eine 
mit  einem  starken  Schatten  daiin,  die  andere  ganz  un- 
getriUot  —  aber  merkwurdigerweise  hat  die  achte  nichts 
von  der  ftberreichen  Popularit&t  der  siebenten,  derAdur- 
Sinfonie,  erringen  k5nnen.  Zum  Arger  Beethovens, 
welcher  zu  sagen  pflegte:  die  achte  sei  >viel  besser*  als 
die  siebente.  In  Wien  warde  jahrelang  die  Pastoral- 
sinfonie  schlechthin  als  die  Sinfonie  in  Fdur  angezeigt, 
als  ob  die  achte  gar  nicht  existierte*).  Erst  neaerdings 
zeigen  die  Konzertzettel  die  Tendenz,  dieses  Hohelied  des 
Humors  zu  Ehren  zu  bringen. 
L.T.BeeihoTeB,  Ahnlich  wie  die  zweite  Sinfonie  erOfifhet  die  sie- 
Adnr-Sinronie  bente  eine  lange  ansf&hrliche  Indroduktion,  ein  herr- 
^'■'*  liches,  tr&umerisches  Tongem&lde,  in  dessen  Bann  der 
Zuh5rer  ganz  vergifit,  da6  es  nur  eine  Einleitung  sein 
soil.  Auch  Beethoven  bat  mit  gleicher  Liebe  kaum  eine 
zweite  Introduktion  behandelt.     Ihre  Hauptmotive  sind 

Foeo  sostennto.  ^^^ 

^iTr>  I    I ""d j!^.^rVfifrfiili^ 


*)  £.  Hanslick:  Ans  dem  Konzertsaal  (1870),  S.  319. 


--*    229    ♦^ 

beide  znm  ersten  Male  von  der  Oboe  eingeffthrt;  ^gan- 
tische  Skalen  bilden  den  Obergang.  Ahnlich  wie  in  der 
letzten  Ouvertlire  zu  >Fidelio<,  der  in  B,  benatzt  Beet- 
hoven die  ersten  beiden  Noten  des  Ador-Tbemas  za 
romantischen  Bildem,  fiber  denen  jetzt  Mondschein,  jetzt 
der  Glanz  der  prangenden  Sonne  liegt  Pldtzlich,  wie 
auf  den  Wink  eines  verschwiegenen  Programms  bricht  er 
dann  diese  Szene  erhabner  Schwftrmerei  ab  nnd  lenkt  in 
neckischer  Ffibmng  der  Instrnmente  fiber  ins  Vivace, 
dessen  Hauptthema 

Vivaee. 


V;"ffi7niJTiTj  I  III  1^1^  I  I    J I 


S 


jij^i'^jj^jiiJ,niM|iiiJ.rnii  I  III 

zngleich  anch  im  wesentlichen  das  einzige  des  Satzes 
isi  Oerselbe  ist  in  dieser  Beziehung,  in  der  Ausbeutung 
eines  bescbr&nkten  Grundmaterials  mit  dem  Eingangs- 
satze  der  Gmoll-Sinfonie  verwandt,  im  Charakter  selbst- 
verst&ndlich  ganz  verschieden.  Beethoven  gewinnt  dem 
naiven  pastoralen  Gmndgedanken  des  Satzes,  der  zuerst 
wie  ein  Nachklang,  ein  Supplement  der  sechsten  Sinfonie 
auftritt,  Wendangen  von  hoher  Pracht  and  Erhabenheit 
ab;  das  Gebiet  des  Leidenschaftlichen  nnd  des  Dunklen 
wird  nur  gestreift  Reich  ist  der  Satz  an  langgemessenen 
Perioden,  Prodnkten  einer  ungew5hnlichen  Macht  und 
Gr5fie  der  Empfindung;  eigentfimlich  sind  ihm  die  schroffen 
Modttlationen  und  der  unvermutete  und  unvermittelte 
Wechsel  extremer  dynamischer  Nuancen.  In  beiden  Merk- 
malen  ftufiert  sich  exzentrische  Stimmung.  Auch  das  kurz 
abbrechende  Element,  das  den  Schlufi  der  Einleitung 
charakterisierte,  kehrt  in  diesem  Vivace  wieder:  mit 
Dissonanzldsung,  Modulationssprung  und  Wechsel  von  ff 


--e    230    ♦^ 

and  pp  verbunden,  sebr  kiihn  and  nea  gegen  den  SchluO 
des  ersten  Teils,  wo  dem  laaten  Akkord:  a-cis-e-fis  vor- 
dbergehend  ein  stilles  ->  a  c  f  —  folgt  Die  DarcbfQbrung 
beginnt  &hn]ich  sprangbaft.  Wir  sind  pldtzlich  in  Cdor, 
aas  wildem  Lftrm  in  verscbwiegner  Idylle:  tief  anten 
fl&stern  and  marmeln  die  Bftsse  das  Tbema.  Bei  der 
Reprise  gebt  es  mit  Starm  and  Skalenlaaf  in  das  pasto- 
rale Haaptthema;  erst  spftter  wiederbolt  es  die  Oboe  in 
seinem  angestammten  Ton.  Wie  dieses  eine  Beispiel 
so  ist  der  ganze  Verlaaf  dieses  Teils  Wiederbolang  in 
freister  Art;  in  der  Instmmentierang,  im  ganzen  Cba- 
rakter  erscbeint  das  alte  Material  nea  and  friscb 
belebt.  Die  Coda  ist  mebr  als  je  Beethoveniscb.  Sie 
tritt  anter  seltnen  Zeicben  ein:  mit  Generalpaase,  mit 
einer  ganz  anerwarteten  Aasweicbang  der  Harmonie 
nacb  As  and  einer  langen  Satz-  ^^ 

bildang  ttber  einem  karzenjP||i  sr^'fTT]  j,  j  j  ^^ 
Basso  ostinato  folgendenlnbalts""   "    *  ^-^  "'^^ 

Was  ans  andere  Stellen  vemebmlicb  genag  andeaten, 
das  zeigt  ans  diese  ganz  deatlicb  and  anverkennbar,  dafi 
n&mlicb  binter  der  anscbeinend  dominierenden ,  mancb- 
mal  grellen  Heiterkeit  dieses  Satzes  docb  b5here  and 
emstere  Gedanken  wacben,  die  sicb  nicbt  ftbertfiaben 
lassen.  Es  bestebt  ein  Zasammenbang  zwiscben  dieser 
Stelle  and  dem  edlen  Patbos  der  Introdaktion ,  ein  Za- 
sammenbang, der  sicb  aacb  nocb  in  der  Melancbolie  des 
Allegretto  and  in  den  feierlicben  Visionen,  welcbe  dem 
Trio  des  Scberzo  za  gnmde  liegen,  verfolgen  l&Bt.  Wie 
ein  leitender  Faden  gebt  darcb  die  ersten  SUtze  dieser 
Sinfonie  der  balbverscbwiegene  Kampf  zwiscben  einer 
jetzt  barmlosen,  alltllglicben ,  jetzt  wilden  FrQblicbkeit 
and  einem  bOberen  Sinn.  Die  Sinfonie  erscbeint  anter 
diesem  Gesicbtspankt  als  ein  Lebensbild,  aber  nicbt  als  ein 
rein  freandlicbes.  Das  Ende  deckt  ein  ironiscber  Hamor. 
Der  zweite  Satz  der  Adar-Sinfonie,  Allegretto  fiber- 
scbrieben,  ist  von  alters  ber  berUbmt  Die  Bericbte  aas 
den  Jagendjabren  des  Werkes  teilen  fast  von  jeder  Aaf- 
fftbrang  mit,  dafi  dieser  Teil  zor  Wiederbolang  verlangt 


231 


worden  nnd  gebracht  sei.  Das  Allegretto  besitzt  jen6 
seltne  Art  von  Originalitat,  die  sofort  verstanden  and 
sympathisch  aufgenommen  wird.  Am  Bingang  and  Aas- 
gang  des  Satzes  steht  wie  eine  Erscheinang  aas  fremdem 
Lande  ein  Blftserakkord,  aaf  eine  Qaartsextharmonie  ktkhn 
and  vielsagend  hingestellt.  Dann  beginnen  die  tiefen 
Saiteninstramente  still  and  leise  das  merkwtirdig  resig- 
nierte  Them  a: 


ijiii  flip  1 1 


mit  dem  gebrochnen  Marschrhythmas  hinzastammeln. 
Erst  mit  dem  Eintritt  der  Geigen  kommt  FlaB  in  die 
Sprache:  Celli  and  Bratschen  begleiten  mit  einer  Melodie 
von  innig  sehnsttchtigem  Aasdruck 


Je  mehr  sie  aas  ihrem  anfftnglichen  Versteck  heraos* 
tritt,  am  so  w&rmer  wird  der  Ton  der  Darstellung.  Wie 
einer  Bitte  die  YerheiBang,  so  folgt  diesem  edel  weh- 
miitigen  Satze  eine  einfach  sanfte,  freondliche  Melodie, 
die  wie  eine  Matterstimme  trOstend  and  zasprechend  aas 
der  Klarinette  weich  herfiberklingt: 


{|!<'irTr7TT'rirTi7-'i^-'if  riM  \f  cJi 


cl» 


Der  einfache  Kontrast  von  Moll  and  Dur  wirkt  hier  mit 
ganz  arspnknglicber  Elementarkraft  Die  B&sse  klopfen 
anter  diesem  Gesang  den  alten  Marschrhythmas  leise 
weiter,  der  wie  Cerberas  anter  Orpheas*  Saitenspiel  za 
erweichen  scheint.  Mit  einem  Male  aber  f&hrt  er  wie 
eine  Tigertatze  hervor;  schrill  and  heftig  durchsaasen 
die  trotzigen  Achtel  das  Orohester  von  einem  Ende  zum 
andem.   In  ver&nderter  and  erweiterter  Form  beginnt  die 


-^     232    <^^ 

Repetition.  Nachdem  die  zweite  Gruppe  wieder  vorbei- 
gezogen,  folgt  das  Ende  sehr  rasch  mit  all  der  eigen- 
tumlichen  and  schmerzlichen  Schdnheit  eines  gewalt- 
samen  Abschiedes. 

Mit  derselben  Erscheinung  eines  nnbarmherzigen  Los- 
reifiens  von  prftchiigen  Bildem  endigt  auch  der  dritte 
Satz.  Das  Trio  mit  dem,  nach  Abb6  Stadler*)  einem 
dstreichischen  Wallfahrtsgesang  entnommenen   Them  a: 

Assal  meno  pretto. 


t  jt  fTTT}  a  iCTTT]      iiTr^Mr 


bildet  den  paiadiesischen  Teil  dieses  Satzes.  Es  ist  nicht 
anszusagen,  welch  ein  zauberhaftes  Tongebilde  Beet- 
hoven dieser  einfachen  Melodie  entlockt  hat,  wie  er 
hier  die  Bilder  steigert:  von  der  lieblichen  stillen  Idylle, 
mit  welcher  die  Holzbl&ser  einsetzen,  fUhrt  er  uns  bis 
znm  Pomp  eines  grofiartigen  Kirchenfestes ,  bis  zu  den 
im  Sonnenglanze  strahlenden  und  feierlichen  Schlusse, 
in  dem  das  Thema  unter  Pauken  und  Trompetenklang 
mit  dem  vollen  Orchester  wie  auf  stolzem  Siegeswagen 
einherzieht.  In  einer  genial-energischen  Weise,  die  ohne 
gleichen  ist,  hat  Beethoven  in  diesem  Trio  den  Effekt 
einer  sogenannten  liegenden  Stimme  angebracht.  Den 
ganzen  Triosatz  durchschimmert  der  gleiche  Klang  eines 
festgehaltenen  a;  bald  schwebt  dieser  Ton  in  den  Vio- 
linen  tkber  den  Melodien,  bald  lenchtet  er  aus  den 
unteren  Instrumenten  in  den  Gesang  des  Orchesters  bin- 
ein;  am  eigentflmlichsten  an  den  Stellen,  wo  das  zweite 
Horn  ihn  murmelt.  SchErfer  als  sonst,  vielleicht  mit 
Aasnahme  seiner  ersten,  der  C  dar-Sinfonie,  wollte  Beet- 
hoven hier  das  Trio  gegen  den  Hauptsatz  kontrastieren 
lassen.  Die  Tonarten  zeigen  das  schon:  D  za  F.  Der 
Hauptsatz  selbst  ist  ein  echter,  der  Kaprizen  voller 
Schwarmgeist. 


♦)  Vgl.  A.  W.  Thayer:    L.   v.   Beethovens    Leben    (1879) 
m.,  191. 


233 


Presto. 


rresto.  ^) 

^hj  itj^jitJ  tfr  J>v  ir  r  r  iM  r  If  rJ  I 


Seine  Haupttrumpfe  spielt  er  in  seinem  zweiten  Telle 
aus,  wo  auf  Grand  der  Motive  a  und  c  der  uberraschendste 
Schabemack,  namentlich  anch  in  metriscben  Dingen  ge- 
trieben  wird.  Der  Bau  des  ganzen  Satzes  ist  abweicbend, 
aber  einfach,  n&mlich:  Hauptsatz  und  Trio  zweimal.  Der 
Hauptsatz  wird  zum  dritten  Male  durcbgespielt,  auch  das 
Trio  setzt  zmn  drttten  Male  ein,  gelangt  aber  nicht  Uber 
den  zweiten  Takt  hinaus;  sondern  Beethoven  schl&gt  ein 
Schnippchen  and  »8pritzt  die  Feder  aus<,  wie  Schumann 
sagte. 

Das  Finale  ist  einer  der  ausgelassensten  S&tze  in 
der  ganzen  Musik:  Beethoven  nicht  bios  »aufgekn5pft<, 
wie  er  sich  gem  sah  und  nannte,  sondern  Beethoven  in 
einer  demonstrativen,  wilden,  trotzigen  Lustigkeit,  die  zu 
einem  Tell  derselbe  »Galgenhumor<  zu  sein  scheint,  der 
in  seinen  letzten  Kammermusikwerken  ofters  wiederkehrt. 
Dieser  Satz  toUt  daher  wie  von  der  Tarantel  gestochen, 
jaucbzt,  schreit  auf 


ABe^ro  eoB  brio. 


') 


pocht  in  ttberschfinmender  Kraft 


•ie. 


und  mischt  auch  in  seine  Gra- 
zie   einen   Zug   des    Grotesken: 


*)  Grove  inacht  darsuf  aufmerksam ,  dafi  das  Thema  auch 
in  Beethovens  Accompagnement  zu  dem  Irischeii  Lied  >Nora 
Creinac  vorkommt 


234 


f  ii'- '  f^  *^'^\  1  f^f '  ^T"^  '*f^  "■  "p  -^  ■  I  ■  ff  1  f  I 


-     AJTr    M    —■ t'   -  ^^^  formelles  Element, 

l|*  TV  r  TJ  ii^  r   l'[J  r  I  ^^  welches  sich  an  diesen 

•^  j»V  p  J-  Themen  nicht  einfach 
beweisen  \&Qi,  aber  in  ihrem  Zusammenhang  ersicht- 
lich  wird,  ist  die  Hereinziehnng  ungarischer  Rhythmen, 
Akzente  und  Anklfinge.  Unter  den  Kombinationen,  in 
welchen  Beethoven  das  hier  skizzierte  Ideenmaterial 
entwickelt,  sei  die  Fdur-Stelle  am  Anfang  der  Durch- 
f&hrung  hervorgehoben.  Da  stofit  der  Flnfi  auf  ganz 
merkwurdige  Hindemisse,  zu  deren  Beseitigung  die  Vio- 
linen  and  die  BUsse  sich  grotesk  riesig  anstrengen. 
Die  KQhnheit  der  thematischen  Entwickelnng  erreicht 
den  Gipfel  mit  dem  kolossalen  Orgelpunkt  der  Coda. 
Wir  stehen  hier  ganz  in  der  N&he  des  MaBlosen  und 
tun  gut,  im  Interesse  unsrer  Jugend  zu  bemerken  und 
zu  bekennen,  dafi  Beethoven'  zuweilen  geneigt  war, 
seine  Intentionen  mit  dbermtktiger  HartnUckigkeit  auf 
die  Spitze  zu  treiben.  Eine  >ungeb&ndigte<  Pers5nlich- 
keit  nennt  ihn  Goethe  in  einem  Brief  an  Zelter.  Es 
Iftfit  sich  nicht  leugnen,  da6  darunter  auch  die  klang- 
liche  Klarheit  und  AusfUhrbarkeit  unsres  Finales  gelitten 
hat  Wenn  ein  Teil  unsrer  heutigen  Kritik  die  von  Fach- 
und  Zeitgenossen  Beeth ovens  gegen  diese  Punkte  ge- 
hchteten  Einwendungen  schnellfertig  auf  Neid  und  Be- 
schr&nktheit  zurftckzufiihren  beliebt,  gibt  er  sich  selbst 
eine  B15l3e'.  Unbedingte  Bewunderung  ist  eine  erhebende 
Erscheinung,  jedoch  nur  wenn  sie  auf  zureichender  Ein- 
sicht  beruht. 
L.T.Be«tkoTea,  Die  achte  Sinfonie  (Fdur)  beginnt  ohne  Einlei- 
^<Jnr;Sinfoiiie  \xakg  mit  Themen,  die  eine  laute  Frdhlichkeit,  ein  Be- 
hagen,  aber  noch  nicht  einen  wirklichen  Humor  aus- 
drucken: 


Nr.8. 


235 


HanpUhema. 
Allegro  TWaee. 


pf    I  J^    I    J    I  J  5^ 


Seit«nthema. 


'jii  ^lp^^Pfl^ 


In  dem  Abschnitt  b  des  Hauptthemas  liegt  sogar  ein 
smnendes,  zogemdes  Element,  welches  das  zweite  Thema, 


^y    n  1^,.  I  ■  j^q  r.  i^jT^  1^ 


troU  seines  t&ndelnden  Eintritts,  teilt  und  in  fast  st&r- 
kerem  Grade  besitzt.  Der  Schalk  kommt  erst  spater 
nnd  zwar  am  Schlusse  der  Wiederholnng  dieses  zweiten 
Themas  durch  die  Bl&ser.  Da  machen  die  B&sse  dem  Ritar* 
dando  und  dem  .-.       und  wecken  Kraft  und 

Septimenakkord  *j  f  j  M  nJ  J*  ^  |  f  Lebenin  derVersamm- 
ein  raschesEnde      i^  lung.    Doch  bleibt  dem 

ganzen  Satze  ein  elegischer  Rest  —  sehr  sch5nen  Aus- 
druck  hat  er  in  dem  zweiten  Seitenthema  gefunden 


fl  I'f  r  i^r  riTf  '>f  Ti^  r  ir  fir  f  ir 

Der  Hauptzweck  der  DurchfGhrung  ist,  ihm  die  weitere 
Ausdehnung  zu  bestreiten,  was  in  einer  launig  barschen 
Art  auch  ausgefiihrt  wird.  Beethoven  beginnt  diese 
Durchfuhrung  mit  einer  kleinen  Bosheit  gegen  die  Brat- 
schen;  sie,  die  sonst  immer  in  Deckung  marschieren, 
BteUt  er,   als  h&tten  sie  den  allgemeinen  Riickzug  ver- 


_^     236     ^— 

sHumt,  allein  _  ^  r*  .  i  Diese  immer  wiederbol- 
hinaus  mit  V  [  p  [  I  Ji  =  ten  vier  Noten  sind  die 
dem     Motiv        ^■■'^  kl&glichen    Oberbleibsel 

des  gl&nzenden  Schlusses,  den  das  Tutti  dem  ersten  Teil 
des  Satzes,  der  Themengruppe  gab.  Sie  sind  zugleicb  die 
variierten  Sticbworte  fQr  den  Einsatz  des  zweiten  Themas. 
Doch  dieses  zweite  Thema  kommt  nicbt,  sondem  Fagott, 
Klarinette,  Oboe,  FIdte  nacheinander  benutzen  die  Ge- 
legenheit,  das  erste  Motiv  des  Hauptthemas  in  sentimen- 
tale  Beleuchtung  zu  bringen.  Das  Tutti  f&hrt  l&nnend 
dazwischen  and  setzt,  nachdem  die  Versuche  noch  einige- 
male  sich  wiederholt  haben,  auch  seine  Auffassnng  durch: 
Kraft  ist  Trumpf.  Aus  den  ersten  6  Noten  werden  durch 
Sequenzen  Perioden  gebildet,  in  denen  erst  die  B&sse 
(Dmoll),  dann  die  zweiten  Geigen  (Gmoll),  die  ersten 
Geigen  (Fmoll)  die  F&hrung  ttbernehmen.  Die  Instrumente 
reiOen  sich  f6rmlich  um  das  Motiv;  vom  Einsatz  des 
Desdur  ab  stehen  wir  vor  einer  nahezu  be&ngstigen- 
den  Kampfszene.  Die  Bftsse  bleiben  die  Sieger,  stellen 
die  Ordnung  wieder  her  und  beginnen  in  unbeschreib- 
lich  stolzem  Ton  die  Reprise  des  Satzes.  Die  Coda 
fangt  nochmals  kontrapunktische  ^  ,^  _ 
Neckereien  an.  Doch  mit  dem  m^  f  pf  Tr^-^  *  *^ 
heimlichen  SchluG  des  Satzes:  ^^ 
bleibt   das  letzte   Wort   den  Grazien. 

Es  ist  interessant,  aus  den  Skizzenbfichern  Beethovens 
zu  ersehen,  dafi  der  ganze  schdne  Ausgang  des  ersten 
Satzes  (von  der  Fermate  ab)  nachkomponiert  ist. 

Dem  stark  humoristischen  Grundzug  dieser  Sinfonie 
zuliebe  hat  Beethoven  auf  einen  langsamen  Satz  in  ibr 
verzichtet  und  infolge  dessen  den  Mitteisfttzen  dieses 
Werkes  einen  von  dem  an  dieser  Stelle  GebrHuchlichen 
ganz  abweichenden  Charakter  gegeben.  Der  zweite  ist 
ein  richtiges  Allegretto;  es  htlpft  auf  Kinderfufien  dahin, 
jugendlich  durch  und  durch,  unschuldig  und  reizend, 
scheinbar  wie  in  einem  Zuge  hingeschrieben.  Es  ist  eins 
der  genialsten  und  gewinnendsten  Stttcke  im  grazidsen 
Genre.    UrsprUnglich  hatte  es  Beethoven  als  einen  Kanon 


237 


auf  Mftlzel  nnd  sein  Metronom  entworfen.  Die  Sechzehntel- 
Akkorde,  mit  denen  die  Blftser  einsetzen,  sollen  also  das 
Klappern  dieses  InstramenU  nachahmen.  Der  dritte  Satz 
ist  ein  echter  Menuett  im  alien  Schnitt,  in  halb  liebe- 
Yoller,  halb  humoristischer  Hingabe  an  altv&tehsches 
Wesen  nnd  Branch  ansgefOhrt.  Wie  getreu  ist  die  gemiit- 
liche  Gravitftt  und  die  In-  Tempo  di  Mml  des  Anfangsmotivs, 
nigkeit,  mit  der  vordem  ^  p  ^  |^=wie  lannig  die  Um- 
getanzt  wurde,  in  dem    8p  '         stftndlichkeit,     mit 

der  angesetzt,  ausgeholt  nnd  der  Takt  probiert  wnrde,  in  dem 
Tempo  di  Mennetto.  wiedergegeben!    Das  Trio 

Jlu  nu  i^^^^  .^^    ^^*  ®^°  verklilrter  Ditters- 
fr  ^  31  lyi  Jj  Jj  J3  I  jjj^^  dorf,  eine  wanderliebliche 
•^         "^"^  Idylle  ans  der  altwieneri- 

schen  Mnsikantenzeit,  ttber  dessen  Charakter  der  Klavier- 
anszng  keine  gendgende  Anskunft  gibt.  £s  stehen  in  dem 
Satze  manche  kleine  Scherze  im  Stile  der  Dorfinnsik  in 
der  Pastoralsinfonie.  —  Um  alien  Mifiverstftndnissen  in 
der  Behandlnng  dieses  dritten  Satzes  vorzabeugen,  hat 
ihn  Beethoven  >Tempo  di  Minnettoc  ttberschrieben,  d.  h. 
nicht  ein  blofier  Titnlarmennett,  wie  ihn  Haydn  oft 
schreibt,  sondem  einen  mit  der  Poesie  nnd  dem  Tempo 
der  Spiefibiirgerzeit! 

Das  Finale,  dessen  schon  fr&her  erw&hntes  Hanpt- 
thema: 

AIlerTo  Tivace. 


^ir  pinf  f,f?frir'rrrifrffn^^ 

ebenso  wie  das  des  ersten  Satzes,  nach  Answeis  des 
Skizzenbnchs,  zn  den  schwer  gefnndnen  geh5rt,  steht  mit 
seinen  thematischen  Wnrzeln,  aber  anch  mit  seiner  Ent- 
wicklnng,  seinem  leichten,  schftnmenden,  geistsprtlhenden 
Wesen  anf  dem  Boden  Haydnscher  Kunst.  Es  ist  ein  ins 
Beethovensche  ansgebanter  und  iibersetzter  Haydn;  der 
jflngere  Meister  hat  den  Polsschlag  etwas  gesteigert,  die 


-^    238    *^ 

• 

Oberraschungen  noch  am  einige  Grade  drastischer  ge- 
macht,  die  Formen  verbreitert  und  Gegens&tze  hinein- 
gestellt,  die  dem  alten  fern'  lagen.  Ohne  Gegens&tzlichkeit 
ist  Instrumentalkomposition  schwer  zn  betreiben.  insbe- 
sondere  humoristische.  Rier  aber  geht  die  GregensHtzlich- 
keit  bis  zur  Selbstverspottung:  Das  Haaptihema  verl&uft 
sich  von  der  letzten  hier  aufgezeichneten  Note  noch 
8  Takte  weiter  in  Cdur  immer  leiser,  heixnlicher.  Und 
allemal  fftUt  in  die 
letzten  T5ne  dann  ein  -=, 
Lftrm  ein,  der  uns 
alien  Himmeln  wirft: 
Dieses  cis,  ein  hmnoristisches  Ungeheuer,  ein  gllnzlich 
unmnsikalisches  Ph&nomen,  ein  SchreckschuB,  ein  Gber- 
grifT  des  ftuBersten  Realismus  in  der  Kunst  ist  eine  Haupt- 
qnelle  f&r  die  originelle  Wirkung  des  Finales  der  8.  Sin- 
fonie.  Es  hat  nirgends  wieder  seinesgleichen ;  vielleicht 
glucklicherweise.  Nach  dieser  verwegnen  AuffQhrung  des 
Hauptthemas  setzt  nun  das  zweiteThema lieblicher  als  jeein 


die  ^   ^     .r^ 


Es  schliefit  mit  einem  Anhang: 

A  _  .  »  a-     4m     r  der    ganz    wie    leises 

A  r  i"  ir  I  r  r  LT  I  r=^ta.    Kichem     kUngi      Die 
*^  PP  Themengruppe  ist  da- 

mit  zu  Ende.  Der  Satz,  einer  der  l&ngsten  Beethoven- 
sinfoniesMze,  hat  modifizierte  Rondofonn:  es  setzt  die 
erste  Durchftthrung  ein,  emst  ^  ^  ^ 
durch  die  Herrschaft  des  neuen,  A  ^  |  |  „  |  "^ 
sehr  einfachen  Kommandomotivs  "^ 
und  durch  Bildungen  aus  den  Yierteln  vom  6.  bis  8.  Takte 
des  Hauptthemas  entwickelt.  Am  Ende  haben  die  nek- 
kischen  Geister  wieder  die  Oberhand:  Fagotte  und  die 
(hier  in  Oktaven  gestimmten)  Pauken  pochen  ein  drolliges 
Solo.  Der  n&chste  Teil  ist  eine  mit  kleinen  neuen  Zdgen 
des  Humors  und  der  Grazie  bereicherte  Wiederholung  der 


-^    239    «>- 

Themengruppe,  und  nun  folgt  der  eigentliche,  welt  fiber  200 
Takte  umfaasende  SchluB  des  Schlufisatzes.  Nach  einem 
zdgemden,  unentschlossnen  Anfang,  Qber  den  die  B&sse 
sich  sehr  nngeberdig  nnd  zomig  aufiern,  folgt  eine  lyrische 
Episode  in  schdnster  Abendstimmang  fiber  das  Thema: 
^  Das  scbreckliche 

i  ■    JjJ    J    l,J    j    IJ    ^'l''^    '  "    Icis   kommt  bru- 
^^  *  taler  als  je  wie- 

der,  auch  die  andren  ansgelassnen  Scherze  des  Finale 
Ziehen  nochmals,  am  liebsten  versch&rft,  vorflber;  aber 
als  es  zum  wirklichen  SchlieBen  kommt,  da  behauptet 
die  milde  Schonheit,  die  mit  der  Episode  in  die  Kompo- 
sition  eintrat,  den  Platz.  Von  der  ersten  Wiener  Auf- 
fiihrang  der  aphten  Sinfonie  (27.  Febmar  1814)  heifit  es: 
»das  Werk  machte  kein  Furore  c,  aus  andern  Orten  be- 
richtete  man,  dafi  es  weniger  gefiel  als  die  andern. 

Wenn  in  musikalischen  Kreisen  schlechtweg  von 
der  >Neunten«  gesprochen  wird,  ist  damit  die  neunte  i^-T'BMtiioTeii, 
Sinfonie  von  L.  v.  Beethoven  gemeint.  In  diesem  ab-^™®^*"^"*^®"*® 
gekfirzten  Sprachgebrauche  spricht  sich  die  Sonder- ""*  ^jj^* J^'^**'*' 
stellung,  welche  dieses  Werk  geniefit,  deutlich  genug 
aus.  Es  wird  mit  der  neunten  Sinfonie  ein  Kultus  ge- 
trieben,  der  seinen  Grand  nicht  ausschlieBlich  in  dem 
eminenten  Kunstwerte  dieses  Werkes  findet,  sondem  er 
hat  einen  nicht  unbetrHchtlichen  Teil  kfinstlicher  Nahrung 
in  den  Theorien  erhalten,  welche  in  neuerer  Zeit  an  den 
anfierordentlichen  Charakter  der  neunten  Sinfonie  ge- 
knfkpft  worden  sind.  Die  bis  heute  immer  wiederholte 
Behauptung,  dafi  dieses  Werk  beim  ersten  Ersch einen 
nicht  verstanden  worden  sei,  stUtzt  sich  im  wesentlichen 
wieder  auf  Spohr*),  der  die  ersten  drei  S&tze  die  schlech- 
testen  Sinfonies&tze  Beethovens  und  das  Finale  monstrds, 
geschmacklos  und  trivial  genannt  hat,  geh5rt  aber,  so 
allgemein  hingestellt,  ins  Reich  der  Fabel.  Aus  London 
kamen  ganz  unverst&ndige  und  niedrige  Urteile;  in  andern 
StSdten,  auch  Leipzig,  blieben  die  Meinungen  bezfiglich 

*)  L.  Spohr,  Selbstblographie  I,  202. 


_^    240    «►- 

einzelner  Punkte  geteilt.  Aber  in  Wien  erregte  die  erste 
AnffQhrung  des  Werks  (7.  Mai  1824),  so  roh  and  nngefeilt 
sie  auch  aasfiel,  doch  den  hdchsten  Grad  von  Enthosias- 
mus.  Und  gerade  der  Eingang  des  Finale  wird  ein 
Moment  des  seligsten  Gennsses,  ein  Pnnkt  genannt,  an 
welchem  Kunst  und  Wahrheit  ihren  gl&nzendsten  Triumph 
feiern:  das  Non  plus  ultra  des  Werks*}.  Ahnlich 
schreibt  noch  gelegentlich  der  ersten  Hamburger  Auf- 
fiihrung  (1835)  ein  Bericbterstatter  von  »einem  Festtag< 
und  schliefit:  >Soviel  ist  gewifi,  dafi  diese  neunte  Sin- 
fonie  das  riesenhafteste  Monument  ist,  das  nocb  im 
Reiche  der  Tonkunst  entstanden  **).  Das  einzige  und 
noch  heute  von  vielen  geteilte  Bedenken  gegen  die  Sin- 
fonie  ftuOerte  sich  in  dem  Wunsche,  dafi  es  Beethoven 
gefallen  m5chte,  diesem  wabrhaft  einzigen  Finale  eine 
ungleicb  konzentriertere  Gestalt  zu  geben.  Als  ihm  sein 
Freund  Droysen  mitgeteilt,  da6  er  die  neunte  Sinfonie 
gehort  habe  und  ratios  sei,  &ufiert  sich  (im  Jahre  1837) 
Mendelsohn:  >DieInstrumentals&tzegehdren  zumGr56ten, 
was  ich  in  der  Kunst  kenne;  von  da,  wo  die  Sing- 
stimmen  eintreten,  verstehe  auch  ich  es  nicht,  d.  h.  ich 
finde  nur  einzelnes  voUkommen,  und  wie  das  bei  einem 
solchen  Meister  der  Fall  ist,  so  liegt  die  Schuld  wahr- 
scheinlich  an  uns.  Oder  der  Ausftlhrung  . . .  Im  Gesang- 
satz  sind  die  Stimmen  so  gelegt,  dafi  ich  keinen  Ort 
kenne,  wo  er  gut  gehen  k6nnte,  und  daher  kommt  viel- 
leicht  bis  jetzt  die  Unverst&ndlichkeit*  ***).  Wenn  also  auch 
ein  Mendelssohn  Not  hatte,  mit  diesem  Finale  fertig  zu 
werden,  kann  man  sich  nicht  wundem,  daO  es  kleinere 
Geister  kurzweg  ablehnten.  Bei  dieser  Sachlage  ist 
Czernys  Mitteilung-)-),   dafi    Beethoven  eine   Umarbei- 

*)  Allgemeine  Masikalische  Zeitung,  26.  Jahrgang,  S.  441. 
♦*)  Neue  Zeitschrift  f.  M.  IV,  81,  86. 
***)  Briefwechsel  Droysen  imd  Mendelssohn  (Deiitsche  Rund- 
schau, Mai  1902). 

f)  G.  Czerny,  Recollections  on  Beethoven  in  Cocks  Musical 
Miscellany  1852  u.  1853. 


--»    241     «^ 

tung  des  Schlufisatzes  beabsichtigt  babe,  nicbt  unwabr- 
scheinlicb. 

Der  Hanptpankt,  in  dem  die  neunte  Sinfonie  formell 
Yon  den  voransgehenden  abweicht,  bestebt  darin,  daB 
ibr  ScbluGsatz  ein  GesangstUck  ist.  Wie  kam  Beethoven 
dazQ,  eine  Instrumentalsinfonie  mit  Singstimmen  zn 
scbliefien?  Die  von  R.  Wagner  znerst  ausgesprocbene 
Ansicht,  weil  er  den  Bankroll  der  reinen  Instramenlal- 
musik  erkannle  and  aussprechen  woUte,  scbeinl  ange- 
sicbls  der  Streichquartelte  und  Klaviersonalen,  die  Beel- 
boyen  dieser  Sinfonie  (opus  126)  nocb  folgen  liefi,  nicbl 
baltbar.  Aucb  die  andere  Annabme,  daO  Beethoven  bei 
der  Komposition  seiner  neunten  Sinfonie  von  vomberein 
die  Ode  Scbillers  >An  die  Freude«  zum  Ausgangspunkl 
genommen  babe,  stebt  nicbt  fest.  Allerdings  scbreibt 
Fiscbenich  scbon  im  Jabre  1793  an  Cbarlotle  v.  Scbiller, 
daB  Beetboven  dieses  Gedicbt  im  groBen  Stile  kompo- 
nieren  woUte,  and  die  SkizzenbQcber  zeigen,  wie  er  wieder- 
boll  daza  aosbolt,  es  in  Ouvertilren  —  z.  B.  bei  der  zur 
Namensfeier  —  zn  verwenden.  Aber  nocb  im  Jabre  1823, 
als  die  ersten  drei  Sfttze*  scbon  so  gut  wie  abgescblossen 
waren,  seben  wir  ibn  zwiscben  einem  vokalen  oder  in- 
stramenlalenScblaBsalzf&r  die  neunte  Sinfonie  scbwanken. 
Wenn  Beetboven  sicb  dann  docb  fur  die  Zaziebung  des 
Gesangs  enlscbied,  so  bandelle  es  sicb  dabei  am  eine 
MaBregel,  die  im  Prinzip  scbon  Haydn  ftkr  zalftssig  er- 
klftrt  hatte,  indem  er  Rezitativ  in  der  Sinfonie  verwendete. 
Beetboven  war  ibm  darin  in  seiner  FUntten  gefolgl  und 
von  da,  zuerst  in  den  Skizzenbucbern,  dann  in  seiner 
>Cborfantasie«,  zur  Yerwendung  wirklicber  Menscben- 
stimmen  and  ausgefftbrter  Vokalmusik  weiter  gescbriltcn. 
Aus  dem  17.  Jabrbundert  gibt  es  Kanlaten,  von  denen 
man  nicbt  weiB,  ob  sie  wohl  zur  Gesang-  oder  zar  In- 
strumentalmusik  gebdren.  Aucb  zu  Beethovens  Zeiten 
war  in  der  Sinfonie  der  CborscbluB  versucbl  worden.  So 
von  P.  von  Winter  in  seiner  Schlacbtsinfonie,  die  bei 
ihrem  Brscbeinen  (1814),  so  scbwer  begreiflicb  das  diesem 
Produkt  aus  L&rm  and  Trivialit&t  gegentkber  aucb  sein 

KraiBseliiDar,  F&hrer.    I,  1.  16 


^-^     242     ^>- 

mag,  viel  Aufseben  erregte  und  Beethovens  »Schlacht 
bei  Vittoria*  an  manchen  Orten  aus  dem  Sattel  hob. 
Auch  eine  Sinfonie  >Schlacht  bei  Leipzig<  des  BShmen 
P.  Maschek  (1814)  geli5rt  zu  dieser  Mischgattung  von  Sin- 
fonie nnd  Kantate.  Freilich  war  zwischen  den  Fonnen 
der  Sinfonie  Beethovens  und  der  anderer  Leute  ein  groOer 
Unterscbied,  und  indem  Beethoven  fdr  die  Satze,  welche 
zur  Vorbereitung,  Begriindung  und  Einleitung  der  Ode 
dienen  sollten,  seine  gew5hnlichen  Sinfoniemasse  des 
Allegro,  des  Scherzo  und  des  Adagio  nicht  nur  beibebielt, 
sondern  auch  noch  steigerte,  erhielt  Schillers  Tempel  der 
Freude  einen  so  kolossalen  Unterbau,  ein  Fundament 
von  solchen  Dimensionen,  solcher  Selbstftndigkeit  und 
solchem  Reichtum  an  eigner  Sch5nheit,  dafi  das  Haupt- 
werk,  welchem  dies  alles  dienen  soil,  leicht  dariiber  ver- 
gessen  werden  kann.  Sei  es  nun  mit  der  formellen  Be- 
recbtigung  wie  es  will;  keinesfalls  wttrde  Beethoven  die 
Ode  ins  Finale  gebracht  haben,  wenn  zwischen  ibr  und  den 
drei  ersten  Sfttzen  der  Sinfonie  keine  geistigen  Beziehungen 
bestanden  hfttten.  Sie  aber  aufzufinden,  ist  nicht  schwer. 
Die  Schilderung  eines  Zustandes,  dem  die  Freude  fehlt, 
ist  die  wesentliche  Idee  des  ersten  Satzes.  Mit  der  Form- 
freiheit,  welche  die  Werke  von  Beethovens  letzter  Periode 
auszeichnet,  setzt  er  zunachst  ohne  Thema  ein.  Es  wogt 
und  nebelt  chaotisch  und  unbestimmt  Uber  den  berOhmten 
leeren  Quinten.  Dann,  erst  nach  IGTakten,  steigt  in  finsterer 
Majest^t,  voU  Kraft  und  Trotz,  aber  durch  einen  an  die 
gleiche  Stelle  in  der  >Eroica<  erinnemden  Zug  des  Lei- 
dens  gezeichnet,  die  Heldengestalt  dieses  Allegro  zu  Tage: 

Allegro  non  troppo  ui  poeo  nuMstoso. 

ji  ifrT'n^j  rnij  jjj'iffiTiii  hi  iiini  i 


243 


Welch  heroischer  Eintritt,  wie  langgemessen  der  Weg  — 
aber  wie  sonderbar  wirr  das  Ende!  Das  Thema  setzt 
gleich  darauf  zam  zweiten  Male  von  einer  anderen  Seite 
ein,  in  B  dur,  ohne  sich  aber  ^  _  ^  gebildet,  decken 
wieder  so  breit  zu  eutf alien:  mf  ^^  1^  und  vorbereiten 
Ketten,  ans  dem  Motive  ^™«r  ^jgu  Aufmarsch 
seiner  zweiten  Hlllfte.  Es  kapituliert  am  Schlufi  und 
ftberlftfit  nnmittelbar  das  Terrain  an  das  zweite  Thema 
und  seine  Vorl&ufer 


iif  ri'fi 


Auch  hier  das  gewaltige 

LftngenmaB,  welches  alles 

^~^'  t^i\^4  /  j^tnu.^     Gedanken-  und  Formen- 

wesen  der  neunten  Sinfcmie,  und  dieses  ersten  Satzes 
insbesondere ,  charakterisiert.  Dieselbe  dftmonische  Un- 
ruhe,  welche  Empfindung  und  Phantasie  immer  wieder 
aufjagt.  Sie  treibt  hier  aus  dem  Peiche  milder  Wehmut, 
freundlichen  Sehnens,tr58t-  ^  u^  _.  .^     Unmittel- 

lichen  Erinnerns  fort  in  jt  f  ^HT  P  »  [  f  ^  0'  ^  bar  daran 
das  Ungestum  des  Kampfes^jfl^  reihen 

sich  wieder  Bilder       -srirr---^         ^ — i       ^.— a. 

des  Friedens  und  jjUirJClLuy  llf  ^  I  ^  I  '  I 'f'!^  ktc 
des  seligen  GlQckes 
Alle  Qual  schlummert  einen  Augenblick;  aber  auch  aus 
dem  sanft  wiegenden  Traumgebilde  treten  Gegens&tze 
erkennbar  hervor: 


jr  Y^rTu  III  1 1  nrr  rTTi  hi  n  mi 


Im  Nu  ist  ein  neuer  Ausbruch  da,  in  welchem  diesmai 


__^    244    ^^-^ 

die  wild  anfschlagenden  B&sse  die  FQhrung  Qbernehmen: 

^f^     ^  ^ t  Die   Holzbl&ser  ver- 

^*Ji  ^li  J1  r  J^  I  J3  >"   (jTrJ  *"   ^  etc.  suchen  zu  beschwich- 
y   if    ^      if   ^    ^  if  tigen;      sie      bitten 


um      einen         ,-*-- *-«..,^  und  erreichen 


freund^che-  /i,  inilir  T  P  I  f  i  T  P  P  ^  r  ;  t  i  ®s,  dafi  der 
ren  Ton:  iJ'<=,>^gsa>  <i^  U  '  erste  Teil  des 
Satzes  mit  einer  gewissen  kr£lf  tigen  Freudigkeit  geschlossen 
wird.  Die  Durchftlbrang  entrollt  das  Faustische  Bild 
weiter;  Suchen  und  nicht  Erreichen,  rosige  Phantasien 
yon  Zukunft  und  Vergangenheit  und  die  Wirklichkeit  von 
einem  Schmerz  erfttllt,  der  seine  Rechte  pl5tzlich  gel  tend 
macht!  Der  Durchftkhrungsteil  ist  verh&ltnismftfiig  nur 
kurz:  thematisch  wird  er  hauptsftchlich  getragen  von 
Bildungen  aus  dem  dritten  und  vierten  Takte  des  Haupt- 
themas.  Das  trube  Element  tritt  in  ihm  zuriick,  um  mit 
vollster  Kraft  bei  der  Rflckkehr  in  den  Hauptsatz  auszu- 
brechen  an  jener  Stelle,  wo  die  Pauke  38  Takte  lang  ihr 
d  wirbelt,  wo  die  beiden  Teile  des  Orch esters  heftig  und 
wild  gegeneinander  angehen  —  eine  Stelle,  an  welcher 
die  Mittel  der  musikalischen  Kunst  den  dftmonischen  In- 
tentionen  Beethovens  kaum  zu  geniigen  scheinen.  Am 
Schlusse  der  Coda,  in  deren  Mitte  das  Horn  einen  Qberaus 
freundlichen  und  zuversichtlichen  Lichtblick  fallen  l&Bt, 
wird  die  freudlose  Gmndstimmung  des  Satzes  zu  voll- 
stftndiger  Qebrochenheit.  Dort,  wo  die  Bftsse  16  Takte 
lang  ostinato  chromatisch  auf  und  ab  wogen,  glauben  wir 
in  der  Melodie  des  Horns  und  der  Oboe  einen  Trauermarsch 
zu  hdren,  bis  die  Klftnge  der  an  deren  lustrum  ente  st&rker 
und  starker  werden  und  noch  einmal  kurz,  aber  lapidar, 
Schmerz  und  Trotz  nebeneinander  stehen. 

Der  zweite  Satz  nfthert  sich  der  Freude  schon  mehr. 
Er    beginnt        MoUovWaee.  welches 

aberfolgen-  ^-^Jh^Vj-tr^f^^^^-^^f:^  spftter 
dem  Thema  4r       «*»  auch  im 


dem  Thema  4r     "  ^^         auch  im 

Metrum  von  drei  Takten  gebraucht  wird,  ein  Fugato 
erst  heimlich  und  leise:  am  Schlusse  im  fr5hlichsten 
und  lautesten  Tumult  der  dahinjagenden  Instrumente. 


245 


Nur  anf  einen  kurzen  Augenblick  wird  dieses  muntere 

Treiben      von 

Momenten  mti- 

den     Sehnens 

abgeldst,  die  derb  tidelen  Tanzweisen  der  Bl&ser: 


denen  die  Streich- 

iDBtrumente  in  krftf- 

•ta.  tigen  Streichen  das 
Anfangsmotiv  des  vorigen  Themas  f  *  ^  f  znjaachzen, 
ersticken  sie  sogleich.  Der  Mittelsatz,  welcher  das  Trio 
vertritt,  bat  als  Hanptgedanken  folgende,  rndglicherweise 
Beethovens  russischen  Musikstudien  entsprossene,  in  der 
Tonreibe  mil  dem  Anfang  des  Trios  der  zweiten  Sinfonie 
ganz  iibereinstimmende,  nur  rhTthmiscb  von  ibm  ver- 
scbiedne  Melodie 

PreBto. 


^    ^    ^    ^ Er  scbl&gt  pastorale  T6ne  an  und  spielt 

r    r    f    r    I  r      in  seinen  simplen  Hirtenweisen  auf  l&nd- 

licbe  Vergniigungen  an/aber  aucb  in 
seinem  zweiten  Teile,  den  Beethoven  iiber  eine  Umkehrung 

des Beglei-    _^      , ^     _  j  >  .  K^  oV^^:  \     i       i' 

tungsbas-   '/fe  f  p  I  f  T  f  I    I  I    f  jS^i    I  f^  yJ    I  ■!  ^= 
ses  biidet:        jpceiii  ^'^ 

in  mftchtig  mystischen  Geigenklftngen  anf  Sonnenauf- 
gftnge  and  erhabene  Freuden  herrlicher  Natur.  Die  Stelle 
wirkt  aber  nicht,  wenn  sie  zu  scbnell  gespielt  wird. 
V.  Stanford  macht  deshalb  in  der  Zeitschrift  der  I.  M.  6. 
(April  1906)  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  dafi  das  Tempo 
dieses  Mittelsatzes  nicht  ^,  sondem  J  =  116  sein  mufi. 
Dafi  die  Metronomangaben  Beethovens  iiherhaupt  der 
Revision  bedttrfen,  ist  schon  im  18.  Jahrgang  von  Roch- 
litzens  Allg.  M.-Ztg.  nachgewiesen  worden.  Um  zu  ver- 
anschanlichen ,  wie  allgemein  verstftndlich  die  Schonheit 


246 


dieses  Scherzo  sei,  berichtet  der  Franzose  Elwart  in 
seiner  Voyage  musical  (1849),  dafi  es  selbst  Rossinis  Bei- 
fall  gefunden  habe,  fthnlich  findet  Lenz  in  seiner  Beet- 
bovenbiographie  das  Entz&cken  Glinkas  beme^enswert. 
Gewifi  hat  das  Scherzo  der  9.  Sinfonie  ebensowenig 
Gegner  wie  ihr  Adagio.  Aber  Rossini  soUte  man  bei 
dem  Beweis  hierfQr  verschonen.  Da6  sein  Greschmack 
nicht  gew5hnlich  war,  geht  ans  seiner  Mitgliedschaft  bei 
der  Bachgesellschaft  genUgend  hervor. 

Das  Adagio,  der  dritte  Satz  der  Sinfonie,  hat  eine 
abweichende,  nichtsdestoweniger  aber  sehr  klare  Dispo- 
sition. Sein  Hanptthema,  der  inbrttnstige  Aosdmck  eines 
edien,  frommen  Sinnes,  der  in  die  andere  Welt  hinttber 
Fragen  zn  richten  scheint. 


Adario. 

^to^     — 


Bliif'i'r 


Viol. 


^r^^^ 


mezMtt  vtict 


BISter 


TioL 


=^'-^t^f^-rT---^g^^^^^  <a-  "f  P  r  r  ^ 


■FfTTrrr 


DUi«r 


Viol. 


^m^^ 


hat  die  L£lnge  des  Periodenbanes,  welche  der  Beethoven 
der  letzten  Periode  liebt.  Es  schlieBt  nicht  voll  ab, 
sondem  es  schwebt  unmittelbar  in  den  Schofi  des  zweiten 
Them  a  0ber 


Andante 


^JTjij  ;>A'?^tei5;3lJjJ  g?^ 


PP     ere»t. 


Ho. 


welches  auch  auCerlich,  nach  Tonart  und  Taktart,  die 
Kennzeichen  einer  y511ig  anderen  Sphilre  trftgt.  Nach 
dieser  Themengmppe  beginnen  Variationen,  zuerst  fkber 
beide  Hauptgedanken,  dann  liber  das  erste  Thema  allein. 
Der  ganze  Satz  strebt  einer  h5heren  Art  von  Freade  zn: 
Da  scheint  ein  Mensch  zu  tr&umen  vom  Himmel  nnd 
Yom  Wiedersehen,  von  seinen  Jngendtagen  and  von  seinen 


247 


Lieben.  Aber  Tr&ume  gehen  zu  Ende.  Am  Schlusse  der 
ersten  >s/8-Takt -Variation  verkftnden  Trompeten  and 
Homer  mit  einem  pl5tzlichen  Signal: 


die  N&he  des  rauhen  Tages. 

Das  8Ch5ne  Bild  verschwindet,  und  nun  kommt  im 
yierten  Satze  das,  was  Faast  meint,  wenn  er  sagt:  »Des 
Morgens  wach*  ich  mit  Entsetzen  aufc.  Gedacht  ist  wohl 
ohne  Zweifel  der  Anfang  des  Finale  im  unmittelbaren 
Kontrast  zu  den  Himmelskl&ngen  des  Adagio.  Im  mog- 
lichst  schnellen  Anscblufi  an  das  Ende  des  letzteren  ver- 
liert  die  wirre  Fanfare,  der  H5Ilen]&rm,  mit  welcbem  das 
emporte,  heulende  Orchester  einsetzt,  den  Charakter  des 
Unbegreiflichen,  Capriziosen,  am  besten.  Dieser  wuste 
Anfang  bedeutet  den  R&ckfall  in  die  chaotiscbe  Stimmung 
des  ersten  Satzes.  Bfisse  und  Cell!  warn  en  in  kiihnen, 
heftigen  Rezitativen.  Jetzt  sucben  die  Geigen  und  die 
Blftser  nacb  rettenden  Ideen.  Die  einen  bringen  eine 
Weise  aus  dem  ersten  Satz,  die  andern  aus  dem  zwei- 
ten,  dann  kommt  ein  Zitat  aus  dem  dritten.  Nichts  ge- 
f&llt  den  B&ssen.  Endlich  intonieren  die  Oboen  etwas 
ganz  Nenes.  Das  findet  Gnade  bei  den  V&tern  des  Or- 
chesters.  Nachdem  sie  ibre  Zustimmung  in  einem  letzten 
Rezitative  ausgesprochen,  ergreifen  sie  selbst  das  Motiv 
und  fQbren  es  zu  einer  breiten  Melodie  aus: 


rr  r  I  f^  f  I  f-^fTrfrr  pH^^n  f^^:l 


rr-r  r  I  r  r  r  r  t-rf^H^^^^^frrrri 


Es  ist  dieselbe,  zu  der  dann  die  Freudenode  angestimmt 
wird,  und  die,  rein  oder  varhiert,  den  leitenden  Faden 


--♦    248    ^>- 

des  ganzen  Finale  bildet.  ZunHchst  wird  sie  in  einer  Page 
durch  das  ganze  Orchester  gefiihrt,  ohne  aber  anf  die  Dauer 
einen  geniigenden  Halt  bieten  zu  kdnnen.  Denn  es  tanmelt 
nach  einem  Moment  des  Herumirrens  wieder  zn  jener 
Schreckensszene  zur&ck,  mit  welcher  der  Satz  begann.  Da 
kommt  weitere  Hiilfe.  Es  ist  diesmal  der  SS^nger  des  Bariton- 
solo,  der  mit  den  von  Beethoven  selbst  eingeschobenen 
Worten  »0  Freunde,  nicht  diese  T5ne  —  sondem  laGt  uns 
angenehmere  anstimmen  and  freadenvollere<  die  Ordnung 
wiederherstellt.  Und  nun  beginnt  er  den  Hymnus  in 
obiger  volkstumlicher  Melodie  —  einer  der  wenigen,  die 
Beethoven  gleich  beim  ersten  Anlaaf  fand  — ,  in  welche 
die  anderen  Solisten  und  der  Chor  dann  einfallen. 

Von  Schillers  Ode  hat  Beethoven  nur  einige  Strophen 
benutzt  nnd  aus  ihnen  eine  Reihe  musikalischer  Bilder 
entwickelt  Er  l^Qi  die  Kreaturen  jauchzen  urn  KQsse 
und  um  Reben,  er  tritt  mit  dem  Cherub  vor  Gott,  er 
malt  die  Bahn,  die  der  Held  durchl&uft,  in  einem  wilden 
stUrmischen  Fugato,  dessen  Kampfget5se  in  einem  festen, 
sieghaften  Pochen  endigt.  Der  Refrain  aller  Szenen,  die 
Beethoven  ausfiihrt  oder  skizziert,  ist  das  vom  Chor  wieder 
eingesetzte  >Freude<.  Am  ausftlhrlichsten  hat  Beethoyen 
die  Szene  des  Helden  behandelt;  die  Rticksicht  auf  die 
Dimensionen  des  Satzes  gestatteten  leider  nicht,  mit  alien 
Themen  des  Gedichts  in  gleicher  Weise  zu  verfahren. 
Es  steht  VoUendetes  und  Angefangenes  nebeneinander, 
und  bei  aller  Begeisterung  tiber  die  entzQckende  Schdn- 
heit  des  Einzelnen  empfinden  wir,  bewuBt  oder  unbewuBt, 
in  der  Totalform  des  Finale  einen  Mangel.  Besonders 
weihevoll  und  hinreiBend  sind  die  Momente,  in  denen 
sich  Beethoven  dem  Sternenzelt  and  dem  himmlischen 
Vater  n&hert,  der  dar&ber  wohnt.  Die  Worte  »Seid  um- 
schlungen,  Millionen*  hat  er  in  eine  Art  Zeremonie  ge- 
faBt,  die  da  oben  am  ewigen  Throne  zu  spielen  scheint 
Sph&renhaft  sind  ifare  Schlufiklange.  Die  irdische  Musik 
vergeht  in  dieser  Nachbarschaft  ganz  in  Stille.  Nur  wie 
heimlich  setzen  die  Solostimmen  wieder  mit  ihrem  >Freude, 
Tochter  aus  Elysium «  ein;  bald  aber  gewinnt  das  En- 


--♦    249     0^ 

semble  seinen  Mut  wieder  und  rauscht  in  einem  Enthusias- 
mus  einher,  welcher  immer  st&rker  wird  and  schliefilich  in 
einen  vdlligea  Freudentaumel  tkbergeht.  Dieses  SchloBbild 
hat  Beethoven  in  dem  realistisch  schwangvoUen  Stile  aus- 
gef&hrt,  der  mit  ihm  zaerst  in  die  Tonkonst  eintrat. 

Die  Entstehungsgeschichte  der  neunten  Sinfonie  zeigt, 
dafi  man  die  prinzipielle,  die  system atische  Bedeutimg 
ihres  Finales  nicht  Clbersch&tzen  darf.  Anders  steht  es  um 
die  Frage,  oh  Beethoven,  wenn  er  Iftnger  gelebt  hfttte,  bei 
dem  System  der  Eroica  gebliebeu  wftre.  Die  letzten  sechs 
Streichquartette  genQgen,  um  diese  Frage  zn  verneinen. 
Wie  in  ihnen  wQrde  er  anch  in  weiteren  Sinfonien  mit 
gr5fiter  Wahrscheinlichkeit  an  die  Stelle  der  Aoslegung 
und  Durchftthrung  weniger  Grundideen  die  Freiheit  der 
Phantaaie,  den  Erfindungsreichtum,  die  Fdlle  von  volks- 
t&mlich  gestalteten,  kflrzeren  Bildern  gesetzt  haben.  Indes 
seiner  und  der  n&chstfolgenden  Zeit  hatte  Beethoven  mit 
^dem  System  der  Eroica  eine  genikgende  Vorlage  hinter- 
lassen.  Wir  werden  bald  sehen,  wie  sich  die  Komposition 
mit  ihr  abzufinden  suchte  und  wie  sich  die  Entwicklung 
der  Sinfonie  fast  ein  Jahrhundert  lang  um  Beethovensche 
Probleme  bewegte. 

Soweit  diese  Beethovenschen  Probleme  auf  der  for- 
mellen  Seite  der  Komposition  liegen,  laufen  sie  auf  ein 
Doppeltes  hinaus:  Erweiterung  des  Grundrisses  und  zu- 
gleich  engere  VerknQpfung  der  Hauptteile.  Den  Aufbau 
der  einzelnen  Sfttze  bereichert  Beethoven  in  der  mannig- 
fachsten  Weise  durch  Einfdgung  neuer  Zwischenglieder, 
durch  Ausdehnung  der  Hauptthemen  zu  ganzen  Themen- 
komplexen,  durch  Verwendung  des  DurchfQhrungsprinzips 
an  ganz  ungewohnten  Stellen.  Er  steht  da  unter  dem 
dreifochen  Drang  einer  fiberstr5menden  Phantasie,  eines 
unerschOpflichen  Ideenreichtums  und  einer  den  hetero- 
gensten  Einf&Uen  gewachsenen,  nur  durch  Schwierigkeiten 
gereizten,  ftufierst  ktthnen  Gestaltungskraft  Auf  der 
anderen  Seite  verlangt  sein  iiberaus  klarer  Kunstver- 
stand,  sein  Sinn  fQr  Logik  nach  Obersichtlichkeit,  Ein- 
heitlichkeit  und  deutlichem  Zusammenhang  des  Ganzen. 


•^    250    ^— 

Dieses  zweite  Problem  hat  Beethoven  in  der  5.,  6.,  in 
der  9.  Sinfonie  in  Angriff  genommen,  aber  die  LOsnng 
den  spftteren  Sinfonikern  dbrig  gelassen,  und  von  ihnen 
ist  die  Schwierigkeit  der  Beethovenschen  Form,  wenigstens 
was  den  Kernpankt,  den  Widerspruch  zwischen  der  FtUle 
und  Selbst&ndigkeit  aller  vier  S&tze  und  zwischen  der 
Fafilichkeit  und  Notwendigkeit  ihres  Aneinanderschlnsses 
zum  Ganzen,  betrifift,  erst  sp&t  erkannt  worden.  Ja  bis 
heute  fehit  noch  die  allgemeine  Klarheit  fiber  dieFrage: 
ob  die  Beethovensche  Sinfonie  eine  fftr  jedermann  er- 
reichbare  Vorlage  bildet,  oder  ob  diese  Riesenform  als 
die  Ausnahmeleistung,  als  das  Monopol  eines  hors  de 
concours  stehenden  Riesengeistes  zu  betrachten  ist. 

Was  den  Inhalt  seiner  Sinfonie  betrifft.  so  ist  hier 
Beethoven  ein  Neuerer  nur  insofem,  als  er  in  den  Wer- 
ken,  die  in  die  Klasse  der  Gesellschaftsmusik  fallen,  deren 
Gharaktergrenzen  mit  einer  Ungebundenheit  ttberschreitet, 
die  seine  Vorgftnger  nicht  gewagt  haben.  Es  handelt 
sich  hier  urn  die  erste,  die  siebente  und  achte  Sinfonie, 
Tondichtungen,  die  in  den  der  musikalischen  Welt  ge* 
wohnten  heiteren  Gmndton  dftmonische  Elemente  und 
die  absonderlichsten  Humore  mit  einer  Freiheit  mischen, 
die  zuweilen  das  Barocke  nicht  scheut. 

Von  den  anderen  Sinionien  bekennen  sich  diedritte,die 
Eroica,  und  die  sechste,  die  Pastorale,  zu  der  Gattung  der 
Programmusik  und  unterscheiden  sich  da  von  den  seit  alters 
Ublichen  Leistungen  nicht  im  wesentlichen,  sondem  nor 
durch  die  individuelle  Gr56e  und  Originalit&t  Beethovens. 

Die  zweite,  die  vierte  und  die  neunte  Sinfonie  sind 
ahnlich  wie  die  letzten  Sinfonien  Mozarts  ganz  subjektive 
Kompositionen,  Augenblicksbilder  aus  Bethovens  eignem 
Lieben,  Stimmungsergiisse  aus  Tagen  bewegtesten  Seelen- 
lebens.  Die  neunte,  die  auf  die  zweite  absichtlich  zurdck- 
greift,  hat  unter  ihnen  ihre  ergreifende  und  erhebende 
Bedeutung  als  Ausdmck  der  Weltanschauung,  mit  der 
Beethoven  aus  dem  irdischen  Leben  geschieden  ist. 


III. 


Nebenmftnner   und    Gefolge  der   Klassiker. 
Voriaufer  und  Hauptvertreter  der  Romantik. 


|ie  allgemeine  Musikgeschichte  pflegt  bei  dem  Kapitel 
>SiDfonie<  schnellen  Schrittes  von  Beethoven  auf 
Mendelssohn  Aberzngehen.  Nur  Schubert  und  Spohr 
werden  als  Zwischenglieder  kurz  berflhrt.  Es  ist  jedoch 
interessant  und  vom  historischen  Standpunkte  aus  sogar 
notwendig,  etwas  l&nger  bei  dem  Kreise  schdpferischer 
Talente  zu  verweilen,  deren  Werke  fflr  die  hervorragenden 
Leistungen  der  klaasischen  FQhrer  den  Hintergrund 
bildeten. 

Der  Umbau  der  Sinfonie  aus  einer  einfachen  Oe- 
legenheitsrousik  zu  einer  Tondichtung  gr56ten  Stils  hatte 
sich  in  dem  verh&ltnism&fiig  kurzen  Zeitraum  von  secbzig 
Jahren  vollzogen.  Oas  musikalische  Publikum  lebte  sich 
wimderi)ar  leicht  in  die  Ver&ndemng  hinein,  und  gerade- 
zu  erstaunlich  ist  es,  wie  schnell  und  richtig  das  Ver- 
hiltnis  zu  Beethoven  festgestellt  wurde.  Wir  h5ren  und 
lesen  heute  viel  von  dem  nnverstandnen  Beethoven,  von 
Beethoven  dem  Mftrtyrer.  Diese  Auffaasung  stQtzt  sich 
auf  kiirzere  oder  l&ngere  Verstimmungen  des  Komponisten 
selbst,  auf  herbe  und  hitzige  Urteile  der  Gegner  und  Wider- 
sacher,  die  seine  Werke  im  einzelnen  oder  ganzen  natQr- 
lich  fanden.  Aber  ihrer  waren  im  Verh&Itnis  zur  Neuheit 
und  KQhnheit  seiner  Kunst  nur  wenige,  und  sie  gaben 
nicht  den  Ausschlag.  Beethoven  lebte  in  einer  Zeit,  die 
seiner  wQrdig,  seinem  Geiste  verwandt  war.    Man  ehrte 


--0     252     0^ 

in  ihm  eine  Aasnahmeerscheinung.  Beethovens  Sinfonien 
sind  die  ersten  and  noch  fflr  lange  die  einzigen,  von 
wejchen  za  Lebzeiten  des  Verfassers  die  Parti tur  gedruckt 
wurde.  Das  Hauptbedenken ,  welches  sie  venirsachten, 
war  ihre  groGe  Schwierigkeit:  Die  Dilettantenorchester, 
auf  welchen  die  Existenz  der  damaligen  Konzertgesell- 
schaflen  ruhte,  waren  diesen  Werken  gegenUber  quanti- 
tativ  und  qualitativ  zu  schwacb.  Ihrer  eingedenk  scbreibt 
Beethoven  wohl  einmal  an  den  Erzherzog  Rudolf,  dafi 
fUr  seine  Sinfonien  vier  erste  Violinen  genflgten,  als  aber 
in  London  die  Nennte  aufgefUhrt  werden  soil,  hat  er  das 
vergessen  und  verlangt  sogar  doppelte  Bl&ser.  Der  be- 
C.*AndT6.  kannte  Hofrat  Andr^  gab  dem  Bedenken  gegen  die  Auf- 
f&hrungsschwierigkeiten  bei  Beethoven  den  stftrksten  prak- 
tischen  Ausdruck,  indem  er  eine  kleine  Serie  von  >leichten< 
Sinfonien  verdffentlichte.  In  einer  derselben  folgt  in  dem 
Menuett  auf  einen  Walzer  als  Hauptsatz  das  Trio  in  Form 
eines  figurierten  Chorals.  Trotz  Andr4  und  trotz  der 
Schwierigkeit  blieben  aber  die  Beethoven schen  Sinfonien 
an  der  Spitze  des  Repertoires,  fiber  Haydn  und  Mozart 
sogar,  wenn  sie,  wie  C.  M.  v.  Weber  an  Lichtenstein 
sehreibt,  auch  meistens,  namentlich  in  Virtuosenkon- 
zerten,  nur  unvollstftndig  gespielt  wurden,  und  die  Or- 
Chester  wurden,  soweit  sie  in  der  Not  der  Befreiungs- 
kriege  standgehalten  batten,  ihnen  zuliebe  mit  grofien 
Kosten  allm&hlich  umgebildet. 

In  den  Kreisen  der  Komponisten  forderte  der  Ober- 
gang  in  die  neue  Periode  seine  Opfer.  Die  Zahl  der 
Stimmen  im  Sftngerwalde  minderte  sich  und  ganze  6e- 
schlechter  verschwanden.  Es  war  aus  mit  einer  >Sin- 
fonie  mit  Guitarrec  und  mit  fthnlichen  Kuriositaten:  es 
war  aus  mit  den  alten,  rauschenden  Theatersinfonien, 
aus  mit  den  konzertierenden  Sinfonien  und  den  harm- 
losen  Divertissements,  welchen  bisher  ebenfalls  der  Titel 
Sinfonie  erlaubt  war.  Wenn  jetzt  die  Brandl,  Braune, 
Blyma,  Weyse,  KufTner  und  die  andem  Matadoren  des 
leichten  Stils  an  die  Ttiren  der  Konzerts&le  klopften,  so 
schoU  ihnen,  wie  dem  Tamino  in  der  Zauberflote  ein 


-^    253    ^>- 

energisches  »Zartlck«  entgegen.  Es  kamen  Zeiten,  wo 
es  der  Kritik  gar  nicht  recht  zu  machen  war,  wo  die- 
jenigen,  welche  sich  in  Beethovens  Pathos  versuchen 
wollten,  schlechtweg  >schwulstig<,  die  Anh&nger  Haydns 
als  >kindi8ch<  gescholten  wnrden,  wo  man  die  Form  der 
Sinfoaie  f&r  erschdpft  erkl&rte  und  wo  fast  jede  Rezension 
eines  neuen  Werkes  den  melancholischen  Anfang:  »Wer 
jetzt  noch  mil  einer  Sinfonie  hervortritt,  der  usw.c  trug. 

Diejenigen  M&nner,  welche  sich  anter  so  erschweren- 
den  Umst&nden  als  Sinfoniker  zu  behaapten  wui3teD, 
welche  neben  den  Klassikern  auf  dem  Repertoire  standen 
nnd  nach  Beethoven  einen  Platz  errangen,  verdienen 
nicht  ganz  vergessen  zu  werden.  Ohne  einen  Blick  auf 
das  Wesen  und  die  Menge  dieser  Nebenm&nner  versteht 
man  die  BlQtezeit  der  Wiener  Schule  und  die  Indivi- 
dualit&t  ihrer  Klassiker  kaum  vollstHndig.  Die  Grofie 
dieser  klassischen  Periode  beruht  nicht  zum  geringsten 
auf  ihrem  Reichtum  an  wirklichen,  an  bedeutenden  Ta- 
lenten.  Siifimayer  hat  bekanntlich  das  Requiem  von 
Mozart  so  vollendet  erg&nzt,  da6  noch  bis  heute  Musiker 
sich  vemehmen  lassen,  die  angesichts  der  wohlverbtkrgten 
Tatsache  doch  die  bloGe  M5glichkeit  einer  fremden  Hand 
glauben  in  Abrede  stellen  zu  durfen.  Diese  kUhnen 
Zweifler  wissen  nicht,  dafi  Siifimayer  keine  vereinzelte 
Erscheinung  ist,  da6  Haydn,  Mozart,  Beethoven  nicht 
von  Zwergen,  sondem  von  hochgewachsnen  Genossen 
umgeben  waren,  von  denen  einzelne  heute,  in  unsrer 
musikalisch  &rmeren  Gegenwart  vielleicht  als  GroBen 
ersten  Ranges  gelten  wflrden. 

Unter  denjenigen  Nebenmftnnern  der  Klassiker,  welche 
in  der  Sinfonie  diesen  hohen  Mafistab  vertragen,  ist  der 
ftlteste  und  bedeutendste  Carl Ditters  vonDittersdorf*).  c. t. di tiers- 
Einst  ein  Liebling  der  deutschen  Musikkreise,  ein  wieder-  dorr, 
holt  und  besonders  gem  gesehner  Gast  der  preuGischen 
Hauptstadt,  ist  dieser  Tonsetzer  heute  nur  noch  durch 
seinen  >Doktor  und  Apotheker*  bekannt.    Und  auch  da 


*)  VgL  G.  Kr^bs:  DitterBdorflana.     Berlin  1900 


__^    254    ^>- 

nur  dem  Namen  nach.  Denn  obwohl  dieses  traaliche  Sing- 
spiel  als  Kulturbild,  als  Supplement  zu  Goethes  >Hennaan 
und  Dorothea*  einen  unverlierbaren  Wert  besitzt,  ist  es 
seit  mehr  als  dreifiig  Jahren  voUstHndig  von  der  Bflhne 
verschwnnden.  Trotzdem  ist  es  ro&glich,  dafi  Dittersdorf 
als  Instrumentalkomponist  wieder  PuB  fafit.  Noch  1906 
wurde  am  Berliner  Hofe  beim  Fastnachtsball  Ditters- 
dorf sche.  Orchestermusik  gespielt  und  auch  sein  Esdor- 
Quintett  hat  sofort  sich  wieder  eingebUrgert  Mit  seinen 
Sinfonien  wiirde  er  die  Neugier  des  jetzigen  Geschlechts 
zunftchst  als  Vertreter  der  Programmusik  reizen  —  aber 
schwerlich  befriedigen.  Die  Programmusik  gibt  in  Haydns 
Werken  bis  zu  seiner  Jagdsinfonie,  bei  Beethoven  in  der 
Pastorale  Lebenszeichen,  stark  und  deutlich  genug,  urn 
ahnen  zu  lassen,  dafi  sie  in  der  N&he  der  Klassiker- 
periode  eine  RoUe  spielte.  Tatsftchlich  war  der  Ausgang 
des  18.  Jahrhunderts  eine  ihrer  gunstigsten  Zeiten.  In 
Sulzers  >Allgemeiner  Theorie  der  sch5nen  Kiinstec  wurde 
ihr  damals  sogar  der  wissenschaftliche  Segen  zuteil, 
unter  den  Praktikern  aber,  die  sich  ihr  in  alien  L&ndem 
widmeten,  war  neben  Rosetti  und  seinem  »Telemach« 
Dittersdorf  der  bedeutendste.  Dittersdorfs  Hauptbeitrag 
zur  Gattung  bestand  in  12*}  cbarakterisierten  Sinfonien 
zu  Abschnitten  aus  Ovids  Metamorphosen.  Im  Jahre 
1786  als  Stimmdruck  veroffentlicht,  mussen  sie  einen  be- 
trslchtlichen  Erfolg  gehabt  haben,  denn  im  nUchsten  Jahre 
schrieb  der  Probst  Hermes  Analysen  dazu.  In  Deutsch- 
land  war  das  interessante  Werk  lange  verschwnnden. 
Brenet**),  ohne  die  Bibliotheksstellen  zu  nennen,  an  denen 
er  sie  gesehen  hat,  beschreibt  zwei  StAcke  daraus:  >Die 
vier  Zeitalter*  und  »Actaeon«,  tadelnd,  daB  sie  ganz  an 
der  viers&tzigen   Sinfonieform   festhalten.     Hanslick***) 


*)  Diese  Zahl  und  diesen  Titel  gibt  Dittersdorf  (K.  ▼.  Ditters- 
dorfs Lebensbeschreibnng,  Leipzig  1804,  S.  230)  selbst  an. 
**)  Brenet,  Histoire  de  la  Symphonie,  Paris  1882,  S.  109. 
**♦)  Hanslick,  Oeschichte  des  Wiener  Konzertwesens,  Wien 
1869,  S.  114. 


_^     255    ♦— 

kennt  das  »Combattiinento  deir  amane  Passioni*.  Das 
ist  die  zehnte  Nummer  der  Sammlung,  eine  Suite,  die 
dadnrch  tiberrascht,  dafi  sie  ganz  in  Mnffats  Stil  gehalten 
ist*).  Sie  besteht  aus  den  sieben  S&tzen:  II  Saperbo,  il 
Umile,  il  Matto,  il  Contento,  il  Melancolico,  il  Vivace.  Der 
Schlufisatz  ist  ein  gr56eres  Mnsikstttck,  die  andren  haben 
die  korze  zweiteilige  Form,  die  im  Ballett  nnd  im  Tanz 
so  gebr&nchlich  ist;  nor  ausnahmsweise  sind  geeignete 
Motive  durchgearbeitet.  Die  Erfindung  ist  in  »Il  Vivace « 
am  glucUicbsten  gewesen;  bier  das  Hauptthema: 

Allegro  aasai. 


^^ 


I  _f>  Qtq^  Im  Ganzen  entbehrt  sie  der 
Scb&rfe.  Von  dem  combat- 
timento,  dem  Kampf,  den  der  Titel  ankOndigt,  enthSllt 
die  Komposition  keine  Spur.  Einmal  nur  sprechen  zwei 
folgende  Stttcke  einen  Gegensatz  im  Charakter  aus:  il 
superbo  und  il  umile.  Den  Ausdruck  des  Stolzes  hat 
aber  Dittersdorf  dabei  nicht  sicher  gefuuden.  Die  Musik 
spricht  Freude,  Aufgeregtheit,  ja  Zorn  aus;  aber  es  fehlt 
ihr  die  Rube  und  Vomehmheit,  die  zum  recbten  Stolz 
geh5rt.  In  eine  sonderbare  Beziehung  ist  il  amante,  der 
Verliebte,  zu  II  matto,  dem  VerrUckten,  gebracht  worden. 
Er  tritt  als  Trio  im  Menuett  auf.  Nach  diesem  Menuett 
hat  sich  Dittersdorf  einen  stillen  Narren  gedacht  Ob 
nun  diese  Sfttze  selbst&ndig  als  »Sinfonie<  komponiert 
Oder,  was  wahrscheinlicber  ist,  als  Einlagen  zu  einem 
Schauspiel,  als  Begleitungsmusik  zu  lebenden  Bildern 
entstanden  sind,  eine  angebome  Begabung  fiir  Programm- 
musik,  Tonmalerei  und  Charakteristik  zeigen  sie  nicht. 
Die  Plastik,  Eindringlicheit  und  Eigentiimlichkeit  der 
Motivbildung,  die  die  StUrke  Rameaus  und  der  Franzosen 
ausmacht,  in  der  auch  Kuhnau  sehr  groB  ist,  kurz  die 
Eigenschaften ,  mit  denen  das  Recht  der  Gattung  steht 
nnd  fS^llt,  gehen  ibnen  ab.     Und  wie  mit  dieser  einen, 

*)  Exemplar  anf  der  Miinchner  Hof-  and  Staatsbibliothek. 


-^    256    ♦^ 

ists  auch  mit  den  tibrigen  Programmsinfonien  Ditters- 
dorfs,  wie  sich  jedermann  aus  der  Neuaosgabe  der  ersten 
sechs  tiberzeugen  kann*].  Hiibsch  ist  das  Finale  im 
Stnrz  Pbaetons  mit  dem  klagenden  Ansgang,  htibscb  ist 
in  Aktaeon  die  Diana  im  Bad,  drollig  ist  in  den  lykischen 
Banern  das  Quaken  der  Frdscbe,  der  kleinen  in  den  Vio- 
linen,  der  groGen  in  den  Bftssen.  Aber  aufier  in  Einzel- 
heiten  sind  diese  Sinfonien  matt. 

Ein  ganz  andrer  ist  Dittersdorf  in  seinen  programm- 
losen  Sinfonien:  da  iiberrascht  er  dnrch  einen  poe- 
tischen  und  nngewGhnlicb  selbst&ndigen  Geist  and  Iftfit 
nns  iiberall  verstehen,  wanun  ibn  die  Musikfreunde  des 
achtzehnten  Jahrhunderts  in  ihren  Orchesterkonzerten 
dicht  neben  Haydn  und  Mozart  stellten.  Er  ist  der 
erste  unter  den  Ostreichern  jener  Zeit,  welcher,  mit 
beiden  Meistem  geistesverwandt,  zwischen  ihnen  in  be- 
deatender  Weise  vermittelt  Mit  Haydn  teilt  er  als  Na- 
turgeschenk  den  Humor,  lernt  von  ihm  die  Kunst  der 
motiviscben  Arbeit  und  fiigt  dem  die  Mozartscbe  Kanta- 
bilitat  bei.  So  betritt  er  mit  groGer  Bestimmtheit  den 
Weg,  den  dann  Beethoven  gl&nzend  weiterschritt.  Wir 
dUrfen  Dittersdorf  in  der  Sinfonie,  soweit  es  sich  um  die 
Vermittlung  zwischen  Haydn  und  Mozart  und  um  Selb- 
st&ndigkeit  und  Origin alit&t  in  der  musikalischen  Archi- 
tektur,  im  eigentlichen  Satzbau  handelt,  einen  Vor- 
l&ufer  Beethovens  nennen.  Nur  Unbekanntschaft 
mit  seinen  Werken  ist  die  Ursache,  da6  die  Biographen 
Beethovens  Dittersdorf  als  Vorbild  und  Lehrer  Beet- 
hovens nicht  anfuhren.  Denn  dafi  der  junge  Rheinl&nder 
die  Sinfonien  Dittersdorfs  gekannt  und  studiert  hat,  geht 
daraus  hervor,  daB  er  sie  in  einzelnen  Zdgen  besondrer 
Gestaltung  nachgebildet  hat.  Der  diplomatische  Beweis 
ist  dafUr  wohl  nicht  zu  erbringen,  aber  fiir  diejenigen, 


*)  Dittersdorfs  Metamorphosen  nach  Ovid  (die  4  Welt&lter, 
der  Sturz  Phaetons,  Yerwandlung  Aktaeons,  Rettung  der  Andro- 
meda, Yerwandlung  der  lykischen  Bauem  in  Frbsche,  die  Ver- 
Bteinemng  des  Phinens),  herausgegeben  von  Joseph  Liebeskind. 


-^    257 


welche  noch  mit  Grttnden  ftufierster  Wahrscheinlichkeit 
rechnen,  aach  entbehrlich. 

Sine  der  HauptsinfoDien  Dittersdorfs  —  aus  der  im 
Jahre  1787  erschienenen  Sammlung  —  ist  anlftngst  in 
Partitnr  and  Stimmen  nengedruckt  worden*)  und  k5nnte 
berechtigte  Veranlassung  bieten,  Dittersdorf  —  und  zwar 
nicht  bloB  ans  bistorischem  Interesse  —  wieder  in  unsre 
Orcbesterkonzerte  einzaf&hren. 

Sie  hat  das  groGe  Orchester  der  Vor-Beethovenschen 
Sinfonie,  n&mlich  2  Oboen,  2  Fagotte,  2  Hdmer,  2  Trom- 
peten,  Paoken  und  den  fftnfstlmmigen  Streicberchor.  Da- 
zu  aber  —  obne  dafi  -es  besonders  angegeben  ist  — 
Cembalo,  ein  Beweis,  dafi  die  Haydnscbe  Praxis  nicht 
mit  einem  Male  und  nnabftnderlich  durchdrang**).  Auf 
dem  Titelblatt  nennt  sich  der  Komponist  Carlo  di  Ditters- 
dorf. Das  ist  mehr  als  eine  bloOe  AuGerlichkeit,  denn 
die  Musik  mischt  zu  den  Haydn schen  und  Mozartschen 
Elementen  drittens  noch  italieniscbe.  Namentlich  der 
erste  Satz  hat  die  Lilrm-,  Prunk-  und  Festmotive  der 
alten  italienischen  Sinfonie. 


Mit  einem 
solchen  setzt 
das  Haupt- 
tbema  ein : 
zdgernden  Ton  an: 


Allegro  aolto. 


a) 


Das  klingt  sehr  ent- 
schlossen  und  krftf- 
tig,  die  Fortsetzung 
schl&gt    aber    einen 


^W 


Sie  hat  die  Mozartsche  Kantabi- 
lit&t  und  das  Tbema  als  Gauzes 
ist  der  Ausdruck  einer  noch  un- 
gekl&rten  Stimmung.   Es  ruft  uns  das  Bild  eines  Menschen 


*)  Bei  Breitkopf  ft  HIrtel,  Leipzig. 
**)  Unentbehrlich  ist  das  Cembalo  nnr  im  2.  Satz  der  Sin- 
fonie, in  der  Breitkopfscben  Nenansgabe  ubernehmen  die  Streich- 
instrumente  seine  Partie  mit 


KretzBchmar,  Fftkrer.    I,  1. 


17 


258 


vor  die  Phantasie,  der  vor  einem  schweren  EntschluO) 
vor  einer  schweren  Anfgabe  steht,  vor  einer  Lage,  die 
unerwartet  gekommen  ist  und  deshalb  yerwirrend  wirkt. 
Ans  dem  Sinnen  wird  mit  dem  zweiten  Them  a  dumpfes 
BrOten. 


^   Vlollni 

B. 

|»  J   J    1 

J  J  J 

=j= ''JJJJJ= 

=^= 

MJ  JJJ 

^     ^     ^ 

\*fn\ 

^ 

etc. 


Doch  schlieBt  die  Themengrappe  in  Jubel: 


und  zuletzt  noch  mit 
Tonen  stiUen  Glticks. 


Die  Darchfiihrung  kniipft  an  das  ei/en  vorgefiihrte 
Episodenthema  an,  die  Stimmung  wird  wieder  trlib  und 
mebr  und  mehr  kleinlaut,  Pausen  unterbrechen  die  Dar- 
stellung  fortw3.hrend.  Dann  folgt  als  zweiter  ein  kr&f- 
iigerer  Abschnitt  inn  em  KHmpfens  und  Ringens,  der  un- 
verwertet  mit  dem  Eintritt  des  zweiten  Themas  endet 
Es  verliert  sich  bald  in  Schlummer  und  Traumen.  Wir 
horen  zuletzt  nur  immer  leisere  Sextakkorde,  Pausen  da- 
zwischen.  Endlich  kommt  einer  mit  langer  Fermate  auf 
G  h  d  f.  In  diesem  Augenblick  setzt  mit  Uberraschender 
Wirkung  der  dritte  Teil,  die  Reprise  ein.  Wir  treten  an 
sie,  des  guten  Endes  gewifi,  heran,  und  sie  verlauft  in  aller 
Regelmafiigkeit. 

Der  zweite  Satz,  ein  Larghetto,  besteht  aus  Thema, 
drei  Variation  en  darhber  und  Coda.  Das  Thema  selbst, 
ein  dreiteiliges  Lied,  von  dem  der  erste  Teil  folgender- 
maOen  lautet: 


259 


.  (J  ■'(^\^ ^^\0  •'^\f}  •<Q\^''i 

zeigt  uns  Dittersdorf  von  seiner  bekanntesten  Seite,  als 
einen  Haaptvertreter  jener  Poesie  der  Beschaulichkeit,  der 
Znfriedenheit,  der  Zierlichkeit  und  Artigkeit,  die,  als  eine 
letzte  Verdunnung  der  Renaissance  &brig  geblieben,  von 
der  Mitte  des  achtzebnten  Jahrhunderts  ab  die  deutscben 
Liedersammlungen  nnd  Singstaben  beherrscbte  and  bald 
dann  in  Gestalt  der  bftrgerlichen  Oper  nacb  ihrem  Ans- 
gangspnnkt,  der  Bfthne,  and  zwar  aach  der  italienischen 
und  franzdsischen  zurackkehrte.  —  Den  Ansatz  mit  dem 
Doppelschlag  liebt  Dittersdorf  auOerordentlich;  aber  kaam 
wird  er  dieser  Lieblingswendang  in  einer  zweiten  Kom- 
position  so  viel  Raam  zagestanden  baben  wie  bier.  In 
den  89  Takten,  aus  denen  ohne  Wiederbolungen  das 
Larghetto  bestebt,  feblt  sie  nur  vierundzwangzig  mal. 
Etwas  Monotonie,  liebenswurdige  Einfdrmigkeit  geh(^rt 
zum  Cbarakter  einer  Idylle,  wie  sie  dieser  Satz  im  Gre- 
samtbaa  der  Sinfonie  biJden  soli:  eine  Szene  der  unge- 
trfibtesten  Anmut,  schmiegsamster  ZUrtlichkeit  nacb  der 
gelinden  Erregung  des  Hauptsatzes.  Die  Methode,  in  der 
die  Variationen  gearbeitet  sind,  ist  die  einfache  derVor- 
Haydnschen  Zeit.  In  der  ersten  begleiten  zweite  Violinen 
and  Bratschen  das  Them  a  mit  einem  Triolenmotiv,  in  der 
zweiten  15sen  es^  die  ersten  Violionen  oder  besser  eine 
Sologeige  in  ein  perpetuum  mobile  in  ZweiunddreiCigsteln 
aaf,  in  der  dritten  treten  die  Blaser  mit  reicben  langen 
KIRngen  hinzu  und    die  B&sse 


versuchen  mit  der  Melodiestim- 


7 


-m  ^^  ^  j 


me  einen  rhythmischen  Dialog 
In  der  kurzen  Coda  verklingt  das  merkwUrdige  StUck  auf 
einer  fremden,  entlegnen  Gdur-Harmonie,  an  die  sich 
unmittelbar  der  Menuett  anschliefit.  Er  ist  daduich 
eigen,  daO  er  uns  in  kurzen  und  in  neuen,  zusammen- 

17* 


260    ^- 


gedr&ngten  Formen   noch  einmal  das  Wesentliche   des 
ersten  Satzes  der  Sinfonie  vorfQhrt.    Wir  haben  da  das 

krftftig  entschlos-    j   j     I     i  J    ^^^  ^^®  ^^^®  ^^^  RoS- 

sene  Aufbrechen    ^   *   *     *  ^    nong    und    des    labels 

♦  ♦  ♦     ♦  ^     ^  aus   dem    ersten 

irrr|rr|Lrpyrir  •  xeu wortiich vor 

*^  ~   uns.    Der  zweite 

Teil  streift  die  Momente  des  Bangens.  Das  Trio  ist  als 
2.  Menuett  bezeichuet,  eine  reine  Aufierlichkeit.  Das  Stflck 
bildet  zum  ersten  Menuett  weniger  einen  Gegensatz  als 
eine  Erg&nzung,  bringt  zum  AuBeren  das  Innere.  Dort 
eine  Freudenszene  vor  der  Offentlichkeit,  bier  die  dank- 
bare  und  friedensfrobe  Seele  mitsich  allein  im  stillen  K&m- 
merlein:  viermalhin- 

leiser,  so  scblieBt  der  Satz.  Er  klingt  ausgezeichnet  Den 
Hauptteil  kennzeicbnen  die  tiefen  Saiten  der  Geigen,  den 
Mittelsatz  ein  mit  Lercbenklang  und  Naturton  fessehides 
Oboensolo.  Es  kehrt  nach  Wiederholung  des  ersten  Me- 
nuetts  als  Coda  wieder,  mit  einem  HalbscbluO  bricht  der 
Satz  ab,  und  unmittelbar  darauf  setzt  das  Finale  ein: 
Erst  mit 

PrestlsBlmo.  ^ 

fii  jLfJmijjfj''T^JiJji^^ 

JlllLl^  iIHIllLi  IIIiilLII  III 


Dann 


Drittens: 


-^    261    ^^ 

Diese  Themen  kommen  einzeln  hintereinander,  mit  dem 
14.  Takte  aber  stehen  wir,  wie  im  Finale  von  Mozarts 
Jupitendnfonie,  in  einer  Tripelfnge.  Alle  Geister  der 
Neckerei  und  Heiterkeit,  feine  and  derbe,  phantastische 
nnd  prosaische  wirken  znsammen.  Aus  einer  Dnrch- 
f&hrung  stllrmen  die  Karnevalsgedanken  in  die  nflchste, 
in  die  dritte  and  vierte,  als  endlich  ein  Orgelpnnkt  auf 
0  eine  bedeutende  Wendnng,  vielleicht  ein  Ende  des 
Treibens  ankftndet:  Sie  kommt  znn&chst  mit  einem  gro- 
tesken  Unisono,  in  dem  alle  Instmmente,  H5mer  nnd 
Trompeten  ansgenommen,  auf  dem  ersten  Thema  for- 
tiflsimo  YorObersansen.  Als  der  vierte  Takt  vorbei  and 
Gdur  erreicht,  ist,  fallen  die  Paaken  ein:  Halbschlafi, 
Generalpanse  mit  Fermate  and  —  Wiederholang  des 
Menaetts.  Grenaa  also  die  Wendnng,  die  das  Finale 
von  Beethovens  Cmoll-Sinfonie  hat.  Dieser  EinfaU 
Dittersdorfs  hat  an  seiner  Stelle  die  Bedeatung  eines 
wttrdigeren  Schlasses  anstatt  des  tollen,  der  von  der 
Tripelfuge  za  erwarten  wflre,  and  zagleich  aach  den 
der  Rflckkehr  in  die  Stimmangssphflre  des  Hauptsatzes 
der  Sinfonie,  also  den  einer  wohltaenden  Abrandang. 
Deshalb  kommen  beide  Menaetts,  nar  ohne  Wieder- 
holangen,  noch  einmal  vollst&ndig,  and  die  Sinfonie 
schlieBt  aach  mit  einigen  tamaltarischen  Takten  im 
Rhythmos  des  Menuetts. 

Bei  nftherer  Prtkfung  ergibt  sich  fQr  Dittersdorf  ein 
Cbergewicht  des  Mozartschen  Einflnsses.  Auf  die  Wiener 
Schule  im  ganzen  dagegen  Qbte  naturgemaB  Haydn  die 
st&rkere  Anziehung  aus.  Ihre  Sinfonien  vertreten  den 
heiteren  Charakter  der  Musik.  In  ihrem  Rhythmas  and 
in  ihrem  Figurenwerk  herrscht  ein  rascher,  feuriger  Geist, 
die  Melodien  sind  in  der  Mehrzahl  flott  und  munter  und 
geben  dem  Frohsinn  und  der  Lebensliist  'einen  naiven 
and  herzlichen  Ausdruck.  Es  lebt  in  der  Wiener  Schule 
ein  starker  volkstdmlicher  Zug.  Ein  gewisser  Lokaldialekt 
klingt  durch,  der       AUe^ro.  «nd 

selbe,  in  welchem  Jmj^^^f^^   p  4M-^=i=f-"^~^  Mozart 
Haydn  —  z.  B.  in  li7  LJ         '— *  ^^  —     in 


262 


Allegro.     ^        ^        ^  zuweilen     ebenfalls 

^g=p^^p~p|£:pl^  r  r^  I  r  i~    spwchen,    tad    der 

noch   heute   nnyer- 


f&lscht  in  der  Qstreichischen  Armeemusik  fortiebt. 

Diese  Stammeseigensohaften  fCkhrten  die  Mehrzafal  der 
dstreichischen  Sinfoniker  ztinftchst  auf  die  Seite  Haydns. 
Ojrowete.  Die  hervorragendsten  unter  ihnen:  Gyrowetz,Rosetti, 
B«iettl.  pieyel,    Wranitzlcy,    Hoffmeister    hat    Riehl    in 
Wra^tefcr.  ^^®™  Kapitel  tiber  >Die  g(^ttlichen  Philisterc  geschildert 
Hoffteeliterl  Ibnen    wftren   vielleicht   noch  Nenbauer,   van   Swieten, 
F.  KroMMer.  jedenfalls  aber  Franz  Krommer  nnd  Vanhall  anzu« 
YMkftil.  reihen.   Vanhall  war  der  besondere  Liebling  Norddeutsch- 
lands,  Krommer  drang,  dnrch  die  nnglaubli<;he  Popalaritftt 
and  Verbreitnng  seiner  Quartette  nnd  Quintette  mitge- 
tragen,  auch  als  Sinfoniker  weiter  und  hielt  sich  lAnger 
als  die  genannten  Schnlgenossen.    Seine  Sinfonien  sind 
denen  Haydns  im  allgemeinen  sehr  &hnlich,   aber  von 
einer  niedrigen  Bildungsstnfe  aus  entworfen  and  darch- 
geffihrt    Die  Form  hat  grofie  M&ngel,  die  Gedanken  ver- 
raten    die  derbe   Atmosphilre    der  Zauberoper.     Alter e 
Musikfreande  haben  mit  dem  Ton   dieses  Kreises  viel- 
leicht noch  durch  die  Diabellischen  Klaviersonaten  an- 
erfrealiche  Bekanntschaft   gemacht     Nur  Pieyel  and 
Gyrowetz  stehen  dem  Yorbild  aach  geistig  n fiber,  die 
anderen  haben  von  dem  Haydnschen  Erbe,  vom  Geist 
der  Zeit  geleitet,  nor  den  epikureischen  Teil  an  sich  ge- 
nommen:  die  lastige  Thematik  seiner  Londoner  Zeit.    An 
seiner  Kunst  des  Aaslegens  gingen  sie  vorbei. 

Nach  dem  Anteil,  den  franzdsischer  Geist  am  Wesen 
von  Haydns  Sinfonien  hat,  war  za  erwarten,  daB  sich 
in  Frankreich  eine  bedeatende  Gefolgschaft  dieses  Ton- 
setzers  gebildet  h&tte.  Doch  fehlte  es  hierzn  an  wesent- 
lichen  Bedingtingen :  an  Konzertinstitaten  und  Sinfonie- 
komponisten.  Mit  dem  Reichtum  musikalischer  Kollegien 
and  »wOchentlicher  Konzertec,  dessen  sich  Deutschland 
erfreute,  konnte  sich  Frankreich  i^icht  messen,  and  die 
Institute  dieser  Art,  die  sich  in  Paris  and  den  Provinz- 
hauptstadten   aufgetan    batten,   konnten    den    Vorteilen 


-^     263     #^ 

gegenCkber,  die  eine  erfolgreiche  Oper  einbrachte,  nichts 

bieten.    Diese  an  und  fttr  sich  nngttnstige  Lage  wurde 

dnrch  Haydn  noch  verschlimmert.    Denn  —  so  sag!  ein 

Artikel  des  Moniteur  im  Jahre  1806*}  —  nachdem  Haydns      « 

Sinfonien  die  erste  Schwiehgkeit  der  Einftkhrnng  fiber- 

wnnden  batten,  konnte  sie  bald  jedennann  answendig 

.und  woUte  keine  anderen  hdren.   Beklagenswerter  Weise 

ist  bier&ber  auch  Fr.  J.  Gossec  nm  die  Anerkennnng  F.  j.Gomm. 

gekommen,    die   ibm    die   Mosikgescliicbte   Frankreicbs 

schnldig  ist.   Er  war  der  erste  Tonsetzer  von  Bedeutung, 

der  sicb  der  neuen  Gattung  der  Konzertsinfonie  nacb- 

baitig    nnd   mit    voller   Hingabe   widmete.     Schon    als 

Zwanzigjithriger  trat   er  mit  Sinfonien   hervor,   die  in 

italieniscber  Folge  dreisfttzig  nnd  vielleicbt  die  ersten 

uberhaupt  sind,  in  denen  Klarinetten  vorkommen.   Denn 

damals,  Anfang   der  fUnfziger  Jabre,   hatte  sie   aufier 

Rameau  and  J.  Stamitz  wohl  noch    niemand   ins   Or- 

cbester   gebracbt;    Haydn    lieB   sicb   damit    fast  noch 

vierzig  Jahre  lang  Zeit.    Das  alien  Franzosen  gemein- 

same  Klangtalent  ist  bei  ibm  iiberbaupt  noch  besonders 

hervorragend  enwickelt.    Deshalb  waren   seine  konzer- 

tierenden   Sinfonien    anch   seine  angesebensten.     Doch 

auch  durch  einen  stark  nationalen  Zug  von  Eleganz  nnd 

Anmut  fesseln  seine  Werke.     So  war  er  in   den  sieb- 

ziger  Jabren  der  nnbestrittene  Herrscher  in  den  von  ibm 

gegrtindeten  Concerts  des  amateurs  sowohl  wie  in  den 

Concerts  spiiituels.  Da  kam  Haydn  und  verdunkelte  auch 

Gossec  dermaBen,  daO  das  Ausland  von  ibm  uberhaupt 

keine  Notiz  nahm. 

Die  wenigen  franzSsischen  Musiker,  die  in  der  Periode 
der  Wiener  Klassiker  Sinfonien  schheben,  schlossen  sich 
Haydn  an.    Unter  ihnen  ist  Cherubini  zu  nennen  mit  l.  Cker«bUl. 
einer  D  dur-Sinfonie,  die  auch  nach  Deutschland  kam,  aber  l^  dar-Sinfonie. 
bald  vor  den  viel  freieren  und  bedeutenderen  Ouvertiiren 
ihres  Verfassers  verschwand.  Ob  wohl  Haydn  selbst  Gheru- 


*)  Abgedrackt  in  A.  Pougiiis  Mtfhal-Biographie  (Paris  1889), 
S.  301. 


-^    264    ^^ 

bini  als  >seinen  musikaliscben  Sohnc  bezeichnet  bai^, 
sind  in  diesem  Werke,  mit  Ausnabme  des  Largbetto  can- 
tabile,  die  eigentlicben  Haydnscben  Ktbiste  nicbt  zu 
vollem  Recbt  gekommen.  Die  Sinfonie  ist  wieder  wie 
fast  jede  Orcbesterkomposition  Gberabinis  ein  Muster  des 
Klangs  und  auch  in  der  Satztecbnik  anziebend  and  be- 
lehrend,  unter  andenn  dnrcb  8cb5ne  Kanons.  Ihr  poetiscb 
bedeutendstes  and  eigentfimlicbstes  Stiick  ist  die  trftame- ' 
rische  Einleitung  zum  ersten  Satz.    Der  Anfang: 

Larpo.  _ 


Largo.  ^ 

f"    rHirLiJjlMllll^  I"  Ml  Qjl  PM   i 


gibt  einen  Begriff  von  ihrem  Cbarakter.  DaO  Gherabini 
im  daraaffolgenden  Allegro  das  zweite  Tbema  in  vor- 
baydniscber  Art  in  der  MoUdominante  bringt,  hat  einen 
tieferen  Grand,  die  Absicht,  die  Gegensfltze  za  scb&rfen. 
Sie  ist  in  s&mtlichen  SUtzen  festgebalten,  immer  wieder 
wecbselt  eine  wilde  Stimmung  mit  einer  gebrocbnen.  Am 
st&rksten  kommt  der  Pessimismus  im  Menaett  zam  Aus- 
drack,  wo  dem  zdgemden,  sucbenden,  anentscblossnen 
Ton  des  Haaptsatzes  mit  den  vielen  leeren  Qainten,  ein 
ganz  finsteres,  abgerissen  klingendes  Trio  entgentritt. 
Die  Sinfonie  hat  trotz  Gherubinis  grofien  Namen  aicbt 
viele  Freande  gefunden,  das  Leipziger  Gewandbaas  bat 
sie,  trotz  seines  starken  Sinfonieverbraacbs,nur  ein  einziges 
Mai  gebracht,  aber  ein  eignes,  kennenswertes  Werk  ist 
B.Ma«l.  sie  dennocb.  AacbMdbuIs  Sinfonien  gehdren  ganz  zar 
Haydnscben  Schale;  man  kann  M^hal  den  interessan- 
testen  and  selbstftndigsten  Schuler  Haydns  nennen.  Er 
folgt  ihm,  obne  sein  Vorbild  in  der  Yirtuositftt  der  tbema- 
tischen  Arbeit,  der  Beweglicbkeit  der  Gedanken  ganz  za 
erreicben,  in  der  Methode;  das  llbrige  bestreitet  er  aas 
eignem  Verm5gen.  Die  ganze  Aaffassang  von  Zweck  and 
Wesen  der  Sinfonie  ist  bei  M^bul  etwas  andres  als  bei 
Haydn  and  den  Deutscben:  Man  merkt  zuweilen,  daO 
seine  Kunst  sich  an  ein  groBes  Yolk  richten  will,  von 

*)  Griesinger,  S.  104. 


— ♦    265    «-- 

einem  groBen  Yolke  kommt:  es  ist  ihr  Pathos  und 
Stolz  eingemischt  and  auch  eine  Dosis  Glanz  und  Kraft, 
die  mehr  an  Glack  und  H&ndel  als  an  Haydn  erinnert. 
Anmut  und  Eleganz  geben  sich  etwas  zugespitzt,  so  wie 
das  die  Franzosen  von  Rameau  ab  and  in  ihrer  Yolks- 
musik  von  jeher  gern  gehabt  haben.  Von  den  vier  Sin- 
fonien  M^huls,  die  sich  nachweisen  lassen,  sind  nar  die 
in  Gmoll  and  die  in  Ddur  nach  Deutschland  gekommen. 
Die  erstere,  in  der  der  Menuett  wegen  des  Pizzicato  des 
Hauptsatzes  besonders  wirkte,  kehrt  bis  in  die  sechziger 
Jahre,  wenn  auch  nicht  hflufig,  wieder.  Mendelssohn,  der 
dorch  historischen  Sinn  alle  nachgekommnen  Dirigenten 
unvergleichbar  iiberragte,  suchte  sie  in  Leipzig  im  Jahre 
1838  wieder  aus  dem  Archiv  hervor:  Schumann,  von  dem 
man  bei  dieser  Gelegenheit  ein  besondres  Wort  erwarten 
durfte,  mengte  sie  —  absichtlich  oder  versehentlich?  — 
unter  die  Werke  »bekannter  Meister«*).  Bei  ihrer  ersten 
Auff&hrang  im  Jahre  1810  hatte  sie  ein  Mefifremder  in 
der  Allgemeinen  Musikalischen  Zeitung**)  als  eine  Sin- 
'  fonie  in  >J.  Haydns  Weise,  frei  ins  Franz5sische  fiber- 
setzt«  bezeichnet.  Nach  diesem  richtigen  Anfang  f&hrt 
der  Yerfasser  fort:  »So  gut  das  gelingen  kann,  war  es 
M^hul  wirklich  gelungen.  Der  melodische  Teil  war  on- 
streitig  der  schwilchste :  der  harmonische  aber  auch  nicht 
selten  grell  und  gesacht:  Die  Arbeit  tibrigens  sorgsam 
und  mit  Streben  nach  Grflndlichkeit;  die  Instrumen- 
tierung  sehr  gut  und  effektvoU.<  Yon  der  dreifachen  Be- 
fangenheit,  die  dieses  Urteil  trCkbt,  kommt  ein  Teil  auf 
die  musikalisch  mechanische  Richtung  des  Schreibers, 
die  beiden  andren  Telle  mu6  man  der  Zeit  Napoleons 
und  Beethovens  zu  Gute  halten.  Die  Gmoll-Sinfonie 
vergleicht  Schumann  mit  Beethovens  Fiinfter***),  auch 
Fink  lobt  ihr  Feuer  und  ihre  Klarheitf).   Die  Gegenwart 

*)  Nene  Zeitschrift  far  Muiik,  8.  Bd.,  S.  107. 
***)  Allg.  Mosik-Zeitong,  12.  Jahrgang,  S.  565. 
***)  Ges.  Sehriften    Reklam)  II,  169. 

i)  Allg.  Musik-Zeitung,  40.  Jahrgang,  S.  287. 


-^    266    ^^ 

ist  in  der  Lage,  M^huls  Sinfonien  ohne  Eingenommenheit 
za  wflrdigen;  gibt  man  ihr  dazQ  Gelegenheit,  wird  sie  ihn 
lieb  gewinnen:  mehr  noch  als  in  der  Gmoll-Sinfonie  in 
der  in  Ddar. 

Die  Italiener,  aaf  eine  Herrschaft  der  Instrumental- 
mnsik  noch  wenigervorbereitet  als  die  Franzosen,  streichen 
allm&hlich  die  Pflege  der  Sinfonie  so  gut  wie  ganz  aus 
ihrem  musikalischen  Pensum.  Unter  den  GrQnden,  mil 
denen  sie  diesen  schweren  Fehler  zu  beschOnigen  suchten, 
hat  der  bis  auf  den  heutigen  Tag  immer  wiederholte  Vor- 
wnrf,  daB  die  dentsche  Musik  gelehrt  and  wissenschaft- 
lich  geworden  sei,  daB  sie  sich  zn  sehr  an  den  Verstand 
wende,  GemUt  und  Phantasie  vemachl&ssige,  deshalb 
f&r  nns  Interesse,  weil  etwas  Wahres  an  diesem  Vor- 
warf  ist  Mozart,  C.  M.  von  Weber  haben  in  ihren  Sin- 
fonien, Beethoven  hat  mit  seinen  letztenQaartetten  gezeigt, 
da6  es  neben  der  Haydnschen  Methode,  in  der  sich  Geist 
and  Witz  am  besten  entfalten  konnen,  andere  gibt,  die 
Erfindang,  Phantasie,  Inspiration  za  einem  grdfiern  Recht 
kommen  lassen.  Die  Bevorzagung  des  Haydnschen  Stils  ' 
hat  uns  eine  grofie  Menge  pedantisch  langweiliger  In- 
stramentalkompositionen  eingebracht  and  der  spfttem 
Entwicklang  der  Sinfonie  geschadet.  Die  wenigen  italie- 
nischen  Komponisten,  die  von  jetzt  ab  noch  Sinfonien 
versachten,  schlossen  sich  jedoch  ebenfalls  Haydn  an. 
L.  BoeeherUi.  Unter  ihnen  ist  L.  Boccherini  fUr  lange  Zeit  der  einzige, 
der  in  Deutschland  and  wohl  auch  in  Frankreich  Be- 
achtung  gefanden  hat.  Wenigstens  sind  in  Paris  am 
1799  zwei  seiner  Sinfonien  (in  Stimmendrucken)  yerdffent- 
hcht  worden.  Beide  haben  vier  S&tze,  den  Menaett  als 
dritten.  Die  erste  (in  D)  kommt  im  Finale  aaf  das 
erste  Allegro  zaruck  and  erreicht  dadurch  eine  Einheit 
and  Abrandang,  die  dem  Darchschnitt  der  Sinfonien 
jener  Zeit  nicht  eigen  ist.  Die  zweite  (in  C)  gehSrt  zar 
Gattung  der  konzertierenden  Sinfonien,  sie  verwendet 
das  alte  Corellische  und  Hfindelsche  Konzertino:  2  Solo- 
violinen  und  Solocello.  Letzteres  tritt  im  Andante  sehr 
sch5n  hervor. 


267 


TJnter  den  Sinfonikern,  welche  znerst  auf  Mozarts 
Seite  traten,  gebdhrt  der  Altersvorrang  Michael  Haydn,  HiehMlHiydn. 
dem  Salzbnrger  Bnider  von  Joseph  Haydn.  Yon  den 
52  Sinfonien,  die  von  ihm  nachweisbar  sind,  sind  za 
Lebzeiten  des  Komponisten  nur  drei  in  Stimmdrucken 
enchienen  (17d3  Wien);  zwei  davon,  eine  Cdnr-Sinfonie 
uod  eine  in  Es,  liegen  aber  seit  knrzem  in  den  fet- 
reichischen  Denkm&lem*)  vor,  eine  dritte,  ebenfalls  in 
G,  hat  0.  Schmidt  herausgegeben**).  Die  Musik  wtkrde 
jedem  J&ngling  Ehre  machen;  sie  hat  Frische,  Freudig- 
keit,  Kraft,  alle  Merkmale  eines  jugendlichen  gesunden 
Geistes  nnd  zeigt  dabei  in  jeder  Wendung  der  Form  die 
Sicherheit  nnd  Klarheit  des  reifen  Meisters,  jene  Mozart- 
sche  Abgekl&rtheit,  die  anch  in  Vokalwerken  des  Salz- 
bnrger Haydn  so  wohltnend  berfihrt. 

Die  Schmidtsche  C  dor-Sinfonie  fflngt  mit  denselben 
Noten  wie  Mozarts  Linzer  Cdnr-Sinfonie,  aber  sogleich 
im  andren  Charakter  an.  Noch  ehe  der  zweite  Takt 
sehlieCt,  ist  von  Kantabilit£t  keine  Rede  mehr,  das  Herz, 
ans  dem  diese  T6ne  kommen,  ist  vol!  lauter  Sonnenschein: 

Alleffro  splrltuoso. 
Vlollneu 


ganz  besonderes  Wohlgefallen  hat  der  Komponist  an  der 
anfschlagenden  Sext  des  letzten  Taktes  gehabt.  Wer 
noch  nicht  klar  darUber  ist,  mit  wem  er  es  zn  tnn  hat, 
dem  mQssen  alle  Zweifel  schwinden,  wenn  (mit  dem 
15.  Takt)  die  Ergflnznng  des  ersten  Themas  kommt: 


♦)  XIV,  2. 
**)  Lelpsig,  Breitkopf  &  HirteL 


-^     268     <>— 

Das  ist  Musik  vom  Geblttt  des  Don  Giovanni  und  des 
Grafen  im  »Figaro«.  Der  ritterliche,  junge,  ins  Leben 
stQrmende,  stolze  Mozart  ist  es,  an  den  sich  wie  die  Mehr- 
zahl  der  Wiener  Mozartschfiler  auch  Michael  Haydn  an- 
schliefit  Zweites  Thenia  und  Obergangspartien  bieten 
geringres  Interesse,  in  letztren  niacht  sich  eine  gewisse 
Umstandlichkeit  bemerkbar.  Sonst  hat  der  Satz  den 
groBen  Vorzug  voUendeter  NatfirJichkeit  and  Schlicht- 
heit.  Die  Durchfabrung  verarbeitet  das  1.  Motiv  des 
Nachsatzes  vom  Hanptthema,  das  erst  in  Nachahmnngen 
zwischen  Violinen  and  B&ssen,  dann  in  letztren  allein 
erscheint.  Gefuhl  der  Kraft  ftuCert  sich  in  kanstvollen 
Formen.  Das  Haaptfeld  seiner  kontrapanktischen  Meister- 
schaft  verlegte  Haydn  in  das  Finale,  bei  dem  wir  wie  in 
Mozarts  Jnpitersinfonie,  in  Dittersdorfs  gleichaltriger  Gdor- 
Sinfonie  wieder  vor  einer  Tripelfuge  stehen.  Haydns 
Priorit&t  ist  unbestreitbar. 
Das  erste  Thema: 

Vtvace  assai. 

fun  iiirn  f  iff  inrir'ri'Jrii' 

dem  16  Takte  spannende  Einleitung  vorangehen,  nimmt 
mit  seinen  Durchfuhrangen  den  ersten  Abschnitt  (bis 
zam  67.  Takt)  allein  ein  and  ftthrt  uns  ein  Stiromangs- 
bild  vor,  in  dem  leises  ahnangsvoUes  Behagen  sich  bis 
zu  lauter  Fr5hlichkeit  steigert.  Da  setzt  auf  dem  H6he- 
punkt  (HalbschluO  in  0)  eine  neue  beweghchere  Freuden« 

weise   ein,     />  f-rrAmrs-  .'  °^®^  ^^^'" 

das  zwei-  jtj  [  I  >■  L  i  *\  \  ]  [  J  \  [  raehr  sein 
te  Thema:    *^  >  Vorlaufer. 

Denn  der  kurze  Gedanke  wird  znnHchst  mehr  versuchs- 
weise  begleitend  in  den  ersten  und  zweiten  Violinen  pro- 
biert,  das  Kommando  bleibt  beim  ersten  Thema.  Neue 
DurchfQhrungen,  Engfiihrungen,  Zwischensfitze  aus  Um- 
bildungen  dieses  ersten  Themas  oder  ganz  frei  gestaltet, 
bilden  den  Inhalt  des  zweiten  Abschnitts  des  Finale  (bis 
zum  Takt  163),  der  dem  Ausruhen  und  Geniefien  gewid- 


269 


met  ist    Seine  schSnsten,  laaschigsien  Stellen  sind  die 
ans  den  Umbildungen  des  Themas  gewonnenen: 

J  i  J    i  J  J  i    A  ii       i  J  j 


$ 


i 


i 


i 


m 


etc 


p    f  '  r  r  r  f    f    r  r    r — rr 

and     namentlich     die 

heitnlich  humoristische    '"^  JT   T    ^^^   geben. 

wo  die  Bftase  viermal        ^  ' 

Am  Eude  des  Abschnitts  wird  ans  Weitergehen  ge- 
mahnt:  Ein  neues,  fortdritngendes  Them  a: 


]&fit  sich  vernehmen.  Der  dritle  Abscbnitt  beginnt.  In 
ibm  zeigt  sich  das  zweite  Thema  in  seiner  vollen  Gestalt, 
n&mlich : 


mj>iii,i  if  Iff  f^^ 


das  neue  dritle  ist  hierbei  sofort  wie  ein  Nachsatz  ver- 
wendet  Znn&chst  Ziehen  nun  die  beiden  HAlften  dieses 
kombinierten  Themas  Arm  in  Arm  durch  die  Instmmente, 
dann  hat  der  Nachsatz  —  (oder  das  dritte  Thema)  allein 
die  Satzbildnng  zu  bestreiten.  Die  Stimmnng,  die  sich  in 
dem  Abschnitte  ansspricht,  ist  im  Verh&ltnis  zum  Vorher- 
gehenden  die  einer  groBeren  Erregang.  Als  er  zum  Schlnfi 
(Takt  202)  ansholt,  sehen  wir  mit  ungeduldiger  Erwartung 
nach  der  Fortsetzung  ans.  Sie  tritt  als  Repetition  des 
ersten  Abschnittes  vor  nns  bin.  Aber  es  ist  keine  wdrt- 
liche,  gewohnheitsm&l^ige,  sondern  eine  Wiederholung  mit 
den  stattlichsten  Varianten.  Wir  sind  noch  gar  nicht 
weit  in  dem  neuen  Abscbnitt  vorgedmngen,  da  bringt 
Haydn  zum  ersten  Male  alie  3  Themen  miteinander.  So 
hat  die  An] age  seines  Finale  Ahnlichkeit  mit  einem 
Spaziergang,  der  uns  immer  hdher  hinauf,  von  einem 
schSnen  Anssichtspunkt  zum  andem  fCkhrt;  der  letzte  ver- 
einigt  die  einzelnen  Augenweiden  zu  einem  m&chtigen 


_^     270    *^ 

Gesamtbild.  Es  ist  in  dem  Finale  dieser  Sinfonie  mit- 
hin  gehaltvoUdr  Plan  and  meisterliche  Formbehemchnng 
nicht  zn  verkennen.  Doch  geht  ihm  die  FQUe  von  sinnigen 
Details,  die  der  m&chtigen  Personlichkeit  entsprieGen,  es 
geht  ihr  auch  der  gewaltige  Zug  ab.  Es  ist  zn  lang  and 
zu  reich  an  Formalismen,  an  Wendangen,  die  von  Grofiren 
geborgt  sind.  Man  woUe  diese  Schw&che  nicht  der  Zeit, 
sondern  nor  der  Individaalit&t  ihres  Sch(^pfers  zar  Last 
legen  and  ihrer  niederdriickenden  Wirkang  bei  etwaigen 
Auffiihrangen  durch  gebdrige  Striche  yorbeugen.  —  Einen 
Menaett  hat  die  Sinfonie  nicht ;  sie  ist  dreisfitzig,  wie  es 
die  italienischen  Sinfonien  waren.  Der  hier  noch  za  er- 
w&hnende  Satz,  der  langsame,  an  der  zweiten  Stelle  im 
Werke  enthalten,  ist  aber  der  eigenste  in  der  ganzen 
Komposition.  Er  hat  die  hier  angew5hnliche  Form  des 
Rondo.  Der  Hauptsatz,  der  dreimal  vorttberzieht,  ist  ge- 
mQtlich  beschaulicher  Natur,  fast  in  Dittersdorfscher  Art. 
AuBerordentlich  schon  and  lebendig  sind  aber  die 
Zwischens&tze.  Beim  zweiten  namentlich  wills  einen  an- 
muten,  als  wenn  die  Flat  des  groOen  Weltenlaafs  in  ein 
stilles  Grehirgsdorf  hineinwogt.  Im  ersten  ist  eine  Stelle, 
die  sich  klanglich  sehr  hervortat :  Hdrner,  Trompeten  and 
Pauken  allein. 

Die  beiden  in  den  ostreichischen  Denkmalern  ver- 
dffentlichten,  gleichfalls  menaettlosen  Sinfonien  Michael 
Haydns  ergeben  ein  ^hnliches  Bild,  wie  die  hier  be- 
schriebene  Cdar- Sinfonie,  das  Bild  eines  Mozartianers 
mit  dem  doppelten  Einschlag  derberer  Lebenslost  and  ge- 
lehrter  Neigangen. 

Aach  der  fur  die  Klavierstadien  unsrer  Jugend  noch 
X.  Clementi.  heate  sehr  wichtige  M u z i o  Clementi  geh(3rt  anter  die- 
jenigen  hervorragenden  Neben manner  der  Wiener  Klas- 
siker,  die  sich  an  Mozart  anreihen  and  zwar  an  den  feu- 
rigen,  nicht  an  den  Sftnger  der  Schwermat  and  des  Welt- 
schmerzes.  DiefatalethematischeAbhangigkeitvon  seinem 
Vorbild,  die  schon  in  Klavierkompositionen  Clementis  vom 
Plagiat  schwer  zu  unterscheiden  ist,  tritt  uns  aber  aach  in 
den  Sinfonien  wieder  entgegen.  Die  in  B  dur  z.  B.  fSngt  an 


-— <►    271     ♦^ 

Allegro  assai.  Nun   vergleiche 

4lJ>P'  JiJlJ  J  |JJ  J  Jii  p   If      inan  damit  das 
«^       «^  I    i       '       Presto  der  Mo- 

zartschen  Salzburger  B  dur-Sinfouie  von  1778!  Zu  diesem 
ersten  VerdruB  tritt  ein  z welter  noch  st&rkrer  Qber  die 
Affektiertheit  dementis.  Was  einen  so  sicheren  nnd  in 
sich  abgeschlossenen  Kunstler  bewogen  haben  kann,  den 
nat&rlicben  Gang  seiner  Modulationen  fortw&hrend  durch 
fremde  Hannonieeinschiibe  and  gewaltsame  Quersprfinge 
zu  onterbrecben  —  wenn  es  nicht  das  Bestreben  war,  sich 
neben  den  groBen  Meistem  als  ein  noch  grdOeres  Ori- 
ginal zu  zeigen  — ,  iJlGt  sich  schwer  begreifen.  Wie  sie 
infolge  dieser  Gebrecben  zu  ihrer  Entstehungszeit  nicht 
fest  einzuwurzeln  vermochten,  so  ists  auch  aussichtslos, 
mit  den  Clementischen  Sinfonien,  obwohl  sie  darch  das 
allgemeine  Kdnnen  ihres  Yerfassers  ziemlich  hoch  stehen, 
heute  Wiederbelebungsversuche  anzustellen.  Ehrlich  w&hrt 
am  l&ngsten  —  gilt  anch  fiir  die  Komponistenl 

Weitere  Mozartianer  nnter  den  Sinfonikern  der  Wiener 
Schule  sind:  Sterkel,  Witt,  Wdlfl,  Wilms.  Das  Btorkel,Wltt, 
Ostreichische  vertritt  unter  ihnen  am  ausgeprftgtesten  ^•i**  Wllmi!. 
Wdlfl,  Mozarts  Salzburger  Landsmann:  anmutig,  gemtit- 
lich,  zuweilen  intim;  auf  der  Kehrseite  nachlassig  und 
unselbst&ndig.  Bei  Sterkel  tritt  noch  der  italienische  Bil- 
dungsgang  in  Melodien  und  Formen  hervor.  Diesem  Um- 
stand  verdankt  er  den  Triumph,  einmal  Beethoven  ge- 
schlagen  zu  haben.  Das  war  bei  einer  Konkurrenz  um 
die Komposition  von  >In  questa  tomba  obscura*.  Sterkel 
erhielt  den  Preis;  Beethovens  Musik  wurde  als  >neu- 
deutsch«  abgelehnt.  Deshalb  braucht  man  sich  aber  Sterkel 
noch  nicht  gleich  als  eine  Null  zu  denken;  dem  wider- 
sprechen  seine  Lieder.  Witt  ist  ein  kleiner  Berlioz,  ausge- 
zeichnet  durch  Experimente  und  Kttnste  der  Instrumen- 
tierung:  ganze  Adagios  mit  Pizzicato,  in  den  Allegros: 
groBe  Trommel  und  tiirkische  Musik!  Wilms  Ckberragt 
die  Genossen  durch  seine  leidenschaftlichere  Natur,  welche 
sich  musikalisch  in  groi3en,  kUhnen  Crescendos  und  breiten 
Zwischens&tzen   &u6ert.    Der   bedeutendste  Wiener  aus 


272 


A^Eberi.  der  Bltktezeit  der  Klassiker  ist  Anton  Eberl.  Ihn  nannte 
man  unter  den  GrQfien  der  Gattung  und  verglich  ihn  mit 
Beethoven,  mit  dem  er  die  Gewohnheit  teilte,  auf  Spazier- 
gftngen  zu  komponieren.  Eberis  thematische  Erfindnng 
ist  wenig  origin  ell,  vielfach  auf  Mozart  direkt  gestiitzt, 
die  Fignrenbildung  altvftterisch  nnd  schablonenhaft.  Aber 
in  seiner  Harmonik,  in  der  Steigerung  des  Aosdrucks,  im 
gewaltigen  Aafbau  der  Perioden,  in  den  zarten  Einschal- 
tnngen  der  Schlufiteile,  in  der  ganzen  Handhabnng  der 
Form  lebt  ein  eigenes  und  starkes  poetisches  Talent 
Eberl  starb  jung;  sein  Ruhm  als  Sinfoniker  ruhtnur  auf 
wenigen  Werken,  von  denen  die  Sinfonie  in  Ddur 
ihren  SchQpfer  lange  iiberdauerte,  auch  draui3en  >im 
Reich«.  In  ihrer  dreisfttzigen  Form,  in  dem  Violinsolo 
des  Adagio  h&ngt  sie  noch  mit  der  alten  Vor-Haydnscheu 
Periode  zusammen ;  originell  ist  sie  in  der  Disposition  des 
ersten  Satzes,  welcher  zwischen  der  langsamen  Einleitung 
und  dem  eigentlichen  Allegro  in  anziehenden  Nuancen 
einen  sehr  hQbschen  Marschvoruberfilhrt: 


Allegro  moderato. 


Er  zeigt  vor  dem  Eintritt  in  den  Kampf,  dafi  HfUfe  naht. 
Das  liebenswttrdige  Adagio  weist  in  seinem  Hauptthema 


.Adagio. 


mit  den  schmachtenden  Vorhalten  auf  die  Zeit  Naumanns 
zuriick  und  voraus  auf  die  Bellinische.  Dieser  weichliche 
Schmerz  rlihrt  uns,  weil  er  erlebt  ist,  —  der  m&nnlichen 
Sprache  der  Klassiker  war  er  aber  fremd.  So  bietet  dieses 
Beispiel  und  ebenso  das  vorhergehende  eine  Ergflnzung  zu 
dem  Ideenkreis  der  drei  Hauptmeister.    Sie  zeigen  uns 


--♦    273    *^ 

die  Stellen  der  Wiener  Schole,  von  denen  Mftnner  wie 
Franz  Lachner  and  Louis  Spohr  ihren  Ansgang  nahmea. 
Wenn  das  Wiener  Publikum  seiner  Zeit  der  Eberlschen 
Esdur-Sinfonie  den  Vorzng  gab  v or  Beethovens  Eroica, 
so  schenkte  es  wenigstens  seine  Gonst  keinem  gew6hn- 
lichen  nnd  nnbedeutenden  Werke.  Es  ist  eine  mil  alien 
Vorzdgen  des  Komponisten  ausgef&hrte  sehr  leidenschaft- 
liche  Romposition ;  selbst  in  dem  Menuett  groUt  es  noch 
heftig,  erst  das  zweite  Trio  bringt  Robe  in  die  Stimmung. 
Der  langsame  Satz  hat  mit  dem  Trauermarsch  der  Eroica 
in  der  Verteiliang  auf  eine  Cmoll-  und  eine  Cdnrhdifte 
and  in  den  kriegeriscben  Triolen  einige  zaf&llige  AuBer- 
licbkeiten  gemeinsam. 

Der  geistige  EinflaB  Beethovens  l&6t  in  der  Wiener 
Schale  sehr  lange  aof  sich  warten.  Nor  Wilms  and 
Eberl  zeigen  anter  den  Genannten  leise  Beziehungen  za 
ibm.  S.  Neukomm,  ein  direkter  Schtkler  J.  Haydns,  in  s.He«ke 
den  Konzerts&len  Deatscblands  bis  in  die  dreiBiger  Jalire 
binein  eine  gern  gesehene  Erscheinung  —  namentlich 
seine  Orchesterphantasie  in  (),  eine  zweis&tzige  Rompo- 
sition, in  der  das  konzertierende  Element  viel  zor  Gel- 
tung  kommt,  war  sehr  beliebt  — ,  schrieb  noch  im  Jahre 
1818  eine  Sinfonia  eroica.  In  ihren  SchluBsatz  ist  H&ndels 
»Seht  er  kommt  etc.«  eingearbeitet.  Als  endlich  Beet- 
hoven von  den  Wienem  eifriger  stadiert  wurde,  wirkten 
zan&chst  die  Aafierlichkeiten  des  groBen  Vorbildes.  So 
warden  von  Wien  aas,  dann  weit  and  breit,  die  Posaanen 
in  den  Sinfonien  endemisch.  Die  Dotzauer,  Reicha, 
Maarer,  Moralt  —  allerlei  Talente,  voran  die  kleinen, 
grifiPen  zu  den  groBen  Instramenten.  Als  typisch  fiir  die 
einreiBende  Tonverschwendang  k6nnen  die  Sinfonien  von 
G.  Czerny  betrachtet  werden.  Diese  beiden  platt  be-  c.  CMrny. 
haglichen,  l&rmenden  Werke  tragen  die  Opaszahlen  750 
and  781!  Aas  dem  groBen  Zitatenvorrat  der  ersten  (in 
Cmoll)  ist  eine  Reminiszenz  von  Schaberts  >Erlkdnig€ 
kunstgeschichtlich  bemerkenswert!  Ein  anderer  direkter 
Schuler  Beethovens,  der  bekannte  Ferdinand  Ries,  f.bim. 
kopiert  stilistische  Eigentftmlichkeiten  des  Meisters,  be- 

Kretsscbmar,  Ffthrer.    I.  1  Ig 


i 


_^    274    ^^ 

Bonders  seine  Oberraschnngseffekte,  und  vennischt  sie 
mit  Rossinischen  Scherzen:  Pldtzliche  Unterbrechungen 
der  Fortepartien  —  die  Greigen  schankeln  Takte  lang 
auf  leisen  Akkordnoten,  italienisches  Guitarrenorchester 
— ,  dann  eine  unvermatete  starke  Dissonanz,  ans  der  sich 
aber  nichts  Beethovensches  entwickelt:  »Partariant  mon- 
tes  etcJ€  Trotzdem  feierte  die  Kritik  in  den  zwanziger 
Jahren  Ries  als  » geistreichen  <  Komponisten.  Selbst 
Schumann  fand  seine  Eigenttkmlichkeit  >nur  dnrch  die 
Beethovensche  verdankelt«  *). 

Der  erste  Tonsetzer,  welcher,  obwohl  er  aaf  einem 
wesenUich  realistischen  Bildungsboden  steht,  im  hSheren 
Sinne  als  Beethovens  SchUler  bezeichnet  werden  kann, 
und  welcher  zugleich  die  Wiener  Schule  und  ihren  Lokal- 
ton  als  einer  der  Letzten  und  als  der  Glftnzendste  ver- 

F. Sehmbert..  thtt,  ist  Franz  Schubert.  Wiener  und  Ostreicher  ist 
er  in  der  Erfindung  und  Phantasie  bis  zu  einem  Grad, 
da6  seine  Kompositionen  an  die  Wiener  Landschaft,  an 
L&ndlerton  und  an  Czardasklang  erinnem,  Beethovenianer 
in  der  breiten,  zuweilen  mafilos  breiten  Ffthrung  der 
Form. 

F.  Sohmbert,  Das  Hauptwerk  unter  Franz  Schuberts  Sinfonien  ist 

Cdnr-Sinronie  die  grofie  Sinfonie  in  Cdur,  welche  in  der  Reihe  der 
^'''^'  tlbrigen  die  Nummer  7  tr&gt.  Sie  ist  ein  Ausnahme- 
werk:  in  ihrer  kolossalen  Anlage,  in  den  unaufhdrlichen 
Wiederholungen  ihres  Periodenbaues,  in  ihrer  »himm- 
lischen  L&nge«,  wie  sich  R.  Schumann  euphemistisch 
ausdr£ickte,  etwas  monstros;  meisterhaft  und  genial,  wie 
keine  andere  seit  Beethoven,  in  der  musikalischen  Er- 
findung, in  der  St&rke  des  melodischen  Stromes,  in  der 
FQlle  schw&rmerischer  Weisen,  in  der  Ursprfinglichkeit 
und  dem  Reichtum  origineller  Tongedanken,  die  auf 
Schritt  und  Tritt  in  diesem  Werke  entgegensprossen : 
liebenswUrdig  und  unwiderstehlich  wie  eine  heitere.  herr- 
liche,    grofiartige   Friihlingslandschaft   nach   der   Natur 

*)  R.  Schumanns  Gesammelte  Schriften  (Ausgabe  Jansen) 
I,  135. 


-^    275    41^ 

ihrer  Phantasie  und  Stimmung.  Alles  in  allem  kann 
man  sie  vielleicht  die  schdnste,  die  musikalisch  reichste 
Sinfonie  des  19.  Jahrhanderts  nennen ;  sicher  hat  sie  in 
der  Laienwelt  mehr  Freande  als  irgendeine  andere. 

Die  Sinfonie  beginnt  mit  einer  ansgefflhrten  Einlei- 
tnng,  welche  die  H6mer  romantisch  erdlTnen: 

Andante.       >  >  > 


1^-11  f  f  riJ.-^r'pi  If  M  ij.pf  If  n  ■■  I 


pp 

Die  Holzblftser  nehmen  diese  fragende  Melodie  znnftchst 
anf,  die  Celli  setzen  sie  fort  Dann  beginnt  eine  Dnrch- 
f&hmng  fiber  die  zwei  ersten  Takte  des  Themas.  Dieser 
Disknrs,  von  den  Holzblilsem  schflchtem  nnd  zagend,  von 
dem  Gros  des  Orchesters  mit  starker  Entschiedenheit  and 
einer  gewissen  robusten  Pracht  gef&hrt,  endigt  mit  einem 
Schlnfiresnltat,  welches  in  dem  ersten  Saize  zn  grofier  Be- 
dentnng  gelangt.  Es  ist  das  frendig  znversichtliche  Motiv 
^^.^  das  nach  Mozartscher,  Ditters- 

h'yt^*  pT    \t  ffT~\T~'  dorfscher,   wir   kdnnen    sagen 

^V*  nach  Wienerischer  nnd  italie- 

nischer  Art  der  trinmphierende  Refrain  in  der  Dichtung  des 
ersten  Satzes  wird.  Mit  ihm  scheint  der  Berg  Ckberstiegen. 
Ohne  Anfenthalt,  mit  fOrmlichem  Ungesttlm  geht  es  fiber 
in  das  Allegro,  das  wie  in  den  Strahlen  der  Morgensonne 
vor  nns  glitzert  and  flimmert.    Ritterlich  stolz  die  Greigen: 

^  AUdgro.  vor  frendiger  Erwartang 

V   ^  I   rj^)l  j.    KX  J)li='>«.^e"<^   ^^  Holzblftser 
/    *  *  mit  dem  in  der  ersten 

Zeit  von  den  Spielem  als  nnansftlhrbar  erklftrten  Rythmns: 
g  g  g         ^  ^      ^o  bauen  die  bei- 

Atrf'rn\rmn\r  t^fsden  leUe  d«s  or- 
^''  J  chesters  das  lange 

Tbema  vor  nns  stttckweise  anf.  In  seiner  zweiten  Hftlfte 
gibt  es  einer  groGen  Frende  immer  kilhneren  and  ran- 
schenderen  Aasdrack: 

^;'pr'pK"i^^"rrTrpi''"P^Pif  f  n 


18  • 


-^     276     •^ 

Echt  Schubertsch  ist  der  AbschlaG  dieses  Bildes  tind  der 
Obergang  ins  n&chste.  Zwei  Takte  im  Decrescendo  ge- 
halten  —  und  wir  sind  aus  dem  Cdur  und  dem  Sturme 
des  vollen  Orchesters  in  E moll!  Das  zweite  Thema  setzt 
beschaulich  and  mit  jenem  kleinen  Anflug  von  Melan- 
cholie  and  Sehnsacht  ein,  der  Schobert  gleich  einen 
masikalischen  Lenaa  immer  begleitet:  Die  stark  be- 
schftftigten,  in  dieser  Sinfonie  fast  Uberbfirdeten  Holz- 
bl&ser  tragen  es 


^"^  J  J  jin  I  'ii  1 1  r  i|  ri 


Erstnach33Takten 


r  r  r  {^-ff-^P  » ?^^pl  r*  n'^  '    ^^  gelangt  es  ans  Ende 


^  Y         f  I      mjjj  id  ^jg  fuy  diese 

Stelle  zu  erwartende  normale  Tonart  Gdor.  Eigenttlmlich 
ist,  dafi  Schabert  schon  hier  eine  DarchfQhrang,  wenn 
aach  nur  eine  kleinere,  einschaltet.  Darin  zeigt  sich 
deutlich  der  EinfluB  Beethovens.  In  dieser  Dnrcbffihrung 
darchstreift  der  Komponist  einen  aal3erordentlich  weiten 
Ideenkreis.  Die  Holzbl&ser  und  das  Streich-  ■■p  ■  j— ^ 
orchester  bringen  mit  dem  munteren:  ^  F  I  f  ^5^ 
naiv  frdhliche  Klange;  die  ^^ — r-     Es  ist  wie  Vo- 

Posaunen  dicht  daneben=*ji  i*^^  |^f'  f  if  . gelzwitsrhern 
mysteri5s      schauerliche         '  und    Waldes- 

raaschen  in  einer  Stunde,  wo  die  Natur  einschlftft.  Die 
beiden  Motive  sind  darch  kurz  zugesetzte  Auftakte  aus 
friiher  aufgestellten  Themen  gebildet;  das  erste  aus  dem 
zweiten  Thema,  das  Posaunenmotiv  aus  dem  zweiten 
Takte  der  Einleitung.  Es  ist  also  alles  h6chst  einfach 
and  naturlich  zugegangen,  und  doch  stehen  wir  hier 
wie  vor  einer  libernatiirlichen  Wirkung,  vor  dem  ganzen 
Schubert  in  seiner  fast  erschreckenden  Gr5fie.  Er,  der 
eben  noch  wie  ein  Kind  mit  Kindern  spielte,  pflegt  jetzt 
geheimen,  priesterlichen  Verkebr  mit  der  Geisterwelt 
Der  gewaltige  Eindruck  der  Stelle  Iftfit  sich  weit  in  der 
modernen  Komposition  verfolgen,  z.  B.  Schumanns  D  moll-, 
Brahms  D  dur-Sinfonie  zeigen  die  Spuren.   Ein  ganz  eig- 


277 


ner  and  nener  Zug  an  diesem  Sinfoniesatze  ist  die  innige 
Verbindnng  des  Allegro  mil  der  Einleitung.  Dies  ofoen 
unter  b]  gegebene  Refrainthema  ans  der  Einleitung  schliefit 
die  kleine  DorchfCLhrung,  von  welcher  bier  die  Rede  ist. 
£s  schlieBt  auch  die  grofie,  die  eigentliche  DurchfOhmng, 
welche  nach  ihr  beginnt  —  etwas  dfister  and  in  Moll  ge- 
halten  — ,  and  am  Schlasse  des  ganzen  ersten  Satzes 
steht  berrlich  and  in  vollem  Glanze  die  Iflelodie  vor  ans, 
mit  welcher  die  Hdmer  die  Sinfonie  begannen.  In  der 
groGen  Darchftlhrang  des  ersten  Sat-  jftim- 
zes  ist  eine  Kombination  des  Motivs  frrfffirff 
mit  einem  andem  aas  dem  ersten  Thema  des  Allegro 

zn  bemerken. 
Nach  der  Re- 
prise    kommt 

eine  Coda,  welche  in  gesteigerter  Empfindang  noch  ein- 
mal  aaf  den  fremden-  and  erwartnngsYollen  Eingang 
des  Allegro  einen  Blick  wirft. 

Das  Andante  der  Sinfonie,  ihr  zweiter  Satz  (A moll,  s/4), 
besteht  aas  zwei  grofien  Grappen.  In  der  ersten  trfigt 
alles  den  Charakter  von  genial,  frei  and  sicher  zasam- 
mengestellten  Impromptas.  Das  f&hrende  Thema  ist 
folgendes: 


a) 


Ob. 


^  18 ;  '^^jjU  I  lj- ■  r  f  I  r  r  I  r  f, rf }  1 F  rv  fj  1 

^^ ^    ^^ :^^ s.  Es  hat  einen  AbscMofi 


trtSbten  Friedens  weist: 


|>(*'/f"p^=  in  Dnr,  der  ins  Land 
■^      des  Glflcks  and  ange- 


Za   dieaem  Hauptthema  tritt   ein   zweites,  in  welchem 

die  Gegens&tze  des  erstem  gesteigert  and  nfther  anein- 

anderge-  »)     g.^-    #.*^-*^a    ±MSM^t    t^ 

rackt   er-  ■  i  P  l-^-H-Hlf  f  ^^^H^^^^^^F^F^^ 
scheinen:     '*^.jys  v'«»>in«» "  r  »>«•" 


-^    278    ♦^ 

Der  zw'eiten  Grnppe  ist  ein  ruhigerer  Charakter  eigen. 
Ans  ihr  klingen  T5ne  der  frommen  Andacht  und  einer 
erhabnen  Feierlichkeit,  und  an  einzelnen  Stellen  heirschen 
ein  Ernst  und  eine  Resignation,  aos  denen  die  Gedanken 
an  das  Jenseits  zn  sprecben  scheinen.  Wir  stehen  wie 
dnrch  Magie  vor  diesem  neuen  Bilde.  Mit  einem  jener 
Ueinen  Harmoniewnnder,  an  denen  Schubert  so  reich 
isi,  fOhrt  er  uns  von  A-  nach  Fdur.  Das  Hauptthema 
dieser  zweiten  Gruppe  ist  das  folgende: 


l.Viol. 


JV 


Es  wird  sofort,  nachdem  es  aufgestellt  ist,  in  kleinen 
S&tzchen  motiviscb  entwickelt.  Der  Wechsel  zwischen 
den  zwei  Ch5ren  des  Orchesters,  den  BIftsern  und  den 
(xeigern,  gibt  diesen  Sfttzchen  ihre  cbarakteristische 
Form.  Von  einer  besonderen  ScbOnheit  ist  die  Schlufi- 
partie  dieser  zweiten  Gruppe,  ihr  sanfter  wehmtktiger 
Abschiedscharakter,  das  fast  fibersinnliche  Klangbild,  in 
welchem  Schubert  hier  mit  den  immer  leiser,  immer 
stockender  gebrachten  Tdnen  des  Homes  und  des  Streich- 
orchesters  das  Verschwinden  der  himmlischen  Vision 
veranschaulicht. 

Die  foeiden  Gruppen  des  Andante  werden  nach  diesem 
Momente  ein  zweites  Mai  voriibergefiihrt.  Bei  dieser  Re- 
petition besteht  eine  Hauptverftnderung  darin,  dafi  die 
wilden  Elemente  des  oben  mit  b)  bezeichneten  Themas 
der  ersten  Gruppe  einen  breiten  Spielraum  erhalten.  Sie 
treiben  es  bis  zu  einer  sehr  bedenklichen  Spitze.  Von 
ihr  aus  finden  die  Celli  mit  einer  r&hrenden  Variante 
des  Thema  a)  den  Obergang  nach  der  zweiten  Gruppe, 
welche  diesmal  in  Adur  gehalten  ist.  —  Trotz  der  un- 
endlich  vielen  Wiederholungen  im  kleinen  ist  die  Dis- 
position des  Andante  knapp  und  einfach. 

Das  Scherzo,  der  dritte  Satz,  erscheint  bei  weitem 
komplizierter.  Namentlich  der  zweite  Teil  seines  Haupt- 
satzes  fibertrifft  in  der  Menge  der  hier  zusammentreten- 


279 


den  Ideen  and  in  der  Llknge  seiner  AnsfQhrung  anch 
die  kiihnsten  Beethovenschen  Vorbilder. 

Den  Anfang  dee  Satzes  macht  ein  Wechselspiel  zwi- 
schen  Bl&serchor  nnd  Streichorchester,  welchem  folgendes 

Motiv    ^  Allegro  Tlvace.  Die  Vio- 


zugrun 
de  Uegt 


was  barsch  and  bnrschikos,  lenken  dann  in  den  zftrt- 
licheren  Ton  der  Blasinstrameote  ein  and  schlagen 
schmeichelnd  eine  liebenswflrdige  Wienerische  Tanz- 
melodie  vor 


f  jj'jiiii_j  III  ^^ 


1^ 


^^ 


>^^#  ,  f  ij   ,  welche   jene  mit  Achtelgewinden 

f    f  '    i  '    "^   I  ^^*   aos  dem  Hauptthema  amkranzen. 

Der  zweite  Teil  des  Hanptsatzes  setzt  die  reizenden  Schel- 
mereien  des  ersten  fort;  nea  hinzagetragen  erscheint  ein 

knrzer  Gedanke  von       . j; — r--^        ^ 

groGerlnnigkeit: ein  J    f     i  f  f  V   \^f^f  ^f    \^F^f    \ 
veredelter    L&ndleiV^=     I  I  ■     ■    T    M    ^^ 

Das  bewegte  Treiben  des  Scherzo  erh&lt  darch  das 
Trio  eine  kdstliche  Unterbrechnng.  Die  Bl&ser  tragen 
einen  Ian  gen,  gefuhlvoUen  Gesang  vor,  dessen  Hauptteil 
aof  folgender,  in  ihrer  Einfachbeit  and  Wftrme  echt 
Wienerischen  Melodie  mht: 


^  ,ip  I  r  I  rTrcj  I  c  r  I  Tr  -I  =Hf^r  i  f"i 


Das  Finale  setzt 
mit  einem  hnmoristi- 
schen    Alarmsignal 


AUegro  Tirace 


Von  al- 
ien Sei- 
!ten  wird 
zamAaf- 


folgendermafien  ein  ^^ 
brnch  gerafen,  eine  grofie  glilnzende  Menge  ist  in  Be- 
wegang:  ein  herrlicher  Tag,  eine  herrliche  Landschaft! 
Aas  der  zweiten  Hftlfte  des  Haaptthemas: 


280 


spricht  vergndgt,  ungeduldig  dr&ngend  die  Freude  der 
Erwartang  oder  der  Erffillung. 

Im  zweiten  Thema  nimmt  die  frohe  Stimmting  des 
Satzes  einen  beruhigten,  festlichen  Ansdruck  an:  es  ist, 
als  ob  sie  nun  k&men,  die  lang  Brsehnten  im  stolzen 
langen  Zug.  Ein  Siegesfest  liefie  sich  mit  dieser  herr- 
lichen,  reichen  Musik  feiern. 


jnf  I FTF  'r  i  irp'^l^ 


pTf  If  r if^lJ^^^Miij^J  I  .ij  >i  \  ^  U  \ 


An  dieser  Melodie  hat  Schubert  ein  ersichUiches 
besonderes  Wohlgefallen  gehabt;  namentlich  auf  den 
breit  daher  schlendemden  Anfang  in  halben  Noten  greift 
er  immer  wieder  zurtick:  Drohnend  und  mit  mftchtigem 
Nachklang  schlagen  sde  uns  aus  den  B&ssen  entgegen 
und  f&hren  die  Gedanken  von  dem  dunkleren  Wege,  den 
sie  in  der  Durchfiihrung  streiften,  wieder  in  heitere 
Sph&ren  zuriick.  Au6ergew5hnlich  frei  tritt  die  Reprise 
ein:  mit  dem  ersten  Thema  in  Esdur  anstatt  in  der 
Haupttonart  C.  Namentlich  das  Finale  ist  deijenige  Satz 
der  Sinfonie,  an  welcher  sich  das  Gbermafi  breiter  Aus- 
Hihrung,  welches  dem  Werke  eigen  ist,  empfindlich  macht 
Ohne  irgendeinen  neuen  Zug  zu  bringen,  setzt  der  Schlufi 
dieses  Satzes  immer  wieder  an  und  wiederholt  in  immer 
andem  Tonarten  die  zur  Genfige  oft  vorgetragnen  Ge- 
danken.    Es  ist  dies  ein   Mangel,   der  von   der  tJber- 


--»     281     «^ 

schwftnglichkeit  Schafoerts,  die  uns  hftafig  genng  selige 
Momente  bereitet,  nicht  za  trennen  ist.  Die  Cdor-Sin- 
fonie  bleibt  trotzdem  eins  der  reichsten  und  beliebtesten 
Knnstwerke.  Aber  man  wtbrde  sie  wahrscheinlich  h&n- 
figer  aaffUhren,  wenn  sie  ktirzer  wftre. 

Schubert  schrieb  diese  Sinfonie  im  Jahre  1828,  wenige 
Monate  vor  seinem  Tode;  aber  erst  10  Jahre  sp&ter  wnrde 
sie  der  Offentlichkeit  bekannt  nnd  zwar  auf  Schnmanns 
Yeranlassting*).  Eine  noch  viel  l&ngere  Wartezeit  haben 
die  tkbrigea  Sinfonien  Schuberts  durchmachen  mfissen. 
Erst  im  Jahre  1866  kamen  die  beiden  Sfttze  zur  Anf- 
ftUirung,  welche  von  der  H  moll -Sinfonie  vorhanden  F.8«hBbert, 
sind**).  Dafi  das  Werk  ursprQnghch  voUendet  werden^™®U*Si»'onw 
sollte,  geht  daraus  hervor,  daB  die  Originalpartitnr  noch 
9  Takte  als  Anfang  des  Scherzo  enth&lt.  Mit  Recht  ist 
aber  neuerdings  darauf  hinge wiesen  worden***),  dafi 
Schubert  diese  Absicht  mdglicherweise  aufgegeben  hat 
und  dafi  die  beiden  S&tze  eine  Fortsetzung  nicht  ver- 
langen.  Der  Entstehungszeit  nach  dem  Jahre  1822  an- 
geh6rend,  also  6  Jahre  &lter  als  die  grofie  Cdur-Sinfonie, 
ist  sie  dieser  doch  an  kfinstlerischer  VoUendung  Qberlegen : 
gedrungen  in  der  Darstellung  und  frei  von  den  formellen 
Mftngeln  der  ber&hmten  Schwester.  Es  ist  eine  Eigen- 
heit  der  k&nstlerischen  Entwicklung  Schuberts,  dafi  sie 
in  Sprungen  auf-  und  abw&rts  ging.  Dem  Inhalt  nach 
ist  die  H moll -Sinfonie  mit  der  groBen  in  C  gar  nicht 
zu  vergleichen.  Hier  steht  der  schwermtltige  Schubert 
vor  uns  und  entroUt  uns  in  kurzen  und  ergreifenden  Zflgen 
das  Bild  einer  leidenden  Seele.  Manche  Stellen  im  ersten 
Satze  weisen  direkt  auf  »Gretchen  am  Spinnrade«  bin, 


*)  Die  Entdeckongsgeschichte  hat  Schumann  znent  aos- 
fuhrlich  in  der  Nenen  Zeitschr.  f.  Mnsik,  Bd.  XII,  S.  81  mit* 
geteilt:  ^on  da  ist  der  Anfsatz  in  seine  yGesanumelten  Schriftenc 
ilbergegangen. 

**)  Cher  die  Anffludung  darch  J.  Herbeck  siehe:  £d.  Hanf- 
liek,  Aos  dem  Eonzertsaal.    Wien  1870,  S.  350. 
***)  W.  Dahme:  F.  Schnbert,  1912. 


282 


sogleich  das  erste  Thema,  in  welchem  unter  dem  sehn- 
sQchtigen  Gesang  von  Klarinette  und  Oboe  (anis6no) 

Allegro  moddf  ato. 


PP 


die  Geigen  auf  trftumerisch  belebtem  Secbzehntelmotiv*) 
bin-  und  herschaukehi.  Das  zweite  Tbema,  eine  l&ndler- 
artige  Melodie,  setzt  dann  mit  unbescbreiblichem  Wohl- 
klang,  aber  wie  aus  fernster  Ferae  in  den  Cellis  ein 


^_  ^     _^     ^ — ^      Es  nimmt  die  gauze  Er- 

'^r'J  r  r  r  r  i  ^  r*^'^  l  ^  r  Cf  ^^  innernng  in Beschlag:  es 

ist  fflr  seine  Stelle  fast 
zu  schdn  and  macbt  ans  die  erscbtitternden  Gremlitsans- 
brticbe  vergessen,  welcbe  doch  seine  Fortsetzung  bilden: 


Der  zweite  Satz,  Andante  con  moto  (E  dnr  s/g)  bringt 

>bimmlischen     Balsam «     in     einfachster    Schale.     Die 

Melodie,    aaf   welcber    sein    Haapttbema    im    wesent- 

lichen  niht.  ist  ein   scblicbter  frommer  Kindergesang: 

Aadantejuffljiiato.  Das  zweite  Tbema  tritt  mit 

Jjjin  f  I  f  ifr  r  I  f  iP '  ^®^  Fragen  eines  bescbwer- 

fr  " '    jy  '  ^^  I  '^^  ten  Gemuts   dagegen   bin. 

Sie  baben  in  der  barmoniscben  FUhrang  dieser  Partie 

einen  bewundemngswUrdigen   Aosdruck  erbalten.     Der 

ganze  Satz  ist  das  gl&nzendste  Doknment  f&r  die  Tiefe 

des  Scbubertscben  Geistes,  fflr  den  erstaunlicben  Reicb- 

tnm  einer  Nator,  in  welcber  neben  der  vollen  Naivit&t 

des  Kindes  aas  dem  Volke  auch  jene  GrdGe  der  Empfin- 

dung  wobnte,  die  Beetbovens  Teil  war. 


*)  In  der  Paititurausgabe  sind  an  dieser  Stelle  mit  be- 
merkeusverter  Pietftt  auch  einige  offenbare  Schreibfehler  Schii- 
berts  konserviert  vorden. 


— ♦    283    *^ 

Seit  kurzer  Zeit  liegen  nns  in  der  verdienstTollen 
Schubert- Ansgabe*)  anch  die  Partitaren  dertibrigen  sechs 
SiDfonien  vor,  welche  Schnbert  auCer  den  beiden  bier 
geschilderten  nnd  in  der  Praxis  eingebilrgerten  geschrie- 
ben  hat.  Yon  einer:  der  Gdnr-Sinfonie  Nr.  6,  welche  in  i*.  Bohnbtrt, 
ihrem  ersten  Satze  Weberschen  EinfluD,  im  letzten  Ver-  Cdur-Sirioiiie 
wandtschaft  mit  dem  Finale  der  siebenten  zeigt,  wissen  '* 

wir  das  Entstehnngsjahr  nicht  genan,  wir  dftrfen  es  aber 
nach  1822  setzen.    Die  andern   fflnf  faUen  in  die  Zeit 
▼on  1813  bis  1816,   ohne  dafi  sich  in  der  Reihenfolge, 
in  der  sie  entstanden,  eine  fortschreitende  Entwickelnng 
verfolgen  liel3e.     Dem    grofien  Sinfoniestile  Beethovens 
nfthert  sich  Schubert  am  meisten  in  der  B  dor-Sinfonie    F.8«hmberty 
(Nr.  2)  vom   Jahre  1814.     Hier  strebt   er   dem    groBen  Bdur-SinfonJe 
Meister  in  dem  breiten  Entwurf  der  Perioden  nach;  ja        (^'S)* 
das  Hanptthema  des  ersten  Satzes  ist  direkt  aus  einem 
fthnhchen   im  Finale   von  Beethovens  vierter  Sinfonie 
hervorgegangen.    Gleichzeitig  zeigt  anch  diese  Sinfonie 
das  Eigene  and  das  Wienerische  in  Schubert  am  st&rk- 
sten,  Tomehmlich         -  ABduu,,  ^ — ^^ 

das  Andante  mitj  ^L,  r  ^p-^ipphpf  |rrrff;|Q- 
den   Yanabonen:^  ■**■  ..    r- 

und  das  keck  dahinspr&hende  Finale: 


Diese  B  dur-Sinfonie  hat  von  alien  den  nachgefun- 
denen  die  ersten  Aussichten  im  Konzertsaale  heimisch 
zu  werden.    Diese  Sinfonien  haben  slUmtlich  ihre  inter- 
essanten  Einzelheiten  in   Beziehungen    auf  andere  be- 
r&hmte  Werke  Schnberts:  die  erste  (Ddur  v.  J.  1813)  in   r.  8«hmb«rt, 
dem  zweiten  Thema  des  Finale,  das  mit  dem  Lied  von  Sinfonie  Nr.  i 
der  Forelle  bestimmte  Zuge  teilt,  die  dritte  (D  dur  vom        ^^  ^- 
J.  1815]   durch   einen  Anklang   an  die  grol3e  in  Gdur. 
Gemeinsam  ist  ihnen  die  Meisterschaft  im  Kolorit,  die  ^ 

angeborene  Genialitftt  in  der  Mischung  und  Yerwendung 

*)  Leipzig,  Breitkopf  A  H&rtel. 


-^    284     i^^ 

der  Instrumente  nn^  ein  ausgepr&gter  Zug  von  Lebens- 

freude.     Eine   Ausnahme   von    der   letzten   Eigenschaft 

macht  nnr  die  vierte  Sinfonie   (CmoU  v.  J.  1816).     Sie 

F.SehBbert,    ist  >tragMche  Sinfoniec  flberschrieben  und  als  ein  Ver- 

Tragische  Sin-  gach  in  diesem  Stile  zn  betrachten,  wobei  Master  wie 

fome.         Beetbovens  Ouvertnren  zum  Coriolan  und  znm  Egmont 

and   die   Cberubinis   znr   Medea   zam  Grande   gelegen 

haben.    Vom  eigentlichen  Wesen  tragischer  Mnsik  ent- 

h£llt  sie  jedoch  weniger  als  die  anvoUendete  Sinfonie  in 

Hmoll. 


Die  Norddeutscbe  Scbule,  die  noch  za  den  Zeiten 
des  Hambarger  Bach  der  Wiener  Schule  innerlich  ziem- 
lich  nahe  steht,  wird  sicb  mit  deren  Erfolgen  eines  Gegen- 
satzes  bewufit  und  bemQht  sich  eine  eigene  Art  zn  ftufiem. 
Sie  gibt  sich  pathetisch,  ruhiger  und  ernster  als  die 
Wiener,  zuweilen  etwas  trocken.  In  Form  und  Stil  iiber- 
trifft  sie  jene  darch  Gediegenheit  and  Soliditftt  und  ver- 
rat  einen  Zasammenhang  mit  jener  Berliner  Kontrapunk- 
tistenpartei ,  welche  anter  der  FQhrung  Kimbergers  den 
ersten  Triamphen  Haydns  mit  dem  Feldgeschrei  » Seba- 
stian Bachc  entgegentrat  Die  Opposition  mag  etwas 
Lftcherliches  gehabt  haben.  Spottet  doch  Marpurg  *}  eio- 
mal  uber  einen  Philister,  der  eine  Partitur  >mit  der  fin- 
stren  Miene  eines  Erzdoppelkontrapunktisten,  der  den 
galanten  Haydn  za  Boden  schlagen  will*  prQft.  Die 
norddeutschen  Sinfonien  sind  reich  an  Imitationen  and 
Umkehrangen  and  an  Fugenpartien.  Fugen  sind  auch 
den  Wiener  Sinfonien  nicht  fremd;  aber  die  Norddeut- 
schen tragen  die  strenge  Arbeit  gem  zur  Schau;  ja  es 
gibt  Werke,  in  welchen  das  gelehrte  Element  sich  ganz 
zum  Herm  macht.  Das  am  meisten  charakteristische 
Produkt  dieser  Richtung  ist  eine  C dur-Sinfonie  des  Abt 
AbtYogier.  Vogler,  seine  sogenannte  ^Bayrische  Nationalsinfonie«, 
in   deren   Finale   sich  noch   einmal  die  Zeit  der   alten 


*)  Legende  einiger  Maslkheiligen  (Odlln  a.  Rh.  1786),  S.  200. 


-^    285    <^ 

Solmisationskfinste  regt:  sein  Haaptthema  ist  die  Gdur- 
Skala,  auf  deren  geistige  Yerwendbarkeit  Vogler  bei  der 
Bekanntschafl  mil  russischer  Hommusik  gekommen  sein 
soil.  Das  Werk  genofi  von  seinem  Entstehnngsjahre  1815 
zwei  Menschenalter  lang  grofies  Ansehen  and  kann,  wie 
Schafh&atl  und  J.  Simon*)  wollen,  als  Beweis  daf&r  dienen, 
dalB  Vogler  untersch&tzt  wird.  Bekanntlich  war  auch 
R.  Schumann  dieser  Meinung. 

Mit  dem  Anftreten  Mozarts  n&hert  sich  die  Nord- 
deutsche  der  Wiener  Schule  wieder.  Mozart  wird  das 
Ideal  ihrer  Tonsetzer.  Um  Beethoven  aber  erwarb  sie 
sich  die  grdfiten  Verdienste.  Seine  Musik  fand  ihre 
Hanptsttltze  in  Norddeutschland,  namentlich  dnrch  das 
Eintreten  des  von  Fr.  Rochlitz  wohl  beratnen  Leipziger 
Gewandhanses,  eines  der  wenigen  Institnte,  die  ans  der 
Periode  .der  >wochentlichen  Konzerte«  heil  in  die  neue 
Zeit  heriiberkamen.  An  guten  Gmnds&tzen  and  Ab- 
sichten  reich,  blieb  die  Norddeatsche  Schale  an  iiber- 
ragenden  Talenten  lange  arm  and  hinter  der  Wiener 
betrlichtlich  zariick,  bis  Mendelssohn  and  Schamann  er- 
schienen. 

Die  ersten  namhaften  Vertreter  der  norddeatschen 
Sinfonie  sind  die  beiden  Romberg  and  Fr.  Schneider.  A*Bonb«r9. 
Andreas  Romberg,  der  Komponist  der  >Glockec,  gait  als 
der  anerkannte  Flihrer.  Von  seinen  Sinfonien,  anter  denen 
sich  aach  eine  mit  Janitscharenmasik  befindet,  ist  die  in 
Dj  welche  Jahre  lang  ein  Liebling  der  Orchester  war,  be- 
sonders  hervorzuheben.  In  ihrem  ersten  Satze,  welcher 
in  freier  and  selbstftndiger  Weise  an  die  tragischen  Mo- 
tive des  Don  Juan  anklingt,  zeigt  sie  die  der  Schale 
eigentumlichen  ernsten  ZQge  auGerordentlich  deutlich. 
Sein  Vetter  Bernhard  Romberg,  einer  der  grofiten  Cello-  B.Ronberg. 
spieler  seiner  Zeit,  heate  noch  durch  seine  Kindersinfonie 
weit  bekannt,  hat  sich  in  der  Gattang  der  hOheren  Sin- 
fonie darch  die  »Trauersinfonie  aaf  den  Tod  der  Kdnigin 


*)  K.  E.  V.  Schaffhintl:  Abt  Vogler,  1888;  J.  Simon: 
Abt  Vogler,  1908. 


286 


// ; : 


0'   • 


Louisec  ein  rflhmliches  Denkmal  gesetzt.  Ohne  Chorftle, 
Begr&bnisgesftnge  und  finGerliche  Hilfsmittel  wird  hier 
eine  erhebende  Todtenfeier  yoUzogen,  der  leidenschaft- 
liche  Schmerz  und  die  sanfte  Rlage  haben  denselben 
natUrlichen  schlichten  Ausdruck  gefunden;  wahres,  echtes 
Gefflhl   nnd  edle  HandiuDg  machen   diese  Sinfonie  zo 

^  einem  hervorragenden  Kunstwerk.    Nach  Geist  und  Stil 

erinnert  es  an  Mozarts  >Maurerische  Traaennusik«.  Fried- 

Fr. 8«luielder.  rich  Schneider  war  einer  der  ersten,  welche  in  Beet- 
hovens  FuGstapfen  za  treten  snchten.  Vom  Jahre  1803 
ab  hat  er  Uber  vier  Jahrzehnte  lang  das  Gebiet  der  Sin- 
fonie gepflegt  nnd  in  den  Scherzis  seiner  nngeffthr  zwanzig 
Sinfonien  oft  eine  bedeatende  H5he  erreicht. 

Als  der  letzte  and  bedentendste  Vertreter  des  ursprQng- 

W.  KftlUweda.  lichen  Stiles  der  Norddeutschen  Schnle  ist  W.  Kalli- 
wo  da  zn  betrachten,  der  von  der  Mitte  der  zwanziger 
Jahre  ab  ein  Yierteljahrhundert  hindarch  einen  bedeu- 
tenden  Platz  im  Repertoire  einnahm.  In  ihm  schien  das 
Geschick  wieder  einen  Meister  ersten  Ranges  bescheren 
zn  wollen.  Vielseitig,  auf  jedem  Gebiete  sicher,  oft  nen, 
originell,  und  doch  natfirlich  und  einfach,  macht  er 
wiederholt  den  Eindruck  eines  Auserlesenen  und  n&hert 
sich  der  letzten  Stufe  zur  Unsterblichkeit.  Obwohl  das 
eminente  Talent  Kalliwodas  nicht  zu  voller  Entfaltung 
gelangt  ist  and  in  fast  jedem  seiner  Werke  ein  unfertiger 
Rest  bleibt  —  hier  die  tibermftfiige  Breite  der  Ausfdhrung, 
dort  die  Ungleichheit  der  Teile  — ,  ist  doch  das  Studium 
seiner  Sinfonien  sehr  genufireich.  Jede  enthftlt  Perlen  und 
Proben  einer  musikahschen  Urkraft  In  der  ersten  Sinfonie 
Kalliwodas  (Fmoll)  machen  wir  auf  die  sch5ne  Einleitung 
and  das  naiv  kraf-  ^   ^     AUegro. ^^ 

tige(zweite)Themagjl  ),\>  !i  J  T^hfr  I  T  Hf-y^l^ 
des  ersten  Satzes:^^'^  -^   i    -    "i    "  uj.^t=r-i— ^ 

aufmerksam.  Ihr  viTaca.  .  eineauf- 

Scherzo    hat   in  I  ^\>  }■    irrriffri    T'   |  fftllige 
demHauptthema  •^  ^Ahnlich- 

keit  mit  dem  entsprechenden  Satze  der  Schumannschen 
DmoU-Sinfonie.     Die   zweite   Sinfonie  Kalliwodas  zeigt 


_^    287    <»— 

bedeatende  Fortschritte  in  der  Form.  Die  Verbindungs- 
grnppen  sind  gedankenvoller  geworden  and  kdnnen  der 
Stiitze  durch  Fignrenwerk  eniraten.  Der  poetische  Glanz- 
pankt  des  Werkes  liegt  in  der  kleinen  Coda  des  Largbetto, 
welche  der  scheinbar  scbon  gescblossenen  Darstellnng 
noch  einen  ganz  nenen  tranlich  berzlicben  Gedanken  in 
Kanonform  nachsendet  Auch  daf&r  findet  sicb  eine 
Analogie  bei  R.  Schumann,  in  der  Bdnr-Sinfonie.  Die 
dritte  Sinfonie  Kalliwodas  darf  im  allgemeinen  als  ein 
Hanptwerk  aus  der  Periode  ihrer  Entstebnng  (1881)  be- 
zeichnet  werden.  Leider  ist  der  letzte  Satz  den  vorber- 
gebenden  nicht  ebenbfirtig,  and  in  alien  wfknscht  man 
die  Darstellnng  etwas  gedrungener.  Obne  diese  M&ngel 
wQrde  sie  fftr  alle  Zeiten  die  Repertoires  zieren  kdnnen. 
Vieie  Partien  haben  Beethovens  groGen  and  ktlbnen 
Zag;  im  zweiten  Thema  des  ersten  Satzes  glaaben  wir 
uns  direkt  in  die  Spbfire  der  Rassumowsky-Quartette 
dieses  Meisters  versetzt  Der  erste  Satz  ist  einer  der 
cbaraktervollsten  Sinfonies&tze,  die  je  geschrieben  worden 
sind;  in  seiner  bltltenlosen  Starre  and  Strenge  hat  er 
kaum  seines  gleichen .         Aliei^ro. 

Sein  kahles  and  stei-  it  y  '^  -|  h  }  *'■■  j  »  \  »■ -|-i— 
nemes     Hauptmotiy  ^  ^^'^ 

welches  schon  fremdartig  in  die  Einleitung  hineinklingt, 
gebdrt  zu  jener  Klasse  von  Themen,  mit  welchem  es  nur 
ein  Genie  wagen  darf.  Die  vierte  Sinfonie  (Cmoll)  zeigt 
den  Komponisten  in  Formen  and  Gedanken  wieder  als 
einen  ganz  anderen.  Ihr  erregtes  Wesen  deutet  aaf  per- 
s5nliche  Erlebnisse;  namentlich  das  Finale,  wo  nach 
einem  aalBerordentlich  leidenschaftlichen  Eingang  plOtz- 
lich  das  sinnende  Andante  wieder  erscheint,  legt  diese 
Vermatang  nahe.  Die  f&nfte  Sinfonie  Kalliwodas  (HmoU), 
welche  im  ganzen  etwas  leichter  wiegt,  hielt  sich  darch 
das  den  langsamen  Satz  vertretende,  einschmeichelnde 
and  etwas  b5hmisch  ankhngende  Allegretto 

if  I'  iTTTiii'hm  I  \\T\ 


-^    288    *^ 

langeiD  derGunst  desPublikums.  Die  sechste  nnd  siebente 
Sinfonie  Kalliwodas  stehen  gegen  ihre  Vorgilngerinnen 
znruck  und  erlangten  in  den  Konzertprogrammen  keine 
feste  Position. 

Zar  Bedeutung  gelangte  die  Norddeutsche  Schule  mit 
dem  Anwachsen  der  romantischen  Bewegung,  die  sie  in 
die  Sinfonie  hineintmg. 

Jean  Paul  nennt  bekanntlich  die  Mnsik  die  romaD- 
tischste,  d.  h.  von  Natur  aus  nnd  von  jeher  romantische 
unter  den  Ktlnsten.  Und  in  frOhererwie  in  neuererZeit 
ist  mil  Recht  daranf  aufmerksam  gemacht  worden,  dalB 
schon  die  Werke  S.  Bachs  wie  die  D.  Bnxtehndes  und 
anderer  &lterer  Meister  romantische  Ziige  tragen.  6e- 
schichtlich  datiert  aber  der  BegrifT  der  musikalischen 
Romantik  erst  seit  dem  Anfang  des  neunzehnten  Jahr- 
hunderts.  Zwiespftltigkeit  and  Mischnng  gait  als  Wesen 
der  Romantik.  In  diesem  Sinne  warden  Mozart  und 
Beethoven  im  Gegensatz  zu  Haydn  als  romantische  Rom- 
ponisten  bezeichnet:  Mozart,  weil  er  in  seinen  AUegro- 
satzen  die  Instrumente  ohne  weiteres  aus  bewegtem 
Figurenspiel  in  ruhigen  Gesang  ubergehen  liefi,  Beet- 
hoven, weil  er  Scherzi,  d.  i.  heitere  Sfttze  schrieb,  bei 
denen  man  sich  &ngstigen  konnte,  und  weil  er  auch  sonst 
in  demselfoen  Atem  Dinge  verband,  welche  im  schSlrfsten 
Gegensatze  zueinander  standen.  Haydn  tat  eins  nach 
dem  anderen  und  hielt  seine  Gedanken  und  Stimmungen 
einfach  und  frei  von  Mischnngen.  Die  Wiener  Schule, 
die  ihm  vorzugsweise  folgte,  versagte  sich  der  Romantik 
nicht  grundsfttzlich,  aber  sie  ging,  Franz  Schubert  aus- 
genommen,  kaum  fiber  den  Punkt  hinaus,  bis  zu  dem 
Mozart  vorangeschritten  war.  An  A.  Eberl  IftOt  sichs 
wahmehmen,  wie  sie  die  romantischen  Wendungen  auf 
die  eigentlichen  Adagiogefuhle  beschrftnkt.  In  der  nord- 
deutschen  Schule  durchdringt  dagegen  der  romantische 
Gteist  schon  friihzeitig  auch  das  AUegroleben. 

Wir  begegnen  seinen  Spuren  z.  B.  bei  A.  Romberg 
in  kleinen  chromatischen  Durchg&ngen  und  Wechsel- 
noten : 


--•    289 

Allegro  moderato. 


Dnrch  sie  werden  die  im  Grande  mantren  Weisen  seiner 
D  dor-Sinfonie  sentimental  durchblitzt  Die  Heimat  dieser 
Art  romantischer  Musikelemente  ist  vornehmlich  die  fran- 
zdsische  Oper.  In  den  durch  ihre  Herbheit  der  Nord- 
dentschen  Schule  nahestehenden  Sinfonien  von  Toma- 
schek,  dem  bChmischen  >  Schiller  der  Mnsik«,  und  von 
M^hul  greift  die  Romantik  schon  tiefer  in  den  Satzbau 
und  in  die  Gedankenentwicklung  hinein.  Vom  Jahre  1816 
ab  wird  der  romantische  Stil  allm&hlich  der  herr- 
schende,  und  alle  die  Sinfoniker,  welche  neben  Beethoven 
etwas  bedeuten,  reprHsentieren  eine  Seite  des  roman- 
tischen  Geistes.  Die  musikalische  Romantik  hat  mit  der 
Romantik  in  Literatur,  Poesie  und  bildender  Kunst  fortan 
mehrere  Jahrzehnte  lang  hervorragendeBeriihrungspunkte. 
Auch  die  musikalischen  Romantiker  kennzeichnet  das 
Festhalten  an  Lieblingsstimmungen,  das  Hervortreten  der 
Persdnlichkeit  des  Darstellers  in  der  Darstellung,  der  sub- 
jektive  Ton  und  die  aus  diesen  Erscheinungen  hervor- 
gehende  Einseitigkeit  und  Gleichformigkeit  der  Werke. 
Die  musikalischen  Romantiker  pflegen  Spezialit&ten  des 
Gemdtslebens  and  der  Phantasie  und  haben  in  der 
Form  Manieren,  die  immer  wiederkehren  und  fiir  welche 
sie  schnell  Nachahmer  und  Schtkler  finden.  Wie  die  all- 
gemeine  Romantik  Ifiuft  auch  die  Geschichte  der  musi- 
kalischen im  Zickzack.  Sie  springt  von  dem  phantasti- 
schen  Gebiete  auf  das  sentimentale  dber,  von  da  auf 
das  naturfrohe  und  naive,  and  l&uft  endlich  von  dieser 
letzten  Station,  von  der  Hingabe  an  das  Genre  und  an 
das  Kleinleben,  in  eine  Periode  der  Realistik  und  des 
Naturalismus  aus.  Die  romantische  Epoche  hat  in  der 
Musik  sehr  belebend  and  anregend  gewirkt,  Ideen  einer 
fr&heren  Zeit  vertiefend  ausgefUhrt,  neue  Klang-  und 
Ausdrucksmittel  zum  Vorschein  gebracht  nnd  die  Lite- 
ratur mit  Werken  bereichert,  welche  allgemeinen  bleiben- 
den  Kunstwert  haben.    Sie  bedeutet  eine  zweite  Blilte- 

Kretzsehmar,  Ftthrdr.    I,  1.  19 


— ^    290    <i^ 

zeit  in  der  Geschichte  der  Sinfonie  and  hat  in  Mendels- 
sohn nnd  Schumann  zwei  Meister  hervorgebracht,  welche 
sich  an  OriginalitAt  and  Reichtam  der  masikalischen  £r- 
findang  den  grofien  Rlassikem  der  Wiener  Periode  n&hem. 
Die  phantastische  Richtang  der  Romantik  vertritt  in 
€.M.v.Weker.  der  Sinfonie  zaerst  C.  Maria  von  Weber.  Von  seinen 
zwei  Sinfonien,  die  beide  in  Cdar  stehen,  ist  die  erste 
(im  Jahre  1807  fCkr  die  Kapelle  des  Herzogs  von  WCirttem- 
berg  geschrieben)  die  bedeatendere.  Sie  war  (yom  Jahre 
1814  ab)  l&ngere  Zeit  bei  den  Orehestem  sehr  beliebt 
and  diirfte  aach  keate  noch  einer  freandliehen  Aafnahme 
gewifi  sein.  Bs  ist  ein  bescheidenes,  liebenswttrdiges  and 
sehr  mannigfaltiges  Werk,  heate  doppelt  interessant  darch 
die  vielen  Einzelheiten,  welche  direkt  aaf  den  SchOpfer 
des  FreischQtz  hinweisen.  Das  Andante,  das  poetisehe 
HaaptstCiek  der  Sinfonie,  hat  Wolfsschlachtsb&sse  and 
Agathekantilenen.  In  seiner  dilster  feierlichen  Pracht,  in 
der  stillen  Schwermat,  welche  aus  den  schmelzenden 
Klftngen  der  Blasinstnimente  spricht,  ist  es  einer  der 
schonsten  langsamen  Sfttze,  welche  zar  Zeit  Beethovens, 
and  ganz  anabhftngig  von  diesem  Meister,  geschrieben 
worden  sind.  Die  freie  Disposition  macht  es  einer  dra- 
matisierten  Brz&hlang  fthnlich.  Der  Schaaplatz  ist  n&cht- 
lich,  za  den  handelnden  Personen  stellt  die  Geisterwelt 
Mitwirkende.  Im  ersten  Satze,  welcher  im  Stile  die  kon- 
trapanktischen  Merkmale  der  Norddeatschen  Schole  tr&gt, 
Qberwiegt  der  mantere  ritterliche  Ton;  die  spannenden 
phantastischen  Momente  liegen  in  den  leisen  Solostellen 
der  Kontrab&sse.  Maleriseh  and  bilderreich  ist  er  im 
hohen  Grade;  der  herrschenden  Haydnschen  Methode 
weicht  er  aas.  Weber,  selbst  war  spftter  mit  diesem  aller- 
dings  etwas  zerfahrnen  Satze  am  wenigsten  zafrieden. 
Er  entschaldigt  sich  bei  Gottfr.  Weber,  dem  die  Sinfonie 
gewidmet  ist,  and  bei  Fr.  Rochlitz  damit,  da6  er  hier 
mehr  auf  eine  Ouvertdre  aasgegangen  sei*).    Dagegen 

♦)  F.  W.  Jihns:  C.  M.  v.  Weber  in  seinen  Werken  (1871), 
S.  64. 


--♦    291     <>^ 

erkannte  w  Menaett  and  Adagio  vol!  an.  Beim  Pnbli- 
kum  nnd  bei  dem  Orchester  war  das  Finale,  in  welchem 
immer  die  Hdrner  mit  komiscber  Befiiessenbeit  Torrans- 
fltCtrmen,  als  einer  der  drolligsten  S&tze  seiner  Zeit  be- 
eonders  beliebt. 

Bin  spftterer  Vertreter  derselben  Richtnng  ist  Ons-  H.  eaiiew. 
low,  ein  geistreicher,  temperamentvoller  Komponist  and 
einer  nnter  den  Brsten,  deren  Adagios  den  Beethorenschen 
MaBen  nacbstreben.  Onslow  ist  apart,  elegant,  reich 
an  Ideen,  in  Figuren  nnd  Rbythmen  vielfach  nen;  iif  den 
Darchfllbmngssfttzen  verraten  leider  triviale  Bpisoden  den 
Mangel  an  mnsikaliseber  Dnrchbildnng,  welcber  den  Wer- 
ken  Onslows  eine  scbnelle  Vergessenheit  bereitet  hat. 
Die  verbreitetste  seiner  Sinfonien  war  die  in  Adnr.  Die 
Hanptthemen  ihres  ersten  Satzes 

1^  ABeyro  •plrittioso. 


JT^  J-   kl  I     111'  ™^S®^  ^^'^  romantischen  Cbarakter 
i^f  i)l*i  bJ  if*     y^n  Onslows  mnsikaliseber  Brfindung 

eriftntem.    Wie  die  Romantiker  der  pbantastischen  Rieb- 

tnng  yon  der  Iranz5siscben  Oper  im  allgemeinen  yiele 

Impulse  empfingen,  so  zeigen  diese  nnd  andere  Melodien 

Onslows  speziell  den  EinflnB  der  Romanzen  Boieldiens. 

Die  sentimentale  Richtnng  der  Romantiker  ist  dureh 
Mozart  nnd  Chernbini  vorbereitet  nnd  anch  in  den  Sin- 
fonien der  Wiener  Schule  reicblich  yertreten.  Ibre  eifrigste 
Pflege  findet  sie  in  den  Sinfonien  yon  L.  Spohr  und 
F.  Mendelssobn-Bartholdy. 

Die  Sinfonien  von  Louis  Spobr  sind  in  ihrer  Mehr- 
zabl  der  beutigen  Generation  bereits  wieder  fremd  ge- 
worden.  Fast  zwei  Menscbenalter  hindurch  war  dieser 
unermQdlicb  strebende  Kilnstler  auf  diesem  Gebiete  tUtig 
und  nabm  an  alien  den  Bestrebnngen  tUtigen  Anteil, 
welcbe  yon  Beethoven  bis  auf  Liszt  der  Weiterentwieke- 
lung  des  sinfonischen  Stils  galten.  Die  erste  unter  Spohrs  l.  Spobr, 
gedruckten  neun  Sinfonien  (in  Esdur)  wurde  fQr  das  zweite  Eb  dur-Sinfonie 
Frankenhauser  Musikfest  (1811)  komponiert  und  erfreute 

19* 


-^    292    ♦^ 

sich  bald  aUgomeineir  Anerkennung'^).  Sie  seigt  bereiU 
die  fertige  IndiTidQalit&t  des  merkwtkrdigen  Kilnstlers :  die 
Zeitgenossen  fanden  in  ihrer  ruhigen  Wurde  einen  Gegen- 
satz  za  dem  Fener  Mossarts  and  Beethovens,  lobten  die 
weniger  gedanklich  bedentenden  als  angenehmen  Melo- 
dien  und  tadelten  die  allznhftafige  Wiederkehr  seiner 
chromatischen  GS,&ge  und  die  unrohige  Modulation.  Bit 
gegen  das  Jahr  1830  kehrt  das  Werk  in  den  Konzerten 
immer  wieder.  Seine  zweite  Sinfonie  (Dmoll)  schrieb 
Spobr  im  Jahre.1820  fftr  die  philharmonische  Gesellschaft 
in  London,  die  durch  ibn  kurz  zuTor  die  erste  Bekannt- 
Bcbaft  mit  dem  Taktstocke  gemaoht  batte.  Sie  wirkte 
besonders  durch  die  virtuosen  Stellen  des  Streichor- 
chesters**).  Spohrs  dritte  Sinfonie  (Gmoll),  seine  vierte 
(>Weihe  der  T5nec)  und  seine  f&nfte  (Cmoll)  biiden  den 
HOhepunkt  in  der  sinfonischen  T&tigkeit  ihres  Verfassers 
und  waren  bis  vor  kurzem  noch  in  den  Programmen  zu 
L.  Spobr,  finden.  Namentlich  seine  dritte  Sinfonie  (vom  Jahre  1829) 
Cmoll- Sinfonie  ist  eins  der  liebenswiirdigsten  Denkm filer  der  ersten,  un- 
^''  ^'  schuldigen  Jugendzeit  der  musikaliscben  Romantik.  Manche 
Zeilen  in  dieser  Dichtung  —  wir  denken  an  das  zweite 
Tbema  des  ersten  Satzes  —  sind  veraltet,  aber  aus  dem 
Ganzen  spricbt  der  dberschwftnglicbe  Geist  milder,  weicher 
Schwarmerei,  dem  Spobr  zuerst  einen  eignen  Ausdruck 
yerlieh,  nocb  in  erster  Friscbe.  Die  musikaliscben  Wur- 
zeln  dieser  Spobrschen  Kunst  reicben  bis  in  die  Opera 
Paisiellos,  Piccinis,  Galuppis  zurQck;  in  der  Sinfonie  er- 
starkte  sie  namentlicb  dnrcb  Eberl  und  jene  Wiener 
Rfihrungsmfi.nner,  deren  letzte  Spuren  sich  in  den  Liedera 
H.  Prochs  finden.  Schubert  kannte  Spobr  nicht,  als  er 
seine  ersten  Sinfonien  schrieb,  und  von  Beethovenschen  An- 
regungen  macht  er  nur  einen  sebr  vorsicbtigen  Gebraucb; 
der  italienischen  und  franzftsiscben  Oper  seiner  Zeit,  Che- 
rubini  namentlicb,  verdankt  er  einiges.  Wie  bedeutend 
aber  Spobr  die  Sprache  der  Sentimentalit&t  selbst&ndig 


*)  L.  Spohr,  SelbstbiogrAphie  I,  161. 
*♦)  Ebenda  U,  S9. 


293 


weitergebildet  hat,  und  wie  viel  von  ^  ^  |^  j  ,^^  ■ 
den  verminderten  SchluGintervalleD :  fr  '  ''  r  *  f  ■■ 
und  von  anderen  Wendungen  seines  romantischen  Idioms 
in  die  Werke  mitlebender  und  folgender  KQnstier  flber- 
gegangen  ist,  wird  man  mil  Staunen  bei  Betrachtnng 
dieser  C  moll-Sinfonie  gewahr.  Ihr  Larghetto  namentlich, 
der  Tollendetste,  gedankenreichste  und  mannigfaltigste 
Satz  des'Werkes,  hat  in  den  Sinfonien  gleichzeitiger  und 
sp&terer  Sinfouiker  mftchtig  nachgewirkt. 

Am  ersten  Satze  ist  das  Beste  die  Einleitung  mil 
dem     charakteri-  und    der    SchluB    der 

stischen.  suchen-  jj  j  r  I  f^^  Durchffthrung ,  an  wel- 
den  Quintenmotiy  v^  ~  chem   diese  Einleitung 

wieder  erscheint  Auch  das  erste  Thema  des  Allegro,  in 
seinem  Anfang  nicht  hervorragend ,  erh&lt  durch  die 
poetische  Anknapfung  an  das  zitierte  Motiv  der  Einleitung 
einen  wertvoUen  Schlufi. 

Das  schon  erv&hnte  Larghetto  (F  dur,  ^/s)  hat  zum 
Hauptthema  eine  lange,  behaglich  ausgeftlhrte  Melodie, 
das  Kind  eines  Her-        Largiietto.  Nur  leich- 

zens,welches  seinen^^  fl  ■.^^'^n  j^JH   f     J_   J^*^  Schat- 
Frieden     gefunden*" 
den  bier  ei-  ^  ^^  -jr^p^^^i^^-y^  Der     Glanzpunkt     des 

Zutritt:  --^^^^-R-i-^  !»■'■  f    Satzes  ist  das  KantabUe 


nen 


bei  dem  Spohr  einen  neuen  Instrumentationseffekt  an- 
wendete:  Sftmtliche  Geigen,  Bratschen  und  Celli  tragen 
die  Melodie  im  Unisono  vor.  Die  Wirkung  ist  grandios! 
Das  Scherzo  dieser  Sinfonie  ist  in  seiner  Herkunft 
yerwandt  mit  dem  in  Beethovens  fAnfter: 

^r^w^^u  Jjjjij^^^l TH  in 

In  der  Ausfiihrung  bleibt  es  etwas  gleichfOrmig.    In 
lauter  kleine  Ziige   zerlegt,  eines   lebendigeren  drama- 


294 


tischen  Impulses  bar,   bildet  es  fClr  den  Zuhdrer  einen 
einigermassen  mQhsamen  GrenuB. 

Der  Humor  Spohrs  yergr&bt  sieh   mil  Vorliebe   in 

Miniataren.     So   streiten    auch   im    Finale    gegen   die 

gr56ern  Intentionen  des  kflhn  scherzenden  Hauptthemas, 

das   an   das  Finale   von  Beethovens  Zweiter  erinnert, 

allerhand  kleine 

t^p\r  iijuh  '^j)iJ^ '^pi 

mentlich  folgende  echt  Spohnche'Figur 


^Arabesken,  on- 
7  ter    denen    na- 


Nr.6. 


einen  breiteren  Raum  einnimmt 
L.  Bpokr,  Die  andere  Cmoll-Sinfonie  Spohrs  (geschrieben  im 

^"^*i^,^'*'**"^Jahre  1838  far  die  Wiener  Concerts  spirituels)  hat  eine 
pathetischere  Tendenz.  Sie  begibt  sich,  allerdings  nicht 
sehr  weit,  direkt  ins  Gebiet  der  Leidenschaften  hinein. 
Spohr  war  sich  der  Binseitigkeit  seiner  musikalischen 
Natur  bewuGt  und  strebte  zeitlebens  ernstlich  damach, 
seine  Phantasie  auch  auBerhalb  der  elegischen  Grenzen 
heimisch  zu  machen.  Bs  ist  aber  nicht  zu  yerkennen, 
daC  ihm  bei  solchen  Versuchen  die  Originalitftt  des  Aus- 
drucks  versagt  und  dafi  er  sobald  wie  mdglich  den  RAck- 
zug  auf  vertrantes  Terrain  anzutreten  pflegt.  Fiir  die 
erstere  Tatsache  bildet  das  Hauptthema  im  ersten  Allegro 
dieser  Sinfonie  eine  gentlgende  Dlustration: 

Allerro.  <-^ 


£r%    .  >         Einen  schdnen  poetischen  Zug  teilt 

f  fTTV  f  t  \^r  r  dieser  erste  Satz  der  ftknften  Sin- 
fonie mit  dem  der  dritten:  das 
Thema  der  langsamen  Einleitung,  die  wie  eine  Verheifiung 
in  Dur  steht,  tritt  pl5tzlich  in  die  Durchffthrung  hinein 
und  kehrt  dann  bis  zum  Ende  des  Satzes  mefarmals  wieder. 
Vielleicht  bat  dazu  Haydns  bekannte  Esdur-Sinfonie  an- 
geregt    Der  SchluB  des  Allegro  sticht  durch  Macht  des 


— <*     295     ♦^ 

Ansdracks  hervor  und  schliefit  das  ganze  Bild  znit  den 
Kl&ngen  edler  Traner  ab.  Man  hat  den  Eindruck,  dafi 
das  Werk  einer  Fortsetzung  nicht  bedarf  und  tats&chlich 
ist  auch  dieser  Satz  selbst&ndig  im  Jahre  1836  als  Onver- 
tftre  zn  Raupachs  »Tochter  der  Laft<  entstanden. 

Das  Larghetto  dieser  Sinfonie  kommt  im  Geiste  und 
anch  in  der  thematischen  Erfindung  Beethoven  sehr  nahe; 
es  ist  einer  der  schdnsten  langsamen  Sfttze,  die  Spohr 
geschrieben  hat,  nnd  bei  der  ersten  AuffQhnmg  in  Wien 
mnBte  er  wiederholt  werden.  Der  Mittelsatz  dieses 
Larghetto  kontrastiert  mit  dem  Hauptteile,  fUhrt  aber 
seine  Aufgabe,  eine  nnruhige  Szene  darzustellen ,  in 
einer  namentlich  nach  Seite  der  Instrumentation  bin 
bemerkenswert  originellen  Weise  ans.  Wir  geben  bier 
das  Hanptthema  dieses  Larghetto: 


Larfch«tto. 


Das  Scherzo,  ein  fQr  Spohr  aufiergewdhnlich  kr&ftiger  Satz, 
st&tzt  sich  im  Hanptthema  auf  ein  chromatisches  Motiv 
^_  welches,  von  den  H5rnem  aos  durch  die  Bl&ser 
\—  wandemd,  ein  heitres  Leben  im  Orchester  wach 
hftlt.   Der  zweite  Teil  des  Hauptsatzes  verdankt 


dem  Annchen  aus  Webers  Freischtktz  (»Grillen  sind  mir 
b6se  Gftste«)  einiges.  Das  grazi5s  elegische  Trio  ist  den 
Holzbl&sern  in  der  Haaptsache  allein  iiberwiesen. 

Im  Finale  herrscht  der  Ton  einer  milden  Heiter* 
keit.  In  knnstvollen  Formen  fugierend  und  imitierend, 
bilden  sich  frdhliche  Spiele  um  das  dem  Hanptthe- 
ma folgen-  AUefro.  ^  s,,^^    Alszweites 

scheint  die  Melodie  der  Einleitung  zum  ersten  Satz. 
Die  Sinfonie  erhftlt  dadnrch  in  Form  und  Idee  eine  sehr 
sch5ne  Abrundung.  Mehr  als  beachtet  wird,  sind  die 
Sinfonien  Spohrs  reich  an  solchen  geist-  und  sinnreichen 
Wendungen. 


--♦    296    ♦^ 

Zwischen  den  beiden  CmoU-Sinfonien  steht  die 
.  L.  Spohr,  »Weihe  der  Tdne«.  Dieses  >chaxakteristische  Tongem&lde 
*^**T»*****  ^^^^  Form  einer  Sinfonie«,  wie  es  der  Komponist  nennt, 
enchien  im  Jahre  1834,  fRilt  also  in  eine  Periods »  in 
welcher  die  Tendenz,  die  Instnimentalkomposition  an 
poetische  Vorwtirfe  zu  binden,  wieder  einmal  entschieden 
aufgelebt  war.  Diese  Periode,  welche  zuf&llig  mit  der 
Bliktezeit  der  Romantik  in  der  Literatur  zasammenf&Ut, 
datiert  von  dem  Franzosen  H.  Berlioz,  dem  sich  Mendels- 
sohn und  Gade  in  ihren  poetisierenden  Konzertouver- 
tiiren  auf  dem  Gebiete  des  Orchesters  in  besonnener 
Distanz  anschlossen;  Schumann  vertrat  eine  &hnliche 
Tendenz  in  der  Klaviermnsik  mit  seinen  Cbarakterstftcken. 
Auch  auf  Spohr  iibte  diese  Richtung  einen  groBen  Reiz, 
und  in  seiner  energischen  Art  ging  er  gleich  praktisch 
und  mit  groOem  HuiBren  Erfolg  ans  Werk.  Denn  diese 
Komposition  wurde  eine  Lieblingssinfonie ,  die  man  eine 
Zeit  laug  in  den  stehenden  Konzerten  jedes  Jahr  zu 
horen  verlangte.  Der  >Wei)ie  der  T5ne«  liegt  ein  ziem- 
lich  langes,  ursprtinglich  zu  einer  Kantate  bestimmtes 
Gedicht  von  Carl  Pfeiffer,  einem  Gasseler  Freunde  des 
Komponisten,  zu  Grande,  welches  bei  der  Auffuhrung  der 
Sinfonie  entweder  verteilt  oder  laut  vorgetragen  warden 
soil.  Die  Konzertdirektionen  begnUgen  sich  indessen  mit 
einem  kurzen  Auszug,  einer  Art  Inhaltsangabe ,  die  den 
Tempis  der  einzelnen  Satze  beigeschrieben  wird  und  die 
Intentionen  von  Dichter  und  Komponist,  wenn  auch  nicht 
immer  ganz,  so  doch  ann&hernd  trifft.  Etwas  unglUck- 
lich  gewfthlt  erscheint  sofort  die  Bezeichnung  des  ersten 
Largo:  >Starres  Schweigen  der  Natur  vor  dem  Erscha£fen 
des  Tons*.  Tatsachlich  will  Spohr  hier  nur  etwas  Ahn- 
liches  schildern  wie  J.  Haydn  im  Chaos  der  Schdpfung, 
wie  Beethoven  im  Anfang  der  neunten  Sinfonie:  eine 
Welt,  der  die  Freude  fehlt,  in  der  das  Leben  noch  nach 
Formen  ringt.  Das  tut  er  in  der  Einleitung  durch  tr&ge, 
lastende  Melodien  in  den  BUssen  und  andern  tiefen  In- 
strumenten  und  durch  wiihlende  Harmonien.  Der  er- 
15sende  Jubal  ist  sehr  bald  geboren :  Schon  nach  23  Tak- 


— *    297     9^ 

ten  beginnt  das  Allegro.    Es  bring!  als  Hauptthema  eine 
echt  Spofarsche  Melodie: 


L^ 


Ein  zweites  Thema  besitzt  dieser  Satz  nicht.  An  seiner 
Stelle  erscheint  eine  lange  konzertierende  Partie,  in  wel- 
cher  die  Holzblftser  das  Vogelgezwitscher  nachzubilden 
suchen.  Dergleichen  Aufierlichkeiten ,  KUnsteleien  and 
nnreife  Stellen  sind  in  Programmsinfonien  nicbts  Sel- 
tenes.  Aber  in  der  >Weibe  der  Tdne«  scheinen  sie  nicht 
ausschlieOlich  ans  dem  Prinzipe  hervorgegangen,  sondem 
aus  einer  augenblicklichen  Schwftche  der  musikalischen 
Erfindnngskraft,  die  im  allgemeinen  ndtigt,  das  Werk  — 
so  viel  liebenswiirdiges  es  enthftlt  —  hinter  die  beiden 
Cmoll-Sinfonien  zurttckzustellen.  Namentlich  die  Ober- 
gangspartien  von  Bild  zu  Bild,  von  einem  Thema  zum 
andern,  entbehren  der  Gedankenkraft  and  behelfen  sich 
mit  leerem  <Figarenwerk.  Aach  die  Dichtang  zwang  nicht 
zu  den  kleinlichen  Malereien,  in  welchen  Spohr  die 
Stimmen  der  gefiederten  S&nger  wiederzugeben  glaubte; 
sie  bringt  in  dem  Verse,  welchen  das  Allegro  illustrieren 
will,  eine  Reihe  hdherer  Momente,  welche  der  Kom- 
ponist  beiseite  liegen  liefi.  Dagegen  hat  Spohr  in 
diesen  Satz  eine  Szene  hinein  eskamotiert,  von  welcher 
der  Dichter  nichts  weifi:  einen  Aufruhr  der  Elemente. 
Mit  seinen  heftigen  Akzenten  bildet  er  zn  der  masika- 
lischen  Idylle  der  Themengrappe  einen  nicht  unwill- 
kommenen  Gegensatz. 

Im  zweiten  Satze  sacht  Spohr  Wiegenlied,  Tanz  and 
Stfindchen  zn  vereinigen.  Namentlich  das  Wiegenlied 
ist  mit  einer  sehr  gelnngenen  Melodie  wiedergegeben, 
yon  der  man  fast  bedaaert,  dafi  wir  sie  so  wenig  an- 
vermischt  genieOen  kdnnen 


yp 


-^    298     ♦^ 

Der  Tanz,  ein  franzdsischer  Zwelyierteltakt,  vertreibt 
diese  Melodie  schnell,  und  ihn  16st  spftter  das  St&ndchen 
ab,  dessen  Ausftlhrung  dem  Solocello  tibertragen  ist  Es 
steht  im  VieTakt: 


;,T3  J  3 1  J!T:  i'i 


Diese  drei  Melodien  sind  Hhnlicb  wie  in  der  Ballszene 
des  Don  Juan  zusammengestellt  und  bilden  in  ihren 
Kombinationen  f&r  den  Vortrag  bedeutende  Schwierig- 
keiten.  Bei  der  ersten  Frankfurter  Auffdbrung  der  Sin- 
fonie  mnBte,  wie  Mendelssohn  erzilhlt,  Gubr  bier  drei- 
mal  abklopfen. 

Der  dritte  Satz:  »Kriegsmnsik,  Fortzieben  in  die 
Schlacht,  Geftibl  der  Znrttckbleibenden,  Riickkehr  der 
Sieger,  Dankgebet«  beginnt  mil  einem  Marscb  (in  Z>). 
Mit  ihm  kebren  die  Krieger  aucb  nacb  dem  Siege  zorQck. 
In  der  Zwiscbenzeit  stimmt  die  Klarinette  in  einer  sebr 
sprechenden,  beklommenen  Weise  eine  klagende  Melodie 
an:  in  den  Cellis  banges  Sinnen,  das  voile  Orcbester 
bringt  leidenscbafllicbe  Ausbrflcbe  des  Scbmerzes.  In 
der  Feme  bdrt  man  ab  und  zu  abgerissene  Motive  des 
Marsches.  Nacb  der  RUckkebr  der  Krieger  wird  als 
Dankgebet  der  Ambrosianiscbe  Lobgesang:  »Herr  Gott, 
Dicb  loben  wir«  geblasen,  die  Violinen  nmspielen  ibn  mit 
jubelnden  Fignren. 

Der  letzte  Satz:  >Begr&bnismn8ik,  Trost  in  Trftnen* 
dberscbrieben,  wird  dnrcb  ein  Largbetto  (Fmoll  G)  ein- 
geleitet,  welcbes  in  seiner  Form  dem  Scblusse  des  vor- 
bergebenden  Satzes,  dem  >Dankgebel«  ftbnlicb  ist:  Der 
Cboral  >Nan  lasset  ons  den  Leib  begraben«,  von  den 
Cellis  und  den  beiden  Rlarinetten  vorgetragen,  wird  von 
den  andem  Instrumenten  mit  Motiven  begleitet.  Nament- 
licb  die  Z wiscbenspiele ,  in  dumpfen  Paukenwirbel  ge- 
btUlt,  sind  auDerordentlieb  ergreifend  und  eindrucks- 
voU.  Nacb  dieser  Trauerszene  folgt  der  Trost  in 
Tr&nen  als  Allegretto  (Fdnr  ^/ij  mit  folgendeih  Haupt- 
thema: 


299 


^  yy  aif  dim. 

g^^    ^  Es  schliefit  mil  dem  QQintenmotiT 

T  f  rjlP    pH^j^  dg,  welches  schon  im  ersten  Satze 
'  eine  wichtige  Stelle  im  Tliema  ein- 

nimmt  Spohr  hat  diese  ihm  in  alien  Werken  sehr  liebe 
Wendung  in  alien  S&tzen  dieser  Sinfonie  nntergebracht: 
Hier  erscheint  sie  wie  der  bescheidene  Hans-  ,.— ^^^ 
geist  in  einer  Ecke  versteckt,  dort  offen  im  *  T  T  |^= 
Yordergninde;  vielfaeh  in  folgender  Form:  *'^-^=*- 
Immer  elegisch,  friedvoU  nnd  aach  an  den  Stellen  des 
Anfschwnngs  so  mafihaltend,  wie  es  der  fromme  Grand- 
ton  der  Stimmimg  veriangt,  ist  dieser  SchluBsatz  der 
»Weihe  der  Tdne«  nicht  immer  verstanden  worden.  Von 
der  gebr&nchlichen  Haltnng  eines  Sinfoniefinales  weicht 
er  vGllig  ah;  znm  Charakter  des  Tongemftldes,  welches 
mit  dem  Ansblick  aaf  das  Jenseits  abschliefit,  pa6t  er 
sehr  wohl. 

Spohr  hat  spftter  nnr  noch  eine  rein  mosikalische      L.Bpobry 
Sinfonie  geschrieben.    Es  ist  die  Nr.  8  (Gdur),  welche  Gdur- Sinfonie 
nach  der  instrumentalen  Seite  manches  Nene  and  In-         ^^'^' 
teressante  enthftlt.     Das  Scherzo,  im   Trio  mit  einem 
Violinsolo  ausgestattet,  ist  in  der  Erfindung,  welche  sich 
^anz  anf  das  virtuose  Element  lehnt,  der  eigenartigste 
ihrer  Tier  S&tze.    In  den  iibrigen  Sinfonien  blieb  er  von 
der  »Weihe  der  Tdne<  ah  beim  Prinzip  der  Programm- 
mnsik.    Znn&chst  kam  im  Jahre  1839  seine  >historische    l.  Spobr, 
Sinfonie  im  Stile  und  Geschmack  vier  verschiedener  Zeit-  Historipche 
aHer<.    Der  erste  Satz  soil  die  Periode  H&ndel  und  Bach    Sinfonie. 
Oder  die  Zeit  um  1720  veranschaulichen.     Er  versucht 
das  in  einer  aus  trockenen  Sequenzen  zusammengebauten 
Fuge,  mit  einem   Pastorale  in  der  Form  des  Siciliano 
(tt/sTakt)  als  Mittelsatz.   Der  zweite  Satz  gilt  der  Periode 
Haydn -Mozart  (1780).    Dieser  stand  Spohr  selbst  geistig 
am  nftchsten,  und  darum  ist  wohl  dieses  Andante  der 
gelungenste  Satz   der  Sinfonie.     Auch  hier  schaut  der 
chromatische  Spohr  iiberall  hervor:  aber  er  tut  nichts. 


-^    300    «^ 

was  seine  Modelle  entstellt:  Einiger  Spfifie  and  Derb- 
heiten,  welche  Spohr  den  beiden  Wiener  Meistem  in- 
sinuiert,  wSren  sie  f&hig  gewesen,  wenn  auch  gerade 
nicht  im  Andante.  Die  Beethovensche  Periode  (1810), 
als  die  dritte,  iat  durch  ein  Scherzo  vertreten,  welches 
mit  einem  Solo  von  drei  Pauken  beginnt.  Sie  geben 
das  Motiv 

^m  J  I M  f  I J  f  J  I'T  J  r  I J  ^m 

Im  ubrigen  schiebt  Spohr  dem  Beethoven  einen  Eigen- 
sinn  zu,  welcher  selbst  f&r  diesen  Uber  alle  M5glichkeit 
hinausgeht:  In  einem  Satze,  der  gegen  4(X)Takte  um- 
faBtf  ein  einziger  thematischer  Gedanke  von  8  Takten 
L&nge!  Wider  alien  Beethovenschen  Branch  bleibt  anch 
das  Trio  an  dieser  fixen  Idee  haften!  Noch  schlimmer 
kommt  »die  allerneueste  Periode«  (1840),  welche  den 
vierten  Saiz  einnimmt,  weg:  Ein  Hexengebr&u  ans 
Nonen,  Septimen  und  freien  Dissonanzen,  winselnden 
und  schmachtenden  Vorhalten!  So  wild  ist  anch  Berlioz 
nie  gewesen,  so  sehr  haben  anch  die  Pacini,  Mercadante 
and  Meyerbeer  nicht  gel&rmt,  so  safilich  and  zerflossen 
waren  Rossini  and  Bellini  niemals!  Und  wer  in  aller 
Welt  mag  zn  den  ewigen  and  tollen  Gedankenspriingen 
dieses  Satzes  gesessen  haben!  Ist  die  Historic  in  den 
andem  S&tzen  dieser  Sinfonie  nar  anznlftnglich  —  so 
wird  sie  bier  znr  Parodie,  zar  hllrtesten  Kritik  von  Spohrs 
Beobachtangstalent  and  seinem  Kunstverstand!  Nar  in 
Wien,  wo  man  bei  der  AnffQhrang  blofi  die  Jahreszahlen 
angab,  die  Namen  weglieO,  warde  diese  Sinfonie  bei- 
filllig  and  besonders  im  letzten  Satz  anfgenommen.  tjber- 
all  sonst  blieben  die  Meinnngen  mindestens  geteilt*}. 
L.  fipoiir,  Die  n&chste  Programmsinfonie  Spohrs  (im  Jahre  1842 

•Irdisches  and  verdffentlicht]  heifit   »Irdisches  and  Gottliches  im  Men- 
^MenB^hSn*™   schenleben*  and  ist  betitelt  als  »Doppelsinfome« !    Wie 
f^eii€^      dies  in  der  altem  Zeit  dann  and  wann  (s.   Cannabich) 
versacht  wurde,  sind  hier  wieder  einmal  zwei  Orchester 

*)  L.  Spohr  4.  4.  0.  n,  231. 


^^^''^^^^^  i^rtrijjnrn^jil^r  i 


--•    301    ^^ 

anfgestellt,  die  sich  in  der  Regel  abldsen,  hie  nnd  da 
auch  vereinen.  Das  erste  Orchester  hat.nach  Art  des 
alien  Konzertino  im  Streichquartett  nur  einfache  Be- 
setzung.  Diese  Anordnnng  fuhrt  zu  einer  Reihe  sch5ner 
Klangwirkungen,  deren  hatifige  Wiederkehr  allerdings  den 
Endeindrnck  schw&cht.  Sie  ist  ein  weiterer  Beweis,  wie 
Spohr  sich  immer  etwas  Neues  ausdachte  und  in  seiner 
Art  auch  ins  Werk  setzte.  Die  Idee  zu  dem  Doppel- 
orchester  erhielt  Spohr  durch  einen  Scherz  seiner  Fran 
auf  der  Rftckreise  vom  Musikfest  zu  Luzem.  Sofort 
war  auch  die  Sinfonie  entworfen.  Der  erste  Satz  gilt 
der     Kinder-       Anecstto. 

Hauptthema: 

Freilich:  ein  ungetrubtes  Gltkck  schildert  er  nicht;  auch 

ihn  drucken  chromatische  Schmerzen. 

Der  zweite  Satz  schildert  die  Zeit  der  Leidenschaften. 
Diese  nahen  in  chromatischen  Sechzehntelgangen  der 
B&sse,  stCren  die  fhedvollen  Melodien  der  Holzbl&ser  und 
schwellen  zu  einem  Sturm  an,  der  sich  in  einem  Allegro 
(C-Takt)  austobt,  das  in  seinem  Hauptteil  mit  Sechzebntel- 
l&ufen  angef&Ut  ist.  Eine  Art  krS,f tiger  Marschmusik  bildet 
einen  Widerpart  dagegen. 

Der  dritte  Satz  ist  tiberschrieben :  Endlicher  Sieg  des 
GCttlichen.  Ein  Presto  in  6/4Takt  (Cmoll)  beginnt  auf- 
geregt  und  lenkt  dann  in  freundlich  muntere  Melodien 
dber.  Sie  ftlhren  zu  einem  Adagio,  welches,  pomp5s  in- 
strumentiert,  mit  einem  feierlich  gehobenen  Gesang  ein- 
setzt,  und,  fthnlich  wie  der  SchluOsatz  in  der  »Weihe  der 
T5ne<  mild  und  leise  ausklingt. 

Den  Vorwurf  zu  Spohrs  letzter  Sinfonie  (Nr.  9,  Hmoll)  L.  Spohr, 
bilden  >Die  Jahreszeiten<.  Dieses  der  musikalischen  Kvnst  >Die  Jabres- 
viel  bietende  Thema  wird  hier  in  zwei  Abteilungen  ab- 
eehandelt,  deren  erste  den  Winter,  den  Friihling  und  den 
Ubergang  zwischen  beiden  enthftlt,  die  zweite  den  Som- 
mer  und  Herbst.  Das  dichterische,  allgemein  kiinstlerische 
Talent  Spohrs  und  noch  mehr  sein  musikalisches  — 
beide  haben  sich  der  reizenden  Aufgabe  gegenUber  sehr 


zeiten«. 


— fr     302    ♦^ 

kuhl  verhalten.  Nur  der  letzte  Satz  erhebt  sich  an  ein- 
zelnen  Stellen,  mit  einer  Paraphrase  des  alien  Andr6schen 
Rheinweinliedes  (»Bekrftnzt  mit  Lanb  etc.«),  fiber  eine 
mittiere  Temperatur. 

Mitten  in    die  Blfitezeit   Spohrscher  Romantik  fftllt 

B.  WftffBer,     eine  G dar-Sinfonie  Richard  Wagners,  die  im  Winter 

C durSinfonie.  1832/33  im  Leipziger  Gewandhans  zwar  mit  Erfolg  auf- 

gefUhrt,  aber  nur  wenig  beacbtet  nnd   erst  karz  vor 

dem  Tode  des  Meisters  von  den  Angehdrigen  wieder  ans 

Licht  gezogen  worden  ist    Der  ersten,  Weihnachten  1882 

noch  von  Wagner  selbst  geleiteten  Neuaufffihmng  sind 

weitere  in  vielen  deutschen  Musikstftdten  gefolgt,  nnd  seit 

die  Sinfonie  in  einer  stattlichen  Partiturausgabe  vorliegt, 

hat  sie  alle  Anwartschaft  darant  nicht  wieder  vergessen 

zu  werden.    Denn  sie  hat  nicht  bloO  die  Pietfttsrdcksichten 

nnd  das  biographische  Interesse  far  sich,  sondem  sie  ist 

.  anch  geschichtlich  merkwtirdig  und  drittens  eine  durchaus 

emste  Arbeit,  der  wenigstens  in  einem  Teil  Originaht&t 

und  bleibender  Wert  zugesprochen  werden  mufi. 

Der  geschichtliche  Schwerpunkt  der  Wagnerschen 
Sinfonie  Uegt  darin,  daB  der  junge  Komponist  sich  um 
die  Romantik  der  zeitgenossischen  Sinfonie  nicht  kfimmert, 
sondern  sich  fest  und  dem  altvfiterischen  Schein  zum 
Trotz  auf  den  Boden  Beethovenscher  Kunst  stellt  Von 
Wagners  jugendlicher  Beethovenschw&rmerei,  die  er  selbst 
wiederholt  humoristisch  geschildert  hat,  gibt  namentJicb 
der  erste  Satz  der  Sinfonie  ein  sebr  anschauliches 
Bild:  er  lehnt  direkt  an  Beethovensche  Ideen  an  und 
nimmt  seine  Methode  der  Satzentwicklung  auf.  Der  Ein- 
leitung  (Sostenuto  e  maestoso)  dient  Beethovens  Siebente 
als  Vorbild,  jedoch  nor  ffir  die  poetische  Tendenz,  der  Um- 
bildung  einer  tr&umerischen  zu  einer  energischen  Stim- 
mung,  die  musikalischen  Mitttel  sind  Wagners  Eigentam. 

Unter   ihnen    tritt   als  Hauptstfitze    das    durch   die 

Instrumente     wandemde,     ernst    alarmierende    Motiv: 

Sostenuto.^jj  hervor;  es  wird  von  eben- 

z^r  J    'f^^^  I  g-  ^':^=^sz?.  f^^^s  treibenden  und  aufrich- 

^--■*— '*  enden    Nebenmotiven    be- 


303    ^- 


gleitet  andergftnzt,  von  den  en  sich  namentlich  ein  Hornrnf, 

_* der  immer  hOher  steigt,  wie  das  erste 

ftp      I    T^  Lebenszeichen  des   znkQnfligen  Wagner 
^        ansnimmt.   Das  Hanptthema  des  Allegro: 

-I- 


Allegrro  con  brio 


j  r  r  I  r  f  ^^fh-r  i  rTT*^  *  J  ^  rfi**^ 


yon  Cellis,  Bratscben  nnd  H5rnern  begonnen,  im  fQnften 
Takt  vom  ganzen  Orchester  fortgef&hrt,  bat  seine  Hei- 
mat  im  Finale  von  Beetbovens  Fanfter  und  seinen  Ge- 
fuhlsstnnn.  Diesen  sucht  aber  Wagner  durch  eine  Ab- 
lenknng  zu  Uberbieten:  er  schlieOt  im  9.  Takte  auf  C 
und  begibt  sich  mit  dem  Kopfmotiv  in  eine  Dissonanzen- 
wolke.  So  bringt  gleich  der  Eingang  neben  der  An- 
lehnung  doch  anch  viel  Selbst&ndigkeit,  als  ihre  be- 
dentendste  AuOerung  den  groOen  Rlangeffekt,  mit  dem 
(bei  -k)  das  voile  Orchester  eintritt.  Eine  dem  spfttren 
Wagner    eigne   Wendung    bringt   das   zweite,    marsch- 

artig  be-    .  ^        .    ^  ^  .        —p-p.^^     

ginnende  ^<ij     f  pip     I  ry^f^^f^^f=t:i^n  fi^-Zetc. 

Thema: 
dem 


hinaus  verscho-     (ftp     f    [Tl  T  T  T  J  Tf^ 
benen   SchluB:     '^^ 


mit  dem  Doppelschlag.  Die  hier  mitgeteilten  Themen 
sind  ebensowenig  bedeutend  wie  der  Phantasiegehalt, 
der  aus  ihnen  im  Laafe  des  Satzes  entwickelt  wird,  ins- 
besondere  bleibt  der  Dnrchf&brungsteil,  das  Probestuck 
ftir  die  Beherrschang  Beethovenschen  Stils,  ohne  tiefere 
Wirknng  und  zwar  wegen  rhythmiscber  Monotonie.  Der 
Satz  ist  eine  Anffingerarbeit,  aber  eine  durchaus  erf^eu- 
liche,  einmal  durch  die  Klarheit  der  Grundidee,  die  ein 
groBes  Hoffen  und  WoUen  mit  Zweifeln  und  epiknr&ischem 
Behagen  schattiert,  zweitens  durch  den  Ernst  der  Arbeit. 
Dieser  ILuBert  sich  am  schdnsten  in  den  Partien,  die  von 


/ 


_-»    304    «^ 

ft 

einem  Hauptabschnitt  znm  andren  tiberleiten;  sie  sind 
s&mtlich  mit  Verzicht  aiif  Figurenwerk  und  sonstiges 
billiges  Material  thematisch  und  motivisch  behandelt  und 
k5nneD  darin  noch  heute  als  Master  bezeichnet  werden. 
AuBerdem  aber  liberragt  die  Arbeit  im  Satze  die  zeit- 
gendssische  Sinfonie  noch  darch  eine  starke  Kombina- 
tionsgabe,  welche  die  Hauptthemen  und  ihre  Teile  tiber- 
raschend  and  sinnreich  verbindet  and  geistreiche  Be- 
ziehungen  entdeckt  and  klar  macht,  die  einem  gew5hn- 
lichen  Auge  entgehen.  In  jeder  Beziehang  steht  dieser 
Satz  turmhoch  Uber  der  bekannten  an  Haydn  an- 
schlieCenden  Rlaviersonate  Wagners,  die  ihm  um  wenige 
Jahre  voraasgegangen  ist.  Deijenige  Teil  der  Sinfonie, 
dessen  nngewdhnliche  Lebenskraft  ernsthaft  nicht  be- 
stritten  werden  kann,  ist  ihr  zweiter  Satz,  ein  Andante 
ma  non  troppo,  an  poco  maestoso  (A  moll,  s/4}.  In  diesem 
Meisterstiick  hat  sich  Wagner  von  Beethoven  ganz  frei 
gemacht.    Sein  darch  das  Hauptthema: 


eie 


festgestellter  and  darch  alle  Tonregionen  und  Starkegrade 
getragener  Balladencharakter  weist  auf  Mendelssohns 
italienische  Sinfonie  und  auf  die  Schumannsche  in  Dmoll 
voraus.  Die  gemeinsame  Quelle  ist  die  Norddeutsche 
Schule  der  zwanziger  Jahre,  die  im  Gegensatz  zu  den 
gefuhlvollen  Wienern  und  zu  Spohr  im  langsamen  Satze 
gem  einen  volkstiimlichen  Erz&hlerton  anschl&gt.  Das 
hat  Wagner,  den  Dramatiker,  auf  ihre  Seite  gelockt  and 
der  Sinfonieliteratur  eine  der  schdnsten  Orchesterballaden 
eingebracht,  die  es  gibt.  Sie  berichtet  vielleicht  von  einem 
Helden  oder  einem  Heldenstamm,  der  zur  Eroberang  aus- 
zog  and  anverrichteter  Sache  heimkehren  mufite,  jeden- 
falls  schildert  sie  —  im  logischen  AnschluB  an  den  ersten 
Satz  —  ein  fehlgeschlagenes  Untemehmen  and  tut  dies 
ebenso  klar  als  eigen.  Das  Eigene  liegt  in  dem  beson- 
deren  Rolorit  des  ersten  Teils  des  Satzes.  Die  Bolero- 
rhythmen  seines  eben  angefCkhrten  Hauptthemas  tragen 


-^    305    ♦— 

die  Pfaantasie  nach  Spanien  und  klingen  an  exotische 
Sttkcke  an,  wie  sie  der  jnnge  Wagner  bei  G.  M.  v.  Weber 
gehdrt  haben  mochte.  Im  Programm  des  Satzes  bedeutet 
dieser  Teil  den  Anszng,  er  beginnt  heimlich,  w&chst  sich 
vol]  au8  nnd  verscbwindet  wieder  im  diminuendo,  es  ist 
die  Anlage  des  Lohengrinvorspiels.  Der  nftchste  Teil 
(Fdor),  den  Angenblick  des  Gelingens  bezeichnend,  zeigt 
das  Orchester  mit  Kontrafagott,  3  Posannen  und  4  H5rnern 
in  glftnzender  Kriegsrfistang,  melodisch  gleicht  er  einem 
Siegesgesang.  Dann  kommt  im  dritten  Teil  Kampf  und 
Umschlag,  das  wamende  Terzenmotiv  a  c,  das  den  Satz 
einleitete,  dringt  vor,  und  es  folgt  als  letzter  Teil  die  Reprise, 
bei  der  die  Momente  des  Gltlcks  —  ana  dem  Fdur-Abschnitt 
—  nur  kurz  und  erinnerungsartig  berfihrt  werden. 

Im  dritten  Satze  (Allegro  assai,  Cdur,  9/4)  haben  wir 
wieder  den  reinsten  Beethovenianer  mit  einem  Scherzo 
Yor  uns,  dessen  ilberschftumendes  Kraftgef&hl  sich  fast 
lieber  als  in  Melodien  in  Inteijektionen  und  Naturlauten 
ftnOert  Als  Anweisung  auf  die  im  Komponisten  steckende 
Ktkhnheit.und  Unbefangenheit  der  Erfindung  steht  es  be- 
sonders  hoch.  In  seiner  zweiten  Klausei  flberrascht  der 
Hauptsatz  durch  ein  Seitenthema  der  Streicher,  das 
rhythmisch  an  die  gleiche  SteUe  von  Schuberts  grofier 
Cdur-Sinfonie  erinnert.  Wagner  hat  das  Motiv  wahr^ 
scheinlich  von  einer  der  Schiilerreisen  nach  Prag  und 
B5hmen  mitgebracht,  bei  denen  seine  Autobiographie  mit 
sichtlichem  Gefallen  weilt 

Der  Schlufisatz  (Allegro  molto  e  viTace,  Cdur,  O) 
ergibt  sich  einer  &hnlich  leichten  Heiterkeit,  wie  sie  in 
Beethovens  Tripelkonzert  herrscht,  ist  aber  durch  zahl- 
reiche  Momente  des  Z()gerns  und  Bedenkens  einerseits, 
andererseits  des  Aufschwungs  zu  grdBter  Innigkeit  und 
Wftrme  eigen.  Noch  entschiedener  als  der  erste,  steht 
dieser  letzte  Satz  mit  kleinen  Kanons,  Imitationen  und 
anderen  Formen  strenger  Kunst  unter  dem  Binfiufi  der 
Norddeutschen  Schule  und  bestfttigt  nochmals  den  Ein- 
druck,  dafi  Wagner,  wenn  er  dem  Gebiete  treu  geblieben 
wftre,  heute  auch  als  groCer  Sinfoniker  dastiinde. 

EretzBeliinar,  Ffl1ir«r.    I,  1.  20 


306 


F.  ■•BdelMohB, 

Amoll-Sinfonie 
(schottische). 


Dazn,  da6  dieser  erste  und  letzte  Vennch  bei  den 
Masikfrennden  aufierhalb  Leipzigs,  mit  Aosnahme  von 
WQrzbnrg*)  and  Prag,  unbeachtet  blieb,  kann  sehr  wohl 
der  Umstand  beigetragen  haben,  dafi  der  jnnge  nnd 
g&nzlich  unbekannte  Komponist  in  dem  sehr  bekannten 
Darmst&dter  Kapellmeister  J.  Carl  Wagner  einen  Na- 
mensvetter  besafi,  dessen  nach  Mozartscher  Obserranz 
angelegte  Sinfonien  sich  dnrch  ungew5hnlich  starke  In- 
strumentierang,  aber  durch  nichts  weiter  anszeichneten 
und  deshalb  nicht  besonders  beliebt  waren. 

Die  sentimentale  Ricbtung  der  Romantik  erreicht  in 
Mendelssohn  ihre  Spitze,  kommtmit  ihm  nngeflUir  auf 
die  Stufe,  die  in  der  Dichtkunst  Lord  Byron  einnimmt 
Der  romantische  Beiklang,  welcher  viele  Kompositionen 
Schuberts  wehmUtig  f&rbt,  welcher  alle  Werke  Spohrs 
wie  mit  einem  Hanche  von  Sehnsncht  Hberzieht,  nimmt 
bei  Mendelssohn  einen  energischeren  Gharakter  an  and 
&a6ert  sich  schwermCltig  und  klagend.  Mendelssohn  ist 
eine  vielseitigere,  beweglichere  and  reichere  Natur  als 
Spohr  und  wirft  hftafig  jede  romantische  Fessel  ab.  Aber 
die  Nachfolger  ergriffen  die  romantische  Sentimentalitftt 
seiner  Werke  als  Hauptseite  seines  Wesens. 

Mendelssohns  sinfonisches  Hauptwerk  ist  die  A  moll- 
Sinfonie.  Sie  ist  unter  dem  Beinamen  »die  schottische< 
bekannt:  die  Hauptmelodie  des  munteren  Satzes,  welcher 
in  ihr  die  Stelle  des  Scherzos  einnimmt,  soil  dem  reichen 
Volksliederschatz  Schottlands  entstammen.  Aber  dieBe- 
ziehungen  zwischen  dem  Werke  und  seinem  Titel  sind 
tiefer:  Mendelssohn  schreibt,  dafi  ihm  die  ersten  Themen 
an  den  St&tten  Maria  Stuarts  kamen**).  Die  Sinfonie  ent- 
stammt  der  kQnstlerisch  reifsten  Periode  des  Komponisten, 
einem  Abschnitt  derselben,  wo  aach  die  Frische  und  der 
Reichtum  seiner  Phantasie  die  HOhe  jener  Jugendtage 


^)  A.  Sandberger,  R.  Wagner  in  Wfirsburg  (Neue  Zelt- 
schrift  fdr  Musik  188S). 

*^)  S.  Hens e it,  Die  Familie  MendelBSohn  (5.  AnA.)  1886, 
I,  225. 


_^    307    <►- 

behaupteten,  in  denen  die  Sommernachtstraum-Oavertfire 
entstand.  Die  »Walpargisnacht«,  die  mil  dieser  Sinfonie 
zugleich  das  Licht  der  Welt  erbhckte,  schickt  in  dieselbe 
manche  GrtiGe  hinein.  Das  Werk  tr&gt  in  den  gemischten 
Stimmnngen,  welche  es  wiedergibt,  in  seiner  Hinneigung 
zam  naiv  Volkstamlichen  die  Kennzeichen  der  Friih- 
romantik.  Es  ist  nnter  den  Werken,  welche  diese  Rich- 
tang  in  Poesie  and  Kanst  hervorgebracht  hat,  eins  der 
individaellsten  and  zagleich  abgeklartesten.  An  neaen, 
melodisch  eindringlichen,  eigenen  Gedanken  reich,  besitzt 
die  Sinfonie  in  der  Darstellang  den  zag&nglichen  Gha- 
rakter,  welcher  den  Werken  Mendelssohns  gemeinsam 
ist,  im  hohen  Grade.  Im  Periodenbaa  herrscht  ein  Ma6- 
halten  and  eine  RegelmftBigkeit ,  die  nns  fast  za  groB 
dUnkt  and  die  aach  tats&chlich  yon  Anfang  an  Wider- 
spruch  erregt  hat  Ein  andrer  Grand  dafflr,  da6  das 
Werk  bei  seiner  ersten  Aafifflhrang  (im  Jahre  1842)  nar 
einen  m&Bigen  Anklang  fand,  lag  in  der  Neuerang,  daB 
Mendelssohn  die  vier  Siitze  der  Sinfonie  attacca,  d.  h. 
ohne  die  gewOhnlichen  Unterbrechangen  aaf  einander 
folgen  IftBt.  Diese  Anordnang,  welche  aaf  einen  engem 
poetischen  Zasammenhang  der  S&tze  hinweist,  schien  die 
Zahdrer  za  ermtiden.  In  der  Folgezeit  hat  sie  aaBer 
Schamann  in  seiner  Dmoll-Sinfonie  kein  Komponist  adop- 
tiert  In  den  kleinen  Sinfonien  der  Vor-Haydnschen 
Periode  lassen  sich  die  Paasen  zwischen  den  einzelnen 
Sfttzen  entbehren,  nicht  aber  in  den  Werken  Beethoven- 
schen  Stils. 

Das  Thema  der  Introdaktion  der  Amoll-Sinfonie 

geh6rt  za  den  Lieblingsgedanken  Mendelssohns:  Paalas 
in  der  Stande  der  Reae,  der  lebensmtlde  Elias  intonieren 
diese  schwermfitige  Melodie.  In  der  Schale  des  Meisters 
ist  sie  vielfach  variiert  worden.  Mendelssohn  hat  das 
tiefsinnige  Introdaktionsthema  in  der  Sinfonie  noch  einige 
Male   benatzt:    im   Adagio  nimmt    er  einen   fltkchtigen 

20* 


308 


Bezug  darauf,  im  ersten  Allegro  kntipft  er  direct  an 
seine  Tier  ersten  Noten  an.    Das  Hanptthema  lautet: 

')    AUeg TO  an  poco  af  Itato. 


j^ 


Die  £rregnng,  welche  in   dieser  Wendnng  halbverdeckt 
dnrchscheinty  wird  mit  dem  Schlnsse  des  Hanptgedankens: 

ft) 


^^ 


p  -  ■  *  I  p  h  I  .  1  ^r^iT^i  I  I  =  zunachst  zn  melancho- 
1  p  r  Pll  ■'^■'  p  If  r  P^^  lischer  Rnhe  gebracht 
Bald  aber  bricht  sie  in  dem  Seitengedanken : 


mit  den  heftigen,  kurzen  St5fien  aus,  durch  welche  sich 
Mendelssohns  Sprache  der  Leidenschaft  von  denen  an- 
derer  KQnstler  luterscheidet.  Das  zweite  Thema  geht 
mit  innigen  T()nen 


I  J  J    LFp?  in  die  klagende  tragische  Sph&re  der  In- 
J  Cll?^'  ^     troduktion  znnick. 

Ein  AnDerst  liebenswdrdiger,  rtkhrender  Nebengedanke, 
den  man  ebenso  wie  den  voransgegangenen  Themen 
die  Herknnft  vom 
Lied  ansieht,  schliefit 
die    Themengruppe: 

Besondera  schOn  wirkt  er,  als  er  gegen  den  Schlufi 
der  DnrchfOhrung  bin  sich  unmittelbar  neben  die  wilde 
Gestalt  des  oben  mit  e)  bezeichneten  Them  as  stellt  Diese 
Durchfuhmng  ist  musikalisch  formell  vielleicht  nicht  ganz 
YoUendet,  aber  ein  poetisches  Meisterst&ck ,  genial  in 
Anfban  und  Ansdmck  der  Stimmnng.  Dieser  Eingang, 
der  Ruhe  und  Vergessenheit  in  nenen  Trftumen  sncht, 
die   allm&hliche  Einfiihmng  des  Konflikts,  der  nicht  zn 


309 


vermeiden  war  —  die  wrederholten  Versuche  abzubrechen 
— ,  der  endliche  Ausgang  mit  der  Trost  und  Resignation 
predigenden  Melodie  der  Celli  —  das  wirkt  alles  mit 
einer  Unmittelbarkeit^  wie  sie  an  dieser  Stelle  in  Sinfonien 
nur  selten  erreicht  wird!  Wie  ergreifend  auch  der  letzte 
Abschlnfi  des  ganzen  Allegro  —  als  nach  alien  StUrmen 
die  Melodie  der  Introduktion  ihr  freudlich  bleiches  Antiitz 
wieder  zeigt!  In  seiner  harmonischen  Mischung  von 
menschlicher  Tiefe  und  Anmnt  mit  freier  Dichtersprache 
wftrde  der  Satz  allein  hinreichen,  die  Bewtinderung  zu 
erkl&ren,  welche  Mendelssohn  bei  seinen  Zeitgenossen 
erregte.  Es  hat  jedoch  auch  nicht  an  —  vorwiegend 
sGddeutschen  —  Stimmen  gefehlt,  die  den  allzu  starken 
Ldedcharakter  der  Mendelssohnschen  Sinfoniethemen  be- 
anstandeten  und  in  ihm  einen  Hemmschuh  fUr  die  Frei- 
heit  und  Mannigfaltigkeit  des  Satzbaues,  insbesondere 
eine  Gefahr  fftr  den  Oehalt  und  die  Natfirlichkeit  der 
DurchfUhrung  sahen. 

Auf  einem  andem  Grundcharakter  basiert  ist  der 
zweite  Satz  der  A  moU-Sinfonie,  das  Vivace.  Von  dem 
phantastischen  Elemente,  welches  Mendelssohn  fOr  seine 
Scherzi  bevorzugt,  hat  es  nichts.  Es  ist  ein  ktlnstlerisch 
vollendetes  Genrebild  pastoraler  Natur,  welches  uns  nur 
hedauern  Iftfit,  dafi  Mendelssohn  dieses  Gebiet  so  selten 
betreten  hat.  Die  Themen,  welche  in  teilweise  strengerer 
Arbeit  dnrchgeftihrt  werden,  sind  folgende: 


TiTaee. 


Einen  das  Trio  vertretenden  Mittelsatz  hat  das  Vivace 
nicht,  aber  eine  kleine  Einleitung  von  wenigen  Takten, 
in  der  frohliche  Signale  auf  das  bevorstehende  lustige 
Treiben  hinweisen.  Auch  das  Adagio  beginnt  mit  einer 
kurzen  Einleitung,  die  den  Zusammenhang  mit  der  Intro- 
duktion mit  einigen,  allerdings  sehr  feinen  Strichen  her- 


310 


Btellt    Das  Hauptthema  hat  in  seiner  ersten  Hftlfte  fol- 
gende  Gestalt: 

^,1,11  [}i|i7i)T.nTiiji  iiLJijji'iu  Til  I 

Unmittelbar  nachdem  es  abgeschlossen,  tritt  das  zweite 
Them  a: 


^i^ 


ein,  fremdartig  und  feierlich  wie  Hamlets  Geist  Im  gan- 
zen  weitern  Verlanf  des  Satzes  geht  es  mit  dem  andern^ 
von  dem  die  Gelli  bevorzugten  Besitz  ergreifen,  keine 
nftbere  Verbindung  ein,  sondem  stellt  sich  ihm  nnr,  immer 
wieder  flberraschend,  wie  mahnend  und  wamend,  ent- 
gegen.  Diese  ungewOhnliche  Disposition  der  Themen  gibt 
dem  Satze  einen  dramatischen  Charakter. 

In  dem  letzten  Satz  verschwindet  das  romantische 
Kolorit  einigermaBen.  Die  Themen  stOrmen  einer  be- 
haglichen  Sphere  zu 


Allegro  con  splrlto. 


ere»9. 


erreichen  sie    f  j   |J  J  J  j  |J..JiJT?1ir    J.  ^  I  ■)  iJ 

and    geben    den    Gefohlen    heroischer   Kraft  freudigen 
Ausdruck : 


Was   leidende   Miene   trftgt, 
wie  das  Them  a 


311 


._^     _ — ^       ^  das  rficken  liegende  Stim- 

'  f  r  ^'Tl '    I*  M  ^  'f  M  P    ■  inen^Orgelponkte  und  an- 


dere  Hftlfsmittel  der  In- 
strumentation and  der  Harmonie  in  eine  verkl&rende 
Feme. 

Die  hier  angefUhrten  Themen  gehdren  dem  ersten, 
dem  Hanptteile  des  Schlufisatzes  zn.  Mendelssohn  nennt 
diesen  ersten  im  C-Takt  geschriebenen  Teil  Allegro 
ffuerriero  —  and  bietet  damit  der  Brklftmngskunst  einen 
▼erlockenden  Stoff.  Der  zweite,  kftrzere  Teil  des  Finale  be- 
steht  aas  einem  Satze  im  6/9  Takte,  in  dessen  Haaptmotiv: 
P  ^  ^  I  K  I  J=r=  ^^  schottische  Element  der  Sin- 
^>  f"i  Ji  J  J}  I  -^=  fonie  noch  einmal  za  entschieden- 
ster  Geltong  kommt.  Diese  Wendang  bildet  in  der  Melodik 
der  schottischen  Volksmuaik  eine  stereotype  SchluBformel. 
Bekanntlich  fehlt  der  schottischen  Skala  die  Septime. 

Der  schottischen  Sinfoni^  steht  anter  den  an  dem 
Sinfonien  Mendelssohns  die  vierte  (Op.  90),  die  Adar-  f.  HtBdelnokay 
Sinfonie,  an  Popalarit&t  am  nftchsten.  Sie  heifit  die  A  dnr-Sinfonie 
italienische  und  gilt  als  die  ktinstlerische  Fmcht  der  ("^•*»»<'»»*)- 
l&ngeren  italienischen  Reise,  welche  der  jange  Mendels- 
sohn im  Jahre  1830  untemahm.  Direkt  erkennbare  sdd- 
liche  Elemente  bringt  die  Sinfonie  in  ihrem  Schlufi- 
satze:  einer  ausgelassenen ,  bacchantisch  lustigen  Szene, 
welcher  eine  neapolitanische  Tanzform,  der  wilde  Salta- 
rello,  zu  Grande  liegt.  In  den  andern  S&tzen  sind  Be- 
ziehungen  zum  Sflden  nicht  nachzuweisen.  Der  erste 
Satz  mit  seinem  heiteren  Grandton  hat  gleichwohl  zu 
▼ielen  schw&rmerischen  Parallelen  mit  dem  »ewig  blauen 
Himmel  desLandes,  wo  dieZitronen  blQhen*  Veranlassung 
gegeben.  Es  herrscht  in  ihm  eine  kr&ftig  gliickliche 
Phantasie,  die  wohl  an  die  Stimmung  eines  Jflnglings 
denken  Iftfit,  der  frdhlich  und  jubeind  hinauszieht  in 
die  schOne  Welt.  Das  erste  Thema,  welches  ohne  Ein- 
leitung  einsetzt: 

iJlb^ro  Thrace. 


312 


/'"^^   ^tt±  ±      l>egiiint  kr&ftig,  ungeduldig;  das 
r  Pr  Pir    LU  ir       zwelte: 


ist  ruhiger,  hat  etwas  vom   sentimental  romantischen 

Element;  aber  ein  freudiger  Schwung  lebt  auch  in  ihm. 

In  derDurchfUhrung  tritt  ein  nener  dritter  Gedanke  auf  : 

welcher  dann 
auch 


in    den 
Schlufiteil  des  ersten  Satzes  aufgenommen  wird. 

Der  zweite  Satz  (Andante  con  moto,  Dmoll)  beginnt 
als  schwermtitige  Ballade  mit  folgendem  Hauptthema, 
zunftchst  von  Bratschen,  Klarinette  and  Fagott  vorge- 
tragen : 


Andante  con  moto 


^ 


'^  Hi  j  I  r  r  rTJ  I  -J  >t  jjjrXj^^ '  ■'■'^^ 

dem  dann  ein  freundlicher  Gesang  en tgegen tritt: 


Diese  anheimelnde  Begegnungsszene  wiederholt  sich  mit 
kleinen  Intermezzos  einige  Male:  Die  trauernde  Gestalt 
hat  das  letzte  Wort,  und  wie  mit  leisen  Seufzern  ver- 
schwindet  der  Satz  in  die  umw51kte  Feme.  Sind  in 
diesem  langsamen  Satze  schon  nordische  Ankl&nge  nicht 
zu  verkennen,  so  tritt  in  dem  folgenden  Satze,  einem 
3/4  Takt  ohne  weitere  Gattungsbezeichnung,  das  dentsche 
Element  mit  der  gr5Cten  Bestimmtheit  vor. 

Der  Hauptsatz  dieses  traulichen  StUckes  knQpft  mit 
seinem  L&ndlerthema: 

Con  moto  moderato. 


'^^t^^i 


rr  liJ  J  J  fr 


m 


313 


an  die  gemQtlichsten  Bilder  an,  welche  die  Wiener 
Meister  von  deatscher  Frdhlichkeit  nnd  Geselligkeit  ent- 
worfen  haben.  In  dem  Mittelteil  dieses  Satzes  lebt  die 
Romantik  unsrer  W&lder  in  der  Seele  des  jungen  Men- 
delssohn anf:  CM.y.  Weber,  die  musikalische  Jugend- 
liebe  Mendelssohns,  scheint  vor  seine  Phantasie  zu 
ireten,  nnd  in  dessen  Hornkl&ngen  spricht  der  junge 
Tondichter  einige  der  berrlichsten  Zeilen  seiner  italie- 
nischen  Sinfonie. 

Der  letzte  Satz,  mit  einem  fanatischen  Unisono  seinen 
anb&ndigen  Charakter  anktindend,  bringt  als  erstes  Thema 
folgende  nnverkennbare  Volksnielodie : 


Presto, 


r?M'i'MifPn'r^ 


Es  zieht  in  einer  langen  Entwicklung  anf,  durch- 
streift  die  Nuancen  seelischen  Ansdracks  von  der  zarten 
Anmnt  bis  zum  wilden  Toben  nnd  bringt  alle  Kr&fte  dea 
Orchesters,  die  Solisten  und  die  Masse n  in  immer  bef- 
tigere  Aktion.  Dem  Anfmarsch  dieses  Hanptthema  foJgt 
eine  Nachhut  aus  derben  Elementen,  aus  stampfenden 
nnd  pochenden  Fignren,  wie: 


—  eine  Reminiszenz  an  dieRUpelszene  des>Sommernacbts- 
tranmsc  —  gebildet.  Die  weicheren  und  feineren  Geister 
haben  in  den  Kreisen  dieses  Satzes  nur  einen  beschei- 
denen  Platz.  Das  zweite  Thema,  in  dem  ein  leises  Zitat 
an  die  DnrchfQhnmg  des  ersten  Satzes,  gleichsam  wie  an 
den  Anfang  der  Reise  erinnert,  sncht  sie  einzufflhren: 
xy.  _  Ein    emeuter 

IT  K  Ljj  ■  ^  ■!  I  I  I      9--,j^  -^      ULJ  Versnch,    die 

ins  Bedrohlicbe  steigenden  Wogen  der  Fr6hlichkeit  zu  glftt- 
ten,  wird  in  der  DurchfUhrung  dieses  Satzes  mit  der  Figur 


314 


^^ 


unternommen.  Wie  der  erste 

Satz  der  A  dar-Sinfonie  maa- 

w-  ^^^  ches  ana  der  Nottnmosph&re, 

80  bringt  dieser  letztere  aafier  der  schon  angeftUirteii 
Stelle  noch  weitere  wOrtliche  Einzelheiten  ana  den  gro- 
teaken  Partien  der  Sommemachtstraiunmasik,  speziell  aus 
der  OuvertQre. 

Die  italienische  Sinfonie  ist  ala  Nr.  4  erst  nach  dem 

Tode  des  Komponisten  ver5ffeiitlicht  worden;  der  Ent- 

.    stehungszeit  nach  geht  sie  der  schottischen  am  mehrere 

Jahre  voran:  sie  wurde  von  Mendelssohn  znerst  im  Jahre 

1833  in   der  Philharmonischen  Gresellschaft  zn  London 

F.  MeadelMohB,  aufgef&hrt.   Zwischen  diesen  beiden  Hauptsinfonien  Men- 

e«*V??"?**     delssohns  liegt  sein  >Lobgesang«,  den  er  als  »Sinfonie- 

(SinfoniekBDtate).  j^^^^^e  nach  Worten  der  heiUgen  Schrift.  bezeichnet 

Die  Mischung  von  Sinfonie  and  Kantate,  wie  sie  in 
diesem  Werke  sich  zeigt,  ist  ftlter  als  Beethoven  and 
seine  neante  Sinfonie.  Die  eigentflmliche  Anlage  dieses 
Lobgesangs  ist  jedoch  mit  Berofung  auf  ftltere  Vorlagen 
noch  nicht  recht  za  verstehen.  W£hrend  die  schottische 
and  die  italienische  Sinfonie  ziemlich  langsam  reiften, 
entstand  diese  Sinfoniekantate  als  rasche  Gelegenheits- 
arbeit  zam  Leipziger  Gatenbergfest  des  Jahres  1840. 
F&r  die  Instramentals&tze  benutzte  Mendelssohn  eine 
seiner  Zeit  f&r  London  geschriebene  Jagendsinfonie,  deren 
Gharakter  sich  der  Idee  der  gewQnschten  Festmos^  ohne 
Gewalt  anpassen  lieD:  Za  der  Dankfeier,  welche  einem 
der  wichtigsten  Kaltarereignisse,  einem  Wendepunkt  in 
der  Geschichte  der  Menschheit  gait,  soil  die  ganze  Ton- 
konst  beisteaem.  Voran  schreiten  die  spielenden  Massen. 
Sie  loben  den  Herrn  (im  ersten  Satze)  mit  Posaanen: 

Dann  lobt  man  ihn  mit  Psal- 
ter  and  Harfen,   in  einem 
Jf  >feinen  Ton<.    Dieser  feine 

Ton  ist  der  Kern  des  ersten  Toils  des  Allegretto  der  Sin- 
fonie (Gmoll,  o/a);  seinen  Aosgang  bildet  eine  Ghoralpara- 
phrase.  Dem  dritten  Satze,  dem  Adagio  (Ddur,  s/4),  dem 
frommsten    and   ehrfarchtsvollsten    Teile    der  Sinfonie, 


— ♦    31B    V- 

Bcheint  der  Gredanke  zu  Grande  zu  liegen:  >Betet 
an  den  Herm  in  seinem  heiligen  Schmticke<.  Er  bildet 
den  Schlufi  des  Sinfonieteils  im  Lobgesang.  Nan  setzt 
die  Kantate  ein.  In  ihrem  ersten  Chor  sncht  sie  die 
Yerbindnng  mit  dem  Vorausgehenden ,  indem  sie  das 
oben  angegebene  Thenia  des  ersten  Sinfoniesatzes  zu 
den  Worten  >Alles  was  Odem  hat,  lobet  den  Herrn< 
aufnimmt.  Der  HOhepunkt  dieser  Kantate  ist  das  dra- 
matische  Rezitativ  des  Tenors:  >HQter,  ist  die  Nacht 
bald  uni?< 

Weniger  bekannt,  im  Drucke  erst  seit  dem  Jabre  1868 
vorliegend, ist  Mendelssohns  »Reformation88infoniec.  f.  MeBdelnohv, 
Das  Werk  ist  interessant  als  ein  halb  deklarierter  Bei-  Retorm-^ont- 
trag  Mendelssohns  znr  Programmusik.  Anf  die  Refor-  >uio  e. 
mation  selbst  nimmt  es  den  klarsten  Bezng  im  letzten 
Satz,  dessen  Mitteipunkt  der  Choral  »Eine  feste  Barg« 
bildet.  Um  ihn  herum  treten  noch  kriegerische  lied- 
weisen,  die  den  Charakter  der  Volkslieder  des  Mittel- 
alters  tragen.  Der  religil^sen,  emsten  Seite  der  Refor- 
mation selbst,  ihrer  streitbaren  Natur,  ibrer  Freudigkeit 
am  Kampfe ,  ihrer  Festigkeit  im  Glauben  und  im  Gottver- 
tranen  ist  der  erste  Satz  gewidmet.  Mit  einer  gewissen 
Starrheit  und  Unbeugsamkeit  h&lt  er  ein  kurzes  Motiv  fest: 
Allegro.  d^  ^on  der  Einleitung  bis  zum 
J  $  I  I  l|  J  =  Schlusse,  wie  der  feste  Wftchter- 
ly  "*  «^  ^'  ■^^'  "  ruf  in  der  Nacht,  den  Satz  durch- 
schallt.  Wie  das  Kleinod,  dem  das  MiUien  gilt,  ist  die  Melodie 
des  Lutherischen  Amen  (das  sogenannte  >Dresdner  Amen«, 
das  auch  Wagner  ^^ 

in  semem  Parsifal  ^^  >J  ^  I  r  T  f  -^  I  "  '  ^ 
aufgenommen  hat): 

in  die  erste  Abteilung  der  Sinfonie  hineingestelH.  Der 
Zeit  der  Reformation  gilt  der  zweite  Satz,  ein  Allegro 
▼ivace,  die  musikalische  Verkttrperung  einfacben,  alt- 
y&terisch  schlichten  und  krftftigen  Frohsinns.  Seine  Melo- 
die erscheint  als  metrische  Umbildung  des  zweiten  Thema 
im  Vivace  der  schottischen  Sinfonie.  Das  Trio  besitzt 
Weihnachtsklang.   Das  Andante  hat  nach  der  KQrze  des 


—0    316    «^ 

Umfangs  und  nach  seiner  erregten  Haltung  Ahnlichkeit 
mit  einem  Rezitativ. 

Im  melodischen  Stile  weicht  die  Reformationssinfonie 
von  den  drei  vorhergenannten  Werken  ab.  Nichts  toq 
den  weichen  Sezt-  und-  Terzvorhalten ,  welche  in  den 
Weisen  der  mittleren  Periode  immer  wiederkehren ,  und 
wenig  von  der  Rflcksicht  anf  das  Violinmafiige,  welcbe 
in  der  Motivbildnng  der  andern  Orchesterwerke  hftufig 
in  den  Vordergrond  tritt.  Es  geht  ein  herber,  aber  cha- 
raktervoUer  Zug  durch  die  Melodik  der  Reformations- 
sinfonie,  der  allein  dazu  berechtigen  wdrde,  diese  Kom- 
position  der  Jogendzeit  Mendelssohns  zuzu weisen.     Sie 

F. MendelMOhn, teilt  ihn  mit  seiner  ersten  Sinfonie,  der  in  Cmoll. 

CmoU-Sinfonie.  Diese  ist  (als  Opus  11)  der  Philharmoniscben  Gesellscbaft 
in  London  gewidmet,  vor  l&ngerer  Zeit  schon  durch 
Schlesinger  in  einer  gestocbenen  Ausgabe  verdffentlicht, 
aber  ffir  AufiFUhrungen  so  gut  wie  nicht  benutzt  worden. 
Der  Stoff,  welcben  sie  der  Vergleichung  und  der  bio- 
graphischen  Betrachtung  bietet,  ist  nicht  unbetr&chttidi. 
[m  StLie  steht  sie  auf  dem  Boden  der  »Hochzeit  des 
Camacho<,  der  »Heimkehr  aus  der  Fremdec  und  Iftfil 
gar  nichts  von  der  eigentflmlich  phantastischen  und 
reich  beweglichen  Natur  des  Komponisten  der  Sommer- 
nachtstraummusik  ahnen.  In  den  Gedanken  folgt  sie 
namentlich  der  F&hrung  Beethovens;  der  erste  Satz 
knOipft  direkt  an  Ideen  des  Gdur-Ronzerts,  der  Roriolan- 
ouvertUre  und  der  Waldsteinsonate  dieses  groBen  Vor- 
bildes  an.  Trotz  dieser  Unselbstftndigkeit  ist  aber  das 
Werk  wegen  der  Kraft,  Frische,  Knappheit  und  der  Ent- 
schiedenheit,  mit  der  es  sich  auf  gedanklich  Wichtiges 
richtet,  sehr  erfreulich  und  besitzt  Lebensf&higkeit. 

Die  naive  Richtung  der  Romantik  tritt  mit  der  phan- 
tastischen ziemlich  gleichzeilig  in  die  Musik  herein.  Ihre 
ersten  Vertreter,  unter  weichen  wir  den  liebenswUrdigen. 
lyrisch  schwungvollen  F.  E.Fes  c  a  (vier  Sinfonien  1817 
bis  28]  nennen,  gehdren  noch  dem  Stilbereiche  der  Nord- 
deutschen  Schule  an.  Ihr  Hauptmeister  ward  R.  Schu- 
mann.   In  der  groBen  Reihe  hoher  Dichtergaben,  deren 


317 


Vereinigung  Schumanns  Individualitflt  imposant  macht, 
sticht  sein  naiver  Zug  besonders  hervor.  Mit  ihm  vertritt 
er  in  der  Sinfonie  krftftiger,  als  es  vor  ihm  geschehen, 
jenen  Rousseauschen  Zug  zur  Natur  und  Einfacbheit, 
dessen  Aufleben  den  gesondesten  Teil  der  romantischen 
Bewegnng  bildet,  denselben  Zug,  welcber  unsere  Dichter 
zom  Volkslied  zurflckfQhrte  und  unsere  Maler,  Ludwig 
Richter  voran,  den  grofien  Scbatz  von  Poesie  nen  ent- 
decken  liefi,  der  sich  dem  sinnigen  Auge  in  der  Allt&g- 
lichkeit  des  heimischen  Lebens  und  im  eigenen  Lande 
anftat  Der  jugendliche  Ton,  die  grofie  Dosis  unge- 
zwungener  NatQrlichkeit  ist  es  in  erster  Linie,  durch  welche 
Schumanns  Musik  ihre  erfreuende  und  erfrischende  Macht 
ilbt  Diesen  inneren  Eigenschaften  verdankt  sie  auch 
viele  von  ihren  eigentflmlichen  formellen  Elementen :  die 
Figuren  und  Gesang  ineinanderziehende  Themenbildung, 
die  aphoristischen  und  versteckten  Melodien,  die  jetzt 
ungeniert  losen,  jetzt  seltsam  verketteten  Rhythmen, 
die  Naturlauten  gleicbenden  Dissonanzen  und  alle  die 
neuen  Elementarbildungen,  durch  welche  Schumanns 
SchOpfnngen  far  die  weitere  Entwicklung  der  Tonkunst 
Ton  grofier  Bedeutung  geworden  sind. 

In  die  Reihe  der  Sinfoniker  trat  Schumann  unge- 
f&hr  ein  Jahr  bevor  Mendelssohns  »8chottiBche  Sinfonie« 
erschien. 

Die  echten  Romantiker  pflegen  ihr  Bestes  gleich  beim 
Anfang  zu  geben.  Schumanns  sinfonischer  Erstling  war 
die  Sinfonie  in  Bdur  (Op.  38),  eine  seiner  schOnsten  Ton- 
dichtungen  und  dasjenige  Werk,  welches  sein  em  Nam  en 
mit  einem  Schlage  die  historischen  Wttrden  erwarb.  Die 
B  dur-Sinfonie  h&lt  sich  an  die  bekannten  Hauptformen 
der  Gattung  und  bewegt  sich  im  wesentlichen  in  ver- 
trauten  and  jedem  Menschen  naheliegenden  und  lieben 
Ideenkreisen  —  aber  Schumann  behandelt  Idee  wie  Form 
mit  ungewdhnlicher  Freiheit  und  Kfihnheit.  Ja  in  der 
kurzen  ungenierten  Ausdrucksweise,  welche  er  in  einzel- 
nen  S&tzen  entwickelt,  liegt  eine  Originalit&t,  die  nicht 
bloi3  vor  70  Jahren  neu  und  befremdend  wirkte,  sondern 


— ^    318    4>^ 

sie  wflrde  anch  heute  noch  diskutabel  sein,  wenn  nicht 
der  Grand  einer  fortreifienden  Natflrlichkeit  and  einer 
m&chtigen  Phanlaaie,  aaf  denen  sie  raht,  za  stark  darch- 
B.  SehnMB,  leuchtete.  Schumann  selbst  nennt  in  einem  Briefe  an 
B  dur-sinfonie.  Griepenkerl  seine  B  dor-Sinfonie  >ia  feuriger  Stonde  ge- 
borenc  and  nahm  es  seinem  Freande  Wenzel  sehr  ttbel, 
als  dieser  (in  der  Leipziger  Zeitang)  bei  Beorteilong  des 
Werkes  von  Hoffnangen  fUr  die  Zakunft  gesprochen 
hatte*).  Sie  war  in  der  korzen  Zeit  von  vier  Tagen  im 
Entwurf  feriig. 

Die  poetische  Idee  der  Sinfonie  soil**)  mit  dem  Ge- 
dichte  »Da  Greist  der  Wolke  triib  and  schwer«  von  Adolf 
Bdttiger  in  Beziehang  stehen.  Die  Worte  >Im  Tale  zieht 
der  Frftbling  auf «  leiteten  den  Komponisten,  der  das  Werk 
mehrmals  seine  »Frtihlingssinfonie«  genannt  bat 

Danklen  Bildem  and  Ideen  gibt  Schamann  in  ihr, 
die  den  Stempel  einer  glQcklichen  Zeit  tkberall  trftgt,  nar 
soweit  Raam,  als  es  das  Gesetz  des  Gegensatzea,  das 
Lebenselement  der  Sonaten-  and  Sinfonieform,  fordert. 

Die  Einleitang  stellt  zuerst  diesen  Gegensatz  bin. 
Feierlich  and  ernst,  aucb  etwas  drobend,  erbebt  sie 
sich  in  ibrer  ersten  H&lfte  and  bringt  in  lapidarer  Form 

Aadante  nn  poco  maeatoso.^  ^       daS  Motiv  VOraOS,  Welcbes 

'^  A*'  H  p  f  I  p'  p  I*'  p  ]p  p  I*  -  in  dem  Geftkge  des  ersten 
^  ^'r-r-ii:  gj^^^es  die  Haaptstiitze  bil- 
det***}.  Klagende  Weisen  taucben  in  den  Holzbl&sem  aaf, 
scbwer  and  kurz  scblagen  die  Massen  mit  Akkorden  drein. 
Da  mit  einem  Male,  mit  einem  Ruck  in  der  Harmonie, 
kommt  Fldtenklang:  der  Horizont  bellt  sicb  aof;  in  den 

*)  G.  F.  Jans  en:  R.  Schumanns  Briefe.  Neue  Folge 
(Leipzig  1886),  S.  175. 

**)  Nach  einem  aof  der  Leipziger  Stadtbibliotbek  beflnd- 
lichen  Wldmnngsblatt  Schumanns  an  den  Dichter. 

***)  Nach  des  Komponisten  erster  Intention  hieB  das  Motiv 

I.  )!"  ti  •  \  m-  *  0-  M  \^  ^  /=   ^^  *^'  ''^  ^*'*  damals  nor 
gn"  ri  p  ]f-p  f  p  \j  J::^   ^    Naturtttne    eingerlchteten 

Homern  eineo  komischen  Effekt. 


319 


Geigen  beginnt  es  zu  rauschen,  und  in  einem  groOen, 
m&chtigen  Zug  geht  es  iiber  in  das  kr&ftige,  frische 
Leben  des  Allegro: 

AUeg-ro  molto  vtvace. 


^^  So  laniet  das  Haupt- 
\\^  p  thema  —  fQr  den  ersten 
Satz  einer  Sinfonie  eine 
ongewdhnlich  leicht  geffigte,  fast  wunderliche  Erschei- 
nung,  die  in  ihrer  Naivitftt  dem  Geiste  Haydns  nnd 
Uterer  Meister  nahesteht.  Auch  das  zweite  Thezna  ist 
in  seiner  Bildung  ungewOhnlich : 


Es  gleicht  roehr  einer  Kette  von  Naturlauten  als  einem 
kttnstlerisch  gestalteten  Gesang.  Was  sons!  noch  an 
Melodie  in  der  Themengrappe  vorkommt,  das  reduziert 
sich  auf  Skalenmotive  und  auf  kurze  and  kecke  Andeu- 
tungen.  Neben  diesen  anspruchslosen  und  bagatellartigen 
Ideen  stehen  aber  Perioden,  in  welcben  sich  die  Har- 
monie  in  dem  groBen  Stile  Beethovens  aufbaut,  kuhn, 
sicher  und  leicht  gestaltet.  AUes  ist  vom  Leben  getragen, 
und  eine  mftchtig  dr&ngende  Stimmung  verrftt  die  un- 
gewShnliche  Kttnstlernatur,  die  auch  aus  Kleinigkeiten 
Bedeutendes  bildet.  Die  etwas  schw&chere  DurchMhrung 
nimmt  einen  doppelten  Anlauf.  Das  erste  Mai  geht  der 
Weg  tlber  die  beiden  ersten  Takte  des  Hauptthemas. 
Ibren  dunklen  Kombinationen  fQgt  der  Komponist  nach 
dem  Muster  von  Beethovens  dritter  und  vierter  Sinfonie 
noch  eine  neue,  unbestimmt  suchende  Melodie  bei: 


j i'  jiu-h-rTT}  I  ifHrlr  \f  T  ifiJiif  If 


Auf  der  Hohe  angekommen,  erhebt  die  F15te  ihre 
Stimme  und  jubiliert  wie  eine  Lerche  mit  der  losen  Sech- 
zehntelfigur,  welche  die  zweite  H&lfte  des  Hauptthemas 


320 


bildet   Das  Triangel  klingt  romantiscb  drein.    Beim  zwei- 
ten   Male   geht  und     ffthrt 

der  Weg   aber-{t4^L^r4|j"||1iJ^  Hf '»r  ^^^nnmittelbar 


ein  Nebenmotiv'*'      ^    ^^^  s-i^         -j^  ^^^  ^^_ 

ten  Teil  des  Satzes  uber.  Die  Stelle,  wo  das  Haupt- 
theroa  in  den  breiten  Rhythroen  der  Einleitung  von 
Trompeten  und  Hdmern  getragen  und  mil  dem  voUsten 
Glanze  des  Orcbesters  wieder  eintiitt,  ist  eine  der  herr- 
lichsten  in  alien  Sinfonien!  Die  Reprise  ist  sebr  kurz 
gehalten,  der  zweite  Teil  des  Hauptthemas  sogar  tlber- 
gangen.  DafQr  ftlgt  der  Komponist  eine  breite  Coda  an, 
die  sebr  viel  Neues  bringt.  Besonders  sch5n  und  innig 
berGihrt  uns  nacb  den  sttlrmiscben  und  hastigen  Anl&ufen, 
mit  denen  sie  beginnt,  der  fromme  und  ruhige  Gesang 


x^^  Die  rhytbmischen  Stockun- 

r  r  I  r  rlfllr  l  f^^jgp  r  l  gen,    welcbe    den   graden 

Gang  dieser  Melodie  auf- 
balten,  sind  eine  Liebhaberei  Schumanns.  Aus  ihr  ent- 
wickelte  sich  mit  der  Zeit  mehr  und  mebr  eine  erschwe- 
rende  und  st5rende  Maiiier. 

Der  zweite  Satz  (Largbetto,  Esdur,  '/g)  erscheint  durch 
die  letzt  angefuhrte  Episode  in  der  Coda  des  ersten 
Allegro  ideell  vorbereitet  Er  redet  die  Sprache  eines 
Herzens,  das  leise  zagt,  bittet  und  vertraut  Ein  tief  reli- 
gi5ser  Zug  lebt  darin.  In  Geist  und  Form  dieses  Larghetto 
ist  viel  Beethovensches,  namentlicb  in  den  Obergangs- 
gruppen.  AlsHaupttbema  dient  dem  Satzefolgende  Melodie: 

Larghetto. 


iretc 


-<t    321     ^^ 

Die  Answeichungen  ihrer  ersten  Takte  sind  ganz  Schu- 
manns  Eigen.  In  der  kurzen  Gruppe,  welche  der  Repe- 
tition des  Themas  durch  die  Celli  (in  B}  vorausgeht,  tiitt 
ein  Beethovensches  Motiv  (Andante  der  f&nften  Sinfonie) 
0  I.  -  .  r-  <>.-  -  ■  hervor.DerGegensatz  zmn  Haupt- 
ft  T     P  l-U— U^- 1  p  [thema  besteht  axis  einer  knappen 


''"^-^     ~~  Partie,    in    welch  er   das   Motiv 

durch  die  Instrumente  wandert.    Auch 
ff    f"  i  I  J  i{J     in  diesem  Satze  bringt  der  Schlafi  etwas 
^^T  ganz  Neues,  wieder  einen  Hinweis  auf 

den  folgenden  Satz:  Wir  hdren  ins  Feierliche  tlbertragen 
den  Anfang  des  Scherzo  von  einem  aus  der  Feme  her- 
tibertOnenden  Posannenchor.  Wie  mit  einer  stummen, 
tiefsinnigen  Frage  klingt  das  Larghetto  aus,  und  un* 
mittelbar,  ohne  eigentliche  Pause,  schlieBt  sich  das 
Scherzo  mit  seinem  energischen  Thema  an: 

Allegro  vivace. 

^nji  J.  iJ^j^Ji  fif  J  Jifir'TMrMV  f  IJ 

Der  zweite  Teil  des  Hauptsatzes  ist  ungew5hnlich  knapp 
gehalten.  Eingeleitet  wird  er  durch  eine  selbstftndige. 
liebenswttrdige  Idee 


jl  J  ir  'T  in  J  l^p»  I  ■'JJ_jMlJJ  '  U  '-I  - 


Dem  finstren  Tone,  der  den  eigentlichen  Scherzosatz  be- 
herrscht,  stellt  Schumann  zwei  Trios  gegenUber,  auch 
hierin  ungew5hnlich  und,  fur  seine  Zeit  wenigstens, 
neuemd.  Von  beiden  ist  das  erste  namentlich  von 
grofier,  von  unerhOrter  OriginaIitM.t :  ein  Wiegen  auf 
weichem  Rhythmus,  ein  Klingen  und  Grtkfien  lieblicher 
Akkorde,  das  aus  der  Feme  n&her  und  n&her  kommt 
und  wie  die  starke  Melodie  der  Winde  anschwillt!  FQr  die 
rhytbmische  ^ — ^    liegen  in  Beet- 

Grundidee    A  ^i    J|j    |J    f   \   f    \f    hovens  erster, 
dieses    Trio  ^   *  *"^-^  fOr  die  Mystik 

seines  Klanges  in  desselben  Komponisten  neunter  Sin- 

Krets  sell  mar,  FAlirer.    I,  1.  21 


322 


fonie   Vorbilder 

Yor.  Bin  kleines, 

munteres  Motiv 

bildet    den    Abschlufi    der    wunderbaren    Partie.     Das 

zweite  Trio  entwickelt  eine  harmlose,  jugendlicbe  Fideli- 

tat  auf  Grund  ei- 

nes  allbekannten     t."  ^^  8  J    I  J   J  J   I  j  J  |>   I   f"  1 1> 

AUerweltsthema:  '''  '^''-         ^ 

es  geh5rt  also  mit  unter  die  in  alter  Zeit  so  beliebten 
Solmisationsscberze.  Das  erste  Trio  wird  am  Schlusse 
des  Scherzo  noch  einmal  zitiert,  es  erscbeint  mit  innigen, 
sehnenden  Blicken  und  verschwindet  mit  einem  Seufzer. 
Das  Finale  der  Sinfonie  ist  aus  Heiterkeit  und  Kraft  ge- 
mischt  Es  dreht  sich  wie  das  Hanptthema  des  ersten 
Satzes  in  vergnfigter  Stimmong  in  originellen,  anmutig 
possierlichen  Wendungen 

AUerro  anlmato 


(erstes  Thema)  und  fdhrt  wunderliche  Dialoge,  in  welchen 
den  ausgezeichnet  gelaunten  Bl&sern  von  den  Geigen 
nnwirsch  and  barsch  geantwortet  wird 


Aus  dieser  eigenartig  klin- 


"-=-^  '     ^    ■  '  ^  ip    '  f » ■  genden  Stelle  entwickelt  sich 
/^i«i.      ^  dann  das  eigentliche  zweite 

Thema  des  Finale,  der  Ausdruck  eines  in  Rube,   Dank- 
barkeit  und  Festigkeit  gesammelten  Gemotes: 

lij  I'JIjJ  II' Jill  ^f  N^'^^^^ 


-'  Jj 
Unter  den  vielen  Ztigen  des  Humors,  die  sich  in  diesem 
Finale  finden,  sei  namentlich  auf  die  Stellen  aufmerksam 


323 


gemacht, wo sich  die Bftsae mit  den  "y  r1  I  -TJ  T  .  P     S 
Cellis  und  Bratschen  des  Motivs '  '   *<  "'^  ^  kf  UJ  '■  * 


bem&chtigt  haben. 

Der  Entstehungszeit  nach  liegt  die  vierte  Sinfonie 
Schumanns  (Op.  120)  nicht  weit  von  der  ersten.  Sie 
wurde  im  Jahre  1841  als  Nr.  2  aufgefiihrt  und  erhielt 
spftter  im  wesentlichen  nur  eine  neue,  fttr  geringe  Or- 
chester  berechnete  Instnunentierung,  einen  viel  dickeren 
und  plumperen  Rock,  der  viel  von  der  Grazie  und  den 
Farbenreizen  des  ursprtlnglichen ,  erst  in  jUngster  Zeit 
veroffentlichten  Entwurfa  verdeckt.  Im  Runstwert  der 
Bdur- Sinfonie  mindestens  gleich,  wenn  nicht  tiberiegen, 
und  ihr  auch  im  Charakter  nahe  verwandt,  bildet  Schu-  R.  gehnmaHn, 
manns  D  moU-Sinfonie  in  der  Geschichte  der  Sinfonie- ^  ™*>*^s>°f<>°*®* 
form  ein  wichtiges  Doknment.  Wir  denken  hierbei 
weniger  daran,  dafi  in  ihr  genau  wie  in  Mendelssohns 
A  moll- Sinfonie  die  vier  S&tze  des  Werkes  ohne  Unter- 
brechung  aufeinander  folgen,  also  gleichsam  einen  ein- 
zigen  grofien  Satz  bilden  sollen,  als  vielmehr  an  die  von 
Schumann  &ltem  Vorg&ngem  gliicklich  nachgebildeten 
Yersuche,  die  einzelnen  S&tze  in  einen  engeren  materiellen 
Zusammenhang  zu  bringen  und  dem  ganzen  Werke  eine 
strengere  Einheit  zu  geben:  Die  Introduktion  ist  mit  der 
Romanze,  der  letzte  Satz  mit  dem  ersten  durch  Gemein- 
samkeit  und  Verwandtschaft  der  Themen  verknttpft  Aber 
auch  innerhalb  der  einzelnen  S&tze,  namentlich  im  ersten, 
zeigt  der  formelle  Aufbau  gelungene  Neuerungen  von 
Bedeutung.  Angesichts  der  Sicherheit  und  Leichtigkeit, 
mit  welcher  sie  voDzogen  sind,  kann  man  nur  erstaunt 
sein,  dafi  vormals  und  neuerdings  wieder  die  Frage  auf- 
geworfen  werden  konnte,  ob  Schumann  der  groOen  Form 
vollig  Herr  gewesen  seL 

Das  Thema,  mit  welchem  nach  einer  etwas  schwer- 
mfitigen  Introduktion  das  erste  Allegro  einsetzt,  ist 
folgendes: 

Lfltthaft. 

fnjf^aic/ifff^>[ijji,jjjijrninprujjijr^ 

21* 


--•     324     «^ 

ullerdings  fonnell  eine  bloBe  Figur,  aber  eine  Figur  voll 
Charakter,  ans  der  eine  starke  Erregung  spricht.  Es  ist 
hGchst  meisterlich,  wie  Schumann  dieses  schwierige  Thema 
handhabt,  jetzt  zum  Ausdruck  trotzig  stftnnender  Kraft, 
jetzt  des  Zweifels  gebraucht  und  dann  mit  ihm  in  frea- 
dige  Regionen  einlenkt.  In  keinem  Takte  IftOt  er  es  aus 
der  Hand.  Ob  als  Hanptglied,  ob  als  Arabeske,  immer 
ist  es  da  und  beherrscht  die  ganze  Themengruppe,  so 
daC,  obgleicli  alles  singt  und  lebt,  ein  zweiter  ebeobiirtiger 
Hauptgedanke  in  dieser  nicht  aufkommt.  Urn  so  tkppiger 
bIQhen  die  neuen  Ideen  im  Durchftlhrungsteile.  Da  ist 
zun&chst,  flhnlich  wie  in  Schuberts  groOer  G  dur-Sinf onie, 
ein  geheimnisvolles  .jT^  -  ""T*^  welches  sich 
Motiv  der  Posaunen  ^  'f  I  f  ^J  If  mit  den  Umbil- 
dungen  der  Hauptfigur  verbindet;  da  ist  femer  die  feierliche, 
prftchtige,  mit  Fermaten  gekr5nte  Gruppe,  deren  Thema: 

m  I  _,. p^  spkter  die  Spitze 

^^^  I  ^p  ^  p  H^p  y  V  p  H"  ]  Hi  IbJ^    und  den  Kern  des 
•^  Finale  der  Sinfonie 

bildet,  da  ist  vor  allem  die  sch5ne,  zarte,  echt  Scbumann- 
sche  Gestalt,  die,  noch  post  festum  eintreffend,  den  Platz 
und  die  Bedeutung  eines  zweiten  Thema  in  dem  Satze 
erh&lt: 

In  der  dem  Komponisten  eigenen  Weise  ist  auch  diese 
Melodie  an  verschiedene  Instrumente  verteilt.  Der  Vor- 
trag  dieses  ersten  Satzes  geh6rt,  obwohl  er  technisch 
verhftltnismHOig  leichtist,  zu  den  schwierigsten  Anfgaben, 
die  an  Dirigenten  und  Orchester  gestellt  werden  konnen. 
Die  Schwierigkeit  liegt  in  dem  unaufh5rlichen,  je  nach 
vier  Oder  zwei  Takten  erfolgenden  Wechsel  von  Stimmung 
und  Motiven.  In  ihm  sind  der  Vult  und  der  Walt  Jean 
Pauls  noch  viel  entschiedener,  anspruchsvoUer  und  tem- 
peramentYoller  verkorpert,  als  im  Florestan  und  Bnsebius 
der  Davidsbiindler.  Diese  humoristische  Gegens&tzlichkeit 
verlangt  eine  ftufierst  elastische  TempofQhrung. 


325 


Aus  der  freudigen  Sph&re,  in  welche  der  schwting- 
volle  fearige  SchluG  des  ersten  Satzes  versetzt,  rufl  una 
der  Einsatz  des  folgenden  dftroonisch  ab.  Ohne  Zweifel 
hat  dieser  akzentuierte  D  moU-Akkord,  den  die  Bl&ser  wie 
einen  Schmerzensruf  ansstofien,  mit  dem  bekannten 
Quartsextakkord,  welcher  das  Allegretto  in  Beethovens 
siebenter  Sinfonie  einleitet,  eine  geistige  VerwandschafL 
Aber  bei  Schumann  wird  die  Wirkung  des  elementaren 
Mittels  dadurch  verschftrft,  daO  die  Zwischenpause  der 
beiden  S&tze  wegf&Ut.  Es  ist  wie  ein  Regenschauer  bei 
blauem  Himmel!  Die  Romanze  mit  ihrem  edel  weh- 
mfltigen  Gesang 


Ztomlleh  UBftan 


geh5rt  za  dem  SchOnsten,  was 

J!)  )    M  I  J  J^  J  -IjJ  I    \B  die  Mnsik  an  Volkspoesie  be- 
^  '  '^   "-  sitzt    Mit  der  grdfiten  Nattir- 

lichkeit  schlieBt  ihr  Schumann  die  nachdenklichen  Ge- 
danken  an,  welche  das  thematische  Material  der  Intro- 
duktion  der  Sinfonie  bilden: 

iy}  ltd?  ^ViuJ tJj^  CnJuj 

Die  klagende  Melodic  hat  sie  geweckt.  Eine  auBer- 
ordentlich  liebenswilrdige  Idee  des  Komponisten  aber 
ist  es,  aus  ihnen  den  freundlichen,  sonnigen  Ddur- 
Satz  zu  entwickeln,  welcher  die  Mitte  des  kleinen  Ton- 
bildes .  einnimmt  Zu  der  SchOnheit  der  Zeichnung 
und  der  Intention  kommt  hier  auch  noch  der  warme, 
milde  Klang,  den  die  Gelli  der  Melodic  geben,  und  der 
Reiz,  den  der  zierliche  Schmuck  der  Solovioline  dartiber 
giefit 

Das  Scherzo  hat  einen  kr&ftigen  Humor,  am  Schlufi 
des  Hanptthemas 


— ♦    326    4>^ 

spricht  der  Obermnt  der  Jugendkraft,   der  Schumanns 

beste     Komposition    kenn-        ^ 

zeichnet.    Aus  dem  Grand-       y  ^  i  j  I  j  J  J  U  J  j  Ij. 

motiv     des     Hauptthemas:  * 

bildet  der  zweite  Satz  z&rtliche  und  innige  VarianteiL 

Das  weiche,  trUamerisch  sinnige  Trio,  mil  seiner  sanft 

dahingleitenden  Melodie: 

CIw. 


kehrt  nach  der  Wiederholung  des  Hauptsatzes  zurQck. 
In  seine  einfache  Herzlichkeit  mischen  sich  schmerziiche 
T6ne.  Es  nimmt  einen  langen  Abschied  und  klingt 
dann  noch  wie  aus  waiter  Feme,  wie  in  Traumes- 
schatten  an.  AIs  es  ganz  still  geworden,  intonieren  die 
ersten  Yiolinen  wieder  das  Sechzehntelmotiv  des  ersten 
Allegro  in  der  Form  eines  schuchtemen  Vorschlags: 
Lugsam.^.^....^^  Die  Posaunen  and  H5rner  sind  vor 
^  der  Hand  noch  anderer  Meinang  und 
wollen  bei  der  ernsten  Weise  bleiben. 
Die  Mehrheit  entscheidet  aber  zu  Gunsten  der  Yiolinen,  die 
Holzblftser  gehen  mit  ihrem  Antrag  sogar  noch  weiter  und 
stellen  Motive  auf,  die  dem  ^  ^^ 
freudigen  Gezwitscher  der 
VOgel  zu  gleichen  scheinen : 
So  wird  der  heitere  Charakter  des  letzten  Satzes  fest- 
gestellt.  Diese  16  langsamen  Takte,  welche  den  Ober- 
gang  vom  Scherzo  zum  Finale  bilden,  enthalten  einen 
Reichtum  von  Phantasie  und  von  musikalischen  Ideen, 
welcher  fiir  eine  eigene  neue  Komposition  ausreichen 
wtirde.  DasHauptthema  sewegt. 

des  Finale  ist  uns  aus  g    £    g         #' . ,  <f  f- 

der  Durchfahrung  des  j|^^|^lti^^  ^tS-M^ll  /  r-T  '  I  \ 
ersten  Satzes  bekannt:  -^ 

Mit  der  Entschiedenheit,  die  der  Grundstimmung  des  Finale 
entspricht,  rUckt  es  sofort  im  dritten  Takte  nach  Cdur.  Die 
B&sse  in  ihrem  schwerf&lligen  Geiste  halten  noch  eine 
ganze  Weile  an  der  Sechzehntelfigur  fest.    Das  Finale  hat 


--♦    327    4^ 

seine  schwfilen  Momente:  Sie  finden  sich  in  dem  Motive 

^.^^^..^^       welches  oft  darch  das  Orchester  fahrt, 

'rf  l'  -^  ^^5*^   namentlich  aber  am  Eingang  derDurcb- 

*^  *  •       ^      fiihning,  wo  dem  ttber  das  Hauptthema 

gebildeten  Fugato  ganz  eigentUmliche  Dissonanzen  —  in 

ihiem   besonderen,   schrillen  Klange  eine   eigenste  Er- 

findung  Schnmanns  —  vorhergeben.   Aber  immer  folgen 

diesen  fifichtigen  Trubongen  Partien  von  voUendeter  An- 

mut    Das  zweite  Thema  ist  ihr  Haapttr&ger: 

in  seiner  Mischung  von  Grazie,  Kaprize  nnd  jugendlich 
frohlicher  Naivit&t  ein  echter  Schumann.  Es  geht  in 
eine  Periode  von  kQhnem  harmonischem  Aafbau  ilber, 
in  der  die  Kraft  aufbraust.  Der  Posannenklang  kenn- 
zeichnet  sie.  Nach  Beendigung  der  Reprise  lenkt  der  Satz 
noch  einmal  auf  ein  ruhigeres  Gebiet  dber,  mit  einem  on- 
erwarteten  nenen  Thema  freundlich  fragenden  Charakters: 
^  _,      ^       Um  so  sttlrmischer  bricht  dann 

"Fi"  fSJ- '  ^tl  ^      '   der  jubelnde  Schlufi  ein.   Erhat 
^-*=-  die  Form  einer  Stretta,  frei  nach 

italienischen  Mustem!     Das  letzte  Presto  hat  noch  nie 
seine  Wirkung  verfehlt. 

Mit  seiner  D  moll- Sinfouie  zngleich  bracbte  Schumann  B.  Seh«maBH» 
eine  zweite  kleine  Sinfonie,  eine  Art  Suite  in  drei  Satzen,      Onvertttw, 
zur  ersten  Auffiihrung,  die  unter  dem  Titel  »Ouvertflre,       ^^*^e** 
Scherzo  und  Finale c  als  Op.  62  verdffentlicht  wurde. 
Auch  diese  Sinfoniette  zfthlt,  nach   der  H&ufigkeit  der 
Auffdhrungen  zu  schtiefien.  unter  Schnmanns  beliebteste 
Kompositionen  und  hat  den  Schfilem  dieses  Meisters  be- 
sonders  oft  als  Modell  gedient.    Was  sie  so  anziehend 
und  wirkungsvoll  macht,  ist  der  stark  ausgeprftgte  Ton 
ritterlich   phantastischer  Romantik.     Darin  und  in   der 
ganzen  Richtung  der  Phantasie   erscheint  sie   als  das 
Seitenstftck  zu  den  vierhftndigen  M&rchenbildern.    Man 
k5nnte  ihr  eine  neuere  oder  ^terere  >Aventiurec  unter- 
legen.    Es  lebt  in  ihr  ein  weltfahrender ,  abenteuerlicher 
und  munterer  Sinn 


328 


Alleg^ro. 


Sie  erz&hlt  von  Lieben  and  Sehnen 

^   ,  I, y^ ^.       ^' s, n.  Sate.) 

^"I'lTr  \(T^  ir  N  ir  \  i  ^^m 

Trio  im 
Scherto 

und  auch  von  Fehden  und  wehrsamen  Streichen: 

^„,^  Nicht  ohne  Be- 

^  lir^-^f  f  •^amEingangdep 

^  Werkes  so  deut- 

lich  den  Geist  Cherabinis,  des  Komponisten  der  »Aben- 
ceragenc,  vorbeiziehen  IfiBt.  Auch  Webers  romantische 
Harmonien  klingen  in  der  OavertQre  durch.  Musikalische 
Erfindungen  bietet  die  kleine  Sinfonie  von  eigenster  nnd 
reizendster  Art;  in  der  Ansfiihrung  steht  sie  jedoch  hinter 
den  beiden  Sinfonien  in  B  und  D  betrSLchtlich  zurtick. 
Die  Ungezwungenheit  des  Komponisten  artet  hier  viel- 
facb  in  L^lssigkeit  und  Breite  aus;  ja  der  letzte  Satz  tragt 
in  den  Mendelssohnschen  Zitaten  und  in  dem  eigensin- 
nigen  Bebarren  an  allt&glichen  Einf&Uen,  in  der  Mono- 
tonie  des  Rhythmus  und  Me  trams  die  anverkennbaren 
Spuren  einer  versagenden  Phantasie. 

Auf  einem  andem  Boden  als  diese  drei  Werke  steht 
B.  BtthwmMH,  Schumanns  C  dur-Sinfonie,  die  (als  Op.  61)  in  der  Ver- 
C  dur-Sinfonie.  6ffentlichung  der  in  Dmoll  vorausging  und  bekanntlich 
die  zweite  genannt  wird,  aber  nach  der  Entstehungszeit 
and  nach  der  ersten  Auffiihrung  Schumanns  dritte  Sin- 
fonie ist  In  dieser  Sinfnnie  hat         Sosuimto. 
Schumann  hohe  pathetische  In-    ^   \    ^^     \^     f  f  \  f' 
tentionen  verfolgt    Das  Motiv:    ™       jv      '      ^^ 
welches  die  Trompeten  und  HOrner  an  den  Eingang  der 


-^     329    ^^ 

fmerlich  sinnenden  Introduktion  hinstellen,  durchzieht, 
mit  Ausnahme  des  Adagio,  alle  S&tze  des  Werkes  wie 
ein  geheimnisYolles  Geisterwort  und  bietet  uns  die  Richt- 
schnar  fUr  den  auBergewdhnlichen  Flug,  welchen  Scha- 
manns  Phantasie  in  dieser  Tondichtung  zu  nehmen  ge- 
dachte.  Es  handelte  sich  hier  far  den  Komponisten  um 
die  grofien  Leidenschaften  und  die  h5chsten  Ideen  einer 
Menschenseele,  um  Faustsche  Probleme:  um  den  Weiter- 
bau  auf  jenem  grausig  schdnen  Terrain,  auf  welchem 
die  neunte  Sinfonie  stebt.  Es  gescbah  auf  Grand  dieser 
zweiten  Sinfonie  namentlich,  da6  Schumann  von  einer 
Anzahl  treu  ergebener  Verehrer  als  der  »Erbe  Beethovensc 
proklamiert  wurde.  Wir  wissen,  was  Scbumann  mit  diesem 
groBten  Tondicbter  des  Jahrhunderts  gemeinsam  hat,  und 
stellen  die  zweite  Sinfonie  um  ihrer  Intention  willen  sehr 
hoch  —  aber  wir  glauben  doch,  daB  es  eine  Irrlehre  ist, 
sie  als  die  Hauptsinfonie  ihres  Autors  zu  erklHren.  Sie 
ist  sowohl  in  dem  Werte  der  musikaliscben  Grundideen 
selbst  als  in  ihrer  Behandlung  ungleich;  sie  mischt  Perlen 
und  Sand  und  stebt  an  Friscbe  und  NatUrlichkeit  der 
Gestaltungskraft  den  vorausgehenden  Sinfonien  sowohl 
in  einzelnen  Satzgruppen,  wie  auch  in  ganzen  S&tzen 
nach.  Mit  der  Cdur-Sinfonie  beginnt  ein  Abschnitt  der 
Entwickelung  Schumanns  als  Instrumentalkomponist,  in 
welcber  der  naiv-romantische,  volkstumliche  Zug  seiner 
Erfindung  die  vornehmere  kdnstlerische  SpbM.re  h&ufig 
verl&fit  Namentlich  in  den  Finalsfttzen  der  G  dur-Sinfonie 
und  in  dem  der  ihr  folgenden  Es  dur-Sinfonie  tritt  diese 
Erscheinung  zutage  und  leider  gerade  in  ihren  Haupt- 
tbemen.  Zu  dem  Besten  der  Cdur-Sinfonie  z&hlt  im 
ersten  Satze  der  Abschnitt,  welcher  das  zweite  Thema 
entwickelt,  und  das  Thema  selbst,  welches  in  der  Intro- 
duktion schon  angektkndigt  wird: 


ADe 


Es  ist  eigentlich  nur  ein  Absen- 
ker  vom  Hauptthema  desSatzes : 


330 


p  trtut. 

Dieses  Haaptthema,  in  seinem 
kaprizi5sen  Charakter  alier- 
dings  sehr  wohl  yerst&ndlich,  leidet  schon  an  der  Mono- 
tonie  des  Rhythmos,  welcbe  die  schw&cheren  Werke 
Schumanns  kennzeichnet.  In  der  Dnrchf&hrung  ist  ein 
mOder,  stockender  Schritt,  der  die  H5he  nur  erstrebt 
Doch  sind  darin  in  der  Gattong  des  leidenden  Ans- 
dracks  groGe  Schdnheiten.  Die  Glanznnmmem  der  Sin- 
fonie  sind  der  zweite  und  dritte  Satz.  Jener  ist  ein 
Scherzo,    welches  in   dem  Hanptsatze   aus  dem   Motiv 

AUe^o  ▼iT»ca. ^entwickeltistEsdhngt 

jaus  der  anfangs  be- 


n^  ^^      -  ♦  w5Ikten   Sph&re    zu- 

weilen  za  einer  grandios  freien  Stimmung  vor,  nament- 
licb  in  den  H  dur-Schl&ssen.  Die  FrUhlingskl&nge ,  die 
sich  in  den  Holzbl&sern  vereinzelt  h5ren  lassen,  erscheinen 
im  ersten  Trio  zu  einein  Gedichte  zusammengereiht. 
Das  zweite  Trio,  welches  nach  der  Repetition  des  Haupt- 
satzes  einsetzt,  gehOrt  zu  den  schw&cheren  Partien  der 
Sinfonie.  Der  dritte  Satz  ist  ein  Adagio,  das  in  seiner 
Anlage  einer  Phantasie  ftber  folgendes  Thema  gleicht: 

Dieser  tiefe,  seelenvolle  Gesang, 


Pf    » — —- -oi 
dessen  Heimat  das  Trio  in  S.  Bachs 

•Mosikalischem  Opferc  ist,  beherrscht  den  Satz;  ein  selb- 

stftndiges  Thema  tritt  ihm  nirgends  auf  die  Dauer  ent* 

gegen.    Die  wunderbare  Melodie  scheint,  der  tranernden 

Peri  gleich,  den  Himmel  zn  suchen.    Und  sie  findet  die 

P forte  offen.    Da,  an  den  Stellen,  wo  die  Violinen  in 

Trillern  von  der  hSchsten  H5he  wieder  herabschweben, 

kann  man  einen  Blick  hineintun.     Dieses  Adagio,  eins 

von  den  wenigen  nenen,  deren  Kiirze  man  bedauert,  wirft 

noch  etwas  von  seinem  Glanz  in  den  letzten  Satz  der  Sin- 


— •    331    *^ 

fonie  hinein.  Kurz  nach  dem  Abschlusse  des  ersten  The- 
ma^dessen       Anegioaoito.  da,  wo 

Hauptkem  ^fPlT  r'PlI*  T'PI  ^  I  PgcUftVio- 
folgender:  *"  «r  ^^=:  jj^g^ 

ihre  Achtelfigorea  anfangen  —  ergreifen  im  Finale  die 
Celli  den  Gesang  des  Adagio  und  bilden  aus  ihm  das 
zweite  Thema  des  SchlnBsatzes.  Die  sp&tere  Stelle  —  sie 
ist  an  den  Greneralpansen  leicht  zn  erkennen  — ,  wo  diese 
8ch5ne  Melodie  gleichsam  unter  allgemeiner  Trauer  ins 
Crrab  gelegt  wird,  ist  eine  der  ergreifen  dsten  im  ganzen 
Finale.  An  groGgedachten  Kombinationen  ist  dieser 
Schlufisatz  reich.  Wir  rechnen  dahin  auBer  der  EinfQh- 
rung  des  zweiten  Themas  aus  dem  ersten  Satze  anch  die 
Anfnahme  eines  bekannten  Beethoven schen  Gedankens: 

^^^- -^>^  Was   den   Eindrack   des 

i  rl^f    I  p  J    I  1   J  1^^  Finale  beeintrftchtigt,  das 
'  hftngt  mit  dem  Charakter 

des  Hauptthema  und  seiner  mehr  wiederholenden,  als 
ombildenden  Durcbffibrung  znsammen. 

Die  dritte  Sinfonie  Schumanns  (Es  dur,  Op.  97]  rUckt  B.  SehaMuiH, 
den  beiden  Vorg&ngen  in  B-  und  DmoU  wieder  nfther.  ^  ^'"^S*"'®'"*- 
Ihr  Grundcharakter  ist  heiter.  Wird  doch  angenommen, 
daO  sie  zu  dem  frischen  Leben  des  Rheinlandes  in  inneren 
Beziehangen  steht.  Sie  ist  Schumanns  letzte  Sinfonie, 
entstand  in  Ddsseldorf  und  kam  am  Anfang  der  filnf- 
ziger  Jahre  zur  Verdffentlichung.  In  ihrem  Stile  unter- 
scheidet  sie  sicb  von  den  ersten  Sinfonien  in  Bdur  und 
Dmoll,  obgleich  sie  mit  ihnen  die  Richtung  der  Phantasie 
teilt  Eine  gewisse  Schwerfftlligkeit  hat  Platz  gegriffen, 
die  sicb  in  dem  ersten  Entwurf  der  Tongedanken  and  in 
ihrer  nur  Transpositionen  bietenden  Entwickelung  ftuBert. 
Ja  sogar  bis  auf  die  Instrumentierung  erstreckt  sie  sich. 
Der  Klang  ist  oft  pomphaft,  aber  in  seiner  Feierlich- 
keit  monoton;  vorzugsweise  marschiert  das  Orchester 
in  schwerer  RQstung  und  breitem  Tritt  Wo  sind 
die  geistvoUen,  Jebendigen,  spriihenden,  die  so  origi- 
nell  kecken  Violinfiguren  hingekommen?  Doch  hat  auch 
diese   Sinfonie   noch   sehr   schdne  Partien.     Dahin   zu 


332 


rechnen    ist    im    ersten   Satze   namentlich   das   zweite 
Thema: 


Labh&rt. 


vom  zweiten  Satze  der  Haaptteil,  der  in  einer  gewissen 
altvMerischen  Frohlichkeit  gehalten  ist. 

Der  Mittelsatz  in  diesem  zweiten  Satze,  der  dem 
Trio  des  Scherzo  entspricht,  erhftlt  eine  eigentiimliche 
F&rbnng  dadnrch,  dafi  die  einfache  elegische  Liedweise, 
welche  die  Holzblftser  spielen,  iiber  einen  groBen,  tremo- 
lierenden  Orgelpunkt  gespannt  wird.  FQr  den  beschei- 
denen,  an  die  » Kinder-  s«Ju-  mattii 
szenen*  erinnernden 
Gmndstoff  des  Satzes: 
ist  die  Ansfiihmng  sehr  reichlich  bemessen.  Nach  dem 
Andante  (Asdur,  C),  in  welchem  sich  sentimentale  Ele- 
mente  mit  t&ndelnden  mischen,  kommt  noch  ein  zweiter 
langsamer  Satz  (EsmoU,  0)  mit  feierlichem  Posannen- 
klang,  in  den  seltsam  aufgeregte  Figuren  bineinspielen. 
Man  denkt  an  ein  »Gretchen  im  Dom<.  Eine  kirchliche 
Szene  zu  schildem,  soil  auch  in  diesem  Satze  Schumanns 
Absicht  gewesen  sein.  Er  schrieb  ihn  kurz  nachdem  er 
einer  Feierlichkeit  im  Dome  zu  Koln  beigewohnt  and  gab 
ihm  ursprtbiglich  eine  erkl&rende  Oberschrift.  Von  dieser 
Domszene  ist  noch  ein  Nachklang  im  Finale  zu  flnden. 
In  der  Hauptsache  entroUt  es  aber  eine  Menge  lanniger, 
anmutiger  and  frischer  Szenen,  in  deren  neckischer 
Leichtigkeit  wieder  der  alte  Schnmann  lebt  Nar  das 
Hanptthema  and  die  za  ihm  gehorenden  Grappen  sind 
Bchw&cher. 


FOHRER 
DURGH  DEN  KONZERTSAAL 

YON 

HERMANN  KRETZSCHMAR 


I.  ABTEILUNG: 

SINFONIE  UND  SUITE 
n.  BAND 

VIBBTE,  VOLLflTANDia  NEUBBARBBITSTK 
▲UFLAOB 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  BREITKOPF  &  HARTEL 

1913 


99 

Alle  Reohte,  auch  das  der  UbenetzuDg,  yorbehalten. 


Das  Recht  des  Einzelabdrucks  und  deBsen  Weitervergebung 
steht  auBschliefilich  den  Verlegern  Breitkopf  &  Hartel 

in  Leipzig  zu. 


Copyright  1913  by  Breitkopf  &  Hartel,  Leipzig. 


IV. 

Die  Programmusik  und  die  natienaie  Richtung 

in  der  Sinfenie. 


lie  Mendelssohn  nnd  Schumann  beide  verh&ltnis- 
m&fiig  nnr  wenig  Sinfonien  geschrieben  haben,  so 
war  zn  ihrer  Zeit  die  alte  Fruchtbarkeit  auf  diesem 
Gebiete  iiberhanpt  erloschen.  Anfiere  Verhslltnisse  nnd 
der  Gang  des  geistigen  Lebens  batten  dazu  gleich  stark 
beigetragen.  Die  Zahl  der  nenen  Konzertinstitute  hatte 
die  der  alten  Collegia  mnsica  nicht  im  entfemtesten 
wieder  erreicht  Die  neuen  Sinfoniker  standen  nnter 
den  nnendUch  gesteigerten  Forderungen  Beetbovens,  aber 
nicht  wie  ihre  Vorfahren  wurden  sie  vom  Ideengehalt 
der  Zeit  getragen,  kaum  unterstiitzt.  So  waren  die  Werke 
der  Roman tiker  ein  letztes  Aufflackem  alten  Glanzes;  die 
mageren  Jahre  der  Sinfonie  begannen  nnd  die  bestge- 
meinten  Preisausschreiben  konnten  das  nicht  &ndern. 
Wenn  in  einem  Winter  vier  oder  fflnf  nene  Sinfonien 
vorlagen,  die  halbwegs  branchbar  waren,  so  bedentete 
das  das  H5chste,  was  sich  erwarten  lieO.  Die  Namen 
dieser  Komponisten  findet  man  ziemlich  vollst&ndig  in 
A.  Ddrffels  Geschichte  der  Leipziger  Gewandhauskonzerte 
(1884),  denn  nnter  dem  mit  voller  Bildnng  ausgeriisteten 
Mendelssohn  machte  dieses  Institnt  erfolgreich  von  der 
nattkrlichen  Oberlegenheit  seiner  ans  dem  18.  Jahrbnndert 
flberkommenen  Organisation  Gebrauch  nnd  komman- 
dierte  die  dentsche  Mnsik/  Die  verschiedenen  and  ehren- 


A   I 


--^    334    «^ 

werten  MflUers,  nm  die  es  sich  hierbei  handelt,  die  Mo* 

lique,  G&hring,  M5hring,  Tftglichsbeck,  Markull, 

Lflhrss,  Rosenhain,  Leonhardt,  Helstedt,  Pape 

usw.,  die  die  Ehre  einer  Auffiihrung  in  der  Kegel  nor 

einmal  erlebten,  arbeiteten  durchscbnittlich  in  den  Spuren 

Mozarts  und  des  jungen  Beethoven.   Etwas  l&nger  hielten 

sich  die  Sinfoniker  ans  der  Schule  Spohrs.    Der  frucht- 

A.  Hesse. barste  von  ihnen:  A.  Hesse,  der  Breslauer  Orgelmeister, 

ist  jedoch  heute  im  Konzertsaal  gleichfalls  verschwunden. 

St.  Branet.  St.  Ben  net,  dessen  Gmoll-Sinfonie  ebenfalls  zu  dieser 

Gmppe  geh5rt,  ist  in  England  noch  nicht  vergessen,  und 

H.  BurgmfiUer.  der   poetischste    dieser   Spohrschfiler,    Norbert  Bnrg- 

m tiller,  bei  uns  auch  noch  nicht,  wenigstens  nicht  mit 

seiner  C  moll-Sin fonie. 

Beim  Beginn  dieses  dentschen  Niedergangs  greift  das 
Ansland,  das  seit  Haydn  gar  nicht  mehr  mitgez&hlt  worden, 
pl5tzlich  und  bedeutsam  in  die  weitere  Entwickelnng  der 
Sinfonie  ein.  Der  Franzose  HectorBerlioz  begrftndete 
eine  neue  Periode  —  vielleicht  nur  eine  Episode  —  der 
Programmusik,  der  D&ne  Niels  Gade  erdffnete  eine 
Reihe  von  Versuchen,  Elemente  der  Volksmusik  zor 
Grundlage  Oder  znm  Ornament  der  groOen  Formen  der 
Sinfonie  zu  verwenden. 

Unter  >Programmusik«  versteht  man  bekanntlicb  eine 
Musik,  welche  als  die  Darstellung  bestimmter  innerer  oder 
ftufierer  Vorg&nge  aufgefafit  sein  will,  welche  Geschichten 
in  T5nen  zu  erzfthlen  und  nachzumalen  versucht  und 
die  Phantasie  an  gegebene  Objekte  bindet.  Die  Tendenz 
dieser  Kunstrichtung  ist  so  alt  wie  die  Musik  und  hat 
ihre  natilrliche  Stiitze  in  der  Tatsache,  dafi  Tonverbin- 
dungen  wesentliche  Merkmale  geistiger  Ideen  und  k5rper- 
licher  Erscheinungen  wiedergeben  k5nnen.  In  der  Vokal> 
musik  bildet  die  Obereinstimmung  von  Ton-  und  Text- 
ideen  ein  wichtiges  Kriterium  ftkr  den  Kunstwert  der 
Kompositionen.  So  lange  es  eine  kiinstlerische  Instni- 
mentalmusik  gibt,  sind  auch  in  dieser  zu  alien  Perioden 
Versuche  gemacht  worden,  bestimmte  Programme  durch 
die  T5ne  zu  Ubersetzen.    Diese  Versuche  waren  in  der 


_^    335    *— 

Kegel  von  nenen,  aber  auch  von  verwnnderlichen  Resul- 
taten  begleitet.  Nicht  immer,  z.  B.  nicht  in  der  Periode 
Dittersdorfs,  aber  hftnfig  haben  die  Programmusiker  eine 
poetische  Hinneigung  zn  Ansnabmezustftnden,  za  anfier- 
gewdbnlichen  Ereignissen  oder  zu  Gegenst&nden  gezeigt, 
welche  anfierbalb  der  menschlichen  Anschannng  und  Er- 
fabmng  liegen.  So  scbildert  scbon  Proberger  einmal 
Jacobs  Himmelsleiter,  ein  andermal  einen  Schiffbruch 
nnd  einen  Oberfall  durcb  Seer&uber,  Knbnau  die  >Un- 
8innigkeit«  Sauls.  Fflr  die  neneste  Epoche  der  Programm- 
mnsik  ist  eine  ahnlicbe  Neignng  geradezu  znm  Merkmale 
gemacht  worden.  Ist  von  ihr  die  Rede,  so  erinnert  man 
sich,  mil  Unrecht,  aber  doch  tatsftcblicb,  in  erster  Linie 
der  grafilicben  Stoffe,  welche  sie  znr  Behandlnng  ge> 
wfthlt  hat  Man  denkt  an  die  Hinricbtungsszene,  an  den 
HSllensatz  in  Berlioz*  Sinfonie  fantastique,  an  die  Ban- 
ditenszene  in  seinem  Harold,  an  Liszts  Mephistosatz  im 
>Faust€,  an  den  Inferno  in  der  Dantesinfonie,  an  den 
Mazeppa,  den  Prometbens  und  die  >Hnnnenschlacbt«  des 
letztgenannten  Komponisten.  Das  sind  Partien,  in  welcben 
die  neue  Programmusik  zugleich  auch  von  dem  Stile, 
welcher  bis  dahin  in  den  Sinfonien  tiblich  war,  sehr  be- 
merkbar  abweicht.  Wo  die  Extreme  der  Leidenschaften, 
wo  Zustftnde  der  gr56ten  Erregung,  Ereignisse  unerhorten 
Charakters,  wo  die  Superlative  der  Phantasie  beriibrt 
werden  sollen,  da  bauen  diese  Komponisten  wie  die  Cy- 
klopen  mit  unbehauenen  B15cken.  Da  lassen  sie  die 
Elementarkraft  des  blofien  Klanges  und  des  bloOen  Rhyth- 
mus  wirken  und  gewd.hren  der  Macht  des  musikaliscben 
Rohmaterials,  dem  physischen  Elemente  der  Musik  einen 
weiten  Spielraum.  Sie  stiltzen  ganze  Perioden  nur  auf 
das  Fundament  dissonanter  Harmonien,  auf  bin-  und 
hersausende  chromatische  Figuren,  auf  das  brutale  Trei- 
ben  von  Motiven  und  Themen,  welche  die  Kunstmusik 
als  trivial  verwirft.  Man  vergifit  fiber  den  Produkten  ge- 
walttfttiger  Gharakteristik  und  ttber  den  Beftirchtungen, 
welche  ihr  naturalistischer  Stil  erregen  kann,  sehr  leicht, 
daO  die  Werke  der  Programmusiker  auch  sehr  reicb  sind 


-^    336    ♦>- 

an  eigenartigen  SchOnheiten  freandlich  rahiger  Natnr  und 
dafi  ihre  Hauptvertreter  durch  Anfstellting  neuer,  zweifel- 
los  berechtigter  Prinzipien  ttnd  d'orch  Ansbildnng  neuer 
Ansdracksmittel  die  allgemeine  £ntwickelnng  der  Ton- 
kunst  gefOrdert  haben.  Die  Gescbichte  der  Sinfonie  ist 
noch  jnng,  denn  die  Kunst  zfthlt  nach  Jahrbanderten. 
Mag  cUe  Programmusik  noch  so  oft  Fiasko  machen;  ibr 
Prinzip  wird  nicbt  sterben.  Nach  der  ganzen  Entwicke- 
lung  der  Instumentalmusik  kann  in  der  Zukunft  ihr 
Boden  nur  breiter  und  fester  werden.  Schon  heute  liebt 
das  Publikum  einen  poetiscben  Anhalt  fiir  die  sinfoni- 
scben  Gebilde,  und  unter  den  Komponisten  bat  das  Pro- 
gramm  mehr  Anh&nger,  als  sich  dfTentlich  dazu  bekennen. 
Es  wUre  ein  UnglUck,  wenn  wir  nur  Programmusik  hfttten; 
aber  es  wSlre  kaum  weniger  zu  bedauem,  wenn  wir  gar 
keine  hsltten! 

Die  heutige  Programmusik  ist  zum  grofien  Teil  durcb 
Hector  Berlioz  so  geworden,  wie  sie  ist.  Trotz  seiner 
SchwSlrmerei  fQr  Virgil  und  ftir  Gluck  war  Berlioz  ein 
Erzromantiker,  und  nicbt  umsonst  nannten  ibn  seine 
Landsleute  scbon  bald  den  Victor  Hugo  der  Musik*). 
Musikalisch  l&6t  er  den  gebornen  Franzosen,  den  Lands- 
mann  Rameaus,  nur  m&fiig  merken;  aber  dichterisch 
war  er  ganz  von  jener  franz5siscben  Neuromantik  be- 
sessen,  der  Viscber  (in  den  >Kritiscben  Gftngenc)  grob 
aber  bezeichnend  eine  >Schinderphantasie<  vorwirft.  Der 
erste,  schwerste,  der  unheilbare  und  unverzeibliche  Man- 
gel von  Berlioz*  Programmusik  liegt  in  den  Programmen 
selbst,  nicbt  in  der  Kolossalitat  und  MaOlosigkeit  seiner 
poetiscben  Intentionen,  wie  Ambros  sagt**^),  sondem  in 
ibrer  vollst&ndigen  Gescbmacklosigkeit.  Der  Einfall:  die 
Gescbichte,  die  der  Sinfonie  fantastique  zu  Grunde  liegt, 
mit  Hexen  und  H511e,  die  des  Harold  mit  einer  Banditen- 
orgie  zu  schlieOen,  bleibt,  auch  wenn  man  den  MaGstab 
nach  den  Verirrungen  der  Scbule  Eugen  Sues  bildet,  so 

*)  F.  Hiller:  Kiinstlerleben,  1880,  S.  85. 
*♦)  W.  Ambros:  Bunte  Blitter,  1872,  S.  100. 


— •    337     «^ 

vereinzelt  und  ungeheuerlich,  daO  man  zu  einer  Erkl&* 
rung  weiterer  Grftnde  bedarf.  In  der  Tat  wirkten  auch 
anf  den  schwachen  Pnnkt  in  Berlioz'  Phantasie  neben 
den  literarischen  EinfltLssen  noch  starke  musikalische. 
Dnrch  Simon  Mayr  waren  in  der  italienischen  Oper  die 
Blasinstrumente  zu  einer  neuen  Bedeutung  gelangt,  bei 
Pacini  und  Mercadante  entwickelte  sich  daraus  ein  form- 
licher  Kultus  des  Blechs.  Meyerbeer  ftkbrte  ihn  in  die 
franz5sische  Oper  fiber  und  Berlioz  ward  der  Meyer- 
beer der  Sinfonie.  Er  bereicherte  sie  mit  der  Harfe 
und  dem  englischen  Horn,  aber  auch  mit  den  dritten 
und  vierten  Fagotten  und  Trompeten,  mit  den  Opbi- 
kleiden,  dem  tiirkischen  Schlagzeug  und  mit  dem  halben 
Orchester  der  Wachtparade.  In  den  SchluOsfitzen  seiner 
Sinfonie  wird  dieser  neue  akustische  Spuk  prasselnd  los- 
gelassen. 

Nichts  setzt  Berlioz  so  weit  unter  Beethoven  wie 
diese  Abhftngigkeit  vom  gemeinen  Effekt.  UndN  doch  hat 
er  sich  fOr  einen  Schuler  und  Nachfolger  Beethovens  ge- 
halten  und  dieses  Verh&ltnis  mit  dem  Vergleich  zwischen 
Columbus  und  Ferdinand  Gortez  zu  bestimmen  versucht*). 
In  der  Tat  fand  er  f&r  seinen  Naturalismus  eine  kleine 
Stfitze  in  der  Beethoyenschen  Sinfonie  von  der  zweiten 
ab.  Aber  wer  gerecht  sein  will,  kommt  auch  nicht  um 
die  Notwendigkeit  herum  einzusehen  und  zuzugeben,  da6 
Berlioz  auch  nach  einer  zweifellos  ntitzlichen  und  zu- 
kunftsreichen  Richtung  bin  an  Beethoyen  ankniipft  und 
ihn  fortgesetzt  hat:  Er  suchte  und  fand  geeignete  Mittel, 
den  breiten  Beetbovenschen  Formen  der  Sinfonie  Ver- 
st&ndlichkeit  zu  bewahren.  Diese  Mittel  waren  das  Pro- 
gramm  und  die  Verbindung  der  einzelnen  S&tze  durch 
Wiederkehr  desselben  Themas.  So  schlecht  Berlioz'  Pro- 
gramme waren,  die  Berechtigung  und  Wirkung  des  Mittels 
an  sich  haben  sie  festgestellt,  sein  aus  dem  Schlummer 
der  Jahrhunderte  wiedererwecktes  Prinzip  des  Leitthemas 
ist  aber  von  der  ganzen  modernen  Musik,  instrumental 


♦)  F.  Hiller,  a.  a.  0.  127. 
Kretsscbmar,  Fflhr«r.    I,  1.  22 


— t    338    ♦^ 

and  vokal,  von  Gegnem  nnd  Frennden  Berlioz*  ohne  Unter- 
scbied  immer  mehr  anfgenommen  worden. 
H. Berlios,  Berlioz'  Debiit   bildet  die  Sinfonie  fantastique, 

fMuSr**e   ^P"  ^*  ^^'  ^^^'  ^^^''    ^   s«inen   Memoiren   (S.  95)  sagt 
an      que.  g^j^ji^^,  dafi  die  Bekanntschaft  mit  GGthes  >Faiist«  einen 

groGen  Einflufi  auf  diese  Komposition  gehabt  babe.   Das 

mag  sein  mit  Blocksberg  and  Walpargisnacht,  vielleicbt 

aach  mit  dem  Spaziergang  and  mit  den  >zwei  Seelen  in 

einer  Brast« ;  die  Idee  za  der  >Fantastiqae€  wslre  ftkr  Goethe 

ein  Greuel  gewesen  and  ist  ganz  Berlioz'  eigene  Erfindung, 

als  solche  fftr  den  abenteaerlichen  Cbarakter  seiner  dich- 

terischen  Neigangen  and  seiner  Ansichten  vom  Wesen 

and  Zweck  der  Kunst  Qberbaupt  sebr  bezeicbnend: 

Ein  junger  Kunstler,  liebestoU  and  lebenss&tt,  nimmt  Opium. 
Die  DobIs  des  Giftes,  zn  scbwach  nm  zu  tSten,  bewirkt  nur 
einen  tiefen  Rauscb  und  eine  Relbe  von  Tr&umen,  in  denen 
die  Liebesgescbichte  des  KQnstlers  repetiert  und  zu  elnem  phan- 
tastischen  nngebeaerllcben  Abscfalufi  weitergefuhrt  wird. 

Mit  andren  Anslegem  hat  anch  Schnmann*)  ange- 
nommen,  daO  der  Komposition  and  ibrem  Programm  ein 
Stfick  aas  dem  eigenen  Leben  von  Berlioz,  seine  Liebe 
zn  der  englischen  Scbauspielerin  Mifi  Smithson,  zugrande 
liege.  Die  Masik  versacht  die  Traambilder  in  fanf  S&tzen 
wiederzageben. 

Der  erste  »R6verie8  —  Passions*  —  (Trftamereien  — 
Leiden scbaften)  tiberschrieben ,  scbildert  die  Zeit  der  er- 
wachenden  Liebe  and  der  ersten  Begegnang  mit  der  Ge- 
liebten.    Das  Programm  sagt: 

>Zuer8t  gedenkt  der  junge  Mnslker  des  beingstigendeii 
Seelenzuatandes,  der  dunklen  Sehnsucht,  der  Schwermut  nnd 
des  frendigen  Anfwallens  ohne  besondren  Grund,  die  er  empfand, 
bevor  ihm  die  Geliebte  erscblenen  war  j  sodann  erlnnert  er  sicb 
der  beifien  Liebe,  die  sle  plQtzllch  in  ihm  entziindet,  seiner 
fast  wabnsinnigen  Herzensangst,  seiner  eifersiicfatigen  Wat,  seiner 
wieder  erwachenden  Liebe,  seiner  religiosen  TrSstungen.c 

*)  R.  Scbumanns  Gesammelte  Scfariften  (Aasgabe  von  Jansen) 
I,  131. 


339 


Die  in  diesen  Worten  gestellte  Aufgabe  sucht  Berlioz 
mil  einem  Satze  zu  Idsen,  der  ganz  die  Form  hat,  die 
wir  seit  Haydn  an  dieser  Stelle  gewohnt  sind:  ein  im 
Sonatenschema  ansgefiihrtes  Allegro  mit  langsamer  Ein- 
leitung. 

Die  Einleitnng  (Largo,  C^  CmoU)  schildert  den  Seelen- 
znstand,  in  dem  sich  der  KQnatler  vor  dem  Erscheinen 
der  Geliebten  befand:  Schon  die  ersten  beiden  Takte 
suchen  das  Bild  einer  klopfenden  und  nagenden  and  im 
selben  Angenblick  vom  schweren  Dmck  gehemmten  Emp- 
iindnng  zu  zeichnen:  Die  >Scbwermnt<  und  >die  dunUe 
Sehnsucht*  des  Programme  drfickt  eine  l&ngere  Gfreigen- 
melodie  aus,  die  folgendermaBen  einsetzt: 

Largo.  J  •  66 


1^  I    I  Die   Fennaten   und  der  stockende  Gang 

</      kennzeichnen   auch   ihren   weiteren  Ver- 

lauf.  Im  achten  Takt,  am  Schlufi  der  Peri- 


ode,  zeigt  ein  Nonenakkord  fiber  der  Dominante  den  HOhe- 
punkt  des  WehgefUhls.  Von  da  ab  versucht  die  sprSde 
Melodik  grdOere  Schritte,  Qberl&fit  aber  sebr  schnell  das 
Wort  dem  Rbytbmus,  der  in  den  ■— ■  einen  Auf- 
tiefen  Instrumenten  fiber  das  Motiv  ^  ^  *  schwungder 
Stimmung  einleitet  Ahnlich  wie  an  der  bertthmten 
Stelle  im  Trauermarsch  der  Eroica  lassen  die  Basse 
ganz  allein  ein  mftchtiges  As  h5ren,  das  drShnend 
nach  0  fibertritt.  Wir  stehen  vor  dem  zweiten  Abschnitt 
des  Largo,  dem  das  Programm  >das  freudige  Aufwecken 
ohne  besonderen  Grande  zuweist.  Er  malt  es  in  losen 
Figuren,  die  als  Sechzehntelsextolen  und  als  Triolen 
dahinflattern.  Zuerst  in  der  ersten  Violine  allein,  dann 
ergreifen  sie  auch  die  iibrigen  Instrumente,  durchschw&r- 
men  rasch  von  Gdur  aus  einen  Kreis  naher  und  femer 
Tonarten,  bis  sie  im  secbsten  Takt  nach  Cdur  und  gleich 
tiarauf  nach  Gmoll  zurQckkehren.    Es  war  nur  das  Auf- 

22* 


-~^    340    0— 

glflhen  des  Fiebers,  jetzt  meldet  sich  die  alte  Schwennnt 
in  den  Klagen  der  Blftser  wieder.  Nach  yier  Takten 
haben  wir  wieder  die  oben  angegebene  Geigenmelodie. 
Der  dritte  Abschnitt  des  Largo  beginnt,  yerlftnft  aber 
doch  nicht  ganz  gleicblautend  wie  der  erste.  Das  beitere 
Anfwallen  hatetwas  gewirkt:  in  derSeele  des  verliebten 
Mnsikers  ist  es  beller  geworden.  Das  sagt  uns  die  Dur- 
tonart  [JEei),  in  die  das  Thema  jetzt  versetzt  ist,  das  sagen 
uns  die  Bl&ser,  die  die  Geigen  mit  den  mnntren  Motiven 
des  zweiten  Abscbnitts  umspielen.  Nachdem  diese  Re- 
petitionsgrappe  gescblossen  bat,  geht  in  der  Stimmnng 
eine  nocb  viel  entschiedenere  Wendung  zur  Hoffnnng  and 
Frende  vor  sicb.  Des  dur  setzt  plotzlich  ein,  das  Horn 
Qbemimmt  die  Ftthrang  mit  Melodien,  die  tr5sten,  mit 
trillemden  Figuren  und  nenes  Leben  weckenden  Motiven. 
Die  Violinen  nehmen.  die  D&mpfer  ab  and  stimmen  mit 
frohen  and  matigen  Gftngen  ein.  Es  ist  ein  Z6gern  and 
Gfthren  in  diesem  Scblufiabscbnitt  des  Largo,  das  den 
empfftnglich  folgenden  Zabdrer  in  grofie  Spannang  ver- 
setzt. 

Das  Allegro  (Allegro  agitato  e  appassionato,  Cdur), 
welches  im  erregtesten  Zucken  einsetzt,  15st  sie  bidd.  Die 
Geliebte  erscheint,  das  folgende  Thema,  von  der  F15te 
zuerst  eingeffihrt: 

Allerro. 


soil  ihre  Gestalt  bezeichnen.  Schumann  findet  in  ihm 
sogar  den  Gharakter  der  >kiihlen  Brittin*,  die  sp&ter 
Berlioz'  Gattin  wurde,  aasgedrfickt.  Es  fftngt  wohl  etwas 
gldcklich  reserviert  an,  wird  aber  in  den  folgenden  Peri- 
oden  der  Klage  ziemlich  warm  and  schliefit  liebens- 
wtirdig  zasprechend.  Der  hier  wiedergegebene  Anfang 
kehrt,  gew5bnlich  durch  zitternde  Rhythmen  begrOfit,  als 
Leitmotiv  in  alien  S&tzen  der  Sinfonie  wieder,  Berlioz 
nennt  es  ihre  >id^e  fixe*.  Das  ist  nicht  in  dem  Sinne 
gemeint,  in  dem  wir  Deutsche  von  der  >fixen  Ideec  ge- 
st6rter  Geister  sprechen,  sondem  jene  acht  Takte  bilden 


-^    341     *^ 

den  »festen  Pol  in  der  Erscheiniingen  Flncht*,  das  Band, 
das  den  Inhalt  der  Sfttze  der  Sinfonie  verknflpft,  das 
ftoBere  Zeichen  ihrer  Zusammengehdrigkeit.  Gleichviel, 
ob  man  in  Berlioz*  spezitischer  Masikbegabung  Talent 
Oder  Talentlosigkeit  erblickt,  jedermann  soUte  einsehen, 
daB  die  Einffihrung  und  DarchfUhrung  des  Prinzips  der 
»id^  fize«,  daB  der  Versuch,  dnrch  thematische  Einheit- 
lichkeit  die  verschiedenen  S&tze  der  Sinfonie  enger  zn 
verbinden,  eine  kiinstleriscbe  Tat  von  boher  Bedentang 
ist.  Es  war  der  erste  und  einzige  wesentliche  Fortsctaritt, 
den  die  Geschichte  der  Sinfonie  nacb  Beethoven  zu  yer- 
zeichnen  hat,  der  Punkt,  von  dem  atis  sich  eine  Znknnft 
flir  diese  Knnstgattung  erdffnete. 

Wie  Haydn,  legt  anch  Berlioz  den  zweiten  Themen 
nicht  viel  Wert  bei  and  zieht  ihnen  eine  freie,  aber  logische 
Fortsetznng  des  Hauptgedankens  vor.  So  wird  denn  hier 
in  der  Themengmppe  des  ersten  Satzes  das  Hauptthema 
mit  einem  Jabelausbmch  begr&6t,  der  yon  zwei  lant  tre- 
molierenden,  je  einen  Takt  Ian  gen  Akkorden  ans :  g-h-des-^ 
und  g-h-d-f,  in  Achtelfigoren  hinab  und  hinaufstdrzt  Er 
schlieBt  znnftchst  mit  einem  innigen  RQckblick  auf  den 
Schlufi  des  Hauptthemas,  auf  dessen  letzte  Periode: 

AHogro 


Dann  emeut  er  sich,  aber  mitMotiven  des  stillenEntziickens: 

»  gemischt,   er- 

A  f  ^f    I V    ,1  i  fif  ff^r    I    weitert      und 

lb  '       '     I   l^^'>^    ft  ^    M-*^    i^    ^g,   Ri^jh- 

•^  tung  bestunm- 

ter.  Sie  Uuft  geradewegs  wieder  auf  das  Hauptthema 
zu,  das  in  Gdur  erreicht,  aber  nur  mit  den  ersten  Noten 
anfgenommen  wird: 


-^    342     ♦^ 

Die  mil  dem  dritten  Takte  einsetzenden  neuen  Glieder 
fangieren  als  zweites  Thema  im  Satze  and  vertreten  in 
der  Durchfflhrung  die  Stimme  des  Liebesgllicks. 

Unser  Allegro  ist  in  der  seit  Haydn  ttblichen  Form 
in  den  drei  Hauptteilen:  Themengmppe,  DarchfOhrong, 
Reprise  anfgebaut.  Die  Themengruppe  schliefit  bald  nach 
dem  Auftreten  des  als  zweites  Thema  geltenden  Gedan- 
kens.  Die  Dnrchf&hrong  ist  die  Stelle  der  >£rinnerungen«, 
anf  die  das  Programm  znm  ersten  Satz  binweist  Nor 
sind  sie  in  der  Musik  nicbt  so  einfacb  abzalesen  wie 
dort  im  Text.  Die  Reihenfolge  der  Empfindongen  ist 
anders,  aber  insofem  wohlgeordnet  und  iibersichtlich,  als 
den  triiben  immer  belle  folgen.  Eine  wirkliche  Schwierig- 
keit  far  Folgen  und  Verstehen  liegt  darin,  dafi  Berlioz  in 
der  Scbilderung  der  Affekte  meist  ohne  Obergftnge  schroff 
abspringt 

Die  Durchfahrung  beginnt  mit  einem  kleinen  Dialog 
(von  Gdur  aus).  Die  B&sse  zeigen  wie  aus  der  Feme  im 
Halbdunkel  das  Bild  der  Geliebten  (Anfang  des  Haupt- 
themas),  die  Bl&ser  in  nenen  eignen  Motiven  das  Herz 
des  liebenden  jungen  KUnstlers.  Mit  dem  zweiten  Thema 
in  Cdnr  scbliefit  diese  Gruppe.  Nan  kommt  als  zweite 
Grappe  die  Darstellang  jener  »Herzensangst«,  aaf  die  das 
Programm  yorbereitet.  In  den  Saiteninstramenten  wiihit 
es  mit  chromatiscben  Lftufen,  die  BlS.ser  stolen  lange 
KIaget6ne  aus.  Die  Szene  endigt  mit  einem  aafregenden 
Sturm  nach  der  Hdhe,  wie  ein  Befreiungsversuch  aus 
schwQIem  luftlosem  Raam,  und  mit  einer  erl5senden 
Generalpause.  Der  dritte  Abschnitt  bringt  das  Bild  der 
Geliebten,  das  Hauptthema  in  voller  Ausdehnang,  aber 
in  Gdur  wieder.  Ihm  folgt  eine  leise  beginnende  Stelle 
des  Besinnens  erst,  dann  des  Jubels,  an  die  sich  als  f&nfter 
Abschnitt  eine  kurze  Durchftthrung  des  zweiten  Themas, 
die  von  den  Gellis  aus  nach  oben  angetreten  wird,  schlieGt. 
Sie  endet  mit  der  Wiederaufnahme  vom  Ende  des  Haupt- 
themas,  das  schlieOlicb  wie  grollend  in  den  Bftssen  ver- 
schwindet.  Und  nun  scblieBt  die  DurchfCihrung  mit  einer 
Gruppe,  die  komphzierter  und  auch  f&r  die  Aufftihrung 


— ♦    343     «^ 

schwieriger  ist,  als  irgend  eine  der  bisherigen  Partien 
des  AUegro.  Die  Celli  nftmlich  beginnen  eine  laoge  Kette 
von  Imitationen  ftber  den  Anfang  des  Hauptthemas  erst 
mit  den  Bratschen,  spftter  mit  den  zweiten  Geigen.  Die 
Holzbl&ser  spielen  verlegne  oder  prtifende  Gegenmotive 
dazUf  die  ersten  Geigen  wirken  nur  rhythmisch  erregt  mit 
Das  ist  wohl  die  Schilderang  der  »eifersilchtigen  WQt« 
und  der  dunklen  Bef&rchtongen  im  Herzen  des  Liebhabers. 
Er  ring!  sich  durcb  und  wir  gelangen  an  die  Reprise  des 
Hauptthemas  im  ff  (Cdur)  wie  in  der  Apotheose.  In  der 
Reprise  hat  Berlioz  Beethovensche  Einschtkbe  zur  Steige- 
rung  des  Ausdmcks  des  Liebesgl&cks  mit  Erfolg  versucht 
Es  ist  die  Hdurstelle,  wo  die  Bftsse  mit  h  a  fis  dis  be- 
ginnen. Die  »religi5sen  Tr5stungen«  des  Programms 
kommen  in  den  letzten  Takten  des  Satzes  im  Anscblufi 
an  den  leisen  Abschied  des  Hauptthemas. 

Der  zweite  Satz  (Valse,  3/g,  Adur)  hat  die  Ober- 
schrift  »Un  bal«,  ein  Ballfest.  Das  Programm  sagt  zur 
Erlilnterung :  >Auf  einem  Ball  inmitten  des  Gerftuscbes 
eines  gl&nzenden  Festes  findet  er  die  Geliebte  wieder*. 
Berlioz  hat  namentlich  durch  den  Ball  in  Romeo  und 
Julie  die  musikaUsche  Welt  an  effektvolle  und  lebendige 
Festszenen  gew5hnt  wie  keiner  vor  ihm.  Die  bier  ge- 
gebene  ist  bescbeiden  nach  aufien,  aber  durch  innerliche 
W&rme,  durch  Poesie  und  dramatisches  Leben  in  der 
Form  sehr  bedeutend.  Wie  sch5n  ist  beidemal  die  »id^ 
fixe«  eingefdhrt,  das  Zusammentreffen  der  Liebenden  in 
der  festlichen  Menge  gezeichnet!  Nach  einer  kurzen  Ein- 
leitung,  welche  diistre  Traumfiguren  enth&It,  nimmt  die 
Musik  den  Charakter  eines  deutschen  Walzers  an: 


^^^^^^^^^^^^^ 


Die  Dnrchftilirung  dieses  Hauptsatzes  wird  von  er- 
regteren,  tiefere  Saiten  des  GefQhls  anschlagenden,  sze- 
nischen  Charakter  tragenden  Episoden  mehrmals  unter- 


-^     344    «^ 

brochen.  In  das  rauschende  Bnde  des  Satses  Iftchelt 
Rossini  herein. 

Der  dritte  Satz  (Adagio,  ^/^  Fdur)  hat  die  Obei^ 
schrift:  >Sc^ne  anx  champsc  (Auf  dem  Lande)  und  fol- 
gendes  Programm: 

»An  einem  Sommerabende,  auf  dem  Lande,  h5rt  der  Kunstler 
Kwei  Schifer,  die  abwechselnd  den  Knbreigen  blasen.  Dieses 
Schiferdnett,  der  Schanplatz,  das  leise  Flfistern  der  sanft  Tom 
Winde  bewegten  Binme,  einige  GrtLnde  snr  Hoffnnng,  die  ihm 
erst  kfirzlicb  bekannt  geworden,  alles  vereinigt  sicb,  am  seinem 
Herzen  eine  unendJiche  Rube  wleder  zu  geben,  seinen  Yor- 
stellnngen  ein  lacbendes  Kolorit  zu  yerleihen.  Da  erscheint  sie 
aufs  neue ;  seln  Herz  stockt,  scbmerzliche  Abnnngen  steigen  In 
ihm  auf:  ^Wenn  sie  ihn  binterginge  I  *  —  Der  eine  Schifer 
nimmt  die  Melodie  wleder  anf ;  der  andere  aniwortet  nicht  mebr 
.  .  .  Sonnenuntergang  .  .  .  femes  Bollen  des  Donners  .  . .  £in- 
samkeit  .  . .  StiUe.c 

Die  Musik  beginnt  mit  einem  Dialog  zwischen  Eng> 
lisch  Horn  und  Hoboe,  welche  sich  Motive  des  Kubreigens 
zurufen.  Das  Gesamtorchester  stiromt  bald  in  die  Iftnd- 
lichen  Weisen  ein,  bald  vertanscbt  es  sie  mit  dramatischen 
Phrasen,  welche  die  Sprache  einer  zwischen  Zweifel  and 
Hoffnnng  schwankenden  Seele  reden.  An  den  Stellen, 
wo  die  >id4e  fixe«  erscheint,  wird  der  Ansdrnck  wild  er- 
regt  Oder  rtihrend  schmerzlich.  Der  Satz  zeigt  eine  eigen- 
ttimliche  Mischung  von  Gemiitsschilderung  and  Land- 
schaftsmalerei.  Berlioz  verstand  in  einem  bohen  Grade 
die  Kanst,  die  dramatische  Darstellang  seeiischer  Zastftnde 
mit  einer  anscbaulichen,  poetischen  Wiedergabe  der 
&a6eren  Szenerie  zu  verbinden.  Sein  Ghilde  Harold  and 
seine  Romeosinfonie  enthalten  Musterstficke  dieser  Art. 
In  letzterem  Teile  erinnert  die  >Sc^ne  aux  champs«  viel- 
fach  an  das  Andante  von  Beethovens  Pastoralsinfonie. 
Hier  wie  dort  das  Vogelgezwitscher,  das  Rauschen  des 
Windes,  das  S&usein  der  Baume,  der  Reichtum  an  natu- 
ralistischen  Details  in  den  groGen  FluO  der  musika- 
lischen  Darstellang  eingezogen,  zuweilen  direkte  An- 
kiange.    Das  Hauptthema  der  pastoralen  Partie  der  Szene 


345 


ist  eine   gesangvoUe   Melodie,   welche   folgendermafien 
anf&ngt : 


Adagio 

m 


if     V 

Sie  erscheint,  so  oft  sie  wiederkehrt,  darunter  zwei- 
mal  in  Gdtir,  in  immer  neuen  Reizen  des  Kolorits  und 
des  Rhythmns.  Von  groBartigem  Eindruck  ist  namenUich 
die  Stelle,  wo  Bilsse,  Gelli  und  Bratschen.  alle  in  viel- 
stimmigen  Griffen  .p  m  begleiten.  DieGabe,  sch5ne 
mit  dem  Rhythmus  ^Ts  f  Us  f  qq^  eigentttmliche  Kl&nge 
zu  finden,  war  Berlioz  angeboren.  Knrze  Zeit,  bevor  er 
seine  Sinfonie  fantastiqae  schrieb,  stndierte  er  noch 
Medizin.  Die  >id6e  fixe«  beherrscht  von  der  Mitte  des 
Satzes  an  die  Komposition.  Ihr  erstes  Anftreten  bereitet 
ein  in  gr56ter  Aufregung  einsetzender  Gang  der  Celli 
und  Bftsse  vor: 

I.  gii|TTri-ir|Mfjj^in,|j;|i|"ffn„i^|fe 

Die  Geigen  werden  von  seiner  verzweifelten  Energie 
erfafit  und  helfen  das  Bild  des  in  Leidenscbaft  schlagen- 
den  Herzens  aufs  spannendste  ausfQbren.  Erst  nachdem 
das  rasende  Orcbester  sicb  in  langen,  auf  verminderte 
Harmonien  gestellten  Tremolos  ausgetobt  bat,  beginnt 
das  >Stocken«,  von  dem  das  Programm  spricht  Die  Kla- 
rinette  beschwich- 
tigt  noch  einmal 
mit  einer  neuen 
sanften  Melodie: 
Ihr  folgen  'die  zweiten  Geigen  mit  dem  Hauptthema, 
dessen  Vortrag  mit  einer  Wendung  des  Aufschwungs 
und  des  Ausdrucks  glftcklichster  GefOhle  schlieOt.    In 


_^    346    «— 

Cdur  begann  dieser  Abschnitt,  in  F  geht  er  ans.  Da 
setzt  die  >id^e  fixe«  nocbmals  ein,  aber  diesmal  nichi 
verwirrend  and  verst5rend;  Hand  in  Hand  mil  ihr, 
die  die  Blftser  einfUhren,  geht  in  den  Geigen  das  Haupt- 
thema  des  Satzes.  —  Den  »Sonnenuntergang«,  den  das 
Programm  verspricht,  ans  der  Musik  herauszuhbren,  wird 
nur  wenigen  gelingen.  Dagegen  ist  das  >Rollen  des 
fernen  Donners<  dnrch  ein  kleines  Extrakonzert  auf  vier 
Paoken  sehr  deutlicb  gemacht. 

In  seinen  Memoiren  (S.  95  and  110)  erzfthlt  Berlioz, 
dafi  die  Sc^ne  aax  champs  bei  der  ersten  AaffQhrung 
keine  Wirkung  anf  das  Pablikam  geQbt,  dafi  er  das  StQck, 
das  ihn  bei  der  ersten  Niederschrift  schon  drei  Wochen 
aufhielt,  im  Laafe  mehrerer  Jahre  wiederholt  nmgearbeitet 
and  nach  den  Anweisangen  Ferd.  Hillers  in  seine  letzte 
Gestalt  gebracht  habe.  Es  war  also  ein  Sorgenkind  and 
IftOt  aach  heate  noch  einen  Rest  von  Unfertigkeit  merken, 
der  die  Wirkung  seiner  sch5nen  Ideen  and  Absichten  etwas 
beeintr&chtigt. 

Dagegen  ist  der  folgende  vierte  Satz  der  Sinfonie 
(Allegretto  non  troppo,  (^,  6  moll)  in  einer  Nacbt  ge- 
schrieben,  ein  Werk  ans  einem  Gu(3.  Er  hat  die  Ober- 
schrift :  >Marche  au  sapplice«  (Gang  zum  Hochgericht)  and 
wird  im  Programm  foIgendermaOen  erlaatert: 

>Dem  jungen  Kiinstler  triumt,  er  habe  seine  Geliebte  er- 
mordet,  er  set  zam  Tode  verdamiDt  und  werde  zum  Ricbtplatz 
gefiibrt.  Ein  bald  dusterer  und  wilder,  bald  brillanter  und 
feierlicher  Marscb  begleitet  den  Zug;  den  Urmendsten  Aus- 
briichen  folgen  ohne  Ubergang  dumpfe,  abgemessene  Schritte. 
Zuletzt  erscheint  neuerdings  die  ,ld^e  flxe*  auf  einen  Augen- 
bllck,  glelcbsam  ein  letzter  Liebesgedanke,  den  der  Todesfitreich 
unterbricbtc 

Mit  diesem  Satze  nehmen  die  OpiamtrHume  des 
jungen  KUnstlers  eine  abenteuerliche  Wendang,  eine  Wen- 
dung,  welche  ans  den  eigentlichen  Traumgott  der  Sinfonie 
fantasique,  ihren  Komponisten  H.  Berlioz  nS.mIich,  zum 
ersten  Male  als  Pateiganger  jener  Blat  und  Grauel  lieben- 
den  franzosischen  Neuromantik  zeigt  von  der  bereits  die 


-^    347     «^ 

Rede  war.  Die  Musik  zu  einem  solchen  dichterischen  Voif- 
wnrf  kann  nicht  anders  als  schauerlich  sein.  Dieser  Zweck 
schlieBt  Sparsamkeit  in  den  Mittein  der  Instrumentation 
aus.  Korz  vor  dem  Momente,  wo  das  Fallbeil  f&Ut  — 
heftiger  Schlag  des  ganzen  Orchesters,  zwei  Pizzikato- 
noten  des  Streicherchors,  nngeheurer  Wirbel  sftmUicher 
Panken  und  Trommeln  ^  taucht  der  Gedanke  an  die  Ge- 
liebte  noch  einmal  auf.  Die  »id^e  fixec  erklingt  im 
Solo  einer  schrillen  C-Klarinette.  Der  Stelle  geht  ein 
schroffer  Harmoniewechsel  von  Btnoll  (Blttser)  und  GmoU 
(Geigen)  voraus,  welcher  bei  den  ersten  Auffiihrungen 
der  Sinfonie  in  Deutschland  die  Meinungen  beson- 
ders  erhitzte.  Eine  tiefere  Auffassung  der  ganzen  Szene, 
das   tragische  Aiimetto^ 

Element    der-  ±      £"%  #  «.  v 

selben,kommt  *>  ^b  f  i  |  L— L  LI  \  f  ^  f  k  \  f^ 
inderMelodie:  jST 

zur  Greltung,  welche  nach  einigen  einleitenden  Perioden,  in 
der  die  Kontrabftsse  vierfach  geteilt  pizzicato-Akkorde 
geben,  die  Pauken  wirbein,  die  Hdmer  einfach  emste 
Harschmotive  anspielen,  zuerst  dumpf  und  schwer  durch 
die  BUsse  schreitet.  Der  rhythmische  Vortrag,  namentlich 
die  Betonung  der  einsetzenden  Halben  kann  nicht  ent- 
schieden  genug  sein.  Die  Violinen  nehmen  das  Thema  (in 
Es)  auf,  eine  dritte  Klausel  fQhrt  mit  den  Bftssen  als  Haupt- 
stimme  wieder  nach  GmoU  zurQck  und  an  den  Schlufi 
des  ersten  Teils.  Die  Fortsetzung  des  Marschbildes  ruht 
nun  auf  dem  Bdur-Thema: 

(^'^^^c  r  ir   rtrnfrrrn   K  P 

Wie  sie  rhythmisch  belebter  ist,  zieht  sie  die  Aufmerksam- 
keit  von  dem  erschUtterndenCharakterdesVorgangs  mehr 
auf  die  Aufierlichkeiten  des  Schau spiels,  auf  den  P5bel, 
dem  jedes  Ungldck  zum  Feste  wird.  Es  gibt  Stellen,  wo 
man  aus  der  Begleitung  derThemendasMurmeIn,  Lftrmen 
und  Toben  der  Menge  h5rt.  Zaweilen  dringen  die  Tdne 
des  tragischen  Hauptthemas  wieder  vor.    SchlieOlich  setzt 


-^    348    ^^ 

es,  von  den  Posaonen  dorchgedr&ckt,  im  vollen  Tutti 
wieder  ein,  geht  ins  Wilde  and  zn  dem  schon  geschilderten 
Ende  uber. 

Durch  die  Einlage  des  Marsches  Qberschreitet  die  Sin- 
fonie  fantasique.  zom  ersten  Male  seit  Haydn  die  her- 
gebrachte  Vierzahl  der  S&tze.  Berlioz  mag  daran  gedacht 
haben,  dafi,  versteckt  wenigstens,  ein  &hnliches  Verh&ltnis 
in  Beethovens  Pastorale  vorliegt,  oder  auch  den  Marscb 
als  eine  Art  Pr&Iudium  zum  Finale  gemeint  haben.  Dieses 
als  fUnfte  Nummer  gebrachte  Finale  hat  die Oberschrift: 
>Songe  d^one  noit  du  Sabbat«  (Traum  in  der  Walpurgis- 
nacht)  und  folgendes  Programm: 

>Der  juBge  KdBstler  glaubt  einem  Hexent&nz  beizuwohnen 
inmitten  granslger  Gespenster,  unter  Zanberern  and  rielge- 
stalUgen  UngebenerD,  die  sicb  zn  seinem  Begribnis  eingefunden 
baben.  Seltsame  TOne,  Acbzen,  gellendes  Lacben,  f ernes  G«- 
8cbrei,  anf  welcbes  anderes  Geschrei  zu  antwoiten  scheint  IHe 
geliebte  Melodie  tancht  wieder  anf,  aber  sie  bat  ibren  edlen 
und  Bcbticbternen  Gbarakter  nicht  mebi*,  sie  ist  zu  einer  ge- 
meinen,  trivialen  und  grotesken  Tanzweise  geworden:  sie  isti, 
die  znr  Hexenversammlung  kommt.  Freudiges  GebrfUl  begriifli 
ibre  Ankunft ....  Sie  miscbt  sicb  unter  die  bSlliscbe  Orgie^ 
SterbegeUute  ....  burleske  Parodie  des  Dies  irae;  Hexennmd- 
tanz.     Das  Rondo  und  das  Dies  irae  zu  gleicber  Zeit.< 

Die  Haaptmasse  der  Musik  des  Schlufisatzes  fftllt  aaf 
dies  »Ronde  du  Sabbat«,  die  Darstellung  des  Hexenfestes 
in  der  Walpurgisnacht  (Allegro,  ^/g,  Cdor).  Die  voraus- 
gehende  Partie  verteilt  sich  anf  mehrere  durch  Tempo 
und  Charakter  nnterschiedene  ktirzere  S&tze.. 

Ein  Larghetto  in  Cdor  beginnt  gleich  mit  vermin- 
derten  Harmonien,  fremdartig  polternden  BaOfiguren, 
denen  die  dreifach  geteilten  Violinen  hohe  Tremolos  und 
bacchanalisch  schlCLrfeude  und  schleifende  Motive  ent- 
gegenstellen.  Das  Larghetto  ist  der  Ort  der  im  Pro- 
gramm versprochenen  »seltsamen  Kld.nge<,  soweit  sie 
ruhiger  Natur  sind.  Am  bemerkbarsten  macht  sich  unter 
ihnen  eine  Nahahmung  des  Hahnenscheies.  Es  folgt  ihm 
ein  nur  acht  Takte.  langes  Allegro  (^/s,  C  dur),  in  dem  die 


_^    349    «^ 

>id6e  &cec,  von  der  Klarinette  ppp  gebracht,  die  eirste  Ver- 
zerrang  erleidet.  So  kurz  die  Stelle  ist,  so  wirkt  sie  doch 
sehr  dftmonisch  dorch  die  Begleitung  der  beiden  Pauken 
nnd  der  groOen  Trommel.  Schon  bier  zeigt  sich  das  Finale 
der  Fantasiqne  als  die  Fundgrnbe  von  Effekten,  die  mil 
Meyerbeer  und  anderen  franzOsiBchen  Opernkomponisten 
ancb  die  j0ngsten  Programmnsiker  aller  L&nder  fleiBig  aus- 
gemQnzt  haben.  Diesem  ersten  Allegro  folgt  ein  zweites, 
wildtobendes  in  Es  dnr.  Es  leitet  zu  einem  l&ngeren  Satz 
fiber  (Allegro,  ^/g,  Esdnr),  den  das  Programm  eine  »ge- 
meine,  triviale  und  groteske  Tanzweise«  nennt.  Die  Melodie 
der  »id6e  fixe«  erscheint  in  den  schrillen,  abscheulicben 
T5nen  einer  hohen  Es-EJarinette,  l&cherlich  fratzenhaft 
tind  von  Roheit  nmgeben.  Die  Szene  bricht  plOtzlich  ab 
and  macbt  einem  emsten  Rezitativ  der  B&sse  Platz.  Ihm 
folgen  —  noch  heate  eine  cmx  ftkr  die  AnffUbrung  — 
Glockent5ne  CO,  00.  Es  ist  der  denkbar  sch&rfste  Konr 
trast  an  dieser  Stelle:  Ans  dem  HOUenqnalm  gehts  nn- 
▼ermittelt  in  Rircbenlnft  nnd  Weihrancbduft  Das  Dies 
irae  setzt  anf  folgende  Melodie  ein: 

Allegro.  J.s  104 

Ophikleiden  und  Fagotte  blasen  sie,  die  Glocken  l£laten 
dazu.  Sofort  wird  sie  von  H5rnern  und  Posaunen  in 
einfacber,  von  den  Geigen  in  doppelter  Verkiirzung  paro- 
diert.  Es  ist  ein  fr^ches  Stiickcben  Kunst.  Das  nun 
folgende  »Ronde  du  Sabbat<  ist  im  Hauptteil  eine  Fuge 
fiber  das  Thema: 

II  jjii '  I  im  I  Til  |i|  iiuui  rif 

das  von  den  Cellis  ans  allmM.hlicb  fiber  das  ganze  Or- 
chester  vordringt    Es  wird  unterbrochen  von  Zwischen- 


-^    350    ♦^ 

s&tzen,  in  denen  f  und  p  diabolisch  wechseln,  von  neuen 
Motiven  der  Klage.  Nach  einem  ^avitfttisch-burlesken 
Zwiegespr&ch  von  B&ssen  und  Fagotten  meldet  sich  das 
Dies  irae  wieder.  Ein  neuer  Anlanf  zor  Foge  —  das 
Thema  vom  zweiten  Takt  an  chromatisch  rieselnd  — 
vertreibt  es,  bald  aber,  als  die  Foge  am  tollsten  ge- 
worden,  setzt  es  dominierend  ein.  Nun  folgt  ein  Abschnitt, 
der  als  Komposition  eine  Farbenorgie  ist.  Sine  Klang- 
teafelei  folgt  der  anderen.  Anf  einen  Satz  col  legno  der 
Violinen  ein  verworren  elaatisches  staccato  der  Holzblfiser, 
dann  die  Ophikleiden  im  plumpen  Sttirmlaaf  and  bald 
fanatisch  erregt  das  Ende  des  Satzes,  den  man  nicht  un- 
recht  eine  mnsikalische  HSllenbrengheliade  genannt  bat 
Noch  nfther  liegt  der  Vergleich  mit  Wdrtz,  dem  Brilsseler 
Maler. 

Asthetisch  abstofiend,  ist  er  technisch  eine  kompo- 
sitorische  Virtuosenleistung,  darch  nene  Formprinzipien 
auch  historisch  wichtig. 

Berlioz  ruhmt  (a.  a.  0.)  die  gate  Aafnahme,  die  in 
Paris  bei  der  ersten  Aaffiihrang  der  Sinfonie  fantasiqae 
Bal,  Marche  and  Sabbat  fanden.  B5me*)  ftaOert  sicb  be- 
geistert  fiber  das  Ganze :  >£s  steckt  ein  ganzer  Beethoven 

in  diesem  Franzosen Alles  ist  mitHftnden  za  greifen<. 

Unter  den  Masikern  bildeten  sich  Parteien  fur  and  wider. 
StimmfQhrer  der  Gegner  war  F^tis,  der  in  der  Revae 
masicale  dem  Komponist  alles  absprach  and  nar  einen 
Instrumentationsinstinkt  gel  ten  lieG.  Mendelssohn  ver- 
warf  mit  befremdendem  Ha6  bekanntlich  sogar  Berlioz' 
Instramentierang  **).  Schamann  dagegen  tritt  in  seiner 
Neuen  Zeitschrift  far  Masik  mit  der  bereits  erw&hnten 
Kritik  warm  fiir  die  wanderliche  Sinfonie  ein.  Zwei  sehr 
wichtige  Freunde  fanden  sich  in  F.  Liszt  and  N.  Paganini. 
H.  Berltoz,  »Nach  elner  sehr  gnten  Auffdhrung  der  Sinfonie  fantasique 

Harold  en  Italie.  am  22.  Dezember  1833  —  scbreibt  Berlioz  —  erwartete  micb, 
nacbdem  das  Pnblikam  fort  war,    allein  im  Saal  ein  Mann  mit 


*)  Allgemeine  Zeitung  vom  8.  Dezember  1830. 
**)  M.8  Briefe  an  Moscheles  (8.  85). 


351 


langem  Haar,  durchbobrendem  Auge,  mit  einer  seltsamen  Figur, 
ein  sicbtlicb  vom  Genie  Besessener,  ein  KoloB  von  einem  Riesen, 
den  icb  nie  geseben  batte  nnd  dessen  enter  Anblick  micb  toU- 
st&ndig  verwirrte.  £r  bielt  micb  beim  VortibeTgeben  an,  um 
mir  die  Hand  zu  drucken,  uberb&ufte  micb  mit  beiBen  Lobes- 
erbebungen,  die  mir  im  Kopf  und  Herzen  brannten.  Es  war 
Paganini! 

£inige  Wocben  sp&ter  besucbte  er  micb.  ,Icb  babe  eine 
berrlicbe  Bratscbe  —  sagte  er  — ,  ein  wonderrolles  Instrument 
▼on  Stradivarius,  und  mdcbte  es  gern  offentlicb  spielen.  Aber 
icb  babe  keine  Mnsik  dafiir.  Wollen  Sie  mir  nicbt  ein  Bratscben- 
solo  scbreiben?  Fur  diese  Arbeit  babe  icb  Yertrauen  blofi  zn 
Ihnen/  —  Gem,  antwortete  icb,  das  scbmeicbelt  mir  mebr  als 
ieh  sagen  kann;  aber  um  Ibren  Erwartungen  zu  entsprecben, 
urn  in  einer  solcben  Komposition  eine  Gelegenbeit  zum  Glinzen 
zu  geben,  die  eines  Virtuosen  wie  Sie  wurdig  ist,  mufi  man 
Bratscbe  spielen  und  das  kann  icb  nicbt.  Sie  allein,  scbeint 
mir,  koanten  die  Aufgabe  losen.  ,Nein,  nein,  icb  bestebe  darauf, 
' —  sagte  Paganini  — ,  es  wird  Ibnen  gelingen ;  was  micb  betriift, 
so  bin  icb  Jetzt  zu  leidend  zum  Komponieren,  icb  kann  nicbt 
daran  denken/ 

Icb  versucbte  nun,  um  dem  beriibmten  Virtuosen  gef&llig 
zu  sein,  ein  Bratscbensolo  zu  scbreiben,  aber  ein  Solo,  das  der- 
aitig  mit  dem  Orcbester  verbunden  wire,  dafi  es  die  Instrumenten- 
masse  in  ibrer  Aufierung  nicbt  beeintracbtige,  dabei  war  icb 
gewifi,  dafi  Paganini  durcb  seine  wunderbare  Vortragskunst  dem 
Bratscbensolo  immer  die  berrscbende  Rolle  bebaupten  wiirde. 
Die  Absicbt  erscbien  mir  neu,  bald  bildete  sicb  bei  mir  ein 
ziemlicb  glQcklicber  Plan,  und  leidenscbaftlicb  ging  icb  an  seine 
Ausfubrung.  Der  erste  Satz  war  kaum  fertig,  als  Paganini  ibn 
seben  wollte.  Beim  Anblick  der  Pausen,  die  die  Bratscbe  im 
Allegro  zu  zablen  bat,  rief  er:  ,Da8  ist  nicbt  das  Recbte:  icb 
scbweige  viel  zu  viel  darin,  icb  mufi  immer  spielen S  Icb  babe 
es  gleicb  gesagt,  antwortete  icb.  Sie  wollen  ein  Bratscben- 
konzert  baben,  und  Sie  sind  augenblicklicb  der  einzige,  der  das 
scbreiben  kann.  Paganini  erwiderte  nicbts,  er  scbien  entt&uscbt 
und  verlleB  micb  obne  weiter  von  meinen  sinfoniscben  Skizzen 
zu  sprecben  .... 


--•    362    «^ 

Nachdem  ich  micb  tLberzeiigt  batte,  dafi  mein  Kompositions- 
plan  Ihm  nicht  passen  konnte,  entschloB  ich  mich,  ihn  in  an* 
derer  Richtang  und  obne  mieh  urn  die  Dankbarkeit  der  Bratscben- 
partie  zn  kummeni,  docb  amsziifCUiren.  Icb  nahm  mir  vor,  eine 
Beibe  tod  Szenen  fQr  Orcbester  zn  acbreiben,  in  die  sicb  die 
Solobratsche  wie  eine  mebr  oder  minder  teilnebmende  Figur, 
die  jedocb  immer  ibre  eigene  Art  festbielt,  einmiscben  sollte. 
Icb  woUte  in  der  Solobratacbe,  indem  icb  eie  in  die  Mitte  der 
poeHscben  Erinnemngen  stellte,  die  meine  Wanderungen  in 
den  Abmzzen  bei  mir  binterlassen  batten,  eine  Art  melan- 
eboliscben  Tr&nmer  binstellen,  nngefSbr  so  wie  es  Byrons  Ohilde 
Harold  i8t.< 

Soweit  Berlioz  selbst  Uber  die  EntBtehongsgeschichte 
und  den  Charakter  seiner  zweiten  Sinfonie,  die  am  28.  No- 
vember 1834  mit  voUem  Erfolg  znm  ersten  Male  anfgefQhrt 
and  dann  als  op.  16  ver5ffentlicht  wnrde.  Sie  dichtet 
einige  der  mnaikalischen  Behandlung  entgegenkommende 
Nebenszenen  von  Byrons  »Childe  Harold<  in  freier  Art 
nach  und  erganzt  und  beschliefit  dieselben  mit  einem  nea 
erfandenen  Finale  im  Stile  der  franzOsischen  Neoromantik. 
Eigen  ist  in  der  Anlage  dieser  Sinfonie  das  in  alien 
S&tzen  dnrchgehende  Bratschensolo,  in  welchem  das  kon- 
zertierende  Element  der  alten  Vorhaydnschen  Sinfonie 
concertante  wieder  einmal  in  dichterischer  Bedentsam- 
keit  anflebt  In  der  poetischen  Okonomie  des  Werkes 
reprasentiert  es  die  Partie  Harolds,  des  Helden,  &hnlich 
wie  in  der  Sinfonie  fantasique  die  »id6e  fixe<  die  Geliebte 
Oder  den  Gedanken  an  sie  vertritt  Nur  tritt  diese  vor- 
wiegend  episosisch  auf,  Harold  ist  dagegen  immer  dabei, 
fUhrt  oder  Iflfit  sich  fUhren.  Das  Leib-  and  Leitthema 
des  melancholischen  Hitters,  welches  diesen  bis  za  seinem 
letzten  Atemzage  begleitet,  ist  folgende  in  den  Anfangs- 
noten  aus  Haydns  >le  matin*  bekannte  Melodie: 

Adagio. 


'^nf  r  1^1^ 


ff  99pr099. 


-^    353    *>^ 

Der  erste  Satz  zeigt  uns  »Harold  in  den  Bergenc. 
(Harold  aux  Montagnes:  Scenes  de  m^lancolie,  de  bonheur 
et  de  joie.)  £r  besteht  aus  einer  langsamen  £inleitung 
(Adagio,  8/i,  GnioU-Gdur)  und  einem  bewegten  Satz  in 
Sonatenform  (Allegro,  ^/s,  Gdur). 

Der  langsame  Satz,  der  nicbt  weniger  als  94  Takte 
umf afit,  geht  hierdurch  schon  &uBerlich  fiber  den  Charakter 
einer  gew5hnlichen  Einleitung  hinaus.  Er  hat  die  Auf- 
gabe,  uns  das  diistere,  blasierte,  aber  durch  edle  und 
liebenswtirdige  Ztige  Teilnahme  und  Mitleid  weckende 
Grundwesen  Harolds  zu  schildern  und  beginnt  mit  der 
Szene  der  Melancholie,  auf  die  die  Cberschrift  des  Satzes 
hinweist  Sie  hat  die  musikalische  Form  einer  Fuge  er- 
halten,  der  das  von  Bftssen  und  Cellis  zuerst  aufgestellte 
Them  a: 

Adagio.  J  :  76 


zu  Grunde  liegt,  ein  treffendes  melodisches  Abbild  duster 
hinbrtitender,  schmerzlich  auffahrender  Stimmung.  Die 
BlUser,  Fagotte,  Hoboe,  Klarinette  mit  Horn,  F15te  geben 
zun&chst  nacheinander  einen  chromatisch  jammernden 
Kontrapunkt  dazu  und  vereinen  sich  dann  zum  SchluO 
der  ersten  Durchfuhrung  (15.  Takt)  zum  Vortrag  der 
Haroldmelodie.  Aber  sie  steht  hier  in  Moll.  Die  Fuge 
hebt  jetzt  pp  vom  neuen  an,  aber  schon  mit  der  zweiten 
Stimme  h5rt  sie  wieder  auf  und  geht  schnell  zu  einem 
lauten  Schlufi  in  GmoU.  Bei  diesem  Akkord  setzt  die 
Harfe  mit  Arpeggien  ein,  im  zweiten  Takt  bereits  iiber- 
rascht  sie  mit  Gdur.  £s  entsteht  eine  pI5tz]iche  Helle,  in 
der  nun  die  Solobratsche  mit  Harold  und  seiner  Melodie  in 
der  oben  angegebenen  Originalform  hervortritt.  Sie  wird 
ganz  leise  wiederholt,  als  ob  alles  athemlos  lauschte.  Das 
veranlaOt  Harold  sich  zu  zeigen,  sich  freier  zu  geben,  er 
schliefit  virtuosenmUGig  keck  und  iibermutig  mit  Passagen 
einfach  und  in  DoppelgrifTen,  Resten  einer  auf  Paganini 
gemilnzten  Erfindung. 

Eretssclimar,  Fuhror.    I,  1.  23 


— e     354     o^ 

Nach  dem  Schlufi  dieser  brillanten  Solostelle  wird  das 
Haroldthema  vom  voUen  Orchester  aufgenommen  und 
zwar  in  der  Form  eines  Kanons,  als  wM.ren  aller  Seelen 
von  dem  sch5nen  Gesange  voU.  Die  Trompeten,  die  Harfe, 
Cello,  Fagott  sin  gen  vor,  die  Holzbl&ser  und  Solobratsche 
singen  in  eines  Viertels  Abstand  als  zartes  Echo  nach; 
in  den  Violin  en  and  Tuttibratschen  erheben  sich  Zwei- 
unddreifiigstelfigoren  nach  oben,  als  wenn  der  Morgenwind 
den  Nebel  teilt  Mit  dieser  Kl&rung  and  Anfheiterung  in 
sanften  Tdnen  schliefit  der  langsame  Einleitungssatz,  eins 
der  schOnsten  unter  den  vielen  8ch5nen  Tonbildem  der 
Sinfonie.  —  Das  Allegro,  welches  ihm  folgt,  ist  ein  breit 
ausgefQhrtes  Pastoralgem&lde,  stilistisch  und  materiell  dem 
ersten  Satze  von  Beethovens  siebenter  Sinfonie  verwandL 
Seine  beiden  Themen  sind: 


■  pT\i  J) »  ^TrTf  /m  I  ^   ^  P  ^^^  dasMendelssohnsche 


Den  Szenen,  welche  auf  Grand  dieser  teilweise  etwaa 
spr5den  Melodien  entrollt  werden,  mischt  Harold  mit  den 
Tonen  seiner  Bratsche  abwechselnd  Jubel  und  Trauer  ein. 
Der  Anfang  des  Allegro  bring!  das  Hauptthema  noch 
nicht  in  der  hier  mitgeteilten  Form,  sondera  zun&chst 
noch  unfertig,  durch  Pausen  und  durch  die  Instramen- 
tierang  zersprengt.  Harold  erhebt  gegen  den  neuen  Ton 
Einsprach:  h5chst  sonderbar  geigt  er  sechs  Takte  lang 
auf  dem  unterslen  Ton  seiner  Bratsche,  dem  e,  dagegen 
an.  Dann  aber  ist  er  es,  der  die  vom  Orchester  ver- 
tretene  Menge  in  Schwung  und  auf  den  richtigen  Weg 
bringt.  Wie  er  sie  erst  aus  dem  Zdgern  fortreifit,  so  be- 
schwichtigt  er  nun  bei  seinem  zweiten  Einsatz  ihren 
Sturm.  Mit  einem  langen  Ton  erbittet  er  sich  allgemeine 


— fr    356    «^ 

Anfmerksamkeit  und  Stille;  dann  spielt  er  sich  allmfth- 
lich  in  die  flieOende  Melodie  hinein.  Das  chromatische 
Motiv  in  ihr,  das  dem  Wesen  Harolds  so  natdrlich  ent- 
springt,  scheint  seinen  jetzigen  Genossen  Schwierigkeiten 
zu  niachen.  Augenscheinlich  versteben  sie  nicht  recht: 
woher  and  warum  der  trQbe  Klang  mitten  in  der  Freude? 
£s  entspinnt  sich  nm  ihn  eine  kurzgegliederte  Ausein- 
andersetznng  zwischen  Solo  and  Chor.  Sie  schneidet 
ganz  onvermutet,  wie  mit  einem  vHterlichen  Machtspruch 
der  Einsatz  des  zweiten  Themas  ab,  dessen  gemiltlicher 
In  halt  ganz  ausgezeichnet  fur  den  Mand  des  —  vom  Cello 
begleiteten  —  Fagotts  pafit.  Auch  Harold  nimmt  es  mit 
seiner  Bratsche  aaf  and  bringt  es  aas  fremder  Tonart 
[Fy  B)  in  das  normale  D  dar.  Schon  im  ersten  Takt  aber 
reiBt  er  sich  unwillig,  nach  H5herem  verlangend,  los.  Die 
Themengruppe  nimmt  ein  plotzliches  Ende  und  die  Durch- 
f&hrung  beginnt  mit  wilden  Figaren  Harolds,  denen  das 
Orchester  verwirrt  und  erschreckt  gegenQbersteht.  Nach 
16  Takten  endlich  tritt  wieder  Sammlang  and  Ordnung 
ein.  Harold  intoniert  das  Hanptthema  erst  in  Dendur, 
dann  in  DmoU.  Das  Orchester  spielt  es  nun  mit  an,  in 
Bdur,  in  HmoU.  Endlich  ist  ein  sicherer  Boden  mit  Gdur 
erreicht  Die  Melodie  kommt  in  ihrer  vollen  Gr50e,  es 
wird  nach  Gdur  moduliert,  also  in  den  freuudlichen  Stim- 
mungskreis  des  Anfangs  zurikckgekehrt  and  zwar  mit  wdrt- 
lichen  Wiederholungen.  Auch  das  zweite  Thema  kommt 
wieder  and  wieder  unerwartet,  diesmal  in  Gdur,  und  man 
verweilt  etwas  linger,  beschaulicher  und  ruhiger  dabei 
als  vorhin  in  der  Themengruppe.  Die  Bl&ser  haben  es. 
Diesmal  machen  ihm  aber  die  Violinen  ein  Ende  mit 
einer  Sechzehntelfieur,  die  im  energischen  crescendo  nach 
oben  geht  und  j  j'  ^  mit  dem  das  Hauptthema  beginnt, 
auf  dem  Motiv  >-^  ^  wie  in  einem  Rausch  von  Freude 
and  RraftgefUhl  bedrohhch  tobt.  Eine  General  pause.  Die 
Besonnenheit  kehrt  zuriick:  Wir  horen  kurz,  aber  viel  be- 
deutend  einen  Anklang  an  den  chromatischen  Teil  des 
Themas:  im  sechsten  Takt  setzt  es  selbst  ein,  in  der  Solo- 
bratsche  and  den  vier  Fagotten  unisono  in  G  dur,  der  Haupt- 

23* 


-^    356    ^>^ 

tonart,  gebracbt.  Die  abrigen  Bl&ser  nehmen  es  in  D  auf.. 
Man  will  verweilen,  aber  die  Perioden  und  Metren  haben 
etwas  UnregelmftOiges,  das  nicbt  viel  verspricht,  und  siehe 
da:  bald  stehen  wir  vor  Fermaten  auf  vermin derten  Akkor- 
den,  unverkennbaren  Zeichen  der  Verlegenheit!  Dieser 
Punkt  wiirde  ungef&br  den  Schlufi  der  Darchfiihning  nach 
dem  von  den  Klassikem  beobachteten  Branch  bilden 
mflssen.  Berlioz  hat  in  dem  ersten  Satz  derHaroldsinfonie 
den  t^blichen  Abschlufi  dnrch  die  erweiterte,  aberim  wesent- 
lichen  w5rtliche  Wiederholung  der  Themengruppe  ver- 
mieden.  pp,  aber  mit  einer  gewaltsamen  Wendnng  der 
Phantasie  geht  er  mit  einigen  Orchesterarpeggios  von 
jenem  Verlegenheitspunkt  und  dem  verminderten  e-b-eis-g 
nach  Gdur  heruber  und  bringt  die  Haroldsmelodie,  die 
wir  seit  der  Einleitung  nicht  geh5rt  haben,  in  einem 
Fugato  —  dem  zweiten  seiner  Art  in  diesem  Satze  — , 
das  die  Kontrab&sse  beginnen.  In  den  Bl&sem  tauchen 
dazu  noch  Brocken  des  zweiten  Themas  auf.  Der  beab- 
sichtigte  Aufschwung  ist  damit  erreicht.  Von  Harolds 
Geist  —  das  will  wohl  Berlioz  sagen  und  schildem  —  ist 
ein  Hauch  in  die  Masse  gedrungen.  Dithyrambisch  stimmt 
sie  mit  ein  in  den  Hymnus  der  Lebensfreude,  zu  der  den 
hingerissenen  Melancholiker  die  Schdnheit  der  Natur, 
der  Anblick  und  die  Gesellschaft  einfacher  harmloser 
Menschen  gezwungen  hat.  So  geht  vom  Ritter  zum  Volke 
eine  bestandige  Wechselwirkung,  beide  Teile  empfangen 
voneinander  und  heben  sich  gegenseitig.  Die  m£Lchtigste 
Stelle  dieses  Schlufiabschnittes  ist  wohl  das  zweimal  vor- 
iiberrauschende  Unisono  des  vollen  Orchesters  mit  seinen 
grandios  humoristischen  Spriingen  und  dem  Feuer  der 
Begeisterung,  das  aus  Melodien  und  Harmonien  leuchtet. 
Der  zweite  Satz  der  Sinfonie  (Allegretto,  8/4)  Bdur) 
heifit  »Marche  des  P^lerins  chantant  la  pri^re  du  so  re 
(Pilgermarsch  und  Abendgebet).  Sein  Hauptthema  bildet 
ein  frommes  einf aches  Marschlied: 

Alle^etto. 

^TTf  r  u  ^ii  III  jijjiMji[iiii  I 


— ^    367    H>>- 

Alle  acht  Takte  wird  dasselbe  von  einer  Unisono* 
phrase   derj[_^j welche 

BUser  un-fr  f iTn^JTTJ  IjJJJjJ'JJJJ  ^anschaii" 
terbrochen:         ^:===^=a— -^—    jj^jj    gg. 

nug  die  ihre  Litanei  hersagende  Wallfahrerschar  vorfOhrt. 
Das  Bild  einer  psalmodierenden  Gemeinde  suchte  Berlioz 
anch  in  seinem  Requiem,  das  der  Haroldsinfonie  zn- 
n&chst  folgte,  wiederholt  wiederzugeben.  Die  Mitte  des 
Satzes  nimmt  der  Vortrag  eines  feierlich  religi5sen,  in 
den  rahigen  Rhythm  en  der  alten  Zeit  gefUhrten  Hymnus 
ein,  dem  Berlioz  die  Oberschrift  >Canto  religio80«  gibt. 
Harold,  der  vorhin,  als  die  Pilger  n&her  kamen,  sie  mit 
seinem  Thema  begriiGt  und  dann  ab  und  zu  seine  N&he 
mit  leisen  Arpeggien  beknndet  hat,  stimmt  in  das  Pilger- 
lied  merkbar  ein,  die  Basse  setzen  in  dezenten  Pizzi- 
<:atot5nen  den  Rhythmas  des  Marsches  fort.  Noch  einige- 
mal  h5ren  wir  wie  vom  weiten  das  fromme  Wander- 
lied,  dann  gehen  die  T5ne  schlafen.  Nur  die  Glocken 
des  nahen  Klosters,  die  uns  am  Anfang  des  Satzes  (in 
der  Harfe:  CE)  empfingen,  treten  wieder  vor.  Es  kommt 
die  Nacht  und  stille  Sterne  blinken.  Die  kleine  Kompo- 
sition  ist  ein  Meisterstuck,  in  welchem  die  Realistik  der 
Darstellung  nur  dazn  dient,  die  Poesie  des  Bildes  noch 
beredter  zu  machen.  Sie  war  die  Frucht  einer  gltick- 
lichen  Eingebung  in  der  DUmmerstunde  am  Kaminfeuer. 
In  2  Stunden  —  erzSiilt  Berlioz  a.  a.  0.  —  war  der  Marsch 
fertig  und  emtete  gleich  bei  der  ersten  AuffQhrung  einen 
Yollen  Erfolg;  trotzdem  hat  der  Komponist  noch  6  Jahre 
lang  daran  gefeilt  und  verbessert.  Er  hat  durch  Einzel- 
auffiihrungen  den  iibrigen  S&tzen  und  der  Sinfonie  den 
Boden  und  eine  freundliche  Stimmung  auch  in  geg- 
nerischen  Lagem  bereitet. 

Der  dritte  Satz:  (AUegretto  assai,  ^/%,  Cdur),  be- 
titelt:  >S6r6nade  d'un  montagnard  des  Abruzzes  h  sa 
maitresse<  —  >St&ndchen  in  den  Abruzzenc  — ,  beginnt 
mit  einem  kleinen  Scherzosatze.  welchem  wahrscheinlich 
eine  italienische  Originalmelodie  zu  Grunde  liegt.  Die 
italienischen  Pifferarii,  die  ja  auch  Hftndel  in  seinem 


358    <>- 

>Messiasc  verewigt  hat,  waren  seit  alten  Zeiten  an  drol* 
ligen,  schelmischen  Weisen  reich  und  bringen  sie  nocb 
hente  anf  die  deutschen  M&rkte: 

^^srj^\n^fii\\  III  If II  I  '-irr^ 

Piccolo  nnd  Hoboe  blasen  das  zusammen,  und  Bratschen 
mit  Klarinetten  geben  in  ansgehaltenen  T6nen  und  tr&gen 
Harmonien  das  nOtige  Dndelsackkolorit  dazu.  Nan  tritt 
der  Liebhaber  auf  and  stimmt  anf  dem  englischen  Horn 
eine  schmachtende,  anmutige,  gutgemeinte,  zuweilen 
stockende,  schttch*  ^    Anagretto.     ^ ^ 

in  welche  die  Gef&hrten  helfend  nnd  hingerissen  einfallen. 
Aach  Harold  stimmt  mit  ein  und  sinnt  nocb  den  rtOi- 
renden  Tdnen  der  Liebe  nach,  als  die  Dorfmusikanten 
^  schon   l&ngst  nach  Hause  gezogen  sind.     Seine  breite 

Melodie  tr&gt  in  das  Sttkckcben  italienischer  Dorfge- 
schicbte,  das  Berlioz  bier  mit  einem  virtuosen  Humor 
entrollt,  der  wobl  nur  in  seiner  OuvertQre  zum  Cameva^ 
Romain  ein  Seitenstfick  findet,  einen  edlen  und  feierlicben 
Zug  bin  ein. 

Die  Idee  des  Harold-Finale  mtissen  wir  ebenso  wie 
die  Yom  ScbluBsatz  der  Fantastique  ablebnen.  Wie  man 
aus  Liszts  langem  Aufsatz  fiber  die  Sinfonie  erseben 
kann*),  bat  dieses  Finale  in  Frankreicb  und  in  frQherer 
Zeit  docb  zuweilen  dftmonisch  gewirkt.  Heute  —  und  in 
Deutschland  wobl  von  jeher  —  verse tzt  es  auf  den 
Boden,  auf  den  sicb  die  R&uber-  und  Rittergescbicbten 
von  Spies  und  Cramer  bewegen,  Berlioz^  Satz  schildert 
das  Ende  des  in  Gesellschaft  von  Banditen  zugrunde  ge- 
benden  Harold  in  Ziigen,  die  zum  Teil  rfibrend  sind.  Er 
beginnt  wie  das  Finale  der  neunten  Sinfonie  mit  Remi- 
niszenzen  an  die  frdberen  S&tze.  Vor  Harolds  Geist  tritt 
die  fugierte  Einleitung  aus  dem  ersten  Satze,  der  Pilger- 

*]  Gesammelte  Schriften  Ton  Franz  Liszt,  1882,  S.  3  n.  if^ 


-^    359    ^^ 

marsch  zieht  vorQber;  als  letzte  ErinneruDg  an  reinere 
Zeiten  tSnen  Fragmente  aus  dem  Std,ndchen:  Die  wilde, 
wQste  Orgie  mit  ihrem  brutalen,  versteckt  an  das  Harold- 
motiv  anklingenden  Hauptthema: 

Allegro  trasqnlUo. 

J^  j}J~JlJ||J  ^  H^  Ip    *i  j\}    t      •*«•  verschlingt  al- 
^-    agf  f  les.  Unterihren 

grausamen  Attacken  zerbricht  auch  Harolds  Thema  und 
verflattert  in  Brocken.  Zuweilen  werden  die  wUtenden 
Triller,  die  bacchantischen  L&ufe  und  die  grotesken, 
nirgends  verfahrerischen ,  frechen  Tanzweisen  der  Ban- 
ditenmusik,  die  sich  gem  auch  soldatisch  stolz  gibt: 

ji'.r|,prrr.r^fff^V^"-'^-|^rrii 

durch  unheimliche  Klftnge  unterbrochen,  welche  Gewissen, 
Rene  and  Strafgericht  zu  reprftsentieren  scheinen.  Die 
weicbste  und  ergreifendste  Stelle  des  Satzes  ist  wohl 
die,  wo  nach  dem  dritten  Einsatz  des  eben  angefUhrten 
Themas  (in  Gdur)  der  PUgermarsch  —  in  einem  Neben- 
saal  von  Solisten  gespielt  —  erklingt.  Die  Wallfahrt 
zieht  drauOen  vor  der  Grotte  vorbei.  Tannh&user  in  Hhn- 
licher  Lage  flieht;  Harold  stirbt  Zum  letztenmal  sucht 
er  stammelnd  nach  seinem  Thema;  er  findet  die  Inter- 
valle  nicht  mehr. 

War  Berlioz  in  seiner  »Fantastique<  und  in  seinem 
»Hero]d<  darauf  ausgegangen,  unter  Einhaltung  der  Beet- 
hovenschen  Formen  den  Inhalt  der  reinen  Instrumental- 
sinfonie  faBlicher  zu  gestalten,  so  hatte  er  dabei  das 
GlUck  nur  ^nm  Teil  auf  seiner  Seite  gehabt.  Voile  Triumphe 
feierte  er  in  beiden  Werken  nur  mit  den  Mittelsfltzen,  die 
sich  auf  dem  alten  Glanzgebiete  franz5sischer  Kunst,  der 
Ballettmusik  hSchsten  Sinnes,  bewegen.  In  den  Ian  gen 
EcksHtzen   dagegen   offenbaren  sich  die  B15fien   seiner 


-^    360 

musikalischen  Begabung  und  Bildung,  so  oft  es  aaf  me- 
lodische  and  motivische  Entwicklang  ankommt;  gro6  sind 
hier,  von  einigen  feurigen  Oberg&ngen  abgesehen,  nur 
die  Stellen,  wo  das  voile  Thema  wiederkehrt  Nun  ver- 
snchte  er  im  Jahre  1839  mit  einem  dritten  Werke  eine 
Anderung  sowohl  jener  Formen  selbst,  als  auch  des  bis- 
herigen  Sinfoniebegriffs.  Es  ist  die  Sinfonie  » Romeo 
und  Julie<  (op.  17),  mit  der  der  Komponist  eine  neue 
Gattung  zu  griinden  gedacbte,  die  er  dramatise  be 
Sinfonie  nennt.  Sie  vergr5j3ert  die  Zabl  der  Sinfonie- 
s&tze  und  miscbt  in  ibnen  reine  Instrumentalmusik  mit 
einfacher  Gesangmusik  und  Oper.  Einen  Vorl&ufer  batte 
H.  Berlioz^  Berlioz  diesem  Werk  in  seinem  »Lelio<  vorausgescbickt 
Lelio.  Diese  Komposition  war  als  ErgHnzung  zur  Sinfonie  fan- 
tastique,  mit  der  sie  die  Opuszabl  gemeinsam  hat,  ge- 
dacht,  sollte  schildern  wie  der  junge  Ktinstler  aus  seinen 
schrecklicben  Tr&umen  erwacht  und  zum  Leben  zuriick- 
kehrt.  Daher  ihr  Nebentitel  »Le  retour  k  la  vie<.  Berlioz 
gibt  ihr  die  Gattungsbezeichnung  >Monodrame<  und  fQgt 
dem  Instrumentenspiel  und  dem  Gesang  als  drittes  Mittel 
der  Darstellung  noch  gesprochnen  Dialog  hinzu.  Doch 
ist  dieser  Lelio  nicht  zu  gr56erer  praktischer  Bedeutung 
gelangt. 
H.  Berllox,  Eine  Mischung  der  Kunstmittel,  wie  sie  Berlioz  in 
Romeo  und  Romeo  und  Julie  versucht,  ist  ungewfihnlich,  unbequem, 
^^®'  aber  an  und  fur  sich  weder  unsinnig  noch  unmdglich. 
FQr  Berlioz  mag  die  n&cbste  Anregung  aus  dem  Finale 
von  Beetbovens  neunter  Sinfonie  gekommen  sein;  das 
Verfahren,  in  der  Darstellung  einer  Idee  mit  Vokal-  und 
Instrumentals&tzen  abzuwechseln ,  ist  aber  schon  &lter. 
Aus  dem  17.  Jahrhundert  bieten  die  sogenannten  oster- 
reicbischen  Kaiserwerke*)  bequem  erreichbare  Beispiele, 
jeder  Musikfreund  weifi,  wie  Bach  und  Handel,  jener  im 
>Weibnacbtsoratorium<,  dieser  im  »Messias<,  die  Schilde- 
rung  der  heiligen  Nacht  mit  den  »Hirten  auf  dem  Felde« 
in  Instrumentalsinfonien  geben.   Das  Wagnerscbe  Musik- 

♦)  Siehe  S.  28. 


— c^     361    ^— 

•drama  and  das  neue  Lied  seit  Schumann  zeigen  eben- 
falls,  wie  Gesang  und  Instrumente  sich  ebenbQrtig  und 
zum  Besten  des  Gesamteindrucks  in  die  Darstellung  teilen 
k5nnen.  Werden  in  eine  Sinfonie  Gesangs&tze  and  in 
ein  Chorwerk  Instrnmentals&tze  eingeftigt,  so  wird  es 
immer  daranf  ankommen,  daO  diese  Mischnng  so  ver- 
schiedner  Elemente  Grtinde  der  Notwendigkeit  fUr  sich 
hat,  den  Hauptabsichten  und  den  Grundideen  des  Kunst- 
werks  zugnte  kommt  and  seine  Wirkang  bis  zu  einer 
Stufe  hebt,  die  ohne  jenes  Mittel  nicht  erreichbar  war. 

Von  diesen  Gesichtspankten  aas  kann  man  sich  nicht 
daruber  t&aschen,  dafi  auch  >Romeo  and  Jalie<  fthnlich 
wie  die  Fantastique  and  Harold  nar  der  Versach,  aber 
nicht  das  Muster  einer  neuen  Gattang  ist.  Die  » Sinfonie 
dramatique<,  die  Berlioz  mit  diesem  Werke  in  die  Or- 
chestermusik  einfflhren  woUte,  mag  eine  Zukunft  haben 
—  aber  nur  dann,  wenn  ihre  Vertreter  kritischer  zu  Werke 
gehen,  als  das  Berlioz  getan  hat  Ihm  bleibtwieder  das 
Verdienst,  den  Pfad  gewiesen  zu  haben,  ihm  der  Ruhm, 
in  dem  neuen  Werke  viel  Sch5nes  und  Ergreifendes  und 
Merkwurdiges,  zum  Teil  in  ganz  neuer  Art  geboten  za 
haben.  Aber  wer  sich  nicht  Uber  die  Schwftchen  and 
Mifigriffe  in  dieser  dramatischen  Sinfonie  klar  ist,  bezahit 
seine  unbedingte  Begeisterung  mit  einer  etwas  teuem 
Verwirrung  seines  kQnstlerischen  Urteilsverm5gens. 

AulBere  GrUnde  m5gen  Berlioz  abgehalten  haben, 
Romeo  und  Julie,  wie  so  viele  Komponisten  vor  and  neben 
ihm,  einfach  als  Oper  in  Masik  za  setzen.  An  der  BQhne 
gab  es,  wie  sich  soeben  gelegentlich  des  Benvenuto  Cellini 
gezeigt  hatte,  viel  mehr  Verdrufi,  Arger  und  Aufregung 
als  im  Konzertsaal,  wo  Berlioz  bereits  festen  FuQ  gefaBt 
hatte.  Er  selbst  sagt  in  seinen  Memoiren  ttber  die  Ent- 
stehung  zu  dem  seltsamen  Plan  seiner  Sinfonie  drama- 
tique  nichts,  erz&hlt  uns  nur  von  dem  Entztlcken,  in  dem 
er  sich  w&hrend  der  Arbeit  befanden,  von  der  Schnellig- 
keit,  mit  der  er  sie  —  innerhalb  von  7  Monaten  —  voll- 
endet  habe,  und  l&fit  an  mehr  als  einer  Stelle  durchblicken, 
<daC  er  mit  dieser  Komposition  dem  Gekt  Shakespeares 


--»    362    ^^ 

eine  darchans  wQrdige  Huldigung  gebracht  zu  haben 
glaubte.  Id  der  Meinnng,  etwas  vom  Besten  gegeben  zn 
haben,  widmete  er  die  Sinfonie  Nicolo  Paganini,  der  ibn 
kurz  vorher,  nach  der  letzten  AuffUhrung  des  Harold, 
groOmiltig  —  die  bdse  Welt  meinte  aiis  Berechnung*)  — 
mit  dem  zeitgem&fien  Geschenk  von  20000  fr.  uberrascht 
hatte. 

Auf  dem  Titelblatt  der  Partitur  steht  >coinpos4e 
d^apr^s  la  Trag^die  de  Shakespeare*;  diese  Wendung  l&6t 
Freiheiten  und  Abweichungen  zu.  Im  ganzen  aber  haben 
wir  keinen  ausreichenden  Grand  daran  zu  zweifeln,  da& 
Berlioz  mil  seiner  Sinfonie  ein  Abbild  der  groGen  eng- 
lischen  Liebestrag5die  geben  und,  fthnlich  wie  es  Schu- 
mann sp&ter  mit  dem  dritten  Teil  seiner  Musik  zu  Goethes 
Faust  wirklich  gelungen  ist,  die  Wirkung  dieses  Kunst- 
werks  vertiefen  wollte.  Die  Aufgabe  dachte  er  sich  wohl 
so,  da6  die  gefUhlsreichsten  Situationen  des  Dramas  dem 
Orchester  zugewiesen  wurden,  der  Gesang  sollte  bei  der 
Darstellung  verwickelter ,  an  Konflikten  reicher  Szenen 
zu  Hulfe  kommen  und  aufierdem  die  Verbindung  und 
Vorbereitung  der  musikalischen  Hauptbilder  ikbernehmen. 
Im  groGen  ganzen  hat  Berlioz  dieses  Program m  aucb 
eingehalten;  nur  hat  er  es  um  rein  musikalischer  EfTekte 
willen  mehrfach  getrubt  und  auch  der  Instramentalmusik 
Leistungen  zugemutet,  deren  sie  nicht  f&hig  ist.  Der 
erstere  Fehler  tritt  in  der  Stellung  des  Prologs  hervor 
und  in  der  ungeheuren  Bedeutung,  welche  in  der  Sinfonie 
der  im  Drama  ganz  unwesentlichen  Erz&hlung  von  der 
Fee  Mab  gegeben  ist;  der  andre  namentlich  am  Eingang 
der  Grabszene. 

Die  Sinfonie  besteht  aus  folgenden  8  Nummem: 
1.  Introduktion,  2.  Prolog,  8.  Ballszene,  4.  Gartenszene, 
6.  Fee  Mab,  6.  Juliens  Begr&bnis,  7.  Grabszene,  8.  Finale. 

In  der  Natur  des  Prologs  liegt  es,  daC  er  ein  Werk 
eroffnet.   Wenn  Berlioz  den  von  Romeo  und  Julie  hinter 


*)  Ad.  JuUlen:  BerUoz,  1888,  S.  133.  F.  HiUei:  Ktinstler- 

lob*»n.   18SS,  S.  89. 


-<♦    363    ^j^ 

die  Instrumentalintrodoktion  setzt,  so  k5nnte  er  sich  anf 
altvenetianische  PrUzedenzfftUe  aus  dem  17.  Jahrhundert 
berufen,  bei  denen  bekanntlich  dem  gesangnen  Prolog 
noch  eine  gespielte  Ouvertttre  vorausging,  gleichsam  der 
Prolog  doppelt  gegeben  wurde.  Bei  Berlioz  hat  es  aber 
eine  andre  Bewandnis:  Ihm  kam  der  Anfang  des  Werks 
mit  dem  berichtenden  Prolog  zu  rubig  and  za  matt  vor. 
£r  woUte  den  Zah5rer  zun&chst  erst  einmal  in  Bewegung 
bringen.  Seine  Instrumentalintroduktion  (Allegra 
fugato,  (^,  Hmoll)  ist  gar  keine  Introdnktion  im  iiblichen 
Sinne  des  Wortes,  sondern  sie  versucht  den  Inhalt  der 
ersten  Szenen  Shakespeares  wiederzugeben ,  sie  ftLhrt 
mitten  in  die  Handlung  hinein:  in  die  StrafienkM.mpfe  der 
Geschlecbter  der  Montecchi  und  Capniets.  Ein  Zusatz 
zur  Oberschrift  der  Nummer:  Combats  —  Tamulte  — 
Intervention  du  Prince  (Streit  und  Auflauf,  der  F^rst  er* 
scheint)  spricht  das  noch  aasdrucklich  aus. 

Die  Musik  sucht  jene  Kd.mpfe,  ihre  Aufregang  and 
ihre  Zwischf&lle  mit  einer  Fnge  zu  veranschaulichen^ 
die  die  Bratschen  mit  dem  Thema: 

Anegrofngattk  JsllC  ^  

f»<ijjjii.|jj.i  ijjujilijjj  ijji 

anfangen;  Celii,  erste, 
zweite  Violinen  folgen 
und  nehmen  sich  dabei 
mancherlei  Freiheiten  inbezug  auf  Tonart  und  Intervalle 
gegentiber  den  Gesetzen,  die  die  Schule  ftlr  Beantwortung 
und  Aufnahme  von  Fugenthemen  stellt.  Das  Thema 
selbt  hat  in  dem  mit  scharfem  Triller  einsetzenden  Motiv 
seinen  wichtigsten  Bestandteil  und  gelangt  auf  seinen 
vollen  Umfang  durch  sogenaante  Sequenzen ,  d.  i.  wSrt- 
liche  Oder  freie  Wiederholungen  eines  Grundmotivs.  Hier- 
durch  erhS,]t  der  Satz  einen  aulFallend  regelmftBigen 
Charakter.  Berlioz  scheint  an  den  Anstand  und  das 
strenge  Ceremoniell  gedacht  zu  haben,  das  im  MitteJalter 
die  Tumiere  der  Hitter  beherrschte.     Aufgeregter   und 


«-^    364    ^»- 

cifriger  wird  die  Introduktion  erstmit  dem  Fismoll  beim 
Zutfitt  der  Blasin  strum  en  te.  Das  ist  angefS.hr  die  Stelle, 
wo  bei  Shakespeare  zu  den  Dienem  und  Angebdrigen 
der  Gapulets  und  Montecchi  sich  die  Bttrger  von  Verona 
mit  Kniitteln  gesellen:  >He!  Spiefi*  und  Stangen  her! 
Schlagt  auf  sie  los!<  AIs  bald  darauf  die  Haupttonart 
HmoU  wiederkommt,  drdhnt  in  H5rnern  and  Kontra- 
bassen  der  Grundton  in  halben  Noten :  Es  sind  dampfe 
SchlSge :  die  Glocken  l&uten  Sturm,  in  fernen  Gassen  er- 
wacht  das  Volk  and  sammelt  sich.  Auf  dem  Platz  sind 
die  Parteien  zum  erstenmale  hart  aneinander  geraten. 
Die  beiden  Gegner  treiben  einander  vom  /^  bis  zum  Y' 
Auf  diesem  Tone  sitzen  sie  fest  acht  Takte  lang;  be- 
drohlich  steigen  von  unten  die  B&sse  nach  der  Hdhe. 
Da  lost  eine  schnelle  Modulation  nach  Adur  den  Wirr- 
warr,  die  Fuge  setzt  vom  neuen  an :  das  Thema  diesmal 
in  den  ersten  Violinen  in  Ddur  aber  ff  und  von  alien 
Instrumenten  des  Orchesters  im  stSrksten  Ton  begleitet, 
die  Horner  kurz  und  entschieden,  die  Posaunen  mit  einer 
wohlgemut  kampfesfrohen  Melodie.  Das  Tbema  gelangt 
an  die  zweiten  Violinen;  noch  ehe  sie  es  an  die  Gelli  ab- 
gegeben  haben,  ist  mit  den  Trompeten  zugleich  der  voll- 
st£Lndige  Sturm  da;  keine  Ordnung  mehr,  kein  Sinn  fur 
Fuge  und  Vernunft,  sondern  die  voUst&ndige  Emp5rung! 
Wie  lange,  alles  vemichtende  Wogen  zischen  die  Akkorde 
des  Tutti  bin.  In  diesem  Augenbhck  geschieht  etwas 
Oberraschendes:  Es  wird  still,  die  Rhythm  en  kommen  ins 
Schwanken,  das  Fugenthema  nimmt  Reissaus,  wir  h5ren 
nur  noch  wie  vom  weiten  Bruchstucke:  eine  spannende 
Fermate!  Ihr  folgt,  von  s&mtlichen  Posaunen  und  der 
Ophikleide  im  Einklang  und  Oktave  vorgetragen,  eine 
«eltsame  Melodie: 

Fiircnieii%vii  pen  Mteno  et  ovee  le  earaetare  du  r^lt&tlf. 


-Sie  bezeichnet  das  Auftreten  des  Fiirsten  von  Verona, 
4seine  Anrede  an   die  streitenden  Haufen.     VoU  Hoheit 


— fr    365    4^ 

und  Verwundemng  klingt  sie  in  diesem  Eingang  docb 
noch  giitig;  erst  im  weiteren  Verlauf  wird  sie  wetterad 
und  donnemd.  Shakespeares  FQrst  ist  gleich  von  An- 
fang  an  ungehalten  und  aufgeregt:  »Aufrfkhrerische  Va- 
sallen  etc.< 

Die  Annahme  liegt  nahe,  da6  diesem  Rezitativ  das 
Finale  von  Beethovens  neunter  Sinfonie  zum  Vorbild  ge- 
dient  hat.  Der  ProzeB  ist  beidemale  derselbe:  dem  Chaos, 
dem  Tumult  gegenflber  die  Bftsse  als  Ordner!  Verstehen 
und  richtig  deuten  l&6t  sich  die  Stelle  ohne  Schwierig- 
keit,  vorausgesetzt,  da6  der  Hdrer  soviel  guten  Willen  und 
Scharfsinn  mitbringt,  als  die  Programmusik  jederzeit  vor- 
aussetzen  darf.  Hat  doch  Berlioz  durch  die  Oberschrift 
des  Satzes  der  Phantasie  vorgearbeitet!  Berlioz  hat  dann 
wieder  vorbildlich  auf  Liszt  und  den  ersten  Satz  seiner 
Dante- Sinfonie  gewirkt. 

Die  Rede  des  FQrsten  wiederholt  von  hdhrer  Stufe 
aus  die  drei  Glieder,  in  denen  sie  zuerst  vorgebracht 
wurde,  wird  herrischer  und  strenger.  Am  Schlusse,  da 
wo  die  Bassin  strum ente  vom  voUen  Orchester  abgel5st 
werden,  wo  die  H5rner  wie  entsetzt  nachschlagen,  die 
Harmonie  immer  wieder  dasselbe  Fis  anschlftgt  und  ver- 
klingen  Ififit,  da  wo  mit  einem  Worte  das  Leben  der 
Musik  erstarren  will,  da  mufi  wohl  das  Wort  »Todes- 
strafe«  gef alien  sein.  Ein  schnelles  Ende  folgt  dieser 
Stelle,  leise  und  kleinlaut  steht  das  Fugenthema  noch 
einmal  auf,  dann  klingt  es  nur  noch  in  Bruchstiicken  an, 
zuletzt  bleibt  das  Trillermotiv  ganz  unsinnig  in  den  Cellis 
h&ngen;  bald  ist  alles  verschwunden.  In  diesem  Schlufi 
der  Instrumentalintroduktion  von  Romeo  und  Julie  lebt 
eine  starke  Poesie.  Auch  im  ganzen  ist  der  Satz  einer 
der  besten  in  der  Sinfonie,  geeignet  und  wohl  wert  fdr 
sich  allein  gekannt  und  aufgef&hrt  zu  werden,  an  male- 
rischer  Kraft  und  Eigenart  ein  echter  Berlioz  ersten 
Ranges,  durch  den  Inhalt  noch  mit  der  gleichaltrigen 
Onverture  >Carnaval  Romainc  nahe  verwandt. 

Der  aus  angegebenen  GrQnden  auf  die  zweite  Nummer 
verschobene  Prolog  der  Sinfonie  ist  iUr Solostimmen,  fur 


-^    366    ^^ 

•dreistimmigen  Chor  (Kontraalt,  Tenor  nnd  Bass)  nnd  Or- 
Chester  komponiert.  Wie  bei  alien  Gesangsnummern  von 
Romeo  nnd  Julie  hat  anch  hier  Berlioz  selbst  den  Text 
entworfen,  Emil  Deschamps  brachte  ihn  in  Reime,  ein 
gewisser  Freiberg  hat  ihn  in  oft  holpriges  Deutsch 
iibersetzt.  Der  Zweck  des  Prologs  ist  der:  den  Inhalt 
des  Dramas  kurz  zu  erz&hlen.  Der  Chor  ist  der  TrS.ger 
dieser  Erzfihlung;  wichtige  Punkte  hebt  Berlioz  durch 
Sologesang  und  durch  kleine  Instrumentals&tze  hervor. 

Der  erste  Abschnitt  beginnt  mit  einem  Harfenakkord 
(fis-ais-cis).  Dann  f9.ngt  der  Chor  an,  eine  Erkl&rung  zu 
geben  zu  der  Szene,  die  wir  soeben  in  der  Orchesterin- 
troduktion  erlebt  haben.  Der  Chor  singt  oder  deklamiert 
Yorwiegend  im  unisono;  es  ist  nur  wenig  Harmonie  in 
seinen  Satz  gemischt,  aber  dann  sehr  wirksam.  Der 
ganze  Abschnitt  macht  dadurch,  da6  er  an  den  litur- 
gischen  Ton  erinnert,  einen  sehr  ehrwQrdigen  und  alter- 
tUmlichen  Eindruck,  ganz  besonders  in  der  SchluBmodu- 
lation,  die  uns  bei  den  Worten  >encore  recourse  (>fortan 
«rkd.mpft€)  auGerordentlich  fein  und  Phantasie  bezwingend 
nach  Dmoll  f&hrt.  Ein  feierlich  an-  und  abschwellender 
Akkord  der  Messingbl&ser,  von  der  Pauke  unterstutzt, 
«chlieOt  ab. 

Der  zweite  Abschnitt  erz&hlt  vom  Waffenstillstand 
-der  Parteien  und  vom  Fest  bei  Capulet.  Hier  ist  das 
Erscheinen  Romeos  ausgezeichnet  durch  einen  unbe- 
gleiteten  Sologesang  des  Alts,  der  mit  einfachen  Mitteln 
der  Tempoverz5gerung,  chromatischer  Melodiefiihrung, 
des  Wechsels  der  Tonst&rke  sehr  ausdrucksvol]  und  be- 
wegend  wirkt.  Das  Fest  bei  Capulet  schildert  das  am 
Chorschlufi  einsetzende  Orchester,  indem  es  aus  der  dritten 
Nummer  der  Sinfonie  das  Hauptthema  der  Ballmusik 
und  deren  am  Schlufi  der  Nummer  eintretende  Umwand- 
lung  (die  Musik  der  heimkehrenden  Gaste)  vorfiihrt.  Ge- 
wiO  iiben  derartige  Anspielungen  erst  auf  solche  Zuhdrer, 
welche  das  ganze  Werk  bereits  kennen,  ihre  voile  Wir- 
kung  aus;  aber  uuberlihrt  lassen  sie  auch  den  Unvorbe- 
reiteten  nicht,  dank  dem  dieser  Musik  innewohnenden 


-^    367    *— 

plastischen  Charakter.  Sie  erz&hlt  unverkennbar  von 
glUcklichen  Herzen. 

Der  dritte  Abschnitt  fuhrt  zur  Gartenszene.  Spannend 
ist  die  S telle  gehalten,  wo  bericbtet  wird,  wie  Romeo  die 
Mauer  Ubersteigt.  Eine  Generalpause  mit  Fermate  gibt 
dem  Erstaunen  Raum.  Und  nun  markiert  ein' pianissimo, 
ein  heimliches  Rauscben  der  Chorakkorde  die  neue,  die 
grdBere  Oberrascbung:  Julia  auf  dem  Balkon.  Aufregend 
kurz,  aber  meisterhaft  fiihrt  Berlioz  zu  dem  SchluB,  zu  den 
warmen  von  Cbor  und  Orchester  gemeinsam  gesungenen 
Melodien  aus  der  Liebesmusik  der  vierten  Nummer. 

AngefQgt  ist  in  diesem  dritten  Abscbnitt  erne  lyrische 
Einlage,  ein  Strophenlied,  das  dasGlQck  der  erstenLiebe 
preist:  »Premiers  transports  etc.«  (>0  ersteSchwtire  etc.«). 
Der  Soloalt  singt  es  und  das  Cello  singt  mit  ibm,  so  wird 
es  zum  Dialog,  ein  einfacbes  aber  gefQbireicbes,  pr&chtiges 
StQck  musikaliscber  Poesie.  Die  Harfenbegleitung  gibt 
ihm  einen  gewissen  Troubadourcbarakter,  nur  an  wenigen 
Stellen  tritt  der  Klang  von  F15ten,  Klarinetten  und  eng- 
liscbem  Horn  weicb  umbQlIend  noch  hinzu. 

Es  folgen  nun  als  vierter  Abschnitt  die  Erz&blung  von 
der  Fee  Mab  und  als  fCknfter,  schlieOend,  der  Bericht  von 
Juliens  Begr&bnis  und  von  der  Versdbnung  der  feindlicben 
Geschlechter  an  der  Gruft. 

Die  Gescbicbte  von  der  Fee  Mab  ist  nicbt  in  dem 
kurzen  Stil  bebandelt,  der  sonst  im  Prolog  berrscht,  son- 
dern  im  Detail  breit,  dramatiscb  alle  Einzelbeiten  be- 
lebend,  vorgefQhrt.  Dieselbe  Aufgabe  in  einem  Werke 
auf  zwei  verscbiedene  Arten  losen  zu  wollen,  war  eine 
Kraftprobe.  Berlioz  bat  sie  gla.nzend  bestanden.  Denn 
die  Scbilderung  der  Fee  Mab  durcb  den  Solotenor  und 
Cbor  ist  ein  &bnliches  Unikum  und  ein  Meistersttick  wie 
das  berUhmte  Orcbesterscherzo,  das  Berlioz  dem  Gegen- 
stand  als  fiinfte  Nummer  der  Sinfonie  gewidmet  hat. 
Die  Fee  Mab  oder  KOnigin  Mab  zieht  im  Prolog  in  der 
Form  eines  »ScherzettO€  vorUber,  wie  Berlioz  das  Ton- 
bild  nennt;  es  ist  das  originellste  und  gr56te  im  ganzen 
Prolog  —  116  Takte  umfaCt  es.    Unter  all  den  Geister- 


^^    368    <>— 

szenen  lustiger,  freundlicher  oder  schreckhafter  Natur,  die 
der  Musik  in  der  groQen  romantiachen  Epoche  von  Gretry, 
d'AIayrac,  G.  M.  v.  Weber  bis  auf  Mendeissohn  und  Meyer- 
beer zugewachsen  sind,  ist  mit  dieser  Berliozscben  Kom- 
position  von  der  Fee  Mab  nichts  zu  vergleichen.  Das  ist 
ein  Spuk  ganz  filr  sich,  fiachtiger,  leichter,  abwecbslongs- 
reicher  als  jeder  andere  und  auch  da,  wo  das  Treiben 
verworrener  wird,  immer  von  gr5fiter  Anmnt.  Das  Haupt- 
element  diesex  Musik  bilden  Rhythmus  und  Tempo.  Das 
Zeitmai3  verlangt  von  Instrumenten  und  Singstiromen 
das  ftufierste,  was  sie  an  Scbnelligkeit  leisten  kdnnen^ 
die  Bratschen  und  die  unteren  Gellis  haben  mit  ihren 
BegleituDgsfiguren  ein  ungestumes,  aber  doch  immer  feines 
perpetuum  mobile  zu  leisten.  Dann  kommen  die  merk- 
wiirdigen  schillernden  Harmonien  hinzu,  dem  Satz  einen 
fremdartigen  Gharakter  zu  geben:  Jeder  einfache  Drei- 
klang  wird  durch  einen  humoristisch  berechneten  Mifiton 
gestreift.  Die  Eins&tze  der  dOrftigen  Blasinstrumente 
wirken  in  gleicben  Graden  gespenstisch  und  komisch. 
Instrumentation  undNuancierung  —  fast  immerp  — werfen 
uber  das  Ganze  phantastische  Schleier.  Es  ist  in  der 
Gesch&ftigkeit,  mit  der  eine  Gestalt  nacb  der  andern  vor- 
beisaust,  etwas  Atemversetzendes.  Nirgends  kommt  etwas 
FaCbares;  hdchstens  die  kleine  Episode  von  dem  Kriegs- 
traum  des  Pagen  mit  den  Kanonaden,  dem  Tambour  und 
der  Trompete  tritt  deutlicher  beraus  und  macht  Miene, 
dem  Zub5rer  auf  den  Leib  zu  riicken.  Im  Gesangteil  ist 
das  Sd.tzchen,  fiir  germanische  Ghorzungen  namentlicb, 
ganz  ausgesucht  schwierig. 

Der  Scblufi  des  Prologs,  der  vom  tragischen  Ende 
des  Liebespaares  und  der  VersShnung  der  Geschlechter 
berichtet,  ist  Hufierst  kurz  geraten,  fast  als  h&tte  Berlioz 
nach  der  Fee  Mab  sich  tiber  die  Geduld  der  Zuhdrer 
und  Uber  ihre  hohen  AnsprUcbe  Gedanken  gemacht. 
Angespielt  ist  nur  auf  die  Begr&bnismusik  der  secbsten 
Nummer,  und  zwar  nimmt  das  Orcbester  das  cbarakter- 
istiscbe  Liegenbleiben  des  einen  Tones  {e)  von  dort  ber- 
uber. 


-<♦    369    ^>- 

Zieht  man  die  Smnme  des  Gebotenen,  so  kann  kein 
Zweifel  sein,  dafi  im  Prolog  von  Romeo  und  Julie,  un- 
scheinbar  in  der  Form  und  in  den  Mitteln,  doch  eine 
aufierordentlich  grofie  und  vdUig  originelle  Leistung 
Yorliegt,  die  fur  die  BeurteUung  von  Berlioz  schwer 
wiegt. 

Berlioz  wendet  sich  nun  wieder  der  unmittelbaren 
Darstellung  zu  und  gibt  zun&chst  ein  Bild  von  dem  Ball- 
fest  bei  Juliens  Eltem.  Im  Drama  ist  dieses  Fest  ein 
nicht  unwichtiger  Abschnitt:  er  bringt  zum  ersten  Male 
die  Liebenden  zusammen.  Dem  Komponisten  bietet  sich 
gleich  gute  Gelegenheit  zur  Seelenmalerei  wie  zur  Situ- 
ationsschilderung,  er  kann  scharf  geprHgte  Gestalten 
zeichnen,  ihre  Herzensbeziebuugen  blofilegen,  kann  einen 
Ausschnitt  aus  dem  Treiben  der  grofien  Welt  versuchen, 
sich  im  Intimen,  ebenso  wie  im  Gl&nzenden  bewahren. 
Als  geborener  Freund  grofier  Mittel,  mftchtiger,  iippiger, 
Sinne  berauschender  Klftnge,  alsMeisterin  der  Schilderung 
auGeren  Lebens  hat  Berlioz  den  festlichen  Cbarakter  der 
Szene,  die  Pracht  und  die  Freude,  in  der  sich  die  fitolzen 
Massen  einherbewegen,  betont.  Reichlich  zwei  Drittel 
der  neuen  Nummer  sind  mil  rauscheuder,  pomp5ser  Ball- 
musik  ausgeftillt.  Aber  wie  in  der  Fantastique  und  im 
Harold  kommen  auch  hier  die  eigentlichen  Helden  des 
Stiickes  nicht  zu  kurz  und  treten  im  rechten  Augenblick 
in  den  Vordergrund. 

Diesem  dritten  Satz,  welchen  dasOrchester  allein 
ausfUhrt,  hat  Berlioz  die  Oberschrift  gegeben: 

Romeo  seul-Trlstesse-Goncert  et  Bal-Grande  Fete  chez  Ca- 
pulet  (Romeo  allein  in  Traurigkelt;  Eonzert  und  Ball;  giofies 
Fest  bei  Gapulet). 

Er  beginnt  mit  einem  Andante  melancolico,  C,  F  dur, 
das  zunachst  die  Worte  Rome os  (I,  4)  zu  veranschaulichen 
scheint:  »Mich  driickt  ein  Herz  von  Blei  zu  Boden,  daB 
ich  kaum  mich  regen  kanhc.  Die  ersten  Violinen  suchen 
nach  Melodie  und  Ausdruck  und  finden  nur  sp&rlich; 
namentlich  in  der  Unbestimmtheit  der  Tonart  spricht 
diese  Einleitung  aufs  deutlichste    einen  schwankenden 

Kretzselimar,  Ffihrer.    I,  1.  24 


370 


Snstand  ana.    Endlich  bietet  sich         xxmrn.    ^^ 
lin  Halt   Die  Oboen  und  Klarinet-  [^^n  f  T    ^^ 


Znstand  ana.    Endlich  bietet  sich 

ein  __ 

ten  setzen  (im  28.  Takt)  das  Motiv  ^^     ^f^ 

ein  and  klammern  sich  daran  wie  an  eine  letzte  Rettung. 

Sechsmal  hintereinander,  nnr  mit  immer  neu  tastenden 

und   wechselnden   B&ssen,    h5ren   wir    diese   klagende 

Stimme;  dann  erst  entwickelt  sich  eine  lange  Gesang- 

melodie,  die  im  Anschlnfi .  an  das  gegebene  Motiv  folgen- 

dennafien  lautet: 


Noch  einmal  setzt  sie  zu  einer  viertaktigen  Halbperiode 
an  und  gelangt  mit  ihr  nach  Asdur.  Diese  unerwartete 
Harmoniewendnng  best&tigt  nur,  was  der  gewissermafien 
irrende  Schritt  des  Themas  schon  verr&t:  die  Unruhe  in 
Romeos  Seele,  sein  Sehnen  und  Zweifeln :  »Mein  Herz  er- 
bangt  und  ahnet  ein  Verhftngnis,  welches  noch  verborgen 
in  den  Stemen  . . .  das  Ziel  des  Iftst'gen  Lebens  . . .  mir 
kttrzen  wird  durch  irgend  einen  Frevel  Crflhen  Todes« 
(I,  4).  In  der  neuen  Tonart  (Asdur)  schweben  freund- 
liche  Motive  in  Triolen  t&nzelnd  heran.  Der  kleine 
Zwischensatz  (8  Takte)  hellt  die  Stimmung  etwas  auf. 
Das  Gesangthema  mit  den  ausdrucksvollen  halben  Noten 
setzt  jetzt  in  Cdur  wieder  ein,  aber  des  Zieles  sicherer  und 
hoffnungsvoller  als  beim  ersten  Male  weiter  gefflhrt. 
Violinen,  Fldten,  Bratschen  bringen  der  Reihe  nach  das 
trdstliche  neue  SchluBmotiv.  Da  kommt  eine  pldtzliche 
Unterbrechung:  Allettro  im  Alia  breve:  pp  klingen 
in  den  Geigen  zit-  i*-*  f^  *  f^  K  auch  die  Tonart 
ternde  Rhythmen:  "^  •  W  J  •  J  J  •  ^  J/  j  Desdur  zeigt  auf 
eine  ganz  unvermutete  Wendung.  In  Klarinetten  und 
Fagotten  taucht  das  Bruchstfkck  eines  Polonaisenthemas 
auf.  Dann  folgt  eine  Gruppe  von  Takten,  wo  die  Geigen 
still  auf  gehaltenen  Akkorden  tremolieren,  zuletzt  tritt  auf- 


-^    371    4^ 

regender  Pankenwirbel  hinzu.  Es  ist  eine  gaaz  natnra* 
listisch  packende  Stelle,  ein  Bild  des  kalten  Fiebers,  das 
Romeo  ergrififen  hat  Was  Berlioz  hier  gemeint  hat,  kann 
niemand  ganz  bestimmt  sagen;  etwas  Attfierordentliches 
jedenfalls.  DasWahrscheinlichste  ist:  Romeo  hat  seine  Julie 
erblickt.  Sei  es  nun  eine  ftufiere  Erscheinung,  sei  es  ein 
Entschlufi,  dem  der  jetzt  folgende  Abschnitt  in  der  Kom- 
position  —  Larghetto  expressivo,  */i*  Cdur  —  gilt,  jeder- 
mann  wird  davon  ergriffen  sein,  wie  fein  erfunden  und  ge- 
dacht  er  ist:  Kein  Ausbruch  des  Jubels,  lauter  Leidenschaft 
Uberhaupt,  sondern  ein  zarter  Gesanp.  frorom  wie  ein  Gebet. 

iX    p  III"       I    "  ^g    einfache 

Melodie  vor,  die  Erregung,  aus  der  sie  emporgewachsen 
ist,  wird  nur  in  den  Rhythmen  der  dezenten  Begleitung 
bemerkbar:  die  Cellis  umspielen  mit  rastlosen  Sextolen; 
an  den  SchluGstellen  werfen  die  Geigen  mit  den  Pauken 
schauemde  Tremolos  hinzu.  Und  nun  geht  Romeo  mitten 
hinein  ins  Fest  der  Feinde.  Der  Hauptteil  des  Satzes 
—  Allegro,  (|>,  Fdur  —  beginnt 

Es  ist  im  wesentlichen  ein  Tanzsatz,  er  teilt  mit 
anderen  Arbeiten  gleicher  Gattung,  die  wir  von  Berlioz  be- 
sitzen,  das  Feuer,  unterscheidet  sich  aber  von  ihnen  alien 
durch  einen  Zug  von  Stolz  und  Pracht  DaO  es  sich  hier 
um  ein  Fest  von  Patriziern  handelt,  sagen  uns  schon  die 
einleitenden  Takte  mit  den  pomp5sen  BafigHngen.  Sie 
versetzen  die  heutigen  Zuhdrer  unwillkflrlich  in  den  dritten 
Akt  von  Wagners  »Lohengrin«,  der  allerdiugs  1889  noch 
nicht  geschrieben  war.  Das  Hauptthema,  fiber  dem 
sich  Berlioz'  Festgemftlde  nun  aufbaut,  fftngt  folgender- 
mafien  an: 


Es  enth&lt  in  der  Schale  einer  Marschweise  einen  kost- 
baren  Inhalt  von  WQrde  und  Lebenslust    Der  letzteren 

24* 


372    «.- 


dient  unter  den  Motiven,  die  dem  hier  gegebenen  Anfang 
folgen ,    beson- 
ders    das   drol- 
lig  ausholende: 

Nachdem  die  gl9.nzende  Gesellschait  ihren  ersten 
Rnndgang  voUendet  —  GanzschlnB  inFdur  — ,  wird  unsere 
Anfmerksamkeit  auf  eine  einzelne  Gruppe,  die  etwas  im 
Hintergrund  steht,  gelenkt.  Gelli,  Bratschen  and  Fagotto 
sind  ihre  Sprecher: 


Halblaut  reden  sie  von  den  letzten  H&ndeln  mit  den  Mon- 
teccbis.  Es  sind  berriscbe  Leute,  und  wehe  dem  armen 
Romeo!  Andere  Ziehen  mit  leichtem  Scherz  vorbei.  Dann 
kommt  das  Haaptthema  zum  zweiten  Male,  diesmal  in  den 
Holzbl&sern,  die  Geigen  zieben  ein  langes  Gewinde  von 
Achteln  darnm.  Dann  wird  es  auf  alien  Seiten  lauter, 
als  stritten  sich  die  Streicber  mit  den  BIfisern  um  die 
Akkorde.  Und  siebe  da,  in  diesem  Augenblick  des  Larms 
und  der  Aufregung  erscbeint  das  Tbema  aus  dem  Larg- 
hetto  wieder,  diesmal  nicbt  von  der  Oboe,  sondern  von 
den  Hornern  geMbrt.  Sie  bebalten  es  aucb  im  weiteren 
Verlauf  und  zieben  nocb  Posaunen  und  Fagotte  dazu. 
Berlioz  gibt  uns  jetzt  die  Aufklslrung,  was  er  mit  der 
Largbettomelodie  gemeint  bat:  Es  ist  wirklicb  Juliens 
Gestalt:  majest&tiscb  scbreitet  sie  dahin,  und  als  der  Haupt- 
satz,  die  rauscbende  Ballmusik,  jetzt  wieder  wie  beim 
Anfang  des  Allegro  von  der  ganzen  grofien  Masse  der 
Geigen,  von  F15ten  und  Bratscben  untersttltzt,  von  den 
anderen  Instrumenten,  unter  ibnen  zwei  Harfen,  umlarmt 
wird  —  slrahlt  docb  Uber  all  den  glftnzenden  Wirrwarr 
binweg  in  Hobeit  die  Largbettomelodie:  Das  Stiick  kdnnte 
nacb  genauer  Wiederbolung  des  ersten  AUegroteils  —  bis 
zu  dem  Punkte,  wo  das  BaGtbema  kam  —  beendet  sein. 
Berlioz  erweitert  aber  Beethovenscb.  Statt  eines  Fdur- 
Scblusses  kommt  eine  Ausbiegung  liber  Adur  nacb  Dmoll 
und  ins  piano.    Die  Stille  der  Verlegenbeit  tritt  ein.  und 


— ^    373    <►- 

in  ihr  lassen  sich  wieder  HS.ndelsuchtige  vernehineii,  sie 
brdten  neue  Komplotte:  Diese  unfriedlichen  Gedanken 
sind  in  zwei  Themen  gegeben 


ofiiiri  ii'iifiiic|.irrn  -'»^n^ji 


PTTTT"-!  J".l  I  J.^  ^^^  ^*^  Material  zu  einer  beschei- 
•  h^-*  i  i  i  _  i  denen  Doppelfuge  bilden.  Sie  wird 
nicht  dnrchgefiihrt,  sondern  Berlioz  beschrftnkt  sich  dar- 
auf,  die  chromatische  Skala  zu  einem  Basso  ostinato  za 
verwenden,  Ckber  den  in  wachsender  Erregung,  im  langen 
crescendo  erst  allein  die  Bl&ser  rhythmische  Kampfmotive 
hinscbmettern.  Bald  stiromen  die  Geigen  mil  ein;  es 
reizen  die  Schlaginstrnmente.  Die  festliche  Stimmung 
ist  in  eine  kriegerische  nmgeschlagen.  In  alien  Gruppen 
groGte  Unruhe,  ein  Anlauf  iiber  den  anderen  auf  das 
dr&ngende  Motiv: 


nJTjff^,  ^jL[J  ir    <  ^  M  tiberDmollnachG', 

^     7         nach  (7,  dann  die- 


selben  Wege  nochmals  in  bedrohlicherem  Tone  ■—  es 
schlfigt  am  Ende  der  Perioden  bereits  ein  — ,  und  dann 
bricht  mit  dem  endlich  erreichten  F  dnr  das  voile  Wetter 
los:  Eine  wilde  elementare  Musik,  ein  schlimmerer  Auf- 
ruhr  als  in  dem  Augenblick  der  Orchesterintroduktion, 
in  dem  die  Posaunen  des  Fursten  sich  erhuben.  Noch 
einmal  wird  Rube.  Wir  horen  wieder  dea  chromati- 
scben  Bafigang  von  Pauken  und  Trommeln  schauer- 
lich  beleuchtet.  Diesen  letzten  Augenblick  benutzt 
Romeo  sich  zu  entfemen.  Die  Oboe  singt  wieder  den 
Klagegesang,  mit  dem  sich  im  Andante  melancolico 
Romeo  schwermutig  vorstellte.  Im  Toben  der  Massen 
—  eine  plotzliche  Generalpause  sagt  uns,  bis  zu  welchem 
Grad  die  Wat  gediehen  —  geht  der  Satz  schnell  zum 
SchluB. 


_^    374    ^>— 

Die  Italiener  des  17.  Jahrhnnderts,  die  venetianischen 
Librettidten  voran,  die  Spanier,  die  Geschlechter  der  aus- 
gehenden  Renaissance  Uberhaupt,  verstanden  sich  auf 
Liebesszenen.  Aber  den  Szenen,  in  denen  Shakespeare 
in  » Romeo  nnd  Julie  €  das  Liebespaar  zasammenftthrt, 
kommt  doch  wenig  gleich.  Dieses  Urteil  l&6t  sich  auch 
auf  die  Gartenszene  der  Berliozscben  Sinfonie  ubertragen, 
in  der  der  Komponist  seine  Erinnerungen  an  jenen 
schdnsten  Teil  des  Shakespeareschen  Dramas  in  T5ne 
gebracht  hat.  Man  kann  es  ruhig  sagen:  Berlioz  hat 
die  Liebe  von  Romeo  und  Julie  schdner  geschildert  als 
der  Dichter,  um  so  viel  inniger  und  ergreifender  als  die 
Musik,  wenn  es  Gefiihle  darzustellen  gilt,  der  Sprache 
tiberlegen  ist  In  der  Komposition  Berlioz'  steht  auch 
das  mit,  was  bei  Shakespeare  ungesagt  bleibt;  vor  allem 
liber  alle  SliBigkeiten  des  Augenblicks  hinweg  bringt  sie 
uns  ins  BewuBtsein,  da6  diese  Liebe  tragisch  enden  wird. 
£in  Ton  der  Klage  und  der  Wehmut  klingt  mit  durch 
alle  Seligkeit  hindurch. 

Mit  der  vorhergehenden  Nummer,  der  Ballszene,  ist 
die  Gartenszene,  als  fQnfte  Nummer  des  Werkes,  durch 
eine  dramatische  Einleitung  verbunden.  Die  Oberschrift 
des  Stuck  es: 

Nuit  serene  —  le  jardin  de  Gapulet  silencieux  et  decent.  Les 
jeunes  Gapulets  sortant  de  la  fete,  passent  en  chantant  des  remi- 
niscences de  la  masique  da  bal, 

welche  Berlioz  selbst  gegeben  hat,  enthebt  jeder  weitern 
Beschreibung  des  Verfahrens.  Bin  Allegretto  (B/g,  A  dur)  ent- 
hS,lt  diese  Einleitung.  Langgezogene  Geigenakkorde,  die 
nur  schleichend  modulieren,  beginnen.  Berlios  schreibt 
pppp  vor.  Das  ist  die  Stille  des  Gartens,  von  der  die 
Dberschrift  sagt.  Nach  dreiBig  Takten  erst  klingt  es  im 
ersten  Horn:  als  kftme  jemand.  Und  bald  darauf  be- 
ginnen die  jungen  Kavaliere  ihr:  >Oho  Gapulets,  bon 
soir«  (» Gapulets,  schlaft  wohN).  Gleich  darauf  kommt 
auch  die  haupts&chhchste  von  den  Ballreminiszenzen,  auf 
die  uns  der  Komponist  selbst  aufmerksam  gemacht  hat: 


375    ^>- 

Aiiegreno,.      >     .         Leicht  wird  man  in  ihr 

den  Anfang  vom  Haapt- 


^  0   quoUe  ii4l^  qdel 


fMtinl  them  a  des  Allegros  der 
Ballszene  wiedererkenneu.  Das  ganze  Stuck  Einleitung  ist 
von  Humor,  wie  von  poetisch  hdherer  Empfindung  gleich- 
m&Gig  belebt.  In  ihrer  etwas  steifen  Anmut  erinnert 
seine  Melodik  namentlich  an  Berlioz'  »Flucht  der  heiligen 
Familie  nach  lgypten«.  Ein  Wunder,  daB  es  sich  unsre 
Mannergesangvereine  fortdauemd  entgehen  lassen!  £s 
verklingt,  und  nun  beginnt  die  eigentliche  Sc^ne  d' Amour, 
die  Liebesszene,  in  Form  eines  mehrmals  von  belebten, 
erregten  Episoden  durchbrochnen  Adagios.  Der  6/3  Takt 
und  die  A  dur-Tonart  bleiben.  Das  langsame  Tempo  gibt 
aber  der  Komposition  ihren  eigentQmlichen  Charakter  als 
einer  Liebesszene  von  fast  religi5ser  Tiefe. 

Das  Adagio  beginnt  wie  pr&ludierend  mit  einem  Ab- 
schnitt,  in  dem  die  Bratschen  mit  den  geteilten  Cellis  in 
bald  ausdrucksvollen,  bald  spielerischen  Motiven  sich  dem 
Gesang  n&hem.  Es  ist  ein  eigentUmlich  voiles,  gedSlmpft 
weiches  Kolorit,  &hnlich  dem  in  der  »Sc6ne  aux  champs« 
von  Berlioz'  Fantastique.  Drunter  klopfen  die  BSUsse  wie 
die  Schlfige  des  Herzens.  Die  zweiten,  dann  die  ersten 
Geigen  tragen  Verzierungen  und  melodische  Fragmente 
herbei;  noch  mehr  aber  erinnem  Klarinette  und  eng- 
lisches  Horn  an  die  Liebesmusik  der  V5gel,  sie  seufzen 
sehnsuchtige  Motive,  die  uns  die  Stelle  des  Dramas 
vor  die  Phantasie  bringen,  wo  es  heifit:  »Es  war 
die  Nachtigall  und  nicht  die  Lerche<.  Dann  wird  ein 
Singen  daraus,  leidenschaftlich  treiben  die  Tdne  nach 

oben.    So   ^^  ^^^Hl3' g^s^^^-N^  und    so 

setzt    die  dfiftTi  rP  i  i  \  I    »  J    PTF   P  T '  I  schlieBt 
Stelle  ein :  "^      »=*•  ■-==  =^^       sie : 

Bald  kehrt  sie  wortlich  genau  wieder,  sie  umrahmt 
das  vom  Cello  und  vom  Horn  vorgetragne  Liebesthema 
Jnliens,  ihr  Gest&ndnis,  den  Liiften  anvertraut: 


376 


V  m  A — --— 


Eine  der  schdnsten  Melodien  der  ganzen  neueren  Mnsik, 
mufi  dieses  Thema  in  diesem  Werk  und  in  diesem  Satz 
namentlich  mit  seinem  Schlufi  fest  gemerkt  werden. 
Denn  es  tancht  wie  ein  Leit-  und  Reprftsentierthema 
h^ufiger  in  nnserm  Adagio  wieder  auf.  Die  Masik  wird 
von  dem  Einsatz  der  Vogelmotive  ab  wiederholt  Romeo 
lauscht  entzUckt,  und  als  Julia  nun  im  vollsten  Tonglanz 
ihr  Liebesgestandnis  (jetzt  in  Gdur)  nochmals  ablegt,  be- 
mS,chtigt  sich  ein  groGer  Sturm  seiner  Gefuhle  (Allegro 
agitato).  Er  dringt  vor,  gibt  sich  zu  erkennen,  das  Cello 
hebt  ein  Rezitativ  an  und  leitet  damit  Uber  zu  der  zweiten 
Halfte  der  Nummer,  dem  Liebesdialog.  Dieser  Dialog 
hat  wieder  die  Form  eines  Adagio,  das  gegen  das  erste 
um  eine  Kleinigkeit  beschleunigt  ist.  Das  in  ihm  neu 
hinzutretende  Hauptthema  ist: 

i)a  112 


*'   '  '        hschem  Horn   emge- 

fiihrt,  findet  es  in  einer  zweiten  Periode  den  seiner  fried- 
lich  geniefienden  Natur  entsprechenden  Abschlufi  in  A  dur. 
Daran  kniipfen  sich  heitre,  zum  T&ndeln  neigende  Motive, 
bis  dann  bald  Juliens  Liebesgesang  den  Ideenkreis  ins 
innig  Pathetische  zuriickleitet  Es  wechseln  nun  Augen- 
blicke  der  Ruhe  und  der  Erregung :  es  kommt  die  Schwere 
des  wiederholten  Abschieds,  die  Wonne  des  Wieder- 
treffens.  Mehr  als  bei  andren  Sfttzen  der  Sinfonie  bietet 
die  Kenntnis  Shakespeares  f&r  diese  Nummer  eine  weit- 
reichende  Gewahr  des  Verstftndnisses. 

Derfiinfte  Satz  der  Sinfonie,  das  Scherzo  (Prestis- 
simo, s/s,  Fdur)   tr^gt  die  Oberschrift:  »La  Reine  Mab, 


-^    377    ♦^ 

oa  la  F^e  des  Songes*  (K5nigin  Mab,  die  Tranmfee).  Er 
bedeutet  einen  Abfall  votL  Shakespeare,  eine  Cberl&nferei 
zur  selbstherrlichen  Masik,  insbesondere  zu  den  Fonnen 
der  Beethovenschen  Sinfonie.  Berlioz  mochte  auf  die  be- 
wahrte  Wirkung  eines  Scherzos  auch  in  »Roineo  und 
Julie «  nicht  verzicbten.  Sieht  man  von  der  Entstehungs- 
ursache  ab,  so  bleibt  dieser  Satz  eine  bis  heute  noch 
nicht  tiberbotne  Glanzleistnng  anf  dem  Gebiete  der  Elfen- 
musik.  Die  Komposition  gibt  den  fliichtigen  Gharakter, 
den  man  von  dieser  Gattung  erwartet,  nach  einer  Rich- 
tung  wenigstens  vollkommen  wieder,  ganz  besonders  aber 
zeichnet  sie  sich  ans  dnrch  ihren  Reichtnm  neuer  und 
ungewohnter,  mil  ebensoyiel  raffinierter  Berechnung  als 
mitpoetischem  Genie  aufgesuchter  und  erfundener  Klftnge. 
Zwar  fiir  die  Gestalt  nnd  das  Treiben  des  Miniaturelfs, 
wie  sie  Shakespeare  —  vor  Ball-  nnd  Balkonszene  I,  4  — 
beschreibt,  ist  die  Berliozsche  Musik  immer  noch  zu  kom- 
pakt,  zu  reich  an  BaBklang;  aber  man  hatte  in  einer  Sin- 
fonie ein  Scherzo  wie  dieses  doch  noch  nicht  geh5rt: 
£in  ganzer  JahrJharkt  von  seltnen,  schweren  Trillern, 
von  pizzicatos,  Flageoletts,  ausgesuchten  Spielarten  und 
Tonlagen  tat  sich  hier  auf. 

Dem  Hauptsatz,  den  einige  akkordische,  durch  Fer- 
maten,  Modulationen  und  Klangfarbe  ins  Tr&umerische 
erhobne  Takte  einleiten,  liegt  folgendes  Tbema 


ifrrirrriririiiMi|iiii|T[ 


zu  Grunde.  Die  Violinen  durcheilen  mit  ihm  im  schnellsten 
ZeitmaB,  in  der  grOBten  Leichtigkeit,  die  m5glich  ist, 
einen  ziemlich  umfangreichen  Kreis  von  T5nen  und  Ton- 
arten.  Fdur  beginnt,  der  SchluB  fUhrt  nach  cia  und 
nach  einem  dissonanten  Akkord  des-f-aa-h,  demselben,  der 
den  Satz  iiberhaupt  begann.  Es  ist  etwas  Koboldartiges 
in  dieser  Beweglichkeit,  und  es  ist  auch  nicht  leicht  fttr 


-^    378    «^ 

den  Zah5rer  genau  zu  folgen.  Urn  das  zu  erleichtern, 
miissen  Spieler  und  Dirigenten  die  metrisch  betonten 
fTakte  hervorheben.  Wird  damit  von  Anfang  an  — 
der  mit  *  bezeichnete  ist  der  erste  —  Klarheit  einge- 
halten,  so  ist  der  Anfbau  der  Perioden  leicht  zu  be- 
greifen;  er  vollzieht  sich  vorwiegend  in  zweitaktigen  Ab- 
schnitten. 

Zun&chst  stellt  Berlioz  das  angefiihrte  Hauptthema 
noch  zwischen  das  akkordische  Einleitungsmaterial.  Erst 
im  zweiten  Abschnitt,  dessen  Eintritt  sich  scharf  dadurch 
markiert,  dafi  wir  8  Takte  lang  nar  (in  Bratschen  and 
zweiten  Violinen)  Akkordbegleitang  ohne  Thema  haben, 
erh&lt  es  das  Feld  fiir  sich  und  bestellt  es  in  Umbil- 
dongen,  wie  sie  fur  Menuetts,  Scherzi,  f&rs  ganze  Tanz- 
gebiet  von  jeher  tiblich  sind:  Eine  Doppelperiode  in  der 
Haupttonart  F  dur  mit  SchluO  in  Oy  eine  zweite  in  G 
mit  Modulationen  nach  verwandten  Harmonien  and 
Schlufi  in  J^.  Es  ist  ein  leichtes  anmatiges  Treiben 
ohne  wichtigere  VorfSUle.  An  dem  oben  genannten 
Punkte  erst  erscheint  ein  teilweise  neaes,  von  Berlioz 
aach  im  »Carne-  ?*>•#■♦     ♦♦h 

val  Romain*  ver- 
wendetes  Motiv: 
in  den  Geigen,  das  «'"%     ^^    L^^     k^ 

F16te  and  engli-  ib  fl  I  I  F  I  I  P  |T  P  f^ 
sches     Horn     mit     ^  ^  '  i  '        ■' 

beantworten.  Fee  Mab  wird  aasgelassner:  sch&rfer  tritt 
der  pizzicato-Klang  vor,  sch§,rfer  wechseln  die  Tonarten 
in  diesem  kleinen  Seitensatz.  Hdur  ist  erreicht.  Da  fubrt 
bei  einem  allgemeinen  temper  amen  tvoUen  Crescendo  ein 
heftiger  chromatischer  Laaf  der  Mittelstimmen  nach  der 
Haupttonart  zuriick  und  in  eine  groGe  Wiederholung  des 
Hauptsatzes  mit  einigen  Erweiterungen.  Motivisch  neu 
tritt  eine  zuweilen  auf  vier  Takte  ausgedehnte  Triller- 
figur,  aus  der  Schabemack  und  Obermut  heriiber- 
klingen,  vor. 

Die  groBten  Oberraschungen   fiirs  Ohr  hat  Berlioz 
f&r  die  Mitte  seines  Scherzos  aufgespart,  fQr  die  Stelle, 


-^    379    <>^ 

die  flblicherweise  das  Trio  einnimmt.  Gedacht  ist  wohl 
dieser  wichtigere  Teil  so:  daB  er  die  Wirkangen  der 
Schalkereien  Mabs  im  Kopf  des  Schl&fers  veranschau- 
lichen  soil,  w&hrend  uns  der  bewegtere  Hauptsatz  den 
Umzug  der  Fee  schildem  soil.  Das  Tbema  dieses  Trios 
heiBt: 


AUegro.  J  ■  18S 


ri  \\^  ^  \^' \T  I'y  (nti^fv  \ 


Mit  seinen  rufenden  und  ahnenden,  auch  mit  seinen 
gesanglichen  Elementen  ist  es  im  Grunde  h5chst  einfach. 
Seine  Wirkung  erhUlt  es  dnrch  die  Dekoration.  Die  ersten 
Violinen  trillern  dazu  vom  ersten  Ton  der  F15te  bis  zum 

letzten  pppp  aber  obne  Unterbrechong  auf  S;  die  Celli 
antworten  auf  das  Qnartenmotiv;  die  andern  Saiten- 
instrumente  aber  halten  bobe  Flagolett5ne  aus.  Von 
ihnen  kommt  der  M&rcbenzauber,  das  Feenlicbt,  das  iiber 
dem  Abschnitt  liegt;  sUB  wie  Liebestraum  und  ganz 
fremdartig  und  neu  erscbeint  er.  Zugleich  ist  dieses 
Kolorit  zum  ersten  Mai  das,  was  sicb  mit  den  von 
Shakespeare  erweckten  Vorstellungen  deckt  Die  Harfen 
fallen  bald  mit  unerhdrten  Kl&ngen  ein,  die  zur  selben 
Familie  wie  die  Flagolettone  der  Geigen  gehdren.  Die 
Phantasie  des  H5rers  wird  in  demselben  Augenblick  aus 
dem  Elegischen  binuber  gerissen  nacb  dem  Humoristiscben : 
wir  b5ren  in  den  Bratschen  und  Cellis  Figuren,  die  an  den 
Rbythmus  des  galoppierenden  Pferds  erinnern.  Berlioz 
bat  an  die  Stelle  gedacht,  wo  bei  Shakespeare  die  Fee 
Mab  den  Soldaten  neckt. 

Nocb  breiter  ausgefUhrt  als  im  Trio  sind  diese  milit&ri- 
schen  Bilder  in  der  Reprise  des  Hauptsatzes.  Hier  fOhren  sie 
zu  einigen  Episoden,  an  deren  Spitzen  die  HOrner  stehen: 

FMstffeatus.  ^  Auch   das    englische 

'Ji-W?  I  r  iTf  |>    I  I     {T'm  H?f n.  kommt  einmal 
'"jjp  ■     ■    '       "11         ■         ■  mitemem  Jagdmotiv: 


} 


380 


A  L    ■    ■    ■  L  ■■  I  Von   einer   ein- 

4  p    I  r     -^^  1  -J    '"J^  "'^    lJ>  ^>    fachen    Wieder- 
'^  holnng  ist  diese 

Reprise  so  weit  als  mdglich  entfernt;  sie  ist  eiae  Steige- 
ruDg  in  jeder  Beziehung,  in  den  Formen  nicht  weniger 
als  in  den  Farben.  Fiir  letztere  sind  auch  die  Schlag- 
instrumente  meisterhaft  herangezogen. 

Stephen  Heller  lernte  die  neue  Sinfonie  Berlioz'  bald 
nach  ihrer  Entstehung  im  Manuskript  kennen  und  be- 
richtete  dartiber  an  die  Zeitschrift  Robert  Schumanns*}. 
Dieser  Bericht  ist  noch  heute  wichtig,  weil  er  iiber  die 
erste  Fassung  der  Sinfonie  Mitteilung  gibt.  Unter  den 
Abweichungen,  die  sie  von  der  verdfifentlichten  Form 
unterscheiden,  tritt  als  eine  der  wesentlicheren  der  Um- 
stand  hervor,  daO  zum  Beginn  der  zweiten  Abteilung  die 
mit  der  Nummer  6  einsetzt,  friiher  nocbmals  ein  Prolog 
gesungen  wurde. 

Fiir  diese  sechste  Nummer,  die  Jnliens  6e- 
gr&bnis  bringt  —  Convoi  fun^bre  de  Jaliette  — ,  ist  kein 
Prolog  and  keine  Erlftutemng  n5tig.  Denn  es  ist  ein  ein- 
facher  Satz  (Andante  non  troppo  lento,  C)  Emoll),  ein 
Trauermarsch,  wie  wir  ihn  hier  erwarten,  nnr  mit  der  Be- 
sonderheit,  dafi  das  ansdrucksreiche  Hanptthema 


rTTTp  J I 


in  Form  einer  Fuge  durchgefQhrt  wird.  Die  Singstimmen 
psalmodieren  dazu  auf  einem  and  demselben  Ton  e,  Ber- 
lioz hat  denselben  and  einen  &hnlichen  Kanstgriff  in 
seinen  Trojanern  und  im  Offertorium  seines  Requiems 

*)  Neue  Zeitschrift  fOr  Musik,  XI,  a  102. 


— ^    381    «^ 

mit  grofiem  Gliick  znm  Ausdnick  ftufierster  Niederge- 
schlagenheit  yerwendet.  Besonders  sch5n  ist  der  zweite 
Teil  der  Nummer,  der  sich  nach  E  dar  we^ndet  nnd  Ghor 
und  Orchester  die  Rollen  tanschen  IslOt. 

In  hohem  Grad  einer  Erl&uterang  durch  Prolog  oder 
eine  sonstige  authentische  Willens&ufierang  des  Kompo- 
nisten  ist  dagegen  die  folgende  siebente  Nummer  der 
Sinfonie,  die  Grabszene,  bedUrftig.  Berlioz  hat  das 
selbst  gefUhlt.  Er  schickt  in  der  Partitur  eine  Bemer- 
kuDg  Yorans,  worin  er  den  Dirigenten  erm&chtigt,  den 
Satz  zu  iiberspringen.  Mit  den  Worten:  »Le  public 
n^a  pas  d'imagination«  w&lzt  er  die  Schuld  von  sich 
auf  den  unschuldigen  Teil:  Das  Publikum,  die  Zuh5rer- 
schaft  kann  diesen  Satz  nicht  verstehen  und  wenn 
neue  Erkl&rer*}  seinen  Schwierigkeiten  gegeniiber  mah- 
nen,  sich  den  f&nften  Akt  von  Shakespeares  Drama 
lebhaft  zu  vergegenw§.rtigen ,  so  empfehlen  sie  ein  un- 
zureichendes  Mittel.  Berlioz  gibt  als  Inhalt  unsrer  sie- 
benten  Nummer  an: 

Romeo  an  tombeau  des  Gapnlets;  Invocation,  Reveil  de 
Jnliette,  Joie  delirante,  dtfsespoir,  dernldres  angoisses  et  moit 
des  deux  amants  (Anrnfang  und  Erwachen  Jnliens,  Entziicken 
und  Freud  e,  Y erzweif lung ,  letzte  Not  und  Tod  der  beiden 
Liebenden). 

Daraus  ergibt  sich,  daO  er  die  Ereignisse  voUstSlndig 
umgedichtet  hat.  Bei  Shakespeare  ist  Romeo  gestorbeu, 
ehe  Julia  erwacht ;  wohl  bei  Bellini,  aber  nicht  bei  Shake- 
speare gibt  es  Wiedersehn,  AnlaO  zur  Freude  und  gemein- 
samen  Tod.  Der  Zuhorer  muB  sich  also  in  der  Kompo- 
sition  durch  Raten  zurecht  zu  fin  den  suchen;  sie  ist  keine 
gute  Programmusik,  sondern  Theatermusik,  die  nur  den 
Augen  will  sehen  helfen,  sie  ist  ein  an  dieser  Stelle  ver- 
fehltes  Kunstwerk. 

Der  Satz  (Allegro  agitato  e  disperato,  (^,  Emoll]  be- 
ginnt  mit  hastigen  Figuren 

*)  F.  Weingartner  in  Allgemeine  MusikaliBche  Zeitung, 
Jahrg.  1893,  S.  123. 


— fr    382    •^ 

..a  Jem  . 

y  ^J  JJ  l],J  J*'»  J  J  J I  JjtJ  J'^'^lljjj  1 

die  in  einem  karzen  Satz 
das  Bild  geben,  als  wenn 
ein  Mensch  atemlos  ge- 
rannt    kommt:    Romeo,    den   die   schlimme   Nachricht 
von  Joliens  Tod   aus  dem  Mantuaner  Exil  vertheben 
hat,  eilt  an   die  Pforte  des  Grabes.    In  langen  Noten 
f  [         I    1 1  I   11  I    L  ^  "^^   Snfierste  Kraft  ge- 

ji~    J^*^    ^JfiJ^J^   sammelt    >DieNachtund 
EP       "^    X  mein  Gemtlt  sind  wfttend 

wild,  viel  grimm^ger  und  viel  unerbittlicher  als  dnrst^ge 
Tiger  und  die  wUste  See«  so  lauten  die  Worte,  mit 
denen  Romeo  bei  Shakespeare  (V,  3)  die  TQre  des  Ge- 
wolbes  —  >die  morschen  Kief  em  des  Schlnndesc  —  er- 
bricht.  Dumpf,  tief  and  schauerlich  schlagen  die  Po- 
saunen,  ein  Horn  dazn,  darch  Fermaten  gefesselte  Ak- 
korde  an.  Dann  folgt  die  Invokation,  ein  l&ngrer  Satz 
(Largo,  is/s,  Gismoll),  in  dem  Romeo  in  feierlichen  nnd 
wehmfttigen  Melodien  zn  der  tot  geglanbten  Geliebten 
spricht.  Als  sie  znm  SchlaO  kommen,  geraten  sie  ins 
Stocken.  Chromatische  Figuren  in  den  Cellis  denten 
auf  aufierordentliche  Vorg&nge.    Die  Klarinette  setzt  ein: 

1  *  ft.       '^^ L.^^^E?^       ^      Wer    kennt 

*¥ltff  r'  D  ^  M    M   ^P   l"   P  r    »i  diese Motive 
"^  PPPP  -*==  =^  nicht      nnd 

denkt  bei  ihnen  nicht  an  den  Anfang  der  Gartenszene? 
Nun  kommt  das  voile  Them  a.  Julie  ist  erwacht,  sie 
lebt,  und  ihr  erster  Gedanke  ist  wieder:  ihre  Liebe,  ihr 
Romeo!  Das  Orchester  stUrmt  voU  wie  in  der  Ballszene 
im  Freudenrausch  dahin,  eigentlich  ohne  Melodie  und  ohne 
Rhythmus, 

Allegro  vlTEce  ed  cppasflonAto. 

ziigellos,  elementar  in  Empfindung  und  Form.  Lange 
klingt  die  Stelle  wie  ein  grotesker,  riesiger  Triller.   Dann 


^^    383    ^^ 

vernehmen  wir  in  den  Motiven  Reminiszenzen  an  die 
Gartenszene,  an  ihre  sch5nsten  Them  en;  aber  in  derun- 
glanblichsten  Extase  und  Beschleunigung.  Dazn  unheim- 
Hche  Dissoilanzen !  Der  Qberspannte  Bogen  mnfi  brechen, 
das  UnglOck  ist  in  der  Nahe.  In  dem  reifienden  Strom 
dieser  Musiklava  entstefat  Stocknng,  Verwirrung:  Romeos 
Rezitativ  ans  der  Gartenszene  klingt  nochmals  krampf- 
haft  und  unnatUrlich  an,  von  h&rtesten  Schl&gen  des 
Orchesters  begleitet,  das  e  ans  dem  Leichenbeg&ngnis 
(Nr.  6)  l&Bt  sich  hdren:  Romeo  sUrbt  Bald,  mitten 
heraus  ans  der  Seligkeit,  in  der  sie  befangen,  folgt  seine 
Jnlie  ihm  im  Tode  nach.  Innerhalb  einer  Minute  gings 
ans  hdchstem  Gliick  in  die  Vemichtung.  Nnr  eine 
einzige  Oboe  hSJt  an  der  verddeten  Stelle  noch  Stand, 
wo  eben  noch  das  yolle  Orchester  wie  fQr  eine  Ewigkeit 
aufspielte. 

Die  achte  Nnmmer,  das  Finale  der  Sinfonie,  hat  die 
Cberschrift: 

La  fonte  accoart  an  cimetidre,  Rixe  des  CaptiletB  et  Mon- 
tagues, Recitatif  et  air  dn  P^re  Lanrence,  serment  de  recon- 
ciliation (Die  Menge  eilt  znm  Kirchbof,  Streit  der  Gapnlets  nnd 
Montecbi,  Rezitativ  nnd  Gesang  des  Pater  Lorenzo,  Versdbnnngs- 
schwar). 

Sie  beginnt  mit  einem  Allegro  vivace,  C/,  A  moll,  das 
dramatisch  lebendig  die  Erregung  der  herbeieilenden 
Volksmassen  schildert  und  viel  Natur-  und  Herzenston 
enthSit.  Besonders  der  SchluB,  wo  das  Tempo  doppelt 
so  langsam  wird  als  es  war,  ergreift  m&chtig.  Dann 
tritt  der  Pater  Lorenzo  anf  und  bem&chiigt  sich  mit 
Erkl&rungen  und  Ermahnungen  des  Worts,  fiir  seine 
salbungsvolle  Weise  immer  noch  etwas  allzu  lange*). 
Als  die  Parteien  wieder  aneinander  geraten,  wieder- 
holt  Berlioz  die  Fugenmusik  aus  der  Introdaktion  der 
Sinfonie,  diesmal  mit  Text  >Mais  notre  sang  rougit  etc.* 
(>Doch  unser  Blat  etc.<).    Dem  Pater  gelingt  es  zu  be' 

*)  Berlioz  bat  die  Reden  des  Paters,  lant  Memoiren,  be- 
dentend  gekurzt. 


«^    384    %^ 

ruhigen,  zn  rtlhren.  So  gelangen  wir  ganz  in  dem  Stil 
der  grofien  franzfisischen  Oper  and  mit  mancher  hiib- 
schen,  aaf  Berlioz  persdnlich  weisenden  Wen  dung  zum 
SchluB-  und  Tmmpfsttick  dieses  Finale :  dem  Serment, 
der  Schworszene,  die  ihrer  musikalischen  Natur  nach 
ein  Geschenk  Meyerbeers  an  das  Haupt  der  franz5sischen 
Instrumentalkomposition  sein  k5nnte.  Wer  mit  Grund 
das  Werk  lieben  gelernt  hat,  bedanert,  daB  es  nicht  selb- 
st&ndiger  und  in  einem  poetischeren  Stile  endet. 

Der  Komponist  selbst  hat  seiner  dramatischen  Sin- 
fonie  nur  eine  Ausnahmestellung  im  Konzertsaal  zuge- 
traut.  Ihre  Schwierigkeiten,  sagt  er  in  den  Mem  o  ire  n, 
sind  so  groB,  daB  die  Ausfiihrenden  das  Werk  auswendig 
kdnnen  miissen.  Als  sie  in  Petersburg  ausgezeichnet  geht, 
trObt  ihm  der  Gedanke  die  Freude,  daB  sie  fiir  London 
doch  unmdglich  sei.  Er  hat  sie  aber  schlieBlich  auch  in 
London  dirigiert,  und  im  Laufe  der  groBen  Berliozbewe- 
gung,  die  sich  in  den  siebziger  Jahren  erhob,  ist  sie  erst 
in  Brucbstiicken,  dann  mehr  und  mehr  in  ihrer  Vollst&n- 
digkeit  bekannt  geworden.  Damit  im  Einklang  mehren 
sich  in  neuester  Zeit  die  Sinfonien,  die  nach  dem  Vor- 
bild  von  Romeo  und  Julie  Instrumentalstiicke  und  Ge- 
sangsnummern  mischen.  Lange  Zeit  stand  Fel.  David 
und  seine  >Wliste<  mit  dieser  Nachfolge  allein.  Heute 
ist  sie  mit  weitren  Sinfonien  von  F.  Liszt,  Nicod^, 
A.  Samuel,  Mahler,  Huber,  v.  Hausegger  n.  a.  ver- 
treten. 

Es  war  mehr  als  bloBer  Zufall,  daB  der  jCingste  Vor- 
stoB  der  Programmusik  von  Frankreich  ausging.  Die  Zu- 
taten  und  Anderungen,  die  das  Geb&ude  der  Beethoven- 
schen  Sinfonie  hierbei  durch  Berlioz  erfuhr,  lassen  im 
letzten  Grunde  den  EinfluB  der  Traditionen  Ra means 
doch  deutlich  erkennen.  Indessen  erkanute  ihn  niemand. 
Berlioz*  Programmsinfonien  trugen  in  ihren  dichterischen 
Wendungen  sehr  stark,  in  ihren  musikalischen  Mitteln 
immer  noch  erkennbar  franzdsisch-nationalen  Charakter; 
die  Franzosen  wuBten  es  ihm  keinen  Dank.  Auch  im 
Ausland  fanden  sie  mehr  Widerspruch  als  Erfolg.    Vor 


— <►    386    ^^ 

allem  blieb  die  Schnle  und  der  produktiye  Anhang  aus, 
der  jeder  neuen  Richtung  unentbehrlich  ist.  Spohr  war 
fiir  Jahrzehnte  der  einzige  enropfiische  Sinfoniker,  der 
mittat.  Aber  er  vermied  sowobl  die  Stoffe,  wie  die  musi- 
kaliscben  Mittel,  welche  fUr  die  Berliozsche  Epoche  die 
charakteristiscben  sind.  Da  trat  endlich  in  den  fiinfziger 
Jabren  Franz  Liszt  mit  der  gr5Bten  Entschiedenheit  ftir 
die  geHlbrdete  Sacbe  ein. 

Liszt  ging  aber  Uber  seinen  Vorgftnger  wesentlich 
hinaus  and  ordnete  dem  Programm  aacb  die  Formen  der 
Komposition  voUstHndig  nnter.  Seine  Sinfonien  sind  drei- 
s&tzig,  zweisatzigy  eins^tzig,  je  nacbdem;  die  dicbterische 
Idee  bestimmt  den' mnsikaliscben  Plan.  In  dieser  Freibeit, 
in  der  KQbnbeit  and  Sicberbeit,  mit  welcber  die  Grand- 
linien  des  Formenbaaes  entworfen  and  darcbgefobrt  sind, 
bilden  die  Listzscben  Sinfonien  Originalleistangen  and 
repr^sentieren  eine  geistige  Kraft  und  ein  kiinstleriscbes 
Gestaltangsvermogen  von  aaBerordentlicber  Stftrke.  Nach 
diesen  formellen  Seiten  liegt  ihre  gescbicbtlicbe  Bedea- 
tnng.  Liszts  Sinfonien  fubren  die  von  Berlioz  gegebene 
Anregung  zu  einer  vollen  Reform  ans,  and  brecben  die 
Alleinberrscbaft  des  Haydn  -  Beetbovenscben  Systems. 
Berlioz  trat  fQr  die  Deutlicbkeit  des  poetiscben  Inbalts  ■ 
und  des  Zusammenbangs  der  S&tze  ein;  Liszt  erweiterte 
diese  Forderungen  mit  der  dritten:  Freibeit  des  Formen- 
baaes! WobI  verstanden:  Freibeit,  kiinstleriscbe  Frei- 
beit, nicbt  etwa  Anarcbie  und  Formlosigkeit! 

Aucb  den  internen  musikaliscben  Stil  der  Lisztscben 
Musik  bat  vielfacb  die  Forderung  bestimmt,  daj3  Ausdruck 
and  Darstellung  in  erster  Linie  cbarakteristiscb  and  an- 
scbaulich  sein  miissen,  and  eine  groBe  Reibe  seiner 
Eigentumlicbkeiten  sind  aus  der  Treue  gegen  das  Prinzip 
bervorgegangen.  Dabin  geboren  die  bei  ibm  nocb  zahl- 
reicber  als  bei  Berlipz  bervortretenden  Stellen,  wo  bloOe 
Klangpb&nomene,  rein  akkordiscbe,  instrumentale,  dyna- 
miscbe  and  andere  naturaliscbe  Bildungen  die  Tr&ger 
der  musikaliscben  Entwickelong  bilden.  Dabin  gebdren 
spezifiscbe    Eigenbeiten    der    Lisztscben   Rbetorik:    ibr 

£retx8ohmar,  FQhrer.    ^  L  25 


— ^    386    *^ 

Heichtnm  an  Interjektionen,  an  Aosnifangszeichen  nnd 
Gedankenstrichen ,  an  pathetisch  fortschreitenden  Se- 
quenzen  und  anderen  primitiven  Ausdrucksmitteln  der 
znusikalischen  Deklamation,  wie  sie  Liszt  namentlich  in 
den  Momenten  der  Extase  gem  verwendet 

Andere  Erscheinnngen  des  Stils  mtlssen  anf  die  Natur 
und  die  Schranken  der  musikalischen  Begabung  Liszts 
zuriickgefiihrt  werden:  der  yorwiegend  eklektische  Cha- 
rakter  seiner  Melodik,  seine  Abh&ngigkeit  yon  cbroma- 
tiscben  G&ngen,  melodischen  Ausnabmsinteryallen  und 
anderen  Reizmittein  des  Ansd|;ucks,  die  zu  stebenden 
Formein  verbraucbt  werden;  endlicb  der  grSBere  Teil 
jener  Satzbildungen ,  in  denen  Perioden  und  gr56ere 
Redeteile  durcb  nnaufbdrlicbe  Wiederbolungen  und  blofie 
Transposition  des  ersten  Gliedes  entwickelt  werden.  Es 
kommt  zu  diesen  Eigenheiten  aucb  nocb  der  Umstand, 
daG  einzelne  Kompositionen  Liszts  augenscheinlich  sebr 
flQcbtig  bingeworfen  sind.  Aber  eine  aufierordentlicbe 
Gabe,  mit  wenigen  Stricben  einen  Gharakter  zu  zeichnen, 
leucbtet  aucb  nocb  aus  den  scbw&cbsten  unter  seinen 
Orcbesterwerken.  Die  Mebrzahl  yon  alien  fesselt  durcb 
den  Geist  und  die  Hingabe,  welcbe  sicb  in  der  Haltung 
des  Ganzen  aussprecben,  durcb  die  W&nne  des  Aus- 
drucks,  die  Macbt  der  poetiscben  Anscbauung,  welcbe 
einzelne  Stellen  belebt,  durcb  eine  Reibe  scb5ner  Mo- 
mente,  deren  Genialit&t  selbst  yom  Standpunkte  des  ab- 
soluten  Musikgenusses  nicbt  geleugnet  werden  kann.  DaO 
aber  Liszt,  ftbnlicb  wie  dies  Gluck  seinerzeit  bei  der 
Opernkomposition  getan,  auf  diesen  absolut  musikaliscben 
Standpunkt  bei  seinen  Programmsinfonien  yerzicbtet,  soil 
der  Zubdrer  nie  yergessen  und  dem  Komponisten  mit 
einiger  Gutwilligkeit  —  den  poetiscben  Gegenstand  der 
musikalischen  Scbilderung  fest  im  Kopfe!  —  entgegen- 
kommen.  In  diesem  Falle  wird  man,  wie  es  beabsicbtigt 
ist,  die  Formen  und  den  Ideengang  der  Lisztscben  Or- 
chesterkompositionen  leicbter  linden,  als  die  anderer  pro- 
grammloser  Sinfonien,  and  ibnen  Anregung  and  Genufi 
verdanken. 


—*»    387    ♦— 

Die  Lisztschen  Orchesterwerke  umfassen  —  auBer 
einigen  Bagatellen  —  2  Sinfonien  und  12  sogenannte 
sinfonische  Dichtungen.  Unter  den  beiden  Sinfonien  ist 
die  im  Jahre  1856  geschriebene  Faustsinfonie  (nach 
Goethe),  die  durch  die  Menge  der  Ideen  nnd  durch  die 
Kunst,  mit  welcher  sie  entwickelt  sind,  hervorragendere. 
Sie  ist  in  drei  S&tzen  gehalten,  welche  Liszt  >Gi  arakter- 
bilder«  nennt,  womit  also  ein  Anschlufi  an  den  szenischen 
Verlanf  der  Goeiheschen  Dichtnng  von  vornherein  abge- 
wiesen  wird.  Hierin  verfllhrt  Liszt  angleich  mehr  musi-  , 
kalisch,  als  Berlioz  in  >Romeo  und  Juliec. 

Der  erste  Satz  (Lento  and  Allegro,  C*  ^i  ^Ui  Cdur  F.Liszt, 
nnd  Cmoll)  gilt  der  Hanptfigur  des Gedichtes,  dem  >Faust€. Fanst-Sinfonie. 
W^hrend  die  Normalsinfonie  zwei  Themen  im  ersten  Satz 
aufstellt,  bringt  Liszt  hier  vier,  die  die  hervortretendsten 
Ziige  der  Faustnatur  veranschaalichen  wollen:  das  grti- 
belnde,  melancholisch-dHmonische  Element,  das  Ringeu 
nnd  Streben,  das  Liebessehnen,  die  heroisch  tatenfrobe 
Seite  seines  Wesens.  Das  erste,  Zweifel,  Gram,  Gefiihl 
der  Ode  ausdriickend: 

Lento. 


^  bemht  in  seiner  vorderen  H&lfte  auf 

L  '^■*B  I^P^H  ^  ^  1  ^®™  iibermafiigen  Dreiklang.  GewiB 
If  doienie  T  =*  jg^  dieser  bis  dahin  noch  niemals  in 
^nlicber  Weise  fdr  ein  Sinfonieihema  verwendet  wordeu 
nnd  hatbei  den  ersten  Auf fiihrun gen  des  Lisztschen  Werkes 
ungewdhnliches  Staunen  erregt.  Aber  um  auf  den  Uber- 
spannten  Zug  in  Fausts  Geist  hinzuweisen,  war  das  Mittel 
glticklich  gewM.hlt.  Das  Tbema  findet  seine  nachste  Fort- 
setzung  in  einerReihe  kleiner,freier  MonoIoge,die  zwischen 
den  BlS.sern  wechselnd,  die  &u6erste  Niedergeschlagen- 
heit  aussprechen.  Im  11.  Takte:  Stocken,  Fermate!  Darauf 
repetiert  der  Satz  von  G  aus  und  tritt  dann  in  ein  wildes 
Allegro  (Cf  '/4)  V4)  ube^t  in  welchem  die  Rlagen  des 
Hauplmotivs  von  den  Flammen  der  Verzweiflung  und 
Emporung  umlodert  erscheinen.    Bereits  hier  wird  eine 

26* 


388 


Schwierigkeit  sehr  bemerkbar,  die  der  H5rer  im  ganzea 
Verlauf  der  Sinfonie  immer  wieder  zn  tiberwinden  hat 
Das  ist  die  metrische  Mannigfaltigkeit  der  Mosik.  Es 
findet  fortw&hrend  Wechsel  von  Takt  und  Rhythmus 
stall.  Wer  zu  schlafen,  zn  tr&amen  und  nor  ftuBerlich 
zu  h5ren  gew5hntist,  erh&lt  harte  St5Be;  nor  milleben- 
diger  Phantasie  und  regem  Geist  erwirbt  man  sich  den 
GenuB  an  diesem  Kunstwerk!  Das  zweite  Thema,  das 
von  der  ausgefdhrten  Gruppe  des  ersten  durch  ein  kurzes 
Lento  getrennt  wird,  ist  weniger  original  als  das  erste, 
erinnert  an  Spohrsche  und  Schumannsche  Weisen;  aber 
wirkt  an  seiner  Stelle  warm  und  edel.  £s  repr&sentiert 
lebenswilligere  Elemente  der  Faustnatur:  Ringen,  Streben, 
Hoffen.  Das  Hauptglied  seines  technischen  Organismus 
bilden  die  folgenden  Takte: 

Allegro  ai^tato. 


vioi; 


Am  Schlusse  des  Satzes,  der  dieses  Thema  entwickelt^ 
wird  die  Stimmung  wieder  trostlos:  die  Bl&ser  klagen 
und  bitten: 


Es  folgt  eine  kurze  Episode  (Meno  mosso,  6/4 


und  V4> 

traumhaft  phantastischen  Gharakters,  in  welcher  schatten- 
haf te  Figuren  (Violini  con  sordini}  das  erste  Thema  fliichtig 
umschweben.  Wie  eine  freundliche  Vision  erscheint  nun, 
eingeleitet  durch  eine  Art  Rezitativ,  in  dem  Gello  und 
Violine  leidenschaftlich  die  SchluBnoten  vom  ersten  Thema 
austauschen,  als  drittes  Thema  eine  Melodie,  aus  den 
beiden  letzten  Takten  vom  Thema  a  entwickelt,  weiche 
dem  schwilrmerischen  Zuge  im  Faust,  seinem  Sehnen 
und  Lieben  gilt: 


BraiMkM 


389 


mi» 


Sie  setzt  im  neuen  Tempo  ein,  wechselt  die  Taktarten, 
schliefit  nicht  streng  ab  nnd  yeranschaulicht  damit  aaf 
einmal  die  ganze  Reihe  Freiheiten  der  Gestaltung,  in 
denen  Liszt  zum  Zweck  einer  lebendigen,  dramatischen 
DarsteUnng  vom  Ublichen  Gange  abweicht  Man  wird 
dieses  Thema  auch  im  zweiten  und  im  dritten  Teile  der 
Sinfonie  wiederfinden.  £s  bildet  eins  der  wichtigsten 
»Leitmotive<  des  Werkes,  deren  Prinzip  Liszt,  wie  scbon 
angedeutet,  yon  Berlioz  Ubemommen  hat  Faust  trennt 
sich  von  dem  begltickenden  Bilde,  wie  vom  Freuden- 
rausche  ergriffen;  die  Energie  erwacht  wieder  (Allegro 
con  fnoco,  dem  das  Sechzehntelmotiv  vom  Thema  b  zu 
Ornnde  liegt),  Tatkraft  und  Stolz  regen  sich  und  finden 
ihren  Ausdruck  in  dem  spannend  eingeleiteten  vierten 
Thema: 


Orandioso 


Wer  die  Yorzeichnungen  der  hier  mitgeteilten  Themen 
ansieht,  kann  nicht  im  Zweifel  sein,  daB  Liszt  so  wie 
mit  der  Metrik  auch  mit  der  Harmonik  von  allem  Her- 
kommen  abweicht.  In  G  begann  die  Themengruppe;  mit 
dem  hier  zuletzt  gebrachten  vierten  Glied  schlieBt  sie  in 
Hdur.  Wir  treten  nun  in  den  Durchfiihrungsteil  ein. 
Denn  der  erste  Satz  der  Faustsinfonie  ha.lt  an  der  tlb- 
lichen  Gliederung  in  Themengruppe,  Durchftihrung,  Re- 
prise fest.  Diese  DurchfQhrung  beginnt  mit  einer  {Com- 
bination des  vierten  und  dritten  Themas,  das  letztere 
allerdings  in  Moll  und  Leidenschaft  verwandelt;  dann 
folgt  ein  zweiter  Abschnitt,  der  erstes  und  zweites  Thema 
gegeneinander  stellt,  von  jenem  durch  einen  Obergangs- 
satz  heftigen  Charakters  getrennt    Der  dritte  Abschnilt 


—^    390    «-- 

der  Durchfiihrang  zeigt,  dalB  das  zweite  Thema  allein  zar 
Herrschaft  gelangt,  aber  mit  einem  Zusatz  von  Erregung 
and  Wildheit,  der  die  Physiognomie,  mit  der  es  in  der 
Themengruppe  auftritt,  voUst&ndig  &ndert.  Sehr  natiir- 
lich  und  folgerichtig  ftlhrt  diese  Wendung  in  die  Reprise 
hinCkber.  Das  erste  Thema,  als  hdcbster  Ausdruck  von 
Fausts  Seelenleid,  kebrt  wieder  and  mit  ihm  die  ganze 
Themengrappe,  aber  mit  Modifikationen,  welche  als  die 
moraliscben  Wirknngen  des  Thema  e)  aufzufassen  sind: 
Die  Liebe  hat  Fansts  Wesen  verwandelt 

Das  Verh&ltnis  der  drei  Haaptgruppen  des  ersten 
Satzes  weicht  hiernach  in  Liszts'  Faastsinfonie  vom  Her- 
kommen  namentlich  dadarch  ab,  dafi  der  Schwerpunkt 
aas  der  Darchfuhrung  in  die  Reprise  verlegt  ist 

Jene  ist  sehr  knrz  gehalten,  verfolgt  nar  den  Zweck, 
den  RUckfall  von  der  heroischen  Stimmang,  mit  der  die 
Themengrnppe  schloB,  in  die  verzweifelte  des  ersten 
Them  as,  des  An  fangs  des  Gharakterbildes  psycho]  ogisch 
zu  motivieren.  Die  Reprise  aber  ist  nichts  weniger  als 
bloBe  Wiederholung  der  Themengrnppe:  sie  zeigt  ans 
FaUsts  Inneres  noch  einmal,  fiihrt  noch  einmal  die  Ele* 
mente  der  ersten  Hauptgrappe  vorUber,  aber  in  anderer 
Anordnnng,  in  andrem  Charakter,  andren  Verbindangen, 
sie  zeigt  einen  neaen  Fanst.  Mit  dieser  veranderten  Be- 
deatang  der  Reprise  kntipft  Liszt,  durch  ein  musikalisches^ 
poetisches  Naturrecht  bereits  genQgend  gestiitzt,  an  An- 
regnngen  an,  die  Beethoven  namentlich  in  seinen  groOen 
Leonoren-OnvertUren  gegeben  hat. 

Noch  in  zwei  andren  Punkten  weicht  die  Form  dieses 
Lisztschen  Fanstsatzes  von  der  Sinfonik  des  19.  Jahrhan- 
derts  ab:  in  der  BeschrHnkung  der  motivischen  Entwicke- 
Inng  and  in  der  AuBerlichkeit  der  Obergangsideen.  An 
beide  Erscheinungen  haben  seine  Gegner  bis  za  einem 
gewissen  Grad  mit  voUem  Recht  ihre  Bedenken  und  ihren 
Tadel  gekntlpft.  Gegen  eine  sparsamere  Verwendung  rooti- 
vischer  and  thematischer  Arbeit  l&fit  sich  grands&tzlich 
schon  deshalb  wenig  einwenden,  weil  dieses  Erbe  einer 
philosophisch  and  poetisch  sehr  reichen  Zeit  den  geistig 


391 


ftrmeren  Sinfoniekomponisten  yoq  heute  und  ihren  Zu- 
h5rem  in  der  Kegel  Verlegenheit  bereitet. 

Der  zweite  Satz  der  Faustsinfonie  ist  >Gretchen< 
uberschrieben.  Dieser  Gretchensatz  ist  durch  Einzelauf- 
fuhrungen  bekannt  geworden  und  hat  auch  in  denjenigen 
Kreisen  Freunde  gefonden,  welche  der  Natur  und  der 
Form  der  Faustsinfonie,  wie  fiberhaupt  der  ganzen  Liszt- 
schen  Kunst,  apathisch  oder  feindlich  gegenliberstehen. 
Er  verdankt  diesen  Erfolg  der  gleichbleibenden  Freund- 
lichkeit  des  Inhalts  und  der  gewinnenden  Einfachheit, 
mit  der  Gretchens  holde  M&dchengestalt  gezeichnet  ist. 
Dieser  Gretchensatz  (Andante  soave,  HauptzeitmaB:  s/4, 
Asdur)  zeigt  die  auch  bei  langsamen  S&tzen  bekannter- 
maBen  seit  Haydn  tibliche  Dreiteilung,  das  Sonaten- 
schema,  aus  Themengruppe,  DurchfQhrung  und  Reprise 
bestehend.  Ein  kurzes,  tr&umerisch  und  weich  schwar- 
mendes  Pr&ludium  von  Floten  und  Klarinetten  leitet  den 
Satz  ein,  dessen  erstes,  schlichtes  Thema  einen  lieblichen, 
zarten  Charakter  hat: 


Andante 


Beim  ersten  Eintritt  tr&gt  es  die  Oboe  vor:  nur  yon  einer 
Bratsche  begleitet,  ein  Meyerbeerscher  Instrumentations- 
efifekt!  Liszt  hat  aber  diese  dQrftige  seltsame  Begleitung 
aus  innem  Griinden  gew&hlt:  Es  kam  ihm  darauf  an,  die 
Gestalt  Gretchens  zwar  eigen,  aber  ganz  bescheiden  und 
unscheinbar  einzufQhren.  Bei  jeder  Wiederkehr  erscheint 
uns  die  zarte  Melodie  stattlicher  und  bedeutender.  Der 
Zuhorer  hat  sie  zu  merken,  denn  im  Schlufisatz  der  Sin- 
fonie  Ubernimmt  sie  die  poetische  Hauptrolle.  Das  zweite 
Thema: 


ioiee  amerotB 


p\^^ '  .rrrn  I  mTmiJi 


^s^ 


jtoev  crtMC. 


--^    392    ^^ 

dsLS  vom  bernhigten  Gemiit,  vom  heimlichen  sicheren 
LiebesglUck  zu  erzfthlen  scheint,  ist  eine  von  Liszts  ge- 
luDgensten  Melodien.  Eine  sehr  gew&hlte,  durch  nach 
oben  gehende  BaBvorhalte  eigene  und  schdne  Harmonie 
erh5ht  die  Wirkung.  Zwischen  den  beiden  Themen  liegen 
einzelne  frappante  Momente:  ein  Oboeneinsatz  auf  einer 
jahen  Modulation,  als  wenn  in  Gretcben  pldtzlich  der 
Gedanke  an  Faust  .erwachte:  eine  kleine  Episode,  in 
welcher  zuerst  FI5ten  und  Klarinetten,  dann  die  Violinen 
mit,  erst  schUcbtern  und 

leise,  dann  laut  und  stttr-  

miscberregtfUm  die  Motive  *'  '  "•"* 

wie  um  >Er  liebt  micbc  und  >er  liebt  mich  nicbt< 
spielen.  Bald  nachdem  das  zweite  Tbema  verklungen, 
setzt  das  Horn  mit  dem  Liebesgesang  des  ersten  Satzes 
ein  (s.  Tbema  c):  Faust  tritt  auf!  Mit  diesem  Momente 
beginnt  der  zweite  Teil  des  Andante,  verl&uft  aber  sehr 
ungew5hnlich.  An  Stelle  einer  Durcbfubrung  und  Ver- 
arbeitung  der  eben  gebdrten  beiden  Tbemen  bringt  Liszt 
Reminiszenzen  aus  dem  ersten  Satz  der  Faustsinfonie. 
Zu  dem  Liebesthema  treten  die  Klagen  Fausts,  die  Motive 
des  Ringens  und  HofTens  (Tbema  b).  Zum  Teil  erscheint 
die  Musik  als  eine  wunderschdne  Szene  des  Gefiihlsaus- 
tausches,  iiber  welche  der  Instrumentenklang  magisches 
Mondlicbt  leuchten  lS.Ct.  In  Fausts  Seele  wird  es  ruhiger 
und  milder,  seine  diisteren  Gedanken  uberkleidet  ein  heller 
Schimmer;  Jubel  und  Jauchzen  klingen  aus  seiner  Brust. 
Dann  wird  schnell  abgebrochen,  als  wenn  eine  Vision 
pidtzlich  schwindet.  Die  Reprise  setzt  ein,  bringt  das 
erste  Tbema  mit  4  Soloviolinen ,  zitiert  nocbmals  kurz 
das  Liebesthema  und  gebt  Uber  das  zweite  As  dur-Thema 
schnell  zum  SchluB. 

Der  dritte  Satz  fUbrt  den  >Mepbistopbeles«  ein. 
Die  ersten  Takte  entwerfen  kurz  und  meisteriich  das 
Signalement  des  kalten,  frecben,  kecken,  frivolen  Patrons, 
geben  ein  Bild  von  seiner  herausfordemden  Gemeinheit 
ebensowohl  als  von  der  vollendeten  Sicherheit  und 
Leichtigkeit  seines  Auftretens.    Dann  beginnt  die  »Spott- 


— ^    393    ^.- 

geburt«  ihre  Arbeit:  spotten,  yerneinen  und  verhShnen. 
Die  Themen  Fausts  aus  dem  ersten  Satz  werden  ver- 
zerrt,  verrenkt  und  mil  burlesken  SchnSrkeln  veraehen. 
Das  erste  Thema  wird  durch  Tempo  und  angeh&ngte 
Figuren  zur  Fratze  gemacht,  das  zweite  durch  einen 
bissigen  Rhythmus  in  folgende  MiBgestalt  verwandelt: 
Alleg^To  vivace.  Zur  besonderen  Ziel- 

scheibe  seines  maliti- 
J"^  \^  5sen  Humors  hat  sich 
Mephisto,  >der  Geist,  der  stets  verneintc^  das  Liebes- 
motiv  der  Sinfonie  ausersehen.  Er  zerreiBt  es,  wirft  die 
Stucke  hin  und  her,  verfolgt  es  unaufh5rlich,  zieht  ihm 
Narrenkleider  an: 


-^  und  auf  dem  Gipfel  des  Obermutes  angelangt,  jagt 
er  es  endlich  in  einer  regelrechten  Fuge  zu  Tode.  £s 
ist  etwas  d&monisch  FortreiBendes  in  dieser  Schilderung 
der  Mephistofelischen  Lustigkeit,  und  die  Bewunderung, 
die  wir  der  Virtuosit9,t  zollen  miissen,  mit  welcher  Liszt 
die  Themen  der  fruheren  S&tze  umgebildet  hat,  wird  in 
nichts  dadurch  vermindert,  dafi  wir  uns  an  das  Muster 
erinnern,  welches  in  der  Sinfonie  fantasique  von  Berlioz 
hierfiir  bereits  vorlag.  Denn  dieses  Muster  hat  Liszt  be- 
trfichtlich  iiberboten.  Hier  ist  die  motivische  Arbeit,  auf 
die  im  ersten  Satz  verzichtet  wurde,  glftnzend  und  in 
neuer  Weise  geleistet  Es  kommen  aber  in  diesem  Finale 
der  Faustsinfonie  auch  Momente  vor,  welche  liber  ein 
Gharakterbild  Mephistos  im  engeren  Sinne  hinausgeben 
und  an  den  Verlauf  der  Goetheschen  Dichtung  ankntipfen: 
Mitten  in  den  wildesten  Exzessen  der  Hdllenmusik  ertonen 
feierliche  und  dumpfe  Kl&nge,  die  an  Grab  und  Geister- 
welt  erinnem.  Die  erste  Mahnung  dieser  Art  erklingt, 
nachdem  wie  unter  HohngelSlchter  Fausts  erstes  Thema 


-— fr    394    «^ 

(mit  dem  Uberm&Cigen  Dreiklang)  voriibergezogen  ist,  ernst 
und  schwer  unter  Paukenbegleitung  von  den  Bl&sern  her. 
Sie  kehrt  so  fort  wieder,  als  die  Bratschen  jenes  oben  ge- 
gebene  Fugenthema  eingesetzt  haben,  die  warnenden  und 
drohenden  Stimmen  lassen  sich  dann  w&hrend  der  Ver- 
spottung  von  Fansts  heroiscbem  Thema  breiter  und 
schauerlicher  vernehmen  (Gestopfte  H5rner!).  In  seiner 
»Hunnenschlachtc,  wo  ein  S.hnlicher  Geisterkampf  ge- 
schildert  wird,  behandelt  Liszt  beide  Parteien  gleichmaBig 
breit.  Hier  stebt  nur  Mephisto  in  voUer  Tageshelle  auf 
dem  Bild;  die  Himmelsm&chte  stecken  gewissermaGen 
in  den  Wolken,  aber  fiir  jeden,  der  den  Komponisten 
iiberhaupt  verstehen  will,  deutlich  sichtbar.  Den  Sieg 
entscheidet  schlieBlich  Gretchens  blasses  Bild.  Im  Haupt- 
thema  des  zweiten  Satzes  scbwebt  es  heran  ntfd  wird 
nacb  einem  Ian  gen  letzten  Ansturm,  in  dem  die  gesamte 
Teufelsmusik  noch  einmal  durchgenommen  wird,  zum 
Zauberschild,  vor  welchem  Mephisto  das  Feld  rd.umt: 
Die  Musik  geht  in  ruhigen  Orgelton  Uber,  ein  M&nner- 
chor  tritt  auf  und  deklamiert  in  der  alten  knappen  Weise 
der  friihcbristlichen  Psalmodie  »Alles  Verg&nghche  etc.«: 
Der  Solotenor  flicbt  in  diese  einfach  weihevoUen,  kirch- 
lichen  Klfinge  zum  letztenmale  Gretchenmotive  hineiu, 
und  so  klingt  das  Werk  mit  einer  mystisch  verklarten 
Wendung  aus. 
F. Liszt,  Liszts  im  Jahre  1856  voUendete   Dante-Sinfonie 

Oante-Sinfonie.  hat  nur  zwei  Abtheilungen:  Inferno  und  Purgatorio,  Na- 
men,  die  uns  in  Phantasiegebiete  fiihren,  welche  die  Musik, 
in  erster  Linie  die  kirchliche,  seit  alten  Zeiten  oft  genug 
aufgesucht  bat.  Gegen  einen  urspriinglich  geplanten 
dritten  Teil:  »Paradies<  sprach  R.  Wagner  im  Juni  1855 
lebhafte  Bedenken  aus*].  DaG  Liszt  in  seiner  Schilderung 
von  Hdlle  und  Fegefeuer  der  Divina  Comedia  Dantes  folgt, 
wird  aus  einzelnen  Ziigen  des  ersten  Satzes  bemerkbar. 
namentlich  durch  die  siifie  Szene,  welche  derErscheinung 

*)  Brief wechsel  zwischen  Wagner  und  Liszt  (1887),  I.  Band. 
S.  78. 


395 


des  klassischen  Liebespaares,  Franzeska  und  Paolo,  ge« 
widmet  ist.  Keineswegs  aber  versucht  der  Komponist  die 
ganze  Pragmatik  der  Dichtung  ins  Mnsikalische  zu  tLber- 
tragen  UDd  den  Dichter  auf  alien  G&ngen  zu  begleiten, 
sondern  bescbr&nkt  sich,  wie  in  der  Mehrzabl  seiner  Pro- 
grammkompositionen,  anch  bier  darauf,  wenige  hervor- 
ragende  Ideen,  solche,  die  musikalisch  fafibar  sind, 
nachzndicbten  and  denjenigen  Teil  ibrer  Seele  blofi- 
zulegen,  welcben  die  Tone  voller  und  mftcbtiger  wieder- 
geben  k5nnen  als  die  Worte.  Das  Inferno  trUgt  eine 
Art  mnsikaliscbe  Gberschrift:  eine  wucbtige  Melodie  der 
Blasinstrnmente,  Lento. 
die  das  bier 
stebende  Tbema 
unter  unbeimlicber  Begleitung  von  Paukenwirkel  und 
Tamtamscbl&gen  in  dreimaligem  Anlauf  b5ber  und  b5ber 
tragen.  Diese  Melodie  soU  uns  die  Worte  vor  die  Pban- 
tasie  rufen,  die  fiber  Dantes  Hdilentor  steben:  >Per  me 
si  va  nella  citt&  dolente  etc.c  Das  beriibmte  >Lasciate 
ogni  speranza  etc.«,  von  Trompeten  und  Hornem  in  dem 
bekannten  Stile  der  Opernorakel  und  Geistererscbeinungen 
bingescbmettert,  bildet  ibren  AbscbluB: 

Lento.. 


Der  nun  folgende  erste  Teil  gilt  der  Scbilderung  der 
Holle,  ibrer  Scbrecken  und  Scbauer,  und  bestreitet  diese 
Aufgabe  mit  dem  Aufgebot  aller  dilsteren  und  furcbtbaren 
Elemente  der  modernen  Musik :  mit  cbromatiscben  Figuren 
und  Motiven,  mit  freien  Nonenakkorden  und  zusammen- 
geketteten  Dissonanzbarmonien,  mit  einer  bald  zuckenden, 
bald  fieberiscb  hastenden  Rbytbmik,  mit  Instrumenten- 
kombinationen,  die  droben  und  &ngstigen,  mit  alien  Hilfs- 
mitteln  der  Ton  welt  in  ibrer  doppelten  Natur,  als  Kunst 
und  als  Naturerscbeinung.  Den  AbscbluB  dieser  Partie 
bildet  die  erneute  Intonation  des  Tbemas  des  »Lasciate<, 
jetzt  nocb  von  Posaunen  und  Tuben  verstHrkt.  Und  nun  er- 


— 1^    396    ^^ 

klingen  doppelteHarfen,daftig  undleicht  schwebenFigoren 
in  F15ten  und  Violinen  aiif  und  nieder,  die  BaOklarinette 
stimmt  ein  Rezitativ  an:  Klarinetten  und  englisch  Horn 
15sen  sich  mil  schmachtenden  und  wehmiitigenWeisen  ab: 
Das  klassische  Paar  erscheint  in  der  HUUe  eines  msikali- 
schen  Dialoges.  Das  Cello  beginnt  an  einen  kurz  vorher  ge- 

hSrtenZwiege-  (h«i  Andante, 

sang  der  Kla-^ 


SeT  r  .M,^v  i  fiFi  I  i^^r  »r  iff 

lehnend    mit:  *»'<^«  " 

Die  Violinen,  baM  von  den  Bl&sem  unterstiitzt,  antworten: 

Andante  amoroso.  ^  ^US     diesem 

doiaf  —=3=*-      ein      breiler 

Satz,  der  zu  Liszts  schSasten  ErRndangen  zahlt  nnd  an 
Zftrtlichkeit,  Innigkeit  und  W&rme  an  das  Beste  heran- 
reicht,  was  die  moderne  Oper  auf  diesem  Gebiete  auf- 
zuweisen  hat  Das  Thema  des  »Lasciate«  verscheucht 
dieses  liebliche  Bild,  und  die  Greuel  der  H511e  vollfUhren 
einen  zweiten  Reigen.  r 

Wenn  dieser  Satz  im  Totateindruck  Liszt  vorwiegend 
von  der  Seite  des  unerbittlichen  Gharakteristikers  zeigt, 
so  ist  der  Purgatorio  dagegen  eine  Idylle  grdBten  Stils, 
durchaus  anheimelnd  und  mehr  als  das:  auch  erhebend. 
Der  erste  Teil  des  Purgatorio  beginnt  wie  eine  Szene 
auf  der  Bergesh5he:  Leise  sftuselnd  sammeln  sich  belle 
Akkorde  und  umwogen  uns  wie  leichte  Wolken,  anmutig 
sanfte  Melodien,    die   in  Wagners   >Karfreitag8zauber« 

passen  wflrden  und   an  Liszts  ^       Andante.    

eignen  »Orpheus€  erinnem,  wech-  A  J  j  j  j  I  'J  J  J  I  a   I 


seln  mit  einer  religiosen  Weise: 
Mit  Rezitativen  und  einsamen  Violinfiguren  wird  Um- 
schau  gehalten,  nach  dem  Wege  zum  Himmel  gesucht 
und  leise  der  Erde  gedacht,  die  mit  ihren  Leidenscfaaften 
unendlich  weit  abliegt  von  diesem  reinen  Gefilde.  Es 
gibt  kaum  eine  zweite  Orchesterkomposition ,  in  der  ein 
atherisch  verklarter,  aUes  Materielle  abstreifende  Ton  so 


-<^    397    ^^ 

entschieden  festgehalten  wird,  wie  hier.  Das  ergibt  aber 
fur  den  Vortrag  Schwierigkeiten,  die  nor  ganz  selten 
uberwunden  werden.  Diese  scheinbar  so  leicbte  Musik 
verlangt  die  grdndlichsten  Proben  and  voUst&ndiges  gei- 
stiges  Einleben  jedes  Mitspielenden.  Den  zweiten  Teil 
des  Pnrgatorio  bildet  ein  Fngensatz  fiber  folgendes 
Thema: 

Laneatofto. 

a.  ^  Aus  diesem  Fngensatze  klingen  Re- 

■  J)  n  1p  7  ^Jl  :  signation  und  Betrlibnis.    Das  oben 
^  angefUbrte  religi5se  Tbema  scblieBt 

ihn  ab  und  und  leitet  zum  letzten  Abschnitte  des  Pur- 
gatorio  liber:  einem  Chorsatz.  In  ibm  intonieren  Frauen- 
stimmen  das  Magnifikat  und  ffihren  seine  frommen  Themen 
in  einer  einfacbenWeise  durch,  welcbe  sicb  dem  Palestrina- 
stil  n&bert.  Das  Orchester  geht  in  scbimmerden  Kl&ngen 
mit,  bald  zart  und  mystiscb  wie  eine  Aeolsharfe,  bald 
m&chtig  und  in  ruhiger  Pracht  dahinrauschend.  Liszt  hat 
fiir  diesen  ScbluC  zwei  Lesarten  gegeben,  von  denen  die 
erste  leise  ahnungsvoll  verhalt,  die  andere  exstatisch 
und  verziickt  im  Forte  abbricht. 

£s  wird  an  anderer  Stelle*)  auszufUhren  sein,  wie 
Liszt  in  seiner  weitern  Entwicklung  dazu  kam,  die  mehr-  y.-^^  S^ 
sS.tzige  Sinfonie  aufzugeben  und  sicb  ausscblieOlich  dem 
neuen  Typus  der  sogenannten  >sinfonischen  Dichtungenc, 
die  durchaus  eins&tzig  sind,  zuzuwenden.  Im  Inland  und 
Ausland  ist  auf  diesem  Gebiete  Liszts  Gefolgschaft  der- 
art  gewachsen,  dafi  die  mehrsStzige  Programmsinfonie 
dagegen  zuriicktritt. 

Joachim  Raff  ist  der  Tonsetzer,  welcher  sie  nach      J.  Baff, 
Berlioz  und  Liszt  eine  zeitlang  am  erfolgreichsten  ver-  •^™  Waldo*, 
treten  hat.  Es  kommen  hier  unter  seinen  neun  Sinfonien 
die  Sinfonie   >Im   Walde<   (Op.  153)   und  die   >Lenore< 


*)  Im  3.  Band  dieses  Werkes,  der  Konzerte,   Oaverturen, 
Yariationcn  und  andre  eins&tzlge  OrchesteTkompositionen  enthalt. 


--^    398    <»- 

(Op.  177)  als  die  verbreitetsten  in  Betracht.  Raff  hat  in 
beiden  Werken  die  viersfttzige  Gestalt  der  Sinfonie  etwas 
unkenntlich  gemacht,  indem  er  seine  Rompositionen  in 
drei  Abteilungen  gruppiert;  aber  wenn  man  die  einzelnen 
Abteilungen  n&her  priift,  so  fin  del  sich  der  vermiBte  vierte 
Satz  irgendwo  als  blinder  Passagier. 

In  der  W  aid  sinfonie  fiihrt  der  erste  Satz  den 
Titel:  »Am  Tage:  Eindriicke  und  Empfindungen<.  Er  ist 
origineU  eingeleitet  durch  einige  pr&ludierende  Takte,  in 
welchen  die  beiden  Hauptthemen  des  Satzes  verkurzt  ihre 
Schatten  vorauswerfen.  Das  erste  Tbema  setzt  dann  im 
munteren  Wandertone  ein: 

Alleg^ro.  


^  Sein  AbschluB  und  die  Ober- 

|»  ^^  j»  ■  J^  j  J   J    J^  [  ■      leitung  zum  zweiten  Them  a 


i»  dauern  etwas  lange,   dann 

aber  kommt  letzteres  als  ein  echter  Raff: 


^jjt-HVJ-^jMJJ^J '  J  4  I 


Die  Terzenbegleitung  der  Melodie,  No- 

Sr^j  J  y  J  ^  '  nenakkorde  als  harmonische  Stutze  der 
*-Ii^  "  w'  HeT  Hauptpnnkte  gehSren  zum  Signalement 
dieses  Komponisten;  wenn  er  zum  Gemote  sprechen 
will,  kommt  ihm  in  der  Hg,lfte  aller  F&lle  diese  volks- 
artige  Weise  auf  die  Zunge.  Sie  folgt  ihm  wie  eine  Er- 
innerung  aus  Heimat  und  Kinderjahren  und  fehit  fast  in 
keinem  von  Raffs  gr5Beren  Werken.  Die  Anlage  des 
Satzes  ist  die  ftir  ein  erstes  Allegro  der  Sinfonie  iibliche. 
In  der  Durchfuhrung  treten  zu  den  beiden  Hauptthemen 
noch  allerhand  kleine  Waldteufel;  auch  verschiedene 
niedliche  Kunststiicke  (Kanons  etc.)  hat  der  Romponist 
hier  untergebracht,  welche  kaum  jeroand  beachtet.  Die 
schonsten  Stellen  des  Satzes  liegen  abseits 
vom  Hauptwege :  da  wo  das  Orchester  still  <fi  j  I  ^T^ 
den  einfachen  Rufen  des  Horns  lauscht:         4        "•' 


-<^    399    ^^ 

Die  zweite  Abteilung,  betitelt:  >In  der  D^mmerung<, 
bestebt  aus  zwei  S&tzen:  A.  >Trftumerei<,  6.  >Tanz  der 
Dryadenc,  welcbe  dem  Adagio  und  dem  Scberzo  eat- 
sprechen,  wie  wir  sie  sons!  in  der  Sinfonie  zu  finden 
gewohnt  sind.  Raff  bat  sie  dadurch  enger  verbunden, 
da6  er  obne  Pause  in  das  Scherzo  iibergeht  und  an 
dessen  Scblusse  das  Haupttbema  des  langsamen  Satzes 
nocb  einmal  anklingen  IftBt.  In  der  >Tr&umerei<  ist  die 
Fiibrung  einer  Melodie  Ubertragen: 

Adagio. 


i3\  U^.M  0 1 1  jUUJ  '  -LU^  I ^<3i jj  ' 


^     J  an  welcher  man  die  Eunst  bewundern 

jjjh  I J^ J  1  J  kann,  mit  welcber  Raff,  ein  Genie  der 
"^^  :^-i=^  Eklektik,  Beethovensche,  Scbumannsche 
und  Wagnerscbe  Elemente  zusammenzuschmelzen  ver- 
stand.  Der  in  seiner  Wirkung  edle  Gesang  entspringt 
der  Brust  des  Traumers.  Die  Traumbilder  selbst,  welcbe 
sich  diesem  zeigen,  bestehen  aus  leichten  Gaukeleien: 
konzertierenden  Figuren  und  Pbrasen  der  Blaser.  Der 
»Tanz  der  Dryaden*  —  Hauptsatz  A  moll,  Trio  Adur  — 
ist  nicbts  als  ein  Pflicbttanz,  eine  jener  rein  handwerks- 
m&Cigen  Leistungen,  die  den  GenuO  der  Raffs chen  Kom- 
positionen  immer  wieder  erscbweren.  Die  dritte  Ab- 
teilung der  Sinfonie  beiBt:  »Nacbts.  Stilles  Weben  der 
Nacht  im  Walde.  Einzug  und  Auszug  der  wilden 
Jagd  mit  Frau  HoUe  und  Wotan.  Anbruch  des  Tagesc. 
Man  muC  fragen,  wie  kommt  auf  einmal  die  nordische 
Sage  mit  Frau  HoUe  und  Wotan  in  ein  Tonwerk, 
welches  sich  —  unbescbadet  des  Dryadenzitats  —  bis- 
ber  in  der  Sph&re  einer  reinen  Naturdichtung  bewegt 
hat?  Indes  beginnt  der  Satz  zwar  gar  nicht  n&chtlich, 
aber  musikalisch  sebr  ansprechend  mit  einer  Fuge  iiber 
ein  Tbema: 


400 


AUegro.  ^^^^^ 

'^.■,rr|n^fT>l^J|^JMrJl^rl^'^tm-f1^ 


welches  ziemlich  ahnlich  auch  dem  Komponisten  C.  Gold- 
mark  bei  seiner  Sinfonie  »L&ndliche  Hochzeitc  eiDgefallea 
ist.  Aber  dann  Uberkommt  Berlioz*  b5ser  Geist  den 
Tonsetzer  and  auf  Konto  der  »Fraa  Holle«  entfesselt  er 
ein  Spektakelstiick,  das  noch  hUOlicher,  dabei  aber  viel 
gew5hnlicher  und  uninteressanter  ist,  als  die  HoUenszenen 
der  Sinfonie  fantastique  und  die  Orgien  des  Childe  Harold. 
Eine  Coda,  welche  die  Fuge  wieder  aufnimmt  und  leise 
verklingen  l&Ct,  sucht  den  Endeindruck  zu  retten.  Heute 
ist  die  Waldsinfonie  und  der  ganze  Raff  auch  bei  den 
Musikem  im  Rurs  gesunken.  Der  spS.tere  preuBische 
Kultusminister  Bosse  hat  sie  schon  1878  sehr  abfallig 
beurteilt*). 
J. Baff,  Die  Sinfonie  >Lenorec  ist  Raffs  beste  Leistung  auf 

Lenore.  dem  hier  in  Betracht  kommenden  Gebiete:  edel  gedacht, 
frei  von  den  AuswUchsen  einer  Slsthetischen  Halbbildung 
und  musikalisch  das  Beste  zusammenfassend,  was  Raff 
zu  bieten  hatte.  Eine  voile  Originalitat  der  motivischen 
Erfindung,  wie  wir  sie  von  den  Ftlhrern  und  Meistem 
unserer  Kunst  verlangen,  ist  auch  in  der  Leonore  nicht 
zu  fin  den.  Fast  jedes  ihrer  Themen  zeigt  in  einem  Teile, 
zuweilen  in  der  ganzen  ersten  HS.lfle  auf  fremdes  Eigen- 
turn,  hier  sind  Beethovens  Quartette  die  Quelle,  dort  tritt 
uns  Schumanns  Klavierkonzert  entgegen.  Aber  die  ein- 
mal  aufgestellten  Gedanken  sind  in  dieser  Sinfonie  zu- 
weilen mit  dem  Schwung  und  der  Warme  behandelt,  die 
den  groBen  KUnstler  macht,  und  verfiele  nicht  Raff  auch 
hier  hin  und  wieder  in  eine  bequeme,  unausstehliche 
Redseligkeit,  in  das  rein  formelle  »Musikmachenc,  so 
wUrde  die  »Lenorec  geeignet  sein,  den  Namen  ihres 
Schdpfers  bei  der  Nachwelt  zu  verewigen. 

Die  erste  Abteilung  der  Sinfonie  schildert  das  >Lie- 
besgliickc.    Sie  besteht  aus  zwei  selbst&ndigen  S&tzen,  die 

*)  H.  Bosse:   Erinnerangen.     (Grenzboten,  Jabrg.  1904.) 


401 


dem  gewdhnlichen  ersten  Allegro  and  dem  Adagio  in  der 
Sinfonie  entsprechen.  In  dem  Allegro  herrscht  ein  er- 
regter  Geist.  Die  Liebe  redet  in  T5nen  des  Ober- 
schwangs,  in  Themen,  die  kein  Ende  finden  wollen: 


■^  CUr  r  f  I 


_  J,         ^^         Dem  Jubel  und  dem  still  gliicklichen  Sin- 
-t- ^  -£-^"fT^ ^^^  folgen  Szenen,  aus  denen  Sehnsucht 

und    Dankbarkeit    zugleich    sprechen. 


g-H-JT-^^f^^^ 


Einen  der  sch5nsten  Momente  des  Satzes,  einen  Augen- 
bliek  still  stkOen  Erinnerns,  zeichnet  Raft  wieder 
mit  einer  seiner  .- — ^       -^     ♦TTI^    «^ 

volkstamlichen       ^-c=^E^Ji^W=f^rT  ^^tf^ifr^ 
Terzenroelodien:  «* 

In  dem  Durcbfiibrungsteil  dieses  Allegro  lassen  sicb 
KlUnge  banger  Ahnung  boren.  Der  zweite,  der  lang- 
same  Satz  der  ersten  Abteilung  gleicbt  eincm  Gesprach 
der  Liebenden,  beberrscht  von  dem  rabigen  Tone  der 
des  Besitzes  sicberen  Liebe.  Naive,  trauliche,  berzlicbe 
Gedanken,  von  der  Art  wie  das  Hauptthema  beginnt: 
Andant<Llarirhotto.  werden  ausgetauscht;  la- 


^ 


UMargnotto. 


PP 


^ 


^-^X- 
^ 


^3  cbelnd  halt  der  Bnrsche 
^^  dem  Kosen  und  Fliistern 


seines  Mftdcbens  still;  freundlicb  bestimmt  zusprechend, 
bescbwichtigt  er  die  Sorgen  Leonores,  die  in  der  rezitativ- 
artigen  Gis  moll-Episode  des  Satzes  einen  erregten  Aus- 


Kre  tssehmar,  FQhrer.    I,  1. 


26 


— ♦    402    ♦— 

druck  finden.  Die  zweite  Abteilung,  betitelt  >Treimimg<, 
besteht  in  der  Hauptform  ans  einem  Marach,  der  alien 
Zuschnitt  hat  and  in  manchen  Wendungen  direkt  an  den 
•Hohenfriedbergerc  erinnert  Der  Erieg  ist  ausgebrochen: 
Wilhelm  muO  fort  Ein  Mittelsatz  (Agitato  in  Cmoll)  ent- 
h&lt  die  Abschiedsszene  der  Liebenden;  ein  Tonbild  aus 
leidenschaftlichen,  wie  ratios  irrenden  Figoren,  weh- 
mtttig  klagenden  Weisen  nnd  schmerzvollen  Akzenten 
zusammengesetzt  Dann  setzt  der  Marsch  wieder  ein, 
am  Schlnsse  hdrt  man  ihn  wie  ans  der  Feme.  £s  ist 
viel  poetische  Kraft  in  dem  einfachen  Entwnrf  dieser 
zweiten  Abteilang.  Die  dritte  Abteilung  behandelt  die 
»WiederYereinigang  im  Tode<  mit  Grab-  und  Ghoralmnsik, 
in  welche  sinn-  nnd  wirknngsYoli  die  Motive  des  Trennungs- 
marsches  und  der  langsamen  Liebesszene  hineingezogen 
sind.  Am  Anfang  der  Abteilung  bringt  Raff  wohl  im 
Sinne  eines  Zitats  den  Abschnitt:  >Wenn  alle  Toten 
auferstehn«  aus  der  groBen  Szene  des  >Fliegenden  Hol- 
landers c  in  R.  Wagners  gleichnamiger  Oper.  Den  schauer- 
lichen  Greistercharakter  der  Situation  deutet  ein  in  den  tie- 
feren  Instrumenten  unaufh5rlicb  wtihlendes  kurzes  Motiv 
^^  ^  an.  Am  Schlusse  l&Ot  der  Komponist  fiber  den 
JV7  J>  Spuk  und  L&rm  der  viel  zu  langen  Gespenster- 
szene  den  Vorhang  fallen  und  spricht  einen  sanft  web- 
mfltigen  und  ergreifenden  Epilog. 

Von  den  ttbrigen  sieben  Sinfonien  Raffs  gehOren  noch 
mehrere  der  Programmusik  an :  »In  den  Alpenc,  > Jahres- 
zeitenc,  »An  das  Vaterland*.  Wie  die  unbenannten 
Werke  der  Gattung  aus  der  Feder  des  Komponisten, 
unter  denen  die  Gmoll-Sinfonie  die  wertvollste  ist,  teilen 
sie  unleugbare  groBe  Scbdnheiten  mit  unbedeutenden 
zierlicben  Spielereien  und  Oden  Partien  der  blofien  Rou- 
tine. Die  Vorzttge  einer  ungew5hnlichen,  starken  Ein- 
bildungskraft,  eines  warmen  Gemtlts,  welche  dieser  Ton- 
setzer  besaB,  wurden  wett  gemacht  durch  den  Mangel 
an  jener  Sammlung  und  Hingabe,  welche  ein  wesentlicher 
Teil  der  Poesie  selbst  ist,  durch  das  Fehlen  jener  Kritik, 
welche  Bureaudienst  vom  Dienste  der  Kunst  unterscheidet 


-^    403    ^— 

Eine  andere  Sinfonie  >Leonore<,  die  ebenfalls  der  Aug.  Klagiitrtfk, 
Ballade  BUrgers  folgt,  ist  von  August  Klughardt  vei>  »Leonore«. 
offentlicht  worden.  Sie  hat  vier  S&tze,  unter  denen  em 
Adagio  wegen  seines  Reichtums  an  innigem,  unge- 
kiinsteltem  Ausdruck  hervorragt.  Auch  in  den  anderen 
S&tzen,  wo  die  Situationsmalerei  ftberwiegt,  spricht  Ge- 
mUt  und  Herz  in  fesselnden  Partien.  Das  Werk  ist  leider 
zu  wenig  bekannt  geworden. 

Unter  denjenigen  neueren  Sinfonien,  welche  in  der 
hergebrachten  viersfttzigen  Form  ein  Programm  durch- 
zuf&hren  suchen,  ist  als  eine  der  friihesten  Aberts 
>Columbusc  zu  nennen.  Eine  der  musikalisch  gehalt- 
YoUsten  Programmsinfonien  der  vermitteinden  Richtung 
besitzen  wir  in  dem  »Wallen  stein  €  von  Jos.  Rhein-  J.  BhelBberger^ 
berger.  Der  Komponist  hat  aus  der  Schillerschen  Tri-  Wallonstein. 
logie  die  Figur  der  >Thekla<,  die  Lagerszene  mit  der 
Kapuzinerpredigt  und  den  Tod  Wallensteins  zur  musi- 
kalischen  Illustration  ausgewfthlt  und  diese  drei  Objekte 
an  das  Adagio,  das  Scherzo  und  das  Finale  der  Sinfonie 
verteilt  Den  noch  freien  ersten  Allegrosatz  benutzt  er 
zu  einem  >Vorspiel<.  Das  letztere  fdhrt  uns  am  Anfang 
mitten  hinein  in  das  frische,  krSftige  Lagerleben: 

AUogro  con  fuoco. 


jff^  etc. 

Wallenstein   steht  bier  noch   fest  und  herrisch  in  der 

Menge;  sp&ter  zeigt  ihn  der  Komponist  in  seinem  Schwan- 

ken  zwischen  diisteren  Ahnungen  und  freundlichen  Zu- 

kunftstr&umen.   Auf  letztere  bezieht  sich  wohl  das  eigen- 

tlimliche  Thema   der  Blftser,  welches  mit  dem  langen 

Verweilen  auf  einem  Tone  beginnt  und  dann  so  traulich 

Schubertsch  schlieBt     Einzelne  Melodien  des  Vorspiels 

sind  von  einer  so  ausgepr&gt  weiblichen  SchGnheit,  dafi 

sie  uns  von  Wallenstein  weg  an  Max  und  Thekla  denken 

lassen.    Dahin  gehCrt  das  tr&umerisch  wiegende  Thema: 

welches  auch  in 


l\  fJ  Ipl  |p£TJ^j  I'r  rfri'    T^  I      clem  Adagio  der 
^    J  — i^==;  ==—-   /      it^  Sinfonie      ver- 


26* 


404 


wendet  ist  Dahin  wohl  auch  die  italienisch  anklingende, 
direkt  mil  der  (erst  spHter  erfundenen)  >Mandolinata< 
verwandte  Melodie: 

Piik  moderato. 


welche  die  DurcMuhrung  einleitet  und  einen  grofien  Teil 
derselben  trftgt.  Die  Nahe  der  Schicksalsmftchte  wird  im 
Vorspiel  in  kurzen,  schwermiitigen  MotiveD,  in  Fermaten, 
welche  den  lebendig  bewegten  Gang  der  Darstellung  be- 
deutsam  nnterbrechen ,  angedeatet.  Ihnen  namentlich 
scheint  die  hymnenartige  Melodie  zu  gelten,  deren  Haupt- 
motiv  A      ,A       A  ^^®    ^^^^ 

folgen-  A'  f  \^"'  \  \  ^'T'^'T^T^'lf  =  immer in 
des  ist:  ^      '  dim,  dunkler 

Instrumentierung  auf,  so  oft  sie  in  dem  Satze  erscheint. 
Beim  letzten  Male  geht  ihr  eine  sehr  eindringliche  Klage 
aus  dem  Munde  der  Klarinette  voraas.  Auch  im  zweiten, 
im  langsamen  Satze  der  Sinfonie  kehrt  sie  wieder. 

Zu  den  leicht  verstandlichen  Werken  der  Programm- 
musik  geh6rt  Rheinbergers  Tongemalde  nicht;  am  wenig- 
sten  das  »Vorspiel«  mit  seiner  Fiille  von  teilweise  sehr 
vieldeutigen  Themen.  In  der  musikalischen  Behandlung 
des  Materials  macht  sich  der  EinfluC  Beethovens  in  einer 
seltenen  Starke  bemerklich.  Durch  das  >Vorspielc  blickt 
deutlich  die  zweite  >Leonorenouverturec. 

Das  Adagio  der  Sinfonie,  >ThekIa«  tiberschrieben, 
wird  von  folgender  sch5nen  Hauptmelodie  getragen: 

Adagio. 


(■i'''iyUlj.jj)JTPlr"rT7r+^ 


Auch  das  zweite  Thema  ist  in  seinem  mfidchenhaften 
zarten  Charakter  nicht  miOzuverstehen.  W&hrend  es  die 
Blaser  singen,  begleiten  die  Violinen  mit  munteren  Mo- 
tiven,  welche  das  tr^umerisch  schwarmerische  Bild  der 
Tochter  Wallensteins  mit  einem  anheimelnden  Zusatz 
von  Zierlichkeit  erg&nzen.    Am  Ende  der  Themengruppe 


_^    405    ^— 

^rscheint  eine  kleine  Episode  erregter  Natur,  welche  der 
Blumenszene  Gretchens  in  Liszts  » Faust c  fthnlich  ist 
Sie  stutzt  sich  ^  p,^  ^^  In  der  SchluChftlfte  des 
musikalisch  auf^^^^^^^=Satzes  wird  Thekla  wie- 
das  kleine  Motiv:         ^  derholt  von  GefUhlen  stur- 

mischer  Unruhe  ergriffen.  In  einem  derartigen  Momente 
ist  es,  wo  das  friiher  erwUhnte  Hymnenthema  des  ersten 
Satzes  beschwichtigend  eintritt 

Das  Scherzo  >Wallensteins  Lager <  wird  viel  einzeln 
aufgefiihrt.  £s  verdankt  diese  Bevorzugang  seiner  be- 
stimmten  Charakteristik,  der  Einfachheit  seiner  Form  und 
seiner  lannigen  Natur.  Die  Stiitze  seines  Hauptsatzes 
bildet  das  Thema: 

XIIcgTetto. 

i 

^^^i^^^  4t  Um  dasselbe  herom  reiht  sich  eine  kleine 
,M*MrrT?ft^  Suite  lebendiger  Bilder,  welche  das  Sol- 
-  datenleben  von  seiner  frohlichen  Seite 
veranschaulichen.  Der  Triangel  klingt  mit  dem  Becken; 
ab  und  zu  gibt  auch  die  groBe  Trommel  grotesk  einen 
dumpfen  Schlag  darein.  Man  spielt  und  tUndelt  anmutig 
und  gemiitlich;  zuweilen  werden  auch  die  Szenen  wilder, 
barsch  und  derb.  Unter  den  vielen  Nebenthemen,  welche 
im  Satze  erscheinen,  macht  sich  besonders  das  folgende 
bemerkbar:     ' 


^_jt^l^^f,,fe|tej£^=f-.^^=^^ 


KC 


Es  ist  die  Melodie  zu  »Wilhelmus  von  Nassaxi«,  einem 
niederlandischen,  in  der  Zeit  der  Reformation  sehr 
beliebten  Reiterlied.  In  versteckteren  und  offenen  An- 
spielungen  durchzieht  dieser  Volksgesang  das  ganze 
Scherzo  von  Anfang  an.  Schliefilich  intonieren  es  die 
Bldser  in  seiner  Originalgestalt  zur  Freude  des  Chorus, 
welcher  es  brausend  aufnimmt.  Da  auf  einmal:  General- 
pausen,  Dissonanzen  —  ein  Wirrwarr  entsteht.  Der  Ka- 
puziner   ist   da!     Seine   Predigt  vertritt   das'  Trio   des 


_^    406    ^— 

Scherzo.  Aufierordentlich  gelangen  hat  Rheinberger  den 
bald  bissigen,  bald  larmoyanten,  bald  salbungsvoUen 
Ton  nachgeahmt,  welchen  der  Pater  bei  Schiller  anschl&gt, 
nnd  die  Drastik  der  origin ellen  Szene  wird  in  derMusik 
noch  dadurch  erhCht,  daB  hier  auch  die  Reaktion  der 
nnfreiwilligen  Zuh5rer  zu  einem  treffenden  lebendigen 
Ausdruck  kommt  Der  Haupttrumpf ,  welchen  die  Uber- 
mQtigen  Landsknechte  dem  Strafredner  entgegenstellen, 
ist  das  Reiterlied. 

Der  vierte  Satz  der  Sinfonie,  >Wallensteins  Todc, 
hat  einen  korzen  Prolog  (Moderato,  DmoU,  o/g),  welcher 
den  tragischen  Inhalt  des  Kommenden  in  schreckenden 
und  klagenden  T5nen  kurz  feststellt  und  dem  ungliick- 
lichen  Helden  einen  edlen  Trauergesang  widmet.  Dann 
beginnt  mit  dem  Allegro  vivace  (D  dor,  y^)  eine  Schil- 
derung  der  letzten  Stunden  Wallensteins.  Ein  Tonge- 
murmel,  dem  im  Scherzo  von  Beethovens  Eroica  &hn- 
lich,  sagt  uns,  daB  die  Szene  in  der  Nfthe  des  Soldaten- 
lagers  spielt.    Wir  hdren  muntere  kriegerische  Weisen: 

^    Aflegro  viTao. Auch  Wallenstein  scheint 

'  §iJ\\f^^   *  I  r'  r /  r  I  r'F^feihnen  zu  lauschen,  bis 

^''  jT  "'  ^'  '  ■"■'  er  aUmfthlich  in  Trftu- 
mereien  versinkt,  dr&ckender  Natnr  die  einen,  liebens- 
wiirdig  entzQckend  die  anderen: 

Li\  w  \  r-ir'ir^7i^r-i«rTir>-irif 

Das  SchluBbild  seiner  Visionen  (Allegro,  0)  gleicht  einem 
Triumphzuge.  Wallenstein  erwacht  Wieder  hdren  wir 
den  LUrm  des  Lagers.  Der  Fortgang  ist  wie  vorhin.  Nor 
lenkt  die  Traomszene  jetzt  in  eine  wundersch5ne  Schlum- 
merszene  (Adagio,  o/s,  H  dnr)  fiber.  Zum  dritten  Male  be- 
ginnt darauf  die  Mosik  mit  der  Schilderung  des  Treibens 
im  Lager.  Wieder  tr&nmt  Wallenstein.  Jetzt  aber  werden 
die  Motive  von  grellen  Signalen  der  Posaunen  nnd  Trom- 
peten,  von  wilden  Figuren,  von  Dissonanzen  und  von 
einem  grftBlichen  Anfschrei  des  ganzen  Orchesters  ab- 
gel5st.    Die  Katastrophe  ist  vorbeil    Mit  einem  kurzen 


407 


Epiloge,  dessen  Knappheit  auf  die  Realistik  der  leizten 
Szene  sehr  beruhigend  wirkt,  entl&Dt  uns  der  Komponist 

Schiller  hat  noch  zu  anderen  Programmsinfonien 
VeranlassQDg  gegeben,  die  im  Pabliknm  wenig  bekannt 
geworden  sind:  M.  Moszkowskys  > Jeanne  d*Arc«, 
J.  L.  Nicod^s  » Maria  Stuart c  etc. 

Bins  derjenigen  Werke,  in  welchem  zwischen  Pro- 
gramm  und  Musik  nur  ein  lockerer  Zusammenhang  be- 
steht,'ist  die  frtUier  viel  gespielte  Sinfonie  >Frithjof€  h. Holrm•n^ 
von  Heinrich  Hofmann.  Der  Komponist  beschr&nkt  sich  »Frimof«. 
auf  den  erotischen  Teil  der  bekannten  Sage  £.  Tegn^rs 
und  entwirft  in  dem  ersten,  zweiten  und  vierten  Satze 
seiner  Sinfonie  von  dem  Gliicke  Frithjofs  und  Ingeborgs, 
Yon  ihrer  Trennung  und  ihrem  Wiederfinden  eine  Schil- 
derung,  welche  an  und  fQr  sich  beredt  ist,  aber  sicher 
auch  auf  jedes  andere  Liebespaar  ebenso  gut  passen 
wurde.  Das  Lokalkolorit,  unter  welchem  wir  die  Bilder  nach 
dem  Xitel  des  Werkes  gem  sehen  m5chten,  ist  in  einem 
eingeschobenen  dritten  Satze  »Lichtelfen  und  Reifriesen« 
extra  beigegeben.  Im  ersten  Allegro  der  Sinfonie,  »Frith- 
jof  und  Ingeborg«  tlberschrieben,  wechseln,  in  der  Sprache 
der  modemen  Oper  geflftsterte,  zftrtliche  Gest&ndnisse, 
schzneichelnde  und  kosende  Reden  und  flberschw&ngliche, 
gliihende  Erkl&rungen.  Die  beiden  Hauptgestalten  sind 
in  ihren  Themen  mit  Motiven  charaktehsiert,  welche  im 
Finale    der    Sin-  AUegro. 

fonie    wiederkeh-     Jik  ■■  fr  &dwff  r-: —  t«»-.*K/^»«  ^i*. 
ren.   Frithjof  mit:    r  ^' "  '     '  Jj  U  '  ^  Ingeborg  mit: 


ijt''    nf^uJysi  L^TT\i  njTi  ■ 


Der  zweite  Satz  heiBt  »Ingeborgs  Klagec.   Das  trauernde 
M&dchen  ist  repr&sentiert  durch: 


und    durch    das 


P1&  aaimato. 


Schmnannsche         ^^'U    |'.  |    Wf  |     1 .1^.  >] I JJ  ; 
(C  dur-  Smfonie) :        ^     !»-«=:  =i—  ^^^ 


408 


das hofifen-  -J  A-  J    ,  ^  ,    ,  i  In  der  sehr  kurzen  Durch- 

""      "  fiihrang  ist  eine  Episode 


de    durch 

der  Erinnerong  an  Frithjof  gewidmet.  Sie  steht  auch 
motivisch  mit  dessen  Them  a  in  ei-  !.«  i  _  _  __  ^_  ,  r  — 
nem  erkennbaren  Znsammenhang:  ■  "  f\  CJ"  ^UJ  ^  ~ 
Die  >Lichtelfenc  des  dritten  Satzes  (>Intermezzo<} 
werden  durch  folgendes  Hauptthema  gezeichnet: 

Alleg^ro  pioderato. 


j^^''^[6/'Tl^J'^^ 


pp    Viol.  c.  sord. 


Die  >Reif. 
riesenc  fiih- 
ren  tiber: 

einen  Tanz  aus,  dessen  wilder  Charakter  durch  hohe 
Triller  und  durch  kompakte  Bld.sermassen  noch  verstfirkt 
wird.  Die  Erfindung  und  die  Entwickelung  der  Themen 
zeigt  den  EinfluB  von  Mendelssohn  und  Gade.  Das 
Eigenste  des  Komponisten  liegt  in  der  lebendigen  Farben- 
mischung,  zu  deren  Reizen  ein  Glockenspiel  einen  aufier- 
gewohnlichen  Beitrag  steuert. 

Der  vierte  Satz,  >Frithjofs  Ruckkehrc,  beginnt  mit 
einer  anschaulichen  Einleitung.  Hornsignale  tonen  von 
alien  Seiten,  allarmierende  Figuren  der  Violinen  rufen 
uns,  einem  festlichen  Ereignis  zuzuschauen.  Die  heimat- 
lichen  Helden  kehren  als  Sieger  zuruck,  wie  uns  das 
aus  Wagnerschen  und  Weberschen  Elementen  zusammen- 
gesetzte  und  mit  einem  frischen  Kopfe  gekronte  Haupt- 
thema sagen  will: 


Allegro  ▼Waoe. 


*«•#*♦ 


'J^'  Viol 

Die  Seitengedanken  und  das  zweite  Thema: 


■jf>\fni3ij."/^^ 


n? 


rmijif' 


«te> 


_^    409    ♦— 

wenden  sichintimerenHerzensangelegenheitenzu.  SchlieG- 
lich  erscheint  Ingeborg  mit  ihrem  Thema  aus  dem  ersten 
Satze  der  Sinfonie. 

Eine  nach  dieser  Sinfonie  verdffentlichte  Programm- 
suite  H.  Hofmanns,  »Im  SchloBhofec,  geh5rt  zu  den 
besten  Leistungen  des  Komponisten. 

Ebenso  und  noch  mehr  lose  als  im  »Fritlgof«  sind 
die  Beziehungen  zwischen  Xitel  und  Inhalt  in  der  Sin- 
fonie »L&ndliche  HochzeiU  von  Carl  Goldmark.     Der  CGoldmark, 
Oegenstand  ist  fiir  ein  bescheideneres  Genrebild,  etwa  im     ^andliche 
Umfang  und  Stil  der  ^Festklangec  von  Liszt,  sehr  ge-     H®<^*"«**- 
eignet,  aber  ffir  eine  Sinfonie  oder  eine  groBe  Suite  — 
das  letztere  ist  die  Goldmarksche  Komposition  eigentlich 
—  nicht  wichtig  genug.    Auch  ist  der  landlicbe  Charak- 
ter  des  zur  Darstellung  gewahlten  Ereignisses  nicht  eben 
eindringlich  veranschaulicht;    einzelne  Partien   wieder- 
sprechen  ihm  geradezu.  Aber  die  Goldmarksche  Sinfonie 
hat  ihren  musikalischen  Wert.    Sie  verbindet  Reichtum 
der  Phantasie  mit  einem  teilweise  eigentumlichen,  immer 
aber  fertigen  und  sicheren  Ausdruck. 

Der  erste  Satz  besteht  aus  12  Variationen.  Von 
F.  Lachner,  der  diese  Form  ftlr  'den  Eingangssatz  der 
Suite  eingefiihrt  hat,  unterscheidet  sich  Goldmark  da- 
durch,  daB  er  die  Variationen  frei  durchfUhrt  Nur  we- 
nige  bringen  das  ganze  Thema;  in  einzelnen  finden  wir 
nur  kurze  motivische  Fragmente  desselben,  in  einer  dritten 
Gruppe  herrscht  nur  ein  ideelles  Verh&ltnis  zum  Modell. 
Der  Oberschrift  nach  bedeutet  dieser  erste  Satz  den 
>Hochzeitsmarsch€.  Im  technischen  Sinne  marschm&Oig 
sind  nur  der  Anfang  und  der  zu  diesem  zurUckkehrende 
SchluB.  Die  Variationen  haben  wir  uns  als  Figuren  aus 
dem  Hochzeitszug  oder  als  Stimmungsbilder  zu  denken: 
einzelne  phantastisch  oder  innig  und  beschaulich:  die 
Mehrzahl  flott,  feurig  und  freudevoU.  Das  Thema  selbst 
beginnt,  in  den  B&ssen  allein,  mit  folgender  Periode: 

Moderato. 


410 


welcher  der  entsprechende  Nachsatz  folgt    Es  schliefit 
mit  einem  freien  Abgesang: 


v'A'  iriTic  \frf\hh\^i^i\\^i^hififf^\r 


dessen  lange  Noten  sdch  sehr  htlbsch  in  den  Variationeir 
bemerklich  machen.  Von  besonderem  Reize  ist  die  In- 
strumentation des  Satzes. 

Der  zweite  Satz  —  >BraQtliedc  Qberschrieben  —  ist 
eine  knappe  Komposition  in  der  Form  der  dreiteiligen 
Arie.  Der  Hanptsatz  bat  reizende  Elemente  Schubert- 
scher  Melodik.    Sein  fUhrendes  Tbema  ist  das  folgende: 

Allegretto. 


t,fi'  ii;i  fTi n  \^rpn  ijcuti 


w=r=>pc- 


p^  Clar. 


^«™  -JLi\  J'.T:pi;rn7ri^  (f^^4-^  gi^t  die  un- 
Mittelsatz  IP  ^'' ^- P^ 'f  ^^U  'fJJ^'    '=  iewShnliche 

Wahl  der  Tonart  (Unterdominante)  grofie  Wftrme. 

Der  dritte  Satz,   »Serenade€,  h&lt  die  kunstvoUere 

Form  der  Sonate  ein.    Seine  Themen: 

Alleg^To  moderato. 


i iffj^ \f^' '  i' ' l|_rlLI  "i I ' ^^fui!^ 


und  das  in  der  Durchf&brung  bevorzugte: 


jTQh 


sind  beide  leichter,  scherzender  Natur.  In  der  Instrumen- 
tierung,  die  zuweilen  eine  dorfmftfiige  Einfachheit  besitzt, 
und  in  der  Harmonie,  in  welcber  die  liegenden  BaBquinten 
eine  grofie  RoUe  spielen,  hat  der  Komponist  l&ndliche 
Ziige  sehr  launig  eingewebt. 

Der  langsame  Satz  der  Sinfonie  fflhrt  den  Tite) 
»Im  Garten «.  Die  Einleitung  dieser  Szene  und  der 
mit  ihr  identische  Ausgang  wird  mit  Recht  als  der 
sch5nste   Teil    der    ganzen    Sinfonie    angesehen.     Das 


\ 


—ft    411 

Thezna ,   wel-    ^' .  Andmte,  cur. 
ches  ihm  zu-  -^  ^  ^-  -    *    '  - 


Grande  liegt:  **  ' 

bildet  in  dem  wilden  Finale  der  Sinfonie  dann  nochmals 
eine  kurze,  zarte,  trftmnerische  Episode.  Den  mittleren 
Teil  des  Satzes  (Gesdnr,  ^j^  Takt)  bildet  ein  Liebesdialog, 
in  der  glfthenden  Spracbe  von  Wagners  >Tristan  and 
Isoldes  gefftbrt 

Der  Scblofisatz  der  Sinfonie  heiBt  »Tanz«.  Sein  Haupt- 
thema: 

AUefT'o  molto.  _  >.    ^ 


i^i^uiiW^m^m 


welches  znnftcbst  in  der  Form  der  Fnge  ausgefQbrt  wird, 

bringt  kecke  nnd  volkst&mliche  Elemente  in  die  Kompo- 

sition  hinein.     Unter  alien  Teilen  der  Sinfonie  ist  das 

Finale  deijenige,  welcbe  den  l&ndlichen  Cbarakter  der 

Hochzeit  am  treuesten  veranschaiilicht  und  ein  wirklicbes 

Stftck  realistischer  Programmosik  bildet.    EigentQmlich 

und  mehrdeutig  sind  die  nach  Elang  und  Tonart  so 

fremden  Harfenakkorde,  welche  an  mehreren  Stellen  des 

Satzes  mitten  in  den  st&rksten  Tumult  hineintSnen.   Die 

menschenfreundliche  Richtung  der  >L&ndlichen  Hocbzeit« 

und  ihr  Reicbtum  an  gut  volkstUmlicher  Erfindung  lassen 

es  bedauern,  daB  Goldmark  sicb  auf  dem  sinfoniscben 

Gebiet  nicbt  entscbiedner  ausgebreitet  bat  Seine  zweite,    €.  QoldMark, 

programmlose  Sinfonie  (Esdur,  op.  36)  ist,  well  sie  im  Zweite  Sinfonie 

Cbarakter  und  Stii  zu  bedenklicb  scbwankt,  ziemlicb  un- 

beacbtet  geblieben.    Dieselbe  Verbindung  pastoraler  und 

beroiscber  Elemente,   welcbe   die  zweite  Sinfonie  von 

Brahms  auszeichnet,  ist  bier  mifilungen. 

Die  neuesten  und  bedeutendsten  Beitrftge  zur  Pro- 
grammusik  bat  Richard  StrauB  geliefert  Aber  dieser  Blehard  StranA^ 
Komponist  hat  sicb  bald  fUr  die  Form  der  einsfttzigen  "Aus  italienc. 
sinfonischen  Dichtungen  entschieden;  Programmkompo- 
sitionen  yon  zyklischer  Anlage,  die  dem  Bereich  der 
Sinfonie  oder  Suite  zuzuweisen  w&ren,  gibt  es  yon  ihm 
nur  eine.    Sie  belBt  >Aus  Italien«  und  scheint  jetzt, 


--•    412    ♦— 

nachdem  der  Komponist  in  »Tod  und  Verklarung<,  ia 
>Till  EolenspiegeN  in  >Also  sprach  Zarathustra«,  im 
>Helden]ebeu<  und  in  der  >Sinfonia  domesticac  kiihnere, 
die  Aufmerksamkeit  erzwingende  Wfirfe  getan  hat,  nach- 
tr&glich  starkere  Beach tung  und  Verwendung  zu  linden. 
Mil  diesem  Werke  vollzog  der  Komponist,  der  his  dahin 
mit  einer  grofien  Fmoll-Sinfonie,  mit  einer  einsHtzigen 
Serenade  fQr  Blasinstrumente  und  andren  Beitragen  zur 
flogenannten  absoluten  Musik,  sich  als  ein  stark  eklek- 
tisches,  aniehnendes  und  fur  infiere  EfTekte  begabtes 
Talent  gezeigt  hatte,  seinen  Cbergang  in  das  Lager  Liszts 
und  der  Tonmalerei.  £s  ist  sein  Opus  16.  Straufi  nennt 
die  Komposition  mit  der  ihm  eignen  Willkiir  und  Sonder- 
sucht,  die  sich  auch  in  den  oft  geradezu  verkehrten 
Tempobezeichnungen  des  Werkes  ^ufiert,  eine  >Sinfonische 
Fantasiec  Das  eigentliche  Formgebiet,  dem  sie  von 
auBen  und  innen  zugehdrt,  ist  aber  das  der  Suite.  Sie 
ist  eine  Programmsuite  von  freundlicherer  Art,  wenn 
auch  nicht  immer  ganz  mafivoU,  so  doch  frei  von  eigent- 
hchen  Exzessen  der  Phantasie  und  der  musikalischen 
Ausfiihrung  und  nach  letzterer  Richtung  reich  an  Proben 
•eines  koloristisch,  in  zweiter  Linie  auch  melodisch  her- 
vorragenden  Talents. 

Die  StrauOsche  Fantasie  Oder  Suite  hat  vier  Satze, 
tind  die  Hauptbilder,  die  er  in  ihnen  vorfiihren  ixrill, 
heifien :  Auf  der  Campagna,  In  Roms  Ruinen,  Am  Strande 
von  Sorrent  und  Neapolitanisches  Volksleben.  An  Ver- 
isuchen,  italienische  Eindriicke  wiederzugeben ,  ist  die 
Musik  im  allgemeinen  nicht  arm.  Im  Orchester  allerdings 
liegen  sie,  von  der  PifTerarisinfonie  des  Handelschen 
>Messias<  angefangen,  nur  spslrlich  vor  und  haben  in 
Berlioz'  >Harold<,  seinem  >R5mischen  Karneval<  und  in 
Charpentiers  >Impressions  d'Italie<  die  Hauptstiicke  auf- 
zuweisen.  Um  so  reicher  ist  die  Kammer-  und  Klavier- 
mnsik  mit  ihnen  ausgestattet  Die  6eitrS,ge,  die  StrauB 
in  seinem  Programm  zu  diesem  Kapitel  zu  geben  ver- 
spricht,  haben  die  musikalische  Moglichkeit  fiir  sich. 
Wer  an  die  Campagna,  an  Rom,  an  Sorrent,  an  Neapel 


— ♦    413    ^^ 

denkt,  dem  erweckt  schon  jedes  dieser  Worte  eine  Stim- 
mang  fur  sich,  jede  grofi  und  jede  eigen.  Und  wenii- 
man  die  ungeheure  FiUle  landschaftlicher  und  historischer 
Charaktere  Italiens  in  seiner  Phantasie  aufsteigen  l&fit, 
mnQ  man  dem  Eomponisten  das  Zeugnis  geben,  daO  er 
Hauptpnnkte  gew&blt  hat.  Venedig  beiseite  zu  lassen, 
mag  ihn  vielleicht  Liszts  Tasso  bewogen  haben. 

Was  die  »Campagnac  (di  Roma),  die  den  Gegen- 
stand  des  ersten  Satzes  (Andante,  C,  Gdur]  bildet,  poe- 
tischen  Gemiitem  von  Horaz  bis  auf  Moltke  und  Grego- 
rovius  immer  wieder  eingepr&gt  hat,  ist  vornehmlich 
ihre  schwermutsvoUe  Schdnheit  Hier  der  weiBe  Sorakte 
mit  den  andren  herrlich  ragenden  Bergen  und  das  nahe 
Meer,  dort  die  Lavastr5me,  die  die  Fluren  verwiistet, 
menschliche  Ansiedlungen  im  Tale  und  auf  der  U5he 
vemichtet  haben.  Eine  Natur,  die  gelockt  und  gemordet 
hat,  eine  Landschaft,  deren  Reizen  die  Tiicke  der  Malaria 
gegeniibersteht. 

Straufi  hat  vor  diesen  Gegensatzen  mit  dem  Gefiihl 
des  Ratselhaften  und  Geheimnisvollen  gestanden.  Fast 
scheint  es,  als  wolle  er  uns  eine  verrufene  St&tte,  ein 
verwunschnes  Land  schildern,  wenn  er  einsetzt: 

Andante.   J  =  62 


Der  hervortretende  Bratschenklang,  die  zwischen  Moll 
und  Dur  schillernde  Harmonie,  der  schleichende  Gang 
der  Motive  geben  der  Stelle  etwas  MSrchenhaftes,  tot 
Gespenstisches,  etwas  uralt  Unheim-  /-^^^^ — ^^ 
liches.  Das  Leben  der  Gegenwart  regt  ^  ^  j  i  |  I 
sich   in    dem   bescheidenen   Motiv.y  ^  ' 


das  die  F16ten  mehrmals  leise  in  die  Oede  hineinrufen. 
Der  Wandrer  iiberwindet  durch  diese  Lebenszeichen 
die  Fremdartigkeit  des  ersten  Eindrucks;  die  Starre,  die 
sich  seiner  Empfindung  bem&chtigt  hatte,  weicht  einer 
Mischung  von  Neugier  und  Wehmut,  die  die  Musik  in 
folgender  Weise  ausdruckt: 


414 


Vf  JilJJll 


J  Ui  J. 


Trompete 


^m 


Darauf  setzt  das  Oktavenmotiv,  das  die  F15ten  zu- 
-erst  einfuhrten,  mil  gr56rer  Entschiedenheit,  rascher 
nacheinander  und  in  zahlreichen  Instrumenten  ein; 
die  entfachte  Bewegung  verlischt  aber  sofort  wieder. 
Klagend  steigen  die  Hdrner  die  Skala  hinab  und 
der  Wandrer  fafit  seine  Eindriicke  in  eine  Melodie,  die 
ebensoviel  von  groOen  wie  von  traurigen  Erscheinungen 
erz&hlt: 


<?5ra) 


In  ihrem  weitern  Verlauf  heitert  sie  sich  mehr  und 
mehr  auf,  und  als  sie  zum  EsDur-SchluB  kommt,  da  setzt 
die  Trompete  mit  dem  lebensfrohen  Motiv  ein,  das  sie 
ins  Them  a  2  zuerst  einfiigte.  Gleich  einem  Herolds- 
signale  locken  diese  wenigen  Trompetent5ne  freundliche 
Nebenmelodien  herbei,  dfe  dr&ngend  nnd  schwungroU 
in  dieses  zweite  Thema  selbst  auslaufen.  Sein  Endteil, 
der  vorhin  wehmiitig  klang,  kommt  jetzt  in  den  Hdmern 
glanzend  und  triumphierend.  Er  war  ein  Aufleuchten 
der  Stimmung.  Noch  ist  der  Horizont  mit  Gewdlk  be- 
deck t.  Das  elegische  Oktavenmotiv  und  das  muntre  Ein- 
gangsmotiv  des  k  i  ■— ^  t  f&hren  in  den  Biasern 
zweiten  Themas  J^  I  J-  3  J^  einen  kurzen  frischen 
Kampf  gegen  einander,  in  den  auch  die  Streichinstru- 
mente  bald  bineingezogen  werden.  Das  Resultat  ist: 
daB  die  Sonne  und  die  Freude  siegen.  In  einem  gran- 
diosen  Fortissimo  kehrt  Gdur  —  zun&chst  als  Quart- 
sextakkord  —  zuriick  und  bringt  eine  neue  Melodie  mit 
sich,  die,  allerdings  an  Elemente  des  zweiten  Thema 
•ankntipfend,    die    erhabene   Schdnheit    der   Campagna 


415    ^- 


hymnenar- 
tig  verherr- 

licht.       So      ^ 

beginntsie:  P      '  ^  '      f" 

Das  ist  der  Glanz*  und  der  Mittelpunkt  von  dem  Cam- 
pagnabild,  das  StrauB  una  zeigt.  £s  ist  der  musikalische 
Niederschlag  eines  jener  Augenblicke,  wo  der  entzUckte 
Blick  von>  den  blauen  Linien  der  Kuste  biniibereilt  nach 
der  scheinbar  oben  am  Himmel  wie  eine  Vision  auf- 
tauchenden  Peterskuppel ,  wo  vor  dem  geistigen  Auge 
die  Zeiten  nnd  die  Gestalten  vortlberziehen ,  die  Qber 
<liese  Landscbaft  hinweggescbritten  sind.  Da  wogt  es 
in  der  Seele  des  Bescbauers  woblig  und  aucb  ernst: 
espresf,  Tbema     3 

J"jjll    U^\^\^^^^\[         nStTn 

wieder.  Ein  weitres  erregtes  Tbema  tritt  in  den  Violinen 
binzu.  Die  Musik  spricbt  in  doppelten  und  dreifacben 
Zungen  in  jener  feurigen,  oft  sinnverwirrenden  Poly- 
pbonie,  die  die  jungere  Komponistengeneration  aller 
L&nder  von  R.  Wagner  gelemt  bat.  Straufi  lilfit  aber 
in  dieser  Suite  scbon  merken,  was  seine  sp&tern  sinfo- 
niscben  Dicbtungen  unwiderleglicb  klinden,  dafi  er  in 
dieser  besondren  Kunst  den  Meister  zu  iiberbieten  ver- 
mag.  Dieser  Abscbnitt  des  ersten  Satzes  seiner  Suite, 
der  ungefSJir  der  DurcbfQbrung  im  gew5bnlicben  Sonaten- 
satz  entspricbt,  endet  mit  einer  neuen,  in  den  grdOtmog- 
licben  Glanz  gekleideten  Intonation  von  Tbema  4,  bricht 
aber  mitten  drin  pl5tzlicb  ab.  Ein  geisterbafter  Bl&ser- 
4Lkkord,  das  elegiscbe  Oktavenmotiv,  ein  kurzer  Aufzug 
der  Haupttbemen,  zum  Teil  in  umgekebrter  Ordnung  — 
Ende!  Die  neuere  Kunst  Uberbaupt,  nicbt  blo6  die 
Musik,  scbeut  ja  vor  keiner  Unfreundlicbkeit,  wenn  sie 
die  Naturtreue  und  die  Lebenswabrbeit  fiir  sicb  bat. 
In  diesem  Fall  kommt  aber  aucb  zu  Gunsten  von 
StrauB  eine  Scbdnbeit  binzu,  die  ganz  aus  dem  Cba- 
rakter  des  Gegenstandes  flieBt:  Die  Campagna  entl&Gt 


— *    416    «— 

ihre  Freunde  mit  einem  elegischen  und  mysteridsei^ 
Endeindrack ! 

Der  zweite  Satz  (Allegro  molto  con  brio,  «/4  8/2, 
Cdur)  fiihrt  die  Oberschrift  >InRomsRuinen€.  Sie 
wird  durch  den  Zusatz  erg&nzt:  »Phantastische  Bilder 
entschwundner  Herrlichkeit,  GefQhle  der  Wehmut  und 
des  Schmerzes  inmitten  sonnigster  Gegenwartc  Damit 
ist  eine  Reihe  poetischer  Vorstellungen  erweckt,  denen 
die  Mnsik  nicht  in  dem  erwarteten  MaBe  gerecbt  wird. 
Den  fr5blicben  Bildem  fehlt  der  phantastische  Charakter, 
die  Gefiihle  der  Wehmut  und  des  Schmerzes,  die  groiBen 
Eindriicke,  die  sich  fQr  den  gebildeten  Beschauer  an 
Kolosseum,  Kapitol,  Forum  Maximum,  Pantheon,  Hadrians- 
burg  und  die  andem  erhabnen  Reste  der  GroBe  des  alten 
Roms  kniipfen,  kommen  in  diesen  Tonen  nicht  zum  Vor- 
schein;  dazu  fehlt  dem  Satz  vor  allem  die  Ruhe  und 
die  scharfe  Gliederung.  Er  ist  ein  sehr  eigensinniges, 
teilweise  wildes  Capriccio,  nicht  ganz  ohne  Ziige,  die  sich 
auf  Wesen  und  Charakter  der  ehemaligen  R6merwelt 
deuten  lassen;  aber  viel  mehr  als  fUr  das  Programm 
fiir  den  Komponisten  charakteristisch,  der  in  jugendlicher 
Riicksichtslosigkeit  in  der  Wahl  und  Gestaltung  seiner 
Ideen  und  EinfS,lle  nur  seiner  subjektiven,  augenblick- 
lichen  Disposition  folgt  und  nichts  nach  der  Fassungs- 
kraft  einer  unvorbereiteten  Zuhorerschaft  fragt.  Sie 
muB  in  diesem  l&ngsten  der  vier  S&tze  auf  schwierige 
Rhythmen  und  auf  Hartnackigkeit  im  Arbeiten  und  Ver- 
folgen  sprdder  Motive  gefaBt  sein. 

Der  Satz  hat  wieder  wie  der  vorhergehende  eine  Drei- 
teilung  in  Themengruppe ,  Durchfiihrung  und  Wieder- 
holung.    Die  Themengruppe  fiihrt  mit 

Allegro  molto  con  brio.  J*s68 


zunachst  vor  die  phantastischen  Bilder,  von  denen  das 
Programm  spricht. 


417 


Es  ist  eine  Weise,  mil  der  sich  der  Gedanke  an 
frdhliche,  krftftige  Spiele  verknUpfen  l&Qt  Ein  Zug  von 
H&rte  liegt  in  ihr,  der  zum  altr5mischen  Wesen  gut  paBt. 
Das  Thema  wird  sofort  in  einem  selbstftndigen  S&tzchen 
umgebildet  und  erweitert,  das  mit  einer  sehr  breiteD, 
bunten  Modulation  —  in  Trompeten  nnd  Posannenklang 
gehullt  —  nach  Cdur  znnickkehrt  Man  erwartet  einfache 
Wiederholung,  aber  die  Melodie  kommt  groBer  und  keeker 

^  ^"^       ^        nnd  zieht  als- 

^     I    J    f'T^  ^  rJT^^    '      I    '         bald  ein  The- 

das  zum  ersten  Mai  auf  die  GefQhle  der  Wehmut  anzu* 
spielen  scheint,  von  denen  die  Oberschrift  redet: 

Oboe 


Es  hat  einen  Hang,  sich  ins  Unscheinbare  zu  verlieren, 
und  kommt  auch  bald  auf  einem  mit  ungesttkmer  Energie 
erfaOten  verminderten  Septakkord  aufier  Sicht,  den  wir 
wohl  als  Akzent  des  programmaBigen  Schmerzes  auf- 
zufassen  haben.  Erl&utert  wird  er  durch  ein  neues,  drittes 
Thema: 

das  auf  die  Kraft  und  die  Gr513e  hinweist,  deren  Zeugen 

diese  RSmischen  Ruinen  einst  ge wesen  sind.    Nun  zeigt 

der      Ton-    ^    ,     ^    ^      j 

setzer    auf 

die  sonnige 

Gegenwart: 

und  verweilt  bei  diesem  anmutig  fnedlichen  Thema  mit 

tr&umerischer  Befriedigung.   Da  kommt  ihm  doch  wieder 

der  Gedanke  an  die  Ruinen  und  die  Frage:  warum  die 

bliihende  Welt  verschwunden,  zu  der  sie  gehdrt  haben? 

Antwort  geben  die  Motive: 


Kretxsolimar,  Fftlirer.    ^  1. 


27 


418 


U 


Unfriede  wars  und  Kleinlichkeit   Den  Blick  immer  wieder 

fltkchtig   auf  die   sonnige   Gegenwart  gerichtet,   vertieft 

sich  der  Komponist  in  das  Treiben  dieser  M&chte.    Seine 

Betrachlun-  ,^,  ,^.  ,^, 

gen  gipfeln     ^  ^'^^^  .i  V    ..^^^^  .iJ    ..^^^^ 

in      lauten 

Wehklagen: 

lieiBt  es  zuerst,  beim  zweiten  Mai  dnrchschneidet  den  Ver- 

snch  des  Stimmungsaufschwungs  ein  furchtbar  grausam 

(neben  Gdur)  hingesetzter  langer  As  dur-Akkord ! 

Die  Durchfiihrung  verknupft  zun&chst  Motive  aus  dem 
ersten  Thema  mit  solchen  aus  dem  fUnften,  als  soUte 
ein  Bild  von  dem  ethischen  ProzeG  gegeben  werden,  der 
das  Wesen  der  Romer  verdarb.  Ihren  Hauptinhalt  bilden 
Satzgebilde,  denen  das  dritte  Thema  und  seine  Yor- 
stellungen  zu  Grunde  liegen.  Die  Gr56e  und  Macht  der 
alten  Welt,  die  Trauer  um  ihren  Untergang  sind  in  einer 
noch  viel  st&rkeren  und  tiefer  eindringenden  Weise  als 
in  der  Themengruppe  die  Gegenst^lnde  der  musikalischen 
Darstellung  in  der  Durchfiihrung.  Einen  kleineren  Anteil 
nimmt  an  ihr  auch  die  wehmtitige  Weise  des  zweiten 
Themas. 

Der  Wiederholungsteil  fQhrt  die  Bilder  und  Betrach- 
iungen  der  Themengruppe  mit  den  gewohnten,  hergebrach- 
ten  kleinen  Anderungen  noch  einmal  voriiber.  Eine  kurze 
angefiigte  Coda  steilt  das  Thema  (4)  der  >sonnigen  Gegen- 
wart* in  den  Vordergrund  und  kehrt  von  den  Ruinen  in 
das  Leben  der  Zeit  zuriick. 

Der  dritte  Satz  (Andantino,  '/s,  Adur)  ist  der  eigent- 
liche  langsame  Satz  der  Suite.  StrauO  bezeichnet  ihn  mit 
Andantino  ziemlich  mil3verstS,ndlich;  ein  sehr  getragnes 
Tempo  ist  gemeint.  Sein  poetischer  Gegenstand  ist  Schil- 
derung  von  Eindrticken,  Stimmungen  >am  Strande  von 


— ^    419    ^— 

Sorrent«,  die  Aasf&hning  arbeitet  mit  ganz  ausgesucht 
feinen  und  eignen  Farben,  sie  arbeitet  lebendig  und 
elastisch,  aber  vorwiegend  zart. 

Zuerst  l&6t  der  Komponist  die  Natnr  sprechen  in 
einem  anf  wesentliche  Motive  verzichtenden,  fast  rein  in 
Akkord  und  Rhythmus  gehaltnen  Pr&ludium.  Diese  zwei- 
nnddreifiig  Takte  tlberschutten  aber  den  HOrer  mit  einem 
fippigen  Segen  vollsinnlicher  Klange.  Da  hnschen  Violin- 
figuren  in  hSchsten  Lagen  durcheinander,  Spielarten  and 
Tonregionen,  die  in  der  Regel  unbertlhrt  bleiben,  werden 
lebendig,  die  verschiednen  Rhythmen  kreuzen  sich,  Triller 
und  Verzierungen  aller  Art  klingen  von  oben  nnd  unten, 
in  Ruhe  und  in  Eile.  Das  SUtzchen  wirkt  blendend,  tlber- 
wM.ltigt  wie  eine  Landscbaft,  die  den  Sinnen  mebr  bietet 
als  sie  aufnehmen  k6nnen. 

Dann  beginnt  eine  Szene  der  TrSLumerei.  Der  Dicbter 
spricht,  die  Seele  voll  Dank  und  hShrer  Wonne: 

H B ri» D     ^g        H     A—" 

Den  Oberschwang  der 


'  P  '  sa*^  r  =  Stimmung  verrateu 
H —  E —  A  scbon  die  verh&ltnis- 
mllGig  zahlreicben  Nonenakkorde,  auf  denen  die  Melodie 
Tuht.  Wie  warm  sie  auch  wird,  die  Aufienwelt  bringt  sie 
nicht  zum  Scbweigen,  jeden  Augenblick  kontrapunktiert 
eine  reizende  Stimme  aus  der  Natur  anmutig  binein. 
Und  diese  Partei  nimmt  in  dem  mit 

eingeleiteten  Seitensatz  das  Wort  ganz  fQr  sicb  in  Be- 
schlag,  legt  ihren  ganzen  Beichtum  aus  und  freut  sich 
ihrer  Macht  bis  zur  Leidenschaftlicbkeit.   Das  ist,  wo  die 

27* 


-^    420    <— 

scharfe  Dissonanz  eis-dia  im  forte  herausgestoBen  wirdl 
Wie  fiber  den  lauten  Ton  beschftmt  und  erschreckt,  ver- 
schwindet  die  Sippe  der  Naturgeister  mit  einem  Schlag,  and 
der  Dichter  gibt  sich  aufs  neue  der  Beschaolichkeit  hin^ 

Eine  auf  einer  liegenden  Stimme  festgehaltne  and  sonst 
mit  Spannangsmittein  aasgestattete  Begleitang  hebt  diese 
Weise  aus  der  popul&ren  Sph&re,  der  sie  angeh5rt,  etwas 
heraus.  Ohne  Vermessenheit  ddrfen  wir  sie  auf  traaliche 
deutsche  Heimatserinnerangen  deuten.  Bald  l&Bt  sich< 
auch  einer  der  eingebomen  Slidlg^nder  h5ren.  Der  Satz 
schlUgt  nun  nach  A  moll,  das  Tempo  wird  bewegter,  in- 
den  Cellis,  Bratschen  und  Fagotts  treten  raschere  Figuren 
auf.  £s  ist  als  ob  der  Wind  die  See  kr&uselt.  Da  kommt 
ein  Boot  und  ein  Sanger  drauf  mit  einer  ecbten,  aus  dem 
Land  gebornen  Melodie,  einem  Abk5mmling  jener  edlen 
Sicilianos,  die  seit  dem  Ende  des  17.  Jahrhunderts  von  jener 
Sorrenter  Gegend  her  Uber  ganz  Europa  gedrungen  sind: 

Gef&hrten  antworten  bald;  so  gibt  dieser  nur  kurze  Mittel* 
satz  ein  sehr  willkommnes,  belebendes  Intermezzo.  Ein 
dritter  Teil,  mit  dem  Tempo  des  ersten,  mischt  dessen 
thematische  Elemente  frei  und  phantastisch;  noch  stUrker 
als  der  Anfang  steht  er  unter  dem  Zauber  schwirrender, 
girrender,  sinnverwirrender  KlS.nge  und  Figuren. 

Der  vierte  Satz  (Allegro  molto,  sy^,  Gdur)  fiihrt  uns^ 
>Neapolitanisches  Volkslebenc  vor.  Was  wir  bier 
zu  erwarten  haben,  l&Bt  der  tolle  Einsatz  schon  ahnen. 
Das  voile  Orcbester  stiirzt  auf  einem  freien  Nonenakkord» 
herein,  und  in  rasendem  Lauf  schwingen  sich  von  ihm 
die  Geigen  und  Bratschen  unisono  dem  Hauptthema  des- 
Satzes  entgegen: 


421 


Wer  einmal  zwischen  Monte  Cassino  und  Capri  gereist 
ist,  wer  in  der  Schweiz  etwa  wandernden  sUditalischen 
S&ngem  zugeh5rt  hat,  dem  ist  dieses  Neapolitanische 
Favoritlied  >FanicTili  etc.«  und  dem  sind  &hnliche  Melo- 
dien  gel&ufig.  Von  den  beiden  Geistem  der  Operette  und 
der  Degeneration  getrieben,  improvisieren  die  Kinder  dieses 
musikalischen  und  leichtherzigen  Volks  derartige  Weisen 
zu  jedem  Jext  und  zu  jeder  Zeit;  der  ganze  ehemals  so 
reiche  Gesangschatz  des  KSnigreichs  beider  Sizilien  wird 
heute  fast  ausschlieBlich  von  ihnen  vertreten.  Wenn 
StrauB  also  sein  Finale  mit  diesem  Gassenhauer  er5ffnet, 
so  erweckt  er  grofies  Vertrauen  zur  photographischen 
Treue  seines  musikalischen  Bildes.  Die  Melodie  f&hrt 
mit  krftftigen  Gliedern  ihrem  Schlusse  zu,  der  zugleich 
das  Ende  des  ersten  Abschnitts  des  Satzes  ist.   Er  kommt 

rascher  als  man  vermutet,   ^^ ^ 

kommt  inHmollundftihrtzu  tm  *  Hjj^^^  I  P  - 
«inem  Seitensatz,  der  liber  •'^  ^^  ¥^  ^  ~       ■  r  == 

und  &hnliche  lustige  Motive  leicht  und  anmutig  t&ndelt. 
Er  baut  klar  und  emsig  in  zweitaktigen  Abschnitten  auf, 
zum  Schlufi  bin  erhSlt  ,  ^^^  ^  einen  Stich  ins 
er  durch  dasEingreifen  W  j|  jj|Jj|feEgrotesk  Humo- 
chromatischer   6&sse:  ristische.     Die 

stiirmischen  Einleitungstakte  kehren  wieder  und  f&bren 
zum  zweiten  Hauptthema  des  Satzes: 

§*  iff  f  I  ijpji     I  r^^f  III -71!  Jm 


titrfjff  \u^^m 


Es  ist  in  sQdlftndischer  Art  innig,  jedenfalls  liebenswtlrdig, 
und  zeigt  durch  die  Verteilung  auf  zahlreiche  Instru- 
cnente  auf  das  echt  gesellige  Wesen  des  geschilderten 


422 


Phil.  Sehftr- 
weiika, 

»Traam  und 
\VirkUchkeit«. 


Volks.  Lange  h&lt  dieser  ruhigere  Ton  nicht  an.  Themen- 
reich  wie  Liszt,  stellt  Straufi  bald  in  diesen  ersten  Teil 
seines  Finales  noch  einen  vierten  Gedanken,  der  fol* 
gendermaCen  bei  den  Flo  ten  beginnt: 


Er  bringt  in  die  Mosik  eine  ganz  eigne,  halb  komische, 
halb  damonische  Lustigkeit,  ein  Abbild  jenes  temperament- 
Yollen  nervosen  Wesens,  das  dort  unten  die  Revolutionen 
macht  und  auch  dem  Spiel  und  dem  Tanz  sein  Gepr^ge 
gibt.  Die  Abschnitte,  die  der  Komponist  aus  diesen  krei- 
selnden  Motiven  in  den  nun  folgenden  Durcbfiibrungen 
gestaltet  hat,  bestimmen  die  Erinnerung  an  seine  Neapoli- 
tanischen  Schilderungen  am  prachtigsten  und  am  ange- 
nehmsten.  Im  allgemeinen  wird  man  von  den  Entw^ick- 
lungen,  die  StrauB  gibt,  den  Eindruck  eines  vielfachen 
ObermaBes  haben.  Die  Darstellung  ermangelt  der  Leichtig- 
keit,  die  dem  Gegenstand  natiirlich  ist;  sie  ist  zu  zah  im 
Festhalten  der  Motive,  zu  sehr  in  der  Farbengebung  von 
Berlioz  beeinfluBt.  Wozu  bier  tiberhaupt  Posaunen?  Wohl 
aus  demselben  Grunde,  aus  dem  unsre  modernsten  Maler 
fur  zwei  kleine  G&nse  eine  ganze  voile  Stubenwand  be- 
malen.  Ein  sehr  guter  poetischer  Einfall  in  der  Reprise 
ist  die  EinfUhrung  von  Motiven  aus  dem  ersten  Satz:  in 
dem  L&rm  und  der  Unruhe  dieses  Neapel  der  Gedanke 
an  den  Frieden  der  Campagna! 

Den  Beweis,  daB  allermodernste  Mittel  f&r  die  Pro- 
grammusik  nicht  das  Wesentliche  sind,  erbringt  ein  mit 
der  Suite  von  StrauB  ziemlich  gleichaltriges  Werk,  das 
ein  wiirdiges  und  gehaltvoUes  poetisches  Thema  mit 
ernster  Hingebung  und  innerlicher  Wirkung,  aber  ganz 
in  der  Weise  der  klassischen  und  romantischen  Schule 
durchfiihrt.  Es  ist  die  viers&tzige  Tondichtung  >Traum 
und  Wirklichkeitc  von  Philipp  Scharwenka  (Op. 
92},  dem  ftltern  Bruder  des  bekannten  Pianisten  Xaver  S., 
der   auch  temperamentvolle  Sinfonien   komponiert  hat» 


— <^    423    <j>- 

Ihr  Gedankengang  verfolgt  einen  Lebenslauf,  der  freund- 
licb,  Yoller  Hoffnungen  nnd  lUusionen  beginnt  UDd  mit 
Entt&uschungen  und  in  Resignation  endet  Ein  ausfiihr- 
liches  Gedicht  aus  der  Feder  des  Komponisten  gibt  iiber 
die  Absichten  der  Sinfonie  eingehende  Auskunft.  Die  vier 
S&tze,  aus  denen  sie  besteht,  gehen  ohne  Pansen  einer 
in  den  andern  iiber,  steben  aucb  thematisch  in  enger 
Verbindang  and  behandeln  das  Schema  der  Sinfonie 
ziemlich  frei.  Was  sie  unter  ihresgleichen  auszeichnet, 
ist  der  grofie  Herzensanteil  und  die  Gemiitsw&rme,  die 
aus  der  Musik  Scharwenkas  spricht  Unsere  heutige 
Offentlichkeit  hat  fur  Spohrsche  Naturen  nicht  das  voile 
Verstandnis;  denjenigen  Kreisen  aber,  welche  sich  zu 
einem  harmonischen  und  ehrlichen  Ktknstler,  auch  wenn 
er  abseits  vom  Wege  steht,  hingezogen  fuhlen,  kann  die 
Arbeit  nur  eifrig  empfohlen  werden. 

Der  erste  Satz  (Allegro  moderato,  C)  D  dur]  fCihrt 
mit  dem  Thema: 

^^  Allegro  moderato.  J  =  120  ^^ 

ytfn  t  .M  I J  Tfl}  M J  JT?  I J  J  J   ^ 

PP  " 

eine  edie  liebenswtlrdige,  aber  fdr  die  rauhe  Wirklichkeit 
unsrer  Tage  wohl  etwas  zu  weiche  Jiinglingsgestalt  ein. 
Diesem  auffallenderweise  im  Verlauf  der  Komposition  nur 
wenig  benutzten  Thema  folgt  eine  l&ngere  Gruppe  zier- 
licher  Nebengedanken,  die  —  zum  Teil  in  Wendungen,  die 
an  Hermann  G5tz  und  an  die  Meistersinger  erinnern  —  sich 
in  kleinen  Schw&rmereien  ergehen.  AUmUhlichkommtnach 
diesem  weniger  gelungenen  und  zersplitterten  Abschnitt 
wieder  ein  grofier  Ton  in  die  Stimmung  und  bringt  neue^ 
tiefer  eindringende  Weisen.    Unter  ihnen  ist  die  Melodie: 


-jar 

die  wichtigste.  Sie  bedeutet 
das  Herzens-  oder  Geistes- 
ideal    unsres   Helden    und 


molto  or990*     j 


— ^    424    ^— 

kommt    am   Schlusse   der   Sinfonie   zu   rilhrender  Be- 
deutung. 

Der  zweite  Satz  (Allegretto  scherzando,  ^4,  Fdur) 
ist  eine  Art  langsamer  Walzer,  bestimmt,  die  glUcklichste 
Stande  dieses  Menschenlebens  einzoleiten.  Mit  rhyth- 
mischen  Motiven  in  den  H5mern,  melodischen  Brach- 
stiicken  in  Klarinetten,  F15ten,  Geigen  verlockend  pr&lu- 
dierend,  gelangt  er  endlich  zu  folgendem  Hauptthema: 

AUe^fro  gehewandiK  J  s  160 


Der  JUngling  schwingt  sich  im  Reigen  mit  der  Erwfthlten; 
heroische,  etwas  finstre  Motive  ktinden  seine  stolzen  Ge- 
fuhle,  die  Wonne  in  seiner  Brust  spricht  am  deutlichsten 
aus  folgender,  an  Raff  anklingender  Melodie: 

Jr 

Dieses  Thema  leitet  iiber  zu  der  Szene  des  Gestandnisses 
und  der  £rh5rung,  die  den  Inhalt  des  dritten  Satzes 
(Andante  tranquillo,  ^/g,  B  dur)  bildet  Sie  folgt  allerdings 
dem  Eintritt  dieses  innigen  Themas  nicht  unmittelbar, 
sondem  die  Freuden  des  Tanzes  werden  noch  grtindlich 
ausgekostet  Dann  kommt  endlich  langsames  Tempo  und 
wehmutsvoller  Klang.  Es  wird  Abend,  das  Fest  mu6 
schliefien.  Die  Musik  bringt  in  einem  Obergangss&tzchen 
die  Stimmung  einer  gewissen  MQdigkeit  zum  Ausdruck, 
es  wird  stiller  und  stiller,  und  als  es  einsam  um  das 
liebende  Paar  geworden,  da  setzt  das  sch5ne  Thema  des 
Andante  zun&chst  im  Horn  ein: 

Andante  tranqnillo.  4)s.  *5^^^^^^— 


_^    425    >- 

Das  ist  die  stille  Seligkeit  Ein  zweiter  Teil  des  Satzes, 
in  Ddur,  zeigt  erregtere  Herzen,  lebhaftes  Zwiegesprftch 
von  ewigem  Gltkck,  zeigt  nngednldiges  Sehnen.  Oann 
kehrt  der  Bdar-Teil  wieder,  von  einer  Coda  gefolgt,  in 
der  der  Oberschwang  der  Stimmung  sich  eigens  in  einer 
Klarinettenkadenz  Luft  macht.  Unmhige  Trompetensig- 
nale  reifien  den  Zuh5rer  ans  dieser  Idylle  fort  Das  Leben 
mil  seiner  harten  Prosa  ruft.  Der  vierte  Satz  (Allegro, 
C)  Dmoll)  beginnt. 

In  seinem  ersten  Teil  stellt  er  von  den  Trompeten* 
tonen  immer  wieder  nnterbrochne  S&tze  unruhigen  Cba- 
rakters  anf.  Das  erste  Hauptmotiv  ist  an  ein  verwand- 
tes  ans  dem 
ersten  Satz 
angeknUpft : 

Steigend  und  steigemd  tritt  zu  ihm  das  feste  und  energische : 
^  ^  >y-<s  *>-N  *-.     ^        Die  Stim- 

''^vTr  r  I  r  f  r  f  r  I  r  rj"  f  T I P    men  be. 

f  nntzen  es 

zum  Fugieren.  Und  bald  nach  der  ersten  Durchfiihrung 
erscbeint  dann  das  (oben  angefQhrte)  schdne  zweite  Haupt- 
thema  des  ersten  Satzes,  wie  der  gute  Geist,  der  den 
K&mpfer  leitet,  des  M&hens  und  Ringens  Preis  and  Lohn. 
Umsonst,  alles  umsonst!  Noch  einige  verzweifelte  An- 
l&ofe,  &a6erster  Kraftaufwand,  Webrufe  mit  Intonationen, 
Verl&ngerungen  und  Verkiirzungen  des  letztzitierten 
Fugenthemas  gemischt  —  dann  setzen  die  Messingbl&ser 
den  Cboral  >Herzlicb  tut  micb  verlangenc  ein.  Der  Kom- 
ponist  hat  sich  ihn  mit  dem  Text  »Wenn  ich  einmal  soil 
scheidenc  und  somit  als  Grab-  und  Trauermusik  gedacht. 
Diesem  Ende  sendet  er  einen  Epilog  nach,  der  dem  leiden- 
schaftlichen  Schmerz,  mehr  noch  aber  der  siifi  weh- 
miitigen  Erinnerung  an  die  sch5nsten  Momente  der  vor- 
ausgegangnen  Satze  gewidmet  ist. 

Nur  noch  eine  zweite  Orchesterkomposition  Ph.  Schar- 
wenkas,  eine  »Arkadische  Suite €,  die  ebenso  wie 
seine  dreis&tzige  >Sinfonia  brevisc  weniger  bekannt 
geworden  ist,  gehdrt  dem  Programmgebiet  an. 


--»    426    <j>- 

Gleichfalls  von  Berlin  aus  fiihrte  sich  Anfang  der 
nennziger  Jahre  auch  Friedrich  Koch  mit  einer  Pro- 
grammsinfonie  ein,  die  den  Titel:  »Von  der  Nordseec 
(DmoU,  op.  4)  trftgt.  Sie  befafit  sich  mit  der  gewaltigen 
Seite  des  Themas  nur  im  letzten  Satz  (Auf  hoher  See), 
der  merkbar  von  einem  Hauch  des  unergrQndlichen  Ur- 
elements  und  seiner  Kraft  belebt  ist.  Die  andren  (Friesen- 
fahrt,  Abend  am  Strande,  Spiel  der  Wellen)  gleichen  den 
sanften  und  schOnen  Bildern  Douzettes  mit  Mondschein 
Uber  den  glatten  Wellen  und  gehoren  musikalisch  zur 
Schule  Heinrich  Hoffmann. 

In  neuerer  Zeit  hat  von  den  Vertretern  deutscher 
Programmsinfonie  der  durch  seine  Beitr&ge  zur  Haus- 
HftnsHober,  und  Kammermusik  bekannte  Schweizer  Hans  Huber 
Tellsinfonie.  mehr  und  mehr  im  Konzert  FuB  gefaBt,  zuerst  mit  einer 
Dmoll-Sinfonie  (Op.  63),  die  den  Titel  >  Tell  €  hat  Sie 
gibt  in  groBen  Umrissen,  ohne  Anlehnung  an  Schiller  oder 
an  die  Einzelheiten  der  Sage,  ein  Bild  von  der  Unter- 
driickung  und  Befreiung  des  Landes.  Auch  auf  die  Reize 
der  Heimatkunst,  etwa  durch  die  Verwendung  von 
Schweizermelodien,  verzichtet  sie  und  bestrebt  sich,  knapp 
und  allgemein  verst&ndlich  zu  sein. 

Der  erste  Satz  (Allegro  ma  non  troppo,  DmoU,  ^U\ 
der  wohl  auf  die  Volksseele  unter  der  Tyrannenherrschaft 
einen  Blick  bieten  will,  tut  das,  wie  schon  das  Hauptthema: 
Q  *  merken  lafit,  in  etwas 

4^T?  r  F— ff^fef^f^^?^«te.  zu  starker  Abhangig- 
y  keit  vom  ersten  Satz 

des  D  moll-Konzerts  (fiir  Klavier)  von  J.  Brahms. 

Weit  selbstftndiger  ist  der  zweite  Satz  (Adagio,  ma 
non  troppo,  Bmoll,  3/^^  der  das  Land  in  seiner  Trauer 
Torfiihrt  und  zwar  erst  die  dumpfe,  gedriickte  Stimmung, 
dann  die  flieBende  Klage,  letztere  in  einem  ungesucht 
volkstumlichen  Ton  mit  leisen  Ankl&ngen  an  Edvard  Grieg. 

In  dem  die  Stelle  des  Scherzo  vertretenden  dritten 
Satz  (Allegretto,  Gdur,  8/4)  hat  sich  der  Komponist  nacb 
eigener  Angabe  die  Feier  einer  Hochzeit  vorgestellt,  deren 
harmlose  Frdhlichkeit  dorch  einen  plOtzlichen  und  er- 


--♦    427    >- 

schreckenden  Aafrnhr  ^  Sequenzen  aus  yenninderten 
Septakkorden  fff^  Generalpanse!  —  gestdrt  and  durch 
Grabgesang  abgeldst  wird.  Dieser  mnsikalisch  wunder- 
h&bsche  Satz  zeigt  Hnber  auch  als  einen  geboreneu 
InstrumentatioDskiinstler,  der  mit  einfachem  Wechsel  von 
arco  und  pizzicato,  darchSordinen  den  Streichinstmmenten 
die  wirksamsten  Farben  abzugewinnen  weifi. 

Der  vierte  Satz  beginnt  mit  einer  langsamen  Ein- 
leitung,  die  auf  das  Haupthema  des  ersten  Satzes  zuriick- 
greift  und  die  ganze  Geschichte  des  Befreiungskampfes 
in  einen  knrzem  Wechsel  von  Dur  und  Moll  zusammen- 
drUngt.  Das  hierauf  folgende  Allegro  con  faoco  (D  dur,  C)  gilt 
dem  Triumph,  der  in  der  Umgegend  des  zweiten  Themas 
und  in  der  Durchfiihrung  zwar  etwas  ermattet,  aber  am 
SchluB  durch  Verbindung  des  ftihrenden  AUegrothemas 
mit  dem  jetzt  in  D  dur  einhergl&nzenden  Haupthema  des 
ersten  Satzes  zu  einem  gewaltigen  AbschlulB  kommt. 

Die  n&chste  hierher  gehdrige  Arbeit  Hubers  ist  seine  Hftni  Haber, 
Emoll-Sinfonie(op.ll6),  die  sogenannte  B5cklin-Sinfonie.  BiJcklin-Sinfonie. 
Der  Komponist  selbst  hat  allerdings  nur  den  vierten  Satz, 
das  Finale,  ausdriicklich  als  Huldigung  fiir  seinen  Lands- 
mann  bezeichnet  Es  trfigt  an  seiner  Spitze  den  Ver- 
merk:  »Metamorphosen,  angeregt  durch  Bilder  yon 
Bocklinc  und  bringt  fiber  das  Thema: 


^ 


Allegretto. 


das  mit  dem  ersten  Takt  an  das  Alphom,  das  charak- 
teristische  Instrument  der  Schweizer,  erinnert,  eine  Reihe 
sehr  freier  Variationen,  die  geistig  an  die  »Meeresstille<, 
den  >Prometheus«,  die  >Fldtende  Nymphe*,  die  >Nacht€, 
das  >  Spiel  der  Wellenc,  an  die  »Gefilde  der  Seligenc, 
den  >Liebesfruhling<,  das  »Bacchanalec  des  grofien  Malers 
anzuknupfen  suchen.  Dem  > Spiel  der  Wellenc  ist  da- 
bei  anhangsweise  noch  eine  Beziehung  auf  den  >geigen« 
den  Einsiedlerc  mitgegeben  worden.  Versuchen,  mit  T5nen 
tiefer  in  den  Stimmungs-  und  Phantasiekreis  bedeutender 
StQcke  bildender  Kunst  einzufiUiren,  sind  wir  in  der  Sin- 


-^    428     •— 

fonie  schon  bei  Haydn  begegnet;  sie  spielen  namentlich 
bei  F.  Liszt  and  seinen  sinfonischen  Oichtangen  eine 
grofie  Rolle,  und  auch  Hubers  B5cklinvariationen  sprecben 
wieder  far  ihre  prinzipielle  Berechtignng.  Geht  die  Sin- 
fonie  in  ibrem  SchluBsatz  zngestandenermafien  auf  ein- 
zelne  Werke  Bocklins  ein,  so  sind  die  voransgebenden 
S&tze  dem  Wesen  des  auBerordentlichen  Knnstlers  ge- 
widmet,  der  erste  (Allegro  con  faoco,  Emol],  C)  etwa 
seiner  Kraft  und  Kiihnheit,  der  zweite  (Allegro  con 
faoco  non  troppo,  Hmoll,  ^/s)  seiner  Naturfreude,  der 
dritte  (Adagio  ma  non  troppo,  Hdur,  3y^  seiner  Tiefe 
und  Innigkeit. 
HMiHnber,  In  der  beroiscben  Sinfonie  (op.  118)  in  C moll,  die 
Heroische  xinieT  Hubers  Beitr&gen  zum  Gebiete  das  dritte  und  letzte 
smfonie.  g^^^^  hMei,  hat  sich  im  Vergleicb  zur  Tellsinfonie  ein 
Yollst&ndiger  Stilwecbsel  voUzogen:  der  vordem  so  naive 
Komponist  ist  auf  die  Seite  der  urn  jeden  Preis  und  un- 
aufbQrlicb  Leiden scbaftlicben  getreten,  die  in  der  Musik 
einstweilen  die  Herrscbaft  an  sicb  gebracbt  baben.  Der 
talentvollste  Satz  der  Huberscben  Eroica  ist  der  zweite, 
ein  Trauermarscb ,  im  ersten  uberrascbt  das  Zitat  von 
>6od  save  the  king«,  das  Scherzo  ist  &bnlicb  wie  das 
Finale  der  B5cklinsinfonie  ein  Variationszyklus,  der,  als 
Totentanz  gedacht,  Vertreter  der  verscbiedensten  Lebens- 
alter  und  StUnde,  das  Kind,  den  Greis,  den  Studenten, 
den  Gelebrten,  die  T&nzerin  usw.,  zuletzt  den  Helden 
vorbeizieben  l£lGt.  Der  ScbluBsatz  der  Sinfonie  endet  mit 
einer  Apotbeose  des  Helden,  der  das  Muster  von  Liszts 
Faustsinfonie  zu  Grunde  liegt:  die  Orgel  f&Ilt  ein,  der 
Gbor  tritt  auf  und  stimmt  Sanctus  und  Osanna  an.  Das 
in  alien  Teilen  der  Sinfonie  wiederkebrende  Haupttbema 
des  ersten  Satzes  klingt  an  ein  berflbmtes  Scbweizerlied, 
an  den  >Ustigc  des  alten  Gottfried  Huber,  an. 

Unter    den    wenigen    weiteren    Programmsinfonien 

deutscher  Herkunft,  die  in  den  letzten  Jabren  aufgetaucbt 

^.T.HMsegger, sind ,    ist   Siegmund   von    Hauseggers  dreisfttziger 

BarbaroBsa.    >Barbarossa<  verbftltnismftBig  am  weitesten  bekannt 

geworden. 


--♦    429    ♦— 

Diese  Sinfonie  ist  die  noch  nnreife  Arbeit  eines  enU 
schiedenen  Talents.  Die  Unreife  spricht  aus  der  Un- 
gleichheit,  der  Unselbst&ndigkeit  der  Erfindung  und  aus 
der  hOchst  undkonomischen  Lust  am  Vollklang,  dem  L&rm 
des  Orchesters,  das  Talent  aus  einer  Reihe  trefflich 
charakteristischer  Themen,  ihrer  sinnreichen  Verwendung 
nnd  daneben  aus  zahbreichen  einzelnen  Stellen  von  un- 
Terkennbarer  Inspiration.  Dahin  geh5ren  im  Kleinen  ori- 
ginelle  Modulationen  und  Instrumentationseinf&lle ,  im 
Grofien  eine  Anzahl  episodisch  erscbeinende  Melodien 
zarter  Natur.  Ibnen  begegnen  wir  namentlich  im  ersten 
Satz,  der  >die  Not  des  Volksc  bald  erregt,  bald  ele- 
gisch.  bald  in  hartem,  bald  in  weichem  Tone  zu  schildern 
sucht.  Ibm  tritt  als  scbarfer  und  befreiender  Gegensatz 
der  dritte  Satz,  »dasErwachen<,  mit  einem  Bilde  der 
K&mpfe  und  Herrlichkeit  gegenflber,  die  bevorsteht,  wenn 
der  aJte  Kaiser  den  Untersberg  verl&Ot  Obne  zwingenden 
Grund,  aber  als  verst&ndliche  Konzession  an  die  Romantik 
ist  zwischen  diese  beiden  S&tze  nocb  ein  weiterer,  >der 
Zauberbergc,  eingeschoben,  der  zuerst  das  Nebeltreiben 
um  den  Berg,  dann  sein  Inneres  mit  Thron  und  Kaiser 
zu  scbildern  sucbt.  £r  nimmt  viel  von  dem  Gluck  des 
SchluIBsatzes  voraus,  hat  aber  in  dem  phantastischen 
Fugato,  das  ihn  einleitet,  sein  en  grofien,  eigenen  Wert 

Von  einer  zweiten  dreis&tzigen  Programmsinfonies.T.Haosegger^ 
des  Komponisten,  die  er  obne  weitere  ErI&uterungen  Naturainfonie. 
und  Oberschriften  Natursinfonie  nennt,  haben  bei  den 
wenigen  Auffiihrungen,  die  sie  bisher  gefunden,  die  ersten 
beiden  S&tze  Anerkennung  gefunden ,  der  dritte  Satz  ist 
abgelehnt  worden.  Bei  diesem  Urteil  wird  es  wahr- 
scheinlich  auch  in  der  Folge  bleiben,  denn  die  Kompo- 
sition  ist  soweit  sch5n  und  gehaltvoll,  als,  wie  das  in  dem 
ersten  und  zweiten  Satz  der  Fall  ist,  der  Stimmungs- 
ausdruck  die  Naturmalereien  Uberwiegt,  und  besonders 
fUr  Andacht  und  Pathos  zeigt  Hausegger  eine  besondere 
Begabung.  Sie  ist  auch  in  den  ruhigen  Stellen  des 
SchluOsatzes  nicht  zu  verkennen;  wenn  dessen  Eindruck 
nicht  befriedigt,  so  liegt  das  an  der  falschen  Behandlung 


-^    430    ^^ 

des  Gesangchors,  der  mil  den  Worten  des  Goetheschen 
>Pro5mions<  (Ixn  Namen  dessen,  der  sich  selbst  er- 
schuf  etc.)  die  Sinfonie  zu  Ende  fuhrt.  Da  war  nicht 
Kraftaufwand  und  Breite  am  Platze,  sondem  er  verlangt 
eine  S.hnliche  Einfachheit,  wie  sie  Liszt  dem  SchluGchor 
seiner  Faustsinfonie  gegeben  hat  und  wohl  auch  dessen 
verklSrten  Ton. 

Auch  die  Programmsuite  wird  von  den  deutschen 
Komponisten  nur  maGig  gepflegt.  Unter  den  bekannt 
gewordenen  jlingeren   Werken    dieser   Klasse    hat    die 

H.Bietseta,  Tauferer  Suite  von  Heinrich  Rietsch  (op.  25)  den 
Tauferer  Suite.  Alters vorlritt.  Sie  gibt  in  ftinf  Satzen  Wanderszenen  so- 
wie  Bilder  aus  Landschaft  und  Geschichte,  ist  durchweg 
gut,  stellenweise  interessant  kunstvoll  gearbeitet;  ihre 
besten  Erfindungsmomente  liegen  in  den  flotten  S£Ltzen, 
dem  >Reifenspielc  und  dem  >Lustig  Volk  im  Bad  Winkelc 
Auf  diesen  letzten  hat  Smetana  gliicklich  eingewirkt. 
^eorffSehaniaiiii,         Der  wohl    originellste   Beitrag   zur   Gruppe  ist    die 

Serenade.  Serenade  in  F  (op.  36)  von  Georg  Schumann.  Der 
Komponist  hat  sie  namlich  als  das  St^ndchen  einer  Schar 
abgewiesener  Liebhaber  gedacht  und  damit  die  Unterlage 
zu  einer  Humoreske  gewonnen,  in  der  die  Motive  und 
KUnste  des  Spottes  ein  keckes  Spiel  treiben  dtlrfen.  Es 
gipfelt  im  SchluBsatz,  der  deh  Abzug  der  Gefoppten  mit 
Benutzung  des  Volksliedes:  >Es  wohnt  ein  Miiller  an  jenem 
Teich,  lauf  Miiller,  lauf<  darstellt.  Das  aufierordentlich 
witzige  und  geistvolle  Werk  verlangt  allerdings  ein  ganz 
virtuoses  Orchester  und  macht  es  in  den  ersten  Satzen 
durch  eine  komplizierte  Thematik  auch  dem  Horer  etwas 
schwer.  Neben  dem  in  fortreiOender  Laune  hingeworfenen 
Finale  wirkt  am  meisten  das  Intermezzo,  das  auf  einen 
auOerst  feinen  Walzer  hinausl^uft. 
F. BmobI,  Auch  Ferruccio  Busonis  >Geharnischte  Suite« 

Geharnischte  in  Cismoll  (op.  34)  ist  hier  zu  registrieren.    Sie  fuhrt  in 

Suite.       y^^j.  Satzen  kriegerische  Stimmungen  und  Bilder  vor.  Einem 

>Vorspie]<,  das  etwas  gespreizt  und  mit  verbrauchten  Mit- 

teln  den  Druck  der  Gefahr  und  den  ihr  entgegentretenden 

entschlossenen  Mut  schildert,  folgt  ein  »Kriegstanz<.    Es 


^-^    431    ^>^ 

^cheint  sich  also  nm  einen  Kolonialkrieg  zu  handeln. 
Von  faBbarem  Gehalt  ist  der  dritte  Satz,  der  die  tJber- 
schrift  >Grabmalc  trUgt,  und  der  SchluGsatz,  >Ansturinc 
betilelt,  hat  eine  wirklich  sch&ne  Stelle,  da,  wo  leise 
aus  der  Feme  eine  an  Carl  L5we  anklingeade  einfache 
Melodie  einsetzt,  die  unwillktirlich  die  Gedanken  des 
Horers  auf  Sieg  und  Heimkehr  lenkt. 

Zum  Teil  sind  die  neueren  deutschen  Programmsuiten 
aus  Kompositionen  zusammengesetzt ,   die  als  Vorspiele 
und  Einlagen    in    Schauspiele   entstanden    sind.     Auch 
hier  ist  Busoni  mit  seiner  Turan dot- Suite  vertreten,     F. Bagonl, 
der  leider  die  musikalische  Natfirlichkeit  fast  ganz  ab-  Turandot-Suitc. 
geht.   Das  bekannteste  Werk  dieser  Klasse  ist  die  Dorn-E.  Hamperdlnck, 
rSschen-Suite  Engelbert Humperdincks,  deren  Satze    Domroschen- 
in  ihrer  Knappheit  und  Klarheit  eines  Kommentars  nicht  *' 

bedQrfen. 

Auch  im  Auslande  tritt  die  Programmusik  in  Sin- 
fonie  und  Suite  hinter  den  Werken,  welche  bestimmte 
poetische  Ziele  nicht  angeben  und  hinter  den  einsatzigen 
sinfonischen  Dichtungen  zariick.  Nur  in  Frankreich  ist 
die  Programm  su  ite  geradezu  dieNormalform  fur  zyklische 
Orchesterkompositionen;  eigentliche  Programmsinfonien 
gehoren  aber  auch  hier  wie  zu  den  Zeiten  von  Berlioz 
zu  den  Seltenheiten.  Als  eins  der  wenigen  Werke  dieser 
Art,  die  die  Landesgrenze  iiberschritten  haben,  verdient 
die  in  neuerer  Zeit  wiederholt  auch  in  deutschen  Kon- 
zerten  gebrachte  Sinfonie  zu  Schillers  ^WallensteincYincentd'indy, 
von  Vincent  d'Indy  (op.  12]  Beachtung.  Der  Komponist  »Wallon8tein«. 
nennt  diese  Arbeit,  wohl  an  Schillers  Gesamttitel  an- 
knilpfend,  eine  >Trilogie€.  Das  ist  fiir  Form  und  Inhalt 
des  Werks  etwas  zu  volitonend.  Es  sind  nicht  drei  Sin- 
fonien,  die  er  vorlegt,  sondern  es  ist  eine  Sinfonie  — 
ahnlich  wie  die  Lisztsche  zu  » Faust c  —  in  drei  Satzen. 
Der  erste  will  ein  Bild  des  Lagers,  der  zweile  des  Liebes- 
paars  (Max  und  Thekla]  geben;  der  dritte  knUpft  an 
>Wallensteins  Tod«  an.  Ein  enger  Zusammenhang  be- 
steht  nur  zwischen  dem  ersten  und  dritten  Satz;  der 
zweite,  der  auch  den  Untertitel  Piccolomini  fQhrt,  eignet 


— <^    432    >- 

sich  f&r  eine  Einzelaaffiihrniig.  Die  Sinfonie  zeigt,  wenn 
auch  keine  besonders  tiefe,  so  doch  eine  im  ganzen  sehr 
lebendige  Auffassmig  der  dentschen  Dichtnng,  eine  an- 
schauliche  masikalische  Erfindung  und  einen  auf  breiter 
Bildung  mbenden,  geschickten  Stil.  Individuelle  ZQge 
sind  d'Indy  nicht  eigen,  sondern  er  teilt  mit  der  Mehr- 
zahl  der  neufranz5sischen  und  neurussischen  Orcbester- 
komponisten  die  Vorliebe  ftir  Nonen  und  Undezimen- 
akkorde,  fur  Orgelpunkte  und  §.hnliche  barmonische 
Vergr513erungsmittel,  den  Wagnerscben  EinfluB  auf  die 
StimmfUbrung,  die  interessante,  dissonanzenreicbe  Kon- 
trapunktik.  Wie  alle  diese  Ansl&nder  ist  aucb  V.  d'Indy 
ein  hervorragender  Kolohst,  allerdings  starkem  Farben- 
auftrag  etwas  einseitig  zugeneigt. 

Rbeinberger  bat  mit  vollem  Recbt  dem  Wallenstein 
selbst  in  seiner  Sinfonie  einen  vollen  Satz  gewidmet. 
d'Indy  begniigt  sicb,  dessen  Gestalt  ab  und  zu  durcb  die 
S&tze  schreiten  zu  lassen.  £s  war  ihm  nicbt  um  die  Scbilde- 
rung  von  Cbarakteren  zu  tun,  sondern  darum,  die  EindrOcke 
der  Scbillerschen  Dram  en  ins  Musikalische  zu  Ubertragen: 

Bei  dem  ersten  Satz,  »Le  Camp  de  Wallenstein c 
(Wallensteins  Lager),  macbt  sicb  die  franzosische  Ab- 
kunft  der  Musik  am  deutlicbsten  geltend.  Sie  bat  fdr 
die  emsten  Figuren  und  Reden  des  Scbillerschen  Lagers 
keine  Tone  und  \B.Qi  nicbts  von  der  Zeit  und  dem 
Boden  ahnen,  die  dem  Vorspiel  der  Trilogie  seinen 
Charakter  und  eine  gewisse  Grofie  geben.  Das  Lager 
d'Indys  ist  obne  Unterbrecbung  munter,  ausgelassen, 
kommt  niemals  zur  Rube,  wimmelt  von  SpaOmacbem 
und  Jongleuren,  bestebt  ausscblielBlicb  aus  leicbten 
Truppen  und  leicbten  Vogeln.  Seiner  formellen  An- 
lage  nacb  ist  es  ein  Scberzo  mit  etwas  buntem  Haupt- 
satz  (Allegro,  Gdur).  Es  setzt  mit  folgendem  Tbema  ein 
Allegro  giusio.  J* leo  ^as    uns   mit- 


.^jfu  ^'  T^JQ  j  ^  *^^    I  .   ^"^den  frSblicben 
&       P      ^      -y  ^    iB  *^^      '  P      ^        L&rm  der  Mas- 


P      ^      y  ^     tfp""^      '  P 


•*^  sen  ftihrt,  f rob- 


-^    433     •— 

lich  nnd  elementar.  Denn  die  Gebilde,  die  der  Komponist 
aus  seinen  Motiven  entwickelt,  sind  unregelmaBig.  Hier 
fQhrt  er  nns  vor  eine  f&nftaktige  Gruppe,  dort  koromen 
zwei-  und  dreitaktige,  hier  h&lt  er  an  einem  Motiv  fest, 
dort  schweiCt  er  zwei  oder  mehrere  zu  bald  kurzeren, 
bald  langeren  Abschnitten  znsammen.  Unberechenbar 
und  frei  will  er  uns  das  Leben  nnd  Treiben  des  Lagers 
sehen  lassen.  Der  erste  Abschnitt  uber  dieses  Haupt- 
thema  schlieGt  in  Hdur.  Der  zweite  setzt  in  EmoU  ein 
und  geht  von  Cdnr  ans  nach  Ddnr  in  Modulation  en  und 
mit  wilden  Trillern,  die  den  Walkiirenritt  Wagners  fur 
einen  Augenblick  vor  die  Phantasie  rufen.  Ein  dritter 
Abschnitt  fiber  dasselbe  Hauptthema  beginnt  in  Asdur 
und  geht  von  B  moll  aus  allm&hlich  nach  der  Hauptton- 
art  Q  zuruck,  die  in  Solopassagen  der  Violinen  (einige 
Takte  geht  die  Flote  mit)  erreicht  wird. 

Da  beginnt  ein  erster  Seitensatz,  dem  das  ruhigere 
Thema 

J  =  144 

zugrunde  liegt.  Es  kommt  nicht  weit  dam  it.  Den  Augen- 
blick, wo  die  erste  Violine  sich  ein  Motiv  zum  Schw^rmen 
aussucht,  benutzt  die  derber  gesinnte  Masse,  um  mit  einem 
Walzer  einzuf alien,  dessen  grob  einfache  Weise 

^^^  Allegro  moderato.  J.g76  

durch  die  seltsamen  Humore  der  Begleitung  —  die  BSsse 
bleiben  lange  auf  den  zwei  T5nen  e  und  h  —  bedenklich 
gest5rt  wird.  Nach  einem  Zwischens&tzchen,  in  dem  die 
Flote  das  Solo  hat,  wird  wohl  die  iibliche  Wiederholung 
erreicht,  aber  die  rechte  lustige  Stimmung  bleibt  aus,  und 
am  Ende  haben  die  StOrenfriede,  die  einen  s/gTakt  hinein- 
werfen,  die  Hauptstimme.  Der  Tanz  hort  p]5tz]ich  auf, 
and  wie  aus  der  Feme  horen  wir  wieder  den  Larm  des 

Eretzscliinar,  F&hrer.    1,1.  28 


_^    434    <— . 

Lagers,  mil  dem  der  Satz  begann.  Wir  baben  es  mit 
der  Qblichen  Wiederholnng  des  Haaptsatzes  zn  tan. 
Doch  Terschm&bt  es  der  Komponist,  sie  glatt  und  wdrt- 
lich  zu  bringen.  Wie  er  dea  Hauptsatz  zunftchst  pp  ein- 
setzt,  hat  er  ihn  auch  in  der  Tonart  ver&ndert,  n&mlich 
nach  Edur  gebracht  und  auf  den  Qaartsextakkord  ge- 
stellt.  Ahnlich  bringt  er  das  erste  Seitenthema,  das  beim 
erstenmal  in  6  dur  auftrat,  jetzt  in  Es  und  verteilt  seinen 
Vortrag  taktweise  auf  verschiedene  Instrumente.  Auch 
jetzt  kommt  dieses  zum  Schw&rmerischen  neigendeThema 
nicht  zu  seinem  voUen  Rechte.  Als  es  sich  ausbreiten 
will,  entsteht  unerwartet  Tumult.  In  den  Bl&sern  treten 
wieder  Vertreter  des  zweiteiligen  Rhythmus  ein.  Ein 
Schreck  geht  von  ihnen  aus:  von  unten  bis  oben  rafts 
durch  das  Orchester:  eie-fia,  Dann  eine  lange  General- 
pause  und  darauf 

•^"iil.ji  I  tLjJ '  lull  'Qiu'  i^RP 

fE!^.  I  j':. 'h  LJ' ^  Tuj  p  \\Q 

Zu  dem  einen  Fagott  kommt  ein  zweites,  bald  ein 
drittes;  der  Satz  l&I3t  sich  zu  einer  Fagottftige  an  und 
versetzt  uns  in  die  Zeiten  R.  Keisers,  der  in  seinen 
Opern  Quartette,  Quintette  und  Sextette  ffir  Fagotten 
schrieb.  Wie  hat  sich  die  Sffentliche  Auffassung  des 
Instruments  seitdem  geftndertl  Damals  der  Lyriker 
unter  den  Blasinstrumenten,  ist  es  heute  der  un- 
freiwillige  Komiker.  Hier  bei  dUndy  vertritt  es  den 
Kapuziner  mit  seiner  Predigt,  und  der  Lohn  seiner  wohl- 
gesetzten  Reden  ist,  ausgelacht  zu  werden.  Das  tun 
zuerst  die  Geigen,  bald  die  Rlarinetten  mit,  in  chroma* 
tischen  Sechszehntelg&ngen.  Dann  packt  aber  die  Oboen 
und  die  anderen  Holzbl&ser  eine  gewaltigere  «■■ 
Heiterkeit,  sie  platzen  in  kurzen  Zwischenrufen  ?/7  J 
heraus.  Das  Piston  setzt  ein  und  parodiert  das  Fugen- 
thema,  das  dieKlarinette  garyerzerrt,wfthrenddie  Violinen, 


>te. 


-^    435    <^- 

die  FlStea  dazn,  sich  auf  einem  langen  Triller  vor  Lachen 
flchUtleln,  and  dem  folgt  ein  elementarer  Ansbrach  yoq  Aus- 
gelassenheit  in  Motiven,  die  auf  den  Walzer  zar&ckgehen: 
AUegTo  ooB  fnoeo.   ^         ^  Yergeblichver- 

^  Bucht  die  Tuba 

{•tcdas  Fugenthe- 
ma   dem   eni- 
jf  >  I  gegenzustellen 

der  L&nn  w&chst   nor.     Da   pl5tzlich   klingts  in  Hdr- 
nern,Trom-  laigo  e  nuMstoao.  J  s  66 


CUnI  jl  ^iiiui|i'iii|  ri^i''rr  II 


Das  bedeutet:  der  Feldherr,  Wallenstein  tancht  anl  Nehmt 
Euch  in  Acht!  Der  nngluckliche  Kapuziner  wird  freige- 
lassen,  alles  nimmt  wieder  seine  gewOhnliche  Miene  an. 
Das  Trio,  das  mil  dem  Tbema  des  Fagotts  begann,  ist  zu 
Ende;  der  Uauptsatz  des  Scherzos  kehrt  wieder.  Nicht 
ganz  wdrtlich,  sondem  mit  mehrfachen  Anderangen, 
deren  wichtigste  das  Kolorit  betreffen.  Im  Walzer  er- 
scheint  eine  sehr  pikante  Episode  fUr  drei  Fldten  als 
etwas  Nenes.  Am  SchlaO  kommt  das  erste  Thema  des 
Hauptsatzes  in  vergr56erten  Rhylhmen  und  erweitert, 
als  woUte  es  sich  zu  einem  Hymnns  ansbreiten,  einem 
Preislied  auf  den  Helden,  den  vergdtterten  Wallenstein, 
dessen  Thema  als  einer  der  letzten  Gedanken  der  Kom- 
position  auftritt 

Der  zweite  Satz  der  Sinfonie  (Andante  and  Allegro, 
C,  Esdur),  MaxundThekla  betitelt,  l&Bt  breile  gefOhl- 
voUe  Melodien  mit  erregten  Themen  wechseln  und  zeichnet 
damit  die  tragische  Lage  des  Schillerschen  Liebespaares. 
Wie  einst  in  Verona,  so  haben  sich  hier  zwei  Herzeo  in 
kritischer  Stunde  gefunden;  auch  ihr  Los  ist  in  die  Handel 
der  Parteien  verflochten.  Der  Komponist  hat  der  Ober- 
schrift  des  Satzes  noch  den  Nebentitel  »Piccolomini«  bei- 
geffigt,  um  den  ZuhOrer  darauf  vorzubereiten,  dafi  er  hier 
unbew51kte,  ungestdrte  Liebesszenen  nicht  zu  erwarten 
hat  Die  Mnsik  Iftfit  dar&ber  vom  ersten  Takt  ab  keinen 
ZweifeL  Die  Panke  zeichnet  mit  dem  im  Satze  oft  und  be- 

28* 


436 


deutend  wiederkeh- 


den  kriegerischen  Boden^ 


Andante. 


ih7j?i\'^ 


aeutend  wieaerxen-  a  ■— ii  .  aen  Knegenscnen  uoaen^ 
renden  Rhythmus:  J^  J  J  J  der  betreten  werden  soil; 
die  Violinen  machen  uns  mit  dem  ebenfalls  durch 
die  meisten  Abschnitte  der  Situation  klingenden  Motive 

auf  Trauer  und  Klage  gefaBt, 
:«  and  die  H5rner,  die  mit  eini- 
gen  Takten  die  Einleitung  ver- 
voUstHndigen,  spielen  ebenfalls 
im  resignierten  Ton.  Das  erste  Them  a,  welches  nun  in 
den  Bl&sern  (H5rner  und  Klarinetten)  mit  folgendem. 
Anfang 

ADdaDt«.  J  =66  ^         ^^^^         .-.--^'■^'''♦T""'^^^^ 

■1.1  ■■  L  rq._.,r=>r>-.,.ffrg|tr>pf^' 

^  einsetzt,  ist  sehr  breit  entwickelt. 
Dem  in  Gesdur  schlielBenden  Nach- 
satz  folgen  zun&chst  einige  Takte  Uber  das  oben  skiz- 
zierte  Paakenmotiv,  dann  beginnt  die  Wiederholung  des 
Themas  in  hellerem  Klang  der  Violinen.  Sie  wird  aber 
sofort  —  vom  zweiten  Takt  ab  —  zur  Variation,  zwingt 
den  Ausdruck  zu  grdfierer  W&rme  und  erreicht  bald  ge- 
hoben  und  freudig  das  Ende.  Doch  gerade  bei  diesem 
Ende  l£6t  der  Komponist  noch  einen  starken  Schatten 
nachkommen.  Es  ist  die  Imitation,  die  die  H5mer  und 
Posaunen  tiefen  und  gedampften  Klangs  von  dem  letzten. 
Takt  gaben.  Auch  der  Paukenrhythmus  tritt  wieder  in 
den  Vordergrund.  Die  ganze  Gruppe  mag  wohl  Max  and 
seine  Sehnsucht  schildern  sollen.  Jetzt  setzt  ein  neues- 
Tempo:   Allegro  risoluto  mit  folgendem  Hauptthema 


Allegro  Tisolato.  J  a  126- 


E^tft 


As  FB 


ein.  Der  Komponist  zeichnet  die  Parteien  and  die  Wirren,. 
die  den  Gegenstand  von  Schillers  Piccolomini  bilden. 
Dem  einen  Thema  tritt  zun&chst  ein  klagendes  zur  Seite^ 


437 

das  uns  nm  so 

mehr     an    das 

p  •  ^  ■  '  ^'  '  ^  i^p  'etc  Liebespaar  er- 
innern  darf,  als  es  teilweise  mit  Nachahmungen  zwischen 
Violine  und  Cello  begleitet  and  von  langsamen,  gehaltenen 
Episoden  unterbrochen  wird,  in  denen  Bruchstucke  der  spft- 
ter  zu  erw&hnenden  Liebesmelodie  (in  H  dar)  auf tauchen. 
In  einem  zweiten  Abschnitt,  der  in  G  dar  einsetzt,  bringt 
das  Allegro            Oprno.  ■•  -^^^^     das,  von  Wagners 

ein     zwei-  '^l^^X  J  r'  PI  T'  ^  '     I  Nibelungenmasik 

tes  Thema    ^^      '    ^  "  "  sichtlich     beein- 

flafit,  eine  &hnliche  Rolle  Qbernimmt  wie  in  der  Original- 
qaelle :  £s  ordnet,  klftrt  and  fahrt  einen  Aafschwang  ber- 
bei,  der  sich  bei  der  Wiederkehr  des  Haupithemas  darch 
einen  helleren,  entschiedeneren  Klang  &a6ert.  Nan  ist 
auch  die  Zeit,  wo  die  liebenden  Herzen  sich  dffnen  dUrfen. 
Ein  Andante  iranqaillo  bringt  die  schone,  etwas  Goanod- 
sche  Liebesmelodie,  deren  Anfang  folgendermaBen  lautet: 
^gtf  "^^f^        — ^.  ^^®  Klarinet- 

^  mf  H  ^  e--oibfisH  ein,  das  Cello 
nimmt  sie  ihr  ab.  Noch  ehe  das  Zwiegesprftch  za 
Ende  ist,  h5ren  wir  versteckt  mehrmals  die  Triolen  des 
Wallensteinthemas.  Dann  tritt  die  Liebesmelodie  mit 
jenem  Thema  des  Andante,  das  den  Satz  begann,  zu 
einem  wirklichen  Dialog  zusammen  (jene  in  den  Holz- 
blSlsem,  dieses  in  den  Geigen).  Auch  er  schlieOt  mit 
den  markiert  hervortretenden  Wallensteintriolen  in  bei- 
den  Yiolinen  and  Bratschen.  Und  nun  setzt  Maestoso 
das  Wallensteinthema  aufregend  in  Posaunen  and  Trom- 
peten  ein;  aber  es  endet  in  Dissonanzen,  and  das 
Tremolo  der  Bratschen  ktindet  nichts  Gutes.  Der  Kom- 
ponist  will  unsere  Gedanken  hier  auf  den  Anschlag 
gegen  Wallenstein  lenken.  Deshalb  setzt  er  auch  das 
Jetzt  wiederkehrende  Allegro  risoluto  in  Esmoll  und 
gibt  ihm  ein  Ende  in  gedftmpftem  Ton.  Die  Liebes- 
melodie kommt  darin  noch  einmal  als  Adagio  und  halb 
finterdruckt. 


^^    438    ^^ 

Der  Intention  nach  ist  dieser  zweite  Satz  von  d*Indy» 
Wallensteinsinfonie  der  bedentendste  des  ganzen  Werks* 
Leider  hat  den  Komponisten  im  Allegro  die  Erfindung 
nicht  genfigend  unterstQtzt. 

Der  dritte  Satz  der  Sinfonie  (Tr^s  large,  Allegro, 
Maestoso,  H  moll,  (^),  »Wallensteins  Todc  betitelt,  beginnt 
mit  einer  langsamen  Einleitung,  die  schauerliche  Ab- 
sichten  mit  Berliozschen  Mitteln  der  Modulation  (HmoU" 
und  D  moll  nebeneinander)  und  Instrumentation  (Geigen 
in  den  h^^chsten  Lagen  geteilt;  von  Bl&sern  nur  FK^ten- 
undPosaunen)  verfolgt  Natiirlich  tritt  in  ihr  auch  bald< 
das  Wallensteinthema  auf.  Nachdem  so  am  Anfang  eia 
Blick  auf  den  Ausgang  der  Komposition  geworfen  worden, 
beginnt  die  eigentliche  Darstellung  mit  einem  Allegro,  das 
wohl  Verscbw(}rung  und  Emp5rung  zu  zeichnen  bestimmt 
ist.  Zunftchst  in  den  tiefen  Instrumenten  w^lend  und 
stechend,  erscheint  folgendes  Thema 

AUegro.  J  s  100  ±^a 

fiiiiiiiMi  II ill  h'li  ij  III  1 1  rff  I 

das  ersicbtlich  von  dem  Wallensteinthema  abgeleitet  ist. 
Klopfende  Achtelrhythmen  in  Holzblftsem  und  IK^rnern 
bilden  die  Begleitung.  Mit  dem  Abschlufi  der  Gruppe 
(in  H moll)    ^  ^  zugleich  aber  setzt  auch 

tritt  ein  A  i  J  rn  I  i  jS  die  Musik  ein,  die  im 
Seitenthe-  ^  !^  •"    J^  ^      ersten  Satz  der  Sinfonie- 

ma      ein     •*^  den  Lftrra  und  das  frohe^ 

Treiben  des  Lagers  schilderte.  Dieses  Lagerthema  nimmt 
nun  im  Schlufisatz  der  Sinfonie  einen  sehr  breiten  Raum 
ein  und  beherrscht  den  Satz,  allein  oder  mit  anderen- 
Motiven  vereint  oder  wechselnd,  Iftnger  als  es  die  Be- 
deutung  des  Gegenstandes  erfordert  Vincent  d^Indy  hat 
fur  die  Darstellung  des  sogenannten  Milieu,  wie  das  — 
man  denke  nur  an  Raffii  Schlufisfttze  von  Lenore  und 
von  der  Waldsinfonie  —  den  Programmusikern  sehr  hslufig 
begegnet,  zuviel  getan  und  ohne  dadurch  eine  ganz  klare 
Darstellung  der  &uOeren  Hergftnge  zu  erreichen.  Niemand 


— (^    439    ^^ 

wird  mil  Bestimmtheit  den  Punkt  bezeichnen  kSnnen,  an 
dem  Wallenstein  f&Ut 

Zu  den  besseren  and  sch5nen  Teilen  der  Komposition 
geh5rt  der  Anfang  des  Maestoso  mit  dem  an  Schumanns 
»Manfred«  erinnernden  Them  a 


Maestoso 


i  Trf***  r'im^r  I  f  f^kh  1  f^'^l  Diesem  Maestoso  folgt 
1  f  UJU  "  i  ^K  '  ^-—^  eine  Wiederholung  des 
Allegro  mit  einigen  Anderungen:  es  nimmt  z.  B.  das 
Maestosothema  mit  auf.  An  seinem  SchlaO  erscheint  die 
Liebesmelodie  des  zweiten  Satzes,  and  ihr  folgt  ein  zweites 
Maestoso,  in  das  der  Romponist  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  die  Ratastrophe  hat  verlegen  wollen.  Ein  Largo, 
das  in  verklftrten  leachtenden  Farben  die  Harmonien  der 
£inleitang  wiederholt,  schliefit  den  Satz  ab. 

D*Indy,  dem  die  franzQsische  Musik  als  Vorsitzenden 
der  Soci^t^  nation  ale  de  masique  and  als  Grander  der 
Schola  cantoram  tief  verpflichtet  ist,  hat  der  WaUenstein- 
sinfonie  noch  eine  »Sinfonie  sar  an  th^me  mon- 
tagnardc  and  die  als  ein  Haaptwerk  franzosischer 
Sinfoniekanst  geltende  »Sinfonie  c^venolec  folgen 
lassen;  beide  sind  bisher  in  Deatschland  unbeachtet  ge- 
blieben. 

Die  zweite  franzSsische  Programmkomposition,  auf 
die  hier  wenigstens  ein  kurzer  Blick  geworfen  werden 
mafi,  ist  die  Sinfonie  »La  Merc  von  Paal  Gilson  (ohne  Pani  giuoil« 
Opasangabe}.  Der  Komponist  ist  zwar  Belgierj  aber  ahn-  »La  Mer«. 
lich  wie  C.  Franck,  Edgar  Tinel  and  die  flberwiegende 
Mehrzahl  seiner  Landsleate  in  seiner  Kanst  darch  and 
darch  Franzose.  H.  Berlioz'  Anspriiche  an  die  Orchester- 
besetzang  insbesondere  hat  bisher  niemand  mit  gleicher 
Unbefangenheit  aafgenommen  and  erweitert  wie  dieser 
Belgier.  Im  letzten  Satz  seiner  Sinfonie  verlangt  er 
auBer  dem  schon  starken  B19^erchor  des  gew5hnlichen 
Konzertorchesters  noch  eine  zweite  Gamitar  Holzblftser 


_^    440    4^- 

und  ein  Datzend  Saxhdmer.  Dieser  Aufwand  und  die 
berechtige  Furcht  vor  den  akustischen  Wirkungen  dieses 
Finale  mogen  der  Sinfonie  von  Gilson  den  Zugang  zu 
dem  deutschen  Konzert  wesentlich  erschweren.  Gekannt 
zu  werden  verdient  sie,  weil  sie  als  die  talentvolle  Leistang 
eines  Hauptvertreters  der  extremen  Koloristenpartei  ein- 
mal  ein  Licht  darauf  wirft,  was  den  Formen  der  Sinfonie 
unter  der  Herrschaft  dieser  Richtong  bevorsteht.  Das  ist 
geradeso  wie  in  der  Malerei  eine  kolossale  Verarmung 
des  eigentlicben  inneren  Lebens  zugunsten  einer  neben- 
s&chlicben  Naturtreue. 

Am  st&rksten  ist  dieser  Eindruck  im  erst  en  Satz 
(Allegretto,  o/g,  F  dur),  dem  nach  einem  hOchst  umst&nd- 
lichen,  mit  mytbologiscben  nnd  sonstigen  Schemen  ar- 
beitenden  Gedicbt,  dem  Programme  der  Sinfonie,  die  Auf- 
gabe  zufMJlt,  den  Sonnenaufgang  zu  schildem.  Man 
erwartet  da  eine  Einleitung,  die  der  Scbatten  der  Nacht 
und  der  D&mmerung  gedenkt.  Aber  der  Komponist  setzt 
sofort  mit  einem  fertigen  Operettenthema  ein: 

AUegretto.  J.=1iO. 


eresc. 


I  r"r"cJ  I  f  flJ  i  r  "p '  -  i 


das  wohl  die  Stimme  des  seelenlosen  Meeres  bedeuten  solL 
Und  diese  sowieso  scbon  an  Sequenzen,  d.  h.  an 
Wiederholungen  desselben  Motivs  reiche  Weise  wird  nun 
durch  den  ganzen  Satz  unaufb5rlich  wiederbolt,  meist 
w5rtlich  tfnd  vollstSJidig.  Nur  in  der  Mitte  des  Satzes, 
da  wo  sonst  die  ersten  S^tze  der  Sinfonien  die  Durch- 
fuhrungspartie  bringen,  begnfigt  sich  der  Komponist  mit 
Bruchstticken  seines  Tbemas  und  fiigt  aucb  auf  einige 
Abschnitte  bin  eine  Bildung  aus  auf-  oder  absteigenden 
Achtelfiguren  hinzu,  die  man  fur  eine  Art  neuer  Ge- 
danken  ansehen  kann.  Sonst  aber  bleibt  er  unerbittlich 
bei  seiner  Melodie,  wie  sie  stebt.  Keine  wesentliche  Ent- 
wicklung,  keine  Umbildung  gibt  ibr  den  Schein  des  Neuen, 


441 


und  wenn  es  des  Komponisten  Absicht  war,  die  Eintdnig- 
keit  des  Meeres  vor  die  Seele  seiner  Zah5rer  zu  bringen, 
so  hat  er  diese  Absicht  bis  zu  einem  Grad  erreicht,  der 
aufierhalb  der  Grenzen  der  Kunst  liegt 

Der  zweite  Satz  (Allegro,  s/4  und  2/4,  Adur)  hat  die 
Cberschrift  >Matrosen-Lieder  und -Tftnze«  und  bildet 
einen  Reigen  lustiger  Szenen  von  sehr  frischem  und  kr§,f- 
tigem  Grnndton.  £s  scheint,  als  wftren  fUr  die  frohlichen 
Bilder  Volksweisen  mit  verwendet  Auch  in  diesem  Falle 
bleibt  dem  Komponisten  -das  Yerdienst  sicherer,  klarer 
und  wirksamer  Gestaltung.  In  der  Sicherheit,  mit  der 
eine  grofie  Menge  hunter  Gestalten  gruppiert  ist,  gleicht 
der  Satz  dem  Scherzo  in  Svendsens  D  dur-Sinfonie,  und 
in  der  Lebendigkeit,  Unmittelbarkeit  und  in  der  freudigen 
Teilnahme,  mit  der  er  das  Gliick  und  die  Lust  der  un- 
teren  Schichten  schildert,  zeigt  er  sich  als  echter  Sohn 
der  Niederlande. 

Der  Satz  zerf&llt  in  zwei  Hauptteile.  Dem  ersten 
liegt  folgendes  Thema: 


AUei^ro.  J  =  116. 


Wf  ^  P^r  fr  I  i^i^  r  r  r  I  r^f'  r  ^^ 

if 

zu  Grande,  das,  von  unbedeutenden  Nebenmotiven  ge- 
streift,  eine  lange  Entwicklung  erf^rt.  An  dem  SchluO 
wird  der  Ton  wilder:  ein  Presto  tritt  ein: 


j^^i  M  rTi  ff-Q-^Cr-,|]^^j2j. 


Bald  aber  kommt  eine  ruhigere  Weise  in  ihm: 


^*  fTfTr  i?J  r  I  ^Tr  I  r?t^ 


Trotz  des  Presto  ist  der  zweite  Teil  des  Satzes,  in 
den  wir  jetzt  gelangt  sind,  ein  Ersatz  des  alten  Trios. 
Es   schlieBt  mit   einem   noch  mehr   gesteigerten  Tern- 


-^    442    ♦^ 

po  (Molto  presto).    Aber  in      ^  j^Molto  preitb.      _    , 
ihm  kommt,  ftuBerlich,  fQrs     -ftTS  -I   J^  I  J   rN  ' 
Auge  vielleicht  etwas  fremd:      U  '    ^       -  -  .  -   j 
das  Thema  des  Hauptsatzes  wieder.    Wir  sind  also  in 
die  Wiederholung  des  ersten  Teiles  eingetreten.    Als  dann 
die  HolzblHser  im  breiten  Gesang  die  Melodie  aufnehmen, 
baut   der  Kompooist  seine  Harmonie  auf  einen  langen 
basso  osiinato  auf,  in  den  scheinbar  leichtesten  Aufgaben 
die  grSfite  Kanst  entfaltend. 

Der  dritte  Satz  (Allegro  moderato,  V4  ^^^^  V4>  ^^s 
dar),  D&mmerung  tiberscbrieben,  f&hrt  uns  wieder  nacb 
der  See  zurfick.  Wir  h5ren  das  gleichmaCige  Pl&tschern 
ihrer  Wellen  in  Mo  liven,  die  dem  Haupttbema  des  ersten 
Satzes  entnommen  sind.  Erst  kommen  sie  in  den  BlSsern 
muntern  Schritts,  dann  werden  sie  langsam  und  leise  in 
den  Geigen  angespielt  Die  Nacbt  kommt,  Licht  und 
Bewegung  erliscbt.  Wie  ein  Abendlied  erklingt  es  au» 
dem  englischen  Horn: 

Vn  pooo  meno  lento.  J  =  69. 


eine  Idylle  im  Satz,  Gelegenbeit  zum  Tr&nmenI  Dann 
wird  aber  die  Bewegung  lebhafter.  Die  Motive  aus  dem 
ersten  Satz  kommen  wieder;  die  d&monischen  MUchte  der 
See  regen  sich  und  messen  sich  eine  Weile  mit  den  Gei- 
stem  des  Abendfriedens.  Auch  Nachkl&nge  aus  der  Tanz- 
szene  durchziehen  den  Satz. 

Der  vierte  Satz  (Allegro  moderato,  Vs*  ®/4>  F  ^^^)^ 
Sturm  fiberschrieben ,  beschr&nkt  sich  thematisch  auf 
den  ersten  Takt  des  Haupttbemas  des  ersten  Satzes.  Die 
vier  Noten  dieses  Motivs  variiert  Gilson  in  Farben  und 
Harmonien  und  wiederholt  sie  so  unermQdlich,  dafi  sie 
den  H(}rer  noch  Tage  lang  verfolgen,  &hnlich  wie  uns  da& 
Rauschen  des  Meeres  noch  lange  auf  dem  Festland  be- 
gleitet.    Der  Komponist  erreicht  damit  eine  geisterhafte^ 


-^    443    ♦^ 

gespenstische  Wirkung,  der  Eindrack  seiner  Meerbilder 
wird  &hnlich,  wie  ihn  Haydn  von  seiner  Englandfahrt 
gehabt  haben  muQ,  als  er  das  Meer  »das  grofie  Tier« 
nannte.  Diese  Frucht  f&llt  in  GiJsons  Finale  nebenbei 
mil  ab.  Sein  Hauptziel  ist:  die  See  in  EmpOrung  zu 
zeigen.  Nacb  dem  Programm  geht  das  Schiff,  dem  die 
Matrosen  des  zweiten  Satzes  angebdrten,  in  diesem  Schlufi- 
satz  zn  Grande.  Das  Henlen  des  Starmes,  das  Kracben 
der  Wasserberge  nnd  alle  die  Scbauer  der  wilden  furcht- 
baren  Natnr  sind  in  einer  Sinfonie  so  lebensgetreu  wie 
bier  in  dem  Werke  des  Belgiers  nocb  nicht  gem  alt  wor- 
den.  Wenn  es  ein  Trimnph  der  Kunst  ist,  das  Heulen 
des  Stnrmes,  die  schrecklichen  Schl&ge  der  Wellen,  das 
Stdbnen  des  Fabrzengs,  die  hdrbaren  Aufiemngen  seines 
Kampfes  mil  den  Elementen  mil  dem  grofiten  Grad  von 
THuschung  vorzufubren,  so  bat  Gilson  bier  eine  Haupt- 
leistong  binterlegt.  Zum  Teil  sind  die  Mittel  altbewfihrt, 
namentlicb  von  Liszt  und  Wagner  eingeftkbrt:  die  cbro- 
matiscben  Skalen,  die  boben  Triller,  die  bereinprasseln- 
den  Akkorde  der  scbweren  Bl&serbarmonie;  zom  Teil  sind 
es  Rombinationen  rbytbmiscber  Natnr,  die  Gilson  f&r  sicb 
in  Ansprucb  nebmen  kann.  In  den  kritiscben  Minuten 
ist  aucb  ein  M&nnercbor  zngezogen,  der  die  Matrosen 
darstellt,  ibre  verzweifelte  Arbeit  mit  »bo  be<  begleitend. 
Nachdem  das  UnglUck  gescbeben,  b5ren  wir  das  Tbema 
des  ersten  Satzes  in  seinem  vollen  Umfang  nocb  einmal. 
Das  Meer  bat  kein  Erbarmen  und  kein  Gewissen ;  es  gibt 
sicb  so  unscbuldig  und  gleicbgtiltig  wie  am  Morgen,  da 
die,  welcbe  jetzt  in  der  Tiefe  ruben,  die  Sonne  aufgehen 
saben. 

Aucb  Claude  Debussy  bat  eine,  wenigstens  in  Clavde Debmssj^ 
Frankreicb  bftufiger  gespielte  Meeressinfonie  geschrieben,  ^^  ^®' 
die  den  Titel  .»La  Mere  trUgt  und  aus  drei  S&tzen  oder 
Skizzen  (esquisses  sympboniqnes)  bestebt.  Im  ersten ^ 
>Derarbe  k  midi  sur  la  mere,  malt  das  Orcbester  das 
Spiel  des  Wassers  mit  bestftndig  wecbselnden,  kurz  cha- 
rakterisierenden  Figuren  der  Streicber,  von  den  Blslsern 
ber  bdrt  man  rubigere  Motive,  welcbe  die  Stimmung  des 


.  .-^    444    ^^ 

im  Boole  sitzenden  Beobachters  ausdriicken.  Darin,  da6 
sie  Debussy  nicht  entwickelt  und  nicht  in  Beziehungen  zu 
einander  setzt,  zeigt  sich  seine  impressionistische  Natur, 
der  Bausteine  lieber  sind  als  Bauwerke.  Der  zweite  Satz: 
»Jea  de  vaguesc,  bringt  im  wesentlichen  die  Bilder 
des  ersten  nochmals,  aber  vergrdfiert,  bewegter,  erregter 
und  auch  mil  einem  st&rkeren  Zusatz  von  Gemutsmotiven. 
Er  hat  da,  wo  sich  die  Dissonanzen  endlich  einmal  auf- 
15sen,  Stellen  von  faszinierender  Sch5nheit.  Der  dritte 
Satz:  >DiaIogue  du  vent  et  de  la  mer<,  beginnt 
erst  das  Treiben  des  Windes,  dann  die  Reaktion  des 
Wassers  malend.  Dann  koinmt  aber  als  Mittelpunkt  des 
Oanzen  ein  weihevoll  ruhiger,  gebetsartiger  Abschnitt,  der 
von  einer  zwar  chromatischen ,  aber  doch  breit,  aus- 
giebigen  und  sprechenden  Melodie  getragen  wird.  Es  ist 
treffliche  Musik  im  alten  Stil. 

Die  Aufgaben,  die  sich  die  franz5siscbe  Programm- 
suite  stellt,  laufen  in  der  Kegel  auf  Stimmungs-  und 
Situationsbilder  allgemeiner  Natur  hinaus.  Es  sind  im 
Grunde  GharakterstUcke,  wie  sie  die  franz5sische  Orche- 
stersuite  seit  LuUy  gehabt  hat,  sie  schildern  AfTekte, 
deren  musikalische  Natur  auQer  allem  Zweifel  steht,  und 
gebrauchen  den  poetischen  Titelzusatz  nur  als  Sporn  und 
HQlfe,  die  Phantasie  zu  beleben  und  vor  dem  Einschlafen 
auf  Gemeinpl&tzen  zu  schUtzen.  Der  Zusammenhang  dieser 
Musik  mit  dem  Ballett  ofTenbart  sich  im  Gharakter  der 
S&tze;  ja  ein  Teil  dieser  franzOsischen  Pro  gram  msuiten 
bekennt  auch  ftuBerlich  die  Herkunft  von  der  B&hne.  Von 
L6o  Dellbes,  L.  Delibes  z.  B.  haben  wir  zwei  Ballettsuiten  aus  >Le 
Sylvia.  Roi  s^amusec  und  aus  >Sylvia«.  Diese  Sylriasuite, 
die  sich  in  den  deutschen  Popul&rkonzerten  eingebiirgert 
hat,  ist  ein  ProbestQck  jener  franz5sischen  Unterhaltungs- 
kunst,  die  gew3hnliche  Dinge  darch  eine  gew&hlte  Form 
zu  heben  weiO.  Unter  ihren  vier  Sfttzen,  die  J&ger, 
Nymphen  und  Bacchanten  vorfUhren,  zeichnet  sich  der 
dritte,  ein  langsamer  Walzer  aus.  Am  bekanntesten  sind 
aus  der  Gruppe  dieser  fiir  das  Konzert  zurechtgemachten 
Schauspielmusik  die  zwei  Suiten,  die  G.  Bizet,  der  Kom- 


-^    445    <»~ 

ponist  der  » Carmen «,  im  Jahre  1872  zu  A.  Daudets  Schaa- 
spiel  >L*Arl6siennec  geschrieben  hat. 

Von  diesen  beiden  Suiten  ist  die  erste  in  Dentsch-  G.  Bizet, 
land  auBerordentlich  verbreitet  und  wohl  mehr  als  L'Arl&ienno  K 
irgend  eine  zweite  neuere  franzGsische  Orchesterkom- 
position  aus  den  Kreisen  der  Abonnementskonzerte  hin- 
aus  in  die  Volksmusik  gedrungen.  Das  ist  nar  natur- 
licb,  denn  sie  ist  eine  so  reizende  Arbeit,  wie  wir  nur 
wenige  haben,  and  bleibt  —  mannigfach  gehaltvoll  — 
leicht,  klar,  liebenswtirdig  auch  da,  wo  sie  UngewOhn- 
liches  und  Aufierordentliches  bietet.  Eins  wollen  wir 
Bizet  nicht  vergessen :  das  ist  die  Knappheit  seiner  Ent- 
wicklangen  und  Ausfuhrungen. 

Die  erste  Nummer  unserer  viersHtzigen  Suite  (Allegro, 
C)  Cmoll),  die  die  Oberschrift  Prelude  hat,  bildet  in  der 
vollst&ndigen  Schauspielmusik  die  Ouverttire  and  hat  den 
doppelten  Zweck,  auf  die  HauptzQge  und  den  Charakter 
der  Handlung  vorzubereiten  und  uns  mit  Land  und  Leuten 
etwas  bekannt  zu  machen.  Das  zweite  Ziel  verfolgt 
Bizet  mit  dem  Thema,  das  den  Satz  erdffnet: 

^  ,    Allegro  declso.  J  sl04 

Jot  * 

"~^  '  VI   I    J    I   f"  fi  pT— 7— I  Es  ist  erne  provenzalische 
y^jj   r    '^^J^J.  ■  Volksmelodie,  als  >Marche 


de  Turenne<  in  Frankreich  bekannt.  Bizet  entwickelt  sie 
vA  einer  Reihe  Variationen  ernsten  Charakters,  die  die 
Phantasie  seiner  franzOsischen  Zuhdrer  mit  ganz  be- 
stimmten  geographischen  und  kulturhistorischen  Bildern 
erfUlIen  miissen,  wie  wir  dhnlich  bei  >Jetzt  gang  ich  ans 
Briiunelec  an  Schwaben  denken.  Zuerst  kommt  di& 
Melodie  ohne  Begleitung,  aber  in  m&chtiger  Besetzung 
(alle  Streichinstrumente  mit  Ausnahme  der  Kontrabftsse, 
Holzblftser,  Saxophon  and  H5rner).  Dann  wird  sie  zart 
von  der  Klarinette  gesungen,  von  der  Flote,  englischem 
Horn  und  beiden  Fagotten  mit  schmiegsamen  Harmonien 
begleitet.     Die  zweite  Variation  bringt  das  Thema  von 


.^    446    <^- 

8&mtlichen  Bl&sem  gespielt;  s&mtliche  Streichinstrumente 
begleiten  ebenfalls  unisono  in  Achtelfiguren,  die  c  als 
Orgelpunkt  festhalten,  in  den  Nebeonoten  aber  die  Skala 
emporklimmen.  Die  Perioden  setzen  pp  an  und  gelangen 
zur  selben  Zeit,  wo  die  Figoren  sich  der  Oktav  von  o 
nShern,  ins  f  and  ff. 

Die  dritte  Variation  bringt  das  Them  a  im  langsamen 
Tempo  in  Cdar  vom  Cello  vorgetragen,  Horn  und  Fagott 
begleiten.  Die  vierte  Variation  hat  es  wieder  in  der  An- 
fangsbewegung  and  im  groBen  Glanz  des  vollen  Orche- 
sters.  Mit  einem  kleinen  Anhang  schliefit  die  Variationen- 
gruppe,  die  dadorch  ungew5bnlich  ist,  dafi  sie  auf  die 
modern  en  Miitel  des  Variierens,  aaf  wesentliche  Ver- 
&nderungen  des  Themas  selbst,  verzichtet.  Bizet  woUte 
mit  Rticksicht  auf  den  Zweck  seiner  Musik  so  einfach 
und  gemeinverst&ndjich  als  moglich  bleiben;  er  ist  trotz- 
dem  nicht  in  Monotonie  verf alien. 

Die  Mitte,  oder  den         Apdyte  moito.  Jeden  zwei- 

zweiten  Teil  des  Prelude  ^j^^^b  fj^  f'  g  |^  Hten  Takt  er- 
fiillt  fast  ganz  das Motiv  ^'  ''  ^  ^  '  '^hebt  es  sei- 
nen  Klageruf.  Wie  auch  die  Musik  ihre  Wege  w&hlt, 
durch  alle  Harmonien  dr&ngt  es  sich.  Wenn  je,  so  darf 
hier  an  eine  >Id^e  fixec  gedacht  werden,  und  tatsachlich 
bedeuten  jene  vier  Noten  auch  etwas  dem  Ahnliches. 
Fr6deri,  der  Held  des  Daudetschen  Schauspiels,  mnO  das 
M&dchen  von  Aries  (rArl^sienne)  aufgeben,  weil  sie  eine 
UnwUrdige  ist.  Aber  er  hdrt  nicht  auf  an  sie  zu  denken, 
sich  nach  ihr  zu  sehnen,  und  an  dem  Abend,  wo  seine  V6r- 
4obuDg  mit  einer  andren  vorbereitet  wird,  stiirzt  er  sich 
zumFenster  hinaus.  Der  mittlere  Teil  der  Prelude  malt 
nun  mit  der  unaufhSrlichen  Wiederkehr  dieses  einen  Mo- 
tivs  den  Creisteszustand  des  armen  Fr^deri,  der  so  ganz 
bis  zur  Sinnlosigkeit  von  dem  Gedanken  an  die  Verlorne 
beherrscht  wird.  Ein  dritter  Teil,  in  dem  das  Motiv 
Pb  pen  mollis  lento.  J  r7e,  ^i®  hauptsftchliche  Entwicklung 
^  ^^.  /  ^  ^^  trftgt,  malt  das  Sorgen,  das  Hof- 
"TO  '  ^  P  P  ■  '  ^N  ^^^  ^^<^  Ringen  der  Umgebung. 
'*Jp  --.==:  jjj^^    letzten   Takte   des    Satzes 


_^    447    ♦^ 

nehmen  Bezng  an!  den  traurigeiii  schrecklichen  Ausgahg 
des  StUckes. 

Der  zweite  Satz  (Allegro  giocoso,  8/4,  Cmoll),  ale 
Minuetto  bezeichnet,  ist  als  Zwischenaktsmusik  zur  ErOff- 
nung  heitrer  Szenen  komponiert.  Er  hat  die  alte,  von 
Haydn  her  bekannte  Aniage.  Der  Hauptsatz  stiitzt  sich 
auf  ein  Thema,  das  bei  aller  Einfachheit  und  Beschr&n- 
kuDg  doch  eine  feine  w&hlerische  Hand  verr&t.  Die  Bafi- 
fiihrnng  zeigt  sie: 

llaaiiML       ADeinra  gloeoso.  J  r 

J . J    J   J J  41J  J  J  #    J -^J  J  J^    «  T» 


iA:rmmr(H'm 


Mehr  als 
vom  Haupt- 
satz    wird 

jedoch  das  Wesen  dieses  Minuetto  von  dem  anderen  Teil, 
dem  an  Stelle  des  Trios  stehenden  Satz  bestimmt  Er 
steht  in  Asdur  mit  folgendem  Thema: 


'igiTirricf  i 


Mit  seinem  innigen,  elegischen  Ausdruck  fesselt  es  an 
sich  schon  das  Gemtit  des  H5rers;  der  Komponist  ver- 
stIUrkt  aber  seine  Macht  durch  die  sichtliche  Liebe,  mit 
der  er  bei  ihm  weit  tiber  die  nonnale  Zeit  hinaus  ver- 
weilt. 

Der  dritte  Satz  (Adagio,  ^4)  Fdnr),  Adagietto  be- 
titelt,  ist  kaum  mehr  als  ein  Lied  mit  einem  kleinen  selb- 
stg.ndigen  Mittetsatz,  sonst  vom  einfachstem  Bau.  Die 
Hauptstrophe  bildet  Vorder-  und  Nachsatz  und  wird  so 
viel  ausgenutzt,  als  nur  mbglich  ist,  und  in  ihr  selbst  sind 
die  melodischen  Yerh&ltnisse  so  leicht  gew&hlt,  als  es 
nur  sein  kann.  Gr5Bere  Schritte  kommen  fast  gar  nicht 
vor.  Diese  ftufierste  Einfachheit,  die  das  innige  StUck 
noch  rUhrender  macht,  als  es  an  und  fCkr  sich  schon  ist, 
dient  hier  Zwecken  dramatischer  Charakteristik.    Es  be- 


— ♦    448    4>^ 

gleitet  den  Dialog  zweier  alten  Leute  im  Sttick:  der  Mutter 
Renaud  und  des  SchUfers  Balthasar,  die  sich,  urn  brav 
zu  bleiben,  vor  fUnfzig  Jahren  getrennt  haben  und  jetzt 
zum  ersten  Mai  wieder  sehen.  Als  die  Musik  der  alten 
Leute  zeigt  sicb  das  Adagietto  auch  in  seiner  bescheid- 
nen  Besetzung  (Streichquartett)  und  im  Tempo,  das  man 
kaum  zu  ruhig  nehmen  kann. 

Der  SchluBsatz  (Allegretto  moderato,  3/4,  G  dur) 
»Garillon<  betitelt,  ist  derjenige,  welcber  den  Konzert- 
erfolg  der  Suite  unter  alien  UmstS.nden  sichert.  Eine 
Harmonie  gegen  einzelne  liegen  bleibende  Tone  (liegende 
Stimme)  zu  fUhren  oder  gegen  ein  im  BaB  festgehaltnes 
Motiv  (Basso  ostinato),  das  ist  nichts  Seltnes.  Aber  ein 
Motiv  in  einer  Mittelstimme  ohne  Unterbrechung  sechzig 
Takte  hintereinander  wiederkehren  zu  lassen  und  daraber 
und  darunter  eine  Musik  in  FluC  und  Charakter  zu 
bieten  —  wie  das  Bizet  hier  tut,  das  ist  ein  EunststQck. 
Dazu  kommt  aber  noch,  daO  dieses  Kunststiick  sich 
ganz  natiirlich  gibt.  Der  Satz  Bizets  ist  wirklich  ein 
Stuck  Programmusik- im  eigentlichsten  Sinn:  MalereL  Er 
macht  das  Glockenspiel  nach,  aber  Bizet  hebt  den  EfTekt 
poetisch  &hnlich,  wie  er  in  seiner  Carmen  die  AuOerlich- 
keiten  des  militarischen  Lebens  getreu,  aber  zugleich 
auch  in  poetischer  Verklftrung  vorfiihrt  Im  Schauspiel 
setzt  unser  Finale  in  dem  Augenblick  ein,  wo  die  jungen 
Leute  nahen,  um  die  bevorstehende  Verlobung  Fr^deris 
mil  Yivette  zu  feiem.  Was  das  Dorf  nur  an  Mitteln  be- 
sitzt,  um  einer  freudigen  und  hochgehenden  Stimmung 
Ausdruck  zu  geben,  das  wird  in  j 

Tatigkeitgesetzt.  NatiirlichmiiS      ^ff|gretto',oderato.J=l04 

sen  da  die  G15ckchen  auf  den  ^ ff'^  J?  J    J   J    I    J     H 
Turm  auch  mittun.    Sie  spielen:  ^ 

Unter  den  Kontrapunkten,  die  ihnen  entgegenireten,  ist 
der  wichtigste  der  folgende: 


f/pf  rfr  ir  ,1  1  iin  r  r  n  ,1 1  |^ 


449 


als  der  Ausdruck  frdhlicher,  flotter  Feststimmang.  Unter 
den  Klftngen  dieses  Themas  sttbrmt  die  Schar  der  jugend- 
lichen  Gratulanten  heran.  Im  Mittelsatz,  der  liber  folgen- 
des  Thema  entwickelt  ist: 

Andaatliko. 


tritt  das  Sprecherpaar  hervor  and  stattet  sittig  und  herz-    - 
lich  den  Gltkckwunsch  ab. 

Der  auBergewObnliche  Beifall,  mit  dem  Bizets  1.  Suite 
zu  TArl^sienne  in  alien  Lftndem  aufgenommen  worde, 
bestimmte  seine  Freunde,die  (aus  24Nammem  bestehende) 
Mnsik  zu  dem  Schauspiel  Daadets  noch  einmal  nach 
Sfttzen  durchznseheD,  die  im  Konzert  verwendbar  wUren. 
Das  Ergebnis  hat  uns  Goiraud  in  einer  zweiten  Suite 
Bizets  zu  I'Arl^sienne  vorgelegt,  die  ebenfalls  aus  G. BUet, 
vier  Nummern  besteht,  welcbe  den  Stucken  der  ersten  ^*^'1***®°"®  ^ 
Suite  in  der  Wirkung  nichts  nachgeben. 

Sie   wird  mit    einem   Pastorale   erGfihet,    dessen 
Hauptsatz  auf  folgendem  Thema  ruht: 

Andaxit«  sostenato  assai.  J  =  S4. 


^"py_pj^^w  V  I  In  der  harmonischen  Stellung  der 
L-ia  ^  f  p  '  J  ^chtelnoten,  in  dem  l&ndlich  naiven, 
freundlich  liebenswQrdigen  Ausdruck  froher  Stimmung 
erinnert  es  an  Boieldieus  >Weise  Damec.  Ein  Nachsatz, 
von  k  aus  gebildet,  vervollstSlndigt  es  zur  achttaktigen 
Periode,  die  von  den  Bl&sern  allein,  mit  der  FU^te  als 
Soloinstrument,  sofort  und  w5rtlich,  aber  im  zarten  Ton 
wiederholt  wird.  Da  schon  wird  die  Ifindliche  Szene  unter- 
brochen:  die  Holzbl&ser  rufen  einander  zu,  als  k&me  je- 
mandy  der  noch  mit  will:  vom  Saxophon  und  Horn  her 
horen  wir  ein  Motiv,  das  wie  ein  Halloh  khngt.  Man 
wartet  auf  den  Nachziigler,  und  als  er  da  ist,  beginnt  ein 
kleines  Pastoralkonzert,  eine  echte  Landmusik  im  ^/s  Takt: 


KretsBelimar,  Ffthrer.    I,  1. 


29 


450 


wie  von  Dudelsackharmonien , 
von  den  Qaintenb&ssen  der 
vf  etc  Fagotte  begleitet.  Langedau- 

ert  sie  nicht,  das  Adurthema  setzt  wieder  im  ff  ein,  der 
Zug  bewegt  sich  weiter.  Bald  hat  er  aber  sein  Ziel,  den 
Spielplatz  im  Schatten  erreicht.  Noch  einmal  setzt  sich 
alles  in  Positur,  das  Messing  (Posaunen  mit)  intoniert  mit 
aufierster  Kraft  und  Wtirde  die  Adur-Harroonie,  die  andern 
Instrumente  fangen  Nachahmungen  des  Themas  an.  Aber 
blitzschnell  wird  das  aufgegeben,  die  Kl&nge  verhauchen, 
und  wir  stehen  vor  einem  ganz  ver&nderten  BUd:  vor 
dem  zweiten  Teil  des  Pastorale.  Dieser  zweite  Teil  ist 
in  FismoU  und  im  ^4  Takt  gehalten,  scheidet  sich  also 
auch  ftuGerlich  scharf  von  dem  Hauptsatz.  Dem  Cha- 
rakter  nach  ist  er  eine  Tanzszene,  und  der  Komponist 
hat  hier  sichtlich  darauf  gerechnet,  daB  der  Zuhdrer  die 
sinnlichen  Haupteindrticke  durch  das  Auge  von  der  Buhne 
her  empfSLngt  Denn  die  Musik  ergeht  sich  in  blofien 
Wiederholungen.  Sie  reprftsentiert  wohl  mit  provenza- 
hschen,  halb  ehrwtirdigen ,  halb  droUigen  Melodien  ein 
Parchen.    Sie  singt  zierlich: 


tf 


.  Andaatliio. 


P^ 


er  ungesttim: 


eta. 


r  n  [XT  f  f Ijj  eJJJ '  "^  ^^ 


Ein  freierer  und  ausdrucksreicher  Abgesang  schlieBt  die 
Szene  und  eine  abgektirzte  Wiederholung  des  Haupt- 
satzes  den  ganzen  Satz,  der  durch  das  reizende  Adur- 
Thema  noch  lange  nachwirkt  Im  Schauspiel  kontrastiert 
sein  liebenswurdig  freundlicher  Klang  aufs  schneidendste 
mit  der  augenblicklichen  Situation.  Denn  der  Aufzug  des 
Pastorale  erfolgt  unmittelbar,  nachdem  Fr^deri  fiber  den 


-<(>    451    ^^ 

-wahren  Charakter  der  Arl^sienne  schmerzHch  aufgeklftrt 
worden  isi 

Der  zweite  Satz  der  Suite  (Andante  moderato,  d 
Esdur),  Intermezzo  fiberschrieben,  ist  Zwischenaktsmusik 
elegischen  Charakters.  In  der  kurzen  Einleitung,  die  am 
SchluB  der  Nummer  wiederkehrt,  wechselt  eine  starke 
Unison ofigar  mit  zarten,  geheimnisvollen  Bl&serakkorden. 
Der  Hauptsatz  gleicht  einem  Gesangstfick,  dessen  gleich- 
mSiQig  breiter  FluC,  nur  durch  einige  Takte  der  Erregung 
unterbrochen,  dem  Ende  zu  darch  Hinzutreten  immer 
weitrer  Instramente  sehr  imposant  anschwillt. 

Anch  der  dritte  Satz  (Andantino  quasi  allegretto, 
</4,  Esdur),  Menuett  betitelt,  ist  ein  Stiick  Zwischen- 
aktsmusik, dem  vorigen  aber  an  Originalit&t  weit  fiber- 
legen.  In  der  Familie  der  Menuetts  l&6t  es  sich 
ebenso  wenig  mit  einem  zweiten  StQck  verwechseln 
Oder  auch  nur  vergleichen,  wie  Mozarts  Menuett  seiner 
letzten  Esdur-Sinfo- 
nie.  Zu  der  kecken  a  ,1  „  f  r-m 
Grazie  seiner  Melodie,  mrli  i  [^ 
die  von  dem  Thema:  *^  PP 
getragen  wird,  kommt  eine  ganz  ungewShnliche  Instru- 
mentierung:  den  gr5fiten  Teil  des  Hauptsatzes  spielen 
Fldte  und  Harfe  allein.  Um  so  gewaltiger  klmgt  dann  das 
voile  Orchester  im  Mittelsatz,  der  fiber  das  feste  Motiv 
g  I L  f  -f  f  ■  f  >  gebaut  ist.  Die  Pausen  ffillen  Sech- 
gCHi  11'  I '  i  t  I  zehntelgftnge  von  FlOten,  Oboen  und 
/  Klarinetten,  die  durch  die  Beteiligung 

der  Harfe  H&rte  und  RUckgrat  erhalten. 

Ahnlich  wie  in  der  ersten,  so  ist  auch  in  Bizets  zweiter 
Suite  zu  TArl^sienne  der  Schlufisatz  (Allegro  deciso, 
C)  ^4)  DmoU— Ddur)  als  die  Krone  des  Ganzen  zu  be- 
zeichnen. 

Bis  zu  den  Entries  in  den  Balletts  Rameaus  k5nnen 
wir  die  Tatsache  zurfickverfolgen,  daO  die  franz5sischen 
Komponisten  ihre  besten  Stunden  immer  bei  der  Schil- 
derung  von  besondern  Aufzfigen  haben.  So  sind  auch  in 
Bizets  Suiten  der  Carillon,  Pastorale  und  unser  SchluB* 

29* 


452 


satz  die  bedentendsten  Treffer.  Denn  auch  dieser  Schlui^ 
satz  ist  eine  Aufzugsmusik:  Farandole,  wie  er  Ckber- 
schrieben  isti  bedeutet  den  Marsch  und  Tanz,  mit  dem  die 
Teilnehmer  am  Fast  des  heiligen  Eiigius  (Eloi)  in  der 
Provence  vor  den  Hdusern  und  H5fen  erscheinen,  von 
deren  Besitzem  sie  milde  Beitr&ge  erbitten  wollen. 

Bizets  »FarandoIe<  beginnt  wie  das  Prelude  der  erstto 
Saite  mit  dem  Marche  de  Turenne.  Doch  beutet  er  die 
alte  Melodie  nicht  wieder  zu  Variationen  aus,  sonderD 
bricht  sie  bald  ab  und  ersetzt  sie  durch  die  eigentlicbe 
Farandole.  Das  ist  ein  altertumlicher  proven zaiischer  Ge- 
sang,  zu  dem  aucb  besondere  Instrumente  geh5ren:  das 
lange  schmale  Tambourin  und  das  Flageolett:  die  Melodie 
des  Farandole  ist  folgende: 


ABegro  Ttfo. 


einen  Nacbgesang: 


Die  Periode  wird  wie- 
derholt  und  erhalt  dann 


der  ebenfalis  zweimal  gegebea 
wird.  Dann  beginnt  der  ganze 
Reigen  von  vorn,  zwei-,  dreimal  emeuert  sich  das 
Spiel,  aber  immer  lauter.  Wie  aus  weitester  Feme  ppp 
begann  die  Farandole,  beim  zweiten  Einsatz  war  sie 
scbon  im  f,  und  fortw&hrend  wftchst  sie  an  Tonstftrke, 
ziebt  Instrument  urn  Instrument  in  ibre  Kreise  und' 
klingt  mit  jeder  Sekunde  entschiedener,  naturmS,chtiger. 
Nimmt  man  noch  binzu,  wie  das  Tambourin,  noch  ebe 
die  Melodie  eingesetzt  hat,  scbon  seinen  Achtelrhythmus 
begann  und  wie  es  seitdem  nicht  aufgehOrt  hat,  die 
Achtel  weiter  zu  klopfen,  so  kann  man  sich  einen 
Begriff  von  der  sinnverwirrenden  Wirkung  dieser  Musik' 
machen.    Endlich  kommt  eine  Abwechselung:  der  Marche 


— ^    453    f^ 

^e  Turenn^-  tritt  ein.  Aber  nor  flir  kurze  Zeit..  Bald 
macht  er  der  Farandole  wieder  Platz,  die  bis  zum 
Ende  des  Satzes  nicht  wieder  verschwindet.  Wir  stehen 
also  dieser  Schlufinummer  der  zweiten  Suite  gegentkber 
▼or  einem  fthnlich  behandelten  Variationengebilde ,  wie 
-es  Glinckas  Kamarinskaja  ist  Die  russische  Kunst,  ein 
nnscheinbares  und  geistig  geringes  Thema  durch  Z&hig- 
keit  za  einer  Gr5Be,  ja  zu  einer  Naturgewalt  zu  steigern, 
hat  sich  Bizet  mit  einer  Wirknng  zu  eigen  gemacht,  die 
nichts  zn  wUnschen  l&Ot 

Gleichfalls  nach  dem  Tode  des  Komponisten  hat  man  G.  Blset» 
€ine  dritte  Orchesterstute  von  Bizet  verSffentlicht.  Sie  Roma, 
ftlhrt  den  Xitel  Roma  und  gehOrt  zu  seineu  Ulteren  Ar- 
beiten.  Nach  den  Versicherungen  Ch.  Pigots*)  hat  Bizet 
schon  i.  J.  1863  an  ihr  gearbeitet,  damals  noch  mit  der 
Absicht,  eine  Sinfonie  zu  schreiben.  Am  28.  Februar  1869 
wurde  das  Werk  bei  Pasdeloup  aufgeftihrt  mit  der  Be- 
zeichnung  >Fantaisie  Symphonique«  und  dem  Nebentitel 
»Souvenirs  de  Romec.  Der  erste  Satz  trug  die  Bemerkuug 
»nne  chasse  dans  la  forSt  d'Ostie«  —  das  ist  fiir  eine 
Suite  mit  dem  Titel  Roma  ein  zum  Verwundem  harm- 
loses  Thema  — ,  der  dritte  war  als  »Une  procession*  an- 
gegeben,   der  letzte  wie  noch  heute  Carnaval  benannt. 

Der  erste  Satz  (Andante  tranquillo,  C/,  Cdur  und 
Allegro  agitato,  o/s ,  C  moll)  beginnt  mit  einem  Hornquartett, 
«dem  folgender,  an  den  SchlUssen  etwas  Mendelssohnisch 
gefarbter  Gesang  zu  Grunde  liegt: 

Andmte  traaqplBo,  J  r  66-^  ^  ^     ^^  ^,„^ 

^  ^p^T^^  ^      '       T^r^      ^^  derselben  Sonntag- 
r  r  rrrriP^fpr   Tfir    P-  morgenstimmung   wie 

^^    '^  dieses     Thema     sind 

auch  die  Strophen  gehalten,  welche  die  Geigen  ihm  ent- 
^egensteUen.    Dann  geht  die  Erwartung  in  Unruhe  liber. 

*)  Charles  Pigot:  Georges  Bizet  et  son  oenyie.     1886. 


454 


Bewegtere  Motive  treten  ein,  die  Geigen  -begleiten  ii» 
sprUhenden  Figoren,  aus  den  Bl&sern  t5nen  lockende  Rufe. 
Die  ganze  Natur  beginnt  zu  leben,  es  wird  Zeit  znm  Tage- 
werk.  Dessen  Schilderung  ist  die  Aafgabe  des  Allegro^ 
das  den  zweiten  Teil  dieser  Nummer  bildet  Es  ist  in- 
sofern  ganz  ongewChnlich  angelegt,  als  es  weder  die  Qb- 
liche  Einteilang  eines  Sonatensatzes  noch  die  einesRonda 
zeigt.  Es  hat  kein  bestimmtes  Thema,  aus  dem  es  sich 
entwickelt,  sondern  es  sucht  die  augenblickliche  Lage 
mit  immer  neaen  Motiven  zu  zeichnen  und  tlberlftOt  es 
dem  Zuh5rer,  aus  deren  Charakter  auf  den  Inhalt  der 
wechselnden  Bilder  zu  schlieGen.  Die  wichtigsten  dieser 
Motive  sind  folgende  drei: 


Allegro  agitato.  J-^  104 


^_^     Der  Satz  hat  einzelne 
I  j    I     wenige    Idyllen,    vor- 
wiegend   malt  er 


em 


lautes,  froh  erregtes  Treiben,  bei  dem  die  HSrner  eine 
Hauptrolle  haben.  Im  Augenblick,  wo  die  Wogen  am 
hSchsten  gehen,  geht  auch  die  Modulation  aus  Rand  und 
Band,  nftmlich  in  das  ganz  unerwartete  Es  dur.  Dieser  Ab- 
schnitt  hat  auch  ein  hervortretendes  Hauptmotiv,  n&mlich : 

^^       Als  erwiederinEsgeschlossen^ 
H'lift  i^^fJ'V    "  CXX-lL:  verklingt  der  Lftrm;  mit  einem 
y  Male   sind  die  Schatten  des 

Abends  da.  Noch  einmal  kommt  ein  Aufschwung  aus 
der  sanften  Idylle,  die  das  Allegro  geworden  ist.  Dann 
kommen  die  Motive  der  Einleitung  wieder  und  schlieBlich* 
das  Andante  selbst. 

Der  zweite  Satz  (Allegretto  vivace,  V49  As  dur)  ist 
als  das  Scherzo  der  Suite  anzusehen.  Seinem  Hauptsatz 
liegt  folgendes  flQchtige,  phantastische  Thema  zu  Grunde; 


_^    455    «— 

J- 1 116. 

0i  ftjm  J  I  I  ,1  J  I  r  r^  '  ^^ 
r  r  r  I  f  r  r  i^rTPj  i  j  1 1  i^vVf?!'  i 

I  f  r  [""rVrf^r  N  r  r  IV  r  H  J  J  J  M  i 

Zuu^chat  wird  es  zu  einer  Fuge  benutzt,  dann  aber  zu 
einer  Reihe  freier  leichter  Satzbildungen,  begnUgt  sich, 
sp^ter  hie  und  da  wohl  auch  Begleitungsmotive  und  Ver- 
zierungsfiguren  zu  liefern,  z.  B.  zu  folgender  Melodie: 

JiV  I  _L  I  I  I   I  1  I  I  Tl  I  I  I      I 

Der  zweite  Teil,  dem  gew5hnlichen  Trio  entsprechend, 
ist  &hnlich  wie  in  der  ersten  Suite  Bizets  zu  TArl^sieane 
sehr  liebevoll  ausgefiihrt.  Das  warm  gesangvolle  Haupt- 
thema,  das  dem  zarten  Satz  zu  Grunde  liegt,  ist: 

fiVm  J  I  II  I  I  1 1  J.  I  I  I  ixiTTi 


l7r  ir  MT'i  III  riJ  JT,i.h«. 


Der  dritte  Satz  (Andante  molto,  C,  Fdur)  gleicht  mit 
seinem  ruhigen,  Gemiitsruhe  und  Frieden  verkGndenden 
Thema : 

Andante-  molto.  J  s  48. 


'- — 'ZTrn^  i^!!^^!  ™®^^  einer  Szene  in  der  Ka- 
J  ^  i^  ^  ^  \  f  =^  pelle  als  einer  Prozession.  Nur 
^^^  -     =^^      die    h&ufigen    Wiederholungen 

f&hren  uns  das  Bild  des  Marsches  der  ausruhenden  und 
wieder  aufbrechenden  Pilgerschar  vor  die  Phantasie. 
Bizet  hat  diesen  Wiederholungen  ganz  im  Gegensatz  zu 


456 


dem  Verfahren,  das  Berlioz  im  Horald  einschlag,  das 
Eintdnige  dadurch  zu  nehmen  gesucht,  daB  er  sie  har- 
monisch  oder  in  der  Instrumentierung  variierte.  Nament- 
lich  die  letzte  Variation  hat  durch  die  lebendigen,  inter- 
essanten  Kontrapunkte  der  ersten  Violine  einen  groBen 
Reiz.  UrsprUnglich  war  dieses  Andante  von  Roma  ein 
Seitenstuck  zu  dem  Adagietto  in  der  ersten  Suite  zu 
TArl^sienne,  einfach  und  knapp.  Der  Komponist  hat  dem 
Satz  aber  nachtr&glich  einen  imposanten  Charakter  da- 
durch gegeben,  daO  er  das  zweite  Thema  aus  dem  SchluG- 
satz  der  Suite  in  ihn  hereinnahm  und  ausfUhrte. 

Dieser  SchluBsatz  (Allegro  vivacissimo,  ^41  Cmoll)  ist 
ein  Rondo.  Sein  Hauptthema  ist  ein  BaBrhythmus,  der 
durch  die  Dissonanzen,  mit  denen  er  begleitet  wird,  eine 
wilde  und  ausgelassene  Natur  und  die  F&bigkeit  erhSlt, 
die  Stiitze  einer  toUen  Karnevalsmusik  zu  bilden: 


Allerro  vlvaclaaimQ. 


J.- 


168. 


h  ''  h 


^^ 


I 


*p  t  ^  •> 


^^ 


Eine  bunte  Schar  von  Motiven  gesellt  sich  zu  dieser 
BaBfigur;  jedes  Instrument,  das  an  der  Musik  teilnimmt, 
hat  ein  anderes.  Der  lustige  Tag  macht  die  Phantasie 
sprflhen,  der  melodische  Segen  ist  fast  unerschopf- 
lich.  Hervorgehobeu  seien  unter     >.  i      >-->,  ,..«>^ 

ihnen    zwei,     die    sp&ter    be-    •dE^'^  T    ^  jjf  |  f  ^ 
nutzt  und  bedeutender  werden: 
und        das         ,       » ^ 
von       ihm    i  l>''l.  \  ftCJ 
abgeieitete:  •^ "  ' '       "" 


Unter  den  The- 
men  der  Zwi- 
achens&tze    er? 


457 


regt  das  des  ersten  Interesse,  well  es  beim  Einsatz  sehr 
an     Nicolais  i^^     #^    ^W^^^j^    <^ 

Lnstige  Wei-       ^  [rl^.  fi  | '     P  I  *    P  I   Ltf-fc^  |  '     ^ 

Das  eigentliche  zweite  Haaptthema  des  SchluGsatzes, 
dessen  Bekanntschaft  der  HOrer  schon  im  Torhergehenden 
Andante  gemacht  bat,  lautet: 


-  i^fijJjiJi^fijJjiJ^^fiJiiJi['fi[-ip  ^. 


Es  gibt  am  toUen  Tage  edleren  Gef&hlen  Ausdruck,  und 
wenn  wir  in  Betracht  Ziehen,  wie  dieses  Thema  im  Satze 
plStzlich  nnvorhergeseben  vor  nns  steht,  so  iiegt  der  Qe« 
danke  nicht  so  fern,  da6  der  Komponist  damit  anf  eine 
liebe  Begegnung  hat  hindenten  wollen.  Die  innige  nnd 
schGne  Weise,  aus  der  schon  eine  Hauptstelle  von 
» Carmen «  herausblickt,  klingt  oft  wieder  und  wirft  in  die 
noch  folgenden  ansgelassenen  Szenen,  von  der  eine 
Fuge  fiber 

j.%>auiJ«JJIIl|iM  IIujjIIluHI  II 

die  ftrgste  ist,  veredelnde  Lichter.  Mehr  nnd  mehr  dem 
Ende  zn  wird  aber  auch  sie  ihres  Charakters  entkleidet 
und  in  den  Strudel  sinnloser  Lust  hineingezogen. 

In  Frankreich  wird  noch  eine  sogenannte  Klein e 
Orchestersuite  (op.  22)  Bizets  viel  gespielt,  die  den  e.Ftset, 
Titel  fuhrt:  jeux  d^enfants,  d.  i.  Kinderszenen.  Diese  jeux  d'enfanis. 
Kinderszenen  entstanden  als  Rlaviermusik ,  ein  Heft  12 
Nummern  umfassend.  Zur  Eroffnung  der  Konzerte  Co- 
lonnes  hat  der  Komponist  fttnf  davon  instrumentiert  und 
als  petite  Suite  d'orchestre  veroffentlicht.  Die  erste 
Nummer  ist  ein  einfacher  Marsch,  bei  dem  Trompeten, 
Hdmer,  Panke  und  kleine  Trommel,  also  die  Instramente, 
die  die  Aufmerksamkeit  des  Kindes  am  stftrksten  er- 
-wecken,  sehr  hervortreten.    Es  ist  nicht  zu  verkennen, 


-^    458    ^^ 

da(3  der  Humor  der  Komposition  im  Klavier  reiner  wirkU 
Der  zweite  Satz,  erne  Berceuse,  ist  die  Krone  des 
Werkchens  durch  die  SiiOigkeit  der  Kantilene.  Alle 
lustrum ente  nehmen  die  sch5iie  Melodie  f&r  eine  Welle, 
das  Cello  umspielt  mit  wiegendeu  Figuren.  Der  dritte 
Satz,  »Imprompta<,  ahmt  das  Brummen  des  Kreisels 
mit  einer  Trillerfigur  nach,  die  in  den  untern  Mittel- 
stimmen  durchgefuhrt  wird.  Die  vierte  Nummer,  Duo 
genannt,  ist  ein  kurzes  Andantino,  in  dem  erste  Violin e 
und  Cello  in  z&rtlichen  Melodien  das  Bild  zweier  Liebes- 
leute  geben  soUen.  Der  Schlufisatz,  Galop  betitelt,  will 
zeigen,  wie  kleine  Leute  Gesellscbaft  haben  und  einen 
grofien  Ball  geben.  Es  gebt  sehr  hoch  her.  Der  Satz 
verarbeitet  das  Thema  nach  verschiedenen  Richtungen, 
stellt  es  sQgar  in  den  BaB.  Das  Ganze  ist  ein  liebens* 
wGrdiges  Stiick  Kleinkunst. 

C.  St.  Sagnt,  Von  CamilleSt.  SaSns  besi  tzen  wir  eine  Programm- 

Suite        suite,  die  den  Titel  Suite  Alg^rienne  (Op.  60)  fiihrt  und 

Algenenne.    ^^j^j  ^^^  ^-^^^  ^^^  mehreren  musikalischen  Frtichten  jener 

viel  besprochnen  Reise  zu  betrachten  ist,  die  seinerzeit 
das  Haupt  der  heutigen  franz6sischen  Tonsetzer  seinen 
Pariser  Freunden  auf  lUngere  Zeit  entzog. 

Der  erste  Satz  (Molto  allegro,  ^^/g,  Cdur)  beginnt  ge- 
heimnisvoll  mit  einem  leisen  Paukenwirbel.  Dann  setzen 
die  Celli  ein: 

^  Molto  allegco.  JL«144 

Mit  dem  Eintritt  der  Bratscheu  wird  aus  diesen  tastenden 
Motiven  ein  Tbema:  ' 


IlTTiu  Ifj^ 


fUTiTf  \f  nl^^  -Vpfu. 


Motiv- 
gruppe  und  The- 
ma, reichen  sicb 


-^    459    ^- 

die  Hand,  am  vereint  den  Aufmarsch  der  Stimmen  zti 
stutzen.  Der  ganze  Abschnitt  hat  den  Charakter  einer 
groBen  Spannung:  Leonorenouvertiire  nnd  Rheingold- 
Yorspiel  haben  Telle  von  gleicher  Anlage:  eine  Entwick- 
lung,  die  tiber  einem  Orgelpunkt  aufbaut  und  aufttinnt 
und  die  Phantasie  eifrig  mit  der  Frage  beschMtigt:  was 
wird  kommen,  wenn  die  erstrebte  H5he  endlich  erreicht 
ist  Jener  Augenblick  nahet  sich,  als  die  ersten  Geigen 
das  Thema  nehmen.  Da  verl&Bt  die  Harmonie  den  lang 
festgehaltnen  Standort  auf  G  und  wendet  sich  nach  O. 
Das  neue  Bild  aber,  das  sich  jetzt  bietet,  ist  das  Thema 


das  gehegte  Erwartangen  nicht  befriedigt,  sondem  nur 
steigert.  Was  fremdartig  an  diesen  T5nen  ist,  die  wohl 
einen  GruB,  die  ersten  Klftnge  vom  afrikanischen  Land 
bedeaten,  das  wird  romantisch  gehoben  durch  die  Ein- 
kleidnng,  die  ihnen  St.  Sa^ns  gibt.  Ein  Tremolo  der  Geigen 
begleitet  sie  und  ein  Freudenschauer  des  voUen  Streich- 
orchesters  folgt  ihnen.  Von  nun  an  kommt  in  die  Musik 
viel  grOfiere  Beweglichkeit;  nur  der  SchluB  des  Satzes 
wendet  sich  wieder  ins  Zarte  und  erzfthit  von  einer  Seele, 
die  sich  dankbar  still  sammelt. 

Der  zweite  Satz  (Allegretto  non  troppo,  ^^/g,  Ddur) 
bringt  nation  ale  Musik.  Die  Rhapsodie  mauresque,  wie 
die  Nummer  helBt,  zerf&llt  in  zwei  Telle.  Der  erste  ist 
eine  kunstrelche  Phantasie  ttber  das  Glockenspielthema 

^f^  Allegretto  aoa  troppo.  J's64 ^ 

y  J) 

*»J)^*IJ)^*J^V^I|ll  d*s  durch  alle  In- 


y^7   ^^     y  f  f  y  f  ^     #       strumente  geht  und 
*^        ^^  ^"^  mancherlei  Umbil- 

dungen  erfUhrt.   Die  interessan teste  und  wichtigste  bringt 
es  in  die  Form  einer  Sechzehntelfigur,  wodurch  der  Satz^ 


460 


der  in  beabsichti^er  Monotonie  gebalten  Lst,  auf  eine 
Weile  bewegter  and  spannender  wird.  Unter  den  Kontra* 
punkten,  die  diesem  Hanptthema  entgegengestellt  werden, 
machen  sich  in  den  Holzbl&sem  einige  scharf  rhytbmi- 
-sierte  Figuren  bemerklich,  die  wohl  der  maurischen  Volks- 
musik  entnommen  sind.  W&hrend  dieser  erste  Teil  trftn- 
merisch  gestimmt  ist,  bringt  der  zweite  eine  frohe  und 
tr5hliche  Musik  auf  Grand  folgender  Themata: 

Allegro  modec»to.  Js  188 


f ^"^iT'l  i\  |iT  iiirfimi  III 


flie. 


Das  erste  ist  in  seiner  Einfalt  and  seinem  Mangel  an 
Leittdnen  entschieden  barbarisch.  Das  letzte  hat  St.  Sa^ns 
auGerordentlich  wirkungsYoll  eingefUhrt.  AlsZweck  dieser 
Rbapsodie  k()nnte  man  sich  ein  St&ndchen  denken. 

Dem  dritten  Satz  (Allegretto  quasi  Andante,  o/s, 
Jldur)  liegt  eine  zwanzig  Takte  lange  Melodie  zu  Grande, 
deren  Charakter  aus  folgendem  Anfang 

.Andaiitlno.  A-84   ^  

<a  erkennen  ist.  Ihr  geben  einige  Takte  in  den  Holz- 
blftsernvorher,  die  sich  durch  den  freien,  spielfreudigen 
Rhythmus  als  eine  musikalische  Gabe  der  Eingebornen 
kennzeichnen,  w&brend  das  hier  angegebene  Thema  melo- 
disch  und  rhythmisch  die  europftische  Abkunfl  zeigt.  So 
haben  wir  in  den  beiden  Melodien  zwei  Kulturen  gegen- 
flbergestellt,  Stoff  genug  zu  einer  Tr&umerei.  Denn  der 
Titel  der  Nummer  lautet  Rfiverie  du  soir  {k  Blidah). 
4ene  maurische  Weise  bedeutet  den  Gebetsruf :  der  Fremd- 


— ^    461    ^^ 

ling,  der  ihn  fadrt,  fQhlt  sich  fromm  gestimmt  and  gedenkt 
dankbar  der  Herrlichkeit,  die  er  am  Tage  in  diesem  ge* 
segneten  Ort  genossen.  Blidah  ist  ja  die  Gart^nstadt  tout 
Algier  und  anch  durch  geschichtliche  Beziehungen  aus- 
gezeichnet  Dreimai  folgt  den  manrischenMotiven  dielange 
abendl&ndische  Melodie,  die  Instrumentierung  wechselt,. 
and  beim  dritten  Male  treten  weitre  Modifikationen  ein. 
Die  Violinen  kommen  nicht  mit  der  Melodie,  sondem  legen 
als  Episode  einen  zweistimmigen,  dem  beschaalichen  Nach- 
sinnen  gewidmeten  Satz  ein.  Als  nun  das  Adartbema 
eintritt,  bringen  es  die  Blftser;  erst  in  der  zweiten  Periode- 
treten  die  Geigen  hinzu,  die  in  einem  kurzen  Nachspiel 
den  knapp  gehaltnen  Satz  zart  verklingen  lassen. 

Der  Scblufisatz  (Allegro  giocoso,  (^,  Cdor),  betitelt 
Marcbe  militaire  frangaise,  ist  eine  Probe  von  den 
Leistungen  des  Komponisten  auf  dem  Gebiete  franz5siscber 
Volksmusik.  Denn  daza  gehOren  die  Armeem&rsche;  ja 
ibre  Masik  pflegt  ganz  besonders  sich  durch  nationalen^ 
Charakter  auszuzeicbnen.  Deshalb  tragen  in  Frankreicb 
auch  die  ersten  Tonsetzer  kein  Bedenken,  dem  Marsch, 
der  bei  uns  heute  fast  ausschlieBlich  den  Musikmeistern- 
der  Regimentskapellen  uberlassen  wird,  ibre  Kraft  zu 
widmen.  So  hat  auch  St.  Safins  eine  lange  Schule  auf 
diesem  Gebiete  durcbgemacbt  und  eine  groBe  Anzahl  ein* 
zelner  M&rsche  komponiert.  Von  der  Meisterscbaft,  die 
er  filr  dieses  Fach  erworben,  legt  nun  dieser  Marsch,  der 
die  Algieriscbe  Suite  scblieBt,  hinlftnglich  Zeugnis  ab.  Was 
fUr  ein  flottes  Wesen  .sich  in  dem  Stiick  entwickelt,  das . 
verr&t  schon  das  erste  Thema 


Anegxo '  g|ooo8o 


/  

Dim  folgen  noch  eine  ganze  Anzahl  keeker  Springins- 
felde.    Das  Trio,  das  bei  uns  innig  zu  sein  ptiegt,  isb. 
phantastisch. 


-^    462    ^— 

Diese  Algierische  Suite  von  St.  Sa^ns  nnd  ihr  Etfolg 

wiesen  die  Phantasie  der  Romponisten  auf  eine  ergiebige 

Quelle,    die    geographisch - ethnographische ,   mil  ihrem 

groGen  Schatz  von  Rassen-  und  Charakterunterschieden, 

von  Landschaftsbildern )  von  nationalen  Sitten,  T&nzen 

und  Liedern,  und  dieser  Hinweis  ist  mittlerweile  f&r  die 

Suite  aufiergewdhnlich  fleiOig  und  stark  ausgenutzt  wor« 

den.     Zun&chst    in   Frankreich,    wo   der  allzeit  fertige 

J.MMtenet.  J.  Massenet  sofort  die  Konkurrenz  mit  St.  Sagns  durch 

zwei  Suiten:   Scenes  N^apolitanes,   Scenes  Alsaciennes 

er5£fnete.    AIs  dann  Ed.  Lalo  mit  dem  bekannten  Violin- 

konzert,  das  sich  Sinfonie  espagnole  nennt,  GItick  ge« 

habt  hatte,  tat  sich   ein   franz5sischer   GroObetrieb  in 

geographischen  Suiten  auf,  von  dem  bier  nur  die  Haupt- 

fl.  Mareehal.  beteiligten  angefiihrt  werden  kdnnen,  n&mlich:  H.  Mar^- 

C.  Peres,  chal  ^Esquisses  V^nitiennes),  C.  Perez  (Suite  Mursienne), 

C. BaTel. C.  Ravel    (Rhapsodie    espagnole),    Tellier   (Serenade 

Telller.  espagnole).    Obwohl  der  Vorsprung,  den  die  Franzosen 

in  der  Suite,  wie  auf  dem  Gebiete  der  Ballettmusik  dber- 

haupt,  durch  die  angeborene  Grazie,  durch  Formgeschick 

und  durch  mehrhundertjUhrige  Pflege  dieser  Gaben  be- 

sitzen,  von  anderen  Nationen  kaum  jemals  wettgemacht 

werden  kann,   stellten  sich  ihnen  doch  auch  in  anderen 

L&ndern  bald  zahlreiche  Mitarbeiter  zur  Seite:  die  beiden 

A.  Lulgliii. Italiener  A.  Luigini  (Egyptisches  Ballett)  und  P.  Lan- 

P.  Laneiani.  ciaui  (Serenade  V^nltienne),  der  Russe  Rimsky-Korsa* 

jj^"*^jjj  koff   (Capriccio    espagnol),    die    Skandinavier    Kjerulf 

Kjernlf!  (uordische   Suite)    und  Asger  Hammerick   (mit  einer 

A.  Hammtfriek.  ganzen  Serie  nordischer  Suiten).    £s  kamen  b5hmische 

Bvsek.  Suiten  von  Ruzek  und  Pittrich.     Sehr  reich  ist  das 

Fltti  ich.  neue  dankbare  Feld  auch  von  Deutschen  bestellt  worden, 

M.  Bmeh.  die  Hauptstiicke  sind  von  M.  Bruch  (Suite  nach  russi- 

*'M."M?8kol"kL^^^®^    Volksmelodien) ,    E.    Humperdinck    (maurische 

H.WolfiHhapsodie),  M.  Moskowski  (aus  aller  Herren  L&nder), 

Friedemami. H.  W o  1  f  (italienische  Serenade),  Friedemann  (»Lola«, 

®**"!**"|*  italienische  Serenade),  Schmeling  (>Ein  Abend  in  Aran- 

Jaeobi!  J^^^*)  spanische  Serenade),  K&mpf  (aus  baltischen  L&n- 

I.  dem],  Jacobi  (Neger- Serenade),  Kramm  (andalusische 


—^    463    <^ 

Suite],  Klose   (Serenata  Venetiana).    Daza  koinint  derKloie. 
D&ne  Lange-MUller  (Alhambra-Suite).  Uvge-Mailer. 

Den  K5nigsschuB  hat  unter  diesen  zahlreichen  Mit- O.Charpentier, 
bewerbem  Gustave  Charpentier  mit seiner  ftknfs&tzigen   ^^'Jjfrff.®*^'^^ 
Suite:   » Impressions  d4talie<  getan,   die  heute  der  ^^*' 

internationalen  Verbreitung  und  der  allgemeinen  Beliebt- 
heit  nach  so  ziemlich  an  der  Spitze  der  neuen  Orchester- 
werke  steht  Diesen  Erfolg  verdankt  der  Komponist  in 
ersterLiaie  derselben  Hellhdrigkeit  fiir  die  kleinen  Einzel- 
zQge  musikalischen  Lokaltons,  die  auch  seiner  Oper 
>Louise<  das  spezifisch  Pariser  Kolorit  gegeben  und  ihr 
einen  Siegeszug  fiber  die  Biihnen  der  alten  und  neuen 
Welt  ermdglicht  hat  ,Bei  ihm  sind  die  Anregungen,  die 
in  der  Meyerbeerschen  Zeit  der  Els&sser  Georg  Kastner 
mit  seinen  >cris  de  Paris<  und  seinera  »Iiyres  partitions* 
gegeben,  zum  ersten  Male  auf  fruchtbaren  und  genialen 
Boden  gefallen,  und  wie  in  der  franz5sischen  Hauptstadt 
hat  er  es  auch  in  Italien  nicht  verschm&ht,  die  StraOen- 
rufer  und  Hausierer,  den  Tonfall,  die  Rhythmen  und  die 
Manieren  der  Volksmelodien,  die  Kl&nge  der  Mandolinen 
iind  Guitarren  und  der  anderen  Lieblingsinstrumente  des 
Volks  sich  scharf  zu  merken.  Das  alles  verwendet  er 
gleich  im  ersten  Satze  seiner  »Impressions€,  einer  »Sere- 
nade<,  die  mit  einem  langen  Cellosolo  eroffnet  wird.  In 
ihm  iSiQi  er  die  kurzen  und  langen  Portamenti,  die 
kleinen  Vorschl&ge  und  namentlich  die  durch  zahlreiche 
Wiederholungen  desselben  Tones  so  eindringlichen,  durch 
Ausweichen  in  fremde  Tonart  so  seltsamen  Schlusse 
hdren,  die  dem  italien ischen  Volksgesang  sein  Geprilge 
geben: 


P^^^^'^^^^^^i^Mj^j^^m 


Diese  einfachen  Mittel  \erfehlen  ihre  Zaubermacht 
nicht,  jeder  fiihlt  die  Echtheit  dieser  italienischen  Musik- 
probe  und  ist  mit  ihr  sofort  ganz  und  gar  mitten  hinein 
in  das  eigene  Volksleben  jenseits  der  Alpen  mit  seiner 
uralten  Schdnheit  und  Poesie  versetzt.     Diese  Einfach- 


-^    466    <^ 

TS.nzchen),  ist  zwar  dem  Programm  entsprechend  derb 
und  arbeitet  viel  mit  primitiven  Mitteln,  aber  bleibt  doch 
immerhin  maGvoU.  Der  &ufierste  Grad  von  Naturalismus, 
den  sich  Sinigaglia  gestattet,  besteht  darin,  dafi  zweiTakte 
die  leeren  Qainten  der  Bratschen  nnd  Violinen  probiert 
werden.  Der  dritte  Satz:  »ln  montibus  sacris*,  bringt 
eine  Art  Wallfahrtsmusik.  Wie  in  Berlioz'  Pilgermarsch 
h5ren  wir  die  psalmodierende  Menge,  am  Schlusse  klingen 
auch  Glocken,  und  diese  Anspielungen  sind  in  fromme, 
sehr  einfach  volkstumlicbe  Weisen  eingewoben.  Die  Suite 
kommt  mit  dem  Carnevale  piemontese  zu  einem 
verhaitnism&Cig  kiinstleriscben  Ende.  W&hrend  der  Kom- 
ponist  die  Volksweisen  der  vorhergehenden  Sa.tze  kaum, 
da6  sle  hingestellt  sind,  mit  neuen  vertauscht,  bemtiht 
er  sich,  den  teils  stiirmischen,  tells  naiven  Themen  dieses 
SchluOsatzes  eine  Entwickelung  abzugewinnen. 

Der  Piemont-Suite  Sinigaglias  darf  bier  gleich  eine  znr 
gleicben  Gruppe  gehdrige  Suite  eines  zweiten  Italieners  an- 
gesch lessen  werden,  es  ist  die  sizilianische  Suite  von 
Giueppe M*rl- Giuseppe  Marinuzzi,  die  aus  den  vier  S&tzen  Leggenda 
ii«xri»  di  Natale,  La  Canzone  deir  Emigranti,  Valtzer  campestre 
^"s^te^^  und  Festa  populare  besteht.  Es  ist  eine  ebenfalls  sehr 
me1od>enreiche  Musik,  sie  bewegt  sich  aber  auf  einer 
hoheren  Gesellschaftslinie  als  das  Opus  des  Piemontesen 
and  hat  vor  ihm  auch  noch  den  Vorzug,  dafi  die  sizilia^ 
nischen  Weisen  in  Intervallen  und  Rhythmen  viel  mehr 
eigenen  Charakter  haben  als  die  piemontesiscben.  Auch 
Marinuzzi  behandelt  die  Form  der  S&tze  sehr  einfach, 
aber  nicht  ohne  Origina]it§,t.  Der  erste  Satz  z.  B.,  der 
Weihnachtsmusik  bringt,  wechselt  bestftndig  zwischen 
frommem,  gehaltenem  Kirchenton  und  frdhlich  bewegten 
Pifferarimelodien.  Im  dritten  Satz,  einem  italienisierten 
Walzer,  wirkt  ein  Frauenchor  (unisono)  mil. 

Hier  muB  auch,  obgleich  sie  nar  BruchstQck  ist,  die 

HngoWolfyltalienische    Serenade   von   Hugo   Wolf  erw&hnt 

Itaiienische  werden,  die  aus  dem  NachlaB  des  zu  frdh  gestorbenen 

Serenade.  Komponisten  nach  einer  von  Max  Reger  besorgten  Re- 

daktion  herausgegeben  worden  ist.    Wie  bedauert  man. 


— ^    467    <— 

dafi  dieses  Werk  nicht  Uber  den  ersten  Satz  hinans- 
gekommen  ist,  daB  es  Wolf  nicht  verg5nnt  gewesen 
ist,  seine  Kraft  merkbarer  in  den  Dienst  der  Orchester- 
kom position  zu  stelien !  Die  Zierlichkeit  and  Grazie  italie- 
nischen  Wesens  ist  nur  selten  so  bestrickend  in  TOne 
gekleidet  worden,  wie  in  diesem  Serenadensatz.  An  Echt- 
heit  des  Nation altons  kann  sich  Wolf  mit  Charpentier 
messen,  er  unterscheidet  sich  von  ihm  dadnrch,  daB  er 
streckenweise  das  italienische  Idiom  vergifit  und  gut 
deutsch  musiziert.  Dafar  kommen  aber,  wie  in  der  Solo- 
stelle  der  Cellos,  Einfftlle,  die  man  zu  dem  SchOnsten 
rechnen  muB,  was  die  heutige  Musik  bervorgebracbt  hat. 

Unter  den  Werken,  die  aus   der  Masse   der  ethno- 
graphischen  Suite  herausragen,  verdient  mit  besondrer 
Auszeichnung  noch  die  Suite  nach  russischen  Volks-     Max  Bmcfe, 
liedern   hervorgehoben   zu  werden,  die  Max  Bruch      Suite  n>wh 
als  Opus  79  veroffentlicht  hat,     Ihre  fttnf ,  fast  in   der  ™""iedern. 
Knappheit  des  17.  Jahrhunderts  gehaltnen  SSiize,  erfreuen 
&hn]ich  wie  Sinigaglias  Piemont-Suite  durch  die  wirksame 
Auswahl  der  Originalmelodien ,  sie  lassen   aber  in   der 
Verwertung  bei  jeder  Gelegenheit,  hier  in  der  Anlage 
eines  Schlasses,  dort  in  der  Einstellung  eines  Ostinato- 
Motivs,  die  Hand  eines  Meisters  erkennen. 

Auch    die    Maurische    Rhapsodie    BngelbertE. Hvniperdliioii, 
Humperdincks   gehdrt  noch   zu  den  interessantesten  ^*^"*®Jj®  ^***P" 
Stiicken  der  ethnographischen  Suitenmusik.  Nur  ists  sehr         '^  ^ 
schwer  oder  unmoglich,  in  '  er  Musik  das  zu  finden,  was 
die  Titel  der  drei  Satze  (1.  Tarifa,  Elegie  bei  Sonnenunter- 
gang,  2.  Tanger,  Eine  Nacht  im  Mohrenkaffee,  3.  Tetuan, 
Ritt  in  die  Wuste)  in  Aussicht  stelien  oder  gar  die  Kompo- 
sitionen  mit  den  vorgedruckten  Gedichten  Gustav  Humper- 
dincks in  Einklang  zu  bringen.    Es  steht  in  der  Musik  viel- 
mehr  und  andrerseits  auch  viel  weniger  als  in  den  Versen. 
So  ist  der  erste  Satz  nicht  bloB  eine  Elegie,  sondern 
neben  dieser  gehen '  lustige  Weisen  einher,  die  ebenso- 
wohl  Lieder  orientalischer  Schw&nke  als  Lust  und  Freude 
am  Reisen  und  GenieBen  bedeuten  k5nnen.    Dagegen  hat 
sich  der  Komponist  auf  die  Punier  und  Gothen  des  Ge- 

30* 


-^    468    *^ 

dichts  nirgends  eingelassen.  Erst  in  dessen  Mitte  kommenr 
die  Worte,  von  denen  die  Musik  ihren  Ausgang  nimmt,. 
sie  lauten:  Wie  ist's  so  still,  so  Od*  and  einsam  rings!' 
Sie  haben  Humperdinck  zn  der  poetisch  bedeutendsten 
Partie  der  ganzen  Rhapsodie  gefiihrt,  zu  der  schdnen 
Einleitung  dorch  ein  unbegleitetes  Violinsolo,  das  durch 
die  Antwort  des  englischen  Horns  bald  zum  Duett  wird. 
Auch  originell  ist  diese  Einleitung,  denn,  wenn  auch  die 
Anregungen  zum  Solo  in  Wagners  Siegfried  und  zum  Duett 
in  Berlioz*  Fantastique  vorlagen,  so  hat  doch  Humper- 
dinck die  Idee  in  neuer,  selbstandiger  Form  und  so  glQck- 
lich  verwirklicht ,  da6  die  Nachahmung  durch  andere, 
sobald  diese  Maurische  Rhapsodie  bekannt  genug  sein 
wird,  kaum  ausbleiben  kann. 

Der  zweite  Satz  ist  in  der  Hauptsache  eine  drollige- 
Schenkenszene,  die  ihren  Charakter  durch  das  im  zwan- 
zigsten  Takte  einsetzende  Fagotthema  erh&lt,  zu  dem 
sich  bald  Reminiszenzen  aus  dem  ersten  Satz  gesellen. 
Ihnen  treten  in  der  Mitte  des  Satzes  —  am  vernehm- 
lichsten  von  der  Oboe  her  —  schwermiitigere  Motive  ent- 
gegen,  die  der  HQrer  auf  das  physische  Elend  der  Ha- 
schischtrinker  oder  auf  die  traurige  Historie  der  ganzen- 
Rasse  deuten  kann.  Die  ernsten  T5ne,  die  hier  nur  epi- 
sodisch  auftreten,  beherrschen  die  ganze  Physiognomie 
des  dritten  Satzes,  bald  mit  kurzen,  sinnenden  oder  klagen- 
den  Motiven,  bald  mit  breiten  edlen  Melodien,  die  durch 
den  H5rnerklang  noch  besonders  eindringen.  Die  Ein- 
leitung geht  noch  weiter  und  bereitet  mit  Rufen  der  Ver- 
wunderung,  der  Vereinsamung  und  des  Wehes  auf 
schwer  melancholische  ErgOsse  vor,  pariert  werden  sie- 
durch  die  Motive  des  in  der  Oberschrift  versprochnen 
Wiistenritts.  Mit  der  Aufnahme  von  Wendungen  des  pr&ch- 
tigen  Violinsolos,  das  sie  eingeleitet  hatte,  schliefit  die 
Suite.  Besonders  genuGreich  ist  die  Orchesterbehandlung- 
und  die  Farbengebung  der  Komposition. 

Neben  diesen  ethnographischen  gibt  es  vor  wie  nach 
eine  Reihe  franzosischer  Program msuiten,  deren  Vorgftnge 
und  Bilder  an   keinen   bestimmten  Ort  gebunden  sind^ 


— »    469    ♦>- 

•sondern  sich  Uberall  und  nirgends  denken  lassen.    Za 

<len  bekanntesten  Stticken  dieser  Klasse  gehdren  vor  allem 

B.  Godards  Scenes  po^tiques,  die,  sell  sie  Franz  B. Godsrdy 

Wdllner  hier  eingefuhrt  hat,  auch  in  Deutschland  einen      ^^^ 

grofien  Freundeskreis  gefunden  haben.    Es  sind  kurze,    ^^    ^**' 

pastorale  Skizzen:  >Im  Waldec,  »Auf  der  Fiar«,  »Im  Ge- 

birgec,  »Im  Dorfe«.    Ein  anmutiger,  keeker  Jugendgeist, 

der  iq  der  Naturschwftrmerei  nur  eine  Gastrolie  zu  geben 

scheint,  spricht  daraus.  Thematisch  sind  die  kleinen  S&tze 

loser  und  leichter  als  die  der  Bizetscben  Suiten  entworfen 

und  durchgef&hrt.    Ihr  Hauptreiz  liegt  in  der  Sicherheit, 

mit  der  die  Form  behandelt  ist.    Das  ist  eine  Anmut  in 

jeder  Wendung,  eine  vollendete  Harmonie  in  den  MaOen 

und  eine  Klarheit,  die  den  Genufi  wesentlich  erhoht.  Auch 

die  Instrumentation  tr&gt  zu  dem  GefUhl,  dafi  man  vor 

€inem  in  seiner  Art  vollendeten  Kunstwerk  steht,  viel  mit 

bei.    Der  letzte  Satz,  bei  dem  die  grofie  Trommel  be- 

deutend  mitwirkt,  ist  der  originellste  und  zeigt  das  eigent- 

liche  Schelmengesicht  des  Autors. 

Auch  J.  Massenets   Scenes  pittoresques   geh5ren  J. MAMenety 
hierher.    Von  alien  Orchestersuiten,  die  dieser  als  Stiitze       Scenes 
der   heutigen  franz5sischen   Oper  bekannte  Komponist  ^*  o'^sques. 
geschrieben  hat,  sind  die  Scenes  pittoresques  am  meisten 
verbreitet;  am  n&chsten  steht  ihnen  die  viersiltzige  Suite 
Eslairmonde,  die  aus  Stftcken  der  Oper  Eslairmonde 
zusammengesetzt  ist. 

Die  Scenes  pittoresques  beginnt  ein  Mars  eh  mit  fol- 
gendem  pikannt  nuanciertem  Anfang: 


Der  Autor  zeigt  sich  nicht  als  groOer  Erfinder  und  nicht 
als  grofier  Geist,  aber  als  ein  KUnstler,  der  den  Effekt 
Yersteht  und  aufsucht.  Die  Perioden  sind  auf  Ober- 
raschungen  bin  gebildet,  das  Verh&ltnis  der  S&tze  ist  auf 
Kontrast  gestellt,  und  um  einen  wirksamen  Gegensatz  zu 
i)ekommen|  wird  auch  ein  gew5hnlicher  oder  sehr  ge- 


^^    470    ^^ 

w5hnlicher  Gedanke  mit  in  den  Kauf  genommen.  Sehr 
hiibsch  ist  es,  wie  Massenet  das  anmutige  Motiv,  mit  dem 
der  Marsch  beginnt,  immer  wieder  in  den  Satz  einzuf&hren 
weiG.  Hierin  zeigt  sich  eine  sinnige  Seite  seiner  Begabung 
und  ein  hervorragendes  form  ales  Talent. 

Der  zweite  Satz,  Air  de  Ballet  betitelt,  besteht  aus 
zwei  Teilen :  In  dem  Hauptsatz  (H  moll,  Ve)  trSgt  das  Cello 
ein  Solo  vor,  das  als  ErgS,nzung  von  Manricos  Partie  dem 
>Tronbadour«  als  Standcben  einverleibt  werden  konnte. 
Der  Mittelsatz  bringt  (in  Gdur)  eine  von  den  bekannten 
Ballettszenen ,  wo  die  oberen  Holzblftser  eine  einfache 
Melodie  in  Staccatonoten  hinstellen.  Man  hdrt  derartige 
Musik  nicht,  ohne  dafi  vor  die  Phantasie  die  auf  den 
FuBspitzen  trippelnden  Ballerinen  treten.  Die  kiinstliche 
Zartheit  dieser  Tone  wird  etwas  grob  an  den  Schlussen 
von  einem  starken  Tuttieinsatz  des  Streichorchesters 
unterbrochen.  Im  Cello  gibt  dann  und  wann  der  Sanger 
Zeichen  von  Ungeduld.  Endlich  ist  das  Ballett  aus  und 
der  Hmollsatz  kommt  wieder. 

Der  dritte  Satz,  ein  Andante  sostenuto  mit  der  Ober- 
schrift  An  gel  us,  ist  die  Glanznummer  der  Suite,  ein 
Stiick  groi3er  Kunst,  einfach  erfunden  und  tiefer  Wirkung 
sicher.  £s  gleicht  zur  H&lfte  einer  Kirchenszene,  in  der 
fromme  Weisen  vom  Priester  zum  Volke  gehen.  AUes  er- 
innert  an  den  Gottesdienst,  der  feierliche  Ton  der  Themen, 
der  Wechsel  schwacher  und  starker  Klanggruppen.  Di& 
leicbt  pr3.1udierenden  Motive  scheinen  auf  die  Orgel  hin- 
zuweisen.  Zur  HUlfte  ist  aber  die  Musik  der  Nummer 
Volksmusik,  so  vor  allem  die  Motive  im  is/sTakt.  Beide 
Bilder  schlieGen  sich  nicht  aus,  sondern  dafi  des  Volkes 
Stimme  in  der  heiligen  Zeremonie  horbar  wird,  hat  der 
Komponist  als  den  Gipfelpunkt  der  Szene  gedacht.  Der 
Schlui^satz,  >Fete  Boh^me«,  ist  ein  Ballettbild,  wie  es 
jedermann  kennt.  Eine  groBe  Menge  Volks  stiirzt  herein 
mit  wunderlichen  Spriingen,  dann  tritt  ein  Solopaar  heraus, 
und  ihm  folgt  der  Chor  wie  zu  Anfang.  Die  Erfindung 
zeichnet  diese  Musik  nicht  aus,  ihre  Wirkung  sucht  si& 
in  massigen  Kl&ngen. 


— ♦    471    ♦>- 

Von  der  jungrussischen  Schule,  deren  Geist  der 
alten  Kunst  nur  wenig  gewogen  ist,  b&tte  sich  eine  be- 
deatendere  F5rderung  der  Programmusik  erwarten  lassen, 
als  sie  bisher  von  dort  tatsxLcblicb  erfahrea  bat.  Die 
wenigen  russischen  Werke  dieser  Klasse,  welche  uber  den 
Kontinent  verbreitet  sind,  riihren  von  Rimsky-Korsakoff 
und  von  P.  Tscbaikowsky  ber. 

Von  Rimsky-Korsakoff  ist  es  die  sinfoniscbe Bimsky-Kortft- 
Suite  >Scbebezerade«  (op.  35),  die  in  letzter  Zeit  ban-  ^^^9 
figer  gespielt  worden  ist.  Der  Composition  liegt  als  Pro-  Schehezerade. 
gramm  ein  Abscbnitt  aus  >Tausend  und  eine  Nacht«  zu- 
Grunde,  die  Erzablnng  von  der  Sultanin  Scbebezerade. 
Der  Sultan  Scbabriar  bat  bisber  alle  seine  Frauen  nach 
der  ersten  Nacbt  ermordet.  Scbebezerade  entgebt  diesem 
Los  durcb  ibre  Erzahlungskunst.  Tausend  und  einen 
Abend  weiB  sie  den  Sultan  durcb  ibre  Gescbicbten  immer 
wieder  zu  fesseln  und  nacb  dieser  Zeit  stebt  er  von  seinem 
blutd&rstigen  Plan  ab.  Rimsky-Korsakoff  gibt  in  den  vier 
S&tzen  seiner  Suite  vier  solche  Erz&hlungsabende,  am 
ersten  wird  die  Gescbicbte  von  Sindbad  und  dem  Meer 
vorgetragen,  am  zweiten  die  vom  Prinz  Kalender,  am 
dritten  die  vom  jungen  Prinz  und  der  jungen  Prinzessin, 
am  vierten  die  von  dem  Fest  in  Bagdad  und  vom  Scbiff, 
das  an  dem  Felsen  scbeitert.  Aber  man  verstebt  seine 
Komposition  nur  balb  oder  gar  nicbt,  wenn  man  ibre 
Bedeutung  in  der  Wiedergabe  dieser  M&rcben  sucbt.  Das 
Hauptziel,  das  sicb  der  Komponist  gestellt  bat,  ist  viel- 
mebr:  die  Cbaraktere  des  Sultans  und  der  Sultanin  zu 
zeicbnen  und  die  Wandlung  zu  veranschaulicben,  in  der 
das  rauhe  GemUt  des  Scbabriar  allmftblicb  der  Grausam- 
keit  entkleidet  und  mit  Milde  und  Gesittung  erfiillt  wird. 
Rimsky-Korsakoff  entfaltet  bei  der  Losung  seiner  Aufgabe 
eine  stattlicbe  Erfindungsgabe  und  ein  groOes  Farben- 
talent.  Seine  Arbeit  bat  aber  zwei  M&ngel,  die  vielen 
die  Auerkennung  ibrer  Vorziige  erscbweren:  MaGlosigkeit 
der  Formen  und  der  Farben.  Er  kann  sicb  b&ufig  nicbt 
entscblieOen  aufzub5ren,  wo  die  Geringfiigigkeit  des  Gegen- 
standes  scbon  l§,ngst  das  Ende  erfordert  bfttte,  und  er 


472 


setzt  einen  schweren  und  l&rmenden  Orchesterapparat  in 
minutenlange  T&tigkeit,  wo  wir  ttberhaupt  keine  Not- 
wendigkeit  fur  das  Auftreten  rauher  Stimmen  einsehea 
kGnnen. 

Der  erste  Satz  hat  eine  kleine  Einleitung,  Largo 
maestoso,  in  der  die  Hauptpersonen  des  Marchens  sich 
vorstellen:  Schahriar  gebieterisch,  stolz,  rauh  and  hart: 

die  Sultanin  behend,  anmutig,  liebenswlirdig  und  auch 
klug  Uber  lange  Anschl^ge  verfiigend: 

Violine    I^njOi^is^ 


Dann  folgt  ein  Allegro  non  troppo  [^j^,  E  dur),  das  das 
Sultansthema  zunachst  durchfuhrt.  p  setzt  es  ein,  als 
wenn  Schahriar  durch  Scheherazades  Erscheinung  be- 
troffen  und  in  seinem  Wesen  umgewandelt  oder  verwirrt 
w§.re.  Nur  mUhsam  gewinnt  er  die  Fassung  wieder. 
Ein  forte  in  E  dur  bezeichnet  diesen  Augenbiick.  Noch 
einmal  durchlftuft  er  diesen  GemiitsprozeG.  Den 
zweiten  Abschnitt  markiert  eine  Modulation  in  Gdur. 
Jetzt  fangt  die  Sultanin  zu  erzUhlen  an.  Es  bt  die 
Geschichte  von  Sindbad.  Dafi  sie  aber  nicht  sonder- 
lich  interessiert, 
sehen  wir  an 
dem  etwas  trok- 
kenen    Thema :  ^ 

wir  sehen  es  noch  deutlicher  daran,  da6  es  nicht  benutzt, 
weitergefiihrt  und  entwickelt  wird.  Das  Horn  macht  einige 


473 


Versuche,  dem  Sultan  das  Wort  zu  verschaffen,  bald  aber 
tritt  Scheherazade  in  den  Vordergrund  des  Bildes.  Ihre 
graziosen  Triolen  von  der  Solovioline  eingefiihrt,  klingen 
schnell  aus  dem  ganzen  Orchester.  Das  scheint  den  Sultan 
zu  reizen.  In  aller  Bedeutung,  Wucht  und  H&rte  kommt 
sein  Them  a  wieder.  Ein  breiter,  im  ff  ausgehaltener  Edur- 
akkord  zeigt  weithin,  wer  Herr  ist.  So  V7ecbseln  die  beiden 
Themen  noch  5fter  im  Satz.  Die  Komposition  gibt  das 
Bild  eines  Paares^  dessen  beide  Telle  ihre  Kr&fte  messen. 
Die  Sultanin  greift  auch  einmal  wieder  zur  Erz&hlung. 
Der  Schlul3  bringt  die  Sultansmelodie  zart  und  leise. 

Den  zweiten  Satz  leitet  in  einem  kurzen  Lento 
wieder  Scheherazade  ein.  Dann  folgt  in  einem  Andantino 
(S/a,  Gdur)  eine  Musik,  die  die  Erz&hlung  vom  Prinzen 
Kalender  bedeuten  soil.    Das  Thema 

Anda,Dtino.  J^llS 


zeigt,  was  fiir  eine  Art  Held  dieser  Prinz  ist,  eine  ko- 
mische  Figur  wie  Eulenspiegel  und  Don  Quixote,  und  die 
Geschichteui  die  ihn  behandeln,  miissen  lustig  sein.  Das 
Thema  geht  von  einem  Instrument  zum  andern,  wir  sind 
unversehends  in  einer  jener  bekannten  russischen  Varia- 
tionensatze  geraten,  die  durch  die  Eintonigkeit  so  auf* 
regend  wirken,  als  sich  Schahriar  einmischt:  In  mehrerlei 

Gestalt  legt        ,  3Iolto  moderato. ^ ^f^^ 

er    Macht-     ftfl  * 
proben  ein     ^'^ 


und 


Allegro  molto.  J  8 144 

I 


Sie  werden  aber 
nicht  sehr  ernst 
genommen.  Als 
die  Klarinette  in  Form  eines  Rezitativs  die  Melodie  der 
Sultanin  gebracht  hat,  wird  der  Ton  ausgelassen.    Ein 


-^    474    ^^ 

Vivace  scherzando  tritt  ein,  und  in  ihm  finden  wir  das 
Schahriarthema  in  folgender  Form 

vivace  sc^rsaodo.  #•>  18S 


Eine  Wiederholung  des  Elarinetten-Rezitativs  bringt  eine 
neue  Wendung:  Der  s/gTakt  mit  der  Musik  zur  Erzfihiung 
vom  Prinz  Kalender  kehrt  zuriick,  und  mit  ihr  schliefit 
die  Nummer.  Kurz  vor  dem  Ende  kommt  noch  ein  sehr 
schon  berechnetes  und  gesetztes  Homsolo. 

Der  dritte  Satz,  der  die  Erz3,hlung  von  dem  jungen 
Prinzen  nnd  der  jungen  Prinzessin  bringt,  ruht  auf  folgen- 
dem  Tiiema 

AodaDtlao  qaasi  Allegretto.  JLs  68 


^^ 


-   IF  n 


t 


das  fUr  die  Gabe  des  Komponisten,  anschaulich  zu  ge- 
stalten,  das  sch5nste  Zeugnis  ablegt.  Wer  den  TonfaJl 
genau  ansieht,  mit  dem  in  den  zweiten  Takt  eingetreten 
wird,  kann  kaum  im  Zweifel  darQber  sein,  dafi  es  sicb 
bei  dem  Prinzen  um  eine  richtige  Kindergeschichte  ban- 
deln  mu6.  Das  angegebene  Thema  ist  das  einzige,  und 
infolgedessen  horen  wir  seine  Motive  sehr  oft.  Der  Kom- 
ponist  bat  allerdings  viel  aufgeboten,  die  Wiederholungen 
nicht  als  solche  erscbeinen  zu  lassen.  Die  Farben  wech- 
seln,  die  Modulationen  unter  den  Kontrapunkten,  mit 
denen  er  Neues  zu  bieten  sucht,  sind  ganz  verwegene. 
Die  zweite  F15te  blast  einmal  ein  en  wahren  Trommel- 
rbytbmus.  Auch  die  Pausen  bei  den  Periodenschltissen 
sind  darauf  angelegt,  Spannung  zu  erzeugen.  Erfriscbend 
wirkt  das  Eingreifen  der  Scheherazade,  die  dem  Ende  zu 
ibre  Melodie  bringt  und  dann  die  Prinzenmusik  eine 
Strecke  lang  in  der  Solovioline  mit  Arpeggien  verziert. 


475 


Der  Anfang  des  letzten  Satzes  (Allegro  xnolto)  zeigt 
den  Sultan  in  heftigster  Erregung.  Er  bietet  seine  ganze 
Kraft  auf,  am  sich  Scheherazade  gegeniiber  zu  behaupten. 
Diese  schrouckt  ihre  Melodie  mit  den  Kiinsten  des  Virtu- 
osen :  das  Violinsolo  kommt  in  mehrstimmigen  Satz.  Ein 
noch  heftigerer  Ausbruch  des  Saltans  antwortet.  Noch 
einmal  erhebt  die  Sultanin  ihre  liebliche  Stimme  and  be- 
ginnt  dann  sofort  zu  erz&hlen.  Es  ist  diesmal  die  Ge- 
schichte  von  dem  Fest  in  Bagdad,  dessen  Bild  die  Musik 
auf  Grund  folgenden  Themas  entroUt: 

vivo.  J  =  88 


das  sehr  oft  hintereinander  wiederholt  wird.  Dann  setzen 
Trompeten  and  Hdrner  ein,  aafmerksam  zu  machen,  daG 
sich  etwas  AaGerordentliches  begibt.  Die  neue  Erschei- 
nung  stellt  sich  musikalisch  vor  als 


So  gewichtig  sie  ist,  verschwindet  sie  doch  bald  wieder, 
and  nun  kommt  eine  sehr  schdne  Stelle:  ein  Abschnitt 
aus  der  vorhergehenden  Nummer.  Sind  der  junge  Prinz 
and  die  junge  Prinzessin  mit  auf  dem  Feste?  Die  Idylle 
entweicht,  der  Festtrubel  wirbelt  welter  in  BruchstQcken 
and  Umbildungen  aus  dem  ersten  Thema.  Einmal  (der 
Satz  ist  nach  Edur  gegangen}  h5ren  wir  die  Stimme  des 
Sultans  wie  im  Unmut  fiber  den  Gang  der  ErzUhlung. 
Das  £lndert  aber  nichts  am  Plan.  Das  Thema  bleibt,  wird 
nur  am  vieles  st&rker  vom  vollen  Orchester  gegeben.  Von 
einem  Bdur-SchluG  ab  beginnt  wieder  eine  Episode  fur 
die  Messinginstrumente.  Wieder  folgt  das  mslchtige  zweite 
Thema,  das  wohl  das  gefahrdete  Schift  bedeutet.  Sind 
der  Prinz  und  die  Prinzessin  darauf?  Ihre  Musik  folgt 
abermals  diesem  zweiten  Thema,  und  daG  Gefahr  vor- 
liegt,  zeigt  die  Trompete,  die  ohne  Unterbrechung  hoch- 


-^    476    ♦— 

notpeinliche  Rhythmen  schmettert.  Noch  einmal  geht  sie 
voruber  und  das  Fest  beginnt  wieder.  Aber  als  das 
Thema  und  der  Festtumult  am  lautesten  wird,  da  kommt 
die  Katastrophe:  das  Schiff  scheitert.  Die  Trompete  blftst 
wie  rasend  und  das  Schlagzeug  tut  das  moglichste.  Ge- 
meint  ist  die  S telle  ganz  richtig,  aber  die  Aufnahmefahig- 
keit  des  gebildeten  Ohres  ist  vom  Komponisten  nicht 
richtig  geschfttzt  und  der  M&rchencharakter  ebenfalls 
nicht.  Nacb  jener  entsetzlichen  Stelle  setzt  ein  0/4  Takt 
ein,  in  dem  Schabriar  und  Scheherazade  einen  Dialog 
aufftlhren.  Des  Sultans  Stimme,  die  erst  rauh  einsetzte, 
wird  sanfter  und  zarter.  TrUumerisch,  mit  Akkorden,  wie 
sie  &hnlich  Mendel ssohns  Sommernachtstraum  er6ffnen, 
klingt  die  Komposition  so  aus,  wie  sie  begonnen  hatte. 
Korsakoff  kommt  die  Ehre  zu,  als  der  erste  Russe 
eine  wirkliche  Sinfonie  geschrieben  zu  haben.  Sie  wird 
allerdings  selbst  von  seinen  Verehrem  abgelehnt*).  Da- 
gegen  gelten  in  der  Heimat  des  Komponisten  die  beiden 
Programmsinfonien  viel,  welche  jenem  ersten  Versuch 
gefolgt  sind:  Sadko  und  Antar,  jene  dreisSLtzig,  diese  vier- 
s&tzig.  Antar  f&ngt  in  neuester  Zeit  an,  auch  in  Deutsch- 
land  bekannt  zu  werden,  in  RuBland  gehGrt  das  Werk  zvi 
den  allerbeliebtesten  Orchesterkompositionen.  Es  bietet 
Programmusik  mildester  Art 
BiBisky-Eonft-  Wieder  fUhrt  uns  Korsakoff  in  die  arabische  Sagen- 
}^^^^  welt,  in  den  Kreis  der  Fabeln,  die  sich  im  Volk  um 
Antar,  den  Dichter  und  den  geliebten  Helden  der  Wiiste, 
gebildet  haben.  Antar,  einsam  in  den  Ruinen  von  Palmyra 
weilend,  sieht  pl5tzlich  eine  Gazelle  imd  gleich  darauf 
einen  Raubvogel,  der  sie  verfolgt.  £r  totet  den  Vogel, 
die  Gazelle  verschwindet  Antar  schl&ft  ein  und  wird 
nun  im  Traum  nach  einem  prachtigen  Palast  entf&hrt, 
wo  er  seine  Gazelle  wiedertrifft,  die  nichts  Geringeres 
war  als  die  Fee  Gul-Nazar,  die  Herrscherin  von  Palmyra. 
Sie  fordert  Antar  auf,  drei  WQnsche  auszusprechen,  und 
Antar  wunscht  sich  1.  den  Genufi  der  Rache,  2.  unbe- 

*)  G^sar  Oni:  L&  Musiqae  eii  Bussle.     1880,  p.  130. 


Antar. 


— ^    477    ^^ 

dingte  Macht,  3.  die  sch5nsteii  Freuden  der  Liebe.  Al» 
das  GlUck  der  Liebe  den  guten  Antar  zu  ermCkden  be- 
ginnt,  t5tet  ihn  Gul-Nazar  mil  einem  KuB. 

Es  handelt  sich  also  bei  dieser  Sinfonie  um  poetische 
Vorwttrfe,  wie  sie  die  Instrumentalmnsik  tlberall  and  zu 
jeder  Zeit  unbedenklich  in  ihr  Bereich  hat  ziehen  dQrfen. 
Nur  wer  der  Musik  tkberhaupt  das  Recbt  nnd  die  Mdglich- 
keit  des  Charakterisierens  abstreitet,  wird  sich  diesem- 
Programm  entgegenstellen  dClrfen.  Denn  es  handelt  sich 
in  dieser  Antarsinfonie  nm  weiter  nichts  als  um  den  Ver- 
such,  durch  Musik  Vorstellungen  vom  Feenleben,  vom 
Wesen  der  Rache,  der  Macht,  der  Liebe  zu  erwecken. 
Korsakoff  hat  sich  diese  vier  Bilder  als  Tr&ume  Antars 
gedacht,  begegnet  sich  demnach  mit  der  AufTassung,  in 
der  Berlioz  in  seiner  Sinfonie  fantastique  die  Schilderungen 
aus  dem  Leben  eines  Klinstlers  genommen  haben  wollte. 
Korsakoff  folgt  BerUoz  auch  in  der  Verwendung  von  Leit- 
motiven. 

Am  meisten  bietet  die  Sinfonie  von  Korsakoff  den^ 
Liebhabem  einer  weichen,  in  zarten  Tonen,  siiGen  und 
schmiegsamen  Harmonien  schwelgenden  Musik.  Sie  fin- 
den  im  ersten  und  vierten  Satz  alles,  was  sie  erwarten 
dtirfen,  und  es  zeigt  sich  auch  bier  wieder,  dafi  Korsakoffs 
Musik  den  schmiegsamen  weiblichen  Zug  des  russischen 
Nationalcharakters  besonders  stark  und  deuthch  auspr&gt. 
Auch  der  fast  Blinde  kann  aus  ihr  sehen,  was  asiatischer 
Geist  fUr  das  Zarenreich  bedeutet.  Die  Schilderung  der 
Rache  interessiert  durch  Beweise  guter,  scharfer  Seelen- 
beobachtung,  das  Bild  der  Macht  i]iberzeugt  am  wenigsten. 

Der  erste  Satz  beginnt  mit  einem  Largo  in  Fismoll 
(8/4  Takt),  das  in  schwer  beweglichen,  schleichenden 
Motiven  den  ernsten,  der  Einsamkeit  und  Vergangen- 
heit  lebenden,  die  Menschen  meidenden  Antar  zu 
zeichnen  sucht.  Lairgo.^ 

^l^r^^    ¥  n^  1"?^  "1  Ti  T I 

£s  kehrt,  den  schwermiitigen  Grftbler  zeichnend,  in 
alien  S&tzen  wieder.    Im  Sinnen  und  D&mmern  scheint 


478 


•die  Phantasie  des  Einsiedlers  auf  die  Sage  von  der  Fee 
Oul-Nazar  zu  stolen ,  die  Tone  suchen  eine  hoheits* 
Yolle,  zarte  Gestalt  vor  unser  innres  Auge  zu  stelien: 


^^& 


Diese  Weise   wird   das  Leitmotiv    der  Kdnigin   in    der 
Sinfonie.     Mit    dem    Eintritt    des   Allegro  (D  moll,   3/4) 


AIl«gro  gloooso. 


^^rrrffnr 


erwacht  um  FWte. 

AntarLeben: 

Von  dem  ver- 

zieningsrei- 

chen  Thema 

aus  entwickelt  sich  eine  breite,  in  einer  gewissen  tragen 
Munterkeit  fortschreitende  Melodie.  Dreii^ig  Takte  lang 
liegen  die  Hdrner  dazu  anf  A,  die  zweite  Violin e  gibt 
einen  Tambourinrhythmus.  Korsokoff  hat  sich  vielleicht 
nnter  dieser  Musik  die  Gazelle  seines  Programms  ge- 
dacht  und  dabei  die  Gelegenheit  gem  ergriffen,  etwas 
orientalisch  zu  malen.  Das  voile  Streichorche>ter 
bringt  Aufregung  in  das  Bild.  .Ober  ein  gewaltiges  an- 
wachsendes  Tremolo  der  un-  j»  ^^  -  1  im  1 
tern  Instrumente  werfen  die  y  .  J^^^^f^^^^ 
obern    Violin  en     das     Motiv  p^"-^^      ^^— ^ 

unruhig  bin  und  her.  Bald  ert5nt  schrill  in  den  Blasern 
der  Schrei  des  Raubvogels  und  treibt  den  ganzen  Geigen- 
-chor  in  einem  wiitenden  Unisono  in  die  Hohe.  Ein 
knrzer  Kampf,  w^hrend  dessen  die  grofie  Trommel 
bebt,    dann  der  entschiedne   Streich   in    den   Violinen: 

^x        Das  ist  der  Tod  des  R&ubers,  em  schwerer 

A     6  ^      Seufzer  in  den  Blasern:  als  wenn  der  Druck 

A^  Ip  i  sich  15ste,  den  die  Gefahr  in  An  tars  Brust 

^  veranlafit  hat  Bald  dann  kommt  die  Stimme 
der  Gazelle  und  der  Konigin,  wie  sie  ja  zusammengehoren, 
dicht  hintereinander;  die  Gestalten  scheinen  sich  in  An- 
tars  Phantasie  zu  vermengen.  £r  schl&ft  ein,  und  nun 
Hragen  ihn  die  Traume  in  den  Feenpalast,  wo  Gal*Nazar 


-^    479    ^— 

veilt  und  seiner  WQnsche  wartet.  Ein  zweites  Allegro 
(Fisdur,  ^/b)  beginnt.  Schattenhaft  huschende  F15ten- 
fignren,  sUB  schneidende  Geigenakkorde,  das  Horn  mit 
langem,  liegendem  Ton  darunter  leiten  es  ein.  Dann 
f&ngt  der  zarte  weiche  Reigen  an,  der  von  dem  Thema 

Allegretto  TlTaoe. 


«as  gebildet,  den  musikalischen  Hauptinbalt  der  Nnmmer 
ausmacht  Sein  melodischer  Teil  erinnert  an  das  scb5ne 
Stuck  von  den  Prinzenkindern,  das  Korsakoff  in  der 
»Schehezerade<  gegeben  hat.  Harmonien,  Begleitungs- 
motive,  Klangfarben  —  alles  strebt  nach  ftuBerster  Zart- 
lieit,  und  der  Vortrag  soil  noch  das  Ubrige  tun,  dieses 
Ziel  zu  sicbern.  Ein  gutes  Orchester  kann  sicb  bier  im 
Piano  zeigen.  In  der  Periodenbildung  macht  sicb  das 
Verfabren  bemerklicb,  den  tbematisch  melodiscben  Zu- 
sammenbang  durcb  rubende  Akkorde  zu  unterbrecben. 
Das  bebt  den  pbantastiscben  Traumcharakter  des  Ton- 
bilds  sebr  wirksam.  Die  Wiederbolungen,  deren  es  sebr 
viele  sind,  reizender  zu  gestalten,  bat  sicb  Korsakoff 
kleiner  Anderungen  durcb  Verzierungen  sebr  wirksam 
bedient  In  der  Mitte  ungefUbr,  gerade  als  das  Horn 
wieder  das  Tbema  des  Feenreigens  gebracbt  bat  und  die 
Harmonie  obne  weiteres  von  Es  nach  E  wechselt,  tritt 
•das  Motiv  der  Kdnigin  ein.  Bald  darauf  b5ren  wir  wie- 
der die  Figuren,  die  den  Kampf  gegen  den  Raubvogel 
veranschaulichten.  Das  soil  uns  darauf  fubren,  dafi  Gul- 
Nazar,  die  K5nigin,  jetzt  ibren  Better  belohnt.  Und  er 
bedankt  sicb:  das  Antarmotiv  folgt  unmittelbar  den  Td- 
•nen,  die  die  Konigin  bedeuten,  und  wird  immer  wiederbolt, 
w&hrend  der  Reigen  wieder  aufgenommen  ist.  Dann  er- 
2M.hIt  die  Musik  wieder  nur  vom  Schlafen  und  Trslumen 
Antars  und  zeigt  noch  einmal,  wie  in  seinen  Gedanken 
die  Fignren  der  Gazelle  und  der  K5nigin  durcheinander 
laufen.  Unsre  letzten  Blicke  fallen  wieder  auf  die  Ruinen 
Ton  Palmyra,  wo  der  einsame  Antar  das  Abenteuer  batte. 


480 


Der  zweite  Satz  (Allegro,  s/2>  Edur)  gibt  das  Bild  der 
Rache  zuerst  mit  leisen  Motiven: 

Allegro. 


J   1  J   J^!^^^f^     So  wahlt  (in  den  Cellis),  so 

—J  g..  ^— r —  T-,!      (^"^  ^®^  Fagotten,  Hor- 

yy»   J]U.:^nitft    '    V    '^  i^ern,  Posaunen)  brG- 
P    "fliisr^^        '''"**— ^1       tet  der  DiLmon.    Dann 

1st  das  noch 
AntaTjderGriib- 
ler? 


0fWM. 

CPMannsa.) 


gesAuf-^H^^^ 
f ahren :  jj^ 


^  Mit    ge- 

steigertem  Tempo  geht  die  Rache  nun  zum  Handeln  uber: 

Molto  AUegro.      Ploteni  (Horner.) 

Die  Energie  steigert  sich  zur  Wut,  fast  bis  zur  Sinnlosig- 
keit ;  wild  und  diabolisch  zischen  versprengte  T5ne  durch 
das  Gewebe  der  Themen.  In  der  Mitte  des  Satzes  kommt 
das  letzte  Thema  in  langsamer  Bewegung,  als  wenn  An- 
tar,  dessen  Leitmotiv  ihm  angehangen  ist,  nach  Samm- 
lung  r§.nge.  Dann  wiederholt  sich  der  ganze  ProzeG  des 
Anwachsens  der  Leidenschaft  in  verstftrkten  Graden;  mit 
Zutat  von  neuen,  anfeuernden  Motiven  gibt  der  Kompo- 
nist  ein  schreckliches  Bild  von  den  Qualen  einer  Seele. 
die  die  Herrschaft  verloren  hat.  Der  letzte  Abschnitt 
malt  Erschdpfung  und  Reue. 

Der  dritte  Satz  (Allegro  risoluto  alia  Marcia,  Viy 
Hmoll),  der  Antar  im  Besitz  der  Macht  zeigen  soil,  baut 
seinen  Hauptteil  auf  das  Thema  der  Hdrner: 

Allegro  risoluto. 


jr 

das  die  HolzblH- 
ser  mit  leicht  t3.n- 
delnden  Motiven: 


0 1  uPn  r  I  r  I  LU 


481 


ninspielen.  Kraft  und  Frohmut  spiicht  aus  diesen  T6nen, 
aber  nicht  was  wir  erwarten:  Gr5Be.  Das  Thema  macht 
sehr  bald  einem  andren  Platz 


von  dem  es  allmfthlich  fast  ganz  verdunkelt  wird.  Es 
wird  aaf  Individualitftt  und  Rasse  ankommen,  ob  man  der 
Aa£fassang  vom  Wesen  der  Macht,  zu  der  sich  Korsakoff 
in  dieser  Komposition  bekennt,  beistimmt  oder  wider- 
spricht  Sicher  liegt  nach  dieser  Darstelluug  der  Wert 
der  Macht  nicht  in  den  Taten,  sondern  im  GenuB.  Und 
nm  sie  yon  dieser  Seite.  zu  zeigen,  hat  Korsakoff  das  neue 
Thema  mit  Motiven  des  Scherzes  und  der  Heiterkeit  um- 
geben,  die  die  Reize  des  Bildes  bedeutend  erhohen.  Zum 
Teil  mufi  sein  Charakter  auch  daraus  erkl&rt  werden, 
daB  es  sich  um  orientalische  Anschauung  handelt.  Antar 
und  die  KOnigin  erscheinen  in  einem  Augenblick  beson- 
ders  hoher  Lust,  den  mftchtige  Trillerwellen,  Yiolinen  und 
Holzbld^sern  entstrdmend,  bezeichnen. 

Der  vierte  Satz,  der  das  Walten  der  Liebe  zeichnen 
soli,  beginnt  mit  einem  Allegretto  vivace  (O/s,  Ddur),  in 
dem  wieder  die  hinabhiipfenden  FlGtenfiguren  (wie  im 
ersten  Satz)  an  das  Weben  des  Traumgottes  erinnern. 
Dieses  Allegretto  geht  nach  12  Takten  bereits  in  ein  An- 
dante amoroso  Uber,  das  den  Satz  ausfUlIt.  Sein  Haupt- 
thema  ist  die  Melodie  eines  arabischen  Lieds  mit  folgen* 
dem  An  fang: 

Andante. 

cUbcOi  Houl) 


Andante. 


Die  Klarinette  schliefit  mit 


Kretztchmar,  FlUurer.    I,  1 


31 


— <y    482    o>- 

das  ist  also  mit  einem  Anklang  an  das  Allegro  giocoso 
des  ersten  Satzes.  Das  Liebespaar  wird  dann  musikalisch 
vervollstandigt  durch  das  zuerst  von  den  Violinen  ge- 
brachte  Thema: 


icTf  r|()viug|^i  ' 


Bald  sagen  uns  auch  die  Leitmotiye  der  Kdnigin  und 
Ad  tars,  am  wen  es  sich  bei  diesem  Austausch  zarter 
Gefiihle  handelt.  Mit  dem  Eintritt  des  Animato  wird  das 
Spiel  auf  einen  Augenblick  von  Leidenschaft  erwarmt, 
dann  zogernd.  Der  Stimme  der  Kdnigin  gegenilber  ist 
die  An  tars  kanm  noch  zn  vernehmen.  Bin  Tamtam- 
schlag,  ein  Glissando  der  Harfe,  das  ungef&hr  klingt  als 
wenn  ein  Faden  zerreifit  —  und  mit  einigen  T5nen,  wie 
frommer  Grabgesang  aus  hohen  Sph&ren  herabgeb5rt, 
schlieOt  die  Sinfonie. 

Diejenige  russische  Programmsinfonie,  die  sich  am 

meisten  in  den  dentschen  Konzerts&len  eingebiirgert  hat, 

P.TMhBikowiky,ist  P.  Tschaikowskys  »Manfred€  (op.  68).     Sie  will 

Manljred.        »vier  Bilder  nach  dem   dramatischen  Gedicht  Byrons* 

bieten,  wie  anf  dem  Titelblatt  steht 

Im  ersten  Satz  haben  wir  uns  Manfred  zn  denken, 
wie  er  im  Gebirge  herumirrt,  von  Seelenqnalen  gefoltert, 
gegen  die  keine  Wissenschaft,  keine  H&llenknnst,  keine 
Erinnernng  hiift.    Die  Mnsik  beginnt  mit  einem  Thema: 

Lento  lugobre.  Js60 


>M^'ifi^r?^7i^  rHiTpj'u^j^i  f^\ 


in  das  sich  heroischer  Stolz  and  Schwermat  teilen.   Das 
ist  das  Bild  des  anseligen  Manfred,  der  einst  so  gewal- 


483 


tig,  nun  gebrochen  dahinwankt  wid  klagt    Fiir  dieses 
Klagen  hat  der  Koinponist  ein  ganz  bestimmtes  Motiv 
ins  Thema  eingesetzt.   Es  erscheint  da  im  p 
siebenten  Takt,  wird  aber  auch  frei  far  -J   *     ^J^^ 
sich  in  dieser  ersten  Form  oder  anch  als:        "^     ^* 
oderdrit-   q    ^      ^  oder  endlich  in  verktlrz- 

tensver-  ro  J   aJ    I  g  t  Vq=^  ten  Rhythmen  verwendet 
l&ngert:  ^    ^^         Manfred  miiht  sich  seines 

Elends  Herr  zu  werden»    j}  _   rm ,  ,      ^    ^   i       , 


etc. 


Das  sagt  uns  die  Fprt- 
setznng  seines  Themas 
die  Kraft  und  emstes  Bestreben  ftnOert  Und  bald  wird 
der  Eifer,  roit  dem  Manfred  gegen 
die  Damonen  k&mpft,  noch  grdCer.  ^=^ 
Die  Celli  stellen  mil  dem  Rhythmns  JP 
ein  Gegengewicht  gegen  Fagotte  und  Klarinetten  auf,  in 
denen  das  Seufzermotiv  haust.  Diese  Triolen  werden  von 
mehr  und  mehr  Instnimenten  des  Orchesters  aufgenommen, 
schlieOlich  auch  yon  ersten  und  zweiten  Violinen.  Mit 
ihnen  kommt  der  Abschnitt  zu  j--^  k  Die  Kraft  in 
einem  schroffen  Abschlufi  im  ^:  *  *  *  Manfred  hat 
sich  gegen  sein  Leiden  aufgebaumt.  Kurze  Generalpause. 
Wieder  setzt  das  Manfredthema  ein,  aber  mit  h,  eine  Quint 
hSher  als  beim  ersten  Male.  Der  ganze  Vorgang  wieder- 
holt  sich  mit  Steigerung.  Das  Triolenmotiv  wandelt  sich 
in  eine  Sechzehntelfigur,  eine  besondere  Figur  des  Strebens 
^  ,  li,  r  ■  i#  „^"^^  noch  dazu;  mit  ihr 
■I  J  ''  *lUJ  '  ^^wirH  die  Erregung  all- 
^  gemein,  am  Ende  (beim 

Animando  un  poco)  ein  wahrer  Tumult,  und  wieder  ist  das 
Resultat  Sisyphusarbeit  gewesen.  Zum  dritten  Male  setzt 
das  Manfredthema,  aber  wie  ein  Schrei  der  Verzweif- 
lung  fff  (beim  Piti  mosso)  ein.  Die  Trompeten  ftlhren, 
die  BI£lser  stehen  an  der  Spitze  des  Orchesters,  die  Vio- 
linen markieren  mit  dissonanten  Tremolos  emen  Fieber- 
zustand.  Manfred  sucht  diesmal  die  schlimmen  Geister  in 
seiner  Seele  durch  Kraft  und  Trotz  zu  bannen.  Hart  stolen 
die   aus   Liszts    »Faust<    und  Berlioz*   Fantastique    be- 

31* 


484 


kannten  Rhythmeh  der  Verwegenbeit    rn  dann  j*  j  ^ 
durchsganzeOrchester.  Drei-,viermal:  gar        * 

Auf  diesen  Triolen  rast  die  Musik  einen  Takt  lang.  AUe 
Instrnmente  Bchlagen  diesen  Rhythmus  mit  der  S,ufiersteoi 
Kraft  an,  das  Tamtam  f&llt  ein;  dann  zittert  der  Zom  sogar 
ineinem  allgemeinenSechzehnteltakt^wohlTerstanden:  nor 
Rhythmus  in  alien  Instrumenten.  Und  abermals  umsonst^ 
Manfred  kann  es  nicht  zwingen.  Da  ist  es  denn  rOhrend,. 
wie  er  nach  diesem  letzten  grofien  Mifierfolg  (beim  Mo- 
derate con  moto)  bescheiden'  und  demfttig,  nicht  mit  dem 
herausfordernden  breiten  Thema,  sondem  mit  der  Fort- 
setzung,  mit  den  Motiven  des  Strebens  wieder  anf&ngt. 
Den  XiOhn  erh&lt  er  aus  dem  Munde  des  Horns: 


^N.||JI{|LijlJ-J% 


poco  oreso.       v 

So  ermuntert,  nimmt  Manfred  den  Eampf  gegen  die  innreir 
Feinde  wieder  aof.  Die  Motive  des  Strebens  werden  ener- 
gisch  durchgearbeitet,  in  Nachahmungen  ineinander  ge- 
flochten  und  zu  einem  lebendigen  Bild  Von  Seelenkampf 
entwickelt.  Die  ersten  zwei  Noten  des  Manfredthemas 
sind  auch  darin  als  leidensthaft-         ^^  55,^ 

licher  Wehruf,  das  Seufzermotiv  ^  CT  I  >'  T^  ^. 
kommt  in  den HOmern  in  der  Form   U  !■    '  - 

Dafi  auch  dieses  Kampfes  Ausgang  nicht  gttnstig,  sagea 
uns  die  Motive  des  Trotzes  und  der  Verwegenheit,    p. 
die   am   Ende    des   Absohniltes   wieder   hart   als  ^    * 
im  fff  einsetzen.' 

Und  nun  kommen  wir  an  die  Mitte  des  Bildes,  an 
die  Stelle,  wo  der  Komponist'  auf  das  Antlitz  und  in  die 
Seele  Manfreds  einige  freundliche  Strahlen  fallen  IlLfit 
Ein  Andante' beginnt.    Sein  Hauptthema 

Aodaate.  J:69 


rlifvr  I O  ^^H 


fahrt   die    Ges^alt  Astarten* 
vor  Manfreds  inneres  Auge,. 


485 


and  der  Erinnernng  an  die  HeifigelieMe  gili  der  ganze 
Abschnitt.    In    ^ ,  nimmt    er    den 

den Bildungen  .^.l^  , J' ||J>.'/j.j  \  T^  Cfaarakter  eines 
um  das  Thema  ^  *  traulichen    Dia- 

logs an;  freundlich  erregte  Kl&nge,  die  von  entziickten 
flerzen  erz&hlen,  t5nen  dazwischen.  Es  kommt  eine 
•Stelle  (beim  Poco  piii  animato)  die  mit  dem  Anfang 


letwas  an  Gou- 
nod erinnert.  Sie 
schliefit  dann  ein- 
lach  mit  Skalen: 
Aber  diesen  G&ngen  hat  der  Komponist  durch  Cregenmotive 
nnd  Harmonien  eine  solche  W&rme  gegeben,  dafi  von  dieser 
-Stelle  aus  ein  Glanz  auf  die  ganze  Szene  f&]lt.  Nachdem  das 
Themader  Astartenochmals,  aber  nichtinnigond  schCichtern 
vne  beim  ersten  Mai,  sondern  in  Pracht  and  im  Licht  der  Be- 
geisternng  voriibergezogen,  scblieOt  die  Stunde  schoner  £r- 

innerung  mit  ei-  AUegro  boa  troppo. 
nem  letzten  Aus--ajL — /T^ — ^^« 
klang  des  Jubels 
and  der  Freade: 
Mit  dem  letzten  Takte  kommt  der  erste  Bote  von  den 
<2ualen  wieder,  die  Manfreds  GemUt  bedrohen.  Die  Bratsche 
setzt  diesen  chromatiscben  Ton  fort,  and  der  SchloBteil 
des  Satzes,  ein  Andante  con  daolo,  das  mit  dem  innren 
<jang  der  Musik  das  Tempo  zuweilen  etwas  beschleunigt, 
empf&ngt  uns  mit  dem  Manfredtbema,  von  Geigen,  Brat- 
«chen  and  Cellis  uaisono  gespielt.  Es  klingt  aber  hier 
zunftchst  edel,  gewissermafien  unter  der  Nachwirkung 
^er  Yoraasgegangenen  Szene  verklslrt  Als  es  die  Hdrner 
anfnebmen,  Geigen  and  Holzbl&ser  mit  wilden  Trillem 
l)egleiten,  wird  sein  Charakter  d&monisch,  and  so  schliefit 
der  Satz.  Manfreds  K&mpfen  and  M5hen  war  vergebens. 
"Cs  ist  dieser  erste  Satz  der  Tschaikowskyschen  Sinfonie 
^er  bedeotendste  unter  alien.    In  bezug  auf  die  Form 


^-fr    486    «— 

zeigt  et  wieder  des'Komponisten  au6ergew(5hnliche  6e* 
staltungskr&ft.  Sie  erlaubt  ihm,  sich  vom  Schema  zu  enU 
fernen  und  frei  neue  Bildungen  zu  versuchen.  Nichts 
von  der  Eiateilung  und  den  Elementen  des  Ublichen  So- 
natensatzes  in  diesem  Stdck,  keine  Themeugruppe,  keine 
DarchfUhrung.  Dafiir  eine  schdne  freundliche  Szene  als 
Mitte  des  Bildes,  zu  ihr  hinfuhrend  eine  Reihe  von  An- 
laafen,  eine  d&monisch  qualvolle  Stimmung  zu  iiber- 
winden,  diese  Anlaufe  ziemlich  gleich  in  Material  und 
Ftihrung.  Nachdem  das  Bild  in  der  Mitte  verhangen  wor- 
den  ist,  werden  die  Vorgange  des  ersten  Teils  gekilrzt 
und  gesteigert  noch  einmal  voriiber  gefCthrt  und  zum 
baldigen  Ende  gebracht  Auch  was  den  Ausdruck,  den 
seelischen  Charakter  betrifft,  mufi  dieser  Satz  hoch  ge* 
stellt  werden.  Wenn  es  sich  um  eine  Manfredkomposition 
handelt,  so  kann  keinem  neuen  Tonsetzer  der  Vergleich 
mit  R.  Schumann  erspart  werden.  Denn  seine  Manfred- 
Ouverture  ist  ein  Charakterbild,  dem  man  nur  wenig  an 
die  Seite  setzen  kann:  Handels  Agrippina,  Beethovens 
Goriolan,  Wagners  Faustouverture,  Volkmanns  Richard  III. 
allenfalls  noch.  Schumanns  Manfred  hat  Ziige,  die  ihm 
ganz  allein  gehGren ;  kein  zweiter  Komponist  hfttte  solche 
T5ne  wie  Schumann  fiir  den  Geisterverkehr  gefunden. 
Aber  im  allgemeinen  behauptet  sich  Tschaikowsky  neben 
seinem  Vorganger.  Auch  er  hat  ein  ergreifendes  Bild  be» 
deutender  Seelenzustande  gegeben.  Zeichnet  Schumann 
die  Leidenschaften,  so  enthullt  Tschaikowsky  die  Leiden 
seines  Uelden. 

Die  oft  beklagte  Ungleichheit  in  den  Werken  des  hocb 
veranlagten  Russen  zeigt  sich  auch  in  seiner  Manfred- 
sinfonie  wieder.  Wahrend  der  erste  Satz  eine  bedeu- 
tende  geistige  Erfassung  der  Aufgabe  bekundet,  ist  der 
Komponist  dem  Gegenstand  im  zweiten  Satze  nur  ftuGer- 
lich  n&her  getreten.  Das  Programm  sagt:  »Die  Alpen- 
fee  erscheint  vor  Manfred  unter  dem  Regenbogen  des 
Wasserfalls*  und  erregt  damit  die  Erwartung  wunderbarer 
und  in  Anbetracht  der  Gebirgsnatur  jedenfalls  erhabner 
Erscheinungen.  Sonst  doch  ein  durchaus  modemer  Kdnst- 


^^    487    ^>— 

ler,  hat  Tsehaikowsky  diesinal  sich  um  das  gegebene 
>  milieu  €  wenig  gekummert,  sondem,  nur  den  Wasserfall 
und  das  Glitzern  des  Regenbogens  im  Kopf,  im  Haupt- 
satz  eine  Springbrannenmasik  gegeben.  Dieser  Satz 
von  der  Alpenfee  ist  eine  Salonkom position  mit  ^uOerst 
geschickter  Orchestertechnik  durchgef&hrt  und  einiger- 
maBen  von  Mendelssohnschen  und  Berliozschen  Ideen 
inspiriert,  aber  keine  Tondichtung,  die  iiber  das  Alltftg- 
liche  hinaushebt.  Der  Form  nach  gleicht  er  einem 
Scherzo.  Die  Biclser  tragen  den  Hauptteil  der  Darstellung 
mit  sprlihenden  und  regsamen  Sechzehntelmotiven.  Sie 
filhren  auch  in  das  Sttick  ein.  Die  zweite  Fldte  bringt 
das  von  andren  Stimmen  ziemlich  verdeckte  Hauptmotiv 

vivace  eon  spirlto.  Js  120  ^^  ^^S     in    den 

j^  "*f/'  tesk  mit  ei- 

ner  metrisch  et-  g  tf ^  gi^  ?*^r._  begrfifit  wird. 
was verrenkten  m"i  t  \  \  n  j  *^  ^  ^^^  Blfiserthe- 
Oktavenfigur:  ^**     ^      ma  erganzt  sich 

dann  noch  durch  eine  Figur,  die  das  Phanomen  des  FUe- 
Cens  vor  ^^^       -,..,^^  ^  DenBildern 

diePhan-^MteEr*r  T  ^  fT FJ^F  ^f  -Jl^^^  ^^^^^S" 
tasie  rufl  J  '      ■ '       "tenWassers 

widmet  sich  dann   der  Komponist,   nachdem  die  erste 

Themengruppe     zweimal    vorgeftthrt    worden    ist,     fiir 

eine  ziemliche  Weile.    Mit  Bildungen,  die  auf  dem  Motiv 

^JU_*r^     ^^'  '*   -^.^^      ruhen,  zeigt  er  uns  das 

'j^^il   li-gcM^J^L^  I  Crf  f  1  Element  im  hiipfenden 
g       ■  =*Mfc=|zaa^t=;  Zustand.  Dann  bringen 

dieCellivier  a  b,^  rr  ihnen  nach  die  Brat- 
Takte  lang  -V'  Htf  ji/fH^1jF^^=  schen  und  die  an- 
das     Motiv  r^  dern      Streichinstru- 

mente  &hnliche  Figuren.  Das  ist  die  musikalische  Zeich- 
nung  von  den  langhinstromenden  und  flutenden  Wellen. 
In  der  grSBten  Bewegung  h&lt  die  Musik  pl5tzlich  ein, 
bricht  auf  einer  Dissonanz  {cis-e-g-h)  ab.  Bratsche  und 
englisches  Horn  halten  allein  cis  aus.    Dann  setzen  die 


^-^    488    ^1-- 

Geigen  mit  einer  neuen,  weit  ausholenden  Triolenfigur  ein, 
die  wie  Verwanderung  aussieht.  Es  hat  sich  etwas  er- 
eignet,  was  die  Elemente  statzen  macht:  Manfred  ist  am 
Wasserfall  erschienen.  Wir  erfahren  das  nicht  aus  seinem 
herrischen  Thema,  das  die  Sinfonie  er5ff-  ^  ^_^ 
note.  Nur  durch  das  Seufzermotiv  wird  er  %H.  f^J^^^ 
vertreten,  Es  durchklingt,  in  der  Form  ^  p 
nnd  immer  auf  denselben  zwei  Tdnen  von  der  Oboe  ge- 
bracht,  einen  l&ngren  Abschnitt,  in  dem  es  ziemlich  still 
hergeht.  Nur  ein  leichtes  Tremolo  der  Bratscben,  dann 
der  zweiten  Yiolinen  erinnert  noch  an  das  Wasserrauscben 
nnd  an  den  Ort,  an  dem  nnsre  Phantasie  weilen  soil. 
Allmablich  wird  die  Wassermnsik  wieder  deuUich.  Der 
Komponist  wiederholt  den  ganzen  Hauptsatz  mit  Ande- 
run  gen.  Die  RoUen  sind  vertauscht:  Die  Yiolinen  haben  die 
leichten  Sechzehntel,  ^ — ...«^,^^  £s  hat  sich 

die  Bl&ser  die  Ach-llj|ii  f  f  f  i  f  fTTTT*;  ^^^^  ^^^ 
telmotive.     Ein  nen-fj^  **  L  ^  '  11^ '_f  •'^"'"**"^Tr^' 

es  Motiy  tritt  hinzu         ^  ben  durch  die 

Seufzer  des  vorigen  Abschnittes  ein  Schatten  nnd  eine 
Lahmung  gelegt.  So  hort  es  denn  anch  friiher  als  zn  er- 
warten  auf,  oben  in  den  Bl&sem  mit  schrillen  Tdneu, 
unten  in  den  Yiolinen  vollstftndig  erstarrt.  Achtundvierzig 
Takte  lang  spielen  erste  nnd  zweite  Geigen  abwechselnd 
immer  nur  fU  g\  schliefilich  bleiben  die  ersten  Yiolinen 
mit  ihrem  /is  allein  dbrig.  Die  Stelle  macht  einen  aufier- 
ordentlich  phantastiscben  Eindruck,  der  Einfall  erregt 
groBe  SpannuDg,  zugleich  aber  auch  ein  gewisses  ge- 
spenstiges  Grauen.  Da  setzt  denn  nun,  von  zwei  Harfen 
rauschend  begleitet,  die  erste  Yioline  mit  folgender  freund- 
licher  Melodie 


dolee 


«in.  Es  ist  die  Stimme  der  Alpenfee,  die  Tschaikowsky 
mit  seiner  Musik  als  eine  Gestalt  zeicbnet,  die  ganz  Giite 
nnd  Liebe  ist.    Das  Lied  hat  einen  zweiten  Teil,   den 


_^    489    ^~ 

ebenso  wie  den  ersten  die  aufschlagenden  Acbtel  als  Ge- 
birgsmusik  kennzeicfanen.  Der  Gesang  wird  reichlich  wie- 
derholt  and  dabei  immer  gl&nzender  instrnmentiert.  Als 
ihn  das  Fagott  eben  dnrchgefUhrt  bat,  da  setzt  in  Horn 
und  Bratscben  das  Thema  des  unseligen  Manfred  ein. 
Manfred  erz&hlt  ja  nach  Byron  der  Alpenfee  seine  un- 
glticklicbe  Liebe  za  Astarte.  Mit  dem  Manfredthema  zu- 
sammen  gebt  das  Lied  der  Alpenfee  immer  weiter.  Auch 
die  Wassermusik  wird  wieder  lebhafter,  besonders  an  der 
schOnen  Edur-Stelle,  wo  die  Saiteninstrumente  die  Mo- 
tive der  Alpenfeemelodie  in  Gegenbewegung  durchfiibren. 
Die  H5mer  baben  einen  weitern  selbst&ndigen  Kontra- 
punkt  dazu,  und  die  Musik  spricbt  bier  mit  gl&bender 
WSxme  Mitleid  mit  Manfred  aus.  Die  frenndlicben  Sorgen 
der  Alpenfee  scbildert  ein  Abscbnitt,  in  dem  die  bohen 
Blaser  die  Motive  des  Ddar-Tbemas  mit  den  B&ssen  in 
Nachabmungen  bringen.  Es  scbeint  aber  nicbts  zu 
nutzen.  Der  Satz  setzt  sicb  auf  einen  AsmoUakkord 
fest,  fangt  an  rbytbmiscb  ftbnlicb  za  rasen,  wie  wir  es 
im  ersten  Satz  erlebt,  and  bricbt  wie  dort  im  fff  mit 
dem  Rbytbmas  i— i  Darauf  in  groBen  scbmerzlicben  Re- 
des Trotzes  ab :  ^  *  gangen  Manfreds  Thema  in  Violinen 
und  Holzblftsem  and  ein  Ende  dieses  Absatzes  in  Disso- 
nanzen  (Q-d-e-k)  und  Yerlegenbeit.  Aus  dieser  Situation 
belfen  Celli  und  Fagotte  mit  einem  neutralen  Einfall  fort 

und  binein  in  die  Wiederbolung 
des   Hauptsatzes.     Sie   weicbt 


^ —      ^^g    g    des   Hauptsatzes.     bie   weicht 
^H  J*'  n  I  r  Tb  ^  I  ^    von  der  ersten  Ausfuhrung  am 


^*^  '        Ende  ab:  Engliscbes  Horn  and 

Klarinette  bringen  nocb  einmal  im  weicben  Ton  das 
Manfredthema,  und  die  letzten  Takte  baben  nur  noch 
einen  Schimmer  von  Klang:  Harfen  nnd  Violinen  in 
bohen  Trillem  sind  allein  tkbrig  geblieben.  So  wird  der 
Ausgang  des  Satzes  dem  Wunderbaren  der  Szene  nocb 
scbnell  gerecht. 

Wie  Tscbaikowskys  Manfred  im  allgemeinen  mit 
Berlioz*  » Harold «  wichtige  BerUbrungspunkte  gemein 
hat,  so  erinnert  der  dritte  Satz  insbesondere  an  die 


-^    490    ^— 

Szene  Harolds  in  den  Abruzzen,  wo  die  Landleute  das 
droUige  Standchen  bringen.  Das  Programm  zu  diesem 
Satze  gibt  an:  »Pa8torale.  Einf aches,  freies  und  heitres 
Zusammenleben  der  Gebirgsbewohn^r*.  Den  Pastoral- 
charakter  zu  treffen  brauchts  vor  allem  einen  ^/sTakt, 
als  Nachkommling  des  alten  Siciliano.  Auch  Tschaikowsky 
hat  sich  dieses  gegebenen  Mittels  bedient  und  in  ihm 
folgende  Melodie  an  die  Spitze  seines  Pastorale  gestellt. 

^  Andante  con  moto.  J«48 

3E 


Sie  wird  durch  die  begleitende  Harmonie  einiger- 
niaOen  gehoben  und  sucht  auch  des  weiteren  das  Be- 
hagen  an  ihrer  Sphare  durch  kUnstliche  Mittel  zu 
steigern.  Die  Oboe  moduliert  nach  ihrem  zweiten  Ein- 
satz  bereits  nach  H  dur,  und  daran  schliefit  sich 
ein  Abschnitt,        J^ .  ^^ 


in    dem    die   j?a..  /?r-l*r  r     f  §F  v  .T  ^f  f* 
Stimmen  urn  a^^^  «  -■    |  I    '^  ■    *'   |  ^--U   Ld=fcdl 
das      Thema  ^      ^  -^7  V"^ 


das     Thema 

kunstvolle  Spiele  (Ranons  und  freiere  Nachahmungen) 
fiihren.  Der  Gdursatz  wird  darauf  mit  der  Melodie  in 
den  Holzblasern  wiederholt.  Als  das  Ende  des  Themas 
erreicht  ist,  kommt  keine  DurchfUhrung,  sondern  das 
Bild  des  Friedens  und  der  Unschuld  verwandelt  sich. 
Eine  neue  ganze  Gesellschaft  tritt  auf,  bei  der  es  aus 
ein  em  andren  Ton  geht,  namlich: 


i^-£}  iji^^  UJJ  UJ  jJi^ 


Zu  dieser  Melodie  muB  man  sich  rustikale  QuintenbS,sse 
(Fagotte)  denken  und  ungenierte  Reibungen  in  den  Be- 
gleitstimmen,  urn  zu  begreifen,  dafi  es  sich  jetzt  um  eine 
derbere  Lustigkeit  handelt.  Allenfalls  l&fit  das  ja  schon 
die  rhythmische  Hast  des  Themas  ahnen.  Es  sind  gewiB 
herumziehende  Musikanten,  die  das  kleine  Sfttzchen  vor- 
tragen.  Die  Episode  entfesselt  aber  einen  Freudensturm  bei 


--e     491     ^~ 

der  Hirtengemeinde.  In  einem  Hmollsatz,  der  den  Mitteltei]- 
des  Pastorale  bildet,  kommt  er  zumAusdrnck,  weniger  in  dem> 
in  einem  grandiosen 

Unisono  der  Streicher 

gebrachten  Thema  ^ 
als  in  der  Begleitung,  in  dem  lanten  Ton,  in  dem  sie  ge- 
halten  ist,  und  in  den  erregten  Rhythmen,  die  immer  aos 
einzelnen  Stimmen  oder  ganzen  Orcbestergruppen  da- 
zwiscbenfahren.  £s  scblieGt  sich  daran  eine  Darchfiihrung 
des  ersten  Seitenthemas,  das  frQher  in  Hdnr  erschien,  nan 
in  der  Haupttonart  Gdur  gebracbt  wird.  Es  verliert  sich 
in  einen  SchluB,  der  &hnlich  gehalten  ist  wie  der  Aus- 
gang  des  zweiten  Satzes:  die  ersten  Violinen  baben  eioen 
Triller  auf  bobem  h,  die  drei  Floten  umwinden  ibn  mit 
hoben  Arpeggien.  Der  ungew5bnlicbe  Klang  soil  bier 
auf  Wnnderbares  vorbereiten.  Das  jetzt  in  den  Cellis 
einsetzende  Tbema 

J.r60  ^ — ^  ^..^  ^      X- 


i 

fiHr  rJf  I  1^     ^  \^  ^  ^  ^ ^^^ ^^^ ^^^^ ^^"®° Sinn^ 
p  f\gj0mi    I  '^^__^^^   \  ^      ^i-ji^^m^  gg  einigermaCen 

vision^,  in  einer  entriickten  Stimmung  gedacbt  wird.  Es 
ist  Manfreds  Tramn  vom  Gliick,  einTraum,  zu  dem  er  sicb 
an  den  Bildern  des  13.ndlicben  Friedens  und  Behagens  be- 
rauscht  bat.  Scbon  aber  als  die  Bl§,ser  das  Tbema  auf- 
nehmen,  wird  es  getrUbt  und  erregt,  und  trotz  gewaltsamer 
Anstrengungen  bricht  doch  Manfreds  verzweifelte  Stim- 
mung bald  wieder  und  scbauderhaft  durcb.  Die  H5mer 
bringen  das  Tbema,  aber  ohne  den  Anfang,  gleich  mit 
der  resigniert  berabsteigenden  Wendung,  und  dann  steben 
sie  festgebannt  auf  dem  schlieBenden  C,  das  23  Takte 
bindurcb  unter  wechselnden  Harmonien  immer  wieder 
angescblagen  wird.  Diese  Beharrlichkeit  wirkt  religiOs; 
in  der  Tat  stimmt  aucb  eine  Glocke  mit  ein,  und  dafi  der 
ganze  Vorgang  das  Herz  Manfreds  entlastet,  zeigt  die 
Melodie,  die  das  Horn  einsetzt,  w&brend  die  Holzbl&ser 


492 


immer  noch  am  G  and  den  daza  geh5rigen  Melodien 
festhaJten: 


Sie  erinnert  an  eine  andre  Hornmelodie,  die  im  ersten 
Satz  der  Szene  vorhergeht,  in  deren  Mittelpunkt  Astarte 
steht.  Auch  hier  folgt  Sonnenschein.  Die  Pastoralmusik 
aus  dem  ersten  Teil  der  Hammer  kehrt  wieder,  in  der 
zweiten  Periode,  wo  die  Streichinstramente  das  Thema 
snehmen,  darch  die  Kontrapankte  der  Bl&ser  in  einen 
bacchantischen  Charakter  gewandelt.  Der  hohe  Ton  hftlt 
an.  Nach  einer  Steigerang,  die  von  Gdur  nach  EmoU 
gef&hrt  hat,  tritt  das  Thema  von  Manfreds  GltLckstraam 
hinza,  ohne  sich  jedoch  lange  za  behaapten.  Es  wird 
still,  das  Horn  them  a  erscheint  wieder  am  Schlusse  mit 
Harmonien,  die  wie  der  Schatten  des  Abends  wirken. 
Noch  einmal  blasen  die  wandernden  Mnsikanten  ihr 
Stttckchen.  Nur  aas  der  Feme  aberwird  ihnen  gedankt; 
leise  und  immer  leiser  klingen  froh  bewegte  Figoren 
aus  den  Violinen,  aas  den  HolzbllLsem  Abschieds- 
grUOe  —  ein  letztes  Anspielen  des  Pastoralthemas  wie 
Einschlafen,  und  alles  ist  aus! 

In  seinem  Schlufisatz  hat  sich  Tschaikowsky  die 
Anfgabe  gestellt,  den  nnterirdischen  Palast  Arimans  za 
schildem..  Manfred  erscheint  inmitten  des  Bacchanals. 
Der  Schatten  des  Astarte  wird  beschworen.  Sie  ver- 
kiindet  ihm  das  Ende  seiner  irdischen  Leiden.  Manfred 
stirbt.  Darch  dieses  Programm  erklftrt  sich  der  Kom- 
^onist  abermals  als  einen  Schfller  Berlioz*,  der  seinen 
Harold  gleichfalls  unterirdisch  und  bei  einem  Bacchanale 
zn  Grande  gehen  Ittfit.  Und  Tschaikowsky  zeigt  sich 
auch  in  der  AusfQhrang  dieser  Idee  von  dem  Franzosen 
beeinflufit,  namentlich  darin,  dafi  er  aus  seiner  Dar- 
'Stellung  die  Grazien  ganz  und  gar  verbannt.  Von  Gluck 


493 


und  Wagner  hfttten  diese  Programmusiker  lemen  kSnnen^ 
dafi  die  H511e  durch  ihie  zarten  Kftnete  am  verfOhrerisch- 
sten  iat  and  die  grdfite  Gewalt  Qber  die  Geister  tibt. 

Bin  gewaltsames,     jui«ro  cod  moco.  J  s  i*4      ^*     ^^ 
heftig     aufCahrendes  ^^  _  j^_  ^     hftufig  von- 

Thema  kennzeichnet  *^»"  P  P  If  T'CJ"!  II einem gei- 
das    Reich   Arimans  JB^  sterhaften 

Nachgesang     der     BIftser  ^  ■    ,  r  f^ . 

begleitet,    dem    folgendes      ft'f*  ff^r^B  ^ff  If  I  "^ttJ^ 


_       folgen    ihm  in^ 
^^  der  Kegel  l&r^ 
mende  Kontra- 


Motiv  zu  Gmnde  liegt: 
Wenn  es  in 
verktbrzter  Ge- 
stall  etscheint: 
punkte^  gT5fite  Err^ 
gang  herrorrufend  die 
grimmige  Bafifigar: 
Fur  den  ganzen  Teil,  der  der  Schilderung  der  Arimanschen 
Henrschaft  gewidmet  ist,  hat  der  Komponist  Ungestftm  und' 
Hefligkeit  ids  kennzeichnende  Merkmale  gewilhlt  Daher 
die  ixnxner  neaen  and  immer  karzen  Anlftafe,  auf  Grund 
des  Themas  gr513ere  S&tze  za  bilden.  Bald  geschehen  sie  ia 
Fageniorm  oder  in  andren  Arten  der  Nachahmung,  bald  mit 
VerlUngemng,  bald  mit  VerkQrzung  der  Anfangsnoten,  bald 
mit  gefafiten,  bald  mit  wilden  Kontrapunkten.  Diabolischer 
wird  die  Szene  mit  dem  Aaftreten  der  Trompetenvariante: 
§%,  Ifr-     ,   I  _  GeigenundF15ten 

■^Tr^r|j'  Ip    J  J|tJ|iJ  I  J  [[^■l?^  umtrillem  sie  wie 
jBf  *      ""^       ^^        rasend,     brutale^ 

Stofie  der  Hdrner  antworten  darauf.  DerL&rm  w&chst  von 
alien  Seiten,-  die  Trompete  feuert  in  gemeinen  Rhythm  en 
an^  und  endlich  macht  sieh  das  animalische  Behagen  dieser 
Gesellschaft  in  einem  Reigen  Luft,  za  dem  Englisch  Horn, 
BaBklarinette  and  beide  Fagotte  folgendeWeise  aafspielen: 


^^[ 


Sie  wird  Behr  breit  aasgeftthrt,  mitFreuden  geh6rt  und 


-^    494    4^- 

l)egruOt,  leidenschaftlich  von  den  einzelneii  Gtiippen 
ubemommen  and  mil  Verzierungen  versehen.  P15tzlich 
—  die  Violinen  liegen  auf  g  —  bricht  die  Szene  ab.  In 
•einer  Umbildung  l&6t  sich  das  Manfredthema  in  den 
Bassen    horen.     Das   Bacchanale    ist   damit   zu   Ende. 

Ein  Lento  setzt  ein.    Geheim-        ^  ^  

nisvoll  beginnt  ein  leiser  tfi'lt "  |lt**  |fc^  \  =*»=| 
Satz  auf  chromatischem  Motiv  *' 
ihm  foigen  feierlich  schrecklich  laute  Blftssrakkorde.  Und 
nun  tritt  Manfred  wirklich  auf  in  seiner  edlen  Art  mit  den 
Motiven  des  Sirebens.  Ihm  stellt  sich  Anman  entgegen  mit 
einer  Fuge  (iber  das  erste  Thema  des  SchluBsatzes,  dem 
aber  ein  etwas  verworrener  AbschluB  gegeben  ist  Die 
Musik  des  Bacchanale  tritt  dazu,  bald  werden  beide  The- 
men  verbunden.  Ariman  zeigt  sich  in  dem  hochsten  Glanz 
fiber  den  er  verfugt;  der  L&rm  ist  bet&ubend  genug.  Da 
Jcommtpldtzlich  wieder  eine  jener  naturalistischen  Slellen, 
wo  das  voile  Orchester  nur  Rhythmus  gibt.  Hier  ruht 
^s  Takte  lang  auf  Triolen.  Im  ersten  Satz  verwendete 
Tschaikowsky  dieses  Mittel,  um  extremste  Gremiitszust&nde 
Manfreds,  die  Augenblicke  der  toUsten  Verzweifelung  zu 
bezeichnen.  Auch  hier  gilt  es  wieder  Manfred.  Die 
Trompete  meldet  ihn  an,  und  bald  erscheint,  ein  wenig 
beweglicher  gehalten  als  im  ersten  Satz,  sein  Thema  in 
einem  Andante,  von  der  Gesellschaft  Ahmans  mit  Staunen 
^mpfangen.  In  einem  Adagio,  an  das  wir  kurz  darauf 
gelangen,  h5ren  wir  die  Kl&nge  der  Liebe  zart  wieder, 
die  dem  Mlttelteil  des  ersten  Satzes  sein  schdnes,  inniges 
Gepr&ge  gaben.  Astarte  wird  angerufen;  sie  kommtund 
mit  ihr  ein  grofier  Teil  von  den  besten  Augenblicken 
des  Werkes.  Wir  durchleben,  nur  gedr&ngter,  noch  ein- 
mal  die  ergreifende  und  erw&rmende  Szene,  die  dem 
ersten  Satz  der  Sinfonie  seine  Herzenstone  gab.  Auch 
das  Andante  con  duolo,  das  dort  der  Szene  der  Er- 
innerung  an  Astarte  folgte,  kehrt  wortUch  wieder,  bis 
beim  Allegro  die     ^^Ancgro.  Das  ist  die  rauhe  Hand 

Basse  ein  neues    yly  p'    k|  J*]     des  Todes.    Noch  ein 
Motiv    bringen :        jjjr  8*v«.^"  kurzer  faeftiger  Kampf, 


-_^    495    ^>- 

dann  fUllt  die  Orgel  ein  wie  in  Liszts  >Fau8t€  als  Stimme 
des  Himmels:  Manfred  ist  erldst  In  einem  feierlichen, 
von  milder  Schonheit  erfQlltem  Largo  wird  ihm  ein  trdst- 
liches  und  friedvolles  Requiem  gesnngen.  Einigermafien 
stimmt  es  im  Ton  mit  dem  Ende  von  Raffs  >Leonor6€. 
tiberein.  Durch  den  schdnen  vers5hnenden  Abschlufi 
unterscheidet  sich  das  Finale  von  Tschaikowskys  Man- 
fred vorteilhaft  von  dem  des  Berliozschen  Harold. 

Nach  diesem  >Manfredc  weicht  anch  bei  den  Russen 
die  mebrsM.tzige  Programmsinfonie  der  s.  g.  sinfonischen 
Dichtung.    Unter  den  Nacbziiglem  ist  Felix  Blumen-F. Biomenfeid, 
felds  >dem  Andenken   der  Toten<  gewidmete  Sinfonie*^®™^**^®"^^" 
<in  C)  bcmerkenswert.  *"  ^"'*°- 


Yon  Haydn  ab  blieb  bekanntlich  die  Sinfonie  den 
Deutschen  ziemlich  allein  uberlassen.  Nur  die  Franzosen 
stellen  in  Iftngeren  Abstftnden  6inzelne  nennenswerte  Mit- 
arbeiter,  wie  Gossec,  M^hul,  Berlioz.  Nach  Analogic  der 
Entwickelung,  welche  die  Yokalmusik^  znletzt  noch  in  der 
Oper,  genommen  hatte,  war  anzunehmen,  dafi  eines  Tages 
auch  die  Geschichte  der  Sinfonie  wieder  den  inter- 
aationalen  Charakter  tragen,  und  daB  der  Wettstreit  der 
I^ationen  sich  auch  dieser  Kunstgattung  bemUchtigen 
werde.  Nach  80  Jahren  trat  diese  Wendung  endlich  ein. 
Doch  erfolgte  sie  mit  einer  ebenso  wichtigen  als  liber- 
raschenden  Nuance.  Die  neuen  Sinfoniker  kamen  nicht 
«us  Italien,  sondern  aus  L&ndem,  welche  sich  an  der 
h5heren  mnsikalischen  Kunstarbeit  bisher  nicht  beteiligt 
hatten.  Sie  brachten  neue  Weisen,  neue  Klange,  einen 
ganzen  Schatz  von  Naturmusik  mit,  fQr  welchen  die 
Stimmung  durch  die  Arbeit  der  Romantiker  aufs  gt&nstigsle 
vorbereilet  war.  Mit  den  Progrflmmsinfonien  teilen  die 
nationalen  das  reaUstische  Element  in  der  Darstellung; 
der  pathetische  und  hochdramatische  Zug  ist  ihnen,  bis 
auf  einzelne  neueste  Ausnahmen  russischer  Herkunft, 
fremd.  Ihr  liebstes  und  eigentiJimlichstes .  Gebiet  ist 
das  Genre. 


-^    496 

Das  erste  Interesse  fftr  die  Musik  der  sogenannten 
Nebennationen  erwachte  siphon  am  Ende  des  achtzehnten 
Jahrhunderts.  Noch  ehe  Herders  >Stimmen  der  VGlkerc 
erschienen  waren,  lenkte  Delabordes  »E8sai  sur  la  musi- 
qne  etc.<  die  Aufmerksamkeit  der  gebildeten  Musikwelt 
auf  die  Ges&nge  und  die  Tanzweisen  der  bisher  musi- 
kalisch  unbeachtet  gebliebenen  Nationen.  Die  AUgemeine 
Musikalische  Zeitung  verfolgte  auf  Anregung  des  Abt 
Yogler,  des  Lehrers  von  G.  M.  v.  Weber  und  Meyerbeer^ 
Tom  Anfing  ihres  Bestehens  (1798)  alle  Erscbeinnngen 
auf  diesem  Gebiete,  die  Sammlangen  und  die  Bericbte. 
Die  wesentlicbste  Beachtung  erregten  die  Skandinavier. 
Bei  ihnen  nahm  die  Pfiege  der  alien  Nationalweisen  zu- 
erst  wissenschaftliche  Formen  an,  und  sie  lenkten  diesen 
Scbatz  zuerst  in  das  Gebiet  der  Kunst  hintiber.  Kuntzen, 
Weyse,  P.  E.  Hartmann  schrieben  die  ersten  dftnischen 
Opern,  Opem,  in  welchen  der  Stoff  der  Handlung  und 
ein  Teil  der  Melodien  vaterl&ndisches  Gut  waren.  1832* 
IratP.  Hartmann  auch  mit einer Sinfonie,  GmoU,  bervor, 
die  u.  a.  Franz  Lacbner  sehr  beif&llig  beurteilte*).  Hier- 
durch  angeregt  und  ermuntert,  komponierte  der  junge 
D&ne  Niels  Gade  seine  bertkhmte  OuvertQre  >Nachklfinge 
aus  0s8ian«,  welcher  i.  J.  1843  sehon  seine  noch  heute 
li.eade,  bedeutende  C  moll-Sinfonie  folgte.  In  dieser  Sinfonie 
C moll- Sinfonie.  f^jj^jQjj  die  Kennerund  die  Freunde  der  nordischen  Poesie 
den  Geist  der  Fritbjofsage  und  der  Edda  wieder.  Sie  er-^ 
schien  ihnen  wie  ein  nordisehes  Musikepos,  welches  von 
den  alten,  gewaltigen  Recken  und  ihren  Kriegen  und 
Siegen,  von  schlichten  JUgern  und  Hirten  und  ihren  naiv 
frohen  Festen,  von  einer  Natur,  welche  unter  unschein- 
barer-  Hdlle  intimen  Reiz  barg  und  von  freundlichen 
Elementargeistem  belebt  war,  erzfthlt.  Wie  der  Stoff  neu 
und  poetiscfa,  so  war  die  Darstellung  liebenswftrdig.  Das. 
nordische  Element  drang  sich  nirgends  ftuBerlich  auf^ 
technlsch  blieb  es  in  einigen  d&steren  Balladenmelodien 

*)  A.  Hametick:   Did  Mtfeik  am  d&nisoben  Hofe  (S.  B.  d. 
LM.G.  1901). 


497 


uad  in  kurzen  Oialogen  der  Bl^ser  versteckt.  Im  Stile 
der  Romposition  begegnete  man  dem  romantischen  Cha- 
rakter  der  Zeit.  £s  war  ein  scfaoner  menschlicher  Zug 
in  ihm,  daO  er  der  begeisterten  Schilderung  einen  weh- 
mutigen  Ton  beimischte,  einen  Ton,  welcher  der  Trauer 
darUber  Ausdrack  zu  geben  schien,  daO  jene  Welt,  die 
in  der  Tondichtung  mit  ibren  G5ttern  und  Helden  auf- 
lebte,  in  Wirklichkeit  langst  dabingegangen  war.  In 
diesem  Sinne  beginnt  der  erste  Satz  der  Sinfonie  mit 
einem  klagenden  Prolog:  Ein  melancholiscber  Flor  liegt 
fiber  der  liebevollen  Melodie,  die  wie  aus  der  Feme  wfih- 
rend  der  Einleitung  durch  die  Instrumente  zieht. 

tfoderato.  Viol. 


^ 


MU1}MJ  u  J  J  i  I  j.  jj  u J  J  i  ^P 


3 


..?  ■ 


Dann  aber  ergreifen  die 


^  J  '  i-    j    :^  '  j.  4    '^    Trompeten     das    Wort 


und  leiten   eine  Szene 
ein,  in  der  sich  rauhe  Krafte  machtvoll  regen.  Das  Tbema 


Allegro,  i  BlUer    j[ 


I 


I 


vioL^f  *  ^r  ^  -^T^tzu 


i 


L±i 


A 


r- 


^--   -  -    ,~  I  ■  ,  durch  mehrfache  Wiederholungen  ge- 

^^  __.pr^_l     ^  ""^  steigert, biidet den Hintergrund des Bil- 

t/    LT  des:  Der  Held  trittauf  mit  seiner  Schar: 

Die  Gestalt  ist 
der 


Allegro. 


uns   aus 
XT  '  '     '  Einleitung  be- 

kannt;  nur  kraftiger  und  fester  steht  sie  bier  vor  uns.  Mit 
diesem  einen  Thema  bat  Gade  den  ganzen  Satz  bestritten, 
bald  ruckt  er  ihn  in  die  Feme,  bald  in  eine  dustere,  bald 
in  eine  freundlichere  Beleucbtung,  wendet  ihn  bier  ins 


KretzBckmar,  Ffthrer.    I,  1. 


32 


498 


Traumerische,  dort  ins  Heroische.  Nur  wfthrend  der  karzen 
DurchfiihriiDg,  in  welch er  der  ^U  Takt  der  Einleitung  wie- 
der  einsetzt,  trilt  ein  f  X  «  •  \  {  t  t' 
f reun dlichsin n ender-fr-^  '^  ^  J  >!  ^  ^«1  ''^'  *^ 
Nebengedanke  ein:  .  j»"^ 

Als  zweiter  Satz  folgt  ein  Scherzo  (C  dur,  %  Takt). 
Das  Them  a  hat  in  der  erstcn  Hftlfte  nur  rhythmisches 
Leben:  Melodielos,  fassungslos  vor  freudiger  Aufregung, 
rollt  es  in  schnellen  Achteln  dahin  —  die  zweite  Hftlfte 
bildet  ein  keckes  Zitat  aus  dem  Hochzeitsmarsch  der 
>Sommernachtstraum«-Mu8ik.  Auch  im  Trio  begegnet  sich 
Gade  mit  Mendelssohn.  Seinen  motivischen  Inhalt  bildet  vor- 
wiegend  eine  jener  schattenhaft  dahinhuschenden  Figuren, 
dieMendelssohn 
in  den  phanta- 
stischen  Sfttzen 
einbiirgerte :  p-  ^iol-  c  sord. 

Der  Nachsatz  treibt  ein  anmutiges  Spiel  mit  Motiven,  die 
der  Natur  abgelauscht  zu  sein  scheinen: 


Vlraee. 


jfffifr>.frfi 


Der  Kern  des  dritten  Satzes  (Andantino  grazioso, 
Fdur,  2/^)  ist  der  Gegensatz  zwischen  Ernst  and  Freund- 
lichkeit,  die  Hauptperiode  yerk5rpert  ihn  folgendermafien: 


Andantino. 


DiekurzenZwischensfttze,  welche  dieWiederholungen  dieser 
Hauptgruppe  auseinanderhalten,  haben  den  oben  berohrten 
klagenden  Charak-    j?  .^r^  i   i     i    i  i      is  ■   i 
ter  und  ruhen  auf  g  M  j  I  j   j    I  j;    J  I  j   i    kj    I 
folgendem  Motive:  p  .^  /-■  ■  ^     ^ 

Ein  Triolenrhythmus,  welcher  zuerst  in   der  Gellofignr 

auftritt  und  dann  durchgefQhrt 
wird,  wirft  in  die  zweite  Hftlfte 
des  Satzes  heUereLichter  hinein. 


499 


Der  letzte  Satz  beginut  mit  einem  wahren  Freuden- 
alarm.  Mit  ausgelas-       moUo  Allegro.  Im     breiten 

senen     Dissonanzen    i^JuJiJjJjiJ*     Bebagen 
setzt  das  Tutti  ein:    8*  ^  "  '  "  '     "      '  "^"^  wiegt  es  sich 

J   I  -^   J   I  -^   J   I      ^^^^  endlos,    wenn    die   frohlicbe,    in 
"  ito.  den  Eingangstakten   auf  den  An  fang 
der  Sinfonie  zurQckgreifende  and  ein  Scbabertsches  Ge- 
sicbt  tragende  Hauptmelodie  angestimmt  werden  soil: 


riirrrf 


Der  Satz  ist  an  selbst&ndigen ,  scbonen 
Tbemen  iiberreicb.  Mit  besonderer  Wucht 


macht  sich  folgende  Melodie  der  Biaser  geltend: 


IJJI^lj.L  I    iT  iifi 


die  das  gesamte  Streichorchester  mit  breit  arpeggierten 
Akkorden  wie  mit  mUcbtigem  Harfenklang  umr-auscht. 
Die  auOerordentliche  Instrumentierungskunst,  welche  Gade 
in  der  ganzen  Sinfonie  beweist,  feiert  bier  ihre  st&rksten 
Trinmpbe.  Wenn  die  Trompeten  ihre  frohlichen  Sign  ale 
in  die  glanzend  krftftige  Szene  hineinwerfen,  welche  um 
den  eben  skizzierten  Gesang  sich  bildet,  da  steht  Burgers 
>Lenore<  vor  uns:  >Und  jedes  Heer  mit  Sing  und  Sang 
—  Mit  Paukenschlag  und  Kling  und  Klang  —  Geschmuckt 
mit  grUnen  Reisern  —  Zog  heim  zu  seinen  Hausern!« 
Besonders  sinnig  empfinden  wir  es,  daO  das  Heldenthema 
aus  dem  ersten  Satze  der  Sinfonie  in  das  Finale  hinein- 
gezogen  worden  ist.  Dafi  die  Menge  des  poetiscben  Stoffes 
in  diesem  SchluBsatze  nicht  ganz  bew&ltigt  worden  ist, 
l&fit  sich  nicht  verkennen.  Auch  die  anderen  S9,tze  kann 
man  formell  vollendet  nicht  nennen,  besonders  das 
Scherzo  ist  unverhaltnism&fiig  breit  Doch  aber  bleibt 
der  Sinfonie  ein  machtiger  Zug  in  der  Gestaltung  und 
in  ibren  nordiscben  Melodien  und  Motiven  ein  originelles 
Element  von  sicherer  und  grofier  Wirkung. 

32* 


--^    500    f— 

M.  eade,  Unter  den   iibrigen  Sinfonien  Gades  —  es  gibt  im 

B  dur-Sinfonie  ganzen  acht  —  ist  die  vierte  (in  B  dur,  1861  veroffenllicht) 
die  verbreitetste.  Ihr  Scherzo  —  es  hat  einen  Spohrschen 
Zug  im  Hauptsatz  und  zwei  allerliebste  volksmafiige  Me- 
lodien  als  Trios  —  ist  der  beliebteste  unter  den  vier  Sfit- 
zen.   Im  ersten  Allegro  tritt  das  scherzende  Seitenthema: 

^^     /-j-^  und    die    schel- 

\}'     j,  '-    uj±i  ■ .   .  r .  ^^    wiirdige  Episode 

±    vor  der  letz- 

tigen  Hauptthema,  im  letzten  Satze  das  rezitativarlig, 
z5gemd  und  fragend  in  den  Violinen  beginnende  zweite 
Them  a  hervor: 

Allegro.  ^00—-. 


-^  p  i^>  I  *-7..  I  ,  I  .^^ 


Es  sind  die  wirklich  eigenartig  gedachten  Stellen  der  Sin- 
fonie.  Das  ganze  Werk  ist  von  dem  abgeklarten  Geiste 
milder  Anmut  beherrscht  und  formell  eine  der  reifsten 
Arbeiten  der  neueren  Komposition.  Gleichwohl  steht  sie 
an  geschichtlicher  Bedeutung  hinter  der  weniger  abge- 
rundeten  G  moll-Sinfonie  Gades  fiber  alien  Vergleich  weit 
zurilck.  Denn  in  der  sp&teren  Sinfonie  ist  Gade  ein  her- 
vorragender  Vasall  Scbumanns  und  Beethovens,  in  jener 
ersten  aber  erscheint  er  als  die  Spitze  und  der  FQhrer 
einer  neuen  Epoche.  Jene  G  molI-Sinfonie  gab  der  hoheren 
Instrumentalmusik  Impulse  von  gr56ter  Bedeutung.  Sie 
lenkte  mit  frischer  SchSlrfe  den  Blick  auf  die  nationalen 
Lieder  und  Ttlnze,  und  bewies,  daO  dieser  Schatz  auch 
fiHr  die  groBen  Formen  der  Komposition  nutzbar  gemacht 
werden  k5nne.  Sie  appellierte  an  die  Heimatsliebe  der 
Tonsetzer  in  alien  Landem  und  leitete  eine  Bewegung 
ein,  die  jedenfalls  zu  den  wichtigsten  Erscheinungen  der 


601 


^  - 


neueren  Musikgeschichte  z&hlt.  War  diese  Bewegung  im 
Liede,  in  der  Klaviermusik  (Field,  Chopin),  in  der  roman- 
tischen  Oper  Webers,  Boieldieus,  Aubers  aach  schon  vor- 
bereitet,  so  gebuhrt  Gade  doch  das  Verdienst,  sie  auf 
das  wichtige  Feld  der  Sinfonie  gelenkt  und  da  in  FluG 
gebracht  zq  haben. 

Wir  haben  beute  eine  Reihe  solcher  auf  nationalen 
Elementen  ruhender  Sinfonien  und  sinfonieartiger  Werke, 
von  denen  einige  auch  im  Repertoire  FaQ  gefafit  haben. 
Der  d&nischen  Schule  gehort  zunHchst  Emil  HartmannE.  Hftrtmana. 
an,  dessen  Es  dur-Sinfonie  in  Stil  und  Stoff  unmittelbar 
an  Gade  anschliefit.    In  denselben  Kreis  sind  auch  die 
schon  erw&hnten  Nordischen  Suiten  von  A.  Hamerick  A.  Hameriek. 
zu  stellen,  welche  allerdings  mil  Mendelssohnschen,  Wag- 
nerschen  und  anderen  Elementen  stark  getrankt  erschei- 
nen.    Ein  Positives  besitzen  sie  in  ihrem  eigenen  Klang- 
leben,  und  dem  Verstftndnis  kommen  ihre  Uberschriften 
entgegen.    Weniger  bekannt  geworden   sind  Hamericks 
Sinfonien,  gleichfalls  funf,  wie  denn  iiberhaupl  von  der 
fieiBigen  danischen  3infoniearbeit  des  letzten  Menschen- 
alters  nur  wenig   Uber   die  Landesgrenzen   hinaus   ge- 
drungen  ist.   Die  Hauptkomponisten  sind:  Peter  Heyse,  P.  Hejse. 
Aug.  Winding,  Otto  Mailing  (jeder  hat  eine  D moll- ^* ^*'***"** 
Sinfonie  verdffenUicht,  Lange-Mtiller  (Herbst-Sinfonie,{|;"^*J15ig^;^^^ 
Alhambrasuite),  Victor  Bendix  (Sinfonie  >Zur  H5he«, y. Bendix. 
Sommerklange  aus  SudruOland,  A moll-Sinfonie) ,   Carle. oua. 
GlaO,  Fino  Henriques,  Axel  Schidler  (Sinfonie  Es, F. Honrlqaes. 
Sinfonie  Napoleon  Bonaparte),  Ludolf  Nielsen,  Carl^«s«****«>^« 
Nielsen  und  A.  Enna  (Mftrchen,  sinfonische  Bilder)*).[{; j}{j{j*|[; 
VerhsLltnismaGig  am  meisten  sind  davon  die  A  moll-Sin- 1)  Enna. 
fonie  von  Victor  Bendix  und  >die  vier  Temperamente< 
von  Carl  Nielsen  beachtet  worden. 

Die  Sinfonie  von  Bendix  ist  im  Sinne  Philipp  Schar-     Y.  Bendix, 
wenkas  eine  Sinfonia  brevis,  sie  besteht   nur  aus   drei^"*^^**^*"'**"'®- 
S^tzen  und  schlieGt  mit  dem  in  rdhrender  Resignation 

*)   Naheres   in:    Walter  Niemann,   Die  Musik  Slcandi- 
naviens.     1906. 


--^    502    ^j^ 

gehaltnen  langsamen  Satz.  Das  beste  nnd  erfreulichste 
Stock  des  Werks  ist  der  zweite  Satz,  ein  buntes  Scberzo, 
das  den  Niederschlag  von  Landluft  nnd  Yolksleben,  der 
sich  darch  die  ganze  Sinfonie  zieht,  besonders  reich  ent- 
b£llt.  Hier  kommt  auch  der  krfiftige  und  kuhne  Teil  von 
Bendix  klar  zur  Geltnng.  Der  erste  Satz  zeigt  ihn  stark 
im  Bann  Mendelssohnscher  Romantik. 
c. Hieiiea,  G.  Nielsens  »Yier  Temperamente<,  einer  der  zahl- 

Vier  Tempera-  reichen  d&nischen  Beitr&ge  zur  Programmnsik,  behandeln 
™^^  ^'  ein  Tbema,  das  scbon  bei  den  Anhftngern  der  Gattung 
im  18.  Jahrhundert  beliebt  war,  weil  es  sich  wirklich 
musikalisch  bewHItigen  l&fit  und  weil  es  fUr  einen  Rom- 
ponisten,  der  Qber  scharfe,  charakteristische  Erfindung  ver- 
fi)gt,  zu  den  leichten  Aufgaben  gehOrt.  Dieser  Voraus- 
setzung  wird  Nielsen  im  ersten  Satz,  wo  er  das  Wetter- 
wendische  und  J&be  im  Wesen  des  Cbolerikers  vorztig- 
lich  getroffen  hat,  voUkommen  gerecht,  auch  das  Bild 
des  Phlegmatikers  mit  seinem  Mangel  an  Beweglichkeit 
und  seinem  Behagen  am  Beschrftnkten  darf  auf  allge- 
gemeinen  Beifall  Anspruch  machen.  Dagegea  IflOt  die 
Auffassung  des  Melancholikers  und  des  Sanguinkers  die 
sichre  Beobachtung  und  die  Energie  in  der  Wiedergabe 
vermissen. 

Die  dftnische  Musik  hat  in  M§,nnern  wie  Winding 
und  Mailing  noch  reichere  Talente.  Wenn  von  ihren  Sin- 
fonien  das  Ausl^nd  gar  nicht  erst  Notiz  genommen  hat, 
so  erkl&rt  sich  das  daraus,  dafi  schon  bald  nach  den 
Erfolgen  Gades  die  Nachbarnationen  der  Dftnen  den  Wett- 
bewerb  um  die  Vertretung  des  nordischen  Elements  in 
der  Tonkunst  aufnahmen:  Schweden,  Norweger,  Rnssen, 
Finnen.  Von  diesen  Konkurrenten  gewannen  die  in  alien 
Kiinsten  regen  Norweger  fQr  l&ngere  Zeit,  dank  den  Ar- 
beiten  Svendsens  und  Griegs  den  Vorsprung. 

Jener  hat  die  ersten  Norwegischen  Sinfonien  ge- 
schrieben,  dieser  seine  Heimat  in  der  Klaviermusik,  im 
Lied  und  der  Orchestersuite  aufs  gl&nzendste  vertreten. 
Die  von  ihnen  gefUhrte  »jungskandinavische  Schule«  hat 
sich  zum  Teil  in  bewufite  Opposition  gegen  die  sanftere 


— ♦    603    ^— 

Weise  der  D&nen  gestellt,  znm  Teil  aber  beraht  die  Ver- 
schiedenheit  beider  Schnlen  auf  den  benntzten  Quellen. 
Die  danischen  VolksweiseD  haben  vorwiegend  einen 
ernsten  und  strengen  Gharakter;  in  ihrer  technischen 
Stroktur  sind  sie  jedoch  vorwiegend  abendl&ndisch.  Die 
skandinavischen  Melodien  hingegen,  an  welche  Grieg  nnd 
Svendsen  ankniipfen,  weisen  auf  ein  fremdes  Tonsystem 
hin,  das  sich  abseits  des  grofien  europ&ischen  Kunst- 
stromes  entwickelt  hat.  Stellt  man  sie,  wie  es  die  ge- 
nannten  Tonsetzer  tun,  in  nnser  bekanntes  Harmonie- 
geb&ude  ein,  so  zwingen  sie  za  einer  freieren  Behandlung 
der  Dissonanz,  zu  manchem  grellen  Wechsel  zwischen 
Dur  und  Moll  und  zu  Akkordfolgen,  welche  uns  unge- 
wohnt  beruhren.  Sie  repr&sentieren  eine  eigent&mliche 
Empiindungswelt,  in  welcher  das  Tr&umerische  einen 
breiten  Raum  einnimmt.  Ein  starker  Schatten  von  Me- 
lancholie  liegt  in  der  Regel  auch  noch  iiber  den  kurzen 
Tanzweisen,  an  welchen  der  norwegische  Tonschatz  be- 
senders  reich  ist.  Sie  bilden  Idyllen,  in  welchen  zu  dem 
ergdtzlichen  Moment  auch  ein  ruhrendes  hinzutritt.  Es 
liegt  in  der  Beschr&nktheit  der  melodischen  und  rhyth- 
mischen  Kreise,  in  welchen  sich  ihre  Munterkeit  bewegt 
In  diesem  Punkte  ber&hren  sie  sich  mit  der  slavischen 
Volksmusik. 

Svendsen  gibt  namentlich  in   seiner  Ddur-Sinfo- j.  8.  STendiea, 
nie  bezeichnende  Proben  von  den  Formen  und  auch  D  dur-Sinfonie. 
von    der   Seele    seiner   heimatlichen   Volksmusik.     Das 
Hauptthema  des   ersten  Satzes  ruht  in  seinem  Grund- 
motiv     auf    einer     «    xoUoAUe^o. 
kurzen     skandina- 
vischen Tanzweise: 

Das  zweite  Them  a,  eine  suchende  und  sehnende  Gestalt, 
bildet  gegen  die  dr&ngenden  und  heftigen  Elemente  dieser 
frShlichen  Melodie  einen  sehr  starken  Kontrast.  Es  be- 
steht  nicht  aus  einer  einfachen  Melodie,  sondern  aus  einer 
Gruppe  melodischer  Sfttzchen,  unter  denen  das  Motiv 
J    I  ,   I  ,     1 — I  ^^'  ^^®  Entwickelung  des  Satzes 

fr  l'   ["    f   '  r     ""     '  die    Hauptrolle   ftbernimmt.     Der 


504 


Entwurf  des  Satzes  zeigt  groBes  Naturtalent,  besonders 
Geschick  fUr  Kontrastwirkungen,  aber,  mit  Ausnahme  des 
Kolorits,  nur  eine  geringe  Kanst.  Heute  ermtiden  qds 
die  ewigen  Wiederholungen  unaufgel5ster  Septimen  nnd 
andrer  skandinavischer  Eigenheiten. 

Ahnlich  ist  es  mit  dem  Andante  der  Sinfonie,  ob- 

wobl  es  in  ^  ^  ^  Andante. ^und  in  etli- 

demHaupt- j£¥  j  I  J  |  j  j  -I  |  ;■  Kj  I  J  J  chen  seiner 
theroa:         ^      ^        ''Uic^:  =-I  Variationen 

Stellen  von  besondrer  SchSnheit  hat.  Der  lebenskr&ftigste 
Satz  der  Sinfonie  ist  der  dritte,  ein  Allegretto  scberzando, 
einmal  weil  er  in       <i        ^  ^.i .  ■  AjJUHi jA      ^^^  '^^®" 


seinen     Motiven: 


^ 


men: 


>  F1D!« 


den  nordi- 


und  4  '^^  -r  H-.  r  I  rTf  -f  l -f  r  r  I^Cl^f  ^schenCha- 
v^  '""  rakter   am 

entschiedensten  auspr&gt,  dann  durch  die  Festigkeit,  mit 
welcher  der  Komponist  die  zahlreiche,  bunte  Schar  der 
Einf&IIe  rondom&fiig  zusammenhsllt.  Damit  bietetSvend- 
sen  eine  unerwartete  and  exemplarische  Probe  von  Form- 
beherrschung. 

Das  Finale  beginnt  mit  einer  Einleitung.  Alle  The- 
men  sind  nordisch.  In  der  Durchfuhrung  iiberwiegt  die 
Arbeit  die  Phantasie.  Ein  sehr  schdner  Moment  der  In- 
spiration  ist  der  Eintritt  des  zweiten  Themas.  Er  gebietet 
den  Wolken,  und  siehe:  es  erscheint  ein  freundlicher 
Stern.  Da6  dieses  zweite  Thema  nichts  anderes  ist,  als 
die  Melodie  der  Einleitung,  nur  in  schnellerem  Gang, 
hebt  nur  die  Wirkung. 
J.  s.  Srendien,  Die  zweite  Sinfonie  Svendsens  (B  dur)  beruht  auf 
Bdur-Sinfonie.  einem  tieferen  Stimmungsgrunde  als  seine  erste.  In  alien 
ihren  S&tzen  lauert  die  Schwermut,  und  noch  im  Finale 
wechseln  die  Momente  des  gewaltsamen  Aufraffens  der 
Kraft  mit  Augenblicken  ganzlicher  Yerzagtheit.  Am  frei- 
esten  von  triiben  Anwandlungen  h&lt  sich  der  dritte  Satz, 


--»    505    •^ 

eine  als  Intermezzo  bezeichnete  PastorAldichtuog ,  die 
Beethovensch  beginnt  und  dann  ganz  in  dem  nordischen 
neckischen  nnd  kindlichen  Schalmeienton  aufgeht  Anch 
der  erste  Satz  hat  eine  ausgepragt  norwegische  Melodie 
in  seinem  zweiten  Thema,  welches  in  diesem  Satz  die 
Rolle  des  guten,  trdstenden,  mit  Heimats-  and  Jugend-^ 
bildern  zusprechenden  Geistes  tibernimmt.  Im  Andante, 
das  manchen  Brahmsschen  Zug  enth&lt,  hat  der  freund- 
liche  Gegensatz  in  einem  karzen,  immer  repetierenden 
—  oft  bescheiden  versteckten  —  Achtelmotiv  einen  rdh- 
rend  naiven,  unschuldigen  Ausdruck  gefunden.  In  der 
Form  reifer  als  die  Ddur-Sinfonie,  zeigt  sich  Svendsen 
in  der  zweiten  Sinfonie  doch  weniger  originell.  Auch 
Schumann  (im  ersten  Satz)  und  Schubert  (im  dritten) 
geh5ren  zu  den  Komponisten,  deren  Einflufi  bemerkbar 
wird. 

Von  den  Orchestersuiten  Ed.  Griegs  darf  man  die      Ed.  GrUff, 
{Lltere,  >Aus   Holbergs   Zeit«    (op.  40),   kaum  in  die  >Aus  Holbergs 
Klasse  der  nationalen  Musik  stellen.    Sie  hat  nur  in  der         ^^'^*' 
Musette  und  im  Rigaudon  einige  sparliche  skandinavische 
Tdne.    Aber  das  Werk  ist  unter  alien  den  neuen  Saiten, 
welche  den  Geist  des  18.  Jahrhunderts  heraufzubeschw5ren 
snchen,  eins  der  liebenswnrdigsten.    Es  w&hlt  die  kopie- 
renden  Mittel  mit  allzuviel  Beschr&nkung,  es  entfernt  sich 
in  seiner  Leidenschaftlichkeit  vom  Wesen  der  altenKunst; 
aber  es  ersetzt  das  alles  durch  die  poetische  Kraft,  welche 
die  knappen  Formen  erfiillt. 

Zwei  Suiten  Griegs  sind  der  Musik  entnommen,  die  Ed.  Grieg, 
er  fiir  den  Yersuch  einer  Buhnenauffiihrung  von  Ibsens  »Peer  Gynt.  i. 
•  Peer  Gynt<  geschrieben  hat.  Diese  beiden  Orchester- 
suiten zu  Peer  Gynt  haben  somit  einen  ahnlichen  Ur- 
sprung  wie  Bizets  Suiten  zu  TArl^sienne;  sie  kdnnen 
sich  mit  ihnen  auch  an  kUnstlerischer  Bedeutung  sehr 
wohl  messen,  sind  ihnen  an  St&rke  des  Nation alklangs, 
an  Reichtum  der  Empiindung  und  an  Einfachheit  sicht- 
lich  Uberlegen.  In  letzter  Beziehung  darf  man  diese 
Griegschen  Kompositionen  sogar  f&r  ein  Ideal  vornehmer 
Orchestermusik  erkldren.     Was   das   nordische  Kolorit 


-<^    506    *^ 

betrifft,  so  sind  in  diesem  Falle  die  eignen  starken  An- 
lagen  und  Neigungen  des  Komponisten  noch  durch  die 
Dichtung  befruchtet  worden.  Lebt  doch  im  Peer  Gynt 
die  ganze  nordische  Natur;  ja:  in  dem  mil  Qberreicher 
Phantasie  ausgestatteten  Helden  hat  Ibsen  dem  norwe- 
gischen  Volk  ein  Spiegelbild  vorhalten  woUen. 

Der  erste  Satz  der  ersten  Suite  (op.  46)  heiOt  Mor- 
genstimmung  und  soil  wohl  den  zweiten  Aufzng  des 
dramatischen  Gedichts  einleiten,  in  dessen  erster  Szene 
Peer  mit  der  geranbten  Ingrid  bei  Tagesanbruch  ins  Ge- 
birge  schreitet.  Die  Komposition  hat  durchausfPastoral- 
charakter.    Ihr  Haupthema: 

Allegretto  paatorale  J.=  fiO.  ^^«^    ^^,*^ 

j¥iiiC£rrr/iQ:fr&£flf-t^rrrirrr> 

wechselt  lange  Zeit  zwischen  F15te  und  Oboe  mit  ver- 
ftnderter  Harmonie.  Die  beiden  Instrumente  gemahnen 
an  die  Hirten  des  Hochgebirgs,  die  von  H5he  zn  Hdhe 
sich  mnsikalisch  unterhalten.  Mittlerweile  ist  die  Sonne 
hdher  gestiegen,  und  nun  kommt  die  Melodie  in  dem  voUen 
Glanze,  den  das  Unisono  des  gesamten  Streicborchesters 
(B&sse  ausgenommen)  geben  kann,  wenn  forte  vorgeschrie- 
ben  ist.    Ein  kleiner  -^ ^      >.^  ^^^ 

Zwischensatz,  der  in     „ii  ft.,  f  f  .  f   P' .  ^'  F  fi  .f 
Cismoll  einsetzt,  IfiCt     'A»f »  i     F  |  F   T  |  F   F  P   |  T 

fiber  das   Gellomotiv  ^  f  P^^     f 

gewissermafien  die  Lichter  auf  dem  Morgenbilde  wechseln: 
es  dunkelt,  es  hellt  sich  wieder  auf,  es  herrscht  reges 
Leben  am  Himmel  und  in  den  Farben  der  sonnentrunk- 
nen  Flur.  Mit  dem  Horn,  das  das  Pastoralthema  wieder 
intoniert  (in  Fdur),  kehrt  die  ruhige  Stiromung  des  An- 
fangs  zurfick;  nur  ein  wenig  reicher  ffihlt  sich  das  Herz. 
Die  Yoll  dahinstr5menden  Kontrapunkte  in  Blfisem  und 
Geigen  sagen  es.  Knapp  vor  dem  SchluO  legt  der  Kom- 
ponist  noch  eine  zart  muntre  Episode  ein.  Die  neuen 
Motive  der  H5mer,  die  Triller  der  Holzblftser  skizzieren 
eine  intime  Szene  aus  dem  Tierleben. 


--^    507    ^>~ 

Der  zweite  Satz  illnstriert  Ases  Tod.  Die  Mutter 
Peer  Gynts  stirbt  einen  schdnen  sanften  Tod :  mitten  im 
Aufbau  von  LuftBchldssern  schlfift  sie  schnell  und  nihig 
ein.  Das  dentet  die  Musik,  die  nur  fQr  StreiChorchester 
bestimmt  ist,  wohl  an.  Der  erste  Teil  bringt  das  freund- 
lich  sebnsnchtsvolle  Lied 

.a    Andante  dolorosa.  W=  60.  ^,,^  ^.-.^ 

f p  I  I  !  f  i-  'Tr  i^7?"'r  r-  "I 

in  einem  crescendo,  das  fiber  Fismoll  nach  HmoU  zu- 
rilck  und  ins  fortissimo  fUhit.  Es  gibt  gewissermaCen  ein 
Bild  von  dem  letzten  Gluck  der  Toten,  die  in  Trftumen 
ihre  schSnsten  und  immer  k&hneren  WUnsche  befriedigt 
sah.  Der  zweiie  Teil  leitet  mit  einer  Umbildung  der 
Liedweise 


in  den  Ton  der  Trauer  ein.  Der  kurze  Satz  ist  eine 
wirklich  geniale  Leistung  eines  mit  der  Harmonik  spie- 
lenden  Meisters,  und  es  l&6t  sicb  nicht  ahnen  und  nicht 
beschreiben,  wieviel  Tiefes  Grieg  den  ersten  drei  Noten 
des  Lieds  abgewonnen  hat. 

Der  dritte  Satz,  >Anitras  Tanz«  betitelt,  bringt  uns 
nach  Marokko,  wo  Peer  Gynt  in  der  Oase,  im  Zelte  eines 
Araberh&uptlings  weilt,  dessen  Tochter  Anitra  mit  andren 
Madchen  den  fiir  den  Propheten  gehaltnen  Fremdling 
durch  T^nze  und  Spiele  zu  ehren  und  zu  erheitern  sucht 
Die  knapp  gehaltne  und  wieder  nur  fQr  Streichorchester 
komponierte  Nummer  hat  einen  Hauptsatz  fiber  das 
Them  a 

Tempo  dl  Mazurka. 

das  nach  einigen  Takten  Akkord  gebender  Einleitung  in 
der  ersten  Violine  zierlich  trippelnd  und  mit  bestrickend 
anmutiger  Bewegung  einsetzt.  Die  Melodie  geht  schon  am 


^    508    «^ 

Schlufi  der  ersten  Periode  in  ein  verwirrendes  Figuren- 

spiel  Uber,  und  diesem  Abschnitt  folgt  der  zweite  Tell  mil 

f.     ^rv  ^^     ^>^  /">       m!     _      Mit  diesen  schmach- 

ff   f'  prf  If  Pfj   I    r^^  tendenMotivenwech- 
v    'p    K  uj     I     r-*^       g^j^  prickelnde  pizzi- 

cato-Stellen.  Dann  kommt  der  Hauptsatz  wieder,  aber 
mit  gesteigerten  Reizen.  Seine  Melodie  wird  zum  Kanon 
zwischen  erster  Violine  und  Bratsche.  So  gibt  der  Kom- 
ponist  ein  Bild  von  den  immer  starker  wirkenden  Kunsten 
der  raffinierten  Beduinentochter,  an  die  ja  im  Drama 
Peer  Gynt  sein  Herz  ernstlich  verliert,  um  Hohn  nnd  Spott 
zu  ernten. 

Der  vierte  Satz,  mitdem  Titel  »In  der  Halle  des 
Bergk5nigs<,  ist  eine  Variationenreihe  fiber  das  Thema: 

Alia  marcla  molto  maroato.  S  z  ia8.  ^         ^^ 

miiM^rnng^T  iii^iiyiirmL^i[ijni 

Es  kommt  zuerst  ganz  leise  in  den  KontrabMssen,  geht 
von  ihnen  an  die  Fagotte,  wechselt  in  ver&nderter  Tonart 
langre  Zeit  zwischen  beidien  Instrumenten;  dann  betei- 
ligen  sich  die  Violinen  und  15sen  sich  mit  den  obern 
Holzblasern  ab.  Der  Tanz  wird  lauter,  schneller  und  gibt 
das  Bild  eines  Behagens,  das  bis  zum  Fanatismus  an- 
wfichst.  Die  Variationen  entwickeln  sich  mit  einem 
Minimum  von  Kunst;  es  sind  nur  Wiederholungen.  Aber 
gerade  dieses  Einerlei  erhoht  die  Wirkung  der  Dynamik, 
die  Beharrlichkeit  riickt  wie  leibhaftig  auf  uns  los,  und 
schlieOlich  ist  der  Eindruck  elementar  und  be&ngstigend. 
Grade  mit  dieser  Art  von  Kunst  haben  die  Skandinavier 
und  Slaven  ein  frappantes  neues  Element  in  unsre  euro- 
p&ische  Musik  eingefiihrt  und  ihren  Vorrat  an  Natura- 
lismus  gewichtig,  vielleicht  auch  gef&hrlich  vermehrt. 
Grieg  kann  hier,  wie  auch  bei  seinen  norwegischen 
tanzen  furs  Klavier  ftlr  sich  das  Verdienst  in  Anspruch 
nehmen,  ein  in teress antes,  nicht  gewohnliches  Thema 
gewUhlt  zu  haben  und  mit  den  Wiederholungen  nicht 
iibers  MaO  gegangen  zu  sein.  Mit  genialem  Takt  h5rt 
er  zur  rechten  Zeit  auf. 


_^    609    ♦^ 

Die  zweite  Suite  Griegs  za  Peer  Gynt  (op.  55)  bringt  K4.  OrUg, 
als  ersten  Satz  eine  Komposition,  die  iiberschrieben  ist  »Peer  Gyntc  ii. 
>Der  Brautraub«.  Peer  Gynt  hat  als  der  Tollkopf,  der 
er  ist,  als  er  das  Eltemhaus  verlassen,  aus  dem  ersten 
Dorf,  in  das  er  kam,  bei  einer  Bauernhochzeit  die  Braut 
geraubt  nnd  ins  Gebirge  entfuhrt  Die  Musik  zeigt  uns 
nun  das  Entsetzen,  die  Wut  der  Hochzeitsgesellschaft,  als 
sie  bemerken^  dafi  Ingrid  verschwunden  ist,  in  einigen 
Takten  wilden  Allegros.  Dann  rufen  sie  wohl  nach  ihr; 
aber  nur  dumpfe  Hornt5ne,  Laute  unempfindlicher  Natur 
kommen  zurQck.  Ein  Andante  doloroso  fQhrt  uns  darauf 
zu  der  Geraubten,  die  eine  lange  Klage  singt.  In  den 
tiefen  Saiten  der  Violinen  gespielt,  haben  diese  Klage- 
melodien  ein  auCerordentlich  individuelles  Geprage,  sie 
lassen  an  ein  stolzes  Gesicht  denken,  und  zugleich  sind 
sie  in  einzelnen  Wendungen  sehr  rQhrend. 

Der  zweite  Satz,  Arabischer  Tanz  Iiberschrie- 
ben, ffihrt  uns  noch  einmal  in  die  Szene,  zu  der  in  der 
ersten  Suite  Anitras  Tanz  geh5rte.  W&hrend  sich  aber 
in  diesem  die  HHuptlingstochter  allein  in  den  Kiinsten  der 
Koketterie  erging,  haben  wir  hier  eine  ganze  Msldchen- 
schar  vor  uns  und  zwar  mit  ausgepr&gten  RassenzQgen, 
die  sich  namentlich  in  den  Rhythm  en  der  Musik  ftufiern. 
Der  Anfang  des  Themas  vom  Hauptsatz  gibt  davon  mit 
den  Schlu£noten  eine  kleine  Probe: 


Allegretto  Tivaoe.  J«  188 


Zu'r  Melodie  gehort  in  diesem  Falle  notwendig  der 
schrille  Klang  des  Piccolo,  um  den  anmutigen  Teil  des 
Bildes  auch  mit  dem  abstoOenden  zu  vervollstandigen- 
Mischcharakter  ist  dem  ganzen  Satze  eigen:  den  weichen 
Tdnen  treten  fortwahrend  wilde  auf  den  Fu6.  Sehr  schdn 
zeichnet  der  Mittelsatz,  den  das  Streichorchester  allein 
spielt  (nur  Triaugel  kommt  noch  dazu),  wie  aus  dem  Kreis 
der  M&dchen  eine  Sch5ne  heraustritt  und  mit  Tonen  des 
Gemiits,  mit  Geberden  der  Innigkeit  den  Helden  lockt. 


510 


Diese  Szene  wird  auf  einen  Aagenblick  durch  den  Ghor 
untersttitzt,  der  sich  in  zierlichen  and  reizenden  Ballet- 
weisen  bewegt. 

Um  den  dritten  Satz  zu  verstehen,  mufi  man  das 
Ibsen'sche  Gedicht  kennen.  Die  Oberschrift  der  Nummer: 
»Peer  Gynts  Heimkehr<,  erklSlrt  nicht  den  Gbarakter 
der  Masik.  Heimkehr  gilt  gewohnlich  fiir  ein  freudiges 
Ereignis;  Peer  Gynt  wird  aber  hier  schlimmer  empfangen 
als  der  verlorne  Sohn:  mit  einer  dtister  erregten,  mil 
einer  tobenden  Mnsik.  Ibsen  IftOt  seinen  Helden  als 
SchifiTbruchigen  heimkehren,  und  Grieg  malt  den  Seesturm, 
dem  das  Fahrzeng  an  der  heimischen  KQste  zum  Opfer 
fg.llt  Der  KomposiUon  liegt  darnach  ein  ganz  &hnliches 
Programm  zu  Grnnde,  wie  R.  Wagners  Ouvert&re  zam 
»Fliegenden  Holl&nder<.  Mit  ihm  begegnet  sich  Grieg 
auch  thematisch,  namentlich  der  Quintenfall  in  seinem 
Haaptmotiv  bildet  eine  fur  jeden  bemerkbare  Abnlicbkeit : 

AUesro  a«itato  Jzoa^         =*•     ^*^  kommt  daher,  weil 

.uiv^     A  g      jgj.  GehSreindruck  des 

^=  durch  die  Segel  und 
Taue  pfeifenden  Stur- 
mes  fiir  alle  Musiker  nahezu  derselbe  ist.  Das  ist  ein 
Klang  der  unten  ansetzt  und  springend  sich  nach  oben 
immer  mehr  zuspitzt.  Dann  groUt  und  wiihlt  es  an  einer 
andren  Schiffsseite  wieder,  scheinbar  ruhiger: 


So  spielen  die  Elemente  lange  mit  dem  armen  Fahrzeug 
ihr  grausames  Spiel.  Dann  wird  die  Lage  verschlimmert 
Das  Wetter  heult  in  langen  Ziigen,  in  b5sartigem  Zischen: 


Diese  greuliche  Figur  klingt  in  alien  Registem;  nach  den 
F15ten  durchlHuft  sie  die  Kontrab&sse.    Erst  dann  and 


--fr    511    ♦^ 

wann  auf  eines  Viertels  Pause  absetzend,  nimmt  sie  sich 
im  weiteren  Yerlaufe  gar  keine  Zeit  mehr,  w&tet  &rger 
and  &rger;  schliefilich  saust  sie  in  ganzen  chromatischen 
Ghoren  einher.  Einige  starke  (fff)  Akkorde,  Takte  lang 
aasgehalten,  bedeuten  die  Katastrophe,  den  Untergang 
des  Schiffes.  Noch  eine  Zeitlang  setzt  sich  das  Toben 
fort,  dann  wird  es  scbw&cher  nnd  schw&cher.  Stille  tritt 
ein,  und  nachdem  die  Schilderong  beendet  ist,  fugt  der 
Eomponist  als  Dichter  eine  korzei  aber  ergreifende  Klage 
hinzu,  die  den  Holzbl&sern  gegeben  ist.  Was  Realistik 
nnd  Naturtreue  betrifTt,  wird  man  den  Satz  unter  den 
neueren  musikalischen  Geniftlden  vom  Meer  mil  den 
Arbeiten  Gilsons  und  Debussys  zusammen  eine  hervor- 
ragende  Stelle  einrSlumen  mtissen. 

Der  vierteSatz  der  Suite  heiOt  »Solvejgs  Lied«. 
Solvejg  ist  die  Jugendgeliebte  des  Landfahrers  —  |als 
alter,  verkommener  Mann  tfiftt  er  sie  nun  wieder.  Das 
Lied,  das  sie  ihm  singt,  hat  ausgeprSgt  norwegischen 
Gharakter  in  den  SchlQssen  des  Mollsatzes  und  ist  sehr 
emst.  Soil  es  doch  nach  des  Dichters  Ansicht  symbo- 
lisch  den  Tod  bedeuten.  Mit  dem  Hauptsatz  (in  A  moll) 
wechselt  ein  Nebensatz  (Adur)  von  freundlich  anmutigem 
Gharakter,  an  Jagend  und  an  Tanz  erinnernd.  Die  Kom- 
position  hat  auch  als  Lied  fur  eine  Stimme  mit  Klavier- 
begleitung  weite  Verbreitung  gefunden. 

Die  n&chste  VerdfTentlichung  Griegs,  sein  Opus  66  ent-      Kd.  Grieg, 
halt  drei  StQcke:  Vorspiel,  Intermezzo,  Huldigungsmarsch'SigardJorsalfarc. 
aus  einer  Eom position  zu  Bjornsons  Schauspiel:  Sigurd 
Jdrsalfar.     Das  Vorspiel  und  das  Intermezzo  sind 
beide  sehr  kurz  und  einfach.    Jenes,  das  noch  den  Neben- 
titel  hat:  >In  der  K5nigs-  «  AUegretto  8iii!pUce.(J=84.) 

haJIe..  ruht  im  Haupt-  i¥  J  JIQJ  |>f  J  \\ 
satz    auf    em  em    Motiv  ^  0<IT 

dessen  humoristischer  Gharakter  noch  dadurch  wesent- 
lich  verst&rkt  wird,  dafi  an  seinem  SchluO  die  B&sse  wie 
verlegen  und  versehentlich  ins  Leere  nachschlagen.  Mit 
dem  Eintritt  der  Violinen  nimmt  der  Satz  aber  einen 
sehr  glftnzenden,  ungeffthr  den  Gharakter  eines  Hoffestes 


-^    512 

an.  Die  Mitte  der  Nummer  fuUt  ein  Dialog  zwischen 
Fldte  and  Oboe,  daun  zwischen  Klarinette  und  Fagolt, 
in  dem  mit  elegischen,  sinnigen  Gedanken  kunstvoll  ge- 
spielt  wird.  Das  Intermezzo  gibt  Einblick  in  eine  edle 
Seele  zu  kritischer  Stonde.  £s  besteht  aus  einem  Andante, 
das  nachdenklich  iiber  ernste  Motive  briitet,  und  einem 
diister  aufgeregten  Allegro,  in  dem  der  Schrecken  haust. 
In  verftnderter  Form  kehrt  nach  ihm  das  Andante  wieder. 
Der  Huldigungsmarsch  setzt  gleich  ungewohnlich 
und  fthnlich  wie  Mendelssohns  >Hochzeitsmarsch<  alar- 
mierend  ein:  die  Trompeten  holen  frohlich  und  munter 
das  Orchester  herbei,  und  dies  fallt  mit  einer  Dissonanz 
ein,  die  sich  naturlich  gleich  aufldst,  aber  doch  einen 
Augenblick  das  festlich  gestimmte  Gemiit  in  Verwirrung 
bringt.  Als  Hauptthema  seines  Marsches  gibt  Grieg  fol- 
gende  Weise 

AUesretto  aaniaie.  ^.^ 

n  iTriQ  lTi  iT  l'iuJTi  ||||i  i 

die  zuerst  von  einem  Quartett  von  Gellis  gebracht  und 
dann  mit  manchen  Uberraschenden  Wendungen  ent- 
wickelt  wird.  AuOerordentlich  belebend  ist  der  Eintritt 
des  Zwischensatzes.  War  die  Musik  bis  dahin  krslftig, 
so  springen  jetzt  ganz  pldtzlich  die  B&sse  wie  Riesen 
auf  und  fUhren  eine  Weile  das  Orchester,  das  gleich 
darauf  von  den  Trompeten  und  Hornern  in  einen  auOer- 
ordentlich  frohlichen  und  volkstiimlichen  Alarm  gebracht 
wird.  Die  Stelle  wirkt  wie  der  Anblick  einer  unwillkiir- 
lich  in  Jubel  -ausbrechenden  Menge.  Und  als  nun  das 
Hauptthema  wieder  aufgenommen  wird,  hat  Grieg  noch 
eine  Oberraschung:  Es  setzt  als  Maestoso  mit  verlanger- 
ten  Rhythmen  ein,  &hnlich  wie  Dvorak  zuweilen  seine 
Motive  in  Vergrofierung  bringt.  Das  Trio  hat  bei  aller 
Einfachheit  der  Melodien  durch  die  Harmonie  viel  Tiefe, 
so  daB  der  Marsch  als  Ganzes  als  eine  der  gehaltvollsten 
neueren  Arbeiten  semer  Gattung  angesehen  werden  mui3. 


-^    513    ^^ 

Eine  vierte,  eine   >lyrische  Suite «  Griegs   ist  wenig 
bekannt  geworden. 

Von  den  jiingeren  Miiarbeitern  Griegs  hat  am  meisten 
Christian  Sin  ding  die  Anfmerksamkeit  aaf  sich  ge-  Chr.  Siadlag, 
lenkt,  znn&chst  mit  einer  Dmoll-Sinfonie  (op.  21),  die^^nioJlSinfonia 
an  einigen  der  ersten  dentschen  Konzerte  znr  Anffdhrang 
gelangt  ist.  Der  vorher  namentlich  dnrch  ein  Qnintett 
ftir  Klavier-  und  Streichinstrumente,  aach  darch  Kon- 
zerte fur  Klavier  und  Violine  bekannt  gewordene  Kom- 
poniflt  iegte  mit  dieser  Sinfonie  seine  verhaltnism&fiig 
reifste  und  selbst&ndigste  Arbeit  vor.  Immerhin  steht 
sie  noch  allzustark  unter  dem  EinQuO  R.  Wagners  und 
beruht  mehr  auf  Kombination  als  auf.  Inspiration.  Ihren 
stilrksten  individuellen  Zug  hat  sie  in  dem  dramatischen 
Ton  des  Yortrags;  namentlich  wenn  es  gilt,  im  Lauf  eines 
Satzes  ein  neues  Bild  einzufQhren,  wird  sie  schwunghafl 
und  setzt  in  ungeduldige  Spannung.  In  der  Anlage  der 
Sinfonie  zeigt  sich  ein  ernster  kiinstlerischer  Charakter: 
die  Sfitze  stehen  sichtlich  and  auch  ftuOerlich  erkennbar 
im  Zusammenhang.  Die  Grundidee  des  Ganzen  ist,  unge- 
f&hr  in  einem  Tonbild  zu  zeigen,  wie  eine  gesunde,  selbst- 
bewuGte  Natur  den  Lebenskampf  ftlhrt  und  gewinnt. 

Der  erste  Satz  schildert  Kampf.    Sein  Hauptthema, 
dessen  Vordersatz  folgendermafien  lautet: 

Allegro  BOdteato. 


spricht  reckenhaften  Trotz  aus.  Ihm  folgt  ein  Abschnitt 
der  Sammlung.  Die  Streichinstrumente  bringen  im 
groGen  Unisono  das  frohgemut  und  kraftvoU  ergftnzende 
Zwischenthema 


^  I   I    II  I       I     ,  I     Und  nun  kommt  das 

L4}j_y  ^  ji  I  ^Ji  I    zweite      Hauptthema 

Jff^  des       Satzes,       das 

KretiBchmftr,  Ffthrer.    I,  1.  2S 


— ^    514    «^ 

schonin  j,  ..  -j.  .  .  .r  -das  Gefflhl  und  die 

seinem  p^  J.  jTi  '  Jj)J.iJ  l^  Gewifiheit  gluck- 
Anfang:       J^        '  •=:    :=*"  licherZokunft  aus- 

drUckt.  Diese  Stimmung  wird  l&ngere  Zeit  festgehalten, 
sie  schfiumt,  als  die  Geigen  sich  des  Themas  bemfichtigt 
haben,  bransend  auf;  aber  wie  im  Scbrecken  tkber  das 
ObermaO  bricbt  der  Jubel  pl5tzlich  (auf  b-d-f-gis)  ab,  and 
bald  sind  wir  in  der  Darchfiihrung.  An  ihrem  Anfang 
bringt  Sinding  seine  beiden  Hauptthemen  zugleich,  das 
erste  in  den  Violinen,  das  zweite  in  den  Bl&sern;  beide 
leise.  Dann  gewinnt  die  Kampfesstimmang  die  Ober- 
hand,  schliefilich  arbeitet  sie  fast  nur  noch  mit  Rhythroas. 
Eine  Stelle,  an  der  alle  Instramente  auf  dem  Ton  /'pochen 
und  verschnaufen,  bezeichnet  die  Umkehr,  bald  beginnt 
die  Reprise.  In  ihr  zeichnet  sich  der  Eintritt  des  zweiten 
Themas,  das  jetzt  in  Ddur  steht,  merkbar  aus:  atemlos  er* 
wartet,  klingt  es  geheimnisvoll  dahin.  Mit  dieser  Wendung 
ist  der  Endeindruck  des  Satzes  bestimmt:  er  spricht  Sieges- 
gewiGheit  aus.  Sie  zu  betonen,  fiihrt  der  Komponist  in 
einem  Schlufianhang  noch  «  .    .    _  ,    .      _ 

einen neuen Gedanken ein,  m^  p  J  J  Ji  3  I  J  n~r^ 
der  sich  von  dem  Anfang 
aus  in  einer  jener  staitlichen  Steigemngen  ergeht,  die 
wir  bei  Sindiog  hftufig  treffen.  Endgiiltig  geschlossen  wird 
mit  dem  Zwischenthema,  also  mit  dem  Ausdruck  der 
inneren  Kraft  und  des  Selbstvertrauens. 

Der  zweite  Satz  (Andante,  ^4)  Gmoll)  ist  der 
Ruhe,  dem  Frieden,  dem  behaglichen  TrUumen  ge- 
widmet.  Andante. 

Er  berei-  a)   p\i  j.  ^  \a  ^U^TJ]  \  ]   \  «nd 


6)    P^  J  |j.Ji^^,y;?OTr-l  ein  Thema 


if'' I  J"  1 1  LJLLi  iJ  1 1 TT I  mil  I 


PP  dolce  _ 

vor,  das  einer  Volksweise  gleicht^und  wohl  eine  patrio- 


-^    515    ^j— 

tische  Teudenz  hat.  Die  Darstellung  h&lt  lange  Zeit  an 
diesem  Gedanken  fest.  Sie  gibt  ihm  im  Laufe  der  Ent* 
wicklung  einen  glUhenden  Ausdruck,  einmal  auch  einen 
seltsamen.  Es  handelt  sich  um  die  Stelle,  wo  nach  einer 
langen  Reihe  von  Sequenzen  Uber  das  von  den  ersten 
zwei  Takten  gebildete  Glied,  der  verminderte  Septimen- 
akkord  [cts-e-g-b]  dem  Ausbruch  der  Freude  und  Begeiste- 
rung  ein  pldtzliches  Ende  macht.  Da  blasen  zunachst 
die  beiden  Fagotte  sehr  gefuhlvoll  allein.  Und  dann 
folgt  ein  Abschnitt,  in  dem,  nur  von  der  Pauke  und 
den  Kontrab&ssen  begleitet,  die  Tuba  und  zwar  pp 
das  Thema  vortragt.  Die  Stelle  hat  etwas  mystisch 
Groteskes.  Mit  Zuhilfenahme 
eines  weitren  nordischen  Mo- 
tivs  st&rmisch  frohlicher  Natur: 
schliefit  das  Tonbild  als  Szene  der  Freude.  Ganz  am 
Ende  wird  es  aber  plotzlich  stille,  und  wir  h5ren  noch- 
mals,  wie  verschleiert,  jenen  ubergreifenden,  in  die  Zu- 
kunft,  in  die  Feme  hinausweisenden  Gedanken,  den  zu- 
erst  das  Horn  als  Thema  b)  brachte. 

Der  dritte  Satz  (Vivace,  3/4,  Fdur)  setzt  nach  acht 
Takten  Akkordeinleitung  so  ein: 

VlTaoe . 

pu.m\umj\yhiun  I  iTi  iji 

Die  letzten  beiden  Takte  mit  den 

.    punktierten  Rhythm  en  auCern   ein 

•^  iibermiitiges    Kraftgefiihl,    und   sie 

sind  es,  die  der  Komponist  in  den  Ausfuhrungen  des 
Themas  vor  allem  benutzt.  Bald  slehen  wir  vor  wohl- 
bekannten  Kl&ngen:  vor  dem  ersten  Hauptthema  des 
ersten  Satzes.  Diese  Reminiszenz  bedeutet:  >wieder 
Kampfc.  Aber  es  handelt  sich  nicht  so  um  die  Not  des 
Kampfes,  als  um  die  Lust  und  die  Freude  daran.  Die 
innerlich  zufriedne,begluckte  Stimmung  zeigen  die  Themen 
des  folgenden  Seiten-  ,  1  .  ^ .  _  •   .  f*'  . 

satzes:  das  von  den     '/||  J-  #i  p   I  ['    J  If  P  "  ^^ 
B&ssen     eingefuhrte :  P 

33* 


^ 


516     f^- 


das  die    ^  ^     .  ~.  --    - bean twor ten, und 

H5rner3S  }t  }\  j  I  r"*]  J  i  \  \  ^  die  erst  von  den 
mit:  *^  '  V.^'  J  J.  ^  -li—  Holzblasern  et- 
was  ungeschickt  und  eigensinnig  probierte,  bald  von  den 
H5rnern  in  Ordnung  gebrachte  Weise: 


iijju  ly 


Mit  letztrer  entwirft  Sinding  eine  l&ngre  Reihe  kleiner 
Bildchen:  vom  Sonntag  und  zQchtigen  l&ndlichen  Freuden 
die  einen,  von  dem  ausgelassnen  Treiben  und  der  lauten 
Lust  der  m&nnlicben  Jugend  die  andren.  Dann  wird  der 
Hauptsatz  noch  einmal  vor&bergefiibrt.  Die  Komposition 
bat  also  die  einfache  Aniage,  die  wir  schon  vom  Haydn- 
schen  Menuett  her  kennen;  nur  sind  die  Formen  etwas 
vergroOert.  Auch  das  nach  der  Wiederbolang  des  Haupt- 
satzes  (ibliche  Trio  kommt  an  der  erwarteten  Stelle  und 
zwar  als  derb  launige  Volksmelodie : 

^  Pld  moderato.  ^      . 

if'''lFTrrrirnfrrirrri'ir'rTi  ■ 

die  sich  besser  lesen  wurde,  wenn  sie  im  2/4  Takt  notiert 
wftre.  Nach  einer  Weile  hat  sie  sich  mit  folgender,  von 
den  Trompeten  eingeffihrten  Melodie: 

jji^J  iiiJJii|'iTrr  'If  UJ  'f^^ 
"i  I  III  Ml  i^i|'  III  JJir  JjJJ  I  mi 


in  den  PJatz  za  teilen.  Nach  dem  Trio  wird  der  ganze 
erste  Teil,  wic  gebrftuchlich,  wiederholt.  In  dieser  Wieder- 
holung  hat  Sinding  eine  Episode  mit  erst  zogernder,  dann 
in  verbiaffenden  L&ufen  hinstiirmender  Musik  eingelegt, 
um  den  Eintritt  des  zweiten  Seitenthemas  glanzend  zu 
gestalten.  Es  erscheint  dadurch  als  die  Krone  desGanzen; 
mit  ihm  geht  auch  der  Satz  scbnell  zu  Ende,  zuletzt  noch 
fiber  eine  ungewohnlich  drollige  Fagottstelle  gefiihrt.    Mit 


-^    517    «^ 

dieser  BetoDung  der  nordischen  Tanzweise  komint  der 
dritte  Satz  in  nfthere  geistige  Beruhrung  mit  dem  vorher- 
gehenden.  Aach  hier  wird  ein  Bekenntnis  zn  Volk  und 
Vaterland  ausgesprochen. 

Der  letzte  Satz  (Maestoso,  */^  D  moll)  begiDnt  mit 
dem  Thema  in  den  B&ssen: 

Maestoso. 


^  ff  F/  N  ^'Pl''  p  If^ctc  -    die  Violinen   sfimt- 
'    "^   ~^        ■  '^  "  I    ■       ijgjj  immer  d  dazu  als 

liegende  Stimme  —  sehr  ernst,  feierlich  und  auch  fromm 
gestimmt,  wie  jemandem  zu  Mute  ist,  der  vor  einer  wich- 
tigen  Entscheidung  steht.  Nachdem  das  Thema  —  vor 
der  Wiederholung  ist  ein  karzer  Abscbnitt  eingelegt,  der 
gespannte,  verlegne  Erwartung  ausspricht  —  das  zweite 
Mai  verklungen  ist,  kunden  heftige  Geigeniiguren  etwas 
Besondres  an:  Es  l&Bt  sich  der  Ton  des  Wunderbaren, 
AuGerordentlichen  vernehmen  — ,  leisestesTriolenranschen 
auf  einem  Orgelpunkt  — ,  und  daruber  setzt  wieder  eine 
Volksweise,  eine  Art  Wanderlied  ein: 


<"j  jjUiji, 


Es  erregt   groOe  Freude    und  wirkt  gewaltig  belebend, 

auf   der  Chor   f^  T    JP  Up    ^  \f    /3  j^   J^^eto. 

bekundet:  / 

Doch  wird  erst  noch  einmal  in  eine  gehaltene,  robige, 

dankbare  Stimmung  eingelenkt,  ihr  ist  das  zweite  Thema 

gewidmet: 

Die    bald    darauf    folgende   Durcbfuhrang   wirft   sogar 
einen  Rfickblick  wie  aus  der  Erinnerung,  aus  der  Feme 


-^    518    ^^ 

auf  znrQckliegende  trube  Stunden.  Mit  stechenden 
Dissonanzen  setzt  das  erste  Thema  ein.  Der  Rhyth- 
inus  vom  ersten  Takt  •  i  i  und  ein  Motiv  aus  dem 
des  zweiten  Themas  J •  ••  J  Endteil  dieses  Themas 
^  Ubernehmen    es    aber   aufzuheUen, 

ft^  f  r    CJ  I  r        sie  Ziehen  voriibergehend  auch  das 
"^  Wanderlied  mit  in^ihre  Kreise  und 

bringen  es  bald  zu  einer  gl&nzenden  Wendung  nach  D  dar. 
Dieser  Durteil  beginnt  mit  einem  Hymnus,  der  an  das 
zweite  Thema  des  Satzes  anknUpft  und  dann  zum  ersten 
Thema  Ubergeht,  das  nun  die  dunkle  Farbe  ablegt.  In  der 
sogenannten  Reprise  wird  besonders  lange  beim  zweiten 
Thema  verweilt,  das  eine  der  interessantesten  Bildungen 
in  der  Sinfonie  bedeutet.  Melodisch  sehr  einfach,  erh&lt  es 
seinen  zwischen  Gliick  und  Leid  schillernden  interessanten 
Charakter  durch  Harmonie  und  Kontrapunkte.  Hier  nun 
im  SchluCteil  seines  Finale  zieht  es  der  Komponist  ganz  in 
freudige  Sph&ren,  ihm  nach  am  letzten  Ende  das  Haupt- 
thema,  das  aus  dem  Munde  der  sftmtlichen  Blechinstru- 
mente  Heimkehr  in  Jubel  und  Triumph  meldet. 

Chr.SiBdlBffy  Sindings  zweite  Sinfonie  (op.  83),  die  in  Ddur  steht 

Zweite  Sinfonie.  und  nur  drei  Sfttze  hat,  ist  ein  vorwiegend  freundlich 
gestimmtes  Werk,  das  die  Phantasie  in  pastorale  Kreise 
und  in  einfaches  Volksleben  hineinflihrt  und  die  Erinne- 
rung  an  schCne  Reisetage  und  fr5hliche  oder  sinnige  Erleb- 
nisse  der  Jugendzeit  weckt.  Sie  hat  viele  Momente  wohligen, 
stillen  Tr&umens  und  andere,  wo  die  Gefiihle  in  hohen 
Wogen  gehen,  aber  keine  Stiirme  und  Konflikte  und  kaum 
GegensHtze.  Der  bedeutendste  Satz  ist  der  erste;  klang- 
lich  wird  er  durch  die  zahlreichen  Stellen  eigen,  an  denen, 
wie  aus  der  Tiefe  des  Bewufitseins  heraus  die  B&sse 
allein  sprechen  oder  den  Chor  der  Instrumente  flihren. 
In  der  Erfindung  tritt  in  ihm  der  EinfluO  Wagners  her- 
vor,  in  den  anderen  S&tzen  kommt  mehr,  aber  doch  nur 
bescheiden,  das  nordische  Element  zur  Geltung. 

Chr. Slndtn?,  Zwischen  beiden  Sinfonien  liegt  eine  Fdur-Suite 

Episodes      (op.  35)  des  Komponisten,  die,  dem  Titel  >Episodes  che- 

chevalereeqoes.  yaleresques«  nach ,  ins  Programmgebiet  gehdrt.    Es  sind 


-^    519    ♦^ 

vier  Szenen  ans  dem  Ritterleben ,  von  denen  die  der  be- 
sonderen  Oberschrift  bare  erste  nngef&hr  einen  Anszug 
der  Mannen  mil  teils  lustig  flatiernden,  teils  fest  und 
stolz  einherschreitenden  Marschmotiven  schildert,  die 
etwas  breit  und  mil  allzu  Wagnerischen  Steigerungen 
etwickelt  werden.  Der  zweite  Satz,  Andante  fun^bre, 
beginnt  mil  einem  tr&b  erhabenen,  schmerzvoU  akzen- 
tnirten  Thema  in  BmoH,  dem  der  tr5stende  Gegen- 
satz  in  Desdur  folgt.  Seine  frenndlichen  Weisen,  von 
den  Hdrnern  in  kanonischen  Nachabmangen  eingeffibrt, 
sind  der  Glanzpnnkt  der  ganzen  Romposition.  Der  dritte 
Satz,  ein  in  gedampfter  Fr5hlichkeit  and  erfrealich  knapp 
gebaltenes  Allegretto,  das  der  Form  des  dreiteiligen  Liedes 
folgt,  bescbrftnkt  sich  im  Hanptteil  anf  ein  kurzes,  vier- 
taktiges  Thema,  das  wiederholt  und  variiert  wird.  Der 
Mittelteil  wirkt  dadurch  eigen,  dafi  die  Melodie,  so 
wie  es  auch  in  der  zweiten  Sinfonie  wiederholt  ge- 
schieht,  lediglich  von  den  Bfissen  gespielt  und  nur  spftr- 
lich  begleitet  wird.  Das  Finale  ist  nach  Idee  uud  Aus- 
fQhrung  der  glUcklichste  Satz  der  Suite.  Es  entwickelt 
aus  h5chst  einfachem  und  knappem  thematischen  Material 
eine  naiver  Freude  voile  Heimkehrstimmung ,  klingt  mit 
dem  dominierenden  Homton  prachtig  warm  und  erfreut 
in  der  Arbeit  durch  die  energischen  ostinato-Bafie. 

Auch  der  Englfinder  F.  C  o  w  e  n  hat  vor  dreiOig  Jahren     f.  Cowen, 
eine  >Skandinavische  Sinfonie*  verdffentlicht,  welche  von  Skandinayischa 
der  Mehrzahl  der  deutschen  Konzertinstitute  mit  Beifall      Sinfome. 
aufgefQhrt  worden  ist.    Diese  Sinfonie  gehdrt  jedenfalls 
unter     die     bedeutendsten     Instrumentalkompositionen, 
welche  seit  Jahrzehnten  jenseits  des  Kanals  entstanden 
sind.     W&re   der   erste   Satz,    dessen   melancholisches 
Hauptthema 

Moderate. 

schlieOIich  znm  Qu&lgeist  wird,  etwas  reicher  an  Ideen, 
und  der  letzte  ein  total  anderer,  so  wtirde  diese  Sinfonie 
unter    die    hervorragendsten    neueren    Nummem   ihrer 


-<^    520    «^ 

Gattung  einzureihen  sein.  Die  einfachen  Ideen  des  An- 
dante mit  dem  Xitel  »Sommernacbt  am  Fjord*,  in  welchen 
ein  (im  Nebensaal  zu  versteckendes)  Homqartett  die 
Traupierei  der  Violinen  mit  derben  Tanzweisen  nnter- 
bricht,  die  ganz  wie  aus  der  Feme  heriiberklingen,  haben 
die  Poesie  uud  den  Effekt  fur  sich.  Ebenso  ist  das  Scherzo 
in  anderer  Art  wirksam  und  frappant:  ein  freundlicbes 
Gespensterstuck,  in  welchem  der  fluchtige,  schattenhafte 
Charakter  mit  einer  genialen  Konsequenz  durcbgefQhrt  wird. 
DieGeigenhinterSor-  AUe^ro  moito. 

dinen  mit  ein  em  eili-  /  l^  j  Pp  r/T  ^^ 
gen  Motive  huschend  V'  *  ^^  W  '  ''^ 
der  Mittelsatz  ein  Nebel  aus  zittemden  Rfaytbmen  und 
mysteridsen  Modulationen ,  in  den  die  Blftser  nichts  als 
Akkordnoten  hineintropfen:  das  Ganze  getrieben  vom 
hellen  Klang  des  Triangel.  Es  ist  seit  »Fee  Mabc  von 
Berlioz  in  dieser  Art  von  Phantastik  vielleicbt  kein  so 
runder  und  gelungener  Satz  komponiert  worden! 

In  Norwegen  selbst  haben  sich  die  Aussichten  ffir 

eine    einheimische   Sinfoniearbeit   von    allgemeiner   Be- 

deutung  mittlerweile  nicht  verbessert  Das  Land  hat  nur  in 

Christiania  und  Bergen  vollwertige  Orchester  und  besitzt 

keine  groi3e  Musikschule,  es  wird  dem  Nachwuchs  infolge- 

dessen  schwer,  sich  grtindlich  zu  bilden.    Das  zeigt  sich 

dann  auch  an  den  Leistungen  der  fleiBigen  Mitarbeiter, 

o.  Hftrekiov. die  in   0.  Harcklou,  I.  Selmer,   Iven-Holter,  Ole 

I.  Selmer.  oisen,  SigurdLie  an  die  Seite  Sin  dings  getreten  sind. 

'ou^oum!^"^  eine  Weihnachtssuite  G.  Schjelderups  hat  aufier- 

SlgBTd  Lie!  balb  der  Heimat  Beachtung  gefunden. 

0.  Sehjelderaps.         In  der  Zeit,  die  fiir  die  Heimat  Griegs  den  Anfang 

eines  Niedergangs  bedeulet,  ist  der  musikalische  Stern 
des  skandinavischen  Bruderstammes,  des  Schwedischen, 
dagegen  gestiegen.  Schweden,  das  sich  in  der  ^Iteren 
Zeit  damit  begnikgte,  einen  vorgeschobenen ,  nament- 
lich .  auf  Stockholm  und  Upsala  gestOtzten  Yorposten 
deutscher  Musik  zu  bilden,  besitzt  eine  Volksmusik,  die, 
in  der  Grammatik  weniger  eigen  als  die  norwegische, 
vor  dieser  den  Urspruug  aus  einer  hoheren  Kulturstufe 


^^    521    ^^- 

and  einem  entwickelteren  Seelenleben  vorans  hat.    Ihre 

schonen,   durch   das  Hinabspringen   des  Leittones  und 

durch  rhythmische  Lebendigkeit  gestempelten,  in  derStim- 

mung  meistens  etwas  umflorten  Melodien  haben  aus  dem 

Mande    der   Jenny  Lind   ganz    Europa   entziickt,    sind 

aber,  wie  neuerdings  wieder  von  Ambr.  Thomas  f&r  den 

Hamlet,  auch  schon  im  18.  Jahrhnndert  fi!kr  die  Oper  and 

bald  aach  fur  die  Instrumentalmusik  benutzt  wordcn.  Die 

ersten  schwedischen  Sinfonien  warden  noch  zar  Zeit  der 

Wasa  von  Jos.  Kraas  und  Per  Frig  el  geschrieben*),j.  KrMi. 

anhaltender  hat  sich  Schweden  aber  an  der  sinfonischen  ^*  Frif ei. 

Arbeit  erst  auf  den  Weckruf  Gades  bin  beteiligt  und  zwar 

mit  Werken  von  Fr.  Lindblad,   dem   ausgezeichneten F. LindbUd. 

Liederkomponisten,  von  Franz  Berwald,  Alb.  Ruben- ^«  *"^»1*« 

son,  Ludwig  Normann,  denen  Aug.  S5dermann  niit |^|  jjJJ^^^J*' 

Schauspielmusiken  sekundierte.    Aus  dieser  Gruppe  ragt  a!  Sdderaftui. 

am  hochsten  Franz  Be rw aid  hervor  und  unter  seuien FrMiBerwaid, 

drei  Sinfonien  wieder  die  unter  dem  Titel  >Sinfonie  sin-      Sinfonie 

guli^rec  1846  komponierte  Cdur-Sinfonie,  von  derjungst     «»8»^»*'«- 

erst  ein  stattlicher  Partiturdruck  veroffentlicht  worden 

ist.    Das  Werk  darf  der  nationalen  Gruppe  zugewiesen 

werden,  nicht  bloB  weil  darin  Volksweisen  verwendet  sind, 

sondern    weil   es  Berwald   dariiber   hinaos    verstanden 

hat,  nordischem  Wesen  technischen'Ausdruck  zu  geben, 

am  wirksamsten   durch   die  Harmoniebehandlung.   Dar- 

tiber  gibt  die  klarste  Auskunft  das  Hauptthema  des  Finale: 

Presto. 


^fegMg^j^^f^^na^feVhr^^ 


Es_  Fis  F         EsDCH 

Das  Esdor  des  zweiten  Taktes  ist  in  der  Zeit,  wo  die 
Sinfonie  entstand,  ein  Unikum,  und  auch  die  Rhythmik 
des  Satzchens  ist  eigen.  Noch  schSxfer  spricht  der  kr&f- 
tige  Wikingergeist,  den  Berwald  verkdrpert,  aus  den  liegen- 
den  Stimmen  des  ersten  Satzes,  die  in  der  Kegel  acht- 
taktige  Perioden   lang   zu   der  Harmonie   der  anderen 


♦)  Walter  Niemann  a.  a.  0. 


522 


Instrumente  die  schneidigsten ,  trotzigsten  Dissonanzen 
bilden,  gleich  mit  c  zu  h  und  mit  anderen  unvorbereiteten 
Seknnden  einsetzen  und  erst  mit  der  letzten  Note  sich 
in  eine  rasche  Konsonanz  anfl5sen.  Schon  durch  diese 
HarmoniefCihrung  ist  die  Sinfonie  Berwalds  singnli^re, 
absonderlich ,  wie  der  ironische  und  bittere  Titel  sagt, 
sie  ists  aber  noch  mehr  im  ganzen.  Um  das  zu  erkennen, 
muQ  man  an  die  gleicbzeitigen  Sinfonien  Mendelssobns 
und  Schumanns  denken,  ihnen  und  anderen  Deutscben 
gegenQber  erscheint  der  Scbwede  unfreundlich  und  arm, 
gJeicht  einem  musikaliscben  Segantini;  in  bewuCten  und 
deutlicbsten  Gegensatz  stellt  er  sich  aber  zu  Niels  Gade. 
Gegen  ihn  eroffnet  die  Sinfonie  singuli^re  die  nordische 
Opposition,  die  dann  Grieg  und  die  jungeren  Norweger 
organisiert  und  weiter  gefUhri  haben,  der  Kern  ist  der 
gleiche:  Herauskehrung  der  rauheren  Seiten,  Kultus  von 
Kraft  und  Z&higkeit. 

Diese  Tendenz  kennzeichnet  besonders  den  erst  en 
Salz  (Allegro  fuocoso,  Gdur,  C)|  der  in  dem  Widerstand 
gegen  zarte  Regungen  an  Beethovens  C  moII-Sinfonie  er- 
innert,  in  seiner  Ausfahrtsstimmung  aber  ersichtlich  den 
Wettkampf  mit  Gade  aufnimmt.  Gleich  am  Anfang  wird 
bier  die  Selbst&ndigkeit  der  Gestaltung  klar,  die  Berwald 
auszeichnet:  an  Stelle  eines  fertigen  und  ausgebildeten 
Hauptthemas    bringt    er  \     .  .  , 

das  kurze,  auf Franz  Schu-  -2Jiii-J-  -J^fcrj^ijJi 
bert    hinweisende    Moitv 


p/^ 


und  riickt  es  abschnittweise  von  den  BUssen  aus  fiber 
Geigen  und  Holzbl&ser  die  Oktave  hinauf  und  ins  forte. 
Die  Monotonie  des  Verfahrens  wird  durch  dissonant  ge- 
bundene  Harmonien  umgangen.    Auch  das  Gegenthema: 


D TG—       D G_       D H E A 

ist  sehr  bescheiden.  Mit  diesen  beiden  Ideen  wird  der 
ganze  erste  Satz  bestritlen;  unter  den  Hilfsmotiven,  die  in 
den  EntwicklungsprozeO  ein-    rf- ^- f^if^-y^  f-»rf= 


greifen,  tritt  die  Triolenfigur: 


523 
als  treibendes Element,  :^:.    i  „    i   »    i-u-^ als Sieges- 


;^-"  I  "  I"  I 


Mozarts  Jupiterthema :  g  ^  '  '  '  ruf  hervor. 
Diesem  geringen  Material  gewinnt  aber  Berwald  mannig- 
faltige  Bilder  ab  und  spannt  mil  ihm,  dank  der  Konse- 
qnenz  und  Logik  seiner  oft  harten  Periodenbildnng  und 
dank  der  Klarheit,  mit  der  das  Endziel  der  grofien  Satz- 
gruppen  hervortritt,  bis  ans  Ende.  Auch  dieses  ist  ori- 
ginell:  statt  einer  langen  Reprise  nur  die  24  Takte  der 
Einleitung,  eine  Generalpause  und  als  SchluG  ein  freudiger 
Tumult  von  fiinf  Vierteln!  Den  zweiten  und  dritten 
Satz  hat  Berwald  zusammengezogen.  Ein  Adagio  (Gdur, 
2/4),  mehr  suchend  als  singend,  beginnt  und  gibt  sich  lange 
Zeit  ganz  Haydnisch,  setzt  sich  aber  dann  in  dem  logisch 
so  strengen  Sequenzenstil ,  der  fiir  Berwald  charakteri- 
stisch  ist,  auf  einer  tr&umerischen  Melodie  fest.  Unver- 
mutet  fahren  in  diese  die  ersten  Violinen  mit  kurzen 
Figuren  des  Ungestums  hinein  und  erzwingen,  da6  der 
Satz  schon  nach  etlichen  vierzig  Takten  abgebrochen 
wird.  Die  Pauke  reagiert  darauf  mit  einem  entrQsteten 
fffSchltig,  der  aber  nicht  verhindert,  da6  ganz  pidtzlich 
das  Scherzo  (Gdur,  ^/s)  eintritt.  Es  ist  von  fr5hlichem, 
anmutigem  Treiben  erftillt  und  reich  an  kleinen  K&nsten 
der  Nachahmung.  Der  Hauptscherz  ist,  da6  in  seinen 
heimlichen  Ton  wiederholt  harte,  kurze  Schl&ge  oder 
rauhe  Akkorde  hereinfahren.  Sie  sucht  Berwald  niemals 
von  weit  her:  ein  breiter  C dur-Dreiklang,  der  ohne  Um- 
stftnde  ein  Ddur-Motiv  bei  Seite  schiebt,  genfigt.  Am 
Ende  kehrt  das  Adagio,  aber  nur  mit  der  erwfthnten 
tr&amerischen  Melodie  wieder.  Sie  ist  ein  Zitat  aus  dem 
schwedischen  Liedschatz  und  reprftsentiert  die  Heimats- 
liebe.  Darum  kehrt  sie  auch  im  Finale  (Presto,  Cmoll  (^) 
wieder,  neben  ihr  lassen  sich  noch  weitere  voIkstUm- 
liche  Anklftnge  horen  und  zwar  als  die  Stimmen  der 
HofTnung  und  des  guten  Endes  in  dem  an  K&mpfen,  ja 
an  Schrecken  reichen     a  »— •       ^       .^-^ 

Satz.    Das  Schlufiwort  ^3^^^n'~T^—    IT  f"^ 


hat  die  sch5ne  Hymne :         -^^ 

Von  den  neueren  schwedischen  Komponisten  ist  der 


-^    524    ^>- 

bedeutendste  Kiinstlerkopf,  Wilhelm  SteDhammer,  leider 

der  Sinfonie  ferngeblieben;   die  bekanntesten  Vertreter 

I. Hellitrom. der  Gattung  sind:   Ivar  Hellstrom,  A.  Hftgg,  Andr. 

*•*■*!*•  Hall 6n,  W.  Petersen-Berger,  Hugo  Alfv^n,  und  zu 

^  p'J^,^*' ihnen  kommt   noch   als  SuiteDkomponist  der  namhafte 

Berfer.     Geiger  Tor  Aulin.    Er  uad  Alfv^D  sind  audi  ins  Ausland 

H.  AifT^a.  gedrungen,  Alfv^n  namentlich  mil  seiner  zweiten  Sinfonie, 

Tor  AbIIb.  jqj  Aulin  mil  der  Programmsuite  »Meister  Olofc. 

HagoAifreB,  Die    Sinfonie    Alfv6ns    zeigt    sich    schon    ftufierlich 

Zweito  Sinfonie.  (Jadm-ch  ungewohnlich,   daO   sie  in  Ddur  beginnt  und 

in  D  moll  scbliel3t,  also  den  bekannien  Weg  per  aspera 

ad  astra  umkehrt.    Die   glUckliche  Stimmung,   die  der 

erste    Satz    mit    seinem   lange    gesncbten   Hauptthema 

Moderato.  ---v      »     ^rr — -^  ausdriickt 


bedeutungsvoll  in  fremder  Tonart  eingefiihrte  Gefolge  des 
zweiten  Themas: 


j'lVri  \\'}f^i\i^^^^fhrj^^^ 


noch  verstarkt  wird,  erleidet  allerdings  schon  hier  mannig- 
fache  Anfechtungen ,  eine  auBerordentlich  aufregende, 
namentlich  in  der  Mitte  der  Durchf£ihrung,  wo  eine  vom 
Hauptthema  ausgehende  Steigerung  pldtzlich  im  ff  auf 
dem  Septimenakkord  abbricht  und  nach  einer  General- 
pause  die  Pauke  ganz  allein  den  Rhythmus  leise  wieder 
aufnimmt  Da  folgen  ihr  zwar  die  Streicher,  aber,  wie 
verwirrt,  in  ganz  fremder  Harmonie.  Die  Stelle  wirkt 
geisterhaft  wie  ein  Mene  Tekel  und  macht  den  Horer 
auf  das  gefaiBt,  was  die  folgenden  S^ltze  bringen.  Schon 
die  ersten  Takte  des  zweiten  Satzes,  des  Andante,  machen 
die  schlimme  Ahnung  zur  Gewifiheit.  Im  Rhythmus  des 
Allegretto  von  Beethovens  Siebenter  und  gefaBten  Tons 
tragen  die  B&sse  eine  Klage  vor,  aber  schon  nach  wenigen 
Worten  wird  sie  erregt  und  sofort  von  einem  lauten, 
schneidenden  Wehruf  der  Blaser  abgeschnitten,  der  ge- 
dM,mpft  und  gebrochen  immer  wieder  ansetzt,    Der  Satz 


-^     525     o>— 

bleibt  so,  wie  er  begonnen,  ein  Kampf  nach  Fassung. 
Seine  ruhrendsten  Stellen  sind  die,  wo  an  die  Themen 
des  ersten  Satzes  erinnert  wird,  sie  kehren  bis  zum 
Schlusse  wieder,  ohne  das  Entsetzen  zu  bannen.  Eben- 
sowenig  greift  eine  als  zweites  Thema  angescblagene 
Choralweise  durch. 

Filr  den  dritten  Satz  (Allegro)  bat  Alfv^n  das  Ent- 
setzensmotiv,  das  am  An  fang  des  zweiten  die  Bl&ser  aus- 
stiefien,  w5rtlich  beibehalten,  nur  kommt  es  im  raschsten 
Tenipo.  Ahnlich  ist  der  ganze  Satz  eine  erregte  Variante 
des  zweiten,  und  die  ganze  Sinfonie  hat  das  Ziel,  ver- 
schiedene  Phasen  eines  groGen  Seelenschmerzes  zu  schil* 
dern.  Cbaraktervoll  bleibt  der  Komponist  diesem  Pro- 
gramm  auch  im  SchluBsatz  trea.  Dieser  hat  die  Form 
elner  darch  ein  Prelndio  eingeleiteten  groOen  Fnge.  Das 
Preludio  wirft  mit  ein  em  Neben thema  aus  dem  ersten 
Satz  einen  Blick  auf  die  Zeit  vergangenen  Gllicks,  die 
Fuge,  die  zuerst  energisches  AufrafTen  versncht,  endet 
mit  altliturgischen  Trauermelodien,  gibt  also  dem  Werke 
einen  religiosen  AbschluB.  Die  Sinfonie  erweist  sich  in 
ibrem  Ernst  and  mit  der  vollendeten  Ttichtigkeit  der 
Arbeit  als  eine  der  bedeutendsten  Leistungen  nnserer 
Zeit  and  macht  trotz  allem  Verzicht  auf  nalionale  Be- 
sonderheiten  dem  musikalischen  Genius  Schwedens  die 
groBle  Ehre. 

Aulins  Suite  Meister  Olof  hUlt  ihre  fiinf  Sfltze  TorAalln, 
(1.  Der  Reformator,  2.  Sein  Weib  und  Kind,  3.  In  der  Meister  Olof. 
Stadtkirche,  4.  Am  Totenbeite  der  Mutter,  6.  Das  Fest 
am  Nordpol)  in  der  Weise  von  Griegs  Musik  za  Peer 
Gynt  grundsatzlich  knapp,  und  benutzt  reichhch  hei- 
matliche  Licder  und  Marschweisen  ohne  merkliche  Zu- 
taten  eigener  Runst.  Nur  die  Tendenz,  in  Harmonie  und 
Rhythmus  das  Primitive  hervorzukebren ,  ist  deutlich 
bemerkbar.  Dabei  kokettiert  der  Komponist  ein  wenig 
mit  Quiatenparallelen ,  die  ja  in  der  neuen  Orchester- 
musik  allgemein  als  erlaubt  zu  gelten  scheinen,  doch 
aber  nicht  ohne  alle  Riicksichten  auf  das  europaische 
Ohr.    Im  Ubrigen  beschrankt  sich  das  personliche  Ver- 


— •    526    «^ 

dienst  Aulins  darauf,  daO  alles  sehr  gut  klingt ;  als  Kolo- 
rist  hat  er  allerliebste  EinfAlle.  £in  sehr  wirksamer  ist  die 
Pizzicatobegleitung  des  Streichorchesters  im  zweiten  Satze. 
Als  letztes  Glied  und  als  Filiale  der  Skandinavischen 
Schule  hat  sich,  von  schwedischer  Kultur  befrachtet,  in 
neuester  Zeit  eine  finnlftndische  Sinfonikergrappe  gebildet. 
Sie  entwickelte  sich  von  der  Universit&tsstadt  Helsingfors 
und  von  Abo,  den  einzigen  eigentlichen  Musikstftdten  des 
F.  FftclBi.  Seenlandes  aus  unter  Fiihrang  von  F.  Facius,  M.  Wege- 
X.  WeffellvB.  lius,  R.  Kaj  anus  im  letzten  Drittel  des  nenzehnten  Jahr- 
B.  K^ftBVB.  hunderts ;  die  Internationale  Aufmerksamkeit  auf  sie  ge- 
lenkt  zu  haben,  ist  das  Werk  von  Jean  Sibelius.  Seine 
sinfonischen  Dichtungen,  an  ihrer  Spitze  »der  Schwan 
von  Tuonela«,  scblugen  aus  ziemlich  den  gleichen  Grfln- 
den  fthnlich  ein,  wie  zwei  Menschenalter  vorher  die 
Ossian-Ouvertlire  und  die  erste  Sinfonie  N.  Gades.  Eine 
grenzenlose  Melancholie  bildet  ihr  nationales,  ein  ebenso 
plastischer,  als  freier  Stil  ihr  persdnliches  Signal ement. 
JeiB  SlbeiUi, Nur  die  dreis&tzige  Karelia-Suite  (Op.  17)  entbehrt 
Karelia-Suite,  diesen  Familienzug;  sie  k5nnte  im  ersten  Satz,  dem  Inter- 
mezzo, von  Dvo^ak,  im  Menuett  von  Brahms  sein,  erst 
der  SchluiBsatz  (Marcia)  stellt  uns  im  Trio  eine  besondre 
kUnstlerische  Individualit&t  vor.  Dieses  Trio  besteht  n&m- 
lich  lediglich  aus  acht,  mit  Ausnahme  der  Instrumen- 
tierung  w5rt]ich  iibereinstimmenden  Wiederholungen  der- 
selben  vier  melodidsen  Takte.  Eine  solche  regelwidrige 
Monotonie  wagt  nur  ein  Komponist,  der  mit  dem  Volk 
verwachsen  ist  und  ganz  genau  seine  Art  und  seinen 
Geschmack  kennt.  Im  iibrigen  aber  schreibt  Sibelius 
hier  ganz  nach  allgemeinem,  gutem  Suitenbrauch  und  hftlt 
sich  dabei  ausgezeichnet  knapp  und  kurz.  Noch  mehr 
als  im  Stil,  weicht  aber  die  Karelia-Suite  von  den  sie 
umgebenden  sinfonischen  Dichtungen  im  Inhalt  ab.  Dieser 
stiitzt  sich  auf  ganz  &hnliche  volkstiimliche  Sangweisen, 
wie  sie  in  verschiednen  Sammlungen  vorliegeu,  sie  sind 
aber  s&mtlich  freundlichen  Gharakters,  so  liebenswtkrdig 
und  reizend,  dafi  sie  allein  den  groOen  Erfolg  der  be- 
scheidnen  Komposition  erklftren. 


-^    527     «-- 

Die  erste  Sinfonie  (EmoII)  des  KomponisteD ,  die  J.  BlbellM, 
1899  gedruckt  worden  ist,  teill  mit  der  Karelia-Suite  die  Erato  Sinfonie. 
klassische  Rlarbeit  und  Einfachheit  der  Themen  and  Mo- 
tive, aber  in  ihrer  vorwiegend  ernsten  and  triiben  Ge* 
dankenrichtung  steht  sie  auf  der  Seite  von  friiberen  sin- 
foniscben  Dicbtangen.  Insbesondre  scbeint  sie  ein  Werk 
nationaler  Ricbtung  and  die  am  tiefsten  in  der  Heimat 
worzelnde  Sinfonie  von  Sibelius,  sie  scbeint  eine  patrio- 
tiscbe  Betracblung  in  T5nen  zu  sein.  Eroffnet  wird  ibr 
erster  Satz  an  Stelle  der  iiblicben  langsamen  Einleitung 
mit  einem  Klarinettensolo,  das  guten  Mats  beginnt,  am 
Ende  aber  in  einen  klagenden  Ton  fallt.  Das  darauf  ein- 
setzende  Allegro  P/ij  Gdur)  nimmt  in  grGGern  Dimen- 
sionen  einen  S.bnlicben  Verlauf:  Der  in  seinem  Haupt- 
thema : 


d/ntrniriji-rir 


ausgesprocbenen  Kraft  und  Entscblossenbeit  bleibt  der 
Triumph  versagt.  Die  Achtelrbytbmen,  mit  denen  der 
erste  Abscbnitt  jenes  Tbemas  schlieOt,  der  zweite  beginnt, 
gehdren  zu  den  Elementarwendungen  finniscber  Musik, 
sie  sind  fibnlicbe  Symptome  stark  cboleriscben  Wesens, 
wie  sie  aucb  bei  Italienern  und  Negern  vorkommen,  die 
geb&uften  Wiederbolungen  desselben  Motivs  sind  dem 
naiven  Kulturstand  des  Naturvolks  ent^prungen.  Wir  sind 
also  mit  diesem  Eingang  sofort  in  eine  bestimmte  etbno- 
logiscbe  Spb&re  versetzt,  in  die  der  Verlauf  der  Kompo- 
sition  dann  immer  tiefer  bineinfiibrt.  Die  Volksseele,  von 
der  Sibelius  im  ersten  Satze  seiner  E  moll-Sinfonie  ein 
Bild  gibt,  neigt  zu  jahem  und  erscbreckendem  Aufbrausen, 
ihre  Musik  ersetzt  eingebende  Ausfiihrungen  gern  durcb 
kurze  in  zwei  und  drei  Akkorden  explodierende  Natur* 
laute,  an  andern  Stellen  briitet  sie  endlos  dabin,  dem 
Jammer  webrt  sie  und  laOt  ibn  mehr  abnen  als  wirklicb 
b5ren,  sie  zeigt  eine  Miscbung  von  Wildbeit  und  Selbst- 
beherrscbung ,  die  uns  staunen  macbt,  aber  aucb  er- 
greift    und   nacbhaltig  fesselt.     Sie  zwingt  aber  aucb, 


--^    528     •— 

die  Kraft  und  den  Geist  zn  bewandern,  mit  denen  der 
Komponist     seiner    schwierigen    und    der    sinfonischen 
Form   fremden  Aufgaben  Herr  geworden  ist.     Nament- 
lich    der    zweite   Satz    der   Sinfonie    bietet    da   wahre 
Musterbeispiele  f&r  die  Gabe,   mit  einfachen  und  doch 
k&hnen  Mitteln  der  Darstellung  den  Schein  der  Nattlrlich- 
keit  zn  geben.   £s  handelt  sich  in  ihm  darum,  aus  einer 
augenscheinlich    wieder    auf   musikalische   Volksquellen 
aufgebauten  Wehmut   in  eine   erregte  Stitnmung  fiber* 
zugehen.    Das  erreicht  er  ohne  weiteres  dadurch,  dafi  er 
den  Vierrierteltakt   des  Haupttbemas  pldtzlich  von  den 
B&ssen  im  Rhythmus  von   drei   Halben   begleiten  l&6t 
Damit  ist  die  Unruhe  in  den  Satz  eingezogen  und  unver- 
merklich  gerftt  alles  ins  Scbwanken.    Ebenso  meisterhaft 
ftibrt  Sibelius  in  diesem  Andante  aus  dem  Stimmungs- 
bild  hiniiber  in  ein  anheim eludes  Stfick  Naturmalerei.    In 
dem  Augenblick  —  es  ist  nach  der  vom  Fagott  begon- 
nenen  Blflserstelle  — ,  wo  der  Gesang  einen  leidenschaft- 
lichen  Charakter  annehmen  will,  bricht  er  ab  und  lenkt 
die  Aufmerksamkeit  mit  bloBen,  bewegten  Rhythmen  und 
hohen  Klftngen  erst  der  Bl&ser,  dann  der  Geiger  wie  auf 
eine  plotzliche  Brscheinung  in  der  Aufienwelt.  Es  schillert, 
als  ob  die  Sonne  aufgehen  wollte,  und  nicht  lange  dauerts, 
da  hGren  wir  in  Floten,  Oboen  und  Klarinetten  die  V5gel 
singen.    Ganz  k5stlich  wird   dann  dieses  Bildchen   aus 
Wald  und  Flur  in.  das  Seelengemfllde ,  das  den  Haupt- 
inhalt  des  Satzes  bildet,  mit  hineingewoben.    Als  es  gilt, 
sich  von  ihm  zu  trennen,  da  &ui3ert  sich  der  Schmel'z 
wieder  einmal  in  einem   kurzen,  oft  wiederholten  Auf- 
schrei,  in  dem  wieder  die  ganze  fmnische  Energie  zum 
Vorschein  kommt.    Das  Scherzo  hat  von  der  an  dieser 
Stelle  ublichen  Lustigkeit  nur  die  Rhythmen,  im  Charak- 
ter bleibt  es  dissonanzenreich  und  hart.    Nur  der  lang- 
same,  an  die  Stelle  des  Trios  tretende  Mittelsatz,  der 
von  dem  Cdur   des  Hauptsatzes   sich   weit  weg,   nach 
E  dur  fluchtet,  hat  den  weichen  Ton  der  Sehnsucht.    Aus- 
nahmsweise  gibt  in  ihm  Sibelius  einmal  Auskunft  fiber 
seinen  Studiengang  und  zeigt  uns  in  Robert  Schumann 


--^    529    «^ 

einen  seiner  Lieblingsmeister.  Das  Finale  greift  zu  Be- 
ginn  auf  die  Melodie  der  Soioklarinette  znrttck,  mit  wel- 
cher  der  erste  Satz  der  Sinfonie  eingeleitct  wurde.  Dann 
entfesselt  es  die  LeidenschafUichkeit  des  Mifimntes,  die 
jener  erste  Satz  ahnen  liefi,  in  vollen  Schleusen  und 
lenkt  zom  SchlnB  in  einen  breiten,  groBen  Hymnus  der 
Wehmnt  ein.     . 

Dieser  seiner  etsten  nnd  wohl  bedeutendsten  Sin-   j.  sibeiUt, 
fonie  hat  Sibelius  noch  drei  weitere  folgen  lassen.    Die    Zweite  und 
zweite,  eine  1902  voUendele  D  dur-Sinfonie  und  die  nur  ^"*^  ^*''^*'"*® 
aus  drei  S&tzen  bestehende  dritte  (C  dur,  Op.  62}  sind, 
wenn  man  in  jener  die  unheirolichen  Mittelsfttze  ausnimrot, 
wesentlich  freundlicher  als  die  erste,  in  der  dritten  steigert 
sich  der  hellere  Grundton  sogar  zu  ganz  drolligen  Scherzen. 

Gleich  ihr  Anfang  Allegro  moderato. 

gibt  davon  mit  *ji»  -  JTlJj  J  lltj  J  _H?!]JS^^ 
dem    BaBeinsatz:  "*  '  ^'  ^  ^  -i-i-i-t*  ^  1-1'= 

einen  habschen  Begriff  und  zeigt  zugleicfa,  wie  der  Kom- 

ponist  in  der  thematischen  Erfindung  nach  wie  vor  seiner 

Heimat  treu  geblieben  ist.     Oberall  noch  die  Melodien 

mit  HalbschluB  und  in  dem  so  viel  besagenden  Frageton. 

Im  allgemeinen  jedoch  ist  der  Stil  des  Komponisten  in 

den  neuen  Sinfonien  bedeutend  komplizierter  geworden. 

£r  schreibt  h&ufig  rezitativiscb,  neigt  zu  Unterbrechungen 

und  zu  grammatischen  Kontrasten,  etwa  in  der  Art,  daB 

vier    thematischen  Takten,  vier  Takte  bloBen   Akkords 

folgen,  namentlich   aber  ist  der  Verbrauch  von  Disso- 

nanzen  so  auffallend  gewachsen,  daB  die  Komponisten- 

partei,  welche  in  diesem  Punkte  das  wesentliche  Element 

der  Moderne  erblickt,  mit  gewissem  Rechte  auf  den  Ver- 

treter  der  finnlfindischen  Sinfonie  Beschlag  legen  darf. 

Selbstverstftndhch  hat  mit  dieser  &uBren  Verwandelung 

auch  eine  Anderung  in  der  Richtung  der  Phantasie  statt- 

gefunden.    In  seiner  vierten  und  augenblicklich  letzten   J.  SibelUt, 

Sinfonie  (A  moll,  Op.  63)  ist  Sibelius  von  den  Impressio-  Vierte  Sinfonie. 

nisten  kaum  noch  zu  unterscheiden.    Er  berQhrt  sich  in 

ihrem  ersten  Satz  ganz  direkt  und  wohl  auch  stoillich 

mit  den  Meeresskizzen  Debussys,  auch  die  fast  Zolaische 

Kretzschinar,  Fahrer.    1,1.  34 


_-^    630    <>— 

Umst&ndlichkeit  des  Einleitens,  VorbereiteDs  and  Sam- 
melns  teilt  er  mil  ihm.  Es  iiegt  in  der  Natur  seines  neuen 
Systems,  daB  Sibelius  von  der  artistischen  Seite  her 
interessanter  geworden  ist;  man  findet  da  Vorausnabmen, 
die  den  Harmonielehrer  entriisten  konnen,  aber  jedenfalls 
besch&ftigen,  6  Seiten  lange  liegende  Stimmen,  die  sich 
erst  im  letzten  Takt  des  Satzes  auflosen,  andre  Stellen, 
wo  ein  kieines  Ostinato-Motiv  sechsuhddreiGigmal  wieder- 
kehrt,  wo  anf  einem  C  dur-Akkord  sechzebn  Takte  lang 
nar  G  und  C  wiederholt  werden ,  man  findet  Fignren, 
in  denen  Streicher  und  Bl&ser  von  demselben  a  aus  in 

die  H5he  sturmen  und,  oben  ankommen,  die  einen  d,  die 

andren  cles  ergreifen  usw.  Aber  man  findet  auch  wertvolle 
Malereien  vom  Glockenklang  und  andre  Produkte  feiner 
Natiirbeobachtung,  und  vor  allem  findet  man  nocb  gute 
und  charaktervoUe  Tfaemen.  Ein  solches  ist  das  an  der 
Spitze  des  SchluBsatzes  dieser  A  moll-Sinfonie  stebende, 
das  eine  frobe  Stimmung  mit  einem  ganz  eignen  Sticb 
ins  Obermtitige  ausdrtlckt.  Diese  Tatsache  berecbtigt  zu 
der  Hoffnung,  dafi  mit  der  Zeit  der  alte  Sibelius  wieder 
reicher  zu  Worte  kommt! 

Die  andem  Vertreter  der  finniandischen  Schule,  an 
Jimefelt.  ihrer  Spitze  Jarnefelt  und  Mielk,  sind  mit  Sinfonien 
Hielk.  QQ^jjj  nicht  fiber  die  Heimat  hinausgedrungen. 

Das  Bohmerland  hat  vom  achtzehnten  Jabrbundert 
ab  dank  in  erster  Linie  seinem  Adel,  der  das  vom  kaiser- 
lichen  Hofe  gegebne  Beispiel  der  Musikliebe  und  Musik- 
pflege  mit  Eifer,  Opferfreudigkeit  und  Geschick  aufnahm, 
die  Tonkunst  aller  Staaten  mit  so  zahlreichen  und  vor- 
zUglichen  ausfibenden  Kr§.ften  versorgt,  das  man  —  es 
war  wohl  Burney,  der  das  tat  —  von  Bdhmen  als  dem 
Konservatorium  Europas  sprechen  konnte.  MerkwUrdiger 
Weise  stebt  aber  der  Anteil,  den  das  schdne  Land  an 
der  Komposition  nahm,  quantitativ  und  qualitativ  hinter 
der  Bedeutung  sehr  zuruck,  die  es  als  Bezugsquelle  von 
Instrumentalisten  aller  Art,  von  den  einfachen  hausieren- 
den  Spielbanden  fiber  die  Kapellmitglieder  hinauf  bis  zu 


^^    531    ^- 

den  grofien  Virtnosen  gehabt  hat    Insonderheit  kommt 

die  bdhmische  Komposition  in  der  Sinfonie  und  den  ihr 

verwandten  Formen  nnr  wenig  inBetracht.  Mit  F.  Ben  da,  F.Bcnda. 

L.  Kozeluch,  Mysliweczek,  Reicha,  V.  Maschecki*- *•■•!■•*• 

sind  die  Namen   erschopft,   die   auf  diesem  Gebiete  in  Ji'ciir***'' 

der  zweiten  H&lfte  des  achtzehnten  Jahrhunderts  aufier- y.  HMckeek. 

halb  ihrer  Heiroat   bekannt  geworden   sind;   zu  ihnen 

kommt    i^och    der    bereits    erwslhnte   D.  Zelenka   als  d.  z«ieaka« 

Meister   in    der   0 rchester suite ,    neben   ihm    A.   TumaA.  Tima. 

und   Fr.   Dussek    als   Konzertkomponisten.     In   einem  Fr.  Dvuek. 

langren    Abstand   folgt   dann   W.  J.  Tomaschek    mit    Tomagekek, 

einer  £s  dur-Sinfonie ,  die  in  ganz  Deutschland  fast  ein  Es  dar-Sinfome. 

Jahrzehnt   lang    gespielt   und  mit  groBer  Achtung  be- 

urteilt  wurde.   Sie  hat  im  dritten  Satze,  der,  fUr  jene  Zeit 

noch  auBergewohnlich,  als  Scherzo  betitelt  ist,  eine  durch 

einen  ausgesprochnen  Hang  zum  Tr&bsinn  ungew5hnliche 

Nummer  und  zeigt  einige  tiefe  Regungen  in  der  Einlei- 

tung  des  ersten  Satzes.    Im  allgemeinen  waltet  aber  in 

ihr  nur  ein  kleiner  Geist^  der  von  fremden  Tischen,  ins- 

besondre  von  den  Mozartschen  Opern  genfihrt  wird.  Die 

Arbeit  zeigt  Vorliebe  fiir  die  kleinen  Kiinste  der  Kontra- 

punktik,  wie   denn   Tomaschek   als  eine   Gr50e  in   der 

strengen  Form  und   auf  Grund  seiner  Kirchenkomposi- 

tionen,  namentlich  des  Requiems,  mit  Recht  betrachtet 

wurde*].    Das  schlieBt  jedoch  ein  groBes  auf  Ungeiibtheit 

beruhendes  Ungeschick  im  Orchesterstil  nicht  aus.    Fast 

unabl&ssig  schnorkelt  die  erste  Violine  in  schematischen 

Figuren  dahin,  wSiirend  die  andren  Instrumente  in  tr&ger 

Ruhe  so  lange  daliegen,  bis  sie  zu  einer  Nachahmungs- 

parade  befohlen  werden.    Was  uns  jedoch  am  meisten 

an  dieser  Sinfonie  interessiert,  ist  ihr  Verhftltnis  zu  b3h- 

mischer  Nation almusik.    Tomaschek  hat  Lieder  aus  der 

Kdniginhofer  Handschrift  komponiert,  la(3t  also  Liebe  fQr 

die  Stammeskunst  seiner  Heimat  erwarten.    Doch  bietet 

seine  Sinfonie  hierin  nichts  als  eine  Vermutung,  n&m- 

lich  die:   daB  das  erste   Thema  des  Finale   aus   alter 


*)  Rudolph  Freiherr  Prochazka:  Arpeggien  1897,  S.  66. 


--^    532    ^►- 

bohmischer  Vdlksmusik  stammen  kdnnte.    Wir  teilen  es 
bier  mit: 


Vlrace. 


|_ '  I?  1 1  Ji  I 


und  iiberlassen  es  Berufenen,  den  Sachverhalt  festzu- 
stellen.  Gesetzt:  es  ist  slavisch,  so  wQrde  doch  in  der 
Tomaschekschen  Sinfonie  das  nationale  Element  einen 
immer  noch  weit  geriDgeren  Anteil  haben,  als  sich  in  der 
Suite  Zelenkas  ergab. 

Auf  Tomaschek  folgt  als  der  n&chste  b5hmische  Sin- 
foniekomponist  von  Bedeutung  Job.  Wenzel  Kalliwoda. 
Er  ist  bereits  in  einer  andren  Gruppe  bebandelt  worden 
und  kann  unter  die  Vertreter  einer  spezifisch  bdhmiscben 
Musik  nicbt  gerechnet  werden,  da  er  nur  nebenbei  Volks- 
melodien  anklingen  l&Ot. 
J.  F.  Kitti,  Anders  verh&It  es  sich  mit  einem  SchiilerTomascheks, 

Jagdsmfonie.  mit  Job.  Friedricb  Kittl,  der  vom  Anfang  der  vier- 
ziger  Jahre  ab  aucb  mit  mehreren  Sinfonien  hervortrat, 
unter  denen  die  »Jagdsinfonie€  besonders  verbreitet  war. 
Es  ist  ein  Beitrag  zur  Programmusik ;  die  vier  SUtze  beiOen : 
1.  »Aufiuf  und  Beginn  der  Jagd<,  2.  >Jagdrube€  (Andante), 
3.  »Geiage<  (Scberzo),  4.  »BeschluB  der  Jagd<.  Als  Jagd- 
musik  weicbt  die  Sinfonie  von  allem  fruberen  Braucb,  wie 
er  in  der  Zeit  von  Stamitz,  Haydn  und  M^bul  und  weiter 
zurilck  sich  feststellen  IftBt,  dadurch  ab,  daB  sie  nicbt  in 
Ddur,  sondern  in  Esdur  stebt.  Aucb  das  ist  ungew6hn- 
licb,  da6  sie  nicbt  bloB  Hornersignale  und  Fanfaren,  son- 
dern im  ersten  Satz  ein  ganzes  Jagdlied  gibt.  Es  eroffnet 
die  Sinfonie  in  der  Form  eines  Hornquartetts  und  bat 
folgende  Melodie 


ifi'iffrriTi'ii^i  iiij.1  III  I  III  II  ji 


533 


die  ihren  Taktgruppen  nach  wohl  slavischer  Abkunft  sein 
k6nnte.  Jedenfalls  ist  die  ganze  Sinfonie  mit  —  gleichviel 
ob  originaler  oder  nachgebildeter  —  Volksmusik  durch- 
tr&nkt  wie  keine  andre  seit  Haydn.  tJberall  klingeo  uns 
die  knrz  angebundnen ,  heitren  und  frischen  Weisen  ent- 
gegen,  die  der  b5hmischen  Masik  eigen  sind.  Auf  ihnen 
beruht  der  lebendige,  temperamentvoile  Cbarakter  der  Sin- 
fonie, die  mit  Ausnahme  einiger  £lu6erlichen  Ubergknge 
von  Gnippe  zu  Gruppe  im  ersten  Satz  sehr  sicher  und 
auch  eigen  gestaltet  ist.  Namentlich  im  Klein verkehr  inner- 
halb  der  Perioden  bewegt  sich  der  Komponist  flott,  rasch 
und  reich  an  feinen  Wendungen  und  zeigt  ein  ungewohn- 
liches  Talent.  Mendelssohn  nahm  die  Widmung  der  Sin- 
fonie an,  Spohr  lobte  sie,  Schumann  hob  sie  unter  den 
Neuerscheinungen  des  Winters  1840  nachdrQcklich  her- 
vor*),  R.Wagner  schatzte  den  Komponisten  hoch  genug, 
um  ihm  ein  eignes  Operngedicht  (»DieFranzosen  vorNizza<) 
zu  tiberlassen.  Um  Kittls  Sinfonie  aber  in  ihrer  natio- 
nalen  BedeutuDg,  in  ihrer  Ideenrichtung  voli  zu  wflrdigen, 
war,  als  sie  entstand,  die  Zeit  noch  nicht  gekommen.  Weder 
bei  JDeutschen  noch  bei  Bohmen  selbst.  Denn  diese  batten 
sich  bisher,  wenn  sie  SinfoDien  schriehen,  um  ihre  Volks- 
musik doch  nur  sehr  wenig  gekiimmert,  und  auch  RittI 
wird  den  Weg  seiner  »Jagdsiafonie<  mehr  zuf§,11ig  und 
instinktiv  eingeschlagen  haben.  Erst  als  nach  den  achtund- 
vierziger  Wirren  die  nation altschechischen  Bestrebungen 
auf  sozialem,  politischem  und  literarischem  Gebiet  mit  ver- 
starktem  Eifer  aufgenommen  wurden,  begannen  allm&h- 
lich  auch  die  bdhmischen  Tonsetzer  iiber  die  Eigentiim- 

*)  Nene  Zeitechrlft  far  Musik,  1840,  S.  139. 


— *    534    *^ 

lidikeit  ihrer  Volksmusik  und  fiber  ihren  Zusammenhang 

mit  dem  Wesen  und  der  Begabung  des  Stammes  klar  zu 

werden.    Heute  ist  in  dem  Neuhussitentum,  daO  sich  in 

Bohmen   gesammelt   und   zum  Sturm   bereitgestellt  bat, 

die  musikalische  Gruppe  eine  der  von  Gliick,  natUrlicher 

Kraft  und  Talent  begUnstigsten,  einiluBreichsten,  wohl  auch 

der  Uberhebung  und  der  Verblendung  am  st&rksten  zu- 

F«SmetaiiB.  geneigten.    Ihr  Vater  war  Fr.  Smetana,  ein  Kttnstler, 

dessen  seelischer  Reichtum,  dessen  klare,  einfache  Ge- 

staltungskraft  nation aler  Sttttzen  und  Hilfen  gar  nicht  be- 

durft  h&tten.   Sein  E  molI-Quartett  bezeugt  das.   Smetana 

hat  in  seiner  Jugend  eine  Sinfonie  nach  Beethovenschem 

und  mehrere  sinfonische  Dichtungen  nach  Liszts  Muster 

geschrieben,  dann  aber  seine  voile  Kraft  auf  die  Kom- 

position  von  zahlreichen  Opern  gelenkt,  die  alle  keinen 

Zweifel  darUber  lassen,  daB  die  heimische  Volksmusik  mit 

dem  Herzen  dieses  Tonsetzers  verwachsen  war.   Erst  als 

sich  der  Weg  ins  Weite  fQr  diese  BQhnenwerke  vorl3,ufig 

als  verhauen  erwiesen  hatte,  als  Taubheit  Smetana  zwang, 

dem  Taktstock  fiir  immer  zu  entsagen,  wendete  er  sich 

wieder  der  Instrumentalkomposition  zu.  »Um  sich  die  Mittel 

zur  Konsultierung  beruhmter  ausld^ndischer  Spezialistea 

zu  verschafifen*  —  sagt  Wellek*)  —  gab  Smetana  ein  Kon- 

zert  am  4.  April  1875,  in  dessen  Programm  zwei  >Sinfonien«: 

—  »Vyschrad«  und  »Ultava«  hervorragten.    Das  sind  die 

ersten  beiden  StQcke  eines  Zyklus  von  sechs  sinfonischen 

Dichtungen,  die  dem  fur  die  Schonheit  und  den  Gharakter 

der  heimischen  Volksweisen  empf&nglichen ,  schlicht  ge- 

staltenden  Kunstler  und  dem  fUr  die  Vergangenheit,  flir 

die  Geschichte  und  die  Natur  seines  Geburtslandes  be- 

geisterten  Patrioten  gleich  viel  Ehre  machen.    Denn  es 

war  Smetana  bei  seinem  Zyklus  nicht  blofi  um  eine  er- 

freuende,  heimisch   anklingende,  Phantasie  und  GemQt 

bewegende   Komposition  zu  tun,    sondern  es  sollte  ein 

musikalisches  Epos,  eine  monumentale  Verherrlichung  von 

Bohmens  groOten  Helden  und  Zeiten,  ein  Kranz  schw&rme- 

*)  BroiiisUw  Wellek:  Friedrich  Smetana.     1895. 


-^    536    ^^ 

riscber  und  inniger  Ges&nge  zum  Preis  von  Land  und 

Leuten  werden.   Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  w&hlte  er 

den  Gesamttitel  M&  Vlast,  d.  i.  Mein  Vaterland,  und  den  f.  gmetua, 

Inhalt  der  einzelnen  Stiicke.    Der  Form  nach  sind  diese   »MiVla8U. 

Stucke  einsfttzige  Kompositionen.    Smetana  hat  sie  als 

sinfonische  Dichtungen  bezeichnet^  obwobl  sie  sicb  mit 

der  Natur  dieser  von  Liszt  eingefiihrten  Gattung  nur  teil- 

weise  begegnen.    Sie  sind  viel  einfacher  angelegt.    Sie  . 

bier  in  den  Verband  von  Sinfonie  und  Suite  mit  einzu- 

reihen  veranlafit  und  berechtigt  der  Umstand,  dafi  sie  ein 

zusammenb&ngendes ,    durch   gemeinsame   Themen  ver- 

bundenes  Ganzes  bilden.    Die  ersten  vier  sind  1874  und 

1875  entstanden,  die  beiden  letzten  erst  drei  und  vier 

Jahre  sp&ter  binzugefiigt,  alle  zusammen  erst  nach  der 

Wiener  Theater-  und  Musikausstellung  weiter  bekannt  ge- 

worden.    Wobl  mit  Recht  ist  dieser  Zyklus  als  Smetanas 

Hauptwerk  bezeichnet  worden.    Man  darf  bei  diesem  Ur- 

teil  die  vaterlSlndiscben  Absichten  des  Komponisten  ganz 

beiseite  lassen  und  sich  auf  den  musikalischen  Wert  be- 

schr&nken.    Da  bleiben  allerdings,  wie  tiberall,  die  von 

Polka,  Marsch  und  heimischen  Tanzweisen  nbgeleiteten 

Abschnitte  die  anheimelndsten,  vom  st&rksten,  mRchtigsten 

innern  Strom  getragnen.  Aber  Smetanas  Talent  wird  bier 

doch  auch  in  seinem  weiten  Umfang  offenbar  und  zeigt 

sich  in  dem  weiten  Bereich  von  der  Schilderung  des  heim- 

lichen  Naturlebens,  phantastisch  luftigen  Elfentreibens  bis 

zum  Ausdruck  der  feierlichsten  Stimmungen  und  grower, 

Welt  bewegender  Ideen  sicher  und  ergiebig.  Freilich  bleibt 

darum  zwischen  ihm  und  Mozart  immer  noch  derselbe  Ab- 

stand  wie  zwischen  Dvoi^ak  und  Beethoven.    Der  neuste 

Biograph   des   bdhmischen  Tonsetzers  h&tte  sich  dieses 

Vergleichs  besser  enthalten,'  schon  deshalb,  weil  unsre 

Zeit  ^eder  eines  Haydn,  noch  eines  Mozarts,  noch  eines 

Beethovens  f&hig  ist. 

Bei  der  Komposition  seiner  Tongemftlde  hat  sich  Sme- 
tana in  die  Rolle  eines  Rhapsoden  alter  Zeit  hineingedacht, 
der  seinen  Zuhdrern  von  groBen  geschichtlieben  Begeben- 
heiten  erzSiilt  und  sie  dazwischen  hinein  vor  liebliche 


-^    536    i^ 

Idyllen  fQhrt.  Zu  der  ersten  Klasse  geh5reD  I.  Vysehrad, 
in.  Sarka,  V.  Tabor  und  YI.  Blanik;  znr  zweiten:  II.  Ultava 
(Moldau)  und  IV.  Zceskych  Inh&v  a  hiljt^v,  d.  i.  Aus  B5h- 
ineDs  Hain  und  Flur. 

Zu  dem  Zyklus  gibt  es  kurze  Programme  von  V.  Zelenj, 
die  deshalb  beachtet  werden  mussen,  well  sie  (nach  Wei- 
lek)  Smetana  selbst  beglaubigt  hat    Danach  ist  der  In- 
halt  des  ersten  Stiickes:  »Vysehrad<  folgender: 
F.  Bmetana,  Der  Dichter  hort  beim  Anblick  des  Vysehrader  Felsens  im 

Vysehrad.  Geiste  die  Kl&nge  der  Leier  des  sagenhaften  SSngejs  Lnmir. 
VoT  seinen  Blicken  erhebt  sich  der  Yy^ehrad  im  Glanze  seiner 
glorreichen  Vergangenheit  wieder.  Anf  dieser  Hochburg,  wo 
der  Thron  der  Herzoge  und  Kdnige  ans  dem  Geschlechte  der 
Pfemysliden  stand,  versammelte  sich  die  Ritterschar  zn  Ding- 
und  Heerfahrt.  Die  Feste  drShnte  in  ihren  Grunden  vom  Tritt 
der  einziehenden  Krieger  nnd  ihrem  Trinmphgesang.  Bald  sieht 
der  Dichter  aber  den  Untergang  der  alten  Glorie.  Wilde  Kampfe 
wuten  nnd  die  herrlichen  Hallen  des  Kfinigssitzes  zerfallen  in 
Schntt  and  Triimmer.  Auch  diese  gewaltigen  Stiirme  yerstnmmen, 
der  Yysehrad  steht  ode  and  verlassen  da,  ein  Bild  vergangnen 
Rahms.  Aas  seinen  Rainen  hallt  klagend  das  Echo  des  l&ngst 
verstummten  Saitenspiels  Lamirs  nach. 

Nach  dieser  Angabe  haben  wir  in  der  Komposition 
drei  Hauptteile  zu  erwarten,  die  nacheinander  den  Glanz 
der  Burg,  den  Kampf,  der  um  sie  gefuhrt  wird,  und  ihr 
Ende,  ihren  Yerfall  schildem.  Sie  fin  den  wir  auch  in  der 
Musik  und  bemerken  dabei  sofort,  da6  Smetana  seine 
Schilderung  durch  Einfiigung  begleitender  und  bereichern- 
'  der  Ziige  sehr  wirksam  zu  beleben  weiO.  Zn  jenen  drei 
Teilen  tritt  noch  anhangsweise  ein  vierter,  In  dem  aus 
den  Augen  des  heutigen  Geschlechts  noch  einmal  ein  RQck- 
blick  auf  die  vorgetragnen  tfcfgebenheiten  geworfen  wird. 
Dabei  tritt  naturgem&B  die  Zeit  des  Glanzes  wieder  her- 
vor  und  die  Perioden  des  Ungliicks  bleiben  im  Dunklen. 
Die  etwas  kunstliche  Yermittelung  der  Schilderungen  durch 
den  altbdhmischen  Orpheus,  den  S&nger  Lumir,  hat  Sme- 
tana wahrscheinlich  nur  der  Harfeneffekte  wegen  ins  Pro- 
gramm  genommen.   Bel  den  sp&tern  Stiicken  des  Zyklus 


<^w 


-^    537    ^- 

f&Jlt  sie  weg.  Hier  in  Vysehrad  gibt  sie  Gelegeoheit  zu  einem 
romantischen,  stimmungsvollen  Eincrang:  Von  Harfen  vor- 
getragen  horen  wir  den  wichtlgsten  Melodiekern  des  Satzes 
Lento. ,       1  den  Smetana 

*  r  r  *  zu  Perioden 
weiterbildet.  Die  erste  Harfe rauscht  in  die  Pausen  des  schritt- 
weiselangsam  aufsteigenden,  sich  aofbauendenXhemasAr- 
peggien  hinein.  BeiHarfenklftngen  denkt  jedermann  gem 
an  den  Konig  David,  an  den  blinden  Homer  und  an  die  von 
Klopstock  gescbilderten  Barden.  Sie  ftihren  die  Phantasie 
unwillktirlich  in  alte  Zeiten,  und  der  Balladengeist  des  The- 
mas  tut  das  Weitere,  sie  da  festzahalten.  Nachdem  die  Me- 
lodic, die  von  vornherein  schon  elegisch  gestimmt  ist  und 
auf  verschwnndne  Herrlichkeiten  hinweisen  kann,  zweimal 

durch  die  Blftser  gezogen    6.l  

ist,  spielt  die  Masik  ganz  gp^**  Ji'J  J  J.  J.  I  J^  J  ^ 
kurz  auf  Rittertum  an  mit  PP  "*^   ^^'^ 

wozn  die  Trompete  noch  ein  ausdrftcklicbes  Heersignal 
beisteuert,  und  fQgt  diesem  neuen  aus  der  latema  magica 
gesehneu  Bildchen  gleich  ein  weitres,  sofort  breiter  ausge- 
f  Cihrtes  Moti  v  zu,  das  in  sei-  «,««««..__     ein  en  gewis- 

nerZusammensetzung  ^^s  j^|^l],  [  J  j  _^F^^®"  Hinweis 
einfachen  Dreiklangsnoten?^  ''  j  J  '  rf  j  J  j^^f  Wasser- 
inusik  bietet.  Es  ist  wohl  kaum  zu  bezweifeln,  da(3  Sme- 
tana mit  diesem  Motiv  zun&chst  auf  die  Wellen  der  Moldau 
hat  hindeuten  wollen,  die  noch  heute  den  Prager  Stadt- 
teil  besptilen,  der  an  der  Stelle  entstanden  ist,  wo  ehe- 
mals  die  stolze  bohmische  Fiirstenburg  lag.  Doch  hat 
sich  der  Begriff  des  Stroms,  den  diese  Tone  zuerst  trugen, 
unwillkQrlich  zu  dem  des  Landes  und  der  Landeskraft  er- 
weitert.  So  kommt  es,  dafi  Smetana,  wenn  die  Melodie 
des  Vysehrad  im  begeisterten  Ton  erklingt,  in  der  Kegel 
den  grdfiten  Schwung  der  Stimmung  in  Bildungen  tkber- 
leitet,  die  aus  diesem  Wassermotiv  hergenommen  sind. 
Bald  kommcn  wir  an  eine  solche  Stelle.  Nachdem  das 
bisher  beschriebne  Material  aafgestellt  ist,  bringen  die 


538 


Streichinstrumente  den  Gesang  vom  Vysehmd  in  Bdur. 
Am  SchluO  dieser  Periode  fftngt  es  an  zu  fluten,  und  nun 
nimmt  das  voile  Orchester  im  gl&nzendsten  Klang  die 
Melodie  in  der  Haupttonart  durch.  Die  Melodie  klingt 
jetzt  voUst&ndig  folgendermaBen: 


m 


f  f  ff.fffffrf|-r  n  irTi^Tri 


V      w 


'W 


i 


Trompeten  und  H5mer  schmettern  darein  —  das  im 
vierten  Takt  zuerst  nen  eintretende,  durch  das  Sech- 
zehntelpaar  bemerkbare  Motiv  dr&ngt  sich  hervor  und 
teilt  sich  mit  dam  Wassennotiv  in  eine  Fortsetzung,  die 
bis  zu  Lauten  h5chsten,  trunkenen  Jubels  filhrt  Als  er 
abbricht,  horen  wir  still  wie  mahnend  die  Kl&nge  vom 
Yysehrad  und  von  der  Moldau ,  die  eine  lange  Strecke 
immer  leiser  miteinander  wechseln.  Und  als  die  Wellen 
kaum  noch  sich  bewegen  —  da  setzt  der  zweite  Teil 
ein:  die  Schilderung  der  bdsen  Zeit,  der  Zeit  der  Kriege 
und  KHmpfe. 

Das  Mittel,  um  diesen  Kampf  um  Yysehrad  zu  schil- 
dern,  nimmt  Smetana  aus  dem  ersten  Teil  seines  Ge- 
mftldes,  indem  er  das  Burgmotiv  in  der  geistreichen 
Weise  Liszts  folgendermaBen  umbildet: 


Allegro  YlYO. 


etc. 


Ifqilien  marctUo 


Diese  verzerrten  Rhythmen  genOgen  schon  allein,  den 
h&BIichen  Streit  zu  malen;  den  wachsenden  Kampfes- 
eifer  bezeichnen  lange  Figuren,  in  denen  das  Streich- 
orchester  sich  verworren  windet,  um  einstimmig,  atemlos 
und  wuchtig  nach  der  H5he  zu  stiirzen.  Dann  beginnt  ein 
kontrapunktisches  Spiel,  das  den  Fortgang  des  Kampfes 
sehr  gut  veranschaulichL    Das  aus  dem  Burgmotiv  ab- 


539 


geleitete  —  soeben  angegebene  —  Streitmotiv  wird  in 
Engf&hrangen  vorQbergefuhrt,  an  denen  alle  Stimmen  so 
teilnehmen,  da6  wir  Viertel  auf  Viertel  schneidige  Ak- 
zente  hOren,  so  als  ob  Streich  auf  Streich  herniedersauste. 
Die  steigende  Kampfeshitze  malen  Streicherfigaren  wie 

Oder  es  tre- 
ten  wieder 
die    chroma- 

ti3ch  verworrenen  Unisono-G&nge  dazwischen,  die  sich  dem 
Streitmotiv  gleich  beim  ersten  Erscheinen  anschlossen: 


cresc 


An  einem  H5hepankt  dieser  Schilderung  erscheint 
das  Burg-  ^  ^   ^  ^    Das  sind  die  froh- 

motiv  in  ■fii\>i  f  f  P  f*  i  f*  f  i  fl  lockenden  Verteidi- 
folgender    ^^ "  <r~  I  "^       1^     ger:     der     An  griff 

Form:  ^^  ^  scheint    abgeschla- 

gen.  Da  stUrmen  —  und  wie  der  Anfang  des  Themas 
zu  schlieGen  erlaubt  —  vom  Moldautale  her  friscbe 
Scharen  an: 


Meoo  mosBO. 


Wie  das  langsamere Tempo  zeigt,  wird  der  Sturm  jet ztbeson- 

nener,  kr&ftiger,  wuchtiger  geffihrt  Die  Folge  hSren  wir  in: 

giariiigtten.  Das  ist  das  Burg- 

^\  f  I  fgTJ   I  f%^Fo°m  eiier  £ 
f  ""*=    =■  sen  Klage,  einer 

Wamung  gebracht.  Es  ist  die  Stimme  des  ahnenden, 
erschreckten  Hausgeistes.  Sie  spricht  zuweilen  sehr  dring- 
lich,  aus  offener  Gefahr  heraus;  aber  in  der  Hauptsache 
so  freundlich  bittend,  daB  man  aus  ihr  das  Lied  des 
Herolds,  der  den  Frieden  verkiindet,  h5ren  konnte,  wenn 
nicht  die  kriegerischen  Signale  der  Trompete  uns  uber- 
zeugten,  daB  der  Kampf  fortgeht.    So  treten  denn  auch 


540    ^- 

die  neaen  SchareD,  die  sich  unter  dem  Moldaumotiv  ge- 
sammelt  haben,  bald  zum  letzten  Sturm  an.  Kurz  darauf 
ersclieint  das  Yerteidigermotiv  wie  in  grdOter  Not,  in 
kurzen  Wiederholungen,  die  an  Hilfe-  und  Angstgeschrei 
gemahnen.  Daran  kniipft  sich  ein  Z&rQckgreifen  auf  den 
Anfang  des  Allegros!  Die  Motive  des  Streits  und  der 
Verwirrung  tauchen  in  potenzierter  Bedeutung  auf  und 
im  selbigen.  Augenblick  fallt  die  Entscheidung.  Der 
Klagegesang,  den  wir  vorhin  nur  wie  eine  leise,  ver- 
einzelte  Stimme  h5rten,  kommt  (beim  Pifi  mosso,  Cdur) 
fff  voxn  ganzen  Orchester.  Wir  sind  damit  in  den  drilten 
Teil  des  SlQcks  eingetreten.  Er  wird  zu  einer  leiden- 
schaftlichen ,  heiOen  Siegeshymne.  Aber  an  ihr  Ende 
reihen  sich  die  Sturmmotive  noch  einmal;  sie  haben  jetzt 
den  Charakter  von  Verwtinschungen.  klingen  &uBerst  hef- 
tig  und  stechend  und  fiihren  zu  einer  in  breiten  Noten 
und  auf  Tremolos  aufbauenden  Klage.  Das  bedeutet  den 
Fall  von  Vysehrad,  und  damit  schliefit  der  dritte  Teil.  Mit 
Pid  lento  setzt  der  Anhang  ein.  Er  zeigt  in  leisen  Ton- 
farben  wie  »in  der  Feme  lUngst  vergangner  Zeiten*  und 
wesentlich  verkiirzt  die  Bilder,  die  eben  lebendig  an  uns 
vorQbergezogen  sind.  Zunachst  kniipft  er  an  den  Klage- 
hymnus  an,  dessen  Motive  er  zwischen  Dur  und  Moll 
wechseln  und  schillern  l&6t,  dann  fUhrt  er  das  Burgmotiv 
in  der  ernst  elegischen  Fassung  vor,  in  der  es  die  Kom- 
position  erdfTnete.  Sehr  scli5n  fugt  nun  der  Komponist 
diesen  ruhigen  Betrachtungen  noch  einige  ZeUen  aus- 
gliihendem  Herzen  hinzu.  Die  Musik  wallt  auf  in  langen 
Trioleng&ngen  und  nimmt  noch  einmal  in  Schwung  und' 
Begeisterung  die  Bnrgmelodie  auf.  So  freut  sich  das 
neue  Geschlecht  der  herrlichen  Vergangenheit  seines 
Volkes  und  hofft.  Darauf  wird  es  still.  Leise  rauschen 
wieder  die  Wellen  der  Moldau,  wie  im  Traum  klingt 
nochmals  Rittermusik  und  Burgmotiv  an,  und  die  Harfe 
breitet  einen  Schleier  fiber  alle  die  Szenen  aus  Vergangen- 
heit und  Gegenwart. 

Wie  diese  Untersuchung  ergibt,  ist  die  ganze  Kom- 
position  nicht  bloB  sehr  klar,  sondern  auch  poetisch  reich 


— ^    541    4^ 

entwoi-fen  und  durchgefiihrt.  In  ihrem  xnusikalischen 
Wesen  spicgelt  sich  neben  dem  EiniluB  des  Volksliedes, 
den  der  Klagesang  am  deutlichsten  zeigt,  am  st&rksten 
der  von  Beethoven  wieder. 

Das  zweite  StOck  des  Zyklos,  »UItaya<  betitelt,  ist  F.  8metoiia, 
vor  alien  den  anderen  am  friihesten  und  weitesten  be-  Uitava. 
kannt  geworden,  obwohl  es  viel  weniger  Geist  enthftlt 
als  z.  B.  »Vysehrad«.  Es  verdankt  diesen  Vorzug  seinem 
heiter  romantischen  Charakter  und  der  leicht  verstftnd- 
lichen  Form,  in  der  es  seinen  Inhalt  entrollt.  Dieser 
besteht  aus  einer  Reihe  von  Bildern,  die  einfach  an- 
einander  gereiht  sind;  nur  einzelne  sind  durch  ein  ge- 
meinsames  musikalisches  Motiv  verbanden,  eine  munter 
dahingleitende  Sechzehntelfigur,  die  das  Spiel  der  Wellen 
in  &hn]icher  Weise,  wie  das  schon  seit  Jahrhunderten 
geschehen  ist,  veranschaulichen  will.  Denn  der  Gegen- 
stand  des  Programms  dieser  zweiten  sinfonischen  Dich- 
tuDg,  die  »Ultava€,  ist  die  Moldau,  der  Hauptstrom  des 
b5hmischen  Landes. 

>Zwei  Quellen  —  sagt  die  von  der  Verlagshandlung  ver- 
5ffentlichte  Inhaltsangabe  —  entspringen  im  Schatten  des  Boh- 
merwaldes  \  die  eine  warm  und  sprudelnd,  die  andere  kuhl  und 
nihig.  Die  lastig  in  dem  Gestein  dahinrauschenden  Wellen 
yereinigen  sich  und  erglinzen  in  den  Strahlen  der  Morgensonne. 
Der  schnell  dahineilende  Waldbach  wird  zum  Flusse  Uitava, 
welcker,  immer  welter  durch  Bohmens  Gaue  dahinfliefiend,  zu 
einem  gewaltigen  Strom  anwachst;  er  fliefit  durch  dichte  Wal- 
dungen,  in  deneu  das  frohliche  Treiben  einer  Jagd  immer  n&her 
horbar  wird  und  das  Waldhorn  erschallt,  er  flieOt  durch  wiesen- 
relche  Triften  und  Niederungen,  wo  unter  lustigen  Klingen  ein 
Uoch^eitsfest  mit  Gesang  und  Tanz  gefeiert  wird.  In  der  Nacht 
belustigen  sich  die  Wald-  und  Wassernymphen  beim  Mond- 
scheine  auf  den  gUnzenden  Wellen,  in  denen  sich  die  vielen 
Burgfesten  und  Schlosser  als  Zeugen  vergangener  Herrlichkeit 
des  Rittertums  und  des  geschwundenen  Kriegsruhms  vergange- 
ner  Zeiten  abspiegeln.  In  den  Johannisstromschnellen  braust 
der  Strom,  durch  die  Katarakte  sich  durch windend,  und  bahnt 
sich  mit  Gewalt,  mit  sch&umenden  Wellen  den  Weg  durch  die 


-*    642    «^ 

Felsenspalte  in  das  breite  Flufibett,  in  welchem  er  mit  maje- 
statischer  Rnhe  gegen  Prag  welter  dahlnfliefit,  bewiUkommt  vom 
altehrwdrdlgen  Yysehrad,  worauf  er  in  welter  Feme  den  Ang^n 
des  Dichters  entschwlndet « 

In  diesem  Program m  ist  zu  dem,  was  der  Komponist 
wirklicb  bietet,  einiges  hinzugedichtet.  Smetana  hat  in 
der  Partitur  selbst  fiber  seine  Absichten  knappe  Attskunft 
gegeben:  sobald  ein  neues  Tonbildchen  eintritt,  wird  es 
durch  eine  Oberschrift  vorgestellt  Der  erste  Abschnitt 
heiGt  darnach  »der  erste  Stromc,  damit  ist  gemeint:  der 
Aiifang  des  Stromes.    Folgendes  Thema 


Allegro  commodo  nbo  agitato. 


^^ 


I  J)  II  liegt  ihm  zn  Grande.  Mit 
sp&rlichen  und  kurzen  Td- 
nen  der  Harfe  and  der  Violine  begleitet,  tragen  es  zaerst  die 
beiden  F15ten  vor,  denen  sich  von  dem  Trugschlufi  auf 
G  dur  ab  die  Klarinetten  gesellen.  Ob  diese  beiden  Instni- 
mente  wirklicb  auf  die  Zweiheit  der  Moldauquellen,  die 
in  dem  angeflihrten  Programm  betont  wird,  Bezug  haben 
soUen,  kann  bezweifelt  werden.  Die  Tonfarben  der  beiden 
Holzbl&ser  scheiden  sich  doch  nicbtwiewarm  und  kait; 
auOerdem  hat  der  Komponist  ersichtlich  an  viel  mehr 
kleine  Wftsserchen  gedacht,  die  zum  Bach  und  zum  FIUB- 
chen  zusammenlaufen.  Es  raascht  in  vier  Blaserstinmen, 
die  Bratsche  murmelt  ihre  langeti  Triller  dazu,  es  mehrt 
sich  unermefilich,  als  das  Streichorchester  die  Wellen- 
motive  mit  aufnimmt.  Die  Wasserpoesie  Smetanas  hat 
nicht  den  traumerisch  ruhigen  Gharakter,  der  ans  an 
M.  V.  Schwinds  Melusinenbilder  fesselt.  Sie  n&hert  sich 
dem  mnsikalischen  Stil  von  Mendelssohns  Hebriden- 
ouverture,  unterscheidet  sich  aber  von  ihr  darch  die  viel 
munterere  Natur  der  Motive.  Sie  stellen  die  junge  Moldau 
als  ein  frisches  Gebirgskind  dar,  das  es  eilig  hat  Der 
kleine  FluO  gleitet  allm&hlich  etwas  gleichm&fiiger  dahin, 
und  dieser  Abschnitt  seiner  Entwickelung  wird  von  einer 


-^    543    «-- 

Melodie  dargestellt,  die,  wenn  sie  nicht  Volkslied  ware, 
zur  HUlfte  von  Mendelssohn  stammen  kdnnte: 


f   P  P  P  I  r  f    p   I  I?    I    Holzblfiser  ftthren  diese  Mol- 
-*s^=»-  ==*"  daumelodie,   die  bereits  in 

den  Sechzehntelmotiven  des  Anfangs  vorausklang,  mit  den 
ersten  Violin  en  ein,  in  den  anderen  Geigen  rauschen  die 
Wellenmotive  st&rker  und  mit  kr^ftigerezn  Anlauf.  In  den 
Hdmern  klingt  es  fr&hlingslustig  darein.  Mftchtiger  wird 
der  Schwung  dieses  Gesanges,  als  er  nach  Cdur  tritt:  er 
dchwillt  zum  ff  an  and  findet  —  als  trftte  er  in  die  voile 
Sonne  und  in  das  bluhende,  reiche  Land  hinaus  —  einen 
mgchtigen,  mit  seiner  Sch5nheit  ergreifenden  und  doch 
einfachen,  im  volkstiimlichen  Stil  bleibenden  AbschluO 
in  Edur.  MerkwUrdig,  wie  dieses  Dur  einschl&gt,  obwohl 
Smetana  das  gia  nur  streift  und  zum  g  zuriickkehrt. 
Dem  nUchsten  Abschnitt  hat  Smetana  die  Aufschrift 
»Waldjagd€  gegeben.  Da6  er  am  Strom  weiter  spielt, 
boren  wir  aus  den  Geigen,  in  denen  die  Wassermotive 
fortgefflhrt  werden.  Die  Blfiser  aber,  natQrlich  die 
H5rner  voran,  entwickeln  eine  neue  Musik  aus  Fanfaren. 
Das  neue  Bild  bringt  in  die  Komposition  ein  kr&ftiges 
Leben,  das  zu  der  vorhergegangenen  Wasserstimmung 
an  sich  schon  eine  Steigerung  bildet,  aber  durch  die 
Entwickelung  der  Jagthemen,  die  auf  folgendes  Motiv 
r-T— I       ^  zuriickgehen.  noch   vie 

•J      y  ♦♦  *  ♦*      *   *  ♦       Smetana  fuhrt  sie  m  den 
*^  scharfen  Wendungen  der 

Modulation  von  Periode  zu  Periode,  (von  Q  nach  Q^  nach 
F^  nach  E)^  die  uns  alien  aus  dem  ersten  Satz  von  Beet- 
hovehs  Pastorale  in  Erinnerung  sind.  Es  ist  das  wieder 
eine  Stelle,  die  den  b3hmischen  Komponisten  in  Beet- 
hoven tief  eingedrungen  und  von  seinem  inneren  Wesen 
gefOrdert  und  geleitet  zeigt.    Die  Jagdszene  verklingt  auf 


^^     544    ^- 

einem  langen  E  darakkord  wie  in  welter  Feme,  und  nuu 
komint  >die  Bauernhochzeit< ,  die  vielleicht  unter  den 
kleinen  Bildern,  aus  denen  »Ultava<  besteht,  am  meisten 
bestrickt.  Diese  Masik,  deren  Grandstoff  auf  den  vier 
Takten 


p^^^^^^^m 


U  tJ    U  ^ 


ruht,  kdnnte  unmittelbar  aus  einer  der  Opern  Smetanas 
genommen  sein.  Es  ist  eine  polkaartige  Tanzweise,  ein 
Stuck  Volksmasik,  wie  es  in  seiner  naiven  Anmut  und 
mit  dem  kleinen  Beisatz  von  Derbheit  bei  den  BGhmen 
allein  vorkommt.  LiebenswQrdigere  Kunst,  als  sie  in 
dieser  kleinen  Dorfszene  vorliegt,  gibt  es  nicht;  gem 
trftgt  man  so  ein  Stiickchen  fttr  alle  F&lle  mit  sich  durchs 
Leben.  Auch  dieser  Satz  verklingt  ganz  leise;  wieder 
schiebt  der  Komponist  eine  kleine  Leiste  ein,  und  da- 
hinter  ziebt  er  das  nScbste  Bild  auf  mit  der  Oberschrift 
»Mondschein,  Nympbenreigen*.  Es  ist  mit  der  Wasser- 
szene,  die  die  Komposition  einleitet,  nahe  verwandt,  wie 
es  denn  auch  am  SchluB  in  die  Moldaumelodie  auslftuft,  die 
die  zweite  H&lfte  jenes  Ab-  iji. 

scbnitts  bildet.    Bis  dahin 
entwickelt  sicb  die  Musik  auf - 
Grand   eines  Naturmotivs  sTfT 

das  bald  in  folgender  bestimmteren  thematischen  Form 

•  ■■^B  P'^^Fn  P^^  h  ^^^  ^^^  F15ten 
^^'1>M  jTp  iiii\Jrf  f^m  durcbgefahrt wird. 
^  '^ — ^  ■  ***i   (5    ■  Die  Klarinetten  be- 

gleiten  in  sanften  Triolen,  die  Violinen  bauchen  einen 
breiten  Gesang  in  die  zarte  Farbenstudie  hinein,  auch  die 
Harfe  macht  sich  mit  glfinzenden  Klangtropfen  bemerk- 
lich.  Soviet  das  Mondlicht  auch  wechselt:  immer  bleibt 
das  Spiel  unver&ndert  zierlich,  die  Bewegung  der  Nymphen 
fein  bis  zum  Unerkennbaren.  Die  Dynamik  des  ganzen 
Abschnilts  h&lt  sich  im  pp;  nur  an  einer  Stelle,  wo  die 


— ^    545    *^ 

Musik  nach  H  dur  tritt,  kommt  ein  crescendo,  das  dezent 
nach  einem  p  and  in  die  Wassermosik  des  ersten  Ab« 
schnitts  von  >Ultava<  znrftckfiihrt.  Schon  aus  dieser 
WenduDg  Iftfit  sich  vermuten,  daB  der  Komposition  die 
Rondofonn  zu  Grande  liegt  Das  Moldaulied  ist  ihr 
Hauptsatz,  die  anderen  Ideen  haben  die  Bedeutung  von 
Episoden,  Zwischensfttzen.  An  den  Abschlufi  des  Lieds 
reiht  sich  ein  neuer  Abschnitt,  den  Smetana  »St.  Johann- 
Stromschne]len«  iiberschrieben  hat  Die  Gewalt  des 
Wassers,  das  Toben,  Wii-  -^fy-^^^^^-j-  g  ^  r  i 
ten  des  ElemenU  ist  auf  ffl  H  J  J  J j'J  *  '  |[jW=^=* 
Grand    folgender    Motive         Jf  ■*-       -^    ^*^  ^^^ 

A    ^#Ez:^^i^g:niini       -  -~  veranschaulicht,  die 
"°^    ffl  HJjJj3.''  ^'    II  J^^  von  den  Geigen  bis 
jf-^^^^  ^  zu  den  Cellis  dorch 

das  Streichorchester  unaufhSrlich  erklingen.  Ruht  die  eine 
Stimme  auf  einer  Achtelpause,  rauschts  in  einer  anderen. 
Die  Kontrab&sse  spielen  mit  immer  gleichem  Eifer  wieder 

undwieder  h  .    -T^     ia'  ^^^^    ^®*   *^* 

die   wuch-  ^^^^^^J^  ^_r  I  f  pT~P  I  T     iMotiven   der 


tige   Figur  ~  Moldaumelo- 

die  gebildet,  die  auch  w&hrend  der  ganzen  wilden,  rea- 
listisch  aufregenden  Szene  in  leibhaftigen  Brachst^cken 
in  den  Bl&sern  anklingt  Auch  in  anderen  kurzen  Mo- 
tiven  und  sprechenden  KlS^ngen  &ufiert  sich  Hilfe-  und 
Angstgeschrei  und  verzweifelte  Verlegenheit.  Endlich 
(nach  einem  fff  des  vollen  Orchesters]  ist  die  b5se  Stelle 
flberwunden.  Ein  decrescendo  und  ein  crescendo  der 
Geigen  —  und  nach  wenigen  Takten  sind  wir  wieder 
beim  Hauptsatz  des  Rondos,  bei  der  Moldaumelodie^ 
die  im  glanzenden  Edur  mit  der  Oberschrift:  >Der 
breiteste  Strom  <  einsetzt  und  dr&ngend,  wie  zum  Aus- 
druck  freudigster  Erregung,  varriiert  wird.  Ihr  folgt 
als  der  letzte  Abschnitt,  als  SchiuG  der  Komposition 
ein  in  Edur  gehaltener,  zu  zwei  Drittein  auf  dem 
Akkord  der  Tonica  liegender  Satz,  der  das  Vysehrad- 
motiv  in  breiten  Rhythmen  zum  Thema  nimmt  und  in 
der  Art  der  Weberschen  JubelouvertUre  umspielt     Die 

Kretziclimar,  F&hrer.    I,  1.  36 


— ♦    546    4— 

Moldau  fliefit  ja  an  Prag  und  an  der  alten  Fflrstenborg 
Yorbei. 
F.  8m«UHA,  Wenn  die  dritte  Nmnmer  des  Zyklus,  »Sarka«,  wenig 

Sarka.  ^bekanDt  geworden  ist,  ja  es  noch  nicht  einmal  zu  einer 
gedruckten  Partitar  gebracht  hat,  so  liegt.der  Grand  in 
der  Komposition.  Sie  ist  wohl  d^amatisch  geplant,  aber 
sie  bleibt  zu  vorwiegend  hart  und  grausam,  und  was  die 
Hauptsache:  in  der  musikalischen  Erfindjing  ist  sie  mit 
Ausnahme  von  zwei  Stellen  nur  m&i3ig  gut  und  ohne 
die  Reize  der  Volkstamlichkeit.  Das  Programm  —  viel- 
leicht  aufgedrungen  —  scheint  Smetana  nicht  erw&rmt 
zu  haben. 

Sarka,  nach  deren  Namen  auch  ein  Tal  im  Norden  von  Prag 
benannt  ist,  war  eine  der  Anfubrerinnen  in  dem  langen  Krieg, 
den  die  bohmischen  Jungfrauen  unter  dem  Oberbefehl  der  von 
Earl  Egon  Ebert  besungnen  Wlasta  gegen  die  Manner  des  Landes 
fdhrten.  Der  Ritter  Ctlrad  flndet  sie  im  Walde  an  einen  Baum 
gebunden  und  158t,  die  List  nicht  merkend,  mitleidlg  der  Tod- 
feindin  die  Fesseln,  fiihrt  sie  in  sein  Lager  and  feiert  mit  den 
Oenossen  den  Liebesraub.  Als  aber  die  Ritterschar  trunken  in 
Schlaf  gefallen  ist,  mft  Sarka  die  Amazonen  herbei,  nnd  Ctlrad 
wlrd  mit  den  Seinen  nledergemacht 

Der  erste  Abschnitt  der  sinfonischen  Dichtung  scbil- 
dert  Krieg  und  Kftmpfe  auf  Grand  des  Themas: 

Allegro  con  ftiooo. 


jijr^i^  ^j\i 


IF^  If 


etc. 


sehr  energisch,  an  einer  Stelie  dramatisch  aufregend.  Es 
ist  da,  wo  den  Flufi  der  wilden  Trioleng&nge  pl5tzlich 
die     stok-^  r-, , —  .  =f    ^     .=>»—, 


kenden  ^    ^ 
Rhythmen''  5f  i       €        ^ 

unterbrechen.  Deuten  sie  auf  einen  ungeheuren  Ent- 
schlufi,  auf  das  Wagnis,  zu  dem  Sarka  bestimmt  wlrd? 
Noch  eine  andere  Stelie  f&Ut  durch  ihre  Weichbeit  aus 
dem  Ton  dieser  Amazonenmusik: 


547 


jifni  f '  ;ii    iijiiT|  I  7i  I  «t.. 


p 

Soil  ia  ihr  des  Weibes  eigentliches  Wesen  die  Amazonen* 
maske  durchbrechen?  Der  zweite  Abschnitt  ist  eine  Marsch- 
mnsik,  die  anf  d  as  f olgende  liebenswtkrdige  Thema  gestell  t  ist : 

^>l^der>to  Sildert 

rUTU  J  ^  (vi'  Jj  i  JJi  I  '      Smetana 

P  die    Rit- 

ter  als  gatmatige,  sorglose  Leute;  etwas  fester  treten 
sie    in    den    Blftsermotiven       ^  I    .   ,        -     »   - 

auf,  welche  mit  dieser  Gei-      ^ii  \  j    i   \  \  ^  h   i   \ 
genstelle     zusammengehen :  if      ^ 

Diese  Rittermasik ,  die  den  ersten  von  den  musikalisch 
glucklicheren  Abschnitten  in  »Sarka<  bildet,  erh&It  pl5tz- 
Hch  darch  eine  klagende  Melodie  der  Klarinette  einen 
Gegensatz.  Wir  baben  uns  darin  die  Stimroe  der  an  den 
Baum  hangenden  Sarka  za  denken.  Endlich  wird  sie  von 
den  Rittern  entdeckt.  Der  Marsch  pocbt  viermal  ff  und 
mit  Nonenakkorden  i— «  t  Dann  folgt  ein  Dialog  zwi* 
auf  dem  Rhytbmus  ••  •  •  schen  Klarinette  (Sarka)  und 
Cello  (Ctirad)  in  beweglichen  Rezitativen  und  ihm  der 
dritte  Abscbnitt.    Er  ist  ein  Adursatz,  fiber  das  Thema 

^Moderato  ma  con  calore.     ^  -■^..^^  gebildet, 

besszene  zu  denken  haben  und  der  am  SchluO  groOe  6e- 
fQhlsw&rme  entwickelt  Das  Gelage  der  Ritter  lOst  ihn  ab. 
Diese  Szene,  die  von  Hdmern,  Trompeten  und  Posaunen 
ziemlich  tumultuarisch  eingeleitet  und  in  ihrem  Charakter 
bezeichnet  wird,  ruht  musikalisch  wesentlich  auf  rhyth- 
mischer  Wirkung  und  erinnert  hierin,  sowie  in  der  Ge- 
staltung  ihres  Grundmotivs  sehr  lebhaft  an  eine  der 
besten  Szenen  in  Smetanas  »Ku6<.  Hier  ist  die  Figur 
Moderato.  die  mit  der 

^PU"   iLrTrirfflLfJL  denheit,  die 

«*«die  b5hmi- 

36* 


m 


-^    548    *^ 

sche  Volksmusik  auszeichnet,  aufpocht  und  aufschlftgt  Der 
eiDdringliche  Charakter  des  Motivs  an  sich  stellt  diesen 
Abschnitt  von  Sarka  unter  die  eindringlicheren  und  mu- 
sikalisch  wertvoUeren.  In  der  Ausfiihrung  bietet  er  nichts 
Bemerkensweries.  Ein  diminuendo  und  ein  pp  veran- 
schaulichen,  wie  die  Ritter  miide  werden  und  schlafen. 
Da  klingt  erst  laut,  dann  leise  ein  Hornruf:  die  Geigen 
malen  mit  tremolierenden  und  dissonierenden  Akkorden 
Erregung.  Wir  sind  in  den  Schlufiabschnitt  eingetreten. 
Die  Amazonenniusik  aus  dem  Anfang  der  Komposition 
kehrt  wieder,  zun&cbst  allerdings  nur  leise  und  z5gemd 
wie  aus  der  Seele  der  schwankend  gewordenen  Sarka 
beraus;  dann  aber  wilder  und  wilder,  zuletzt  wie  ein 
Siegesrauscb.  Als  es  zu  Ende  gebt,  versucben  sicb  die 
Gestalten  der  Ritter  nocb  einmal  in  rezitativartigen 
Bafistellen  zu  erbeben.  Aber  gnadenlos  fegt  der  wilde 
Sturm  uber  sie  dabin. 
F. SMetoBft,  Das   vierte   StQck   des   Zyklus,    »Aus   B5hmens 

Ana  BShmens  Hain  und  Flur<  (Z  oeskycb  luhuv  abdjuv),  nftbert  sich 
HalnnndFlur.  ^^  Qbarakter  etwas  der  Dicbtung  tiber  die  Moldau.  Es 
ist  eine  Naturscbilderung,  ein  musikaliscber  Spazier- 
gang  durch  das  gesegnete  Land  an  einem  scbdnen 
Sommertage.  Die  Komposition,  die  als  frei  variiertes 
Rondo  angelegt  ist,  zeigt  im  allgemeinen,  und  im  be- 
sondren  in  der  Umbildung  und  Ausnutzung  der  lei- 
tenden  Motive  grofie  Kunst.  Am  glQcklichsten  ist  sie  in 
den  Teilen,  wo  ausgesprocbnermaGen  Volksmusik  ange- 
stimmt  wird. 

fiber  den  Inbalt  der  ersten  Abscbnitte  dieser  sinfo- 
niscben  Dicbtung  bat  Smetana  selbst  sicb  dem  obenge- 
nannten  Zeleu}"  gegeniiber  ge&uOert*}.  Darnach  soil  der 
Eingang  den  mftcbtigen  Eindruck  darstellen,  der  den 
Wandrer  beim  Eintritt  in  die  Landscbaft  erfaBt.  Obne 
diese  Erklarung  wiirde  man  die  Musik  dieses  Einganga 
kaum  im  Sinne  des  Komponisten  versteben.  Sie  be- 
ginnt  mit: 

♦)  Wellek  a.  a.  0.  S.  60. 


549 


Molio  moderato.  j£52 

ih  mi)rJ?f  \fW^f7?t  ifP^'ii^J^ 


JO^g 


^Jj^  J  j  J^i  etc.  wie  die  UmdrehuDgen  eines  groDea 
^^_     ^*  I^ZJU*  M&hlrads,  von  dem  das  Wasser 

schallend  herabrieselt.  Sftmtliche 
Streichinstmmente,  die  Kontrab&sse  eingeschlossen,  sind 
in  dieser  Sechzehntelbewegang  begriffen,  ebenso  der  ganze 
Chor  der  Holzbl&ser,  die  Hdrner,  Posaunen  und  Trom- 
peten  geben  Glanz  und  Strahlen  drein.  Gedacht  hat  der 
Komponist  an  die  berauschende  Wirkang,  die  ein  grofies 
Landschaftsbild,  von  der  Sonne  beleachtet,  von  einem 
schOnen  Punkte  aus  erblickt,  auf  ein  empf&ngliches  Ge- 
m&t  Qben  kann.  Darum  wfthlt  seine  Musik  mit  soviel 
Klang,  so  nachdr&cklich  and  mit  der  Beharrlichkeit,  die 
Smetana  bei  Tonmalereien  hftafig  liebt,  auf  demselben 
kleinen  kreisenden  Motiv.  W&hrend  in  der  ersten  Halfte 
der  Satz  doch  noch  mit  den  Harmonien  wechselt,  die 
Lichter  vermindert  und  verstftrkt  —  einmal  bis  zu  einem 
Nonenakkord  auf  J.  — ,  liegt  in  dem  SchluOteil  der  Gmoll- 
Dreiklang  27  Takte  lang  fest,  von  fff  zum  pp  abschwel- 
lend.  Als  es  stille  geworden  ist,  erhebt  sich  endlich 
fiber  diesem  Farbenrausch  ein  Gedanke.  Die  Klarinetten 
haben  ihn  aus  dem  Sechzehntelmotiv  entwickelt  und 
sprechen  in  dem  Augenblick,  wo  das  Bild  entschwindet,  Be- 
hagen  und  Dankbarkeit  fiber  die  genossene  Schonheit  aus: 

'  ■"     ^^1     I  ii  I  I  I  I  I  I  1 1  ij 


Ober  den  an  diesen  kurzen  gemiitvollen  Gesang  sich 
unmittelbar  anschlieBenden  zweiten  Abschnitt  in  Gdur 
hat  Smetana  bemerkt:  er  gleiche  dem  Spaziergang  eines 
naiven  DorfmMchens.    Sein  Them  a 


550 


fhfQ-^  iiiCJf 


16st  den  letzten  Druck,  den  die  palhetische  Pracht  des 
Eingangs  in  der  Seele  des  H5rers  etwa  zuriickgelassen 
hat.  Zu  der  kindlichen  Frohlichkeit,  die  mit  ihm  in  der 
Otoe  laut  wird,  tragen  die  F15ten  Elemente  der  Ausge- 
lassenheit  hinzu.  Sie  kontrapunktieren  das  htlbsche 
Sommerliedchen  mit  Figuren,  die  aus  den  Moliven  des 
ersten  Abschnitts  geformt  sind.  Da  das  Sommerliedchen 
selbst  aus  der  gleichen  Quelle  hervorgegangen  ist,  stehen 
wir  also  an  dieser  Stelle  vor  einem  Beweis  von  Sloflfbe- 
herrschung  und  einheitlicher  Gedankenkraft,  der  dem 
Komponisten  Ehre  genug  machl.  Auch  dieses  zweite 
Bild  versinkt  langsam  und  wird,  wie  es  Smetana  in  die* 
sen  sinfonischen  Dichlungen  so  hftufig  tut,  durch  eine 
Pause,  also  sehr  scharf  und  mit  dieutlichster  Benach* 
richtigung  des  Zuh5rers  von  dem  folgenden  getrennt. 
Dieser  folgende  dritte  Abschniti  der  Komposition  ist  ein 
Fugato  fiber  das  Thema 


Alle^o  poco  vivo 


f^-^f*r?$rr 


Es  steigt  von  dem  hier  angegebenen  Ende  immer  noch 
hdher,  erinnert  damit  an  eine  Stelle  im  Wagners  > Sieg- 
fried*, wo  die  Violine  ebenfalls  in  die  letzten  Lagen 
klettert  und  zwar  in  dem  Augenblick,  wo  der  Held  sich 
zur  Ausschau  auf  den  Briinhildenfelsen  begibt.  Smetana 
hat  hier  andre  malerische  Absichten.  Die  Szene  soil  an 
die  Mittagszeit,  an  die  Stunde  erinnem,  wo  die  Sonne  am 
hochsten  steht,  wo  Pan  schlaft.  Daher  die  hohen  Kl&nge, 
das  Glitzern  und  Trillern,  die  wirre  Beweglichkeit,  mit  der 
ab  und  zu  eine  Totenstille  tauscht.  Da6  es  des  Tonsetzers 
Absicht  war,  einzelne  Ztige  aus  dem  eigentumlichen  Leben, 
das  die  Natur  um  Sommermittagszeit  fUhrt,  in  das  Bild 
hineinzubringen,  hat  er  selbst  mitgeteilt:  mit  dem  Motiv 


^ 


— ♦    551    *— 

sollte  das  Zwitschern  der  V6gel 
^^  dargestellt  werden.  Aus  dem 
■^^  Zwitschermotiv  und  seinen  Um» 
bilduDgen,  aus  dem  Fugatothema  oder  Bruchstiicken  von 
ihm  windet  das  Streichorchester  noch  lange  mannig- 
fache  and  verschlungne  Gewinde,  w&hrend  die  Bl&ser, 
voran  Klarioetten  und  H5rner,  l&ngst  zu  einem  neuen 
Thema  Qbergegangen  sind,  das  nach  Form  und  Gha« 
rakter  in  den  bdhmischen  Choralschatz  passen  wtkrde 
und  unter  dessen  Klfingen  man  sich  gut  eine  fromm  da- 
hinscbreitende  Wallfabrerschar  denken  kann.  Es  kommt 
erst  in  Fdur,  dann  in  Desdur.  Dazwischen  liegt  eine 
neue  S<^icht  des  Fugato,  das  auch  weiterhin  fortspielt, 
w&brend  der  Choral  schweigt,  bis  er  endlich  vom  vollen 
Orchester  in  A  dur  aufgenommen  wird  und  mftchtig  und 
glftnzend  wie  im  Krdnungszug  daherbraust.  Kaum  lAfit 
sich  der  Gedank£  abweisen,  dafi  Smetana  mit  diesem 
Tonbild  dem  frommen  kircblichen  Sinn  seiner  Landsleute 
hat  ein  Denkmal  setzen  woilen.  D&Q  das  Thema  auch 
im  weitren  Verlauf  der  Komposition  wiederkehrt,  bezeugt 
seine  poetische  Bedeutung.  In  dem  Adur-Satz  jedoch, 
den  es  so  glfinzend  beherrscht,  wird  es  j  Ablings  durch 
einen  Ausbruch  unbekQmmertster  Lebenslust  unterbrochen : 

Allegro  asBal.  Polka.  _  ^r   SCtzt  einmal, 

i  \  "Lcl  LQ  iii"Lia  eg  I  sStrx 

•^  -      —        der   ein;   jedes- 

mal  dr&ngt  sich  die  fkbermutige  Tanzweise  wieder  da-> 
zwiscben.  Sie  behauptet  auch  den  Platz,  und  nun 
entwirft  Smetana  auf  Grund  dieses  Themas  und  in  der 
Form  einer  wuchtigen  und  doch  beweglichen  bdhmischen 
Polka  eine  jener  Schilderungen  herzhafter  Weltlust,  die 
er  als  Sohn  seiner  Heimat  stark  liebt  und  mit  gr5Gter 
Meisterschaft  beherrscht.  So  verwegen  diese  Tanzszene  un- 
mittelbar  in  die  frommen  und  kircblichen  Rlfinge  herein- 
bricht,  so  sch5n  und  sinnig  ist  sie  ,  /^  _^7^ 
durchgemhrt.  In  der  Mitte  steht  rJB^'Jfe  f '  Pif' Bl  MB  I 
eine  Idylle,  die  von  dem  Thema  ^       />— ==  zs'^J^JL-' 


-^    552    *^ 

getragen  wird.  Auch  diese  rnhige  Weise  ist  von  dem 
Sechzehntelmoiiv  abgeleitet,  das  den  Grandstock  der 
Eingangsmusik  der  Nummer  bildet.  Ebenso  ist  aber  mit 
diesem  Motiv  das  Polkathema  verwandt,  das  w&hrend 
der  Idylle  immer  leise  weiterspielt  Wir  haben  es  hier 
also  mil  demselben  Fall  kunstvoller  Arbeit  zu  tun,  der 
uns  bei  dem  Gdar-Abscbnitt  im  ersten  Tell  unsrer  Num- 
mer entgegentrat.  Das  Thema  der  Idylle  wird  nun  die 
Hauptfigur  der  Komposition,  die  Bilder,  die  sich  darum 
entwickeln,  sind  ihre  Haupts&tze.  In  der  Fortsetzung  der 
Tanzszene  kommt  es  zunftchst  nochin  einem  Gdur-Satze 
vom  Polkathema  begleitet,  dann  aber  in  einem  zweiten 
Gdur-Satze  (Piii  mosso)  selbst&ndig  und  im  Charakter 
etwas  verwandelt :  heiBblUtiger.  Da  unterbricht  der  Wall- 
fahrtsgesang  noch  einmal  leise  und  in  fremder  Tonart 
(As  dur)  ohne  weitren  EinfluB.  Eine  rauschende  Coda  bildet 
den  Schlufi  und  gibt  Gefuhle  der  Freude  kund.  Ibre  Motive 
nimmt  sie  aus  kurzen  Anklftngen  an  das  Eingangsmotiv; 
ganz  zuletzt  kommt  es  in  einer  grandiosen  Umbildang 

^  Presto.  ^^_^        >.>.>.  .       ^^      >. 

noch  einmal  gewissermafien  in  eine  lapidare  Formel  die 
Eindrucke  des  Tages  zusammenfassend. 
F.  Budtuift,  Die  fiinfte  Nummer  von  Smetanas  bbhmischen  Na- 
Tabor.  tionalfantasien,  > Tabor*,  ist  wieder  wie  Vysehrad  und 
Sarka  ein  musikaliscbes  GeschichtsgemUlde;  es  h&ngt  als 
solches  eng  mit  dem  folgenden  Stiick,  mit  »Blanick«  zu- 
sammen.  Beide  sind  sehr  charaktervolle  Kompositionen 
und  kehren  den  Ausdruck  der  trotzigen  Kraft  hervor. 

Jedermann  weifi  von  den  Taboriten,  von  Tabor,  von 
ihrem  Ziska  und  von  ihrem  Trutz-  und  Kampflied,  dem 
Choral:  »Die  Ihr  seid  die  K&mpfer  Gottes*  (»Kdoi  jste 
Boie  bojovnici*},  der  fdr  die  Hussitenkriege  eine  fthnliche 
Bedeutung  hat,  wie  fdr  die  Reformation  Luthers  >Ein' 
feste  Burg  ist  unser  Gottc. 

Smetana  gibt  in  seiner  Komposition  ein  Bild  aus  der 
hussitischen  Bewegung,  und  er  tut  das  in  der  Form  einer 


-^    563    4— 

ChoralbearbeituDg,  die  nicht  in  alien  Teilen  gleich  wert- 
voU,  doch  nirgends  die  Wflrde  und  den  ktlnstlerischen 
Ernst  vermissen  I&6t  und  an  einzelnen  Stellen  sich  zn 
einer  auBerordentlichen  HQhe  des  Ausdrocks  nnd  der 
Wirkung  erhebt.  Die  Choralbearbeitang  hat  nicht  etwa 
die  strenge  Forra,  die  wir  von  ftltern  Orgelmeistern  ge- 
w5hnt  sind,  sondern  sie  ist  niehr  als  eine  freie  und  ela- 
stische  Fantasie  gehalten,  bei  der  der  Choral  nur  an  wich- 
tigen  Punkten  in  seiner  vollen  Gestalt  erscheint,  an  an- 
dren  nur  mit  einzelnen  Gliedern  benutzt  wird.  Im  ersten 
Abscbnitt  (Lento,  '/s)  Dmoll)  schildert  der  Koroponist, 
wie  sich  die  Bewegung  im  Lande  vorbereitet  und  ent- 
wickelt.  Ein  langer  Orgelpunkt  auf  tiefem  D,  chromatische 
Motive  in  tiefen  613.sern  deuten  auf  G&hren  und  heimliche, 
dustre  Unruhe  in  den  GemUtern.  a,  . 
Drohend  klingt  dazu  aus  den  H6r-  (fc^B  J  J  J  J^^ 
nerndasAnfangsmotiv  des  Chorals 

und sein kraft-    ^lh"        i  T  ^  wandert durch das 

vollstes  fana-  ^^^  J  ^  ^  J  ^  •  ganze  Orchester, 
tisches  Glied :  UT  wie  ein  Signal  der 

EnipOrung,  das  von  Ort  zu  Ort  durchs  Land  geht,  die  Geister 
in  Bewegung  zu  setzen,  die  Scharen  zu  sammeln.  Auch 
die  weibliche  Stimme  der  Milde,  des  Gebets,  der  Glaubens- 
zuversicht  IfiGt  sich  dazwischen  hinein  vemehmen: 

Aber  sie  entfacht  nur  den  endlichen  Ausbruch  des  Sturms, 
der  sich  in  Skalenfiguren  ftuGert,  die  hoheitsvoll  durch 
zwei  Oktaven  schreiten  und  uns  zu  dem  Punkte  fOhren, 
wo  der  Bund  der  Genossen  auf  Tod  und  Krieg  geschlos- 
sen  und  zum  ersten  Mai  das  Trutzlied  angestimmt  wird. 

^    Lento,  o  s  46^,,—^ _^. 

r^p  r  I  »hA  *  I  __  M .11  ^8  ^8*  "^^  ^^®  ®^^®  Haifte 

i^j  '  r^C'  I"  fz^'   ^o^  ^^^^  ^^^  ^^^^  i^  ^^^ 

«/:s      ^  *  g|jj^  Vorder*  nnd  Nachsatz 


-^    664    4— 

dramatisch  getrennt.  Abermals  kommt  die  veiche  Ge- 
betsmelodie  —  die  stftDdig  in  den  Holzblftsem  liegt  — 
dazwischen,  ihr  folgt  die  Fortsetzung  und  der  AbschluB 
des  Chorals  mit 


i 


Nan  gibt  Smetana  in  einer  Reihe  von  lebhaften 
S&tzen,  die  alle  ein  Molto  vivace  vorgeschrieben  und  als 
thematische  Hauptunterlage  das  aus  dem  dritten  and 
vierten  Takte  des  letzten  Beispiels  bestehende  Motiv  ha- 
ben  and  in  ein  Piii  niosso  auslaafen,  das  Bild  eines  im 
K&mpfen  aufgehenden  starken,  gewaltigen  Geschlecfats. 
Der  Kampf  wird  in  vielen  Wendungen  vorgefiihrt:  etwas 
kleinlaut  beginnt  er,  nimmt  aber  bald  den  Charakter  ent- 
schiedner,  riicksichtsloser  Entschlossenheit  an.  In  den 
Bl&sern  stehen  gewissermajBen  die  Taten,  in  den  Violinen 
die  Stimmungen :  die  Erregung,  das  Treiben  and  SchQren. 
Der  Kampf  hat  seine  stQrmischen  and  hitzigen,  seine  ver- 
wickelten,  aach  seine  miiden  and  verlegnen  Aagenblicke, 
Iftngre  Zeiten  der  Gefahr  und  des  Unter^ticktseins,  wo  die 
Instrumente nur auf Rhythmenleise  ^^ 
stShnenundstammeln.  DerWilleist  <C^  j  I  J  j  j= 
nicht  gebrochen,  das  Terzenmotiv: 
h5rt  nicht  auf  anzufeuern,  und  im  Piu  mosso  kommt  es 
zu  einem  neuen  and  letzten  Ansturm  von  furchtbarer 
Grewalt  mit  frischen  endlosen  Scharen.  Seinen  Erfolg 
erz&hlt  das  Lento  maestoso  (^/s),  in  dem  der  Choral  als 
heiGes  Dankgebet  im  Jubelrausch  zum  Himmel  klingt. 
Ein  schliefiendes  Pi{i  animato  fUgt  nochmals  drohend.und 
in  finstrer  Kraft  das  Glaubensbekenntnis  daran,  wirft 
einen  Rtkckblick  auf  das  Vollbrachte,  in  dem  wohl  still 
auch  der  geopferten  Genossen  gedacht  ist.  Dann  sprechen 
die  FQhrer  aus  dem  Munde  der  B&sse  noch  ein  stolzes 
und  rQhmendes,  anfeuerndes  Wort,  und  herrisch,  zuver- 
sichtlich  und  begeistert  antworten  die  Scharen. 

In   ihrer  harten,  gedrungcnen  Kraft  erinnert   diese 
Komposition  Qber  den  Taboritenchoral  an  altes  R5mer- 


— ^    655    ♦^ 

Yolk  und  Nibelangenlied;  aus  der  gleichzeitigen  Musik 
w&re  ihr  auBer  R.  Wagners  >Walkiirenritt«  allenfalls  noch 
die  eine  oder  andre  Stelle  aus  R.  Volkmanns  DmoU-Sin- 
fonie  an  die  Seite  zu  stellen.  Uuter  den  Dichtern,  die 
mit  Smetana  lebten,  findei  sich  eine  verwandte  Natur 
in  Fr.  Hebbel,  unter  den  bildenden  KQnstlern  keine. 

»Blanick<,  die  letzte,  sechste  Nummer  des  Zyklus,  F.  SMdtuifty 
▼erbindet  die  zweite  Folge  der  vaterlsLndischen  Tondich-  Bl*nick 
tungen  Smetanas  mit  der  ersten  poetise^  und  musika- 
lisch.  Es  verschmilzt  schliefilich  die  Motive  der  Taboriten 
und  der  alten  b5hinischen  Furstenburg,  und  es  ist  auch 
in  seiner  dichterischen  Bedeutung  das  Gegenbild  zu 
Vysehrad:  es  umschlieOt  ebenfalls  versUnkne  oder  schlum- 
mernde  Herrlichkeit  und  GrOOe,  es  ist  die  St&tte  stolzer 
nationaler  Erinnerungen.  Blanick  heiGt  ein  bei  Tabor 
gelegner  Berg,  der  dem  Salzburger  Untersberg  oder  dem 
KyflhSuser  der  Deutschen  ungef&hr  entspricht.  Hierher 
zogen  sich  einst  die  Helden  der  Hussitenkriege  zurQck 
und  warten  der  Zeit,  da  die  TrUume  von  der  Wenzels- 
krone  in  Erfiillung  gehen,  wie  Barbarossa  gewartet  hat. 

Smetana  empf&ngt  uns  in  seiner  Komposition  mit 
einem  Allegro  moderato  (3/2,  D  moll),  in  dessen  ersten  Tak- 
ten  der  Kampfchoral  in  aller  Herbheit  nochmals  anklingt, 
das  aber  bald  zu  einer  freudigeren  und  heiteren  Schil- 
derung  jener  kraftvollen  Hussitenzeit  Ubergeht.  Es  klingt 
darin  wie  von  flotten  Reiterscharen,  und  das  Taboriten- 
motiv  tdnt,  aller  seiner  Schrecken  entkleidet,  frisch  und 
freundlich  dazwischeu;  Nur  am  Ende,  das  Smetana,  wie 
so  oft,  etwas  lange  hinausschiebt,  wird  der  Ton  etwas 
d&ster.  Das  Thema,  welches  diesem  ersten  Teil  von 
» Blanick*  zu  Grande  liegt 

Allegro  nocUtrato.  J=72 

^^jNjjjjijjj.  iiiii.'iijjji'Hiijr  II 

steht  mit  der  Originalfassung  der  ersten  Strophe  des 
Taboritenchorals  im  Zusammenhang.  Smetana  liebt  es, 
die  einzelnen   Gruppen  in   seinen  Tongemftlden  scharf 


— 1^    656    ♦^ 

abzugrenzen  und  zu  fiondern.  So  l&fit  er  auch  das 
Bildchen,  das  er  hier  von  dem  Lebensabend  der  alten 
Taborhelden  entworfen  hat,  im  Dunkel  verschwinden,  ehe 

er    Weiter    geht.      Die  Audante  non  troppg.  _.jg=^ 

zweile  Szene  beginnt  j3l..  *  dk-"^3n>il  i  ■TTiP  i 
(Andante  non  troppo)    w^"         j-,-^  'fe*       KJUjl  ' 

mit  folgenden  Takten  "^  T   V  J^^         V^ 

sehnsnchtsvoli  und  elegisch.  Es  ist  als  wenn  ein  Wanderer 
an  den  Berg  herantretend  im  patriotischen  Schmerz  der  alten 
groBen  Zeiten  seines  Landes  und  ihrer  M&nner  ged&chte. 
Schnell  aber  verscbeucht  die  Gegenwart  alle  Beklemmung: 
er  findet  am  Berg  ein  Idyll:  Herden  und  Hirten,  die  sich  im 
Tonspiel  erg5tzen:  Smetana  l&fit  uns  einen  Kanon  hdren, 
der  zun&chst  zwischen  Oboe  und  Horn,  sp&ter  zwischen 
Oboe  und  Klarinette  Iftuft  und  folgendermafien  beginnt: 

piii  anegro.  J  =  76  ^eiue    immer 

^•^"^^;L    ^~v    ^^^      ,^  muntrer   wer- 

jgHiT   I  r  1   r  Fir   r  f'P  iT  r  r  M  ^enden  Melo- 
^^      doice^*^  ^s*'  dien  begleiten 

erst   lediglich  Blasinstrumente ,   dann    legen   ihnen   die 

Geigen  tr&umerisch  einen  langen,  leisen  F  durakkord  unter. 

Aus  diesem  Frieden  reiOt  ein  Piii  mosso.    Wir  sind  auf 

den  Abschnitt  in  gewohnter  Weise  allerdings  etwas  vor* 

bereitet  worden  durch  ein  diminuendo.    Nun  fangen  die 

Geigen  an  zu  tremolieren,  dann  heftige  Figuren  auszu- 

stofien;  in  Vorhalten,  in  Dissonanzen,  in  fassungslosen 

Rhythmen  spricht  sich  h5chste  Aufregung  aus,  und  nach 

dem  gewaltigen  Aplauf  setzt  nun  der  neue  Hauptsatz  mit: 

MeDo  mosso.  J  =  65 


ein.  Er  gibt  ein  Bild  des  Irrens  und  der  Ratlosig- 
keit,  die  auf  Augenblicke  in  Verzweiflung  Qbergehen 
will.  Schon  bald  erheben  sich  dagegen  Regungen  der 
Zuversicht;    in    H5rnern    und    Klarinetten    hdren    wir 


567    ^- 


Endlich  dringt  die 
freundliche,  zuYer- 
sichtliche      SchlaO- 

zeile  des  Taboritenchorals  durcb,  und  von  seinem  Ende 

wird  ein  Marsch 

jj!i-jjlJJJj'3NJJj3lJJ^J  J"^^ 

abgeleitet  und  mit  ihm  verbunden,  der  die  Erinnerung  zu 
den  alten  Helden  zariickfflhrt,  die  im  Berge  schlummern, 
und  ibr  kr&ftiges  Wesen,  &hnlich  wie  der  Anfang  der 
Komposition,  das  Allegro  moderato,  aufleben  ]&(3t  Und 
bald  ist  es  ancb,  als  wenn  sie  leibhaftig  wieder  dastftnden. 
Mit  dem  Grandioso  (Ddar)  kehren  wir  in  den  gl&nzendsten 
Teil  der  fiinften  Nummer  des  Zyklas,  in  das  Tongemftlde 
iiber  »Tabor<,  zurUck.  Noch  einmal  wird  die  Stimmnng 
wieder  etwas  trube:  es  tritt  wieder  Dmoll  und  eine  Durch* 
fuhrung  des  in  der  Stimmung  etwas  zwiesp&Itigen  Motivs, 


ein.  Wieder  wird  sie  durch  das  Cboralthema  ftberwunden. 
Das  Grandioso  kehrt  zuriick  und  fiibrt  zu  einem  Larga- 
mento  maestoso  (D  dur,  ^/z)  und  zum  Burgmotiv  aus  Vy- 
sebrad.  So  reicben  sicb  Ende  und  Anfang  des  Zyklus 
die  Hand.  Der  Tondicbter  schlieGt  mit  der  begeisterten 
Mabnung  an  seine  Landsleute,  der  groGen  Zeiten  ibrer 
Gescbicbte,  der  Zeiten  von  Vysebrad  und  Tabor  immer 
zu  gedenken. 

Die  vaterl&ndiscben  Kompositionen  Sroetanas  haben 
fQr  Anton  Dvofak,  das  reicbste  bObmiscbe  Musiktalent, 
den  Weg  gebabnt,  sie  baben  ibm  die  Anregung  zu  seinen 
»SlaviscbenT&nzen«  gegeben,  fQr  seine  >Slaviscben  Rbap- 
sodienc  aucb  die  Form.  Von  der  intemationalen  Stromung 
der  gegenw&rtigen  Musik,  oder  besser  gesagt,  von  dem 
immer  noch  fortwirkenden  gewaltigen  Geist  des  acht* 
zebnten  Jabrbnnderts  ergriffen,  ist  Dvofak  jedoch  bald 
von  den  Exakten  zu  den  Pbilosopben  ubergelaufen,  ist 


558 


unter  die  Sinfoniker  gegaDgen,  hat  unter  den  neuen 
Veriretern  der  Beethovenschen  Methode  sich  hente  einen 
ersten  Platz  errangen  und  dabei  in  seinen  Sinfonien,  so 
gut  es  ging,  immer  noch  fiir  bdhmisches  Wesen  and 
bShmiscbe  Musik  Zeugnis  abgelegt  und  gewirkt. 
A.DTolFftk,  Der  ausgesprochen  nationale  Satz  in  seiner  ersten, 

D  dar-Sinfonie.  seiner  D  dur-Sinfonie  (op.  GO)  ist  das  Scherzo.  Es  unter- 
scheidet  sich  in  Form  und  Gharakter  kaum  von  den  be- 
kannten  und  bedeutenden  »Slavischen  Tftnzen<  dieses 
Komponisten  und  soil  wohl  auch  durch  den  tiberschrie- 
benen  Titel:  >Furiant<  dieser  Gattung  zugewiesen  wer- 
den.  Ein  wildes  Blut  rollt  in  diesem  Satze;  zu  der  Frische, 
mit  welcher  sein  Hauptthema  hereinsturzt,  gesellt  sich 
auch  ein  querkdpfiges  Element,  eine  eigensinnige  Aus* 
gelassenheit,  die  in  einem  aus  Beethovens  vierter  Sin- 
fonie  bekannten  Wechsel  von  Zweiviertel-  und  Dreiviertel* 
takt  und  in  den  dissonierenden  Vorhaltsnoten  deutlich 
zum  Ausdruck  gelangt: 


Presto 


y^     »-N        i    ."--s,  X — ^         Der  Hauptsatz  ist  nur 

■  P  »V  Pt  p    t!f  ^  I'   fjf  f  I      sehr  kurz,   der  Mittel- 

^  ctfl.  satz  dagegen  im  Beet* 

hovenschen  Stile  breit  ausgefuhrt  und  mit  einem  neuen 

Thema  bereichert.    Es  ist  folgendes: 


Crete. 


Das  hier  mit  h)  bezeichnete  Schlufiglied  ist  dasjenige, 
welches  in  der  jetzt  beginnenden  Durchfflhrung  beider 
Themen  bevorzugt  wird.  Die  im  Anfangsteile  der  neuen 
Melodie  liegenden  weicheren  Elemente  bleiben  im  Hinter- 
grunde.  Das  Trio  dieses  Scherzo  entwickelt  sich  in  seinem 


-^    559    ^- 

ersten  Telle  ziemlich  z5gernd:  Sein  Tbema  bant  sich  stQck- 
.weise  auf  and  schliefit  fragend  und  unentschieden: 

Ob 


Der  Klang  des  Piccolo  bring!  darin  das  national  slaviscbe 
Element  sehr  drastlsch  zur  Geltung.  Von  der  zweiten 
H&lfte  des  ersten  Teils  und  durch  den  anderen  Teil  des 
Trios  regt  sichs  dann  frenndlicher:  durch  die  Bl&ser  und 
die  Ceili  streifen  ruhige  GS,nge,  die  nach  Melodie  zu 
suchen  scheinen.  Einen  ausgesprochenen  wirklichen  Ge- 
sangton  yenneidet  der  Komponist,  der  in  seinem  Scherzo 
weniger  einen  heiteren  Satz,  als  ein  musikalisches  Cha- 
rakterbild  geben  wollte:  das  Gem3.1de  einer  mit  unwirschen 
Elementen  k&mpfenden  FrOhlichkeit.  Das  Scherzo  ist  in 
der  Form  der  einfachste  und  tibersichtlichste  Satz  der 
Dvoi^akschen  Sinfonie.  Die  anderen  S&tze  stellen  in  be- 
treff  der  Gedankenentwicklung  und  der  durch  sie  bedingten 
Form  dem  Zuhorer  durchschnittlich  schwere  Aufgaben, 
und  es  scheint  uns  durchaus  nicht  ein  blofier  Zufall  zu 
seiuy  wenn  das  Publikum  dieser  Sinfonie  etwas  kfihl 
gegenUbersteht.  Namentlich  durch  den  ersten  Satz  und 
durch  das  Finale  geht  ein  unsteter  Zug.  Die  Phantasie 
hat  die  Menge  der  Gesichte  nicht  bew&ltigt;  die  Ideen 
durchkreuzen  und  verdr&ngen  einander,  die  Episoden  ver- 
gewaltigen  die  Hauptgedanken,  und  die  ganze  Darstellung 
macht  das  Folgen  und  Verstehen  zu  einer  harten  Arbeit 
Der  erste  Satz  hat  in  seiner  Themengruppe  nicbt  weni- 
ger als  sechs  verschiedene  Ideen,  welche  urn  die  Ffthrung 
ringen.     Die  .>  AUe^ro.  ^ — ^      ^ ^ 

wichtigsten  ^ ji !t  J  \r  pf  I rn  I r  c.^^^ 

davon    sind :  ^  -  f^==^  ' 

Diese  vier  Takte  bilden  die  yordere  H&lfte  des  Haupt- 
thema,  dessen  ersten  AbschluG  bereits  bedeutend  hinaus- 
geschoben  wird.  Nach  einer  etwas  stiirmischen  Unter- 
brechung  im  beschleunigten  Tempo  kehrt  das  Thema 
im  gl&nzenden  Forteklang,  aber  nur  auf  einen  fliUchti- 


560 


gen  Augenblick  zariick.  Vor  dem  Eintritt  des  zweiten 
Thema  passieren  wir  noch  eine  Reihe  von  Nebenmo- 
tiven,  aus  denen  das  folgende  als  das  fQr  die  Satzent- 
wicklang  wich- 
tigste  hervor- : 
zuheben  ist :  ^»^  pisu 
Das  zweite  Thema  (in  Hdur  gestellt)  gelangt  zu  keiner 
Bedeutnng,  dagegen  nimmt  der  ihm  folgende  Nachsatz: 


i}i^\\^t\\\\^U  I'f  rlclfMl'i  Mu'i  I J 'I  I 


im  Ideenkreise  des  Allegro  eine  hervorragende  Stellung 
ein.  Der  ganze  Satz  gewSlhrt  das  Bild  einer  urn  freund- 
ilche  Ziele  k&mpfenden  Stimmung  and  enth&lt  in  seinen 
heiteren  Partien  eine  Menge  liebenswurdiger  Ziige,  bliih- 
ende  musikalische  Einfalle  pastoralen  und  idyllischen 
Charakters.  In  ihnen  ist  ein  leichter  Einflafi  Schuberts 
zu  bemerken,  w&hrend  fiir  die  pathetischen  Exknrse,  die 
den  weniger  gelangenen  Teil  des  Satzes  bilden,  Beethoven 
und  noch  mehr  Brahms  augenscheinlich  zum  Muster  ge- 
dient  haben. 

Das  Adagio  (Bdur,  ^j^  wird  von  folgendem  Haupt- 
gedanken  beherrscht: 


Adarlo 


s^^ 


Als  zweites  Thema  folgt  ihm  ein  schw&rmerisch  zslrt- 
licher  Gesang: 


viol 


Ceai 


I    I  i^J  Jm  J  -  f  Bl  JF   ^^'ssen  Einfuhrung    durch    eine 
■J    I  Ji^      -■'  I  4  I J  f  ^j^^    kurze  selbst&ndicre  Enisode.  von 


kurze  selbstHndige  Episode,  von 
freudigem  Aufschwung  beherrscht,  wunderschGn  ver- 
mittelt  wird.  Der  ganze  Plan  des  Satzes  ist  noch  leicht 
zu  Ubersehen:  Nach  dem  Abschlufi  des  Seitenthemas 
repetiert  die  Iktuptmelodie,  und  die  eben  erw&hnte  Epi- 


--^    561     «^ 

sode  leitet  zu  einer  kurzen  Durchfuhrung  iiber.  Letztere 
setzt  mil  leidenschaftlicher  Bewegnng  ein,  geht  aber  sehr 
bald  in  den  milden  tr&omerischen  Ton  iiber,  der  dem 
ganzen  Adagio  seinen  Cbarakter  gibt.  Aucb  durch  seine 
melodiscben  uud  modnlatorischen  Wendungen  erweist  es 
die  Verwandtschaft  mil  dem  langsamen  Satze  yon  Beet- 
hovens  Neunter.  Im  Finale  seiner  Sinfonie  steht  Dvoi^ak 
wieder  auf  dem  Boden,  auf  welchem  seine  dichterische 
Kraft  das  Eigenartigste  and  Beste  gibt  Die  Tbemen 
dieses  Satzes,  von  denen  wir  als  die  hauptsHchlichsten 
folgende  zwei  zitieren: 

Alle^o  con  spirlto.  ^^ 


rP  eia 


sind  ecbt  b5bmische  Melodien, 


+=*  die  uns  an  die  alte  Wiener 
Sinfonie,  an  Wenzel  MUller,  an  Instige  Sonntagnach- 
mittage  und  an  vergnflgte  Menschen  erinnem.  In  der 
Darchfnhrung  yerl&fit  Dvofak  die  in  diesen  Weisen  ge- 
gebene  Spb&re,  zdgert  und  scheint  fiber  die  Berechtignng 
der  fidelen  Motive  in  Bedenken  zu  geraten.  Dieser  Teil 
enth&lt  sehr  viele  humoristische  Ziige  von  groGer  Wirkung. 
AuGerordentlich  drastisch  ist  der  wilde--^^,  p  ^ — , 
Einsatz,  mit  welchem  die  Hflrner  das  Motiv=y=ll  '  f  === 
in  das  ^  des  Orchesters  hineinwerfen.  Jedoch  nimmt 
das  kapriziose  Element  das  Interesse  des  ZuhSrers  etwas 
zu  lange  und  zu  ktlhn  in  Ansprucb.  Der  Satz  schliefit 
mit  einem  Presto  uber  das  Them  a  a). 

Auch  in  der  zweiten  Sinfonie  Dvoraks  (Dmoll,  i. DTo^ak, 
Op.  70]  wird  man  vergeblich  nach  der  unbedingten  Lebens-  Zweita  Sinfoniei 
freude  suchen,  die  seine  Slavischen  Rhapsodien  zu  einer 
Wohltat  fiir  die  neue  Musik  gemacht  haben.  Sie  ist  ein 
Stimmungsbild,  fiir  das  die  Oberschrift  >Aus  triiber  Zeit< 
nicht  iibel  passen  wiirde.  Ohne  im  h5hren  Sinn  originell 
zu  sein,  fesselt  das  Werk  durch  eine  klare,  plan  voile  An- 
lage,  durch  ein  reiches,  bewegliches  Empfindungsleben, 
durch  natiirliche,  meistens   aus   dem   Vollen   flieGende 

EretxBcbmar,  Fnbrer.    I,  1.  36 


— ^    562    *-- 

musikalische  DurchfQhrung.  Diese  VorzQge  krdnt  Einheit 
und  Strenge  des  Charakters.  Selbst  auf  den  tiblichen, 
immer  dankbaren  >glucklichen  Aasgang<  im  SchluBsatz 
hat  Dvoi^ak  diesmal  verzichtet 

Dec  erste    der  vier   S&ize   (Allegro  maestoso,   Ci 
Dmoll)  beginnt  folgendermaOen : 

Allegro  mmostosa  Js66 

f  I  I 

MaD  kann  diese  von  Cellis  und  Brat- 

^  schen  unisono  vorgetragne  Melodie  in 

f "  *^F         zwei  H&lften  teilen.     Die  vordere,  in 

gleichen  Achteln  gehalten,  klingt  wie  das  leichte  Murren 
eines  Unwilligen,  die  zweite,  mit  dem  durch  das  ver- 
l&ngerte  Viertel  schwer  akzentuierten  Motiy,  zeigt,  dafi 
hier  ein  Gemtit  tiefer  getroffen  worden  ist,  bis  zur  Ver- 
wirrung  getroffen.  Das  sagt  uns  der  an  den  SchluO  ge- 
stellte  verminderte  Akkord.  Er  kommt  ganz  pidtzlich, 
bleibt  aber  fiir  die  Dauer  einer  achttaktigen  Periode. 
DarUber  wiederholen  die  Klarinetten  von  a  aus  das  Thema. 
Ihr  Schmer-  p^  j  j  beantwortet  das  zweite  Horn  ge- 
zensmotiv:  •  •  I  <;.•  wissermaGen  in  vergroGertem 
Echo  mit  fia  ii8\c  and  lockt  damit  eine  Reihe  von  Stim- 
mungs&uBerungen  hervor,  die  den  klagenden  und  vor- 
wurfsvollen  Ton  immer  heftiger  hervorkehren.  Technisch 
sind  sie  als  Fortsetzungen  des  oben  angef&hrten  Themas 
zu  betrachten.  Denn  die  nene  and  neaeste  Sinfonie  be- 
gnttgt  sich  nar  aasnahmsweise  mit  solchen  knappen 
Hauptgedanken ,  wie  sie  bei  den  Wiener  Klassikem  die 
Kegel  bilden;  sondern  sie  arbeitet  am  liebsten  mit  einer 
langen  Themenkette.  Die  erste  dieser  Fortsetzungen  des 
Hauptthemas  knUpft  an  denSechzehntelaaftakt  der  zweiten 
HUlfte  des  Eingangsthemas  an  und  moduliert  im  achten 
Takt  nach  A  moll.  Die  zweite  wird  von  demselben  Sech- 
zehntelmotiv  alsBaB_begleitet  und  setzt  in  derHauptstimme 
mit  breiten  Vierteln  a  \  eFjj^  a  ein.   Dieses  Viertelmotiv  er- 


-^    563     «^ 

langt  seine  Bedeutung  im  Verlanf  des  Satzes.   Znerst  von 
der  zweiten  Violine,  Oboe  und  Fagotten  vorgetragen,  wird 

es  zwei  Takte  sp&ter  von  der  ersten  Violine  als  ^^|7  e^ 
aufgenoromen  and  schnell  zu  einer  langen  D  moIl-Kadenz 
geffthrt,  die  uns  eine  sehr  stftrmische  Wendung  erwarten 
IftGt.  Das  NatUrlichste  w&rde  Wiederholnng  des  oben  auf- 
gezeichneten  Themas  im  Tutti  des  Orchesters  und  im  ff 
sein.  Sie  kommt  auch;  aber  erst  22  Takte  spater.  Vorher 
bring!  der  Komponist  erst  noch  einen  jener  erweiternden 
nnd  belebenden  Abstecher,  an  die  namentlich  Liszt  die 
modernen  Sinfoniker  gewbhnt  hat.  Er  legt  eine  Aus- 
weichung  ins  Gebiet  der  Ruhe  und  des  Seelenfriedens  ein. 
Sie  fflhrt  mit  einer  etwas  beabsichtigten  Gewaltsamkeit 
nach  Esdur  und  vor  eine  sehr  eindringliche  Homstelle, 
die  mit  einer  raschen  Skalenfigur  beginnt  und  dann  in 
die  Rhythmen  des  nachher  folgenden  zweiten  Themas 
des  Satzes  einlenkt.  Bei  dem  nach  dieser  Verz5gerung 
doppelt  wirksamen  Eintritt  des  Hauptthemas  ist  es  zu 
bedauern,  da6  das  Thema,  weil  nur  den  HolzblS,sern  ge- 
geben,  von  dem  starken  Begleitungsapparat  ilbertdnt 
wird.  MerkwQrdigerweise  ist  der  in  der  Instrumentation 
so  sichere  und  ausgezeichnete  Komponist  hier  in  einen 
Beethovenschen  Fehler  verfallen,  den  intelligenten  Diri- 
genten  wohl  stilischweigend  verbessern  dCirfen,  wie  es 
Dvorak  beim  Eintritt  der  Reprise  selbst  getan  hat.  Hier 
spielt  das  erste  Horn  das  Thema  mit.  Wie  schon  bei 
seinem  ersten  Eintritt  mit  dem  verminderten  Akkord,  so 
nimmt  unser  Hauptthema  jetzt  wieder  ein  seltsames 
Ende.  Noch  viel  verwunderlicher  und  aufregender  als 
dort  bricht  es  in  einer  verzweifelt  wirkenden  Disso- 
nanz  ab:  —  fesbcges  —  der  naturgemaO  eine  Reak- 
tion  folgen  mui3:  Die  Holzbl&ser,  dann  die  Geigen  mit, 
f&hren  ein  zwdlf  Takte  langes  Oberleitungss&tzchen,  auf 
weich  gleitende  Motive  gebaut,  aus:  Nach  seinem  Ende 
hin  spielen  die  Mittelstimmen  kurz  einmal  das  Achtel. 
thema  (der  CeHi  und  Bratschen)  an,  mit  dem  der  Sat 
begann. 

36* 


-^    564    ^^ 

So  wird  also  das  zweite  Hauptthema  des  Satzes 


doieg 

sehr  8ch5n  nnd  gewissermafien  dramatisch  eingefV^rt 
Seine  poetische  Aufgabe:  sanft  und  freundlich  zuzu- 
sprecfaen,  erf&llt  es  auf  eigentlimliche  Art.  In  tiefen  F15ten- 
klang  gehullt,  leise  vom  Tutti  umschwebtf  hat  es  etwas 
Geheimnisvolles,  wirkt  wie  ein  Bild  im  Zauberspiegel,  wie 
ein  Gast  aus  der  Geisterwelt.  Ganz  besonders  schdn  and 
rUhrend  ist  das  zdgernde  Verschwinden  der  Vision:  Voile 
acht  Takte  haftet  die  Melodie  an  dem  yerzierten  esy  ehe 
die  Aaflosung  ins  d  f&llt.  Dieses  Z5gern,  Aufhalten  und 
Schwanken  ist  ein  Zng,  der  in  unserm  Satz  immer  wieder- 
kehrt.  Die  Wirkung  dieses  zweiten  Them  as  greift  unge- 
w5hnlich  tief  in  den  formellen  Plan  und  in  das  Wesen 
des  ersten  Satzes  ein.  Der  nUchste  Abschnitt,  den  es  be- 
herrscht,  wiederholt  es  w5rtlich  in  den  Violinen,  kndpft 
daran  versuchsweise'  und  schnell  wieder  abbrechend  Mo- 
tive der  Aufheiterung  und  des  Aufschwungs.  Er  endet 
aber  in  BmoU,  und  in  seinen  SchluC  mischen  Oboen, 
Klarinetten  und  H5rner  das  Unmutsmotiv,  mit  dem  die 
Sinfonie  begann.  Der  ganze  SchluB  der  Themengruppe 
wird  zu  einer  &uBeHich  knappen,  aber  innerlich  bedeu- 
tenden  Auseinandersetzung  zwischen  den  beiden  Haupt- 
themen.  Das  zweite  scheint,  in  B  dur,  seiner  Tonart, 
fortissimo  yorgetragen,  die  Oberhand  zu  bekommen,  als 
sich  wieder  jenes  schon  berUhrte,  dem  Gang  unsres  Satzes 
wesen tliche  Element  des  Schwankens  und  Abbrechens 
geltend  macht.  Diesmal  in  der  Form  pfsrn  welcher  aus 
von  Sequenzen  iiber  den  Rhythmus  •  •  •  •  einem  der 
Nebenmotive  (Motiv  der  Auiheiterung]  des  zweiten  Themas 
stammt. 

Die  sehr  kurz  gehaltne  Durchftkhrung  wendet  den 
StimmungsprozeG  wilder  zugunsten  des  ersten  Haupt- 
themas.  Sie  beginnt  in  Hmoll  mit  einer  achttaktigen 
Periode,  die  die  ersten  zwei  Takte  des  zweiten  Haupt- 


_^    565    ^>— 

tbemas  nacheinander  dnrch  Geigen,  Celli,  F15ten  and 
Kontrab&sse  ftkhrt.  Ihm  folgt  ein  wilder  Aufzng  seines 
Antipoden,  des  ersten  Hanptthemas.  Trotzig  spring!  es 
auf  den  verminderten  Septimenakkord  e-dis-fis-a  und 
stellt  sich  in  voller  Breite  hin.  Der  Bffekt  dieser  Ober- 
rumpelnng  ist  Yorerst  Ratlosigkeit  der  Seele.  Nach  dem 
£  dnr-SchloO,  mil  dem  sich  das  Hanptthema  yerabschiedet, 
wird  es  still:  kleine  Brocken  des  Gehdrten  flattem  herum. 
Das  wichtigste  an  der  Musik  sind  hier  die  Pansen.  Nur 
leise  ansgehalten  klingt  da  ein  Ton  des  Horns  oder  der 
Bratsche  in  sie  hinein.  Die  Modulation  rCickt  pl5tzlich 
von  E  nach  f-a-c-esy  die  Stiramung  sammelt  sich.  Ober 
einem  ppp  der  in  BmoU  tremolierenden  Streichinstmmente 
stimmen  die  Klarinetten  leise  das  vollst&ndige  erste  Hanpt- 
thema an,  FlOten,  Oboen  greifen  mit  ein;  mit  einem 
raschen  crescendo  gelangen  wir  vor  einen  Abschnitt,  in 
dem  das  Motiv  des  Unmuts.  nnn  zurWut  gesteigert,  aus 
den  Bftssen  dr5hnt;  es  kommt  in  die  Geigen,  von  Disso- 
nanzen  der  Bl&ser  dnrchschnit-  j  j  j  j  ans  und  ge- 
ten,  holt  mit  dem  Rhythmns  ^  ^  ^  •  langt  nach 
Dmoll  zum  fff  und  zu  einer  Reprise,  die  mit  der  des 
ersten  Satzes  von  Beethovens  9.  Sinfonie  eine  Charakter- 
fthnlichkeit  teilt,  wie  sie  gleich  stark  sich  ein  zweites  Mai 
nur  in  dem  D  moIl-Konzert  von  Brahms  aufdr&ngt. 

Die  Wiederholung  der  Theme ngruppe  verl&uft  nach 
den  bekannten  Regeln.  Nur  das  ist  besonders  an  ihr,  dafi 
das  Gebiet  des  ersten  Hauptthemas  gektkrzt  wird.  Durch 
dieses  einfache  Hilfsmittel  fibt  die  Musik  eine  unver- 
gleichlich  mS,chtigere  und  leidenschaftlichere  Wirkung  aus 
als  im  ersten  Teil  des  Satzes.  Die  sehr  ausgefQhrte  Coda, 
die  h5chste  Leistung  im  Ausdruck  gewaltiger  und  grofier 
Ideen,  die  bis  dahin  sich  in  Dvoraks  Werken  gezeigt  hat, 
markiert  noch  einmal  unumst5i31ich  hart  und  mitleidslos 
den  Sieg  des  ersten  Hauptthemas  und  seiner  d&monischen 
Elemente.  In  Resignation  verklingt  sie.  Auch  hier  steht 
Dvorak,  der  frUher  sich  gem  von  Brahmsschen  Vorbildem 
leiten  liei3,  unter  dem  EinfluG  Beethovens.  Der  Basso 
ostinato  auf  fdesf  zeigt  nach  dessen  siebenter  Sinfonie. 


566 


Wie  als  wenn  nach  iinstrer  stlirmischer  Nacht  der 
helle  Morgen  aufzieht,  beginnt  der  zweite,  langsame 
Satz  (Poco  Adagio,  C,  Pdur)  fol  gen  derm  aBen: 


Poco  Adagio.  J  =66 


Breit  und  feierlich  abschliefiend,  legt  das  voile  Orchesier 
den  Fdur-Akkord  fiber  das  Ende  dieses  kleinen  Prftln- 
diums,  und  das  eigentlicbe  erste  Thema  des  Satzes  tritt, 
vonF15teund  „  ^ ^       .-^       /^   #ir 


Oboe    vorge- 
tragen ,     ein 

In  Seqnenzen  ilber  das  letzte  Motiv  senkt  es  sich  tiefer 
und  tiefer  und  atmet  dann  noch  einmal  grofi  auf,  am 
pldtzlich  im  HalbschluB  a  j-^TT^^  — ^  das  eine  klei- 
zu  verl5schen.  Es  ist  algy^  J"  T  J  T  J  ;ne  Szene  der 
fldhe  es  vor  dem  Motiv ^  Unruhe  ein- 

leitet,  die  uns  die  aufregenden  Augenblicke  des  ersten 
Satzes  in  die  Erinnerung  zuriickruft.  Das  Horn  sucht 
mit  kiihnen  Figuren  zu  beschwicbtigen.  Noch  ein- 
mal schl&gt  Schrecken  in  kurzen  Motiven  dazwischen, 
dann   aber  behftlt  das  Horn   mit  der  schSnen  Melodie 

^^    das  Wort 


Sie  nimmt  ungef&br  die  Stelle  ein,  die  sonst  das 
zweite  Thema  zu  haben  pflegt.  Aber  wie  Dvofak  sich  im 
allgemeinen  den  Formen  der  Sinfonie  gegendber  die 
Freiheit  der  Ideen  und  ihrer  Bewegung  wahrt,  so  hat  er 
dieses  zweite  Thema  hier  ungew5hnlicher  Weise  in  die 
Haupttonart  F  dur  gesetzt  und  ihm  auch  nur  einen  ge- 
ringen  EinfluG  auf  Gestalt  und  Wesen  des  Satzes  zuge- 
wiesen.  Unser  Adagio  hat  gar  keine  DurchfUhrung  in  dem 
Sinne  einer  Auslegung  und  Verarbeitung  bisher  gebrachter 
Themen.  Sondem  nach  dem  SchluG  des  zuletzt  ange- 
fiihrten  Gedankens  setzt  ein  ganz  selbstsludiger  Mittelteil 


-^    567    *^ 

ein,  zan&chst  in  Fmoll  und  von  P^^B  t  gefQhri.  Mil 
einem  scharfen  rhythmischen  Motiv  ^  *  ••  J'ihm  wech- 
selteinMotivdesSehnensvonfol-  .  p-^i  t  undkommt 
gendem  rhythmischen  Charakter  J  J«  •  •  mitihm,oft 
jfth  und  erschreckend,  in  heftige  Konflikte.  Nach  einer 
solchen  Stelle  —  das  fortissimo  auf  e-fis^ais-eis  macht  sie 
leicht  kenntlich  —  tritt  die  Reprise,  die  Wiederholung  der 
Themengruppe  ein.  Das  Hauptthema  kommt  jetzt  in  den 
Cellis.  Ihm  folgt  das  erste  Seitenthema,  wie  beim  ersten- 
mal  in  den  Violinen,  aber  jetzt  mit  Kontrapunkten,  die 
bald  beschwichtigen,  bald  anfeuern,  in  den  Holzbl&sern 
verseben.  Alle  ^lemente  der  Aufregdng,  die  in  dem  Ab- 
schnitte  vorhin  bereits  vorhanden  waren,  erscheinen  ins 
Gespenstische  und  bedrohlich  gewachsen.  Das  F  dur- 
Thema  des  Horns  taucht  jetzt  nur  angedeutet  in  den  Vio- 
linen  auf  und  von  Trompeten  und  Hornem  merkwQrdig 
umscbmettert.  Ganz  zuletzt  kommt  auch  die  Melodie  des 
kleinen  Praludiums  des  Satzes  und  zwar  in  der  Oboe 
nochmals  zu  Wort. 

Der  dritte  Satz,  das  Scherzo  (Vivace,  ^/i,  Dmoll) 
zeigt  den  Zusammenhang  mit  dem  ersten  Satz  der  Sin- 
fonie  nicht  so  stark  wie  das  Adagio,  aber  immer  noch 
deutlich  genug.  Es  erstrebt  die  an  dieser  Stelle  fibliche 
Fr5hlichkeit,  aber  es  besitzt  sie  nur  im  geringen  Grade. 
Das  Hauptthema 

vivace.  J  ■80      _— ;  ,-- 

*  ^  _lj  ii'?  i  et  ^  rientiert  in  diesem  Falle  geniigend 
■  6-'^--S  >  ^C  '  '  fiber  das  Wesen  des  ganzen  Satzes : 
r  r  Die  Rhythmen  der  Violinen  treiben 

vorw&rts,  aber  hinkend,  als  schleiften  Ketten  mit. 
Die  >schlotternden  Lemurenc  Goethes  treten  vor  das 
geistige  Auge,  und  die  in  den  Mittelstimmen  (Cellis 
und  Fagotts)  dazwischen  schluchzende  Melodie  gie6t 
noch   mehr  Wehmut  iiber  das   an  und  fiir   sich  schonl 


-^    568    •^ 

grau  gehaltne  Bildchen.  Mit  dem  achten  Takt,  dem 
AbschluO  der  einfachen  Periode,  ger&t  die  DarstelluDg 
schon  ins  Stocken.  Wir  stehen  wieder  vor  dem  schwan- 
kenden,  unentschlossnen  Zug,  der  auch  in  den  andren 
S&tzen  als  wesentlich  sich  be-  ■  p— p-n  I  ^^  ^^ 
merkbar  macht.  Mit  einem  Motiv  J  •  444  J.  dahin  in 
der  zweiten  Violine  Begleitungsdienste  verrichtet  hat,  bildet 
der  Komponist  einen  10  Takte  langen  Zwischensatz  und 
wiederholt  dann  das  Hanpttltema  mit  der  Anderung,  daB 
die  Holzbl&ser  die  Hauptstimme,  die  Violinen  aber  den 
Kontrapankt  der  zuerst  in  den  Cellis  gebrachten,  gebandnen 
Melodie  tibernehmen.    Nach  vlr^  #  «- 

einem      breiten      Abschlufi   ikg  fT  '    '    I     ^    |iip    : 
tritt  folgendes    Seitenthema   *^   ~  —      ' 

ein,  aus  dem  ein  neuer,  mit  groi3em  Tumult  und  Kraft- 
aufwand  endender  Zwischensatz  (14  Takte  lang)  gebildet 
wird.  Und  nun  wird  vom  Anfang  des  Satzes  an  wieder- 
holt. Bei  Haydn  und  Mozart,  in  den  meisten  Beethoven- 
schen  Sinfonien  steht  hier  das  blofie  Repetition  szeichea, 
die  Musik  kehrt  w5rtlich  wieder.  Bei  Dvoi^ak  ist  die 
Wiederholung  zugleich  Variation.  Die  Instrumentierung 
ist  wesentlich  ge&ndert  und  zwar  nach  einem  Muster,  das 
viele  H5rer  angenehm  an  die  Konzertouvertiire  (in  A) 
von  Julius  Rietz  oder  an  A.  Rubinsteins  >Lichtertanz« 
aus  >Feramorsc  erinnem  wird:  Von  Abschnitt  zu  Abschnitt 
wechseln  die  Streicher  und  die  Bl&ser  zwischen  Haupt-  und 
Nebenstimme,  15sen  sich  im  Vortrag  des  von  Pausen  durch- 
setzten  Themas  und  der  gebundnen  Melodie  ab. 

Diesem  Hauptsatz  steht  ein  Trio  gegenuber,  das  in 
der  Hauptsache  von  i'oco  meoo  moaso. 
dem  zuerst  in  der  Oboe  (ft  a  J  ^  B  f  J  r[  F^F 
gebrachten  Gedanken:  3^V  K  f  I  M  f 
getragen  wird.  Den  SchluB  der  zw5Iftaktigen  Periode,  die 
das  vollst&ndige  Thema  bildet,  machen  die  Violinen  mit 
Ruhe  atmenden,  freundlichen  Wendungen.  Das  Bild  des 
Friedens,  welches  das  Trio  entwerfen  will,  wird  etwas  durch 
einen  Seitensatz  gestdrt,  aus  dessen  •— ^  j  stechend  her- 
sp&rlichen  Motiven   der  Rhythmus  4  4   4  yortritt.     Das 


-^    569    ^^- 

ganze  Trio  ist  nnter  s&mtlichen  Teilen  der  Sinfonie  der- 
jeiiige,  bei  dem  die  Erfiadung  den  Komponisten  am  we- 
nigsten  unterst^txt  hat.  Gleichwohl  erreicht  es  durch  die 
masikalischen  Elemente,  durch  den  Rhythmus  insbesondre, 
doch  die  beabsichtigte  Wirknng,  und  das  Scherzo  als 
Ganzes  ist  der  Satz,  der  in  seiner  eigentUmlichen  Mischung 
von  Melancholie  und  Beweglichkeit  auf  viele  H5rer  den 
nachhaltigsten  £indruck  ausubt. 

Das  Finale  der  Sinfonie  (Allegro,   i^,  DmoU)  er- 
innert  mit  den  ersten  drei  Noten  seines  Hauptthemas 

Allegro.  <J  =  ioo  -->^_ 


i^S  Itf^ltTjl  an  ein  Seitenmotiv,  das  in  trotzigen 
»fc  r  \J^  Vierteln  bald  sich  nach  dem  Eingang 
der  Sinfonie  zeigte.  Jedenfalls  weicht  es  dem  gew5hn- 
lichen  SchluB  der  in  Moll  einsetzenden  Sinfonien  aufs 
entschiedenste  aus  und  hat  mit  dem  groBen  Kreise  der 
sinfonischen  Paradigmen  zu  dem  Motto  >per  aspera  ad 
astra<  nicht  das  geringste  gemein.  Am  n&chsten  steht 
die  Dvoi^aksche  Arbeit  in  diesem  Verzicht  auf  ein  frohes, 
vers5hnliches  Finale  der  Cmoll-Sinfonie  Draesekes.  Wenn 
man  den  Inhalt  von  Dvoraks  Sinfonie  in  die  Form  einer 
Erzjlhlung  fassen  woUte,  wfirde  das  Ende  lauten:  >Die 
Lage  unsres  Helden  ist  noch  widriger  und  gef&hrlicher 
geworden,  als  sie  am  Anfang  der  Geschichte  war;  aber 
\  auch  seine  innre  Kraft  ist  immer  mehr  gewachsen.  Er 
braucht  sich  nicht  zu  beugen*.  Es  geht  ein  starker  Zug 
von  Trotz  durch  dieses  Finale,  und  in  ihm  liegt  vielleicht 
die  einzige  Spur  ftir  die  nation  ale  Abkunft  des  Werkes, 
das  sich  motivischer  Anleihen  aus  der  b6hmischen  Volks- 
musik  voUst&ndig  enthftlt.  Das  Bild  von  Kraft  und  Ent- 
schlossenheit,  das  unser  Finale  entroUt,  wird  dadurch 
liebenswurdiger  und  reicher,  da6  ihm  weiche  Weudungen, 
die  wie  Sehnsucht  nach  Rube,  wie  Neigung  zur  Ergebung, 
wie  leise  Klagen  erscheinen,  eingemischt  sind.  Jedermann 


_^    670    4^ 

erkennt  eine  solche  wohl  in  den  drei  letzten  Takten  des 
oben  gebrachten  Notenbeispiels,  als  dem  SchluO  des  von 
Cellis  and  erstem  Horn  gebrachten  Hauptthemaa.  Hit 
diesem  Motiv  der  Ergebung  setzen  die  Violinen  zun&chst 
leise  ein  S&tzchen  von  14  Takten  ein,  das  in  seinem 
j&hen,  aufgeregten  Abbrechen  uns  wieder  lebhaft  an  den 
Anfang  der  Sinfonie,  n&mlich  an  jene  Stelle  zurlickver- 
setzt,  wo  das  erste  Them  a  des  ersten  Satzes  in  den  pl5tz- 
lichen  verminderten  Akkord  anslief.  Derartige  Wendungen 
gehen  durch  die  ganze  Sinfonie  als  Symptome  eines  auf- 
geregten, iieberischen  Seelenzustandes.  Hier  folgt  dem 
TrugschluB  zan&chst  eine  Wiederbolung  des  Themas  in 
den  Holzbl&sern,  die  sich  ins  Unhorbare,  ins  Reich  des 
Schlummers  verlieren  will.  Yergeblicher  Versuch!  Mit 
aller  Leidenschaft ,  die  ein  modernes  groGes  Orchester 
ausdrticken  kann,  nimmt  es  gleich  darauf  das  Hauptthema 
im  stS.rksten  forte  anf.  Dazwischen  meldet  sich  in  FlGten 
und  Oboen  der  Anfang  eines  Themas 

war  cat o  ^ 

das  bald  in  seiner  Vollst&ndigkeit  seinen  Platz  als  Fort- 
setzung  und  Steigerung  des  Hauptthemas  einnehmen  wird. 
Es  folgt  ihm  eine  einfache  Periode  mit  Verwandlangen 
des  Hauptthemas  gefUlIt.  An  sie  knQpft  eine  gleich  kurze 
an,  der  ein  chromatisch  aufsteigendes  Skalenthema  zu- 
grunde  liegt.  Sie  gibt  sich  ziemlich  wild  und  heroisch 
und  vermittelt  technisch  die  Modulation  nach  Edur.  Sie 
tut  das  aber  sehr  ausdrucksvoll,  dringend  und  auf  das 
zweite  Thema  in  der  Stimmung  vorbereitend.  Dieses 
zweite  Thema  steht  regelrecht  in  A  dur,  der  Oberdominant 
der  Haupttonart  des  Finale  und  bildet  —  ebenso  nach 
bekanntem  Sonatenbrauch  —  einen  innern  Gegensatz 
zum  Hauptthema: 


— ^    571    <^ 

Zuerst  bringen  es  die  Celli,  gleich  darauf  FlSten  nnd  Oboen 
mit  einem  Abschlufi  in  Fisdur.  Ihm  folgt  ein  14  Takte  lan- 
ges  Nachspiel  tkber  das  aus  dem  An  fang  genommene  MoUy: 
J  J  r^  J  Und  darauf  zieht  das  Them  a  im  vollen 
•  I  ••  Glanze  des  Tutti  fortissimo  noch  ein- 
mal  vorbei.  Zu  einer  Macht  im  geistigen  Getriebe  wird 
es  nicht;  die  Durchfiihrung  des  in  der  Sonatenform  ge- 
haltnen  Satzes  nimmt  gar  keine  Notiz  Yon  seiner  Exi- 
stenz.  Es  bezeichnet  einen  flftchtigen  und  trftgerischen 
Augenblick  des  Hoffens.  Unsern  Komponisten  hat  diese 
kurze  Minute  des  Sonnenscheins  in  die  Sph&re  Franz 
Schuberts  gefiihrt,  mit  dem  er  ja  unverkennbare  Verwandt- 
schaft  besitzt.  In  dem  Abschnitt,  der  den  Bereich  des 
zweiten  Themas  abschlieBt,  spricht  Dvo^ak  in  Schubert- 
scher  Zunge.  Es  sind  Motive  der  grofien  C  dur-Sinfonie, 
die  uns  in  den  Anfang  der  Durchfiihrung  hineingeleiten, 
und  auch  die  beriihmten  Posaunen  aus  dem  ersten  Satz 
dieses  Monumentalwerkes  klingen  in  Dvoraks  Finale 
hinein.  Dieser  Zufall  nimmt  aber  dem  Wert  der  Durch- 
fiihrung nichts.  Ihre  bedeutendsten  Teile  liegen  am  An- 
fang und  am  ScbluO,  besonders  im  erstern  an  der  Stelle, 
wo  das  Hauptthema  zweimal  staccato,  gewissermafien 
versuchsweise,  und  ganz  leise  kommt.  Beim  dritten  Mai 
(in  HmoU)  tritt  es  voUstfindig  auf.  Die  Geigen  entwickeln 
das  schlieGende  Ergebungsmotiv  zu  einem  I&ngren  S&tz- 
chen,  bei  dem  auch  Dvorak  der  modernen  Unsitte  des 
ttberfliissigen  Kontrapunktierens  durch  fleiGige,  aber  mehr 
stSrende  als  unterstutzende  BlUsermotive  gehuldigt  hat 
Den  Mittelteil  der  Durchfiihrung  fiillen  Variationen  iiber 
die  Fortsetzung  des  Hauptthemas,  ihr  still  einsetzen- 
des  Ende  Umwandlungen  des  Hauptthemas  selbst.  In 
der  Reprise  ist  der  tibergang  zum  zweiten  Thema  be- 
sonders ergreifend.  Den  im  Grunde  doch  pessimisti- 
schen  letzten  Ausklang  zu  veredeln,  setzt  Dvofak  die 
schlieGenden  10  Takte  in  ein  gehaltenes  Tempo:  Molto 
Maestoso. 

Hatte  die  D  dur-Sinfonie  sofort  Dvof aks  groGes  Talent, 
die  zweite  seine  Reife  festgestellt,  so  gab  der  Komponist 


-^    572    ^^ 

nun  in  einer  dritten,  vierten  und  fUnften  Sinfonie  auch 
diejenigen  Beweise  von  FleiO  und  Fruchtbarkeit,  die  von 
jedem  Kiinstler  verlangt  werden,  der  eine  hervorragende 
Stellung  behaupten  will.  Um  den  Umfang  von  Dvofaks 
Begabung,  seine  ganze  k&nsUerische  Bedeutung  zu  beur- 
teilen.  wird  unter  den  vorhandenen  Sinfonien  spftter  ein- 
nial  die  zweite  die  wichtigste  sein.  Er  schien  mit  ihr, 
Hhnlich  wie  frfiher  Gade,  der  Pflege  nation aler  Musikbe- 
strebungen  abspenstig  zu  werden.  Diese  Erwartung  ist 
jedoch  nicht  eingetroffen,  seine  dritte  and  vierte  Sinfonie 
bringen  wieder  reichlich  b5hmische  Musik. 

In  der  Fdur-Sinfonie  ist  das  nationale  Element 
mit  der  Reserve  benutzt,  die  fQr  die  Sinfonie  notwendig 
ist,  wenn  sie  nicbt  zu  einer  bloBen  Ausstellung  von 
lustigen  oder  phantastischen  Genrebildern  herabsinken, 
wenn  sie  auch  ferner  noch  dem  Komponisten  gestatten 
soil,  seine  Pers5nlichkeit  mit  ihren  Lebenserfahrungen 
und  ihren  Talenten  zu  entfalten.  Die  bShmischen  Melo- 
dien  sind  in  dieser  Sinfonie  nicht  absichtlich  herbeigeholt, 
sondern  sie  sind  im  geeigneten  Augenblick  in  die  Archi- 
tektur  der  einzelnen  Sfttze  eingestellt  worden,  wenn  sie 
dem  Tonsetzer  zuf&llig  in  die  Hand  liefen. 
l.DTolhtk,  Diese  dritte  Sinfonie  Dvoraks  (Fdur,  op.  76)  zeigt 

Dritte  Sinfonie.  yieieriQ^  Verwandtschaft  mit  ihrer  Vorgftngerin  in  den 
Einwirkungen  Beethovens  und  Schuberts;  Schumann 
bringt  sie  neu  hinzu.  Sie  steht  ihr  an  Einheit,  an  Kunst- 
wert  Qberhaupt  sehr  nahe,  hat  vielleicht  durch  die  frap- 
panten  poetischen  Einf&lle,  mit  der  sie  die  Formen  be- 
handelt,  noch  etwas  vor  ihr  voraus.  Sie  gleicht  ihr  auch 
darin,  daB  sie  als  ein  weitrer  musikalischer  Beitrag  zur 
Biographie  des  Komponisten  erscheint  Sie  erzlihlt  von 
seiner  Jugendzeit,  von  Idealen,  von  Herzenserlebnissen, 
von  wohlbestandenen  K&mpfen,  von  L&uterungen.  Der 
Komponist  sucht  in  diesem  Werke  die  Freude: 

>Auf  dem  saatbekr&nzten  Hugel, 
An  des  Teiches  klarem  Spiegel, 
Auf  der  Au,  im  Buchenwald 
Ist  ihr  liebster  Aufenthaltc 


-^    573    «^ 

Dvoraks  F  dur-Sinfonie  ist  znm  guten  Teil  eine  Pa- 
storalsinfonie.  Besonders  trUgt  ihr  erster  Satz  (Allegro 
ma  non  troppo,  s/4,  F  dur)  den  Charakter  einer  derartigen 
Tondichtung.  Es  ist  die  Stimmung  eines  Ausmarsches 
am  schonen  Sonntagmorgen,  mil  dem  sein  erstes  Thema 
einsetzt:  munter  im  ersten  Teil,  fromm  am  SchluO: 

-  Allegro  ma  dod  troppo.  J  s  112 


Ji  J'l  J    I  ji  Jm   «H^I^T^^^    Die  F15te  singt 

'        ^  0 cTIZ-s^  y^*"^        "  es  der  Klarinette 

nach  und  fiihrt  die  Melodie  zu  einem  Cdur-Schlufi.  Mit 
ihm  beginnt  ein  Abschnitt  freudiger  Spannung:  Die 
Instrumente  nehmen  einander  Motive  des  Themas  ab, 
bald  dies,  bald  jenes,  bis  sie  sich  in  einer  mftchtigen 
Triolenfigur  vereinigen.  Diese  bringt  utis  vor  das  eigent-, 
licbe  Haupttbema  des  Satzes: 

|iirr.rrir^i'^'-rr  r  ir^n-T^^^^ 

yf  p  I  ^H£^i=f=p=    eine  jener  zahlreichen  Tanz- 
Ji       ^  ^  '       weisen  kraftvoll  freudigen  Aus- 

drucks,  an  denen  die  bOhmische  Volksmnsik  so  reicb  ist. 
Ibre  Wiederbolung  gibt  Dvorak,  wie  er  das  liebt,  den  Holz- 
blftsem  und  H5rnern  allein  —  die  Streicbinstrumente 
machen  nur  mit  einem  ^^g  i  i^^®  Anwesenheit  be- 
urwflchsigen  Zuruf :  444  J^  merkbar  — ,  und  diese 
schlieGen  in   A  moll   ab. 

In  dieser  Tonart  beginnt  sofort  eine  Durchfiihrung. 
Sie  heftet  sich  zunftchst  —  acht  Takte  lang  —  in  launigem 
Eigensinn  ausschlieOIich  an  den  siebenten  Takt  des  so- 
eben  gegebenen  Themas.  Celli  und  Bratschen  haben  sich 
seiner  bemUchtigt,  die  Violinen  mSchten  es  gerne  zu  sich 
hertkberziehen.  Dann  wandelt  sich  die  Szene.  Als  ware 
der  Wald  dichter  und  der  Schatten  dunkler  geworden, 


— »    574    ^^ 

tritt  Ruhe  im  Orchester  ein.  Nur  ein  lange  liegender, 
leiser  Akkord  (A moll)  tontin  H5mern  und  Fagotten;  ikber 
ihm  flattert  noch  ein  melodi sober  Rest  in  den  ersten 
Geigen.  Jetzt  nehmen  die  Kontrabftsse  pp  das  Motiv  des 
ersten  Taktes  in  Fdur,  die  Violinen  antworten  mit  dem 
bisberigen  Synkopenmotiy.  Wir  denken  uns  bier  unsren 
Wandrer  ruhend,  rastend  und  tr&umend.  Im  Traum  ruckt 
das  Entfernte  aneinander.  So  bier  Anfang  und  Ende  des 
Tbemas,  des  Gedankens,  den  er  zuletzt  im  Kopfe  trug. 
Die  Musik  erganzt  das  Stimmungsbild  an  dieser  Stelle 
nocb  durcb  Schilderung  der  auOern  Natur :  In  den  Klari- 
netten  scblagen  leise  Triolenterzen  an,  leibbaftig  die- 
selberi,  wie  im  ersten  Satz  von  Beetbovens  Pastoralsin- 
fonie.  Es  fliistert  in  den  B&umen,  es  zirpt  im  Grase. 
Und  weiter  noch :  Genau  wie  bei  Beetboven  rilckt  die  Har- 
monie  scbroff  von  vier  zu  vier  Takten  von  F  nacb  Es, 
von  da  nacb  Des,  um  gewaltige  Oberrascbungen  anzu- 
deuten.  Vom  letztren  Punkt  ab  dringt  wieder  Licbt  und 
Glanz  in  die  Landschaft  und  in  die  Seele  des  ScbwHrmers. 
Wir  gelangen  rascb  nacb  A  dur  und  vor  das  zweite  Thema: 


dolce 


Es  verbftlt  sicb  zum  Hauptthema  wie  Dank  zum  GenuG. 
Sdusikaliscb  ist  zu  beacbten,  dafi  es  an  das  Hauptthema 
durcb  den  Synkopenrhythmus  seines  zweiten  Taktes  ge- 
wissermafien  unwillkilrlicb  ankniipft.  In  seinem  jugend- 
lichen  Drang  und  in  dessen  technischem  Ausdruck  tr&gt 
es  die  Ziige  Robert  Schumanns. 

Der  ganze  noch  tlbrige  Teil  der  Theroengruppe  wird 
mit  Phantasien  uber  dieses  zweite  Thema  ausgefullt. 
Eigen  ist  ihm  ein  durchgehender  Triolenrhythmus  als 
Begleitungsfigur,  der  zum  SchluC  melodisch  wird  und 
motivische  Bedeutung  erh&lt.  Zweimal  werden  die  Varia- 
tionen  iiber  das  zweite  Thema  durcb  ein  Solo  von  Flole 
und  Rlarinette,  das  freundlich  und  behaglich  in  Secb- 
zehnteln  die  Skala  hinauf  nnd  hinab  trslllert,  unterbrocben. 


-^    bib    ^^ 

Ihm  folgt  beidemale  ein  ebenfalls  aus  Beethovens  Pasto- 
rale bcianntes  Freudeschiitteln  des  ganzen  Orchesters 
auf  einem  zwei  Takte  gehaltenen  Akkord  im  ff.  So  gibt 
der  Romponist  bald  im  Zarten,  bald  im  Starken  dem 
GlQcke,  das  er  schildern  will,  reich  aus  Eignem  erfindend 
und  geschickt  an  Vorhandnes  sicb  anlehnend,  immer 
neue  Wendungen. 

Die  Darchfahrung  beginnt  geheimnisvoll  beschau- 
lich  mit  dem  Triolenmotiv,  das  die  Themengruppe 
schlofi.  Ihm  gegeniiber,  dem  Vertreter  der  einschl&f em- 
den  Zaubermftchte,  stellen  die  B9^se  mit  dem  gleichmaBig 
klopfenden  .  .         ■  die  Violin  en  mit  einem  in  Akkord- 

Rhythmus  J  y  d^  \  i  nolen  abwSrtssteigenden  neuen, 
nnwesentlichen  Thema  den  weiteren  Tatendrang  und  die 
Lust  zu  neuem  und  mehrerem  GenuC  dar.  Diese  Motive 
fiihren  uns  bald  vor  das  erste  Thema,  mit  dem  die  Sin- 
fonie  pr&ludierend  begann.  Die  F15te  bringt  es  in  Gdur. 
Ebenfalls  in  h5chster  Tonregion  wiederholen  die  Violinen 
die  langsamen  SchluBnoten  mit  Modulation  nach  Hdur. 
Und  nun  folgt  eine  lange  Strecke,  in  der  immer  wieder 
in  sehr  regelmftOigen  Abschnitten  die  erste  H&lfte  dieses 
Themas  voriiberzieht.  Es  hat  gerade  in  dieser  ersten 
H&lfte  den  Charakter  einfachster  Signale,  besteht  bier 
nur  aus  Akkordnoten,  gewiBermaOen  aus  musikalischen 
Naturlauten,  und  schlftgt  damit  eigentlich  in  ein  Kunst- 
fach,  das  die  Russen  und  solche  M&nner  der  &u6ersten 
Linken  in  der  neuesten  Sinfoniekomposition  f&r  sich  be- 
anspruchen,  von  denen  Dvoirak  in  AnsprUchen  und  Zielen 
weit  entfemt  steht.  Wie  sehr  er  aber  im  Betrieb  dieser 
kiinstlerischen  Spezialitat  seinen  Mann  stellt,  beweist  dieser 
Teil  seiner  DurchfQhrung.  Wir  haben  da  eine  mit  siche- 
rer,  leichter  Meisterhand  gebildete  Stelle :  ruhig  und  regel- 
m&Big  in  gleichen  Abstanden  folgen  die  kleinen  Bilder, 
die  sich  gleichen,  denn  sie  sind  alle  lieblich  und  doch 
jedes  anders.  Miihelos  fttgen  sie  sich  zum  Ganzen  und 
streben  den  H5hepunkten  zu:  das  sind  die  Takte,  wo 
die  Freude  nach  lauten  Tonen  greift.  Besonders  treten 
die  Messinginstrumente  hervor.  Von  ihnen  gebracht,  wirkt 


— *    676    ^^ 

die  Sechzehntelfignr  ans  dem  Anfang  nnseres  Themas 
ftufierst  wohlgemut  and  frisch ;  namenilich  die  Stelle,  wo 
die  Trompete  —  auf  b-o-e-g  —  damit  einsetzt,  ist  ein 
hinreiOendes  Gemisch  von  Stolz  und  Heiterkeit.  Die 
Harmonie  rUckt  nun  von  A-dur  aos  von  zwei  zu  zwei 
Takten  immer  einen  Schritt  weiter  und  gelangt  allm^- 
lich  auf  den  verminderten  Septimenakkord  f-cu-h-d 
als  den  Gipfel  in  der  Entwickelung  romantischer  Geftthle. 
Denn  darin  ist  der  Satz  sehr  modem,  ganz  und  gar  ein 
Produkt  des  19.  Jahrhunderts,  daB  er  der  >hOchsten  Lust* 
auch  einen  Stich  >hohen  Leids»  beimischt.  Merkwtirdig: 
alle  die  Instrumente ,  die  von  Natur  beweglich  sind,  die 
Violinen,  die  Holzbl&ser  bleiben  an  diesem  Punkt  vier 
Takte  lang  auf  einem  Tone  im  ff  liegen  und  sind  in  der 
HGhe  erstarrt,  und  unten  in  der  Tiefe  tummeln  sich  die 
schwerf&lligen  B&sse  niit  dem  lustigen  raschen  Motiv! 
Es  handelt  sich  hier  aber  um  einen  gewaltigen  Aufschrei 
der  Freude,  gewaltig  und  von  einer  Leidenschaft  ge- 
trieben,  die  nach  Ordnung  nicht  frftgt.  Nach  diesem 
Augenblick  tritt  die  Reaktion  in  ihr  Recht:  Das  zweite 
Thema  erscheint:  die  Oboe  intoniert  es,  die  Klarinette 
nimmt  es  auf  und  filkhrt  es  vollstftndig  vor.  Damit  ist  es 
aber  auch  abgetau.  Das  Tutti  schiebt  es  demonstrativ 
mit  einem  /jT-Einsatz  des  eigentlichen  Hauptthemas,  der 
kr&ftigen  slavischen  Tanzmelodie  beiseite,  die  von  den 
Violinen  nach  den  Bftssen  wandert.  Wie  keck  der  Ton 
gegen  den  ersten  Eintritt  in  der  Themengruppe  geworden 
ist,  das  l&Ot  sich  aus  der  Pauke  ersehen.  Die  schwieg 
damals;  jetzt  stimmt  sie  beim  Synkopentakt  mit  einem 
Sechzehnteltremolo  ein.  Dieser  mit  dem  Synkopentakt 
beginnende  Abschnitt  bleibt  nun  fQr  den  Schlufi  der 
Durchfiihrung ;  sechsmal  kehrt  er  mit  denselben  TGnen 
von  g  b  aus  wieder.  Ein  Ruck  von  Es  nach  Des,  eine 
Periode  fiber  dasselbe  Motiv  gebildet  und  im  pp  gehalten, 
dann  der  Quartsextakkord  c-f-a  und  auf  ihm  im  Horn  das 
pr&ludierende  Thema,  mit  dem  die  Sinfonie  beginnt.  Die 
Phantasie  klammerte  sich  an  die  letzten  sch5nen  Bilder 
der  Durchffihrung  gewaltig  fest.    Nun  ist  die  Trennung 


677 


doch  geschehen :  unvermerkt  sind  wir  in  die  Reprise  ge- 
langt  Die  Runst  des  Komponisten  hat  den  Schritt,  der 
zum  RQckweg  ffihrte,  zu  dem  entzfickendsten  Augenblick 
der  bisherigen  Wanderung  gemacht 

In  dem  Verlauf  der  Reprise  fordert  die  Erweiterung 
des  Umkreises  des  eigentlichen  Haaptlheroas  gesteigerte 
Anfmerksamkeit,  noch  mehr  die  sch5ne  Rombination,  in 
der  beim  Beginn  der  kurzen,  feurig  einsetzenden  Coda 
die  Einleitungsmelodie  des  Satzes  und  sein  zweites  Thema 
zasammenklingen.  Trompeten,  Violinen,  FlQten,  Rlari- 
netten  stehen  auf  der  ersten,  Posaunen,  Fagotte,  Gelli 
and  Rontrab&sse  auf  der  anderen  Seite.  In  Abendrot 
und  zartem  Mondenschein  gebt  der  sch5ne  Tag,  in  den 
uns  die  Tondichtung  versetzt,  zu  Ende. 

Der  zweite  Satz  (Andante  con  moto,  Vst  A  moll)  ist 
ein  interessanter  Absenker  des  Allegrettos  in  Beethovens 
Adur-Sinfonie.  Die  Ahnlichkeit  Hegt  haupts&chlich  in 
dem  ethischen  und  tonalen  YerhUltnis  der  beiden  Teile, 
in  welche  die  Komposition  zerf&Ut.  Sie  entwickelt  sich 
um  folgende  zwei  Themen: 

Aadaote  coo  moto.  J)  =  76 


und 


tto  pocbettloo  piA  masso 


Die  zweite  H&lfte  des  ersten,  von  den  Cellis  einge- 
f&hrten  Themas  moduliert  nach  A  moll  zurlick.  Sein 
SchluOtakt  ist  der  Anfang^der  von  den  Yiolinen  aufge- 
nommenen  Wiederholung  mit  SchluB  in  D.  Daran  kniipft 
sich  ein  Zwischensatz ,  der  das  Sechzehntelmotiv  des 
Einsatzes  durchfQhrt,  und  ihm  folgt  als  Fortsetzung  und 
Abschlufi  des  Satzes  die  bisher  geh5rte  Musik  mit  den 
Bl&sem  (zuerst  Fldte  und  Fagott  gemeinsam  voranj  als 
Hauptstimmen. 


EretzBcbmar,  F&hrer.    I,  1. 


37 


— ^    578    ^>- 

Zu  den  schonen  Gedanken  und  Erlebnissen  des  ersten 
Satzes  der  Siafonie  stellt  sich  dieser  erste  Teil  des  An- 
dante in  einen  gewissen  undankbaren  Widersprnch;  als 
Niederschlag  aus  dem  triiben,  an  seelischen  KHmpfen 
reichen  Stimmungskreis  der  zweiten  Sinfonie  ist  der 
ernsten  Zafriedenheit,  die  in  seiner  Melodie  sich  ausspricht, 
ein  kleiner  Satz  von  Schwermut  beigemischt  In  den 
Zwischensfitzen,  die  aus  dem  Sechzehntelniotiv  heraus- 
wachsen,  ringt  das  GemUt  nach  Befreiung  von  dem  dunklen 
Rest  und  nach  vollstandigem  Licht  Der  Adur-Satz  bringt 
es.  Eine  Weile  tragen  die  Bltlser  allein  den  zwar  nicht 
neuen,  aber  an  dieser  Stelle  wie  ein  Original  wirkenden, 
Himmelsruhe  atmenden  Gesang  vor.  Mit  dem  Eintritt 
von  Hmoll  nehmen  es  die  Violinen  auf,  und  zugleich 
tritt  an  dieser  Stelle  eine  gewisse  Stockung  der  Emp fin- 
dung  ein.  Die  Modulation  gerftt  ins  Schwanken,  es  ist, 
als  ob  eine  ungesehene  Macht  den  Weg  versperrte,  es 
bedarf  eines  gewaltsamen  Anlaufs.  Dieser  fUhrt  nach 
Cdur.  Von  da  aus  wiederholt  sich  die  sch5ne  Szene, 
die  mit  Schumannschem  Material  die  Weihe  Beethoven- 
scher  Gebetsmomente  erreicht.  Die  dramatische  Wen- 
dung,  die  im  ersten  Teil  dieses  Mittelsatzes  mit  der  Mo- 
dulation nach  Hmoll  begann,  setzt  jetzt  mit  dem  Eintritt 
des  Themas  in  die  Septimenfaarmonie  g-h-d-f  ein,  es 
kommt  zu  einer  groBeren  Kraft&uGerung  und  zu  einem 
verzweifelten  energischen  Abschlufi  in  dem  femen  £  dur. 
Ihm  antworten  wie  warnende  Stimmen,  zweimalige  Blftser- 
signale,  die  wie  Rezitative  wirken.  Kleinlaut  und  resig- 
niert  tritt  der  vermessene  Himmelsstiirmer  den  RUckzug 
an  nach  der  heimischen  Sphere,  in  die  engere  und  be- 
scheidene  Beschaulichkeit  des  Hauptsatzes  in  A  moll,  der 
nach  einem  langen  Nonenakkord  auf  J^  in  verftnderter 
Instrumentation  einsetzt.  Die  Holzbl&ser  haben  das  erste 
Wort,  die  Gelli  erst  das  zweite.  Nachdem  die  Doppel- 
periode  harmonisch  genau  wie  im  ersten  Teil  des  Satzes 
verlaufen  ist,  nimmt  die  Musik  einen  neuen,  sehr  erregten 
Charakter  an.  Ein  TrugschluO  nach  Bdur  markiert  den 
Anfang  der  Stelle.    Sie  endet  damit,  dal3,  von  den  ersten 


— ^    579    «>- 

Violinen  tumnltuarisch  begrQGt,  in  den  Holzblftsern  wie 
ganz  von  fern  das  Thema  des  Mittelteils  des  Adursatzes 
noch  einmal  erscheint  Unter  dem  Eindruck  dieser 
Vision  endet  der  Satz  ohne  innerlich  znr  Ruhe  nnd 
znm  AbschluO  gekommen  zn  sein.  Am  deutlichsten  geht 
das  ans  dem  unvermittelten  Nebeneinander  von  pp  nnd  f 
hervor,  in  dem  sich  der  Anfang  des  A  moIl-Themas  verab- 
schiedet.  Es  w&re  denkbar,  da6  der  Satz  nnd  namentlich 
sein  Schlufi  anf  aberglftubische  nnd  hysterische  ZnhOrer 
be&ngstigend  wirkt. 

Dvof  ak  trftgt  dem  ganz  nngewOhnlichen  Ansgang 
seines  langsamen  Satzes  noch  dadurch  Rechnnng,  daO  er 
dem  dritten  Satz  (Allegro  scherzando,  '/g,  Bdur)  eine 
Einleitang  voransschickt ,  die  an  die  Rezitative  erinnert, 
mit  dem  das  Finale  von  Beethovens  Neunter  beginnt. 
Nut  eine  ganz  knrze  Panse,  die  Zeit  l&Qi  einmal  auf- 
atmen ,  soil  dem  Andante  folgen.  p««  t  das  in 
Dann  setzt  sofort  das  Achtelmotiv  9  d  i  I  r  A  moll 
schloB,  auf  dem  Dominantseptakkord  f-a-e-es  wieder 
ein.  Es  veranschanlicht  wohl  das  Klopfen  des  erregten 
Herzens.  Und  nun  beginnen  die  Celli  eindringlich  zur 
Rube  und  Besonnenheit  zu  ermahnen.  Das  Tutti  gibt 
den  Widerhall  der  Worte  erst  einsilbig,  immer  noch 
zagend  und  erschreckt,  schliefilich,  als  das  Cello  auf  es 
schlieBt,  gefafiter  in  einem  Iftngeren  S&tzchen  von  vier 
leisen  Takten.  Da  schliefit  sich  an  die  Fermate,  die  hier 
einem  Fragezeichen  gleicht,  ganz  unwillkiirlich  ein  hUb- 
scher  —  wohl  bOhmischer  —  Walzer,  von  dessen  Liebens- 
wiirdigkeit  der  Anfang 

Allegro  scherzapdo.  ^  =  76 

iJ  J  j  I  ,ff^|jj"^^  eine  genfigende  Probe  gibt. 

Diese  humoristische  Oberrumpelung  ffihrt  glttcklich 
liber  eine  gespannte  und  peinliche  Situation  hinweg.  Gre- 
wifi  bieten  die  Formen  der  Beethovenschen  Sinfonie  h&ufig 

37* 


-^    580    ^^ 

Gelegenheit  zu  sinnreich^r  Modifikation  und  poetischer  Be- 
lebung.  Aber  erst  in  neuester  Zeit  bemtkhen  sich  die  Kom- 
ponisten  merkbarer,  sie  zu  beniitzen,  insbesondere  die  aus- 
l&ndischeQ.  Das  hier  von  Dvoirak  gegebene  Beispiel  ist 
eins  der  auff&IIigsten  und  wirksamsten.  Die  Weiterf&hrung 
des  Themas  ist  zunftchst  ganz  unregelm&Big.  Die  Fldten 
und  Klarinetten  nehmen  es  den  Violinen  ab.  Es  moduliert 
nacfa  DmoU  und  geht  niit  den  Bl&sern  nach  Bdur  znrUck. 
Sofort  nach  diesem  Bdur-SchluB  nimmt  aber  die  froh  ge- 
nititliche  Tanzweise  einen  schwankenden  Gharakter  an: 
der  ganze  Mittelteil  des  Hauptsatzes  verl&uft  stockend: 
durch  GeneralpauseQ ,  verlegene  Wiederholungen  ver- 
sprengter  Motive  unterbrochen,  in  Fugens&tzen  die  offene 
Ratlosigkeit  verkttndend.  Das  Seitenthema,  das  sonst 
Qblicher  Weise  dem  Hauptthema  Gesellschaft  leistet, 
bleibt  aus.  Es  senken  sich  Uber  die  Szene  die  Schatten 
des  Abends  und  der  Bangigkeit.  Der  lange  Abschnitt 
endet  mit  einem  gewaltsamen,  pl5tzlichen  Ubergang  der 
Harmonie  von  Dmoll  nach  Bdur,  der  Nuancierung  von 
p  zum  ff,  Noch  einmal  eine  irrende  und  suchende 
Geigenfigur  und  danti:  Wiederholung  des  ersten  Teils  des 
Hauptsatzes  im  ff^  demonstrativ  mit  Kraft  und  Glanz 
angetan.  Nach  acht  Takten  aber  schon  beginnt  das 
Abschiednehmen ,  das  SchlieOen  und  Verklingen.  Dann 
ein  kurzer  Obergang  im  pp^  merkwurdig  durch  die  Ent- 
schiedenheit,  mit  der  er  in  fremde  Tonart  (nach  Desdur) 
f&hrt,  und  in  dieser:  das  Trio  auf  Grund  folgenden  Themas 

Es  ist  dieses  Trio  eine  neue  Idylle,  ein  verschwiegenes 
Pl&tzchen,  das  sich  von  dem  Festplan  des  Hauptsatzes 
abzweigt,  in  Park  und  6&umen  gelegen,  fiir  die  Zwie- 
sprache  von  Liebenden  geschaffen.  Die  Musik  ist  in 
diesem  Satz  der  Ausdruck  intimster  Schw&rmerei,  freudig 
ruhiger  und  inniger  Gefflhle.  Es  verl&uft  in  drei  Ab- 
teilungen.    In  der  ersten  spielen  Bl&ser  und  Geiger  nur 


zart  um  Bhythmen,  wie  das  chuinann  gern  tut  In  der 
zweiten  (mit  dem  Septimenakkord  des-f-as'ces  setzt  sie 
ein)  erweitert  sich  das  Motiv  durch  AnfQgung  des  Rhythinas 

ml  zum  Gesang.  Mit  dem  Eintritt  in  Adur  und 
^  I  *  ins  forte  des  vollen  Orchesters  nimmt  er  einen 
Hymnenton  an,  der  uns  ganz  an  die  korrespondierende 
Stelle  in  Schuberts  groBer  G  dnr-Sinfonie  versetzt  Sehr 
schdn  ist  es,  wie  diese  Abteilang  mit  dem  neuen  Achtel- 
motiv  von  dieser  Stelle  des  glUhenden  Ausdrucks  zurttck- 
lenkt  in  den  Ton  stiller  Seligkeii  Die  dritte  Abteilung 
markiert  mit  ihrem  ersten  Schmerzensakkord:  des-f-aa-ces-d 
den  Augenblick  des  Abschieds,  der  Trennnng,  die  der  Kom- 
ponist  in  neaen  T5nen  der  Innigkeit  schildert  Nach  dem 
letzten  leisen  Klopfen  des  Des  dnr-Rhy thmns  setzt  sofort 
laut  und  mitleidlos  der  tibermftfiige  Dreiklang  des^f^a  ein 
und  treibt  zurQck  in  die  l&ndliche  Tanzszene. 

Das  Finale  (Allegro  molto,  C,  Fdur)  setzt  in  AmoU 
ein,  so  wie  der  zweite  Satz  der  Sinfonie,  das  Andante. 
Eben falls  fthnlich  wie  in  diesem  Andante  h5ren  wir  zu- 
erst  nur  BaOinstrumente.  Es  sind  diesmal  Cell!  und  Kontra- 
basse,  die  —  natflrlich  in  tiefer  Lage  —  die  ersten  3  Takte 
des  Themas 

Aliegr^  moJto.  J  s  \26  . 


^^    Lip      f      vortragen.   Eine  Wendung  in  schwer 
'  I  '     I  akzentuierten    Vierteln    fiihrt    nach 


"•  °  ^  "  *  G  moll,  und  in  dieser  Tonart  fftUt  das 
Tutti  ff  ein,  und  erst  uber  diesen  Umweg  gelangen  wir 
zu  der  Lesart,  in  der  bier  das  Thema  angeffiihrt  ist  Auch 
sie  bedeutet  noch  nicht  die  endgQltige  Form  fur  den  Haupt- 
gedanken  des  Satzes.  Dem  Komponisten  war  eben  daran 
gelegen,  auch  hier  Schema  und  Schablone  zu  vermeiden 
und  uns  das  thematische  Material,  mit  dem  er  arbeitet, 
in  seiner  En tstehung  und  als  ein  Produkt  einer  Stimmungs- 
krise  zu  zeigen.  Aus  diesem  Grunde  beginnt  er  mit  den 
Bafirezitativen,  mit  Unmut  und  EmpOrung,  mit  den  harten, 


^^    582    ^-- 

an  Beethoven  erinnernden  Unisonostreichen  des  gesamten 

Orcheaters  auf  den  Oktaven  von  w  and  p,  die  dem  oben 
gegebnen  Amolleinsatz  des  Tutti  vorausgehen.  Er  bildet 
eine  Szene  der  Verwirrang  und  Verzweifelnng,  die  ihren 
Charakter  am  bedrohlichsten  in  einem  hinabstQrzenden 
Achtelunisono  ftuBert.  Seinem  ff  folgt  ein  piano,  der 
Eile  ein  Zogern,  und  nun  kommt  eine  nierkwurdige  Stelle, 
die  jedermann  an  Schabert  und  an  das  Horn  im  Andante 
seiner  groGen  Cdur-Sinfonie  erinnern  wird.  Auch  hier  bei 
Dvorak  liegt  die  Vorstellung  einer  Wundererscheinung, 
eines  >deus  ex  machina«  zu  Grunde,  der  die  wilden  Wogen 
sftnftigt  und  bandigt.  Die  musikalische  Gestalt,  die  der 
Komponist  dieser  Vision  gibt,  ist  die  einer  liegenden  Stimme, 
die  zehn  Takte  lang  —  nach  jedem  Ton  eine  kurze  Pause  — 
immer  wieder  g  angibt.  Die  B&sse  steigen  drunter  von 
e  bis  ins  groOe  g  und  stilktzen  eine  Modulation,  die  von 
e-g-b-des  aus  tastend  und  seltsam  schliefilich  nach  a^cts-e-g 
gelangt.  Danach  ein  Sammeln  und  Ausholen  in  den  Stim- 
men,  und  nun  erst  der  eigentliche,  der  formal  richtige 
und  notwendige  Anfang  des  Satzes:  das  oben  angegebene 
Thema  in  Fdur,  natQrhch  mit  einigen  Anderungen  in 
den  Motiven:  vom  zweiten  Takt  ab  in  Achteln,  bei  der 
Wiederkehr  —  die  sehr  spannend  eingeleitet  wird  durch 
ein  m&chtiges  Signal  auf  bh  —  in  Vierteln.  So  schlieOt 
die  Themengruppe,  die  duster  und  schwer  begann,  trium- 
phierend,  freudig  kraftvoll.  Aber  dieser' Siegeston  wird 
schnell  abgedampft,  der  Platz  fQr  das  zweite  Thema 

zurecht  gemacht. 

Dieses  fiihrt  uns  in  die  Sphftre  des  Adur-Satzes  im 
Andante  zuruck,  wenn  das  auch  technisch  noch  nicht  so 
gleich  zu  ersehen  ist.  Den  freien  Wiederholungen  der  hier 
mitgeteilten  Periode  folgt  zun&chst  ein  sehr  einfacher  Nach- 
gesang  aus  Akkordnoten 


683 


piK'^r  r  \t  t  ft  \^jltrh  \¥  ""i 


diesem  aber  die  auf  dem  Nonenakkord  rahende  Musik, 
mit  der  in  jenem  Andante  die  Vision  des  Adur-Themas 
verschwand.  Ganz  natiirlich  also,  dafi  diese  Stelle,  als 
sie  geendet  —  zunHchst  einen  Alarm  erregt. 

Die  DnrchfQhrnng  des  Satzes  beginnt  damit.  Das 
Hanptthema  tritt  in  Cmoll  auf.  Bald  tritt  das  Motiv  mit 
den  pnnktierten  Achtein  —  siehe  den  zweiten  und  dritten 
Takt  des  Hauptthemas  -—  in  den  Vordergrund.  Es  fttgt 
sich  —  beim  Eintritt  nach  Asdur  — zu  einem  Sfitzcben, 
das  an  Wiener  Tanzweisen  kdstlich  erinnert.  Jener  oben 
angegebene  Nachgesang  des  zweiten  Themas  and  die  weh- 
iniitige  Abschiedsmusik  aus  dem  Andante  treten  an  seine 
Stelle.  Wiedemm  grofier  Aufruhr,  als  sie  geschlossen,  das 
hiipfende  Motiv  sucht  sich  vergeblich  durch  den  drama- 
tischen  L&rm  desvollen  Orchesters  dnrchznk&mpfen.  Die 
HOrner  schleudein  ein  Machtwort  drein,  und  durch  die  er- 
zwungene  Stille  zieht  langsam  (tempo  Andante),  von  Oboe, 
dann  von  Klarinette  geblasen,  der  Anfang  des  Hauptthemas 
dahin.  Im  Trauergewand  nimmt  der  Dichter  den  letzten 
Abschied  von  seinem  sch6nsten  Ideal,  von  der  Erinnerung 
an  jene  Himmelsgestalten  des  Andante.  Die  Reprise  be- 
ginnt mit  einer  geistreichen  Variation.  Ein  einfaches  ge- 
stoCenes  Achtelmotiv,  mit  dem  von  Tonart  zu  Tonart 
rUstig  fortgeschritten  wird,  ist  das  neue  Element.  Dann 
kommt  das  Hauptthema  wieder  wie  im  ersten  Teil  des 
Finale,  endlich  in  der  Haupttonart:  Fdur.  Die  Gruppe  des 
zweiten  Themas  ist  einigermaBen  erweitert,  sie  schliefit 
wieder  mit  Nachgesang  und  mit  der  aus  dem  Andante 
entnommenen  Trennungsmusik.  Aber  diesmal  bricht  kein 
Tumult  aus,  sondern  es  schlieCt  sich  das  fromme  Ende  des 
Einleitungsthemas  des  ersten  Satzes  an.  Immer  freudiger 
wird  nun  der  Ton,  in  dem  das  Hauptthema  (in  F)  wieder  auf- 
genommen  wird,  immer  pastoraler,  und  in  den  zwdlf  letzten 
Takten  stehen  wir  vor  dem  Anfang  der  Sinfonie.  Gl&nzend 
intoniert  die  Posaune  das  erste  Thema  des  ersten  Satzes. 


— •    684    ♦►- 

A.DTo^ak,  Dvofaks  vierte  Sinfonie  (G dur,  op. 88)  ist  in  Eng- 

Vierte  Sinfonie.  land  erschienen  und  vielleicht  schon  aus  diesem  Grande 
weniger  bekannt  geworden.  Es  stehen  ihrer  Einbargerung 
and  Verbreitang  jedoch  anch  innere  Schwierigkeiten  gegen- 
ttber:  Sie  ist  den  Begriffen  nacb,  an  die  die  enrop&ische 
Masikwelt  seit  Haydn  and  Beethoven  gew5hnt  ist,  kaom 
noch  eine  Sinfonie  za  nennen,  dafiir  ist  sie  vie  I  zu  wenig 
durchgearbeitet  and  in  der  ganzen  Anlage  za  sehr  aaf 
lose  Erfindang  begrtlndet.  Sie  neigt  za  dem  Wesen  der 
Smetanascben  Tondichtangen  and  dem  vonDvoi^aks  eignen 
slaviscben  Rhapsodien.  Die  wahre  Freade  an  dem  Werk 
bleibt  den  Landsleaten  des  Komponisten  vorbebalten,  die 
in  dieser  and  jener  an  sich  nur  bescheidnen  Melodie  ein 
Stuck  teaerster  Kaltar  erleben. 

Der  erste  Satz  (Allegro  con  brio,  C>  Gdar)  wird  von 
einer  elegischen  Weise  in  GmoU  eingeleitet,  die  durcb  den 
vollstftndig  Schubertscben  SchlaB  mit  der  Auf  ISsang  nach 
Dar  am  meisten  fes- 

selt.  In  derMitte  drangt  J     JJlJ,   HlJJJilJ. 
sich  ein  Marschmotiv 

hervor.   Dieser  Einleitang,  die  sich  haapts&chlich  aaf  Cello 
and  Horn  stiitzt,  folgt  die  F15te  mit  einem  Thema  in  Gdar 


["■■^^1^^ 


das  unter  den  zahlreichen  Ideen,  die  dem  Komponisten 
wahrend  dieses  Satzes  durcb  den  Kopf  Ziehen,  die  erste 
Stelle  einnimmt.  Nftchst  ihm  gelangt  das  Marschmotiv 
zur  gr5Bten  Bedeutung.  Nachdem  das  zweite  Thema  mit 
seinem  Gefolge  vorbei  ist,  kehrt  die  Einleitang  in  Moll 
wieder.  Diese  Stelle  ist  die  bemerkenswerteste  im  Satze. 
Ihr  folgen  Durchfiihrung  and  Reprise  ohne  nennenswerte 
Beweise  von  Inspiration  oder  kilknstleriscber  Energie. 

Der  z  w e i  t e  Satz  (Adagio,  ^4,  C  moll)  ist  der  originellste 
der  Sinfonie  und  einer  der  eigensten  ^berhaupt,  die  wir 
aaf  diesem  Gebiete  haben.  Feierliche  Kirchenmasik,  Sere- 
naden,  von  fern  her  kecke  Marschkl&nge  —  ganz  dis- 


--^    686    ♦^ 

parate  Elemente  schliefien  sich  da  h($chst  gliicklich  zn- 
sammen. 

Der  dritte  Satz  (Allegretto  grazioso,  ^/s,  Gmoll]  hat 
zum  Hauptthema  eine  Melodie  von  sehr  breitem  Wurf  und 
einem  Charakter,  der  sich  ganz  fur  den  Hausschatz  der 
ftlteren  Roman tik  eignen  wQrde.  Als  Seitenthema  folgt 
ihr  eine  chromatisch  beginnende  Weise,  die  in  einem  etwas 
halsstarrigen  Ranon  durchgefOhrt  wird.  Der  beste  Teil  des 
Satzes  ist  das  Trio  in  Gdnr.  Seine  Melodie  hat  Kinder- 
augen.  Das  Finale  (Allegro  ma  non  troppo,  s/4,  Gdur) 
wird  von  einem  sehr  anspruchsvoUen  Trompetensolo  ein- 
geleitet,  das  nns  wohl  zn  einem  Nationalfest  raft.  Volks- 
spiele  in  Gestalt  von  Variationen  fiber  eine  Paraphrase 
des  Hauptthemas  vom  1.  Satze  —  siehe  das  erste  Noten- 
beispiel  —  fallen  es  zum  grQBten  Teil  aus. 

Eduard  Hanslick  fafit  in  seinem  Buche:  »Fttnf  Jahre 
Musikc  einige  Kammerkompositionen  Dvof aks  als  des  Kom- 
ponisten  >Amerikanische  Musik<  zusammen.  Das  Haupt- 
stilkck  dieser  Abteilung  zu  sein,  darf  Dvof  aks  neueste,  seine  i.  DTolFak, 
fUnfte  Sinfonie  (EmoU,  op.  96)  beanspmchen.  Sie  fahrtFttnft«Smfome 
off  en  den  Titel  >Aus  der  Neuen  Welt«.  Ein  Programm 
will  diese  Bemerkung  wohl  kaum  bieten,  die  Sinfonie  malt 
und  schildert  nur  sehr  bescheiden.  Sie  sollte  den  Freunden 
Dvoraks  ein  Lebenszeichen  bringen,  die  Fragen  nach  sei- 
nem Tun  und  Ergehen  nach  echter  KUnstlerart  nicht  mit 
Reden  und  Worten,  sondern  mit  einem  Stiick  seines  besten 
Lebens  beantworten.  Da  kann  sich  jeder  Uberzeugen,  ob 
er  noch  der  Alte  im  fremden  Lande  geblieben.  Sp&rlich 
und  nicht  gerade  imposant  kommen  einige  neue  Ein- 
drtlcke  zum  Vorschein,  die  die  New  Yorker  Zeit  in  Seele 
und  Phantasie  verursacht  hat;  mUchtiger  schlftgt  aus  dem 
originellen  KOnstlerbrief  die  Sehnsucht  nach  der  alten  Hei- 
mat,  die  Liebe,  die  ihn  an  der  V&ter  Sitte  bindet,  hervor. 

Einen  ^uBerlich  greif  baren  Niederschlag  des  Amerika- 
nischen  Aufenthalts  bietet  die  Sinfonie  in  einer  handvoll 
aus  der  V.olksmusik  der  Neger  oder  der  Indianer  stammen- 
den  Originalmelodien ,  die  in  den  einzelnen  Satzen  des 
Werkes  verstreut  und  versteckt  sind.  Der  amerikanische 


-^    586    ♦^ 

Neger  hflngt  mit  der  Musik  fast  ausschlieGlich  durch  den 
Rhythmus  zusammen;  bei  weitem  h5her  stehen  die  In- 
dianerweisen.  Ihnen  begegnen  wir  deshalb  auch  b&nfiger 
in  Instrumentalkompositionen  der  jungen  amerikaniscben 
Schule;  auch  Heinrich  Z51Iner  bat  in  einem  seiner  Ch5re, 
dem  >Indianischen  Liebesgesang«,  eine  sebr  biibsche 
Probe  davon  gebracht.  Dafi  ein  Vertreter  nationaler 
Elemente  in  der  Kunstmnsik,  wie  Dvofak,  Volkaweisen 
iiberall,  wo  er  sie  findet,  teilnehmend  nnd  liebevoU  be- 
handelt,  versteht  sich  obne  weitres.  Wenn  wir  trotzdem 
sehen,  da6  ans  dem  amerikaniscben  Material  in  dieser 
Sinfonie  nicbt  viel  geworden  ist,  so  fQbrt  diese  Tatsacbe 
zu  der  Vermutung:  dafi  die  Natur  dieses  Materials  dem 
Wesen  der  Sinfonie  zu  fremd  gegenttbersteht. 

Der  erste  Satz  beginnt  in  einer  langsamen  Einleitang 
(Adagio,  Vs)  Emoll)  mit  nachdenklicben,  durch  Synkopen- 
rhythmus  gezeichneten  Motiven,  die  leise  von  den  Gellis 
zu  den  FlOten  ziehen.  Pldtzlicb  setzt  das  Streichorchester, 
an  das  Synkopenmotiv  anknOpfend,  unisono  im  /f  ein, 
die  Pauke  dr5hnt,  scharf  fahren  die  Bl&ser  auf,  die  Har- 
monie  ist  von  Emoll  nach  Bdur  gesprungen.  Es  mu6 
etwas  Bedeutendes  vorgefallen,  eine  groOe  Wendung  ein- 
getreten,  ein  wichtiger  EntschluO  gefaCt  sein.  In  der 
neuen  Tonart  treten  neue  Motive  auf:  die  Bedenklichkeit 
(in  den  HolzblHsem)  wird  vom  Wagemut  (Celli,  Bratschen, 
Horner)  vertrieben.  Die  aufsteigenden  T5ne  dieses  zweiten 
Motivs  kiUnden  das  Hauptthema  des  Allegros  (^4*  Emoll) 
an,  das  nach  wenigen  Takten  eintritt.  Seine  vollstSndige 
Gestalt 


Allegro  mglio.  J  =136 


Corno. 

ruht  in  der  ersten  H^lfte  auf  dem  Klang  des  zweiten 
Horns,  in  der  zweiten  auf  Klarinetten  und  Fagotten, 
spricht  in  jener  groOes  Sehnen  und  Erwarten,  in  dieser 
etwas  stiirmisch  Behagen  und  Befriedigung  aus.  Die 
n&cbste  Wiederholung,  an  der  Spitze  die  Oboe,  fQhrt  nach 


— t    587    %^ 

Gdur  nnd  sofort  mit  TrugschluB  nach  Hdur.  Yon  da  an 
setzt  es  mit  der  ersten  H&lfte  allein  zn  neuen  Sfttzen  an; 
die  Stimmung  schwingt  sich  auf,  und  es  kommt  zn  einer 
neuen  Wiederholung  des  Hauptthemas  in  seiner  Origin al- 
tonart  im  fff,  Im  Triumphe  zieht  es  vorfiber,  gefolgt 
von  einer  Kette  froher  GefQhle  tkber  das  leitende  Motiv 
der  zweiten  Themenhlllfte  gebildet.  Ehe  man  es  erwartet, 
wird  abgebrocben;  der  frendige  Ton  wird  schw&cher, 
zOgert  und  schwankt  Wir  stehen  vor  einem  psycho- 
logischen  Vorgang,  wie  ihn  jeder  jeden  Tag  erlebt:  Eine 
F&lle  innerer  Gefiihle  schwindet  pldtzlich  vor  einem  Ein- 
druck,  der  das  ^uBere  Auge  getroffen  hat.  Die  kleine 
Barbarenmelodie 

Fl.a.Ob.  ^^ 

^;    r     \c      r   r    f      ;  ^  r 

ist  in  Sicht  gekommen.  Alles  was  Dvorak  bisher  gegeben 
hat,  konnte  in  Europa  heimisch  sein;  diese  Tanzweise 
f&hrt  uns  zum  ersten  Mai  in  die  neue  Welt,  wenigstens 
auf  einen  der  Rultur  entrQckten  Boden.  Das  sagt  uns  vor 
allem  das  f  an  Stelle  des  fis.  Wo  der  Leitton  aufhort, 
da  beginnt  das  Naturvolk  oder  das  Altertum.  Der  fremd- 
artige  Charakter  der  Weise  wird  aber  durch  Nebenum- 
st&nde  noch  untersttitzt.  Da  ist  das  Horn,  das  die  ganze 
Zeit  d  in  Vierteln  gibt  Auch  in  den  Violinen  zittert 
und  schillert  dieses  d.  AIs  das  amerikanische  Thema  zum 
ersten  Male  erscheint,  da  hat  der  Komponist  noch  nicht 
die  Absicht,  sich  ihm  gefangen  zu  geben.  Die  F15ten 
und  Oboen  bringen  es  als  Kontrapunkt,  als  Begleitstimme ; 
die  geistige  Fiihrung  Hegt,  wenn  auch  nur  leise,  noch  in 
der  Klarinette.  Aber  schon  nach  8  Takten  ist  das  anders. 
Da  kommt  die  Melodie  der  Wilden  in  die  zweite  Violine 
und  bringt  ihren  ganzen  aus  der  Heimat  gewohnten 
Musikapparat  mit:  die  liegenden  Stimmen  und  die  Quinten- 
b&sse.  Und  nun  ist  auch  die  Phantasie  des  Tondichters 
auf  eine  weite  Strecke  ganz  von  diesen  drolligen  Mo- 


-<^    588    ^-- 

tiven  in  Beschlag  genommen.  Er  sacht  sich  ihrer  mil 
einer  ernsten  Bafiweise  zu  erwehren,  aber  drQber  spielen 
die  Sechzehntel  weiter  nnd  in  den  Holzbl&sern  kommen 
gar  nene  Motive  dazu,  die  mit  Pralltrillem  and  kecken 
Rhythmen  des  Abendl&nders  zu  spotten  trachten.  Die 
lustige  Weise  war  nur  ein  Vorlftufer;  in  das  eigentliche 
amerikanische  Musikwasser  kommen  wir  erst  mit  dem 
zweiten  Thema,  das  die  FI5te  in  Gdur  bringt 


P 

Mit  ihm  schliefit  auch  der  ganze  erste  Teil  des  Satzes, 
die  Themengruppe  sofort  ab. 

Die  DurchfUhrung  beginnt,  indem  sie  an  das  Ende 
des  zweiten  Themas  anknUpft,  anf  dem  iiberm&Gigen  Drei- 
klang  g-h'dis,  der  12  Takte  lang  immer  leiser  gehalten 
wird:  Der  Dichter,  von  den  neuen  Eindrucken  Uberw&ltigt 
und  verwirrt,  schlummert  ein.  Wie  im  Traum  tritt  nun 
in  seiner  Seele  das  entlegenste  zusammen:  der  Anfang  des 
zweiten  Themas  und  der  SchluB  des  ersten.  Dann  kommt 
dieses  zweite  Thema  —  jetzt  in  Adur  and  Amoli  —  in 
einer  n&rrischen  VerkQrzung  und  zerrissen,  die  erste  Hftlfte 
in  den  Cellis,  die  zweite  in  den  Holzbl&sern,  unaufh5rlich 
nach  vom.  Die  Kombination  von  erstem  und  zweitem 
Thema  kehrt  wieder.  Dann  stellt  sich  der  Anfang  des 
Hauptthemas  mit  ein,  und  sobald  es  sich  gezeigt,  ist  der 
Traumcharakter  fUr  eine  Weile  preisgegeben.  Jedes  der 
aus  seinem  Zusammenhang  gerissenen  Elemente  sucht 
sich  durchzusetzen  und  mit  Gewalt  zu  behaupten.  Das 
gibt  eine  Art  Riipelszene  mit  groCem  L&rm.  Erst  am 
Schlufi  der  im  ganzen  knappen  Durchfuhrung,  wo  das 
Hauptthema  entschieden  die  Oberhand  gewinnt,  tritt 
wieder  Ruhe  und  Klarheit  ein. 

Die  Reprise  verl&uft  regelm&fiig  bis  auf  den  un- 
wesentlichen  Umstand,  daB  das  zweite  Thema  in  Asdur 
steht.  In  der  Coda  laBt  Dvoi-ak  zweites  und  Hauptthema 
gleichzeitig  spielen:  jenes  in  den  Trompeten,  dieses  in  der 
Altposaune.  Der  ganze  SchluB  ist  in  Farbe  und  Harmonie- 


-^    589    ^^ 

haltung  sehr  gl&nzend  und  rflhmt  den  Freunden  in  der 
Heimat  die  »Neue  Welt<  im  Superlativ. 

Der  zweite  Satz  (Largo,  C)  Desdor)  ist  wohl  der- 
jenige,  der  bei  den  meisten  Zuhorern  der  Sinfonie  einen 
dauemden  Platz  in  ihrer  Erlnnerung  erobert  Er  ist  yon 
der  eigent&mlichen,  rubigen  und  trftumeriscben  Sch5nbeit, 
darcb  die  uns  zuweilen  Bilder  der  Wuste,  der  Steppe, 
der  Pufita  so  m&chtig  ergreifen.  Die  Stille  and  die  Gr50e 
der  Sebfl&che  und  der  unbestimmte  Glanz  der  drUber 
liegt,  wirken  gemeinsam,  Pbantasie  und  Sinne  zu  n&bren 
und  noch  mehr  zu  reizen.  In  der  Musik  finden  wir  die 
Seitenstucke  zu  dem  Satze  Dvofaks  am  n&chsten  bei 
Borodin  und  Rimsky  Korsakoff.  Es  bandelt  sicb  urn  einen 
neuen  Ton,  dem  sicb  von  den  &lteren  nur  Liszt  in  seinen 
Ungariscben  Rbapsodien  n&bert.  Dvofak  bat  vielleicbt 
Eindrticke  der  Pr&rie  in  sein  Largo  gemischt. 

Der  Satz  beginnt  »wie  Orgelton  und  Glockenklangc 
roit  feierlicbem,  breitem  Akkordenvorspiel  der  Messing- 
bl&ser.  Darauf  setzt  das  engliscbe  Horn  zu  folgendem 
Gesang  an: 

Largo.  J  =  62 


^ 


Dps  Des F Ges.As.Des 

Das  ist  die  Stimme  des  Gottesfriedens,  der  beiteren 
Andacbt,  der  kindlicben  Unscbuld,  erbebend  und  lieblich 
zugleicb.  Der  Satz  wird  unter  Mitwirkung  von  Klarinetten, 
dann  Fagotten  zu  einem  bescheidenen  Lied  von  16  Takten 
erweitert.  Da  kebren  die  einleitenden  Akkorde,  jetzt  in 
den  Holzblasern,  zum  Abscblufi  wieder.  Darauf  nebmen 
die  Violinen  das  Tbema  zu  einem  kleinen  Satz,  der  dem 
Mittelteil  des  dreiteiligen  Liedes  ungef&br  gleicbt,  das 
ScbluGwort  bat  das  engliscbe  Horn.  Ibm  nacb  gibt,  wie 
im  fernsten  Ecbo,  das  Horn  con  sordino  die  Motive  des 
ersten  Taktes  nocb  einmal.  Dieser  bis  hierher  reicbende 
erste  Teil  des  Largo  ist  in  Desdur  geblieben.  Der  zweite 
setzt  in  GismoU  ein.  Sein  tbematiscbes  Material  bestebt 
aus  mebreren  Stiicken. 


690 


Das  erste  StUck  wird  vom  folgenden  Theina  gebildet: 


Uo  poco  ptii  moBso. 


LL£r  I  rTrrUQl^M 


Cis. 


E^"'"'C 


GiB —  ris 


I  Es  bringt  von  aaOen  her,  &hnlich~wie  die 

^  GmoU-Melodie  des  ersten  Satzes  der  Sin- 

E —       Cis       fonie,  Bewegung  in  die  bis  dahin  feierlich 

rohige  Szene.    Als  zweites  Sttick  folgt  ihr  ein  langsamer 

Gesang  in  den  Klarinetten 

Uo  poco  meoo  mosso. 

s 


Ersichtlich  Ziehen  Schatten  durch  ihn.  Glich  das  Desdar- 
Thema^  einem  Dankgebet,  so  dieses  einer  Bitte  um  Schutz 
vor  Gefahren.  Ziehen  wir  aber  die  Erregung  mit  in  Be- 
tracht,  die  sich  in  den  Rhythmen  der  begleitenden  Streich- 
instrumente  ausspricht,  ferner  den  leisen  Ton,  in  dem 
der  Satz  gehalten  ist,  drittens  den  deutlichen  nation alen 
Anklang  in  der  Melodie,  so  diirfen  wir  den  Abschnitt 
wohl  auch  auf  Heimatserinnerungen  des  Komponisten 
deuten.  Das  eine  schlieBt  in  diesem  Fall  das  andere 
nicht  aus.  Was  der  Poesie  versagt  ist,  verschiedene 
VoEstellungen  und  Empfindungen  miteinander  in  der 
gleichen  Sekunde  zur  Anschauung  zu  bringen,  —  die 
Musik  kann  es. 

Die  von  diesen  beiden  thematischen  Stiicken  gebil- 
dete  Grappe  wird,  und  zwar  in  derselben  Tonart,  wieder- 
holt.  Der  Hauptunterschied  ist,  daO  jetzt  die  Violinen 
fuhren.  Zu  dem  Triolenthema  bringen  die  HolzblSser 
nachahmende  und  verstarkende  Kontrapunkte.  Wie  das 
bei  Wallfahrten  h&ufig  vorkommt,  daO  sich  an  die  reli- 
giosen  Zeremonien  ein  hunter  Jahrmarkt  anschliefit,  so 
folgt  jetzt  dem  Cismoll-Teil  ein  dritter  Abschnitt  unseres 
Largo  in  Cisdur,  dessen  Gharakter  durch  das  ihm  zu 
Grunde  liegende  Thema 


591 


p 

geniigend  gekennzeichnet  wird.  Es  l&uft  erst  durch  die 
oberen  Holzbl&ser,  dann  nimmt  es  das  Streichorchester 
auf  und  treibts  mit  ihm  zu  einer  wilden,  bacchantischen 
Lustigkeit,  die  sich  mit  der  Schnelligkeit  entwickelt,  in 
der  nur  Naturvolker  ibre  Exnpfindangen  wechseln.  Die 
Trompeten  setzen  das  Tdpfelcben  auf  das  i  des  toUen 
Spuks.  Sie  sind  es  aber  aucb,  die  scbon  im  nacbsten 
Augenblick  der  aus  Rand  und  Band  geratnen  Gesellscbaft 
der  Instrumente  wieder  den  ernsten  Zweck  der  Versamm- 
lung  zu  Gemtite  fQhren.  In  einem  unerwarteten  Adur 
(unmittelbar  auf  die  Cisdur-Akkorde)  bringen  sie  den 
Anfang  des  Haupttliemas  des  Largos,  des  Desdur-Tbemas. 
Es  folgt,  in  seiner  Originalgestalt  und  vom  engliscben 
Horn  gesungen,  diesem  Appell  auf  dem  FuBe.  Als  es 
die  Geigen  aufnehmen,  macht  sicb  —  in  drei  Fermaten  — 
ein  wundersames  Stocken  bemerkbar.  Der  Satz  verklingt 
poetisch,  als  wenn  sicb  Nacht  iibers  Land  breitet.  Ganz 
nahe  am  Scblusse  h5ren  wir  auch  nocb  einmal  die  feier- 
licb  langsamen  BllUerakkorde. 

Das  Sober zo  derSinfonie  (Molto vivace, s/4,E moll) ent- 
faltetjn  seinem  Hauptsatz  einen  barten Humor.  DieseHarte 
berubt  weniger  auf  dem  melodiscben  Tbema  des  Satzes 

I  als   auf  der 

Mono  vivace.  J..  80  EiukleiduUg, 


^ijy^  ir  r  1  II I  r  irn^  die  ibm d^ 

•^  *■  Komponist 

gibt.  Mit  einigen  erscbreckenden  ScblUgen  meldet  es 
sicb  in  den  einleitenden  Takten,  l&Ot  seine  ersten  Acbtel 
befremdend,  ziigellos  durch  die  Streichinstrumente  sausen, 
erscbeint  dann  endlicb  vollst&ndig,  aber  auf  einem  g^z- 
lich  unbefriedigenden  Akkord,  (auf  der  Dissonanz  h-d-e-g), 
so  wie  es  die  russiscben  Melodien  zu  tun  pflegen.  Als 
es  zum  zweiten  Male  seinen  Weg  sucbt,  stellt  sich  ihm 
die  Klarinette  rechthaberiscb  und  ungeberdig  entgegen. 
Dann  hat  sich  wieder  das  Tutti  des  Streichorcbesters  in 


--^    592    *— 

einem  tiberm&fiigen  Dreiklang  verfizt,  and  als  es  endlich 
in  die  richtige  Harmonie  gekommen  ist  und  im  ff  die 
UnglQcksmelodie  durchdrQckt,  stellen  wieder  die  Hdrner 
mil  ganz  qaerk5pfigen  T5nen  alles  Erreichte  in  Frage 
and  finden  leider  bei  den  sftmtlichen  Holzbl&sem  Unter- 
stCltzang.  Nar  die  Basse  fQhren  anter  diesen  UxnstSlnden 
die  Absicht  mit  dem  Scherzo thexn a  darch.  Aber  uach- 
dem  der  Form  soweit  geniigt  ist,  l&Ot  man  es  allgemein 
fallen.  Ganz  wider  alien  Branch  tritt  schon  jetzt  das 
Trio  ein,  ein  etwas  langsaro  gehaltener  Satz  in  Edur 
mit  folgendem  Haaptthema 


^f-^J]}T*JTm\ni  I.J  I 


Seine  beiden  ersten  Noten  erkl&ren  ans,  waram  der 
Satz  bisher  so  wanderlich  verlaufen,  warom  der  Scherz 
in  einen  Streit  ausgeartet  ist  Der  zweite  Satz,  das  schOne 
Largo,  beherrschte  noch  die  Phantasie,  und  was  hier  in 
diesem  Trio  in  den  Holzblftsern,  sp&ter  im  Cello  gespielt 
wird,  ist  ein  Anklang,  ein  Nachklang  seines  Desdur- 
Themas,  der  Melodie  des  enghschen  Horns.  Doch  lange 
daaert  der  Frieden  dieses  Trios  nicht.  Das  Thema  des 
Hauptsatzes  setzt  wieder  ein  im  dreifachen  p  und  in 
Edur.  Aber  bald  wird  das  Wetter  schlecht:  ein  ver- 
zweifelt  vorw&rts  schiebender  tJbergangs-  und  Modu- 
lationssatz,  bei  dem  die  Trompete  eine  sehr  wichtige 
Rolle  spielt,  bringt  uns  wie  im  Flug  wieder  nach  EmoU- 
und  gleich  an  die  Stelle,  wo  die  Hdrner  das  /jfdes  Haupt- 
themas  so  heftig  bestritten.  Sie  haben  jetzt  auch  die 
B&sse  auf  ihrer  Seite,  und  es  kommt  zu  einem  schnellen 
SchluO,  Oder  vielmehr  einem  Abbrechen.  Es  ist  still 
geworden.  In  den  Bl&sem  h5ren  wir  wie  einen  Wehruf 
wiederholt:  ck,  die  Geigen  intonieren  dazu  wie  stumpf 
und  mechanisch  das  Quintmotiv,  mit  dem  das  Thema 
des  Hauptsatzes  beginnt.  Da  werfen  die  Celli  und  nach 
ihnen  die  Bratschen  in  die  allgemeine  Ratlosigkeit  das 


--t    593    *— 

Hauptthema  des  ersten  Satzes  der  Sinfonie  hinein,  auf 
das  vor  dem  letzten  Sturm,  wohl  unbemerkt,  die  B&sse 
scbon  einmal  angespielt  haben.  Jetzt  tat  es  seine  Wir- 
kang.  Es  beginnt  ein  friedlicbes  Spiel  um  folgende  ein- 
fache  Tanzweise 


Molto  ylrnit 


rftl,fftf  ,f<^p-^ 


die  UDs  wieder  in  die  dentsche  Yolksmusik,  wieder  in  die 
N&he  yon  Dvofaks  grofiem  Ahnherrn  Franz  Scbubert 
fiihrt.  Dem  Cdur-Satz,  mil  dem  dieses  neae  Tbema  be- 
ginnt, folgt  eine  Fortsetzung  in  G  mit  weiteren  htibschen 
Motiven  als  zweiter  Teil,  und  dann  kommt  der  Cdar-Satz 
wieder.  Es  handelt  sich  also  in  der  Komposition  unseres 
Scherzos  um  die  Einschiebung  eines  dreiteiligen  Lied- 
satzes  an  die  S  telle  einer  etwaigen  Darchfahmng.  Durch 
diese  Einschiebung,  weiter  durch  die  Vorschiebung  des 
Trios,  durch  die  Aufnahme  von  Themen  aus  dem  zweiten 
und  ersten  Satz  hat  aber  Dvofak  seinem  Scherzo  einen 
ganz  auOerordentlich  individuellen  Charakter  gegeben. 
Das  hergebrachte  Formenschema  ist  zwar  benutzt  worden, 
aber  die  Formen  haben  eine  ganz  unerwartete  Bedeutnng 
und  SteUung  erhalten.  Der  eigentliche  geistige  Haupt- 
satz  ist  der  Cdur-Satz  geworden,  den  wir  eben  ver- 
lassen  haben.  Dvofak  hat  seine  wiederholt  gerUhmte 
Kunst  der  poetischen  und  dramatischen  Belebung  Beet- 
hovenscher  Formen  wiederum  glftnzend  bewiesen.  Man 
kann  nur  wunschen,  daB  di^ser  Beweis  auch  als  Muster 
dienen  moge! 

Die  Coda  des  Satzes  ist  vorzugsweise  dem  Haupt- 
thema aus  dem  ersten  Satz  der  Sinfonie  gewidmet;  ganz 
am  Schlusse  spielt  die  Trompete  noch  einmal  auf  den 
eingeschobenen  Cdur-Satz  an  und  bekraftigt  damit  die 
Wichtigkeit,  die  er  in  dem  nun  beendeten  Satz  ge- 
habt  hat. 

Das  Finale  der  Sinfonie  (Allegro  confuoco,  C)  Emoll) 
beginnt  in  einem  fthnlichen  Balladenton  wie  der  Schlufi- 

Eretischmar,  FlUirer.    I,  1.  38 


I 


594    4^ 


satz  von  Gades  Cmoll-Sinfonie.  Auch  Ihexnatisch  f&hlt 
man  sich  an  dieses  Werk  erinnert,  wenn  das  Hauptthema 
wie  folgt  einsetzt: 

Allegro  COD  fuoco.  Jz  182 

j*"Jrrirpi  n  i  jiTi  irr''nrrr  i 

.i^Horner  Q.  TrompeteD> 

p  [r  f  ^  r  I  fl^  ^^®^  ^®^  Charakter  der  indiani- 
•  schen  Kriegsmelodien,  wie  sie  etwa 

Baker  xnitteilt*),  geht  es  mit  groOem  Schwung  hinans. 
Es  kdnnle  ein  Kampflied  der  Puritaner  aus  den  Unab- 
h&ngigkeitsk&mpfen  sein.  Nachdem  das  voile  Orchester 
die  Melodie  abgeschlossen  hat,  findet  ihr  Siegesmut 
einen  weiteren,  nicht  mehr  feierlichen,  sondem  kr&ftig 
weltlichen  Ausdruck  im  folgenden  Thema,  das  seine 
frexndlM.ndische  Abstammung  durch  dreitaktiges  Metrum 
kundgibt 


Zum  zweiten  Male  in  der  Haupttonart,  BmoU,  gebracht, 
verliert  es  sich  anff&llig  schnell.  Die  Harmonie  sitzt  auf 
dem  venninderten  Septakkord  cts-e-g-h  fest;  zu  den  vielen 
alarmierenden  Elementen,  die  an  der  Stelle  zusammen- 
kommen,  steuert  auch  das  Schlagzeug  bei.  Wie  geister- 
haft  tritt  als  zweites  Thema  des  Finale  der  Gesang  der 
Klarinette  ein 

T 


^  dim. 


Er  bedeutet  Heimweh,   Sehnsucht  nach  'Vaterland  nnd 
Freanden,  den  EntschluB  znr  Rilckkehr  in  die  alte  Welt. 

*)  Th.  Baker:    t)ber    die   Musik   der   nordamerikanlschen 
WUden.    Leipzig  188^ 


^    595 

Wenn  wir  es  aus  dem  Thema  selbst  nicht  verstehen 
sollten,  aus  dem  schmerzlichen  Einsatz,  so  sagt  es  uns 
das  Motiv,  das  im  6*  Takt  begleitend  einsetzt  Das  stammt 
aus  Dvoi-aks  letzter  Sinfonie,  aus  seiner  vierten,  seiner 
bOhmischen  Sinfonie.  Diesem  elegischen  Thexna  der 
Klarinette,  das  die  Violinen  bald  anfnehmen,  scbickt 
Dvoi^ak  einen  frOhlichen  Nacbfolger  hinterdrein  , 

Sein  letzter  Taki  Ir&gt  in  Qbermii tiger  Fftrbung  langbin 
die  Fortsetzung,  bis  ibn  zuletzt  der  Fagott,  mit  dem  Cello 
vereint,  leise  aufnimmt  und  das  Motiv  ins  Humoristiscbe 
wendet  Ein  wenig  klingt  es  ja  auch  an  den  Mittelteil 
des  Cdursatzes  iro  Scberzo  an. 

In  der  Durchfiihrung  wecbselt  znnftchst  dieses  Motiv 
der  Heimkebr  —  wie  wirs  wohl  nennen  dQrfen  —  mit 
BruchstQcken  der  amerikaniscben  Them  en  des  Finale. 
Dann  Eetzt  in  Fdur  die  scb5ne  Hauptmelodie  des  zweiten 
Satzes  der  Sinfonie,  des  Largo  ein,  tritt  glSnzend  und 
glfinzender  heraus.  Daneben  stellt  sich  dann  der  Anfang 
vom  Hauptthema  das  Finale,  pldtzlicb  tritt  das  Horn, 
thema  herein,  mit  dem  die  Sinfonie  begann:  das  Motiv 
der  Erwartung.  Jetzt  gilt  es  wohl  der  Heimreise.  Noch 
eine  Weile  streiten  sich  im  Gemiite  des  Komponisten  und 
in  der  Durchfiihrung  ahe  und  neue  Welt.  Dann  erscheint 
im  Meno  mosso  das  Hauptthema  des  Finale  piano  von 
der  Oboe  in  tiefer  Lage  und  vom  Horn  seblasen,  bald 
darauf  das  zweite  Thema,  das  Thema  de^Heimwehs  in 
Edur.  Der  Abschied  ist  genommen,  der  Entschlufi  zur 
RQckkehr  gefaGt,  und  entschlossen ,  freudig  wird  er  aus- 
gefuhrt 

Zwei  nachgelassene  Sinfonien   des  Komponisten,     i.  DTo»k, 
die  eine  in  Es  aus  dem  Jahre  1872,  die  andere  in  D moll,  Zwei nachgela*- 
1874  komponiert,    sind   unbeachtet   geblieben.     In   ^'^^^^^l^^^^^^^ 
Esdur-Sinfonie  ist  das  Adagio  sehr  bedeutend.  Gleichfalls  ""    nade"*'** 
ziemlich  unbekannt  geblieben  ist  auch  Dvofaks  Sere* 

38* 


— ^    596    «^ 

nade  f&r  Blasinstrumente,  ein  durch  die  liebenswiirdige 
Mischang  von  individuellen  und  nationalen  Ziigen  eigenes 
und  fesselndes  Werk. 
zdenko  FlbiSh,  Unter  den  weitern  bdhmischen  Beitr&gen  zu  Sinfonie 
Sinfonie  in  Ea.^nd  Suite  erregen  die  Arbeiten  von  Zdenko  Fibi6h 
deshalb  das  Interesse,  weil  dieser  Komponist  durch  Ouver- 
tiiren  und  fihnlicbe  eins&lzige  Werke  ein  starkes,  in  der 
Erfindung  hervorragendes  Talent  bewiesen  hat.  Von 
seinen  zwei  Sinfonien  ist  die  zweite  (in  Es  dur)  in  Deutsch- 
land  bekannt  geworden,  bat  sich  jedoch  nnr  wenig  ver- 
breitet.  Das  hegt  wesentlich  an  ihrem  ersten  Satz.  Die- 
ser setzt  mit  einem  breiten  Tbema  ein: 

Allegro  moderate. 
ft.L   -.  Horner.  a>        "Viol. _, 

Holzblaser. 


F 


^  ir  ^*f'J''j  u^.>jvii^ 


das  den  Ton  einer  erhabnen  Naturode  anschl&gt,  an 
Wagners  Vorspiel  zum  Rheingold  und  an  ahnliche  Ton- 
oder  Wortdicbtnngen  erinnert,  die  auf  langgeschwungnen 
sch5nen  Wegen  zu  einem  m&chtigen,  unvergefilichen 
Hdhepunkt  fQhren.  Wir  sind  in  einer  Stimmung  wie  in 
der  Morgend&mmerung.  Der  Sonnenaufgang  kommt  aber 
nicht  in  dem  Satze.  Es  fehlt  ihm  eine  groGe,  klare  Ent- 
wickelung,  sogar  in  der  fiuOren  Gliederung  bleibt  er  etwas 
verwischt  —  hat  nur  prftludierenden  Charakter  und  ist 
ffir  seine  NatUr  zu  lang.  Dafi  die  Absichten  des  Kom- 
ponisten  weit  gin  gen,  ist  daraus  zu  ersehen,  daB  er  nicht 
blo6  das  erste  Thema  des  Satzes,  sondern  auch  das  an 
und  fiir  sich  nicht  bedeutende,  vom  folgenden  Anfang  aus 

^ ^     l,?rv-      sequenzenmfiBig   weiter    ge- 

'^kV    f"  ff^  I  ^     '     I  ^^^^*®  zweite  Thema  in  die 

'      I    '        '  spftteren    Sfttze   hineinzieht 

Diese  enthalten  sehr  viel  Frische,  Kraft,  Poesie  und  Kunst 

und  lassen  es  bedauern,  daB  der  Anfangssatz  der  Sinfonie 


•^    597    ^^ 

nicht  besser  gelungen  ist.  Das  nationale  Element  tritt  bei 
Fibioh  in  diesem  Werke  gdnzlich  in  dem  Hintergrund;  nur 
das  Scherzo  enth&lt  in  dem  Cmoll-Abschnitt  einen  Teil,  der 
auf  Volksmusik  zuriickgefiihrt  werden  kann.  Deatlicher 
verr&t  seine  Sinfonie  die  Einflilsse  Beethovens,  Mendels- 
sohns  und  Wagners.  Das  im  Entwarf  hervorragende  Adagio 
der  Sinfonie,  das  durch  EinfQgung  eines  mit  der  »G5tter- 
d&mmerting«  verwandten  Marschmotivs  aus  dem  Elegi- 
schen  ins  GroBdramatische  w&chst,  stellt  diese  drei  Messier 
dicht  zusammen. 

Unter  den  jQngeren  Komponisten,  die  in   den  Fu6- 
tapfen  Smetanas  and  Dvoraks  fQr  die  Existenz  und  Be- 
deutang  der  b6hmischen  Schule  in  die  Schranken  ge- 
treten  sind,  haben  die  verhftltnismftfiig  grGfiten  Erfolge 
J.  Sack  and  0.  Nedbal  gehabt,  jener  mit  seiner  Sin-  J. Saek. 
fonie  Asrael  und  einer  M&rchensuite,  dieser  mit  seiner  A.  Nedbal, 
Suite  mignonne.  Auch  Y.  Novak  geh5rt  mit  seinen  sinfo-  T.  NoTtk. 
nischen  Dichtungen  unter  die  FQhrer  der  Schule. 

Den  kQnstlerischen  Zielen  nach  gebCkhrt  unter  den  J.  Bmek, 
Werken  dieser  Tonsetzer  der  erste  Platz  dem  Asrael  Asrael. 
von  J.  Suck.  Diese  Sinfonie  geh5rt  allerdings  schon 
dem  Sto£f  nach  nicht  ins  Bereich  freundlicher  und  ein- 
nehmender  Kunst,  denn  sie  schildert  in  ihren  fiinf  S&tzen, 
von  denen  die  ersten  drei  den  ersten,  die  beiden  letzten 
den  zweiten  Teil  der  Komposition  bilden,  nur  trQbe  Schick- 
sale,  ihre  TOne  sind  deshalb  fast  ausschliefilich  auf  den 
Ausdruck  von  Trauer,  Klage  und  Sehnsucht  gerichtet, 
Tristanstimmungen  darchziehen  selbst  ihr  Scherzo.  Dazu 
macht  es  der  Komponist  dem  Hdrer  auch  noch  durch 
seinen  Stil  schwer.  Auch  bei  Suck  zeigt  es  sich  wieder, 
dafi  die  nationalen  Schulen  ein  besonders  fruchtbarer 
Boden  fdr  grammatische  Ktihnheiten  und  Extreme  sind: 
er  neigt  weit  fiber  den  Bedarf  hinaus  zur  Ghromatik,  zu 
Dissonanzen  und  sekundftren  Kontrapunkten  und  zu  all 
dem  Luxus  und  Ballast  demonstrativ  modemer  Opern- 
und  Instrumentalmusik,  den  man  einfach  als  »falschen 
Wagner<  bezeichnen  darf.  Aber  eine  beachtenswerte 
Leistung,  mit  der  auch  die  deutschen  Musikfreunde  sich 


-^    598    ^^ 

vertraut  xnachen  sollten,  ist  dieser  Asrael  immerhin.  Was 
ihn  auszeichnet,  ist  das  Talent  in  der  thematischen  £r- 
6ndung  und  der  feste  Gharakter  in  der  Durchf&hrung  der 
poetischen  Aufgaben. 

St&rker  als  in  anderen  Lftndern  hat  sich  der  Kultus 
nationaler  Masik  in  Rufiland  entwickelt.  Es  ist  erst 
durch  die  nationale  Bewegung  an  die  Pflege  der  h5hren 
Instrumentalmusik  herangefi^rt  worden  und  hat  sich 
wanderbar  schnell,  obwohl  ihm  Orchester,  Konzerte  und 
eine  Menge  der  wichtigsten  Vorbedingungen  zu  fehlen 
schienen,  in  ihr  eine  hervorragende  Stellung  errungen, 
die  sich  eine  Zeit  lang  sogar  zur  Fuhrerschait  anzu- 
lassen  schien.  An  Fruchtbarkeit  steht  die  russische 
Schale  obenan  und  ihre  Orchesterkomposition  weist  dem 
Yolkstumlichen  Element  einen  so  breiten  Raum  zii,  dafi. 
selbst  diejenigen  Komponisten,  deren  Bildung  eine  ent- 
schieden  westliche  und  internationale  ist,  sich  jener 
nationalen  Strdmung  nicht  entziehen  konnen.  Der  all- 
gemeine  europaische  Musikschatz  ist  durch  die  Russen 
stark  mit  Temperament  bereicbert  worden;  weniger  mit 
Ideen.  Denn  die  Mehrzabl  ihrer  Tonsetzer  bewegt  sich 
in  den  nationalen  Extremen  von  Weichheit  und  Ausge- 
lassenheit.  FQr  Kontrapunkt  und  Instrumentation  brin- 
gen  sie  eine  aufierordentliche  Bildung  und  Begabung  mit, 
die  ihrer  Musikschule  groOe  Ehre  macht.  Ihre  Leiden- 
schaft  filr  das  aas  den  Volkst&nzen  der  Heimat  gewohnte 
naturalislische  Variieren  mufi  jedoch  auf  die  Dauer  die 
Form  der  Sinfonie  zerstdreu  und  bedroht  folglich  auch 
den  Geist  dieser  Gattung  wie  kein  zweites  unter  den 
neuen  Elementen.  Das  patriotische  Streben  der  jungen 
russiscben  Tonsetzer  wird  durch  den  Reichtum  an  heimi- 
schen  Weisen  begUnstigt,  tiber  welche  das  vielst&mmige 
Riesenreich  verfugt.  Augenscheinlich  sind  es  die  der 
Kultur  ferner  stebenden  Volkerschaften,  zu  deren  musi- 
kalischen  Schfttzen  sich  die  Schule  besonders  hingezogen 
fiihlt.  An  Gedankengehalt  bieten  die  Weisen  dieser  Na- 
turvdlker  durchschnittlich  wenig:  zum  kleineren  Tell  sind 
es  langsame,  auch   innerlich  wenig  bewegte  Melodien, 


•--<^    599    «— 

aus  denen  die  Melancholie  and  die  Unendlichkeitsstim- 
mang  der  Steppe  spricht,  zum  weit  gr56ren  aber  kurze 
Tanzweisen,  welche  sich  dnrch  fortgesetzte  Wiederholnn- 
gen  desselben  Motivs  weiter  fristen.  iSie  halten  in  Bezug 
auf  melodischen  Wert  keinen  Vergleich  aus  mit  dem, 
was  die  Ungarn  nnd  BOhmen  auf  diesem  Gebiete  aufzn- 
weisen  haben,  und  selbst  die  Melodien  der  Skandinavier 
sind  ihnen  an  Reichtum  der  Pbantasie,  an  Freiheit  und 
Mannigfaltigkeit  der  Form  i!kberiegen.  In  dieser  Bezie- 
hung  bieten  die  russischen  AUegrothexnen  der  k&nstle- 
rischen  Behandlung  groBe  Schwierigkeiten.  Aber  diese 
Nomadenmnsik  hat  andere  Seiten,  von  welchen  aus  sie 
auf  die  kunstxnftOige  Komposition  sehr  belebend  einwirkt. 
Sie  neigt  zu  dramatischen  Formen  und  bietet  im  rein 
Klanglichen  die  erstaunlichsten  Origin alerscheinun gen. 
Das  Tonleben  jener  russischen  Stftmme,  welche  an  den 
Ufern  der  Wolga,  an  den  Ktisten  des  Schwarzen  Meeres 
und  in  den  T&lern  des  Kaukasus  dem  Krieger-  und  Hir- 
tenberuf  obliegen,  n&hrt  sich  von  den  Klftngen  der  Natur; 
ihre  Harmonien  bilden  sie  nach  dem  Verm5gen  der  am 
liebsten  glissando  ansprechenden  Balalaika  und  nach  der 
Gnade  von  Instrumenten,  welche  der  sanglustige  Reiters- 
mann  zu  Pferde  handhaben  kann,  ihre  Akkorde  werden 
nicht  von  gebuchten  Kunstlergesetzen  geregelt,  sondem 
vom  Zufall,  von  der  praktischen  Beqnemlichkeit  und  dem 
Streben,  sich  Gehor  zu  scha£fen,  ihre  Rhythmen  und 
Metren  wechseln  wie  die  Launen  des  Naturmenschen. 
Von  daher  kommt  in  den  Orchesterwerken  der  jungrus* 
sischen  Schule  der  bukolische  Grundton,  die  h&ufige 
Yerwendung  einfacher  und  doppelter  liegender  Stimmen, 
von  daher  kommen  die  elementaren  Ausbruche  unge- 
zQgelter  Lust,  von  daher  der  Eifer  und  auch  das  GlUck, 
mit  welchem  diese  Tonsetzer  ungewohnten  instrumen- 
talen  und  harmonischen  Kombinationen  nacbgehen,  die 
naive  Freude  an  dem  Wechsel  der  Klangfarben,  das  Be- 
hagen,  mit  welchem  sie  lange  Strecken  ein  unbedeuten- 
des  Motiv  von  einem  Instrumente  zum  andern  wandern 
lassen.      Von    der   kUnstlerischen   Seite,    in   Bezug  auf 


--t    600    ^^ 

Phantasie  and  Form  geprilft,  sind  diese  nationalrossischen 

Orchesterkompositionen  im  Durchschnitt  erfreulich,  teil- 

weise  im  hdchsten  Grad  fesselnd  —  immer  dabei  voraus- 

gesetzt,  dafi  hinter  dieser  rnssischen  Musik  noch  mehr 

als  hinter  der  rnssischen  Literatur  eine  von  der  onsren 

wesentlich   verschiedne  Welt   steht.     Wie  jede   in    der 

Bildung  begriffene   Schnle,   hat  auch  die  jnngrussische 

barocke  und  nnreife  Werke  auf  ihrem  Konto  stehen :  nn- 

gehenerliche  Versnche,  Stoffe  aus  der  rnssischen  Sage  und 

Geschichte  mnsikalisch  zn  bew&ltigen.    Aber  die  Mehr- 

zahl  der  Komponisten  h&lt  sich  ungef&hr  an  den  Typus, 

■•  Oltnka. welchen  M.  Glinka,  der  Vater  jener  Schule,  in  seiner 

Kamarinskaja,  die  Enropa  zuerst  mit  russischer  Instru- 

mentalmusik  bekannt  machte,  anfgestellt  hat:  die  Stim- 

mang  naiv,   heiter,  droUig,  ausgelassen,  von  grotesker 

Oder  trftumerischer  Poesie,  die  Form  besonders  gem  durch 

w5rtliches  Wiederholen  und  leichtes  Variieren  entwickelt. 

Wie  Glinka  selbst,  haben  auch  seine  n&chsten  Nachfolger 

Dargonliisky.  Dargominsky  und  A.  S^row  sich  nur  der  Variation  und 

i.  Serow.  ^QQ  kleineren  Formen  gewidmet.    Die  erste  Russische 

S  inf onie  hat,  wie  bereits  erw&hnt,  1866  der  heute  als  ein- 

Blaiiky-  geschworener  Program musiker  bekannte  Rimsky-Kors- 

Konsftkow.  sakow,    damals    noch   Marinekadett,    auf   einer  Welt- 

umsegelung  komponiert*].   Europa  erfuhr  von  dem  emst- 

lichen    rnssischen   Wettbewerb    in   Sinfonie    und    Suite 

p.TBciiatkowsky.  Oberzeugenderes  erst  durch  die  Arbeiten  Peter  Tschai- 

kowskys.  Ihn  wird  die  Geschichte,  trotz  des  kuriosen 
Widerspruchs  seiner  Landsleute,  als  den  Hauptvertreter 
der  rnssischen  Schule  ansprechen,  nicht  blofi  auf  Grund 
der  Menge  von  urrussischen  Themen  und  Motiven,  die 
er  in  alien  seinen  Werken  von  der  C  dur-Serenade  bis 
zur  Sinfonie  path^tique  verwendet  hat,  sondern  auch 
wegen  der  Unentschiedenheit  seines  kilnstlerischen  Cha- 
rakters,  wegen  des  Schwankens  zwischen  Tonsprache  und 
Tonspiel,  das  er  mit  vielen  seiner  Landsleute  gemein  hat 

*)  0.  y.  Riesemann:   Russische  Sinfonien  (Die  Mnsik, 
Jahrgang  1906/7). 


— »    601    ♦— 

• 

und  das  bis  in  seine  letzten  nnd  reifsten  Arbeiten 
geblieben  ist.  Aber  auch  unter  die  Meister  der  Ton* 
knnst  wird  ihn  die  Zuknnft  stellen,  denn  ist  er  anch  nicht 
bis  zur  hdcbsten  Vollendung  gelangt,  so  mnQ  man  doch 
die  Entwickelung  bewundern,  die  sich  in  seinen  letzten 
drei  Sinfonien  zeigt,  Werken,  die  nach  der  Biograpbie,  die 
Modeste  Tscbaikowsky  dem  verewigten  Brnder  gewidmet 
hat,  Niederscbl&ge  von  scbweren,  unter  den  Begriff  des 
Fatams  fallenden  Lebenserfahrungen  sind. 

Tschaikowskys  erste  bier  in  Betracht  kommenden  Ar-  p.Tiehaikowiky, 
beiten  sind:  die  Serenade  fUr  Streicbinstroinente  (op.  48)  Serenade, 
und  zwei  Suiten.  Die  Serenade  entb&lt  in  ibrem  einlei- 
tenden,  ersten  Satze  eine  interessante  Verbindung  von 
alter  (Hfindelscher)  und  neuer  (Sebum annscher)  Musik. 
Ibr  zweiter  Satz,  ein  gut  imitierter  deutscher  Walzer, 
weist  namentlich  in  den  zweistimmigen  Solostellen  der 
Violinen  naiv  liebenswiirdige  Ztkge  auf,  und  ibr  dritter, 
Elegie  betitelt,  z&hlt  in  seiner  scb5nen  Abendstimmung 
za  den  .poetisch  bervorragenden  StQcken  der  Gattung. 
Russiscb  ist  nur  das  Finale,  eine  Burleske  Uber  ein  kur- 
zes  Tanzthema.  Sie  gebt  in  ibren  Scberzen  Uber  das 
Mafi  hinaus  und  streift  die  Trivialit&t,  ein  Febler,  in 
welcben  der  durch  Begabung  und  Bildung  ausgezeich- 
nete  Komponist  bin  und  wieder  verf&Ut  Die  erste  p.Tiehalkowiky, 
Suite  bringt  das  nationale  Element  viel  entschiedener  ^nte  Suite, 
zur  Geltung.  Der  erste  Satz  durcb  einige  russische  Tlie- 
men  und  durcb  einen  geistigen  Gharakterzug  der  ganzen 
Schule :  die  Hartn&ckigkeit  im  Verfolgen  kleiner  EinflUle. 
Bald  naturalistisch,  bald  gelehrt,  versucben  die  Instru- 
mente,  wie  weit  sie  es  mit  dem  aufgesetzten  Motive  wobl 
treiben  konnen.  Der  Walzer  unterbricht  mit  vielen 
Stringendos  und  Ritardandos  die  bebagliche  Grundstim- 
mung  seines  Hauptthemas.  In  der  Blitte  veranlafit  jdas 
Erscheinen  einer  gewdbnlichen  Acbtelfigur  einen  wabren 
Tumult  Spezifische  russische  Melodien  hat  der  Satz 
nicht,  aber  mehrere  der  reinen  Freude  am  Klingen  von 
Akkord  und  Ton  gewidmete  schone  Stellen.  Namentlich 
der  Ausgang  des  Ganzen  geh5rt  in  diese  Kategorie.   Der 


-^    602    4— . 

dritte  Satz  ist  eine  echt  russische  Burleske,  welcher  fast 
von  Anfang  bis  zum  Ende  ein  und  das-  nn  i-^  ■ 
selbe  rhythmische  Motiv  zu  Grunde  liegt  J  •^^  •^N* 
Mit  wahrem  Fanatismus  feiern  es  die  Instrumente.  Der 
vierte  Satz  ist  eine  gat  gedachte  Tr&nmerei,  in  der  Form 
eines  Altemativs.  Die  beginnende  Melodie  in  A  moll  ist 
national,  der  Gegensatz  in  Adur  freie  und  fiir  die  L&nge 
nicht  recht  ansreichende  Erfindung.  An  Klangeffekten: 
Solis  von  englischem  Horn,  Piccolo,  Harfe,  hohen  Har- 
monien,  rauschenden  Mischungen  des  Rhyfhmus  ist  dieser 
Satz  sehr  reich.  Der  letzte  Satz  mischt  ein  russisches 
karzes  rhythmisch  gleichformiges  Tanzthema  mit  freien 
Stellen,  derenmusikalischerGehaltwesentlich  auf  Akkord- 
und  Instrnmentationseffekten  bernht.  Nicbt  blofi  dieser 
Satz,  sondern  die  ganze  Suite  entfaltet  nach  dieser  Seite 
bin  eine  unverkennbare  Originalit&t  und  ftuGert  eine 
nachhaltige  sinnlicbe  Wirkung.  Noch  weiter  geht  in 
F.TseiiftlkoiTiky, dieser  Richtung  die  sogenannte  »NuOknacker-Suite< 
Nuiftnacker-  Tschaikowskys ,  in  der  die  Klangscherze  nicht  ab- 
"^  ^'  reiOen.  U.  a.  ahmt  das  Orchester  in  ihrem  »marche 
miniature «  eine  Spieldose  nach.  Die  droUigen  Effekte 
dieser  Suite  entstammen  dem  franz5sischen  Musikboden 
und  haben  auf  die  jungfranz5sische  Scbule  stark  zurfick- 
gewirkt 

Die  voile  Bedeutung  und  die  Eigentiimlichkeit  Tschai- 
kowskys ist  erst  durch  seine  Sinfonien  ganz  klar  gewor- 
den.  Wenn  jene  Suiten,  Skizzen  und  Studien  auf  dem 
Gebiete  der  Stimmungsmalerei  und  der  Schilderung  hei- 
mischen  Volkstums  gleichen,  so  sind  seine  Sinfonien 
ausgefiihrte  Lebensbilder,  die  sich  um  seelische  Gegen- 
s&tze  fesselnd ,  frei ,  zuweilen  dramatisch  entwickeln. 
Tschaikowsky  ist  diesen  h6heren  Aufgaben  gegeniiber  in 
den  meisten  Punkten  der  Alte  geblieben:  ein  Komponist 
ohne  eigentliche  musikalische  OriginaliUt  im  strengeren 
Sinn,  wenig  w&hlerisch,  zuweilen  gewohnlich,  niemals 
neu  in  seinen  Ideen,  aber  eine  immer  offne  und  ehrliche, 
h&ufig  in  ihrer  Wftrme  und  Herzlichkeit  groBe  Natur. 
Was  aber  erst  diese  Sinfonien  an   ihm  zeigten,  das  ist 


--»    603    ^^ 

die  anfierordentliche  stilistische  Begabung,  die  F&higkeit, 
in  dem  alien  Formenbezirk  der  Sinfonie  sich  ganz  un- 
gezwungen  zu  bewegen  und  jederzeit  und  nach  jeder 
Richtung  auch  nngegangne  Wege  zu  finden,  die  den  ins 
Auge  gefaOten  poetischen  Absichten  gut  entsprechen. 
Die  Anregungen,  die  auf  diesem  Gebiete  Fr.  Liszt  gege- 
ben  bat,  sind  von  keinem  zweiten  so  geschickt,  so  frei- 
sinnig  and  doch  obne  alles  heraasfordernde  Wesen  auf- 
genommen  worden.  Zugleich  versteht  sicb  Tschaikowsky 
in  seinen  Sinfonien  auf  die  Nietzschesche  Kunst,  alten 
Gedanken,  aucb  wenn  sie  Gemeinpl&tze  sind,  durch  den 
Ton  des  Vortrags  und  durcb  die  Einstellung  auf  den 
gtinstigsten  Platz  einen  Schein  von  EigentQmlichkeit  und 
besonderer  Tapferkeit  zu  geben.  Aucb  die  Reichhaltig- 
keit  und  die  stets  Uberdacbte  Regsamkeit  des  Orchester- 
klangs  trfigt  zu  der  lebendigen  Wirkung  von  Tschaikows- 
kys  Sinfonien  mit  bei. 

Tschaikowskys  erste  Sinfonien  scheinen  im  Dunkel 
bleiben  zu  sollen ;  zuerst  ist  seine  letzte,  die  secbste  (aus 
dem  Nacblafi)  bekannt  geworden  und  bat  rUckwirkend 
die  ffinfte  und  die  vierte  nacb  sicb  gezogen.  Von  dieser 
vierten,  der  Manfred-Sinfonie,  ist  bei  den  zur  Programm- 
xnusik  gebdrigen  Werken  geredet  worden.  Auch  die 
fiinfte  Sinfonie  k5nnte  mit  einem  gewissen  Recht  in  P*Tiehftikowiky, 
diese  Abteilung  gestellt  warden.  Denn  auch  sie  fiihrt  ^^°"®  Sinfonie. 
ein  Programm,  oder  wie  Haydn  zu  sagen  pflegte,  einen 
Gharakter  durch  und  bekennt  auch  £lu6erlich,  daB  ibre 
S&tze  inhaltlich  enger  verbunden  sind;  ja  ihr  ftsthetischer 
Wert  ruht  haupts&chlich  darauf,  daB  diese  Musik  den 
Stempel  des  wirkiich  Erlebten  und  Empfundenen  tragt. 
Aus  dieser  Eigenschaft  ist  auch  die  Freiheit  und  teiU 
weise  neue  Ftkhrung  der  Form  entsprungen.  Tschai- 
kowsky ist  in  der  Weise  originell  geworden,  wie  Goethe 
es  empfohlen  hat. 

Das  Hauptthema  der  Sinfonie,  das  wie  ein  getreuer 
Eckart,  wie  ein  Mentor,  der  seinen  Telemach  begleitet, 
durch  alle  ibre  S&tze  mitgebt,  trelTen  wir  scfaon  an  ihrem 
Eingang.    Der  erste  Satz  beginnt  mit: 


-^    604 

ADdante.  J  =  80 


if"  ■;"'^i'"'1  irrrrnri  ^^te 


wie  mit  einem  Mahnwort,  das  ein  besorgter  Vater  frennd- 
lich  und  ernst  dem  in  die  Welt  ziehenden  begabten,  aber 
leicht  gerichteten  Sobn  zum  Abschied  gibt.  Es  klingt 
noch  eine  Weile  in  der  Seele  des  jungen  Wanderers 
fort;  dann  tritt  es  zurflck  gegen  neue  und  heitere  Ein- 
driicke,  die  mit  dem  ersten  Thema  des  der  Einleitnng 
(Andante)  sebr  bald  folgenden  Allegro  erscbeinen 


In  seiner  Vollst&ndigkeit  bildet  dieses  Thema  ein 
ganzes  Lied,  dem  sich  ein  lebenslustiger,  nach  alien 
Seiten  gefafiten  Sinn  beknndender  Text  mit  Leichtigkeit 
anpassen  lieO.  An  seinen  Schlufi  heften  sich  einige 
Sch5filinge  einer  wilden  Stimmung,  die  den  Charakter 
des  ganzen  Allegro  wesentlich  mit  bestimmen.  Es  ist 
das  keck,  mit  rau-      u  ^     und  noch  mehr  sind  es 

hem  Humor  hinab-|£"  [^  l^jF^  dieFiguren,  die  sich  ihm 
schlagende  Motiv :  *^     "  ^      ^^     unmittelbar  anscfalieOen 

_^ die  schon  zuerst  Ubermfltig 

r  J'J™^  I  r  g^nug  klingen  und  sich 
^~-^  '  spftter  immer  st&rker  dber 
Gleichgewicht  und  Ordnung  hinwegsetzen.  Der  oben  an- 
gegebene  Anfang  des  Wanderliedes  wird  nach  russischer 
Art  zun&chst  freigebig  wiederholt,  klingt  stftrker  und 
stUrker  und  steigert  seinen  frohlichen  Ausdruck  bald  bis 
an  die  Grenze  der  Ausschreitung,  stockt  da  lange  Zeit 
auf  dem  j  a  j  geht  in  einem  fff  in  die  hdheren  Grade 
Rhythmus  «•  •  ^  der  Ausgelassenheit  (iber,  wQrzt  sie 
dnrch  Nachahmungen  zwischen  Hornern  und  Geigen, 
durch  Gegenbewegungen   zwischen   letzteren    und    Po- 


.-^    605    ♦^ 

saunen  und  erreicht  so,  wie  das  Tschaikowkys  Mnsik 
gerne  hat,  eine  Stufe  des  unverkennbaren  Naturalismus. 
Hinter  ihr  erhebt  sich  aber  sofort  die  Stimme  der  guten 
Sitte,  der  inneren  Einkehr  in  einem  an  seiner  Stelle  sefar 
schdn  wirkenden  Gedanken,  der  noch  das  fdr  sich  hat, 
daO  er  zu  dem  Instigen,  munteren  ersten  Thema  in  einem 
formellen  Verwandtschaftsyerh9Jtnis  steht,  da6  er  wie 
das  Bild  der  Schwester  hereintritt: 


I    J-  II'  r?  P  ly"  'I   Er  ist  der  Gegensatz 
P  ^  iff"=^  mp^^   jenem;  aber  er  ist  ni( 


zu 
nicht 

das  eigentliche  zweite  Thema  des  Allegros  im  ubiichen 
Sinne.  Tschaikowsky  ist  hier  der  Meister  der  Form,  der 
iiberkommene  Ordnungen  nicht  bricht,  aber  weiterbildet. 
Der  freundliche  Klang  des  neuen  Them  as  wird  schw&cher, 
stockt  nnd  verlischt.  UngestQm  tritt  wieder  die  laute 
Lust  hervor,  zu  der  die  Frohlichkeit  des  ersten  Them  as 
sich  entwickelt  ^,^  _  -r  _  u  ^^s  ersten  Themas  stei- 
hatte:  Es  ruft  ift^Xr  P  P  ^  gende  Motive  folgen  im 
herausfordernd    ^   J^  '^  stiirmischen  Schritt.  Die 

ForLsetzung  aber  kommt  anders  als  man  erwartet:  eine 
lebhaft,  aber  edel  schwaxmerische  Weise 

f  Mill  riliir*ffTmrrpii^^ 

Sie  zieht  das  vorher  angefuhrte  Rufmotiv  wieder  an, 
verbindet  sich  mit  ihm  und  verkl&rt  sein  Ungestiim  zum 
Ausdruck  der  Begeisterung.  So  gleicht  der  Schlufi  der 
Themengruppe  gewissermaOen  dem  Jubel,  mit  dem  der 
JQngling,  seiner  Kraft  und  seines  Gluckes  sicher,  die  Zu- 
kunft  begrftOt,  die  er  vor  sich  zu  sehen  glaubt. 

Die  Durchf&hrung  fiihrt  schnell  aus  dem  hellen  D  dur, 
das  das  Ende  des  vorausgehenden  Abschnitts  beherrschte, 
hinweg.  Das  Rufmotiv  wendet  sich  in  femere  Tonarten, 
es  klingt  dunkler  und  nimmt  bald  den  Anfang  des  Wandrer- 


-^    606 

lieds,  des  Hauptthemas  des  Allegros,  als  Gesellschafter 
an  seine  Seite.  Der  Weg  wird  etwas  dichter  und  einsam. 
Da  kommt  mit  einem  Male  wie  ein  Oberfall  im  fff  eine 
Reminiszenz  an  die  aasgelassene  Stelle  am  Schlasse  des 
ersten  Themas,  wo  das  voile  Orchester  anf  dem  Rhythmns 
I  ■  .  tobte.  Auch  hier  wird  dieser  Aasbrnch  unge* 
i'  d  4  zttgelter  Empiindnng  wieder  dnrch  das  schwester- 
liche  Mittelthema  znrUckgewiesen,  jedoch  nicht  endgiltig. 
Zwar  versuchen  die  Instramente  mit  dem  Anfang  des 
Wanderlieds.einen  wohlgeordneten  und  in  Nachahmungen 
kunstvoll  gefUhrten  Gedankenaufbau.  Aber  in  andrer  Form 
schlftgt  eine  elementar  erregte,  bacchantische  Empfindung 
immer  wieder  durch,  n&mlich  in  Wiederholungen  des  Za- 
kunftsmotivs,  das  das  eigentliche  zweite  Thema  erdffnete. 
Sie  werden  reichlich  und  mit  ^ufierster  Kraft  geboten. 
In  ihren  Sturm  braust  gelegentlich  auch  das  Wanderlied 
einmal  hinein.  Im  ganzen  gibt  die  DurchfUhrung  noch 
mehr  als  die  Themengruppe  das  Bild  einer  durch  eine 
OberfQIle  von  Kraft  gefSlhrdeten,  einer  wenig  geb&ndigten 
Natur.  Sehr  eigentumlich  setzt  der  dritte  Teil  des  Satzes, 
die  sogenannte  Reprise,  nach  dem  sch5nen,  breiten  dimi- 
nuendo, in  dem  die  DurchfQhrung  zu  Ende  geht,  mit  dem 
Wanderthema  im  Fagott  ein.  Dieses  Instrument  scheint 
hier  den  Philister  zu  verkdrpern;  seine  halb  ungeschickte 
Munterkeit  wirkt  wie  ein  Hohn  auf  die  Szene  des  ge- 
waltigen,  erschreckenden  Aufschwungs,  die  eben  vorher- 
ging.  Dem  wird  nun  ein  ehrbares  SpSfichen,  der  Geni- 
alitilt  wird  die  Banalit&t  gegeniiber  gestellt.  Klanglich 
wirkt  der  Eintritt  der  Reprise,  weil  eine  Strecke  lang 
die  Holzblftser  allein  musizieren,  wie  ein  Gespr&ch  in  der 
Nebenstube.  Im  allgemeinen  verl&uft  der  dritte  Teil  des 
ersten  Satzes  ziemlich  gleichlautend  mit  der  Themen- 
gruppe. Das  freundlich,  weiblich  gestimmte  Mittelthema 
tritt  diesmal  ein,  ohne  vorher  vom  Tobcn  und  Au£schlagen 
barter  Eisenf&uste  geschreckt  zu  sein.  An  die  Gruppe 
des  zweiten  Thcma  knupft  sich  eine  kleine  Episode,  die 
sich  scheinbar  wie  eine  nochmalige  DurchfQhrung  anlftBt; 
sie  dient  aber  nur  zur  Pause  vor  einem  letzten  glftnzen- 


_^    607    ^^^ 

den  Aufzug  des  ersten  Themas,  das  allm&hlich  aus  der 
hochsten  Exstase  in  die  auBerste  Ruhe  zuriickkehrt  und 
sich  endlich  ins  Geheimnisvolle,  ins  Unh5rbare  verflOch- 
tigt.  Wie  hier,  so  f&IIt  auch  an  andren  Schliissen  des 
Satzes  und  an  den  Uberg&ngen  die  Gelassenheit  und  die 
ruhige  Breite  auf,  mit  der  sie  ausgeftihrt  sind.  Das  ist  in 
dieser  hastigen  Gegenwart  ein  Zeichen  innerer  Sicherheit 
und  Gesundheit  des  Komponisten. 

Der  zweite  Satz  der  Sinfonie  (Andante  cantabile,  ^^/g, 
D  dur)  steht  zum  ersten  in  einem  Verh&Itnis  wie  die  Rast,  . 
wie   die  Idylle  zur  Ausfahrt.    Die  sch5ne  Hornmelodie, 
die  nach  einigen  stillen,  an  Orgelklang  und  Kirche  er- 
innernden  Akkorden  einsetzt 

gehSrt  zu  jenen  GesSngen,  die  wir  unwillkurlich  auf 
innerstes  HerzensglQck,  auf  Jugendzeit  und  Liebe  deuten. 
Sie  paart  die  Zartheit  des  geheimen  Sehnens,  des  ersten 
Ahnens  mit  beil3er,  dr&ngender  Leidenschaftlichkeit  und 
ist  in  den  weichen  Vorhalten,  die  den  entscheidenden  Zug 
ihrer  &ui3eren  Erscheinung  bilden,  ein  AbkSmmling  von 
Beethovens  Andante  der  Neunten  Sinfonie,  in  der  Schule 
Schumanns  erzogen  und  weiter  gebildet.  Die  Dieterich 
und  Raff  waren  lange  die  Meister  in  solchen  Tongedich- 
ten.  Die  Weiterfiihrung  jener  oben  angegebenen  Periode 
dringt  in  noch  hShere  Wftrme-  aAa  ,^  i^  ,  I 
grade  der  Empfindung;  der  A^tl)giL.£J^J  I  j^'.^= 
Nachsatz  kehrt  mit  dem  Motiv  ^      ^^' 

zu  einer  beglUckten  Verschwiegenhelt  und  Selbstbeherr- 
schung  zuruck.  Sehr  bald  folgt  diesem  Hauptthema,  dem 
Ausdruck  des  Sehnens  und        ^  •   ^. 

n        ,  •        o  J  •  .  Coo  moto.   0  £,66  I 

Begehrens,  erne  Szene,  die  jh  r'.r^T^    "I-  i  * 

der  Erfullung  gleicht.  Sie  g'''JJ'''  ^  ^t'jfjp  '  T  '  "^ 
beginnt    wie    ein    Dialog  ^'** 

Das  Motiv,  das  hier  zur  Zwiesprache  dient,  finden  wir, 
nachdem  das  Hauptthema  des  Satzes  sich  im  Cello  noch 


^  I 


-^    608    ♦^ 

einmal  fast  nngestiim  hat  veraehmen  lassen,  erweitert  zu 


crescendo 

Das  ist  also  eine  Melodie,  die 
beschwichtigt  und  zugleich  ver- 

heiOt.    Hier  wirkt  sie  wie  die  Antwort,  die  Erhornng,  die 

der  Werbung   folgt;    sie  wird   bei  jeder  Wiederholnng 

gliihender  im  Ausdruck. 

Dem  eigentlichen  Gegensatz  zum  Hauptsatze  begegnen 

wir  in: 

Moderate  coo  aainia.  J  g  100  _ 

^\y,  f^rrt  IP  ^g^.  ip^y.  \Y^\'  i 

Aus  diesem  Thema  spricht  der  Zweifel,  die  Sorge  vor 
der  Znkunft  und  dem  Schicksal.  Es  wird  mit  diesen 
trflben  und  kleinlauten  Gedanken  sehr  ernst  genommen, 
Stimme  nach  Stimme  tragt  sie  steigemd  vor.  Als  sie 
eine  fast  drohende  Gestalt  angenommen  haben,  da  er- 
scheint  pldtzlich  das  Hauptthema  des  ersten  Satzes,  das 
ja,  wie  schon  erw&hnt,  das  Leitthema  der  ganzen  Sinfonie 
ist,  das  die  Stelle  des  guten  Geistes  im  Hause  einnimmt. 
Hier  tr5stet  es,  ermutigt,  hellt  wundervoll  auf  und  fQhrt 
zu  einer  Wiederholnng  der  beiden  Hauptmelodien  des 
Andante  im  glS,nzenden  und  triumphierenden  Ton,  einem 
Ton,  der  den  Charakter  des  Rausches,  des  Selbstver- 
gessens  annehmen  ¥dll.  In  diesem  Augenblick  erscheint 
das  Leitthema  -der  Sinfonie  wieder:  ernst,  auf  einem 
Septimenakkord,  mit  einem  An  Aug  von  Unwillen  und 
Verwunderung,  als  Warner.  Es  geht  in  einen  halb  klagen- 
den  Ton  aus,  wie  im  eignen  Bedauern  iiber  die  unver- 
meidliche  Strenge  und  fiihrt  zu  einem  schnellen,  ganz  in 
Abschiedsstimmung  gehaltenen  Schlufi  der  Liebesszene. 

Der  dritte  Satz  (Allegro  moderato,  3/4)  Adur)  sagt 
uns  durch  seine  Oberschrift:  Valse,  was  er  darstellen 
will.  Tschaikowsky  ist  merkwtirdiger  Weise  ein  Freund 
der  Walzer,    ohne    fiir    diese    Gattung    deutscher  Ver- 


--^    609    ^^ 

gnttgungen  eine  besondere  Begabung  zu  haben.  Dieser 
Walzer  seiner  fUnften  Sinfonie  tritt  merkwiirdig  hinketid 
und  stockend  aof,  wie  die  Metren  des  Hauptthemas 

^Allegro  Bodflfrato.  JslSB 

|f'l'll^5lll|llU,ll|l,J.iillUli,jillll      : 

allein  scboa  zeigen.  In  dem  dicbterischen  Plan  der  Sin- 
fonie hat  diese  Tanzszenewobl  die  Bestimmung,  eine  Stnnde 
der  Verf&hrung  vor  unsre  Phan- 
tasie  zu  rofen.  Der  Mittelsatz 
der  Nommer,  der  ttber  das  Motiv 
entwickelt  wird,  schildert  die  Verwirrung,  die  sich  der 
Seele  des  JUnglings  n&hert;  ihren  bedroblichen  Cha- 
rakter  markiert  die  Pauke  mil  aofregenden  Scbl&gen. 
Dieser  Mittelsatz  bat  die  Bedeutung  des  Trio  im  gew6bn- 
licben  Menuett  und  Scberzo.  Ms  der  Hauptsatz  wieder- 
kebrt,  zieht  er  die  Motive  des  zweiten  Themas  noch  eine 
Weile  mit  sicb.  In  einer  Fdur-Stelle,  die  kurz  gebalten 
ist,  aber  sich  durcb  den  starken  Klang  und  den  Qber- 
raschenden  Eintritt  geltend  macht,  kommt  Kraft,  Auf- 
scbwung,  Befreiung  und  das  Ende  des  Tonbilds. 

Das  Finale  beginnt  mit  demselben  uber  das  Leit- 
thema  der  Sinfonie  gebildeten  Andante,  das  ihren  ersten 
Satz  er5fi&iete.  Doch  stebt  es  jetzt  im  hellen  Edur,  klingt 
glftnzend  und  feierlich.  Den  feierlichen  Ton  verst&rken 
besonders  einige  Takte  in  breiten  Akkorden,  aus  denen 
man  Glockengel&ute  zu  h5ren  glaubt  Diese  Umbildung 
der  Einleitung  der  Sinfonie  will  sagen,  daB  das  in  Aus- 
sicht  gestellte  Ziel  nabezu  erreicht  ist,  dafi  das  fiir 
die  Zukunft  gegebene  Versprechen  nun  eingel5st  wird. 
Doch  gilt  es  noch  einen  letzten  Kampf ,  den  der  Kom- 
ponist  in  einem  Allegro  vivace  [(^,  Emoll)  darstellt, 
dessen      erste  Allegro  vivmeo.  J  s  120 

StTSfE  f 1^1^ 

anf&ngt.       Es      ^.^  zu  grofi  aus- 

wird  mit  sei-  ft'r'fl'r^fir     holenden   Pe- 
ner Umbildung  ^  rioden  verbun- 

Kretiseliinar,  F&lirer.    I,  1.  39 


610 


den,  durch 


schattiert  und  durch  den  ruhigeren  and  friedvoUeren 
Gedanken 

P  — -^— ==d      4/"         ^ 

ansgel5st,  den  die  Instrumente  zeitweilig  als  Kanon  fest- 
zuhalten  suchen.  Als  eigentliches  Gegenthema  im  Allegro 
dient  eine  Weise,  deren  Zusammenhang  mit  dem  zweiten 
Satz  der  Sinfonie,  mit  deren  Hauptthema ,  nicht  zu  ver- 
kennen  ist: 


\rfl}f  in^ifr  \r\  I 


fTjir^i  J  I  '^^  fUs  a>ui.  Die  Vorhalte  bezeugen 
I  -I  r  '  "  '  kj^^  die  Verwandtschafl,  und 
die  Meinung  des  Tondichters  ist,  daB  die  Liebe  den 
K£lmpfer  leitet  und  st&rkt.  Er  schlieBt  die  um  dieses 
Liebesthema  gebildete  Gruppe  damit,  daB  das  Leitthema 
der  Sinfonie  im  triumphierenden  Ton  einsetzt,  und  knQpft 
daran  einige  freie,  ausgeprftgt  heroische  Worte  der  Po- 
saunen  und  Trompeten.  Sie  haben  zur  Folge,  daB  die 
Hauptmotive  der  beiden  AUegrothemen  noch  einmal  im 
kr&ftigsten  und  stolzesten  Ausdruck  durchphantasiert 
werden;  dann  folgt  die  sogenannte  Reprise,  die  Wieder- 
holung  des  Thementeils  des  Allegros,  neu  eingeleitet  mit 
der  mutig  ausblickenden  Zeile: 


Nach  dem  rein  musikalischen  Wert  geh5rt  dieses  Allegro 
im  SchluBsatz  von  Tschaikowskys  fiinfter  Sinfonie  zu  den 
S&tzen,  die  uns  vor  der  Oberschfttzung  dieses  Komponisten 


-^    611    V- 

behfkten  kdnnen.  Die  Erfindung  ist  gewdhnlich,  die  Ans- 
fflhrung  l&ssig  breit  und  bequem  nach  der  russischen 
Methode  des  unbeschr&nkten  Wiederholens  gehandhabt, 
die  bei  Scbilderungen  aus  dem  Volksleben,  aber  nicht 
bier  am  Platz  ist.  Docb  mnfi  man  aucb  bier  wieder  die 
Klarbeit  nnd  wohlberecbnete  Wirkung  der  kQnstlerischen 
Anlage,  desFormeDaafbausanerkennen;  die  dichterischeD 
Absicbten  sind  vortrefflicb  nnd  treten  deutlicb  genug  her- 
Yor.  Der  Endzweck  war,  das  gute  Ende  des  Finales  vor- 
znbereiten  nnd  dorch  einen  Gegensatz  zu  heben.  Dieses 
Bnde  selbst  ist  nichts  anderes  als  der  Anfang  der  Sinfonie, 
das  Andante  in  Edur  und  als  Maestoso  bezeichnet.  Im 
Stile  der  JnbelouvertUre  behandelt,  scblieBt  es  die  Sin- 
fonie and  erbftlt  ein  Presto,  in  dem  Tbemen  ans  dem 
Allegro  noch  einmal  voriiberrauschen  als  Anhang  und 
Krone. 

Seine  secbste  Sinfonie  (Hmoll)  hat  Tscbaikowsky P.Ttehalkowiky, 
patbetisch  genannt.    Sie  ist  das  im  ersten  Satz;  im  SechsU Sinfonie 
zweiten  und  dritten  ruhen  Leid  und  Leidenscbaften;  der     (P**"*"^®-) 
SchluBsatz  stimmt  wider  Vermuten  ein  schweres  Web- 
klagen  an. 

Wie  der  erste  Satz  am  moisten  dem  Programm 
getreu  wird,  so  ist  er  aucb  der  Arbeit  und  der-Anlage 
nacb  der  bedeutendste  und  von  starker  Wirkung  nament- 
lich  durcb  klare  Gegens&tze.  Er  sucbt  darzustellen,  wie 
sicb  eine  edie  Natur  von  scbwerem  Gemiitsdruck  durcb 
Kftmpfen,  durcb  Erinnern  und  Hoffen  zu  befreien  sucbt, 
nnd  bedient  sicb  dazu  einer  Form,  die  im  wesentlicben 
den  bergebracbten  Verb&ltnissen  des  Sonatensatzes  ent- 
spricbt.  Die  Einteilung  in  Tbemengruppe,  DurcbfQbrung 
und  Reprise  ist  beibehalten,  ein  sehr  gescbickter  Tempo- 
wecbsel  gibt  ibr  jedoch  den  Cbarakter  der  Urspriinglich- 
keit.  Der  Satz  beginnt  mit  einem  kurzen  Adagio  in  Trauer- 
klang:  Das  Fagott  h&It  die  Rede,  und  tiefe  Instrumente 
umsteben  es  allein;  erst  am  Schlufi  Ada«io.J=64 

h5rt  man  von  den  Oboen  einen  kur-  in|L „  y^  i "■  ■  ■ 
2en  Seufzer.  Der  Spruch,  der  dem  *"J^  '  j^  ' 
Satz  zugrunde  liegt,  ist  das  Motiv:  W*"^*^ 

39* 


— fr    612    «— 

Ans  ilim  wird  folgende  Melodie: 

Adagio. 

jj.i^j  jj'^ijJ, i^N^g' 

gestaltet,  sie  wird  wiederholt;  ein  Anhang  von  6  Takten, 
den  die  Bratsche  abschlieOt,  folgt,  und  damit  ist  die  Ein- 
leitung  beendet,  eine  Situation  gegeben,  die  nicht  ohne 
Klarnng  bleiben  kann.  Das  AUegro  Qbernimmt  sie  und 
wendet  sich  ohne  weiteres  dem  Motiv  zu,  das  den  Gegen- 
stand  der  Klagen  in  der  Einleitung  bildete.  £r  formt  aas 
ihm  folgendes  Thema: 


AQegro  non  troppo. 


'fff(I'"f''idLii 


Die  Bratschen  haben  es  aufgestellt,  FI5ten  und  Klarinetten 
Ubernehmen  es:  es  bleibt  ihm  also  zun£lchst  der  belegte 
Klang,  der  gedriickte,  traurige  Charakter.  Das  wird  mil 
dem  Augenblick  anders,  wo  es  in  die  H&nde  der  Violin  en 
kommt.  Die  tragen  es  im  Nu  nach  D  moll,  eilen  mit  ihm 
von  Tonart  zu  Tonart  und  ins  Forte  und  zur  Hohe.  Sie 
gehen  dem  Grund  der  Trauer  in  hdchster  Erregung  nach 
und  machen  es  jedem  H5rer  schnell  klar:  warum  der 
Komponist  seine  Sinfonie  pathetisch  genannt  hat  Wie 
aber  Tschaikowsky  gem  die  schwere  Hiistung  bei  erster 
Oelegenheit  mit  einem  leichteren  Gewand  vertauscht,  so 
gibt  er  auch  jetzt,  eben  in  dem  Augenblick,  wo  seine 
Musik  ernstlich  leidenschaftlich  wurde,  diesen  Ton  zunftchst 
wieder  auf.    Mit 


<'itj?jji.r5Q/7^ 


^ _  vj 


*>.ri   1^^  .  <-^:    r^^    .  beginnen  die  Instrumen- 

^^  JjlJ   I   I  f1lfrprpr|ifpl..%..  ej„e  Weile   ztt 

^"^ — '  scherzen;  dieWendung 


613 


netten      abge-  ^^ 
kdrzt   xmd.   ge-|py 

TnilflArt  xiririi   in  iT 


in  deaVioli- 
nen,  die  von 
den  Klari- 
dient 


milder!  wird  in*'^  iV 
Iftngeren  Tonspiel,  in  dem  die  heiteren,  neckischen  Qrazien 
von  der  Tondichtang  Besitz  nehmen  nnd  die  Grenzen 
leidenschaftlicher  Empfindung  nur  ganz  fliichtig  berQhren. 
Beim  *xxn  poco  animando*  findet  aber  der  Komponist 
an  der  Hand  ^^  t     i       \>^    i^  zum  Sturm  ruft» 

derTrompe-i|y]»~p-j»    [L.V  |  T    V    P=  den  Weg  zur  ei- 
te,  die   mitv"^""^^     ^  gentlichen   Auf- 

gabe  des  Allegros  sehr  schnell  znriick  und  entwirft  ein 
kurzes,  aber  gewaltig  wirksames  Bild  einer  Leidenschaft, 
die  den  Gegner  fest  packt  und  nicht  vom  Platze  weicht.  Die 
Harmonie  IftBt  nicht  von  ibrem  Bafi;  immer  wiederholen 
sich  die  beiden  Tdne  e  und  es,  die  Melodieinstrumente 
riitteln  uber  zwolf  Takte  immer  nur  an  demselben  Motiv : 
jjl_  pip^,,_pn^i^  Endlich  bleibt  von  dem  Aufgebot  an 
ft'g  4  m  w\4J  i  4  Kraft,  das  das  ganze  Orchester  in  auf- 
^    f  regende  Tfttigkeit  gesetzt  batte,  das 

Cello  allein  iibrig  und  wird  ruhiger  und  rahiger.  Die  Brat- 
scben,  die  diesen  Abschnitt  des  ersten  Satzes  began  nen, 
scbliefien  ihn  mit  einer  leisen  bangen  Frage:  die  Ant- 
wort  kommt  in  einem  Andante,  das  in  dem  ersten  Satze 
dieser  Sinfonie  die  RoUe  des  zweiten  Themas  und  seines 
Kreises  einnimmt  Die  Wortfiihrer  der  Russischen  Schule 
haben  es  Tschaikowsky  iibel  vermerkt,  daB  er  bei  ele- 
gischen  Aufgaben  seine  NationaHtat  vergifit.  So  spricht 
er  auch  bier,  wo  er  trdsten,  erwSrmen,  beglucken  will, 
efn  unverf&lschtes  musikalisches  Deutsch.  Die  Melodie, 
die  sein  zweites  Thema  bildet,  kdnnte,  wie  der  Anfang 
I  ^^  beweist,  ganz  eut  in 

-Piir  fT^i    I  -TT  I    !  !■    -    I     I      Schnmanns    »Para- 

A-*-^i  f         j  "-"    '      P    ^   '^     Jdiesui^dPeri«stehen; 

^  '^  ~  —  «*«•  flie  fangt  so  an  wie 

das  Vorspiel  dieses  Werkes.    Auch  ihr  Mittelsatz  bleibt  in 


614 


Ahnlichwie 
es  mit  dem 
'f  '  1 — •^'   «i^-*=i      ersten  The- 

ma  des  Satzes  geschah,  wird  auch  dieses  zweite  zun&cfast 
unterbrochen  and  dorch  einen  Gedanken  ersetzt,  der  sich 
mit  dem  Programm  an  diesem  Punkte  ebenfalls  verbinden 
nnd  als  eine  Steigernng  der  von  dem  zweiten  Thema  er- 
5ffneten  frenndlichen  Aussichten  deuten  IftGt.  Er  gibt  dem 
Komponisten  erwiinschte  Gelegenheit,  sich  in  dem  ge* 
liebten  Gebiete  anmutigen  Tonspiels  zu  ergehen.  Wir 
h5ren  das  neue  Thema  vielfach  innachahmendenFormen; 
zun&chst  fiihren  F15te  und  Fagott  das  Gesprftch.  Der 
Zusammenhang  mit  dem  Hauptgegenstand  dieses  Teils 
wird  dann  bald  dadurch  hergestellt,  daB  die  Holzbl&ser 
das  Mittelstuck  des  zweiten  Themas  in  der  Form: 


«j/^V- 


aufnehmen  nnd  fleiOig  wiederholend  zu  dem  neuen  spie- 
lerischen  Seitenthema  in  einen  Gegensatz  bringen.  Sie 
verdr&ngen  es  und  fQhren  zu  dem  Trostgesang,  der  das 
Andante  erQffhete,  zuruck.  Er  kommt  jetzt  im  Glanz  des' 
vollen  Orchesters  siegessicher  und  schlUfert  Sorgen  und 
Leiden  ein.  Der  Komponist  teilt  das  in  einem  kleinen 
Anhang  mit,  der  von  dem  Einsatz 

^    Moderato  assal.  J:88. 


if:^'^ 


p 


aus  ganz  still  entziickt  verloscht  Ganz  zuletzt  stimmt 
die  Klarinette  noch  einmal  die  sch5ne  Trostmelodie  im 
Adagio  an;  sie  h6rt  mit  ppppp  auf.  Das  ist  so,  dafi 
sich  der  Spieler  kaum  selbst  noch  deutlich  h5ren  darf! 
Generalpause.  Und  darauf  im  ff  ein  Allegro  vivo, 
das  mit  der  Dissonanz  ces-g  a  und  mit  dem  w&tenden 
Ausruf: 


-<fr    615 


"^"^  =^        «/•  «r         if  if    ^ 

herein  stflrzt 

Das  ist  ein  Aufwachen  mit  Entsetzen,  wie  wir  es 
&hnlich  vom  SchluGsatze  der  neunten  Sinfonie  her  kennen; 
nur  stofien  Himmel  und  Hdlle  hier  bei  Tschaikowsky  ganz 
UDvermittelt  und  hart  aufeinander. 

Wir  sind  mit  dieser  Stelle  in  den  Durchfiihrungsteil 
des  ersten  Satzes  eingetreten.  Er  hat  zwei  Abschnitte. 
Der  erste,  dem  Anfang  entsprechend,  in  ftnBerster  Auf- 
regung  gehalten,  setzt  zweimal  mit  dem  Hauptthema  des 
Allegro  (von  Dmoll  und  Emoll  aus)  zu  einer  wilden 
Fuge  an,  an  der  sich  jedoch  nur  die  ersten  Violinen 
und  die  BS,sse  beteiligen.  Die  zweiten  Violinen  und 
Bratschen  treiben  einander  in  die  Leidenschaft  mit  dem 
Them  a: 


^jrff^LuJL^ 


JBTs^fiank 


J  .p;  \A\kr^rJ  p=  ^^^  ^^^ser  rufen  schrill  und 


if^  ^rir  'I  I'l   I  I  |i|  i| 


heftig  in  kurzen  Motiven 
und  in  liegenden  Stimmen  dazwischen.  Als  die  Erregung 
die  Spitze  erreicht  hat,  bhngen  die  Trompeten  die  mitt* 
leren  Takte  aus  dem  zweiten  Thema  jetzt  in  der  Form: 

und  im  ver- 
zweifeltsten 
Ton.      Der 

Anlauf  endet  erfolglos  und  vergeblich,  die  Posaunen  und 
Tuben  stimmen  ein  S&tzchen  an,  das  einem  Grabgesang 
fthnlich  sieht.  Als  sich  Trompeten  und  H5rner  ihnen  an- 
schliefien,  wird  das  Feuer  noch  einmal  entfacht  und  es 
kommt  zu  einem  zweiten  leidenschaftlichen  Ausbruch. 
Auch  dieser  zweite  Abschnitt  der  DurchfUhrung  erregt  und 
ergreift,  aber  in  einem  andern  Sinn  als  der  erste:  Dort 
Ringen,  hier  Rlagen.  Er  endet  in  Resignation  und  filhrt  so 
sehr  natiirlich  in  den  Trauerton  zuriick,  mit  dem  das  Alle- 


616 


gro  und  das  erste  Hanptthema  des  Satzes  begann.  Die 
Reprise  setzt  zunftchst  im  engen  AnschluB  an  das  Ende  der 
Durchftthrung  in  B  moll  ein.  Als  sie  die  Haupttonart  er- 
leicht,  schlagen  die  Wogen  der  Leidenschaft  schon  wieder 
hoch ;  das  Hauptthema  wird  Silbe  f  iir  Silbe  in  Nachahmnngen 
wiederholt,  es  klingt  gewissennafien  mil  solcber  Gewalt 
hinans,  daB  es  die  W&nde  widerhallen.  Die  abschwei- 
fende  Episode,  die  im  ersten  Teile  dem  Hauptthema 
folgte,  f&Ilt  in  der  Reprise  weg.  Das  zweite  Hauptthema 
(jetzt  in  H  dur)  gelangt  dadurch  zu  grower  Bedeutung  und 
gibt  dem  Ende  des  Satzes  sein  hoffnungsvoUes  Gepr&ge. 
Ein  kurzer  Anhang  (Andante  mosso)   fiber  das  Thema 

bildet  den  zarten  Schlufi. 

Im  zweiten  Satz  (Allegro  con  grazia,  ^4*  D  dur) 
macht  der  Pathetiker  dem  behaglichen  Epikurker  Platz. 
Wir  haben  es  hier  mit  einem  fi.hnlichen  Versuch  zu  tun, 
einen  heiteren  Satz  an  die  Stelle  des  tiblichen  Adagio  zu 
bringen,  wie  ihn  Beethoven  in  seiner  achten  Sinfonie 
untemommen  hat.  Die  Wirkung  hat  auch  hier  dem  Kom- 
ponisten  recht  gegeben.  Der  Zuhdrer  verzichtet  nach  den 
durchlebten  Sttirmen  des  ersten  Satzes  gem  auf  bohe 
Gedanken  und  tiefste  GefUhle  und  freut  sich  fiber  das 
trauliche  Stilleben,  das  ihm  hier  geboten  wird.  Es  ffigt 
zu  seinem  Wert  als  Erholungsstfick  noch  den  Reiz  einer 
musikalischen  Seltenheit:  es  fQhrt  den  sonst  im  wesent- 
lichen  nur  fttr  die  Gelehrten  existierenden  Vi^by^oius 
praktisch  durch  und  lost  diese  Aufgabe  ganz  anmutig. 
Auch  andere  russische  Sinfoniker  arbeiten  mit  ^4'  ^nd 
"^^Takten  gern  und  gliicklich,  weil  diese  Rhythmen  in  der 
Tussischen  Volksmusik  heimisch  sind.  Die  Anlage  der 
kleinen  zierlichen  Komposition  ist  hSchst  einfach.  Der 
Hauptsatz  hat  als  erstes  Thema  die  Melodie 


617 


Sie  komint  viermal  hintereinander.  Darauf  folgt  ein 
Seitensatz  mil  dem  von  der  Hauptmelodie  abgeleiteten 
Thema: 


/»»•*/ 


das  ebenfalls  viermal  darchgespielt  wird.  Daranf  kehrt 
die  Hauptmelodie  zurUck,  und  erst  als  sie  zum  dritten 
Vorbeizag  ansetzt,  wendet  sie  sich  aus  D  dar  hinweg  und 
l&Bt  in  den  sittsam  und  artig  gleitenden  Reigen  einige 
krftftigere  Tdne  herein: 


If     * 


Die  vielen  Wiederholungen  beruhen,  ebenso  wie  der 
Takt,  auf  Einfliissen  russischer  Volksmusik.  Es  muB 
dem  Komponisten  nachgerQhmt  werden,  daB  er  in  der 
Umkleidung  der  einfachen  Figuren  mit  neuen  Klangen 
aufierordentlich  erfinderisch  gewesen  ist.  Die  Wieder- 
holungen sind  ebenso  viele  Variationen  in  der  Instru- 
mentierung.  AuGerdem  liegt  aber  in  der  Einformigkeit, 
in  dem  Festhalten  an  demselben  Phantasiekreise  in 
diesem  Falle  nicht  blo6  ein  gewisser  Balsam,  der  nach 
dem  ersten  Satz  heilend  wirkt;  es  liegt  darin  auch  die 
Poesie  des  kleinen  Tonbildes.  Denn  es  ist  gedacht  als 
eine  Musik  aus  V&terzeiten,  gewissermaBen  als  ein  alt- 
russischer  Menuett,  als  ein  Stiick  friedlichster  und  be- 
freiender  Erinnerungen.  Der  Mittelsatz  hat  einen  absicht- 
lichen  l&ndlichen  Beiklang:  Sein  Thema 


fiunn  ir^^ 


und  die  zu  ihm  geh5renden  Umbildungen  und  Ergfinzungen 
ruhen  alle  auf  demselben  Orgelpunkt:  d  im  BaB.    Es  ist 


-^    618    ♦— 

• 

als  wenn  die  Leute  aus  dem  Dorf  Besuch  auf  dem  Schlosse 
machten.  Zierlich,  wie  die  ganze  Nummer  gedacht,  ver- 
kliogt  si^  in  der  zartesten  Weise. 

Der  dritte  Satz  (Allegro  molto  vivace,  ^/s,  Gdur) 
hat  die  fiuBerst  starke  sinnliche  Wirkung  ffir  sich:  FQr 
deD  Klang  dieser  Komposition  sind  alle  Register  gezogen, 
vom  leisen  S&useln,  von  den  niedlicbsten  Elfenstimmen 
bis  znm  formlichen  Orchesterorkan;  die  Form  entwickelt 
sich  durch  die  immer  gr5l3ere  Anhftufung  gleicher  Glieder 
und  Bestandteile  nach  dem  Muster  des  Heerwurms  zn 
einem  bedriickenden  Ph&nomen.  Es  hat  unstreitig  an 
diesem  Satz  ein  gew5hnlicher  Naturalismns  einen  starken 
Anteil ;  gleichwohl  ist  er  auch  nicht  ohne  OriginalitUti  und 
diese  liegt  darin,  daB  die  Gattungen  des  Scherzos  und 
des  Marsches  in  ihm  sich  verbinden.  Als  Scherzo  beginnt 
er  mit  einem  Thema: 

Allegro  molto  vlTaeo.  J  :  IBS 


rp  JJ^  p  ^»  p  /Tn  |,^  ^f  «in^°^^  Mtickentanz 
^  "  m  '  '  Oder  irgendeinem  Freu- 
denfest  fldchtigster  und  heimlichster  Lebewesen  zur  musi- 
kalischen  Unterlage  dienen  k5nnte.  Man  hat  seine  Freude 
an  diesen  bin-  und  herhuschenden  T5nen  und  merkt 
dariiber  lange  nicht,  daO  sich  ihrem  Spiel,  bald  nach- 
dem    es    begonnen      ^^ 

hat,  ein  fremder  %  h  '^  rj^Lti''  k  **  I 
Gast  beigesellt  hat:  i^  "  -^^J"  4^  ' 
Die  B&sse  fahren,  wie  in  Mendelssohns  Sommemachts- 
traum  mit  langeh  T5nen  plump  drollig  dazwischen.  Auch 
Berliozsche  Geister  kommen  in  pizzcato-Noten  und  andren 
Instrumentenfeinheiten  aus  der  >Fee  Mabc  zum  Besuch. 
Es  ist  ein  reizendes  Sttlck  freundlichster  Gespenster- 
musik,  ftir  das  der  Komponist  reiche  und  belebende  Ein- 
fftlle  jeglicher  Art  zur  Verftlgung  zu  haben  scheint.   Wir 


619 


hdren  GemUtskl&nge,  als  es  zur  ersten  Wiederholung  kommt 

.|^    1^ ^    py^  wir  hOren  immer  neue  Ko- 

m^lf^ T'  f    r't4^,fJ3    I  j)  :  boldlaute,   namentlich  von 

*^  den  Bl&sern  her.  Wir  hdren 

aber  anch,  wie  das  flotte  Marschmotiv,  daB  sich  zuerst 

80  anbemerkt  nnd  klein  herein  gestohlen  hatte,  anw&chst 

und  sich  nach  vorn  dr&ngt.   Die  Violinen  bringen  es  als: 


Gleich  daranf  antworten  die  H5rner: 


j*  h^  Jtiln  ^ 


Es  f&ngt  an,  anhaltend  mit  seinem  flotten  Rhythmns  durch 
die  Bl&ser  zu  Ziehen,  und  nicht  lange  dauert  es  nun  mehr, 
da  sind  die  Elfen  auf  die  Seite  gedr&ngt,  mUssen  ganz 
fliehen,  und  die  Musik  zieht  daher  wie  ein  lustiges  fran« 
z5sisches  Bataillon :  Ein  unverf&lschter  Geschwindmarsch 
ist  in  neuer  Tonart  (E  dur)  eingetreten,  dies  ist  sein  Haupt- 
thema: 


Er    ist    leichtfdfiig   und   leichtherzig,    macht   aber   zur 
Abwechselung  auch  grimmige   Geberden,  z.  B.: 

fhh  Ji  ^  I  r'^r  r  r  f  f    «»*  mn  rn  \  j. 

und  zeigt  sich 


barsch     und 
kraftvoll  mit: 


Zun&chst 
benimmt 
er      sich 


aber  im  ganzen  so  maCvoll  wie  es  dem  Trio  im  Scherzo 
geziemt.  Er  zieht  sich  zur  rechten  Zeit  zuriick  und  die 
Elfen  kehren  wieder.  Doch  bleibt  es  nicht  dabei,  son- 
dem  der  Marsch  drftngt  ein  zweites  Mai  auf  den  Haupt- 
platz  und  entwickelt  nun  ein  Beharrungsverm5gen,  dessen 


--♦    620    ^^ 

UngebQhrlichkeit  sich  weder  mit  der  Berufang  auf  die 
russische  Volksxnusik,  noch  mit  dem  Hinweis  auf  die 
gl&nzenden  Toiletten,  die  das  Orchester  anlegt,  verdecken 
]&fit.  Auch  mit  dem  Programm  der  Sinfonie  l&6t  sich 
diese  Marschmusik  nicht  in  Verb  in  dung  bringen.  Sie  ist 
nicht  pathetisch  und  auch  nicht  heroisch,  wie  man  be- 
hauptet  hat,  sondem  in  ihrem  Grundcharakter  einfach 
gew5hnlich,  ungef&hr  von  der  Art,  die  Raff  einhielt,  wenn 
er  reitende  Hexen  schildern  wollte.  An  Raff  erinnert  der 
Satz  tats&chlich,  wie  Tschaikowskys  allgemeine  Verwand- 
schaft  mit  diesem  Komponisten  eigentlich  nismandem 
entgehen  kann.  Nur  ist  die  Naturfrische  des  Russen  be- 
deutender,  und  mit  ihr  h&ngt  das  Farbentalent  zusammen, 
von  dem  er  hier  eine  Probe  gegeben  hat,  die  die  meisten 
Konzertbesucher  zu  berauschen  und  zu  fiberwaltigea  pflegt 
Mit  einem  ungeheuer  groOen  Gegensatz  der  Stimmung 
setzt  darauf  das  Finale  (Adagio  lamentoso,  Vit  Hmoll) 
ein.  In  den  trauernden  Motiven  des  ersten  Satzes  barg 
sich  Kraft  und  Stre-  / 1    .  \ 

ben:    hier  aber   er-    n(,  Adagio ^^m^entoso. (J  =  54)^^     _ 

fahren  wir  aus  dem   -w^w  *  i      ' ,  f    T  jf    I  f'      P    ^ 
Einsatz  der  Geigen:  f  ^==*"     ^=^ 

daC  es  sich  um  ein  Ungltick  handelt^  an  dem  nichts  mehr 
zu  &ndem  ist.  So  hat  denn  Tschaikowsky  den  ganzen 
Satz  dem  Charakter  einer  Totenklage,  eines  Requiems 
gen&hert  und  damit  wieder  einmal  gezeigt,  daO  die  alte 
Spohrscbe  Idee  eines  ernsten,  verhaltnen  SchluBsatzes  in 
der  Sinfonie,  die  ja  eigentlich  aus  Beethovens  Pastoral- 
sinfonie  stammt,  an  und  fiJr  sich  sehr  wirksam  sein 
kann  und  nicht  einmal  einer  tieferen  poetischen  Be- 
griindung  bedarf.  Es  mag  Zufall  sein,  dal3  Tschai- 
kowsky sich  mit  Spohr  auch  unmittelbar  in  diesem 
Finale  beriihri  Denn  der  sch5ne  elegische  Gesang, 
den  die  Bl&ser  zum    tfi_       .   ,  ,       , 

Mittelpunkt       des  PjIIQ  I  J    ^  I(  j  I   J  J"^^' 
Satzes      machen:  ^-' 

wird  von  den  Geigen  in  einer  Melodie  begleitet,  die  mit 
dem  Hauptthema  im  Finale  der  >Weihe  der  Tdnec  nicht 


— «►    621     ♦^ 

hloQ  den  Charakter,  sondern  aach  die  Anfangsnoten  ge- 
meinsam  hat. 

Der  Typos  der  Sinfpnie  mit  langsamem  SchluBsatz  ist 
an  und  fQr  sich  Alter  als  Spohr  und  Beethoven  and  hat 
ein  Jahrhnndert  hindurch,  von  Lnlly  bis  Gluck,  bei  den 
Franzosen  seine  Brauchbarkeit  und  seine  Bedentung  be* 
w&hrt 

Tschaikowsky  hat  nnbestreitbar  das  Interesse  f&r 
russische  Musik  weit  und  stark  gesteigert,  das  Verdienst, 
in  ihr  Wesen  tiefer  eingefQhrt  zu  haben,  kommt  aber 
nicht  ihm,  sondern  es  kommt  dem  ehemah'gen  Peters- 
burger  Medizinprofessor  A.  Borodin,  einem  jener  schOp-  i.  Borodin, 
ferischen  Dilettanten  zu,  auf  die  sich  russische  Kunst ^ ^'"-Sinfonift 
von  jeher  stiitzen  durfte.  Die  Esdur-Sinfonie,  mit 
welcher  Borodin  zuerst  als  Komponist  hervortrat,  zeichnet 
sich  durch  kUnstleiische  Reife  und  Abklftrung  aus  und 
war  deshalb  besonders  geeignet,  ein  Bild  von  dem  zu 
geben,  was  die  Russen  wollen,  was  sie  leisten  und  was 
ihnen  fehlt.  Diejenigen  Sfttze,  welche  den  National cha- 
rakter  am  sch&rfsten  ausprftgen,  sind  der  erste  und 
dritte;  der  zweite  ist  nur  zur  H&lfte  russisch  und  der  vierte 
ganz  germanisch. 

Der  erste  Satz  beginnt  mit  einer  trS,umerischen  Ein- 
leitung,  aus  der  bei  aller  Einfachheit  und  trotz  des  regen 
Rhythmus  eine  ungew5hnlich   starke  Schwermut  spricht. 

DieB&ssestel-         Adagio. 

len  dieHaupt.    ^  i''.\l,  ^^f  t  f^l^  Pi  JS^ntJJf 


melodie    auf : 

welche  von  den  Holzblftsern  und  Geigem  mit  aufmun- 
ternden  Motiven  beantwortet  wird.  Die  Harmonie  deckt 
die  Formen  des  Gesanges  mehr  zu,  als  sie  dieselben 
hebt.  Da  wendet  sich  die  Phantasie  mit  einem  ener- 
gischen  Rucke  einer  heiteren  Sph&re  zu;  unvermutet 
stehen  wir  im  Allegro.  In  den  Hdrnern  und  Holzbl&sem 
beginnt  ein  helles,  munteres  Klingen,  das  nur  auf  Rhyth- 
men  gestQtzt  ist.  Die  anderen  Instrumente  probieren 
dazu  jetzt  zart,  jetzt  kr&ftig  brausend,  Motive,  die  zu  dem 
neuen  Tone  passen,  und  endlich  ist  alles  zur  fr5hlichen 


-^    622    •— 

Fahrt  bereit.  Die  ersten  26  Takte  des  Allegro,  welche 
der  Feststellung  von  Tonart  und  Thema  vorhergehen, 
sind  ftir  das  Wesen  der  russischen  Kuustmusik  charak- 
teristisch:  sie  zeigea  uns  ihre  Liebe  zu  den  Elementar- 
kr&ften  der  Musik,  ihre  Freude  am  blofien  Rhyihinas  und 
am  Akkord,  ihre  Neigung,  ohne  bestimmten  Gedanken- 
pfad,  ohne  die  St&tze  fest  erkennbarer  Motive  durch  die 
klangliche  Wildnis  zu  streifen',  den  Pankt,  welcher  sie 
mit  der  Natur  verknttpft  und  von  der  gesitteten  &iteren 
Eunst  des  Abendlandes  unterscheidet,  den  Punkt,  in  dem 
ihre  St&rke  und  zugleich  ihre  Schw&che  liegi  An  dem 
Thema,  welches  Borodin  nach  dem  AbschluB  dieser  tu- 
multuarischen  Szene  aufstellt,  ist  wesentlich,  daO  es 
aus  der  Melodie  der  langsamen  Einleitung  und  somit 
von  einem  Temperament  stammt,  in  dem  schlechte 
und  gute  Laune  dicht  AUegro  moito. 

und  einen  eignen  Gharakter  liebenswlirdiger  Eeckheit, 
der  wohl  an  Turgeniewsche  Figuren  erinnern  kann. 
Auf  gewichtige  Gegenthemen  hat  der  Komponist  fast 
ganz  verzichtet.     Ein  ein- 


verzicniei.     iim  em-  . .  _P  lK    J.I    it'  !f^f'  1    i 
ziges,  das  ofter  erscheint:    ^  ^  Hi  V  ^J    I  j  ""^^  j   J    = 

nimmt  seinen  AbschluB  identisch  mit  dem  des  ersten 
Themas.    Die   anderen  —  unter  denen  das  Geigenmotiv 

J   I     ^    KhkkKKKKK       durch    seinen    festen 

i^  ^^   J  J3U  J  J  *J  J  J  Ij  J    4  Schritt  bemerkbar  — 
x/  treten  nur  episodisch 

auf.  Dem  jugendlichen,  treibenden  Elemente  des  Haupt- 
thema  wird  nur  vorfibergehend  durch  eine  sentimentale 
Wendung  Halt  geboten.  Alles  ist  in  diesem  Satze  Be- 
wegung  und  sprossendes  Leben,  aber  von  einer  groBen 
Gleichf5rmigkeit  der  Gestaltungen.  Denn  diese  ruhen  bis 
auf  wenige  Ausnahmen  aile  auf  der  kurzen  Form  jenes 
mit  a)  bezeichneten  Thema.  Es  herrscht  Poesie  in  dem 
Satze:  aber  es  ist  die  Poesie  der  Steppe,  welche  an  den 
Wechsel  von  H5hen  und  T&lern  gew5hnte,  stille  Pl&tz- 
chen  liebende  Gemfiter  zun&chst  etwas  befremdet.    Sehr 


-^    623    ^^ 

anzuerkeanen  ist  die  Kunst,  mit  welcher  Borodin  das 
ffihrende  Motiv  immer  wieder  in  nene  Orchesterfarben 
kleidet  und  den  Satz  ohne  Stockungen  immer  leicht  im 
FlnB  erh&lt.  Besonders  sch5n  ist  der  SchluO  des  Satzes, 
.ein  Andantino  mit  Abschiedsstimmmig,  durch  rhythmische 
Verl&ngemng  der  beiden  Themen  a  und  h  gebildet. 

Der  zweite  Satz,  ein  Scherzo  (Prestissimo,  ^j^  Es 
dnr)  hat  zum  Hauptthema  folgende  Melodie: 

"ifir  T  I 

r-     f"  .^f  .m  fm.  .r       ^^®  ^^^^  ^^  Violinfiguren 
r    I   r    i  '     I  r    iT   P  1 1     e  versteckt  und  auch  wegen 

ihrer  auf  die  Symmetrie    verzichtenden   Periodisierung 

schwer  zu  verfolgen  ist.    Als  Trio  bringt  dieses  Scherzo 

eine  Art  Dudelsackmusik,  in  der  folgende  drollige  Melodie 

durch  die  Instrumente  wandert: 

mj  4  ■-  /  /I  I  B   J     ,    I  Das  is^  ^^^  echtes  Bild  aus  dem 

i  r..  \  ^  '  ^  W  i    J    I  russischen  Volksleben,  durchaus 

heiter  und  naiv.    Es  wird  mit  viel  Humor  durchgefuhrt, 

namentlich  das  Fagott  tr&gt  viel  zu  seinen  heiteren  Ef- 

fekten  bei. 

Der  dritte  Satz  (Andante,  9/4,  Ddur)  ist  in  Bezug  auf 
nationale  Eigenart  der  vollste  und  berichtet  in  kurzen 
Melodien,  die  auf  fast  uabeweglichen  Harmonien  ruhen, 
von  einer  kargen,  fremdartigen  und  phantastischen  Natur 
und  von  einer  tief  melancholischen  Seele.  Er  zerf&IIt  in 
drei  Abschnitte.  Der  erste  beginnt  mit  einem  breiten 
Gesang 

if^iii^rrirp>r,rnririiirrMrirrrri  ii 


.,^  ^^   ^  den  die Celli  anstimmen,  englisch  Horn 

f  S2  pXfp  J      und  F15te  fortsetzen.    Er  klingt  eigen- 


tto.  t&mlich  melancholisch,  und   die   Ver- 


_^    624    *— 

zierungen,  die  er  enth&lt,  deuten  anf  orientalische  Ab- 
kanft.  In  der  Harmonies  die  in  Dissonanzen  still  liegt, 
herrncht  ein  merkwfirdig  dftmmernder  Gharakter,  eine 
Beklommenheit,  der  am  Schlusse  dieses  Abschnittes  ein 
pldtzlicher  starker  Aufschrei  Lnft  macht.  Der  zweite  Ab- 
schnitt  wird  lebendiger,  die  Violinen  beteiligen  sich  am 
Gesange,  und  in  den  Bl&sem  zun&chst  erhebt  sich  ein 
rhytbmisches  Motiv,  das  bald  nfther,  bald  ferner  zu  klingen 
scbeint.  Es  verschwindet  wieder,  lebt  nur  noch  in  den 
Schlftgen  der  Pauken  fort,  tritt  dann  wieder  st&rker  auf, 
w&chst  bis  zor  Macht  t5nender  Glocken  und  erregt  einen 
allgemeinen  Aufschwnng.  Das  Tntti  stimmt  —  wir  sind 
in  den  dritten  Abschnitt  eingetreten  —  die  Melodie,  mit 
welcher  der  Satz  begann,  im  Stile  einer  feierlichen  Freu- 
denhymne  an,  und  mild  und  sanft  klingt  das  Andante 
aus.  Der  szenische  Gharakter  des  Satzes,  der  Unter- 
grund  bestimmter  Vorg&nge,  wie  Wallfahrt  in'  der  Steppe 
und  dergleichen,  ist  nicht  zu  verkennen.  Der  Schlu6- 
satz  der  Sin-  ^^^^ 
fonie ,  zu  des-: 
senHauptthema' 
Schumann,  zu  dessen  Durchfuhrungsteile  Mendelssohn 
die  Muster  geliefert  hat,  verl9.fit  den  heimatlichen  Boden 
auffallig. 
A.  Borodiiiji  Weil   sie  der  russischen  Nationalit&t  treuer  bleibt, 

Zweite Sinfonie.  haben  seine  Landsleute  Borodins  zweite  Sinfonie  (HmoU) 
seiner  ersten  vorgezogen;  vielleicht  ist  ihr  auch  deshalb 
die  gr5Cere  Liebe  zugefallen,  weil  sie  als  nachgelassnes 
Kind  erst  nach  dem  Tode  ihres  Vaters  (ohne  Opuszahl) 
vor  die  Welt  trat.  Rimsky-Korssakow  und  Glazounow  haben 
sich  der  Waise  als  Redaktoren  und  Herausgeber  an- 
genommen. 

Von  Zwiespd^ltigkeit  ist  jedoch  auch  diese  Sinfonie 
nicht  frei,  und  sie  geht  diesmai  tiefer  hinunter  in  das 
Wesen  des  Kunstwerks.  Waren  in  der  ersten  Sinfonie 
Borodins  die  S&tze  nur  nach  den  Bildungsquellen  des 
Verfassers  verschieden,  so  zeigt  die  zweite  Sinfonie  einen 
Ri6  in  ihrer  Seele:   Der   erste  Satz    der  Sinfonie  stellt 


-^    625    «^ 

Ideen  und  Ziele  auf,  die  spftter  unbeachtet  bleiben  und 
h5chstens  noch  einmal  ftuBerlich  ber&hrt  werden:  Ein 
Heros  tritt  auf  und  verschwiadet  spurlos  in  den  W&idem. 
Sie  abmt  mil  Obertreibungen  etwa  den  verwunderlichen 
Gang  von  Freytaga  >Ahnen€  nach,  beginnt  mit  Welt- 
bildem  und  Seelenschilderungen  gewaltigen  Charakters 
und  verl&uft  dann  ganz  und  gar  in  Dorfgeschichten. 

Der  Anfang  des  ersten  Satzes  (Allegro,  HmollJ  be- 
ginnt herkulisch  mit  einem  Thema: 


das  mit  dem  ersten  Seitenthema  von  R.  Volksmanns 
Dmoll-Sinfonie  innere  imd  &uBere  Abnlichkeit  teilt. 
Auch  der  Gedankengang  beider  Satze  ist  verwandt:  Fin* 
stre,  ernste  Entschlossenheit  soil  milderen  Stimmungen 
weichen.  Bei  Borodin  treten  die  weicberen,  freundlicberen 
Gedanken  aber  wie  seine  andere  Hftlfte  an  das  Haupt- 
thema    beran ,    suchen    engste    Verbindung    mit    ihm* 

Schon      im  Anlmato  asgal.  ^=116. 

und  damit  Volksmusik.  Das  heroische  Thema  tut  einige 
stolze  Gftnge  durch  die  Tonarten,  immer  folgt  ihm  der 
freundliche  Berater  auf  dem  FuC.  Im  Z5gern  und  Dr&ngeni 
wird  A  dur  erreicht,  und  da  setzt  das  eigentliche  zweita 
Thema  des  Satzes  in  Ddur,  pastoral  in  seinem  Wesen, 
zuerst  vom  Cello  gebracht,  ein: 

Poco  meno  nosso.  d  :  88. 

jiMn  n  Id  E  f  r  f  r  O  ■  1^^  r'Tr'if  J  i 

ebenfalls  ein  unverkennbares  Zitat  aus  dem  Musikscbatz 
des  russischen  Volkes.  Die  Holzblftser  nehmen  die  sehr  le* 
bendig  metrisierte  Weise  auf,  Geigen  folgen;  die  Lustigkeit 
w&chst,  aber  auch  die  Heftigkeit  des  Widerspruchs.  Die 
B&sse  f&hren  die  Sache  des  Hauptthemas  ganz  entschie* 
den ,   die  I&ndlichen  Yersuchungen    sind  abgeschlagen. 

KretEBchmar,  Fftlirer.    I,  1.  40 


-^    626    ^— 

Mit  einer  gewissen  Feierlichkeit,  in  breiten  Akkotden,  lang 
verklirigendem  Ton  schlieBt  die  Themengruppe. 

Die  DnrchfQhrnng  wird  im  ersten  Teii  vom  Hanpt- 
thema  ansgeftUlt.  Nur  hat  es  seinen  Charakter  verloren: 
Ein  »/2  Takt  hat  sein  Wesen  verwandelt,  ins  Leichtfertige 
nnd  Wirre  gezogen: 

Afllmato  astal.         .  L  L 

aiJMVrfM^rii    n'li  ri  i  iiii  ii    i 

p  erMo. 

Man  treibt  mit  ihm  entw&rdigendes  Spiel,  zwingt  es,  den 
l&cherlichen  Aufmarsch  zu  wiederholen,  die  Geigen  machen 
seine  Schritte  spottend  nach.  Bald  treten  dann  auch  das 
Freudenthema,  das  Ann  in  Arm  mit  dem  Hauptthema  in 
die  Sinfonie  hereinschritt,  nnd  das  eigentliche  zweite  Thema 
im  Triumph  ff  auf.  Doch  k&mpft  sich  endlich  das  Haupt- 
thema im  letzten  Teil  der  DurchfQhrung,  von  den  Trom- 
peten,  Posaunen,  H5rnern  und  den  Holzblftsern  aus,  all- 
mahlich  wieder  nach  oben.  Eine  bedeutende  Entwickelung 
zeigt  diese  DurchfQhrung  zwar  absichtlich  nicht,  jedoch 
ist  sie  in  den  Absichten  klar.  Die  Reprise  briagt  die 
Themengruppe  verkUrzt  wieder  und  mit  stfirkerer  Be- 
tonung  des  Hauptthemas,  das  als  Sieger  das  letzte  Wort 
breit  und  donnernd  spricht.  Die  Gegens&tze  des  Anfangs- 
teiles  haben  sich  in  Pl&nkeleien  verflUchtigt,  deren  Dar- 
stellung  den  Komponisten  zu  Verktirzungen  und  andren 
interessanten  Umbildungen  der  urspriinglichen  Them  en 
veranlaGt  hat. 

Der  zweite  Satz,  ein  Scherzo  in  Fdur,  dessen 
Hauptsatz  im  Prestissimo  (^  =  108}  verl&uft,  ist  einfach, 
knapp  und  doch  auch  originell.  Seine  Originalit&t  liegt 
in  dem  grotesken  Humor  des  Hauptthemas,  der  Spftfie 
treibt,  wie  die,  mit  denen  man  Kinder  erst  schreckt  und 
dann  ergdtzt  Er  setzt  auf  einen  freien  Nonenakkord 
f&rchterlich  ein  wie  das  Finale  der  Neunten  Sinfonie; 
dann  regt  es  sich  erwartungsvoll  in  den  HOmem,  aus 
der  Tiefe  tappt  ein  Marsch  heran,  als  kftmen  Gespeaster. 
Mit  dem  Eintritt  der  Holzbl&ser  lOst  sich  die  doppelte 
Spannung  in  eitel  Anmut,  Zierlichkeit  und  gute  Laune: 


627 


TTfT       f •  ^ 

Iq  der  Fortsetzung  finden  sich  herumspringende  Modn- 
lationen,  versprengte  und  verirrte  Solostimmen.  AIs  dann 
Asdur  erreicht  ist,  kommt  die  phaatastische  Bewegnng 
sum  Stehen  und  bahnt  einer  GemQtlichkeit  die  Gasse, 
wie  sie  Schamann  ia  seinen  jUngren  Jahren  liebte:  In 
Synkopen  schiebt  sich  das  Tbema 


|''~J  \  ^  ^JjJ   iH      launig  tr&ge  bin.   BeiddGruppen 

des  Satzes  kehren  wieder,   das 


Seitenthema,  diesmal  in  der  HaupUonart,  dient  zum  Ab- 
scblnB  des  ganzen  Hauptsatzes  und  vermittelt  mit  ro- 
mantiscben,  abendlichen  Abschiedskl&ngen  den  Obergang 
zum  Trio. 

Dieses  Trio,  ein  Allegretto  (0/4,  Ddur),  gleicbt  einem 
StQck  Erz&blung  aus  dem  Orient.  Es  bat  den  bnkolischen 
Charakter,  den  die  russische  Volksmusik  liebt  Wie  es 
Hirtenweisen  tun,  gleitet  seine  Hauptmelodie  von  Instru* 
ment  zu  Instrument  fiber  wiegende  Harmonien  und  einen 
Orgelpunkt,  den  der  Komponist  wunderbar  poetisch  be- 
lebt  hat.  Er  klingt,  in  einzelne  GlOckcbentdne  zerlegt, 
aus  der  Harfe  her,  H5rner  und  Triangei  fallen  mit  ein. 
So  ist  der  Anfang  dieses  Teils 


i 


l^r  I .:'  r  I.  L 


40* 


-^    628    ♦^ 

Er  geht  dann  aber  ausschweifend  sofort  nach  Des  dnr  und 
—  irren  wir  nicht  —  begegnet  da  einer  leisen  Waroung 
vom  Hanptthema  des  erst  en  Satzes  in  einem  Pizzicato- 
Motiv  derKontrabSsse.  Es  wird  infolgedessen  etwas  dunke) 
fiber  der  anmutig  unschuldigen  Pastoralmelodie.  Doch 
bald  kommt  Ddur  nnd  voller  Sonnenschein  zuriick.  Wir 
bedauern,  daB  nicht  langer  Weilens  ist.  Mit  einer  ge- 
wissen  Rficksichtslosigkeit  bricht  der  Komponist  ab  und 
kehrt  zum  Scherzo  zuriick.  Es  verl&uft  so,  wie  wir 
es  aus  dem  ersten  Teil  kennen;  nur  wird  dem  Seiten- 
thema,  als  es  zum  zweiten  Male  erschienen  ist,  der 
ganze  Schlufi  tibertragen  —  ein  schw&rmerisches  Ver- 
klingen ! 

Der  dritte  Satz  (Andante,  C  Desdur]  bietetunsein 
StQckchen  Kunst,  wie  es  zurzeit  nur  in  der  russischen 
Musik  zu  linden  ist,  und  wie  es  von  russischen  Musikern 
wieder  nur  Borodin  in  der  Gewalt  hat.  Nur  einer  von 
den  Lebenden  hat  sich  ihm  auf  diesem  Gebiet  einmal  be- 
tr&chtlich  gen&hert.  Das  ist  Dvofak  im  langsamen  Sat:^ 
seiner  letzten  Sinfonie,  >Aus  der  Neuen  Welt*.  Etwas  von 
der  Schwermut,  der  Traumkunst  und  Resignation,  die  in 
dieser  Musik  liegt,  ist  'den  Slaven  alien  als  Erbe  aus  der 
gemeiusamen  Heimat  zuteil  geworden.  Es  spielt  aber 
auch  in  diese  ethnographisch  und  allgemein  menschlicb 
gleich  stark  fesselnde  Musik  der  Orient  stark  hinein  init 
seinen  schillernden  und  verschleierten  Farben,  mit  der 
verlassnen,  versteckten  Schonheit  und  der  Unendlich^ 
keitsstimmung,  die  wir  auf  M5ckelschen  Bildern  finden, 
und  auch  mit  seiner  heiBen  und  doch  ziichtigen  Sinn- 
lichkeit.  Ein  Teil  des  Phantasie-  und  GemUtsgehalts 
dieser  Musik  kommt  aber  auf  eigenste  russische  Rech- 
Bung,  auf  Puschkinsche  Landschaft  und  orthodoxe  Reii- 
giositftt.  Sicher  ist,  daO  wenn  einst  Herdersche  Geister 
die  Summe  russischer  Poesie  und  Kunst  ziehen,  derartige 
SS.tze  wie  dieser  Borodinsche  die  Hauptwerke  bilden 
werden. 

Wenn  wir  unter  den  dichterischen  Elementen,  die  sich 
bier  zu  einem  Ganzen  gruppieren,  nach  dem  bestimmenden 


629 


fragen,  so  wird  kaum  eine  Meinungsverschiedenheit  darUber 
bestehen,  da6  das  religiose  iiberwiegt.  Wir  haben  es  mit 
einer  Art  Abendandacht  zu  tun:  drauOen  in  der  weiten 
Natur,  unter  freiem  Himmei  empfiehlt  sich,  zur  Nacht- 
ruhe  gerQstet,  die  Karawane  dem  Schatze  Gottes.  Gleich 
die  vier  pr&ludierenden  Takte  (Harfe  nnd  Klarinette)  haben 
einen  feierlichen  Gharakter.  Dann  setzt  das  Horn  ein 
mit  ainer  Melodie: 


Andaiita.4sf8- 


r.  OMMisMs  — -  '666 

Dm B...  Gm  Dm_  f  Ub  W 

aus  der  Dank  nnd  Frieden  nach  des  Tages  MCihen  klingen. 
Die  Klarinette  nimmt  sie  auf.  Wir  erwarten  sie  nun  auch 
im  vollen  Chor  zu  horen.  Doch  dieser  nattirliche  Ver- 
lauf  wird  dramatisch  hinausgeschoben.  Die  Geigen  tre- 
molieren:  ein  be&ngstigender  Zwi- 
scbenfall.  Das  Horn  ruft  das  An- 
fangsmotiv   im   warnenden    Ton:  p 

wie  aus  der  Feme,  die  B&sse  nehmen  es  ernst  und  ent- 
schieden  auf.  Als  wQrden  Wachen  und  Vorposten  abge- 
hdrt,  melden  sich  aus  alien  J»ift 

Richtungen  Stimmen  mit 
dem  beruhigenden  Thema 
das  nun  auch  im  Tutti  beschwichtigend  wirkL  In 
breiten,  wie  Orgel  und  Kirchenmusik  klingenden  Akkor- 
den  schlieCt  dieser   ersle  i»i&  animated  =  so. 

Abschnitt    des   Satzes   in  -^tj^r    r>    f" 

Cdur.  Der  nftchste  setzt  V  |„[j  \>fj  \  C J  I  ^^ 
mit    einem    Thema    ein:  P 

das  die  Stimmung  wieder  in  das  tftgliche  Geleise  filhren 
will.  Es  begegnet  in  den  Begleitstimmen  bereits  einer 
Reibung   in    Ge-     _  ^^  das    als   bas- 

stalt  eines  chro-  j^j^i  J  ^J  I  j  M^^  so  ostinato die 
matischen  Motivs  ^^"^-^        ^^9^     Harmonic  be- 

herrscht,  bald  in  der  Mitte,  bald  in  der  H5he  durch- 
klingt.  Der  Gedanke  an  die  Gefahr  wacht  noch  und  lebt 
auch  noch  einmal  in  seiner  ursprCinglichen  Form  auf  und 


_^    630    «— 

wird      in  ^  .      .   ^  .   j    ..     _m   .    i  ^^™    Trft- 

ihr,  sogarj^SJ  iJ^  I  J  iJ    j    I  -^  Mj  bJ^  J    jger derail- 
erweitert:  ^'^^■■^ "  -"^^"^  gcmemen 

Empfindung,  die  am  SchluG  mit  dem  chromatischen  Motiv 
(in  A  dur  if  und  fff)  wieder  zum  Vertraucn  und  GefQhl 
der  Sicherheit  und  zu  einer  lauten  Anrufung  der  g5U- 
lichen  Gnade  znrQckkehrt.  Nach  einigen  in  stiller  Samm- 
lung  Qberleitenden  Takten,  in  denen  zoletzt  wieder  die 
WftchterEtimmen  erscheinen,  ist  die  Episode,  die  am  An  fang 
die  Fortsetzang  der  Des  dur-Melodie  nnterbrach,  zu  £nde, 
und  der  Chor  f&llt  in  sie  ein  und  der  Satz  geht  mitleichten 
Anspielungen  auf  den  kritischen  Augenblick  zu  Ende.  Das 
PrAludium  rundet  die  Szene  als  Nachspiel  schdnstens  ab. 
Das  F  i  n  a  1  e  ( Allegro,  3/4,  H  dur)  setzt  sebr  uberraschend 
ein:  Die  zweiten  Geigen  halten  de8-<i8  von  dem  langsamen 
Satz  her&ber  in  den  neuen  alsew-^is;  drunter  setzen  die 
B&sse  mit  fia  ein.  Wir  haben  also  wieder  eine  der  bumo- 
ristischen  Dissonanzen,  mit  denen  die  neuru88i9che  Musik 
die  ganze  abendlftndiscbe  Harmonielebre  aujs  dem  Sattel 
zu  werfen  drobt  Auf  diesem  Akkorde  probieren  alle  In- 
strumente  erst  den  Rbytbmus,  in  den  Violinen  huschea 
flfichtige  Motive  durcb,  dann  sturmen  Figuren  durchs 
ganze  Streichorcbester,  wilde  Triller  setzen  in  den  Bl&sem 
ein.  Die  Instige  Spannung  dauert  17  Takte;  dann  erst 
kommen  wir  zur  Klarheit,  zum  Hauptthema  des  Finale: 

Allegro.  J, IM  E«    istecht  rUS- 

^    ^  sisch,naturfrisch 

I  undausgelassen, 
aucbinderForm 
durchaus  nationale  Tanzmusik  mit  gemiscbtem  Rbyth* 
mus  (8/4  und  2/^).  Als  das  Tutti  damit  darch  ist,  macbt 
es  den  Platz  fiir  SolokQnste  freL  Das  Cello  scbwingt  sicb 
mit  dem  Tbema  bin  und  her,  w&brend  die  Oboe  eine 

Gegenfi-     ^^  %^, ^„^ die    im 

gur  dazu  iWh   p  C^  (?}    \i    O  [^  Verlauf 
aufstellt:  ^  "kolee        ***^   --    i^"    uj    -  ^j^gg^^ 

zes  mebrmals  unsre  Aufmerksamkeit  in  Ansprucb  nimmt. 
Das  eigentlicbe  zweite  Tbema  bringt  die  Klarinette: 


631 


-r#<M=r  Durch  die  Begleitang  wird  es  als 
>^  P  fP^  jjlf  *"  ^  =  ein  Abk5mmling  des  Dudelsacks,  als 
y  »  «^  r  editeBauernmusikgekennzeichnel. 
Der  Eomponist  legt  ihm  die  verschiedensten  uad  sehr  rei- 
zende  Frisuren  an  durch  Instrumentierangs-  und  Harmo- 
niekdnste,  er  wei6  es  sogar  majestatisch  zu  kleiden.  Die 
seltsamste  Verwandeluog,  die  im  Finale  vorkommt,  erf&hrt 
aber  das  oben  angegebene  Oboenthema,  das  beim  Eingang 
der  DurchffihruDg  von  den  Posaunen  im  breiten  s/^Takt 
und  lento  als  BuBprediger,  wie  Wallensteins  Kapuziner 
auftritt,  natUrlich  nur  um  einen  Sturm  von  Heiterkeit  zu 
erregen.  In  vieler  Beziehung,  in  der  innren  Freiheit  und 
Lebendigkeit  sowohl  wie  in  gleichen  motivischen  Bil- 
dungen  erinnert  dieses  Finale  an  den  ersten  Satz  von 
Borodins  Es  dur-Sinfonie  und  darf  mit  ihr  als  ein  Haupt- 
beispiel  frdhlicher  russischer  Sinfonik  betrachtet  werden. 

Glazounow  hat  aus  dem  NachlaB  Borodins  noch  ein    LBorodla, 
Bruchstack  einer  AmoU-Sinfonie  verSffentlicht,  das  aus^^"**«  Sinfonie 
zwei  Sfltzen,  einem  Moderato  und  einem  Scherzo,  be- 
steht.    Beide  sind  im  wesentlichen  Variationsarbeiten  viel- 
leicht  aus  einer  frQhern  Zeit,  in  der  der  Komponist  sich 
noch  voUst&ndig  unter    dem  EinfluC    Glinkas   bewegte. 
Wenn  sie  in  Deutschland  unbenutzt  geblieben  sind,  so 
liegt  das  in  ihrer  Schwierigkeit.    Diese  besteht  bei  dem 
Moderato   in    den    grellen   Gegens&tzen   der  Stimmung, 
zwischen    denen    es   humoristisch   schwankt,    bei   dem 
Scherzo  im  Rhythmus,  einem  kaum  verst&ndlichen  s/s  Takt. 
Wahrscheinlich  darf  auch  die  vielgespielte  >Steppen-    A. Borodin, 
skizze   aus   Mittelasienc   als  Bruchstikck   einer  un- _^*®?P^'*^* 
vollendet  gebliebenen  Sinfonie  Borodins  aufgefaBt  wer- 
den.   Sie  ist  ein  SeitenstQck  zu  den  langsamen  S&tzen 
der  beiden  Sinfonien,  eigen  durch  die  unendlich  lange 
liegende   Stimme  in   den  Violinen,  die   auf  den  schil- 
lernden  und  geheimnisvoUen  Gharakter  der  Landschaft 
anspielt. 


auB  Mittelasien. 


-^    632    ♦^ 

Auf  Seite  Borodins,  aber  qaalitativ  unter  ihm  steben 

BaUklrew. von  den  Slteren  russischen  Musikem  Balakirew,  Mus- 

MmfMrfffkl.  sorgski  und  der  scbon  mehrfach  erw&hnte  Rimsky- 

£mii«kow.  Ko rs s ak 0 w.  Eine  weitero  Nacbfolge,  welche  die  russische 

Sinfonie  im  bukoliscben  Gebiete  wtHrde  festgelegt  haben, 

blieb  aus,  und  es  trat  ein  Schisma  ein,  das  die  russiscbe 

Scbuie  in  eine  Petersburger  and  in  eine  Moskauer  Partei 

gespalten  bat.    Zur  ersteren,  die  am  nationalen  Bannei: 

einigermaBen  festb&lt  und  mit  allem  Eifer  den  Kolorismus 

▲•  GUiomaow. pflegt,  zHblen  Alexander  Glazounow,  Arensky,  der 

Arensky.  Iq  Deutscbland  nur  durch  seine  Kammermusiken  bekannt 

X. iwaiow. geworden  ist,  und  Micbael  Iwanow,   in  gemessener 

Wihtol. Distanz  folgen  Wibtol,  Ljudow,  Lyupanow,  Meli- 

ijvdow. scbewsky,  Tscbergenin  u.  a.    Die  H&upter  der  von 

MeUiek*wl5w!^®^8®^  Tanjew  gegriindeten  Moskauer  Partei,  die  dem 

TMhergemln!  Nationalprinzip  keinen  Wert  beimiOt  und  die  russische 

8.  TAnjew.  Arbeit  vom  groOen  und  internationalen  Gesichtspunkt  be- 

BfteknanlBow.  stimmt  baben  will,  sind  Rachmauinow,A.  Scriabine. 

^' *fl'*Co™  ^^^  Gefolge  besleht   aus   G.  Conus,   S.  Wassilenko, 

8.  WMfilenko!^-  Catoire,  R.  GIi6re,  A.  Goedecke  u.  a. 

G.  Catolre.         Unter  den  Sinfonikern  der  Petersburger  Sektion  ge- 

R. GlUre.nieOt  zur  Zeit  Alexander  Glazounow,    ein   ausge- 

A.  Goedeeke.  gprochener  Eklektiker,  der  Tolstoischen  BuBgedanken  und 

den  kleinen  Amusements  des  Salons  mit  gleicher  Sym- 

pathie  gegeniibersteht,  aber  iiber  ein  groGes  tecbnisches 

K6nnen  verf&gt,  das  weiteste  Ansehen. 

AuOerhalb  der  russischen  Musikst&dte  ist  Glazounow 
erst  mit  seiner  vierten  und  fiinften  Sinfonie  bekannt  ge* 
geworden,  allmfthlig  sind  ihnen  dann  die  Vorg&ngerinnen 
gefolgt,  und  gegenw&rtig  ist  er  im  internationalen  Re- 
pertoire mit  acht  Sinfonien  vertreten. 
A.  GlAiouow,  Die  erste  Sinfonie  (Edur),  Rimsky-Korssakow,  dem 
Enie  Sinfonie.  Lehrer  des  Komponisten,  gewidmet,  ist  durch weg  ein  Be- 
kenntnis  der  Lebenslust.  Der  erste  Satz  (Allegro,  ^/«, 
Edur)  gleicht  voIlstHndig  einer  Tanzszene  in  der  gebilde- 
ten  Gesellschaft;  beherrscbt  wird  sie  von  dem  Thema 
^1  ryi  ,  .1  ^*^  zunfichst  also  gar  nichts 
lj^j_pr  \''  ^^  r  p-i  Nationales,  wird  aber  bald 


633 


darch  NebengedankeD,  durch  Rhythmenwechsel,  durch 
Musettenb&sse  und  durch  den  Oberschwang  im  Wieder- 
holen  russisch  gefS^rbL  Die  Arbeit  verr&t  in  der  kurz- 
atmigen'Periodisierang,  dorch  das  Fignrenmaterial  bei 
den  Oberg&ngen  und  durch  deren  Umst&ndlichkeit  noch 
einen  Anf&nger. 

Der  zweite  Satz,  das  Scherzo  (Allegro,  s/^,  Cdur)  ist 

ein Perpetuum  ^  ._r-    das ^uOerst ge- 

mobile  Qberfefcf rffrrfrirfr  Q ^wanHt  durch- 
das  Thema:  ^'*™'  ■  ■  '  i«u  '  * '  geftthrt  wird. 
Das  Trio  hebt  sich  scharf  dagegen  ab  und  verwendet  ein 
polnisches  Thema: 

fi'ii  i  n  1 1 1 1'1  fr  I  LLf  r  I  Tllj-^^^'*'- 

Auch  der  langsame,  der  dritte  Satz  (Adagio,  ^4* 
Emoll}  bleibt  in  dem  freundlichen  Grundton  der  Sinfonie 
und  berQhrt  ernstere  Stimmungen  nur,  um  mit  ihnen 
liebenswiirdig  zu  t&ndeln;  einige  schrillere  Lichter  ver- 
danken  ihre  Wirkung  der  originellen  Anwendnng  des 
fibermllBigen  Dreiklangs,  und  musikgeschichtliches  Inter- 
esse  erregt  der  Satz  durch  eine  Anlehnung  an  Wagners 
Meistersingervorspiel. 

Mit  dem  Finale  (Allegro,  ^4?  £dur)  hat  Glazou- 
now  dem  Vater  der  hoheren  russischen  Instrumental- 
musik,  M.  Glinka,  eine  Huldigung  gebracht.  Es  ist 
ein  frischer  und  abwechselungsreicher  Variationszyklus, 
zu  dem  den  Hauptslo£f  abermals  ein  polnisches  Thema: 


I  geliefert  hat. 


Die  zweite  Sinfonie  Glazounows  (Fismoll)  ist,  wie  die  A.  Gluomnow, 
C  moll-Sinfonie  von  St.  Sa6ns,  dem  Andenken  Franz  Liszts  Zweite  Sinfonie, 
gewidmet.    Deshalb  beginnt  ihr  erster  Satz  mit  einem 
Andante  maestoso,  das  Qber  das  einfache  Orpheus-Thema: 

einenTran- 
^   ermarsch 
entwickelt. 


« 


|fe 


J  JJJ  J  N  JJ.IJ 


Diese  wehmtitige  Weise  wird   bald  zu  einem   Allegro: 


$ 


-^    634    %^ 

J  Allegro.    nmgebildet  !"iind 

"  Brrrrir  rrrri*"  C/r  i^*^-  ^^^^  ^^  dieser 

Gestalt  dem  Aus" 


drack  eines  wilden  Schmerzes,  der  gelegentlich  ins  Toben 
und  ins  Anst513ige  ger&t,  aber  anch  Yon  milden  Klagen 
ergreifend  schatiiert  wird. 

Die  Melodie  des  Traaermarsches  durchzieht  anch 
den  zweiten  Satz  (Andante,  Ddur,  ^4)^  ci®'  ^  ^^^  Haapt« 
sache  freondlichen  Bildern  der  Erinnernng  gewidmet  ist, 
rnssisch  pastorale  T5ne  anschl&gt  nnd  Lieblingsrooti^e 
des  heimgegangenen  Meisters  hinein  verwebt. 

Der  dritte  Satz  (Allegro  vivace,  Hmoll,>/4)  setzt  diesen 
Erinnemngsdienst  fort,  aber  in  einem  leidenschaftlich 
erregten  Ton,  der  oft,  wie  in  Gedanken  an  nngerecbte 
Gegner,  entrdstet  wird  nnd  mit  zahlreichen  Akzenten  des 
Schmerzes  gemischt  ist. 

Das  Finale  beginnt  mit  einer  ernsten  Intrade 
and      fahrt,      zwi-      ^^  ^^ Allegro. 

nnd  einem  ^ — ^    -^ 

andemder      jt''i>  |l  ,  ^"i  ^.  f  P  I  llf  (I  ["[-p  J 
Hmgebnng       *j  '    "^    ^ 

wechselnd,  in  einer  Erregnng,  die  sich  dnrch  best&ndige 
Andemngen  von  Tonart  und  Taktart  UnOert,  zu  einem 
triumphierenden  SchluG. 
A.  eiftioiHow,  Die  dritte  Sinfonie  (Gdur),  Peter  Tschaikowsky 
Dritte  Sinfonie.ge^^jQe(^  igj  diejenige,  in  der  das  rnssisch -nationale 
Element  fast  ganz  zurticktritt,  und  die  zugleich  durch  die 
Natur  ihrer  Themen  und  deren  Entwicklung  es  dem  Zu- 
hdrer  ziemlich  schwer  macht. 

Insbesondere  gilt  das  vom  ersten  Satz  (Allegro, 
Ddnr,  s/^],  der  von  seinem  nachdenklichen  Hanptthema 

^^      _^      -^  ^  gar  nicht  loskom* 

rfllttr  II'  r  I  f  |''r  r  r  ^^  ^en kann  nnd  sich 
"^  ."    "  "      '    "  in z&her, umst&nd- 

licher,  fiir  die  Fachmusiker  teilweise  nicht  uninteressanter 
Arbeit    mit  ihm  im   engen    Kreise   dreht    Doch   fallen 


636 


Lichtblicke  in  den  Nebel,  nnd  nach  der  endlichen  Auf- 
hellung  schliefit  der  Satz  wirklich  sch5n. 

Der  z  weite  Satz  (Vivace,  F  dur,  «/ie  Vs)?  Scherzo  fiber- 
schrieben.  ist  ein  BravonrstQck  phantastischer  Ballett- 
znusik,  da6  unter  der  Flagge  einer  Elfen-  nnd  Gnomen- 
jagd  Oder  nnter  einer  &hnlichen  Oberschrift  passieren 
kOnnte.  Es  ist  eine  tolle,  nur  dnrch  wenige  StQtzpunkte 
unterbrochene  Gankelei  nm  fluchtige  nnd  nichtige  Ikfotive, 
die  aber  einem  virtnosen  Orcbester  and  alien  seinen 
Instramenten  Gelegenheit  gibt,  zu  spannen  und  Ebre 
einzulegen. 

Der  dritte  Satz  (Andante,  Edur,  ^4)  geb5rt  zu  jener 
Art  von  Lyrik,  die  dnrch  unaufh5rliches  Pr&lndieren  die 
Geduld  anf  Proben  stellt.  Den  gedanklichen  Kern  bringt 
ein  znerst  in  Asdnr  auftretendes  Intermezzo  mit  einer 
voxn  englischen  Horn  gespielten  Melodie,  deren  sehn- 
suchtige  nnd  schw&rmerische  Wendnngen  die  Kenner 
der  inodemen  Oper  und  ihrer  Liebesszenen  ziemlich  be- 
kannt  anmuten.  Die  emsig  sinnige  Arbeit  und  der 
bluhende  Klang  des  Orchesters  gehen  jedoch  Qber  das 
Gewohnte  hinaus. 

Das  Finale  [Allegro  moderato,  Ddur,  ^jii  setzt  auf 
dexn  Thema: 


Eetc. 


mit  grower,  aber  voreiliger  Freude  ein.  Es  bleiben  lange 
Strecken  des  Miihens,  der  Unentschlossenheit  und  immer 
erneuter  Ans&tze  zu  iiberwinden,  bis  die  Anfangstakte 
des  Satzes  endlich  aus  dem  Munde  der  Trompeten  und 
Posaunen  im   sicheren   und   emsten   Ton    des  Besitzes 

erklingen.  Mitei- 
^°^  ner  Kombination 

dieses  Hauptthe- 
mas  nnd  seiner  bedeutendsten  Helfershelfer  schliefit  das 
Finale  >grandioso«  und  rauschend  ab. 

Die  vierte  Sinfonie  (op.  48}  hat  die  ublichen  vieri.  eiaiomiow, 
S&tze,  da  aber  das  Adagio  mit  dem  Finale  zusammen- Vierte  Sinfonie. 
gezogen  ist,  erscheinen  ftufierlich  nur  drei. 


686 


Sie  beginnt  mit  einem  Andante  in  EsmoU  fiber  ein 
vom  Englischen  Horn  vorgetragenes  Thema,  das  sich 
anf  Grand  folgenden  Anfan^ 


AndEDte.  J*:68. 


etwas  bequem  entwickelt.  AIs  es  auf  der  Dominante 
schliefit,  stellt  sich  ihm  ein  Gedanke  entgegen,  der  die 
freundlichen ,  friedevollen  Zukunftsbilder  dieses  Themas 
mit  leisen  Zweifeln  und  Fragen  beanstandet.  Den  Reden 
and  Gegenreden  wird  ein  rasches  Ende  bereitet  darch 
das  Allegro,  das  ohne  alle  Yermittelang  die  Durtonart 
darchzwingt.  AIs  erstem  Haaptthema  begegnen  wir  in 
ihm  eiuer  Melodie,  die  sich  abermals  etwas  breit,  anterm 
Anteil  verschiedener  Instramente  entwickelt: 


Allegro  moderato.  J  =  98. 


Clar, 


Oh     P  VioUnen. 


Sie  spricht  Worte  der  Hoffnung  aas,  in  Reimen,  die  der 
Komponist  fertig  vorgefunden  hat,  and  kommt  in  der 
Fortsetzang  in  einigen  Eifer,  den  so  fort  mit  TOnen  der 
Ruhe  ein  Seitengedanke  zu  beschwichtigen  anternimmt: 
J  Das  Haaptthema  kehrt 

■  tf.L  'P>^    <-7-^     .,.-^^-,^  wieder,  verklingt  aber, 
y  ^  '     IJ  fi    f  I  r  T^^^  als  schliefen  alle  Sorgen 

ein,  and  an  seine  Stelle 
tritt  ganz  scherzenden  Tons  das  Thema  der  Einleitang, 
bei  der  Yerwandelang,  die  es  nach  Borodinschem  Master 
aus  Moll  nach  Dur  and  in  ein  frdhlich,  flottes  Tempo 
gefuhrt  hat,  kaam  wiederzuerkennen : 


— »    637    #>- 

Damit  sind  wir  ins  Volkst&mliche  nnd.in  die  l&ndlichen 
Kreise  trad  ihre  Freuden  eingetreten.  Die  Melodie  be- 
herrscht  diesen  Abschnitt  eine  Zeitlang,  w5rUicb  nnd 
Qbertragen.  Unter  ihren  YariatiODen  ist  eine  im  ruhigen 
Tempo  fQr  Horn  bervorzuheben.  Dann  fQbren  ausge- 
lassenere  Szenen  nacb  dem  ersten  Tbema  des  Allegro 
znrQck,  nnd  der  SchlnO  der  Themengnippe  erbftlt  als  An- 
bang  noch  einige  kurze  fr5blicbe  Motive.  Statt  der  er- 
warteten  DnrchMbning  folgt  aber  eine  Wiederholnng 
dieses  ersten  Teils,  eben  der  Tbemengruppe,  mit  etwas 
verftodertem  Modnlationsgang  nnd  anch  mit  verflnderte'm 
Gharakter.  Es  wird  etwas  Iftnger  bei  dem  ersten  Them  a 
verweilt,  es  erhfilt  einen  sorgenvoUen  Ansdruck,  der  sich 
laut  leidenschaftlich  nnd  wieder  still  senfzend  ftnfiert. 
Diese  Stelle  fQhrt  nacb  der  Einleitnng  znrUck:  dem  An- 
dante mit  dem  Pastoralthema  in  Esrooll.  Die  Frende, 
die  Torbin  dnrch  seine  (Jmbildnng  in  die  Gestalt  eines 
scberzenden  Dnr-Tbemas  in  das  Allegro  bineinkam,  war 
verfrUbt.  Noch  ists  nnr  Zeit  zu  boffen.  Dies  spricht  ein 
letztes  knrzes  ZurQckgreifen  auf  das  Hauptthema  des 
Allegro  aus.  Die  im  ersten  Sinfoniesatz  ublichen  Wege 
des  Sonatenschemas  hat  Glazonnow  znm  grofien  Teil  nm- 
gangen  nnd  doch  eine  verst&ndliche  Darstellnng  seelischer 
Vorgflnge  geboten,  ein  Bild  vom  Kampfe  edler  Triebe  mit 
den  Versnchungen  der  AUtS^glicbkeit. 

Die  anderen  S&tze  f  Obren  dieses  Bild  weiter:  der  Schan- 
platz  wecbselt,  es  wechsein  die  Charaktere.  Das  Scherzo 

beginnt    mit    Qdin-  AUegro  vivace.  J.=  iw. 

ten,  die  ungednldig  t     i    i   i  t         t 

erregt  in   den   Fa-   ^M^\,  ft   f     P    f   I    f     |    T    "    etc. 
gotten    repetieren: 

Das  sagt  Tanz  an,  und  bald  stimmen  anch  die  Klarinetten 
einen  Reigen  an,  dessen  Melodie: 

f\^uf^tl{  \r\  p  II  iM  1 1  I 


638 


in  ihrer  Mischung  von  Lustigkeit  nnd  Demnt  an  Rubin- 
steins >Brftate  von  Kaschinir<  erinnert.  In  der  Durch- 
fiihrung  dieses  Themas  tritt  im  ganzen  sein  lostiger, 
munterer  Gharakter  mehr  hervor.  Er  steigert  sich  bei 
dem  ersten  Tutti  zn  Kraft  nnd  Ausgelassenheit: 


an  anderen  Stellen  wird 

der  Nachdruck  auf  die 

beweglichen   Elemente 

des     Themas     gelegt: 

Der  Hauptsatz  zerf&llt  in  zwei  klar  geschiedene  Teile:  der 

erste  bringt  die  angegebenen  Themen  vorwiegend  in  B^ 

der  zweite  in  F.    Als  in  diesem  zweiten  Teile   die  aus 

dem  Eingang  des  Scherzos  bekannten  BaGqninten  vieder 

erklingen,  kommt  ein  neues  Thema: 


mf  ^^^ 

in  den  HOrnern,  das  aber  am  SchluO  die  frenndlichen 
Lockrufe  des  alten  Hauptthemas  aufnimmt,  w&hrend  die 
Violinen  mit: 


dazn  kontrapunktieren.  Es  ist,  als  woUte  derKomponist 
eine  andere  Seite  l&ndlicher  Frenden,  die  Jagd  nnd  ihr 
aufregendes  Treiben  im  SchattenriG  wenigstens  vorf&hren. 
Da  kommt  aber  sehr  bald  das  Trio  mit  seiner  fast  in  die 
Farben  der  Aeolsharfe  gekleideten  Musik,  deren  Eintritt 
man  zn  den  schonsten  Stellen  der  Sinfonie  rechnen  mu0. 
Die  Melodie,  die  an  ihrer  Spitze  steht  und  zuerst  von 
der  Klarinette  gebracht  wird: 


--»    639    «^ 

Poco  mtno  mosso.  Tranqalllo.  0*r  60. 


fTf  I  f  I  r  I  r- 1 n  I  fTi  ||n  1 1 


ist  zwar  an  und  fdr  sich  eiafach,  aber  in  ihrem  Gegen- 
satz  zum  Wesen  der  vorangehenden  Szenen  wirkt  sie 
wie  aus  h6herer  Welt  gekommen.  Das  bnnte  Treiben 
des  Tages  and  seiner  Lust  liegt  weit  binter  dem  Hdrer. 
Er  denkt  an  den  Sternenbimmel  nnd  an  die  ewigen 
Fragen  vom  Menscblichen  and  G5ttlicben.  Im  dritten 
Teil  des  Scherzos,  am  Schlui^  der  Reprise  klingt  die 
Himmelsmelodie  des  Trios  noch  einmal  an. 

Aach  der  dritte  Satz  kntlpft  mit  seinem  ein- 
leitenden  Andante  an  die  Stimmung  des  Trios  an. 
£s  leabhten  fiber  dieser  Einleitang  in  den  tremo- 
lierenden       Violinen  Andante.  J = 69. 

zauberhafte  Lichter,  jt^h  *  -''^.r  <  .T^'  u  f*^'==='^r-- 
and  der  Gesang,  der  fp'' "  I  f  I J  f  f  T  f  P  Ih^^^ 
durchdieBl&serzieht:  PP 

versacht  wenigstens  die  Tone  des  Friedens  wiederzafinden, 
dieinjener Abendszeneklangen.  Der    itA    ?^^^'*r^ 
Versuch  st5fit  auf  zu  grofie  Erregung,   Ami  J     P   F    r   -I 
die  in  dem  pl5tzlichen  Fortetakt  fiber:  J^ 

gewissermaOen  elementargewaltig  hervorbricht.  Ihr  folgt 
auch  bald  eine  jener  langen,  dem  russischen  Sinfoniker 
eigenen  Obergangsstellen ,  in  denen  anf  liegendem  BaO 
kleine  Motive  in  die  Hdhe  dringen  and  wie  Wftsserchen 
zu  W&ssercben  kommend  zam  Strom  anscbwellen,  der 
den  Damm  darchbricht.  Dieser  Wandel  in  der  Stimmung 
tritt  bereits  im  Andante  ein,  den  sturmischen  Gharakter 
nimmt  sie  mit  den  ersten  T5nen  des  Allegro  an.  Da 
setzen  die  Trompeten  ein: 

Plh  mosso.  Allegro  moderato.  4s  188.  ^^^^ 

<i''i'^rgirtfiuij  nifuij  nil 


-^    640 


und  alarinieren  das  ganze  Orchester  so,  dafi  es  ins 
Zittern  ger&t.  Der  ganze  erste  Teil  des  Allegro  &afiert 
wirklich  seine  Energie  und  seine  Freude  vorzngs- 
weise  rhythmisch,  was  sein  Hauptthema  melodisch 
bietet,     das    erscheint         ■ 

noch  nicht  geklftrt:  }j'' '■  M.J  'jj  JTinT"- 
die  Violinen  schwingen    ^         r  ^^  ^     *l>^# 

sich    mit    dem    Motiv  -^ 

im  Kreise  nnd  in  die  Hdhe,  in  den  Klarinetten  scheint 
die  meiste  Bestimmtheit  zu  herrschen: 


jA  r^f  rrifi'iifi|Ji-.niJ7^rT^i»:r'i' 


Das  freudig  verworrene  Treihen  endigt  feierlich  mit  einem 
Desdur-Akkord,  und  diese  S telle  fuhrt  edlere  Geister  her- 
bei.    Zuerst  h3ren  wir 


ein  Thema  in  dem  ganz  fremden  Edur.  Wie  sie  ein- 
geleitet  war,  so  schlieBt  diese  Episode  auch  wieder  feier- 
ich,  geheimnisvoll  mit  langen  KlS,ngen,  lange  liegenden 
Akkorden  (As,  Ces),  und  nun  folgt  ein  zweites  Thema 
friedlicher  Natnr,  von  der  Oboe  eingefUhrt : 


Meno  1D0860. 


i*  t  n  ir^i  I  iiTTr  ir  ri  I  I  I 


dolee 


T> rrr  I  ri 


Es  beendet  die  Themengruppe  des  in  Sonatenform  ge* 
haltenen  Satzes.  Sein  EinfluO  ftuOert  sich  in  der  Durch- 
ftihrung  dadurch,  da6  zunachst  die  wilden  Motive  des 
Allegros  ganz  verwandelt  erscheinen,  Pas  erste  kurze 
Violinenthema  z.  B.  kommt  in  den  Posaunen  als: 


J  =92. 


•to. 


— •    641    ♦^ 

Bald  erwacht  ihre  eigenUiche  Natar,  sie  ringen  and 
kampfen  gegen  die  edleren  Regangeoi  die  mit  ihnen  den 
Weg  wiederholt  kreuzen.  Oberraschend  erscheint  am 
Ende  dieser  DarchfUhrang  das  Hornthema  aus  dem 
Scherzo  gewissermaOen  als  Bundesgenosse  fUr  die  Geister 
der  ttuGeren  FrShlichkeit;  den  milderen  Mftchten  kommt 
Hilfe  dorch  die  sch5ne  elegische  Melodie,  die  den  ersten 
Satz  der  Sinfonie  er5ffnete.  Dann  folgt  bald  die  Reprise, 
die  die  edleren  Themen  in  gr66erer  Bedeutung  zeigt, 
auBerordentlicb  konstvolle  Arbeit  enth&lt  tind  freudig 
rauschend  schlieBt. 

Glazonnows  ftlnfte  Sinfonie  (Bdur,  Op.  55)  ist  einA.  eUioDHOw, 
Werk  der  Heilerkeit  und  Kraft,  das  sich  ohne  die'^'^'^^Sinfonia 
modemen  Hebel  der  Leidenschaft  and  Romantik  ent- 
wickelt,  aber  Phantasie  and  (^emCit  des  H5rers  festza- 
halten  and  zu  beschttftigen  vermag.  Denn  es  yerr&t 
iiberall  Geist  and  eine  adlige  Natar.  Der  Verlaaf  and 
Charakter  der  beiden  letzten  Sfttze  scheint  die  Sinfonie 
der  Programmasik  zazaweisen.  Doch  hat  der  Komponist 
nicht  yerraten,  was  ihm  vorschwebte  —  yielleicht  ein 
besonderer  Lebenslaaf  — j  da  anorganische  Einzelheiten, 
die  im  Zasammenhang  anerkl&rlich  w&ren,  nicht  darin 
vorkommen.  In  der  Form  zeigt  die  Komposition  ver- 
schwindend  geringen  rassischen  EinflaB,  in  der  Stimmang 
&aOert  er  sich  in  wohltaendster  Art  als  Natarfrische  and 
Lebenslost. 

Der  erste  Satz  beginnt  mit  einer  Einleitang  fiber 
das  Thema: 

Modsrato  maefltoso.  J  =  92 


Sie  fQhrt  za  einem  Allegro,  das  an  diesem  krSftig  fr5h- 
lichen  Grandgedanken  festh&lt.  Nar  im  anderen  Rhyth* 
mas  tritt  er  bier  aaf  and  etwas  erweitert: 


Kreizsobmar,  F&lirer.    I,  1.  41 


642 


rr^  if  (f-p  I  C^Jjf^ '  ^jVj^^-L^ 

Gegens&tze  im  Sinne  eines  Widerspruchs  oder  einer  Ablei- 
tung  treten  ihm  nicht  in  den  Weg,  nur  Versuche,  den  frohen 
Mut,  der  aus  ihm  spricht,  noch  zu  steigern.  Daxunter  f&llt 
durch  seine  Entschiedenheit  der  folgende  am  meisten  auf: 

Auch    das 


'v  Lg"  I  o  I  npft^H-^  ztst 


V"  madesSat- 

zes  bedentet  Zustimmung,  Freude  —  nur  im  zarteren  Tod: 


j|i>''  fl^t  I  fOnTTf  I  fTTif^^^^m 


Weiter  bemerken  wir  noch  Motive  des  Scherzes,  Motive 
anfwallenden  Frohsinns.  AUe  diese  groGen  nnd  kleinen 
Einf&Ile  werden  variiert,  umgebildet  nnd  in  einem  leben- 
digen  Spiel  zusammengebracht,  das  Humor  und  Witz 
beherrschen.  Die  Durchffihrung,  die  nur  kurz  gehalten 
ist,  stellt  sich  auf  einige  Augenblicke  grimmig.  Die  Re- 
prise, in  der  das  zweite  Them  a  geheimnisvoll  spannend 
▼orbereitet  wird,  schiebt  den  SchluB  geflissentlich  und 
fesselnd  weit  bin  aus. 

Das  Scherzo  schl&gt  mit  seinem  Hauptthema: 

Moderate.  J  =  96. 


die  fliichtigen  T5ne  heimlicher  Beweglichkeit  an,  mit  denen 
wir  seit  Mendelssohn  den  Begriff  von  Elfenmusik  verbinden. 
Das  StQck  gleicht  einer  Stunde  aus  der  Kinderzeit,  wo  abends 
Mftrchen  erzS,hlt  werden  von  schOnen  Feen  und  kleinen 
Geistem  der  Luft.   Dann  poltert  ein  grober  Biese  herein: 


643 


^^^L^A    ^       .      -        n  .    ^®'»   ^^^^  den  1 

'j^^V^r    Cj*    I  |*J  r    ^  "CT^J—    len  Dissonanzen 
!/^       *^  "^     ^?        schliefien ,  die  dies 


der,   nach  den  tol- 

zu 
diesem 

Absctinitte  eigen  sind,  alles  auf  den  Kopf  zu  stellen 
scheint.  Nach  diesem  Zwischenfall  kehrt  der  Hauptsatz 
wieder.  Der  Mittelteil,  der  die  Stelle  des  Trios  einnimmt, 
tHhii  mit  einer  hQbschen  Volksmelodie  hinans  ins  Freie : 


•Prestissimo  jieno  mosso. 


^m 


wo  sich  Tftnze  und  Spiele  nnd  gemtitliche  Zwiesprache: 

»  ^in  zum  Teil  sehr  eigen- 

jyj  f    I    J    I  J"J  J    I  _rj  J     I tamlich schdnemKIang 
•^  ^***-^        V^-'     ^entwickeln.    Vor  dem 

Schlufi  wird  dieses  Trio  nochmals  kurz  angespielt. 

Der  langsame  Satz  der  Sinfonie,  ihr  dritter,  wird 
mit  einigen  Takten  eingeleitet,  in  denen  die  Akkorde  wie 
schwere,  trube  Wolken  langsam  hinziehen  und  schleichen. 
Dann  aber  treten  wie  Wandrer,  die  vom  inneren  Gluck 
erfUUt,  nicht  aaf  Himmel  und  auf  Wetter  achten,  die 
Gesangsthemen  ein,  schw&rmerischen  Tons,  wie  ein  Lieb- 
haber  in  seiner  Sehnsucht  das  erste: 


^^^^4^ 


creso 


do  Ice 


reinster     wftrmster     Z&rt- 
lichkeit    voll    das    andere: 

Das  zweite 
insbesondere 
breitet     sich 


ans,  steigert  seinen  sch5nen  warmen  Ton,  wird  hervor- 
gejubelt  und  gelispelt  und  bildet  die  Grundlage  fQr  die 
Stimmung  des  Satzes.    Doch  besteht  eben  dieser  Satz 

41* 


-<fr    644    ♦-> 

nicht  ausschliefilich  aus  Stimmungsschilderang  and  ver- 
Huft'nicht  ungetr&bt.   Die  Einleitnng  war  eine  Warnnng. 
Mitten  in  den  schOnsten  Augenblick  der  Komposition  fftllt 
ein  brutales  St&ck  Dramatik,  ein  vielerlei  Dentong  frei- 
stehendea  Ereignis,  das  aus  alien  Himmeln  reifit:  Posannen 
und  Trompeten  sind  die  Ver-     ^^^^  ^^^^^  j^_  ^^ 
treter  der  Schicksalswendang  ^  ^  _   _  ^   ^"_    '_  _  i  ^  i 
nnd  dies  das  musikaliscbe  Mo-  yijj^  ^   ^^mJ)^   '^  JJ* 'jj 
tiv,  das  sie  yeranschaulicht:     ^  ^  ^ 

Das  Finale  der  Sinfonie  hat  einen  militftrischen 
Gharakter.  Sein  Hauptthema  ist  folgendes  und  sein 
wichtigster  Teil  der  Berliozsche  Schlufi: 

Allegro  maestoso,  oz  126. 

i!Lf  .1  I  r  r  r  r  r  I  r  J  r  u  1 1  r  M  I 


f  rrn  i^  r  f  tr  ir  rr  riffff  f|fff 


Es  wird  ergilnzt  durcb  das  leichtherzigere: 

.1,  ..^.1  ..^.1  rf.( 


Unter  den  wesentlichen  Motiven  des  Satzes  darf  besonders 
der  wiederholte  Anklang  an  die  rauhe  Trompetenstelle  des 
dhtten  Satzes  nicht  Ubersehen  werden.  Allem  Anschein 
nach  gibt  der  Satz  das  Bild  eines  wirklichen  Kampfes. 
Es  kommen  neue  HilfBtruppen,  originell  in  den  B&ssen 
angemeldet 

'"I'l  I  I  I  i|  IT  ir  "^  r  '"'^^  '  ■'■'  -J  ' 

es  gibt  Augenblicke  der  Niedergeschlagenheit,  der 
Rlage,derTrauerund  ^ 

auch  des  Trostes,  die    JkHM    J-^J   /T'j    J    i\^-^- 
aus  dem  letzten  The.   V^     f^f-T<l^    f    f     ' 
ina  sich  entwickeln: 
Dieses  zeigt  in  weiteren  Umbildungen  seine  immer  gr5Bere 


-^    645    ♦^ 

Wichtigkeit  nnd  seinen  Znsammenhang  mit  Volksmnsik. 
Es  wird  allm&hlich  zu  einer  Kriegs-  and  Siegeshymne, 
die  am  Schlusse  anch  dem  ersten  Hauptthema  des  Finale 
eine  glttnzende  Rflckkehr  vorbereitet. 

Die  8 ech ste  Sinfonie  (C  moll)  gleicht  der  zweiten  darin,  A.  6Uio«how, 
daO  ihr  erster  Satz  mit  tieferTrauer empfftngt.  Eine  gram-  Sachsto  Sinfonie 
▼oUe  Melodie  steigt  Aducio^ 

in  die  H5he  nnd  wird  bald,  in  Vieryierteltakt  nmgewandelt: 
Allegro^  ^^ das   Hauptthema   eines 

*r^'^'^_     J    rn  J"  P  I  f  f  r  ^    ^   ^^^    leidenschaftlichem 
P^^"^  /"==^  p        '  Schmerz  bewegten  Alle- 

gros. Ihm  tritt  ♦^  jf^ 

in  dem  zwei-  li\  ?  \  ^  \\  \  ^  f  \T  \  T  \?  f  \ 
ten     Thema:  *^       dout  .     " 

die  Stimme  des  Trostes  entgegen  nnd  wird  in  dem  &ber- 
haupt  sehr  knnstreichen  Satze  mehrmals  mit  ihm  kom- 
biniert,  ohne  aber  Qber  die  trlib  erregte  Stimmnng  Herr- 
schaft  zu  gewinnen. 

Der  zweite  Satz  sucht  die  Heilung   auf  breiterer 

Basis   und   stimmt   zun&chst  feierlich   eine  Liedweise: 

Andante.  an,  die  m5glicher- 

l^\r-S^r>^\rin\\    I     I  weise  russisch   ist, 

^   ^f   U  \U^^^'  ^J   ^i^  iedenfalls    aber   in 


die  Sph&re  kindlicher  Zufriedenheit  geh5rt  Das  Thema 
wird  in  sieben  Yariationen  entwickelt,  die  auf  der  Skala 
der  Fr5hlichkeit  sich  immer  weiter  aufwttrts  bewegen, 
dann  vom  Scherzino  ab  ttber  ein  Fugato  und  ein  Not- 
turno  tiefer  in  die  Gemfitsruhe  einlenken.  Das  den 
Zyklus  kr6nende  und  seinen  reichsten  und  interessan- 
testen  Teil  bildende  Finale  stellt  den  Sieg  der  Lebens- 
freude  fest. 

Der  dritte  Satz  (Allegretto,  Esdur,  s/g),  Intermezzo 
betitelt,  ffthrt  in  dem  neuen  Tone  fort:  Den  Hauptsatz 
beherrscht   die    zuerst  #"«> 

von  der  Klarinette  ge-  ^L^fj  rlTT  |f-ll  itfJJ-  |.r^ 
brachte  heitere  Melodie :    V)'        '  '  i       ■  i    i      j^  i 


-<t    646    «^ 

die  Stelle  des  Trio  —  vom  Hdnr  ab  —  nimmt  ein  grazi- 
Oser  Walzer  ein. 

Das  Finale  (Cdor)  beginnt  zwar  mil  dem  Thema 

.Andante  maestoso. «r°st  Und  SOgar  et- 

•STrrrr  I    1    i    l.  I      ^ etc.  was  drohend,  mhrt 
VF^  J-t,JJLJJ  J  J    't^J— j—         es    aber    bald    ins 


^  Allegro  und  in  den 

entschiedenen  Ton  einer  krSftigen  Heiterkeit  fiber.  Mil 
Hilfe  des  zwei-  j  0  ^  ^  i  i  ,  i  i  I  ,  i  ,  |  «nd 
ten  Themas :  gy  ¥  f  H^^  f  ^  I  "^  J  J  J  I  seiner 
Fortsetzung  wird  sie  bis  zur  Ausgelassenbeit  gesteigert 
Glazounow  zeigt  sich  in  diesem  Satze  als  Meister  des 
Humors,  zugleich  auch  in  seinem  h5chsten  Glanz  als 
Satztechniker:  Ein  Kanon  reibt  sich  an  den  andem,  und 
die  Kunst  der  rhytbmischen  Umbiidungen  der  Themen 
erscbeint  nahezu  als  unerschOpflich. 
A.GUzoiHow,  Die  siebente  Sinfonie  (Fdur),  die  —  ein  seltener 

Siebente  Sinfonie.  Fall  —  der  Autor  seinem  Verleger  gewidmet  hat,  macht 

uns  mit  einer  Art  Glaubenswechsel  Glazounows  bekannt. 

Er  n&hert  sich  bier  Borodin  und  bekennt  sich  st&rker 

und  entschiedener  als  jemals  vorher  zur  russischen  Musik. 

Namentlich  der  erste  Satz  (Allegro  moderato,  Fdur, 

2/4]    ist   reich    an   kurzen,   munteren    russischen  Volks- 

melodien.     An    ihrer    Spitze    steht    das    Hauptthema: 

^-^  und    was    es    verspricht,    das 

(£ I  S  Lf  I  r^  rf/  I  f^       kommt:    ein   Pastoralgem&lde. 

W  ^  -         Von  dem  der  sechsten  S^infnnie 


Von  dem  der  sechsten  Sinfonie 
Beethovens  unterscheidet  es  sich  durch  den  Verzicht  auf 
den  sinnigen,  im  besten  Sinne  sentimentalen  Zug  der 
FrdhliQhkeit,  das  Hauptthema  wie  seine  Gef&hrten  ge- 
h5ren  zur  Klasse  des  Wildfangs.  Beethoven  entwickelt 
auch  geistreicher,  mannigfaltiger  und  uberraschender. 
Die  Oberraschungsmittel,  die  scharfen  Modulationen,  hat 
sich  Glazounow  angeeignet. 

Der  zweite  Satz  (Andante,  Dmoll,  Vi)  f&ngt  sehr 
ernst  an,  fast  wie  eine  Warnung,  wohl,  weil  er  uns 
vor  ein  Naturbild  f£Lhrt,  in  dem,  wie  in  den  lang- 
samen    S&tzen    Borodins,    die   Melancholic    haust.     In 


— ♦    647     4^ 

der    Mitte,    von     einer    Episode    in    Dur    aas,    dicb- 

let   sich    die  .  ^.—^  ^--- —        ^ .^ 

Stimmung  zujujjf   |J.;'.ni/jJ   T   If    fl'J 
einer  Klage:        Kiar.  

Der  dritte  Satz  (Allegro  giocoso,  Bdur,  2/^)  heitert 
mit  dem  Spiel  urn  eine  flatternde  Sechzehntelfigur,  die 
an  die  gefilederten  Bewohner  der  Luft  erinnert,  energisch 
auf.  In  die  kecken  T&ndeleien  mischen  sich  zahlreiche 
Kantilenen  verschiedenen,  vom  Neckischen  bis  zum  Ele- 
gischen  weisenden  Charakters. 

Das  Finale  (Allegro  maestoso,  DmoII,  Vs)  stimmt  so- 
gleich  beim  Pi  ■  .  .  ■  r  t  1  11  1  1  iHymnftn- 
EinsaU  mit:  ^^*  J  J  J  !■'  ''  I''  ''  <  "^ton  an 
und  erweist  sich  als  eine  Huldigung  ans  Vaterland.  Ihre 
sch5nste  Stelle  kommt  nach  dem  Ende  zu,  wo  das  Haupt- 

thema      des  ^ wiederkehrt. 

ersten  Satzes  fe^l'     [f    T    [p    pTlT^  Mit  der  ihm 


in  der  Form :  ^  eiguenBreite 

und  Menge  der  Obergange  streift  der  Komponist  in  diesem 
Finale  das  MaOlose. 

Die  achte  Sinfonie  (Esdur,  op.  83)  ist  in  ihrem  ersten  A.  eusouow, 
Satz  (Allegro  moderato,  V4>  Es  dur)  ein  Bild  reinen  Glucks,  Achto  Sinfonie. 
im  Hauptthema,  dessen  Ausdrucksstiitzen  Vorhalte  nach 
oben  sind,  mit  einem  mafivollen  Zusatz  von  Cberschwang 
und  Schwarmerei,  im  zweiten  Thema  im  Ton  des  ruhigen 
und  sicheren  Besitzes.  Da  der  musikalische  Reiz  dem- 
nach  im  ersten  Thema  liegt,  wird  es  auch  in  der  Ent- 
wicklung  stark  bevorzugt,  lange  Abschnitte  hindurch  er- 

scheint  die  Komposition     pi  .^n  r^-      ^®^  ^^^  ^^^" 

wie  eine  Phantasie  iiber    ns>\i «  ?  f  P  f  f  I   zounow  die 


seine  ersten  vier  Noten  Gelegenheit 

ergriffen  hat,  in  Nachahmungen,  Umkehrungen,  Verkiir- 
zungen  und  Verl&ngerungen  der  Rhythmen  seine  kontra- 
punktische  Meisterschaft  zu  erproben.  Es  laBt  sich  nicht 
verkennen,  da6  der  Yortrag  dabei  etwas  umst&ndlich 
geraten  ist  und  daO  den  Permutationen  der  Motive  Ori- 
ginalit&t  abgeht. 

Der  zweite  Satz  (Mesto,  ^/s,  Es  moll}  fuhrt  uns  iiber* 


-^    648    ♦— 

raschend  vor  tiefste  Trauer,  vor  efnen  schweren  and 
frischen  Yerlust,  dem  die  Seele  des  Leidtragenden  fas- 
snngslos  gegeniiber  steht.  Das  Bntsetzen  spricht  den 
ganzen  Satz  hindurch  mit  den  Rhythmen  des  Trauer- 
marsches  in  Wagners  >G5tterdftmmerung«. 

Der  dritte  Satz  (Allegro,  ^4)  Cdur)  steht  noch  ganz 
im  Bann  des  zweiten,  stellenweise  gleicht  er  einem  Toten- 
tanz,  and  darchweg  bleibt  er  spakhaft  and  gespenstisch. 
Darch  diese  Eigenttimlichkeit  ist  er  der  wertvollste  Satz 
der  Sinfonie. 

Das  Finale  (Moderate  sostenato  ed  Allegro  mode- 
rato,  V4t  Esdar],  das  die  Stimmang  wieder  ins  Gleich- 
gewicht  zoriickfUhrt,  besteht  masikalisch  aas  laater  Re- 
gungen  der  Kraft,  fiber  die  nur  durch  die  aach  in  der 
Mitte  des  Satzes  wiederkehrende  langsame  Einleitang  ein 
Schatten  fftlH.  Zar  vollen  Wirkang  fehlt  es  diesem  Finale 
an  einem  plastischen  Them  a. 
A.  QUioviiow,  Erw&hnenswert  ist  aach  eine  Programmsaite  (op.  79) 
AusdemMittel-Qiazounows,  die  anter  dem  Titel  »Aas  dem  Mittel- 
^  '*  alter<  vier  Bilder  vorfOhrt,  die  antereinander  keinen 
weiteren  Zasammenhang  als  den  gemeinsamen  archa- 
istischen  Ton  haben.  Das  erste  (Allegro,  E  moll,  ^/^  will 
ein  Schlofi  and  darin  ein  Liebespaar  zeigen.  Woran 
man  in  der  Masik  das  SchloO  erkennen  soil,  bleibt  das 
Geheimnis  des  Aators,  das  Liebespaar  lHOt  sich  schon 
eher  an  dem  Edur  and  an  der  weichen  Melodie  fest- 
stellen.  Der  zweite  Satz,  Scherzo  iiberschrieben  (Allegro 
assai,  ^4,  A  moll),  beginnt  mit  Anstreichen  der  leeren 
Qainte  a~ — "W,  deatet  also  aaf  Geigenspiel  and  wahrschein- 
lich  aaf  Tanz.  Der  Geiger  soil  der  Tod  sein,  der  bei 
einem  Jahrmarkt  aufspielt.  DafUr  klingt  auch  die  Masik 
stellenweise  graasam  genag.  Im  dritten  Satz  (Andantino, 
3/4,  A  moll)  wird  ein  Troobadoar,  der  ein  Standchen  bringt, 
ziemlich  glaubhaft  vorgestellt.  Es  hfttte  der  obligaten 
Harfe  kaum  bedarft,  die  Echtheit  liegt  in  der  Rhythmik 
der  Melodien,  in  deren  Vortrag  Bl&ser  and  Geiger  ab- 
wechseln.  Das  Finale  (Allegro,  V41  ^  clur)  ist  ein  Bfarsch 
tnit  rezitativischen   and  andren  Episoden.    Der  Marsch 


— »    649    ♦^ 

8oll  an  die  ausziehenden  Kreuzritter,  die  Episoden,  unter 
denen  ein  Choral  die  Hanptrolle  hat,  soUen  an  anfeuernde 
FQhrer,  an  predigende  MOnche  and  eintreffende  Prozes- 
sionen  erinnem. 

Zuweilen  lies!  man  von  deutschen  AnffQhrungen  einer  C  €«l, 
Suite  miniature  von  C^sar  Cui,  dem  Spreeher  der  Suite  miniature. 
Nenrussen.  Das  ist  ein  halbes  Dutzend  einfachster  Stticke 
in  Lied-  and  Tanzformen,  die  an  Schumanns  Kinder- 
szenen,  an  Bizets  jeux  d^enfants  erinnem.  Die  russisehe 
Herkunft  verraten  sie  in  keiner  Zeile,  sondem  gehOren 
nach  Qeist  and  Form  zn  den  besten  FrUchten  der  franz5si- 
schen  Schule  and  verdienen  wegen  der  liebenswtirdigen 
Phantasie  and  der  feinen  ZQge  in  der  Gestaltung  weiteste 
Yerbreitnng. 

Immerhin  ist  dieser  franz5sische  Zug  in  Gois  kleiner 
Suite  ein  Merkmal,  das  in  verschiedener  Form  auch  bei 
den  russischen  Sinfonikern  wiederkehrt  Yon  Rimsky- 
Korssakow  bis  auf  Glazounow  gehen  sie  alle,  bewuOt  oder 
unbewufit,  von  Berlioz  aus,  von  seinen  Programmen  oder 
von  seinen  Bravourstftckchen  poetischer  Ballettmusik,  und 
behandeln  das  Kolorit  und  die  Einlage  einer  oder  meh- 
rerer  Unterhaltungsnummem  als  eine  Hauptaufgabe  der 
Sinfoniekom  position. 

Dagegen  erhob  sich  von  Moskau  her,  dem  Sitz  des 
Altrussentums,  eine  Opposition,  und  es  bildete  sich  von 
dem  dortigen  Konservatorium  aus,  wie  schon  erwfthnt, 
eine  Moskauer  Schule,  deren  H&upter  A.  Scriabine  und 
S.  Rachmaninow  sind.  Sie  fafit  die  Sinfonie  als  Ge- 
m&lde  seelischer  Zust&nde  auf  und  verlangt  eine,  mit 
Verwerfung  aller  Zugest&ndnisse  an  Herkommen  und 
Publikumsgeschmack,  charakterstreng  und  mit  gleich- 
m&fiiger  Hingabe  und  Grttndlichkeit  durchgefClhrte  Arbeit. 
Das  ist  im  Grunde  das  alte  Ideal  der  Wiener  Klassiker 
and  derjenigen  deutschen  Sinfoniker,  die  noch  auf  Beet- 
hoven schen  Boden  steben.  Doch  unterscheiden  sich  die 
Moskauer  von  Brahms,  Draeseke  und  Genossen  dadurch, 
dafi  sie  auf  die  von  Haydn  eingefUhrte  thematische  Arbeit 
im  Sinne  der  prinzipiellen  AusnUtzung  kleinster,  gelegent- 


^^    650    4>^ 

lich  UQwesentlicher  Satzteile  keinen  Wert  legen.  Statt 
dessen  bringen  sie,  wie  es  Liszt  angebahnt  hat,  die  The- 
men  im  vollen  Umfang  wieder,  aber  in  immer  neuer 
Beleuchtung  und  in  &u6erlicher  und  innerer  Umgestaltung. 
Unter  die  verwerfiichen  Zugest^ndnisse  rechnen  sie  auch 
die  Verwendnng  russischer  Volksmnsik,  gleichviel  ob  in 
der  charaktervollen  Weise  Borodins  oder  in  der  mehr 
spielerischen  Tschaikowskys.  Russisches  Wesen  kommt 
dabei  noch  vollauf  genug  zur  Geltung,  es  ^uOert  sich 
aber  nur  geistig  in  der  Stimmung  and  Tendenz  der 
Themen  selbst  and  noch  mehr  in  ihrer  Entwicklung.  In 
der  Stellung  zam  Programm  I&fit  die  Schnle  Freiheit. 
A.  SerlaMne,  Von  Scriabines  Sinfonien  hat  die  zweite  (Cdar)  den 

Zweite  Sinfonie.  gj.5j3ten  Erfolg  gehabt  and  sich  auch  im  Ausland  die 
Anerkennung  erworben,  die  einem  bedeutenden  und 
eignen  Werke  gebUhrt.  Der  Komponist  zeigt  in  ihr,  wie 
ein  von  Trauer  and  Schmerz  ergriffnes  Gemiit  zur  L&u- 
terung  gelaDgt,  und  enthttUt  sich  dabei  als  eine  auOer- 
ordentlich  weiche  und  zum  Oberschwang  der  Gefuhle 
geneigte  Kiinstlernatur  modernster  Art.  Der  GrundriB  der 
Sinfonie  ist  funfs&tzig,  da  aber  der  erste  eng  mit  dem  zweiten 
und  der  vierte  ebenso  mit  dem  f&nften  Satz  zusammen- 
hllngt,  besteht  sie  tats&chlich  nur  aus  drei  Nummem. 

Der  erste  Satz  (Andante,  Cmoll,  C)  ist  eine  kurze 
Phantasie  Andantg, ^^^^  ^     Ihr     dum- 

tiber    das ^}i^^_^^t-w^fi  T  F  I  f^ ' 9  f  f  r  f  I  ""    iP^e^     Ton 


Thema:  kut.p  '    ^  "^  i  i  i  i   '        'macht  nur 

vorubergebend  einer  hellern  und  erregteren  Episode  in 
C  dur  Piatz,  die  einem  RQckblick  oder  Ausblick  auf  freu- 
digere  Tage  gleicht  und  zu  einem  Obergang  nach  Es  dur 
veranlaBt.  Der  zweite  Satz  (Allegro,  Esdur,  a/s)  bringt 
die  angekiindigte  Tonart,  aber  in  seinem  Hauptthema: 

Allegro.  ^^ 


etc 


Es    Ces   Es     Ces   Es  Ces  GesCesCes  Es  Ces    Es      As 


keine  Beruhigung,  sondem  einen  Aufruhr  trtiber  Gefiihle, 
der  schon  in  den  Rhythmen   des  vierten  Taktes  einen 


--♦    651     ^ 

erschreckenden  Charakter  zeigt.  Das  Thema  gibt  im 
Rleinen  ein  Bild  des  ganzen  Satzes,  nach  seinem  Wesen 
sowohl,  wie  nath  seinen  Mitteln.  Er  wtthlt  bis  zum 
AuBersten  in  Schmerz  und  Qualen,  und  der  Dissonanzen, 
namentlich  der  Vorhalte,  weicher  and  anbannherziger,  ja 
bis  znr  Brutalitftt  barter,  ist  kein  Ende.  Man  lechzt 
stellenweise  nach  einem  reinen  Dreiklang  and  steht  einer 
Orgie  der  Sentimentalit&t  gegenUber,  die  Wagners  > Tri- 
stan«  uberbietet  und  die  eine  wahre  Sehnsucht  nach  dem 
weinerlichen  Spohr  erwecken  kann.  Unter  Aristoteles 
w&re  derartige  Musik  konfisziert  worden,  denn  sie  ist  un« 
gesund  and  wirkt  auf  die  Dauer  demoralisierend.  Aach 
das  zweite  Thema: 


j^MfHni^  i%i  HiMi  T  pir-iiJ  ff^  Prjff III.I.  i  J,  i 


Ces B B as  As 

befreit  nicht  aus  diesem  Engpafi  des  Grams  and  der  Dis- 
sonanzen. 

Wo  wir  Licht  zu  sehen  glaaben,  da  klingt  alsbald  das 
Haaptthema  des  ersten  Satzes,  die  Traaerbotschaft,  mit 
verwilderten  Ztigen  wieder  herein,  and  so  oft  das  freand- 
lichere  Es  dar  sich  darchzusetzen  scheint,  immer  and  bis 
ans  Ende  wird  es  von  d&monischen  Akkorden  nochmals 
bestritten.  So  ist  dieser  erste  Satz  der  Sinfonie  ein  un- 
erhdrt  graasames  Stuck  Kunst,  aber  die  ZMhigkeit  und 
die  modulatorische  Virtuosit&t,  mit  weicher  der  Kompo- 
nist  seine  Absicht  verwirklicht,  zwingt  zum  Respekt,  und 
schliefilich  geht  der  Zuhdrer  auch  nicht  ganz  leer  an 
sch5nen,  einfach  herzlichen  Stellen  aus. 

Der  dritte  Satz  (Andante,  Edur,  %)  der  Sinfonie, 
der  eigentlich  ihr  zweiter  ist,  laBt  sich  wie  eine  Idylle  an, 
wir  hdren  in  der  Flote  sogar  anheimelndes  Vogelgezwit- 
scher.  Er  bleibt  auch  bei  durchaus  freundlich  schwfirme- 
rischen  Melodien,  die  von  Liebe,  Jugend  und  GlQck 
tr^umen  und  sagen,  er  entz&ckt  oft;  aber  auch  er  hftlt 
an  einem  Ton  des  Oberschwanges,  der  harmonischen 
Cberreizung  und  Kompliziertheit  fest,  der  sich  mit  aus 
dem  allzustarken  Einflufi  erkl&rt,  den  Wagners  Stil  auf 


-^    652    *^ 

Scriabine  ausgeiibt  hat  Der  vierte  Satz  (Tempestoso, 
Fmoll,  ^/g]  stelit  sich  zu  dem  vorausgegangenen  An- 
dante im  scharfen  Gegensatz  und  giht  ein  keckes  and 
aufregendes  Bild  &nfirer  und  innrer  Stflrme.  Soweit  er 
ans  Natnrmalerei  besteht,  darf  er  als  ein  SeitenstQck  za 
dem  >Wallkurenritt<  bezeichnet  werden,  und  teilt  zwar 
nicht  dessen  Pathos,  aber  die  Energie,  mit  der  eine  ein- 
facbe,  Wind  and  Wetter  abgelauschte,  erst  leicht  stofiende, 
dann  wutend  healende  Figar  festgehalten  and  in  ihren 
wechselnden  Launen  durchgefQhrt  wird.  In  der  Mitte 
anterbricht  den  Starm  eine  bittende  and  klagende  Melodie, 
die  noch  riUirender  wirken  w0rde,  wenn  der  Komponist 
sich  h&tte  von  seinen  anvermeidlichen  Vorhalten  trennen 
k5nnen.  Sie  bereitet  die  innerlichste  and  schdnste  Stelle 
des  Satzes  vor,  die  Wiederkehr  des  Haaptthemas  des 
ersten  Satzes  und  seiner  freundlichen  Episode  in  Cdur. 
Diese  leitet  jetzt  in  das  Finale,  den  fOnften  Satz  (Mae- 
stoso, C  dur,  C)  fiber.  Ihn  beherrscht  ebendasselbe  Haupt- 
thema,  aber  in  heroischer  Gestalt: 

^  Maestoso. 


gT       C E      A 

Wohl  tauchen  noch  Reminiszenzen  an  Kampf  und 
Schmerzen  auf,  aber  der,  auch  von  dem  an  and  fttr  sich 
unbedeutenderen,  zweiten  Thema  unterstrichne  Grandton 
ist  der  des  Friedens,  der  Resignation,  der  ruhigen  Kraft. 
Nur  die  allerletzten  Takte  nehmen  eine  triumphierende 
Miene  an. 
A.  Serlablne,  Die  noch  wenig  bekannte  dritte  Sinfonie  des  Kom- 

DritteSmfonie.^^jj^jg^gj^^  sein  Opus  43.  fQhrt  ein  Programm,  »Le  divin 
Po^me,  in  drei  Satzen  (Luttes,  Volupt^s,  Jeu  divin)  durch, 
die  ohne  Pause  aneinanderschliefien.  Die  Entwicklung 
ihrer  Musik  bewegt  sich  v511ig  in  den  sch^fsten  Kon- 
trasten,  sie  ist  aber  im  Stil  weit  einfacher  als  ihre  Vor- 
gftngerin  und  zeigt  sehr  erfreulich,  daB  der  Kfinstler  auch 
mit  normaler  Harmonie  Bedeutendes  zu  sagen  weiC. 

Trotzdem  ist  sie  von  der  deutschen  Kritik  als  Ckber- 
kiinstlich,  fiberlang  und  bar  aller  Proportionen  abgelehnt 


--»    653    *^ 

und  mit  noch  gr5Brer  H&rte  als  der  zweiten  Siafonie  des  Kom- 
ponisten  Redseligkeit  and  Thvialit&t  vorgeworfen  woiden. 

Den  Hauptbeweis,  daB  moderoe  AUflren  nicht  zum 
Wesen  der  Moskauer  Schule  gehdren,  bieten  die  Werke 
Sergei  Rachmaninows,  bei  denen  der  Zuaammenhang 
mit  den  Klassikern  der  Gattung  klar  zutage  triit..  Seine 
persOnliche  Bedentung  liegt  in  der  SUrke  der  ]pasikali-S»BMkMMlB0W9 
schen  Naturkraft  und  wird  am  dentlichsten  in  der  E  moll-  Emoll-Sinfonie. 
Sin  fonie  ofifenbar,  die  im  Verein  mit  einem  Klavierkonzert 
znerst  seinen  Namen  Qber  die  heimatlichen  Grenzen  ge- 
tragen  hat.  In  der  Kunst,  mit  den  Elementarwirkungen 
der  Masik,  mit  Ausklingen  und  Anschwellen  zu  fesseln, 
steht  er  auf  gleicher  H5he  wie  A.  Bruckner,  in  der  Er- 
fin  dung  seiner  Grundideen  ist  ihm  das  GlUck  nicht  immer 
treu,  auch  ihre  Entwicklung  scheint  von  der  Gunst  des 
Angenblicks  abhftngig,  bleibt  aber  immer  logisch. 

Der  erste  Satz  dieser  Sinfonie  hat  eine  langsame 
Einleitung,  die  mit  Motiven  schlichter  Art  —  unter  ihnen 
eine  Achtelfigar,  die  wichtig  wird  —  den  Obergang  von 
tr&nmerischem  Sinnen  zn  einer  regen  T&tigkeit  der  Phan- 
tasie  vorftLhrt.  Sie  beginnt  ruhig  und  schliefit  noch 
ruhiger,  dazwischen  aber  liegt  ein  Stflck  Begeisterung,. 
das  einmal  in  die  kiihne  Akkordfolge  Hdur-Bdur  aus- 
bricht;  es  ist  als  ob  ein  alter  Mann  sich  entscblossen 
h&tte,  aus  seinen  Erinnerungen  mitzuteilen.  Im  Allegro 
moderato  (E  moll,  ^)  kommt  die  Erz&hlung,  und  zwar  zu- 
n&chst  in  einer  Art  Bardenton,  die  an  den  jungen  Gade 
erinnert.  Yier  Takte  wird  nur  pr&ludiert»  dann  setzt  das 
Hauptthema 


„__ etc. 

an  die  Einleitung  ankniipfend,  balladenmfifiig  ein,  wird 
variiert  wiederholt  und  dann  mit  Triolenmotiven  erg&nzt, 
die  einen  ritterlichen  Charakter  haben  und  anzudeuten 
scheinen,  dafi  es  sich  um  Heldengestalten  und  ihre  Aus- 
fahrt  handelt  Mit  dem  zweiten  Thema  (in  Gdur) 
meldet  sich  das  GlOck  in  origineller  Art:  Oben  in  Oboen 


_<^    654    ^^ 

und  Klarinette  knappeste  Naturlaute,  die  den  Gesang  im 
Herzen  nur  markieren,  unten  in  den  Geigen  ein  leises, 
fr5hliches  Schw&rmen.  Erst  bei  der  Wiederholung  wird 
aus  dieser  Skizze  eine  ausgebildete ,  warm  dr&ngende 
Melodie,  und  wie  in  stiller  Seligkeit  schlieCt  die  Themen- 
gruppe.  Die  DurchfQhrung  ist  die  St^tte  von  WiderstSLnden 
und  Schwierigkeiten,  deren  Darstellung  in  der  ersten 
H&lfte  matt  ist  und  erst  dem  Ende  zu  etwas  in  Schwung 
ger&t.  In  der  Reprise  zeichnet  sich  die  zum  zweiten 
Them  a  gehdrige  Gruppe  (eine  Episode  in  E  dur)  ganz 
auOerordentlich  aus  und  zeigt  den  ganzen  Reichtum  des 
Komponisten,  seine  Zartheit  und  sein  Feuer,  in  immer 
gleich  schonem  und  natiirlichem  FIuG.  Auch  iiber  den 
zweiten  Satz  (Allegro  molto,  A  moll,  (^J  liegt  eine  Art  Pa- 
tina.  Schon  die    ^  Allegro 

Harmonie     des  ^tf  J  J  J  J    |  J>   J    |  J-  J    LI.   J    I   ^    1 


Haupttbemas:  f^ 

das  ebenfalls  akkordisch  prfiludiert  wird,  versetzt  mit  dem 
alten  Kirchenton  in  alte  Zeiten.  Sein  barter,  reckenbafter 
Humor  macbt  zun&cbst  auf  einen  Augenblick  einer  from- 
men  Weise  Platz,  dann  kommt  an  Stelle  des  Ublicben 
Trio  —  denn  der  Satz  ist  das  Scherzo  der  Sinfonie  — 
ein  wild  pbantastiscber  Teil,  den  ein  rubeloses  Acbtel- 
motiv  von  Anfang  bis  Ende  durchsaust.  Die  fromme 
Weise  gibt  nach  der  Reprise  des  Haupttbemas  dem  Ende 
des  Satzes  das  Gepr&ge. 

Um  den  erz&blenden  Cbarakter  festzustellen,  beginnt 
aucb  der  dritte  Satz  (Adagio,  A  dur,  C)  mit  einigen  Tak- 
ten  PrsLludium.    Dann  setzt  die  Klarinette  mit: 

^  nif  poco  rit.  dim.  K  rj____   M--I^ 

einer  jener  Melodien  ein,  die  zwar  nicht  russisch,  aber 
entscbieden  volkstumlicb  und  fiir  Racbmaninow  bezeicb- 
nend  und  von  biograpbischer  Bedeutung  sind.  Aus  die- 
sem  Haupttbema  spricbt  scblicht  sinnige  Zufriedenheit, 
der  Satz,  der  sicb  aus  ibm  entwickelt,  hat  nichts  von 
dem  Cberscbwang  moderner  Adagios,  er  malt  traulich  uhd 


655 


Jean-Paulisch  ein  Gluck  in  der  Beschrftnkung.  Nur  ein- 
mal  —  nach  dem  ftberraschenden  Cdnr-SchluB  —  kommt, 
von  kurzen,  suchenden  Dialogen  eingeleitet  and  dnrch- 
brochen,  eine  Stelle,  wo  sich  die  sonst  gut  bUrgerliche 
Szene  dramatisch  belebt  und  die  Wogen  hdher  ausschla- 
gen.  Sie  ist,  &hnlich  wie  der  Mittelteil  des  vorausge- 
gangnen  Scherzos  als  Vision  gemeint,  aber  in  dem  sch5n 
friedlichen  SchlnC  des  Satzes  klingt  ibr  Sechzehntelmotiv 
nochmals  hinein.  Leg!  man  der  Sinfonie  das  Programm 
einer  Ansfahrt  nnter,  so  fUbrt  dieses  Adagio  in  die  ver- 
lassene  Heimat 

Wie  die  vorigen  Sfitze  ist  das  Fin  ale  (Allegro  vivace, 
Edar,  (^)  ebenfalls  mit  einer  knrzen  Einleitung  verseheu. 
£s  sind  einige,  sp&ter  oft  wiederkehrende  Takte  stUrmi- 
schen  Jubels,  die  den  Grundzng  des  Satzes  feststellen. 
Das  Hanptthema  tritt  zuerst  in  erregter  Gestalt 


j¥» .  P7r^n1?irmVf  ff  rrTfr^if^ 


i 


auf,  sp&ter  kommt  es  in  der  breitren   and  faDlicheren 
Yariante: 


Seine  erste  Entwicklung  gleicht  einem  Triamphzug  in 
vollstem  Glanz  und  strotzender  Kraft,  bis  eine  plotzliche 
Modulation  nach  GKs  moll  eine  Stockung  hervorruft. 
Man  h5rt  aus  der  Feme  einen  Milit&rmarsch  von  unver- 
kennbar  primitivem  Charakter.  Dieser  Zwischenfall,  der 
die  Heimkehr  der  Sieger  bedroht,  wird  eriedigt  and 
das  Resultat  mit 


^^^^^^^^^- 


dem  zweiten  The-^fe^^f  y'T)'  ^ -^'^^^=^ 
ma  des  Satzes: 
ausgesprochen.  Es  fQbrt  auf  einen  kurzen  Augenblick 
den  Anfang  des  Adagio  zurUck :  Die  Heimat  lockt  m^ch- 
tig  und  nahe.  Man  bricht  vom  neuen  auf.  das  Hanpt- 
thema erffthrt  eine  neue  DurchftUirung,  aber  unter  dem 
Zeichen  der  Vorsicht,  bis  dann  die  Reprise  einsetzt.    Sie 


--^    656    *— 

erh&lt  eine  sehr  sch5ne  Nuance  durch  den  Zatritt  des 
Hauptthemas  des  zweiten  Satzes,  das  Thema  der  Helden- 
last,  und  klingt  in  hellster  Freude  aas.  Der  poetisch 
sinnig  entworfne  Satz  bietet  dennoch  dem  Zah5rer 
durch  seine  Lftnge  und  durch  einige  schwficher  erfnndne 
Stellen  einige  Schwierigkeit. 

Erfreulicherweise  zeigt  sich  unter  denjenigen  russi- 
schen  Tonsetzern,  deren  Sinfonien  fiir  die  Offentlichkeit 
und  fur  das  Ausland  noeh  in  zweiter  Linie  stehen,  ein 
starker  Anhang  Rachmaninows.  Der  hervorragendste  Ver- 
treter  der  von  ihm  eingeschlagenen  Richtung  auf  Klarfaeit, 
B.  Zolotareir,  Einfachheit  und  die  Ziele  der  Klassiker  ist  B.  Z  o  1  o t  ar  e  f  f , 
FismoU-Sinfonie.  den  wir  seltsamer  Weise  zuweilen  aucb  unter  den  Vertretem 

der  Petersburger  Partei  verzeichnet  fin  den.  Seine  Fismoll- 
Sinfonie  (op.  8)  n&hert  sich  im  Andante  fast  der  Schlicht- 
heit  Haydns,  ohne  jedoch  die  moderno  Zeit  und  ihre 
Erregbarkeit  zu  verleugnen.  Oberall,  beim  leidenschaft- 
'  lichen  Ringen,  ebenso  wie  beim  weichen  Sinnen  und 
Sehnen,  nimmt  der  Komponist  durch  die  ernste,  innerliche 
WUrme  des  Vortrags  ein. 
B. K»Uf »tl,  Nahe  steht  ihm  Basile  Kaiafati,  dessen  A moU- 

A  moU-Sinfonic.  Sinfonie  (op.  12)  mit  dem  Rachmaninowschen  Haupt- 
werk  die  VerknUpfung  getrennter  SUtze  gemeinsam  hat 
Stellenweise  versetzt  uns  die  Sinfonie  Kalafatis  in  die 
Mendelssohnsche  Zeit,  seine  Selbstftndigkeit  spricht  aufier 
aus  der  immer  soliden,  oft  zu  sehr  ins  Kleine  gehen- 
den  Arbeit  namentlich  aus  dem  knorrigen  Scherzo.  Auch 
E. HelaarBki,  Emil  Meinarskis  F dur-Sinfonie  (op.  14)  geh5rt  teil- 
F  dur-Sinfonie.  weise  mit  auf  das  Konto  des  Moskauer  Meisters,  dem 
Meinarski  in  der  Kunst  des  poetischen  Verklingens 
sinniger  Motive  folgt.  Zum  grOfiren  Teil  reprftsen- 
tiert  der  Komponist  den  Naturalismus  unter  den  russi- 
schen  Musikern  von  seiner  Schattenseite,  nftmlich  die 
Ubermftfiige  Betonung  von  PriUiminarien  und  Neben- 
sachen.  Um  im  Scherzo  der  Sinfonie  nach  der  Haupt* 
tonart,  nach  H  moll,  zu  kommen,  braucht  er,  von  As  be* 
ginnend,  zehn  Partiturseiten,  ohne  damit  irgend  etwas 
Wichtiges  zu  bieten.    Der  gleiche  Eindruck  des  Gesuchten 


— ^     657    ^— 

begegnet  una  noch  mehrmals;  namentlich  die  Melodik 
geberdet  sich  gern,  als  wftren  ihr  die  Halbtdne  nicht 
fein  genng. 

Wenn  Meinarski  im   Adagio  rnssisch  nationale  Mo- 
tive verwendet,  steht  er  mit  dieser  Ansnahme  unter  den 
Moskauem  nicht  allein;  auch  bei  ihnen  finden  sich  An- 
h&nger  Borodins,  in  der  rossischen  Musik  Qberhanpt  aber 
haben  seine  Prinzipien  noch  einen  ebenso  breiten  wie 
festen   Boden.     Einer    ihrer    begabtesten    Vertreter    ist 
Basile  Kalinnikow,  besonders  in  seiner  ersten,  einer  B. KUUnikow, 
Gmoll-Sinfonie.     Seine  zweite,  die  Adnr-Sinfonie,  baut  ^™'**'***'»  *» 
zwar  ihre  vier  Satze  fiber  ein  Lied  des  Komponisten,  das^"^"  nad  Adnr. 
ganz  den  rnssischen  Typns  zeigt,  l&Qi  aber  des  weitren 
die  nationalen  hinter  die  individuellen  ZCkge  zarficktreten. 
Unter  ihnen  ragt  ein  dezenter  und  dem  Anschein  nach 
an  Glinka  geschulter  Humor  besonders  hervor. 

Noch  unbedingter  gibt  sich  der  zuweilen  den  Mos-     B.  flii^re, 
kanern  eingereihte  R.  Gli^re  als  Borodinianer.    Wenig- ^ *"*Smfoni«. 
stens  in  seiner  Esdur-Sinfonie  [op:  8);  ihr  zweiter  Satz, 
ein  ebenso  natUrlich   erfundner,  wie  dorchgeflihrter  an- 
mutig  naiver  ^iXakt  hat  bedentenderen  eignen  Wert. 

Unter  den  jUngeren  Vertretern  der  russischen  Schnle,  S*  Stojowikj, 
die  eine  freie  Stellung  behaupten,  verdient  Sig.  Sto-^™*>"-S">foM«. 
jowsky,  ein  gebUr tiger  Pole,  als  ein  grofies  und  vor- 
nehmes  Talent  hervorgehoben  zu  werden  und  zwar  auf 
Grund  seiner  Dmoll-Sinfonie  (op.  25),  die  in  ihren  vier 
S&tzen  eine  PersOnlichkeit  zeigt  und  in  alien  eine  aus 
der  Tiefe  geschdpfte  und  wirklich  innerlich  eriebte  Musik 
bringt.  Besonders  pr&gen  sich  die  sch5nen  langen  Melo- 
dien  und  die  faOlichen,  wie  Geberden  wirkenden  Rhythmen 
der  Leidenschaft  im  ersten  Satze  ein,  &hnlich  auch  der 
finstre  Charakter  des  Scherzo  und  die  kleinen  Brocken 
Trost,  die  sich  von  ihm  so  scharf  und  wohltuend  ab- 
heben.  Aus  dem  ftuBren  Stil  der  Sinfonie  treten  die 
zahlreichen  Bl&sersoli  hervor. 

Der  Sinfonie  ist  eine  dreisfttzige  Suite  in  Esdur  (op.  9),  s.  Stojowiky, 
vorausgegangen,  die  im  ersten  Satz  Variationen  Uber  ein  Suite  in  £s. 
russisches  Thema  mit  leichter  Anlehnung  an  die  Haydn- 

KretzBclimar,  FUlirer.    I,  ].  42 


— *    668    •— 

vaiiatioDen  von  Brahms  entwickelt,  ia  den  weitren  Sfttzsn 
ktihn  uad  dramatiscb  polQische  Helodien  rerarbeitet. 
■.  SuiBbcrg,  Aacb  eine  Ddnr-Sinfonie  (op.  3),  von  Maximilian  Stein- 
D  dnr-sinfonie.  b  e  f  g  verdieDl  bier  nocb  wegen  ihres  engen  Anschlosaes 
an  Glazounow  Erw&bnung.  Der  SchtUer  kommt  dem 
Heister  in  der  eifrigen  nnd  geschickten  Pflege  kleiaer 
SatxkGnste  ziemlich  nahe  and  QbertriSt  ihn  in  der  Ge- 
DUgsamkeit  der  thematischen  Erfindang  nnd  der  Ideen- 
richtung.  Das  eigne,  elegische  Talent  Steinbergs  kommt 
am  dentlichgten  beim  zweiten  Thema  des  ersten  Satzes 
zum  Vorschein. 

Nocb  darf  unter  den  beacbtenswerten  ruasiscben  Sin- 
F. BNaeBrdd. fonikern  F.  Blumenfeld  angeftihrt  werden.  Der  Reich- 
tnm  an  tttchtig  gebildeten,  von  Einseitigkeit  freien  Dnrch- 
schniltatalenten ,  aichert  der  rusaischen  eine  bedeutende 
Wfliterentwickelnng  and  das  Primat  onter  den  nationalan 
Schulen. 


V. 

Die  moderne  Suite  und  die  neueste  Ent- 
wicltelung  in  der  Itiassisclien  Sinfonie. 


BmctI'^  Werke  der  Nationalen  und  der  Program mnsiker 
IBSlbitden  einen  wichtigen  Teil  in  der  sinConischen 
R^Sa  Produktion  der  letsteu  Jahrzehnte ,  jedocta  reprS- 
eentiereD  sie  nicbt  die  HauptstrSmnDg.  Diese  hSit  viel< 
mehr  immer  noch  an  den  Traditionen  fest,  welche  in  den 
Werkea  Beethovens  and  der  Romantiker  niedergelegt 
aind.  Ja,  mitten  in  der  bewegtesten  Zeit  des  Streitas, 
welcher  sich  am  den  Wert  und  die  Berecbligung  der'neuen 
Programmusik  erhob,  um  das  Jahr  I860,  lebte  plStzlich 
eine  Kanstgattung  wieder  auf,  deren  Bliitezeit  noch  hinter 
den  Tftgen  der  Wiener  Klasaiker  zurQckliegt.  Es  ist 
die  schon  im  vorbergehenden  Kapitel  wiederholt  be- 
rQhrte  Suite. 

Die  WiedereiofQhrung  der  Suite  entsprach  dem  prak- 
lischen  Bedilrfnisae  nach  einer  einfachen  musikalischen 
N&turkoat,  dem  Verlaogen  nach  graCeren  Orchesterkom' 
positionen,  welcbe  sicb,  vie  die  Sinfonie,  in  groflen 
Formea  bewegen,  den  Geiat  aber  mit  achwerer  Qedanken- 
arbeit  und  den  Strapazen  nngerer  bohea  Kaltar  ver- 
scbonen  soillen.  DaB  man  mit  dieser  bumanen  HiBsion 
ger&de  die  alte  Suite  betiaate,  war  eine  weitere  Wirknng 


-^    660    *— 

jenes  historischen  Sinnes,  welcher  seit  dem  VorgeheD 
Mendelssohns  die  Musikwelt  st&rker  zu  dnrchdringen  be- 
gann  und  welcher  in  den  Gesamtausgaben  und  Einzel- 
ausgaben  von  Werken  mterer  Meister,  in  der  Grtkndnng 
nnd  TUtigkeit  der  Tonkftnstlervereine  immer  mehr  Aus- 
druck  nnd  zugleich  F5rdernng  fand.  Es  war  ein  Jahr- 
zebnt  lang  der  Hanptfehler  der  modernen  Suite,  daB  man 
ihr  das  historische  Studium  und  die  Abhftngigkeit  von 
alten  Mustem  zn  deutlich  ansab.  Die  alte  deutsche  Or- 
chestersuite  bildete  den  Sammelplatz ,  auf  welchem  sicb 
die  charakteristischen  Tanz-  und  Liedweisen  aller  Nationen 
zusammenfanden.  Davon  ausgehend,  h&tten  die  moder- 
nen Suitenkomponisten  sicb  in  erster  Linie  danach  urn- 
seben  mUssen ,  was  das  19.  Jabrhundert  an  k&nstleriscb 
verwendbaren  Elementen  der  Volksmusik  bietet.  Und 
daC  es  solcbe  bietet,  hatte  Chopin  bewiesen.  Statt  dessen 
kopierte  aber  die  Mehrzahl  die  Sarabanden,  Giguen,  Cou- 
ranten,  Allemanden  der  Bachscben  Klaviersuite,  trug 
ans  der  neueren  Zeit  ein  Scherzo,  wenn  es  hoch  kam, 
einen  Marsch  herbei  und  vervoUstftndigte  das  Ganze  mit 
Variationen  und  Fugen.  Der  oft  miOverstandene  kontra- 
punktliche  Stil  der  Alten  wurde  ersichtlich  h5her  ange- 
schlagen  als  das  volkstQmliche  Prinzip  ibrer  Suite. 

Das  Verdienst,  als  der  erste  nach  hundert  Jabren 
wieder  Suiten  gescbrieben  zu  haben,  hat  Joachim  Raff 
f&r  sicb  in  Anspruch  genommen*).  Der  Hauptanteil  an 
der  Neubelebung  und  Einfftbrung  der  alten  Kunstform 
muB  jedochFranzLachner  zugeschrieben  werden.  In 
der  Sinfonieperiode  der  dreiBiger  Jabre  von  den  Preis- 
richtern,  nicht  aber  vom  Publikum  ausgezeichnet,  fand 
dieser  Tonsetzer  noch  sp&t-  in  der  Suite  einen  Wirkungs- 
kreis,  auf  welchem  er  viele  Freude  bereitet  und  seinem 
Namen  ein  bleibendes  Andenken  erworben  hat  Auch 
Lachner  gehfirt  der  kontrapunktischen  Richtung  der  mo- 
dernen Suite  an.  Aber  die  wirklich  volkstiimliche  Natur 
seines  Talents  &uBert  sicb  bei  ifam  auch,  gerade  wie  bei 

*)  Siehe  M.  H&aptmann,  Briefe  an  F.  Hauser  II,  249. 


— »    661    «^ 

dea  Alien,  in  der  strengen  Form.  Seine  Fugen  sind 
frisch  nnd  krftftig,  frei  und  effektvoU.  Lacbner  hat  sogar 
fur  die  modeme  Weiterbildung  dieses  ebenso  schwierigen 
als  interessanten  Stils  wertvolle  Fingerzeige  und  An- 
regungen  gegeben.  Lachner  spricht  echten  Snitenton: 
auch  wo  er  gelehrt  wird,  bleibt  erklar  und  verst&ndlich; 
wenn  es  nicht  anders  geht,  ist  er  lieber  trivial  als  ge* 
ktlnsteli,  und  der  Undeutlichkeit  geht  er  so  sehr  aus  dem 
Wege,  daB  er  sich  darUber  oft  ins  Redselige  und  Breite 
verliert.  Eine  besondere  Spezialit&t  in  seinen  Suiten 
bilden  die  M&rsche.  Sie  zeichnen  sich  aus  durch  eine 
einfach  kernige  .Rhythmik  und  durch  eindringliche  Me- 
lodien,  welche  gelegentlich  mit  aparten,  blfthenden  Fi- 
guren  gewQrzt  sind.  Oft  sind  diese  M&rsche  gar  nicbl 
deklariert  und  segein  unter  der  Flagge  von  Ouvertfiren 
und  Intermezzos.  Aber  auch  an  traulichen  Idyllen  sind 
die  Lachnerschen  Suiten  reich.  Eine,  im  besten  Sinne 
des  Wortes,  gute  bflrgerliche  Poesie  beherrscht  die  Mehr- 
zahl  seiner  Menuetts  und  Andantes.  Die  Sprache,  welche 
er  in  ihnen  vorzugsweise  spricht,  erscheint  aus  den 
Idiomen  der  alten  Wiener  Schule,  speziell  dem  F.  Schuberts, 
dann  denen  Spohrs  und  Mendelssohns  als  ein  neues  Viertes 
hervorgegangcn. 

Unter  den  sieben  Suiten  Lachners  ragt  die  erste  v.hUhmWf 
(Dmoll)  durch  Wert  und  PopularitUt  hervor.  Ihr  erster  SuitaNr.  i 
Satz  besonders,  ein  >Pr&ludium<,  in  welchem  das  Thema:      Pmoll). 

Allef  TO  BOB  troi 


mit  Kraft  und  Kunst  durchgefuhrt  wird,  ist  einer  der 
effektvollsten  S^tze  in  der  neueren  Suitenliteratur:  natur- 
frisch  und  mit  manchem  kecken  Harmoniesprung  dahin- 
fliefiend,  originell  und  individuell  in  seiner  Mischung 
von  Derbheit  und  Anmut,  nur  leider  zu  breit  und  un- 
.gleich  ausgefQhrt.  Der  zweite  Satz,  das  kdnstlerische 
HauptstQck  der  ganzen  Suite,  ein  Menuett,  ist  eins 
der    liebenswardigsten    Rokokobilder    in    romantischer 


662 


F&rbung.     Der  Hauptsatz    tftnzelt   auf  folgender  Melo- 
dic bin: 

AUerro  noB  troppo. 


Das  Trio  hat  dieselbe  Grazie,  aber  mebr  Cborcbarakter, 
als  ob  Massea  antr&ten.  Sein  Thema  wird  von  einer  Art 
von  Basso  ostinato  gravitHtisch  begleitet: 


t^TfTin-^    i^r^ 


*^'%\r.mmw 


Der  dritte  Satz  besteht 
aus  einem  Zyklus  von  Va- 
riationen,  welehen  folgen- 
des  Thema  zu  Grande  liegt: 


Die  Bratschen  begleiten  es  in  der  oberen  Oktave.  Die 
Variationen  —  23  an  der  Zahl  —  sind  vorwiegend  im 
&lteren  Stil  gehalten  und  enifernen  sich  niemais  weit 
vom  Thema,  welches  in  andere  Tempi  und  Taktarten  ge- 
setzt,  mit  wechselnden  Figuren  umkleidet,  aber  einschnei- 
denderen  Umbildungen  nicht  unterzogen  wird.  Einzelne 
uben  trotzdem  die  tiefere  Wirkung  von  Charakterstlicken 
aus,  andere  sind  als  virtuoses  Spielwerk  zu  betrachteny 
ein  dritter  Teil  ist  gfinzlich  veraltet  und  wertlos.  Den 
Zyklus  beschliefit  ein  Marsch,  welcher  fiber  den  Verband 
der  Suite,  zu  welcher  er  geh5rt,  und  aus  den  Konzert- 
s^len  hinaus  in  die  Volkskapellen  gedrungen  ist.  Sein 
direkt  an  A.  Eberls  Ddur-Sinfonie  erinnerades  Thema, 
welches  zuerst  wie  aus  weiter  Ferne  h5rbar  wird,  genfigt 
allein,  nm  diese  Popularit&t  zu  erklftren: 


663 


^    ^  ^   ^  _        ,^         Luise  von  Kobell 

rCJr  r  'r^Vii^n     f'fl    nrr  ^at m ihren Enn- 

-  =="^  nerungen  erz&hlt, 

wie  die  hubsche  Sechzebntelfig:ur,  die  dem  Thema  seine 
EigentQmlicbkeit  gibt,  von  einer  Vogelstimme  stammt, 
die  Lachner  einen  Sommer  lang  anf  seinen  MQnchner 
Morgenspaziergfl,ngen  begrQCte.  Das  Finale  der  Suite, 
ibr  vierter  Satz,  bestebt  ans  einem  webmiitigen  Andante 
als  Einleitung  and  einer  sebr  steitbaren  Fnge  Uber  folgen- 
des  Tbema: 

Allegro  moderato. 


CoBtrftblMt  CcDI  Fag. 

Die  zweite  Suite  Lacbners  (Emoll)  bat  unter  ibren  f.  LMkaer, 
fQnf  S&tzen  zwei  Fngen,  welcbe  beide  durch  eigentQmlicbe   ^^^®  ^'* ' 
Anlage  interessieren.   Die  eine  in  der  Gigae  durcb  die  ein-     ^  ^^  '' 
gelegten  bomopbonen  Partien  und  die  dramatiscb  scbwnng- 
vollen  Steigerungen  am  ScbluOe,  die  andere  im  ersten 
Satze  durcb  die  poetiscbe  Verbindung,  welcbe  sie  mit  der 
melancboliscben  Introduktion  eingebt:  In  dem  Moment,  wo 

der  Satz  abscblieBen  kdnnte,    ^     ^^  ♦  ♦«  ^  , 

taucbt  das  leidenscbaftlicbe  :X:=L=^^^^£=£  C/  i  T  f  : , 
Anfangsmotiv  der  Einleitung  LiiiI^^^====   '" 

auf,  setzt  sicb  als  zweites  Thema  fest,  und  die  Fuge 
wird  zur  Doppelfuge.  Der  Menuett  dieser  Suite,  dessen 
Trio  ein  grazioser  Kanon  zwiscben  Violine  und  Bratscbe 
ist,  nfthert  sicb  dem  Cbarakter  der  Mazurka,  das  Inter- 
mezzo, namentlicb  im  Mittelsatze,  dem  Marscb. 

Die  dritte  Suite  Lacbners  (Fmoll)  beginnt  mit  einem  f.  Laobaer, 
>Pr&ludium€  im   mfiden  Ton.     Ibr  zweiter  Satz,  Inter-    Suite  Nr. 8 
mezzo,   uberdeckt   eine  tiefe  elegiscbe   Stimmung,  aus      (Fmoll). 
welcber  zuweilen  pathetiscbe  Klagen  bervorbrecben,  mit 
einem   leicbt   t&ndelnden  Motiv.     Die  Sarabande  bildet 
eine  Hhnlicbe  Verbindung  von  gefUblvoU  weichem  Gesang 
mit  bebaglicben  Tanzmotiven.  Zwiscben  den  beiden  Satzen 


664 


F.  Laehner, 

Suite  Nr.  4 
(Esdur). 


F.  Laehner, 

Suite  Nr.  6 
(Cmoll). 


F.  Laekier, 

Suite  Nr.  6 
(Cdnr). 


steht  wieder  ein  l&ngerer  Variationszyklus/  dessen  Thema 
mit  dem  Allegretto  von  Beethovens  siebenter  Sinfonie 
in  naher  Verwandtschaft  steht.  Auch  dieser  Satz  klingt 
mild  aus.  Unter  seinen  energischeren  Partien  ragt  die- 
jenige  Variation  hervor,  in  welcher  die  Holzblftser  uni- 
sono  sich  auf  der  chromatischen  Skala  tummeln.  In  den 
SchluOsatzen  der  Suite,  einer  Gourante  mit  einem  Schu- 
mannschen  Violinthema  mit  sehr  hiibschen  Klangeffek- 
ten  und  einer  modernisierten,  ballettmaBigen  Gavotte 
wirft  die  Komposition  alles  Triibe  ab  und  wendet  sich 
kraftigen  Geistes  dem  Frohsinn  zu. 

In  der  vierten  Suite  Lachners  (Esdur)  ist  das  kon- 
trapunktische  Element  wieder  3t&rker  vertreten.  Der  erste 
Satz,  Ouvert&re  benannt,  fugiert  am  Schlusse,  der  funfte, 
eine  sehr  kraftig  einsetzende,  modernisierte  Gigue,  durch- 
aus,  und  beide  Male  ist  die  Fugenform  wieder  in  inter- 
essanter,  freier  Weise  mit  einfach  melodischen,  anmutigen 
Episoden  durchzogen.  Der  erste  Satz  ist  nur  dem  Namen 
nach  eine  Ouverttire,  nach  dem  Charakter  ein  Marsch 
mit  auOerordentlich  popul&rem  Thema.  £r  gleicht  einem 
Festzug,  der  von  Jungfrauen  er5ffnet  und  von  Milit&r 
geschlossen  wird.  Zwischen  den  beiden  Gruppen  bildet 
ein  energisch  frohes  Thema ,  dessen  Heimat  in  Webers 
Euryanthe  liegt,  den  Ubergang.  Der  wirkungsvollste  Satz 
der  Suite  ist  das  Scherzo  pastorale  mit  einem  reizenden 
Cellosolo  im  Trio. 

Die  funfte  Suite  Lachners  (Cmoll)  weicht  von  den 
vorausgehenden  wohltuend  durch  die  Knappheit  der  S&tze 
ab.  Ihre  hervorragendsten  Partien  sind  der  Mittelsatz 
des  Andante,  ein  sehr  klar  wirkeader  Kanon  zwischen 
Solovioline  und  Bratsche,  und  das  Trio  im  Scherzo,  ein 
edler  Gesang,  auf  welchem  Schuberts  Geist  ruht.  Im 
Finale,  welches  in  der  Form  des  Sonatensatzes  gehalten 
ist,  taucht  a  Is  zweites  Thema  eine  bekannte  Oberon- 
gestalt  auf. 

Der  poetische  Plan  von  Lachners  sechster  Suite 
(Cdur)  steht  mit  dem  deutschen  Kriege  von  1870—71  im 
Zusammenhang.    Schon  die  Gavotte,  welche  hereinf&hrt 


— »    665    ^^ 

wie  »Zieten  aus  dem  Busch*,  erinnert  an  soldatische 
Elemente.  Das  Finale  ist  einer  der  bedentendsten  pa- 
triotischen  Tribute,  welche  die  Mnsik  jener  Zeit  dar- 
gebracht  hat  Es  vereinigt  die  Trauerfeier  mit  Sieges- 
jubel  und  Dank.  Klagende  Rezitative  im  Spohrschen 
Stile  leiten  eine  mild  nnd  resigniert  gehaltene  Paraphrase 
des  Heldenchorals  >Ein'  feste  Barg«  ein.  So  wie  die  Be- 
gleitmannschaft  vom  Grabe  des  Kameraden  mit  fr5hlichem 
Spiele  wegzieht,  folgt  dann  auch  hier  der  Trauerzeremonie 
ein  demonstrativ  munterer  und  energischer,  kurz  und 
keck  rhythmisierter  Marsch,  eine  der  flottesten  Kom- 
positionen,  welche  Lachner  in  dieser  seiner  Spezial- 
gattnng  geschrieben  hat. 

Die  siebente  und  letzte  Suite  Lachners,  »Ballsuite«  F.LftehBWy 
genannt,  macht  mit  der  Modemisierung  der  Gattung  Ernst.  ^^^  ^^Z^* 
Sie  besteht,  mit  Ausnahme  des  Intermezzo  und  der  Intro- 
duktion,  aus  lauter  Tanzs&tzen,  die  heute  noch  praktisch 
leben:  Polonaise,  Mazurka,  Walzer,  Dreher,  Lance.  Leider 
ist  die  vortreffliche  Absicht  von  der  musikalischen  Er- 
findung  wenig  unterstQtzt  worden.   Mit  erfreulicherem|Ge* 
Ungen  hat  einen  &hnlichen  Versuch  J.  Herbeck  in  seinen  j.Herbeek. 
>Tanzmomenten<  durchgefQhrt. 

Die  Lachnerschen  Suiten  waren  in  dem  Jahrzehnt- 
ihrer  Entstehung  sehr  beliebt  und  haben  die  meisten 
Werke  der  Gattung,  welche  mit  ihnen  gleichzeitig  her- 
vortraten,  bis  heute  an  Lebenskraft  (ibertroffen.  Wenn 
sie  jetzt  anfangen  zu  altern  und  aus  den  Konzerts&len 
zu  schwinden,  so  bleibt  ihnen  noch  lange  die  Sympathie 
der  Freunde  des  vierh&ndigen  Klavierspiels  gewiO. 

Unter  denjenigen  Suiten  Bachscher  Richtung,  welche 
mit  den  ersten  Arbeiten  Lachners  bedeutend  konkurrierten, 
sind  die  Cdur-Suite   von  J.  Raff  und   die  Amoll-      j.Baff, 
Suite  H.  Essers  (die  zweite  dieses  Komponisten)  her-  Suit©  (Cdar). 
vorzuheben.   Es  sind  in  erster  Linie  Dokumente  Iftr  den  g^^^^AmoU) 
merkwiirdigen  Begriff  von  der  Kunst  der  alten  Meister, 
wie  er  um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  noch  bei  selbst 
bedeutenden  Musikern  festsafi.     Auch  in  den  Charakter- 
etflden  des  trefflichen  Moscheles  regnet  es  eitel  »FiguraI- 


_^    666    ^>- 

masik«,  wenn  die  Alien  geschildert  werden  soUen.  Raff 
kontrapunktiert  steif,  gleichf5nnig  und  so  rubelos  and 
hastig,  daB  einem  der  Atem  ausgeht.  Esser  jagt  barocke 
Passagen  mit  nnablftssigen  Sequenzen  und  Imitationen 
im  Kreise  herum.  In  Raffs  Snite  werden  erst  die  letzten 
S&tze,  das  Adagietto,  Scherzo  und  Finale,  welcbe  aus 
Mendelssohnschen  and  Schnmannschen  Qaellen  schdpfen, 
natUrlicher,  freier  und  phantasievoller.  Esser  hat  aufier 
dem'  OberflaO  an  Vorhalten  and  archaistischen  Disso- 
nanzen  aus  der  alten  Suite  doch  auch  etwas  von  ihrer 
Kraft  (in  der  Introduzione)  und  von  ihrer  Grazie  (Alle- 
gretto) in  seine  Kopie  gebracht. 
W.  Bargiel,  Auch  die  mit  den  genannten  Werken  ziemlich  gleich- 

Suite.  altrige  Cdur-Suite  von  W.  Bargiel  bildet  alte  Fonnen 
nach:  Courante,  Allemande,  Sarabande,  Air  und  Gigue. 
Aber  der  Komponist  erftillt  sie  frisch  zu  mit  modernem, 
zum  Teil  Schumannschem  Geiste.  Dadurch  wird  diese 
Suite  zu  einer  der  interessantesten  Erscheinungen  in  der 
Gattung.  Sie  Qberragt  die  Sinfonie  Bargiels  an  Natiir- 
lichkeit  der  Haltung,  an  Beweglichkeit  der  Phantasie  und 
verdient  ins  Repertoire  wieder  aufgenommen  zu  werden. 
J.  0.  erlmiii,  Die  kontrapunktische  Tendenz  der  modernen  Suite 

Suite  in Kanon- gipfeit  in  den  beiden  Suiten  Julius  Otto  Grimms.  Es 
J°/rin,.\  ^^°^  Suiten  in  der  Form  des  Kanons  durchgefUhrt.  Die 
erste(Cdur),  fur  Streichorchester,  bewegt  sich  in  knappen 
Bahnen.  Ihrem  ersten  Satze,  welcher  den  festlichen  Ton 
der  Mozartschen  Jugendsinfonien  anschl&gt,  liegt  das 
Schema  der  Sonatine  zu  Grunde.  Das  Andante  hat  drei- 
teilige  Liedform,  der  dritte  Satz  ist  ein  Menuett  ein- 
fachster  Fassung  ohne  Seitens&tze,  das  Finale  ein  Minia- 
turrondo.  Der  Kanon  liegt  immer  sehr  offen  oben  auf: 
die  Stimmen  folgen  einander  in  der  Oktav  and  in  kurzen 
Abst^nden  ohne  Kiinstelei.  Nur  im  letzten  Satze  w&hlt 
Grimm  ftkr  den  zarten  Mittelsatz  (in  As)  die  Distanz  acht- 
taktiger  Perioden.  Trotz  der  Fesseln  in  der  Schreibart 
ftuOert  die  Komposition  eine  schdne  geistige  und  sinn- 
liche  Wirkung.  Ein  besonderer  Reiz  des  Klanges  liegt 
uber  dem  Andante,  welches  vom  Soloquartett  allein  vor- 


Nr.l  (Cdur). 


_^    667    ♦-- 

getragen  wird,  und  Uber  dem  warm,  gemtttlich  und  innig 
einsetzenden  Trio  des  Menuett. 

Grimms  zweite  Suite  (Gdur)  eriegt  und  befriedigt  J.O.erlmm, 
hShere  AnsprUche.  Irren  wir  nicht,  so  war  sie  vor  der  S^**®  *"*  ^"*®"" 
Dnicklegung  als  Sinfonie  betitelt.  Sie  ist  fdr  voUes  Or-  ^^  aTodiir). 
Chester  geschrieben :  ihre  S&tze  haben  breite  Formen  mit 
ausgefiihrten  DurchftLhmngspartien,  und  ihre  Gedanken 
durchstreifen  grofie  Kreise  und  bertihren  entgegengesetzte 
Regionen.  Der  Zuh5rer  vergiGt  fiber  dem  Gang  der  Leiden- 
schaften  die  kleinen  Reize  des  Kanons,  den  der  Kompo- 
nist  selbst  hftufig  auf  die  Nebenpl&tze  der  Dichtung,  in 
die  Begleitungsmotive  und  in  den  Figurenteil,  zurtkckver- 
wiesen  hat.  Obgleich  der  Kan  on  hier  bescheidener  auf- 
tritt,  als  in  der  kleinen  ersten  Suite,  ist  er  mit  noch 
gr50erer  Kunst,  mannigfaltiger,  freier  und  praktischer 
gehandhabt.  Letzteres  dadurcb,  daB  die  Melodien  knrzer 
und  schftrfer  gegliedert  sind.  Auch  hier  wiegt  der  Kanon 
in  der  Oktave  und  mit  schnell  folgenden  Stimmen  vor; 
aber  es  sind,  wie  im  langsamen  Satze  der  Kanon  in  der 
Umkehrung,  auch  seltenere  Arten  verwendet  Auf  Mo- 
roente  schweigt  die  kanoniscbe  Kunst,  und  vor  dem  Einerlei 
bewahrt  ein  hauiiger  Wechsel  in  der  Besetzung  der  fUhren- 
den  Stimmen.  Den  grSfiten  poetischen  Wert  hat  unter 
den  vier  S&tzen  der  Gdur-Suite  das  Adagio,  eine  ernste 
Betrachtung  ^  Moito  Adtyio  •  omti^iie. 
fiber  das  Bach-  4r  H  W  1,4 /j  ;  J  f 
sche     Thema:  i^^^**j-^=-.    ' 

Eine  dritte  Suite  Grimms,  die  in  Gmoll  steht  und  J.O.Grimm, 
als  seine  bedeutendste  Arbeit  gelten  darf,  kam  anfangs  S****®  "*  ^"*®°" 
der  neunziger  Jahre  heraus.    Doch  ist  sie  wenig  bekannt  ^^  s^rGmoil). 
geworden  und  wird  mit  ihrer  soliden  Art  der  pikanten 
Richtung  gegeniiber,   die  mittlerweile  in  der  Suite  zur 
Herrschaft  gekommen  ist,   auch  einen  schweren  Stand 
behalten. 

Einen  Nachfolger  auf  seinen  kanonischen  Pfaden  fand  j.  jadanohB, 
Grimm  in  S.  Jadassohn,  welcher  in  seiner  ersten  Sere- Drei  Serenaden. 
nade  (G  dur)  den  Kanon  als  die  Form  fOr  leichte  Gedanken 
und  kleine  Scherze  benutzt.   In  seiner  zweiten  Serenade 


-—♦    668    ♦^ 

(D  dur)  hat  derselbe  Komponist  auf  den  Kanon  verzichtet, 
in  seiner  dritten  (A  dur)  ihn  auf  einen  heitern  Satz  (Inter- 
mezzo] beschrftnkt,  dafUr  aber  in  beiden  Werken  eine 
Vertiefung  des  Inhalts  angestrebt. 
CSt^SaSniy  Von  bemerkenswerten  auslandischen  Suiten  ge- 

Suite.  ]|5].t  2U  dieser  archaisierenden  Abteilung  das  op.  GO  von 
C.  St.  Sa^ns.  Das  »Pr^lude«  ist  ein  Kanon  mit  wechsebi- 
den  Instrumenten,  der  in  seiner  Stimmung  etwas  an  den 
ersten  Satz  vom  Gmoll-Ronzert  des  Komponisten  erinnert. 
Der  zweite  Satz,  Sarabande,  bringt  sehr  anmutige  Varia- 
tionen  Qber  ein  Thema,  das  dem  von  Hftndels  »Lascia 
eh*  io  piango«  nachgebildet  ist.  In  der  charaktervollen 
»Gavotte«  zeichnet  sich  das  Trio  dnrch  die  liegende 
Stimme  der  Violinen  romantisch  aus.  Der  Schlnfisatz, 
eine  »Romanze«,  verl&fit  wider  alien  Suitenbrauch  die 
gemeinsame  Tonart  (D)  und  steht  in  G. 

Die  kontrapunktische  Gruppe  der  modernen  Suiten- 
komponisten  ist  allm&hlich  durch  eine  andere  Richtung 
verdrftngt  worden,  welche  ihren  Ausgang  Ton  den  Diver- 
tissements Mozarts,  von  den  Gartenmusiken  des  18.  Jahr- 
hunderts  nahm  und  den  Nachdruck  auf  den  idyllischen 
und  einfachen  Charakter  der  Gattung  legte.  Der  nach 
Zeit  und  Rang  erste  Repr&sentant  dieser  zweiten  Gruppe 
der  modernen  Suite  ist  Johannes  Brahms.  Leider 
hat  er  nur  zwei  Serenaden  geschrieben.  Sie  stammen  je- 
docb  aus  der  besten  Zeit  des  Komponisten  und  sind  mit 
den  »Maggellonenromanzen«  nicht  blofi  gleichaltrig,  son- 
dern  auch  innerlich  verwandt.  Der  jugendlich  sdiwg,r- 
merische  Ton,  der  sie  auszeichnet,  stellt  sie  unter  die 
schOnsten  und  liebenswQrdigsten  AuBerungen  des  neuesten 
Serenaden geistes,  die  NatUrlichkeit  der  thematischen  £r- 
'findung  weist  sie  unter  die  Hauptwerke  des  Komponisten. 
Eine  gewisse  Unreife  verraten  sie  in  der  allzu  breiten 
j.Brftlimi,  Ausfiihrung  einzelner  S&tze.  Die  erste  Serenade  (Ddut, 
Serenade  in  op.  11),  welche  im  Jahre  1862  erschien,  besteht  aus 
^^^^'  sechs  S&tzen.  Sie  beginnt  mit  einem  groBen  Allegro  in 
breiter  Sonatenform,  in  welchem  der  pastorale  Ton 
vorherrscht     Das    Horn,    ein    Lieblingsinstrument    des 


-^    669    *— 

Komponisten ,  stellt  als  Haupttl^ema  eine  naiv  frdhliche 
Melodie 

^      Allegro  molto. 

([■i'*JJIijiJjljj.jjljjJJlj.j)jjlJJ  III.  I 

hin,  welche  von  primitiven  Harmonien  begleitet  und  in 
ungenierten  Modnlationen  weiter  gefQhrt  wird.  Das  sinnige 
zweite  Thema  tritt  in  einer  Fassung  auf,  die  Brahms 
original  zugehSrt 

I  \\'J\ 


i 

fTi>  f 7f  V^TrTM  I  r^~^'  1 1 

Celli  und  Bratschen  nehmen  die  zarte  Schwftrmerei  so- 
fort  anf  and  geben  ihr  im  Verein  mit  den  Holzbl&sern 
den  intimsten  AbschlnO.  Bin  kurzer  Nachgesang,  ans 
welchem  das  reinste  GIQck  des  Herzens  spricht,  geht  in 
ein  freudig  hUpfendes  Seitenthema 

lfi'i;iinii  iiiH  i|iii||iMiiii^^ 


iiber,  welches  das  Material  fUr  den  Anfang  der  Durch- 
fUhrong  liefert.  Letztere  selbst  tr&gt  in  einzelnen  ge- 
kUnstelten  und  gewaltsamen  Stellen  die  Merkmale  der 
Entwickelungszeit  des  Komponisten.  EigentCimlich  schdn 
ist  der  Eingang  in  die  Reprise  des  Satzes.  Durch  ein 
der  D  dur-Harmonie  eingeschobenes  0  rttckt  das  kecke 
Hornthema  hier  in  ein  uberraschendes  und  das  Ende  der 
Szene  ktindendes  Dammerhcht  Der  Schlufi  des  Satzes 
ist  auGerordentlich  subtil:  ein  zartes  Solo  der  F15te,  zu 
welchem  Bratschen  und  Klarinetten  dezent  die  Harmonie 
hinzufQgen. 

Der  zweite  Satz  (Scherzo,  Dmoll,  ^4)  hat  in  seinem 
Hauptthema : 


670 


^^^^.^^  /-^^-^^        ,..^-v.  Ahnlichkeit    mit    dem    in 

\f  ^rif  r  n  '   f  T  N  ^  r        Brahms*  zweitem  Klavier- 
1        '     '  *r-      -        ^^=  j,Qjj2ert.      Die    Stimmung 

zeigt  auf  ein  pochendes  Herz  und  wird  erst  vom  Seiten- 
satze  ab  ruhig-freudig.  Ihr  thematischer  Ausdruck  zeigt 
von  da  ab  Wiener  Einfliisse,  der  Seitensatz  Schubertschen : 

ji  f^u  r  \fT\\  \"  \\J\  I  r  ir^i  \f^^ i 


p  «$pre§*. 


VTl   I  r^^  I  [■*  J  I  J     das  Trio 

POCO  pi&  DOtO.  ^-^ 


Haydn-Mozartschen. 

Der  Wert  des  Adagio  (Bdur,  2/4)  ruht  besonders  auf 
dem  Hauptthema,  welches  eine  der  herrlichsten  melodi- 
schen  Ertindungen  von  Brahms  bildet: 


^3 


Adagio  non  troppo. 


li^QiQf  iCli^ 


^^ 


p^ 


£ 


Noeh  schOner  fast  ist  der  konzertierende  Nachsatz: 


Ihm  folgt  eine  Episode 
mit   folgender  Melodie: 


671 


, AnchihreBe- 

ZweiunddreiBigstelfiguren  erinnert  an  die  »Szene  am 
Bach«  in  Beethovens  Pastoralsinfonie.  Das  Adagio  zer- 
splitter!  sich  von  da  ab  einigermaBen  and  verweist  die 
Aufmerksamkeit  vorwiegend  auf  feine  Details. 

Den  vierten  Satz  bilden  zwei  zusammengehorige 
Menaette  (G  dur  der  erste ,  6  moll  das  Alternativ), 
welcbe  den  Originalcharakter  der  alten  Serenade  aufs 
drastischste  wiedergeben.  Namentlicb  der  Gdur-Satz  ist 
ein  originelles,  kostbar  drolliges  Genrebild,  zu  welchem 
die  moderne  Suitenliteratnr  vielleicht  nur  in  dem  Wal- 
zer  von  Volkmanns  F  dur -Serenade  ein  nahestehen- 
des  SeitenstUck  aufzuweisen  bat. 
Nur  die  beiden  Rlarinetten  und  ein 
Fagott  spielen  es:  Jene  geben  die 
Anmut  und  LiebenswUrdigkeit  in 
das  letztere  bringt 
in  dem  komi- 
scben    Murkybafi 


Moderate. 


mit  welchem 
es  die  Melo- 
die  begleitety 


das  Kostiim  der  alten  Zeit  hinzu. 

Ein  als  fiinfter  Satz  folgendes  Scherzo  (Allegro,  3/^ 
beschwSrt  in  seinem  Haupttbema: 


AUepro. 


J.  N-  I U  J  I  ^ 


den  Vergleich  mit  Beethovens  zweiter  Sinfonie  (Trio  im 
Scherzo)  etwas  zu  keck  herauf  und  wird  bei  AuffQhrungen 
am  besten  gestrichen. 

Ein  Rondo  beschlieBt  als  sechster  Satz  die  Serenade. 
Sein  Haupttbema: 

Alle^o. 


•te. 


welches  einen  deutlichen  Anflug  Schumannschen  Wesens 
hat,  paBt  sehr  gut  zum  Bilde  einer  fr5hlich  nach  Hause 


672 


ziehenden  Gesellschaft.  Unter  den  Nebenthemen  des  Satzes 
hat  das  folgende: 


fQr  die  Entwickelung  and  DurchfQhrung  hervorragende 

Bedentung. 

J.Brahvf,  Die  zweite  Serenade  von  Brahms  (Adur,  op.  16),  nor 

Serenftde  Nr.2  wenig  jtinger  als  die  in  Ddur,  verhftlt  sich  zur  letzteren 

(Adur).        ^g  jjig  Sch wester  zum  Bruder.   Sie  ist  noch  zarter,  heim- 

licher,  inniger  und  tiefer;  zu  gelegener  Zeit  kehrt  sie  aber 

auch  den  Wildfang  noch  stS,rker  heraus.  Ober  ihrem  Klang 

liegt  ein  mattes  Kolorit:  wie  im  ersten  Satze  vom  >Deat- 

schen  Requiem*  und  dem  des  Gherubinischen  (CmoU), 

wie  in  M^huls  Uthal  sind  die  Violinen  weggelassen  und 

die  Bratschen  fUhren  das  Streichorchester.    An  formeller 

Reife  steht  die  Adur-Serenade  iiber  der  ersten,  an  ftuOerer 

Wirkung  unter  ihr. 

Der  erste  Satz  (Allegro  moderato,  (^,  Adur]  hat  zum 
Hauptthema  eine  jener  unscheinbaren,  ftir  Brahms  be- 
zeichnenden  Melodien,  deren  seelischer  Gehalt  sich  erst 
bei  naherem  Eindringen  erschlieBt: 

Allegro  moderate.        .  j      y^        J 

ir?rfyrT7^,i;'iii;i|i/,i^;ii^^il 

Das  zweite  Thema,  welches  der  gliicklichen  Stimmung 
einen  lebhaften,  aber  immer  noch  reservierten  Ausdruck 
gibt,  hat  Wiener  Lokalton: 


M- 


*  - 


f  *  -    f  *  - 


-<♦    673    4^ 

Unter  den  Seitengedanken,  welche  zwiscben  den  beiden 
Themen  auftreten,  ist  der  ^ 

folgende  ftir  die  Durch- =ijt=g=  f  f  pr  1 1*"?^  ki^  I  F 
fuhrungvon  Wichtigkeit:  g^* '  '     '    ■    i    '  r  I     1^  "  ».■"  ■> 

Er  geht  in  eine  ^ ^  ^       ^  ^  an  die  Mage- 

Episode  fiber,  ^i|t|  f  if  fi^M^i*  M  ^®^® "  Rom  an- 
deren    Motiv :  '^  *  "^  '  '  '  zen  des  Kom- 

ponisten  erinnert. 

Der  zweite  Salz,  Scherzo  (Vivace,  V4»  Cdur)  verlritt 
mit  dem  Finale  die  energi-       vivaee.  a 
sche  Heiterkeit  in  der  Sere-    ULI  f  ff  f  \f  f  fU  \f 
nade.     Sem     Hauptthema    *^    /  ' 

von  den  Bl&sem  frisch  herausgeschmettert,  beherrscht 
den  Satz  allein.  Wie  in  ihm  und  in  der  Mehrzahl  der 
Tbemen  der  Adur-^erenade,  tritt  auch  in  dem  sanften 
Trio  die  Melodie  Arm  in  Arm  mit  einer  Parallelstimme  auf: 


<>jijjjijjiiijjijjjijjjijjiirii 


Das  ganze  Scherzo  h&It  sich  in  knappen  Dimension  en. 
Derdritte  Satz:  Adagio  (^/s,  A  moll),  hat  alserstesThema 

^  Adagio. ^         ^ 

folgendes:    (6  ff  J  I  J,  J-;iJ  J  J  Juj)lj  Jl''   K^^^    ^« 

wird  von  nachstehen- 
der  BaOfigur  begleitet 
Sie  schliefit  sich  den  Modulationen  der  Melodie  in  Trans- 
positionen  an  und  bleibt  ihr  immer  zur  Seite,  wodurch 
der  Hanptteil  des  Adagios  sich  der  Form  des  alien 
Passacaglio,  den  Brahms  ja  bekanntlich  auch  sonst, 
zuletzt  noch  in  seiner  vierlen  Sinfonie  verwendet  hat, 
n&hert.  Der  Charakter  des  Satzes  ist  ruhig,  sehnend, 
sinnend  und  tr£lumerisch.  Die  erregten  Momente  dQstrer 
Leidenschaft  in  ihm  j  iT^ff  j  zum  Ausdruck  und 
kommen  mit  dem  hef-  ^  ip  ^^^  gehen  schnell  vor- 
tig  einsetzenden  Motiv     -^f  Uber.     Brahms   ent- 

flieht  ihnen  durch  einen  Sprung  in  das  ganz  entlegne 
Asdur.   Hier  setzen  zun&chst  die  H5mer  mit  einer  freund- 

KretzielimAr,  Ffthrer.    I,  1.  43 


674 


lich  schwarnierischen  Melodie  ein,  die  iu  den  Stimmungs- 
lireis  zuruckfiihrt,  in  dem  die  Serenade  begann.  Dann 
folgt  ihr  in  den  Holzbl&sern  das  eigentlicbe  zweite  Tbema: 

Mit  der  ihm  zugehdrigen  Gruppe  bildet  es  nur  ein  aus- 
drucksvolles  Intermezzo.  Weder  die  Durchfiihrang  noch 
die  Reprise  wissen  von  ibm. 

Der  vierte  Satz:  » Quasi  Menuetto«  (Ddur,  %),  ist 
durch  das  z5gernde  Element,  welches  seine  frenndliche 
Stimmung  und  seinen  schlichten  Melodiebaa  beherrscht: 

Hauptsatz. 


jjiunj  iij '  j  'ii'^r;ij>.iHJtrl"i 


Qnir'^f""^ 


Trio.  Ob. 


eigenttlmlich  charakterisiert. 

Der  SchluBsatz:  »Rondo«  (Allegro,  s/4,  Adar),  erh&lt 
durch  die  Hauptthemen 

Allegro. 


p  Clar 


jf  «*pn3* 


sein  frOhliches  Gepr3.ge.  Die  liebenswUrdige  Schdchtern- 
heit,  welche  in  den  Gesichtsztigen  dieser  Serenade  einen 
hervortretenden  Teil  bildet,  blickt  noch  einmal  aus  dem 
kleinen,  dem  zweiten  Thema  vorhergehenden  Seitensatze, 
in  welchem   sich  Rlarinetten  und  Fagotte,   anfangs  in 


_^    675    0— 

Der  von   Brahms   aufgestellten   Ideenrichtung  folgt 
auch  Robert  Volkmaan  in  seinen  drei  Serenaden  fQr 
Streichorchester,  halt  sich  aber  in  knappen  Formen.    Das 
Schema  der  ersten  und  der  dritten  Serenade  gleicht  dem 
der  kleineren  sinfonischen  Dichtnngen  Liszts,  die  zweite 
bildet  eine  Saite  von  vier  selbstftndigen  nnd  getrennten, 
aber  karzen  S&tzen.    Die  Serenaden  von  Brahms  kdiinen 
eine  Sinfonie  ersetzen,   die   von  Volkmann  eignen  sich 
sehr  gut  zu  Zwischennummern  im  Konzert  oind  sind  als 
solche  auch  auBerordentlich  beliebt.    Dem  Inhalt  nach 
gehoren    sie    zu  den  gelungensten  und    gehaltreichsten 
Leistungen  der  neueren  musikalischen  Genremalerei.    Die 
poetisch  bedeutendste  unter  ihnen  ist  die  dritte  (Dmoll)  k.  Volkntim, 
mit    dem   Solocello.     Der    Solist    hat    in    dieser   Sere-  Serenade  Nr.  3 
nade    eine    ahnliche    Rolle    wie    der    Solobratschist   in       (Dmoll). 
Berlioz'   Haroldsinfonie.     Das  Cello   personifiziert  einen 
Melancholikus ,   der  in  alien        .    Lar^betto,  non  troppo^ 
Lagen     immer     wieder     auf     if  h  r  f»  |^  T  T  f  Ft  [f  T  - 
sein  Leibthema  zurnckkommt:      8*     '   ' 
Ob  der  Chor  zustimmt  oder  widerspricht,  der  Cellist  bleibt 
bei  diesem  Motiv;  wird  jener  heiter  und  ausgelassen,  so 
sieht  er  einsilbig  zu,  und  das  Freundlichste,  was  sich 
ihm  abgewinnen  IftBt,  ist  eine  elegisch  klagende  Melodic : 

A&danteespreBBlyo.  _^  O^it         welcher 

JAfr  Cijr If r rfrr  irrfn irrrTJii' i  dieiebendigge- 

*^    0if  -=:=*  haltene    Kom- 

position  auch  einen  riihrenden  und  versdhnenden  Ab- 
schluB  erh&lt. 

Die  beliebteste  unter  den  Serenaden  Volkmanns  ist  b.  Volknann, 
die  zweite  in  Fdur  und  zwar  wegen  ihrer  zweiten  Num-  Serenade  Nr.2 
mer,  einem  Walzer  uber  folgendes  Hauptthema:  (Fdur). 

AUef^retto  noderato. 

f\'fiTm\SV\ 


Es  ist  eigentlich  kein  Walzer,  sondern  ein  Walzerchen, 
ersichtlich   fiir  alte  Leute  gedacht  —  ein  KabinettatUck 

*  43* 


676 


B.  YolluBaiiii, 

Serenade  Nr.  1 
(Cdur). 


liebenswiirdig  altfr&nkischer  Musik.  Von  den  beidenXei- 
len,  ans  welchen  der  erste  Satz  der  Serenade  besteht: 
Allegro  moderato  (Fdur,  s/4)  und  Molto  vivace  (DmoU,  ^li\ 
ist  der  zweite  der  originellere:  Mil  imposanter  Konse- 
quenz  and  doch  reich  an  Abwechselung  und  effektvollen 
Steigerungen  ist  er  auf  folgendes  spr5de  Motiv  gebaut: 

Besonders  sch&n  ist  der  Ein- 

-^  L  H    r   H  '\ — >  r   r  "1  ^^^^^  seines Mittelsatzes  in D dur. 

fr     *  i  j  t*  ^AJ  ^"'    '  ^ie Serenade scblieOt mit einem 

Geschwindmarsch.  Die  dreitak- 

ligeKonstruk-  ABegro  moderato.  ^^^     j^ 

iir«p«her:  ^^^^^^^ 

die  Akzentnierung  in  ibm  und  in  dem  ganzen  Satze  ver- 
raten  die  ungariscbe  Atmosph&re,  welche  alle  drei  Sere- 
naden  Yolkmanns  mebr  oder  weniger  dorcbweht,  be- 
sonders dentlicb. 

Die  erste  Serenade  Yolkmanns  (Cdar)  wird  von  dem- 

selben  kr&ftigen  Maestoso  alia  Marcia,  welches  sie  eroffnet, 

auch  beschlossen.    Die  Mitte  der  Komposition  nimmt  ein 

l&ngeres  Allegro  vivo  ein,  welches  auf  Grand  des  Thema: 

AHogfroTiTo.        ^  .  ^  ^  eine    Reihe 

i-^rfjPTMPf  ipyLJ  iL/r'f  1^  »  ■     keeker,  trot- 

tut.  Die  sch5nsten  Partien  der  Serenade  bilden  die 
beiden  langsamen  S^tze,  welche  dieses  Allegro  vivo 
einrafamen.  Der  erste  Satz  ist  sehr  kurz  in  der  Weise 
der  iiberleitenden  Largi  H&ndels,  der  zweite  hat  die 
dreiteilige  Liedform, 
zum  Hauptthema 
folgende  edel 


H.  eaie, 

Novelletten. 


Andante  Boatenuio. 


\i  f]ij  i\i 


sen- 
timentale  Melodie: 

Kurz  vor  seinem  Tode  hat  auch  Niels  Gade  den 
neuen  Suitenschatz  mit  mehreren  liebenswflrdigen  Arbei- 
ten  bereichert.  Die  erste  davon  sind  die  >Novelletten« 
fUr  Streichor Chester  (op.  63).  Von  den  vier  S&tzen  dieser 
kleinen  Suite ,  die  sich  aych  als  Sinfonietta  vorfQhren 
lieOe,  sind  der  erste,  der  zweite  und  vierte  einer  feinen, 


-^    677    *^ 

gebild6ten  Fr5h]ichkeit  gewidmet.  Hie  and  da  mischt 
sich  in  das  geistige  Gepl&nkel  launiger  Reden  ein  recht 
wehmtttiger  Ton,  wie  ein  Rdckblick  anf  Jugend  und  auf 
Mendelssohn.  Der  dritte  Satz,  ein  Andante,  spricht  in 
den  knrzen  sinnigen  Frages&tzen  des  Vaters  der  Norel- 
lette:  R.  Schnmanns.  Besondere  Bewnndening  verdient 
noch  der  Stil  des  reizenden  and  anheimelnden  Knnst- 
werkchens,  der  —  ohne  gerade  mit  Schalweisheit  zu 
prunken  —  die  Stimmen  unter  einander  in  die  interes- 
*  santesten  Verbindangen  bringt  and  jeder  einzelnen  Frei- 
heit  and  eigne  Bedeatnng  sichert. 

Die  zweite  dieser  Gadeschen  Sniten:  »Ein  Som-  if. Gad^, 
mertag  auf  dem  Lande<  (op.  66),  besteht  aus  fQnfEinSommertag. 
S&tzen:  1.  Fr&h,  2.  StArmisch,  3.  Waldeseinsaml^eit, 
4.  Humoreske,  6.  Abends,  Lustiges  Volksleben  —  die  die 
versprochnen  Tonmalereien  in  der  gelassenen  Weise  der 
alten  romantischen  Schule  aasfCkhren.  Die  >Waldein- 
8amkeit<  and  der  SchluBsatz  sind  die  besten  Stucke, 
jene  darch  ihren  warmen  Ton,  dieser  dorch  die  sinnige 
Andeutang  der  Abendstimmung.  Die  Nummem,  welche 
.Kraft  and  Frische  verlangen,  bleiben  hinter  den  berech- 
tigten  Erwartungen. 

Mit  einer  dritten  Orchestersaite :  Holbergiana  (op.  h.  etde, 
61),  hat  Gade  eine  Anfgabe  durchgefQhrt,  die  aach  Edv.  Holbergiana. 
Grieg  bei  der  gleichen  Gelegenheit  —  Holbergs  zweihun- 
dertstem  Creburtstag  —  in  fthnlicher  Weise  gel5st  hat. 
Auch  diese  Komposition  ist  etwas  amstftndlich  and  red- 
selig  and  UBt  die  Knappheit  and  Gewichtigkeit  vermissen, 
die  der  Saite  in  der  alten  guten  Zeit  zo  eigen  war.  Aber 
sie  steht  Uber  dem  Som mertag  Gades  durch  die  Anschaa- 
lichkeit  and  den  Gehalt  der  Thematik.  Der  Plan  des 
Komponisten  war  wohl  der,  die  verschiednen  Seiten  von 
Holbergs  kdnstlerischem  Charakter  masikalisch  aufleben 
za  lassen.  Der  erste  Satz  (Moderato,  Tempo  di  Minaetto, 
3/4,  Gdar)  zeichnet  ans  erst  in  weichen,  sanften  Weisen, 
-die  ans  Dittersdorf  and  aas  Naumann  genommen  sein 
kdnnten,  den  hamanen  Philosophen,  den  Verfasser  der 
>Moralischen  Episteln«.    Die  DorchfQhrang  beginnt  ani- 


— fr    678    «^ 

mat6  nnd  in  Moll,  scharfen  erregten  Tons.  Da  kommt 
wohl  der  Satyriker,  der  riicksichtslose  Feind  alles  (In- 
rechtes.zu  Wort.  Der  zweite  Satz  (Allegro  scherzando, 
2/4,  EmoU)  bezieht  sich  auf  den  SchOpfer  der  dftnischen 
Kom5die.  Ein  ausgelassenes,  in  seinen  Rhythmen  sprti- 
hendes,  in  den  In terv alien  keckes  Them  a  wird  fugiert  — 
ein  Bild  von  dem  flotten  Treiben  der  Holbergschen  Lust* 
spiele  und  ihren  frdhlichen  Verwickelnngen.  Eine  alte 
Melodie  aus  dem  18.  Jahrhundert,  die  in  der  Mitte  des 
Satzes  (mit  Edar)  eintriit,  bezeichnet  das  yolkstCkmliche 
Wesen  von  Holbergs  Kunst.  Von  andrer  Seite  her  kniUpft 
auch  der  dritte  Satz  (Andantino,  8/4 1  Dmoll)  an  diesen 
Punkt  an:  er  ist  eine  Instrumentalballade  die,  flhnlich 
wie  dies  in  Gades  C moll-Sin fonie  geschieht,  von  alter 
nordischer  Zeit,  von  Leiden  und  Freuden  eines  ernsten 
kr&ftigen  Geschlechts  erz&hlt.  Mit  dem  zweiten  Satz  der 
Suite  teilt  dieser  dritte  die  FUlle  und  Echtheit  der  Stim- 
mung,  er  ubertrifft  ihn  aber  in  der  Freiheit  und  Mannig- 
faltigkeit  von  Form  und  Ausdruck.  Die  Erregtbeit  des 
Erz&hlens  auGert  sich  in  Rezitativen  und  dramatischen 
Wendungen.  Die  Suite  schlieOt  miteinem  Allegro  festivo, 
das  an  die  Lntr^es  der  alten  franzdsischen  Oper  erin- 
nert,  an  FestaufzUge  mit  wechselndem  Personal  und 
Ballettvorstellungen.  Halb  und  halb  schlftgt  dieser  SchluB- 
satz  auch  den  Ton  wehmfitiger,  piet&tvoller  Erinnerung 
an.  Nach  der  Wiederaufnahme  des  Hauptsatzes  (Gdur, 
3/4)  greift  er  auf  die  zweite,  die  Komddiennummer  der 
Suite  zuriick,  und  ganz  am  Ende  fallen  wie  im  Kaiser- 
marsch  R.  Wagners  Singstimmen  ein.  Sie  rufen  >Vivat 
Hoi  berg  !< 

Unter  der  groOen  Zahl  weiterer  Tousetzer,  welche 
sich  an  Brahms  und  Volkmann  angeschlossen  haben  — 
R.  Fuchs,  A.  Klughardt,  J.  Brfill,  R.  Reinhold,  v.  Stan- 
ford,  A.  Bird  etc.  —  nimmt  nur  Robert  Fuchs  einen 
festen  und  der  Stellung  jener  Vorbilder  naheliegenden 
Platz  im  Repertoire  ein.  Seine  drei  Serenaden  ftkr  Streich- 
orchester,  oft  gespielt  und  gem  gehort,  sind  das  Produkt 
einer  harmonischen  KQnstlernatur  und  jener  feinen  Bil- 


,-^     679    ^>- 

ddng,  welehe  auch  bekannte  und  gew5hnliche  Ideen  mit 
neuem  Interesse  zu  uingeben  vermag.  Ein  besonderes 
Talent  zeigt  Fuchs  in  seinen  Serenadea  als  Kolotist.  Mit 
den  einfachsten  Mitteln,  Verdoppelung  von  Mittelstimmen, 
Teilung  der  einzelnen  Instrumente,  entwickelt  er  in  seinem 
Streichorcbester  ein  Leben,  eine  Abwechslnng,  einen  Reiz 
im  Klang,  welcher  die  Wirkung  der  einfachen  Serenaden- 
gedanken  wesentlich  erh5ht. 

Die  erste  Serenade  von  R.  Fuchs  (D  dur)  zeigt  viel      B.  Fnehe, 
darchdachte  Detailarbeit  und  Hinneigung  zu  den  kleine-  Serenade  Nr.  i 
ren  Kftnsten  der  Kontrapunktik.    Die  Themen  lieben  das        ^     ^^^' 
interessante  Halbdunkel  derMittel-  Andaite. 


stimmen,  einzelne  Motive,  welche,   j  j  _  ffff  tfff  f  i 
wie  das  die  Serenade  erOffnende:  fr  l'  ^ '  '  '  '  ^^^ 


m 


platt  anfangen,  werden  durch  Nachahmungen  und  Um- 
bildungen  veredelt.  Durch  Innigkeit  der  Empiindung 
zeichnet  sich  unter  den  S&tzen  der  Serenade  der  Gesdur- 
Teil  des  Allegro  scherzando  aus.  Der  breiteste  ist  der 
Schlufisatz  (D  moll,  s/g\  Sein  Durchfuhrungsteil  verlangt 
Aufmerksamkeit  auf  das  Motiv: 


welches  vom  Hintergrunde  aus  l&ngere  Zeit  neckisch 
drohend  den  Satz  beherrscht.  Das  zweite  Thema  dieses 
Finale  l&Ot  von  Feme  den  traulichen  Wiener  Walzerton 
hdren. 

Die  zweite  Serenade  von  R.  Fuchs  (Cdur]  ist  leb-      B^Fnehe, 
hafter  als  die  erste  und  neigt  dem  Yolkston  mehr  zu  als  Serenade  Nr.2 
jene.    Am  kecks  ten  kommt  er  im  folgenden  Thema  des        (Cdur). 
Finale  zum  Ausdruck: 

Presto. 


ifiiJgiiliyLini^ri  rfji,  ii|f  im  i  |i^^^_ 


Das  Larghetto  dieser  Serenade  besteht  aus  Thema 
und  vier  Yariationen,  welche,  zwischen  Dur  und  Moll 
wechseind,  vorwiegend  iigurativ  gehalten  sind. 


--•    680    ^>— 

KFaehi,  In   die   dritte   Serenade  (BmoU)  klingen,   wie  bei 

Serenade  Nr.  8  yQ]](ini^QQ^  ungarische  Elemente  herein.    Ihr  Bch5nster 

(Emo  ).      g^^^  .g^  ^^g  2^^^^  Allegretto  grazioso  mit  dem  in  der 

Bratsche  versteckten  Thenia. 

H.Hoiieowikl,        Einen  scfanell  vorUbergegangnen  gr66eren  Erfolg  in 

Saite.        ^Qf  Suite   hat  in   der  Fuchsschen  Generation  M.  Mos- 

zcowsky  mit  zwei  Arbeiten  ermngen,  die,  von  einem 

virtuosen  Orchester  vorgetragen,  dem  Ohr  manches  Aparte 

und  Erstaunliche  bieten,  hie  nnd  da  auch  geistige  Be- 

dentung  erstreben.   Geschichtlich  sind  sie  bemerkenswert 

als  Beispiele  f&r  das  Eindringen  modem  franzSsischen 

Ballettgeistes  in  die  deutsche  Komposition  nnd  haben  er- 

sichtiich  mit  ihren  pikanten  Reizen  in  der  neuesten  Or- 

chestersuite  etwas  Schole  gemacht. 

Unter  den  zeitlich  folgenden  Beitrftgen  znr  Suite  ver- 
dienen  die  Serenade  von  F.  Draeseke  and  die  sinfonische 
Suite  von  E.  N.  von  Rezniozek  besondere  Hervoriiebung, 
jene,  weil  sie  den  richtigen  alten  Snitenton  so  vorzfiglich 
trifft,  diese,  weil  sie  ihn  g&nzlich  verfehlt. 
F.Draes«ke,  Die  Serenade  von  Felix  Draeseke  (Op.  49,  Ddnr) 
Serenade,  igj  eine  der  liebenswiirdigsten  Orchesterkompositionen  der 
neueren  Zeit.  Sie  ist  ersichtlich  in  glQcklichen  Tagen 
entstanden  und  zeigt  uns  den  charaktervollen  und  kunst- 
gewaltigen  Tonsetzer,  der  wegen  seiner  schwierigen  Kon- 
trapunkte  und  wegen  seiner  Herbheit  zuweilen  geftirchtet 
wird,  als  einen  Idyllendichter  von  reinster  Naivitfit  und 
k5stlichstem  Humor.  EinigermaOen  archaisiert  auch  diese 
Serenade,  ungef&br  so,  wie  es  Vautier-  und  Fritz  Kaul- 
bach  auf  ihren  Bildern  aus  alter  Zeit  gern  tun,  so  wie 
es  auch  Brahms  in  seiner  D  dur-Serenade  gehalten  hat. 
Mit  diesem  Werke  beriihrt  sich  Draesekes  Serenade  viel- 
fach  in  der  Stimmung.  Denn  beiden  hat  das  gleiche  Vor- 
bild  vorgeschwebt:  Mozarts  Divertimenti^  beide  Kompo- 
nisten  haben  sich  in  die  entschwundne  Poesie  des  18.  Jahr- 
hunderts  mit  seinen  Gartenmusiken ,  mit  seiner  engen 
Verbindung  zwischen  Leben  und  Kunst  zurUckversetzt. 
Draeseke  ist  bis  in  die  Instrumentierung  hinein  dem  Ton 
der  alten  Serenade  gerecht  geworden:   er  arbeitet  mit 


-^    681    *^ 

einem  sogenannten  kleiDen  Orchester,  das  die  Streich- 
iDStramente,  F16ten,  Oboen,  Klarinetten,  Fagotten  und 
2  H5rner,  umfafit.  Die  zwei  Trompeten  und  Paaken,  die 
noch  hiDzakommen,  wirken  mehr  drollig  als  prnnkhaft 
Auch  in  der  Zahl  and  Art  der  Sfttze  wQrde  die  Sere- 
nade von  Draeseke  den  alten  Bedingungen  praktischer 
Verwendnng  durchaus  entsprechen.  Sie  hat  f&nf  S&tze, 
die  einfach  and  knapp  gehalten  sind;  nar  das  Finale 
greift  weiter  aas. 

Eine  richtige  Serenade  verlangt  ein  StQck  fSr  den 
Aafzag  der  Gratalanten.  So  erdffnet  denn  Draeseke  die 
seinige  mit  einem  Marsch,  der  foIgendermaGen  wohlge- 
mnt  and  freandlich  anf&ngt: 

Allegretto  leggino.  __  ^     ->w 

fii'i  hill  li    IT^ L-LlLiJ' I f Tf^  ^ ^^i/ 1 

Das  in  den  letzten  Takten  dieses  Beispiels  angegebne 
Achtelmotiv,  der  Aasdruck  einer  gewissen  Vorfrende,  trftgt 
nicht  bloB  die  weitre  Entwickelung  der  ersten  Klaosel, 
sondem  liegt  aach  der  ersten  H&lfte  des  Nebensatzes  za 
Grande.  Erst  in  dessen  Mitte  setzen  wieder  htlpfende  and 
springende  Marsehmotive  ein.  Das  sehr  karze  Trio  (in 
6  dur)  kntkpft  ebenfalls  an  die  erwartungs voile  Stimmnng 
jenes  Achtelmotivs  an  and  geht  in  seiner  zweiten  Klaosel 
an  die  Erz&hlang  stillen  GIficks.  Der  Marschsatz  wird 
dann  mit  erweitertem  SchluG  wiederholt. 

Dem  Aafmarseh  folgt  logisch  als  nftchster,  zweiter 
Satz  ein  »St&ndchen«  (Andantino,  o/g,  Fismoll).  Der 
Liebhaber  spricht  darch  die  Stimme  eines  Solocellos  za- 
erst  seine  Verehrang  aas: 

AndaQtlno. 


j!¥nr'r'ir^;,»i»rT  ^irT'ir?f>irr.^i 


p  moito  esjtr. 


--fr     682    ^^ 

Oiesem  ersten  Them  a  folgt  ein  Seitenthema,  in  dem  die 
Rede  fliissiger,  herzhafter  und  heitrer  wird; 


■ '  'I  fl  I  li  I  i  ■ 


3         Das   eigentliche  zweite  Thema, 
3  ®*^'    im  Charakter  gemiitiich  und  zu- 


traulich,  wird  von  den  Bratschen  eingefiihrt: 

4 


etc. 


p  espr. 

Oberhaupt  folgt  in  diesem  zweiten  Teile  das  Soloinstni- 
ment  dem  Chor,  eine  Abwechselung,  durch  die  die  Form 
dieses  Standchens  sehr  hiibsch  belebt  wird.  Die  RClck- 
kehr  zum  ersten  Thema  und  zur  Haupttonart  vermittelt 
das  oben  angefuhrte  Seitenthema  mit  dem  Sechzehntel- 
motiv.  Ehe  ein  Thema  iiberhaupt  einsetzt,  horen  wir 
immer  acht  Takte,  die  ganz  lose  pr&Iudieren,  Tonart  und 
Rhythmus  festsetzen ;  nur  die  erste  Violine  tritt  ein  wenig 
melodisch  daraus  hervor.  Am  SchluB  dieses  Pr&ludiums 
gleicht  der  Klang  dieses  Orchesters  dem  einer  Gitarre. 
In  seiner  Harmonie  tritt  ein  dissonanter  Akkord  slark 
hervor,  den  der  Komponist  im  zweiten  Teil  des  S&tzchens 
iiberraschend  im  Thema  erklingen  l&Gt.  EigentQmlich 
ist  auch  das  Ende  des  Satzchens,  es  macLt  den  Eindruck 
einer  eingetretenen  Stdrung,  als  sei  der  Ktinstler,  der  die 
Huldigung  bringt,  aus  dem  Text  geworfen. 

Denkt  man  hier  schon  an  Berlioz'  Romeo,  so  noch 
viel  mehr  in  dem  folgenden,  drilten  Satz  der  Serenade 
(Andante,  ®/b,  A  dur),  der  als  Liebesszene  betitelt  ist, 
und  wie  aus  der  Verwandschaft  in  der  Harmonie  schon 
vermutet  werden  kann,  wohl  als  Fortsetzung  des  St&nd- 
chens  aufgefaBt  werden  kann.  Wir  verstehen  jetzt  den 
kleinen  Aufruhr  am  SchluO  der  vorhergehenden  Nummer: 
die  Gelieble,.  der  das  Standchen  gait,  ist  gekommen.  Auch 
in  diesem  Satze  kann  von  einer  Berilhrung  Draesekes 
mit  Berlioz  gesprochen  werden;  sie  aufiert  sich  in  einer 


683 


gewissen  Gemeinsamkeit  von  Ton  nnd  Stimmung,  einer 
anfierordentlichen  Zartheit  und  ZurQckhaltnng  im  Aus- 
druck  des  warm  en  Gefiihls.  Es  ist  eiue  Liebesszene,  bei 
der  gl&hende  Sinnlichkeit  ganz  ausgeschlossen  ist,  sie 
hat  einen  Zag  von  Rtihrung  und  Frdmmigkeit ;  man  kann 
an  eine  Liebe  deuken,  die  durch  schwere  Hindernisse 
gegangen,  die  alt  geworden  ist.  Die  Form,  die  Draeseke 
bier  wie  im  vorhergebenden  Satz  fiir  seine  Darstellung 
gewslhlt  bat,  ist  uDgefS.br  die  der  Sonatine.  Die  zwei 
Tbemen 

a.) 


Andante. 


I'll"  II  fi"m 


HI- 


■fjr^^i^i^ 


und 


r  P 


i 


f 


b.)         OeiiO; folgenuiimit- 

if¥iiLjui  iijriLiji  i|  I  anS:r dS 

erste  trftgt  den  Cbarakter  edelsterHeimlicbkeit,  daszweite, 
mit  dem  der  Yortrag  Dialogformen  annimmt,  zeigt,  wie 

sich  die  Herzen  6ffnen.    Ihm  Fidte, ^     p^ 

folgt  ein  sehr  zartlicber  Nacb-    iM    f/  frf  f.^  ^  f 
satz,  der  sich  auf  das  Motiv:    &  ■■  i" 


stiitzt  und  namentlicb  in  der  Qnart,  mit  der  es  schlieBt, 
Trager  freundlicher  und  starker  HofTnung  wird.  Die  ganze 
Themenreihe  wird  zweimal  vorQbergefubrt,  das  zweite 
Mai  mit  Veranderungen  und  Erweiterungen.  Dann  folgt 
ein  freier  ScbluB,  der,  durch  Rezitative  in  Klarinette  und 


^^    684    <^^ 

Cello  eingeleitet,  dramatisch  verl&uft  tind  sowohl  in 
W&rme  wie  in  Innigkeit  des  Ausdrncks  die  Krone  des 
ganzen  Tonbildes  bedeutet. 

Mit  dem  fdlgenden  Satze,  einer  Polonaise  (Alle- 
gretto con  brio,  V4f  Ddur),  wird  aus  der  Gartenmusik  ein 
Gartenfest  mit  groOer  Gesellschaft.  Diese  Polonaise  ent- 
faltet  Pnink  und  VirtuositAt  (Klarinette).  Das  Trio  (Gdor, 
nn  poco  meno  mosso)  ist  als  eine  Szene  abseits  gedacht, 
in  der  zwei  Liebende  in  innigen  Tonen  Zwiesprache 
haiten.  Der  L&rm  des  Festes  klingt  in  versprengten 
Rhythm  en  heriiber,  die  die  Homer,  die  Celli,  aach  ein- 
mal  die  Klarinetten  in  die  Rnhepunkte  des  Gesangshin- 
einwerfen. 

Das  Finale  (Prestissimo,  Cy  Ddar)  ist  ein  Sonaten- 
satz.    Sein  erstes  Thema: 


^        PMitlssimo.  _  M 


D :    .    ;    : 

/>-    I   ::::::::::  / 

ans  dem  Frende  and  Befriedigung  im  Ian  gen  Zuge  slrSmt, 

setzt  nach  einer  kleinen  Einleitung  ein,  in  der  das  Viertel- 

motiv  seines  Anfangs  zu  einem  Ausbruch  des  Humors 

verarbeitet  wird,  der  durch  die  Trugschlusse  ein  en  kecken, 

tibermiitigen   Zug   erhS.lt.     Mehrfach    begegnen  uns  im 

Satze  solche  freie  Wendungen  guter  Lanne,  am  dber- 

raschendsten  bei  dem  6  dur-£insatze  des  zweiten  Themas 

in  der  DnrchfQhning.   Dieses  zweite  Thema  selbst  ist  in 

der  Stimmung  mit  dem  ersten  verwandt,  nur  S,n6ert  er 

sie  ruhiger. 

R.H.T.BeiBtliek,        Auch  an  der  Suite  von  E.  N.  von  Rezni^zek,  der 

Sinfoniiche      dnrch  die  Oper  »Donna  Diana<  zuerst  bekannt  wurde, 

^^*^'         ist  emstlich  nur  die  mi6verst§,ndliche  und  irreleitende 

Benennung  zu  beanstanden.    Denn  die  Suite  war  jeder- 


685 


zeil  ausgesprochenste  Gesellschaftsmusik;  hier  aber  stehen 
wir  vor  ganz  und  gar  sabjektiver  Kunst.  Der  Komponist 
scheint  diesen  Sachverhalt  gefOhlt  zu  haben,  als  er  seine 
Arbeit  als  sinfonische  Suite  bezeichnete.  Die  drei 
S&tze,  aus  denen  sie  bestebt,  sind  wohl  ein  Niederschlag 
von  tief  greifenden  pers5nlicben  Erlebnissen  and  Schick- 
salen  ihres  Verfassers;  ein  Zug  leidenschaftlicber  Er- 
regung  geht  dorch  das  Ganze,  der  alle  diejenigen  Znhfirer, 
die  gew5hnt  sind,  in  der  Suite  von  allem  Pathos  und  alien 
seelischen  Strapazen  loszukomnien,  befremden  mufi.  Die 
kleine  Entt&uschung  wird  hoffentlich  immer  schnell  Qber- 
wunden.  Denn  Rezni^zeks  Musik  ist  zwar  nicht  thema- 
tisch  originell,  sie  zeichnet  sich  aber  aus  dureh  Klarheit 
und  Knappheit,  durch  eine  unmittelbare,  dramatische  und 
lebenswahre  Empfindung.  Dazu  kommt  noch  eine  sehr 
farbenscharfe,  wirksame  Instrumentierung.  Die  Suite 
Rezniozeks  steht  in  dem  neuen  Zuwachs  zur  Gattung  wie 
eine  Traueresche  in  einer  Lindenallee,  sie  ist  aber  nicht 
blofi  merkw&rdig,  sondem  auch  wertvoll  und  der  spSter 
erschienenen  »Tragischen  Sinfoniec  des  Komponisten  vor- 
zuziehen.  Indessen  hebt  sich  auch  diese  mit  dem  dtlstren, 
im  Vi  I'&kt  gehaltnen  Thema  des  SchluGsatzes  weit  uber 
die  Mittelm&fiigkeit 

Der  erste  der  drei  S&tze  (Ct  Emoll),  OuvertQre  be- 
nannt,  entwickelt  sich  um  zwei  Themen,  deren  Anf&nge: 

gentbgend    er- 
kennen  lassen, 

UUi    I  I,  I  J.  1 1    "••  '*"""' 


Sehr  raich  and  mit  Peuer. 


m 


und       ^ 


p  eon  moito  esjfrtntons 


der  Kompo- 
nist denGegen- 
satz  zwischen 
dem  Sturm  der 
Gef£thle  und 
der  Sehnsucht 


nach  Frieden  gestaltet  hat.  Das  zweite  mu6,  wenn  es 
die  hdchsten  Wirkungen  ausQben  soil,  immer  pl5tzlich 
eintreten;  die  Kunst  des  Komponisten  hat  sich  in  den 
Oberg&ngen  zu  zeigen,  die  aus  ihm  nach  der  Aufregung 


686 


des  Haaptthemas  zuriickftihren.  Sie  haben  iiberall  den 
Schein  groGer  Natiirlichkeit.  Der  Aufbau  des  ganzen 
Satzes  volJzieht  sich  im  bekannten  Sonatenschema,  die 
Darchftthrung  ist  karz  gehalten,  der  Schlufi  versichert: 
da6  fiir  weitre  Anfechtungen  und  PriifuDgen  nocb  eia 
groBer  Vorrat  von  mRnnlicher  Kraft  vorhanden  ist. 

Der  zweite  Satz  (Adagio,  3/4,  Fdnr)  tut  einen  Schritt 
weiter  nach  der  Richtung,  aus  der  das  zweite  Thema  des 
ersten  Satzes  entgegenleuchtele.  Er  wendet  sich  der  HofT- 
nung  schon  mit  dem  ersten  Thema: 

Sehr  ruhlg.  t  


fji  I  i  ^A- 


zu.    Noch  entschiedner,  mit 
macbtigem    Schwung,    ge- 
schieht  das  aber  im  zweiten 
Thema,  das  sich  vom  folgenden  Anfang  aus: 


zu  einer  zw51ftaktigen,  sch5n  modulierenden,  auf  energi- 
sche  Basse  gestiitzten, in  den  Geigen  hochsteigendenMelodie 
entwickeli  Im  Hauptthema  f&llt  die  Dissonanz  sehr  auf, 
die  beim  ersten  Eintritt  im  zweiten  und  vierten  Takt  ange- 
schlagen  wird.  Bei  der  Weiterfuhrung  des  Themas  wird  sie 
zwar  vermieden,  aber  es  bleibt  an  ihrer  Stelle  immer  ein 
fremder  Ton,  mit  dem  entlegne,  vereinzelte  Stimmen  in 
hohen  Lagen  einsetzen.  Die  Erinnerung  an  Leid  und  Un- 
gltick,  die  in  diesen  seltsamen  Akkorden  stechend  mitgeht, 
lebt  in  dem  Adagio  auch  noch  in  einer  andren  Form  leise 
auf:  in  einem  chromatisch  klagenden  Motiv,  das  (in  Fagott 
und  Bratschen,  dann  auch  in  den  Geigen  und  Oboen) 
>.a  M  ^  I     "^  ^®     kurze 

^ va-^>-'s^^   ^"^  ung   eroff- 

net.     Bald    lassen   sich   auch    die   punktierten,    heftigen 


687    ^- 


Rhythmen  vernehmen,  die  die  Haupttrager  des  Unfriedens 
waren,  der  die  Ouvertiire  beherrschte.  Die  Wiederholung 
bringt  das  Hauptthema  in  einer  Achtel variation ;  eine  langere 
Coda  zeigt  nochmals  auf  den  ganzen  Umfang  seines  be- 
ruhigenden  und  verheiCenden  Inhalts. 

Den  dritten,  den  SchluBsatz  seiner  sinfonischen 
Suite  (Sehr  rasch,  3/4,  Emoll),  hat  der  Komponist  Scherzo 
'  finale  betitelt.  Es  sind  aber  ausschlieBlich  bittre  Scherze, 
zu  denen  sich  der  Komponist  versteht,  und  der  Humor, 
der  hier  waltet,  ist  der  sogenannte  Galgenhumor.  In 
seinem  pessimistischen,  zuweilen  dSmonischen  Charakter, 
in  seinem  trostlosen,  verzweifclten  Ausgang  hat  dieses 
Finale  wenig  Seitenstiicke ;  als  Suitensatz  •  ist  es  vollig 
unerhort*  Auch  formell  bietet  es  dem  Zuhorer  Schwierig- 
keiten.    Eine  der  ersten  bereitet  schon  das  Hauptthema: 

Sehr  rasch  and  errefrt. 
.     ■         1     (Horner  gestopft.)  ^•"— ^ 

j.!'   4H-h^=i=wJ.'^^hU,--^  dessen  verzv^-ickter  Rhyth- 
q#'  -^  *  l'5.         5  g^  mus  sich  nur  widerwiUig  m 

^"^ — '  Bewegung  setzt.     Es  zieht 

ein  Gefolge  von  allerhand  elendcn  Stimmungen  nach  sich, 
die  sich  in  winselnden  und  sich  kriimmenden  Motiven 
ftuBern,  es  tritt  in  Bettlergestalt  auf  und  im  Ton  der  Em- 
porung.  Unter  den  Nebenthemen,  die  in  seiner  Gruppe 
auflreten,  tritt  klagend  ein  schwankender  Gesang  hervor, 
der  zuerst  in  Oboe  und  Bratsclie  erscheint: 

Ihm  folgt  dann  das  eigenthche  zweite  Thema  des  Satzes, 
zwar  in  gehaltener  Stimmung,  aber  voll  Resignation  und 
Leiden : 


Violin  en  sal  G 


688 


^..^^    ,  ^         ^      Es  wird  sofort  mitdem 

■  J-  I  J-  I  J  l|J  M   I  r  r  r   1^^  Hauptthema     kombi- 
^^  '^'^  /etciiiert;     neben    dieser 

Kombination  gelangt  noch  das  aus  einer  zufSlligen  melodi- 
schen  Wendung  ^^  |  ,  i^n  ,  i  i  ,  ^  diesem  Ab- 
hervorgegange-  j[|iM»  J_^^^  *  '^^^  ^  schnitt  zu  wesent- 
ne  Klagemotiv :  "^  ^  ^  licher  Bedcutung. 
Der  erste  Teil  des  Satzcs  schlieBt  mit  einer  kurzen 
leidenschaftnchen  Wiederholung  des  Hauptthemas  allein, 
die  sich  aus  dem  lauten  Ton  auBerordentlich  schnell  in 
die  Stille  und  ins  Gespensterhafle  verliert.  Die  Durch- 
fuhrung  poltert  mit  den  Rhythmen  des  Hexensabbaths 
herein  und  widmet  sich  dann  bald  der  Durchfiihrong  einer 
Doppelfuge,  die  zum  ersten  Thema  das  Hauptthema  des 
Finale  hat  und  mit  ihm  folgenden  Kontrapunkt  verbindet: 


L.  C.  Wolff, 

Serenade. 


W.  BramBffeli, 

Serenade. 


•ffr^fiirvi..).  li 


Ein  bemerkenswerter  Altersgenosse  der  Suite  Rez- 
ni6zeks  ist  die  nur  zweis&tzige  Serenade  (op.  7)  von 
Leopold  Carl  Wolf.  Aufierlich  zeichnet  sie  sich  durch 
ein  konzertierendes  Klavier  aus,  innerlich  durch  die 
seelische  Hingabe  an  Tanz  und  Reigen  und  deren  noble 
Behandlung.  Der  groOeren  Verbreitung  des  liebenswiirdigen 
Werkes  hat  wohl  der  hinkende  Rhythm  us  des  Hauptthemas 
des  ersten  Satzes  im  Wege  gestanden. 

Unter  den  im  letzten  Jahrzehnt  neu  veroffentlichten 
deutschen  Suiten  ist  die  Serenade  fur  kleines  Or- 
Chester  (op.  20)  von  dem  Munchner  Walter  Braunfels 
schnell  die  meist  gespielte  geworden.  Sie  entwickelt  ge- 
wohnte  Stimmungen  froher  und  beschaulicher  Natur  mit 
gewohnten,  einfachen  Motiven,  aber  mit  einer  Freiheit 
des  Vortrags,  die  das  Interesse  in  ganz  ungew5hnUchem 
Grade  fesselt  und  den  Zuh5rer  miit  dem  freudigen  Gefiihl 
erfullt,  eine  frische,  durchaus  selbstHn'dige  Individualit&t 


_<6    689    «— 

vor  sich  zu  haben.  Das  bei  aller  Liebenswiirdigkeit  etwas 
revolutionare  Wesen  des  Komponisten  sprichl  schon  aus 
dem  Notenbild  der  Partitur,  aus  dem  zuweilen  verwegen 
bunten  Wechsel  des  Taktes,  des  Tempos,  der  Harmonie, 
aus  den  vielen  kecken,  immer  aber  natiirlichen  und  ge- 
schickten  Kontrapunkten,  mit  denen  er  den  Haupttliemen 
seiner  S3,tze  ins  Gresicht  zu  schlagen  liebt.  Am  schonsten 
zeigt  sich  die  auBerordentliche  Gestaltungskrafl  des  Kiinst- 
lers,  der  seine  tuchtige  Schule  auch  durch  gelegentliche 
Fugen  und  Kanons  beweist,  in  der  organischen  Verbin- 
dung  getrennter  Satze:  Der  freundliche  Weckruf,  mit  dem 
der  erste  beginnl,  beherrscht  auch  den  zweiten  Satz  und 
kehrt  im  Finale  wieder. 

An  Zahl  der  Auffiihrungen  kommt  der  Braunfelsschen  M.  Regor, 
Ai'beit  Max  Regers  Serenade  in  Gdur  (op.  96)  am  nach-  Serenade, 
sten.  Sie  gehort  unter  die  besten  Arbeiten  des  frucht- 
baren  und  noch  immer  umstrittenen  Komponisten  und 
fallt  besonders  dadurch  stark  ins  Gewicht,  daC  sie  seinen 
poetischen  Beruf  riihmlich  und  unwiderleglich  bescheinigt. 
In  dieser  Beziehung  ragt  unter  den  vier  Satzen  der  Kom- 
position   der  erste  am  hoch-  Allegro  moderftta 

sten  hervor,  weil  er  in  seinem  ^^ 
Haupttliema  von  dem  Anfang 

aus  eine  ganz  eigontiimlich  schone  Serenadenstiminung 
feststellt  und  entwickelt.  Dieser  aus  sittigem,  dankbarem 
Herzen  quellende  Ton  des  stillen  Gliicks  fesselt  in  seiner 
Schlichtlieit  und  Liebenswiirdigkeit  ohne  weiteres,  erwarmt 
und  erfreut,  so  oft  er  in  dem  breit  ausgefiihrten  Satze 
wiederkehrt,  und  bestimmt  dessen  Gesamteindruck.  Sclion 
im  achtcn  Takte  wirds  lustiger,  die  Freude  spricht  er- 
regter  in  bewegten  und  wechselnden  Motiven,  sie  wandelt 
sich  in  kraftigen,  auf  Dissonanzen  gestellten  Gangen  zu 
einer  Art  Kampfeslust,  die  Gedanken  richten  sich  auf 
Gegner  und  Widerstande,  es  kommt  zu  einer  zweifehiden 
Frage.    Da  lenkt  das  zweite  Thema: 


i 


r  f  f  I  r-  r  I  f  f  r  r  I  r' 


etc. 


D_Gis     D H      E— A      E—     A-^        D 

KretxBchmar,  Ftthrer.    I,  I.  44 


_^    690    «— 

zu  der  glUcklichen  Ausgangsstimmung  zurlick  und  ganz 
folgerichtig  beginnt  die  sofort  anschlieOende  Durchf&hrung 
mit  dem  Hauptthema  und  der  ihm  zugehorenden  Gruppe. 
Bald  kommt  in  dieser  Durchfuhrung  eine  sehr  frappante 
S telle:  Im  Augenblick  der  derbsten  FrQhlichkeit  bricht 
das  voile  Orchester  auf  einen  TnigschlnG  ab,  aus  un- 
heimlicher  Stille  heraus  klingen  ktirze  Klagen,  denen  das 
Hauptthema  in  ganz  ver^derter,   in  trauemder  Gestalt 

folgt.   Ein  Fugato  iiber  eins    a  *  f^j_      

der    herzhaften    Zwischen-  a*  r-BTCJ"  f  T  T  T  I  f^F^r  F 
ihemen  der  Themengruppe :  •^'  /'^=^^— ^5^^=:: 
hilft  tiber  die  Krisis  hinweg,   das  Hauptthema  kehrt  in 
verkiirzten  Rhythmen,  in  streitbarer  Form  wieder  und  ver- 
einigt  sich  dann  mit  dem  zweiten  Thema. 

Wie  sich  aus  diesen  Proben  ergibt,  hat  auch  dieser 
erste  Satz  der  Regerschen  Serenade  etwas  viel  kunstvolle 
Arbeit,  er  ist  auch  in  der  Qualittlt  der  EinfUlle  und  den 
aus  ihnen  gebildeten  Abschnitten  nicht  gleich  gut,  aber 
doch  wird  die  sorglose  Freude  am  Handwerk  immer  wieder 
von  einer  hoheren  Dichterkraft  geziigelt.  Sie  hat  auch 
die  Disposition  des  Orchesters  bestimmt:  die  Streicher 
sind.  in  zwei  Chore  geteilt,  der  zweite  spielt  mit  Sordinen, 
der  erste  ohne  Dampfer.  Der  zweite  ists,  der  in  den 
beiden  SchluBtakten  des  ersten  Satzes  das  Hauptthema 
zum  letzenmal  intoniert.  Als  der  sch5nste  Gedanke  und 
als  Seele  der  ganzen  Serenade  kehrt  es  auch  im  zweiten 
Satz  (vivace  a  Burlesca)  und  es  kehrt  im  vierten,  dem 
Finale  wieder.  An  Wert  steht  dem  ersten  Satz  der  dritte, 
ein  einfach  gesangreiches  Andante  sempUce  (A  dur,  s/4)  am 
nUchsten. 

Eine    gleich    der   Serenade    von    Braunfels    aus    der 

Miinchner  Schule  stammende.  sehr  erfreuliche  Arbeit  liegt 

A. Beer-      in  Anton  Beer-Walbrunns  >Deutscher  Suite*   (op.  22) 

WalbniBB,     in  Dm  oil   vor.    Der  Titel   deckt  keine   Bilder   spezifisch 

Deatsche  Suite,  ^j^u^gchen  Lebens ,  bedeutet  aber  wohl   eine  Absage  an 

neue,  auslandische  Musikmoden  und  Extravaganzen.    Es 

ist  eine  Suite  nach  den  alten  guten  Mustern  der  Zeit  von 

Brahms  und  Volkmann,   und  der  Komponist  sucht  das 


^^    691     <)— 

Deutschtum  in  einer  freundlichen  und  gesitieten  Phan- 
tasie  auf  der  einen,  in  der  Einfachheit  und  der  Klarheit 
der  Tonsprache  auf  der  andern  Seiie.  Die  vier  Satze 
bestehen  aus  einem  >Vorspielc,  in  dem  sich  erregtere, 
sehnende  Motive  mit  kurzen  ruhigen  Kantilenen  ausein- 
andersetzen,  einer  >£legie«,  die  den  Sieg  still  froher 
Hofihung  iiber  leichle  Melancholie  schildert,  einem  > Lied« , 
das  ohne  Worte  Gliick  und  Zufriedenheit  in  der  Form  von 
Thema  und  Variationen  feiert,  und  einem  >Reigen«,  der 
das  Ganze  im  Tone  bewegterer  Freude  und  heiteren  Spiels 
abschlie&t.  Es  sind  fur  jedermann  verstS^ndliche  und  an- 
heimelnde  Tonbilder,  Dichtungen  Greibelschen  Schlages, 
durchweg  natiirlich,  liebenswurdig  anmutig  und  meister- 
haft  knapp. 

Fur  den  Humor  in   der  Gattung  ist  kiirzlich  unter  B.  Seklea, 
verdientem  Beifall  Bernhard  Sekles  mit  einer  Suite  (op.  26)      ^****®- 
eingetreten,  die  »dem  Andenken  E.  Th.  Hoffmanns  gewid- 
met<  ist  und  in   vier  S&tzen  Charakterbilder  nach  dem 
Geschmack  dieses  verwegensten  und  kuriosesten  Kampen 
deutscher  Romantik  vorfiihrt.    Beim  ersten  Satz  (Scher- 
zando)  scheint  dem  Komponisten  eine  der  bei  Hoffmann 
haufigen  Jongleurflguren  vorgeschwebt  zu  haben,  die  auf 
Schritt  und  Tritt   iiberraschen   und  als   Reprasentanten 
einer  verkehrten  Logik  stets  anders  handeln  und  denken, 
als  erwartet  wird.    Der  musi---j(U4.  »•     a\\rT  r  I'r^fT  ^  ^  i 
kalische  Schlussel  des  Satzesg^  H  {^  P'M  1  II     t^  "^  ^  i 
liegt  gleich  im  Eingangsmotiv:  -n 

Der  Widerspruch  dieses  es  gegen  den  D  moll-Akkord  setzt 
sich  bis  in  die  letzten  Takte  fort,  wo  endlich  dieLosung: 
p  ■  I.  m  \^rT  r  i  erfolgt.  In  diesem  Such  en  nach  dem 
O**^  I?  I  I  I  I  r  richtigen  Ton  beriihrt  sich  der  Satz 
mit  dem  ZauberlehrUng  von  P.  Dukas.  Der  Weg  nach  dem 
Ende  ist  wesentlich  mit  Ketten  von  Nonenakkorden  und 
andren  HarmoniespaBen  gepflastert,  es  Uegt  aber  auch  in 
der  tandelnden,  schwankenden ,  ruckgratlosen  Melodiebil- 
dung  viel  Witz. 

Der  Kern  des  zweiten  Satzes  ist  der  Ausdruck  der 
Beschrfinktheit   im   Thema   des   Menuetts.     Es   zeichnet 

44* 


_^    692    ^^- 

einen  ofifenbaren  Dummkopf,  der  blaht  sich  nun  des  wei- 
tern  auf  iind  bringt  es  wirklich  bis  zu  einem  Schein  von 
GraviUlt  und  GroGe.  Das  Intermezzo  macht  mil  einem 
Gecken  bekannt,  der  mit  seinem  Gefiihl  kokettiert.  Der 
Gegenstand  des  Finales  endlich  ist  die  sprechende  Puppe 
Hoffmanns,  die  durch  die  Offenbachsche  Operette  welt- 
bekannt  gewordene  Olympia. 
E.T.  DohfiABjrl,  Auch  die  in  Fismoll  beginnende,  in  Adur  schlieBende 
Suite.  Suite  (op.  19)  von  Ernst  von  Do h nan yi  gibt  dem  Horer, 
wenigstens  im  zweiten  und  dritlen  Satz  mancherlei  zu 
raten,  jener,  das  Scherzo,  durch  den  verdrieBlichen  und 
unwilHgen  Humor  des  Hauptsatzes,  der  durch  den  zuriick- 
haltenden  und  scheuen  Charakter  der  freundlichen  Ab- 
stecher  sehr  originell  und  schon  kontrastiert  wird,  dieser, 
eine  serenadenhaft  praludierte  Romanze,  durcli  seine  har- 
monisch  merkwurdig  schillernde,  hell  und  dunkel  blilz- 
schnell  wechselnde  Romantik.  In  beiden  Fallen  kommen 
fremdlandische,  auBerdeutsche  Musik-  und  Kulturelemente 
fesselnd  zur  Geltung.  Das  Hauptstiick  der  Suite  ist  ihr 
erster  Satz,  der  sechs  Variationen  iiber  ein  eignes  Thema 
des  Komponisten  bringt,  eigen  auch  durch  seine  Kon- 
struktion:  der  Vordersatz  hat  fiinf,  der  Nachsatz  vier 
Takte.  Die  Entwicklung  folgt  dem  Prinzip  des  Kontrasles, 
der  Preis  unter  den  einzelnen  Variationen,  die  sich  alle 
durch  Klarheit  des  Charakters  auszeichnen,  wiirde  bei 
einer  etwaigen  Abstimmung  wahrscheinlich  der  ritterlichen 
zweiten  mit  den  energischen  Hornern  zufallen.  Bei  aller 
Einheitlichkeit  ist  der  Satz  dennoch  stilistisch  sehr  mannig- 
faltig,  die  erste  Variation  z.  B.  uberrascht  durch  Blasersoli 
Lachnerschen  Andenkens,  aber  in  anderer  und  hoherer 
Tendenz.  DaB  wir  es  in  dem  Komponisten  mit  einem 
Talent  ersten  Ranges  zu  tun  haben,  geht  bcsonders  aus 
der  groBen  Menge  musikalischer  Elementareffekte,  voran 
die  rhythmischen,  heiTor.  An  den  Standchencharakter, 
der  vom  Anfang  der  Suite  immcr  wieder  einmal  durch 
bloBen  Akkord  und  Rhythmus  markiert  wird,  erinnert 
namentlich  der  SchluBsatz:  sein  Hauptlhema  ist  eine 
Marschweisc,  die  bedachtig  beginnt  und  plotzlich  urkraftig 


693 


II,  Hartean, 

Suite. 


dreinschiagl,  ihr  Gegensatz   eine  Melodie  mit  ansgeprSgt 
Brahmsschen  Zug. 

In  einer  andem  Bcziehung  kniipft  auch  die  Adur- 
Suite  (op.  16  von  Henri  Marteau,  der  ja  doch  wohl 
der  deutschen  Musik  zugezahlt  werden  darf,  an  friihere 
Perioden,  namlich  an  die  Zeit  an,  wo  Fischer,  Schmierer, 
Fux  u.  a.  in  die  Orchestersuite  Solospiel  einfiihrten.  Durch 
die  vier  Satze  marschiert  eine  Solovioline  an  der  Spitze 
der  Instrumente  und  bestimmt  mit  ihren  virtuosen  Kunsten 
den  Charakter  der  Komposition  so  sehr,  dafi  sie  richtiger, 
ahnlich  wie  Lalos  » Symphonic  espagnole«,  in  der  Rubrik 
des  Konzerts  gebucht  wird. 

Eine  wirkliche  Suite ,  die  wenigstens  teilweise  vom  i.  Kayper, 
Geist  der  alten  Zeit  beruhrt  ist,  liegt  dagegen  in  der  Serenade. 
Serenade  (in  D,  op.  8-  von  Elisabeth  Kuyper  vor. 
Ihre  beiden  ersten  Satze,  Marsch  und  Pastorale,  sind  Volks- 
musik  bester  Art:  so  einfach  und  doch  gewahlt  wie  die 
Lieder  Uhlands  und  Morickes  und  dabei  musterhaft  in 
der  Kunst,  mit  schlichtesten  Mitteln,  besonders  gem  mit 
Anderung  der  Instrumentierung,  zu  iiberraschen  und  zu 
erfreuen.  Ihre  Form  ist  die  des  dreiteiligen  Lieds  mit 
bescheidenen  Erweiterungen  der  Teile.  Mit  dem  dritten 
Satz  wird  die  Musik  moderner  und  greift  nach  Form, 
Temperament  und  Phantasie  ins  GroBe;  ein  keeker,  siid- 
licher,  direkt  an  Rossini  erinnernder  Zug  macht  sich  gel- 
tend.  Er  charakterisiert  auch  das  auBerordentlich  flotte 
Finale,  dem  einleitend  ein  originelles  Andante  vorausgeht, 
eine  Art  Liebesdialog,  in  dem  die  rezitativisch  sprechende 
Solovioline  das  mannliche,  ein  sehr  schoner,  weicher 
Blasersatz  das  weibliche  Element  vertritt.  Man  muB  diese 
Serenade  unter  die  liebenswiirdigsten  neueren  Beitrage 
zur  Gattung  rechnen. 

Obwohl  sie  nur   ein  Bruchstiick  ist,  darf  am  SchluB  B.  StraaB, 
dieser  Ubersicht  die  viel  gespielte  Serenade  fiir  Blaser   Serenade, 
von  Richard  StrauB  nicht  fehlen.    Sie  beschrSukt  sich 
auf  ein  Andante,  das  aber  so  reizend  ist,  daB  der  Wunsch 
nach  den  fehlenden  Satzen  sehr  lebhaft  wird.    Die  Kom- 
position  fallt   in   die  friihe  Jugendzeit  von  StrauB,   und 


-^    694    H>— 

ware  sie  bei  der  ersten  (Mlinchner)  Auffuhrung  als  ein 
unbekanntes  Werk  Mozarts  ausgegeben  worden,  so  wiirden 
nur  wenige  Verdacht  geschopft  haben.  Gleichwohl  merkt 
man  in  ihr  schon  den  geborenen  Meister  des  Kolorismus. 


Wenn  die  unbetitelte  oder  absolute  Sinfonie  die  lebens- 

gefShrliche  Krise,  in  die  sie  um  die  Mitte  des  neunzehnten 

Jahrhunderts  unter  dem  Ansturm  von  Programmsinfonien 

und  sinfonischen  Dichtungen  geraten  war,  voriaufig  wieder 

tiberstanden  hat,  so  verdankt  sie  das  vor  allem  dem  Ein- 

greifen  von  Brahms  und  Bruckner,   die   den  Beweis 

erbrachten,  daB  die  Fonnen  Beethovens  doch  noch  nicht 

abgetan  seien.    Aber  es  muB  auch  der  M^ner  gedadit 

werden,  die  vor  ihnen,  in  der  schlimmen  Zeit  das  klas- 

sische  Terrain  so  gut  als  m5glich  zu  behaupten  suchten. 

Zum  Teil  kamen  sie  noch  aus  der  Mendelssohnschen  Schule. 

Mendelssohn  nahm  die  Geister  seiner  Zeitgenossen  mit 

einer  Kraft  in  Beschlag,  der  sich  selbst  Sltere  Tonsetzer  nicht 

Reiiiiger. entziehen konnten.  ReissigersEs dur-Sinfonie (1839)bietet 

hierfiir  den  Beleg.    Aber  die  Sinfoniker,  welche  sich  seiner 

Richtung  ganz  hingahen,  batten  nur  einen  kurz  dauemden 

Erfolg.  Nach  einem  Jahrzehnt  schon  schwanden  dieSinfonien 

Tawbert.von  Taubert,  die  Es  dur-Sinfonie  von  Rietz,  Killers 

Biet«.E  moll -Sinfonie  (mit  dem  Motto:   >Es  muB  doch  Friihling 

^^ ^^yjj^Jj] werden*) ,  ebenso  wie  die  von  W.  Markull,  J.  Netzer, 

J. KetseriO.  Nicolai,    Th.  Taglichsbeck,    von   E.  Naumann, 

0.  Mleolal.R.  Radecke,  J.  Rosenhain,  A.  Walter,  voUstftndig  vom 

^'**  b*'h  **'**'*****  ^^P^^^^^^^'  ^^^  ^^^  ^^^  spatern  Nachziiglem  der  Schule, 

B.  Eadeeke!  d^ren  Reihe  bis  auf  C.  St.  SaSns  reicht,  haben  die  Sinfonien 

J.  BoieaiialB.  von  Hol,  J.  Zellner  (»Melusina«),  weitere  Beachtung  iiber- 

^•'^'^•''•'•haupt  nicht  mehr  gefunden.  Auch  diejenigen  Werke,  welche 

01,    eUner.  ^^^^^  -j^j.^^^  geistigen  Basis  tiefer  in  Schumann  hinabtauchen, 

sind  schneller  bei  Seite   gelegt  worden,  als  sie  es   ver- 

dienten.    Wir   nennen   die   bereits  erwahnte  Sinfonie  in 

Barglel.  Gdur    von    W.  Bargiel    und    die    A  dur- Sinfonie    von 

B«in6€ke.  G.  Reinecke,  welche  in  ihren  letzten  beiden  S&tzen  wirk- 

lich  originelle  Erfindungen  des  Humors  und  der  Anmut 


_^    695    ^»- 

bietet.  Eine  zweite  Sinfonie  Reineckes,  in  Cmoll,  die  i.  J. 
1874  erschienen  ist,  interessiert  vornehmlich  darum,  well 
sie,  ahnlich  wie  dieArbeiten  Berlioz^  oder  Aberts  >  Colum- 
bus €,  in  den  alten  Formen  Programmtendenzen  verfolgt. 
Ihre  Satze  geben  Bilder  aus  dem  Leben  Hakon  Jarls  wieder, 
den  der  Komponist  auch  zum  Gegenstand  einer  Kan- 
tale  fiir  M&nnerchor  gewahlt  hat.  Eine  dritte  Sinfonie  G.  B«iBeek6, 
Reineckes  (Gmoli,  op.  227)  steht  der  Schumannschen  Dritte  Sinfonie 
Schule,  mil  der  schon  die  zweite  kaum  noch  Nennens- 
wertes  gemein  hat,  ganz  fern.  Indem  der  Komponist  das 
fQr  die  Musik  und  fiir  die  lyrischen  Kunste  immer  wieder 
neue  Bild  belohnten  Kampfes  in  der  Spiegelung  vorfiihrt, 
die  es  in  seiner  maBvollen,  harmonisch  abgekl&rten  Natur 
erfShrt,  tritt  er  uns  krftftiger  als  je  entgegen.  Volkmann, 
Spohr  und  Gade  sind  die  verwandten  Kunstler,  mit  denen 
er  sich  der  Reihe  nach  hier  beruhrt. 

Im  gleichen  Grad,  wie  der  geistige  Einflufi  Mendels- 
sohns  und  Schumanns  verblaBt,  w&chst  die  Einwirkung 
Beethovens.  Neben  ihm  in  zweiter  linie  tritt  das  Vorbild 
Schuberts  stSrker  hervor.  Seine  C  dur-Sinfonie,  mit  ihrem 
Finale  namentUch,  und  Beethovens  neunte  Sinfonie  sind 
diejenigen  Werke,  durch  welche  die  klassisqlie  Periode  in 
die  Sinfonieliteratur  des  Bismarckschen  Zeitalters  am 
mUchtigsten  hineinklingt. 

Unter  den   namhaften  hier  in  Betracht  kommenden  LBabUftetn, 
Sinfonikem  gebiihrt  nach   der  Anciennit&t   der  Vortritt:  Sinfonie  Nr.  2 
Anton   Rubinstein.     Seine    erste   Sinfonie   (Fdur),    im       (P^*")- 
Jahre  1864  verdfTentlicht,  heute  nur  wenig  gekannt,  fallt 
noch  in  die  Bliitezeit  der  Mendelssohnschen  Schule  und 
tragt  in  ihren  ersten  beiden  S&tzen  die  Spuren  derselben. 
Ihre  letzten  Satze  sind  selbst&ndig  und  lassen  die  Ver- 
gessenheit  bedauem,  welche  sich  fiber  das  ganze  Werk 
gebreitet  hat.   Von  den  sechs  Sinfonien  des  Komponisten 
sind  zwei  eine  Zeit  lang  Gemeingut  der  musikalischen  Welt 
geworden:   die   Sinfonie   »Ozean«   und  die   »dramatische 
Sinfonie*  (Nr.  4). 

Obgleich  die  Ozeansinfonie  Franz  Liszt  gewidmet  ist, 
*   steht  sie  doch  mit  der  Programmusik  nicht  im  engeren 


696 


ZusaniTnenhang.  Ihr  Stil  ist  der  Beethovensche  und  ihr 
Titel  gibt  der  Phantasie  nur  einen  leichten  Anhalt.  Da6 
Rubinstein  unter  die  groBien  musikalischen  Erfindfernaturen 
der  neueren  Zeit  gehort,  beweist  der  erste  Satz  dieser 
A.  Rvbliifeteiii,  Ozeansinfonie :  ein  geniales,  reiches  Tonsiiick,  von  mach- 
Sinfonie  »Ocean«.  tiger  Stimmung  getragen,  im  groBen  Zuge  entworfen,  mit 

gliicklichen ,  eigentiimlich  anschaulichen  Musikgedanken 
ausgestattet,  aber  etwas  ungleich  durchgefuhrt.  Sucht  man 
nach  den  naheren  poetischen  Beziehungen  des  Satzes  zum 
Titel,  so  stellt  sich  am  ungezwungensten  das  Bild  der  Aus- 
fahrt  ein.    Dazii  stimmt  das  erste  Thema: 


Allegro  maestoso. 

A  A       Fl. 


5ii)J 


^\fr\^W\^\^m 


fn!M 


1^ 


i 


Kj      wie  es  erst  erwartungsvoll  leise  aiifflattert 
•^^      und  dann  in   der  prangenden  Pracht  des 
vollen  Orchesters  voriiberzieht.    Seinen  Ab- 
schluB  erhalt  es  in  einer  breit  ausgreifenden, 
vom  warmen,  innigen  Gefuhl  durchwogten  Gesangsmelodie 
""^v    ^    _^        ^_^___^  welch e  in  der 

rf^rrr  rr  ImT^'I  jU  JJil^i'J'l^'l    Ourchfuhrung 
«y-vioi.  f      -^^-^         <_V  ^^ groBe  Bedeu- 


groBe 

lung  hat.  Zu  der  stillen  Majestat  des  Ozeans  passen  die 
lang  und  ruhig  dahinklingenden  Dreiklangsharmonien,  an 
denen  die  Bewegung  des  Satzes  so  haufig  Halt  macht 
Den  drohenden  und  beiingsti-    ^  _  an,  wel- 

genden  Charakter  des  Meeres  ft  gK^J*  J^  J  J  I  J=  ches  na- 
deutet  das  Trompetenmotiv  ^^.5#^?  ^  mentlich 
dort  an  der  Stelle,  wo  das  liegende  g  mit  den  Harmonien 
des  Chors  in  Dissonanzen  lange  wechselt,  zu  sehr  un- 
heimlicher  Wirkung  gelangt.   Das  zweite  Thema  des  Satzes : 


j  J  I  J  Jj^  gibt  in  anmutiger  Form  ernst  beschaulichen 
"  ^    ^     ^^^  Ciedanken    Raum.     Die   Durchfuhrung   der 


_^    697    ^^ 

vielseitigen   Ideen    zeichnel   sich   durch   Ruhe   und   Vor. 
nehmheit  aus. 

In  dem  zweiten  Satze  der  Sinfonie:  Adagio  (Emoll,  C) 
hat  folgende,  merklich  Mendelssohnierende  Melodie 

Adtgto  Boa  Unto. 

jjP t^^  I ij.\h.  1  rjvjjij I ^^.  ^ I 

die  Fiihrung.  Das  zweite  Thema,  seinem  Charakter  nach 
Doch  tiefer  fragend,  fangt  mil  einer  aus  Schumanns 
C  dur  -  Sinfo- 
nie bekannten 

Wendung  an:    ^  '  >  i<^ 

In  den  Streichin  strum  en  ten  erhalten  durchgefiihrte  leichte 
Begleitungsfiguren  die  Gedanken  an  das  Spiel  der  Wellen 
wach.  Die  Ausfiihrung  der  Ideen  ist  knapp;  die  poetische 
Haupts telle  des  Satzes  liegt  kurz  vor  der  Reprise:  da,  wo 
das  Horn  seinen  Ruf  in  die  Stille  hinaus  erschallen  laBt, 
wo  die  Pauke  zu  dem  Solo  der  Klarinette  ausdrucksvoll 
wirbelt. 

Der  dritte  Satz  (Allegro,  2/4,  Gdur)  konnte  eine  lustige  See- 
mannsszene      be- 


deuten.Da" — * 

themabegi 

frohlich    animiert: 

und  erweckt  bei  don  anderen  Instrumentcn  in  einer  Reihe 

wilder  Triller  ein  v<»rstilrktes  Echo  seiner  Stimmung.    Im 

zweiten  Thema  wird   der  Humor  etwas   breit  und  quer- 

kopfig.    Das  an  und  flir  sich  trefFliche  Material  des  Satzes 

ist  in  der  Verarbeitung  ziemlidi  zerspliltert  worden. 

Das   Finale   boginnt  frohbewegt,   als   wenn   es   heim- 
warts  ginge. 

Das   Haupt-        Allegro  con  fnoco.  und   den    Se- 

thema       wiegt  -ft-tf-^J^-^  rt  J  ^  I  J'  ^^  ^    I  quenzen    die- 


sich   lange   auf  *  ser  Motive  und 

schlieBt  dann       ^     ^ 


698 


Im  zweiten  Thema: 


A.  BwblBitetn, 

•Sinronie 


wird  aus  der  Freude  Dankbarkeit,  und  diese  nimmt  in 
einem  Choral,  der  schon  in  der  langsamen  Einleitung  des 
Satzes  auftritt,  den  rein  feierlichen  Charakter  an.  Grofi 
und  erhahen  gedacht  ist  das  Finale  der  Ozeansinfonie  — 
aber  matter  erfunden  und  bequem  gearbeitet. 

Sp&ter  hat  Rubinstein  den  vier  S&tzen  seiner  Ozean- 
sinfonie noch  einen  fiinften  und  sechsten  hinzugefQgt: 
ein  Adagio  in  Ddur,  welches  als  zweite  Nummer  der 
neuen  Ausgabe  an  die  Gedanken  des  zweiten  Themas  des 
ersten  Satzes  leicht  ankniipft,  und  als  vorletzte  Nummer 
ein  phantastisch  belebtes,  von  innigem  Gesangston  durch- 
zogenes  Scherzo  in  Fdur. 

Die  >Sinfonie  dramatique*  (Nr.  4,  DmoU)  ist  Rubin- 
steins bedeutendste  Leistung  auf  dem  Gebiete  der  hdhem 
ramaiquec.  Qrchesterkomposition.  Nach  der  natiirhchen  GroBe  von 
Einpfindung  und  Phantasie,  nach  der  Stfirke  der  ange- 
borenen  Dichterkraft,  nach  Einfachheit  und  Bestimmtheit 
des  Ausdrucks  gemessen,  wiirde  sie  eine  der  hervor- 
ragendsten  Erscheinungen  der  ganzen  sinfonischen  lite- 
ratur  bilden,  wenn  der  Komponist  mehr  Strenge  und  Selbst- 
kritik  geiibt  h&tte. 

Ihr  e  r  s  t  e  r  Satz  namentlich  ergreift  und  erschtittert  wie 
wenige  Tonstiicke.  Dem  Inhalte  nach  tragischer  Natur, 
zeigt  er  manche,  auch  technisch  erkennbare,  Beriihrungs- 
punkte  mit  den  Eingangss&tzen  der  Faustsinfonie  von  Liszt 
und  Beethovens  Neunter;  mit  der  letzteren  in  der  Menge 
gewaltiger  Trugschlusse  und  in  den  einschneidenden  Wir- 
kungen  des  verminderten  Septimenakkords.  Die  Form  ist 
eigentijmlich,  aber  einheitlich  und  klar  disponiert.  Eine 
Hauptstutze  des  ganzen  Organismus  bildet  die  murrende 
und  suchende  Figur,  Lento, 
mit  welch  er  die  BlLss( 
die  Einleitung  beginnen : 
Sie  geht  im  Laufe  des  Satzes  viele  Verwandlungen  ein, 


699 


erscheint  bald  in  breiten,  bald  in  fluchtig  dahineilenden 
Rhythmen,  stellt  slch  jetzt  an  die  Spitze  des  Orchesters 
und  verbirgt  sich  dann  in  der  Mitte  Oder  in  der  Tiefe. 
Aber  immer  ist  sie  da,  reguliert  den  dUmoniscben  Puis 
der  Tondichtung  mit  ihrem  Schlage  und  durchklingt  den 
ganzen  Satz  wie  Windesbrausen  und  Glockengel^ute.  Den 
regelm&fiigen  Begleiter  dieser  Hauptfigur  bildet  von  der 
Einleitung  ab  das  leiden-  Jf  _  f^  HH  welches  sicb 
schaftlich  zuckende  Motiv:  y  f  ^^  ^V  ^-  mitschmerz- 
hafter  Dissonanz  baufig  in  die  Klagen  der  Instrumente 
hineinbohrt.  Der  Expositionsteil  des  Allegro  zerfaUt  in 
funf  Szenen. 

Die  erste  breiiet  in  einem  langen  Zuge  das  Haupt- 
thema,  ein  getreues  Abbild  leidenschaftlicher  Verwirrung, 
bin: 


AUeg^ro  moderato. 


i^ij;ycjiL£irriijifrrrrrri 


Seine  Aufregung  bricht  sich  an  einer  Gruppe,  in  welcher 
die  Musik  nicht  in  zusammenhangenden  Gedanken,  son- 
dern  in  Interjektionen  und  Naturtonen  spricht:  in  £ana- 
tisch  herausgestoBenen  Trillern,  im  kurzen  schweren  Auf- 
schrei  der  Bl&ser  und  in  scharfen  Dissonanz  en,  welche  in 
ihrer  Art  und  in  ihrer  Einfuhrung  an  diejenigen  erinnern, 
welche  im  ersten  Satze  von  Beethovens  Eroica  der  EmoU- 
Episode  vorangehen.  Und  nun  beginnt  die  dritte  Szene. 
Von  einem  milden  und  beschwichtigenden  Gesang  der 
Klarinette  praludiert,  tritt  das  zweite  Thema  ein,  eine  der 
schonsten  musikalischen  Darstellungen  vom  Zustande  eines 
Herzens,  in  welchem  die  Hoffnung  mit  der  Furcht  kampft: 


'li^g^ii^g 


700    ^ 


In  jedem  Takl  ein  anderer  schoner  Zug:  Wie  die  Violinen 
Trost  zusprechen,  wie  das  Horn  absetzt  und  ansetzt,  hOher 
und  holier  geht,  zuletzt  im  langen  Gang  sich  ausspticht, 
selbst  in  der  kleinen  Dissonanz  des  a  im  ersten  Takle  — 
in  allem  liegt  eine  Warme,  Anschaulichkeit,  Unmittelbarkeit, 
cine  Naturwahrheit,  wie  sie  nur  die  genialsten  Kiinstler 
ab  und  zu  erreichen.  Die  Szene  wird  hauptsachlich  auf 
Gmnd  der  beiden  eingehaklen  Takle  weitergefiihrt  und 
endigt  mit  einer  Wendung,  welche  der  eigentiimlichen 
Schonheit  des  ganzen  Bildes  wiirdig  ist:  Kurz  und  iiber- 
raschend  modulieren  die  Blaser  in  sanften  Akkorden  von 
B-  nach  D  dur  und  halten  die  neue  Harmonie  leise  mit 
einer  langen  Fennate  wie  eine  freundliche  Vision  fest.  Als 
sollte  der  Traum  nicht  gestort  werden,  bringen  darauf  die 
tiefen  Streich-  ^y^  ^^  gehen     aber 

instrumente        9'  I    T  p   |t^  y   ^  y    »        bald  mil  ihm 
pp   das   Moliv  JW  wieder      ins 

Stiirmische  und  zur  fiinften   Szene  des  Expositionsleils 
iiber,        deren 
Thema    heroi- 
scherNaturist: 

Die  Durchfiihrung  beginnt  als  wortliche  Wiederholung 
der  ersten  Szenen,  sctzl  aber  dann  die  Schilderung  des 
Konflikts  zwischen  Mut  und  Zweifel  mit  selbstandigen, 
neuen  thematischen  Ideen  fort  und  nimmt  im  SchluB- 
teil  einen  triiben  und  hocherregten  Charakter  an.  Mit 
harlen  Dissonanzen  und  chromalischen  Passagen,  welche 
in  Lisztscher  Weise  stilisiert  sind,  wird  der  Cbergang  zur 
Reprise  bewerkslelligt,  welche  den  Inhalt  des  Expositions- 
leils in  gesteigertem  Ausdnick,  das  Hauptthema  noch 
wilder  und  das  zweite  Thema  noch  riihrender,  voriiber- 
fiihrt. 


701     ^ 


Der    zweite     Satz,    ein     Presto     iDinoll)     in     drei 
Teilen,  beginnt     ^      Pre«to.  a  2 


mit  einem  klei- 
nen     Schreck : 

Erst  nach  diesen  durch  die  General  pausen  mftchtig  ver- 
starkten  Alarmsignalen  setzt  das  stiirmische  Haupttliema, 
in  seiner  Kostruktion  auf  folgendes  kurze  Modell  gestiitzt: 
Pireeto.  ein.     Durch    das   ganze   Stiick 

bleibt  ein  herber,  barter  Zug 
vorherrschend.  Die  freund- 
lichen  Seitenpartien,  welche  in  mannigfaclien  Nebenthemen 
betrcten  werden,  wie  in  den  ballett-  und  tanzartigen  Weisen: 

a; 


fiihren  immer  wieder 
in  den  Hauptweg  zu- 
riick,  und  selbst  in 
dem  Allegretto,  welches  in  dem  Satzc  die  Stelle  des 
Trio  vertritt  ^.f^t  r^*!^''^'''K^°'K  i       "'     verdrangen 

—  der  An-  jjt  f  [rf^f  M  ^  j^  \l  i  ^  ^^^  iiberwiegen- 
fang  lautet:  ^  '  i»lialir"'  '  ^  ^  ^^  3  den  alarmieren- 
den  Klemente  die  Versuche  zum  freundlichen  Gesang. 
Mit  dem  Finale  der  Sinfonie  hat  dieser  zweite  Satz  die 
reiche  Verwendung  von  Motiven  aus  der  slavisclien  Volks- 
musik  gemeinsam. 

Das  Adagio  (Fdur.  <*/«)  der  Sinfonie  ist  einer  der 
schonsten  melodiereichsten  Siitze  der  ncueren  Instru- 
mentalmusik,  von  einer  Milde  in  Charakter  und  Stim- 
mung,  die  seine  Retrachlung  zum  reinsten  GenuB  macht. 
Seine  Hauptmelodie: 

Ad&rio.     .  ^     .^ 


702 


■  in  welcher  die  Beethovenschen  Ele- 

J  J.  jj  j  j^  ^      mente    reich    vertreten    sind,   wird 

durch  ein  Seitenthema  abgelost  und 


erg^nzt,    dessen   Ausdruck    und  AbschluB    eigentiimlich 
schon  ist: 


0«llt  m.  BraUabra 


Auf  diese  Hauptgnippe  folgt  eine  Szene,  die,  melo- 
disch  auf  Bagatellen  beruhend,  iiber  kurze  Motive  schwarmt 
und  in  entlegene  Harmonien  trSlumt.  In  der  SUBigkeit  der 
Stimmung,  in  der  ungezwungenen  Innigkeit  des  Tons  er- 
innert  sie  an  eine  liebesszene.  Cber  dem  Ende  des  Satzes, 
wo  die  Basse  und  Celli  choralartige  Weisen  anstimmen, 
liegt  religiose  Weihe. 

Nach  einer  langsamen  Einleitung  beginnt  das  Finale 
mit  einem  Thema,  das  in  seiner  stiirmischen  Natur  und 
in  seinen  Ailegrocon f^ooo.  wortlich  mit  einem  sehr 
Anfangs-  Af  JflT^^kl  j  *-  bekannten  ^Gedanken  aus 
noten:  «3'  ~  ^  "  i  -"^"^  ^  Beethovens  Kreuzersonate 
iibereinstimmt.  Das  Finale  ist  lebendig  froh  gedacht,  aber 
ziemlich  breit  und  mit  Einmischung  seltsamer  Einfillle 
ausgefuhrt  Das  beste  an  dem  nur  schwachen  Satz  ist 
das  zweite  Thema: 

4.  Bwbiwiteln,  Die  nachste,  die  funfte  Sinfonie  Rubinsteins  (Gmoll, 
FUnfte  Sinfonie.  Qp^  iQ?)  unterscheidet  sich  von  alien  ihren  Geschwistern 
auBerlich  dadurch,  daB  sie,  was  die  dramatiscbe  Sinfonie 
in  den  SchluCsatzen  tut,  durchs  ganze  Werk  und  noch 
reichlicher  als  ihre  Vorgangerin  slavische  Melodien  ver- 
wendet.  Von  Freunden  des  Komponisten  ist  sie  deshalb 
zuweilen  Rubinsteins  »Russische  Sinfonie<  genannt  wor- 
den.    Eine  patriotische  Tendenz   spricht  vielleicht  auch 


— t    703    ^^ 

daraus,  daB  sie  dem  Andenken  der  Grofiflirstin  Helene 
Paulowna  gewidmet  ist,  die  unter  den  Gliedern  des  Herr- 
scherhauses  sich  als  Forderin  der  mirsikalischen  Entwicke- 
lung  im  Zarenreich  hervortat.  Die  Jungrussische  Schule 
hat  bekannUich  durch  einen  ihrer  Fuhrer,  C^sar  Cui*:, 
an  Rubinstein  und  Tschaikowsky  scharfe  Absagen  ge- 
richtet  und  damit  sichtlich  beide  Kiinstler  veranlaCt,  sich 
den  national  russischen  Musikbestrebungen  enger  und 
eifriger  anzuschliefien.  Rubinstein  hat  von  seiner  Be- 
kehrung  in  dieser  Gmoll-Sinfonie  das  ausfiihrlichste  und 
eifrigste  Zeugnis  abgelegt.  Seine  Gegner  wird  er  dadurch 
nicht  gewonnen  haben. 

Als  Abbild  russischer  Musik  wahlt  diese  Gmoll-Sin- 
fonie ihre  Themen  zu  einseitig;  das  trUumerische  Element 
namentlich  fehlt.  Fiir  die  Aufgabe,  wie  sie  sich  Rubin- 
stein hier  und  in  seinen  letzten  Instrumentalkompo- 
sitionen  uberhaupt  gestellt  hat,  konnte  ihm  die  Volks- 
musik  nur  wenig  nlitzen.  Sie  verlangt  Naturgemalde, 
Rubinstein  ging  aber  auf  Lebensbilder  und  Selbstbekennt- 
nisse  aus.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  ist  auch  seine 
Gmoll-Sinfonie  aufzufassen.  Sie  erscheint  dann  als  eine 
Art  Seitenstiick,  als  eine  Fortsetzung  seiner  Sinfonie  dra- 
matique,  als  ein  betriibender  Beweis,  dafi  das  Los  dieses 
gewaltig  musikalisch  und  menschlich  gewaltig  beanlagten 
Kiinstlers  ungliicklich  war.  Doch  ist  nicht  zu  verkennen, 
dafi  die  dramatische  Sinfonie  in  der  Erfindung  und  Aus- 
fiihrung  —  bis  auf  den  letzten  Satz  —  weit  hoher  steht, 
gewahlter  und  gedrungner  ausgefallen  ist,  als  ihre  Nach- 
folgerin.  Namentlich  dem  ersten  Satz  dies«r  fiinften 
Sinfonie  hat  beim  Entwurf,  bei  der  Aufstellung  der 
Themen  und  bei  der  Disposition  des  Formplans  die 
Griindlichkeit  und  die  Bedachtsamkeit  empfindlich  gefehlt, 
die  zur  Darstellung  der  Idee  die  geeignetsten  Mittel  her- 
beizieht. 

Dieser  erste  Satz  (Moderato  assai,  C,  Gmoll)  beginnt 
mit  dem  Hauptthema 

*)  04m  Cui:  La  Mnsique  en  Rnssie.     Paris  1880. 


—^     704     ^— 

Moderate  asfiai. 


j|''    I  I' '  I  iTrTf  Tf  I  -rm  rT'j  I 

ernst.  Ihm  folgt  eine  aufgeregte  Episode,  die  uns  in  der 
Art  der  Sinfonien  Karl  Maria  von  Webers  in  die  Ballett- 
und  Opernsphare  wirft.  Sie  wiirde  verstandiich,  wenn 
sie  mil  der  Riickkehr  nach  dem  Hauplthema  schlosse  und 
sich  zu  ihm  in  einen  durchgefiihrten  Gegensatz  stellte. 
Diese  logisch  notwendige  Wendung  hat  dem  Komponisten 
auch  vorgeschwebt,  doch  begnugt  er  sicli,  sie  mit  ein  paar 
gehaltnen  Noten,  die  allerdings  Rubinsteins  starke  Musik- 
natur  wieder  glfinzend  veranschaulichen,  anzudeuten,  und 
geht  nach  ihnen  zu  dem  zweiien  Thema 


^U^-tJ-L  -L^^^gjuJXL^ 


^i.^^^^  i.rT3  n  j^ 


iiber.  Es  hat  den  bukolisch  nissischen  Charakler  ausge- 
pragt,  wahrend  das  erste  die  nationale  Abkunft  durch  den 
Verzicht  auf  den  Leitton  merken  laCt.  Die  Themengruppc 
wird,  nachdem  das  zweite  Thema  in  sehr  iiberraschender, 
hiibscher  Weise  in  D  dur  wiederholt  worden  ist,  durch  einc 
handvoU  weiterer  Motive  vervollstiindigt,  von  denen  keines 
eine  groBre  eigne  Bedeulung  hat  und  keins  mit  dem  an- 
dren  in  Zusammenhang  stehl.  Der  Komponist  phantasiert 
mit  einer  Ungeniertheit,  als  saBe  er  am  Kiavier  und  um 
ihn  herum  lauter  gute  Freunde,  die  Wert  darauf  legen,  in 
die  Seele  des  groBen  Mannes  auch  zur  unpassendsten 
Stunde  einen  BHck  werfen  zu  diirfen. 

Die  Durchfiihrung  beginnt  mit  dem  Hauptthema  in 
Floten,  Klarinetten  und  Fagotten,  setzt  es  dann  in  die 
Basse,  in  die  zvveiten  Geigen,  verhert  bald  Willen  und  Ziel, 
wiihlt  in  der  Verlegenheit  iiber  ein  Viertelmotiv  a  gis  a 
gis  a  und  kehrt  unvemchleter  Sfiche  nach  dem  Anfang 
zuriick.  Sein  glanzendcr  kraftvoUer  Eintritt  bildet  eine 
der  wirksamsten  Stellen  des  Satzes.     Die  Reprise   weicht 


--^    705    <»>- 

von  der  Themengruppe  zunSchst  dadurch  ab,  da6  sie  das 
zweite,  heitre  Thema  dem  nachdenklichen,  die  Schwermut 
streifenden  Hauptthema  unmittelbar  folgen  laCt.  Erst  an 
dritter  Stelle  kommt  die  erregte  Episode,  die  im  ersten 
Teile  jene  beiden  Gedanken  auseinanderhielt.  Ihr  folgt  ein 
ganz  leiser,  langsamer,  choralartiger  Abschnitt.  So  gelingt 
es  durch  Zutalen,  Umstellungen  und  Anderungen  dem 
Komponisten  docb  noch  einigerma(3en ,  die  dem  Satz  zu 
Grunde  liegende  Absicht  der  Darstellung  einer  gahrenden 
Stimmung  wenigstens  am  Ende  etwas  klarer  und  begreif- 
licher  zu  verwirklichen. 

Der  zweite  Satz  (Allegro  non  troppo,  2/4j  Bdur)  bringt 
wie  Beethovens  neunte  Sinfonie  das  Scherzo.  Den  lang- 
samen  Satz  hat  Rubinstein  an  die  dritte  Stelle  geriickt, 
weil  der  Inhalt  seines  ersten  Satzes  eine  auf heiternde  Fort- 
setzung  verlangt.  Dem  Hauptsatze  dieser  zweiten  Nummer 
liegt  wieder  ein  russisches  Thema  zugrunde: 


Allegro  non  troppo 


das  von  der  Klarinette  zuerst  eingefiihrt,  von  den  iibrigen 
Instrumenteii  zu  einer  breiteren  Szene  des  Spielens  und 
Tandelns  ausgefuhrt  wird.  Auch  bier  werden  wir  wieder 
an  die  neunte  Sinfonie  erinnert:  Die  frohlichen  Klange 
unterbricht  immer  wieder  ein  Augenblick  des  Sehnens, 
Zweifelns,  Klagens  und  Schwankens.  Ansatze  zu  eincm 
Seitenthema  tauchen  auf,  der  bedeutendste  eine  Synkopen- 
bildung;  keiner  behauptet  sich.  Das  Trio  verdankt  seine 
ganz  ungewohnliche  Gestalt  dieser  scherzowidrigen  Stim- 
mung. Es  ist  eine  Fuge  in  Es  moll,  ihr  Thema  dem  Haupt- 
thema des  ersten  Satzes  etwas  verwandt. 

Der  dritte  Satz  (Andante,  ^/g,  Esdur)  hat  ungefahr  den 
Ideengang:  Von  feme  tritt  das  Gliick  in  Sicht  und  ruft  in 
der  Seele  des  Dichters  Erregung  hervor,  die  sich  in  Hoffen 
und  in  Zweifeln  teilt.  Das  Bild  des  Gliicks  erscheint  in 
einer  langen,  anmutigen  und  naiven  Melodie,  mit  der  der 
Satz  beginnt.    Sie  ist  in  Vertretung  audi  andcni  Instru- 

Kretzschmar,  Ffthrer    I   1.  45 


_^     706    ^>— 

men  ten,  in  erster  Lanie  aber  dem  Horn  iibertragen,  iind 
fiir  gute  Hornisten  wird  dieses  Andante  der  Rubinsteinschen 
G  moll-Sinfonie  ,;ein  lieblings-  und  GlanzstGck  sein.  In 
dem  Augenblick  J  dcs  groBten  Aufschwungs  hat  allerdings 
dcm  Komponisten  der  Umfang  des  Horns  (in  F)  nicht  ge- 
niigt,  die  Trompete  muB  aushelfend  eintreten.  Die  Er- 
regung  ruht  auf  einem  Motiv  in  Sechzehnteltriolen,  das 
den  Violinen  gegeben  ist.  Es  fuhrt  nach'  dem  Abschnitt 
seines  ersten  Auftretens  zu  eincr  Wiederholung  der  Glucks- 
melodie  in  Oboe  und  Horn.  Ihm  folgt  ein  neuer  Abschnitt 
der  Erregung,  der  in  einem  kurzen  folgenden  Sdtzchen  in 
Esmoll  seine  Spitze  findet.  Daraiif  setzt  die  Flote  mit 
dem  Haupttliema  ein,  nach  ihm  noch  einmal  der  Ab- 
schnitt iiber  das  Triolenmotiv;  die  Hauptmelodie  klingt 
mit  d^m  Anfang  an  und  das  Ende  ist  da.  Es  ist  —  ge- 
maB  dem  verschwiegnen  Programm  der  Sinfoni^  —  ein 
Ende  in  UngewiBheil!  Das  Andante  ist  vielleicht  der- 
jenige  Satz  des  Werkes,  der  die  Seele  des  Zuhorers  am 
lebhaftcsten  und  nachhal  tigs  ten  in  Tatigkeit  setzt.  Die 
Ursache  liegt  zum  groBen  Teil  an  dem  dramatischen  Clia- 
rakter  der  Ubergange,  die  zwischen  den  Hauptteilen  ver- 
milteln,  an  der  aufregenden  Art,  in  der  die  Leidenschaft  in 
die  Idylle  hereinbricht.  Man  merkt  an  diesem  Stiick  ganz 
besonders,  wie  in  der  Gegenwart  die  Oper  den  Weg  zur 
Herrschaft  iiber  die  gesamte  Musik  angetreten  hat! 

Dor  SchluBsatz  (Allegro  vivace,  2/4?  GmoU,  Gdur)  liat 
die  Anlage  des  Sonatensatzes.  Sein  Hauptthema  ist  cine 
von  jenen  russischen  Tanzweisen,  die  in  der  bestandigen 
Wiederholung  eines  kurzen  Motivs  den  Stempel  der  Kind- 
lichkeit  und  dcs  Naturvolks  tragen.  In  seiner  MoIIharmonie 
hat  die  Lcbendigkeit  dieses  Themas  etwas  Gedriicktes  und 
Gewaltsames,  erscheint  an  dieser  Stelle  als  Vertreter  eines 
>Galgenhumors«.  Rubinstein  stellt  ihm  (in  der  Oboe  zu- 
nachst  und  in  B  dur)  eine  nach  freundHchem  Ausweg,  nach 
Ruhe  und  Gliick  suchende  Melodic  entgegen,  die  deutsch 
sein  konnte,  aber  durch  die  Zahl  und  Art  der  Repetitionen 
russifiziert  worden  ist.  Zwischen  diesen  beiden  Themen 
liegen  noch  zwei  selbstandige  Motive,  Trager  der  heiB- 


_^     707     ^^ 

blutigen  und  warmen  Empfindung,  die  Rubinsteins  Musik 
immer  wieder  auszeichnet.  Die  Themengruppe  wird  wieder- 
holt,  und  diese  Wiederholung  hat  der  Komponist  mit  Riick- 
sicht  auf  einige  kleine  Varianten  ausschreiben  lassen.  Die 
Durchfiihrung ,  mit  der  Gdur  einsetzt,  versucht  zun&chst 
einen  Ausgleich,  eine  Versohnung  der  im  ersten  Teil  ent- 
haltnen  Gefuhlselemente,  indem  sie  die  beiden  Haupt- 
tliemen  miteinander  verwebt;  das  zweite  liegt  in  den 
untern  Instrumenten,  das  erste  kommt  als  Kontrapunkt 
in  den  obern.  Generalpausen  und  fortwfi,hrendes  Ab- 
brechen  zeigen,  wie  vergeblich  der  Versuch  bleibt.  Da 
taucht  aus  dem  ersten  Satz  der  Sinfonie  pp  das  wuhlende 
chromatische  Viertelmotiv  wieder  auf  und  setzt  sich  fest. 
Damit  nimmt  Fortsetzung  und  SchluB  der  Durchfuhrung 
einen  verzweifelten  Charakter  an,  und  auch  die  Reprise, 
mit  der  GmoU  zuriickkehrt,  spricht  nur  von  Pessimismus 
und  Resignation. 

Wahrend  die  fiinfte  Sinfonie  Rubensteins  vorzugs-  a.  RBblmUin, 
weise  ein  Gemutswerk  ist,  wendet  sich  seine  sechste  Sechsle  Sinfonie 
und  letzte  [A  moll)  haupts^cblich  an  die  Phantasie  des 
Horers.  Sie  entroUt  eine  Reihe  Bilder:  Erinnerungen  des 
Komponisten  aus  fremden  Landen,  Erinnerungen  an  den 
Orient  vor  allem.  Das  macht  sie  der  Suite  verwandt, 
mit  der  sie  auch  den  Mangel  an  thematischer  Entwicke- 
lung  teilt. 

Der  erste  Satz  (Moderato  con  moto,  C?  A  moll)  setzt 
gleich  sehr  fremdartig  ein.  Schrill  schreit  ein  gis-e  auf; 
die  meisten  werden  es  als  aa-c  horen,  so  lange,  bis  —  im 
dritten  Takt  —  e  dazu  kommt.  Eine  kurze  aber  stechende 
Einleitung!  Nun  beginnt  das  ganze  Orchester  wie  eine 
Bardenharfe  mit  dem  Dreiklang  —  A-e-E  —  in  einem 
Marschrhythmus  zu  prfiludieren.  An  die  Arpeggien  schlieCen 
sich  kleine  Motive  im  knappen,  festen  Balladenton:  es 
wird  von  Heroen  erzahlt  und  von  Heldentaten.  Mit  dem 
Fdur  kommen  neue  Motive  und  weichere  Empfindungen 
zu  Worte.  Auf  Augenblicke  fUhlen  wir  uns  an  die  schonen, 
schwarmerischen  Hornstellen  im  ersten  Satze  der  Sinfonie 
dramatique  zuriickversetzt.    Dann  nimmt  die  ErzlUilung 

46* 


-^    708    #— 

wieder  die  Richtung  auf  groOe  Ereignisse;  die  ruhig  in 
einem  ^1%  Takt  (C  dur)  an  uns  vorbeiziehen,  erst  bestimmt 
und  hell  gefarbt,  dann  in  den  Farben  des  Triumphs.  Mil 
diesem  Hymnus  —  g-a-c  ist  beim  zweiten  Mai  sein  Leit- 
motiv —  schlieGt  die  Themengruppe.  Die  Durchfiihrung 
beginnt,  als  sollte  repetiert  werden,  indem  sie  das  Haupt- 
thema  (in  A  moll)  wSrtlich  vorfiihrt,  schwenkt  aber  sehr 
bald  ab  und  mischt  in  die  Reminiszenzen  der  heroischen 
Bilder  klagende  Tone,  Motive  des  Erinnerns,  der  Elegie. 
Die  Reprise  bringt  den  ersten  Teil  mit  umgekehrter  Reihen- 
folge  der  Themen. 

Der  zweite  Satz  (Andante,  ^/s,  E  dur)  ist  ein  sehr  ein- 
facher  Satz,  ohne  Verwicklungen  der  Darstellung  freund- 
licher  Ideen  gewidmet  Eigen  ist  er  durch  die  Art,  in 
der  das  htibsche  Hauptthema  (Edur)  verge tragen  wird, 
n&mlich  in  lauter  Einschnitten  und  einzelnen  Absfttzen; 
nach  jedem  Motiv,  nach  zwei  Achteln,  nach  fiinf  Achtelu 
immer  eine  Pause.  Das  gibt  einen  Ton,  wie  Hast,  Stau- 
nen,  Atemlosigkeit,  Obermafi  des  Gef&hls  und  des  Be* 
hagens.  Den  Augenblick  der  Sammlung  kUndet  (im  17. 
Takt)  ein  jauchzendes  Motiv,  das  in  seiner  Urspr&nglich- 
keit  und  W&rme  sich  unter  die  echtesteu  Rubinstein- 
erfindungen  stellt.  Unter  den  Gegenthemen  der  Nummer, 
die  samt  und  sonders  nicht  ins  Gewicht  fallen,  zeichnet 
sich  das  schlieBlich  in  Hdur  ausgehende,  dramatisch  ein- 
gef&hrte  Solo  der  Oboe  aus. 

Der  dritte  Satz  (Allegro  vivace,  8/4,  C  dur)  der  Sinfonie, 
der  das  Scherzo  vertritt,  ist  einer  der  phantastischsten 
Kompositionen  der  neueren  Sinfonieliteratur,  fiatternd 
und  zerstiebend,  nirgends  festhaltend,  wie  der  sprtihende 
Gischt  des  Wasserfalls.  Kaum  hat  er  im  Hauptsatz  The- 
men, nur  Motive.  Als  es  endlich  zum  Singeu  kommt  — 
Violinen:  a-ha-h  |  a-g-c  \  — ,  klingt  das  mit  der  liegenden 
Stimme  —  ^r  in  den  Bratschen  erst,  dann  in  den  Pauken 
—  so  exotisch  als  mCglich.  Das  Trio  (C  moll  und  Esdur) 
mischt  Gemiitstdne,  Anklftnge  und  Anfftnge  eine::  deut- 
schen  Walzers  mit  ganz  fremden  Tonen,  Gedanken  an 
den  Orient! 


— <^    709    ^»- 

Das  Finale  (Moderate  assai,  »/4,  A  moll)  dessen  stock- 
russische  Hauptthemen 

^^-t-g^  I f7i  G'  I '  r  ^^ 

and 

Allegro.  •■— 1^1 

in  Variationen  ausgeftihrt  werden,  ist  nach  Form  und 
Geist  zum  grofien  Tell  ein  Absenker  von  Glinkas  Kama- 
rinskaja,  dem  Ausgangswerk  der  ganzen  Neurussischen 
Schule. 

AIs  der  jange  Rubinstein  mit  seiner  ersten  Sinfonie 
anftrat,  befand  er  sich  in  einer  ziemlich  zahlreicben  6e- 
sellschaft  mitstrebender  Talente:  Leonhard,  Helsted^Leonkard. 
Pape,  Goltermann,  Kufferath,  Pott,  Veit,  Wuerst, ■•J|»^*- 
Ulrich,  Gouvy,  Dietrich.     Von  diesen  vielen  neuen  Qoii^r^naB. 
Sinfonikem  der  fflnfziger  Jahre,  welche  in  der  Mehrzahl  Knfferatk. 
Mendelssohnsche  Ideen  kleiner  mflnzten,  haben  sich  nur^<^^^ 
sehr  wenige   fQr  langere  Zeit  behauptet:    Gouvy  und ^•ji*]^^^^ 
besonders  der  hocbbegabte  H.  Ulrich  fanden  mit  meh- virlek.* 
reren  Werken  ehrenvolle  Beachtung,  eine  popul&re  undOonTy. 
bedeutende  Position    errang    nur  Albert  Dietrich  mit^***'**** 
seiner  zweiten  Sinfonie  in  Dmoll. 

Diese  D  molI-Sinfonie  Dietrichs,  die  vor  vierzig  Jahren    !•  Bletrleb, 
ein  Liebling  des  Publikuras  war,  hat  ihren  Schwerpunkt  Sinfonie  DmolL 
in  der  edel  weichen  Schwftrmerei,  in  der  jugendlich  gltkck- 
lichen  Oberschw&nglichkeit  des  zweiten  und  dritten  Satzes. 
Sie  lenkt  aber  bereits  im  zweiten  Thema  des  ersten  Satzes 

in  ihr  Lieblingsgebiet,  in  das  der  herzlichen  Idyllen  ein. 
Die   Themen    des   langsamen    Satzes* (Andante,    Fdur), 


710 


der  zwischen  ^g-  und  o/s  Takt  wechselt:  der  tr&nmensch 
freundliche  Gesang  des  Homes 


J        ■    I  I  =     und  die  halbschelmische  Weise 

"^JJ'   '  i>  U-   '  j   ■     der  Celli: 


i»lci$g. 


p»eo  Crete. 

klingen  wie  Volkslieder,  reicben 


•  r    p  p'   Ji  Ti  I  r  r~r *^®^  ^^'^^^  deren  Form  in  der 

^  •  coBtraba»»^       kunstvoUen  und  gewfthlten  An- 

lage  und  Durchftihrung  hinans.  In  ihrem  Geist  geben 
sicb  die  besten  poetischen  deutschen  Elemente  aus  der 
beschaulichen  Bundestagszeit,  wie  wir  sie  aus  den  Bildem 
Ludwig  Richters,  den  Dorfgescbichten  B.  Auerbachs,  den 
Erzfthlungen  F.  Reuters  kennen,  ein  Stelldicbein.  Nur 
Dietrichs  Landsmann,  R.  Volkmann,  bat  &hnlicbe  Tdne, 
ibre  Heimat  ist  die  Alts&cbsische  Musik  der  Scbein,  Al- 
bert und  A.  Krieger. 

Das  Scberzo  beginnt  einfach  kr&ftig: 

Allegro  energ^ioo.      viol. 


In    seinen    Seitensatz 


.^Sk 


und  in  sein 


fl"p|     I    Ml     r^^^'^^jSnir     erstes    Trio 

.fallen  Strahlen 
ausScbumann- 
scbem    Lichte. 
Das  zweite  Trio  greift  mit   der  herzlich   lieben  Weise: 


jiTijj^i'j^jnitjjjiLuji  ij  I'J 


711 


^>Mirnf^rij''^'7'7rrr|frf|f|7j||T||| 

i'  Bral.«h,«  *^  Viol,   r  *^  ''--^      ^ 

^    L  I  rf^_     1  I    Kill       ^^  ^^®  Stimmung  des  Adagio 
^J?J  Ir   Pf  I'^iJ^i  \4^  zuruck  und  zitiert  dann  auch 
im  weitern  Verlaufe  dessen  Hauptmelodie. 

Das  Finale  der  Sinfonie  &hnelt  im  Hauptthema: 

fii|aj7^f'|||ii  jjiM.ilijmj'l'.rjj  I 


wieder  einem  bekannten   Schumannschen   Typus.     Das 
zweite  Thema: 


ff  C«IU  ■.Bratftch.  ercMC. 


bringt  noch  einmal  den  eigen  schw&rmerischen  Zug 
Dietrichs  zn  warmem,  schdnem  Ansdruck.  Die  Ober- 
gangspartie  zwischen  den  beiden  Themengruppen  ist  dem 
Humor  gewidmet. 

Noch  einige  Zeit  vor  das  Dietrichsche  Werk,  in  das 
Jahr  1863,  f&llt  die  Entstehung  einer  andern  beriihmten 
D  moll-Sinfonie.    Es  ist  die  von  Robert  Vo  1km  an n. 

Volkmanns  D  moll-Sinfonie  ist  die  Sch5pfang  eines  B.  TolkmaBii, 
m&nnlich  kr&ftigen  Geistes,  ein  fest  und  gedrungen  bin-  Sinfonie  Nr.  i 
gestelltes  Werk,  welches  nach  Wesen  und  Stil  der  Beet-       ^"  "°"^- 
hovenschen  Schule  angehdrt.    Der  erste  Satz  dieser  Sin- 
fonie steht  mit  seinem  trotzigen,  entschlossenen  Zuge  in 
direkter  geistiger  Verwandtschaft  zu  der  gewaltigen  Neun- 
ten.    Ja,  dort  an  der  Stelle,  wo  am  Schlusse  der  Durch- 
fiihrung  die  Dftsse  von  den  langen  festgebannten  Har- 
monien  sich  trennen  und  ihre  chromatiscben  G&nge  an- 
treten,    da  klingen   auch  die   Beethovenschen  Themen 
leibhaftig   an!     Gleichwohl    besitzt   die    Volkmannsche 
Sinfonie,  und  namentlich  ihr  erster  Satz,  geistige  und 
technische  Selbstftndigkeit  im  hohen  Grade,  eigene  be- 


712 


deutende,  in  Ernst  und  Frohsinn  immer  trelTende,  aufs  Ziel 

Bchnell  hingehende  Gedanken  und  eine  eigene  schlicht  be- 

lebte,  aiif  jeden  Prunk  und  Reiz  verzichtende  Darstellung. 

An  der  Spitze  des  ersten  Satzes  steht  das  Thema: 


Allegro  patetlco. 
^  >■  ^  ^ 


BIlMr 


^Ij3I      M  J-JjiTlJO,-''IJ.Pj.Pi;| 

Viol.  " — -^  FT 


mit  seinen  drohenden  und  schweren,  echt  sinfoni- 
schen  Gedanken.  Wfihrend  es  noch  leise  in  den 
B&ssen  fortgrollt,  erheben  die  HohbUser  und  Violinen 
ihre  trSsten-  ,  .  ^i^}:_  'ST^ 
den  und  bitten-: 


den   Stimmen: 
und    die    erste    Szene    des    Satzes   schliefit   mit   einem 
Kompromifij    der  die    dustere    Stimmung  in    einen   he- 
roischen  ^.  ^^t^^        f*     f'*t*A^.#^ 

EntschiuB   =^^rPr  it.ftfr  \f^f^\fh^4$- 

liberleitet:      ^  /f 

Es  ist  eine  besondere  und-  sehr  bemerkenswerte 
Idee  Volkmanns,  an  Stelle  des  einen  Themas  eine 
ganze  dreigliedrige  und  vollst^ndig  dramatisch  ent- 
wickelte  Themengruppe  zu  setzen.  Der  Satz  bleibt  vor- 
wiegend  streitbarer  Natur.  Die  Momente  der  Rube,  wie  sie 
am  entschie- 
densten  das 
Fdur- Thema 

ausdrlickt,  bilden  nur  Episoden.  Die  DurchMhrung  wie- 
derholt  in  vergroOerten  Verh9.1tni8sen  den  Auftritt  zwi- 
schen  den  bittenden  Blasem  und  dem  grollenden  Streich- 
orchester,  mit  welchem  der  Satz  begann,  und  die  gewaltig 
eingeleitete  Reprise  nimmt  den  gew5hnlichen  Verlauf. 

Das  Andante  (B  dur,  3/^)  hat  zum  Hauptthema 
eine  haupts&chlich  von  der  Klarinette  getragene  Me- 
lodie,  welche  Frieden  suchend  folgendermafien  beginnt: 

Andante.  Die  vier  Tak- 


^ 


t  m 


-^trr 


r-^T^f 


'  *■  to 


'■^^ 


g"- 1  I  j    te,  welche  ihr 
^-^         pr&ladierend 


-^    713 


vorangehen^sind    ^  ein  Motiv,  wekhes  far 

sehr  wichtig:  *  M  J  J  |  Jijtj  die  EDtwicklung  des 
Sie    bringen    in  j»-^=:^=»-  Satzes    die   treibende 

Kraft  bildet  und  den  kleinen  Variationen,  welch  e  aus 
den  Figaren  des«Hauptthema  abgeleitet  werden,  best&ndig 
zur  Seite  geht  Der  im  allgemeinen  ruhige  Ton  der 
kleinen  Dichtung  wird  am  Ende  der  DurchfUhrung  einmal 
hoch  leidenschaftlich.  Es  ist  eine  auBerordentlich  myste- 
riose  Stelle:  die,  wo  nach  den  gewaltigen  As  dur- Akkorden 
das  Horn  zu  den  stillen  Modulationen  der  Violinen  30 
Takte  lang  imjner  sein  C  anschlftgt.  Sie  ruft  auch  klang- 
lich  das  Bild  aus  Wagners  Walklire  vor  die  Phantasie, 
wo  Siegmnnd  in  seiner  Seelennot,  einsam  vor  dem  Herde 
in  der  dunklen  Hiitte,  nach  >W&lse«  ruft. 

Das   Scherzo    stimmt    einen    rustig   monteren  Ton 
an.      In    der  Allegro  non  troppo.  ,,-.,,    T     ^^^      ^^ 

Figur  seines  j£  i>  jt  J  J  ■!  I  J  I  J  I J  JJ  Jj  l-L^  der  kon- 
Hauptthemas  ^      f  "*^  "^  ^  «^  trapunk- 

tischen  Form  seiner  Entwicklung  leben  noch  einmal  Geist 
und  Methode  der  alten  Norddeutschen  Schule  auf.  Das 
lieblich  kosende  Trio,  welches  das  gesch&ftige  Treiben 
des   Hauptsatzes  mit   l&ndlerartigem  Tone   unterbricht: 


tr&gt  die  reizenden  Farben  der  Frflhromantik,  in  der 
Volkmann  ebenso  wie  Dietrich  mit  einem  Teil  seines 
Wesens  wurzelt. 

Das  Finale  der  Sinfonie,  ein  TonstQck  freudig  ge- 
hobenen  Charakters,  fallt  mit  seinem  Hauptthema: 


Allegro  molto. 


jiiHr  If  ,1  ir  r  i«"  I  "  ir 


und  noch  mehr  mit  dem  Nachsatz  des  zweiten  Thema: 


Clnr.  Ob. 

in  den  Stilkreis  der  Mendelssohn-Schumannschen  Periode 


714 


Das  zweite  Thema  selbst,  eine  rhythmisch  energische 
Bildung 


^^,.11  ir  ru.  j|[,i^-Tfir^  r^rf^ 


7/ 

ist  der  HaupttrHger  der  zwischen  Pathos  und  Fr5hlich- 
keit  hinsteuernden  Gedankenentwickelung.  £s  gibt  viel- 
fache  VeranlassuDg  zu  polyphonen  Kunsten,  zu  ver- 
wickelten  Harmonien  und  zu  selteneren  Klangkombina- 
tionen,  in  welchen  der  Posaunenton  ein  wichtiges  Element 
bildet.  Jedoch  vermag  die  tiichtige  und  geflissentliche 
Arbeit  den  Mangel  an  Inspiration,  an  dem  der  SchluB- 
satz  leidet,  nicht  auszugleichen.  Das  Finale  wirkt  in- 
folgedessen  als  veraltet,  w^hrend  die  anderen  Satze, 
am  meisten  der  erste,  ihre  Lebenskraft  frisch  behaaptet 
haben.  Volkmanns  Dmoll-Sinfonie  geh5rt  noch  heute 
unter  die  meist  gespielten  Werke. 
B.  VolkmaBii,  Seine  zweite  Sinfonie  (Bdur)  bringt  frohe  und  hei- 

Sinfonie  Nr.  2  tere  Musik  und  ist  in  ihrer  lebenslustigen  Naivit&t,  in 
(Bdur).        ihrer  ungektlnstelten,  auf  alle  Uraschweife  verzichtenden 
Schlichtheit  eins  der  liebenswurdigsten  Meisterwerke  der 
neueren  Sinfonik.   Ihr  erster  Satz  vereinigt  ausgesprochen 
volkstumliche  Zuge  im  ersten  Thema 


_^     Allegro  vivace 


Viol 


viol. 


mit      spezifisch 

Schumannschen      kv  f'  n  I  T'  P  T'  P  ^  <!' 
im     Seitensatz:  f  ^ 

und  im  zweiten  Thema: 


CUr. 


^ 


^ 


rvir:  ^-^T^n^^^^i^^i^  it  >:i  I 


Vx       H  8-^.8 


l^\\bi\[\v^i^ 


715 


Die  AusfQhning  dieser  leitenden  Gedankenr  ist  muster- 
haft  knapp;  tiberraschend  schnell  tritt  der  ScbluO  ein. 

Der  zweite  Satz:  Allegretto  (Esdur,  Vs)  ist  ein  be- 
hagliches  Scherzando  mit  folgendem  Haupttheina: 

Allegretto. 


Sein    Seitensatz    t&ndelt   anmutig   anf  dem    Motiv 

g    . bin.    Unter  den  mancberlei 

m  f'\i    iJ-^^^  I  h  Ahnlichkeiten ,   welcbe    der 

■■■^      I  S3^j2    mit    dem    berUbmten 

Allegretto  in  Beetbovens  acbter    ^    |.     f^'  \^ 
Sinfonie  gemeinsaro  bat,  tritt  als 
die  n&cbste  das  folgende  Motiv: 
bervor.    Die  originellste  Idee  im  Stiicke  bildet  das  Them  a 
des  Mittelsatzes : 


£igentiimlich  launiscb  weicht  es  in  seinen  Schliissen  lange 
dem  Grundton  aus. 

Der  dritte  Satz  (Andantino,  Gmoll,  ^/g)  ist  nicht  viel 
mebr  als  eine  langsame  Einleitung  zum  Finale.  Das 
Thema  beider  S&tze  ist  dasselbe.  Das  Andantino  bringt 
es  in  ruhiger  Bewegung,  in  melancboliscber  Farbung  und 
in  der  eigenttimlicben  Instrumentiemng  der  Steppenmusik: 

Andantino. 


das  Finale  (Bdnr,  Vi)  1°^  rascben  Tempo,  in  bnmoristi- 
scher  Haltung  und  mit  all  derjenigen  Munterkeit,  deren  es 

f&big  ist,  am  Allegro  ▼Wace. 

Anfang  in  iol-dh^ 

gender  Form  :?^   ciw.  ^  mq' 

Mit  ibren  beiden  letzten  S&tzen  gehort  Volkmanns 
B  dur-Sinfonie  eigentlicb  in  das  vorbergebende  Kapitel: 


716 


Nation almnsik  in  der  Sinfonie.  Sie  ist  der  Kaiserlichen 
Russischen  Musikgesellschaft  in  Moskan  gewidmet  and 
gibt  dieser  Widmnng  durch  die  Schlu6s&tze  einen  ersicht- 
lich  praktischen  Ausdruck.  Tschaikowskys  Serenade  (op.48} 
stimmt  in  dem  Thema  ihres  Finale  mit  dem  gleichen  der 
Volkmannschen  B  dur-Sinfonie  fast  w5rtlich  tiberein,  und 
auch  die  Ausfubrung  in  Variationen,  welcbe  sich  von 
Nummer  zu  Nummer  mehr  erhitzen  und  bis  zu  dithy- 
rambischer  Ausgelassenheit  weitergeftihrt  werden,  ist  die- 
selbe,  wie  sie  die  russischen  Komponisten  seit  Glinka  fflr 
ihre  kleinen  heitern  Pastor almotive  zu  wfthlen  pflegen. 
■ax  Brvek,  Zu  den  bekanntesten  Sinfonien  der  Periode  z&hit  die 

Sinfonie  Nr.i  i^  gsdur  von  Max  Bruch.  Sie  ist  ein  Werk  in  klassi- 
^  '  '*''•  scher  Richtung,  durch  einen  objektiven  Zug  in  der  Dar- 
stellung  ausgezeichnet,  im  Inhalt  vorwiegend  heroischer 
Natur.  In  der  musikalischen  Faktur  zeigt  sie  eine  Hin- 
neigung  zum  Einfachen  und  Kernigen,  kr&ftige  Harmonik 
und  volkstiimliche,  liederartige  Melodik. 

Ihr  kUnstlerisch  bedeutendster  und  reichster  Satz  ist 
der  erste  (Allegro  maestoso,  C),  eine  emste  Dichtung,  die 
uns  wie  ein  Stimmungsbild  am  Vorabend  eines  wichtigen 
Tages  anmutet.  Er  beginnt  ruhig  gedankenvoll  mit  dem 
sch5nen  Hauptthema: 


a) 


Allegro  maestoso 

Horn 


Die  hoffenden  Elemehte  dieser  Melodie  steigert  der 
Nachsatz  zum  Ausdruck  stolzer  Kraft: 


f  p  p  p  '^  •"• 


717 


Der  ideelle  Gegensatz  zxx  dieser  Gruppe  ist  wie  diese 
ebenfalls  zweiteilig.  £r  beginnt  mit  einem  Unruhe  und  Zwei- 
fel  ber-  e)  ^^^ —  — ^  -^       das   an 

Motive:  ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^  rQhmte, 


•rew. 


mit  der  Sinfonie  gleichaltrige  GmoU-Violinkonzert  des 
Komponisten  erinnert,  und  schliefit  mit  einem  in  freund- 
licher  Sentimentalit&t  beschwichtigenden  Gesangthema: 


das  ebenfalls  wieder  in  die  Spb&re  jenes  Konzerts  versetzt. 

Die  DurchfQhrung  beschr&nkt  sich  anf  verschiedene 
Kreuzungen  der  Tbemen  a  und  c, 

Als  zweiter  Satz  folgt  ein  Scherzo  (GmoU,  2/4),  eine 
breit  ausgefiihrte  und  sehr  popul&r  wirkende  Komposition, 
welche  mit  der  Lagerszene  in  Rheinbergers  »Wanenstein« 
manche  BerQhrungspunkte  hat  Das  Hauptthema  des 
Satzes  ruht  auf  einem  an  Beethovens  Eroica  erinnernden 
malenden  Motiv: 

Presto. 


rn 


^ 


3t 


welches  bald  gewaltig  in  die    ^  ^  ^ 

Hohe  wirbelt.    Die  Seiten-  ft '» 

sfltze    bringen   frohe  Rufe         -/"f  L/  «/*  "^     f  tS 

und  Szenen,  die  den  harmlos  enthusiastischen  Spielen  der 

Jugend  zu  gleichen  scheinen.    Das  unschuldige  Thema: 


tru 


wird  mit  einem  unermUdlichen  Eifer  wiederholtund  durch- 
gefilhrt  Die  Hauptpartie  in  dem  belebten,  fr5hlichen  Bilde 
ist  der  Mittelsatz  mit  seiner  derb  behaglichen  Melodie: 

ij!^\  lijii  I  hjii  iT|ii,ij,Rj  iLH  'TTlI 


718    ^>^ 

j,-"-^  die  —  frei  nach  Spohrs  driller 

I    f^    i  yif/    Sinfonie  —  vom  Unisono  erst 
*^      ^  der  Slreicher,  dann  der  Blaser 

vorgetragen  wird. 

Der   dritte  Satz:    > Quasi  Fantasia*  betitelt  (Grave, 
Es  moll,  (7),  beginnt  in  sehr  schwermtitiger  Stimmnng  mil 

einer,  ^  ,      Grave. j^^_ ansetzen- 

wie  ii\^^nff(\f^:if\i^f^^},\    den    m,d 

folgt:*'  /»  -«=r  i=-^  sich       DIS 

zum  endlichen  Abschlufi  lang  streckenden  Melodie.  Alle 
Motive  im  Satze  tragen  den  Charakter  einer  bangen 
Stunde.  In  der  Mille  taucht  das  beunruhigende  Thema  (e) 
des  ersten  Satzes  der  Sinfonie  wieder  auf.  Ohne  Pause 
geht  dieser  langsame  Satz  in  das  Finale  fiber,  das,  &hnlich 
wie  in  Mendelssohns  Schottischer  Sinfonie,  halb  program- 
matisch  als  > Allegro  guerrieroc  bezeichnet  ist  Im  poeti- 
schen  Plan  der  Sinfonie  bedeutet  dieses  Finale  die  von  aufien 
kommende  Rettang,  die  glQckliche  Entscheidung:  Der  mu- 
sikaliscben  Form  nach  ist  es  eine  ausgefiihrte  und  ideali- 
sierte  Marschkomposition,  in  welcher  ein  fiottes  Thema: 

P^^^=rn^^^^i^^i7}\y'j\j  y^  '  wieLrehie 
'^^  ^  p  ■  =  ==*•  Variante  des 

Gmoll-Konzerls  —  mil  einem  sentimentalen: 

j  I'-,.  .1  nrr~x:\  ^  f  r  i  n  fjrt  mTT 


'    '   r  r  I  r    r   r'  p  I  P'     etwas  einfSrmig  wechsell. 


M.  Brach,  Die  zweite  Sinfonie  von  Brnch  (Fmoll)  ist  wenig 

Zweite  und  dritte  bekannt  geworden.  Dem  duster  und  triib  beginnenden 
Sinfonie.  q^^  f^^jj  endenden  Werke,  welches  nur  aus  drei  SStzen 
besteht,  liegt  offenbar  ein  Programm  zugrundc,  welches, 
wie  in  S,hnlichen  F9.11en  in  der  Kegel,  nur  zum  groCen 
Schaden  fur  die  Wirkung  und  das  Verst&ndnis  der  Kom- 
position  verschwiegen  worden  ist.  Nicht  an  Ernst  der 
Anlage  und  Arbeit,  wohl  aber  an  Frische  der  musika- 


-^     719    «^ 

lischen  Phantasie  steht  diese  zweile  Sinfonie  Bnichs  hinter 
der  alteren  zuriick.  Der  hervorragendste  Satz  ist  der 
mittlere,  in  welchem  intime  Gedanken  ihren  eigenen  Aus- 
druck  gefunden  haben. 

Noch  weniger  ins  Konzert  gedrungen  ist  die  dritte, 
die  Em  oil- Sinfonie  Bruchs. 

Die  nftchsten  Komponisten,  welche  nach  Brach  ant 
dem  Gebiete  der  Sinfonie  weitere  und  andauernde  Be- 
achtung  fanden,  sind  Friedrich  Gernsheim,  Felix  Drae- 
seke  und  Hermann  G5tz. 

Die   Gmoll-Sinfonie  von   F.  Gernsheim   steht  F. OerHskelai, 
auf  klassischem  Boden   und   entnimmt  der  Eroica,   der   S»nJjn»oN'i 
Neunten,  dem  Violinkonzert  Beethovens  und  der  grofien       ^   ^^  ^' 
C  dar-SinfonieSchuberts  eine  Reihe  merkbarer  Anregungen. 
Am  selbstHndigsten  erfindet  der  Komponist  da,  wo  die 
Sinfonie  sich  auf  dem  pathetischen  Gebiete  bewegt.   Das 
in  diese  Kategorie  gehdrige  Them  a,  welches  an  der  Spitze 
ihres  ersten  Satzes  steht,  ist  unter  die  stattlichsten  Sin- 
foniegedanken  der  neueren  Zeit  zu  rechnen: 

In  alien  ihren  Partien  erfreut  diese  Sinfonie  durch 
edle  Richtung,  durch  Geschmack  und  MaOhalten. 

Die  zweite  Sinfonie  Gemsheims  (Esdur)  ist  vor-  P.  Gernsheim, 
wiegend  idyllischer  Natur.  Ihre  hervorragendsten  Sfttze  Sinfonie  Nr.  2 
sind  die  mittleren:  Nolturno  (in  As)  und  Tarantella  (in  C),       (Esdur). 

Seine  dritte  Sinfonie  (Cmoll,  op.  54)  hat,  wie  gleich  f.  Gemtk^lm, 
das  Hauptthema  des   ersten   Satzes  beweist,   originelle   Sinfonie  Nr.  8 
Slimmungen,  aber  deren  Stfirke  reichte  fur  die  groOen       (Gmoll). 
Formen  des  Sinfoniebaues  nicht  aus.   Die  jiingste,  vierte  f.  Oernikdlm, 
Sinfonie  des  Komponisten  dagegen  (Bdur,  op.  62)  hat  bei   Sinfonie  Nr.* 
den   Konzertinstituten  Deutschlands   Eingang    gefunden.        (Bdur). 
Diese  neueste  Gernsheimsche  Sinfonie   fUhrt  die  Rolle 
einer  starken  Natur  mit  tiefsinnigen  Ausweichungen,  mit 
Aufierungen  hef tiger  und  trotziger  Kraft,  auffahrend  und 
pochend,   mit   Yorliebe   mit   den  Mitteln   musikalischer 


— ^    720    <i^ 

Athletik  durch,  die  neuerdings  durch  die  Sinfonien  von 
Brahms  in  Schwang  gekommen  sind.  Arbeit  und  Kunst 
imponieren  durchweg,  in  bezug  auf  Lebenswahrheit  ge- 
biihrt  der  Preis  dem  zweiten  Satz  (Andante  sostenuto) 
mit  seinem  von  Beethovenschem  Geiste  getrSnkten  Haupt- 
thema. 
F.DrMieke.  Die  beiden  ersten  Sinfonien  von  F.  Draeseke  zeigen 
in  ihrem  Autor  einen  Charakterkopf,  welcher  streng  an 
seinen  Ideen  festhftlt  und  sie  mit  einer  Konseqnenz  durch- 
fUhrt,  die  oft  geistreich  und  genial,  zuweilen  aber  auch 
ermUdend  wirkt.  Die  Elemente  einer  weicheren  Emp- 
fin'dung  und  einer  schonen  Sinnlichkeit  sind  in  den 
Werken  des  Romponisten  durch  einzelne  Glanzstellen  ver- 

treten.  Daraus  ist  in  der  ^     ^^*^***',-^-TTr^r  i   i  i  ,  p'l  ft 
F.  DraM6ke,    ersten  Sinfonie  fGdnr)i(H  ,|  i   f  ifJ,U  1  "^  Jjl^  N  J  ^^ 

Erstoundzweite  die  Klarinettenmelodie"^  ^^ 

Sinfomo.      ^gj.   Einleitung,    aus    der   zweiten    (Fdur)    das   zwei- 
teThe-         Allegro.  hervorzuheben. 

ma  im  Mlu  f^ij  |7^.  : — H-J]-^^^^^Im  allgemeinen 
ersten  V  "^  f  P  ?  'tf^P  P'^'^P  f\f  ^T^f^aber  herrscht 
Satze:  c -'^o       in   diesen  Sin- 

fonien ein  barter  Zug  vor.  Ihre  Hauptst&rke  liegt  in  den 
hum  oris  tischen  S&tzen.  Der  drastischen,  auch  in  den  gro- 
tesken  und  burlesken  Exkursen  immer  fein  und  witzig  ge- 
haltenen  Komik  des  Scherzo  in  der  ersten  und  des  Finale 
in  der  zweiten  Sinfonie  Draesekes  haben  wir  aus  der  nen- 
F.  Draeieke,   eren  Literatur  wenig  zur  Seite  zu  stellen.   Die  dritte  Sin- 

Sinroniatragica.  fonie  Draesekes,  seine  Sinfonia  tragic  a,  ist  mit  groGem 
Recht  bekannter  geworden  als  ihre  Vorgftngerinnen.  Sie 
gehdrt  mit  dem  Requiem,  der  Fismoll-Messe,  dem  » Colum- 
bus c,  der  oratorischen  Christustrilogie  zu  den  bedeutend- 
sten  Arbeiten  des  Tonsetzers  und  ist  eins  der  wuchtigsten 
StQcke  in  der  neueren  deutschen  Sinfonik.  Diese  mu6 
auf  Grund  dieser  Leistung  in  Draeseke  nach  dem  Tod 
von  Brahms  und  Bruckner  ihre  Spitze  erblicken,  und  so 
dringlich  der  Beachtung  der  ausl&ndischen  Sinfoniekom- 
ponisten  das  Wort  zu  reden  ist,  so  ungereimt  erscheint 
OS,  wenn  daneben  deutsche  Konzertinstitqte  an  einer  ein- 


— t    721    ^>^ 

heimischen  Sinfonie  dieser  Art  vorbeigeheD.  Das  gewail- 
tige  Werk  schildert  einen  tragischen  Lebenslauf,  den> 
Kampf  einer  zum  GlQck  angelegten  Natur  mit  dem  harten 
Schicksal.  Es  begegnet  sich  in  dieser  Tendenz  mit  andren 
C moIl-Sinfonien,  denen  von  Beethoven  und  Brahms;  auch 
an  die  D  moU-Sinfonie  R.  Volkmanns  kann  es  erinnern, 
Es  hat  aber  einen  andren  Ausgang:  ein  Ende  in  Traaer 
und  Wehmut.  Popul&r  ist  diese  Sinfonie  nqch  nicht  ge- 
worden,  wird  es  auch  in  ihrem  leidenschaftlichen,  in 
scharfen  Gegensfttzen  gehaltenen  Wesen  nicht  werden. 
Die  komplizierte  Technik,  der  auf  Kombinationen  und 
strenge  Arbeit  versessne  Stil  des  Komponisten  erschweren 
das  Verst&ndnis  noch  obendrein ;  auch  entbehrt  die  musi- 
kalische  Erfindung  des  starken  individuellen  Gepr&ges, 
der  sinnlichen  Kraft  and  der  Gleichmafiigkeit.  Aber  wem 
nur  einmal  am  SchluB  des  ersten  Satzes,  von  dem  mit 
echtesten  HerzenstOnen  einsetzenden  piu  largo  ab,  und 
bei  den  vielsagenden  Fermaten  eine  Ahnung  von  den 
Absichten  des  Komponisten  aufgegangen  ist,  der  mu6 
sich  zum  eingehenden  Studium  der  Sinfonie  gedrungen 
fiihlen.  Ihr  Hauptwert  liegt  in  der  Konzeption,  in  den 
dichterischen  Ideen,  die  die  Anlage  des  Werks  beherrschen. 
Sie  sprechen  zum  Teil  aus  den  Tdnen  und  Themen  selbst, 
zum  Teil  aus  den  architektoniscben  Formen  der  Sinfonie. 
Wie  diese  der  durch  beide  SchuIeUi  die  Beethovenscbe 
und  die  Lisztsche,  hindurchgegangene  Komponist  be- 
ziehungsreich  und  geistvoll  gestaltet  hat,  siebt  man  schon 
daraus,  dafi  die  einzelnen  Sfltze  durch  gemeinsame  Mo- 
tive verbunden  und  in  einen  engeren  inneren  und  fluOeren 
Zusammenbang  gebracht  sind,  als  das  in  der  Kegel  bei 
den  neueren  Sinfonien  der  Beethovenschen  Schule  der 
Fall  ist 

Der  erste  Satz  wird  von  ein  em  Andante  eingeleitet, 
das  als  selbst&ndiger  Satz  bedeutend  ist,  aber  seinen 
eigentlichen  Wert  darin  hat,  daB  es  den  Hauptsatz,  ein 
Allegro  risoluto  (C,  Cdur),  gewissermaOen  dramatisch, 
als  die  Frucht  eines  Stimmungskampfes  eintreten  IfiOt. 
Es  setzt  ein  mit  den  T5nen  des  Mifimuts  und  furchtbarer 

Kretzsolimar,  Vthtvt.    1,  1.  46 


722 


Ahnnngen,  mil  Tdnen,  die  an  das  Grollen       Aaduite. 
des  LOwen  erinnero.   Zweimal  hOren  wir    P      " 
von  stechenden  Dissonanzen  begleitetdas   fr"  ^ 


ungeheuerlich  sich  dehnende  Interval!:  "^' 

Dann  erst  lOst  sich  die  starre,  chaotische  Empfindnng  in 
ein  ernstes  nnd  schweres  Marschmotiv,  dem  wir  sp&ter 
im  zweiten  Satz  der  Sinfonie  noch  nfther  treten  werden* 
Damit  ist  das  Gemtlt  des  Helden  dieser  Tondichtung  vom 
flrgsten  Druck  befreit.  In  einem  Instrument  nach  dem 
andern  beginnen  die  T5ne,  noch  suchend,  doch  melo- 
disch  zu  fliefien  und  gelangen  fiber  hemmende  Modu- 
lationen  allm&hlich  hinans  ins  Helle,  zur  Freiheit,  zur 
Hoffnung,  zum  Tr&umen  von  Idealen:  Eine  der  schOn- 
sten  Erfindungen  der  ganzen  Sinfonie  bezeichnet  diese 
Wendung : 


^^m 


p  molto  expr.      ^  F 

Diese  von  Elarinetten  und  HOrnern  vorgetragene  Melodie 
15st  sich  in  lose  Sequenzengange  auf  und  verzieht  sich. 
Noch  ehe  sie  ganz  das  Feld  ger&umt  hat,  tritt  unvermutet 
und  rucksichtlos  ein  ^^  ^_  />  .  «  ^*  ergreift 
unfreundlicherGastan  /uT  T'  ^  t^  ^  *  VQ'^  den 
ihrenPlatz:dasMotiv:         ^  Kontrab&s- 

sen  aus  schnell  das  ganze  Streichorchester  und  dr&ngt  zu 
dem  Allegro,  das  als  Hauptteil  des  Satzes  das  Bild  einer 
jungen  kr^ftigen  Natur  zu  zeichnen  scheint,  mit  der  es  das 
Leben  etwas  hart  meint.  Der  Satz  erinnert  an  das  Dichter- 
wort:  »Denn  Mensch  sein  heifit  ein  K&mpfer  sein«,  aber  er 
fiihrt  uns  keineswegs  vor  erschfltternde  Szenen.  Es  k&mpft 
hier  eine  Art  junger  Siegfried,  den  Hindernisse  weniger 
schrecken,  als  erfreuen.  Draeseke  schildert  eine  JQng- 
lingsgestalt,  der  Mut  und  Energieaus  jeder  Miene  sprecheu, 
der  das  Leben  noch  lacht,  die  noch  an  Ideale  glaubt  und 
zu  schwftrmen  liebt.  Jenes  Motiv,  das  die  freundlichen 
Trftume  des  Andante  storte,  wird  von  dieser  arglosen 
Natur  mit  Freundesaugen  angesehen,  und  wie  ein  FUhrer, 


--*     723     <>— 

der  nach  des  Lebens  Hohen  zeigt,  begrufit  und  verwendet. 
Draeseke  stellt  es  an  die  Spitze  des  tatenfrohen  Haupt- 
themas: 

Allegro  rl^olnto. 

jjj.iMf'iTriir  r  i^j  jj  IjjjjTjji  i 

in  dem  es  gemeinsam  |  K  |  die  Elemente  der  Entschie- 
mit  dem  Rhythmus  ••  #  •  denheit  iind  Festigkeit  ver- 
tritt  gegenQber  den  Regungen  des  jugendlichen  Ungestiims 
und  Schwunges,  die  in  den  Achtelgangen  ausgedriickt 
sind.  Eine  Fortsetzung  findet  dieses  Hauptthema  in  einem 
marschartigen  Abscbnitt,  der  nach  einigen  sinnenden 
nnd  sammelnden  Takten  mit  folgendem  Anfang  einsetzt: 

25;.^  ^ Er  endet,  nachdem  er 

/   f_rjr  f^ff  ^  x^    mt^     den  Umfang  einer  nor- 
g>   ^        I  '    I         '  ^■===  malen  Periode  erreicht 

•^  hat,  mit  dem  Rhy  thmas 

J  Js  J  ^^"^^  ^^^^  wieder  auf  das  Haupthema  ein,  des- 
« '  •^  •  sen  freudige  und  lebenskr&ftige  Geister  sich  mit 
erneutem  Eifer  auf  den  Plan  drangen.  Es  ist  ein 
hitziger  Eifer.  Die  Stimmen  wiederholen  auf  keeker 
Dissonanz  —  e-fis  —  ihre  Tdne  in  der  heftigen  Form, 
die  die  Alten  Reperkussion  nannten,  und  starkes  Kraft- 
gefiihl  str5mt  von  alien  Seiten  aus  dieser  Musik.  Sie 
hat  eben  das  entlegene  Hdur  erstUrmt,  als  sie  plStzlich 
abbricht.  Die  jugendliche  Uberschwfinglichkeit  neigt  zu 
entschiedenen  Gegens&tzen.  So  schlagt  die  Stimmung  hier 
aus  einem  heroischen  Rausch  ohne  weiteres  um  in  eine 
Idylle.  An  die  Stelle  der  Tatenlust  treten  die  Gedanken 
an  die  intimen,  zarten  Lebensfreuden,  an  die  friedlichen 
Bilder  von  Liebesgluck  und  vom  Behagen  am  heimischen 
Herd,  im  Kreise  der  Familie.  Das  sind  die  Ideen,  aus 
denen  das  zweite  Thema  des  Satzes  entsprungen  ist. 
Draeseke  stellt  allerdings  nicht  ein  einfaches  zweites 
Thema  bin,  sondern  er  gibt,  die  moderne  Art  fast  Uber- 

46* 


— ♦    724    ♦^ 

bietend,  eine  ganze  Kette  freundlicher  Gedanken,  deren 
Mehrzahl  allerdings  der  Marschrythmus  noch  etwas  fest 
in  den  Gliedern  steckt.  Den  Anfang  macht  ein  von  Melan-s 
choHe  leise  gestreifter  Wechselgesang  zwischen  Klarinetten 
und  Streichinstrumenten,  dem  fo^gende  Periode 

Alle^o  rlsolnto.  ui^m.-- 

Xlarlnetten  vioiliiSB. 

^"  ,^ '  i^  y  '^^'^ '  ^^  ^J '  ^'^'^ 

zuGrundeliegtAufmunternd  ^  ^.  _  .  ^  >^  .  ^^^  ^^^ 

unterbricht   ihn    das   Tutti  jE  T  >  T' P  I  f  P   ?^'tt  ein 

mit  kraftigem  Zwischenruf  ^^'^  ^"^ganzun- 
getrubtes  Zukunftsbild  vor  die  Phantasie: 


i 


-  i  ' 

J  r  g  iLj'^'T?  rf  ft—  ^*^  mit'heimlicber  Freude 
F  F  P  I'  l=fc=^^^.  V  ^«-  beginnt  und  mit  unver- 
^    '   *    *       r*  T  hoblenem  Jubel   schliefit. 

Gerade  dieses  Stiick  ans  dem  Kreise  des  zweiten  The- 
mas  hat  der  Komponist  fUr  den  Durchfiihrangsteil 
des  Satzes  besonders  bevorzngt.  Die  Kette  schliefit 
mit  einem  dritten  Gedanken,  der  innig  in  den  H6rnern 
einsetzt: 

j;¥*m  j,(7gij.(i7ii(jij^ii(jj^ju  ' 

—  die  Pauke  begleitet 
mit  einem  leise  bebenden 
H  —  und  ilber  das  Motiv 
zu  einem  Ende  im  triumphierenden  Ton  gelangt.  Aus  diesem 


--•    725 

Ende  sind  die 
Schlufitakte 
der   Melodie: 
fiir  den  weiteren  Verlauf  des  Satzes  wichtig. 

Draeseke  Iftfit  aber  diesen  ersten  Teil,  die  sogenannte 
Themagrappe ,  nicht  stolz  und  glftnzend,  sondern  leise 
ausklingen.  Das  ist  nicht  blo(3  poetisch  und  schdn,  sondern 
in  diesem  Falle  vor  allem  logisch.  Denn  es  handelte  sich 
nm  Zuknnftsbilder,  die  wie  im  Tranm  und  wie  in  weiter 
Feme  geseben  waren.  Die  H6rner  sind  eben  bei  dem 
letzten  Senfzer,  da  treten  die  Celli  mit  dem  Motiv  der 
Unrnbe  dazwiscben,  das  seiner  Zeit  aus  dem  Andante 
ins  Allegro  binflberdrftngte.  Jetzt  leitet  es  die  Durcb- 
fiibrung  des  \  Satzes  ein.  Sie  verlauft  als  Anseinander- 
setznng  zwiscben  den  friedlosen  und  den  friedfertigen 
Elementen  der  Themen.  Jene  sind  vorwiegend  durch  das 
eben  erw&hnte  Motiv  der  Unruhe  aus  dem  Haupttbema 
vertreten,  diese  durch  das  erste  und  das  dritte  Glied  aus 
der  Gruppe  des  zweiten  Tfiemas.  Eine  besonders  bervor- 
tretende  Stelle  in  der  Durchfiibrung  bildet  das  piu  largo, 
bei  dem  die  schone  Melodie  aus  dem  Andante,  die  Melo- 
die des  Ideals,  und  auch  hier  wieder  im  vision&ren  Ton 
erscbeint  Nach  dieser  Stelle  geht  die  Durcbfuhrung  fiber 
einige  Mut  und  Kraft  aussprecbende  Perioden,  die  aus 
dem  zweiten  Glied  des  zweiten  Tbemas  —  das  ursprUng- 
lich  in  E  dur  einsetzte  —  gebildet  sind,  bald  zu  Ende  und 
in  die  Reprise  Ober.  In  dieser  Wiederbolung  der  Themen- 
gruppe  iibergeht  Draeseke  das  eigentliche  Haupttbema 
und  bringt  an  erster  Stelle  dessen  marschartige  Fort- 
setzung.  Sie  tritt  fff  auf  und  wird  noch  dadurch  zu 
hOberer  Bedeutung  geboben ,  dafi  Draeseke  die  Schliisse 
ihrer  zweitaktigen  Abscbnitte  durch  Fermaten  verlftngert. 
Es  gibt  Fftlle,  wo  die  Pausen  vernebmlicber  sprechen 
als  die  Tone,  und  diese  Draesekescben  Fermaten  geh5ren 
in  erster  Linie  zu  diesen  Fftllen.  Sie  lassen  den  ZuhOrer 
gewissermafien  einen  Blick  auf  die  FiXWe  von  Kraft  und 
Ernst  werfen,  die  in  der  Seele  der  Jiinglingsgestalt  Auf- 
gespeichert  ist,  die  sich  der  Komponist  als  Helden  dieses 


-^    720    ♦^ 

Sinfoniesatzes  gedacht  hat.  Sicher  spricht  aber  auch 
eine  gewisse  Bangigkeit  aus  diesea  Fermaten,  eine  Ahnung 
iragischen  Geschicks.  Wie  das  erste  Thema  abgektkrzt, 
so  wird  die  Gruppe  des  zweiten  Themas  in  der  Reprise 
zusaxnmengedraDgt  Dafur  hat  ihr  Draeseke  eine  breite 
Coda  zugefUgt,  in  der  neue  Weisen  des  Stolzes,  des  fren- 
digen  Mutes,  der  anfsch&amenden  Kraft  neben  die  aus 
dem  Unruhemotiv  des  Hauptthemas  gebildeten  S&tze 
treten.  Bemerkenswert  ist  darin  eine  Stelle,  in  der  der 
modulationslustige  Komponist  sich  auf  einen  vermessnen 
Augenblick  nach  Gesdur  wendet. 

Im  zweiten  Satz  der  Sinfonie  (Grave,  a/s,  A  moll) 
entspricht  der  bedeutenden  Stimmung  auch  eine  bedeu- 
tende  und  ziemlich  in  alien  Teilen  anf  gleicher  H5he 
bleibende  Erfindung.  £r  gibt  dem  Schmerz  fiber  einen 
unersetzHchen  Verlust  gewaltigen  Ausdruck  und  klagt 
tiber  das  erste  Eingreifen  tragischer  Umst&nde  in  einen 
hofifnungSTollen  Lebenslauf  in  m&nnlichen  Tonen,  die 
im  Gefuhlsgehalt  und  in  ergreifender  Wirkung  den  Segen 
H&ndels,  Beethovens  und  Wagners  zusammenfassen. 

Die  Komposition  ist  als  Trauermarsch  gedacht.     Ihr 

.  Hauptthema,  das  die  Form  der  alten  Sarabande  hat,  setzt 

—  von  zwei  zu  zwei  Takten  durch  das  erste  Motiv  in 

den  Posaunen  unterbrochen  —  ged&mpften  Tones  folgen- 

dermafien  ein: 

OraTe.  _ 

Pos.   .  Holxblaser. ">*•    ,  ^ 


-^     727    ♦^ 

Wenn  man  den  fanften  Takt  dieses  Tranergesangs  schftrfer 
ansieht,  erhfilt  man  auch  Anskunft  dariiber:  wer  ins 
Grab  gesenkt  worden  ist.  Denn  da  stehen  wir  vor  der 
schdnen  Melodie,  die  im  Andante  des  ersten  Satzes  das 
Ideal  des  jnngen  Helden,  die  die  Gestalt  bezeichnete, 
die  als  Lohn  des  Strebens  nnd  Ringens  vor  seiner  Seele 
schwebte.  Bald  bricht  der  Schmerz  Qber  den  Verlnst 
scharf  und  leidenschaftlich  in  Wagnerschen  Zungen  bervor : 

ifii^^  I'  f^i  ,jij|j  ^jjV 

die  Posannen  decken  Grabeskiang  dartiber.  Gewaltig 
wirkt  darauf  der  Einsatz  des  Marschthemas ,  in  einer 
Wen  dung,  die  an  H&ndels  »Saulc  and  » Samson «  erinnert. 
Es  kommt  in  Cdur  und  im  mftchtigen  fff  des  gesammten 
Streichorchesters,  von  Posaunen,  Tuba  und  Trompete 
untersttttzt ,  von  einem  Aufschrei  der  Holzbl&ser  beant- 
wortet  Zarte  Zwischenspiele,  aus  dem  erw&hnten  Ideal- 
motiv  gebildet,  suchen  nach  Trost;  ein  kurzer  Mittel- 
satz,  der  die  Stelle  des  sons!  Qblichen  Trios  einnimmt, 
bringt  ihn  auf  Grund  folgenden  Tbemas: 

(In  pochettlno  plu  mosso; 


fmr  LfTDnri  LTPillL  "^p 


das  von  der  RIarinette  aus  w6rtlich  und  variiert  durch 
eine  Reihe  Instrumente  wandert.  Es  ist  teuren  Erinne- 
rungen  gewidmet  und  befreit  von  dem  barten  Druck 
einer  um  Fassung  k&mpfenden  Stimmung.  Docb  geht  es 
bald  in  einen  erregteren  Ton  Uber  und  fiihrt  so  zur 
Wiederbolung  des  Hauptsatzes.  Die  Erinnernng  an  ver- 
lorenes  Gluck  pflegt  den  Scbmerz  fiber  den  Verlust  zu 
steigern.  Diesem  Naturgesetz  Recbnung  tragend,  wieder- 
bolt  Draeseke  nicht  einfach,  sondern  fiibrt  mit  dem 
Marscbtbema  die  Motive  der  heftigen  leidenscbaftlichen 
Aufregung  zusammen.  Die  Stelle  packt  mit  pbysischer 
Gewalt.     Die   Stimmung  wird   auf   Augenblicke  wieder 


728 


ruhiger,  schildert  aber  dann  in  nenen  Formen  den  Anf- 
ruhr  schmerzlicher  GefQhIe. 

Urn  den  dritten  Satz,  das  Scherzo  (Allegro,  V4i 
Cdur)  mil  der  Auffassung  in  Einklang  zn  bringen,  dafi  die 
Sinfonia  tragica  einen  Lebenslauf  vorfQhren  will,  mu6  man 
sich  eine  Oberschrift :  >Nach  Jahren«,  denken.  Der  furcht- 
bare  Schlag,  von  dessen  nnmittelbaren  Folgen  das  Grave 
berichtete,  ist  dberwunden,  aber  er  bat  Spuren  gelassen.  Von 
einer  Pers5nlicbkeit,  die  tkber  eine  Kraftf&lle  verfilgt,  wie  sie 
der  erste  Satz  enth&lt,  erwarten  wir  einen  freieren  Hamor, 
als  ihn  dieses  Scherzo  bietet.  Seine  Fr5hlichkeii  ist  etwas 
belegt,  behilft  sich  mit  den  kleinen  KQnsten  der  Kaprice, 
hat  Schatten  und  vollstandig  tr&be  Stellen.  In  dem  Trio 
kommt  die  Wehmut  ganz  often  zur  Herrschaft.  Die  Form 
des  Ganzen  ist  sehr  einfach :  ein  Hauptsatz  in  zwei  Teilen, 
Mittelsatz  (Trio)  und  Wiederholang  des  Hauptsatzes. 

Das  erste  Thema  des  Hauptsatzes 

Allegro  molto  vivace. 
Llarlnetten. 


i'ViJiViJ  Ji  ^^ 


^j 


Ft  a     G. 


erinnert  in  der  melodischen  Richtung  etwas  an  den  Me- 
nuett  von  Beetbovens  erster  Sinfonie,  unterscheidet  sich 
aber  von  ihm  durch  ein  stilleres  Temperament.  Seine 
Fortsetznng  erfolgt  in  sinnver  wand  ten,  metrisch  launi- 
schen  Bildungen.  Das  zweite  Thema,  das  ihm  nach  einer 
kurzen  Stimmungskrisis  folgt: 

jfy  rT>  I  rT>  I  ^^n  I  r  rta 


rir>  I  «rri^'^i>r-rf7>  i  nfl^ 


— ♦    729    ^^ 

gehdrt  zu  den  besten  Erfindnngen  in  der  Sinfonie.  In 
seiner  Mischnatur,  halb  frdhlich,  halb  klagend,  ist  es  ein 
echt  romantischer  Gedanke  nnd  bringt  den  Widerstreit 
der  Gefdhle,  der  schon  im  Hanptthema  leise  zu  vernehmen 
ist,  zu  gesteigeriem  Ansdruck.  Die  Violinen  wiederbolen 
das  Tbema,  schlieOen  aber  nicbt,  sondern  brechen  ab. 
Die  Pauke  setzt  mil  einem  leisen  Wirbel  anf  g  ein ;  nnr 
ein  CIS  in  den  Kontrab&ssen  klingt  dazu.  Erst  allm&hlicb 
gesellen  sich  die  Ubrigen  Instrumente  binzu,  fQllen  den 
venninderten  Akkord  und  versucben  zagbaft  wieder  die 
Melodie  aafzuniebmen.  Die  Stelle  macbt  sicb  sebr  be- 
merklich.  Was  sie  bedentet,  ist  dem  veranlagten  H5rer 
nicbt  zweifelhaft:  eine  Erinnerung  an  das  Ereignis,  das 
das  Glfick  dieses  Lebens  gebrocben  bat.  Die  Masik  kommt 
wieder  in  Flufi  nnd  rafft  sich  energisch  auf ;  es  bleibt  ihr 
aber  ein  schwerer,  barter  Ton. 

Wir  baben  in  diesem  ersten  Teil  des  Hauptsatzes 
seine  Tbemengnippe.  Der  zweite  Teil  bringt  eine  Durcb- 
fubrung  fiber  die  Motive  des  Haupttbemas  und  in  ibr  den 
Versucb,  zu  reiner,  groBer  Freude  durcbzudringen.  Den 
Fehlschlag  bezeicbnen  Paukensoli.  Dann  setzt  die  Wieder- 
boiung  des  ersten  Teils  ein  und  verlfiuft  bis  auf  einige 
unwesentliche  Anderungen  und  Erweiterungen  in  ge- 
wohnter  Weise. 

Das  Trio  (Desdur)  leitet  Draeseke  mit  einigen  Desdur- 
Akkorden  ein,  die  uns  den  Sarabandenrbythmus  des 
Grave  ins  Ged&cbtnis  zuriickrufen,  der  aucb  im  weitren 
nocb  in  andren  Formen  aus  der  Begleitung  erklingt. 
Dann  stimmen  die  Klarinetten  das  Tbema  an 

Pin  poohettitto  pia  lento.  ^ 

.L''L''i  'C  'Qin  I'Jit'ijj;' 

GegensHtze  stellt  der  Komponist  dieser  aus  Schubertscbem 
Geiste  geborenen  Melodie  nicht  zur  Seite.  Sie  entwickelt 
sicb  &hnlicb  breit  wie  das  entsprecbende  Tbema  von 


— ^    730    ♦— 

Schuberts  groGer  C  dur-SinfoDie ,  wird  wiederholt  in  die 
6&sse  gelegt  and  erf&hrt  mit  einfachen  Mittein  Verwan- 
delungen,  die  ihren  arspriinglich  wehmlitigen  Beiklang  in 
reine  Frende  kehren.  Eine  der  gl&nzendsten  Stellen  dieser 
Art,  eine  wahrhaft  groGe  Wendung  treffen  wir  bei  der 
RQckkehr  nach  Desdur,  wo  die  H6rner  und  Posannen 
das  Thema  nehxnen.  Mit  einem  stillen  Cmoll  wird  aber 
ans  diesem  Rausch  gliicklieher  Erinnerungen  schneil  in 
die  Resignation,  in  den  Ton  gebrochenen  Seelenzustands 
znrUckgelenkt  nnd  das  Trio  geschlossen.  Den  dritten 
Teil  des  Scherzo  bildet  die  wortliche  Wiederholnng  seines 
Hauptsatzes. 

Wir  b£ltten  in  diesem  Trio  die  Wiederkehr  der  schOnen 
Melodie  aus  dem  Andante  des  ersten  Satzes  natUrlich 
gefnnden.  Draeseke  hat  in  vornehmer  Zurtkckbaltung 
davon  abgesehen,  allzn  dentlich  zn  werden,  und  sich 
diese  Reminiszenz  fur  den  Eingang  des  Finale  (Allegro 
con  brio,  o/s,  CmoU)  aufgespart.  Aus  diesem  Grunde 
glauben  wir,  da6  zwischen  dem  Scherzo  und  dem  Schlufi- 
satz  die  sonst  Qbliche  Pause  auf  das  kurzeste  MaG  zu- 
sammengedr&ngt  werden  muG.  Das  betreffende  Thema, 
das  Thema  des  Ideals,  tritt  hier  ins  Finale  unter  dhnlichen 
Verhaltnissen  hinein,  wie  in  die  Einleitung  der  Sinfonie, 
n&mlich  als  ein  Sonnenblick,  der  dunkles  Gewolk  durch- 
bricht.  Dieses  6ew51k  ist  beim  Beginn  des  Satzes  noch  im 
BegrifTsich  zu  sammeln:  es  zieht  in  nnruhigen  Motiven  und 
G&ngen  herauf  und  in  Dissonanzen,  die  einen  beklomme- 
nen  und  ratlosen  Seelenzustand  ausdriicken.    Unheimlich 

polternd      set-  AUegro  con  brlo^ 

zen  die  Basse    "l'    ||   |    Q'   j^F     [?  r£)    I    T    = 


mit  der  Figur  p 

ein,  die  durchs  ganze  Finale  hindurch  die  Rolle  des 
Sturmkiinders  durchfiihrt.  Im  ganzen  ist  dieses  Finale 
der  Sinfonia  tragica  eine  der  furs  VerstlLndnis  schwie- 
rigsten  Instrumentalkompositionen,  die  es  gibt.  Die 
Schwierigkeiten  liegen  einmal  in  dem  Aufbau,  der  keinem 
der  gewohnten  Modelle,  etwa  dem  der  Sonate  oder  dem 
des  Rondo  folgt,  sondern  seine  Oberfracht  von  Themen 


-^    731     ♦— 

ohne  Rucksicht  auf  Obersichtlichkeit  so  ausladet,  wie  es 
die  leider  verschwiegnen  dichterischen  Absichten  mit  sich 
brachten.  Zum  andern  liegen  sie  ia  dem  eigentfimlichen 
Stil  Draesekes,  der  dem  Hanptgedanken  in  der  Kegel 
wenigstens  einen  NebengedaDken,  meistens  aber  mehrere, 
beizufQgen  pflegt.  Was  der  Komponist  mit  seinem  SchluO- 
satz  will,  ergibt  sich  aus  dem  Yorhergehenden.  Er  zeigte 
nns  im  ersten  Satz  eine  kr&ftige  Natur,  der  ein  schwie- 
riges  Leben  zugefallen  ist,  im  Grave  den  Schlag,  der  ihre 
sch5nsten  Hoflnungen  vernichtete,  im  Scherzo  das  einst 
kUhne  und  frische  Wesen  ged§,mpft.  Nun  kommt  das 
Ende,  —  ein  schwerer  Lebensabend  und  der  Tod  mit 
seiner  Ruhe.  Diesen  letzten  Teil  seiner  dichterischen 
Aufgabe,  seines  in  dem  Titel  der  Sinfonie  angedeuteten 
Programms,  hat  Draeseke  im  wesen tlichen  als  einen 
Kampf  zwischen  den  lebenswilligen  und  lebensmiiden 
Seelenkr&ften  dargestellt.  Die  musikalischen  Hauptver- 
treter  dieser  beiden  Parteien  sind  das  weit  gegliederte 
Thema  der  Miihsal  und  Rastlosigkeit,  das  am  Schlufi  der 
Vorrede,  in  dem  Augenblick  einsetzt,  wo  die  Melodie  des 
Ideals  (aus  dem  Andante  des  ersten  Satzes)  verschwindet. 
Es  besteht  aus  zwei  Teilen.  Den  ersten,  der  schauerlich 
vom  Bafiklang  signalisiert  wird 

Allegro  coQ  brio. 
Vloll 


hat  der  Komponist  nachtr&glich  fur  eine  im  Gespen- 
sterton  gebaltne  Fortsetzung  des  Scherzos  erkl&rt*). 
Die  Bslsse  treten  mit  unheimlichem  Achtelmotiv  da- 
zwischen.  Dann  fahren  die  Geigen  emsig  und  doch 
miide  fort: 


*)  Leipziger  Tageblatt  vom  19.  Dezember  1907. 


732 


fi""'jiii"r^f  ^I'fT? irTj'iiirTi  'ill 

pp 

M^r^p  I i|JjAj  ill  i||ij^i  J  ^^ 


Wieder  treibt  das  Achtelmotiv  der  Bftsse  an,  dann  kommt 
der  oben  in  Q  gebrachte  Abschnitt  noch  einmal  in  CmoU 
und  damit  schlieBt  das  ganze  Thema.  Seine  Natur  ist 
Hasten  und  Eilen,  Ringen  und  Sorgen;  es  entrollt  ein 
Stack  Lemurenleben,  ein  MOhen  und  Plagen  roit  bestem 
Willen,  aber  Unsegen  dariiber.  Manchmal  klingts  daraus 
wie  au8  Blirgers  Leonore  oder  wie  in  der  Sinfonie  fan- 
tastique.  Der  Ddmon  reitet  immer  nebenher,  wir  h5ren 
ibn  aus  den  Solostellen  der  Kontrab&sse,  wir  h5ren  ihn 
aus  der  Pauke,  die  das  ganze  Tberoa  mit  leisem  Grollen 
begleitet.  Nebenbel  bemerkt  —  wird  sich  keine  zweite 
Orchesterkomposition  finden  lassen,  in  der  der  Pauker 
80  viel  zn  tun  bat  wie  in  diesem  Finale,  iiber  dem  von 
A  bis  Z  ein  Gewitter  steht. 

Das  zweite  Hauptthema  des  Scblufisatzes,  aus  dem 
die  Stimme  der  Todessehnsucht,  der  Bitte  urn  Ruhe,  der 
Hoffnung  auf  Frieden  spricht,  wartet,  bis  das  ersle  oben 
angefiihrte  Thema  nacb  einem  Abschnitt,  wo  die  Harmo- 
nien  unter  einer  liegenden  Stimme  sich  aufrflhrerisch 
b&umen,  wiederholt  und  zu  einem  lauten,  empSrten  Ende 
—  wiederum  liegende  Stimme  f,  darunter  wilde  Disso- 
nanzbildung  —  gefUhrt  worden  ist.  Dann  tritt  es  in 
Esdur  ein  und  trdstet  in  Zungen,  die  wie  bekannt  an- 
muten : 

fi'l  U7T  llTTTiII  l|iri?JNMI  I  I 

Hiermit  ist  der  ZuhOrer  von  der  Hauptsache  des  Finale 
unterrichtet.    Die  weitem  Gedanken,  die  der  Komponist 


733 


aufstellt,  k5nnen  als  Nebenthemen  betrachtet  werden. 
Die  mil  dem  Ende  des  Esdurthemas  schliefieade  Abtei-, 
lung  dee  Finale  entspricht  der  Themengrnppe  des  Sona- 
iensatzes;  DurchMhrung  and  Reprise  kann  Draeseke  nicbt 
braiicheQ.  Denn  er  entwickelt  kein  Stimmungsbild,  son- 
dern  er  gibt  eine  Erzfthlung  in  T5nen.  Einzig  das  erin- 
nert  an  den  Branch  der  Durchftlhrang,  dafi  er  das  ersie 
Hauptthema  —  es  mag  der  KQrze  halber  und  mit  der 
Bitte,  nicht  mifizuverstehen,  das  Lemnrenthema  genannt 
werden  —  auch  weiter  verwendet  nnd  zwar  sowohl  als 
Hanptgegenstand  des  Tongem&ldes,  als  auch  als  Staffage. 

Nachdem   das  Esdar-Thema  verklangen  ist,  setzt 
das  Hauptthema  Buse. 

regsam  ein,  jetzt 

der     Form: 


m 


Spdttisch  antwor- 
ten    die    H5rner : 


Aber   mit   einem 
energischen  Ruck 


lafiFt  sich  der  Held  der  Tondichtung  zu  alter  Energie  und 
Kraft'  auf,  in  einer  Grdfie,  vor  der  man  sich  ffircbten 
kann,  und  zwingt  dem  Thema  einen  heiteren  Charakter 
ab,  der  musikalisch  am  deutlichsten  auf  Grund  folgender 
Umbildung  zum  Ausdruck  kommt: 


Die  Szene  bleibt  dem  Scherz  zwar  nicbt  unbestritten ; 
verminderte  Septimenakkorde,  harte  und  trflbe  Klftnge 
drangen  sich  dazwischen.  Aber  in  der  Hauptsache  scheint 
es  doch,  als  wolle  sich  dieses  Leben  noch  zum  guten 
wenden:  Es  erfolgt  eine  Wiederholung  der  ganzen  Gruppe 
des  ersten  Hauptthemas,  aber  jetzt  nicht  im  Lemurenton, 
sondem  im  stolzen  Klang  f  und  ff,  wie  die  Aufierung 
eines  Riesen,  der  nicht  zu  vemichten  ist.  Diese  Wieder- 
holung endet  mit  einem  neuen  Thema,  dem  ersten  be- 
deutenderen  Neben thema  des  Satzes: 


f  I  I  v\v 


-^     734     <^>- 

das  vielleicht  mil  Absicht  an  Schumanns  C  dur-Sinfonie 
erinnert.  Aus  ihm  Ji5ren  wir,  daC  es  mit  der  Kraft,  die 
sich  eben  noch  geHuGert  hat,  doch«nicht  so  sicber 
steht,  denn  es  hat  einen  klagenden  Beiton  und  bringt 
uns  das  tragische  Geschick,  zii  dem  hier  ein  edler 
Mensch  verurteilt  ist,  wieder  ins  Bewufitsein.  Draeseke 
fiihrt  es  sehr  kunstvoll,  in  rhythmischen  Verschiebangen, 
Nacbahmungen ,  Verkurznngen  und  andren  Forroen, 
die  vielleicht  etwas  zu  gelehrt  sind,  durch  und  lafit  es 

Ten  Wen-  ^\^S^Q2fJ^{}i]^  J  bJH^  enden. 
dungen:  w  " 

Das  letzte,  ganz  beil§.ufig  gefundne  melodiscbe  Motiv 
macht  er  sofort,  seinen  Charakter  ins  Heitre  zwingend 
zum  Trager  eines  zweiten  Nebenthemas 


I  j  g  I J  jn;3 1  n  j  i  ji  ^  a  \ 


j    JTI'  I  J   j^   I  jTl  J    I  "^fr^  das  die  dritte  Abtei- 
-^  ^       ^      -J--       lung  des  Finales  vor- 

wiegend  beherrscht.  Es  wird  in  ihr  in  anderer  Form  der 
Yersuch  wieder  aufgenommen,  des  Lebens  H&rte  und 
Tragik  mit  Scherz  und  Anmut  zu  besiegen  oder  doch 
zu  vergessen.  Ganz  wohl  wirds  dem  Zuh5rer  nicht 
dabei,  denn  die  damonischen  Rhythmen  des  ersten 
Hauptthemas  wuhlen  in  den  begleitenden  Instrumenten 
immer  weiter.  Zuweilen  nehmen  sie  allerdings  den 
scberzenden  Charakter  wieder  an,  den  wir  aus  der 
zweiten  Abteilung  des  Satzes  schon  kennen,  und  schlieB- 
lich  will  es  zu  einem  groCen  Freudenaufschwung  kom- 
men,  den  ei-  ,«^  ^^  gr^ 

ne  durch  ge-^jhjtg  f     f '  S  f '  ^         _  P     n 

fQhrte   The-I6gll=^  ■*    I  '     ^^  ^  V    M     r^  ^  M      P%  » 
mawendung 

markiert.  Aber  kaum  angestimmt,  wird  er  unterbrochen. 
Ahnlich  wie  wir  es  im  Scherzo  erleben,  setzt  von  B&ssen 
und  Pauke  aus  ein  verminderter  Septimenakkord  ein 
ifis-a-e-es),  an  den  sich  bald  ein  farchtbares  Reiben  der 


— fr    735    ^>— 

Stimmen  iiber  einen  Orgelpunkt  (auf  fis)  anschlieDt.  Da- 
mit  ist  das  tragische  Schicksal  entschieden.  Weinend 
und  zerbrochen  sucht  sich  wiederholt  das  (friihere)  Es  dur- 
Thema,  das  Thema  der  Sehnsucht  nach  Frieden  und 
Ruhe,  durch  die  Massen  zu  zwingen.  Vergeblich.  Es  geht 
entschieden  za  Ende.  Und  da  kommt  nun  die  vielleicht 
ergreifendste  Stelle  der  ganzen  Sinfonie:  Angesichts  des 
Todes  wirft  der  Held  einen  Ruckblick  auf  sein  unglQck- 
liches  Leben :  alle  Themen  aus  den  vorhergegangenen  drei 
Satzen  der  Sinfonie  ziehen  auf,  ziehen  wiederholt  vor- 
Uber,  am  meisten  bevorzugt  die  Themen  des  Grave,  die 
mit  dem  Hauptereignis  in  diesem  Schicksal  verkniipft 
waren.  Ein  langer  Orgelpunkt  auf  g^  eine  grausame 
Stelle  im  Klang  und  im  Sinn,  bezeichnet  wohl  die  letzte 
Not.  Dann  setzt  die  Einleitung  der  Sinfonie  nochmals 
ein,  wie  um  zu  sagen :  die  schlimmen  Ahnungen  haben 
sich  erfQlIt.  Als  dann  aber  die  Melodie  des  Ideals  (An- 
dante) eintritt,  bleibt  Draeseke  in  ihrem  Ton  und  gibt  mit 
einigen  weichen,  sph&risch  verklingenden  Takten  der 
Sinfonie  ein  Ende  in  Verkl&rung,  slhnlich  wie  das  neuer- 
dings  auch  Brahms  und  Tschaikowsky  getan  haben. 

GroOrer  Popularit&t  erfreut  sich  die  Sinfonie  (Fdur)  h.  tiotx, 
von  Hermann  G6tz,  dem  Komponisten  der  »Z&hmung  Sinfonie  Fdur. 
der  Widerspenstigenc  Sie  verdankt  diese  ihrem  zweiten 
Satze,  »Intermezzoc,  einem  der  reizendsten  Genrebilder 
der  modernen  Musik.  Die  Nummer  wirkt  ebenso  durch 
ihren  frdhlichen,  popularen  und  doch  noblen  Inhalt,  wie 
durch  die  originelle  Anlage.    Das  Horn  begin nt  mit: 

»)AUejretto.  ,    *r~V-^ 

p i,:\^  nu  i.}ii\  ui  n\rij^ \Uf9^\  np 


Die  Holzbl£lser  antwor-  b)    ±1       "---^  welches 

ten    ebenso    naiv    mit^^jg^Ei^^rg^g^^^  die  Vin- 


einem  munteren  Thema    ^  '  ~"^         linen 


aufnehmen  und  weiterfQhren.  Nach  einer  lustigen  Ka- 
denz  der  Flote  setzt  der  Seitensatz  in  ged&mpfterer 
Stimmung  ein: 


736 


t^l^?TiJi 


Celli,  zweite  Violinen  uDd  Fagoite  legen  eine  sentimental 
sinnende  Melodie  darunter. 

Der  Gedanke  und  seine  DurchfUhrung  erinnem  eine 
Weile  an  das  Scherzo  der  Schumannschen  Cdnr-Sin- 
fonie,  bis  die  Trompete  mit  dem  Horntbema  d§s  Ein- 
gangs  den  eignen  Phantasiekreis  des  Komponisten  wieder 
feststellt.  Das  kindlich  heitere  Treiben  gelangt  in  einer, 
die  Stelie  des  Trio  vertretenden  Episode  tlber  folgendes 
Tbema: 

d) 


Un  poeo  meno  moto. 


anf  einen  AugenblickzurRuhe. 

J  0  ^LH^  SI  '  iS^  ^^^  diesem  Mittelpnnkte  aus 
^    ^  "'  bewegt  sich  dann  der  Satz  in 

freien,  vorwiegend  durch  nibigere  Gegenmelodien  verftnder- 
ten  Wiederholungen  der  ersten  Gruppen  dem  Ende  zn.  Das 
Adagio  (Fmoll,  ^/i)  steht  mit  dem  Intermezzo  in  n&berer 
Verbindung.  Das  Thema  d  des  letzteren  bildet  den  Mittel- 
satz.     Haupt-    .        Adajio.  -v 

auf  deren  Grund  der  erste  und  dritte  Teil  des  Satzes 
in  einfacber  Sprache  eine  Reihe  von  Betrachtungen 
ausf&hren.  Ihr  tief  schwermQtiger  Ton  macht  erst 
in  der  Coda  (in  Fdur)  einer  hofTnungSYolleren  Stim- 
mung  Platz. 

Von  den  beiden  Ecks&tzen  der  Sinfonie  ist  der 
erste  der  bervorragendere.  Sein  Hauptthema  ist  durcb- 
aus  romantiscb,  in  seiner  Stimmung  zwiscben  sinnig 
bebaglichem  GenieOen,  jugendlich  stiirmischem  Ober- 
schwang  und  leicbten  Anwandlungen  von  Melancholie 
geteilt: 


737 


AUcgro  rooderato.  a        fc-k^'nfift  m. 


fiffrVff 


Das  zwei- 
te,  freundlich 

schw&nneDd:    ^      riut*  o^. 

weist  auf  die  Meistersinger  R.  Wagners,  der  voq  jetzt  ab 
fQr  die  Sinfonie  aller  L&nder  uDgeheuer  wichtig  wird, 
bin.  Ober  der  Verbindung  der  beiden  Ideen  liegt  gleicb- 
m&Big  der  Ton  liebenswUrdiger  Anmut;  doch.  bricht  an 
einigen  Stellen  auch  der  Jubel  kr&ftig  durch. 

Besonders  hervorzubeben  ist  der  Scblufi  der  Durch* 
fQbrang,  an  dem  ans  zarten  Tr&umen  sich  die  Pbantasie 
Qberraschend  energisch  znm  Hauptthema  zurQckwendet. 

Der  SchluBsatz  der  Sinfonie  erstrebt  kr&ftigen  und 
feurigen  Ausdruck.  Hierzu  dient  die  rauscbende  Violin^ 
fignr,  welche  das  Hauptthema  er5ffnet: 

Allerro  eon  fuoco 


und  das  resolute  The- 
^=  ma    des   Seitensatzes: 


(0  J  |J  J  rl'iliNrif^^J  Ul^  P^fliJifiriTl  LI 


Der   Gegenpart    ist   durch   eine   Melodic   vertreten, 
welche    nur    durch    kunst- 
voUe  Scbldsse  zu  einem  st&r- 
keren  Gebalt  erhoben  wird: 

Lange  erwartet,  trat  zu  der  Zeit,  wo  die  G5tzsche 
Arbeit  erschien,  am  Ende  des  Jahres  1876,  endlich  auch 
Johannes  Brahms  in  die  Reihe  der  Sinfaniker  ein. 


KretzBchinar,  Ffthrer.    I,  1. 


47 


— fr    738    ♦^ 

Aus  den  Rreisen  der  Romantiker  hervorgegangen, 
vertritt  Brahms  das  bleibende  Prinzip  der  romantisctien 
Richtung:  das  Prinzip  der  gemischten  Stimmungen  and 
der  raschen  Bewegnng  des  Empfindnngslebens.  Aber 
alle  die  friiheren  Vertreter  der  musikalischen  Romantik 
tlbertrifFt  Brahms  durch  seine,  in  wunderbar  zielbewuBter 
und  energischer  Entwickelung  erworbene  Vielseitigkeit 
und  durch  die  Objektivitfit,  die  Strenge  und  Mannig- 
faltigkeit  des  Stils.  Brahms  ist  unter  alien  Sinfonikem 
des  19.  Jahrhunderts  der  bedeutendste  Beethovianer, 
soweit  es  sich  urn  Form  und  Stil  handelt.  Kein  zweiter 
hat  so  wie  Brahms  Beethoven  in  der  Logik  und  Okonomie 
des  Satzbaues,  in  der  durchweg  gediegenen  Entwickelung 
des  thematischen  und  motivischen  Materials,  in  dem  Ver- 
zicht  auf  das  Konventionelle  erreicht.  Er  ist  der  GroB- 
meister  der  sinfonischen  Arbeit!  Seine  Werke,  natur- 
gemS.6  die  Sinfonien  voran,  sind  deshalb  auch  nicht 
durchweg  leicht  zu  geniefien.  Schwer  ist  vor  allem  seine 
erste  Sinfonie. 
j.Brfthmi,  Diese  erste  Sinfonie  (Cmoll)  war,  gerade  so  wie  bei 

Sinfonie  Nr.  1  Beethoven,  die  Frucht  langer  Arbeit  Sie  soil  nach  Kal- 
(CmoU).  beck*)  Vorgftngerinnen  gehabt  haben  und  im  ersten  Ent- 
wurf  bis  auf  das  Jahr  1856  zurQckgehen.  Sicher  ist,  dafi 
Frau  Schumann  und  Albert  Dietrich  1862  den  ersten  Satz 
kennen  lernten  **),  aber  die  AusfUhrung  des  ganzen  Werkes 
l&Bt  noch  fast  fQnfzehn  Jahre  auf  sich  warten.  Es  nfihert 
sich  im  Charakter  und  im  Gauge  der  Ideen  der  Beet- 
hovenschen  Ftinften.  Auch  die  Cmoll -Sinfonie  von 
Brahms  fiihrt  von  Kslmpfen  und  schweren  Stunden  zur 
KlSlrung  und  zur  freudevollen  Freiheit  der  Seele. 

Der  erste  Satz  beginnt  mit  einer  langsamen  Einleitung 
(Un  poco  sostenuto,  Cmoll,  ^/g\  welche  das  Bild  des  folgen- 
den  groOen  Allegro  in  kurzen  Strichen  vorauszeichnet.  Sie 
braust   leidenschaftlich   auf  —   schopft  Atem  und  hofft 

*)  Max  Kalbeck:  Johannes  Brahms  III,  1910. 
**)  Briefe  von  und  an  Joseph  Joachim,  1912  (II,  22).  Albert 
Dietrich:  Job.  Brahms  (189B),  S.  42. 


— »    739    ^)^ 

wie  dieses  —  auch  die  thematischen  Motive  des  Allegro 
klingen  la  ihr  schon  an.  Unter  ihnen  ist  das  chromatische 
Thema,  mit  welchem  die  Violine  sich  unter  den  dr5hnen- 
den    Strichen    der    Kontrab&sse    in    die    H5he    qualen: 

Un  poco  sostenuto.  -"""JCt"^^^**^ 

fg^'^-Br^T'f^r  Pf't^l''^^^'^^    di.« entscheidende. 

Es  steht  nicht  bloO  an  der  Spitze  der  Sinfonie,  son- 
dern  es  trilgt  als  eine  verbesserte  Art  >id^e  fixec  fast 
ihren  gesamten  Grundrifi.  Anch  seiner  zweiten  und  dritten 
Sinfonie  hat  Brahms  solche  kurze  Generalmotive  zu 
Grande  gelegt,  an  ihnen  eine  nnvergleichliche  Meister- 
schaft  in  der  Variationskunst  erprobt  and  damit  der  Sin- 
fonik  ein  neaes  Mittel  fiir  Einheitlichkeit  und  Zusammen- 
hang  der  Form  gewonnen.  Das  hier  angefuhrte  chroma- 
tische Generalmotiv  bietet  ftir  den  gr5Bten  Teil  der  ersten 
Sinfonie  den  technischen  und  geistigen  Stutzpunkt.  Noch 
in  ihren  zweiten  und  dritten  Satz  ragt  es  leibhaflig  hinein; 
der  erste  Satz  aber  ist  Allecro  bildet  es  hier 

voUstandig  auf  ihm  ^  ^^^  ^  r'-TV-  Br- 1  /*'  ^^^'^  ^^^  Ober- 
fundiert.  In  der  Form : '  fr  ^  **  "  ■»  I J  T  » i  ,  stimme ,  bald 
den  Ba6,  fungiert  in  seinem  kontrapunktischen  Gewebe 
als  heimlicber  Cantus  firmus  und  wirkt  als  treuer,  leiten- 
der  Geist  in  guten  wie  in  bosen  Stunden.  Es  gibt  die 
Alarmsignale  und  ruft  beschwichtigend  den  Sturm  der 
Leidenschaft  zur  Ruhe.    Das  erste  Thema  des  Allegro 

^^^j,Tpirn^ir  ^•|r|||i|i|^  i|iri    ti      i 

ist  ihm  gegeniiber  nur  ein  sekund&res 
■  I  I  .M  kontrapunktisches  Kunstprodukt,  hat  aber 
I  ^^  '  die    d&monischen    Szenen    des    Satzes, 


ffltt 


welche  mit  grofier  Energie,  Kraft  und  Schfirfe,  aber  ver- 
haltnismftOig  knapp  dargestellt  sind,  zu  tragen.  Ein- 
dringlicher,  fiir  den  Gesamteindruck  des  Allegro  bedeu- 
tender,  wirken  die  Partien,  in  welchen  der  verzweifelte 
Ton  der  Kampfesstimmung  leiser  wird  und  den  milderen 

47* 


«^    740    ^>- 

Regungen  Platz  macht.  Wunderbar  schon  ist  nament- 
lich  der  Dbergang  zum  zweiten  Thema:  der  allmahliche 
Eintritt  der  ruhigeren  Bewegung,  das  Hervortretea  klagen- 
der  Motive,  der  sehnsuchtsvolle  Tod,  in  welchem  das  er- 
w&hnte  chromatische  Thama  an  die  Spitze  der  bittenden 
Stimmen  tritt  Dieser  Partie  ist  der  Stempel  der  Natur- 
wahrbeit  anfgedruckt.  Das  zweite  Thema,  dessen  erste 
Periode  zur  Orien-  _  ^ 
tierung  Uber  das 
Ganze  dienen  mag 
stammt  seelisch  and  technisch  ebenfalls  von  dem  chro- 
matiscben  Hauptmotiv  der  Sinfonie;  unwillktirlich  erinnert 
es  aber  auch  an  R.  Schumanns  Manfred -Ouverture  nnd 
ist  eine  Hauptsttttze  fQr  die  Ansicht  Kalbecks,  dafi  Brahms 
sich  mit  seiner  CmoU-Sinfonie  aus  einer  peinlichen  Man- 
fredischen  Situation  befreit  habe.  Ein  reizender  Dialog, 
von  Horn  nnd  Klarinette  fast  nur  in  den  einfachsten 

Naturlauten  gefuhrt,  fligt  sich  dem  zweiten     

Thema  an;  leider  ist  er  nur  von  kurzer  ^ i\  F , ^J^ 
Dauer.    Mit  einem  unwirschen  Rhythmus:  ^ 

aus  welchem   sich   das  V  >  _*|f  herausbildet,  rufen 

fQr  die  Entwickelung  des  4  ^^  L  f^^  die  Bratschen  den 
Satzes    wichtige    Motiv^     ^  Chor     der    Instru- 

mente  zur  Kampflust  und  in  die  leidenschaftliche  Aktion 
zurQck.  Brahms  beschlieOt  sie  mit  einem  Anhang,  der, 
lediglich  aus  einem  Zweiachtelrhythmus  entwickelt,  einen 
Zustand  fassungsloser,  atemloser  Aufregung  veranschau- 
licht.  In  der  Durchftlhrung  treten  die  beiden  groOen  Piano- 
Stellen  besonders  bervor:  In  der  pl5tzlichen  TotenstiUe, 
welche  sie  verbreiten,  in  dem  leisen,  halb  verborgenen 
Walten  emster  Gedanken,  haben  sie  etwas  Ubersinnliches. 
Der  ersten  folgt  eine  Szene  von  Kraft  und  Fr5mmigkeit 
Die  alten  Motive  des  Trotzes  Vj^^T^  w^     ^-^     .^^ 

schlieOen  sich  wie  zum  J  t^y  f  i  f  i  |  T  f*  |  T'f  [tr 
Choralgesang  zusammen: 
Die  zweite  lenkt  in  eine  Periode  fiber,  welche  den  auf- 
geregten  Ton  der  Einleitung  verstarkt  und  gesteigert 
wieder   anschl&gt  und  mit  dem  erschreckendsten  Aus- 


741 


dnick  innerer  Empdrang  in  die  Reprise  tkberleitet.  Es 
ist  diese  Periode  einer  der  gewaltigsten  Versuche  im 
pathetischen  Stil  und  zugleich  ein  Meisterstack  in  der 
Kunst,  Obergftnge  zu  machen.  Die  Krone  bildet  der 
lange  Orgelpunkt  auf  g  m\i  der  pl5tzlichen  Ausweichung 
am  Schlufi.  Die  Reprise  nimmt  den  gewOhnlichen  Ver- 
hiuf.  Als  sie  aber  am  Schlusse  der  ersten  Themengruppe 
die  dftmonischen  Mftchte  des  Satzes  auf  einen  neuen, 
hdheren  und  unerh5rten  Punkt  geftibrt  hat,  bricht  die 
Musik  wie  in  natQrlicher  Erschdpfnng  ab.  Das  chroma- 
tische  Thema  wird  zu  r&hrenden  Klagemelodien  er- 
weitert,  und  wehmutsvoll  elegisch  klingt  der  Satz  im 
Sostenuto  aus. 

Der  zweite  Satz,  der  wie  der  entsprechende  des 
Beethovenschen  C  moll-Konzerts  nach  Edar  r&ckt  (An- 
dante sostenuto,  E  dur,  s/4),  steht  nbch  unter  dem  beklem- 
menden  EiniluG  des  ersten.  Soweit  er  auch  dem  voraus- 
gehenden  Allegro  in  der  Tonart  und  in  seinen  Trost  und 
Frieden  suchenden  Absichten  ausweicht  —  einige  von 
dessen  furchtbaren  Elementen  erreichen  ihn  doch.  Sie 
&u6ern  sich  in  den  heftigen  Crescendos,  in  den  schroffen 
Modulationen  einzelner  Themen ;  ja  der  erste  Satz  schickt 
in  das  erste  Thema  unsers  Andante 


/VAdanU  ftOftUnvto 


den  chromatischen  D&- 
mon  in  den  SchluO  der 
zweiten      Themengruppe 

dasschmerz-  j:     i»^^     r ,  T"^ 

lich    wieder-    A  A^  y  \^itii^i  fcj  iJg  hinein. 

holle:  *^         p  ^-^    l-L-J     V 

In  einzelnen  Partien  klingt  der  Ton  kindlicher  Zu- 

versicht  aufierordentlich  rQhrend   durch,   so  im   Nach- 

satz  des  er-  p     ,  ^^  ri f*  ^  r'   1  ^ ' "^^^  freundlicher  be- 
sten  Themas:  ■  J  i T  ^  I  '"i£rM    lebt  in  dem  Sechzehn- 


742 


telspiel,  welches  Oboe  und  Klarinette  als  zweites  Thema 
bringen.  Oer  SchluO  des  Andante,  wo  Horn  und  die  Solo- 
violine  mit  dem  zuletzt  zitierten  trdstlichen  Thema  kon- 
zertieren,  wirkt  wie  eine  wahre  Musica  sacra. 

Der  dritte  Satz  der  Sinfonie  (Un  poco  Allegretto, 
Asdur,  ^4}  liegt  von  dem  Charakter  des  an  dieser  Stelle 
gebr&uch lichen  Scherzo  weit  ab.  Es  ist  im  strengen  Zu- 
sammenhang  mit  dem  Geist  des  ersten  Satzes  gedacht: 
seine  Heiterkeit  infolgedessen  eine  ged&mpfte,  wie  in 
einer  frohlichen  Stunde,  die  als  die  erste  auf  eine  Reihe 
trauriger  Tage  folgt.  In  seinem  zweiten  Thema  namentlich 

AUeg^retto. 


m 


ist  die  Betriibnis  merkbar,  und  in  die 
Fortestelle  mischt  sich  ein  Akzent  des 
Schmerzes.  Der  Grundton  des  Satzes 
ist  kindlich  herzlich.  So  &uOert  ihn  das  Hauptthema,  das 
im  Anfang  mit  den  langen  Noten  auf  Bedenken  hinweist, 
namentHch  in  der  zweiten  HSllfte: 

CUr. 


•to. 


noch  niehr  das  Trio:  ein  grazidses  Wechselspiel  zwischen 
Holzblasern  und  Geigen  iiber  das  Thema: 


BISMr 
€«■  arm 


^i,';";^',™^!^ 


In  dem  zarten  G15ckchenton  der  -  Blftser  liegt  yiel 
Naturklang  und  dasselbe  ursprtingliche  Instrumentations- 
talent,  das  sich  im  zweiten  Thema  des  Andante,  in  dem 
Dialog  der  Holzbl&ser  bemerkbar  machte  und  das  sich 
bei  Brahms  h&ulig  in  Bildungen  von  groOter  Einfachheit 
^uBert.    Der  SchluO  des  Satzes,  still  und  halb  unerwartet, 


-^    743    <^ 

steht  mil  dem  dezenten  Charakter  der  Kom  position  im 
voUen  Einklang.  Bedeutungsvoll,  Vorbote  neuer  Sttlrme, 
blickt  aber  in  ihn  das  chromatische  Leitmotiv  der  Sin- 
fonie  hinein. 

Das  Finale  (Adagio,  Cmoll  —  Andante  —  Allegro, 
C  dur,  (^),  die  aus  echter  Inspiration  geborne  Krone  der 
Sinfonie  und  ein  Gipfelpunkt  modern er  Tonkunst  Qber- 
haupt,  beginnt  mit  einem  RQckfall  in  die  leidenschaftlich 
trtlbe  Stimmung  des  ersten  Satzes  der  Sinfonie.  Schwer- 
mtltig  und  im  Innersten  an  das  fatale  Cbroma  gekettet, 
setzt  das  einleitende  Adagio  ein: 

Die  Violinen  snchen  energisch  nnd  desperat  in  einem 
dnrch  das  pizzicato  und  stringendo  sebr  scharf  charak- 
terisierten  Satz,  welcher  auch  an  den  kritischen  Punk- 
ten  des  Allegro  wiederkehrt,  von  dem  melancholi- 
schen  Wege  abzulenken.  Vergeblich!  Die  Phantasie  irrt 
aufgeregt    im    dunklen    Kreise; 

fiber  das  an  die  Einleitung  des  

ersten  Satzes  ankntkpfende  Motiv  ^  'erefr 
ger&t  das  Orchester  in  eine  belle  Erop5rung,  die  sich  zum 
Teil  rezitativiscb  und  in  neuen  Zungen  ^uOert.  Die  Pauke 
wirbelt  furchterlich.  Da  erscheint  wie  ein  friedlicher 
Himmelsbote  das  Horn  mit  folgender,  ebenso  von  Schu- 
berts  Geist,  wie  von  der  Erinnerung  ans  Alphorn  berfihr- 
ter  Melodie: 

Pi4  Andante. 

^>^r^'i .  ifTi "  ir'ri*'  L„  \rr\i'  ■  i 

Wir  sind  im  Andante,  dem  zweiten  Teile  der  Einleitung. 
Die  Stimmung  s&nftigt  sich,  erhebt  sich  und  bereitet  den 
krftftig  freudigen  Hymnus  vor,  mit  welchem  der  Haupt- 

satz  des  Fina-  Allegro  non  troppo. 

Die  lange,  volkstumliche  und  absichtlich  an  Beethovens 


744 


J.  Bmluns, 

Sinfonie  Nr.  2 
(D  dur). 


Freudenhymne  der  Neunten  erinnerade  Melodie,  welche 
sich  aus  dieser  ersten  Periode  gestaltet,  hildet  den  Haupt- 
tr&ger  der  Darstellung  im  Satze.  Unter  den  anderen  Ge- 
danken,  welche  ihr  zur  Seite  treten,  ist  der  wichtigste 
der  schwankende: 

iff  ■rCf.rCf.'-l^  riff''  rf'^'ff  fi 

L^rv  --^  Zu  vorubergehender  Be- 

T  prpfr^.Tj)!  I.  Jl^j  ^^mg  deutung  kommen  noch  die 

'M   K[  -^TL^fljJ    PJ^m energisch heiteren Motive : 


das     inni- 


if  I  T;  1 1 1 'LLUlj 


UAf  If  r  -n      ge  Thema: 
und    das   melancholische: 


Oboe' 


^Ti^i    iTi    I  1 1 

Der  Satz  baut  aus  diesem  Material  ein  grofiartiges, 
dramatisch  schwungvolles  Bild  einer  Siegesstimmung, 
welche  fiber  alle  Hindernisse  hinwegschreitend  bis  zum 
dithyrambischen  Jubel  anw&chst.  In  seinen  heitern  und 
seinen  emsten  Momenten  wirkt  dieses  Finale  gleicher 
Weise  anschaulich,  lebendig  und  so  mftchtig,  wie  es  seit 
Beethoven,  vielleicht  mit  Ausnahme  Schuberts,  keinem 
Sinfoniker  gelungen  ist.  Die  gewaltigsten  und  ergreifend- 
sten  Stellen  des  Allegro  sind  wohl  die,  wo  die  Pizzicato- 
Partie  und  die  Hornmelodie  des  Andante  wiederkehrt. 

Mit  seiner  zweiten  Sinfonie  (D  dur,  verSffentlicht 
Ende  1877}  lieB  Brahms  dem  pathetischen  Bild  des  Lebens- 
kampfes,  das  die  erste  entrollt,  den  Kontrast  edlen  Le- 
bensgenusses  folgen.  Er  spricht  hier  so  vomehmlich  als 
warmherziger  und  feiner  Naturfreund,  dafi  man  diese 
zweite  Sinfonie    als    seine  Pastoralsinfonie    bezeichnen 


-^    745    ^>>- 

kann.  Ihren  Schauplatz  legen  die  biographischen  Quellen 
teils  an  den  W5rther  See/  teils  nach  Baden-Baden.  Doch 
sibd  ihre  Pastoralmotive  und  ihre  anakreontische  Ideen 
mil  geisterhaften  Klftngen  anfierordentlich  romantisch 
zasammengedrftngt  In  der  musikalischen  Faktur  steht 
sie  im  ersten  Satz  etwas  hinter  der  ersten  Sinfonie  zu- 
rtkck,  ist  beqnemer  entworfen  und  ]&6t  mehrmals  die 
Punkte  erkennen,  wo  durch  Zus&tze  und  EiDSchiebungen 
nachgeholfen  worden  ist  Andrerseits  ist  sie  wieder  reich 
an  formellen  Glanzpunkten,  und  ihrGrnndton  einer  vor- 
nehmen,  znweilen  tr&umerisch  und  ostreichisch  gefftrbten 
Heiterkeit  schl&gt  jede  Kritik  nieder.  Ahnlich  werden  die 
schweren  und  schwermutigen  Teile  ihres  Adagio  durch 
die  seelische  Anmut  und  den  friedvollen  Sinn,  der  sie 
beherrscht,  erieichtert. 

Der  erste  Satz  dieser  Sinfonie  (Allegro  non  troppo, 
Ddur,  s/4)  gleicht  einer  freundlichen  Landschaft,  in  wel- 
che  die  untergehende  Sonne  erhabene  und  emste  Lichter 
hineinwirft.  An  selbstftndigen  musikalischen  Ideen  tiber- 
steigt  er  den  Bedarf  des  Schemas  bei  weitem,  und  ein- 
zelne  dieser  zahlreichen  Seitengedanken  fesseln  die  Er- 
innerung  mit  voller  Starke  an  sich.  Das  Hauptthema 
des  Satzes .  besteht  aus  einem  liebenswiirdig  traulichen, 
gemUtvollen  Dialog  zwischen  Horn  und  Holzblasern: 

^egro  noB  troppo.  . .  HoUbi.  ,         , 


Coatrab.  ^ ■ 

der  die  Kenner  des  Meisters  an  die  Serenaden  seiner 
Jugendzeit  erinnert.  Wenn  der  holde  Gesang  zuerst  ein- 
setzt,  schenkt  ihm  der  Zuh5rer  kaum  vor  dem  zweiten 
Takte  Aufmerksamkeit,  die  drei  einleitenden  Noten  des 
Kontrabasses  erscheinen  ihm  bedeutungslos.  Sie  sind 
aber  nicht  blofi  fQr  den  ersten  Satz  wichtig,  sondern  sie 
spielen  in  der  zweiten  Sinfonie  eine  &hnliche  RoUe  wie 
in  der  ersten  das  chromatische  Motiv:  e  cis  d,  sie  sind 
das  in  meisterhafter  Variation  durch  alle  S&tze  gefuhrte 
Generalmotiv  der  zweiten  Sinfonie.    Zunftchst  entwickeln 


746 


aus  ihnen  die  Violinen  nach  langem  Schweigen  das  Nach- 
spiel,  das  die  Bl&serszene  endet.  Diese  ist  als  die  Ein- 
leitung,  als  der  Prolog  des  Satzes  gedacht  und  hat  des- 
halb  eiDen  scharf  mark ier ten  SchluB  erhalten.  Am  be- 
deutendsten  treten  aus  ihm  die  iiefen,  dompfen  Eins&tze 
der  Posaunen  bervor,  bier  wie  in  der  weitren  Folge  vom 
Dreinoteamotiv  gekreuzt  und  umschmeicbelt  Im  ver- 
l&ngerten  Rhytbmus,  in  drei  halben:  a  gia  a  (Oboen), 
bildet  es  das  letzte  Wort  des  Vorspiels  mit  einer  Wirkung, 
als  sei  gebetet  worden. 

Der  Satz  fUngt  nun  gewissermafien  vom  friscben  an: 

die    Vio-         ^ — .^^    i^^^TTT*^    ^^  ^^®  Spitze, 

linen  tre-: 
ten    mit 


P  viol. 


bald    bringen 
^^^die  Oboen  ein 
neckiscbes  ^ri   I  J ,  |]   J)     Auch  diese  beiden  The- 

Zwiscben-  jfi  J  l'JLj''g^g  g  1.*^  ^^^  ^^^^  ^^^  ^^^  Motto 
sd.tzchen:      ^      LU  T  l^f  ^t^     der  Kontrab&sse   abge- 

leitet.  Eine  Acbtelfigur  ^  a  a  (dem  zweiten  Takt  des 
Haupttbemas  entnommen)  will  eben  den  scherzenden 
Ton  steigem,  da  weist  der  Komponist  die  T3.ndelei  ener- 
giscb  rubig  ab  und  schreitet  mit  dem  Mendelssobnisch 
anklingenden  zweiten  Tbema 


Cell! 


zur  inuren  Sammlung. 

Bald  aber  gS.brt  es  wieder  in  der  Brust  des  Tondicbters, 
es  kommt  zu  der  fiir  Brahms  kennzeicbnenden  Miscbung 
von  gradem  und  ungradem  Rhythmus,  aus  demFrieden  und 
den  Scblummergedanken  wendet  er  sich  zu  streitbarer 
Kraft  und  drohender  Energie  mit  den  auf  den  Oktavsprung 
des  Horns  (im  Hauptthema)  gestiitzten  neuen  Tbemen: 

und 


— fr     747     ^>- 

Brahms  holt  sich  aber  aus  dem  scheinbar  nnr  idyllischen 
Hauptthema  noch  weitre  Stutzen  fCir  die  krftfligen  Gftnge, 
in  die  er  jetzt  eingelenkt  hat.  Das  Terzenmotiv  des  Horns 
kommt  in  langen  nnd  wuchtigen  Viertelketten  der  Bftsse, 
die  Violinen  umflattern  esmit  kleinen  Sechzehntelg&ngen. 
Dann  wird  aus  dem  SchluB  der  Hornmelodie  der  Gang 
f%8  e  d  selbstftndig  in  Sequenzen  verarbeitet,  die  auOer- 
ordentlich  rQstig  klingen  und  diesen  Eindrack  darch 
Nachahmnngen  zwischen  Bfissen  und  Violinen  verdoppeln. 
Die  Stelle  ist  unter  den  Bildern  gesunder  Kraft,  an  denen 
die  Sinfonie  reich  ist  eins  der  machtigsten.  Doch  schliefit 
Brahms  die  Themengruppe  nicht  mit  ihr,  sondern  kehrt 
iiberraschend  zum  zweiten  Thema  znrttck.  Mit  neuen 
Ornamenten,  Fldtentrillern  Uber  a  gia  a  dentet  es  gleich 
vom  Einsatz  ab  auf  das  Hauptthen\a  bin  nnd  leitet  bald 
za  ihm  zartkck. 

Die  Dnrchfiihrung  beginnt  sehr  frenndlich  mit  dem 
Hauptthema  in  Fdur,  also  in  die  F&rbung  der  Feme 
gewendet.  Vom  zweiten  Einsatz  ab  treten  erregte  Bil- 
dungen  fkber  den  dritten  Takt  der  Hornmelodie  in  den 
Vordergrund,  der  Charakter  der  thematischen  Ableitungen 
wird  zusebends  streitbarer,  Streicher  und  Bl&ser  stellen 
sich  gegeneinander,  in  den  Posaunen  kommt  das  Drei- 
notenmotiv  in  unheimlichen  EugfUhrungen,  in  den  Har- 
monien  wtihlt  es,  im  Rhythmus  wechselt  Rube  und  Be- 
stUrzung  fieberhaft,  dicht  aneinander  stellen  die  Geigen 
in  den  hohen  Saiten  eine  Achtel-  und  eine  Viertelform 
des  Dreinotenmotivs.  Da  kommt  endlich  die  Stimmungs- 
krisis  mit  einem  leidenschaftlichen  Aufschrei  sUmtlicher 
Bl&ser  auf  dem  immer,  bald  langsam,  bald  schnell  wieder- 
holten  k  d  (dem  Einsatzmotiv  der  Hornmelodie)  zur  L5- 
sung.  Ihr  folgen  Augenblicke  der  Resignation,  das  muntre 
Thema,  das  am  Schlusse  der  Einleitung  die  Violinen 
einsetzten,  kommt  mehrmals  in  Moll,  dann  entfacht  sich 
Qber  einem  Orgelpunkt  (auf  A)  der  Sturm  der  Gefiihle 
vom  neuen,  die  empdrten  Leidenschaften  nehmen  wilde 
Formen  an.  Da  zwingt  Brahms  mit  gewaltiger  Willens- 
macht  und  mit  einem    einzigen  kurzen   Griff  die  ent- 


-<(^    748    ^>- 

fesselten  Elemente  ins  naturliche  Gehege  mil  energischen, 
immer  wiederholten  Intonationen  des  Terzenmotivs  za- 
rtlck,  aber  jetzt  nicht  in  Mollform,  sondern  mil  fa*  Mit  der 
Durtonart  ist  auch  fester  Boden  gewonnen,  und  bald  be- 
ginnt  der  dritle  Teil  des  Satzes,  die  Reprise.  Er  ist  der 
schdnste  des  ganzen  Satzes  geworden,  dorch  die  Coda, 
die  ihm  Bahms  anfdgte.  Das  Hornsolo,  das  sie  trftume- 
risch  z5gemd  and  suchend  beginnt  und  dann  mit  rezita- 
tivischer  Freiheit  und  Macht  in  T5nen  tiefster  Klage, 
edelster  Resignation  endet, .ist  eine  Erfindung  von  un- 
mittelbarer  Eingebung.  Die  Violinen  bleiben  noch  eine 
Weile  mit  w&rmstem  Ausdruck  in  diesem  Kreise,  dann 
aber  repetieren  sie  mit  den  HoIzblSsern,  immer  in  An- 
lehnung  an  das  Motto  der  Kontrab&sse,  die  einen  den 
andren  einhelfend,  pjzzicato  die  Streicher,  staccato  die 
Bl&ser,  nochmals  in  KQrze  alles  das  Freundlichste  und 
Anmutigste,  was  ihnen  auf  der  vorhergegangnen  langen 
Wanderung  begegnet  ist.  Dieser  SchluG,  der  den  Ein- 
druck  des  Satzes  kront,  geh5rt  zu  den  schonsten  Ton- 
bildern,  mit  denen  Brahms  die  Musik  bereichert  hat. 

Der  zweite  Satz  der  Sinfonie  (Adagio  non  troppo, 
Hdur,  0)  stellt  mit  seinem  Anfang 

^.^^  den  im  ersten  ange]5st  gebliebenen  Rest 

Trl  ^/r'nlf  pessimistischer  Elemente  gesteigert  und 
Y  „g,  verscharft  in  den  Vordergrund.  Die  Me- 
lodie  ist  in  ihrem  weiten  freien  Wurf  auOerordentlich 
8Ch5n,  in  dem  Suchen  nach  einem  Ausweg  aus  dem 
TrUbsinn,  in  dem  Kampf  gegen  Verwirrung  und  Fassungs- 
losigkeit  auOerordentlich  charakteristisch.  Ihren  schwer- 
mtitigen  Bhcken  begegnet  endlich  ein  freundliches  Bild, 
welches  die  Phantasie  in  die  Jugendzeit,  in  die  glUcklicben 
Tage  von  Spiel  und  anmutigem  Tanz  zurQckfiihren  will: 

•'  j»  Met  '       -*=:  ^=*-  ==S^ 


749 


Bin  dritter  Teil,  gefOhrt  von  dem  Thema: 


irujn^^riT  I 


pvevf 


das  uns^den  freundlichen  Einsatz  der  HolzblSser  im  ersten 
Satz  in  dtistrer,  diabolischer  Umbildung  zeigt,  steigert  die 
triibe  Stimxnung  bis  zu  einem  leidenschaftlichen  Grade, 
und  es  kommt  zu  hochst  erregten  Ausbruchen  des  Pessi- 
mismus,  bis  hereinklingende  Grabest5ne  (Posaunen)  zur 
Besonnenheit ,  zur  Resignation  und  zum  ersten  Thema 
zuriickrufen,  das  nun,  nach  den  Mrilden  und  schrecklichen 
Momenten  der  Durchfuhrung,  trotz  seines  Ernstes  und 
seiner  Scbwermut  wie  ein  Balsam  wirkt.  In  die  Reprise 
spielen  kosende  Triolen  hinein,  aber  gleichwohl  spricht 
immer  in  kurzen  Wendungen  und  miihsam  unterdruckt 
ein  tiefer  Schmerz  mit.  Das  zweite  Thema  mit  seinem 
lieblichen  12/8  Takt  kehrt  nicht  wieder. 

Der  dritte  Satz  der  Sinfonie,  der  als  Allegretto  gra- 
zioso  bezeichnet  ist,  aber  sich  aus  verscliiednen  gegen- 
satzlichen  Tempis  zusammensetzt,  ist  schnell  der  belieb- 
teste,  ist  ihr  da  capo-Satz  geworden.  Er  gehort  genau 
wie  der  Menuett  in  der  D  dur-Serenade  von  Brahms,  wie 
der  Walzer  in  Volkmanns  F dur-Serenade  zu  den  besten 
Nachbildungen  alten  Stils  und  trifft,  namentlich  im  Haupt- 
satz  mit  der  sparlichen  Blllserbesetzung,  um  die  das  Cello 
drollig  gravitatisch  und  gleichmaOig  herumpendelt,  den 
naiven  herzigen  Ton  der  alten  Suitenmusik  schlagend, 
ohne  die  Zeit  seiner  Entstehung  ganz  zu  verleugnen.  Das 
Hauptthema  des  Satzes 


An«;T«tto  graxtos^ 


I      .  .    -j —   das  mit  einer  Umkehrung  des  bekannten 
^  J  j  I J  qF=  Dreinotenmotivs  beginnt,  endet  mit  roman- 


tischen  Ausweichungen ,  die  an  Franz  Schubert  erinnem. 

Die  schlicht  anmutige  Melodie  ist  mit  einer  gleichen 

Einfachheit  harmonisiert  und  instrumentiert.    Der  Seiten- 


750 


satz,    im    wesentlichen   lediglich    eine    rhythmische   Um- 


bildung  je- 
nes  Haupt- 
themas : 


Presto. 


wird  noch  durch  ein 
sehr  wuchtiges  Ne- 
benthema       verstfirkt : 


In  ihm,  wie  in  dem  die  Stelle  des  Trio  vertrelenden 
3/g  Takte 


Presto. 

>■ 


B]8»er 


r  Viol 

ist  der  Humor  in  die  Form  en  der  ungarischen  Musik  ge- 
kleidet. 

Das  Finale  der  Sinfonie  (Allegro  con  spirito,  D  dur,  (^) 
erinnert  an  die  schillernden  Farben  der  Chenibinischen 
Roman tik,  sein  Geist  ist  der  luslige,  lebenspriihende  der 
Haydnschen  Sinfonie.  Im  Stil  dieses  Meisters  setzt  auch 
das  phantastische  flotte  Hauptthema  —  an  der  Spitze  das 
Dreinotenmotiv  — 

Alleg^ro  con  spirito^ 


^-f  r  r  ir  f  fT-ifrr^rrriTi 


^friujWxm 


im  spannenden  piano  ein,  dem 
nach  einem  frappanten  Uber- 
gang    das    rauschende   Forte 
folgt.    Das  erste  Seitenthema  ist  folgendes: 


* 


^ 


I 


I 


^ 


\ 


Die  behagliche  Wirkung  des  zweiten  Themas: 


act. 


i^ii"JiJ'jjjiijjJiJjjjijJ,iJ!Tiii^i 


rfjc 


erhalt   in    einer  Reihe    von    Seitengedanken, 
^  f%  l^rj  patriarchalisch  kraftig  die  einen,  in  losen  Ach- 


^    telfiguren   tUndelnd  die  anderen,   nachdruck- 


--♦     751    ^>- 

liche  Unterstiitzung.    Die  traulich  schwarmerische  Episode 
derDurchfiih-  risi* 


das     Thema:  ^ioi. 

entwickelt,  soil  dem  »Waldweben  und  den  Waldesschatten 
in  den  Taunusgrunden*  gelten*).  Also  eine  weitere  kon- 
kurrierende  Landschaft! 

Auch  dieses  Thema  filngt  wieder  mit  dem  General- 
motiv  der  Sinfonie  an. 

Der  Reprise  folgt  eine  Coda,  die  mit  dem  zweiten 
Thema  in  Moll  tief  unten  in  den  Posaunen  einsetzt.  Es 
dunkelt  nochmals  stark.  Schnell  wendet  aber  der  Kom- 
ponist  die  Motive  ins  Helle  und  schlieOt  sturmisch  freudig. 
An  Tiefe  der  Wirkung  bleibt  jedoch  dieser  SchluB  hinter 
der  Coda  des  ersten  Satzes  zuriick. 

Die  dritte  Sinfonie  von  Brahms  (Fdur),  welche  bei     J. BrikMi, 
ihrer  ersten  Wiener  Auffuhrung  (2.  Dezember  1883)  von  Sinfomd  Nr.  8 
Hans  Richter  nicht  libel  als  die  heroische  Sinfonie   des       ^     "'* 
Meisters  begriifit  wurde,  zeichnet  das  Bild  einer  Kraftnatur, 
die  triibe  Gedanken  und  sinnliche  Lockungen  gleich  ent- 
schieden   abwehrt.    In   der  Darstellung   dieses   Vorwurfs 
verfahrt  sie  aber  insofern  ungewohnUch,  als  die  Stelle  der 
Konflikte  am  Ende  der  Komposition  liegt. 

Im  Stil  unterscheidet  sie  sioh  von  ihren  Vorgange- 
rinnen  durch  Scharfe  und  ftuCerste  Klarheit  der  Gliederung 
und  dadurch,  daB  sie  sich  von  der  Beethovenschen  Methode 
der  Satzdisposition  entfernt,  indem  sie  den  Schwerpunkt 
der  Komposition  aus  der  Durchfiihrungspartie  in  die  The- 
mengruppe,  aus  der  Ausarbeitung  und  kunstvoUen  Weiter- 
fiihrung  in  das  Gebiet  der  ersten  Erfindung  zuriicklegt. 

Den  ersten  Satz  leitet  ein  kurzes  Praludium  von  zwei 
Takten  ein,  des-  Allegro  con  brio.  f^r  diese  dritte  Sin- 
sen  knappes  me-  4  ^  It  J.  I  1*^^-  ^  ^=  ^^^^^  innnerlich  und 
lodisches  Motiv  ff  ■  y^^  '1  '^=  ^uBerlich  ahnlich 
wichtig  ist,  wie  es  fur  die  C  moll-Sinfonie  das  chromatische 


*)  Minna  Spies:  Hermine  Spies,  1905  (S.  94). 


752 


Motto :  e^eis-d,  fUr  die  zweite  Sinfonie  das  Motiv  d  eis  d 
war.  Es  durchzieht  als  das  eigentliche  Heldenmotiv  in 
teilweise  slaOerst  kuhnen  und  bedeutenden  Verwand- 
lungen  samtliche  Satze  der  Sinfonie,  hier  warnend  und 
trotzend,  dort  weekend  und  anfeuernd.  Nicht  umsonst 
steht  es  so  herausfordemd ,  so  damonisch  an  der  Spitze 
des  ersten  Satzes,  es  beherrscht  ihn,  und  unter  seinen 
224  Takten  linden  sich  hochstens  60,  in  denen  das  Motto 
nicht  vorkommt.  Allerdings  erscheint  es  in  den  mannig- 
fachsten  Verwandlungen :  als  Stimme  des  Triumphes,  des 
Kampfes,  des  Spiels  und  Scherzes,  der  Ruhe  und  des 
Friedens.  Wie  es  den  verschiedensten  Zwecken  des  Aus- 
drucks  dient,  1^6t  es  sich  ebenso  viele  Umgestaltungen 
gefallen.  Bald  ist  es  Ober-,  bald  Mittel-,  bald  BaBstimme, 
bald  thematisch,  bald  nur  ornamental  verwendet. 

Das  Hauptthema  des  ersten  Satzes,  das  kampfeslustig 
bald  aus  Dur,  bald  aus  Moll  blitzt  und  im  raschen  Wechsel 
von  Ruhe  und  knapper  Bewegung,  in  seinen  groOen 
Schritten  und  seinem  langen  Gang  eine  ungewohnliche 
Energie  vorspiegelt: 

Allegro  con  brio.  . 


'^'    ^    ^     it  U  t 

ist  im  Grunde,  genau  so  wie  an  der  entsprechenden  Stelle 
der  ersten  Sinfonie,  nur  ein  Kontrapunkt  zu  dem  Grund- 
und  Generalmotiv  der  Sinfonie. 

Das  im  unmittelbaren  AnschluO  folgende  Seitenthema : 


gehort  zu  jenen  zahlreichen  Episoden  des  Satzes,  die  mit 
zarten  Regungen  die  kr&ftigen  herkulischen  Elemente  der 


-^    753    «^ 

Komposition  einzuschlummern  suchen.  Aber  vergeblich: 
es  folgen  ihnen  immer  nur  kiilinere  Aufierungen  des 
starken  Muts.  Die  verfuhrerischste  in  dieser  Gruppe  von 
Dalilahgestalten  ist  das  zweite  Thema: 


jf  Civ.  Jfy 

■  ,,,.,,_    .  das  seinen  Gegensatz  zum  Haupt- 

E^j-JjtjJ  I^^^'t*^^^^  thema    noch    durch    Kolorit   und 
'  "  *=  =-"  Tonart  sehr  intei:essant,  exotisch 

dampft :  A  dur,  Klarinettenton,  eine  fast  verwirrende  Rhyth- 
mik  und  eine  Begleitung  wie  in  orientalischer  Volksmusik. 
Schon  im  Nachsatz  verwandelt  sich  das  Thema,  aus  e^fis 
ffis  wird  cis  his  ctSf  aus  dem  sinnlichen  TrS,umen  und 
Schwelgen  rafft  sich  die  Stimmung  zur  Kraft  und  Ent- 
schiedenheit  auf,  und  es  kommt  nun  zu  einem  kleinen  Kampf 
zwischen  den  harteren  und  den  weichen  Regungen,  bei 
der  die  ersteren  am  SchluC  der  Themengruppe  siegen.  An 
ihn  und  an  die  kurzen,  aus  dem  Motto  entwickelten  Ton- 
gSnge  —  W'f  I  fl^  u.  a.  —  die  wie  Schwertstreiche  klingen, 
kniipft  die  Durchfuhrung  an  und  entwickelt  aus  ihnen  in 
KUrze  mit  kecken  Modulationen  ein  Bild  tiberschaum^nder 
Jugendkraft.  Ganz  unversehens  tritt  da  das  zweite  Thema 
herein,  aber  es  ist  hier  ganz  anders  gemeint  als  in  der 
Themengruppe:  es  kommt  in  Cellis  und  Bratschen  tief  unten, 
es  kommt  in  Moll  grollend,  grimmig  abweisend,  hoch  erregt, 
mit  Zusfiltzen,  die  es  verzerren  und  verhohnen,  es  wird 
mit  einem  schlieClich  komischen  Eifer  abgelehntund  zuriick- 
gewiesen.  Sein  Nachsatz  dagegen,  das  cis  his  \  cis^  findet 
eine  gute  Statt  und  beschwichtigt  die  Aufregung.  Nachdem 
es  sich  mit  g  fis  \  g  nach  Dur  gewendet  hat,  wird  es  auf 
einmal  ruhig  und  still,  und  das  Horn  kommt  mit  dem  Motto 
in  der  Gestalt  gb  \  g,  auf  jeder  Note  einen  vollen  Takt  ver- 
weilend,  das  Motiv  zur  Melodie  erweiternd.  Die  Stelle 
wirkt  wie  ein  Mondaufgang  nach  Sturm  und  ist  fiir  die 
besondere  Kunst,  die  Bralims  im  Glatten  der  Wogen  be- 
sitzt,  eine  der  bedeutendsten  Proben.  In  dem  gleichen 
Ton  geht  es  nun  weiter,  auch  das  Hauptthema  kommt 

KretzBchmar,  Ffthrer.    I,  1.  48 


754 


jetzt  ganz  in  Sanftraut  gehiillt  und  im  Charakier  des 
Einschlummerns  und  Traumens.  Die  Musik  will  in  eine 
hohere  Art  von  Notturno  iibergehen.  Da  kommt  aber  das 
Motto  wieder :  laut,  von  energischen  Akzenten  der  Streicher 
gehoben,  setzt  es  in  den  Blasern  ein  wie  ein  »Halt,  zu  friih!« 
Mit  dieser  Wendung  ist  die  Durchfuhrung  zu  Ende  und 
die  Reprise  innerlich  begriindet.  Sie  verlauft  grSfitenteils 
als  wortliche  Wiederholung,  in  der  Coda  aber  wird  das 
Hauptthema  auf  ein  erh5htes  Podium  gestellt  und  spricht 
seine  Kraft  jauchzend  aus.  Dann  aber  lenkt  Brahms  aber- 
mals  und  wiederum  bezaubernd  sch6n  zur  Ruhe  hiniiber. 
Ganz  wie  im  ersten  Satz  von  Beethovens  Achter  wird  mit 
einem  letzten  leisen  Zitat  des  Anfangs  des  Hauptthemas 
geschlossen. 

Das  Andante  der  Sinfonie  (Cdur,  (J^)  ist  eine  schlichte, 
fromm  gestimmte  Pichtung,  eine  Komposition,  welche  in 
ihrem  einfachen  Ausdruck  seelischen  Friedens,  in  ihrer  in 
sich  geschlossenen ,  einheitlichen  und  leidenschaftslosen 
Haltung  kaum  einem  Seitenstiick  in  der  neueren  Sinfonie 
seit  Beethoven  begegnet.  Der  Held  ruht  hier  und  traumt 
von  der  Kinderzeit  und  vom  besseren  Leben  uber  den 

« 

Stemen.  Der  groBte  Teil  des  Satzes  stiitzt  sich  auf  daa 
Thema: 


Andante. 


i»ciB?: 


f    f 

Brattchen 


welches  in  einer  Reihe  freier  Variationen  durchgefiihrt  wird, 
die  an  seinem  Charakter  wenig  andern,  aber  im  Kolorit 
den  herrlichsten  Wechsel  bieten.  Nur  auf  einen  Moment 
tritt  ein  klagender  Ton  ein  mit 


F  CUr.  mit  Fag.  in  6va 


Diese  als  Ahnung  gedachte  Melodic,  welche  fonnell  die 
Stelle  des  zweiten  Thema  einnimmt,  wird  aber  hier  nicht 
weiter  benutzt,  sondem  sie  kommt  erst  im  Finale  der 


-^    755    0— 

Sinfonie  zur  Geltung.  Nur  ihr  Naclisalz,  der  in  ein  mysti- 
sches  Spiel  mit  weichen  Dissonanzen  auslauft,  kehrt  am 
Ende  des  Satzes  noch  einmal  zurtick.  Das  dreinolige 
Heldenmotiv  bringen  versleckt,  aber  bedeutungsvoU  erst 
die  Bratschen,  spater  die  Posaunen. 

Vom  dritten  Satze  an  (Poco  Allegretto,  Cmoll,  Vh) 
wird  der  Charakter  der  Sinfonie  triiber.  Sein  Hauptthema, 
welches  ein  wenig  zu  der  Weise  Spohrs  hinneigt 

Poco  AUemtJo. 


CeUi 

gibt  das  Bild  eines  anmutigen  Reigens  wie  aus  dem 
Spiegel  einer  schonen  Vergangenheit,  und  die  Stelle  des 
Hauptsatzes,  wo  die  Mu-  ..-v  u.  der  Celli  leitet 

sik  ihren  hSchsten  Reiz  =jk==^jJXe^E  ^^®  ®^^  ~»  ^^* 
entfaltet    —    das    Motiv  •^    «»  in    der    Farbe 

der  Erinnerung  und  des  Traumes  gehalten.  An  der 
Stelle  des  Trio  steht  ein  Mittelsatz  (in  As),  weichen  die 
Blaser  mit  dem  Ton  j  ^j,^^  ,^ 
der  Bitte  und  der  V'^\  _ 
Resignation     fiillen  "^  'ip 

Er  schlieBt  mit  einer  Wendung,  die,  an  eine  Stelle  im  An- 
dante von  Beethovens  Fiinfter  erinnernd,  Klage  und  Hoff- 
nung  sehr  herzbewegend  mischt.  Uberall  haust  auch  in 
diesem  Allegretto  das  Motto  der  Sinfonie,  mit  seiner  kleinen 
Terz  beginnt  das  Hauptthema,  in  der  Form  es  ges  \'g  durch- 
zieht  es  die  Begleitungsstimme. 

DaB  dieser  dritte  Satz  nicht  ein  feuriges  Scherzo  ge- 
worden  ist,  hat,  ahnlich  wie  in  der  ersten  Sinfonie  von 
Brahms,  seinen  Grund  in  dem  poetischen  Generalplan  der 
Sinfonie.  Er  soil  den  tibergang  zu  dem  leidenschaftlieh 
und  oft  finster  erregten  Finale  (Allegro,  EmoU,  C)  ver- 
mitteln.  Letz teres  bildet  den  Schwerpunkt  des  Werkes. 
Das  heroische  Element  der  Sinfonie  hat  hier  die  Probe 
gegen  harte  und  unfreundliche  Gegner  zu  bestehen.  Diister 
phantastisch  beginnt  der  Satz:  huschende  Figuren,  dann 
ein  Anhalten  und  ganzlicher  Stillstand  der  rhythmischen 
Bewegung : 

48* 


756 


"'   •      Attegro. 


m 


£ 


Jdlill 


JJiTU*i^^ 


^y;.  ^''- A-^-  ^>!ij^^JAJuL^ 


Noch  beklommener  und  unheimlicher  wird  der  Ton 
mit  dem  Eintritt  der  Posaunen  und  dem  verschleierten 
Tliema,  das  aus  dem 

zweilen   Satze  der   ^'  -^ a    'a 

Sinfonie     stammt:  ^^f     f 

Gleich  darauf  bricht  der  gespannte  Bogen  und  die 
Situation  nimmt  einen  ausgesprochenen  Kampfescharakter 
an.  Wild  und  trotzig  fahren  die  Violinen  herein  mit  dem 
ebenso  wie  das  Hauptthema  aus  dem  Motto  entwickelten 


3P.nr.nif>nr.ri|f  ^f  ff  ^f  f|f  ff  f  | 

cie. 

die  Celli  singen  siegesfreudig : 


In  der  Durchfuhrung  dieser  Konfliktsperiode  fmden 
sich  mehrere  Kulminationspunkte  —  einer  der  hochsten 
ist  da,  wo  das  Thema  b  im  starksten  Klange  den  fana- 
tischen  Figuren  der  Violinen  entgegengestellt  wird.  Ein 
merkwiirdig  bedeutungsvoller  Einspruch  des  Fagotts  be- 
schwichtigt  die  brandenden  Wogcn.  Die  Komposition  lenkt 
in  ein  sostenuto  iiber,  dem  die  Schonheit  des  Regenbogen- 
himmels  eigen  ist.  Die  diisteren  Themen  a  und  b  strahlen 
jelzt  Ruhe  und  Frieden  aus,  und  wie  eine  verklSrte  Er- 
scheinung  zeigt  sich  an  der  Ausgangsschwelle  der  Sinfonie 
noch  einmal  das  heroische  Thema  ihres  ersten  Satzes 


— ♦     757    ^^ 

Die  V i er t e  Sinfonie  (op. 98),  die  im  Jahre  1885  voUendet,  J.  Brahiis, 
aber  erst  zwei  Jahre  spjiter,  nach  den  Auffiihrungen  in  Sinfonie  Nr.  4 
Meiningen  und  Wien  veroffentlicht  wurde,  hebt  sich  von  (*'°*o")- 
ihren  Schwestern  scharf  ab  durch  zwei  eigene  Ziige.  Erstens 
ist  sie  die  schwermiitigste,  zweilens  die  an  altertiimlichen 
Wendungen  reichste.  Die  Schwermut,  die  nur  in  wenigen 
Werken  von  Brahms  ganz  fehlt,  ist  hier  Grundstimmung, 
das  archaistische  Element  aber,  das  in  den  vorhergehenden 
Sinfonien  sich  im  Ersatz  des  Scherzos  durch  L^ndler- 
und  Menettformen,  sonst  nur  beilSufig  fiuCert,  durchdrSngt 
die  vierte  Sinfonie  bis  tief  in  die  Natur  ihrer  Sprache  und 
Grammatik  hinein.  Ahnlich  wie  es  Freytag  und  Schefifel 
getan  haben,  weckt  hier  Brahms  Tone  und  Wendungen 
vergangener  Jahrhunderte  wieder  auf.  Dieser  Umstand 
hat  tiefere  Bedeutung  und  ist  der  Schliissel  zum  Ver- 
stSndnis  des  Werkes.  Die  Sinfonie  gehort  dem  Kreis  sub- 
jektiver  Tondichtungen,  in  dem  sich  mit  der  Beethoven- 
schen  Schule  auch  die  drei  ersten  Sinfonien  von  Brahms 
bewegen,  nur  halb  an,  zum  andern  Teil  ist  sie  Programm- 
musik  in  der  Art  von  Mendelssohns  A  moU-Sinfonie  oder 
wie  Gades  erste  Sinfonie.  Letzterer  nShert  sie  sich  un- 
mittelbar,  sie  teilt  mit  ihr  den  Balladenton  der  wichtigsten 
Themen,  sie  erz^It  zuweilen  begeistert  und  lebendig  auf- 
flammend,  vorherrschend  aber  wehmiitig  und  ergriffen 
von  alten  Zeiten  und  von  dahingesunkenen  Geschlechtern. 
Sie  ist  ein  groBes  Herbstbild,  ein  geschichtUch  stilisiertes 
Lied  von  der  Verganglichkeit,  eine  Kom  position  iiber  das 
Thema  der  menschhchen  Nichtigkeit,  das  Brahms  zu  be- 
trachten  so  wenig  miide  wurde  wie  vordem  Sebastian  Bach. 
Den  Vortrag  teilt  Brahms  in  Bilder  upd  Betrachtungen, 
aber  in  episch  freier  Mischung. 

Der  erste  Satz  f Allegro  non  troppo,  (^,  Emoll)  setzt 
ohne  weiteres  mit  dem  Hauptthema: 

Allegro  non  assal. 


^ , » jTr--rHH^  i nr  t »n^  i-ft-f-fi^A 


^tfefe 


758 


I  Ij.jm2Q  'I 


ein.  Es  ist  eine  sehr  lange  Melodie,  die  ungeiahr  an  »0 
wiifit  ich  doch  den  Weg  zuruck«  erinnert,  und  deren  be- 
wolkter  Horizont  sich  zuweilen  etwas  aufhellt,  um  dann 
einen  noch  triiberen  Charakler,  oft  einen  ^chmerzlichen 
Akzent  anzunehmen.  Sie  wird  sofort  wiederholt,  aber  mit 
bewegteren  Rhythmen  und  durch  Begleilungsfiguren  be- 
lebt.  Die  Phantasie  erwacht  und  schaut  staunend  in  der 
Zeiten  Tiefe.  Das  bedeutendste  Gesicht,  das  sie  von  da 
holt,  ist  das  Thema: 


-|j;/r>iii3iMf>iH^irii|iili;'^^'^-iT- 


Es  wird  sofort  von  den  Cellis  in  einer  Melodie  begriiBt, 
die  zu  den  innigsten  und  schonsten  der  ganzen  Sinfonie 
gehort,  und  kehrt  nach  ihr  wieder,  um  forUn  die  Themen- 
gruppe  zu  beherrschen.  Bald  kraftig  und  gebietend,  bald 
kosend  und  zartlich,  neckisch  und  Heimlich ,  bald  fern, 
bald  nah,  bald  eilig,  bald  sich  ruhig  ausbreitend,  —  kommt 
es  auch  im  weitern  Verlauf  des  Satzes  haufig  wieder  und 
kommt  stets  willkommen,  bringt  Freude  mit  und  gibt  dem 
Gang  des  Satzes  einen  dramatischen  Schwung.  Es  ist  das 
Ritterthema  der  Sinfonie,  das  Thema  der  alten  Zeit,  und 
durchzieht  deshalb  mit  dem  tfbergang  vom  ersten  zum 
zweiten  Takt  als  Generalmotiv  —  in  etwas  schwierig  er- 
kennbaren  Umbildungen  —  auch  den  zweiten  und  dritten 
Satz.  Auch  bier,  wie  im  Eingangssatz  der  dritten  Sinfonie, 
ist  der  Durchfiihrungsteil  sehr  knapp  gehalten  und  be- 
scheidet  sich  im  wesentlichen  damit,  die  elegischen  Ele- 
mente  der  Dichtung  etwas  starker  auszusprechen.  Trotz 
dieser  Kurze  ist  aber  der  Eindruck  der  Durchfiihrung  sehr 
groB.  Das  macht  die  Gewalt  des  Ausdrucks  in  ihrem 
SchluCabschnitt,  der  in  Jammerlauten,  die  dem  neunten 
Takt  des  Hauptthemas  abgewonnen  sind,  eine  Seele  zeigt, 
die  aus  der  Betriibnis  keinen  Ausweg  weifi.  Sehr  lebens- 
wahr  kniipft  dann  die  Reprise  an:  die  vier  ersten  Nolen 


-^    769    ♦— 

des  Hauptthemas  singen  jetzt  in  breiten  Tonen  dahin,  der 
Tranenstrom  fliefit,  das  Herz  spricht  sich  aus. 

Der  zweite  Satz  (Andante  moderate,  E  dur,  o/a)  ist  eine 
Art  Romanze  mit  folgendem  Hauptthema: 

Andante  moderato. 


Es  wild  von  einem  kurzen  Hornsatz 
eingeleitet,  der  mit  f  und  g,  mit  e  und  d 
die  phrygische  Tonart  feststellt  und  damit  keinen  Zweifel 
daruber  lafit,  daB  die  Phantasie  sich  in  weite  Yergangen- 
heit  versetzen  soil.  Es  sind  im  wesentlichen  die  Ritterbilder 
des  ersten  Satzes,  die  noch  einmal  kurz  zusammengedr&ngt 
und  im  Ton  des  Berichts  an  uns  voriiberziehen.  In  der  Mitte 
des  Satzes,  da  wo  dieTriolen  einsetzen,  streift  aber  dieMusik 
den  neutralen  Erzahlerton  ab,  zeigt  freudigen  Anteil,  Be- 
geisterung  und  bricht  in  herzenswarmes  Wehklagen  aus. 
Der  dritte  Sata  (Presto  giocoso,  Cdur,  8/4)  ist  von  dem 
anmutigen  beschaulichen  LUndlerton,  den  Brahms  in  den 
friiheren  Sinfonien  an  dieser  Stelle  eingefiihrt  hat,  weit 
entfernt,  er  birgt  im  Tempo  der  Beethovenschen  Scherzi 
einen  dfimonischen  Charakter.  Der  Komponist  hat  in 
diesem  Satze  den  Widerspruch,  um  den  sich  seine  vierte 
Sinfonie  bewegt,  die  Frage :  sollen  wir  um  die  Vergangen- 
heit  trauern  oder  uns  ihrer  Schonheit  freuen,  mit  der  Ab- 
sicht  aufgenommen,  im  letztem  Sinn  zu  entscheiden,  er 
will  Bilder  geben,  die  von  Kraft  und  Leben  schaumen, 
aber  alle  Augenblicke  tiberfallen  ihn  auch  hier  kurz 
und  erschreckend  Naniengedanken ,  die  Heiterkeit  dieses 
Allegro  giocoso  wird  immer  wiedef  von  schauerlichen 
Regungen  gestreift.  Sie  fallen  gleich  ins  Hauptthema: 
-  ^^  ^  mit  dem  dumpfen, 

Tr  r  l^lJrTf  r  l    .  1  .     tlefen    Schlufiak- 


^   ■"     •         '      --   ■'    ■       J--^    kord,    der    direkt 

J5l*^ —  aus  den  Klavier- 
balladen  des  op.  10,  einem  der  bedeutendsten  Jugend- 
werke  von  Brahms  stammt.  Sein  stiirmisches  Wesen 
bringt   die  Ritterbilder  des    ersten  Satzes  wieder  in  Er- 


-^    760    4>— 

innerung,  und  nach'einigen  Versuchen  in  Ruhe  und  Frie- 

den       einzu-  p_^,„ 

lenken,   stent     ^  b    k  4f-^-^_f-A~tt^^,—.  i  r  #  ,  ii  i   I 
mit  dem zwei-  -fr-*^L,L:irr  I  Ijj  p  I  ^^i  j'  l||^i 

ten     Thema:  P 

ein  direkter  SproCling  jenes  Ritterthemas  vor  uns;  der 
MollschluB  taucht  ihn  entschieden  in  die  Farben  des  Alter- 
tums  und  der  Klage.  Die  Fortsetzung  wird  gar  von  den 
Motiven  des  Hauptthemas  des  ersten  Satzes  begleitet. 

Mit  den  beiden  hier  gegebenen  Notenbeispielen  ist  das 
thematische  Material  des  Satzes  erschopft,  es  wird  nun 
variiert  und  wiederholt,  aber  auCerordentlich  frei  und  mit 
immer  neuem  Ertrag  fur  die  Darstellung  des  Stimmungs- 
gegensatzes.  Die  Musik  jauchzt ,  sie  schreit  schmerzlich 
auf,  stohnt,  sinnt  liebevoll  vor  sich  bin  und  versinkt  in 
Briiten  und  Schweigen.  Aber  nirgends  ist  Naturalismus 
und  Willkiir  da,  immer  streng  gebundne  Kunst;  kein  Takt, 
der  nicht  tbematisch  begriindet  ware. 

Der  SchluBsatz  (Allegro  energico"  e  passionato,  8/^, 
Emoll)  ist  eine  sogenannte  Ciaconna,  ein  Gewinde  von 
Variationen  fiber  einen  immer  ganz  oder  ziemlich  unver- 
andert  bleibenden  und  knappen  Cantus  firmus.  Brabms 
ist  der  GroCmeister  der  Variationskunst,  sow^eit  sie  ge- 
schichtlich  iiberblickt  werden  kann,  sein  Glanzstuck  in 
dieser  Kunst  hat  er  in  diesem  letzten  Sinfoniesatz,  den  er 
geschrieben,  niedergelegt,  und  er,  der  Bescheidne,  war  selbst 
auf  diesen  Satz  stolz.  Er  zeichnet  sich  als  Variations- 
arbeit  durch  den  Verzicht  auf  alle  Zwischensfitze  aus: 
dreiCigmal  kehrt  der  Cantus  firmus  wieder,  und  immer 
kniipft  sich  an  den  Endton  sofort  wieder  der  Anfangston. 
Dariiber  hinaus  aber  hat  Brahms  seine  Variationen  in  die 
Form  des  Sonatensatzes  gezwangt,  und  drittens  endlich 
hat  er  alle  diese  Kunstiicke  der  poetischen  Grundidee  der 
Sinfonie  voUstMndig  untergeordnet.  Auch  die  Horer,  die 
von  Variation  und  Sonate  nichts  merken  soUten,  sind  von 
dem  tiefernsten  Ton  ergriffen,  mit  dem  dieses  Finale  die 
Phantasien  und  Betrachtungen  liber  Menschenlos  und  Ver- 
gUnglichkeit  abschliefit. 


761 


Das  Thema  der  Ciaconna: 


wird  zuerst  feierlich  vom  Blaserchor  vorgetragen  und  kehrt 
sofort  als  erste  Variation  im  zagenden  Ton,  fragend  und 
bekloromen,  von  Pausen  durchbrochen,  unter  Paukenwirbel 
wieder.  Dann  setzen  (2.  Variation)  die  HolzblSser,  die  Oboen 
voran,  mit  folgender  ernst  sinnenden  Weise 


Allegro. 


ein.  £s  ist  als  das  Hauptthema  des  Sonatensatzes  zu'be- 
trachten,  kehrt  mehrmals  im  Satz  wieder,  wird  jedoch 
nicht  in  der  iiblichen  Weise  des  Durchfuhrungsschemas 
ausgenutzt.  Die  nachsten  Variationen  fuhren  aus  der  feier- 
lichen  in  eine  erregtere  Stimmung  hiniiber,  mit  der  sie- 
benten  beginnt  eine  Gruppe  heftiger  Affekte,  die  erst  bei 
der  zehnten  und  elften  dem  Ton  der  Ruhe  und  zugleich 
der  Klage  weichen.  Die  Spitze  der  diisteren  Ideengruppe 
bildet  ein  langes  Fiotensolo,  welches,  melodisch  und  rhytli- 
misch  naturgetreu,  das  Bild  eines  haltlosen  Seelenzu- 
standes  entwirft.  Nach  ihm  tritt  eine  iiberraschende  Wen- 
dung  ein:  die  Harmonie  wechselt  plotzlich  nach  Edur,  die 
Rhythmik  wird  breit  und  ruhig,  Klarinette  und  Oboe  be- 
ginnen  trostvoll  und  fromm  zu  singen: 


CUr. 


Clw. 


Ob^ 


i^i-~i->rTTifi  irmn 


die  Posaunen  sprechen  in  der  folgenden   (14.)  Variation 
feierlich  erhabene  Requiemgedanken  aus: 


'■ j^P'fiFT  iff  «p|!f   4}  >f  I 


ifjjji/  i  '^J^N 


r^^ 


in  deren  Sarabanden- 
rhythmus  die  ubrigen 
Bldser  einstimmen. 


-^     762    ^^ 

Die  Komposilion  lenkt  in  das  Gebiet,  wo  Leid  und 
Freude  schweigen  und  das  Menschliche  sich  vor  dem  beugt, 
was  ewig  ist  Brahms  hatte  hier  in  einen  ahnlichen  ver- 
sohnenden  und  schonen  SchluB  einlenken  konnen,  wie  er 
ihn  der  F  dur-Sinfonie  gegeben  hat,  er  hat  es  aber  vorge- 
zogen,  der  pessimistischen  Auifassung,  die  das  Werk  be- 
herrscht,  treu  zu  bleiben.  Nach  einem  Trugschlufi  auf 
leisen  Tonen,  nach  spannender  Pause,  setzt  das  Ciaoonnen- 
thema  wieder  ein,  wie  am  Anfang  des  Satzes,  und  es  be- 
ginnt  die  in  der  Senate  iibliche  Reprise.  Die  Variationen 
17—30  bilden  sie.  Es  ist  aber  wiederum  keine  wortliche 
Wiederholung,  sondern  eine  leidenschaftlich  gesteigerte; 
stellenweise  Mingt  es  wie  Verzweiflung,  wie  ein  gigan* 
tisches  Reifien  und  Riitteln  an  Ketten.  Die  27.  Variation 
ist  mit  den  drohnenden  Hornern,  den  Triolen  und  den 
Generalpausen,  bei  denen  der  Atem  der  mitgebenden  Horer 
stockt,  der  Hohepunkt  dSmonischer  Stimmung.  Nach  ihr 
wirds  milder,  ruhiger,  resigniert,  ja  auch  hoflfnungsvoll. 
In  der  29.  Variation  kommt  im  Kanon  zwischen  Violinen 
und  Bassen  und  in  merkwiirdiger  Umbildung  auch  das 
Hauptthema  des  ersten  Satzes.  Mit  einem  Piu  Allegro 
geht  gleich  drauf  der  Satz  feierlich  zu  Ende,  der  Cantus 
firmus  tritt  noch  einmal  hervor,  ihm  zur  Seite  erscheinen 
ergebungs voile,  aber  auch  harte  und  trotzige  Kontrapunkte, 
die  wie  im  »deutschen  Requiem*  zu  fragen  scheinen: 
>Tod,  wo  ist  dein  Stachel,  HoUe,  wo  ist  dein  Sieg?« 

Eine  eigentliche  Schule  von  Brahms,  die  des  Meisters 
Methode  aufnimmt  und  weiterfiihrt,  hat  sich  bisher  nicht 
gebildet.  Wohl  aber  finden  sich  Komponisten,  die  von 
ihm  stofflich  beriihrt  sind  und  in  seinen  Ideenkreis  ein- 

H.T.Heriogea-  lenken.     Die    Reihe    eroffnet    H.  von    Herzogenberg. 
*wir>         Durch  sein  >Deutsches  Liederspiel*  und  durch  eine  Reihe 

SinfonieCmolI.Lig^gj.  ^jg  auGerordentlich  llebenswiirdiges,  fur  naive  und 
volkstumliche  Musik  besonders  begabtes  Talent  bewfihrt, 
hat  sich  dieser  Tonsetzer  als  Sinfoniker  mit  einer  groBen 
C  moU-Sinfonie  eingefuhrL  Der  erste  Satz  dieser  und  der 
C  moU-Sinfonie  von  Brahms  haben  in  Idee  und  Ausdruck 
eine  grofie  Abnlichkeit.    Selbstandiger  sind  die  balladen- 


— e     763    4>^ 

artige  Einleitung,  welche  in  der  Weise  Gades  den  nor- 
dischen  Ton  anschlagt^  und  das  Scherzo.  In  ilim,  das 
auch  auf  jene  Einleitung  poetisch  sinnvoll  zuriickgreift, 
sind  der  Hauptsatz  und  das  Trio  in  einer  ganz  neuen  Arl 
verbunden:  Die  beiden  Teile  wechseln  gleich  von  Anfang 
ab,  Klausel  fQr  Klausel  im  malerischen  Kontrast.  Das 
Adagio,  in  der  Anlage  dem  von  Brahms  zweiter  Sinfonie 
entsprechend,  darf  sich  eines  tief  melodischen  Zuges 
riihmen;  der  wie  ein  fremdes  Bild  eingeruckte  Mittelsatz 
zeigt  den  Komponisten  von  seiner  Glanzseite  als  volks- 
tumhchen  Spielmanm 

Die  zweite  Sinfonie  v.  Herzogenbergs  (Bdur,  op.  70)  H.T.lierso96B- 
teilt  mit  der  ersten  die  Vorziige  einer  durch  und  durch  r**'*Rj 
edlen  Kunstrichtung.  Sie  iibertrifft  sie  aber  an  originalem 
Farbensinn,  in  der  Freiheit  und  Leichtigkeit  der  Kontra- 
punktik  und  an  SelbsUndigkeit  der  Erfindung.  Die  freund- 
liche  Natur  ihres  pastoralen  und  idylUschen  Stimmungs- 
kreises,  ihre  oft  kostUche  Thematik  wlirden  dieser  zweiten 
Sinfonie  des  Komponisten  eine  grSBere  Verbreitung  sichem, 
ihr  dritter  Satz,  in  der  ein  artiger,  sanfter  Humor  sich  ori- 
ginell  durch  die  Pauke  aufiert,  ist  sogar  eine  Perle  des 
neuen  Serenadenstils,  eines  R.  Volkmann  wiirdig.  Leider 
aber  fliefit  auch  bier  der  Strom  der  Tone  zu  ungleich  im 
Wert  und  viel  zu  breit.  Wie  die  Sinfonien  v.  Herzogenbergs 
veranlassen  auch  die  sein6s  Schtilers,  des  PrinzenHein-  PrlM  KeaB. 
rich  XXIV.  aus  dem  Hause  Reufi  j.  L.,  zu  dem  Bedenken, 
daB  hier  ein  gebomer  Serenadenmeister  einen  Teil  seiner 
Kraft  auf  einem  ungtinstigen  Gebiet  verbraucht  hat.  Zwar 
vermeidet  Prinz  ReuB,  dessen  Kunstbildung  sichtlich  in 
Schumann,  zu  einem  kleineren  Teil  auch  in  Mendelssohn 
wurzelt,  anders  als  seinLehrer,  jedeKonkurrenz  mit  Brahms, 
aber  die  Abschnitte,  wo  er  uberleitet,  entwickelt,  durchfuhrt, 
lassen,  obwohl  sich  auch  hier  von  opus  zu  opus  ein  statt- 
licher,  zwischen  der  vierten  und  sechsten  ein  geradezu  frap- 
panter  Fortschritt  zeigt,  keinen  Zweifel  dariiber,  daB  mehr 
die  Pflicht  als  die  Neigung  gewaltet  hat.  Jedenfalls  sind 
sie  weniger  frisch  und  unmittelbar  als  die  Expositions  teile. 
In  ihnen  verkehrt  man  mit  einem  auBerordentUch  erfreu- 


—*    764    «— 

lichen  tondichterischen  Talent,  reich  an  Humanitat  und 
humaner  Musik  und  eigen  durch  eine  voUendete  Natiir- 
lichkeit.  Sie  &u6ert  sich  in  zahlreichen  Themen  und  Me- 
lodien  von  ausgeprslgter  Jugendlichkeil,  aber  auch  durch 
bemerkenswerte  Selbstfindigkeit  in  der  Behandlung  der 
Form,  deren  Einerlei  der  Komponist  oft  tiberraschend  frei, 
besonders  durch  neue  Tempi,  belebt.  Sicherlich  verdienen 
es  die  Sinfonien  des  Prinzen  gespielt  zu  werden,  denn 
dadurch,  da6  sie  nichts  Besondres  sein  und  sagen  wollen, 
sind  sie  originell  geworden.  Da(3  man  allerdings  in  dieser 
Selbstbescheidenheit  auch  zu  weit  gehen  kann,  zeigen  die 
beiden  Sinfonien  (Cdur,  op.  26,  und  Edur,  op.  28)  von 
J.  H. Fraai.  J.  H.  Franz.  Hinter  beiden  steht  eine  wirkliche  Be- 
gabung,  tiichtiges  Konnen  und  eine  Individualit&t ;  aber 
diese  Vorteile  werden  durch  die  allzugrofie  Sorglosigkeit 
aufs  Spiel  gesetzt,  mit  der  die  thematische  Erfindung 
Sprtiche  feinster  und  eigener  Bildung  in  die  Gesellschaft 
ganz  gewohnlicher  Knittelverse  bringt. 

In   die  Schule  von  Brahms  gehort  weiter  der  bereits 

unter  den  Vertretern  des  Programms  erwShnte  Schweizer 

Haai  Hnber,    HansHuber  mit  seinen  unbetitelten  Sinfonien,  von  denen 

A  dur-Sinfonie.  die  in  Adur  (Nr.  6;  jiingst  die  Presse  verlassen  hat.    Selb- 

stSndig,  frisch  und  gehaltvoll  ist  Huber  in  den  Mittelsatzen. 

W.  Berger,    Noch  tiefer  in  Brahm  s  untergetaucht  istWilhelmBerger, 

Hmoll-Sinfonie.  namentlich  in   seiner  zweiten   Sinfonie  (HmoU,  op.  80), 

deren  erster  Satz  von  den  emp5rten  Geistern  ausgeht,  die 

im  Dmoll-Konzert  des  Meisters  hausen.    Sie  werden  mit 

den  schmeichelnden  Triolen  verscheucht,  die  den  Brahms 

der  Wiener  Zeit  kennzeichnen.    Eigen  bleibt  Berger  die 

Warme,  mit  der  er  sich  seinen  Themen  hingibt,  und  die 

schone,  gediegene  Arbeit.    Sie  gipfelt  in  den  Nachahmun- 

gen   beim   zweiten  Thema.     Beim  zweiten  Satz,  in  dem 

der  Verzweiflung  gewehrt  und  Trost  gesucht  wird,   teilt 

sich  der  EinfluB  von  Brahms  mit  dem  von  Mendelssohn 

und    mit    eigenen,   einfach   herzlichen  Erfindungen  Ber- 

gers;   starker  und  in  lobenswerter  Weise  tritt  er  wieder 

im   dritten  hervor,  wo  der  Komponist  das  iibliche  stiir- 

mische   Scherzo  durch   ein   ruhigeres  Intermezzo  ersetzt 


-<^    765    *^ 

In  ihm  zeichnet  sich  der  das  Trio  vertretende  Mittelte 
durch  den  herzbewegenden  Gharakter  der  Klage  aus.    Die 
Streitbarkeit  des  Finale  hat  wieder  Ziige  von  Brahms. 

Auch  die  C  moU-Sinfonie  (op.  52)  von  Felix  Woy  r  s  c  h  P.  Wojrieli, 
zeigt  Wesens-  und  Ideenverwandtschaft  mil  dem  SchSpfer  C  moU-Sinfonic. 
des  deutschen  Requiems.  Der  trolzige  und  energische 
Brahms  ist  es,  an  den  uns  der  erste  Satz  dieser  Sinfonie 
mil  kleinen  Rhythmen  und  Motiven  des  Hauptthemas  er- 
innert.  Woyrsch  gibt  den  Anregungen  eine  eigene  Form, 
er  stellt  ihnen  schon  im  zweiten  Thema  auch  eine  eigene 
Idee  enlgegen,  die  in  der  Farbe  des  Traums,  der  Erinne- 
rung  und  im  Ton  des  Volksliedes  der  Erregung  Halt  ge- 
bietet.  Ganz  ahnlich  verhalt  es  sich  mit  dem  zweiten 
Satz.  In  sein  Hauptthema  mischen  sich  leichte  Spuren 
des  Adagios  aus  Brahms  erster  Sinfonie,  ihnen  tritt  das 
Gegenthema  in  volkstiimlicher  Kleidung  entgegen.  Im 
dritten  Satz  bringt  Woyrsch,  so  wie  es  auch  Berger  tut, 
an  Stelle  des  Scherzo  ein  ruhiges  Intermezzo.  Am  deut- 
lichsten  wird  die  Individualitat  und  Bedeutung  des  Kom- 
ponisten,  seine  Neigung  zu  Gegensatzen,  seine  kraftvoUe 
Natur,  sein  hitzig  erregbares  Temperament,  die  volkstiim- 
Hche  Ilichtung  seiner  besten  und  eigensten  Einffille  durch 
das  Finale.  Das  Trompetenmotiv,  mit  dem  es  einsetzt, 
beleuchtet  noch  einmal  einen  der  groBten  VorzUge  des 
Sinfonikers  Woyrsch,  seine  Begabung  fiir  plastische  und 
pragnante  Themen. 

Weiter  darf  fiir  die  Schule  von  Brahms  der  Berner^Friii  Brun, 
Kapellmeister  Fritz  Brun  mit  seiner  zweiten  Sinfonie B dur-Sinfonit. 
(Bdur)  in  Anspruch  genommen  werden.  Ihr  erster  Satz 
ist  in  seiner  romantischen  Mischung  von  pastoral  ana- 
kreontischen  mit  pathetisch  leidenschaftlichen  Ideen  ein 
Seitenstiick  zu  dem  entsprechenden  der  D  dur-Sinfonie 
von  Brahms,  ihr  zweiter  erinnert  an  dessen  damonische 
Scherzi  in  der  D  dur-Serenade  und  dem  B  dur-Konzert. 
Ganz  eigen  und  schon  sind  die  SchluOsatze  dieser  Sin- 
fonie, der  dritte  (Adagio)  durch  seinen  szenischen  Gharakter 
(einem  schwermiitigen  Traumer  wird  auf  einmal  durch  ein 
weich  klagendes  und  losendes  Lied  geholfen),  der  vierte 


^    I 


--»     766    ^j>- 

dadurch,  dafi  er  den  Frohsinn  ungesucht  in  den  Ton  alter 
Zeit  kleidet.    Solche  uhschuldig  vergangliche  Weisen  hat 
man  seit  langem  nicht  mehr  gehort. 
K.  T.  VohBivyiy         Der  wohl  bedeu tends  te  und  zweifellos  den  Durchschnitt 
Dmoll-Sinfonie.  ^gjt    uberragende    Beitrag    zur   Schule   von   Brahms   ist 
die  Dmoll-Sinfonie    von  Ernst   von    Dohndnyi, 
die  zwar  fiinf  Satze  aufzShlt,  aber,  da  dem  vierten  Satze, 
einem  kantabilen  Intermezzo,  selbstandige  Bedeutung  niclit 
zufallt,   zum  gewohnten  viersatzigen  Typus  der  Klassiker 
und  Romantiker  gehort.    Der   erste,    einigermalBen   auch 
der  letzte  Satz,  ein  groBer,  kiihner,  bilderreicher  Varia- 
tionenzyklus,  sind  die  Stellen,   wo  sich  der  Autor  in  der 
Anlage  kleinerer  und  groBerer  Teile,  auch  mit  einzebien 
Ideen  als  Schliler  von  Brahms  bekennt,  aber  ohne  Ein- 
seitigkeit  und  mit  zahlreichen  Belegen  eines  selbstlmdigen, 
starken  Talentes  und  einer  breiten,  besonders  auch  aus 
Chopin    getrankten    Bildung.      Ganz    besonders    erfreuen 
diese  Satze  durch   die  Klarheit  und  Einfachheit  der  The- 
matik,  nicht  minder  auch  durch  die  Sicherheit  und  die 
GroBe  des  Horizontes,  mit  welcher  die  in  Kraft  und  Milde 
immer  edlen  und  jugendfrisch  empfundenen  Grundgedanken 
entwickelt  sind.    Das   sind  Vorziige,  durch  die  sich  der 
Komponist  von  der  Mehrzahl  der  modernsten  Sinfoniker 
unterscheidet,  auch  darin  steht  er  abseits,  daB  er  dem 
Kolorit,  zuweilen  wohl  zum  Nachteil,  minderen  Wert  bei- 
mifit.    Auf  einem  ganz  eignen  Boden  bewegt  sich  Dohn&nyi 
in  den  Mittelsatzen,  dem  Adagio  und  dem  Scherzo.    Letz- 
teres   ist  im   Hauptsatz   von   einer  Phantastik,   die  bald 
heimUch  lockt  und  spannt,  bald  droht  und  erschreckt,  der 
Seitensatz  bringt  frohliche  Volksmusik,  das  Trio  schlagt, 
nach  der  Weise  von  Beethovens  Erster,  gar  feierliche  Tone 
an.    Das  Adagio,  das  ideell  leicht  an  das  zweite  Thema 
der  ersten  Satzes  ankniipft,  ist  dadurch  merkwiirdig,  daB 
es   in   der  zweiten  Halfte   sich  ganz  in  freie,  scheinbar 
voUig  ungezwungene,   regellose  Naturmusik  auflost.    Die 
Blaser  spielen  einander  die  schonsten  Motive  des  Satzes 
in  schwarmerischen  Umbildungen  und  iiberschwenglichen 
Wiederholungen  zu,  es  ist  ein  elementares  Phantasieren 


767 


und  Konzertieren,  das  mit  unbeschreiblich  poetischem  Reiz 
aus  aller  Kultur  hinausfuhrt  in  eine  Welt  der  unbeschrSnk- 
iesten  Freiheil  und  Weite.  So  ist  Zigeunermusik  wohl 
noch  nie  idealisiert  worden,  der  Abschnitt  hat  wenigstens 
in  der  bekannten  Sinfonieliteratur  nicht  seines  gleichen, 
er  ist  aber  enorm  schwer.  Vielleicht  veranlaBt  dieses  Werk 
des  aus  Ungarn  stammenden  Komponisten  die  deutschen 
Dirigenten  sich  auch  mit  E.  von  Mihalov,ich,  Major, 
Siklos  und  anderen  ungarischen  Sinfonikern  zu  befassen. 

Jahrzehntelang  wenig  bemerkt,  haben  seit  Anfiang  der    A.  Brvekaer, 
achtziger  Jahre  die  Kompositionen  des  Wiener  Tonsetzers  Siebente  Sinfonie 
Anton  Bruckner  die  Beach tung  der  Musikwelt  auf  sich         ^     '*''' 
gezogen  und  sind  von  Parteig^ngern  des  Komponisten  als 
die  eigendichen  instrumentalen  Offenbarungen  modernen 
Geistes   ausgegeben    worden.    Bruckners   erste  Bekannt- 
schaft  auOen  im  Reiche  zu  vermitteln,  fiel  seiner  siebenten, 
seiner  E  dur-Sinfonie  zu.    Sie  ist  wie  die  andren  ohne 
Opuszahl   erschienen   und  fruher  als  manche  der  altem 
in  Druck  gekommen.    Das  Werk  hat  Gedanken  von  groCem 
sinfonischen  Charakter :  das  Hauptthema  des  ersten  Satzes 

AUerro  moderato. 

"  ■■  ■*■ —  Celli 


und  noch  mehr  das   des  Adagio 


legen  dafur  Zeugnis  ab.  Aber  es  zeigt  auch  Bruckners 
Schattenseiten  sehr  stark:  seine  Geringschatzung  gegen 
Logik  und  Zusammenhang,  seine  Natur  als  nachgeborner 
Jean-Paulianer,  der  mit  »Hundstagsposten,  Extrablfittchen 
und  Blumenstiicken«  kein  MaB  halt  und  alle  seine  EinfSlle 
ungesiebt  zu  Papier  bringt.  Ohne  alle  Vermittelung,  ohne 
jeglichen  Cbergang  stehen  im  ersten   Satze  pathetische 


-^    768    ^j>- 

Themen  und  Wiener  Tanzweisen  nebeneinander,  im  letzten 
Choralmelodien  und  infernale  Figuren.  Den  Enlwurf  der 
Haupts^tze  scheint  der  Zufall  der  t^licben  Arbeitslaune 
besiimmt  zu  haben.  Trotzdem  hat  die  Sinfonie  ihre  po- 
sitiven  Seiten.  Einmal  eine  kunsthistorische:  sie  zeigt 
zum  ersten  Male  den  EinfluB  Wagners,  dem  wlr  bei  Raff, 
Hofmann,  Sgambati,  Goetz  und  Draeseke  nur  in  kleineren 
Zugen  begegneten,  in  breitesten  Spuren.  Das  Scherzo  ist 
fast  nur  eine  Uraschreibung  des  Walkiirenrittes.  Zweitens 
aber  entwickelt  der  Komponist  ein  Talent  der  Nachdichtung, 
das  in  seiner  Art  zu  eigner  Bedeutung  gelangt.  Am  im- 
posantesten  im  Adagio.  Auch  hier  sieht  man  die  Quellen 
durcli:  GotterdSramerung  und  Neunte  Sinfonie.  Aber  die 
Wagnerschen  Motive  sind  mit  einem  Schwung  und  einer 
Begeisterung  ausgefiihrt  und  erweitert,  welche  liberwaltigt. 
Die  groBe  Stelle  dieses  Satzes,  wo  die  Trompete  iiber  dem 
Glanz  des  voUen  Orchesters  mit  ihrem  0  fortleuchtet,  ge- 
hort  zu  den  groBartigsten  Tonkombinationen  der  neueren 
Literatur. 

Es  war  ein  MiBgriff,  Bruckner,  auf  den  Zauber  ihres 
Adagios  bin,  mit  dieser  siebenten  Sinfonie  einzufiihren. 
Denn  die  Mangel  der  Bildung  und  des  Geschmacks  uber- 
wiegen  in  ihr  die  wertvoUen  Eigentiimlichkeiten.  Bruckner 
ist  gleichw^ohl,  was  nur  von  wenigen  der  zeitgenossischen 
Sinfoniekomponisten  gesagt  werden  kann,  eine  Natur,  er 
ist  ein  Kiinstler,  dessen  Werke  eine  klare  und  hochst  be- 
friedigende  Auskunft  iiber  den  Menschen  geben.  Zwei 
Ziige  sind  es,  die  aus  alien  seinen  Sinfonien,  aus  den 
schwachren  nur  weniger  klar,  hervortreten  und  die  Ihdi- 
vidualitlit  Bruckners  in  erster  Linie  bestimmen :  Eine  lierz- 
liche  naive  Freude  an  der  Natur  und  zweitens  eine  aus- 
gepragte  kirchliche  Religiositat. 

Es  ware  schlimm,  wenn  die  Freude  an  der  Natur 
Musikern  fremd  ware;  sie  muB  das  menschliche  Gemein- 
gut  der  GroBen  und  der  Kleinen  bleiben.  Aber  die  Meister 
unterscheiden  sich  in  der  Entschiedenheit,  mit  der  sie  ihr 
Ausdruck  geben.  Darin  steht  z.  B.  R.  Wagner  an  der  Spitze 
aller  neueren  Opemkomponisten  und  reicht  direkt  Handel 


-^    769    ^^ 

die  Hand,  darin  ubertrefTea  die,  Deutschen  von  jeher  die 
Italiener,  und  werden  merkwurdiger  Weise  wieder,  zu 
Zeiten  wenigstens,  von  den  Franzosen  ubertroffen.  Schu- 
mann ist  auf  diesem  Gebiete  ergiebiger  als  Mendelssohn, 
Beethoven,  der  Komponist  von  Pastoralsinfonien  und  Pasto- 
ralsonaten,  reicher  als  Mozart  und  auch  als  Haydn.  Im 
allgemeinen  sind  in  diesem  Punkt  die  ostreichischen  und 
suddeutschen  Sinfoniker  stSrker  als  die  norddeutschen ; 
in  neuerer  Zeit  haben  dann  wieder  die  skandinavischen 
und  namentlich  die  russischen  Sinfoniekomponisten  auf 
diesem  Felde  alle  Vorg&nger  Uberholt.  Bleibt  man  im 
deutschen  Kulturgebiet,  so  hat  unter  den  Ostreichem  als 
Schildrer  von  Volkstum  und  Landschaft  Franz  Schubert 
den  unbedingten  Preis.  Aber  ihm  wird  man  in  Zukunft 
als  den  Nskhsten  Anton  Bruckner  an  die  Seite  zu  stellen 
haben.  Bei  keinem  Zweiten  ist  das  Ostreichertum  in 
seiner  hebenswiirdigsten  Art  so  voll  in  die  Musik  iiber- 
gegangen  wie  bei  ihm,  bei  keinem  andren  die  Lust  an 
Heimat,  an  Volkstum,  an  der  Pracht  und  an  den  Heim- 
lichkeiten  schoner  Natur  allzeit  so  rege  wie  bei  Bruckner. 
In  dem  schwarmerischen  Behagen,  mit  dem  er  sich  ihren 
Reizen  in  jedem  Augenblick  hinzugeben  bereit  ist,  zeigt 
er  seine  Kinderseele;  daB  er  einen  Blick  in  den  griinen 
Wald  sich  nie  versagen,  da6  er  nie  an  dem  Bild  eines 
Tanzes  unter  der  Linde  vorbeigehen  kann,  ist  eine  starke 
Quelle  der  romantischen  Fehler  in  seinen  Sinfonien. 

Ahnlich  verhftlt  es  sich  mit  dem  Ausdruck  rehgiosen 
Gefuhls  bei  Bruckner  und  bei  andren.  £s  wird  in  der 
ganzen  Reihe  der  hervorragenden  Sinfoniekomponisten  — 
auch  wenn  wir  von  den  Adagios  absehen  —  bei  keinem 
fehlen;  aber  es  &ufiert  sich  verschieden  nach  den  Per- 
sonen  und  mehr  noch  nach  den  Zeiten.  Es  bildet  von 
Haydn  bis  Beethoven  ein  crescendo,  bei  Mozart  hat  es 
eine  pessimistische,  bei  Beethoven  eine  philosophisch  er- 
habene  Farbung.  Bei  Schubert  setzen  die  Abschwachungen 
der  religi5sen  Empfindung,  ihre  Umbildung  in  die  Formen 
von  Wehmut,  Sehnsucht,  Melancholie  und  Weltschmerz 
ein,  die  wir  bis  auf  Brahms  bei  alien  bedeutenderen  Sin- 

KretsBchmftr,  Ffihrer.    I,  1.  49 


--^    770    ^^ 

fonikern  verfolgen  kdnnen.  Meistens  handelt  es  sich  da- 
bei  um  dea  ZasammeDhaDg  der  Instramentalmiisik  mit 
der  allgemeinen  geistigen  Entwickelung  unsers  Jahr- 
hunderts,  um  die  Teilnahme  an  den  Kftmpfen  gegen  Ober- 
fl&chlichkeit,  AlltHglichkeit  und  Frivolit&t  der  sitUicben 
Anschauungen,  Teilnahme  an  den  bnnten  Bestrebungen, 
die  Menschheit  darch  Glauben  und  Aberglauben,  durch 
Philosophie  und  Kunst  innerlich  zu  stiitzen  und  nach 
einem  hdheren  Dasein  zu  lenken,  um  Beriihrttngen  mit 
Kant  und  Fichte,  mit  Schopenhauer  und  Nietzsche,  mit 
Cornelius,  mit  Bocklin  und  Thoma,  mit  Parsifal  und  Zara- 
thustra.  Ganz  anders  bei  Bruckner.  Aus  seinen  Sin- 
fonien  spricht  die  Religiosit&t  in  ganz  bestimmter,  posi- 
tiver  Form:  sie  legt  fortwUhrend  ein  ofifnes,  freudiges, 
christliches  und  kirchliches  Bekenntnis  ab.  Die  vielen 
ChorM,le  in  seinen  Sinfonien  sind  dessen  Zeugnis,  sie  er- 
schdpfen  aber  den  Reich  turn  und  die  Festigkeit  seiner 
Gottesfurcht  keineswegs.  Ihre  Spuren  gehen  vielmehr 
durch  die  HSlIfte  aller  seiner  Themen  und  Melodien;  in 
seinen  Sinfonien  treten  kirchliche  Anklange  in  einer 
St&rke  hervor,  wie  sie  in  Sinfonien  nur  noch  einmal  vor- 
kommen :  bei  Mozart  in  seiner  Knabenzeit.  Bruckner  war 
Schuimeister  und  Organist,  ehe  er  zur  hohren  Kunst  kam. 
Das  ist  mit  andern,  z.  B.  J.  Raff,  fthnlich  gewesen.  Es  ehrt 
ihn  und  bekundet  die  Wahrhaftigkeit  seiner  Natur,  dafi  er  in 
den  neuen  Kreisen  doch  bei  seiner  alten  Gedankenwelt  blieb. 
Unabhangig  von  den  Schw&chen  und  Vorztigen,  bei 
denen  Bruckners  Menschentum  und  Allgemeinbildung  in 
Frage  kommt,  bleibt  aber  die  Bedeutung,  die  er  fClr  die 
neuere  Sinfonik  durch  die  Prd,gnanz  seiner  Themen  hat 
Sie  sind  in  ihrer  Kflrze,  Bestimmtheit  und  innren  Fiille 
Muster,  sie  bilden  die  Seite,  mit  der  er  an  Beethoven  und 
die  Klassiker  heranreicht,  mit  ihr  erg&nzt  er  zum  Teil 
auch  Brahms.  Was  dieser  fur  die  Arbeit  in  der  Sinfonie, 
das  gilt  Bruckner  fiir  die  sinfonischen  Gedanken. 
A.  Br«ekncr,  Von  einer  gradlinigen,  steigenden  Entwickelung  ist  bei 

DreiC  moll-Sin- Bruckner  noch  weniger  die  Rede  als  bei  Franz  Schubert, 
fonien.       j^   tiWen.  seinen  Sinfonien  liegen  Schlacken  und  Gold- 


771 


korner  beisammen.  Aber  alle  bieten  etwas  Interessantes, 
Ztige,  die  musikalisch  oder  psychologisch  fesseln.  Seine 
erste  und  zweite  Sinfonie  stehen  beide  in  C  moll,  und 
auch  seine  achte  ist  eine  C  moll-Sin fonie  geworden.  H^lte 
ein  Weltkundiger  so  etwas  Unpraktisches  getan?  So  sind 
denn  die  ersten  beiden  C  moIl-Sinfonien  aufierhalb  Wiens 
unbekannt  geblieben,  obwohl  sie  sch5ne  Stellen  enthalten, 
namentlich  wirkliche  naturwiichsige  Sinfonie-  und  Or- 
chesterthemen,  z.  B.  die  zweite  in 


■^jMiij2^i«^i  \njh\ 

V^T?    i     Hate,    und 
USofllg  sehnell. 


'  ir  Ofri 


erese- 


r|~f  ■  r  f  I  f  f  I  ^'  1 1  r  r  I  r  I  I  II 

•  eresc. 


Beide  zeigen  den  EinfluO  von  Wagner,  Schubert  und  Beet- 
hoven. Die  dritte  C  moll- Sinfonie,  Bruckners  achte  Sin- 
fonie, ist  in  neuer  Zeit  hHufiger  aufgefiihrt  worden.  Sie 
imponiert  durch  die  kolossalen  Intentionen  ihres  Finale, 
das  die  Hauptthemen  der  drei  vorhergegangenen  Satze 
kontrapunktisch  zusammenfaOt.  Aber  auch  Rudolf  Loui?, 
der  vortreffliche  Biograph  des  Komponisten,  erklart,  daB 
Bruckner  sich  hier  Unmogliches  zugemutet  habe.  Seine 
bedeutenden  groBen  Zuge  entfaltet  Bruckner  am  gliick- 
lichsten  in  der  dritten,  vierten  und  fiinften  Sinfonie,  die 
auch  in  den  letzten  Jahren  sich  in  den  Konzerts^len  h&u- 
figer  und  hiiuHger  eingefunden  haben. 

Die  dritte  Sinfonie  (Dmoll)  ist  im  Jahre  1873  ent-  i. Bnckner, 
standen  und  feine  der  wenigen,  die  schnell  einen  Verleger  Dritte  Sinfonie. 
gefunden  haben.   Richard  Wagner  nahm  die  Widmung  an 
und  soil,  wie  Th.  Helm  erzahlt*:,  wiederholt  ernstlich  eine 


*)  Th.  Helm:  A.  Bruckner  im  Musik  .Wochenblatt;i8S6,  S.  35. 

49* 


— ^    772    V- 

AuffOhrang  beabsichtigt  haben.  Was  zunftchst  jeden 
Musiker  fur  die  Sinfonie  einnehmen  muO,  ist  ihre  voll- 
endete  Orchestematur.  Alle  Instramente  haben  ihr  eignes 
Leben  und  &ufiern  es,  wena  nicht  immer  mit  bedeuten- 
den  selbst&ndigen  Themen  und  Motiven,  so  doch  in  eignen 
besonderen  Rhythmen.  Alias  klingt  schOn,  neu,  immer 
interessant.  Nach  dieser  Seite  bezeichnet  Bruckner  einen 
Fortschritt  in  der  Geschichte  der  Sinfonie,  den  niemand 
bestreiten  kann,  und  verhftlt  sich  dem  Durchschnitt  der 
Beethovenianer  gegenflber  fthnlich,  wie  in  der  Malerei  die 
Pilotyschule  zu  der  Methode  von  Cornelius.  Nach  ihrem 
Ideengehalt  betrachtet,  bietet  uns  Bruckners  DmoU-Sin- 
fonie  Einblick  in  das  Innere  einer  Natur,  in  der  sich 
Lebensernst  und  Lebensfreude  gleichm&Oig  mischen;  sie 
scheint  die  Stimmungen  von  Beethovens '  Neunter  und 
Beethovens  Pastorale  zu  vereinen.  Der  Koroponist  hat 
in  diesem  (Intemehmen  einen  Vorgftnger,  und  es  ist  wohl 
nicht  Zufall  und  von  ungef&hr,  sondem  bewuOte  Absicht, 
daO  er  in  seine  Dichtung  die  Gestalt  Franz  Schoberts 
leibhaftig  hineintreten  Iftfit.  Dafi  Schubert  die  weit  st&r- 
kere  Individualit&t  war  und  durch  die  Zeitl&ufte  allein 
schon  glUcklicher  gestellt  war,  kann  dabei  niemandem 
entgehen.  Aber  wir  haben  nach  ihm  in  der  Sinfonie  das 
beschauliche,  sanguinische,  des  Daseins  in  der  sch5nen,  mit 
landschaftlichen  Reizen  und  liebenswiirdigem  Menschen- 
tum  iibervoU  gesegneten  Heimat  frohe  Ostreichertum 
bei  keinem  Zweiten  so  stark  und  deutlich  ausgepr&gt,  als 
bei  Bruckner  und  in  dieser  D  moll-Sin fonie.  Dem  Lebens- 
ernst gibt  der  aus  dem  Kirchendienst  hervorgegangne 
Komponist  gem  durch  Chor&le  und  choralartige  Themen 
Ausdruck. 

Der  erste  Satz  (M&Big  bewegt,  (^,  Dmoll)  empf&ngt 
uns  mit  einem  der  in  der  neueren  Musik  und  von  Bruckner 
ganz  besonders  geliebten  Orgelpunkte  -—  bier  auf  D.  Im 
Streichorchester  ein  ziemliches  Rauschen  wie  von  freund- 
lichen  W&ssem,  &hnlich  wie  der  Anfang  von  Schuberts 
H  moll-Sinfonie,  aber  jedes  Instrument  seinen  Rhythmus 
fUr  sich!    Dann  setzt  im  f&nften  Takt  die  Trompete  ein, 


— fr     773    V- 

die  sich  in  der  Zeit  der  Klassiker  ihre  heutigen  Ehren 
nicht  hfttte  tr&nmen  lassen.  Doch  ist  die  Tatsache  keines- 
wegs  znm  Beweismaterial  fttr  die  Hypochonder  geeignet, 
welche  unsre  aenere  Musik  roher  und  roher  werden 
sehen.  Unsre  talentvollen  Komponisten  gebrauchen  die 
Trompete  keineswegs  bloO  fQr  starke  Effekte,  sondern 
ganz  so  vielseitig  wie  dies  in  der  alien  Suite,  in  der  ita- 
lienischen  Oper  des  17.  Jahrhunderts,  im  Oratorium  noch 
bei  H&ndel  geschieht  So  beginnt  Bruckner  mil  ihr  bier 
leise,  im  Ton  einer  beroischen  Abnung  das  Haupttbeina 
seines  ersten  Satzes: 


P 

Dieses  Thema  ziebt  sich  lang  bin.  Zun&cbst  wird  es  vom 
Horn  folgendermafien 

/I  I  i^TTTTj  j  I  I  .1  ^  I  j~TT,i  I 

fortgesetzt  Die  zwei  letzten  Takte  dieser  Fortsetzung 
werden  zun&cbst  von  den  Holzblasem  fiir  Nacbabmungen 
und  Wiederbolungen  aufgegriffen  und  dienen  dem  vollen 
Cbor  des  Orchesters  als  Anbalt  zur  Sammlung  und  zn 
einem  gewaltigen  innren  und  ftuBren  Crescendo.  Dann 
erst  kommt  im  Unisono  aller  Instrumente  der  dritte  Teil, 
der  Scblnfi  des  Haupttbemas: 

I      I     I     .    1     I     .    y  P        Crete, 

3  ^T^    \\i^  ^'  bringt  den  bOcbsten  Aufscbwung 

^"^PP  krAftigen  Wollens   und    dicbt   da- 

neben  in  den  Zungen  von  Scbubertscben  Entreaktes 
das  Versagen  aller  Hoffnungen,  somit  die  Gegens&tze 
des  Satzes  im  scbroffen  Widerspruch.  An  der  Trioie 
bftlt  sicb  die  Phantasie  des  Komponisten  fest,  als  wftre 
mit    ibr    der   Ausweg    nacb    dem    Licbt,    nacb    einem 


— ^    774    <>^ 

sichreh  Blick  in  die  Zukunft  zu  fiiiden,  und  gelangt  so 
bald  an  eine  Wiederholung  des  vollst&ndigen  Haiipt- 
themas  von  Aj  der  Dominante,  aus.  Der  SchluC 
dieser  Wiederholung  veriauft  in  ein  ppp  und  in  roman- 
tische  Dissonanzen,  als  schliefen  alle  Sorgen  ein.  Der 
Dichter  iiberl&Gt  die  Entscheiduiig  Uber  schwierige  und 
ungewisse  Fragen  der  Zeit  und  dem  Schicksal.  Das 
zweite  Thema 


ill  j.rnjjjjirjiiiTiijiiJu..^ 

setzt  ein  und  fiihrt  uns  ohne  weitres  in  eine  Szene  des  Be- 
hagens  und  der  beweglichen  SchwSrmerei.  Mehr  noch  als 
das  Thema  selbst,  das  zuerst  als  Wechselgesang  zwischen 
Bratsche  und  Horn  auftritt,  fiihrt  uns  sein  Begleitungsmotiv 
^"5^  vor  l&ndliche  Bilder. 

jr     P^LJ-  '^J-    ^*rrj.r    "  der  jenes  wichligen 

—  ZwischenmoiivSy  das 

im  ersten  Satz  von  Beethovens  sechster  Sinfonie  zum  zwei- 
ten  Thema  hinttberleitet.  Bel  Bruckner  sagen  die  Kontra- 
punkte  immer  etwas ;  dei'  hier  erfundue  erweist  sich  aber  als 
ganz  besonders  gehaltvoll  und  ergiebig.  Ja,  er  wird  nicht 
bloG  die  Veranlassung  zu  einer  hUbschen  Episode,  sondem 
er  tragi  einen  Hauptteil  von  dem  Glaubensbekeiintnis  und 
der  Weltanschauung,  die  in  diesem  Satze  niedergelegt 
sind.  Alle  die  zablreichen  Partien,  die  darin  aus  dieser 
muntem  Figur  entwickelt  sind,  vertriigen  als  Oberschrifl 
das  schone  Wort  H51derlins :  >Ja,  wunderschSn  ist  Gottes 
Erde  und  werl,  auf  ihr  ein  Mensch  zu  sein!«  Das  singt  in 
UTZufriednen  Melodien,  das  regt  sich  und  htipft  in  fr5hlichen 
Rhythmen,  das  wiegt  sich  wonnig  trslumerisch  auf  weichen 
Akkorden,  das  ist  ein  Schwelgen  in  seliger  Sonntagsstim- 
mung.  Zuweilen       ^  Zuletztfindetes  einen 

bricht  das  Ent-  tf?f\  ?r—  doppelten  Ausdruck 
ziicken  laut  und  "g^  '  '  '  I  [  "  von  kr&ftiger  Zuver- 
wuchtig  durch :     *^  sicht  in  der  Melodie : 


^&    775    <^ 

A     ^         .  Lr**^         .-""jr"     ti..  ^  ^^®  nnter  den 

W^  r    f    17    f     Iff      I  T    r     \^'  Nebenlhem^n 

it  des  Satzes  Be- 

deutuDg  hat  and  von  Fr5mmigkeit  in  dem  Choral: 

ifiil  I  I'l  'MI'ii  iTi  II  iiPii   I  II  III  I  II 

^     De^desF     C       F        Q  cTa^       E    F      D   IG        'c 

mit  dem  die  Trompete,  die  bekanntlich  angefangen  hatte, 
die  Themengruppe  schlieOt.  Zu  verkennen  ist  nicht,  daO 
in  der  zweiten  H&Ifte  des  urn  das  Pastoralmotiv  gebildeten 
Teils  das  Beharrungsverm5gen  des  Zuhorers  auf  eine  Ge- 
duldprobe  gestellt  wird.  Je  nachdem  das  Orchester  besser 
Oder  schlechter  ist,  wird  sie  erleichtert  oder  erschwert 
werden. 

Sofort  nachdem  die  Trompete  mit  ihrem  (unbedeaten- 
den)  Choral  fertig  ist,  geht  es  aus  C  dur  mit  drei  knappen 
Oberleitungstakten  in  die  Durchfiihrung. 

Sie  beginnt,  nach  einer  kurzen  Intonation  des  Haapt- 
tbemas,  mit  einem  Satze  snchenden  Charakters,  dem  das 
dem  Choral  vorhergehende  Nebenthema,  das  vorhin  als 
Ausdruck  der  Zaversicht  bezeichnet  wurde,  zu  Grunde 
liegt.  Er  endet  still  und  ergebungsvoll  in  G  dur.  Danach 
setzt  sch5n  und  scharf  in  der  Wirkung  A  dur  ein,  und  in 
schnellen  Modulationen  ziehen  Umbildungen  und  Bruch- 
stucke  aus  dem  ersten  Teil  des  Hauptthemas  in  Flote 
und  Horn  vorbei,  geheimnisvoll,  aber  farbenpr£lchtig.  Der 
zweite  Teil  der  DurchfUhrung  verbindet  den  An  fang  und 
den  Schlufi  des  Hauptthemas  erst  in  einer  Periode  in  F  moll, 
dann  in  einer  zweiten  in  G  moll.  Von  deren  SchluO  ab  (As  dur) 
verschwindet  der  Anfang  des  Themas,  die  Motive  des  kr&fti- 
genWoUensaus  I       p-i        1      1       a    v  I      Iti    fc^ 

seinemSchluB:^-  J  ^  I  J,  J.  ii  ^  und  i^  i4  ^ 
behaupten  das  Feld  und  fiihren  scheinbar  zur  Reprise:  In 
Dmoll  setzt  das  Trompetenthema  fff'va\.  vollen  Orchester 
ein.  Es  ist  aber  erst  der  dritte  Teil  der  Durchfuhrung, 
den  Bruckner  hier  bringt.  Er  gibt  das  Hauptthema  — 
wohl  angeregt  durch  eine  fthnliche  Stelle  in  Beethovens 
Neunter  —   noch   einmal  im  Leuchten  der  Wetter,  im 


776 


Donner  und  Blitz,  in  glftnzendster  Machtentfaltung  seines 
ersten,  des  heroischen  Teils.  Dieser  wird  wiederholt,  mit 
Dissonanzen  schattiert,  nochmals  wiederholt  und  bricht 
in  Edur  tobend  pl5tzlich  ab.  Generalpause.  Paokensolo, 
das  im  pp  endet!  Und  nun  erst  melden  sich  wie  schuch- 
lern  die  beiden  andern  Teile  des  Hauptthemas  —  mefar 
um  der  Form  zu  genugen  als  zu  innerer  Wirkung.  Dieser 
letzte,  dritte  Tell  der  DurchfUhrung  hat  alles  entschieden, 
es  war  ein  Seherblick,  weit  hinaus  in  die  Zukunft  geworfen, 
der  ein  Ende  in  Herrlichkeit  gesichert  zeigt.  Ganz  leise  geht 
die  Durchflibrung  zu  Ende  und  ebenso  setzt  die  Reprise  ein. 
Der  zweite  Satz  (Adagio,  quasi  Andante,  (^,  Esdur) 
deutet  mit  dem  Anfang  seines  Hauptthemas: 

Adagio. 


fast  in  der  Sprache  der  Klassiker  die  Sehnsucht  nach 
Ruhe  und  hoherem  Frieden  an.  Schon  nach  AbschluO 
der  ersten  8  taktigen  Periode  setzen  aber  die  in  der  zweiten 
H&lfte  dieses  Beispiels  enthaltnen  Keime  der  Friedlosig- 
keit  zu  einer  Bewegung  , 
an,  die  zu  einem  Aufruhr  %iQcj^ 
der  Gefuhle  f uhrt,  den  die  ^^^f 
stumme  resignierteKlage : 
wie  ein  stilles  Gebet  endet. 

Wie  ein  Bild  aus  einer  besseren  Zukunft  stellt 
nun  der  Dichter  dieser  Gegenwart  einen  formell  scharf 
verschiednen    Satz    gegeniiber,    dessen    erstes   Thema: 

,  Ana»Dte  Quaai  Allegretto.  ^a^tet.   Um  daS,  was 

ib'U  J   7T  III  I  Tils.    M  es  noch  an  Zweifeln 
gy/  '■*  ^    J    NiJ^iJ  '  ^  J  U       *  zurtkckiafit,  vSllig  zu 


^  '"■"''  "*^ —  beseitigen,      gesellt 

sich  ihr  noch  eine  zweite  Weise  hinzu,  die  ebenfalls  im 
vision &ren  Ton  eine  Art  Siegesmarsch  anstimrot 
MiftdrioBo.  .        I 


—♦    777    ^^ 

Ihr  geliD^  es,  die  Stimmung  zum  Teil  aufzuhellen:  Froh 
flieBen  die  Sechzehnielfignren  in  einer  Gnippe  der  In- 
stromeDte  dahin,  andere,  die  Hdrner  z.  B.,  bleiben  abei* 
bei  baogen  Fragen.  Das  ftlhrt  dazu,  daB  die  TerheiBnngs- 
vollen  Rhythmen  des  letzten  Themas  J  J  «  "^  starkem 
Ton  bekr&ftigt  nnd  wiederholt,  daO  die  freuiidlichen  Zu- 
kunftsvisionen  der  schonen  Dreivierteltaktmelodie  in  groBer 
Breite  ausgefflhrt  werden.  Bei  dieser  Ausf&hrang  ist  aach 
die  Mannigfaltigkeit  und  der  Reichtum  der  Farbenreize, 
die  von  zarten  Lohengrinkl&ngen  schnell  z^  einem  wahren 
Ransch  schdnen  Orchesterions  anschwellen,  nicht  za  ver- 
gessen.  Dberhanpt  ist  die  Einwirkung  Wagners  in  diesem 
Satze  nnverkennbar.  Sie  HuBert  sich  nicht  bloB  im  Ko- 
lorit,  sondern  auch  in  Harmonie  nnd  Melodie. 

Nach  dem  AbschluB  der  Trostszene  wird  derHanpt- 
satz  wiederholt  und  erf&hrt  dabei  prftchtige  Steigerungen, 
ans  denen  die  Stimme  der  Trompete  sich  besonders  ein- 
dringlich  and  ausschlaggebend  hervorhebt.  Der  ganze 
Satz  zeigt  Brncknem  von  seiner  gewaltigsten  Seite  nnd 
als  eine  fOrs  Drama  geborne  Natur. 

Der  dritte  Satz  (Scherzo,  ziemlich  schnell,  s/4,  Dmoll) 
ist  dnrch  eine  gewisse  Unfertigkeit  originell,  dnrch  eine 
Laune,  die  sich  begniigt,  mit  Elementarmitteln  zu  wirken. 
Wir  h5ren  vorwiegend  rhythmische  Motive,  die  nnr  lose 
zn  Themen  entwickelt  sind  und,  wenn  das,  keine  Ent- 
wickelung  durchgehen. 

Im  Hauptsatze  schildert  der  Komponist  humoristisch 
eine  Art  groBen  Sturm,  ziemUcii  schncu.  ^  riihrtsich 
der  wie  von  der  Feme  ^^  ^  J^  J  J  i  J  ^  zunfichst. 
einsetzt.    Nur  das  Motiv    ™      fip  =*  gg    setzt 

sich  als  liegende  Stimme  fest.  Unter  ihr  steigen  Figuren 
stufenweise  die  ganze  Oktav  crescendo  und  drohend  in  die 
H5he.    Dann  bricht  ff  das  Thema 

Zleoilleh  sdineU. 


los.    Es  bildet  mit  Wiederholungen  und  Ableilungen  den 


— <^    778    ^— 

IiJhalt  des  Hauplsatzes.  Einmal  bricht  es  in  eine  der  bei 
Bruckner  haufigen  plotzlichen  Generalpausen  ab,  und  da 
erscheint  denn. —  die  einzige  im  ganzen  Scherzo  —  eine 
fertige  und  durchgefuhrte  singende  Melodie. 

fi  fr  if7irTi|  II  f^i^i^l^li  II 

^     VP  creso, 

Durch   sie,   die   bald   ^  ^t~---     .^^^^  beigesellt, 

verstarkend  ein  Satz-  ^^i  [fH^  |  »^i'p^^=||wird  der  Sei- 
chen  iiber  das  Motiv^^  "^     *    ^     "tensatz  im  ei- 

gentlichen  Scherzo  zu  einer  hiibschen  Wiener  Tanzidylle. 

Auch  das  Trio  sucht  die  Kunst  darin,  die  Musik  in 
eine  Szene  von  Naturlauten,  hier  freundliche  und  zarte, 
aufzulosen.    Eine  Art  Thema,  meistens  von  der  Bratsche 

angestimmt,wirdvon 
'  r  I  IJ  n  I  r  I  ®i^^6r  bunten  Reihe 
^J  ^  ^  *  ^  "  i  1    I   kosender ,   zirpender 

und  trillernder  Mo- 
tive umkreist,  so  daC  die  Wirkung  des  Ganzen  an  ein 
Vogelkonzert,  an  eine  schone  Stunde  bei  Weiher  und  Wald 
nach  Sonnenuntergang  erinnert.  Das  ganze  Studc  (Trio 
und  Scherzo)  ist  darnach  wie  ein  Gegensatz  vom  LSimen 
der  Stadt  oder  der  Bahn  und  der  Stille  l^dlicher  Einsam- 
keit  gedacht. 

Das  Finale  (Allegro,  (fj,  DmoU)  wird  mit  einer 
Achtelfigur  der  Geigen  eingeleitet,  die  zwar  wesentlich 
zu  Begleitungszwecken  dient,  aber  fur  den  Charakter  des 
Satzes  nicht  unbedeutend  ist.  Sie  verkiindet  Wirren  und 
Aufruhr  im  Geiniit,  und  dagegen  erhebt  sich  in  stolzer 
Kraft  breit  und  majestatisch  das  den  Blfisern  iibertragene 
Ilauptthema 

-Allegro.  I     ,  I    I  K      1 

ij  11 1  Vjij.  iij.i 


,j   :/    fr    ff  ff^ 

„  J  J  I  -^  -  ^  —•=--  Es  gehort  wieder  zu  den  thema- 
P  #  P  t»  \  V  tischen  Erfindungen  Bruckners, 
'    ^     •    I  »        in  denen  auf  Melodie  und  schone 


-^     779    ♦— 

Form  ziigunsten  der  charaktervoUen  Wirkung  verziclitet 
wird.  Darin  zeigt  er  sich  als  ein  Schiiler  liszts  und 
der  Neudeutschen.  Zweimal  zieht  dieses  Zyklopenthema 
vorbei.  Dann  verlaufen  sich  die  wilden  Gange  im 
Streichorchester.  An  ihre  Stelle  Iritt  ein  anmutiges  Motiv 
Unmanjer.  ^  ci*s  aber  doch   nur  ein 


^^ 


^  sache    kommt    in     den 

HOrnern,  namlich  ein  Choralgesang : 

^    ^  "IT 


der  sich  breit  hin  entfaltet.    Als  er  endlich  still  verklingt, 

setzt  wieder  Sturm  ein,  diesmal  von  dem  harten  Motiv 

-        J  getragen.     An    diesen    Abschnitt 

J jJitf  m^ M  -  \m  -TVii  faiiipft  sofort  die  Durchfiihrung an. 

y^  »^  n  r  r  T  r  r   H   Sie   Weibt   bei   dem   Viertehnotiv 
**^  und  bekHmpft  es  mit  den  herri- 

schen,  stolzen  Motiven  des  Hauptthemas  und  stellt  das 
Bild  einer  Seele  hin,  die  der  Anfechtung  spottet.  Dieser 
Durchfiihrungsteil  ist  nur  kurz  und  schliefit  (in  F)  mit 
Klangen  des  Friedens,  die  uns  aus  dem  Eingang  von  Schu- 
berts  C  dur-Sinfonie  geiaufig  sind. 

Die  Reprise  bringt  die  dem  Hauptthema  zugehSrige 
Gruppe  erweitert  und  im  Ausdruck  der  Energie  durch 
Verkiirzung  der  Rhythmen,  durch  Nachahmungen  und 
Engfiihrungen  gesteigert.  Die  Folge  ist,  dafi  des  zweiten 
Themas,  des  Choralgesangs ,  ruhiges  und  frommes  Wesen 
sich  noch  klarer  und  schoner  als  im  ersten  Teil  des  Satzes 
geltend  macht.  Die  Komposition  erhMlt  damit  einen  aus- 
gepragt  christUchen  Zug,  und  die  Idee  des  Komponisten 
tritt  klar  vor  das  Gemiit  des  Horers:  >Wer  in  des  Lebens 
Wirren  auf  die  doppelte  Stiitze  der  eignen  Kraft  und  dqs 
Glaubens  bauen  kann,  der  siegt*.  Und  diesen  Sieg  spricht 
das  Finale  dann  noch  einmal  mit  schoner  poetischer  Be- 
ziehung  und  die  ganze  Sinfonie  abrundend  4adurch  aus, 


-^    780    ♦— 

daB  das  Heroenthema  des  ersten  Satzes  und  zwar  in  D  dur 
das  Schlufiwort  erhftlt. 
A.  Braeknery  Seine  vierte  Sinfonie  (Esdur)  hat  Bruckner  die  ro- 

Vierte  Sinfonie.  ||)|y^^s(.})e  genannt.  Die  Romantik,  die  er  meint,  ist  die 
des  Waldes.  Das  Werk  ist  eine  Waldsinfonie ,  aber  aus 
einem  viel  tieferen  Geiste  als  die  bekannte  von  Raff,  die 
eine  galante  franzosische  Roman tik  entwickelt  Die  Bruck- 
nersche  Sinfonie  hat  durchaus  deutschen  Charakter:  er 
sehnt  sich  nach  dem  Wald,  seiner  Heimlichkeit,  seinem 
tiefen  Frieden  in  Klftngen,  die  an  Steffen  Hellers  trauliche 
Klavierszenen  >Im  Walde«  erinnern.  Mehr  noch,  Bruckner 
hUlt  im  Wald,  wie  das  altgermanische  Heidentum,  seinen 
Gottesdienst ,  er  geht  durch  die  Reihen  der  erhabnen 
St&mme  mit  den  Versen  des  Dichters  im  Kopf:  >Du  hast 
deine  S&ulen  dir  aufgebaut  und  deine  Tempel  gegriindet*. 
Dim  ist  im  Sinne  jener  alteh  Zeiten,  wo  wir  Deutschen 
noch  ein  Waldvolk  waren,  der  Wald  das  herrlichste  Gottes- 
haus,  der  schonste  Dom,  den  der  Herr  der  Welten  sich 
selbst  gebaut.  Der  Wald  stimmt  den  Komponisten  emst 
religids,  und  ein  feierlich  erhabener  Grundton,  wie  ihn 
flhnlich  Bruch  in  seiner  Es  dur-Sinfonie  leise  und  ilfichtig 
einmal  anschlflgt,  wie  er  aber  sonst  nur  in  den  lang- 
samen  S&tzen  aufzutreten  pflegt,  durchzieht  die  ganze 
Sinfonie.  Ihre  vom  Familientypus  abweichende  geistige 
Haltung  wird  der  eine  Grund  sein^  der  ihre  Verbreitung 
erschwert.  Ein  anderer  liegt  darin,  dafi  sie  fur  die  reich- 
lichen  Naturschilderungen ,  die  sie  enthfilt,  ein  ganz  aus- 
gezeichnetes  Orchester  und  ziemlich  genauen  Vortrag 
verlangt;  ein  dritter  in  der  Ubermilfiigen  Breite  einzelner 
Teile. 

Besonders  ist  es  der  erste  Satz  (Ruhig  bewegt^  (k, 
Es  dur),  der  durch  tief  religiose,  ins  Ewige  sich  versenkende 
Stimmung  ergreift.  Sein  Anfang  und  die  um  das  Hauptthema 

I  gebildete 

.  .  ^^^  b»w»gt.J  =  7g        j^       Gruppe 

J—  J)  I  ^    I         I         I  J—  Al   *  i  erwedit 

P  im  H6rer 

Schauer  der  Andacht,  umweht  ihn  mit  Kirchenluft.    An 


— ♦     781    ^^ 

Liturgie  erinnert  audi  der  Vortrag:  das  Horn,  das  be- 
ginnt,  gleicht  dem  Liturgen,  der  kleine  Chor  der  Holz- 
blfiser,  der  die  Melodie  ihm  nachsingt,  der  respondierenden 
Gbemeinde.  Fiir  den  romantischen  Charakter,  den  Bruckner 
seiner  Sinfonie  geben  woUte,  ist  dieses  Hauptthema  des 
ersten  Satzes  das  wichtigste  Stuck;  und  das  ees,  mil  dem 
der  zweite  Abschnitt  einsetzi,  der  HaupttrsLger  des  roman- 
tischen, geheimnisvollen  Elements.  Aus  der  ehrfiirchtigen 
Stimmung  wird  nach  dem  feierlichen  Eingang  bald  eine 
froh  erwartungsvolle ;  sie  ist  vertreten  durch  das  Motiv: 

das  als  eine  Ergluizung  ge- 
^  ,      /^  ^  ^j,  ^f      £"^       wissermaGen  mit  ^m  er- 
£¥\   r  r  r   r    r    I  r    ^  sten   Ihema  gehSrt.     Der 
^  '  AnfiEuig  mit  dem   feierlich 

breiten  Ton  spricht  die  Gottesfurcht,  das  neue  Motiv  die 
Naturfreude  des  Komponisten  aus.  So  haben  wir  in  den 
beiden  Teilen  des  ersten  Themas  die  beiden  Hauptstucke 
der  menschlichen  Grundlage  vor  uns,  aus  der  Bruckners 
Kunstwerke  ihren  Ursprung  Ziehen.  Mit  dem  Motiv  der 
Naturfreude  bildet  Bruckner  die  nSchsten  Zeilen  seiner 
Dichtung.  Sie  nehmen  bald  den  Charakter  eines  begei- 
sterten  Hymnus  an.  Der  Dichter  wird  von  einem  Jubel 
Uber  die  Schdnheit  der  Sch5pfung  fortgerissen ;  stiirmisch 
drUngt  die  Harmonie  in  gewaltigen  Modulationen  fort  und 
setzt  sich  dann  auf  einmal,  wie  geblendet,  auf  dem  F  dur- 
Akkord  fest,  alle  Kraft  der  Empfindung  in  einem  Gu6  aus- 
schQttend.  Bruckner  liebt  die  Klangkontraste.  So  folgt 
auch  hier  dem  Rauschen  des  voUen  Instrumentenchors 
der  stille  Klang  der  beiden  Homer,  die  einige  Takte  allein 
das  F  halten.  Es  wird  durch  die  B&sse,  die  des  darunter  an- 

schlagen,  zur  Terz  und  die  a  i      _  ,  -^ 

Bratsche  setzt  mit  dftm  ^Kli  f  J  [^J  I  J  J  J  I  |^~^^ 
zweiten  Thema,  wie  folgt  ;? 

ein.  B  dur  ware  die  normale  Tonart  gewesen,  Bruckner  hat 
Dea  gew^lt.  Die  Ausweichung  in  eine  entlegenere  Har- 
monie ist  in  diesem  Falle  ein  Mittel  romantischer  Wirkung, 
Bruckner  bevorzugt  aber  auch  im  allgemeinen  das  Gebiet 
der  Unterdominant,  sehr  zum  Vorteil  des  warmen  Charak- 


_^    782    4>^ 

ters  seiner  Musik.  Der  Ton  innig  dankbaren  GenieBens,  den 
der  Anfang  dieses  zwei-  ^  |  |^  ^  ^  ^  ^  die  zuerst 
ten  Themas  anschlagt,  JH.  LT  P  '  |  T  »^s  beglei- 
geht   mit   den  Motiven  ^  tendej  ein- 

treten,  dann  selbstandig  werden,  in  einen  heitern  iiber  und 
lauft  in  dem  >;       ,  ^  in  den  Aus- 

SchluBglied  J  ulrt  f '  P  T  f  r  r  I  ^f"  /7  il  dnickleben- 
des  Themas :  5*  "^  "  '  "  '  ■  -J  ■  I  l^i^*  digen  Ent- 
ziickens  iiber.  Das  lluCert  sich  zuerst  laut,  jauchzt  in  die 
Welt  hinaus;  dann  wieder  Heimlich  wie  im  tiefsten  Innern. 
Es  ist  ein  ungemein  wandelbares  Motiv,  das  bald  den 
innigen  Elementen  des  zwei  ten  Themas  die  Hand  reicht, 
bald  wieder  aus  dem  ersten  Thema  die  belebenden  Tone 
der  Naturfreude  herbeiholt.  Die  letztren  fiillen  auf  langre 
Zeit  die  Szene  mit  Spielen  verschiedener  Art,  wie  Kinder, 
die  vor  Lust  jetzt  jauchzen,  dann  in  stiller  Anmut  ihre 
Kreise  ziehen.  Von  einem  stiirmischen  Ausbruch  der 
'Freude,  in  dem  zuletzt  samtliche  Mcssinginstrumente  mit 
dem  Des  dur-Akkord   i       b  i     i  III  ^®'^^'^»     lenkt 

auf  dem  Rhythmus  •"  J*  J  J  |  J  J  •  Bruckner noch 
einmal  unvermutet  in  die  ruhigere  Region  des  zweiten 
Themas  ein,  jetzt  in  dem  normalen  Bdur;  im  pp  und  in 
Bruchstiicken  verklingt  es.  Der  Dichter  schlieBt  das  Auge, 
die  Bilder  schwimmen  in  seiner  Seele  ineinander.  Sie  ruht ; 
unbestimmt  und  dammernd  streifen  Empfindungen  und 
Ahnungen  durch  die  Brust.  Das  driickt  die  Musik  mit 
abwarts  ziehenden  chromatischen  Gangen  aus,  die  leiser 
Paukenwirbel  begleitet;  die  feierlichen  Motive  des  Haupt- 
themas  und  die  lustig  erregten  des  zweiten  laufen  durch- 
einander.  So  schlieBt  die  Themengruppe  des  ersten  Satzes. 
Die  Durchfuhrung  beginnt  im  Traumeston  mit  deiii 
feierlichen  Anfangsmotiv  des  ersten  Hauptthemas,  das 
durch  kiihne  Dissonanzen  merkwiirdig  romantisch  gefarbt 
wird,  z.  B. : 

Viol,         ^  .    ^         .  ^ 


_^    783    ^- 

Sie  wendet  sich  danii  zu  breilen  Bildungen  liber  das 
Motiv  der  Naturfreude,  die  sich  von  den  en  in  der  Themen- 
gruppe  durch  einen  durchschnittlich  ernstren  Ton  unter- 
scheiden.  Der  christlich  religiose  Zug,  der  die  Sinfonien 
Bruckners  unter  hunderten  kenntlich  macht,  gewinnt 
auch  hier  wieder  die  Herrschaft  tiber  seine  Phantasie. 
Der  Abschnitt  endet  in  einigen  Strophen  Choralmusik,  in 
der  die  Trompeten  die  Stimmfuhrer  sind.  Als  sie  leise 
ausgeklungen ,  setzt  das  zweite  Thema  des  Salzes  (von 
Gdur)  ein,  jedoch  mit  verlangerlen  Rhythmen  und  da- 
durch  ebenfalls  in  die  kirchliche,  fromme  Empfindung 
ubertragen. 

Von  diesem  Punkte  vollzieht  sich  der  Ubergang  in  die 
Reprise  ganz  naturlich,  wie  von  selbst.  Sie  veriauft  ohne 
bemerkenswerte  Cberraschungen  und  hinterl^Ot  wohl  bei 
den  meisten  Zuhorern  den  Wunsch  nacli  Kiirzung,  nament- 
lich  in  der  allerletzten  SchluOpartie. 

Den  z  weiten  Satz  (Andante,  C,  Cmoll)  zu  verstehen, 
mu6  man  bis  in  seine  Mitte  vorgehen.  Denn  zunachst 
fragt  man  sich  erstaunt:  wie  kommt  ein  Trauermarsch  in 
eine  Waldsinfonie  ?  Die  erklarenden  Worte  stehen  unter 
andren  in  Schumanns  >Pilgerfahrt  der  Rose*,  in  dem 
schonen  vom  Hornquartett  begleiteten  Mannerchor:  »Bist 
du  im  Wald  gewandelt,  usw.<  Bruckner  hat  hier  an  den 
Wald,  an  die  Natur  als  Trosterin  im  Leid  gedacht:  So 
malt  er  uns  denn  eine  Szene  des  schwersten  Leids:  ein 
Begrabnis.    Die  Celli  singen  eine.klagende  Melodle, 

Andaote.  J  =  66 


P 

einfach,  als\oblsie  [aus  demJVolkslied  stammte,  und 
doch  ein  wenig  mit  Chopinscher  Stimmung  getrfinkt, 
wie  denn  Bruckner  bei  aller  Schlichtheit  im  Grunde 
seines  Gemiits  doch  im- 
mer  und  iiberall  modern 
bleibt.  Die  Begleitung,  ein 
Schubertsches  Marschmotiv:  PP 


^^tffi4 


i 


784 


zeigt  uns  Ort  und  Veranlassung  der  Klage,  erklart  und 
malt  die  Situation.  Die  Szenerie  wild  bald  noch  mehr 
verdeutlicht :  Choralge- 
sang,  Trauerch5re,  die  fol- 
gendermaGen    einsetzen : 


ft  crt9^ 


unterbrechen  auf  langere  Strecken  den  Marschrhytbmus. 
Dann  beginnt  der  Marsch  vom  neuen.  Vom  neuen  auch 
erhebt  sich  die  klagende  Stimme,  aber  viel  gedampfter, 
sie  ist  in  der  Mitte  des  Streichorchesters,  in  der  Bratsche, 
gleichsam  versteckt 


ijij  jiiiii  ii|ii|  i|i  niM| 


und  windet  sich,  halb  unterdriickt,  suchend  und  zu- 
gleich  flieGend  dahin,  bis  der  Marsch  (in  Cdur  und 
ppp)  wieder  schweigt.  In  diesem  Augenblick  lassen  sich 
wie  von  fern  und  von  hoch  oben  Motive  vemehmen 
iWf  ^^       die  schon  am  Anfang  des  Andante, 

Jt  ^\  r^iT^r  r'jTf^  ^^^  ^^  ziemlich  unbemerkt  auf- 
y^  '  "  '  L  *  '  I  ^  tauchten.  Wirkt  diese  Flotenstelle 
nicht,  als  riefen  Vogelstimmen  aus  dem  Wald  und  bin  zu 
ihm?  Nachtrfiglich  wirds  uns  klar,  daB  schon  von  An- 
fang  an,  immer  in  den  Marsch  hinein,  kurze  Naturtone 
erklangen.  Das  Horn  wars,  manchmal  auch  die  Trompete, 
die  ganz  heimlich,  bald  mit  einem  einzelnen  pi^ 
Ton,  bald  mit  einem  Motiv,  am  hftufigsten  mit  ••  3  J 
lockten.  Als  die  Bratsche  sang,  gaben  sie  sogar  deren 
Wendung  wie  im  Echo  wieder,  zuweilen  horten  wir  auch 
den  Quintenruf,  der  im  ersten  wie  im  zweiten  Sate 
thematisch  so  viel  bedeutet. 

Nach  dieser  entscheidenden  Stelle,  mit  der  der  erste 
Teil  des  Andante  schlieGt,  wandelt  sich  der  Charakter  der 
Musik.  Die  B9.sse  sinnen  jenem  FlStenmotiv  nach  und 
wahrend  sie  es  wiederholen  und  weiterfuhren,  erfinden  die 
Violinen  neue  Melodien,  die  trostreich  klingen: 


p^  J  I  Tr  r  'rTr'T'^tJ'  ^^ 


-.^    786    ♦^ 

Dann  nimmt  das  Horn,  nach  ihm  nehmen  die  Holz- 
bl&ser  das   klagende  Hauptihema  wieder  auf;   aber  der 
Marsch,  der  dazu  gehort,  klingt  nur  noch  eine  Weile  aus 
den  Bassen  an,  dann  verliert  er  sich  ganz  aus  der  Er- 
innerung,   und  Instrument  nach  Instrument   tragen   die 
freudigen  und  lebenskrSltigen  Elemente,  die  die  Melodie 
enthalt,  in  immer  hellres   licht.    Es  vollzieht   sich    ein 
groBer  Aufschwung  der  Stimmung.   Freilich  ist  die  Riick- 
kehr  zum  Trauerton  jetzt  noch  unvermeidlich.    Der  Mittel- 
teil  des  Andante  verklingt  leiser  und  leiser,  verschwindet 
wie  eine  Vision,  und  sein  dritter  Teil,  die  Reprise,  setzt  ein. 
Jedoch  bleiben  jetzt  die  Anklftnge  an  den  Trauer- 
chor  weg,  und  sehr  bald  kommen  die  F15tenmotive  wie- 
der: schon  vor  dem  Einsatz   des  Bratschenabschnittes. 
Nach  ihm  setzt  das  Hauptthema   wieder  ein,  aber  mit 
Kontrapunkten  umspielt,  die  den  starren  Trauerton  weit 
wegweisen.    Mehr  und  mehr  klingt  es  verkl&rt  und  geht 
in  einen  Trinmphgesang  Aber,  der  mit  allem  Glanz  des 
Bracknerschen  Orchesters  den  Sieg  ttber  alles  Leid  ver- 
kundet  und  weit  Uber  Grab  und  Leichenzug  binausweist 
auf  Himmel  und  ewiges  Leben.    Dieser  SchluG  des  An- 
dante ist  seine  Glanzpartie,  poetisch  ergreifend  gedacht 
und  musikalisch  kOhn  und  genial  ausgeflihrt.    Der  Ober- 
gang  nach  Cdur  und  die  Riickkehr  nach  dieser  Tonart 
—  von  Oea  aus  —  ragen  besonders  hervor. 

Der  dritte  Satz  derSinfonie,  ihr  Scherzo  (bewegt, 
^4*  Bdur),  wirft  auf  den  Waldcharakter  der  Komposition 
ein  fQr  jedermann  gentkgendes  Licht.  Schon  im  dritten 
Takt  empfangen  uns  die  H5rner  mit  Jagdsignalen.  Der 
Komponist  ^hat  ihnen  in  dem  Satze  soviel  Platz  einge- 
rftumt,  wie  das  vor  ihm  in  einer  Sinfonie  noch  nicht 
vorgekommen  ist  Darin  spricht  sich  sowohl  Bruckners 
kQnstlerische  Naivitfit  aus,  wie  seine  groBe  Liebe  zu 
solchen  Schilderungen  aus  der  fiuBern  Natnr,  die  musi- 
kalisch zu  fassen  und  zu  bezwingen  sind.  Drittens  aber 
spricht  aus  den  breitern  Bildern,  die  Bruckner  aus  den 
einfachen  Jagdmotiven  entwickelt  hat,  auch  eine  ganz 
eminente    Begabung.     Vielleicht    stimmen    die   meisten 

Kretzsehmar,  Ffthrer.    I,  1.  50 


786 


H5rer  und  Kenner  dieses  Satzes  darin  Q herein,  da6  seine 
grofien  Gruppen  —  namentlich  die  des  Hauptsatzes  — 
zu  oft  wiederholt  werden.  Aber  innerhalb  dieser  einzel- 
nen  grofien  Gruppen  m5chte  man  nichts  gekiirzt  and 
gestrichen  wissen.  Das  sind  Meisterstiickcfaen,  unfiber- 
trefflich  lebendig,  farbenreich  und  wirklich  romantisch. 
Was  ist  das  fUr  ein  interessantes  Konzertieren  zwischen 
Horner n  und  Trompeten,  und  wie  hat  Bruckner  es  ver- 
standen,  durch  Harmonien,  namentlich  durch  den  Ge- 
brauch  von  Dissonanzen,  diese  Brocken  aus  der  gew5hn- 
lichen  Gewerhe-  und  Bedientenmusik  zu  kQnstlerischer 
Bedeutung  zu  bringen,  aus  ihnen  Bilder  von  packender 
Naturtreue  zu  gestalten!  Die  Muster  aus  Berlioz*  »Re' 
quiem<  und  aus  Wagners  »Tristan«  habeu  hier  ebenbur- 
tige  und  selbstftndige  Leistungen  erzeugt 

Neben  dieser  Naturmusik,  aus  den  Jagdsignalen 
gezogen,  verschwindet  der  melodische  Gehalt  des 
Scherzos  bis  auf  ein  Minimum,  das  sich  auf  das  Motiv 

tf,t      .  . f  und   noch 

-^^^IHJv-r^PF^  J)  -r  f  p  I  P  r  [£j  I  r    II    mehr   auf 
Jf  das    einer 

weicheren 
Stimmung 
gewidmete 

stutzt.  Wenigstens  was  im  Hauptsatz  des  Scherzos  den  ersten 
Teil  betrifft.  Sein  zweiter  Teil  beginnt  mit  einer  Durchftih- 
rung  der  im  ersten  aufgestellten  Motive,  bei  der  der  Ausdruck 
nnrer  tiefrer  Geftihle  vor  der  Jaglust  den  Vortritt  erh&lt 
In  einem  noch  scharferen  Gegensatz  zu  der  Schilde- 
irung  des  aufgeregten  Waidmannslebens  tritt,  wie  zu  er- 
warten,  das  Trio.  £s  klingt  auf  Augenblicke  wie  ein  T&nz- 
chen  und  wirkt  auf  Grund  seiner  gemftchhchen,  auf  niedere 
Volksschichten  und  ihre  Freuden  weisenden  Hauptmelodie 

Gemacfallcb* 


fi'>'ijJ|rT7J7iii  jjiJlJJJJi^ 


Q^%       Ges         \     Gcs    0«s  i    Gee 

sehr  drollig,  stellenweise  burlesk. 


Ges 


i 


0^ 


5 
G«s 


_^    787    ♦^ 

Das  Finale  (Mftfiig  bewegt,  (^,  Esdur)  beginnt 
wie  in  Nebel  und  Dftmmrung  mit  einer  Stimmung,  die 
noch  im  Kl&ren  begriffen  ist.  Wir  boren  uber  ver- 
worrenem  Rauschen  des  Streichorchesters  ernste  Motive: 

;i  in   Horn   und  Klarinette.     Eine 

,Mi»»igbew|B>gt.w^^__^  ^gjjg  werden  sie  durch  Reminis- 

__    r^  3  zenzen   ans  der  Jagdmusik  des 


^^^^  *  Schcrzosvertrieben,under8tnach 
einem  langen,  m^chtig  g&hrenden  crescendo  schliefien 
sie  sich  zu  folgendem  Haupttbema: 


des  Satzes  zusammen.  Niemandem  wird  es  entgeben, 
wie  sicb  diese  stolze  Weise  wieder  der  feierlicben  Stim- 
mung  des  ersten  Satzes  nahert  und  infolgedessen  ancb 
niemanden  iiberrascben,  wenn  das  Haupttbema  dieses 
ersten  Satzes  schon  bald,  bier  im  Finale,  vor  nns  bin- 
tritt.  Es  mu6  sicb  aber  den  ZulaG  gewissermafien  er- 
k&mpfen  and  erzwingen  and  kommt  durcb  eine  Krisis 
gescbritten,  in  der  drobende  and  freadige  T5ne  in  er- 
scbreckender  Wildbeit  zusammentrefifen.  Namentlicb  eine 
rbythmische  Formel  (Acbtelsextolen)  ist's,  die  darin  so 
erscbreckend  wirkt.  Wer  bisber  nocb  ungewiB  war,  dem 
mufi  durcb  sie  klar  werden,  da6  der  Komponist  in  die- 
sem  Finale  an  die  Scbrecken  des  Waldes,  an  den  Wald 
in  Nacbt  and  Sturm,  an  seinen  diistern,  gespenstiscben 
Cbarakter  gedacbt  bat.  Dem  Haupttbema  des  ersten 
Satzes  folgt  auf  dem  Fufi  ein  Zitat,  oder  besser  ge- 
sagt  ein  Anklang  an  das  Andante  und  seine  cbarakte- 
ristiscbe   Marscbbewe-  j 

gang  der  B&sse.    Die     ^  i     '<&-->>    ^  _   ^-^^^  . 

Klagemelodie  bat  eine    ^riiVf    I  T'Crf  T    f    1^ 
Umwandlang    erlitten.  ^ 

Ibr  nacb  kommt  so-       ^  ,   l.^-^  t  ^   -^ 

fort  eine  freundbcbe      krVV^'lSl    J    IJ^JJ^T]^ 
Melodie :  '^       P  ^"" — ^ 

60* 


— ♦    788    •^ 

die  als  zweites  Thema  im  Satz  gelten  kann.  Sie  f&hrt 
zu  einem  Abschnitt  anmutiger  Tr&nmereien,  die  aus  der 
Gegenwart  in  ferae  Zeiten,  vielleicht  der  Kindheit  eilen,  bin. 
Sie  setzen  sicb  scblieB-       .  das  wieder 

lich  um  das  spieleri-  A)r\,  ^  f*  'V  i  i  =  eiamal  ana 
sche,  tftndelnde  Motiv  *^         ^'^^-^  einer     Be- 

gleitangsstelle  hereinkaro,  fest.  Als  das  zweite  Tbema  zum 
zweiten  Mai  (in  der  Klahnette)  eingesetzt  hat,  kommt  bald 
eine  rauhere  Antwort.  , 

Das  auf  die  vorhin  *  *  ^  ^4 
erw&hnten  Achtelsex- 
tolen  gebaate  Thema 
beherrscht  jetzt  auf  einige  Zeit  be&ngstigend  die  Szene. 
Dann  tritt  aber  das  zweite  Thema  wieder  beruhigend  ein 
und  schliefit  den  Teil  des  Finales,  der  ungeffthr  der 
Durchf&hrung  entspricht. 

Das  Finale  seiner  Romantischen  Sinfonie  geh5rt  im 
allgemeinen  zu  Brnckners  schwierigsten  Sinfonies&tzen. 
Die  Them  en  sind  nicht  so  einfach  geformt  und  nicht  so 
bestimmt  im  Ausdruck,  wie  er  sie  sonst  gew5hnlich  gibt; 
zum  Teil  erhalten  sie  ihre  Bedeutung  erst  durch  den  erst 
bei  l&ngrer  Vertrautheit  zu  Tage  tretenden  Zusammenhang 
mit  Melodien  aus  dem  ersten  Satz.  So  soil  z.  B.  das  zweite 
so  wichtige  Thema  des  Finale  auf  das  Sextenmotiv  im 
Hauptthema  des  ersten  Satzes  auf  das  geheimnisvolle 

bezogen  werden.  Besonders 

^  i'"^!  J_  jl  P<^  ^^<^   <^&s  Verst&ndnis   des 
'  ^^^^  Satzes  aber  durch  die  groOe 

Anzahl  der  in  ihr  aufgestellten  Themen  und  Motive  er- 
schwert.  Diese  Menge  der  Ideen  ist  bier  nicht  ein  Zeichen 
von  Fruchtbarkeit  und  Reichtum,  sondera  sie  ist  die 
Schwftche  der  Komposition,  die  Folge  ungenttgender 
Durchdringung  und  Beherrschung  des  Stoffes. 

Alle  diese  Schwierigkeiten  des  Finale  sind  in  seiner 
Reprise  noch  dadurch  wesentlich  gesteigert,  da0  die 
Themen  hier  bis  zur  Unkenntlichkeit  umgebildet  und 
auch  an  ganz  andere  Plfltze  gestellt  werden,  als  sie  in 
der  Themengruppe   des  Satzes  inne  batten.     Auch  die 


m 


— <^    789    ^^ 

Breite  einzelner  Telle  st5rt  Nur  in  eingehender  BeschM- 
tigung  mil  dem  Satz  lemt  man  deshalb  seine  Reprise 
begreifen.  Einen  Fingerzeig  bietet  der  Umstand,  dafi  das 
oft  erw&hnte  zweite  Thema  in  ihr  die  geistige  Ffihrung 
ubernimmt.  Sie  hat  bedeatende  sinnliche  Wirkungen: 
eine  der  gewaltigsten  da,  wo  das  umgebildete  Hauptthema 
so  unvermutet  hinter  einem  Trngschlusse  verschwindet. 
Das  ist  zugleich  ein  Beispiel  ftir  Bruckners  Kunst  der 
schnellen  Stimmangsiiberg&nge.  Vor  seiner  Phantasie 
wechseln  hier  majest&tische  Bilder  aus  der  Natur  mil 
wunderbaren,  iiberirdischen  Erscheinungen.  Vor  ihnen 
wird  seine  Tonsprache  magisch  und  mystisch,  der  Glanz 
des  voUen  Orchesters  macht  der  Leere  Platz,  der  warme 
Tonstrom  einem  Tasten  und  Stammeln  zersttickter  Mo- 
tive. Zugleich  tritt  an  dieser  Stelle  auch  der  EinfluB  sehr 
deutlich  hervor,  den  Wagners  Werke  auf  Bruckner  aus- 
zuiiben  pflegen.  Hier  h5ren  wir  das  Verwandlnngsmotiv 
aus  dem  >Ring  des  Nibelungen«,  und  mit  den  Kl&ngen  des 
»Fenerzanber<  geht  seine  Romantische  Sinfonie  zu  Ende. 

Die  ftknfte  Sinfonie  Bruckners  (Bdur)  ist  ein  freund-  A^Bmeluiery 
liches  Kunstwerk,  das  in  vier  groBen,  flott  entworfnen  ^^"'^  S*'^^"*® 
und  durchgefuhrten  Bildern  den  uralten  Gegensatz  zwi- 
schen  froher  Kraft  und  Bedenklichkeit  behandelt. 

In  der  Einleitung  zum  ersteii  Satz  (Adagio,  Bdur, 
^  und  Allegro,  it)  begegnet  sie  sich  mit  Beethovens 
Bdur-Sinfonie  und  teilt  mit  ihr  die  D&mmerungsstimmung 
und  deren  Entwickelung  um  ein  tastendes  Achtelmotiv. 
Ganz  unversehens  und  sehr  bald  wird  diese  Ruhe  durch 
ein  fir  unterbrochen,  in  dem  das  voile  Orchester  nach- 
drQcklichst  den  Ges  dur-,  dann  den  B  dur-Dreiklang  into- 
niert,  um  beidemale  eine  Choralzeile  folgen  zu  lassen. 
Von  da  ab  wird  die  Stimmung  bewegter,  kr&ftiger  und 
dr&ngt  hiniiber  ins  Allegro.  Wie  aus  dem  Dunkel,  sttlck- 
weise  und  in  der  Harmonie  romantisch  schillernd,  tritt 
aus  ihm  das  Haupthema  m&chtig  und  bedrohlich  herrisch 
hervor.  Das  Gegenthema  kommt  mit  einer  Wiederholung 
der  Einleitung  in  der  Form  nachdenklichen,  innerlich 
stark  bewegten  Gesanges,  und  fortan  bleibt  der  h&ufige 


-<^    790    <^^ 

Wechsel  zwischen  Allegro  und  Adagio  das  formelle 
Hauptmerkmal  des  Satzes.  Zu  den  beiden  leitenden 
Themen  treten  noch  zahlreiche  Nebenmotive  antreiben- 
den,  z5gernden,  vermittelnden  Charakters,  and  aus  ihnen 
entwickelt  sich  eine  Reihe  bald  ritteriich  kampflustiger, 
bald  heimlicher  und  kirchlich  frommer  Szenen,  die  in 
den  Oberg&ngen,  in  dem  Einerlei  der  Periodisierung  and 
in  der  vorwiegend  bequemen  Arbeit  zum  Teil  Improvi- 
sationen  gleichen,  aber  darch  die  den  Themen  eigne 
musikalische  Naturkraft  und  durch  die  lebensvoUen  Har- 
monien,  in  die  sie  immer  neu  eingekleidet  werden,  er- 
frischen  und  fesseln.  In  einem  von  dem  Eingangsmotiv 
des  Hauptthemas  getragnen  Jubel  enderder  Satz. 

Ihm  folgt  als  zweiter  ein  Adagio  (Dmoll,  ^/i),  das 
die  GegensRtze  des  verausgegangnen  Allegro  beide  ge- 
mildert  und  in  umgekehrter  Reihenfolge  bringt.  An  erster 
Stelle  steht  jetzt  als  Bitte  eine  sehr  einfache  und  r&h- 
rende  Melodie,  an  zweiter  eine  VerheiCung,  die  sich 
thematisch  sehr  breit  und  reich  entwickelt  und  erst  im 
Verlauf  der  Durchfiihrung  und  da  nur  voriibergehend 
«me  gedr&ngtere  und  feste  Gestalt  annimmt.  Das  Haupt- 
inaterial  f£kr  die  Entwickelung  des  Satzes  liefert  der 
dritte  Takt  des  Hauptthemas.  Dem  fiir  den  ersten  Satz 
charakteristischen  Wechsel  des  Tempos  entspricht  im 
Adagio  die  Rombination  verschiedner  Rythmen:  Die 
Oboenmelodie  wird  von  Geigenfiguren  im  6/4  Takt  beglei- 
tet,  und  an  ihnen  halten  auch  die  B&sse  fest.  So  ist 
dem  Satz  auf  einfache  Art  ein  Element  der  Unruhe  ein- 
verleibt,  das  selbst  der  friedliche  Ausgang  nicht  vergessen 
macht. 

Es  bildet  auch  das  Band  zwischen  Adagio  und  dem 
dritten  Satz,  einem  Scherzo  (Molto  vivace,  Dmoll,  »/4). 
Ja,  eins  unter  dessen  DurchfUhrungsmotiven  entpuppt 
sich  als  eine  Umbildung  aus  dem  ersten  Thema  des 
Adagio.  Der  Satz  ist  von  den  ersten  Takten  und  vom 
Anfangsthema  ab  sehr  reich  an  kurzen  Melodien,  die  alle 
aus  dem  Triiben  heraus  wollen  und  den  Ton  der  Freude 
bald  in  volkstumlich  heitrer,  bald  in  trotzig  fmstrer  Form 


--^    791    <j>- 

anschlagen.  Das  iibliche  Trio,  das  ziemlich  lange  auf 
sich  warten  l&Qij  setzt  zwar  sehr  schlicht  beruhigend  ein, 
aber  das  Horn  schiebt  ihm  mit  einem  Ges  eine  Harmonie 
unter,  die  auch  seinen  Frieden  triib  beleuchtet. 

Der  vierte  Satz,  das  Finale  der  Sinfonie,  markiert 
den  Charakter  der  Unentschlossenheit  und  des  Schwan- 
kens  nochmals  anfs  sch&rfste  dadnrch,  da6  es  im  Ein- 
gang  auf  Themen  des  ersten  Satzes  und  des  Adagios 
zur&ckgreift.  Dann  aber  sammelt  es  alle  Bnergie  in 
einem  gebieterisch  willenskr&ftigen  Thema,  das  sofort  in 
Fugenform  ausgefUhrt  wird  und  sich  sp&ter  gegen  eine 
Reihe  zarterer  Regungen  majestfitisch  durchsetzt  Bald 
nach  dieser  Stelle  kommt  die  Entscheidnng  durch  ein 
leicht  an  die  Oboenmelodie  des  Adagio  ankniipfendes 
kirchlich  feierliches  Thema,  das,  zun&chst  ebenfalls  fn- 
giert,  die  Herrschaft  fiber  die  Partitur  beh&lt,  alles,  zu- 
letzt  auch  das  Hauptthema,  unter  seine  Fittiche  nimmt 
und  die  Sinfonie  in  einem  bet&ubenden  Festesrausch  mit 
flattemden  Fahnen  und  Volksjubel  zn  Ende  fQhrt. 

Die    sechste  Sinfonie  (Adur)  wird   auch  von  den     i.Bmekner,  ^ 
begeistertsten    Anhftngern   Bruckners    in   zweite    Reihe  Sechste  Sinfonie; 
gestellt,    weii    sie    ihematisch    ungleich    und    weniger 
glUcklich     ist     als     die     Mehrzalil     der     andren.      Im 
ersten  Satz  Maestoso, 

ist  da.  ernste  j^jjtl^p  |  f    .|    H^d  j  J    \.l_^ 


rc 


Hauptthema:  p 

vom    besten    sinfonischen    Schlag,    aber    das    zweite: 

fluj  setzt     zwar 

^V  JtljiTy^i  r,  I'T    r    Nj^  "TT^schdn      an, 


versagtaber 

schon  im  zweiten  Takt.  Auch  im  Adagio  ist  die  Erfindung 
nicht  Brucknerisch.  Origineller  wirkt  das  Scherzo  durch 
seine  dramatische  Erregtheit,  und  das  Finale  rUhrt  gerade- 
zu  durch  den  mdden  Ton  seines  Hauptthemas.  Es  ver- 
r&t  damit  die  N&he  von  Bruckners  neunter  Sinfonie.  An 
ftuGrer  Wirkung  fehlt  es  auch  dieser  sechsten  Sinfonie 
nicht,  an  subtilen  und  iiberw&ltigenden  Klangphantasien 
ist  sie  ebenso  reich  als  die  andren. 


_^    792    «>- 

ri.  Brmekaer,  Abgeschlossen  hat  Bruckner  seine   markante  sinfo- 

Nennte  Sinfonie.  nische  Arbeit  mit  dem  Torso  einer  neunten  Sinfonie 

(Dmoll),  die,  von  Ferdinand  Lowe  ans  dem  Nachlasse 
heransgegeben,  des  vierten  Satzes,  des  Finale  entbehrt 
Sie  begegnet  sich  mit  Beethovens  Neunter  nicht  bloO  in 
der  Wahl  der  Tonart  und  als  SchluOwort,  sondem  viel- 
fach  anch  in  der  Stimmung.  Noch  mehr  als  ihre  klas- 
sisch  monnmentale  Vorg&ngerin  ist  sie  ein  Werk  der 
Schwermnt  Feierlich  dQster  setzt  der  erste  Satz 
(Dmoll,  (^)  ein,  mit  dem  Beelhove-  u  j  spannend, 
nischen  knisternden  Erwartuugsmotiv  •v'  •  bricht  in 
gewaltige  Kiagen  aus,  wQhlt  fragend  und  bittend,  stimmt 


dann  eine  schftne,,^^     _     .   _     .        <r     i     ■;--, 
breite,  belle  Melodie  AT  2  f^jji  I  f^;/!  I  V    T  'TPr_T^l 


der   Hoffnung    an:  P 

umklammert  sie  bald  sanft,  bald  stiirmisch,  sucht  die  D&- 
monen  der  Furcht  durch  geliebte  kirchliche  Weisen  zu  ban- 
nen  —  umsonst!    Das  eherne  Gesetz  menschlichen  Loses, 

vom  Haupt-       ^  ^->_..  j 

thema  aus-      §^  Hi  °     !>"  J;  I         Ij     T^t^^ 


etc. 


gesprochen :  -^ 

tritt  ihm  immer  wieder  bis  zum  Schlusse  entgegen. 

Der  zweite  Satz  (bewegt,  lebhaft,  DmoU,  ^/i)  ist  das 
vielleicht  grausamste  und  unheimlichste  Scherzo,  das  die 
sinfonische  Litteratur  aufzuweisen  hat.  Die  Themen  sind, 
auch  im  Trio,  nur  Figuren,  die  im  verminderten  Sept- 
akkord  spukhaft,  fahl,  gehetzt  und  entsetzt  hinauf  und 
hinabjagen;  als  Kern  der  Musik  tr&gt  die  Erinnerung 
die  morderisch  dr5hnenden  Rhythm  en  der  H5rner,  Trom- 
peten  und  Posaunen  heim. 

Der  dritte  Satz  (Adiagio,  Edur,  C)  empf&ngt  den 
H5rer  mit  dem  Eingangsmotiv  von  Wagners  Faustouver- 
ttire  und  mit  der  Ghromatik  und  der  groBen  Sehnsucht  der 
Tristanmusik;  verzweifelte  Kiagen  wechseln  mit  Grabes- 
ruhe.  Nur  auf  kurze  Zeit  lichtet  sichs  etwas  in  einem  sch5n 
melodischen  Asdur-Satze,  der  als  Alternativ  wiederkehrt. 
Wie  in  Bruckners  Fmoll-Messe  birgt  sich  anch  in  diesem 
Adagio  viel  Todesfurcht,  doch  klingt  es  versdhnend  aus. 


--^    793    *>- 

Dafi  die  deutsche  Masik  in  der  Sinfonie  mit  einer 
Schole  Bruckners  zu  rechnen  habe,  wnrde  aus  einer  Ver- 
mutnng  dorch  die  Gmoll-Sinf  onie  von  Gustav  Mahler  B.  HAhler, 
zar  Tatsache.  Sie  ist  die  zweite  Sinfonie  des  Kompo-E"^.'^^***^®'*® 
nisten ;  seine  erste  (in  D  dur),  die  durch  eine  AufT&hrang  *°  ®°*®* 
auf  dem  Weimarischen  TonkQnstlerfeste  des  Allgemeinen 
Deutschen  Masikvereins  (i.  J.  1894)  znerst  weiter  bekannt 
wurde,  ist  romantisch  pastoralen  Charakters  und  war 
frQher  unter  dem  Gesamttitel  » Titan*  mit  folgendem 
Programm  versehen:  »L  Teil.  Aus  den  Tagen  der  Jagend, 
Tugend-,  Frucht-  und  DornenstUcke.  II.  Teil.  Commedia 
umana.«  Der  erste  Satz  dieses  zweiten  Teils,  der  bei  der 
Weimarischen  AuffQhrung  als  »des  J&gers  Leichenbe- 
g&ngnis«  bezeichnet  war,  ist  in  seiner  Mischung  von 
tollem  Scherz  und  Ernst  der  eigenste,  die  erste  Visiten- 
karte  des  ironischen  Mahlers.  Die  C  moll -{Sinfonie  ist 
durchaus  emst  und  pathetisch,  sie  bekennt  sich  zu 
Bruckner,  aber  nicht  bloB  in  der  Richtung  der  Ideen, 
sondern  sie  stellt  diese  zum  Teil  mit  Brucknerscben 
Mitteln,  z.  B.  mit  hauiiger  Anlehnung  an  Choralweisen, 
dar,  und  sie  steht  drittens,  und  zwar  noch  mehr  als 
Bruckners  eigene  Werke,  unter  dem  starken  EiniluG 
Richard  Wagners.  An  keiner  fr&heren  Sinfonie  kann 
man  so  wie  an  dieser  Mahlerschen  merken,  wie  die 
neuere  Musik  immer  mehr  von  dem  Geist  und  auch  von 
der  Sprache  des  Bayreuther  Meisters  aufnimmt.  Seine 
Macht  ist  schon  jetzt  der,  die  Schiller  in  der  ersten 
Halfte  des  19.  Jahrhunderts  auf  die  deutsche  Dichtung 
ausQbte,  mindestens  gleich. 

In  mancherlei  Aufierlichkeiten  macht  die  C  moll-Sin- 
fonie  Mahlers  den  Eindruck  eines  auGerordentlich  schwie- 
rigen  Werks.  Sie  mischt,  scheinbar  ohne  einen  Anhalt 
dafUr  zu  geben,  wie  Berlioz'  »Romeo  und  Julie*,  Instru- 
mentalmusik  mit  Solo-  und  mit  Chorgesang,  sie  hat 
sechs  SUtze.  Von  alien  diesen  Schwierigkeiten  bleiben 
nur  die,  welche  ihr  unerhorte  Blechmassen  verbraucben- 
des  Orchester  und  die  technische  Natur  des  Werkes  der 
Auffiihrung  bietet   Zu  verstehen  ist  sie  ziemlich  einfach, 


-^    794    «^ 

wenn  man  nur  dartiber  klar  ist,  da6  sie  nicht  eine  Zu< 
sammenstellung  von  allgemeinen  Stimmungsbildern  geben 
will,  sondern  dafi  sie  zu  jener  ungeheuren  groGen  Klasse 
von  Programmsinfonien  geh5rt,  deren  Komponisten  eine 
Angabe  fiber  das  Programm  fiir  unndtig  erachtet  haben. 
Ihr  Inhalt  berUbrt  sich  einigermaGen  mil  dem  von  Drae- 
sekes  CmoU-Sinfonie.  Sie  schildert  das  Ende  eines  edlen 
Menscben,  der  einen  schweren  Verlust  nicht  verwinden 
kann.  Die  Beziehnngen  zn  Draeseke  sind  rein  zufallig 
wesentlichere  dagegen  bestehen  zwischen  Mahlers  Kom- 
position  und  der  Sinfonie  fantastique  von  Berlioz.  Auch 
Mahler  neigt,  wenn  auch  dorch  bessem  Geschxnack  ge- 
zfigelt  und  gehaiten,  ein  wenig  roit  seinem  Programm 
zur  Schauerromantik;  noch  mehr  gleicht  er  ihm  in  dem 
Streben  nach  neuen  Orchesterwirkungen.  Sogar  eine 
Besenrute  nimmt  daran  Teil.  Sie  sind  im  ganzen 
edler  als  die  der  Sinfonie  fantastique  und  beruhen  im 
wesentlichen  auf  einer  Obertragung  der  von  Wagner 
fUr  den  >Ring  des  Nibelungenc  ersonnenen  Farben  in  den 
Konzertsaal.  Mahlers  CmoIl-Sin/onie  bildete  fdr  ihre  Ent- 
stehungszeit  den  Superlativ  dessen,  was  die  neue  Zeit  in 
der  Kunst  der  Kl&nge  und  Klangmischungen  erreicht  und 
vor  sich  gebracht  hat.  In  der  Menge  imposanter,  m&ch- 
tiger  T5ne  hat  sie  in  der  fdiheren  Sinfonieliteratur  nicht 
ihresgleichen.  Sie  ist  aber  auch  ein  durch  hohe  und  edle 
Ideen  hervorragendes  Werk. 

Der  erste  Satz  (Allegro  maestoso,  d  Cmoll)  beginnt 
mit  Motiven  des  Schwankens  und  der  Aufregung,  des 
emp5rten  Gemots,  als  wenn  sich  einer  strftubt,  eine  furcht- 
bare  Nachricht  zu  glauben.  Des  weiteren  entrollen  ihre 
Bilder  den  ungeheuren  Schmerz  einer  grofien  Seele  und 
Begr&bnisszenen.  Die  Phantasie  sucht  sich  dem  Ein- 
druck  des  Verlustes  durch  Flucht  in  feme,  holde  Zeiten 
zu  entwinden.  ~  Die  Form,  in  der  dieser  Inhalt  darge- 
stellt  wird,  entspricht  in  den  grofien  Zilgen  dem  Aufbau 
des  Sonatensatzes.  Schwierigkeiten  verursacht  vielleicht 
das  Verstftndnis  des  ersten  Themas  dadurch,  daO  sein 
Kontrapunkt   als   ein    selbstandiger  Ideenteil  vorausge- 


-^    795    ^^ 

schickt  wird.  Das  zweite  Thema  tritt  ungewdhnlich  bald 
ein  und  ist  in  mehrere  Grnppen  zerteilt. 

Der  zweite  Satz  (Andante  con  moto,  3/g,  Asdur)  zeigt 
den  Helden  des  Tongedichts  bemiiht,  sich  in  des  Lebens 
Behagen  und  in  seiner  Alltaglichkeit  wieder  zurecht  zu 
finden.  Erregung  klingt  bald  leise  durch  diese  Versuche 
durcb,  bald  bricht  sie  leidenschaftlich  aus  und  wirft  die- 
selben  T5ne  der  Verzweiflung  in  das  Bild,  die  im  ersten 
Satz  so  erschiitternd  wirkten. 

Der  Hauptsatz  dieses  Andante  hat  ein  Thema,  das 
dem  Walzer  der  Volkmannschen  Fdur-Serenade  wohl  ab- 
sichtlich  nachgebildet  ist.  Ein  Kontrapunkt  der  Celli 
sacht  die  Tanzweise  zu  heben,  ein  festliegender  Ba6  zieht 
sie  ins  Wunderliche  und  Ld^cherliche. 

Der  dritte  Satz  (ebenfalls  ein  ruhiger  s/^  Takt,  in 
Cmoll)  fiihrt  die  Versuche  vom  Schmerz  loszukommen, 
einen  gewaltsamen  Schritt  weiter.  Um  zu  vergessen, 
verliert  sich  der  Trauernde  ins  Triviale,  begibt  sich 
mit  den  besten  Teilen  seines  Wesens  in  unwiirdige 
Gefahren.  Umsonst!  Durch  alle  Lagen,  auch  durch 
die  Stunden  neuer  Hoffnungen,  dringt  der  alte  Schmerz 
wieder  durch.  Die  Wunden  der  Seele  bluten  nur  hef- 
tiger. 

An  neuen,  iiberraschenden  Mitt  ein  der  musikalischen 
Karrikatur  durch  Klang  und  Melodik  ist  dieser  Satz  sehr 
reich.  Seine  gebrochene  Schlufistimmung  fiihrt  hochst 
natiirlich  hiniiber  zum 

Vie r ten  Satz,  einem  feierlichen  CTakt  in  Desdur, 
der  ein  Altsolo  einfuhrt  und  ihm  ein  >Urlicht<  betiteltes 
Gedicht  aus  »De8  Knaben  Wunderhorn«  iibertrHgt.  Wer 
dem  zweiten  und  dritten  Satz  mit  dem  richtigen  inner- 
lichen  Anteil  gefolgt  ist,  wird  nicht  befremdet  sein,  wenn 
hier  die  sinfonischen  Traditionen  plotzlich  durchbrochen 
werden.  Der  Verlauf  lieG  fiir  den  Helden  nichts  tibrig 
als  die  Sehnsucht  nach  dem  eignen  Tode,  und  diese 
spricht  das  Altsolo  —  fiir  viele  Znhorer  vielleicht  iiber- 
flUssigerweise  —  ergreifend  schon,  in  der  Tonsprache 
alter  Zeiten  aus. 


-^    796    ^^ 

Aus  diesem  Verh&ltnis  folgt,  dafi  der  zweite,  dritte 
und  vierte  Satz  eng  zusammengehOren  und  daB  vielleicht 
ihre  llufiere  Trennung  besser  unterblieben  wftre. 

Der  ffinfte  Satz,  kurz  gegliedert,  zerrissen,  im 
Tempo  immerwechselnd,  fQbrt  diejirreleitende  Oberschrift: 
>Im  Tempo  des  Scherzos*,  die  wohl  nur  fdr  den  ersten, 
entsetzlich  wild  hereinfahrenden  Abschnitt  p/s  Takt)  gelten 
soil.  Jedenfalls  darf  niemand  den  Charakter  des  gewShn- 
lichen  Scherzos  erwarten.  Der  Komponist  schildert  hier 
ein  Gemtlt  unter  den  Eindr&cken,  die  der  EntschlnG  zum 
Sterben  hervorruft.  Er  gibt  uns  Chor&le  und  fromme, 
feierliche  Gedanken  der  Ergebung,  des  Hoffens  auf  Gott 
und  Jenseits,  der  Liebenswiirdigkeit  im  schroffen  Wechsel 
mit  dem  Ausdruck  der  Klage,  des  Entsetzens,  des  Todes- 
grauens  mit  phantastischen  Bildem  geistiger  Umnachtung. 
Sie  treten  ganz  besonders  hervor  in  einem  kurzen  Ab- 
schnitt, den  H5rner  —  die  Stelle  hat  die  Oberschrift: 
>Der  Rufer  in  der  Wilste*  —  mit  Signalen  einleiten.  In 
der  Mitte  der  Komposition  regt  sich  in  einem  kr&ftigen 
Marschsatz  (F  dur)  noch  einmal  die  Lebenslust  Als  alles 
zu  Ende  ist  und  Stille  eintritt,  spielen  Mittelstimmen  leise 
auf  das  zweite  Thema  des  ersten  Satzes  an. 

Der  SchluGsatz  kniipft  ebenfalls  an  die  sanften  be- 
freienden  Ideen  dieses  Themas  in  seinem  Hauptinhalt  an. 
Den  Anfang  macht  ein  romantisches  Konzert  zwischen 
Trompeten,  H5mern,  die  aus  der  Feme  spielen,  mit  der 
SoloflQte  und  der  grofien  Trommel  des  Orchesters.  Es 
hat  wohl  zu  der  Oberschrift  des  Satzes  »Der  groGe  AppelU 
Veranlassung  gegeben  und  will  das  Auferstehen  der  Natur 
im  Fruhling  zugleich  mit  der  Auferstehung  der  Toten  vor 
die  Phantasie  fuhren,  Bilder  eines  Michelangelo  und  eines 
modernen  Idyllenmalers  in  einen  Rahmen  dr&ngen.  Bald 
darnach  tritt  der  Gesangchor  ein  und  singt:  »Auferstehn, 
ja  auferstehn«.  Der  zwischen  Solisten  und  Chor  verteilte 
Text  erklftrt  auch  das  weitere. 

Wenn  sich  diese  frdher  lange  ignorierte  Gmoll-Sin- 
fonie  Mahlers  mittlerweile  in  den  Konzertsfilen  (als  »Auf- 
erstehungssinfoniec)   eingebQrgert  hat,  und  wenn   auch 


_^    797    ^>- 

seine  weiteren  Sinfonien  bis  zur  achten  —  die  neante  ist 
augenblicklich  noch  nicht  verdffentlicht  —  in  der  Statistik 
der  AuffUhruQgen  in  der  vordersten  Reihe  der  Novit&ten 
stehen,  so  ist  das  die  Folge  der  raschen  und  kaum  zu 
ahnenden  Entwicklang,  welche  der  Komponist  nach  jenem 
Werke  genommen  hat.  Er  ist  sehr  bald  ein  KrSsns  der 
Orchestertechnik  und  darUber  hinaus  ein  Sinfoniker  von 
ganz  eigener  geistiger  Bedentung  geworden.  Es  wird 
allerdings  noch  einige  Zeit  kosten/bis  seine  Sinfonien 
nach  dieser  letzten  Seite  bin  voll  verstanden  werden,  und 
eine  unbedingt  begltickende,  zur  Liebe  zwingende  Wirkung 
wird  ihnen  ffir  immer  versagt  bleiben.  Aber  als  Seelen- 
bekenntnis,  als  eine  fUr  viele  sprechende  Stimme  aus  der 
Zeit  des  Komponisten ,  haben  sie  schon  jetzt  ihren  ge- 
schichtlichen  Wert 

Mahler  begn&gt  sich  nicht  damit,  erlebte  oder  ge- 
trftumte  Freuden  und  Leiden  in  Tonbilder  zu  fassen,  nicht 
mit  der  Wiedergabe  von  seelischen  und  sinnlichen  Ein- 
dn&cken,  die  der  Aufnahme  und  Verwertung  in  jedermanns 
Phantasie  und  Gemtit  sicher  sind,  sondern  er  will  vor 
allem  eine  Weltanschauung  predigen.  Das  tun  die  grofien 
Meister  auch,  aber  implizite  und  unwillkarlich ;  Mahler 
dagegen  geht  von  der  bestimmten  Absicht  aus,  seine  An- 
schauungen  vom  Leben  und  vom  Menschentum,  vom 
Wert  irdischen  Treibens  und  Wfthnens  zum  Ausdruck  zu 
bringen.  Er  ist  ein  sinfonierender  Philosoph  und  als 
solcher,  weit  fiber  Wagner  hinaus,  Vertreter  jenes  mo- 
dernen,  unerbittlichen  Pessimismus,  als  dessen  literarische 
Hauptapostel  Schopenhauer  und  Nietzsche  allgemein  be- 
kannt  sind.  Von  letzterem  unterscheidet  ihn  noch  ein 
starker  Rest  von  Humanity t,  der  Glaube  an  die  besee- 
ligende  Macht  wahrer  Liebe,  an  den  Trost  und  die  auf- 
richtende  Kraft  festen  Wollens  und  Ringens.  Aber  die 
kleinen  Erg5tzlichkeiten  der  Menschheit,  ihre  Menuetts 
und  Scherzos,  auch  ihre  frommen  und  kirchlichen  Siche- 
rungsmittel  hafit  er  wie  Einer  und  geht  in  ihrer  Ver- 
spottung  gelegentlich  bis  zu  einem  Punkt,  der  die  Krimi- 
nalitftt  streift. 


-^     798     ^>— 

Damit  erledigt  sich  einfach  die  oft  aufgeworfene 
Frage:  warum  Mahler  seinen  Sinfonien  keine  Programme 
beigegeben  babe,  und  damit  erkl&rt  sich  auch  die  Menge 
oft  abstofiender  parodistischer  Ztige,  die  in  den  Mahler- 
schen  Sinfonien  auch  dem  Ahnungslosesten  auffallen  und 
die  so  viele  seiner  Zuhdrer  zur  Zeit  noch  verwirren. 
Mahler  gehort  zu  den  im  tiefsten  Grunde  unglticklicben 
Naturen,  an  denen  die  Geschichte  der  Ktinstler  und  der 
hervorragenden  Geister  nicht  eben  arm  ist;  seine  Sin- 
fonien bezeugen  aber  unabweislich,  daB  er  auch  zu  jenen 
edlen  Naturen  zu  z&hlen  ist,  die  in  der  Resignation  ihren 
Halt  gefunden  haben. 

Rein  musikalisch  imponiert  Mahler  am  st&rksten 
durch  die  Beherrschung  des  Kolorits.  Diese  von  den 
Neueren  nahezu  zur  Hauptsache  gemachte  Nebenkunst 
meistert  er  nicht  bloB  in  ihren  bekannten  Wirkungen 
und  Wundern  und  in  der  ganzen  Skala  vom  Subtilsten 
bis  zum  Gewaltigsten  vollst&ndig  virtuos,  sondern  er  liebt 
es  hier  auch,  vom  GlUck  bald  getragen,  bald  yerlassen, 
stark  zu  experimentieren.  Unter  den  von  ihm  in  der 
Sinfonie  neu  versuchten  Instrumenten  fehlen  nur  noch 
die  Hupe  und  die  Dampfpfeife;  Orgelton  und  Giocken- 
klang,  beide  schon  fr&her  versucht,  werden  ihm  vielleicht 
das  bleibende  Burgerrecht  in  der  Sinfonie  zu  danken 
haben.  Auch  als  Kontrapunktiker  leistet  Mahler  AuBer- 
gewohnliches.  Regelrechten  Fugen  und  Variationen  ist 
er  abhold,  gelegentlichen  kleinen  Ranons  geneigt,  die 
Hauptkraft  aber  wendet  er  der  Umbildung  von  Themen 
und  Motiven,  der  Kombination  getrennter  Ideen  und 
der  reichen  Einkleidung  der  Hauptgedanken  durch  selb- 
st&ndige,  in  interessanten,  auch  harten  Dissonanzen  schil- 
lernde  Begleitungsmotive  zu.  Im  letzteren  Punkt  folgt 
er  dem  zuerst  von  Wagner  gegebenen  Muster  mit  einem 
gewissen  Uberschwang;  das  Mahlersche  Orchester  fesselt 
durch  innere  Lebendigkeit,  zuweilen  aber  ist  es  Qberladen. 
Als  Erfinder  ist  Mahler  vielseitig  und  immer  charakter- 
voU,  aber  nicht  eigentlich  universell  und  originell;  nament- 
lich   da,  wo   die  Themen  GroOe  und   Aufschwung  aus- 


-^    799    «^ 

driicken  sollen,  wo  ihr  Wesen  auf  der  Tagesseiio  measch- 
lichea  Dichtens  and  FUhlens  liegt,  bleibt  er  nicht  selten 
trocken,  kommt  tkber  Marschweisen  nicht  hinaus  and 
verftkgt  nor  iiber  eine  sp9,rliche  Zahl  rhythmischer  und 
melodischer  Grundformen. 

Die  dritte  Sinfonie  Mahlers  (Dmoll)  verlaaft  in  zwei     0.  Hakier, 
Abteilungen,  von  denen  die  erste  aas  dem  ersten  Satz,  Dritto  Sinfonie 
die  zweite   aas   den    folgenden   f&nf  Nummern  besteht. 
Jene  bietet  das  Bild  einer  groOartigen   Kraftentfaltung, 
diese  stellt  ihm  T&ndeleien  entgegen,  aber  die  erst  am 
Ende  wieder  ein  starker  and  e raster  Geist  siegt. 

Der  erste  Satz  (Kraftig,  entschieden,  Dmoll, ^/4)  be- 
ginnt  mit  folgendem  Haaptthema: 

I  iifrr|r|ir|fi^r|rii|[|j||i|iiii||  ini,  mii  \\_\ 

Seine  ersten  Takte  stellen  mit  dem  Zitat  aas  dem  be- 
kannten  Stadentenlied  >Ich  hab^  roich  ergeben  asw.<  eine 
frohgemate,  patriotische  Stimmang  fest,  die  aber  be- 
reits  in  der  zweiten  H&lfte  in  Unrahe  and  ins  Schwan- 
ken  ger&t.  Mahler  l&Ot  die  einfache  Melodie  von  acht 
H5rnern  im  unison o  blasen.  Schabert  kommt  bei  einem 
ahnlichen  Zweck  im  Anfang  seiner  groOen  Cdur-Sin- 
fonie  allerdings  sehr  gut  mit  zwei  aus,  trotzdem  ist  das 
Mahlersche  ll^assenaafgebot  keine  bloBe  Marotte  oder 
AuBerlichkeit ,  sondern  der  Komponist  braucht  eine 
Flotte  mit  tausend  Masten,  damit  der  schnell  eintretende 
Schififbrach  um  so  klS.ghcher  wirkt.  Schon  bei  der 
letzten  Note  des  Themas  weicht  der  gl&nzende  Klang 
einem  doppelten  and  dreifachen  Piano,  die  Stimmang 
ist  gebrochen,  die  ^yi^  j  ^_^  ,  ^  [  }  sie  klagen 
B&sse  f ragen  leise :  ■    '        -J3-*'  Ji    ^ —  laat  and  wild: 

fi-  Irffi  ^    if    P    r  •^T"*'— I    ""^    ^*®   Trompe- 

'^%  ^tftCiTl         I'     r    I   "    ri    te   gibt    mit  grel- 

XT  ler  Dissonanz    in: 


JL  j   ^  fm\u\  Til         einer Verzweiflung,  einem 

"^  str     ™ii:    '  JkdM^^  Unfrieden  Aasdrack,  aas 

■  -^     '        '*'■* — 'S*-   r    dem  sich  sehr  lange  kein 


— »    800    •— 

Ausweg  bieten  will.  Es  braucht  nach  jenem  Trompetenscbrei 
76  Takte  des  Suchens  and  Versucbens  mit  neuen  and  alien 
Motiven,  in  den  Hdrnern  zuroal,  bis  sich  die  erschreckten 
Geister  wie  im  Schlammer,  den  nar  eine  einsame  Pauke 
leise  durchklingt,  be- *j^i 
rahigen.  In  Bruckner-flb^  f  t 
scher  Art  folgt  jetzt  mit^ 
ein  Cboral,  der  wie  aas  der  Hdhe  erklingt  and  von  der 
Oboe  mit  pastoralen  Motiven  begriUBt  and  begleitet  wird. 
Mit  ihm  beginnt  die  Grappe  des  zweiten  Tbemas,  die  im 
Gegensatz  za  dem  heroiscben  Anlaaf,  mit  dem  das  erste 
einsetzte,  aaf  eine  ergebangsvolle  Stimmang  hinlenkt 
Der  Weg  dahin  ist  aber  nicht  leicht;  zan&chst,  ehe  der 
s/s  Takt  einsetzt,  kommt  eine  Stelle,  wo  aus  der  Schwer- 
mat  voile  Gebrocbenbeit  geworden  ist,  wo  die  Masik 
allein  mittelst  des  Schlagzeags  gespenstische  and  un- 
heimliche  Lebenszeicben  gibt.  Die  Rolle  des  Aufhellens 
and  Aafmanterns  iibernimmt  da  das  Osterinstrament, 
die  Posaane,  and  raft  in  langen,  energischen  Rezitatiyen 
zam  Choral  zarUck,  der  zuerst  aus  den  tiefen  Instrnmen- 
ten  in  geisterbafter  F&rbang  ertdnt,  dann  aber  in  FlOten 
and  Violinen  aafsteigt.  Da0  ihm  aber  die  Herrscbaft 
noch  lange  nicht  sicher  ist,  sagt  die  plOtzlicbe  Wieder- 
kehr  der  Trompetendissonanz,  es  sagts  aach  der  verhtkllte 
Klang,  in  dem  er  intoniert  wird,  and  drittens  der  seli- 
same  AbscbluQ  der  ganzen  Themengrappe  in  einen  an- 
vermittelten  Obergang  nach  Cdar,  mit  einem  schrillen 
Einsatz  der  Klarinetten.  Dieses  Klarinettensignal  bhngt 
die  Wendang  im  Satz,  es  klindet  einen  Oberfall:  neosie 
Feinde  sind  in  das  von  Parteiungen  verwirrte  Land  ein- 
gebrochen.  Der  Warnang,  dem  Hilferaf  wird  in  der  nan 
folgenden  Darchfiihrang  entsprocben,  die  ans  in  einem 
breiten  and  banten  Bild  den  Heldenmat  and  die  Vater- 
landsliebe  am  Werke  zeigt  Formell  wird  die  Schilderong 
von  einem  fearigen  Marscb  getragen,  der  von  Cdar  aas 
die  verscbiedensten  Tonartea  darchl&aft  and  sich  in  er> 
staanlicher  Wandlangsf&higkeit  alien  Phasen  eines  Kriegs^ 
ganges  and  seiner  Entscheidangsk&mpfe  anpafit   Selbst- 


— ^    801    ^»- 

verst&ndlich  kommt  hier  der  Anfang  des  Hauptthemas 
zu  seiner  Creltung,  es  lenkt  and  leitet  die  ganze  Entwick- 
lung  des  groOartigen  TongemlQdes,  hier  herrisch  and  an- 
feuernd,  dort  in  wandersch5nen,  warmen,  edlen,  elegischen 
Umbildangen,  zam  Schlafi  nach  vielen  kritischen  Aagen- 
blicken  and  nach  vielen  Wehrafen  triumphierend.  Der 
ganze  DurchfQhmngsteil,  der  ungef&hr  die  Hftlfte  des 
ersten  Satzes  einnimmt,  ist  ein  gl&nzendes  Zeugnis  des 
K&nnens  Mahlers,  seiner  kombinatorischen  Begabang, 
aber  aach  der  Macht  seiner  Phantasie  and  seines  Ge- 
fUhls.  Der  Marsch  vers ch win det  schlieClich  wie  ein  StUck 
Spuk,  and  es  beginnt  die  Reprise.  Sie  unterscheidet 
sich  —  von  den  hergebrachten  Modolationsftnderungen 
abgesehen  —  darchaas  logisch  von  der  Themengruppe 
dadarch,  daO  sie  die  dem  Haaptthema  folgende  Partie 
des  Zweifelns,  Schwankens  and  der  Unentschlossenheit 
tkberschlfigt  Der  Marsch  schlieOt  den  Satz  and  zwar 
mit  h5chster  Kraft  in  Fdur. 

Der  zweite  Satz  (Tempo  di  Menaetto,  sehr  m&Oig, 
Adar,  3/^)  zeigt  uns  den  Komponisten,  &hnlich  wie  der 
Walzer  in  der  Cmoll-Sinfonie,  als  ein  ausgezeichnetes 
Suitentalent )  aber  eigeniUmlicherweise  als  eines,  das 
sich  auf  diesem  heimischen  Bo  den  nicht  wohlfiihlt  Das 
lassen  im  Haaptsatze  schon  verschiedene  Abschweifungen, 
noch  mehr  I9.fit  es  im  Alternativ  der  unstete  Wechsel  von 
Tempo,  Takt  and  Motivmaterial  merken.  Stellenweise 
spricht  sich  derUnwille,  den  der  Komponist  gegen  das  sinfo- 
nische  Herkommen  hegt,  in  einer  gesachten  Schalheit  aus. 

Der  dritte  Satz  (Gomodo,  Scherzando,  Cmoll,  ^4) 
zeigt  ans  Mahler  noch  entschiedener  auf  dem  Weg 
zu  einem  Offenbach  der  Sinfonie.  Wie  schon  das 
erste  Thema  ^l**.  y  f  p  f  pf  1  f  r  p  4^  trivial  sein  will, 
(der    Oboe):  ^^ '' -T  '  '  '   ^  I  U  f    ^^'  so  geht  die  Er- 

findang  durchweg  aaf  eine  grimmige  Verspottung  des 
ganzen  Genres  aus.  Fiir  den  Zah5rer  bleibt  viel  Witz 
im  eiuzelnen  zu  genieOeu,  am  SchluB  kommt  sogar  mit 
dem  Konzert  zweier  Posthdrner  eine  idyllische  Episode, 
um  deren  Poesie  an  dicser  Stelle  es  eigentlich  schade  ist. 

Kretzschmar,  F&lur«r.    1,1.  51 


— ^    802    ♦— 

Der  vierte  Satz  (Misterioso,  sehr  langsaxn,  Ddur, 
s/2)  kniipft  in  der  kurzen  Einleitung  an  die  Verlegenheits- 
stelle  am  Schlusse  des  Hanptthemas  vom  ersten  Satz  an 
and  bringt  dann  Uber  Worte  von  Nietzsche  ein  Altsolo, 
das  an  eine  getragene,  halb  tiefsinnige  Meiodie  einige 
seitsame,  altv&terische  SchnOrkel  knflpft,  so  da6  man 
nicht  recht  weifi,  ob  man  das  Stuckchen  ftir  Ernst  oder 
Scherz  rechnen  soil. 

Beim  fQnften  Satz  (Lustig,  Fdur,  ^/ij  besteht  da- 
gegen  gar  kein  Zweifel,  daG  Mahler  parodieren  will.  Der 
Knabenchor,  der  uns  hier  yon  einer  Begegnnng  erzfthlt, 
die  zwischen  Jesus  und  Petras  im  Himmel  stattfindet, 
tut  dies  in  einem  so  kecken,  unwQrdigen  Ton,  dafi  es 
nicht  noch  des  Gestammels  auf  »bamm,  bimmc  bedurfte, 
um  tlber  die  gradezu  frech  antikirchliche  Tendenz  des 
Satzes  aufzukl&ren.  Hier  hOrt  der  SpaB  auf,  und  es  kommt 
an  Mahler  ein  peinliches  Stflck  Shy  lock  znm  Vorschein. 

Der  sechste  und  letzte  Satz  (Langsam,  Ddur,  C) 
gelangt  von  einem  Anfang,  der  die  Stimmnng  in  etwas 
konventionellen  Melodien  zur  Ruhe  sammelt,  fiber  Strecken 
leidenschaftlicher  Erregung  zu  einem  Frieden  in  Kraft  und 
Glanz,  mit  Themen  und  Motiven,  die  an  schOnste  Stellen 
des  ersten  Satzes  ankntipfen  und  damit  die  Sinfonie  zu 
einem  vers5hnenden,  harmonischen  AbschluO  bringen. 
G.  Mahler,  Das  'AuBerste,  was  in  sinfonischer  Form  an  Parodie, 

Vierte  Sinfonie.  an  Hohn  und  Spott  mSglich  scheint,  bietet  Mahlers 
vierte  Sinfonie  (Gdur).  Ihr  Objekt  ist  der  gebildete 
Philister,  dessen  Wesen  und  Treiben  der  Komponist  in 
vier  Bildern  vorfiihrt 

Der  erste  Satz  (Bed&chtig,  Gdur,  V4)  f^^g^ 
gleich  mit  einer  Karrikatur  an,  nftmlich  harmonisch 
verkehrt,  statt  in  Gdur  in  HmoU  und  mit  Motiven 
plattester 
Vergntig-  ^) 

lichkeit :  *^  P  Flbten 

die     bald     von      qm.   -^m.r'       ^- .m-'^ 

einer       billigen  h)  ggfeETtf^^fit-fif  fFff^lT  f  -^tc. 


Sentimentalitftt :      ''v,oi./i-=^  j^ 


803 


abgel5st    wird.      Bereits     mil    dem     zweiten    Thema 

\  'JHhr..  .1111     u  I  I  I  I  I  J    I    1       *s*    ^^^    bieder- 

^'  g*^"j^N  j  J.  Jll^^^JJT^    l^^«^- meiersche Misch- 

Ceiii^^-^  — =^  ^^=^         masch  von  Up- 

pischer  Lustigkeit  and  erkflnstelter  Empfindsamkeit  bei  der 
voUst&ndigen  Lftcherlichkeit  angelangt.  Mahler  gewinnt 
aber  seinen  Themen  immer  neue  lustige  Seiten  ab,  teils 
dorch  witzige  Instramentierung,  teils  durch  WidersprUche 
in  der  Gedankenentwickelung:  da  wird  der  phrasenhafte 
Doppelschlag  (von  b)  pl3tzlich  von  3  Oboen  unisono 
nnd  im  fff  heraifsgestoOen,  die  Kontrabftsse  und  Konlra- 
fagotte  8t5hnen  ihn  inbriinstigst  in  die  Leere,  andre  In- 
strnmente  wieder  konzertieren  um  ihn.  In  der  SatzfQh- 
rang  werden  nichtige  Motive  pl5tzlich  roit  Kantilenen 
kontrapanktiert,  die  sich  wohltaend  innig  anlassen,  aber 
schnell  wie  Seifenblasen  zerplatzen,  oder  es  spannen 
ans  grofie  Steigerangen  and  mtknden  in  Trivialitfiten  aus. 
Die  Haaptstelle  dieser  Art  kojnmt  in  der  Darchfahrang 

wo  aas  einem  karzen,   a  fi-^.-rrr- 

aber  pompSsen  Qrgel-^^  If'  T"  p  t-[-r  IJ  f  etc. 
pankt  der  Gassenhauer:       -^ 

entspringt  Trotz  ihrer  L&nge  bleibt  die  Komposition  bis 
zam  Ende  amiisant. 

Der  folgende,  zweite  Satz  (Ohne  Hast,  CmoH,  ^h) 
nimmt  sich  die  Karrikatar  philisterhafter  Gemfltlichkeit 
zam  Ziel,  ihr  Merkmal  ist  ungeschickte  Beweglichkeit 
im  engen  Kreise.    Das  will  das  Thema  des  Haaptsatzes 

das  nach  ei- 
ner  karzen 
*^<^  P^^f    P  ^^=^   Horneinlei- 

tang  von  einer  falsch  gestimmtenSolovioline  gebracht 
wird,  mit  seiner  vertrackten  Melodik  sagen.  Harmonie 
and  Kontrapankte  greifen  in  gleichem  Charakter  ein,  und 
ihm  entsprechen  endlich  auch  die  zahlreichen  reinen  und 
variierten  Wiederholungen,  die  das  Thema  erHlhrt,  und  die 
umstandlichen  Anlftufe,  die  zu  ihrem  Eintritt  untemommen 
werden.  An  einer  Stelle,  bei  der  pldtzlichen  Wendung  aus 
GmoU  in  Cdur,  h6rt  man  in  den  Fldten  unverkennbares 

61* 


804 


Gel&chter.  Das  herk5xnmliche  Trio  des  Satzes  steht  in 
D  dur,  ist  sehr  kurz  und  hat  in  den  Violinen  eine  ein- 
fache  anheimelnde  Gesangmelodie,  deren  Wirkung  aber 
dnrch  eine  geschwfttzige  Klarinette  absichtlich  verdor- 
ben  wird. 

Im  d  r  i  1 1  e  n  Satz  (Ruhevoll,  G  dur,  C)  nimmt  der  Kompo- 
nist  anf  angs  eine  Maske  vor  und  empfd^ngt  uns  mit  einer  nicht 
gerade  neuen,  aber  sehr  bew&hrten  Weise  elegischer  Natur: 

aas  der  sich  eine 


J    I  J-  Art   friedevollen 
celiiKP  *^    "• —      etc.  Abendliedes  ent- 

wickelt.  Den  weitren  Verlauf  nimmt  aber  wieder  der  Schalk 
in  die  Hand.  Es  begin  nen  Variationen  fiber  das  Them  a,  and 
es  ist  auf  eine  Verspottung  der  landl&ufigen  Variationen- 
form  abgesehen,  die  durch  reicheBenutzung  abgebrauchter 
Oder  iibertreibender  und  l£lcheriicher  Wendungen,  durch 
unsinnig  schroffen  Tempowechsel ,  durch  unmotivierte 
Entstellungen  des  Themas  von  Abschnitt  zu  Abschnitt 
deutlicher  wird.  Auch  der  ganz  unbestimmte,  fast  hfilf- 
lose  SchluB  des  Satze  auf  der  Dominante  geh5rt  mit  ins 
Bereich  der  Karrikatur. 

Bis  hierher  waren  die  von  Mahler  aus  dem  Seelen- 
eben  des  Philisters  entnommenen  Parodien  alle  droUig, 
und  auch  die  groteskeren  trug  ein  noch  immer  liebens- 
wflrdiger  Humor.  Es  ist  darum  bedauerlich,  daO  er  mit 
dem  schlieBenden  vierten  Satz  (Sehr  langsam,  G  dur,  ^/i), 
der  wieder  ein  Gesangsatz  (fQr  einen  Solosopran)  ist,  die 
Wirkung  des  heitren  Werkes  aufs  Spiel  setzt.  Der  aus 
>des  Knaben  Wunderhornc  entnommene  Text  dieses 
SchluGsatzes  geh5rt  zu  den  mehreren  der  Sammlung,  in 
denen  die  Naivit&t  sich  der  L&cherlichkeit  n&hert.  Mahler 
gibt  ihm  folgende  Melodie: 


tunwir< 


lischQ  mei.den 


wendet  ihn  also  augen^ 
scheinlich  ins  Kindische 


805 


Dafi  er  damit  nnr  den  fromm  tuenden  Philister,  nicht 
die  Fr5mmigkeit  und  den  Paradiesesglauben  ttberhaupt 
verspotten  will,  ist  an  und  ft!lr  sich  klar  und  wird  noch 
dadurch  bestHtigt,  dafi  die  Nachspiele  der  Verse  aus  dem 
Uppischen,  leitenden  Philistermotiv  gebildet  sind,  mit  dem 
die  Sinfonie  in  ihrem  ersten  Takte  einsetzte.  Aber  es 
ist  doch  fraglich,  ob  dieser  Unterschied  tkberall  verstanden 
und  anerkannt  wird,  und  es  bleibt  deshalb  kaum  viel 
dagegen  einzuwenden,  wenn  vorsichtige  Dirigenten  auf 
diesen  Schlufisatz  verzichten. 

Den  H6hepunkt  Mahlerscher  Kunst  bildet  seine  G.  Hahicr, 
funfte  Sinfonie,  die  in  Cismoll  beginnt  und  in  D  dur  ^^^nfie  sinfonio 
endet.  Ein  durchaus  emstes  Werk  und  frei  von  den 
parodistischen  Absichten  ihrer  Vorg&ngerinnen,  f&hrt  sie 
in  ftinf  S&tzen  das  Bild  einer  trauemden  Seele  voriiber, 
die  sich  aus  Schmerz  und  Verzweiflung  heraus  wieder 
ins  Leben  zu  finden  sucht. 

Der  erste  Satz  (Im  gemessnen  Schritt,  Cismoll,  ^/s), 
der  in  der  Form  eines  Trauermarsches  gehalten  ist,  wech- 
selt  zwischen  wilder  Erregung  und  einer  mit  den  Tr&nen 
k&mpfenden  Mfidigkeit,  die  oft  genug  der  yollen  Gebrochen- 
heit  nahe  ist  Erstre  wird  von  den  punktierten  Rhythmen 
eines  Themas  getragen,  mit  dem  die  Trompete  den  Satz 
beginnt: 


J  .;* 


;» 


^^^^^^^ 


molto 


^        "  "1^      letztre  von   folgender  Geigenmelodie: 


^^m^^^^^^^^^^^r^ 


Mit  den  Wiederholungen  und  Verwandlungen  dieser  6ei- 
den    Themen  schildert   der  Komponist  in  verschiedner 


806 


Weise  den  Obergang  vom  Anfruhr  zur  Ruhe,  von  der 
Stille  zum  Tumult  der  Gefflhle.  Schon  scheint  in  die 
Seele  das  Gleichgewicht  zuriickzukehren,  da  beginnt  in 
alien  Bafiinstrumenten  Glockengel&ute  (B  F),  nnd  anfs 
neue  hat  die  leidenscbaftliche  Fassungslosigkeit  die  Ober- 
hand  und  behUlt  sie  trotz  der  schdn  znsprecbenden  Trost- 
melodien,  denen  wir  u.  a.  in 


fc¥^^f¥Tf^-t7fri  I  fnii  rrfrrf  I 


^molto  CT«ac.  J^ 


und  in 


begegnen,  bis  ans  Ende  des  Satzes.  Erst  da  fliefit  die 
Klage  weich  und  riihrend  und  leise  stirbt  die  Musik,  nicht 
ohne  bis  zum  letzten  Takt  mit  unerwarteten  Wendungen 
zu  tlberraschen.  Eine  solche  ist  das  A  dur  bei  den  letzten 
Intonationen  des  Triolen signals  mitten  zwischen  FismoU 
und  Cismoll. 

Der  zweite  Satz  (Sturmisch  bewegt,  A  moll,  ((,)  ist 
eine  im  Charakter  gesteigerte  Variante  des  ersten.  Der 
Schmerz  n&hert  sicb  bier  mit  energisch  trotzigen  Achtel- 
g&ngen  und  Aeftig  rhythmisierten  Motiven  der  Wut; 
Klage  und  Trost  finden  im  Gegensatz  dazn  schdne, 
warme,  herzliche  T5ne  der  Innigkeit.  Eine  Hauptrolle 
spielt  im  Beschwichtigungsdienst  das  Cello.  Es  gieGt 
zuerst    mit   einer   emsten,    sanften   Melodie   in   Fmoll 

^^       o^^'^^^T^  ^^   *"^  ^^®  Brandung, 

""J'')^^  J'^t-— -lfc:g:-^i^*^  als  die  Desperation  wie- 


P  der  wild  aufschreit,  er- 

hebt  es  mit  einem  nur  von  leisem  Paukenwirbel  be- 
gleiteten  Monolog  dagegen  einen  Einspruch,  der  die  eben 
zitierte  sch5ne  Melodie  an  die  Spitze  und  das  emp5rte 
Gemlit  etwas  zur  Ruhe  bringt.  Unter  den  Episoden, 
welche  zu  dieser  Wendung  f&hren,  ist  naroentJich  ein 
Kanon  zwischen  den  Holzbl&sem  und  den  Cellis  her- 
vorzuheben,    der   aufrichtend    folgendermaOen   anhebt: 


807 


*J^^>"r  W-^:£_JiJ^,^i^^  motiv,    mi 


Das  Nonen- 
mit 


:/  dem     diese 

Melodie  einsetzt,  ist  vom  Anfang  des  Satzes  an  eine 
Haaptstimme  fUr  den  fortnagenden  Seelenschmerz  und 
hat  das  letzte  Wort  im  Satze,  der  mit  einem  dumpfen 
Paukenschlag  ausklingt. 

Wer  die  Entwickelung  und  das  Gesamtergebnis  dieses 
zweiten  Satzes  nachzuffthlen  vermocht  hat,  wird  der 
Lustigkeit,  mit  der  der  dritte  Satz  (Scherzo,  Ddur,  8/4) 
aufGrand 


Themas:       Homer/  ^s^   — =  jBT  etc. 

anhebt,  nicht  trauen,  und  tats&chlich  nimmt  sie  schon  bald 
einen  gedriickten  Charakter  an,  der  in  dem  neuen  Thema 

rii  jii'lj^^Ti''!  LiiMi  bSr  "t; 

^     ji^L-U     -=  j^      r       etc.  Hauptmelodie 

des  zweiten  Satzes  der  vierten  Sinfonie,  seinen  deutlich- 
sten  Ausdruck  findet.  In  dieser  Richtung  entwickelt  sich 
die  Stimmung  weiter,  der  heitre  Ton  wird  nur  mit  Un- 
behagen  festgehalten,  es  kommen  Momente  des  Er- 
schreckens  und  der  Wildheit,  aus  denen  pl5tzliches  Be- 
sinnen  zu  einer  ganz  £lhnlichen  armlichen  Fr5hlichkeit 
tiberleitet,  wie  sie  jedermann  aus  dem  Danse  macabre  von 
St.  SaSns  kennt.  Zum  SchluB  wird  sie  gewaltsam  zu 
einer  erktinstelten  Ausgelassenheit  aufgepeitscht 

Einen  bessren  Weg  zur  Heilung  des  tief  getrofifnen 
Gemiites  schl&gt  der  vierte  Satz  (Adagietto,  Fdur,  Vi) 
ein,  indem  er  sich  der  Erinnerung  an  den  geliebten  Toten 
hingibi  In  edien  Melodien  lebt  sein  Bild  auf,  es  liegt  aber 
im  Charakter  des  Satzes,  daB  sie  in  etwas  unruhiger  Be- 
leuchtung  gehalten  sind. 

Im  ftlnften  undletzten  Satz  [Rondo  Finale,  Allegro, 
Ddur,  (^)  empfangen  uns  pastorale  Weisen:  der  Trau- 
emde  versucht  es  mit  der  S&nftigung,  die  im  Land- 
leben  und  im  Verkehr  mit  der  Natur  liegt.  Dann  kommt 
ein  Thema: 


808 


Celli  f 

das  an  riistiges,  geschaftiges  Arbeiten  denken  lafit,  and 
von  dem  aus  Anlaufe  zur  Doppelfuge  und  Verbindnngen 
mil  zahlreichen  Nebenthemen  erfolgen.  Am  besten  schlieBt 
es  sich  mit  dem  ihm  in  Kraft  verwandten  eigentlichen 
Rondo  thema   -0-^     i     .■.,,.   i  zusammen 

des  Finale:  ^  "" '^  J  I  N  J|J  M  ^*^'  und  setzt 
mit  ihm  vereint  auch  eine  lebenslustige  Frohlichkeit  durch, 
die  sich,  allerdings  durch  geisteihafte  KlSlnge,  durch  herein- 
fahrendeTrugschliissc  und  Dissonanzen  h&ufig  erschreckend 
unterbrochen,  £lu6erlich  bis  ans  Ende  behauptet.  Rechtes 
Zutrauen  kann  man  ihr  nicht  abgewinnen,  und  so  ist  der 
Satz,  in  seinen  Wegen  sehr  verschlungen  und  schwer 
iibersichtlich,  auch  im  SchluOeindruck  der  pessimistischen 
Auffassung  des  Problems  getieu,  etwas  unbeMedigend. 
G.  Mahler,  Noch  stSrker  kommt  der  weltfeindliche  Zug  des  Kom- 

Sechste  Sinfonie.  ponisten  in  seiner  sechsten  Sinfonie  (A moll)  zum  Aus- 

druck.  Ihr  erster  Satz  (Allegro  energico,  A  moll,  V4)  bringt 
nach  einer  kurzen,  durch  einen  brutalen,  auf  Frohn  und 
Peitsche  deutenden  Rhythmus  charakterisierten  Einleitung 
ein  Hauptthema  mit  folgendcm  Anfiang: 


fiiX^Cj-f^^^^^^fl 


etc. 


Es  klingt  nach  hartem  Los  und  schwerem  Miihen.  Dim 
tritt  nach  einem  ersten  Cberblick  iiber  die  in  ihm  ent- 
haltenen  Elemente  der  Energie  und  der  Empdrung  ein 
zweites  Thema: 

^^^fe^ffTii  r?f|i|  iifrifliM 


entgegen,  das  sich  mit  aller  Gewalt  TrUumen  von  Frieden 
und  Gliick  zuwendet.  Zwischen  beiden  steht,  leise  into- 
niert,  ein  Choral,  der  auch  im  weiteren  Verlauf  des  ofteren 
die  Vermittelung  zwischen  den  kontr&ren  Ideen  und  Zu- 


— ^    809    4^ 

standen  der  Themengruppe  ubernimmt.  Zum  gleichen 
Zweck  dient  noch  eine  Reihe  sekundarer  Motive  und  Hilfs- 
krafte;  am  meisten  tritt  unter  ihnen  das  Gelaute  von 
Herdenglocken  hervor,  die  Mahlers  Klangbegierde  dem  Sinfo- 
nieorchesler  einverleibt  hat.  Umspielt  werden  sie  regel- 
maOig  von  in  hochster  Hohe  vibrierenden  und  glitzernden 
Geigenmelodien  friedlicher  Natur.  Es  kommt  zu  einem 
Triumphe  des  zweiten  Themas,  das  in  veriangerten  Rhyth- 
men  und  in  Adur  den  Satz  abschlieCt,  jedoch  ohne 
die  Kampfesrustung  abzulegen-.     Das   harte  Kommando- 

EiStutj  /^  J^^  .Ti  i^  ■  ^^^*  m:  rm 

ins  Toben  geralen. 

Der  zweite  Satz,  der  nochmals  die  Amoll-Tonart 
bringt,  nennt  sich  Scherzo,  er  hat  aber  keine  Spur  von 
Heiterkeit,  sondern  er  wiederholt  nur  die  Kampfe  des 
ersten  in  gesteigerter  Heftigkeit  und  Wucht.  Aus  dem 
friiher  immer  noch  gemessenen  Rhythmus  ist  jetzt  ein 
hastiger,  ein  ^/g-Takt  geworden,  aus  alien  AuBerungen  des 
Hauptthemas  und  seiner  Gruppen  spricht  nackte  Brutalitat. 
Das  Alternativ: 

ist  als  volkstiimlicher  Gemeinplatz  ein  Beschwichtigungs- 
versuch  mit  unzureichenden  Mitteln  und  reizt  nur  die 
den  Satz  beherrschenden  Geister  zu  immer  grofirer  Wild- 
heit.  Sie  artet  mehrmals  zu  einem  Winwarr  aus,  bei 
dem,  Tonarten,  Rhythmen,  Starkegrade  eingeschlossen, 
alles  gegeneinander  kSmpft.  An  kleinen  Scherzen  ist 
trotzdem  in  dem  Satze  bis  zu  dem  einschlafenden  SchluB 
kein  Mangel.  Noch  ganz  zuletzt  appelliert  das  allein  da- 
hinpolternde  Kontrafagott  an  die  liichlust  der  Horer. 

Der  dritte  Satz  (Andante  moderato,  Esdur,  */4)  ist 
sehr  reich  an  schonen  Melodien  [der  Sehnsucht  und  der 
still  Oder  laut  entziickten  Schwarmerei.  Aber,  wie  das 
gleich  vom  Anfang  an  die  zahlreichen  iibermS.I3igen  Drei- 
klange,  sp&ter  die  fortwShrenden  Modulationen  andeuten, 


810 


haust  auch  in  ibm  ein  Gefiihl  der  Unsicherheit  und  Un- 
ruhe. 

Das  Finale  (Allegro  energico,  A  moll,  ^/4)  beginnt  rail 
einer  langsamen  Einleitung,  die  von  G  moll  aus  suchend,  aber 
rasch  nach  A  moll  und  da  in  die  Sph&re  und  die  Rhythraen 
des   ersten  Satzes         .      ,.    ,,   .  ,r^^      .  ,— .  .  i     .    . 

gelangt,  bald  aber  in  ^Irh.  \     \\T    f  f  '  T  '^  T  T  ' '{J    ' 
einen  mtiden  Ton:  ^^sottj^ 

get&i  und  sicb  nur  miihsam  'und  bin  und  ber  tastend 
weiterscbleppt.  Da  setzt  endlicb  mit  dem  Allegro  energico 
ein  seltsames,  aber  kraftiges  Tbema  ein: 


j."jiillJ^Jl  jfl^i 


iH-i^fi-U-f^ 


etc. 


j/M'  j,,ip,r"!!rf^ 

Dem  starken  Unfrieden,  der  in  ibm  wobnt,  tritt  das 
zweile  Tbema: 


Horn      ^       ^'    *-<=r  Oboe  =* 

visionsartig,  im  plotzlicben  Ddur  eingefiibrt,  mit  einer 
Anweisung  auf  die  Zukunft  entgegen.  Sie  wird  indessen 
nicbt  eingelost,  sondern,  nacbdem  Szenen  des  Aufirubrs 
und  der  Berubigung,  Scbreckensmomente  mit  Heerden- 
glockenidyllen  gewechselt  baben,  aucb  lange  in  Adur  ge- 
spielt  worden'ist,  kommt  ein  ScbluO  in  Resignation.  Im 
drittletzten  Takt  scblagt  die  Pauke,  fast  rob,  das  Kommando- 
motiv  des  ersten  Satzes  an;  ein  leiser  Amoll-Akkord  der 
Trompeten  bUdet  den  letzten  Haucb  der  Sinfonie.  Dieses 
Finale  ist  wegen  des  stark  gebauften  tbematiscben  und 
motiviscben  Materials,  was  darinnen  verbraucbt  wird,  fiir 
den  Zuborer  schwer,  und  es  ist  im  Cbarakter  besonders 
bart:  auf  ganze  Perioden  kommt  kaum  ein  Dreiklang. 
G.  Mahler,  Die  siebente  Sinfonie,  die  in  H moll  beginnt  und  in 

Siebente  Sinfonie.  C  dur  endet,  ist  Mablers  letzter  Hymnus  auf  die  furcht- 

lose  Kraft.    Sie  fiibrt  den  ersten  Satz  nacb  langsamer, 


— ^    811    ♦^ 

schwul  wirkender  Einleitung  im  Allegro  con  fuoco  (EmoU,  (^) 
mit  dem  Thema: 


ein.     Es    bildet 

I* ,  Y'^  ^i*^  ,^fr  '"Fi^  r  I  »"* ''7?.<=¥"'3 

•y  '  '  .rill  ^gj  funfsatzieen 


Sinfonie  und  bringt  die  in  larmender  Lusligkeit  und 
verzweifeltem  Galgenhumor  stiinnenden  Szenen  des 
Finale  zu  einem  wfirdigen  Ende.  Die  drei  Mittelsatze 
des  Werks  bestehen  aus  zwei  Nachtmnsiken,  zwischen 
ihnen  steht  als  der  dritte  Satz  eine  Art  Scherzo  (Allegro, 
D  moll,  s/4),  das  ganz  in  Totentanzstimmung  und  schatten- 
haft  dahinhuscht.  Die  beiden  Nachtmusiken  nahern  sich 
in  ihrer  parodislischen  Tendenz  wieder  der  vierten  Sin- 
fonie, sie  verspotten  den  Philister  bei  seinen  liebesstftnd- 
chen.  Die  erste  dieser  Nachtmusiken  (Allegro  moderato, 
Cdur,  V4)  hat  ein  akustisches  Kabinettsstiickchen  in  einem, 
gleich  nach  dem  das  Stiick  beginnenden,  pastoralen  Dialog 
der  Horner  einsetzenden,  zehn  Takte  langen  Satzchen,  das 
in  einem  Wirbel  von  Trillem,  Akkordsignalen  und  weiteren 
Naturlauten  mit  beriickender  Wirkung  die  nachtliche  Sze- 
nerie  mit  leuchtendem  Himmel  und  Sternschnuppen  schil- 
dert  und  das  spSter  nochmals  kommt.  Dagegen  treten 
die  mehrfachen  Standchenmelodien  des  Satzes  sehr  zu- 
ruck,  sie  sind  von  vornherein  absichtlich  trocken  und  un- 
beholfen  gehalten  und  arten  schlieBlich  in  einen  ganz 
gewohnlichen  Marsch  aus.  Noch  hSrter  geht  Mahler  mit 
dem  Liebhaber  in  der  zweiten  Nachtmusik  (Andante  amo- 
roso, Fdur,  8/4)  um.  Sie  ist  eine  Sammlung  mehr  oder 
minder  schmachtender  Phrasen,  ihre  Trivialitat  kulminiert 
in  den  vier  Takten  der  Einleitung. 

Zur  groGten  Beruhmtheit  ist  Mahlers  achte  Sinfonie,     G.  Hakler, 
die   sogenannte    »Sinfonie   der  Tausend<    gelangt.    Diese  Achle  Sinfonie 
enorme  Besetzung  der  Sinfonie  ist  keine  unentbehrliche 
Bedingung,  sie  wirkt,  soweit  sie  Wert  hat,  auch  mit  160 
und  200  Kopfen,  aber  sie  ist  keine  Sinfonie,  sondern  eine 
Kantate.    Man  kann  dariiber  unterhandeln,  ob  wir  nicht 


--fr    812    %^ 

musikalische  Kompositionen  jeglicher  Art  nach  dem  Brauch 
des  17.  Jahrhunderts  mit  dem  Generaltilel  Sinfonie  belegen 
wollen,  aber  so  lange  dieses  tJbereinkommen  nicht  rechts- 
kraftig  geworden  ist,  bleibt  es  eine  sinnlose  Umkehrung 
mehrhundertjahriger  Begriffe,  wenn  man  ein  Werk,  an 
dem  das  Orchester  seinen  selbstandigen  Anteil  auf  eine 
Reihe  bescheidner  Nachspiele  und  ein  einziges  Ifingeres 
Vorspiel  beschrankt,  mir  nichts,  dir  nichts  fiir  eine  Sin- 
fonie ausgibt.  Mit  gleichem  oder  groBerem  Recht  konnte 
dann  Beethovens  Neunte  als  Kantate  angesprochen  wer- 
den.  Wohl  ist  das  eine  AuBerlichkeit,  aber  eine,  die 
darauf  hindeutet,  daB  ihr  Urheber  in  Gefahr  war,  das  Nor- 
male  und  Natiirliche  mit  dem  Gesuchten  und  Bizarren  zu 
vertauschen.  Auch  die  Zusammenkoppelung  des  alten 
Kirchenhymnus :  >veni  creator,  etc.*  mit  Goethes  »Faust« 
zum  Text  der  Kantate  oder  Sinfonie  hat  etwas  Gewalt- 
sames;  daneben  allerdings  auch  etwas  Hellsichtiges  und 
GroBes.  Denn  es  besteht  zwischen  den  beiden  Dichtungen 
ein  innres  Band,  der  Preis  der  gottlichen  Liebe  bildet  es, 
und  das  erkannt  zu  haben,  gereicht  Mahler  zur  Ehre. 

Was  nun  die  musikalische  Behandlung  dieses  Tes- 
tes betrifft,  so  hat  sie  unleugbar  ihre  groBen  Stellen, 
ist  aber  im  ganzen  sehr  ungleich.  Da  gehort  denn  ^o- 
fort  der  Eingang  des  Werks  zu  den  zweifelhaften  Ein- 
f^en.  Denn  das  in  einer  Menge  teils  sinnreicher, 
teils  nur  kunstreicher  Umbildungen  durch  das  ganze 
Werk,  auch  im  zweiten  Teile,  verwendete  Hauptthema: 

Allegro  impetuoso  ist  zwar 


/>    .      jy ^/V    m.  . ._ .  als  sttir- 

J  t\  I  f    p  ^|P^-rfh|H  r   I*    II  ^^  mische 

Ve-  ni,  ve.  ni,cre  -   a.tor      splritus  Explosi- 

on heiBer  Inbrunst  gedacht,  hat  aber  in  seinem,  durch  den 
Taktwechsel  nur  schlecht  verdeckten  Marschrhythmus  einen 
starken  Rest  von  Prosa,  der  auf  die  bereits  erwShnten 
Schranken  von  Mahlers  Eriindung  zunickgefuhrt  werden 
muB.  Immerhin  ist  es  in  dem  ersten  Abschnitt  bis  zu  den 
Worten:  »qui  tu  creasti  pectora  supema  gratia*  das  Beste, 
was  der  Komponist  zu  bieten  hat.  Tiefer  eindrucksvoU  wird 


--<^    813    %^ 

die  Musik  erst  wieder,  als  nach  Orgelklang  und  Glocken- 
lauten  bei  >Infirmi  nostri  corporis  virtute*  Stille  ein- 
tritt,  und  ein  Abschnitt,  dem  GroBe  nicht  abgesprochen 
werden  kann,  entwickelt  sich  in  dem  Vers:  >Lumen  ac- 
cende  sensibus«  mit  dem  unisono-Einsatz  aller  Stimmen, 
den  Knabenchor  an  der  Spitze.  Bedeutungsvoll  treten  aus 
ihm  die  Worte:  >infunde  amorem  sensibus«  hervor  und 
ein  Orgelpunkt  auf  B,  der  28  Takte  dauert,  bringt  die 
erste  Halfte  des  Hymnus  zum  imposanten  Abschlufi;  an 
seinem  Ende  dominiert  das  Hauptthema.  Von  »Qui  Para- 
clitus  diceris*  ab  beginnt  ein  langer,  schSner  Nachgesang 
milden  Charakters,  bei  reichem  Leben  besanftigend  und 
beseeligend.  Aucb  ihn  kront  das  Hauptthema.  Damit  ist 
der  eigentliche  Hymnus  zu  Ende,  und  ein  Orchester- 
zwischenspiel  leitet  zu  der  iiblichen  Coda  aller  Hymnen 
und  Psalmen,  zum  »Gloria  Patri  etc.*  uber,  das  eben- 
falls  zu  dem  Hauptthema  zuruckkehrt. 

Diejenige  Stelle,  an  welcher  die  Komposition  einen 
wirklich  sinfonischen  Charakter  annimmt,  ist  die  Einlei- 
tung  des  zweiten  Teils,  ein  Orchestersatz  (Poco  Adagio, 
EsmoU,  C)  in  welchem  164  Takte  lang  die  Kontrabasse, 

meist   gemeinsam    mit    den  _ 

Cellis,  Bratschen  und  zweiten    z:^:^^^^:}  j    ■>  JJ  J  I  f  ^ 
Geigen,   das  Pizzicato-Motiv  *     "^  ' 

durchfiihren,  in  den  Blasem  wird  sp^rlich  gesungen,  die 
ersten  Violinen  aber  halten  fast  die  ganze  Zeit  an  einer 
liegenden  Stimme,  dem  drei  gestrichenen  cs,  fest.  Nur 
im  Mittelteile  wird  dieser  Gespensterton  einige  Perioden 
hindurch  aufgegeben,  um  erregterer  Klage  Raum  zu  geben. 
Das  Stiick  erinnert  an  das  »Libera  etc«  in  Berlioz'  Requiem, 
mit  dem  es    p  j^  ,^  ^  begegnet,  ubertrifft  aber  die- 

sich  auch  in  A  r  h%^  f '  F  T  ^  ^^^  Muster  noch  an  Fremd- 
dem    Motiv  artigkeit  und  in  dem  Starke- 

grade,  in  welchem  es  Gefuhle  der  Ode,  des  Druckes,  der 
Verlassenheit  und  des  brrens  erregt.  Es  ist  eine  unver- 
gleichlich  unbarmherzige  Art  von  Musik,  ein  Bravourstuck 
njichtiger  Kunst.  Nach  ihm  beginnt  Mahlers  Konkurrenz 
mit  R.  Schumann.    Denn  er  hat  sich  die  gleichen  Szenen 


-^    814    ^^ 

aus  Goethes  »Faust<  ausgewShlt,  die  den  dritten  Tell  des 
Schumannschen  Faustoratoriums  bilden.  DaO  der  Jiingere 
den  Alteren  verdrangen  werde,  ist  nicht  zu  erwarten,  well 
Schumann  den  melodischen  Reiz,  die  bessere  VokalitUt 
und  die  Einfachheit  des  Stils  voraus  hat,  vor  allem  aher 
den  verklarten,  zarten  Ton  dieser  Himmelsszenen  gliick- 
licher  trifft  und  festh^lt.  Mahlers  Faustmusik  ist  reicher 
an  Kombination  als  an  Inspiration,  sie  erfreut  hie  und  da, 
z.  B.  bei  dem  kanonischen  Terzett  der  »drei  Marien«, 
durch  Proben  wohl  an^ebrachter  Kunst,  aber  sie  verdirbt 
auch  viel  durch  ein  CbermaB  von  Arbeit.  Bedeutend 
wird  sie  gegen  den  SchluB  hin,  ungefahr  von  den  Worten 
der  Mater  gloriosa  ab:  »Komm,  hebe  dich  zu  hehren 
Sph£lren«,  meisterlich  mit  dem  Einsatz  des  Doktor  Marianus 
>BUcket  auf  etc.*.  Der  Chor,  der  erst  leise  mit  einstimmt 
und  dann  das  Thema  selbstkndig  weiterfuhrt,  hebt  diesen 
Abschnitt  uber  die  Erwartungen,  die  sein  Anfang  erregte. 
Ebenbiirtig  schlieBt  sich  der  Ausgangschor  »Alles  Vergang- 
liche  ist  nur  ein  Gleichnis  etc.*  an,  der  von  ^uGerster 
Zartheit  aus  in  schlichten,  naturlichen  Weisen  zu  glanzen- 
dem  Klang  anwSchst  und  mit  der  Verbindung  der  Tliemen 
von  »Neige,  neige  etc*  und  »Veni  sancte  spiritus*  das  Ganze 
noch  einmal  zusammendrangt  und  gewaltig  abschlieOt. 
Camillo  Horn,  Ein  zweiter  Brucknerschtiler,  Camillo  Horn,  hat 
F  moll-Sinfonie.  gich  uniangst  mit  einer  F  moll-Sinfonie  (Op.  40)  einge- 
fuhrt,  die  sich  mit  dem  Hauptthema  des  ersten  Satzes 
Kraf tig  bewegt  , ,    mitdeuNibelungen- 

ten  und  auch  in  der  Neigung,  langerer  Satze  durch 
Sequenzen  und  Nachahmungen  kleinerer  Motive  zu'  ent- 
wickeln  —  so  hier  den  eingeklammerten  Teil  des  Themas  — 
zu  dem  Lehrer  bekennt,  neben  ihm  aber  sehr  freiherzig 
noch  andern  Meistern  und  Vorbildern  huldigt  und  uns  in 
dem  Autor  eine  Natur  vorfiihrt,  die  nach  Eklektik  und 
Ausfiihrlichkeit  der  Rede  starke  Verwandtschaft  mit  Joachim 
Raff  aufweist.  StUrker  als  Bruckner  hat  auf  Horn  R.  Schu- 
mann eingewirkt,  mit  diesem  in  gleichem  Mafie  R.  Wagner 


-^    815 

als  Komponist  der  Meistersinger,  aiis  denen  seine  Phan- 
tasie  die  freundlich  frohen  Farben  ahnlich  reich  und  un- 
abiassig  sch5pft,  wie  das  zuerst  bei  Hermann  Gotz  zu 
bemerken  war.  Im  Adagio  gibt  aucb  Gounod^  dessen 
zarte  Empfindung  Horn  im  allgemeinen  sehr  sympalhisch 
zu  sein  scheint,  mil  einer  bekannten  Faustselle  eine  Gast- 
roUe.  Haben  wir  es  somit  bei  dieser  Sinfonie  im  Allge- 
meinen mil  Erfindungen  aus  zweiter  Hand  zu  tun,  so 
erfreut  sie  doch  durch  geschickte,  fleifiige  Arbeit  und  durch 
die  logische  Entwickelung  eines  klaren  Plans.  Es  geht 
auch  durch  alle  S&tze  wenigstens  ein  Lebenszeichen  von 
Individualit£lt  und  eignem  Stil:  der  Komponist  bleibt 
h&uiiger  als  andere  bei  seiner  Wanderung  stehen  und 
schSpftAtem,  und  dariiber  hinaus  beweist  er  auch  durch 
einen  ganzen  Satz,  daB  er  ein  Gebiet  hat,  auf  dem  er 
eigen  ist  und  sehr  erfreulich  iiberraschen  kann.  Das  ist 
das  allerdings  etwas  lange  und  eigentlich  mit  zwei  Trios 
ausgestattete  Scherzo.  In  ihm  begegnen  wir,  wiederum 
fthnlich  wie  bei  H.  Gotz,  ganz  frischer  Volksmusik,  die  an 
den  Eichendorffschen  Taugenichts  und  an  andere  Natur- 
burschen  erinnert,  und  der  ein  maCvoller  slavischer  Ein- 
schlag  ganz  gut  steht.  Auch  das  Hauptthema  des  letzten 
Satzes,  das  den  endgiiltigen  Sieg  der  Freude  feiert,  be- 
kundet  eine  fihnliche  Quelle. 

Zahlreicher  als  die  Schiiler  von  Brahms  und  Bruckner 
sind  diejenigen  deutschen  Sinfoniker,  die  sich  keiner  be- 
stimmten  Schule  zuweisen  lassen.  Soweit  sie  sich  im 
Repertoire  behauptet  haben,  verdienen  da  unter  den  Slteren 
R.  Fuchs,  A.  Klughardt,  F.  Thieriot,  E.  Rudorff  Er- 
w&hnung. 

RobertFuchs,  der  als  Komponist  anmutiger  Sere-  B.  FiieiiB, 
naden  eine  feste  Stellung  in  der  neuern  Musik  einnimmt,  Sinfon»«  »>>  C. 
hat  mit  seinem  op.  37  bewiesen,  da6  er  auch  fiir  die  Sin- 
fonie wohl  berufen  ist.  Freilich  kann  diese  C  dur-Sinfonie 
nicht  als  das  MeisterstUck  ersten  Ranges  gelten,  als 
welches  es  der  Oberschwang  von  Freunden  und  Lands- 
lenten  hingestellt  hat.  Ihre  zweite  Halfte  ist  jedenfalis 
wertvoller  als  die  erste,  in  der  aus  Stimmung  und  Form 


-«^    816    ^>- 

noch  fremde,  nicht  vdllig  bew&Itigte  Elemente  auftanchec. 
Der  erste  Satz  gleicht  einem  Bild,  das  sich  ein  mantrer, 
frischer  Jiingling  von  der  Zukunft  macht.  Sein  Haupt- 
thema  %eigt  den  Mut,  die  Kraft  und  auch  die  Sorgen.  In 
der  Feme  hellt  es  sich  anf:  ein  reizendes,  schlichtes 
zweites  Thema,  das  wie  Kindergesang  klingt,  verkdrpert 
freundliche  Erinnerangen  und  traoliche  Hoffnungen.  In 
der  Entwickelang  dieser  Ideen  reizen  und  erfreuen  in 
erster  Linie  die  sinnigen  musikalischen  Details,  die  Modu- 
lationen,  ObergS,nge  und  Zwischengedanken,  in  denen 
sich  der  feine,  vornehme,  gedankenvolle  Kfinstler  zeigt. 
Die  Phantasie  war  aber  der  Aufgabe  nicht  ganz  ge- 
wachsen.  Fuchs  hilft  sich  deshalb  sehr  oft  mit  lau- 
nischer  und  theatralischer  Aufregung.  MerkwQrdiger- 
weise  klingt  auch  das  Orchester  in  den  zarten  Abschnitten 
etwas  stump  f. 

Der  zweite  Satz,  ein  Presto  in  A  moll  (S/4  Takt), 
Intermezzo  betitelt,  fiihrt  in  einem  halb  nordischen, 
halb  Mendelssohnschen  Ton  vor  eine  Reihe  toller  Aben- 
teuer,  vor  Irrg&nge  des  Herzens,  die  in  phantastischer 
Beleuchtung  jetzt  welt  in  der  Feme  der  Erinnerung  liegen. 
Mit  dem  dritten  Satz,  einem  Grazioso  im  ^/^Takt,  fin  den 
wir  den  Serenadenmeister  wieder.  Das  ist  der  liebens- 
wiirdige,  unwiderstehliche  LS,ndlerton  der  Wiener  Schule, 
den  Fuchs  so  nattirlich  durch  Wendungen  ins  leicht 
Leidenschaftliche,  in  einen  hGheren  Empfindungskreis  zu 
heben  weiO.  Das  Finale  hat  den  dstreichischen  Heimats- 
klang  noch  viel  stS,rker.  Es  erinnert  im  Hauptthema  direkt 
an  Schuberts  zweite  Bdur-Sinfonie.  Mit  ihm  berfihrt 
sich  Fuchs  bier  auch  in  tiefsinnigen  mystischen  Rl&ngen, 
die  in  die  heitre  Welt  geisterhaft  hineinfallen.  Der  Schlufi 
der  DQrchfQhrung  zeigt  sie  namentlich;  der  Satz,  der 
bis  dahin  die  Sonatenform  eingehalten  hat,  n&hert  sich 
von  jetzt  ab  dem  Rondo.  Er  ist  somit  in  architektonischer 
Beziehung  der.  originellste  der  Sinfonie,  bietet  aber  auch 
im  allgemeinen  die  glanzendsten  Belege  fQr  die  Begabnng 
des  Komponisten.  Nicht  am  wenigsten  sprechen  sie  aus 
dem  Geschick,  mit  dem  er  gew5hnliche  Ideen,  wie  sie  in 


--»    817    ^»- 

der  Natnr  des  zweiten  Themas  liegen,  durch  die  Stellang, 
die  er  ihnen  gibt,  zu  heben  weifi. 

August  Klnghardts  beste   Begabung  fflr  Instru-  l.  Klngliardt, 
mentalkompositiou  weist  ihn  auf  die  Programmusik.  Trotz-  ^"**«  Sinfonie. 
dem  und  trotz  des  starken  Herzenstons,  der  aus  ihnen 
klingt,  haben  seine  ersten  beiden  Sinfonien  nicht  im  ent« 
femtesten  den  &u6eren  Erfolg  gehabt,  den  seine  dritte, 
die  Ddur- Sinfonie  (op.  37),  gefunden  hat.    Dieses  Werk 
der  Lebensfreude  y   dem  sich  eine  Zeit  lang  wohl  alle 
deutsche    Ronzerts&le    erschlossen,    hat   eine    deutliche 
FamilienYerwandtschaft  mit  den  Suiten  Franz  Lachners. 
Seine  Musik  ist  munter,  flott,  anmutig  und  kr&ftig,  Uebi 
Tonspiei  und  Konzertieren ,  steht  den  Instrumenten  gut 
und  gleicht  der  Lachnerschen  auch  in  der  Hinneigung 
zu   Franz   Schubert     Ftir  die  letztere   Beziehung  gibt 
namentlich  ihr   erster  Satz  unwidersprechiiche  Belege; 
seine  beiden  Hauptthemen  sind  Nachklfinge  aus  des  Wiener 
Meisters  grofier  Cdnr-Sinfonie.  Der  langsame,  derzweite 
Satz,  der  dichterisch  voliste  der  Sinfonie,  beginnt  mit 
einem  breiten  Gesang,  in  dem  die  Seeie  ftir  Glfick  und 
Frieden  zu  danken  scheint,  und  fliistert  dann  schwHrme- 
risch  bewegt  von  zarten  Geheimnissen.    Der  dritte  Satz 
gleicht  einer  lustigen  Ballade,  in   der  von  alten  Zeiten, 
von  Bittern  und  Becken  kr&ftige  Streiche,  Turniere  und 
Minnefahrten,  Schwftnke  und  Abenteuer  erz&hlt  werden. 

Das  Finale  ist  ganz  der  Heiterkeit  gewidmet,  gibt 
Proben  eines  eigensinnigen  Humors  und  nfthert  sich  in 
dem  kSstlich  t&ndelnden  zweiten  Thema  und  in  seiner 
Umgebung  (ViTakt)  einer  hSheren  musikalischen  Origi- 
nalit&t. 

Die   vierte  Sinfonie  Klughardts  (Cmoll,   op.  67)   ist  A.  Kinghardt, 
eine  der  beachtenswertesten  und  fesselndsten  Stimmungs-  Vierte  Sinfonie 
sinfonien,  die  wir  in  der  neuesten  Zeit  erhalten  haben.    * 
Der  L6wenanteil  ihres  seelischen  Inhalts  und  der  k&nst- 
erischen  AusfQhrung  f&llt  auf  den  ersten  Satz,  der,  in 
Ahnlicher  Weise,  wie  das  in  dem  Doppelkonzert  und  in 
anderen  Werken  von  Brahms  der  Fall  ist,  die  tlbrigen 
fast  in  den  Schatten  stellt.    Er  entrollt  ein  Bild  nach 

Kretsaohmar,  Fftlirer.    I,  1.  52 


818    ♦^ 

Kl&ruDg  und  nach  Freiheit  ringender  GefQhle,  ein  Bild, 
in  dem  harte  Rampfe  und  freundliche  Hoffnungen  ein- 
ander  gegenuberstehen.  Die  grOfite  musikalische  Macht 
offenbart  der  Komponist  in  der  zweiten  H&lfte  der  Durch* 
fUhrung,  wo  ihm  erschtitternde  und  rUhrende  Tdne  gleich 
treffend  im  ersten  Augenblick  kommen.  Der  vollen  Wir* 
kung  des  Satzes  steht  die  verwickelte  und  in  Beiwerk 
verhuUte  Natur  des  Hauptthemas  etwas  entgegen.  Einer 
der  schonsten  Momente  bildet  das  muiige,  aufhellende 
Hornthema. 

Der  zweite  Satz  hat  eine  Choralweise  zur  Grand* 
lage.  In  ihren  Frieden  bricht  ein  Mittelsatz  hinein, 
wild  und  d&monisch,  doch  erfolglos.  Die  Freiheit  der 
Erfindung  und  des  Entwurfs^  die  ein  Kennzeichen  dieses 
ganzen  Andantes  ist,  ftuiSert  sich  am  schdnsten  am 
SchluG  dieser  dramatischen  Episode  mit  dem  Eintritt  des 
Cello  them  as. 

Der  dritte  Satz  (Presto)  ist  ein  Scherzo  nach  dem 
Muster  Beethovens  und  mit  ungesuchten  Anklfingen  an 
ihn.  Aus  dem  von  H5rnem  eingeleiteten  Trio  spricht  die 
vorzUgliche  Begabung  fur  edle  volkstiimliche  Weisen,  die 
Klughardts  Opern  auszeichnet. 

Dasselbe  Marschnersche  Talent  &u6ert  sich  in  dem 
Marschsatz,  der  den  Hauptteil  des  Finales  ausmacht; 
in  h5here  Kreise  hebt  ihn  eine  kunstvolle,  hier  und  da 
mit  der  von  Klughardt  gem  aufgesuchten  Fugenform 
arbeitende  Behandlung.  Die  dUmonischen  Geister  der 
Dichtung  sprechen  noch  einmal  herrisch  aus  der  lang- 
samen  Einleitung  des  Satzes,  die  in  seinen  Verlauf  noch 
einigemal  tibergreift  und  die  als  der  bedeutendste  Ab- 
schniit  des  Finales  gelten  muQ. 
F.  Thieriot,  Von   den  sinfonischen  Arbeiten  Ferdinand  Thie- 

Sinfonietta,  riots  ist  die  verbreiteste  seine  Sinfonietta  (op.  65).  Diese 
Komposition  ist  ein  Beitrag  zur  romantischen  Musik  der 
sich  durch  einfache,  naiUrliche  Erfindung,  durch  liebens- 
wQrdige,  anmutige  Stimmung  und  namentlich  durch  eine 
ganz  uniibertrefiQiche  Klarheit  des  Vortrags  and  der  Form 
ungewohnlich  auszeichnet    Die  sinnige,  vornehme  Ro- 


-H^    819    ^^ 

manze,  die  mil  allerlei  Humoren  gesegnete  Tarantella 
erklaren  sich  selbst,  auch  der  Eingangssatz,  ein  Allegro 
moderato,  das  sich  wie  zu  einem  sch5nen  Spaziergang 
anschickt  und  im  Verlauf  seinen  schlichten  Themen  viel 
Schwang  und  auch  geheimnisvolle  Kl&Dge  abgewinnt. 

Ernst  Radorff,  der  den  deutschen  Orchestem  von 
den  sch5nen  6  dar-Variationen  und  von  den  Ouvertiiren 
zu  Kinkels  »Otto  der  SchUtzc  und  Tiecks  »Blondem  Ek- 
bertc  h&tte  sympathisch  sein  mtissen,  ist  erst  mit  seiner 
dritten  Sinfonie  (HmoU,  op.  60)  wieder  von  den  Konzert-  Br«gt  Badorir, 
instituten  berticksichtigt  worden.  Sie  bringt  eine  flberall,«™«"'Si'»fo'»»«- 
auch  in  den  leidenschaftlichen  Stellen  vornebme,  wahr 
und  warm  empfundene  und  erlebte  und  in  jedem  Takte 
gediegene  und  gehaltvolle  Musik,  die,  fernab  von  jeder 
sentimentalen  Wendung,  vielfach  rtihrt  und  ergreift.  Ihr 
dritter  Satz  schlieGt  sich  insofern  an  Brahms  an ,  als  er 
an  die  Stelle  eines  sprtihenden  Scherzos,  so  wie  es  schon 
andere  getan,  ein  ruhigeres  und  intimeres  Allegretto  setzt. 
Die  Selbstftndigkeit  des  Komponisten  ist  auch  hier  ge- 
wahrt,  am  deutlichsten  durch  eine  ganz  phantastisch 
flatternde  Allegro-Episode.  Noch  handgreiflicher  und  von 
fortreiGender  Wirkung  ist  die  OriginalitS,t  des  Kompo- 
nisten im  Finale.  Dieses  gibt  der  Freude  von  Anfang 
an  in  einer  auffallend  scharfen  Rythmik  Ausdruck  und 
nimmt  mit  dem  Eintritt  des  zweiten  Themas  voUst&ndig 
den  Charakter  einer  heiteren  MilitHrszene  an. 

Auch  die  Sinfonien  von  Richard  Metzdorff  und 
Philipp  RQfer  verdienen  im  AnschluG  hieran  erw&hnt 
zu  werden;   beide    stehen   in  Fdur,  unterscheiden  sich 
aber  bedeutend  im  Punkt  der  SelbstHndigkeit.  Die  Metz-  Eiehard  Mets- 
dorffs,  opus  16,  zeigt  in  Adagio  und  Scherzo  eine  natur-       ^Jf'j    . 
liche,  fiir  Lieder  und  kleine  Charakterstiicke  ausreichende  ^  dur-smfome. 
Begabung,  in  den  Ecks&tzen  aber,  den  ausschlaggebenden 
Teilen  der  Sinfonie  also,  arbeitet  der  Komponist  so  skla- 
visch  nach  Schumannschen  Vorlagen,  daO  ihn  von  der 
unmittelbaren  Entlehnung  nur  noch  ein  kleiner  Streifen 
trennt.  Der  erste  Satz  seiner  Sinfonie  (op.  2dj  sichertRtifer  Philipp  Bfifer, 
einen  hervorrageuden  Platz  ffir  die  Schilderung  flotter  F  dur-Sinfonie. 

b2* 


--^    820 

Fr5hlichkeit  und  lustigen  Volkslebens;  mit  zahlreichen 
Stellen  UDgesucht  drastischer  Komik  —  die  erste  konomt 
schon  mit  dem  ersten  Solo  der  Holzblfiser  nnd  ihrem 
Achtelmotiv  —  versetzt  er  in  die  SpMre  der  altnieder- 
l&ndischen  Kirmesmaler  nnd  I&Ist  keinen  Zweifel,  daB 
dem  Komponisten  in  der  Suite  wohl  Lorbeern  bl&hen 
miiOten.  Da6  er  aber  tiber  dieses  Spezialgebiet  hinaas 
den  Aufgaben  der  Sinfonie  gerecht  zu  werden  vermag, 
belegen  die  iibrigen  Satze,  der  letzte  steht  durch  gesande 
Kraft  dem  ersten  am  n&chsten. 

Zu  diesen  allm&hlig  in  die  &Itere  Reihe  eingetretenen 

Sinfonikern  gehSrt  endlich  noch  der  als  Liederkomponist 

B«Uhold Becker, weit  bekannte  Reinhold  Becker  mit  einer  Gdur-Sin- 

C  dur-Sinfonie.    f^^i^  ^^p  ioq].    sie  hat  einen  sehr  bedeutenden  ersten 

Satz,  in  dem  Faustische  Stimmungen  energisch  und  mil 
einer  an  Liszt  erinnernden  Freiheit  des  Geistes  beschwich- 
tigt  werden.  Er  endet  so  freudig,  daO  der  Zuh6rer  auf 
weitere  S&tze  gar  nicht  gefaOt  ist,  doch  vermag  der  zweite, 
der  im  wesentlichen  den  StimmnngsprozeO  des  ersten 
nnr  variiert,  ebenso  zu  fesseln  wie  der  dritte  mit  seiner 
bewolkten  Heiterkeit.  Das  Finale  ist  matt  und  gef&brdet 
den  Eindruck  der  Sinfonie,  die  im  iibrigen  schon  wegen 
ihrer  Knappheit  und  wegen  des  dramatiscfaen  Lebens, 
das  sie  durch  die  reiche  Verwendung  von  Solis  erhalt, 
des  Interesses  ziemlich  sicher  ist. 

Unter  den  neuesten  deutschen  Komponisten,  die 
mehrere  Sinfonien  veroffentlicht  haben,  steht  im  Reper- 
toire, auch  dem  der  franzosischen  Concertes,  Felix  von 
Weingartner  mit  seinen  drei  Sinfonien  obenan.  Diese 
Auszeichnung  13,6t  sich  innerlich  damit  begriinden,  dafi 
gleich  die  erste  Sinfonie  dem  Komponisten  ein  starkes,  an- 
gebornes  Talent  fur  anmutige  und  muntre  Tonbilder  beschei- 
nigte;  die  beiden  folgenden  zeigten,  da6  er  auch  hdheren 
Aufgaben  gewachsen,  und  daB  das  technische  Kdnnen  des 
Komponisten  im  sleten  Fortschritt  begriffen  ist. 
Felix  T.  Wein-  In  jener  G  dur-Sinfonie,  mit  der  Weingartner  sich  ein- 
^ir»rtner^  fiihrte,  ist  der  erste  Satz  (Allegro  moderato,  Gdur,  3/^) 
am  wenigsten  geraten.    Er  verspricht  mit  dem  hiibschen 


G  dur-Sinfonie. 


--^    821    <»- 

Hauptthema  freundlich  belebte  Pastoralszenen.  Das  zweite 
Thema  stort  sie  durch  Regungen  eines  Tiefsinns,  dessen 
naturliche  SUrke  nicht  ausreicht,  Teilnahme  zu  erzwingen. 
Die  folgenden  S&tze  machen  das  wieder  gut.  Der  zweite 
(Allegretto  alia  Marcia,  £  moll,  ^4)  beginnt  mil  einem  etwas 
ernsten  Marsch,  das  Alter nativ  stimmt  ein  belles  E  dur  an 
und  zeigt  den  Komponisten  zum  ersten  Mai  in  seiner 
Kunst,  breite,  warme  Melodien  an  die  rechte  Stelle  zu 
setzen;  die  Durchf&hrung  schlieOt  iiberrascbend  mit  einem 
neuen  £in£all,  einem  heiter  gestimmten  und  gl^zend  in- 
strumentierten^Marsch.  Der  dritjte  Satz  (Vivace  scberzoso, 
B;dur,  s/g)  bringt  in  seinem  Hauptthema: 


den  Humor  der  Mendelssohnschen  Zeit  zu  Ehren,  eine  in 
der  Unterstimme  nachsetzende,  hastige  Sechzehntelfigur 
fSrbt  ihn  phantastisch.  Nachdem  diese  Vorlage  sehr  tem- 
peramentvoll  und  abwechslungsreich  zu  einer  langen  Szene 
absonderlicber  Froblichkeit  durchgefiihrt  worden  ist,  hfil 
das  Trio  (As  dur,  s/4)  Einkehr  ins  Innere  mit  einer  den 
Cellis  und  Bratscben  gegebenen  Melodie,  welche  die  inter- 
essante  Figur  von  Scbumanns  Estrella  vor  die  Pbantasie 
entbietet.  Das  Finale  (Allegro  vivo,  Gdur,  ^4)  S^^  J^i^ 
aufierordentlicher  Frische  Bilder  der  Freude  zum  besten. 
Der  Obermut,  den  es  birgt,  &u6ert  sich  sogleich  darin, 
daO  die  fliichtigen  Glieder  des  Hauptthemas  kaum  zu 
fassen  sind,  das  zweite  Thema  ist  ungemein  drollig  und 
weist  unverkennbar  auf  volkstumliche  Quellen,  denen 
Weingartner  uberhaupt  gem  nachgeht.  Und  so  wie  er 
begonnen,  geht  der  Satz  mit  Scherz  und  Witz  weiter  und 
endet  liebenswtirdig  ausgelassen;  ein  erfreulicher  Beitrag 
zur  heitren  Kunst  unsrer  Tage. 

Mit  den  sp&tren  Sinfonien  hat  der  Komponist  sich 
auf  das  Gebiet  emstrer  Seelenmalerei  begeben  und  auch 
bier,  wenn  auch  nicht  bis  zum  letzten  Rest  befnedigend, 
Beweise  einer  bedeutenden  KUnstlerschaft  erbracht. 


-^    822    ^>- 

Felix  T.  WeU-  Die  zweite  Sinfonie  (Esdur)  geht  in  ihrem  ersten 
Esdur^Tnfonle.^^*^  (Allegro  mosso,  Esdur,  (Jj)  von  einem  seltsamen  Zu- 
stand  der  Verwirning  aus,  dessen  Sdiilderang  der  long- 
samen  Einleitung  uberwiesen  ist.  Sie  sucht  nach  der 
Tonart,  sie  sucht  nach  Motiven,  kommt  aber  nicht  uber 
Brocken   hinaus   und   gewinnt  erst  Halt,   als  die  Trom- 

pete    das    durch    Wagners        ^ ^ 

»Rheingold<      zu     frischer      A  W%  ^  j      f*     h  I    m 
Geltung   gelangte   Ursignal:  ^ 

intoniert.  Es  wird  sofort  mitten  in  einem  Asdur-Akkord 
wiederholt  und  leitet  schnell  zu  dem  Allegro  hiniiber,  das 
auf  einem  Thema  des  Aufschwungs  und  des  Strebens 

Allegro  mosso  ^  , — ^     iTVTX     .^. 


Es 

und  einem  anderen,  sehr  volkstumlich  gemeinten,  steht, 
das  von  dem  Anfang: 


F. 

aus,  zunachst  in  visionarer  Farbung,  auf  Gemiitsruhe  und 
Seelenfrieden  hinweist.  In  der  Durchfiihrung  des  aus 
dies  en  Ideen  entspringenden  Prozesses  wird  in  ansehn- 
lichem  MaBe  Tiefe  und  Leiden schaft  entwickelt;  die  origi- 
nellste  und  gr56te  Stelle  des  Satzes  ist  der  lange  Orgel- 
punkt  auf  C,  welcher  die  Wiederkehr  des  Lento  und  die 
darauf  folgende  Reprise  vorbereitet. 

Der  zweite  Satz  (Allegro  giocoso,  Cdur,  8/4)  ist  in 
seiner  derben  Frohlichkeit  sehr  nahe  mit  dem  Scherzo 
von  Bruchs  Esdur -Sinfonie  verwandt.  Noch  mehr  als 
der  Hauptsatz  arbeitet  das  Trio  (Gdur)  mit  Dudelsack- 
musik,  seine  drollig  behaghche  Melodie  wird,  Jlhnlich  wie 
der  entsprechende  Abschnitt  der  ersten  Sinfonie,  von 
Bratschen  und  englischem  Horn  vorgetragen.  SpSter  kom- 
biniert  der  Komponist  die  Themen  des  Hauptsatzes  und 
des   Trios   und   steigert  die  Lustigkeit  noch  durch  Auf- 


— »    823    ♦^ 

stellung  eines  neuen  dritten,  sehr  grotesken  Themas.  Viel 
Kunst  und  viel  Effekt! 

Der  dritte  Satz  (Adagio,  Asdur,  Va)  kehrt  den  Emst, 
mil  dem  die  Sinfonie  anting,  ins  Fromme  und  zwar  auf 
Grand  eines  Themas,  das  in  einer  Beethovenschen  Sonate 
stehen  konnte.  Dafi  dieser  Anlehnungsstil  beabsichtigt 
ist,  ergibt  die  Fortsetzung,  denn  auch  der  ganze  Aufbau 
und  Yerlauf  des  Satzes  schlieOt  sich  an  ein  beriihmtes 
Beethoven sches  Muster,  an  das  Adagio  der  Neunten  Sin- 
fonie an.  Dem  Asdur-Teil  folgt  ein,  meistens  von  den 
BlMsern  allein  vorgetragener,  zweiter  Teil  (in  Es;,  der  dem 
ersten  stimmungsverwandt  ist  und  doch  mit  ihm  ahnlich 
kontrastiert,  wie  die  ErfuUung  mit  der  Bitte.  Die  beiden 
Teile  alterieren  dann,  genau  dem  Modelle  folgend,  in 
Variationen. 

Das  Finale  beginnt  wieder  mit  einem  Lento,  in  dem 
das  Hauptthema  des  ersten  Satzes  angespielt  wird.  Dann 
setzl  das  Allegro  risoluto  (Es  dur,  8/4)  in  Form  einer  Doppel- 
fuge  Uber  sehr  bestimmt  an  Kraft  und  Frohlichkeit  mah- 
nende  Themen  ein.  Es  wird  aber  kein  rechter  Ernst  mit  . 
der  Fuge,  sondera  sie  schweift  bestMndig  ab,  erst  zu  dem 
Hauptthema  des  ersten  Satzes,  dann  zu  dem  Nibelungen- 
motiv.  Ein  herzhaft  fideles  zweites  Thema  scheint  den 
Reminiszenzen  ein  Ende  zu  machen,  aber  nein:  jetzt 
kommt  auch  das  Hauptthema  des  Scherzo,  ihm  folgen  die 
Melodien  des  Adagio,  und  wie  im  Guckkasten  zieht  die 
ganze  Themensippe  der  Sinfonie  voriiber.  Entschieden 
hat  der  Komponist  an  diese  Aufgabe  viel  Kunst  und  Geist 
verwendet  und  mit  ihrer  Losung  dem  Zuhdrer  auch  zwei- 
fellos  Vergniigen  bereitet,  aber  er  entwtirdigt  damit  sein 
Finale  zum  Potpourri  und  erweckt  Zweifel  an  dem  Ernst 
seiner  ganzen  Sinfoniearbeit. 

In   seiner  dritten   Sinfonie  (Edur)   gibt  sich  Wein-  Felix  t.  Weln- 
gartner  moderner  als  in  den  vorhergegangenen.    Die  Be-     /^^V*  • 
setzung  mit  sechs  Hornern,  Orgel  (auch  Heckelphon  und 
Celesta)  zeigt  das  HuBerhch,  in  der  Tonsprache  aber  geizt 
diese  Sinfonie  darnach,  in  bezug  auf  die  augenbUcklich  so 
beUebte  HeiGbltitigkeit   auf  der  Hohe  zu  stehen.    Aller 


— ♦    824    ^^ 

Alliiren  entkleidet,  zeigt  indessen  die  Erfindung  des  Werks, 
im  Vergleich  mit  dem  ersten  Salz  der  zweiten  Sinfonie, 
einen  Ruckgang  im  pathetischen  Venn5gen  des  Kompo- 
nisten.    Wenigstens  ist  er  hierin  unverlaBlich  geworden. 

Das  beweist  namentlich  der  erste  Satz  (Allegro  con 
brio,  Edur,  2/j).  Gewifi  hat  er  sehr  schone  Stellen,  aber 
an  seiner  vielmals  stockenden,  immer  wieder  anlaufenden 
Entwickelung  straft  es  sich  bis  zum  Ende,  daO  das  Haupt-* 
thema,  das  seine,  ein  grofies,  edles  Streben  zum  Aus- 
druck  bringende  Stimmxing  tragen  soil,  nicht  in  der  Seele 
des  Komponisten  zur  Reife  gekommen,  sondern  im  Grunde 
nur  dem  Fdur-Stuck  von  Beethovens  Rasumowsky-Quar- 
tetten  entnommen  ist. 

Der  zweite  Satz  (Allegro  vivo,  scherzando,  As  dor,  */4\ 
den  einige  verwegne  Zweivierteltakte  einleiten,  ist  im 
Hauptthema  und  seinem  Gebiete  durch  eine  eigne  Mischang 
von  Wildheit  und  Behaglichkeit  originell.  Letztre  iiber- 
nimmt  im  Trio  (Meno  mosso,  Fdur)  die  voile  Herrschaft, 
und  da  zeigt  sich  sehr  hlibsch  eine  neue  Seite  an  dem 
Sinfoniker  Weingartner:  sein  Ostreichertum,  seine  geistige 
Verwandtschaft  mit  Schubert,  Bruckner  und  vor  allem  mit 
Johann  StrauG,  den  er  ebenso  unverhohlen  und  glucklich 
kopiert  wie  er  das  friiher  mit  Beethoven  getan  hat.  Das 
bedeutendste  Stuck  der  E  dur-Sinfonie  ist  ihr  dritter 
Satz  (Adagio  ma  non  troppo,  Desdur,  V4)*  Tiefernst  be- 
ginnt  ihn  der  Posaunenchor,  besorgten  Tons  wird  er  fort- 
gesetzt,  da  bringt  das  zweite  Thema  (Adur)  die  Beruhi- 
gung.  Der  ganze  Satz  ist  schon  und  reich  an  einfach 
edler  Melodik. 

Das  Finale  setzt  mit  einem  Allegro  moderato,  dem 
sich  abermals,  wie  der  Einleitung  der  zweiten  Sinfonie, 
eine  bestimmte  Tonart  nicht  zuweisen  Iftfit,  im  Yierviertel- 
takt  wild  und  entsetzt  ein.  Bald  macht  es  dem  Haupt- 
tempo  (Allegro  vivace,  E  dur,  Vs)  Platz,  das  die  Aufregung 
zunachst  mit  einem  Thema: 


(Kontrab&fle) 


-^    826    ^^ 

d&npft,  hinter  dem  wir  gleich  eine  Fuge  erwarten.  Sie 
kommt  auch  richtig,  gelangt  aber  nur  bis  zur  zweiten 
Stimme,  die  das  Cello  hat.  An  der  Stelle  der  nun  fal- 
ligen  Bratschen  kommen  die  Holzblaser  und  mit  ihnen 
sdielmische  nnd  schalMsche  Geister.  Ihnen  iiberant- 
wortet  der  Komponist  im  weiteren  mehr  und  mehr 
den  Satz.  Zunadist  stimmt  er  im  Sinne  des  zweiten 
Themas  wieder  eine  Wiener  LSndlerweise  von  der  be- 
haglich  traulichen  Art  an,  die  auch  Brahms  ans  Herz 
gewachsen  war.  Weingartner  spielt  aber  nicht  bloi3 
auf  den  Wiener  Ton  an,  sondern  er  vertieft  sich  bis 
uber  die  Ohren  in   die  unverffilschte   flotte  Praterlustig- 


keit.    Dem  Gipfel    ,,  ^  ^  ^     -^ 

des    Vergnligens    A  ¥>  »  P  V  ^\f  f\  ^^'!\Jl  ^Yh^    \ 


begegnen  wir  bei 
Da  lag  auch  der  Gedanke  nicht  mehr  weit,  in  einen  regel- 
rechten  Wiener  Walzer  zu  flEdlen.  Und  wirklich:  er  kommt, 
aber  doch  noch  iiberraschend,  n tolich  auf  Grund  des  oben 
mitgeteilten  Fugenthemas.  Der  SpaO  ist  zweifellos  reizend, 
aber  bedauerlich  bleibt  es,  daO  der  Komponist  von  seinem 
Witz  nicht  wieder  loskommt  und  bis  zum  letzten  Takte 
fortwalzert.  Das  hatte  die  Sinfonie  nicht  verdient.  Doch 
ist  ihr  im  Grande  nur  dasselbe  geschehen,  wie  dem  Finale 
der  zweiten,  und  beide  F&Ue  zeigen,  ebenso  wie  die  Ex- 
zesse  Mahlers,  daB  es  vielen  Musikern  in  unsrer  rea- 
listischen  Zeit  schwer  f&llt,  den  idealen  Charakter  der  Sin- 
fonie rein  zu  erhalten. 

Wenn  sich  Hugo  Kann,  der  seiner  Sinfonie  »An  das  Hago  Kmh, 
Vaterland*  und  seiner  sinfonischen  Dichtnngen  Hiawatha  Cmoll-Sinfonio 
and  Minnehaha  wegen  in  Amerika  schon  vor  Jahrzehnten 
gefeiert  worden  ist,  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  dent- 
scher  Kreise  endlich  mit  seiner  zweiten,  der  C  moll-Sin- 
fonie  (Op.  86)  erschlossen  hat,  so  ist  das  ein  wohlver- 
dienter  Erfolg.  Denn  sie  ist  eine  der  charaktervollsten 
und  klarsten  Arbeiten  der  neneren  Zeit  and  kommt  aus 
einem  reichen  und  durch  ungewGhnliche  Feinheit  persdn- 
lich  geprftgten  Empfindungsleben,  das  sich  auch,  teilweise 
wenigstenSy  einen  Stil  fftr  sich  geschaffen  hat    Ihr  dich* 


-^    826    ^>- 

terisches  Problem  ist  der  tausead  und  abertaosendmal 
schon  behandelte  Kampf  urns  Gliick,  es  findet  aber  —  flir 
UDsre  Zeit  symptomatisch  —  eine  trdbe,  tragische  L5- 
sung,  &hnlich  wie  das  nocb  zuletzt  in  den  Sinfonien  von 
Alfven,  Suck,  Sibelius  der  Fall  war.  Nach  Inhalt  und  Stil 
ist  der  erste  Satz  der  bedeutendste.  Hier  setzt  sich  die 
Sehnsucht  nach  Sonnenschein  und  Lebensfreude  mit 
einer  tiefsinnigen  Beklommenheit  in  eigner  Weise  ausein- 
ander,  n^mlich  so,  dai3  die  Elemente  des  GIQcks  nie 
den  Platz  flberzeugend  behaupten.    So  ^ 

oft  sie  sich  anschicken,  einen  Sieg  zu   ^^\  B  J^  J-  I 
feiern,  kommt  das  Signal  des  Fatums    J  • 

Die  Erfindung  Kauns  ist  unverkennbar  von  Wagner  be- 
einfluBt,  besonders  die  Motive  des  Feuerzaubers  und  der 
Tarnkappe  haben  eingewirkt,  aber  der  Komponist  hat  aaf 
dem  Wagnerschen  Grand  sich  ein  eignes  System  fQr 
Harmonik  und  Stimmfuhrung  ausgebildet,  das  gern  seltne 
Nonenakkorde  verwendet  und  verkettet,  das  mit  wflhlen- 
den  Durchg&ngen  begleitet,  nach  freien  Wechselnoten 
und  in  Berlioz'  Art  nach  fremden,  am  liebsten  querst&n- 
dischen  Akkordfolgen  fahndet.  In  dieser  reichen  Verwen- 
dung  unwesentlicher  Dissonanzen  unterscheidet  sich  aber 
Kaun  von  andren  Modernen  dadurch,  dai3  er  dieses  und 
die  verwandten  Ausdracksmittel  nicht  maniermftOig 
verschwendet  und  miObraucht;  sie  sind  vielmehr  Qberall 
eine  romantische  WCLrze  der  Hauptideen,  und  er  ge* 
winnt  ihnen  Farben  von  einer  Zartheit,  Tiefe  und 
W&rme  ab,  die  diesen  Sinfoniesatz  in  Herz  und  Ge- 
d&chtnis  eingraben. 

Das  Adagio  strebt  aus  der  Erregung,  die  sich  in 
der  Unruhe  der  Modulationen  ftuGert,  mit  Gebet  und 
Erinnerung  hinauszukommen.  In  der  Gestaltung  der 
Themen  und  Melodien  wechselt  Pathos  mit  Schlichtheit, 
Sprache  und  Stil  schwanken  etwas  zwischen  neuer  und 
alter  Zeit;  letztre  ist  durch  zahlreiche  Bachsche  Vor« 
halte  vertreten.  Das  Scherzo  hat  den  grimmen  Humor 
des  Hagen  in  Wagners  >Ring«,  sein  Tonspiel  durch- 
Bieht   es   wie   Waffenklang.     Das   Finale   beginnt   mit: 


827 


also  mit  den  plampen  und 


'^'h^  JiJ  *  iiJ  *  IjtJ  *  **«brutalenMarschrhythmeD, 
die  eine  Spezialitat  Mahlers  sind.  Kaun  steigt  indessen 
nicht  ganz  in  diese  prosaische  Sph&re  herab,  sondern  er 
gibt  dem  Satz  den  Charakter  eines  Tranermarsches, 
dessen  Melodien  in  die  Klage  erregte  Motive  aus  dem  vor- 
hergegangenen  Scherzo  mischen.  Mog]icherweise  hat  ihm 
die  Form  eines  milit&rischen  Begr&bnisses  vorgeschwebt. 
Logisch  ist  dieser  Ansgang  der  Sinfonie  ohne  Zweifel, 
aber  eben  bo  sicher  kann  man  sich  ihn  sch5ner  und 
ihrem  Anfang  wiirdiger  angepaOt  denken. 

Bedeatend  zahlreicher  ist  die  Gruppe  der  deatschen 
Komponisten,  die  bisher  nur  eine  Sinfonie  geschrieben  oder 
veroffentlicht  haben.  An  ihrer  Spitze  stehen  nach  Zahi 
der  Auffnhrungen  Eduard  Strafier,  Max  Reger  and  Fritz 
Voilbach,  in  zweiter  Reihe:  Georg  G5hler,  Ferdinand 
Hummel,  Paul  Juon,  Georg  Schumann. 

Dafi  die  G  dur-Sinfonie  (Op.  26)  Ewald  Str&fiersEwAldStrSfter, 
sich  so  schnell  und  weit  verbreitet  hat,  verdankt  sie  der  ^  ^*'"^*'*'°"^®- 
groBen  Dosis  Originalit&t,  welche  namentlich  die  beiden 
SchluBs&tze  auszeichnet.  Die  Sinfonie  ist  das  Produkt 
eines  ausgesprochnen  Romantikers,  der  keine  Empfin- 
dung,  keinen  Satz  aussprechen  kann,  ohne  auch  den 
Gegensatz  mit  zu  bertihren  und  kontr&re  Stimmungen 
hereinschillern  zu  lassen.  Aber  er  bewegt  sich  auf  diesem 
Boden  mit  einer  fthnlichen  Frische  wie  Hermann  G5tz, 
an  dessen  F  dur-Sinfonie  StrftOers  erster  Satz  lebhaft  er- 
innert.  Str&Ber  ist  aber  das  st&rkere  Temperament  und 
in  der  Formbehandlung  selbstfindiger.  Hier  in  der  Frei- 
heit  des  Vortrags,  in  der  Unmittelbarkeit,  mit  der  die 
Themen  vor  unsren  Augen  entstehen  und  Gestalt  ge- 
winnen,  erinnert  der  Komponist  an  Robert  Volkmann 
und  seine  D  moll-Sinfonie.  In  voUer  Deutlichkeit  zeigt 
sich  die  dramatische  Individualit&t  StrHGers  zuerst  im 
zweiten  Satz,  im  Andante,  an  der  Stelle,  wo  nach  der 
rezitativischen  EinfQhrung  des  zweiten  Themas  die  Er- 
regung  in  ruhige  Klage  verwandelt  und  in  Fugenform 
ausgefUhrt  wird,  dann  wieder  in  leidenschaftliche  Glut 


-^    828    ♦^ 

ger&t,  als  mHQie  das  Gliick  erzwungen  werden.  Und  da 
grade  wird  kurz  abgebrocheD,  und  rUhrend  setzt  das 
Hauptthema  des  Satzes  mit  seiner  Resignation  nnd  Er- 
gebung  wieder  ein.  Der  eigentfimlichste  Satz  ist  der 
dritte,  ein  Scherzo,  das  sich  fiber  den  Charakter  der 
Gattung  ganz  hinwegsetzt.  Nnr  die  Figaren  nnd  Rhyth- 
men  der  Geiger  halten  an  der  tlblichen  Raschheit  and 
Lebendigkeit  fest,  der  Kern,  der  in  den  Themen  der  H5r- 
ner  und  Trompeten  iiegt,  ist  herb,  ernst  und  trotzig.  Das 
Trio  kost  und  schwftrmt  nicht,  sondern  schl&gt  eine  Art 
Marschweise  an.  Die  ganze  Sinfonie  ist  schwer  zu  spielen, 
am  meisten  das  Finale,  das  sich  inhaltiich  mit  dem  von 
Beethovens  Achter  beriihrt  und  voli  barter  Humore  ist. 
Auf  weitre  Sinfonien  des  Komponisten  darf  man  groOe 
Hoffnungen  setzen. 
Max  Beger,  Die  Sinfonietta  (A  dur,  Op.  9Q)  von  Max  Reger 

Sinfonietta,  j^^^  wesentlich  der  Name  des  Komponisten  flott  ge- 
macht,  aus  eigner  Macht  sich  Freunde  zu  erwerben,  ver- 
mag  sie  nicht;  sie  uberschwemmt  mit  T6nen  ohne 
Musik.  Durch  seine  Serenade  und  durch  die  Yariationen 
Uber  das  Thema  des  alten  Hiller  hat  Reger  genfigend 
hewiesen,  daO  auch  die  Orchesterkomposition  auf  ihn 
Hoffnungen  setzen  darf;  wenn  sie  durch  die  Sinfonietta 
eine  Entt&uschung  erfahren,  so  liegt  das  allem  Anschein 
nach  daran,  dafi  der  Komponist  ohne  ausreichende 
Sammlung  zu  Werke  gegangen  ist  und  sich  zu  sicher 
auf  die  Macht  seiner  kontrapunktischen  Fertigkeit  ver- 
lassen  hat.  Das  hat  sich  namentlich  am  ersten  Satze 
ger&cht.  Ihm  fehlt  der  geistige  Fond  in  einem  Grade, 
der  bei  namhaften  Komponbten  gradezu  unerhdrt  ist. 
Die  Ursache  hegt  weniger  an  dem  Mangel  eines  sinfo- 
nischen  Gedankens,  als  daran,  daO  das  kleine  heitre 
Motiv,  das  Reger  an  die  Spitze  des  Satzes  stellt,  nicht 
gentigend  festgehalten  wird. 

Es  ist  an  und  fiir  sich  nicht  schlechter  und  nicht 
foesser,  als  eine  Menge  thematischer  Einfalle,  aus  denen 
Borodin  und  andre  Vertreter  nationaler  Schulen  grofie 
und  hQbsche  Sfttze  entwickelt  haben.    Aber  Reger  treibt 


-^    829    ^^ 

sofort  Allotria  mit  Nebenmotiven  nQd  kleinsten  KUnsten 
und  scheint  dar&ber  den  Ausgang  der  Komposition  nahezu 
vergessen  zu  haben  und  za  einem  Plan  kanm  gekommen 
zu  sein.  Bin  formeller  Gegengedanke  ist  zwar  da,  aber 
ans  Mangel  an  Plastik  geht  er  ziemlich  spnrlos  vortiber, 
nnd  auch  die  sehr  guten  Stellen  humoristischer  Natnr, 
die  der  Satz  ohne  Zweifel  hat,  bleiben  ohne  Eindrnck. 

Die  weitren  drei  S&tze  sind  dem  ersten  an  Menge 
trefflicher,  znweilen  eminent  volkstilmlicher  Gedanken 
nnd  im  maOvollen  Charakter  der  kontrapunktischen  Ans- 
stattnng  tlberlegen,  aber  anch  in  ihnen  verdirbt  sich  der 
Komponist  alles  durch  modnlatorischen  Schwnlst. 

Die  Sinfonie  (Hmoll,  Op.  33)  Fritz  Vollbachs,  der  Frits  ToUbftoii, 
bisher  hanptsftchlich  durch  kleinere  Werke  fttr  Chor  oder^™®^^-^*"'®'*^**- 
Orchester  bekannt  geworden  ist,  verdankt  ihren  Erfolg 
weniger  den  musikalischen,  als  den  kunstlerischen  Ffthig- 
keiten  des  Yerfassers.  Sie  ist  nach  jener  Seite  durchans 
tiichtig,  anch  dnrch  die  Binwirkungen  alter  Mnsik  von 
besonderem  Interesse,  indessen  angesichts  der  offenbaren 
Bertihrungen  mit  Hftndel,  mit  Mendelssohn  nnd  andren 
neueren  GrdOen  nicht  originell  zu  nennen.  Aber  die  Sin«> 
fonie  zeichnet  sich  durch  Einheitlichkeit ,  PlanmfiOigkeit 
nnd  dadurch  aus,  dafi  sie  bei  vollst&ndiger  Klarheit  und 
Obersicht  doch  besondre  Bilder  bietet.  Sie  gleicht  in 
dieser  Beziehung  bis  zu  einem  gewissen  Grade  den  Werken 
Heinrich  von  Kleists,  das  Eigne  ihres  Inhalts  aber  besteht 
in  der  Darstellung  eines  trotzigen,  wetterharten  Charak- 
ters,  etwa  einer  geschichtlichen  Figur  vom  Schlage  Oliver 
Cromwells.  Die  Darstellung,  die  in  den  gewdhnten  Formen 
der  viersfttzigen  Sinfonie  verl&uft,  ist  knapp  und  h&lt 
konsequent  die  HauptzQge  des  Vorwurfs  fest.  Dieser 
Konsequenz  fiigt  sich  die  thematische  Erfindung,  ihr  ent- 
springen  auch  einzelne  Abweichungen  vom  regeLrechten 
Satzsystem.  Gleich  der  erste  Satz  zeigt  eine  solche,  in- 
dem  er  zu  dem  Hauptthema: 

Lebhaft 

etc. 


*— ^ 


_^    830    fl^ 

Xt  j^iirrMfn  I  r  i^^^g-tcf.:7: 

der  obren,  sondem  in  der  untren  Dominant  anfstellt. 
Dadarch  bleibt  er  h&rter  und  fUr  die  alsbald  erfolgende 
Fortsetzung  in  Form  einer  streitbaren  Achtelkette  geeig- 
neter.  Die  in  der  DurchfUhrung  veranschaulichten  Pl&ne 
nnd  Taten  des  Helden  der  Sinfonie  stQtzen  sich  fast 
ausachlieBlich    P^  I   H^n  _h  P?  J*  ^^'^   weitrer 

auf  die  Motive  •  •  '  -^-  *  ^^^  •*•  ^'  bedeutungs- 
voller  Charakterzug  tritt  in  der  h&ufigen  EinfQgung  von 
Fermaten  und  in  feierllchen,  choralartigen  Episoden  des 
Posannenchors  hinzu. 

Da6  die  Ereignisse  und  Gestalten,  die  in  Vollbachs 
Sinfonie  die  Phantasie  beschaftigen ,  in  alten  Zeiten 
zu  suchen  sind,  geht  besonders  aus  ihrem  Scherzo 
bestimmt   hervor.      Sein    an    den    Fliegenden    Holl^der 

R.    Wagners  Presto 

erinnerndes 
Hauptthema 

konnte  der  Rythmik  und  auch  dem  Tone  nach  ganz  gut  aus 
efnem  Mensuralkodex  stammen  und  leistet  der  Einheitlich- 
keit  der  Sinfonie  einen  vorztiglichen  Dienst.  Gegen  sein  kampf- 
geriistetes  Wesen  konnen  die  anmutigen  Regungen  fried- 
lichen  Lebensgliicks,  die  sich  ihm  entgegen  dr^ngen,  nicht 
aufkommen;  die  letzten  Takte  des  Satzes  betonen  seine 
herrische  Natur  nochmals  ganz  unbarmherzig;  es  wird  nicht 
geschlossen,  sondem  mit  wildem  Ungestiim  abgebrochen. 

Die  gesangreichen  Melodien  des  Adagios  bedeuten 
Bitten,  Gebete  und  AuBerungen  schwacher  und  zSgernder 
Hofifnung.  Mehr  als  in  den  ausgefiihrten  Them  en  des 
Satzes,  liegt  sein  geistiger  Kern  in  dem  kurzen  Motiv 
Adagio  mit  dem  ein-  und  wiederholt  iiber- 

-^Ai^,  j|J    I  j.    geleitet,   auch  der  SchluB  bestritten 

wird.  Es  ist  aus  >Asas  Tod*  in  Griegs 
erster  Peer-Gynt-Suite  sehr  bekannt,  tut  aber  auch  hier 
seine  Schuldigkeit. 

Der  rehgiSse  Unterton,  der  die  ganze  Sinfonie  durch- 
zieht,   kommt  im   Finale   deutlich   zum  Vorschein.     Mit 


rt.    vYttgiicrs  Presto  a 

erinnerndes     ^^j^^  f  j  J!-y{X4_44,,g,,j^   1 1|['    | 


— fr    831    «— 

einem  Posaunensatz,  der  eine  liturgische  Intonation  des 
>Hallelujah<  spielt,  wird  es  erSifnet,  mit  einer  vom  ganzen 
Orch ester  traumerisch  entziickt  eingesetzten ,  in  emste, 
glanzendste  Festklsinge  ausmiindenden  Paraphrase  dieses 
Hallelujah  geschlossen. 

DaB  die  ohne  Opnszahl  veroffentlichte  D  moU-Sinfonie  Georg  GShler, 
Georg  GShlers  eine  Jugendarbeit,  vielleicht  eine  Frucht ° ™o"-Smfonio. 
erster  Versuche  ist,  ergibt  sich  aus  dem  Wertunterschied, 
der  zwischen  den  Stellen  der  Erfindung,  der  Inspiration 
und  denen  der  Arbeit  oder  der  dichterischen  Kraft  besteht. 
Die  t^bergHnge  und  die  ihnen  verwandten  Abschnitte, 
welche  der  Komponist  im  Augenblick,  wo  eine  Idee  sich 
an  den  Hauptpunkten  zu  Tdnen  kldrt,  noch  auf  sich  be- 
ruhen  IRfit,  machen  sich  zum  Teil  als  NachguO  bemerklich 
und  sind  mit  den  Haupttragern  der  S^tze  nicht  zum 
Ganzen  verschmolzen.  Doch  gilt  das  durchaus  nicht  fur 
alle ;  den  schwacheren  Stellen  stehen  hier  gleichviel  meister- 
lich  gelungene,  durch  Geist  und  Frische  ausgezeichnete 
gegeniiber,  und  in  der  Hauptsache  zeigt  diese  Sinfonie 
ein  so  starkes  und  selbst^diges  Talent,  da6  die  ver- 
haltnism&Big  betrachtliche  Zahl  von  Auffiihrungen,  die  sie 
erfahren  hat,  ganz  natiirlich  ist. 

Da  von  den  fiinf  Satzen  der  erste  in  den  zweiten 
iibergeht,  und  der  dritte,  vierte,  funfte  einander  ebenfalls 
ohne  Unterbrechung  folgen,  haben  wir  es  mit  einer  Sinfonie 
zu  tun,  die  einen  Lebensbericht  in  zwei  Hauptbildern 
gibt.  Diese  konnen  vielleicht  als  Jugend  und  Reife  Uber- 
schrieben  werden.  Der  erste  teilt  sich  in  tatenfrohes 
Stiirmen  (Allegro  risoluto)  und  blindes  GenieBen  (Tempo  di 
Valse);  der  zweite  wendet  sich  von  Entt&uschung  und 
Entsetzen  (Vivace  furioso)  iiber  ernstes  Besinnen  (Adagio) 
zu  neuer  edler  Lebensfireude  (Allegro  appasionato  e  trion- 
fante).  Dieser  schlichte  und  ungesuchte  Inhalt  ist  mit 
ebenso  natiirlicher  und  einfacher  Musik  und  in  einem 
Stil  wiedergegeben,  der  alien  rhetorischen  Aufputz  ver- 
schmaht.  Eine  wirkliche  innere  Originalit&t,  die  keiner 
auOeren  Nachhilfe  bedarf,  spricht  deutlich  genug  aus  der 
thematischen  Erfindung  und  aus  der  zuweilen  jugendlichen 


--♦    832    ♦— 

Keckheit  der  Gedanken  selbst  oder  derForm,  die  sie  sich 
gewihlt  haben.  Das  Hochste  leistet  nach  dieser  letzten 
Beziehung  der  Walzer,  der  melodisch  nur  eben  noch 
skizziert  ist  und  stellenweise  dem  Rhythmus  die  ganze 
Schilderung  iiberl&Ot.  Auch  ist  sein  sinnberauscbender 
Klang  ein  bedeutendes  Zeugnis  ftir  die  angeborene  In- 
strumentationsbegabung  des  Komponisten. 
F.  Hamnel,  Die  D  dur-Sinfonie  (Op.  105)  von  Ferdinand  Humm  el 

Ddar-Sinfonie.  hat  nnter  den  neueren  Werken  ihre  eigne  Marke  durch  die 
Entschiedenheit,  mit  welcher  sie  einen  freundlichen,  heiteren 
Grundton  durchfuhrt.  Ihre  Anakreontik  steht  zwar,  wenn 
wir  an  Riifer,  Weingartner  oder  an  die  zweite  Sinfonie 
von  Brahms  denken,  in  unsrer  wesentlich  pessimistischen 
Zeit  nicht  vereinzelt,  aber  sie  rubt  bei  Hummel  auf  einem 
echten  und  breiten  Naturgrund.  Das  zeigt  sich  darin, 
da6  seine  von  der  Form  geforderten  Ideen  der  Ab- 
wechselung  mehr  auf  Steigerung  der  Lebensfreude  als 
auf  Kontraste  hinauslaufen.  Wirklich  melancholischen 
Kreuzungen  gestattet  er  nur  in  den  Durchfuhrungen 
voriibergehend  Zutritt,  und  so,  daB  ein  ernstliches  Ringen 
und  Kampfen  unterbleibt.  Die  gewohnte  motivische  Ent- 
wickelung  wird  auch  bier  durch  fertige  Themen  und 
Melodien  ersetzt.  Alles  in  dieser  Sinfonie  ist  bequem 
und  angenehm  fafilich,  am  meisten  das  im  Hauptsatz 
Mendelssohnisch  gefarbte  Scherzo  und  das  im  schlichten 
Yolksliedstil  beginnende  Adagio. 
p.  Joon,  Paul  Juons  A dur-Sinfonie  (Op.  23;  beginnt  auBer- 

Adur-Sinfonie.  ordentlicher  Weise  und  iUinlich  wie  Goldmarks  >Landliche 
Hochzeit<  nicht  mit  einem  Sonatensatz,  sondem  mit 
Yariationen,  als  eine  Art  freier  PassacagUa  oder  Ciaconne. 
Das  entschieden  nordisch  klingende  Thema  ist  ein  zwei- 
teiliges  Lied  von  gemischter  Stimmung;  es  i^gt  frohlich 
beschaulich  an,  \&Qt  aber  am  Ende  beider  HaUten  einen 
VerdruC,  einen  Zweifel  merken.  Die  Yariationen  fuhren 
nun  die  seeUschen  Qualit^ten,  die  sich  in  dieser  Skizze 
bergen,  breit  und  deutUch  vor.  ZunSUdist  stehen  finstere 
Entschlossenheit,  Kraft  und  Erregbarkeit  an  der  Spitze, 
dann   kommen   mit  einem  Adagio  und  einem  Andante 


_^    833    ♦>- 

innige  Regungen  eines  wannen  Gemiites,  mit  einer  Art 
langsamen  Walzers  freundliche  Humore  zum  Wort,  den 
SchluO  bildet  aber  eine  HuOerst  trotzige,  gelegentlich  wilde 
Fuge.  Der  Satz  z&hlt  unter  die  gehaltvollsten  Leistungen 
modemer  Yariationenskunst  und  hat  seinen  Hauptwert 
darin,  daB  er  ebenso  logisch  wie  natiirlich  ein  reiches 
Charakterbild  entwickelt. 

Das  Scherzo  und  der  langsame  Satz  —  dieser  als 
Romanze  bezeichnet  —  passen  sich  dem  Plane  der 
Passacaglia  folgerichtig  darin  an,  daO  sie  die  hellen  gegen 
die  dUsteren  Elemente  zurucktreten  lassen.  Das  Finale 
hat  Sonatenform  mit  dem  Thema  der  Variationen  des 
ersten  Satzes  als  Hauptthema.  Dieses  tritt  jetzt  mit  dem 
Aufgebot  auGerster  Energie  und  Kraft  auf,  bald  stiirmisch 
und  bedrohlich,  bald  in  stolzer  Ruhe,  einmal  auch  —  ein 
Rezitativ  der  Klarinette  kiindigt  die  Stelle  an  —  demiitig, 
bittend,  in  Triolen  schmeichelnd.  Der  Ausgang  bleibt 
hart  und  unbeugsam.  Das  Finale  ist  in  bezug  auf  un- 
mittelbare  Inspiriation  der  bedeutendste  Satz  der  Sinfonie 
und  hat  meisterliche  Stellen  ersten  Ranges. 

Da6  die  F moU-Sinfonie  (Op.  42)  Georg  Schumann s  0.  Sehmi 
sich  wenig  verbreitet  hat,  kommt  von  der  unverkennbaren  ^  moll-Sinfonie. 
Ungloichheit  des  Werkes,  von  dem  gefahrlichen  Natur- 
geschenk  einer  leichten  Feder,  Sie  hat  einen  Satz,  der 
des  ungeteilten  allgemeinen  Beifalls  sicher  ist  in  ihrem 
Scherzo  mit  dem  unwillig  dr&ngenden  Hauptthema  und 
dem  k5stlich  einfach  und  volkstumlich  zusprechenden 
Trio.  Der  stammt  von  dem  ausgezeichneten  Humoristen, 
der  die  Serenade  der  zuriickgewiesenen  Liebhaber,  der 
die  Variationen  uber  das  lustige  Thema  geschrieben  hat. 
Auch  sonst  ist  an  der  Sinfonie  vieles  zu  loben,  vor  allem 
der  klare  Plan,  nach  dem  sich  die  Satze  folgern,  und  nach 
dem  das  Ganze  sich  durch  die  thematische  Einheitlichkeit, 
die  zwischen  erstem  Allegro  und  Finale  besteht,  abrundet. 
Auch  die  starke  dramatische  Begabung,  die  im  Anfang  des 
Ruthoratoriums  des  Komponisten,  die  im  Mittelsatz  seines 
bunder ts ten  Psalms  so  selbstfindig  hervortntt,  findet  man 
in  einzelnen  Durchflihrungsabschnitten  der  Sinfonie  wieder. 

Kretzscliinar,  Ffthrer.    I,  1.  53 


-^    834    <^^ 

Ferner  zeichnen  sich  die  Hauptthemen  des  ersten  und 
zweiten  Satzes  durch  Charakter,  jenes  durch  leiden- 
schaftliche  Melancholie,  dieses  durch  Innigkeit  aus.  Die 
Schwachen  liegen  in  matter  erfundenen  Gegenthemen 
und  in  allzu  starken  AnklUngen  an  Wagner  in  erster,  an 
Brahms  in  zweiter  linie. 

Es    bleibt    von    der    neuesten    deutschen    Sinfonie- 

komposition  nur  noch  ein  Rest  von  Werken  iibrig,   die 

bisher    nbch   gar   nicht  oder  sehr  wenig  aufgefuhrt  und 

bekannt  geworden  sind.    Da  mag  ganz  kurz   auf  die  Sin 

H.Behm.  fonien  von  Hermann  Behm,  Hermann  Bischoff,  Karl 

"•**JJ*®'^*  Bleyle,  G.  Fitelberg,  Robert  Hermann,  C.  A.  Lorenz, 

G.  FiUlberg*.  Emanuel  Moor,  Max  von  Oberleithner,  Emil  Paur 

B. HermaiiB.  und  Heinrich  Zollner  hingewiesen  werden.     Die  der 

C.  A.  Lorens.  beiden  letztgenannten  Komponisten  sind  Arbeiten  lebens- 

H  ^*  ober-  fr^^^g®^  Natur,   im  Stil   zeigen   beide   den   routinierten 

leitliBer.     Eklektiker.    Die  Paursche,  den  Pittsburger  Musikfreunden 

E.  Paur.  und  ihrem   Sinfonieorch ester  gewidmet,  hat  ahnlich  wie 

H.  ZdlUer.  Dvofaks   »Aus  der  Neuen  Welt<  Einlagerungen  spezifiseh 

amerikanischer  Musikkultur.    Oberleithner,  von  dem  bereits 

zwei  Sinfonien  vorliegen,  scheint  uber  die  ihm  gewiesene 

Richtung   noch   nicht   klar   zu   sein,    seine   gelungensten 

Leistungen   liegen   auf  der  Seite   nattirlicher  Einfachheit 

und  SchUchtheit,  sein  Streben  gilt  aber  mehr  dem  groBen 

Pathos  und  der  Leidenschafthchkeit  im  Wagnerschen  Stil. 

Die  Sinfonie  von  Bischoff,  reich  an  guter,  plastischer  und 

eigner  Erfindung,  ist  das  Werk  eines  wirklichen  hervor- 

ragenden  Talentes,  bei  der  von  Robert  Hermann  iiberwiegt 

der  Eindruck  des  Affektierten,  die  von  Bleyle,  deren  SMze 

ohne  Pause  abgespielt  werden,  ist  frisch,  hie  und  da  auch 

sehr  gewohnlich  erfunden  und  durchschnittlich  nur  mil 

maCigem  Gliick  entwickelt.    Eine  Kraft,  die  zu  gangbaren 

Bahnen  uber  Brahms  und  Bruckner  hinaus  fiihren  konnte, 

birgt  sich  auch  in  dieser  Liste  nicht. 

Obwohl  der  Aufschwung  in  der  auGerdeutschen 
Orchesterkomposition ,  als  er  in  der  ersten  H&lfte  des 
19.  Jahrhunderts  begann,  zun^chst  nur  der  Programmusik 
und   der    Pflege    und    Weiterbildung   nationaler,  volks- 


-^    835    ♦— 

tumlicher  Musikelemente  zugute  za  kommen  schien,  so 
gelangte  doch  im  weiteren  Verlauf  auch  bei  ihr  die 
Sinfonie  nach  klassischem  Muster,  die  Sinfonie,  welche 
subjektive  Stimmungen  ihrer  Verfasser  in  breiten  Bildem 
entroUt,  auf  den  ersten  Platz.  Die  Russen,  ebenso  die 
B5hmen,  haben  das  nationale  Element  in  der  Sinfonie 
allmfthlicb  zuriicktreten  lassen;  auch  bei  den  Fran- 
zosen  spielt  die  mebrs&tzige  Programmsinfonie  eine 
untergeordnete  Rolle.  Der  Schatz  ihrer  klassischen  Sin- 
fonien  ist  dagegen  in  der  letzten  Zeit  um  einige  beden- 
tende  StQcke  yermehrt  worden. 

Ala  erstes  derselben  nennen  wir  die  D  m  o  1 1  -  S  i  n  f  o  n  i  e     C.  Frraek, 
von  C^sarFranck.   Franck  ist  zwar  in  Lilttich  geboren,  ^  moU-Sinfonie. 
aber  einer  jener  Belgier,  die  ohne  Abzug  der  franzOsi- 
schen  Schule  zugewiesen  werden  k5nnen.    In  Paris  hat 
er  gelebt  und  gelitten.    Erst  nach  seinem  Tode  suchte 
man  das  Unrecht  wieder  gut  zu  machen,  das  die  blinde. 
Mitwelt    seinem   hervorragenden   Talente   zugefiigt  hat. 
Namentlich  seinem  letzten  Oratorium,  >Die  Seligkeitenc, 
ist    dieser  Umschwung  zugute  gekommen;    im  Gefolge 
dieses  Werkes  erschien  dann  hie  und  da  wohl  auch  eine 
oder  die  andere  seiner  interessanten  sinfonischen  Dich- 
tungen.  Die  bedeutendste  seiner Instrumentalkompositionen 
ist  aber  seine  DmoU-Sinfonie,    die,   ebenfalls  aus  dem 
NachlaO  und  ohne  Opuszahl  ver5ffentlicht,  den  Anspruch 
erheben  darf,  allgemein  gekannt  zu  sein. 

Dem  Inhalt  nach  ist  sie  oftenbar  ein  Stuck  Selbst- 
biographie,  eine  jener  gegen  ein  hartes  S chicks al  gerich- 
teten  Klagen,  wie  wir  sie  in  der  neuen  Sinfonieliteratur 
ziemlich  hauiig  haben.  Dieser  Charakter  allein  wurde 
seiner  Zeit  fQr  einen  franz5sischen  Mifierfolg  genugt  haben. 
Erschwerend  kam  aber  hinzu,  dafi  Francks  Stil  von 
nationalen  RUcksichten  keine  Notiz  nahm  und  Wagner- 
sche  und  Lisztsche  Ausdrucksmittel  anwandte,  an  die 
sich  selbst  Berlioz  nicht  gewagt  hfttte.  Die  Franzosen 
waren  damals  den  Harmonien  gegeniiber  noch  sehr  kon- 
servativ  und  empfindlich.  Franck  aber  ftigt  die  Nonen- 
akkorde  kettenweise  hintereinander,  wenn  er  so  gestimmt 

63* 


-^    836    ^^ 

ist,  und  drtickt  seinen  Zuhdrem  die  schdnsten  Qainten- 
parallelen  fdrmlich  ins  Ohr,  wenn  sie  ihm  fQr  einen 
poetischen  Zweck  am  Platz  erscheinen.  Er  nimmt  als 
Poet  und  Gharakterkopf  wieder  Berliozsche  Tendenzen 
anf,  aber  mil  weit  reicherem  K5nnen.  So  ist  er  der 
Vater  der  neueren  franzCsischen  Instramentalkomposition 
geworden,  das  Motto  ihrer  Ftkhrer  Debussy  und  Dokas: 
Emanzipation  von  der  Grammatik,  geht  auf  Franck  zu* 
rdok.  FUr  Frankreich  bedeutei  er  eine  gescbicbtliche 
6r56e,  ffir  die  Hyperpatrioten  sogar  eine  Kombination 
von  Beethoven  und  Wagner*). 

Die  Sinfonie  Francks  ist  nur  dreisAtzig.  Ihr  erster 
Satz  ricbtet  Fragen  an  den  Himmel,  die  in  dem  einfach 
gehaltvolien  Hauptthema  der  Einleitung 


Lento 


erese.  dim, 

r  ^  r  k^"-   \    .J  ^™  entschiedensten  zum  Ausdrnck 
.1    f  '    LJ"    I    ^   J  kommen.  Auf  diese  T5ne  gestutzt, 

^  bittet  der  Tondicbter  deniutig  und 
vertrauensvol],  blickt  schwerm&tig  umber,  klagt  stfirmisch 
und  verzweifelt.  Die  scb5nsten  Stellen  sind  die,  wo  er, 
von  den  freundlichen  Hoffnungen,  die  im  zweiten  Tbema 
auftreten,  den  Blick  abw^ndend,  Worte  der  Ergebung 
stammelt.  Wie  er  diese  einfachen  Motive  mit  dem  freund- 
lichen Gesicht  so  in  die  Pausen  hineinsprechen  laOt,  immer 
leiser  —  das  ist  tief  ruhrend  und  aufierordentlich  poetisch! 
Siebt  man  die  Musik  Francks  auf  Originalit&t  und  auf 
Quellen  hin  an,  so  findet  sich  unter  den  letzten  Mendels- 
sohn mit  den  beftigen  Rbythmen  der  Erregnng,  Wagner 
mit  der  Tristan chromatik  vertreten.  Die  Anlehnung  an 
Wagner  ist  aber  nicbt  blofi  HuOerlich.  Kein  andrer  Kom- 
ponist  weiO  uns  mit  kleinsten  und  intimsten  Intervallen 
besser  in   den  Zustand  einer  Seele  zu  versetzen,   die 


*)  Vincent  d'Indy:  C^Bar  Franck.    (Les  maitreB  de  la  ma* 
siqne.)     1907. 


--^    837    ^^ 

sncht  nnd  versucht  und  immer  wieder  nach  einem  Ans- 
weg  sttcht. 

Der  zweite  Satz  bt  ein  Allegretto,  wie  wir  keins 
daneben  haben.  Trotz  seines  Dreivierteltakts  hat  es  in 
dem  Begleitungsapparat  —  in  Harmonien  und  Rhytbmen 
—  den  Charakter  eines  Trauermarschs.  Dazu  kiln  gen 
aber  Melodien,  als  wenn  der  Komponist  bei  den  Er- 
innernngen  seiner  Kindheit  weilte  nnd  das  Bild  der 
Matter  finde,  die  am  Abend  ihren  Kleinen  Schlummer- 
lieder  sang. 

Der  SchluOsatz  versucht  mnnter  und  kr&ftig  zu 
werden.  Aber  schon  sein  erstes  Thema  fflUt  leicht  auf 
das  Fragemotiv  des  ersten  Satzes  znr&ck.  Des  weitem 
geht  er  fast  ganz  in  Reminiszenzen  an  diesen  und  an 
das  Allegretto  auf.  Am  SchlaO  bin  sagt  uns  Grabgelftut 
ill  den  B&ssen:  was  geworden  ist.  Einige  Takte  im 
feierlich  freudigen  Ton  der  Apotheose  bilden  das  kurze 
Ende. 

Wfthrend  AuffUhrungen  dieser  Franckschen  Sinfonie, 
in  Deutschland  wenigstens,  immer  noch  selten  sind,  haben 
die  Sinfonien  von  CamilleSt.  Sa^ns  sich  einen  festen 
Platz  erobert.  Auf  l&nger  behaupten  werden  ihn  aller- 
dings  nur  seine  zweite  und  dritte  Sinfonie.  Denn  [die 
erste  (Esdur,  op.  2)  hat  mehr  biographisches  Interesse  c.  St.  SaSm, 
als  eignen  Gehalt.  Indes  ist  die  Form  mit  einer  an- Sinfonie  in  Es. 
gebornen  Sicherheit  und  mit  einem  starken  Sinn  fCkr  scharfe 
Wirkungen  behandelt.  Reminiszenzen  aus  Klassikem 
mischen  sich  ungezwnngen  mit  eignen  Vorstellangen. 
Unter  ihnen  machen  sich  Marschbilder  und  milit&hsche 
Phantasien  besonders  bemerklich.  Das  Adagio  erhebt  sich 
wie  ein  nachkomponierter  Teii  tkber  den  kindlichen  Ton 
des  Ganzen  und  bleibt  —  vielleicht  grade  aus  diesem 
Grunde  —  dessen  am  wenigsten  befriedigender  Teil.  Es 
geht  ohne  Pause  in  das  Finale  Uber,  in  dem  der  Kompo- 
nist seine  Fertigkeit  im  Fngieren  bloBlegt. 

Der  z  we  it  en  Sinfonie  von  St.  Sa^ns  (A  moll,  op.  65),   c.  st.Sft€M, 
die  in  der  Schweiz  viel  Freunde  zn  haben  scheint,  wird  Zweite  Sinfonie. 
man  tiberall  das  Interesse  entgegenbringen,  auf  das  die 


-^    838    ^^- 

neuen  Kleider  alter  Bekannter  zu  rechnen  haben.  Denn 
wirklich  origin  ell  sind  an  der  ganzen  SinfoDie  wohl  nur 
zwei  Stellen,  die  Einleitnng  des  ersten  Satzes  iind  die 
feierlichen  Episoden,  mit  dem  im  Scherzo  das  GetQmmel 
der  Geigen  von  den  Blftsem  unterbrochen  "wird. 

Die  eben  erwS,hnte  Einleitung  des  ersten  Satzes  ist 
ein  Allegro  marcato  im  0/4  Takt,  eigentQmlich  durch  die  Un- 
gezwnngenheit  und  Nattkrlichkeit,  mit  der  es  die  Unfertig- 
keit  der  Stimmung  offen  darlegt  und  die  Phantasie  vor  aller 
Welt  Toilette  machen  lai3t.  Das  Orchester  klingt  grade,  als 
wenn  ein  Pianist  die  Tasten  des  Klaviers  probiert  und 
nach  einem  Einfall  sucht,  hie  und  da  unterbricht  er  die 
Figuren  und  Modulationsstudien  durch  eine  dramatische 
Phrase,  und  lenkt  , 

endlich  nach  einem       An^omoderaio.  J.=  6o 

festeren      melodi-  i  jj  ^    |  f  T  T    T  r  «r    I  f"  ^^^ 
schen    Gedanken:  *^ 

Der  Hauptteil  des  Satzes  (Allegro  appassionato,  (^, 
A  moll)  bestMigt  wieder  einmal.die  Beobachtung,  daB 
Mendelssohns  Geist  in  der  neuen  franzosischen  Instru- 
mental musik  noch  frischer  lebt  als  in  Dentschland.  Das 
Hanptthema 

^  Allegro  appassionato.  J  z  88 

f"i  P-'-i'"J.j)^'4;l4^ijjjijljjiJJ|,Jill'l 

belegt  das  fiir  sich  allein,  eben  so  wie  die  AusfQhmng,  die 
immer geschickt  und  unterhaltend  bleibt.  Gr50re  Wirkungen 
liegen  nicht  in  sei- 

-.^-w.    ir-^:--.      ^«.^u      M     Sotto  voce  .        *       i       i 

das  zweite  Them  a  * 

ist  aus  derselben  Familie  wie  das  erste.  Ein  groBer  Vor- 
zug  des  ununterbrochen  flieGenden  und  funkelnden  Satzes 
ist  seine  Knappheit. 

Noch  mehr  charakterisiert  diese  Eigenschaft  das 
Adagio  der  Sinfonie.  Es  hat  nur  79Takte.  Das  Thema 
seines  Hauptsatzes 


839 


erinnert  an  Beethovensche  Sonaten  und  an  Weihnachts- 
musiken.  Man  wurde  es  gem  5fter  als  nnr  zweimal  h5ren. 
Von  den  zwei  Seitensfitzen  (beide  in  CismoU),  die  sich 
mit  ihm  abl(3sen  undebenfallsdurchausvolksmUCigschlicht 
gehaltcn  sind,  kehrt  der  zweite  im  Finale  wieder. 

Das  Scherzo  (Presto,  ^4*  A  moll)  gibt  sich  in  seinem 
Hanptsatze  auf  Grand  des  Themas 

Setae rso.  Presto. 


if'«^/'H'fp 


*r^  f 

beethoYeniscb,  variiert  aber  diesen  Familienzug  mit  einer 
tiefsinnigen  Falte,  die  durch  die  schon  erw&hnten  feier- 
lichen  Akkorde  der  BlM,ser  —  sp&ter  werden  sie  auch  vom 
Streichorchester  gegeben  —  variiert  wird.  Der  das  Haupt- 
thema  variierende  Seitensatz  wird  durch  eine  Reminiszenz 
an  den  ersten  Satz  der  Sinfonie  eingeleitet  und  in  seinem 
Wesen       durch     ^  bestimmt.      Das 

daskontrapunk-  J^  *  |J  j  I  J  J  ^  Trio  hebt  sich 
tierende    Motiv  *  ""-^       sehr     bestimmt 

vom  Hauptsatz  ah  und  gewinnt  durch  sein  reizend  liebens- 
wQrdiges  Thema 

J7n  poeo  meno  mosso.  J*s80  ^..^^ 

^^i'^Li]i'i\fJijriiiiii|  it^iiiiiiiiiini 

schon  allein  zur  GenQge.  Die  Mckkehr  zum  Hauptsatz 
wird  scheinbar  begonnen  und  zwar  sehr  sinnig :  die  Trio- 
melodie  erscheint  in  Bruchstiicken  und  ganz  in  Pausen 
verloren.  Der  Hauptsatz  selbst  kommt  aber  nicht,  son- 
dera  der  Komponist  bricht  rasch  und  verbliiiTend  ab. 


-^    840    ♦— 

Das  Finale  (Prestissimo,  Vs*  Adar)  ist  ein  an  Ver- 
wandlnngen  sehrreiches,  fantastisch  flottes  Rondo.  Seinem 
Hauptthema,  das  flatternd  und  beweglich  anf&ngt: 

(ill  iiiiiiiiiiiii^imii  irnii  I 

GtB       E  A  01s       X^       K 

und  stiinniflch  krftflig  schlieBt,  treten  Nebenlhemen  mannig- 
fachsten  Gharakters,  die  zeitweise  sehr  kunstvoUzosammen- 
gebracht  werden,  zur  Seite.  Die  wichtigsten  von  ihnen  sind : 


jM  i^T]  r-TLu  i^Ly^^  III  I 


und 


c.  St.  SftSm,  Mil  der  dritten  Sinfonie  von  C.  St.  Sa^ns  (CmoU, 

Dritte  Sinfonie.  op.  78)  ist  die  deutsche  Musikwelt  zuerst  durch  Franz 
Wfillner  bekannt  geworden.  Das  Werk  ist  in  dcr  &u6ren 
Gestalt  nach  mehr  als  einer  Richtung  ungewohnlich.  Za 
dem  an  nnd  fiir  sich  sehr  groOeu  Orchester  Berliozscher 
Abkunft  zieht  es,  wie  das  die  neueren  Franzosen  h&ufig 
tun,  noch  Rlavier  heran  und  aufierdem  Orgel.  Die  Orgel 
ist  in  der  Sinfonie  keine  neue  Erscheinung.  Wir  haben 
Sinfonien  fdr  Orchester  und  Orgel  von  dem  Dresdner 
August  Fischer,  von  dem  Pariser  Guilmant,  von  dem 
Weimaraner  E.  W.  Degner.  Doch  sind  das  im  Grunde 
Orgelkonzerte  wie  die  H&ndelschen,  nur  neuer  und 
moderner.  Bei  St.  SaSns  dagegen  handelt  sichs  nicht 
um  eine  konzertierende  Verwendung  der  »K5nigin  der 
Instrumentec,  sondern  nur  darum,  die  Hdhepunkte  der 
Tondichtung  mit  dem  verkl&renden,  gewissermafien  flber^ 
irdischen  Klang  der  Orgel  noch  mehr  hervorzuheben. 
Dazu  hat  F.  Liszt  mit  dem  SchluB  der  vFaustsinfoniec 
die  Anregung  gegeben,  und  seinem  Andenken  ist  die 
Gmoll-Sinfonie  des  Komponisten  gewidmet. 


-^    Ml    ^^ 

Anfierdem  ist  der  Aufbaa  der  Sinfonie  nngew&hn- 
licb.  Sie  besteht  nnr  ans  zwei  Abteilungen,  doch  findet 
man  in  ihnen   die   gewohnten   Sfltze   herans. 

An  die  Spitze         AA^^^Jsta  ^        Es  ist  der 

semes  ersten  Sat-p.L  .  d^^r^T-  i  f -#-Aqscto<^* 
zes  slellt  St.  Sa6ns]P'^H  UJ  °  _  '  '  ^  einer  un- 
das  kurze  Thema:  ^  "      '^^^^^  '''gewissen, 

in  Sorgen  befangnen  Stimmung,  es  ist  der  ernste  Blick 
auf  eine  nocb  feme,  dankel  drohende  Wolke.  Das 
Allegro  moderato  (C  moll,  ^/s\  das  der  kurzen  Einleitung 
folgt,  beginnt  mit  dem  Motiv 


Allegro  moderato.  JL  72 


das  ftir  den  grSI^ten  Teil  des  Satzes  den  Begleitnngsdienst 
tkbernimmt,  den  vorherrschenden  Gemtktszustand  veran- 
schanlicht  Es  zeigt  in  Schubertscher  Art  das  zitternde 
Herz,  zunAchst  nnbestimmt,  ob  die  Unruhe  auf  Frende 
Oder  auf  Leid  deutet.  Bald  gibt  der  auf  die  Einleitung 
zurttckweisende  Gesang  der  BIfiser 


die  GewiBheit,  dafi  es  sich  um  Klage  handelt.  Sie  wird 
unterbrochen  durch  einen  selbstftndigen  Satz  fiber  die 
zittemden  Motive,  dann  aber  vom  engliscben  Horn  fol- 
gendermaBen  weitergefQhrt: 


<i'llU,J^MJJ|iliTl|T7nii|ipul 

ntr  C9PT.  ^-s^  ^^Z^^^' 

^l^O^  I  A    IfiO  itfri   H     ^°^   '"^^  einem  leiden- 
l^itJ^        ^       P  i'^pa     schaftlichen    Abgesang: 


842 


jli'i./?i.M,rB^lM»CDl(T3,jjj 


i 


>cg'i>uj'i».^^ 


•te. 


geschlossen,  der  in  seinen  besten  Wendungen  gleich- 
m&6ig  an  Spohr  and  Liszt  erinnert  Die  Stimme  des 
Trostes  tritt  mil  dem  anmntig  ruhigen  Desdur-Thema 


ein.  Sehr  wirksam  hat  ihm  St  SaSns  einige  vorbe- 
reitende  Motive  vorausgeschickt,  denen  es  folgt  wie 
die  voile  Sonne  dem  Morgenschiromer.  Der  Ab- 
schlnfi  (in  Fdur)  wirkt  glftnzend;  poetisch  hat  ihn 
aber  der  Komponist  schlieOlich  ins  Stille  und  Ergebne 
gewendet,  am  die  Darchfiihrung  psychologisch  za  be- 
grtknden. 

Sie  beginnt  mit  ein  em  stockenden  and  zagenden  Be- 
gleitungsmotiv,  Qber  das  sich  bald  das  aas  der  Biuleitung 
bekannte  Motiv  der  Sorge  erhebt  Ihm  reicht  das  erste 
Thema  mit  seinem  Endteil  die  Hand.  In  die  wachsende 
Erregung  spielen  Trompeten  and  Posaunen  zwei  karze, 
aber  wichtige  Melodiezeilen  bin  ein.  Sie  weisen  in  ihrem 
frommen  choral artigen  Charakter  aaf  die  Ldsang  der 
Schwierigkeiten,  mit  denen  die  Seele  des  Tondichters 
augenblicklich  k&mpft,  bin,  die  sp&ter  wirklich  eintritt 
Die  Reprise  ist  heftiger  als  die  Themengrappe  gehalten 
und  l&aft  in  das  Einleitangsthema,  in  die  T5ne  der  Sorge 
aus.  Da  setzt  die  Orgel  weich  und  leise  ein,  der  Himmel 
spricht: 


843 


Poco  Adagio.  J  s  60 


Des Ba 


As-Oesu.    P__-      P»8 £b As Des 


So  endet  die  erste  Abteilung  der  Sinfonie  mit  einem 
groGen,  erhebenden  Eindrack.  £s  kann  niemandem  ent- 
geheo,  da6  dieser  dem  Allegro  angefiigte,  in  frommer 
Harmonie  gegebne  Desdur-Satz  nichts  ist  als  das  Adagio 
der  Sinfonie,  das  in  der  Kegel  als  ein  selbst&ndiger  zwei- 
ter  Satz  erscbeint.  In  der  Zusammenziehung  der  beiden 
S&tze  liegt  bier  die  Originalit&t  und  das  GlQck  der  Kom- 
position. 

Man  wiirde  nacb  diesem  Adagio  nichts  weiter  horen 
wollen,  wenn  nicht  einige  Takte  roit  iiberm&i3igen  Drei- 
kl&ngen  ihren  vollen  Frieden  st5rten  und  anf  eine  Wie- 
derkehr  schlimmer  Stun  den  gefai3t  machten. 

Sie  brechen  in  dem  Allegro  moderato,  das  den  zwei- 
ten  Satz  der  Sinfonie  beginnt,  grausam  genug  herein.  Das 
Hauptthema  dieses  Allegro  moderato 


AUflgro  moderato.  S^  60 


ist  eine  Umbildung  der  leitenden  Ideen  des  ersten  Satzes, 
eine  Umbildung  teilweise  in  der  karrikierenden  Art  ge- 
halten,  fQr  die  Berlioz  zuerst  in  seiner  Sinfonie  fantas- 
tique  das  Muster  gegeben  und  die  dann  Liszt  in  seinen 
Mephistobildern  weiter  entwickelt  hat  Diese  Wendung 
zur  Verh5hnung  des  Teuersten  und  Ernstesten  scbl&gt 
bald  in  offenbare  FrivoliUt  um.  Es  beginnt  ein  Presto 
mit  folgendem  Hauptthema 


844 


Presto.  Jd  188 


cJj  Lij  l*MfJ  JJ  ILIJ  I 


das  mit  das  Tollste  enth&lt,  was  die  nenere  Orchester- 
musik  an  phantastischen  Leistungen  aufznweisen  hat  Hier 
f&ngt  auch  das  Klavier  an  mitzuwirken  und  zwar  mit  be- 
absichtigtem  prosaischen  Effekt  Die  Hetze  und  das  Gewirr 
dieser  Presto-Episode,  in  der  wir,  wiederum  vorzQglich  ein- 
gestellt,  das  iibliche  Scherzo  der  Sinfonie  vor  nns  haben, 
wird  durch  einen  gemfitvollen  Abschnitt  unterbrochen,  der 
in  seiner  )A/irkung  sich  mit  einem  iQinlichen  im  Gmoll- 
Konzert  des  Komponisten  begegnet.    Das  Thema  lautet: 


ji^hTTii' I  ^U  SB 


Es  wird  in  seinem  huma- 
nen  Wesen  noch  da- 
durch  gehoben,  dafi  ifam 
eine  sehr  zSlnkische  Stelle  -J  j  ^  r  P  I  ^^  Crrun- 
vorhergeht,  der  das  Motiv  ^  ^  U  I  f  I  I  de  liegt. 
Das  Allegro  moderato  kehrt  dann  wieder,  and  anch 
das  halb  schreckende,  halb  erheiternde  Presto  kehrt 
wieder.  Es  hat  aber  kaum  eingesetzt,  da  stimmen  die 
B&sse,  Bratschen  und  Posaunen  leise  einen  Gesang  an: 

der  von  dexn 
Adagio     des 

ersten  Teils  der  Sinfonie  stammt  Er  wirkt,  von  den 
andern  Instrumenten  aufgenommen,  wie  Gretchens  Bild 
auf  die  Mephistomusik  in  Liszts  »Faust<:  reinigend  und 
verkl&rend.  Es  wird  ganz  still  im  Orchester.  Auf  ein- 
mal  setzt  die  Orgel  m&chtig  mit  einem  Cdurakkord  ein. 
Immer  von  diesem  feierlichen  Orgelklang  unterbrochen, 
prftludieren     Mae.toEo.  J.7e     ^  ^^    dem 

die   Qrche-  —0-"^  ^  ^  ^  ^  r  f   r"  f  ^T*  i^Jn  SchluS- 

«»tArinstrii. ^pTrrriiirir^ tm\   der 

mente    mit        y  Sinfonie, 


845 


einem   m&chtigen,   als  die  Apotheose  Liszts  gemeinten 
Hymnus.    Er  klingt  an  dessen   »heilige  Elisabeth*  an: 

and  schliefit  mit 

jf  ff  1  ^^  ^  J  i   ^  ^  ^   I    *^''  II      Sfltzen,    die    anf 
ff*      1.  L  1.  {   f  .1  y.  ^  ■'   ^.   "      das  Yon  Brahms 

•^  f  •  ^   ^  r  geliebte      Motiv: 


iJWJJ'JJJJ/.iUJJi^i 


gebant,  tells  dem  dithyrambischen  Ton  Beethovens  zu- 
streben,  tells  in  frelen  anfldsenden  Kadenzen  elne  Maje- 
stfit  and  Gr5Be  der  Freude  aassprechen,  ftir  die  in  Sinfo- 
niefinales  wenlg,  In  frfiheren  Kompositionen  von  St.  SaSns 
gar  keine  Vorbilder  vorhanden  sind. 

Karz  yor  die  drltte  Slnfonle  von  Saens,  in  das  Jahr  1885,     Ch,  eoimod, 
fftllt  elne  » Petite  Symphoniec  von  Charles  Qoanod,  aaf  P®*l*«Symphonie 
die  jQngst  in  Deutschland  verdientermafien  hingewiesen 
worden  ist  Sie  ist  aber  kein  Orchesterwerk,  sondern  elne  an 
and  fCir  sich  sehr  llebenswQrdige  and  gehaltvoUe,  Mozar- 
tisch  wirkende  Kammermasik  fUr  nean  Blasinstrnmente. 

Die  Kanst  sprlcht  nicht  nar  das  Innere  eines  Volkes 
am  offensten  aas  and  bucht  es,  sie  vermehrt  aach  seine 
geistigen  Gater.  So  zeigt  sich  ans  In  dieser  letzten  Sin- 
fonie  von  St.  Sa6ns,  wie  die  franz5sische  Kunst  mit  der 
gesteigerten  Pflege  dieser  Gattang  an  Tiefe  gewonnen 
hat  {Am  weitesten  geht  aber  in  der  Umwandelung  na- 
tionaler  Art  and  in  der  Ann&hernng  an  deatsches  Wesen 
anter  den  heatigen  franzdsischen  Komponisten  Charles 
Marie  Widor.  Dieser  Masiker,  den  die  Pariser  als  griind- 
lichen  Kenner  and  eifrigen  Vertreter  Bachscher  Musik 
schatzen,  ist  darch  seine  prodaktive  Begabang  nicht  min- 
der bedeatend,  and  aach  fQr  Deutschland  werden  seine 
Sinfonien  darch  Ihre  Ideen  von  Interesse,  darch  die  ge- 
wandte  and  anroatige  Art,  in  der  schwierige  and  darch- 
dringende  Arbeit  in  ihnen  vorgelegt  wird,  von  Natzen 
sein.  Es  sind  ihrer  zwei.  Die  erste  (in  Fmoll,  op.  16)  Ch.  M.  w Idor, 
zeigt  das  Bild.  ihres  Sch5pfers  am   reinsten  im  ersten^n^o  ^ii^^onie. 


^^    846    <^- 

Satz,  der  zu  der  Richtung  neigt,  die  bei  ons  Volkmann 
und  Draeseke  vertreten.  Die  Themen  lassen  nicht  ahnen, 
was  der  Satz  enth&lt.  Das  erste,  in  einer  fast  irreftkh- 
renden  Art  entwickelt  und  auseinandergezogen,  ftthrt  in 
eine  noch  in  Bildung  begriffne,  nach  Gestaltung  snchende 
emste  Stimmung  hinein:  Seine  beiden  Teile 

^  J  ^  Allegro  con  moto.  J  a  170  ^ 

J  I  .T  J   I  ,1    I  I   ^^  und 


ertaa. 


XT       zrit 


^  ♦  ♦      ^      stehen  im  Verhait- 

^    I  r'   r    if  r    CJ  l  r^^^^Js  ^ie  Baum  und 

«!/:-=  -s^p  Frucht.  Beim  zweiten 

viol. 


sind  ebenfalls  die  Fuhler,  die  nachher  ausgestreckt  wer- 
den,  fast  bedeutender  als  dieses  Thema  selbst.  Aber  die 
Kraft,  die  auf  diesen  Grundlagen  aus  der  Musik  sich  er- 
hebt,  ist  bedeutend  genug,    Das  Andante  ist  im  An  fang 

^  ,   Andante.  ^^^       . 

^  B  C D    G  "^ ^ —     ^ ^   K«      F 

Beethovenscher  Abkunft,  in  der  Fortsetzung  &uBert 
R.  Wagner    sei-      px 


nenEinfluB.Das     i^'TlX  I  CJFjf  P  JLT  V  It  \^^^ 
zweite      Thema  P  ^'*    ':5iL     5=— 

dient  der  Stimmung  zum  Ausruhen. 

Das  Scherzo  wird  durch  kleine,  zar  Besonnenheit 
und  zum  Aufhalten        Presto. 
mahnendeWendun-  *       ♦  *t'^      ♦ 


mannendewendun-  .   ^  jt^      », 

gen  Viel  nnginftllpr^-Ji^g  t        I      M 

als     sein     Anfang  a  -    -      a  -   •- 


— ♦    847    ^^ 

verspricht.  Das  Trio,  im  scharfen  harmonischen  Geg^n- 
satz  —  Adur  gegen  A  moll  —  eingefOhrt,  t&ndelt  aller- 
liebst,  freundliche  Gedanken  mehr  andeutend  als  aus- 
sprechend.  Das  Finale,  eine  flott,  frisch  und  im 
unverffilschten  FranzSsisch  gehaltene  Ballettszene,  unter- 
ha.lt  sehr  hiibsch,  erscheint  aber  im  Wesen  zu  leicht. 

Widors   zweite    Sinfonie   (Adur,    op.  54)   ist  das  CluM-Widor, 
Lebenszeichen  einer  heitern  kraftigen  Seele.    Sie  stiirmt  Z^ei**  Smfon«x 
jugendlich  iibennutig  namentlich  in   den  ersten  Satzen 
dahin,   manchmal   in   burschikosen  Wendungen,   die   an 
Schumann  erinnem. 

Dir  innerstes  Wesen  offenbart  sie  mit  den  ersten  T5nen, 
mit  dem  Hauptthema  des  ersten  Satzes 

Allegro  vivace.  J  &  160 

Dim  folgen  auf  dem  FuBe  einige  feierlich  geheimnisvoUe 
Takte,  die  uns  mit  romantischen  Regungen,  dem  Sinn  flir 
des  Lebens  Ratsel  bekannt  machen.  Sie  schlieOen  ganz 
merkwlirdig.  In  das  Gis,  das  die  BRsse  aushalten,  singt 
die  Oboe  ein  1"  |  ^  |  a  hinein.  Das  ist  ein  Spielen  mit  dem 
Feuer,  zu  dem  auch  die  andem  Satze  viel  neigen.  Alle  Span- 
nung,  die  dieKiihnheit  im  ersten  Satze  erregt,  lost  sich  immer 
wieder  behaglich  durch  die  Weisen  des  zweiten  Themas: 

A.  «#•#   ♦r^  . ^  die     Tanzge- 

flfln\T6r\r  |lf,p|.^.  |]r.i  danken  nicht 
*^    «i/^/»  '    '    '  -  - — L       fernstehen. 

Der  zweite  Satz  ist  ein  Scherzo  ausnahmsweise  im 
Viervierteltakt.    Sein  Hauptthema 

Moderato.  Js104 

ein  Stiick  burlesker  Kunst.  Im  Innern  des  Satzes  herrschen 
Damonen,  die  durch  Walkiirenklange  sich  und  den  Ein- 
fluB  Wagners  verraten.    Das  zweite  Them  a 


-<»    848    *— 

sehnt  sich  nach  dem  ersten  Satz  zuriick. 

Der  dritte  Satz  gibt  sich  mil  dem  leitenden  Thema 

Andante.  J  r  68' 

als  Ballade  zu  erkennen.  Aus  dem  ruhigen  Anfang  gerat 
sie  in  wild  dramatische  Erzfihlung  aofregender  Begebea- 
heiten,  den  en  sich  das  zweite  Thema 

TraDquiUamenta.  ^-— — — ..^ 

J '  f  nrii-r^i2^^ii'wpi 

mild  beschwichtigend  entgegenstellt. 

Das  Finale  beginnt  in  sehr  schwankender  Stimmung: 
leicht  und  kokett  scherzenden  Motiven  tritt  ein  Gedanke 
entgegen 

.Moderato. 


der  an  die  geheimnisvollen  Takte  erinrtert,  die  am  An- 
fang der  Sinfonie  dem  ersten  Auftreten  des  Hauptthemas 
folgten.  SchlieGlich  festigt  sich  die  Stimmung  und  spricht 
sich  mit  dem  Thema 

Allegro  con  brio.  Jr  ISO 

heroisch  aus.  Unter  den  Gedanken,  die  es  ergHnzen,  ist 
der  folgende  ^¥  J  llf  fTfTt  hpTI'  ■''f  T  (^^ 


849 


der    wichtigste.         a  ^^ 

In  ciner  mildem  <|gT  rT   T    I  T  f  F  T  T  f  1^  -^^ 


Lesart  lautet  er 

Auch  die  beiden  Serenaden  Widors  sind  gedie- 
gene  Arbeiten,  in  Deutschland  aber  noch  nicht  beachtet 
worden. 

Um   diese  F&hrer  schart  sich  nun  eine  Reihe  wei- 
terer  franz5sischer  Komponisten,  die  die  Sinfonie  in  klas- 
siscfaer   Form,    daneben   die   unbenannte   Suite   fleiBig 
pflegen,  an  ihrer  Spitze  Chausson,  im  grofien  Abstand  Chavasoa. 
Magnard,   Florence  Schmitt,   Boellmann,   Ber-  Mavaard, 
nard,  Dubois,  Jonci^res,  Jaspar,  Gazin.    Mit  Aus-  J-S^*!"***- 
nahme  einzelner  SUtze  werden  sich  die  Arbeiten  dieser  Berniur^** 
M&nner  aufierhalb  der  heimatlichen  Grenzen  kaum  irgend-  Dibols. ' 
wo  einbfirgern  k5nnen,  weil  ibnen  der  Stempel  des  mar-  JonoUref, 
kanten  Talents  ebenso  fehlt,  wie  der  der  Nationalit^t  ^'J|[J^^^'^* 
Auch  die  gute  Schule  und  die  neue  Zeit  lassen  sie  ver- 
missen:  die  Muster,  die  iiber  ihnen  geleuchtet  haben,  sind 
in  dem  Romantikerkreis  zweiter  GUte,  fUr  den  Hummel 
und  Moscheles   das   Zentrum  waren,   zu   suchen.     Das 
scbliefit  nattkrlich  einzelne  Stellen  poetischer  Hingebung 
nicht   aus.     Besonders   sind   solche   der  .  F  dur-Sinfonie 
L.  Boellmanns  nachzurQhmen.   Als  bemerkenswerte  G&ste 
tauchen  in  dieser  Sinfonikerzunft  auch  Lalo,  Dukas  LaIo. 
und  Debussy  (Trois  Nocturnes)  auf,  auch  weitere  Lands-  ^"J^"* 
leute   C^s.  Francks   haben   sich  ihr  zugesellt.     Am  be-     *  ""t* 
kanntesten  ist  von  den  letzteren  JanBlockz  mit  seiner  Jan  Bloeki* 
stark   aus   Wagner   schdpfenden   sinfonischen   Trilogie: 
»Allerseelen,  Kirmes  und  Ostern<   geworden.    Das  den 
Belgiern  benachbarte  Holland  beteiligt  sich  nach  wie 
vor   an   der  Sinfoniekomposition   nur  spHrlich  und  hat 
den  Verhulst,  Hoi,  D.  de  Lange  nur  in  D.  Sch&fer  und  D.BeUr«r.| 
B.  Z  weers  ansehnlichere  Nachfolger  gegeben.  Von  Zweers'  B.  Zweers. 
drei  Sinfonien  ist  besonders  die  dritte,  >An  mein  Vater- 
land«,  beachtenswert.    Sie  besingt  W&lder,  See  und  Land- 
schaft  etwas  umstftndlich,  aber  mit  eigenen  Weisen,  und 
k5nnte   durch  letzten   Umstand  der  Ausgangspunkt  fQr 
eine  holl&ndische  Schule  werden. 

Kretssclimar,  Ffilirer.    I,  1.  54 


--^    850    4^ 

In  England,  das  seit  der  Zeit  Beanets  nie  aafge> 

h5rt  hat,  sich  fleiGig  zu  beteiligen,  ist  im   letzten  Men- 

schenalter  durch  den  bedeutenden  Zuwachs  an  vorzug- 

lichen   Orchestern   der  Eifer  fiir   die  sinfonische  Arbeit 

m&chtig  gewachsen,  und  die  Institute  des  Kontinents,  die 

mit  der  Zeit  Schritt  zu  halten  suchen,  haben  auch  die 

▲1.  HMkeasie. sinfonischen  Dichtungen  ALMackenzies,  W.  Mac  Do- 

W.MaeDowell.  ^ells  und  ihrer  Genossen  gelegentlich  vorflihren  miissen. 

Von  grdfieren,   mehrsfttzlgen  Sinfonien   englischer  Her- 

kunft  ist  allerdings  nur  die  frtUier  erw&hnte  skandina- 

Fr. Cowea. vische   Sinfonie   Fr.  Cowens,    und    zwar   wegen  ihrer 

Mittels&tze,  internationales  Reportoirewerk  geworden,  aber 

auch  in  dieser  Gattung  sind  zahlreiche  tiichtige  Vertreter 

am  Werk,  zum  Teil  mit  interessanten  formellen  Experi- 

H.  Parry,  menten.    So  hat  Hubert  Parry  den  Lisztschen  Versuch, 

die  Musik  einer  sinfonischen  Dichtung,  also  eines  Satzes, 

durch  Umbildungen  desselben  Themas  zu  bestreiten,  im 

grofien  Stil  aufgenommen  und  durch  die  vier  S&tze  der 

klassischen  Sinfonie  durch^efuhrt.    Neben  Parry  sind  die 

Baato^k.  Hauptvertreter  der  Sinfonie  in  England  zur  Zeit  Ban- 

Hftdley.tock,  Hadley,  Street,  Stanford  und  Edgar  Elgar. 

Stafford' ^®^  grofie  Erfolg  des  >Traum  des  Gerontius*   hat  das 

E.  Elgar!  Fcstland  veranlaGt,  sich  auch  mit  den  Sinfonien  Elgars 

bekannt  zu  machen.    Die  erste  (Asdur,  op.  65}  hat  als 

eine  klare,  krftftige  Tondichtung  und  besonders  wegen 

ihres  stark  volkstiimlichen   Einschlags  —  das  Merkmal 

guter  englischer  Kunst  jeder  Art  und  von  jeher  —  all- 

gemein   erfreut,   die   zweite  (Esdur,   op.  63)   wegen   des 

Mangels  an  thematischer  Lebenskraft  kalt  gelassen. 

Die  englische  hat  tiberraschend  schnell  auch  eine 
amerikanische  Sinfoniekomposition  nach  sich  gezogen, 
mit  der  wahrscheinhch  bald  ernstlich  wird  gerechnet 
werden  m&ssen.  Ist  doch  die  geistige  und  kulturelle 
Disposition  der  Neuen  Welt  entschieden  urwiichsig  und 
eigen,  die  Mittel  aber,  eine  junge  Kunst  durch  Schule  und 
Ausfuhrungsapparate  zu  fordem,  stehen  ihr  in  beneidens- 
werter  Leichtigkeit  zur  Verfflgung.  Als  Vater  dieser 
L.  Bob?  in.  amerikanischen    Sinfonik    kann   Ludwig   Bony  in    be- 


851 


!«* 


trachtetwerden,  ein  Eingewanderter,  dessen  C  moU-Sinfonie 
Ifi^  «ineo  annehmbaren  europHischen  Mittelschlag  vertritt,  a]s 

»  Hauptvertreter  ist  unter  den  bis  jetzt  aufgetretenen  Be* 

M!  werbern  Gustav  Strube  mit  seiner  H moll- Sin fonie  zu  e.  strib«. 

'is  bezeichnen.    Der  erste  Takt  dieses  Werks,  der  ganz  uii- 

k  gesucht  einen  fesselnden  exotischen  Ton  anschl&gt,  macht 

]'  es  klar,  dafi  wir  in  diesem  Komponisten  einen  Pfadfinder 

B  Yom  Schlage  eines  Sibelius  und  einen  Ktinstler  vor  uns 

r-  sehen,  der  an  Bedeutang  mit  der  Zeit  einem  Bret  Hart 

t  ^leich  kommen  kann.    Neben  ihm  tritt  A.  Stock  in  den  ▲.  Stoek. 

er  Vordergrund. 

er  ^  In  Italien,  wo  die  Oper  so  nnselig  lange  das  gesamte 

;  musikalische  Interesse  aller  Stande  in  Beschlag  genommen 

faatte  and  wo  die  Erinnerung  an  die  groGe  Instrumental- 
zeit  des  Landes  in  Todesscblaf  versunken  schien,  ist  im 
letzten  Viertel  des  neunzehnten  Jahrhunderts  eine  wich- 
tige  Wandlnng  eingetreten.    Das  Interesse  fUr  Orchester- 
auffQhrungen  ist  erwacht  und  wird  von  den  Kommunen 
gefordert,  namentlich  aber  beherrscht  der  Respekt  vor 
Beethoven    und    das    Bestreben,    sich   seine  Werke  zn 
eigen    zu   machen,    die   meisten  grofien  Konservatorien 
des   Landes.     AIs   die   ersten  Friichte   dieser  Bewegung 
kamen  nach  Deutschland  die  Sinfonien  von  Sgambati  Sganball. 
und  Martucci,   die  eine  zu  sehr,   die  and  ere  zu  wenig  Martneel. 
italienisch.    Mittlerweile  ist  aber  die  Produktion  sehr  ge- 
-wachsen,  Italien  stellt  in  Enrico  Bossi   und   dessen  E.Boul. 
Sohn  Renzo  B.,  in  A.  Franchetti,  A.  Scontrino,  b.bossI. 
L.Perosi,  G.Pacini,  Moncinelli,  Zanello,  Alfano,  A. FranjhMtL 
Amorosio,  Caetani,  Wolf-Ferrari,  in  den  schon  ge-  lIpJJJ^I.*** 
nannten  Sinigaglia  undMarinuzzi  eine  bereits  statt-  G.PaelnL 
liche  Reihe  von  Kraflen  fiir  Sin  fonie  und  Suite.    Nicht  Momeimelli. 
immer  bieten  diese  Werke  das,  was  man  aus  dem  Sonnen-  Jiflwo 
lande  erwartet,  und  durchscbnittiich  enthalten  sie  mehr  inoresl*. 
Arbeit  und  mehr  Weltscbmerz,   als  ndtig  ist.    Aber  sie  CMtanl. 
>haben  meistens  doch  ihren  Wert  in  der  Plastik  der  Themen  ?[**|''^^*"*' 
und  in  der  lebendigen  und  produktiven  Freude  am  Klang.  H^rtnusL 
^In  erstrer  Beziehung  muB  vor  allem  auf  Pacinis  Dante- 
•Sinfonie  verwiesen  werden,  nach  der  andeien  Richtnng 

64* 


852 


ragt  die  H  moll-Suite  Caetanis,  die  aufs  natttrlichste  mit 
konzertierenden  Elementen  wirkt,  hervor. 

Wir  haben  uns  mit  der  allgemeinen,  intemationalen 
Beteiligung  an  der  Sinfoniekomposition  wieder  den  gftn* 
stigen  Verhftltnissen  der  alten,  der  Vorhaydnschen  Zeit 
gen&hert  M5ge  der  Zukunft  dieses  vnchtigen  St&cks  mosi* 
kalischer  Kunst  aach  nach  anderen  Beziehongen  eine^ 
glucklicbe  Entwicklung  bestimmt  sein! 


k 


REGISTER. 


Abert  403,  695. 
Agricola,  A.  17. 
Alayrac,  d'  368. 
Albano  21. 
Albert  710. 
Alfano  8ffl. 
Alfvtfn,  H.  584  f.,  826. 
JUlegri  21. 
Amoroftlo  851. 
Andrtf,  0.  269. 
Arensky  6S8. 
Anbert,  M.  86. 
AnfschmiteT,  A.  87. 
Anlin,  T.  524,  696  f. 

Bach,  Ghr.  109. 

Bach,  Ft.  108. 

Bach,  J.  S.  8,  26,  28  f.,  44,  48, 
58,  61  ff.,  72,  78,  86,  97 f., 
119,  191,  214,  288,  299, 
330,  360,  660,  667,  757, 
826,  845. 

Bach,  Ph.  £.  106ff.,  109,  114, 
J2;{,   127f.,   156,   169,  284. 

Balakirew  688. 

BanoMeri  22,  86,  72. 

Bantock  860. 

3B«rg1el,  W.  666»  694. 

B«iMQi  31,  86. 
81 


Beck,  Fr.  102. 

Becker,  R.  880. 

Beer-Walbrnnn,  A.  6001 

Beethoven,  L.  v.  27  f.,  71,  77  f., 
90  f.,  94  f.,  116,  122,  147  ff., 
154, 1 69)  1 62f.,  168  f.,  lOOff., 
261  ff.,  261,  265 f.,  271  ff., 
276,  279, 282tf.,  294ff.,  300, 
302ff.,  307,314,316,319ff., 
325,  329,  331,  333  f.,  341, 
343  f.,  354,  359 f.,  365,  372, 
377,  384f.,  390,  399f.,404, 
406,  486,  500,  522,  534  f., 
541,  543,  558,  563,  565, 
568,  572,  574 f.,  577  ff.,  582, 
584,  593,  597,  607,  620  f., 
646,  649,  659,  664,  671, 
694ff.,  698r.,  7U2,  711,715, 
717,  719ff.,  726,  728,  736, 
738,  741,  743  f.,  751,  754, 
757,  759,  766,  769ff.,  789, 
792,  812,  818,  823  f.,  828, 
836,  839,  845  f. 

Behm,  H.  884. 

Bellini  300,  381. 

Benda,  Fr.  105,  531. 

Benda,  G.  105. 

Bendix,  V.  601  f. 

Bonnet,  St  384. 

Berger,  W.  764  f. 


854 


Bergonzi  29. 

Berlioz,  H.  121,  194,  2t7f., 
296,  L'OO,  Sd4f.,  886if.,  385, 
387,  389,  393,  397,  400, 
412,  431,  438f.,  456,  465, 
46S,  477,  483,  487,  489, 
492,  495,  520,  618,  644, 
049,  675,  682,  695,  786, 
793  f.,  813,  826,  836,  840, 
843. 

Bernard  849. 

Ber^ftld,  Fr.  081  if. 

Biber,  Fr.  46. 

Bird,  A.  678.    . 

Bischoff,  H.  884. 

Bizet,  G.  444ff.»  649. 

Bleyle,  K.  884. 

Block z,  J.  849. 

Blumenfeld,  F.  658. 

Blyma  252. 

Boccherini,  L.  266. 

Boelimann  849. 

Bohner  221. 

Boieldien  291,  449,  501. 

Bonvin,  L.  850. 

Borodin,  A.  589,  6Slif.»  630, 
646,  65U,  657,  828. 

Boss!,  £.  861. 

Bo88i,  R.  861. 

Brade,  W.  88  f. 

Brahms,  J.  41,  71,  114,  276, 
411,  426,  526,  560,  565, 
649,  658,  668  if.,  678,  680, 
690,  693f.,720f.,735,787if., 
764ff.,  769f.,  815,  817,  819, 
825,  832,  834,  845. 

Brand!  252. 

Branne  252. 

Braunfels,  W.  688  f.,  690. 

Bruch,  M.  468|  467,  716  ff., 
780,  822.. 

Bruckner,  A.  653,  694,  720, 
767  if.,  814f.,  824,  834. 


Brxill,  J.  678. 
Bramel  17. 
Bran,  Fr.  766  f. 
Bnrgmuller,  N.  884. 
Busoni,  F.  480  f. 
Baxtehude  28,  288. 
Buzznola  29. 

Caccini,  G.  73. 

Caetoni  851,  852. 

Galdara,  A.  86  if.,  90,  92. 

Gambert  78. 

Gamerloher  109. 

Gannabich,  Ghr.  26,  108,  300. 

Gastelli,  D.  29. 

Gatoire,  G.  688. 

Cavalli  78,  76,  87. 

Gesti  75,  87. 

Gharpentier,  G.  4 1 2,  468,  467. 

Ghansson  849. 

Ghernbinl,  L.  78,  152,  888 f.» 

291  f.,  328,  672,  760. 
Chopin,  Fr.  660,  766,  783. 
Glementi,  M.  870. 
Gonus,  G.  688. 
Corelli  8,  85  f.,  89,  110. 
Gonperin  52. 
Gowen,  Fr.  619  f.,  860. 
Gai,  G.  649,  703. 
Czerny,  G.  214,  240,  878. 

Dargominsky  600. 

David,  F.  384. 

Debnssy,  01.  443  f.,  511,  529, 

836,  840. 
Degner,  £.  W.  810. 
Delibes,  L.,  444. 
Deller,  F.  60. 
Demantias  42. 
Diabelli  262. 
Dietrich,  A.  607,  7099,,  713 

73S. 


855 


Dittersdorf,  C.  v.  93,  117,  121, 

219,  258  ff.,  268,  270,  275, 

335,  677. 
Dohfianyi,  £.  v.  602  f.,  766 f. 
Dotzauer  273. 
Draeseke,  F.  649,  680  if.,  719, 

720  ff.,  768,  794,  846. 
Dubois  849. 

Dukas,  P.  691,  836,  649. 
Dumanoir,  G.  57. 
Dussek,  Fr.  531. 
Dvohik  512,  526,-  535,  657 ff., 

597,  628,  834. 

Eberl,    A.    199,    272  f.,  288, 

292,  662. 
Ebner  44. 
Eichtier,  E.  102. 
Elgar,  E.  850. 
Enna,  A.  501. 
Eriebach,  P.  50. 
Ertelins,  F.  S.  29. 
Esser,  H.  665  f. 

Facias,  F.  526. 

Fasch,  Fr.  69. 

Fattorini,  G.  29. 

Fesca,  F.  E.  316. 

Fibich,  Zd.  596  f. 

Filtz,  A.  101. 

Fiore  29. 

Fischer,  A.  840. 

Fischer,  K.  55  ff.,  67,  693. 

Fitelberg,  G.  884. 

FonUna  21. 

FSrster,  Chr.  69. 

Franchetti,  A.  851. 

Franck,   C.   439,  885 ff.,  849. 

Franck,  M.  84,  39  ff.,  42,  44. 

Franz,  J.  H.  764. 

Friedemann  468. 

Friedrich  d.  Gr.,  Konig  86. 

Frigel,  P.  521. 


Froberger  44,  52,  117,  335. 
Fuchs,  R.  678 ff.,  815 ff. 
Fux,  J.  67f ,  69,  87,  90,  693. 

Gabrieli,  A.  22. 

Gabrieli,  G.  92ff.,  32f.,  71  ff., 

87. 
Gade,  N.  W.  296,   334,  408, 

496ff.,  502,  521f.,526,572, 

594,  653,  676ff.,  695,  757, 

763. 
G&hring  334. 
Galimberti  64. 
Galnppi  86,  169,  292. 
GaBmann,  F.  96. 
Gazin  849. 
Gemsheim,  Fr.  719  f. 
Gilson,  P.  489  ff.,  511. 
Giuliani,  F.   29. 
Glas,  G.  501. 
Glasounow,  A.  624,  631,  682ff., 

649,  658. 
Gli^re,  R.  632,  657. 
Glinka,  M.  453,  600,  631,  633, 

716. 
Gluck,  Chr.  W.  v.  52,  59  f.,  75, 

79,  86,  94,  114,  118,  127, 

169,265,336,386,492,621. 
Godard;  B.  469. 
Goedecke,  A.  682. 
'    Gohler,  G.  827,  681  f. 
Goldmark,  G.  400,  409  ff.,  832. 
Goltermann  709. 
Gossec,  F.  J.  268,  495. 
Gottwaid  109. 
Gotz,  H.  423,  719,  785 ff.,  768, 

815,  827,  830. 
Gounod  815,  845. 
Gouvy  709. 
Graun,  G.  104,  105. 
Graun,  H.  79,  88,  86, 108, 105. 
Graupner  97. 
Gr^ry  368. 


856 


Orieg,  Ed.  426,  502f.,  505if., 

520,  522,  525,  677. 
Orimm,  J.  0.  666  f. 
Groh,  J.  42. 
GugUelmi  169. 
GuUmant  840. 
Oyrowetz  262. 

Hadley  850. 

Higg,  A.  524. 

HaU^n,  A.  524. 

Hammerick  468,  501. 

H&ndel,  G.  Fi.  44,  46,  52,  58, 
60  f.,  74  f.,  78,  79,  89,  94, 
97 f.,  110,  11 3f.,  148,  265 f., 
299,  357,  360,  412,  486, 
601,  668,  676,  726  f.,  768, 
773,  829,  840. 

Harckloa,  0.  520. 

Harrer,  G.  105. 

Hartmann,  P.  E.  496,  501. 

Masse,  Ad.  26,  30,  82 f.,  86, 
89,  103,  128. 

Hafiler,  L.  34. 

Haasegger,  S.  v.  384,  428  if. 

Hausmann  (Haufimann),  Y.  84, 
35,  40,  42,  46 ff.,  50,  56,  58, 
69  f.,  112. 

Haydn,  J.  8,  30,  60,  71,  77, 
89  f.,  93  f.,  100,  105,  109 ff., 
169f.,  172,  174fif.,  182f., 
188,  190,  192,  194ff.,  198, 
2l5f.,  228,  237,  241,  252ff., 
256f.,  259,  261ff.,  272f., 
288,  294,  296,  299,  304, 
307,  319,  334,  338,  341  f., 
352,  385,  391,  428,  447, 
495,  532  f.,  535,  568,  584, 
603,649,656,670,750,769. 

Haydn,  M.  71,  267  ff. 

HchciMtielt.  PantaliZi  68,  70. 

Hellstrdm,  L  524. 

HelBtedt  334,  709. 


Henriques,  F.  501. 
Herbeck,  J.  666. 
Hermann,  R.  884. 
Herzogenberg,  H.  t.  762  f. 
Hesse,  A.  334. 
Heyse,  P.  501. 
HiUer,  F.  t.  694. 
Hiller,  J.  A.  48,  86,  105. 
Hoffmeister  262. 
Hofhaimer  17. 

Hofmann,  H.  407  ff.,  426,  768. 
Hoi  694,  849. 
Holter,  I.  520. 
Holzbanr,  I.  102. 
Horn,  0.  814f. 
Haber,  U.  384,  764. 
Hnmmel,  F.  827,  882,  849. 
Hnmperdinck,  £.   431,   462, 
467  f. 

Indy,  V.  d'  481  ff. 
Isaac,  H.  17ff.,  20. 
Iwanow,  M.  682. 

Jacobi  462. 
Jadassohn,  S.  667  f. 
J&rnefelt  530. 
Jaspar  849. 
Jomelli,  N.  82,  86. 
Joncidres  849. 
Jaon,  P.  827,  832  f. 

Kajanus,  R.  526. 
Ralafati,  B.  656. 
Kalinnikow,  B.  657. 
Kalliwoda,  J.  W.  286  ff.,  532. 
K&mpf  462. 
Kastner,  G.  463. 
Kaun,  H.  826  ff. 
Kaiser,  R.  434. 
Klznberger  105. 
KitU,  J.Fi.  6821 
EJeraif  462. 


857 


Klose  468. 

Klotze  221. 

Klughardt,  A.  408,  678,  815, 

817  f. 
Knecbt,  J.  H.  221. 
Koch,  Fr.  426. 
Kozelnch,  L.  531. 
Kradentbaler,  W.  48  f. 
Kramm  462. 
Kraofl,  J.  521. 
Kri«|^er,  Ph.  66,  710. 
Krommer,  Fr.  262. 
Knfferath  709. 
KWner  252. 

Kuhnau  56,  117,  255,  335. 
Knntzen  496. 
Kusser,  J.  S.  60. 
Knyper,  £.  698. 

Lacbner,  Fr.  273,  409,  496, 
660ff.,  692,  817. 

Lalo,  E.  462,  693,  849. 

Lanciani,  P.  468. 

Lange,  S.  de  849. 

Lange-MaUer  468,  501. 

Lawes,  W.  44. 

Legrenzi  21. 

Leo,  L.  30,  80,  82  ff. 

Leonhard  334,  709. 

Leopold  I.,  Kaiser  28. 

Lie,  S.  520. 

Lindblad  521. 

Liszt,  Fr.  76,  291,  335,  350, 
358,  365,  384,  886  ff.,  405, 
409,  412f.,  422,  428,  430 f., 
443,  483, 495,  534,  563,  589, 
603,  633, 650,  675,  695,  698, 
721,   779,  835,  840,  842 ff. 

Ljudow  682. 

X^apanow  632. 

LooAteUi  84. 

Loitfuz,  0.  A.  884. 

LOwe,  C.  431. 


Liihrss  334. 

Luigini,  A.  462. 

Lully  8,  49flf.,  57 ff.,  78,  79 

444,  621. 
Lazzo  74. 

Mackenzie,  Al.  850. 

Mac  Dowell,  W.  860. 

Magnard  849. 

Mahler,  O.  384,  798 ff.,  825, 
827. 

Major  767. 

Mailing,  0.  501  f. 

Marcello,  B.  88. 

Martfchal,  H.  462. 

Marlni  21. 

Marinuzzi,  G.  466,  861. 

Marknll,  W.  334,  694. 

Marpurg  105. 

Marteau,  H.  698. 

Martnzzi  851. 

Maschek,  P.  242. 

Maschek,  Y.  531. 

Maschera  20 fF.,  27. 

Massaino,  T.  25. 

Massenet,  J.  462,  469  f. 

Manrer  273. 

Max  Josef  v.  Bayern  86. 

Mayr,  R.  56. 

Mayr,  S.  337. 

Maznel  57. 

M^ul,  £.  264ff.,  289,  495, 
532,  672. 

Meinarski,  £.  656  f. 

Melischewsky  632. 

Mendelssobn-Bartholdy,  F.  65, 
69,  121,  212,  240,  251,  265, 
285,  291,  296,  304,  806  ff., 
323,  328,  333,  a50,  354,  368, 
408,  476,  487,  498,  501  f., 
612,  -22,  5a;S  542£.  5»7, 
618,  624,  656,  660f..  666, 
677,  694f.,  697,  713,  718, 


^   I 


858 


746,757,703,769,816,821, 
829,  832,  836,  838. 

Marcadante  300,  337. 

Merula  21. 

Metzdorf,  R.  810. 

Meyerbeer  300,  337,  368,  384, 
391. 

Mezzaferrata  21. 

Mielk  530. 

Mihalowich  707. 

Minoja  83. 

Mohrlng  334. 

xMolique  334. 

Moller  42. 

Moncinelli  801. 

Monn,  G.  M.  92flf.,  103. 

Monte  21. 

Monteverdi  25,  59,  72f. 

Moor,  E.  834. 

Moralt  273. 

Morley,  J.  16. 

Morley,  Th.  82. 

Moscheles  665,  849. 

Moszkowski,  M.  407,  462,  680. 

Mozart,  L.   71,  170. 

Mozart,  W.  A.  43,  60,  71,  95  ff., 
99,  102,  122f.,  137f.,  142, 
145,  148,  155,  166,  168  ff., 
190ff.,  195 f.,  199,  201,211, 
217ff.,  250,  252f.,  256f., 
261,  266ff.,  270ff.,  275, 
285  f.,  288,  291  f.,  299,  306, 
334,451,523,535,668,666, 
668, 670, 680, 694, 769f.,  845. 

Muffat,  G.  34,  60ff.,  57,  59f., 
62,  67,  78,  117,  255. 

Miiller  334. 

Miinchhansen,  Baron  v.  86. 

Massorgski  632. 

Mysliweczek    109,    117,    531. 

Nanmann  677. 
Naumann,  E.  694. 


Nedbal,  A.  097. 
Neri  21. 
Neruda,  G.  100. 
Neukomm,  S.  278. 
Netzer,  J.  694. 
Nichelmann,  Gfar.  100. 
Nicodtf,  J.  L.  384,  407. 
Nicolal,  0.  457,  694. 
Nielsen,  0.  50 If. 
Nielsen,  L.  501. 
Normann,  L.  521.  ' 

Novak,  V.  097. 

Oberleithner,  M.  v.  884. 
Obrecht  17. 
Offenbach  692. 
Olsen,  0.  520. 
Onslow,  H.  291. 

Pacini  300,  337. 

Pacini,  G.  801. 

Paganini  350  f.,  353,  362. 

Paisiello  292. 

Pape  334,  709. 

Parry,  H.  800. 

Paur,  E.  834. 

Perez  82,  83. 

Perez,  0.  462. 

Pergolesi,  G.  B.  81. 

Perosi,  L.  801. 

Petersen-Berger,  W.  524. 

Petzel,  .].  30,  46  ff. 

Peurl  (BSwerl),  P.  80  ff.,  42  f. 

46f..  68. 
Pfeiffer,  J.  69. 
Phalesius,  B.  31. 
Piccini  88,  169,  292. 
Pichel  in. 
Pittrich  462. 
Pleyel  121,  190,  262 
Porpora  83. 
Pott  709. 
Proch.  H.  292. 


859 


Rachmaninow,    S.    682,    649, 

653  ff. 
Kadecke,  R.  694. 
Raff,  J.  76,   141,  397fF.,  424, 

438,  495,   607,   620,  660, 

666 f.,  768,  770,  780,  814. 
Rameau,  J.  Ph.  53,  68  f.,  75, 

79,  94,  255,  263,  265,  384, 

451. 
Ravel,  C.  468. 

Reger,  M.  689f.,   827,  828 f. 
Reicha  273,  531. 
Relche,  6.  29. 
Reincken,  A.  49  f. 
Reinecke,  G.  694  f. 
Reinhold,  R.  678. 
Reissiger  694. 
ReaB,  Prinz  Heinrich  768  f. 
Reutter,  G.  v.  89. 
Rezniozek,  £.  N.  v.  680,  684  ff. 
Rheinberger,    J.    408 ff.,  432, 

717. 
Rlchter,  Fr.  X,  lOOf. 
Ries,  F.  278  f. 
Rietsch,  U.  480. 
Rietz,  .T.  568,  694. 
Rimsky- Korsakoff  (-K(w-8sakow) 

462,  4710.,  589,  600,624, 

682,  649. 
Rodewald,  J.  105. 
RoUe,  H.  105. 
Romberg,  A.  285,  288  f. 
Romberg,  6.  285  f. 
Rosenhain,  J.  334,  694. 
Rosenmuller,  J.  44ff.,  48 f.,  51, 

56. 
Rosetti    109,    117,   190,  254, 

262 
Itossini  98,    146,    274,   300, 

344. 
Rubenson,  A.  521. 
Rabinstein,  A.  568,  63S,  695  ff. 
Rudolf,  J.  60. 


Rudorff,  £.  815,  819. 
Rue,  P.  de  la  17,  20. 
Riifer,  Ph.  819,  832. 
Ruzek  462. 

Saint-Saens,  G.  458  ff.,  633, 
668,  694,  807,  887  ff. 

Sammartini,  127. 

Samuel,  A.  384. 

Sartorlo  75,  87. 

Scarlatti,  A.  76f.,  79,  87,  89  f., 
94,  107. 

Schafer,  D.  849. 

Schaffrath,  Gbr.  106. 

Schale,  F.  105. 

Scharwenka,  Ph.  422  ff. 

Scharwenka,  X.  422. 

Schelffelhut,  J.  48  f. 

Schein,  H.  48  f.,  68,  710. 

Schidler,  A.  501. 

Schjelderup,  G.  520. 

Schloger,  M.  88. 

Schmeling,  462. 

Schmierer,  J.  A.  67,  67,  693. 

Schmltt,  F.  849. 

Schneider,  Fr.  30,  285,  286. 

Schop,  J.  46. 

Schubert,  Fr.  251,  273,  274ff., 
292,  305  f.,  324,  410,  505, 
560,  571  f.,  581f.,  584,  593, 
661,  664,  670,  695,  719, 
729  f.,  743  f.,  749, 769, 77  Iff., 
779,783, 799,816f.,824,841. 

Schumann,  G.  480. 

Schumann,  R.  30,  44,  65,  104, 
121,221,233,265,274,276, 
285ff.,296,304,307,816ff., 
333,  338,  340,  350,  361  f., 
388,  399  f.,  407,  439,  486, 
500,  505,  522,  528,  533, 
572,574,578,581,601,613, 
624,  649,  664,  666,  671, 
677,694f.,697,710f.,713f., 


860 


736,    738,   740,  763,  769, 

783,  813f.,  821. 
^chutz,  H.  25,  28,  113. 
Schwanberger  109. 
Scontrlno,  A.  851. 
Scriabine,  A.  688,  649,  660  ff. 
Sekles,  B.  691  f. 
Selmer,  J.  520. 
Senfl,  17. 
Serow,  A.  600. 
Sgambati  768,  861. 
Sibelius,  J.  526 ff.,  826,  851. 
SikloB  767. 
Simpson,  Th.  82  ff. 
Sindlng,  Ohr.  618  ff. 
Sinigaglia,  L.  465  f.,  861. 
^meuna  430,  684 ff.,  584,  597. 
SSdermann,  A.  521. 
Spohr,  L.  102,  194,  214,  219, 

239,  251,  273,  891ff./304, 

306,   334,   388,  423,  533, 

620 f.,   65 J,  661,  665,  695, 

755,  842. 
^tade  42. 
Sumitz,   J.  99  f.,   101,   103, 

263,  532. 
Stamitz,  K.  102,  117. 
Sunford,  V.  245,  678,  860. 
Starzer,  J.  96. 
Steffani,  A.  60. 
Steinberg,  M.  658. 
Stenhammar,  W.  524. 
Sterkel  271. 
Stock,  A.  861. 
Stojowsky,  S.  657  f. 
StrlBer,  £.  827  f. 
StrauB,  J.  41,  824. 
StrauB,  R.  411  ff.,  698  f. 
Street  860. 
^trube,  G.  861. 
Sack,  T.  697  f^  826. 
S&fiattyer  25;5. 
Brendieil  502,  608  ?• 


Tiglichsbeck,   Th.   334,   694. 

Tanjew,  S.  682. 

Tartini  84. 

•Taubert  694. 

Telemann,  P.  G.  66. 

TeiUer  462. 

Teradellas  82. 

Tessarini  117. 

Thieriot,  F.  815,  818 f. 

Tinel,  £.  439. 

Toeschi,  J.  102. 

Tomaschek,  W.  J.  289,  681  f. 

Torelli  85. 

TraetU  82. 

TschaikowBky,  P.  76, 47 1 ,  482ff., 

600  ff.,  634,  650,  703,  716, 

735. 
Tschergenin  682. 
Tuma,  Fr.  70,  531. 
Tunder,  Fr.  28. 

Ulrich,  H.  709. 

Yanhall  190,  262. 

Veit  709. 

Verhnlst  849. 

Vinci,  L.  da  80,  81,  101. 

Vitali  21. 

Vivaldi  85  f. 

Vogler,  Abt  221,  284  f. 

Volkmann,  R.  486,  555,  625, 
671,  676 f.,  678,  680,  690, 
695,  711  ff.,  721,  749,  763, 
795    827 

VoUbach,  Fr.  827,  829  ff.,  846. 

Waelrant  72. 

Wagenseil,  Ohr.  91  f. 

Wagner,  J.  0.  306. 

Wagner,  R.  23,  39,  59,  73, 
204,  241;  MMHr.,  315,  360, 
371,  304,  396,  399,402, 
408,  411,  415,  432,  487, 


861 


443,  468,  486,  493,  501, 
510,  513,  5]8f.,  533,  550, 
555,  596  f.,  633,  648,  651, 
678,  713,  7*26f.,  737,  768, 
771,  777,  786,  789,  792ff., 
797  f.,  814,  822,  826,  830, 
834  fr.,  846  f.,  849. 

Walter,  A.  694. 

Walther,  J.  16. 

Wa86Uenko,  S.  682,  658. 

Weber,  CM.  y.  104,  158,  191, 
219,  252,  266,  283,  290f., 
295,  305,  313,  328,  368, 
408,  501,  545,  664,  704. 

Wegelius,  M.  526. 

Weingartner,  F.y.  820  ff.,  832, 

Weyse  252,  496. 

Widmann,  B.  34. 

WldoT,  Ch.  M.  846  ff. 

Wihtol  682. 


WUms  271,  273. 
Winding,  A.  601  f. 
Winter,  P.  v.  241. 
Witt  271. 

Wolf,  H.  462,  466  f. 
Wolf,  L.  0.  688. 
Wolf-Ferrari  861. 
Weifl  271. 
WoyrBch,  F.  766. 
Wranitzky  262. 
Wiierst  709. 

Zach  109. 

Zachow  28. 

Zanello  861. 

Zelenka,  J.  D.  66f.,  78,  531  f. 

Zellner,  J.  694. 

ZSIlner,  H.  586,  884. 

ZoloUrefT,  B.  656. 

ZweerB,  B.  849. 


Berichti  gunge  n. 


Seite     17, 

»        67, 

81, 


111, 

129, 

129, 

136, 
165, 


172, 
252, 

261, 

291, 
321, 

332, 

334, 
359, 
379, 


Zeile  14  statt  de  le  Rue  lies  de  la  Rue. 

>  17  statt  du  prlnptemps  lies  du  prin temps. 
Notenbeispiel  b  die  erste  Note  im  ersten  Takt  muB 
a ,  die  zweite  Note  im  dritten  Takt  muB  "a:  helDen. 
Notenbeispiel  c  die  zweite  Note  im  dritten  Takt 
muB  d  heiBen. 

Zeile  5  v.  u.  sutt  Breitkopf  &  U&rte  lies  Breitkopf 
&  Hartel. 

Zeile  12  v.  u.   statt  Frau   von  Stael   lies  Frau   von 
Stael. 

Zeile  11  V.  u.  statt  Dell*  Allemagne  lies  Del'A  lie - 
magne. 

Zeile  18  statt  hinreisend  lies  hinreiBend. 
erstes  Notenbeispiel  in  der  zweiten  H&lfte  des  dritten 
Taktes   muB   die  Sechzehntelpause  einen  Pnnkt  er- 
halten. 

Zeile  3  statt  glanbte  lies  glaubte. 
»      3  V.  u.  statt  Kuifner  lies  Kiiffner. 

>  15  V.  u.  und  an  einigen  andern  Stellen  statt 
tumultarischen  lies  tumultuarischen. 

Zeile  3  statt  Beliiessenheit  lies  Beflissenheit. 
bei    dem    vierten    Notenbeispiel    muB    ein    7   vor- 
gezeichnet  werden. 

erstes  Notenbeispiel  die  erste  Note  im  sechsten  Takt 
muB  ein  fi  erhalten. 

Zeile  3  statt  Leonhardt  lies  Leonhard. 
»      8  V.  u.  statt  Herold  lies  Harold. 

>  13  and  20  statt  FlagoIettOne  lies  Flageolet- 
tone. 


-^    863    «^ 

Seite  389,  erstes  Notenbeispiel  die  erste  Note  im  dritteii  Takt 

mufi  ein  Achtel  sein. 
404,  bei    dem    zweiten    Notenbeispiel    muB    ein    7   vor- 

gezeichnet  werden. 
407,  Zeile    5,     sowie    Seite    462     und    680     lies    stets 

Moszkowski. 
438,  bei  dem  zweiten  Notenbeispiel  miissen  zwel  ||  vor- 

gezeichnet  werden. 
448,  Zeile  8  statt  Cdur  lies  £dur. 
451,  erstes  Notenbeispiel  die  dritte  Note  im  zweiten  Takt 

mufi  es  heifien.  _^ 

454,  zweites  Notenbeispiel  die  letzte  Note  muB  b  heifien. 

455,  erstes  Notenbeispiel  die  dritte  Note  im  zweiten  Takt 
mufi  as  heifien. 

459,  im  ersten  Notenbeispiel   die  beiden  unteren  Noten 
im  ersten  Takt  miissen  ~g   heifien. 

460,  bei  dem  ersten  Notenbeispiel  miissen  zwei  jt  vor- 
gezeichnet  werden. 

473,  Zeile  14  statt  Gdur  lies  Hmoll. 

473,  im  Notenbeispiel  hoifit  die  zweite  Zeile: 


mg^f^M^JJf-f-f [-fff  I  fr f r r I "^ 


H AJI^  

Seite  474,  im  zweiten  Notenbeispiel  tritt  der  Harmoniewechsel 
stets  auf  gutem  Taktteil  ein,  die  Ziifem  sind  also 
unter  das  erste  bzw.  vierte  Achtel  zu  setzen. 

>  477,  Zeile  8  v.  u-  statt  J-  lies  C-Takt. 

»      502,      >    21  statt  Sanguinkers  lies  Sanguinikers. 
»      509,  Notenbeispiel  im  zweiten  Takt  ist  die  zweite  Acbtel- 
note  g  zu  streichen. 

>  520,  Zeile  13  v.  u.   sUtt  Iven-Holter  lies  Iver  Uolter. 

>  524,      »         ]   statt  Stenh^mmer  lies  Stenhammar. 

»      566,  bei    dem    zweiten    Notenbeispiel    mufi    ein    i?    vor- 

gezeichnet  werden. 
»      567,  bei    dem    Notenbeispiel    mufi    ein    j?    vorgezeichnet 

werden. 


864 


Seite  568,  bei  dem  zweiten  Notenbeispiel  miissen  zwei  b  ▼or- 

gezeichnet  werden. 
»     604,  bei    dem    vierten    Notenbeispiel    muB   ein   jl   vor- 

gezeichnet  werden. 
»      607,  Zeile  14  v.  u.  statt  Dietericb  lies  Dietrich. 
»     625,      >      10  statt  R.  Volksmanns  lies  R.  Yolkmanns. 

>  634,      >       12  V.  u.  statt  Gdar  lies  Ddur. 

>  650,  erstes  Notenbeispiel  Im  zweiten  Takt  lies: 


651,  Notenbeispiel  die  erste  Note  mu0  ais  heifien. 

661,  Notenbeispiel  die  erste  tiefe  Note  mnfi  d  helBen. 

709,  bei  dem  letzten  Notenbeispiel  mnfi  ein  b  vor- 
gezeichnet  werden. 

746,  zweites  Notenbeispiel  statt  g  lies  gis. 

755,  Zeile  7  v.  u.  statt  Emoll  lies  FmoU. 

767,      >      9  fehlt  Emanuel  Moor. 

791,  erstes  Notenbeispiel  die  zweite  Note  muB  e  heiBen. 

808,  erstes  Notenbeispiel  die  sechste  Note  im  zweiten 
Takt  muB  a  helBen. 

810,  drittes  Notenbeispiel  das  erste  Triolenachtel  im  zwei- 
ten Takt  muB  a  heifien. 

834,  Zeile  13  ist  Emanuel  Moor  zu  streichen. 

838,  erstes  Notenbeispiel  statt  Allegro  moderato  lies  Allegro- 
marcato. 


i^^^>^^^ 


Druck  von  Breitkopf  &  H&rtel  in  Leipzig. 


f 


■^^mw^ 


14  DAY  USE 

RETURN  TO  DESK  FROM  WHICH  BORROWED 

MUSIC  LIBRARY 

This  book  is  due  on  the  last  date  stamped  below,  or 

on  the  date  to  which  renewed. 

Renewed  books  are  subject  to  immediate  recall. 


MAR  2 1  1966 


MAR  1 Q  1972 


DEC  22  1977 


J UN  3  0  1979 


JUM  1  0 1983 


LD  2lA-10m-5,'65 
(F4808sl0)476 


General  Library 

UniTersity  of  California 

Berkeley 


LD9-80ii»^,*65  (V  d0«ai4 )  4i ; 


DATE  DUE 


Muiic  Libraiy 

Unhreraity  of  CaUfbnia  at 
Bexksiey