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irBRARY
UNIVERSITY or
CALIFORNIA
FOHRER
DURCH DEN KONZERTSAAL
VON
HERMANN |RRETZSCHMAR
I. ABTEILUNG:
SINFONIE UND SUITE
I. BAND
yiERTE, YOLLSTANDIO NEUBEARBEITETE
AUFLAGE
LEIPZIG
VERLAG VON BREITKOPF & HARTEL
1913
Alle Rechte, auch das der Ubdneizung, vorbehalten.
Das Reoht des Einzdlabdruoks und ddBsen Weiteryergebung
Biebt auBBchlieBlich den Yerlegem Breitkopf & Hartel
in Leipzig zn.
Oopyright 1913 by Breitkopf & Hartel, Leipzig.
VORWORT
zur ersten Auflage.
Der Yorliegende ^Fiihrerdurch den Konzertsaal" ging
aus einzelnen Aufsatzen hervor, welche ich im
Laafe der Jahre fur die von mir geleiteten Konzerte
geschrieben habe, um die ZuhOrer auf die Auffuh-
rungen unbekannter oder schwierig zu verstehender
Kompositionen vorzubereiten.
Fur die Bachform sind diese Artikel umgearbeitet
unddahin vervoUstairdigt worden, daB die erl&uterten
Werke in geschichtlicher Folge erscheinen. Da Historie
vndKritikunzertrennlich sind, wird man entschuldigen,
daJB die Kompositionen und die Komponisten auch be-
urteilt werden. Ich hofTe jedoch mich in dieser Be-
ziehung durchschnittlich in den gebotnen Grenzen
gehalten zu haben. Den ersten Gesichtspunkt fiir
Aufnahme oder Weglassung, kurzere oder ausfuhr-
lichere Behandlung der Werke und Klinstler bildet
ihre Stellung im heutigen Repertoire, den zweiten ihre
kunstgeschichtliche Bedeutung. Aus ersterem Grunde
muBten unter anderen einige Kompositionen aus der
jungsten Gegenwart zurzeit noch unberucksichtigt
bleiben.
Rostock, 26. September 1886.
Dr. Hermann Kretzschmari
IkademUcher Lehrer der Muaik an der Landesnniversitftt
OroOherzogl. n. sUdtischer Musikdirektor zu Rostock.
IV187£?540
IV
Zur zweiten Auflage.
Das Erscheinen einer zweiten Auflage bietet
mir willkommene Gelegenheit, fur die freundliche
Aufnahme, die mein „Fuhrer^ gefunden hat, herzlich
zu danken.
Im wesentlichen ist das Buch geblieben, wie es
war. leh konnte mich darauf beschrSLnken, einzelne
Irrtumer zu berichtigen und da und dortdas geschicht-
liche Bild zu erganzen.
Leipzig', September 1890.
Dr. Hermann Kretzschmar,
AnOerordentlicher Profetisor an der Universitiit Leipzig
and Univfr<4itat8mu8ikdirektor.
Zur dritten Auflage.
Wegen Cberbiirdung und Krankheit des Ver-
faasers hat diese Abteilung des ^Fiihrers^ seit Jahren
im Handel fehlen mussen. Jetzt erscheint sie betracht-
lich ver&ndert. Die H&ndelschen Concerti grossi,
S. Bachs Brandenburger Konzerte, die sinfonischen
Dichtungen Liszts und seiner Nachfolger sind wegge-
lassen und f^r den in Vorbereitung begriffenen Schlufi-
teil des Werkes (Konzerte, Ouverturen usw.) zuruck-
gestellt worden. Trotzdem ist die neue Auflage doppelt
so stark wie die vorhergehende und der besseren Hand-
lichkeit wegen in zwei B&nde zerlegt worden. Die
Vermehrung kommt eines Teils auf die <ere Geschichte
von Suite und Sinfonie; zum andren waren eine groBe
Anzahl yon Werken aus jungster Zeit ganz nea auf-
zunehmen. Wenn die meisten von diesen sehr aus-
fQhrlichbehandelt worden sind, so zwangen dazu &uBre,
praktische Grunde. Grunds&tzlich bin ich nach wie
Yor der Meinung: dafi der Erkl&rer sich vor allem der
Kurze befleiBigen und bei denen, welche sich mit Sin-
fonienbesch&ftigen, einigeKenntnis in der musikalischen
Formenlehre, mindestens die F&higkeit, Turen und Fen-
ster zu unterscheiden, voraussetzen soil. Ich babe es
deshalb trotz gutiger Aufforderungen aberhials vermie-
den, immerwieder zu sagen, aus wie viel Takten die und
die Melodien bestehen, in welchen Tonarten sie be-
ginnen und schlieBen, und mich darauf beschrankt,
den Leser mit Dingen des SluBren Mechanismus nur
so weit zu behelligen, als sie besondre Wichtigkeit
haben. Mein Bestreben ging dahin: anzuregen, ins
Innre und Intime der Werke und der Kiinstlerseele
zu fuhren und wom5glich den Zusammenhang mit der
Zeit, mit ihren besondren musikalischen Verh<nissen,
mit ihren geistigen Str5mungen aufzudecken.
DaB mein„Fuhrer" auch andere zu gleichen Ver-
suchen yeranlaBt hat, ist mir sehr schmeichelhaft;
daB er zuweilen ohne weitres benutzt wird, noch mehr.
Doch erlaube ich mir darauf aufmerksam zu machen,
daB inF&llen wOrtlicherEntlehnung schweigende Dank-
barkeit oder yerlegne GansefuBchen nicht genflgen,
sondern daB dann der literarische Anstand yollstan-
dige Quellenangabe yerlangt.
Dem Publikum und meinen Kritikem bin ich fur
die freundliche Aufnahme auch der zweiten Auflage
yerbunden.
Zum Schlusse spreche ich den VorstlLnden von
Bibliotheken und Archiven, sowie den Herren Verlegern
— insbesondere den Herren Breilkopf & Hartel —
die auch die Arbeit an dieser Auflage bereitwilligst
durch tJberlassung von Materialien unterstutzt haben,
herzlichsten Dank aus.
Leipzig, Oktober 1898.
Dr. Hermann Kretzschmar,
AaOerordenilicher Professor an der Univemit&t Lf>ipzi|j^.
Zur vierten Auflage.
Obwohlauch die dritte Auflage seiteinemJahrzehnt
vergrifTen war, bin ich erst jetzt imstande, eine neue
vorzulegen. Sie unterscheidet sich von der Vorgfingerin
durch die Aufnahme einer groBenAnzahl weitrerWerke
aus alter und neuer Zeit.
Fiir Zuweisung von Handschriften bin ich Herrn
0. oe. Universitatsprofessor Dr. Guido Adler in Wien
und meinem Berliner Kollegen Professor Dr. Johannes
Wolf, vcaDrucken den Herren Breitkopf & Hartel, so-
wie der Deutschen Musiksammlung der K5nigl. Biblio-
thek zu Berlin, insbesondere ihrem Vorsteher, Herrn
Oberbibliothekar Professor Dr. Altmann, und ihrem
Bibliothekar Herrn Dr. H. Springer, zu auCerordent-
lichem Dank verpflichtet.
Schlachtensee, November 1912.
Dr. Hermann Kretzschmar,
Getaeiiner Kegieruhgsrat, Professor an der Universit&t
Berlin, Director der Edniglichen Hochschale f^r Musik
und dP8 KOnigliclien Akademifchrn Institates fttr
Kirchenmusik.
INHALT.
I. Band.
Seite
Yon Gabrieli bis Bach. Blutezeit der Orchestersonate uud
der Saite, Entwicklung der Sinfonie 1
J. Hafdii, Mozart, Beethoven 109
Nebenminner nnd Gefolge der Klassiker. VorUufer und
Hanptvertreter der Romantik 251
II. Band.
Did Programmusik und die nationale Richtung in der
Sinfonie 333
Die modeme Suite und die neueste Entwickelung in der
klassiscben Sinfonie 669
I.
Von Gabriel! bis Bach.
Bliitezeit der Orchestersonate und der Suite,
Entwicklung der Sinfonie.
mn wir nach den Anfftngen nnsrer heatigen Kon-
zertmusik fQr Orchester snchen, so mussen wir eine
betrflchtlicheStrecke znruckwandera und einGebiet
betreten, das wir znr Zeit mit wissenschafUicher Sicherheit
hdchstens in den Umrissen iibersehen. Ftlr die Beantwor-
tung der Frage: wie entstand nnd wie entwickelte sich
das Orchester, sind wir vorwiegend auf indirektes Material
angewiesen. Solche Hilfsqnellen bieten sich in Mitteilnngen,
welche SLltere Mnsikschriftsteller fiber Instnimente und
Spielleute machen, in gelegentlichen musikalischen No-
tizen bei Dichtem, in Briefen, Reisebeschreibungen,
Biographien von Laien, in Darstellungen zeitgendssischen
Mosiktreibens auf alten Bildem and Skulpturen, viertens
in Bestallungen, Rechnungen, Verordnungen und anderen
anf Musiker und Musik bezQglichen Erlassen in den Akten
von Staats-, Kirchen-, Schul- und GemeindebehOrden,
von Innungen und Gesellschaften und endlich in alten
Instrumenten. Erst verhflltnismflfiig sp&t treten zu diesen
Auskunftsstellen fiber Bestand, Aufgaben und Tfttigkeit
von Orchestem als wichtigste Zeugnisse geschriebene oder
in Stimmbtkchem gedruckte Noten.
Die Mitteilungen der fllteren Musikschriftsteller haben
bisher nur einen geringen Ertrag gegeben, weil das
Mittelalter, auch das spfltere, die Spielmusik, die Volks-
Kretzielimar, Ffthrer. I, 1. 1
mtisik and die ganze Profanmusik grands&tzlich ignoriert.
Die bemerkenswer teste Ausnahme bildet der erst in
nenerer Zeit (durch Johannes Wolf) ans Licht gezogene
Joannes deGrocheo*); unter seinen Nachfolgern sind be-
Bonders Sebastian Virdang (Masica getuscht 1611) tind
Michael Pr&torius (Syntagma musicum 1618} hervorzn-
heben. Eine zusammenfassende nnd kritische Durch-
arbeitung des gesamten zu dieser Gruppe geh5renden
Materials steht noch ans.
Noch weniger ist fdr die AusnCitzung der Laien-
literatur geschehen, obwohl sie sehr wertvolie Auskunft
aber die Verwendung der Spiellente and fiber die Stellnng
der Instrumentalmasik im 5fTentlichen and privaten Leben
verspricht. Mit gaten Ergebnissen hat anlftngst H. J. Muser
diese Qaelle nach den sozialen Verhftltnissen der mittel-
alterlichen Musiker befragt**}.
Die Wichtigkeit, die alte Instrumente fClr eine (je-
schichte des Orchesters haben, bedarf keiner Auseinander-
setzdngf leider aber reicht der Besitz anserer Instra-
mentensammlungen. von wenigen Aasnahmen abgeseben,
nirgends ilber das 16. Jahrhandert zarQck.
Da6 die Bilderquellen, die sich far die Masik des alten
Orients als die wichtigsten, zuweilen als die einzigen
Zeagen erwiesen haben, auch von der Musik des Mittel-
alters and der ihm folgenden Zeit wertvolie Berichtegeben,
bat znerst Scheuerleer erkannt, Eduard Bahie and Hago
Leichtentritt***) haben, seinen Anregungen folgend, den
*) Sammelbinde der Intematlonalen MoBikgesellscbaft I,
65 und ff.
**) Hans Jonrhim Moser: Die Maslkgenossenscbaften Im
deutacben Mittelalier. 1910.
♦•♦) Scheuerleer, D. F.: Oude Mafilkinst^amenten en
Prenten en Foto<?raflen nsw. 1898. Buble, Dr. Edv.: Die
mnsikalischen Instiumente in den Miniatnren des fruhen Mlttel-
alters. 1903. Leichtentritt, Hugo: Was lebren uns die
Bildwerke des 14. — 17. Jahrhunderts uber die Instrumental-
musik? (Sammelbinde d. I. M. G. VII, 8.)
Beweis erbracht, daB aus den Werken der bildenden Kunst
noch reiche mnsikgeschichtliche Ausbeute zu schOpfen ist.
Verh&ItnismftOig am fleifiigsten und daza am frUhesten
ist miter den genannten Hilfsqnellen die vierte, die Akten-
qaelle benutzt worden. Schon Forkel gibt in der Eia-
leitong seiner Uniyersalgeschichte wertvolle Mitteilungen
ftber die Stadtpfeifereien und die Schulchdre seiner Zeit,
nach ihm hat dann August Reifimann seiner Musikge-
schichte einige verdienstyoUe Aktennotizen fiber erste
OrchestergrQndungen in deutschen Reichsst&dten einge-
f>. Die Hauptarbeit hat sich hier in den groBen und
kleinen Beitrfigen zur musikalischen Landes- und Orts-
geschichte vollzogen, die seit der Mitte des neunzehnlen
Jahrhunderts erfreulicher Weise sich fortw&hrend bei
alien Nationen vermehrt haben und bereits heute eine
solche Menge bilden, daB hier nicht einmal die wichtigsten
angeffkhrt werden k5nnen *}. Zu ihnen kommt noch eine
Reihe von Arbeiten, die in den Archiven und Jahrbuchem
allgemeiner Geschichts- und Altertumsvereine Unterkunft
gefnnden haben, wie z. B. Grulls Beitrftge zur Geschichtc
der Stadt Wismar im Mecklenburgischen Urkundenbuch
Yon 1879. Nur das reichste und bedeutendste StCkck der
ganzen Gruppe soil hervorgehoben werden: Es sind Adolf
Sandbergers »Bemerkungen zur Biographie Hans Leo
HaBlers und seiner BrQder, sowie zur Musikgeschichte
▼on Nfirnberg und Augsburg***) M it den mannigfaltigen
und lebendigen Bildern, die hier vom Spielmannswesen
der beiden Reichsstftdte entrollt werden, wird zugleich
musterhaft bewiesen, wie eine scheinbar unl5sbare Auf-
gabe zu emem guten Ende gefQhrt werden kann, wenn
der Autor sich nicht die Miihe verdrieBen ISlQI, verborgenen
Wegen nachzusptiren.
Trotz dieses mangelhaften Zustandes der Vor-
arbeiten )assen sich immerhin einige Richtpunkte fQr
*) Der Leser kann sich lelcht in dem Katalog der Musik-
bibUothek Peters niber orietitieren.
**) DenkmUer der Toiikunst in Bayern Y, I, Elnleitung.
1*
die Friihgeschichte des Orchesters feststellen. Sicher
scheint es, dafi den ersten AnstoB, einzelne moralisch
und technisch wtkrdigere Spielleute aus der unehrlichen
Kaste der Gaakler herauszuziehen und in dffentlichen
Dienst zu nehmen, schon friih im Mittelalter die diva
necessitas, die Notwendigkeit, fQr die Sicherheit von
St&dten und Burgen gegen Oberf&lle, gegen Wassers- und
Feuersnot zu sorgen, gegeben hat. Der einzelne, einfache
TQrmer, der die Stadt bewacht, mit Horn, Tuba, Trom-
pete warnt und allarmiert, bildet Qberall den Grundstock
der sogenannten Stadtpfeifereien, auf den Rirchtlirmen ver-
lauft ein groBer Teil ihrer Geschichte. Auf ihnen haben
in den meisten kleinSn Stfidten bis weit ins neunzehnte
Jahrhundert die Meister mit Gesellen und Lehrlingen ge-
haust, und auch in grdBeren Stadtorchestern, dem Leipziger
z. 6., haben noch znr Zeit der Grundung des neuen deut-
schen Reichs einzelne Mitglieder — zuweilen waren es
hervorragendeVirtuosen — Ttkrmerposten bekleidet Bis auf
den heutigen Tag hat sich in mancher Stadt, die ihre
Stadtmusik der Gewerbefreiheit geopfert hat, doch der
TUrmer erhalten, namentlich im alten Hansagebiet ruft
er noch hier und da die Nachtstunden mit Signalen und
Weisen ab, die ihres hohen Alters wegen schleunigst ge-
sammelt werden sollten.
An den FurstenhOfen war der musikalische Wftchter
in der Kegel ein Trompeter, der auch als Herold, als
Kourier und zu vielen anderen Zwecken des Hofdienstes
verwendet und ziemlich bald durch Kollegen unterstGtzt
wurde. Bereits urn 1400 zieht Karl VI. in Reims mit
30 Trompetem ein, Ludwig XL hat gar 54 im Dienst'*').
Auch in Italien gibt es solche groBe Trompeterorchester:
Lucrezia Borgia z. B. wird 1601 in Ferrari mit 13 Trom-
petem und 8 Schalmeienbl&sern, ein andermal mit 24
Trompetern und entsprechend vielen Schalmeiblftsern
eingeholt. Ftir Deutschland haben wir pr&zisere Angaben
'*') M. Brene t: Les concerts en France sous I'ancien regime.
1900 (S. 11).
erst aos der zweiten H&lfte des 16. Jahrhunderts. Da
h< sich der Herzog von Liegnitz, eiaer der kleineren
FUrsten (nach den Denkwurdigkeiten Hans von
Schweinichens) 12 Trompeter. Diese Hoftrompeter nahmen
eine angesehene Stellung ein, an einzelnen Pl&tzen mdgen
sie sogar Offiziersrang gehabt haben'*'), Dberall bildeten
sie eine eigne stolze, von den gewdhnlichen Spielleuten
beneidete Gilde. Wirkten sie mit letzteren zusammen,
worde ihnen eine besondere Empore einger&umt, in ein-
zelnen alten Musiks&len hat sich diese erhohte Trompeter-
loge noch bis heute erhalten. Diese Sonderstellung und
diese Sonderrechte wurden auch von den St&dten an-
erkannt. Nar die eigentlichenPatriziergeschlechter durften
zur Hochzeitsmusik Trompeter bestellen, und noch zu
den Zeiten Sebastian Bachs war die Erlaubnis, eine so-
genannte Trompetensnite spielen za lassen, mit beson-
deren Kosten verknUpft. In neuerer Zeit ist die Ansicht,
dafi sich das Ansehen der alten Trompeter auch auf her-
vorragende musikalische Leistungen gestHtzt babe, zwar
bezweifelt worden ****), doch verbieten allein schon die
Trompetenpartien Bachs und H&ndels hierUber zu streiten.
Nicht bios die Trompeten, sondern alle Blasinstrumente
batten im 17. und 18. Jahrhundert konzertierenden Charak-
ter und muBten, namentlich die Oboe, technisch weit
mehr leisten, als der heutige Orchesterdienst verlangt;
erst die Wiener Schule en than d sie von den virtuosen
Verpflichtungen.
Am Ende des 15. Jahrhunderts begegnen wir auch
den ersten Milit&rmusikern. Georg Frunsberg, der Vater
der Landsknechte, war es, der filr jedes Fahnlein zwei
Oder drei Spielleute, haupts&chlich fiir den Signaldienst
einstellte. Erst im 18. Jahrhundert entwickeln sich dar-
ans, und wie es scheint nach preufiischem Vorgang,
*) I. S. Altenburg: Versuch einer Anleitung znr heroisch-
moslkalischen Trompeter- and Paakerkunst 1795.
♦♦) H. Eicbborn: Die Trompete in alter nnd neuer Zeit.
1881.
stattliche Oboistench((re. Die btkrgerliche Instrumental-
musik hat lange an dem einzigen Spielmann festgehalten,
in Dresden bescbrftnkte sich noch 1572 die Stadtmusik
anf einen Kopf *). Aber die Aufgaben des Turmers scheinen
sich bald erweitert zu haben. Zur Bewachung tritt die
BegrQfiang, die Unterhaltung und Erbauung der BUrger-
schaft, die HSlt diese Zwecke vordem lediglich auf die
Bedienung durch wandernde und vagabundierende Musi-
kanten angewiesen war. Nach dem Ausweis von Ver-
ordnungen und Bildem gibt der amtlich bestellte Pfeifer
Yom 14. Jahrhundert ab zur Morgen-, Mittags- und Abend-
stunde von seinem Turm herab, oder von einer andren
geeigneten Stelle aus ein geistliches oder weltliches StQck
zum beaten, er erscheint bei Festen und Aufztkgen, bei
Hochzeiten, Taufen und andren Ehrentagen der Familie,
er spielt an Sonn- und Festtagen und bei weiteren guten
Gelegenheiten auf dem Markt, auf einer Empore oder
Nische des Stadthauses, auf dem Plan, dem Anger — in
Basel auf der Rheinbr^cke — auf, er fehlt bei keinem
Tanz im Grunen, auf der Tenne oder im Saal. Noch
aus der zweiten Hsllfte des 17. Jahrhunderts haben wir
viele Tanzbilder, namentlich von Teniers, auf denen nur
ein einziger Spielmann t&tig ist, und auf dem Land, im
Spreewald, in entlegenen Gebirgsddrfern ists auch heute
nicht selten, dafi das ganze Tanzorchester aus einem
einzigen Klarinettisten oder einem Fiedler besteht Neben
der Trompete tritt fQr solche Gelegenheiten schon in der
Zeit der Miniaturen die Geige auf, in der Zeit der Bilder
auch die Gambe, die Laute und die Viola, besonders be-
liebt wird [nach DQrer, Rafael, auch Teniers) f&r den
Volksbedarf der Dndelsack; auf den Handwerksbildern
des Jost Amanns (16. Jahrh.) stellt sich dann die Guitarre
mit ein. Die Hausmusik kennt vom 15. Jahrhundert ab
kleine um den Hals gehangene Orgeln, sogenannte Por-
tative, die besonders gem von vornehmen Damen und
*] G. Wastmann: Ans Leipzigs Yergangenheit (Artlkel:
Die Leipziger Stadtmnsikanten). 1885.
heiligen Franen gespielt werden. In Holbeins Totentanz
tiitt aach der tod als Kavalier mit einem Psalterinm
anf. Schlagzeug fehlt, nur anf italienischen Bildern des
16. Jahrhnnderts kommt aosnahmsweise der Triangel vor,
in Dentschland gilt er damals noch als >freindes Instru-
ment*.
Der vermebrte Bedarf und die Notwendigkeit, ftkr
Nachwuchs zu sorgen, die znr Vererbung des Gewerbes
in derselben Familie and sp&ter zu fSrmlichen Masiker-
dynastien f&hrte, e^&ren es einfilbh genug, daB aus
dem einen Spielmann bald mehrere wurden. So begegnen
wir scbon in den Miniatnren des 12. Jabrhnnderts zwei
Spielleuten, das erste Bild — es ist aus der Schule Meister
Wilbelms — mit zwei Instrumentalisten stammt aus dem
14. Jabrhundert and befindet sich im Dom za Aacben.
Zwei En gel masizieren da, der eine anf der Bratsche,
der andre aaf einer Laatenharfe. Einen Violaspieler and
einen Harfner zeigt dann aacb die Gruppe der Seligen
im Campo santo za Pisa. Bratscbe and Psalterium
kommen aaf den frtLhesten italieniscben Bildern haafig
Yor, wie nocb heute das Ensemble von Geige and Guitarre
in der italieniscben Volksmasik heimisch ist. Aacb Geige
and Laate, Gambe and Lante, F15te and Harfe, FlOte
and Laate zeigen sicb auf italienbcben Bildern des
16. Jabrhnnderts, z. 6. bei Giov. Bellini (in der Kirche
dei Frari in Venedig) zasammen. Memling bringt eine
beilige Katharine mit Portativ and Harfe, and auf dem
gegen 1600 entstandenen Konzert* des Giorgione (Florenzi
Pitti} erscheint zum erstenmal neben der Gambe ein
kleines Klavier. Zwischen dem Instramentalsolo and
dem Instrnmentaldaett gibt es noch eine merkwCkrdige
Zwiscbenstufe: das ist der za gleicber Zeit zwei Instru-
mente spielende Masiker. Er findet sich scbon in den
von Riano*) bescbriebenen spanischen Teppicbgem&lden
des 13. Jahrhnnderts and vorber aaf Miniatnren F15te
*) Juan Riano: Oritical and bibliographical notes on Early
Spanish Music. 1887.
und Trommel handhabend, Holbein bringt ihn in den
Illastrationen zum Alien Testament wieder zu Ehren, von
da kehrt er bis ins 17. Jahrhundert hftufiger wieder and
lebt ja hente noch in dem auf Mftrkten und Volksfesten
Affen, BUren, Kamele vorfiihrenden und dabei Dudelsack
and Trommel zagleich regierenden Italiener. Am Hofe
des Herzogs Anton von Lothringen hat dieser Doppel-
spieler unter dem Titel » Grand joueur du taboarin« einen
hohen musikalischen Posten mit den Befugnissen eines
Generalmusikdirektors gebildet***).
Ensembles von drei Instrumentalisten tauchen erst
im 15. Jahrhundert auf, bei Carpaccio mit Laute, Bratsche,
Zinken , bei Giov. Bellini und andren Malern mit zwei
Lauten und kleiner Geige, mit Laute, Gambe, F16te, mit
F15te, Harfe, Portativ, mit Horn, Laute, Orgel. Noch von
Teniers besitzen wir (Alte Pinakothek in Mttnchen) ein
Bauernbild mit F15te, Laute und Geige. Darnach hat
sich also das selbstftndige Instrumentaltrio weit in die
Zeit hinein erhalten, wo fQr Gesang und Instrumente
Iftngst der vierstimmige Satz die Kegel war. FDr das
18. Jahrhundert bezeugt das Goethe (in Wahrheit und
Dichtung) mit der Beschreibung des Einzugs des soge-
nannten Pfeifergerichts bei der Kaiserkrdnung im Frank-
furter R5mer. Das stellten drei Niirnberger Stadtmusi-
kanten, und Sandberger teilt (a. a. 0.) eine der alten fUr
diesen Zweck bestimmten Intraden mit. Noch grbfiere
Wichtigkeit hat das Ensemble dreier Spieler als Episode
und Gruppe im gr5fieren Ganzen, in der Sinfonie noch
bei Haydn, in der Oper bei Lully und andren Kompo-
nisten, in der Kirchenmusik in S. Bachs Hmoll-Messe;
die groBte Bedeutung hat es als Concertino bei Gorelli
und im Concerto grosso seiner Schule erlangt. Auf-
f&Uig ist, dafi auf den Bildern die drei Instrumente nie
zur gleichen Gattung geh5ren. Dagegen kann es ein Zu-
fall sein, dafi in dieser Quelle Quartette und Quintette
von Instrumenten bedeutend friUher auftreten als das
*) Albert Jacquot: La musique en Lorraine. 1SS2.
Trio, n&mlich schon im 14. Jahrhundert. So bringt Casen-
tino (Florenz, Ufficile) Harfe, Laute, Zither, Portativ,
Spinelio' Aretino (Florenz, Akademie) Bratsche, F15te,
Laute, kleine Pauke und Dudelsack, Rafael ist (Galerie
des Vatikan) mit einem Quartett von zwei Geigen, Harfe,
Tamburin and (Perugia, Pinakothek) mit einem Quintett
von F15te, Geige, Kniegeige, Laute and Zinken vertreten.
Das interessanieste der spftteren Quartettbilder ist Paolo
Veroneses Hochzeit von Kana (Venedig, Akademie), denn
die zwei Bratschisten sind Veronese und Tintoretto, der
Fldtist ist Bassano, der Bafigeiger Tizian.
In den deutschen Stadtorchestern scheint die Drei-
zahl eine Zeitlang die Norm gewesen zu sein: Mit Hans
Nail and seinen zwei S5hnen beginnt 1479 die Geschichte
der Leipziger Stadtmusik, 1500 wird sie auf vier K5pfe
erhdht und bleibt nun bis zum Jahre 1738, wo den
vier Blftsem endlich nocb drei Kunstgeiger zugertthrt
werden, auf diesem Bestand'*'). Auch N&rnberg und
Augsburg halten sehr lange an einer vier- oder fUnf-
kdpfigen Stadtmusik fest *'*'), und Deutschland wird wah-
rend des 16. Jahrhunderts in seinen kommunalen Or-
chestem rQckst&ndig. Bartholomftus Sastrow, der Stral-
sunder Bftrgermeister, ist erstaunt, als er 1593 auf dem
Reichstag zu Speier zum erstenmal in der Kapelle des
Kurftbrsten von Sachsen Blftser und Streicher zusammen-
spielen hdrt***], und noch zw51f Jahre sp&ter ist den
Stralsnndem kunstm&Bige Geigenmusik ein fremdes Phft-
nomen. Ganz andre Verhftltnisse bestanden in Italien.
Zur selben Zeit, wo Luther bei uns von den »b5sen
Geigem and Fiedlem« spricht, findet Albrecht D&rer in
Venedig Instrumentalisten und insbesondere Violin isten
als angesehene Glieder der besten Gesellschaft. Auch in
den Niederlanden geh5ren sie dam als zu den vornehmen
♦) G. Wustmann (a. a. 0.).
♦♦) A. Sandberger (a. a. 0).
*♦♦) Bartholomii Sastrows Herkunft etc. (Ausgabe von 1823)
I, S. 298.
Leuten. Weil Italien das klassische Land anch der Or-
chestermusik ist, schickt der Nflmberger Pfeifer Gans
um 1560 seine S5hne zum letzten Schliff nach Ferrara
Auch mit der st&rkeren Besetzung der Orchester ist Italien
Yorangegangen. Die ersten Belege hierfiir bilden Engels-
bilder des 14. Jahrhunderts. Auf einem solchen (Miinchen,
Alte Pinakothek) bring! z. B. Lippo Memmi zwGlf Instru-
mente. Indes mufi bei diesen Engelsbildern angenommen
werden, daB die Phantasie der Maler um des Himmels
willen von der Wirklichkeit abgewichen ist. Aber auch
als Phantasiebilder haben sie dadurch geschichtlichen
Wert, dafi sie die in der Zeit gebrfiuchlichen Instrumente
in einer Obersicht zusammenfassen : Portativ, Bratsche,
Laute, Harfe, F]5te, groOe and kleine Trommel, Hand-
trommel, Pauke und Cymbeln. Diese Zahl wird in einer
ziemlich gleichzeitigcn franz5sischen Ballade auf den
Tod Machaults bis zur 13, in einem Bericht des Juan
Ruiz von 1352 sogar auf 28***) gebracht. Nur einmal, in
der islandischen Sage von Sigmund dem Schweiger, wird
erz&hlt, daB eine gr50ere Anzahl von Instrumenten, es
sind acht, Fldte, Posaune, Symphon, Psalterium, Harfe,
Quintema und Orgel, bei einem Gastmahl auch wirklich
zusammenspielen**). Es kann sich da aber nur um Aus-
nahmef&Ue und um Unisono-Spiel handeln, &hnlich wie
bei den Vokalch5ren des Gregorianischen Chorals. Doch
lag, wie bei diesen, Teilung in Gruppen und der Reiz der
Antiphonie nahe. Tats&chlich kommen auch auf zahl-
reichen Engels- und Heiligenbildern des 14. Jahrhunderts
Doppelorchester vor, und da ists interessant, daB an der
Zahl der Instrumente immer die Akkordinstrumente einen
groBen Anteil haben, in der Kegel die gr5Bere (f&nf von
neun) oder die kleinere H&lfte (sechs von vierzehn) des
ganzen Ensembles bilden. Dieser Reichtum an Akkord-
instrumenten dauert auf den Bildern bis ins 17. Jahr-
*) W. Ambros : Musikgeschicbte II, 508.
**] AngolHamerich: Stadien fiber islindische Masik (Sam-
melb. d. I. M. 0. I).
handert fort and wird darch weitere Quellen bestfttigt,
darch Inventaryerzeichnisse nftmlich und durch gelegent-
liche Angaben liber Orchesterbesetzung. So enthielt (nach
Sandberger) die »Masikkammer« der Fagger in Augsburg
mehrere bunderlLauten. Die praktische Verwendung derlei
Instrnmente zeigt die der Parti tur des Monteverdischen
Orfeo Yorgedruckte Orchesterliste, die aufier groBen Gem*
balis Harfen, Orgeln, Regale und Chitaroni verlangt. Aus
einer Recbnung vom Jahre 1664 wissen wir, daS auch
im Venetianiscben Opernorchester drei Cembali und The-
orben mitwirkten*), ja auch noch die H&ndelschen Parti-
tucen yerlangen zur AusfUhrung der als BaBstimmen
skizzierten Harmonie eine Mehrzabl von Akkordinstru-
menten, aufier Cembalo und Orgel oft noch Harfen und
Lauten, and leiden, wenn das iibersehen wird, im Klang.
Auf den, im Gegensatz zu den Engelsbildem zuver-
I9.ssigeren Prozessionsbildern tritt die st&rkere Besetzung
erst mit Guido Reni ein und f&Ut mit den hochsten
Zahlen auf Akte, wo die Instrnmente mit S§,ngem zu-
sammenwirken. Bs muB aber dam als auch ftir die reine,
selbstandige Orchestermusik eine stSxkere, koloristisch er-
giebigere Besetzung Platz gegriffen haben. Hatten sich
bis dabin die Stadtpfeifer mit dem ja die voile Har-
monie deckenden Quartett begnflgt und der'Abwechslung
nur so welt Recbnung getragen, daB sie mit Quartetten
der einzelnen Blasinstrumente, Schalmeienquartetten, Po-
saunenquartetten, ja auch Fldteuquartetten aufwarten
konnten, wie das teils Kompositionen wie Scheins Suite
f&r 4 Krummhdrner, teils alte Inventarverzeichnisse, in
denen die Blasinstrumente nach Fudern, d. h. Futteralen
mit je vier gleichartigen, aber in der Gr5Be registerartig
verschiedenen StQcken angefiihrt werden, beweisen, so
wachsen am Ende des 16. Jahrhunderts, als von Italien
her neue Instrumentenkombinationen, darunter das Zu-
sammenwirken von Bl&sem und Geigern, bekannt werden
und sich der Sinn f&r KUnge und ihre Mischungen frisch
*) Jahrbacb der Masikbibliothek Peters fur 1900, S. 58.
belebtydie Stadtpfeifereien in den grOfieren Orten Deutsch-
lands auf sechs und sieben Kdpfe. Dazu kommen Expek-
tanten and Lehrlinge und bei besonderen Anl§,ssen Ver-
sUlrkung durch auswftrtige KoUegen. Die Leipziger
Stadtmusikanten z. B. wurden am Anfang des 17. Jahr-
handerts ab und zu nach Dresden bestellt, die Leipziger
wiederum laden die durch ihre guten Trompeten be-
riihmten Naumburger Stadtpfeifer zu Gast. Der Raum
auf den Kirchtiirnien reicbt zur Herberge f&r die ver-
grdfierte Stadtmusik nicht mehr aus, von Ratswegen
wird ihr deshalb ein eigenes Haus zur Verftigung gestellt,
als dessen Verwalter das Haupt der Pfeifer fortan h&ufig
den Titel »Hausmann« f&hrt. Die Erinnerung an diese
Zeit lebt noch heute in zablreichen Pfeifergassen und
PfeifergliBchen. Fiirstlichem Brauche folgend halten sich
jetzt auch manche Patrizier ihre Hauskapellen, die Freude
am Orchesterklang verbreitet sich durch alle Schichten
so stark, da6 an vielen Orten die st&dtisch bestellten
Spielleute fCbr Nachfrage und Auftrftge nicht mehr aus-
reichen. In Augsburg haben sich infolgedessen schon
bis zum Jahre 1603 vierzig »fremde Spielleute « ohne Kon-
zession und ohne Btirgerrecht angesiedelt. Die Stadt-
pfeifer tkberlassen ihnen das Spiel beim Tanz, nur wenn
im Rathaussaal Ball gehalten wird, beanspruchen sie das
Recht auf den »Pfeiferstuhl«, die kleine Empore, die ja
heute noch hie und da erhalten ist. Ihre Hauptfunktion,
die Mitwirkung beim Gottesdienst, bei offenthchen Feier-
lichkeiten und das sogenannte »AbbIasen« am Morgen,
am (frUhen) Mittag und am Abend wird ihnen meistens
sehr angemessen vergiitet, dazu kommt noch ein reich-
licher Nebenverdienst bei Familienfesten, insbesondere
bei den verschiedenen Zeremonien der Verlobung, bei den
>Handschlagen< und den >Lautmerungen<, beim »Hofieren<
des Br&utigams und selbstverstslndlich bei der Hochzeit
selbst. Nur wird in der Zeit der Kleiderordnungen bei
den Hochzeitsmusiken streng auf Unterschiede gehalten.
Je nach dem Stand des Brftutigams werden Posaunen —
im Singular oder Plural — zugestanden oder versagt.
— • 13 ^^
In NQrnberg muB IGOO ein dreichOriges HochzeitsstUck
Leo HaBlers onaafgefQhrt bleiben, well der Br&utigam
kein Privilegierter, sondern Kaufmann ist
Nicht blofi der Kirchendienst, sondern auch die neu-
modische, die Mitwirkung von Cembalis and Lauten for-
demde Profanmusik fahrte zu einer engeren Verbindang
der Sladtpfeifer mit den Organisten, die ja immer zu-
gleich Cembalisten und hftufig auch gute Lautenspieler
waren. Infolgedessen begrQnden jetzt Kandidaten, die
sich fur die Stelle eines Pfeifers oder Zinkenisten melden,
ihre Bewerbung damit, dafi sie auch Orgel spielen k5nnen,
die Organislen wiederum rDcken mit in die Reihe der
Stadimusikanten oder an ihre Spitze. Es erscheinen ge-
meinsame Verordnungen >f&r die Organislen und Stadt-
pfeifer«, bei dem Organislen werden die »Aufwartangen<
beslelll, er beslimml bei 'den sogenannlen »8lillen Mu-
siken< wie viele und welche Spieler zur Laule und zum
Cembalo zugezogen werden, er wird hier und da als
»An;himusicus« angeftthrl. NQmberg beruft 1600 L. Hafiler
als »Oberhaupl der Stadlpfeifer« und schlieBl in diese
Bestallung den Organislen diensl ein, Leipzig r¨ einige
Menschenaller spftter dem Organislen der Neuen Kirche
das Rechl ein, unabh&ngig vom Thomaskanlor, als dem
obersten Direklor der Sladlmusik, ein eigenes Orchesler
za grQnden nnd zu leilen. Sludenlen bilden es, und
damit sind wir bei dem wichligen ProzeB der Versl&rkung
der alien Stadlmusiken durch Laienkrftfte, bei der lelzten
VergrdBemng der Orchesler durch mehrfache Beselzung
der Streichinslrumenle und bei modernen Verh&llnissen
angelangl.
Da die Ireibende Hauplkrafl fUr diese Wandlung in
der ftufieren Geschichle der Orchesler die Enlwicklung
der Komposilion war, so isl die Frage wichlig; was haben
die alien Orchesler gespiell? Bis vor kurzem war die
Mosikgeschichle geneigl, den Anfang einer selbslftndigen
Orchesterkomposilion ersl an das Ende des 16. Jahr-
hunderls zu selzen, aber, wie neuere Untersuchungen,
bei denen sich namenllich Hugo Riemann hervorgelan
hat, ergaben, da6 die alte, scheinbar unbegleitete, mehr-
stimmige Vokalmusik in Messe, Motette und weltlichem
Chorlied stark und wesentlich auf die Mithilfe tod
Orchesterinstrumenten und Orgeln rechnet, so hat sich
auch herausgestellt, daB die Orchesterkom position fast
bis in die Zeit zuriickreicht, wo der Minnegesang begann.
Sie hat heute ebenso alte Dokumente vorzulegen wie die
Lauten- und Orgelmusik; die Zeit, wo auf den Bildern
noch der Spielmann im Singular tkberwiegt, ist da zuerst
mit einer einzigen vom Ende des 12. Jahrhunderts stammen-
den estampida, im 13. Jahrhundert schon mit mehreren
Stacken in englischen Handscbriften und im 14. Jahr-
hundert endlich mit ganzen Sammlungen franzdsischer
upd italienischer Kompositionen, die sich in der Pariser
Nationalbibliothek und im Britischeu Museum finden,
vertreten. Es sind durchweg einstimmige TanzstQcke, die
in der Mehrzahl zu der Familie der eben erwfthnten
estampida, im franz5sischen estampies genannt, zum
kleineren Teil zu den danses royales gehdren'*') Schon
Grocheo kennt dieestampie als stantipes und berichtet,
daB sie mit dem cantus coronatus und dem rondellus
eine besonders beliebte Form von Instrumentalmusik sei,
bei Festen spielten die Jongleurs damit reichen Leuten
auf. Was in der Zeit der einstimmigen Mosik, wo sich
die AusfUhrenden im wesentlichen auf Ged&chtnis und
Improvisation verlassen durflen, veranlafit haben mag,
gerade estampies aufzuschreiben, ist der ihnen eigene
Mangel an Symmetrie, der das Behalten und Wiedergeben
verb altn ism UBig erschwert. Es wechseln acht- und sechs-
taktige Perioden, vier- und zweitaktige Abschnitte. Die
isolierten Zweitakter markieren die Hauptschltlsse and
geben ihnen metrisch und modulatorisch einen eigen-
sinnigen Zug, zu dem sich die sanft und leicht bin-
gleitende Melodie in Gegensatz stellt. Das Ganze wird
•eine Mischung von Anmut und Keckheit, aus der der
'*') Pierre Aubry: Les plus anciens te&tes de mnBiqiie instru-
mentale (Mercare musical, September 1906).
15
Geist d«r Tronbadonrzeit spricht. Die folgenden Takte:
briDgen die erstea 2 Abschnitte einer solchen estampie,
das ganze Stiick hat ihrer, je nachdem 4, 6 oder 7. Die
danse royale oder estampie royale unterscheidet sich
von der gewdhDlichen estampie haupts&chlich darch einen
Reichtum an groBeren Intervallen, der ihren Charakter
ins Kr&ftige nnd Heroische hebt, und durch geringeren
Umfang der Satzteile:
etc
Diese Satzteile oder Perioden heiBen pnncta, genau
80 wie in den gleichalterigen zwei- und dreistimmigen
englischen Orgelkompositionen, mit denen nns unl&ngst
Wooldridge bekannt gemacht hat*}, Das Panktum ist ein
offenes (apertum), wenn der SchluO in die H5he, ein
festes (clausam), wenn er in die Tiefe geht. Bei dem
Vergleich zwischen den estampies und den Orgelsfttzen
f&llt znerst auf, daB die ersteren melodisch viel reifer
und wertvoller sind. Kein Wunder: anf die Beweglich-
jEeit und Freiheit der Melodie drtkckte in den Orgels&tzen
zunftchst noch die Mehrstimmigkeit. Noch starker ist
zwischen den beiden Arten der Unterschied in der metri-
«chen Struktur: die OrgelstQcke ziehen in durchschnitt-
lich lilngereu Perioden voriiber, die estampies sind kurz
und scharf gegliedert. Dieser von ihrer Tanzbestimmung
berkoromende Zag behauptet sich auch in der mehr-
«timmigen Orchestermusik, soweit sie weltlicher Natnr
ist^ B0< h auf lange hin, bis ins 16. Jahrhundert wird ihm
selbst in den uberwiegenden Fftllen Rechnung getragen,
*) H. £. Wooldridge: Early English harmony from the lOtti
to the l&th century. 1897.
i
-^ 16 ^>-
wo die zwei*, drei- und fiinfstimmigen Satze imitieren,
fagieren oder sonstwie kunstvoll kontrapunktieren. Die
Metrik ist gradezu das sicherste Kriterium, nach dem man
in zweifelhaften Fftllen feststellen muB, ob eine mehr-
stimmige Komposition fiir Singstimmen oder fiir Instra-
mente gemeint ist.
Die ftltesten zweistimmigen Kompositionen fDr Or-
chesteriostramente sind uiis in den eben erw&hnten
englischen Handschriften des 13. Jahrhunderts erhalten.
Der zweistimmige worde von dem voUeren Satz nicht
verdrHngt. Johann Walther bringt 1642 onter seinen
26 Fngen fQr Zinken ein reichliches Drittel, 9 Sttick fur
zwei Zinken, und John Morley 1595 eine ganze Samm-
lung zweistimmiger, zum Teil instrumentaler Canzonetten;
im Aufwartungsdienst der Stadtmusikanten gab es kleine
Siflndchen im Zimmer und andere Falle, ffir die nur
zwei Spielleute vorgesehen waren. Erst als mit dem
17. Jahrhundert die voile akkordische Klavierbegleitung
beliebt wnrde, litt die Freude am reinen Duo und die
Produktion der Gattung wurde mehr und mehr auf
Unterrichtszwecke eingeschr&nkt. Mit welchem Unrecht,
lehrt jede gute AufTQbrung etwa eines Spohrscben
Violinduos. Jene ftltesten englischen Kompositionen fUr
zwei Instrumente entsprechen den heutigen Forderungen
an einen reinen Satz vielfach nicht. In einem von Wool-
dridge (a. a. 0.) gedruckten Duett f&ngt beispielsweise der
Quintus punctus folgendermafien :
j^j li J ijijJi,, '
rr t f f f ?f "
T»
an. Die Stelle stebt durchaus nicht allein, sondern eine
grofie Zahl ganz ghnlicher beweisen, da6 unter den
Simultanharmonien der Zeit die Quintenparallelen ebenso
beliebt waren wie die Sextenparallelen und die Oktaven^
Terzengftnge merkw&rdigerweise viel weniger. Auch an
kiibnen Dissonanzen sind die Sfttze so reich, dafi man
an Schreibfehler denkt. Der Bntwurf der StQcke geht
gew(ihnlich von der Unterstimme aus. Diese besteht ent-
weder aus einem langsam vorgetragenen Binchstfick der
Skala, das mit primitiv lustigen, raschen Motiven kontra-
punktiert wird, z. B. :
I ' JM JMjJIj Ijll I lljljlj jlj IIJ
A G F_____ E
Oder sie ist einer Tanzweise entnommen, deren einzelne
Abschnitte ostinatoartig durchgefiihrt werden:
Es stefat im Einklang mit der Bilderquelle, da6 die
mtesten Kompositionen fur drei Orchesterinstrumente dem
15. Jahrhundert angehoren. Bamberger, Berliner, Floren-
tinerHandschriften enthalten allerdings schou aus friiherer
Zeit dreistimmige Instrumentals&tze, aber als reich und
st&ndig gepflegte und dabei aucb voll entwickelte Kunst
begegnen sie uns erst in der niederlandischen Schule, in
der sie mit Arbeiten Obrechts, P. de le Rues, Brumels,
A. Agricolas, Hofhaimers und Senfls belegt werden k5nnen.
Sie haben dem Anschein nach einen besonders eifrigen
Vertreter in Heinrich Isaac gefunden, dessen drei-
stimmigen S^tze, 24 an Zahl, vor einigen Jabren in Neu-
druck erscbienen sind '*'*}, mit ihnen zusammen auch
33 vierstimmige und 1 funfstimmiges, die mit den ersteren
in Technik und Charakter Ubereinstimmen. Ob diese
Arbeiten auch wirklich samtlich fUr Instrumente be-
stimmt sind, ist noch nicht ganz ausgemacht; einen Teil
wird man auch jetzt noch, wie es fruher mit alien ge-
schah, als Vokalkompositionen ansehen diirfen, denen nur
deshalb kein Text beigegeben wo r den ist, weil er sich
als so bekannt voraussetzen lieO, daO eine kurze Ober-
*) Au8 London: Harleiana 978, gutigst mitgeteilt von Herrn
Professor Johannes Wolf.
♦♦) DenkmUer der Tonknnst in Osterreich XIV, I. Heraus-
gegeben von Johannes Wolf.
Kretzschmar, Flkhrer. I, ]. 2
18
Bchrift (Wohl anf ^t Gsell, Sflfier Vetter, Si dormiero,
Poor Yous plaisir a. a.) gentgie. GrQndliche Unter-
snchungen der Liedliteratnr der Isaacschen Zeit haben
diese Frage welter zu kl&ren. Bei eioer Gruppe der
dreistimmigen S&tze liegt die vokale Nator sehr nahe.
Das sind die St&cke, bei denen der Tenor einen breiten
cantas firmus vortr>, den Oberstimmen and BaB mit
bewegten, wechselnden and kanonisch oder frei imitieren-
den Motiven amspielen. Doch ist ihre Zahl nor klein,
die liberwiegende Menge der Isaacscben Sfttze, der drei-
stimmigen wie der vierstimmigen, erweist sicb schon
durch die karze Gliederang in vier- and zweitaktige Ab-
schnitte grade so als instramental, wie das handert Jahre
frflher bei den estampies der Fall war. Dazn kommt ein
zweites, schon von den Schriftstellern des 13. Jahr-
handerts hervorgehobenes Merkmal instrnmentaler Kon-
stroktion. Das ist die Seqaenz: Von ihr macht Isaac,
wie die folgenden zwei Proben zeigen m5gen:
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etc.
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einen reichen Gebraach. Auf das instramentale Konto
ist ferner auch eine freiere ^ j_ ^^ , i i i i
BehandlungderDiasonanzzu g^M JJJ'JJ*^ g"* '^ ^
seUen, z. B. in 0 Venus bunt: gI! a1_ g
Die vorstehenden kurzen Auszflge veranschaulichen
zur Grenfige, dafi die Orchesterkomposition des 15. Jahr-
hunderts trotz einzelner Ziige formeller Verwandtschaft
sich fiber den Charakter der einstimmigen Estampies
und der ersten englischen Versnche im zweistimmigen
Instmmentalsatz sebr hocb geboben bat. Das sind keine
T&nze mebr, sondern das ist eine Unterbaltungsmnsik,
die zwar an volkstQmlicbes Material anknQpft, aber um
es bdcbst individuell und mit einem stattlichen Aufwand
yon Kunst und Geist zu entwickeln. Es ist ein Kammer-
stil, der sicb an einen sebr gebildeten Rreis wendet und
ZnbOrer voraussetzt, welcbe die Beziebungen zwiscben
den Stimmen sofort erfassen nnd die Reize dieses
Stimmenspiels zu wtirdigen wissen. Diese Musik ist die
Bliite meisterlicbster Rontrapunktik, leicbt und obne
TQfteIn entworfen, aber genau auf Abwecbslung und deut-
Ucbe Wirkung berecbnet. Das siebt man namentlicb
daran, wie Isaac die Nacbabmungen bald aus der H5be
nacb der Tiefe, bald umgekebrt f&brt, bald w5rtlicb, bald
in Umkebrung und anderen Varianten antwortet Die
MehrzabI seiner SAtze wird man als Parapbrasen be-
kannter Lieder zu deuten baben, bei etiicben (La Marti-
nella, Morra u. a.) bat er sicb aber Programmaufgaben
gestellt. Es kommen aucb in den Liedparapbrasen
Tonmalereien vor, eine sebr bttbscbe in der Nummer 36:
»Si dormieroc. Da wird mit der variiert mehrmals
wiederkebrenden Stelle:
^*j:raiJjJUJJJJL!JiJJL!yjjj I ^ "
auf das Scbwanken von Bildern und Vorstellungen ange-
spielt, das dem Einscblafen gem vorbergeht.
Die GrundzQge der Isaacschen Arbeiten kebren nun
aucb in dem >Libro I delle canzoni da sonar* Ton Flo-
2*
-^ 20 ^—
rentio Maschera wieder, das 1684 zu Brecia in vier
StimmbQchern erschien nnd das langeZeit als der Anfang
selbst&ndiger Orchesterkomposition angesehen worden
ist. Davon zu iiberzeugen, gentlgen die Anf&nge der
beiden Canzonen, die Wasielewski aus diesem Werke zum
Neudruck gebracht hat*):
Le Capriola. Canzone.
"J i"i,iiii ;iu;y'riijMdirH
Die Themen haben den Charakter des Tanzliedes,
allerdiugs eines herb und elegisch gestimmten, aber doch
die rhythmische Bestimmtheit and Knappheit der Gattung,
und sie haben die zahlreichen und scharfen C&suren, die
schon die estampies auszeichneten. Die Ausf&hrung ge-
langt zu Dimensionen, wie sie das 15. Jahrhundert f&r
Orchesterstflcke noch nicht kennt, zu einem Umfang von
107 und 143 Takten und sie folgt dabei noch demselben
Prinzip, nach dem auch Isaac, de la Rue und die an-
deren Niederl3,nder verfuhren: kunstvolle Arbeit, jedoch
mit vermin derter Kraft und Energie. Die Runst besteht
f&r Maschera fast ausschlieBIich im Fugieren, dabei macht
er die Fuge zu einer auff&Uig leichten, auch dem ein-
fachsten Volk verst&ndlichen Form. In der ersten Can-
zone erreicht er das durch best&ndige wdrtliche Wieder-
holung kleiner und groBer Abschnitte; die ganze Capriola
besteht aus zwei Teilen und jeder Teil wieder aus zwei
vOIlig gleichlautenden Hftlften. Ein und derselbe Ganz-
schluB (GmoII) kommt deshalb in hundert Takten sechs-
mal und verbreitet fiber die Komposition ein Einerlei, das
nur deshalb nicht als hilflos wirkt, weil es augenschein-
*] I. W. von Wasielewski: Instramentalsltze vom Ende des
16. bis Ende des 17. Jahrhunderts. 1874.
-^ 21 ^^
iich beabsichtigt, wahrscheinlich in dem Text der Capriola
begrttndet ist. In der zweiten Canzone erleichtert Ma-
schera das ZuhOren und Folgen durch fortw&hrenden
Gedankenwechsel. Dem ungraden Anfang folgt im
22. Takt ein Allabreve, und in ihm bring! er nacheinander
ftLnf verschiedene Themen, die auch nicht mehr streng
fugenmftfiig, sondern nur in zwanglosen Imitationen ver-
arbeitet werden.
Der durch die groBe Verschiedenheit der beiden Stiicke
Mascheras nahe gelegte SchluB, daB mit der Bezeich-
nnng Canzone ein bestimmter Formenbegriff nicht ver-
bunden sei, ist richtig und gilt nicht bloB flir die Can-
zonen, sondern fur alle Arten Orch ester musik des 17.
Jabrhunderts. Mascheras Sammlung, die schon 1693
zum zweiten Male aufgelegt wurde, hatte den Drnckern
das Signal zur fleiBigen Bestellung der Orchesterkom-
position gegeben. Noch vor SchluB des 16. Jabrhunderts
traten dem Maschera andere Oberitaliener mit Canzonen
und Ricercares zur Seite, noch vie] stUrker regt sich aber
neues Leben in dem Gebiete von dem Augenblicke ab, wo
durch Einfiihrung der Oper und namentlich auf Grand von
Monte verdis Orfeo die Instramentalmusik gewissermaBen
die hSheren Weihen erhW. Da veroffentlichen Marini,
Fontana, Monte Albano, Tarqn. Merula, Neri,
Allegri, Mezzaferrata, Bassani, Vitali und andere
angesehene Musiker neue Sammlungen von vier- und
mehrstimmiger Orchestermusik und mit Legrenzi treten
auch die Operakomponisten mit in die Konkurrenz ein*}.
Auch die Zahl der Kompositionsarten wS.chst, neben der
Canzone erscheint die Fantasie, die Sonate, die Sinfonie,
das Capriccio. Die Canzone legt es jetzt auf Gegensatz-
lichkeit an, es I5sen sich schon durch die Taktart streng
geschiedene Themen ab, oder sie wird zu einer drama-
tisch erregten Szene, in der Charakter und Tempo sich
drei-, vier- und fiinfmal ^ndern. Diese zweite Art ver-
*) Zar Orientierang wird empfohlen Wasielewskis berelts ge-
Dftnnte Sammlung.
— ♦ 22 *^
treten Merula und NerL Die Fantasie macht schon dnrch
ihren Namen auf Formenfreiheit Anspruch. Es gibt
Fantasien, die vollstflndig den mehrthemigen Canzonen
gleichen, und andere, die einfache Fugen mil einer breiteD,
homophonen, im Takt mil dem Hanptsatz kontrastieren-
den Episode sind. Eins der schdQsten Beispiele dieser
zweiten Art ist Banchieris > Fantasia in Eco movendo
nn Registro*, die in der Episode das alte Echo zn Ehren
bringt. Am reichsten an Spielarten ist in der Orchester-
mnsik des 17. Jahrhonderts die Sonate. Der Aufban
variiert von der EinsAtzigkeit bis zu siebenteiligen Satz-
kr&nzen; die dreisfttzige Kammersonate wie die vier-
s&tzige Kirchensonate treten in dieser gemischten Gresell-
schaft schon verh<nismftBig fr&h anf, aber die herr-
schenden Formen werden sie erst gegen den Anfang des
18. Jahrhnnderts von der durch die Mitwirknng des Cem-
balo gestempelten Kammermusik aus. Ahnlich bunt ver-
lAuft die erste Entwicklung der Sinfonie, doch erhAlt sie
vom Anfang an, den wir nach dem Ton Riemann ge-
brachten Beispiel ins 15. Jahrhnndert verlegen kOnnen,
eine einheitliche Marke dnrch den Verzicht auf strengen
Stil and Imitationskflnste. Das Hanptfeld ihrer Ausbildnng
wird die Oper.
Neben dem leidenschaftlichen, feurigen Vitah, der aber
mehr von der Kammer ans in die Geschichte der Instrn-
mentalmnsik eingriff, ragt nnter den auf Maschera folgeji-
den Orchesterkomponisten am bedeutendsten Giovanni
Gabrieli, der Neife jenes Andrea Gabrieli, der als Or-
ganist von San Marco 1586 die ersten fanfstimmigen
Sonaten ver5ffentlicht hat, hervor.
Mit ihm beginnt die goldene Zeit einer eigentftmlich
feierlichen, erhabenen und edien Orchestermusik, der
wir aus unserer neueren Literatur nichts an die Seite zu
setzen haben. Sie wurzelt in dem Geiste, in welchem
w&hrend des 16. und 17. Jahrhnnderts Kirchen, Staaten,
StAdte und Korporationen groBe Feste begingen. Sie hat
insbesondere das Geprftge Venetianischer Runst: der Glanz
und die Pracht, der Ernst und die Hoheit, die uns in den
^^ 23 ^^
Meisterwerken des Montagna, des Paolo Veronese and
des Tizian ergreifen nnd erheben, die nns musikalisch
in den Madrigalen des L. Marenzio so tief berOhren, sie
kennzeichnen anch die Canzonen and Sonaten des
Giovanni Gabrieli. Seine Haaptarbeiten sind die in den CiiotmibI
>Sinfoniae sacra ec von 1597 (zweite Aaflage 1615) ent- C^fti»rtell.
haltenen Stflcke: nS,mlich vierzehn Canzonen and zwei
Sonaten.
Aas dieser Sammlang, die darch 45 Cbormotetten
vervollstAndigt wird, hat Wasielewski (a. a. 0.) einige
Nammem verSffentlicht, von denen namentlich die eine,
die Sonate mit dem Titel >Pian e forte«, neaerdings in
geisUichen and in historischen Konzerten h&afiger ver-
wendet wird. Aach in dieser Isoliertheit and in der
fremden Umgebong scheint dieKomposition tiberall mAchtig
gewirkt za haben. Nicht anpassend zieht ein Bericht-
erstatter*) Wagners »Parsifal« heran, am den Eindrack
der Sonate za beschreiben.
Alle diese Gabrielischen Orchesters&tze haben einen
verhftltnismftfiig bescheidenen Umfang: darchschnittlich
70 bis 80 Doppeltakte. Weil aber ihr Aafbaa sehr scharf
gegliedert ist, wirken sie breit and imposant. Es ist das
eine &hnliche Erscheinang, wie bei den Hftndelscben
ChQren, wie bei der Architektar der An tike and der
Renaissance. Das (}eheimnis liegt wohl in dem gllick-
lichen Verhftltnis einer an and foir sich bedeatenden Er-
findang za einer ebenso bedeatenden, klaren, bestimmten,
in jedem Gliede abschliessenden and vollen Aasf&h-
rang. Es ist eine Masik, die ein Goethe bewandert
haben wtkrde.
Einige dieser Gabrielischen Orchesterkompositionen
sind aaf zwei Instramentencbdre verteilt. Der erste
Chor beginnt in der Regel mit einem l&ngeren Thema
feierlicher, zaweilen aach elegischer oder freadiger Natar.
Das wiederholt der zweite Chor wOrtUch. Dann treten
beide za einem freien Abschla^ im majestfttischen Klang
*) Leipziger Nachrichten, 3. November 1892.
— * 24 4^
zusammen. Im weiteren Verlauf wird der Charakter der
Musik erregter; die Chdre Ziehen in engen Nachahmungen
dahin, in belebten, znweilen verwickelten Rhythmen das
Eingangsthema umspielend. Oder auch: es folgt ein
zweiter Satz, der sich in Charakter und Form vom ersten
scharf abhebt, dem geraden ein en ungeraden Takt gegen-
nberstellt. Entschiedenen und h&nfigen Taktwechsel liebt
ja die Ultere, an Impulsen reiche Zeit auch in der Vokal-
musik. Oft IftBt es Gabrieli bei diesen zwei S^tzen eines
Stocks bewenden und schlieBt mit einem freien Anhang,
in dem die Oberstimmen beider Ch5re mit virtuosen Wen-
dungen hervortreten, um nach altem, klugem Brauch den
Schlufi hervorzuheben, auszuzeichnen, eindringlich und
packend zu gestalten. Manche der Gabrielischen Kom-
positionen gehen aber Uber dieses zweisfitzige Schema
weit hinaus und stellen motettenartig nach dem ersten
Tutti Oder dem zweiten Thema noch eine lange Reihe
grofier und kleiner Gedanken auf, als g£llte es einen ge-
heimen Text zu erschdpfen. Zu dieser zweiten Klasse
geh5rt die Sonate »pian e forte*.
Sie vertritt ihre Familie und die ganze Gabrielische
Instrumentalmusik HuBerst vorteilhaft, weil sie sehr tkber-
sichtlich und regelm&6ig aufgebaut ist und weil sie
zweitens den Klangbesitz des Gabriehschen Orchesters in
seiner Eigent&mlichkeit und in seinem Reichtum vor-
fuhrt. Aus den piano gehaltenen Abschnitten, in denen
der zweite Chor den ersten abI5st, klingt es wie Char-
freitag; aus den mit leichten Obergangen erreichten
Stellen im forte, bei denen die Chore zusammentreten,
wie Ostern. Namentlich der elegischen Eingangsstimmung
gibt der reiche Harmonieapparat der alten Tonarten einen
seltsam beweglichen Ausdrnck. Die Besetzung des Or-
chesters, die nicht bei alien StQcken angegeben ist, be-
steht in dieser Sonate aus einem Quartett von Cornetten
(Zinken) und drei hohen Posaunen fur den ersten
Chor, fur den zweiten aus Bratsche und drei tiefen Po-
saunen. In einzelnen protestantischen Orten besteht
hente noch die Sitte, daB an hohen Festen, bei vor-
— ^ 25 o>-
nehmen Trauungen and anderen auBerordentlichen Ge-
legenheiten ein Posaunenquartett deQ Choralgesang be-
gleitet. Dieser Brauch ist ein ehrwiirdiger Nachklang der
Mnsik fr&herer Zeiten, in denen er sich bis ins 16. Jahr-
hundert zurQck verfolgen IftBt. Dem ausgehenden 16. and
dera ganzen 17. Jahrbnndert war die Posanne das.
Normaliastrament aller Feierlichkeit. So wie bier steben
wir aacb nocb in den Instrumentals&tzen, die z. B. Monte-
verdi and Scbtktz in ibren Vokalkompositionen einlegen,
Oder bei selbst&ndigen StUcken wie der acbtstimmigen
Canzone des Tiburtio Massaino fl608) vor vollstftndigen
Posaanenorcbestem. Die neuere Zeit kennzeicbnet der
Violinenklang; sie gibt in den Gabrieliscben Sonaten ein
erstes Lebenszeicben mit der Oberstimme des zweiten
Cbors. Nocb aber sind es nicbt die boben Violinen,
sondem die Bratscben. Der Sinn f&r Rlangfarben and
die Gabe, mit ibnen aaf Empiindang und Pbantasie zu
wirken, bebt Gabrieli bocb flber die vorbergebenden and
gleicbzeitigen Orcbesterkomponisten, durcb die Pracbt
des Kolorits wirkt er modem and vertritt zagleicb einen
Grandzag yenetianiscber Kanst. Wie fein bedacbt ist in
der Sonate >pian e forte< das Verbd.ltnis der beideu
Cbdre! Der zweitesetztimmer eine Quinte, Sexte, meistens
eine Oktav tiefer ein als der erste. Dadarcb klingen seine
Wiederbolangen immer viel emster, dankler, gebeimnis-
yoller. Um so mebr, als die beiden CbOre im Freien weit
voneinander, in der Kircbe aaf verscbiedenen Emporen
aafgestellt waren. Den groGen Raum setzen ancb die
Tattis voraas; in anseren beatigen Konzerts&len klingen
diese Kircben- and Festsinfonien za stark. Sie baben
nocb, eine grofie Anzabl wenigstens, eine andere Scbwierig-
keit Mr den modemen Hdrer: Sie entwickeln nicbt, wie
die neaere Instmmentalmusik vorzagsweise tut, ibre
Perioden and Sfttze mit Wiederbolangen and Verwand-
langen eines Tbemas oder eines Motivs, sondem die
Musik 8tr5mt daber in der Form >anendlicber Melodiec,
am einen Wagnerscben Aasdrack zu gebraucben. Aucb
in den eincbOrigen Rompositionen dieser Gattung mocbte
— ^ 26 ♦^
man auf den Reiz des Chorwechsels nicht ganz ver-
zichten. Man ersetzte und deutete ihn dadorch an, daO
einzelne Stimmen mil dem vollen Chor wechselten, man
brachte zweitens gern das sogenannte »Echo« an. Eine
kleine Gruppe Ton Spielern iu einem Nebenraum, jeden-
falls entfernt unil mdglichst versteckt aufgestellt, wieder-
holt sparsam oder reichJicher kleinere und gr50ere Ab-
schnitte der Musik des Hauptchors. Unter den Liebhabern
des Orchesterechos verdient neben dem schon erwfthnten
Banekieri. Banchieri der Bologneser Domkapellmeister Bassani
Basml. genannt zu werden. Eine viel grdOere Bedeutnng hat
das Echo aber in der mehrstimmigen Gesangsmusik des
16. Jahrhunderts. Tiele Wiederholungen in den ChOren
jener Zeit, die uns befremden, sind sofort verstftndlich und
schdn, wenn man sie dem Echo gibt. Ein naheliegendes
Beispiel bietet das weltbekannte >Ecce quomodoc yon Jacob
Handl (Gallns) mit der Refrainstelle: >Et erit in pace«.
Das zweichdrige Orchester G. Gabrielis hat sich weit
ins 18 Jahrhundert hinein erhalten, wir finden es in
S. Bachs Matthfluspassion, Hasse hat es in der Oper,
Cannabich in der Sinfonie.
Die einch5rigen Orchesterkompositionen des G. Ga-
brieli haben offenbar eine andere Bestimmung als seine
doppeIch5rigen ; sie setzen andere R&ume und andere
Stimmung voraus. Die Violinen kommen in ihnen mebr
zur Geltung, die Musik ist weltlichen Gharakters und
mischt nach venetianischer Art Heiterkeit mit Wtirde.
Man kann an Verm&hlungsfeiern und andere Familien-
feste in bohen Patrizierhftusem denken. Ein Glanzsttick
dieser Art ist die als Nr. VIII in der Wasielewskischen
Sammlung mitgeteilte sechsstimmige Canzone fiir zwei
Violinen, zwei Cometten und zwei Posaunen, eine Kom-
position, interessant durch den Wechsel fr5hlicher und
frommer Stimmung. Ein munter bewegtes Thema:
^ Allegro maestoso. Cornett.p.p.^^ Setzt ein UUd Iftuft
^n "_ |jJ3jj]*JJ durch die Stimmen; ein
Ffff^rr f r f ^^ breiter, emster Gesang
Teoorposanoe. des vollen Orchesters,
— t 27 *—
dnrch den Rhythmus allein schon scharf geschieden:
#A«^.. A ^»^ n.^.^.. 1 tritt ihm entgegen. Dieser
(VioliMn and ToUes Orcfaester.) «t *. i • j t ia • l
^^^ ^ ^■."'o^^i — , Wechsel wiederholt sicn
-V^^^^l ^' I ^Z" ' M' I fQnfmal und so, daB die
^ ' Grappen immer breiter, and
namentlich die Abschnitte im Tripeltakt immer majestA-
tischer werden. Dann kr5nt ein freier Schlufi, die Frea-
digkeit des StQcks zar Ausgelassenheit steigernd — im
kleinen ein Vorl&nfer Beethovenscher Finalaosgflnge — das
Ganze. Will jemand — mid ansere Masikschnlen mlifiten
das wollen — die Gegenwart wieder mit G. Gabrielis
Orchesterkompositionen bekannt machen, so eignen sich
die beiden hier geschilderten St&cke ganz besonders dazu.
Auch wohl deshalb noch, weil ihre Besetzang mit den
moderoen Mitteln, sons! so hftnfig ein Stein des Anstofies
f&r die Wiederbelebang alter Tonknnst, keine Schwierig-
keit macht Vergleicht man die eben erwAhnte Canzone
mit Canzonen Mascheras nnd anderer Oberitaliener, so
dberragt Gabrieli die Mitarbeiter nnverkennbar an innerer
Lebendigkeit und feinem Geschmack. Der letztere zeigt
sich namentlich in seiner Behandlnng der kontrapunk-
tischen Formen. Die Nachahmungen werden, auch wenh
sie sich mit Leichtigkeit viel weiter ftihren lieOen, immer
bei Zeiten abgebrochen, auf die &bliche Fnge verzichtet
Gabrieli. Darin liegt ein allgemeiner formeller Fort-
scbritt, die Emanzipation vom strong polyphonen Stil.
Aber der Orchestersatz hat dem Gabrieli anch nach an-
deren Seiten eine selbstandige Entwicklung zu danken.
I. V. Wasielewski irrt, wenn er meint, die Instrumental-
masik Gabrielis babe einen ganz vokalen Charakter.
Nein, Gabrieli hat zuerst die eigenen nattlrlichen Mittel
des Orchesters, seine Oberlegenheit im Klanglichen be-
merkt und zar Geltung gebracht. Die fr&here and gleich-
zeitige Vokalkomposition hat nirgends einen so impo-
santen Wechsel von Farbe and Klangst&rke, wie ihn die
Sonate piano e forte zeigt, sie kennt auch die Mischang
kontrftrer Stimmangen in der Freiheit and Raschheit,
die wir in Gabrielis Canzonen begegnen, nicht.
--^ 28 ^^
Die Orchestermusik G. Gabrielis hat auf einen weiten
Umkreis in der femeren Geschichte der instrumentalen
Romposition nachgewirkt, namentlich mit seinen Fest-
sonaten. Ihren Ton und Geist finden wir noch lange in
den kurzen eins&tzigen Instrumentalsinfonien, die in den
geistlichen Vokalkonzerten and Kantaten des 17. und
18. Jahrhunderts vorkommen. Allgemein zug&ngliche Bei-
Kalier spiele bieten d» die Romposition en Raiser Leopolds I.*).
Leopold I. Dj^jjn gehoren hierher viele S chttt z sche Stficke, so die Ein-
leitungen zu den 7 Worten und zu der Historie von Absa-
lon. Hervorragend weihevolle Sinfonien stehen an der
Spitze der Rantaten Franz Tunders, auch der Buxte-
hudesund Z a chows. Noch Bach hat der iiberhaupt alter-
tfimlich gehaltenen Osternkantate > Christ lag in Todes-
banden« eine Sinfonie im Gabrielischen Stil vorausge-
schickt. Auf das Gabrielische Muster st&tzt sich eine ganze
selbst&ndige Literatur eins&tziger Festsonaten fur Bl&ser-
orchester, die in den MusikschrHnken aller Instrumental-
kapellen ausreichend vertreten war. Den ganzen Umfang
dieses Runstgebietes festzustellen, bedarf es noch beson-
derer Untersuchung. Gepflegt wurde es von hervorragen-
den und von unbekannten Romponisten ; denn es war in
der Sitte der Zeit begrUndet. Wir kdnnen es auch heute
nicht ganz entbehren, obwohl unser 5ffentliches Leben
auf musikalischen Schmuck und musikalische Weihe bis
zu einem bedenklichen Grade verzichtet hat. Fast will
es scheinen, als sollte die Tonkunst ins Ronzert gesperrt
und da stranguliert werden! Tatsache ist, daB die heu-
tigen Romponisten fur Feierlichkeiten, wie sie sich bei
Einweihungsakten, bei solennen Empf&ngen und Be-
griiBungen vollziehen, wenig komponieren, und wenn sie
es tun, treffen sie nur selten den richtigen Stil. Beethovens
Ouvertare >Zur Weihe des Hauses< und C. M. v. Webers
Jubelouvertiire in alien Ehren, aber man h5rt sie jetzt
an Stellen und bei Gelegenheiten, wo sie keinesfalls hin-
*) Masikallsche Werke der Kaiser Ferdinand III., Leopold L
nnd Joseph L Herausgegeben von Guido Adier. Bd. L
-^ 29 ^-
passen! So empfehlen wir denn den Dirigenten, die urn
ein feierliches Sl&ck in Verlegenheit sind, einen Griff in
die alte Zeit der einsfttzigen Gabrielischen Sod ate. Unter
dreierlei Titeln bergen die Archive die Reste dieser Ton-
familie: als Sonaten, Sinfonien und als geistliche Kon-
zerte (Sacri concerti). Bei dieser dritten Grappe tritt
zaweilen zu den Orchesterinstrumenten noch Begleitung
der Orgel oder eines anderen Harmonieinstruments. Sie
lassen sich daher in der Kegel nur in Rirchen oder grofien
SAIen verwenden. Die Mehrzahl der hierhergeborigen
Kompositionen ist aber, ganz fthnlicb wie bei der fiJteren
Suite, f&r Bl9,serch5re bestimmt and alle sind nur in
SUmmdrucken Torhanden; zu einer neuen Ausgabe in
Partitur baben es bisher nur die von Wasielewski mit-
geteilten Sttkcke gebracht So finden sich z. B. aus un-
serer Klasse in der k5niglichen Bibhothek zu Berlin
folgende Nummern: D. Castelli: Sonate concertante
(Venedig 1621); F. S. Ertelius, Symphoniae sacrae (M&n-
chen 1611); Gabr. Fattorini, Sacri concerti (Venedig 1616);
Fr. Giuliani, Sacri concerti (Venedig 1619); G. Picchi,
Canzoni da sonare (Venedig 1626). Aus italienischen
Bibliotheken w&ren da noch hinzuzuffigen : Fiore, Sin-
fonie da chiesa (Modena 1699) und Bergonzi, Sinfonie
da chiesa (1708). Um die Mitte des 17. Jahrhunderts
kommt in Italien der Gabrielische Stil aus der Mode und
wird von der mehrs&tzigen Rirchensonate, die in der
Kegel drei- und vierstimmige Violinmusik ist, verdrftngt
Aber Nachfolger der Gabrielischen Sinfonie finden sich
auch in Italien noch bis ins 19. Jahrhundert. Der Vene-
tianer Buzzuola ist einer ihrer letzten Vertreter. Seine
>Piccole sinfonie ad uso della Basilica di San Marco*
haben Meyerbeerschen Geist, aber die eins&tzige Form
Gabriel is.
In Deutschland finden wir einen der letzten Meister
im Sonatenstil in Gottfried Reiche, jenem Leipziger GottfrleA
Stadtmusikus, fftr den Seb. Bach seine gefUrchteten Trom- B«iek«.
petenpartien geschrieben hat. Aus seinem Hauptwerk: >24
neue Quatrocinia« (Leipzig 1696) empfehlen wir zur
-<^ 30 ♦--
Einf&hrang Damentlich das Bdur-StQck Uber das Thema:
, Pompoao. _ Damit beginnt in markiger Har-
Arf A \lfl'fr^\-^^ monie der erste Teil. Ein mittlerer
ff '^ -^'rur' r ' wendetdieMelodielngeradenTakt:
und f&hrt sie in Fagenform
'/^^'^ J* I ff rj*rJ^**« durch die Instramente, hier,
y r -^ r' 'f T • ^ie tiberaU ein Blftserquartett
von Comett und drei Posaanen. Jedemiann kann nur
fiber die formelle Tiichtigkeit und die wirklich bohen
Gedanken in dieser und in Ahnlicben Arbeiten des
schlichten Mannes erfreut sein. Sie zeigen, wie sich
auch bescheidene Krftfle auf diesen Kunstzweig verstan-
den. Noch vor Reiche gehdrt der eben falls Leipziger
Stadtpfeifer Job. Petzel mit seiner »Hora decima«
von 1670 hierber. Aucb das ist eine Sammlung feier-
licber Sonaten, wie sie vor Tiscbe vom Leipziger Rat-
hausturm tagt&glicb abgeblasen wnrden, einsAtzig, aber
schon vom Muster der venetianiscben Opemsinfonie be-
einQuCt. Das wohl letzte Lebenszeicben Gabrieliscber
Kunst in Dentschland dQrften die »Tnrmsonaten« Fr.
Scbneiders sein, die der Romponist des >WeItgericbts<
als 17j&briger Gymnasiast in Zittau gescbrieben hat. Nacb
seiner C dur-Sinfonie zu scbliefien, bat wabrscbeinlich
R. Scbumann diese Turmsonaten Scbneiders gekannt.
Der PlaOscbe Blftserchor in Berlin spielt sie beute wieder
mit grofier Wirkung, und in der Lausitzer Heimat des
Komponisten sollen sie nie vergessen worden sein, in einem
Bauer namens Schdnfelder hat Schneider dort sogar noch
am Ausgang des 19. Jahrbunderts einen Nachfolger ge-
fnnden*). Den indirekten EinfluO der Gabrieliscben
Sonate kann man noch in den OratorienouvertQren Leos,
Hasses, J. Haydns (»Sieben Worte<] spfireD, aber er wird
im 18. Jahrhundert unter der Herrschaft der neapolita-
nischen Schule, der der feierlich gebaltrne Ton selbst in
der eigentlichen Kirchenmusik fremd war, immer geringer.
Wie scbnell aber die alte Orchestersonate in jener nber-
*) Mitteilung des Herrn Musikdirektor Stobe in Zittau.
-^ 31 iP—
produktiven Zeit vergessen wurde, das kann man daraua
ersehen, daB Gerber in seinem so vortrefflichen Lezikon
die groOen Gabrielis gar nicht erwfthnt.
Die Orchestercanzone trat ihre Steliung im Laufe
des 17. Jahrhanderts an eine neue Gattung welUicher
Mnsik ab: die Suite. Unter diesem Namen, der sich
im 18. Jahrhundert mehr und mehr verbreitete, verstehen
wir bente eine Folge von mehreren in sicb abgeschlossenen
Stficken, in deren Inhalt und Form die Tanz- und Lied-
musik fiberwiegt. Die Sonate war eine freie und neue
Scb5pfnng der hdcbsten und gebildetsten RQnstlerkreise;
die Heimat der Suite ist die Volksmusik. Wahrscheinlich
ist sie so alt, wie das Instrumentenspiel tiberbaupt. Denn
wenn Spiellente zwei im Cbarakter verschiedene Stftcke
— einen Cbonl und gleicb darauf einen Tanz z. B., wie
wir das in Deutschland bei UmzQgen und Morgenst&ndcben
nocb tagtSglicb bOren k5nnen — unmittelbar, ohne l&ngere
Pause, bintereinander spielen, so ist die Suite fertig.
Geschrieben und gedruckt zeigt sie sich zuerst in der
Lantenliteratnr des 16. Jabrbnnderts*). Bald darauf aber,
nftmlicb 1671, kommt auch schon (in L5wen bei Peter
PhalesiuB) eine Sammlung von Suitensfltzen fQr Or- Suiten des
ehester heraus. Sie bringt unter dem Titel >liber primus Ph^lesius.
leviorum carminum etc* Paduanen, Passamezen, Alle-
manden, Galliarden, Branles und &bnliche StUcke, dazu
aber auch S&tze mit programmatischen Oberschriften,
z. B. Den Post:
^vumwM^
Wie hierbierdurchrhythmischeUmbildung demHaupt-
satze noch eine »Reprise< abgewonnen wird, so kommen
*) Wolf Heckels LauCfenbacb 1562.
--^ 32 ^>-
bei anderen Stiicken solche Variationen als >Volten«.
Immer wird auf diese Weise die Galliarde aus der Pa-
daane gewonnen, aber auf diese F^Ue und auf den Zu-
sammenhang nur zweier Satze beschr&ukt sich die
Variationskunst in dieser Phalesiusschen Suitensamm-
lung. Schon sie zeigt, da6 in der internationalen, durch
die Namen der S&tze belegten Arbeitsgemeinschaft, unter
deren Obbut die Orchestersuite ihre erste Entwicklung
fand, dem englischen Anteil eine besonders gute Zensur
gebiihrt. Das fnscheste StQck unter alien ist ein >Bransle
d'eccosec, der gleich metrisch apart beginnt:
^i%r rN J i^i-Jy J K<^
Englische Die Engl&nder haben sich auch weiterhin bei den
Smten. Jugendleistungen der Orchestersuite ausgezeichnet. Sie
Morley. er5ffnen 1699 mit Thomas Morleys > Consort lessons
made by diverse exquisite authors for six instruments
etc€ die Zeit des regelm&Bigen Suitendrucks und stehen
in ihm Jahrzehntelang im erfolgreichen Wettbewerb mit
den Deutschen. In der Elisabethischen Periode waren
nicht bios englische Chorlieder und Kom5dianten, son-
dern im Gefolge der letzteren auch englische Spielleute
Uber den Kanal gekommen. Diese waren es, die von
Hamburg, an zweiter Stelle von Frankfurt und LQbeck
aus den deutschen Markt mit zahlreichen Sammlungen
von Orcbestersuiten ihrer Landsleute beschickten, an der
Simpson. Spitze die Komponisten Theodor Simpson (1607*),
Brftde. 1610, 1617 und 1620) und William Brade (1609,
1614, 1617).
In der Form und dem Ausbau der mehrs&tzigen Suite
halten die englischen Arbeiten mit den gleichzeitigen
deutschen nur eben Schritt. Sie bleiben l&nger als diese
bei den zwei S&tzen: Paduane und Galliarde und be-
quemen sich ersichtlich erst unter deutschem Einflufi zur
♦) Diese erste Sammlung ist von den Verlegern Hildebrand
und FuUsack gezelchnet. *
33
Anfbahme von AUemande und Corrente. Ein eigner nnd
konservatiyer Zug ist nur, da6 sie die Padaane znweilen
dnrch eine Canzone ersetzen. Meistens teilt diese, homo-
phon gehalten, mil dem italienischen Master blofi den
Namen; nnr einmal bring! Simpson (in der Hamburger
Sammlnng von 1617) eine Canzone, die
beginnt, dann in nngraden Takt dbergeht und weiter mil
dem mebrmaligen Wechsel beider Themen sicb als eine
gutgemeinte Nachbildung des oben zitierten MeisterstOcks
G. Gabrielis erweist. Aber origin ell und bis zu ein em
gewissen Grad bedeutend sind diese engliscben Suiten
darch ein en starken Zug von VolkstUmlichkeit. Er ftuGert
sich stilistisch in rubigen und bewegten Sfttzen ziemlich
gleicbm&fiig dadurcb, da6 Nacbabmungen fast ausscbliefi-
lich in die beiden obersten Stimmen gelegt werden, wo
sie auf den Laien am leichtesten wirken. Thematisch
kommt er vorzugsweise in den schnelleren Sfttzen zum
Ausdruck und zwar durch Marscbweisen, den en zum Teil
durcb Oberscbriften ein beimatlicher Ursprungsstempel
aufgedrdckt ist So stebt bei Brade Uber dem Them a:
»ComwaIl8cber Aufzug« bei einem anderen liest man:
•Mylady Wratb's Maskeradec. AucbinDeutschlandscheinen
dieEngl&nder charakteristischen Weisen nacbgegangen zu
sein, Bateman w&nscbt bei einem seiner Sfttze, daB man an
»N Aglein (Nelken ?) Blumen « ^
denke, ein anderer sncht Al^ p' p p'/'f jf I -^ f f =
>den alten Hildebrandc mil ^ -^ d j^
vorzustellen.
Unter den weiteren Merkmalen der gem ein vers t&nd-
lichen Tendenz tritt die Beliebtheit von wArtlichen Motiv-
wiederholungen hervor: es ist keine Jf f f f m \
Seltenheit, dafi eine Formel wie: g ' I f ^
vier Takte nacheinander fUIt
Kretzschmar, Fthitt. I, 1. 3
— • 34 ^^
Da6 die Soiten der Engender in Deatschland bekannt
waren, ist wenig- » ^^^
stens wahrschein- /y " T f I f T f l^f" r f I ^^^
lich: Simpsons:
findet sich im Flori- ^^^ ^_
legium Georg Muf- ifi UA I '" |' I ""* '^ ' ' ■'
fats in der Gestalt: ^ ' '
In Deatschland bCirgert sich die Orchestersuite nach
1600 rasch ein und durchlauft in vier, chronologisch nicht
streng geschiedenen Stufen ihre erste bedeutende Ent-
wicklang. NOrnberg ist, sowie fur das deutsche Chorlied
des 16., so auch fiir diese alte deutsche Orchestersuite
des 17. Jahrhunderts der Hauptdruckort.
Auf der ersten jener vier Stufen begegnen wir Suiten
als Sammlungen von T&nzen ein und derselben Sorte,
Hft«iM»BB. ^^®z. B. in Valentin Hausmanns 24 >Neuen Intraden*
von 1604 Oder in Benedict Widmans »Neuer musikalischer
Kurzweil« von 1608. Wie bei diesem letztgenannten
Autor, so finden sich auf dieser ersten Stufe iiberhaupt
haufig den Melodien Texte beigegeben. Hier lebt also
noch entschieden die Zeit, in der beim Tanzen auch ge-
sungen wurde; in der spHteren Suite macht sie sich durch
Verwendung alter Liedmelodien noch bemerkllch.
Dann kommen Hefte mit zweierlei T&nzen; in der
Kegel erst eine Anzahl gravitatischer Paduanea, dann
genau oder annfthernd ebensoviele neckische, muntere
L. Hftfior. Galliarden. Beispiel: L. HaClers >Neuer Lustgartenc
von 1601.
Auf der dritten Stufe gesellen sich zu den Paduanen
und Galliarden noch Intraden. Das sind marschartige
Stficke. die den Paduanen nahe stehen. Beispiel:
M. Fmok. Melchior Francks Pavanen, Galliarden und Intraden.
Coburgk 1603.
Den AbschluB jener ersten Entwicklung der deutschen
Orchestersuite bilden Werke in vier S&tzen. Die Wahl
und Folge der Satze ist bei dieser Stufe verschieden ; doch
haben die meisten zu ihr gehdrigen Suiten Paduanen und
Galliarden behalten. Valentin Hausmann z. B. ordnet so
-^ 35 ^>^
an: Intraden, Passamezzen, Paduanen, Galliarden 1604,
Paul B&werl (Penrl) bringt Paduanen, Intraden, Dantz p. Pemrh
Qnd Galliarden (1611) hintereinander.
Erst hier an dieser yierten Stafe steben wir yor der
Suite im modernen Sinn. Dort, an den vorhergehenden
Stufen, schiittet der Komponist gewissermaCen jede Sorte
massenweifi yor uns bin, zur beliebigen Auswabl. Hier
flberreicbt er uns fertige Str&usschen. Die Wahl und
Zusammenstellung der Blumen ist das Werk des Geistes
und des Geschmacks eines bestimmten KUnstlers, und es
kann nicbt feblen, dafi sicb das Walten einer bdberen
Kunst in dieser neuen Suite nocb in weiteren Merkmalen
&ufiert Am meisten ins Auge fallt unter ibnen der
Gebraucb der Variationenform. Sie findet sicb bereits bei
Hausmann in der Weise, dafi der Passamezzo als Tbema
aufgestellt und dann noch in fiinf bis secbs namentlich
rhythmisch bedeutend und sinnvoU erfundenen Verwand-
lungen, die ausdrQcklich als Variationen bezeicbnet sind,
yorgefuhrt wird. Dadurcb gewann die Suite breite Formen
und die Mdglichkeit, einen bedeutenden Gedanken n&her
auszulegen. Sie hat aber davon immer nur bescheidenen
Gebraucb gemacbt und sicb in der Kegel auf eine Varia-
tion beschr&nkt. Man QberlieG solche Kunst der Orgel-
komposition und blieb mit der Suite in den Grenzen der
Yolksmusik und in erster Linie immer daraaf bedacbt,
kleine aber sinnf&llige Tonbilder zu erfinden.
Daneben gibt es noch eine zweite Art yon Varia-
tionssuiten, bei der aber die Variationen undeklariert
unter den Qblicben Satznamen passieren. Sie entsteht
dadurcb, dafi das Tbema des Anfangsstiicks, yielleicht
einer Paduane, auch far AUemande, Courante und
Galliarde benutzt wird, natiirlich nicbt wortlich, sondern
rhythmisch und metrisch umgebildet und mit neuen
Melismen behangen. Der Vorgang ist ein &hnlicher, wie
in der Vokalmesse des 16. Jahrhunderts, durch deren
S&tze sicb bekanntlich leitende Themen Ziehen. Diese
Art yon Variation beschrfinkt sicb oft auf die Umbildung
der beiden MittelstQcke. Bei Pearl, dem Hauptvertreter
3*
36
dieser zweiten Variierungsart finden wir die tfaematische
Einheit der vier Stticke verh<nism&fiig am h&ufigsten,
zuweilen allerdings nar in sehr zarten Andeutungen er-
kennbar. Die zweite seiner Suiten beginnt
in der Paduane: At f f Tff^
in der Intrade
im Dantz:
in der Galli«de: jl W p 1 1 t^f \,\j I I J
Die 3. Paduane:
li
Intrade: jlljn | I J I J (i|lJ_L|-J
Dantz:
^9
Galliarde :
Die 6. Paduane ■■p^^ f t I f |?| f f-?! J ^ (■ g
IntraHe: jjr'*"' |' f I f'Tf l["7'''^
P
Dantz:
Galliarde :
37
Die 7. Padaane : A^if U^ t f l-Qf J
Intrade: jlb»« fT^ \fT} |" f H"'!
Dantz: jfH f \fFU f \^^
GaUiarde: jjitiiii f Tt f f f | |.,
Die 10. Padaane : ^l\ f f T f \^ f T
Intrade: i <H F f F ££=t
Dantz:
GaUiarde: jiftl J [["trT iP P ^'F Ti
Die Einheit der Suite als Ganzes, die Zusammen-
gehOrigkeit der vier Teile ist von einzelnen Kdnstlern der
vierten Stufe stftrker betont, schftrfer zum Ausdnick ge-
bracht worden. Bs waren aber Ziele, denen man allge-
mein and von jeher zastrebte; allerdings mit einem viel
bescheideneren Mittel: Man hielt die S&tze in derselben
Tonart, and bei dieser Gleichheit der Ton art ist die Saite
bekanntlich immer geblieben. Das ist nach modemen
Anschaaangen fast ein Fehler. Denn wir kCnnen in der
Knnst von Abwecbslung, Gegensfttzlichkeit, Steigerung
and dramatisch anregenden Elementen aller Art kaum
genag haben. Das geht in unserer Tanzmusik bisweilen
bis an die Karrikatar. Ganz anders die ftltere Zeit Die
sacbte, wenn es sich nicht gerade am Heiligen- and
Mftrtyrerbilder handelle, in der Kanst ruhige Sammlung
-<^ 38 ^^
nnd Erhebang, reihte gern Verwandtes aneinander und
verweilte, den Standpunkt immer nur schrittweise ver-
schiebend, gerne lange in Betrachtung desselben Themas.
Diesem Znge ruhigen Eindringens kam die Fuge beson-
ders entgegen; er kommt aber auch in dem Tonarten-
verh<nis der Snitens&tze znm Ansdruck. Die Tonart
bleibt immer dieselbe ; sie weist gewissermaOen dem Zu-
h5rer die Stellung an, die er dieser Kunst gegentiber
einnehmen soil: wie vor der laterna magica leidenschafla-
los genieOend, erfreut, erw&rmt, aber nie hingerissen und
im seelischen Gleicbgewicht gestOrt.
Noch in einem anderen Pankte stand die Orchester-
snite, vom ersten Auftreten an, kilnstlerisch bis zar
Musterhaftigkeit fertig da. Das ist die sogenannte Stimm-
ffibrang. Ob man die Suite fQr 4, 5, 6 oder 7 Instrumen-
talstimmen schrieb, diese Stimmen waren alle als leben-
dige Individuen gedacht, an den Motiven, Themen,
Melodien der Musikstilcke ziemlich gleichm&6ig beteiligt,
die Hauptgedanken in freien, leichten Nachahmungen
aufnehmend oder mit eignen, zierlichen, anfeuemden
Erfindungen umspielend. Von den Klangeffekten ihres
Orchestersatzes verwendet aucb die alte Suite mit eben-
soviel Vorliebe als Gescbick das Ecbo, ohne das ja —
es sei nocbmals bemerkt — weder die Gesang- nocb die
Instrumentalkomposition des 17. Jahrbunderts zu denken
ist. Ihm am n&chsten kommt der Wechsel von Solo und
Cbor. Mit diesem Mittel geht sie unvergleicblich weit
Qber das in der mehrstimmigen Gesangkomposition der
frUheren Zeit abliche MaO hinaus und gibt dem geist-
lichen Vokalkonzert ihres Jahrbunderts unverkennbar
Anregungen und Vorbilder. Diese innere Einrichtung,
dieses innere Leben innerhalb der Stimmen ist eine der
bedeutendsten Z&ge der alten Orchestersuite: er setzt die
Phantasie des H5rers fortw&hrend in Bewegung, stellt
sie vor Szenen, als wenn die Menge dem voranschreiten-
den Helden zustUrmte, in seinen Ruf einstimmte.
Die oben aus Peurl beigebrachten Zitate verm5gen
vielleicht einen kleinen Begriff vom Geist und vom
--^ 39 ^^
Charakter der Orchestersoite in ihrer ersten Periode zu
geben. Es ist eine Kunst nach dem Motto: fromm and
frohlich. Der Frohlichkeit dienen die drei letzten Stftcke
mit sich steigerndem Eifer. Aber auch die Galliarde geht
Die bis zur Ausgelassenheit; sinnige Anmut bleibt das
Gebiet, auf dem die einzelnen S&tze einander zu Qber-
bieten sachen. So, wie wir es aas diesen TOnen h5ren,
so fQhlten nnd so gaben sich die deutschen BQrgerkreise
am Anfang des 17. Jahrhunderts in ihren frohen Stunden :
sittig and liebenswikrdig. Als das eigent&mlichste Slfick
dieser alten Orchestersuite darf man die Padaane be-
zeichnen. Aach sie ist dem Hamor nicht anzag&nglich;
ihren Haaptzag bildet aber der Ernst and die feierliche
Sonntagsstimmang. Sie hat wie die Gabrielische Or-
chestersonate von Haas aas kirchlichen Geist. Einzelne
ToDsetzer, wie der sttddeatsch-gemtitliche Pearl, setzen
sich aber ihn hinweg, ja, es gibt sogar »]astige Pada-
anen«; aber bei der Mehrzahl der Saitenkomponisten
onserer Periode bleibt doch der gehobene Feiertagston
so sehr das wesentliche Merkmal, dafi M. Pr&torias in
seinem Syntagma die Paduanen anter die im Gottes-
dienst braachbaren MasikstiJicke einreihen konnte. Die
schdnsten Master solcher erhaben and kirchlich anklingen-
den Padaanen hat Melchior Franck geschrieben*). Der
ILufiere Aafbau der Padaane voUzieht sich in drei scharf
and klar geschiedenen Teilen. (Die Dreiteilang bildete
auch bei den fibrigen S&tzen der Suite die Kegel, Zwei-
nnd Vierteilang sind Aasnahmen.) Der Umfang des ersten
Tells wechselt von acht oder nean bis za 20 Takten, der
zweite ist hftafig sehr karz (vier Takte), der dritte wieder
ansgedehnter. Die Padaane setzt immer rahig, breit and
gehalten ein, in einem Ton, der im Anfang von Wagners
Meistersinger-Vorspiel merkwQrdig getrea aoflebt Dann
regt es sich in Figaren, Seqaenzen bescheiden aber plan-
*) Ausgew&hlte InBtrnmentalwerke von Melchior Franck nnd
Valentin Hanfimann im 16. Band der Denkm&ler Deutscher Ton-
knnet
40
voll and fest, zuweilen in einer etwas steifen Anmat
Der zweite Teil schliefit entweder an den Anfang an oder
stellt sich mil Motiven der Energie and Kraft in Gegen-
satz za ihm. Der letzte, der dritte Teil, bringt neue iiber-
raschende Einf&lle in schnellen Noten, die aas alien Ecken
widerklingen. Mit diesem Ende reicht die Padaane der
Weltlast and FrShlichkeit die Hand. Die orsprttngliche
and alleinige Vertreterin dieser Empfindungselemente in
der Saite ist die Galliarda (Gagliarda italienisch, Gaillarde
franzdsisch). Sie steht immer im angeraden Takt and
hat in der Kegel drei gleich groGe Teile, deren Umfang
von vier bis za 16 Takten steigt. Der ilaOeren Form
nach ist die Galliarda der modernste anter den S&tzen
der alten viers&tzigen Saite. Sie liebt die Symmetrie wie
die Wiederholang im Satzbaa, and sie zeichnet zweitens
die Oberstimme vor den andern darch reichere Beweg-
lichkeit aas. Zwei reizende Beispiele fur diesen ersten
Zag fin den sich bei M. Franck:
i^itfW
(Nr. 27 in den Pavanen etc. von 1603)
and bei HaaGmann:
All«^reno.
i ^ 1 r ' p r f 1 1 J^
G_ O G- D
^m
ffrwTp r f ^ r ' fT il G.
Zugleich aach geben diese beiden BrachstCicke ein
Bild von dem Darchschnittscharakter der Galliarde. Ihn
beherrschen sichtlich noch dieselben mittelalterlicben An-
schauangen tkber die Grenzen weltlicher Kanst, denen
sich aach Dichtang and Malerei lange genag zu beagen
*) Der Takt ist hier in moderner Form iibersetzt.
41 0^
hatten. Der Aasdrack aller Empfindangen, auch der der
Freude, stand unter dem Gesetz der gesellschaftlichen
Ehrbarkeit. Im Madrigal noch schflchtern, entschiedener
in der Oper ging die Musik eben erst daran, diese Fesseln
der Sitte zu durchbrechen und sich in der naturtreuen
Darstellung m&chtiger Leidenschaften za versuchen. Die
Instnimentalmiisik, die bei dieser Aufgabe bald die wich-
tigsten Dienste leistete, blieb in der Suite durchaus noch
zurdckhaltend. Es sind nur einzelne Stellen in den alten
Orchestergalliarden) bei denen der Ton einer neuen Zeit
sich vernehmlich macht, hanpts^chlich in der Form er-
regter Rhythmen, die, als sie neu waren, auGerordentlich
tibermiitig und komisch gewirkt haben ^r--—
mnssen. So f&hrt z. B. die Francksche J JJ J J'^jJiJ^
Galliarde, deren erster Teil eben an- .^.^^^^pl^ =
gegeben wurde, folgendermafien fort: ' ' ' ' '
Der Galliardengeist lebt auch in der sp&teren Suite
unter andren Formen und Nam en, unter denen nament-
lich Grigue und Menuett hervorzuheben sind, fort, und
noch die neueste Instrumentalmusik sucht ihn festzu-
halten, z. B. die Brahmssche Sinfonie in ihren, das Scherzo
ersetzenden AUegrettis. Aber am m&chtigsten wirkt er
doch da, wo er zu Hause ist, n&mlich in der Orchester-
suite aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Sie ver-
kCrpert altdeutsches Leben und Empfinden von einer
Seite, mit der die Gegenwart jeden Augenblick wieder
eine unmittelbare und segensreiche Verbindung anknlipfen
kann. Es sind deshalb nicht bloO kalturgeschichtiiche,
son dem auch k£knstlerisch menschliche Grtinde, die die
Wiederbelebung und Wiederbenutzung dieser alten Of-
chestersuiten empfehlen. Mindestens ebenso schnell, wie
die alten Armeem&rsche es getan haben, wurde sie sich
heute wieder einbUrgern, und wenn sie in unseren Volks-
konzerten der vielfach kSstlichen, aber ebenso vielfach
tiberreifen Walzer- und Operettenmusik von Job. Straufi
und seiner Schule den Platz etwas streitig machte, so
wQrden tiefer blickende Kunstfreunde damit nur zufrieden
sein ddrfen. Bisher ist von dem ungeheuren Vorrat von
-— » 42 *^
Stimmendrucken alter Orchestersuiten nur wenig in Par-
titur vorgelegt worden. Da bietet sich also dem deatschen
Musikverlag mit den Suiten von Demantius, Moller, Stade,
Peurl etwa eine lohnende Aufgabe.
Unter den Qbrigen Stiicken, die in der viersfttzigen
Suite zwischen Paduane und Galliarde entweder vennit-
teln oder den zwischen diesen beiden Hauptst&cken be-
stehenden Gegensatz, bald abgeschw&cht, bald gesteigert,
wiederholen, kommt die Intrade am hclufigsten vor; man
kann sagen, sie bildet die Regel. Das ist deswegen^ auf-
f&llig, weil sie der Paduane so sebr gleicht, dafi man sie
fast f&r einen Konkurrenten von andrer geograpbischer
Herkunft halten kann. Auch sie hat von Haas aus einen
feierlichen Ouvertfirencharakter. Deshalb wird sie von
vielen Komponisten und zwar bis ans Ende des 17. Jahr-
hunderts an die Spitze der Suiten gestellt. Doch hat sie
sich im Laufe der Zeit als ganz besonders verwandlnngs-
f&hig und fiir kurzgefafite, eindeutige Definitionen, wie
sie nach dem Vorbilde Matthesons noch heute in musi-
kalischen W5rterbiichern beliebt sind, schlecht geeignet
erwiesen. Wir haben ebensoviel Intraden im geraden,
wie im ungeraden Takt; ja es kommt h&ufig bei den in
AUabreve geschriebenen vor, da6 der dritte Teil in ^2
umsetzt. Job. Groh baut seine Intraden in dreitaktigen
Abschnitten auf, V. Hausmann in zweitaktigen , Franck
mischt beide Arten. Die Freiheit und Mannigfaltigkeit der
Form und des Charakters, in der sie auftritt, h&ngt sicher-
lich damit zusammen, dafi die K,omponisten an die Gelegen-
heit und den Zweck dachten, fiir den sie diese ErOffnungs-
musiken schrieben. So sind die Intraden von M. Franck
alle ganz besonders lebhaft und gl&nzend: sie waren filr
die Hochzeit des Landgrafen Moritz von Hessen bestimmt.
Der Hausmannsche Typus der viers&tzigen Suite
herrscht ein reichlicbes Jahrzehnt, dann wird sie zu-
n&chst fflnfs&tzig. Paduane und Galliarde fangen an,
als dritter Satz folgt eine Gorrente, d. i. ein 6/4-Takt,
bei den Franzosen etwas unruhig, leidenschaftlich ge-
halten, bei den Italienern mit reichlichem Figurenwerk
-^ 43 ♦^
versehen, bei den Deatschea weich und anmutig, unge-
f&hr im Menaettenton von Mozarts Don Jaan. Den vier-
ten und fUnften Satz bilden Allemande and Tripla.
Die Allemande ist wie der »Dantz< Peurls ein Vierviertel-
takt im Cbarakter eines Heldenlieds entschieden and
kr&ftig, die Tripla nichts als eine Variation der Allemande,
eine Umbildung in ungeraden, in der Kegel ein 3/2-Takt
Wie die Allemande durch ibren Liedton auf die Zeit yer-
weist, in der beim Tanzen gesungen worde, so fuhrt auch
die Tripla auf eine alte Sitte, auf den beim Volk schon seit
dem Altertam beliebten Nacbtanz, der ja ancb in die
Kfinste der Mei^ersinger hineingewirkt bat, zuriick. Die
Tripla bildet einen durcb Steigerung, durcb Einsetzen
der letzten Kraft ausgezeicbneten Abscblufi der Suite.
Aucb in der Zeit der fttnfs&tzigen Suite steht der Cba-
rakter, ja sogar der Rbythmus der einzelnen S&tze keines-
wegs nnbedingt fest, nocb weniger aber bleibt er im
Wecbsel der Zeiten derselbe. Wenn Mattheson also z. B.
die Allemande als »das Bild eines zufriedenen oder ver-
gndgten GemUtes, das sicb an guter Rube und Ordnung
crgotzt«, beschreibt, so trifft das auf die Allemanden des
18. Jabrbunderts meist, ffir die des 17. nur wenig zu.
Die ausgezeicbnetsten Arbeiten in der funfs&tzigen
Orcbestersuite bat Jobann Hermann Scbein in seinen H. Sokeln.
Bancbetto musicale (1617) geliefert. Diese Sammlung
entb< 20 Nummern, dazu nocb eine Intrada fClr Zinken,
Viglin, Fldte und Bai3 und eine Paduane filr vier Krumm-
bdrner. Der Wert dieser Scbeinscben fQr allerlei Instru-
mente, >bevoraus auf Violen< zu gebraucbenden Suiten
berubt einmal darauf, dafi die S&ize durcb motiviscbe
Yerwandtscbaft sicb enger zum Ganzen zusammen-
scbliefien, zweitens auf der Beweglicbkeit von Scbeins
Phantasie. Sie &u6ert sicb durcb den ganz ungew6hnlicben,
eigentlicb stilwidrigen Tempowecbsel innerbalb der S&tze
und durcb EinfQbrung keck naiver Motive an Stellen, wo sie
nicbt erwartet warden : ^
So beginnt z. B. eine g ^ JJ J J J •^ | - |etc,
BA^nAi* PoiliiavkAn tmU J " "♦♦♦♦♦ T-
seiner Paduanen mit "^ tttTT~T
-—t 44 «—
Mit solchen, weit iiber das von M. Franck Versuchte hia-
ausgehenden Freiheiten nimmt Schein gewissermaOen Ein-
fftlle voraus, mit denen nach zweihundert und xnehr Jabren
sein Erzgebirgischer Landsmann Robert Scbumann die
WQrde des zeitgenOssischen Sinfoniestils dnrchbrach. Aber
dafi die Suiten Scheins auch an einfacher Anmut und
Innigkeit reich sind, geht schon aus dem ersten besten
Griff in seine Thematik, z. B.
Courante . Allcmandc.
hervor.
Die H&ndelschen Klaviersuiten , anch ein Teil der
S. Bachs haben noch die Mnfs&tzige Anordnung, aber
die S&tze bringen ziemlich viele neue Namen: Prelu-
dien, Sarabanden, Airs, PaGepieds, Gavotten, Bourses,
Gavotten, Menuetten, Gignen. Sie sind zum Teil die
Folgen des dreifiigjfthrigen , die V51ker dnrcheinander
schQttelnden Krieges,*er bat in die In strum entalmnsik
etwas Kosmopolitismus herein getragen. Das zeigt sich
zuerst in der Klaviersuite bei Ebner und Froberger, aber
bald wird auch die Orchestersuite verSnderungsIustig,
greift nach neuen Tanzarten und sucht sich zweitens
der hCheren Kunst zu n&hern.
Mit dieser Annaherung sind am ersten und ent-
schiedensten die Engl&nder vorgegangen, bei denen
W. Lawes schon 1645 eine fiinfsfitzige Orchestersuite mit
Continuo veroffentlicht*}. In Deutschland beginnt zu
gleicher Zeit der Obergang mit dem ersten Suiten werke
l.BoiMMfiUer.Johann Rosenmtillers, seinen Paduane-n, AUe-
manden, Couranten, Balletten, Sarabanden. Die
Galliarde und die Tripla Scheins sind hier verschwunden,
neu erscheinen Ballette und Sarabanden und mit ihnen
franzdsischer und spanischer Einflufi. 1654 kommt eine
zweite Sammlung Rosenmiillerscher Orchestersuiten, seine
>Studentenmusik«. Der Vorrede nach schon in frUherer
*) Exemplar Hamburger Stadtbibliothek.
— ^ 45 ♦—
Zeit fflr die Akademische Jagend von Leipzig komponiert,
bringt sie zu Anfang sieben einzelne Paduane und dann
zehn Saiten mit der SatzordnuDg: Paduane, Allemande,
Conrante, Ballo, Sarabanda, stimmt also mit den Saiten
von 1646 uberein. Aber neu ist, wenigstens far Deutsch-
land, daB zu den Orchesterinstrumenten aucb ein Basso
continue hinzutritt. Das bedeutet Mitwirkung eines Cem-
balo Oder eines &hnlichen Akkordinslruments, Umzag aus
der friscben Luft in den gescblossenen Raum der Kammer
Oder des collegium musicum. Rosenmaller besteht dem
Anschein nacb nicbt auf diesem Basso continuo, sondern
will ihn wohl nur fQr den Fall empfohlen haben, dafi
die Suiten, wie er anheimstellt, statt mit fiinf nur mit
drei obligaten Instrumenten (Violen) besetzt werden. £r
scbwankt also, kurz gesagt, zwiscben italieniscber and
deutscher Praxis; nacb lezterer war die Suite fiir Instru-
mente Orchestermusik, nach ersterer Kammermusik, von
einem Geiger, einem FlOtisten, oder von einem Geiger-
paar mit Unterst&tzung eines Gembalisten ausgefubrt.
Die Italiener des 17. Jabrbunderts verdffentlicben desbalb
aucb ibre Saiten nicbt wie die Deutscben unter dem
Nihnen des Anfangssatzes, als Paduanen oder Intraden,
sondern sie beifien bei ibnen in der Kegel Sonate da
camera. Diesen Titel tr> nun aucb die n&cbste
Sammlung von Suiten, die RosenmQller 1670 zu Venedig
ver5ffentlicbt: Sonate da camera cioe: Sinfonie, Alle-
mande, Correnti, Balleti, Sarabande da son are con 6 stro-
menti da arco ed altri etc.*). Hier ist also RosenmQUer
einen Scbritt weiter gegangen: er stellt es nicbt ins Be-
lieben, ob die Suiten fQnfstimmig obne Continue oder
dreistimmig mit Continuo gespielt werden sollen, sondern
er kombiniert deutscbe und italieniscbe Praxis, diese
vertritt der Continuo, jene die faofstimmige Besetzung,
die nacb dem Scblufi des Titels »ed altri< sogar noch
— etwa durcb Beigabe von Bl&sern — gesteigert werden
*) Neadrnck (heransgegeben von K. Nef) in DenkmUem
D. T. Bd. XVUI.
--» 46 «^
daxf. Noch wichtiger aber ist an diesem Hefte Rosen-
mailers der Ersatz der Paduane durch eine Sinfonie and
zwar durch eine breit enlwickelte umfangreiche Sinfonie,
die deutlich aus dem Typus der spezifisch Venetianischen
Opernsinfonie herausgearbeitet, feierlich und spannend
mit breiten Akkorden, Fermaten and Generalpaasen be-
ginnt, dann erregt mit scharfem Wechsel langsamer and
schneller Perioden fortf&hrt and als Mittelpankt des Ton-
bildes eine der fiir die Venetianische Oper so charakte-
ristischen volkstiimlichen Barkarolenmelodien (3/2 Takt)
hinstellt, die ja noch H&ndel so liebt Sie macht noch
einmal der Reprise des Adagio- Allegro Platz, schlieOt
aber dann die ganze Sinfonie. Mit den Violinsonaten
Franz Bibers bilden also diese Sonate da camera Rosen-
miillers das erste Beispiel von der Einwirkang des Masik-
dramas auf die Instrumentalmasik: Formen, die aufs
engste mit dem Theater and mit ganz besonderen dra-
matischen Eigenheiten zusammenhftngen, and die nar in
diesem Zusammenhang einen Sinn haben, werden im Ver-
traaen auf die sichere and starke S,ai3ere Wirkang in
einen ganz iremden Boden verpflanzt. Mit der Rosen-
mUllerschen Sinfonie war in der Suite die Einheit des
Stils and der volkstiimliche Grundcharakter vernichtet,
die Gattang bezahlte die scheinbare Bereicherung mit
einem frtihzeitigen Untergang.
Mit Rosenmiillers Sonate da camera ist die Zeit der
alten deutschen Orchestersuite im Stile Hausmanns vor-
bei; unter den vereinzelten Nachziiglern, die sie noch
J. Petiel. vertreten , verdient JohannPetzel besondere Beachtung.
Auch das Leben dieses Tonsetzers scheint sehr bewegt
verlaufen zu sein : er war in Prag Augustinermdnch, ehe er
als Stadtpfeifer erst in Bautzen, dann in Leipzig zur Musik
kam. Seine Suiten waren neben denen von Peurl und dem
Hamburger J. Schop bis ins 18. Jahrhundert hinein die
beliebtesten undverbreitetsten. Wenigstens fiir die deutsche
Schweiz ist das jiingst durch Nef nachgewiesen worden*).
♦) Karl Nef, Die Collegia musica in der reformierten
deutschen Schweiz ... St. Gallen 1897.
47
Es sind frische und anmutige Kompositionen , die sich
besonders durch Schlichtheit des Ausdrucks empfehlen;
sie halten am Vaiiierea der alien viersfttzigen Suite
nOCh SOWeit ^Allemaiide. ^,^ ^
fest, dafi sie i » fl | f Itifrr f I |7 | ll| ||
gernjezwei
benachbar-
teS&tzever-
binden, z.B.
Oder
Coannte
BaUet.
Ebensoviel Interesse wie die
^ .,^^,. Musik verdienen die Titel von
w" f f ^' trll^l* r f r Petzels Hauptwerken : >L e i p -
yr I I I « -ui tai • 2iger Abendmusik* (1669)
und >B'llnfstimmige
b 1 asen de Musik*
(1686). Denn siezeigen
uns den gesellschaftlichen Boden, auf dem die Suite
zur BlQte kam und zugleich das musikalische Kleid,
in dem sie am liebsten einherging. Die ftltere Zeit ver-
braucbte viel mehr Musik unter freiem Himmel, als
unsere Gegenwart, die sich nervenm5rderischen Ma-
schinen- und Wagenlftrm ruhig gefallen iMfit. aber jede
Art von Musik, von Kunst iiberhaupt, prinzipiell in die
H9,u8er sperrt. Wo es in friiheren Jahrhunderten in der
Gremeinde oder in der Familie etwas zu feiem gab, den
Einzug, den Aufenthalt von Standespersonen, bei Um-
ztigen, Volksfesten, Kindtaufen, Hochzeiten, Geburtstagen,
Jubil9,en, da schickte man nach den Stadtmusikanten,
den Pfeifern, nach dem »Hausmann< und seinen Leuten,
die von den >Aufwartungen« auf Pl&tzen, StraBen und
G&rten, bei Festen und Schm^usen ihre Haupteinnahmen
batten, und liefi Suiten spielen. Weil die Orchestersuite
in erster Linie Platz- und StraGenmusik und nichtKammer-
musik war, blieb sie im Gegensatz zur Klaviersuite bei
den volkstUmlichen Satzformen, deshalb setzte man sie
auch vorzugsweise fur Blasinstrumente, am liebsten Cor-
netten und Posaunen. Peurl, UauBmann und andre Ver-
treter der viersStzigen und fiinfsfttzigen Suite bemerken
— ♦ 48 ^^
allerdings auf den Titein gern >sonderlich auf Violen zu
gebrauchen<. Aber diese Bemerkung ist wohl meistens
liar eine captatio benevolentiae, ein frommer Wunsch,
vom Ehrgeiz eingegeben. Denn die Streichmusik war am
, Anfang des 17. Jahrbunderts das Neueste und gait fQr
etwas Besonderes. Der Stil der Stimmen zeigt nur selten
eine ausgesprocheae VioHnennatur. Das sind die Ver-
ba.ltnisse, die Petzel nocb einmal in seiner >BIasenden
Mnsik« veranschaulicbt; die »Leipziger Abendmusik«, ob-
wobl sie 17 Jahre <er ist, steht dagegen unter moder-
neren Einfltissen, vielleicht unter demselben fortscbritt-
lichen Lokalgeist, der wie vordem auf RosenmQlIer nocb
bis auf Bacb und Hiller auf die Leipziger Musiker gewirkt
hat. Die zw5If Suiten der Abendmusik haben Basso
continuo und sind mit Ausnahme der letzten, bei der
Petzel, wie das auch bei andren vorkommt, seinen ganzen
nocb vorhandenen Vorrat an geeigneten T&nzen, in der
H5he von 17 StQck ausschflttet, in sieben S&tze geteilt,
nftmlicb Sonata, Allemande, Courante, Ballett, Sarabande,
Brandle, Gigue. Neu und mdglicherweise eine Nachwir-
kung der englischen Ftihrung in der deutschen Orchester-
suite ist die Brandle; ihr kQnstlerisches Geprage erhftit
die Abendmusik durch den Kopfsatz, die Sonata, die wie
bei RosenmttUer von der Venetianischen Opemsinfonie
ausgeht, aber die Gegens&tzlichkeit im Aufbau etwas
Qbertreibt.
Zwei wichtige Suitensammlungen, die ebenfalls in den
RosenmuUerscben Kreis gehdren, sind die »Deliciae musi-
cales< des Regensburger auch durch Lieder bekannten Kan-
u. KrmdMthAler. tors Hieronymus Kradenthaler und Jakob Scheiffel-
J. Beheiffelh«t. h^ts »LiebIicherFrahlingsanfang€. Die Suiten des ersteren,
1676 neun Nummern, und 1676 zw51f Nummern stark in
NQrnberg erschienen, bestehen aus Sonatina, Arie, Sara-
bande, Aria und Gigue, die Scheiffelhuts, 1685 in Augs-
burg, acht an Zahl, veroffentlicht, haben Preludium, AUe-
mande, Courante, Ballo, Sarabande, Aria, Gigue. Das
Preludium Scheiffelhuts und die Sonatina Kradenthalers
bringen unter andrem Namen die Rosenm&llersche Sin-
--* 49 ^>-
fonie, neu ist in den beiden Sammlnngen die Aria, nnter
der Scheiffelhut einen langsamen, Kradenthaler einen
schnellen Satz versleht, aber beide Komponisten bauen
ihre Arien auf ausgepr> franz5sische Rhythmen, in
denen sich zum erstenmal in der deutschen Orchester-
snite der Einflnfi Lnllys nnd seiner »Airs« &ufiert.
Scheinbar gehdrt in die Gmppe der Sonaten- Suite
anch der undatierte, aber nach den Lebensumst&nden des
Komponisten zeitlich in die N&he Rosenmiillers fallende
Hortus musicns des Hamburger Adam Reincken*). A.BelHekem.
Denn die Suiten dieser Sammlung beginnen ebenfalls
mit einer Sonata und lassen ibr Allemand, Courant und
Saraband folgen, eine Gigue scblieOt. Aber Reincken
Qberrascht uns mit einer ganz neuen Art von Sonate:
Sie besteht aus drei Teilen, einem Adagio von ungef&hr
20 Takten, einer durchschnittlich 50 Takte langen Allegro-
fuge und einem gegen 40 Takte betragenden Satz, in
dem zweimal ein langsames mit einem schnellen Tempo
wtrchselt. Dieser dritte Teil, bei alien sechs Suiten des
hortus, der schOnste, ists allein, der noch am Zusammen-
hang mit RosenmOller und der Venetianischen Musik fest-
h<, im tibrigen sind die Sonaten Reinckens der Opem-
ouverture Lullys nachgebildet. Die deutsche Orchester-
suite begnflgt sich nicht mehr mit der Einfiigung einzelner
fraDzdsischer Elemente, sondern sie begibt sich ganz unter
die Herrschaft der franzbsischen Musik. Bald folgt ihr
auch das deutsche Lied auf diesem Wege. Das deutlichste
Merkmal der neuen Herrschaft bildet die dreiteilige Ouver-
t&re als KopfstQck der Suite, aber dartkber hinaus hat
sich in alien S&tzen ein vollst&ndiger Wechsel des Stils
vollzogen. Die Gigue ist ein Fugensatz, alle andren Tanz-
s&tze sind kunstvoUer und reicher an kontrapunktischer
Arbeit geworden, vor allem aber sind die Suiten Reinckens
Musik far Streichinstrumente und wurzeln mit der Er-
findung ganz in der Natur der Yioline. Am deutlichsten
*) Nengednickt als 13. Stlick der Maatschappig ubw., her-
ansgegeben Ton Riemsdijk.
KretsBclimar, Ffihrer. I, 1. 4
50
zeigen das die Schlofitene der Sonate, in denen Solo-
yioline und Solocello konzertieren , erst innig singend,
dann in gl&nzender Technik dahinsausend. Eine ganz
individoelle Marke trS,gt der Hortus in der Neigung zu
osUoaten Stellen.
Das erste Werk, das sich often zam franzosischen
A. StoffMl. StU bekennt, sind Agostini Steffanis >Sonate da camera*
von 1679. Sie stellen an die Spitze eine franzOsische
Oovertiire in Lullys Stil. Dann folgt mil 16, zum Teil
l.8.Ku8er. zehnsfttzigen Suiten, JohannSigismundKusser fur
acht Streichinstramente. Sie sind 1682 in Stuttgart als
>Composifeion de musique suivant la m^thode frangaise
contenant Ouvertures etc.* verOfifentlicht worden. Alle
beginnen mit dreiteiligen Oavertiiren im Stile Lallys
und zeigen dessen Einflufi auch in der Bevorzugung
von Air und Chaconne, wahren aber motivisch und im
Charakter eine so bedeutende Selbst&ndigkeit, dafi sie,
wie fast jede Note Kussers, durch einen Neudruck all-
gemein bekannt gemacht zu werden verdienen. Unter
seinen Nachfolgern mu6 der Rudolstfidter Kapellmeister
P.BrlelbMk. Philipp Erlebach hervorgehoben werden. Seine 1693
zu NQrnberg verdffentlichten Suiten tra^en den Titel:
Sechs Ouverttkren nach franzdsischer Art. Wie in der
HauOmannschen Zeit Pavanen oder Intraden, werden von
jetzt ab auf hundert Jahre die deutschen Orchestersuiten
anf dem Markt — wiederum nach dem Namen des An-
fangssatzes — als OuvertQren ausgeboten. Die Ouver-
tQren im modernen Sinne heifien in der Kegel Sinfonie.
Besiegelt und allgemein gtiltig wurde der Obergang
ins franz5sische Lager durch die Orchestersuiten von
Qeorg MiffAt. Georg Muff at. Sie fQlIen zwei Sammlungen, von denen
die erste als »Florilegium primum< in Augsburg 1695, die
zweite als »Florilegium secundum* in Passau, wo der
Komponist am bischdflichen Hofe als Kapellmeister und
Pagenhofmeister angestellt war, 1698 erschien. Der erste
Band enthftlt sieben, der zweite acht Suiten oder, wie sich
Muffat, als Sohn seiner Zeit auch hier poetisch ausdrtlckt:
Fasciculi, d. i. BAndel. Der Name, den die deutschen
Musiker am liebsten fiir die Orchestersuite branch ten, war:
Parthey oder Partie. Die 15 Saiten nmfassen 112 S&tze,
in der Kegel bilden sieben einen Faszikel. Die Besetznng
ist fQr alle fUnfstimmiges Streichorchester: Violin e, Viola,
Bafi, dazn Violetta nnd Qainta Parte, jenes eine kleinere,
dieses eine grdOere Sorte Bratsche als die hente gebrftnch-
liche. Zn diesen Streichinstrumenten kommt noch der
bezifferte Basso continno, also die Begleitung des Cem-
balo, die ja seit RosenmMler scbon eingebtirgert war.
Mit Ausnabme von zweien steht an der Spitze aller Fas-
cicnli eine regelmaOige franzosische Onvertflre, drei-
s&tzig, wie sie Lully eingefUhrt hatte: Anfang und Ende
langsam, in der Mitte eine bewegte Fnge. Einmal ist
dieser Typus der franz5sischen Ouvertlire durch einen
Rivalen, eine italieniscbe Sinfonie ersetzt. In den T^nzen
selbst zeigt die Mnffatscbe gegen die alte deutsche Or-
chestersnite der ersten Periode einen kQnstleriscben Riick-
gang: Von thematischer Verbindnng sich folgender Sfitze,
vom Variieren ist keine Rede mebr; nicht um Einbeit
bandelt es sich, sondem um eine Vielbeit scharf geson-
derter Gestalten. Mit einigem Rechte darf man die Suite
Georg Muffats Renaissancesuite nennen. Eines der Haupt-
ziele aller Renaissance, die Steigerung des individuellen
Gehalts im Kunstwerk, erscheint als ihr Hauptziel. Des-
halb liegt es Muffat fern, wie seine Vorg&nger eine be-
schr&nkte Anzahl von Tanzarten immer zu wiederholen:
Er hat die gebr^uchlichsten Arten seiner Zeit, Gaillarde,
Courante, Sarabande, Gavotte, Passacaille, Bourse, Me-
nnett, Gigne — die zweite Suite des zweiten Florilegium
bringt sie in der angegebenen Reihenfolge zusammen — ;
es treten zn ihnen noch Allemande, Canaries, Chaconne,
Contredanse, Rigaudon, Rondeau, Traquenard, Entree,
Ballett, Air. Aber in der Mehrzahl von Mufifats Suiten-
s&tzen wird auf jedes bekannte Schema verzichtet, der
Komponist geht neuen, oft verwegenen Aufgaben nach
nnd sncht sie mit den besten Mitteln zu losen. Besonders
das zweite Florilegium entrollt ein &u6erst buntes Stuck
Programmusik , einen Ausschnitt aus den Flegeljahren
4*
— ♦ 52 ^^
dieser Richtung, der alles iiberbietet, was sonst ans
Frobergers und Couperins Zeit bekannt ist Spanier,
Holiftnder, Englftnder, Italiener, Franzosen, Kavaliere,
Bauern, Dicbter, Tftnzer, Fechlmeisler, Gendarmcn, K6cbe,
Scbornsteinfeger, Genien und Gespenster — alles will
diese Musik malen kdnnen, auch kdrperliche Gebrechen,
die dem Ton nnd dem Rhythmus ersicbtlich keinen An-
knQpfungspunkt bieten : Einen Lahmen kann der Kompo-
nist andeuten, aber einen Bucklichten?
An solchen Mifigrififen bat die Renaissance weniger
Schuld, als die franzdsische Oper. Durch die Hedeutong,
die in ihr die Balletts batten, kam die choreograpbische
Kunst aaf den geschichtlichen Gipfel ibrer Leistungsf&big-
keit und ibres Selbstvertrauens und mutete folgerecbt
aucb ibrer Gehilfin, der Musik, gelegentlicb unm5glicbe
Dienste zu. Den Zusammenbang mit Ballett und Tanz
bekennt Muffat in den — in lateiniscber, deutscber, ita-
lieniscber und franz6sischer Spracbe gescbriebenen —
Yorreden seines Florilegiums, Die Fasciculi seien, sagt
er, bei den Festen des Passauer Hofs, beim Konzert
(»Instruinenten-Zusammenstimmung€ ubersetzt er das),
beim gl&nzenden Empfang bober G&ste, vornebmlich
aber aucb bei den Tanzttbungen der adligen
Jugend aufgefiibrt worden. Die StQcke des zweiten
Florilegiums nennt er geradezu Balletts, und man siebt
ibnen in der Mebrzabl die Herkunft vom Tbeater, von
der Pantomime nicbt blo6 an einem Punkte an. Hier
verrftts die Oberschrift der ganzen Suite, sie ist der Titel
eines Schauspiels oder eines Balletts, dort wird an einer
Stelle gesungen, dort gar mit Pistolen gescbossen.
Wir baben es also bei diesem Suitenwerk Muffats mit
Ballettmusik nach franz5sischem Muster zu tun. Wieder-
boit nennt er Lully als sein besonderes Vorbild. Ibn er-
reicht er aucb ziemlicb, UbertrifTt ibn in der Arbeit, aber
mit Hfindel und Gluck darf man ibn nicbt vergleichen,
wie das neuerdings gescbeben ist*); am allerwenigsten
*) L. Stollbrock: Georg und Gottlieb Moffat. Rostocker
DisserUtioii 1888.
— ^ 63 4^
mil Rameao. Das dentsche Element iiberwiegt in seiner
Mnsik mil seinen Vorteilen und Nachteilen. Seine Knnst
braucht etwas Platz. Darum sind die I&ngeren Sfttze die
besten, wie die vereinzelte Passacaille in der 3. Suite des
zweiten, der Rigaudon in der n&chsten Suite desselben
Bandes. Desgleichen zeichnen sich auch, wie man es
von dem Verfasser des Apparatus musico-organisticus er-
warten darf, die Fugen in den OuvertHren durch eine
Yollendete Natarlichkeit und Leichtigkeit aus. Muffats
Talente iiegen auf der Seite des Gemtkts und der an-
mutigen Heiterkeit Als einer der vorzilglichsten Melo-
diker des melodienreichen 17. Jahrhunderts, Lully an
diesem Pnnkt weit Qberragend, schreibt er in den Ein-
leitungen der Ouvertiiren, in der Form von Sarabanden
nnd Airs langsame S&tze, die sich in die Seele des Hdrers
auf lange hineinsingen. In den Giguen, Menuetts und
den ihnen verwandten Satzarten bat er wenig Neben-
buhler; in den Giguen namentlich ist er oft vdllig neu,
erinnert an das 19. Jabrhundert mit der phantastischen Be-
weglichkeit und der ungewdbnlicben Metrik seiner Weisen
^^^S?i ..^-^ ,„^^ ^ Aber die Kunst
'if'Jiy r'llfp I jTT] J 1^^ files Pointierens,
^^^^^ ^-^ • ' " der f rap pan ten
Erfindung, in der die Grdfie und die Eigentumlicbkeit der
Franzosen ruht, ist Muffats Sache nicht. Kleine Malereien
gelingen ihm manchmal: Ganz ergStzlicb gibt er z. B.
einmal das L&rmen der Messer wieder, mit denen Fleisch
geklopft und gehackt wird, trefflich ist an derselben Stelle
— zweite Suite des zweiten Florilegiums — die Lustigkeit
der KUkchei^ungen gezeicbnet. ,Aber viel, viel haufiger
sind die Beispiele verfehlter Ahnlichkeit: Die Bauern
iiaben dieselben ZQge wie die Elavaliere und Gespenster.
Um unter die Gr56en der Tonmalerei sich zu erbeben,
ist die Rhetorik des Komponisten zu bescbeiden und zu
sehr auf Wiederholungen in alien drei Elementarreichen
der Musik angewiesen.
Noeh weniger, wie zwischen den Titeln der Einzeln-
sAtze und ihrer Musik, lUfit sich eine Obereinstimmung
— ^ 54 ♦— .
zwischen den Oberschriften der ganzen Suiten und ihrem
mosika]ischen Charakter feststellen. Es ist schon erw&hnt
worden, daO diese Oberschriften im zweiten Florilegium
oft Namen von Theaterstucken sind ; im ersten sind sie
in der Mehrzahl reine RUtsel. Nur bei dem vierten and
dem sechsten Stflcke, die Impatientia und Blanditiae
heifien, lassen sich ohne Gewalt einige Beziehongen
zwischen den Werken und den Namen nachweisen.
Auf die Entt&uschungen , denen der moderne H5rer
der Muflatschen Suiten entgegengeht, hiuzuweisen*, ist
deshalb zeitgemHO, weil die beiden Florilegien unl&ngst
in Partiturform neugedruckt worden sind*). Schon vor-
her sind in den Leipziger Akademischen Orchesterkon-
zerten die Blanditiae aufgefiihrt worden und nach andern
Stellen weiter gedrungen. Die Muffatsche Musik ist trotz
der ndtigen Einschr&nkungen geschichtlich und kQnst-
lerisch wert gekannt zu sein. Wer sie auffflhrt, mu6
aber wissen, wie weit die Noten wortlich bindend sind
und wo sie der Erg&nzung bed&rfen. Von sonstigen Frei-
heiten des Yortrags alter Musik abgesehen, arbeiten die
Suiten Muffats,*wie die Instrumentalmusik und der Solo-
gesang ihrer Zeit im allgemeinen, mit einem sehr grofien
Apparat von Yerzierungen und Spielmanieren, die nicht
gedruckt wurden und die die heutige Musik nicht mehr
kennt. In der Vorrede des zweiten Florilegiums gibt
Muffat dartlber den deutschen Musikern, denen dieser
Zierrat noch etwas fremd und neu war, genaue An-
weisungen. Nach ihnen muC der Dirigent die Stimmen
erst ausarbeiten. Der ganze Charakter dieser Musik wird
durch diese »Agr^ments€ und Ornamente mit bestimmt.
Aus ihnen spricht der an Kleinleben unerschdpflich reiche,
vermittelnde, glftttende, allezeit graziOse Geist des Rokoko.
Der heute so beliebte grofie Ton, die langen Noten, die
weiten Intervalle waren ihm rauhe und robe Erscheinun-
gen ; durch eingelegte Gftnge, durch ein best&ndiges Gleiten,
*) Denkm&ier der Tonkanst in Osterreich, Band I, 2 und
II, 2. Wien 1894 und 1895.
— » 65 4^
Schleifen und Trillern setzte er ihre Wirknngen aufier Kraft
Auch ein guter Klavierauszug der Florilegien mttfite mil
dieser Stileigentiimlichkeit rechnen.
Muffat verfolgte mit der YerSffentlichnng seines Flori-
legiums noch h5here, kunstgeschichtliche Zwecke. Es
sollte in Deutschland der franzdsischen Schule dieHerr-
schaft {kber dieltalienische gewinnen. Die Italiener pfleg-
ten seit dem Anfang des Jahrhunderts mit groOem Eifer
das Konzert Yon ihm, namentlich von dem ihm inne-
wohnenden Hang zn »nnm&6igen L&ufen nnd Spriingen*,
zu virtuosen Aufierlichkeiten und zu allerhand^Blendwerk,
furchtete Maffat filr den musikalischen Geist der Zukonft
mit Recht ernste Gefahren nnd'snchte ihm, allerdings viel
zu sp&t, durch die nach seiner Meinung yiel solidere nnd
gestkndere Kunst der franzdsischen Charakterballetts den
Weg nach Deutschland zu versperren. Das gelang nicht;
bereits 1701 hat Muffat selbst zw51f Instrumentalkonzerte
nach italienischem Muster drucken lassen, aber es nnter-
liegt keinem Zweifel, dafi, soweit es sich um Violinen,
Cembalo und franzdsische Ouvertiire, also um die An-
nMherung an die^hShere Kunst, an Konzert und Kammer-
musik handelt, das Florilegiam fQr die Orchestersuite in
Deutschland vorbildlich geworden ist.
Es hat sich bis nach Schweden verbreitet und ist
erst durch das Exemplar in Upsala wieder bekannt ge-
worden, es wird in der Vorrede des bald zu erwilhnen-
den Zodiacus neben dem »Joumal du printemps* und
neben des »Pythagoreischen Schmidts F^nklein* als die
bedeutendste Sammlung von Orchestersuiten hervor-
gehoben.
Der Komponist jenes »Journal du printemps<"ist
der in alter und neuer Zeit wegen seiner Klaviersttkcke
gefeierte Badische Hofkapellmeister Kaspar Fischer. K. Fiieker.
Die 1696 zu Schlackenwerth verSffentlichte, seit kurzem
nengedruckte*] Sammlung enth< acht Suiten, die alle
mit einer franz5sischen OuvertQre beginnen und dieser,
♦) Denkm&ler D. T., 10. Band (herausgegelen v. E. v.Werra).
--^ 66 «— .
je nachdem drei bis sieben Tftnze bekannter Art oder
Balletts&tze mit ei^en Oberschriften folgen lassen. Von
letzterer Art kommen vor: Air des Combattants, Trac-
quenard. Fischer h< seine S&tze auffallend kurz, selbst
die OuvertCtren ; nur die Cbaconnen und Passacaille, die
fast in keinem Sttkcke fehlen, macheu eine Ausnabme.
Von alien Snitenkomponisten , die zum Kreise Muffats
gehOren, ist er der am st&rksten franzOsisch gef&rbte,
selbst f&r die Instmmente wfthlt er gallische Bezeich-
nungen, und der leichte, galante Charakter seiner Musik
geht nicht Ctber die AnsprQcbe binaus, denen die durch-
schnittlicben Kostgftnger der LuUyscben Oper gewachsen
waren. Jedoch erfindet er friscb, entwickelt fliefiend und
bat koloristiscb besonderes zu bieten. Seine Suiten sind
sftmtlich Trompeten suiten, sie yerwenden die Trompeten
gl&nzend und sind Ctberhaupt im Klanglicben aufierordent-
lich reich an Abwecbslung und an natQrlichen, wirkungs-
vollen Einfallen. Ersichtlich hat ihm hierfQr die Bekannt-
schaft mit dem Konzert gentktzt, nach dessen Muster ist
in alien S&tzen die Abl5sang von groOer und kleiner Be-
setzung, von Trio und vollem Chor durchgefQhrt.
Die das >Pythagoreische Schmidts F&nklein<*)
repr&sentierenden sieben Suiten, deren Komponist der
B.MA7r. Mtlnchner Hofmusiker Rupert M ay r ist, geh5ren eigent-
lich zur Avantgarde Muffats, denn sie sind schon 1692
(zu Augsburg) erscbienen und bekennen sich in der Mehr-
zahl noch zu RosenmQUer und zur Venetianischen Sin-
fonie, wie Mayr in einem 1678 erschienenen »Arion
sacer€, einer Art Pendant zu Kuhnaus bibliscben Historien,
sogar noch ganz im Haufimannschen Typus arbeitet. Die
Satzzahl in Mayrs FQnklein reicht von vier bis sieben,
in der Benennung der S&tze tritt der Ballettcharakter
sehr zurtlck, im Stil berrscht eine solide Polyphonie, im
Charakter Innigkeit und deutsches Wesen. In dieser
letzteren Beziehung berCthrt er sich mit dem eben ange-
*} VgL Bernh. Ulrich: Die »Pythagoreischen Schmidts Funk-
lein< (Sammelbinde der I. M. G. IX, 1).
f&hrteo Zodiacus, deijenigen Sammlung von Orchester-
soiteD, welche die grdBte Ausbeute treuherzigen und
naiven Humors ergibt. Sie ist 1698, ebenfalls zu Augs-
burg, mit blofier Andeutung des Verfassers durch I. A. S.
erschieuen. Neuerdings erst ist festgestellt worden*), dafi
sich uuter diesen Bacbstaben ein im Qbrigen unbekannt
gebliebeoer Musiker namens Schmierer birgt. Die Zahl J. a. B^lnlerer.
seiner Suiten, die er Parthyen nennt, betrftgt sechs, jede
hat acht S£ltze, an der Spitze immer eine franz5sische
Ouverture und die Allemande in der Kegel im langsamen
Tempo. Die letzte Suite bringt ein sch5nes, gesang-
m&fiiges Stdck unter dem Xitel »Melodiec. Fischern &hnelt
Schmierer in der Ausnutzung konzertierenden Stils.
Noch geh5rt in die Umgebung des Florilegiums eine
Suiten sammlung, die 1696 (in Numberg) als » Con cor s
discordiac verdffentlicht worden ist. Ihr Komponist ist
Anton Aufschnaiter, der Ende des 17. Jahrhunderts A. Aifiekaalter.
zu Passau als Kapellmeister lebte und damach sehr wohl
zu Muffat direkte Beziehungen gehabt haben kann. Auf-
schnaiter spricht nicht wie seine Kollegen von Komddien
und Balletten, sondem bestimmt seine Suiten ausdrijkck-
lich zu Serenaden, zu St&ndchen im Freien zu spielen.
Deshalb haben sie keinen Continuo. Die Suiten sind
s&mtlich ftknfs&tzig, vier haben am Kopf eine franzOsische
OuvertQre, je eine eine Chiaconne und ein Entree. Musi-
kalisch erfreuen sie durch sehr gute melodische Quali-
t&ten. Dafi die deutsche Orchestersuite sich im letzten
Yiertel des 17. Jahrhunderts unter die franzdsische FQh- FranzSsUche
rung stellt, ist das Werk Lullys. Allerdings hat, wie man Suiten.
sich aus der Sammlung Ecorchevilles **} iiberzeugen kann,
die franzOsische Orchestersuite schon friiher in Musikern
wie G. Dumanoir, Mazuel und andren Mitgliedem der
sogenannten petits violons sehr begabte Vertreter und in
der Menge der S&tze und deren vorwiegend zweiteiligem
*) A. G5hler: Die Mefikataloge im Dienste der musikali-
schen Qeschichtflforschong (Sammelband d. I. M. G. Ill, 2).
**) Jules Ecorcheviile: Vingt Suites d'Orchestie 1906.
-^ 58 i>^
Anfbau ihre besonderen Ziige gehabt. Aber sie kanD
weder durch ihr Wesen noch durch ihre Entwicklung
einen Vorrang beanspruchen : die T&nze sind die auch
in Deutschland gebr&uchlichen oder bekannten und ihre
Aneinanderreihung h§,lt sich in Frankreich sogar linger
auf einer dem HauGmannschen Typus entsprechenden
Stufe, als in Deutschland, der Venetianische EinfluO be-
rdhrt sie gar nicht. Erst Lully lenkt die Aufmerksamkeit
der deutschen Suitenkomponisten auf Frankreich nnd
bekehrt sie zu den Ouvertiiren. Im C^brigen ist die Stelle,
an der sich das national franz5sische Suitentalent am
gl&nzendsten zeigt, der Balletteil der Opern. Da braucht
man sie nur herauszunehmen und zusammenzustellen.
Oft bietet eine einzige Szene das gesamte Material zu
einer vollst&ndigen Suite; denn Charaktert^nze und Bal-
letts bilden den Grundstock und oft die reichliche H&lfte
der Musik in der §.lteren franz5sischen Oper. So sind
denn fruher schon einzelne S&tze aus Lullys und Ra-
meaus Opern mit Erfolg ins Konzert gebracht worden*).
Neuerdings erm5glicht die Ausgabe von drei »6allet-
J. P. Bahimii. suitenc**) R am e au s ein bequemes Studium dieses Meisters.
Sie sind dazu bisher noch wenig benutzt worden, wahr-
scheinUch deshalb nicht, weil nur sehr wenige Musiker
und Musikfreunde eine Ahnung von der Bedeutung Ra-
meaus haben. Wie er im allgemeinen ohne jedes Be-
denken der grolBte Tonsetzer Frankreichs und ein eben-
bUrtiger Zeitgenosse von HS,ndel und Bach genannt
werden darf, so ist er auf dem besonderen Gebiet der
Suite, des poetischen Charakterstiicks, der geschmack-
vollen Programmusik geradezu unvergleichlich. Er ver-
*] Lully: »Gel^bre Gavotte« und Menuet de Bourgeois
Gentllhomme ; Rameau: Musette et Tambourin des »Fet^s
d'Heb^c, Rigaudon de >Dardanus<, fragments de » Castor et
Pollux* in Gevaerts Repertoire des Societies philharmoniques.
**) Drei Ballettsuiten aus Acante, Zoroaster und Platte.
Leipzig, Rieter-Biedermann. Den hier versuchten Titel »Ballett-
suitec hat sich inzwlschen auch Felix MottI zu eigen gemacht.
--^ 69 H^
tritt, gegea Lully and Maffat gehalten, eine neue Zeit
uad eiae Knnst, die die Scbdaheitsideale der Claade
Lorrain and Poassin mil dem Realism us der NiederlSlnder
zu verbiadeD weifi. GroO and vielseitig im £rfinden,
besonders origiaell im Hamoristiscben, im Anmatigen and
Innigen, ist er im Gestalten ein ecbter Virtuos. £r spielt
mit der Form and gewinnt ibr nacb alien Seiten voU-
endete, bier darcb Breite and Umfang« da darcb Feinbeit
der Verscblingangen {kberrascbende Neubildungen ab. In
seiner Melodik, in seiner Rbytbmik, ijkberall wimmelt es
von ganz eigenen, scb5nen and fesselnden £inf&llen;
nicbt am wenigsten in seiner Instrumentation, in der wir,
beispielsweise in der Pizzicato-Gavotte von >Acante et
Cepbissec, Klangwirkangen begegnen , die vor ibm nie-
mand gebabt bat and die beute, nacb hundertundfQnfzig
Jabren, von ibrer Friscbe nicbt das geringste eingebCtfit
baben. Hier kommt er in der Zeit and im Rang unmittel-
bar nacb Monteverdi. Wenn die Franzosen nocb beute
in ibrer Oper der Ballettmusik eine Stellung einr&umen,
die die Deutscben nicbt begreifen, so ist das die Nacb-
wirkung Rameaas. Wagners Ballettmusik zam Pariser
Tannb&aser war ein Opfer, nicbt dem Jockeyklub, son-
dern einer grofien bistoriscben Tradition dargebracbt.
Aucb Glack bat sicb ibr beagen m&ssen, and er batsie c.w.f.GU«k.
lieb gewonnen. Waren lange Zeit der >Furientanzc and
der »Reigen seliger Geister< aas Orpheus die einzigen
Beitrftge zar Suite, die man von ibm kannte, so ist das
neaerdings anders geworden. Wir haben da a. a. die
Ballettmusik aus >Paris and Helena* von ibm vor-
liegen, Mottl bat als >Ballettsuite< StQcke aus ver-
scbiedenen Opern Glucks zusammengestellt; aucb der
grOlBte Teil seines 1761 gescbriebenen Balletts »Do n Juan<
ist vor einigen Jabren in Form einer vierslltzigen Orcbester-
soite dem Konzert zagefQbrt worden*). Dieses Ballett
bracbte pantomimiscb dieselbe Handlang mit denselben
Personen and in derselben Szenenfolge zur Darstellung,
*) Leipzig, Breitkopf & Hirtel.
-^ 60 ^^
die sp&ter Mozart als Oper komponiert hat. Gluck hat
riele S&tze aas diesem Ballett fiir nachfolgende Opern
benutzt, die Hdllenfahrtmusik z. B. ist der »Furientanz<
geworden. Mehrere, namentlich unter den kleinen und
kleinsten Stticken des »Don Jaanc haben eiDen hohen
Klangreiz, so das Pizzicatostftndchen der Bauem. Neben
Wien war Stuttgart unter Karl Eugen ein Hauptplatz fQr
solche Ballettpantomimen; von den hier entstandenen
F. Deller. Arbeiten Dellers and Rudolfs werden n&chstens die
jr. Bidolf. DenkmlUer Deutscher Tonkunst reichere Proben bringen.
Neben der neuen Muffatschen Yiolinensuite bestand
natUrlich die alte Blasersuite noch weiter und so lange
fort, als es noch St&ndchen und allerhand » Aufwartungen«
im Freien gab. Sie begegnet uns noch in den Divertisse-
ments, Cassationen und &hnlichen Kompositionen Haydns
und Mozarts. Auch G. F. Handels Feuer- und Wasser-
musik gehorten ursprQnglich zu dieser Klasse von Suite.
Die Violinen und die OuvertSiren sind ihnen erst spfiter
zugesetzt; die Feuermusik hat heute noch kein Cembalo.
HSadel, Die Feuermusik kam bei einem Hoffest, das sich
Feuermiuik. (j^jch gin brillantes Feuerwerk anszeichnete, am 27. April
1749 zur ersten Aufftihrung. Was den Londonern an der
Musik gefiel, war die aufierordentlich starke Besetzung
der Blasinstrumeute, welche die Feuerwerks-Musik aus-
zufShren batten. Nur selten mochte bis dahin eine solche
Harmoniemusik aufgestellt worden sein: 9H5rner, 9Trom-
peten, 24 Oboen, 12 Fagotte, 3 Pauken. Das HauptstQck
der Suite ist jetzt die glftnzende OuvertGre, mit ihrem
freudelachenden, farbenpr&chtigen Allegro, welches Clber-
raschender Weise nach dem zweiten Lento nochmals
einsetzt. Die iibrigen S&tze haben einfachen Tanz- und
Liedstil: Im Anschlufi an die entsprechenden Bilder des
Feuerwerks tragen einzelne Oberschriftea : der sch5ne,
weiche SiciUano heiOt >la paixc, der darauf folgende
Marsch, in dem die Trompeten wieder an die Spitze
HiBdel, treten »la r^jouissance*. Die Wassermusik, eine Suite
WassennuBik. yQ^ nicht weniger als 20 kleinen StQcken, ist mit einer
Anekdote verknUpft: Freunde H&ndels, der bei Georg I.
--* 61 i>^
in Ungnade gef alien war, veranlaOten, daQ der K5nig
bei einer abendlichen VergnQgangsfahrt auf der Themse
mil dieser Musik iiberrascht wurde. Der Kdnig erriet
den Verfasser der vielstimmigen dvation and wendete
dem Komponisten seine Huld von neuem zu. Noch weniger
als die Feuermnsik darf man die Wassermusik so ohne
weiteres ia nnsem heutigen, an philosophische Offen-
barungen gew5bnten Konzertsaal verpflanzen. Das sind
dnrchweg leichtere UnterhaltangsstQckchen heiterer oder
anmntiger Natar, aber dnrchaus fQr den Zweck entworfen,
einer frOhlichen Gesellschaft, die abends auf der breiten
Themse fuhr, in geh5rigen Zwischenpansen zam besten
gegeben zn werden; bei geh5riger RQrzang und Einrich-
tnng wird jedoch die Suite mit dem Reize ihrer Horn-
und Trompetenklftnge ein einsicbtiges Publikum aucb
heute noch staunen machen und erfreuen.
Lange Zeit waren Feuer- und Wassermusik nur aus
alten, unglaublich verstQmmelten, englischen Ausgaben
bekannt. Der 47. Band der Hfindelausgabe Chrysanders
bringt die Werke zum ersten Male in reiner Form.
Wenn einer von den vielen Kunstmusikern, die sich
von der Mitte des 17. Jahrhunderts ab der Saite zuwen-
deten, berufen war, in dieser von Hanse aus so volks-
m&Bigen Gattung etwas Ausgezeichnetes zu leisten, so war
es sicherlich Seb. Bach, dessen Familie, durch die vielen
tilchtigen Rats- und Stadtmusikanten, die sie den thflrin-
gischen Lftndem Generationen hindurch stellte, mit dem
alten anheimelnden Pfeifertum verwachsen erscheint —
Bach, der selbst in seinen verschlungensten Kunstwerken
die Neigung zum Volkst&mlichen bald mit grandiosem
Humor, bald in kindlicher Naivitftt durchblicken IftOt
Bach hat bekanntlich sehr viele Klaviersuiten geschrieben,
Orchesterpartien haben sich bis jetzt leider nur vier*)
gefunden, was wir um so mehr bedauern milssen, als in
*) Sie sind Im 31. Jahrgang der OesamUosgabe von Bachs
Werken (darch die Bachgesellschaft) nnter dem ^blichen Titel
> Onyertfiren < veroffentlicht
— ^ 62 «^
der Mehrzahl derselben der alte einfache Suitengeist in
einer Reinheit und Starke znm Ausdnick koromt, die
andern Tonsetzern nicht erreichbar war.
Entschieden lehnt slch Bach in seinen Orchestersuiten
an die Tanzformen: Nur der erste Satz — eine regel-
rechte franz5sische Oavert0re von drei S&tzen mit der
Fuge in der Mitte — gehdrt, nach Muffatschem System,
J. B. Baeky der Kunstmusik an. Dann kommen Gavotten, Menuetten,
Suiten. Bourses, Gigaen, Tanzweisen aus aller Herren Landern
in voller Naturtreue, kaum ein wenig idealisiert: Qppige
Melodien und gebieterische, markante Rhythmen.
J. B. Back, Die erste dieser Suiten in C dur hat auOer der Ouver-
^rS'^?*** tiire eine Courante, Gavotte I und II, Forlane, MenuettI
^'- ^' und II, Bourse I und II und 2 Passepieds.
Die Forlane ist ein venetianischer Tanz in gleich-
maOig ruhiger, breiter Bewegung. Hier wird die fckhrende
Melodiestimme:
von einem Perpetuum mobile der zweiten Violinen und
Bratschen begleitet; die B&sse stehen wie Zuschauer
daneben und tun nur das Notigste um Harmonie und
Rhythmus zu skizzieren. Die Besetzung der Suite geht
iiber MufTat hinaus, sie besteht aus Streichquartett und
dem bekannten B]d.sertrio: 2 Oboen und Fagott. Letzteres
ist in alter Weise h&ufig solistisch und konzertierend ver-
wendet. In bezug auf die Erfindung gehdrt diese Cdur-
Suite nicht zu den hervorragenden Werken Bachs. Sie
charakterisiert mehr die Zeit als den spezie]len Meister.
Die Biographen setzen sie in Bachs Kothener Periode.
J. 8. Baeii, Dieser geh5rt auch die H moll-Suite an, deren eigentfim-
Hmoll-Suite Hcher Zug in der Verwendung der F16te besteht, welche
(Nr. 2). j^ig eii^2iger Vertreter der Blaserfamilie dem Streichor-
chester gegeniibergestellt ist. Doch hat man sich nach
aller Praxis, mit Ausnahme der speziell als Solo bezeich-
neten konzertierenden Stellen, eine chorweise, jeden falls
mehrfache Besetzung dieses Instruments zu denken oder
63
aber, man fQhrt die Suite als Kammermusik auf, nimmt
nar eine Flote und doppeltes Streichquartett*]. In der
H moll-Suite lebt sehr viel Grazie. Das Them a ihrer Fuge ist:
Allog^ro.
Dem ersten Satze folgt ein Rondeau, das einigermafien
kunstm&fiig durchgefuhrt ist und die einfachen Suiten-
mafie Qberschreitet. Seine Grundmelodie malt aber das
bestimmte Tanzbild handgreiflicb genug:
In der darauf folgenden Sarabande fnhren die Ober-
stimmen mit dem Basse einen Kanon in der Unterquinte
durch. Die weitern Slltze sind 2 Bourses, eine Polonaise,
bei der Bach, da Polonaisen noch ziemlich neu und un-
bekannt waren, ausnahmsweise eine Tempobezeichnung
angibt: »Moderato<, ein Menuett und eine keck dahin-
flatternde Badinerie. Die H moll-Suite hat als kUnstleri-
scher Beilrag zur Kulturgeschichte noch ihren Neben-
wert. Das geschniegelte, fein abgezirkelte Wesen der
eigentlichen »Gesellschaft< in der Zeit des Reifrocks und
der Perrucke mit Zopfchen ist bier so fein und mit einem
80 behaglichen Humor gezeichnet, als es nur j em als ein
Chodowiecki gekonnt h&tte. Den Verfasser der MatthHus-
passion, den Schopfer der protestantischen Kirchenkantate
zeigt die H moll-Suite von einer selteneren Seite, als einen
vollendeten Kenner und Darsteller hdfischen Geistes und
hofischer KQnste, als einen Weltkundigen, der die Eti-
quette bis auf den unscheinbarsten pas beherrschte.
Die beiden andren Suiten Bachs stehen in Ddur und
sind beide in Leipzig geschrieben, moglicherweise fiir den
Telemannschen Musikverein, einen der VorlHufer des
♦) Es gibt von diesem Werk eine Ansgabe von H. v. Bulow,
die aber der Bachschen Mnsik darch unnatCirUche Phrasierang
Oewalt antut
— ♦ 64 ^—
jetzigen Gewandhauskonzerts, den Bach von 1729—36
dirigierte. Es sind sogenannte Trompetensuiten, Suiten
mit dem vollen Orchester der Bachschen Zeit. Sie waren
eine Zeitlang das Neueste und Vornehmste, was in dieser
Art Musik zu haben war. Wie das groGe Gel&ute, moBten
sie, wie schon bemerkt, besonders bestellt, bewilligt nnd
bezahlt werden. DaB Bach in Leipzig als Suitenkompo-
nist volkstttmlich geworden war, beweist die von Spitta
dem >Tableaa von Leipzig im Jahre 1783« entnommene
Mitteilung, in der es bei der Schilderung der Kirmes zu
Eutritzsch heifit: >Das Chor Musikanten streicht wacker
zu; debQtiert mit Sonaten von Bach und schliefit
mit Gassenhauernc Diese Sonaten kdnnen nur die Or-
chestersaiten oder Teile daraus gewesen sein. Bei den
Laien, und auch bei den gewdhnlichen Orchestermusikern
war und blieb »Sonate« der Universalname fCkr mehr-
s&tzige Kompositionen jedweder Art.
J. s. Back, Die erste dieser beiden Ddur-Suiten isf auch heute
Ddar Suite wieder popular. Wir woUen nur die Anfangstakte ihrer
(Nr. 8). OuvertQre hersetzen:
Grave.
Das Weitere, die in hei- AUe^ro
terster Kraft dahinschftu- ^ ^ » J?
sch&umende Fuge, die ™
entzQckende, in selige Abendstimmung getauchte Air*),
Leaig. ff._ _^_, d>® energischen Gavotten und
^'i^ |TLr^£^phJ I und was noch dazn geh6rt:
Bourse und Gigue, das alles
steht jedem Musikfreund mit der losen Skizze vollst&ndig
vor der Erinnerung. Es ist fast unvermeidlich , diese
Musik, die aus dem frischsten Quell entsprungen ist, sich
zu merken. Ein &u6erst glQcklicher Griff war es, dafi
*) Sie wird in der bek&nnten Wilhelmisohen Bearbeitung
fiir Solovioline dnrch die TranspoFltion tuf die tiefen Saiten
im Ghar&kter entstellt.
-^ 65 ^—
Mendelssohn (im Jahr 1838) gerade mit diesem Werke
den als Orchesterkomponisten ganz vergessenen Grofi-
meister in den Gewandhaassaal und damit in das Konzert-
leben der Gegenwart zurfickffthrte. >£r wiegt nns samt
und sonders anf dem kleinen Finger« schrieb Schumann
unter dem frischen Eindruck der AuffCLhrung dieser Suite.
Die andre Suite in Ddur hat entweder unter der Be- jr. S.BM]iy
rfUuntheit ihrer Schwester oder aber unter der Bequem- i>d"-Smte
lichkeit der Dirigenten bisher zu leiden gehabt. Noch ehe ^ ' ^^*
sie in der Bachausgabe erschien, hat sie (1881) Roitzsch
bei Peters in Partitur herausgegeben. Trotzdem ist sie
so gut wie unbekannt geblieben. Brenet, der franzosische
Geschichtsschreiber der Sinfonie nennt sie gar nicht. Und
doch ist sie in doppelter Beziehung sehr interessant:
einmal durch ihren Eigenwert, zweitens durch den
Vergleich mit der andern Ddur-Suite, der in der Ouver-
t&re wenigstens sich aufzwingt. Hier ist die Verwandt-
schaft der beiden Werke eine eminent nahe; im lang-
samen Satze sind die Motive nahezu identisch, nur in
der Behandlung unterscheiden sie sich. Wie die erste
Ddur- Suite in ihrer Air, so hat diese zweite in der
zweiten Bourse einen Treffer, der nie versagen wird.
Das ist ein ganz eigenes StQckchen Bachscher Melancho-
lic; in heite- ^^
ge der Oboe:
nm sie herum der beunruhigte Solofagott und der lau-
schende und aufmunternde Chor!
Die Fuge in der OuvertCire mit dem Thema:
ist von Bach in der Weihnachts-Kantante >Unser Mund
sei Yoll Lachenc zum Chore umgebildet. Bach liefi die
Instrumente wie sie waren und komponierte Singstimmen
dar&ber hinzu. Die weiteren S&tze dieser zweiten Ddur-
Suite sind, soweit sie nicht schon erwfthnt wurden:
Bourse I, Gavotte, Menuette con Trio und ein >R6jouis-
Kretzsehmar, Flilirer. I, 1. 5
-^ 66 ^^
sance« benannter Finalsatz. Die Instramentierung ist
in dem ganzen Werke mit besonderem Bedacht ausge-
filhrt; ein Teil der Wirkung der Komposition f&Ut in ihren
Bereicb allein. Fflr die moderne Praxis macht allerdings,
abgesehen von der Notwendigkeit, die drei Oboen jede
mehrfach zn besetzen, der Trompetenchor grofie Scbwierig-
keiten, Schwierigkeiten, die noch bedeutender sind, als
die (in den Originalstimmen wenigstens) gef&rchteten der
bekannten Ddur-Suite Nr. 3.
Trotz des starken Verbrauchs an Orchestersuiten sind
im 18. Jahrhundert keine mehr gedruckt worden. Auch
die Bachschen lagen bis auf nnsere Zeit nur handschriftlich
vor. Unter den Zeitgenossen Bachs, die sich der Suite
widmeten, ist der "WeiCenfelser Philipp Krieger mit
seiner »Feldniusik« (1704)*) bervorzuheben. Der frucht-
p.o.TelemMia.barste ist P. G. Telemann, der unter dem Pseudonym
Melante ganze B&nde gedruckter oder handschriftlicher
Suiten — man spricbt von 600 — hinterlassen hat, die
sich auf zahlreiche Bibliotheken unter der Rubrik >Ouver-
tUren< verteilen. Viele davon sind Programmusiken,
eine hat den Titel >Musique de table «. Neben ihm ver-
dient der als kirchlicher Tonsetzer wohl heute noch be-
J. D. Zelemka. kannte Job. Dismas Zelenka, ein geborener B5bme und
mit S. Bach zugleich zum Hof- und Kirchenkomponisten
der Kapelle in Dresden ernannt, Beachtung. Die vor-
malige musikalische Privatsammlung Sr. MajestILt des
Konigs von Sachsen besitzt von Zelenka eine Trompeten-
suite in F, fiber deren Humor wohl schon das Fugen-
thema der OuvertQre:
f~f J ^ Jf unterrichtet. Was ist das fQr ein droUiger Ein-
^ ^"^ fall, sich auf dem Sechzehntel-Motiv festzu-
rennen, und was gibt das ffir einen grotesken Scherz, wenn
*) Zwei Partien daraus nengedruckt in Eltners Monats-
heften (29. Jahrgang).
»_^ 67 ^^
die Oboen in Terzen sich um die Stelle abmUhen! In dem
guten Blick und der Vorliebe fur lustige Nebenmotive haben
wir einen Zag, an dem die slavische Masik noch beute zu er-
kennen ist. Mil der Onvert&re teilt ihn auch der SchlaBsatz
von Zelenkas Suite, eine >Folie«, mit f olgendem Hauptthema:
, AUegro. ^ ^ * • -. aus dem im Ver-
dritten Taktes bevorzugt wird. Diese Folie ist sehr lang
and eifrig durchgearbeitet, ein Zeichen, da6 die hdbere
Knnst in der Suite sich nicht mebr mit der OuvertClre
begnngen wollte, daB man das Wesen der Suite nicht
mehr recht verstand. Freilich war berelts die Ouvert^re
ein Fremdkorper in der Gattung, und es war nur folge-
richtig, dafi man wie den Kopfsatz auch andre Teile der
Suite auf ein hdheres Niveau zu heben suchte. Das
Journal du prinptemps und der Zodiacus fOhren zu diesem
Zweck in den Tanz- und Balletts&tzen das konzertierende
Element, den Wechsel von Soli und Tutti, von Triobeset-
zung und vollstimmigen Orchester ein. Der erste Kompo-
nist, der einen entschiedenen Schritt weiter geht, ist wohl
der berlihmte Verfasser des Qradus ad Parnassum, der
Wiener Oberkapellmeister Josef Fux in seinem >Con- jroief Fax.
centus musico instrumen talis* von 1701. Die in diesem
Werk enthaltenen Orchestersuiten folgen Fischer und
Schmierer im Konzertieren und variieren sogar diese Vor-
bilder u. a. mit virtuosen FagottsoliS} aber sie greifen
darfiber bin aus tief in den Auf ban und in die Natur der
Suite ein, in dem sie die Einheit der Tonart aufgeben,
Bdur z. B. mit Gmoll, DmoU mit Ddur abwechseln, vor
allem aber dadurch, da6 sie gelegentlich, sei es in der
Mitte Oder am Ende der Suite, einen Tanzsatz oder ein
Lied darch eine regelrechte muntere Fuge ersetzen. Im
iibrigen gehdren die Suiten von Fux*) zu den kdstlichsten
und interessantesten Leistungen im Bereich des Muffat-
*) Eine in D moll und eine in B dor in den Denkm&lern
der Tonknnst in Osterreich IX, 2.
6*
68 ♦.-
schen Typus. Fax belebt die Form, indem er ein Allegro
mit einjgen Takten Adagio unterbricht, fttr den Klang
sorgt er durch eine ausgearbeitele Dynamik, in der
reizende Echos eine Hauptrolle spielen; was er aber
nach der volkstQmlichen Seite bietet, mag der Anfang
des Passepieds in der Bdnr-Suite, das die Beischrift:
>Der Schmied« trftgt,
4^^JbF-if f r n^^4ft^^^if r ir
•etc
veranschanlichen.
Die Weiterbildnng des Muffatschen Suitentypus ist
demnach schon vor Zelenka da, er erf&hrt aber bald
anch eine Rfickbildung, die mit seiner Aafl5sung and mit
dem Yorl&ufigen Ende der Saite abschliefit. Bedeutangs-
YoU f&r diesen Prozefi sind zan&chst die Saiten (Oaver-
PMtoleoM. tttren) Pantaleons. Das ist der Dresdner Klavier- and
Violinspieler Pantaleon Hebenstreit, der darch die Er-
findung einer neuen Art yon Hackebrett, die er mit seinem
Vomamen belegte, weltbekannt warde. Bei ihm verliert
die Oaverttire den franz5sischen Charakter.er gibt die Fage
aaf and halt den ouverture
Mittelsatz als ein- ^^^^^^^
A I- "Xr " ■ ~^
facheS) lastiges Al
legro. DafQr kehrt
er za der Methode ^
Pearls and Scheins 2.^^^^
^r^^
zarQck and ver-
kn&pf t dieOavertdre
Air de Chiconne.
F'"
^-^:^
f
motivisch mit den JkJU^-^ -^/3-^pJ_i^ -j_-|
beiden folgenden ^-y^T^f ^"^^^ f
Saitensatzen,zB.*): ' ^ r f r
Den Schlafi bildet eine Boar^e mit Menuett als Mittel-
satz, die ihr eigenes thematisches Material hat. Ver-
knfipfangen aber zwischen den drei ersten S&tzen dor
Saite finden sich anch bei Zeitgenossen Hebenstreits.
*) Darmstadter Hofbibliothek in Mms. 38<J5. Nr. I.
--^ 69 ^^
Auch Johann Friedrich Fasch, der Zerbster Hof- f. FMeh.
kapellmeister, einer der bedeutendsten Saitenmeister,
schreibt nebea voUstftndig franzdsisch gehaltenen Ouver-
iQren andre, die wie die Hebenstreitschen die Fuge fallen
lassen, and drittens solche, die aus einem einzigen Satze,
einem freien Allegro bestehen. In diesem letzten Falleliegt
eine Abwendung von franz5sischer nnd Hinwendung za ita-
lienischer Kunst, insbesondere zu dem Konzert der Italiener
vor. Eine Bdar- Suite*) Faschs best&tigt das gewisser-
maOen thematisch, denn das Hanptthema ihrer Ouvertdre:
Allegro ist im italieni-
r'/rr"' ■"
schen Konzert
eine Art Aller-
weltsthema und als solches unter andren auch von
Seb. Bach f&r das dritte Brandenburgische Konzert auf-
gegriffen worden. Es verdankt die noch bis Mendels-
sohn nachweisbare Beliebtheit augenscheinlich seiner
Wandlangsffthigkeit. Die folgenden S&tze haben bei
Fasch teils BallettQberschrifteD, wie »JardiDier8«, teils ver-
zichten sie aaf jede Bezeichnnng ihres Gharakters. In
ihrer Inslrumentierung machen sich, wie bei Fux die
begleiteten Fagottsoli, romantische Stellen fQr das Horn
bemerkbar; auch das ist eine Annftherung an die alte
HauBmannsche Suite, der Serenade ncharakter macht sich
wieder geltend. Die Satzzahl schwankt bei Fasch, er
bevorzugt einen Aufbau von sechs and acht S&tzen, hat
aber auch k&rzere, and bei seinen Mitarbeitern taucht
wieder die alte viersfttzige Suite auf. Von dem NQrn-
berger Johann Pfeiffer haben wir eine solche vier- joh.Pfelirer.
s&tzige Hornsuite, die folgendermafien anordnet: a) Ouver-
tfire, b) Andante, c) AUegrezza, d) Allegro e Vivace. Setzt
man da statt der Allegrezza einen Menuett ein, so ist die
Haydnsche Sinfonie fertig. Als interessanterVertreterdieser
Suite am EndederGattungistnochChristophForster**)
*) Ebenda: Mm;. 3S7], Nr. 1.
**) S. Hugo Riemann: Die franz5sische Oavertiire (Or-
chesterfiaite) in d\fiT ersten Hilfte des achtzehnten Jahrhunderts
(Musikalisches Wochenblatt 1899).
zu nennen. In Norddeutschland nnd Mitteldeatschland
wird in der zweiten H&lfte des 18. Jahrhunderts die
Orchestersuite auch in den Handschriften immer sel-
tener. In Siiddeutschland and Osterreich lebt sie weiter,
aber auch hier wird der Muffatsche Typus nar von
einer Minderheit, in der sich in freierer Weise der Bohme
Franc Tama. Franz Tuma*) hervortat, vertreten. Die Mehrzahl
der Komponisten pflegen die Gattung in einer neuen'
Mischung von Volks- und Knnstmusik, bei der franzdsi-
sche Ouvert&re, Cembalo nnd grofies Streichorchester
gefallen sind. Satzarten und Instrumente deuten noch
entschiedener als in der HauOmannschen Zeit auf den
Gebrauch im Freien und bei Aufwartungen and SUnd-
chen bin. Den Aufmarsch der Musikanten markiert eine
eins&tzige Introduzione, die zuweilen gleich als Marcia
bezeichnet ist, das Ende der Huldigung und den Abzug
der Spieler meldet ein Finale, das immer aus einem
besonders flotten Allegro besteht. Die Zahl der Sfttze
schwankt zwischen vier und acht, fast nie fehlt unter
ihnen ein Menuett, zuweilen findet sich dieser Lieblings-
tanz der Werther- und Luisenzeit auch zweimal, an seiner
Seite die Polonaise. Einen weiteren Unterschied gegen
die Haufimannsche Periode bildet die Verwendung obli-
gater Soloinstrumente und die Einlage virtuos konzer-
tierender Episoden, zu denen gelegentlich auch der Kontra-
bafi herangezogen wird. Ferner ist die Einheit der
Tonart gefallen /^ mindestens in einem Satz kommt die
Unterdominante zu Ehren. In der FClhrung der Instru-
mente zeigt sich der EinfluB des Quartetts and der neuen
Kammermusik, Nachahmungen sind sehr beliebt, und zu-
weilen wird ein hfibsches Allegretto in einem ganzen
Zyklus von Variationen ausgekostet. Diese neuen Suiten
haben verschiedene Gattungsbezeichnungen: Kassation,
Serenata, Divertimento. Mit dieser letzten ist ihr
Wesen am besten bezeichnet, denn immer sind sie eine
*) Proben aus Tamaschen Suiten hat in Klavierausziigen
0. Schmidt yerofTentlicht.
Quelle feinsten Vergnflgens und Behagens fiir Gemut und
Phantasie, kleine Feste der Anmut, der Liebenswfirdigkeit,
des Scherzes und der Sch&kerei. T&umerei, Pathos und
Innigkeit liegen ihnen ferner, aber als Bilder artigen Froh-
sinns gehdren sie zu den Dokumenten der Zeit und bilden
eine Ergftnzung der Haydnschen Sinfonie nach der Seite
schlichten Biirgertums. Waren sie bis jetzt in unseren
Notenschrftnken nur durch die ziemlich unbeachteten
Beitrftge Wolfgang Mozarts vertreten, so steht mit
der eben beginnenden Gesamtausgabe der Werke Jos.
Haydns Qine sehr betrftchtliche Vermehrung zu erwarten.
Aus einem solchen Haydnschen Divertimento fUr Blfiser
ist der originelle Chorale St. Antoni entnommen, Uber
den Brahms seine bekannten Orchestervariationen ge-
schrieben hat. Auch der Salzburger Michael Haydn
ist ein meisterlicher Yertreter dieser neuen Suite, sein
Divertimento in G aus dem Jahre 1786*) kann, wenn man
seinen beschaulich biederen Humor mit den gleichzeitigen
Scherzgedichten vergleicht, wieder einmal als Beleg da-
ffir dienen, dafi man das echte Deutschland des 18. Jahr-
hnnderts nicht bei seinen Vor-Goetheschen Poeten, sondem
bei seinen Musikern suchen mu6. Auch Leopold Mozart
hat Qber dreiBig solche >grofie Serenaten darinnen fur
verschiedne Instrumente Solos angebracht sind« geschrie-
ben, doch sind sie verschollen.
Bine besonders reich angebaute Klasse bilden unter
den Divertimentis des ausgehenden 18. Jahrhunderts die
>Divertimenti a tre«. Mit ihrer kleinen Besetzung
kamen sie auf der einen Seite den Verh<nissen der
nntersten Gassen- und Schenkenmusik entgegen, auf der
andren reizten sie die hOhere Komposition, sich an be-
scheidenen Mittein zu erproben, und fanden so den Weg
in die Kammermusik. Hier vertritt sie heute noch Beet-
hovens Streicherserenade.
Neben die Gabrielische Orchestersonate und neben
die Suite tritt schon bald im 17. Jahrhundert als eine
*) DenkmUer der Tonkunst In Osterreich XIV, 2.
dritte Galtang selbstftndiger Orchestermusik die SId-
fonie.
Das Wort Sinfonie fdhrt una einige Jahrtausende za-
ruck: Die griechischen Theoretiker gebrauchen es zuerst
in dem Sinne eines melodischen Intervalls; bei den miltel-
alterlichen Mnsikschriftstellern erh< es, von Hucbald,
von Guido von Arezzo ab, die Bedeutung des Zusammen-
klangs, des Akkords. Zur Bezeichnung eines wirklicben
MusikstUcks kommt es wohl zum ersten Male im 15. Jabr-
bnndert auf der von Riemann*) mitgeteilten >Leipziger
Symphoniac, einer auf den Gegensatz von Andante und
Allegro gebauten, f&r Instrumente und Singstimme be-
stimmten Komposition vor. Im 16. Jahrhundert endlich
erscheint das Wort auf den Titeln von Kompositionen
allgemein poetisierend: Waelraut 1594: Symphonia an-
gelica, Engelskl&nge, G. Gabrieli 1597: Sacrae symphoniae,
fromme Kl&nge, Adr. Banchieri 1607 : Ecclesiastische Sin-
fonie, geistliche Klange. Es bergen sich zun&chst unter
diesen Sinfonien Sfitze von ganz verschiedener Form,
vokale und instrnmentale. Erst in der Oper wird die
MoBteyerdU Sinfonie ausschlieOlich Orchestermusik. In Monteverdis
Sinfonie. Qrfeo werden Szenen und Akte durch Orchestersfttze von
m&6iger L&nge (6, 10, 12 Doppelakte) eingeleitet und ab-
geschlossen, die als Sinfonien bezeichnet sind im Gegen-
satz von andern, die Strophen eincs Gesangs vorbereiten-
den InstrumentalsHtzchen, die Ritornello heifien**).
Wir haben also hier Sinfonien zum ersten Male im Sinne
kurze^ instrumentaler Einleitungen. So wird das Wort
bekanntlich noch lange, bis in die Zeiten der Bachschen
Kantaten gebraucht. Mattheson kennt es fast nur von
dieser Seite. Diese Monteverdischen Sinfonien, die zum
Tell in ihrem feierlichen und erhabenen Charakter noch
einen deutlichen Zusammenhang mit der Kirche und mit
*] Hugo Riemann: Handbncb der Mnsikgescbichte II, 1,
S. 207 u. ff.
**) Alfred Heufi: Die Instrumental stucke des Orfeo (Sam-
melbande 1, I. M. G. IV, 3).
73
Gabrieli haben, geh5ren mit zu den bedeutendsten H5he-
punkten in der Kunst des gro0en italienischen Meisters.
Ein solches Mittel zur Beseelong der Handlung hatte bis
dahin keine Art von Drama besessen. Auch der Chor
der griechischen TragOdie bleibt dahinter zurCkck. Denn
diese Monteverdischen Sinfonien gaben nicht bloO der
Stimmung an wichtigen Stellen m&chtigen Ausdnick,
sondem sie verknQpften auch entfernte Szenen in einer
innigen poetischen Weise, die nen war, die sp&ter ver-
gessen und erst dnrch Komponisten unsrer Zeit, ins-
besondere dorch R. Wagner wieder entdeckt worde. Bins
der schdnsten Beispiele f&r diese Verwertung der Instra-
mentalmnsik bietet Monteverdis Orfeo*) im dritten Akt:
Die Sinfonie, unter deren schanerlichen Posannenkl&ngen
hier Orfeo zum Hades hinabsteigt, hdren wir in dem
Angenblick, wo Charon den Bitten des SUngers weicht
zum zweitenmal: jetzt aber gedftmpften Tons im Brat-
schenkolorit Unter den n&chsten Nachfolgern Monte-
verdis ist Ginlia Caccini als Vertreterin dieser kleinen
szenischen Sinfonien zu bemerken; in der Venetianischen
Schule zeichnet sich Cavalli darin besonders aus. Ihm CaTaiiu
gelingen namentlich malerische Anfgaben, die Schiide- Sinfonien.
rung eines Sonnenanfgangs, einer Fahrt auf ruhigem
Meer (Sinfonia navale in >Didone«) ganz herrlich.
Eine Hauptbedentung gewann die Oper fiir die Sin-
fonie von dem Augenblick ab, wo die Sinfonie zur £r-
dffnung der Mnsikdramen verwendet wurde. Schon Monte-
verdi hat diesen Versuch gemacht Doch blieb man noch
]ange dabei, die Handlungen mit einem gesungenen Pro-
log einzuleiten. Erst in der Venetianischen Schule, etwa
von 1660 ab, haben alle Opern Instrumentalprologe und
zwar mit dem Titel Sinfonie. Mit diesen Venetianischen
Opemsinfonien — auf sie wird in dem Bande 0ber die
Onvert&re nfther einzugehen sein — beginnnt dieGe-
Veneti&nischo
Sinfonie.
*) Der Orfeo Montererdis i^t teilweise im 10. Bande der
>PobUkationen der Gesellschaft fur Musikforschung« veroffent-
licht woiden.
schichte der modernen Sinfonie und zwar ist diese
Jugendzeit einer ihrer rQhmlichsten und gehaltvollsten
Abschnitte. Es sind Kompositionen von m&Bigem Um-
fang — von 35 bis zu 70 Takten — und nur eins&tzig;
aber, durch Wechsel von Takt und Tonart scharf und
reichgegliedert, bergen sie innerbalb dieses einen Satzes
einen mannigfaltigen Inhalt, eine verhaltnismftBig grofie
Reihe von Bildern, die in der Kegel ebenso wirkungsvoll
wie naturlicb aneinanderschlieCen. Im Vergleich zur
Gabrielischen Sonate fiihren sie in eine viel buntere und
gestaltenreichere Welt und schildern neue Aufgaben mit
neuen Mitteln. Die ge- ffff ^^^ denen nocb H&ndel
brocbenen Rhythmen: t I fc I und das 18. Jahrhundert
Erregung und Unruhe wirkungsvoll zeichnen, die General-
pausen und Fermaten sind hier beimiscb. Denn wie sie
anekdotenbaft und unruhig waren, so waren diese Vene-
tianiscben Opern aucb an Wundern und Schrecken, an
Spannung, Entselzen und tberrascbungen aller Art mebr
als reicb. Allen diesen ErdfTnungssinfonien war aucb
ein feierlicber, langsamer, breiter An fang gemeinsam, der
zuweilen in der Mitte und sebr b&ufig am Ende wieder-
kebrt, ein Tribut von dem Komponisten der Verwandt-
schaft zwiscben Musikdrama und griechiscber Trag5die
gezollt!
Aber viel stftrker als die typiscben treten an diesen
Venetianiscben Sinfonien die individuellen Ziige bervor.
Gerade darin liegt ibr Hauptwert, dafi sie immer ein Bild
von dem Drama geben, dem sie vorangestellt sind; das
macbt sie unter einander so verscbieden, gibt den ein-
zelnen ibr scharfes, cbaraktervolles Gesicbt. Man weiG
aus diesen Sinfonien obne weiteres, was im Drama zu
erwarten ist: ob Krieg und Kampf, Scbauer und Ungliick,
Oder ob heitre und elegiscbe Elemente die Oberband
baben. In knapper Form entwickeln sie einen reichen
Inbalt, aus dem deutlicb und beberrscbend, wie der Berg
aus der Ebene, ein HauptstQck hervortritt. Diesen Mittel-
punkt bildet in der Sinfonie von Luzzos >Medoro« z. B.
die wilde und allarmierende Episode, die gleicb nacb den
BinleituDgstakten einsetzt, in der von Cavallis >Ercole«
der Abschnitt, wo die Sextakkorde in ungestiimer Hast
und Kraft dahinjagen, eine kdhne Anwendung der alten
Fauxbourdon-Harmonie; in der Sinfonie von Sartorios
>Se]eaco€ prftgt sich die heimliche, zarte Melodie ein,
die auf das Traumbild in der Oper deutet; aus der von
Cestis >Poino d'oroc begleiten uns lange die freudigen
Lieder, die das Orchester dem Eingangschor >di feste di
giabili« entnimmt*). In der Kegel sind die wichtigsten
Themen in den Venetianischen Sinfonien ganz so wie
heute in der FreischQtz-, in der Oberon-, in der Tann-
h&userouvertiire den Hauptszenen der Oper entnommen.
Die wahre Heimat der modernen Programm-
onvertfire, die einzelne Schriftsteller mit Glack, andre
mit Hftndel nnd Rameau einsetzen lassen, ]iegt also in
der Venetianischen Oper. Sie ist bis heute spurlos
vergessen gewesen, nur ihre Orchesterbesetzung lebte in
der Sinfonie der folgenden Zeit weiter. Diese Besetzang
besteht aus Streichinstrumenten und Akkordinstrumenten,
Cembalis, Regalen etc. ; von Blasinstrumenten kommt fast
nur die kriegerische Trompete vor.
Die Neapolitanische Schule, die am Ende des 17. Jahr-
hunderts die Ftkhrung in der Oper iibemimmt, stellt eine
neue Sinfonie art auf. Die Sinfonie erscheint bei ihr zum
ersten Male in der modernen Form und Bedeutung einer
mehrs&tzigen Komposition, eines hSheren Gegenstficks
zur Suite. Diese Neapolitanische oder italienische italienische
Sinfonie besteht aus drei kurzen Satzen in der Folge: Sinfonie.
Allegro, Largo, Presto oder einer Hhnlichen. Immer bildet
ein langsamer Satz die Mitte zwischen zwei bewegten.
Kurze, hHufig taktmftfiig ausgezfthlte Pausen trennen ihn
in der Kegel vom vorhergehenden und dem folgenden
Allegro ; zuweilen wird er an den ersten Satz durch einen
Trugschlufi n&her herangezogen. Das erste Allegro steht
im geraden, das zweite im ungeraden oder im ^/g und
*) Diese Oper ist in den >Denkm&leTn der Tonkunst in
Osteneichc Teioifentlicht.
is/g Takt. Beide siad in der ersten Zeit verh&Itnism&fiig
knapp gehalten, zwischen 16 and 30 Takten schwankt
ihr Umfang. Der langsame ist meislens der ktirzeste
von den drei S&tzen, zugleich aber der stattlichste im
Klang: in der Regel zeichnet ihn ein schones Solo der
Oboe Oder der Fldte aus.
Die Gesamtform dieser italienischen Sinfonie ist ein
sehr gliickliches St&ck bester Renaissanceknnst. Die drei
Sfttze bilden ein leicht iibersichtliches, scharf gegliedertes
und duroh den einfachen, klaren Gegensatz zwischen Be-
wegang nnd Rnhe S^thetisch vol! befriedigendes and wirk-
sames Ganze, eine im Grande einheiUich oder einsfitzig
gedachte fr5hliche, glftnzende Festmasik, die nar in der
Mitte elegisch anterbrochen wird, am ein ranschenderes,
im Ton der Freade gesteigertes Ende za finden. Master
ftir diesen Typas bot bereits die Vokalkomposition z. B.
im Kyrie der Messe; aach in dem grofien Wirrwarr ver-
schiedenster Sonaten- and Canzonenformen, den die Ent-
wicklang der jungen Instramentalmasik im 17. Jahrhandert
bildet, taacht er mit aaf. Es ist das Verdienst des grofien
1. Bc»rlfttti. Alessandro Scarlatti, ihn gewissermafien zam zweiten
Male erfanden za haben. Soweit es sich Qbersehen Iftfit,
hat dieser Meister in seinen Opern die italienische Sin-
fonie aasschliefilich verwendet and sie damit and mit
der Wacht seines Namens f&r den ganzen Bereich der
italienischen Schale darchgesetzt Sie hat sich bis heale
behaaptet — denn streichen wir aos anserer modemen
Sinfonie das Scherzo, so steht der Grandrifi der alten
italienischen Sinfonie vor ans; ausnahmsweise haben ein-
zelne neae Sinfoniker, Liszt, Raff, Tschaikowsky fiir be-
stimmte Werke aaf die anverf&lschte Dreis&tzigkeit za-
rdckgegriffen. Sie ist aas der italienischen Sinfonie in
das virtaose Konzert hinilbergegangen and hat sich da
bekannthch bis aaf die Gegenwart rein erhalten.
Durch die innere Einrichtang steht ans anter den
drei Satzen der italienischen Sinfonie der erste am
nachsten, weil er sich zwar nicht immer, aber doch
meistens in drei Teilen aasspricht. Nehmen wir z. B. das
77 «--
erste Allegro von Scarlattis Sinfonie zu >Ii trioafo deF
OQore«*). £s ist ein Satz von 17 Takten. Die ersten
Violinen leiten ihn mil folgendem Thema ein:
fiPiCJLr^t''^f-r-rtgifM
*f F U rj^-p^^P-f^ Darau schlieBt sich ein zweiter
Abschnitt, in dem die B&sse und
nach ihnen ^ durch die Tonarten tragen.
die Violinen ^jj | f j = Er geht von Cdur ttber Ddur,
nnr dasMotiv: ^ Emoll, Gdur nach C zuruck
und schlieBt mil dem zwGlften Takte, der uns wieder vor
den Anfang des Satzes fQhrt. Wir haben also in diesem
Miniatnrsatz doch schon ganz deutlich das Gerippe des
ersten Satzes der Haydn-Beethovenschen Sinfonie, oder
wie man gewdbniich sagt, das Sonatenschema vor uns:
a} Themengruppe, b) Durchffihrung, c) Wieder-
holang, und was das wichtigste ist, den Durchftihrungs-
teil nach den Prinzipien gestaltet, die noch heute gelten.
Der langsame Satz hat h&ufig die einfache zweiteilige
Liedform; zuweilen bringt er gar kein Thema, sondern
markiert nur, priiludienartig modulierend, die Stelle, wo
das GemUt ruhen und trSlumen will und darf. Der
schlieBende schnelle Satz zerf&llt in der Kegel in zwei
Teile, die thematisch verwandt sind und beide wiederholt
werden. Obwohl die angefUhrte Sinfonie (und die zu
•Amor volubilec) Hauptbeispiele von Scarlattis klanglicher
Bescheidenheit sind, indem sie von Blasinstrumenten nur
die F15te (im langsamen Satz) verwenden, lassen sie doch
erkennen, was er fur die Technik und den Glanz der
Violinen im Orchester bedeutet.
Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts war zu der
italienischen eine franz5sische Oper gekommen und auch
*) Es ist die 114. Oper des Komponisten, ihr Entstehungi-
jahr 1718.
— ^ 78 «—
die Franzosen entschieden sich ftir eine Instrumental-
Fi-anz&sische sinfonie als Einleitangsstiick der Oper. Diese franzSsi-
Sinfonie. sche Sinfonie oder Ouverture, die sehr h&nfig die
jr. B. Lvlif. Lullysche genannt wird, obschon sie bereits bei Cambert
vorkommt, besteht eben falls aus drei S&tzen, aber in der
Anordnung Grave, Allegro, Grave. Auch darin unter-
scheidet sich die Form dieser franz5sischen Sinfonie, der
wir in der Suite der MufTat, H&ndel, Bach, Zelenka be-
reits begegnet sind, von der der italienischen, daC der
erste Satz in der Kegel ohne Pause in den zweiten und
ebenso dieser in den dritten ubergeht. Nimmt man noch
hinzu, da(3 der dritte Satz (das zweite Grave) zuweilen
eine w5rtliche und vollstftndige , oder aber abgekUrzte
Wiederholung des ersten langsamen Satzes ist, so ergibt
sich fur die franzdsische Sinfonie eine grdfiere Abrundung
und Geschlossenheit. Sie neigt noch mehr als die itali-
enische zur EinsHtzigkeit ; das in der Mitte stehende, in
der Kegel fugierte Allegro ist nicht bios drtlich der Mittel-
punkt des Ganzen, sondem auch dem Umfang und dem
Geist nach, und das zweite Grave bleibt so oft weg, daC
es neuere Historiker Uberhaupt nicht zum Schema rechnen.
In der Tat ist auch aus jener franz5sischen Sinfonie des
17. und 18. Jahrhunderts die einsMzige, langsam ein-
geleitete Ouvertiire der Cherubini und Beethoven hervor-
gegangen; ja selbst die langsamen, so beliebten und so
dummen jEinleitungen des modernen Walzers stammen
aus dieser Quelle.
Sowohl die italienische, wie die franzosische Sinfonie
stellen sich eine ganz andre Aufgabe, als die Venetian i-
anische. Diese sucht m5glichst viele und m5glichst ge-
treue Miniaturbildchen aus dem folgenden Musikdrama
vorauszuwerfen. Jene beiden wollen weniger ein bestimm-
tes Theaterstiick , als vielmehr ein Fest einleiten. In
Venedig waren die Opernbuhnen Volkstheater, in Neapel
und Paris Hofinstitute. Diesem Gharakter der Opernauf-
fiihrung tragen die neuen Sinfonietypen Kechnung; die
italienische betont dabei die heiteren and gl&nzenden
Seiten des Festes, die franzdsische die feierlichen und
— ^ 79 «^
majest&tischen. Fehlte doch der Roi Soleil bei keinerwich-
iigen Vorstellung seiner Academie Roy ale de musique!
Mosikalisch haben die italienische und die franzosi-
sche Sinfonie vor der Venetianischen die stattlichere Form
und die M5glichkeit voraus, eine gew&hlte Idee eingehen-
der zu verfolgen. Aber der Verzicht auf die Anregnngen,
die der Phantasie des Komponisten aus dem Drama zu-
stromten, ist der Entwicklung der beiden Typen nnheil-
voll geworden. Die franz5siscbe Sinfonie hat dabei weniger
gelitten. Dank Lully, der sich daranf verstand, in seinen
Allegris trotz des steifen Einerleis der ewigen Fagen,
doch einigermafien den Charakter des kommenden Dramas
anzukiinden nnd wenigstens klar zu machen, ob die Oper
heroisch oder pastoral sein werde, waren in der franz5-
sischen Sinfonie Charaktergemillde ersten Ranges m5glich,
wie sie jedermann in Glucks Iphigenienouverture c.w.T.einek.
kennt und in H&ndels herrlicher OuverttLre zu » A grip- 6. F. H»del.
pina€*) kennen sollte. Seitensttlcke zu diesen Meister-
werken wolle man in den Opem Rameaus aufsuchen, J. p. Bameav.
von denen auch jede bescheidenere Musikbibliothek einige
Ezemplare zu besitzen pflegt. Rameau war es, der den
Obergang aus der dreisfttzigen Sinfonie zur einsHtzigen
Ouvertfire mit langsamer Einleitung anbahnte. Freilich
scheinen die bedeutendsten Sinfonien nicht immer die
beliebtesten gewesen zu sein. Das zeigt jene Anekdote
von Friedrich dem Grofien, der es Graun sehr verdachte,
dafi er in der Ouverture zu »Papirio< die Fuge durch ein
charaktervoUes, frei geformtes Allegro ersetzt hatte **).
Die Vorlagen, die Scarlatti den Italienern gab, waren
geringer. Die Musik seiner Sinfonien ist sinnig, anmutig,
munter und geistvoll, aber Gr5Ce und Tiefe streift sie
Dur. Das Beste, was seine Sinfonien bieten, liegt auf der
sinnlichen Seite in einem gUnzenden, geisireichen Kon-
zertieren, in einer sinnigen Figurenbildung, im blenden-
*) 57. Lieferung der deutschen Handelausgabe.
**) L. Schneider, Geschichte der Oper in Berlin (1852),
■S. lit atellt den Sacbyerhalt verkehrt dar.
^^ 80 ♦^
den Kolorit, Eigenschaften , die z. B. die Ouverttkre zq
>I1 prigionero fortunato< (1709) mil ihren Trompeten-
chOren und ihrem Solocello aufs schQnste vereint. Was
Hohes in der italienischen Sinfonie mdglich war, das
L. Leo. zeigen die Oralorieneinleitungen Leonardo Leos, von
denen die za >St. Elena al Calvario«*) seit etlichen
Jahren in Partitardruck vorliegt Das ist grofie nnd edle
Traner in nnvergftnglichem, fQr alle Zeiten musterhaften
Ton! Solche Werke sind aber leider in der italienischen
Schule die Ansnahme. Mil L. da Vinci beginnt in ihrer
Sinfonie ein Verfall, der die Mehrzahl ergriff nnd dem
die Versuche einzelner emster Tonsetzer dauernd Einhalt
zn tnn nicht vermochten. Anfierlich wnchs sie. Die Sfttze
wnrden alle drei Iftnger und reicher im Ausbau. Der
erste f>e* — das Beispiel gab auch f&r die franz5siscbe
Sinfonie das virtuose Konzert — ein zweites Thema ein,
der dritte wendete sich der vielgliedrigen und die £r-
iindung reizenden Rondoform zu. Aber das innere Wesen
der italienischen Sinfonie ward immer leerer und Iftp-
pischer.
Den erfrenlichen Teil bilden die langsamen Sfttze.
Sie haben um die Mitte des 18. Jahrhunderts in der Kegel
die grofie dreiteilige Liedform — a) Hauptthema als
Doppelperiode zweimal, zwischen dem ersten und zweiten
Mai ein mit Figuren ausgestattetesSeitenthema; b) zweites
Thema znm Hauptthema in Tongeschlecht und Charakter
in Gegensatzgebracht; c) Wiederholung von a in gektlrzter
Form — und bringen in ihr die eigentiUnliche, weiche,
edle Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts in freundlich-
wehmtitigen Melodien und in einer Reinheit zur Anschau-
ung, die den anderen Kiinsten jener Zeit nicht erreichbar
war, am wenigsten der durch moralische und mytholo-
gische Zopfe gefesselten Dichtkunst. Zuweilen waren die
Komponisten hier noch zu stLOen Erfindungen durch die
Liebesszenen angeregt, die in der Oper und dem Ora-
torium des 18. Jahrhunderts einen sehr breiten Raum
*) Bel Breitkopf & HarteL
-<^ 81
einnehmen. Um so schlimmer stand es in der Regel nm
den ersten, den Hauptsatz der Sinfonie. Einige Zitate
werden genQgen, einen Begriff von der hier Ubiichen
Thematik zn geben:
a)
m
Allegro.
£E
==^
^
^m
^Iff |P I .tllTiTi itlLTi
M
rrr r r
(Rdckkehr zum Anfang in einer ein
'*'• Takl langen Figur)
fi ft ate. (fthnlich wie bei a)
Allegro.
e) Jiy" JJJJ IJIjijIJIJirFIJTl^l etc
AUegTO
etc.
•>!J'";trr.fOrjiftrf^^
"Pi/jl" ''I ^ ff ir r f if_[)i I I
etc
Beispiel a ist der Anfang zu der Sinfonie, mit der L. d a
Vinci seine »Semiramis« einleitei b und c sind von l. d« yiKei. ^
Pergolesi, das eine ist der Anfang znr Sinfonie der Oper e.B.PergoiMi.
Kretiiekmar, Ffthrer. I, 1. 6
— ^ 82 ^—
>Salastia<, das andere vom Oratorium »San Guglielmoc.
Diese Sinfonie hat derKomponist nochmals fiir seine letzte
5. Joneiii. Oper »01ympia< verwendet. Mil d beginnt J om ell idle
Sinfonie seines Oratoriums >Abramoc, mil e Leonardo
Leo seine Olympiade, mil f Perez den >Deinofontec, mit g
Teradellas den >Artaserse<, mith Trajetta den >Farnace<.
Diese Beispiele lieOen sich endlos vermehren. Die Methode
bleibt dieselbe: lustige, t&ndelnde, stets unbedeutende
Motive mit stump fern Behagen oder mit gespreiztem hohlen
Pathos wiederholt. Und dabei handelt es sich um lauter
groOe Namen, zum Teil um Meister, die der Oper im
Ubrigen reformatorische Dienste geleistet haben. Genau
wie der Aufbau der Themen ist auch die Entwicitlung der
S&tze: mechanisch, bequem und geistlos! FluO haben
die AUegri, und weiC man, was das verschwenderisch
verwendete Echo darin f&r eine RoUe spielt, so klingen
sie meistens auch ganz hQbsch, und viele waren als Lust-
spielouverturen ganz annehmbar. Aber der Aufgabe, ernste
Dramen einzuleiten, bleibeursie so ziemhch alles schuldig
und bieten kaum mehr als eine vergniigliche Portiers-
musik. Die Entwicklung der Sinfonie bei den Neapolitanern
zeigt geradezu erschreckend , was aus der Instrumental-
musik werden kann,wenn sie selbstherrlich den Zusammen-
hang mit Poesie und hoherem Geistesleben verschmslht.
Den Zeitgenossen entging dieser Verfall der Opernsinfonie
nicht. Schon Mattheson mahnt im »Kern der melodischen
Wissenschaftc (§ 97) die Komponisten, dafi die Sinfonie
einen kurzen Begriff und >eine kleine Abbildung« einer
Handlung geben soil, und Quantz verlangt in seinem
bekannten >Versuch ete« (18. Hauptstiick, § 43) dasselbe.
Der Zusammenhang mit dem Inhalt der Oper sei viel
wichtiger als die dreisatzige Form, es geniigten wohl
auch 2 Satze oder einer. Die Sinfonien sfthen eben so
aus wie bei den schlechten Malern Luft und Licht, zu
denen pa.ssendoder nicht, in der Kegel die Qbriggebliebenen
Farben benutzt werden.
A. HMie. Eine Besserung setzt mit Ad. Hasse ein. Die Allegri
gewinnen unter dem EinfluB des Konzerts an Gehalt.
^^ 83 ^—
Die Form, friiher von der EttLde beherrscht, wendet sich
der Sonatine zu, ein zweites Thema, meist kurz und
hubsch, wird die Kegel, und man versucht kleiae Durch-
fahrungen. Manche Komponisten legen dabei auf einen
sebr scharfen Gegensatz zwischen erstem und zweitem
Thema das Gewicht, andere versachen der ganzen Sinfonie
einen neuen GrundriG zu geben. So ziehen L. Leo in der
Einleitung zur Olympiade, Minoja in einer B dur-Sinfonie
das Andante in die Mitte des erslen Allegro hinein und
verzichten auf den dritten Satz. Damit ist die eins&tzige
Sinfonie, die Opernouvert&re der nenen Zeit bei den
Italienern eber fertig als bei den Franzosen. Prtift man
aber die Thematik Basses und seiner Genossen auf das
Verhaltnis zum Drama, so steht man noch lange vor dem
Neapolitanischen Leicbtsinn. Die Sinfonie za Hawses
Dido z. B. fftngt folgendermaOen an:
Thema: {CCT ' fiber die
Grazie binaus; erst in der sebr kurzen Durcbffibrung
dunkelts ein wenig von der Unterdominant ber. Eine
grfindlicbere Anderung voUzieht sicb erst unter dem Ein-
fluB der Franzosen. Porpora und Perez leiten ein- Porpora.
zelne Opern mit franzOsiscben Sinfonien ein, und bei Perei.
Piccini zeigt sichs endlich, daO die Italiener wieder im pieeini.
stande sind, in der Sinfonie, wenn nicht tragische, doch
ernste Tdne anzuscblagen. Unter den Deutscb italienern
hat sicb scbon frfiher Heinrich Graun durcb eine wUrdige h. Oraon.
und inbaltreicbe Thematik ausgezeicbnet.
An dieser Entvricklung eines neuen Sinfonietyps
haben aucb die italieniscben Akademien ein Yerdienst.
Scbon friib im 18. Jabrbundert scbreiben angesehene
Komponisten, unter ibnen B. Mar cello, ffir den Aka- B. Marceiio.
demiegebraucb Sinfonien, die neue poetiscbe Aufgaben
6*
--^ 84 ^—
in zum Teil neuer Form darchfuhren. Hier wird, z. B. in
Locftteiu. Locatellis Trauersinfonie, die Sinfonie zuerst viers&lzig,
(jalimberti. beiGalimberti sogar schon mit dem Menuett als zweiten
Tarttnt. Satz. Er wird auch, bei Tartini z. B., in der dreisaizigen
Akademiesinfonie verwendet, da als SchlaOsatz. Die
Viers&tzigkeit kommt allerdings auch in der gleichzeitigen
Oper vor, z. B. in L. Leos Sinfonie zum Farnace : Allegro,
Andante, Menaetto, Marcia.
Noch viel gUnstigere Aussichten fUr die Unabh&ngig-
keit von Oper und Theater boten sich aber der Sinfonie
in Deatschland.
Vom Anfang des 18. Jahrhunderts ab mehren sich
hier die Orchester schnell und betr&chtlich. Der hohe
and niedere Adel tut es den Fiirstenhdfen nach; gut
Oder schlecht, aber so ziemlich jedes SchloO hat seine
Hauskapelle. SchUlar und Studenten, dem Beispiel der
italienischen Akademien folgend, griUnden freiwillige colle-
gia musica, die BQrgerkreise ihnen nach. Um die Mitte des
Jahrhunderts ist das ganze Land mit einem dichten Netz
von Musikvereinen tiberzogen, die alle in >w5chentlichen
Ronzertenc, einmaligen und doppelten, ungemein viel
Instrumental- und Orchestermusik verbrauchen. Komddien
und Konzerte sind dieHaupthindernisse derGelehrsamkeit,
klagt 1763 der musikfeindliche Ernesti*^). Es ist niemals
vorher und nachher wieder soviel Instrumentalmusik kom-
poniert, gespielt und angehOrt worden, als in jenen Tagen.
Die Zeugnisse dafQr liegen in den Briefen Mozarts und
in den Lebensbeschreibungen von Quantz, Dittersdorf,
Gyrowetz und anderen nambaften Musikern jener Zeit
vor, in den Archivresten der Bibliotheken und in den Ver-
lagsverzeichnissen. Sinfonien, Konzerte werden immer
biindelweise angefiihrt Im quantitativen Sinn ist die Mitte
des 18. Jahrhunderts die Glanzzeit der Instrumentalmusik
in Deutschland; dort liegen die Anfftnge und Ursachen
ihrer Vorherrschaft.
*) G. Wustmann, >Aus Leipzigs Vergangenheit* (Leipzig
1885), S. 289.
--^ 85 ♦^
Dafi in der ersten H§.lfte jener Periode die Sinfonie
zorncktritt, kOnnte nicht wundernehmen, auch wenn sie
besser gewesen wUre. Denn sie hatte an dem neaen
Yirtuosenkonzert einen ubenn3,chtigen Nebenbuhler. Wie
handert Jabre frfiher Monodie, Solo- and Bubnengesang
die eigentlicbe >nuoye masiche« der Generation waren, die
den dreiOigj&brigen Krieg erlebte, so scbienen fur die,
welche mit Friedrich dem GroCen jung waren, die Wunder
des Orpbeas in den Violinkonzerlen der Torelli, Vivaldi,
Corelli wieder aofzuleben. Unter alien Erwerbungen, die
die Mosik in den letzten Jabrbunderten gemacbt bat, war
die des virtaosen Konzerts die bedeutendste; keine andere
hat den inneren und Hufieren Wirknngskreis der Tonkunst
so gewaltig erweitert. lodes den Diiettantenkraften der
neuen Collegia musica mafite den virtuosen Anfordernngen
des Konzerts gegen&ber ein Erdenrest von Tecbnik zu
tragen peinlicb bleiben und den Wunscb nacb einer andren
Gattung von instrumentaler Ensemblemusik nabe legen.
Da fiel denn der Blick naturgemS.6 auf die im Aufbau
mit dem Konzert ganz identiscbe italieniscbe Sinfonie und
sie begann allm&blicb jenem zur Seite zu treten, es zu er-
setzen. Wir kQnnen diesen ProzeB mit einer interessanten
Arbeit S. Bacbs belegen. Derselbe Band der Bacb- g. Bach,
ausgabe *), der die Orcbestersuiten entb<, bringt als Sinfonie in F.
Anbang eine Sinfonie in F, aus drei S&tzen bestebend,
Allegro, Adagio, als ScbluGsatz ein Menuett (mit 2 Trios).
Diese Sinfonie ist aber nicbts als eine Umarbeitung von
Bacbs erstem brandenburgischen Konzert; der ^^ Takt,
der dort (ad libitum) dem Menuett vorausgeht, ist wegge-
lassen und der nur sparlicb konzertierende Violino piccolo,
das Soloinstrument des Konzerts, ist einfacb gestrichen.
Sonst stimmt alles w5rtlicb. Aucb wenn Bacb selbst
nicbt der Bearbeiter dieser Sinfonie sein sollte, bleibt
sie ein wichtiges Dokument fur einen gescblcbtlicbeu
Hergang: die Entstebung und das Empordringen einer
selbst^ndigen Kouzertsinfonie. Fur Frankreicb l^lfit
*) 31. Jahrganj, Erste Lieferun^.
-«y 86 ^—
sich dieser CbergangsprozeO dokumentarisch belegen:
H. Attbert. Der Pariser Violinist M. Aubert ver5ffentlicht 1730 ein
Heft Sinfonien im italienischen Stil, die er > Concerts de
Symphoniec nennt, mit der Begrtindung, die Konzerte
Corellis und Vivaldis seien wider den franz5sischen Ge-
schmack und vor allem sie seien fUr die Dilettanten
zu schwer*). Die selbstftndige Sinfonie verdankt ihre
Existenz der Einrichtung regelm&Oiger Konzerte, insbe-
sondere den collegiis musicis der Studenten und anderer
Dilettanten, und befestigt sich auBerordentlich schnell in
ihrer Stellung.
Schon urn die Mitte des 18. Jahrhunderts sehen wir
die Sinfonie unabhSlngig, das alte VerhSlltnis zur Oper
gelQst; es wird allroahlich moglich, daG sich begabte Ton-
setzer vorwiegend oder ausschlieClich der Komposition
fars Konzert, fQr die Instrumente widmen, die Orchester-
sinfonie wird jetzt in Stimmen gedruckt und schnell ein
^anz bedeutender Handelsartikel. In dem Breitkopfschen
Katalog von 1762 finden wir funfzig Sinfoniekomponisten.
bekannte Meister wie Gluck, Hasse, Galuppi, Jomelli,
Graun, Hiller und heute vergessene LokalgrdOen durch-
einander; keiner hat es unter einem halben Dutzend ge-
tan. Als Beweise hochster Fruchtbarkeit finden sich in
den Bibliotheken aus jener Zeit auch Sinfonien von
Dilettanten komponiert: Friedrich der GroGe, Max Joseph
von Bayern, der Baron von Munchhausen erscheinen
unter dieser Autorengruppe. Das Ausland tritt mehr und
mehr zuriick und koromt qualitativ bald ganz auGer Be-
tracht. Die deutsche Produktion aber verteilt sich auf
folgende drei Bezirke: die Wiener, die Mannheimer und
die Norddeutsche Schule.
Wiener Schule. In Wien beginnt die Konzertsinfonie mit Antonio
A. Caldara. Caldara, der bekanntlich 1716 in den kaiserlichen
Dienst trat
Seine noch erhaltenen Sinfonien, 12 an Zahl, sind
fUr vierstimmiges Streichorchester mit Continuo ge-
*) Michel Brenet: Leg concerts en France (1900), S. 152.
-H^ 87 ♦^
schrieben nnd — bis auf eine zweis&tzige Ausnahme —
nach dem bekannten Grundrifi Scarlattis aufgebaut. Je-
doch weichen die langsamen S&tze, denen in der Mehr-
zahl acht, zweien nnr sechs uad einem einzigen vierzehn
Takte eingerfinint sind, durch diese KUrze und den da-
darch bedingten Charakter einer blofien Episode oder
Oberleitung von der Norm ab.
Drei Sinfonien scbicken auch dem ersten Allegro
eine getragene und breitere Einleitung voraus und nSUiern
sich daroit dem franz5siscben Typus. Im allgemeinen
steht Caldara abseits von jeder Art gleicbzeitiger Opem-
sinfonie und geht in seinen Gedanken und seiner Arbeit
die Wege eines Originalgeistes.
Vor den Italienern zeichnet er sich namentlich durch
eine emste, wtirdige Thematik und durch einen ge-
diegenen, fesselnden Orchesterstil aus. Mit freudigem
Staunen begegnet man in der Zeit der Vinci und Pergo-
lesi Sinfonieanf&ngen wie:
Andante.
Allegro moderato
ete. (5. Sinfonie)
b) i>Ln I >r'|ll^j''P'niJ'J|Jl|JJ|JfJ-' I etcg.BiBfonie)
Alleg^ro. _
CH mollSinfonie)
*) i( i ,^i'yi j'lrCTQ ^- ^ «'
Sinfonie)
Hinter der Freude an Fuge und Kanon, die den Satz
bestimmt, die zuweilen auch Augenblicke stockender Er-
iindung verdeckt oder billigere Einfftlle adelt, steht wohl
das Beispiel Joseph Fuxens, des Freundes und Vorge-
setzten Caldaras. Aber auch venetianische Traditionen,
die fiber Sartorio, Cesti, Cavalli bis auf G. Gabrieli
zurQckgehen, tauchen in seinem Sinfoniesatz in der Form
plOtzlicher Tempokontraste auf. Einige Takte Adagio sind
--(^ 88 ^^
keine Seltenheit in Caldaras Allegris. Am uberraschendsten
HoBert sich dieser dramatische Geist im Larghetto der
f&Dften Sinfonie, wo die erste Violine fthDlich wie in
Alberlis Bdur-Konzert oder in Spohrs Gesangszene un-
begleitete Rezitative anstimmt, im ersten Satz der zwdlften
Sinfonie begegnet uns sogar ein erregter Wortwecbsel
sfimtlicber Stimmen iiber ein kurzes, zweit5niges Motiv.
In den Allegris sind die Stellen derartiger Exkurse die
Zwischensfitze, mit denen Caldara gern die Regelm&Big-
keit der Page nnd des strengen Satzes unterbricht. Die
elfte Sinfonie beginnt sogar mit einer solchen drama-
tischen Slelle:
Allegro.
"l~n ». I J J ..^ J, jn J J ,j,.r-L_
etc.
Sie weist zugleich durch die Entschiedenheit, mit der die
erste Violine das Wort fiihrt, anf eine weitere EigentQm-
lichkeit des Caldaraschen Sinfoniestils bin: wie zum Rezi-
tativ fCihrt ibn der Drang nach sprechendem Ansdruck
wiederholt zn konzertierenden Episoden, zu Solis und
Duetten bin, die, zwischen den eigentlichen Dnrcbftih-
rungen des Themas eingeschaltet, Stimmungskrisen, Mo-
men te gewaltiger Erregung und Versuche zum Aus-
weichen bezeichnen. Dieses konzertierende Element
Caldaras bat in der Wiener Scbule und Uber sie binaus
am nachbaltigsten fortgewirkt, doch sind auch andere
von ihm gegebene Anregungen nicbt unbeachtet ge-
blieben. '
In die Caldarasche Zeit ffillt eine als Partita betitelte
Sinfonie (in B) des Wiener Hofklaviermeisters Matteo
M. Sehioger. Schl5ger, die desbalb beachtenswert ist, weil sie, mit
1722 datiert, den dreisfitzigen Aufbau der italieniscben
Sinfonie durcb einen zwischen Largo und Finale einge-
schobenen vierten Satz erweitert und zwar durch einen
Menuett (Bdur) mit Trio (Gmoll). Auch ein Cembalo-
konzert (Adur) Schldgers, das seine romantische Natur
und seine moderne Richtung noch deutlicher zeigt, als
-^ 89 ^—
die Sinfonie, hat als dritten Satz, als Finale ein Tempo
di Minaetto. Es scheint sich demnach die in alien L&n-
dem und von Meistern wie Corelli und H&ndel angebahnte
Verbindnng von Sinfonie und Suite in Wien, dem klassi-
schen Boden der Volkskunst, der Heimat der WaldmiUler,
Schubert, StrauO und Anzengruber schon im ersten
Drittel des achtzehnten Jahrhunderts, gleich in der
Form voUzogen zu haben, an der dann von J. Haydn ab
fQnf Generationen festgehalten haben.
Da Wien zugleich die wichtigste deutsche Eingangs-
stelie fCir italienische Mnsik war, kann es nicht befremden,
daO der hdhere Geist Caldaras und der venetianische
EinfluO in der Wiener Konzertsinfonie schon bald dem
neapolitanischen Tone weicht. Er wird zuerst bei Georg
von Reutter stark vernehmlich. Nur seine Einleitung g. t. Rentter.
znm >Ritorno di Tobia< (1733) macht als einsS.tzige
franz5sische OuvertUre eine Ausnahroe, seine ubrigen
Sinfonien, die je nach der Yerwendung als Sonaten, In-
traden, als Servizio di Tavola betitelt sind, haben bis
auf eine Tafelmusik von 1757, die aus Intrade, Lar-
ghetto, Menuetto con Trio und Finale besteht, auch
da, wo man Suitenform erwartet, die drei S&tze der
neapolitanischen Schule und werfen in deren Art vor-
wiegend leichte und flotte Gelegenheits- und Unterhal-
tungsmusik bin, bald spektakeind, bald rQhrsam, hier
durch renommistische SprtLnge und abgerissene Rhythmen,
dort durch verwegene L&ufe der B&sse reizend. Wie
Hasse und andere Deutsche geizt auch Reutter darnach,
das neueste Italienisch zu sprechen, l&Ot aber tiberall
Beweise einer h5heren und besseren Bildung einflieBen,
einmal das direkte Muster Caldaras, nftmlich einen sehr
hfibschen Kanon zwischen Violine und Cello im Andante
einer Cdur-Sonate von 1741, die nach dem fiir Orgel ge-
setzten Continuo fur die Kirche bestimmt gewesen sein
mufi. Diese Son ate ist noch dadurch beachtenswert, dafi
sie uns Al. Scarlatti als Reulters Lehrmeister zeigt.
Das Konzert zweier BlaserchOre, mit dem sie beginnt und
schliefit:
90
1. Satz.
Allegro.
P
t
^
^m
M I tnj
i
ete.
Presto.
Finale
I
f^
P
^
i
^
wm
etc.
i
darf roan direkt oder indirekt auf die friiber ange-
fiihrte Sinfonie zum Prigioniero fortunato zurCickfiihren.
Nicht blofi die konzertierenden Bl&serch5re des Scar-
latti kehren bei Reutter wieder, sondern er bat sicb fiir
seine Konzertsinfonie den ganzen technischen Apparat*)
angeeignet, auf dem der glftnzende und festlicheCharakter
der Orcbestermusik des neapolitaniscben Meisters berubt.
Die in Secbzebnteln und Sextolen in die H5he rauscben-
den Oder einfacbe Tbemen umspielenden und verzieren-
den Yiolinen baben daran einen Hauptanteil. Unter
diesen Tbemen kommt das Hexacbord, das ja aucb von
Fux und Caldara gem benutzt wird und sogar noch bei
Haydn und Beetboven auflaucbt, sebr b&ufig vor. DaB
aber Reutter aucb etwas von der LiebenswQrdigkeit und
Schalkbaftigkeit Scarlattis besitzt, zeigen namentlicb die
zweiten Tbemen seiner Allegri. Immer sind sie liber-
rascbend eingefiihrt, zuweilen aucb originell gestaltet, das
der vorbin angefiibrten Intrade z. B. durcb die VerzOgerung
Aucb bei Reutter feblen die Ankl'ange an die bei-
mische Volksmusik nicbt ganz, das Andante einer Ddur-
Sinfonie z.B.-jft-^
beginnen die ft Jt LfJ f e/ff ICT-J
Oboen mil: 0 D
etc.
die Bratscben
antworten
gleicblautend.
♦) In dem Servizio di Tavola sind die Partien der Oboen
und Fagotte nicht in die Partitnr aufgenommen , sondern als
Anhang beigegeben.
91
Aber die italienischen theatralischen Elemente tiberwiegen ,
die landsmannschaftlichen traulichen Regno gen voll-
st&ndig.
Eine stftrkere dsterreichische F&rbung zeigen die
Sinfonien des Klaviermeisters Christopb W a g e n s e il. Chr.WageBsell.
Zur gnten HUlfte haben sie, auch wenn sie dreis£ltzig
sind und wenn sie zur Einleitung von Opern, zu
Clemenza di Tito z. B., bestimmt sind, Menuetls. Selbst
in einem viers&tzigen Konzerto grosso von 1766 kommt
ein Menuett vor. Aber auch seine langsamen S&tze
scblagen zuweilen T5ne ein, die den einfachen Mann an
seine Abendlieder erinnern konnten, das Andante einer
GmoU-Sinfonie von 1766 beginnt z. B. folgendermafien:
ji ini/i_fnijMi^i
Solche Heimatsklange haben mit dazu.beigetragen,
daB die Sinfonien Wagenseils sich ungew5hnlich weit ver-
breiteten und bis nach Bay em hiniiber in die Stifte und
ElSster drangen. Die Themaiik seiner Allegri laOt in- ,
dessen keinen Zweifel dartiber, daB auch Wagenseil in
erster Linie Italienisch sprechen will. Der Anfang der
eben angefiihrten 6 moll- Sin f on ie:
Allegro. . -5_
Oder der zur Clemenza di Tito:
Cirrrr II iJJJ
etc.
sind Yincischen Geistes. Jedoch erreicht er auch von
solchen Themen aus immer ein hdheres Niveau und fUhrt
die Satze in einer vollentwickelten modemen Sonaten-
form mit einer Themengruppe, die auBer einem schOnen
zweiten Thema in der Kegel noch mehrere Nebenmotive
bringt und namentlich mit DurchfUhrungen durch, welche
verkleinert Beethovensche MaBverhllltnisse vorausspiegeln.
-— fr 92 ^^
Von den 76 Takten, aus denen der erste Satz der vor-
hin zitierten Gmoll-Sinfonie besteht, fallen 40 auf die
Durchfiihrung. Auch in der Detailarbeit, in der Gestaltang
der Obergange, in den bewegten Mittelstimmen, in der
lebendigen, reich mit Dissonanzen gewiirzien Harmonie, in
den aparten und feinen Wandlungen kleiner Einf&Ue erhebt
sich Wagenseil bedeutend fiber die Neapolitaner. Mit den
konzertierenden Andantes tritt er in die Spnren Caldaras.
Am weitesten n&bert sich dem weltbekannten Gha-
rakter der Wiener Sinfonie der Organist der Karlskirche,
e. M. Moiiii. Georg Matthias Monn (1717—1750]*}. Das Reich hat von
diesem Komponisten erst lange nach seinem Tode darch
sechs Quatuors erfahren, die 1806 gedruckt und in der
Allgemeinen Musikalischen Zeitung sehr anerkennend
rezensiert warden. Aber auch seine Landsleute scheinen
sich otur wenig um ihn gekflmmert zn haben; Hanslicks
Geschichte des Wiener Konzertwesens kennt seinen Namen
nicht, und seine groOen Werke, von denen, nach dem
Traegschen Katalog, im Jahre 1799 Opern, ein Oratorium,
Messen (auch eine GeneralbaBschule) vorhanden waren,
sind von den groOen Instituten der Kaiserstadt nicht be-
obachtet worden. Damit h&ngt wahrscheinlich auch die
bescheidene Besetzung seiner Sinfonien, von denen in
jiingster Zeit wieder sechzehn zum Vorschein gekommen
sind, zusammen. Nur eine Ddur-Sinfonie aus dem Jahre
1740 und eine Es dur-Sinfonie hat FlOten, Oboen, Fagotte
und H5rner, von den ubrigen sind neun fur vierstimmiges,
funf fUr dreistimmiges Streichorchester mit Continuo ge-
schrieben, so da6 wenn nicht im allgemeinen der Chor-
charakter der Stimmen zn deutlich wfire, gefragt werden
k5nnte : oh bier Kammermusik oder Orchestermusik vor-
liegt. Sicher verlangt auch die zierliche Thematik in
einigen seiner langsamen Satze, wie in dem altneapoli-
tanisch anklingenden Andante der Hdur-Sinfonie:
*) Elnige Stucke tor Monn, Reutter u. a. sind in den
Denkmilern der Tonkunst in Osterreich (XV. Jahrg., 2. Halbbd.)
gedruckt, das iibrige Material hat Herr Prof. Dr. G. Adler freund-
lich zur Yerfugung gestellt.
93
eine Solovioline, wie das noch bis zu Diltersdorf h&ufiger
vorkommt.
Nur drei der Monnschen Sinfonien sind viers&tzig
und briiigen als dritten Satz den Menaett, der bei den
dreisfttzigen sich nnr in einer Esdur-Sinfonie und da an
zweiter Stelle findeL Monn hat darnach auf den Menuett,
als nftchstliegendes und daher in seiner Bedeutung gem
fiberschHtztes Symptom einer neuen vermeintlich anti-
italienischen Sinfoniekunst einen wesentlichen Wert nicht
gelegt. Dafur ergiefit sich aber bei ihm, &hnlich wie spftter
bei J. Haydn, der volkstUmliche Musikgeist uber alle Sfttze,
die Fugensfitze der franzOsischen OuvertQren einge-
schlossen. In einer (Sonata iiberschriebenen) Adur-Sin-
fonie folgt nach einer wundervoU schdnen und natdrlich
kontrapunktierten Einleitung folgendes Fugenthema:
In seiner drolligen Beschaulichkeit httte *es leicht
in die Trivialitfit fiihren kSnnen, Monn aber spottet ihrer
durch Engf&hrungen und andere Mittel geistreicher Kunst
mit einer Sicherheit, die an B&rgersche Balladen erinnert.
Wie die andren S&tze zu diesem Eingang harmonieren,
m5gen ihre Anfangstakte zeigen:
Andante.
Henuett
i""X'iyi;iTi^ifMMj I
Fin.1.. j¥||> \f7^
m
— • 94 <^-
Jedenfalls ist in diesem Ideenensemble keiae Spur
ilalienischer Sinfonie, dafur aber in dem aus dem Ton des
18. Jahrhanderts ganz heraosfallenden Andante ein deut-
licher Anklang neuer, fremder Musikquellen. Im allge-
meinen sind die Andantes und die langsamen S&tze der
Monnschen Sinfonien diejenigen Stellen, an denen sich
noch starker italienischer EinfluG zeigt. Das Andante-
thema der Esdur-Sinfonie:
schlieBt sogar mit der Lombardischen Manier. Da6 auch
die Allegri, besonders in den Kopfthemen noch hftnfig
italienisch anklingen, kann nicht befremden, erst Haydn
und Beethoven haben die deutsche Sinfonie von diesem
Tribut volistSndig befreit. Frei von allem Italienischen sind
unter Monns ersten S&tzen alle die, welche dem Schema der
LuUyschen Ouvertfiren angehdren. Sie interessieren im
AUegroteile, meist einer Doppelfuge, durch die Beherr-
schung der Form, eigner ist Monn in der Behandlung
der langsamen Einleitungen. An Stelle der gewohnten,
in punktierten Rhythmen und rauschenden Skalenfiguren
einherschreitenden Gravitat und Feierlichkeit bringt er
da beschaulich sinnende und singende Motive oder aber
er wendet sich von suchenden und fragenden Anfftngen
aus, die an Astorgasche Kantaten erinnern, schnell ins
Leidenschaftliche, wirft wilde Figuren bin, unterbricht das
Adagio mit einem pl5tzlichen Allegro, wUhlt in Nach-
ahmungen und macht dem erstaunten Zuh6rer warm.
Eine dieser langsamen Einleitungen kommt von B dur
aus im fttnften Takt nach Hdur. Mit dieser Umbildung
der langsamen Einleitung hat sich Monn an einer Arbeit
beteiligt, die auch Rameau, H&ndel und Gluck in die
Hand genommen batten und die dann Haydn zum Ab-
schluB gebracht hat. Die anderen ersten Sinfonies£ltze
Monns, die in der Scarlattischen Art lediglich aus einem
langeren Allegro bestehen, beschr&nken das italienische
Element in der Regel auf die bekannten Poch- undAkkord-
95
motive des ersten Taktes ( J j j 2 ^^^')) ^^^ ^^^^ ^^» ^^
es einen weiteren Raum eianimmt, bestimmt es niemals
den Gesamteindrack, sondern dieser ergibt sich aus dem
Wiener Ton der Monnschen Thematik, aus den Kl&ngen
naiver Lebensfrende , die in mannigfachen Spielarten,
vom rnhig sinnigen Behagen und frdhlicher Anmut bis
za fenriger, aber liebenswflrdigen Keckheit, die lebhaften
S&tze Moons durcbziehen. Die sanfiere Grnppe vertreten
die ersten S&tze der D dnr-Sinfonie von 1740 und der
Esdur-Sinfonie, die energischere, zuweilen stiirmiscbe und
wilde am entschiedensten eine 6 dur-Sinfoniei die von
dem Anfang:
Alleg^ro.
Hrcfjjiittcrce^rtc.
aus ein zwdlftaktiges Haupttbema aufbaut
Noch urspriknglicher und neuer als in den ersten
AUegris ist Monn, wenn aucb nicht liberal!, in den leb-
baften ScbluBsfttzen seiner Sinfonien. Charakteristisch sind
da Tbemen wie die folgenden:
Presto.
0
Presto.
^)^H^ r ir ■, girrp I J
Presto.
namoptlich
b) und c)
mit ihren
in Jugend-
kraft und
Ritterlichkeit dabinhastenden Zweivierteltakten bringen
die ersten Lebenszeichen einer ganz bodenst&ndigen
Wiener >Aufgekndpftheit€ in den Sinfonien. Auf diesen
Boden stellt sich von den spftteren Meistern besonders gem
W. Mozart in seinen besten Salzburger und in den Wiener
Sinfonien, die aus der Zeit des jungen Ehegliicks und der
>Entfikhrung« stammen, alles Vorherige aber tiberbietend
Beethoven mit dem Finale der Achten. Dafi Monn zu
diesem Ton feurigen und doch arligen Obermuts wie zu
--fr 96 ^^~
den andren AnOerungen Wiener Wesens in seiuen Sin-
fonien von der Saitenmusik, insbesondere von den Diver-
timentis her gekommen war, zeigt sich in der Verwen-
dnng der Blftser in den beiden mil Blasinstrumenten ver-
sehenen Sinfonien. Namentlich die wirknngsvoilen Soli
der Horner sind in der damaligen Sinfonie eine ange-
nehme Neuerscheinung.
Obwohl Monn im Kontrapunkt, wie seine Fngen, wie
es auch die zahlreichen Beispiele schdner Imitationen be-
weisen, mehr als ansgelernt hat, hat er eine Bedeutung
fUr die Weiterentwicklung der sinfonischen Form nicht
eriangt. Wohl zeichnen sich seine tfberg&nge vom ersten
zum zweiten Thema durch Gediegenheit, durch Verzicht
auf Figurenphrasen aus, wohl flberrascht er hier und da
durch einen Reichtam an Nebengedanken und ab und
zu auch durch Ans&tze zu motivischer Arbeit. Aber die
DurchfUhrungen seiner ersten S&tze sind im alten Bequem-
lichkeitstil nichts als Transpositionen der Themengruppe
ohne vertiefende, eingehende und erweiternde Ziele. Er
hat der Sinfonie einen neuen Ideenkreis erschlossen, es
aber anderen uberlassen, dessen Gehalt auszuspQren und
zu erschCpfen.
Von weiteren Vertretern der Wiener Schule sind noch
F.eaAmMB. Florian GaOmann und Joseph Starzer hervorzuheben,
J. Storier. GaOo^nn, weil er Themen bringt, die wie:
Allegro.
^^
schon in den Kreis der Mozartschen Kantabilitat ge-
hdren, Starzer wegen der Bedeutung seiner Quartette.
Sie lassen es bedauern, daO seine Sinfonien sich nicht
erhalten haben.
Mannheimer Mannheim, das unter Karl Theodor durch Sch weizers
Schule. >Alceste€ und Holzbauers >Gunther« fUr die deutsche
Oper, durch Schillers >R&uber€ fiir das deutsche Schau-'
spiel zum Vorort wurde, hat unter dem genannten Kur-
fdrsten auch fur die Geschichte der vorhaydnschen Kon-
zertsinfonie besondere Bedeutung eriangt. Die Mannheimer
bat von den drei in Betracht kommenden Schulen die
schftrfste Rnfiere Physiognomie, ibre Sinfonien anter-
scbeiden sicb niebt bloB von den anderen deutschen,
sondern aucb von alien italienischen und franzdsischen
darch ibre ungew5bnlicbe Dynamik und Omamentik;
in jener sind sie absolat, in dieser wenigstens scbeinbar
neu. Das gew5hnlicbe Not^nbild der Akademie- iind
Konzertsinfonien um die Mitte des 18. Jahrbunderts ist
dasselbe wie das der Bacbscben Passionen nnd der
Handelschen Oratorien: es ist arm an Vortragszeicben.
Es gibt nun Komponisten, deren Werke, wie die Kantaten
des Darmst&dter Hofkapellmeisters Graupner, mit f. und p.
reicber und sebr reicb ausgestattet sind, die in dem-
selben Takte mit den St&ikegraden einmal Oder mebrere
Male wecbseln und damit bekunden, da6 die Dynamik
nicbt 1 linger dem freien Ermessen der Dirigenten und
Virtuosen dberlassen werden kann. Sie bilden indessen
Ausnabmen. Den Mannbeimern gebiibrt nun das Ver-
dienst, daB sie die Ausnabme zur Regel gemacbt baben.
Sie sind die ersten, die ibre Sinfonien so durcbbezeicbnen,
wie sie klingen soUen, und sie baben damit nicbt allein
die Sicberbeit des Vortrags unendlicb erleicbtert, sondern
aucb ffir den musikaliscben Durchscbnitt den Sinn fQr
Farbenspiel und Klangscbattierung gesteigert und neu
belebt; sie sind die Babnbrecber des modemen Orebester-
kolorismus geworden. Es war nur natiirlich, daO die
Mannbeimer Sinfoniker selbst diesem Ausdrucksmittel
aucb neue Wendungen abzugewinnen sucbten. Unter
ibnen ist das sogenannte Mannbeimer crescendo durch
Barney und Scbubart bervorgehoben und besonders be-
r&bmt geworden. Nun ist das crescendo allerdings
scbon in der venetianiscben Oper vereinzelt, es ist
im 18. Jabrbundert bei vielen Tonsetzern, bekanntlicb
aucb bei S. Bacb, nacbweisbar. Aber wenn aucb ein
Mozart diesem Mannbeimer crescendo eigne Worte
widmet, so mu6 es docb wobl eine Spezialit&t sein, und
so ist es. Die Mannbeimer Sinfonien bringen das cres-
cendo einmal unvergleicblicb b&ufiger a Is es Vorg&nger
Kretzscliinsr, Fflhrer. I, 1. 7
--^ 98 ^^
und Zeitgenossen verlangen oder voraussetzen, sie legen
zweitens ihre Kompositionen auf die gr56tmogliche Wir-
kang dieses Effektes an, indem sie h&ufig mil ihm — ge-
nau wie die nachmaligen Stretti Rossinis — das Aaf-
steigen eines Motives begleiten :
Presto. ^ ^ it fr\
* • oreac. ilf J^
Man muB sich bei dieser Mannheimer Reform der Dynamik
daran eiinneni) dafi zu der Zeit, wo sie vollzogen wurde,
bei den Komponisten tlberhaupt der VerlaO auf die alten
KUnste des Improvisierens und Erg&nzens zu schwinden
beginnt. H&ndel und Bach schreiben bei einzelnen Sonaten,
Sperontes fiillt bei einzelnen Liedern das Akkompagne-
ment aus. Auch die Mannheimer Sinfoniker scheinen
dem alten Continuo-Spiel nicht mehr recht zu trauen
und suchen, allerdings nicht ganz konsequent, die obli-
gaten Orchesterinstrumente auf voile Harmonie zu bringen.
Ganz griindlich dagegen rftumen sie mit dem alten Ver-
fahren der freien melodischen Erganzung auf und schreiben
in ihren Sinfonien konform den dynamischen Vortrags-
zeichen zum' ersten Male auch alle die sogenannten
wesentlichen Manieren aus. So bietet die Mannheimer
Schule auch nach Seite der verschiedenen Arten von
Vorschl&gen, Vorhalten und Verzierungen ein ganz neues
Notenbild, das den nichteingeweihten Zeitgenossen —
unter ihnen sogar ein Burney — wohl gar als neuer
Stil, als neue Musik erscheinen mochte, zumal die Kom-
ponisten, gerade so natQrlich wie von den dynamischen
Effekten, auch von den alten wesentlichen Manieren einen
reicheren Gebrauch machten. Auch diese Mannheimer
Neuerung drang bald durch die ganze deutsche Musik,
womit noch lange nicht gesagt ist, daO jeder, der sich
ihr anschloO, damit uberhaupt auf den Boden der Mann-
heimer Schule trat. DarQber, wie sich die Mannheimer
Sinfonien Uber Deutschland verbreiteten, wird sich Be-
stimmtes erst dann berichten lassen, wenn wir das Reper-
1
--^ 99 ♦^
toir unserer collegia musica n&her kennen gelernt haben.
Dagegen stehen ihre Erfolge im Ausland durch englische
und franzdsische Verlagsverzeichnisse fest; auf Frank-
reich, wo sie durch Mich. Brenet noch weiter bestfttigt
werden, muBte bei den starken koloristischen Neigungen
der heimischen Musik die Mannheimer Dynamik allein
schoD unwiderstehlich wirken.
Mit dieser eingreifend praktischen und modemen
Einkleidung der Mannheimer Sinfonien verbindet sich,
wenigstens bei einigen Komponisten, ein erfreulicher und
fesselnder innerer Gehalt. Da die Grtinder und ersten
Vertreter der Mannheimer Schule in der Mehrzahl ein-
gewanderte Osterreicher sind, besteht hier Wesensver-
wandtschaft mit der Wiener Schule. Auch ihr — nicht
ganz erreichtes — Ziel ist Freiheit vom italienischen Joch, .
Ersatz der Theaternichtigkeiten durch seelische Erleh-
nisse aus dem Gebiete des Frohsinns und der Beschau-
lichkeit. Den bedeutendsten Meister hierffir stellt die
Mannheimer Schule in Johann S t a m i t z (1717— 67J*J, einen Joh. stauiti.
der wenigen deutschen Instrumentalkomponisten , die
Arteaga kennt. Wenn auch Stamitz die eigensten Proben
seines Wesens und K5nnens nicht in seinen Sinfonien,
sondem in seinen Triosonaten niedergelegt hat, so sind
doch jene immerhin natiirlich liebenswQrdige AuOerungen
einer schwungvoUen , ebenso optimistischen wie revolu-
tion&ren Pers5nlichkeit, einer Karl Moor-Natur und einer
in Dichtung und Kunst Kraft und Freiheit verherrlichen-
den Zeit. Die Mannheimer Reform der Dynamik paBt
sich so sehr den pers5nlichen Anlagen Stamitzens an,
dafi sie sehr wohl auf ihn zurdckgehen kann. Die erup-
tiven, unbedeutende Motive in gl&nzende Beleuchtung
emporhebenden fortes entspringen bei ibm einer Mozar-
tisch feurig gliihenden Seele, die langen und h&ufigen
crescendi einem m&chtigen Willen und demselben weiten
*) Sinfonien der Mannheimer Schule [in den Bayrischen
Denkmilem der Tonkunst (3. Jahrg. Bd. I, T: Jahrg. Bd. II und
S. Jahrg. Bd. II).
7*
— ^ 100 >-
und sicheren Blick, der Uberall aus der Fiihrung der Form
hervortritt. Hier namentlich in der Erweiterung der Haupt-
themen zn gro6enThemengruppen,in derZerteilanggrdOe-
rer Gedanken und der Umstellang und Entwicklung solcher
Telle. Zum Signalement von Johann Stamitz gehdren noch
die hftufigen dreimaligen, herrischen, ungenierten, humo-
ristischen Wiederholungen desselben Taktes, z. B.:
Presto.
Ferner der
Reichtum an
Einf&llen fQr Nebens&tze, Dbergange, seltener flir den
Durchfiihrungstei]. Nach der Gesamtheit seiner sinfti-
nischen Eigenschaften verdient Johann Stamitz , so wie
es Gerber (im alten Lexikon) tut, unter den Vertretern
des fibergangs zwischen der italienischen Opemsinfonie
und Joseph Haydn ausgezeichnet zu werden; ihn als
Schopfer eines neuen Typs zu feiern, hinder! aber schon
die altmodische Natur seiner Durchfiihrungen.
Eine fthnlich hervorragende Stellung wie Johann
Stamitz nimmt in der Friihzeit der Manuheimer Franz
F.x.Bichter. Xaver Richter (1709—1789) ein. Eigen ist Richter
erstens durch seine Vorliebe fiir eine der Sinfonie, bis auf
Ausnahmen wie Caldara, grunds&tzlich fremde Polyphonie,
zweitens durch einen ernsten, tiefsinnigen Zug, der sich
weniger in den Themen selbst, als in ihrer Entwicklung
geltend macht, da besonders durch merkwiirdig unbe-
' stimmte, fragende, ja desperate Schldsse auf verminderten
Sept- und auf Sekundakkorden mit Fermaten und Gene-
ralpausen, AuGerungen einer ergreifenden Resignation,
die mit ganz fthnhchen Mitteln in den letzten Sinfonien
J. Haydns wiederkehren. Auch in anderen rhetorischen
Eigenheiten £lul3ert sich die kontrastierende Regsamkeit
von Richters Phantasie. Da verstummt pl5tzlich*das voile
Orchester, nur die Violinen musizieren mit einem vier
Takte langen festgehaltenen hohen a weiter; hier gibt er
-^ 101 <i^
unversehens einer sinnigen Melodie durch Verlegung in
die tieferen Saiten einen ganz fremden Charakter, dort
tritt ein zweites Thema ganz anders ein, als man er-
wartet. Kurz er ist ein Dichter, der sich mil den her-
gebrachten Reimen nicht begnUgt und in dessen Hand
sich das Tonmaterial fortw&hrend neu belebt, der mit Nach-
satzen, Nachspielen, Kombinationen mehrerer Themep,
Zerlegung der Hauptgedanken technisch wie geiatig fesselt,
den Verstand und die Empfindung des H5rers gleichm&Big
besch&ftigt und znweilen m&chtig packt. Die volksttimliche
Richtung der Zeit vertritt Richter deutlicher als Stamitz,
zuweilen mit fdrmlichen LiedanklsLngen. In seiner Fdur-
Sinfonie (op. IV, ^^_^
Nr. 2) z. B. h5ren il>''a ** ^ ^ f \Fff *» f f f \r^r ^*«-
wir im Andante «)' ~ ^— •— ' '-'-'
im Trio ^ , Mit demHauptteil seiner
desMe-^i^f f f | P'^^Thematik kntipft aber
nuett: ^ i^ » ^ Richter an die heitere
T&ndelei des italienischen Ideenkreises, an Sinfonien wie
sie fur die Oper Trajetta, fQr das Konzert Sammartino
geschrieben hat, an. Dafi er dartiber hinauskommt, ver-
dankt er aafier dem angeborenen Naturell, der Solidit&t
der alten Schule, in der er aufgewachsen ist und die sich
zuweilen auch noch in Spezialit&ten wie die Solmisations-
ihem^n bekundet.
Es liegt in der &uOerlichen Natur der Mannheimer
Reformen, dafi schon bald nach dem Tode von Johann
Stamitz ein Verfall eintritt. Zuerst wird er bei Anton
Filtz (1725—60} sichtbar und zwar in Hauptthemen, die a. Fiitz.
wie das im ersten Satze der Adur-Sinfonie:
jJJJj.'^IJl^J^^^^
P
einen argen Rflckfall in die neapolitanische Windigkeit
der Vinci und Genossen bedeuten. Doch hat Filtz auch
bessere Sinfonien geschrieben, zu denen namentlich die
in Es (op. 2/Nr. 6) gehdrt, und seine Menuetts sind so
102
Caiuiabicli.
I. Holsbavr.
zieinlich alle sehr erfreulich. Ahnlich verhalt sichs mil
Joseph Toeschi mit Franz Beck, Ernst Eichner und
anderen Vertretern der Schule. Zum Teil Iftfit sich ihren
l^nfonien gate ileiOige Arbeit nachriitimen, aberderldeen-
gehalt ist unselbst&ndig und erinnert an die Nichtigkeit
der italienischen Opernsinfonie. Die frischeste Kraft der
Gruppe ist noch Karl Stamitz, der <ere Sohn Johanns^
dessen Werke sich auch ziemlich stark verbreitet za
haben scheinen. Ein neuer Aufschwung zeigt sich in
der Mannheimer Schule, als in den siebziger Jahren
Christian Cannabich und andere das koloristische
Problem, durch das die Schule zu eigner Bedeutung ge-
langt war, vom Frischen aufgreifeu und weiter gestalten.
D«n Anstofi hierzu hat mdglicherweise die neue 5ster-
reichische und suddeutsche Suite gegeben, denn mit
deren Serenaden und Divertimentis teilt die Mannheimer
Sinfonie der zweiten Periode die Neigung zum Konzer-
tieren der Instrumente und den Aufmarsch und Wechsel
zahlreicher, voran blasender Solisten. Die neue Sinfonie-
arbeit der Schule gipfelt in Sinfonien fQr Doppelorchester,
einer Gattung, die sich nur spHrlich entwickelt hat und
unsrer Zeit nur aus Versuchen L. Spohrs bekannt ge-
worden ist Cannabich mu6, obwohl er ungleich ist
und sichs bei einzelnen Sinfonien im italienischen Fahr-
wasser bequem macht, den bedeutenden Mannheimern
beigezfthlt werden. Seine DurchfQhrungen gehdren zu
den freiesten, an Inhalt und Uberraschungen reichsten, er
gelangt in interessanter Arbeit zu eigenen Wendungen,
wie es seine Themen in den Bafistimmen sind, und hat
namentlich mit Chromatik, mit der Figurenbildung und
den Modulationen seiner Andantes stark auf W. Mozart
gewirkt.
Auch der bekannte Ignaz Holzbaur hat noch in
dieser zweiten Periode fleiGig mitgearbeitet. Sein Nach-
lafiverzeichnis spricht von 205 Sinfonien und Konzerten
verschiedener Art. Darunter laOt sich wenigstens eine Sin-
fonie fur die neue Cannabichsche Richtung reklamieren :
es ist ein in Schwerin aufbewahrtes F dur-Stiick fiir zwei
103
konzertierende Fagotten. Die Mehrzahl der Holzbaurschen
Sinfonien sind dreis&tzig und Qberhanpt nach <erem
Master, daher anch ohne die beruhmten Mannheimer
crescendi durchgefUhrt. Ihre bedeutendsten Teile sind
die geistreichen Reprisen in den ersten Sfttzen.
In der Norddentschen Schnle sind die Arbeiten
derjenigen Berliner Komponisten mafigebend, die zum
gr56ten Teile als Hofmusiker Friedrichs des Grofien ihre
Konzertsinfonien fflr die hinter dem Jfigerhofe tagende
»Musikalische Gesellschaftc von Janitzsch und fUr die
bdrgerlichen Collegia von Schale und Sack schrieben.
An ihrer Spitze stehen die GebrUder Graun, der Kapell-
meister Heinrich und der Konzertmeister Johann Gottlieb
Graun. Heinrich Graun hat allerdings nur Opemsin-
fonien geschrieben, aber sie sind ebenso wie die Opem-
sinfonien Hasses sehr viel in Konzerten aufgefQhrt worden
und haben den Stil der Sinfonie dadurch weiter gef6rdert,
daB sie den ersten Satz grundsfttzlich tkber ein Haupt-
motiv des ersten Themas entwickeln. Die Sinfonie zum
Ezio f &ngt z. B. an :
j«».ij wyj^lj^ir^CCtfr Jifffj
Da ffthrt nun gleich nach diesem SchluB die Musik mit dem
Motiv des ersten Taktes im Bafi — erst in D, dann in h,
in G etc. — fort. Das war eine Methode, die der Einheit
eines l&ngeren Satzes zu gute kam, die aber auch die
Komponisten auf emste und strengere Arbeit verwies, eine
Methode, die Phantasiereichtum sowie Lust an Arbeit und
Kunst voraussetzend, die Harmlosigkeit der italienischen
Sinfonieallegris ebenfalls ausschloO. Daraus, dafi sich
Graun hierin mit Monn, Job. Stamitz und anderen Wienern
und Mannheimern begegnet, ersieht man, daO der Drang,
den Geist der Sinfonie zu heben, in Deutschland gegen die
Mitte des 18. Jahrhunderts allgemein war und daO keiner
der drei Schulen der alleinige Anspruch, eine neue Zeit
herbeigefuhrt zu haben, zugestanden werden kann. Jo-
Norddenische
Schnle.
Heinriek
-^ 104 ^_
Gottlieb hann Gottlieb Graon fu6t auf den Anregungen seines
Gravn. Bruders und baut sie in seinen fttr die Zeit ungew5hnlich
vollstimmig besetzten Konzertsinfonien zu einem Konzer-
tieren der einzelnen Orchestergruppen aus, hierin ein
Vorlfiufer der zweiten Mannheimer Schule. Hiller meint
Gottlieb Grann, wenn er in den >Wochentlichen Nach-
richtenc (1770) schreibt:
>Die deutschen Sinfoniesetzer . . . sehen nicht sowohl
darauf, ein simples Them a zu erfinden, als schdne Wir-
kungen durch die grofie Menge verschiedener Instrumentc
zu erhalten, die sie anbringen, und durch die Art, wie sie
dieselben nacheinander arbeiten lassen . . . Ihre Sinfonien
sind eine Art von Konzerten, wo die Instrumente sich
wechselweise zeigen, wo sie sich auffordern und antworten
und miteinander streiten und sich wieder vereinen.c Die
kunstvoUe Arbeit wurde durch beide Graun ein Merk-
mal der Berliner und weiterhin der Norddeutschen
Schule. Von der Verwendung von Kopfmotiven, vom
Konzertieren der Orchestergruppen aus, steigert sie sich
bis zu einer formlichen >Fugen- und Kanontechnikc, wie
sich M. Flueler*} ausdriickt. Die Lust am Fugieren und
Imitieren hat sich bei den Berlinern und Norddeutschen
bis in die Zeit der ersten Romantik behauptet Nicht
bloB in den Sinfonien C. M. v. Webers, sondem auch noch
in denen Robert Schumanns ist die Fuge eine bevorzugte
Form der Satzentwicklung, und es darf hinzugefiigt werden,
eine von Natur aus sehr berechtigte. In der Thematik
gleichen die Norddeutschen Sinfoniker zunHchst den
Wienern und Mannheimern. Auch sie bemtihen sich, an
Stelle des bloBen italienischen Klingklangs heitre, zu
einer guten gesellscbaftlichen Unterhaltung geeignete
Tongedanken zu setzen. Spd.ter tritt bei ihnen mehr
und mehr ein ernsterer Zug hervor und unterscheidet
die Berliner Sinfonien von der leichten Beweglichkeit der
Suddeutschen. Von ihm aus lehnen sie den Menuett ab
*) Max Flueler, Die Norddeutsche Sinfonie zur Zeit
Friedrlchs des GroBen. Berlin 1908.
-^ 105 ^^
uud greifen J. Haydn an. Das war nicht bloBe Philistro-
sitat sonderD auch die gestinde Emplindung, daO der neue
vierte Satz eine asthetische EiDheit sprengte.
Nach den beiden Grauns ist anter den Vertretern
der Berliner Schale Franz Benda zu nennen. Seine Fram Benda.
fast nor fiir Streichinstmmente geschriebenen Sinfonien
sind denen von Gottlieb Graun zum Verwechseln fi.bn]ich,
und tats&chlich haben Bibliothekare Graunsche Sinfonien
dem Benda zugeschrieben. Zu den talentvolleren Sin-
fonikern der Berliner Schule gehort dann noch Christoph
Schaffrath, eine grazidse frohgemute Musikantennator. Ch. schaffkrath.
Bei weitem schw&cher sind Christian Friedrich Schale, F.Sehaie.
ein Trabant Heinrich Grauns, und Carl Joseph Rode- J. Bodewald.
wald, der sich von einem Italiener gew5hnlichsten
Schlags kaum unterscheidet. Auch die Sinfonien der
beiden bekannten Theoretiker Marpurg und Kirn-
berger kdnnen nur wenig interessieren, h5her stehen
Christoph Nichelmann, von dem sich aber nur ein c. Mcholmamn.
StQck erhalten hat, GeorgBenda, Heinrich Roll e und Geor^ Benda.
Friedemann Bach. Von Sachsen, die in der Norddeut- **• ^®w«-
schen Schule hervorgetreten sind, mflssen der Dresdner '^'****"*"
Georg Neruda und der Leipziger Thomaskantor Gottlieb q. xerada.
Harrer, der in seinen Sinfonien viel h6her steht als iuG. Uarrer.
seinen Yokalkompositionen , angeftlhrt werden. Auch
Job. Adam Hiller geh5rt unter die besseren Nord- j. a. Hilier.
deutschen.
Der der Gegenwart am meisten bekannte Vertreter
der Norddeutschen Sinfonieschule ist Philip p Emanuel
Bach, der sogenannte Hamburger Bach. Ph. Em. Bach Phii. Em. Bach,
ist weder durch Grdfie, noch durch Menge der Gedanken
ausgezeichnet; er hat aber nichtsdestoweniger fiir die
Geschichte der Musik als Stilist eine Bedeutung ersten
Ranges. Er erfand eine neue Art der thematischen
DurchfGhrung, die hinter der Fuge und den andern
strengen Formen der Nachahmung an GrUndlichkeit zu-
r&ckstand, sie aber an Schmiegsamkeit und Beweglichkeit
bei weitem tibertraf und dem Spiele der Laune und des
Augenblicks auch in den gr5Beren Formen ein en be-
-^ 106 ^-
quemen and allezeit ofTnen Zutritt gestattete, ohne daG
dabei die Darstellung — wie dies in der nordisch nieder-
I&ndischen Instrumentalschule frfiherer Zeit der Fall war
— der Gefahr phantastischer WillkQr verfiel. Bach ist
in dieser seiner Art einer der ersten und bemerkens-
wertesten Vertreter franzosischer Bildungsideale in der
deutschen Instrumentalmusik. Rich te ten doch in der
zweiten Hftlfte des vorigen Jahrhunderts selbst die Lieder-
komponisten (der Berliner Schule) ihre Angen anf die in
Frankreich gebotenen Master. Neben seinem Lehrbach
>Versach 0ber die wahre Art das Klavier zu spielenc hat
Bach am nachhaltigsten darch die Pianofortekomposi-
tionen gewirkt, die in groOen and kleinen, schweren and
leichten Formen seiner fleiGigen Feder in Menge ent-
ilossen. Aber System und Geist seiner Kunst kommen
in den Sinfonien, die er schrieb, immer noch fUhlbar
zum Ausdrack. Oberdies enthalten sie in der Orchester-
behandlung Elemente, die fQr die weitere Entwicklong
der Gattang von Wichtigkeit warden.
Gerber schreibt in seinem Lexikon dem Ph. E. Bach
>ein paar Dutzend Sinfonienc za. Davon sind zu Bachs
Zeiten hdchstens nur 10 in Stimmen gedrackt worden,
vier davon im Jahre 1780 (bei Schwickert in Leipzig).
Diese sind es, welche Espagne im Jahre 1860 bei Peters
in Leipzig neu heraasgab. Die erste derselben wird heate
wieder gespielt: Das Hauptthema ihres ersten Satzes ist
dieses
x>K-v 1 t W-^K 1 \ r^^ , Eswird, flankiert
?^"Lfr^.^ pffll' ." von einigen ziem.
U-^ U^JT tJjJ LLP ^r^ lich anbedeuten-
den Seitenmotiven, zu einemSatze von ungefsLhr 200Takten
L&nge ausgeftthrt, in welchem sich die drei Teile des
Sonatensatzes: Themengruppe, DarchfQhrung, Repetition,
klar unterscheiden. Dieser erste Satz moduliert in den
Schlufitakten nach Es dur, der Tonart des zweiten Satzes,
-^ 107 «^
einem Larghetto in dem weichen, zu Trilaen bereiten
Stile des 18. Jahrhunderts. Mit dem Klange der geliebten
Fldten tritt das Thema des Satzes ein:
jiMimiiiir'ijii-iiiij ,1
sansenden Laufs, nur selten dnrch einen ernsteren Einfall
gehemmt, fuhrt die Sinfonie zu Ende. Diese Scarlattische
Gmndform and auch der seelische Typus der D dur-
Sinfonie kehrt in den anderen wieder : geistreiches, leben-
diges und sprQhendes Finale, anziehendes oder ertr&gliches
Larghetto nnd ein verwnnderlicher Hanptsatz. Denn es ist
verwunderlich, wie diese HauptsS.tze der Sinfonien — und
auch der Konzerte — des Hamburger Bach doch ziemlich
inhaltlos verlaufen. Sie setzen alle mit einem wunderbaren
SchwuDg ein; mit gewaltiger Kraftanstrengung stflrmen
sie von Anlauf zu Anlauf, geberden sich in Thllern und
allerhand ungew5hnlicher Melodik nicht selten ganz apart
und absonderlich. Aber sie zerplatzen wie Seifenblasen
ohne Spur und Resultate. Es stellt sich diesen heroischeu
Versnchen nichts Wichtiges entgegen, der Zug gerfit in
Tandeleien und streift am Bedeutenden flfichtig vorflber ;
das Ganze kommt nicht fiber das Phantastische hinaus
und bleibt Feuilleton und Strohfeuer. Nur die gedank-
lich bedeutendste der vier Sinfonien, die zweite in F dur,
erhebt sich fiber diese Stufe. Beim unmittelbaren Hdren
der Bachschen Sinfonie findet jedoch die Kritik keine
Zeit zu ihren Bedenken; die S&tze gehen unmittelbar
ineinander fiber und das Ganze rauscht, angeregt und
anregend, verh<nismafiig schnell vorfiber.
Die Besetzung der vier Sinfonien (Streichorchester,
2 FI5ten, 2 Oboen, 2 Hdrner, 2 Fagotts und Flfigel) weist
auf speziflsch hamburgische Verh<nisse jener Zeit bin:
ein starkes, mit virtuosen Kr&ften ausgestattetes Yiolinen-
ensemble und ziemlich mafiige Blftser. Der Flfigel ist
in jener Zeit bereits eine entbehrliche Zutat. Interessant
-^ 108 ^—
und Schule machend wirkte Bach darch die Behandlang
der Instrumente. Unter ihnen herrscht im Vergleich zar
filtered Weise voile FreizUgigkeit, und sein Orchester
forzniert sich fortw&hrend anders und vollzieht die Evo-
lutionen der neuen Aufstellung mit einer Leichtigkeit,
die der <eren Praxis fremd war. Auch Bach keDnt das
>Concertinoc des Konzertorchesters noch, er gibt dem be-
kannten Bl&sertrio gem die zweiten Them en im Haupt-
satz. Aber aoch jedes andere Instrument besitzt bei ihm
die Solistenqualifikation und ist jeden Augenblick bereit,
von ihr Gebrauch zu machen. Die solistische Ffihrung
geht taktweise von der Oboe zur F15te, von einem Chor
zum andern, w&hrend man friiher bei solchem Wechsel
etwas umstfindlicher war.
Durch die Arbeit der drei Schulen kam es im letzten
Drittel des 18. Jahrhunderts zu einer Scheidung von
Opemsinfonie und Konzertsinfonie. Die erstere wurde
einsfitzig, die Konzertsinfonie behielt drei oder vier Sfitze
und wird daher hftufig als Sinfonie p^riodique d. h.
als mehrsfttzige Sinfonie angezeigt.
11.
J. Haydn, Mozart, Beethoven.
|er grofie Aufschwung, den die Pflege der Sinfonie
in Deutschland um die Mitte des 18. Jahrhnnderts
nahm, brachte ihre innere Entwicklung wohl in
Gfthrung, aber zu keinem bedentenden AbschluG. Die ge-
meinsame Arbeit dei^ drei Schnlen hat, wie noch'Ph.E. Bach
zeigt, weder die italienische Thematik vollstandig aus-
schalten kdnnen, noch weniger ist es ihr gelnngen, die Form
der Sinfonie aach nnr in dem Grade mit dentschem Geist zn
fiilleD, wie er sich anderwftrts schon Iftngst, in den Sonaten
S. Bachs etwa, geltend gemacht hat. Aach diejenigen
Sinfoniekomponisten, die wie die beiden Bdhmen Mysli- Hysliireezek.
weczek nnd Zach, wie Gottwald, Camerloher, 2*<^k-
Schwanberger, Rosetti und wie der viel g^spielte ^*^^jj*'^y
Londoner Bach auBerhalb bestimmter Schulen stehen, Schwanberger.
tragen zwar zum Teil in die Ideenrichtang oder in die Rosetti.
Formbehandlung der Sinfonie interessante Einzelziige hin- ^^' ^■«^»«
ein, aber das Gesarotergebnis ilndern sie nicht. Erst
Josef Haydn wandelte sie urn und zwar so grUndlich
und gewaltig, daB seine Reform der Sinfonie eine der
bedeatendsten Taten der gesamten Kunstgeschichte ge-
nannt werden darf.
Wenn wir auf die Frage, worin bestand Haydns
Reform der Sinfonie, mit unseren Handbtichem der
Musikgeschichte und mit den musikalischen Lexicis ant-
worten: in der EinfUhrung des Menuetts, so bleiben wir
i
-^ 110 ^^
allerdings den Tatsachen das meiste und das beste
schuldig.
Haydn hat den Menuett nicht in die Sinfonie einge-
fiihrt) sondem ihm nur in der intern ationalen Sinfonie
allgemeines BUrgerrecht erworben. Es handelt sich dabei
im Menuett um ein StUck volkstQmlicher Musik im all-
gemeinen. Die Wiener Schule n&herte sich mit der Auf-
nahme dieses Tanzsatzes in die Sinfonie der Suite, und
Haydn war es, der die von andern groBen Meistern, von
Corelli und namentlich von H&ndel auf dem Gebiete des
Konzerts versuchte Auss5hnung der hdheren Tonkunst
mit der einfachen gesunden und reichen Volksmusik
auf dem Gebiete der Sinfonie zu einem in seiner Art
ganz vollendeten Und wundervollen AbschluB brachte.
Ihm gelang es, in den Formen der italienischen Sinfonie
den Suitengeist heimisch zu machen; ftir diejenigen —
kann man sagen — die diesen neuen Geist im alten
Hanse nicht merkten, wurde der Menuett, der modemi-
sierte, l&ndlerartige, dsterreichische Menuett, noch be-
sonders drein gegeben. Im letzten Allegro, im Schlufi-
satz, hielt anch die italienische Sinfonie auf eine gemein-
verstandliche, ungesuchte, an Tanz anklingende Frdhlich-
keit. Aber in den anderen SS,tzen ist zwischen ihr und
Haydn ein elementarer Unterschied : Der erste Satz hat
bei den Italienern weit ausholende, umst&ndliche, bei
aller Trivialit&t auf Theaterfiifien einherstolzierende
Themen; bei Haydn, bei dem sp&teren Haydn wenigstens,
dem Haydn, den heute alle Leute meinen, wenn sie
seinen Namen nennen — knappe, sofort fertige, unge-
ktlnstelte, lustige, gemfitlich beschauliche Weisen, die
wie aus dem Volksmund genommen klingen, sicher fUr
ihn wie geschaffen und doch dabei immer so edel sind,
daB sie auch die vornehmen und hohen Geister erfreuen,
erw&rmen und fesseln. Seine langsamen Satze, seine
Adagios, Andantes, Larghettos entwickeln oft den Tief-
sinn S. Bachs, die EmpfindungsgrdBe Handels, sind erregt
ohnegleichen ; aber ihren Ausgang nehmen sie meistens
von dem Boden des KinderUedes. Wer denkt da nicht
— ^ 111 ^>-
an das Andante mit dem Pankenschlag? Es fiihren ge-
rade von diesen S&tzen goldene Faden nach dem Rohr-
aaer Elternhaas Haydns, zu den Abendstunden, da der
Vater die Harfe schlug und die Kinder sangen. Familien-
abkunft und Heimat haben einen grofien Anteil an der
Sinfonie Haydns; sie haben zum Teil ihre Richtang auf
den Gedankenkreis der Suite bestimmt, ihre schnelle und
weite Verbreitung, ihre ungeheure, bis beute bewSlhrte
Popnlarit&t begriindet.
Aber der volkstiimliche Charakter der Haydnschen
Sinfonie ist nnr der eine Teil ihrer Nenerung. Er ruht
auf der Erfindung der Gedanken. Wichtiger noch ist, wie
das sehon frtihzeitig bemerkt worden ist*], der andere:
die Auslegung, Verwendung des thematischen Materials,
das, was Theologen und Philologen die Exegese nennen.
Hierfilr standen der <eren Zeit in der Instrumentalmusik
vor allem Fuge und Variation zur VerfQgung. Beide
Formen arbeiteten fast ausschlieBIich mit dem Thema
in seiner ganzen Ausdehnung und L&nge. In zweiter
Linie erst kam, namentlich durch das Ronzert, die Ent-
wicklung eines Tonsatzes auf Grund von Bruchstucken
des Themas, auf Grund sogenannter Motive in Branch.
Haydn machte nun diese motivische Entwicklung zum
Prinzip des Satzbaues, und eine besondere Eigenheit von
ihm war es, daB er solche Teile des Themas, solche
Motive zu dem Zweck gem heranzog, die im Zusammen-
haug der thematischen Periode zurQcktreten, denen man
nichts Bemerkenswertes ansieht. Ein Hauptbeispiel fiir
dieses Haydnsche Verfahren bietet die D dur- Sinfonie
Nr. 2 (der neuen Partiturausgabe von Breitkopf & H&rte),
die zweite der Londoner Siofonien, in ihrem ersten Satz.
Da ist der ganze, groBe DurchfQhrungsteil und auch ein
gutes StQck der Ubergangspartien in der Themengruppe
aus dem 3. und 4. Takte des Hauptthemas, aus dem zweiten
*) L. Gerber: Uber gearbeitete Instrumentalmnsik , be-
8onders uber Sinfonie. Allgemeine Musikalische Zeltung 1813,
S. 457 u. ff.
--^ 112 *>-
Abschnitt des Vordersatzes hergestellt, der also lautet:
Nun vergleiche man ein-
J J J • ^^^ mal, wie unbedeutend diese
r ==■ beiden Takte im Them a
selbst bleiben, andererseits was fiir eine Skala von Emp-
findungen Haydn mit ihnen durchspielt. Das geht von
der entzUcktenTr&umerei bis zum entsetz ten, vers weifelten
Toben.
Dieses neae Haydn sche Verfahren lieB die Grund-
hnien der in der italienischen Sinfonie herrschenden
Forraen im Anfangs- und Schlnfisatz unbertthrt. Wir
haben im ersten Sinfoniesatz bei Haydn nach wie vor
die drei Hanptteile: Themengruppe, Durchfahrung, Re-
prise: das Schema also des sogenannten Sonatensatzes.
Seine Schlol^s&tze bleiben bei der bisher Qblichen Rondo-
form — eine Art Instrumentaliibertragung des Rundge-
sangs — Oder sie verwenden, wie der erste Satz, eben-
falls das Sonatenschema. Aber die Teile selbst sind be-
tr&chtlich erweitert Ganz besonders gilt das von der
Durchfiihrung des ersten Satzes, die dessen wichtigsten
and spannendsten, in der Regel auch l&ngsten, nmfang-
reichsten Teil bildet., Gleicht die Themengruppe der Ex-
position im Drama, so bringt die Durchfiihmng die
Katastrophe, enth< das bewegteste Sttkck ans dem in
der Komposition vorgefUhrten Lebensbild. Dem lang-
samen Satz gab Haydn eine ganz neue, dem Sonaten-
charakter des ersten Satzes nachgebildete, in der Durch-
fiihrung kttrzer gehaltene, oder aber aus Variationen
herausgewachsene Gestalt. Die Variationenform verdankt
die Stellnng, die sie in der modernen Sinfonie, im Quartett
und in alien Zweigen des Sonatengebietes einnimmt, dem
Meister Haydn. Zwischen ihm und der alten Orchester-
suite der Haufimann und Genossen liegt eine Zeit, da sie
ihr Dasein bescheidentlich auf dem Klavier und im Schul-
dienst fristete. Der Menuett allein bewahrt den Charakter
der Volksmusik, den die anderen Sdtze der Haydnschen
Sinfonie im Anfang, in den Themen, zeigen, auch im
weitern Verlauf. Er besteht aus einem in zwei Klanseln
I.
-— ♦ 113 ^>—
geteiltea Hauptsatz, einem Trio als Gegensatz und der
Wiederholung des Haaptsatzes. Im &u6eren Gefdge wie
. im Inhalt verliert er die praktischen Zwecke des Tanzes
Die ganz ans deD Augen und verzichtet deshalb auf
DarchfQhmng, thematische Arbeit und alle Ktinste der
Anslegung.
Eine erstaunlich grofie Anzahl V9n Musikfreunden
and Mosikem — onter diesen Namen von gewichtigstem
Klang — glaubt, den »Papa Haydn*, den >gemtitlichenc,
den >kindlichen« Haydn, mit einem Beisatz von Her-
ablassung verehren zu diirfen, weil er in den Themen
seiner bekannten Sinfonien sich sehr nngeniert als Brader
Lastig gibt und in demselben Kreise harmloser, von der
Oberfl&che geistigen Lebens gescbdpften Ideen drebt.
Sie 1U>ersehen ganz den inneren Zusammenbang, der
zwiscben der Thematik der Haydnscben Sinfonie und
den Werken der Berliner Liederschule, noch mehr aber
den, der zwiscben den Themen und der Metbodik ibrer
Entwicklung bestebt. Die Metbode, in der Haydn seine
Gedanken entwickelt, ausnutzt, zum groGen Tonsatz aus-
fdbrt und erweitert, liebt bedeutende, durch eigne Wen-
dnngen ausgezeichnete Themen nicht; sie kann sie nur
selten gebrauchen. Auch die Macbt und Unmittelbarkeit
der ersten Erfindung, der immer von neuem, frisch ein-
setzenden Inspiration bat fQr sie wenig Wert. Tonge-
danken, die sicb fflr die Haydnscbe Metbode eignen sollen,
m&ssen klar und reicb gegliedert sein, vor allem unbe-
scbr&nkte Verwandlungsf&bigkeit besitzen. Das Wesen
der Haydnscben Sinfonie, ihre Eigentumlicbkeit berubt
nicbt auf den Themen und Ideen, ihrem Eigenwert und
ibrem ersten Eindruck, sondem auf dem Grad von Kunst,
mit dem der Komponist sie behandelt, darauf, was er
aus ibnen zu macben weiB. Haydn scbuf seine Sinfonien
aus einem fthnlicben Glauben, aus dem beraus Aeschylus
und Sophokles ihren TragSdien Volkssagen zu Grunde
legten, Sch&tz und H&ndel Allerweltsmotive und nach-
weislich fremde Erfindungen f&r ihre Kompositionen be-
nutzten: aus dem Glauben und der Anschauung: die
Kr«tztclLmar, Fftlirer. I, ]. 8
-^ 114 ^-
Originalit&t und der Gehalt der Grundideen ist fiir groBe
Runstwerke weniger wichtig, als die Begabung des
Kiinstlers. Ein Sinfoniker, der in der Methode Haydns
etwas leisten will, muO einen anfierordentlich reichen
beweglichen Geist, er muG die F&higkeit besitzen, ein
and dasselbe Thema mit tausend verschiedenen Lichtern
zu belenchten, mit ihm in alle Turen und Tore seines
Phantasie- und GemUtslebens einzudringen. Er muB eine
Persdnlichkeit sein, die sich ihrer Ffille und Eigenart
freuen darf und daraus mit voUendeter Freibeit mitzu-
teilen weiB, was am Platze ist. War die Sinfonie vor
Haydn eine Festmusik, so wurde sie durch ihn eine Ton-
dicbtung intimster Art: der Subjektivit&t des Komponisten
wurde ein grSBerer Anteil angewiesen, als ihn bisber die
Orchestermusik gekannt hatte. Es war fortan — urn
mit Brabms zu sprechen — >kein SpaB« mehr, Sinfonien
zu schreiben.
Zu dem Suitengeist,zu der durch dieBetonung thema-
tischer Arbeit erweiterten Satzform der Haydnschen Sin-
fonie tritt als eine dritte Neuerung die Beseitigung des
Cembalo aus dem Orehester, aber erst von seiner mittleren
Zeit ab. Man kann diese MaBregel auf die Anregung
der Gluckschen Oper oder, was wohl das Richtigere ist,
auf das Beispiel der alten Orchestersuite und ihrer sfld-
deutschen Rechtsnachfolger, der Cassationen, Serenaden,
zuriickf&hren. Im letzteren Falle bedeutet sie, wie die
Einfiihrung des Menuett, wie die Thematik der Haydnschen
Sinfonie, ebenfalls eine Ann&herung an die Br&uche der
gleichzeitigen Volksmusik. In dem Augenblick, wo die In-
strumente des Haydnschen Orchesters von dem Cembalo
Abschied nehmen, richten sie untereinander eine, iiber alle
bisherige Konvention hinausschreitende Freibeit des Ver-
kehrs ein. Das Konzertieren und das Solospiel wechselt in
einer Beweghchkeit, die wohl von H&ndel z. 6. in den
Oboenkonzerten, von Ph. E. Bach, von den Mannheimem
vorbereitet, aber in der Haydnschen Weise bisher noch
von niemandem durchgefuhrt war. Indem das Solorecht
von jetzt ab alien Instrumenten ohne Ausnahme ver-
-^ 115 ^^
liehen and in bun tester Reihe, nnter Umst&nden takt-
weise von einem zum andern wandernd, ansgeubt wnrde,
gewann das Orchester mit Haydn einen Reicbtum und
einen Reiz des Rolorits, der die Wirkungen seiner Sin-
fonien auf die Zeitgenossen m&cbtig forderte. Wir aller-
dings haben von der Scbdnbeit und Eigenheit des Haydn-
schen Orchesterklanges in vielen F&llen gar keine Ahnung,
weil wir sie durch das Mifiverhfiltnis zwiscben der 6e-
setzung der Geigen und der der Holzbl&ser grundlicb ver-
derben. Das vemichtet namentlich die Haydnscbe Kunst
der Farbenmiscbung. Ein Beispiel: In der bubscben
G dur-Sinfonie Nr. 13 (Partiturausgabe von Breitkopf &
H&rtel; kommt im ersten Satz mehrmals eine Stelle
vor, an der zu den von den BUssen gebraucbten Vari-
H^^pt-^ >■<■ « <■ I rp f r I r> r r |!!£LLC-i
thexnas : V" iT V
die boben In- ^^ jk/^ /^ %./^ ♦
strumente mit Jj^J^^ I I I ri
der Figur: ^ ' tafcifti"
kontrapunktieren. Diese Figur klingt auBerordentlich
scbelmiscb, weil die Oboen mitspielen und in den Geigen-
ton eine drollige Farbung bineintragen. Diese Nuance
mu6 aber verloren geben, wenn, wie das bei unseren
Orcbesteraufftkbrungen anstandslos passiert, die ersten
Geigen zebn- bis zwanzigfacb, die Oboen aber einzein
besetzt sind. Der Dirigent muB notwendigerweise die
Besetzung des Orchesters kennen, die zur Zeit Haydns
ublicb war, und danacb seine Einricbtungen treffen. Obne
etwas bistoriscbes Wissen gebt's eben aucb den soge-
nannten Klassikern gegentiber nicbt!
Nur wenige Musiker sind sicb darUber klar, daB die
Beseitigung des Cembalo aus dem Sinfonieorchester aucb
mit einem kunstlenschen Nacbteil verbunden war. £r
liegt darin, daO wir jetzt zur FUUung der Harmonie,
Angabe des Rhytbmus und anderer elementarer und
mecbaniscber Aufgaben, fQr die vor Haydn das Akkord-
instrument da war, eine Anzabl von Ktinstlern in Betrieb
8*
— ^ 116 ♦^
setzen miissen. Wie sehen die Stimmen der BIftser, der
zweiten besonders, in modemen Orchesterwerken oft aos !
Zwei, drei Fiilltdne, dann wieder zehn, oder auch zehn-
mal zehn Takte Pausen, selten eine melodische, thema-
tische, fiir sich sinnvolle Stelle. — Es ist ein geradezu
demoralisierender F&rberdienst, der trefflichen Rtinstlem
zagemntet wird, und fiber knrz oder lang wird es dahin
kommen, dal3 wir das Cembalo oder einen Ersatz dafiir
wieder zurQckholen. In London mufite iibrigens Haydn
wohl oder iibei bei Aufffihrangen eigner oder fremder
Sinfonien sich das Klavier gefallen lassen, wohl aucb
selbst spielen*).
Unter den Neuerungen der Haydn schen Sinfonie ist
das Prinzip der motivischen Entwicklung, der thematischen
Arbeit die wichtigste. Sie hat die Zuknnft der Sinfonie
bis heute beherrscht. Ihr Geist, ihr Cbarakter war mit
der Individualit&t Haydns auf engste verbunden. Haydn
war mit seinem Scharfsinn, seiner Schlagfertigkeit, seinem
Witz f&r diese Methode geschaffen. Und doch hat er
sich- ihr erst zugewendet, nachdem er die Mitte seines
Lebens l&ngst tiberschritten, — fihnlich wie im Oratorinm,
auch beim Betreten dieses seines eigensten und glftnzend-
sten Gebietes ein Knnktator!
Von den vielieicht 150 Sinfonien, die Haydn kom-
poniert hat, ist die gate H&Ifte unverdffentlicht geblieben,
nicht einmal in Stimmenausgaben gedruckt worden.
Namentlich die Arbeiten aus den ersten beiden Jahr-
zehnten seiner T&tigkeit als Sinfoniker waren bisher
schwer zngfinglich. Dem ist endlich dnrch die ersten
drei B&nde der im Jahre 1909 begonnenen Gesamtaus-
gabe der Werke Haydns abgeholfen worden, welche die
zwiflchen 1769 and 1770 entstandenen vierzig Sinfonien
vorlegen. Haydn ist &hnlich wie Beethoven erst beiro
Eintritt ins Mannesalter an die Sinfonie herangegangen,
aber dann auch vom ersten — f&r die von ihm geleitete
*} Oriesinger, G. A. : Biograpbische NoUzen iiber J. Haydn
(1810), S. 60.
-^ 117 ^—
Or&flich Morzinsche Kapelle geschriebenen — StUck ab in
der Regel seine eigene StraOe gezogen und hat dabei
eine enorme Wandlangsf&higkeit bewiesen. Schon beim
Vergleich der ersten mit der zweiten Sinfonie tritt sie Die ersten
hervor. Dort walten komische Einfftlle, Rftnste der tlber- Sinfonien.
raschnng, der Obertreibung, des grotesken Humors her-
vor, hier in der C dur-Sinfonie, mit der er in Eisenstadt
antritt, ist er eine ganz andere, feinere Natur, ein Kflnstler,
der den Witz and seioen Stolz darin sticht, ans wenig
viel zu machen. Man fQhlt sich bei diesem Werke bereits
in die Londoner St)h&re versetzt nnd steht schon hier
dem groBen Meister der motivischen Entwicklang und
der thematischen Arbeit gegenflber. Mit einem Teil dieser
frQheren Sinfonien gab Haydn Beitrftge zur Programmusik.
Die Rich tang war zu Haydns Zeit anter den Instrumental-
komponisten noch von Muffats Suiten, Frohbergers und
Knhnaus Klavierstflcken her beliebt und in der Sinfonie
durch Mftnner wie Dittersdorf (Sinfonien zu Ovids Meta-
morphosen) Mysliwesczek (6 Sinfonien fiber die Monate
Januar bis Juni), G. Stamitz (la chasse), Tessarini (la
stravaganza), Rosetti (Sinfonien: » Calypso undTelemach<,
»Der Sturz Phaetons*), Pichel (nean Sinfonien Ciber die
neun Musen] u. a. vertreten. Er selbst hat seine Neigung
zu ihr noch in spftteren Jahren bekannt, als er dem Hof-
rat Griesinger bemerkte, daB er in seinen Sinfonien gem
einen >moralischen Gharakter< geschildert babe*). Wie
sehr das Publikam Haydns, namentlich das franzSsische,
einen poetischen Anhalt in den Sinfonien liebte, das
sagen uns die Beinamen, mit denen es die Werke Haydns
belegte: Wir haben da einen Philosoph, einen »Zer-
streutenc (il distratto), einen Schulmeister, eine Lamenta*
tion, eine Passion, eine Maria Theresia, einen Landon,
eine la Heine, la ehasse, la poule, einen Tours, eine'
Fenersinfonie, eine Militftrsinfonie, eine Kindersinfonie
and noch eine ganze Reihe merkwtirdiger Namen. Car-
pani, der italienische Biograph Haydns, der Librettist der
*) Griesinger. S. 117.
i
-^ 118 ^^
italienischen >SchdpfuDg< behaaptet, dalB Haydn diesen
SiDfonien alien ausgefuhrte Novellen und Geschichten
untergelegt habe*). Soweit es sich um Kompositionen
aus spHterer Zeit ban deli, stehen jedoch diese Xitel dem
Wesen der Kunsiwerke meistens sebr fern nnd beften
sicb nar an Kleinigkeiten und Aufierlicbkeiten der im
Ubrigen vollkommen normalen and formgerecbten Sin-
fonien. Die ersten wirklicben Beitr&ge Haydns zur Pro-
grammasik sind die 1761 komponierten Sinfonien le
Die matin, le midi, le soir, die Teile eines die >Tageszeiten<
Tageszeiten. benannten Zyklus, dessen viertes Stiick, la nuit, wabr-
scheinlicb verloren gegangen ist. Haydn hat sich an
dem Tbema der Tageszeiten, das im 18. Jahrbundert
auch von Dicbtern and Malern bebandelt worden ist,
sinnig und witzig die der Musik zug&nglichen Seiten
J. Haydn, bernusgesacbt Der Morgen (le matin) gibt ibm in den
le matin. Ecks&tzen and im Menaett Gelegenbeit zu stimmangs-
reichen Wanderbildem mit Lercbengesang and anderer
Natarmasik, mit Wecbsel von Sonnenscbein and Wolken,
stillem Traumen and lautem Jubel. Da der Morgen aber
auch die Zeit des Lernens ist, bringt der zweite Satz die
Parodie einer Musikstande, eine der in der <eren Vokal-
masik so beliebten Solmisationsszenen. Die Scbfiler
(Geigerchor) tragen von D aas die Gdar-Skala vor and
spielen falschlich b, da f&llt der Lebrer (Solovioline)
beftig ein and zeigt ibnen, da6 es b sein mal3. Nacb
dieser Rorrektar greift eine freie and anmatige Unter-
haltung Platz.
le midi. Der Grandgedanke von le midi ist eine in die Form
eines Concerto grosso gekleidete solenne Tafelmasik. Im
ersten Satz erinnert sie, sich an ein Glucksches Tbema an-
lebnend, an das Festmahl, von dem Don Juan zur Holle
weggefuhrt warde. Mit diesem Bild im Kopfe wird Haydns
Zuhorern das merkw&rdige Adagio verstftndlicb gewesen
sein, das mit vorausgebendem Rezitativ als zweiter Satz
folgt. Der genannte Carpani erz&blt, dafi Haydn in einer
*) Carpani, Giuseppe: Le Haydine (Milano 1S12), S. 69.
119
seiner iltesten Sinfonien sich einen Dialog zwischen Gott
and einem verstockten SUnder gedacht habe. Nun: der
zweite Satz von le midi ist dieser Dialog. Im Rezitativ
spricht Gott-Vater zum Siinder, im Adagio spricht (in der
Stimme des Cellos) der Siinder mil and wird za Gnaden
aafgenommen. Der Glanzpankt der Yersdhnangsszene
ist die vor dem SchlalB eingelegte Kadenz von Violine
and Cello, ein Unikam anbegleiteten Daettspiels. Menaett
and Finale balten ohne Bezug auf besondere Vorg&nge
an der Idee der konzertierenden Tafelmasik fest.
Le soir ist eine Art sinfoniscbes Seitenstiick za
Dittersdorfs Doktor and Apotheker and Sbniicben Kunst-
werken des biirgerlichen Behagens and ansprachslosen
Glticks, von traulicben Tanzweisen and Kinderliedern be-
lebt Aacb die Wandermotive aas le matin taacben
wieder aaf, and den Schlnfi bildet, wie in so vielen Kon-
zerten and Sinfonien der Zeit, eine »Tempesta«, die
Schilderang eines schweren Unwetters, die in Frieden
aasklingt.
Wie in den »Tageszeiten«, die nar in dem Rezitativ
des »midic einen anregelm&Bigen Einleitangssatz bringen,
bftlt sich Haydn aacb in seinen anderen Programmsin-
fonien innerbalb der gewohnten viers&tzigen Sinfonieform,
aber er macht's mit seinem Gedankengang den Zah5rern
nicbt leicht. Seine Weihnachtssinfonie z. B. (Nr. 26)
wird man nar verstehen, wenn man daran denkt, daO
die Kirche die Adventszeit als ernst and triibe aaffafit.
Ohne weiteres zag&nglicb ist die Programmsinfonie (Nr. 31)
»Mit dem HornsignaN, »Auf dem Anstand«, mit
dem darcbgehenden H5rnerklang and den reizenden, ge-
mtit- and phantasievollen, brillant abschlieBenden Varia-
tionen des Finale.
Die bekannteste Programmsinfonie Haydns ist die
sogenannte Abscbiedssinfonie geworden, vermatlich
ibrer Entstehangsgescbicbte wegen. Dem Fttrsten Ester-
hazy fiel es im Jahre 1772 pl5tzlicb ein, die Kapelle zwci
Monate linger als gewobnhch aaf seinem SommerscbloB
bebalten za woUen. Da entscblofi sich Haydn, fljir seine
le soir.
Weihuachts-
Binfonie.
Mit dem
Hornsignal!
J. HaydBy
Abschieds-
sinfonie.
--♦ 120 Kj^
Musiker eine Bittschrift einzureichen , und zwar eine
musikalische. Eines Abends wurde der FUrst damit Uber-
rascht. Es war die Abschiedssinfonie, ein Werk in fCknf
S&tzen, das in den ersten drei ebenso verl&uft, wie die
viersfttzigen Sinfonien Haydns aus sp&terer Zeit. Mil dem
vierten beginnt die Pantomime. Er ist ein rasches Finale,
in dessen Them a
^■*iiViir7r^ 1 1 I'J^j
J J J J Iji J ^ l'^'' ^|J ^ -wennderSatz
"* ^ * **■ ' sich schon auf
die AffJLre mit bezieht — man vielleicht die beiden Par-
teien der gesch&digten Kapelle, die klagenden and die
wtitenden, r&sonnierenden , erblicken kann. Die Masik
wickelt sich sehr hastig hin; za einem zweiten Them a
kommt es nicht, and ehe man es vennaten and ffir gut
finden kann, wird abgebrochen : Ein Adagio von mildem
Tone, bittenden oder begdtigenden Charakters, — ftafier-
licb dem zweiten Satz der Sinfonie gleichend — setzt ein
f^i\ Hjj I f^ iH I rp ilX^tfcr I rjj I
Es kommt zu sehr freundlichen T5nen. Nach 30 Takten
steht in der Partitur beim zweiten Horn: >sl parlec In
Esterh&z legte der Spieler hier seine Noten zasammen,
I5schte die Lichter am Pulte aas und ging weg. Bald
darauf verschwand in derselben Weise der F15tist; ihm
nach der erste Hornist, die Oboeblaser usf. Das Or-
chester ward dunkier und leerer. Zuletzt blieben nur noch
2 Geiger Ubrig, die den Satz mUhsam zu Ende bringen
und durch schiafrige Wiederholungen zu erkennen geben:
»Wir kOnnen auch nicht mehr«. Der FUrst verstand die
originelie Adresse, ging ins Vorzimmer, wo sich die Musiker
inzwischen versammelt hatten,und sagte l&chelnd: »Haydn,
morgen konnen die Herren reisen*. Der gegluckte
Kunstlerstreich sprach sich bald herum und kam von den
— ^ 121 ^>-
achtziger Jahren ab wiederbolt in Zeitungen and BUcher.
Haydn soil spftter auch eine Einzagssinfonie geschrieben
haben, in der die Masiker nacheinander eintreten, Lichter
anbrennen nnd zn spieien anfangen. Nachweislich ist
die Idee der Abschiedssinfonie — englisch heifit sie candle
overtare — in dieser umgekehrten Richtnng von Ditters-
dorf nnd Pleyel ausgenutzt worden. Mendelssohn, der sie
im Februar 1838 ins Gewandhaus zu Leipzig brachte (in
einem historiscben Konzerte], nennt sie in einem Briefe
an die Schwester Rebecca >ein knrios melancholiscbes
Stfick«. Ahnlicb scbildert Schumann und vor ihm Rochlitz
den Eindrnck von H5ren und Zosehen. Griesinger nennt
sie einen >dnrchgef&hrten masikalischen Scherz« nnd
sieht in ihr ein Haaptbeispiel fflr Haydns Schalkheit.
Heate pflegt man leider die Sinfonie in der Regel nach
der Andr^schen Ausgabe aufzuftihren, die nnr die zwei
letzten S&tze enth<, und zwar nach E moll transponiert.
Das Original steht in Fis moll, ein*er fflr Orchesterkompo-
sitionen sehr wenig gebrauchten Ton art, die hier aber
ihre grofie Bedeutung hat. Denn die Instrumente klingen
wie belegt, wie heiser, wie schlecht aufgelegt und miO-
gestimmt, das Adur des letzten Adagio dann aber um
so unwiderstehlicher.
Schon dieser eine Fall beweist, wie raffiniert Haydn
sich auf das Gbarakterisieren verstand. Die Wiedergabe
absonder]icherZust&nde,Stimmungen undGestalten muOte
ihn deshalb m&chtig reizen. Sein Talent fiihrte ihn un-
willkilrlich zur Programmusik, und wie dem jungen
Schiller, dem jungen Berlioz, dem jungen Schumann
scheinen ihm das Phantastische, das Problematische, das
Seltene die eigentlich bedeutenden Aufgaben der Kunst
zu umgrenzen. Haydn schwamm in jener StrOtaung der
Romantik, die dem spftteren Goethe so entsetzlich war;
was ihn hinein getrieben hatte, ob Wieland, ob die fran-
zosische Oper, Iftfit sich nicht sagen. Musikalisch ist
alien den Sinfonien, die dieser Periode Haydns angehdren,
ein Streben nach Originalit&t und Individualit&t eigen,
das zuweilen zu bedeutenden und merkwurdigen Themen
— * 122 ^>-
fuhrt, im Ganzen jedoch nur Eigenheiten zweiter Klasse
ergibt Die Themengruppe, der Haydn in sp&terer Zeit
sehr oft nicht einmal ein zweites Thema gdnnt, ist in
diesen Werken der bedeutendste unter den drei Teilen
des ersten Satzes. Dagegen ist die Durchftthrnng in der
Kegel nur sehr obenbin in einem gewissen al freso-Stil
bebandelt Sie zeigt Charakter, aber keinen eigentlichen
geistigen Inhalt. Alles in allem ist dieser friihere Haydn
das reine Gegenteil von dem, den seine sp&teren, die noch
heute weltbekannten Sinfonien zeigen.
J. Haydn, Weil sie in Klavierauszagen vorliegen, geben auch
Sinfonie >Maria »der Schulmeisterc und >Maria Theresia*, die der Periode
Xhere6ia«. ^^^ Abschiedssinfonie angeboren, bequeme Gelegenfaeit.
einen Blick auf Haydn in der Zeit seines ersten Stils
zn werfen.
Die Sinfonie > Maria Theresiac wurde bei einem
Besucb, den die Kaiserin im September 1773 in Esterhdz
abstattete, anfgefiihrt und erhielt daher ibren Namen.
Haydn wird das Werk aus dem Vorrat fertiger Sinfonien
in der Erwartung hervorgeholt haben, damit Ehre ein-
legen zu konnen. Sie ist so freigebig erfunden, dafi man
aus dem mitgeteilten Material gut zwei Sinfonien her-
stellen k5nnte, die selbst&ndige und eigne tbematiscbe
Ausstattung der Obergangsgruppen erinnert mehr an den
jungen Beethoven als an den fertigen Haydn. Die
pI5tzliche Ausweichung nach Cmoll im 13. Takte des
ersten Satzes z. B. ruft unwillkiirlich eine frappante
Stelle in Beethovens erster Sinfonie (Themenpruppe t
das pldtzliche pp. nach der Gdur-Cadenz) vor die
Phantasie.
Der Ton, in dem sonst Majestftten begriifit zu werden
pflegen, kommt in dieser Sinfonie der Kaiserin nicht vor,
aber das »Willkommen<, das sie bietet, kann an Herzlich-
keit, an Frische und Kindlichkeit nicht iibertroffen werden.
Ein so begruBter Gast kann nicht zweifeln, da6 er unter
liebenswUrdige, gliickhche und auch interessante Menschen
gekommen ist. Wer die Sinfonie, ohne den Namen des
Autors zu wissen, hort, wird hie und da auf Mozart raten
— » 123 ^>—
woUen, namentlidf wenn das Hauptthema des ersten Satzes
j>boen Oder wenn
rJ J T J Stellen kom-
j r P r I * I n^cni wie der
C-J— ^-* " Abachlufi der
«r LLT r f ' CJ-t-J^ Abschlufi der
CorniiDflMsQb. ersten groBen
Periode," viouiitfi. ■ ^ ^ .trillem.Beide,Haydn
in der die A J- jjJTiI J J J I * 1 wie Mozart , hatten
Violinen : ^ *~ fflr solche Flllle eine
gemeinsame Quelle: die italienische Schule. Den flotten,
temperamentvoUen Zug, der sich in den guten Opemsin-
fonien der Italiener findet, hat diese >Maria Theresia« sich
wohl zn eigen gemacht: das wird der Monarchin nach der
mnsikalischen Erziehung, die ihr zu teil geworden war,
sehr wohl gefallen und sie empf&nglich und freandlich
fOr die Menge neuer Humore gestimmt haben, die Haydn
aus seinem eigensten Innern dreingab. Sie finden sich
in alien S&tzen: Die hervorragendsten sind im ersten
die poltern-
sonofiguren : •'
die die zarten Klilnge des zweiten Themas veijagen.
Im zweiten Satze liegen sie im Anfang des Haupt-
themas selbst, in dem Widerspruch zwischen dem leich-
ten Charak-^Adagio. ^^^..^ _^ . , , .
ter der Ver- ibfj ^^=f=^^^r^m'^^i\^^
zierangsfigur : ™ JJ "^^ C: *^ ^^J^ ~
and dem etwas schweren Klang der tiefen Violinsaiten:
noch mehr in den Stellen, die die Oberg&nge vom ersten
zum zweiten Thema, von der Durchfuhrang zur Wieder-
holung bilden. Es ist, als wenn diese paar Takte mit
dem pldtzlichen HOrnerklang, mit dem Vogelgezwitscher,
das aus den Violinen tont, in die philosophischen Tr&ume-
reien des Satzes hineinmahnten: Siehst du nicht, wie
sch5n die Welt ist! Der Tr&umer aber f&llt wieder in
Tiefsinn und Grubelei und stellt in dem TrugschluB bei
der Fermate — bier darf man an den Hamburger Bach
-^ 124 *^
denken — eine Frage an das Schicksal. Wie seltsam
verl&uft sich der Menuett in der zweiten Klansel aas der
Klarheit und Sicherheit des Tanzliedes, von dem Motiv:
Allegretto. gelockt und gebannt ins Danke],
A f- JBitJ^ ^°s Dickicht! Und als kaum wieder
ii^ yO^^^ alles in Ordnung — was f&r eine
^'~ ' neue Oberraschung :
li^xni^'^^^'i^
Kriegsvolk in Sicht? Wahrscheinlich. Eswirdjaim Menuett
so ernst undungew5hnlich: Moll und der schwereAusdruck:
Wenn die Kaiserin tiberhaupt schon je etwas so
origineii und doch einfach Lustiges gehOrt hatte, wie
das Thema des letzten Satzes, der tiberhaupt nur das
eine hat — so war das wohl kaum in einer Sinfonie der
Fall gewesen.
So etwas kann doch nur die Musik, und unter den Musi-
kern kann es so nur J. Haydn !
Die Dnrchftthrungen dieser hUbschen und eignen
Gedanken sind allerdings nach dem sp&teren Haydnschen
Mafistab gar nicht als solche zu bezeichnen; es sind
mehr freie und kurze Phantasien, die mit den Themen
und den Ausgangspunkten der S&tze keinen oder nur ge-
ringen Zusammenhang haben. Ein Spafi, den sich Haydn
an dieser Stelle in der Periode der Abschiedssinfonie
gem erlaubte, fehlt auch in > Maria Theresia« nicht:
Das Hauptthema kehrt im ersten, wie im letzten Satz in
der ursprUnglichen Tonart, bald nachdem die Dnrch-
fQhrung eben erst begonnen, zuriick. Jedermann glaubt
— ^ 125 ^—
and bedauert, dafi die Wiederholung schon einsetzt und
daB sich darin eben jedermann verrechnet, ist der Humor
an der Sache.
Anch im ersten Satz . der Sinfonie >Der Schul- J. Hftyda,
meister« bring! Haydn diesen witzigen Treffer an, hier e.v^SfL
aber wesentlich versch&rft. Das Orchester holt sehr ent-
schieden immer wieder mil dem klopfenden Rhythmus
n^ I j ^^^^ A dor aus, die Harmonie liegt auf: b-d-f-gis.
Aber im entscheidenden Moment hat Haydn sich das gis
als as gedacht, und da sind wir wieder in Esdur am An-
fang der Sinfonie:
Allegro dl iBolUi.
Scholmeister.
So lautet der Vordersatz des Themas; der Nachsatz
folgendermafien :
Das ist jedenfalls ein merkwUrdiges Thema, ganz
und gar nicht von der Art, die Haydn in den Londoner
Sinfonien bevorzugt. Es hat Programmblut und regt an,
an bestimmte Vorg&nge zu denken, auf die es gemiinzt
sein k5nnte. Die freundliche, sanfte Ansprache der vier
piano-Takte, das pl5tzliche Dreinwettern, das Nachzucken
des j, j ], die gewaltsame RQckkehr in den leisen, zarten
Ton — das lielBe sich ohne zu groBe Kiihnheit in das
Bild einer Schulstunde zusammenbringen, wo die Unter-
weisung hftufig genug durch Schelten unterbrochen
werden muB. Wir h&tten dann eine Erklftrung ftlr den
Titel der Sinfonie »Der Schulmeister<, die mit dem
weiteren Verlauf des Satzes ganz gut zusammenpaBt
Denn Unterbrechungen, Oberraschungen, halb Ubers
1
126
Knie gebrochene Schlttsse — Symptome des Zornes —
geben ihm sein besonderes Gepr&ge. Pohl (II, 262) fiihrt
den Beinamen der Eomposition auf den zweiten Satz,
das Adagio zurUck, auf den »abgemessenen 6ang< seines
Themas :
ijj' J.1i
nicht widersprechen im Gegenteil: Wir erwarten bei
einem Programme daB alle S&tze der Sinfonie an seiner
Durchfiihrung teilnehmen.
Die hier mitgeteilte achttaktige Periode wird sofort
in variierter Form wiederholt und nochmais im Halb-
schlufi beendet; dann erst kommt der Nacbsatz, der das
Thema in die Haupttonart B dar zarttckf&brt. Aucb diesem
gleichfalls achttaktigen Nachsatz folgt seine Variation
auf dem FuBe.
Wir baben also ein Thema, das in breiter Anlage
32 Takte umspannt. Diese AuCerlicbkeit ist zu beacbten,
weil in den folgenden Variationen iiber dieses Thema,
aus denen sich das Adagio bildet, die zweiten Perioden —
als w5rtliche Wiederholungen der ersten — nicht aus-
geschrieben, sondem nur durch Wiederholungszeichen an-
gegeben sind. Es wUre in diesem Falle ein Verstofi gegen
die Metrik und das EbenmaB der Komposition, wenn man,
was sonst ja zuweilen statthaft oder geboten ist, diese
Wiederholungszeichen ignorieren wollte.
Aucb das Finale der Sinfonie ist ein Variationensatz
und zwar Uber das Thema:
Presto.
Zwar liegt dem.Ganzen das Rondoschema zu Grunde;
doch treten die Zwiscbens&tze ganz zurUck. — In die
sorgenfreie GemUtlichkeit dieses ScbluBsatzes platzt
I
— !► 127 «>-
(hinter dem siebenten Teilstrich) nach dem Dialog, den
die hohen xmd die tiefen Instrmnente Uber das Motiv:
fQhren, eine sehr aufgeregte
Szene herein. Wieder einer
jenerZwischenf&lIe^an denen
diese Schalmeistersinfonie so reich ist! Diesmal scheint
er erfreulicher Natur gewesen zu sein, denn das S&tz-
chen schliefit ganz still entzilckt auf einer Fermate auf
dem unerwarteten f-as-ces-des. Wie alle S&tze des
>Schiilineister« ungewOhnlich mit einem kleinen Stich
ins Karrikierte ansklingen, so auch das Finale. Aber
das Klndliche and R&hrende, der milde Glanz des Abend-
rots flberwiegt doch ganz entschieden. Es ist eine Stelle
von jener Poesie und Schdnheit, mit der uns eine andere
Perle der Schalmeister-Literatur, Jean Pauls Schulmeister
Wuz, entzUckt.
Was bei Haydn zu dem schroffen Wechsel der kUnst-
lerischen Anschauungen gefUhrt hat, IftCt sich nur ver-
muten. Zum Teil scheinen ihn die Werke Ph. Em. Bachs
beeinflufit zu haben. AIs ihm einmal*) von der Ver-
wandschaft seiner Musik mit der des bereits erw&hnten
Mail&nder Tonsetzers Sammartini gesprochen wurde,
wies er diesen vielzitierten Lehrer Glucks als einen
»Schmierer< heftig zurfick und nannte ausdrUcklich den
Hamburger Bach sein Vorbild. Wohl konnte er. sich von
diesem Tonsetzer angezogen fiihlen: denn er glich ihm
an Temperament, an Munterkeit und Heiterkeit des Geistes.
Dann muBten ihn aber auch die modernen Elemente in
Bachs Musik m&chtig erregen. Die neue Zeit, die Zeit
der Rousseauschen Natiirlichkeit und des franzosischen
Esprit, sprach aus keines Zweiten T5nen so deutlich,
wie aus den Klaviersonaten Bachs mit ihrer Freiheit
des Ausdrucks, der Beweglichkeit und Zwanglosigkeit,
mit der sie den Satzbau betrieben und. allerhand bis
dahin streng getrennte Stile durcheinander mischten.
Man kann schon in den ersten Sinfonien Haydns ver-
♦) Oriesinger. S. 15.
-^ 128 ♦^
einzelte Anregnngen Ph. Em. Bachs annehmen. N&her
kennen gelernt und eingestanden studiert hat er ihn
aber wahrscheinlich erst in sp&teren Jahren, wo er
reif genug war, sich vor den Ausschreitangen Bachs
zn h&ten.
Anch an die &aJ3ere Lebensgeschichte Haydns knftpft
sein nener Sinfoniestil merkbar an. Im Jahre 1773 hatte
sein >Stabat Mater c den Beifall Hasses und der italie-
nischen Schnle gefunden. Haydn war mit einem Schlag
ein bertthmter Mann geworden und schrieb nun auch
seine Sinfonien nicht mehr ftlr den kleinen Eisenstadter
Kreis, sondem fiir das ganze musikalische Europa. Mit
der Weltklugheit, die schon aus Haydns Bildern spricht
trug er dieser Tatsache Rechnung, verzichtete auf die
melancholischen und schwer verst&ndlichen Sonderlieb-
habereien seiner Phantasie, wenn er fortan an Sinfonien
ging und suchte statt dessen dem Geschmack der tonan-
gebenden Gesellschaft seiner Zeit Rechnung zu tragen.
Hierbei war es von entschiedener Bedeutung, dafi die
ersten und dann die meisten ausw&rtigen Bestellungen
auf Haydnsche Sinfonien von Paris einliefen. Von 1779
ab, wo das Concert de la Loge Olympique, die Nach-
folgerin der alten Concerts spirituels von 1724, die heute
noch in den Concerts du Conservatoire fortleben, Haydn
einfOhrte, war er der popul&rste Instrumentalkomponist
der franzdsischen Hanptstadt. Der Verleger Sieber in
Paris gab nach und nach 63 Haydnsche Sinfonien in
Auflagestimmen heraus, man handelte wie etliche Jahre
fraher mit unechten Phil. Em. Bach*) so jetzt mit ge-
f&lschten Haydn**), 1810 verSffentlichte Leduc sogar
Partituren von 26 Haydnschen Sinfonien. Von Paris aus
drang dann der Ruf der Haydnschen Sinfonie nach Wien,
nach Deutschland undEnglandunderzeugte jenen Haydn-
kuitus, der bis ins 19. Jahrhundert hinein durch Anlegen
von Sammlungen, Errichtung von Konzertsttlen, Griindung
*) H. Bitter: Die Sohne Bachs 1868, II., S. 332.
♦*) Siehe Gyrowetz' Selbstbiographle S. 45,
— * 129 ♦—
vonVereinsverbftnden das allgemeine Mnsikwesen mannig-
fach f6rderte. Die Vergleiche Haydns gingen vom >Oellert
der Musikc vom musikalischen Ariost bis zum PhObns
Apollo and entsprangen einer v511ig nngekUnstelteii Be-
geistening, die nicht znm kleinsten Teil mit darauf be-
rahte, dafi die Zeit Haydns den besten Teil ihrer Bildnng,
ihres geistigen Wesens in den Sinfonien dieses Meisters
wiederfand. Sie waren in voUendeter Weise anf den Ton
jener Klasse gestimmt, die vor der franz5sichen Revo-
lution, unter dem sogenannten ancien regime, an der
Spitze der europ&ischen Menschh^it stand. Damm klingt
ans den Tbemen dieser Sinfonien des zweiten Stils immer
wieder derselbe anacreontische Gmndton heraus, der
Ton der Anmnt, Heiterkeit und Sorglosigkeit, der denen
ein far allemal vorgeschrieben war, die auf den Adels-
schldssem und in den Salons der hOheren Btlrgerscbaft
verkehrten. Jener Ton, in dem die Frivolitftt des »Morgen
wieder lastik«, die tiberscbftmnende Lebenskraft des >Carpe
diem< mit den Gef&hlen edelster Humanit&t, des »Seid um-
schlungen Millionenc zusammentraf.
Nicbt minder finden wir aber in den Haydn schen
Sinfonien jene Kunst der Konversation, jene Virtuositftt
im geiBtreichen Gedankenaustausch wieder, die wftbrend
des 18. Jahriiunderts, soweit franzosische Bildang reicbte,
also innerbalb des ganzen zivilisierten Europa unter den
fa5cbsten innern Gtitern obenanstand. Man lese nur die
unubertreffliche Scbilderung, die Frau von Stael in ihrem
bekannten Buche >Deir Ailemagne* von dieser franzd-
sischen Konversation entwirft, und suche dann die her-
vorragendsten ihrer Merkmale in der Haydnscben Musik.
Wer die Knltur des vergangenen Jahrhunderts getreu und
voUst&ndig iibersehen will, darf an den Haydnscben Sinfo-
nien eben80wenigvorbeigehen,als an den franz5sischenEn-
cyclop&disten. Sie f&hren die Gegenwart vor das Bild eines
gesellschaftlichen Geistes, der dem heutigen in mancher
Hinsicht iiberlegen ist und zum Muster dienen kann.
Da6 die Sinfonien Haydns ihrer Zeit auch Schwierig-
keiten macbten, erfahren wir aus England, wo man sich
KretzBchmar, Ffthrer. I, 1. 9
--» 130 «^
1792 beklagte, daB die deutsche Instrumentalmusik aus-
geartet sei*). £s ist nicht zn leugnen, dafi auch das
heutige Publikum dem vielfachen Gehalt der Haydnschen
Siafonien und der groCen Bedeutnng Haydns voile Ge-
rechtigkeit nicht widerfabren l&fit. Zum TeU aus Un-
f&higkeit. Denn die Haydnsche Sinfonie verlangt eine
grdBere Kunst im Folgen and H5ren, als die alte italie-
nische und der grofite Teil der modernen Werke. Mit
der unvergleichlichen Beweglichkeit ibrer Gedanken setzt
sie die Ffthigkeit schnellen Verstebens und des scharfen
Erfassens auch der kleinsten und feinsten Wenduogen
voraus. Weil sie diese- nicht besitzen, kommen soviele
Dilettanten, Kritiker, Spieler, Dirigenten iiber die Be-
wunderung des Haydnschen Humors nicht hinaus. DaB
Haydn auch tief, leidenschaftlich und damonisch ange-
legt ist, entgeht ihnen, weil er diese Gebiete, auBer in
den langsamen S&tzen, immer nur kurz — in Einleitungen,
in den Generalpausen, Fermaten seiner AllegrosS.tze, an
den Schl&ssen der Durchfuhrungen — streift.
Den Noten nach darf man das Jahr 1780 als die
Zeitgrenze hinstellen, in der der neue Sinfoniestil Haydns
seine Ausbildung abgeschlossen hat. Diese Annahme hat
neuerdings ihre diplomatische Best&tigung durch einen
Brief*"*) gefunden, in dem der Komponist dem Fikrsten
von Oettingen-Wallerstein eine Partie frischer Quartette
mit dem Bemerken anbietet: »8ie sind auf eine ganz neue
besondere Art*. Von den Pariser und den in ihre Nfthe
gehorigen Sinfonien, in denen sich dieser neue Stil zu-
n&chst zeigt, sind La Chasse, L^ours, La Poule, La Reine
und die Oxfordsinfonie wenigstens dem Namen nach all-
gemein bekannt. Keine von ihnen gehdrt zur eigentlichen
Programmusik, und Haydn ist aii den Titeln, die sie
tragen, mit Ausnahme der ersten, wie schon bemerkt,
voUst&ndig unschuldig. Es sind Kosenamen, die mehr
♦) F. Pohl: Haydn und Mozart in London U, S. 180.
♦*) Adolf Sandberger: Zur Geschichte des Haydnschen
Strelchquartetts. Nbrdlingen 1899.
--^ 131 <^-
an zuf&llige Einzelheiten, als an das Wesen der Werke
ankniipfeD, mehr die musikalischen Liebhabereien des
franzOsischen Yolks, das diese Beinamen erfand, be-
lenchten, als den Inhalt der Sinfonien. Sie entstanden
in den Jahren 1781—1788 und zeigen so, wie sie hinter-
einander folgen, dass auch Haydn auf dem Weg zur
voUen Meisterschaft gelegentlich gestrauchelt und rUck-
wftrts geglitten ist. Nach ihrem Wert aufgestellt, wQrden
die genannten Sinfonien die Reihe geben: La Foule,
L'ours, La Reine, La Chasse, Oxford-Sin fonie.
In der Zeit der Pariser Sinfonien bewegt sich Haydn
noch in dem reicheren and weiteren Stimmnngskreise
seines ersten StUs and nimmt wohl in der Ausfiihrang
seiner Themen, aber nicht bei ihrer Erfindang aaf den
Geschmack der groBen Welt RQcksicht. Wenn die Kom-
positionen dieser Periode im allgemeinen den Charakter
von Gelegenheitsdichtungen , Herzensergiefiungen and
Augenblicksbild^n aus dem Leben ihres Sch5pfers haben,
80 ist das bei La Poule ganz besonders der Fall. Diese j. Hftydn,
Sinfonie erz&hlt von unrahigen, trUben and ernsten La Poaie.
Stunden. Bin Rest von Sorge and Furcht wohnt auch
in ihrem Menuett and ihrem Finale, w&chst in diesem
sogar zar Leidenschaft • and Erregang an. So hat sie
denn den Vorzag der geistigen Einheit und Zusammen-
geh5rigkeit sftmtlicher S&tze, die ja so hllufig in der
neueren Sinfonie fehlt; auf der andern Seite l&fit sie,
namentUch in den EcksHtzen, nicht verkennen, dafi der
Komponist seinem Stoff noch nicht mit der menschlichen
Freiheit gegentiberstand, die das Kunstwerk nicht ent-
behren kann.
Der erste Satz raht auf einem Hauptthema von 16 Takten^
von denen drei Viertel dorch freie Wiederholang der Periode
AUegro eon spiriio. gebildet sind.
(Jnwillen aus;
bei der n&chsten Weiterf&hrung des Themas bleibt kein
Zweifel, da6 die Elemente des zweiten Abschnitts, die
9*
132
der Kraft und Energ^e, Anstalt machen, das Feld zu be-
hanpten. Beim 33. Takt, nai^hdem das Thema, variiert,
zum zweiten Male vorbei gezogen, tritt ein munteres,
lebensfreudiges Motiv:
in seine FuBtapfen. Nach einigen G&ngen, die es tut,
verliert es sich aber unerwartet ins piano and pianissimo.
j^f)
tritt wie auf den Fufispitzen (nftmlich in j^ •f J^ « j^
bei Seite, um einer wichtigen Erscheinnng Platz zu maiden.
Das sogenannte zweite Thema ists, das als hoherer Ver-
b&ndeter gegen die dunkle Macht des flauptthemas eintritt:
Der Dicbter ist an den Busen der Natur gefldchtet.
Wenigstens haben die Franzosen nacb diesem Tbema
nnd einer gleicb darauf folgenden Stelle, wo die Oboe-
ziemlicb lange auf demselben Ton den Rbythmus
J J I J k angibt, die Sinfonie als La Ponle getauft.
J. J J. J J' ^uf die Dauer vermag jedoch dieser naive
Freund nichts gegen die Not der Situation. Vergebens
erhebt er seine Stimme noch einmal am Anfang der
DurchfQbrung. Diese selbst gehdrt ganz den bedrob-
licben Tdnen, mit denen das Hauptthema beginnt. Sie
suchen mit besonderem Eifer aus den tiefen Regionen
her, in den BaBinstrumenten zu schrecken. Doch ist
ibre gespenstische Kraft geringer als der Komponist be-
absichtigt hat. Sie verstehen sich so wenig zu ver-
wandeln und zu entwickein, daC wir den ganzen ersten
Satz unserer Sinfonie trotz der ansehnlichen und klaren
Intentionen, die ihm zu Grundeliegen, zu den schwftchsten
Leistungen Haydns rechnen mQssen. Mit L'ours, La Reine
steht La Poule in Bezug auf die DurchfUhrung auf der
Stufe von Versuchsarbeiten ; nur das Prinzip erhebt sie
Uber die Sinfonien des ersten Stils.
-^ 133 ^--
Ein schdner, reicher und interessaater Satz ist das
■Andante. Was er will, sagt das Hauptthema schon ge-
DQgend in seiner ersten Hftlfte:
jft'^if ijijiJjjlf^
Nftmlich beruhigen. Wie es aber in der L5sung dieser
Anfgabe nach den besten Wegen suchend die Richtung
tadert, wie es dabei erschreckt, gehindert and gestOrt
wird, das hat Haydn in ein em Tonbilde ansgefQhrt,
welches wir unter die unmittelbarsten, draraatisch be-
deutendsten Leistnngen der Instrumentalmusik ttberhaupt
z&hlen m&ssen. Wenn wir uns die vier Sfttze unserer
Sinfonie als die Hauptteile einer spannenden Geschichte
denken woUen, so enthftlt das Andante das Kapitel der
Entscheidung. Ganz ilberwftltigend hat darin Haydn den
Znstand der ftufiersten Seelenspannung gescbildert: wie
die Erwartnng, die das Schlagen des Herzens nnter-
drttcke'n m5chte, dem lanten Aufschrei weicbt and ein
Geftlhl ins andere st&rzt, das ist mit einem wunderbaren
Realismns dargestellt
Die fieberbafte Stelle beginnt mit einer abw&rts saosen-
den Skala in ZweiunddreiBigsteln im forte, daraaf folgen
zwei Takte, wo nur in den Violinen noch jiL j , j t
ein Schatten von Ton sich regt — fast wie j^^ J ^ j: ^
im 1. Satz der Eroica beim »Kamalas< — ^
and dann dorchs ganze Tutfi ein fortissimo!
Der Menaett gibt der Freade in ziemlich eigensinnigen,
Zwei- and Dreiviertel untereinander werfenden Rhyth-
men Aasdrack, ^^ Aiiej^rgtio.
wie schon der rf*g TM ^- I Tr J ^^ I J. I ^^
Anfang zeigt: ff * ^ ' f ^ U UJ ■■ " ■ 'J J =
Es klingt fast slavisch, deutet in der massigen Be-
setzung and den stattlichen Unisono-Figaren aaf Volks-
mengen and Feste im Freien. Von diesem Grande
hebt sich dann das Trio mit dem anmutigen FlOten*
solo:
i
134
^^^^^^
als reizende Idylie ab. Das Finale ruht auf dem Tbema
jhMi Mg|i pigmr^fa I
Einige Ausgaben scbreiben fUr das Tempo Presto,
andere Vivace vor. £s ist wieder einer von den Fftllen,
der uns den Mangel einer kritischen Gesamtausgabe der
Haydnscben Sinfonien fiiblbar macbt. Presto gebt ganz
und gar nicht, Vivace allenfalls! Die Melodie n&bert sicb
nach Taktart und Cbarakter den Sicilianos des 18. Jabr-
hunderts. £s bandelt sicb in ibr nicht um stUrmiscbe
Freude, sondern um ein besonnenes, wonniges GenieBen
eines schwer errungenen GlUcks. In der DurcbfUbrung
leben die Sturme, die dem frohen Ende vorausgingen
nocb einmal auf. Sie setzt mit dem Tbema in DmoU
ein und gebt dann in beftiges Toben und Lftrmen fiber.
Glucklicberweise ist sie nur kurz.
J. HftydB, Die mit dem Beinamen L*ours belegte C dur-Sinfonie
L'ours. stammt mit La Poule aus demselben Jabre 1786 und &bnelt
ibr darin, daB aucb bei ibr der erste Satz am wenigsten
gelungen ist. Aucb er hat ein inbaltreicbes und ergiebiges
Hauptthema:
in das sicb, wie in die Seele eines recbten Jiinglings,
Feuer, Kraft und Anmut teilen. Haydn stellt ihm ein
zartes, zweites Tbema entgegen:
£
irfi i^j' i:gci^^
§l&\\trra vrf|f1^|rfge^
ate.
-^ 135 ♦^
Das Eigentumliche an dem Satze ist aber, dai3 der Ober-
gang von dem ersten zum zweiten Gedanken nicht bloB
sehr lang ist, sondern ancb sehr vie! Leidenschaft und
Erregung verbraucht. £s kommt namentlich an der Stelle,
wo in der Mitte der Instrumente das g als liegende
Stimme fortdr5hnt, zu einer Wirkung, die sich fiir den
Verlauf des Satzes als furchtbar einpr> und SchluB nnd
Ausgieich verlangt. Damit ist dem Durchfilhrungsteile
die Spitze abgebrochen, und in der Tat bringt er, mil
Ausnahme des Eingangs, an dem das Motiv c des Haupt-
themas wieder auftaucht, nicht viel anderes als Wieder-
holung der Themengruppe in an dem Tonarten.
Was dieser erste Satz etwa schuldig bleibt, das
bringen die andern reichlich wieder ein. Das Andante
hat ein Thema von ganz voliLsttimlicher Natur; es ist
auch in der einfachsten Art, die sich denken 1ft fit, auf-
gebaut. Der Hauptsatz beginnt mit:
fyii Hn II qm^iu.'
ein Nachsatz von ebenfalls vier Takten schliefit in F dur
ab. Nun kommt ein Mittelteil — 16 Takte lang — der
mit der echt Haydnschen Wendung:
^^g
in den ersten Teil zuriicklenkt: Wir haben es also mit
einem dreiteiligen Lied als Hauptsatz zu tun. Das wird
dreimal in verftnderter Instrumentation angestimmt; vor
die erste und zweite Wiederholung treten Zwischens&tze
in Moll, gehamischt wie Riesen, die alLes zerschmettern
wollen. Aber, wie es mit Goliath und David erging, so
auch hier: die kleine Unschuld wird uns durch diesen
Gegensatz nur immer lieber, behftlt das letzte Wort und
benutzt die Gelegenheit zu einer Coda, in der sich noch-
roals ihr Humor, ihre Kraft und ihre Anmut regen.
M I
-^ 136 ♦^
Die Glanzpartie der Sinfonie ist ihr Finale, dem nicht
die Rondo-, sondem die Sonatenfonn gegeben ist Sein
Hauptthema:
Vlvaoe aMal.
dreht sich lastig und ausgelassen im engen Kreise. Seine
besondere F&rbung erh< es dnrch den begleitenden
Bafi, der den Satz ganz allein beginnt und hartnftckig
anf demselben Ton fortbrummt. Zuweilen nntersttktzt
ihn als zweite Stimme seine Qainte — das gibt dann
einen Pastoral klang, der uns mittlerweile sehr gei&nfig
geworden ist, denn nenere Komponisten kOnnen obne
ihn kamn noch die einfachste Tanzszene schreiben. Zn
Haydns Zeiten war es eine ganz nnerhdrte Keckheit, in
eine Sinfonie derartige Sorten von Yolksmnsik hinein-
zuziehen. Wie m5gen die ersten Zah5rer gestutzt haben,
als ihnen diese Jahnnarktskunst, diese lebensgetrene
Nachahmung des Dadelsacks entgegentrat ! Der tkber-
mtttige Streich ist aber so frisch, so geistvoll und hin-
reisend durchgefuhrt, dafi er Haydn zum hochsten Ruhm
ausschlug. Die Pariser fanden ungeheuren Gef alien an
dem BrummbaC; nach ihm tauften sie die Sinfonie mit
dem Namen L'ours und reihten sie unter ihre erkl&rten
Lieblinge. Die Wirkung eines solchen realistischen Ein-
falls, wie er diesem Finale zu Grande liegt, wird immer
kurz sein, wenn ihn nicht die Runst, mit der er ver-
wendet wird, nachtr&giich adelt Und dieses GiQck ist
unserm B&renbafi in vollstem MaB zuteil geworden. Die
Idee des fortklingenden Basses wandelt Haydn sofort in
die der liegenden»Stimme um. Wenn die Ian gen Tdne dann
in den Violinen anschlagen, dreht sich in den B&ssen
die drollige Figur des bewegten Motiys wie ein Wirbel-
wind. Dann schwingt sich der Komponist auf dem Motiv
im fr5hlichen Sturm und mit der Sicherheit
des Virtu osen nach einer Stelle, wo aus-
J>|JG3
137
geniht warden kann. G dor ist erreicht and fest ergriffen.
Da setzt ein zartes, behagliches, zweites Tbema ein in
den Oboen
iM
•"•r-f I
^m
In dieser Gesellschaft darf es nicht
zn viel Ansprtkche machen, den
Schlnfitakt der auf 8 Takte an-
gelegten Periode schlftgt der BrummbaB nieder. Noch
einmal versucht eine zarte Stimme sich GehOr za ver-
schaffen — anch sie verschlingt der Sturm; mit einem
wilden, chromatischen Zug setzt die letzte Periode der
Themengruppe ein. Die Durchf&hning, die im ganzen
nnr knrz ist, ftberbietet die Ansgelassenheit des vorher-
gehenden Teils dadurch, dafi sie das nftrrische Treiben
in ganz entlegenen Tonarten fortsetzt. Wir sind aos
G dur pl5tzlich nach F, von da nach E dur gestoBen.
Von da geht es nach Ddnr zuruck, and von diesem
Pankt aos wird das Thema als neckischer Kontrapankt
vorwiegend in den Bftssen gebracht and bald die Reprise
erreicht An Munterkeit and Witz ist dieser SchlaCsatz
von L'oors eine von Haydns hochsten Leistangen.
Die Sinfonie >La Reine< soil der KOnigin Maria j. Hftyda,
Antoinette besonders gefallen and daher ihren Beinamen L^ Reine.
erhalten haben. Sie ist eine Altersgenossin von L'ours and
La Poule and steht mit ihnen auch in Bezag aaf den
Wert des ersten Satzes aaf derselben Stafe. Das Inter-
essan teste an ihm sind die Mozartschen Ziige in der
korzen, sebr majest&tisch einsetzenden Einleitang and im
Thema des Allegros:
--♦ 138 ^^
Das ist das Sinnen und Tr&umen, das romantische
Z5gern, dem sich der Meister von Salzburg gem
flberl§,6t, wenu das Spiel beginnen soil. Es ist auch
der flotte, ritterliche ^ ^
Schritt, mit dem er dann iJi j^pfpfiftf iT f ^ Vr
doch sich erhebt, wenn W L>l ■" ' ' I M
Hay da nun fortf&hrt: •/'
Selten ist bei einer Sinfoniekomposition Haydn von dem
Ausgangsgedanken eines Allegro so gefesselt worden, wie
dieses Mai. Er wiederholt es zun&chst in B dur noch ein-
mal, dann kommt es in Fdur, dann in der Durchftibtung
in As dur und zwar immer mit Ausnahme der Tonart
voUstandig wortlich. Auch die Zwischens&tze, die diese
Wiederholungen unterbrechen, haben immer denselben
Charakter: Es sind Szenen der Aufregung und zwar fast
alle in der primitiven Weise von Haydns erstem Stil aus
dem zuletzt angef&hrten Viertelmotiv gebildet. Ein zweites
Thema ist im Satze nicht da, und erst am Schlusse der
Durchfuhrung gewinnt der Komponist dem ersten einige
neue und tiefere Wendungen ab durch Nachahmungen
und Anwendung weiterer kontrapunktischer Kunst
Der zweite Satz von »La Reine« ist ein Allegretto,
das aus einem Variationenzyklus fiber ein Thema mit
folgendem Anfang:
besteht. Es ist, zu einem dreiteiligen Lied vervollst&ndigt,
die Melodie einer franz5sischen Romanze von >la gen-
tille et jeune Lisette«. Dieser Herkunft des Themas
wegen hat Haydn dem ganzen Satz die Oberschrift >Ro-
manzec gegeben. Pohl findet in ihr nahe Verwandtschaft
mit der Romanze der Militilrsinfonie. Sie beschr&nkt
sich aber darauf, daJ3 beide Stiicke den Ehythmus
^^^ benutzen. In unsrer Romanze liegen die
i /m I J Reize der Variationen in der Instrumen-
-^ 139 ^^
tierang, in der F&rbang, in der Geschicklichkeit, mit der
Haydn das Thema, das immer w5rtlich wiederkehrt, mit
anmatigen Kontrapnnkten verdeckt. Nene Gestalten fQhrt
nicht einmal der MoUsatz ins Bild ein.
Der Mennett der Siofonie hftlt sich ungew5hnlich straff
nnd bestimmt Wenn er nicht im Dreivierteltakt st&nde,
konnte er marschierende Soldaten begleiten. Um so loser
t&ndelt das Trio; fast scheint es, als soUten bier die In-
stmmente nor an- und eingespielt werden — so sehr
entschlftgt sich die Komposition jeder Gedankenlast. Das
Finale hat wieder die Form des Sonatensatzes und singt
einen Hymnus auf Behaglichkeit und Zufriedenheit. Die
Themen sind:
Presto. ^.^^^
jl^fiftnfLi'^
Es ist das einer der seltenen Falle, wo Haydn sich dem
etwas trocknen Geiste der deutschen Moraldichter seiner
Zeit n&hert In der Durchfuhrung, die mit dem ersten
Thema in den B&ssen einsetzt, erhebt er sich aber
m&chtig. Sie ist so bewegt und an den Stellen, wo sie
Yon Dmoll aus eine Reihe von verminderten Sept-
akkorden in gewaltigen Abs&tzen anlauft, so gewaltig,
da6 man den Satz unter den merkwiirdigsten Stucken
in der Haydnschen Sinfoniekomposition in Ehren hai-
ten mu6.
Die Sinfonie >La Chassec ist diejenige in unserer j. Haydi,
Reihe, die wenigstens fQr einen Teil ihren Namen von La Chasee.
Haydn selbst erhalten hat. Dieser Teil ist das Finale. Er
ist im Jahre 1781 als Einleitung zum dritten Akt der Oper
— » 140 ^>—
>La fedelta premiata« komponiert. In diesem, each der
italienischen Intrigaenschablone verfertigten Siticke f&hrt
Diana die heillos verfizte Handlung za einem gedeihlichen
Ende, und dies Auftreten der Jagdgdttin hat Haydn be-
Dutzt, eine sonst durch den Dichter unendlich gehemmte
Fhantasie in erwUnschte Bewegung za setzen. Fiir die
masikalische Schilderung von Jagd und Jagen hatte sich
in Kantate, Oper, Sonate und Sinfonie lange vor Haydn
ein fdrmlicher Kanon ausgebildet. Es war ein Lieblings-
gegenstand der Tonsetzer. So d&rfen wir auch von
Haydn, obwohl er bekanntlich Jftger von Fach war,
fQr die Orchesterphantasie in der er die Jagd und ihre
Gdttin feierte, keine neuen Motive erwarten, sondern wir
wollen uns freuen, daB er alte, zweckentsprechende Weisen
im lebensvoUen Bilde auf uns wirken I'AQt
Der Satz beginnt nalQrlich mit H5rnem. Sie tragen
ein Fanfarenmotiv vor, in das aber auch Oboen, Fa-
gotte, sftmtliche ^^ ^,^ Dieses ge-
Streichinstr amente ^nm B i f P T ff I f\ samte Or-
mit einstimmen: <^ " ^ i r i r ■ - » ' Chester setzt
unmittel- ♦ # -. welches fiir den
bar daran ^j^ p | fl T ^ f p | i^^Durchfuhrnngs-
das Motiv : iJ i i i i ^^.j ^^^ Satzes
grofie Wichtigkeit erlangt Es bildet dort den Trager der
Bewegung, der Jagdfreude und wechselt von zwei zu zwei
Takten mit den Mo- .
«^«» <»« R^i'o -pd ifi pi r I f ri P' I r I r
desWaldfriedens als: ^
Ahnlich wie in der Jagdszene der >Jahreszeiten« kommt
am SchluB der Durchfiihrung eine Minute gewaltiger Auf-
regung : Es sind die Augenblicke, wo es sich entscheidet,
ob der J&ger oder ob das Wild GlUck haben soil. Die
letzten Kr&fte werden angesetzt, der SchuB f&llt: Domi-
nantseptakkord und Fermate ! Wir vermissen — die Stelle
der Jahreszeiten im Kopf — hier die Pauke. Aber sie
ist nicht n5tig. Haydn versteht es, mit seinen Violinen,
Bratschen, Gellis, Bassen, mitFldte, Oboen, Fagotts und
zwei Hornern >gro6es Orchester« zu spielen. Gait ja doch
-^ 141 V-
diese Besetzung fUr Sinfonien eine Zeitlang, in Nord-
dentschland wenigstens, ftlr bedeutend. Benda nannte
sie ansdrUcklich in den tfberschriften : grofies Orchester.
Zu einer ganzen, viersfitzigen Sinfonie wnrde La Chasse
im nflchsten Jahre vervollst&ndigt; als der Fiirst von
Esterhazy von einer l&ngeren Reise zurQckkehrte, f&hrte
ibm Haydn das Werk vor. Man wfirde nacb unseren
bentigen Begriffen erwarten, da6 die Vorders&tze mit dem
ScbluBsatz in geistiger Verwandtscbaft steben und der
Jagd vielleicht eine Reihe von Waldbildern vorausscbicken,
etwa in der Weise der Rafibcben Waldsinfonie. Anders
das 18. Jabrbnndert, dem Wald nnd Gebirge nur be-
schr&nkt als poetische Gegenstftnde galten. Jedenfalls
waren dem Natnrfrennde jener Zeit Ebenen mit Kanftlen
and Pappelalleen lieber. Wir mUssen auf ein solches
Programmband zwischen den Sfttzen von >La Cbasse«
verzicbten and daranf: die Beziebangen, die zwischen
ibnen zweifellos bestanden, die Grande, wesbalb die Slltze
so sind, wie sie sind, angeben zu k5nnen. Der FQrst bat
den Sinn der Ovation and der Komposition jedenfalls
verstanden, and wir fdblen ohne weiteres, daB die Sin-
fonie einen stark persdnlicben Zag zeigt, den Cbarakter
von tiefen Lebenseindrdcken tr>. Sie gebdrt mit der
Oxfordsinfonie za denjenigen Werken der in Betracht
kommenden Periode, die eine viel grOfiere Menge
Herzensw&rme aosstrablen, als das bei Haydn darch-
scbnittlicb der Fall ist. Aucb Jagdsinfonien aus Haydns
erster Periode baben diesen stfirkeren Gemtitston, die
Erklftrong ergibt sicb aus ihrer Verwendung an Hubertus-
tagen, bei denen der heimgegangenen Genossen gedacbt
warde. Am stSrksten trftgt diesen Cbarakter der Erinnerang
der erste Satz der Sinfonie. Eine berrlicbe Einleitang
empfUngt ans mit emst sinnenden T5nen and zeigt in der
Feme auf freundliche, lieblicbe Bilder. In ibrer Kfirze,
ibrem Reicbtum ist sie eins der sch5nsten Beispiele dafQr,
was Haydn aaf diesem Gebiete der Andeutungen zu bieten
vermag. Sie scblieBt in A dur, der Oberdominant von D,
der Tonart der Sinfonie. Und nun setzt das Allegro ein :
142
Allegro
^!''''"^7|' t If
y= lautet die erste H&lfte
des Them as.
Ist das aber nicht seltsam, ein D dor- Allegro und der
Anfang in G, in der Unterdominant? Ja, anOergewdhnlich
ists, aber auch sehr bedeutongsvoll. Die Phantasie des
Tondichters weilt nicht in der Gegenwart. Die Noten sagen
uns, was ein anderer Poet jener Zeit in dieWorte gefafit hat :
Ich denk' an euch, ihr blmmlisch schiinen Tage
Der seligen Vergangenheit.
GlUckliche Stunden und Tage sind es, die vor die
Erinnerung des Meisters treten; vielleicht hat sie sein
Herr mit ihm geteilt. Sp&ter wird das trauliche Bild
aus der Vergangenheit noch mit einer breiten Melodie
weiter gef&hrt, die folgendermafien Mozartisch beginnt:
^^ und liber
ft ,<tLrrf,ffi,«rrr¥n^fJ^i Tcttt!
ten, flber
dunkle Modulationen zum Adur-SchluC geht. Sie ver-
tritt in der Themengruppe die Stelle eines zweiten Themas.
Die Durchftihrung ist geteilt zwischen eine Hftlfte des
Ireudigen Schw&rmens fiber das verkiirzte Anfangsmo-
tiv des Haupt-
themas , das
in der Form:
in Nachahmungen und Engfuhrungen von alien Stimmen
tUchtig darchgearbeitet wird. Noch einmal, gl&nzend und
golden, drangen sich die >himmlisch sch5nen Tage< Yor
die Seele : In der zweiten Halfte der Darchfuhrung kommt
Erkenntnis und die Klage zum Durchbruch: dafi es
sich um Vergangenes handelt. Die S&tze sind hier Uber
das elegi- j j j j j gebildet, das einigemal sehr rtth-
scheMotiv n^ rend, traurig und schmerzlich zu
uns spricht.
-^ 143 4^-
Der zweite Satz ist in seinem Anfang:
Aodaote.
eine leibliche Schwester des weltbekannten Andante mil
dem Paokenschlag. Es teilt mit ihm tlhythmus, Metrom
und den Charakter der Kinderszene. Auch in den Lie-
dern der >Zauberfldte<, im >Donauweibchen<, in den
Singspielen Wenzel MCillers hat es zahlreiche Verwandte
aus dem ersten Grade; in jeder Faser bekundet es die
Zugeh5rigkeit zur niederdsterreichischen Volksmusik. Ja,
wenn man will, kann man aus den Noten, die die
Viertel anfangen, das Kaiserlied >Gott erhalte Franz
nsw.c heraush5ren. Freilich endet die Melodie nicht so
einfach. Im 9. and 10. Takte, die den Schldfi bilden,
wendet sie sich deatlich genug ins Wehmtltige und ffigt
mit Halbkadenz and Fermate dem reizenden Bildchen
ein >Ach dahin!< an. £s wiegt aber fQr den Kunstwert
dieses Andante sehr schwer, daC es sich dem ersten Satz
innerlich so eng anschliefit, so eng, dafi niemand den
Sinn and das VerhsLltnis mifiverstehen kann. Es ist, als
woUte es aus dem Schatz alter schdner Erinnerangen
der vorhin so obenhin erschlossen wurde, ein besonders
anheimelndes, spezielles Stack hervorholen, ein StUck
aas der Kinderzeit meinen wir. In der Komposition
k&mpft die Freade mit der Traaer. Der Traaer ist aber
ein Aasdrack gegeben, eben so schhcht and einfach, wie
es das Volkslied ist, von dem der Satz ausgeht. Karze
Generalpaasen and Fermaten vermilteln ihn. Und die-
selben Eigenschaften hat der Aafbaa dieses vollendeten
Kanstwerkchens: a) Thema, 24 Takte, b) erste Darch-
fahrang, haaptsftchlich in Moll, etwas erregt and pathe-
tisch, mit wanderschonen AnklS.ngen der Haaptmelodie
aas der Tiefe, 26 Takte, c) Thema wie a, d) zweite
Durchf&hrang mit innigen Klagen aaf es— cis— d and
kleinen, erregteren Nachahmangen , 20 Takte, e) Thema
zam dritten Male, mit karzem, sanftem Nachgesang.
-^ 144 ♦—
Auch im Menuett finden wir die Merkznale der
Erinnerungsfeier: frohe Bilder und der Schatten der
Verg&nglichkeit dariiber. Diese letzten sind der Grund
der chromatisch romantischen Motivffihrnng, die diesem
Satz eigenttlinlich ist, sowie der ins Klagende und
Schwermdtige iibergreifenden Haltnng der zweiten
Klausel :
•| I II I'll III
Sinfonie.
Wir haben in La Chasse eine Sinfonie von h5chster
VoUendang. Eigene Grundideen verbinden sich mit einer
Ausffthmng, bei der alle Teile, gleich gelangen in sich,
sich als Glieder desselben Ganzen erweisen. Kein Wunder
daram, daB diese Sinfonie sich besonders schnell und
weit verbreitete. Sie wurde, was viel sagen wollte, auch
in Ilalien bald bekannt. Pohls Biographie gibt die nftheren
Daten.
J. HaydB, Die Ox ford-Sinfonie, die Haydn im Jahre 1788 ffir
Oxford- Paris schrieb, ist im Zusammenhang mit >La Chasse*
genannt worden. Sie haben beide den persdnlichen Be-
zag auf Haydns eigenes Leben, gehen von einem ele-
gischen Riickblick aus, den der gereifte, alternde Mann
auf die dahingegangene Jugend wirft. Die Verwandt-
schaft erstreckt sich aber auch auf die formelle VoU-
endung der zwei Sinfonien. Haydn vertritt nicht bios
das Prinzip der thematischen Arbeit, der motivischen
Entwicklung, der grtindlicben Auslegung der Gedanken,
sondern er handhabt es auch als Meister. Ohne Be-
denken darf man in dieser Beziehung die Oxford-Sin-
fonie einige Stufen hoher als die um sechs Jahre Ultere
Jagdsinfonie und auf eine Linie mit den besten Londoner
Sinfonien stellen. Haydn hat auf seinem Weg zur
Oxfordsinfonie sich in einem frtiher nicht vorhandenen
Grade der Kunst bem&chtigt, den Inhalt eines Themas
mittels kontrapunktischen Feinheiten zu erschopfen und
im ^pannendsten Ton dem Zuhorer vorzufQhren. Er
I
-^ 145 *^
oAhert sich in derBehandliing YOuEngf&brungen, im Reich-
tarn Yon schwierigeQ and aafregenden NacbahmangeB der
Weise, die mil Mozart gleieh geboren war. Mit dieser
sorgfftltigen Aasarbeitang der Form, mit diesem liebe-
volleren Bingehen ins Kleinleben der Stimmen ist aber
sichtlich aaeh die Beweglichkeit and Leichtigkeit von
Haydns Geist im allgemeinen gewachsen. Wir bemerken
das an der spielenden Sicberheit, mit der er jetzt kleine,
kontrapanktische Nebenmotive aafzonehmen and zur
Gedankenverbindung za benatzen pflegt, die er frdber
nach einmaligem Gebraach wQrde haben fallen lassen.
Das zeigt ans namentlich der erste Satz der Oxford-
sinfonie. Er scheint keine Nebenpartien, keine Verbin*
dangsabsebnitte, keine Obergftnge za haben. Alle Fagen,
wo die Glieder aneinanderstofien, sind mit organischen
Motiven tlberwachsen, alles schlieGt eng and natUrlich
zasammen. Ja, es ist Erklflrern dieses ersten Satzes be-
gegnet, daB sie eine begleitende Geigenfigar ffir die
Haaptstimme gehalten haben. Dem Lernenden kann
nor ernstlich geraten werden, alle die Stellen aofzu-
sachen, an denen Haydn einen nebens^chlichen Melodie-
schlafi, ein F&llmotiY aafnimmt and zam Trftger des Ge-
dankenbaues macht. Man kann mit einem gewissen
Recht die Oxfordsinfonie Haydns Eroica nennen. Der
neae Stil ist bier fertig.
Wenn der erste Satz in ihr and in der Jagdsinfonie
dieselbe poetische Idee haben, ein elegisches Erinnerangs-
bild vorfQhren wollen, so tan sie das doch verschieden.
Die Oxfordsinfonie zeigt den Romponisten in einer viel
st&rkeren Weise erregt and ergriffen. Das sieht man
schon an der Einleitang, man sieht es dann besonders
daran, dafi er im Allegro gar nicht von dem ersten Ab-
schnitt seines Haaptthemas
AUeKro. . ^^
lassen kann. Das Thema erstreckt sich, ins Starke
and Zarte greifend, noch lang bin, bis die 16taktige
Kretzachmar, Fahrer. I, 1. jO
--^ 146 ^^ '
Periode fertig ist. Aber Haydn kommt iminer wieder aaf
die ersten ffinf Noten zur&ck. Bald liegen sie obeo, bald
in der Mitte, bald nnten, bald olfen, bald Uberdeckt da.
Er kann sich nicht berabigen. Das zweite Thema kommt
darnm erst ganz am Schlusse der Tbemengrappe. Es ist
eine Buffogestalt, aus vielen komischen Opern, znletzt
noch aus Rossinis »Barbier< bekannt. Hier wirkt es aber
doch wie eine freundlicbe, beimlicbe Vision: es spricht
wie ein guter Freund, wie ein liebes Kind:
Durch die Wogen der Darcbftlhrang dient es mebrmals als
helfender Lotse und hilft den verlorenenWeg wieder fin den.
So h&nfig Qg ^ ebenso bestftndig
im ersten Satz m' p^ p p |. I J kommt nnn im
gefragt wurde: *^^3 Adagio die Antwort:
Adagio cantabile. ^^^ ^^^
Das Tbema wird zur Staktigen Periode YervoUst&ndigt,
dann wiederbolt Hierauf folgen 6 Takte Mittelsatz,
dann unser Tbema schon wieder, und mit dieser Ent-
schiedenheit bleibt es auch far die Folge an der Spitze
des Formenbaus. In die Mitte des Satzes stellt Haydn
ein wildes MollstUck, aus dem D&monen ihre F&uste vor-
strecken. Aber der kleine Engel aus Ddur lili3t sich
nicht bange machen, nur eine kleine Weile kommt er ins
Stocken. Es ist das eine sehr interessante S telle, die die Fer-
maten und Septimenakkorde genflgend kenntlich machen.
Die Erregung, die wir im ersten Satz der Oxford-
sinfonie bemerken, dauert auch in dem Menuett noch
an. Synkopen und Generalpausen sind seinem Haupt-
satz eigen. Erst im Trio bringt der Gesang den Hdrem
den Frieden, dessen wir sonst an dieser Stelle von An-
fang an sicher zu sein pflegen. Selbst im Finale diirfen
wir dem frohen Ausgang noch nicht ganz unbedingt
147
traneD. Das erste Thema hat in seinem Gesicht bei allerr
Regsamkeit einen launischen Zug
Presto.
m
1 I Ji -I J^ I J "^ I ^^^ benimmt sich insofern
*' J' J ' ' i/ J h5chst eigent&mlich , als es
nach Art der unb&ndigen Tarantella nnmittelbar hinter-
einander viennal wiederkehrt. Im weiteren Verlanf ver-
schwindet es einige Male ohne alle Ursache, bricht ab,
setzt uns vor sehr verlegene Pausen und springt wie ein
Kobold, der nicht zu fassen ist, aus den hohen Blflsem
in die BaOinstrumente. In der DurchfObrung entfaltet
Haydn sehr wirksam schwierige KQnste des doppelten
Kontrapnnktes. So bleibt die Oxford-Sinfonie von Anfang
bis zn Ende originell. Haydn hat das Werk selbst hoch ge-
stellt Als er im Jali 1791 nach Oxford zur Promotion reiste,
legte er fQr alle Fillle diese Pariser Sinfonie in seinen
Koffer. Sie trat schlieBlich anch wirklich an die Stelle der
nrsprflnglicb fQr die Feierlichkeit bestimmten Kompositioir
and wurde seitdem nnter dem Namen Oxford-Sinfonie ein
Liebling der englischen Konzerte. Spftter hat Haydn ihrem
Orchester noch Trompeten und Pauken hinzugefugt.
Kurze Zeit vor die sogenannte Oxforder f&Ut eine andere j. Hajda,
bedentende G dar-Sinfonie, die ebenfalls der Pariser Gruppe o dur- Sinfonie
angeh(^rt. Die bekannte Partiturausgabe der Haydnschen ^'' *' ^^- * ^•^•
Sinfonien von Breitkopf ft H&rtel bringt sie als Nr. 13.
Sie beginnt mit einem kurzen Adagio, daB wie eine
Morgenandacht die lostige Ansfahrt einleitet, die im Allegro
sich voUzieht. Dieser Allegrosatz hat schon im Thema:
nnverkennbare Verwandtschaft mit dem
Hauptthema im Finale von Beethovens achter
Sinfonie. Man weiC ja, da6 Beethoven, weil ihm die Anf-
gabe reizte oder auch ausObermut die Arbeiten andrer Ton-
setzer zuweilen zum Ausgangspunkt eigner grofier Kompo-
10*
-^ 148 ♦—
siiionen nahin. So hat er sich mit voUer Absicht nach-
weisbar an Hllndel, Mozart, am hHufigsten aber an unsern
Haydn angelehnt. An ihn gerade, weil er sich von diesem
Tonsetzer mehr als von einem andern beeinflufit, geschult
und gefdrdert wuBte. Ihn direkt zu tlberbieten, reizte ganz
besonders. Noch fiberzeugender aLs beim bloBen Vergleich
der Themen dr&ngt sich die Verwandtschaft des Haydn-
schen Allegros und des Beethovenschen Finales auf, wenn
man Charakter and OurchfUhrung der beiden Sfttze prdft.
Hier wie dort: der unaufhaltsame, stftrmische Zug, die
pl6tzlichen verblUffenden Stocknngen der Modi;dation, die
polaren Gegensfitze in der Dynamik! Bei Beethoven ist
der Schwank nur noch um einige Grade toller gehalten.
Mit der ihr in der Stimmung ganz fremden Oxford-Sinfonie
hat die nnsre im ersten Satze einige formelle ZUge ge-
mein: Anch bei ihr tritt das zweite Thema sehr znrtick,.
beschwichtigt f&r den Augenblick, ohne Spuren zu hinter-
lassen. Auch bei ihr sind Mo- * - i ^ virtuoszum
tive dea Hauptthemas, besonders i-J ' LJ Aufbau der
Obergangspartien verwendet. Auch bei ihr ganz neben-
sftchliche, znfMllige Melodiewendungen zum Trager
der Weiterentwicklung aufgegriffen. Ein sch5nes Bei-
spiel hierfur ist ^ _ _ lautet das letzte Wort
der SchluO der i^^ f r'^fT^ ^^^ Violinen und dar-
Themengruppe : ' ' ' ' an kntipft der Anfang
der OurchfUhrung an, trftgt die Figur im diminuendo-
nach esy wo heimlich das Hauptthema anknCipft. Die
Durchfiihrung ist besonders meisterlich in der GrdBe der
Gruppierung.
Der zweite Satz ist ein MeisterstOck Haydnscher
Variierungskunst. Er beginnt mit dem Gesang (Oboe^
Cello dazu in 8va sub.):
Largo. _^ .r— -^g^. , -?e ^O
. ■ ^ . Diese 8 Takte ent-
If ^'I^P ^ l|? ^* * halten das voll-
^ stfindige Thema.
^^ 149 <^^
Wir hdren es siebeumal ohne Anderang in seinen Motiven,
nut einmal nach Adur and einmal nach Fdur transpo-
uiert Auch keinen eigentlichen Gegensatz hat ihm Haydn
gegenttbergesteHt. Die Wiederholungen werden nur darch
Zwischens&tze unterbrochen, die sith mit einer einzigen
Ausnahme — es ist die A dur- Variation , sie umfafit
16 Takte — auf vier und acht Takte beschrftnken und in
die Stimmiing des Haaptthemas einlenken, bis anf einige
ff-Takte nicht einmal aus seinem piano heraustreten. In
den Variationen selbst herrscht mit Ausnahme der ersten
und dritten, wo die ersten Geigen, und der filnften, wo
die zweiten Geigen in Zweiunddreissigsteln kontrapnnk-
tieren und begleiten, durchaus der rubige Rhythmus
der Hauptmelodie. Und doch wilrden wir nicht made,
wenn der Satz in fthnlicher Weise noch einige Minuten
fortdauerte. Das macht seine schQne wunderVolle Stim-
mung, die an Sonntage, an Kirchenstunden in der
Kinderzeit, an Tr&ume vom Paradies and ewigen Frieden
erinnert. In England wird die Melodie wirklich in den
Kirchen zu der Hymne: »Praise God, from whom all
blessings flow« gesuogen. DaC Beethoven das Thema
wiederholt benutzt hat, ist bekannt. AuBerordentlich ist
aach der unQbertrefFliche Wohlklang, der Reichtum von
Farben, den Haydn seinem doch bescheidnen Orchester
hier abgewinnt. Auch seine Leistung in der Romanze
von >La Reine< reicht noch nicht an das in diesem
Variationensatz Gebotne heran.
Im Haaptsatz des Menuett geht Haydn mit der zweiten
Klausel tiefer in die Auslegung des thematischen Gehalts
hinein, als es sonst bei ihm an dieser Stelle Ublich ist.
Der originellste Einfall im Satze ist der, dafi an den
leisen SchlQssen der beiden Teile die Pauke sich wie
von fern bemerklich macht. Auch diese Idee ist bei
Beethoven — in seiner ersten Sinfonie — auf frucht-
baren Boden gefallen. Jener unvermutete Eintritt der
Pauke hat fcir das Trio des Menuetts seine Folgen ge-
habt: Bratschen und Fagotte bereiten den richtigen Boden
zum Iftndlichen Tanz durch immerw&hrendes Anschlagen
--^ 150 ^>—
der Bafiquinten: aber die Melodieinstramente, Geigen,
Floten UDd Oboen kommea bei allem eifrigen Drehen
nicht recht von der Stelle.
Erster Saiz und Finale scheinen in dieser Sinfonie
die RoUen tauschen zu wollen. Der SchlaBsatz bleibt
mil seinem Thema:
zun&chst hinter der Flottheit des Sinfonieanfangs zurUck.
Aber je weiter wir in dem Rondo, das Haydn fiber diesen
Hauptgedanken aufbaut, vordringen, desto grdBer wird
unser Erstannen, unser VergnUgen ilber die Fiille von
guter Laune, von Witz, die ans auf Scbritt and Tritt
entgegenspruht. Eine Wendung immer keeker und drol-
liger als die andere, jeder Themeneintritt eine Ober-
raschung und eine Lust! Nach dem dritten Einsatz des
Hauptthemas kommt im If. ein Kanon, in welchem sich
fiber 20 Takte lang Violinen und B&sse in Entfemung
eines Viertels um das Thema streiten, erst die einen
dann die anderen an der Spitze. Nach dieser tollen
Hetzpartie folgt eiu um so dezenterer Obergang: die
Instrumente tropfeln die Tone nur noch leicht bin. Dann
das Thema zam letztenMale: Generalpause mit Fermate
und ein freier SchluB im dithyrambischen Stil!
Als die klassischen Vertreter des Haydnschen Stils
gelten die sogenannten 12 englischen Sinfonien,
welche Haydn fur die von ihm selbst geleiteten Konzerte
in Hannover Square Room zu London in den Jahren 1791
und 1794 — jeden Monat eine*) — komponierte. Die
bereits angeffihrte Partitur-Ausgabe von Breitkopf &
H&rtel bringt sie in den Nummern 1—9, 11, 12 und 14.
Bilden sie an und fur sich schon eine Elite, so tun
wir doch gut, auch noch unter ihnen eine engere Wahl
zu treffen. >Echter Haydnt sind sie wohl alle; aber
um sich den richtigen BegrifT auch vom >ganzeu Haydn «
♦) Griesinger a. a. 0., S. 11
/.
151
zu bilden, mafi man unter ihnen unterscheiden. Da sind
denn die Nommem 1, 2, 6, 11 und 12 den ftbrigen be-
deatend voranzostellen. Sie sind die inhaltlich reicheren,
diejenigen, in welcben der Tonpoet den Weg 2111^ Para-
diese sicb weniger leicht macht, wo er kftmpft nnd
zweifelt nnd wo der beitere Grundton seiner lebensvollen
Bilder darcb tiefe und bedentende Schatten die voUere
nnd nachhaltigere Resonanz erbftll. Sie sind mit einem
kurzen Wort — das man nicht miBverstehen wolle —
moderaer als die andem, in welcben die Skala der
Freade virtuos and mit immer neuen Nuancen aber docb
so abgespielt wird, da6 wir uns ab und zu nacb einem
Gegenmotiv sehnen. Letztere sind — und wie wir
glauben mit Unrecbt — in der Kunstgeschicbte zum
Trftger der Haydnscben Kunst gemacbt worden nnd
baben zu dem scbon berdbrten lii[3verst&ndnis vom
>Papa Haydn < gefQhrU Haydn, der immer die Friscbe
des Jflnglings bewabrt und von Schwftcben in seinen
Werken nur die der Jugend zeigt! Formell steben sicb
die beiden Gruppen, in welche wir seine Elitesinfonien
teilen, ungef&br ebenbiirtig gegenOber. Namentlicb auf
dem Gebiete, welcbes Haydn der Sinfonie entdeckt, er-
obert und ausgebildet bat: der Kunst der motiviscben
Arbeit, der Aufldsung der ganzen Gedanken in ibre
kleinsten selbst&ndigen Bestandteile und der Entwicklung
neuer groOer Bilder aus diesen Fragmenten ^ bier zeigen
jene volleren und die leicbteren Sinfonien, als ganze
Gruppen verglichen, keine wesentlichen Unterscbiede.
An der Hand jener Breitkopfschen Partitur-Ausgabe,
nnd ihrer Reibenfolge nacbgebend, durcbscbreiten wir
kurz die erste Gruppe:
Die erste Sinfonie in ibr ist eine von mebreren in Es. j. HmydB,
Ibr Hauptsatz hat eine Einleitung, ein Adagio mit folgen- Sinfonie Nr. 1
dem Thema: <^'***^ * ^•>-
Adagio. |1. i^Tpi
1^^ CflH BIm* Psfofto
«tp
i
-^ 152 «^
Die Mehrzahl der Haydnschen Sinfonien der spHteren
Zeit hat vor tiem ersten Allegro eine solche feierliche,
gedankenvoUe, sinnende, tr&umende, romantische Ein-
leitang. Das Tiefste, was an seiner Phantasie vorbeizog,
wenn er das ihm vorschwebende oder schon fertige
Werk mit einem eindriogenden Seherblick mafi, da fafite
er in den Rljingen solcher Einleitnngen zusammen. Sie
sind meist nach dem Charakter der Sinfonie, welche sie
er5ifnen, verschieden — sie baben sich auch Yon ihren
eigentlichen Vorbildern, den immer im gleichen Typus
auftretenden Einleitungslargis der franzdsischen Onver-
ttire weit entfemt. Auf Cherobini namentlich haben sie
tief eingewirkt. Unter vielen solchen schGnen Einleitungs-
sfttzen hat aber der hier in Betracht kommende zur
Esdor-Sinfonie noch seine besondere Bedentang: Haydn
kommt auf ihn im ersten Allegro zweimal zuriick. Das
erste Mai erscheinen die ernsten Ztkge des Themas
nach der ersten Formate in der DnrchfQhrung im
schnellen Tempo und nur fftr einen flftchtigen Augen-
blick; nach der Reprise fQhrt es aber der Komponist
noch einmal in seiner Originalgestalt vor. Solches Zu-
rQckgreifen ist bei Haydn &uOerst selten: es beweist in
diesem Falle, wie wichtig das Thema an sich ist. Der
Komponist stand nnter dem Banne desselben und gab
sich infolgedessen den heiteren Ideen, welche die eigent-
lichen Themen r rf- . ^ ^ m^_ ^ f f ^''^^
des Allegro an- ft * > B ^ ^ ^ I ^ f ^ f* [f [f I * Izwei-
schlagen,erstlich: ' tens:
* K *
nur bis zu einem gewissen Grade bin. Der Satz bleibt
viel st&rker auf das Ernste und GroCe gerichtet, als man
nach der ausgesprochen leichten und launigen Natur
dieser beiden Ffthrer erwarten sollte. In formeller Be-
ziehung ist dieses Allegro der Normaltypus eines Sonaten-
satzes, wie er in dieser RegelmftBigkeit bei Haydn nicht
oft vorkommt. Da haben wir ein voUkommen ausge-
-^ 153 «^
bildetes zweites Thema: auch das obligatorische Tonali-
Utsverhftitnis der beiden Themen — Tonika: Dominant
— ist genan eingehalten. Im zweiten Telle, dem soge-
nannten DurchfQhruagsteil des ersten Satzes, neckt sonst
Haydn die Zuhdrer gern, bringt das Hanptthexna z. B. so,
als wollte er die sogenannte Reprise beginnen, wfthrend
es damit noch gute Weile hat Hier aber h< er sich,
unbeschadet aller Tiefe and Qenialitftt, voUkommen schul-
gerecht. Ebenso normal verl&aft der driite Teil: die so-
genannte Reprise dieses ersten Satzes. Es ist einfache
Wiederholttng des ersten Teils mit der Qblicben Anderung,
daB das zweite Thema nun ebenfalls in die Haupttonart
tritt, and sogar eine gekiirzte Wiederholung. Nnr die
EinfflhniDg der Coda, der Moment, wo das Einleitungs-
thema wie ein Geist in die heitere Gesellschaft eintritt,
steht anfierhalb nnd Uber jedem Usus and lehrt uns die
Freiheit des Genies bewandern and respektieren. Eine
Eigentftmlichkeit von Haydns Credankenbau — das pldtz-
liche Absetzen — die pointenreiche eindringliche, oft
verbKiffende Rhetorik, eine Fracht franz5sischer Masik-
stodien — zeigt dieser Satz in besonderer Stftrke: Er
hat nicht weniger als sechs beredte Fermaten! In der
Instrumentierung sind die Klarinetten zn bemerken,
mit welchen sich Haydn erst in England nS,her be-
freondete.
Der zweite Satz ist ein Andante. Es beginnt mit
folgendem Gedanken von dunkler Schdnheit and einem
im Uberm&Oigen Sekandenschritte liegenden aparten Zug :
- , Andante. ^^^^^
Aus ihm entwickelt sich ein l&ngerer Gesang in der
zweiteiligen Liedform, dem hieraaf ein Altemativ mit
marschartigem Character folgt. Darch Versetzang der
obigen Melodie ins Dar and darch kleine rhythmische
Varianten hat hier Haydn den eben angefUhrten Themen
ein vollstftndig anderes Bild abgewonnen.
154
Hauptsatz und Alternativ werden hierauf zweimal variiert.
In der ersten Variation des Alternativs macht sich ein
Yiolinsolo sehr bemerklich. Die zweite Variation im-
poniert darch einen gewaltigen Einsatz; zum ersten Male
tritt bier in diesem Andante die gesamte Blasmusik, von
Pauken begleitet, im krSlfligsten Ton auf den Platz.
Nach dem leise verhauchenden Ausgang des Violinsolos
von doppelter Wirkung ! Der Satz belegt wieder, daB die
Kunst der Variation mit Haydns Sinfonien in ein neues
Stadium tritt. Ganz genial ist an dem Andante unsrer
Sinfonie der AbscbluG, die sogenannte Coda, welche nacb
der Fermate beginnt. Sie bildet ein freies Nachspiel za
den Variationen, ein poetisches Abschiedswort an die
vorausgehenden Szenen, in welchem alles, was an Ge-
danken nnd Empfindungen vorUbergezogen ist, noch ein-
mal kurz zusammengefaGt und potenziert erscbeint. Die
16 Takte von der tiberrascbend einsetzenden Dominant-
harmonie . auf ii bis zum Wiederein tritt des Alternativs
dQrfen wir zu dem Genialsten und Eigenartigsten rechnen,
was in der musikalischen Romposition jemals erdacbt
wordcn ist. Nicht mit Unrecht haben andere darauf bin-
gewiesen, daO dieses Andante, und namentlicb die bier
erwabnte Episode der Coda, Beethoven beim Entwurf vom
Trauermarsch seiner Eroika h5chst wahrscbeinlicb als
Master vorgeschwebt hat.
Der dritte Satz dieser Sinfonie ist derMenuett: Sein
eistes Thema
V 1 1 i!!'i|l I iCi I
l&fit schon in ungewdhnlichen Wendungen der Melodik
und Rhythmik ahnen, da6 dieser Satz Uber den ein-
facben Tanzcharakter hinausgehen wird; tats&cblich ist
er ein Charakterstiick boheren Schlags und macbt bei
allem Flu6 und aller Einfachheit der Form eindringliche
--^ 155 «^
Abstecher in das Gebiet des Tiefsinnigea und Pathetischen,
sich ungewohnlicher Modulationsmittel bedienend. Die
aafierordentlicbe Freiheit der Erfindung ist noch mehr
als im Hauptsatze in dem Trio zu bemerken, bier nament-
licb an der Stelle, wo die Yiolinen, sehr launig aufgelegt,
das Wort der H5mer weiterfdhren.
Das Finale ruht anf einem einzigen Thema:
Presto. Ganz erstaunlich,
in^trr r ir r p IfTrr hf welche Menge wech-
"* ' selnder und sch5n
aneinander schliessender Bilder aus diesen wenigen Noten
entwickelt werden! Es ist eine der groOten Leisiangen
kontrapunktischer Kunst! Im Geist dieses Satzes sind ent-
schieden Mozartsche ZQge bemerkbar. Wir begegnen sol-
cheh anch noch in andem vonHaydns engiischenSinfonien.
Sie legen in einer rUhrenden Weise von der Tiefe und Echt^
heit der edelsten Herzensfreundschaft und Liebe Zeugnis
ab, welche der alte Meister zu dem jungen gefaBt hatte.
Der Tod M ozarts scheint sie nur noch inniger zu machen.
Besonders in der Sinfonie Nr. 2 (D dur) verweilt Haydn j. HAjda.
bei Mozarts Andenken unverkennbar. Er beginnt mit Don Sinfonie Nt. 2
Juan und schliefit mit Figaros Hochzeit seinen ersten Satz. ^^'■®**^- * " >•
Es sind fliichtige sinnige Anklftnge, wortlich kaum nach-
weisbar, aber fiir das GefQhl nicht mifiz avers tehen.
Die Einleitung des ersten Satzes ist diesmal nur
kurz, hat aber einen wunderbaren, pldtzlich verschleierten
Schln0* Darauf Generalpause,Yer8tummen und Scbweigen,
als m&fite der Dichter schwere Gef&hle niederk&mpfen.
War es die frische Nachricht vom Tode Mozarts? Der An-
fang des Allegro IfiGt diese Annabme zu, denn es setzt aus-
gesprochen elegisch, leicht klagend ein, tritt auff&llig aus
dem Phantasiekreis der englischen Sinfonien heraus. Sein
Hauptthema, das ein rubiges Tempo verlangt, ist folgendes :
AUegro.
J I J J I ■ I t I Erst der frohlich krSlftige Nachsatz
iL''^ 1* j ■> iL^^i ' i bringt das eigentliche rasche Zeit-
--* 156 ♦^
maB. Das endlich folgende zweite Thema (A dur) scheint
nar pro forma da za sein and kehrt im ganzen Satze ein
einziges Mai, an der gehOrigen Stelle in der Reprise,
wieder. Die Darchf&hrttng, zum grSfiten Tell von dem
oben eingeklammerten Motive des Hauplthemas getragen,
ist schon frtlher als Masterbeispiel Haydn scher Art
erwUhnt worden. Sie erhfilt durch die entschiedenen
Rhytbmen des zagrunde liegenden Motivs einen ziem-
iich streitbaren Charakter. Nicbt ausgeschlossen ist, da6
dieses Motiv eine Reminiszenz war. Ein Klavierkonzert
von 174S' beginnt^ ^^""f J -^JJJ^^l^ ^ ^-H^
Das Andante dieser Sinfonie ist eins der interessan-
testen und fur die Auffassnng von Haydns geistiger
Pers5nlichkeit, fftr das Verst&ndnis seines Kunstglanbens
ein wichtiger Beitrag. Zu Grunde liegt dieser Komposition
ein etwas erweiterter Liedsatz mit folgendem Hauptvers:
Andante.
Er wird verscbiedentlich variiert. Doch nicbt diese
Variationspartien sind das Hauptelement der Komposition,
sondem die freien Zwischens&tze, in den en sich ein
Fond von Leidenschaft auslebt, welcher die Bekenner
des >gemUtlichen VaterHaydn« einigermaOen erscbrecken
rauO. Immer wieder werden diese sttlrmischen Ausbrficbe
einer heftigen trdben Empfindung nnterdrdckt, zurflck-
gddr&ngt and abgebrochen. Beschwicbtigend, zuweilen
gewaltsam und halb ironisch kebrt der Komponist zu
dem oben zitierten Friedensmotiv zurtkck. War es Furcbt
vor dem Damoniscben, Respekt vor der k&nstleriscben
Etiquette, die Haydn zu dieser Fuhrung dieses Satzes
bestimmten, oder war sie durch einen besonderen Pro-
grammvorwurf bedingt, der verschwiegen blieb? Es
liegen R^tsel in diesem Satze, die aber glUcklicher-
weise die rein menschlicbe und kfinstlerische Wirkung
des lebensvolien, erregten Seelengem&ldes nicbt beein-
tr&chtigen.
157
Der Menuett dieser Sinfonie ist einer der wuchtigsten,
die Yorkommen, nnd sehr mannigfaltig in seinen Bil-
daogen: grotesk und intim, drohend und neckisch zu-
gleich; reich an formell angewdhnlichen Erscbeinungen :
Rieseaintervallen, Paukenwirbeln mit Crescendo, Gene*
ralpauaen und Generaltrillern. Das Trio bleibt durcb-
au8 xart, m&dchenbaft im Blick und frdblicb einfach ge-
scbmiickt.
Das Finale beginnt h. la Musette wie die B&rensinfonie,
A. Kuhacz weist nacb, dafi dieses, sowie das Tbema vom
Andante und vom Finale der vorhergebenden Esdur-
Sinfonie in kroatiscben Volksliedern vorkommen'*}. Ob*
wobl die Priorit&tsfrage nicbt entscbieden ist, spricbt
vieles dafUr, daC sie Haydn daher entnommen bat.
Gegen das sebr frOblicbe Treiben, welcbes sicb auf
Grund dieses Tbemas im Finale entwickelt, bildet das
bedeutsam ausgestaltete zweite Tbema einen berrlicben
Kontrast.
jf i..j^ f r* II' Mf t^if ti>ij -If -ij
Es wirkt, als wenn ein gliicklicber Mensch, mitten in der
rauschenden Festesfreude, einen frommen und dankbaren
Blick nacb dem Stemenbimmel wiirfe, und erscbeint uns
als die Perle in der durch und durcb genialen Sinfonie!
Die Sinfonie Nr. 6 (Gdur) wird mit einer Einleitung j.H»)dB,
eriSffnet, in welcber die >Jabre8zeiten< ibren Scbatten Sinfonie Nr. 6
Yoranswerfen. Das erste Allegro dieser Sinfonie ist knapp <B'«i^^ * " >•
und gedrungen. Sein erstes Tbema
*) Siehe daruber U. Kelmann in Allg. Musik-Zeitnng 1893,
S. 525 u. ff.
158
finjitiLuQiuj I 'ii^i ^.ijjgrfrii
I&uft schon nach vier Takten aus dem fiblichen leisen
Anfang in den sausenden und brausenden Chor ein, der
in den meisten F&IIen bei Haydn das zweite Glied oder
die Reserve des Hauptthemas zu bilden pflegt. Das
zweite Thema, im Satz zu keiner Bedeutung gelangend,
wird wied^ roit einigen Geigenakkorden pr&ludiert, die
uns in die idyllische Sphare der Harfen- und Gaitarren-
musik versetzen. Die DurchfQhrung ist knapp gehalten ; das
oben eingeklammerte Achtelmotiv liefert ihr den grdOten
Teil des Materials. Der beriibmteste Satz dieser Sinfonie ist
das Andante. Sie heiOt nach ihm die Sinfonie mit dem
Paukenschlag, bei den EngUndem >the surprise*. Haydn
schlieBt bier eine sanfte, erst je>, dann j^pgehaltene Melodie
mit einem kr&ftigen
Akkord des vollen
^"* ' ' ' * ' * ^ ^ Orcbesters, wie Gy-
rowetz*) behauptet, aus Schelmerei, wie Haydn selbst
sagte**}, um das Publikum mit etwas Neuem zu tlber-
raschen. Der an und fur sich sehr billige Scfaerz gefiel
ganz ungemein und ist wiederholt nachgebildet worden,
u. a. von Carl M. v. Weber in der Ouverture seines eben*^
falls fQr London bestimmten >Oberon«. Das Thema wird
dann in vier Variationen durchgefuhrt, die ausgezeichnet
untereinander verbunden sind. jBesondere Aufmerksam-
keit verdient der unvermutete Ubergang nach Esdur in
der zweiten und der schone Gesang, welchen in der
dritten Oboen und Fldten dem in den Geigen her-
schreitenden Hauptthema entgegenstellen. Die Coda bat
wieder einschluromernden Charakter.
In dem sehr gestaltenreichen Menuett ist das Trio
diesmal nicht als Gegensatz, sondern als Erg&nzung be-
handelt Seine anmutig hinflatternde Hauptmelodie tragen
♦) Gyrowetz, Selbstbiographie S. 59.
♦♦) Griesinger S. 55.
— * 159 *—
Violine und Fagott zusammen vor, eiae Oktawerdoppelung,
die ilaydn namentlich in dem Menuett und in den zweiten
Themen der Ecks&tze auch in andern Fonnen gem ah-
wendet Die Heimat dieser Instrumentationsweise ist eine
entschieden volksttimliche.
Das Finale gibt sich der frohlichen Laune anfangs
nur mit Yorbehalt hin: sein Hauptthema
Allegro di molto.
r
hat eihige sentimentale Elemente. In der Fiihrung des
Satzes ist die Oberleitung zur Reprise bemerkenswert;
das Hauptthema kommt einigermafien unverroutet, aber
als willkommener Retter aus Irrfahrt und Ode.
Die 11. Sinfonie (Gdur) ist die sogenannte Milit&r- J. HAjda,
sinfonie. Sie verdankt diesen Beinamen ihrem zweiten Smfonie Nr.ii
Satze: einem Allegretto, das auf Grand einer (von <»'e»**^- * H.).
Haydn bearbeiteten) franz5sischen Romanzenmelodie
^ . — ^ .-^ ein inhalt-
^»r7pfrir '■ ir r frrnr r<l reiches Ton-
bild entrollt,
dem man kriegerische Unterlagen wohl ansehen kann.
Es ist eine Art Abschiedsstimmung in der freundlich
sinnigen Marschweise, welche die Ch5re des Orchesters
nicht mCkde werden einander zuzusingen. Dann kommt
pl5tzlich das Them a in Moll; der Satz erh< einen Mittel-
teil, durch welchen groBe Schatten Ziehen, der ernst
stimmt und die Trauer streift: >Heute rot — ihorgen tod!<
Unverkennbar ausgepr> tritt der milit£lrische Charakter
des Satzes gegen den SchluB vor: Abendstimmung: die
Romanze verklingt: Da ein Trompetensignal, das im
Orchester augenscheinlich groOes Aufsehen und Alarm
erregt. In der Instrumentierang dieses Andante ist der
groBe Apparat von Schl agin strum enten fQr die besondern
Tendenzen Haydns an dieser Stelle bezeichnend: AuBer
den Pauken: Triangel, Becken und groBe Trommel! Einen
eigentlichen langsamen Satz enthalt diese Sinfonie nicht,
&hnlich wie Beethovens achte.
160
Der Hauptsaiz beginnt nach einer prftchtigen Ein-
leitnng, die auch eine Stalle pathetischer Erregung hat, mit
folgendemThema, vod Oboen and F15te allein vorgetragen:
»•
Ehe es noch zu einem zweiten Thema kommt, pas-
sieren wir bereits Partien eigenartigster Erfindung. Die
Stelle, wo nach der Reprise des Themas in der Domi-
nant, Geiger und Bl&ser echt tr&umerisch unschlussig
mit den zwei Noten spielen und sich dann im Forte
heroisch aufraffen, gehfirt dahin. Darauf unmittelbar setzt
das zweite Thema, wieder wie von GuitarrenUftngen prS,*
ludiert, ein. Es ist eine Melodie von echtem Wiener Blut,
die znm flotten Marsch einer Infanteriekolonne ganz
gut paOt:
Dieses bis auf den Radetzkymarsch in der ostreichischen
Kunst- und Volksmusik immer wiederkehrende Thema
l&Bt aber den Schwung nicht ahnen, der im Orchester
losbricht, nachdem sich die Basse der t&ndelnden Weise
bemUchtigt haben. Die Durchfdhrung des Hauptsatzes
ruht wesentlich auf diesem zweiten Thema und erhebt
sich mit ihm ins Grofiartige. Der Menuett dieser Sinfonie
nahert sich dem alten Stile und wiegt sich in schwer-
falliger Grazie. Haydn schreibt ausdrticklich »MQderato«
vor. Im Trio scheint sich ein Solopaar zu produzieren.
Das Hauptthema des Schlufisatzes
« Fresto.
scheint auf leichten Scherz und T&ndelei hinzudeuten.
Haydn gibt ihm aber durch Modulationen und kontra-
-^ 161 ^-~
panktische Umarbeitungen einen schwereren, energischen
Charakter and flicht erregtere Szenen and Momente
daakler Spannung ein; alles mit wenigen Noten und in
einer Kdrze, die eine Meisterleistung an sich bildet. Die
MiliUlrsinfonie, die bis beute eine der beliebtesten ge-
blieben ist, gilt in England als die Krone der Haydnscben
Sinfonien, in London wurde sie binnen Jahresfrist sieben-
mal aufgefQhrt*).
Die letzte Sinfonie in unserer ersten Grappe, Nr. 12 J. Haj da,
(Bdar), beginnt ebenfalls mit langsamer Einleitung vor ^'®,?i*?I;^^
dem Allegro: Die beiden Themen des letzteren sind <»"»«•*»•)•
folgende:
a) Allegro.
b)
Das erste setzt ausnahmsweise gleich stark und mit
dem vollen Orchester ein und l&fit dann das Piano nach-
folgen. Das zweite Thema hat in dem Satze gr50ere
Bedeutung, als es durchschnittlich bei Haydn der Fall
ist. Gleicb sein erster Eintritt ist ungew5bnlich: es steht
mit einem gewaltigen Schlage da, fertig wie ans der
Erde emporgezaubert An der DurchfUhrung nimmt es
einen wichtigen Anteil. Doch stehen ihm andere Motive
hier ebenbUrtig zur Seite; neben dem Achtelrhyth-
mns des Hauptthemas ^ , ^ , ^ — . ^ .» #
noch das diesem fol- i fc*" I | l|p f P | T ^
gende kurze Seitenmo tiv : •^ *f
An Reichtum und Mannigfaltigkeit des Materials
zeichnet sich somit die Durchf&hrung dieses Satzes aus
und gestaltet ihn zu einem der imposantesten in bezug
*) 0. F. Pohl: Haydn u. Moz&rt in London U, 233, 269, 289.
Eretstcbmar, F&hrer. I, 1. H
162
auf den Aufbaa. Dem entspriiiht eine Fiille innerer Be-
wegnng und Energie. Unter den Allegros&tzen Haydns,
welche Beethoven zum AnknQpfen dienen konnten, muQ
dieser an erster Stelle genannt werden. -
Der zweite Satz, von Haydn anch in einem Klavier-
trio verwendet, mit folgendem Hauptthema
tf"^^ji' V'l "Mf?^^^^^^^
ist auffallend kurz. Mehrmals streift er das leidenschaft-
lichere und scbwermtltige Gebiet, zieht sich aber immer
mit absichtlicher Eile und in genialen Wendungen auf
das Ausgangsterrain der elegischen Tr&umerei zuruck.
Er gleicht einer Skizze.
In dem Menuett treten dem behabigen Tanzcharakter
des Hauptthemas
AUe^ro. fc * _^\ mehrfachbe-
il^'lJINJ^f iHl, I I l^il rfr^ unruhigende
^ /^ Elementege-
genfiber; namentlich ein pochendes Unisonomotiv J [ J j
bringt eine fast dramatische Bewegung in der Szene
hervor. Das Trio sucht mit einer unwiderstehlichen,
spezifisch Wienerischen Herzlichkeit zu beschwichtigen:
Die Melodie, welche durch
die chromatische Stelle
ihre Signatur erhalt, wird
wieder in der Oktave von Oboe und Fagott zusaromen
gespielt.
Das Finale ist auf das Material eines sehr possier-
lichen, augenscheinlich der Volksmusik entnommenen
Tr&llerliedchens gebaut:
Pratto. ^^^^^ ^ ^ In seinem An-
^ ~ ^"^^ •> ' " " "^ ■ -*i 4j I ^ let es Haydn
Gelegenheit zu humoristischen Episoden, denen er freie
Zwischensatze von zuweilen trotziger Kraft gegenttber-
stellt. Im ganzen ist dieses Finale eins der wechsel-
vollsten und inhaltlich mannigfaltigsten.
163
Von den Sinfonien der zweiten Gruppe geh5rt die j. HAydn,
Nr. 3 (Esdur) zu den schwftcheren. Der erste Satz ent- Sinfonie Nr. 3
behxt der bei Haydn gewohnlichen Inspiration und er- <^"**^- * " >*
scheint vorwiegend als ein Produkt der Arbeit. Seinen
vergnfiglichsten Teil bildet das z*7eite Thema
, Alle ro. ^ .^
Im zweiten Satze, Adagio (Gdur), wird ebenfalls das
zweite Thema, zum Hanptgedanken und
mit folgendem ft ^ f ^ i f ^^^^ ^^^ Komposition einen
Grundmotiv ^ * " " ' hymnenartigen Ausdruck.
Wenn bei Haydn die zweiten Tbemen hervortreten, so ist
-dies in den meisten Ffillen eine nicht uobedenklicbe Er-
scheinung. Seine besten Sfttze sind vorwiegend die-
jenigen, wo er ein zweites Thema gar nicht branch t.
Oer Menuett der Sinfonie erhebt sich in der Erfin-
dnng {Lber die vorhergehenden SStze: Er gehdrt zu der
•Gattung Haydnscher Menuette, welche den Obergang
zum Scherzo Beethovens bilden. Noch h5her steht das
Finale, in welchem die gute Laune Haydns an dem fol-
genden kurzbeinigen Thema
sich wieder in ihrer ganzen Fnsche aufrichtet. Nament-
lich an kostbaren Instrumentaleffekten ist der Satz reich.
In der Sinfonie Nr. 4 (D dur) macht sich eine gewisse j. H»jdii.
OleichfOrmigkeit sowohl innerhalb der einzelnen Ssltze als Sinfonie Nr. 4
auch im Verh<nisse der Sfitze unter einander geltend. (B'^itk. A H.>.
Hier sind die Hauptthemen.
Presto.
JLScte.
Aadaato
^^^^
11*
164
twfiito.
grctto.
^ Vivace.
Den interes-
± santesten Ein-
fallderganzen
Sinfonie bildei
der im Andan-
te die zahlrei-
chen Wiederholungen des Hauptthema einleitende, ein-
geschobene Takt.
J. llAjda, Die Sinfonie Nr. 5 (Ddur) hat ebenso wie die vorletzte
Sinfonie Nr. 5 ihreu sch5nsten Teil in der zweiten Hiilfte. Mit dem Einsatz.
(Breitk. ft H.) ^^g rj^^ j^ ^^j^ Menuett, da wo die BlUser alle zusammen
alarmierende Triolen anstinmmen, verl&i3t der Tondicbter
endlich die Idylle, in der er uns etwas lange festgebalten
hat. Der bedeu- . . Presto ma BOB troppo.
tendste Satz i a ■ n iflf pT5
ist das Finale
dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt.
Seine ersten 3 Noten bald wie ritterlicher Weckruf alles
alannierend, bald wie geheimnisvolle Stimmen aus
Waldesdnnkel erschallend, jetzt n£lher, jetzt ferner klin-
gend — haben im Ban dieses Finale besondere Be-
deutuDg. Es ist reich an Bildem; die Gruppe vor der
Einfiihrung des zweiten Thema in der Reprise gehdrt zu
den phantastischsten Eingebangen. Ihre Pansen, Ferma-
ten, ihre schnell abbrechenden SchlQsse geben der Er-
kl&rangskunst voU zn tun. Vor anderen trUgt die Fr5h-
iichkeit dieses Satzes ein milnnlich schones Geprage.
Ganz am SchluO taucht Don Juans Bild auf: »Viva la
liberta !«
J. HAjdiiy Die Sinfonie Nr. 14 (D dar) geh5rt der zweiten Grappe-
Sinfonie Nr. 14 vollst&ndig an. Der erste Satz, dem ein leichtes Thema
(Breitk. A H). zu Grunde liegt:
^ Allegro. , , f^ ^ -> p-; kontrapunk-
V ■ \~-^ -^ - - I ^ I 1 I 1 1 I u-i ^— r 1 ^^^^ stren-
ger und verausgabt einen grofien Vorrat gewaltig aus-
holender GAnge; er bleibt aber in seiner Fr5hlichkeit
etwas ftufierlich und theatralisch. Das Andante:
165
• -• «- -.^
w
schwilrmt dahin v(\e vom Gliick begfliigelt;
zuweilen bricht der Jubel mit Elementar-
gewalt herans, dann wieder zittert es in
alien Gliedern wie von heimlicher Freude. Auph in dem
dankleren Mittelsatz, der ein Mollthema fugenartig durch-
f&hrt, lebt ein schwelgender Klang. Der SchluBteil des
Andante wird zum Konzert, wo den beiden Soloviolinen
alle anderen Instnimente lanschen. Der Menuett ist von der
aristokratischen Familie und neigt dem Zarten zu. Das
Trio bringt reizende Soli der Fldte und des Fagotts, letz-
teres von der ersten Yioline nnterstQtzt. Das Finale ist
ein Rondo mit folgendem kurzgeschurzten Hauptthema:
Tivaee Mtai. _ Namentlich die
Solostellen der
Yioline, welche
die Rtlckkehr in dieses Thema einleiten, sind von eigen-
artiger Wirknng.
Die drei Ubrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine
Art Mittelstellung zwischen beiden Gruppen ein. In der
Tendenz ibrer Hanptsfttze, die dem Heroischen und Pa-
thetischen zuneigen, haben sie etwas Gemeinsames und
warden ohne weiteres den Sinfonien der ersten Gruppe
anzureihen sein, wenn sie sich mit diesen an musika-
lischem R^ichtum der Ausftihrung messen konnten. Die
bedeutendste unter ihnen ist die Nr. 9 (Cnioll), wohl J.H»yda,
auch die bekannteste. Sie beginnt ohne Einleitung mit SmfonieNr.9
einem Thema, dessen Doppelnatur weniger auf eine So- (^'■®»*^- * **•)•
nate als auf die freiere Form der Fantasie hinzuweisen
scheint:
fh yf rr|T r
ij jrfni) inj_|i ir
166
In der weiteren Folge bescfaHftigt sich Haydn vor-
wiegend mil der erregten Hflllte desselben, beginnt
aber, wie zur Entschadignng, die Rep^rise ohne diese.
Eine groGe Bedeutung hat fQr diesen Satz das volks-
tOmliche freundllche zweite Thema:
.^ Es beschwichtigt
pK Pir pipr |t f ijl I g JJ , J = die StOrme und
^ ^ ^ ^ herrscbt m dem
Wiederholangsteil des Allegro fast allein. Nach der
ganzen Anlage weist der Satz auf eine frOhere Periode
von Haydns Sinfoniebebandlung bin, in die Zeit, wo
Mozarts Einflafi zuerst zar Geltung kam. In einzelneii
Stellen, z. B. dem oben angefUbrten Hanptthema des
ersten Satzes , erinnert er ganz direkt . an ein be-
stimmtes Werk des jiingeren Meisters: an dessen Cmoli
Fantasie, Mozartsche Sparen zeigen aucb das An-
dante cantabile nnd ^ , ^^ -h ^^->> . — ,
das Finale. ErsteresiteSi |LT [^f^ r'J^ f
hat folgendes Thema :^' ^
welches in einer Reihe von Variationen ausgefQhrt wird,
von welchen namentlich die dUstere in EsmoU bervor-
zuheben ist. Im Finale empfiehlt es sich fflr den Zu-
h5rer, die ersten beiden Takte des Themas fest zu balteu
• AnfihnenberahendiezahlreichenFngen-
f r J-3 J^ I pi bildungen des Satzes; die Melodie in
ibrem vollen Umfange erscheint nur beim
AbschlnB gr5Berer Grnppen. Der darch selbst&ndige Anf-
fdbrangen verbreitete Menueit ist in seiner Verbindnng
von Grandezza und Schalkheit ein Master:
gUy^'^m
Ein ebenso anmutiges als schwie-
riges Solo des Violoncello bildet
das Trio.
-^ 167 ^^
Die Sinfonie Nr. 8 (B dar) hat ihren hervorragendsten J. HAyda,
Satz an zweiter Stelle: Es ist das Adagio cantabile, ^'?^%^Ji®
einer der wenigen langsameu S&tze in Haydnschen Sin- (^^^^^^' * "•>
fonien, der sich die idyllischen, an die Scb&ferpoesie an-
klingenden Elemente ziemlich fern hftlt. Wie das Largo
der Gdnr-SinfonieNr. 13 bat ^ ist der
er entschiednen Hymnen- -ft ^ it J J"l J h^ - Haupt-
cbarakter, folgendes Motiv tr&ger
der and&chtig gebobenen frommen Stimmung. Die
Nebengedanken sind weniger bedentend, ohne die To-
talwirkung aber zu storen. ^ ^ Pf»to.
Das Finale, dem folgen*
des Thema zugrnnde liegt ^^ ^'^
ist darchweg leicht gehalten. Nur ganz voriibergehend
f reten ' kr&ftigere Gestallen hinein. Im Hauptsatz, dem
ersten Allegro, ■ AUegru. noch ein
ist auCer dem . ft "^ " i J I -J-"|* U ^ j -^ * J ^ ^^ "°^ ^^'
Hauptthema: ^ f^ "^ sich un-
scheinbarer Zwi- f d, „^^„ i rfH^i i ■■ i z» beach-
schengedanke : fr ^ I ' I I ^'^ 1^3 ten , der
beim ersten Male im AnschlaB an das zweite Thema als
Oboensolo auftritt. Das Mozartsche Gepr&ge, welches die
Haltang des Allegro zeigt ist ihm besonders aufgedrQckt.
In der Sinfonie Nr. 7 (Gdnr) bestehen wieder, &hn- a.HAyda,
Hch wie in Nr. 1 , engere Beziehun- ^ .^^^ Sinfonie Nr. 7
gen zwischen Einleitung und erstem A J. ^ H^ \ J <^'®*^^ * ''•>•
Allegro: das erstere erdfTnende Motiv
kebrt mit der schdnen Harmonie, anf welcher es ruht, in
letzterem wiederholt wieder, noch zuletzt in der Coda
des Allegro, wo es zu einer selbst&ndigen langeren Epi-
sode Veranlassnng gibt. Das Hauptthema des ersten Satzes
ist folgendes:
TWace.
^. Der Satz interessiert
jjJIpril' Ipppip durch sehr interes-
santeEinzelheiten, er
— ^ 168 ♦—
nimmt aber im ganzen nicht den hohen Flag, den man
nach einem solchen Anfang erwarten k5nnte, nnd erregt
die Vermntung, daB Haydn f&r ihn wie ancfa f&r den
Menuett dieser Sinfonie eine alte Mappe aus der Zeit
aufgeschlossen babe, da er noch onter dem EinflnC der
italienischen Scbule stand. Denn in deren Stil gehdrt vor
allem das Haaptthezna. Bedeutender sind der zweite Satz,
ein Variationenwerk mit folgendem Grundthema:
in dem die stereotype Wiederholung der Schlnfiformel:
ganz eigent&mlich wirkt, und das Finale,
f IJ*JTJ''iJ einer der gelungensten Rondosfttze, die
wir von Haydn besitzen. Das Haupt-
thema, welches immer, so oft es wiederkehrt, vom frischen
tiberrascht und ergdtzt, ist folgendes:
Presto assai. ...^ ±
jijiiiriiLlj'ii'Ln'rf
Namentlich am SchluBe dieses Finales zeigt Haydn noch
einmal die ganze GrdBe seiner Gestaltungskraft und leitet
das harmlose Motiv flugschneli aus dem Anmutigen ins
Neckische und ins Erhabene und durch eine Ftille von
Regionen, wie sie nur ein groBer Humorist zugleich be-
herrscht.
In neuerer Zeit sind >Beethovenabende«, Orchester-
konzerte, in denen lediglich Beethovensche Sinfonien ge-
spielt werden, in Aufnahme gekommen. Auch Haydn-
abende und Haydnmatineen sind m5glich und kdnnen
sehr genuBreich sein, sie durfen sich aber nicht auf
Sinfonien beschrfinken. Denn so sehr seine Sinfonie-
musik anregt, so fiillt sie doch die Seele nicht, sie be-
darf einer ErglUizung. Dem 18. Jahrhundert brachte
■oMrta diese Erg&nzung W. A. Mozart: Haydn hat der Sinfonie
Sinfonien. ^\^ neues Gebftude errichtet; aber von dem Geiste, der
hineinzog, ist ein wichtiges Stuck Mozarts Eigentum.
-^ 169 i,^
£s sind die Ecks&tze der Sinfonie, die AUegri, an denen
Mozart eine Reform vollzog. Sie erstreckte sich nicht
wie die Haydns auf die EntwickluDg, Diircbf&brung und
Aiisnutzung der Themen, sondem sie betraf die Tbemen
selbst. In sie fabrte er ein Element ein, welcbes die
Zeitgenossen als ein »cantabiles« bezeicbnen. Was das
beifien soil, verstebt man sebr leicbt, wenn man das
Haupttbema im ersten Satz der bekannten D dur-Sinfonie
Mozarts (Nr. 38 der nenen Gesamtausgabe von Breit-
kopf & Hftrtel) oder das entsprecbende in seiner Es dur-
Sinfonie (Nr. 39 ebendaselbst) mit irgend einem ersten
AUegrotbema des letzten Haydn vergleicbt. Hier immer
rascbe, vorw&rts eilende Rbytbmen, muntere, zuweilen
leidenscbaftliche Tbemen; immer bestimmte und fertige
Aufierungen einer aktiven, positiv krftftigen Stimmung.
Dort, bei Mozart: verweilende, sicb ausbreitende Motive,
in denen eine scbwere Empfindung nacb Ausdruck ringt,
das Patbos eines voUen Herzens, welcbes die Formen
des menscblicben Gesangs bald fest ergreift, bald nur
fQr einen kurzen Moment zu streifen scheint. Diese, im
hdberen, im Scbillerscben Sinne, sentimentalen Elemente
des Seelenlebens waren der ftlteren Instrumentalmusik
selbverstftndlicb nicbt fremd, aber sie wurden dort in
der Kegel far sicb gebegt und blieben vorzugsweise auf
die langsamen S^tze bescbr&nkt; in den lebbaileren er-
bielten sie bocbstens Nebenpl&tze. Nacb der Meinung
vieler macbte sicb daber Mozart einer Stylvermiscbung
scbuldig, indem er jene sentimentalen Elemente in die
Haupttbemen und an andere wicbtige Stellen der Allegri
bineinzog, und nocb der verdiente N&geli nannte den
Meister wegen jener Kantabilit&t, durcb die ein Beetboven
mit vorbereitet wurde, einen »unreinen Instrumental-
komponisten«. Die zweite H&lfte des 18. Jabrbunderts
war jedocb aucb in der Musik die Zeit mancber wobl-
geglftckten und beilsamen Stylvermiscbung. In der
ernsten Oper Gluck, in der komiscben Piccini, Galuppi,
Guglielmi, in der Instrumentalmusik Ph. E. Bacb und in
einem bestimmten Umkreise aucb J. Haydn! Mozarts
--^ 170 ♦^
Kantabilii&t entsprach aber auch einer geistigen Str5-
mung des 18. Jahrhnnderts, die dem Optimismus des
spfttern Haydn mindestens die Wage hielt. Auf Haydns
Seite: der Adel und ein absterbendes Geschlecht, auf
^ . der Mozarts das junge anfsirebende BQrgertum, die
FiUirer der Literatur, Knnstwerke wie Clavigo, R&uber^
Kabale und Liebe, wie Hogarths Bilderzyklen. In der
Sehnsucht nach einer gerecbteren und vollkoromneren
Welt kam der Pessimism us der Aufklllrung mit dem
gl&ubigen Christentum zusammen, berlihrte sicb — ohne
es zu wissen — Mozart mit dem ihm verhafiten Voltaire.
Mozart steht als Vertreter der kantabilen Richtung be-
w. A. Mozart, reits in seiner ersten Sinfonie vor uns, die er als acht-
Esdur-Sinfonie jfthriger Knabe scbrieb. Das Hauptthexna ihres ersten
<Nr. 1 der G.-A.). sj^t2es ist SO eine .Mischung* von Ritterlichkeit in den
ersten Takten und frommem Kircbenklang im Nachsatz:
\ I I I i - I f ^ Me. ^^^ * Kantabilit&t €
' " ' " ' ^ ' ■. ' seiner Instrumental-
musik berubte dem-
nach in allererster Linie auf individuellen y angebomen
und ererbten Anlagen. Zeigt sie sich ja doch audi,
wenn schon viel schwM,cher, in den Kompositionen des
Vaters: Leopold Mozart, den wir tiberdies aus den
Brief en als einen bigotten Mann und argen Pessimisten
kennen. Glucklicherweise h< jedoch bei Wolfgang Mozart
den weltfliichtigen Elementen eine starke »Frohnatur< kdst-
lichster Art und eine unversiegliche lebensfrohe Jugend-
frische immer die Wage. Der Priester, der Weltweise in
ihm wird stets von dem Kavalier begleitet ; wie ein neuer
Minnes&nger repr&sentiert Mozart auch die besten Adels-
elemente seiner Zeit. Daher die undbertreffliche, die
unerreicht harmonische, die hellenische Wirkung seiner
Kunst, Freilich in seinen Sinfonien ist sie nicht uberall
zu finden, sie zeigen zum groOen Teil, dafi Mozarts Herz
--^ 171 ^»—
f&r die Instramentalmusik nur schw&cher schlug. Von
den 49 Sinfonien Mozarts, die KOchels Verzeichnis nach-
weist, besafien wir bis vor knrzem nar 11 im Drack und
zwar in der sogenannten alten Partitnrausgabe von
Breitkopf & H&rtel, die ^m diesen nocb eine zw51fte, aber
anechte hinznfugte. Diese Zahl ist darch die neue
monamentale Gesamtansgabe'*') der Werke Mozarts jetzt
auf47yennebrtworden. DerZuwachs besteht grofitenteils
aas Jngendarbeiten *^), unter denen allerdings mehrere :
z. B. die Gmoll-Sinfonie ans dem Jabre 1772, die in
Adur von 1773, die 3 D dnr- Sinfonien Nr. 4, 17, 20, die
B dnr-Sinfonie Nr. 24, die C dur-Sinfonie Nr. 28 der Ge-
samtansgabe mehr als bloB biographisches Interesse
haben. Aber es dauert verbftltnism&fiig.lange, eskommt
die Zeit der »EntfQbrung aus dem Serail* beran, ehe
Mozart als Sinfoniker gleichm&fiig bedentend and eigen-
tfimiicb wird. Die Mehrzahl seiner frQberen Sinfonien
sind Darcbscbnittsarbeiten mil interessanten Einzelztigen
and hobscben Einf Allen; am reizendsten &u6ert sich sein
kindliches Wesen in den Andantes und Schlofis&tzen.
Ein Teil dieser Jagendarbeiten zeigt in der Aufnabme
des Menaett and in der Themenbildung den Einflafi der
Wiener Schule, die Mebrzahl aber folgt dem Vorbild der
italienischen Tbeatersinfonie, wie sie ungefflhr Hasse' be-
handelte. In den weitausholenden Eins&tzen, in der
Allgemeinheit der Gedanken, in der dahinrauschenden,
an Fignren and gl&nzenden G&ngen reichen Rhetorik
gleichen sie Festreden. Manche haben aber von dieser
Abkanft aach einen Vorzag. Das ist ein hoher, weihe-
voller Grandton. Jedermann kennt ihn aus der Majestfit
der Jupitersinfonie, die in Bezag auf diese Eigenscbaft
keineswegs allein stebt, sondern gerade darin in den
Jagendsinfonien Mozarts zahlreiche Vorl&ufer hat.
£s gibt noch unter den seit langer Zeit bekannten
Sinfonien Mozarts solche, die gar nichts Individuelles
*) Leipzig, Breitkopf & Hirtel.
**) Detlef Schultz: Mozarts Jugendsinfonle. Leipzig 1900.
--• 172 ♦^
MoKtrt, haben. Dahin rechnen wir die Ddur-Sinfonie Nr. 31,
Ddur-Sinfonie, welche in der ftufiern Geschichte Mozarta eine gewisse
fNr*fiderG*A) Bedeutung hat Mit ihr glanbte Mozart in Paris Position
fassen zu kdnnen. Er schrieb sie ftkr die dortigen Con-
certs spirituels des Direktor le Gros (i. J. 1778) and fand
damit grofien Beifall. Sie beginnt:
Allegro. ,
1 1
1 1' ^>. I J J I J1
Die ersten drei
^^ Takte bilden
•*«• denberAhmten
»premier coup d^archett, auf welchen die Franzosen so
stolz waren. Das war nichts weiter als der gemeinsame
Einsatz des gesamten Orchesters, der allerdings bei der
aofierordentlich voUen Besetzong des Streicherchors einen
Effekt machte, dessen Natur die Pariser Dilettanten einer
besondern Oberlegenheit in der Pr&zision znschreiben
wollten. Diesen coup d'archet hat Mozart im ersten Satze
weidlich ausgenutzt und .ihm noch eine Reihe &hnlicher
dynamischer Rarit&ten beigesellt, wie er sie selbst nagel-
neu aus der Mannheimer Kapelle mitgebracht hatte. Das
allgemeine Crescendo auf einem einzigen Akkord spielt
darunter eine groBe Rolle. In der Entwicklung des
Stimmungs- und Gedankenmaterials herrscht, obwohl Mo-
zart in dieser Sinfonie dem »langen Geschmackc aus-
weichen woUte, eine grofie Umst&nd^chkeit. Das Andante
AndtBte. . g'g^g^ ist ganz acht-
AiKJ^fi ^^\^-^ J J jiiiiiirr llirbf Przehntea Jahr-
** ' viiiiB. -^ ^ hundert ; nur
eine stolze Unisonofigur derStreichinstrumente unterbricht
die Ruhe - dieser Gessnerschen Idylle. Das Finale fangt
ausnahmsweise einmal so an, wie Haydn in der Regel
seine schnellen -S&tze einzusetzen pflegt: die erste Periode
leise und dann ein tfichtiges Forte. »Weil ich hdrtet
— schreibt Mozart an seinen Vater — »dal3 sie alle letzte
Allegros, wie die ersten, mit alien Instrumenten zugleich,
und meistens unisono anfangen, so fing ichs mit den
-<^ 173 «^
zwey Violinen piano nur acht Takte an — darauf kam
gleich ein Forte, mithin machteh die Znh5rer (wie ich
es erwartete) beim Piano sch! — dann kam gleich das
Forte. — Sie das Forte h5ren and in die HS.nde zu
klatschen war eins. Ich ging also gleich vor Frende nach
der Sinfonie ins Palais Royal, nahtn ein gates Gefromes,
betete den Rosenkranz, den ich versprochen hatte, and
ging nach Haas.c
Man kann die Sinfonien Mqzarts in solche teilen,
bei denen der OavertGrencharakter vorwiegt, and in eine
andere Klasse, welche sinfonisch in der modernen Be-
deatang des Wortes genannt werden kdnnen. Daneben
gibt es noch eine kleinere Gruppe, welche den Kassa-
tionen and andem saitenartigen Gelegenheitsmusiken
nahesteht. Za letzterer gehdrt die Sinfonie (in D) Moiart,
Nr. 8 der alten Ausgabe von Breitkopf & H&rtel. Sie Ddur-Sinfoni*
hat 5 Satze, anter ihnen zwei Menuetts, die durch ein Nr.8(B.AH.).
sehr langes Andante getrennt sind. Es ist eine Kompo-
sition, die ganz and gar nichts Mozartsches hat and durch
ihren altv&terischen Charakter Zweifel erregt beziiglich
der Echtheit.
Es gibt dann noch eine Obergangsklasse, bei der die
Haaptthemen des ersten Satzes beide festlich dekorativ
and ouvertdrenmftfiig gehalten, aber durch gesang voile
and oft breit ausgefCihrte Nebenmotive in der Wirkung
beschrftnkt sind. Unter den bekannteren Werken Mozarts
gehdrt za dieser Elasse die Salzborger G dor-Sin f on ie Moxurt,
von 1780 Nr. 34 der Gesamt- Ausgabe. AUerdings verlftBt c dur-Sinfonio
bei ihr das Hauptthema das Ouvertflrengebiet: ^r.u (G.-A.).
Allegro. .
ni-iff/rfif fir , i r i\TrxTr\
^.1 ±-L» Seine elegi-
1 ifrf/ff [f T\pwpn^p^fi*\f^ ■ I sche Schlufi-
' 'f ' K r ■ I ^ wendung in
174
das Moll weist fiber did Mozartsche Zeit sogar hinaua.
Das zweite Thema aber tr> das Grepr&ge der der Ouver-
tupe nnbekannten Kantabilit&t ganz besonders stark.
t fl 1^1 1 1
ir rri if *'c?Li igi
tie.
Nur die Darchfiihrung widerstrebt in ihrer Ungebundenheit
and in ihrem starken Verbrauch neuen und verschiedenen
Ideenmaterials den neuen sinfonischenBedingangep. Inter-
essant ist im Bau dieses ersten Satzes die doppelte Reprise
des Haaptthemas.
Das Andante ist
ein echter Mozart :
Die resolute SchluOwendung zum M&nnlichen kennzeich-
net ihn. Im Finale, einem ^ Alleyro tw.
raiischenden Allegro im ^/g-
TaktmitfolgendemAnfang: ^ /
herrscht die energische, dramatische Bewegtheit der
Jupitersinfonie: Stellen, wie die folgende, geben einen
Begriff von der Deutlichkeit des instrumentalen Dialogs
und dem bilderreichen Charakter dieses Finale:
Noch entschiedeneren Sinfoniencharakter als in der
vorhergenannten haben die Themen im ersten Satze der
Mosurt, Bdor-Sinfonie Nr. 33, die im Jahre 1778 zu Salzburg ge-
Bdur-Sinfonie schrieben ist. In dem Hauptthema ist keine Spur mehr
Ar. 83 (G.A). ^^^ ^^^ OuvertOrenfeierlichkeit frflherer Sinfonien, es zieht
YoU Haydnschen Geistes daher, zum Malen deutlich eine
Originalfigur aus einem lustigen Genrestuck:
Allerro asaal.
>pPO
ifi I *' II , |i l|i |i "|i II r ipii^r Pi I
-^ 175 «—
Oanz ZS,rtlichkeit und muntere Anmut tritt ihm dann
seine Ge- ^ ^^^ ^. Die DurchfUhrung klim-
fahrtin ■Jli*^\ Qp f \ f"^ mert sich um das liebeQ^
entgegen: * wiirdige Paar leider nicht.
Sie bring! ein anderes, in der Kunstmusik seit der Nieder-
l&ndischen Schule welches ihm
heimisches Lieb- A » J_ I j« | 0* TlJi— | zam ersten
lingsthema Mozarts Male in seiner
Fdur-Messe vom Jahre 1774 erschienen ist und dem er
spater in der Jupitersinfonie einen weit sichtbaren Ehren-
platz zuwies. Eine andere Vorausnahme der Zakunft
bietet dieselbe Durchfiihrung in einer Obergangsepisode,
welche in Melodie und Harmonie auf einer Wendung raht,
die mil der Zauberfldte und dem Terzett der drei Damen
weltbekannt wurde. Nach einem weichen Andante folgt
ein Menuett, der sch&rfer als die vorhergehenden in groBen
Intervallen und festen Rhythmen die Zuge zum Ausdruck
bhngt, welche Mozart fiir diese Tonstucke mit Vorliebe
einh<. Mozarts Menuetts lehnen sich durchschnittlich
mehr an die alte Schule an als die Haydns. Sie sind
nicht so witzig und nicht so beweglich, als die letzteren,
ihr Humor ist schwerer, zuweilen iinster, streift auch wohl
ans Groteske. Immer aber tragt ihn ein kraftvoUes Ele-
ment. Das Finale ist die Krone des Ganzen: ein Ergufi
bacchantisch dahinsturmender, aber gutmiitiger Heiterkeijt.
Jugendliche, ritterliche M&nnergestalten sind die Fiihrer
dieses frdhlichen Schwarms, dem alles zuzustr5men scheint
vom Adel und vom Volk, was Fr5hlichkeit im Blute fiihlt.
Bleibt der Zug einen Augenblick bei einem sch5nen Auge
stehen, so braust er dann nur um so ilotter welter. Im
Hauptthema:
' Presto assai. .
erkennt man unschwer Fleisch und Blut aus dem £r<
dffnungssatz der Sinfonie. Unter den zahlreichen Seiten-
themen verdient namentlich die droUige volkst&mhche
Gruppe hervorgehoben zu werden, welche die Bl^ser
176
D dor-Sinfonie
Nr.86 (G.-A.).
(Oboen und Fagott als Anklang an das alte Trio), bald
nachdem das zweite Thema passiert ist, aufstellen:
Die anvermuteteD f darin weisen auf Mannheim.
Aufiere Veranlassungen haben wahrscbeiniich sehr
stark auf die Haltung eingewirkt, welche Mozart denHanpt-
sfttzen seiner Sinfonien gab. Wie die Haydnscbe Sinfonie
aus einer Kreuzung mit der Suite hervorging, so scheint
man am Ausgang des 18. Jahrhunderts in Osterreich uber-
baupt den Begriff der Sinfonie nicht so streng genommen
und ihn auf mehrs&tzige Orcbestermusik jeglichen Cha-
rakters angewendet zu haben. So erkl&rt sich bei Mozart
das scbeinbare Schwanken in den Gmndsiltzen und in
seiner Entwicklung als Sinfoniekomponist. Der eben be-
trachteten B dur-Sinfonie folgt eine Arbeit, die D dur-Sin-
fonie Nr. 35, die zum Teil wie eine Art Rtkckfall in den
Serenadenstil aussieht. Sie ging auch aus einer Serenade,
einer Festmusik hervor, die eine freudige Feierlichkeit
in der mit Mozarts in freundschaftlichen und musikali-
schen Beziehungen stehenden Familie Hafner in Salzburg
schmiicken half. Als Serenade begann sie mit einem
Marsch und hatte zwei Menuetts. Als sie nun Mozart in
ein Wiener Konzert als Sinfonie brachte, strich er den
Marsch und den einen Menuett. Aber ihrem jetzigen ersten
Satz ist das unbestimmte Pathos geblieben, welches solcbe
musikalische Gelegenheits- und Festdichtungen in der
ftlteren Zeit einzuhalten pflegten. Dieser erste Satz hat
nur das eine erstaunlich groO ausholende Thema:
Aileg^o eon spirlto
welches mit einer auOergewohnlichen kontrapunktischen
Konsequenz durchgefiihrt wird. GewiB wufite Mozart,
daO die Arbeit vor Kenner kam. Das Andante gleicht
einem dramatisierten Liede, seine simple Grundgestalt:
177
wird bald durch Zwi-
schensfttze, in denen
68 sichwunderbarund
heixnlich regt, verdr&ngt, bald durch Zutaten der Dynamik
und HarmoDie, durch Akkompagnement and wechselnde
Seitenglieder m^chiig gehoben. Menuett und Trio sind
einfach, aber wirksam kontrastierend. Das Finale zeigt in
seinem ^^^^^ ^ rT'">t ■ ^"'^ starke Ver-
Haupt- jt ^1 ffl pTj i J J ■ I f J fJ 3 I JjJ wandtschaftmit
thema ^ Osmins>Ha,wie
will ich triumphieren«. In der Tat schrieb auch Mozart
diese Sinfonie i. J. 1782 mitten unter den dr&ngenden Nach-
arbeiten der >Entf&hrung€.
Zeigt sie schon in den Allegrosfttzen Haydnsche Ele-
mente, in dem ersten beziiglich der Durchfiihrung, im
letzten in der thematischen £rfindung selbst, bo tr> die
n&chste Sinfonie [Nr. 36, C durj den Haydnschen Einfluss Xosut,
noch o£fener zur Schau. Unter den Musikem ist dieses ^ dor-smfonie,
Werk als »Linzer< -Sinfonie bekannt. Wahrscheinlich ist ^/ 3e°^G'-A.)-
es diejenige Sinfonie, welche. Mozart i. J. 1783, auf der
Durchreise durch Linz begriffen, in kurzer Zeit fiir den
dortigen Musikverein komponierte. Nicht eben tief, aber
ein liebenswtlrdiges frisches Werk, erfreut sie den Musik-
frennd durch vielfache Vorkl&nge der grofiten Zeit des
Meisters und deren HauptschOpfungen: Don Juan und
Jupitersinfonie, und durch Klangwirkungen, welche ebenso
durch ihre Eigenart wie durch ihre Einfachheit frappieren.
Wir machen in letzterer Beziehung namentlich auf die
Bl&serharmonien im ersten Satze aufmerksam. Die Haupt-
themen der Sinfonie sind:
Allegro spiritoso. ^ fl ^^ | .. I J. J^ f J l^'J j
Kretiselimar, F51irer. I, 1.
12
178
Presto. 1 I
[fll II"|II|Vm ll MMlTl
Haydn merkt man im ersten Satz: aafier in der lang-
samen, tr&umerisch gedankenvollen Einleiiung, nament-
lich in der Darchfiihrung, die hier in Haydns Weise ein-
gehender bei demselben Motive bleibt und aus ihm ent-
wickelt. Dieselbe Metbode finden wir im Andante. Dann
sind anch noch kleinere Ziige Haydns nachgebildet: die
Eins&tze der Allegri vom p zum forte schreitend: kecke,
iiberraschend in der Modulation wechselnde Perioden-
anlange: Haydnscbe Lieblingswendungen derMelodie, wie
der Schlufi des Tbemas im Andante: Eigenheiten der In-
stramentierung, wie im Trio die Verdoppelang der Melodie-
stimme: in der Dynamik unerwartete Akzente und Gegen-
s3,tze. Es ist aber noch genug von Mo z arts besonderem
Wesen in dieser Sinfonie. Nicht bloO in der Gesamt-
haltuog, in dem ihm eigenen raschen, krUftig elastischen
Schritt kommt es zum Ausdruck; wir k5nnen es bis in
seine kleinen charakteristischen Geberden und Angewohn-
heiten hinein verfolgen. j kommt wie-
Sein beliebtes chromatid ^ J ^ jji J ^ i =derholt vor.
schesUberleitungsmotiv: * ** ^ Zwischen
dieser G dur-Sinfoaie nnd der ihr folgenden Nr. 38 (D dur)
liegt ein Zeitraum von drei Jahren und eine kunstle-
rische Entwicklung Mozarts, die wir in das eine Wort
'Figaros Hochzeit< fassen wollen. Mit dieser Sinfonie
ist Mozart als Sinfoniker eine fertige GroOe. In ihr und
den ihr folgenden Schwestern — es sind leider nur
drei — steht er in bestimmter und abgeschlossener Indi-
vidualitat vor uns: in der ihm ganz eigenen Mischung
von Kindlichkeit und Ernst, ein Meister, dessen Geiste
sich die Form gebeugt hat, ein Mensch) dessen Anmut
und Liebenswurdigkeit die Tiefe und den Reichtum seines
Seelenlebens mehr zu verhiillen als zu ofTenbaren suchen.
In der Form zeigen die vier letzten Sinfonien eine Wand-
lung vollbracht, die sich in etiichen friiheren Werken be-
reits vorbereitete. Sie betriflt die Metbode in dem Durch-
179
fiihrungsteil des ersten und letzten Satzes. Wenn hier
Mozart in den friiberen Sinfonien vorwiegend ganz neues
Gedankenmaterial anfwarf, so nahert er sich jetzt dem
Haydnschen Weg und nimmt Themen und Motive aus
dem ersten Teile des Satzes. Eigen ist ihm dabei, dafi
er nicht die eigentlichen Hauptthemen, sondem Neben*
motive aus Seiten* und Obergangsgruppen benutzt und
sich bei sekundaren Ideen ausruht und sammelt. Diesen
aufierordentlieh merkwtirdigen, man kann sagen scheuen
Zug hat er einzig bei der subjektivsten seiner Sinfonien,
der beruhmten Gmoll-Sinfonie, aufgegeben.
Die Ddur-SinfonieNr.38 (geschrieben fur die Wiener Mos«rt,
Winterkonzerte im Dezember 1786) hat eine bedeutende Ddur-Sinfonie
Einleitung: im Tone freundlicher Ahnung beginnend, in ^ ^ " ^"
der Mitte duster, zum Schlusse iiber Seufzer and Bitten
in demiitige Resignation einlenkend. Der Allegrosatz ist
zwischen eine fragend bange Stimmung und die Regungen
eines ringenden Kraftgefiihls geteilt. Diese Momente treten
schon im Hauptthema direkt nebeneinander:
^ Allegro.
g>'N>J^J J Jil^iJ J J J>lJ>y J-J>'J>JJ J-J>'
Tronprtvn
f
f7i\l iiti n\t^ r p \ i J J J I J
r rr
Das zweite Thema
yi
_ bildet nur einen
tiert sofort in Moll und verschwindet dann auf lange. In
der Durchfiihrung erscheint aus den Themen allein das
oben eingehakte Motiv, dem noch zwei andere, heftig
angelegte Figaren. den Obergangsperioden der Thema-
gruppe entnommen:
12*
180
I ,■ J tfiif f ^cli; f 1%
zar Seite treten. Es herrscht unter ihnen die eogste
ReibuDg: das eine kommt nie ohoe das andere, and wie
in der Mehrzahl der spateren Instramentalwerke Mozarts
geschieht die ganze Ideen- und Formenentwicklung Dach
den Prinzipien des doppelten Kontraponkts. Ein Hdhe-
punkt Oder ein Resnltat dieser Ideeng&nmg ist nicht zo
bemerken, der SchlaO zieht sich wie tastend und suchend
nach dem Hauptthema zurCkck, welches vpr der eigent*
lichen Reprise in harmonischen und melodischen Um-
stellungen erscbeint, die einen feinen poetischen Zug
bedeuten. Ein Merkmal der letzten Sinfonien Mozarts
ist der engere Anschlufi in den Charakteren der einzelnen
S&tze. Diesen Zusammenhang zeigt unsere Ddur-Sinfonie
besonders stark. Wie er innerhalb des ersten Satzes die
Gestaltung und das Wesen von Einleitung und Allegro be-
einflufit, so bestimmt er auch das VerhUltnis dieses ersten
Satzes zum Andante. Schon im Hauptthema dieses Andante
Aadanto. ^ __ ist die Verwandt-
jschaft zu erken-
nen. Inihmliegt
noch etwas von der gedruckten Stimmung, mit welcher
der erste Satz begann; nur die Nuance ist eine mil-
dere.Mitdem p N l J 1 i ■ ^^ ^° der Entwicklung
Seiten motive {jy^^^^V^lJ) ~ des Satzes eine bedeu-
tende Stelle einnimmt und gem in kanonischer Stimm-
fiihrung erscheint, strebt das Andante fregandlichen Re-
gionen entschiedener zu. » f-m, t-t-t- f kommt der
Durch das energische tfi j ^^j^^^^g£= energische
und finstere Gegenthema ^ f ^ und dra-
matische Cbarakter, der dem ganzen Satz eigentiimlich
ist, aufierlich am deutlichsten zum Ausdruck. Er be-
herrscht den Geist des ganzen Satzes in dem Grade,
daO alle die Stimmung aufklilrenden und freundlicben
Abschnitte nur Versuche bleiben. Daraus erkl&rt es
sich, daO das siiOe zweite Thema des Andante (in Ddur)
— ^ 181 H>>-
atif dessen Verlauf nicht die geringste Wirkung ubt.
Ihre gr56te Macht entfalten die dunklen Seelenmftchte
in der Durchftkhruog, wo sie selbst das Hauptthema
ins TrQbe und Bange (Dmoll, EmoU) wenden. Der
SchluB ist Qberraschend in seiner sich still verlierenden
Form sowobl als in dem halb humoristischen Ausdrnck.
Da6 diese D dnr-Sinfonie anf die alte dreis&tzige ita-
lienische Form zurQckgreift, scheint kein Zufall zu sein,
sondem das ist ein £rgebnis der Innerlichkeit dieser Mosik,
der Stflrke and Echtheit, mit der sie die Spannung des
Gem&ts widerspiegelt, in der sich Mozart zur Zeit dieser
Komposilion befand. Ein Menuett, der Tanzsatz des ftuBer-
lichen Herkommens wegen, wftre Mozart in jenen Stun-
den mehr als bloBe Verirrung des Stils, wftre ihm eine
LQge gewesen. Eine Szene der Gemfitlichkeit paBt in das
Seelenbild, das diese Sinfonie gibt, nicht; eher geht es
mit einem gewaltsamen Humor. Ihm wendet sich der
SchlaBsatz zu. Sein Hauptthema soil und will Frdhlich-
keit bringen, zum Aufra£fen helfen.
Presto.
ttber Abschnitte der Nachdenklich-
keit und stQrmischen Erregung ge-
langt die Darstellung zu dem zwei-
ten Thema (in Adur), das mit einem Anflng von Resig-
nation ein frohliches Behagen, eine Art GlCkck in
der BeschrS.nkung ausspricht. Die Kftmpfe, die der
Ideengang der€infonie erwarten IftOt, sind in der Durch-
f&hrung und im ersten Teil der Reprise enthalten, in-
desseu mehr nur angedeutet als vorgefQhrt. Schon
hieraus ergibt sich, daO das Finale an UrsprGnglichkeit
und seelischer Macht die beiden ersten Satze nicht er-
reicht.
Die drei letzten und beriihmtesten Mozartschen Sin-
fonien entstanden anderthalb Jahre nach dieser Ddur-
Sinfonie und zwar in der Reihenfolge: Esdur (26. Juni)
Gmoll (25. Juli) und Cdur (10. August 1788;.
— (► 182 ^^
Xoxart, Die Es dur*Sinfonie (Nr. 39), welche, wir wissen
Es dur-Sinfonie nicht von weiD, den Beititel »Schwanengesang« erhalten
^gesan^P' hat, ist unter den letzten Sinfonien Mozarts, vielleicht
Nr. 39 (G.-A.). unter seinen samtlichen Sinfonien, die Haydn am nS^chsten
stehende. Sie ruft das Bild dieses Vormeisters nicht blo6
in formalen Nachbildungen wach, sondern namentlich
dnrch das geistige Lebenselement, welches sie bewegt.
Sie ist entschieden dem Frohsinn gewidmet, und wenn
wir sie als Ausdruck von Mozarts personlicher Sttmmnng
betrachten dQrften, so war die Zeit, wo er diese Sinfonie
schrieb, eine sehr glUckliche.
Die Einleitang des ersten Satzes beginnt in
Pracht nnd Spannung. Ganz am Schlusse nur kommt
ein schwer- Adagto. ^^.^
miitiger Don f^ ri. n , ^J If "f I f >! kJ l/)M J^Ttj
Juan-Klang: 'l^
Das Allegro stellt ihm ein beruhigendes Bild entgegen:
t f^r \^fT7^ \ i' nil iTTii iijh ifi:!
Der Wiederholung dieses freundlich zusprechenden
Gesangs folgt ^ _,^ _ ^ _ » Es ist der Aus-
das Haydn- m ^'j j, I J J M J J^l J druck stolzen
sche Forte: 7 "* ^^^ ^ Kraftgeffihls,
welches von nun an im Satze herrscht. Er ist eine Art
Mozartscher Eroica, zwar ohne Kampf und Sturm; aber
in dem knappen, energischen, wuchtigen, bis zum Heraus-
fordemden hingehenden und doch immer der Selbstbe-
herrschung sichern, m9.nnlichen Ausdruck der Freude liegt
etwas entschieden Heldenmafiiges. Was Haydnsch ist im
Satze, das erscheint aus dem Klangregister des Jtknglings
auf die Stimme des Mannes iibertragen. Die tandelnd
anmutigen Elemenle sind ferngehalten. Der in glucklicher
Erinnerung schwelgenden Schwarmerei ist ein dunkler
Ton beigemischt:
183
r f r irlj|> Ti f'T\" I fTrnfr r>jg 1 1 i|i m i
so IftQtet das zweite Thema in bedeutsamer Kantabilitat.
Fur die DurchfQhrung, wel- ^ ±\^f. ±^f±f,f
che sehr kurz ist, hat folgen- 1 HT i hd\m\\ *
des Nebenmotiv Wichtigkeit
Mit einer Generalpause wird sie abgebrochen, und in der
genialen Kurze, mit welcher Mozart an diesem Punkte
h&ufig verfilhrt, leiten 3 Takte der Bl^ser in die Reprise
fiber. Dem zweiten Satze der Sinfonie, dem Andante,
liegt folgen- Andante. ^g;;__^ i — ^ ^^
desHauptthe- iHij JJJfll >iT JTW I rvjjrfLT I Q
mazngrunde ^'"^ -^
in seiner marschartigen Natur an Haydnsche Vorbilder
erinnernd. Im zweiten Teile stellt ihm Mozart zun&chst
ein heftiges Motiv entgegen, das den Frieden des Satzes
wiederholt in Frage stellt Nach AbschlnB dieser F moll-
Episode beginnen die Blftser ein beschwichtigendes S^tz-
chen, das in seiner barmonischen EinfQhrung und in
seinem imitatorischen Stile sicb aufierordentlich eindrucks-
voU bemerklich maeht. Der Menuett setzt sehr krS.ftig ein:
^ , AUegretto. _„,,i<*f^ ^* mit prSch tiger Aus-
'^ ^ ■* der untern Violin-
saiten. Das Trio, von der Klarinette gesungen und ge-
schw&rmt, ist eine der lieblichsten Idyllen, die musikalisch
gedichtet worden sind. Das Finale, Uber folgendes Thema
gebaut:
AUe^To
ist Haydnsch im Material und im Geist, neckisch, leicht,
scherzend und tandelnd. Auch die Oberraschungen mit
Generalpausen , dynamischen Kontrasten, plotzlicher
-<^ 184 «^
Rackkehr des Themas fehlen nicht. An einzehien Stellen
klingen uns spezifisch Mozartsche T5ne entgegen; aber
es sind nor korz eingeworfene Motive. Zur Aasgestaltong
eines zweiten Themas kommt es nicht; viehnehr wird
der ganze Satz mit jenen wenigen Grandtakten bestritten,
welche oben zitiert sind. Es ist nicht genng zu be-
wundern, welches bunte Leben Mozarts Kunst und dra-
matische Phantasie ihnen abgewinnt Es tummelt sich
in diesem Finale wie auf den Marktbildern der nieder-
l&ndischen Schnle: die komischen Grruppen lunsteht and
belohnt eine lebendige, froh erregte Menge mit fort-
reiGendem Gel&chter; die Komik ist von der feinsten
Art bis zur nnfreiwilligen vertreten, und auch der der-
beren Lustigkeit der Volksmasse ist ein Platzchen mit
eingerftumt Siehe im ersten Forte die _ ^ ffff
plump drollige^ dem Anfang des Menu- ^ >^ &J ' I p ' ■ i
etts verwandte Frdhlichkeit der Basse: ^
Wie mit einem pldtzlichen WindstoG ist der ganze Kar-
neval verschwunden.
Im direktesten Gegensatz zu dieser Es dur-Sinfonie
Moiart. steht die in GmoU in Bezug auf Inhalt Man kann nur
^?«>1g^aT ^^^''^^^^^ ^^^ Mozart einen solchen seelischen Kon-
trast, wie er ihn in diesen beiden Werken innerhalb
Monatsfrist darstellte, nicht auch personlich an seinem
eignen Schicksal hat durchleben mtissen. G moll ist eine
Tonart, die bei Mozart immer etwas Besonderes zu be-
deuten hat. Wir denken an das Klavierquartett und an
das Quintett. Aber hier in dieser G moU-Sinfonie vom
Jahre 1788 ist er doch noch anders, als er jemals vorher
gewesen. Eine dergleichen leidenschaftliche Hingabe an
eine einseitige Stimmung und noch dazu an eine so
dtkstere, kommt in der ganzen Kunst ilberhaupt nur selten,
sie kommt bei Mozart nicht wieder vor. Vielen erscheint
allerdings heute dieses Werk in Bezug auf seinen Aus-
druck gar nicht weiter der Rede wert, denn es ist Jahr-
zehnte lang in Zwischenaktsmusiken geschmacklos ver-
braucht worden. Aber noch im Jahre 1802 wird diese
Sinfonie von Leipzig aus eine >schauerlichec genannt.
185 ^-
Diese Bezeichnung kommt der eigentlichen Natur der
Omoll-Sinfonie vielleicht doch nfther als die imitierte
Begeistemog, mil welcher nenere Mozartverehrer uimb
immer wieder und immer wieder nur anf die Anmut des
Werkes aafmerksam machen.
Es ist wohl nicht blofi zuf&Ilig, dafi die GmoU-Sin-
fonie keine Einleitung hat. Mozart steht hier sofort
mitten in der Sache drin:
Allegro
^ t"b fi 'in 1 1 cm
Das ist allerdings anmutig in der Form, aber in ihrem
Verhftltnisse zum Inhalt erinnert diese Form an das be-
kannte Wort von der >guten Miene zum bosen Spiele*
Der tiefere Zng des Leidens, welcher sich schon in dem
SextenschlaG des ersten Abschnitts vom Thema verrftt,
kommt in der Nachsatzperiode noch dentlicher zum
Ansdruck:
und in dem un-
mitt^bar zugefdg- 1£
ten SchluGmotiv ^
ii
I
i $4
I
bricht die
innerliche
Erregung
Ln7 — * L/ r
d&monisch dnrch. Das zweite Thema bringt keinen
Gegensatz zum ersten, sondem es erweitert und begrfin-
det den erregten und dUstern Charakter der dort ausge-
sprochenen Stimmung ^isk^ ok. ^,.^ ^^
durch Tone der Weh- li^ ^'Ylt'Crrrk fTrlf^r
mut und Sehnsucht
Trotzige Kraft lehnt sich dann anf, sie wechselt aber
sofort mtt rfUirender Klage. In der Durchftthrung werden
dieVersuche, denBann drfickender Ideen zn durchbrechen,
mit grofier Kuhnheit, aber erfolglos erneuert. Nach
schneidenden Dissonanzen, nach gewaltigen Ausbr&chen
der Heftigkeit endet der Kampf mit einem von den Holz-
blftsern gedeckten kleinlauten Rfickzug in die Reprise.
Bemerkenswert ist, dafi in dieser DurchfQhrung alles
186
thematisch ist, ein bei Mozart ganz seltener Fall. Er
greift weder zu neuen Motiven, noch zu Giingen und
PassageD, die Phantasie bleibt an das erste Thema
gefesselt. Das Andante hat zum Hauptthema folgendes
Satzchen :
i
^
^
SE
I'^'L^. if^f^
[?''■'>
hf^-^^j^n^
f f ^
f
Sein z5gernder, immer wieder ansetzender Aufbau kUn-
det den suchenden and fragenden Gnindcharakter des
ganzen Satzes an. Das n&chste Gegenmotiv, welches
ihm Mozart zuschickt, stellt sich kraftvoll einsetzend
in den Weg und ver- ^ ^ f
flattert ebenfalls bei J » ' f tJ'^^^Sf^ti ^J^ ^'^'^
seinem zweiten Schritt J'
Seine Zweiunddreifiigstel-Figur bildet mit dem Achtelmo-
tiv des ersten Themas im Satze zablreiche . jtn jTN
sinnvolle Kombinationen. Ein kurzesim' fit' ^^
drittes Thema dieses Andante, beginnend: '
ist aufierordentlich inniger Natur.
Der 4 ^b , , I _ ) ^ I I n I -T — : — nimmt den
Kampf wie-
Menuett
der entschieden auf; er ist mit den harten Dissonanzen
seines zweiten Teils einer der streitbarsten Satze, die anf
Grund jener alten zierlichen Tanzform jemals gebildet
wurden. Das Trio klingt sdfi und in kindlicher Unschuld
dazwi'^-^^ , , J , _ , I Seine zweite Klausel enth&It eine
schen.yRr § \ i f f \^ der gefiirchtetsten Hornstellen.
Im Finale herrscht eine einigermaBen unheimliche
Lustigkeit. In Unruhe und Aufregung sti!krmt es dahin
mit seinem Hauptthema:
187
f I' J II 1 1 rr ^iii'i iMiiiiiiii II I n
^ *!' Ill I'
anvorbereitete Septimen und anderlei bdsartige Elemente
ergreifend. Mit verzweifeltem Humor jagen die Stimmen
in der Durchfdhrung emsig kontrapunktierend das ver-
wegene Thema durch die Tonarten — das zweite Them a
bietet kaum einen Rnhepunkt in der Hast des Satzes.
Seiner Natur getreu geht er ungestiim nnd ungeklfirt
zu Ende.
Mozarts letzte Sinfonie, die Cdur-Sinfonie Nr. 41,
ftkbrt den Beinamen der >Jupitersinfonie<. Sie darf in
mancher Beziehung fiir Mozarts groGte Leistung im Sin-
fonienfache gelten und bildet eines der schdnsten Denk-
m&ler seines freien, starken und relchen Geistes. Keine
andere der Sinfonien Mozarts hat diesen breiten Wurf
der Themen, keine andere verbindet mit dem gleichen
Reichtum wahrhaft goldener Ideen die Einheit im Cha-
rakter und die Harmonie der Darstellung. Es lebt etwas
An tikes in ihr: eine erhabene Heiterkeit und ein SchOn-
heitsgef&hl, das auch ihre vollsten LustausbrUche adelt.
Ihr erster Satz khngt mit seinem Eingangsthema wieder
an den festlichen Ouverttirenton der friiheren Sinfonien
Mozarts an; aber schon nach dem ersten Komma wird
der Charakter innerlich
und so bildet nicht bloG dieses Thema — es hat bis zu
seinem vollstHndigen AbschluQ die betrHchtliche L&nge
von 23 Takten — sondem der ganze Allegrosatz eine
meisterhafte und erquickende Verbindung von ftuGerer
glftnzender Schilderei und ediem Seelenausdruck. Es ist
im allgemeinen nicht so schwer, Programme zu den
Meisterwerken unserer klassischen Instrumentalmusik zu
188
schreiben; bei der Jupitersinfonie kann man der Ver-
lockung kaum widerstehen. Man siefat die einzelnen in
ihren stillen Gedanken dahingehen, die Massen in lauter
Freude aufsch&umen ; es wechseln Bilder und Szenen in
ruhiger Steigerung und Folgerichtigkeit , aber auch mit
erschreckenden Zwischenf&Uen. Merkwtirdig, wie trotz des
festlichen Grundtons ^ ,^rr^ ^ ♦• i5->^
die Motive des inti-a£=£=T \\^ ■ \k T/^p fP^r*'rjgg
men Gemutslebens ^ ^ r - r i^ t^ y -
und der naiven .^ ^
volkstamlichen i_ j Trt^^^l^^'^^'fPffi P^
FrOhlichkeit : *^ ^ ' ' '
den Gesamtausdruck des Satzes bestimmen!
Im Andante stellt Mozart drei Fiihrer auf. Sein erstes
Thema lautet:
Ibm tritt in gewohnter Weise ein zweiter Satz entgegen von
drohender. gegensfttzlicher Haltang. Er ist diesmal nur kurz
skizziert und geht in einen erhaben friedevoUen Gesang&ber
dessen beweglicbes Nachspiel (s.*) im weiteren Verlauf AnlaG
ztt Kombinationen und Wendungen gibt, die in ihrer geni-
alen Mischung von Tiefsinn und leichtem Spiel ganz einzig
sind. Der Menuett dieser^ fu'lkT'^. .r"^
Sinfonie ruht auf sinnig^ 8 T T l^f P r ipTprpTK' f
beschaulichem Boden ^
Sein Trio hat in der Achtelmelodie und in der Instrumen-
tierung Haydnsche Elemente. Der berilhmteste Satz der
Sinfonie ist das Finale. Man nennt das ganze Werk zu-
weilen mit bezug auf diesen letzten Satz die C dur-Sinfonie
mit der Schlufifuge, und noch neulich hat ein Mnsikschrift-
-^ 189 ^^
sUUer, der sich in SpeknlatioDen gef&llt, nachzuweisen
gesucht, wie sich in diesem Finale Faust nnd Helena ver-
mablen, wie hier die venneintlich ganz konir&ren Stilarten
der Fuge and Sonate ihre erstmalige Verbindung eingehen.
Von alledem ist wenig wahr. Um diese Sinfonie von andern
Cdnr-Sinfonien Mozarts zu unterscheiden, mag man sie die
Sinfonie mil der SchlaOfnge nennen. In Wirklichkeit aber
spielt die Fugenform darin eine untergeordnete Rolle. Das
Hanptthema des ^ . ^ ^^ wird nach dem er-
Satzes, ein altegjtf "I* 1^1"! sten HalbschluO, den
Allerweltsmotiv ^ der Satz machi, in
einer einfachen Fuge durchgefiihrt, die nach 21 Takten
zu Ende ist Nach der Reprise des Satzes schliefit Mozart
nicht einfach, sondem setzt noch eine Coda an, die eben-
falls wieder mit einer Fuge beginnt und zwar mit einer
sogenannten Tripelfuge, bei welcher zu dem schon an-
gegebenen Hauptthema noch folgende 2 Sujets hinzutreten
Nach 34 Takten ist auch diese Fuge wieder zu Ende.
Das an letzter Stelle angeftlhrte Motiv fungiert imSatze
von vomherein als sogenanntes zweites Them a. Da6 es
wie auch die dbrigen Motive und Themen in diesem Fi-
nale mit RQcksicht auf kontrapunktische Brauchbarkeit
erfunden ist und dafi der Ausdrucksgehalt dieser RQck-
sicht nachgesetzt worden ist, braucht nicht erst nach-
gewiesen zu werden. Der Schlufisatz der Jupitersinfonie
ist und bleibt ein Meistersttick der kontrapunktischen
Kunst, die sich namentlich in Engffihrungen und kano-
nischen Nachahmungen im voUen Glanze zeigt, aber, wie
sich im folgenden Kapitel zeigen wird, ist er darin in der
Periode der Klassiker kein Unikum. Jedoch in der Haupt-
sache erhebt er sich Uber alle verwandten Arbeiten in
der gleichzeitigen Sinfonik : nftmlich unser Finale ist auch
im Charakter, im Ausdruck eines kraftbewegten festlichen
Lebens ein Meistersttkck, wiirdig eines Jupiter, eines Olym-
piers der Kunst.
--^ 190 ^^
Mozart und Haydn waren pers5Dlich befreundet,
liebten einander als KiinsUer; aber wie das bel starken
lQdividualitS.ten nattirlich ist, keioer wirkte auf den an-
dern kunstlerisch wesentlich ein. Haydn bringt zuweilen
einige kantabile Wendungen, Mozart eignet sich bei guter
Laune humoristische Effekte Haydns an, aber im Wich-
tigsten, in dem neuen Prinzip der motivischen Gedanken-
entwicklung folgt er ihm nur ansnahmsweise. Wie jahr-
zehntelang italienische und franz5sische Sinfonien neben-
einander hergegangen waren, so lieB sich die weitere
Geschichte der Sinfonie bereits auf eine neue und feind-
selige Teilung in eine Haydnsche und eine Mozartsche
Schule an. Da ereignete sich eine jener gltlcklichen
FQgungen, wie sie die.Kunstgeschichte in ihren gr56ten
Zeiten mehrfach zeigt. £s kam ein Dritter, der die
Lebenstaten seiner beiden grofien Vorm&nner zusammen-
L.T.BeethoTen, fafite. Ludwig von Beethoven erschien und gab mil
Cdur-Sinronie neun Sinfonien einem vollen Jahrhundert zu tun! Und
(Nr. 1). QQ^}^ immer nicht konnen wir sagen, da6 das richtige
Verh<nis zu diesen Ausnahmswerken gefunden set.
An die Sinfoniekomposition, den Hauptteil seiner Un-
sterblichkeit, trat Beethoven verh<nismUBig sp^t und
bescheiden heran. Seit kurzem liegt allerdings in der
Jenaer Sinfonie. sogenann ten Jenaer Sinfonie ein Werk vor, das ihn der
auBern Beglaubigung nach zum Verfasser haben kann.
Ihr Stil ist aber f&r Beethoven, auch wenn wir eine sehr
fruhe Entstehungszeit annehmen, auff alien d glatt und
lUBt eher auf einen Komponisten aus der Gruppe Van-
hall-Pleyel-Rosetti schlieBen. Deijenigen Sinfonie, die der
Meister selbst als seine erste bezeichnet hat, gehen in
den Klaviersonaten des op. 2, in der Trauerkantate auf
Joseph II. viel bedeutendere und <ere Werke voraus.
Jedoch leicht hat er das neue Gebiet nicht genommen.
Wir k5nnen bei ihm nicht nur die fertigen Kompositionen,
sondem auch die Entwttrfe und Vorarbeiten dazu stu-
dieren. Oberall und jederzeit begleiteten ihn schmale blaue
Notenhefte, in die er alle Einf&Ue und Versuche eintrug.
Sie sind uns als die sogenannten »Skizzenbucher< Beet-
— t 191 ^^
hovens zum groBten Teil erhalten geblieben — die KgL
Bibliothek in Berlin besitzt die meisten — , und Gustav
Nottebohm bat eine Auswahl ihres Inhaltes in den Drnck
gebracbt*). Nach diesen Dokumenten hat Beethoven an
seiner ersten Sinfonie schon im Jahre 1791 angefangen,
aber erst im April 1800 kam sie als Op. 25 zur Auffiih-
rung**). Man sieht mit der heutigen Beethovenbrille dem
Werke die zehn Jahre Arbeit nicht an, man tut ihm aber
Unrecht, wenn man es schlechthin, wie das in der Regel
geschieht, fQr eine Kopie im Mozartschen Stil und im
allgemeinen flir unbedeutend erkl&rt, Kraft und Lust,
Frdhlichkeit, leichter Scherz, spriihende Heiterkeit, ja
auch ein wenig Schw&rmerei, anmutiges Traumen — aber
nur Empfindungen freundlicher Natur bilden den Ideen-
kreis, den Beethoven in seiner ersten Sinfonie durch-
schreitet Es sind die Stimmungen , an welche sich die
Orchestermusik des Stidens in il:^en Durchschnittsleistun-
gen bis auf Beethoven bin fast ausschlieBIich hielt. Nichts
von dem tiefen Ernst des nordischen Bach, nicht eine
Spur von dem Pathos, welches manche der Haydnschen
Adagios kennzeichnet, nichts von der Mozartschen Me-
lancholie — nichts vor allem von dem Beethoven, welcher
die Eroica schrieb, die 6., die 9. Sinfonie, die spftteren
Quartette, die groGen Klaviersonaten, eben jener Beet-
hoven, den wir meinen, wenn wir seinen Namen nennen !
Und doch ist er schon in der ersten Sinfonie als ein
Eigner zu erkennen, in erster Linie im Ausdruck einzelner
Stellen, im kiihnen Vortrag und Wechsel der Gedanken.
Diese Eigenschaft war es , die C. M. v. Weber im Auge
*) G. Nottebohm: 1. Ein Skizzenbach von Beethoven (1862).
2. Ein Skizzenbuch B.'s. vom Jahre 1803 (1880). 3. Beet-
hovenlAna (1872). 4. Zweite Beethoveniana (1887). AUe Leipzig :
Rieter-Bledermann.
*^) Die genauesten Angaben fiber Vollendung und erste Auf-
fuhrungen, Stlmmen- und Partiturverlag der Beethovenschen Sln-
fonlen bletet: Georg Grove: Beethoven and his Nine Symphonies,
London 1896.
-^ 192 <>-
haben xnochte, als er die erste Sinfonie Beethovens eine
•feorig-strOmendec nannte.
Im ersten Saize der Cdur- Sinfonie (Op. 21) schliefit
sich Beethoven in der Erfmdung der Themen an Mozart
an. Das Hauptthema:
<"j.j^ij.43ijjjjjj.|jUJ I 'I Ti II
mit welchem, nach einem sehr eigenwillig auf dem Sep-
timenakkord einsetzenden Adagio von kurzem Umfang,
das Allegro begin nt, hat nicht blo6 den allgemeinen,
spannenden Charakter, welchen Mozart f&r seine Ouver-
turensinfonien gem einh<, es ist geradezu eine Variante
sum Hauptthema des ersten Satzes der Jupitersinfonie.
Es wird in zweimaUger Sequenz weiter getragen: ein
krftftiges Forte krOnt den breiten Aufbau, ganz so wie
wir das bei Mozart oft gesehen haben. Auch das zweite
Thema
jjirr'mif-^^-'^i^^
^-r^ .<rr-J J ist ganz Mo-
JTid lAui A zartsch. Der
I i jubelnde
Nachgesang
welcher ihm folgt, kommt w&rtUch so in der Jupitersin-
fonie und in andern Sinfonien des Salzburger Meisters
vor. Gleich danach tritt aber Beethoven selbst in das
Orchester. Es ist an der Stelle, wo die brausende Gdur-
Kadenz so ganz plotzlich von einem pp. abgel5st wird,
wo die Basse still Uber das erste Motiv des zweiten The-
mas sinnen und die andern Instrumente in dunklen und
unruhigen Harmonien festliegen. Die Oboe findet den
Ausgang aus der unheimlichen Verzauberung. Das ist
znm ersten Male das dfimonische Element Beethovens in
der Sinfonie! In der Durchf&hrung dieser Gedanken folgt
Beethoven der Haydnschen Methode der motivischen Ar-
beit. Er geht aber schon bier im Herausgreifen und Be-
193
Yorzugen der kleinen nnd unscheinbaren Motive und in
den kt&hnen modnlatoriBchen Umbildangen, denen er sie
anterzieht, fiber seinen Meister binaus. Es sind beson-
ders das Motiv aus dem vierten Takt des ersten and ans
dem ftknften Takt des zweiten Themas.
Das Andante bat zmn Haupttbema eine Melodie:
deren Metram ungew5bnlicb ist: 7 Takte. Sie wird fugen-
mftfiig kurz dnrcbgef&brt, dann bewegt sicb der Satz in
Haydnscber Weise weiter: aucb die konzertierenden
Triolenstellen feblen nicbt und nicht die leise Begleitung
derPanken*). Den Cbarakter bebaglich anmntiger Scbw&r-
merei, welcben der Satz tr>, unterbricht nur der An-
fang der DnrcbfQbmng. Aber bier ist er auch scbon der
ganze, der einzige, der erscbreckend grofie Beetboven,
den man aus Tausenden beraus erkennt. Mit den bloGen
zwei ersten Noten des Hanpttbemas scbwingt er sicb da
in H5ben, taucht in Tiefen, die niemand erwartet hat.
Alles gebt blitzscbnell, aphonstiscb andentend vor sicb.
Es sind mehr Abnnngen als Bilder, Blicke mit dem
Sebeinwerfer in weite Femen getan. Aber wer die Stelle
tkberhaapt verstebt, wird sie zu den nngehenersten Ein-
gebungen von Beetbovens wunderbarem and fracbtbarem
Genie recbnen.
Den dritten Satz benennt bier Beetboven noch Me>
naetto. Die Melodie:
AUafpro molto « ▼iTaee
ere9«.
ist, wie aucb die Einleitong zum Finale, eigentlicb nichts
als ein alter Solmisationsscberz, sie bat in ibrem Rhytb-
mus einen Rest von Tanzcbarakter, in ibrem rastlosen,
stUrmiscben, fearigen Wesen gebt sie aber tU)er die Natur
*) Siehe S. 149 dieses Bnchs.
KreizsclimAr, F&hrer. I, 1.
13
-^^ 194 ,,_
der alien und auch der Haydnschen MeDuetts weit hin-
aus. In ihrem zweiten Satze steht in der Kette trotziger
Sforzati, in dem pldtzlichen Piano mit seinen modula-
torischen Irrlichtem, in den eigensinnig humoristischen
Bildnngen urn die drei Noten J | J J der sp&tere Scherzo-
meister in voller Originalitat vor una. Das Trio ist einer
jener S&tze, in den en der Komponist eine grofie Wirknng
durch elementare Einfachheit erreicht Auf melodische
(jedanken und Themata ist hier so gat wie verzichtet;
der feierliche Klang der ruhigen Blaserharmonien geniigt.
Als Spohr bei dem ersten deutschen Mnsikfest zn Fran-
kenhausen die erste Sinfonie Beethovens in den groGen
R&umen der Kirche auffilhrte, machte nichts solchen
Eindrack, als dieses Trio*). Das Finale ist ein Rondo im
Haydnschen Stil, leichthin scherzend und t&ndelnd, auOer-
gewdhnlich kurz. Das Witzigste daran sind die Stellen,
wo das erste Thema
Allegro molto « TlTace.
repetiert. Beethoven Ififit ihnen Momente pathetischer
Spannung vorausgehen. Unter den vier S&tzen der Sin-
fonie ist dieses Finale der am wenigsten eigenttlmliche,
und ohne Zweifel hat Beethoven in den Klaviersonaten,
welche in der Opuszahl und der Entstehungszeit unserer
Cdur-Sinfonie vorausgehen — ganz andere Endsfttze hin-
gestellL Aber harmlos hingenommen, wie es gemeint
ist, kann auch dieses Finale nur erfreuen und erheitern;
es gehOrt die ganze graue, in Programmusiktendenzen
bUnd gewordene Rigorosit&t eines Berlioz dazu, um ein
so lebensfrohes und vergnugtes Kunstwerkchen einfach
als >kindische Musik< abzutun**).
*) (Leipziger) AUgemeine Musikalische Zeitung, Jabrgang 12,
S. 745 u. ff. : >Nachricht von einem In Thuringen seltnen Musik-
fe8te< (verfafit vom Lexikographen Gerber).
**) H. Berlioz: A travers chants I (Cbersetzung von R. Pohl):
Kritische Studie dber die Sympbonien von Beethoven.
--♦ 196 ♦^
Wir konnen es nur dem Himmel danken, dafi Beet-
hoven nicht mit der neunten Sinfonie, mil der grofien
Messe in Ddor debdtierte, sondem mit Werken, die, wie
das erste Klavierkonzert, wie die Cdnr-Messe nnd wie
diese C dor-Sinfonie, an die bisherige Schnle anknQpften.
Das Publikom seiner Zeit war entschieden dem heutigen
an naiver Empfftnglichkeit dberlegen ; aber hei der D dnr-
Sinfonie stntzte es doch schon. Die Referenten der AU-
gemeinen Mnsikalischen Zeitang hielten sich nach der
ersten Leipziger Anff&hrung dieses Werkes (im Jahre 1803)
an die nicht ganz gelnngene Wiedergabe, die Berliner
sprechen nnr (im Jahre 1804) von »den dreiviertel Stnnden
lang ausgefQhrten Schwierigkeiten«) so daB sich Rochlitz, *
der erste Kritiker seiner Zeit and einer der ersten Ver-
ehrer and Pioniere Beethovenscher Knnst, veranlaCt sah,
bei der nftchsten Gelegenheit selbst das Wort zu ergreifen
and za versichem, da6 diese zweite Sinfonie »das Werk
eines Fenergeistes bleiben werde, wenn tausend jetzt ge-
feierte Modesachen langst za Grabe getragen sind«.
Aber von der ersten Sinfonie liest man nor, dafi sie ein
Lieblingsst&ck des Konzertpablikoms sei.
Die zweite Sinfonie Beethovens (Ddur, Op. 86, za- L.T.BeethoTeH,
erst aufgefQhrt im Jahre 1803) geht einen bei weitem Ddur-Sinfonie
betr&chtlicheren Schritt Qber den Stil and die Sphftre der ^^ ^^-
Haydn-Mozartschen Sinfonie hinaas. Der erste Satz zeigt
dies namentlich an der Einleitang and der Coda, die
beide in Umfang and Inhalt alles bisher an dieser Stelie
Gewohnte tkberragen. Nar die siebente Sinfonie Beet-
hovens hat einen noch bedeutenderen Einleitangsatz.
Der der zweiten ist ausgezeichnet darch den herrlichen
Gesang, mit dem er beginnt. Wie ein Bild aas der Stern en-
welt wirkt diese ebenso erhabene als innige Melodie.
Daraaf wird es wolkig and sehr emst: es kommt za einem
drohenden Unisono von nnheimlicher
Gewalt, das nns sp&ter fast w5rtlich in
der neanten Sinfonie wieder begegnet: "^^^^ "^ V
Muntere Triolen vertreiben das Unwetter and hellen den
Horizont aaf fUr das freundlich schwangvoUe Allegro.
13*
196
In ihm ist das Verh<ais der beiden Themen merkwtirdig:
das zweite encheint ab die Hauptgestalt des Satzes.
Das erste Thema hat einen gemjitlich hamoryoUen Ton, er-
erklingt aber vorerst ^ J* ^ ^ A i
nup leise, heimlich
nnd erwartongsvoll
das zweite aber erhebt sich triumphierend :
BIlMI
TktH
^ji J I 'III U II I M iTi I Ij^ I"T|
^. ^ ^ In der Dorchftlhrung und der
r r,'/ I f V^ r f >f I p Verbindung der Satzgnippen
if . ist die Doppelschlagfigur aus
dem ersten Tbema von grofier Bedentnng. Neben ihr
sind aber in Mozartscher Weise der Ideenentwicklung
anch Motive aus Themen zn-
gmnde gelegt,welche nor eine
Nebenstellnng haben , z. B. :
nnd
Das erste dieser beiden, das erregte, drohende DmoU-
Motiv, verkntlpft Einleitong and Hauptsatz in iihnlicher
Weise, wie das in der Haydnscben Esdnr-Sinfonie Nr. X
der Rail ist Es ist der erste Versnch Beethovens, in
seinen Sinfonien das Sonatenschema weiter zn bilden,
seine Form dem Gharakter nnd Inhalt der Ideen des
Satzes anznpassen.
Die Neignng Beethovens, die Zahl der Themen zn
vermehren, sogenannte Nebenmotive in wichtiger Weise
za verwenden und mit den hergebrachten Formen freier
zu schalten, tritt mehr noch, als im ersten Satze der
Ddur-Sinfonie, in ihrem Larghetto hervor. Die Stellen
des gr56ten Ausdmcks sind hier geradezu diejenigen, an
welchen die Darstel- p . ^^ .^ t ^** Haupt-
lung an winzigen ^^^J\ wf UCff^ thema
Motiven haftet, wie:
des Satzes:
197
ein TOO Sehnsucht ond Wehmut leise berUhrter Hinweis
auf Gltlck and Frieden, wirkt doppelt poetisch durch die
Elemente, die es begleiten and bestreiten. Es daaeri
ziemlich lange and der Weg geht nicht in einfach gerader
Linie, ehe der kindlich traaliche and einfache Spielplatz ycm
irj;^rTTfiQjrnTiriiiriTiiii i rigj
erreicht wird. Diese scbalkbafte Weise, die den Himmels-
tGnen des Haaptthemas die behaglicben Kl^nge iidiscben
Glddcs gegen&bentellt, aas den weiten Weltenr&omen die
Pbantasie beimfQbrt in-^ den Abendfrieden von Haos-
Familie and Freanden, bildet nor den Anbang des zweiten
Tbemas:
iiiLUd lyi
Btellt es aber in den Scbatten.
Der dritte Satz ist als Scberzo bezeichnet. Mit diesem
Namen war der Begriff einer bestimmten Form bis za
Beethoven nicbt verbanden. In der grofien Revolations-
zeit der Masik, im 17. Jahrhandert, taacht aach er zam
ersten Male aaf and zwar far kleine, in der Form freie
and im Inhalt etwas aasgelassene and tlbermtitige Liebes-
gesftnge (fiir eine Siimme oder mehrere, meistens mit
Begleitnng). Von da warde or aaf das Instramentalge-
biet, aasnabmsweise aach aaf die Sinfonie Qbertragen,
aber nicht h&afig angewendet Beethoven giiff ihn za-
nflchst far seine Klaviersonaten aaf and machte ihn
klassisch. Das Scherzo der D dar-Sinfonie ist eins der
drastischsten. Wie die Motive des Haaptthemas
198 ♦.-
gleichsam flftchtig nnd verirrt im Orchester bin and her-
flattern, jeder Takt eine andere Instrumentierong! Wie
toll es der lustige Kobold, der sie jagt und schreckt,
treibt, wie tibenntktig er mit der mnsikalischen Grammatik
spielt: Immer das /jfauf dem von Natur unbetonten Takte!
Diese Art Humor ist noch in keiner Sinfonie zum Vor-
scheln gekommen. Das ist der grandios barocke Beet-
hoven! Und bald darauf wieder etwas Neues: Unerh5rt
ausgelasaen brdllen s&mtliche Instrumente 14 Takte lang
nur den einen Ton, fis, am Anfang des zweiten Teils
▼om Trio. Das ist der naturalistische Beethoven, derselbe
Beethoven, der vor den Hftusem vermeintlicher und
wirklicher Widersacher die wildesten Injurien in die stUle
Nacht hinaustobte! Das Thema des Trios selbst steht
der Berserkerszene wie ein bittendes, zartes Weib gegen-
dber. Seine T5ne bilden dieselbe Folge wie im Trio der
9. Sinfonie, nur die Rhythmik ist anders:
P
Das Finale verweist mit den ersten zwei Noten
parodistisch auf die Einleitung des ersten Satzes, mit
dem (jegensatz von poltemder, bfirbeiBiger Rauhheit und
zarter Abwehr nimmt das Hauptthema
' ""^ ^ ^ fr f r '; ' ' J, ' ^
•««.
die Humore des Scherzos auf. Es hat Haydnsches Blut
in den Adem. Das zweite Thema:
ereBe. 4ff
--• 199 ♦^
aber lenkt in die Bahnen jener KantabilitAt ein, welclie
Mozart in das Allegro einfflhrte. Mil welcher Entschieden-
heit Beethoven diesen neaen Weg weiter schritt nnd wie
aehr er den frisch erdffneten Ideenkreis zu erweitem be-
rafen war, ist an diesem Thema schon ffthlbar. Noch
mebr setzt die Dnrchftkhrung in Erstannen, die die heitren
Oder innigen Gedanken dieser Themen ins Majestfltische
und Gewaltige wendet Wenn schon das ganze Finale
sich mit dem der 8. Sinfonie mehrfach bertihrt, so tnt
dies namentlich der Schlufi. Anch da wirds vor dem
jnbelnden Ende noch einmal abendlich still and ge-
sammelt Grofi ist anch die biographische Bedeutung
dieser zweiten Sinfonie, einmal wegen der engen Ver-
wandschaft mit der Neunten, zweitens als Dementi des
sogenannten Heiligstftdter Testaments, mit dem sie gleich-
altrig ist. Im Gegensatz zn jenem verzweifelten nnd
stark miBbranchten Ansbruch angenblicklicher Melan-
cholie enth< die Sinfonie ein festes nnd gesammeltes
Bekenntnis znr Kraft, ziir Lebensfreude nnd zom Gott-
vertrauen.
Die dritte Sinfonie Beethovens (Esdnr, Eroica) L.T.BMtho?eB9
wnrde im Jahre 1804 vollendet and im n&chsten Jannar Esdiur-Siiifonje
zaerst in dem Wiirthschen Konzert in Wien anfgeffthrt. ^'- •» Broloa).
Nach dem Bericht, welchen die AUgemeine Mnsikalische
Zeitang daraber brachte, nicht mit nnbezweifeltem Er-
folge. »Frappante and sch5ne Stellen* heifits von ihr,
»energischer, talentvoller Geist« von ihrem Schopfer.
Aber diese Zngest&ndnisse werden so gat wie aafgehoben
darch Epitheta, wie »ftaBerst lange and schwierige Kom*
position*, »wilde Phantasie, die sich ins Regellose ver-
Iiert«, and mehr noch darch das demonstrative Lob einer
anderen Esdnr-Sinfonie, die in demselben Konzert vor-
kam. Diese andere war von Anton Eberl, den heate,
vielleicht mit Unrecht, niemand mehr kennt. Die Schwie-
rigkeit der Eroica lag fttr die Aasf&hrenden so gat vor
wie fOr die Zahdrer. Aaf letztem Umstand Grewicht
legend^ verlangte Beethoven (in einer Bemerknng, die aaf
den Stimmen der ersten Aaflage steht), dafi die Sinfonie
_^ 200 *^
m5glich8t an den Anfang des Konzerts gestellt werde.
Sie wurde bei der ersten Probe in Wien, der Prinz Lonis
Ferdinand von PreuBen beiwohnte, umgeworfen; in Leipzig,
und wo sie sonst in die H&nde eines gewissenhaften Diri-
genten kam, veranlafite sie Extraproben. Habeneck in
Paris liefi sie sich sogar ein grofies Fr&bstiick kosten.
Noch hente ist sie eine der schwierigsten Vorlagen, wenn
ein intelligentes Orchester seine Meisterschaft zeigen soil;
namentlich im ersten Satze, dem die mechaniscbe Prft-
zision allein nicht beizukommen vermag. Bei der ersten
AoffOhrnng des Werks im Leipziger Gewandhanse war
die Direktion so vorsichtig und verst&ndig, ihre Abon-
nenten dnrch gedmckte Charakteristiken der einzelnen
Sfttze vorzubereiten. Im ganzen aber kann man sich
nnr wundem, daB die Musikwelt jener Tage sich nicht
mehr und Iftnger dber die Eroica wunderte, sondem sie
ziemfich bald tind allgemein unter die immer and regel-
m&Big wiederkehrenden Repertoirwerke aufhahm. Denn
dieses Werk war den Zeitgenossen iiber Nacht gekommen:
in seiner exotischen Pracht muBte es zunftchst eben-
so befremden als entzQcken. Yon den vorausgehenden
Werken zur Eroica fehlt die hinreichende Briicke. So-
viel die ersteren, in erster Linie die Klaviersonaten,
bieten und versprechen: dem Ideenreichtnm dieser Sin-
fonie gegenQber, dem Yollgehalt, der Kraft und Ge-
diegenheit, der ebenso kflhnen, ja UbermaBigen, als
festgeftigten An! age dieses Werkes gegentkber erscheinen
sie nur als kleine Vettern aus einer entfemten Seiten-
linie. Es ist ein unbegreiflicher Rest um die Stellung
dieses Werkes in der Gescbichte ihres Schdpfers. Denn
Beethoven hat diesen monumentalen Eingangsbau zu
einer neuen Orchesterkunst auch nicht tUi>6rboten. Er
eetzte ihm Werke zur Seite, welche die einen intimer,
die anderen popullU'er sein mogen, aber nur wenige,
in denen jedes Glied so wie in dieser Eroica in Geist,
Charakter und Poesie getaucht ist, wo die Kunst so
sehr wie hier auf Figuren, Passagen, auf Putz und
Ornament, auf alien jenen Kitt and M5rtel verzichtet
-— * 201 <^
hat) dessen sich die Musik znr Verbindnng ihrer Haupt-
glieder gebr&uchlicher- imd erlaubtermaBen bedient. Die
Eroica bleibt fur die Macht von Beethovens SchGpfer-
geist das st&rkste Zeugnis, und er selbst erkl9.rte sie bis
zur Zeit, wo »die Neante« erschien, PSa seine beste Sin-
fonie.
Man weifi, dai3 Beethoven seine Eroica »Bonaparte«
iiberschrieben hatte. Als aber der Konsnl sich znm
Kaiser gemacht hatte, rifi der republikanische Tonsetzer
den Umschlag weg and widmete das Werk nur im all-
gemeinen dem »Andenken eines Helden«. Mit diesem
Titel ist weniger ein eingehendes Programm gegeben,
als vielmehr nur eine allgemeine Direktive. Man hat
bekanntlich den Mittels&tzen bestimmte Bilder aus dem
Kriegerleben unterzulegen versucht: dem Trauermarsch
eine feierliche Bestattungsszene der Gefallenen, dem
Scherzo das geschS^ftige Treiben des Lagers und der
^eiwacht Das mag gestattet sein und jedenfalls nichts
schaden. In den anderen S&tzen ist aber dieser Ver-
such nicht durchfiihrbar; namentlich dem ersten gegen-
iU>er erscheint er unbedingt kleinlich! Das ist nicht
das Bild einer Schlacht, wie Ausleger behauptet haben,
^ndem das einer Heldennatur, deren HauptzQge Beet-
hoven mit einer eigenen Tiefe des Blicks erfafit hat
und in gegenseitige Aktion bringt. Das Eigentdmliche
an dieser Beethovenschen Auffassiing des Heroischen
ist, daO er den Elementen der Kraft und des frohen
Tatendranges einen stark elegischen und pathetischen
Gegensatz beimischt. Es geht durch den ganzen Satz
ein Zug der Trauer Qber die Wunden, welche der Held
schlagen muB; vor und nach den gewaltigen Streichen,
die er ftUirt, erhebt sich die Stimme des Mitleids, und
seine grofien Entschliksse umringt die Wehmut Dieser
weiche menschUche Zug begleitet schon das Haupt-
thema, das in seiner ersten, vielleicht aus Mozarts Ouver-
tilre zu >Bastien et Bastienne< entnommenen H^fle
den Haupttr&ger des krftftigen, fr5hlichen Heroentums
bildet
202
M-^f^ Mr I r if ifr'' V''^
(•V»«Bb>
Bereits aber im fiinften Takte mit dem langen ver-
minderten Septakkord
kommt die schmerz- ^ . *r"\^ :i :i :i jjj ^ j" ^
KcheWendung. Noch At' jjij-ijiHai C^^
starker ist sie im zwei- ^ i • # * I » #'# _pnf-f
I
ten Them a ausgebildet:
mil dem tibermftOigen Dreiklang; ferner in der web-
klagenden E moll - Episode der Dorchftihrahg
^ . X ."r^ ^^^-#1^ # Diese Episode machie
^\ PT ir'Pr I'r ' T^ 1'^ Beethoven, wenn wir
'^ die dnrch Nottebohm
verdffentlichten Skizzen zn dieser Sinfonie recht verstehen,
geradeza znm Mittelpnnkte des ersten Satzes. Sie war von
▼omherein fertig und fest beschlossen, und nm sie in die
rechte Wirknng zu setzen, ftnderte er die Entwikrfe zn der
ihr vorhergehenden Partie immer wieder, bis dieRhythmen
so trotzigi die Dissonanzen so beftngstigend, so reailistisch
Bchneidend wnrden, wie sie jetzt dastehen. Yon fthnlicher
Tendenz ist auch das Nachspielmotiv, welches den wuch-
tigen Schlftgen des empl^rten Orchesters am Schlusse des
ersten Teils folgt:
Es sind die reinen Klagen nnd Seufzer; fthnlicfa auch
die hinsterbenden Ankl&nge an das erste Motiv des
Hanptthemas, mit denen der Durchflihrangsteil be-
ginnt FQr die formelle Bildnng des Satzes hat anBer
den angefiihrten thematischen Elementen noch das
kurze Motiv groBe Wichtigkeit, welches die Oberlei-
— * 203 ^>-
tnngsgruppe zwischen ok; ciat. ev"*^ ^'^^^^^
dem ersten und zwei- jf j^ P' P hp r^^flTp ' P i^f ^ ft 1 1» ■
ten Thema erSffnet^^^ FT MMT^ ' r^yT]r^
Es klingt wie Fragen und Bedenken. Deshalb folgt ihm
ll^hwi^! ifi'iU jjiiri If rTirrrif '
tigung in p
und diesem ein Motiv des emeuten Aufscfawungs nach:
^ />^ . /-K DerDurchftthrungs-
f|f.| f fff ^ff p7 I „ ...teil dieses ersten
J ' I M I I' Satzes der Eroica
stellt an das ZnhGren und Verstehen ganz neue, bis dabin
noch nie erhobene Anfordeningen wegen der aufierordent-
lichen Beweglichkeit, mit welcher der Komponist Ideen und
Empfindungen wechselt, wegen der Breite, mit weicber
er sie ausfftbrt und drittens weil er zur Tbemengrappe
ein ganz ungewohntes Yerhftltnis einnimmt. Er ist dies-
mal keine Exegese, sondem er bat unverkennbar pragma-
tische Bedeutung, er bringt die Hauptsache: die Scbilde-
rung des Kampfes, den der Held leitet Diese durcbaus
dramatiscb gebaltene, aufregende Schilderung gipfelt in
der Szene, wo sicb Blftser und Geigen gewissermaBen in
einander festrennen, wo die Sekunde $ so gr&Blicb durcb
die Harmonien scbreit. Das ist Schlag und Scbmerz, und
darauf kommt naturgetreu und lebenswabr die EmoU-
Klage. Sie ist das eigentliche zweite Tbema des Satzes,
und wir steben vor ibr wieder bei einem gewaltigen Ver-
sucb Beetbovens, die Sonatenform frei zu beleben. Nach-
dem dieaer Gipfel passiert ist, setzt Beetboven ein zweites
Mai an: Der Feind ist getroffen, aber nicbt vemicbtet.
So beginnt der Kampf zum zweitenmal und diesmal endet
er bei der fanatiscben Gesdur-Stelle, die allm&blicb in
TotenstiUe ftbergebt und mit einer Wendung scbliefit, deren
eigenttlmliche ScbSnheit lange Zeit iiber ibrer absonder-
lichen Form verkannt worden ist Wir meinen jene Stelle
— man nennt sie wenig gescbmackvoll den Kumulus —
wo uber der tremolierenden Sekunde m der beiden Geigen
-— ^ 204 ^—
das Soiohom leise den Zanbermf intoniert, der alle wieder
aus der unheimlichen Erstatrang raft: das HeldenmoiiT
ei jf I ei. In der ersteii Wiener Probe hatte Beethoven
dieses as gegen die Mnsiker zn schfttzen, welche meinten,
es sei ein Fehler vorgekommen; die Herausgeber der ersten
franzGsischen Partitnr korrigierten es als Drackfehler in g\
'auch noch R. Wagner war dieser Meinung. Seit das Skiz-
zenbuch Beethovens aus dem Jahre 1808 bekannt ist, darf
nicht der leiseste Zweifel mehr gehegt werden, dafi Beet-
hoven kaum etwas ^nderes in seiner Eroica so bestimmt
nnd klar gewoUt hat, als diese vom mechanischen Har-
moniestandpunkte aus befremdende und unter alien Um-
stAnden gewagte, aber jedenfalls mit tondichtehscher
Kiihnheit und Feinheit ersonnene Wendung. Mit Grewalt
rafft sich der Sieger. Die Reprise beginnt and verl&aft
in herrlichen Varianten. Da ist gleich das Them a in Fdor
vom Horn, dann in Des von der Fldte gebracht. Es ist als
wenn nach gefallener Entscheidung sich alles freier and
grdfier regte. Auch die Coda ist angewdhnlich, am moisten
dadurch, dafi der Komponist bier noohmals auf die Durch-
fUhrung zarttckgreift, wiederum n&mlich auf die bereits
bertihrte Episode in EmoU; ein Beweis, wie wichtig sie fftr
die Eigenart des Helden ist, wie ihn sich Beethoven dachte.
Der zweite Satz der Eroica, Marcia funebre Uber-
schrieben, die Grenzen eines einfachen Trauermarsches
aber in jeder Beziehong tLberschreitend, besteht aus fQnf
Teilen. Der erste Toil stellt zunilchst das Hauptthema
1 wi Pj]^^-^— — ^™ Streichquartett auf. Die
*« J J 1 J"^yjjygfazja:^ Blftser wiederholen es, von
i^=— "^ ' *r den Violinen in zitternden
Rhythmen begleitet, aus denen es wie femer Trommelschlag
klingt. Dann folgt ein Gegenmotiv in Esdar, das nach dem
Hauptthema zurflcklenkt. Auch diese Gruppe, vom Streich-
quartett zuerst gebracht, wiederholt der Blaserchor, und mit
einem kurzen freien Nachspiel in Gmoll schliei3t dieser
205
erste Teil. Inhaltlich verbildlicht er jenen forchtbaren,
fassungslosen Znstand der trauernden Seele, wo das Ge-
ftthl nach Ansdmck riDgt, wo die Klage mit der Resignation
k&mpft, wo die Sprache erstarrt, versagt und bricht, wo die
frenndliehen Bilder der Erinnerung nnr auftauchen, ran Yon
den Ausbrachen des heftigsten Schmerzes verjagt zu wer-
den. Der zweite Teil raft das gl&nzende Bild des Helden
znriick. Er eracheint wie eine ^ ^^ ^-^^•^ s „,
Art Apotbeose. Das fObrende -£'']r^^Y-^ff=i^^j^.^^:Si=:
Tbema, in bellem Dur gebalten ^ f o^- ^^
nimmt schon beim ersten Halbschlufi (in 6 dur) einen
ganz trinmphierenden Ton an. Am SchlnO dieses Teils ist
die Rtkckkehr ins Haupttbema, der stets im Laufe des Satzes
ein leidenschaftlicber Akzent vorausgeht, von einem ganz
besonders tiefen nnd gewaltigen Ausdrnck des Schmerzes
begleitet Der dritte Teil, welcber mit dem Haupttbema
(in G moll) beginnt,.
rnbt im wesentlicben y^
auf folgendem Tbema :
^^Tr'— 3rt7f^
er-
In der ersten H&lfte cr- i».
scbeint es durch die Ver- A Hi J I J lu. Affli^
kettung mit dem Motiv: ^ «? ^ V ' ''
in der Form einer Doppelfuge. Sein Ausdruck ist klagend,
aber die Klage bat ibre Herbbeit verloren und flieBt nun stetig
dabin. Die Wendungen werden mild, fast freudig. Wieder
steigi das Bild des lebenden Helden auf: ein leidenscbaft-
licber beseister* ^\
Da pl5tzbcb: —
das Bchrecklicbe Besinnen: »Er ist nicbt mebrU Ein Auf-
scbrei in den entlegensten Regionen des Orcbesters, ein
wilder, fast w&ster Ausbrucb des Scbmerzes auf dem As dur-
Akkord, ein Cbaos, aus dem die scbmetternden Trompeten
*) Mit dem gleichen tjbergang schliaBt der erste Teil von
»Lord HelDrichc, einer bekannten Ballade von Neefe, Beethovens
Bonner Lehrer.
_^ 206 «>-
den Ausweg sachen. Dann lenkt es mil mtttisamer Benihi-
gung fiber in den vierten Teil, welcher im wesentlichen
eine Repetition des ersten Teils, aber mit einem groOen Zn-
satz von Leidenschaftlichkeit und Anfregong bildet. Es wird
der letzte Abschied genommen! Der ffinfte Teil, die Coda,
schlieBt das ergreifende Bild versGhnend ab. Wie Glocken-
gel&ute, das Beethoven fthnlich auch in seiner Trauerkan-
tate auf Joseph II. ankhngen laBt, ^^^ -^^.^
beginnt er in den Violinen, eine jt ri» J. p | p f ^\^^^X^
wehmfitig frenndliche Melodie r^ ■ - * ij^ ■ - -
klingt wie ans der Feme herUber, dann geht die Mnsik
ffir einen Angenblick in bloGe rhythmische Bewegung auf;
in den Violinen t5nts wie Schluchzen. Noch einmal er-
scheint dann das Marschthema, verflattert aber bald und
zerf^llt in Stiicke. Als es verschwunden, stofien die Blflser
noch ein letztes leidenschaftlich akzentuiertesLebewohl aus,
fiber das sich sofort eine leise Fermate wie Grabesruhe legt.
Das Scherzo ist von einer ganz eigentfimlichen An-
lage. Zum Hauptthema hat es folgende Takte:
Presto , ^ — ^A . /^i
Aber dieses teilt sich in die Darstellung mit einem
Motive, das von Natur nur & x Lange Ton-
prftludierenden und «.n-"^-^V-j h J J Ij J '•<^iV^ft"> aus
laufenden Charakters ist: pp diesen we-
nigen Noten gewoben, durchziehen den Satz und geben
ihm sein phantastisches, heimliches Geprftge, den merk-
w&rdigen n&chtlichen Klang, die Ahnlichkeit mit dem
Gemurmel einer entfemten Menge, mit dem Get5se einer
gesch&ftigen Stadt, das der Wind auf Meilen hinaustr>
zum Wandrer. Die Tonart ist Esdur, aber es dauert 92
Takte, ehe sie mit dem Fortissimo des zum erstenmal ge-
schlossen vortretenden Orchesters zum Ausdruck kommt.
Es ist interessant zu wissen, dafi Beethoven als dritten Satz
seiner Eroica einen einfachen Menuett schreiben woUte.
Erst im Laufe der Skizzen kam er auf das eben angeffihrte
scbwankende Motiv und damit auf die ganz neue Anlage
-^ 207 ^^
des Satzes. Den H5mern, welehe bekanntlich im Trio des
jetzigen Scherzo eine ziemlich geMrchtete Anfgabe haben,
war von Anfang an eine besondere RoUe zagedacht, aber
im Hauptsatze des Mennett. Der Held anf der Jagd?
Das Finale der Eroica ist in seiner ersten Hftlfte ein
Variationenzyklus, dem folgendes einfache Thema zu-
grand e liegt:
a?^^^^^^=^fjtfe
dasselbe, welches Beethoven frQher schon zu den Klavier-
variationen (Op. 36) und zur Musik des Ballets: >Die Ge-
schdpfe des Proinethea8« benutzt hat*). Von der dritten
Variation ab bant der Komponist Qber dieses Thema eine
innige Gtesangmelodie,
if''" rr'^rirrrlirl>i''^^^''i'|gc^fe4A-
welehe in dem Satze als zweites Thema fungiert. Nach-
dem sie durchgeffthrt, wird die Variationenform verlassen,
das Thema erscheint omgestaltet in eine Fuge; in andem
Grappen sind nur wenige Noten benntzt, auf Angenblicke
verschwindet es ganz. Mit dem GmoU-Satze, der marsch-
artig kr&ftig einsetzt, tritt die Variationenform wieder ein;
die einzelnen Variationen haben freieSchliksse, im Qbrigen
wiederholt sich der ganze ProzeO der ersten Hftlfte. Bis
dahin erscheint das Finale der Eroica, so viele sch5ne
Momente darin vorkommen, im Verh<nis zu den andem
Sfttzen leicht gefugt: eine Reihe fr5hlicher Bilder von der
Krieger Heimkehr, frei nach BQrgers Versen: »Und alles
Volk mit Sing nnd Klang, geschmtlckt mit grflnen Reisem,
zog heim zu seinen Hftusem.« Am Ende jedoch, mit der
frommen Episode, in der das zweite Thema als Andante
aaftritty erhebt es sich und schliefit allerdings etwas kurz
abgebrochen, aber mit dithyrambischem Schwunge.
* Paul Bekker weist in seinem ausgezeichneten Beethoven -
bach daiauf hin, dafi zwiscben der Promethenssage and der
Idee der Eroica ein Zusammenhang besteht.
-^ 208 *—
L.?.B««tloTeii, Beethovens vierte Sinfonie (Bdur, Op. 60), welche
Bdnr-Sinfoiiie intt Jahre 1806 entstand, wurde im Anfang des Jahres
* *' 1807 . znerst in Wien kurz nacheinander zweimal auf-
gefiihrt, erst im Theater und dann im adiigen Liebhaber-
konzert, und erfreute sich sogleich, wie berichtet wird,
eines reichen Beifalls. Heute teilt sie mit der ibr geistig
verwandten achten Sinfonie das Schicksal einer gewissen
Znrftcksetzang. Sie erreicht ihre Nachbam znr Rechten
und Linken, die Eroica und die C moll- Sinfonie weder in
der Breite des Aufbaues und der aufieren Dimensionen,
noch in der GroOartigkeit der Kombinationen; sie ist
aber dennoch eins der eigenartigsten und voUendetsten
Werke der Beethovenschen Kunst und repr&sentiert unter
den Sinfonien eine Gattang f&r sich. Was sie auszeich-
net, ist die Frische und Unmittelbarkeit der Gestaltung.
Sie gleicht darin einigen der Klaviersonaten, daO sie
mehr phantasiert und improvisiert, unter einem fort-
w&hrenden Zuflufi neuer Gedanken entstanden, als ge-
arbeitet erscheint Zweitens zeichnet sie sich aus duroh
eine andauemd heitre und glflckliche Grundstimmung,
die sich allerdings, wie bei Beethoven zu erwarten, nicht
vdllig rein, sondem in romantischer F&rbung &uBert
Man bemerkt diesen romantischen Zug in dem zdgern-
den Aufbau der Melodien, in dem langen Festhalten
der Harmonien, in der versteckten Einmischung von
Dissonanzen, in der bald in scharfen Kontrasten
springenden, bald tr&umerischen Dynamik: Erschei-
nungen, die uns in keiner zweiten Sinfonie Beethovens
so systematisch entgegentreten wie in der Bdur- Sin-
fonie. Sie schattiert auch die freudigen Farben ein
wenig. Aber die StQrme diistrer Leidenschaft bleiben
ihr fern, und uber dem Ganzen leuchtet eine solche
Menge hellen und wtonenden Sonnenscheins, dai3 man
die Zeit, wo diese Sinfonie entstand, zu den am we-
nigsten getriibten, zu den sch5nsten Tagen aus Beethovens
Leben rechnen m5chte. Grove setzt sie geradezu mit einer
Yerlobung Beethovens [mit Theresa von Brunswick) in
Verbindung.
-^ 209 *>—
Nach einer Einleitung. die ganz von geheimnisvoller
Erwartung und Spannung erfullt ist, bricht das Allegro
des ersten Satzes mit SchlS^gen von urwuchsiger Derbheit
los. Nach dem sttirmiscben Einsatz gelangen wir zu
folgendem Hauptthema:
Allej^ro vlTace.
^ ' -^.^ ± das die beiden Elemente
n *^ ^ r If f f r I e'T" r des Satzes: frohes Un-
'^ -^ gestUm und heimlich-
glnckliches Sinnen verbindet. Ihmfolgt _.«.
ein selbstftndiges Seitenthema, welches fj^j* Jl 3=i^?^=3=f
^
dber das kindlicher Freude voile Motiv :
zu einer Repetition des ersten Themas uberleitet. Diese
Wiederholung schliei3t mit einer Synkopenstelle, die eine
gewaltige Herzenserregung kundet. Zauberschnell bricht
sie ab. Das zweite Thema, das nun erscheint, zerf&llt in
zwei Hauptgrnppen, ^ — ^.^ ci*r.
deren Grundmotive ^^nf^f -1 If T I' H^ A^^ ^7^^
die folgenden sind: '^ ■»**^ ' ' -^
Die zweite Gruppe tritt als Dialog, als Kanon (in der Ok-
tav) zwischen Klarinette nnd Fagott auf. Zwischen ihnen
stehen noch weitere selbstHndige Gedanken, unter denen
eine weitausholende, aus Sequenzen Uber ein Motiv in (stac-
cato gegebnen) Halbennoten gebildete Passase, die Sam-
meln und Kl&ren bedeutet. der wichtigste ist. Uppigkeit der
Phantasie zeichnet diese Sinfonie aus. Auch dieDurchfUh-
rung Uberrascht durch ^ . i ^^77^^ , /^»
eine ganz neue Idee : a^^Tf ^\*^ W ^^'^ I'T ^^^
eine herrliche Melodie
die formell der Emoll-Klage in dei: Durchfiihrung des
ersten Eroica-Satzes entspricht. Mit ihr voUfiihren eine
Strecke lang die beiden Gruppen des Orche^ters, Geiger
und Blaser. einen Wechselgesang. Er ist fQr lange Zeit
die letzte AuBerung fertiger Gedanken im Satze. Tiefste
Ruhe, tiefster Frieden breiten sich uber eine gluckliche
Seele. Imroer leiser huschen durch die Geigen ilUchtige
Kretzschmtr, Ffihrer. I, 1. 14
_^ 210 ♦—
Schatten des Hauptthemas, die Akkordnoten aus den
ersten beiden Takten. Diese lange D&mmeraDgsstelle
kennzeichnet die vierte Sinfonie. Ganz eigen ist der Schlufi
dieser DarchfUhrung, das Einschlummern der Instrumente
in entlegener Tonart, die FUhrerrolle, welche die Pauke
in diesem Momente Ubemimmt, nnd der eilige Rtickzug,
den das verlorene Gros unter ihrem immer lauteren
Kommando bewerkstelligt. In dem Scherzo der C moll-
Sin fonie findet sich ein &hnliches und doch wieder sehr
verschiedenes Seitensttick zu dieser Stelle.
Das Adagio, ein wunderbares Sttick verkl&rter Poesie
und der intimste von alien langsamen Sd.tzen der Beet-
hovenschen Sinfcmien, hat folgenden Gesang znm Haupt-
them a: ,
Adagio.
p cantabilc
^^^g?-nrF=£^^f^
^
errac.
Die Form dieses Satzes ist so rein und einfach, daB
er keiner Bemerkung bedarf. Das zweite Them a, in dem
Momente eingefiihrt, wo die vom Anfange an im Satze
lauemden Geister der Schelmerei und des Humors Qber
das MaB zu gehen Miene machen, wird von der Klari-
nette vorgetragen, das Fagott bringt einen Nachgesang
dazu. In der Stimmung knUpft dieses zweite Thema
an die leise und edle Melancholie des Hauptthemas
wieder an.
Der dritte Satz, welche nicht ausdrflcklich als
Scherzo iiberschrieben ist, hat die ausgesprochene Na-
tur eines Gapriccio. Er IftBt eine etwas herausfor-
dernde Lustigkeit gegen einige bed&chtigere Hum ore an-
k&mpfen. Das An- a ,
fangsmotiv sei-
nes Hauptthemas " -^
gibt den Hauptstoff zum Bau des Satzes. Der in den
ersten Takten dieses Them as schon gegebene Gegensatz
211
▼on s/4 und 3/^ Takt geht durch-das ganze St&ck und
verst&rkt den Eindruck einer bald iibenniitigen , bald
eigensinnigen Natur eines liebenswiirdigen Wildfangs.
Das Trio ist eins der kOstlichsten Bilder naiver und nn-
schnldiger Freude, eines jener Kunstwerke, die man nicht
b5ren kann, obne die Musiker zu beneiden, welcbe sie
auffUhren dftrfen. Die Oboe ffihrt das einfache Thema:
jft''r iQic r7r t in.trir rif nr n 1
^^
erc»e.
I r I r r I r H' ^^
In die Pausen strenen die VioUnen allerhand kleine
Neckereien hinein — am Ende des Trios w&chst die
liebenswQrdige zftrtliche Melodie, vielleicht der Abkdmm-
ling einer Wallfahrtshymne , zn stolzer Pracfat heran.
Schon der erste Satz der Sinfonie zeigt einige Mozartsche
Spnren; sie mehren sich im Finale so sehr, dai3 man die
Vermutnng kanm abweisen kann, in den Hauptgedanken
geh5re dieser Satz einer frttberen Entstebungszeit an.
Seine Tbemen sind
ILVioT
mit dem Nachsatze jjt^ f H I ^'^ I J) * J) * I J I iind
Sie ergeben einen Satz von brillantem, funkelndem
Effekt, von dramatischer Lebendigkeit und frappantem
Humor, dessen heitere Natur nur durch einige breite,
unbarmherzig dissonierende Akkorde, die Einf&lle einer
rauben Laune, gestdrt wird.
Die fQnfte Sinfonie (Cmoll) ist mit der Pastoral- L.T.BeethoTeii,
sinfonie zusammen ver5ffentlicht worden. Beide Werke, Cmoll -Sinfonie
welcbe die Opuszablen 67 und 68 tragen, wurden aucb ^'-^
14*
--• 212 %^
zQsammen in demselben Konzert znent aafgefQhrt, wel-
ches BeethoYen am 22. Dezember 1806 im Theater an der
Wien gab, einem Konzerte, das dorch die Reichhaltigkeit
seines Programms als Knriosnm in der Konzertgeschichte
dasteht Es umfafite zwei grofie Chorwerke, die Chor-
fantasie, das Klavierkonzert in O, eine freie Fantasie,
die Pastoralsinfonie (als Nr. 6), die Cmoll>Sinfonie (als
Nr. 6 bezeichnet). Gleichwohl sind die beiden Sinfonien
zu verschiedener Zeit entstanden. Die ersten Arbeiten
an der CmoU-Sinfonie reichen bis in die Jahre 1800 und
1801 zurQck. Das aufierordentliche, in jeder Faser Beet-
hovensche Werk hat den Meister anch aufierordentlich
intensiv beschftftigt and ist unter denjenigen Arbeiten,
mit welchen er sich auBergewdhnlich lange trug — ver-
gleichen wir nnr die Ddur-Messe und die neante Sinfonie
— vielleicbt diejenige, bei welcher die endgtlltige Form
alle Intentionen des Sch5pfers ohne stftrkeren Rest anf-
nahm. Von vielen Beurteilem wird die CmoU-Sinfonie als
der H5hepunkt nicht bios der Beethovenschen , sondern
uberhaupt der Instrumentalmusik bezeichnet, jedenfalls ist
sie eins derjenigen Knnstwerke, Uber deren Gewalt alle
einig sind. Mit der C moll- Sinfonie bekehrte der junge
Mendelssohn den alten Goethe zu Beethoven*). Selbst
diejenigen, welche amusischen Geistes sind, pflegen vor
der C moll-Sin fonie eine leise Regung von Respekt zu
haben. Jeder fiihlt, da6 aus dieser Sinfonie ein unge-
wdhnlicher Geist spricht. Es liegt etwas Titanisches in
ihrem Zorn und ihrem Trotze, in ihrem Schmerze und
auch in dem Rausche der Begeisterung, in welchem sie
schlieBlich ausmiindet. Man kdnnte sich vor diesem
Kunstwerke an vielen Stellen fQrchlen, wenn nicht aus
dem Hintergrunde seiner n&chtigen Phantasien auch
freundlicbere Genien auftauchten; es wiirde uns trans-
zendental und nur ehrwiirdig bleiben, wenn es den Blick
nicht auGer auf unendliche Stern wei ten auch auf trau-
liches Erdenland lenkte, wo uns Boten der Sehnsucht.
*) F. Mendelssohn, Briefe (25. Mai 1830).
— ^ 213 4>--
des Humors nnd diejenigen MenschengefQhle begegnen,
welche das Walten eines gaten GemUles verkfinden.
Die Darstellung in der Cmoll-Sinfonie ist heifi und ur-
sprungHch, wahr, notwendig einheitUch und dabei so
scheinbar einfach und klar, d&Q das Werk trotz der Grdfie
seines Inhalts populSr geworden ist Was diesen Inhalt
der Cmoll-Sinfonie bildet, wer getraut sich das obne
Fehler zu iibersetzen? Beethoven soil dem ersten Satze
dieses Werkes das Motto gegeben haben: »So klopft das
Schicksal an die Pfortec Wir betonen aber das Wort
»soil<. Es ist das Charakteristikum musikalischer Kunst-
werke, da-Q sie die Phantasie des Horers anregen, ihn
wohl auch auf bestimmte Bilder fuhren. Aber es ist ver-
messen, das eine dieser Bilder fftr das ausschlieClich
richtige zu halten und zu proklamieren. Die Zahl der
benanntenGr5Ben, welche derselben algebraischen Formel
entsprechen, ist in der Kegel nicht klein: »Ratio multi-
plex, Veritas una«! Aber der allgemeine Gang der Phan-
tasie. nennen wir es die Grundidee, in der Cmoll-Sin-
fonie ist so klar ausgepr>, daO man sie nennen mu6:
Es ist der Weg »aus Nacht zum Licht<, per aspera ad
astra, jener in der sinfonischen Kunst so oft gesuchte und
noch Ofters verfehlte Weg!
Der erste Satz ist eine der gl^nzendsten Bestfitigungen
fiir einen in jeder Kunst sattsam erprobten Erfahrungs-
satz : dafi mit der Schwierigkeit der technischen Aufgabe
bei starken Geistern auch die Phantasie w&chst, der Flug
der Gedanken kflbner wird und die Ideen an Macht, Kraft
und Reichtum zunehmen. Von der technischen Seite aus
betrachtet, ist der erste Satz der C moll-Sinfonie eins der
verwegensten KunststUcke: Denn sein wesentliches Grund-
material besteht aus den vier Noten. Aiie^ro c en brio. ^
welche lapidar und erschreckend^f^riJczy 7 J^-j~hzj — \
den Eingang des Werkes bilden:^" * ' ' *~^ *^ *
Schindier behauptet in seiner Biographie, da6 Beethoven
sie und ihre gleich folgende Transposition in einem lang-
sameren Tempo gewiinscht babe, wodurch sie gewisser-
mafien als Motto hervorgehoben wurden. Wenn der Ge-
--fr 214 %^
w&hrsmann hier zaverldssig ist, bleibt doch anch die
andere, die leidenschaftlichere Aaffassang der Stelle bei
Recht bestehen. Nach Czemy soil ein Goldammer Beet-
hoven im Walde dieses von Spobr^O wegen Mangel an
>W&rde« getadelte Motiv zngetragen haben. Zwar hat
der Satz ein zweites Thema:
i
if -f if'
Aber es ist in dem grofien psychologiscben ProzeO nur
ein momentanes Beschwichtignngsmittel, Qber welches
* die Kombinationen jenesUrmotivs achtlos hinwegschreiten.
Es wird bei seinem ersten Erscheinen schon von den
B&ssen mit jenen vier nnrahigen Grundnoten drohend
empfangeD, verfolgt nnd bald in den Strudel derwogen-
den Aufregang hineingezogen. Auch <ere, namentlicb
S. Bach, haben mit einem einzigen kurzen Motiv za-
weilen ausgefQhrte S&tze gebildet. Aber dies sind Pr&-
Indien nnd kleinere Stdcke — hier aber haben wir einen
ganz kolossalen Satz von gegen 500 Takten! Dabei
aber ist dieses Kunststdck zugleich auch die hdchste
Leistung im leidenschafllichen Stile, welche bis dahin
vielleicht die ganze Instmmentalkoro position, ganz gewiO
aber die Orcfaestermnsik aufznweisen hat — als musica
appassionata eine Leistung, die in der Folge, fraglich ob
wieder erreicht, jedenfalls aber nicht tiberboten word en
ist Den Gang des Satzes im einzelnen zu beschreiben,
ist nicht durchf&hrbar, wohl auch nicht n5tig. Nach so
und so viel rfthrenden und erschCkttemden Versuchen
koromt das Ende auf den Anfang zurtlck. Es ist das
Bild eines ergreifenden hartn&ckigen und verzweifelten
Kampfes, der darchgefiihrt wird: Wohin unsere Phan-
tasie den Schauplatz desselben legen mag, in die
menschliche Seele oder in die Natur: seine Phasen sind
mit der schauerlichsten Deutlichkeit wiedergegeben.
Es ist ein Ringen ohne Gnade und ohne Nachgeben,
*) L. Spohr, Selbstbiograpbie I, S. 229.
— o 215 ^>~
das Seitenstftck zum ersten Satz der Eroica, aber ohne
Klage. Den kritischen Mittelpankt bildet jeoe Partie
im Durchftthrungsteile, j
wo das Anfangsmo- ff ^ 7"J"I J t J ^ J ^
tiv des zweiten Thema ^ if if ^^
entscheidend eingreifen will. Die Stelle bat eine drama-
tische Gewalt, wie sie in der Instramentalmusik ganz selten
vorkommt Wirds gelingen oder nicht? Als Streicher und
Blftser mit dem Halbenmotiv wechseln, scbeinl voile £r-
sch5pfung eingetreten and das Ende nahe zu sein. Aber
der Held rafft sicb wieder, weicht und bebt abermals; doch
schliefilich steht er wieder fest in alter Kraft. Mit einem
pl5tzlichen Ruck steben wir vor dem Anfang des dritten
Teils: der Reprise. Sie ist wie immer bei Beetboven
keine w5rtlicbe Wiederholnng. Unter den WenduDgen,
die ibren Ausdruck und ibre Wirkung mftcbtig steigern,
sind die freie Kadenz der Oboe und die Coda bervorzu-
beben. Die Oboe spricbt wie eine Menscbenstimme, ganz
unbescbreiblich riibrend aucb desbalb, weil es die einzige
Stelle in dem durcb und durch mftnnlicben Satz ist, wo
das Herzeleid zu Worte kommt Seit Haydns frtlberen
Werken war es das erste Mai, dafi wieder ein Komponist
in der Sinfonie Rezitativ verwendete. Beetboven bat
mit der Stelle ein klassisches Beispiel ftir Macbt und Wert
der alten freien Kadenz gegeben.
Entscbieden der Hoifnung zugewendet, docb von
Sorge und Zweifel noch leicbt gestreift, setzt der zweite
Satz (Andante con Moto, Asdur, Vs Takt) mit einem
lieblichen Tbema ein, welcbes Celli und Bratscben uni-
sono vortragen:
p
^fl 1 ^ I P-^ ^^® bohen Holzbl&ser fab-
* / */* '®^ unmiltelbar fort mit
^ ♦• £-> --N A^r\ die Geigen fftb-
'/ fcK> U I ' I ^^ ' I M I r FJj^ ren dieses Tbe-
" i» /• t» I ' ■- _i_L_ ^^ ^^ Ende und
-^ 216 ♦^
ihm folgt, von Klarinetten and Fagotts eingefuhrt, auf
dem Fu6e die Marschweise:
lioloe _ Violino.
T' rLJrCJT I r ' ^^ ^®^®° ^^^^ Melodien liegt das
ganze Material des Andante vor
uns, in ihrer Folge zusammengedr&ngt der Verlanf der
Komposition. Das Thema der Holzbl&ser kommt immer
gleichlautend wieder, selbst die Tonart wird in keiner Wie-
derholung ver&ndert Es ist der Leitstern, der fest am
Himmel steht und freundlich blinkt. Der Marsch, der drei-
mal mit Pauken und Trompeten in Cdur voriiberzieht,
bedeutet Triumph und Sieg und wirft einen Blick voraus
in die Sphftre des Finales der Sinfonie. Die Grundform
des Andante ist die einfache eines Variationengebildes in
Haydnscher Art. Das Hauptthema wird erst in Sechzehntel-,
dann in ZweiunddreiGigstelform gebracht, der leichte Ron-
flikt der Gefiihle, der in ihm liegt also gesteigert and er-
regter. Zu dieser Wendung tragen die iibrigen Faktoren
der Komposition alle ihr Teil mit bei. Auf der ganzen
Linie wird die Farbengebung leuchtender, insbesondere
wirkt die Sprache der Zwischensatze immer dringlicher,
80 sehr: da6 die Nebenthemen — der Gesang der Holz-
blaser und die Marschmelodie — den Gesamteindruck
des Satzes fast mehr bestimmen als das Hauptthema. Un-
ter den Episoden pr&gen sich namentlich zwei bedeutungs-
voll ein: Die eine ist der Obergang aus dem ersten Cdur
des Marschsatzes. Die Trom- ^^^gs^ ^^
peten klingen mit der Quinte Ji\y I 1*"^^ l~^^
fast herausfordernd lang bin '^ " " i^- / »
Da mahnt ^ , , ^ , ■ . . EsgehtnachFmoU,
es in den * VY ^ I f fj I f es wird plotzlich
Streichern "^ *^ finster fiirs Ohr, und
wie Samiel im >Freischiitz< zieht in der Feme, gespenster-
haft zu dem dea der aHB paqn &^^ ^^™ ^ ^^^ B&sse
Geigen der Rhythm us ^ ^ J JJJ vorilkber; die Kampf-
217
geister des ersten Satzes sind noch nicht tot. Die zweite
Episode tritt nach der ZweiunddreiGigstelvariation des
Hauptthemas mit dem interessanten es in der Fldte (von
dem Berlioz in seinen Memoiren eine' F^tis betreffende
Anekdote erzfthlt, die an den Kumnliis der Eroica erinnert)
ein. DieGeigen geben Guitarrenakl^orde, ein kleiner Dialog
zwischen Klarinette and Fagott variiert den Anfang des
Hauptthemas, and nun beginnt in den obem Holzbl&sem
ein tr&unierisch holdes Spiel paarweise in Terzen, die
Paare in Gegenbewegung. Die Stelle ist nur karz, aber
sie bildet einen der freondlichsten and lieblichsten Aagen-
blicke in der ganzen C moll-Sinfonie.
Das thematiscbe Material des dritten Satzes ist
folgendes ftlr den Hauptteil:
a> Bi»»*» ^ ± A ^ ▼»nl. ^
j|ii^ iJ I I 1^ Mr If I r^,ijv If r irn
»»
^ I Tl J I .. 44-J-J-W=Uri J I J, I [* J J I,
fQr den das
Trio ersetzen- ^'li, J I JT?^f^JJ J J ^^j^^
den Mittelteil : ' ' /
den Mittelteil:
Die Teile a (fur dessen vier erste Takte Beethoven, nach
Ausweis des von Nottebohm verGffentlichten Skizzenbuchs,
den Anfang des Finale von Mozarts G moll-Sinfonie be-
nutzte) and b des Hauptthema folgen im Satze unmittel-
bar wie oben ; fOr die Entwicklung des Satzes wird beson-
ders das Motiv b ausgenutzt. Wfthrend in den meisten
andern Sinfonien Beethovens im dritten Satze eine aas-
gelassene Frohlichkeit ihre Feste feiert, will hier — wo,
wahrscheinlich nicht zufallig, auch die Bezeichnung
Scherzo fehlt — die gute Laune noch nicht recht in Gang
kommen. Das n&here Verwandtschaftsverh<nis, in dem
bei Beethoven sehr h^uiig der dritte Satz zum ersten steht,
kommt hier mit besonderer Deutlichkeit zum Ausdruck.
Es zeigt sich ftuBerlich in der Identitat, welche zwischen
dem Hornmotiv und dem Hauptrhythmus des ersten Satzes
--♦ 218 ♦^
besteht, ferner in den vielen Fermaten, welche beiden
S&tzen gemeinsam sind, and mehr noch innerlich in dem
vorwiegend ddstem Charakter dieses > Scherzo*. Heiter
ist in seinem Hatiptsatze, &hnlich wie in den Ecks&tzen
Yon Mozarts Gmoll-Sinfonie, nor der Rhythmus, die
Harmonien sind gedrdckt, die Melodien fragend and
schwermdtig, fremdartig darch den Klang der Instra-
mente, welche sie an den wichtigsten Stellen vortragen:
das Motiv a die sonst nur fiir den schweren Dienst ver-
wendeten Kontrab&sse, das Motiv b die Hdrner. Aach
der MittelsatZf mil seinen poltemden Figaren and seinem
eifrigen Fagieren, verwischt den Eindruck des Angst-
lichen, halb Unheimlichen noch nicht: Sein Humor ist
etwas forziert and angeheaerlich , er deutet eine gate
Wendung der Sache mehr an, als da6 er sie schon bringt.
Ais sich — wie Berlioz, dem wir hier ausnahmsweise
das Worjt geben wollen, sagt*) — der Larm seiner ge-
waltigen Laufe mehr and mehr verloren hat, erscheint
das Scherzomotiv wieder: diesmal >pizzicato<. Man h5rt
nichts mehr als einige von den Violinen halb hingehauchte
Varianten des Motivs b and dazwischen ein seltsames,
halb anterdrUcktes Schluchzen der Fagotte. Dann bricht
der Gedanke ganz ab. Das Orchester macht Miene, den
bdsen Traam za verschlafen; nar die Pauke hftlt im pp
noch den Rhythmns wach. Es folgen einige Takte voll
mysteri5ser Harmonien and einer Ruhe, dafi das Ohr
za h5ren zaadert, bis die Paakenschl&ge rascher werden,
die Violinen sich winden and raifen and endlich das
ganze Orchester wahrhaft fieberisch sich aaf den leach-
tenden Cdur-Akkord stiirzt, mit dem der Triamphmarsch
des Finale beginnt. Mit seinem anbeschreibhchen Jabel,
mit Kraft and Schalkheit erstickt er alle fiusteren An-
wandlangen, die aas den frUheren S&tzen in den Schlafi
hineinziehen m5chten. Die Themen sind einfach bis znr
Trivialitftt:
*) U. Berlioz, A travers chants (Deutsch von K. Pohl)
S. 39.
219
AUegfro.
•) jj ■ f r I ^' P mrrp-TTTpTf-^- 1 r- ri i-m^^
^-■Trrfif etc.
*> rf-j if'llfif il-lLu jifTj i-T" irrr'r:;!'^
•^ y tic.
b) scheint, wie Grove richtig bemerkt, von einem Neben-
tbema im Andante der Mozartschen Jupitersinfonie ab-
geleitet zu sein, den .^ das in der
Nacbsatz von c) be- y T I ff f I f - Durchfuhrung,
gleitet ein BalBmotiv namentlicb aus
dem Munde der Posaunen gewaltig und majest&tisch
wirkt und fast ibrer ganzen ersten H&lfte za Grande
Ijegt. Der eigentumlicbe Zug an dieser Durcbfubrang
ist, da6 sie, beim kritiscben Ponkte angelangt, pldtz-
lieb still abbricbt and das Scberzo zaruckkebren IfiGt
Die Idee selbst ist, hocbst wahrscbeinlicb, einer Cdar-
Sinfonie von Dittersdorf entnommen, aber die Wirkang,
mit der sie Beetboven bier verwertet bat, so ursprCing-
licb als mdglicb: Bankos Geist an der Festtafel! Damit
war aacb Spobr, der wie C. M. v. Weber begreiflicber-
weise an Beetbovens Sinfonien mancbes aaszasetzen
batte, sebr einverstanden.
In der Instramentierung ist nicbts Aufierordentlicbes
als der Zasatz von drei Posaanen, die bier zam ersten
Male in Beetbovens Sinfonien erscbeinen, Piccolo and
Kontrafagott — aber der innere Scbwung and die Runst
des Komponisten erreicben mit diesen gew5bnlicben
Mitteln eine elementare, donnerfthnlicbe Wirkung. Ecbt
Beetboveniscb ist die Bebarrlicbkeit, mit welcber das end-
-^ 220 ^^
liche Ende immer wieder hinausgeschoben and umgangen
wird. Schliefilich muB es doch kommen, aber nicht ohne
elnen letzten neuen Trumpf: ein freudezitterndes Presto
iiber das Them a d,
Mit Recht ist die C moU-Sinfonie Beethovens seine
popul^rste. Sie war das von allem Anfang ab. Kaum
bekannt geworden, flndet sie sich in den Programmen
der Virtuosen-Konzerte ebenso gut wie auf den eben ins
Leben tretenden Musikfesten — eine nie versagende pi^ce
de resistance!
L.T.BeethoTen, Wie Beethoven auf die £):oika die vierte Sinfonie
Fdur-Sinfonie folgen lieC, so schickte er Hhnlich auf den schweren
Nr.6,Pa3torale.j^^jjjpf der Cmoll-Sinfonie sich und den Freunden seiner
Muse zur Erholung die Pastorale nach.
Die Biographen erz§.hlen uns von des Kunstlers leben-
digem Gefiihle fiir die Schonheiten von Wald und Flur,
von seinem unabl&ssigen Studium der Naturphilosophie
jener Tage. Beethoven hat seinem Wohlgefallen an
Wachtelschlag und Waldesrauschen , seiner Freude und
.innigenLiebe zu Gottes freier Schdpfung in vielen Werken
Ausdruck gegeben; in keinem gl&nzender als in seiner
P astoralsinf 0 nie.
Sie gehort bekanntlich der Program musik an, sie
ist aber ein Ideal werk dieser Rich tun g, welch e, wie friiher
schon erw&hnt, um die Neige des 18. Jahrhunderts in
Siiddeutschland und Wien einen starken Anhang hatte.
Von keinem Lessing geschreckt, unbekUmmert um die
— heute noch nicht festgestellten — Grenzen der Musik
suchte ein groBer Teil der damaligen Instrumentalkom-
ponisten die Stoffe mit der grSCten Ungeniertheit in alien
Gebieten der sichtbaren und der gedachten Welt: in
Philosophie und Geschichte, in den Werken der Dichter
und den Phfinomenen der Natur. Jedes Verlagsverzeich-
nis brachte neue BeitrMge zur beschreibenden Tonkunst:
Thayer zitiert aus 2 Anzeigen des Veriegers Traeg:
6 Sinfonien a) Belagerung Wiens, b) le portrait musikal
de la nature, c) R3nig Lear (im Jahre 1792), drei weitere
aus derselben Zeit, a) la tempesta, b) Tharmonie de la
-^ 221 ♦^
nature, c) la bataille. »Le portrait musikal de la nature*
war eine ds&tzige Komposition des Stuttgarter J.H. Knecht,
der als Tonmaler grofies Ansehen genoB. Und noch grofier
war dem Andchein nach die Zahl der ungedruckten Ver-
suche, welche auf diesem Felde gemacht wurden. Noch
bis in die Zeit Schumanns und seiner Neuen Zeitscbrift
hinein lassen sicb die Spuren der reisenden Orgelspieler
verfolgen, welche wie Bohner und Klotze standig auf
ihrem Programm ein >Donnerwetter« mit sich fiihrten.
In einem Konzertzettel des bekannten Abt Vogler findet
sich eine solche Orgelmalerei, welche vor der Pastoral-
sinfonie bereits an diese erinnert: »das vergnUgte Hirten-
leben, von einem Donnerwetter unterbrochen , welches
aber wegzieht, und sodann die naive und laute Freude
deshalb*. Beethoven lachte wohl iiber solche Malereien,
wenn sie kindisch ausfielen, aber er verschm&hte sie
prinzipiell nicht, und es war auch hier, wie Thayer richtig
sagt, sein Ehrgeiz, die Zeitgenossen in der Anwendung
vorhandener Kunstformen zu iibertrelTen. Doch hat es
ihm wohl einige Muhe gemacht, bei der Pastoralsinfonie
tiber die Angabe seiner Programmideen ins Reine zu
kommen. Einmal steht im Skizzenbuch: wer einen Be-
griff Yom Landleben h&tte, mftsse den Komponisten ohne
alle Titelhilfen verstehen. Dann gibt er in der Partitur,
in den geschriebnen und gedruckten Stimmen die Uber-
schriften mit klemen Unterschieden. Vom Anfang bis zum
Schlufi bleibt er aber bei der Bemerkung, da6 die Sinfonie
>mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei* sein soUe.
Ober dem ersten Satz steht jetzt: »Erwachen bei-
terer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande*.
Von der ersten ausfiihrlichen Rezension ah, die Uber
die Pastoralsinfonie erschien*), bis heute ist immer wieder
die Reserve gelobt worden, mit welcher Beethoven sich
darauf beschrankt habe, nur den Empfindungen, den
*) AUgemeine Musikalische Zeitung IS 10, S. 241. Ebenda
aacb iiber die Cm oil- Sinfonie: S. 630. Der zweite Aufsatz ist
von E. T. A. Roffraann, dem Gespenster-Hoffmann.
-^ 222 ^^
innern GefCkhlen Ausdruck zu geben, welche das Land-
leben erregt. Nicht aber soil er versucht haben, AuBer-
lichkeiten des Naturbildes nacbzamalen. So ganz streng
ist das nicht zn nehmen. Trotz des Titels steht in dem
ersten Satze manches, was in die Kategorie der Emp-
findungen nicht pafit. Die Triolen der Clarinetten nnd
der anderen Bl&ser nach dem AbschluO des Hauptthemas,
der lange Triller der Geigen vor der Reprise sind doch
zu deutliche Anspielungen auf das Tun und Treiben, das
Zirpen und Zwitschern der V5gel. Der feine Daft in der
Instrumentierang, der durchklingende Schalmeienton, der
BrummbaGklang, die genrehafte kurzlebige Metrik — das
alles ist doch in diesen ersten Satz als der musikalische
Niederschlag reeller Erscheinungen des Naturlebens ge-
kommen. Uns soil das Werk damm nur um so lieber
sein. Was die technische Struktnr des Satzes betrifiR,
so zeichnet sie sich durch ihre zarte Beweglichkeit ans
und durch einen gewissen Miniaturencharakter des ver-
wendeten Materials. Leicht t&ndelnde Themata hat Beet-
hoven auch in der ersten, der vierten, der siebenten und
achten Sinfonie verwendet. Aber sie sind da weder so
kurz wie in der sechsten, noch werden sie so naiv und
zugleich kfthn hinter einander weg wiederholt Kleine
eintaktige, einviertelige Figuren kommen 10, 20, 30mal
hintereinander. Es ist neuerdings vermutet worden, dafi
Beethoven bei der Pastorale unter slavischem Einflofi
gearbeitet habe*). Wohl m5glich: Diese Sinfonie nimmt
tats&chlich die ganze Neurussische Schule vorweg. FUr
Kantabilit&t und groGen Ausdruck bietet nor die zweite
H&lfle des ersten Them a eine bescheidene Unterlage
Allci^ro ma Don troj
^ — - ereic.
i/P-l^ If r I J' ^^^ Zusatz von DankgefUhl, welcher der
' " '/■ ^ ^^ Heiterkeit dieses Gedankens schon mit
*j Vgl. Kuhacz, X. Sammlung Kroatischer Yolkslieder
(Agram 1878 — 85) Bd. Ill, und den Aafsatz: >Da8 Kroatiscbe
in der Pastoralsinfoniec in AUg. Musikzeitung 1893, S. 538.
— ♦ 223 ♦^
beigemischt ist, kommt in dem Zwischenmotiv, welches
zum zweiten Thema dberleitet, noch beredter heraus
^ ^ ^ In seinen immer
>. I r r f ^ I f^^^^nenen Wieder-
holungen kann
es sich gar nicht genug tun : es wandert durch alle Instru-
mente, tiberall das Bewnfitsein der glUcklichen Stuade
weekend, zn ihrem vollen Genusse ladend. In verwandten
Bildungen kommt anch die »Szene am Each* nnd der
•Hlrtengesang* des Finale darauf znrCkck. Das zweite
Thema selbst ist nnr der Abschlnfi der begliickten
Schwftrmerei:
|Kt i^TTi^^
In den formellen Elementen zeigt es sich
r f p f i r ^^^ ersten Thema mehr verwandt als ent-
gegengesetzt. F&r die DurchfQhmng hat
der zweite Takt des ersten Themas Hauptbedeutung. Aus
ihm entfaltet Beethoven breite Bilder, wechselnden Szenen
der durchwanderten Natnr gleich, die zum Staunen and
Lanschen veranlassen. Dem Anschein nach sind sie alle
Ahnlich leicht entworfen wie die entsprechenden Ab-
sehnitte der 4. Sinfonie. Beidemale handelte es sich um
Ideen, mit denen Beethovens Phantasie spielen konnte,
nicht zu ringen brauchte. Soil aus diesem Durchflihrungs-
teil etwas hervorgehoben werden, so m5chte man gleich
beim Eingang beginnen. Hier sind die scharfen Biegungen
so auffftllig und fesselnd, die der Weg macht. Von B nach
Dy dann nach Q und 3, immer gehts im scharfen Rnck:
Landschaftliche Oberraschungen ! Vom Glfinzenden wendet
sichs nun zum Intimen, und wie der Wechsel auch weiter-
geht, der Genufi w&chst nur. Weil menschliche Schw&che
anroutige Kunstwerke hinter die leidenschaftlichen stellt,
sind wir — England ausgenommen — fUr den ersten
Satz der Pastoralsinfonie nicht so dankbar, wie ers ver-
dient. Steht er doch, wie es Beethoven auch sichtlich
gewollt hat, dem ersten Satz der fiinften an Kunstwert
-^ 224 «—
mindestens gleich. Moritz von Schwind and nach ihm
neuere Maler haben die Pastoralsinfonie zu illustrieren,
Theaterdirektoren und andere Leute von Phantasie haben
sie szenisch und mit lebenden Bildem*} aufzufQhren ver-
sucht. Ftlr die andren Sfttze mdgen diese Versuche an-
nehmbar sein ; von dem Inhalt und Charakter des ersten
geben sie keine AhDung.
Im zweiten Satz hat Beethoven die malende Tendenz
offen eingestanden: er nennt ihn: »Szene am Bachc.
Im Vordergrunde dieser entzQckenden Komposition stehen
als die Hauptthemen zwei leicht eing&ngUche gesangvoUe
Melodien, aus denen das ganze glflckliche Behagen einer
von allem Tagewerk befreiten, der herrlichsten Ruhe und
den liebhchsten Traumereien hingegebenen Seele spricht
Und wir d&rfen alles mit geniefien. Der Tondichter
fUhrt uns an den sonnigen Waldbach bin, wir sehen die
glitzerndenWellendahingleitenund hSren ihr melodisches,
fleiOiges Gemurmel. Tausende von Lichtem blitzen durch
die BSLume; von ihren Zweigen, ihren Gipfeln schallen
kleine zarte Stimmen; es neckt sich, es lockt sich; es
lebt im Laub und im Grase; der Kuckuck ruft, die Wachtel,
die Nachtigall, der Goldammer und aus der Schar der
gefiederten noch so mancher andre ungenannte S&nger.
£s ist ein so lebendiges Bild von dem heimlichen Weben
der Natur, so gliicklich gemischt mit menschhcher Poesie,
so nattirhch in dieser Mischung und in seinem ganzen
Verlaufe. Die Musik des Satzes ist fast mehr klanglich
als gedanklich. Es trillert fortwahrend in Violin en,
Floten, Oboen, die B&sse und H6rner halten, durch
Synkopen doppelt bemerklich, lange T5ne, es schwirrt
von kleinen Motiven. Das erste Thema im Satze wachst
sich aus solchen verstreuten Anatzen ziemlich unmerklich
zu einer Melodie aus (B dur), schwftrmerisch, tr&umerisch,
mit einem frommen Anklang. Das zweite Thema, das
die Fagotts bringen, spricht Freude und Entziicken etwas
*) Vg]. Jahn, 0. Oesammelte Aufsatze: S. 2G0 » Beethoven
im Malkastenc.
--•. 225 <^
lebhafter aus, aber doch immer noch zart. Die Durch-
fiihrnng ist kurz, modnliert aber viel. Da, wo sie nach
Gdur tritt, \&Qi sich in einem Arpeggio der Flote
— wie Beethoven Schindler mitteilte — der Gold-
ammer hdren. Der beriihinte Scherz, wo Nachtigall,
Wachtel nnd Knckuck znsammenwirken, befindet sich in
der Coda.
Im folgenden Satze wird ein »liistiges Zusammensein
der Landleutec geschildert Man versammelt sich, sehr
munter und leichtfQfiig eilt das junge Yolk herbei:
Allegro.
fi!irirrfirJrU^JiJjjiiJjjij,jjjijjjjij
Sofort wird anch der Vorschlag zu einem Tfinzchen ge-
macht, zn- ^ ^ Als im-
nftchst ;^ J li* *r J t^ *r f -rf-f~t^^=f$^meTmehi
noch leise:'!? " " ' ' ' ^^--kommen,
nnd es lauter und lauter wird, da ist die M5glichkeit
einea Reigens Tatsache und wird mit urkrftftiger all-
gemeiner Zustimmung begrtiGt. Und nun beginnen jene
drolligen Szenen, in welchen Beethoven sich als Bauem-
maler mit vollendetem Humor und mit weitgehender
Realistik neben und ttber die Teniers, J. von Ostade,
Adrian Brouwer und die andern 6r513en des Faches stellt.
In der Form dieser Schilderungen liegt ein zweiter groBer
Spafi, denn es ist darin sehr Qbermtitig die saloppe Art
und Weise kopiert und parodiert, in welcher, wie heute
noch, auch zur Zeit der Wiener Meister l&ndliche Orchester
zuweilen ihr Pensum Tanzmusik absolvieren. Das sind
ganz die richtigen, armen, miiden und schlaftrunkenen
Bierfiedler. Man hdrt lange Strecken nur begleitende
Mitteistimmen und Rhythmus. Dann setzt eine Oboe
ein, aufs Geratewohl. Sie scheint eben erwacht und
binkt ihre Melodie ein Viertel nach der Zeit hinterher.
Ab und zu gibt auch ein anderer ein paar T5ne drein,
um gleich wieder zu verschwinden. Von besonderer
Komik ist namentlich der stereotype £insatz des ersten
Fagott, der immer nur f e blfist. Da6 Beethoven spezi-
KretzBchmftr, Ffthrer. I, 1. 15
226
fisch ostreichische Vorbilder fftr diesen .ausgelassenen
Scherz im Auge hatte, zeigt der zweite Teil dieser
Tanzmusik: der Zweivierteltakt, welcher den Dreiviertel
abl5st. Die alte dstreichische Tanzmusik ist suiten-
m&6ig gehalten und liebt den pl5tzlichen Wechsel der
Rhythmen. Nimmt man zu der Melodie dieses neuen
Satzes
mil ihrem L&rm und ihren gewaltsamen Akzenten noch
die breiten Rhytbmen und die unbewegliche Harmo-
nic der Begleitung, so ist das Bild einer plumpen und
schwerf&lligen Lustigkeit, einer Lustigkeit in Holzschuhen
und Aufschlagstiefeln, volleodet. Ganz drastisch ist der
SchluG des Mittelsatzes. Man tobt zuletzt, da6 der
Atem ausgeht: eine Fermate mit diminuendo bildet
das Uberraschende £nde dieses die Stelle des gewdhn-
lichen Trio vertretenden Teils. Die Repetition des Haupt-
satzes beginnt, sie wird aber schon bald durch eine
Generalpause unterbrocben. Augetischeinlich macht sich
etwas Bedenkliches bemerkbar. Endlich ist man wieder
im alten Geleise; schon setzt die Dorf- AUegro.
musik wieder ein: Da kommt statt des yA> g f j^
regelrechten kr&ftigen Fdur-Akkords ein jS»
in den Kontrabfissen und Cellos. Das ist ein Don-
nerschlag in der Feme. Man flQchtet, rettet sich
und ruft &ngstlich und klagend durcheinander :
Das GroUen
des Donners
wiederholt
II.ViuL
«(o. «Bd*^ i*P I Viol.
i
sich, rUckt na- s s 2* ♦•
her, und nun Ij^ | \T U\f ^l__
im Fortissimo ^ ^^ ^^ ^T
bricht das ^ ^ ft U WindstOBe
Wetter los. ^^^-j^'V * - \ , fJ V fahren ein-
Blitze zucken : ^ '^^^ her,Regen-
schauer platzen nieder in mUchtigen Unisonos des
--^ 227 ^►^
ganzen ^ . ±' ^ ^. Auf Momente
Orche- A ^^^^ ' P I ly f P T f P ^ I ^ ^i** unheim-
sters : •^ ^ liche Rahe ein,
dann zackt es wieder auf und schlagt scharf and farcht-
bar drein. Den Ernst der Situation, den Hdhepunkt der
Krisis bezeichnen die B&sse mit ihrem dustern Skalen-
gang und set- r^-^ . ^-i ^^ ^*^
nen erschrecken- ^ i>''i> T f I f" kf I f^» Jl^i furcht-
den Akzenten: -^ ^ ^ i^^ bare
GroUen und die Aufregung der Orchestermassen wirft
jetzt auch der Piccolo seine schrillen Tone, die Pauke
wirbelt starker, und zum ersten Male in der SInfonie
sttlrmen die Posaunen drein. Die Harmonie ist auf
einem vier Takte langen Septimenakkord erstarrt! Nun
scheint aber auch das Schlimmste vorbei zu sein.
Und so gewaltig Beethoven bis hierher im Auft&rmen
und Drohen war, so rfihrend teilt und gl&ttet er nun
die Wogen und lenkt zu dem letzten Teil der Sinfonie
fiber, dem »Hirtengesang« , der unmittelbar ohne Pause
an das »6ewitter< anschliefit. Wenn wir an diesem
beendeten Satz die Wahrheit, die Macht und die Natur-
treue der Darstellung bewundern, wollen wir nicht ver-
gessen, auch der noch schwierigereu Kunst, die er hier
voll bewiesen, unser Augenmerk zu schenken. Das ist das
MaC, welches Beethoven bei der AusfQhrung der ftir die
Tonkuust dankbaren Aufgabe hielt, der souver&ne 6e-
schmack mit dem er aufhdrte, nachdem das N5tigste
aufs treffendste gebracht war.
Der >Hirtengesangc (Allegretto Vs) soil »frohe und
dankbare Gef&hle nach dem Sturme« schildem. Er tut
es mit Motiven, welche von hier und da erklingen und
deren pastoraler Charakter und deren volkstiimliche Ein-
fachheit Zitate unnotig machen. Er tut es mit frommem
innigem Gresang, mit Wendungen in das muntere Gebiet
und mit mancher versteckten und sinnigen Anspielung
an Motive des ersten und zweiten Satzes. Aber er tut
das alles in einer etwas sehr ausfuhrlichen Weise, mit
Variationen, Fugatos und andern Formen, die derWirkung
16*
— » 228 >-
seiner schdnen Idee von jeher etwas Eintrag getan haben.
Zu Beethovens Zeit warde darauf hingewiesen, da6 Haydn
in seinen Jahreszeiten das gleiche Sijget, well ktirzer,
efFektvoller behandelt habe. Der fonnell beachtens-
werteste Zng an der Pastor alsinfonie ist ihre Dreis&tzig-
keit Sie zieht gleich wie die fflnfte, die mit ihr ent-
stand, Scherzo and Finale znsammen. Wir finden andere
Merkmale eines solchen Parallelismos an Beethovenschen
Werken h&ufig.
Die siebente und achte Sinfonie sind wieder Zwillings-
werke: beide warden in demselben Jahre 1809 skizziert,
beide 1812 — die achte in Linz — vollendet, bald nach
einander im Dezember 1818 und Febraar 1814 aafgefQhrt
and spftter als op. 92 und 93 verOffentlicht. Die Musik
beider Werke tr> die Zdge einer and derselben sonnigen
Heimat, beide sind von grandioser Heiterkeit, die eine
mit einem starken Schatten daiin, die andere ganz un-
getriUot — aber merkwurdigerweise hat die achte nichts
von der ftberreichen Popularit&t der siebenten, derAdur-
Sinfonie, erringen k5nnen. Zum Arger Beethovens,
welcher zu sagen pflegte: die achte sei >viel besser* als
die siebente. In Wien warde jahrelang die Pastoral-
sinfonie schlechthin als die Sinfonie in Fdur angezeigt,
als ob die achte gar nicht existierte*). Erst neaerdings
zeigen die Konzertzettel die Tendenz, dieses Hohelied des
Humors zu Ehren zu bringen.
L.T.BeeihoTeB, Ahnlich wie die zweite Sinfonie erOfifhet die sie-
Adnr-Sinronie bente eine lange ansf&hrliche Indroduktion, ein herr-
^'■'* liches, tr&umerisches Tongem&lde, in dessen Bann der
Zuh5rer ganz vergifit, da6 es nur eine Einleitung sein
soil. Auch Beethoven bat mit gleicher Liebe kaum eine
zweite Introduktion behandelt. Ihre Hauptmotive sind
Foeo sostennto. ^^^
^iTr> I I ""d j!^.^rVfifrfiili^
*) £. Hanslick: Ans dem Konzertsaal (1870), S. 319.
--* 229 ♦^
beide znm ersten Male von der Oboe eingeffthrt; ^gan-
tische Skalen bilden den Obergang. Ahnlich wie in der
letzten Ouvertlire zu >Fidelio<, der in B, benatzt Beet-
hoven die ersten beiden Noten des Ador-Tbemas za
romantischen Bildem, fiber denen jetzt Mondschein, jetzt
der Glanz der prangenden Sonne liegt Pldtzlich, wie
auf den Wink eines verschwiegenen Programms bricht er
dann diese Szene erhabner Schwftrmerei ab nnd lenkt in
neckischer Ffibmng der Instrnmente fiber ins Vivace,
dessen Hauptthema
Vivaee.
V;"ffi7niJTiTj I III 1^1^ I I J I
S
jij^i'^jj^jiiJ,niM|iiiJ.rnii I III
zngleich anch im wesentlichen das einzige des Satzes
isi Oerselbe ist in dieser Beziehung, in der Ausbeutung
eines bescbr&nkten Grundmaterials mit dem Eingangs-
satze der Gmoll-Sinfonie verwandt, im Charakter selbst-
verst&ndlich ganz verschieden. Beethoven gewinnt dem
naiven pastoralen Gmndgedanken des Satzes, der zuerst
wie ein Nachklang, ein Supplement der sechsten Sinfonie
auftritt, Wendangen von hoher Pracht and Erhabenheit
ab; das Gebiet des Leidenschaftlichen nnd des Dunklen
wird nur gestreift Reich ist der Satz an langgemessenen
Perioden, Prodnkten einer ungew5hnlichen Macht und
Gr5fie der Empfindung; eigentfimlich sind ihm die schroffen
Modttlationen und der unvermutete und unvermittelte
Wechsel extremer dynamischer Nuancen. In beiden Merk-
malen ftufiert sich exzentrische Stimmung. Auch das kurz
abbrechende Element, das den Schlufi der Einleitung
charakterisierte, kehrt in diesem Vivace wieder: mit
Dissonanzldsung, Modulationssprung und Wechsel von ff
--e 230 ♦^
and pp verbunden, sebr kiihn and nea gegen den SchluO
des ersten Teils, wo dem laaten Akkord: a-cis-e-fis vor-
dbergehend ein stilles -> a c f — folgt Die DarcbfQbrung
beginnt &hn]ich sprangbaft. Wir sind pldtzlich in Cdor,
aas wildem Lftrm in verscbwiegner Idylle: tief anten
fl&stern and marmeln die Bftsse das Tbema. Bei der
Reprise gebt es mit Starm and Skalenlaaf in das pasto-
rale Haaptthema; erst spftter wiederbolt es die Oboe in
seinem angestammten Ton. Wie dieses eine Beispiel
so ist der ganze Verlaaf dieses Teils Wiederbolang in
freister Art; in der Instmmentierang, im ganzen Cba-
rakter erscbeint das alte Material nea and friscb
belebt. Die Coda ist mebr als je Beethoveniscb. Sie
tritt anter seltnen Zeicben ein: mit Generalpaase, mit
einer ganz anerwarteten Aasweicbang der Harmonie
nacb As and einer langen Satz- ^^
bildang ttber einem karzenjP||i sr^'fTT] j, j j ^^
Basso ostinato folgendenlnbalts"" " * ^-^ "'^^
Was ans andere Stellen vemebmlicb genag andeaten,
das zeigt ans diese ganz deatlicb and anverkennbar, dafi
n&mlicb binter der anscbeinend dominierenden , mancb-
mal grellen Heiterkeit dieses Satzes docb b5here and
emstere Gedanken wacben, die sicb nicbt ftbertfiaben
lassen. Es bestebt ein Zasammenbang zwiscben dieser
Stelle and dem edlen Patbos der Introdaktion , ein Za-
sammenbang, der sicb aacb nocb in der Melancbolie des
Allegretto and in den feierlicben Visionen, welcbe dem
Trio des Scberzo za gnmde liegen, verfolgen l&Bt. Wie
ein leitender Faden gebt darcb die ersten SUtze dieser
Sinfonie der balbverscbwiegene Kampf zwiscben einer
jetzt barmlosen, alltllglicben , jetzt wilden FrQblicbkeit
and einem bOberen Sinn. Die Sinfonie erscbeint anter
diesem Gesicbtspankt als ein Lebensbild, aber nicbt als ein
rein freandlicbes. Das Ende deckt ein ironiscber Hamor.
Der zweite Satz der Adar-Sinfonie, Allegretto fiber-
scbrieben, ist von alters ber berUbmt Die Bericbte aas
den Jagendjabren des Werkes teilen fast von jeder Aaf-
fftbrang mit, dafi dieser Teil zor Wiederbolang verlangt
231
worden nnd gebracht sei. Das Allegretto besitzt jen6
seltne Art von Originalitat, die sofort verstanden and
sympathisch aufgenommen wird. Am Bingang and Aas-
gang des Satzes steht wie eine Erscheinang aas fremdem
Lande ein Blftserakkord, aaf eine Qaartsextharmonie ktkhn
and vielsagend hingestellt. Dann beginnen die tiefen
Saiteninstramente still and leise das merkwtirdig resig-
nierte Them a:
ijiii flip 1 1
mit dem gebrochnen Marschrhythmas hinzastammeln.
Erst mit dem Eintritt der Geigen kommt FlaB in die
Sprache: Celli and Bratschen begleiten mit einer Melodie
von innig sehnsttchtigem Aasdruck
Je mehr sie aas ihrem anfftnglichen Versteck heraos*
tritt, am so w&rmer wird der Ton der Darstellung. Wie
einer Bitte die YerheiBang, so folgt diesem edel weh-
miitigen Satze eine einfach sanfte, freondliche Melodie,
die wie eine Matterstimme trOstend and zasprechend aas
der Klarinette weich herfiberklingt:
{|!<'irTr7TT'rirTi7-'i^-'if riM \f cJi
cl»
Der einfache Kontrast von Moll and Dur wirkt hier mit
ganz arspnknglicber Elementarkraft Die B&sse klopfen
anter diesem Gesang den alten Marschrhythmas leise
weiter, der wie Cerberas anter Orpheas* Saitenspiel za
erweichen scheint. Mit einem Male aber f&hrt er wie
eine Tigertatze hervor; schrill and heftig durchsaasen
die trotzigen Achtel das Orohester von einem Ende zum
andem. In ver&nderter and erweiterter Form beginnt die
-^ 232 <^^
Repetition. Nachdem die zweite Gruppe wieder vorbei-
gezogen, folgt das Ende sehr rasch mit all der eigen-
tumlichen and schmerzlichen Schdnheit eines gewalt-
samen Abschiedes.
Mit derselben Erscheinung eines nnbarmherzigen Los-
reifiens von prftchiigen Bildem endigt auch der dritte
Satz. Das Trio mit dem, nach Abb6 Stadler*) einem
dstreichischen Wallfahrtsgesang entnommenen Them a:
Assal meno pretto.
t jt fTTT} a iCTTT] iiTr^Mr
bildet den paiadiesischen Teil dieses Satzes. Es ist nicht
anszusagen, welch ein zauberhaftes Tongebilde Beet-
hoven dieser einfachen Melodie entlockt hat, wie er
hier die Bilder steigert: von der lieblichen stillen Idylle,
mit welcher die Holzbl&ser einsetzen, fUhrt er uns bis
znm Pomp eines grofiartigen Kirchenfestes , bis zu den
im Sonnenglanze strahlenden und feierlichen Schlusse,
in dem das Thema unter Pauken und Trompetenklang
mit dem vollen Orchester wie auf stolzem Siegeswagen
einherzieht. In einer genial-energischen Weise, die ohne
gleichen ist, hat Beethoven in diesem Trio den Effekt
einer sogenannten liegenden Stimme angebracht. Den
ganzen Triosatz durchschimmert der gleiche Klang eines
festgehaltenen a; bald schwebt dieser Ton in den Vio-
linen tkber den Melodien, bald lenchtet er aus den
unteren Instrumenten in den Gesang des Orchesters bin-
ein; am eigentflmlichsten an den Stellen, wo das zweite
Horn ihn murmelt. SchErfer als sonst, vielleicht mit
Aasnahme seiner ersten, der C dar-Sinfonie, wollte Beet-
hoven hier das Trio gegen den Hauptsatz kontrastieren
lassen. Die Tonarten zeigen das schon: D za F. Der
Hauptsatz selbst ist ein echter, der Kaprizen voller
Schwarmgeist.
♦) Vgl. A. W. Thayer: L. v. Beethovens Leben (1879)
m., 191.
233
Presto.
rresto. ^)
^hj itj^jitJ tfr J>v ir r r iM r If rJ I
Seine Haupttrumpfe spielt er in seinem zweiten Telle
aus, wo auf Grand der Motive a und c der uberraschendste
Schabemack, namentlich anch in metriscben Dingen ge-
trieben wird. Der Bau des ganzen Satzes ist abweicbend,
aber einfach, n&mlich: Hauptsatz und Trio zweimal. Der
Hauptsatz wird zum dritten Male durcbgespielt, auch das
Trio setzt zmn drttten Male ein, gelangt aber nicht Uber
den zweiten Takt hinaus; sondern Beethoven schl> ein
Schnippchen and »8pritzt die Feder aus<, wie Schumann
sagte.
Das Finale ist einer der ausgelassensten S&tze in
der ganzen Musik: Beethoven nicht bios »aufgekn5pft<,
wie er sich gem sah und nannte, sondern Beethoven in
einer demonstrativen, wilden, trotzigen Lustigkeit, die zu
einem Tell derselbe »Galgenhumor< zu sein scheint, der
in seinen letzten Kammermusikwerken ofters wiederkehrt.
Dieser Satz toUt daher wie von der Tarantel gestochen,
jaucbzt, schreit auf
ABe^ro eoB brio.
')
pocht in ttberschfinmender Kraft
•ie.
und mischt auch in seine Gra-
zie einen Zug des Grotesken:
*) Grove inacht darsuf aufmerksam , dafi das Thema auch
in Beethovens Accompagnement zu dem Irischeii Lied >Nora
Creinac vorkommt
234
f ii'- ' f^ *^'^\ 1 f^f ' ^T"^ '*f^ "■ "p -^ ■ I ■ ff 1 f I
- AJTr M —■ t' - ^^^ formelles Element,
l|* TV r TJ ii^ r l'[J r I ^^ welches sich an diesen
•^ j»V p J- Themen nicht einfach
beweisen \&Qi, aber in ihrem Zusammenhang ersicht-
lich wird, ist die Hereinziehnng ungarischer Rhythmen,
Akzente und Anklfinge. Unter den Kombinationen, in
welchen Beethoven das hier skizzierte Ideenmaterial
entwickelt, sei die Fdur-Stelle am Anfang der Durch-
f&hrung hervorgehoben. Da stofit der Flnfi auf ganz
merkwurdige Hindemisse, zu deren Beseitigung die Vio-
linen and die BUsse sich grotesk riesig anstrengen.
Die KQhnheit der thematischen Entwickelnng erreicht
den Gipfel mit dem kolossalen Orgelpunkt der Coda.
Wir stehen hier ganz in der N&he des MaBlosen und
tun gut, im Interesse unsrer Jugend zu bemerken und
zu bekennen, dafi Beethoven' zuweilen geneigt war,
seine Intentionen mit dbermtktiger HartnUckigkeit auf
die Spitze zu treiben. Eine >ungeb&ndigte< Pers5nlich-
keit nennt ihn Goethe in einem Brief an Zelter. Es
Iftfit sich nicht leugnen, da6 darunter auch die klang-
liche Klarheit und AusfUhrbarkeit unsres Finales gelitten
hat Wenn ein Teil unsrer heutigen Kritik die von Fach-
und Zeitgenossen Beeth ovens gegen diese Punkte ge-
hchteten Einwendungen schnellfertig auf Neid und Be-
schr&nktheit zurftckzufiihren beliebt, gibt er sich selbst
eine B15l3e'. Unbedingte Bewunderung ist eine erhebende
Erscheinung, jedoch nur wenn sie auf zureichender Ein-
sicht beruht.
L.T.Be«tkoTea, Die achte Sinfonie (Fdur) beginnt ohne Einlei-
^<Jnr;Sinfoiiie \xakg mit Themen, die eine laute Frdhlichkeit, ein Be-
hagen, aber noch nicht einen wirklichen Humor aus-
drucken:
Nr.8.
235
HanpUhema.
Allegro TWaee.
pf I J^ I J I J 5^
Seit«nthema.
'jii ^lp^^Pfl^
In dem Abschnitt b des Hauptthemas liegt sogar ein
smnendes, zogemdes Element, welches das zweite Thema,
^y n 1^,. I ■ j^q r. i^jT^ 1^
troU seines t&ndelnden Eintritts, teilt und in fast st&r-
kerem Grade besitzt. Der Schalk kommt erst spater
nnd zwar am Schlusse der Wiederholnng dieses zweiten
Themas durch die Bl&ser. Da machen die B&sse dem Ritar*
dando und dem .-. und wecken Kraft und
Septimenakkord *j f j M nJ J* ^ | f Lebenin derVersamm-
ein raschesEnde i^ lung. Doch bleibt dem
ganzen Satze ein elegischer Rest — sehr sch5nen Aus-
druck hat er in dem zweiten Seitenthema gefunden
fl I'f r i^r riTf '>f Ti^ r ir fir f ir
Der Hauptzweck der DurchfGhrung ist, ihm die weitere
Ausdehnung zu bestreiten, was in einer launig barschen
Art auch ausgefiihrt wird. Beethoven beginnt diese
Durchfuhrung mit einer kleinen Bosheit gegen die Brat-
schen; sie, die sonst immer in Deckung marschieren,
BteUt er, als h&tten sie den allgemeinen Riickzug ver-
_^ 236 ^—
sHumt, allein _ ^ r* . i Diese immer wiederbol-
hinaus mit V [ p [ I Ji = ten vier Noten sind die
dem Motiv ^■■'^ kl&glichen Oberbleibsel
des gl&nzenden Schlusses, den das Tutti dem ersten Teil
des Satzes, der Themengruppe gab. Sie sind zugleicb die
variierten Sticbworte fQr den Einsatz des zweiten Themas.
Doch dieses zweite Thema kommt nicbt, sondem Fagott,
Klarinette, Oboe, FIdte nacheinander benutzen die Ge-
legenheit, das erste Motiv des Hauptthemas in sentimen-
tale Beleuchtung zu bringen. Das Tutti f&hrt l&nnend
dazwischen and setzt, nachdem die Versuche noch einige-
male sich wiederholt haben, auch seine Auffassnng durch:
Kraft ist Trumpf. Aus den ersten 6 Noten werden durch
Sequenzen Perioden gebildet, in denen erst die B&sse
(Dmoll), dann die zweiten Geigen (Gmoll), die ersten
Geigen (Fmoll) die F&hrung ttbernehmen. Die Instrumente
reiOen sich f6rmlich um das Motiv; vom Einsatz des
Desdur ab stehen wir vor einer nahezu be&ngstigen-
den Kampfszene. Die Bftsse bleiben die Sieger, stellen
die Ordnung wieder her und beginnen in unbeschreib-
lich stolzem Ton die Reprise des Satzes. Die Coda
fangt nochmals kontrapunktische ^ ,^ _
Neckereien an. Doch mit dem m^ f pf Tr^-^ * *^
heimlichen SchluG des Satzes: ^^
bleibt das letzte Wort den Grazien.
Es ist interessant, aus den Skizzenbfichern Beethovens
zu ersehen, dafi der ganze schdne Ausgang des ersten
Satzes (von der Fermate ab) nachkomponiert ist.
Dem stark humoristischen Grundzug dieser Sinfonie
zuliebe hat Beethoven auf einen langsamen Satz in ibr
verzichtet und infolge dessen den Mitteisfttzen dieses
Werkes einen von dem an dieser Stelle GebrHuchlichen
ganz abweichenden Charakter gegeben. Der zweite ist
ein richtiges Allegretto; es htlpft auf Kinderfufien dahin,
jugendlich durch und durch, unschuldig und reizend,
scheinbar wie in einem Zuge hingeschrieben. Es ist eins
der genialsten und gewinnendsten Stttcke im grazidsen
Genre. UrsprUnglich hatte es Beethoven als einen Kanon
237
auf Mftlzel nnd sein Metronom entworfen. Die Sechzehntel-
Akkorde, mit denen die Blftser einsetzen, sollen also das
Klappern dieses InstramenU nachahmen. Der dritte Satz
ist ein echter Menuett im alien Schnitt, in halb liebe-
Yoller, halb humoristischer Hingabe an altv&tehsches
Wesen nnd Branch ansgefOhrt. Wie getreu ist die gemiit-
liche Gravitftt und die In- Tempo di Mml des Anfangsmotivs,
nigkeit, mit der vordem ^ p ^ |^=wie lannig die Um-
getanzt wurde, in dem 8p ' stftndlichkeit, mit
der angesetzt, ausgeholt nnd der Takt probiert wnrde, in dem
Tempo di Mennetto. wiedergegeben! Das Trio
Jlu nu i^^^^ .^^ ^^* ®^° verklilrter Ditters-
fr ^ 31 lyi Jj Jj J3 I jjj^^ dorf, eine wanderliebliche
•^ "^"^ Idylle ans der altwieneri-
schen Mnsikantenzeit, ttber dessen Charakter der Klavier-
anszng keine gendgende Anskunft gibt. £s stehen in dem
Satze manche kleine Scherze im Stile der Dorfinnsik in
der Pastoralsinfonie. — Um alien Mifiverstftndnissen in
der Behandlnng dieses dritten Satzes vorzabeugen, hat
ihn Beethoven >Tempo di Minnettoc ttberschrieben, d. h.
nicht ein blofier Titnlarmennett, wie ihn Haydn oft
schreibt, sondem einen mit der Poesie nnd dem Tempo
der Spiefibiirgerzeit!
Das Finale, dessen schon fr&her erw&hntes Hanpt-
thema:
AIlerTo Tivace.
^ir pinf f,f?frir'rrrifrffn^^
ebenso wie das des ersten Satzes, nach Answeis des
Skizzenbnchs, zn den schwer gefnndnen geh5rt, steht mit
seinen thematischen Wnrzeln, aber anch mit seiner Ent-
wicklnng, seinem leichten, schftnmenden, geistsprtlhenden
Wesen anf dem Boden Haydnscher Kunst. Es ist ein ins
Beethovensche ansgebanter und iibersetzter Haydn; der
jflngere Meister hat den Polsschlag etwas gesteigert, die
-^ 238 *^
•
Oberraschungen noch am einige Grade drastischer ge-
macht, die Formen verbreitert und Gegens&tze hinein-
gestellt, die dem alten fern' lagen. Ohne Gegens&tzlichkeit
ist Instrumentalkomposition schwer zn betreiben. insbe-
sondere humoristische. Rier aber geht die GregensHtzlich-
keit bis zur Selbstverspottung: Das Haaptihema verl&uft
sich von der letzten hier aufgezeichneten Note noch
8 Takte weiter in Cdur immer leiser, heixnlicher. Und
allemal fftUt in die
letzten T5ne dann ein -=,
Lftrm ein, der uns
alien Himmeln wirft:
Dieses cis, ein hmnoristisches Ungeheuer, ein gllnzlich
unmnsikalisches Ph&nomen, ein SchreckschuB, ein Gber-
grifT des ftuBersten Realismus in der Kunst ist eine Haupt-
qnelle f&r die originelle Wirkung des Finales der 8. Sin-
fonie. Es hat nirgends wieder seinesgleichen ; vielleicht
glucklicherweise. Nach dieser verwegnen AuffQhrung des
Hauptthemas setzt nun das zweiteThema lieblicher als jeein
die ^ ^ .r^
Es schliefit mit einem Anhang:
A _ . » a- 4m r der ganz wie leises
A r i" ir I r r LT I r=^ta. Kichem kUngi Die
*^ PP Themengruppe ist da-
mit zu Ende. Der Satz, einer der l&ngsten Beethoven-
sinfoniesMze, hat modifizierte Rondofonn: es setzt die
erste Durchftthrung ein, emst ^ ^ ^
durch die Herrschaft des neuen, A ^ | | „ | "^
sehr einfachen Kommandomotivs "^
und durch Bildungen aus den Yierteln vom 6. bis 8. Takte
des Hauptthemas entwickelt. Am Ende haben die nek-
kischen Geister wieder die Oberhand: Fagotte und die
(hier in Oktaven gestimmten) Pauken pochen ein drolliges
Solo. Der n&chste Teil ist eine mit kleinen neuen Zdgen
des Humors und der Grazie bereicherte Wiederholung der
-^ 239 «>-
Themengruppe, und nun folgt der eigentliche, welt fiber 200
Takte umfaasende SchluB des Schlufisatzes. Nach einem
zdgemden, unentschlossnen Anfang, Qber den die B&sse
sich sehr nngeberdig nnd zomig aufiern, folgt eine lyrische
Episode in schdnster Abendstimmang fiber das Thema:
^ Das scbreckliche
i ■ JjJ J l,J j IJ ^'l''^ ' " Icis kommt bru-
^^ * taler als je wie-
der, auch die andren ansgelassnen Scherze des Finale
Ziehen nochmals, am liebsten versch&rft, vorflber; aber
als es zum wirklichen SchlieBen kommt, da behauptet
die milde Schonheit, die mit der Episode in die Kompo-
sition eintrat, den Platz. Von der ersten Wiener Auf-
fiihrang der aphten Sinfonie (27. Febmar 1814) heifit es:
»das Werk machte kein Furore c, aus andern Orten be-
richtete man, dafi es weniger gefiel als die andern.
Wenn in musikalischen Kreisen schlechtweg von
der >Neunten« gesprochen wird, ist damit die neunte i^-T'BMtiioTeii,
Sinfonie von L. v. Beethoven gemeint. In diesem ab-^™®^*"^"*^®"*®
gekfirzten Sprachgebrauche spricht sich die Sonder- ""* ^jj^* J^'^**'*'
stellung, welche dieses Werk geniefit, deutlich genug
aus. Es wird mit der neunten Sinfonie ein Kultus ge-
trieben, der seinen Grand nicht ausschlieBlich in dem
eminenten Kunstwerte dieses Werkes findet, sondem er
hat einen nicht unbetrHchtlichen Teil kfinstlicher Nahrung
in den Theorien erhalten, welche in neuerer Zeit an den
anfierordentlichen Charakter der neunten Sinfonie ge-
knfkpft worden sind. Die bis heute immer wiederholte
Behauptung, dafi dieses Werk beim ersten Ersch einen
nicht verstanden worden sei, stUtzt sich im wesentlichen
wieder auf Spohr*), der die ersten drei S&tze die schlech-
testen Sinfonies&tze Beethovens und das Finale monstrds,
geschmacklos und trivial genannt hat, geh5rt aber, so
allgemein hingestellt, ins Reich der Fabel. Aus London
kamen ganz unverst&ndige und niedrige Urteile; in andern
StSdten, auch Leipzig, blieben die Meinungen bezfiglich
*) L. Spohr, Selbstblographie I, 202.
_^ 240 «►-
einzelner Punkte geteilt. Aber in Wien erregte die erste
AnffQhrung des Werks (7. Mai 1824), so roh and nngefeilt
sie auch aasfiel, doch den hdchsten Grad von Enthosias-
mus. Und gerade der Eingang des Finale wird ein
Moment des seligsten Gennsses, ein Pnnkt genannt, an
welchem Kunst und Wahrheit ihren gl&nzendsten Triumph
feiern: das Non plus ultra des Werks*}. Ahnlich
schreibt noch gelegentlich der ersten Hamburger Auf-
fiihrung (1835) ein Bericbterstatter von »einem Festtag<
und schliefit: >Soviel ist gewifi, dafi diese neunte Sin-
fonie das riesenhafteste Monument ist, das nocb im
Reiche der Tonkunst entstanden **). Das einzige und
noch heute von vielen geteilte Bedenken gegen die Sin-
fonie ftuOerte sich in dem Wunsche, dafi es Beethoven
gefallen m5chte, diesem wabrhaft einzigen Finale eine
ungleicb konzentriertere Gestalt zu geben. Als ihm sein
Freund Droysen mitgeteilt, da6 er die neunte Sinfonie
gehort habe und ratios sei, &ufiert sich (im Jahre 1837)
Mendelsohn: >DieInstrumentals&tzegehdren zumGr56ten,
was ich in der Kunst kenne; von da, wo die Sing-
stimmen eintreten, verstehe auch ich es nicht, d. h. ich
finde nur einzelnes voUkommen, und wie das bei einem
solchen Meister der Fall ist, so liegt die Schuld wahr-
scheinlich an uns. Oder der Ausftlhrung . . . Im Gesang-
satz sind die Stimmen so gelegt, dafi ich keinen Ort
kenne, wo er gut gehen k6nnte, und daher kommt viel-
leicht bis jetzt die Unverst&ndlichkeit* ***). Wenn also auch
ein Mendelssohn Not hatte, mit diesem Finale fertig zu
werden, kann man sich nicht wundem, daO es kleinere
Geister kurzweg ablehnten. Bei dieser Sachlage ist
Czernys Mitteilung-)-), dafi Beethoven eine Umarbei-
*) Allgemeine Masikalische Zeitung, 26. Jahrgang, S. 441.
♦*) Neue Zeitschrift f. M. IV, 81, 86.
***) Briefwechsel Droysen imd Mendelssohn (Deiitsche Rund-
schau, Mai 1902).
f) G. Czerny, Recollections on Beethoven in Cocks Musical
Miscellany 1852 u. 1853.
--» 241 «^
tung des Schlufisatzes beabsichtigt babe, nicbt unwabr-
scheinlicb.
Der Hanptpankt, in dem die neunte Sinfonie formell
Yon den voransgehenden abweicht, bestebt darin, daB
ibr ScbluGsatz ein GesangstUck ist. Wie kam Beethoven
dazQ, eine Instrumentalsinfonie mit Singstimmen zn
scbliefien? Die von R. Wagner znerst ausgesprocbene
Ansicht, weil er den Bankroll der reinen Instramenlal-
musik erkannle and aussprechen woUte, scbeinl ange-
sicbls der Streichquartelte und Klaviersonalen, die Beel-
boyen dieser Sinfonie (opus 126) nocb folgen liefi, nicbl
baltbar. Aucb die andere Annabme, daO Beethoven bei
der Komposition seiner neunten Sinfonie von vomberein
die Ode Scbillers >An die Freude« zum Ausgangspunkl
genommen babe, stebt nicbt fest. Allerdings scbreibt
Fiscbenich scbon im Jabre 1793 an Cbarlotle v. Scbiller,
daB Beetboven dieses Gedicbt im groBen Stile kompo-
nieren woUte, and die SkizzenbQcber zeigen, wie er wieder-
boll daza aosbolt, es in Ouvertilren — z. B. bei der zur
Namensfeier — zn verwenden. Aber nocb im Jabre 1823,
als die ersten drei Sfttze* scbon so gut wie abgescblossen
waren, seben wir ibn zwiscben einem vokalen oder in-
stramenlalenScblaBsalzf&r die neunte Sinfonie scbwanken.
Wenn Beetboven sicb dann docb fur die Zaziebung des
Gesangs enlscbied, so bandelle es sicb dabei am eine
MaBregel, die im Prinzip scbon Haydn ftkr zalftssig er-
klftrt hatte, indem er Rezitativ in der Sinfonie verwendete.
Beetboven war ibm darin in seiner FUntten gefolgl und
von da, zuerst in den Skizzenbucbern, dann in seiner
>Cborfantasie«, zur Yerwendung wirklicber Menscben-
stimmen and ausgefftbrter Vokalmusik weiter gescbriltcn.
Aus dem 17. Jabrbundert gibt es Kanlaten, von denen
man nicbt weiB, ob sie wohl zur Gesang- oder zar In-
strumentalmusik gebdren. Aucb zu Beethovens Zeiten
war in der Sinfonie der CborscbluB versucbl worden. So
von P. von Winter in seiner Schlacbtsinfonie, die bei
ihrem Brscbeinen (1814), so scbwer begreiflicb das diesem
Produkt aus L&rm and Trivialit&t gegentkber aucb sein
KraiBseliiDar, F&hrer. I, 1. 16
^-^ 242 ^>-
mag, viel Aufseben erregte und Beethovens »Schlacht
bei Vittoria* an manchen Orten aus dem Sattel hob.
Auch eine Sinfonie >Schlacht bei Leipzig< des BShmen
P. Maschek (1814) geli5rt zu dieser Mischgattung von Sin-
fonie nnd Kantate. Freilich war zwischen den Fonnen
der Sinfonie Beethovens und der anderer Leute ein groOer
Unterscbied, und indem Beethoven fdr die Satze, welche
zur Vorbereitung, Begriindung und Einleitung der Ode
dienen sollten, seine gew5hnlichen Sinfoniemasse des
Allegro, des Scherzo und des Adagio nicht nur beibebielt,
sondern auch noch steigerte, erhielt Schillers Tempel der
Freude einen so kolossalen Unterbau, ein Fundament
von solchen Dimensionen, solcher Selbstftndigkeit und
solchem Reichtum an eigner Sch5nheit, dafi das Haupt-
werk, welchem dies alles dienen soil, leicht dariiber ver-
gessen werden kann. Sei es nun mit der formellen Be-
recbtigung wie es will; keinesfalls wttrde Beethoven die
Ode ins Finale gebracht haben, wenn zwischen ibr und den
drei ersten Sfttzen der Sinfonie keine geistigen Beziehungen
bestanden hfttten. Sie aber aufzufinden, ist nicht schwer.
Die Schilderung eines Zustandes, dem die Freude fehlt,
ist die wesentliche Idee des ersten Satzes. Mit der Form-
freiheit, welche die Werke von Beethovens letzter Periode
auszeichnet, setzt er zunachst ohne Thema ein. Es wogt
und nebelt chaotisch und unbestimmt Uber den berOhmten
leeren Quinten. Dann, erst nach IGTakten, steigt in finsterer
Majest^t, voU Kraft und Trotz, aber durch einen an die
gleiche Stelle in der >Eroica< erinnemden Zug des Lei-
dens gezeichnet, die Heldengestalt dieses Allegro zu Tage:
Allegro non troppo ui poeo nuMstoso.
ji ifrT'n^j rnij jjj'iffiTiii hi iiini i
243
Welch heroischer Eintritt, wie langgemessen der Weg —
aber wie sonderbar wirr das Ende! Das Thema setzt
gleich darauf zam zweiten Male von einer anderen Seite
ein, in B dur, ohne sich aber ^ _ ^ gebildet, decken
wieder so breit zu eutf alien: mf ^^ 1^ und vorbereiten
Ketten, ans dem Motive ^™«r ^jgu Aufmarsch
seiner zweiten Hlllfte. Es kapituliert am Schlufi und
ftberlftfit nnmittelbar das Terrain an das zweite Thema
und seine Vorl&ufer
iif ri'fi
Auch hier das gewaltige
LftngenmaB, welches alles
^~^' t^i\^4 / j^tnu.^ Gedanken- und Formen-
wesen der neunten Sinfcmie, und dieses ersten Satzes
insbesondere , charakterisiert. Dieselbe dftmonische Un-
ruhe, welche Empfindung und Phantasie immer wieder
aufjagt. Sie treibt hier aus dem Peiche milder Wehmut,
freundlichen Sehnens,tr58t- ^ u^ _. .^ Unmittel-
lichen Erinnerns fort in jt f ^HT P » [ f ^ 0' ^ bar daran
das Ungestum des Kampfes^jfl^ reihen
sich wieder Bilder -srirr---^ ^ — i ^.— a.
des Friedens und jjUirJClLuy llf ^ I ^ I ' I 'f'!^ ktc
des seligen GlQckes
Alle Qual schlummert einen Augenblick; aber auch aus
dem sanft wiegenden Traumgebilde treten Gegens&tze
erkennbar hervor:
jr Y^rTu III 1 1 nrr rTTi hi n mi
Im Nu ist ein neuer Ausbruch da, in welchem diesmai
__^ 244 ^^-^
die wild anfschlagenden B&sse die FQhrung Qbernehmen:
^f^ ^ ^ t Die Holzbl&ser ver-
^*Ji ^li J1 r J^ I J3 >" (jTrJ *" ^ etc. suchen zu beschwich-
y if ^ if ^ ^ if tigen; sie bitten
um einen ,-*-- *-«..,^ und erreichen
freund^che- /i, inilir T P I f i T P P ^ r ; t i ®s, dafi der
ren Ton: iJ'<=,>^gsa> <i^ U ' erste Teil des
Satzes mit einer gewissen kr£lf tigen Freudigkeit geschlossen
wird. Die Durchftlbrang entrollt das Faustische Bild
weiter; Suchen und nicht Erreichen, rosige Phantasien
yon Zukunft und Vergangenheit und die Wirklichkeit von
einem Schmerz erfttllt, der seine Rechte pl5tzlich gel tend
macht! Der Durchftkhrungsteil ist verh<nismftfiig nur
kurz: thematisch wird er hauptsftchlich getragen von
Bildungen aus dem dritten und vierten Takte des Haupt-
themas. Das trube Element tritt in ihm zuriick, um mit
vollster Kraft bei der Rflckkehr in den Hauptsatz auszu-
brechen an jener Stelle, wo die Pauke 38 Takte lang ihr
d wirbelt, wo die beiden Teile des Orch esters heftig und
wild gegeneinander angehen — eine Stelle, an welcher
die Mittel der musikalischen Kunst den dftmonischen In-
tentionen Beethovens kaum zu geniigen scheinen. Am
Schlusse der Coda, in deren Mitte das Horn einen Qberaus
freundlichen und zuversichtlichen Lichtblick fallen l&Bt,
wird die freudlose Gmndstimmung des Satzes zu voll-
stftndiger Qebrochenheit. Dort, wo die Bftsse 16 Takte
lang ostinato chromatisch auf und ab wogen, glauben wir
in der Melodie des Horns und der Oboe einen Trauermarsch
zu hdren, bis die Klftnge der an deren lustrum ente st&rker
und starker werden und noch einmal kurz, aber lapidar,
Schmerz und Trotz nebeneinander stehen.
Der zweite Satz nfthert sich der Freude schon mehr.
Er beginnt MoUovWaee. welches
aberfolgen- ^-^Jh^Vj-tr^f^^^^-^^f:^ spftter
dem Thema 4r «*» auch im
dem Thema 4r " ^^ auch im
Metrum von drei Takten gebraucht wird, ein Fugato
erst heimlich und leise: am Schlusse im fr5hlichsten
und lautesten Tumult der dahinjagenden Instrumente.
245
Nur anf einen kurzen Augenblick wird dieses muntere
Treiben von
Momenten mti-
den Sehnens
abgeldst, die derb tidelen Tanzweisen der Bl&ser:
denen die Streich-
iDBtrumente in krftf-
•ta. tigen Streichen das
Anfangsmotiv des vorigen Themas f * ^ f znjaachzen,
ersticken sie sogleich. Der Mittelsatz, welcher das Trio
vertritt, bat als Hanptgedanken folgende, rndglicherweise
Beethovens russischen Musikstudien entsprossene, in der
Tonreibe mil dem Anfang des Trios der zweiten Sinfonie
ganz iibereinstimmende, nur rhTthmiscb von ibm ver-
scbiedne Melodie
PreBto.
^ ^ ^ ^ Er scbl> pastorale T6ne an und spielt
r r f r I r in seinen simplen Hirtenweisen auf l&nd-
licbe Vergniigungen an/aber aucb in
seinem zweiten Teile, den Beethoven iiber eine Umkehrung
des Beglei- _^ , ^ _ j > . K^ oV^^: \ i i'
tungsbas- '/fe f p I f T f I I I f jS^i I f^ yJ I ■! ^=
ses biidet: jpceiii ^'^
in mftchtig mystischen Geigenklftngen anf Sonnenauf-
gftnge and erhabene Freuden herrlicher Natur. Die Stelle
wirkt aber nicht, wenn sie zu scbnell gespielt wird.
V. Stanford macht deshalb in der Zeitschrift der I. M. 6.
(April 1906) mit Recht darauf aufmerksam, dafi das Tempo
dieses Mittelsatzes nicht ^, sondem J = 116 sein mufi.
Dafi die Metronomangaben Beethovens iiherhaupt der
Revision bedttrfen, ist schon im 18. Jahrgang von Roch-
litzens Allg. M.-Ztg. nachgewiesen worden. Um zu ver-
anschanlichen , wie allgemein verstftndlich die Schonheit
246
dieses Scherzo sei, berichtet der Franzose Elwart in
seiner Voyage musical (1849), dafi es selbst Rossinis Bei-
fall gefunden habe, fthnlich findet Lenz in seiner Beet-
bovenbiographie das Entz&cken Glinkas beme^enswert.
Gewifi hat das Scherzo der 9. Sinfonie ebensowenig
Gegner wie ihr Adagio. Aber Rossini soUte man bei
dem Beweis hierfQr verschonen. Da6 sein Greschmack
nicht gew5hnlich war, geht ans seiner Mitgliedschaft bei
der Bachgesellschaft genUgend hervor.
Das Adagio, der dritte Satz der Sinfonie, hat eine
abweichende, nichtsdestoweniger aber sehr klare Dispo-
sition. Sein Hanptthema, der inbrttnstige Aosdmck eines
edien, frommen Sinnes, der in die andere Welt hinttber
Fragen zn richten scheint.
Adario.
^to^ —
Bliif'i'r
Viol.
^r^^^
mezMtt vtict
BISter
TioL
=^'-^t^f^-rT---^g^^^^^ <a- "f P r r ^
■FfTTrrr
DUi«r
Viol.
^m^^
hat die L£lnge des Periodenbanes, welche der Beethoven
der letzten Periode liebt. Es schlieBt nicht voll ab,
sondem es schwebt unmittelbar in den Schofi des zweiten
Them a 0ber
Andante
^JTjij ;>A'?^tei5;3lJjJ g?^
PP ere»t.
Ho.
welches auch auCerlich, nach Tonart und Taktart, die
Kennzeichen einer y511ig anderen Sphilre trftgt. Nach
dieser Themengmppe beginnen Variationen, zuerst fkber
beide Hauptgedanken, dann liber das erste Thema allein.
Der ganze Satz strebt einer h5heren Art von Freade zn:
Da scheint ein Mensch zu tr&umen vom Himmel nnd
Yom Wiedersehen, von seinen Jngendtagen and von seinen
247
Lieben. Aber Tr&ume gehen zu Ende. Am Schlusse der
ersten >s/8-Takt -Variation verkftnden Trompeten and
Homer mit einem pl5tzlichen Signal:
die N&he des rauhen Tages.
Das 8Ch5ne Bild verschwindet, und nun kommt im
yierten Satze das, was Faast meint, wenn er sagt: »Des
Morgens wach* ich mit Entsetzen aufc. Gedacht ist wohl
ohne Zweifel der Anfang des Finale im unmittelbaren
Kontrast zu den Himmelskl&ngen des Adagio. Im mog-
lichst schnellen Anscblufi an das Ende des letzteren ver-
liert die wirre Fanfare, der H5Ilen]&rm, mit welcbem das
emporte, heulende Orchester einsetzt, den Charakter des
Unbegreiflichen, Capriziosen, am besten. Dieser wuste
Anfang bedeutet den R&ckfall in die chaotiscbe Stimmung
des ersten Satzes. Bfisse und Cell! warn en in kiihnen,
heftigen Rezitativen. Jetzt sucben die Geigen und die
Blftser nacb rettenden Ideen. Die einen bringen eine
Weise aus dem ersten Satz, die andern aus dem zwei-
ten, dann kommt ein Zitat aus dem dritten. Nichts ge-
f&llt den B&ssen. Endlich intonieren die Oboen etwas
ganz Nenes. Das findet Gnade bei den V&tern des Or-
chesters. Nachdem sie ibre Zustimmung in einem letzten
Rezitative ausgesprochen, ergreifen sie selbst das Motiv
und fQbren es zu einer breiten Melodie aus:
rr r I f^ f I f-^fTrfrr pH^^n f^^:l
rr-r r I r r r r t-rf^H^^^^^frrrri
Es ist dieselbe, zu der dann die Freudenode angestimmt
wird, und die, rein oder varhiert, den leitenden Faden
--♦ 248 ^>-
des ganzen Finale bildet. ZunHchst wird sie in einer Page
durch das ganze Orchester gefiihrt, ohne aber anf die Dauer
einen geniigenden Halt bieten zu kdnnen. Denn es tanmelt
nach einem Moment des Herumirrens wieder zn jener
Schreckensszene zur&ck, mit welcher der Satz begann. Da
kommt weitere Hiilfe. Es ist diesmal der SS^nger des Bariton-
solo, der mit den von Beethoven selbst eingeschobenen
Worten »0 Freunde, nicht diese T5ne — sondem laGt uns
angenehmere anstimmen and freadenvollere< die Ordnung
wiederherstellt. Und nun beginnt er den Hymnus in
obiger volkstumlicher Melodie — einer der wenigen, die
Beethoven gleich beim ersten Anlaaf fand — , in welche
die anderen Solisten und der Chor dann einfallen.
Von Schillers Ode hat Beethoven nur einige Strophen
benutzt nnd aus ihnen eine Reihe musikalischer Bilder
entwickelt Er l^Qi die Kreaturen jauchzen urn KQsse
und um Reben, er tritt mit dem Cherub vor Gott, er
malt die Bahn, die der Held durchl&uft, in einem wilden
stUrmischen Fugato, dessen Kampfget5se in einem festen,
sieghaften Pochen endigt. Der Refrain aller Szenen, die
Beethoven ausfiihrt oder skizziert, ist das vom Chor wieder
eingesetzte >Freude<. Am ausftlhrlichsten hat Beethoyen
die Szene des Helden behandelt; die Rticksicht auf die
Dimensionen des Satzes gestatteten leider nicht, mit alien
Themen des Gedichts in gleicher Weise zu verfahren.
Es steht VoUendetes und Angefangenes nebeneinander,
und bei aller Begeisterung tiber die entzQckende Schdn-
heit des Einzelnen empfinden wir, bewuBt oder unbewuBt,
in der Totalform des Finale einen Mangel. Besonders
weihevoll und hinreiBend sind die Momente, in denen
sich Beethoven dem Sternenzelt and dem himmlischen
Vater n&hert, der dar&ber wohnt. Die Worte »Seid um-
schlungen, Millionen* hat er in eine Art Zeremonie ge-
faBt, die da oben am ewigen Throne zu spielen scheint
Sph&renhaft sind ifare Schlufiklange. Die irdische Musik
vergeht in dieser Nachbarschaft ganz in Stille. Nur wie
heimlich setzen die Solostimmen wieder mit ihrem >Freude,
Tochter aus Elysium « ein; bald aber gewinnt das En-
--♦ 249 0^
semble seinen Mut wieder und rauscht in einem Enthusias-
mus einher, welcher immer st&rker wird and schliefilich in
einen vdlligea Freudentaumel tkbergeht. Dieses SchloBbild
hat Beethoven in dem realistisch schwangvoUen Stile aus-
gef&hrt, der mit ihm zaerst in die Tonkonst eintrat.
Die Entstehungsgeschichte der neunten Sinfonie zeigt,
dafi man die prinzipielle, die system atische Bedeutimg
ihres Finales nicht Clbersch&tzen darf. Anders steht es um
die Frage, oh Beethoven, wenn er Iftnger gelebt hfttte, bei
dem System der Eroica gebliebeu wftre. Die letzten sechs
Streichquartette genQgen, um diese Frage zn verneinen.
Wie in ihnen wQrde er anch in weiteren Sinfonien mit
gr5fiter Wahrscheinlichkeit an die Stelle der Aoslegung
und Durchftthrung weniger Grundideen die Freiheit der
Phantaaie, den Erfindungsreichtum, die Fdlle von volks-
t&mlich gestalteten, kflrzeren Bildern gesetzt haben. Indes
seiner und der n&chstfolgenden Zeit hatte Beethoven mit
^dem System der Eroica eine genikgende Vorlage hinter-
lassen. Wir werden bald sehen, wie sich die Komposition
mit ihr abzufinden suchte und wie sich die Entwicklung
der Sinfonie fast ein Jahrhundert lang um Beethovensche
Probleme bewegte.
Soweit diese Beethovenschen Probleme auf der for-
mellen Seite der Komposition liegen, laufen sie auf ein
Doppeltes hinaus: Erweiterung des Grundrisses und zu-
gleich engere VerknQpfung der Hauptteile. Den Aufbau
der einzelnen Sfttze bereichert Beethoven in der mannig-
fachsten Weise durch Einfdgung neuer Zwischenglieder,
durch Ausdehnung der Hauptthemen zu ganzen Themen-
komplexen, durch Verwendung des DurchfQhrungsprinzips
an ganz ungewohnten Stellen. Er steht da unter dem
dreifochen Drang einer fiberstr5menden Phantasie, eines
unerschOpflichen Ideenreichtums und einer den hetero-
gensten Einf&Uen gewachsenen, nur durch Schwierigkeiten
gereizten, ftufierst ktthnen Gestaltungskraft Auf der
anderen Seite verlangt sein iiberaus klarer Kunstver-
stand, sein Sinn fQr Logik nach Obersichtlichkeit, Ein-
heitlichkeit und deutlichem Zusammenhang des Ganzen.
•^ 250 ^—
Dieses zweite Problem hat Beethoven in der 5., 6., in
der 9. Sinfonie in Angriff genommen, aber die LOsnng
den spftteren Sinfonikern dbrig gelassen, und von ihnen
ist die Schwierigkeit der Beethovenschen Form, wenigstens
was den Kernpankt, den Widerspruch zwischen der FtUle
und Selbst&ndigkeit aller vier S&tze und zwischen der
Fafilichkeit und Notwendigkeit ihres Aneinanderschlnsses
zum Ganzen, betrifift, erst sp&t erkannt worden. Ja bis
heute fehit noch die allgemeine Klarheit fiber dieFrage:
ob die Beethovensche Sinfonie eine fftr jedermann er-
reichbare Vorlage bildet, oder ob diese Riesenform als
die Ausnahmeleistung, als das Monopol eines hors de
concours stehenden Riesengeistes zu betrachten ist.
Was den Inhalt seiner Sinfonie betrifft. so ist hier
Beethoven ein Neuerer nur insofem, als er in den Wer-
ken, die in die Klasse der Gesellschaftsmusik fallen, deren
Gharaktergrenzen mit einer Ungebundenheit ttberschreitet,
die seine Vorgftnger nicht gewagt haben. Es handelt
sich hier urn die erste, die siebente und achte Sinfonie,
Tondichtungen, die in den der musikalischen Welt ge*
wohnten heiteren Gmndton dftmonische Elemente und
die absonderlichsten Humore mit einer Freiheit mischen,
die zuweilen das Barocke nicht scheut.
Von den anderen Sinionien bekennen sich diedritte,die
Eroica, und die sechste, die Pastorale, zu der Gattung der
Programmusik und unterscheiden sich da von den seit alters
Ublichen Leistungen nicht im wesentlichen, sondem nor
durch die individuelle Gr56e und Originalit&t Beethovens.
Die zweite, die vierte und die neunte Sinfonie sind
ahnlich wie die letzten Sinfonien Mozarts ganz subjektive
Kompositionen, Augenblicksbilder aus Bethovens eignem
Lieben, Stimmungsergiisse aus Tagen bewegtesten Seelen-
lebens. Die neunte, die auf die zweite absichtlich zurdck-
greift, hat unter ihnen ihre ergreifende und erhebende
Bedeutung als Ausdmck der Weltanschauung, mit der
Beethoven aus dem irdischen Leben geschieden ist.
III.
Nebenmftnner und Gefolge der Klassiker.
Voriaufer und Hauptvertreter der Romantik.
|ie allgemeine Musikgeschichte pflegt bei dem Kapitel
>SiDfonie< schnellen Schrittes von Beethoven auf
Mendelssohn Aberzngehen. Nur Schubert und Spohr
werden als Zwischenglieder kurz berflhrt. Es ist jedoch
interessant und vom historischen Standpunkte aus sogar
notwendig, etwas l&nger bei dem Kreise schdpferischer
Talente zu verweilen, deren Werke fflr die hervorragenden
Leistungen der klaasischen FQhrer den Hintergrund
bildeten.
Der Umbau der Sinfonie aus einer einfachen Oe-
legenheitsrousik zu einer Tondichtung gr56ten Stils hatte
sich in dem verh<nism&fiig kurzen Zeitraum von secbzig
Jahren vollzogen. Oas musikalische Publikum lebte sich
wimderi)ar leicht in die Ver&ndemng hinein, und gerade-
zu erstaunlich ist es, wie schnell und richtig das Ver-
hiltnis zu Beethoven festgestellt wurde. Wir h5ren und
lesen heute viel von dem nnverstandnen Beethoven, von
Beethoven dem Mftrtyrer. Diese Auffaasung stQtzt sich
auf kiirzere oder l&ngere Verstimmungen des Komponisten
selbst, auf herbe und hitzige Urteile der Gegner und Wider-
sacher, die seine Werke im einzelnen oder ganzen natQr-
lich fanden. Aber ihrer waren im Verh&Itnis zur Neuheit
und KQhnheit seiner Kunst nur wenige, und sie gaben
nicht den Ausschlag. Beethoven lebte in einer Zeit, die
seiner wQrdig, seinem Geiste verwandt war. Man ehrte
--0 252 0^
in ihm eine Aasnahmeerscheinung. Beethovens Sinfonien
sind die ersten and noch fflr lange die einzigen, von
wejchen za Lebzeiten des Verfassers die Parti tur gedruckt
wurde. Das Hauptbedenken , welches sie venirsachten,
war ihre groGe Schwierigkeit: Die Dilettantenorchester,
auf welchen die Existenz der damaligen Konzertgesell-
schaflen ruhte, waren diesen Werken gegenUber quanti-
tativ und qualitativ zu schwacb. Ihrer eingedenk scbreibt
Beethoven wohl einmal an den Erzherzog Rudolf, dafi
fUr seine Sinfonien vier erste Violinen genflgten, als aber
in London die Nennte aufgefUhrt werden soil, hat er das
vergessen und verlangt sogar doppelte Bl&ser. Der be-
C.*AndT6. kannte Hofrat Andr^ gab dem Bedenken gegen die Auf-
f&hrungsschwierigkeiten bei Beethoven den stftrksten prak-
tischen Ausdruck, indem er eine kleine Serie von >leichten<
Sinfonien verdffentlichte. In einer derselben folgt in dem
Menuett auf einen Walzer als Hauptsatz das Trio in Form
eines figurierten Chorals. Trotz Andr4 und trotz der
Schwierigkeit blieben aber die Beethoven schen Sinfonien
an der Spitze des Repertoires, fiber Haydn und Mozart
sogar, wenn sie, wie C. M. v. Weber an Lichtenstein
sehreibt, auch meistens, namentlich in Virtuosenkon-
zerten, nur unvollstftndig gespielt wurden, und die Or-
Chester wurden, soweit sie in der Not der Befreiungs-
kriege standgehalten batten, ihnen zuliebe mit grofien
Kosten allm&hlich umgebildet.
In den Kreisen der Komponisten forderte der Ober-
gang in die neue Periode seine Opfer. Die Zahl der
Stimmen im Sftngerwalde minderte sich und ganze 6e-
schlechter verschwanden. Es war aus mit einer >Sin-
fonie mit Guitarrec und mit fthnlichen Kuriositaten: es
war aus mit den alten, rauschenden Theatersinfonien,
aus mit den konzertierenden Sinfonien und den harm-
losen Divertissements, welchen bisher ebenfalls der Titel
Sinfonie erlaubt war. Wenn jetzt die Brandl, Braune,
Blyma, Weyse, KufTner und die andem Matadoren des
leichten Stils an die Ttiren der Konzerts&le klopften, so
schoU ihnen, wie dem Tamino in der Zauberflote ein
-^ 253 ^>-
energisches »Zartlck« entgegen. Es kamen Zeiten, wo
es der Kritik gar nicht recht zu machen war, wo die-
jenigen, welche sich in Beethovens Pathos versuchen
wollten, schlechtweg >schwulstig<, die Anh&nger Haydns
als >kindi8ch< gescholten wnrden, wo man die Form der
Sinfoaie f&r erschdpft erkl&rte und wo fast jede Rezension
eines neuen Werkes den melancholischen Anfang: »Wer
jetzt noch mil einer Sinfonie hervortritt, der usw.c trug.
Diejenigen M&nner, welche sich anter so erschweren-
den Umst&nden als Sinfoniker zu behaapten wui3teD,
welche neben den Klassikern auf dem Repertoire standen
nnd nach Beethoven einen Platz errangen, verdienen
nicht ganz vergessen zu werden. Ohne einen Blick auf
das Wesen und die Menge dieser Nebenm&nner versteht
man die BlQtezeit der Wiener Schule und die Indivi-
dualit&t ihrer Klassiker kaum vollstHndig. Die Grofie
dieser klassischen Periode beruht nicht zum geringsten
auf ihrem Reichtum an wirklichen, an bedeutenden Ta-
lenten. Siifimayer hat bekanntlich das Requiem von
Mozart so vollendet erg&nzt, da6 noch bis heute Musiker
sich vemehmen lassen, die angesichts der wohlverbtkrgten
Tatsache doch die bloGe M5glichkeit einer fremden Hand
glauben in Abrede stellen zu durfen. Diese kUhnen
Zweifler wissen nicht, dafi Siifimayer keine vereinzelte
Erscheinung ist, da6 Haydn, Mozart, Beethoven nicht
von Zwergen, sondem von hochgewachsnen Genossen
umgeben waren, von denen einzelne heute, in unsrer
musikalisch &rmeren Gegenwart vielleicht als GroBen
ersten Ranges gelten wflrden.
Unter denjenigen Nebenmftnnern der Klassiker, welche
in der Sinfonie diesen hohen Mafistab vertragen, ist der
ftlteste und bedeutendste Carl Ditters vonDittersdorf*). c. t. di tiers-
Einst ein Liebling der deutschen Musikkreise, ein wieder- dorr,
holt und besonders gem gesehner Gast der preuGischen
Hauptstadt, ist dieser Tonsetzer heute nur noch durch
seinen >Doktor und Apotheker* bekannt. Und auch da
*) VgL G. Kr^bs: DitterBdorflana. Berlin 1900
__^ 254 ^>-
nur dem Namen nach. Denn obwohl dieses traaliche Sing-
spiel als Kulturbild, als Supplement zu Goethes >Hennaan
und Dorothea* einen unverlierbaren Wert besitzt, ist es
seit mehr als dreifiig Jahren voUstHndig von der Bflhne
verschwnnden. Trotzdem ist es ro&glich, dafi Dittersdorf
als Instrumentalkomponist wieder PuB fafit. Noch 1906
wurde am Berliner Hofe beim Fastnachtsball Ditters-
dorf sche. Orchestermusik gespielt und auch sein Esdor-
Quintett hat sofort sich wieder eingebUrgert Mit seinen
Sinfonien wiirde er die Neugier des jetzigen Geschlechts
zunftchst als Vertreter der Programmusik reizen — aber
schwerlich befriedigen. Die Programmusik gibt in Haydns
Werken bis zu seiner Jagdsinfonie, bei Beethoven in der
Pastorale Lebenszeichen, stark und deutlich genug, urn
ahnen zu lassen, dafi sie in der N&he der Klassiker-
periode eine RoUe spielte. Tatsftchlich war der Ausgang
des 18. Jahrhunderts eine ihrer gunstigsten Zeiten. In
Sulzers >Allgemeiner Theorie der sch5nen Kiinstec wurde
ihr damals sogar der wissenschaftliche Segen zuteil,
unter den Praktikern aber, die sich ihr in alien L&ndem
widmeten, war neben Rosetti und seinem »Telemach«
Dittersdorf der bedeutendste. Dittersdorfs Hauptbeitrag
zur Gattung bestand in 12*} cbarakterisierten Sinfonien
zu Abschnitten aus Ovids Metamorphosen. Im Jahre
1786 als Stimmdruck veroffentlicht, mussen sie einen be-
trslchtlichen Erfolg gehabt haben, denn im nUchsten Jahre
schrieb der Probst Hermes Analysen dazu. In Deutsch-
land war das interessante Werk lange verschwnnden.
Brenet**), ohne die Bibliotheksstellen zu nennen, an denen
er sie gesehen hat, beschreibt zwei StAcke daraus: >Die
vier Zeitalter* und »Actaeon«, tadelnd, daB sie ganz an
der viers&tzigen Sinfonieform festhalten. Hanslick***)
*) Diese Zahl und diesen Titel gibt Dittersdorf (K. ▼. Ditters-
dorfs Lebensbeschreibnng, Leipzig 1804, S. 230) selbst an.
**) Brenet, Histoire de la Symphonie, Paris 1882, S. 109.
**♦) Hanslick, Oeschichte des Wiener Konzertwesens, Wien
1869, S. 114.
_^ 255 ♦—
kennt das »Combattiinento deir amane Passioni*. Das
ist die zehnte Nummer der Sammlung, eine Suite, die
dadnrch tiberrascht, dafi sie ganz in Mnffats Stil gehalten
ist*). Sie besteht aus den sieben S&tzen: II Saperbo, il
Umile, il Matto, il Contento, il Melancolico, il Vivace. Der
Schlufisatz ist ein gr56eres Mnsikstttck, die andren haben
die korze zweiteilige Form, die im Ballett nnd im Tanz
so gebr&nchlich ist; nor ausnahmsweise sind geeignete
Motive durchgearbeitet. Die Erfindung ist in »Il Vivace «
am glucUicbsten gewesen; bier das Hauptthema:
Allegro aasai.
^^
I _f> Qtq^ Im Ganzen entbehrt sie der
Scb&rfe. Von dem combat-
timento, dem Kampf, den der Titel ankOndigt, enthSllt
die Komposition keine Spur. Einmal nur sprechen zwei
folgende Stttcke einen Gegensatz im Charakter aus: il
superbo und il umile. Den Ausdruck des Stolzes hat
aber Dittersdorf dabei nicht sicher gefuuden. Die Musik
spricht Freude, Aufgeregtheit, ja Zorn aus; aber es fehlt
ihr die Rube und Vomehmheit, die zum recbten Stolz
geh5rt. In eine sonderbare Beziehung ist il amante, der
Verliebte, zu II matto, dem VerrUckten, gebracht worden.
Er tritt als Trio im Menuett auf. Nach diesem Menuett
hat sich Dittersdorf einen stillen Narren gedacht Ob
nun diese Sfttze selbst&ndig als »Sinfonie< komponiert
Oder, was wahrscheinlicber ist, als Einlagen zu einem
Schauspiel, als Begleitungsmusik zu lebenden Bildern
entstanden sind, eine angebome Begabung fiir Programm-
musik, Tonmalerei und Charakteristik zeigen sie nicht.
Die Plastik, Eindringlicheit und Eigentiimlichkeit der
Motivbildung, die die StUrke Rameaus und der Franzosen
ausmacht, in der auch Kuhnau sehr groB ist, kurz die
Eigenschaften , mit denen das Recht der Gattung steht
nnd fS^llt, gehen ibnen ab. Und wie mit dieser einen,
*) Exemplar anf der Miinchner Hof- and Staatsbibliothek.
-^ 256 ♦^
ists auch mit den tibrigen Programmsinfonien Ditters-
dorfs, wie sich jedermann aus der Neuaosgabe der ersten
sechs tiberzeugen kann*]. Hiibsch ist das Finale im
Stnrz Pbaetons mit dem klagenden Ansgang, htibscb ist
in Aktaeon die Diana im Bad, drollig ist in den lykischen
Banern das Quaken der Frdscbe, der kleinen in den Vio-
linen, der groGen in den Bftssen. Aber aufier in Einzel-
heiten sind diese Sinfonien matt.
Ein ganz andrer ist Dittersdorf in seinen programm-
losen Sinfonien: da iiberrascht er dnrch einen poe-
tischen und nngewGhnlicb selbst&ndigen Geist and Iftfit
nns iiberall verstehen, wanun ibn die Musikfreunde des
achtzehnten Jahrhunderts in ihren Orchesterkonzerten
dicht neben Haydn und Mozart stellten. Er ist der
erste unter den Ostreichern jener Zeit, welcher, mit
beiden Meistem geistesverwandt, zwischen ihnen in be-
deatender Weise vermittelt Mit Haydn teilt er als Na-
turgeschenk den Humor, lernt von ihm die Kunst der
motiviscben Arbeit und fiigt dem die Mozartscbe Kanta-
bilitat bei. So betritt er mit groGer Bestimmtheit den
Weg, den dann Beethoven gl&nzend weiterschritt. Wir
dUrfen Dittersdorf in der Sinfonie, soweit es sich um die
Vermittlung zwischen Haydn und Mozart und um Selb-
st&ndigkeit und Origin alit&t in der musikalischen Archi-
tektur, im eigentlichen Satzbau handelt, einen Vor-
l&ufer Beethovens nennen. Nur Unbekanntschaft
mit seinen Werken ist die Ursache, da6 die Biographen
Beethovens Dittersdorf als Vorbild und Lehrer Beet-
hovens nicht anfuhren. Denn dafi der junge Rheinl&nder
die Sinfonien Dittersdorfs gekannt und studiert hat, geht
daraus hervor, daB er sie in einzelnen Zdgen besondrer
Gestaltung nachgebildet hat. Der diplomatische Beweis
ist dafUr wohl nicht zu erbringen, aber fiir diejenigen,
*) Dittersdorfs Metamorphosen nach Ovid (die 4 Welt<er,
der Sturz Phaetons, Yerwandlung Aktaeons, Rettung der Andro-
meda, Yerwandlung der lykischen Bauem in Frbsche, die Ver-
Bteinemng des Phinens), herausgegeben von Joseph Liebeskind.
-^ 257
welche noch mit Grttnden ftufierster Wahrscheinlichkeit
rechnen, aach entbehrlich.
Sine der HauptsinfoDien Dittersdorfs — aus der im
Jahre 1787 erschienenen Sammlung — ist anlftngst in
Partitnr and Stimmen nengedruckt worden*) und k5nnte
berechtigte Veranlassung bieten, Dittersdorf — und zwar
nicht bloB ans bistorischem Interesse — wieder in unsre
Orcbesterkonzerte einzaf&hren.
Sie hat das groGe Orchester der Vor-Beethovenschen
Sinfonie, n&mlich 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Hdmer, 2 Trom-
peten, Paoken und den fftnfstlmmigen Streicberchor. Da-
zu aber — obne dafi -es besonders angegeben ist —
Cembalo, ein Beweis, dafi die Haydnscbe Praxis nicht
mit einem Male und nnabftnderlich durchdrang**). Auf
dem Titelblatt nennt sich der Komponist Carlo di Ditters-
dorf. Das ist mehr als eine bloOe AuGerlichkeit, denn
die Musik mischt zu den Haydn schen und Mozartschen
Elementen drittens noch italieniscbe. Namentlich der
erste Satz hat die Lilrm-, Prunk- und Festmotive der
alten italienischen Sinfonie.
Mit einem
solchen setzt
das Haupt-
tbema ein :
zdgernden Ton an:
Allegro aolto.
a)
Das klingt sehr ent-
schlossen und krftf-
tig, die Fortsetzung
schl> aber einen
^W
Sie hat die Mozartsche Kantabi-
lit&t und das Tbema als Gauzes
ist der Ausdruck einer noch un-
gekl&rten Stimmung. Es ruft uns das Bild eines Menschen
*) Bei Breitkopf ft HIrtel, Leipzig.
**) Unentbehrlich ist das Cembalo nnr im 2. Satz der Sin-
fonie, in der Breitkopfscben Nenansgabe ubernehmen die Streich-
instrumente seine Partie mit
KretzBchmar, Fftkrer. I, 1.
17
258
vor die Phantasie, der vor einem schweren EntschluO)
vor einer schweren Anfgabe steht, vor einer Lage, die
unerwartet gekommen ist und deshalb yerwirrend wirkt.
Ans dem Sinnen wird mit dem zweiten Them a dumpfes
BrOten.
^ Vlollni
B.
|» J J 1
J J J
=j= ''JJJJJ=
=^=
MJ JJJ
^ ^ ^
\*fn\
^
etc.
Doch schlieBt die Themengrappe in Jubel:
und zuletzt noch mit
Tonen stiUen Glticks.
Die Darchfiihrung kniipft an das ei/en vorgefiihrte
Episodenthema an, die Stimmung wird wieder trlib und
mebr und mehr kleinlaut, Pausen unterbrechen die Dar-
stellung fortw3.hrend. Dann folgt als zweiter ein kr&f-
iigerer Abschnitt inn em KHmpfens und Ringens, der un-
verwertet mit dem Eintritt des zweiten Themas endet
Es verliert sich bald in Schlummer und Traumen. Wir
horen zuletzt nur immer leisere Sextakkorde, Pausen da-
zwischen. Endlich kommt einer mit langer Fermate auf
G h d f. In diesem Augenblick setzt mit Uberraschender
Wirkung der dritte Teil, die Reprise ein. Wir treten an
sie, des guten Endes gewifi, heran, und sie verlauft in aller
Regelmafiigkeit.
Der zweite Satz, ein Larghetto, besteht aus Thema,
drei Variation en darhber und Coda. Das Thema selbst,
ein dreiteiliges Lied, von dem der erste Teil folgender-
maOen lautet:
259
. (J ■'(^\^ ^^\0 •'^\f} •<Q\^''i
zeigt uns Dittersdorf von seiner bekanntesten Seite, als
einen Haaptvertreter jener Poesie der Beschaulichkeit, der
Znfriedenheit, der Zierlichkeit und Artigkeit, die, als eine
letzte Verdunnung der Renaissance &brig geblieben, von
der Mitte des achtzebnten Jahrhunderts ab die deutscben
Liedersammlungen nnd Singstaben beherrscbte and bald
dann in Gestalt der bftrgerlichen Oper nacb ihrem Ans-
gangspnnkt, der Bfthne, and zwar aach der italienischen
und franzdsischen zurackkehrte. — Den Ansatz mit dem
Doppelschlag liebt Dittersdorf auOerordentlich; aber kaam
wird er dieser Lieblingswendang in einer zweiten Kom-
position so viel Raam zagestanden baben wie bier. In
den 89 Takten, aus denen ohne Wiederbolungen das
Larghetto bestebt, feblt sie nur vierundzwangzig mal.
Etwas Monotonie, liebenswurdige Einfdrmigkeit geh(^rt
zum Cbarakter einer Idylle, wie sie dieser Satz im Gre-
samtbaa der Sinfonie biJden soli: eine Szene der unge-
trfibtesten Anmut, schmiegsamster ZUrtlichkeit nacb der
gelinden Erregung des Hauptsatzes. Die Methode, in der
die Variationen gearbeitet sind, ist die einfache derVor-
Haydnschen Zeit. In der ersten begleiten zweite Violinen
and Bratschen das Them a mit einem Triolenmotiv, in der
zweiten 15sen es^ die ersten Violionen oder besser eine
Sologeige in ein perpetuum mobile in ZweiunddreiCigsteln
aaf, in der dritten treten die Blaser mit reicben langen
KIRngen hinzu und die B&sse
versuchen mit der Melodiestim-
7
-m ^^ ^ j
me einen rhythmischen Dialog
In der kurzen Coda verklingt das merkwUrdige StUck auf
einer fremden, entlegnen Gdur-Harmonie, an die sich
unmittelbar der Menuett anschliefit. Er ist daduich
eigen, daO er uns in kurzen und in neuen, zusammen-
17*
260 ^-
gedr&ngten Formen noch einmal das Wesentliche des
ersten Satzes der Sinfonie vorfQhrt. Wir haben da das
krftftig entschlos- j j I i J ^^^ ^^® ^^^® ^^^ RoS-
sene Aufbrechen ^ * * * ^ nong und des labels
♦ ♦ ♦ ♦ ^ ^ aus dem ersten
irrr|rr|Lrpyrir • xeu wortiich vor
*^ ~ uns. Der zweite
Teil streift die Momente des Bangens. Das Trio ist als
2. Menuett bezeichuet, eine reine Aufierlichkeit. Das Stflck
bildet zum ersten Menuett weniger einen Gegensatz als
eine Erg&nzung, bringt zum AuBeren das Innere. Dort
eine Freudenszene vor der Offentlichkeit, bier die dank-
bare und friedensfrobe Seele mitsich allein im stillen K&m-
merlein: viermalhin-
leiser, so scblieBt der Satz. Er klingt ausgezeichnet Den
Hauptteil kennzeicbnen die tiefen Saiten der Geigen, den
Mittelsatz ein mit Lercbenklang und Naturton fessehides
Oboensolo. Es kehrt nach Wiederholung des ersten Me-
nuetts als Coda wieder, mit einem HalbscbluO bricht der
Satz ab, und unmittelbar darauf setzt das Finale ein:
Erst mit
PrestlsBlmo. ^
fii jLfJmijjfj''T^JiJji^^
JlllLl^ iIHIllLi IIIiilLII III
Dann
Drittens:
-^ 261 ^^
Diese Themen kommen einzeln hintereinander, mit dem
14. Takte aber stehen wir, wie im Finale von Mozarts
Jupitendnfonie, in einer Tripelfnge. Alle Geister der
Neckerei und Heiterkeit, feine and derbe, phantastische
nnd prosaische wirken znsammen. Aus einer Dnrch-
f&hrung stllrmen die Karnevalsgedanken in die nflchste,
in die dritte and vierte, als endlich ein Orgelpnnkt auf
0 eine bedeutende Wendnng, vielleicht ein Ende des
Treibens ankftndet: Sie kommt znn&chst mit einem gro-
tesken Unisono, in dem alle Instmmente, H5mer nnd
Trompeten ansgenommen, auf dem ersten Thema for-
tiflsimo YorObersansen. Als der vierte Takt vorbei and
Gdur erreicht, ist, fallen die Paaken ein: Halbschlafi,
Generalpanse mit Fermate and — Wiederholang des
Menaetts. Grenaa also die Wendnng, die das Finale
von Beethovens Cmoll-Sinfonie hat. Dieser EinfaU
Dittersdorfs hat an seiner Stelle die Bedeatung eines
wttrdigeren Schlasses anstatt des tollen, der von der
Tripelfuge za erwarten wflre, and zagleich aach den
der Rflckkehr in die Stimmangssphflre des Hauptsatzes
der Sinfonie, also den einer wohltaenden Abrandang.
Deshalb kommen beide Menaetts, nar ohne Wieder-
holangen, noch einmal vollst&ndig, and die Sinfonie
schlieBt aach mit einigen tamaltarischen Takten im
Rhythmos des Menuetts.
Bei nftherer Prtkfung ergibt sich fQr Dittersdorf ein
Cbergewicht des Mozartschen Einflnsses. Auf die Wiener
Schule im ganzen dagegen Qbte naturgemaB Haydn die
st&rkere Anziehung aus. Ihre Sinfonien vertreten den
heiteren Charakter der Musik. In ihrem Rhythmas and
in ihrem Figurenwerk herrscht ein rascher, feuriger Geist,
die Melodien sind in der Mehrzahl flott und munter und
geben dem Frohsinn und der Lebensliist 'einen naiven
and herzlichen Ausdruck. Es lebt in der Wiener Schule
ein starker volkstdmlicher Zug. Ein gewisser Lokaldialekt
klingt durch, der AUe^ro. «nd
selbe, in welchem Jmj^^^f^^ p 4M-^=i=f-"^~^ Mozart
Haydn — z. B. in li7 LJ '— * ^^ — in
262
Allegro. ^ ^ ^ zuweilen ebenfalls
^g=p^^p~p|£:pl^ r r^ I r i~ spwchen, tad der
noch heute nnyer-
f&lscht in der Qstreichischen Armeemusik fortiebt.
Diese Stammeseigensohaften fCkhrten die Mehrzafal der
dstreichischen Sinfoniker ztinftchst auf die Seite Haydns.
Ojrowete. Die hervorragendsten unter ihnen: Gyrowetz,Rosetti,
B«iettl. pieyel, Wranitzlcy, Hoffmeister hat Riehl in
Wra^tefcr. ^^®™ Kapitel tiber >Die g(^ttlichen Philisterc geschildert
Hoffteeliterl Ibnen wftren vielleicht noch Nenbauer, van Swieten,
F. KroMMer. jedenfalls aber Franz Krommer nnd Vanhall anzu«
YMkftil. reihen. Vanhall war der besondere Liebling Norddeutsch-
lands, Krommer drang, dnrch die nnglaubli<;he Popalaritftt
and Verbreitnng seiner Quartette nnd Quintette mitge-
tragen, auch als Sinfoniker weiter und hielt sich lAnger
als die genannten Schnlgenossen. Seine Sinfonien sind
denen Haydns im allgemeinen sehr &hnlich, aber von
einer niedrigen Bildungsstnfe aus entworfen and darch-
geffihrt Die Form hat grofie M&ngel, die Gedanken ver-
raten die derbe Atmosphilre der Zauberoper. Alter e
Musikfreande haben mit dem Ton dieses Kreises viel-
leicht noch durch die Diabellischen Klaviersonaten an-
erfrealiche Bekanntschaft gemacht Nur Pieyel and
Gyrowetz stehen dem Yorbild aach geistig n fiber, die
anderen haben von dem Haydnschen Erbe, vom Geist
der Zeit geleitet, nor den epikureischen Teil an sich ge-
nommen: die lastige Thematik seiner Londoner Zeit. An
seiner Kunst des Aaslegens gingen sie vorbei.
Nach dem Anteil, den franzdsischer Geist am Wesen
von Haydns Sinfonien hat, war za erwarten, daB sich
in Frankreich eine bedeatende Gefolgschaft dieses Ton-
setzers gebildet h&tte. Doch fehlte es hierzn an wesent-
lichen Bedingtingen : an Konzertinstitaten und Sinfonie-
komponisten. Mit dem Reichtum musikalischer Kollegien
and »wOchentlicher Konzertec, dessen sich Deutschland
erfreute, konnte sich Frankreich i^icht messen, and die
Institute dieser Art, die sich in Paris and den Provinz-
hauptstadten aufgetan batten, konnten den Vorteilen
-^ 263 #^
gegenCkber, die eine erfolgreiche Oper einbrachte, nichts
bieten. Diese an und fttr sich nngttnstige Lage wurde
dnrch Haydn noch verschlimmert. Denn — so sag! ein
Artikel des Moniteur im Jahre 1806*} — nachdem Haydns «
Sinfonien die erste Schwiehgkeit der Einftkhrnng fiber-
wnnden batten, konnte sie bald jedennann answendig
.und woUte keine anderen hdren. Beklagenswerter Weise
ist bier&ber auch Fr. J. Gossec nm die Anerkennnng F. j.Gomm.
gekommen, die ibm die Mosikgescliicbte Frankreicbs
schnldig ist. Er war der erste Tonsetzer von Bedeutung,
der sicb der neuen Gattung der Konzertsinfonie nacb-
baitig nnd mit voller Hingabe widmete. Schon als
Zwanzigjithriger trat er mit Sinfonien hervor, die in
italieniscber Folge dreisfttzig nnd vielleicbt die ersten
uberhaupt sind, in denen Klarinetten vorkommen. Denn
damals, Anfang der fUnfziger Jabre, hatte sie aufier
Rameau and J. Stamitz wohl noch niemand ins Or-
cbester gebracbt; Haydn lieB sicb damit fast noch
vierzig Jahre lang Zeit. Das alien Franzosen gemein-
same Klangtalent ist bei ibm iiberbaupt noch besonders
hervorragend enwickelt. Deshalb waren seine konzer-
tierenden Sinfonien anch seine angesebensten. Doch
auch durch einen stark nationalen Zug von Eleganz nnd
Anmut fesseln seine Werke. So war er in den sieb-
ziger Jabren der nnbestrittene Herrscher in den von ibm
gegrtindeten Concerts des amateurs sowohl wie in den
Concerts spiiituels. Da kam Haydn und verdunkelte auch
Gossec dermaBen, daO das Ausland von ibm uberhaupt
keine Notiz nahm.
Die wenigen franzSsischen Musiker, die in der Periode
der Wiener Klassiker Sinfonien schheben, schlossen sich
Haydn an. Unter ihnen ist Cherubini zu nennen mit l. Cker«bUl.
einer D dur-Sinfonie, die auch nach Deutschland kam, aber l^ dar-Sinfonie.
bald vor den viel freieren und bedeutenderen Ouvertiiren
ihres Verfassers verschwand. Ob wohl Haydn selbst Gheru-
*) Abgedrackt in A. Pougiiis Mtfhal-Biographie (Paris 1889),
S. 301.
-^ 264 ^^
bini als >seinen musikaliscben Sohnc bezeichnet bai^,
sind in diesem Werke, mit Ausnabme des Largbetto can-
tabile, die eigentlicben Haydnscben Ktbiste nicbt zu
vollem Recbt gekommen. Die Sinfonie ist wieder wie
fast jede Orcbesterkomposition Gberabinis ein Muster des
Klangs und auch in der Satztecbnik anziebend and be-
lehrend, unter andenn dnrcb 8cb5ne Kanons. Ihr poetiscb
bedeutendstes and eigentfimlicbstes Stiick ist die trftame- '
rische Einleitung zum ersten Satz. Der Anfang:
Larpo. _
Largo. ^
f" rHirLiJjlMllll^ I" Ml Qjl PM i
gibt einen Begriff von ihrem Cbarakter. DaO Gherabini
im daraaffolgenden Allegro das zweite Tbema in vor-
baydniscber Art in der MoUdominante bringt, hat einen
tieferen Grand, die Absicht, die Gegensfltze za scb&rfen.
Sie ist in s&mtlichen SUtzen festgebalten, immer wieder
wecbselt eine wilde Stimmung mit einer gebrocbnen. Am
st&rksten kommt der Pessimismus im Menaett zam Aus-
drack, wo dem zdgemden, sucbenden, anentscblossnen
Ton des Haaptsatzes mit den vielen leeren Qainten, ein
ganz finsteres, abgerissen klingendes Trio entgentritt.
Die Sinfonie hat trotz Gherubinis grofien Namen aicbt
viele Freande gefunden, das Leipziger Gewandbaas bat
sie, trotz seines starken Sinfonieverbraacbs,nur ein einziges
Mai gebracht, aber ein eignes, kennenswertes Werk ist
B.Ma«l. sie dennocb. AacbMdbuIs Sinfonien gehdren ganz zar
Haydnscben Schale; man kann M^hal den interessan-
testen and selbstftndigsten Schuler Haydns nennen. Er
folgt ihm, obne sein Vorbild in der Yirtuositftt der tbema-
tischen Arbeit, der Beweglicbkeit der Gedanken ganz za
erreicben, in der Methode; das llbrige bestreitet er aas
eignem Verm5gen. Die ganze Aaffassang von Zweck and
Wesen der Sinfonie ist bei M^bul etwas andres als bei
Haydn and den Deutscben: Man merkt zuweilen, daO
seine Kunst sich an ein groBes Yolk richten will, von
*) Griesinger, S. 104.
— ♦ 265 «--
einem groBen Yolke kommt: es ist ihr Pathos und
Stolz eingemischt and auch eine Dosis Glanz und Kraft,
die mehr an Glack und H&ndel als an Haydn erinnert.
Anmut und Eleganz geben sich etwas zugespitzt, so wie
das die Franzosen von Rameau ab and in ihrer Yolks-
musik von jeher gern gehabt haben. Von den vier Sin-
fonien M^huls, die sich nachweisen lassen, sind nar die
in Gmoll and die in Ddur nach Deutschland gekommen.
Die erstere, in der der Menuett wegen des Pizzicato des
Hauptsatzes besonders wirkte, kehrt bis in die sechziger
Jahre, wenn auch nicht hflufig, wieder. Mendelssohn, der
dorch historischen Sinn alle nachgekommnen Dirigenten
unvergleichbar iiberragte, suchte sie in Leipzig im Jahre
1838 wieder aus dem Archiv hervor: Schumann, von dem
man bei dieser Gelegenheit ein besondres Wort erwarten
durfte, mengte sie — absichtlich oder versehentlich? —
unter die Werke »bekannter Meister«*). Bei ihrer ersten
Auff&hrang im Jahre 1810 hatte sie ein Mefifremder in
der Allgemeinen Musikalischen Zeitung**) als eine Sin-
' fonie in >J. Haydns Weise, frei ins Franz5sische fiber-
setzt« bezeichnet. Nach diesem richtigen Anfang f&hrt
der Yerfasser fort: »So gut das gelingen kann, war es
M^hul wirklich gelungen. Der melodische Teil war on-
streitig der schwilchste : der harmonische aber auch nicht
selten grell und gesacht: Die Arbeit tibrigens sorgsam
und mit Streben nach Grflndlichkeit; die Instrumen-
tierung sehr gut und effektvoU.< Yon der dreifachen Be-
fangenheit, die dieses Urteil trCkbt, kommt ein Teil auf
die musikalisch mechanische Richtung des Schreibers,
die beiden andren Telle mu6 man der Zeit Napoleons
und Beethovens zu Gute halten. Die Gmoll-Sinfonie
vergleicht Schumann mit Beethovens Fiinfter***), auch
Fink lobt ihr Feuer und ihre Klarheitf). Die Gegenwart
*) Nene Zeitschrift far Muiik, 8. Bd., S. 107.
***) Allg. Mosik-Zeitong, 12. Jahrgang, S. 565.
***) Ges. Sehriften Reklam) II, 169.
i) Allg. Musik-Zeitung, 40. Jahrgang, S. 287.
-^ 266 ^^
ist in der Lage, M^huls Sinfonien ohne Eingenommenheit
za wflrdigen; gibt man ihr dazQ Gelegenheit, wird sie ihn
lieb gewinnen: mehr noch als in der Gmoll-Sinfonie in
der in Ddar.
Die Italiener, aaf eine Herrschaft der Instrumental-
mnsik noch wenigervorbereitet als die Franzosen, streichen
allm&hlich die Pflege der Sinfonie so gut wie ganz aus
ihrem musikalischen Pensum. Unter den GrQnden, mil
denen sie diesen schweren Fehler zu beschOnigen suchten,
hat der bis auf den heutigen Tag immer wiederholte Vor-
wnrf, daB die dentsche Musik gelehrt and wissenschaft-
lich geworden sei, daB sie sich zn sehr an den Verstand
wende, GemUt und Phantasie vemachl&ssige, deshalb
f&r nns Interesse, weil etwas Wahres an diesem Vor-
warf ist Mozart, C. M. von Weber haben in ihren Sin-
fonien, Beethoven hat mit seinen letztenQaartetten gezeigt,
da6 es neben der Haydnschen Methode, in der sich Geist
and Witz am besten entfalten konnen, andere gibt, die
Erfindang, Phantasie, Inspiration za einem grdfiern Recht
kommen lassen. Die Bevorzagung des Haydnschen Stils '
hat uns eine grofie Menge pedantisch langweiliger In-
stramentalkompositionen eingebracht and der spfttem
Entwicklang der Sinfonie geschadet. Die wenigen italie-
nischen Komponisten, die von jetzt ab noch Sinfonien
versachten, schlossen sich jedoch ebenfalls Haydn an.
L. BoeeherUi. Unter ihnen ist L. Boccherini fUr lange Zeit der einzige,
der in Deutschland and wohl auch in Frankreich Be-
achtung gefanden hat. Wenigstens sind in Paris am
1799 zwei seiner Sinfonien (in Stimmendrucken) yerdffent-
hcht worden. Beide haben vier S&tze, den Menaett als
dritten. Die erste (in D) kommt im Finale aaf das
erste Allegro zaruck and erreicht dadurch eine Einheit
and Abrandang, die dem Darchschnitt der Sinfonien
jener Zeit nicht eigen ist. Die zweite (in C) gehSrt zar
Gattung der konzertierenden Sinfonien, sie verwendet
das alte Corellische und Hfindelsche Konzertino: 2 Solo-
violinen und Solocello. Letzteres tritt im Andante sehr
sch5n hervor.
267
TJnter den Sinfonikern, welche znerst auf Mozarts
Seite traten, gebdhrt der Altersvorrang Michael Haydn, HiehMlHiydn.
dem Salzbnrger Bnider von Joseph Haydn. Yon den
52 Sinfonien, die von ihm nachweisbar sind, sind za
Lebzeiten des Komponisten nur drei in Stimmdrucken
enchienen (17d3 Wien); zwei davon, eine Cdnr-Sinfonie
uod eine in Es, liegen aber seit knrzem in den fet-
reichischen Denkm&lem*) vor, eine dritte, ebenfalls in
G, hat 0. Schmidt herausgegeben**). Die Musik wtkrde
jedem J&ngling Ehre machen; sie hat Frische, Freudig-
keit, Kraft, alle Merkmale eines jugendlichen gesunden
Geistes nnd zeigt dabei in jeder Wendung der Form die
Sicherheit nnd Klarheit des reifen Meisters, jene Mozart-
sche Abgekl&rtheit, die anch in Vokalwerken des Salz-
bnrger Haydn so wohltnend berfihrt.
Die Schmidtsche C dor-Sinfonie fflngt mit denselben
Noten wie Mozarts Linzer Cdnr-Sinfonie, aber sogleich
im andren Charakter an. Noch ehe der zweite Takt
sehlieCt, ist von Kantabilit£t keine Rede mehr, das Herz,
ans dem diese T6ne kommen, ist vol! lauter Sonnenschein:
Alleffro splrltuoso.
Vlollneu
ganz besonderes Wohlgefallen hat der Komponist an der
anfschlagenden Sext des letzten Taktes gehabt. Wer
noch nicht klar darUber ist, mit wem er es zn tnn hat,
dem mQssen alle Zweifel schwinden, wenn (mit dem
15. Takt) die Ergflnznng des ersten Themas kommt:
♦) XIV, 2.
**) Lelpsig, Breitkopf & HirteL
-^ 268 <>—
Das ist Musik vom Geblttt des Don Giovanni und des
Grafen im »Figaro«. Der ritterliche, junge, ins Leben
stQrmende, stolze Mozart ist es, an den sich wie die Mehr-
zahl der Wiener Mozartschfiler auch Michael Haydn an-
schliefit Zweites Thenia und Obergangspartien bieten
geringres Interesse, in letztren niacht sich eine gewisse
Umstandlichkeit bemerkbar. Sonst hat der Satz den
groBen Vorzug voUendeter NatfirJichkeit and Schlicht-
heit. Die Durchfabrung verarbeitet das 1. Motiv des
Nachsatzes vom Hanptthema, das erst in Nachahmnngen
zwischen Violinen and B&ssen, dann in letztren allein
erscheint. Gefuhl der Kraft ftuCert sich in kanstvollen
Formen. Das Haaptfeld seiner kontrapanktischen Meister-
schaft verlegte Haydn in das Finale, bei dem wir wie in
Mozarts Jnpitersinfonie, in Dittersdorfs gleichaltriger Gdor-
Sinfonie wieder vor einer Tripelfuge stehen. Haydns
Priorit&t ist unbestreitbar.
Das erste Thema:
Vtvace assai.
fun iiirn f iff inrir'ri'Jrii'
dem 16 Takte spannende Einleitung vorangehen, nimmt
mit seinen Durchfuhrangen den ersten Abschnitt (bis
zam 67. Takt) allein ein and ftthrt uns ein Stiromangs-
bild vor, in dem leises ahnangsvoUes Behagen sich bis
zu lauter Fr5hlichkeit steigert. Da setzt auf dem H6he-
punkt (HalbschluO in 0) eine neue beweghchere Freuden«
weise ein, /> f-rrAmrs- .' °^®^ ^^^'"
das zwei- jtj [ I >■ L i *\ \ ] [ J \ [ raehr sein
te Thema: *^ > Vorlaufer.
Denn der kurze Gedanke wird znnHchst mehr versuchs-
weise begleitend in den ersten und zweiten Violinen pro-
biert, das Kommando bleibt beim ersten Thema. Neue
DurchfQhrungen, Engfiihrungen, Zwischensfitze aus Um-
bildungen dieses ersten Themas oder ganz frei gestaltet,
bilden den Inhalt des zweiten Abschnitts des Finale (bis
zum Takt 163), der dem Ausruhen und Geniefien gewid-
269
met ist Seine schSnsten, laaschigsien Stellen sind die
ans den Umbildungen des Themas gewonnenen:
J i J i J J i A ii i J j
$
i
i
i
m
etc
p f ' r r r f f r r r — rr
and namentlich die
heitnlich humoristische '"^ JT T ^^^ geben.
wo die Bftase viermal ^ '
Am Eude des Abschnitts wird ans Weitergehen ge-
mahnt: Ein neues, fortdritngendes Them a:
]&fit sich vernehmen. Der dritle Abscbnitt beginnt. In
ibm zeigt sich das zweite Thema in seiner vollen Gestalt,
n&mlich :
mj>iii,i if Iff f^^
das neue dritle ist hierbei sofort wie ein Nachsatz ver-
wendet Znn&chst Ziehen nun die beiden HAlften dieses
kombinierten Themas Arm in Arm durch die Instmmente,
dann hat der Nachsatz — (oder das dritte Thema) allein
die Satzbildnng zu bestreiten. Die Stimmnng, die sich in
dem Abschnitte ansspricht, ist im Verh<nis zum Vorher-
gehenden die einer groBeren Erregang. Als er zum Schlnfi
(Takt 202) ansholt, sehen wir mit ungeduldiger Erwartung
nach der Fortsetzung ans. Sie tritt als Repetition des
ersten Abschnittes vor nns bin. Aber es ist keine wdrt-
liche, gewohnheitsm&l^ige, sondern eine Wiederholung mit
den stattlichsten Varianten. Wir sind noch gar nicht
weit in dem neuen Abscbnitt vorgedmngen, da bringt
Haydn zum ersten Male alie 3 Themen miteinander. So
hat die An] age seines Finale Ahnlichkeit mit einem
Spaziergang, der uns immer hdher hinauf, von einem
schSnen Anssichtspunkt zum andem fCkhrt; der letzte ver-
einigt die einzelnen Augenweiden zu einem m&chtigen
_^ 270 *^
Gesamtbild. Es ist in dem Finale dieser Sinfonie mit-
hin gehaltvoUdr Plan and meisterliche Formbehemchnng
nicht zn verkennen. Doch geht ihm die FQUe von sinnigen
Details, die der m&chtigen Personlichkeit entsprieGen, es
geht ihr auch der gewaltige Zug ab. Es ist zn lang and
zu reich an Formalismen, an Wendangen, die von Grofiren
geborgt sind. Man woUe diese Schw&che nicht der Zeit,
sondern nor der Individaalit&t ihres Sch(^pfers zar Last
legen and ihrer niederdriickenden Wirkang bei etwaigen
Auffiihrangen durch gebdrige Striche yorbeugen. — Einen
Menaett hat die Sinfonie nicht ; sie ist dreisfitzig, wie es
die italienischen Sinfonien waren. Der hier noch za er-
w&hnende Satz, der langsame, an der zweiten Stelle im
Werke enthalten, ist aber der eigenste in der ganzen
Komposition. Er hat die hier angew5hnliche Form des
Rondo. Der Hauptsatz, der dreimal vorttberzieht, ist ge-
mQtlich beschaulicher Natur, fast in Dittersdorfscher Art.
AuBerordentlich schon and lebendig sind aber die
Zwischens&tze. Beim zweiten namentlich wills einen an-
muten, als wenn die Flat des groOen Weltenlaafs in ein
stilles Grehirgsdorf hineinwogt. Im ersten ist eine Stelle,
die sich klanglich sehr hervortat : Hdrner, Trompeten and
Pauken allein.
Die beiden in den ostreichischen Denkmalern ver-
dffentlichten, gleichfalls menaettlosen Sinfonien Michael
Haydns ergeben ein ^hnliches Bild, wie die hier be-
schriebene Cdar- Sinfonie, das Bild eines Mozartianers
mit dem doppelten Einschlag derberer Lebenslost and ge-
lehrter Neigangen.
Aach der fur die Klavierstadien unsrer Jugend noch
X. Clementi. heate sehr wichtige M u z i o Clementi geh(3rt anter die-
jenigen hervorragenden Neben manner der Wiener Klas-
siker, die sich an Mozart anreihen and zwar an den feu-
rigen, nicht an den Sftnger der Schwermat and des Welt-
schmerzes. DiefatalethematischeAbhangigkeitvon seinem
Vorbild, die schon in Klavierkompositionen Clementis vom
Plagiat schwer zu unterscheiden ist, tritt uns aber aach in
den Sinfonien wieder entgegen. Die in B dur z. B. fSngt an
-— <► 271 ♦^
Allegro assai. Nun vergleiche
4lJ>P' JiJlJ J |JJ J Jii p If inan damit das
«^ «^ I i ' Presto der Mo-
zartschen Salzburger B dur-Sinfouie von 1778! Zu diesem
ersten VerdruB tritt ein z welter noch st&rkrer Qber die
Affektiertheit dementis. Was einen so sicheren nnd in
sich abgeschlossenen Kunstler bewogen haben kann, den
nat&rlicben Gang seiner Modulationen fortw&hrend durch
fremde Hannonieeinschiibe and gewaltsame Quersprfinge
zu onterbrecben — wenn es nicht das Bestreben war, sich
neben den groBen Meistem als ein noch grdOeres Ori-
ginal zu zeigen — , iJlGt sich schwer begreifen. Wie sie
infolge dieser Gebrecben zu ihrer Entstehungszeit nicht
fest einzuwurzeln vermochten, so ists auch aussichtslos,
mit den Clementischen Sinfonien, obwohl sie darch das
allgemeine Kdnnen ihres Yerfassers ziemlich hoch stehen,
heute Wiederbelebungsversuche anzustellen. Ehrlich w&hrt
am l&ngsten — gilt anch fiir die Komponistenl
Weitere Mozartianer nnter den Sinfonikern der Wiener
Schule sind: Sterkel, Witt, Wdlfl, Wilms. Das Btorkel,Wltt,
Ostreichische vertritt unter ihnen am ausgeprftgtesten ^•i** Wllmi!.
Wdlfl, Mozarts Salzburger Landsmann: anmutig, gemtit-
lich, zuweilen intim; auf der Kehrseite nachlassig und
unselbst&ndig. Bei Sterkel tritt noch der italienische Bil-
dungsgang in Melodien und Formen hervor. Diesem Um-
stand verdankt er den Triumph, einmal Beethoven ge-
schlagen zu haben. Das war bei einer Konkurrenz um
die Komposition von >In questa tomba obscura*. Sterkel
erhielt den Preis; Beethovens Musik wurde als >neu-
deutsch« abgelehnt. Deshalb braucht man sich aber Sterkel
noch nicht gleich als eine Null zu denken; dem wider-
sprechen seine Lieder. Witt ist ein kleiner Berlioz, ausge-
zeichnet durch Experimente und Kttnste der Instrumen-
tierung: ganze Adagios mit Pizzicato, in den Allegros:
groBe Trommel und tiirkische Musik! Wilms Ckberragt
die Genossen durch seine leidenschaftlichere Natur, welche
sich musikalisch in groi3en, kUhnen Crescendos und breiten
Zwischens&tzen &u6ert. Der bedeutendste Wiener aus
272
A^Eberi. der Bltktezeit der Klassiker ist Anton Eberl. Ihn nannte
man unter den GrQfien der Gattung und verglich ihn mit
Beethoven, mit dem er die Gewohnheit teilte, auf Spazier-
gftngen zu komponieren. Eberis thematische Erfindnng
ist wenig origin ell, vielfach auf Mozart direkt gestiitzt,
die Fignrenbildung altvftterisch nnd schablonenhaft. Aber
in seiner Harmonik, in der Steigerung des Aosdrucks, im
gewaltigen Aafbau der Perioden, in den zarten Einschal-
tnngen der Schlufiteile, in der ganzen Handhabnng der
Form lebt ein eigenes und starkes poetisches Talent
Eberl starb jung; sein Ruhm als Sinfoniker ruhtnur auf
wenigen Werken, von denen die Sinfonie in Ddur
ihren SchQpfer lange iiberdauerte, auch draui3en >im
Reich«. In ihrer dreisfttzigen Form, in dem Violinsolo
des Adagio h&ngt sie noch mit der alten Vor-Haydnscheu
Periode zusammen ; originell ist sie in der Disposition des
ersten Satzes, welcher zwischen der langsamen Einleitung
und dem eigentlichen Allegro in anziehenden Nuancen
einen sehr hQbschen Marschvoruberfilhrt:
Allegro moderato.
Er zeigt vor dem Eintritt in den Kampf, dafi HfUfe naht.
Das liebenswttrdige Adagio weist in seinem Hauptthema
.Adagio.
mit den schmachtenden Vorhalten auf die Zeit Naumanns
zuriick und voraus auf die Bellinische. Dieser weichliche
Schmerz rlihrt uns, weil er erlebt ist, — der m&nnlichen
Sprache der Klassiker war er aber fremd. So bietet dieses
Beispiel und ebenso das vorhergehende eine Ergflnzung zu
dem Ideenkreis der drei Hauptmeister. Sie zeigen uns
--♦ 273 *^
die Stellen der Wiener Schole, von denen Mftnner wie
Franz Lachner and Louis Spohr ihren Ansgang nahmea.
Wenn das Wiener Publikum seiner Zeit der Eberlschen
Esdur-Sinfonie den Vorzng gab v or Beethovens Eroica,
so schenkte es wenigstens seine Gonst keinem gew6hn-
lichen nnd nnbedeutenden Werke. Es ist eine mil alien
Vorzdgen des Komponisten ausgef&hrte sehr leidenschaft-
liche Romposition ; selbst in dem Menuett groUt es noch
heftig, erst das zweite Trio bringt Robe in die Stimmung.
Der langsame Satz hat mit dem Trauermarsch der Eroica
in der Verteiliang auf eine Cmoll- und eine Cdnrhdifte
and in den kriegeriscben Triolen einige zaf&llige AuBer-
licbkeiten gemeinsam.
Der geistige EinflaB Beethovens l&6t in der Wiener
Schale sehr lange aof sich warten. Nor Wilms and
Eberl zeigen anter den Genannten leise Beziehungen za
ibm. S. Neukomm, ein direkter Schtkler J. Haydns, in s.He«ke
den Konzerts&len Deatscblands bis in die dreiBiger Jalire
binein eine gern gesehene Erscheinung — namentlich
seine Orchesterphantasie in (), eine zweis&tzige Rompo-
sition, in der das konzertierende Element viel zor Gel-
tung kommt, war sehr beliebt — , schrieb noch im Jahre
1818 eine Sinfonia eroica. In ihren SchluBsatz ist H&ndels
»Seht er kommt etc.« eingearbeitet. Als endlich Beet-
hoven von den Wienem eifriger stadiert wurde, wirkten
zan&chst die Aafierlichkeiten des groBen Vorbildes. So
warden von Wien aas, dann weit and breit, die Posaanen
in den Sinfonien endemisch. Die Dotzauer, Reicha,
Maarer, Moralt — allerlei Talente, voran die kleinen,
grifiPen zu den groBen Instramenten. Als typisch fiir die
einreiBende Tonverschwendang k6nnen die Sinfonien von
G. Czerny betrachtet werden. Diese beiden platt be- c. CMrny.
haglichen, l&rmenden Werke tragen die Opaszahlen 750
and 781! Aas dem groBen Zitatenvorrat der ersten (in
Cmoll) ist eine Reminiszenz von Schaberts >Erlkdnig€
kunstgeschichtlich bemerkenswert! Ein anderer direkter
Schuler Beethovens, der bekannte Ferdinand Ries, f.bim.
kopiert stilistische Eigentftmlichkeiten des Meisters, be-
Kretsscbmar, Ffthrer. I. 1 Ig
i
_^ 274 ^^
Bonders seine Oberraschnngseffekte, und vennischt sie
mit Rossinischen Scherzen: Pldtzliche Unterbrechungen
der Fortepartien — die Greigen schankeln Takte lang
auf leisen Akkordnoten, italienisches Guitarrenorchester
— , dann eine unvermatete starke Dissonanz, ans der sich
aber nichts Beethovensches entwickelt: »Partariant mon-
tes etcJ€ Trotzdem feierte die Kritik in den zwanziger
Jahren Ries als » geistreichen < Komponisten. Selbst
Schumann fand seine Eigenttkmlichkeit >nur dnrch die
Beethovensche verdankelt« *).
Der erste Tonsetzer, welcher, obwohl er aaf einem
wesenUich realistischen Bildungsboden steht, im hSheren
Sinne als Beethovens SchUler bezeichnet werden kann,
und welcher zugleich die Wiener Schule und ihren Lokal-
ton als einer der Letzten und als der Glftnzendste ver-
F. Sehmbert.. thtt, ist Franz Schubert. Wiener und Ostreicher ist
er in der Erfindung und Phantasie bis zu einem Grad,
da6 seine Kompositionen an die Wiener Landschaft, an
L&ndlerton und an Czardasklang erinnem, Beethovenianer
in der breiten, zuweilen mafilos breiten Ffthrung der
Form.
F. Sohmbert, Das Hauptwerk unter Franz Schuberts Sinfonien ist
Cdnr-Sinronie die grofie Sinfonie in Cdur, welche in der Reihe der
^'''^' tlbrigen die Nummer 7 tr>. Sie ist ein Ausnahme-
werk: in ihrer kolossalen Anlage, in den unaufhdrlichen
Wiederholungen ihres Periodenbaues, in ihrer »himm-
lischen L&nge«, wie sich R. Schumann euphemistisch
ausdr£ickte, etwas monstros; meisterhaft und genial, wie
keine andere seit Beethoven, in der musikalischen Er-
findung, in der St&rke des melodischen Stromes, in der
FQlle schw&rmerischer Weisen, in der Ursprfinglichkeit
und dem Reichtum origineller Tongedanken, die auf
Schritt und Tritt in diesem Werke entgegensprossen :
liebenswUrdig und unwiderstehlich wie eine heitere. herr-
liche, grofiartige Friihlingslandschaft nach der Natur
*) R. Schumanns Gesammelte Schriften (Ausgabe Jansen)
I, 135.
-^ 275 41^
ihrer Phantasie und Stimmung. Alles in allem kann
man sie vielleicht die schdnste, die musikalisch reichste
Sinfonie des 19. Jahrhanderts nennen ; sicher hat sie in
der Laienwelt mehr Freande als irgendeine andere.
Die Sinfonie beginnt mit einer ansgefflhrten Einlei-
tnng, welche die H6mer romantisch erdlTnen:
Andante. > > >
1^-11 f f riJ.-^r'pi If M ij.pf If n ■■ I
pp
Die Holzblftser nehmen diese fragende Melodie znnftchst
anf, die Celli setzen sie fort Dann beginnt eine Dnrch-
f&hmng fiber die zwei ersten Takte des Themas. Dieser
Disknrs, von den Holzblilsem schflchtem nnd zagend, von
dem Gros des Orchesters mit starker Entschiedenheit and
einer gewissen robusten Pracht gef&hrt, endigt mit einem
Schlnfiresnltat, welches in dem ersten Saize zn grofier Be-
dentnng gelangt. Es ist das frendig znversichtliche Motiv
^^.^ das nach Mozartscher, Ditters-
h'yt^* pT \t ffT~\T~' dorfscher, wir kdnnen sagen
^V* nach Wienerischer nnd italie-
nischer Art der trinmphierende Refrain in der Dichtung des
ersten Satzes wird. Mit ihm scheint der Berg Ckberstiegen.
Ohne Anfenthalt, mit fOrmlichem Ungesttlm geht es fiber
in das Allegro, das wie in den Strahlen der Morgensonne
vor nns glitzert and flimmert. Ritterlich stolz die Greigen:
^ AUdgro. vor frendiger Erwartang
V ^ I rj^)l j. KX J)li='>«.^e"<^ ^^ Holzblftser
/ * * mit dem in der ersten
Zeit von den Spielem als nnansftlhrbar erklftrten Rythmns:
g g g ^ ^ ^o bauen die bei-
Atrf'rn\rmn\r t^fsden leUe d«s or-
^'' J chesters das lange
Tbema vor nns stttckweise anf. In seiner zweiten Hftlfte
gibt es einer groGen Frende immer kilhneren and ran-
schenderen Aasdrack:
^;'pr'pK"i^^"rrTrpi''"P^Pif f n
18 •
-^ 276 •^
Echt Schubertsch ist der AbschlaG dieses Bildes tind der
Obergang ins n&chste. Zwei Takte im Decrescendo ge-
halten — und wir sind aus dem Cdur und dem Sturme
des vollen Orchesters in E moll! Das zweite Thema setzt
beschaulich and mit jenem kleinen Anflug von Melan-
cholie and Sehnsacht ein, der Schobert gleich einen
masikalischen Lenaa immer begleitet: Die stark be-
schftftigten, in dieser Sinfonie fast Uberbfirdeten Holz-
bl&ser tragen es
^"^ J J jin I 'ii 1 1 r i| ri
Erstnach33Takten
r r r {^-ff-^P » ?^^pl r* n'^ ' ^^ gelangt es ans Ende
^ Y f I mjjj id ^jg fuy diese
Stelle zu erwartende normale Tonart Gdor. Eigenttlmlich
ist, dafi Schabert schon hier eine DarchfQhrang, wenn
aach nur eine kleinere, einschaltet. Darin zeigt sich
deutlich der EinfluB Beethovens. In dieser Dnrcbffihrung
darchstreift der Komponist einen aal3erordentlich weiten
Ideenkreis. Die Holzbl&ser und das Streich- ■■p ■ j— ^
orchester bringen mit dem munteren: ^ F I f ^5^
naiv frdhliche Klange; die ^^ — r- Es ist wie Vo-
Posaunen dicht daneben=*ji i*^^ |^f' f if . gelzwitsrhern
mysteri5s schauerliche ' und Waldes-
raaschen in einer Stunde, wo die Natur einschlftft. Die
beiden Motive sind darch kurz zugesetzte Auftakte aus
friiher aufgestellten Themen gebildet; das erste aus dem
zweiten Thema, das Posaunenmotiv aus dem zweiten
Takte der Einleitung. Es ist also alles h6chst einfach
and naturlich zugegangen, und doch stehen wir hier
wie vor einer libernatiirlichen Wirkung, vor dem ganzen
Schubert in seiner fast erschreckenden Gr5fie. Er, der
eben noch wie ein Kind mit Kindern spielte, pflegt jetzt
geheimen, priesterlichen Verkebr mit der Geisterwelt
Der gewaltige Eindruck der Stelle Iftfit sich weit in der
modernen Komposition verfolgen, z. B. Schumanns D moll-,
Brahms D dur-Sinfonie zeigen die Spuren. Ein ganz eig-
277
ner and nener Zug an diesem Sinfoniesatze ist die innige
Verbindnng des Allegro mil der Einleitung. Dies ofoen
unter b] gegebene Refrainthema ans der Einleitung schliefit
die kleine DorchfCLhrung, von welcher bier die Rede ist.
£s schlieBt auch die grofie, die eigentliche DurchfOhmng,
welche nach ihr beginnt — etwas dfister and in Moll ge-
halten — , and am Schlasse des ganzen ersten Satzes
steht berrlich and in vollem Glanze die Iflelodie vor ans,
mit welcher die Hdmer die Sinfonie begannen. In der
groGen Darchftlhrang des ersten Sat- jftim-
zes ist eine Kombination des Motivs frrfffirff
mit einem andem aas dem ersten Thema des Allegro
zn bemerken.
Nach der Re-
prise kommt
eine Coda, welche in gesteigerter Empfindang noch ein-
mal aaf den fremden- and erwartnngsYollen Eingang
des Allegro einen Blick wirft.
Das Andante der Sinfonie, ihr zweiter Satz (A moll, s/4),
besteht aas zwei grofien Grappen. In der ersten trfigt
alles den Charakter von genial, frei and sicher zasam-
mengestellten Impromptas. Das f&hrende Thema ist
folgendes:
a)
Ob.
^ 18 ; '^^jjU I lj- ■ r f I r r I r f, rf } 1 F rv fj 1
^^ ^ ^^ :^^ s. Es hat einen AbscMofi
trtSbten Friedens weist:
|>(*'/f"p^= in Dnr, der ins Land
■^ des Glflcks and ange-
Za dieaem Hauptthema tritt ein zweites, in welchem
die Gegens&tze des erstem gesteigert and nfther anein-
anderge- ») g.^- #.*^-*^a ±MSM^t t^
rackt er- ■ i P l-^-H-Hlf f ^^^H^^^^^^F^F^^
scheinen: '*^.jys v'«»>in«» " r »>«•"
-^ 278 ♦^
Der zw'eiten Grnppe ist ein ruhigerer Charakter eigen.
Ans ihr klingen T5ne der frommen Andacht und einer
erhabnen Feierlichkeit, und an einzelnen Stellen heirschen
ein Ernst und eine Resignation, aos denen die Gedanken
an das Jenseits zn sprecben scheinen. Wir stehen wie
dnrch Magie vor diesem neuen Bilde. Mit einem jener
Ueinen Harmoniewnnder, an denen Schubert so reich
isi, fOhrt er uns von A- nach Fdur. Das Hauptthema
dieser zweiten Gruppe ist das folgende:
l.Viol.
JV
Es wird sofort, nachdem es aufgestellt ist, in kleinen
S&tzchen motiviscb entwickelt. Der Wechsel zwischen
den zwei Ch5ren des Orchesters, den BIftsern und den
(xeigern, gibt diesen Sfttzchen ihre cbarakteristische
Form. Von einer besonderen ScbOnheit ist die Schlufi-
partie dieser zweiten Gruppe, ihr sanfter wehmtktiger
Abschiedscharakter, das fast fibersinnliche Klangbild, in
welchem Schubert hier mit den immer leiser, immer
stockender gebrachten Tdnen des Homes und des Streich-
orchesters das Verschwinden der himmlischen Vision
veranschaulicht.
Die foeiden Gruppen des Andante werden nach diesem
Momente ein zweites Mai voriibergefiihrt. Bei dieser Re-
petition besteht eine Hauptverftnderung darin, dafi die
wilden Elemente des oben mit b) bezeichneten Themas
der ersten Gruppe einen breiten Spielraum erhalten. Sie
treiben es bis zu einer sehr bedenklichen Spitze. Von
ihr aus finden die Celli mit einer r&hrenden Variante
des Thema a) den Obergang nach der zweiten Gruppe,
welche diesmal in Adur gehalten ist. — Trotz der un-
endlich vielen Wiederholungen im kleinen ist die Dis-
position des Andante knapp und einfach.
Das Scherzo, der dritte Satz, erscheint bei weitem
komplizierter. Namentlich der zweite Teil seines Haupt-
satzes fibertrifft in der Menge der hier zusammentreten-
279
den Ideen and in der Llknge seiner AnsfQhrung anch
die kiihnsten Beethovenschen Vorbilder.
Den Anfang dee Satzes macht ein Wechselspiel zwi-
schen Bl&serchor nnd Streichorchester, welchem folgendes
Motiv ^ Allegro Tlvace. Die Vio-
zugrun
de Uegt
was barsch and bnrschikos, lenken dann in den zftrt-
licheren Ton der Blasinstrameote ein and schlagen
schmeichelnd eine liebenswflrdige Wienerische Tanz-
melodie vor
f jj'jiiii_j III ^^
1^
^^
>^^# , f ij , welche jene mit Achtelgewinden
f f ' i ' "^ I ^^* aos dem Hauptthema amkranzen.
Der zweite Teil des Hanptsatzes setzt die reizenden Schel-
mereien des ersten fort; nea hinzagetragen erscheint ein
knrzer Gedanke von . j; — r--^ ^
groGerlnnigkeit: ein J f i f f V \^f^f ^f \^F^f \
veredelter L&ndleiV^= I I ■ ■ T M ^^
Das bewegte Treiben des Scherzo erh< darch das
Trio eine kdstliche Unterbrechnng. Die Bl&ser tragen
einen Ian gen, gefuhlvoUen Gesang vor, dessen Hauptteil
aof folgender, in ihrer Einfachbeit and Wftrme echt
Wienerischen Melodie mht:
^ ,ip I r I rTrcj I c r I Tr -I =Hf^r i f"i
Das Finale setzt
mit einem hnmoristi-
schen Alarmsignal
AUegro Tirace
Von al-
ien Sei-
!ten wird
zamAaf-
folgendermafien ein ^^
brnch gerafen, eine grofie glilnzende Menge ist in Be-
wegang: ein herrlicher Tag, eine herrliche Landschaft!
Aas der zweiten Hftlfte des Haaptthemas:
280
spricht vergndgt, ungeduldig dr&ngend die Freude der
Erwartang oder der Erffillung.
Im zweiten Thema nimmt die frohe Stimmting des
Satzes einen beruhigten, festlichen Ansdruck an: es ist,
als ob sie nun k&men, die lang Brsehnten im stolzen
langen Zug. Ein Siegesfest liefie sich mit dieser herr-
lichen, reichen Musik feiern.
jnf I FTF 'r i irp'^l^
pTf If r if^lJ^^^Miij^J I .ij >i \ ^ U \
An dieser Melodie hat Schubert ein ersichUiches
besonderes Wohlgefallen gehabt; namentlich auf den
breit daher schlendemden Anfang in halben Noten greift
er immer wieder zurtick: Drohnend und mit mftchtigem
Nachklang schlagen sde uns aus den B&ssen entgegen
und f&hren die Gedanken von dem dunkleren Wege, den
sie in der Durchfiihrung streiften, wieder in heitere
Sph&ren zuriick. Au6ergew5hnlich frei tritt die Reprise
ein: mit dem ersten Thema in Esdur anstatt in der
Haupttonart C. Namentlich das Finale ist deijenige Satz
der Sinfonie, an welcher sich das Gbermafi breiter Aus-
Hihrung, welches dem Werke eigen ist, empfindlich macht
Ohne irgendeinen neuen Zug zu bringen, setzt der Schlufi
dieses Satzes immer wieder an und wiederholt in immer
andem Tonarten die zur Genfige oft vorgetragnen Ge-
danken. Es ist dies ein Mangel, der von der tJber-
--» 281 «^
schwftnglichkeit Schafoerts, die uns hftafig genng selige
Momente bereitet, nicht za trennen ist. Die Cdor-Sin-
fonie bleibt trotzdem eins der reichsten und beliebtesten
Knnstwerke. Aber man wtbrde sie wahrscheinlich h&n-
figer aaffUhren, wenn sie ktirzer wftre.
Schubert schrieb diese Sinfonie im Jahre 1828, wenige
Monate vor seinem Tode; aber erst 10 Jahre sp&ter wnrde
sie der Offentlichkeit bekannt nnd zwar auf Schnmanns
Yeranlassting*). Eine noch viel l&ngere Wartezeit haben
die tkbrigea Sinfonien Schuberts durchmachen mfissen.
Erst im Jahre 1866 kamen die beiden Sfttze zur Anf-
ftUirung, welche von der H moll -Sinfonie vorhanden F.8«hBbert,
sind**). Dafi das Werk ursprQnghch voUendet werden^™®U*Si»'onw
sollte, geht daraus hervor, daB die Originalpartitnr noch
9 Takte als Anfang des Scherzo enth<. Mit Recht ist
aber neuerdings darauf hinge wiesen worden***), dafi
Schubert diese Absicht mdglicherweise aufgegeben hat
und dafi die beiden S&tze eine Fortsetzung nicht ver-
langen. Der Entstehungszeit nach dem Jahre 1822 an-
geh6rend, also 6 Jahre <er als die grofie Cdur-Sinfonie,
ist sie dieser doch an kfinstlerischer VoUendung Qberlegen :
gedrungen in der Darstellung und frei von den formellen
Mftngeln der ber&hmten Schwester. Es ist eine Eigen-
heit der k&nstlerischen Entwicklung Schuberts, dafi sie
in Sprungen auf- und abw&rts ging. Dem Inhalt nach
ist die H moll -Sinfonie mit der groBen in C gar nicht
zu vergleichen. Hier steht der schwermtltige Schubert
vor uns und entroUt uns in kurzen und ergreifenden Zflgen
das Bild einer leidenden Seele. Manche Stellen im ersten
Satze weisen direkt auf »Gretchen am Spinnrade« bin,
*) Die Entdeckongsgeschichte hat Schumann znent aos-
fuhrlich in der Nenen Zeitschr. f. Mnsik, Bd. XII, S. 81 mit*
geteilt: ^on da ist der Anfsatz in seine yGesanumelten Schriftenc
ilbergegangen.
**) Cher die Anffludung darch J. Herbeck siehe: £d. Hanf-
liek, Aos dem Eonzertsaal. Wien 1870, S. 350.
***) W. Dahme: F. Schnbert, 1912.
282
sogleich das erste Thema, in welchem unter dem sehn-
sQchtigen Gesang von Klarinette und Oboe (anis6no)
Allegro moddf ato.
PP
die Geigen auf trftumerisch belebtem Secbzehntelmotiv*)
bin- und herschaukehi. Das zweite Tbema, eine l&ndler-
artige Melodie, setzt dann mit unbescbreiblichem Wohl-
klang, aber wie aus fernster Ferae in den Cellis ein
^_ ^ _^ ^ — ^ Es nimmt die gauze Er-
'^r'J r r r r i ^ r*^'^ l ^ r Cf ^^ innernng in Beschlag: es
ist fflr seine Stelle fast
zu schdn and macbt ans die erscbtitternden Gremlitsans-
brticbe vergessen, welcbe doch seine Fortsetzung bilden:
Der zweite Satz, Andante con moto (E dnr s/g) bringt
>bimmlischen Balsam « in einfachster Schale. Die
Melodie, aaf welcber sein Haapttbema im wesent-
lichen niht. ist ein scblicbter frommer Kindergesang:
Aadantejuffljiiato. Das zweite Tbema tritt mit
Jjjin f I f ifr r I f iP ' ^®^ Fragen eines bescbwer-
fr " ' jy ' ^^ I '^^ ten Gemuts dagegen bin.
Sie baben in der barmoniscben FUhrang dieser Partie
einen bewundemngswUrdigen Aosdruck erbalten. Der
ganze Satz ist das gl&nzendste Doknment f&r die Tiefe
des Scbubertscben Geistes, fflr den erstaunlicben Reicb-
tnm einer Nator, in welcber neben der vollen Naivit&t
des Kindes aas dem Volke auch jene GrdGe der Empfin-
dung wobnte, die Beetbovens Teil war.
*) In der Paititurausgabe sind an dieser Stelle mit be-
merkeusverter Pietftt auch einige offenbare Schreibfehler Schii-
berts konserviert vorden.
— ♦ 283 *^
Seit kurzer Zeit liegen nns in der verdienstTollen
Schubert- Ansgabe*) anch die Partitaren dertibrigen sechs
SiDfonien vor, welche Schnbert auCer den beiden bier
geschilderten nnd in der Praxis eingebilrgerten geschrie-
ben hat. Yon einer: der Gdnr-Sinfonie Nr. 6, welche in i*. Bohnbtrt,
ihrem ersten Satze Weberschen EinfluD, im letzten Ver- Cdur-Sirioiiie
wandtschaft mit dem Finale der siebenten zeigt, wissen '*
wir das Entstehnngsjahr nicht genan, wir dftrfen es aber
nach 1822 setzen. Die andern fflnf faUen in die Zeit
▼on 1813 bis 1816, ohne dafi sich in der Reihenfolge,
in der sie entstanden, eine fortschreitende Entwickelnng
verfolgen liel3e. Dem grofien Sinfoniestile Beethovens
nfthert sich Schubert am meisten in der B dor-Sinfonie F.8«hmberty
(Nr. 2) vom Jahre 1814. Hier strebt er dem groBen Bdur-SinfonJe
Meister in dem breiten Entwurf der Perioden nach; ja (^'S)*
das Hanptthema des ersten Satzes ist direkt aus einem
fthnhchen im Finale von Beethovens vierter Sinfonie
hervorgegangen. Gleichzeitig zeigt anch diese Sinfonie
das Eigene and das Wienerische in Schubert am st&rk-
sten, Tomehmlich - ABduu,, ^ — ^^
das Andante mitj ^L, r ^p-^ipphpf |rrrff;|Q-
den Yanabonen:^ ■**■ .. r-
und das keck dahinspr&hende Finale:
Diese B dur-Sinfonie hat von alien den nachgefun-
denen die ersten Aussichten im Konzertsaale heimisch
zu werden. Diese Sinfonien haben slUmtlich ihre inter-
essanten Einzelheiten in Beziehungen auf andere be-
r&hmte Werke Schnberts: die erste (Ddur v. J. 1813) in r. 8«hmb«rt,
dem zweiten Thema des Finale, das mit dem Lied von Sinfonie Nr. i
der Forelle bestimmte Zuge teilt, die dritte (D dur vom ^^ ^-
J. 1815] durch einen Anklang an die grol3e in Gdur.
Gemeinsam ist ihnen die Meisterschaft im Kolorit, die ^
angeborene Genialitftt in der Mischung und Yerwendung
*) Leipzig, Breitkopf A H&rtel.
-^ 284 i^^
der Instrumente nn^ ein ausgepr>er Zug von Lebens-
freude. Eine Ausnahme von der letzten Eigenschaft
macht nnr die vierte Sinfonie (CmoU v. J. 1816). Sie
F.SehBbert, ist >tragMche Sinfoniec flberschrieben und als ein Ver-
Tragische Sin- gach in diesem Stile zn betrachten, wobei Master wie
fome. Beetbovens Ouvertnren zum Coriolan und znm Egmont
and die Cberubinis znr Medea zam Grande gelegen
haben. Vom eigentlichen Wesen tragischer Mnsik ent-
h£llt sie jedoch weniger als die anvoUendete Sinfonie in
Hmoll.
Die Norddeutscbe Scbule, die noch za den Zeiten
des Hambarger Bach der Wiener Schule innerlich ziem-
lich nahe steht, wird sicb mit deren Erfolgen eines Gegen-
satzes bewufit und bemQht sich eine eigene Art zn ftufiem.
Sie gibt sich pathetisch, ruhiger und ernster als die
Wiener, zuweilen etwas trocken. In Form und Stil iiber-
trifft sie jene darch Gediegenheit and Soliditftt und ver-
rat einen Zasammenhang mit jener Berliner Kontrapunk-
tistenpartei , welche anter der FQhrung Kimbergers den
ersten Triamphen Haydns mit dem Feldgeschrei » Seba-
stian Bachc entgegentrat Die Opposition mag etwas
Lftcherliches gehabt haben. Spottet doch Marpurg *} eio-
mal uber einen Philister, der eine Partitur >mit der fin-
stren Miene eines Erzdoppelkontrapunktisten, der den
galanten Haydn za Boden schlagen will* prQft. Die
norddeutschen Sinfonien sind reich an Imitationen and
Umkehrangen and an Fugenpartien. Fugen sind auch
den Wiener Sinfonien nicht fremd; aber die Norddeut-
schen tragen die strenge Arbeit gem zur Schau; ja es
gibt Werke, in welchen das gelehrte Element sich ganz
zum Herm macht. Das am meisten charakteristische
Produkt dieser Richtung ist eine C dur-Sinfonie des Abt
AbtYogier. Vogler, seine sogenannte ^Bayrische Nationalsinfonie«,
in deren Finale sich noch einmal die Zeit der alten
*) Legende einiger Maslkheiligen (Odlln a. Rh. 1786), S. 200.
-^ 285 <^
Solmisationskfinste regt: sein Haaptthema ist die Gdur-
Skala, auf deren geistige Yerwendbarkeit Vogler bei der
Bekanntschafl mil russischer Hommusik gekommen sein
soil. Das Werk genofi von seinem Entstehnngsjahre 1815
zwei Menschenalter lang grofies Ansehen and kann, wie
Schafh&atl und J. Simon*) wollen, als Beweis daf&r dienen,
dalB Vogler untersch&tzt wird. Bekanntlich war auch
R. Schumann dieser Meinung.
Mit dem Anftreten Mozarts n&hert sich die Nord-
deutsche der Wiener Schule wieder. Mozart wird das
Ideal ihrer Tonsetzer. Um Beethoven aber erwarb sie
sich die grdfiten Verdienste. Seine Musik fand ihre
Hanptsttltze in Norddeutschland, namentlich dnrch das
Eintreten des von Fr. Rochlitz wohl beratnen Leipziger
Gewandhanses, eines der wenigen Institnte, die ans der
Periode .der >wochentlichen Konzerte« heil in die neue
Zeit heriiberkamen. An guten Gmnds&tzen and Ab-
sichten reich, blieb die Norddeatsche Schale an iiber-
ragenden Talenten lange arm and hinter der Wiener
betrlichtlich zariick, bis Mendelssohn and Schamann er-
schienen.
Die ersten namhaften Vertreter der norddeatschen
Sinfonie sind die beiden Romberg and Fr. Schneider. A*Bonb«r9.
Andreas Romberg, der Komponist der >Glockec, gait als
der anerkannte Flihrer. Von seinen Sinfonien, anter denen
sich aach eine mit Janitscharenmasik befindet, ist die in
Dj welche Jahre lang ein Liebling der Orchester war, be-
sonders hervorzuheben. In ihrem ersten Satze, welcher
in freier and selbstftndiger Weise an die tragischen Mo-
tive des Don Juan anklingt, zeigt sie die der Schale
eigentumlichen ernsten ZQge auGerordentlich deutlich.
Sein Vetter Bernhard Romberg, einer der grofiten Cello- B.Ronberg.
spieler seiner Zeit, heate noch durch seine Kindersinfonie
weit bekannt, hat sich in der Gattang der hOheren Sin-
fonie darch die »Trauersinfonie aaf den Tod der Kdnigin
*) K. E. V. Schaffhintl: Abt Vogler, 1888; J. Simon:
Abt Vogler, 1908.
286
// ; :
0' •
Louisec ein rflhmliches Denkmal gesetzt. Ohne Chorftle,
Begr&bnisgesftnge und finGerliche Hilfsmittel wird hier
eine erhebende Todtenfeier yoUzogen, der leidenschaft-
liche Schmerz und die sanfte Rlage haben denselben
natUrlichen schlichten Ausdruck gefunden; wahres, echtes
Gefflhl nnd edle HandiuDg machen diese Sinfonie zo
^ einem hervorragenden Kunstwerk. Nach Geist und Stil
erinnert es an Mozarts >Maurerische Traaennusik«. Fried-
Fr. 8«luielder. rich Schneider war einer der ersten, welche in Beet-
hovens FuGstapfen za treten snchten. Vom Jahre 1803
ab hat er Uber vier Jahrzehnte lang das Gebiet der Sin-
fonie gepflegt nnd in den Scherzis seiner nngeffthr zwanzig
Sinfonien oft eine bedeatende H5he erreicht.
Als der letzte and bedentendste Vertreter des ursprQng-
W. KftlUweda. lichen Stiles der Norddeutschen Schnle ist W. Kalli-
wo da zn betrachten, der von der Mitte der zwanziger
Jahre ab ein Yierteljahrhundert hindarch einen bedeu-
tenden Platz im Repertoire einnahm. In ihm schien das
Geschick wieder einen Meister ersten Ranges bescheren
zn wollen. Vielseitig, auf jedem Gebiete sicher, oft nen,
originell, und doch natfirlich und einfach, macht er
wiederholt den Eindruck eines Auserlesenen und n&hert
sich der letzten Stufe zur Unsterblichkeit. Obwohl das
eminente Talent Kalliwodas nicht zu voller Entfaltung
gelangt ist and in fast jedem seiner Werke ein unfertiger
Rest bleibt — hier die tibermftfiige Breite der Ausfdhrung,
dort die Ungleichheit der Teile — , ist doch das Studium
seiner Sinfonien sehr genufireich. Jede enthftlt Perlen und
Proben einer musikahschen Urkraft In der ersten Sinfonie
Kalliwodas (Fmoll) machen wir auf die sch5ne Einleitung
and das naiv kraf- ^ ^ AUegro. ^^
tige(zweite)Themagjl ),\> !i J T^hfr I T Hf-y^l^
des ersten Satzes:^^'^ -^ i - "i " uj.^t=r-i— ^
aufmerksam. Ihr viTaca. . eineauf-
Scherzo hat in I ^\> }■ irrriffri T' | fftllige
demHauptthema •^ ^Ahnlich-
keit mit dem entsprechenden Satze der Schumannschen
DmoU-Sinfonie. Die zweite Sinfonie Kalliwodas zeigt
_^ 287 <»—
bedeatende Fortschritte in der Form. Die Verbindungs-
grnppen sind gedankenvoller geworden and kdnnen der
Stiitze durch Fignrenwerk eniraten. Der poetische Glanz-
pankt des Werkes liegt in der kleinen Coda des Largbetto,
welche der scheinbar scbon gescblossenen Darstellnng
noch einen ganz nenen tranlich berzlicben Gedanken in
Kanonform nachsendet Auch daf&r findet sicb eine
Analogie bei R. Schumann, in der Bdnr-Sinfonie. Die
dritte Sinfonie Kalliwodas darf im allgemeinen als ein
Hanptwerk aus der Periode ihrer Entstebnng (1881) be-
zeichnet werden. Leider ist der letzte Satz den vorber-
gebenden nicht ebenbfirtig, and in alien wfknscht man
die Darstellnng etwas gedrungener. Obne diese M&ngel
wQrde sie fftr alle Zeiten die Repertoires zieren kdnnen.
Vieie Partien haben Beethovens groGen and ktlbnen
Zag; im zweiten Thema des ersten Satzes glaaben wir
uns direkt in die Spbfire der Rassumowsky-Quartette
dieses Meisters versetzt Der erste Satz ist einer der
cbaraktervollsten Sinfonies&tze, die je geschrieben worden
sind; in seiner bltltenlosen Starre and Strenge hat er
kaum seines gleichen . Aliei^ro.
Sein kahles and stei- it y '^ -| h } *'■■ j » \ »■ -|-i—
nemes Hauptmotiy ^ ^^'^
welches schon fremdartig in die Einleitung hineinklingt,
gebdrt zu jener Klasse von Themen, mit welchem es nur
ein Genie wagen darf. Die vierte Sinfonie (Cmoll) zeigt
den Komponisten in Formen and Gedanken wieder als
einen ganz anderen. Ihr erregtes Wesen deutet aaf per-
s5nliche Erlebnisse; namentlich das Finale, wo nach
einem aalBerordentlich leidenschaftlichen Eingang plOtz-
lich das sinnende Andante wieder erscheint, legt diese
Vermatang nahe. Die f&nfte Sinfonie Kalliwodas (HmoU),
welche im ganzen etwas leichter wiegt, hielt sich darch
das den langsamen Satz vertretende, einschmeichelnde
and etwas b5hmisch ankhngende Allegretto
if I' iTTTiii'hm I \\T\
-^ 288 *^
langeiD derGunst desPublikums. Die sechste nnd siebente
Sinfonie Kalliwodas stehen gegen ihre Vorgilngerinnen
znruck und erlangten in den Konzertprogrammen keine
feste Position.
Zar Bedeutung gelangte die Norddeutsche Schule mit
dem Anwachsen der romantischen Bewegung, die sie in
die Sinfonie hineintmg.
Jean Paul nennt bekanntlich die Mnsik die romaD-
tischste, d. h. von Natur aus nnd von jeher romantische
unter den Ktlnsten. Und in frOhererwie in neuererZeit
ist mil Recht daranf aufmerksam gemacht worden, dalB
schon die Werke S. Bachs wie die D. Bnxtehndes und
anderer <erer Meister romantische Ziige tragen. 6e-
schichtlich datiert aber der BegrifT der musikalischen
Romantik erst seit dem Anfang des neunzehnten Jahr-
hunderts. Zwiespftltigkeit and Mischnng gait als Wesen
der Romantik. In diesem Sinne warden Mozart und
Beethoven im Gegensatz zu Haydn als romantische Rom-
ponisten bezeichnet: Mozart, weil er in seinen AUegro-
satzen die Instrumente ohne weiteres aus bewegtem
Figurenspiel in ruhigen Gesang ubergehen liefi, Beet-
hoven, weil er Scherzi, d. i. heitere Sfttze schrieb, bei
denen man sich &ngstigen konnte, und weil er auch sonst
in demselfoen Atem Dinge verband, welche im schSlrfsten
Gegensatze zueinander standen. Haydn tat eins nach
dem anderen und hielt seine Gedanken und Stimmungen
einfach und frei von Mischnngen. Die Wiener Schule,
die ihm vorzugsweise folgte, versagte sich der Romantik
nicht grundsfttzlich, aber sie ging, Franz Schubert aus-
genommen, kaum fiber den Punkt hinaus, bis zu dem
Mozart vorangeschritten war. An A. Eberl IftOt sichs
wahmehmen, wie sie die romantischen Wendungen auf
die eigentlichen Adagiogefuhle beschrftnkt. In der nord-
deutschen Schule durchdringt dagegen der romantische
Gteist schon friihzeitig auch das AUegroleben.
Wir begegnen seinen Spuren z. B. bei A. Romberg
in kleinen chromatischen Durchg&ngen und Wechsel-
noten :
--• 289
Allegro moderato.
Dnrch sie werden die im Grande mantren Weisen seiner
D dor-Sinfonie sentimental durchblitzt Die Heimat dieser
Art romantischer Musikelemente ist vornehmlich die fran-
zdsische Oper. In den durch ihre Herbheit der Nord-
dentschen Schule nahestehenden Sinfonien von Toma-
schek, dem bChmischen > Schiller der Mnsik«, und von
M^hul greift die Romantik schon tiefer in den Satzbau
und in die Gedankenentwicklung hinein. Vom Jahre 1816
ab wird der romantische Stil allm&hlich der herr-
schende, und alle die Sinfoniker, welche neben Beethoven
etwas bedeuten, reprHsentieren eine Seite des roman-
tischen Geistes. Die musikalische Romantik hat mit der
Romantik in Literatur, Poesie und bildender Kunst fortan
mehrere Jahrzehnte lang hervorragendeBeriihrungspunkte.
Auch die musikalischen Romantiker kennzeichnet das
Festhalten an Lieblingsstimmungen, das Hervortreten der
Persdnlichkeit des Darstellers in der Darstellung, der sub-
jektive Ton und die aus diesen Erscheinungen hervor-
gehende Einseitigkeit und Gleichformigkeit der Werke.
Die musikalischen Romantiker pflegen Spezialit&ten des
Gemdtslebens and der Phantasie und haben in der
Form Manieren, die immer wiederkehren und fiir welche
sie schnell Nachahmer und Schtkler finden. Wie die all-
gemeine Romantik Ifiuft auch die Geschichte der musi-
kalischen im Zickzack. Sie springt von dem phantasti-
schen Gebiete auf das sentimentale dber, von da auf
das naturfrohe und naive, and l&uft endlich von dieser
letzten Station, von der Hingabe an das Genre und an
das Kleinleben, in eine Periode der Realistik und des
Naturalismus aus. Die romantische Epoche hat in der
Musik sehr belebend and anregend gewirkt, Ideen einer
fr&heren Zeit vertiefend ausgefUhrt, neue Klang- und
Ausdrucksmittel zum Vorschein gebracht nnd die Lite-
ratur mit Werken bereichert, welche allgemeinen bleiben-
den Kunstwert haben. Sie bedeutet eine zweite Blilte-
Kretzsehmar, Ftthrdr. I, 1. 19
— ^ 290 <i^
zeit in der Geschichte der Sinfonie and hat in Mendels-
sohn nnd Schumann zwei Meister hervorgebracht, welche
sich an OriginalitAt and Reichtam der masikalischen £r-
findang den grofien Rlassikem der Wiener Periode n&hem.
Die phantastische Richtang der Romantik vertritt in
€.M.v.Weker. der Sinfonie zaerst C. Maria von Weber. Von seinen
zwei Sinfonien, die beide in Cdar stehen, ist die erste
(im Jahre 1807 fCkr die Kapelle des Herzogs von WCirttem-
berg geschrieben) die bedeatendere. Sie war (yom Jahre
1814 ab) l&ngere Zeit bei den Orehestem sehr beliebt
and diirfte aach keate noch einer freandliehen Aafnahme
gewifi sein. Bs ist ein bescheidenes, liebenswttrdiges and
sehr mannigfaltiges Werk, heate doppelt interessant darch
die vielen Einzelheiten, welche direkt aaf den SchOpfer
des FreischQtz hinweisen. Das Andante, das poetisehe
HaaptstCiek der Sinfonie, hat Wolfsschlachtsb&sse and
Agathekantilenen. In seiner dilster feierlichen Pracht, in
der stillen Schwermat, welche aus den schmelzenden
Klftngen der Blasinstnimente spricht, ist es einer der
schonsten langsamen Sfttze, welche zar Zeit Beethovens,
and ganz anabhftngig von diesem Meister, geschrieben
worden sind. Die freie Disposition macht es einer dra-
matisierten Brz&hlang fthnlich. Der Schaaplatz ist n&cht-
lich, za den handelnden Personen stellt die Geisterwelt
Mitwirkende. Im ersten Satze, welcher im Stile die kon-
trapanktischen Merkmale der Norddeatschen Schole tr>,
Qberwiegt der mantere ritterliche Ton; die spannenden
phantastischen Momente liegen in den leisen Solostellen
der Kontrab&sse. Maleriseh and bilderreich ist er im
hohen Grade; der herrschenden Haydnschen Methode
weicht er aas. Weber, selbst war spftter mit diesem aller-
dings etwas zerfahrnen Satze am wenigsten zafrieden.
Er entschaldigt sich bei Gottfr. Weber, dem die Sinfonie
gewidmet ist, and bei Fr. Rochlitz damit, da6 er hier
mehr auf eine Ouvertdre aasgegangen sei*). Dagegen
♦) F. W. Jihns: C. M. v. Weber in seinen Werken (1871),
S. 64.
--♦ 291 <>^
erkannte w Menaett and Adagio vol! an. Beim Pnbli-
kum nnd bei dem Orchester war das Finale, in welchem
immer die Hdrner mit komiscber Befiiessenbeit Torrans-
fltCtrmen, als einer der drolligsten S&tze seiner Zeit be-
eonders beliebt.
Bin spftterer Vertreter derselben Richtnng ist Ons- H. eaiiew.
low, ein geistreicher, temperamentvoller Komponist and
einer nnter den Brsten, deren Adagios den Beethorenschen
MaBen nacbstreben. Onslow ist apart, elegant, reich
an Ideen, in Figuren nnd Rbythmen vielfach nen; iif den
Darchfllbmngssfttzen verraten leider triviale Bpisoden den
Mangel an mnsikaliseber Dnrchbildnng, welcber den Wer-
ken Onslows eine scbnelle Vergessenheit bereitet hat.
Die verbreitetste seiner Sinfonien war die in Adnr. Die
Hanptthemen ihres ersten Satzes
1^ ABeyro •plrittioso.
JT^ J- kl I 111' ™^S®^ ^^'^ romantischen Cbarakter
i^f i)l*i bJ if* y^n Onslows mnsikaliseber Brfindung
eriftntem. Wie die Romantiker der pbantastischen Rieb-
tnng yon der Iranz5siscben Oper im allgemeinen yiele
Impulse empfingen, so zeigen diese nnd andere Melodien
Onslows speziell den EinflnB der Romanzen Boieldiens.
Die sentimentale Richtnng der Romantiker ist dureh
Mozart nnd Chernbini vorbereitet nnd anch in den Sin-
fonien der Wiener Schule reicblich yertreten. Ibre eifrigste
Pflege findet sie in den Sinfonien yon L. Spohr und
F. Mendelssobn-Bartholdy.
Die Sinfonien von Louis Spobr sind in ihrer Mehr-
zabl der beutigen Generation bereits wieder fremd ge-
worden. Fast zwei Menscbenalter hindurch war dieser
unermQdlicb strebende Kilnstler auf diesem Gebiete tUtig
und nabm an alien den Bestrebnngen tUtigen Anteil,
welcbe yon Beethoven bis auf Liszt der Weiterentwieke-
lung des sinfonischen Stils galten. Die erste unter Spohrs l. Spobr,
gedruckten neun Sinfonien (in Esdur) wurde fQr das zweite Eb dur-Sinfonie
Frankenhauser Musikfest (1811) komponiert und erfreute
19*
-^ 292 ♦^
sich bald aUgomeineir Anerkennung'^). Sie seigt bereiU
die fertige IndiTidQalit&t des merkwtkrdigen Kilnstlers : die
Zeitgenossen fanden in ihrer ruhigen Wurde einen Gegen-
satz za dem Fener Mossarts and Beethovens, lobten die
weniger gedanklich bedentenden als angenehmen Melo-
dien und tadelten die allznhftafige Wiederkehr seiner
chromatischen GS,&ge und die unrohige Modulation. Bit
gegen das Jahr 1830 kehrt das Werk in den Konzerten
immer wieder. Seine zweite Sinfonie (Dmoll) schrieb
Spobr im Jahre.1820 fftr die philharmonische Gesellschaft
in London, die durch ibn kurz zuTor die erste Bekannt-
Bcbaft mit dem Taktstocke gemaoht batte. Sie wirkte
besonders durch die virtuosen Stellen des Streichor-
chesters**). Spohrs dritte Sinfonie (Gmoll), seine vierte
(>Weihe der T5nec) und seine f&nfte (Cmoll) biiden den
HOhepunkt in der sinfonischen T&tigkeit ihres Verfassers
und waren bis vor kurzem noch in den Programmen zu
L. Spobr, finden. Namentlich seine dritte Sinfonie (vom Jahre 1829)
Cmoll- Sinfonie ist eins der liebenswiirdigsten Denkm filer der ersten, un-
^'' ^' schuldigen Jugendzeit der musikaliscben Romantik. Manche
Zeilen in dieser Dichtung — wir denken an das zweite
Tbema des ersten Satzes — sind veraltet, aber aus dem
Ganzen spricbt der dberschwftnglicbe Geist milder, weicher
Schwarmerei, dem Spobr zuerst einen eignen Ausdruck
yerlieh, nocb in erster Friscbe. Die musikaliscben Wur-
zeln dieser Spobrschen Kunst reicben bis in die Opera
Paisiellos, Piccinis, Galuppis zurQck; in der Sinfonie er-
starkte sie namentlicb dnrcb Eberl und jene Wiener
Rfihrungsmfi.nner, deren letzte Spuren sich in den Liedera
H. Prochs finden. Schubert kannte Spobr nicht, als er
seine ersten Sinfonien schrieb, und von Beethovenschen An-
regungen macht er nur einen sebr vorsicbtigen Gebraucb;
der italienischen und franzftsiscben Oper seiner Zeit, Che-
rubini namentlicb, verdankt er einiges. Wie bedeutend
aber Spobr die Sprache der Sentimentalit&t selbst&ndig
*) L. Spohr, SelbstbiogrAphie I, 161.
*♦) Ebenda U, S9.
293
weitergebildet hat, und wie viel von ^ ^ |^ j ,^^ ■
den verminderten SchluGintervalleD : fr ' '' r * f ■■
und von anderen Wendungen seines romantischen Idioms
in die Werke mitlebender und folgender KQnstier flber-
gegangen ist, wird man mil Staunen bei Betrachtnng
dieser C moll-Sinfonie gewahr. Ihr Larghetto namentlich,
der Tollendetste, gedankenreichste und mannigfaltigste
Satz des'Werkes, hat in den Sinfonien gleichzeitiger und
sp&terer Sinfouiker mftchtig nachgewirkt.
Am ersten Satze ist das Beste die Einleitung mil
dem charakteri- und der SchluB der
stischen. suchen- jj j r I f^^ Durchffthrung , an wel-
den Quintenmotiy v^ ~ chem diese Einleitung
wieder erscheint Auch das erste Thema des Allegro, in
seinem Anfang nicht hervorragend , erh< durch die
poetische Anknapfung an das zitierte Motiv der Einleitung
einen wertvoUen Schlufi.
Das schon erv&hnte Larghetto (F dur, ^/s) hat zum
Hauptthema eine lange, behaglich ausgeftlhrte Melodie,
das Kind eines Her- Largiietto. Nur leich-
zens,welches seinen^^ fl ■.^^'^n j^JH f J_ J^*^ Schat-
Frieden gefunden*"
den bier ei- ^ ^^ -jr^p^^^i^^-y^ Der Glanzpunkt des
Zutritt: --^^^^-R-i-^ !»■'■ f Satzes ist das KantabUe
nen
bei dem Spohr einen neuen Instrumentationseffekt an-
wendete: Sftmtliche Geigen, Bratschen und Celli tragen
die Melodie im Unisono vor. Die Wirkung ist grandios!
Das Scherzo dieser Sinfonie ist in seiner Herkunft
yerwandt mit dem in Beethovens fAnfter:
^r^w^^u Jjjjij^^^l TH in
In der Ausfiihrung bleibt es etwas gleichfOrmig. In
lauter kleine Ziige zerlegt, eines lebendigeren drama-
294
tischen Impulses bar, bildet es fClr den Zuhdrer einen
einigermassen mQhsamen GrenuB.
Der Humor Spohrs yergr&bt sieh mil Vorliebe in
Miniataren. So streiten auch im Finale gegen die
gr56ern Intentionen des kflhn scherzenden Hauptthemas,
das an das Finale von Beethovens Zweiter erinnert,
allerhand kleine
t^p\r iijuh '^j)iJ^ '^pi
mentlich folgende echt Spohnche'Figur
^Arabesken, on-
7 ter denen na-
Nr.6.
einen breiteren Raum einnimmt
L. Bpokr, Die andere Cmoll-Sinfonie Spohrs (geschrieben im
^"^*i^,^'*'**"^Jahre 1838 far die Wiener Concerts spirituels) hat eine
pathetischere Tendenz. Sie begibt sich, allerdings nicht
sehr weit, direkt ins Gebiet der Leidenschaften hinein.
Spohr war sich der Binseitigkeit seiner musikalischen
Natur bewuGt und strebte zeitlebens ernstlich damach,
seine Phantasie auch auBerhalb der elegischen Grenzen
heimisch zu machen. Bs ist aber nicht zu yerkennen,
daC ihm bei solchen Versuchen die Originalitftt des Aus-
drucks versagt und dafi er sobald wie mdglich den RAck-
zug auf vertrantes Terrain anzutreten pflegt. Fiir die
erstere Tatsache bildet das Hauptthema im ersten Allegro
dieser Sinfonie eine gentlgende Dlustration:
Allerro. <-^
£r% . > Einen schdnen poetischen Zug teilt
f fTTV f t \^r r dieser erste Satz der ftknften Sin-
fonie mit dem der dritten: das
Thema der langsamen Einleitung, die wie eine Verheifiung
in Dur steht, tritt pl5tzlich in die Durchffthrung hinein
und kehrt dann bis zum Ende des Satzes mefarmals wieder.
Vielleicht bat dazu Haydns bekannte Esdur-Sinfonie an-
geregt Der SchluB des Allegro sticht durch Macht des
— <* 295 ♦^
Ansdracks hervor und schliefit das ganze Bild znit den
Kl&ngen edler Traner ab. Man hat den Eindruck, dafi
das Werk einer Fortsetzung nicht bedarf und tats&chlich
ist auch dieser Satz selbst&ndig im Jahre 1836 als Onver-
tftre zn Raupachs »Tochter der Laft< entstanden.
Das Larghetto dieser Sinfonie kommt im Geiste und
anch in der thematischen Erfindung Beethoven sehr nahe;
es ist einer der schdnsten langsamen Sfttze, die Spohr
geschrieben hat, nnd bei der ersten AuffQhnmg in Wien
mnBte er wiederholt werden. Der Mittelsatz dieses
Larghetto kontrastiert mit dem Hauptteile, fUhrt aber
seine Aufgabe, eine nnruhige Szene darzustellen , in
einer namentlich nach Seite der Instrumentation bin
bemerkenswert originellen Weise ans. Wir geben bier
das Hanptthema dieses Larghetto:
Larfch«tto.
Das Scherzo, ein fQr Spohr aufiergewdhnlich kr&ftiger Satz,
st&tzt sich im Hanptthema auf ein chromatisches Motiv
^_ welches, von den H5rnem aos durch die Bl&ser
\— wandemd, ein heitres Leben im Orchester wach
hftlt. Der zweite Teil des Hauptsatzes verdankt
dem Annchen aus Webers Freischtktz (»Grillen sind mir
b6se Gftste«) einiges. Das grazi5s elegische Trio ist den
Holzbl&sern in der Haaptsache allein iiberwiesen.
Im Finale herrscht der Ton einer milden Heiter*
keit. In knnstvollen Formen fugierend und imitierend,
bilden sich frdhliche Spiele um das dem Hanptthe-
ma folgen- AUefro. ^ s,,^^ Alszweites
scheint die Melodie der Einleitung zum ersten Satz.
Die Sinfonie erhftlt dadnrch in Form und Idee eine sehr
sch5ne Abrundung. Mehr als beachtet wird, sind die
Sinfonien Spohrs reich an solchen geist- und sinnreichen
Wendungen.
--♦ 296 ♦^
Zwischen den beiden CmoU-Sinfonien steht die
. L. Spohr, »Weihe der Tdne«. Dieses >chaxakteristische Tongem&lde
*^**T»***** ^^^^ Form einer Sinfonie«, wie es der Komponist nennt,
enchien im Jahre 1834, fRilt also in eine Periods » in
welcher die Tendenz, die Instnimentalkomposition an
poetische Vorwtirfe zu binden, wieder einmal entschieden
aufgelebt war. Diese Periode, welche zuf&llig mit der
Bliktezeit der Romantik in der Literatur zasammenf&Ut,
datiert von dem Franzosen H. Berlioz, dem sich Mendels-
sohn und Gade in ihren poetisierenden Konzertouver-
tiiren auf dem Gebiete des Orchesters in besonnener
Distanz anschlossen; Schumann vertrat eine &hnliche
Tendenz in der Klaviermnsik mit seinen Cbarakterstftcken.
Auch auf Spohr iibte diese Richtung einen groBen Reiz,
und in seiner energischen Art ging er gleich praktisch
und mit groOem HuiBren Erfolg ans Werk. Denn diese
Komposition wurde eine Lieblingssinfonie , die man eine
Zeit laug in den stehenden Konzerten jedes Jahr zu
horen verlangte. Der >Wei)ie der T5ne« liegt ein ziem-
lich langes, ursprtinglich zu einer Kantate bestimmtes
Gedicht von Carl Pfeiffer, einem Gasseler Freunde des
Komponisten, zu Grande, welches bei der Auffuhrung der
Sinfonie entweder verteilt oder laut vorgetragen warden
soil. Die Konzertdirektionen begnUgen sich indessen mit
einem kurzen Auszug, einer Art Inhaltsangabe , die den
Tempis der einzelnen Satze beigeschrieben wird und die
Intentionen von Dichter und Komponist, wenn auch nicht
immer ganz, so doch ann&hernd trifft. Etwas unglUck-
lich gewfthlt erscheint sofort die Bezeichnung des ersten
Largo: >Starres Schweigen der Natur vor dem Erscha£fen
des Tons*. Tatsachlich will Spohr hier nur etwas Ahn-
liches schildern wie J. Haydn im Chaos der Schdpfung,
wie Beethoven im Anfang der neunten Sinfonie: eine
Welt, der die Freude fehlt, in der das Leben noch nach
Formen ringt. Das tut er in der Einleitung durch tr&ge,
lastende Melodien in den BUssen und andern tiefen In-
strumenten und durch wiihlende Harmonien. Der er-
15sende Jubal ist sehr bald geboren : Schon nach 23 Tak-
— * 297 9^
ten beginnt das Allegro. Es bring! als Hauptthema eine
echt Spofarsche Melodie:
L^
Ein zweites Thema besitzt dieser Satz nicht. An seiner
Stelle erscheint eine lange konzertierende Partie, in wel-
cher die Holzblftser das Vogelgezwitscher nachzubilden
suchen. Dergleichen Aufierlichkeiten , KUnsteleien and
nnreife Stellen sind in Programmsinfonien nicbts Sel-
tenes. Aber in der >Weibe der Tdne« scheinen sie nicht
ausschlieOlich ans dem Prinzipe hervorgegangen, sondem
aus einer augenblicklichen Schwftche der musikalischen
Erfindnngskraft, die im allgemeinen ndtigt, das Werk —
so viel liebenswiirdiges es enthftlt — hinter die beiden
Cmoll-Sinfonien zurttckzustellen. Namentlich die Ober-
gangspartien von Bild zu Bild, von einem Thema zum
andern, entbehren der Gedankenkraft and behelfen sich
mit leerem <Figarenwerk. Aach die Dichtang zwang nicht
zu den kleinlichen Malereien, in welchen Spohr die
Stimmen der gefiederten S&nger wiederzugeben glaubte;
sie bringt in dem Verse, welchen das Allegro illustrieren
will, eine Reihe hdherer Momente, welche der Kom-
ponist beiseite liegen liefi. Dagegen hat Spohr in
diesen Satz eine Szene hinein eskamotiert, von welcher
der Dichter nichts weifi: einen Aufruhr der Elemente.
Mit seinen heftigen Akzenten bildet er zn der masika-
lischen Idylle der Themengrappe einen nicht unwill-
kommenen Gegensatz.
Im zweiten Satze sacht Spohr Wiegenlied, Tanz and
Stfindchen zn vereinigen. Namentlich das Wiegenlied
ist mit einer sehr gelnngenen Melodie wiedergegeben,
yon der man fast bedaaert, dafi wir sie so wenig an-
vermischt genieOen kdnnen
yp
-^ 298 ♦^
Der Tanz, ein franzdsischer Zwelyierteltakt, vertreibt
diese Melodie schnell, und ihn 16st spftter das St&ndchen
ab, dessen Ausftlhrung dem Solocello tibertragen ist Es
steht im VieTakt:
;,T3 J 3 1 J!T: i'i
Diese drei Melodien sind Hhnlicb wie in der Ballszene
des Don Juan zusammengestellt und bilden in ihren
Kombinationen f&r den Vortrag bedeutende Schwierig-
keiten. Bei der ersten Frankfurter Auffdbrung der Sin-
fonie mnBte, wie Mendelssohn erzilhlt, Gubr bier drei-
mal abklopfen.
Der dritte Satz: »Kriegsmnsik, Fortzieben in die
Schlacht, Geftibl der Znrttckbleibenden, Riickkehr der
Sieger, Dankgebet« beginnt mil einem Marscb (in Z>).
Mit ihm kebren die Krieger aucb nacb dem Siege zorQck.
In der Zwiscbenzeit stimmt die Klarinette in einer sebr
sprechenden, beklommenen Weise eine klagende Melodie
an: in den Cellis banges Sinnen, das voile Orcbester
bringt leidenscbafllicbe Ausbrflcbe des Scbmerzes. In
der Feme bdrt man ab und zu abgerissene Motive des
Marsches. Nacb der RUckkebr der Krieger wird als
Dankgebet der Ambrosianiscbe Lobgesang: »Herr Gott,
Dicb loben wir« geblasen, die Violinen nmspielen ibn mit
jubelnden Fignren.
Der letzte Satz: >Begr&bnismn8ik, Trost in Trftnen*
dberscbrieben, wird dnrcb ein Largbetto (Fmoll G) ein-
geleitet, welcbes in seiner Form dem Scblusse des vor-
bergebenden Satzes, dem >Dankgebel« ftbnlicb ist: Der
Cboral >Nan lasset ons den Leib begraben«, von den
Cellis und den beiden Rlarinetten vorgetragen, wird von
den andem Instrumenten mit Motiven begleitet. Nament-
licb die Z wiscbenspiele , in dumpfen Paukenwirbel ge-
btUlt, sind auDerordentlieb ergreifend und eindrucks-
voU. Nacb dieser Trauerszene folgt der Trost in
Tr&nen als Allegretto (Fdnr ^/ij mit folgendeih Haupt-
thema:
299
^ yy aif dim.
g^^ ^ Es schliefit mil dem QQintenmotiT
T f rjlP pH^j^ dg, welches schon im ersten Satze
' eine wichtige Stelle im Tliema ein-
nimmt Spohr hat diese ihm in alien Werken sehr liebe
Wendung in alien S&tzen dieser Sinfonie nntergebracht:
Hier erscheint sie wie der bescheidene Hans- ,.— ^^^
geist in einer Ecke versteckt, dort offen im * T T |^=
Yordergninde; vielfaeh in folgender Form: *'^-^=*-
Immer elegisch, friedvoU nnd aach an den Stellen des
Anfschwnngs so mafihaltend, wie es der fromme Grand-
ton der Stimmimg veriangt, ist dieser SchluBsatz der
»Weihe der Tdne« nicht immer verstanden worden. Von
der gebr&nchlichen Haltnng eines Sinfoniefinales weicht
er vGllig ah; znm Charakter des Tongemftldes, welches
mit dem Ansblick aaf das Jenseits abschliefit, pa6t er
sehr wohl.
Spohr hat spftter nnr noch eine rein mosikalische L.Bpobry
Sinfonie geschrieben. Es ist die Nr. 8 (Gdur), welche Gdur- Sinfonie
nach der instrumentalen Seite manches Nene and In- ^^'^'
teressante enthftlt. Das Scherzo, im Trio mit einem
Violinsolo ausgestattet, ist in der Erfindung, welche sich
^anz anf das virtuose Element lehnt, der eigenartigste
ihrer Tier S&tze. In den iibrigen Sinfonien blieb er von
der »Weihe der Tdne< ah beim Prinzip der Programm-
mnsik. Znn&chst kam im Jahre 1839 seine >historische l. Spobr,
Sinfonie im Stile und Geschmack vier verschiedener Zeit- Historipche
aHer<. Der erste Satz soil die Periode H&ndel und Bach Sinfonie.
Oder die Zeit um 1720 veranschaulichen. Er versucht
das in einer aus trockenen Sequenzen zusammengebauten
Fuge, mit einem Pastorale in der Form des Siciliano
(tt/sTakt) als Mittelsatz. Der zweite Satz gilt der Periode
Haydn -Mozart (1780). Dieser stand Spohr selbst geistig
am nftchsten, und darum ist wohl dieses Andante der
gelungenste Satz der Sinfonie. Auch hier schaut der
chromatische Spohr iiberall hervor: aber er tut nichts.
-^ 300 «^
was seine Modelle entstellt: Einiger Spfifie and Derb-
heiten, welche Spohr den beiden Wiener Meistem in-
sinuiert, wSren sie f&hig gewesen, wenn auch gerade
nicht im Andante. Die Beethovensche Periode (1810),
als die dritte, iat durch ein Scherzo vertreten, welches
mit einem Solo von drei Pauken beginnt. Sie geben
das Motiv
^m J I M f I J f J I'T J r I J ^m
Im ubrigen schiebt Spohr dem Beethoven einen Eigen-
sinn zu, welcher selbst f&r diesen Uber alle M5glichkeit
hinausgeht: In einem Satze, der gegen 4(X)Takte um-
faBtf ein einziger thematischer Gedanke von 8 Takten
L&nge! Wider alien Beethovenschen Branch bleibt anch
das Trio an dieser fixen Idee haften! Noch schlimmer
kommt »die allerneueste Periode« (1840), welche den
vierten Saiz einnimmt, weg: Ein Hexengebr&u ans
Nonen, Septimen und freien Dissonanzen, winselnden
und schmachtenden Vorhalten! So wild ist anch Berlioz
nie gewesen, so sehr haben anch die Pacini, Mercadante
and Meyerbeer nicht gel&rmt, so safilich and zerflossen
waren Rossini and Bellini niemals! Und wer in aller
Welt mag zn den ewigen and tollen Gedankenspriingen
dieses Satzes gesessen haben! Ist die Historic in den
andem S&tzen dieser Sinfonie nar anznlftnglich — so
wird sie bier znr Parodie, zar hllrtesten Kritik von Spohrs
Beobachtangstalent and seinem Kunstverstand! Nar in
Wien, wo man bei der AnffQhrang blofi die Jahreszahlen
angab, die Namen weglieO, warde diese Sinfonie bei-
filllig and besonders im letzten Satz anfgenommen. tjber-
all sonst blieben die Meinnngen mindestens geteilt*}.
L. fipoiir, Die n&chste Programmsinfonie Spohrs (im Jahre 1842
•Irdisches and verdffentlicht] heifit »Irdisches and Gottliches im Men-
^MenB^hSn*™ schenleben* and ist betitelt als »Doppelsinfome« ! Wie
f^eii€^ dies in der altem Zeit dann and wann (s. Cannabich)
versacht wurde, sind hier wieder einmal zwei Orchester
*) L. Spohr 4. 4. 0. n, 231.
^^^''^^^^^ i^rtrijjnrn^jil^r i
--• 301 ^^
anfgestellt, die sich in der Regel abldsen, hie nnd da
auch vereinen. Das erste Orchester hat.nach Art des
alien Konzertino im Streichquartett nur einfache Be-
setzung. Diese Anordnnng fuhrt zu einer Reihe sch5ner
Klangwirkungen, deren hatifige Wiederkehr allerdings den
Endeindrnck schw&cht. Sie ist ein weiterer Beweis, wie
Spohr sich immer etwas Neues ausdachte und in seiner
Art auch ins Werk setzte. Die Idee zu dem Doppel-
orchester erhielt Spohr durch einen Scherz seiner Fran
auf der Rftckreise vom Musikfest zu Luzem. Sofort
war auch die Sinfonie entworfen. Der erste Satz gilt
der Kinder- Anecstto.
Hauptthema:
Freilich: ein ungetrubtes Gltkck schildert er nicht; auch
ihn drucken chromatische Schmerzen.
Der zweite Satz schildert die Zeit der Leidenschaften.
Diese nahen in chromatischen Sechzehntelgangen der
B&sse, stCren die fhedvollen Melodien der Holzbl&ser und
schwellen zu einem Sturm an, der sich in einem Allegro
(C-Takt) austobt, das in seinem Hauptteil mit Sechzebntel-
l&ufen angef&Ut ist. Eine Art krS,f tiger Marschmusik bildet
einen Widerpart dagegen.
Der dritte Satz ist tiberschrieben : Endlicher Sieg des
GCttlichen. Ein Presto in 6/4Takt (Cmoll) beginnt auf-
geregt und lenkt dann in freundlich muntere Melodien
dber. Sie ftlhren zu einem Adagio, welches, pomp5s in-
strumentiert, mit einem feierlich gehobenen Gesang ein-
setzt, und, fthnlich wie der SchluOsatz in der »Weihe der
T5ne< mild und leise ausklingt.
Den Vorwurf zu Spohrs letzter Sinfonie (Nr. 9, Hmoll) L. Spohr,
bilden >Die Jahreszeiten<. Dieses der musikalischen Kvnst >Die Jabres-
viel bietende Thema wird hier in zwei Abteilungen ab-
eehandelt, deren erste den Winter, den Friihling und den
Ubergang zwischen beiden enthftlt, die zweite den Som-
mer und Herbst. Das dichterische, allgemein kiinstlerische
Talent Spohrs und noch mehr sein musikalisches —
beide haben sich der reizenden Aufgabe gegenUber sehr
zeiten«.
— fr 302 ♦^
kuhl verhalten. Nur der letzte Satz erhebt sich an ein-
zelnen Stellen, mit einer Paraphrase des alien Andr6schen
Rheinweinliedes (»Bekrftnzt mit Lanb etc.«), fiber eine
mittiere Temperatur.
Mitten in die Blfitezeit Spohrscher Romantik fftllt
B. WftffBer, eine G dar-Sinfonie Richard Wagners, die im Winter
C durSinfonie. 1832/33 im Leipziger Gewandhans zwar mit Erfolg auf-
gefUhrt, aber nur wenig beacbtet nnd erst karz vor
dem Tode des Meisters von den Angehdrigen wieder ans
Licht gezogen worden ist Der ersten, Weihnachten 1882
noch von Wagner selbst geleiteten Neuaufffihmng sind
weitere in vielen deutschen Musikstftdten gefolgt, nnd seit
die Sinfonie in einer stattlichen Partiturausgabe vorliegt,
hat sie alle Anwartschaft darant nicht wieder vergessen
zu werden. Denn sie hat nicht bloO die Pietfttsrdcksichten
nnd das biographische Interesse far sich, sondem sie ist
. anch geschichtlich merkwtirdig und drittens eine durchaus
emste Arbeit, der wenigstens in einem Teil Originaht&t
und bleibender Wert zugesprochen werden mufi.
Der geschichtliche Schwerpunkt der Wagnerschen
Sinfonie Uegt darin, daB der junge Komponist sich um
die Romantik der zeitgenossischen Sinfonie nicht kfimmert,
sondern sich fest und dem altvfiterischen Schein zum
Trotz auf den Boden Beethovenscher Kunst stellt Von
Wagners jugendlicher Beethovenschw&rmerei, die er selbst
wiederholt humoristisch geschildert hat, gibt namentJicb
der erste Satz der Sinfonie ein sebr anschauliches
Bild: er lehnt direkt an Beethovensche Ideen an und
nimmt seine Methode der Satzentwicklung auf. Der Ein-
leitung (Sostenuto e maestoso) dient Beethovens Siebente
als Vorbild, jedoch nor ffir die poetische Tendenz, der Um-
bildung einer tr&umerischen zu einer energischen Stim-
mung, die musikalischen Mitttel sind Wagners Eigentam.
Unter ihnen tritt als Hauptstfitze das durch die
Instrumente wandemde, ernst alarmierende Motiv:
Sostenuto.^jj hervor; es wird von eben-
z^r J 'f^^^ I g- ^':^=^sz?. f^^^s treibenden und aufrich-
^--■*— '* enden Nebenmotiven be-
303 ^-
gleitet andergftnzt, von den en sich namentlich ein Hornrnf,
_* der immer hOher steigt, wie das erste
ftp I T^ Lebenszeichen des znkQnfligen Wagner
^ ansnimmt. Das Hanptthema des Allegro:
-I-
Allegrro con brio
j r r I r f ^^fh-r i rTT*^ * J ^ rfi**^
yon Cellis, Bratscben nnd H5rnern begonnen, im fQnften
Takt vom ganzen Orchester fortgef&hrt, bat seine Hei-
mat im Finale von Beetbovens Fanfter und seinen Ge-
fuhlsstnnn. Diesen sucht aber Wagner durch eine Ab-
lenknng zu Uberbieten: er schlieOt im 9. Takte auf C
und begibt sich mit dem Kopfmotiv in eine Dissonanzen-
wolke. So bringt gleich der Eingang neben der An-
lehnung doch anch viel Selbst&ndigkeit, als ihre be-
dentendste AuOerung den groOen Rlangeffekt, mit dem
(bei -k) das voile Orchester eintritt. Eine dem spfttren
Wagner eigne Wendung bringt das zweite, marsch-
artig be- . ^ . ^ ^ . —p-p.^^
ginnende ^<ij f pip I ry^f^^f^^f=t:i^n fi^-Zetc.
Thema:
dem
hinaus verscho- (ftp f [Tl T T T J Tf^
benen SchluB: '^^
mit dem Doppelschlag. Die hier mitgeteilten Themen
sind ebensowenig bedeutend wie der Phantasiegehalt,
der aus ihnen im Laafe des Satzes entwickelt wird, ins-
besondere bleibt der Dnrchf&brungsteil, das Probestuck
ftir die Beherrschang Beethovenschen Stils, ohne tiefere
Wirknng und zwar wegen rhythmiscber Monotonie. Der
Satz ist eine Anffingerarbeit, aber eine durchaus erf^eu-
liche, einmal durch die Klarheit der Grundidee, die ein
groBes Hoffen und WoUen mit Zweifeln und epiknr&ischem
Behagen schattiert, zweitens durch den Ernst der Arbeit.
Dieser ILuBert sich am schdnsten in den Partien, die von
/
_-» 304 «^
ft
einem Hauptabschnitt znm andren tiberleiten; sie sind
s&mtlich mit Verzicht aiif Figurenwerk und sonstiges
billiges Material thematisch und motivisch behandelt und
k5nneD darin noch heute als Master bezeichnet werden.
AuBerdem aber liberragt die Arbeit im Satze die zeit-
gendssische Sinfonie noch darch eine starke Kombina-
tionsgabe, welche die Hauptthemen und ihre Teile tiber-
raschend and sinnreich verbindet and geistreiche Be-
ziehungen entdeckt and klar macht, die einem gew5hn-
lichen Auge entgehen. In jeder Beziehang steht dieser
Satz turmhoch Uber der bekannten an Haydn an-
schlieCenden Rlaviersonate Wagners, die ihm um wenige
Jahre voraasgegangen ist. Deijenige Teil der Sinfonie,
dessen nngewdhnliche Lebenskraft ernsthaft nicht be-
stritten werden kann, ist ihr zweiter Satz, ein Andante
ma non troppo, an poco maestoso (A moll, s/4}. In diesem
Meisterstiick hat sich Wagner von Beethoven ganz frei
gemacht. Sein darch das Hauptthema:
eie
festgestellter and darch alle Tonregionen und Starkegrade
getragener Balladencharakter weist auf Mendelssohns
italienische Sinfonie und auf die Schumannsche in Dmoll
voraus. Die gemeinsame Quelle ist die Norddeutsche
Schule der zwanziger Jahre, die im Gegensatz zu den
gefuhlvollen Wienern und zu Spohr im langsamen Satze
gem einen volkstiimlichen Erz&hlerton anschl>. Das
hat Wagner, den Dramatiker, auf ihre Seite gelockt and
der Sinfonieliteratur eine der schdnsten Orchesterballaden
eingebracht, die es gibt. Sie berichtet vielleicht von einem
Helden oder einem Heldenstamm, der zur Eroberang aus-
zog and anverrichteter Sache heimkehren mufite, jeden-
falls schildert sie — im logischen AnschluB an den ersten
Satz — ein fehlgeschlagenes Untemehmen and tut dies
ebenso klar als eigen. Das Eigene liegt in dem beson-
deren Rolorit des ersten Teils des Satzes. Die Bolero-
rhythmen seines eben angefCkhrten Hauptthemas tragen
-^ 305 ♦—
die Pfaantasie nach Spanien und klingen an exotische
Sttkcke an, wie sie der jnnge Wagner bei G. M. v. Weber
gehdrt haben mochte. Im Programm des Satzes bedeutet
dieser Teil den Anszng, er beginnt heimlich, w&chst sich
vol] au8 nnd verscbwindet wieder im diminuendo, es ist
die Anlage des Lohengrinvorspiels. Der nftchste Teil
(Fdor), den Angenblick des Gelingens bezeichnend, zeigt
das Orchester mit Kontrafagott, 3 Posannen und 4 H5rnern
in glftnzender Kriegsrfistang, melodisch gleicht er einem
Siegesgesang. Dann kommt im dritten Teil Kampf und
Umschlag, das wamende Terzenmotiv a c, das den Satz
einleitete, dringt vor, und es folgt als letzter Teil die Reprise,
bei der die Momente des Gltlcks — ana dem Fdur-Abschnitt
— nur kurz und erinnerungsartig berfihrt werden.
Im dritten Satze (Allegro assai, Cdur, 9/4) haben wir
wieder den reinsten Beethovenianer mit einem Scherzo
Yor uns, dessen ilberschftumendes Kraftgef&hl sich fast
lieber als in Melodien in Inteijektionen und Naturlauten
ftnOert Als Anweisung auf die im Komponisten steckende
Ktkhnheit.und Unbefangenheit der Erfindung steht es be-
sonders hoch. In seiner zweiten Klausei flberrascht der
Hauptsatz durch ein Seitenthema der Streicher, das
rhythmisch an die gleiche SteUe von Schuberts grofier
Cdur-Sinfonie erinnert. Wagner hat das Motiv wahr^
scheinlich von einer der Schiilerreisen nach Prag und
B5hmen mitgebracht, bei denen seine Autobiographie mit
sichtlichem Gefallen weilt
Der Schlufisatz (Allegro molto e viTace, Cdur, O)
ergibt sich einer &hnlich leichten Heiterkeit, wie sie in
Beethovens Tripelkonzert herrscht, ist aber durch zahl-
reiche Momente des Z()gerns und Bedenkens einerseits,
andererseits des Aufschwungs zu grdBter Innigkeit und
Wftrme eigen. Noch entschiedener als der erste, steht
dieser letzte Satz mit kleinen Kanons, Imitationen und
anderen Formen strenger Kunst unter dem Binfiufi der
Norddeutschen Schule und bestfttigt nochmals den Ein-
druck, dafi Wagner, wenn er dem Gebiete treu geblieben
wftre, heute auch als groCer Sinfoniker dastiinde.
EretzBeliinar, Ffl1ir«r. I, 1. 20
306
F. ■•BdelMohB,
Amoll-Sinfonie
(schottische).
Dazn, da6 dieser erste und letzte Vennch bei den
Masikfrennden aufierhalb Leipzigs, mit Aosnahme von
WQrzbnrg*) and Prag, unbeachtet blieb, kann sehr wohl
der Umstand beigetragen haben, dafi der jnnge nnd
g&nzlich unbekannte Komponist in dem sehr bekannten
Darmst&dter Kapellmeister J. Carl Wagner einen Na-
mensvetter besafi, dessen nach Mozartscher Obserranz
angelegte Sinfonien sich dnrch ungew5hnlich starke In-
strumentierang, aber durch nichts weiter anszeichneten
und deshalb nicht besonders beliebt waren.
Die sentimentale Ricbtung der Romantik erreicht in
Mendelssohn ihre Spitze, kommtmit ihm nngeflUir auf
die Stufe, die in der Dichtkunst Lord Byron einnimmt
Der romantische Beiklang, welcher viele Kompositionen
Schuberts wehmUtig f&rbt, welcher alle Werke Spohrs
wie mit einem Hanche von Sehnsncht Hberzieht, nimmt
bei Mendelssohn einen energischeren Gharakter an and
&a6ert sich schwermCltig und klagend. Mendelssohn ist
eine vielseitigere, beweglichere and reichere Natur als
Spohr und wirft hftafig jede romantische Fessel ab. Aber
die Nachfolger ergriffen die romantische Sentimentalitftt
seiner Werke als Hauptseite seines Wesens.
Mendelssohns sinfonisches Hauptwerk ist die A moll-
Sinfonie. Sie ist unter dem Beinamen »die schottische<
bekannt: die Hauptmelodie des munteren Satzes, welcher
in ihr die Stelle des Scherzos einnimmt, soil dem reichen
Volksliederschatz Schottlands entstammen. Aber dieBe-
ziehungen zwischen dem Werke und seinem Titel sind
tiefer: Mendelssohn schreibt, dafi ihm die ersten Themen
an den St&tten Maria Stuarts kamen**). Die Sinfonie ent-
stammt der kQnstlerisch reifsten Periode des Komponisten,
einem Abschnitt derselben, wo aach die Frische und der
Reichtum seiner Phantasie die HOhe jener Jugendtage
^) A. Sandberger, R. Wagner in Wfirsburg (Neue Zelt-
schrift fdr Musik 188S).
*^) S. Hens e it, Die Familie MendelBSohn (5. AnA.) 1886,
I, 225.
_^ 307 <►-
behaupteten, in denen die Sommernachtstraum-Oavertfire
entstand. Die »Walpargisnacht«, die mil dieser Sinfonie
zugleich das Licht der Welt erbhckte, schickt in dieselbe
manche GrtiGe hinein. Das Werk tr> in den gemischten
Stimmnngen, welche es wiedergibt, in seiner Hinneigung
zam naiv Volkstamlichen die Kennzeichen der Friih-
romantik. Es ist nnter den Werken, welche diese Rich-
tang in Poesie and Kanst hervorgebracht hat, eins der
individaellsten and zagleich abgeklartesten. An neaen,
melodisch eindringlichen, eigenen Gedanken reich, besitzt
die Sinfonie in der Darstellang den zag&nglichen Gha-
rakter, welcher den Werken Mendelssohns gemeinsam
ist, im hohen Grade. Im Periodenbaa herrscht ein Ma6-
halten and eine RegelmftBigkeit , die nns fast za groB
dUnkt and die aach tats&chlich yon Anfang an Wider-
spruch erregt hat Ein andrer Grand dafflr, da6 das
Werk bei seiner ersten Aafifflhrang (im Jahre 1842) nar
einen m&Bigen Anklang fand, lag in der Neuerang, daB
Mendelssohn die vier Siitze der Sinfonie attacca, d. h.
ohne die gewOhnlichen Unterbrechangen aaf einander
folgen IftBt. Diese Anordnang, welche aaf einen engem
poetischen Zasammenhang der S&tze hinweist, schien die
Zahdrer za ermtiden. In der Folgezeit hat sie aaBer
Schamann in seiner Dmoll-Sinfonie kein Komponist adop-
tiert In den kleinen Sinfonien der Vor-Haydnschen
Periode lassen sich die Paasen zwischen den einzelnen
Sfttzen entbehren, nicht aber in den Werken Beethoven-
schen Stils.
Das Thema der Introdaktion der Amoll-Sinfonie
geh6rt za den Lieblingsgedanken Mendelssohns: Paalas
in der Stande der Reae, der lebensmtlde Elias intonieren
diese schwermfitige Melodie. In der Schale des Meisters
ist sie vielfach variiert worden. Mendelssohn hat das
tiefsinnige Introdaktionsthema in der Sinfonie noch einige
Male benatzt: im Adagio nimmt er einen fltkchtigen
20*
308
Bezug darauf, im ersten Allegro kntipft er direct an
seine Tier ersten Noten an. Das Hanptthema lautet:
') AUeg TO an poco af Itato.
j^
Die £rregnng, welche in dieser Wendnng halbverdeckt
dnrchscheinty wird mit dem Schlnsse des Hanptgedankens:
ft)
^^
p - ■ * I p h I . 1 ^r^iT^i I I = zunachst zn melancho-
1 p r Pll ■'^■' p If r P^^ lischer Rnhe gebracht
Bald aber bricht sie in dem Seitengedanken :
mit den heftigen, kurzen St5fien aus, durch welche sich
Mendelssohns Sprache der Leidenschaft von denen an-
derer KQnstler luterscheidet. Das zweite Thema geht
mit innigen T()nen
I J J LFp? in die klagende tragische Sph&re der In-
J Cll?^' ^ troduktion znnick.
Ein AnDerst liebenswdrdiger, rtkhrender Nebengedanke,
den man ebenso wie den voransgegangenen Themen
die Herknnft vom
Lied ansieht, schliefit
die Themengruppe:
Besondera schOn wirkt er, als er gegen den Schlufi
der DnrchfOhrung bin sich unmittelbar neben die wilde
Gestalt des oben mit e) bezeichneten Them as stellt Diese
Durchfuhmng ist musikalisch formell vielleicht nicht ganz
YoUendet, aber ein poetisches Meisterst&ck , genial in
Anfban und Ansdmck der Stimmnng. Dieser Eingang,
der Ruhe und Vergessenheit in nenen Trftumen sncht,
die allm&hliche Einfiihmng des Konflikts, der nicht zn
309
vermeiden war — die wrederholten Versuche abzubrechen
— , der endliche Ausgang mit der Trost und Resignation
predigenden Melodie der Celli — das wirkt alles mit
einer Unmittelbarkeit^ wie sie an dieser Stelle in Sinfonien
nur selten erreicht wird! Wie ergreifend auch der letzte
Abschlnfi des ganzen Allegro — als nach alien StUrmen
die Melodie der Introduktion ihr freudlich bleiches Antiitz
wieder zeigt! In seiner harmonischen Mischung von
menschlicher Tiefe und Anmnt mit freier Dichtersprache
wftrde der Satz allein hinreichen, die Bewtinderung zu
erkl&ren, welche Mendelssohn bei seinen Zeitgenossen
erregte. Es hat jedoch auch nicht an — vorwiegend
sGddeutschen — Stimmen gefehlt, die den allzu starken
Ldedcharakter der Mendelssohnschen Sinfoniethemen be-
anstandeten und in ihm einen Hemmschuh fUr die Frei-
heit und Mannigfaltigkeit des Satzbaues, insbesondere
eine Gefahr fftr den Oehalt und die Natfirlichkeit der
DurchfUhrung sahen.
Auf einem andem Grundcharakter basiert ist der
zweite Satz der A moU-Sinfonie, das Vivace. Von dem
phantastischen Elemente, welches Mendelssohn fOr seine
Scherzi bevorzugt, hat es nichts. Es ist ein ktlnstlerisch
vollendetes Genrebild pastoraler Natur, welches uns nur
hedauern Iftfit, dafi Mendelssohn dieses Gebiet so selten
betreten hat. Die Themen, welche in teilweise strengerer
Arbeit dnrchgeftihrt werden, sind folgende:
TiTaee.
Einen das Trio vertretenden Mittelsatz hat das Vivace
nicht, aber eine kleine Einleitung von wenigen Takten,
in der frohliche Signale auf das bevorstehende lustige
Treiben hinweisen. Auch das Adagio beginnt mit einer
kurzen Einleitung, die den Zusammenhang mit der Intro-
duktion mit einigen, allerdings sehr feinen Strichen her-
310
Btellt Das Hauptthema hat in seiner ersten Hftlfte fol-
gende Gestalt:
^,1,11 [}i|i7i)T.nTiiji iiLJijji'iu Til I
Unmittelbar nachdem es abgeschlossen, tritt das zweite
Them a:
^i^
ein, fremdartig und feierlich wie Hamlets Geist Im gan-
zen weitern Verlanf des Satzes geht es mit dem andern^
von dem die Gelli bevorzugten Besitz ergreifen, keine
nftbere Verbindung ein, sondem stellt sich ihm nnr, immer
wieder flberraschend, wie mahnend und wamend, ent-
gegen. Diese ungewOhnliche Disposition der Themen gibt
dem Satze einen dramatischen Charakter.
In dem letzten Satz verschwindet das romantische
Kolorit einigermaBen. Die Themen stOrmen einer be-
haglichen Sphere zu
Allegro con splrlto.
ere»9.
erreichen sie f j |J J J j |J..JiJT?1ir J. ^ I ■) iJ
and geben den Gefohlen heroischer Kraft freudigen
Ausdruck :
Was leidende Miene trftgt,
wie das Them a
311
._^ _ — ^ ^ das rficken liegende Stim-
' f r ^'Tl ' I* M ^ 'f M P ■ inen^Orgelponkte und an-
dere Hftlfsmittel der In-
strumentation and der Harmonie in eine verkl&rende
Feme.
Die hier angefUhrten Themen gehdren dem ersten,
dem Hanptteile des Schlufisatzes zn. Mendelssohn nennt
diesen ersten im C-Takt geschriebenen Teil Allegro
ffuerriero — and bietet damit der Brklftmngskunst einen
▼erlockenden Stoff. Der zweite, kftrzere Teil des Finale be-
steht aas einem Satze im 6/9 Takte, in dessen Haaptmotiv:
P ^ ^ I K I J=r= ^^ schottische Element der Sin-
^> f"i Ji J J} I -^= fonie noch einmal za entschieden-
ster Geltong kommt. Diese Wendang bildet in der Melodik
der schottischen Volksmuaik eine stereotype SchluBformel.
Bekanntlich fehlt der schottischen Skala die Septime.
Der schottischen Sinfoni^ steht anter den an dem
Sinfonien Mendelssohns die vierte (Op. 90), die Adar- f. HtBdelnokay
Sinfonie, an Popalarit&t am nftchsten. Sie heifit die A dnr-Sinfonie
italienische und gilt als die ktinstlerische Fmcht der ("^•*»»<'»»*)-
l&ngeren italienischen Reise, welche der jange Mendels-
sohn im Jahre 1830 untemahm. Direkt erkennbare sdd-
liche Elemente bringt die Sinfonie in ihrem Schlufi-
satze: einer ausgelassenen , bacchantisch lustigen Szene,
welcher eine neapolitanische Tanzform, der wilde Salta-
rello, zu Grande liegt. In den andern S&tzen sind Be-
ziehungen zum Sflden nicht nachzuweisen. Der erste
Satz mit seinem heiteren Grandton hat gleichwohl zu
▼ielen schw&rmerischen Parallelen mit dem »ewig blauen
Himmel desLandes, wo dieZitronen blQhen* Veranlassung
gegeben. Es herrscht in ihm eine kr&ftig gliickliche
Phantasie, die wohl an die Stimmung eines Jflnglings
denken Iftfit, der frdhlich und jubeind hinauszieht in
die schOne Welt. Das erste Thema, welches ohne Ein-
leitung einsetzt:
iJlb^ro Thrace.
312
/'"^^ ^tt± ± l>egiiint kr&ftig, ungeduldig; das
r Pr Pir LU ir zwelte:
ist ruhiger, hat etwas vom sentimental romantischen
Element; aber ein freudiger Schwung lebt auch in ihm.
In derDurchfUhrung tritt ein nener dritter Gedanke auf :
welcher dann
auch
in den
Schlufiteil des ersten Satzes aufgenommen wird.
Der zweite Satz (Andante con moto, Dmoll) beginnt
als schwermtitige Ballade mit folgendem Hauptthema,
zunftchst von Bratschen, Klarinette and Fagott vorge-
tragen :
Andante con moto
^
'^ Hi j I r r rTJ I -J >t jjjrXj^^ ' ■'■'^^
dem dann ein freundlicher Gesang en tgegen tritt:
Diese anheimelnde Begegnungsszene wiederholt sich mit
kleinen Intermezzos einige Male: Die trauernde Gestalt
hat das letzte Wort, und wie mit leisen Seufzern ver-
schwindet der Satz in die umw51kte Feme. Sind in
diesem langsamen Satze schon nordische Ankl&nge nicht
zu verkennen, so tritt in dem folgenden Satze, einem
3/4 Takt ohne weitere Gattungsbezeichnung, das dentsche
Element mit der gr5Cten Bestimmtheit vor.
Der Hauptsatz dieses traulichen StUckes knQpft mit
seinem L&ndlerthema:
Con moto moderato.
'^^t^^i
rr liJ J J fr
m
313
an die gemQtlichsten Bilder an, welche die Wiener
Meister von deatscher Frdhlichkeit nnd Geselligkeit ent-
worfen haben. In dem Mittelteil dieses Satzes lebt die
Romantik unsrer W&lder in der Seele des jungen Men-
delssohn anf: CM.y. Weber, die musikalische Jugend-
liebe Mendelssohns, scheint vor seine Phantasie zu
ireten, nnd in dessen Hornkl&ngen spricht der junge
Tondichter einige der berrlichsten Zeilen seiner italie-
nischen Sinfonie.
Der letzte Satz, mit einem fanatischen Unisono seinen
anb&ndigen Charakter anktindend, bringt als erstes Thema
folgende nnverkennbare Volksnielodie :
Presto,
r?M'i'MifPn'r^
Es zieht in einer langen Entwicklung anf, durch-
streift die Nuancen seelischen Ansdracks von der zarten
Anmnt bis zum wilden Toben nnd bringt alle Kr&fte dea
Orchesters, die Solisten und die Masse n in immer bef-
tigere Aktion. Dem Anfmarsch dieses Hanptthema foJgt
eine Nachhut aus derben Elementen, aus stampfenden
nnd pochenden Fignren, wie:
— eine Reminiszenz an dieRUpelszene des>Sommernacbts-
tranmsc — gebildet. Die weicheren und feineren Geister
haben in den Kreisen dieses Satzes nur einen beschei-
denen Platz. Das zweite Thema, in dem ein leises Zitat
an die DnrchfQhnmg des ersten Satzes, gleichsam wie an
den Anfang der Reise erinnert, sncht sie einzufflhren:
xy. _ Ein emeuter
IT K Ljj ■ ^ ■! I I I 9--,j^ -^ ULJ Versnch, die
ins Bedrohlicbe steigenden Wogen der Fr6hlichkeit zu glftt-
ten, wird in der DurchfUhrung dieses Satzes mit der Figur
314
^^
unternommen. Wie der erste
Satz der A dar-Sinfonie maa-
w- ^^^ ches ana der Nottnmosph&re,
80 bringt dieser letztere aafier der schon angeftUirteii
Stelle noch weitere wOrtliche Einzelheiten ana den gro-
teaken Partien der Sommemachtstraiunmasik, speziell aus
der OuvertQre.
Die italienische Sinfonie ist ala Nr. 4 erst nach dem
Tode des Komponisten ver5ffeiitlicht worden; der Ent-
. stehungszeit nach geht sie der schottischen am mehrere
Jahre voran: sie wurde von Mendelssohn znerst im Jahre
1833 in der Philharmonischen Gresellschaft zn London
F. MeadelMohB, aufgef&hrt. Zwischen diesen beiden Hauptsinfonien Men-
e«*V??"?** delssohns liegt sein >Lobgesang«, den er als »Sinfonie-
(SinfoniekBDtate). j^^^^^e nach Worten der heiUgen Schrift. bezeichnet
Die Mischung von Sinfonie and Kantate, wie sie in
diesem Werke sich zeigt, ist ftlter als Beethoven and
seine neante Sinfonie. Die eigentflmliche Anlage dieses
Lobgesangs ist jedoch mit Berofung auf ftltere Vorlagen
noch nicht recht za verstehen. W£hrend die schottische
and die italienische Sinfonie ziemlich langsam reiften,
entstand diese Sinfoniekantate als rasche Gelegenheits-
arbeit zam Leipziger Gatenbergfest des Jahres 1840.
F&r die Instramentals&tze benutzte Mendelssohn eine
seiner Zeit f&r London geschriebene Jagendsinfonie, deren
Gharakter sich der Idee der gewQnschten Festmos^ ohne
Gewalt anpassen lieD: Za der Dankfeier, welche einem
der wichtigsten Kaltarereignisse, einem Wendepunkt in
der Geschichte der Menschheit gait, soil die ganze Ton-
konst beisteaem. Voran schreiten die spielenden Massen.
Sie loben den Herrn (im ersten Satze) mit Posaanen:
Dann lobt man ihn mit Psal-
ter and Harfen, in einem
Jf >feinen Ton<. Dieser feine
Ton ist der Kern des ersten Toils des Allegretto der Sin-
fonie (Gmoll, o/a); seinen Aosgang bildet eine Ghoralpara-
phrase. Dem dritten Satze, dem Adagio (Ddur, s/4), dem
frommsten and ehrfarchtsvollsten Teile der Sinfonie,
— ♦ 31B V-
Bcheint der Gredanke zu Grande zu liegen: >Betet
an den Herm in seinem heiligen Schmticke<. Er bildet
den Schlufi des Sinfonieteils im Lobgesang. Nan setzt
die Kantate ein. In ihrem ersten Chor sncht sie die
Yerbindnng mit dem Vorausgehenden , indem sie das
oben angegebene Thenia des ersten Sinfoniesatzes zu
den Worten >Alles was Odem hat, lobet den Herrn<
aufnimmt. Der HOhepunkt dieser Kantate ist das dra-
matische Rezitativ des Tenors: >HQter, ist die Nacht
bald uni?<
Weniger bekannt, im Drucke erst seit dem Jabre 1868
vorliegend, ist Mendelssohns »Reformation88infoniec. f. MeBdelnohv,
Das Werk ist interessant als ein halb deklarierter Bei- Retorm-^ont-
trag Mendelssohns znr Programmusik. Anf die Refor- >uio e.
mation selbst nimmt es den klarsten Bezng im letzten
Satz, dessen Mitteipunkt der Choral »Eine feste Barg«
bildet. Um ihn herum treten noch kriegerische lied-
weisen, die den Charakter der Volkslieder des Mittel-
alters tragen. Der religil^sen, emsten Seite der Refor-
mation selbst, ihrer streitbaren Natur, ibrer Freudigkeit
am Kampfe , ihrer Festigkeit im Glauben und im Gottver-
tranen ist der erste Satz gewidmet. Mit einer gewissen
Starrheit und Unbeugsamkeit h< er ein kurzes Motiv fest:
Allegro. d^ ^on der Einleitung bis zum
J $ I I l| J = Schlusse, wie der feste Wftchter-
ly "* «^ ^' ■^^' " ruf in der Nacht, den Satz durch-
schallt. Wie das Kleinod, dem das MiUien gilt, ist die Melodie
des Lutherischen Amen (das sogenannte >Dresdner Amen«,
das auch Wagner ^^
in semem Parsifal ^^ >J ^ I r T f -^ I " ' ^
aufgenommen hat):
in die erste Abteilung der Sinfonie hineingestelH. Der
Zeit der Reformation gilt der zweite Satz, ein Allegro
▼ivace, die musikalische Verkttrperung einfacben, alt-
y&terisch schlichten und krftftigen Frohsinns. Seine Melo-
die erscheint als metrische Umbildung des zweiten Thema
im Vivace der schottischen Sinfonie. Das Trio besitzt
Weihnachtsklang. Das Andante hat nach der KQrze des
—0 316 «^
Umfangs und nach seiner erregten Haltung Ahnlichkeit
mit einem Rezitativ.
Im melodischen Stile weicht die Reformationssinfonie
von den drei vorhergenannten Werken ab. Nichts toq
den weichen Sezt- und- Terzvorhalten , welche in den
Weisen der mittleren Periode immer wiederkehren , und
wenig von der Rflcksicht anf das Violinmafiige, welcbe
in der Motivbildnng der andern Orchesterwerke hftufig
in den Vordergrond tritt. Es geht ein herber, aber cha-
raktervoUer Zug durch die Melodik der Reformations-
sinfonie, der allein dazu berechtigen wdrde, diese Kom-
position der Jogendzeit Mendelssohns zuzu weisen. Sie
F. MendelMOhn, teilt ihn mit seiner ersten Sinfonie, der in Cmoll.
CmoU-Sinfonie. Diese ist (als Opus 11) der Philharmoniscben Gesellscbaft
in London gewidmet, vor l&ngerer Zeit schon durch
Schlesinger in einer gestocbenen Ausgabe verdffentlicht,
aber ffir AufiFUhrungen so gut wie nicht benutzt worden.
Der Stoff, welcben sie der Vergleichung und der bio-
graphischen Betrachtung bietet, ist nicht unbetr&chttidi.
[m StLie steht sie auf dem Boden der »Hochzeit des
Camacho<, der »Heimkehr aus der Fremdec und Iftfil
gar nichts von der eigentflmlich phantastischen und
reich beweglichen Natur des Komponisten der Sommer-
nachtstraummusik ahnen. In den Gedanken folgt sie
namentlich der F&hrung Beethovens; der erste Satz
knOipft direkt an Ideen des Gdur-Ronzerts, der Roriolan-
ouvertUre und der Waldsteinsonate dieses groBen Vor-
bildes an. Trotz dieser Unselbstftndigkeit ist aber das
Werk wegen der Kraft, Frische, Knappheit und der Ent-
schiedenheit, mit der es sich auf gedanklich Wichtiges
richtet, sehr erfreulich und besitzt Lebensf&higkeit.
Die naive Richtung der Romantik tritt mit der phan-
tastischen ziemlich gleichzeilig in die Musik herein. Ihre
ersten Vertreter, unter weichen wir den liebenswUrdigen.
lyrisch schwungvollen F. E.Fes c a (vier Sinfonien 1817
bis 28] nennen, gehdren noch dem Stilbereiche der Nord-
deutschen Schule an. Ihr Hauptmeister ward R. Schu-
mann. In der groBen Reihe hoher Dichtergaben, deren
317
Vereinigung Schumanns Individualitflt imposant macht,
sticht sein naiver Zug besonders hervor. Mit ihm vertritt
er in der Sinfonie krftftiger, als es vor ihm geschehen,
jenen Rousseauschen Zug zur Natur und Einfacbheit,
dessen Aufleben den gesondesten Teil der romantischen
Bewegnng bildet, denselben Zug, welcber unsere Dichter
zom Volkslied zurflckfQhrte und unsere Maler, Ludwig
Richter voran, den grofien Scbatz von Poesie nen ent-
decken liefi, der sich dem sinnigen Auge in der Allt&g-
lichkeit des heimischen Lebens und im eigenen Lande
anftat Der jugendliche Ton, die grofie Dosis unge-
zwungener NatQrlichkeit ist es in erster Linie, durch welche
Schumanns Musik ihre erfreuende und erfrischende Macht
ilbt Diesen inneren Eigenschaften verdankt sie auch
viele von ihren eigentflmlichen formellen Elementen : die
Figuren und Gesang ineinanderziehende Themenbildung,
die aphoristischen und versteckten Melodien, die jetzt
ungeniert losen, jetzt seltsam verketteten Rhythmen,
die Naturlauten gleicbenden Dissonanzen und alle die
neuen Elementarbildungen, durch welche Schumanns
SchOpfnngen far die weitere Entwicklung der Tonkunst
Ton grofier Bedeutung geworden sind.
In die Reihe der Sinfoniker trat Schumann unge-
f&hr ein Jahr bevor Mendelssohns »8chottiBche Sinfonie«
erschien.
Die echten Romantiker pflegen ihr Bestes gleich beim
Anfang zu geben. Schumanns sinfonischer Erstling war
die Sinfonie in Bdur (Op. 38), eine seiner schOnsten Ton-
dichtungen und dasjenige Werk, welches sein em Nam en
mit einem Schlage die historischen Wttrden erwarb. Die
B dur-Sinfonie h< sich an die bekannten Hauptformen
der Gattung und bewegt sich im wesentlichen in ver-
trauten and jedem Menschen naheliegenden und lieben
Ideenkreisen — aber Schumann behandelt Idee wie Form
mit ungewdhnlicher Freiheit und Kfihnheit. Ja in der
kurzen ungenierten Ausdrucksweise, welche er in einzel-
nen S&tzen entwickelt, liegt eine Originalit&t, die nicht
bloi3 vor 70 Jahren neu und befremdend wirkte, sondern
— ^ 318 4>^
sie wflrde anch heute noch diskutabel sein, wenn nicht
der Grand einer fortreifienden Natflrlichkeit and einer
m&chtigen Phanlaaie, aaf denen sie raht, za stark darch-
B. SehnMB, leuchtete. Schumann selbst nennt in einem Briefe an
B dur-sinfonie. Griepenkerl seine B dor-Sinfonie >ia feuriger Stonde ge-
borenc and nahm es seinem Freande Wenzel sehr ttbel,
als dieser (in der Leipziger Zeitang) bei Beorteilong des
Werkes von Hoffnangen fUr die Zakunft gesprochen
hatte*). Sie war in der korzen Zeit von vier Tagen im
Entwurf feriig.
Die poetische Idee der Sinfonie soil**) mit dem Ge-
dichte »Da Greist der Wolke triib and schwer« von Adolf
Bdttiger in Beziehang stehen. Die Worte >Im Tale zieht
der Frftbling auf « leiteten den Komponisten, der das Werk
mehrmals seine »Frtihlingssinfonie« genannt bat
Danklen Bildem and Ideen gibt Schamann in ihr,
die den Stempel einer glQcklichen Zeit tkberall trftgt, nar
soweit Raam, als es das Gesetz des Gegensatzea, das
Lebenselement der Sonaten- and Sinfonieform, fordert.
Die Einleitang stellt zuerst diesen Gegensatz bin.
Feierlich and ernst, aucb etwas drobend, erbebt sie
sich in ibrer ersten H&lfte and bringt in lapidarer Form
Aadante nn poco maeatoso.^ ^ daS Motiv VOraOS, Welcbes
'^ A*' H p f I p' p I*' p ]p p I* - in dem Geftkge des ersten
^ ^'r-r-ii: gj^^^es die Haaptstiitze bil-
det***}. Klagende Weisen taucben in den Holzbl&sem aaf,
scbwer and kurz scblagen die Massen mit Akkorden drein.
Da mit einem Male, mit einem Ruck in der Harmonie,
kommt Fldtenklang: der Horizont bellt sicb aof; in den
*) G. F. Jans en: R. Schumanns Briefe. Neue Folge
(Leipzig 1886), S. 175.
**) Nach einem aof der Leipziger Stadtbibliotbek beflnd-
lichen Wldmnngsblatt Schumanns an den Dichter.
***) Nach des Komponisten erster Intention hieB das Motiv
I. )!" ti • \ m- * 0- M \^ ^ /= ^^ *^' ''^ ^*'* damals nor
gn" ri p ]f-p f p \j J::^ ^ Naturtttne eingerlchteten
Homern eineo komischen Effekt.
319
Geigen beginnt es zu rauschen, und in einem groOen,
m&chtigen Zug geht es iiber in das kr&ftige, frische
Leben des Allegro:
AUeg-ro molto vtvace.
^^ So laniet das Haupt-
\\^ p thema — fQr den ersten
Satz einer Sinfonie eine
ongewdhnlich leicht geffigte, fast wunderliche Erschei-
nung, die in ihrer Naivitftt dem Geiste Haydns nnd
Uterer Meister nahesteht. Auch das zweite Thezna ist
in seiner Bildung ungewOhnlich :
Es gleicht roehr einer Kette von Naturlauten als einem
kttnstlerisch gestalteten Gesang. Was sons! noch an
Melodie in der Themengrappe vorkommt, das reduziert
sich auf Skalenmotive und auf kurze and kecke Andeu-
tungen. Neben diesen anspruchslosen und bagatellartigen
Ideen stehen aber Perioden, in welcben sich die Har-
monie in dem groBen Stile Beethovens aufbaut, kuhn,
sicher und leicht gestaltet. AUes ist vom Leben getragen,
und eine mftchtig dr&ngende Stimmung verrftt die un-
gewShnliche Kttnstlernatur, die auch aus Kleinigkeiten
Bedeutendes bildet. Die etwas schw&chere DurchMhrung
nimmt einen doppelten Anlauf. Das erste Mai geht der
Weg tlber die beiden ersten Takte des Hauptthemas.
Ibren dunklen Kombinationen fQgt der Komponist nach
dem Muster von Beethovens dritter und vierter Sinfonie
noch eine neue, unbestimmt suchende Melodie bei:
j i' jiu-h-rTT} I ifHrlr \f T ifiJiif If
Auf der Hohe angekommen, erhebt die F15te ihre
Stimme und jubiliert wie eine Lerche mit der losen Sech-
zehntelfigur, welche die zweite H&lfte des Hauptthemas
320
bildet Das Triangel klingt romantiscb drein. Beim zwei-
ten Male geht und ffthrt
der Weg aber-{t4^L^r4|j"||1iJ^ Hf '»r ^^^nnmittelbar
ein Nebenmotiv'*' ^ ^^^ s-i^ -j^ ^^^ ^^_
ten Teil des Satzes uber. Die Stelle, wo das Haupt-
theroa in den breiten Rhythroen der Einleitung von
Trompeten und Hdmern getragen und mil dem voUsten
Glanze des Orcbesters wieder eintiitt, ist eine der herr-
lichsten in alien Sinfonien! Die Reprise ist sebr kurz
gehalten, der zweite Teil des Hauptthemas sogar tlber-
gangen. DafQr ftlgt der Komponist eine breite Coda an,
die sebr viel Neues bringt. Besonders sch5n und innig
berGihrt uns nacb den sttlrmiscben und hastigen Anl&ufen,
mit denen sie beginnt, der fromme und ruhige Gesang
x^^ Die rhytbmischen Stockun-
r r I r rlfllr l f^^jgp r l gen, welcbe den graden
Gang dieser Melodie auf-
balten, sind eine Liebhaberei Schumanns. Aus ihr ent-
wickelte sich mit der Zeit mehr und mebr eine erschwe-
rende und st5rende Maiiier.
Der zweite Satz (Largbetto, Esdur, '/g) erscheint durch
die letzt angefuhrte Episode in der Coda des ersten
Allegro ideell vorbereitet Er redet die Sprache eines
Herzens, das leise zagt, bittet und vertraut Ein tief reli-
gi5ser Zug lebt darin. In Geist und Form dieses Larghetto
ist viel Beethovensches, namentlicb in den Obergangs-
gruppen. AlsHaupttbema dient dem Satzefolgende Melodie:
Larghetto.
iretc
-<t 321 ^^
Die Answeichungen ihrer ersten Takte sind ganz Schu-
manns Eigen. In der kurzen Gruppe, welche der Repe-
tition des Themas durch die Celli (in B} vorausgeht, tiitt
ein Beethovensches Motiv (Andante der f&nften Sinfonie)
0 I. - . r- <>.- - ■ hervor.DerGegensatz zmn Haupt-
ft T P l-U— U^- 1 p [thema besteht axis einer knappen
''"^-^ ~~ Partie, in welch er das Motiv
durch die Instrumente wandert. Auch
ff f" i I J i{J in diesem Satze bringt der Schlafi etwas
^^T ganz Neues, wieder einen Hinweis auf
den folgenden Satz: Wir hdren ins Feierliche tlbertragen
den Anfang des Scherzo von einem aus der Feme her-
tibertOnenden Posannenchor. Wie mit einer stummen,
tiefsinnigen Frage klingt das Larghetto aus, und un*
mittelbar, ohne eigentliche Pause, schlieBt sich das
Scherzo mit seinem energischen Thema an:
Allegro vivace.
^nji J. iJ^j^Ji fif J Jifir'TMrMV f IJ
Der zweite Teil des Hauptsatzes ist ungew5hnlich knapp
gehalten. Eingeleitet wird er durch eine selbstftndige.
liebenswttrdige Idee
jl J ir 'T in J l^p» I ■'JJ_jMlJJ ' U '-I -
Dem finstren Tone, der den eigentlichen Scherzosatz be-
herrscht, stellt Schumann zwei Trios gegenUber, auch
hierin ungew5hnlich und, fur seine Zeit wenigstens,
neuemd. Von beiden ist das erste namentlich von
grofier, von unerhOrter OriginaIitM.t : ein Wiegen auf
weichem Rhythmus, ein Klingen und Grtkfien lieblicher
Akkorde, das aus der Feme n&her und n&her kommt
und wie die starke Melodie der Winde anschwillt! FQr die
rhytbmische ^ — ^ liegen in Beet-
Grundidee A ^i J|j |J f \ f \f hovens erster,
dieses Trio ^ * *"^-^ fOr die Mystik
seines Klanges in desselben Komponisten neunter Sin-
Krets sell mar, FAlirer. I, 1. 21
322
fonie Vorbilder
Yor. Bin kleines,
munteres Motiv
bildet den Abschlufi der wunderbaren Partie. Das
zweite Trio entwickelt eine harmlose, jugendlicbe Fideli-
tat auf Grund ei-
nes allbekannten t." ^^ 8 J I J J J I j J |> I f" 1 1>
AUerweltsthema: ''' '^''- ^
es geh5rt also mit unter die in alter Zeit so beliebten
Solmisationsscberze. Das erste Trio wird am Schlusse
des Scherzo noch einmal zitiert, es erscbeint mit innigen,
sehnenden Blicken und verschwindet mit einem Seufzer.
Das Finale der Sinfonie ist aus Heiterkeit und Kraft ge-
mischt Es dreht sich wie das Hanptthema des ersten
Satzes in vergnfigter Stimmong in originellen, anmutig
possierlichen Wendungen
AUerro anlmato
(erstes Thema) und fdhrt wunderliche Dialoge, in welchen
den ausgezeichnet gelaunten Bl&sern von den Geigen
nnwirsch and barsch geantwortet wird
Aus dieser eigenartig klin-
"-=-^ ' ^ ■ ' ^ ip ' f » ■ genden Stelle entwickelt sich
/^i«i. ^ dann das eigentliche zweite
Thema des Finale, der Ausdruck eines in Rube, Dank-
barkeit und Festigkeit gesammelten Gemotes:
lij I'JIjJ II' Jill ^f N^'^^^^
-' Jj
Unter den vielen Ztigen des Humors, die sich in diesem
Finale finden, sei namentlich auf die Stellen aufmerksam
323
gemacht, wo sich die Bftsae mit den "y r1 I -TJ T . P S
Cellis und Bratschen des Motivs ' ' *< "'^ ^ kf UJ '■ *
bem&chtigt haben.
Der Entstehungszeit nach liegt die vierte Sinfonie
Schumanns (Op. 120) nicht weit von der ersten. Sie
wurde im Jahre 1841 als Nr. 2 aufgefiihrt und erhielt
spftter im wesentlichen nur eine neue, fttr geringe Or-
chester berechnete Instnunentierung, einen viel dickeren
und plumperen Rock, der viel von der Grazie und den
Farbenreizen des ursprtlnglichen , erst in jUngster Zeit
veroffentlichten Entwurfa verdeckt. Im Runstwert der
Bdur- Sinfonie mindestens gleich, wenn nicht tiberiegen,
und ihr auch im Charakter nahe verwandt, bildet Schu- R. gehnmaHn,
manns D moU-Sinfonie in der Geschichte der Sinfonie- ^ ™*>*^s>°f<>°*®*
form ein wichtiges Doknment. Wir denken hierbei
weniger daran, dafi in ihr genau wie in Mendelssohns
A moll- Sinfonie die vier S&tze des Werkes ohne Unter-
brechung aufeinander folgen, also gleichsam einen ein-
zigen grofien Satz bilden sollen, als vielmehr an die von
Schumann <em Vorg&ngem gliicklich nachgebildeten
Yersuche, die einzelnen S&tze in einen engeren materiellen
Zusammenhang zu bringen und dem ganzen Werke eine
strengere Einheit zu geben: Die Introduktion ist mit der
Romanze, der letzte Satz mit dem ersten durch Gemein-
samkeit und Verwandtschaft der Themen verknttpft Aber
auch innerhalb der einzelnen S&tze, namentlich im ersten,
zeigt der formelle Aufbau gelungene Neuerungen von
Bedeutung. Angesichts der Sicherheit und Leichtigkeit,
mit welcher sie voDzogen sind, kann man nur erstaunt
sein, dafi vormals und neuerdings wieder die Frage auf-
geworfen werden konnte, ob Schumann der groOen Form
vollig Herr gewesen seL
Das Thema, mit welchem nach einer etwas schwer-
mfitigen Introduktion das erste Allegro einsetzt, ist
folgendes:
Lfltthaft.
fnjf^aic/ifff^>[ijji,jjjijrninprujjijr^
21*
--• 324 «^
ullerdings fonnell eine bloBe Figur, aber eine Figur voll
Charakter, ans der eine starke Erregung spricht. Es ist
hGchst meisterlich, wie Schumann dieses schwierige Thema
handhabt, jetzt zum Ausdruck trotzig stftnnender Kraft,
jetzt des Zweifels gebraucht und dann mit ihm in frea-
dige Regionen einlenkt. In keinem Takte IftOt er es aus
der Hand. Ob als Hanptglied, ob als Arabeske, immer
ist es da und beherrscht die ganze Themengruppe, so
daC, obgleicli alles singt und lebt, ein zweiter ebeobiirtiger
Hauptgedanke in dieser nicht aufkommt. Urn so tkppiger
bIQhen die neuen Ideen im Durchftlhrungsteile. Da ist
zun&chst, flhnlich wie in Schuberts groOer G dur-Sinf onie,
ein geheimnisvolles .jT^ - ""T*^ welches sich
Motiv der Posaunen ^ 'f I f ^J If mit den Umbil-
dungen der Hauptfigur verbindet; da ist femer die feierliche,
prftchtige, mit Fermaten gekr5nte Gruppe, deren Thema:
m I _,. p^ spkter die Spitze
^^^ I ^p ^ p H^p y V p H" ] Hi IbJ^ und den Kern des
•^ Finale der Sinfonie
bildet, da ist vor allem die sch5ne, zarte, echt Scbumann-
sche Gestalt, die, noch post festum eintreffend, den Platz
und die Bedeutung eines zweiten Thema in dem Satze
erh<:
In der dem Komponisten eigenen Weise ist auch diese
Melodie an verschiedene Instrumente verteilt. Der Vor-
trag dieses ersten Satzes geh6rt, obwohl er technisch
verhftltnismHOig leichtist, zu den schwierigsten Anfgaben,
die an Dirigenten und Orchester gestellt werden konnen.
Die Schwierigkeit liegt in dem unaufh5rlichen, je nach
vier Oder zwei Takten erfolgenden Wechsel von Stimmung
und Motiven. In ihm sind der Vult und der Walt Jean
Pauls noch viel entschiedener, anspruchsvoUer und tem-
peramentYoller verkorpert, als im Florestan und Bnsebius
der Davidsbiindler. Diese humoristische Gegens&tzlichkeit
verlangt eine ftufierst elastische TempofQhrung.
325
Aus der freudigen Sph&re, in welche der schwting-
volle fearige SchluG des ersten Satzes versetzt, rufl una
der Einsatz des folgenden dftroonisch ab. Ohne Zweifel
hat dieser akzentuierte D moU-Akkord, den die Bl&ser wie
einen Schmerzensruf ansstofien, mit dem bekannten
Quartsextakkord, welcher das Allegretto in Beethovens
siebenter Sinfonie einleitet, eine geistige VerwandschafL
Aber bei Schumann wird die Wirkung des elementaren
Mittels dadurch verschftrft, daO die Zwischenpause der
beiden S&tze wegf&Ut. Es ist wie ein Regenschauer bei
blauem Himmel! Die Romanze mit ihrem edel weh-
mfltigen Gesang
Ztomlleh UBftan
geh5rt za dem SchOnsten, was
J!) ) M I J J^ J -IjJ I \B die Mnsik an Volkspoesie be-
^ ' '^ "- sitzt Mit der grdfiten Nattir-
lichkeit schlieBt ihr Schumann die nachdenklichen Ge-
danken an, welche das thematische Material der Intro-
duktion der Sinfonie bilden:
iy} ltd? ^ViuJ tJj^ CnJuj
Die klagende Melodic hat sie geweckt. Eine auBer-
ordentlich liebenswilrdige Idee des Komponisten aber
ist es, aus ihnen den freundlichen, sonnigen Ddur-
Satz zu entwickeln, welcher die Mitte des kleinen Ton-
bildes . einnimmt Zu der SchOnheit der Zeichnung
und der Intention kommt hier auch noch der warme,
milde Klang, den die Gelli der Melodic geben, und der
Reiz, den der zierliche Schmuck der Solovioline dartiber
giefit
Das Scherzo hat einen kr&ftigen Humor, am Schlufi
des Hanptthemas
— ♦ 326 4>^
spricht der Obermnt der Jugendkraft, der Schumanns
beste Komposition kenn- ^
zeichnet. Aus dem Grand- y ^ i j I j J J U J j Ij.
motiv des Hauptthemas: *
bildet der zweite Satz z&rtliche und innige VarianteiL
Das weiche, trUamerisch sinnige Trio, mil seiner sanft
dahingleitenden Melodie:
CIw.
kehrt nach der Wiederholung des Hauptsatzes zurQck.
In seine einfache Herzlichkeit mischen sich schmerziiche
T6ne. Es nimmt einen langen Abschied und klingt
dann noch wie aus waiter Feme, wie in Traumes-
schatten an. AIs es ganz still geworden, intonieren die
ersten Yiolinen wieder das Sechzehntelmotiv des ersten
Allegro in der Form eines schuchtemen Vorschlags:
Lugsam.^.^....^^ Die Posaunen and H5rner sind vor
^ der Hand noch anderer Meinang und
wollen bei der ernsten Weise bleiben.
Die Mehrheit entscheidet aber zu Gunsten der Yiolinen, die
Holzblftser gehen mit ihrem Antrag sogar noch weiter und
stellen Motive auf, die dem ^ ^^
freudigen Gezwitscher der
VOgel zu gleichen scheinen :
So wird der heitere Charakter des letzten Satzes fest-
gestellt. Diese 16 langsamen Takte, welche den Ober-
gang vom Scherzo zum Finale bilden, enthalten einen
Reichtum von Phantasie und von musikalischen Ideen,
welcher fiir eine eigene neue Komposition ausreichen
wtirde. DasHauptthema sewegt.
des Finale ist uns aus g £ g #' . , <f f-
der Durchfahrung des j|^^|^lti^^ ^tS-M^ll / r-T ' I \
ersten Satzes bekannt: -^
Mit der Entschiedenheit, die der Grundstimmung des Finale
entspricht, rUckt es sofort im dritten Takte nach Cdur. Die
B&sse in ihrem schwerf&lligen Geiste halten noch eine
ganze Weile an der Sechzehntelfigur fest. Das Finale hat
--♦ 327 4^
seine schwfilen Momente: Sie finden sich in dem Motive
^.^^^..^^ welches oft darch das Orchester fahrt,
'rf l' -^ ^^5*^ namentlich aber am Eingang derDurcb-
*^ * • ^ fiihning, wo dem ttber das Hauptthema
gebildeten Fugato ganz eigentUmliche Dissonanzen — in
ihiem besonderen, schrillen Klange eine eigenste Er-
findung Schnmanns — vorhergeben. Aber immer folgen
diesen fifichtigen Trubongen Partien von voUendeter An-
mut Das zweite Thema ist ihr Haapttr&ger:
in seiner Mischung von Grazie, Kaprize nnd jugendlich
frohlicher Naivit&t ein echter Schumann. Es geht in
eine Periode von kQhnem harmonischem Aafbau ilber,
in der die Kraft aufbraust. Der Posannenklang kenn-
zeichnet sie. Nach Beendigung der Reprise lenkt der Satz
noch einmal auf ein ruhigeres Gebiet dber, mit einem on-
erwarteten nenen Thema freundlich fragenden Charakters:
^ _, ^ Um so sttlrmischer bricht dann
"Fi" fSJ- ' ^tl ^ ' der jubelnde Schlufi ein. Erhat
^-*=- die Form einer Stretta, frei nach
italienischen Mustem! Das letzte Presto hat noch nie
seine Wirkung verfehlt.
Mit seiner D moll- Sinfouie zngleich bracbte Schumann B. Seh«maBH»
eine zweite kleine Sinfonie, eine Art Suite in drei Satzen, Onvertttw,
zur ersten Auffiihrung, die unter dem Titel »Ouvertflre, ^^*^e**
Scherzo und Finale c als Op. 62 verdffentlicht wurde.
Auch diese Sinfoniette zfthlt, nach der H&ufigkeit der
Auffdhrungen zu schtiefien. unter Schnmanns beliebteste
Kompositionen und hat den Schfilem dieses Meisters be-
sonders oft als Modell gedient. Was sie so anziehend
und wirkungsvoll macht, ist der stark ausgeprftgte Ton
ritterlich phantastischer Romantik. Darin und in der
ganzen Richtung der Phantasie erscheint sie als das
Seitenstftck zu den vierhftndigen M&rchenbildern. Man
k5nnte ihr eine neuere oder ^terere >Aventiurec unter-
legen. Es lebt in ihr ein weltfahrender , abenteuerlicher
und munterer Sinn
328
Alleg^ro.
Sie erz&hlt von Lieben and Sehnen
^ , I, y^ ^. ^' s, n. Sate.)
^"I'lTr \(T^ ir N ir \ i ^^m
Trio im
Scherto
und auch von Fehden und wehrsamen Streichen:
^„,^ Nicht ohne Be-
^ lir^-^f f •^amEingangdep
^ Werkes so deut-
lich den Geist Cherabinis, des Komponisten der »Aben-
ceragenc, vorbeiziehen IfiBt. Auch Webers romantische
Harmonien klingen in der OavertQre durch. Musikalische
Erfindungen bietet die kleine Sinfonie von eigenster nnd
reizendster Art; in der Ansfiihrung steht sie jedoch hinter
den beiden Sinfonien in B und D betrSLchtlich zurtick.
Die Ungezwungenheit des Komponisten artet hier viel-
facb in L^lssigkeit und Breite aus; ja der letzte Satz tragt
in den Mendelssohnschen Zitaten und in dem eigensin-
nigen Bebarren an allt&glichen Einf&Uen, in der Mono-
tonie des Rhythmus und Me trams die anverkennbaren
Spuren einer versagenden Phantasie.
Auf einem andem Boden als diese drei Werke steht
B. BtthwmMH, Schumanns C dur-Sinfonie, die (als Op. 61) in der Ver-
C dur-Sinfonie. 6ffentlichung der in Dmoll vorausging und bekanntlich
die zweite genannt wird, aber nach der Entstehungszeit
and nach der ersten Auffiihrung Schumanns dritte Sin-
fonie ist In dieser Sinfnnie hat Sosuimto.
Schumann hohe pathetische In- ^ \ ^^ \^ f f \ f'
tentionen verfolgt Das Motiv: ™ jv ' ^^
welches die Trompeten und HOrner an den Eingang der
-^ 329 ^^
fmerlich sinnenden Introduktion hinstellen, durchzieht,
mit Ausnahme des Adagio, alle S&tze des Werkes wie
ein geheimnisYolles Geisterwort und bietet uns die Richt-
schnar fUr den auBergewdhnlichen Flug, welchen Scha-
manns Phantasie in dieser Tondichtung zu nehmen ge-
dachte. Es handelte sich hier far den Komponisten um
die grofien Leidenschaften und die h5chsten Ideen einer
Menschenseele, um Faustsche Probleme: um den Weiter-
bau auf jenem grausig schdnen Terrain, auf welchem
die neunte Sinfonie stebt. Es gescbah auf Grand dieser
zweiten Sinfonie namentlich, da6 Schumann von einer
Anzahl treu ergebener Verehrer als der »Erbe Beethovensc
proklamiert wurde. Wir wissen, was Scbumann mit diesem
groBten Tondicbter des Jahrhunderts gemeinsam hat, und
stellen die zweite Sinfonie um ihrer Intention willen sehr
hoch — aber wir glauben doch, daB es eine Irrlehre ist,
sie als die Hauptsinfonie ihres Autors zu erklHren. Sie
ist sowohl in dem Werte der musikaliscben Grundideen
selbst als in ihrer Behandlung ungleich; sie mischt Perlen
und Sand und stebt an Friscbe und NatUrlichkeit der
Gestaltungskraft den vorausgehenden Sinfonien sowohl
in einzelnen Satzgruppen, wie auch in ganzen S&tzen
nach. Mit der Cdur-Sinfonie beginnt ein Abschnitt der
Entwickelung Schumanns als Instrumentalkomponist, in
welcber der naiv-romantische, volkstumliche Zug seiner
Erfindung die vornehmere kdnstlerische SpbM.re h&ufig
verl&fit Namentlich in den Finalsfttzen der G dur-Sinfonie
und in dem der ihr folgenden Es dur-Sinfonie tritt diese
Erscheinung zutage und leider gerade in ihren Haupt-
tbemen. Zu dem Besten der Cdur-Sinfonie z&hlt im
ersten Satze der Abschnitt, welcher das zweite Thema
entwickelt, und das Thema selbst, welches in der Intro-
duktion schon angektkndigt wird:
ADe
Es ist eigentlich nur ein Absen-
ker vom Hauptthema desSatzes :
330
p trtut.
Dieses Haaptthema, in seinem
kaprizi5sen Charakter alier-
dings sehr wohl yerst&ndlich, leidet schon an der Mono-
tonie des Rhythmos, welcbe die schw&cheren Werke
Schumanns kennzeichnet. In der Dnrchf&hrung ist ein
mOder, stockender Schritt, der die H5he nur erstrebt
Doch sind darin in der Gattong des leidenden Ans-
dracks groGe Schdnheiten. Die Glanznnmmem der Sin-
fonie sind der zweite und dritte Satz. Jener ist ein
Scherzo, welches in dem Hanptsatze aus dem Motiv
AUe^o ▼iT»ca. ^entwickeltistEsdhngt
jaus der anfangs be-
n^ ^^ - ♦ w5Ikten Sph&re zu-
weilen za einer grandios freien Stimmung vor, nament-
licb in den H dur-Schl&ssen. Die FrUhlingskl&nge , die
sich in den Holzbl&sern vereinzelt h5ren lassen, erscheinen
im ersten Trio zu einein Gedichte zusammengereiht.
Das zweite Trio, welches nach der Repetition des Haupt-
satzes einsetzt, gehOrt zu den schw&cheren Partien der
Sinfonie. Der dritte Satz ist ein Adagio, das in seiner
Anlage einer Phantasie ftber folgendes Thema gleicht:
Dieser tiefe, seelenvolle Gesang,
Pf » — —- -oi
dessen Heimat das Trio in S. Bachs
•Mosikalischem Opferc ist, beherrscht den Satz; ein selb-
stftndiges Thema tritt ihm nirgends auf die Dauer ent*
gegen. Die wunderbare Melodie scheint, der tranernden
Peri gleich, den Himmel zn suchen. Und sie findet die
P forte offen. Da, an den Stellen, wo die Violinen in
Trillern von der hSchsten H5he wieder herabschweben,
kann man einen Blick hineintun. Dieses Adagio, eins
von den wenigen nenen, deren Kiirze man bedauert, wirft
noch etwas von seinem Glanz in den letzten Satz der Sin-
— • 331 *^
fonie hinein. Kurz nach dem Abschlusse des ersten The-
ma^dessen Anegioaoito. da, wo
Hauptkem ^fPlT r'PlI* T'PI ^ I PgcUftVio-
folgender: *" «r ^^=: jj^g^
ihre Achtelfigorea anfangen — ergreifen im Finale die
Celli den Gesang des Adagio und bilden aus ihm das
zweite Thema des SchlnBsatzes. Die sp&tere Stelle — sie
ist an den Greneralpansen leicht zn erkennen — , wo diese
8ch5ne Melodie gleichsam unter allgemeiner Trauer ins
Crrab gelegt wird, ist eine der ergreifen dsten im ganzen
Finale. An groGgedachten Kombinationen ist dieser
Schlufisatz reich. Wir rechnen dahin auBer der EinfQh-
rung des zweiten Themas aus dem ersten Satze anch die
Anfnahme eines bekannten Beethoven schen Gedankens:
^^^- -^>^ Was den Eindrack des
i rl^f I p J I 1 J 1^^ Finale beeintrftchtigt, das
' hftngt mit dem Charakter
des Hauptthema und seiner mehr wiederholenden, als
ombildenden Durcbffibrung znsammen.
Die dritte Sinfonie Schumanns (Es dur, Op. 97] rUckt B. SehaMuiH,
den beiden Vorg&ngen in B- und DmoU wieder nfther. ^ ^'"^S*"'®'"*-
Ihr Grundcharakter ist heiter. Wird doch angenommen,
daO sie zu dem frischen Leben des Rheinlandes in inneren
Beziehangen steht. Sie ist Schumanns letzte Sinfonie,
entstand in Ddsseldorf und kam am Anfang der filnf-
ziger Jahre zur Verdffentlichung. In ihrem Stile unter-
scheidet sie sicb von den ersten Sinfonien in Bdur und
Dmoll, obgleich sie mit ihnen die Richtung der Phantasie
teilt Eine gewisse Schwerfftlligkeit hat Platz gegriffen,
die sicb in dem ersten Entwurf der Tongedanken and in
ihrer nur Transpositionen bietenden Entwickelung ftuBert.
Ja sogar bis auf die Instrumentierung erstreckt sie sich.
Der Klang ist oft pomphaft, aber in seiner Feierlich-
keit monoton; vorzugsweise marschiert das Orchester
in schwerer RQstung und breitem Tritt Wo sind
die geistvoUen, Jebendigen, spriihenden, die so origi-
nell kecken Violinfiguren hingekommen? Doch hat auch
diese Sinfonie noch sehr schdne Partien. Dahin zu
332
rechnen ist im ersten Satze namentlich das zweite
Thema:
Labh&rt.
vom zweiten Satze der Haaptteil, der in einer gewissen
altvMerischen Frohlichkeit gehalten ist.
Der Mittelsatz in diesem zweiten Satze, der dem
Trio des Scherzo entspricht, erhftlt eine eigentiimliche
F&rbnng dadnrch, dafi die einfache elegische Liedweise,
welche die Holzblftser spielen, iiber einen groBen, tremo-
lierenden Orgelpunkt gespannt wird. FQr den beschei-
denen, an die » Kinder- s«Ju- mattii
szenen* erinnernden
Gmndstoff des Satzes:
ist die Ansfiihmng sehr reichlich bemessen. Nach dem
Andante (Asdur, C), in welchem sich sentimentale Ele-
mente mit t&ndelnden mischen, kommt noch ein zweiter
langsamer Satz (EsmoU, 0) mit feierlichem Posannen-
klang, in den seltsam aufgeregte Figuren bineinspielen.
Man denkt an ein »Gretchen im Dom<. Eine kirchliche
Szene zu schildem, soil auch in diesem Satze Schumanns
Absicht gewesen sein. Er schrieb ihn kurz nachdem er
einer Feierlichkeit im Dome zu Koln beigewohnt and gab
ihm ursprtbiglich eine erkl&rende Oberschrift. Von dieser
Domszene ist noch ein Nachklang im Finale zu flnden.
In der Hauptsache entroUt es aber eine Menge lanniger,
anmutiger and frischer Szenen, in deren neckischer
Leichtigkeit wieder der alte Schnmann lebt Nar das
Hanptthema and die za ihm gehorenden Grappen sind
Bchw&cher.
FOHRER
DURGH DEN KONZERTSAAL
YON
HERMANN KRETZSCHMAR
I. ABTEILUNG:
SINFONIE UND SUITE
n. BAND
VIBBTE, VOLLflTANDia NEUBBARBBITSTK
▲UFLAOB
LEIPZIG
VERLAG VON BREITKOPF & HARTEL
1913
99
Alle Reohte, auch das der UbenetzuDg, yorbehalten.
Das Recht des Einzelabdrucks und deBsen Weitervergebung
steht auBschliefilich den Verlegern Breitkopf & Hartel
in Leipzig zu.
Copyright 1913 by Breitkopf & Hartel, Leipzig.
IV.
Die Programmusik und die natienaie Richtung
in der Sinfenie.
lie Mendelssohn nnd Schumann beide verh<nis-
m&fiig nnr wenig Sinfonien geschrieben haben, so
war zn ihrer Zeit die alte Fruchtbarkeit auf diesem
Gebiete iiberhanpt erloschen. Anfiere Verhslltnisse nnd
der Gang des geistigen Lebens batten dazu gleich stark
beigetragen. Die Zahl der nenen Konzertinstitute hatte
die der alten Collegia mnsica nicht im entfemtesten
wieder erreicht Die neuen Sinfoniker standen nnter
den nnendUch gesteigerten Forderungen Beetbovens, aber
nicht wie ihre Vorfahren wurden sie vom Ideengehalt
der Zeit getragen, kaum unterstiitzt. So waren die Werke
der Roman tiker ein letztes Aufflackem alten Glanzes; die
mageren Jahre der Sinfonie begannen nnd die bestge-
meinten Preisausschreiben konnten das nicht &ndern.
Wenn in einem Winter vier oder fflnf nene Sinfonien
vorlagen, die halbwegs branchbar waren, so bedentete
das das H5chste, was sich erwarten lieO. Die Namen
dieser Komponisten findet man ziemlich vollst&ndig in
A. Ddrffels Geschichte der Leipziger Gewandhauskonzerte
(1884), denn nnter dem mit voller Bildnng ausgeriisteten
Mendelssohn machte dieses Institnt erfolgreich von der
nattkrlichen Oberlegenheit seiner ans dem 18. Jahrbnndert
flberkommenen Organisation Gebrauch nnd komman-
dierte die dentsche Mnsik/ Die verschiedenen and ehren-
A I
--^ 334 «^
werten MflUers, nm die es sich hierbei handelt, die Mo*
lique, G&hring, M5hring, Tftglichsbeck, Markull,
Lflhrss, Rosenhain, Leonhardt, Helstedt, Pape
usw., die die Ehre einer Auffiihrung in der Kegel nor
einmal erlebten, arbeiteten durchscbnittlich in den Spuren
Mozarts und des jungen Beethoven. Etwas l&nger hielten
sich die Sinfoniker ans der Schule Spohrs. Der frucht-
A. Hesse. barste von ihnen: A. Hesse, der Breslauer Orgelmeister,
ist jedoch heute im Konzertsaal gleichfalls verschwunden.
St. Branet. St. Ben net, dessen Gmoll-Sinfonie ebenfalls zu dieser
Gmppe geh5rt, ist in England noch nicht vergessen, und
H. BurgmfiUer. der poetischste dieser Spohrschfiler, Norbert Bnrg-
m tiller, bei uns auch noch nicht, wenigstens nicht mit
seiner C moll-Sin fonie.
Beim Beginn dieses dentschen Niedergangs greift das
Ansland, das seit Haydn gar nicht mehr mitgez&hlt worden,
pl5tzlich und bedeutsam in die weitere Entwickelnng der
Sinfonie ein. Der Franzose HectorBerlioz begrftndete
eine neue Periode — vielleicht nur eine Episode — der
Programmusik, der D&ne Niels Gade erdffnete eine
Reihe von Versuchen, Elemente der Volksmusik zor
Grundlage Oder znm Ornament der groOen Formen der
Sinfonie zu verwenden.
Unter >Programmusik« versteht man bekanntlicb eine
Musik, welche als die Darstellung bestimmter innerer oder
ftufierer Vorg&nge aufgefafit sein will, welche Geschichten
in T5nen zu erzfthlen und nachzumalen versucht und
die Phantasie an gegebene Objekte bindet. Die Tendenz
dieser Kunstrichtung ist so alt wie die Musik und hat
ihre natilrliche Stiitze in der Tatsache, dafi Tonverbin-
dungen wesentliche Merkmale geistiger Ideen und k5rper-
licher Erscheinungen wiedergeben k5nnen. In der Vokal>
musik bildet die Obereinstimmung von Ton- und Text-
ideen ein wichtiges Kriterium ftkr den Kunstwert der
Kompositionen. So lange es eine kiinstlerische Instni-
mentalmusik gibt, sind auch in dieser zu alien Perioden
Versuche gemacht worden, bestimmte Programme durch
die T5ne zu Ubersetzen. Diese Versuche waren in der
_^ 335 *—
Kegel von nenen, aber auch von verwnnderlichen Resul-
taten begleitet. Nicht immer, z. B. nicht in der Periode
Dittersdorfs, aber hftnfig haben die Programmusiker eine
poetische Hinneigung zn Ansnabmezustftnden, za anfier-
gewdbnlichen Ereignissen oder zu Gegenst&nden gezeigt,
welche anfierbalb der menschlichen Anschannng und Er-
fabmng liegen. So scbildert scbon Proberger einmal
Jacobs Himmelsleiter, ein andermal einen Schiffbruch
nnd einen Oberfall durcb Seer&uber, Knbnau die >Un-
8innigkeit« Sauls. Fflr die neneste Epoche der Programm-
mnsik ist eine ahnlicbe Neignng geradezu znm Merkmale
gemacht worden. Ist von ihr die Rede, so erinnert man
sich, mil Unrecht, aber doch tatsftcblicb, in erster Linie
der grafilicben Stoffe, welche sie znr Behandlnng ge>
wfthlt hat Man denkt an die Hinricbtungsszene, an den
HSllensatz in Berlioz* Sinfonie fantastique, an die Ban-
ditenszene in seinem Harold, an Liszts Mephistosatz im
>Faust€, an den Inferno in der Dantesinfonie, an den
Mazeppa, den Prometbens und die >Hnnnenschlacbt« des
letztgenannten Komponisten. Das sind Partien, in welcben
die neue Programmusik zugleich auch von dem Stile,
welcher bis dahin in den Sinfonien tiblich war, sehr be-
merkbar abweicht. Wo die Extreme der Leidenschaften,
wo Zustftnde der gr56ten Erregung, Ereignisse unerhorten
Charakters, wo die Superlative der Phantasie beriibrt
werden sollen, da bauen diese Komponisten wie die Cy-
klopen mit unbehauenen B15cken. Da lassen sie die
Elementarkraft des blofien Klanges und des bloOen Rhyth-
mus wirken und gewd.hren der Macht des musikaliscben
Rohmaterials, dem physischen Elemente der Musik einen
weiten Spielraum. Sie stiltzen ganze Perioden nur auf
das Fundament dissonanter Harmonien, auf bin- und
hersausende chromatische Figuren, auf das brutale Trei-
ben von Motiven und Themen, welche die Kunstmusik
als trivial verwirft. Man vergifit fiber den Produkten ge-
walttfttiger Gharakteristik und ttber den Beftirchtungen,
welche ihr naturalistischer Stil erregen kann, sehr leicht,
daO die Werke der Programmusiker auch sehr reicb sind
-^ 336 ♦>-
an eigenartigen SchOnheiten freandlich rahiger Natnr und
dafi ihre Hauptvertreter durch Anfstellting neuer, zweifel-
los berechtigter Prinzipien ttnd d'orch Ansbildnng neuer
Ansdracksmittel die allgemeine £ntwickelnng der Ton-
kunst gefOrdert haben. Die Gescbichte der Sinfonie ist
noch jnng, denn die Kunst zfthlt nach Jahrbanderten.
Mag cUe Programmusik noch so oft Fiasko machen; ibr
Prinzip wird nicbt sterben. Nach der ganzen Entwicke-
lung der Instumentalmusik kann in der Zukunft ihr
Boden nur breiter und fester werden. Schon heute liebt
das Publikum einen poetiscben Anhalt fiir die sinfoni-
scben Gebilde, und unter den Komponisten bat das Pro-
gramm mehr Anh&nger, als sich dfTentlich dazu bekennen.
Es wUre ein UnglUck, wenn wir nur Programmusik hfttten;
aber es wSlre kaum weniger zu bedauem, wenn wir gar
keine hsltten!
Die heutige Programmusik ist zum grofien Teil durcb
Hector Berlioz so geworden, wie sie ist. Trotz seiner
SchwSlrmerei fQr Virgil und ftir Gluck war Berlioz ein
Erzromantiker, und nicbt umsonst nannten ibn seine
Landsleute scbon bald den Victor Hugo der Musik*).
Musikalisch l&6t er den gebornen Franzosen, den Lands-
mann Rameaus, nur m&fiig merken; aber dichterisch
war er ganz von jener franz5siscben Neuromantik be-
sessen, der Viscber (in den >Kritiscben Gftngenc) grob
aber bezeichnend eine >Schinderphantasie< vorwirft. Der
erste, schwerste, der unheilbare und unverzeibliche Man-
gel von Berlioz* Programmusik liegt in den Programmen
selbst, nicbt in der Kolossalitat und MaOlosigkeit seiner
poetiscben Intentionen, wie Ambros sagt**^), sondem in
ibrer vollst&ndigen Gescbmacklosigkeit. Der Einfall: die
Gescbichte, die der Sinfonie fantastique zu Grunde liegt,
mit Hexen und H511e, die des Harold mit einer Banditen-
orgie zu schlieOen, bleibt, auch wenn man den MaGstab
nach den Verirrungen der Scbule Eugen Sues bildet, so
*) F. Hiller: Kiinstlerleben, 1880, S. 85.
*♦) W. Ambros: Bunte Blitter, 1872, S. 100.
— • 337 «^
vereinzelt und ungeheuerlich, daO man zu einer Erkl&*
rung weiterer Grftnde bedarf. In der Tat wirkten auch
anf den schwachen Pnnkt in Berlioz' Phantasie neben
den literarischen EinfltLssen noch starke musikalische.
Dnrch Simon Mayr waren in der italienischen Oper die
Blasinstrumente zu einer neuen Bedeutung gelangt, bei
Pacini und Mercadante entwickelte sich daraus ein form-
licher Kultus des Blechs. Meyerbeer ftkbrte ihn in die
franz5sische Oper fiber und Berlioz ward der Meyer-
beer der Sinfonie. Er bereicherte sie mit der Harfe
und dem englischen Horn, aber auch mit den dritten
und vierten Fagotten und Trompeten, mit den Opbi-
kleiden, dem tiirkischen Schlagzeug und mit dem halben
Orchester der Wachtparade. In den SchluOsfitzen seiner
Sinfonie wird dieser neue akustische Spuk prasselnd los-
gelassen.
Nichts setzt Berlioz so weit unter Beethoven wie
diese Abhftngigkeit vom gemeinen Effekt. UndN doch hat
er sich fOr einen Schuler und Nachfolger Beethovens ge-
halten und dieses Verh<nis mit dem Vergleich zwischen
Columbus und Ferdinand Gortez zu bestimmen versucht*).
In der Tat fand er f&r seinen Naturalismus eine kleine
Stfitze in der Beethoyenschen Sinfonie von der zweiten
ab. Aber wer gerecht sein will, kommt auch nicht um
die Notwendigkeit herum einzusehen und zuzugeben, da6
Berlioz auch nach einer zweifellos ntitzlichen und zu-
kunftsreichen Richtung bin an Beethoyen ankniipft und
ihn fortgesetzt hat: Er suchte und fand geeignete Mittel,
den breiten Beetbovenschen Formen der Sinfonie Ver-
st&ndlichkeit zu bewahren. Diese Mittel waren das Pro-
gramm und die Verbindung der einzelnen S&tze durch
Wiederkehr desselben Themas. So schlecht Berlioz' Pro-
gramme waren, die Berechtigung und Wirkung des Mittels
an sich haben sie festgestellt, sein aus dem Schlummer
der Jahrhunderte wiedererwecktes Prinzip des Leitthemas
ist aber von der ganzen modernen Musik, instrumental
♦) F. Hiller, a. a. 0. 127.
Kretsscbmar, Fflhr«r. I, 1. 22
— t 338 ♦^
and vokal, von Gegnem nnd Frennden Berlioz* ohne Unter-
scbied immer mehr anfgenommen worden.
H. Berlios, Berlioz' Debiit bildet die Sinfonie fantastique,
fMuSr**e ^P" ^* ^^' ^^^' ^^^'' ^ s«inen Memoiren (S. 95) sagt
an que. g^j^ji^^, dafi die Bekanntschaft mit GGthes >Faiist« einen
groGen Einflufi auf diese Komposition gehabt babe. Das
mag sein mit Blocksberg and Walpargisnacht, vielleicbt
aach mit dem Spaziergang and mit den >zwei Seelen in
einer Brast« ; die Idee za der >Fantastiqae€ wslre ftkr Goethe
ein Greuel gewesen and ist ganz Berlioz' eigene Erfindung,
als solche fftr den abenteaerlichen Cbarakter seiner dich-
terischen Neigangen and seiner Ansichten vom Wesen
and Zweck der Kunst Qberbaupt sebr bezeicbnend:
Ein junger Kunstler, liebestoU and lebenss&tt, nimmt Opium.
Die DobIs des Giftes, zn scbwach nm zu tSten, bewirkt nur
einen tiefen Rauscb und eine Relbe von Tr&umen, in denen
die Liebesgescbichte des KQnstlers repetiert und zu elnem phan-
tastischen nngebeaerllcben Abscfalufi weitergefuhrt wird.
Mit andren Anslegem hat anch Schnmann*) ange-
nommen, daO der Komposition and ibrem Programm ein
Stfick aas dem eigenen Leben von Berlioz, seine Liebe
zn der englischen Scbauspielerin Mifi Smithson, zugrande
liege. Die Masik versacht die Traambilder in fanf S&tzen
wiederzageben.
Der erste »R6verie8 — Passions* — (Trftamereien —
Leiden scbaften) tiberschrieben , scbildert die Zeit der er-
wachenden Liebe and der ersten Begegnang mit der Ge-
liebten. Das Programm sagt:
>Zuer8t gedenkt der junge Mnslker des beingstigendeii
Seelenzuatandes, der dunklen Sehnsucht, der Schwermut nnd
des frendigen Anfwallens ohne besondren Grund, die er empfand,
bevor ihm die Geliebte erscblenen war j sodann erlnnert er sicb
der beifien Liebe, die sle plQtzllch in ihm entziindet, seiner
fast wabnsinnigen Herzensangst, seiner eifersiicfatigen Wat, seiner
wieder erwachenden Liebe, seiner religiosen TrSstungen.c
*) R. Scbumanns Gesammelte Scfariften (Aasgabe von Jansen)
I, 131.
339
Die in diesen Worten gestellte Aufgabe sucht Berlioz
mil einem Satze zu Idsen, der ganz die Form hat, die
wir seit Haydn an dieser Stelle gewohnt sind: ein im
Sonatenschema ansgefiihrtes Allegro mit langsamer Ein-
leitung.
Die Einleitnng (Largo, C^ CmoU) schildert den Seelen-
znstand, in dem sich der KQnatler vor dem Erscheinen
der Geliebten befand: Schon die ersten beiden Takte
suchen das Bild einer klopfenden und nagenden and im
selben Angenblick vom schweren Dmck gehemmten Emp-
iindnng zu zeichnen: Die >Scbwermnt< und >die dunUe
Sehnsucht* des Programme drfickt eine l&ngere Gfreigen-
melodie aus, die folgendermaBen einsetzt:
Largo. J • 66
1^ I I Die Fennaten und der stockende Gang
</ kennzeichnen auch ihren weiteren Ver-
lauf. Im achten Takt, am Schlufi der Peri-
ode, zeigt ein Nonenakkord fiber der Dominante den HOhe-
punkt des WehgefUhls. Von da ab versucht die sprSde
Melodik grdOere Schritte, Qberl&fit aber sebr schnell das
Wort dem Rbytbmus, der in den ■— ■ einen Auf-
tiefen Instrumenten fiber das Motiv ^ ^ * schwungder
Stimmung einleitet Ahnlich wie an der bertthmten
Stelle im Trauermarsch der Eroica lassen die Basse
ganz allein ein mftchtiges As h5ren, das drShnend
nach 0 fibertritt. Wir stehen vor dem zweiten Abschnitt
des Largo, dem das Programm >das freudige Aufwecken
ohne besonderen Grande zuweist. Er malt es in losen
Figuren, die als Sechzehntelsextolen und als Triolen
dahinflattern. Zuerst in der ersten Violine allein, dann
ergreifen sie auch die iibrigen Instrumente, durchschw&r-
men rasch von Gdur aus einen Kreis naher und femer
Tonarten, bis sie im secbsten Takt nach Cdur und gleich
tiarauf nach Gmoll zurQckkehren. Es war nur das Auf-
22*
-~^ 340 0—
glflhen des Fiebers, jetzt meldet sich die alte Schwennnt
in den Klagen der Blftser wieder. Nach yier Takten
haben wir wieder die oben angegebene Geigenmelodie.
Der dritte Abschnitt des Largo beginnt, yerlftnft aber
doch nicht ganz gleicblautend wie der erste. Das beitere
Anfwallen hatetwas gewirkt: in derSeele des verliebten
Mnsikers ist es beller geworden. Das sagt uns die Dur-
tonart [JEei), in die das Thema jetzt versetzt ist, das sagen
uns die Bl&ser, die die Geigen mit den mnntren Motiven
des zweiten Abscbnitts umspielen. Nachdem diese Re-
petitionsgrappe gescblossen bat, geht in der Stimmnng
eine nocb viel entschiedenere Wendung zur Hoffnnng and
Frende vor sicb. Des dur setzt plotzlich ein, das Horn
Qbemimmt die Ftthrang mit Melodien, die tr5sten, mit
trillemden Figuren und nenes Leben weckenden Motiven.
Die Violinen nehmen. die D&mpfer ab and stimmen mit
frohen and matigen Gftngen ein. Es ist ein Z6gern and
Gfthren in diesem Scblufiabscbnitt des Largo, das den
empfftnglich folgenden Zabdrer in grofie Spannang ver-
setzt.
Das Allegro (Allegro agitato e appassionato, Cdur),
welches im erregtesten Zucken einsetzt, 15st sie bidd. Die
Geliebte erscheint, das folgende Thema, von der F15te
zuerst eingeffihrt:
Allerro.
soil ihre Gestalt bezeichnen. Schumann findet in ihm
sogar den Gharakter der >kiihlen Brittin*, die sp&ter
Berlioz' Gattin wurde, aasgedrfickt. Es fftngt wohl etwas
gldcklich reserviert an, wird aber in den folgenden Peri-
oden der Klage ziemlich warm and schliefit liebens-
wtirdig zasprechend. Der hier wiedergegebene Anfang
kehrt, gew5bnlich durch zitternde Rhythmen begrOfit, als
Leitmotiv in alien S&tzen der Sinfonie wieder, Berlioz
nennt es ihre >id^e fixe*. Das ist nicht in dem Sinne
gemeint, in dem wir Deutsche von der >fixen Ideec ge-
st6rter Geister sprechen, sondem jene acht Takte bilden
-^ 341 *^
den »festen Pol in der Erscheiniingen Flncht*, das Band,
das den Inhalt der Sfttze der Sinfonie verknflpft, das
ftoBere Zeichen ihrer Zusammengehdrigkeit. Gleichviel,
ob man in Berlioz* spezitischer Masikbegabung Talent
Oder Talentlosigkeit erblickt, jedermann soUte einsehen,
daB die Einffihrung und DarchfUhrung des Prinzips der
»id^ fize«, daB der Versuch, dnrch thematische Einheit-
lichkeit die verschiedenen S&tze der Sinfonie enger zn
verbinden, eine kiinstleriscbe Tat von boher Bedentang
ist. Es war der erste und einzige wesentliche Fortsctaritt,
den die Geschichte der Sinfonie nacb Beethoven zu yer-
zeichnen hat, der Punkt, von dem atis sich eine Znknnft
flir diese Knnstgattung erdffnete.
Wie Haydn, legt anch Berlioz den zweiten Themen
nicht viel Wert bei and zieht ihnen eine freie, aber logische
Fortsetznng des Hauptgedankens vor. So wird denn hier
in der Themengmppe des ersten Satzes das Hauptthema
mit einem Jabelausbmch begr&6t, der yon zwei lant tre-
molierenden, je einen Takt Ian gen Akkorden ans : g-h-des-^
und g-h-d-f, in Achtelfigoren hinab und hinaufstdrzt Er
schlieBt znnftchst mit einem innigen RQckblick auf den
Schlufi des Hauptthemas, auf dessen letzte Periode:
AHogro
Dann emeut er sich, aber mitMotiven des stillenEntziickens:
» gemischt, er-
A f ^f I V ,1 i fif ff^r I weitert und
lb ' ' I l^^'>^ ft ^ M-*^ i^ ^g, Ri^jh-
•^ tung bestunm-
ter. Sie Uuft geradewegs wieder auf das Hauptthema
zu, das in Gdur erreicht, aber nur mit den ersten Noten
anfgenommen wird:
-^ 342 ♦^
Die mil dem dritten Takte einsetzenden neuen Glieder
fangieren als zweites Thema im Satze and vertreten in
der Durchfflhrung die Stimme des Liebesgllicks.
Unser Allegro ist in der seit Haydn ttblichen Form
in den drei Hauptteilen: Themengmppe, DarchfOhrong,
Reprise anfgebaut. Die Themengruppe schliefit bald nach
dem Auftreten des als zweites Thema geltenden Gedan-
kens. Die Dnrchf&hrong ist die Stelle der >£rinnerungen«,
anf die das Programm znm ersten Satz binweist Nor
sind sie in der Musik nicbt so einfacb abzalesen wie
dort im Text. Die Reihenfolge der Empfindongen ist
anders, aber insofem wohlgeordnet und iibersichtlich, als
den triiben immer belle folgen. Eine wirkliche Schwierig-
keit far Folgen und Verstehen liegt darin, dafi Berlioz in
der Scbilderung der Affekte meist ohne Obergftnge schroff
abspringt
Die Durchfahrung beginnt mit einem kleinen Dialog
(von Gdur aus). Die B&sse zeigen wie aus der Feme im
Halbdunkel das Bild der Geliebten (Anfang des Haupt-
themas), die Bl&ser in nenen eignen Motiven das Herz
des liebenden jungen KUnstlers. Mit dem zweiten Thema
in Cdnr scbliefit diese Gruppe. Nan kommt als zweite
Grappe die Darstellang jener »Herzensangst«, aaf die das
Programm yorbereitet. In den Saiteninstramenten wiihit
es mit chromatiscben Lftufen, die BlS.ser stolen lange
KIaget6ne aus. Die Szene endigt mit einem aafregenden
Sturm nach der Hdhe, wie ein Befreiungsversuch aus
schwQIem luftlosem Raam, und mit einer erl5senden
Generalpause. Der dritte Abschnitt bringt das Bild der
Geliebten, das Hauptthema in voller Ausdehnang, aber
in Gdur wieder. Ihm folgt eine leise beginnende Stelle
des Besinnens erst, dann des Jubels, an die sich als f&nfter
Abschnitt eine kurze Durchftthrung des zweiten Themas,
die von den Gellis aus nach oben angetreten wird, schlieGt.
Sie endet mit der Wiederaufnahme vom Ende des Haupt-
themas, das schlieOlicb wie grollend in den Bftssen ver-
schwindet. Und nun scblieBt die DurchfCihrung mit einer
Gruppe, die komphzierter und auch f&r die Aufftihrung
— ♦ 343 «^
schwieriger ist, als irgend eine der bisherigen Partien
des AUegro. Die Celli nftmlich beginnen eine laoge Kette
von Imitationen ftber den Anfang des Hauptthemas erst
mit den Bratschen, spftter mit den zweiten Geigen. Die
Holzbl&ser spielen verlegne oder prtifende Gegenmotive
dazUf die ersten Geigen wirken nur rhythmisch erregt mit
Das ist wohl die Schilderang der »eifersilchtigen WQt«
und der dunklen Bef&rchtongen im Herzen des Liebhabers.
Er ring! sich durcb und wir gelangen an die Reprise des
Hauptthemas im ff (Cdur) wie in der Apotheose. In der
Reprise hat Berlioz Beethovensche Einschtkbe zur Steige-
rung des Ausdmcks des Liebesgl&cks mit Erfolg versucht
Es ist die Hdurstelle, wo die Bftsse mit h a fis dis be-
ginnen. Die »religi5sen Tr5stungen« des Programms
kommen in den letzten Takten des Satzes im Anscblufi
an den leisen Abschied des Hauptthemas.
Der zweite Satz (Valse, 3/g, Adur) hat die Ober-
schrift »Un bal«, ein Ballfest. Das Programm sagt zur
Erlilnterung : >Auf einem Ball inmitten des Gerftuscbes
eines gl&nzenden Festes findet er die Geliebte wieder*.
Berlioz hat namentlich durch den Ball in Romeo und
Julie die musikaUsche Welt an effektvolle und lebendige
Festszenen gew5hnt wie keiner vor ihm. Die bier ge-
gebene ist bescbeiden nach aufien, aber durch innerliche
W&rme, durch Poesie und dramatisches Leben in der
Form sehr bedeutend. Wie sch5n ist beidemal die »id^
fixe« eingefdhrt, das Zusammentreffen der Liebenden in
der festlichen Menge gezeichnet! Nach einer kurzen Ein-
leitung, welche diistre Traumfiguren enth&It, nimmt die
Musik den Charakter eines deutschen Walzers an:
^^^^^^^^^^^^^
Die Dnrchftilirung dieses Hauptsatzes wird von er-
regteren, tiefere Saiten des GefQhls anschlagenden, sze-
nischen Charakter tragenden Episoden mehrmals unter-
-^ 344 «^
brochen. In das rauschende Bnde des Satses Iftchelt
Rossini herein.
Der dritte Satz (Adagio, ^/^ Fdur) hat die Obei^
schrift: >Sc^ne anx champsc (Auf dem Lande) und fol-
gendes Programm:
»An einem Sommerabende, auf dem Lande, h5rt der Kunstler
Kwei Schifer, die abwechselnd den Knbreigen blasen. Dieses
Schiferdnett, der Schanplatz, das leise Flfistern der sanft Tom
Winde bewegten Binme, einige GrtLnde snr Hoffnnng, die ihm
erst kfirzlicb bekannt geworden, alles vereinigt sicb, am seinem
Herzen eine unendJiche Rube wleder zu geben, seinen Yor-
stellnngen ein lacbendes Kolorit zu yerleihen. Da erscheint sie
aufs neue ; seln Herz stockt, scbmerzliche Abnnngen steigen In
ihm auf: ^Wenn sie ihn binterginge I * — Der eine Schifer
nimmt die Melodie wleder anf ; der andere aniwortet nicht mebr
. . . Sonnenuntergang . . . femes Bollen des Donners . . . £in-
samkeit . . . StiUe.c
Die Musik beginnt mit einem Dialog zwischen Eng>
lisch Horn und Hoboe, welche sich Motive des Kubreigens
zurufen. Das Gesamtorchester stiromt bald in die Iftnd-
lichen Weisen ein, bald vertanscbt es sie mit dramatischen
Phrasen, welche die Sprache einer zwischen Zweifel and
Hoffnnng schwankenden Seele reden. An den Stellen,
wo die >id4e fixe« erscheint, wird der Ansdrnck wild er-
regt Oder rtihrend schmerzlich. Der Satz zeigt eine eigen-
ttimliche Mischung von Gemiitsschilderung and Land-
schaftsmalerei. Berlioz verstand in einem bohen Grade
die Kanst, die dramatische Darstellang seeiischer Zastftnde
mit einer anscbaulichen, poetischen Wiedergabe der
&a6eren Szenerie zu verbinden. Sein Ghilde Harold and
seine Romeosinfonie enthalten Musterstficke dieser Art.
In letzterem Teile erinnert die >Sc^ne aux champs« viel-
fach an das Andante von Beethovens Pastoralsinfonie.
Hier wie dort das Vogelgezwitscher, das Rauschen des
Windes, das S&usein der Baume, der Reichtum an natu-
ralistischen Details in den groGen FluO der musika-
lischen Darstellang eingezogen, zuweilen direkte An-
kiange. Das Hauptthema der pastoralen Partie der Szene
345
ist eine gesangvoUe Melodie, welche folgendermafien
anf&ngt :
Adagio
m
if V
Sie erscheint, so oft sie wiederkehrt, darunter zwei-
mal in Gdtir, in immer neuen Reizen des Kolorits und
des Rhythmns. Von groBartigem Eindruck ist namenUich
die Stelle, wo Bilsse, Gelli und Bratschen. alle in viel-
stimmigen Griffen .p m begleiten. DieGabe, sch5ne
mit dem Rhythmus ^Ts f Us f qq^ eigentttmliche Kl&nge
zu finden, war Berlioz angeboren. Knrze Zeit, bevor er
seine Sinfonie fantastiqae schrieb, stndierte er noch
Medizin. Die >id6e fixe« beherrscht von der Mitte des
Satzes an die Komposition. Ihr erstes Anftreten bereitet
ein in gr56ter Aufregung einsetzender Gang der Celli
und Bftsse vor:
I. gii|TTri-ir|Mfjj^in,|j;|i|"ffn„i^|fe
Die Geigen werden von seiner verzweifelten Energie
erfafit und helfen das Bild des in Leidenscbaft schlagen-
den Herzens aufs spannendste ausfQbren. Erst nachdem
das rasende Orcbester sicb in langen, auf verminderte
Harmonien gestellten Tremolos ausgetobt bat, beginnt
das >Stocken«, von dem das Programm spricht Die Kla-
rinette beschwich-
tigt noch einmal
mit einer neuen
sanften Melodie:
Ihr folgen 'die zweiten Geigen mit dem Hauptthema,
dessen Vortrag mit einer Wendung des Aufschwungs
und des Ausdrucks glftcklichster GefOhle schlieOt. In
_^ 346 «—
Cdur begann dieser Abschnitt, in F geht er ans. Da
setzt die >id^e fixe« nocbmals ein, aber diesmal nichi
verwirrend and verst5rend; Hand in Hand mil ihr,
die die Blftser einfUhren, geht in den Geigen das Haupt-
thema des Satzes. — Den »Sonnenuntergang«, den das
Programm verspricht, ans der Musik herauszuhbren, wird
nur wenigen gelingen. Dagegen ist das >Rollen des
fernen Donners< dnrch ein kleines Extrakonzert auf vier
Paoken sehr deutlicb gemacht.
In seinen Memoiren (S. 95 and 110) erzfthlt Berlioz,
dafi die Sc^ne aax champs bei der ersten AaffQhrung
keine Wirkung anf das Pablikam geQbt, dafi er das StQck,
das ihn bei der ersten Niederschrift schon drei Wochen
aufhielt, im Laafe mehrerer Jahre wiederholt nmgearbeitet
and nach den Anweisangen Ferd. Hillers in seine letzte
Gestalt gebracht habe. Es war also ein Sorgenkind and
IftOt aach heate noch einen Rest von Unfertigkeit merken,
der die Wirkung seiner sch5nen Ideen and Absichten etwas
beeintr&chtigt.
Dagegen ist der folgende vierte Satz der Sinfonie
(Allegretto non troppo, (^, 6 moll) in einer Nacbt ge-
schrieben, ein Werk ans einem Gu(3. Er hat die Ober-
schrift : >Marche au sapplice« (Gang zum Hochgericht) and
wird im Programm foIgendermaOen erlaatert:
>Dem jungen Kiinstler triumt, er habe seine Geliebte er-
mordet, er set zam Tode verdamiDt und werde zum Ricbtplatz
gefiibrt. Ein bald dusterer und wilder, bald brillanter und
feierlicher Marscb begleitet den Zug; den Urmendsten Aus-
briichen folgen ohne Ubergang dumpfe, abgemessene Schritte.
Zuletzt erscheint neuerdings die ,ld^e flxe* auf einen Augen-
bllck, glelcbsam ein letzter Liebesgedanke, den der Todesfitreich
unterbricbtc
Mit diesem Satze nehmen die OpiamtrHume des
jungen KUnstlers eine abenteuerliche Wendang, eine Wen-
dung, welche ans den eigentlichen Traumgott der Sinfonie
fantasique, ihren Komponisten H. Berlioz nS.mIich, zum
ersten Male als Pateiganger jener Blat und Grauel lieben-
den franzosischen Neuromantik zeigt von der bereits die
-^ 347 «^
Rede war. Die Musik zu einem solchen dichterischen Voif-
wnrf kann nicht anders als schauerlich sein. Dieser Zweck
schlieBt Sparsamkeit in den Mittein der Instrumentation
aus. Korz vor dem Momente, wo das Fallbeil f&Ut —
heftiger Schlag des ganzen Orchesters, zwei Pizzikato-
noten des Streicherchors, nngeheurer Wirbel sftmUicher
Panken und Trommeln ^ taucht der Gedanke an die Ge-
liebte noch einmal auf. Die »id^e fixec erklingt im
Solo einer schrillen C-Klarinette. Der Stelle geht ein
schroffer Harmoniewechsel von Btnoll (Blttser) und GmoU
(Geigen) voraus, welcher bei den ersten Auffiihrungen
der Sinfonie in Deutschland die Meinungen beson-
ders erhitzte. Eine tiefere Auffassung der ganzen Szene,
das tragische Aiimetto^
Element der- ± £"% # «. v
selben,kommt *> ^b f i | L— L LI \ f ^ f k \ f^
inderMelodie: jST
zur Greltung, welche nach einigen einleitenden Perioden, in
der die Kontrabftsse vierfach geteilt pizzicato-Akkorde
geben, die Pauken wirbein, die Hdmer einfach emste
Harschmotive anspielen, zuerst dumpf und schwer durch
die BUsse schreitet. Der rhythmische Vortrag, namentlich
die Betonung der einsetzenden Halben kann nicht ent-
schieden genug sein. Die Violinen nehmen das Thema (in
Es) auf, eine dritte Klausel fQhrt mit den Bftssen als Haupt-
stimme wieder nach GmoU zurQck und an den Schlufi
des ersten Teils. Die Fortsetzung des Marschbildes ruht
nun auf dem Bdur-Thema:
(^'^^^c r ir rtrnfrrrn K P
Wie sie rhythmisch belebter ist, zieht sie die Aufmerksam-
keit von dem erschUtterndenCharakterdesVorgangs mehr
auf die Aufierlichkeiten des Schau spiels, auf den P5bel,
dem jedes Ungldck zum Feste wird. Es gibt Stellen, wo
man aus der Begleitung derThemendasMurmeIn, Lftrmen
und Toben der Menge h5rt. Zaweilen dringen die Tdne
des tragischen Hauptthemas wieder vor. SchlieOlich setzt
-^ 348 ^^
es, von den Posaonen dorchgedr&ckt, im vollen Tutti
wieder ein, geht ins Wilde and zn dem schon geschilderten
Ende uber.
Durch die Einlage des Marsches Qberschreitet die Sin-
fonie fantasique. zom ersten Male seit Haydn die her-
gebrachte Vierzahl der S&tze. Berlioz mag daran gedacht
haben, dafi, versteckt wenigstens, ein &hnliches Verh<nis
in Beethovens Pastorale vorliegt, oder auch den Marscb
als eine Art Pr&Iudium zum Finale gemeint haben. Dieses
als fUnfte Nummer gebrachte Finale hat die Oberschrift:
>Songe d^one noit du Sabbat« (Traum in der Walpurgis-
nacht) und folgendes Programm:
>Der juBge KdBstler glaubt einem Hexent&nz beizuwohnen
inmitten granslger Gespenster, unter Zanberern and rielge-
stalUgen UngebenerD, die sicb zn seinem Begribnis eingefunden
baben. Seltsame TOne, Acbzen, gellendes Lacben, f ernes G«-
8cbrei, anf welcbes anderes Geschrei zu antwoiten scheint IHe
geliebte Melodie tancht wieder anf, aber sie bat ibren edlen
und Bcbticbternen Gbarakter nicht mebi*, sie ist zu einer ge-
meinen, trivialen und grotesken Tanzweise geworden: sie isti,
die znr Hexenversammlung kommt. Freudiges GebrfUl begriifli
ibre Ankunft .... Sie miscbt sicb unter die bSlliscbe Orgie^
SterbegeUute .... burleske Parodie des Dies irae; Hexennmd-
tanz. Das Rondo und das Dies irae zu gleicber Zeit.<
Die Haaptmasse der Musik des Schlufisatzes fftllt aaf
dies »Ronde du Sabbat«, die Darstellung des Hexenfestes
in der Walpurgisnacht (Allegro, ^/g, Cdor). Die voraus-
gehende Partie verteilt sich anf mehrere durch Tempo
und Charakter nnterschiedene ktirzere S&tze..
Ein Larghetto in Cdor beginnt gleich mit vermin-
derten Harmonien, fremdartig polternden BaOfiguren,
denen die dreifach geteilten Violinen hohe Tremolos und
bacchanalisch schlCLrfeude und schleifende Motive ent-
gegenstellen. Das Larghetto ist der Ort der im Pro-
gramm versprochenen »seltsamen Kld.nge<, soweit sie
ruhiger Natur sind. Am bemerkbarsten macht sich unter
ihnen eine Nahahmung des Hahnenscheies. Es folgt ihm
ein nur acht Takte. langes Allegro (^/s, C dur), in dem die
_^ 349 «^
>id6e &cec, von der Klarinette ppp gebracht, die eirste Ver-
zerrang erleidet. So kurz die Stelle ist, so wirkt sie doch
sehr dftmonisch dorch die Begleitung der beiden Pauken
nnd der groOen Trommel. Schon bier zeigt sich das Finale
der Fantasiqne als die Fundgrnbe von Effekten, die mil
Meyerbeer und anderen franzOsiBchen Opernkomponisten
ancb die j0ngsten Programmnsiker aller L&nder fleiBig aus-
gemQnzt haben. Diesem ersten Allegro folgt ein zweites,
wildtobendes in Es dnr. Es leitet zu einem l&ngeren Satz
fiber (Allegro, ^/g, Esdnr), den das Programm eine »ge-
meine, triviale und groteske Tanzweise« nennt. Die Melodie
der »id6e fixe« erscheint in den schrillen, abscheulicben
T5nen einer hohen Es-EJarinette, l&cherlich fratzenhaft
tind von Roheit nmgeben. Die Szene bricht plOtzlich ab
and macbt einem emsten Rezitativ der B&sse Platz. Ihm
folgen — noch heate eine cmx ftkr die AnffUbrung —
Glockent5ne CO, 00. Es ist der denkbar sch&rfste Konr
trast an dieser Stelle: Ans dem HOUenqnalm gehts nn-
▼ermittelt in Rircbenlnft nnd Weihrancbduft Das Dies
irae setzt anf folgende Melodie ein:
Allegro. J.s 104
Ophikleiden und Fagotte blasen sie, die Glocken l£laten
dazu. Sofort wird sie von H5rnern und Posaunen in
einfacber, von den Geigen in doppelter Verkiirzung paro-
diert. Es ist ein fr^ches Stiickcben Kunst. Das nun
folgende »Ronde du Sabbat< ist im Hauptteil eine Fuge
fiber das Thema:
II jjii ' I im I Til |i| iiuui rif
das von den Cellis ans allmM.hlicb fiber das ganze Or-
chester vordringt Es wird unterbrochen von Zwischen-
-^ 350 ♦^
s&tzen, in denen f und p diabolisch wechseln, von neuen
Motiven der Klage. Nach einem ^avitfttisch-burlesken
Zwiegespr&ch von B&ssen und Fagotten meldet sich das
Dies irae wieder. Ein neuer Anlanf zor Foge — das
Thema vom zweiten Takt an chromatisch rieselnd —
vertreibt es, bald aber, als die Foge am tollsten ge-
worden, setzt es dominierend ein. Nun folgt ein Abschnitt,
der als Komposition eine Farbenorgie ist. Sine Klang-
teafelei folgt der anderen. Anf einen Satz col legno der
Violinen ein verworren elaatisches staccato der Holzblfiser,
dann die Ophikleiden im plumpen Sttirmlaaf and bald
fanatisch erregt das Ende des Satzes, den man nicht un-
recht eine mnsikalische HSllenbrengheliade genannt bat
Noch nfther liegt der Vergleich mit Wdrtz, dem Brilsseler
Maler.
Asthetisch abstofiend, ist er technisch eine kompo-
sitorische Virtuosenleistung, darch nene Formprinzipien
auch historisch wichtig.
Berlioz ruhmt (a. a. 0.) die gate Aafnahme, die in
Paris bei der ersten Aaffiihrang der Sinfonie fantasiqae
Bal, Marche and Sabbat fanden. B5me*) ftaOert sicb be-
geistert fiber das Ganze : >£s steckt ein ganzer Beethoven
in diesem Franzosen Alles ist mitHftnden za greifen<.
Unter den Masikern bildeten sich Parteien fur and wider.
StimmfQhrer der Gegner war F^tis, der in der Revae
masicale dem Komponist alles absprach and nar einen
Instrumentationsinstinkt gel ten lieG. Mendelssohn ver-
warf mit befremdendem Ha6 bekanntlich sogar Berlioz'
Instramentierang **). Schamann dagegen tritt in seiner
Neuen Zeitschrift far Masik mit der bereits erw&hnten
Kritik warm fiir die wanderliche Sinfonie ein. Zwei sehr
wichtige Freunde fanden sich in F. Liszt and N. Paganini.
H. Berltoz, »Nach elner sehr gnten Auffdhrung der Sinfonie fantasique
Harold en Italie. am 22. Dezember 1833 — scbreibt Berlioz — erwartete micb,
nacbdem das Pnblikam fort war, allein im Saal ein Mann mit
*) Allgemeine Zeitung vom 8. Dezember 1830.
**) M.8 Briefe an Moscheles (8. 85).
351
langem Haar, durchbobrendem Auge, mit einer seltsamen Figur,
ein sicbtlicb vom Genie Besessener, ein KoloB von einem Riesen,
den icb nie geseben batte nnd dessen enter Anblick micb toU-
st&ndig verwirrte. £r bielt micb beim VortibeTgeben an, um
mir die Hand zu drucken, uberb&ufte micb mit beiBen Lobes-
erbebungen, die mir im Kopf und Herzen brannten. Es war
Paganini!
£inige Wocben sp&ter besucbte er micb. ,Icb babe eine
berrlicbe Bratscbe — sagte er — , ein wonderrolles Instrument
▼on Stradivarius, und mdcbte es gern offentlicb spielen. Aber
icb babe keine Mnsik dafiir. Wollen Sie mir nicbt ein Bratscben-
solo scbreiben? Fur diese Arbeit babe icb Yertrauen blofi zn
Ihnen/ — Gem, antwortete icb, das scbmeicbelt mir mebr als
ieh sagen kann; aber um Ibren Erwartungen zu entsprecben,
urn in einer solcben Komposition eine Gelegenbeit zum Glinzen
zu geben, die eines Virtuosen wie Sie wurdig ist, mufi man
Bratscbe spielen und das kann icb nicbt. Sie allein, scbeint
mir, koanten die Aufgabe losen. ,Nein, nein, icb bestebe darauf,
' — sagte Paganini — , es wird Ibnen gelingen ; was micb betriift,
so bin icb Jetzt zu leidend zum Komponieren, icb kann nicbt
daran denken/
Icb versucbte nun, um dem beriibmten Virtuosen gef&llig
zu sein, ein Bratscbensolo zu scbreiben, aber ein Solo, das der-
aitig mit dem Orcbester verbunden wire, dafi es die Instrumenten-
masse in ibrer Aufierung nicbt beeintracbtige, dabei war icb
gewifi, dafi Paganini durcb seine wunderbare Vortragskunst dem
Bratscbensolo immer die berrscbende Rolle bebaupten wiirde.
Die Absicbt erscbien mir neu, bald bildete sicb bei mir ein
ziemlicb glQcklicber Plan, und leidenscbaftlicb ging icb an seine
Ausfubrung. Der erste Satz war kaum fertig, als Paganini ibn
seben wollte. Beim Anblick der Pausen, die die Bratscbe im
Allegro zu zablen bat, rief er: ,Da8 ist nicbt das Recbte: icb
scbweige viel zu viel darin, icb mufi immer spielen S Icb babe
es gleicb gesagt, antwortete icb. Sie wollen ein Bratscben-
konzert baben, und Sie sind augenblicklicb der einzige, der das
scbreiben kann. Paganini erwiderte nicbts, er scbien entt&uscbt
und verlleB micb obne weiter von meinen sinfoniscben Skizzen
zu sprecben ....
--• 362 «^
Nachdem ich micb tLberzeiigt batte, dafi mein Kompositions-
plan Ihm nicht passen konnte, entschloB ich mich, ihn in an*
derer Richtang und obne mieh urn die Dankbarkeit der Bratscben-
partie zn kummeni, docb amsziifCUiren. Icb nahm mir vor, eine
Beibe tod Szenen fQr Orcbester zn acbreiben, in die sicb die
Solobratsche wie eine mebr oder minder teilnebmende Figur,
die jedocb immer ibre eigene Art festbielt, einmiscben sollte.
Icb woUte in der Solobratacbe, indem icb eie in die Mitte der
poeHscben Erinnemngen stellte, die meine Wanderungen in
den Abmzzen bei mir binterlassen batten, eine Art melan-
eboliscben Tr&nmer binstellen, nngefSbr so wie es Byrons Ohilde
Harold i8t.<
Soweit Berlioz selbst Uber die EntBtehongsgeschichte
und den Charakter seiner zweiten Sinfonie, die am 28. No-
vember 1834 mit voUem Erfolg znm ersten Male anfgefQhrt
and dann als op. 16 ver5ffentlicht wnrde. Sie dichtet
einige der mnaikalischen Behandlung entgegenkommende
Nebenszenen von Byrons »Childe Harold< in freier Art
nach und erganzt und beschliefit dieselben mit einem nea
erfandenen Finale im Stile der franzOsischen Neoromantik.
Eigen ist in der Anlage dieser Sinfonie das in alien
S&tzen dnrchgehende Bratschensolo, in welchem das kon-
zertierende Element der alten Vorhaydnschen Sinfonie
concertante wieder einmal in dichterischer Bedentsam-
keit anflebt In der poetischen Okonomie des Werkes
reprasentiert es die Partie Harolds, des Helden, &hnlich
wie in der Sinfonie fantasique die »id6e fixe< die Geliebte
Oder den Gedanken an sie vertritt Nur tritt diese vor-
wiegend episosisch auf, Harold ist dagegen immer dabei,
fUhrt oder Iflfit sich fUhren. Das Leib- and Leitthema
des melancholischen Hitters, welches diesen bis za seinem
letzten Atemzage begleitet, ist folgende in den Anfangs-
noten aus Haydns >le matin* bekannte Melodie:
Adagio.
'^nf r 1^1^
ff 99pr099.
-^ 353 *>^
Der erste Satz zeigt uns »Harold in den Bergenc.
(Harold aux Montagnes: Scenes de m^lancolie, de bonheur
et de joie.) £r besteht aus einer langsamen £inleitung
(Adagio, 8/i, GnioU-Gdur) und einem bewegten Satz in
Sonatenform (Allegro, ^/s, Gdur).
Der langsame Satz, der nicbt weniger als 94 Takte
umf afit, geht hierdurch schon &uBerlich fiber den Charakter
einer gew5hnlichen Einleitung hinaus. Er hat die Auf-
gabe, uns das diistere, blasierte, aber durch edle und
liebenswtirdige Ztige Teilnahme und Mitleid weckende
Grundwesen Harolds zu schildern und beginnt mit der
Szene der Melancholie, auf die die Cberschrift des Satzes
hinweist Sie hat die musikalische Form einer Fuge er-
halten, der das von Bftssen und Cellis zuerst aufgestellte
Them a:
Adagio. J : 76
zu Grunde liegt, ein treffendes melodisches Abbild duster
hinbrtitender, schmerzlich auffahrender Stimmung. Die
BlUser, Fagotte, Hoboe, Klarinette mit Horn, F15te geben
zun&chst nacheinander einen chromatisch jammernden
Kontrapunkt dazu und vereinen sich dann zum SchluO
der ersten Durchfuhrung (15. Takt) zum Vortrag der
Haroldmelodie. Aber sie steht hier in Moll. Die Fuge
hebt jetzt pp vom neuen an, aber schon mit der zweiten
Stimme h5rt sie wieder auf und geht schnell zu einem
lauten Schlufi in GmoU. Bei diesem Akkord setzt die
Harfe mit Arpeggien ein, im zweiten Takt bereits iiber-
rascht sie mit Gdur. £s entsteht eine pI5tz]iche Helle, in
der nun die Solobratsche mit Harold und seiner Melodie in
der oben angegebenen Originalform hervortritt. Sie wird
ganz leise wiederholt, als ob alles athemlos lauschte. Das
veranlaOt Harold sich zu zeigen, sich freier zu geben, er
schliefit virtuosenmUGig keck und iibermutig mit Passagen
einfach und in DoppelgrifTen, Resten einer auf Paganini
gemilnzten Erfindung.
Eretssclimar, Fuhror. I, 1. 23
— e 354 o^
Nach dem Schlufi dieser brillanten Solostelle wird das
Haroldthema vom voUen Orchester aufgenommen und
zwar in der Form eines Kanons, als wM.ren aller Seelen
von dem sch5nen Gesange voU. Die Trompeten, die Harfe,
Cello, Fagott sin gen vor, die Holzbl&ser und Solobratsche
singen in eines Viertels Abstand als zartes Echo nach;
in den Violin en and Tuttibratschen erheben sich Zwei-
unddreifiigstelfigoren nach oben, als wenn der Morgenwind
den Nebel teilt Mit dieser Kl&rung and Anfheiterung in
sanften Tdnen schliefit der langsame Einleitungssatz, eins
der schOnsten unter den vielen 8ch5nen Tonbildem der
Sinfonie. — Das Allegro, welches ihm folgt, ist ein breit
ausgefQhrtes Pastoralgem&lde, stilistisch und materiell dem
ersten Satze von Beethovens siebenter Sinfonie verwandL
Seine beiden Themen sind:
■ pT\i J) » ^TrTf /m I ^ ^ P ^^^ dasMendelssohnsche
Den Szenen, welche auf Grand dieser teilweise etwaa
spr5den Melodien entrollt werden, mischt Harold mit den
Tonen seiner Bratsche abwechselnd Jubel und Trauer ein.
Der Anfang des Allegro bring! das Hauptthema noch
nicht in der hier mitgeteilten Form, sondera zun&chst
noch unfertig, durch Pausen und durch die Instramen-
tierang zersprengt. Harold erhebt gegen den neuen Ton
Einsprach: h5chst sonderbar geigt er sechs Takte lang
auf dem unterslen Ton seiner Bratsche, dem e, dagegen
an. Dann aber ist er es, der die vom Orchester ver-
tretene Menge in Schwung und auf den richtigen Weg
bringt. Wie er sie erst aus dem Zdgern fortreifit, so be-
schwichtigt er nun bei seinem zweiten Einsatz ihren
Sturm. Mit einem langen Ton erbittet er sich allgemeine
— fr 356 «^
Anfmerksamkeit und Stille; dann spielt er sich allmfth-
lich in die flieOende Melodie hinein. Das chromatische
Motiv in ihr, das dem Wesen Harolds so natdrlich ent-
springt, scheint seinen jetzigen Genossen Schwierigkeiten
zu niachen. Augenscheinlich versteben sie nicht recht:
woher and warum der trQbe Klang mitten in der Freude?
£s entspinnt sich nm ihn eine kurzgegliederte Ausein-
andersetznng zwischen Solo and Chor. Sie schneidet
ganz onvermutet, wie mit einem vHterlichen Machtspruch
der Einsatz des zweiten Themas ab, dessen gemiltlicher
In halt ganz ausgezeichnet fur den Mand des — vom Cello
begleiteten — Fagotts pafit. Auch Harold nimmt es mit
seiner Bratsche aaf and bringt es aas fremder Tonart
[Fy B) in das normale D dar. Schon im ersten Takt aber
reiBt er sich unwillig, nach H5herem verlangend, los. Die
Themengruppe nimmt ein plotzliches Ende und die Durch-
f&hrung beginnt mit wilden Figaren Harolds, denen das
Orchester verwirrt und erschreckt gegenQbersteht. Nach
16 Takten endlich tritt wieder Sammlang and Ordnung
ein. Harold intoniert das Hanptthema erst in Dendur,
dann in DmoU. Das Orchester spielt es nun mit an, in
Bdur, in HmoU. Endlich ist ein sicherer Boden mit Gdur
erreicht Die Melodie kommt in ihrer vollen Gr50e, es
wird nach Gdur moduliert, also in den freuudlichen Stim-
mungskreis des Anfangs zurikckgekehrt and zwar mit wdrt-
lichen Wiederholungen. Auch das zweite Thema kommt
wieder and wieder unerwartet, diesmal in Gdur, und man
verweilt etwas linger, beschaulicher und ruhiger dabei
als vorhin in der Themengruppe. Die Bl&ser haben es.
Diesmal machen ihm aber die Violinen ein Ende mit
einer Sechzehntelfieur, die im energischen crescendo nach
oben geht und j j' ^ mit dem das Hauptthema beginnt,
auf dem Motiv >-^ ^ wie in einem Rausch von Freude
and RraftgefUhl bedrohhch tobt. Eine General pause. Die
Besonnenheit kehrt zuriick: Wir horen kurz, aber viel be-
deutend einen Anklang an den chromatischen Teil des
Themas: im sechsten Takt setzt es selbst ein, in der Solo-
bratsche and den vier Fagotten unisono in G dur, der Haupt-
23*
-^ 356 ^>^
tonart, gebracbt. Die abrigen Bl&ser nehmen es in D auf..
Man will verweilen, aber die Perioden und Metren haben
etwas UnregelmftOiges, das nicbt viel verspricht, und siehe
da: bald stehen wir vor Fermaten auf vermin derten Akkor-
den, unverkennbaren Zeichen der Verlegenheit! Dieser
Punkt wiirde ungef&br den Schlufi der Darchfiihning nach
dem von den Klassikem beobachteten Branch bilden
mflssen. Berlioz hat in dem ersten Satz derHaroldsinfonie
den t^blichen Abschlufi dnrch die erweiterte, aberim wesent-
lichen w5rtliche Wiederholung der Themengruppe ver-
mieden. pp, aber mit einer gewaltsamen Wendnng der
Phantasie geht er mit einigen Orchesterarpeggios von
jenem Verlegenheitspunkt und dem verminderten e-b-eis-g
nach Gdur heruber und bringt die Haroldsmelodie, die
wir seit der Einleitung nicht geh5rt haben, in einem
Fugato — dem zweiten seiner Art in diesem Satze — ,
das die Kontrab&sse beginnen. In den Bl&sem tauchen
dazu noch Brocken des zweiten Themas auf. Der beab-
sichtigte Aufschwung ist damit erreicht. Von Harolds
Geist — das will wohl Berlioz sagen und schildem — ist
ein Hauch in die Masse gedrungen. Dithyrambisch stimmt
sie mit ein in den Hymnus der Lebensfreude, zu der den
hingerissenen Melancholiker die Schdnheit der Natur,
der Anblick und die Gesellschaft einfacher harmloser
Menschen gezwungen hat. So geht vom Ritter zum Volke
eine bestandige Wechselwirkung, beide Teile empfangen
voneinander und heben sich gegenseitig. Die m£Lchtigste
Stelle dieses Schlufiabschnittes ist wohl das zweimal vor-
iiberrauschende Unisono des vollen Orchesters mit seinen
grandios humoristischen Spriingen und dem Feuer der
Begeisterung, das aus Melodien und Harmonien leuchtet.
Der zweite Satz der Sinfonie (Allegretto, 8/4) Bdur)
heifit »Marche des P^lerins chantant la pri^re du so re
(Pilgermarsch und Abendgebet). Sein Hauptthema bildet
ein frommes einf aches Marschlied:
Alle^etto.
^TTf r u ^ii III jijjiMji[iiii I
— ^ 367 H>>-
Alle acht Takte wird dasselbe von einer Unisono*
phrase derj[_^j welche
BUser un-fr f iTn^JTTJ IjJJJjJ'JJJJ ^anschaii"
terbrochen: ^:===^=a— -^— jj^jj gg.
nug die ihre Litanei hersagende Wallfahrerschar vorfOhrt.
Das Bild einer psalmodierenden Gemeinde suchte Berlioz
anch in seinem Requiem, das der Haroldsinfonie zn-
n&chst folgte, wiederholt wiederzugeben. Die Mitte des
Satzes nimmt der Vortrag eines feierlich religi5sen, in
den rahigen Rhythm en der alten Zeit gefUhrten Hymnus
ein, dem Berlioz die Oberschrift >Canto religio80« gibt.
Harold, der vorhin, als die Pilger n&her kamen, sie mit
seinem Thema begriiGt und dann ab und zu seine N&he
mit leisen Arpeggien beknndet hat, stimmt in das Pilger-
lied merkbar ein, die Basse setzen in dezenten Pizzi-
<:atot5nen den Rhythmas des Marsches fort. Noch einige-
mal h5ren wir wie vom weiten das fromme Wander-
lied, dann gehen die T5ne schlafen. Nur die Glocken
des nahen Klosters, die uns am Anfang des Satzes (in
der Harfe: CE) empfingen, treten wieder vor. Es kommt
die Nacht und stille Sterne blinken. Die kleine Kompo-
sition ist ein Meisterstuck, in welchem die Realistik der
Darstellung nur dazn dient, die Poesie des Bildes noch
beredter zu machen. Sie war die Frucht einer gltick-
lichen Eingebung in der DUmmerstunde am Kaminfeuer.
In 2 Stunden — erzSiilt Berlioz a. a. 0. — war der Marsch
fertig und emtete gleich bei der ersten AuffQhrung einen
Yollen Erfolg; trotzdem hat der Komponist noch 6 Jahre
lang daran gefeilt und verbessert. Er hat durch Einzel-
auffiihrungen den iibrigen S&tzen und der Sinfonie den
Boden und eine freundliche Stimmung auch in geg-
nerischen Lagem bereitet.
Der dritte Satz: (AUegretto assai, ^/%, Cdur), be-
titelt: >S6r6nade d'un montagnard des Abruzzes h sa
maitresse< — >St&ndchen in den Abruzzenc — , beginnt
mit einem kleinen Scherzosatze. welchem wahrscheinlich
eine italienische Originalmelodie zu Grunde liegt. Die
italienischen Pifferarii, die ja auch Hftndel in seinem
358 <>-
>Messiasc verewigt hat, waren seit alten Zeiten an drol*
ligen, schelmischen Weisen reich und bringen sie nocb
hente anf die deutschen M&rkte:
^^srj^\n^fii\\ III If II I '-irr^
Piccolo nnd Hoboe blasen das zusammen, und Bratschen
mit Klarinetten geben in ansgehaltenen T6nen und tr&gen
Harmonien das nOtige Dndelsackkolorit dazu. Nan tritt
der Liebhaber auf and stimmt anf dem englischen Horn
eine schmachtende, anmutige, gutgemeinte, zuweilen
stockende, schttch* ^ Anagretto. ^ ^
in welche die Gef&hrten helfend nnd hingerissen einfallen.
Aach Harold stimmt mit ein und sinnt nocb den rtOi-
renden Tdnen der Liebe nach, als die Dorfmusikanten
^ schon l&ngst nach Hause gezogen sind. Seine breite
Melodie tr> in das Sttkckcben italienischer Dorfge-
schicbte, das Berlioz bier mit einem virtuosen Humor
entrollt, der wobl nur in seiner OuvertQre zum Cameva^
Romain ein Seitenstfick findet, einen edlen und feierlicben
Zug bin ein.
Die Idee des Harold-Finale mtissen wir ebenso wie
die Yom ScbluBsatz der Fantastique ablebnen. Wie man
aus Liszts langem Aufsatz fiber die Sinfonie erseben
kann*), bat dieses Finale in Frankreicb und in frQherer
Zeit docb zuweilen dftmonisch gewirkt. Heute — und in
Deutschland wobl von jeher — verse tzt es auf den
Boden, auf den sicb die R&uber- und Rittergescbicbten
von Spies und Cramer bewegen, Berlioz^ Satz schildert
das Ende des in Gesellschaft von Banditen zugrunde ge-
benden Harold in Ziigen, die zum Teil rfibrend sind. Er
beginnt wie das Finale der neunten Sinfonie mit Remi-
niszenzen an die frdberen S&tze. Vor Harolds Geist tritt
die fugierte Einleitung aus dem ersten Satze, der Pilger-
*] Gesammelte Schriften Ton Franz Liszt, 1882, S. 3 n. if^
-^ 359 ^^
marsch zieht vorQber; als letzte ErinneruDg an reinere
Zeiten tSnen Fragmente aus dem Std,ndchen: Die wilde,
wQste Orgie mit ihrem brutalen, versteckt an das Harold-
motiv anklingenden Hauptthema:
Allegro trasqnlUo.
J^ j}J~JlJ||J ^ H^ Ip *i j\} t •*«• verschlingt al-
^- agf f les. Unterihren
grausamen Attacken zerbricht auch Harolds Thema und
verflattert in Brocken. Zuweilen werden die wUtenden
Triller, die bacchantischen L&ufe und die grotesken,
nirgends verfahrerischen , frechen Tanzweisen der Ban-
ditenmusik, die sich gem auch soldatisch stolz gibt:
ji'.r|,prrr.r^fff^V^"-'^-|^rrii
durch unheimliche Klftnge unterbrochen, welche Gewissen,
Rene and Strafgericht zu reprftsentieren scheinen. Die
weicbste und ergreifendste Stelle des Satzes ist wohl
die, wo nach dem dritten Einsatz des eben angefUhrten
Themas (in Gdur) der PUgermarsch — in einem Neben-
saal von Solisten gespielt — erklingt. Die Wallfahrt
zieht drauOen vor der Grotte vorbei. Tannh&user in Hhn-
licher Lage flieht; Harold stirbt Zum letztenmal sucht
er stammelnd nach seinem Thema; er findet die Inter-
valle nicht mehr.
War Berlioz in seiner »Fantastique< und in seinem
»Hero]d< darauf ausgegangen, unter Einhaltung der Beet-
hovenschen Formen den Inhalt der reinen Instrumental-
sinfonie faBlicher zu gestalten, so hatte er dabei das
GlUck nur ^nm Teil auf seiner Seite gehabt. Voile Triumphe
feierte er in beiden Werken nur mit den Mittelsfltzen, die
sich auf dem alten Glanzgebiete franz5sischer Kunst, der
Ballettmusik hSchsten Sinnes, bewegen. In den Ian gen
EcksHtzen dagegen offenbaren sich die B15fien seiner
-^ 360
musikalischen Begabung und Bildung, so oft es aaf me-
lodische and motivische Entwicklang ankommt; gro6 sind
hier, von einigen feurigen Oberg&ngen abgesehen, nur
die Stellen, wo das voile Thema wiederkehrt Nun ver-
snchte er im Jahre 1839 mit einem dritten Werke eine
Anderung sowohl jener Formen selbst, als auch des bis-
herigen Sinfoniebegriffs. Es ist die Sinfonie » Romeo
und Julie< (op. 17), mit der der Komponist eine neue
Gattung zu griinden gedacbte, die er dramatise be
Sinfonie nennt. Sie vergr5j3ert die Zabl der Sinfonie-
s&tze und miscbt in ibnen reine Instrumentalmusik mit
einfacher Gesangmusik und Oper. Einen Vorl&ufer batte
H. Berlioz^ Berlioz diesem Werk in seinem »Lelio< vorausgescbickt
Lelio. Diese Komposition war als ErgHnzung zur Sinfonie fan-
tastique, mit der sie die Opuszabl gemeinsam hat, ge-
dacht, sollte schildern wie der junge Ktinstler aus seinen
schrecklicben Tr&umen erwacht und zum Leben zuriick-
kehrt. Daher ihr Nebentitel »Le retour k la vie<. Berlioz
gibt ihr die Gattungsbezeichnung >Monodrame< und fQgt
dem Instrumentenspiel und dem Gesang als drittes Mittel
der Darstellung noch gesprochnen Dialog hinzu. Doch
ist dieser Lelio nicht zu gr56erer praktischer Bedeutung
gelangt.
H. Berllox, Eine Mischung der Kunstmittel, wie sie Berlioz in
Romeo und Romeo und Julie versucht, ist ungewfihnlich, unbequem,
^^®' aber an und fur sich weder unsinnig noch unmdglich.
FQr Berlioz mag die n&cbste Anregung aus dem Finale
von Beetbovens neunter Sinfonie gekommen sein; das
Verfahren, in der Darstellung einer Idee mit Vokal- und
Instrumentals&tzen abzuwechseln , ist aber schon <er.
Aus dem 17. Jahrhundert bieten die sogenannten oster-
reicbischen Kaiserwerke*) bequem erreichbare Beispiele,
jeder Musikfreund weifi, wie Bach und Handel, jener im
>Weibnacbtsoratorium<, dieser im »Messias<, die Schilde-
rung der heiligen Nacht mit den »Hirten auf dem Felde«
in Instrumentalsinfonien geben. Das Wagnerscbe Musik-
♦) Siehe S. 28.
— c^ 361 ^—
•drama and das neue Lied seit Schumann zeigen eben-
falls, wie Gesang und Instrumente sich ebenbQrtig und
zum Besten des Gesamteindrucks in die Darstellung teilen
k5nnen. Werden in eine Sinfonie Gesangs&tze and in
ein Chorwerk Instrnmentals&tze eingeftigt, so wird es
immer daranf ankommen, daO diese Mischnng so ver-
schiedner Elemente Grtinde der Notwendigkeit fUr sich
hat, den Hauptabsichten und den Grundideen des Kunst-
werks zugnte kommt and seine Wirkang bis zu einer
Stufe hebt, die ohne jenes Mittel nicht erreichbar war.
Von diesen Gesichtspankten aas kann man sich nicht
daruber t&aschen, dafi auch >Romeo and Jalie< fthnlich
wie die Fantastique and Harold nar der Versach, aber
nicht das Muster einer neuen Gattang ist. Die » Sinfonie
dramatique<, die Berlioz mit diesem Werke in die Or-
chestermusik einfflhren woUte, mag eine Zukunft haben
— aber nur dann, wenn ihre Vertreter kritischer zu Werke
gehen, als das Berlioz getan hat Ihm bleibtwieder das
Verdienst, den Pfad gewiesen zu haben, ihm der Ruhm,
in dem neuen Werke viel Sch5nes und Ergreifendes und
Merkwurdiges, zum Teil in ganz neuer Art geboten za
haben. Aber wer sich nicht Uber die Schwftchen and
Mifigriffe in dieser dramatischen Sinfonie klar ist, bezahit
seine unbedingte Begeisterung mit einer etwas teuem
Verwirrung seines kQnstlerischen Urteilsverm5gens.
AulBere GrUnde m5gen Berlioz abgehalten haben,
Romeo und Julie, wie so viele Komponisten vor and neben
ihm, einfach als Oper in Masik za setzen. An der BQhne
gab es, wie sich soeben gelegentlich des Benvenuto Cellini
gezeigt hatte, viel mehr Verdrufi, Arger und Aufregung
als im Konzertsaal, wo Berlioz bereits festen FuQ gefaBt
hatte. Er selbst sagt in seinen Memoiren ttber die Ent-
stehung zu dem seltsamen Plan seiner Sinfonie drama-
tique nichts, erz&hlt uns nur von dem Entztlcken, in dem
er sich w&hrend der Arbeit befanden, von der Schnellig-
keit, mit der er sie — innerhalb von 7 Monaten — voll-
endet habe, und l&fit an mehr als einer Stelle durchblicken,
<daC er mit dieser Komposition dem Gekt Shakespeares
--» 362 ^^
eine darchans wQrdige Huldigung gebracht zu haben
glaubte. Id der Meinnng, etwas vom Besten gegeben zn
haben, widmete er die Sinfonie Nicolo Paganini, der ibn
kurz vorher, nach der letzten AuffUhrung des Harold,
groOmiltig — die bdse Welt meinte aiis Berechnung*) —
mit dem zeitgem&fien Geschenk von 20000 fr. uberrascht
hatte.
Auf dem Titelblatt der Partitur steht >coinpos4e
d^apr^s la Trag^die de Shakespeare*; diese Wendung l&6t
Freiheiten und Abweichungen zu. Im ganzen aber haben
wir keinen ausreichenden Grand daran zu zweifeln, da&
Berlioz mil seiner Sinfonie ein Abbild der groGen eng-
lischen Liebestrag5die geben und, fthnlich wie es Schu-
mann sp&ter mit dem dritten Teil seiner Musik zu Goethes
Faust wirklich gelungen ist, die Wirkung dieses Kunst-
werks vertiefen wollte. Die Aufgabe dachte er sich wohl
so, da6 die gefUhlsreichsten Situationen des Dramas dem
Orchester zugewiesen wurden, der Gesang sollte bei der
Darstellung verwickelter , an Konflikten reicher Szenen
zu Hulfe kommen und aufierdem die Verbindung und
Vorbereitung der musikalischen Hauptbilder ikbernehmen.
Im groGen ganzen hat Berlioz dieses Program m aucb
eingehalten; nur hat er es um rein musikalischer EfTekte
willen mehrfach getrubt und auch der Instramentalmusik
Leistungen zugemutet, deren sie nicht f&hig ist. Der
erstere Fehler tritt in der Stellung des Prologs hervor
und in der ungeheuren Bedeutung, welche in der Sinfonie
der im Drama ganz unwesentlichen Erz&hlung von der
Fee Mab gegeben ist; der andre namentlich am Eingang
der Grabszene.
Die Sinfonie besteht aus folgenden 8 Nummem:
1. Introduktion, 2. Prolog, 8. Ballszene, 4. Gartenszene,
6. Fee Mab, 6. Juliens Begr&bnis, 7. Grabszene, 8. Finale.
In der Natur des Prologs liegt es, daC er ein Werk
eroffnet. Wenn Berlioz den von Romeo und Julie hinter
*) Ad. JuUlen: BerUoz, 1888, S. 133. F. HiUei: Ktinstler-
lob*»n. 18SS, S. 89.
-<♦ 363 ^j^
die Instrumentalintrodoktion setzt, so k5nnte er sich anf
altvenetianische PrUzedenzfftUe aus dem 17. Jahrhundert
berufen, bei denen bekanntlich dem gesangnen Prolog
noch eine gespielte Ouvertttre vorausging, gleichsam der
Prolog doppelt gegeben wurde. Bei Berlioz hat es aber
eine andre Bewandnis: Ihm kam der Anfang des Werks
mit dem berichtenden Prolog zu rubig and za matt vor.
£r woUte den Zah5rer zun&chst erst einmal in Bewegung
bringen. Seine Instrumentalintroduktion (Allegra
fugato, (^, Hmoll) ist gar keine Introdnktion im iiblichen
Sinne des Wortes, sondern sie versucht den Inhalt der
ersten Szenen Shakespeares wiederzugeben , sie ftLhrt
mitten in die Handlung hinein: in die StrafienkM.mpfe der
Geschlecbter der Montecchi und Capniets. Ein Zusatz
zur Oberschrift der Nummer: Combats — Tamulte —
Intervention du Prince (Streit und Auflauf, der F^rst er*
scheint) spricht das noch aasdrucklich aus.
Die Musik sucht jene Kd.mpfe, ihre Aufregang and
ihre Zwischf&lle mit einer Fnge zu veranschaulichen^
die die Bratschen mit dem Thema:
Anegrofngattk JsllC ^
f»<ijjjii.|jj.i ijjujilijjj ijji
anfangen; Celii, erste,
zweite Violinen folgen
und nehmen sich dabei
mancherlei Freiheiten inbezug auf Tonart und Intervalle
gegentiber den Gesetzen, die die Schule ftlr Beantwortung
und Aufnahme von Fugenthemen stellt. Das Thema
selbt hat in dem mit scharfem Triller einsetzenden Motiv
seinen wichtigsten Bestandteil und gelangt auf seinen
vollen Umfang durch sogenaante Sequenzen , d. i. wSrt-
liche Oder freie Wiederholungen eines Grundmotivs. Hier-
durch erhS,]t der Satz einen aulFallend regelmftBigen
Charakter. Berlioz scheint an den Anstand und das
strenge Ceremoniell gedacht zu haben, das im MitteJalter
die Tumiere der Hitter beherrschte. Aufgeregter und
«-^ 364 ^»-
cifriger wird die Introduktion erstmit dem Fismoll beim
Zutfitt der Blasin strum en te. Das ist angefS.hr die Stelle,
wo bei Shakespeare zu den Dienem und Angebdrigen
der Gapulets und Montecchi sich die Bttrger von Verona
mit Kniitteln gesellen: >He! Spiefi* und Stangen her!
Schlagt auf sie los!< AIs bald darauf die Haupttonart
HmoU wiederkommt, drdhnt in H5rnern and Kontra-
bassen der Grundton in halben Noten : Es sind dampfe
SchlSge : die Glocken l&uten Sturm, in fernen Gassen er-
wacht das Volk and sammelt sich. Auf dem Platz sind
die Parteien zum erstenmale hart aneinander geraten.
Die beiden Gegner treiben einander vom /^ bis zum Y'
Auf diesem Tone sitzen sie fest acht Takte lang; be-
drohlich steigen von unten die B&sse nach der Hdhe.
Da lost eine schnelle Modulation nach Adur den Wirr-
warr, die Fuge setzt vom neuen an : das Thema diesmal
in den ersten Violinen in Ddur aber ff und von alien
Instrumenten des Orchesters im stSrksten Ton begleitet,
die Horner kurz und entschieden, die Posaunen mit einer
wohlgemut kampfesfrohen Melodie. Das Tbema gelangt
an die zweiten Violinen; noch ehe sie es an die Gelli ab-
gegeben haben, ist mit den Trompeten zugleich der voll-
st£Lndige Sturm da; keine Ordnung mehr, kein Sinn fur
Fuge und Vernunft, sondern die voUst&ndige Emp5rung!
Wie lange, alles vemichtende Wogen zischen die Akkorde
des Tutti bin. In diesem Augenbhck geschieht etwas
Oberraschendes: Es wird still, die Rhythm en kommen ins
Schwanken, das Fugenthema nimmt Reissaus, wir h5ren
nur noch wie vom weiten Bruchstucke: eine spannende
Fermate! Ihr folgt, von s&mtlichen Posaunen und der
Ophikleide im Einklang und Oktave vorgetragen, eine
«eltsame Melodie:
Fiircnieii%vii pen Mteno et ovee le earaetare du r^lt&tlf.
-Sie bezeichnet das Auftreten des Fiirsten von Verona,
4seine Anrede an die streitenden Haufen. VoU Hoheit
— fr 365 4^
und Verwundemng klingt sie in diesem Eingang docb
noch giitig; erst im weiteren Verlauf wird sie wetterad
und donnemd. Shakespeares FQrst ist gleich von An-
fang an ungehalten und aufgeregt: »Aufrfkhrerische Va-
sallen etc.<
Die Annahme liegt nahe, da6 diesem Rezitativ das
Finale von Beethovens neunter Sinfonie zum Vorbild ge-
dient hat. Der ProzeB ist beidemale derselbe: dem Chaos,
dem Tumult gegenflber die Bftsse als Ordner! Verstehen
und richtig deuten l&6t sich die Stelle ohne Schwierig-
keit, vorausgesetzt, da6 der Hdrer soviel guten Willen und
Scharfsinn mitbringt, als die Programmusik jederzeit vor-
aussetzen darf. Hat doch Berlioz durch die Oberschrift
des Satzes der Phantasie vorgearbeitet! Berlioz hat dann
wieder vorbildlich auf Liszt und den ersten Satz seiner
Dante- Sinfonie gewirkt.
Die Rede des FQrsten wiederholt von hdhrer Stufe
aus die drei Glieder, in denen sie zuerst vorgebracht
wurde, wird herrischer und strenger. Am Schlusse, da
wo die Bassin strum ente vom voUen Orchester abgel5st
werden, wo die H5rner wie entsetzt nachschlagen, die
Harmonie immer wieder dasselbe Fis anschlftgt und ver-
klingen Ififit, da wo mit einem Worte das Leben der
Musik erstarren will, da mufi wohl das Wort »Todes-
strafe« gef alien sein. Ein schnelles Ende folgt dieser
Stelle, leise und kleinlaut steht das Fugenthema noch
einmal auf, dann klingt es nur noch in Bruchstiicken an,
zuletzt bleibt das Trillermotiv ganz unsinnig in den Cellis
h&ngen; bald ist alles verschwunden. In diesem Schlufi
der Instrumentalintroduktion von Romeo und Julie lebt
eine starke Poesie. Auch im ganzen ist der Satz einer
der besten in der Sinfonie, geeignet und wohl wert fdr
sich allein gekannt und aufgef&hrt zu werden, an male-
rischer Kraft und Eigenart ein echter Berlioz ersten
Ranges, durch den Inhalt noch mit der gleichaltrigen
Onverture >Carnaval Romainc nahe verwandt.
Der aus angegebenen GrQnden auf die zweite Nummer
verschobene Prolog der Sinfonie ist iUr Solostimmen, fur
-^ 366 ^^
•dreistimmigen Chor (Kontraalt, Tenor nnd Bass) nnd Or-
Chester komponiert. Wie bei alien Gesangsnummern von
Romeo nnd Julie hat anch hier Berlioz selbst den Text
entworfen, Emil Deschamps brachte ihn in Reime, ein
gewisser Freiberg hat ihn in oft holpriges Deutsch
iibersetzt. Der Zweck des Prologs ist der: den Inhalt
des Dramas kurz zu erz&hlen. Der Chor ist der TrS.ger
dieser Erzfihlung; wichtige Punkte hebt Berlioz durch
Sologesang und durch kleine Instrumentals&tze hervor.
Der erste Abschnitt beginnt mit einem Harfenakkord
(fis-ais-cis). Dann f9.ngt der Chor an, eine Erkl&rung zu
geben zu der Szene, die wir soeben in der Orchesterin-
troduktion erlebt haben. Der Chor singt oder deklamiert
Yorwiegend im unisono; es ist nur wenig Harmonie in
seinen Satz gemischt, aber dann sehr wirksam. Der
ganze Abschnitt macht dadurch, da6 er an den litur-
gischen Ton erinnert, einen sehr ehrwQrdigen und alter-
tUmlichen Eindruck, ganz besonders in der SchluBmodu-
lation, die uns bei den Worten >encore recourse (>fortan
«rkd.mpft€) auGerordentlich fein und Phantasie bezwingend
nach Dmoll f&hrt. Ein feierlich an- und abschwellender
Akkord der Messingbl&ser, von der Pauke unterstutzt,
«chlieOt ab.
Der zweite Abschnitt erz&hlt vom Waffenstillstand
-der Parteien und vom Fest bei Capulet. Hier ist das
Erscheinen Romeos ausgezeichnet durch einen unbe-
gleiteten Sologesang des Alts, der mit einfachen Mitteln
der Tempoverz5gerung, chromatischer Melodiefiihrung,
des Wechsels der Tonst&rke sehr ausdrucksvol] und be-
wegend wirkt. Das Fest bei Capulet schildert das am
Chorschlufi einsetzende Orchester, indem es aus der dritten
Nummer der Sinfonie das Hauptthema der Ballmusik
und deren am Schlufi der Nummer eintretende Umwand-
lung (die Musik der heimkehrenden Gaste) vorfiihrt. Ge-
wiO iiben derartige Anspielungen erst auf solche Zuhdrer,
welche das ganze Werk bereits kennen, ihre voile Wir-
kung aus; aber uuberlihrt lassen sie auch den Unvorbe-
reiteten nicht, dank dem dieser Musik innewohnenden
-^ 367 *—
plastischen Charakter. Sie erz&hlt unverkennbar von
glUcklichen Herzen.
Der dritte Abschnitt fuhrt zur Gartenszene. Spannend
ist die S telle gehalten, wo bericbtet wird, wie Romeo die
Mauer Ubersteigt. Eine Generalpause mit Fermate gibt
dem Erstaunen Raum. Und nun markiert ein' pianissimo,
ein heimliches Rauscben der Chorakkorde die neue, die
grdBere Oberrascbung: Julia auf dem Balkon. Aufregend
kurz, aber meisterhaft fiihrt Berlioz zu dem SchluB, zu den
warmen von Cbor und Orchester gemeinsam gesungenen
Melodien aus der Liebesmusik der vierten Nummer.
AngefQgt ist in diesem dritten Abscbnitt erne lyrische
Einlage, ein Strophenlied, das dasGlQck der erstenLiebe
preist: »Premiers transports etc.« (>0 ersteSchwtire etc.«).
Der Soloalt singt es und das Cello singt mit ibm, so wird
es zum Dialog, ein einfacbes aber gefQbireicbes, pr&chtiges
StQck musikaliscber Poesie. Die Harfenbegleitung gibt
ihm einen gewissen Troubadourcbarakter, nur an wenigen
Stellen tritt der Klang von F15ten, Klarinetten und eng-
liscbem Horn weicb umbQlIend noch hinzu.
Es folgen nun als vierter Abschnitt die Erz&blung von
der Fee Mab und als fCknfter, schlieOend, der Bericht von
Juliens Begr&bnis und von der Versdbnung der feindlicben
Geschlechter an der Gruft.
Die Gescbicbte von der Fee Mab ist nicbt in dem
kurzen Stil bebandelt, der sonst im Prolog berrscht, son-
dern im Detail breit, dramatiscb alle Einzelbeiten be-
lebend, vorgefQhrt. Dieselbe Aufgabe in einem Werke
auf zwei verscbiedene Arten losen zu wollen, war eine
Kraftprobe. Berlioz bat sie gla.nzend bestanden. Denn
die Scbilderung der Fee Mab durcb den Solotenor und
Cbor ist ein &bnliches Unikum und ein Meistersttick wie
das berUhmte Orcbesterscherzo, das Berlioz dem Gegen-
stand als fiinfte Nummer der Sinfonie gewidmet hat.
Die Fee Mab oder KOnigin Mab zieht im Prolog in der
Form eines »ScherzettO€ vorUber, wie Berlioz das Ton-
bild nennt; es ist das originellste und gr56te im ganzen
Prolog — 116 Takte umfaCt es. Unter all den Geister-
^^ 368 <>—
szenen lustiger, freundlicher oder schreckhafter Natur, die
der Musik in der groQen romantiachen Epoche von Gretry,
d'AIayrac, G. M. v. Weber bis auf Mendeissohn und Meyer-
beer zugewachsen sind, ist mit dieser Berliozscben Kom-
position von der Fee Mab nichts zu vergleichen. Das ist
ein Spuk ganz filr sich, fiachtiger, leichter, abwecbslongs-
reicher als jeder andere und auch da, wo das Treiben
verworrener wird, immer von gr5fiter Anmnt. Das Haupt-
element diesex Musik bilden Rhythmus und Tempo. Das
Zeitmai3 verlangt von Instrumenten und Singstiromen
das ftufierste, was sie an Scbnelligkeit leisten kdnnen^
die Bratschen und die unteren Gellis haben mit ihren
BegleituDgsfiguren ein ungestumes, aber doch immer feines
perpetuum mobile zu leisten. Dann kommen die merk-
wiirdigen schillernden Harmonien hinzu, dem Satz einen
fremdartigen Gharakter zu geben: Jeder einfache Drei-
klang wird durch einen humoristisch berechneten Mifiton
gestreift. Die Eins&tze der dOrftigen Blasinstrumente
wirken in gleicben Graden gespenstisch und komisch.
Instrumentation undNuancierung — fast immerp — werfen
uber das Ganze phantastische Schleier. Es ist in der
Gesch&ftigkeit, mit der eine Gestalt nacb der andern vor-
beisaust, etwas Atemversetzendes. Nirgends kommt etwas
FaCbares; hdchstens die kleine Episode von dem Kriegs-
traum des Pagen mit den Kanonaden, dem Tambour und
der Trompete tritt deutlicher beraus und macht Miene,
dem Zub5rer auf den Leib zu riicken. Im Gesangteil ist
das Sd.tzchen, fiir germanische Ghorzungen namentlicb,
ganz ausgesucht schwierig.
Der Scblufi des Prologs, der vom tragischen Ende
des Liebespaares und der VersShnung der Geschlechter
berichtet, ist Hufierst kurz geraten, fast als h&tte Berlioz
nach der Fee Mab sich tiber die Geduld der Zuhdrer
und Uber ihre hohen AnsprUcbe Gedanken gemacht.
Angespielt ist nur auf die Begr&bnismusik der secbsten
Nummer, und zwar nimmt das Orcbester das cbarakter-
istiscbe Liegenbleiben des einen Tones {e) von dort ber-
uber.
-<♦ 369 ^>-
Zieht man die Smnme des Gebotenen, so kann kein
Zweifel sein, dafi im Prolog von Romeo und Julie, un-
scheinbar in der Form und in den Mitteln, doch eine
aufierordentlich grofie und vdUig originelle Leistung
Yorliegt, die fur die BeurteUung von Berlioz schwer
wiegt.
Berlioz wendet sich nun wieder der unmittelbaren
Darstellung zu und gibt zun&chst ein Bild von dem Ball-
fest bei Juliens Eltem. Im Drama ist dieses Fest ein
nicht unwichtiger Abschnitt: er bringt zum ersten Male
die Liebenden zusammen. Dem Komponisten bietet sich
gleich gute Gelegenheit zur Seelenmalerei wie zur Situ-
ationsschilderung, er kann scharf geprHgte Gestalten
zeichnen, ihre Herzensbeziebuugen blofilegen, kann einen
Ausschnitt aus dem Treiben der grofien Welt versuchen,
sich im Intimen, ebenso wie im Gl&nzenden bewahren.
Als geborener Freund grofier Mittel, mftchtiger, iippiger,
Sinne berauschender Klftnge, alsMeisterin der Schilderung
auGeren Lebens hat Berlioz den festlichen Cbarakter der
Szene, die Pracht und die Freude, in der sich die fitolzen
Massen einherbewegen, betont. Reichlich zwei Drittel
der neuen Nummer sind mil rauscheuder, pomp5ser Ball-
musik ausgeftillt. Aber wie in der Fantastique und im
Harold kommen auch hier die eigentlichen Helden des
Stiickes nicht zu kurz und treten im rechten Augenblick
in den Vordergrund.
Diesem dritten Satz, welchen dasOrchester allein
ausfUhrt, hat Berlioz die Oberschrift gegeben:
Romeo seul-Trlstesse-Goncert et Bal-Grande Fete chez Ca-
pulet (Romeo allein in Traurigkelt; Eonzert und Ball; giofies
Fest bei Gapulet).
Er beginnt mit einem Andante melancolico, C, F dur,
das zunachst die Worte Rome os (I, 4) zu veranschaulichen
scheint: »Mich driickt ein Herz von Blei zu Boden, daB
ich kaum mich regen kanhc. Die ersten Violinen suchen
nach Melodie und Ausdruck und finden nur sp&rlich;
namentlich in der Unbestimmtheit der Tonart spricht
diese Einleitung aufs deutlichste einen schwankenden
Kretzselimar, Ffihrer. I, 1. 24
370
Snstand ana. Endlich bietet sich xxmrn. ^^
lin Halt Die Oboen und Klarinet- [^^n f T ^^
Znstand ana. Endlich bietet sich
ein __
ten setzen (im 28. Takt) das Motiv ^^ ^f^
ein and klammern sich daran wie an eine letzte Rettung.
Sechsmal hintereinander, nnr mit immer neu tastenden
und wechselnden B&ssen, h5ren wir diese klagende
Stimme; dann erst entwickelt sich eine lange Gesang-
melodie, die im Anschlnfi . an das gegebene Motiv folgen-
dennafien lautet:
Noch einmal setzt sie zu einer viertaktigen Halbperiode
an und gelangt mit ihr nach Asdur. Diese unerwartete
Harmoniewendnng best&tigt nur, was der gewissermafien
irrende Schritt des Themas schon verr&t: die Unruhe in
Romeos Seele, sein Sehnen und Zweifeln : »Mein Herz er-
bangt und ahnet ein Verhftngnis, welches noch verborgen
in den Stemen . . . das Ziel des Iftst'gen Lebens . . . mir
kttrzen wird durch irgend einen Frevel Crflhen Todes«
(I, 4). In der neuen Tonart (Asdur) schweben freund-
liche Motive in Triolen t&nzelnd heran. Der kleine
Zwischensatz (8 Takte) hellt die Stimmung etwas auf.
Das Gesangthema mit den ausdrucksvollen halben Noten
setzt jetzt in Cdur wieder ein, aber des Zieles sicherer und
hoffnungsvoller als beim ersten Male weiter gefflhrt.
Violinen, Fldten, Bratschen bringen der Reihe nach das
trdstliche neue SchluBmotiv. Da kommt eine pldtzliche
Unterbrechung: Allettro im Alia breve: pp klingen
in den Geigen zit- i*-* f^ * f^ K auch die Tonart
ternde Rhythmen: "^ • W J • J J • ^ J/ j Desdur zeigt auf
eine ganz unvermutete Wendung. In Klarinetten und
Fagotten taucht das Bruchstfkck eines Polonaisenthemas
auf. Dann folgt eine Gruppe von Takten, wo die Geigen
still auf gehaltenen Akkorden tremolieren, zuletzt tritt auf-
-^ 371 4^
regender Pankenwirbel hinzu. Es ist eine gaaz natnra*
listisch packende Stelle, ein Bild des kalten Fiebers, das
Romeo ergrififen hat Was Berlioz hier gemeint hat, kann
niemand ganz bestimmt sagen; etwas Attfierordentliches
jedenfalls. DasWahrscheinlichste ist: Romeo hat seine Julie
erblickt. Sei es nun eine ftufiere Erscheinung, sei es ein
Entschlufi, dem der jetzt folgende Abschnitt in der Kom-
position — Larghetto expressivo, */i* Cdur — gilt, jeder-
mann wird davon ergriffen sein, wie fein erfunden und ge-
dacht er ist: Kein Ausbruch des Jubels, lauter Leidenschaft
Uberhaupt, sondern ein zarter Gesanp. frorom wie ein Gebet.
iX p III" I " ^g einfache
Melodie vor, die Erregung, aus der sie emporgewachsen
ist, wird nur in den Rhythmen der dezenten Begleitung
bemerkbar: die Cellis umspielen mit rastlosen Sextolen;
an den SchluGstellen werfen die Geigen mit den Pauken
schauemde Tremolos hinzu. Und nun geht Romeo mitten
hinein ins Fest der Feinde. Der Hauptteil des Satzes
— Allegro, (|>, Fdur — beginnt
Es ist im wesentlichen ein Tanzsatz, er teilt mit
anderen Arbeiten gleicher Gattung, die wir von Berlioz be-
sitzen, das Feuer, unterscheidet sich aber von ihnen alien
durch einen Zug von Stolz und Pracht DaO es sich hier
um ein Fest von Patriziern handelt, sagen uns schon die
einleitenden Takte mit den pomp5sen BafigHngen. Sie
versetzen die heutigen Zuhdrer unwillkflrlich in den dritten
Akt von Wagners »Lohengrin«, der allerdiugs 1889 noch
nicht geschrieben war. Das Hauptthema, fiber dem
sich Berlioz' Festgemftlde nun aufbaut, fftngt folgender-
mafien an:
Es enth< in der Schale einer Marschweise einen kost-
baren Inhalt von WQrde und Lebenslust Der letzteren
24*
372 «.-
dient unter den Motiven, die dem hier gegebenen Anfang
folgen , beson-
ders das drol-
lig ausholende:
Nachdem die gl9.nzende Gesellschait ihren ersten
Rnndgang voUendet — GanzschlnB inFdur — , wird unsere
Anfmerksamkeit auf eine einzelne Gruppe, die etwas im
Hintergrund steht, gelenkt. Gelli, Bratschen and Fagotto
sind ihre Sprecher:
Halblaut reden sie von den letzten H&ndeln mit den Mon-
teccbis. Es sind berriscbe Leute, und wehe dem armen
Romeo! Andere Ziehen mit leichtem Scherz vorbei. Dann
kommt das Haaptthema zum zweiten Male, diesmal in den
Holzbl&sern, die Geigen zieben ein langes Gewinde von
Achteln darnm. Dann wird es auf alien Seiten lauter,
als stritten sich die Streicber mit den BIfisern um die
Akkorde. Und siebe da, in diesem Augenblick des Larms
und der Aufregung erscbeint das Tbema aus dem Larg-
hetto wieder, diesmal nicbt von der Oboe, sondern von
den Hornern geMbrt. Sie bebalten es aucb im weiteren
Verlauf und zieben nocb Posaunen und Fagotte dazu.
Berlioz gibt uns jetzt die Aufklslrung, was er mit der
Largbettomelodie gemeint bat: Es ist wirklicb Juliens
Gestalt: majest&tiscb scbreitet sie dahin, und als der Haupt-
satz, die rauscbende Ballmusik, jetzt wieder wie beim
Anfang des Allegro von der ganzen grofien Masse der
Geigen, von F15ten und Bratscben untersttltzt, von den
anderen Instrumenten, unter ibnen zwei Harfen, umlarmt
wird — slrahlt docb Uber all den glftnzenden Wirrwarr
binweg in Hobeit die Largbettomelodie: Das Stiick kdnnte
nacb genauer Wiederbolung des ersten AUegroteils — bis
zu dem Punkte, wo das BaGtbema kam — beendet sein.
Berlioz erweitert aber Beethovenscb. Statt eines Fdur-
Scblusses kommt eine Ausbiegung liber Adur nacb Dmoll
und ins piano. Die Stille der Verlegenbeit tritt ein. und
— ^ 373 <►-
in ihr lassen sich wieder HS.ndelsuchtige vernehineii, sie
brdten neue Komplotte: Diese unfriedlichen Gedanken
sind in zwei Themen gegeben
ofiiiri ii'iifiiic|.irrn -'»^n^ji
PTTTT"-! J".l I J.^ ^^^ ^*^ Material zu einer beschei-
• h^-* i i i _ i denen Doppelfuge bilden. Sie wird
nicht dnrchgefiihrt, sondern Berlioz beschrftnkt sich dar-
auf, die chromatische Skala zu einem Basso ostinato za
verwenden, Ckber den in wachsender Erregung, im langen
crescendo erst allein die Bl&ser rhythmische Kampfmotive
hinscbmettern. Bald stiromen die Geigen mil ein; es
reizen die Schlaginstrnmente. Die festliche Stimmung
ist in eine kriegerische nmgeschlagen. In alien Gruppen
groGte Unruhe, ein Anlauf iiber den anderen auf das
dr&ngende Motiv:
nJTjff^, ^jL[J ir < ^ M tiberDmollnachG',
^ 7 nach (7, dann die-
selben Wege nochmals in bedrohlicherem Tone ■— es
schlfigt am Ende der Perioden bereits ein — , und dann
bricht mit dem endlich erreichten F dnr das voile Wetter
los: Eine wilde elementare Musik, ein schlimmerer Auf-
ruhr als in dem Augenblick der Orchesterintroduktion,
in dem die Posaunen des Fursten sich erhuben. Noch
einmal wird Rube. Wir horen wieder dea chromati-
scben Bafigang von Pauken und Trommeln schauer-
lich beleuchtet. Diesen letzten Augenblick benutzt
Romeo sich zu entfemen. Die Oboe singt wieder den
Klagegesang, mit dem sich im Andante melancolico
Romeo schwermutig vorstellte. Im Toben der Massen
— eine plotzliche Generalpause sagt uns, bis zu welchem
Grad die Wat gediehen — geht der Satz schnell zum
SchluB.
_^ 374 ^>—
Die Italiener des 17. Jahrhnnderts, die venetianischen
Librettidten voran, die Spanier, die Geschlechter der aus-
gehenden Renaissance Uberhaupt, verstanden sich auf
Liebesszenen. Aber den Szenen, in denen Shakespeare
in » Romeo nnd Julie € das Liebespaar zasammenftthrt,
kommt doch wenig gleich. Dieses Urteil l&6t sich auch
auf die Gartenszene der Berliozscben Sinfonie ubertragen,
in der der Komponist seine Erinnerungen an jenen
schdnsten Teil des Shakespeareschen Dramas in T5ne
gebracht hat. Man kann es ruhig sagen: Berlioz hat
die Liebe von Romeo und Julie schdner geschildert als
der Dichter, um so viel inniger und ergreifender als die
Musik, wenn es Gefiihle darzustellen gilt, der Sprache
tiberlegen ist In der Komposition Berlioz' steht auch
das mit, was bei Shakespeare ungesagt bleibt; vor allem
liber alle SliBigkeiten des Augenblicks hinweg bringt sie
uns ins BewuBtsein, da6 diese Liebe tragisch enden wird.
£in Ton der Klage und der Wehmut klingt mit durch
alle Seligkeit hindurch.
Mit der vorhergehenden Nummer, der Ballszene, ist
die Gartenszene, als fQnfte Nummer des Werkes, durch
eine dramatische Einleitung verbunden. Die Oberschrift
des Stuck es:
Nuit serene — le jardin de Gapulet silencieux et decent. Les
jeunes Gapulets sortant de la fete, passent en chantant des remi-
niscences de la masique da bal,
welche Berlioz selbst gegeben hat, enthebt jeder weitern
Beschreibung des Verfahrens. Bin Allegretto (B/g, A dur) ent-
hS,lt diese Einleitung. Langgezogene Geigenakkorde, die
nur schleichend modulieren, beginnen. Berlios schreibt
pppp vor. Das ist die Stille des Gartens, von der die
Dberschrift sagt. Nach dreiBig Takten erst klingt es im
ersten Horn: als kftme jemand. Und bald darauf be-
ginnen die jungen Kavaliere ihr: >Oho Gapulets, bon
soir« (» Gapulets, schlaft wohN). Gleich darauf kommt
auch die haupts&chhchste von den Ballreminiszenzen, auf
die uns der Komponist selbst aufmerksam gemacht hat:
375 ^>-
Aiiegreno,. > . Leicht wird man in ihr
den Anfang vom Haapt-
^ 0 quoUe ii4l^ qdel
fMtinl them a des Allegros der
Ballszene wiedererkenneu. Das ganze Stuck Einleitung ist
von Humor, wie von poetisch hdherer Empfindung gleich-
m&Gig belebt. In ihrer etwas steifen Anmut erinnert
seine Melodik namentlich an Berlioz' »Flucht der heiligen
Familie nach lgypten«. Ein Wunder, daB es sich unsre
Mannergesangvereine fortdauemd entgehen lassen! £s
verklingt, und nun beginnt die eigentliche Sc^ne d' Amour,
die Liebesszene, in Form eines mehrmals von belebten,
erregten Episoden durchbrochnen Adagios. Der 6/3 Takt
und die A dur-Tonart bleiben. Das langsame Tempo gibt
aber der Komposition ihren eigentQmlichen Charakter als
einer Liebesszene von fast religi5ser Tiefe.
Das Adagio beginnt wie pr&ludierend mit einem Ab-
schnitt, in dem die Bratschen mit den geteilten Cellis in
bald ausdrucksvollen, bald spielerischen Motiven sich dem
Gesang n&hem. Es ist ein eigentUmlich voiles, gedSlmpft
weiches Kolorit, &hnlich dem in der »Sc6ne aux champs«
von Berlioz' Fantastique. Drunter klopfen die BSUsse wie
die Schlfige des Herzens. Die zweiten, dann die ersten
Geigen tragen Verzierungen und melodische Fragmente
herbei; noch mehr aber erinnem Klarinette und eng-
lisches Horn an die Liebesmusik der V5gel, sie seufzen
sehnsuchtige Motive, die uns die Stelle des Dramas
vor die Phantasie bringen, wo es heifit: »Es war
die Nachtigall und nicht die Lerche<. Dann wird ein
Singen daraus, leidenschaftlich treiben die Tdne nach
oben. So ^^ ^^^Hl3' g^s^^^-N^ und so
setzt die dfiftTi rP i i \ I » J PTF P T ' I schlieBt
Stelle ein : "^ »=*• ■-== =^^ sie :
Bald kehrt sie wortlich genau wieder, sie umrahmt
das vom Cello und vom Horn vorgetragne Liebesthema
Jnliens, ihr Gest&ndnis, den Liiften anvertraut:
376
V m A — --—
Eine der schdnsten Melodien der ganzen neueren Mnsik,
mufi dieses Thema in diesem Werk und in diesem Satz
namentlich mit seinem Schlufi fest gemerkt werden.
Denn es tancht wie ein Leit- und Reprftsentierthema
h^ufiger in nnserm Adagio wieder auf. Die Masik wird
von dem Einsatz der Vogelmotive ab wiederholt Romeo
lauscht entzUckt, und als Julia nun im vollsten Tonglanz
ihr Liebesgestandnis (jetzt in Gdur) nochmals ablegt, be-
mS,chtigt sich ein groGer Sturm seiner Gefuhle (Allegro
agitato). Er dringt vor, gibt sich zu erkennen, das Cello
hebt ein Rezitativ an und leitet damit Uber zu der zweiten
Halfte der Nummer, dem Liebesdialog. Dieser Dialog
hat wieder die Form eines Adagio, das gegen das erste
um eine Kleinigkeit beschleunigt ist. Das in ihm neu
hinzutretende Hauptthema ist:
i)a 112
*' ' ' hschem Horn emge-
fiihrt, findet es in einer zweiten Periode den seiner fried-
lich geniefienden Natur entsprechenden Abschlufi in A dur.
Daran kniipfen sich heitre, zum T&ndeln neigende Motive,
bis dann bald Juliens Liebesgesang den Ideenkreis ins
innig Pathetische zuriickleitet Es wechseln nun Augen-
blicke der Ruhe und der Erregung : es kommt die Schwere
des wiederholten Abschieds, die Wonne des Wieder-
treffens. Mehr als bei andren Sfttzen der Sinfonie bietet
die Kenntnis Shakespeares f&r diese Nummer eine weit-
reichende Gewahr des Verstftndnisses.
Derfiinfte Satz der Sinfonie, das Scherzo (Prestis-
simo, s/s, Fdur) tr^gt die Oberschrift: »La Reine Mab,
-^ 377 ♦^
oa la F^e des Songes* (K5nigin Mab, die Tranmfee). Er
bedeutet einen Abfall votL Shakespeare, eine Cberl&nferei
zur selbstherrlichen Masik, insbesondere zu den Fonnen
der Beethovenschen Sinfonie. Berlioz mochte auf die be-
wahrte Wirkung eines Scherzos auch in »Roineo und
Julie « nicht verzicbten. Sieht man von der Entstehungs-
ursache ab, so bleibt dieser Satz eine bis heute noch
nicht tiberbotne Glanzleistnng anf dem Gebiete der Elfen-
musik. Die Komposition gibt den fliichtigen Gharakter,
den man von dieser Gattung erwartet, nach einer Rich-
tung wenigstens vollkommen wieder, ganz besonders aber
zeichnet sie sich ans dnrch ihren Reichtnm neuer und
ungewohnter, mil ebensoyiel raffinierter Berechnung als
mitpoetischem Genie aufgesuchter und erfundener Klftnge.
Zwar fiir die Gestalt nnd das Treiben des Miniaturelfs,
wie sie Shakespeare — vor Ball- nnd Balkonszene I, 4 —
beschreibt, ist die Berliozsche Musik immer noch zu kom-
pakt, zu reich an BaBklang; aber man hatte in einer Sin-
fonie ein Scherzo wie dieses doch noch nicht geh5rt:
£in ganzer JahrJharkt von seltnen, schweren Trillern,
von pizzicatos, Flageoletts, ausgesuchten Spielarten und
Tonlagen tat sich hier auf.
Dem Hauptsatz, den einige akkordische, durch Fer-
maten, Modulationen und Klangfarbe ins Tr&umerische
erhobne Takte einleiten, liegt folgendes Tbema
ifrrirrriririiiMi|iiii|T[
zu Grunde. Die Violinen durcheilen mit ihm im schnellsten
ZeitmaB, in der grOBten Leichtigkeit, die m5glich ist,
einen ziemlich umfangreichen Kreis von T5nen und Ton-
arten. Fdur beginnt, der SchluB fUhrt nach cia und
nach einem dissonanten Akkord des-f-aa-h, demselben, der
den Satz iiberhaupt begann. Es ist etwas Koboldartiges
in dieser Beweglichkeit, und es ist auch nicht leicht fttr
-^ 378 «^
den Zah5rer genau zu folgen. Urn das zu erleichtern,
miissen Spieler und Dirigenten die metrisch betonten
fTakte hervorheben. Wird damit von Anfang an —
der mit * bezeichnete ist der erste — Klarheit einge-
halten, so ist der Anfbau der Perioden leicht zu be-
greifen; er vollzieht sich vorwiegend in zweitaktigen Ab-
schnitten.
Zun&chst stellt Berlioz das angefiihrte Hauptthema
noch zwischen das akkordische Einleitungsmaterial. Erst
im zweiten Abschnitt, dessen Eintritt sich scharf dadurch
markiert, dafi wir 8 Takte lang nar (in Bratschen and
zweiten Violinen) Akkordbegleitang ohne Thema haben,
erh< es das Feld fiir sich und bestellt es in Umbil-
dongen, wie sie fur Menuetts, Scherzi, f&rs ganze Tanz-
gebiet von jeher tiblich sind: Eine Doppelperiode in der
Haupttonart F dur mit SchluO in Oy eine zweite in G
mit Modulationen nach verwandten Harmonien and
Schlufi in J^. Es ist ein leichtes anmatiges Treiben
ohne wichtigere VorfSUle. An dem oben genannten
Punkte erst erscheint ein teilweise neaes, von Berlioz
aach im »Carne- ?*>•#■♦ ♦♦h
val Romain* ver-
wendetes Motiv:
in den Geigen, das «'"% ^^ L^^ k^
F16te and engli- ib fl I I F I I P |T P f^
sches Horn mit ^ ^ ' i ' ■'
beantworten. Fee Mab wird aasgelassner: sch&rfer tritt
der pizzicato-Klang vor, sch§,rfer wechseln die Tonarten
in diesem kleinen Seitensatz. Hdur ist erreicht. Da fubrt
bei einem allgemeinen temper amen tvoUen Crescendo ein
heftiger chromatischer Laaf der Mittelstimmen nach der
Haupttonart zuriick und in eine groGe Wiederholung des
Hauptsatzes mit einigen Erweiterungen. Motivisch neu
tritt eine zuweilen auf vier Takte ausgedehnte Triller-
figur, aus der Schabemack und Obermut heriiber-
klingen, vor.
Die groBten Oberraschungen fiirs Ohr hat Berlioz
f&r die Mitte seines Scherzos aufgespart, fQr die Stelle,
-^ 379 <>^
die flblicherweise das Trio einnimmt. Gedacht ist wohl
dieser wichtigere Teil so: daB er die Wirkangen der
Schalkereien Mabs im Kopf des Schl&fers veranschau-
lichen soil, w&hrend uns der bewegtere Hauptsatz den
Umzug der Fee schildem soil. Das Tbema dieses Trios
heiBt:
AUegro. J ■ 18S
ri \\^ ^ \^' \T I'y (nti^fv \
Mit seinen rufenden und ahnenden, auch mit seinen
gesanglichen Elementen ist es im Grunde h5chst einfach.
Seine Wirkung erhUlt es dnrch die Dekoration. Die ersten
Violinen trillern dazu vom ersten Ton der F15te bis zum
letzten pppp aber obne Unterbrechong auf S; die Celli
antworten auf das Qnartenmotiv; die andern Saiten-
instrumente aber halten bobe Flagolett5ne aus. Von
ihnen kommt der M&rcbenzauber, das Feenlicbt, das iiber
dem Abschnitt liegt; sUB wie Liebestraum und ganz
fremdartig und neu erscbeint er. Zugleich ist dieses
Kolorit zum ersten Mai das, was sicb mit den von
Shakespeare erweckten Vorstellungen deckt Die Harfen
fallen bald mit unerhdrten Kl&ngen ein, die zur selben
Familie wie die Flagolettone der Geigen gehdren. Die
Phantasie des H5rers wird in demselben Augenblick aus
dem Elegischen binuber gerissen nacb dem Humoristiscben :
wir b5ren in den Bratschen und Cellis Figuren, die an den
Rbythmus des galoppierenden Pferds erinnern. Berlioz
bat an die Stelle gedacht, wo bei Shakespeare die Fee
Mab den Soldaten neckt.
Nocb breiter ausgefUhrt als im Trio sind diese milit&ri-
schen Bilder in der Reprise des Hauptsatzes. Hier fOhren sie
zu einigen Episoden, an deren Spitzen die HOrner stehen:
FMstffeatus. ^ Auch das englische
'Ji-W? I r iTf |> I I {T'm H?f n. kommt einmal
'"jjp ■ ■ ' "11 ■ ■ mitemem Jagdmotiv:
}
380
A L ■ ■ ■ L ■■ I Von einer ein-
4 p I r -^^ 1 -J '"J^ "'^ lJ> ^> fachen Wieder-
'^ holnng ist diese
Reprise so weit als mdglich entfernt; sie ist eiae Steige-
ruDg in jeder Beziehung, in den Formen nicht weniger
als in den Farben. Fiir letztere sind auch die Schlag-
instrumente meisterhaft herangezogen.
Stephen Heller lernte die neue Sinfonie Berlioz' bald
nach ihrer Entstehung im Manuskript kennen und be-
richtete dartiber an die Zeitschrift Robert Schumanns*}.
Dieser Bericht ist noch heute wichtig, weil er iiber die
erste Fassung der Sinfonie Mitteilung gibt. Unter den
Abweichungen, die sie von der verdfifentlichten Form
unterscheiden, tritt als eine der wesentlicheren der Um-
stand hervor, daO zum Beginn der zweiten Abteilung die
mit der Nummer 6 einsetzt, friiher nocbmals ein Prolog
gesungen wurde.
Fiir diese sechste Nummer, die Jnliens 6e-
gr&bnis bringt — Convoi fun^bre de Jaliette — , ist kein
Prolog and keine Erlftutemng n5tig. Denn es ist ein ein-
facher Satz (Andante non troppo lento, C) Emoll), ein
Trauermarsch, wie wir ihn hier erwarten, nnr mit der Be-
sonderheit, dafi das ansdrucksreiche Hanptthema
rTTTp J I
in Form einer Fuge durchgefQhrt wird. Die Singstimmen
psalmodieren dazu auf einem and demselben Ton e, Ber-
lioz hat denselben and einen &hnlichen Kanstgriff in
seinen Trojanern und im Offertorium seines Requiems
*) Neue Zeitschrift fOr Musik, XI, a 102.
— ^ 381 «^
mit grofiem Gliick znm Ausdnick ftufierster Niederge-
schlagenheit yerwendet. Besonders sch5n ist der zweite
Teil der Nummer, der sich nach E dar we^ndet nnd Ghor
und Orchester die Rollen tanschen IslOt.
In hohem Grad einer Erl&uterang durch Prolog oder
eine sonstige authentische Willens&ufierang des Kompo-
nisten ist dagegen die folgende siebente Nummer der
Sinfonie, die Grabszene, bedUrftig. Berlioz hat das
selbst gefUhlt. Er schickt in der Partitur eine Bemer-
kuDg Yorans, worin er den Dirigenten erm&chtigt, den
Satz zu iiberspringen. Mit den Worten: »Le public
n^a pas d'imagination« w&lzt er die Schuld von sich
auf den unschuldigen Teil: Das Publikum, die Zuh5rer-
schaft kann diesen Satz nicht verstehen und wenn
neue Erkl&rer*} seinen Schwierigkeiten gegeniiber mah-
nen, sich den f&nften Akt von Shakespeares Drama
lebhaft zu vergegenw§.rtigen , so empfehlen sie ein un-
zureichendes Mittel. Berlioz gibt als Inhalt unsrer sie-
benten Nummer an:
Romeo an tombeau des Gapnlets; Invocation, Reveil de
Jnliette, Joie delirante, dtfsespoir, dernldres angoisses et moit
des deux amants (Anrnfang und Erwachen Jnliens, Entziicken
und Freud e, Y erzweif lung , letzte Not und Tod der beiden
Liebenden).
Daraus ergibt sich, daO er die Ereignisse voUstSlndig
umgedichtet hat. Bei Shakespeare ist Romeo gestorbeu,
ehe Julia erwacht ; wohl bei Bellini, aber nicht bei Shake-
speare gibt es Wiedersehn, AnlaO zur Freude und gemein-
samen Tod. Der Zuhorer muB sich also in der Kompo-
sition durch Raten zurecht zu fin den suchen; sie ist keine
gute Programmusik, sondern Theatermusik, die nur den
Augen will sehen helfen, sie ist ein an dieser Stelle ver-
fehltes Kunstwerk.
Der Satz (Allegro agitato e disperato, (^, Emoll] be-
ginnt mit hastigen Figuren
*) F. Weingartner in Allgemeine MusikaliBche Zeitung,
Jahrg. 1893, S. 123.
— fr 382 •^
..a Jem .
y ^J JJ l],J J*'» J J J I JjtJ J'^'^lljjj 1
die in einem karzen Satz
das Bild geben, als wenn
ein Mensch atemlos ge-
rannt kommt: Romeo, den die schlimme Nachricht
von Joliens Tod aus dem Mantuaner Exil vertheben
hat, eilt an die Pforte des Grabes. In langen Noten
f [ I 1 1 I 11 I L ^ "^^ Snfierste Kraft ge-
ji~ J^*^ ^JfiJ^J^ sammelt >DieNachtund
EP "^ X mein Gemtlt sind wfttend
wild, viel grimm^ger und viel unerbittlicher als dnrst^ge
Tiger und die wUste See« so lauten die Worte, mit
denen Romeo bei Shakespeare (V, 3) die TQre des Ge-
wolbes — >die morschen Kief em des Schlnndesc — er-
bricht. Dumpf, tief and schauerlich schlagen die Po-
saunen, ein Horn dazn, darch Fermaten gefesselte Ak-
korde an. Dann folgt die Invokation, ein l&ngrer Satz
(Largo, is/s, Gismoll), in dem Romeo in feierlichen nnd
wehmfttigen Melodien zn der tot geglanbten Geliebten
spricht. Als sie znm SchlaO kommen, geraten sie ins
Stocken. Chromatische Figuren in den Cellis denten
auf aufierordentliche Vorg&nge. Die Klarinette setzt ein:
1 * ft. '^^ L.^^^E?^ ^ Wer kennt
*¥ltff r' D ^ M M ^P l" P r »i diese Motive
"^ PPPP -*== =^ nicht nnd
denkt bei ihnen nicht an den Anfang der Gartenszene?
Nun kommt das voile Them a. Julie ist erwacht, sie
lebt, und ihr erster Gedanke ist wieder: ihre Liebe, ihr
Romeo! Das Orchester stUrmt voU wie in der Ballszene
im Freudenrausch dahin, eigentlich ohne Melodie und ohne
Rhythmus,
Allegro vlTEce ed cppasflonAto.
ziigellos, elementar in Empfindung und Form. Lange
klingt die Stelle wie ein grotesker, riesiger Triller. Dann
^^ 383 ^^
vernehmen wir in den Motiven Reminiszenzen an die
Gartenszene, an ihre sch5nsten Them en; aber in derun-
glanblichsten Extase und Beschleunigung. Dazn unheim-
Hche Dissoilanzen ! Der Qberspannte Bogen mnfi brechen,
das UnglOck ist in der Nahe. In dem reifienden Strom
dieser Musiklava entstefat Stocknng, Verwirrung: Romeos
Rezitativ ans der Gartenszene klingt nochmals krampf-
haft und unnatUrlich an, von h&rtesten Schl&gen des
Orchesters begleitet, das e ans dem Leichenbeg&ngnis
(Nr. 6) l&Bt sich hdren: Romeo sUrbt Bald, mitten
heraus ans der Seligkeit, in der sie befangen, folgt seine
Jnlie ihm im Tode nach. Innerhalb einer Minute gings
ans hdchstem Gliick in die Vemichtung. Nnr eine
einzige Oboe hSJt an der verddeten Stelle noch Stand,
wo eben noch das yolle Orchester wie fQr eine Ewigkeit
aufspielte.
Die achte Nnmmer, das Finale der Sinfonie, hat die
Cberschrift:
La fonte accoart an cimetidre, Rixe des CaptiletB et Mon-
tagues, Recitatif et air dn P^re Lanrence, serment de recon-
ciliation (Die Menge eilt znm Kirchbof, Streit der Gapnlets nnd
Montecbi, Rezitativ nnd Gesang des Pater Lorenzo, Versdbnnngs-
schwar).
Sie beginnt mit einem Allegro vivace, C/, A moll, das
dramatisch lebendig die Erregung der herbeieilenden
Volksmassen schildert und viel Natur- und Herzenston
enthSit. Besonders der SchluB, wo das Tempo doppelt
so langsam wird als es war, ergreift m&chtig. Dann
tritt der Pater Lorenzo anf und bem&chiigt sich mit
Erkl&rungen und Ermahnungen des Worts, fiir seine
salbungsvolle Weise immer noch etwas allzu lange*).
Als die Parteien wieder aneinander geraten, wieder-
holt Berlioz die Fugenmusik aus der Introdaktion der
Sinfonie, diesmal mit Text >Mais notre sang rougit etc.*
(>Doch unser Blat etc.<). Dem Pater gelingt es zu be'
*) Berlioz bat die Reden des Paters, lant Memoiren, be-
dentend gekurzt.
«^ 384 %^
ruhigen, zn rtlhren. So gelangen wir ganz in dem Stil
der grofien franzfisischen Oper and mit mancher hiib-
schen, aaf Berlioz persdnlich weisenden Wen dung zum
SchluB- und Tmmpfsttick dieses Finale : dem Serment,
der Schworszene, die ihrer musikalischen Natur nach
ein Geschenk Meyerbeers an das Haupt der franz5sischen
Instrumentalkomposition sein k5nnte. Wer mit Grund
das Werk lieben gelernt hat, bedanert, daB es nicht selb-
st&ndiger und in einem poetischeren Stile endet.
Der Komponist selbst hat seiner dramatischen Sin-
fonie nur eine Ausnahmestellung im Konzertsaal zuge-
traut. Ihre Schwierigkeiten, sagt er in den Mem o ire n,
sind so groB, daB die Ausfiihrenden das Werk auswendig
kdnnen miissen. Als sie in Petersburg ausgezeichnet geht,
trObt ihm der Gedanke die Freude, daB sie fiir London
doch unmdglich sei. Er hat sie aber schlieBlich auch in
London dirigiert, und im Laufe der groBen Berliozbewe-
gung, die sich in den siebziger Jahren erhob, ist sie erst
in Brucbstiicken, dann mehr und mehr in ihrer Vollst&n-
digkeit bekannt geworden. Damit im Einklang mehren
sich in neuester Zeit die Sinfonien, die nach dem Vor-
bild von Romeo und Julie Instrumentalstiicke und Ge-
sangsnummern mischen. Lange Zeit stand Fel. David
und seine >Wliste< mit dieser Nachfolge allein. Heute
ist sie mit weitren Sinfonien von F. Liszt, Nicod^,
A. Samuel, Mahler, Huber, v. Hausegger n. a. ver-
treten.
Es war mehr als bloBer Zufall, daB der jCingste Vor-
stoB der Programmusik von Frankreich ausging. Die Zu-
taten und Anderungen, die das Geb&ude der Beethoven-
schen Sinfonie hierbei durch Berlioz erfuhr, lassen im
letzten Grunde den EinfluB der Traditionen Ra means
doch deutlich erkennen. Indessen erkanute ihn niemand.
Berlioz* Programmsinfonien trugen in ihren dichterischen
Wendungen sehr stark, in ihren musikalischen Mitteln
immer noch erkennbar franzdsisch-nationalen Charakter;
die Franzosen wuBten es ihm keinen Dank. Auch im
Ausland fanden sie mehr Widerspruch als Erfolg. Vor
— <► 386 ^^
allem blieb die Schnle und der produktiye Anhang aus,
der jeder neuen Richtung unentbehrlich ist. Spohr war
fiir Jahrzehnte der einzige enropfiische Sinfoniker, der
mittat. Aber er vermied sowobl die Stoffe, wie die musi-
kaliscben Mittel, welche fUr die Berliozsche Epoche die
charakteristiscben sind. Da trat endlich in den fiinfziger
Jabren Franz Liszt mit der gr5Bten Entschiedenheit ftir
die geHlbrdete Sacbe ein.
Liszt ging aber Uber seinen Vorgftnger wesentlich
hinaus and ordnete dem Programm aacb die Formen der
Komposition voUstHndig nnter. Seine Sinfonien sind drei-
s&tzig, zweisatzigy eins^tzig, je nacbdem; die dicbterische
Idee bestimmt den' mnsikaliscben Plan. In dieser Freibeit,
in der KQbnbeit and Sicberbeit, mit welcber die Grand-
linien des Formenbaaes entworfen and darcbgefobrt sind,
bilden die Listzscben Sinfonien Originalleistangen and
repr^sentieren eine geistige Kraft und ein kiinstleriscbes
Gestaltangsvermogen von aaBerordentlicber Stftrke. Nach
diesen formellen Seiten liegt ihre gescbicbtlicbe Bedea-
tnng. Liszts Sinfonien fubren die von Berlioz gegebene
Anregung zu einer vollen Reform ans, and brecben die
Alleinberrscbaft des Haydn - Beetbovenscben Systems.
Berlioz trat fQr die Deutlicbkeit des poetiscben Inbalts ■
und des Zusammenbangs der S&tze ein; Liszt erweiterte
diese Forderungen mit der dritten: Freibeit des Formen-
baaes! WobI verstanden: Freibeit, kiinstleriscbe Frei-
beit, nicbt etwa Anarcbie und Formlosigkeit!
Aucb den internen musikaliscben Stil der Lisztscben
Musik bat vielfacb die Forderung bestimmt, daj3 Ausdruck
and Darstellung in erster Linie cbarakteristiscb and an-
scbaulich sein miissen, and eine groBe Reibe seiner
Eigentumlicbkeiten sind aus der Treue gegen das Prinzip
bervorgegangen. Dabin geboren die bei ibm nocb zahl-
reicber als bei Berlipz bervortretenden Stellen, wo bloOe
Klangpb&nomene, rein akkordiscbe, instrumentale, dyna-
miscbe and andere naturaliscbe Bildungen die Tr&ger
der musikaliscben Entwickelong bilden. Dabin gebdren
spezifiscbe Eigenbeiten der Lisztscben Rbetorik: ibr
£retx8ohmar, FQhrer. ^ L 25
— ^ 386 *^
Heichtnm an Interjektionen, an Aosnifangszeichen nnd
Gedankenstrichen , an pathetisch fortschreitenden Se-
quenzen und anderen primitiven Ausdrucksmitteln der
znusikalischen Deklamation, wie sie Liszt namentlich in
den Momenten der Extase gem verwendet
Andere Erscheinnngen des Stils mtlssen anf die Natur
und die Schranken der musikalischen Begabung Liszts
zuriickgefiihrt werden: der yorwiegend eklektische Cha-
rakter seiner Melodik, seine Abh&ngigkeit yon cbroma-
tiscben G&ngen, melodischen Ausnabmsinteryallen und
anderen Reizmittein des Ansd|;ucks, die zu stebenden
Formein verbraucbt werden; endlicb der grSBere Teil
jener Satzbildungen , in denen Perioden und gr56ere
Redeteile durcb nnaufbdrlicbe Wiederbolungen und blofie
Transposition des ersten Gliedes entwickelt werden. Es
kommt zu diesen Eigenheiten aucb nocb der Umstand,
daG einzelne Kompositionen Liszts augenscheinlich sebr
flQcbtig bingeworfen sind. Aber eine aufierordentlicbe
Gabe, mit wenigen Stricben einen Gharakter zu zeichnen,
leucbtet aucb nocb aus den scbw&cbsten unter seinen
Orcbesterwerken. Die Mebrzahl yon alien fesselt durcb
den Geist und die Hingabe, welcbe sicb in der Haltung
des Ganzen aussprecben, durcb die W&nne des Aus-
drucks, die Macbt der poetiscben Anscbauung, welcbe
einzelne Stellen belebt, durcb eine Reibe scb5ner Mo-
mente, deren Genialit&t selbst yom Standpunkte des ab-
soluten Musikgenusses nicbt geleugnet werden kann. DaO
aber Liszt, ftbnlicb wie dies Gluck seinerzeit bei der
Opernkomposition getan, auf diesen absolut musikaliscben
Standpunkt bei seinen Programmsinfonien yerzicbtet, soil
der Zubdrer nie yergessen und dem Komponisten mit
einiger Gutwilligkeit — den poetiscben Gegenstand der
musikalischen Scbilderung fest im Kopfe! — entgegen-
kommen. In diesem Falle wird man, wie es beabsicbtigt
ist, die Formen und den Ideengang der Lisztscben Or-
chesterkompositionen leicbter linden, als die anderer pro-
grammloser Sinfonien, and ibnen Anregung and Genufi
verdanken.
—*» 387 ♦—
Die Lisztschen Orchesterwerke umfassen — auBer
einigen Bagatellen — 2 Sinfonien und 12 sogenannte
sinfonische Dichtungen. Unter den beiden Sinfonien ist
die im Jahre 1856 geschriebene Faustsinfonie (nach
Goethe), die durch die Menge der Ideen nnd durch die
Kunst, mit welcher sie entwickelt sind, hervorragendere.
Sie ist in drei S&tzen gehalten, welche Liszt >Gi arakter-
bilder« nennt, womit also ein Anschlufi an den szenischen
Verlanf der Goeiheschen Dichtnng von vornherein abge-
wiesen wird. Hierin verfllhrt Liszt angleich mehr musi- ,
kalisch, als Berlioz in >Romeo und Juliec.
Der erste Satz (Lento and Allegro, C* ^i ^Ui Cdur F.Liszt,
nnd Cmoll) gilt der Hanptfigur des Gedichtes, dem >Faust€. Fanst-Sinfonie.
W^hrend die Normalsinfonie zwei Themen im ersten Satz
aufstellt, bringt Liszt hier vier, die die hervortretendsten
Ziige der Faustnatur veranschaalichen wollen: das grti-
belnde, melancholisch-dHmonische Element, das Ringeu
nnd Streben, das Liebessehnen, die heroisch tatenfrobe
Seite seines Wesens. Das erste, Zweifel, Gram, Gefiihl
der Ode ausdriickend:
Lento.
^ bemht in seiner vorderen H&lfte auf
L '^■*B I^P^H ^ ^ 1 ^®™ iibermafiigen Dreiklang. GewiB
If doienie T =* jg^ dieser bis dahin noch niemals in
^nlicber Weise fdr ein Sinfonieihema verwendet wordeu
nnd hatbei den ersten Auf fiihrun gen des Lisztschen Werkes
ungewdhnliches Staunen erregt. Aber um auf den Uber-
spannten Zug in Fausts Geist hinzuweisen, war das Mittel
glticklich gewM.hlt. Das Tbema findet seine nachste Fort-
setzung in einerReihe kleiner,freier MonoIoge,die zwischen
den BlS.sern wechselnd, die &u6erste Niedergeschlagen-
heit aussprechen. Im 11. Takte: Stocken, Fermate! Darauf
repetiert der Satz von G aus und tritt dann in ein wildes
Allegro (Cf '/4) V4) ube^t in welchem die Rlagen des
Hauplmotivs von den Flammen der Verzweiflung und
Emporung umlodert erscheinen. Bereits hier wird eine
26*
388
Schwierigkeit sehr bemerkbar, die der H5rer im ganzea
Verlauf der Sinfonie immer wieder zn tiberwinden hat
Das ist die metrische Mannigfaltigkeit der Mosik. Es
findet fortw&hrend Wechsel von Takt und Rhythmus
stall. Wer zu schlafen, zn tr&amen und nor ftuBerlich
zu h5ren gew5hntist, erh< harte St5Be; nor milleben-
diger Phantasie und regem Geist erwirbt man sich den
GenuB an diesem Kunstwerk! Das zweite Thema, das
von der ausgefdhrten Gruppe des ersten durch ein kurzes
Lento getrennt wird, ist weniger original als das erste,
erinnert an Spohrsche und Schumannsche Weisen; aber
wirkt an seiner Stelle warm und edel. £s repr&sentiert
lebenswilligere Elemente der Faustnatur: Ringen, Streben,
Hoffen. Das Hauptglied seines technischen Organismus
bilden die folgenden Takte:
Allegro ai^tato.
vioi;
Am Schlusse des Satzes, der dieses Thema entwickelt^
wird die Stimmung wieder trostlos: die Bl&ser klagen
und bitten:
Es folgt eine kurze Episode (Meno mosso, 6/4
und V4>
traumhaft phantastischen Gharakters, in welcher schatten-
haf te Figuren (Violini con sordini} das erste Thema fliichtig
umschweben. Wie eine freundliche Vision erscheint nun,
eingeleitet durch eine Art Rezitativ, in dem Gello und
Violine leidenschaftlich die SchluBnoten vom ersten Thema
austauschen, als drittes Thema eine Melodie, aus den
beiden letzten Takten vom Thema a entwickelt, weiche
dem schwilrmerischen Zuge im Faust, seinem Sehnen
und Lieben gilt:
BraiMkM
389
mi»
Sie setzt im neuen Tempo ein, wechselt die Taktarten,
schliefit nicht streng ab nnd yeranschaulicht damit aaf
einmal die ganze Reihe Freiheiten der Gestaltung, in
denen Liszt zum Zweck einer lebendigen, dramatischen
DarsteUnng vom Ublichen Gange abweicht Man wird
dieses Thema auch im zweiten und im dritten Teile der
Sinfonie wiederfinden. £s bildet eins der wichtigsten
»Leitmotive< des Werkes, deren Prinzip Liszt, wie scbon
angedeutet, yon Berlioz Ubemommen hat Faust trennt
sich von dem begltickenden Bilde, wie vom Freuden-
rausche ergriffen; die Energie erwacht wieder (Allegro
con fnoco, dem das Sechzehntelmotiv vom Thema b zu
Ornnde liegt), Tatkraft und Stolz regen sich und finden
ihren Ausdruck in dem spannend eingeleiteten vierten
Thema:
Orandioso
Wer die Yorzeichnungen der hier mitgeteilten Themen
ansieht, kann nicht im Zweifel sein, daB Liszt so wie
mit der Metrik auch mit der Harmonik von allem Her-
kommen abweicht. In G begann die Themengruppe; mit
dem hier zuletzt gebrachten vierten Glied schlieBt sie in
Hdur. Wir treten nun in den Durchfiihrungsteil ein.
Denn der erste Satz der Faustsinfonie ha.lt an der tlb-
lichen Gliederung in Themengruppe, Durchftihrung, Re-
prise fest. Diese DurchfQhrung beginnt mit einer {Com-
bination des vierten und dritten Themas, das letztere
allerdings in Moll und Leidenschaft verwandelt; dann
folgt ein zweiter Abschnitt, der erstes und zweites Thema
gegeneinander stellt, von jenem durch einen Obergangs-
satz heftigen Charakters getrennt Der dritte Abschnilt
—^ 390 «--
der Durchfiihrang zeigt, dalB das zweite Thema allein zar
Herrschaft gelangt, aber mit einem Zusatz von Erregung
and Wildheit, der die Physiognomie, mit der es in der
Themengruppe auftritt, voUst&ndig &ndert. Sehr natiir-
lich und folgerichtig ftlhrt diese Wendung in die Reprise
hinCkber. Das erste Thema, als hdcbster Ausdruck von
Fausts Seelenleid, kebrt wieder and mit ihm die ganze
Themengrappe, aber mit Modifikationen, welche als die
moraliscben Wirknngen des Thema e) aufzufassen sind:
Die Liebe hat Fansts Wesen verwandelt
Das Verh<nis der drei Haaptgruppen des ersten
Satzes weicht hiernach in Liszts' Faastsinfonie vom Her-
kommen namentlich dadarch ab, dafi der Schwerpunkt
aas der Darchfuhrung in die Reprise verlegt ist
Jene ist sehr knrz gehalten, verfolgt nar den Zweck,
den RUckfall von der heroischen Stimmang, mit der die
Themengrnppe schloB, in die verzweifelte des ersten
Them as, des An fangs des Gharakterbildes psycho] ogisch
zu motivieren. Die Reprise aber ist nichts weniger als
bloBe Wiederholung der Themengrnppe: sie zeigt ans
FaUsts Inneres noch einmal, fiihrt noch einmal die Ele*
mente der ersten Hauptgrappe vorUber, aber in anderer
Anordnnng, in andrem Charakter, andren Verbindangen,
sie zeigt einen neaen Fanst. Mit dieser veranderten Be-
deatang der Reprise kntipft Liszt, durch ein musikalisches^
poetisches Naturrecht bereits genQgend gestiitzt, an An-
regnngen an, die Beethoven namentlich in seinen groOen
Leonoren-OnvertUren gegeben hat.
Noch in zwei andren Punkten weicht die Form dieses
Lisztschen Fanstsatzes von der Sinfonik des 19. Jahrhan-
derts ab: in der BeschrHnkung der motivischen Entwicke-
Inng and in der AuBerlichkeit der Obergangsideen. An
beide Erscheinungen haben seine Gegner bis za einem
gewissen Grad mit voUem Recht ihre Bedenken und ihren
Tadel gekntlpft. Gegen eine sparsamere Verwendung rooti-
vischer and thematischer Arbeit l&fit sich grands&tzlich
schon deshalb wenig einwenden, weil dieses Erbe einer
philosophisch and poetisch sehr reichen Zeit den geistig
391
ftrmeren Sinfoniekomponisten yoq heute und ihren Zu-
h5rem in der Kegel Verlegenheit bereitet.
Der zweite Satz der Faustsinfonie ist >Gretchen<
uberschrieben. Dieser Gretchensatz ist durch Einzelauf-
fuhrungen bekannt geworden und hat auch in denjenigen
Kreisen Freunde gefonden, welche der Natur und der
Form der Faustsinfonie, wie fiberhaupt der ganzen Liszt-
schen Kunst, apathisch oder feindlich gegenliberstehen.
Er verdankt diesen Erfolg der gleichbleibenden Freund-
lichkeit des Inhalts und der gewinnenden Einfachheit,
mit der Gretchens holde M&dchengestalt gezeichnet ist.
Dieser Gretchensatz (Andante soave, HauptzeitmaB: s/4,
Asdur) zeigt die auch bei langsamen S&tzen bekannter-
maBen seit Haydn tibliche Dreiteilung, das Sonaten-
schema, aus Themengruppe, DurchfQhrung und Reprise
bestehend. Ein kurzes, tr&umerisch und weich schwar-
mendes Pr&ludium von Floten und Klarinetten leitet den
Satz ein, dessen erstes, schlichtes Thema einen lieblichen,
zarten Charakter hat:
Andante
Beim ersten Eintritt tr> es die Oboe vor: nur yon einer
Bratsche begleitet, ein Meyerbeerscher Instrumentations-
efifekt! Liszt hat aber diese dQrftige seltsame Begleitung
aus innem Griinden gew&hlt: Es kam ihm darauf an, die
Gestalt Gretchens zwar eigen, aber ganz bescheiden und
unscheinbar einzufQhren. Bei jeder Wiederkehr erscheint
uns die zarte Melodie stattlicher und bedeutender. Der
Zuhorer hat sie zu merken, denn im Schlufisatz der Sin-
fonie Ubernimmt sie die poetische Hauptrolle. Das zweite
Thema:
ioiee amerotB
p\^^ ' .rrrn I mTmiJi
^s^
jtoev crtMC.
--^ 392 ^^
dsLS vom bernhigten Gemiit, vom heimlichen sicheren
LiebesglUck zu erzfthlen scheint, ist eine von Liszts ge-
luDgensten Melodien. Eine sehr gew&hlte, durch nach
oben gehende BaBvorhalte eigene und schdne Harmonie
erh5ht die Wirkung. Zwischen den beiden Themen liegen
einzelne frappante Momente: ein Oboeneinsatz auf einer
jahen Modulation, als wenn in Gretcben pldtzlich der
Gedanke an Faust .erwachte: eine kleine Episode, in
welcher zuerst FI5ten und Klarinetten, dann die Violinen
mit, erst schUcbtern und
leise, dann laut und stttr-
miscberregtfUm die Motive *' ' "•"*
wie um >Er liebt micbc und >er liebt mich nicbt<
spielen. Bald nachdem das zweite Tbema verklungen,
setzt das Horn mit dem Liebesgesang des ersten Satzes
ein (s. Tbema c): Faust tritt auf! Mit diesem Momente
beginnt der zweite Teil des Andante, verl&uft aber sehr
ungew5hnlich. An Stelle einer Durcbfubrung und Ver-
arbeitung der eben gebdrten beiden Tbemen bringt Liszt
Reminiszenzen aus dem ersten Satz der Faustsinfonie.
Zu dem Liebesthema treten die Klagen Fausts, die Motive
des Ringens und HofTens (Tbema b). Zum Teil erscheint
die Musik als eine wunderschdne Szene des Gefiihlsaus-
tausches, iiber welche der Instrumentenklang magisches
Mondlicbt leuchten lS.Ct. In Fausts Seele wird es ruhiger
und milder, seine diisteren Gedanken uberkleidet ein heller
Schimmer; Jubel und Jauchzen klingen aus seiner Brust.
Dann wird schnell abgebrochen, als wenn eine Vision
pidtzlich schwindet. Die Reprise setzt ein, bringt das
erste Tbema mit 4 Soloviolinen , zitiert nocbmals kurz
das Liebesthema und gebt Uber das zweite As dur-Thema
schnell zum SchluB.
Der dritte Satz fUbrt den >Mepbistopbeles« ein.
Die ersten Takte entwerfen kurz und meisteriich das
Signalement des kalten, frecben, kecken, frivolen Patrons,
geben ein Bild von seiner herausfordemden Gemeinheit
ebensowohl als von der vollendeten Sicherheit und
Leichtigkeit seines Auftretens. Dann beginnt die »Spott-
— ^ 393 ^.-
geburt« ihre Arbeit: spotten, yerneinen und verhShnen.
Die Themen Fausts aus dem ersten Satz werden ver-
zerrt, verrenkt und mil burlesken SchnSrkeln veraehen.
Das erste Thema wird durch Tempo und angeh&ngte
Figuren zur Fratze gemacht, das zweite durch einen
bissigen Rhythmus in folgende MiBgestalt verwandelt:
Alleg^To vivace. Zur besonderen Ziel-
scheibe seines maliti-
J"^ \^ 5sen Humors hat sich
Mephisto, >der Geist, der stets verneintc^ das Liebes-
motiv der Sinfonie ausersehen. Er zerreiBt es, wirft die
Stucke hin und her, verfolgt es unaufh5rlich, zieht ihm
Narrenkleider an:
-^ und auf dem Gipfel des Obermutes angelangt, jagt
er es endlich in einer regelrechten Fuge zu Tode. £s
ist etwas d&monisch FortreiBendes in dieser Schilderung
der Mephistofelischen Lustigkeit, und die Bewunderung,
die wir der Virtuosit9,t zollen miissen, mit welcher Liszt
die Themen der fruheren S&tze umgebildet hat, wird in
nichts dadurch vermindert, dafi wir uns an das Muster
erinnern, welches in der Sinfonie fantasique von Berlioz
hierfiir bereits vorlag. Denn dieses Muster hat Liszt be-
trfichtlich iiberboten. Hier ist die motivische Arbeit, auf
die im ersten Satz verzichtet wurde, glftnzend und in
neuer Weise geleistet Es kommen aber in diesem Finale
der Faustsinfonie auch Momente vor, welche liber ein
Gharakterbild Mephistos im engeren Sinne hinausgeben
und an den Verlauf der Goetheschen Dichtung ankntipfen:
Mitten in den wildesten Exzessen der Hdllenmusik ertonen
feierliche und dumpfe Kl&nge, die an Grab und Geister-
welt erinnem. Die erste Mahnung dieser Art erklingt,
nachdem wie unter HohngelSlchter Fausts erstes Thema
-— fr 394 «^
(mit dem Uberm&Cigen Dreiklang) voriibergezogen ist, ernst
und schwer unter Paukenbegleitung von den Bl&sern her.
Sie kehrt so fort wieder, als die Bratschen jenes oben ge-
gebene Fugenthema eingesetzt haben, die warnenden und
drohenden Stimmen lassen sich dann w&hrend der Ver-
spottung von Fansts heroiscbem Thema breiter und
schauerlicher vernehmen (Gestopfte H5rner!). In seiner
»Hunnenschlachtc, wo ein S.hnlicher Geisterkampf ge-
schildert wird, behandelt Liszt beide Parteien gleichmaBig
breit. Hier stebt nur Mephisto in voUer Tageshelle auf
dem Bild; die Himmelsm&chte stecken gewissermaGen
in den Wolken, aber fiir jeden, der den Komponisten
iiberhaupt verstehen will, deutlich sichtbar. Den Sieg
entscheidet schlieBlich Gretchens blasses Bild. Im Haupt-
thema des zweiten Satzes scbwebt es heran ntfd wird
nacb einem Ian gen letzten Ansturm, in dem die gesamte
Teufelsmusik noch einmal durchgenommen wird, zum
Zauberschild, vor welchem Mephisto das Feld rd.umt:
Die Musik geht in ruhigen Orgelton Uber, ein M&nner-
chor tritt auf und deklamiert in der alten knappen Weise
der friihcbristlichen Psalmodie »Alles Verg&nghche etc.«:
Der Solotenor flicbt in diese einfach weihevoUen, kirch-
lichen Klfinge zum letztenmale Gretchenmotive hineiu,
und so klingt das Werk mit einer mystisch verklarten
Wendung aus.
F. Liszt, Liszts im Jahre 1856 voUendete Dante-Sinfonie
Oante-Sinfonie. hat nur zwei Abtheilungen: Inferno und Purgatorio, Na-
men, die uns in Phantasiegebiete fiihren, welche die Musik,
in erster Linie die kirchliche, seit alten Zeiten oft genug
aufgesucht bat. Gegen einen urspriinglich geplanten
dritten Teil: »Paradies< sprach R. Wagner im Juni 1855
lebhafte Bedenken aus*]. DaG Liszt in seiner Schilderung
von Hdlle und Fegefeuer der Divina Comedia Dantes folgt,
wird aus einzelnen Ziigen des ersten Satzes bemerkbar.
namentlich durch die siifie Szene, welche derErscheinung
*) Brief wechsel zwischen Wagner und Liszt (1887), I. Band.
S. 78.
395
des klassischen Liebespaares, Franzeska und Paolo, ge«
widmet ist. Keineswegs aber versucht der Komponist die
ganze Pragmatik der Dichtung ins Mnsikalische zu tLber-
tragen UDd den Dichter auf alien G&ngen zu begleiten,
sondern bescbr&nkt sich, wie in der Mehrzabl seiner Pro-
grammkompositionen, anch bier darauf, wenige hervor-
ragende Ideen, solche, die musikalisch fafibar sind,
nachzndicbten and denjenigen Teil ibrer Seele blofi-
zulegen, welcben die Tone voller und mftcbtiger wieder-
geben k5nnen als die Worte. Das Inferno trUgt eine
Art mnsikaliscbe Gberschrift: eine wucbtige Melodie der
Blasinstrnmente, Lento.
die das bier
stebende Tbema
unter unbeimlicber Begleitung von Paukenwirkel und
Tamtamscbl&gen in dreimaligem Anlauf b5ber und b5ber
tragen. Diese Melodie soU uns die Worte vor die Pban-
tasie rufen, die fiber Dantes Hdilentor steben: >Per me
si va nella citt& dolente etc.c Das beriibmte >Lasciate
ogni speranza etc.«, von Trompeten und Hornem in dem
bekannten Stile der Opernorakel und Geistererscbeinungen
bingescbmettert, bildet ibren AbscbluB:
Lento..
Der nun folgende erste Teil gilt der Scbilderung der
Holle, ibrer Scbrecken und Scbauer, und bestreitet diese
Aufgabe mit dem Aufgebot aller dilsteren und furcbtbaren
Elemente der modernen Musik : mit cbromatiscben Figuren
und Motiven, mit freien Nonenakkorden und zusammen-
geketteten Dissonanzbarmonien, mit einer bald zuckenden,
bald fieberiscb hastenden Rbytbmik, mit Instrumenten-
kombinationen, die droben und &ngstigen, mit alien Hilfs-
mitteln der Ton welt in ibrer doppelten Natur, als Kunst
und als Naturerscbeinung. Den AbscbluB dieser Partie
bildet die erneute Intonation des Tbemas des »Lasciate<,
jetzt nocb von Posaunen und Tuben verstHrkt. Und nun er-
— 1^ 396 ^^
klingen doppelteHarfen,daftig undleicht schwebenFigoren
in F15ten und Violinen aiif und nieder, die BaOklarinette
stimmt ein Rezitativ an: Klarinetten und englisch Horn
15sen sich mil schmachtenden und wehmiitigenWeisen ab:
Das klassische Paar erscheint in der HUUe eines msikali-
schen Dialoges. Das Cello beginnt an einen kurz vorher ge-
hSrtenZwiege- (h«i Andante,
sang der Kla-^
SeT r .M,^v i fiFi I i^^r »r iff
lehnend mit: *»'<^« "
Die Violinen, baM von den Bl&sem unterstiitzt, antworten:
Andante amoroso. ^ ^US diesem
doiaf —=3=*- ein breiler
Satz, der zu Liszts schSasten ErRndangen zahlt nnd an
Zftrtlichkeit, Innigkeit und W&rme an das Beste heran-
reicht, was die moderne Oper auf diesem Gebiete auf-
zuweisen hat Das Thema des »Lasciate« verscheucht
dieses liebliche Bild, und die Greuel der H511e vollfUhren
einen zweiten Reigen. r
Wenn dieser Satz im Totateindruck Liszt vorwiegend
von der Seite des unerbittlichen Gharakteristikers zeigt,
so ist der Purgatorio dagegen eine Idylle grdBten Stils,
durchaus anheimelnd und mehr als das: auch erhebend.
Der erste Teil des Purgatorio beginnt wie eine Szene
auf der Bergesh5he: Leise sftuselnd sammeln sich belle
Akkorde und umwogen uns wie leichte Wolken, anmutig
sanfte Melodien, die in Wagners >Karfreitag8zauber«
passen wflrden und an Liszts ^ Andante.
eignen »Orpheus€ erinnem, wech- A J j j j I 'J J J I a I
seln mit einer religiosen Weise:
Mit Rezitativen und einsamen Violinfiguren wird Um-
schau gehalten, nach dem Wege zum Himmel gesucht
und leise der Erde gedacht, die mit ihren Leidenscfaaften
unendlich weit abliegt von diesem reinen Gefilde. Es
gibt kaum eine zweite Orchesterkomposition , in der ein
atherisch verklarter, aUes Materielle abstreifende Ton so
-<^ 397 ^^
entschieden festgehalten wird, wie hier. Das ergibt aber
fur den Vortrag Schwierigkeiten, die nor ganz selten
uberwunden werden. Diese scheinbar so leicbte Musik
verlangt die grdndlichsten Proben and voUst&ndiges gei-
stiges Einleben jedes Mitspielenden. Den zweiten Teil
des Pnrgatorio bildet ein Fngensatz fiber folgendes
Thema:
Laneatofto.
a. ^ Aus diesem Fngensatze klingen Re-
■ J) n 1p 7 ^Jl : signation und Betrlibnis. Das oben
^ angefUbrte religi5se Tbema scblieBt
ihn ab und und leitet zum letzten Abschnitte des Pur-
gatorio liber: einem Chorsatz. In ibm intonieren Frauen-
stimmen das Magnifikat und ffihren seine frommen Themen
in einer einfacbenWeise durch, welcbe sicb dem Palestrina-
stil n&bert. Das Orchester geht in scbimmerden Kl&ngen
mit, bald zart und mystiscb wie eine Aeolsharfe, bald
m&chtig und in ruhiger Pracht dahinrauschend. Liszt hat
fiir diesen ScbluC zwei Lesarten gegeben, von denen die
erste leise ahnungsvoll verhalt, die andere exstatisch
und verziickt im Forte abbricht.
£s wird an anderer Stelle*) auszufUhren sein, wie
Liszt in seiner weitern Entwicklung dazu kam, die mehr- y.-^^ S^
sS.tzige Sinfonie aufzugeben und sicb ausscblieOlich dem
neuen Typus der sogenannten >sinfonischen Dichtungenc,
die durchaus eins&tzig sind, zuzuwenden. Im Inland und
Ausland ist auf diesem Gebiete Liszts Gefolgschaft der-
art gewachsen, dafi die mehrsStzige Programmsinfonie
dagegen zuriicktritt.
Joachim Raff ist der Tonsetzer, welcher sie nach J. Baff,
Berlioz und Liszt eine zeitlang am erfolgreichsten ver- •^™ Waldo*,
treten hat. Es kommen hier unter seinen neun Sinfonien
die Sinfonie >Im Walde< (Op. 153) und die >Lenore<
*) Im 3. Band dieses Werkes, der Konzerte, Oaverturen,
Yariationcn und andre eins&tzlge OrchesteTkompositionen enthalt.
--^ 398 <»-
(Op. 177) als die verbreitetsten in Betracht. Raff hat in
beiden Werken die viersfttzige Gestalt der Sinfonie etwas
unkenntlich gemacht, indem er seine Rompositionen in
drei Abteilungen gruppiert; aber wenn man die einzelnen
Abteilungen n&her priift, so fin del sich der vermiBte vierte
Satz irgendwo als blinder Passagier.
In der W aid sinfonie fiihrt der erste Satz den
Titel: »Am Tage: Eindriicke und Empfindungen<. Er ist
origineU eingeleitet durch einige pr&ludierende Takte, in
welchen die beiden Hauptthemen des Satzes verkurzt ihre
Schatten vorauswerfen. Das erste Tbema setzt dann im
munteren Wandertone ein:
Alleg^ro.
^ Sein AbschluB und die Ober-
|» ^^ j» ■ J^ j J J J^ [ ■ leitung zum zweiten Them a
i» dauern etwas lange, dann
aber kommt letzteres als ein echter Raff:
^jjt-HVJ-^jMJJ^J ' J 4 I
Die Terzenbegleitung der Melodie, No-
Sr^j J y J ^ ' nenakkorde als harmonische Stutze der
*-Ii^ " w' HeT Hauptpnnkte gehSren zum Signalement
dieses Komponisten; wenn er zum Gemote sprechen
will, kommt ihm in der Hg,lfte aller F&lle diese volks-
artige Weise auf die Zunge. Sie folgt ihm wie eine Er-
innerung aus Heimat und Kinderjahren und fehit fast in
keinem von Raffs gr5Beren Werken. Die Anlage des
Satzes ist die ftir ein erstes Allegro der Sinfonie iibliche.
In der Durchfuhrung treten zu den beiden Hauptthemen
noch allerhand kleine Waldteufel; auch verschiedene
niedliche Kunststiicke (Kanons etc.) hat der Romponist
hier untergebracht, welche kaum jeroand beachtet. Die
schonsten Stellen des Satzes liegen abseits
vom Hauptwege : da wo das Orchester still <fi j I ^T^
den einfachen Rufen des Horns lauscht: 4 "•'
-<^ 399 ^^
Die zweite Abteilung, betitelt: >In der D^mmerung<,
bestebt aus zwei S&tzen: A. >Trftumerei<, 6. >Tanz der
Dryadenc, welcbe dem Adagio und dem Scberzo eat-
sprechen, wie wir sie sons! in der Sinfonie zu finden
gewohnt sind. Raff bat sie dadurch enger verbunden,
da6 er obne Pause in das Scherzo iibergeht und an
dessen Scblusse das Haupttbema des langsamen Satzes
nocb einmal anklingen IftBt. In der >Tr&umerei< ist die
Fiibrung einer Melodie Ubertragen:
Adagio.
i3\ U^.M 0 1 1 jUUJ ' -LU^ I ^<3i jj '
^ J an welcher man die Eunst bewundern
jjjh I J^ J 1 J kann, mit welcber Raff, ein Genie der
"^^ :^-i=^ Eklektik, Beethovensche, Scbumannsche
und Wagnerscbe Elemente zusammenzuschmelzen ver-
stand. Der in seiner Wirkung edle Gesang entspringt
der Brust des Traumers. Die Traumbilder selbst, welcbe
sich diesem zeigen, bestehen aus leichten Gaukeleien:
konzertierenden Figuren und Pbrasen der Blaser. Der
»Tanz der Dryaden* — Hauptsatz A moll, Trio Adur —
ist nicbts als ein Pflicbttanz, eine jener rein handwerks-
m&Cigen Leistungen, die den GenuO der Raffs chen Kom-
positionen immer wieder erscbweren. Die dritte Ab-
teilung der Sinfonie beiBt: »Nacbts. Stilles Weben der
Nacht im Walde. Einzug und Auszug der wilden
Jagd mit Frau HoUe und Wotan. Anbruch des Tagesc.
Man muC fragen, wie kommt auf einmal die nordische
Sage mit Frau HoUe und Wotan in ein Tonwerk,
welches sich — unbescbadet des Dryadenzitats — bis-
ber in der Sph&re einer reinen Naturdichtung bewegt
hat? Indes beginnt der Satz zwar gar nicht n&chtlich,
aber musikalisch sebr ansprechend mit einer Fuge iiber
ein Tbema:
400
AUegro. ^^^^^
'^.■,rr|n^fT>l^J|^JMrJl^rl^'^tm-f1^
welches ziemlich ahnlich auch dem Komponisten C. Gold-
mark bei seiner Sinfonie »L&ndliche Hochzeitc eiDgefallea
ist. Aber dann Uberkommt Berlioz* b5ser Geist den
Tonsetzer and auf Konto der »Fraa Holle« entfesselt er
ein Spektakelstiick, das noch hUOlicher, dabei aber viel
gew5hnlicher und uninteressanter ist, als die HoUenszenen
der Sinfonie fantastique und die Orgien des Childe Harold.
Eine Coda, welche die Fuge wieder aufnimmt und leise
verklingen l&Ct, sucht den Endeindruck zu retten. Heute
ist die Waldsinfonie und der ganze Raff auch bei den
Musikem im Rurs gesunken. Der spS.tere preuBische
Kultusminister Bosse hat sie schon 1878 sehr abfallig
beurteilt*).
J. Baff, Die Sinfonie >Lenorec ist Raffs beste Leistung auf
Lenore. dem hier in Betracht kommenden Gebiete: edel gedacht,
frei von den AuswUchsen einer Slsthetischen Halbbildung
und musikalisch das Beste zusammenfassend, was Raff
zu bieten hatte. Eine voile Originalitat der motivischen
Erfindung, wie wir sie von den Ftlhrern und Meistem
unserer Kunst verlangen, ist auch in der Leonore nicht
zu fin den. Fast jedes ihrer Themen zeigt in einem Teile,
zuweilen in der ganzen ersten HS.lfle auf fremdes Eigen-
turn, hier sind Beethovens Quartette die Quelle, dort tritt
uns Schumanns Klavierkonzert entgegen. Aber die ein-
mal aufgestellten Gedanken sind in dieser Sinfonie zu-
weilen mit dem Schwung und der Warme behandelt, die
den groBen KUnstler macht, und verfiele nicht Raff auch
hier hin und wieder in eine bequeme, unausstehliche
Redseligkeit, in das rein formelle »Musikmachenc, so
wUrde die »Lenorec geeignet sein, den Namen ihres
Schdpfers bei der Nachwelt zu verewigen.
Die erste Abteilung der Sinfonie schildert das >Lie-
besgliickc. Sie besteht aus zwei selbst&ndigen S&tzen, die
*) H. Bosse: Erinnerangen. (Grenzboten, Jabrg. 1904.)
401
dem gewdhnlichen ersten Allegro and dem Adagio in der
Sinfonie entsprechen. In dem Allegro herrscht ein er-
regter Geist. Die Liebe redet in T5nen des Ober-
schwangs, in Themen, die kein Ende finden wollen:
■^ CUr r f I
_ J, ^^ Dem Jubel und dem still gliicklichen Sin-
-t- ^ -£-^"fT^ ^^^ folgen Szenen, aus denen Sehnsucht
und Dankbarkeit zugleich sprechen.
g-H-JT-^^f^^^
Einen der sch5nsten Momente des Satzes, einen Augen-
bliek still stkOen Erinnerns, zeichnet Raft wieder
mit einer seiner .- — ^ -^ ♦TTI^ «^
volkstamlichen ^-c=^E^Ji^W=f^rT ^^tf^ifr^
Terzenroelodien: «*
In dem Durcbfiibrungsteil dieses Allegro lassen sicb
KlUnge banger Ahnung boren. Der zweite, der lang-
same Satz der ersten Abteilung gleicbt eincm Gesprach
der Liebenden, beberrscht von dem rabigen Tone der
des Besitzes sicberen Liebe. Naive, trauliche, berzlicbe
Gedanken, von der Art wie das Hauptthema beginnt:
Andant<Llarirhotto. werden ausgetauscht; la-
^
UMargnotto.
PP
^
^-^X-
^
^3 cbelnd halt der Bnrsche
^^ dem Kosen und Fliistern
seines Mftdcbens still; freundlicb bestimmt zusprechend,
bescbwichtigt er die Sorgen Leonores, die in der rezitativ-
artigen Gis moll-Episode des Satzes einen erregten Aus-
Kre tssehmar, FQhrer. I, 1.
26
— ♦ 402 ♦—
druck finden. Die zweite Abteilung, betitelt >Treimimg<,
besteht in der Hauptform ans einem Marach, der alien
Zuschnitt hat and in manchen Wendungen direkt an den
•Hohenfriedbergerc erinnert Der Erieg ist ausgebrochen:
Wilhelm muO fort Ein Mittelsatz (Agitato in Cmoll) ent-
h< die Abschiedsszene der Liebenden; ein Tonbild aus
leidenschaftlichen, wie ratios irrenden Figoren, weh-
mtttig klagenden Weisen nnd schmerzvollen Akzenten
zusammengesetzt Dann setzt der Marsch wieder ein,
am Schlnsse hdrt man ihn wie ans der Feme. £s ist
viel poetische Kraft in dem einfachen Entwnrf dieser
zweiten Abteilang. Die dritte Abteilung behandelt die
»WiederYereinigang im Tode< mit Grab- und Ghoralmnsik,
in welche sinn- nnd wirknngsYoli die Motive des Trennungs-
marsches und der langsamen Liebesszene hineingezogen
sind. Am Anfang der Abteilung bringt Raff wohl im
Sinne eines Zitats den Abschnitt: >Wenn alle Toten
auferstehn« aus der groBen Szene des >Fliegenden Hol-
landers c in R. Wagners gleichnamiger Oper. Den schauer-
lichen Greistercharakter der Situation deutet ein in den tie-
feren Instrumenten unaufh5rlicb wtihlendes kurzes Motiv
^^ ^ an. Am Schlusse l&Ot der Komponist fiber den
JV7 J> Spuk und L&rm der viel zu langen Gespenster-
szene den Vorhang fallen und spricht einen sanft web-
mfltigen und ergreifenden Epilog.
Von den ttbrigen sieben Sinfonien Raffs gehOren noch
mehrere der Programmusik an : »In den Alpenc, > Jahres-
zeitenc, »An das Vaterland*. Wie die unbenannten
Werke der Gattung aus der Feder des Komponisten,
unter denen die Gmoll-Sinfonie die wertvollste ist, teilen
sie unleugbare groBe Scbdnheiten mit unbedeutenden
zierlicben Spielereien und Oden Partien der blofien Rou-
tine. Die Vorzttge einer ungew5hnlichen, starken Ein-
bildungskraft, eines warmen Gemtlts, welche dieser Ton-
setzer besaB, wurden wett gemacht durch den Mangel
an jener Sammlung und Hingabe, welche ein wesentlicher
Teil der Poesie selbst ist, durch das Fehlen jener Kritik,
welche Bureaudienst vom Dienste der Kunst unterscheidet
-^ 403 ^—
Eine andere Sinfonie >Leonore<, die ebenfalls der Aug. Klagiitrtfk,
Ballade BUrgers folgt, ist von August Klughardt vei> »Leonore«.
offentlicht worden. Sie hat vier S&tze, unter denen em
Adagio wegen seines Reichtums an innigem, unge-
kiinsteltem Ausdruck hervorragt. Auch in den anderen
S&tzen, wo die Situationsmalerei ftberwiegt, spricht Ge-
mUt und Herz in fesselnden Partien. Das Werk ist leider
zu wenig bekannt geworden.
Unter denjenigen neueren Sinfonien, welche in der
hergebrachten viersfttzigen Form ein Programm durch-
zuf&hren suchen, ist als eine der friihesten Aberts
>Columbusc zu nennen. Eine der musikalisch gehalt-
YoUsten Programmsinfonien der vermitteinden Richtung
besitzen wir in dem »Wallen stein € von Jos. Rhein- J. BhelBberger^
berger. Der Komponist hat aus der Schillerschen Tri- Wallonstein.
logie die Figur der >Thekla<, die Lagerszene mit der
Kapuzinerpredigt und den Tod Wallensteins zur musi-
kalischen Illustration ausgewfthlt und diese drei Objekte
an das Adagio, das Scherzo und das Finale der Sinfonie
verteilt Den noch freien ersten Allegrosatz benutzt er
zu einem >Vorspiel<. Das letztere fdhrt uns am Anfang
mitten hinein in das frische, krSftige Lagerleben:
AUogro con fuoco.
jff^ etc.
Wallenstein steht bier noch fest und herrisch in der
Menge; sp&ter zeigt ihn der Komponist in seinem Schwan-
ken zwischen diisteren Ahnungen und freundlichen Zu-
kunftstr&umen. Auf letztere bezieht sich wohl das eigen-
tlimliche Thema der Blftser, welches mit dem langen
Verweilen auf einem Tone beginnt und dann so traulich
Schubertsch schlieBt Einzelne Melodien des Vorspiels
sind von einer so ausgepr> weiblichen SchGnheit, dafi
sie uns von Wallenstein weg an Max und Thekla denken
lassen. Dahin gehCrt das tr&umerisch wiegende Thema:
welches auch in
l\ fJ Ipl |p£TJ^j I'r rfri' T^ I clem Adagio der
^ J — i^==; ==—- / it^ Sinfonie ver-
26*
404
wendet ist Dahin wohl auch die italienisch anklingende,
direkt mil der (erst spHter erfundenen) >Mandolinata<
verwandte Melodie:
Piik moderato.
welche die DurcMuhrung einleitet und einen grofien Teil
derselben trftgt. Die Nahe der Schicksalsmftchte wird im
Vorspiel in kurzen, schwermiitigen MotiveD, in Fermaten,
welche den lebendig bewegten Gang der Darstellung be-
deutsam nnterbrechen , angedeatet. Ihnen namentlich
scheint die hymnenartige Melodie zu gelten, deren Haupt-
motiv A ,A A ^^® ^^^^
folgen- A' f \^"' \ \ ^'T'^'T^T^'lf = immer in
des ist: ^ ' dim, dunkler
Instrumentierung auf, so oft sie in dem Satze erscheint.
Beim letzten Male geht ihr eine sehr eindringliche Klage
aus dem Munde der Klarinette voraas. Auch im zweiten,
im langsamen Satze der Sinfonie kehrt sie wieder.
Zu den leicht verstandlichen Werken der Programm-
musik geh6rt Rheinbergers Tongemalde nicht; am wenig-
sten das »Vorspiel« mit seiner Fiille von teilweise sehr
vieldeutigen Themen. In der musikalischen Behandlung
des Materials macht sich der EinfluC Beethovens in einer
seltenen Starke bemerklich. Durch das >Vorspielc blickt
deutlich die zweite >Leonorenouverturec.
Das Adagio der Sinfonie, >ThekIa« tiberschrieben,
wird von folgender sch5nen Hauptmelodie getragen:
Adagio.
(■i'''iyUlj.jj)JTPlr"rT7r+^
Auch das zweite Thema ist in seinem mfidchenhaften
zarten Charakter nicht miOzuverstehen. W&hrend es die
Blaser singen, begleiten die Violinen mit munteren Mo-
tiven, welche das tr^umerisch schwarmerische Bild der
Tochter Wallensteins mit einem anheimelnden Zusatz
von Zierlichkeit erg&nzen. Am Ende der Themengruppe
_^ 405 ^—
^rscheint eine kleine Episode erregter Natur, welche der
Blumenszene Gretchens in Liszts » Faust c fthnlich ist
Sie stutzt sich ^ p,^ ^^ In der SchluChftlfte des
musikalisch auf^^^^^^^=Satzes wird Thekla wie-
das kleine Motiv: ^ derholt von GefUhlen stur-
mischer Unruhe ergriffen. In einem derartigen Momente
ist es, wo das friiher erwUhnte Hymnenthema des ersten
Satzes beschwichtigend eintritt
Das Scherzo >Wallensteins Lager < wird viel einzeln
aufgefiihrt. £s verdankt diese Bevorzugang seiner be-
stimmten Charakteristik, der Einfachheit seiner Form und
seiner lannigen Natur. Die Stiitze seines Hauptsatzes
bildet das Thema:
XIIcgTetto.
i
^^^i^^^ 4t Um dasselbe herom reiht sich eine kleine
,M*MrrT?ft^ Suite lebendiger Bilder, welche das Sol-
- datenleben von seiner frohlichen Seite
veranschaulichen. Der Triangel klingt mit dem Becken;
ab und zu gibt auch die groBe Trommel grotesk einen
dumpfen Schlag darein. Man spielt und tUndelt anmutig
und gemiitlich; zuweilen werden auch die Szenen wilder,
barsch und derb. Unter den vielen Nebenthemen, welche
im Satze erscheinen, macht sich besonders das folgende
bemerkbar: '
^_jt^l^^f,,fe|tej£^=f-.^^=^^
KC
Es ist die Melodie zu »Wilhelmus von Nassaxi«, einem
niederlandischen, in der Zeit der Reformation sehr
beliebten Reiterlied. In versteckteren und offenen An-
spielungen durchzieht dieser Volksgesang das ganze
Scherzo von Anfang an. Schliefilich intonieren es die
Bldser in seiner Originalgestalt zur Freude des Chorus,
welcher es brausend aufnimmt. Da auf einmal: General-
pausen, Dissonanzen — ein Wirrwarr entsteht. Der Ka-
puziner ist da! Seine Predigt vertritt das' Trio des
_^ 406 ^—
Scherzo. Aufierordentlich gelangen hat Rheinberger den
bald bissigen, bald larmoyanten, bald salbungsvoUen
Ton nachgeahmt, welchen der Pater bei Schiller anschl>,
nnd die Drastik der origin ellen Szene wird in derMusik
noch dadurch erhCht, daB hier auch die Reaktion der
nnfreiwilligen Zuh5rer zu einem treffenden lebendigen
Ausdruck kommt Der Haupttrumpf , welchen die Uber-
mQtigen Landsknechte dem Strafredner entgegenstellen,
ist das Reiterlied.
Der vierte Satz der Sinfonie, >Wallensteins Todc,
hat einen korzen Prolog (Moderato, DmoU, o/g), welcher
den tragischen Inhalt des Kommenden in schreckenden
und klagenden T5nen kurz feststellt und dem ungliick-
lichen Helden einen edlen Trauergesang widmet. Dann
beginnt mit dem Allegro vivace (D dor, y^) eine Schil-
derung der letzten Stunden Wallensteins. Ein Tonge-
murmel, dem im Scherzo von Beethovens Eroica &hn-
lich, sagt uns, daB die Szene in der Nfthe des Soldaten-
lagers spielt. Wir hdren muntere kriegerische Weisen:
^ Aflegro viTao. Auch Wallenstein scheint
' §iJ\\f^^ * I r' r / r I r'F^feihnen zu lauschen, bis
^'' jT "' ^' ' ■"■' er aUmfthlich in Trftu-
mereien versinkt, dr&ckender Natnr die einen, liebens-
wiirdig entzQckend die anderen:
Li\ w \ r-ir'ir^7i^r-i«rTir>-irif
Das SchluBbild seiner Visionen (Allegro, 0) gleicht einem
Triumphzuge. Wallenstein erwacht Wieder hdren wir
den LUrm des Lagers. Der Fortgang ist wie vorhin. Nor
lenkt die Traomszene jetzt in eine wundersch5ne Schlum-
merszene (Adagio, o/s, H dnr) fiber. Zum dritten Male be-
ginnt darauf die Mosik mit der Schilderung des Treibens
im Lager. Wieder tr&nmt Wallenstein. Jetzt aber werden
die Motive von grellen Signalen der Posaunen nnd Trom-
peten, von wilden Figuren, von Dissonanzen und von
einem grftBlichen Anfschrei des ganzen Orchesters ab-
gel5st. Die Katastrophe ist vorbeil Mit einem kurzen
407
Epiloge, dessen Knappheit auf die Realistik der leizten
Szene sehr beruhigend wirkt, entl&Dt uns der Komponist
Schiller hat noch zu anderen Programmsinfonien
VeranlassQDg gegeben, die im Pabliknm wenig bekannt
geworden sind: M. Moszkowskys > Jeanne d*Arc«,
J. L. Nicod^s » Maria Stuart c etc.
Bins derjenigen Werke, in welchem zwischen Pro-
gramm und Musik nur ein lockerer Zusammenhang be-
steht,'ist die frtUier viel gespielte Sinfonie >Frithjof€ h. Holrm•n^
von Heinrich Hofmann. Der Komponist beschr&nkt sich »Frimof«.
auf den erotischen Teil der bekannten Sage £. Tegn^rs
und entwirft in dem ersten, zweiten und vierten Satze
seiner Sinfonie von dem Gliicke Frithjofs und Ingeborgs,
Yon ihrer Trennung und ihrem Wiederfinden eine Schil-
derung, welche an und fQr sich beredt ist, aber sicher
auch auf jedes andere Liebespaar ebenso gut passen
wurde. Das Lokalkolorit, unter welchem wir die Bilder nach
dem Xitel des Werkes gem sehen m5chten, ist in einem
eingeschobenen dritten Satze »Lichtelfen und Reifriesen«
extra beigegeben. Im ersten Allegro der Sinfonie, »Frith-
jof und Ingeborg« tlberschrieben, wechseln, in der Sprache
der modemen Oper geflftsterte, zftrtliche Gest&ndnisse,
schzneichelnde und kosende Reden und flberschw&ngliche,
gliihende Erkl&rungen. Die beiden Hauptgestalten sind
in ihren Themen mit Motiven charaktehsiert, welche im
Finale der Sin- AUegro.
fonie wiederkeh- Jik ■■ fr &dwff r-: — t«»-.*K/^»« ^i*.
ren. Frithjof mit: r ^' " ' ' Jj U ' ^ Ingeborg mit:
ijt'' nf^uJysi L^TT\i njTi ■
Der zweite Satz heiBt »Ingeborgs Klagec. Das trauernde
M&dchen ist repr&sentiert durch:
und durch das
P1& aaimato.
Schmnannsche ^^'U |'. | Wf | 1 .1^. >] I JJ ;
(C dur- Smfonie) : ^ !»-«=: =i— ^^^
408
das hofifen- -J A- J , ^ , , i In der sehr kurzen Durch-
"" " fiihrang ist eine Episode
de durch
der Erinnerong an Frithjof gewidmet. Sie steht auch
motivisch mit dessen Them a in ei- !.« i _ _ __ ^_ , r —
nem erkennbaren Znsammenhang: ■ " f\ CJ" ^UJ ^ ~
Die >Lichtelfenc des dritten Satzes (>Intermezzo<}
werden durch folgendes Hauptthema gezeichnet:
Alleg^ro pioderato.
j^^''^[6/'Tl^J'^^
pp Viol. c. sord.
Die >Reif.
riesenc fiih-
ren tiber:
einen Tanz aus, dessen wilder Charakter durch hohe
Triller und durch kompakte Bld.sermassen noch verstfirkt
wird. Die Erfindung und die Entwickelung der Themen
zeigt den EinfluB von Mendelssohn und Gade. Das
Eigenste des Komponisten liegt in der lebendigen Farben-
mischung, zu deren Reizen ein Glockenspiel einen aufier-
gewohnlichen Beitrag steuert.
Der vierte Satz, >Frithjofs Ruckkehrc, beginnt mit
einer anschaulichen Einleitung. Hornsignale tonen von
alien Seiten, allarmierende Figuren der Violinen rufen
uns, einem festlichen Ereignis zuzuschauen. Die heimat-
lichen Helden kehren als Sieger zuruck, wie uns das
aus Wagnerschen und Weberschen Elementen zusammen-
gesetzte und mit einem frischen Kopfe gekronte Haupt-
thema sagen will:
Allegro ▼Waoe.
*«•#*♦
'J^' Viol
Die Seitengedanken und das zweite Thema:
■jf>\fni3ij."/^^
n?
rmijif'
«te>
_^ 409 ♦—
wenden sichintimerenHerzensangelegenheitenzu. SchlieG-
lich erscheint Ingeborg mit ihrem Thema aus dem ersten
Satze der Sinfonie.
Eine nach dieser Sinfonie verdffentlichte Programm-
suite H. Hofmanns, »Im SchloBhofec, geh5rt zu den
besten Leistungen des Komponisten.
Ebenso und noch mehr lose als im »Fritlgof« sind
die Beziehungen zwischen Xitel und Inhalt in der Sin-
fonie »L&ndliche HochzeiU von Carl Goldmark. Der CGoldmark,
Oegenstand ist fiir ein bescheideneres Genrebild, etwa im ^andliche
Umfang und Stil der ^Festklangec von Liszt, sehr ge- H®<^*"«**-
eignet, aber ffir eine Sinfonie oder eine groBe Suite —
das letztere ist die Goldmarksche Komposition eigentlich
— nicht wichtig genug. Auch ist der landlicbe Charak-
ter des zur Darstellung gewahlten Ereignisses nicht eben
eindringlich veranschaulicht; einzelne Partien wieder-
sprechen ihm geradezu. Aber die Goldmarksche Sinfonie
hat ihren musikalischen Wert. Sie verbindet Reichtum
der Phantasie mit einem teilweise eigentumlichen, immer
aber fertigen und sicheren Ausdruck.
Der erste Satz besteht aus 12 Variationen. Von
F. Lachner, der diese Form ftlr 'den Eingangssatz der
Suite eingefiihrt hat, unterscheidet sich Goldmark da-
durch, daB er die Variationen frei durchfUhrt Nur we-
nige bringen das ganze Thema; in einzelnen finden wir
nur kurze motivische Fragmente desselben, in einer dritten
Gruppe herrscht nur ein ideelles Verh<nis zum Modell.
Der Oberschrift nach bedeutet dieser erste Satz den
>Hochzeitsmarsch€. Im technischen Sinne marschm&Oig
sind nur der Anfang und der zu diesem zurUckkehrende
SchluB. Die Variationen haben wir uns als Figuren aus
dem Hochzeitszug oder als Stimmungsbilder zu denken:
einzelne phantastisch oder innig und beschaulich: die
Mehrzahl flott, feurig und freudevoU. Das Thema selbst
beginnt, in den B&ssen allein, mit folgender Periode:
Moderato.
410
welcher der entsprechende Nachsatz folgt Es schliefit
mit einem freien Abgesang:
v'A' iriTic \frf\hh\^i^i\\^i^hififf^\r
dessen lange Noten sdch sehr htlbsch in den Variationeir
bemerklich machen. Von besonderem Reize ist die In-
strumentation des Satzes.
Der zweite Satz — >BraQtliedc Qberschrieben — ist
eine knappe Komposition in der Form der dreiteiligen
Arie. Der Hanptsatz bat reizende Elemente Schubert-
scher Melodik. Sein fUhrendes Tbema ist das folgende:
Allegretto.
t,fi' ii;i fTi n \^rpn ijcuti
w=r=>pc-
p^ Clar.
^«™ -JLi\ J'.T:pi;rn7ri^ (f^^4-^ gi^t die un-
Mittelsatz IP ^'' ^- P^ 'f ^^U 'fJJ^' '= iewShnliche
Wahl der Tonart (Unterdominante) grofie Wftrme.
Der dritte Satz, »Serenade€, h< die kunstvoUere
Form der Sonate ein. Seine Themen:
Alleg^To moderato.
i iffj^ \f^' ' i' ' l|_rlLI "i I ' ^^fui!^
und das in der Durchf&brung bevorzugte:
jTQh
sind beide leichter, scherzender Natur. In der Instrumen-
tierung, die zuweilen eine dorfmftfiige Einfachheit besitzt,
und in der Harmonie, in welcber die liegenden BaBquinten
eine grofie RoUe spielen, hat der Komponist l&ndliche
Ziige sehr launig eingewebt.
Der langsame Satz der Sinfonie fflhrt den Tite)
»Im Garten «. Die Einleitung dieser Szene und der
mit ihr identische Ausgang wird mit Recht als der
sch5nste Teil der ganzen Sinfonie angesehen. Das
\
—ft 411
Thezna , wel- ^' . Andmte, cur.
ches ihm zu- -^ ^ ^- - * ' -
Grande liegt: ** '
bildet in dem wilden Finale der Sinfonie dann nochmals
eine kurze, zarte, trftmnerische Episode. Den mittleren
Teil des Satzes (Gesdnr, ^j^ Takt) bildet ein Liebesdialog,
in der glfthenden Spracbe von Wagners >Tristan and
Isoldes gefftbrt
Der Scblofisatz der Sinfonie heiBt »Tanz«. Sein Haupt-
thema:
AUefT'o molto. _ >. ^
i^i^uiiW^m^m
welches znnftcbst in der Form der Fnge ausgefQbrt wird,
bringt kecke nnd volkst&mliche Elemente in die Kompo-
sition hinein. Unter alien Teilen der Sinfonie ist das
Finale deijenige, welcbe den l&ndlichen Cbarakter der
Hochzeit am treuesten veranschaiilicht und ein wirklicbes
Stftck realistischer Programmosik bildet. EigentQmlich
und mehrdeutig sind die nach Elang und Tonart so
fremden Harfenakkorde, welche an mehreren Stellen des
Satzes mitten in den st&rksten Tumult hineintSnen. Die
menschenfreundliche Richtung der >L&ndlichen Hocbzeit«
und ihr Reicbtum an gut volkstUmlicher Erfindung lassen
es bedauern, daB Goldmark sicb auf dem sinfoniscben
Gebiet nicbt entscbiedner ausgebreitet bat Seine zweite, €. QoldMark,
programmlose Sinfonie (Esdur, op. 36) ist, well sie im Zweite Sinfonie
Cbarakter und Stii zu bedenklicb scbwankt, ziemlicb un-
beacbtet geblieben. Dieselbe Verbindung pastoraler und
beroiscber Elemente, welcbe die zweite Sinfonie von
Brahms auszeichnet, ist bier mifilungen.
Die neuesten und bedeutendsten Beitrftge zur Pro-
grammusik bat Richard StrauB geliefert Aber dieser Blehard StranA^
Komponist hat sicb bald fUr die Form der einsfttzigen "Aus italienc.
sinfonischen Dichtungen entschieden; Programmkompo-
sitionen yon zyklischer Anlage, die dem Bereich der
Sinfonie oder Suite zuzuweisen w&ren, gibt es yon ihm
nur eine. Sie belBt >Aus Italien« und scheint jetzt,
--• 412 ♦—
nachdem der Komponist in »Tod und Verklarung<, ia
>Till EolenspiegeN in >Also sprach Zarathustra«, im
>Helden]ebeu< und in der >Sinfonia domesticac kiihnere,
die Aufmerksamkeit erzwingende Wfirfe getan hat, nach-
tr&glich starkere Beach tung und Verwendung zu linden.
Mil diesem Werke vollzog der Komponist, der his dahin
mit einer grofien Fmoll-Sinfonie, mit einer einsHtzigen
Serenade fQr Blasinstrumente und andren Beitragen zur
flogenannten absoluten Musik, sich als ein stark eklek-
tisches, aniehnendes und fur infiere EfTekte begabtes
Talent gezeigt hatte, seinen Cbergang in das Lager Liszts
und der Tonmalerei. £s ist sein Opus 16. Straufi nennt
die Komposition mit der ihm eignen Willkiir und Sonder-
sucht, die sich auch in den oft geradezu verkehrten
Tempobezeichnungen des Werkes ^ufiert, eine >Sinfonische
Fantasiec Das eigentliche Formgebiet, dem sie von
auBen und innen zugehdrt, ist aber das der Suite. Sie
ist eine Programmsuite von freundlicherer Art, wenn
auch nicht immer ganz mafivoU, so doch frei von eigent-
hchen Exzessen der Phantasie und der musikalischen
Ausfiihrung und nach letzterer Richtung reich an Proben
•eines koloristisch, in zweiter Linie auch melodisch her-
vorragenden Talents.
Die StrauOsche Fantasie Oder Suite hat vier Satze,
tind die Hauptbilder, die er in ihnen vorfiihren ixrill,
heifien : Auf der Campagna, In Roms Ruinen, Am Strande
von Sorrent und Neapolitanisches Volksleben. An Ver-
isuchen, italienische Eindriicke wiederzugeben , ist die
Musik im allgemeinen nicht arm. Im Orchester allerdings
liegen sie, von der PifTerarisinfonie des Handelschen
>Messias< angefangen, nur spslrlich vor und haben in
Berlioz' >Harold<, seinem >R5mischen Karneval< und in
Charpentiers >Impressions d'Italie< die Hauptstiicke auf-
zuweisen. Um so reicher ist die Kammer- und Klavier-
mnsik mit ihnen ausgestattet Die 6eitrS,ge, die StrauB
in seinem Programm zu diesem Kapitel zu geben ver-
spricht, haben die musikalische Moglichkeit fiir sich.
Wer an die Campagna, an Rom, an Sorrent, an Neapel
— ♦ 413 ^^
denkt, dem erweckt schon jedes dieser Worte eine Stim-
mang fur sich, jede grofi und jede eigen. Und wenii-
man die ungeheure FiUle landschaftlicher und historischer
Charaktere Italiens in seiner Phantasie aufsteigen l&fit,
mnQ man dem Eomponisten das Zeugnis geben, daO er
Hauptpnnkte gew&blt hat. Venedig beiseite zu lassen,
mag ihn vielleicht Liszts Tasso bewogen haben.
Was die »Campagnac (di Roma), die den Gegen-
stand des ersten Satzes (Andante, C, Gdur] bildet, poe-
tischen Gemiitem von Horaz bis auf Moltke und Grego-
rovius immer wieder eingepr> hat, ist vornehmlich
ihre schwermutsvoUe Schdnheit Hier der weiBe Sorakte
mit den andren herrlich ragenden Bergen und das nahe
Meer, dort die Lavastr5me, die die Fluren verwiistet,
menschliche Ansiedlungen im Tale und auf der U5he
vemichtet haben. Eine Natur, die gelockt und gemordet
hat, eine Landschaft, deren Reizen die Tiicke der Malaria
gegeniibersteht.
Straufi hat vor diesen Gegensatzen mit dem Gefiihl
des Ratselhaften und Geheimnisvollen gestanden. Fast
scheint es, als wolle er uns eine verrufene St&tte, ein
verwunschnes Land schildern, wenn er einsetzt:
Andante. J = 62
Der hervortretende Bratschenklang, die zwischen Moll
und Dur schillernde Harmonie, der schleichende Gang
der Motive geben der Stelle etwas MSrchenhaftes, tot
Gespenstisches, etwas uralt Unheim- /-^^^^ — ^^
liches. Das Leben der Gegenwart regt ^ ^ j i | I
sich in dem bescheidenen Motiv.y ^ '
das die F16ten mehrmals leise in die Oede hineinrufen.
Der Wandrer iiberwindet durch diese Lebenszeichen
die Fremdartigkeit des ersten Eindrucks; die Starre, die
sich seiner Empfindung bem&chtigt hatte, weicht einer
Mischung von Neugier und Wehmut, die die Musik in
folgender Weise ausdruckt:
414
Vf JilJJll
J Ui J.
Trompete
^m
Darauf setzt das Oktavenmotiv, das die F15ten zu-
-erst einfuhrten, mil gr56rer Entschiedenheit, rascher
nacheinander und in zahlreichen Instrumenten ein;
die entfachte Bewegung verlischt aber sofort wieder.
Klagend steigen die Hdrner die Skala hinab und
der Wandrer fafit seine Eindriicke in eine Melodie, die
ebensoviel von groOen wie von traurigen Erscheinungen
erz&hlt:
<?5ra)
In ihrem weitern Verlauf heitert sie sich mehr und
mehr auf, und als sie zum EsDur-SchluB kommt, da setzt
die Trompete mit dem lebensfrohen Motiv ein, das sie
ins Them a 2 zuerst einfiigte. Gleich einem Herolds-
signale locken diese wenigen Trompetent5ne freundliche
Nebenmelodien herbei, dfe dr&ngend nnd schwungroU
in dieses zweite Thema selbst auslaufen. Sein Endteil,
der vorhin wehmiitig klang, kommt jetzt in den Hdmern
glanzend und triumphierend. Er war ein Aufleuchten
der Stimmung. Noch ist der Horizont mit Gewdlk be-
deck t. Das elegische Oktavenmotiv und das muntre Ein-
gangsmotiv des k i ■— ^ t f&hren in den Biasern
zweiten Themas J^ I J- 3 J^ einen kurzen frischen
Kampf gegen einander, in den auch die Streichinstru-
mente bald bineingezogen werden. Das Resultat ist:
daB die Sonne und die Freude siegen. In einem gran-
diosen Fortissimo kehrt Gdur — zun&chst als Quart-
sextakkord — zuriick und bringt eine neue Melodie mit
sich, die, allerdings an Elemente des zweiten Thema
•ankntipfend, die erhabene Schdnheit der Campagna
415 ^-
hymnenar-
tig verherr-
licht. So ^
beginntsie: P ' ^ ' f"
Das ist der Glanz* und der Mittelpunkt von dem Cam-
pagnabild, das StrauB una zeigt. £s ist der musikalische
Niederschlag eines jener Augenblicke, wo der entzUckte
Blick von> den blauen Linien der Kuste biniibereilt nach
der scheinbar oben am Himmel wie eine Vision auf-
tauchenden Peterskuppel , wo vor dem geistigen Auge
die Zeiten nnd die Gestalten vortlberziehen , die Qber
<liese Landscbaft hinweggescbritten sind. Da wogt es
in der Seele des Bescbauers woblig und aucb ernst:
espresf, Tbema 3
J"jjll U^\^\^^^^\[ nStTn
wieder. Ein weitres erregtes Tbema tritt in den Violinen
binzu. Die Musik spricbt in doppelten und dreifacben
Zungen in jener feurigen, oft sinnverwirrenden Poly-
pbonie, die die jungere Komponistengeneration aller
L&nder von R. Wagner gelemt bat. Straufi lilfit aber
in dieser Suite scbon merken, was seine sp&tern sinfo-
niscben Dicbtungen unwiderleglicb klinden, dafi er in
dieser besondren Kunst den Meister zu iiberbieten ver-
mag. Dieser Abscbnitt des ersten Satzes seiner Suite,
der ungefSJir der DurcbfQbrung im gew5bnlicben Sonaten-
satz entspricbt, endet mit einer neuen, in den grdOtmog-
licben Glanz gekleideten Intonation von Tbema 4, bricht
aber mitten drin pl5tzlicb ab. Ein geisterbafter Bl&ser-
4Lkkord, das elegiscbe Oktavenmotiv, ein kurzer Aufzug
der Haupttbemen, zum Teil in umgekebrter Ordnung —
Ende! Die neuere Kunst Uberbaupt, nicbt blo6 die
Musik, scbeut ja vor keiner Unfreundlicbkeit, wenn sie
die Naturtreue und die Lebenswabrbeit fiir sicb bat.
In diesem Fall kommt aber aucb zu Gunsten von
StrauB eine Scbdnbeit binzu, die ganz aus dem Cba-
rakter des Gegenstandes flieBt: Die Campagna entl&Gt
— * 416 «—
ihre Freunde mit einem elegischen und mysteridsei^
Endeindrack !
Der zweite Satz (Allegro molto con brio, «/4 8/2,
Cdur) fiihrt die Oberschrift >InRomsRuinen€. Sie
wird durch den Zusatz erg&nzt: »Phantastische Bilder
entschwundner Herrlichkeit, GefQhle der Wehmut und
des Schmerzes inmitten sonnigster Gegenwartc Damit
ist eine Reihe poetischer Vorstellungen erweckt, denen
die Mnsik nicht in dem erwarteten MaBe gerecbt wird.
Den fr5blicben Bildem fehlt der phantastische Charakter,
die Gefiihle der Wehmut und des Schmerzes, die groiBen
Eindriicke, die sich fQr den gebildeten Beschauer an
Kolosseum, Kapitol, Forum Maximum, Pantheon, Hadrians-
burg und die andem erhabnen Reste der GroBe des alten
Roms kniipfen, kommen in diesen Tonen nicht zum Vor-
schein; dazu fehlt dem Satz vor allem die Ruhe und
die scharfe Gliederung. Er ist ein sehr eigensinniges,
teilweise wildes Capriccio, nicht ganz ohne Ziige, die sich
auf Wesen und Charakter der ehemaligen R6merwelt
deuten lassen; aber viel mehr als fUr das Programm
fiir den Komponisten charakteristisch, der in jugendlicher
Riicksichtslosigkeit in der Wahl und Gestaltung seiner
Ideen und EinfS,lle nur seiner subjektiven, augenblick-
lichen Disposition folgt und nichts nach der Fassungs-
kraft einer unvorbereiteten Zuhorerschaft fragt. Sie
muB in diesem l&ngsten der vier S&tze auf schwierige
Rhythmen und auf Hartnackigkeit im Arbeiten und Ver-
folgen sprdder Motive gefaBt sein.
Der Satz hat wieder wie der vorhergehende eine Drei-
teilung in Themengruppe , Durchfiihrung und Wieder-
holung. Die Themengruppe fiihrt mit
Allegro molto con brio. J*s68
zunachst vor die phantastischen Bilder, von denen das
Programm spricht.
417
Es ist eine Weise, mil der sich der Gedanke an
frdhliche, krftftige Spiele verknUpfen l&Qt Ein Zug von
H&rte liegt in ihr, der zum altr5mischen Wesen gut paBt.
Das Thema wird sofort in einem selbstftndigen S&tzchen
umgebildet und erweitert, das mit einer sehr breiteD,
bunten Modulation — in Trompeten nnd Posannenklang
gehullt — nach Cdur znnickkehrt Man erwartet einfache
Wiederholung, aber die Melodie kommt groBer und keeker
^ ^"^ ^ nnd zieht als-
^ I J f'T^ ^ rJT^^ ' I ' bald ein The-
das zum ersten Mai auf die GefQhle der Wehmut anzu*
spielen scheint, von denen die Oberschrift redet:
Oboe
Es hat einen Hang, sich ins Unscheinbare zu verlieren,
und kommt auch bald auf einem mit ungesttkmer Energie
erfaOten verminderten Septakkord aufier Sicht, den wir
wohl als Akzent des programmaBigen Schmerzes auf-
zufassen haben. Erl&utert wird er durch ein neues, drittes
Thema:
das auf die Kraft und die Gr513e hinweist, deren Zeugen
diese RSmischen Ruinen einst ge wesen sind. Nun zeigt
der Ton- ^ , ^ ^ j
setzer auf
die sonnige
Gegenwart:
und verweilt bei diesem anmutig fnedlichen Thema mit
tr&umerischer Befriedigung. Da kommt ihm doch wieder
der Gedanke an die Ruinen und die Frage: warum die
bliihende Welt verschwunden, zu der sie gehdrt haben?
Antwort geben die Motive:
Kretxsolimar, Fftlirer. ^ 1.
27
418
U
Unfriede wars und Kleinlichkeit Den Blick immer wieder
fltkchtig auf die sonnige Gegenwart gerichtet, vertieft
sich der Komponist in das Treiben dieser M&chte. Seine
Betrachlun- ,^, ,^. ,^,
gen gipfeln ^ ^'^^^ .i V ..^^^^ .iJ ..^^^^
in lauten
Wehklagen:
lieiBt es zuerst, beim zweiten Mai dnrchschneidet den Ver-
snch des Stimmungsaufschwungs ein furchtbar grausam
(neben Gdur) hingesetzter langer As dur-Akkord !
Die Durchfiihrung verknupft zun&chst Motive aus dem
ersten Thema mit solchen aus dem fUnften, als soUte
ein Bild von dem ethischen ProzeG gegeben werden, der
das Wesen der Romer verdarb. Ihren Hauptinhalt bilden
Satzgebilde, denen das dritte Thema und seine Yor-
stellungen zu Grunde liegen. Die Gr56e und Macht der
alten Welt, die Trauer um ihren Untergang sind in einer
noch viel st&rkeren und tiefer eindringenden Weise als
in der Themengruppe die Gegenst^lnde der musikalischen
Darstellung in der Durchfiihrung. Einen kleineren Anteil
nimmt an ihr auch die wehmtitige Weise des zweiten
Themas.
Der Wiederholungsteil fQhrt die Bilder und Betrach-
iungen der Themengruppe mit den gewohnten, hergebrach-
ten kleinen Anderungen noch einmal voriiber. Eine kurze
angefiigte Coda steilt das Thema (4) der >sonnigen Gegen-
wart* in den Vordergrund und kehrt von den Ruinen in
das Leben der Zeit zuriick.
Der dritte Satz (Andantino, '/s, Adur) ist der eigent-
liche langsame Satz der Suite. StrauO bezeichnet ihn mit
Andantino ziemlich mil3verstS,ndlich; ein sehr getragnes
Tempo ist gemeint. Sein poetischer Gegenstand ist Schil-
derung von Eindrticken, Stimmungen >am Strande von
— ^ 419 ^—
Sorrent«, die Aasf&hning arbeitet mit ganz ausgesucht
feinen und eignen Farben, sie arbeitet lebendig und
elastisch, aber vorwiegend zart.
Zuerst l&6t der Komponist die Natnr sprechen in
einem anf wesentliche Motive verzichtenden, fast rein in
Akkord und Rhythmus gehaltnen Pr&ludium. Diese zwei-
nnddreifiig Takte tlberschutten aber den HOrer mit einem
fippigen Segen vollsinnlicher Klange. Da hnschen Violin-
figuren in hSchsten Lagen durcheinander, Spielarten and
Tonregionen, die in der Regel unbertlhrt bleiben, werden
lebendig, die verschiednen Rhythmen kreuzen sich, Triller
und Verzierungen aller Art klingen von oben nnd unten,
in Ruhe und in Eile. Das SUtzchen wirkt blendend, tlber-
wM.ltigt wie eine Landscbaft, die den Sinnen mebr bietet
als sie aufnehmen k6nnen.
Dann beginnt eine Szene der TrSLumerei. Der Dicbter
spricht, die Seele voll Dank und hShrer Wonne:
H B ri» D ^g H A—"
Den Oberschwang der
' P ' sa*^ r = Stimmung verrateu
H — E — A scbon die verh<nis-
mllGig zahlreicben Nonenakkorde, auf denen die Melodie
Tuht. Wie warm sie auch wird, die Aufienwelt bringt sie
nicht zum Scbweigen, jeden Augenblick kontrapunktiert
eine reizende Stimme aus der Natur anmutig binein.
Und diese Partei nimmt in dem mit
eingeleiteten Seitensatz das Wort ganz fQr sicb in Be-
schlag, legt ihren ganzen Beichtum aus und freut sich
ihrer Macht bis zur Leidenschaftlicbkeit. Das ist, wo die
27*
-^ 420 <—
scharfe Dissonanz eis-dia im forte herausgestoBen wirdl
Wie fiber den lauten Ton beschftmt und erschreckt, ver-
schwindet die Sippe der Naturgeister mit einem Schlag, and
der Dichter gibt sich aufs neue der Beschaolichkeit hin^
Eine auf einer liegenden Stimme festgehaltne and sonst
mit Spannangsmittein aasgestattete Begleitang hebt diese
Weise aus der popul&ren Sph&re, der sie angeh5rt, etwas
heraus. Ohne Vermessenheit ddrfen wir sie auf traaliche
deutsche Heimatserinnerangen deuten. Bald l&Bt sich<
auch einer der eingebomen Slidlg^nder h5ren. Der Satz
schlUgt nun nach A moll, das Tempo wird bewegter, in-
den Cellis, Bratschen und Fagotts treten raschere Figuren
auf. £s ist als ob der Wind die See kr&uselt. Da kommt
ein Boot und ein Sanger drauf mit einer ecbten, aus dem
Land gebornen Melodie, einem Abk5mmling jener edlen
Sicilianos, die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts von jener
Sorrenter Gegend her Uber ganz Europa gedrungen sind:
Gef&hrten antworten bald; so gibt dieser nur kurze Mittel*
satz ein sehr willkommnes, belebendes Intermezzo. Ein
dritter Teil, mit dem Tempo des ersten, mischt dessen
thematische Elemente frei und phantastisch; noch stUrker
als der Anfang steht er unter dem Zauber schwirrender,
girrender, sinnverwirrender KlS.nge und Figuren.
Der vierte Satz (Allegro molto, sy^, Gdur) fiihrt uns^
>Neapolitanisches Volkslebenc vor. Was wir bier
zu erwarten haben, l&Bt der tolle Einsatz schon ahnen.
Das voile Orcbester stiirzt auf einem freien Nonenakkord»
herein, und in rasendem Lauf schwingen sich von ihm
die Geigen und Bratschen unisono dem Hauptthema des-
Satzes entgegen:
421
Wer einmal zwischen Monte Cassino und Capri gereist
ist, wer in der Schweiz etwa wandernden sUditalischen
S&ngem zugeh5rt hat, dem ist dieses Neapolitanische
Favoritlied >FanicTili etc.« und dem sind &hnliche Melo-
dien gel&ufig. Von den beiden Geistem der Operette und
der Degeneration getrieben, improvisieren die Kinder dieses
musikalischen und leichtherzigen Volks derartige Weisen
zu jedem Jext und zu jeder Zeit; der ganze ehemals so
reiche Gesangschatz des KSnigreichs beider Sizilien wird
heute fast ausschlieBlich von ihnen vertreten. Wenn
StrauB also sein Finale mit diesem Gassenhauer er5ffnet,
so erweckt er grofies Vertrauen zur photographischen
Treue seines musikalischen Bildes. Die Melodie f&hrt
mit krftftigen Gliedern ihrem Schlusse zu, der zugleich
das Ende des ersten Abschnitts des Satzes ist. Er kommt
rascher als man vermutet, ^^ ^
kommt inHmollundftihrtzu tm * Hjj^^^ I P -
«inem Seitensatz, der liber •'^ ^^ ¥^ ^ ~ ■ r ==
und &hnliche lustige Motive leicht und anmutig t&ndelt.
Er baut klar und emsig in zweitaktigen Abschnitten auf,
zum Schlufi bin erhSlt , ^^^ ^ einen Stich ins
er durch dasEingreifen W j| jj|Jj|feEgrotesk Humo-
chromatischer 6&sse: ristische. Die
stiirmischen Einleitungstakte kehren wieder und f&bren
zum zweiten Hauptthema des Satzes:
§* iff f I ijpji I r^^f III -71! Jm
titrfjff \u^^m
Es ist in sQdlftndischer Art innig, jedenfalls liebenswtlrdig,
und zeigt durch die Verteilung auf zahlreiche Instru-
cnente auf das echt gesellige Wesen des geschilderten
422
Phil. Sehftr-
weiika,
»Traam und
\VirkUchkeit«.
Volks. Lange h< dieser ruhigere Ton nicht an. Themen-
reich wie Liszt, stellt Straufi bald in diesen ersten Teil
seines Finales noch einen vierten Gedanken, der fol*
gendermaCen bei den Flo ten beginnt:
Er bringt in die Mosik eine ganz eigne, halb komische,
halb damonische Lustigkeit, ein Abbild jenes temperament-
Yollen nervosen Wesens, das dort unten die Revolutionen
macht und auch dem Spiel und dem Tanz sein Gepr^ge
gibt. Die Abschnitte, die der Komponist aus diesen krei-
selnden Motiven in den nun folgenden Durcbfiibrungen
gestaltet hat, bestimmen die Erinnerung an seine Neapoli-
tanischen Schilderungen am prachtigsten und am ange-
nehmsten. Im allgemeinen wird man von den Entw^ick-
lungen, die StrauB gibt, den Eindruck eines vielfachen
ObermaBes haben. Die Darstellung ermangelt der Leichtig-
keit, die dem Gegenstand natiirlich ist; sie ist zu zah im
Festhalten der Motive, zu sehr in der Farbengebung von
Berlioz beeinfluBt. Wozu bier tiberhaupt Posaunen? Wohl
aus demselben Grunde, aus dem unsre modernsten Maler
fur zwei kleine G&nse eine ganze voile Stubenwand be-
malen. Ein sehr guter poetischer Einfall in der Reprise
ist die EinfUhrung von Motiven aus dem ersten Satz: in
dem L&rm und der Unruhe dieses Neapel der Gedanke
an den Frieden der Campagna!
Den Beweis, daB allermodernste Mittel f&r die Pro-
grammusik nicht das Wesentliche sind, erbringt ein mit
der Suite von StrauB ziemlich gleichaltriges Werk, das
ein wiirdiges und gehaltvoUes poetisches Thema mit
ernster Hingebung und innerlicher Wirkung, aber ganz
in der Weise der klassischen und romantischen Schule
durchfiihrt. Es ist die viers&tzige Tondichtung >Traum
und Wirklichkeitc von Philipp Scharwenka (Op.
92}, dem ftltern Bruder des bekannten Pianisten Xaver S.,
der auch temperamentvolle Sinfonien komponiert hat»
— <^ 423 <j>-
Ihr Gedankengang verfolgt einen Lebenslauf, der freund-
licb, Yoller Hoffnungen nnd lUusionen beginnt UDd mit
Entt&uschungen und in Resignation endet Ein ausfiihr-
liches Gedicht aus der Feder des Komponisten gibt iiber
die Absichten der Sinfonie eingehende Auskunft. Die vier
S&tze, aus denen sie besteht, gehen ohne Pansen einer
in den andern iiber, steben aucb thematisch in enger
Verbindang and behandeln das Schema der Sinfonie
ziemlich frei. Was sie unter ihresgleichen auszeichnet,
ist der grofie Herzensanteil und die Gemiitsw&rme, die
aus der Musik Scharwenkas spricht Unsere heutige
Offentlichkeit hat fur Spohrsche Naturen nicht das voile
Verstandnis; denjenigen Kreisen aber, welche sich zu
einem harmonischen und ehrlichen Ktknstler, auch wenn
er abseits vom Wege steht, hingezogen fuhlen, kann die
Arbeit nur eifrig empfohlen werden.
Der erste Satz (Allegro moderato, C) D dur] fCihrt
mit dem Thema:
^^ Allegro moderato. J = 120 ^^
ytfn t .M I J Tfl} M J JT? I J J J ^
PP "
eine edie liebenswtlrdige, aber fdr die rauhe Wirklichkeit
unsrer Tage wohl etwas zu weiche Jiinglingsgestalt ein.
Diesem auffallenderweise im Verlauf der Komposition nur
wenig benutzten Thema folgt eine l&ngere Gruppe zier-
licher Nebengedanken, die — zum Teil in Wendungen, die
an Hermann G5tz und an die Meistersinger erinnern — sich
in kleinen Schw&rmereien ergehen. AUmUhlichkommtnach
diesem weniger gelungenen und zersplitterten Abschnitt
wieder ein grofier Ton in die Stimmung und bringt neue^
tiefer eindringende Weisen. Unter ihnen ist die Melodie:
-jar
die wichtigste. Sie bedeutet
das Herzens- oder Geistes-
ideal unsres Helden und
molto or990* j
— ^ 424 ^—
kommt am Schlusse der Sinfonie zu rilhrender Be-
deutung.
Der zweite Satz (Allegretto scherzando, ^4, Fdur)
ist eine Art langsamer Walzer, bestimmt, die glUcklichste
Stande dieses Menschenlebens einzoleiten. Mit rhyth-
mischen Motiven in den H5mern, melodischen Brach-
stiicken in Klarinetten, F15ten, Geigen verlockend pr&lu-
dierend, gelangt er endlich zu folgendem Hauptthema:
AUe^fro gehewandiK J s 160
Der JUngling schwingt sich im Reigen mit der Erwfthlten;
heroische, etwas finstre Motive ktinden seine stolzen Ge-
fuhle, die Wonne in seiner Brust spricht am deutlichsten
aus folgender, an Raff anklingender Melodie:
Jr
Dieses Thema leitet iiber zu der Szene des Gestandnisses
und der £rh5rung, die den Inhalt des dritten Satzes
(Andante tranquillo, ^/g, B dur) bildet Sie folgt allerdings
dem Eintritt dieses innigen Themas nicht unmittelbar,
sondem die Freuden des Tanzes werden noch grtindlich
ausgekostet Dann kommt endlich langsames Tempo und
wehmutsvoller Klang. Es wird Abend, das Fest mu6
schliefien. Die Musik bringt in einem Obergangss&tzchen
die Stimmung einer gewissen MQdigkeit zum Ausdruck,
es wird stiller und stiller, und als es einsam um das
liebende Paar geworden, da setzt das sch5ne Thema des
Andante zun&chst im Horn ein:
Andante tranqnillo. 4)s. *5^^^^^^—
_^ 425 >-
Das ist die stille Seligkeit Ein zweiter Teil des Satzes,
in Ddur, zeigt erregtere Herzen, lebhaftes Zwiegesprftch
von ewigem Gltkck, zeigt nngednldiges Sehnen. Oann
kehrt der Bdar-Teil wieder, von einer Coda gefolgt, in
der der Oberschwang der Stimmung sich eigens in einer
Klarinettenkadenz Luft macht. Unmhige Trompetensig-
nale reifien den Zuh5rer ans dieser Idylle fort Das Leben
mil seiner harten Prosa ruft. Der vierte Satz (Allegro,
C) Dmoll) beginnt.
In seinem ersten Teil stellt er von den Trompeten*
tonen immer wieder nnterbrochne S&tze unruhigen Cba-
rakters anf. Das erste Hauptmotiv ist an ein verwand-
tes ans dem
ersten Satz
angeknUpft :
Steigend und steigemd tritt zu ihm das feste und energische :
^ ^ >y-<s *>-N *-. ^ Die Stim-
''^vTr r I r f r f r I r rj" f T I P men be.
f nntzen es
zum Fugieren. Und bald nach der ersten Durchfiihrung
erscbeint dann das (oben angefQhrte) schdne zweite Haupt-
thema des ersten Satzes, wie der gute Geist, der den
K&mpfer leitet, des M&hens und Ringens Preis and Lohn.
Umsonst, alles umsonst! Noch einige verzweifelte An-
l&ofe, &a6erster Kraftaufwand, Webrufe mit Intonationen,
Verl&ngerungen und Verkiirzungen des letztzitierten
Fugenthemas gemischt — dann setzen die Messingbl&ser
den Cboral >Herzlicb tut micb verlangenc ein. Der Kom-
ponist hat sich ihn mit dem Text »Wenn ich einmal soil
scheidenc und somit als Grab- und Trauermusik gedacht.
Diesem Ende sendet er einen Epilog nach, der dem leiden-
schaftlichen Schmerz, mehr noch aber der siifi weh-
miitigen Erinnerung an die sch5nsten Momente der vor-
ausgegangnen Satze gewidmet ist.
Nur noch eine zweite Orchesterkomposition Ph. Schar-
wenkas, eine »Arkadische Suite €, die ebenso wie
seine dreis&tzige >Sinfonia brevisc weniger bekannt
geworden ist, gehdrt dem Programmgebiet an.
--» 426 <j>-
Gleichfalls von Berlin aus fiihrte sich Anfang der
nennziger Jahre auch Friedrich Koch mit einer Pro-
grammsinfonie ein, die den Titel: »Von der Nordseec
(DmoU, op. 4) trftgt. Sie befafit sich mit der gewaltigen
Seite des Themas nur im letzten Satz (Auf hoher See),
der merkbar von einem Hauch des unergrQndlichen Ur-
elements und seiner Kraft belebt ist. Die andren (Friesen-
fahrt, Abend am Strande, Spiel der Wellen) gleichen den
sanften und schOnen Bildern Douzettes mit Mondschein
Uber den glatten Wellen und gehoren musikalisch zur
Schule Heinrich Hoffmann.
In neuerer Zeit hat von den Vertretern deutscher
Programmsinfonie der durch seine Beitr&ge zur Haus-
HftnsHober, und Kammermusik bekannte Schweizer Hans Huber
Tellsinfonie. mehr und mehr im Konzert FuB gefaBt, zuerst mit einer
Dmoll-Sinfonie (Op. 63), die den Titel > Tell € hat Sie
gibt in groBen Umrissen, ohne Anlehnung an Schiller oder
an die Einzelheiten der Sage, ein Bild von der Unter-
driickung und Befreiung des Landes. Auch auf die Reize
der Heimatkunst, etwa durch die Verwendung von
Schweizermelodien, verzichtet sie und bestrebt sich, knapp
und allgemein verst&ndlich zu sein.
Der erste Satz (Allegro ma non troppo, DmoU, ^U\
der wohl auf die Volksseele unter der Tyrannenherrschaft
einen Blick bieten will, tut das, wie schon das Hauptthema:
Q * merken lafit, in etwas
4^T? r F— ff^fef^f^^?^«te. zu starker Abhangig-
y keit vom ersten Satz
des D moll-Konzerts (fiir Klavier) von J. Brahms.
Weit selbstftndiger ist der zweite Satz (Adagio, ma
non troppo, Bmoll, 3/^^ der das Land in seiner Trauer
Torfiihrt und zwar erst die dumpfe, gedriickte Stimmung,
dann die flieBende Klage, letztere in einem ungesucht
volkstumlichen Ton mit leisen Ankl&ngen an Edvard Grieg.
In dem die Stelle des Scherzo vertretenden dritten
Satz (Allegretto, Gdur, 8/4) hat sich der Komponist nacb
eigener Angabe die Feier einer Hochzeit vorgestellt, deren
harmlose Frdhlichkeit dorch einen plOtzlichen und er-
--♦ 427 >-
schreckenden Aafrnhr ^ Sequenzen aus yenninderten
Septakkorden fff^ Generalpanse! — gestdrt and durch
Grabgesang abgeldst wird. Dieser mnsikalisch wunder-
h&bsche Satz zeigt Hnber auch als einen geboreneu
InstrumentatioDskiinstler, der mit einfachem Wechsel von
arco und pizzicato, darchSordinen den Streichinstmmenten
die wirksamsten Farben abzugewinnen weifi.
Der vierte Satz beginnt mit einer langsamen Ein-
leitung, die auf das Haupthema des ersten Satzes zuriick-
greift und die ganze Geschichte des Befreiungskampfes
in einen knrzem Wechsel von Dur und Moll zusammen-
drUngt. Das hierauf folgende Allegro con faoco (D dur, C) gilt
dem Triumph, der in der Umgegend des zweiten Themas
und in der Durchfiihrung zwar etwas ermattet, aber am
SchluB durch Verbindung des ftihrenden AUegrothemas
mit dem jetzt in D dur einhergl&nzenden Haupthema des
ersten Satzes zu einem gewaltigen AbschlulB kommt.
Die n&chste hierher gehdrige Arbeit Hubers ist seine Hftni Haber,
Emoll-Sinfonie(op.ll6), die sogenannte B5cklin-Sinfonie. BiJcklin-Sinfonie.
Der Komponist selbst hat allerdings nur den vierten Satz,
das Finale, ausdriicklich als Huldigung fiir seinen Lands-
mann bezeichnet Es trfigt an seiner Spitze den Ver-
merk: »Metamorphosen, angeregt durch Bilder yon
Bocklinc und bringt fiber das Thema:
^
Allegretto.
das mit dem ersten Takt an das Alphom, das charak-
teristische Instrument der Schweizer, erinnert, eine Reihe
sehr freier Variationen, die geistig an die »Meeresstille<,
den >Prometheus«, die >Fldtende Nymphe*, die >Nacht€,
das > Spiel der Wellenc, an die »Gefilde der Seligenc,
den >Liebesfruhling<, das »Bacchanalec des grofien Malers
anzuknupfen suchen. Dem > Spiel der Wellenc ist da-
bei anhangsweise noch eine Beziehung auf den >geigen«
den Einsiedlerc mitgegeben worden. Versuchen, mit T5nen
tiefer in den Stimmungs- und Phantasiekreis bedeutender
StQcke bildender Kunst einzufiUiren, sind wir in der Sin-
-^ 428 •—
fonie schon bei Haydn begegnet; sie spielen namentlich
bei F. Liszt and seinen sinfonischen Oichtangen eine
grofie Rolle, und auch Hubers B5cklinvariationen sprecben
wieder far ihre prinzipielle Berechtignng. Geht die Sin-
fonie in ibrem SchluBsatz zngestandenermafien auf ein-
zelne Werke Bocklins ein, so sind die voransgebenden
S&tze dem Wesen des auBerordentlichen Knnstlers ge-
widmet, der erste (Allegro con faoco, Emol], C) etwa
seiner Kraft und Kiihnheit, der zweite (Allegro con
faoco non troppo, Hmoll, ^/s) seiner Naturfreude, der
dritte (Adagio ma non troppo, Hdur, 3y^ seiner Tiefe
und Innigkeit.
HMiHnber, In der beroiscben Sinfonie (op. 118) in C moll, die
Heroische xinieT Hubers Beitr&gen zum Gebiete das dritte und letzte
smfonie. g^^^^ hMei, hat sich im Vergleicb zur Tellsinfonie ein
Yollst&ndiger Stilwecbsel voUzogen: der vordem so naive
Komponist ist auf die Seite der urn jeden Preis und un-
aufbQrlicb Leiden scbaftlicben getreten, die in der Musik
einstweilen die Herrscbaft an sicb gebracbt baben. Der
talentvollste Satz der Huberscben Eroica ist der zweite,
ein Trauermarscb , im ersten uberrascbt das Zitat von
>6od save the king«, das Scherzo ist &bnlicb wie das
Finale der B5cklinsinfonie ein Variationszyklus, der, als
Totentanz gedacht, Vertreter der verscbiedensten Lebens-
alter und StUnde, das Kind, den Greis, den Studenten,
den Gelebrten, die T&nzerin usw., zuletzt den Helden
vorbeizieben l£lGt. Der ScbluBsatz der Sinfonie endet mit
einer Apotbeose des Helden, der das Muster von Liszts
Faustsinfonie zu Grunde liegt: die Orgel f&Ilt ein, der
Gbor tritt auf und stimmt Sanctus und Osanna an. Das
in alien Teilen der Sinfonie wiederkebrende Haupttbema
des ersten Satzes klingt an ein berflbmtes Scbweizerlied,
an den >Ustigc des alten Gottfried Huber, an.
Unter den wenigen weiteren Programmsinfonien
deutscher Herkunft, die in den letzten Jabren aufgetaucbt
^.T.HMsegger, sind , ist Siegmund von Hauseggers dreisfttziger
BarbaroBsa. >Barbarossa< verbftltnismftBig am weitesten bekannt
geworden.
--♦ 429 ♦—
Diese Sinfonie ist die noch nnreife Arbeit eines enU
schiedenen Talents. Die Unreife spricht aus der Un-
gleichheit, der Unselbst&ndigkeit der Erfindung und aus
der hOchst undkonomischen Lust am Vollklang, dem L&rm
des Orchesters, das Talent aus einer Reihe trefflich
charakteristischer Themen, ihrer sinnreichen Verwendung
nnd daneben aus zahbreichen einzelnen Stellen von un-
Terkennbarer Inspiration. Dahin geh5ren im Kleinen ori-
ginelle Modulationen und Instrumentationseinf&lle , im
Grofien eine Anzahl episodisch erscbeinende Melodien
zarter Natur. Ibnen begegnen wir namentlich im ersten
Satz, der >die Not des Volksc bald erregt, bald ele-
gisch. bald in hartem, bald in weichem Tone zu schildern
sucht. Ibm tritt als scbarfer und befreiender Gegensatz
der dritte Satz, »dasErwachen<, mit einem Bilde der
K&mpfe und Herrlichkeit gegenflber, die bevorsteht, wenn
der aJte Kaiser den Untersberg verl&Ot Obne zwingenden
Grund, aber als verst&ndliche Konzession an die Romantik
ist zwischen diese beiden S&tze nocb ein weiterer, >der
Zauberbergc, eingeschoben, der zuerst das Nebeltreiben
um den Berg, dann sein Inneres mit Thron und Kaiser
zu scbildern sucbt. £r nimmt viel von dem Gluck des
SchluIBsatzes voraus, hat aber in dem phantastischen
Fugato, das ihn einleitet, sein en grofien, eigenen Wert
Von einer zweiten dreis&tzigen Programmsinfonies.T.Haosegger^
des Komponisten, die er obne weitere ErI&uterungen Naturainfonie.
und Oberschriften Natursinfonie nennt, haben bei den
wenigen Auffiihrungen, die sie bisher gefunden, die ersten
beiden S&tze Anerkennung gefunden , der dritte Satz ist
abgelehnt worden. Bei diesem Urteil wird es wahr-
scheinlich auch in der Folge bleiben, denn die Kompo-
sition ist soweit sch5n und gehaltvoll, als, wie das in dem
ersten und zweiten Satz der Fall ist, der Stimmungs-
ausdruck die Naturmalereien Uberwiegt, und besonders
fUr Andacht und Pathos zeigt Hausegger eine besondere
Begabung. Sie ist auch in den ruhigen Stellen des
SchluOsatzes nicht zu verkennen; wenn dessen Eindruck
nicht befriedigt, so liegt das an der falschen Behandlung
-^ 430 ^^
des Gesangchors, der mil den Worten des Goetheschen
>Pro5mions< (Ixn Namen dessen, der sich selbst er-
schuf etc.) die Sinfonie zu Ende fuhrt. Da war nicht
Kraftaufwand und Breite am Platze, sondem er verlangt
eine S.hnliche Einfachheit, wie sie Liszt dem SchluGchor
seiner Faustsinfonie gegeben hat und wohl auch dessen
verklSrten Ton.
Auch die Programmsuite wird von den deutschen
Komponisten nur maGig gepflegt. Unter den bekannt
gewordenen jlingeren Werken dieser Klasse hat die
H.Bietseta, Tauferer Suite von Heinrich Rietsch (op. 25) den
Tauferer Suite. Alters vorlritt. Sie gibt in ftinf Satzen Wanderszenen so-
wie Bilder aus Landschaft und Geschichte, ist durchweg
gut, stellenweise interessant kunstvoll gearbeitet; ihre
besten Erfindungsmomente liegen in den flotten S£Ltzen,
dem >Reifenspielc und dem >Lustig Volk im Bad Winkelc
Auf diesen letzten hat Smetana gliicklich eingewirkt.
^eorffSehaniaiiii, Der wohl originellste Beitrag zur Gruppe ist die
Serenade. Serenade in F (op. 36) von Georg Schumann. Der
Komponist hat sie namlich als das St^ndchen einer Schar
abgewiesener Liebhaber gedacht und damit die Unterlage
zu einer Humoreske gewonnen, in der die Motive und
KUnste des Spottes ein keckes Spiel treiben dtlrfen. Es
gipfelt im SchluBsatz, der deh Abzug der Gefoppten mit
Benutzung des Volksliedes: >Es wohnt ein Miiller an jenem
Teich, lauf Miiller, lauf< darstellt. Das aufierordentlich
witzige und geistvolle Werk verlangt allerdings ein ganz
virtuoses Orchester und macht es in den ersten Satzen
durch eine komplizierte Thematik auch dem Horer etwas
schwer. Neben dem in fortreiOender Laune hingeworfenen
Finale wirkt am meisten das Intermezzo, das auf einen
auOerst feinen Walzer hinausl^uft.
F. BmobI, Auch Ferruccio Busonis >Geharnischte Suite«
Geharnischte in Cismoll (op. 34) ist hier zu registrieren. Sie fuhrt in
Suite. y^^j. Satzen kriegerische Stimmungen und Bilder vor. Einem
>Vorspie]<, das etwas gespreizt und mit verbrauchten Mit-
teln den Druck der Gefahr und den ihr entgegentretenden
entschlossenen Mut schildert, folgt ein »Kriegstanz<. Es
^-^ 431 ^>^
^cheint sich also nm einen Kolonialkrieg zu handeln.
Von faBbarem Gehalt ist der dritte Satz, der die tJber-
schrift >Grabmalc trUgt, und der SchluGsatz, >Ansturinc
betilelt, hat eine wirklich sch&ne Stelle, da, wo leise
aus der Feme eine an Carl L5we anklingeade einfache
Melodie einsetzt, die unwillktirlich die Gedanken des
Horers auf Sieg und Heimkehr lenkt.
Zum Teil sind die neueren deutschen Programmsuiten
aus Kompositionen zusammengesetzt , die als Vorspiele
und Einlagen in Schauspiele entstanden sind. Auch
hier ist Busoni mit seiner Turan dot- Suite vertreten, F. Bagonl,
der leider die musikalische Natfirlichkeit fast ganz ab- Turandot-Suitc.
geht. Das bekannteste Werk dieser Klasse ist die Dorn-E. Hamperdlnck,
rSschen-Suite Engelbert Humperdincks, deren Satze Domroschen-
in ihrer Knappheit und Klarheit eines Kommentars nicht *'
bedQrfen.
Auch im Auslande tritt die Programmusik in Sin-
fonie und Suite hinter den Werken, welche bestimmte
poetische Ziele nicht angeben und hinter den einsatzigen
sinfonischen Dichtungen zariick. Nur in Frankreich ist
die Programm su ite geradezu dieNormalform fur zyklische
Orchesterkompositionen; eigentliche Programmsinfonien
gehoren aber auch hier wie zu den Zeiten von Berlioz
zu den Seltenheiten. Als eins der wenigen Werke dieser
Art, die die Landesgrenze iiberschritten haben, verdient
die in neuerer Zeit wiederholt auch in deutschen Kon-
zerten gebrachte Sinfonie zu Schillers ^WallensteincYincentd'indy,
von Vincent d'Indy (op. 12] Beachtung. Der Komponist »Wallon8tein«.
nennt diese Arbeit, wohl an Schillers Gesamttitel an-
knilpfend, eine >Trilogie€. Das ist fiir Form und Inhalt
des Werks etwas zu volitonend. Es sind nicht drei Sin-
fonien, die er vorlegt, sondern es ist eine Sinfonie —
ahnlich wie die Lisztsche zu » Faust c — in drei Satzen.
Der erste will ein Bild des Lagers, der zweile des Liebes-
paars (Max und Thekla] geben; der dritte knUpft an
>Wallensteins Tod« an. Ein enger Zusammenhang be-
steht nur zwischen dem ersten und dritten Satz; der
zweite, der auch den Untertitel Piccolomini fQhrt, eignet
— <^ 432 >-
sich f&r eine Einzelaaffiihrniig. Die Sinfonie zeigt, wenn
auch keine besonders tiefe, so doch eine im ganzen sehr
lebendige Auffassmig der dentschen Dichtnng, eine an-
schauliche masikalische Erfindung und einen auf breiter
Bildung mbenden, geschickten Stil. Individuelle ZQge
sind d'Indy nicht eigen, sondern er teilt mit der Mehr-
zahl der neufranz5sischen und neurussischen Orcbester-
komponisten die Vorliebe ftir Nonen und Undezimen-
akkorde, fur Orgelpunkte und §.hnliche barmonische
Vergr513erungsmittel, den Wagnerscben EinfluB auf die
StimmfUbrung, die interessante, dissonanzenreicbe Kon-
trapunktik. Wie alle diese Ansl&nder ist aucb V. d'Indy
ein hervorragender Kolohst, allerdings starkem Farben-
auftrag etwas einseitig zugeneigt.
Rbeinberger bat mit vollem Recbt dem Wallenstein
selbst in seiner Sinfonie einen vollen Satz gewidmet.
d'Indy begniigt sicb, dessen Gestalt ab und zu durcb die
S&tze schreiten zu lassen. £s war ihm nicbt um die Scbilde-
rung von Cbarakteren zu tun, sondern darum, die EindrOcke
der Scbillerschen Dram en ins Musikalische zu Ubertragen:
Bei dem ersten Satz, »Le Camp de Wallenstein c
(Wallensteins Lager), macbt sicb die franzosische Ab-
kunft der Musik am deutlicbsten geltend. Sie bat fdr
die emsten Figuren und Reden des Scbillerschen Lagers
keine Tone und \B.Qi nicbts von der Zeit und dem
Boden ahnen, die dem Vorspiel der Trilogie seinen
Charakter und eine gewisse Grofie geben. Das Lager
d'Indys ist obne Unterbrecbung munter, ausgelassen,
kommt niemals zur Rube, wimmelt von SpaOmacbem
und Jongleuren, bestebt ausscblielBlicb aus leicbten
Truppen und leicbten Vogeln. Seiner formellen An-
lage nacb ist es ein Scberzo mit etwas buntem Haupt-
satz (Allegro, Gdur). Es setzt mit folgendem Tbema ein
Allegro giusio. J* leo ^as uns mit-
.^jfu ^' T^JQ j ^ *^^ I . ^"^den frSblicben
& P ^ -y ^ iB *^^ ' P ^ L&rm der Mas-
P ^ y ^ tfp""^ ' P
•*^ sen ftihrt, f rob-
-^ 433 •—
lich nnd elementar. Denn die Gebilde, die der Komponist
aus seinen Motiven entwickelt, sind unregelmaBig. Hier
fQhrt er nns vor eine f&nftaktige Gruppe, dort koromen
zwei- und dreitaktige, hier h< er an einem Motiv fest,
dort schweiCt er zwei oder mehrere zu bald kurzeren,
bald langeren Abschnitten znsammen. Unberechenbar
und frei will er uns das Leben nnd Treiben des Lagers
sehen lassen. Der erste Abschnitt uber dieses Haupt-
thema schlieGt in Hdur. Der zweite setzt in EmoU ein
und geht von Cdnr ans nach Ddnr in Modulation en und
mit wilden Trillern, die den Walkiirenritt Wagners fur
einen Augenblick vor die Phantasie rufen. Ein dritter
Abschnitt fiber dasselbe Hauptthema beginnt in Asdur
und geht von B moll aus allm&hlich nach der Hauptton-
art Q zuruck, die in Solopassagen der Violinen (einige
Takte geht die Flote mit) erreicht wird.
Da beginnt ein erster Seitensatz, dem das ruhigere
Thema
J = 144
zugrunde liegt. Es kommt nicht weit dam it. Den Augen-
blick, wo die erste Violine sich ein Motiv zum Schw^rmen
aussucht, benutzt die derber gesinnte Masse, um mit einem
Walzer einzuf alien, dessen grob einfache Weise
^^^ Allegro moderato. J.g76
durch die seltsamen Humore der Begleitung — die BSsse
bleiben lange auf den zwei T5nen e und h — bedenklich
gest5rt wird. Nach einem Zwischens&tzchen, in dem die
Flote das Solo hat, wird wohl die iibliche Wiederholung
erreicht, aber die rechte lustige Stimmung bleibt aus, und
am Ende haben die StOrenfriede, die einen s/gTakt hinein-
werfen, die Hauptstimme. Der Tanz hort p]5tz]ich auf,
and wie aus der Feme horen wir wieder den Larm des
Eretzscliinar, F&hrer. 1,1. 28
_^ 434 <— .
Lagers, mil dem der Satz begann. Wir baben es mit
der Qblichen Wiederholnng des Haaptsatzes zn tan.
Doch Terschm&bt es der Komponist, sie glatt und wdrt-
lich zu bringen. Wie er dea Hauptsatz zunftchst pp ein-
setzt, hat er ihn auch in der Tonart ver&ndert, n&mlich
nach Edur gebracht und auf den Qaartsextakkord ge-
stellt. Ahnlich bringt er das erste Seitenthema, das beim
erstenmal in 6 dur auftrat, jetzt in Es und verteilt seinen
Vortrag taktweise auf verschiedene Instrumente. Auch
jetzt kommt dieses zum Schw&rmerischen neigendeThema
nicht zu seinem voUen Rechte. Als es sich ausbreiten
will, entsteht unerwartet Tumult. In den Bl&sern treten
wieder Vertreter des zweiteiligen Rhythmus ein. Ein
Schreck geht von ihnen aus: von unten bis oben rafts
durch das Orchester: eie-fia, Dann eine lange General-
pause und darauf
•^"iil.ji I tLjJ ' lull 'Qiu' i^RP
fE!^. I j':. 'h LJ' ^ Tuj p \\Q
Zu dem einen Fagott kommt ein zweites, bald ein
drittes; der Satz l&I3t sich zu einer Fagottftige an und
versetzt uns in die Zeiten R. Keisers, der in seinen
Opern Quartette, Quintette und Sextette ffir Fagotten
schrieb. Wie hat sich die Sffentliche Auffassung des
Instruments seitdem geftndertl Damals der Lyriker
unter den Blasinstrumenten, ist es heute der un-
freiwillige Komiker. Hier bei dUndy vertritt es den
Kapuziner mit seiner Predigt, und der Lohn seiner wohl-
gesetzten Reden ist, ausgelacht zu werden. Das tun
zuerst die Geigen, bald die Rlarinetten mit, in chroma*
tischen Sechszehntelg&ngen. Dann packt aber die Oboen
und die anderen Holzbl&ser eine gewaltigere «■■
Heiterkeit, sie platzen in kurzen Zwischenrufen ?/7 J
heraus. Das Piston setzt ein und parodiert das Fugen-
thema, das dieKlarinette garyerzerrt,wfthrenddie Violinen,
>te.
-^ 435 <^-
die FlStea dazn, sich auf einem langen Triller vor Lachen
flchUtleln, and dem folgt ein elementarer Ansbrach yoq Aus-
gelassenheit in Motiven, die auf den Walzer zar&ckgehen:
AUegTo ooB fnoeo. ^ ^ Yergeblichver-
^ Bucht die Tuba
{•tcdas Fugenthe-
ma dem eni-
jf > I gegenzustellen
der L&nn w&chst nor. Da pl5tzlich klingts in Hdr-
nern,Trom- laigo e nuMstoao. J s 66
CUnI jl ^iiiui|i'iii| ri^i''rr II
Das bedeutet: der Feldherr, Wallenstein tancht anl Nehmt
Euch in Acht! Der nngluckliche Kapuziner wird freige-
lassen, alles nimmt wieder seine gewOhnliche Miene an.
Das Trio, das mil dem Tbema des Fagotts begann, ist zu
Ende; der Uauptsatz des Scherzos kehrt wieder. Nicht
ganz wdrtlich, sondem mit mehrfachen Anderangen,
deren wichtigste das Kolorit betreffen. Im Walzer er-
scheint eine sehr pikante Episode fUr drei Fldten als
etwas Nenes. Am SchlaO kommt das erste Thema des
Hauptsatzes in vergr56erten Rhylhmen und erweitert,
als woUte es sich zu einem Hymnns ansbreiten, einem
Preislied auf den Helden, den vergdtterten Wallenstein,
dessen Thema als einer der letzten Gedanken der Kom-
position auftritt
Der zweite Satz der Sinfonie (Andante and Allegro,
C, Esdur), MaxundThekla betitelt, l&Bt breile gefOhl-
voUe Melodien mit erregten Themen wechseln und zeichnet
damit die tragische Lage des Schillerschen Liebespaares.
Wie einst in Verona, so haben sich hier zwei Herzeo in
kritischer Stunde gefunden; auch ihr Los ist in die Handel
der Parteien verflochten. Der Komponist hat der Ober-
schrift des Satzes noch den Nebentitel »Piccolomini« bei-
geffigt, um den ZuhOrer darauf vorzubereiten, dafi er hier
unbew51kte, ungestdrte Liebesszenen nicht zu erwarten
hat Die Mnsik Iftfit dar&ber vom ersten Takt ab keinen
ZweifeL Die Panke zeichnet mit dem im Satze oft und be-
28*
436
deutend wiederkeh-
den kriegerischen Boden^
Andante.
ih7j?i\'^
aeutend wieaerxen- a ■— ii . aen Knegenscnen uoaen^
renden Rhythmus: J^ J J J der betreten werden soil;
die Violinen machen uns mit dem ebenfalls durch
die meisten Abschnitte der Situation klingenden Motive
auf Trauer und Klage gefaBt,
:« and die H5rner, die mit eini-
gen Takten die Einleitung ver-
voUstHndigen, spielen ebenfalls
im resignierten Ton. Das erste Them a, welches nun in
den Bl&sern (H5rner und Klarinetten) mit folgendem.
Anfang
ADdaDt«. J =66 ^ ^^^^ .-.--^'■^'''♦T""'^^^^
■1.1 ■■ L rq._.,r=>r>-.,.ffrg|tr>pf^'
^ einsetzt, ist sehr breit entwickelt.
Dem in Gesdur schlielBenden Nach-
satz folgen zun&chst einige Takte Uber das oben skiz-
zierte Paakenmotiv, dann beginnt die Wiederholung des
Themas in hellerem Klang der Violinen. Sie wird aber
sofort — vom zweiten Takt ab — zur Variation, zwingt
den Ausdruck zu grdfierer W&rme und erreicht bald ge-
hoben und freudig das Ende. Doch gerade bei diesem
Ende l£6t der Komponist noch einen starken Schatten
nachkommen. Es ist die Imitation, die die H5mer und
Posaunen tiefen und gedampften Klangs von dem letzten.
Takt gaben. Auch der Paukenrhythmus tritt wieder in
den Vordergrund. Die ganze Gruppe mag wohl Max and
seine Sehnsucht schildern sollen. Jetzt setzt ein neues-
Tempo: Allegro risoluto mit folgendem Hauptthema
Allegro Tisolato. J a 126-
E^tft
As FB
ein. Der Komponist zeichnet die Parteien and die Wirren,.
die den Gegenstand von Schillers Piccolomini bilden.
Dem einen Thema tritt zun&chst ein klagendes zur Seite^
437
das uns nm so
mehr an das
p • ^ ■ ' ^' ' ^ i^p 'etc Liebespaar er-
innern darf, als es teilweise mit Nachahmungen zwischen
Violine und Cello begleitet and von langsamen, gehaltenen
Episoden unterbrochen wird, in denen Bruchstucke der spft-
ter zu erw&hnenden Liebesmelodie (in H dar) auf tauchen.
In einem zweiten Abschnitt, der in G dar einsetzt, bringt
das Allegro Oprno. ■• -^^^^ das, von Wagners
ein zwei- '^l^^X J r' PI T' ^ ' I Nibelungenmasik
tes Thema ^^ ' ^ " " sichtlich beein-
flafit, eine &hnliche Rolle Qbernimmt wie in der Original-
qaelle : £s ordnet, klftrt and fahrt einen Aafschwang ber-
bei, der sich bei der Wiederkehr des Haupithemas darch
einen helleren, entschiedeneren Klang &a6ert. Nan ist
auch die Zeit, wo die liebenden Herzen sich dffnen dUrfen.
Ein Andante iranqaillo bringt die schone, etwas Goanod-
sche Liebesmelodie, deren Anfang folgendermaBen lautet:
^gtf "^^f^ — ^. ^^® Klarinet-
^ mf H ^ e--oibfisH ein, das Cello
nimmt sie ihr ab. Noch ehe das Zwiegesprftch za
Ende ist, h5ren wir versteckt mehrmals die Triolen des
Wallensteinthemas. Dann tritt die Liebesmelodie mit
jenem Thema des Andante, das den Satz begann, zu
einem wirklichen Dialog zusammen (jene in den Holz-
blSlsem, dieses in den Geigen). Auch er schlieOt mit
den markiert hervortretenden Wallensteintriolen in bei-
den Yiolinen and Bratschen. Und nun setzt Maestoso
das Wallensteinthema aufregend in Posaunen and Trom-
peten ein; aber es endet in Dissonanzen, and das
Tremolo der Bratschen ktindet nichts Gutes. Der Kom-
ponist will unsere Gedanken hier auf den Anschlag
gegen Wallenstein lenken. Deshalb setzt er auch das
Jetzt wiederkehrende Allegro risoluto in Esmoll und
gibt ihm ein Ende in gedftmpftem Ton. Die Liebes-
melodie kommt darin noch einmal als Adagio und halb
finterdruckt.
^^ 438 ^^
Der Intention nach ist dieser zweite Satz von d*Indy»
Wallensteinsinfonie der bedentendste des ganzen Werks*
Leider hat den Komponisten im Allegro die Erfindung
nicht genfigend unterstQtzt.
Der dritte Satz der Sinfonie (Tr^s large, Allegro,
Maestoso, H moll, (^), »Wallensteins Todc betitelt, beginnt
mit einer langsamen Einleitung, die schauerliche Ab-
sichten mit Berliozschen Mitteln der Modulation (HmoU"
und D moll nebeneinander) und Instrumentation (Geigen
in den h^^chsten Lagen geteilt; von Bl&sern nur FK^ten-
undPosaunen) verfolgt Natiirlich tritt in ihr auch bald<
das Wallensteinthema auf. Nachdem so am Anfang eia
Blick auf den Ausgang der Komposition geworfen worden,
beginnt die eigentliche Darstellung mit einem Allegro, das
wohl Verscbw(}rung und Emp5rung zu zeichnen bestimmt
ist. Zunftchst in den tiefen Instrumenten w^lend und
stechend, erscheint folgendes Thema
AUegro. J s 100 ±^a
fiiiiiiiMi II ill h'li ij III 1 1 rff I
das ersicbtlich von dem Wallensteinthema abgeleitet ist.
Klopfende Achtelrhythmen in Holzblftsem und IK^rnern
bilden die Begleitung. Mit dem Abschlufi der Gruppe
(in H moll) ^ ^ zugleich aber setzt auch
tritt ein A i J rn I i jS die Musik ein, die im
Seitenthe- ^ !^ •" J^ ^ ersten Satz der Sinfonie-
ma ein •*^ den Lftrra und das frohe^
Treiben des Lagers schilderte. Dieses Lagerthema nimmt
nun im Schlufisatz der Sinfonie einen sehr breiten Raum
ein und beherrscht den Satz, allein oder mit anderen-
Motiven vereint oder wechselnd, Iftnger als es die Be-
deutung des Gegenstandes erfordert Vincent d^Indy hat
fur die Darstellung des sogenannten Milieu, wie das —
man denke nur an Raffii Schlufisfttze von Lenore und
von der Waldsinfonie — den Programmusikern sehr hslufig
begegnet, zuviel getan und ohne dadurch eine ganz klare
Darstellung der &uOeren Hergftnge zu erreichen. Niemand
— (^ 439 ^^
wird mil Bestimmtheit den Punkt bezeichnen kSnnen, an
dem Wallenstein f&Ut
Zu den besseren and sch5nen Teilen der Komposition
geh5rt der Anfang des Maestoso mit dem an Schumanns
»Manfred« erinnernden Them a
Maestoso
i Trf*** r'im^r I f f^kh 1 f^'^l Diesem Maestoso folgt
1 f UJU " i ^K ' ^-—^ eine Wiederholung des
Allegro mit einigen Anderungen: es nimmt z. B. das
Maestosothema mit auf. An seinem SchlaO erscheint die
Liebesmelodie des zweiten Satzes, and ihr folgt ein zweites
Maestoso, in das der Romponist aller Wahrscheinlichkeit
nach die Ratastrophe hat verlegen wollen. Ein Largo,
das in verklftrten leachtenden Farben die Harmonien der
£inleitang wiederholt, schliefit den Satz ab.
D*Indy, dem die franzQsische Musik als Vorsitzenden
der Soci^t^ nation ale de masique and als Grander der
Schola cantoram tief verpflichtet ist, hat der WaUenstein-
sinfonie noch eine »Sinfonie sar an th^me mon-
tagnardc and die als ein Haaptwerk franzosischer
Sinfoniekanst geltende »Sinfonie c^venolec folgen
lassen; beide sind bisher in Deatschland unbeachtet ge-
blieben.
Die zweite franzSsische Programmkomposition, auf
die hier wenigstens ein kurzer Blick geworfen werden
mafi, ist die Sinfonie »La Merc von Paal Gilson (ohne Pani giuoil«
Opasangabe}. Der Komponist ist zwar Belgierj aber ahn- »La Mer«.
lich wie C. Franck, Edgar Tinel and die flberwiegende
Mehrzahl seiner Landsleate in seiner Kanst darch and
darch Franzose. H. Berlioz' Anspriiche an die Orchester-
besetzang insbesondere hat bisher niemand mit gleicher
Unbefangenheit aafgenommen and erweitert wie dieser
Belgier. Im letzten Satz seiner Sinfonie verlangt er
auBer dem schon starken B19^erchor des gew5hnlichen
Konzertorchesters noch eine zweite Gamitar Holzblftser
_^ 440 4^-
und ein Datzend Saxhdmer. Dieser Aufwand und die
berechtige Furcht vor den akustischen Wirkungen dieses
Finale mogen der Sinfonie von Gilson den Zugang zu
dem deutschen Konzert wesentlich erschweren. Gekannt
zu werden verdient sie, weil sie als die talentvolle Leistang
eines Hauptvertreters der extremen Koloristenpartei ein-
mal ein Licht darauf wirft, was den Formen der Sinfonie
unter der Herrschaft dieser Richtong bevorsteht. Das ist
geradeso wie in der Malerei eine kolossale Verarmung
des eigentlicben inneren Lebens zugunsten einer neben-
s&chlicben Naturtreue.
Am st&rksten ist dieser Eindruck im erst en Satz
(Allegretto, o/g, F dur), dem nach einem hOchst umst&nd-
lichen, mit mytbologiscben nnd sonstigen Schemen ar-
beitenden Gedicbt, dem Programme der Sinfonie, die Auf-
gabe zufMJlt, den Sonnenaufgang zu schildem. Man
erwartet da eine Einleitung, die der Scbatten der Nacht
und der D&mmerung gedenkt. Aber der Komponist setzt
sofort mit einem fertigen Operettenthema ein:
AUegretto. J.=1iO.
eresc.
I r"r"cJ I f flJ i r "p ' - i
das wohl die Stimme des seelenlosen Meeres bedeuten solL
Und diese sowieso scbon an Sequenzen, d. h. an
Wiederholungen desselben Motivs reiche Weise wird nun
durch den ganzen Satz unaufb5rlich wiederbolt, meist
w5rtlich tfnd vollstSJidig. Nur in der Mitte des Satzes,
da wo sonst die ersten S^tze der Sinfonien die Durch-
fuhrungspartie bringen, begnfigt sich der Komponist mit
Bruchstticken seines Tbemas und fiigt aucb auf einige
Abschnitte bin eine Bildung aus auf- oder absteigenden
Achtelfiguren hinzu, die man fur eine Art neuer Ge-
danken ansehen kann. Sonst aber bleibt er unerbittlich
bei seiner Melodie, wie sie stebt. Keine wesentliche Ent-
wicklung, keine Umbildung gibt ibr den Schein des Neuen,
441
und wenn es des Komponisten Absicht war, die Eintdnig-
keit des Meeres vor die Seele seiner Zah5rer zu bringen,
so hat er diese Absicht bis zu einem Grad erreicht, der
aufierhalb der Grenzen der Kunst liegt
Der zweite Satz (Allegro, s/4 und 2/4, Adur) hat die
Cberschrift >Matrosen-Lieder und -Tftnze« und bildet
einen Reigen lustiger Szenen von sehr frischem und kr§,f-
tigem Grnndton. £s scheint, als wftren fUr die frohlichen
Bilder Volksweisen mit verwendet Auch in diesem Falle
bleibt dem Komponisten -das Yerdienst sicherer, klarer
und wirksamer Gestaltung. In der Sicherheit, mit der
eine grofie Menge hunter Gestalten gruppiert ist, gleicht
der Satz dem Scherzo in Svendsens D dur-Sinfonie, und
in der Lebendigkeit, Unmittelbarkeit und in der freudigen
Teilnahme, mit der er das Gliick und die Lust der un-
teren Schichten schildert, zeigt er sich als echter Sohn
der Niederlande.
Der Satz zerf&llt in zwei Hauptteile. Dem ersten
liegt folgendes Thema:
AUei^ro. J = 116.
Wf ^ P^r fr I i^i^ r r r I r^f' r ^^
if
zu Grande, das, von unbedeutenden Nebenmotiven ge-
streift, eine lange Entwicklung erf^rt. An dem SchluO
wird der Ton wilder: ein Presto tritt ein:
j^^i M rTi ff-Q-^Cr-,|]^^j2j.
Bald aber kommt eine ruhigere Weise in ihm:
^* fTfTr i?J r I ^Tr I r?t^
Trotz des Presto ist der zweite Teil des Satzes, in
den wir jetzt gelangt sind, ein Ersatz des alten Trios.
Es schlieBt mit einem noch mehr gesteigerten Tern-
-^ 442 ♦^
po (Molto presto). Aber in ^ j^Molto preitb. _ ,
ihm kommt, ftuBerlich, fQrs -ftTS -I J^ I J rN '
Auge vielleicht etwas fremd: U ' ^ - - . - j
das Thema des Hauptsatzes wieder. Wir sind also in
die Wiederholung des ersten Teiles eingetreten. Als dann
die HolzblHser im breiten Gesang die Melodie aufnehmen,
baut der Kompooist seine Harmonie auf einen langen
basso osiinato auf, in den scheinbar leichtesten Aufgaben
die grSfite Kanst entfaltend.
Der dritte Satz (Allegro moderato, V4 ^^^^ V4> ^^s
dar), D&mmerung tiberscbrieben, f&hrt uns wieder nacb
der See zurfick. Wir h5ren das gleichmaCige Pl&tschern
ihrer Wellen in Mo liven, die dem Haupttbema des ersten
Satzes entnommen sind. Erst kommen sie in den BlSsern
muntern Schritts, dann werden sie langsam und leise in
den Geigen angespielt Die Nacbt kommt, Licht und
Bewegung erliscbt. Wie ein Abendlied erklingt es au»
dem englischen Horn:
Vn pooo meno lento. J = 69.
eine Idylle im Satz, Gelegenbeit zum Tr&nmenI Dann
wird aber die Bewegung lebhafter. Die Motive aus dem
ersten Satz kommen wieder; die d&monischen MUchte der
See regen sich und messen sich eine Weile mit den Gei-
stem des Abendfriedens. Auch Nachkl&nge aus der Tanz-
szene durchziehen den Satz.
Der vierte Satz (Allegro moderato, Vs* ®/4> F ^^^)^
Sturm fiberschrieben , beschr&nkt sich thematisch auf
den ersten Takt des Haupttbemas des ersten Satzes. Die
vier Noten dieses Motivs variiert Gilson in Farben und
Harmonien und wiederholt sie so unermQdlich, dafi sie
den H(}rer noch Tage lang verfolgen, &hnlich wie uns da&
Rauschen des Meeres noch lange auf dem Festland be-
gleitet. Der Komponist erreicht damit eine geisterhafte^
-^ 443 ♦^
gespenstische Wirkung, der Eindrack seiner Meerbilder
wird &hnlich, wie ihn Haydn von seiner Englandfahrt
gehabt haben muQ, als er das Meer »das grofie Tier«
nannte. Diese Frucht f&llt in GiJsons Finale nebenbei
mil ab. Sein Hauptziel ist: die See in EmpOrung zu
zeigen. Nacb dem Programm geht das Schiff, dem die
Matrosen des zweiten Satzes angebdrten, in diesem Schlufi-
satz zn Grande. Das Henlen des Starmes, das Kracben
der Wasserberge nnd alle die Scbauer der wilden furcht-
baren Natnr sind in einer Sinfonie so lebensgetreu wie
bier in dem Werke des Belgiers nocb nicht gem alt wor-
den. Wenn es ein Trimnph der Kunst ist, das Heulen
des Stnrmes, die schrecklichen Schl&ge der Wellen, das
Stdbnen des Fabrzengs, die hdrbaren Aufiemngen seines
Kampfes mil den Elementen mil dem grofiten Grad von
THuschung vorzufubren, so bat Gilson bier eine Haupt-
leistong binterlegt. Zum Teil sind die Mittel altbewfihrt,
namentlicb von Liszt und Wagner eingeftkbrt: die cbro-
matiscben Skalen, die boben Triller, die bereinprasseln-
den Akkorde der scbweren Bl&serbarmonie; zom Teil sind
es Rombinationen rbytbmiscber Natnr, die Gilson f&r sicb
in Ansprucb nebmen kann. In den kritiscben Minuten
ist aucb ein M&nnercbor zngezogen, der die Matrosen
darstellt, ibre verzweifelte Arbeit mit »bo be< begleitend.
Nachdem das UnglUck gescbeben, b5ren wir das Tbema
des ersten Satzes in seinem vollen Umfang nocb einmal.
Das Meer bat kein Erbarmen und kein Gewissen ; es gibt
sicb so unscbuldig und gleicbgtiltig wie am Morgen, da
die, welcbe jetzt in der Tiefe ruben, die Sonne aufgehen
saben.
Aucb Claude Debussy bat eine, wenigstens in Clavde Debmssj^
Frankreicb bftufiger gespielte Meeressinfonie geschrieben, ^^ ^®'
die den Titel .»La Mere trUgt und aus drei S&tzen oder
Skizzen (esquisses sympboniqnes) bestebt. Im ersten ^
>Derarbe k midi sur la mere, malt das Orcbester das
Spiel des Wassers mit bestftndig wecbselnden, kurz cha-
rakterisierenden Figuren der Streicber, von den Blslsern
ber bdrt man rubigere Motive, welcbe die Stimmung des
. .-^ 444 ^^
im Boole sitzenden Beobachters ausdriicken. Darin, da6
sie Debussy nicht entwickelt und nicht in Beziehungen zu
einander setzt, zeigt sich seine impressionistische Natur,
der Bausteine lieber sind als Bauwerke. Der zweite Satz:
»Jea de vaguesc, bringt im wesentlichen die Bilder
des ersten nochmals, aber vergrdfiert, bewegter, erregter
und auch mil einem st&rkeren Zusatz von Gemutsmotiven.
Er hat da, wo sich die Dissonanzen endlich einmal auf-
15sen, Stellen von faszinierender Sch5nheit. Der dritte
Satz: >DiaIogue du vent et de la mer<, beginnt
erst das Treiben des Windes, dann die Reaktion des
Wassers malend. Dann koinmt aber als Mittelpunkt des
Oanzen ein weihevoll ruhiger, gebetsartiger Abschnitt, der
von einer zwar chromatischen , aber doch breit, aus-
giebigen und sprechenden Melodie getragen wird. Es ist
treffliche Musik im alten Stil.
Die Aufgaben, die sich die franz5siscbe Programm-
suite stellt, laufen in der Kegel auf Stimmungs- und
Situationsbilder allgemeiner Natur hinaus. Es sind im
Grunde GharakterstUcke, wie sie die franz5sische Orche-
stersuite seit LuUy gehabt hat, sie schildern AfTekte,
deren musikalische Natur auQer allem Zweifel steht, und
gebrauchen den poetischen Titelzusatz nur als Sporn und
HQlfe, die Phantasie zu beleben und vor dem Einschlafen
auf Gemeinpl&tzen zu schUtzen. Der Zusammenhang dieser
Musik mit dem Ballett ofTenbart sich im Gharakter der
S&tze; ja ein Teil dieser franzOsischen Pro gram msuiten
bekennt auch ftuBerlich die Herkunft von der B&hne. Von
L6o Dellbes, L. Delibes z. B. haben wir zwei Ballettsuiten aus >Le
Sylvia. Roi s^amusec und aus >Sylvia«. Diese Sylriasuite,
die sich in den deutschen Popul&rkonzerten eingebiirgert
hat, ist ein ProbestQck jener franz5sischen Unterhaltungs-
kunst, die gew3hnliche Dinge darch eine gew&hlte Form
zu heben weiO. Unter ihren vier Sfttzen, die J&ger,
Nymphen und Bacchanten vorfUhren, zeichnet sich der
dritte, ein langsamer Walzer aus. Am bekanntesten sind
aus der Gruppe dieser fiir das Konzert zurechtgemachten
Schauspielmusik die zwei Suiten, die G. Bizet, der Kom-
-^ 445 <»~
ponist der » Carmen «, im Jahre 1872 zu A. Daudets Schaa-
spiel >L*Arl6siennec geschrieben hat.
Von diesen beiden Suiten ist die erste in Dentsch- G. Bizet,
land auBerordentlich verbreitet und wohl mehr als L'Arl&ienno K
irgend eine zweite neuere franzGsische Orchesterkom-
position aus den Kreisen der Abonnementskonzerte hin-
aus in die Volksmusik gedrungen. Das ist nar natur-
licb, denn sie ist eine so reizende Arbeit, wie wir nur
wenige haben, and bleibt — mannigfach gehaltvoll —
leicht, klar, liebenswtirdig auch da, wo sie UngewOhn-
liches und Aufierordentliches bietet. Eins wollen wir
Bizet nicht vergessen : das ist die Knappheit seiner Ent-
wicklangen und Ausfuhrungen.
Die erste Nummer unserer viersHtzigen Suite (Allegro,
C) Cmoll), die die Oberschrift Prelude hat, bildet in der
vollst&ndigen Schauspielmusik die Ouverttire and hat den
doppelten Zweck, auf die HauptzQge und den Charakter
der Handlung vorzubereiten und uns mit Land und Leuten
etwas bekannt zu machen. Das zweite Ziel verfolgt
Bizet mit dem Thema, das den Satz erdffnet:
^ , Allegro declso. J sl04
Jot *
"~^ ' VI I J I f" fi pT— 7— I Es ist erne provenzalische
y^jj r '^^J^J. ■ Volksmelodie, als >Marche
de Turenne< in Frankreich bekannt. Bizet entwickelt sie
vA einer Reihe Variationen ernsten Charakters, die die
Phantasie seiner franzOsischen Zuhdrer mit ganz be-
stimmten geographischen und kulturhistorischen Bildern
erfUlIen miissen, wie wir dhnlich bei >Jetzt gang ich ans
Briiunelec an Schwaben denken. Zuerst kommt di&
Melodie ohne Begleitung, aber in m&chtiger Besetzung
(alle Streichinstrumente mit Ausnahme der Kontrabftsse,
Holzblftser, Saxophon and H5rner). Dann wird sie zart
von der Klarinette gesungen, von der Flote, englischem
Horn und beiden Fagotten mit schmiegsamen Harmonien
begleitet. Die zweite Variation bringt das Thema von
.^ 446 <^-
8&mtlichen Bl&sem gespielt; s&mtliche Streichinstrumente
begleiten ebenfalls unisono in Achtelfiguren, die c als
Orgelpunkt festhalten, in den Nebeonoten aber die Skala
emporklimmen. Die Perioden setzen pp an und gelangen
zur selben Zeit, wo die Figoren sich der Oktav von o
nShern, ins f and ff.
Die dritte Variation bringt das Them a im langsamen
Tempo in Cdar vom Cello vorgetragen, Horn und Fagott
begleiten. Die vierte Variation hat es wieder in der An-
fangsbewegung and im groBen Glanz des vollen Orche-
sters. Mit einem kleinen Anhang schliefit die Variationen-
gruppe, die dadorch ungew5bnlich ist, dafi sie auf die
modern en Miitel des Variierens, aaf wesentliche Ver-
&nderungen des Themas selbst, verzichtet. Bizet woUte
mit Rticksicht auf den Zweck seiner Musik so einfach
und gemeinverst&ndjich als moglich bleiben; er ist trotz-
dem nicht in Monotonie verf alien.
Die Mitte, oder den Apdyte moito. Jeden zwei-
zweiten Teil des Prelude ^j^^^b fj^ f' g |^ Hten Takt er-
fiillt fast ganz das Motiv ^' '' ^ ^ ' '^hebt es sei-
nen Klageruf. Wie auch die Musik ihre Wege w&hlt,
durch alle Harmonien dr&ngt es sich. Wenn je, so darf
hier an eine >Id^e fixec gedacht werden, und tatsachlich
bedeuten jene vier Noten auch etwas dem Ahnliches.
Fr6deri, der Held des Daudetschen Schauspiels, mnO das
M&dchen von Aries (rArl^sienne) aufgeben, weil sie eine
UnwUrdige ist. Aber er hdrt nicht auf an sie zu denken,
sich nach ihr zu sehnen, und an dem Abend, wo seine V6r-
4obuDg mit einer andren vorbereitet wird, stiirzt er sich
zumFenster hinaus. Der mittlere Teil der Prelude malt
nun mit der unaufhSrlichen Wiederkehr dieses einen Mo-
tivs den Creisteszustand des armen Fr^deri, der so ganz
bis zur Sinnlosigkeit von dem Gedanken an die Verlorne
beherrscht wird. Ein dritter Teil, in dem das Motiv
Pb pen mollis lento. J r7e, ^i® hauptsftchliche Entwicklung
^ ^^. / ^ ^^ trftgt, malt das Sorgen, das Hof-
"TO ' ^ P P ■ ' ^N ^^^ ^^<^ Ringen der Umgebung.
'*Jp --.==: jjj^^ letzten Takte des Satzes
_^ 447 ♦^
nehmen Bezng an! den traurigeiii schrecklichen Ausgahg
des StUckes.
Der zweite Satz (Allegro giocoso, 8/4, Cmoll), ale
Minuetto bezeichnet, ist als Zwischenaktsmusik zur ErOff-
nung heitrer Szenen komponiert. Er hat die alte, von
Haydn her bekannte Aniage. Der Hauptsatz stiitzt sich
auf ein Thema, das bei aller Einfachheit und Beschr&n-
kuDg doch eine feine w&hlerische Hand verr&t. Die Bafi-
fiihrnng zeigt sie:
llaaiiML ADeinra gloeoso. J r
J . J J J J 41J J J # J -^J J J^ « T»
iA:rmmr(H'm
Mehr als
vom Haupt-
satz wird
jedoch das Wesen dieses Minuetto von dem anderen Teil,
dem an Stelle des Trios stehenden Satz bestimmt Er
steht in Asdur mit folgendem Thema:
'igiTirricf i
Mit seinem innigen, elegischen Ausdruck fesselt es an
sich schon das Gemtit des H5rers; der Komponist ver-
stIUrkt aber seine Macht durch die sichtliche Liebe, mit
der er bei ihm weit tiber die nonnale Zeit hinaus ver-
weilt.
Der dritte Satz (Adagio, ^4) Fdnr), Adagietto be-
titelt, ist kaum mehr als ein Lied mit einem kleinen selb-
stg.ndigen Mittetsatz, sonst vom einfachstem Bau. Die
Hauptstrophe bildet Vorder- und Nachsatz und wird so
viel ausgenutzt, als nur mbglich ist, und in ihr selbst sind
die melodischen Yerh<nisse so leicht gew&hlt, als es
nur sein kann. Gr5Bere Schritte kommen fast gar nicht
vor. Diese ftufierste Einfachheit, die das innige StUck
noch rUhrender macht, als es an und fCkr sich schon ist,
dient hier Zwecken dramatischer Charakteristik. Es be-
— ♦ 448 4>^
gleitet den Dialog zweier alten Leute im Sttick: der Mutter
Renaud und des SchUfers Balthasar, die sich, urn brav
zu bleiben, vor fUnfzig Jahren getrennt haben und jetzt
zum ersten Mai wieder sehen. Als die Musik der alten
Leute zeigt sicb das Adagietto auch in seiner bescheid-
nen Besetzung (Streichquartett) und im Tempo, das man
kaum zu ruhig nehmen kann.
Der SchluBsatz (Allegretto moderato, 3/4, G dur)
»Garillon< betitelt, ist derjenige, welcber den Konzert-
erfolg der Suite unter alien UmstS.nden sichert. Eine
Harmonie gegen einzelne liegen bleibende Tone (liegende
Stimme) zu fUhren oder gegen ein im BaB festgehaltnes
Motiv (Basso ostinato), das ist nichts Seltnes. Aber ein
Motiv in einer Mittelstimme ohne Unterbrechung sechzig
Takte hintereinander wiederkehren zu lassen und daraber
und darunter eine Musik in FluC und Charakter zu
bieten — wie das Bizet hier tut, das ist ein EunststQck.
Dazu kommt aber noch, daO dieses Kunststiick sich
ganz natiirlich gibt. Der Satz Bizets ist wirklich ein
Stuck Programmusik- im eigentlichsten Sinn: MalereL Er
macht das Glockenspiel nach, aber Bizet hebt den EfTekt
poetisch &hnlich, wie er in seiner Carmen die AuOerlich-
keiten des militarischen Lebens getreu, aber zugleich
auch in poetischer Verklftrung vorfiihrt Im Schauspiel
setzt unser Finale in dem Augenblick ein, wo die jungen
Leute nahen, um die bevorstehende Verlobung Fr^deris
mil Yivette zu feiem. Was das Dorf nur an Mitteln be-
sitzt, um einer freudigen und hochgehenden Stimmung
Ausdruck zu geben, das wird in j
Tatigkeitgesetzt. NatiirlichmiiS ^ff|gretto',oderato.J=l04
sen da die G15ckchen auf den ^ ff'^ J? J J J I J H
Turm auch mittun. Sie spielen: ^
Unter den Kontrapunkten, die ihnen entgegenireten, ist
der wichtigste der folgende:
f/pf rfr ir ,1 1 iin r r n ,1 1 |^
449
als der Ausdruck frdhlicher, flotter Feststimmang. Unter
den Klftngen dieses Themas sttbrmt die Schar der jugend-
lichen Gratulanten heran. Im Mittelsatz, der liber folgen-
des Thema entwickelt ist:
Andaatliko.
tritt das Sprecherpaar hervor and stattet sittig und herz- -
lich den Gltkckwunsch ab.
Der auBergewObnliche Beifall, mit dem Bizets 1. Suite
zu TArl^sienne in alien Lftndem aufgenommen worde,
bestimmte seine Freunde,die (aus 24Nammem bestehende)
Mnsik zu dem Schauspiel Daadets noch einmal nach
Sfttzen durchznseheD, die im Konzert verwendbar wUren.
Das Ergebnis hat uns Goiraud in einer zweiten Suite
Bizets zu I'Arl^sienne vorgelegt, die ebenfalls aus G. BUet,
vier Nummern besteht, welcbe den Stucken der ersten ^*^'1***®°"® ^
Suite in der Wirkung nichts nachgeben.
Sie wird mit einem Pastorale erGfihet, dessen
Hauptsatz auf folgendem Thema ruht:
Andaxit« sostenato assai. J = S4.
^"py_pj^^w V I In der harmonischen Stellung der
L-ia ^ f p ' J ^chtelnoten, in dem l&ndlich naiven,
freundlich liebenswQrdigen Ausdruck froher Stimmung
erinnert es an Boieldieus >Weise Damec. Ein Nachsatz,
von k aus gebildet, vervollstSlndigt es zur achttaktigen
Periode, die von den Bl&sern allein, mit der FU^te als
Soloinstrument, sofort und w5rtlich, aber im zarten Ton
wiederholt wird. Da schon wird die Ifindliche Szene unter-
brochen: die Holzbl&ser rufen einander zu, als k&me je-
mandy der noch mit will: vom Saxophon und Horn her
horen wir ein Motiv, das wie ein Halloh khngt. Man
wartet auf den Nachziigler, und als er da ist, beginnt ein
kleines Pastoralkonzert, eine echte Landmusik im ^/s Takt:
KretsBelimar, Ffthrer. I, 1.
29
450
wie von Dudelsackharmonien ,
von den Qaintenb&ssen der
vf etc Fagotte begleitet. Langedau-
ert sie nicht, das Adurthema setzt wieder im ff ein, der
Zug bewegt sich weiter. Bald hat er aber sein Ziel, den
Spielplatz im Schatten erreicht. Noch einmal setzt sich
alles in Positur, das Messing (Posaunen mit) intoniert mit
aufierster Kraft und Wtirde die Adur-Harroonie, die andern
Instrumente fangen Nachahmungen des Themas an. Aber
blitzschnell wird das aufgegeben, die Kl&nge verhauchen,
und wir stehen vor einem ganz ver&nderten BUd: vor
dem zweiten Teil des Pastorale. Dieser zweite Teil ist
in FismoU und im ^4 Takt gehalten, scheidet sich also
auch ftuGerlich scharf von dem Hauptsatz. Dem Cha-
rakter nach ist er eine Tanzszene, und der Komponist
hat hier sichtlich darauf gerechnet, daB der Zuhdrer die
sinnlichen Haupteindrticke durch das Auge von der Buhne
her empfSLngt Denn die Musik ergeht sich in blofien
Wiederholungen. Sie reprftsentiert wohl mit provenza-
hschen, halb ehrwtirdigen , halb droUigen Melodien ein
Parchen. Sie singt zierlich:
tf
. Andaatliio.
P^
er ungesttim:
eta.
r n [XT f f Ijj eJJJ ' "^ ^^
Ein freierer und ausdrucksreicher Abgesang schlieBt die
Szene und eine abgektirzte Wiederholung des Haupt-
satzes den ganzen Satz, der durch das reizende Adur-
Thema noch lange nachwirkt Im Schauspiel kontrastiert
sein liebenswurdig freundlicher Klang aufs schneidendste
mit der augenblicklichen Situation. Denn der Aufzug des
Pastorale erfolgt unmittelbar, nachdem Fr^deri fiber den
-<(> 451 ^^
-wahren Charakter der Arl^sienne schmerzHch aufgeklftrt
worden isi
Der zweite Satz der Suite (Andante moderato, d
Esdur), Intermezzo fiberschrieben, ist Zwischenaktsmusik
elegischen Charakters. In der kurzen Einleitung, die am
SchluB der Nummer wiederkehrt, wechselt eine starke
Unison ofigar mit zarten, geheimnisvollen Bl&serakkorden.
Der Hauptsatz gleicht einem Gesangstfick, dessen gleich-
mSiQig breiter FluC, nur durch einige Takte der Erregung
unterbrochen, dem Ende zu darch Hinzutreten immer
weitrer Instramente sehr imposant anschwillt.
Anch der dritte Satz (Andantino quasi allegretto,
</4, Esdur), Menuett betitelt, ist ein Stiick Zwischen-
aktsmusik, dem vorigen aber an Originalit&t weit fiber-
legen. In der Familie der Menuetts l&6t es sich
ebenso wenig mit einem zweiten StQck verwechseln
Oder auch nur vergleichen, wie Mozarts Menuett seiner
letzten Esdur-Sinfo-
nie. Zu der kecken a ,1 „ f r-m
Grazie seiner Melodie, mrli i [^
die von dem Thema: *^ PP
getragen wird, kommt eine ganz ungewShnliche Instru-
mentierung: den gr5fiten Teil des Hauptsatzes spielen
Fldte und Harfe allein. Um so gewaltiger klmgt dann das
voile Orchester im Mittelsatz, der fiber das feste Motiv
g I L f -f f ■ f > gebaut ist. Die Pausen ffillen Sech-
gCHi 11' I ' i t I zehntelgftnge von FlOten, Oboen und
/ Klarinetten, die durch die Beteiligung
der Harfe H&rte und RUckgrat erhalten.
Ahnlich wie in der ersten, so ist auch in Bizets zweiter
Suite zu TArl^sienne der Schlufisatz (Allegro deciso,
C) ^4) DmoU— Ddur) als die Krone des Ganzen zu be-
zeichnen.
Bis zu den Entries in den Balletts Rameaus k5nnen
wir die Tatsache zurfickverfolgen, daO die franz5sischen
Komponisten ihre besten Stunden immer bei der Schil-
derung von besondern Aufzfigen haben. So sind auch in
Bizets Suiten der Carillon, Pastorale und unser SchluB*
29*
452
satz die bedentendsten Treffer. Denn auch dieser Schlui^
satz ist eine Aufzugsmusik: Farandole, wie er Ckber-
schrieben isti bedeutet den Marsch und Tanz, mit dem die
Teilnehmer am Fast des heiligen Eiigius (Eloi) in der
Provence vor den Hdusern und H5fen erscheinen, von
deren Besitzem sie milde Beitr&ge erbitten wollen.
Bizets »FarandoIe< beginnt wie das Prelude der erstto
Saite mit dem Marche de Turenne. Doch beutet er die
alte Melodie nicht wieder zu Variationen aus, sonderD
bricht sie bald ab und ersetzt sie durch die eigentlicbe
Farandole. Das ist ein altertumlicher proven zaiischer Ge-
sang, zu dem aucb besondere Instrumente geh5ren: das
lange schmale Tambourin und das Flageolett: die Melodie
des Farandole ist folgende:
ABegro Ttfo.
einen Nacbgesang:
Die Periode wird wie-
derholt und erhalt dann
der ebenfalis zweimal gegebea
wird. Dann beginnt der ganze
Reigen von vorn, zwei-, dreimal emeuert sich das
Spiel, aber immer lauter. Wie aus weitester Feme ppp
begann die Farandole, beim zweiten Einsatz war sie
scbon im f, und fortw&hrend wftchst sie an Tonstftrke,
ziebt Instrument urn Instrument in ibre Kreise und'
klingt mit jeder Sekunde entschiedener, naturmS,chtiger.
Nimmt man noch binzu, wie das Tambourin, noch ebe
die Melodie eingesetzt hat, scbon seinen Achtelrhythmus
begann und wie es seitdem nicht aufgehOrt hat, die
Achtel weiter zu klopfen, so kann man sich einen
Begriff von der sinnverwirrenden Wirkung dieser Musik'
machen. Endlich kommt eine Abwechselung: der Marche
— ^ 453 f^
^e Turenn^- tritt ein. Aber nor flir kurze Zeit.. Bald
macht er der Farandole wieder Platz, die bis zum
Ende des Satzes nicht wieder verschwindet. Wir stehen
also dieser Schlufinummer der zweiten Suite gegentkber
▼or einem fthnlich behandelten Variationengebilde , wie
-es Glinckas Kamarinskaja ist Die russische Kunst, ein
nnscheinbares und geistig geringes Thema durch Z&hig-
keit za einer Gr5Be, ja zu einer Naturgewalt zu steigern,
hat sich Bizet mit einer Wirknng zu eigen gemacht, die
nichts zn wUnschen l&Ot
Gleichfalls nach dem Tode des Komponisten hat man G. Blset»
€ine dritte Orchesterstute von Bizet verSffentlicht. Sie Roma,
ftlhrt den Xitel Roma und gehOrt zu seineu Ulteren Ar-
beiten. Nach den Versicherungen Ch. Pigots*) hat Bizet
schon i. J. 1863 an ihr gearbeitet, damals noch mit der
Absicht, eine Sinfonie zu schreiben. Am 28. Februar 1869
wurde das Werk bei Pasdeloup aufgeftihrt mit der Be-
zeichnung >Fantaisie Symphonique« und dem Nebentitel
»Souvenirs de Romec. Der erste Satz trug die Bemerkuug
»nne chasse dans la forSt d'Ostie« — das ist fiir eine
Suite mit dem Titel Roma ein zum Verwundem harm-
loses Thema — , der dritte war als »Une procession* an-
gegeben, der letzte wie noch heute Carnaval benannt.
Der erste Satz (Andante tranquillo, C/, Cdur und
Allegro agitato, o/s , C moll) beginnt mit einem Hornquartett,
«dem folgender, an den SchlUssen etwas Mendelssohnisch
gefarbter Gesang zu Grunde liegt:
Andmte traaqplBo, J r 66-^ ^ ^ ^^ ^,„^
^ ^p^T^^ ^ ' T^r^ ^^ derselben Sonntag-
r r rrrriP^fpr Tfir P- morgenstimmung wie
^^ '^ dieses Thema sind
auch die Strophen gehalten, welche die Geigen ihm ent-
^egensteUen. Dann geht die Erwartung in Unruhe liber.
*) Charles Pigot: Georges Bizet et son oenyie. 1886.
454
Bewegtere Motive treten ein, die Geigen -begleiten ii»
sprUhenden Figoren, aus den Bl&sern t5nen lockende Rufe.
Die ganze Natur beginnt zu leben, es wird Zeit znm Tage-
werk. Dessen Schilderung ist die Aafgabe des Allegro^
das den zweiten Teil dieser Nummer bildet Es ist in-
sofern ganz ongewChnlich angelegt, als es weder die Qb-
liche Einteilang eines Sonatensatzes noch die einesRonda
zeigt. Es hat kein bestimmtes Thema, aus dem es sich
entwickelt, sondern es sucht die augenblickliche Lage
mit immer neaen Motiven zu zeichnen und tlberlftOt es
dem Zuh5rer, aus deren Charakter auf den Inhalt der
wechselnden Bilder zu schlieGen. Die wichtigsten dieser
Motive sind folgende drei:
Allegro agitato. J-^ 104
^_^ Der Satz hat einzelne
I j I wenige Idyllen, vor-
wiegend malt er
em
lautes, froh erregtes Treiben, bei dem die HSrner eine
Hauptrolle haben. Im Augenblick, wo die Wogen am
hSchsten gehen, geht auch die Modulation aus Rand und
Band, nftmlich in das ganz unerwartete Es dur. Dieser Ab-
schnitt hat auch ein hervortretendes Hauptmotiv, n&mlich :
^^ Als erwiederinEsgeschlossen^
H'lift i^^fJ'V " CXX-lL: verklingt der Lftrm; mit einem
y Male sind die Schatten des
Abends da. Noch einmal kommt ein Aufschwung aus
der sanften Idylle, die das Allegro geworden ist. Dann
kommen die Motive der Einleitung wieder und schlieBlich*
das Andante selbst.
Der zweite Satz (Allegretto vivace, V49 As dur) ist
als das Scherzo der Suite anzusehen. Seinem Hauptsatz
liegt folgendes flQchtige, phantastische Thema zu Grunde;
_^ 455 «—
J- 1 116.
0i ftjm J I I ,1 J I r r^ ' ^^
r r r I f r r i^rTPj i j 1 1 i^vVf?!' i
I f r [""rVrf^r N r r IV r H J J J M i
Zuu^chat wird es zu einer Fuge benutzt, dann aber zu
einer Reihe freier leichter Satzbildungen, begnUgt sich,
sp^ter hie und da wohl auch Begleitungsmotive und Ver-
zierungsfiguren zu liefern, z. B. zu folgender Melodie:
JiV I _L I I I I 1 I I Tl I I I I
Der zweite Teil, dem gew5hnlichen Trio entsprechend,
ist &hnlich wie in der ersten Suite Bizets zu TArl^sieane
sehr liebevoll ausgefiihrt. Das warm gesangvolle Haupt-
thema, das dem zarten Satz zu Grunde liegt, ist:
fiVm J I II I I 1 1 J. I I I ixiTTi
l7r ir MT'i III riJ JT,i.h«.
Der dritte Satz (Andante molto, C, Fdur) gleicht mit
seinem ruhigen, Gemiitsruhe und Frieden verkGndenden
Thema :
Andante- molto. J s 48.
'- — 'ZTrn^ i^!!^^! ™®^^ einer Szene in der Ka-
J ^ i^ ^ ^ \ f =^ pelle als einer Prozession. Nur
^^^ - =^^ die h&ufigen Wiederholungen
f&hren uns das Bild des Marsches der ausruhenden und
wieder aufbrechenden Pilgerschar vor die Phantasie.
Bizet hat diesen Wiederholungen ganz im Gegensatz zu
456
dem Verfahren, das Berlioz im Horald einschlag, das
Eintdnige dadurch zu nehmen gesucht, daB er sie har-
monisch oder in der Instrumentierung variierte. Nament-
lich die letzte Variation hat durch die lebendigen, inter-
essanten Kontrapunkte der ersten Violine einen groBen
Reiz. UrsprUnglich war dieses Andante von Roma ein
Seitenstuck zu dem Adagietto in der ersten Suite zu
TArl^sienne, einfach und knapp. Der Komponist hat dem
Satz aber nachtr&glich einen imposanten Charakter da-
durch gegeben, daO er das zweite Thema aus dem SchluG-
satz der Suite in ihn hereinnahm und ausfUhrte.
Dieser SchluBsatz (Allegro vivacissimo, ^41 Cmoll) ist
ein Rondo. Sein Hauptthema ist ein BaBrhythmus, der
durch die Dissonanzen, mit denen er begleitet wird, eine
wilde und ausgelassene Natur und die F&bigkeit erhSlt,
die Stiitze einer toUen Karnevalsmusik zu bilden:
Allerro vlvaclaaimQ.
J.-
168.
h '' h
^^
I
*p t ^ •>
^^
Eine bunte Schar von Motiven gesellt sich zu dieser
BaBfigur; jedes Instrument, das an der Musik teilnimmt,
hat ein anderes. Der lustige Tag macht die Phantasie
sprflhen, der melodische Segen ist fast unerschopf-
lich. Hervorgehobeu seien unter >. i >-->, ,..«>^
ihnen zwei, die sp&ter be- •dE^'^ T ^ jjf | f ^
nutzt und bedeutender werden:
und das , » ^
von ihm i l>''l. \ ftCJ
abgeieitete: •^ " ' ' ""
Unter den The-
men der Zwi-
achens&tze er?
457
regt das des ersten Interesse, well es beim Einsatz sehr
an Nicolais i^^ #^ ^W^^^j^ <^
Lnstige Wei- ^ [rl^. fi | ' P I * P I Ltf-fc^ | ' ^
Das eigentliche zweite Haaptthema des SchluGsatzes,
dessen Bekanntschaft der HOrer schon im Torhergehenden
Andante gemacht bat, lautet:
- i^fijJjiJi^fijJjiJ^^fiJiiJi['fi[-ip ^.
Es gibt am toUen Tage edleren Gef&hlen Ausdruck, und
wenn wir in Betracht Ziehen, wie dieses Thema im Satze
plStzlich nnvorhergeseben vor nns steht, so iiegt der Qe«
danke nicht so fern, da6 der Komponist damit anf eine
liebe Begegnung hat hindenten wollen. Die innige nnd
schGne Weise, aus der schon eine Hauptstelle von
» Carmen « herausblickt, klingt oft wieder und wirft in die
noch folgenden ansgelassenen Szenen, von der eine
Fuge fiber
j.%>auiJ«JJIIl|iM IIujjIIluHI II
die ftrgste ist, veredelnde Lichter. Mehr nnd mehr dem
Ende zn wird aber auch sie ihres Charakters entkleidet
und in den Strudel sinnloser Lust hineingezogen.
In Frankreich wird noch eine sogenannte Klein e
Orchestersuite (op. 22) Bizets viel gespielt, die den e.Ftset,
Titel fuhrt: jeux d^enfants, d. i. Kinderszenen. Diese jeux d'enfanis.
Kinderszenen entstanden als Rlaviermusik , ein Heft 12
Nummern umfassend. Zur Eroffnung der Konzerte Co-
lonnes hat der Komponist fttnf davon instrumentiert und
als petite Suite d'orchestre veroffentlicht. Die erste
Nummer ist ein einfacher Marsch, bei dem Trompeten,
Hdmer, Panke und kleine Trommel, also die Instramente,
die die Aufmerksamkeit des Kindes am stftrksten er-
-wecken, sehr hervortreten. Es ist nicht zu verkennen,
-^ 458 ^^
da(3 der Humor der Komposition im Klavier reiner wirkU
Der zweite Satz, erne Berceuse, ist die Krone des
Werkchens durch die SiiOigkeit der Kantilene. Alle
lustrum ente nehmen die sch5iie Melodie f&r eine Welle,
das Cello umspielt mit wiegendeu Figuren. Der dritte
Satz, »Imprompta<, ahmt das Brummen des Kreisels
mit einer Trillerfigur nach, die in den untern Mittel-
stimmen durchgefuhrt wird. Die vierte Nummer, Duo
genannt, ist ein kurzes Andantino, in dem erste Violin e
und Cello in z&rtlichen Melodien das Bild zweier Liebes-
leute geben soUen. Der Schlufisatz, Galop betitelt, will
zeigen, wie kleine Leute Gesellscbaft haben und einen
grofien Ball geben. Es gebt sehr hoch her. Der Satz
verarbeitet das Thema nach verschiedenen Richtungen,
stellt es sQgar in den BaB. Das Ganze ist ein liebens*
wGrdiges Stiick Kleinkunst.
C. St. Sagnt, Von CamilleSt. SaSns besi tzen wir eine Programm-
Suite suite, die den Titel Suite Alg^rienne (Op. 60) fiihrt und
Algenenne. ^^j^j ^^^ ^-^^^ ^^^ mehreren musikalischen Frtichten jener
viel besprochnen Reise zu betrachten ist, die seinerzeit
das Haupt der heutigen franz6sischen Tonsetzer seinen
Pariser Freunden auf lUngere Zeit entzog.
Der erste Satz (Molto allegro, ^^/g, Cdur) beginnt ge-
heimnisvoll mit einem leisen Paukenwirbel. Dann setzen
die Celli ein:
^ Molto allegco. JL«144
Mit dem Eintritt der Bratscheu wird aus diesen tastenden
Motiven ein Tbema: '
IlTTiu Ifj^
fUTiTf \f nl^^ -Vpfu.
Motiv-
gruppe und The-
ma, reichen sicb
-^ 459 ^-
die Hand, am vereint den Aufmarsch der Stimmen zti
stutzen. Der ganze Abschnitt hat den Charakter einer
groBen Spannung: Leonorenouvertiire nnd Rheingold-
Yorspiel haben Telle von gleicher Anlage: eine Entwick-
lung, die tiber einem Orgelpunkt aufbaut und aufttinnt
und die Phantasie eifrig mit der Frage beschMtigt: was
wird kommen, wenn die erstrebte H5he endlich erreicht
ist Jener Augenblick nahet sich, als die ersten Geigen
das Thema nehmen. Da verl&Bt die Harmonie den lang
festgehaltnen Standort auf G und wendet sich nach O.
Das neue Bild aber, das sich jetzt bietet, ist das Thema
das gehegte Erwartangen nicht befriedigt, sondem nur
steigert. Was fremdartig an diesen T5nen ist, die wohl
einen GruB, die ersten Klftnge vom afrikanischen Land
bedeaten, das wird romantisch gehoben durch die Ein-
kleidnng, die ihnen St. Sa^ns gibt. Ein Tremolo der Geigen
begleitet sie und ein Freudenschauer des voUen Streich-
orchesters folgt ihnen. Von nun an kommt in die Musik
viel grOfiere Beweglichkeit; nur der SchluB des Satzes
wendet sich wieder ins Zarte und erzfthit von einer Seele,
die sich dankbar still sammelt.
Der zweite Satz (Allegretto non troppo, ^^/g, Ddur)
bringt nation ale Musik. Die Rhapsodie mauresque, wie
die Nummer helBt, zerf&llt in zwei Telle. Der erste ist
eine kunstrelche Phantasie ttber das Glockenspielthema
^f^ Allegretto aoa troppo. J's64 ^
y J)
*»J)^*IJ)^*J^V^I|ll d*s durch alle In-
y^7 ^^ y f f y f ^ # strumente geht und
*^ ^^ ^"^ mancherlei Umbil-
dungen erfUhrt. Die interessan teste und wichtigste bringt
es in die Form einer Sechzehntelfigur, wodurch der Satz^
460
der in beabsichti^er Monotonie gebalten Lst, auf eine
Weile bewegter and spannender wird. Unter den Kontra*
punkten, die diesem Hanptthema entgegengestellt werden,
machen sich in den Holzbl&sem einige scharf rhytbmi-
-sierte Figuren bemerklich, die wohl der maurischen Volks-
musik entnommen sind. W&hrend dieser erste Teil trftn-
merisch gestimmt ist, bringt der zweite eine frohe und
tr5hliche Musik auf Grand folgender Themata:
Allegro modec»to. Js 188
f ^"^iT'l i\ |iT iiirfimi III
flie.
Das erste ist in seiner Einfalt and seinem Mangel an
Leittdnen entschieden barbarisch. Das letzte hat St. Sa^ns
auGerordentlich wirkungsYoll eingefUhrt. AlsZweck dieser
Rbapsodie k()nnte man sich ein St&ndchen denken.
Dem dritten Satz (Allegretto quasi Andante, o/s,
Jldur) liegt eine zwanzig Takte lange Melodie zu Grande,
deren Charakter aus folgendem Anfang
.Andaiitlno. A-84 ^
<a erkennen ist. Ihr geben einige Takte in den Holz-
blftsernvorher, die sich durch den freien, spielfreudigen
Rhythmus als eine musikalische Gabe der Eingebornen
kennzeichnen, w&brend das hier angegebene Thema melo-
disch und rhythmisch die europftische Abkunfl zeigt. So
haben wir in den beiden Melodien zwei Kulturen gegen-
flbergestellt, Stoff genug zu einer Tr&umerei. Denn der
Titel der Nummer lautet Rfiverie du soir {k Blidah).
4ene maurische Weise bedeutet den Gebetsruf : der Fremd-
— ^ 461 ^^
ling, der ihn fadrt, fQhlt sich fromm gestimmt and gedenkt
dankbar der Herrlichkeit, die er am Tage in diesem ge*
segneten Ort genossen. Blidah ist ja die Gart^nstadt tout
Algier und anch durch geschichtliche Beziehungen aus-
gezeichnet Dreimai folgt den manrischenMotiven dielange
abendl&ndische Melodie, die Instrumentierung wechselt,.
and beim dritten Male treten weitre Modifikationen ein.
Die Violinen kommen nicht mit der Melodie, sondem legen
als Episode einen zweistimmigen, dem beschaalichen Nach-
sinnen gewidmeten Satz ein. Als nun das Adartbema
eintritt, bringen es die Blftser; erst in der zweiten Periode-
treten die Geigen hinzu, die in einem kurzen Nachspiel
den knapp gehaltnen Satz zart verklingen lassen.
Der Scblufisatz (Allegro giocoso, (^, Cdor), betitelt
Marcbe militaire frangaise, ist eine Probe von den
Leistungen des Komponisten auf dem Gebiete franz5siscber
Volksmusik. Denn daza gehOren die Armeem&rsche; ja
ibre Masik pflegt ganz besonders sich durch nationalen^
Charakter auszuzeicbnen. Deshalb tragen in Frankreicb
auch die ersten Tonsetzer kein Bedenken, dem Marsch,
der bei uns heute fast ausschlieBlich den Musikmeistern-
der Regimentskapellen uberlassen wird, ibre Kraft zu
widmen. So hat auch St. Safins eine lange Schule auf
diesem Gebiete durcbgemacbt und eine groBe Anzahl ein*
zelner M&rsche komponiert. Von der Meisterscbaft, die
er filr dieses Fach erworben, legt nun dieser Marsch, der
die Algieriscbe Suite scblieBt, hinlftnglich Zeugnis ab. Was
fUr ein flottes Wesen .sich in dem Stiick entwickelt, das .
verr&t schon das erste Thema
Anegxo ' g|ooo8o
/
Dim folgen noch eine ganze Anzahl keeker Springins-
felde. Das Trio, das bei uns innig zu sein ptiegt, isb.
phantastisch.
-^ 462 ^—
Diese Algierische Suite von St. Sa^ns nnd ihr Etfolg
wiesen die Phantasie der Romponisten auf eine ergiebige
Quelle, die geographisch - ethnographische , mil ihrem
groGen Schatz von Rassen- und Charakterunterschieden,
von Landschaftsbildern ) von nationalen Sitten, T&nzen
und Liedern, und dieser Hinweis ist mittlerweile f&r die
Suite aufiergewdhnlich fleiOig und stark ausgenutzt wor«
den. Zun&chst in Frankreich, wo der allzeit fertige
J.MMtenet. J. Massenet sofort die Konkurrenz mit St. Sagns durch
zwei Suiten: Scenes N^apolitanes, Scenes Alsaciennes
er5£fnete. AIs dann Ed. Lalo mit dem bekannten Violin-
konzert, das sich Sinfonie espagnole nennt, GItick ge«
habt hatte, tat sich ein franz5sischer GroObetrieb in
geographischen Suiten auf, von dem bier nur die Haupt-
fl. Mareehal. beteiligten angefiihrt werden kdnnen, n&mlich: H. Mar^-
C. Peres, chal ^Esquisses V^nitiennes), C. Perez (Suite Mursienne),
C. BaTel. C. Ravel (Rhapsodie espagnole), Tellier (Serenade
Telller. espagnole). Obwohl der Vorsprung, den die Franzosen
in der Suite, wie auf dem Gebiete der Ballettmusik dber-
haupt, durch die angeborene Grazie, durch Formgeschick
und durch mehrhundertjUhrige Pflege dieser Gaben be-
sitzen, von anderen Nationen kaum jemals wettgemacht
werden kann, stellten sich ihnen doch auch in anderen
L&ndern bald zahlreiche Mitarbeiter zur Seite: die beiden
A. Lulgliii. Italiener A. Luigini (Egyptisches Ballett) und P. Lan-
P. Laneiani. ciaui (Serenade V^nltienne), der Russe Rimsky-Korsa*
jj^"*^jjj koff (Capriccio espagnol), die Skandinavier Kjerulf
Kjernlf! (uordische Suite) und Asger Hammerick (mit einer
A. Hammtfriek. ganzen Serie nordischer Suiten). £s kamen b5hmische
Bvsek. Suiten von Ruzek und Pittrich. Sehr reich ist das
Fltti ich. neue dankbare Feld auch von Deutschen bestellt worden,
M. Bmeh. die Hauptstiicke sind von M. Bruch (Suite nach russi-
*'M."M?8kol"kL^^^®^ Volksmelodien) , E. Humperdinck (maurische
H.WolfiHhapsodie), M. Moskowski (aus aller Herren L&nder),
Friedemami. H. W o 1 f (italienische Serenade), Friedemann (»Lola«,
®**"!**"|* italienische Serenade), Schmeling (>Ein Abend in Aran-
Jaeobi! J^^^*) spanische Serenade), K&mpf (aus baltischen L&n-
I. dem], Jacobi (Neger- Serenade), Kramm (andalusische
—^ 463 <^
Suite], Klose (Serenata Venetiana). Daza koinint derKloie.
D&ne Lange-MUller (Alhambra-Suite). Uvge-Mailer.
Den K5nigsschuB hat unter diesen zahlreichen Mit- O.Charpentier,
bewerbem Gustave Charpentier mit seiner ftknfs&tzigen ^^'Jjfrff.®*^'^^
Suite: » Impressions d4talie< getan, die heute der ^^*'
internationalen Verbreitung und der allgemeinen Beliebt-
heit nach so ziemlich an der Spitze der neuen Orchester-
werke steht Diesen Erfolg verdankt der Komponist in
ersterLiaie derselben Hellhdrigkeit fiir die kleinen Einzel-
zQge musikalischen Lokaltons, die auch seiner Oper
>Louise< das spezifisch Pariser Kolorit gegeben und ihr
einen Siegeszug fiber die Biihnen der alten und neuen
Welt ermdglicht hat ,Bei ihm sind die Anregungen, die
in der Meyerbeerschen Zeit der Els&sser Georg Kastner
mit seinen >cris de Paris< und seinera »Iiyres partitions*
gegeben, zum ersten Male auf fruchtbaren und genialen
Boden gefallen, und wie in der franz5sischen Hauptstadt
hat er es auch in Italien nicht verschm&ht, die StraOen-
rufer und Hausierer, den Tonfall, die Rhythmen und die
Manieren der Volksmelodien, die Kl&nge der Mandolinen
iind Guitarren und der anderen Lieblingsinstrumente des
Volks sich scharf zu merken. Das alles verwendet er
gleich im ersten Satze seiner »Impressions€, einer »Sere-
nade<, die mit einem langen Cellosolo eroffnet wird. In
ihm iSiQi er die kurzen und langen Portamenti, die
kleinen Vorschl&ge und namentlich die durch zahlreiche
Wiederholungen desselben Tones so eindringlichen, durch
Ausweichen in fremde Tonart so seltsamen Schlusse
hdren, die dem italien ischen Volksgesang sein Geprilge
geben:
P^^^^'^^^^^^i^Mj^j^^m
Diese einfachen Mittel \erfehlen ihre Zaubermacht
nicht, jeder fiihlt die Echtheit dieser italienischen Musik-
probe und ist mit ihr sofort ganz und gar mitten hinein
in das eigene Volksleben jenseits der Alpen mit seiner
uralten Schdnheit und Poesie versetzt. Diese Einfach-
-^ 466 <^
TS.nzchen), ist zwar dem Programm entsprechend derb
und arbeitet viel mit primitiven Mitteln, aber bleibt doch
immerhin maGvoU. Der &ufierste Grad von Naturalismus,
den sich Sinigaglia gestattet, besteht darin, dafi zweiTakte
die leeren Qainten der Bratschen nnd Violinen probiert
werden. Der dritte Satz: »ln montibus sacris*, bringt
eine Art Wallfahrtsmusik. Wie in Berlioz' Pilgermarsch
h5ren wir die psalmodierende Menge, am Schlusse klingen
auch Glocken, und diese Anspielungen sind in fromme,
sehr einfach volkstumlicbe Weisen eingewoben. Die Suite
kommt mit dem Carnevale piemontese zu einem
verhaitnism&Cig kiinstleriscben Ende. W&hrend der Kom-
ponist die Volksweisen der vorhergehenden Sa.tze kaum,
da6 sle hingestellt sind, mit neuen vertauscht, bemtiht
er sich, den teils stiirmischen, tells naiven Themen dieses
SchluOsatzes eine Entwickelung abzugewinnen.
Der Piemont-Suite Sinigaglias darf bier gleich eine znr
gleicben Gruppe gehdrige Suite eines zweiten Italieners an-
gesch lessen werden, es ist die sizilianische Suite von
Giueppe M*rl- Giuseppe Marinuzzi, die aus den vier S&tzen Leggenda
ii«xri» di Natale, La Canzone deir Emigranti, Valtzer campestre
^"s^te^^ und Festa populare besteht. Es ist eine ebenfalls sehr
me1od>enreiche Musik, sie bewegt sich aber auf einer
hoheren Gesellschaftslinie als das Opus des Piemontesen
and hat vor ihm auch noch den Vorzug, dafi die sizilia^
nischen Weisen in Intervallen und Rhythmen viel mehr
eigenen Charakter haben als die piemontesiscben. Auch
Marinuzzi behandelt die Form der S&tze sehr einfach,
aber nicht ohne Origina]it§,t. Der erste Satz z. B., der
Weihnachtsmusik bringt, wechselt bestftndig zwischen
frommem, gehaltenem Kirchenton und frdhlich bewegten
Pifferarimelodien. Im dritten Satz, einem italienisierten
Walzer, wirkt ein Frauenchor (unisono) mil.
Hier muB auch, obgleich sie nar BruchstQck ist, die
HngoWolfyltalienische Serenade von Hugo Wolf erw&hnt
Itaiienische werden, die aus dem NachlaB des zu frdh gestorbenen
Serenade. Komponisten nach einer von Max Reger besorgten Re-
daktion herausgegeben worden ist. Wie bedauert man.
— ^ 467 <—
dafi dieses Werk nicht Uber den ersten Satz hinans-
gekommen ist, daB es Wolf nicht verg5nnt gewesen
ist, seine Kraft merkbarer in den Dienst der Orchester-
kom position zu stelien ! Die Zierlichkeit and Grazie italie-
nischen Wesens ist nur selten so bestrickend in TOne
gekleidet worden, wie in diesem Serenadensatz. An Echt-
heit des Nation altons kann sich Wolf mit Charpentier
messen, er unterscheidet sich von ihm dadnrch, daB er
streckenweise das italienische Idiom vergifit und gut
deutsch musiziert. Dafar kommen aber, wie in der Solo-
stelle der Cellos, Einfftlle, die man zu dem SchOnsten
rechnen muB, was die heutige Musik bervorgebracbt hat.
Unter den Werken, die aus der Masse der ethno-
graphischen Suite herausragen, verdient mit besondrer
Auszeichnung noch die Suite nach russischen Volks- Max Bmcfe,
liedern hervorgehoben zu werden, die Max Bruch Suite n>wh
als Opus 79 veroffentlicht hat, Ihre fttnf , fast in der ™""iedern.
Knappheit des 17. Jahrhunderts gehaltnen SSiize, erfreuen
&hn]ich wie Sinigaglias Piemont-Suite durch die wirksame
Auswahl der Originalmelodien , sie lassen aber in der
Verwertung bei jeder Gelegenheit, hier in der Anlage
eines Schlasses, dort in der Einstellung eines Ostinato-
Motivs, die Hand eines Meisters erkennen.
Auch die Maurische Rhapsodie BngelbertE. Hvniperdliioii,
Humperdincks gehdrt noch zu den interessantesten ^*^"*®Jj® ^***P"
Stiicken der ethnographischen Suitenmusik. Nur ists sehr '^ ^
schwer oder unmoglich, in ' er Musik das zu finden, was
die Titel der drei Satze (1. Tarifa, Elegie bei Sonnenunter-
gang, 2. Tanger, Eine Nacht im Mohrenkaffee, 3. Tetuan,
Ritt in die Wuste) in Aussicht stelien oder gar die Kompo-
sitionen mit den vorgedruckten Gedichten Gustav Humper-
dincks in Einklang zu bringen. Es steht in der Musik viel-
mehr und andrerseits auch viel weniger als in den Versen.
So ist der erste Satz nicht bloB eine Elegie, sondern
neben dieser gehen ' lustige Weisen einher, die ebenso-
wohl Lieder orientalischer Schw&nke als Lust und Freude
am Reisen und GenieBen bedeuten k5nnen. Dagegen hat
sich der Komponist auf die Punier und Gothen des Ge-
30*
-^ 468 *^
dichts nirgends eingelassen. Erst in dessen Mitte kommenr
die Worte, von denen die Musik ihren Ausgang nimmt,.
sie lauten: Wie ist's so still, so Od* and einsam rings!'
Sie haben Humperdinck zn der poetisch bedeutendsten
Partie der ganzen Rhapsodie gefiihrt, zu der schdnen
Einleitung dorch ein unbegleitetes Violinsolo, das durch
die Antwort des englischen Horns bald zum Duett wird.
Auch originell ist diese Einleitung, denn, wenn auch die
Anregungen zum Solo in Wagners Siegfried und zum Duett
in Berlioz* Fantastique vorlagen, so hat doch Humper-
dinck die Idee in neuer, selbstandiger Form und so glQck-
lich verwirklicht , da6 die Nachahmung durch andere,
sobald diese Maurische Rhapsodie bekannt genug sein
wird, kaum ausbleiben kann.
Der zweite Satz ist in der Hauptsache eine drollige-
Schenkenszene, die ihren Charakter durch das im zwan-
zigsten Takte einsetzende Fagotthema erh<, zu dem
sich bald Reminiszenzen aus dem ersten Satz gesellen.
Ihnen treten in der Mitte des Satzes — am vernehm-
lichsten von der Oboe her — schwermiitigere Motive ent-
gegen, die der HQrer auf das physische Elend der Ha-
schischtrinker oder auf die traurige Historie der ganzen-
Rasse deuten kann. Die ernsten T5ne, die hier nur epi-
sodisch auftreten, beherrschen die ganze Physiognomie
des dritten Satzes, bald mit kurzen, sinnenden oder klagen-
den Motiven, bald mit breiten edlen Melodien, die durch
den H5rnerklang noch besonders eindringen. Die Ein-
leitung geht noch weiter und bereitet mit Rufen der Ver-
wunderung, der Vereinsamung und des Wehes auf
schwer melancholische ErgOsse vor, pariert werden sie-
durch die Motive des in der Oberschrift versprochnen
Wiistenritts. Mit der Aufnahme von Wendungen des pr&ch-
tigen Violinsolos, das sie eingeleitet hatte, schliefit die
Suite. Besonders genuGreich ist die Orchesterbehandlung-
und die Farbengebung der Komposition.
Neben diesen ethnographischen gibt es vor wie nach
eine Reihe franzosischer Program msuiten, deren Vorgftnge
und Bilder an keinen bestimmten Ort gebunden sind^
— » 469 ♦>-
•sondern sich Uberall und nirgends denken lassen. Za
<len bekanntesten Stticken dieser Klasse gehdren vor allem
B. Godards Scenes po^tiques, die, sell sie Franz B. Godsrdy
Wdllner hier eingefuhrt hat, auch in Deutschland einen ^^^
grofien Freundeskreis gefunden haben. Es sind kurze, ^^ ^**'
pastorale Skizzen: >Im Waldec, »Auf der Fiar«, »Im Ge-
birgec, »Im Dorfe«. Ein anmutiger, keeker Jugendgeist,
der iq der Naturschwftrmerei nur eine Gastrolie zu geben
scheint, spricht daraus. Thematisch sind die kleinen S&tze
loser und leichter als die der Bizetscben Suiten entworfen
und durchgef&hrt. Ihr Hauptreiz liegt in der Sicherheit,
mit der die Form behandelt ist. Das ist eine Anmut in
jeder Wendung, eine vollendete Harmonie in den MaOen
und eine Klarheit, die den Genufi wesentlich erhoht. Auch
die Instrumentation tr> zu dem GefUhl, dafi man vor
€inem in seiner Art vollendeten Kunstwerk steht, viel mit
bei. Der letzte Satz, bei dem die grofie Trommel be-
deutend mitwirkt, ist der originellste und zeigt das eigent-
liche Schelmengesicht des Autors.
Auch J. Massenets Scenes pittoresques geh5ren J. MAMenety
hierher. Von alien Orchestersuiten, die dieser als Stiitze Scenes
der heutigen franz5sischen Oper bekannte Komponist ^* o'^sques.
geschrieben hat, sind die Scenes pittoresques am meisten
verbreitet; am n&chsten steht ihnen die viersiltzige Suite
Eslairmonde, die aus Stftcken der Oper Eslairmonde
zusammengesetzt ist.
Die Scenes pittoresques beginnt ein Mars eh mit fol-
gendem pikannt nuanciertem Anfang:
Der Autor zeigt sich nicht als groOer Erfinder und nicht
als grofier Geist, aber als ein KUnstler, der den Effekt
Yersteht und aufsucht. Die Perioden sind auf Ober-
raschungen bin gebildet, das Verh<nis der S&tze ist auf
Kontrast gestellt, und um einen wirksamen Gegensatz zu
i)ekommen| wird auch ein gew5hnlicher oder sehr ge-
^^ 470 ^^
w5hnlicher Gedanke mit in den Kauf genommen. Sehr
hiibsch ist es, wie Massenet das anmutige Motiv, mit dem
der Marsch beginnt, immer wieder in den Satz einzuf&hren
weiG. Hierin zeigt sich eine sinnige Seite seiner Begabung
und ein hervorragendes form ales Talent.
Der zweite Satz, Air de Ballet betitelt, besteht aus
zwei Teilen : In dem Hauptsatz (H moll, Ve) trSgt das Cello
ein Solo vor, das als ErgS,nzung von Manricos Partie dem
>Tronbadour« als Standcben einverleibt werden konnte.
Der Mittelsatz bringt (in Gdur) eine von den bekannten
Ballettszenen , wo die oberen Holzblftser eine einfache
Melodie in Staccatonoten hinstellen. Man hdrt derartige
Musik nicht, ohne dafi vor die Phantasie die auf den
FuBspitzen trippelnden Ballerinen treten. Die kiinstliche
Zartheit dieser Tone wird etwas grob an den Schlussen
von einem starken Tuttieinsatz des Streichorchesters
unterbrochen. Im Cello gibt dann und wann der Sanger
Zeichen von Ungeduld. Endlich ist das Ballett aus und
der Hmollsatz kommt wieder.
Der dritte Satz, ein Andante sostenuto mit der Ober-
schrift An gel us, ist die Glanznummer der Suite, ein
Stiick groi3er Kunst, einfach erfunden und tiefer Wirkung
sicher. £s gleicht zur H&lfte einer Kirchenszene, in der
fromme Weisen vom Priester zum Volke gehen. AUes er-
innert an den Gottesdienst, der feierliche Ton der Themen,
der Wechsel schwacher und starker Klanggruppen. Di&
leicbt pr3.1udierenden Motive scheinen auf die Orgel hin-
zuweisen. Zur HUlfte ist aber die Musik der Nummer
Volksmusik, so vor allem die Motive im is/sTakt. Beide
Bilder schlieGen sich nicht aus, sondern dafi des Volkes
Stimme in der heiligen Zeremonie horbar wird, hat der
Komponist als den Gipfelpunkt der Szene gedacht. Der
Schlui^satz, >Fete Boh^me«, ist ein Ballettbild, wie es
jedermann kennt. Eine groBe Menge Volks stiirzt herein
mit wunderlichen Spriingen, dann tritt ein Solopaar heraus,
und ihm folgt der Chor wie zu Anfang. Die Erfindung
zeichnet diese Musik nicht aus, ihre Wirkung sucht si&
in massigen Kl&ngen.
— ♦ 471 ♦>-
Von der jungrussischen Schule, deren Geist der
alten Kunst nur wenig gewogen ist, b&tte sich eine be-
deatendere F5rderung der Programmusik erwarten lassen,
als sie bisher von dort tatsxLcblicb erfahrea bat. Die
wenigen russischen Werke dieser Klasse, welche uber den
Kontinent verbreitet sind, riihren von Rimsky-Korsakoff
und von P. Tscbaikowsky ber.
Von Rimsky-Korsakoff ist es die sinfoniscbe Bimsky-Kortft-
Suite >Scbebezerade« (op. 35), die in letzter Zeit ban- ^^^9
figer gespielt worden ist. Der Composition liegt als Pro- Schehezerade.
gramm ein Abscbnitt aus >Tausend und eine Nacht« zu-
Grunde, die Erzablnng von der Sultanin Scbebezerade.
Der Sultan Scbabriar bat bisber alle seine Frauen nach
der ersten Nacbt ermordet. Scbebezerade entgebt diesem
Los durcb ibre Erzahlungskunst. Tausend und einen
Abend weiB sie den Sultan durcb ibre Gescbicbten immer
wieder zu fesseln und nacb dieser Zeit stebt er von seinem
blutd&rstigen Plan ab. Rimsky-Korsakoff gibt in den vier
S&tzen seiner Suite vier solche Erz&hlungsabende, am
ersten wird die Gescbicbte von Sindbad und dem Meer
vorgetragen, am zweiten die vom Prinz Kalender, am
dritten die vom jungen Prinz und der jungen Prinzessin,
am vierten die von dem Fest in Bagdad und vom Scbiff,
das an dem Felsen scbeitert. Aber man verstebt seine
Komposition nur balb oder gar nicbt, wenn man ibre
Bedeutung in der Wiedergabe dieser M&rcben sucbt. Das
Hauptziel, das sicb der Komponist gestellt bat, ist viel-
mebr: die Cbaraktere des Sultans und der Sultanin zu
zeicbnen und die Wandlung zu veranschaulicben, in der
das rauhe GemUt des Scbabriar allmftblicb der Grausam-
keit entkleidet und mit Milde und Gesittung erfiillt wird.
Rimsky-Korsakoff entfaltet bei der Losung seiner Aufgabe
eine stattlicbe Erfindungsgabe und ein groOes Farben-
talent. Seine Arbeit bat aber zwei M&ngel, die vielen
die Auerkennung ibrer Vorziige erscbweren: MaGlosigkeit
der Formen und der Farben. Er kann sicb b&ufig nicbt
entscblieOen aufzub5ren, wo die Geringfiigigkeit des Gegen-
standes scbon l§,ngst das Ende erfordert bfttte, und er
472
setzt einen schweren und l&rmenden Orchesterapparat in
minutenlange T&tigkeit, wo wir ttberhaupt keine Not-
wendigkeit fur das Auftreten rauher Stimmen einsehea
kGnnen.
Der erste Satz hat eine kleine Einleitung, Largo
maestoso, in der die Hauptpersonen des Marchens sich
vorstellen: Schahriar gebieterisch, stolz, rauh and hart:
die Sultanin behend, anmutig, liebenswlirdig und auch
klug Uber lange Anschl^ge verfiigend:
Violine I^njOi^is^
Dann folgt ein Allegro non troppo [^j^, E dur), das das
Sultansthema zunachst durchfuhrt. p setzt es ein, als
wenn Schahriar durch Scheherazades Erscheinung be-
troffen und in seinem Wesen umgewandelt oder verwirrt
w§.re. Nur mUhsam gewinnt er die Fassung wieder.
Ein forte in E dur bezeichnet diesen Augenbiick. Noch
einmal durchlftuft er diesen GemiitsprozeG. Den
zweiten Abschnitt markiert eine Modulation in Gdur.
Jetzt fangt die Sultanin zu erzUhlen an. Es bt die
Geschichte von Sindbad. Dafi sie aber nicht sonder-
lich interessiert,
sehen wir an
dem etwas trok-
kenen Thema : ^
wir sehen es noch deutlicher daran, da6 es nicht benutzt,
weitergefiihrt und entwickelt wird. Das Horn macht einige
473
Versuche, dem Sultan das Wort zu verschaffen, bald aber
tritt Scheherazade in den Vordergrund des Bildes. Ihre
graziosen Triolen von der Solovioline eingefiihrt, klingen
schnell aus dem ganzen Orchester. Das scheint den Sultan
zu reizen. In aller Bedeutung, Wucht und H&rte kommt
sein Them a wieder. Ein breiter, im ff ausgehaltener Edur-
akkord zeigt weithin, wer Herr ist. So V7ecbseln die beiden
Themen noch 5fter im Satz. Die Komposition gibt das
Bild eines Paares^ dessen beide Telle ihre Kr&fte messen.
Die Sultanin greift auch einmal wieder zur Erz&hlung.
Der Schlul3 bringt die Sultansmelodie zart und leise.
Den zweiten Satz leitet in einem kurzen Lento
wieder Scheherazade ein. Dann folgt in einem Andantino
(S/a, Gdur) eine Musik, die die Erz&hlung vom Prinzen
Kalender bedeuten soil. Das Thema
Anda,Dtino. J^llS
zeigt, was fiir eine Art Held dieser Prinz ist, eine ko-
mische Figur wie Eulenspiegel und Don Quixote, und die
Geschichteui die ihn behandeln, miissen lustig sein. Das
Thema geht von einem Instrument zum andern, wir sind
unversehends in einer jener bekannten russischen Varia-
tionensatze geraten, die durch die Eintonigkeit so auf*
regend wirken, als sich Schahriar einmischt: In mehrerlei
Gestalt legt , 3Iolto moderato. ^ ^f^^
er Macht- ftfl *
proben ein ^'^
und
Allegro molto. J 8 144
I
Sie werden aber
nicht sehr ernst
genommen. Als
die Klarinette in Form eines Rezitativs die Melodie der
Sultanin gebracht hat, wird der Ton ausgelassen. Ein
-^ 474 ^^
Vivace scherzando tritt ein, und in ihm finden wir das
Schahriarthema in folgender Form
vivace sc^rsaodo. #•> 18S
Eine Wiederholung des Elarinetten-Rezitativs bringt eine
neue Wendung: Der s/gTakt mit der Musik zur Erzfihiung
vom Prinz Kalender kehrt zuriick, und mit ihr schliefit
die Nummer. Kurz vor dem Ende kommt noch ein sehr
schon berechnetes und gesetztes Homsolo.
Der dritte Satz, der die Erz3,hlung von dem jungen
Prinzen nnd der jungen Prinzessin bringt, ruht auf folgen-
dem Tiiema
AodaDtlao qaasi Allegretto. JLs 68
^^
- IF n
t
das fUr die Gabe des Komponisten, anschaulich zu ge-
stalten, das sch5nste Zeugnis ablegt. Wer den TonfaJl
genau ansieht, mit dem in den zweiten Takt eingetreten
wird, kann kaum im Zweifel darQber sein, dafi es sicb
bei dem Prinzen um eine richtige Kindergeschichte ban-
deln mu6. Das angegebene Thema ist das einzige, und
infolgedessen horen wir seine Motive sehr oft. Der Kom-
ponist bat allerdings viel aufgeboten, die Wiederholungen
nicht als solche erscbeinen zu lassen. Die Farben wech-
seln, die Modulationen unter den Kontrapunkten, mit
denen er Neues zu bieten sucht, sind ganz verwegene.
Die zweite F15te blast einmal ein en wahren Trommel-
rbytbmus. Auch die Pausen bei den Periodenschltissen
sind darauf angelegt, Spannung zu erzeugen. Erfriscbend
wirkt das Eingreifen der Scheherazade, die dem Ende zu
ibre Melodie bringt und dann die Prinzenmusik eine
Strecke lang in der Solovioline mit Arpeggien verziert.
475
Der Anfang des letzten Satzes (Allegro xnolto) zeigt
den Sultan in heftigster Erregung. Er bietet seine ganze
Kraft auf, am sich Scheherazade gegeniiber zu behaupten.
Diese schrouckt ihre Melodie mit den Kiinsten des Virtu-
osen : das Violinsolo kommt in mehrstimmigen Satz. Ein
noch heftigerer Ausbruch des Saltans antwortet. Noch
einmal erhebt die Sultanin ihre liebliche Stimme and be-
ginnt dann sofort zu erz&hlen. Es ist diesmal die Ge-
schichte von dem Fest in Bagdad, dessen Bild die Musik
auf Grund folgenden Themas entroUt:
vivo. J = 88
das sehr oft hintereinander wiederholt wird. Dann setzen
Trompeten and Hdrner ein, aafmerksam zu machen, daG
sich etwas AaGerordentliches begibt. Die neue Erschei-
nung stellt sich musikalisch vor als
So gewichtig sie ist, verschwindet sie doch bald wieder,
and nun kommt eine sehr schdne Stelle: ein Abschnitt
aus der vorhergehenden Nummer. Sind der junge Prinz
and die junge Prinzessin mit auf dem Feste? Die Idylle
entweicht, der Festtrubel wirbelt welter in BruchstQcken
and Umbildungen aus dem ersten Thema. Einmal (der
Satz ist nach Edur gegangen} h5ren wir die Stimme des
Sultans wie im Unmut fiber den Gang der ErzUhlung.
Das £lndert aber nichts am Plan. Das Thema bleibt, wird
nur am vieles st&rker vom vollen Orchester gegeben. Von
einem Bdur-SchluG ab beginnt wieder eine Episode fur
die Messinginstrumente. Wieder folgt das mslchtige zweite
Thema, das wohl das gefahrdete Schift bedeutet. Sind
der Prinz und die Prinzessin darauf? Ihre Musik folgt
abermals diesem zweiten Thema, und daG Gefahr vor-
liegt, zeigt die Trompete, die ohne Unterbrechung hoch-
-^ 476 ♦—
notpeinliche Rhythmen schmettert. Noch einmal geht sie
voruber und das Fest beginnt wieder. Aber als das
Thema und der Festtumult am lautesten wird, da kommt
die Katastrophe: das Schiff scheitert. Die Trompete blftst
wie rasend und das Schlagzeug tut das moglichste. Ge-
meint ist die S telle ganz richtig, aber die Aufnahmefahig-
keit des gebildeten Ohres ist vom Komponisten nicht
richtig geschfttzt und der M&rchencharakter ebenfalls
nicht. Nacb jener entsetzlichen Stelle setzt ein 0/4 Takt
ein, in dem Schabriar und Scheherazade einen Dialog
aufftlhren. Des Sultans Stimme, die erst rauh einsetzte,
wird sanfter und zarter. TrUumerisch, mit Akkorden, wie
sie &hnlich Mendel ssohns Sommernachtstraum er6ffnen,
klingt die Komposition so aus, wie sie begonnen hatte.
Korsakoff kommt die Ehre zu, als der erste Russe
eine wirkliche Sinfonie geschrieben zu haben. Sie wird
allerdings selbst von seinen Verehrem abgelehnt*). Da-
gegen gelten in der Heimat des Komponisten die beiden
Programmsinfonien viel, welche jenem ersten Versuch
gefolgt sind: Sadko und Antar, jene dreisSLtzig, diese vier-
s&tzig. Antar f&ngt in neuester Zeit an, auch in Deutsch-
land bekannt zu werden, in RuBland gehGrt das Werk zvi
den allerbeliebtesten Orchesterkompositionen. Es bietet
Programmusik mildester Art
BiBisky-Eonft- Wieder fUhrt uns Korsakoff in die arabische Sagen-
}^^^^ welt, in den Kreis der Fabeln, die sich im Volk um
Antar, den Dichter und den geliebten Helden der Wiiste,
gebildet haben. Antar, einsam in den Ruinen von Palmyra
weilend, sieht pl5tzlich eine Gazelle imd gleich darauf
einen Raubvogel, der sie verfolgt. £r totet den Vogel,
die Gazelle verschwindet Antar schl&ft ein und wird
nun im Traum nach einem prachtigen Palast entf&hrt,
wo er seine Gazelle wiedertrifft, die nichts Geringeres
war als die Fee Gul-Nazar, die Herrscherin von Palmyra.
Sie fordert Antar auf, drei WQnsche auszusprechen, und
Antar wunscht sich 1. den Genufi der Rache, 2. unbe-
*) G^sar Oni: L& Musiqae eii Bussle. 1880, p. 130.
Antar.
— ^ 477 ^^
dingte Macht, 3. die sch5nsteii Freuden der Liebe. Al»
das GlUck der Liebe den guten Antar zu ermCkden be-
ginnt, t5tet ihn Gul-Nazar mil einem KuB.
Es handelt sich also bei dieser Sinfonie um poetische
Vorwttrfe, wie sie die Instrumentalmnsik tlberall and zu
jeder Zeit unbedenklich in ihr Bereich hat ziehen dQrfen.
Nur wer der Musik tkberhaupt das Recbt nnd die Mdglich-
keit des Charakterisierens abstreitet, wird sich diesem-
Programm entgegenstellen dClrfen. Denn es handelt sich
in dieser Antarsinfonie nm weiter nichts als um den Ver-
such, durch Musik Vorstellungen vom Feenleben, vom
Wesen der Rache, der Macht, der Liebe zu erwecken.
Korsakoff hat sich diese vier Bilder als Tr&ume Antars
gedacht, begegnet sich demnach mit der AufTassung, in
der Berlioz in seiner Sinfonie fantastique die Schilderungen
aus dem Leben eines Klinstlers genommen haben wollte.
Korsakoff folgt BerUoz auch in der Verwendung von Leit-
motiven.
Am meisten bietet die Sinfonie von Korsakoff den^
Liebhabem einer weichen, in zarten Tonen, siiGen und
schmiegsamen Harmonien schwelgenden Musik. Sie fin-
den im ersten und vierten Satz alles, was sie erwarten
dtirfen, und es zeigt sich auch bier wieder, dafi Korsakoffs
Musik den schmiegsamen weiblichen Zug des russischen
Nationalcharakters besonders stark und deuthch auspr>.
Auch der fast Blinde kann aus ihr sehen, was asiatischer
Geist fUr das Zarenreich bedeutet. Die Schilderung der
Rache interessiert durch Beweise guter, scharfer Seelen-
beobachtung, das Bild der Macht i]iberzeugt am wenigsten.
Der erste Satz beginnt mit einem Largo in Fismoll
(8/4 Takt), das in schwer beweglichen, schleichenden
Motiven den ernsten, der Einsamkeit und Vergangen-
heit lebenden, die Menschen meidenden Antar zu
zeichnen sucht. Lairgo.^
^l^r^^ ¥ n^ 1"?^ "1 Ti T I
£s kehrt, den schwermiitigen Grftbler zeichnend, in
alien S&tzen wieder. Im Sinnen und D&mmern scheint
478
•die Phantasie des Einsiedlers auf die Sage von der Fee
Oul-Nazar zu stolen , die Tone suchen eine hoheits*
Yolle, zarte Gestalt vor unser innres Auge zu stelien:
^^&
Diese Weise wird das Leitmotiv der Kdnigin in der
Sinfonie. Mit dem Eintritt des Allegro (D moll, 3/4)
AIl«gro gloooso.
^^rrrffnr
erwacht um FWte.
AntarLeben:
Von dem ver-
zieningsrei-
chen Thema
aus entwickelt sich eine breite, in einer gewissen tragen
Munterkeit fortschreitende Melodie. Dreii^ig Takte lang
liegen die Hdrner dazu anf A, die zweite Violin e gibt
einen Tambourinrhythmus. Korsokoff hat sich vielleicht
nnter dieser Musik die Gazelle seines Programms ge-
dacht und dabei die Gelegenheit gem ergriffen, etwas
orientalisch zu malen. Das voile Streichorche>ter
bringt Aufregung in das Bild. .Ober ein gewaltiges an-
wachsendes Tremolo der un- j» ^^ - 1 im 1
tern Instrumente werfen die y . J^^^^f^^^^
obern Violin en das Motiv p^"-^^ ^^— ^
unruhig bin und her. Bald ert5nt schrill in den Blasern
der Schrei des Raubvogels und treibt den ganzen Geigen-
-chor in einem wiitenden Unisono in die Hohe. Ein
knrzer Kampf, w^hrend dessen die grofie Trommel
bebt, dann der entschiedne Streich in den Violinen:
^x Das ist der Tod des R&ubers, em schwerer
A 6 ^ Seufzer in den Blasern: als wenn der Druck
A^ Ip i sich 15ste, den die Gefahr in An tars Brust
^ veranlafit hat Bald dann kommt die Stimme
der Gazelle und der Konigin, wie sie ja zusammengehoren,
dicht hintereinander; die Gestalten scheinen sich in An-
tars Phantasie zu vermengen. £r schl&ft ein, und nun
Hragen ihn die Traume in den Feenpalast, wo Gal*Nazar
-^ 479 ^—
veilt und seiner WQnsche wartet. Ein zweites Allegro
(Fisdur, ^/b) beginnt. Schattenhaft huschende F15ten-
fignren, sUB schneidende Geigenakkorde, das Horn mit
langem, liegendem Ton darunter leiten es ein. Dann
f&ngt der zarte weiche Reigen an, der von dem Thema
Allegretto TlTaoe.
«as gebildet, den musikalischen Hauptinbalt der Nnmmer
ausmacht Sein melodischer Teil erinnert an das scb5ne
Stuck von den Prinzenkindern, das Korsakoff in der
»Schehezerade< gegeben hat. Harmonien, Begleitungs-
motive, Klangfarben — alles strebt nach ftuBerster Zart-
lieit, und der Vortrag soil noch das Ubrige tun, dieses
Ziel zu sicbern. Ein gutes Orchester kann sicb bier im
Piano zeigen. In der Periodenbildung macht sicb das
Verfabren bemerklicb, den tbematisch melodiscben Zu-
sammenbang durcb rubende Akkorde zu unterbrecben.
Das bebt den pbantastiscben Traumcharakter des Ton-
bilds sebr wirksam. Die Wiederbolungen, deren es sebr
viele sind, reizender zu gestalten, bat sicb Korsakoff
kleiner Anderungen durcb Verzierungen sebr wirksam
bedient In der Mitte ungefUbr, gerade als das Horn
wieder das Tbema des Feenreigens gebracbt bat und die
Harmonie obne weiteres von Es nach E wechselt, tritt
•das Motiv der Kdnigin ein. Bald darauf b5ren wir wie-
der die Figuren, die den Kampf gegen den Raubvogel
veranschaulichten. Das soil uns darauf fubren, dafi Gul-
Nazar, die K5nigin, jetzt ibren Better belohnt. Und er
bedankt sicb: das Antarmotiv folgt unmittelbar den Td-
•nen, die die Konigin bedeuten, und wird immer wiederbolt,
w&hrend der Reigen wieder aufgenommen ist. Dann er-
2M.hIt die Musik wieder nur vom Schlafen und Trslumen
Antars und zeigt noch einmal, wie in seinen Gedanken
die Fignren der Gazelle und der K5nigin durcheinander
laufen. Unsre letzten Blicke fallen wieder auf die Ruinen
Ton Palmyra, wo der einsame Antar das Abenteuer batte.
480
Der zweite Satz (Allegro, s/2> Edur) gibt das Bild der
Rache zuerst mit leisen Motiven:
Allegro.
J 1 J J^!^^^f^ So wahlt (in den Cellis), so
—J g.. ^— r — T-,! (^"^ ^®^ Fagotten, Hor-
yy» J]U.:^nitft ' V '^ i^ern, Posaunen) brG-
P "fliisr^^ '''"**— ^1 tet der DiLmon. Dann
1st das noch
AntaTjderGriib-
ler?
0fWM.
CPMannsa.)
gesAuf-^H^^^
f ahren : jj^
^ Mit ge-
steigertem Tempo geht die Rache nun zum Handeln uber:
Molto AUegro. Ploteni (Horner.)
Die Energie steigert sich zur Wut, fast bis zur Sinnlosig-
keit ; wild und diabolisch zischen versprengte T5ne durch
das Gewebe der Themen. In der Mitte des Satzes kommt
das letzte Thema in langsamer Bewegung, als wenn An-
tar, dessen Leitmotiv ihm angehangen ist, nach Samm-
lung r§.nge. Dann wiederholt sich der ganze ProzeG des
Anwachsens der Leidenschaft in verstftrkten Graden; mit
Zutat von neuen, anfeuernden Motiven gibt der Kompo-
nist ein schreckliches Bild von den Qualen einer Seele.
die die Herrschaft verloren hat. Der letzte Abschnitt
malt Erschdpfung und Reue.
Der dritte Satz (Allegro risoluto alia Marcia, Viy
Hmoll), der Antar im Besitz der Macht zeigen soil, baut
seinen Hauptteil auf das Thema der Hdrner:
Allegro risoluto.
jr
das die HolzblH-
ser mit leicht t3.n-
delnden Motiven:
0 1 uPn r I r I LU
481
ninspielen. Kraft und Frohmut spiicht aus diesen T6nen,
aber nicht was wir erwarten: Gr5Be. Das Thema macht
sehr bald einem andren Platz
von dem es allmfthlich fast ganz verdunkelt wird. Es
wird aaf Individualitftt und Rasse ankommen, ob man der
Aa£fassang vom Wesen der Macht, zu der sich Korsakoff
in dieser Komposition bekennt, beistimmt oder wider-
spricht Sicher liegt nach dieser Darstelluug der Wert
der Macht nicht in den Taten, sondern im GenuB. Und
nm sie yon dieser Seite. zu zeigen, hat Korsakoff das neue
Thema mit Motiven des Scherzes und der Heiterkeit um-
geben, die die Reize des Bildes bedeutend erhohen. Zum
Teil mufi sein Charakter auch daraus erkl&rt werden,
daB es sich um orientalische Anschauung handelt. Antar
und die KOnigin erscheinen in einem Augenblick beson-
ders hoher Lust, den mftchtige Trillerwellen, Yiolinen und
Holzbld^sern entstrdmend, bezeichnen.
Der vierte Satz, der das Walten der Liebe zeichnen
soli, beginnt mit einem Allegretto vivace (O/s, Ddur), in
dem wieder die hinabhiipfenden FlGtenfiguren (wie im
ersten Satz) an das Weben des Traumgottes erinnern.
Dieses Allegretto geht nach 12 Takten bereits in ein An-
dante amoroso Uber, das den Satz ausfUlIt. Sein Haupt-
thema ist die Melodie eines arabischen Lieds mit folgen*
dem An fang:
Andante.
cUbcOi Houl)
Andante.
Die Klarinette schliefit mit
Kretztchmar, FlUurer. I, 1
31
— <y 482 o>-
das ist also mit einem Anklang an das Allegro giocoso
des ersten Satzes. Das Liebespaar wird dann musikalisch
vervollstandigt durch das zuerst von den Violinen ge-
brachte Thema:
icTf r|()viug|^i '
Bald sagen uns auch die Leitmotiye der Kdnigin und
Ad tars, am wen es sich bei diesem Austausch zarter
Gefiihle handelt. Mit dem Eintritt des Animato wird das
Spiel auf einen Augenblick von Leidenschaft erwarmt,
dann zogernd. Der Stimme der Kdnigin gegenilber ist
die An tars kanm noch zn vernehmen. Bin Tamtam-
schlag, ein Glissando der Harfe, das ungef&hr klingt als
wenn ein Faden zerreifit — und mit einigen T5nen, wie
frommer Grabgesang aus hohen Sph&ren herabgeb5rt,
schlieOt die Sinfonie.
Diejenige russische Programmsinfonie, die sich am
meisten in den dentschen Konzerts&len eingebiirgert hat,
P.TMhBikowiky,ist P. Tschaikowskys »Manfred€ (op. 68). Sie will
Manljred. »vier Bilder nach dem dramatischen Gedicht Byrons*
bieten, wie anf dem Titelblatt steht
Im ersten Satz haben wir uns Manfred zn denken,
wie er im Gebirge herumirrt, von Seelenqnalen gefoltert,
gegen die keine Wissenschaft, keine H&llenknnst, keine
Erinnernng hiift. Die Mnsik beginnt mit einem Thema:
Lento lugobre. Js60
>M^'ifi^r?^7i^ rHiTpj'u^j^i f^\
in das sich heroischer Stolz and Schwermat teilen. Das
ist das Bild des anseligen Manfred, der einst so gewal-
483
tig, nun gebrochen dahinwankt wid klagt Fiir dieses
Klagen hat der Koinponist ein ganz bestimmtes Motiv
ins Thema eingesetzt. Es erscheint da im p
siebenten Takt, wird aber auch frei far -J * ^J^^
sich in dieser ersten Form oder anch als: "^ ^*
oderdrit- q ^ ^ oder endlich in verktlrz-
tensver- ro J aJ I g t Vq=^ ten Rhythmen verwendet
l&ngert: ^ ^^ Manfred miiht sich seines
Elends Herr zu werden» j} _ rm , , ^ ^ i ,
etc.
Das sagt uns die Fprt-
setznng seines Themas
die Kraft und emstes Bestreben ftnOert Und bald wird
der Eifer, roit dem Manfred gegen
die Damonen k&mpft, noch grdCer. ^=^
Die Celli stellen mil dem Rhythmns JP
ein Gegengewicht gegen Fagotte und Klarinetten auf, in
denen das Seufzermotiv haust. Diese Triolen werden von
mehr und mehr Instnimenten des Orchesters aufgenommen,
schlieOlich auch yon ersten und zweiten Violinen. Mit
ihnen kommt der Abschnitt zu j--^ k Die Kraft in
einem schroffen Abschlufi im ^: * * * Manfred hat
sich gegen sein Leiden aufgebaumt. Kurze Generalpause.
Wieder setzt das Manfredthema ein, aber mit h, eine Quint
hSher als beim ersten Male. Der ganze Vorgang wieder-
holt sich mit Steigerung. Das Triolenmotiv wandelt sich
in eine Sechzehntelfigur, eine besondere Figur des Strebens
^ , li, r ■ i# „^"^^ noch dazu; mit ihr
■I J '' *lUJ ' ^^wirH die Erregung all-
^ gemein, am Ende (beim
Animando un poco) ein wahrer Tumult, und wieder ist das
Resultat Sisyphusarbeit gewesen. Zum dritten Male setzt
das Manfredthema, aber wie ein Schrei der Verzweif-
lung fff (beim Piti mosso) ein. Die Trompeten ftlhren,
die BI£lser stehen an der Spitze des Orchesters, die Vio-
linen markieren mit dissonanten Tremolos emen Fieber-
zustand. Manfred sucht diesmal die schlimmen Geister in
seiner Seele durch Kraft und Trotz zu bannen. Hart stolen
die aus Liszts »Faust< und Berlioz* Fantastique be-
31*
484
kannten Rhythmeh der Verwegenbeit rn dann j* j ^
durchsganzeOrchester. Drei-,viermal: gar *
Auf diesen Triolen rast die Musik einen Takt lang. AUe
Instrnmente Bchlagen diesen Rhythmus mit der S,ufiersteoi
Kraft an, das Tamtam f&llt ein; dann zittert der Zom sogar
ineinem allgemeinenSechzehnteltakt^wohlTerstanden: nor
Rhythmus in alien Instrumenten. Und abermals umsonst^
Manfred kann es nicht zwingen. Da ist es denn rOhrend,.
wie er nach diesem letzten grofien Mifierfolg (beim Mo-
derate con moto) bescheiden' und demfttig, nicht mit dem
herausfordernden breiten Thema, sondem mit der Fort-
setzung, mit den Motiven des Strebens wieder anf&ngt.
Den XiOhn erh< er aus dem Munde des Horns:
^N.||JI{|LijlJ-J%
poco oreso. v
So ermuntert, nimmt Manfred den Eampf gegen die innreir
Feinde wieder aof. Die Motive des Strebens werden ener-
gisch durchgearbeitet, in Nachahmungen ineinander ge-
flochten und zu einem lebendigen Bild Von Seelenkampf
entwickelt. Die ersten zwei Noten des Manfredthemas
sind auch darin als leidensthaft- ^^ 55,^
licher Wehruf, das Seufzermotiv ^ CT I >' T^ ^.
kommt in den HOmern in der Form U !■ ' -
Dafi auch dieses Kampfes Ausgang nicht gttnstig, sagea
uns die Motive des Trotzes und der Verwegenheit, p.
die am Ende des Absohniltes wieder hart als ^ *
im fff einsetzen.'
Und nun kommen wir an die Mitte des Bildes, an
die Stelle, wo der Komponist' auf das Antlitz und in die
Seele Manfreds einige freundliche Strahlen fallen IlLfit
Ein Andante' beginnt. Sein Hauptthema
Aodaate. J:69
rlifvr I O ^^H
fahrt die Ges^alt Astarten*
vor Manfreds inneres Auge,.
485
and der Erinnernng an die HeifigelieMe gili der ganze
Abschnitt. In ^ , nimmt er den
den Bildungen .^.l^ , J' ||J>.'/j.j \ T^ Cfaarakter eines
um das Thema ^ * traulichen Dia-
logs an; freundlich erregte Kl&nge, die von entziickten
flerzen erz&hlen, t5nen dazwischen. Es kommt eine
•Stelle (beim Poco piii animato) die mit dem Anfang
letwas an Gou-
nod erinnert. Sie
schliefit dann ein-
lach mit Skalen:
Aber diesen G&ngen hat der Komponist durch Cregenmotive
nnd Harmonien eine solche W&rme gegeben, dafi von dieser
-Stelle aus ein Glanz auf die ganze Szene f&]lt. Nachdem das
Themader Astartenochmals, aber nichtinnigond schCichtern
vne beim ersten Mai, sondern in Pracht and im Licht der Be-
geisternng voriibergezogen, scblieOt die Stunde schoner £r-
innerung mit ei- AUegro boa troppo.
nem letzten Aus--ajL — /T^ — ^^«
klang des Jubels
and der Freade:
Mit dem letzten Takte kommt der erste Bote von den
<2ualen wieder, die Manfreds GemUt bedrohen. Die Bratsche
setzt diesen chromatiscben Ton fort, and der SchloBteil
des Satzes, ein Andante con daolo, das mit dem innren
<jang der Musik das Tempo zuweilen etwas beschleunigt,
empf&ngt uns mit dem Manfredtbema, von Geigen, Brat-
«chen and Cellis uaisono gespielt. Es klingt aber hier
zunftchst edel, gewissermafien unter der Nachwirkung
^er Yoraasgegangenen Szene verklslrt Als es die Hdrner
anfnebmen, Geigen and Holzbl&ser mit wilden Trillem
l)egleiten, wird sein Charakter d&monisch, and so schliefit
der Satz. Manfreds K&mpfen and M5hen war vergebens.
"Cs ist dieser erste Satz der Tschaikowskyschen Sinfonie
^er bedeotendste unter alien. In bezug auf die Form
^-fr 486 «—
zeigt et wieder des'Komponisten au6ergew(5hnliche 6e*
staltungskr&ft. Sie erlaubt ihm, sich vom Schema zu enU
fernen und frei neue Bildungen zu versuchen. Nichts
von der Eiateilung und den Elementen des Ublichen So-
natensatzes in diesem Stdck, keine Themeugruppe, keine
DarchfUhrung. Dafiir eine schdne freundliche Szene als
Mitte des Bildes, zu ihr hinfuhrend eine Reihe von An-
laafen, eine d&monisch qualvolle Stimmung zu iiber-
winden, diese Anlaufe ziemlich gleich in Material und
Ftihrung. Nachdem das Bild in der Mitte verhangen wor-
den ist, werden die Vorgange des ersten Teils gekilrzt
und gesteigert noch einmal voriiber gefCthrt und zum
baldigen Ende gebracht Auch was den Ausdruck, den
seelischen Charakter betrifft, mufi dieser Satz hoch ge*
stellt werden. Wenn es sich um eine Manfredkomposition
handelt, so kann keinem neuen Tonsetzer der Vergleich
mit R. Schumann erspart werden. Denn seine Manfred-
Ouverture ist ein Charakterbild, dem man nur wenig an
die Seite setzen kann: Handels Agrippina, Beethovens
Goriolan, Wagners Faustouverture, Volkmanns Richard III.
allenfalls noch. Schumanns Manfred hat Ziige, die ihm
ganz allein gehGren ; kein zweiter Komponist hfttte solche
T5ne wie Schumann fiir den Geisterverkehr gefunden.
Aber im allgemeinen behauptet sich Tschaikowsky neben
seinem Vorganger. Auch er hat ein ergreifendes Bild be»
deutender Seelenzustande gegeben. Zeichnet Schumann
die Leidenschaften, so enthullt Tschaikowsky die Leiden
seines Uelden.
Die oft beklagte Ungleichheit in den Werken des hocb
veranlagten Russen zeigt sich auch in seiner Manfred-
sinfonie wieder. Wahrend der erste Satz eine bedeu-
tende geistige Erfassung der Aufgabe bekundet, ist der
Komponist dem Gegenstand im zweiten Satze nur ftuGer-
lich n&her getreten. Das Programm sagt: »Die Alpen-
fee erscheint vor Manfred unter dem Regenbogen des
Wasserfalls* und erregt damit die Erwartung wunderbarer
und in Anbetracht der Gebirgsnatur jedenfalls erhabner
Erscheinungen. Sonst doch ein durchaus modemer Kdnst-
^^ 487 ^>—
ler, hat Tsehaikowsky diesinal sich um das gegebene
> milieu € wenig gekummert, sondem, nur den Wasserfall
und das Glitzern des Regenbogens im Kopf, im Haupt-
satz eine Springbrannenmasik gegeben. Dieser Satz
von der Alpenfee ist eine Salonkom position mit ^uOerst
geschickter Orchestertechnik durchgef&hrt und einiger-
maBen von Mendelssohnschen und Berliozschen Ideen
inspiriert, aber keine Tondichtung, die iiber das Alltftg-
liche hinaushebt. Der Form nach gleicht er einem
Scherzo. Die Biclser tragen den Hauptteil der Darstellung
mit sprlihenden und regsamen Sechzehntelmotiven. Sie
filhren auch in das Sttick ein. Die zweite Fldte bringt
das von andren Stimmen ziemlich verdeckte Hauptmotiv
vivace eon spirlto. Js 120 ^^ ^^S in den
j^ "*f/' tesk mit ei-
ner metrisch et- g tf ^ gi^ ?*^r._ begrfifit wird.
was verrenkten m"i t \ \ n j *^ ^ ^^^ Blfiserthe-
Oktavenfigur: ^** ^ ma erganzt sich
dann noch durch eine Figur, die das Phanomen des FUe-
Cens vor ^^^ -,..,^^ ^ DenBildern
diePhan-^MteEr*r T ^ fT FJ^F ^f -Jl^^^ ^^^^^S"
tasie rufl J ' ■ ' "tenWassers
widmet sich dann der Komponist, nachdem die erste
Themengruppe zweimal vorgeftthrt worden ist, fiir
eine ziemliche Weile. Mit Bildungen, die auf dem Motiv
^JU_*r^ ^^' '* -^.^^ ruhen, zeigt er uns das
'j^^il li-gcM^J^L^ I Crf f 1 Element im hiipfenden
g ■ =*Mfc=|zaa^t=; Zustand. Dann bringen
dieCellivier a b,^ rr ihnen nach die Brat-
Takte lang -V' Htf ji/fH^1jF^^= schen und die an-
das Motiv r^ dern Streichinstru-
mente &hnliche Figuren. Das ist die musikalische Zeich-
nung von den langhinstromenden und flutenden Wellen.
In der grSBten Bewegung h< die Musik pl5tzlich ein,
bricht auf einer Dissonanz {cis-e-g-h) ab. Bratsche und
englisches Horn halten allein cis aus. Dann setzen die
^-^ 488 ^1--
Geigen mit einer neuen, weit ausholenden Triolenfigur ein,
die wie Verwanderung aussieht. Es hat sich etwas er-
eignet, was die Elemente statzen macht: Manfred ist am
Wasserfall erschienen. Wir erfahren das nicht aus seinem
herrischen Thema, das die Sinfonie er5ff- ^ ^_^
note. Nur durch das Seufzermotiv wird er %H. f^J^^^
vertreten, Es durchklingt, in der Form ^ p
nnd immer auf denselben zwei Tdnen von der Oboe ge-
bracht, einen l&ngren Abschnitt, in dem es ziemlich still
hergeht. Nur ein leichtes Tremolo der Bratscben, dann
der zweiten Yiolinen erinnert noch an das Wasserrauscben
nnd an den Ort, an dem nnsre Phantasie weilen soil.
Allmablich wird die Wassermnsik wieder deuUich. Der
Komponist wiederholt den ganzen Hauptsatz mit Ande-
run gen. Die RoUen sind vertauscht: Die Yiolinen haben die
leichten Sechzehntel, ^ — ...«^,^^ £s hat sich
die Bl&ser die Ach-llj|ii f f f i f fTTTT*; ^^^^ ^^^
telmotive. Ein nen-fj^ ** L ^ ' 11^ '_f •'^"'"**"^Tr^'
es Motiy tritt hinzu ^ ben durch die
Seufzer des vorigen Abschnittes ein Schatten nnd eine
Lahmung gelegt. So hort es denn anch friiher als zn er-
warten auf, oben in den Bl&sem mit schrillen Tdneu,
unten in den Yiolinen vollstftndig erstarrt. Achtundvierzig
Takte lang spielen erste nnd zweite Geigen abwechselnd
immer nur fU g\ schliefilich bleiben die ersten Yiolinen
mit ihrem /is allein dbrig. Die Stelle macht einen aufier-
ordentlich phantastiscben Eindruck, der Einfall erregt
groBe SpannuDg, zugleich aber auch ein gewisses ge-
spenstiges Grauen. Da setzt denn nun, von zwei Harfen
rauschend begleitet, die erste Yioline mit folgender freund-
licher Melodie
dolee
«in. Es ist die Stimme der Alpenfee, die Tschaikowsky
mit seiner Musik als eine Gestalt zeicbnet, die ganz Giite
nnd Liebe ist. Das Lied hat einen zweiten Teil, den
_^ 489 ^~
ebenso wie den ersten die aufschlagenden Acbtel als Ge-
birgsmusik kennzeicfanen. Der Gesang wird reichlich wie-
derholt and dabei immer gl&nzender instrnmentiert. Als
ihn das Fagott eben dnrchgefUhrt bat, da setzt in Horn
und Bratscben das Thema des unseligen Manfred ein.
Manfred erz&hlt ja nach Byron der Alpenfee seine un-
glticklicbe Liebe za Astarte. Mit dem Manfredthema zu-
sammen gebt das Lied der Alpenfee immer weiter. Auch
die Wassermusik wird wieder lebhafter, besonders an der
schOnen Edur-Stelle, wo die Saiteninstrumente die Mo-
tive der Alpenfeemelodie in Gegenbewegung durchfiibren.
Die H5mer baben einen weitern selbst&ndigen Kontra-
punkt dazu, und die Musik spricbt bier mit gl&bender
WSxme Mitleid mit Manfred aus. Die frenndlicben Sorgen
der Alpenfee scbildert ein Abscbnitt, in dem die bohen
Blaser die Motive des Ddar-Tbemas mit den B&ssen in
Nachabmungen bringen. Es scbeint aber nicbts zu
nutzen. Der Satz setzt sicb auf einen AsmoUakkord
fest, fangt an rbytbmiscb ftbnlicb za rasen, wie wir es
im ersten Satz erlebt, and bricbt wie dort im fff mit
dem Rbytbmas i— i Darauf in groBen scbmerzlicben Re-
des Trotzes ab : ^ * gangen Manfreds Thema in Violinen
und Holzblftsem and ein Ende dieses Absatzes in Disso-
nanzen (Q-d-e-k) und Yerlegenbeit. Aus dieser Situation
belfen Celli und Fagotte mit einem neutralen Einfall fort
und binein in die Wiederbolung
des Hauptsatzes. Sie weicbt
^ — ^^g g des Hauptsatzes. bie weicht
^H J*' n I r Tb ^ I ^ von der ersten Ausfuhrung am
^*^ ' Ende ab: Engliscbes Horn and
Klarinette bringen nocb einmal im weicben Ton das
Manfredthema, und die letzten Takte baben nur noch
einen Schimmer von Klang: Harfen nnd Violinen in
bohen Trillem sind allein tkbrig geblieben. So wird der
Ausgang des Satzes dem Wunderbaren der Szene nocb
scbnell gerecht.
Wie Tscbaikowskys Manfred im allgemeinen mit
Berlioz* » Harold « wichtige BerUbrungspunkte gemein
hat, so erinnert der dritte Satz insbesondere an die
-^ 490 ^—
Szene Harolds in den Abruzzen, wo die Landleute das
droUige Standchen bringen. Das Programm zu diesem
Satze gibt an: »Pa8torale. Einf aches, freies und heitres
Zusammenleben der Gebirgsbewohn^r*. Den Pastoral-
charakter zu treffen brauchts vor allem einen ^/sTakt,
als Nachkommling des alten Siciliano. Auch Tschaikowsky
hat sich dieses gegebenen Mittels bedient und in ihm
folgende Melodie an die Spitze seines Pastorale gestellt.
^ Andante con moto. J«48
3E
Sie wird durch die begleitende Harmonie einiger-
niaOen gehoben und sucht auch des weiteren das Be-
hagen an ihrer Sphare durch kUnstliche Mittel zu
steigern. Die Oboe moduliert nach ihrem zweiten Ein-
satz bereits nach H dur, und daran schliefit sich
ein Abschnitt, J^ . ^^
in dem die j?a.. /?r-l*r r f §F v .T ^f f*
Stimmen urn a^^^ « -■ | I '^ ■ *' | ^--U Ld=fcdl
das Thema ^ ^ -^7 V"^
das Thema
kunstvolle Spiele (Ranons und freiere Nachahmungen)
fiihren. Der Gdursatz wird darauf mit der Melodie in
den Holzblasern wiederholt. Als das Ende des Themas
erreicht ist, kommt keine DurchfUhrung, sondern das
Bild des Friedens und der Unschuld verwandelt sich.
Eine neue ganze Gesellschaft tritt auf, bei der es aus
ein em andren Ton geht, namlich:
i^-£} iji^^ UJJ UJ jJi^
Zu dieser Melodie muB man sich rustikale QuintenbS,sse
(Fagotte) denken und ungenierte Reibungen in den Be-
gleitstimmen, urn zu begreifen, dafi es sich jetzt um eine
derbere Lustigkeit handelt. Allenfalls l&fit das ja schon
die rhythmische Hast des Themas ahnen. Es sind gewiB
herumziehende Musikanten, die das kleine Sfttzchen vor-
tragen. Die Episode entfesselt aber einen Freudensturm bei
--e 491 ^~
der Hirtengemeinde. In einem Hmollsatz, der den Mitteltei]-
des Pastorale bildet, kommt er zumAusdrnck, weniger in dem>
in einem grandiosen
Unisono der Streicher
gebrachten Thema ^
als in der Begleitung, in dem lanten Ton, in dem sie ge-
halten ist, und in den erregten Rhythmen, die immer aos
einzelnen Stimmen oder ganzen Orcbestergruppen da-
zwiscbenfahren. £s scblieGt sich daran eine Darchfiihrung
des ersten Seitenthemas, das frQher in Hdnr erschien, nan
in der Haupttonart Gdur gebracbt wird. Es verliert sich
in einen SchluB, der &hnlich gehalten ist wie der Aus-
gang des zweiten Satzes: die ersten Violinen baben eioen
Triller auf bobem h, die drei Floten umwinden ibn mit
hoben Arpeggien. Der ungew5bnlicbe Klang soil bier
auf Wnnderbares vorbereiten. Das jetzt in den Cellis
einsetzende Tbema
J.r60 ^ — ^ ^..^ ^ X-
i
fiHr rJf I 1^ ^ \^ ^ ^ ^ ^^^ ^^^ ^^^^ ^^"®° Sinn^
p f\gj0mi I '^^__^^^ \ ^ ^i-ji^^m^ gg einigermaCen
vision^, in einer entriickten Stimmung gedacbt wird. Es
ist Manfreds Tramn vom Gliick, einTraum, zu dem er sicb
an den Bildern des 13.ndlicben Friedens und Behagens be-
rauscht bat. Scbon aber als die Bl§,ser das Tbema auf-
nehmen, wird es getrUbt und erregt, und trotz gewaltsamer
Anstrengungen bricht doch Manfreds verzweifelte Stim-
mung bald wieder und scbauderhaft durcb. Die H5mer
bringen das Tbema, aber ohne den Anfang, gleich mit
der resigniert berabsteigenden Wendung, und dann steben
sie festgebannt auf dem schlieBenden C, das 23 Takte
bindurcb unter wechselnden Harmonien immer wieder
angescblagen wird. Diese Beharrlichkeit wirkt religiOs;
in der Tat stimmt aucb eine Glocke mit ein, und dafi der
ganze Vorgang das Herz Manfreds entlastet, zeigt die
Melodie, die das Horn einsetzt, w&brend die Holzbl&ser
492
immer noch am G and den daza geh5rigen Melodien
festhaJten:
Sie erinnert an eine andre Hornmelodie, die im ersten
Satz der Szene vorhergeht, in deren Mittelpunkt Astarte
steht. Auch hier folgt Sonnenschein. Die Pastoralmusik
aus dem ersten Teil der Hammer kehrt wieder, in der
zweiten Periode, wo die Streichinstramente das Thema
snehmen, darch die Kontrapankte der Bl&ser in einen
bacchantischen Charakter gewandelt. Der hohe Ton hftlt
an. Nach einer Steigerang, die von Gdur nach EmoU
gef&hrt hat, tritt das Thema von Manfreds GltLckstraam
hinza, ohne sich jedoch lange za behaapten. Es wird
still, das Horn them a erscheint wieder am Schlusse mit
Harmonien, die wie der Schatten des Abends wirken.
Noch einmal blasen die wandernden Mnsikanten ihr
Stttckchen. Nur aas der Feme aberwird ihnen gedankt;
leise und immer leiser klingen froh bewegte Figoren
aus den Violinen, aas den HolzbllLsem Abschieds-
grUOe — ein letztes Anspielen des Pastoralthemas wie
Einschlafen, und alles ist aus!
In seinem Schlufisatz hat sich Tschaikowsky die
Anfgabe gestellt, den nnterirdischen Palast Arimans za
schildem.. Manfred erscheint inmitten des Bacchanals.
Der Schatten des Astarte wird beschworen. Sie ver-
kiindet ihm das Ende seiner irdischen Leiden. Manfred
stirbt. Darch dieses Programm erklftrt sich der Kom-
^onist abermals als einen Schfller Berlioz*, der seinen
Harold gleichfalls unterirdisch und bei einem Bacchanale
zn Grande gehen Ittfit. Und Tschaikowsky zeigt sich
auch in der AusfQhrang dieser Idee von dem Franzosen
beeinflufit, namentlich darin, dafi er aus seiner Dar-
'Stellung die Grazien ganz und gar verbannt. Von Gluck
493
und Wagner hfttten diese Programmusiker lemen kSnnen^
dafi die H511e durch ihie zarten Kftnete am verfOhrerisch-
sten iat and die grdfite Gewalt Qber die Geister tibt.
Bin gewaltsames, jui«ro cod moco. J s i*4 ^* ^^
heftig aufCahrendes ^^ _ j^_ ^ hftufig von-
Thema kennzeichnet *^»" P P If T'CJ"! II einem gei-
das Reich Arimans JB^ sterhaften
Nachgesang der BIftser ^ ■ , r f^ .
begleitet, dem folgendes ft'f* ff^r^B ^ff If I "^ttJ^
_ folgen ihm in^
^^ der Kegel l&r^
mende Kontra-
Motiv zu Gmnde liegt:
Wenn es in
verktbrzter Ge-
stall etscheint:
punkte^ gT5fite Err^
gang herrorrufend die
grimmige Bafifigar:
Fur den ganzen Teil, der der Schilderung der Arimanschen
Henrschaft gewidmet ist, hat der Komponist Ungestftm und'
Hefligkeit ids kennzeichnende Merkmale gewilhlt Daher
die ixnxner neaen and immer karzen Anlftafe, auf Grund
des Themas gr513ere S&tze za bilden. Bald geschehen sie ia
Fageniorm oder in andren Arten der Nachahmung, bald mit
VerlUngemng, bald mit VerkQrzung der Anfangsnoten, bald
mit gefafiten, bald mit wilden Kontrapunkten. Diabolischer
wird die Szene mit dem Aaftreten der Trompetenvariante:
§%, Ifr- , I _ GeigenundF15ten
■^Tr^r|j' Ip J J|tJ|iJ I J [[^■l?^ umtrillem sie wie
jBf * ""^ ^^ rasend, brutale^
Stofie der Hdrner antworten darauf. DerL&rm w&chst von
alien Seiten,- die Trompete feuert in gemeinen Rhythm en
an^ und endlich macht sieh das animalische Behagen dieser
Gesellschaft in einem Reigen Luft, za dem Englisch Horn,
BaBklarinette and beide Fagotte folgendeWeise aafspielen:
^^[
Sie wird Behr breit aasgeftthrt, mitFreuden geh6rt und
-^ 494 4^-
l)egruOt, leidenschaftlich von den einzelneii Gtiippen
ubemommen and mil Verzierungen versehen. P15tzlich
— die Violinen liegen auf g — bricht die Szene ab. In
•einer Umbildung l&6t sich das Manfredthema in den
Bassen horen. Das Bacchanale ist damit zu Ende.
Ein Lento setzt ein. Geheim- ^ ^
nisvoll beginnt ein leiser tfi'lt " |lt** |fc^ \ =*»=|
Satz auf chromatischem Motiv *'
ihm foigen feierlich schrecklich laute Blftssrakkorde. Und
nun tritt Manfred wirklich auf in seiner edlen Art mit den
Motiven des Sirebens. Ihm stellt sich Anman entgegen mit
einer Fuge (iber das erste Thema des SchluBsatzes, dem
aber ein etwas verworrener AbschluB gegeben ist Die
Musik des Bacchanale tritt dazu, bald werden beide The-
men verbunden. Ariman zeigt sich in dem hochsten Glanz
fiber den er verfugt; der L&rm ist bet&ubend genug. Da
Jcommtpldtzlich wieder eine jener naturalistischen Slellen,
wo das voile Orchester nur Rhythmus gibt. Hier ruht
^s Takte lang auf Triolen. Im ersten Satz verwendete
Tschaikowsky dieses Mittel, um extremste Gremiitszust&nde
Manfreds, die Augenblicke der toUsten Verzweifelung zu
bezeichnen. Auch hier gilt es wieder Manfred. Die
Trompete meldet ihn an, und bald erscheint, ein wenig
beweglicher gehalten als im ersten Satz, sein Thema in
einem Andante, von der Gesellschaft Ahmans mit Staunen
^mpfangen. In einem Adagio, an das wir kurz darauf
gelangen, h5ren wir die Kl&nge der Liebe zart wieder,
die dem Mlttelteil des ersten Satzes sein schdnes, inniges
Gepr&ge gaben. Astarte wird angerufen; sie kommtund
mit ihr ein grofier Teil von den besten Augenblicken
des Werkes. Wir durchleben, nur gedr&ngter, noch ein-
mal die ergreifende und erw&rmende Szene, die dem
ersten Satz der Sinfonie seine Herzenstone gab. Auch
das Andante con duolo, das dort der Szene der Er-
innerung an Astarte folgte, kehrt wortUch wieder, bis
beim Allegro die ^^Ancgro. Das ist die rauhe Hand
Basse ein neues yly p' k| J*] des Todes. Noch ein
Motiv bringen : jjjr 8*v«.^" kurzer faeftiger Kampf,
-_^ 495 ^>-
dann fUllt die Orgel ein wie in Liszts >Fau8t€ als Stimme
des Himmels: Manfred ist erldst In einem feierlichen,
von milder Schonheit erfQlltem Largo wird ihm ein trdst-
liches und friedvolles Requiem gesnngen. Einigermafien
stimmt es im Ton mit dem Ende von Raffs >Leonor6€.
tiberein. Durch den schdnen vers5hnenden Abschlufi
unterscheidet sich das Finale von Tschaikowskys Man-
fred vorteilhaft von dem des Berliozschen Harold.
Nach diesem >Manfredc weicht anch bei den Russen
die mebrsM.tzige Programmsinfonie der s. g. sinfonischen
Dichtung. Unter den Nacbziiglem ist Felix Blumen-F. Biomenfeid,
felds >dem Andenken der Toten< gewidmete Sinfonie*^®™^**^®"^^"
<in C) bcmerkenswert. *" ^"'*°-
Yon Haydn ab blieb bekanntlich die Sinfonie den
Deutschen ziemlich allein uberlassen. Nur die Franzosen
stellen in Iftngeren Abstftnden 6inzelne nennenswerte Mit-
arbeiter, wie Gossec, M^hul, Berlioz. Nach Analogic der
Entwickelung, welche die Yokalmusik^ znletzt noch in der
Oper, genommen hatte, war anzunehmen, dafi eines Tages
auch die Geschichte der Sinfonie wieder den inter-
aationalen Charakter tragen, und daB der Wettstreit der
I^ationen sich auch dieser Kunstgattung bemUchtigen
werde. Nach 80 Jahren trat diese Wendung endlich ein.
Doch erfolgte sie mit einer ebenso wichtigen als liber-
raschenden Nuance. Die neuen Sinfoniker kamen nicht
«us Italien, sondern aus L&ndem, welche sich an der
h5heren mnsikalischen Kunstarbeit bisher nicht beteiligt
hatten. Sie brachten neue Weisen, neue Klange, einen
ganzen Schatz von Naturmusik mit, fQr welchen die
Stimmung durch die Arbeit der Romantiker aufs gt&nstigsle
vorbereilet war. Mit den Progrflmmsinfonien teilen die
nationalen das reaUstische Element in der Darstellung;
der pathetische und hochdramatische Zug ist ihnen, bis
auf einzelne neueste Ausnahmen russischer Herkunft,
fremd. Ihr liebstes und eigentiJimlichstes . Gebiet ist
das Genre.
-^ 496
Das erste Interesse fftr die Musik der sogenannten
Nebennationen erwachte siphon am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts. Noch ehe Herders >Stimmen der VGlkerc
erschienen waren, lenkte Delabordes »E8sai sur la musi-
qne etc.< die Aufmerksamkeit der gebildeten Musikwelt
auf die Ges&nge und die Tanzweisen der bisher musi-
kalisch unbeachtet gebliebenen Nationen. Die AUgemeine
Musikalische Zeitung verfolgte auf Anregung des Abt
Yogler, des Lehrers von G. M. v. Weber und Meyerbeer^
Tom Anfing ihres Bestehens (1798) alle Erscbeinnngen
auf diesem Gebiete, die Sammlangen und die Bericbte.
Die wesentlicbste Beachtung erregten die Skandinavier.
Bei ihnen nahm die Pfiege der alien Nationalweisen zu-
erst wissenschaftliche Formen an, und sie lenkten diesen
Scbatz zuerst in das Gebiet der Kunst hintiber. Kuntzen,
Weyse, P. E. Hartmann schrieben die ersten dftnischen
Opern, Opem, in welchen der Stoff der Handlung und
ein Teil der Melodien vaterl&ndisches Gut waren. 1832*
IratP. Hartmann auch mit einer Sinfonie, GmoU, bervor,
die u. a. Franz Lacbner sehr beif&llig beurteilte*). Hier-
durch angeregt und ermuntert, komponierte der junge
D&ne Niels Gade seine bertkhmte OuvertQre >Nachklfinge
aus 0s8ian«, welcher i. J. 1843 sehon seine noch heute
li.eade, bedeutende C moll-Sinfonie folgte. In dieser Sinfonie
C moll- Sinfonie. f^jj^jQjj die Kennerund die Freunde der nordischen Poesie
den Geist der Fritbjofsage und der Edda wieder. Sie er-^
schien ihnen wie ein nordisehes Musikepos, welches von
den alten, gewaltigen Recken und ihren Kriegen und
Siegen, von schlichten JUgern und Hirten und ihren naiv
frohen Festen, von einer Natur, welche unter unschein-
barer- Hdlle intimen Reiz barg und von freundlichen
Elementargeistem belebt war, erzfthlt. Wie der Stoff neu
und poetiscfa, so war die Darstellung liebenswftrdig. Das.
nordische Element drang sich nirgends ftuBerlich auf^
technlsch blieb es in einigen d&steren Balladenmelodien
*) A. Hametick: Did Mtfeik am d&nisoben Hofe (S. B. d.
LM.G. 1901).
497
uad in kurzen Oialogen der Bl^ser versteckt. Im Stile
der Romposition begegnete man dem romantischen Cha-
rakter der Zeit. £s war ein scfaoner menschlicher Zug
in ihm, daO er der begeisterten Schilderung einen weh-
mutigen Ton beimischte, einen Ton, welcher der Trauer
darUber Ausdrack zu geben schien, daO jene Welt, die
in der Tondichtung mit ibren G5ttern und Helden auf-
lebte, in Wirklichkeit langst dabingegangen war. In
diesem Sinne beginnt der erste Satz der Sinfonie mit
einem klagenden Prolog: Ein melancholiscber Flor liegt
fiber der liebevollen Melodie, die wie aus der Feme wfih-
rend der Einleitung durch die Instrumente zieht.
tfoderato. Viol.
^
MU1}MJ u J J i I j. jj u J J i ^P
3
..? ■
Dann aber ergreifen die
^ J ' i- j :^ ' j. 4 '^ Trompeten das Wort
und leiten eine Szene
ein, in der sich rauhe Krafte machtvoll regen. Das Tbema
Allegro, i BlUer j[
I
I
vioL^f * ^r ^ -^T^tzu
i
L±i
A
r-
^-- - - ,~ I ■ , durch mehrfache Wiederholungen ge-
^^ __.pr^_l ^ ""^ steigert, biidet den Hintergrund des Bil-
t/ LT des: Der Held trittauf mit seiner Schar:
Die Gestalt ist
der
Allegro.
uns aus
XT ' ' ' Einleitung be-
kannt; nur kraftiger und fester steht sie bier vor uns. Mit
diesem einen Thema bat Gade den ganzen Satz bestritten,
bald ruckt er ihn in die Feme, bald in eine dustere, bald
in eine freundlichere Beleucbtung, wendet ihn bier ins
KretzBckmar, Ffthrer. I, 1.
32
498
Traumerische, dort ins Heroische. Nur wfthrend der karzen
DurchfiihriiDg, in welch er der ^U Takt der Einleitung wie-
der einsetzt, trilt ein f X « • \ { t t'
f reun dlichsin n ender-fr-^ '^ ^ J >! ^ ^«1 ''^' *^
Nebengedanke ein: . j»"^
Als zweiter Satz folgt ein Scherzo (C dur, % Takt).
Das Them a hat in der erstcn Hftlfte nur rhythmisches
Leben: Melodielos, fassungslos vor freudiger Aufregung,
rollt es in schnellen Achteln dahin — die zweite Hftlfte
bildet ein keckes Zitat aus dem Hochzeitsmarsch der
>Sommernachtstraum«-Mu8ik. Auch im Trio begegnet sich
Gade mit Mendelssohn. Seinen motivischen Inhalt bildet vor-
wiegend eine jener schattenhaft dahinhuschenden Figuren,
dieMendelssohn
in den phanta-
stischen Sfttzen
einbiirgerte : p- ^iol- c sord.
Der Nachsatz treibt ein anmutiges Spiel mit Motiven, die
der Natur abgelauscht zu sein scheinen:
Vlraee.
jfffifr>.frfi
Der Kern des dritten Satzes (Andantino grazioso,
Fdur, 2/^) ist der Gegensatz zwischen Ernst and Freund-
lichkeit, die Hauptperiode yerk5rpert ihn folgendermafien:
Andantino.
DiekurzenZwischensfttze, welche dieWiederholungen dieser
Hauptgruppe auseinanderhalten, haben den oben berohrten
klagenden Charak- j? .^r^ i i i i i is ■ i
ter und ruhen auf g M j I j j I j; J I j i kj I
folgendem Motive: p .^ /-■ ■ ^ ^
Ein Triolenrhythmus, welcher zuerst in der Gellofignr
auftritt und dann durchgefQhrt
wird, wirft in die zweite Hftlfte
des Satzes heUereLichter hinein.
499
Der letzte Satz beginut mit einem wahren Freuden-
alarm. Mit ausgelas- moUo Allegro. Im breiten
senen Dissonanzen i^JuJiJjJjiJ* Bebagen
setzt das Tutti ein: 8* ^ " ' " ' " ' "^"^ wiegt es sich
J I -^ J I -^ J I ^^^^ endlos, wenn die frohlicbe, in
" ito. den Eingangstakten auf den An fang
der Sinfonie zurQckgreifende and ein Scbabertsches Ge-
sicbt tragende Hauptmelodie angestimmt werden soil:
riirrrf
Der Satz ist an selbst&ndigen , scbonen
Tbemen iiberreicb. Mit besonderer Wucht
macht sich folgende Melodie der Biaser geltend:
IJJI^lj.L I iT iifi
die das gesamte Streichorchester mit breit arpeggierten
Akkorden wie mit mUcbtigem Harfenklang umr-auscht.
Die auOerordentliche Instrumentierungskunst, welche Gade
in der ganzen Sinfonie beweist, feiert bier ihre st&rksten
Trinmpbe. Wenn die Trompeten ihre frohlichen Sign ale
in die glanzend krftftige Szene hineinwerfen, welche um
den eben skizzierten Gesang sich bildet, da steht Burgers
>Lenore< vor uns: >Und jedes Heer mit Sing und Sang
— Mit Paukenschlag und Kling und Klang — Geschmuckt
mit grUnen Reisern — Zog heim zu seinen Hausern!«
Besonders sinnig empfinden wir es, daO das Heldenthema
aus dem ersten Satze der Sinfonie in das Finale hinein-
gezogen worden ist. Dafi die Menge des poetiscben Stoffes
in diesem SchluBsatze nicht ganz bew<igt worden ist,
l&fit sich nicht verkennen. Auch die anderen S9,tze kann
man formell vollendet nicht nennen, besonders das
Scherzo ist unverhaltnism&fiig breit Doch aber bleibt
der Sinfonie ein machtiger Zug in der Gestaltung und
in ibren nordiscben Melodien und Motiven ein originelles
Element von sicherer und grofier Wirkung.
32*
--^ 500 f—
M. eade, Unter den iibrigen Sinfonien Gades — es gibt im
B dur-Sinfonie ganzen acht — ist die vierte (in B dur, 1861 veroffenllicht)
die verbreitetste. Ihr Scherzo — es hat einen Spohrschen
Zug im Hauptsatz und zwei allerliebste volksmafiige Me-
lodien als Trios — ist der beliebteste unter den vier Sfit-
zen. Im ersten Allegro tritt das scherzende Seitenthema:
^^ /-j-^ und die schel-
\}' j, '- uj±i ■ . . r . ^^ wiirdige Episode
± vor der letz-
tigen Hauptthema, im letzten Satze das rezitativarlig,
z5gemd und fragend in den Violinen beginnende zweite
Them a hervor:
Allegro. ^00—-.
-^ p i^> I *-7.. I , I .^^
Es sind die wirklich eigenartig gedachten Stellen der Sin-
fonie. Das ganze Werk ist von dem abgeklarten Geiste
milder Anmut beherrscht und formell eine der reifsten
Arbeiten der neueren Komposition. Gleichwohl steht sie
an geschichtlicher Bedeutung hinter der weniger abge-
rundeten G moll-Sinfonie Gades fiber alien Vergleich weit
zurilck. Denn in der sp&teren Sinfonie ist Gade ein her-
vorragender Vasall Scbumanns und Beethovens, in jener
ersten aber erscheint er als die Spitze und der FQhrer
einer neuen Epoche. Jene G molI-Sinfonie gab der hoheren
Instrumentalmusik Impulse von gr56ter Bedeutung. Sie
lenkte mit frischer SchSlrfe den Blick auf die nationalen
Lieder und Ttlnze, und bewies, daO dieser Schatz auch
fiHr die groBen Formen der Komposition nutzbar gemacht
werden k5nne. Sie appellierte an die Heimatsliebe der
Tonsetzer in alien Landem und leitete eine Bewegung
ein, die jedenfalls zu den wichtigsten Erscheinungen der
601
^ -
neueren Musikgeschichte z&hlt. War diese Bewegung im
Liede, in der Klaviermusik (Field, Chopin), in der roman-
tischen Oper Webers, Boieldieus, Aubers aach schon vor-
bereitet, so gebuhrt Gade doch das Verdienst, sie auf
das wichtige Feld der Sinfonie gelenkt und da in FluG
gebracht zq haben.
Wir haben beute eine Reihe solcher auf nationalen
Elementen ruhender Sinfonien und sinfonieartiger Werke,
von denen einige auch im Repertoire FaQ gefafit haben.
Der d&nischen Schule gehort zunHchst Emil HartmannE. Hftrtmana.
an, dessen Es dur-Sinfonie in Stil und Stoff unmittelbar
an Gade anschliefit. In denselben Kreis sind auch die
schon erw&hnten Nordischen Suiten von A. Hamerick A. Hameriek.
zu stellen, welche allerdings mil Mendelssohnschen, Wag-
nerschen und anderen Elementen stark getrankt erschei-
nen. Ein Positives besitzen sie in ihrem eigenen Klang-
leben, und dem Verstftndnis kommen ihre Uberschriften
entgegen. Weniger bekannt geworden sind Hamericks
Sinfonien, gleichfalls funf, wie denn iiberhaupl von der
fieiBigen danischen 3infoniearbeit des letzten Menschen-
alters nur wenig Uber die Landesgrenzen hinaus ge-
drungen ist. Die Hauptkomponisten sind: Peter Heyse, P. Hejse.
Aug. Winding, Otto Mailing (jeder hat eine D moll- ^* ^*'***"**
Sinfonie verdffenUicht, Lange-Mtiller (Herbst-Sinfonie,{|;"^*J15ig^;^^^
Alhambrasuite), Victor Bendix (Sinfonie >Zur H5he«, y. Bendix.
Sommerklange aus SudruOland, A moll-Sinfonie) , Carle. oua.
GlaO, Fino Henriques, Axel Schidler (Sinfonie Es, F. Honrlqaes.
Sinfonie Napoleon Bonaparte), Ludolf Nielsen, Carl^«s«****«>^«
Nielsen und A. Enna (Mftrchen, sinfonische Bilder)*).[{; j}{j{j*|[;
VerhsLltnismaGig am meisten sind davon die A moll-Sin- 1) Enna.
fonie von Victor Bendix und >die vier Temperamente<
von Carl Nielsen beachtet worden.
Die Sinfonie von Bendix ist im Sinne Philipp Schar- Y. Bendix,
wenkas eine Sinfonia brevis, sie besteht nur aus drei^"*^^**^*"'**"'®-
S^tzen und schlieGt mit dem in rdhrender Resignation
*) Naheres in: Walter Niemann, Die Musik Slcandi-
naviens. 1906.
--^ 502 ^j^
gehaltnen langsamen Satz. Das beste nnd erfreulichste
Stock des Werks ist der zweite Satz, ein buntes Scberzo,
das den Niederschlag von Landluft nnd Yolksleben, der
sich darch die ganze Sinfonie zieht, besonders reich ent-
b£llt. Hier kommt auch der krfiftige und kuhne Teil von
Bendix klar zur Geltnng. Der erste Satz zeigt ihn stark
im Bann Mendelssohnscher Romantik.
c. Hieiiea, G. Nielsens »Yier Temperamente<, einer der zahl-
Vier Tempera- reichen d&nischen Beitr&ge zur Programmnsik, behandeln
™^^ ^' ein Tbema, das scbon bei den Anhftngern der Gattung
im 18. Jahrhundert beliebt war, weil es sich wirklich
musikalisch bewHItigen l&fit und weil es fUr einen Rom-
ponisten, der Qber scharfe, charakteristische Erfindung ver-
fi)gt, zu den leichten Aufgaben gehOrt. Dieser Voraus-
setzung wird Nielsen im ersten Satz, wo er das Wetter-
wendische und J&be im Wesen des Cbolerikers vorztig-
lich getroffen hat, voUkommen gerecht, auch das Bild
des Phlegmatikers mit seinem Mangel an Beweglichkeit
und seinem Behagen am Beschrftnkten darf auf allge-
gemeinen Beifall Anspruch machen. Dagegea IflOt die
Auffassung des Melancholikers und des Sanguinkers die
sichre Beobachtung und die Energie in der Wiedergabe
vermissen.
Die dftnische Musik hat in M§,nnern wie Winding
und Mailing noch reichere Talente. Wenn von ihren Sin-
fonien das Ausl^nd gar nicht erst Notiz genommen hat,
so erkl&rt sich das daraus, dafi schon bald nach den
Erfolgen Gades die Nachbarnationen der Dftnen den Wett-
bewerb um die Vertretung des nordischen Elements in
der Tonkunst aufnahmen: Schweden, Norweger, Rnssen,
Finnen. Von diesen Konkurrenten gewannen die in alien
Kiinsten regen Norweger fQr l&ngere Zeit, dank den Ar-
beiten Svendsens und Griegs den Vorsprung.
Jener hat die ersten Norwegischen Sinfonien ge-
schrieben, dieser seine Heimat in der Klaviermusik, im
Lied und der Orchestersuite aufs gl&nzendste vertreten.
Die von ihnen gefUhrte »jungskandinavische Schule« hat
sich zum Teil in bewufite Opposition gegen die sanftere
— ♦ 603 ^—
Weise der D&nen gestellt, znm Teil aber beraht die Ver-
schiedenheit beider Schnlen auf den benntzten Quellen.
Die danischen VolksweiseD haben vorwiegend einen
ernsten und strengen Gharakter; in ihrer technischen
Stroktur sind sie jedoch vorwiegend abendl&ndisch. Die
skandinavischen Melodien hingegen, an welche Grieg nnd
Svendsen ankniipfen, weisen auf ein fremdes Tonsystem
hin, das sich abseits des grofien europ&ischen Kunst-
stromes entwickelt hat. Stellt man sie, wie es die ge-
nannten Tonsetzer tun, in nnser bekanntes Harmonie-
geb&ude ein, so zwingen sie za einer freieren Behandlung
der Dissonanz, zu manchem grellen Wechsel zwischen
Dur und Moll und zu Akkordfolgen, welche uns unge-
wohnt beruhren. Sie repr&sentieren eine eigent&mliche
Empiindungswelt, in welcher das Tr&umerische einen
breiten Raum einnimmt. Ein starker Schatten von Me-
lancholie liegt in der Regel auch noch iiber den kurzen
Tanzweisen, an welchen der norwegische Tonschatz be-
senders reich ist. Sie bilden Idyllen, in welchen zu dem
ergdtzlichen Moment auch ein ruhrendes hinzutritt. Es
liegt in der Beschr&nktheit der melodischen und rhyth-
mischen Kreise, in welchen sich ihre Munterkeit bewegt
In diesem Punkte ber&hren sie sich mit der slavischen
Volksmusik.
Svendsen gibt namentlich in seiner Ddur-Sinfo- j. 8. STendiea,
nie bezeichnende Proben von den Formen und auch D dur-Sinfonie.
von der Seele seiner heimatlichen Volksmusik. Das
Hauptthema des ersten Satzes ruht in seinem Grund-
motiv auf einer « xoUoAUe^o.
kurzen skandina-
vischen Tanzweise:
Das zweite Them a, eine suchende und sehnende Gestalt,
bildet gegen die dr&ngenden und heftigen Elemente dieser
frShlichen Melodie einen sehr starken Kontrast. Es be-
steht nicht aus einer einfachen Melodie, sondern aus einer
Gruppe melodischer Sfttzchen, unter denen das Motiv
J I , I , 1 — I ^^' ^^® Entwickelung des Satzes
fr l' [" f ' r "" ' die Hauptrolle ftbernimmt. Der
504
Entwurf des Satzes zeigt groBes Naturtalent, besonders
Geschick fUr Kontrastwirkungen, aber, mit Ausnahme des
Kolorits, nur eine geringe Kanst. Heute ermtiden qds
die ewigen Wiederholungen unaufgel5ster Septimen nnd
andrer skandinavischer Eigenheiten.
Ahnlich ist es mit dem Andante der Sinfonie, ob-
wobl es in ^ ^ ^ Andante. ^und in etli-
demHaupt- j£¥ j I J | j j -I | ;■ Kj I J J chen seiner
theroa: ^ ^ ''Uic^: =-I Variationen
Stellen von besondrer SchSnheit hat. Der lebenskr&ftigste
Satz der Sinfonie ist der dritte, ein Allegretto scberzando,
einmal weil er in <i ^ ^.i . ■ AjJUHi jA ^^^ '^^®"
seinen Motiven:
^
men:
> F1D!«
den nordi-
und 4 '^^ -r H-. r I rTf -f l -f r r I^Cl^f ^schenCha-
v^ '"" rakter am
entschiedensten auspr>, dann durch die Festigkeit, mit
welcher der Komponist die zahlreiche, bunte Schar der
Einf&IIe rondom&fiig zusammenhsllt. Damit bietetSvend-
sen eine unerwartete and exemplarische Probe von Form-
beherrschung.
Das Finale beginnt mit einer Einleitung. Alle The-
men sind nordisch. In der Durchfuhrung iiberwiegt die
Arbeit die Phantasie. Ein sehr schdner Moment der In-
spiration ist der Eintritt des zweiten Themas. Er gebietet
den Wolken, und siehe: es erscheint ein freundlicher
Stern. Da6 dieses zweite Thema nichts anderes ist, als
die Melodie der Einleitung, nur in schnellerem Gang,
hebt nur die Wirkung.
J. s. Srendien, Die zweite Sinfonie Svendsens (B dur) beruht auf
Bdur-Sinfonie. einem tieferen Stimmungsgrunde als seine erste. In alien
ihren S&tzen lauert die Schwermut, und noch im Finale
wechseln die Momente des gewaltsamen Aufraffens der
Kraft mit Augenblicken ganzlicher Yerzagtheit. Am frei-
esten von triiben Anwandlungen h< sich der dritte Satz,
--» 505 •^
eine als Intermezzo bezeichnete PastorAldichtuog , die
Beethovensch beginnt und dann ganz in dem nordischen
neckischen nnd kindlichen Schalmeienton aufgeht Anch
der erste Satz hat eine ausgepragt norwegische Melodie
in seinem zweiten Thema, welches in diesem Satz die
Rolle des guten, trdstenden, mit Heimats- and Jugend-^
bildern zusprechenden Geistes tibernimmt. Im Andante,
das manchen Brahmsschen Zug enth<, hat der freund-
liche Gegensatz in einem karzen, immer repetierenden
— oft bescheiden versteckten — Achtelmotiv einen rdh-
rend naiven, unschuldigen Ausdruck gefunden. In der
Form reifer als die Ddur-Sinfonie, zeigt sich Svendsen
in der zweiten Sinfonie doch weniger originell. Auch
Schumann (im ersten Satz) und Schubert (im dritten)
geh5ren zu den Komponisten, deren Einflufi bemerkbar
wird.
Von den Orchestersuiten Ed. Griegs darf man die Ed. GrUff,
{Lltere, >Aus Holbergs Zeit« (op. 40), kaum in die >Aus Holbergs
Klasse der nationalen Musik stellen. Sie hat nur in der ^^'^*'
Musette und im Rigaudon einige sparliche skandinavische
Tdne. Aber das Werk ist unter alien den neuen Saiten,
welche den Geist des 18. Jahrhunderts heraufzubeschw5ren
snchen, eins der liebenswnrdigsten. Es w&hlt die kopie-
renden Mittel mit allzuviel Beschr&nkung, es entfernt sich
in seiner Leidenschaftlichkeit vom Wesen der altenKunst;
aber es ersetzt das alles durch die poetische Kraft, welche
die knappen Formen erfiillt.
Zwei Suiten Griegs sind der Musik entnommen, die Ed. Grieg,
er fiir den Yersuch einer Buhnenauffiihrung von Ibsens »Peer Gynt. i.
• Peer Gynt< geschrieben hat. Diese beiden Orchester-
suiten zu Peer Gynt haben somit einen ahnlichen Ur-
sprung wie Bizets Suiten zu TArl^sienne; sie kdnnen
sich mit ihnen auch an kUnstlerischer Bedeutung sehr
wohl messen, sind ihnen an St&rke des Nation alklangs,
an Reichtum der Empiindung und an Einfachheit sicht-
lich Uberlegen. In letzter Beziehung darf man diese
Griegschen Kompositionen sogar f&r ein Ideal vornehmer
Orchestermusik erkldren. Was das nordische Kolorit
-<^ 506 *^
betrifft, so sind in diesem Falle die eignen starken An-
lagen und Neigungen des Komponisten noch durch die
Dichtung befruchtet worden. Lebt doch im Peer Gynt
die ganze nordische Natur; ja: in dem mil Qberreicher
Phantasie ausgestatteten Helden hat Ibsen dem norwe-
gischen Volk ein Spiegelbild vorhalten woUen.
Der erste Satz der ersten Suite (op. 46) heiOt Mor-
genstimmung und soil wohl den zweiten Aufzng des
dramatischen Gedichts einleiten, in dessen erster Szene
Peer mit der geranbten Ingrid bei Tagesanbruch ins Ge-
birge schreitet. Die Komposition hat durchausfPastoral-
charakter. Ihr Haupthema:
Allegretto paatorale J.= fiO. ^^«^ ^^,*^
j¥iiiC£rrr/iQ:fr&£flf-t^rrrirrr>
wechselt lange Zeit zwischen F15te und Oboe mit ver-
ftnderter Harmonie. Die beiden Instrumente gemahnen
an die Hirten des Hochgebirgs, die von H5he zn Hdhe
sich mnsikalisch unterhalten. Mittlerweile ist die Sonne
hdher gestiegen, und nun kommt die Melodie in dem voUen
Glanze, den das Unisono des gesamten Streicborchesters
(B&sse ausgenommen) geben kann, wenn forte vorgeschrie-
ben ist. Ein kleiner -^ ^ >.^ ^^^
Zwischensatz, der in „ii ft., f f . f P' . ^' F fi .f
Cismoll einsetzt, IfiCt 'A»f » i F | F T | F F P | T
fiber das Gellomotiv ^ f P^^ f
gewissermafien die Lichter auf dem Morgenbilde wechseln:
es dunkelt, es hellt sich wieder auf, es herrscht reges
Leben am Himmel und in den Farben der sonnentrunk-
nen Flur. Mit dem Horn, das das Pastoralthema wieder
intoniert (in Fdur), kehrt die ruhige Stiromung des An-
fangs zurfick; nur ein wenig reicher ffihlt sich das Herz.
Die Yoll dahinstr5menden Kontrapunkte in Blfisem und
Geigen sagen es. Knapp vor dem SchluO legt der Kom-
ponist noch eine zart muntre Episode ein. Die neuen
Motive der H5mer, die Triller der Holzblftser skizzieren
eine intime Szene aus dem Tierleben.
--^ 507 ^>~
Der zweite Satz illnstriert Ases Tod. Die Mutter
Peer Gynts stirbt einen schdnen sanften Tod : mitten im
Aufbau von LuftBchldssern schlfift sie schnell und nihig
ein. Das dentet die Musik, die nur fQr StreiChorchester
bestimmt ist, wohl an. Der erste Teil bringt das freund-
lich sebnsnchtsvolle Lied
.a Andante dolorosa. W= 60. ^,,^ ^.-.^
f p I I ! f i- 'Tr i^7?"'r r- "I
in einem crescendo, das fiber Fismoll nach HmoU zu-
rilck und ins fortissimo fUhit. Es gibt gewissermaCen ein
Bild von dem letzten Gluck der Toten, die in Trftumen
ihre schSnsten und immer k&hneren WUnsche befriedigt
sah. Der zweiie Teil leitet mit einer Umbildung der
Liedweise
in den Ton der Trauer ein. Der kurze Satz ist eine
wirklich geniale Leistung eines mit der Harmonik spie-
lenden Meisters, und es l&6t sicb nicht ahnen und nicht
beschreiben, wieviel Tiefes Grieg den ersten drei Noten
des Lieds abgewonnen hat.
Der dritte Satz, >Anitras Tanz« betitelt, bringt uns
nach Marokko, wo Peer Gynt in der Oase, im Zelte eines
Araberh&uptlings weilt, dessen Tochter Anitra mit andren
Madchen den fiir den Propheten gehaltnen Fremdling
durch T^nze und Spiele zu ehren und zu erheitern sucht
Die knapp gehaltne und wieder nur fQr Streichorchester
komponierte Nummer hat einen Hauptsatz fiber das
Them a
Tempo dl Mazurka.
das nach einigen Takten Akkord gebender Einleitung in
der ersten Violine zierlich trippelnd und mit bestrickend
anmutiger Bewegung einsetzt. Die Melodie geht schon am
^ 508 «^
Schlufi der ersten Periode in ein verwirrendes Figuren-
spiel Uber, und diesem Abschnitt folgt der zweite Tell mil
f. ^rv ^^ ^>^ /"> m! _ Mit diesen schmach-
ff f' prf If Pfj I r^^ tendenMotivenwech-
v 'p K uj I r-*^ g^j^ prickelnde pizzi-
cato-Stellen. Dann kommt der Hauptsatz wieder, aber
mit gesteigerten Reizen. Seine Melodie wird zum Kanon
zwischen erster Violine und Bratsche. So gibt der Kom-
ponist ein Bild von den immer starker wirkenden Kunsten
der raffinierten Beduinentochter, an die ja im Drama
Peer Gynt sein Herz ernstlich verliert, um Hohn nnd Spott
zu ernten.
Der vierte Satz, mitdem Titel »In der Halle des
Bergk5nigs<, ist eine Variationenreihe fiber das Thema:
Alia marcla molto maroato. S z ia8. ^ ^^
miiM^rnng^T iii^iiyiirmL^i[ijni
Es kommt zuerst ganz leise in den KontrabMssen, geht
von ihnen an die Fagotte, wechselt in ver&nderter Tonart
langre Zeit zwischen beidien Instrumenten; dann betei-
ligen sich die Violinen und 15sen sich mit den obern
Holzblasern ab. Der Tanz wird lauter, schneller und gibt
das Bild eines Behagens, das bis zum Fanatismus an-
wfichst. Die Variationen entwickeln sich mit einem
Minimum von Kunst; es sind nur Wiederholungen. Aber
gerade dieses Einerlei erhoht die Wirkung der Dynamik,
die Beharrlichkeit riickt wie leibhaftig auf uns los, und
schlieOlich ist der Eindruck elementar und be&ngstigend.
Grade mit dieser Art von Kunst haben die Skandinavier
und Slaven ein frappantes neues Element in unsre euro-
p&ische Musik eingefiihrt und ihren Vorrat an Natura-
lismus gewichtig, vielleicht auch gef&hrlich vermehrt.
Grieg kann hier, wie auch bei seinen norwegischen
tanzen furs Klavier ftlr sich das Verdienst in Anspruch
nehmen, ein in teress antes, nicht gewohnliches Thema
gewUhlt zu haben und mit den Wiederholungen nicht
iibers MaO gegangen zu sein. Mit genialem Takt h5rt
er zur rechten Zeit auf.
_^ 609 ♦^
Die zweite Suite Griegs za Peer Gynt (op. 55) bringt K4. OrUg,
als ersten Satz eine Komposition, die iiberschrieben ist »Peer Gyntc ii.
>Der Brautraub«. Peer Gynt hat als der Tollkopf, der
er ist, als er das Eltemhaus verlassen, aus dem ersten
Dorf, in das er kam, bei einer Bauernhochzeit die Braut
geraubt nnd ins Gebirge entfuhrt Die Musik zeigt uns
nun das Entsetzen, die Wut der Hochzeitsgesellschaft, als
sie bemerken^ dafi Ingrid verschwunden ist, in einigen
Takten wilden Allegros. Dann rufen sie wohl nach ihr;
aber nur dumpfe Hornt5ne, Laute unempfindlicher Natur
kommen zurQck. Ein Andante doloroso fQhrt uns darauf
zu der Geraubten, die eine lange Klage singt. In den
tiefen Saiten der Violinen gespielt, haben diese Klage-
melodien ein auCerordentlich individuelles Geprage, sie
lassen an ein stolzes Gesicht denken, und zugleich sind
sie in einzelnen Wendungen sehr rQhrend.
Der zweite Satz, Arabischer Tanz Iiberschrie-
ben, ffihrt uns noch einmal in die Szene, zu der in der
ersten Suite Anitras Tanz geh5rte. W&hrend sich aber
in diesem die HHuptlingstochter allein in den Kiinsten der
Koketterie erging, haben wir hier eine ganze Msldchen-
schar vor uns und zwar mit ausgepr>en RassenzQgen,
die sich namentlich in den Rhythm en der Musik ftufiern.
Der Anfang des Themas vom Hauptsatz gibt davon mit
den Schlu£noten eine kleine Probe:
Allegretto Tivaoe. J« 188
Zu'r Melodie gehort in diesem Falle notwendig der
schrille Klang des Piccolo, um den anmutigen Teil des
Bildes auch mit dem abstoOenden zu vervollstandigen-
Mischcharakter ist dem ganzen Satze eigen: den weichen
Tdnen treten fortwahrend wilde auf den Fu6. Sehr schdn
zeichnet der Mittelsatz, den das Streichorchester allein
spielt (nur Triaugel kommt noch dazu), wie aus dem Kreis
der M&dchen eine Sch5ne heraustritt und mit Tonen des
Gemiits, mit Geberden der Innigkeit den Helden lockt.
510
Diese Szene wird auf einen Aagenblick durch den Ghor
untersttitzt, der sich in zierlichen and reizenden Ballet-
weisen bewegt.
Um den dritten Satz zu verstehen, mufi man das
Ibsen'sche Gedicht kennen. Die Oberschrift der Nummer:
»Peer Gynts Heimkehr<, erklSlrt nicht den Gbarakter
der Masik. Heimkehr gilt gewohnlich fiir ein freudiges
Ereignis; Peer Gynt wird aber hier schlimmer empfangen
als der verlorne Sohn: mit einer dtister erregten, mil
einer tobenden Mnsik. Ibsen IftOt seinen Helden als
SchifiTbruchigen heimkehren, und Grieg malt den Seesturm,
dem das Fahrzeng an der heimischen KQste zum Opfer
fg.llt Der KomposiUon liegt darnach ein ganz &hnliches
Programm zu Grnnde, wie R. Wagners Ouvert&re zam
»Fliegenden Holl&nder<. Mit ihm begegnet sich Grieg
auch thematisch, namentlich der Quintenfall in seinem
Haaptmotiv bildet eine fur jeden bemerkbare Abnlicbkeit :
AUesro a«itato Jzoa^ =*• ^*^ kommt daher, weil
.uiv^ A g jgj. GehSreindruck des
^= durch die Segel und
Taue pfeifenden Stur-
mes fiir alle Musiker nahezu derselbe ist. Das ist ein
Klang der unten ansetzt und springend sich nach oben
immer mehr zuspitzt. Dann groUt und wiihlt es an einer
andren Schiffsseite wieder, scheinbar ruhiger:
So spielen die Elemente lange mit dem armen Fahrzeug
ihr grausames Spiel. Dann wird die Lage verschlimmert
Das Wetter heult in langen Ziigen, in b5sartigem Zischen:
Diese greuliche Figur klingt in alien Registem; nach den
F15ten durchlHuft sie die Kontrab&sse. Erst dann and
--fr 511 ♦^
wann auf eines Viertels Pause absetzend, nimmt sie sich
im weiteren Yerlaufe gar keine Zeit mehr, w&tet &rger
and &rger; schliefilich saust sie in ganzen chromatischen
Ghoren einher. Einige starke (fff) Akkorde, Takte lang
aasgehalten, bedeuten die Katastrophe, den Untergang
des Schiffes. Noch eine Zeitlang setzt sich das Toben
fort, dann wird es scbw&cher nnd schw&cher. Stille tritt
ein, und nachdem die Schilderong beendet ist, fugt der
Eomponist als Dichter eine korzei aber ergreifende Klage
hinzu, die den Holzbl&sern gegeben ist. Was Realistik
nnd Naturtreue betrifTt, wird man den Satz unter den
neueren musikalischen Geniftlden vom Meer mil den
Arbeiten Gilsons und Debussys zusammen eine hervor-
ragende Stelle einrSlumen mtissen.
Der vierteSatz der Suite heiOt »Solvejgs Lied«.
Solvejg ist die Jugendgeliebte des Landfahrers — |als
alter, verkommener Mann tfiftt er sie nun wieder. Das
Lied, das sie ihm singt, hat ausgeprSgt norwegischen
Gharakter in den SchlQssen des Mollsatzes und ist sehr
emst. Soil es doch nach des Dichters Ansicht symbo-
lisch den Tod bedeuten. Mit dem Hauptsatz (in A moll)
wechselt ein Nebensatz (Adur) von freundlich anmutigem
Gharakter, an Jagend und an Tanz erinnernd. Die Kom-
position hat auch als Lied fur eine Stimme mit Klavier-
begleitung weite Verbreitung gefunden.
Die n&chste VerdfTentlichung Griegs, sein Opus 66 ent- Kd. Grieg,
halt drei StQcke: Vorspiel, Intermezzo, Huldigungsmarsch'SigardJorsalfarc.
aus einer Eom position zu Bjornsons Schauspiel: Sigurd
Jdrsalfar. Das Vorspiel und das Intermezzo sind
beide sehr kurz und einfach. Jenes, das noch den Neben-
titel hat: >In der K5nigs- « AUegretto 8iii!pUce.(J=84.)
haJIe.. ruht im Haupt- i¥ J JIQJ |>f J \\
satz auf em em Motiv ^ 0<IT
dessen humoristischer Gharakter noch dadurch wesent-
lich verst&rkt wird, dafi an seinem SchluO die B&sse wie
verlegen und versehentlich ins Leere nachschlagen. Mit
dem Eintritt der Violinen nimmt der Satz aber einen
sehr glftnzenden, ungeffthr den Gharakter eines Hoffestes
-^ 512
an. Die Mitte der Nummer fuUt ein Dialog zwischen
Fldte and Oboe, daun zwischen Klarinette und Fagolt,
in dem mit elegischen, sinnigen Gedanken kunstvoll ge-
spielt wird. Das Intermezzo gibt Einblick in eine edle
Seele zu kritischer Stonde. £s besteht aus einem Andante,
das nachdenklich iiber ernste Motive briitet, und einem
diister aufgeregten Allegro, in dem der Schrecken haust.
In verftnderter Form kehrt nach ihm das Andante wieder.
Der Huldigungsmarsch setzt gleich ungewohnlich
und fthnlich wie Mendelssohns >Hochzeitsmarsch< alar-
mierend ein: die Trompeten holen frohlich und munter
das Orchester herbei, und dies fallt mit einer Dissonanz
ein, die sich naturlich gleich aufldst, aber doch einen
Augenblick das festlich gestimmte Gemiit in Verwirrung
bringt. Als Hauptthema seines Marsches gibt Grieg fol-
gende Weise
AUesretto aaniaie. ^.^
n iTriQ lTi iT l'iuJTi ||||i i
die zuerst von einem Quartett von Gellis gebracht und
dann mit manchen Uberraschenden Wendungen ent-
wickelt wird. AuOerordentlich belebend ist der Eintritt
des Zwischensatzes. War die Musik bis dahin krslftig,
so springen jetzt ganz pldtzlich die B&sse wie Riesen
auf und fUhren eine Weile das Orchester, das gleich
darauf von den Trompeten und Hornern in einen auOer-
ordentlich frohlichen und volkstiimlichen Alarm gebracht
wird. Die Stelle wirkt wie der Anblick einer unwillkiir-
lich in Jubel -ausbrechenden Menge. Und als nun das
Hauptthema wieder aufgenommen wird, hat Grieg noch
eine Oberraschung: Es setzt als Maestoso mit verlanger-
ten Rhythmen ein, &hnlich wie Dvorak zuweilen seine
Motive in Vergrofierung bringt. Das Trio hat bei aller
Einfachheit der Melodien durch die Harmonie viel Tiefe,
so daB der Marsch als Ganzes als eine der gehaltvollsten
neueren Arbeiten semer Gattung angesehen werden mui3.
-^ 513 ^^
Eine vierte, eine >lyrische Suite « Griegs ist wenig
bekannt geworden.
Von den jiingeren Miiarbeitern Griegs hat am meisten
Christian Sin ding die Anfmerksamkeit aaf sich ge- Chr. Siadlag,
lenkt, znn&chst mit einer Dmoll-Sinfonie (op. 21), die^^nioJlSinfonia
an einigen der ersten dentschen Konzerte znr Anffdhrang
gelangt ist. Der vorher namentlich dnrch ein Qnintett
ftir Klavier- und Streichinstrumente, aach darch Kon-
zerte fur Klavier und Violine bekannt gewordene Kom-
poniflt iegte mit dieser Sinfonie seine verhaltnism&fiig
reifste und selbst&ndigste Arbeit vor. Immerhin steht
sie noch allzustark unter dem EinQuO R. Wagners und
beruht mehr auf Kombination als auf. Inspiration. Ihren
stilrksten individuellen Zug hat sie in dem dramatischen
Ton des Yortrags; namentlich wenn es gilt, im Lauf eines
Satzes ein neues Bild einzufQhren, wird sie schwunghafl
und setzt in ungeduldige Spannung. In der Anlage der
Sinfonie zeigt sich ein ernster kiinstlerischer Charakter:
die Sfitze stehen sichtlich and auch ftuOerlich erkennbar
im Zusammenhang. Die Grundidee des Ganzen ist, unge-
f&hr in einem Tonbild zu zeigen, wie eine gesunde, selbst-
bewuGte Natur den Lebenskampf ftlhrt und gewinnt.
Der erste Satz schildert Kampf. Sein Hauptthema,
dessen Vordersatz folgendermafien lautet:
Allegro BOdteato.
spricht reckenhaften Trotz aus. Ihm folgt ein Abschnitt
der Sammlung. Die Streichinstrumente bringen im
groGen Unisono das frohgemut und kraftvoU ergftnzende
Zwischenthema
^ I I II I I , I Und nun kommt das
L4}j_y ^ ji I ^Ji I zweite Hauptthema
Jff^ des Satzes, das
KretiBchmftr, Ffthrer. I, 1. 2S
— ^ 514 «^
schonin j, .. -j. . . .r -das Gefflhl und die
seinem p^ J. jTi ' Jj)J.iJ l^ Gewifiheit gluck-
Anfang: J^ ' •=: :=*" licherZokunft aus-
drUckt. Diese Stimmung wird l&ngere Zeit festgehalten,
sie schfiumt, als die Geigen sich des Themas bemfichtigt
haben, bransend auf; aber wie im Scbrecken tkber das
ObermaO bricbt der Jubel pl5tzlich (auf b-d-f-gis) ab, and
bald sind wir in der Darchfiihrung. An ihrem Anfang
bringt Sinding seine beiden Hauptthemen zugleich, das
erste in den Violinen, das zweite in den Bl&sern; beide
leise. Dann gewinnt die Kampfesstimmang die Ober-
hand, schliefilich arbeitet sie fast nur noch mit Rhythroas.
Eine Stelle, an der alle Instramente auf dem Ton /'pochen
und verschnaufen, bezeichnet die Umkehr, bald beginnt
die Reprise. In ihr zeichnet sich der Eintritt des zweiten
Themas, das jetzt in Ddur steht, merkbar aus: atemlos er*
wartet, klingt es geheimnisvoll dahin. Mit dieser Wendung
ist der Endeindruck des Satzes bestimmt: er spricht Sieges-
gewiGheit aus. Sie zu betonen, fiihrt der Komponist in
einem Schlufianhang noch « . . _ , . _
einen neuen Gedanken ein, m^ p J J Ji 3 I J n~r^
der sich von dem Anfang
aus in einer jener staitlichen Steigemngen ergeht, die
wir bei Sindiog hftufig treffen. Endgiiltig geschlossen wird
mit dem Zwischenthema, also mit dem Ausdruck der
inneren Kraft und des Selbstvertrauens.
Der zweite Satz (Andante, ^4) Gmoll) ist der
Ruhe, dem Frieden, dem behaglichen TrUumen ge-
widmet. Andante.
Er berei- a) p\i j. ^ \a ^U^TJ] \ ] \ «nd
6) P^ J |j.Ji^^,y;?OTr-l ein Thema
if'' I J" 1 1 LJLLi iJ 1 1 TT I mil I
PP dolce _
vor, das einer Volksweise gleicht^und wohl eine patrio-
-^ 515 ^j—
tische Teudenz hat. Die Darstellung h< lange Zeit an
diesem Gedanken fest. Sie gibt ihm im Laufe der Ent*
wicklung einen glUhenden Ausdruck, einmal auch einen
seltsamen. Es handelt sich um die Stelle, wo nach einer
langen Reihe von Sequenzen Uber das von den ersten
zwei Takten gebildete Glied, der verminderte Septimen-
akkord [cts-e-g-b] dem Ausbruch der Freude und Begeiste-
rung ein pldtzliches Ende macht. Da blasen zunachst
die beiden Fagotte sehr gefuhlvoll allein. Und dann
folgt ein Abschnitt, in dem, nur von der Pauke und
den Kontrab&ssen begleitet, die Tuba und zwar pp
das Thema vortragt. Die Stelle hat etwas mystisch
Groteskes. Mit Zuhilfenahme
eines weitren nordischen Mo-
tivs st&rmisch frohlicher Natur:
schliefit das Tonbild als Szene der Freude. Ganz am
Ende wird es aber plotzlich stille, und wir h5ren noch-
mals, wie verschleiert, jenen ubergreifenden, in die Zu-
kunft, in die Feme hinausweisenden Gedanken, den zu-
erst das Horn als Thema b) brachte.
Der dritte Satz (Vivace, 3/4, Fdur) setzt nach acht
Takten Akkordeinleitung so ein:
VlTaoe .
pu.m\umj\yhiun I iTi iji
Die letzten beiden Takte mit den
. punktierten Rhythm en auCern ein
•^ iibermiitiges Kraftgefiihl, und sie
sind es, die der Komponist in den Ausfuhrungen des
Themas vor allem benutzt. Bald slehen wir vor wohl-
bekannten Kl&ngen: vor dem ersten Hauptthema des
ersten Satzes. Diese Reminiszenz bedeutet: >wieder
Kampfc. Aber es handelt sich nicht so um die Not des
Kampfes, als um die Lust und die Freude daran. Die
innerlich zufriedne,begluckte Stimmung zeigen die Themen
des folgenden Seiten- , 1 . ^ . _ • . f*' .
satzes: das von den '/|| J- #i p I [' J If P " ^^
B&ssen eingefuhrte : P
33*
^
516 f^-
das die ^ ^ . ~. -- - bean twor ten, und
H5rner3S }t }\ j I r"*] J i \ \ ^ die erst von den
mit: *^ ' V.^' J J. ^ -li— Holzblasern et-
was ungeschickt und eigensinnig probierte, bald von den
H5rnern in Ordnung gebrachte Weise:
iijju ly
Mit letztrer entwirft Sinding eine l&ngre Reihe kleiner
Bildchen: vom Sonntag und zQchtigen l&ndlichen Freuden
die einen, von dem ausgelassnen Treiben und der lauten
Lust der m&nnlicben Jugend die andren. Dann wird der
Hauptsatz noch einmal vor&bergefiibrt. Die Komposition
bat also die einfache Aniage, die wir schon vom Haydn-
schen Menuett her kennen; nur sind die Formen etwas
vergroOert. Auch das nach der Wiederbolang des Haupt-
satzes (ibliche Trio kommt an der erwarteten Stelle und
zwar als derb launige Volksmelodie :
^ Pld moderato. ^ .
if'''lFTrrrirnfrrirrri'ir'rTi ■
die sich besser lesen wurde, wenn sie im 2/4 Takt notiert
wftre. Nach einer Weile hat sie sich mit folgender, von
den Trompeten eingeffihrten Melodie:
jji^J iiiJJii|'iTrr 'If UJ 'f^^
"i I III Ml i^i|' III JJir JjJJ I mi
in den PJatz za teilen. Nach dem Trio wird der ganze
erste Teil, wic gebrftuchlich, wiederholt. In dieser Wieder-
holung hat Sinding eine Episode mit erst zogernder, dann
in verbiaffenden L&ufen hinstiirmender Musik eingelegt,
um den Eintritt des zweiten Seitenthemas glanzend zu
gestalten. Es erscheint dadurch als die Krone desGanzen;
mit ihm geht auch der Satz scbnell zu Ende, zuletzt noch
fiber eine ungewohnlich drollige Fagottstelle gefiihrt. Mit
-^ 517 «^
dieser BetoDung der nordischen Tanzweise komint der
dritte Satz in nfthere geistige Beruhrung mit dem vorher-
gehenden. Aach hier wird ein Bekenntnis zn Volk und
Vaterland ausgesprochen.
Der letzte Satz (Maestoso, */^ D moll) begiDnt mit
dem Thema in den B&ssen:
Maestoso.
^ ff F/ N ^'Pl'' p If^ctc - die Violinen sfimt-
' "^ ~^ ■ '^ " I ■ ijgjj immer d dazu als
liegende Stimme — sehr ernst, feierlich und auch fromm
gestimmt, wie jemandem zu Mute ist, der vor einer wich-
tigen Entscheidung steht. Nachdem das Thema — vor
der Wiederholung ist ein karzer Abscbnitt eingelegt, der
gespannte, verlegne Erwartung ausspricht — das zweite
Mai verklungen ist, kunden heftige Geigeniiguren etwas
Besondres an: Es l&Bt sich der Ton des Wunderbaren,
AuGerordentlichen vernehmen — , leisestesTriolenranschen
auf einem Orgelpunkt — , und daruber setzt wieder eine
Volksweise, eine Art Wanderlied ein:
<"j jjUiji,
Es erregt groOe Freude und wirkt gewaltig belebend,
auf der Chor f^ T JP Up ^ \f /3 j^ J^^eto.
bekundet: /
Doch wird erst noch einmal in eine gehaltene, robige,
dankbare Stimmung eingelenkt, ihr ist das zweite Thema
gewidmet:
Die bald darauf folgende Durcbfuhrang wirft sogar
einen Rfickblick wie aus der Erinnerung, aus der Feme
-^ 518 ^^
auf znrQckliegende trube Stunden. Mit stechenden
Dissonanzen setzt das erste Thema ein. Der Rhyth-
inus vom ersten Takt • i i und ein Motiv aus dem
des zweiten Themas J • •• J Endteil dieses Themas
^ Ubernehmen es aber aufzuheUen,
ft^ f r CJ I r sie Ziehen voriibergehend auch das
"^ Wanderlied mit in^ihre Kreise und
bringen es bald zu einer gl&nzenden Wendung nach D dar.
Dieser Durteil beginnt mit einem Hymnus, der an das
zweite Thema des Satzes anknUpft und dann zum ersten
Thema Ubergeht, das nun die dunkle Farbe ablegt. In der
sogenannten Reprise wird besonders lange beim zweiten
Thema verweilt, das eine der interessantesten Bildungen
in der Sinfonie bedeutet. Melodisch sehr einfach, erh< es
seinen zwischen Gliick und Leid schillernden interessanten
Charakter durch Harmonie und Kontrapunkte. Hier nun
im SchluCteil seines Finale zieht es der Komponist ganz in
freudige Sph&ren, ihm nach am letzten Ende das Haupt-
thema, das aus dem Munde der sftmtlichen Blechinstru-
mente Heimkehr in Jubel und Triumph meldet.
Chr.SiBdlBffy Sindings zweite Sinfonie (op. 83), die in Ddur steht
Zweite Sinfonie. und nur drei Sfttze hat, ist ein vorwiegend freundlich
gestimmtes Werk, das die Phantasie in pastorale Kreise
und in einfaches Volksleben hineinflihrt und die Erinne-
rung an schCne Reisetage und fr5hliche oder sinnige Erleb-
nisse der Jugendzeit weckt. Sie hat viele Momente wohligen,
stillen Tr&umens und andere, wo die Gefiihle in hohen
Wogen gehen, aber keine Stiirme und Konflikte und kaum
GegensHtze. Der bedeutendste Satz ist der erste; klang-
lich wird er durch die zahlreichen Stellen eigen, an denen,
wie aus der Tiefe des Bewufitseins heraus die B&sse
allein sprechen oder den Chor der Instrumente flihren.
In der Erfindung tritt in ihm der EinfluO Wagners her-
vor, in den anderen S&tzen kommt mehr, aber doch nur
bescheiden, das nordische Element zur Geltung.
Chr. Slndtn?, Zwischen beiden Sinfonien liegt eine Fdur-Suite
Episodes (op. 35) des Komponisten, die, dem Titel >Episodes che-
chevalereeqoes. yaleresques« nach , ins Programmgebiet gehdrt. Es sind
-^ 519 ♦^
vier Szenen ans dem Ritterleben , von denen die der be-
sonderen Oberschrift bare erste nngef&hr einen Anszug
der Mannen mil teils lustig flatiernden, teils fest und
stolz einherschreitenden Marschmotiven schildert, die
etwas breit und mil allzu Wagnerischen Steigerungen
etwickelt werden. Der zweite Satz, Andante fun^bre,
beginnt mil einem tr&b erhabenen, schmerzvoU akzen-
tnirten Thema in BmoH, dem der tr5stende Gegen-
satz in Desdur folgt. Seine frenndlichen Weisen, von
den Hdrnern in kanonischen Nachabmangen eingeffibrt,
sind der Glanzpnnkt der ganzen Romposition. Der dritte
Satz, ein in gedampfter Fr5hlichkeit and erfrealich knapp
gebaltenes Allegretto, das der Form des dreiteiligen Liedes
folgt, bescbrftnkt sich im Hanptteil anf ein kurzes, vier-
taktiges Thema, das wiederholt und variiert wird. Der
Mittelteil wirkt dadurch eigen, dafi die Melodie, so
wie es auch in der zweiten Sinfonie wiederholt ge-
schieht, lediglich von den Bfissen gespielt und nur spftr-
lich begleitet wird. Das Finale ist nach Idee uud Aus-
fQhrung der glUcklichste Satz der Suite. Es entwickelt
aus h5chst einfachem und knappem thematischen Material
eine naiver Freude voile Heimkehrstimmung , klingt mit
dem dominierenden Homton prachtig warm und erfreut
in der Arbeit durch die energischen ostinato-Bafie.
Auch der Englfinder F. C o w e n hat vor dreiOig Jahren f. Cowen,
eine >Skandinavische Sinfonie* verdffentlicht, welche von Skandinayischa
der Mehrzahl der deutschen Konzertinstitute mit Beifall Sinfome.
aufgefQhrt worden ist. Diese Sinfonie gehdrt jedenfalls
unter die bedeutendsten Instrumentalkompositionen,
welche seit Jahrzehnten jenseits des Kanals entstanden
sind. W&re der erste Satz, dessen melancholisches
Hauptthema
Moderate.
schlieOIich znm Qu&lgeist wird, etwas reicher an Ideen,
und der letzte ein total anderer, so wtirde diese Sinfonie
unter die hervorragendsten neueren Nummem ihrer
-<^ 520 «^
Gattung einzureihen sein. Die einfachen Ideen des An-
dante mit dem Xitel »Sommernacbt am Fjord*, in welchen
ein (im Nebensaal zu versteckendes) Homqartett die
Traupierei der Violinen mit derben Tanzweisen nnter-
bricht, die ganz wie aus der Feme heriiberklingen, haben
die Poesie uud den Effekt fur sich. Ebenso ist das Scherzo
in anderer Art wirksam und frappant: ein freundlicbes
Gespensterstuck, in welchem der fluchtige, schattenhafte
Charakter mit einer genialen Konsequenz durcbgefQhrt wird.
DieGeigenhinterSor- AUe^ro moito.
dinen mit ein em eili- / l^ j Pp r/T ^^
gen Motive huschend V' * ^^ W ' ''^
der Mittelsatz ein Nebel aus zittemden Rfaytbmen und
mysteridsen Modulationen , in den die Blftser nichts als
Akkordnoten hineintropfen: das Ganze getrieben vom
hellen Klang des Triangel. Es ist seit »Fee Mabc von
Berlioz in dieser Art von Phantastik vielleicbt kein so
runder und gelungener Satz komponiert worden!
In Norwegen selbst haben sich die Aussichten ffir
eine einheimische Sinfoniearbeit von allgemeiner Be-
deutung mittlerweile nicht verbessert Das Land hat nur in
Christiania und Bergen vollwertige Orchester und besitzt
keine groi3e Musikschule, es wird dem Nachwuchs infolge-
dessen schwer, sich grtindlich zu bilden. Das zeigt sich
dann auch an den Leistungen der fleiBigen Mitarbeiter,
o. Hftrekiov. die in 0. Harcklou, I. Selmer, Iven-Holter, Ole
I. Selmer. oisen, SigurdLie an die Seite Sin dings getreten sind.
'ou^oum!^"^ eine Weihnachtssuite G. Schjelderups hat aufier-
SlgBTd Lie! balb der Heimat Beachtung gefunden.
0. Sehjelderaps. In der Zeit, die fiir die Heimat Griegs den Anfang
eines Niedergangs bedeulet, ist der musikalische Stern
des skandinavischen Bruderstammes, des Schwedischen,
dagegen gestiegen. Schweden, das sich in der ^Iteren
Zeit damit begnikgte, einen vorgeschobenen , nament-
lich . auf Stockholm und Upsala gestOtzten Yorposten
deutscher Musik zu bilden, besitzt eine Volksmusik, die,
in der Grammatik weniger eigen als die norwegische,
vor dieser den Urspruug aus einer hoheren Kulturstufe
^^ 521 ^^-
and einem entwickelteren Seelenleben vorans hat. Ihre
schonen, durch das Hinabspringen des Leittones und
durch rhythmische Lebendigkeit gestempelten, in derStim-
mung meistens etwas umflorten Melodien haben aus dem
Mande der Jenny Lind ganz Europa entziickt, sind
aber, wie neuerdings wieder von Ambr. Thomas f&r den
Hamlet, auch schon im 18. Jahrhnndert fi!kr die Oper and
bald aach fur die Instrumentalmusik benutzt wordcn. Die
ersten schwedischen Sinfonien warden noch zar Zeit der
Wasa von Jos. Kraas und Per Frig el geschrieben*),j. KrMi.
anhaltender hat sich Schweden aber an der sinfonischen ^* Frif ei.
Arbeit erst auf den Weckruf Gades bin beteiligt und zwar
mit Werken von Fr. Lindblad, dem ausgezeichneten F. LindbUd.
Liederkomponisten, von Franz Berwald, Alb. Ruben- ^« *"^»1*«
son, Ludwig Normann, denen Aug. S5dermann niit |^| jjJJ^^^J*'
Schauspielmusiken sekundierte. Aus dieser Gruppe ragt a! Sdderaftui.
am hochsten Franz Be rw aid hervor und unter seuien FrMiBerwaid,
drei Sinfonien wieder die unter dem Titel >Sinfonie sin- Sinfonie
guli^rec 1846 komponierte Cdur-Sinfonie, von derjungst «»8»^»*'«-
erst ein stattlicher Partiturdruck veroffentlicht worden
ist. Das Werk darf der nationalen Gruppe zugewiesen
werden, nicht bloB weil darin Volksweisen verwendet sind,
sondern weil es Berwald dariiber hinaos verstanden
hat, nordischem Wesen technischen'Ausdruck zu geben,
am wirksamsten durch die Harmoniebehandlung. Dar-
tiber gibt die klarste Auskunft das Hauptthema des Finale:
Presto.
^fegMg^j^^f^^na^feVhr^^
Es_ Fis F EsDCH
Das Esdor des zweiten Taktes ist in der Zeit, wo die
Sinfonie entstand, ein Unikum, und auch die Rhythmik
des Satzchens ist eigen. Noch schSxfer spricht der kr&f-
tige Wikingergeist, den Berwald verkdrpert, aus den liegen-
den Stimmen des ersten Satzes, die in der Kegel acht-
taktige Perioden lang zu der Harmonie der anderen
♦) Walter Niemann a. a. 0.
522
Instrumente die schneidigsten , trotzigsten Dissonanzen
bilden, gleich mit c zu h und mit anderen unvorbereiteten
Seknnden einsetzen und erst mit der letzten Note sich
in eine rasche Konsonanz anfl5sen. Schon durch diese
HarmoniefCihrung ist die Sinfonie Berwalds singnli^re,
absonderlich , wie der ironische und bittere Titel sagt,
sie ists aber noch mehr im ganzen. Um das zu erkennen,
muQ man an die gleicbzeitigen Sinfonien Mendelssobns
und Schumanns denken, ihnen und anderen Deutscben
gegenQber erscheint der Scbwede unfreundlich und arm,
gJeicht einem musikaliscben Segantini; in bewuCten und
deutlicbsten Gegensatz stellt er sich aber zu Niels Gade.
Gegen ihn eroffnet die Sinfonie singuli^re die nordische
Opposition, die dann Grieg und die jungeren Norweger
organisiert und weiter gefUhri haben, der Kern ist der
gleiche: Herauskehrung der rauheren Seiten, Kultus von
Kraft und Z&higkeit.
Diese Tendenz kennzeichnet besonders den erst en
Salz (Allegro fuocoso, Gdur, C)| der in dem Widerstand
gegen zarte Regungen an Beethovens C moII-Sinfonie er-
innert, in seiner Ausfahrtsstimmung aber ersichtlich den
Wettkampf mit Gade aufnimmt. Gleich am Anfang wird
bier die Selbst&ndigkeit der Gestaltung klar, die Berwald
auszeichnet: an Stelle eines fertigen und ausgebildeten
Hauptthemas bringt er \ . . ,
das kurze, auf Franz Schu- -2Jiii-J- -J^fcrj^ijJi
bert hinweisende Moitv
p/^
und riickt es abschnittweise von den BUssen aus fiber
Geigen und Holzbl&ser die Oktave hinauf und ins forte.
Die Monotonie des Verfahrens wird durch dissonant ge-
bundene Harmonien umgangen. Auch das Gegenthema:
D TG— D G_ D H E A
ist sehr bescheiden. Mit diesen beiden Ideen wird der
ganze erste Satz bestritlen; unter den Hilfsmotiven, die in
den EntwicklungsprozeO ein- rf- ^- f^if^-y^ f-»rf=
greifen, tritt die Triolenfigur:
523
als treibendes Element, :^:. i „ i » i-u-^ als Sieges-
;^-" I " I" I
Mozarts Jupiterthema : g ^ ' ' ' ruf hervor.
Diesem geringen Material gewinnt aber Berwald mannig-
faltige Bilder ab und spannt mil ihm, dank der Konse-
qnenz und Logik seiner oft harten Periodenbildnng und
dank der Klarheit, mit der das Endziel der grofien Satz-
gruppen hervortritt, bis ans Ende. Auch dieses ist ori-
ginell: statt einer langen Reprise nur die 24 Takte der
Einleitung, eine Generalpause und als SchluG ein freudiger
Tumult von fiinf Vierteln! Den zweiten und dritten
Satz hat Berwald zusammengezogen. Ein Adagio (Gdur,
2/4), mehr suchend als singend, beginnt und gibt sich lange
Zeit ganz Haydnisch, setzt sich aber dann in dem logisch
so strengen Sequenzenstil , der fiir Berwald charakteri-
stisch ist, auf einer tr&umerischen Melodie fest. Unver-
mutet fahren in diese die ersten Violinen mit kurzen
Figuren des Ungestums hinein und erzwingen, da6 der
Satz schon nach etlichen vierzig Takten abgebrochen
wird. Die Pauke reagiert darauf mit einem entrQsteten
fffSchltig, der aber nicht verhindert, da6 ganz pidtzlich
das Scherzo (Gdur, ^/s) eintritt. Es ist von fr5hlichem,
anmutigem Treiben erftillt und reich an kleinen K&nsten
der Nachahmung. Der Hauptscherz ist, da6 in seinen
heimlichen Ton wiederholt harte, kurze Schl&ge oder
rauhe Akkorde hereinfahren. Sie sucht Berwald niemals
von weit her: ein breiter C dur-Dreiklang, der ohne Um-
stftnde ein Ddur-Motiv bei Seite schiebt, genfigt. Am
Ende kehrt das Adagio, aber nur mit der erwfthnten
tr&amerischen Melodie wieder. Sie ist ein Zitat aus dem
schwedischen Liedschatz und reprftsentiert die Heimats-
liebe. Darum kehrt sie auch im Finale (Presto, Cmoll (^)
wieder, neben ihr lassen sich noch weitere voIkstUm-
liche Anklftnge horen und zwar als die Stimmen der
HofTnung und des guten Endes in dem an K&mpfen, ja
an Schrecken reichen a »— • ^ .^-^
Satz. Das Schlufiwort ^3^^^n'~T^— IT f"^
hat die sch5ne Hymne : -^^
Von den neueren schwedischen Komponisten ist der
-^ 524 ^>-
bedeutendste Kiinstlerkopf, Wilhelm SteDhammer, leider
der Sinfonie ferngeblieben; die bekanntesten Vertreter
I. Hellitrom. der Gattung sind: Ivar Hellstrom, A. Hftgg, Andr.
*•*■*!*• Hall 6n, W. Petersen-Berger, Hugo Alfv^n, und zu
^ p'J^,^*' ihnen kommt noch als SuiteDkomponist der namhafte
Berfer. Geiger Tor Aulin. Er uad Alfv^D sind audi ins Ausland
H. AifT^a. gedrungen, Alfv^n namentlich mil seiner zweiten Sinfonie,
Tor AbIIb. jqj Aulin mil der Programmsuite »Meister Olofc.
HagoAifreB, Die Sinfonie Alfv6ns zeigt sich schon ftufierlich
Zweito Sinfonie. (Jadm-ch ungewohnlich, daO sie in Ddur beginnt und
in D moll scbliel3t, also den bekannien Weg per aspera
ad astra umkehrt. Die glUckliche Stimmung, die der
erste Satz mit seinem lange gesncbten Hauptthema
Moderato. ---v » ^rr — -^ ausdriickt
bedeutungsvoll in fremder Tonart eingefiihrte Gefolge des
zweiten Themas:
j'lVri \\'}f^i\i^^^^fhrj^^^
noch verstarkt wird, erleidet allerdings schon hier mannig-
fache Anfechtungen , eine auBerordentlich aufregende,
namentlich in der Mitte der Durchf£ihrung, wo eine vom
Hauptthema ausgehende Steigerung pldtzlich im ff auf
dem Septimenakkord abbricht und nach einer General-
pause die Pauke ganz allein den Rhythmus leise wieder
aufnimmt Da folgen ihr zwar die Streicher, aber, wie
verwirrt, in ganz fremder Harmonie. Die Stelle wirkt
geisterhaft wie ein Mene Tekel und macht den Horer
auf das gefaiBt, was die folgenden S^ltze bringen. Schon
die ersten Takte des zweiten Satzes, des Andante, machen
die schlimme Ahnung zur Gewifiheit. Im Rhythmus des
Allegretto von Beethovens Siebenter und gefaBten Tons
tragen die B&sse eine Klage vor, aber schon nach wenigen
Worten wird sie erregt und sofort von einem lauten,
schneidenden Wehruf der Blaser abgeschnitten, der ge-
dM,mpft und gebrochen immer wieder ansetzt, Der Satz
-^ 525 o>—
bleibt so, wie er begonnen, ein Kampf nach Fassung.
Seine ruhrendsten Stellen sind die, wo an die Themen
des ersten Satzes erinnert wird, sie kehren bis zum
Schlusse wieder, ohne das Entsetzen zu bannen. Eben-
sowenig greift eine als zweites Thema angescblagene
Choralweise durch.
Filr den dritten Satz (Allegro) bat Alfv^n das Ent-
setzensmotiv, das am An fang des zweiten die Bl&ser aus-
stiefien, w5rtlich beibehalten, nur kommt es im raschsten
Tenipo. Ahnlich ist der ganze Satz eine erregte Variante
des zweiten, und die ganze Sinfonie hat das Ziel, ver-
schiedene Phasen eines groGen Seelenschmerzes zu schil*
dern. Cbaraktervoll bleibt der Komponist diesem Pro-
gramm auch im SchluBsatz trea. Dieser hat die Form
elner darch ein Prelndio eingeleiteten groOen Fnge. Das
Preludio wirft mit ein em Neben thema aus dem ersten
Satz einen Blick auf die Zeit vergangenen Gllicks, die
Fuge, die zuerst energisches AufrafTen versncht, endet
mit altliturgischen Trauermelodien, gibt also dem Werke
einen religiosen AbschluB. Die Sinfonie erweist sich in
ibrem Ernst and mit der vollendeten Ttichtigkeit der
Arbeit als eine der bedeutendsten Leistungen nnserer
Zeit and macht trotz allem Verzicht auf nalionale Be-
sonderheiten dem musikalischen Genius Schwedens die
groBle Ehre.
Aulins Suite Meister Olof hUlt ihre fiinf Sfltze TorAalln,
(1. Der Reformator, 2. Sein Weib und Kind, 3. In der Meister Olof.
Stadtkirche, 4. Am Totenbeite der Mutter, 6. Das Fest
am Nordpol) in der Weise von Griegs Musik za Peer
Gynt grundsatzlich knapp, und benutzt reichhch hei-
matliche Licder und Marschweisen ohne merkliche Zu-
taten eigener Runst. Nur die Tendenz, in Harmonie und
Rhythmus das Primitive hervorzukebren , ist deutlich
bemerkbar. Dabei kokettiert der Komponist ein wenig
mit Quiatenparallelen , die ja in der neuen Orchester-
musik allgemein als erlaubt zu gelten scheinen, doch
aber nicht ohne alle Riicksichten auf das europaische
Ohr. Im Ubrigen beschrankt sich das personliche Ver-
— • 526 «^
dienst Aulins darauf, daO alles sehr gut klingt ; als Kolo-
rist hat er allerliebste EinfAlle. £in sehr wirksamer ist die
Pizzicatobegleitung des Streichorchesters im zweiten Satze.
Als letztes Glied und als Filiale der Skandinavischen
Schule hat sich, von schwedischer Kultur befrachtet, in
neuester Zeit eine finnlftndische Sinfonikergrappe gebildet.
Sie entwickelte sich von der Universit&tsstadt Helsingfors
und von Abo, den einzigen eigentlichen Musikstftdten des
F. FftclBi. Seenlandes aus unter Fiihrang von F. Facius, M. Wege-
X. WeffellvB. lius, R. Kaj anus im letzten Drittel des nenzehnten Jahr-
B. K^ftBVB. hunderts ; die Internationale Aufmerksamkeit auf sie ge-
lenkt zu haben, ist das Werk von Jean Sibelius. Seine
sinfonischen Dichtungen, an ihrer Spitze »der Schwan
von Tuonela«, scblugen aus ziemlich den gleichen Grfln-
den fthnlich ein, wie zwei Menschenalter vorher die
Ossian-Ouvertlire und die erste Sinfonie N. Gades. Eine
grenzenlose Melancholie bildet ihr nationales, ein ebenso
plastischer, als freier Stil ihr persdnliches Signal ement.
JeiB SlbeiUi, Nur die dreis&tzige Karelia-Suite (Op. 17) entbehrt
Karelia-Suite, diesen Familienzug; sie k5nnte im ersten Satz, dem Inter-
mezzo, von Dvo^ak, im Menuett von Brahms sein, erst
der SchluiBsatz (Marcia) stellt uns im Trio eine besondre
kUnstlerische Individualit&t vor. Dieses Trio besteht n&m-
lich lediglich aus acht, mit Ausnahme der Instrumen-
tierung w5rt]ich iibereinstimmenden Wiederholungen der-
selben vier melodidsen Takte. Eine solche regelwidrige
Monotonie wagt nur ein Komponist, der mit dem Volk
verwachsen ist und ganz genau seine Art und seinen
Geschmack kennt. Im iibrigen aber schreibt Sibelius
hier ganz nach allgemeinem, gutem Suitenbrauch und hftlt
sich dabei ausgezeichnet knapp und kurz. Noch mehr
als im Stil, weicht aber die Karelia-Suite von den sie
umgebenden sinfonischen Dichtungen im Inhalt ab. Dieser
stiitzt sich auf ganz &hnliche volkstiimliche Sangweisen,
wie sie in verschiednen Sammlungen vorliegeu, sie sind
aber s&mtlich freundlichen Gharakters, so liebenswtkrdig
und reizend, dafi sie allein den groOen Erfolg der be-
scheidnen Komposition erklftren.
-^ 527 «--
Die erste Sinfonie (EmoII) des KomponisteD , die J. BlbellM,
1899 gedruckt worden ist, teill mit der Karelia-Suite die Erato Sinfonie.
klassische Rlarbeit und Einfachheit der Themen and Mo-
tive, aber in ihrer vorwiegend ernsten and triiben Ge*
dankenrichtung steht sie auf der Seite von friiberen sin-
foniscben Dicbtangen. Insbesondre scbeint sie ein Werk
nationaler Ricbtung and die am tiefsten in der Heimat
worzelnde Sinfonie von Sibelius, sie scbeint eine patrio-
tiscbe Betracblung in T5nen zu sein. Eroffnet wird ibr
erster Satz an Stelle der iiblicben langsamen Einleitung
mit einem Klarinettensolo, das guten Mats beginnt, am
Ende aber in einen klagenden Ton fallt. Das darauf ein-
setzende Allegro P/ij Gdur) nimmt in grGGern Dimen-
sionen einen S.bnlicben Verlauf: Der in seinem Haupt-
thema :
d/ntrniriji-rir
ausgesprocbenen Kraft und Entscblossenbeit bleibt der
Triumph versagt. Die Achtelrbytbmen, mit denen der
erste Abscbnitt jenes Tbemas schlieOt, der zweite beginnt,
gehdren zu den Elementarwendungen finniscber Musik,
sie sind fibnlicbe Symptome stark cboleriscben Wesens,
wie sie aucb bei Italienern und Negern vorkommen, die
geb&uften Wiederbolungen desselben Motivs sind dem
naiven Kulturstand des Naturvolks ent^prungen. Wir sind
also mit diesem Eingang sofort in eine bestimmte etbno-
logiscbe Spb&re versetzt, in die der Verlauf der Kompo-
sition dann immer tiefer bineinfiibrt. Die Volksseele, von
der Sibelius im ersten Satze seiner E moll-Sinfonie ein
Bild gibt, neigt zu jahem und erscbreckendem Aufbrausen,
ihre Musik ersetzt eingebende Ausfiihrungen gern durcb
kurze in zwei und drei Akkorden explodierende Natur*
laute, an andern Stellen briitet sie endlos dabin, dem
Jammer webrt sie und laOt ibn mehr abnen als wirklicb
b5ren, sie zeigt eine Miscbung von Wildbeit und Selbst-
beherrscbung , die uns staunen macbt, aber aucb er-
greift und nacbhaltig fesselt. Sie zwingt aber aucb,
--^ 528 •—
die Kraft und den Geist zn bewandern, mit denen der
Komponist seiner schwierigen und der sinfonischen
Form fremden Aufgaben Herr geworden ist. Nament-
lich der zweite Satz der Sinfonie bietet da wahre
Musterbeispiele f&r die Gabe, mit einfachen und doch
k&hnen Mitteln der Darstellung den Schein der Nattlrlich-
keit zn geben. £s handelt sich in ihm darum, aus einer
augenscheinlich wieder auf musikalische Volksquellen
aufgebauten Wehmut in eine erregte Stitnmung fiber*
zugehen. Das erreicht er ohne weiteres dadurch, dafi er
den Vierrierteltakt des Haupttbemas pldtzlich von den
B&ssen im Rhythmus von drei Halben begleiten l&6t
Damit ist die Unruhe in den Satz eingezogen und unver-
merklich gerftt alles ins Scbwanken. Ebenso meisterhaft
ftibrt Sibelius in diesem Andante aus dem Stimmungs-
bild hiniiber in ein anheim eludes Stfick Naturmalerei. In
dem Augenblick — es ist nach der vom Fagott begon-
nenen Blflserstelle — , wo der Gesang einen leidenschaft-
lichen Charakter annehmen will, bricht er ab und lenkt
die Aufmerksamkeit mit bloBen, bewegten Rhythmen und
hohen Klftngen erst der Bl&ser, dann der Geiger wie auf
eine plotzliche Brscheinung in der Aufienwelt. Es schillert,
als ob die Sonne aufgehen wollte, und nicht lange dauerts,
da hGren wir in Floten, Oboen und Klarinetten die V5gel
singen. Ganz k5stlich wird dann dieses Bildchen aus
Wald und Flur in. das Seelengemfllde , das den Haupt-
inhalt des Satzes bildet, mit hineingewoben. Als es gilt,
sich von ihm zu trennen, da &ui3ert sich der Schmel'z
wieder einmal in einem kurzen, oft wiederholten Auf-
schrei, in dem wieder die ganze fmnische Energie zum
Vorschein kommt. Das Scherzo hat von der an dieser
Stelle ublichen Lustigkeit nur die Rhythmen, im Charak-
ter bleibt es dissonanzenreich und hart. Nur der lang-
same, an die Stelle des Trios tretende Mittelsatz, der
von dem Cdur des Hauptsatzes sich weit weg, nach
E dur fluchtet, hat den weichen Ton der Sehnsucht. Aus-
nahmsweise gibt in ihm Sibelius einmal Auskunft fiber
seinen Studiengang und zeigt uns in Robert Schumann
--^ 529 «^
einen seiner Lieblingsmeister. Das Finale greift zu Be-
ginn auf die Melodie der Soioklarinette znrttck, mit wel-
cher der erste Satz der Sinfonie eingeleitct wurde. Dann
entfesselt es die LeidenschafUichkeit des Mifimntes, die
jener erste Satz ahnen liefi, in vollen Schleusen und
lenkt zom SchlnB in einen breiten, groBen Hymnus der
Wehmnt ein. .
Dieser seiner etsten nnd wohl bedeutendsten Sin- j. sibeiUt,
fonie hat Sibelius noch drei weitere folgen lassen. Die Zweite und
zweite, eine 1902 voUendele D dur-Sinfonie und die nur ^"*^ ^*''^*'"*®
aus drei S&tzen bestehende dritte (C dur, Op. 62} sind,
wenn man in jener die unheirolichen Mittelsfttze ausnimrot,
wesentlich freundlicher als die erste, in der dritten steigert
sich der hellere Grundton sogar zu ganz drolligen Scherzen.
Gleich ihr Anfang Allegro moderato.
gibt davon mit *ji» - JTlJj J lltj J _H?!]JS^^
dem BaBeinsatz: "* ' ^' ^ ^ -i-i-i-t* ^ 1-1'=
einen habschen Begriff und zeigt zugleicfa, wie der Kom-
ponist in der thematischen Erfindung nach wie vor seiner
Heimat treu geblieben ist. Oberall noch die Melodien
mit HalbschluB und in dem so viel besagenden Frageton.
Im allgemeinen jedoch ist der Stil des Komponisten in
den neuen Sinfonien bedeutend komplizierter geworden.
£r schreibt h&ufig rezitativiscb, neigt zu Unterbrechungen
und zu grammatischen Kontrasten, etwa in der Art, daB
vier thematischen Takten, vier Takte bloBen Akkords
folgen, namentlich aber ist der Verbrauch von Disso-
nanzen so auffallend gewachsen, daB die Komponisten-
partei, welche in diesem Punkte das wesentliche Element
der Moderne erblickt, mit gewissem Rechte auf den Ver-
treter der finnlfindischen Sinfonie Beschlag legen darf.
Selbstverstftndhch hat mit dieser &uBren Verwandelung
auch eine Anderung in der Richtung der Phantasie statt-
gefunden. In seiner vierten und augenblicklich letzten J. SibelUt,
Sinfonie (A moll, Op. 63) ist Sibelius von den Impressio- Vierte Sinfonie.
nisten kaum noch zu unterscheiden. Er berQhrt sich in
ihrem ersten Satz ganz direkt und wohl auch stoillich
mit den Meeresskizzen Debussys, auch die fast Zolaische
Kretzschinar, Fahrer. 1,1. 34
_-^ 630 <>—
Umst&ndlichkeit des Einleitens, VorbereiteDs and Sam-
melns teilt er mil ihm. Es iiegt in der Natur seines neuen
Systems, daB Sibelius von der artistischen Seite her
interessanter geworden ist; man findet da Vorausnabmen,
die den Harmonielehrer entriisten konnen, aber jedenfalls
besch&ftigen, 6 Seiten lange liegende Stimmen, die sich
erst im letzten Takt des Satzes auflosen, andre Stellen,
wo ein kieines Ostinato-Motiv sechsuhddreiGigmal wieder-
kehrt, wo anf einem C dur-Akkord sechzebn Takte lang
nar G und C wiederholt werden , man findet Fignren,
in denen Streicher und Bl&ser von demselben a aus in
die H5he sturmen und, oben ankommen, die einen d, die
andren cles ergreifen usw. Aber man findet auch wertvolle
Malereien vom Glockenklang und andre Produkte feiner
Natiirbeobachtung, und vor allem findet man nocb gute
und charaktervoUe Tfaemen. Ein solches ist das an der
Spitze des SchluBsatzes dieser A moll-Sinfonie stebende,
das eine frobe Stimmung mit einem ganz eignen Sticb
ins Obermtitige ausdrtlckt. Diese Tatsache berecbtigt zu
der Hoffnung, dafi mit der Zeit der alte Sibelius wieder
reicher zu Worte kommt!
Die andem Vertreter der finniandischen Schule, an
Jimefelt. ihrer Spitze Jarnefelt und Mielk, sind mit Sinfonien
Hielk. QQ^jjj nicht fiber die Heimat hinausgedrungen.
Das Bohmerland hat vom achtzehnten Jabrbundert
ab dank in erster Linie seinem Adel, der das vom kaiser-
lichen Hofe gegebne Beispiel der Musikliebe und Musik-
pflege mit Eifer, Opferfreudigkeit und Geschick aufnahm,
die Tonkunst aller Staaten mit so zahlreichen und vor-
zUglichen ausfibenden Kr§.ften versorgt, das man — es
war wohl Burney, der das tat — von Bdhmen als dem
Konservatorium Europas sprechen konnte. MerkwUrdiger
Weise stebt aber der Anteil, den das schdne Land an
der Komposition nahm, quantitativ und qualitativ hinter
der Bedeutung sehr zuruck, die es als Bezugsquelle von
Instrumentalisten aller Art, von den einfachen hausieren-
den Spielbanden fiber die Kapellmitglieder hinauf bis zu
^^ 531 ^-
den grofien Virtnosen gehabt hat Insonderheit kommt
die bdhmische Komposition in der Sinfonie und den ihr
verwandten Formen nnr wenig inBetracht. Mit F. Ben da, F.Bcnda.
L. Kozeluch, Mysliweczek, Reicha, V. Maschecki*- *•■•!■•*•
sind die Namen erschopft, die auf diesem Gebiete in Ji'ciir***''
der zweiten H&lfte des achtzehnten Jahrhunderts aufier- y. HMckeek.
halb ihrer Heiroat bekannt geworden sind; zu ihnen
kommt i^och der bereits erwslhnte D. Zelenka als d. z«ieaka«
Meister in der 0 rchester suite , neben ihm A. TumaA. Tima.
und Fr. Dussek als Konzertkomponisten. In einem Fr. Dvuek.
langren Abstand folgt dann W. J. Tomaschek mit Tomagekek,
einer £s dur-Sinfonie , die in ganz Deutschland fast ein Es dar-Sinfome.
Jahrzehnt lang gespielt und mit groBer Achtung be-
urteilt wurde. Sie hat im dritten Satze, der, fUr jene Zeit
noch auBergewohnlich, als Scherzo betitelt ist, eine durch
einen ausgesprochnen Hang zum Tr&bsinn ungew5hnliche
Nummer und zeigt einige tiefe Regungen in der Einlei-
tung des ersten Satzes. Im allgemeinen waltet aber in
ihr nur ein kleiner Geist^ der von fremden Tischen, ins-
besondre von den Mozartschen Opern genfihrt wird. Die
Arbeit zeigt Vorliebe fiir die kleinen Kiinste der Kontra-
punktik, wie denn Tomaschek als eine Gr50e in der
strengen Form und auf Grund seiner Kirchenkomposi-
tionen, namentlich des Requiems, mit Recht betrachtet
wurde*]. Das schlieBt jedoch ein groBes auf Ungeiibtheit
beruhendes Ungeschick im Orchesterstil nicht aus. Fast
unabl&ssig schnorkelt die erste Violine in schematischen
Figuren dahin, wSiirend die andren Instrumente in tr&ger
Ruhe so lange daliegen, bis sie zu einer Nachahmungs-
parade befohlen werden. Was uns jedoch am meisten
an dieser Sinfonie interessiert, ist ihr Verhftltnis zu b3h-
mischer Nation almusik. Tomaschek hat Lieder aus der
Kdniginhofer Handschrift komponiert, la(3t also Liebe fQr
die Stammeskunst seiner Heimat erwarten. Doch bietet
seine Sinfonie hierin nichts als eine Vermutung, n&m-
lich die: daB das erste Thema des Finale aus alter
*) Rudolph Freiherr Prochazka: Arpeggien 1897, S. 66.
--^ 532 ^►-
bohmischer Vdlksmusik stammen kdnnte. Wir teilen es
bier mit:
Vlrace.
|_ ' I? 1 1 Ji I
und iiberlassen es Berufenen, den Sachverhalt festzu-
stellen. Gesetzt: es ist slavisch, so wQrde doch in der
Tomaschekschen Sinfonie das nationale Element einen
immer noch weit geriDgeren Anteil haben, als sich in der
Suite Zelenkas ergab.
Auf Tomaschek folgt als der n&chste b5hmische Sin-
foniekomponist von Bedeutung Job. Wenzel Kalliwoda.
Er ist bereits in einer andren Gruppe bebandelt worden
und kann unter die Vertreter einer spezifisch bdhmiscben
Musik nicbt gerechnet werden, da er nur nebenbei Volks-
melodien anklingen l&Ot.
J. F. Kitti, Anders verh&It es sich mit einem SchiilerTomascheks,
Jagdsmfonie. mit Job. Friedricb Kittl, der vom Anfang der vier-
ziger Jahre ab aucb mit mehreren Sinfonien hervortrat,
unter denen die »Jagdsinfonie€ besonders verbreitet war.
Es ist ein Beitrag zur Programmusik ; die vier SUtze beiOen :
1. »Aufiuf und Beginn der Jagd<, 2. >Jagdrube€ (Andante),
3. »Geiage< (Scberzo), 4. »BeschluB der Jagd<. Als Jagd-
musik weicbt die Sinfonie von allem fruberen Braucb, wie
er in der Zeit von Stamitz, Haydn und M^bul und weiter
zurilck sich feststellen IftBt, dadurch ab, daB sie nicbt in
Ddur, sondern in Esdur stebt. Aucb das ist ungew6hn-
licb, da6 sie nicbt bloB Hornersignale und Fanfaren, son-
dern im ersten Satz ein ganzes Jagdlied gibt. Es eroffnet
die Sinfonie in der Form eines Hornquartetts und bat
folgende Melodie
ifi'iffrriTi'ii^i iiij.1 III I III II ji
533
die ihren Taktgruppen nach wohl slavischer Abkunft sein
k6nnte. Jedenfalls ist die ganze Sinfonie mit — gleichviel
ob originaler oder nachgebildeter — Volksmusik durch-
tr&nkt wie keine andre seit Haydn. tJberall klingeo uns
die knrz angebundnen , heitren und frischen Weisen ent-
gegen, die der b5hmischen Masik eigen sind. Auf ihnen
beruht der lebendige, temperamentvoile Cbarakter der Sin-
fonie, die mit Ausnahme einiger £lu6erlichen Ubergknge
von Gnippe zu Gruppe im ersten Satz sehr sicher und
auch eigen gestaltet ist. Namentlich im Klein verkehr inner-
halb der Perioden bewegt sich der Komponist flott, rasch
und reich an feinen Wendungen und zeigt ein ungewohn-
liches Talent. Mendelssohn nahm die Widmung der Sin-
fonie an, Spohr lobte sie, Schumann hob sie unter den
Neuerscheinungen des Winters 1840 nachdrQcklich her-
vor*), R.Wagner schatzte den Komponisten hoch genug,
um ihm ein eignes Operngedicht (»DieFranzosen vorNizza<)
zu tiberlassen. Um Kittls Sinfonie aber in ihrer natio-
nalen BedeutuDg, in ihrer Ideenrichtung voli zu wflrdigen,
war, als sie entstand, die Zeit noch nicht gekommen. Weder
bei JDeutschen noch bei Bohmen selbst. Denn diese batten
sich bisher, wenn sie SinfoDien schriehen, um ihre Volks-
musik doch nur sehr wenig gekiimmert, und auch RittI
wird den Weg seiner »Jagdsiafonie< mehr zuf§,11ig und
instinktiv eingeschlagen haben. Erst als nach den achtund-
vierziger Wirren die nation altschechischen Bestrebungen
auf sozialem, politischem und literarischem Gebiet mit ver-
starktem Eifer aufgenommen wurden, begannen allm&h-
lich auch die bdhmischen Tonsetzer iiber die Eigentiim-
*) Nene Zeitechrlft far Musik, 1840, S. 139.
— * 534 *^
lidikeit ihrer Volksmusik und fiber ihren Zusammenhang
mit dem Wesen und der Begabung des Stammes klar zu
werden. Heute ist in dem Neuhussitentum, daO sich in
Bohmen gesammelt und zum Sturm bereitgestellt bat,
die musikalische Gruppe eine der von Gliick, natUrlicher
Kraft und Talent begUnstigsten, einiluBreichsten, wohl auch
der Uberhebung und der Verblendung am st&rksten zu-
F«SmetaiiB. geneigten. Ihr Vater war Fr. Smetana, ein Kttnstler,
dessen seelischer Reichtum, dessen klare, einfache Ge-
staltungskraft nation aler Sttttzen und Hilfen gar nicht be-
durft h&tten. Sein E molI-Quartett bezeugt das. Smetana
hat in seiner Jugend eine Sinfonie nach Beethovenschem
und mehrere sinfonische Dichtungen nach Liszts Muster
geschrieben, dann aber seine voile Kraft auf die Kom-
position von zahlreichen Opern gelenkt, die alle keinen
Zweifel darUber lassen, daB die heimische Volksmusik mit
dem Herzen dieses Tonsetzers verwachsen war. Erst als
sich der Weg ins Weite fQr diese BQhnenwerke vorl3,ufig
als verhauen erwiesen hatte, als Taubheit Smetana zwang,
dem Taktstock fiir immer zu entsagen, wendete er sich
wieder der Instrumentalkomposition zu. »Um sich die Mittel
zur Konsultierung beruhmter ausld^ndischer Spezialistea
zu verschafifen* — sagt Wellek*) — gab Smetana ein Kon-
zert am 4. April 1875, in dessen Programm zwei >Sinfonien«:
— »Vyschrad« und »Ultava« hervorragten. Das sind die
ersten beiden StQcke eines Zyklus von sechs sinfonischen
Dichtungen, die dem fur die Schonheit und den Gharakter
der heimischen Volksweisen empf&nglichen , schlicht ge-
staltenden Kunstler und dem fUr die Vergangenheit, flir
die Geschichte und die Natur seines Geburtslandes be-
geisterten Patrioten gleich viel Ehre machen. Denn es
war Smetana bei seinem Zyklus nicht blofi um eine er-
freuende, heimisch anklingende, Phantasie und GemQt
bewegende Komposition zu tun, sondern es sollte ein
musikalisches Epos, eine monumentale Verherrlichung von
Bohmens groOten Helden und Zeiten, ein Kranz schw&rme-
*) BroiiisUw Wellek: Friedrich Smetana. 1895.
-^ 536 ^^
riscber und inniger Ges&nge zum Preis von Land und
Leuten werden. Von diesem Gesichtspunkt aus w&hlte er
den Gesamttitel M& Vlast, d. i. Mein Vaterland, und den f. gmetua,
Inhalt der einzelnen Stiicke. Der Form nach sind diese »MiVla8U.
Stucke einsfttzige Kompositionen. Smetana hat sie als
sinfonische Dichtungen bezeichnet^ obwobl sie sicb mit
der Natur dieser von Liszt eingefiihrten Gattung nur teil-
weise begegnen. Sie sind viel einfacher angelegt. Sie .
bier in den Verband von Sinfonie und Suite mit einzu-
reihen veranlafit und berechtigt der Umstand, dafi sie ein
zusammenb&ngendes , durch gemeinsame Themen ver-
bundenes Ganzes bilden. Die ersten vier sind 1874 und
1875 entstanden, die beiden letzten erst drei und vier
Jahre sp&ter binzugefiigt, alle zusammen erst nach der
Wiener Theater- und Musikausstellung weiter bekannt ge-
worden. Wobl mit Recht ist dieser Zyklus als Smetanas
Hauptwerk bezeichnet worden. Man darf bei diesem Ur-
teil die vaterlSlndiscben Absichten des Komponisten ganz
beiseite lassen und sich auf den musikalischen Wert be-
schr&nken. Da bleiben allerdings, wie tiberall, die von
Polka, Marsch und heimischen Tanzweisen nbgeleiteten
Abschnitte die anheimelndsten, vom st&rksten, mRchtigsten
innern Strom getragnen. Aber Smetanas Talent wird bier
doch auch in seinem weiten Umfang offenbar und zeigt
sich in dem weiten Bereich von der Schilderung des heim-
lichen Naturlebens, phantastisch luftigen Elfentreibens bis
zum Ausdruck der feierlichsten Stimmungen und grower,
Welt bewegender Ideen sicher und ergiebig. Freilich bleibt
darum zwischen ihm und Mozart immer noch derselbe Ab-
stand wie zwischen Dvoi^ak und Beethoven. Der neuste
Biograph des bdhmischen Tonsetzers h&tte sich dieses
Vergleichs besser enthalten,' schon deshalb, weil unsre
Zeit ^eder eines Haydn, noch eines Mozarts, noch eines
Beethovens f&hig ist.
Bei der Komposition seiner Tongemftlde hat sich Sme-
tana in die Rolle eines Rhapsoden alter Zeit hineingedacht,
der seinen Zuhdrern von groBen geschichtlieben Begeben-
heiten erzSiilt und sie dazwischen hinein vor liebliche
-^ 536 i^
Idyllen fQhrt. Zu der ersten Klasse geh5reD I. Vysehrad,
in. Sarka, V. Tabor und YI. Blanik; znr zweiten: II. Ultava
(Moldau) und IV. Zceskych Inh&v a hiljt^v, d. i. Aus B5h-
ineDs Hain und Flur.
Zu dem Zyklus gibt es kurze Programme von V. Zelenj,
die deshalb beachtet werden mussen, well sie (nach Wei-
lek) Smetana selbst beglaubigt hat Danach ist der In-
halt des ersten Stiickes: »Vysehrad< folgender:
F. Bmetana, Der Dichter hort beim Anblick des Vysehrader Felsens im
Vysehrad. Geiste die Kl&nge der Leier des sagenhaften SSngejs Lnmir.
VoT seinen Blicken erhebt sich der Yy^ehrad im Glanze seiner
glorreichen Vergangenheit wieder. Anf dieser Hochburg, wo
der Thron der Herzoge und Kdnige ans dem Geschlechte der
Pfemysliden stand, versammelte sich die Ritterschar zn Ding-
und Heerfahrt. Die Feste drShnte in ihren Grunden vom Tritt
der einziehenden Krieger nnd ihrem Trinmphgesang. Bald sieht
der Dichter aber den Untergang der alten Glorie. Wilde Kampfe
wuten nnd die herrlichen Hallen des Kfinigssitzes zerfallen in
Schntt and Triimmer. Auch diese gewaltigen Stiirme yerstnmmen,
der Yysehrad steht ode and verlassen da, ein Bild vergangnen
Rahms. Aas seinen Rainen hallt klagend das Echo des l&ngst
verstummten Saitenspiels Lamirs nach.
Nach dieser Angabe haben wir in der Komposition
drei Hauptteile zu erwarten, die nacheinander den Glanz
der Burg, den Kampf, der um sie gefuhrt wird, und ihr
Ende, ihren Yerfall schildem. Sie fin den wir auch in der
Musik und bemerken dabei sofort, da6 Smetana seine
Schilderung durch Einfiigung begleitender und bereichern-
' der Ziige sehr wirksam zu beleben weiO. Zn jenen drei
Teilen tritt noch anhangsweise ein vierter, In dem aus
den Augen des heutigen Geschlechts noch einmal ein RQck-
blick auf die vorgetragnen tfcfgebenheiten geworfen wird.
Dabei tritt naturgem&B die Zeit des Glanzes wieder her-
vor und die Perioden des Ungliicks bleiben im Dunklen.
Die etwas kunstliche Yermittelung der Schilderungen durch
den altbdhmischen Orpheus, den S&nger Lumir, hat Sme-
tana wahrscheinlich nur der Harfeneffekte wegen ins Pro-
gramm genommen. Bel den sp&tern Stiicken des Zyklus
<^w
-^ 537 ^-
f&Jlt sie weg. Hier in Vysehrad gibt sie Gelegeoheit zu einem
romantischen, stimmungsvollen Eincrang: Von Harfen vor-
getragen horen wir den wichtlgsten Melodiekern des Satzes
Lento. , 1 den Smetana
* r r * zu Perioden
weiterbildet. Die erste Harfe rauscht in die Pausen des schritt-
weiselangsam aufsteigenden, sich aofbauendenXhemasAr-
peggien hinein. BeiHarfenklftngen denkt jedermann gem
an den Konig David, an den blinden Homer und an die von
Klopstock gescbilderten Barden. Sie ftihren die Phantasie
unwillktirlich in alte Zeiten, und der Balladengeist des The-
mas tut das Weitere, sie da festzahalten. Nachdem die Me-
lodic, die von vornherein schon elegisch gestimmt ist und
auf verschwnndne Herrlichkeiten hinweisen kann, zweimal
durch die Blftser gezogen 6.l
ist, spielt die Masik ganz gp^** Ji'J J J. J. I J^ J ^
kurz auf Rittertum an mit PP "*^ ^^'^
wozn die Trompete noch ein ausdrftcklicbes Heersignal
beisteuert, und fQgt diesem neuen aus der latema magica
gesehneu Bildchen gleich ein weitres, sofort breiter ausge-
f Cihrtes Moti v zu, das in sei- «,««««..__ ein en gewis-
nerZusammensetzung ^^s j^|^l], [ J j _^F^^®" Hinweis
einfachen Dreiklangsnoten?^ '' j J ' rf j J j^^f Wasser-
inusik bietet. Es ist wohl kaum zu bezweifeln, da(3 Sme-
tana mit diesem Motiv zun&chst auf die Wellen der Moldau
hat hindeuten wollen, die noch heute den Prager Stadt-
teil besptilen, der an der Stelle entstanden ist, wo ehe-
mals die stolze bohmische Fiirstenburg lag. Doch hat
sich der Begriff des Stroms, den diese Tone zuerst trugen,
unwillkQrlich zu dem des Landes und der Landeskraft er-
weitert. So kommt es, dafi Smetana, wenn die Melodie
des Vysehrad im begeisterten Ton erklingt, in der Kegel
den grdfiten Schwung der Stimmung in Bildungen tkber-
leitet, die aus diesem Wassermotiv hergenommen sind.
Bald kommcn wir an eine solche Stelle. Nachdem das
bisher beschriebne Material aafgestellt ist, bringen die
538
Streichinstrumente den Gesang vom Vysehmd in Bdur.
Am SchluO dieser Periode fftngt es an zu fluten, und nun
nimmt das voile Orchester im gl&nzendsten Klang die
Melodie in der Haupttonart durch. Die Melodie klingt
jetzt voUst&ndig folgendermaBen:
m
f f ff.fffffrf|-r n irTi^Tri
V w
'W
i
Trompeten und H5mer schmettern darein — das im
vierten Takt zuerst nen eintretende, durch das Sech-
zehntelpaar bemerkbare Motiv dr&ngt sich hervor und
teilt sich mit dam Wassennotiv in eine Fortsetzung, die
bis zu Lauten h5chsten, trunkenen Jubels filhrt Als er
abbricht, horen wir still wie mahnend die Kl&nge vom
Yysehrad und von der Moldau , die eine lange Strecke
immer leiser miteinander wechseln. Und als die Wellen
kaum noch sich bewegen — da setzt der zweite Teil
ein: die Schilderung der bdsen Zeit, der Zeit der Kriege
und KHmpfe.
Das Mittel, um diesen Kampf um Yysehrad zu schil-
dern, nimmt Smetana aus dem ersten Teil seines Ge-
mftldes, indem er das Burgmotiv in der geistreichen
Weise Liszts folgendermaBen umbildet:
Allegro YlYO.
etc.
Ifqilien marctUo
Diese verzerrten Rhythmen genOgen schon allein, den
h&BIichen Streit zu malen; den wachsenden Kampfes-
eifer bezeichnen lange Figuren, in denen das Streich-
orchester sich verworren windet, um einstimmig, atemlos
und wuchtig nach der H5he zu stiirzen. Dann beginnt ein
kontrapunktisches Spiel, das den Fortgang des Kampfes
sehr gut veranschaulichL Das aus dem Burgmotiv ab-
539
geleitete — soeben angegebene — Streitmotiv wird in
Engf&hrangen vorQbergefuhrt, an denen alle Stimmen so
teilnehmen, da6 wir Viertel auf Viertel schneidige Ak-
zente hOren, so als ob Streich auf Streich herniedersauste.
Die steigende Kampfeshitze malen Streicherfigaren wie
Oder es tre-
ten wieder
die chroma-
ti3ch verworrenen Unisono-G&nge dazwischen, die sich dem
Streitmotiv gleich beim ersten Erscheinen anschlossen:
cresc
An einem H5hepankt dieser Schilderung erscheint
das Burg- ^ ^ ^ ^ Das sind die froh-
motiv in ■fii\>i f f P f* i f* f i fl lockenden Verteidi-
folgender ^^ " <r~ I "^ 1^ ger: der An griff
Form: ^^ ^ scheint abgeschla-
gen. Da stUrmen — und wie der Anfang des Themas
zu schlieGen erlaubt — vom Moldautale her friscbe
Scharen an:
Meoo mosBO.
Wie das langsamere Tempo zeigt, wird der Sturm jet ztbeson-
nener, kr&ftiger, wuchtiger geffihrt Die Folge hSren wir in:
giariiigtten. Das ist das Burg-
^\ f I fgTJ I f%^Fo°m eiier £
f ""*= =■ sen Klage, einer
Wamung gebracht. Es ist die Stimme des ahnenden,
erschreckten Hausgeistes. Sie spricht zuweilen sehr dring-
lich, aus offener Gefahr heraus; aber in der Hauptsache
so freundlich bittend, daB man aus ihr das Lied des
Herolds, der den Frieden verkiindet, h5ren konnte, wenn
nicht die kriegerischen Signale der Trompete uns uber-
zeugten, daB der Kampf fortgeht. So treten denn auch
540 ^-
die neaen SchareD, die sich unter dem Moldaumotiv ge-
sammelt haben, bald zum letzten Sturm an. Kurz darauf
ersclieint das Yerteidigermotiv wie in grdOter Not, in
kurzen Wiederholungen, die an Hilfe- und Angstgeschrei
gemahnen. Daran kniipft sich ein Z&rQckgreifen auf den
Anfang des Allegros! Die Motive des Streits und der
Verwirrung tauchen in potenzierter Bedeutung auf und
im selbigen. Augenblick fallt die Entscheidung. Der
Klagegesang, den wir vorhin nur wie eine leise, ver-
einzelte Stimme h5rten, kommt (beim Pifi mosso, Cdur)
fff voxn ganzen Orchester. Wir sind damit in den drilten
Teil des SlQcks eingetreten. Er wird zu einer leiden-
schaftlichen , heiOen Siegeshymne. Aber an ihr Ende
reihen sich die Sturmmotive noch einmal; sie haben jetzt
den Charakter von Verwtinschungen. klingen &uBerst hef-
tig und stechend und fiihren zu einer in breiten Noten
und auf Tremolos aufbauenden Klage. Das bedeutet den
Fall von Vysehrad, und damit schliefit der dritte Teil. Mit
Pid lento setzt der Anhang ein. Er zeigt in leisen Ton-
farben wie »in der Feme lUngst vergangner Zeiten* und
wesentlich verkiirzt die Bilder, die eben lebendig an uns
vorQbergezogen sind. Zunachst kniipft er an den Klage-
hymnus an, dessen Motive er zwischen Dur und Moll
wechseln und schillern l&6t, dann fUhrt er das Burgmotiv
in der ernst elegischen Fassung vor, in der es die Kom-
position erdfTnete. Sehr scli5n fugt nun der Komponist
diesen ruhigen Betrachtungen noch einige ZeUen aus-
gliihendem Herzen hinzu. Die Musik wallt auf in langen
Trioleng&ngen und nimmt noch einmal in Schwung und'
Begeisterung die Bnrgmelodie auf. So freut sich das
neue Geschlecht der herrlichen Vergangenheit seines
Volkes und hofft. Darauf wird es still. Leise rauschen
wieder die Wellen der Moldau, wie im Traum klingt
nochmals Rittermusik und Burgmotiv an, und die Harfe
breitet einen Schleier fiber alle die Szenen aus Vergangen-
heit und Gegenwart.
Wie diese Untersuchung ergibt, ist die ganze Kom-
position nicht bloB sehr klar, sondern auch poetisch reich
— ^ 541 4^
entwoi-fen und durchgefiihrt. In ihrem xnusikalischen
Wesen spicgelt sich neben dem EiniluB des Volksliedes,
den der Klagesang am deutlichsten zeigt, am st&rksten
der von Beethoven wieder.
Das zweite StOck des Zyklos, »UItaya< betitelt, ist F. 8metoiia,
vor alien den anderen am friihesten und weitesten be- Uitava.
kannt geworden, obwohl es viel weniger Geist enthftlt
als z. B. »Vysehrad«. Es verdankt diesen Vorzug seinem
heiter romantischen Charakter und der leicht verstftnd-
lichen Form, in der es seinen Inhalt entrollt. Dieser
besteht aus einer Reihe von Bildern, die einfach an-
einander gereiht sind; nur einzelne sind durch ein ge-
meinsames musikalisches Motiv verbanden, eine munter
dahingleitende Sechzehntelfigur, die das Spiel der Wellen
in &hn]icher Weise, wie das schon seit Jahrhunderten
geschehen ist, veranschaulichen will. Denn der Gegen-
stand des Programms dieser zweiten sinfonischen Dich-
tuDg, die »Ultava€, ist die Moldau, der Hauptstrom des
b5hmischen Landes.
>Zwei Quellen — sagt die von der Verlagshandlung ver-
5ffentlichte Inhaltsangabe — entspringen im Schatten des Boh-
merwaldes \ die eine warm und sprudelnd, die andere kuhl und
nihig. Die lastig in dem Gestein dahinrauschenden Wellen
yereinigen sich und erglinzen in den Strahlen der Morgensonne.
Der schnell dahineilende Waldbach wird zum Flusse Uitava,
welcker, immer welter durch Bohmens Gaue dahinfliefiend, zu
einem gewaltigen Strom anwachst; er fliefit durch dichte Wal-
dungen, in deneu das frohliche Treiben einer Jagd immer n&her
horbar wird und das Waldhorn erschallt, er flieOt durch wiesen-
relche Triften und Niederungen, wo unter lustigen Klingen ein
Uoch^eitsfest mit Gesang und Tanz gefeiert wird. In der Nacht
belustigen sich die Wald- und Wassernymphen beim Mond-
scheine auf den gUnzenden Wellen, in denen sich die vielen
Burgfesten und Schlosser als Zeugen vergangener Herrlichkeit
des Rittertums und des geschwundenen Kriegsruhms vergange-
ner Zeiten abspiegeln. In den Johannisstromschnellen braust
der Strom, durch die Katarakte sich durch windend, und bahnt
sich mit Gewalt, mit sch&umenden Wellen den Weg durch die
-* 642 «^
Felsenspalte in das breite Flufibett, in welchem er mit maje-
statischer Rnhe gegen Prag welter dahlnfliefit, bewiUkommt vom
altehrwdrdlgen Yysehrad, worauf er in welter Feme den Ang^n
des Dichters entschwlndet «
In diesem Program m ist zu dem, was der Komponist
wirklicb bietet, einiges hinzugedichtet. Smetana hat in
der Partitur selbst fiber seine Absichten knappe Attskunft
gegeben: sobald ein neues Tonbildchen eintritt, wird es
durch eine Oberschrift vorgestellt Der erste Abschnitt
heiGt darnach »der erste Stromc, damit ist gemeint: der
Aiifang des Stromes. Folgendes Thema
Allegro commodo nbo agitato.
^^
I J) II liegt ihm zn Grande. Mit
sp&rlichen und kurzen Td-
nen der Harfe and der Violine begleitet, tragen es zaerst die
beiden F15ten vor, denen sich von dem Trugschlufi auf
G dur ab die Klarinetten gesellen. Ob diese beiden Instni-
mente wirklicb auf die Zweiheit der Moldauquellen, die
in dem angeflihrten Programm betont wird, Bezug haben
soUen, kann bezweifelt werden. Die Tonfarben der beiden
Holzbl&ser scheiden sich doch nicbtwiewarm und kait;
auOerdem hat der Komponist ersichtlich an viel mehr
kleine Wftsserchen gedacht, die zum Bach und zum FIUB-
chen zusammenlaufen. Es raascht in vier Blaserstinmen,
die Bratsche murmelt ihre langeti Triller dazu, es mehrt
sich unermefilich, als das Streichorchester die Wellen-
motive mit aufnimmt. Die Wasserpoesie Smetanas hat
nicht den traumerisch ruhigen Gharakter, der ans an
M. V. Schwinds Melusinenbilder fesselt. Sie n&hert sich
dem mnsikalischen Stil von Mendelssohns Hebriden-
ouverture, unterscheidet sich aber von ihr darch die viel
munterere Natur der Motive. Sie stellen die junge Moldau
als ein frisches Gebirgskind dar, das es eilig hat Der
kleine FluO gleitet allm&hlich etwas gleichm&fiiger dahin,
und dieser Abschnitt seiner Entwickelung wird von einer
-^ 543 «--
Melodie dargestellt, die, wenn sie nicht Volkslied ware,
zur HUlfte von Mendelssohn stammen kdnnte:
f P P P I r f p I I? I Holzblfiser ftthren diese Mol-
-*s^=»- ==*" daumelodie, die bereits in
den Sechzehntelmotiven des Anfangs vorausklang, mit den
ersten Violin en ein, in den anderen Geigen rauschen die
Wellenmotive st&rker und mit kr^ftigerezn Anlauf. In den
Hdmern klingt es fr&hlingslustig darein. Mftchtiger wird
der Schwung dieses Gesanges, als er nach Cdur tritt: er
dchwillt zum ff an and findet — als trftte er in die voile
Sonne und in das bluhende, reiche Land hinaus — einen
mgchtigen, mit seiner Sch5nheit ergreifenden und doch
einfachen, im volkstiimlichen Stil bleibenden AbschluO
in Edur. MerkwUrdig, wie dieses Dur einschl>, obwohl
Smetana das gia nur streift und zum g zuriickkehrt.
Dem nUchsten Abschnitt hat Smetana die Aufschrift
»Waldjagd€ gegeben. Da6 er am Strom weiter spielt,
boren wir aus den Geigen, in denen die Wassermotive
fortgefflhrt werden. Die Blfiser aber, natQrlich die
H5rner voran, entwickeln eine neue Musik aus Fanfaren.
Das neue Bild bringt in die Komposition ein kr&ftiges
Leben, das zu der vorhergegangenen Wasserstimmung
an sich schon eine Steigerung bildet, aber durch die
Entwickelung der Jagthemen, die auf folgendes Motiv
r-T— I ^ zuriickgehen. noch vie
•J y ♦♦ * ♦* * * ♦ Smetana fuhrt sie m den
*^ scharfen Wendungen der
Modulation von Periode zu Periode, (von Q nach Q^ nach
F^ nach E)^ die uns alien aus dem ersten Satz von Beet-
hovehs Pastorale in Erinnerung sind. Es ist das wieder
eine Stelle, die den b3hmischen Komponisten in Beet-
hoven tief eingedrungen und von seinem inneren Wesen
gefOrdert und geleitet zeigt. Die Jagdszene verklingt auf
^^ 544 ^-
einem langen E darakkord wie in welter Feme, und nuu
komint >die Bauernhochzeit< , die vielleicht unter den
kleinen Bildern, aus denen »Ultava< besteht, am meisten
bestrickt. Diese Masik, deren Grandstoff auf den vier
Takten
p^^^^^^^m
U tJ U ^
ruht, kdnnte unmittelbar aus einer der Opern Smetanas
genommen sein. Es ist eine polkaartige Tanzweise, ein
Stuck Volksmasik, wie es in seiner naiven Anmut und
mit dem kleinen Beisatz von Derbheit bei den BGhmen
allein vorkommt. LiebenswQrdigere Kunst, als sie in
dieser kleinen Dorfszene vorliegt, gibt es nicht; gem
trftgt man so ein Stiickchen fttr alle F&lle mit sich durchs
Leben. Auch dieser Satz verklingt ganz leise; wieder
schiebt der Komponist eine kleine Leiste ein, und da-
hinter ziebt er das nScbste Bild auf mit der Oberschrift
»Mondschein, Nympbenreigen*. Es ist mit der Wasser-
szene, die die Komposition einleitet, nahe verwandt, wie
es denn auch am SchluB in die Moldaumelodie auslftuft, die
die zweite H&lfte jenes Ab- iji.
scbnitts bildet. Bis dahin
entwickelt sicb die Musik auf -
Grand eines Naturmotivs sTfT
das bald in folgender bestimmteren thematischen Form
• ■■^B P'^^Fn P^^ h ^^^ ^^^ F15ten
^^'1>M jTp iiii\Jrf f^m durcbgefahrt wird.
^ '^ — ^ ■ ***i (5 ■ Die Klarinetten be-
gleiten in sanften Triolen, die Violinen bauchen einen
breiten Gesang in die zarte Farbenstudie hinein, auch die
Harfe macht sich mit glfinzenden Klangtropfen bemerk-
lich. Soviet das Mondlicht auch wechselt: immer bleibt
das Spiel unver&ndert zierlich, die Bewegung der Nymphen
fein bis zum Unerkennbaren. Die Dynamik des ganzen
Abschnilts h< sich im pp; nur an einer Stelle, wo die
— ^ 545 *^
Musik nach H dur tritt, kommt ein crescendo, das dezent
nach einem p and in die Wassermosik des ersten Ab«
schnitts von >Ultava< znrftckfiihrt. Schon aus dieser
WenduDg Iftfit sich vermuten, daB der Komposition die
Rondofonn zu Grande liegt Das Moldaulied ist ihr
Hauptsatz, die anderen Ideen haben die Bedeutung von
Episoden, Zwischensfttzen. An den Abschlufi des Lieds
reiht sich ein neuer Abschnitt, den Smetana »St. Johann-
Stromschne]len« iiberschrieben hat Die Gewalt des
Wassers, das Toben, Wii- -^fy-^^^^^-j- g ^ r i
ten des ElemenU ist auf ffl H J J J j'J * ' |[jW=^=*
Grand folgender Motive Jf ■*- -^ ^*^ ^^^
A ^#Ez:^^i^g:niini - -~ veranschaulicht, die
"°^ ffl HJjJj3.'' ^' II J^^ von den Geigen bis
jf-^^^^ ^ zu den Cellis dorch
das Streichorchester unaufhSrlich erklingen. Ruht die eine
Stimme auf einer Achtelpause, rauschts in einer anderen.
Die Kontrab&sse spielen mit immer gleichem Eifer wieder
undwieder h . -T^ ia' ^^^^ ^®* *^*
die wuch- ^^^^^^J^ ^_r I f pT~P I T iMotiven der
tige Figur ~ Moldaumelo-
die gebildet, die auch w&hrend der ganzen wilden, rea-
listisch aufregenden Szene in leibhaftigen Brachst^cken
in den Bl&sern anklingt Auch in anderen kurzen Mo-
tiven und sprechenden KlS^ngen &ufiert sich Hilfe- und
Angstgeschrei und verzweifelte Verlegenheit. Endlich
(nach einem fff des vollen Orchesters] ist die b5se Stelle
flberwunden. Ein decrescendo und ein crescendo der
Geigen — und nach wenigen Takten sind wir wieder
beim Hauptsatz des Rondos, bei der Moldaumelodie^
die im glanzenden Edur mit der Oberschrift: >Der
breiteste Strom < einsetzt und dr&ngend, wie zum Aus-
druck freudigster Erregung, varriiert wird. Ihr folgt
als der letzte Abschnitt, als SchiuG der Komposition
ein in Edur gehaltener, zu zwei Drittein auf dem
Akkord der Tonica liegender Satz, der das Vysehrad-
motiv in breiten Rhythmen zum Thema nimmt und in
der Art der Weberschen JubelouvertUre umspielt Die
Kretziclimar, F&hrer. I, 1. 36
— ♦ 546 4—
Moldau fliefit ja an Prag und an der alten Fflrstenborg
Yorbei.
F. 8m«UHA, Wenn die dritte Nmnmer des Zyklus, »Sarka«, wenig
Sarka. ^bekanDt geworden ist, ja es noch nicht einmal zu einer
gedruckten Partitar gebracht hat, so liegt.der Grand in
der Komposition. Sie ist wohl d^amatisch geplant, aber
sie bleibt zu vorwiegend hart und grausam, und was die
Hauptsache: in der musikalischen Erfindjing ist sie mit
Ausnahme von zwei Stellen nur m&i3ig gut und ohne
die Reize der Volkstamlichkeit. Das Programm — viel-
leicht aufgedrungen — scheint Smetana nicht erw&rmt
zu haben.
Sarka, nach deren Namen auch ein Tal im Norden von Prag
benannt ist, war eine der Anfubrerinnen in dem langen Krieg,
den die bohmischen Jungfrauen unter dem Oberbefehl der von
Earl Egon Ebert besungnen Wlasta gegen die Manner des Landes
fdhrten. Der Ritter Ctlrad flndet sie im Walde an einen Baum
gebunden und 158t, die List nicht merkend, mitleidlg der Tod-
feindin die Fesseln, fiihrt sie in sein Lager and feiert mit den
Oenossen den Liebesraub. Als aber die Ritterschar trunken in
Schlaf gefallen ist, mft Sarka die Amazonen herbei, nnd Ctlrad
wlrd mit den Seinen nledergemacht
Der erste Abschnitt der sinfonischen Dichtung scbil-
dert Krieg und Kftmpfe auf Grand des Themas:
Allegro con ftiooo.
jijr^i^ ^j\i
IF^ If
etc.
sehr energisch, an einer Stelie dramatisch aufregend. Es
ist da, wo den Flufi der wilden Trioleng&nge pl5tzlich
die stok-^ r-, , — . =f ^ .=>»—,
kenden ^ ^
Rhythmen'' 5f i € ^
unterbrechen. Deuten sie auf einen ungeheuren Ent-
schlufi, auf das Wagnis, zu dem Sarka bestimmt wlrd?
Noch eine andere Stelie f&Ut durch ihre Weichbeit aus
dem Ton dieser Amazonenmusik:
547
jifni f ' ;ii iijiiT| I 7i I «t..
p
Soil ia ihr des Weibes eigentliches Wesen die Amazonen*
maske durchbrechen? Der zweite Abschnitt ist eine Marsch-
mnsik, die anf d as f olgende liebenswtkrdige Thema gestell t ist :
^>l^der>to Sildert
rUTU J ^ (vi' Jj i JJi I ' Smetana
P die Rit-
ter als gatmatige, sorglose Leute; etwas fester treten
sie in den Blftsermotiven ^ I . , - » -
auf, welche mit dieser Gei- ^ii \ j i \ \ ^ h i \
genstelle zusammengehen : if ^
Diese Rittermasik , die den ersten von den musikalisch
glucklicheren Abschnitten in »Sarka< bildet, erh&It pl5tz-
Hch darch eine klagende Melodie der Klarinette einen
Gegensatz. Wir baben uns darin die Stimroe der an den
Baum hangenden Sarka za denken. Endlich wird sie von
den Rittern entdeckt. Der Marsch pocbt viermal ff und
mit Nonenakkorden i— « t Dann folgt ein Dialog zwi*
auf dem Rhytbmus •• • • schen Klarinette (Sarka) und
Cello (Ctirad) in beweglichen Rezitativen und ihm der
dritte Abscbnitt. Er ist ein Adursatz, fiber das Thema
^Moderato ma con calore. ^ -■^..^^ gebildet,
besszene zu denken haben und der am SchluO groOe 6e-
fQhlsw&rme entwickelt Das Gelage der Ritter lOst ihn ab.
Diese Szene, die von Hdmern, Trompeten und Posaunen
ziemlich tumultuarisch eingeleitet und in ihrem Charakter
bezeichnet wird, ruht musikalisch wesentlich auf rhyth-
mischer Wirkung und erinnert hierin, sowie in der Ge-
staltung ihres Grundmotivs sehr lebhaft an eine der
besten Szenen in Smetanas »Ku6<. Hier ist die Figur
Moderato. die mit der
^PU" iLrTrirfflLfJL denheit, die
«*«die b5hmi-
36*
m
-^ 548 *^
sche Volksmusik auszeichnet, aufpocht und aufschlftgt Der
eiDdringliche Charakter des Motivs an sich stellt diesen
Abschnitt von Sarka unter die eindringlicheren und mu-
sikalisch wertvoUeren. In der Ausfiihrung bietet er nichts
Bemerkensweries. Ein diminuendo und ein pp veran-
schaulichen, wie die Ritter miide werden und schlafen.
Da klingt erst laut, dann leise ein Hornruf: die Geigen
malen mit tremolierenden und dissonierenden Akkorden
Erregung. Wir sind in den Schlufiabschnitt eingetreten.
Die Amazonenniusik aus dem Anfang der Komposition
kehrt wieder, zun&cbst allerdings nur leise und z5gemd
wie aus der Seele der schwankend gewordenen Sarka
beraus; dann aber wilder und wilder, zuletzt wie ein
Siegesrauscb. Als es zu Ende gebt, versucben sicb die
Gestalten der Ritter nocb einmal in rezitativartigen
Bafistellen zu erbeben. Aber gnadenlos fegt der wilde
Sturm uber sie dabin.
F. SMetoBft, Das vierte StQck des Zyklus, »Aus B5hmens
Ana BShmens Hain und Flur< (Z oeskycb luhuv abdjuv), nftbert sich
HalnnndFlur. ^^ Qbarakter etwas der Dicbtung tiber die Moldau. Es
ist eine Naturscbilderung, ein musikaliscber Spazier-
gang durch das gesegnete Land an einem scbdnen
Sommertage. Die Komposition, die als frei variiertes
Rondo angelegt ist, zeigt im allgemeinen, und im be-
sondren in der Umbildung und Ausnutzung der lei-
tenden Motive grofie Kunst. Am glQcklichsten ist sie in
den Teilen, wo ausgesprocbnermaGen Volksmusik ange-
stimmt wird.
fiber den Inbalt der ersten Abscbnitte dieser sinfo-
niscben Dicbtung bat Smetana selbst sicb dem obenge-
nannten Zeleu}" gegeniiber ge&uOert*}. Darnach soil der
Eingang den mftcbtigen Eindruck darstellen, der den
Wandrer beim Eintritt in die Landscbaft erfaBt. Obne
diese Erklarung wiirde man die Musik dieses Einganga
kaum im Sinne des Komponisten versteben. Sie be-
ginnt mit:
♦) Wellek a. a. 0. S. 60.
549
Molio moderato. j£52
ih mi)rJ?f \fW^f7?t ifP^'ii^J^
JO^g
^Jj^ J j J^i etc. wie die UmdrehuDgen eines groDea
^^_ ^* I^ZJU* M&hlrads, von dem das Wasser
schallend herabrieselt. Sftmtliche
Streichinstmmente, die Kontrab&sse eingeschlossen, sind
in dieser Sechzehntelbewegang begriffen, ebenso der ganze
Chor der Holzbl&ser, die Hdrner, Posaunen und Trom-
peten geben Glanz und Strahlen drein. Gedacht hat der
Komponist an die berauschende Wirkang, die ein grofies
Landschaftsbild, von der Sonne beleachtet, von einem
schOnen Punkte aus erblickt, auf ein empf&ngliches Ge-
m&t Qben kann. Darum wfthlt seine Musik mit soviel
Klang, so nachdr&cklich and mit der Beharrlichkeit, die
Smetana bei Tonmalereien hftafig liebt, auf demselben
kleinen kreisenden Motiv. W&hrend in der ersten Halfte
der Satz doch noch mit den Harmonien wechselt, die
Lichter vermindert und verstftrkt — einmal bis zu einem
Nonenakkord auf J. — , liegt in dem SchluOteil der Gmoll-
Dreiklang 27 Takte lang fest, von fff zum pp abschwel-
lend. Als es stille geworden ist, erhebt sich endlich
fiber diesem Farbenrausch ein Gedanke. Die Klarinetten
haben ihn aus dem Sechzehntelmotiv entwickelt und
sprechen in dem Augenblick, wo das Bild entschwindet, Be-
hagen und Dankbarkeit fiber die genossene Schonheit aus:
' ■" ^^1 I ii I I I I I I 1 1 ij
Ober den an diesen kurzen gemiitvollen Gesang sich
unmittelbar anschlieBenden zweiten Abschnitt in Gdur
hat Smetana bemerkt: er gleiche dem Spaziergang eines
naiven DorfmMchens. Sein Them a
550
fhfQ-^ iiiCJf
16st den letzten Druck, den die palhetische Pracht des
Eingangs in der Seele des H5rers etwa zuriickgelassen
hat. Zu der kindlichen Frohlichkeit, die mit ihm in der
Otoe laut wird, tragen die F15ten Elemente der Ausge-
lassenheit hinzu. Sie kontrapunktieren das htlbsche
Sommerliedchen mit Figuren, die aus den Moliven des
ersten Abschnitts geformt sind. Da das Sommerliedchen
selbst aus der gleichen Quelle hervorgegangen ist, stehen
wir also an dieser Stelle vor einem Beweis von Sloflfbe-
herrschung und einheitlicher Gedankenkraft, der dem
Komponisten Ehre genug machl. Auch dieses zweite
Bild versinkt langsam und wird, wie es Smetana in die*
sen sinfonischen Dichlungen so hftufig tut, durch eine
Pause, also sehr scharf und mit dieutlichster Benach*
richtigung des Zuh5rers von dem folgenden getrennt.
Dieser folgende dritte Abschniti der Komposition ist ein
Fugato fiber das Thema
Alle^o poco vivo
f^-^f*r?$rr
Es steigt von dem hier angegebenen Ende immer noch
hdher, erinnert damit an eine Stelle im Wagners > Sieg-
fried*, wo die Violine ebenfalls in die letzten Lagen
klettert und zwar in dem Augenblick, wo der Held sich
zur Ausschau auf den Briinhildenfelsen begibt. Smetana
hat hier andre malerische Absichten. Die Szene soil an
die Mittagszeit, an die Stunde erinnem, wo die Sonne am
hochsten steht, wo Pan schlaft. Daher die hohen Kl&nge,
das Glitzern und Trillern, die wirre Beweglichkeit, mit der
ab und zu eine Totenstille tauscht. Da6 es des Tonsetzers
Absicht war, einzelne Ztige aus dem eigentumlichen Leben,
das die Natur um Sommermittagszeit fUhrt, in das Bild
hineinzubringen, hat er selbst mitgeteilt: mit dem Motiv
^
— ♦ 551 *—
sollte das Zwitschern der V6gel
^^ dargestellt werden. Aus dem
■^^ Zwitschermotiv und seinen Um»
bilduDgen, aus dem Fugatothema oder Bruchstiicken von
ihm windet das Streichorchester noch lange mannig-
fache and verschlungne Gewinde, w&hrend die Bl&ser,
voran Klarioetten und H5rner, l&ngst zu einem neuen
Thema Qbergegangen sind, das nach Form und Gha«
rakter in den bdhmischen Choralschatz passen wtkrde
und unter dessen Klfingen man sich gut eine fromm da-
hinscbreitende Wallfabrerschar denken kann. Es kommt
erst in Fdur, dann in Desdur. Dazwischen liegt eine
neue S<^icht des Fugato, das auch weiterhin fortspielt,
w&brend der Choral schweigt, bis er endlich vom vollen
Orchester in A dur aufgenommen wird und mftchtig und
glftnzend wie im Krdnungszug daherbraust. Kaum lAfit
sich der Gedank£ abweisen, dafi Smetana mit diesem
Tonbild dem frommen kircblichen Sinn seiner Landsleute
hat ein Denkmal setzen woilen. D&Q das Thema auch
im weitren Verlauf der Komposition wiederkehrt, bezeugt
seine poetische Bedeutung. In dem Adur-Satz jedoch,
den es so glfinzend beherrscht, wird es j Ablings durch
einen Ausbruch unbekQmmertster Lebenslust unterbrochen :
Allegro asBal. Polka. _ ^r SCtzt einmal,
i \ "Lcl LQ iii"Lia eg I sStrx
•^ - — der ein; jedes-
mal dr&ngt sich die fkbermutige Tanzweise wieder da->
zwiscben. Sie behauptet auch den Platz, und nun
entwirft Smetana auf Grund dieses Themas und in der
Form einer wuchtigen und doch beweglichen bdhmischen
Polka eine jener Schilderungen herzhafter Weltlust, die
er als Sohn seiner Heimat stark liebt und mit gr5Gter
Meisterschaft beherrscht. So verwegen diese Tanzszene un-
mittelbar in die frommen und kircblichen Rlfinge herein-
bricht, so sch5n und sinnig ist sie , /^ _^7^
durchgemhrt. In der Mitte steht rJB^'Jfe f ' Pif' Bl MB I
eine Idylle, die von dem Thema ^ />— == zs'^J^JL-'
-^ 552 *^
getragen wird. Auch diese rnhige Weise ist von dem
Sechzehntelmoiiv abgeleitet, das den Grandstock der
Eingangsmusik der Nummer bildet. Ebenso ist aber mit
diesem Motiv das Polkathema verwandt, das w&hrend
der Idylle immer leise weiterspielt Wir haben es hier
also mil demselben Fall kunstvoller Arbeit zu tun, der
uns bei dem Gdar-Abscbnitt im ersten Tell unsrer Num-
mer entgegentrat. Das Thema der Idylle wird nun die
Hauptfigur der Komposition, die Bilder, die sich darum
entwickeln, sind ihre Haupts&tze. In der Fortsetzung der
Tanzszene kommt es zunftchst nochin einem Gdur-Satze
vom Polkathema begleitet, dann aber in einem zweiten
Gdur-Satze (Piii mosso) selbst&ndig und im Charakter
etwas verwandelt : heiBblUtiger. Da unterbricht der Wall-
fahrtsgesang noch einmal leise und in fremder Tonart
(As dur) ohne weitren EinfluB. Eine rauschende Coda bildet
den Schlufi und gibt Gefuhle der Freude kund. Ibre Motive
nimmt sie aus kurzen Anklftngen an das Eingangsmotiv;
ganz zuletzt kommt es in einer grandiosen Umbildang
^ Presto. ^^_^ >.>.>. . ^^ >.
noch einmal gewissermafien in eine lapidare Formel die
Eindrucke des Tages zusammenfassend.
F. Budtuift, Die fiinfte Nummer von Smetanas bbhmischen Na-
Tabor. tionalfantasien, > Tabor*, ist wieder wie Vysehrad und
Sarka ein musikaliscbes GeschichtsgemUlde; es h&ngt als
solches eng mit dem folgenden Stiick, mit »Blanick« zu-
sammen. Beide sind sehr charaktervolle Kompositionen
und kehren den Ausdruck der trotzigen Kraft hervor.
Jedermann weifi von den Taboriten, von Tabor, von
ihrem Ziska und von ihrem Trutz- und Kampflied, dem
Choral: »Die Ihr seid die K&mpfer Gottes* (»Kdoi jste
Boie bojovnici*}, der fdr die Hussitenkriege eine fthnliche
Bedeutung hat, wie fdr die Reformation Luthers >Ein'
feste Burg ist unser Gottc.
Smetana gibt in seiner Komposition ein Bild aus der
hussitischen Bewegung, und er tut das in der Form einer
-^ 563 4—
ChoralbearbeituDg, die nicht in alien Teilen gleich wert-
voU, doch nirgends die Wflrde und den ktlnstlerischen
Ernst vermissen I&6t und an einzelnen Stellen sich zn
einer auBerordentlichen HQhe des Ausdrocks nnd der
Wirkung erhebt. Die Choralbearbeitang hat nicht etwa
die strenge Forra, die wir von ftltern Orgelmeistern ge-
w5hnt sind, sondern sie ist niehr als eine freie und ela-
stische Fantasie gehalten, bei der der Choral nur an wich-
tigen Punkten in seiner vollen Gestalt erscheint, an an-
dren nur mit einzelnen Gliedern benutzt wird. Im ersten
Abscbnitt (Lento, '/s) Dmoll) schildert der Koroponist,
wie sich die Bewegung im Lande vorbereitet und ent-
wickelt. Ein langer Orgelpunkt auf tiefem D, chromatische
Motive in tiefen 613.sern deuten auf G&hren und heimliche,
dustre Unruhe in den GemUtern. a, .
Drohend klingt dazu aus den H6r- (fc^B J J J J^^
nerndasAnfangsmotiv des Chorals
und sein kraft- ^lh" i T ^ wandert durch das
vollstes fana- ^^^ J ^ ^ J ^ • ganze Orchester,
tisches Glied : UT wie ein Signal der
EnipOrung, das von Ort zu Ort durchs Land geht, die Geister
in Bewegung zu setzen, die Scharen zu sammeln. Auch
die weibliche Stimme der Milde, des Gebets, der Glaubens-
zuversicht IfiGt sich dazwischen hinein vemehmen:
Aber sie entfacht nur den endlichen Ausbruch des Sturms,
der sich in Skalenfiguren ftuGert, die hoheitsvoll durch
zwei Oktaven schreiten und uns zu dem Punkte fOhren,
wo der Bund der Genossen auf Tod und Krieg geschlos-
sen und zum ersten Mai das Trutzlied angestimmt wird.
^ Lento, o s 46^,,—^ _^.
r^p r I »hA * I __ M .11 ^8 ^8* "^^ ^^® ®^^® Haifte
i^j ' r^C' I" fz^' ^o^ ^^^^ ^^^ ^^^^ i^ ^^^
«/:s ^ * g|jj^ Vorder* nnd Nachsatz
-^ 664 4—
dramatisch getrennt. Abermals kommt die veiche Ge-
betsmelodie — die stftDdig in den Holzblftsem liegt —
dazwischen, ihr folgt die Fortsetzung und der AbschluB
des Chorals mit
i
Nan gibt Smetana in einer Reihe von lebhaften
S&tzen, die alle ein Molto vivace vorgeschrieben und als
thematische Hauptunterlage das aus dem dritten and
vierten Takte des letzten Beispiels bestehende Motiv ha-
ben and in ein Piii niosso auslaafen, das Bild eines im
K&mpfen aufgehenden starken, gewaltigen Geschlecfats.
Der Kampf wird in vielen Wendungen vorgefiihrt: etwas
kleinlaut beginnt er, nimmt aber bald den Charakter ent-
schiedner, riicksichtsloser Entschlossenheit an. In den
Bl&sern stehen gewissermajBen die Taten, in den Violinen
die Stimmungen : die Erregung, das Treiben and SchQren.
Der Kampf hat seine stQrmischen and hitzigen, seine ver-
wickelten, aach seine miiden and verlegnen Aagenblicke,
Iftngre Zeiten der Gefahr und des Unter^ticktseins, wo die
Instrumente nur auf Rhythmenleise ^^
stShnenundstammeln. DerWilleist <C^ j I J j j=
nicht gebrochen, das Terzenmotiv:
h5rt nicht auf anzufeuern, und im Piu mosso kommt es
zu einem neuen and letzten Ansturm von furchtbarer
Grewalt mit frischen endlosen Scharen. Seinen Erfolg
erz&hlt das Lento maestoso (^/s), in dem der Choral als
heiGes Dankgebet im Jubelrausch zum Himmel klingt.
Ein schliefiendes Pi{i animato fUgt nochmals drohend.und
in finstrer Kraft das Glaubensbekenntnis daran, wirft
einen Rtkckblick auf das Vollbrachte, in dem wohl still
auch der geopferten Genossen gedacht ist. Dann sprechen
die FQhrer aus dem Munde der B&sse noch ein stolzes
und rQhmendes, anfeuerndes Wort, und herrisch, zuver-
sichtlich und begeistert antworten die Scharen.
In ihrer harten, gedrungcnen Kraft erinnert diese
Komposition Qber den Taboritenchoral an altes R5mer-
— ^ 655 ♦^
Yolk und Nibelangenlied; aus der gleichzeitigen Musik
w&re ihr auBer R. Wagners >Walkiirenritt« allenfalls noch
die eine oder andre Stelle aus R. Volkmanns DmoU-Sin-
fonie an die Seite zu stellen. Uuter den Dichtern, die
mit Smetana lebten, findei sich eine verwandte Natur
in Fr. Hebbel, unter den bildenden KQnstlern keine.
»Blanick<, die letzte, sechste Nummer des Zyklus, F. SMdtuifty
▼erbindet die zweite Folge der vaterlsLndischen Tondich- Bl*nick
tungen Smetanas mit der ersten poetise^ und musika-
lisch. Es verschmilzt schliefilich die Motive der Taboriten
und der alten b5hinischen Furstenburg, und es ist auch
in seiner dichterischen Bedeutung das Gegenbild zu
Vysehrad: es umschlieOt ebenfalls versUnkne oder schlum-
mernde Herrlichkeit und GrOOe, es ist die St&tte stolzer
nationaler Erinnerungen. Blanick heiGt ein bei Tabor
gelegner Berg, der dem Salzburger Untersberg oder dem
KyflhSuser der Deutschen ungef&hr entspricht. Hierher
zogen sich einst die Helden der Hussitenkriege zurQck
und warten der Zeit, da die TrUume von der Wenzels-
krone in Erfiillung gehen, wie Barbarossa gewartet hat.
Smetana empf&ngt uns in seiner Komposition mit
einem Allegro moderato (3/2, D moll), in dessen ersten Tak-
ten der Kampfchoral in aller Herbheit nochmals anklingt,
das aber bald zu einer freudigeren und heiteren Schil-
derung jener kraftvollen Hussitenzeit Ubergeht. Es klingt
darin wie von flotten Reiterscharen, und das Taboriten-
motiv tdnt, aller seiner Schrecken entkleidet, frisch und
freundlich dazwischeu; Nur am Ende, das Smetana, wie
so oft, etwas lange hinausschiebt, wird der Ton etwas
d&ster. Das Thema, welches diesem ersten Teil von
» Blanick* zu Grande liegt
Allegro nocUtrato. J=72
^^jNjjjjijjj. iiiii.'iijjji'Hiijr II
steht mit der Originalfassung der ersten Strophe des
Taboritenchorals im Zusammenhang. Smetana liebt es,
die einzelnen Gruppen in seinen Tongemftlden scharf
— 1^ 656 ♦^
abzugrenzen und zu fiondern. So l&fit er auch das
Bildchen, das er hier von dem Lebensabend der alten
Taborhelden entworfen hat, im Dunkel verschwinden, ehe
er Weiter geht. Die Audante non troppg. _.jg=^
zweile Szene beginnt j3l.. * dk-"^3n>il i ■TTiP i
(Andante non troppo) w^" j-,-^ 'fe* KJUjl '
mit folgenden Takten "^ T V J^^ V^
sehnsnchtsvoli und elegisch. Es ist als wenn ein Wanderer
an den Berg herantretend im patriotischen Schmerz der alten
groBen Zeiten seines Landes und ihrer M&nner ged&chte.
Schnell aber verscbeucht die Gegenwart alle Beklemmung:
er findet am Berg ein Idyll: Herden und Hirten, die sich im
Tonspiel erg5tzen: Smetana l&fit uns einen Kanon hdren,
der zun&chst zwischen Oboe und Horn, sp&ter zwischen
Oboe und Klarinette Iftuft und folgendermafien beginnt:
piii anegro. J = 76 ^eiue immer
^•^"^^;L ^~v ^^^ ,^ muntrer wer-
jgHiT I r 1 r Fir r f'P iT r r M ^enden Melo-
^^ doice^*^ ^s*' dien begleiten
erst lediglich Blasinstrumente , dann legen ihnen die
Geigen tr&umerisch einen langen, leisen F durakkord unter.
Aus diesem Frieden reiOt ein Piii mosso. Wir sind auf
den Abschnitt in gewohnter Weise allerdings etwas vor*
bereitet worden durch ein diminuendo. Nun fangen die
Geigen an zu tremolieren, dann heftige Figuren auszu-
stofien; in Vorhalten, in Dissonanzen, in fassungslosen
Rhythmen spricht sich h5chste Aufregung aus, und nach
dem gewaltigen Aplauf setzt nun der neue Hauptsatz mit:
MeDo mosso. J = 65
ein. Er gibt ein Bild des Irrens und der Ratlosig-
keit, die auf Augenblicke in Verzweiflung Qbergehen
will. Schon bald erheben sich dagegen Regungen der
Zuversicht; in H5rnern und Klarinetten hdren wir
567 ^-
Endlich dringt die
freundliche, zuYer-
sichtliche SchlaO-
zeile des Taboritenchorals durcb, und von seinem Ende
wird ein Marsch
jj!i-jjlJJJj'3NJJj3lJJ^J J"^^
abgeleitet und mit ihm verbunden, der die Erinnerung zu
den alten Helden zariickfflhrt, die im Berge schlummern,
und ibr kr&ftiges Wesen, &hnlich wie der Anfang der
Komposition, das Allegro moderato, aufleben ]&(3t Und
bald ist es ancb, als wenn sie leibhaftig wieder dastftnden.
Mit dem Grandioso (Ddar) kehren wir in den gl&nzendsten
Teil der fiinften Nummer des Zyklas, in das Tongemftlde
iiber »Tabor<, zurUck. Noch einmal wird die Stimmnng
wieder etwas trube: es tritt wieder Dmoll und eine Durch*
fuhrung des in der Stimmung etwas zwiesp&Itigen Motivs,
ein. Wieder wird sie durch das Cboralthema ftberwunden.
Das Grandioso kehrt zuriick und fiibrt zu einem Larga-
mento maestoso (D dur, ^/z) und zum Burgmotiv aus Vy-
sebrad. So reicben sicb Ende und Anfang des Zyklus
die Hand. Der Tondicbter schlieGt mit der begeisterten
Mabnung an seine Landsleute, der groGen Zeiten ibrer
Gescbicbte, der Zeiten von Vysebrad und Tabor immer
zu gedenken.
Die vaterl&ndiscben Kompositionen Sroetanas haben
fQr Anton Dvofak, das reicbste bObmiscbe Musiktalent,
den Weg gebabnt, sie baben ibm die Anregung zu seinen
»SlaviscbenT&nzen« gegeben, fQr seine >Slaviscben Rbap-
sodienc aucb die Form. Von der intemationalen Stromung
der gegenw&rtigen Musik, oder besser gesagt, von dem
immer noch fortwirkenden gewaltigen Geist des acht*
zebnten Jabrbnnderts ergriffen, ist Dvofak jedoch bald
von den Exakten zu den Pbilosopben ubergelaufen, ist
558
unter die Sinfoniker gegaDgen, hat unter den neuen
Veriretern der Beethovenschen Methode sich hente einen
ersten Platz errangen und dabei in seinen Sinfonien, so
gut es ging, immer noch fiir bdhmisches Wesen and
bShmiscbe Musik Zeugnis abgelegt und gewirkt.
A.DTolFftk, Der ausgesprochen nationale Satz in seiner ersten,
D dar-Sinfonie. seiner D dur-Sinfonie (op. GO) ist das Scherzo. Es unter-
scheidet sich in Form und Gharakter kaum von den be-
kannten und bedeutenden »Slavischen Tftnzen< dieses
Komponisten und soil wohl auch durch den tiberschrie-
benen Titel: >Furiant< dieser Gattung zugewiesen wer-
den. Ein wildes Blut rollt in diesem Satze; zu der Frische,
mit welcher sein Hauptthema hereinsturzt, gesellt sich
auch ein querkdpfiges Element, eine eigensinnige Aus*
gelassenheit, die in einem aus Beethovens vierter Sin-
fonie bekannten Wechsel von Zweiviertel- und Dreiviertel*
takt und in den dissonierenden Vorhaltsnoten deutlich
zum Ausdruck gelangt:
Presto
y^ »-N i ."--s, X — ^ Der Hauptsatz ist nur
■ P »V Pt p t!f ^ I' fjf f I sehr kurz, der Mittel-
^ ctfl. satz dagegen im Beet*
hovenschen Stile breit ausgefuhrt und mit einem neuen
Thema bereichert. Es ist folgendes:
Crete.
Das hier mit h) bezeichnete Schlufiglied ist dasjenige,
welches in der jetzt beginnenden Durchfflhrung beider
Themen bevorzugt wird. Die im Anfangsteile der neuen
Melodie liegenden weicheren Elemente bleiben im Hinter-
grunde. Das Trio dieses Scherzo entwickelt sich in seinem
-^ 559 ^-
ersten Telle ziemlich z5gernd: Sein Tbema bant sich stQck-
.weise auf and schliefit fragend und unentschieden:
Ob
Der Klang des Piccolo bring! darin das national slaviscbe
Element sehr drastlsch zur Geltung. Von der zweiten
H&lfte des ersten Teils und durch den anderen Teil des
Trios regt sichs dann frenndlicher: durch die Bl&ser und
die Ceili streifen ruhige GS,nge, die nach Melodie zu
suchen scheinen. Einen ausgesprochenen wirklichen Ge-
sangton yenneidet der Komponist, der in seinem Scherzo
weniger einen heiteren Satz, als ein musikalisches Cha-
rakterbild geben wollte: das Gem3.1de einer mit unwirschen
Elementen k&mpfenden FrOhlichkeit. Das Scherzo ist in
der Form der einfachste und tibersichtlichste Satz der
Dvoi^akschen Sinfonie. Die anderen S&tze stellen in be-
treff der Gedankenentwicklung und der durch sie bedingten
Form dem Zuhorer durchschnittlich schwere Aufgaben,
und es scheint uns durchaus nicht ein blofier Zufall zu
seiuy wenn das Publikum dieser Sinfonie etwas kfihl
gegenUbersteht. Namentlich durch den ersten Satz und
durch das Finale geht ein unsteter Zug. Die Phantasie
hat die Menge der Gesichte nicht bew<igt; die Ideen
durchkreuzen und verdr&ngen einander, die Episoden ver-
gewaltigen die Hauptgedanken, und die ganze Darstellung
macht das Folgen und Verstehen zu einer harten Arbeit
Der erste Satz hat in seiner Themengruppe nicbt weni-
ger als sechs verschiedene Ideen, welche urn die Ffthrung
ringen. Die .> AUe^ro. ^ — ^ ^ ^
wichtigsten ^ ji !t J \r pf I rn I r c.^^^
davon sind : ^ - f^==^ '
Diese vier Takte bilden die yordere H&lfte des Haupt-
thema, dessen ersten AbschluG bereits bedeutend hinaus-
geschoben wird. Nach einer etwas stiirmischen Unter-
brechung im beschleunigten Tempo kehrt das Thema
im gl&nzenden Forteklang, aber nur auf einen fliUchti-
560
gen Augenblick zariick. Vor dem Eintritt des zweiten
Thema passieren wir noch eine Reihe von Nebenmo-
tiven, aus denen das folgende als das fQr die Satzent-
wicklang wich-
tigste hervor- :
zuheben ist : ^»^ pisu
Das zweite Thema (in Hdur gestellt) gelangt zu keiner
Bedeutnng, dagegen nimmt der ihm folgende Nachsatz:
i}i^\\^t\\\\^U I'f rlclfMl'i Mu'i I J 'I I
im Ideenkreise des Allegro eine hervorragende Stellung
ein. Der ganze Satz gewSlhrt das Bild einer urn freund-
ilche Ziele k&mpfenden Stimmung and enth< in seinen
heiteren Partien eine Menge liebenswurdiger Ziige, bliih-
ende musikalische Einfalle pastoralen und idyllischen
Charakters. In ihnen ist ein leichter Einflafi Schuberts
zu bemerken, w&hrend fiir die pathetischen Exknrse, die
den weniger gelangenen Teil des Satzes bilden, Beethoven
und noch mehr Brahms augenscheinlich zum Muster ge-
dient haben.
Das Adagio (Bdur, ^j^ wird von folgendem Haupt-
gedanken beherrscht:
Adarlo
s^^
Als zweites Thema folgt ihm ein schw&rmerisch zslrt-
licher Gesang:
viol
Ceai
I I i^J Jm J - f Bl JF ^^'ssen Einfuhrung durch eine
■J I Ji^ -■' I 4 I J f ^j^^ kurze selbst&ndicre Enisode. von
kurze selbstHndige Episode, von
freudigem Aufschwung beherrscht, wunderschGn ver-
mittelt wird. Der ganze Plan des Satzes ist noch leicht
zu Ubersehen: Nach dem Abschlufi des Seitenthemas
repetiert die Iktuptmelodie, und die eben erw&hnte Epi-
--^ 561 «^
sode leitet zu einer kurzen Durchfuhrung iiber. Letztere
setzt mil leidenschaftlicher Bewegnng ein, geht aber sehr
bald in den milden tr&omerischen Ton iiber, der dem
ganzen Adagio seinen Cbarakter gibt. Aucb durch seine
melodiscben uud modnlatorischen Wendungen erweist es
die Verwandtschaft mil dem langsamen Satze yon Beet-
hovens Neunter. Im Finale seiner Sinfonie steht Dvoi^ak
wieder auf dem Boden, auf welchem seine dichterische
Kraft das Eigenartigste and Beste gibt Die Tbemen
dieses Satzes, von denen wir als die hauptsHchlichsten
folgende zwei zitieren:
Alle^o con spirlto. ^^
rP eia
sind ecbt b5bmische Melodien,
+=* die uns an die alte Wiener
Sinfonie, an Wenzel MUller, an Instige Sonntagnach-
mittage und an vergnflgte Menschen erinnem. In der
Darchfnhrung yerl&fit Dvofak die in diesen Weisen ge-
gebene Spb&re, zdgert und scheint fiber die Berechtignng
der fidelen Motive in Bedenken zu geraten. Dieser Teil
enth< sehr viele humoristische Ziige von groGer Wirkung.
AuGerordentlich drastisch ist der wilde--^^, p ^ — ,
Einsatz, mit welchem die Hflrner das Motiv=y=ll ' f ===
in das ^ des Orchesters hineinwerfen. Jedoch nimmt
das kapriziose Element das Interesse des ZuhSrers etwas
zu lange und zu ktlhn in Ansprucb. Der Satz schliefit
mit einem Presto uber das Them a a).
Auch in der zweiten Sinfonie Dvoraks (Dmoll, i. DTo^ak,
Op. 70] wird man vergeblich nach der unbedingten Lebens- Zweita Sinfoniei
freude suchen, die seine Slavischen Rhapsodien zu einer
Wohltat fiir die neue Musik gemacht haben. Sie ist ein
Stimmungsbild, fiir das die Oberschrift >Aus triiber Zeit<
nicht iibel passen wiirde. Ohne im h5hren Sinn originell
zu sein, fesselt das Werk durch eine klare, plan voile An-
lage, durch ein reiches, bewegliches Empfindungsleben,
durch natiirliche, meistens aus dem Vollen flieGende
EretxBcbmar, Fnbrer. I, 1. 36
— ^ 562 *--
musikalische DurchfQhrung. Diese VorzQge krdnt Einheit
und Strenge des Charakters. Selbst auf den tiblichen,
immer dankbaren >glucklichen Aasgang< im SchluBsatz
hat Dvoi^ak diesmal verzichtet
Dec erste der vier S&ize (Allegro maestoso, Ci
Dmoll) beginnt folgendermaOen :
Allegro mmostosa Js66
f I I
MaD kann diese von Cellis und Brat-
^ schen unisono vorgetragne Melodie in
f " *^F zwei H&lften teilen. Die vordere, in
gleichen Achteln gehalten, klingt wie das leichte Murren
eines Unwilligen, die zweite, mit dem durch das ver-
l&ngerte Viertel schwer akzentuierten Motiy, zeigt, dafi
hier ein Gemtit tiefer getroffen worden ist, bis zur Ver-
wirrung getroffen. Das sagt uns der an den SchluO ge-
stellte verminderte Akkord. Er kommt ganz pidtzlich,
bleibt aber fiir die Dauer einer achttaktigen Periode.
DarUber wiederholen die Klarinetten von a aus das Thema.
Ihr Schmer- p^ j j beantwortet das zweite Horn ge-
zensmotiv: • • I <;.• wissermaGen in vergroGertem
Echo mit fia ii8\c and lockt damit eine Reihe von Stim-
mungs&uBerungen hervor, die den klagenden und vor-
wurfsvollen Ton immer heftiger hervorkehren. Technisch
sind sie als Fortsetzungen des oben angef&hrten Themas
zu betrachten. Denn die nene and neaeste Sinfonie be-
gnttgt sich nar aasnahmsweise mit solchen knappen
Hauptgedanken , wie sie bei den Wiener Klassikem die
Kegel bilden; sondern sie arbeitet am liebsten mit einer
langen Themenkette. Die erste dieser Fortsetzungen des
Hauptthemas knUpft an denSechzehntelaaftakt der zweiten
HUlfte des Eingangsthemas an und moduliert im achten
Takt nach A moll. Die zweite wird von demselben Sech-
zehntelmotiv alsBaB_begleitet und setzt in derHauptstimme
mit breiten Vierteln a \ eFjj^ a ein. Dieses Viertelmotiv er-
-^ 563 «^
langt seine Bedeutung im Verlanf des Satzes. Znerst von
der zweiten Violine, Oboe und Fagotten vorgetragen, wird
es zwei Takte sp&ter von der ersten Violine als ^^|7 e^
aufgenoromen and schnell zu einer langen D moIl-Kadenz
geffthrt, die uns eine sehr stftrmische Wendung erwarten
IftGt. Das NatUrlichste w&rde Wiederholnng des oben auf-
gezeichneten Themas im Tutti des Orchesters und im ff
sein. Sie kommt auch; aber erst 22 Takte spater. Vorher
bring! der Komponist erst noch einen jener erweiternden
nnd belebenden Abstecher, an die namentlich Liszt die
modernen Sinfoniker gewbhnt hat. Er legt eine Aus-
weichung ins Gebiet der Ruhe und des Seelenfriedens ein.
Sie fflhrt mit einer etwas beabsichtigten Gewaltsamkeit
nach Esdur und vor eine sehr eindringliche Homstelle,
die mit einer raschen Skalenfigur beginnt und dann in
die Rhythmen des nachher folgenden zweiten Themas
des Satzes einlenkt. Bei dem nach dieser Verz5gerung
doppelt wirksamen Eintritt des Hauptthemas ist es zu
bedauern, da6 das Thema, weil nur den HolzblS,sern ge-
geben, von dem starken Begleitungsapparat ilbertdnt
wird. MerkwQrdigerweise ist der in der Instrumentation
so sichere und ausgezeichnete Komponist hier in einen
Beethovenschen Fehler verfallen, den intelligenten Diri-
genten wohl stilischweigend verbessern dCirfen, wie es
Dvorak beim Eintritt der Reprise selbst getan hat. Hier
spielt das erste Horn das Thema mit. Wie schon bei
seinem ersten Eintritt mit dem verminderten Akkord, so
nimmt unser Hauptthema jetzt wieder ein seltsames
Ende. Noch viel verwunderlicher und aufregender als
dort bricht es in einer verzweifelt wirkenden Disso-
nanz ab: — fesbcges — der naturgemaO eine Reak-
tion folgen mui3: Die Holzbl&ser, dann die Geigen mit,
f&hren ein zwdlf Takte langes Oberleitungss&tzchen, auf
weich gleitende Motive gebaut, aus: Nach seinem Ende
hin spielen die Mittelstimmen kurz einmal das Achtel.
thema (der CeHi und Bratschen) an, mit dem der Sat
begann.
36*
-^ 564 ^^
So wird also das zweite Hauptthema des Satzes
doieg
sehr 8ch5n nnd gewissermafien dramatisch eingefV^rt
Seine poetische Aufgabe: sanft und freundlich zuzu-
sprecfaen, erf&llt es auf eigentlimliche Art. In tiefen F15ten-
klang gehullt, leise vom Tutti umschwebtf hat es etwas
Geheimnisvolles, wirkt wie ein Bild im Zauberspiegel, wie
ein Gast aus der Geisterwelt. Ganz besonders schdn and
rUhrend ist das zdgernde Verschwinden der Vision: Voile
acht Takte haftet die Melodie an dem yerzierten esy ehe
die Aaflosung ins d f&llt. Dieses Z5gern, Aufhalten und
Schwanken ist ein Zng, der in unserm Satz immer wieder-
kehrt. Die Wirkung dieses zweiten Them as greift unge-
w5hnlich tief in den formellen Plan und in das Wesen
des ersten Satzes ein. Der nUchste Abschnitt, den es be-
herrscht, wiederholt es w5rtlich in den Violinen, kndpft
daran versuchsweise' und schnell wieder abbrechend Mo-
tive der Aufheiterung und des Aufschwungs. Er endet
aber in BmoU, und in seinen SchluC mischen Oboen,
Klarinetten und H5rner das Unmutsmotiv, mit dem die
Sinfonie begann. Der ganze SchluB der Themengruppe
wird zu einer &uBeHich knappen, aber innerlich bedeu-
tenden Auseinandersetzung zwischen den beiden Haupt-
themen. Das zweite scheint, in B dur, seiner Tonart,
fortissimo yorgetragen, die Oberhand zu bekommen, als
sich wieder jenes schon berUhrte, dem Gang unsres Satzes
wesen tliche Element des Schwankens und Abbrechens
geltend macht. Diesmal in der Form pfsrn welcher aus
von Sequenzen iiber den Rhythmus • • • • einem der
Nebenmotive (Motiv der Auiheiterung] des zweiten Themas
stammt.
Die sehr kurz gehaltne Durchftkhrung wendet den
StimmungsprozeG wilder zugunsten des ersten Haupt-
themas. Sie beginnt in Hmoll mit einer achttaktigen
Periode, die die ersten zwei Takte des zweiten Haupt-
_^ 565 ^>—
tbemas nacheinander dnrch Geigen, Celli, F15ten and
Kontrab&sse ftkhrt. Ihm folgt ein wilder Aufzng seines
Antipoden, des ersten Hanptthemas. Trotzig spring! es
auf den verminderten Septimenakkord e-dis-fis-a und
stellt sich in voller Breite hin. Der Bffekt dieser Ober-
rumpelnng ist Yorerst Ratlosigkeit der Seele. Nach dem
£ dnr-SchloO, mil dem sich das Hanptthema yerabschiedet,
wird es still: kleine Brocken des Gehdrten flattem herum.
Das wichtigste an der Musik sind hier die Pansen. Nur
leise ansgehalten klingt da ein Ton des Horns oder der
Bratsche in sie hinein. Die Modulation rCickt pl5tzlich
von E nach f-a-c-esy die Stiramung sammelt sich. Ober
einem ppp der in BmoU tremolierenden Streichinstmmente
stimmen die Klarinetten leise das vollst&ndige erste Hanpt-
thema an, FlOten, Oboen greifen mit ein; mit einem
raschen crescendo gelangen wir vor einen Abschnitt, in
dem das Motiv des Unmuts. nnn zurWut gesteigert, aus
den Bftssen dr5hnt; es kommt in die Geigen, von Disso-
nanzen der Bl&ser dnrchschnit- j j j j ans und ge-
ten, holt mit dem Rhythmns ^ ^ ^ • langt nach
Dmoll zum fff und zu einer Reprise, die mit der des
ersten Satzes von Beethovens 9. Sinfonie eine Charakter-
fthnlichkeit teilt, wie sie gleich stark sich ein zweites Mai
nur in dem D moIl-Konzert von Brahms aufdr&ngt.
Die Wiederholung der Theme ngruppe verl&uft nach
den bekannten Regeln. Nur das ist besonders an ihr, dafi
das Gebiet des ersten Hauptthemas gektkrzt wird. Durch
dieses einfache Hilfsmittel fibt die Musik eine unver-
gleichlich mS,chtigere und leidenschaftlichere Wirkung aus
als im ersten Teil des Satzes. Die sehr ausgefQhrte Coda,
die h5chste Leistung im Ausdruck gewaltiger und grofier
Ideen, die bis dahin sich in Dvoraks Werken gezeigt hat,
markiert noch einmal unumst5i31ich hart und mitleidslos
den Sieg des ersten Hauptthemas und seiner d&monischen
Elemente. In Resignation verklingt sie. Auch hier steht
Dvorak, der frUher sich gem von Brahmsschen Vorbildem
leiten liei3, unter dem EinfluG Beethovens. Der Basso
ostinato auf fdesf zeigt nach dessen siebenter Sinfonie.
566
Wie als wenn nach iinstrer stlirmischer Nacht der
helle Morgen aufzieht, beginnt der zweite, langsame
Satz (Poco Adagio, C, Pdur) fol gen derm aBen:
Poco Adagio. J =66
Breit und feierlich abschliefiend, legt das voile Orchesier
den Fdur-Akkord fiber das Ende dieses kleinen Prftln-
diums, und das eigentlicbe erste Thema des Satzes tritt,
vonF15teund „ ^ ^ .-^ /^ #ir
Oboe vorge-
tragen , ein
In Seqnenzen ilber das letzte Motiv senkt es sich tiefer
und tiefer und atmet dann noch einmal grofi auf, am
pldtzlich im HalbschluB a j-^TT^^ — ^ das eine klei-
zu verl5schen. Es ist algy^ J" T J T J ;ne Szene der
fldhe es vor dem Motiv ^ Unruhe ein-
leitet, die uns die aufregenden Augenblicke des ersten
Satzes in die Erinnerung zuriickruft. Das Horn sucht
mit kiihnen Figuren zu beschwicbtigen. Noch ein-
mal schl> Schrecken in kurzen Motiven dazwischen,
dann aber behftlt das Horn mit der schSnen Melodie
^^ das Wort
Sie nimmt ungef&br die Stelle ein, die sonst das
zweite Thema zu haben pflegt. Aber wie Dvofak sich im
allgemeinen den Formen der Sinfonie gegendber die
Freiheit der Ideen und ihrer Bewegung wahrt, so hat er
dieses zweite Thema hier ungew5hnlicher Weise in die
Haupttonart F dur gesetzt und ihm auch nur einen ge-
ringen EinfluG auf Gestalt und Wesen des Satzes zuge-
wiesen. Unser Adagio hat gar keine DurchfUhrung in dem
Sinne einer Auslegung und Verarbeitung bisher gebrachter
Themen. Sondem nach dem SchluG des zuletzt ange-
fiihrten Gedankens setzt ein ganz selbstsludiger Mittelteil
-^ 567 *^
ein, zan&chst in Fmoll und von P^^B t gefQhri. Mil
einem scharfen rhythmischen Motiv ^ * •• J'ihm wech-
selteinMotivdesSehnensvonfol- . p-^i t undkommt
gendem rhythmischen Charakter J J« • • mitihm,oft
jfth und erschreckend, in heftige Konflikte. Nach einer
solchen Stelle — das fortissimo auf e-fis^ais-eis macht sie
leicht kenntlich — tritt die Reprise, die Wiederholung der
Themengruppe ein. Das Hauptthema kommt jetzt in den
Cellis. Ihm folgt das erste Seitenthema, wie beim ersten-
mal in den Violinen, aber jetzt mit Kontrapunkten, die
bald beschwichtigen, bald anfeuern, in den Holzbl&sern
verseben. Alle ^lemente der Aufregdng, die in dem Ab-
schnitte vorhin bereits vorhanden waren, erscheinen ins
Gespenstische und bedrohlich gewachsen. Das F dur-
Thema des Horns taucht jetzt nur angedeutet in den Vio-
linen auf und von Trompeten und Hornem merkwQrdig
umscbmettert. Ganz zuletzt kommt auch die Melodie des
kleinen Praludiums des Satzes und zwar in der Oboe
nochmals zu Wort.
Der dritte Satz, das Scherzo (Vivace, ^/i, Dmoll)
zeigt den Zusammenhang mit dem ersten Satz der Sin-
fonie nicht so stark wie das Adagio, aber immer noch
deutlich genug. Es erstrebt die an dieser Stelle fibliche
Fr5hlichkeit, aber es besitzt sie nur im geringen Grade.
Das Hauptthema
vivace. J ■80 _— ; ,--
* ^ _lj ii'? i et ^ rientiert in diesem Falle geniigend
■ 6-'^--S > ^C ' ' fiber das Wesen des ganzen Satzes :
r r Die Rhythmen der Violinen treiben
vorw&rts, aber hinkend, als schleiften Ketten mit.
Die >schlotternden Lemurenc Goethes treten vor das
geistige Auge, und die in den Mittelstimmen (Cellis
und Fagotts) dazwischen schluchzende Melodie gie6t
noch mehr Wehmut iiber das an und fiir sich schonl
-^ 568 •^
grau gehaltne Bildchen. Mit dem achten Takt, dem
AbschluO der einfachen Periode, ger&t die DarstelluDg
schon ins Stocken. Wir stehen wieder vor dem schwan-
kenden, unentschlossnen Zug, der auch in den andren
S&tzen als wesentlich sich be- ■ p— p-n I ^^ ^^
merkbar macht. Mit einem Motiv J • 444 J. dahin in
der zweiten Violine Begleitungsdienste verrichtet hat, bildet
der Komponist einen 10 Takte langen Zwischensatz und
wiederholt dann das Hanpttltema mit der Anderung, daB
die Holzbl&ser die Hauptstimme, die Violinen aber den
Kontrapankt der zuerst in den Cellis gebrachten, gebandnen
Melodie tibernehmen. Nach vlr^ # «-
einem breiten Abschlufi ikg fT ' ' I ^ |iip :
tritt folgendes Seitenthema *^ ~ — '
ein, aus dem ein neuer, mit groi3em Tumult und Kraft-
aufwand endender Zwischensatz (14 Takte lang) gebildet
wird. Und nun wird vom Anfang des Satzes an wieder-
holt. Bei Haydn und Mozart, in den meisten Beethoven-
schen Sinfonien steht hier das blofie Repetition szeichea,
die Musik kehrt w5rtlich wieder. Bei Dvoi^ak ist die
Wiederholung zugleich Variation. Die Instrumentierung
ist wesentlich ge&ndert und zwar nach einem Muster, das
viele H5rer angenehm an die Konzertouvertiire (in A)
von Julius Rietz oder an A. Rubinsteins >Lichtertanz«
aus >Feramorsc erinnem wird: Von Abschnitt zu Abschnitt
wechseln die Streicher und die Bl&ser zwischen Haupt- und
Nebenstimme, 15sen sich im Vortrag des von Pausen durch-
setzten Themas und der gebundnen Melodie ab.
Diesem Hauptsatz steht ein Trio gegenuber, das in
der Hauptsache von i'oco meoo moaso.
dem zuerst in der Oboe (ft a J ^ B f J r[ F^F
gebrachten Gedanken: 3^V K f I M f
getragen wird. Den SchluB der zw5Iftaktigen Periode, die
das vollst&ndige Thema bildet, machen die Violinen mit
Ruhe atmenden, freundlichen Wendungen. Das Bild des
Friedens, welches das Trio entwerfen will, wird etwas durch
einen Seitensatz gestdrt, aus dessen •— ^ j stechend her-
sp&rlichen Motiven der Rhythmus 4 4 4 yortritt. Das
-^ 569 ^^-
ganze Trio ist nnter s&mtlichen Teilen der Sinfonie der-
jeiiige, bei dem die Erfiadung den Komponisten am we-
nigsten unterst^txt hat. Gleichwohl erreicht es durch die
masikalischen Elemente, durch den Rhythmus insbesondre,
doch die beabsichtigte Wirknng, und das Scherzo als
Ganzes ist der Satz, der in seiner eigentUmlichen Mischung
von Melancholie und Beweglichkeit auf viele H5rer den
nachhaltigsten £indruck ausubt.
Das Finale der Sinfonie (Allegro, i^, DmoU) er-
innert mit den ersten drei Noten seines Hauptthemas
Allegro. <J = ioo -->^_
i^S Itf^ltTjl an ein Seitenmotiv, das in trotzigen
»fc r \J^ Vierteln bald sich nach dem Eingang
der Sinfonie zeigte. Jedenfalls weicht es dem gew5hn-
lichen SchluB der in Moll einsetzenden Sinfonien aufs
entschiedenste aus und hat mit dem groBen Kreise der
sinfonischen Paradigmen zu dem Motto >per aspera ad
astra< nicht das geringste gemein. Am n&chsten steht
die Dvoi^aksche Arbeit in diesem Verzicht auf ein frohes,
vers5hnliches Finale der Cmoll-Sinfonie Draesekes. Wenn
man den Inhalt von Dvoraks Sinfonie in die Form einer
Erzjlhlung fassen woUte, wfirde das Ende lauten: >Die
Lage unsres Helden ist noch widriger und gef&hrlicher
geworden, als sie am Anfang der Geschichte war; aber
\ auch seine innre Kraft ist immer mehr gewachsen. Er
braucht sich nicht zu beugen*. Es geht ein starker Zug
von Trotz durch dieses Finale, und in ihm liegt vielleicht
die einzige Spur ftir die nation ale Abkunft des Werkes,
das sich motivischer Anleihen aus der b6hmischen Volks-
musik voUst&ndig enthftlt. Das Bild von Kraft und Ent-
schlossenheit, das unser Finale entroUt, wird dadurch
liebenswurdiger und reicher, da6 ihm weiche Weudungen,
die wie Sehnsucht nach Rube, wie Neigung zur Ergebung,
wie leise Klagen erscheinen, eingemischt sind. Jedermann
_^ 670 4^
erkennt eine solche wohl in den drei letzten Takten des
oben gebrachten Notenbeispiels, als dem SchluO des von
Cellis and erstem Horn gebrachten Hauptthemaa. Hit
diesem Motiv der Ergebung setzen die Violinen zun&chst
leise ein S&tzchen von 14 Takten ein, das in seinem
j&hen, aufgeregten Abbrechen uns wieder lebhaft an den
Anfang der Sinfonie, n&mlich an jene Stelle zurlickver-
setzt, wo das erste Them a des ersten Satzes in den pl5tz-
lichen verminderten Akkord anslief. Derartige Wendungen
gehen durch die ganze Sinfonie als Symptome eines auf-
geregten, iieberischen Seelenzustandes. Hier folgt dem
TrugschluB zan&chst eine Wiederbolung des Themas in
den Holzbl&sern, die sich ins Unhorbare, ins Reich des
Schlummers verlieren will. Yergeblicher Versuch! Mit
aller Leidenschaft , die ein modernes groGes Orchester
ausdrticken kann, nimmt es gleich darauf das Hauptthema
im stS.rksten forte anf. Dazwischen meldet sich in FlGten
und Oboen der Anfang eines Themas
war cat o ^
das bald in seiner Vollst&ndigkeit seinen Platz als Fort-
setzung und Steigerung des Hauptthemas einnehmen wird.
Es folgt ihm eine einfache Periode mit Verwandlangen
des Hauptthemas gefUlIt. An sie knQpft eine gleich kurze
an, der ein chromatisch aufsteigendes Skalenthema zu-
grunde liegt. Sie gibt sich ziemlich wild und heroisch
und vermittelt technisch die Modulation nach Edur. Sie
tut das aber sehr ausdrucksvoll, dringend und auf das
zweite Thema in der Stimmung vorbereitend. Dieses
zweite Thema steht regelrecht in A dur, der Oberdominant
der Haupttonart des Finale und bildet — ebenso nach
bekanntem Sonatenbrauch — einen innern Gegensatz
zum Hauptthema:
— ^ 571 <^
Zuerst bringen es die Celli, gleich darauf FlSten nnd Oboen
mit einem Abschlufi in Fisdur. Ihm folgt ein 14 Takte lan-
ges Nachspiel tkber das aus dem An fang genommene MoUy:
J J r^ J Und darauf zieht das Them a im vollen
• I •• Glanze des Tutti fortissimo noch ein-
mal vorbei. Zu einer Macht im geistigen Getriebe wird
es nicht; die Durchfiihrung des in der Sonatenform ge-
haltnen Satzes nimmt gar keine Notiz Yon seiner Exi-
stenz. Es bezeichnet einen flftchtigen und trftgerischen
Augenblick des Hoffens. Unsern Komponisten hat diese
kurze Minute des Sonnenscheins in die Sph&re Franz
Schuberts gefiihrt, mit dem er ja unverkennbare Verwandt-
schaft besitzt. In dem Abschnitt, der den Bereich des
zweiten Themas abschlieBt, spricht Dvo^ak in Schubert-
scher Zunge. Es sind Motive der grofien C dur-Sinfonie,
die uns in den Anfang der Durchfiihrung hineingeleiten,
und auch die beriihmten Posaunen aus dem ersten Satz
dieses Monumentalwerkes klingen in Dvoraks Finale
hinein. Dieser Zufall nimmt aber dem Wert der Durch-
fiihrung nichts. Ihre bedeutendsten Teile liegen am An-
fang und am ScbluO, besonders im erstern an der Stelle,
wo das Hauptthema zweimal staccato, gewissermafien
versuchsweise, und ganz leise kommt. Beim dritten Mai
(in HmoU) tritt es voUstfindig auf. Die Geigen entwickeln
das schlieGende Ergebungsmotiv zu einem I&ngren S&tz-
chen, bei dem auch Dvorak der modernen Unsitte des
ttberfliissigen Kontrapunktierens durch fleiGige, aber mehr
stSrende als unterstutzende BlUsermotive gehuldigt hat
Den Mittelteil der Durchfiihrung fiillen Variationen iiber
die Fortsetzung des Hauptthemas, ihr still einsetzen-
des Ende Umwandlungen des Hauptthemas selbst. In
der Reprise ist der tibergang zum zweiten Thema be-
sonders ergreifend. Den im Grunde doch pessimisti-
schen letzten Ausklang zu veredeln, setzt Dvofak die
schlieGenden 10 Takte in ein gehaltenes Tempo: Molto
Maestoso.
Hatte die D dur-Sinfonie sofort Dvof aks groGes Talent,
die zweite seine Reife festgestellt, so gab der Komponist
-^ 572 ^^
nun in einer dritten, vierten und fUnften Sinfonie auch
diejenigen Beweise von FleiO und Fruchtbarkeit, die von
jedem Kiinstler verlangt werden, der eine hervorragende
Stellung behaupten will. Um den Umfang von Dvofaks
Begabung, seine ganze k&nsUerische Bedeutung zu beur-
teilen. wird unter den vorhandenen Sinfonien spftter ein-
nial die zweite die wichtigste sein. Er schien mit ihr,
Hhnlich wie frfiher Gade, der Pflege nation aler Musikbe-
strebungen abspenstig zu werden. Diese Erwartung ist
jedoch nicht eingetroffen, seine dritte and vierte Sinfonie
bringen wieder reichlich b5hmische Musik.
In der Fdur-Sinfonie ist das nationale Element
mit der Reserve benutzt, die fQr die Sinfonie notwendig
ist, wenn sie nicbt zu einer bloBen Ausstellung von
lustigen oder phantastischen Genrebildern herabsinken,
wenn sie auch ferner noch dem Komponisten gestatten
soil, seine Pers5nlichkeit mit ihren Lebenserfahrungen
und ihren Talenten zu entfalten. Die bShmischen Melo-
dien sind in dieser Sinfonie nicht absichtlich herbeigeholt,
sondern sie sind im geeigneten Augenblick in die Archi-
tektur der einzelnen Sfttze eingestellt worden, wenn sie
dem Tonsetzer zuf&llig in die Hand liefen.
l.DTolhtk, Diese dritte Sinfonie Dvoraks (Fdur, op. 76) zeigt
Dritte Sinfonie. yieieriQ^ Verwandtschaft mit ihrer Vorgftngerin in den
Einwirkungen Beethovens und Schuberts; Schumann
bringt sie neu hinzu. Sie steht ihr an Einheit, an Kunst-
wert Qberhaupt sehr nahe, hat vielleicht durch die frap-
panten poetischen Einf&lle, mit der sie die Formen be-
handelt, noch etwas vor ihr voraus. Sie gleicht ihr auch
darin, daB sie als ein weitrer musikalischer Beitrag zur
Biographie des Komponisten erscheint Sie erzlihlt von
seiner Jugendzeit, von Idealen, von Herzenserlebnissen,
von wohlbestandenen K&mpfen, von L&uterungen. Der
Komponist sucht in diesem Werke die Freude:
>Auf dem saatbekr&nzten Hugel,
An des Teiches klarem Spiegel,
Auf der Au, im Buchenwald
Ist ihr liebster Aufenthaltc
-^ 573 «^
Dvoraks F dur-Sinfonie ist znm guten Teil eine Pa-
storalsinfonie. Besonders trUgt ihr erster Satz (Allegro
ma non troppo, s/4, F dur) den Charakter einer derartigen
Tondichtung. Es ist die Stimmung eines Ausmarsches
am schonen Sonntagmorgen, mil dem sein erstes Thema
einsetzt: munter im ersten Teil, fromm am SchluO:
- Allegro ma dod troppo. J s 112
Ji J'l J I ji Jm «H^I^T^^^ Die F15te singt
' ^ 0 cTIZ-s^ y^*"^ " es der Klarinette
nach und fiihrt die Melodie zu einem Cdur-Schlufi. Mit
ihm beginnt ein Abschnitt freudiger Spannung: Die
Instrumente nehmen einander Motive des Themas ab,
bald dies, bald jenes, bis sie sich in einer mftchtigen
Triolenfigur vereinigen. Diese bringt utis vor das eigent-,
licbe Haupttbema des Satzes:
|iirr.rrir^i'^'-rr r ir^n-T^^^^
yf p I ^H£^i=f=p= eine jener zahlreichen Tanz-
Ji ^ ^ ' weisen kraftvoll freudigen Aus-
drucks, an denen die bOhmische Volksmnsik so reicb ist.
Ibre Wiederbolung gibt Dvorak, wie er das liebt, den Holz-
blftsem und H5rnern allein — die Streicbinstrumente
machen nur mit einem ^^g i i^^® Anwesenheit be-
urwflchsigen Zuruf : 444 J^ merkbar — , und diese
schlieGen in A moll ab.
In dieser Tonart beginnt sofort eine Durchfiihrung.
Sie heftet sich zunftchst — acht Takte lang — in launigem
Eigensinn ausschlieOIich an den siebenten Takt des so-
eben gegebenen Themas. Celli und Bratschen haben sich
seiner bemUchtigt, die Violinen mSchten es gerne zu sich
hertkberziehen. Dann wandelt sich die Szene. Als ware
der Wald dichter und der Schatten dunkler geworden,
— » 574 ^^
tritt Ruhe im Orchester ein. Nur ein lange liegender,
leiser Akkord (A moll) tontin H5mern und Fagotten; ikber
ihm flattert noch ein melodi sober Rest in den ersten
Geigen. Jetzt nehmen die Kontrabftsse pp das Motiv des
ersten Taktes in Fdur, die Violinen antworten mit dem
bisberigen Synkopenmotiy. Wir denken uns bier unsren
Wandrer ruhend, rastend und tr&umend. Im Traum ruckt
das Entfernte aneinander. So bier Anfang und Ende des
Tbemas, des Gedankens, den er zuletzt im Kopfe trug.
Die Musik erganzt das Stimmungsbild an dieser Stelle
nocb durcb Schilderung der auOern Natur : In den Klari-
netten scblagen leise Triolenterzen an, leibbaftig die-
selberi, wie im ersten Satz von Beetbovens Pastoralsin-
fonie. Es fliistert in den B&umen, es zirpt im Grase.
Und weiter noch : Genau wie bei Beetboven rilckt die Har-
monie scbroff von vier zu vier Takten von F nacb Es,
von da nacb Des, um gewaltige Oberrascbungen anzu-
deuten. Vom letztren Punkt ab dringt wieder Licbt und
Glanz in die Landschaft und in die Seele des ScbwHrmers.
Wir gelangen rascb nacb A dur und vor das zweite Thema:
dolce
Es verbftlt sicb zum Hauptthema wie Dank zum GenuG.
Sdusikaliscb ist zu beacbten, dafi es an das Hauptthema
durcb den Synkopenrhythmus seines zweiten Taktes ge-
wissermafien unwillkilrlicb ankniipft. In seinem jugend-
lichen Drang und in dessen technischem Ausdruck tr>
es die Ziige Robert Schumanns.
Der ganze noch tlbrige Teil der Theroengruppe wird
mit Phantasien uber dieses zweite Thema ausgefullt.
Eigen ist ihm ein durchgehender Triolenrhythmus als
Begleitungsfigur, der zum SchluC melodisch wird und
motivische Bedeutung erh<. Zweimal werden die Varia-
tionen iiber das zweite Thema durcb ein Solo von Flole
und Rlarinette, das freundlich und behaglich in Secb-
zehnteln die Skala hinauf nnd hinab trslllert, unterbrocben.
-^ bib ^^
Ihm folgt beidemale ein ebenfalls aus Beethovens Pasto-
rale bcianntes Freudeschiitteln des ganzen Orchesters
auf einem zwei Takte gehaltenen Akkord im ff. So gibt
der Romponist bald im Zarten, bald im Starken dem
GlQcke, das er schildern will, reich aus Eignem erfindend
und geschickt an Vorhandnes sicb anlehnend, immer
neue Wendungen.
Die Darchfahrung beginnt geheimnisvoll beschau-
lich mit dem Triolenmotiv, das die Themengruppe
schlofi. Ihm gegeniiber, dem Vertreter der einschl&f em-
den Zaubermftchte, stellen die B9^se mit dem gleichmaBig
klopfenden . . ■ die Violin en mit einem in Akkord-
Rhythmus J y d^ \ i nolen abwSrtssteigenden neuen,
nnwesentlichen Thema den weiteren Tatendrang und die
Lust zu neuem und mehrerem GenuC dar. Diese Motive
fiihren uns bald vor das erste Thema, mit dem die Sin-
fonie pr&ludierend begann. Die F15te bringt es in Gdur.
Ebenfalls in h5chster Tonregion wiederholen die Violinen
die langsamen SchluBnoten mit Modulation nach Hdur.
Und nun folgt eine lange Strecke, in der immer wieder
in sehr regelmftOigen Abschnitten die erste H&lfte dieses
Themas voriiberzieht. Es hat gerade in dieser ersten
H&lfte den Charakter einfachster Signale, besteht bier
nur aus Akkordnoten, gewiBermaOen aus musikalischen
Naturlauten, und schlftgt damit eigentlich in ein Kunst-
fach, das die Russen und solche M&nner der &u6ersten
Linken in der neuesten Sinfoniekomposition f&r sich be-
anspruchen, von denen Dvoirak in AnsprUchen und Zielen
weit entfemt steht. Wie sehr er aber im Betrieb dieser
kiinstlerischen Spezialitat seinen Mann stellt, beweist dieser
Teil seiner DurchfQhrung. Wir haben da eine mit siche-
rer, leichter Meisterhand gebildete Stelle : ruhig und regel-
m&Big in gleichen Abstanden folgen die kleinen Bilder,
die sich gleichen, denn sie sind alle lieblich und doch
jedes anders. Miihelos fttgen sie sich zum Ganzen und
streben den H5hepunkten zu: das sind die Takte, wo
die Freude nach lauten Tonen greift. Besonders treten
die Messinginstrumente hervor. Von ihnen gebracht, wirkt
— * 676 ^^
die Sechzehntelfignr ans dem Anfang nnseres Themas
ftufierst wohlgemut and frisch ; namenilich die Stelle, wo
die Trompete — auf b-o-e-g — damit einsetzt, ist ein
hinreiOendes Gemisch von Stolz und Heiterkeit. Die
Harmonie rUckt nun von A-dur aos von zwei zu zwei
Takten immer einen Schritt weiter und gelangt allm^-
lich auf den verminderten Septimenakkord f-cu-h-d
als den Gipfel in der Entwickelung romantischer Geftthle.
Denn darin ist der Satz sehr modem, ganz und gar ein
Produkt des 19. Jahrhunderts, daB er der >hOchsten Lust*
auch einen Stich >hohen Leids» beimischt. Merkwtirdig:
alle die Instrumente , die von Natur beweglich sind, die
Violinen, die Holzbl&ser bleiben an diesem Punkt vier
Takte lang auf einem Tone im ff liegen und sind in der
HGhe erstarrt, und unten in der Tiefe tummeln sich die
schwerf&lligen B&sse niit dem lustigen raschen Motiv!
Es handelt sich hier aber um einen gewaltigen Aufschrei
der Freude, gewaltig und von einer Leidenschaft ge-
trieben, die nach Ordnung nicht frftgt. Nach diesem
Augenblick tritt die Reaktion in ihr Recht: Das zweite
Thema erscheint: die Oboe intoniert es, die Klarinette
nimmt es auf und filkhrt es vollstftndig vor. Damit ist es
aber auch abgetau. Das Tutti schiebt es demonstrativ
mit einem /jT-Einsatz des eigentlichen Hauptthemas, der
kr&ftigen slavischen Tanzmelodie beiseite, die von den
Violinen nach den Bftssen wandert. Wie keck der Ton
gegen den ersten Eintritt in der Themengruppe geworden
ist, das l&Ot sich aus der Pauke ersehen. Die schwieg
damals; jetzt stimmt sie beim Synkopentakt mit einem
Sechzehnteltremolo ein. Dieser mit dem Synkopentakt
beginnende Abschnitt bleibt nun fQr den Schlufi der
Durchfiihrung ; sechsmal kehrt er mit denselben TGnen
von g b aus wieder. Ein Ruck von Es nach Des, eine
Periode fiber dasselbe Motiv gebildet und im pp gehalten,
dann der Quartsextakkord c-f-a und auf ihm im Horn das
pr&ludierende Thema, mit dem die Sinfonie beginnt. Die
Phantasie klammerte sich an die letzten sch5nen Bilder
der Durchffihrung gewaltig fest. Nun ist die Trennung
677
doch geschehen : unvermerkt sind wir in die Reprise ge-
langt Die Runst des Komponisten hat den Schritt, der
zum RQckweg ffihrte, zu dem entzfickendsten Augenblick
der bisherigen Wanderung gemacht
In dem Verlauf der Reprise fordert die Erweiterung
des Umkreises des eigentlichen Haaptlheroas gesteigerte
Anfmerksamkeit, noch mehr die sch5ne Rombination, in
der beim Beginn der kurzen, feurig einsetzenden Coda
die Einleitungsmelodie des Satzes und sein zweites Thema
zasammenklingen. Trompeten, Violinen, FlQten, Rlari-
netten stehen auf der ersten, Posaunen, Fagotte, Gelli
and Rontrab&sse auf der anderen Seite. In Abendrot
und zartem Mondenschein gebt der sch5ne Tag, in den
uns die Tondichtung versetzt, zu Ende.
Der zweite Satz (Andante con moto, Vst A moll) ist
ein interessanter Absenker des Allegrettos in Beethovens
Adur-Sinfonie. Die Ahnlichkeit Hegt haupts&chlich in
dem ethischen und tonalen YerhUltnis der beiden Teile,
in welche die Komposition zerf&Ut. Sie entwickelt sich
um folgende zwei Themen:
Aadaote coo moto. J) = 76
und
tto pocbettloo piA masso
Die zweite H&lfte des ersten, von den Cellis einge-
f&hrten Themas moduliert nach A moll zurlick. Sein
SchluOtakt ist der Anfang^der von den Yiolinen aufge-
nommenen Wiederholung mit SchluB in D. Daran kniipft
sich ein Zwischensatz , der das Sechzehntelmotiv des
Einsatzes durchfQhrt, und ihm folgt als Fortsetzung und
Abschlufi des Satzes die bisher geh5rte Musik mit den
Bl&sem (zuerst Fldte und Fagott gemeinsam voranj als
Hauptstimmen.
EretzBcbmar, F&hrer. I, 1.
37
— ^ 578 ^>-
Zu den schonen Gedanken und Erlebnissen des ersten
Satzes der Siafonie stellt sich dieser erste Teil des An-
dante in einen gewissen undankbaren Widersprnch; als
Niederschlag aus dem triiben, an seelischen KHmpfen
reichen Stimmungskreis der zweiten Sinfonie ist der
ernsten Zafriedenheit, die in seiner Melodie sich ausspricht,
ein kleiner Satz von Schwermut beigemischt In den
Zwischensfitzen, die aus dem Sechzehntelniotiv heraus-
wachsen, ringt das GemUt nach Befreiung von dem dunklen
Rest und nach vollstandigem Licht Der Adur-Satz bringt
es. Eine Weile tragen die Bltlser allein den zwar nicht
neuen, aber an dieser Stelle wie ein Original wirkenden,
Himmelsruhe atmenden Gesang vor. Mit dem Eintritt
von Hmoll nehmen es die Violinen auf, und zugleich
tritt an dieser Stelle eine gewisse Stockung der Emp fin-
dung ein. Die Modulation gerftt ins Schwanken, es ist,
als ob eine ungesehene Macht den Weg versperrte, es
bedarf eines gewaltsamen Anlaufs. Dieser fUhrt nach
Cdur. Von da aus wiederholt sich die sch5ne Szene,
die mit Schumannschem Material die Weihe Beethoven-
scher Gebetsmomente erreicht. Die dramatische Wen-
dung, die im ersten Teil dieses Mittelsatzes mit der Mo-
dulation nach Hmoll begann, setzt jetzt mit dem Eintritt
des Themas in die Septimenfaarmonie g-h-d-f ein, es
kommt zu einer groBeren Kraft&uGerung und zu einem
verzweifelten energischen Abschlufi in dem femen £ dur.
Ihm antworten wie warnende Stimmen, zweimalige Blftser-
signale, die wie Rezitative wirken. Kleinlaut und resig-
niert tritt der vermessene Himmelsstiirmer den RUckzug
an nach der heimischen Sphere, in die engere und be-
scheidene Beschaulichkeit des Hauptsatzes in A moll, der
nach einem langen Nonenakkord auf J^ in verftnderter
Instrumentation einsetzt. Die Holzbl&ser haben das erste
Wort, die Gelli erst das zweite. Nachdem die Doppel-
periode harmonisch genau wie im ersten Teil des Satzes
verlaufen ist, nimmt die Musik einen neuen, sehr erregten
Charakter an. Ein TrugschluO nach Bdur markiert den
Anfang der Stelle. Sie endet damit, dal3, von den ersten
— ^ 579 «>-
Violinen tumnltuarisch begrQGt, in den Holzblftsern wie
ganz von fern das Thema des Mittelteils des Adursatzes
noch einmal erscheint Unter dem Eindruck dieser
Vision endet der Satz ohne innerlich znr Ruhe nnd
znm AbschluO gekommen zn sein. Am deutlichsten geht
das ans dem unvermittelten Nebeneinander von pp nnd f
hervor, in dem sich der Anfang des A moIl-Themas verab-
schiedet. Es w&re denkbar, da6 der Satz nnd namentlich
sein Schlufi anf aberglftubische nnd hysterische ZnhOrer
be&ngstigend wirkt.
Dvof ak trftgt dem ganz nngewOhnlichen Ansgang
seines langsamen Satzes noch dadurch Rechnnng, daO er
dem dritten Satz (Allegro scherzando, '/g, Bdur) eine
Einleitang voransschickt , die an die Rezitative erinnert,
mit dem das Finale von Beethovens Neunter beginnt.
Nut eine ganz knrze Panse, die Zeit l&Qi einmal auf-
atmen , soil dem Andante folgen. p«« t das in
Dann setzt sofort das Achtelmotiv 9 d i I r A moll
schloB, auf dem Dominantseptakkord f-a-e-es wieder
ein. Es veranschanlicht wohl das Klopfen des erregten
Herzens. Und nun beginnen die Celli eindringlich zur
Rube und Besonnenheit zu ermahnen. Das Tutti gibt
den Widerhall der Worte erst einsilbig, immer noch
zagend und erschreckt, schliefilich, als das Cello auf es
schlieBt, gefafiter in einem Iftngeren S&tzchen von vier
leisen Takten. Da schliefit sich an die Fermate, die hier
einem Fragezeichen gleicht, ganz unwillkiirlich ein hUb-
scher — wohl bOhmischer — Walzer, von dessen Liebens-
wiirdigkeit der Anfang
Allegro scherzapdo. ^ = 76
iJ J j I ,ff^|jj"^^ eine genfigende Probe gibt.
Diese humoristische Oberrumpelung ffihrt glttcklich
liber eine gespannte und peinliche Situation hinweg. Gre-
wifi bieten die Formen der Beethovenschen Sinfonie h&ufig
37*
-^ 580 ^^
Gelegenheit zu sinnreich^r Modifikation und poetischer Be-
lebung. Aber erst in neuester Zeit bemtkhen sich die Kom-
ponisten merkbarer, sie zu beniitzen, insbesondere die aus-
l&ndischeQ. Das hier von Dvoirak gegebene Beispiel ist
eins der auff&IIigsten und wirksamsten. Die Weiterf&hrung
des Themas ist zunftchst ganz unregelm&Big. Die Fldten
und Klarinetten nehmen es den Violinen ab. Es moduliert
nacfa DmoU und geht niit den Bl&sern nach Bdur znrUck.
Sofort nach diesem Bdur-SchluB nimmt aber die froh ge-
nititliche Tanzweise einen schwankenden Gharakter an:
der ganze Mittelteil des Hauptsatzes verl&uft stockend:
durch GeneralpauseQ , verlegene Wiederholungen ver-
sprengter Motive unterbrochen, in Fugens&tzen die offene
Ratlosigkeit verkttndend. Das Seitenthema, das sonst
Qblicher Weise dem Hauptthema Gesellschaft leistet,
bleibt aus. Es senken sich Uber die Szene die Schatten
des Abends und der Bangigkeit. Der lange Abschnitt
endet mit einem gewaltsamen, pl5tzlichen Ubergang der
Harmonie von Dmoll nach Bdur, der Nuancierung von
p zum ff, Noch einmal eine irrende und suchende
Geigenfigur und danti: Wiederholung des ersten Teils des
Hauptsatzes im ff^ demonstrativ mit Kraft und Glanz
angetan. Nach acht Takten aber schon beginnt das
Abschiednehmen , das SchlieOen und Verklingen. Dann
ein kurzer Obergang im pp^ merkwurdig durch die Ent-
schiedenheit, mit der er in fremde Tonart (nach Desdur)
f&hrt, und in dieser: das Trio auf Grund folgenden Themas
Es ist dieses Trio eine neue Idylle, ein verschwiegenes
Pl&tzchen, das sich von dem Festplan des Hauptsatzes
abzweigt, in Park und 6&umen gelegen, fiir die Zwie-
sprache von Liebenden geschaffen. Die Musik ist in
diesem Satz der Ausdruck intimster Schw&rmerei, freudig
ruhiger und inniger Gefflhle. Es verl&uft in drei Ab-
teilungen. In der ersten spielen Bl&ser und Geiger nur
zart um Bhythmen, wie das chuinann gern tut In der
zweiten (mit dem Septimenakkord des-f-as'ces setzt sie
ein) erweitert sich das Motiv durch AnfQgung des Rhythinas
ml zum Gesang. Mit dem Eintritt in Adur und
^ I * ins forte des vollen Orchesters nimmt er einen
Hymnenton an, der uns ganz an die korrespondierende
Stelle in Schuberts groBer G dnr-Sinfonie versetzt Sehr
schdn ist es, wie diese Abteilang mit dem neuen Achtel-
motiv von dieser Stelle des glUhenden Ausdrucks zurttck-
lenkt in den Ton stiller Seligkeii Die dritte Abteilung
markiert mit ihrem ersten Schmerzensakkord: des-f-aa-ces-d
den Augenblick des Abschieds, der Trennnng, die der Kom-
ponist in neaen T5nen der Innigkeit schildert Nach dem
letzten leisen Klopfen des Des dnr-Rhy thmns setzt sofort
laut und mitleidlos der tibermftfiige Dreiklang des^f^a ein
und treibt zurQck in die l&ndliche Tanzszene.
Das Finale (Allegro molto, C, Fdur) setzt in AmoU
ein, so wie der zweite Satz der Sinfonie, das Andante.
Eben falls fthnlich wie in diesem Andante h5ren wir zu-
erst nur BaOinstrumente. Es sind diesmal Cell! und Kontra-
basse, die — natflrlich in tiefer Lage — die ersten 3 Takte
des Themas
Aliegr^ moJto. J s \26 .
^^ Lip f vortragen. Eine Wendung in schwer
' I ' I akzentuierten Vierteln fiihrt nach
"• ° ^ " * G moll, und in dieser Tonart fftUt das
Tutti ff ein, und erst uber diesen Umweg gelangen wir
zu der Lesart, in der bier das Thema angeffiihrt ist Auch
sie bedeutet noch nicht die endgQltige Form fur den Haupt-
gedanken des Satzes. Dem Komponisten war eben daran
gelegen, auch hier Schema und Schablone zu vermeiden
und uns das thematische Material, mit dem er arbeitet,
in seiner En tstehung und als ein Produkt einer Stimmungs-
krise zu zeigen. Aus diesem Grunde beginnt er mit den
Bafirezitativen, mit Unmut und EmpOrung, mit den harten,
^^ 582 ^--
an Beethoven erinnernden Unisonostreichen des gesamten
Orcheaters auf den Oktaven von w and p, die dem oben
gegebnen Amolleinsatz des Tutti vorausgehen. Er bildet
eine Szene der Verwirrang und Verzweifelnng, die ihren
Charakter am bedrohlichsten in einem hinabstQrzenden
Achtelunisono ftuBert. Seinem ff folgt ein piano, der
Eile ein Zogern, und nun kommt eine nierkwurdige Stelle,
die jedermann an Schabert und an das Horn im Andante
seiner groGen Cdur-Sinfonie erinnern wird. Auch hier bei
Dvorak liegt die Vorstellung einer Wundererscheinung,
eines >deus ex machina« zu Grunde, der die wilden Wogen
sftnftigt und bandigt. Die musikalische Gestalt, die der
Komponist dieser Vision gibt, ist die einer liegenden Stimme,
die zehn Takte lang — nach jedem Ton eine kurze Pause —
immer wieder g angibt. Die B&sse steigen drunter von
e bis ins groOe g und stilktzen eine Modulation, die von
e-g-b-des aus tastend und seltsam schliefilich nach a^cts-e-g
gelangt. Danach ein Sammeln und Ausholen in den Stim-
men, und nun erst der eigentliche, der formal richtige
und notwendige Anfang des Satzes: das oben angegebene
Thema in Fdur, natQrhch mit einigen Anderungen in
den Motiven: vom zweiten Takt ab in Achteln, bei der
Wiederkehr — die sehr spannend eingeleitet wird durch
ein m&chtiges Signal auf bh — in Vierteln. So schlieOt
die Themengruppe, die duster und schwer begann, trium-
phierend, freudig kraftvoll. Aber dieser' Siegeston wird
schnell abgedampft, der Platz fQr das zweite Thema
zurecht gemacht.
Dieses fiihrt uns in die Sphftre des Adur-Satzes im
Andante zuruck, wenn das auch technisch noch nicht so
gleich zu ersehen ist. Den freien Wiederholungen der hier
mitgeteilten Periode folgt zun&chst ein sehr einfacher Nach-
gesang aus Akkordnoten
683
piK'^r r \t t ft \^jltrh \¥ ""i
diesem aber die auf dem Nonenakkord rahende Musik,
mit der in jenem Andante die Vision des Adur-Themas
verschwand. Ganz natiirlich also, dafi diese Stelle, als
sie geendet — zunHchst einen Alarm erregt.
Die DnrchfQhrnng des Satzes beginnt damit. Das
Hanptthema tritt in Cmoll auf. Bald tritt das Motiv mit
den pnnktierten Achtein — siehe den zweiten und dritten
Takt des Hauptthemas -— in den Vordergrund. Es fttgt
sich — beim Eintritt nach Asdur — zu einem Sfitzcben,
das an Wiener Tanzweisen kdstlich erinnert. Jener oben
angegebene Nachgesang des zweiten Themas and die weh-
iniitige Abschiedsmusik aus dem Andante treten an seine
Stelle. Wiedemm grofier Aufruhr, als sie geschlossen, das
hiipfende Motiv sucht sich vergeblich durch den drama-
tischen L&rm desvollen Orchesters dnrchznk&mpfen. Die
HOrner schleudein ein Machtwort drein, und durch die er-
zwungene Stille zieht langsam (tempo Andante), von Oboe,
dann von Klarinette geblasen, der Anfang des Hauptthemas
dahin. Im Trauergewand nimmt der Dichter den letzten
Abschied von seinem sch6nsten Ideal, von der Erinnerung
an jene Himmelsgestalten des Andante. Die Reprise be-
ginnt mit einer geistreichen Variation. Ein einfaches ge-
stoCenes Achtelmotiv, mit dem von Tonart zu Tonart
rUstig fortgeschritten wird, ist das neue Element. Dann
kommt das Hauptthema wieder wie im ersten Teil des
Finale, endlich in der Haupttonart: Fdur. Die Gruppe des
zweiten Themas ist einigermaBen erweitert, sie schliefit
wieder mit Nachgesang und mit der aus dem Andante
entnommenen Trennungsmusik. Aber diesmal bricht kein
Tumult aus, sondern es schlieCt sich das fromme Ende des
Einleitungsthemas des ersten Satzes an. Immer freudiger
wird nun der Ton, in dem das Hauptthema (in F) wieder auf-
genommen wird, immer pastoraler, und in den zwdlf letzten
Takten stehen wir vor dem Anfang der Sinfonie. Gl&nzend
intoniert die Posaune das erste Thema des ersten Satzes.
— • 684 ♦►-
A.DTo^ak, Dvofaks vierte Sinfonie (G dur, op. 88) ist in Eng-
Vierte Sinfonie. land erschienen und vielleicht schon aus diesem Grande
weniger bekannt geworden. Es stehen ihrer Einbargerung
and Verbreitang jedoch anch innere Schwierigkeiten gegen-
ttber: Sie ist den Begriffen nacb, an die die enrop&ische
Masikwelt seit Haydn and Beethoven gew5hnt ist, kaom
noch eine Sinfonie za nennen, dafiir ist sie vie I zu wenig
durchgearbeitet and in der ganzen Anlage za sehr aaf
lose Erfindang begrtlndet. Sie neigt za dem Wesen der
Smetanascben Tondichtangen and dem vonDvoi^aks eignen
slaviscben Rhapsodien. Die wahre Freade an dem Werk
bleibt den Landsleaten des Komponisten vorbebalten, die
in dieser and jener an sich nur bescheidnen Melodie ein
Stuck teaerster Kaltar erleben.
Der erste Satz (Allegro con brio, C> Gdar) wird von
einer elegischen Weise in GmoU eingeleitet, die durcb den
vollstftndig Schubertscben SchlaB mit der Auf ISsang nach
Dar am meisten fes-
selt. In derMitte drangt J JJlJ, HlJJJilJ.
sich ein Marschmotiv
hervor. Dieser Einleitang, die sich haapts&chlich aaf Cello
and Horn stiitzt, folgt die F15te mit einem Thema in Gdar
["■■^^1^^
das unter den zahlreichen Ideen, die dem Komponisten
wahrend dieses Satzes durcb den Kopf Ziehen, die erste
Stelle einnimmt. Nftchst ihm gelangt das Marschmotiv
zur gr5Bten Bedeutung. Nachdem das zweite Thema mit
seinem Gefolge vorbei ist, kehrt die Einleitang in Moll
wieder. Diese Stelle ist die bemerkenswerteste im Satze.
Ihr folgen Durchfiihrung and Reprise ohne nennenswerte
Beweise von Inspiration oder kilknstleriscber Energie.
Der z w e i t e Satz (Adagio, ^4, C moll) ist der originellste
der Sinfonie und einer der eigensten ^berhaupt, die wir
aaf diesem Gebiete haben. Feierliche Kirchenmasik, Sere-
naden, von fern her kecke Marschkl&nge — ganz dis-
--^ 686 ♦^
parate Elemente schliefien sich da h($chst gliicklich zn-
sammen.
Der dritte Satz (Allegretto grazioso, ^/s, Gmoll] hat
zum Hauptthema eine Melodie von sehr breitem Wurf und
einem Charakter, der sich ganz fur den Hausschatz der
ftlteren Roman tik eignen wQrde. Als Seitenthema folgt
ihr eine chromatisch beginnende Weise, die in einem etwas
halsstarrigen Ranon durchgefOhrt wird. Der beste Teil des
Satzes ist das Trio in Gdnr. Seine Melodie hat Kinder-
augen. Das Finale (Allegro ma non troppo, s/4, Gdur)
wird von einem sehr anspruchsvoUen Trompetensolo ein-
geleitet, das nns wohl zn einem Nationalfest raft. Volks-
spiele in Gestalt von Variationen fiber eine Paraphrase
des Hauptthemas vom 1. Satze — siehe das erste Noten-
beispiel — fallen es zum grQBten Teil aus.
Eduard Hanslick fafit in seinem Buche: »Fttnf Jahre
Musikc einige Kammerkompositionen Dvof aks als des Kom-
ponisten >Amerikanische Musik< zusammen. Das Haupt-
stilkck dieser Abteilung zu sein, darf Dvof aks neueste, seine i. DTolFak,
fUnfte Sinfonie (EmoU, op. 96) beanspmchen. Sie fahrtFttnft«Smfome
off en den Titel >Aus der Neuen Welt«. Ein Programm
will diese Bemerkung wohl kaum bieten, die Sinfonie malt
und schildert nur sehr bescheiden. Sie sollte den Freunden
Dvoraks ein Lebenszeichen bringen, die Fragen nach sei-
nem Tun und Ergehen nach echter KUnstlerart nicht mit
Reden und Worten, sondern mit einem Stiick seines besten
Lebens beantworten. Da kann sich jeder Uberzeugen, ob
er noch der Alte im fremden Lande geblieben. Sp&rlich
und nicht gerade imposant kommen einige neue Ein-
drtlcke zum Vorschein, die die New Yorker Zeit in Seele
und Phantasie verursacht hat; mUchtiger schlftgt aus dem
originellen KOnstlerbrief die Sehnsucht nach der alten Hei-
mat, die Liebe, die ihn an der V&ter Sitte bindet, hervor.
Einen ^uBerlich greif baren Niederschlag des Amerika-
nischen Aufenthalts bietet die Sinfonie in einer handvoll
aus der V.olksmusik der Neger oder der Indianer stammen-
den Originalmelodien , die in den einzelnen Satzen des
Werkes verstreut und versteckt sind. Der amerikanische
-^ 586 ♦^
Neger hflngt mit der Musik fast ausschlieGlich durch den
Rhythmus zusammen; bei weitem h5her stehen die In-
dianerweisen. Ihnen begegnen wir deshalb auch b&nfiger
in Instrumentalkompositionen der jungen amerikaniscben
Schule; auch Heinrich Z51Iner bat in einem seiner Ch5re,
dem >Indianischen Liebesgesang«, eine sebr biibsche
Probe davon gebracht. Dafi ein Vertreter nationaler
Elemente in der Kunstmnsik, wie Dvofak, Volkaweisen
iiberall, wo er sie findet, teilnehmend nnd liebevoU be-
handelt, versteht sich obne weitres. Wenn wir trotzdem
sehen, da6 ans dem amerikaniscben Material in dieser
Sinfonie nicbt viel geworden ist, so fQbrt diese Tatsacbe
zu der Vermutung: dafi die Natur dieses Materials dem
Wesen der Sinfonie zu fremd gegenttbersteht.
Der erste Satz beginnt in einer langsamen Einleitang
(Adagio, Vs) Emoll) mit nachdenklicben, durch Synkopen-
rhythmus gezeichneten Motiven, die leise von den Gellis
zu den FlOten ziehen. Pldtzlicb setzt das Streichorchester,
an das Synkopenmotiv anknOpfend, unisono im /f ein,
die Pauke dr5hnt, scharf fahren die Bl&ser auf, die Har-
monie ist von Emoll nach Bdur gesprungen. Es mu6
etwas Bedeutendes vorgefallen, eine groOe Wendung ein-
getreten, ein wichtiger EntschluO gefaCt sein. In der
neuen Tonart treten neue Motive auf: die Bedenklichkeit
(in den HolzblHsem) wird vom Wagemut (Celli, Bratschen,
Horner) vertrieben. Die aufsteigenden T5ne dieses zweiten
Motivs kiUnden das Hauptthema des Allegros (^4* Emoll)
an, das nach wenigen Takten eintritt. Seine vollstSndige
Gestalt
Allegro mglio. J =136
Corno.
ruht in der ersten H^lfte auf dem Klang des zweiten
Horns, in der zweiten auf Klarinetten und Fagotten,
spricht in jener groOes Sehnen und Erwarten, in dieser
etwas stiirmisch Behagen und Befriedigung aus. Die
n&cbste Wiederholung, an der Spitze die Oboe, fQhrt nach
— t 587 %^
Gdur nnd sofort mit TrugschluB nach Hdur. Yon da an
setzt es mit der ersten H&lfte allein zn neuen Sfttzen an;
die Stimmung schwingt sich auf, und es kommt zn einer
neuen Wiederholung des Hauptthemas in seiner Origin al-
tonart im fff, Im Triumphe zieht es vorfiber, gefolgt
von einer Kette froher GefQhle tkber das leitende Motiv
der zweiten Themenhlllfte gebildet. Ehe man es erwartet,
wird abgebrocben; der frendige Ton wird schw&cher,
zOgert und schwankt Wir stehen vor einem psycho-
logischen Vorgang, wie ihn jeder jeden Tag erlebt: Eine
F&lle innerer Gefiihle schwindet pldtzlich vor einem Ein-
druck, der das ^uBere Auge getroffen hat. Die kleine
Barbarenmelodie
Fl.a.Ob. ^^
^; r \c r r f ; ^ r
ist in Sicht gekommen. Alles was Dvorak bisher gegeben
hat, konnte in Europa heimisch sein; diese Tanzweise
f&hrt uns zum ersten Mai in die neue Welt, wenigstens
auf einen der Rultur entrQckten Boden. Das sagt uns vor
allem das f an Stelle des fis. Wo der Leitton aufhort,
da beginnt das Naturvolk oder das Altertum. Der fremd-
artige Charakter der Weise wird aber durch Nebenum-
st&nde noch untersttitzt. Da ist das Horn, das die ganze
Zeit d in Vierteln gibt Auch in den Violinen zittert
und schillert dieses d. AIs das amerikanische Thema zum
ersten Male erscheint, da hat der Komponist noch nicht
die Absicht, sich ihm gefangen zu geben. Die F15ten
und Oboen bringen es als Kontrapunkt, als Begleitstimme ;
die geistige Fiihrung Hegt, wenn auch nur leise, noch in
der Klarinette. Aber schon nach 8 Takten ist das anders.
Da kommt die Melodie der Wilden in die zweite Violine
und bringt ihren ganzen aus der Heimat gewohnten
Musikapparat mit: die liegenden Stimmen und die Quinten-
b&sse. Und nun ist auch die Phantasie des Tondichters
auf eine weite Strecke ganz von diesen drolligen Mo-
-<^ 588 ^--
tiven in Beschlag genommen. Er sacht sich ihrer mil
einer ernsten Bafiweise zu erwehren, aber drQber spielen
die Sechzehntel weiter nnd in den Holzbl&sern kommen
gar nene Motive dazu, die mit Pralltrillem and kecken
Rhythmen des Abendl&nders zu spotten trachten. Die
lustige Weise war nur ein Vorlftufer; in das eigentliche
amerikanische Musikwasser kommen wir erst mit dem
zweiten Thema, das die FI5te in Gdur bringt
P
Mit ihm schliefit auch der ganze erste Teil des Satzes,
die Themengruppe sofort ab.
Die DurchfUhrung beginnt, indem sie an das Ende
des zweiten Themas anknUpft, anf dem iiberm&Gigen Drei-
klang g-h'dis, der 12 Takte lang immer leiser gehalten
wird: Der Dichter, von den neuen Eindrucken Uberw<igt
und verwirrt, schlummert ein. Wie im Traum tritt nun
in seiner Seele das entlegenste zusammen: der Anfang des
zweiten Themas und der SchluB des ersten. Dann kommt
dieses zweite Thema — jetzt in Adur and Amoli — in
einer n&rrischen VerkQrzung und zerrissen, die erste Hftlfte
in den Cellis, die zweite in den Holzbl&sern, unaufh5rlich
nach vom. Die Kombination von erstem und zweitem
Thema kehrt wieder. Dann stellt sich der Anfang des
Hauptthemas mit ein, und sobald es sich gezeigt, ist der
Traumcharakter fUr eine Weile preisgegeben. Jedes der
aus seinem Zusammenhang gerissenen Elemente sucht
sich durchzusetzen und mit Gewalt zu behaupten. Das
gibt eine Art Riipelszene mit groCem L&rm. Erst am
Schlufi der im ganzen knappen Durchfuhrung, wo das
Hauptthema entschieden die Oberhand gewinnt, tritt
wieder Ruhe und Klarheit ein.
Die Reprise verl&uft regelm&fiig bis auf den un-
wesentlichen Umstand, daB das zweite Thema in Asdur
steht. In der Coda laBt Dvoi-ak zweites und Hauptthema
gleichzeitig spielen: jenes in den Trompeten, dieses in der
Altposaune. Der ganze SchluB ist in Farbe und Harmonie-
-^ 589 ^^
haltung sehr gl&nzend und rflhmt den Freunden in der
Heimat die »Neue Welt< im Superlativ.
Der zweite Satz (Largo, C) Desdor) ist wohl der-
jenige, der bei den meisten Zuhorern der Sinfonie einen
dauemden Platz in ihrer Erlnnerung erobert Er ist yon
der eigent&mlichen, rubigen und trftumeriscben Sch5nbeit,
darcb die uns zuweilen Bilder der Wuste, der Steppe,
der Pufita so m&chtig ergreifen. Die Stille and die Gr50e
der Sebfl&che und der unbestimmte Glanz der drUber
liegt, wirken gemeinsam, Pbantasie und Sinne zu n&bren
und noch mehr zu reizen. In der Musik finden wir die
Seitenstucke zu dem Satze Dvofaks am n&chsten bei
Borodin und Rimsky Korsakoff. Es bandelt sicb urn einen
neuen Ton, dem sicb von den <eren nur Liszt in seinen
Ungariscben Rbapsodien n&bert. Dvofak bat vielleicbt
Eindrticke der Pr&rie in sein Largo gemischt.
Der Satz beginnt »wie Orgelton und Glockenklangc
roit feierlicbem, breitem Akkordenvorspiel der Messing-
bl&ser. Darauf setzt das engliscbe Horn zu folgendem
Gesang an:
Largo. J = 62
^
Dps Des F Ges.As.Des
Das ist die Stimme des Gottesfriedens, der beiteren
Andacbt, der kindlicben Unscbuld, erbebend und lieblich
zugleicb. Der Satz wird unter Mitwirkung von Klarinetten,
dann Fagotten zu einem bescheidenen Lied von 16 Takten
erweitert. Da kebren die einleitenden Akkorde, jetzt in
den Holzblasern, zum Abscblufi wieder. Darauf nebmen
die Violinen das Tbema zu einem kleinen Satz, der dem
Mittelteil des dreiteiligen Liedes ungef&br gleicbt, das
ScbluGwort bat das engliscbe Horn. Ibm nacb gibt, wie
im fernsten Ecbo, das Horn con sordino die Motive des
ersten Taktes nocb einmal. Dieser bis hierher reicbende
erste Teil des Largo ist in Desdur geblieben. Der zweite
setzt in GismoU ein. Sein tbematiscbes Material bestebt
aus mebreren Stiicken.
690
Das erste StUck wird vom folgenden Theina gebildet:
Uo poco ptii moBso.
LL£r I rTrrUQl^M
Cis.
E^"'"'C
GiB — ris
I Es bringt von aaOen her, &hnlich~wie die
^ GmoU-Melodie des ersten Satzes der Sin-
E — Cis fonie, Bewegung in die bis dahin feierlich
rohige Szene. Als zweites Sttick folgt ihr ein langsamer
Gesang in den Klarinetten
Uo poco meoo mosso.
s
Ersichtlich Ziehen Schatten durch ihn. Glich das Desdar-
Thema^ einem Dankgebet, so dieses einer Bitte um Schutz
vor Gefahren. Ziehen wir aber die Erregung mit in Be-
tracht, die sich in den Rhythmen der begleitenden Streich-
instrumente ausspricht, ferner den leisen Ton, in dem
der Satz gehalten ist, drittens den deutlichen nation alen
Anklang in der Melodie, so diirfen wir den Abschnitt
wohl auch auf Heimatserinnerungen des Komponisten
deuten. Das eine schlieBt in diesem Fall das andere
nicht aus. Was der Poesie versagt ist, verschiedene
VoEstellungen und Empfindungen miteinander in der
gleichen Sekunde zur Anschauung zu bringen, — die
Musik kann es.
Die von diesen beiden thematischen Stiicken gebil-
dete Grappe wird, und zwar in derselben Tonart, wieder-
holt. Der Hauptunterschied ist, daO jetzt die Violinen
fuhren. Zu dem Triolenthema bringen die HolzblSser
nachahmende und verstarkende Kontrapunkte. Wie das
bei Wallfahrten h&ufig vorkommt, daO sich an die reli-
giosen Zeremonien ein hunter Jahrmarkt anschliefit, so
folgt jetzt dem Cismoll-Teil ein dritter Abschnitt unseres
Largo in Cisdur, dessen Gharakter durch das ihm zu
Grunde liegende Thema
591
p
geniigend gekennzeichnet wird. Es l&uft erst durch die
oberen Holzbl&ser, dann nimmt es das Streichorchester
auf und treibts mit ihm zu einer wilden, bacchantischen
Lustigkeit, die sich mit der Schnelligkeit entwickelt, in
der nur Naturvolker ibre Exnpfindangen wechseln. Die
Trompeten setzen das Tdpfelcben auf das i des toUen
Spuks. Sie sind es aber aucb, die scbon im nacbsten
Augenblick der aus Rand und Band geratnen Gesellscbaft
der Instrumente wieder den ernsten Zweck der Versamm-
lung zu Gemtite fQhren. In einem unerwarteten Adur
(unmittelbar auf die Cisdur-Akkorde) bringen sie den
Anfang des Haupttliemas des Largos, des Desdur-Tbemas.
Es folgt, in seiner Originalgestalt und vom engliscben
Horn gesungen, diesem Appell auf dem FuBe. Als es
die Geigen aufnehmen, macht sicb — in drei Fermaten —
ein wundersames Stocken bemerkbar. Der Satz verklingt
poetisch, als wenn sicb Nacht iibers Land breitet. Ganz
nahe am Scblusse h5ren wir auch nocb einmal die feier-
licb langsamen BllUerakkorde.
Das Sober zo derSinfonie (Molto vivace, s/4,E moll) ent-
faltetjn seinem Hauptsatz einen barten Humor. DieseHarte
berubt weniger auf dem melodiscben Tbema des Satzes
I als auf der
Mono vivace. J.. 80 EiukleiduUg,
^ijy^ ir r 1 II I r irn^ die ibm d^
•^ *■ Komponist
gibt. Mit einigen erscbreckenden ScblUgen meldet es
sicb in den einleitenden Takten, l&Ot seine ersten Acbtel
befremdend, ziigellos durch die Streichinstrumente sausen,
erscbeint dann endlicb vollst&ndig, aber auf einem g^z-
lich unbefriedigenden Akkord, (auf der Dissonanz h-d-e-g),
so wie es die russiscben Melodien zu tun pflegen. Als
es zum zweiten Male seinen Weg sucbt, stellt sich ihm
die Klarinette rechthaberiscb und ungeberdig entgegen.
Dann hat sich wieder das Tutti des Streichorcbesters in
--^ 592 *—
einem tiberm&fiigen Dreiklang verfizt, and als es endlich
in die richtige Harmonie gekommen ist und im ff die
UnglQcksmelodie durchdrQckt, stellen wieder die Hdrner
mil ganz qaerk5pfigen T5nen alles Erreichte in Frage
and finden leider bei den sftmtlichen Holzbl&sem Unter-
stCltzang. Nar die Basse fQhren anter diesen UxnstSlnden
die Absicht mit dem Scherzo thexn a darch. Aber uach-
dem der Form soweit geniigt ist, l&Ot man es allgemein
fallen. Ganz wider alien Branch tritt schon jetzt das
Trio ein, ein etwas langsaro gehaltener Satz in Edur
mit folgendem Haaptthema
^f-^J]}T*JTm\ni I.J I
Seine beiden ersten Noten erkl&ren ans, waram der
Satz bisher so wanderlich verlaufen, warom der Scherz
in einen Streit ausgeartet ist Der zweite Satz, das schOne
Largo, beherrschte noch die Phantasie, und was hier in
diesem Trio in den Holzblftsern, sp&ter im Cello gespielt
wird, ist ein Anklang, ein Nachklang seines Desdur-
Themas, der Melodie des enghschen Horns. Doch lange
daaert der Frieden dieses Trios nicht. Das Thema des
Hauptsatzes setzt wieder ein im dreifachen p und in
Edur. Aber bald wird das Wetter schlecht: ein ver-
zweifelt vorw&rts schiebender tJbergangs- und Modu-
lationssatz, bei dem die Trompete eine sehr wichtige
Rolle spielt, bringt uns wie im Flug wieder nach EmoU-
und gleich an die Stelle, wo die Hdrner das /jfdes Haupt-
themas so heftig bestritten. Sie haben jetzt auch die
B&sse auf ihrer Seite, und es kommt zu einem schnellen
SchluO, Oder vielmehr einem Abbrechen. Es ist still
geworden. In den Bl&sem h5ren wir wie einen Wehruf
wiederholt: ck, die Geigen intonieren dazu wie stumpf
und mechanisch das Quintmotiv, mit dem das Thema
des Hauptsatzes beginnt. Da werfen die Celli und nach
ihnen die Bratschen in die allgemeine Ratlosigkeit das
--t 593 *—
Hauptthema des ersten Satzes der Sinfonie hinein, auf
das vor dem letzten Sturm, wohl unbemerkt, die B&sse
scbon einmal angespielt haben. Jetzt tat es seine Wir-
kang. Es beginnt ein friedlicbes Spiel um folgende ein-
fache Tanzweise
Molto ylrnit
rftl,fftf ,f<^p-^
die UDs wieder in die dentsche Yolksmusik, wieder in die
N&he yon Dvofaks grofiem Ahnherrn Franz Scbubert
fiihrt. Dem Cdur-Satz, mil dem dieses neae Tbema be-
ginnt, folgt eine Fortsetzung in G mit weiteren htibschen
Motiven als zweiter Teil, und dann kommt der Cdar-Satz
wieder. Es handelt sich also in der Komposition unseres
Scherzos um die Einschiebung eines dreiteiligen Lied-
satzes an die S telle einer etwaigen Darchfahmng. Durch
diese Einschiebung, weiter durch die Vorschiebung des
Trios, durch die Aufnahme von Themen aus dem zweiten
und ersten Satz hat aber Dvofak seinem Scherzo einen
ganz auOerordentlich individuellen Charakter gegeben.
Das hergebrachte Formenschema ist zwar benutzt worden,
aber die Formen haben eine ganz unerwartete Bedeutnng
und SteUung erhalten. Der eigentliche geistige Haupt-
satz ist der Cdur-Satz geworden, den wir eben ver-
lassen haben. Dvofak hat seine wiederholt gerUhmte
Kunst der poetischen und dramatischen Belebung Beet-
hovenscher Formen wiederum glftnzend bewiesen. Man
kann nur wunschen, daB di^ser Beweis auch als Muster
dienen moge!
Die Coda des Satzes ist vorzugsweise dem Haupt-
thema aus dem ersten Satz der Sinfonie gewidmet; ganz
am Schlusse spielt die Trompete noch einmal auf den
eingeschobenen Cdur-Satz an und bekraftigt damit die
Wichtigkeit, die er in dem nun beendeten Satz ge-
habt hat.
Das Finale der Sinfonie (Allegro confuoco, C) Emoll)
beginnt in einem fthnlichen Balladenton wie der Schlufi-
Eretischmar, FlUirer. I, 1. 38
I
594 4^
satz von Gades Cmoll-Sinfonie. Auch Ihexnatisch f&hlt
man sich an dieses Werk erinnert, wenn das Hauptthema
wie folgt einsetzt:
Allegro COD fuoco. Jz 182
j*"Jrrirpi n i jiTi irr''nrrr i
.i^Horner Q. TrompeteD>
p [r f ^ r I fl^ ^^®^ ^®^ Charakter der indiani-
• schen Kriegsmelodien, wie sie etwa
Baker xnitteilt*), geht es mit groOem Schwung hinans.
Es kdnnle ein Kampflied der Puritaner aus den Unab-
h&ngigkeitsk&mpfen sein. Nachdem das voile Orchester
die Melodie abgeschlossen hat, findet ihr Siegesmut
einen weiteren, nicht mehr feierlichen, sondem kr&ftig
weltlichen Ausdruck im folgenden Thema, das seine
frexndlM.ndische Abstammung durch dreitaktiges Metrum
kundgibt
Zum zweiten Male in der Haupttonart, BmoU, gebracht,
verliert es sich anff&llig schnell. Die Harmonie sitzt auf
dem venninderten Septakkord cts-e-g-h fest; zu den vielen
alarmierenden Elementen, die an der Stelle zusammen-
kommen, steuert auch das Schlagzeug bei. Wie geister-
haft tritt als zweites Thema des Finale der Gesang der
Klarinette ein
T
^ dim.
Er bedeutet Heimweh, Sehnsucht nach 'Vaterland nnd
Freanden, den EntschluB znr Rilckkehr in die alte Welt.
*) Th. Baker: t)ber die Musik der nordamerikanlschen
WUden. Leipzig 188^
^ 595
Wenn wir es aus dem Thema selbst nicht verstehen
sollten, aus dem schmerzlichen Einsatz, so sagt es uns
das Motiv, das im 6* Takt begleitend einsetzt Das stammt
aus Dvoi-aks letzter Sinfonie, aus seiner vierten, seiner
bOhmischen Sinfonie. Diesem elegischen Thexna der
Klarinette, das die Violinen bald anfnehmen, scbickt
Dvoi^ak einen frOhlichen Nacbfolger hinterdrein ,
Sein letzter Taki Ir> in Qbermii tiger Fftrbung langbin
die Fortsetzung, bis ibn zuletzt der Fagott, mit dem Cello
vereint, leise aufnimmt und das Motiv ins Humoristiscbe
wendet Ein wenig klingt es ja auch an den Mittelteil
des Cdursatzes iro Scberzo an.
In der Durchfiihrung wecbselt znnftchst dieses Motiv
der Heimkebr — wie wirs wohl nennen dQrfen — mit
BruchstQcken der amerikaniscben Them en des Finale.
Dann Eetzt in Fdur die scb5ne Hauptmelodie des zweiten
Satzes der Sinfonie, des Largo ein, tritt glSnzend und
glfinzender heraus. Daneben stellt sich dann der Anfang
vom Hauptthema das Finale, pldtzlicb tritt das Horn,
thema herein, mit dem die Sinfonie begann: das Motiv
der Erwartung. Jetzt gilt es wohl der Heimreise. Noch
eine Weile streiten sich im Gemiite des Komponisten und
in der Durchfiihrung ahe und neue Welt. Dann erscheint
im Meno mosso das Hauptthema des Finale piano von
der Oboe in tiefer Lage und vom Horn seblasen, bald
darauf das zweite Thema, das Thema de^Heimwehs in
Edur. Der Abschied ist genommen, der Entschlufi zur
RQckkehr gefaGt, und entschlossen , freudig wird er aus-
gefuhrt
Zwei nachgelassene Sinfonien des Komponisten, i. DTo»k,
die eine in Es aus dem Jahre 1872, die andere in D moll, Zwei nachgela*-
1874 komponiert, sind unbeachtet geblieben. In ^'^^^^^l^^^^^^^
Esdur-Sinfonie ist das Adagio sehr bedeutend. Gleichfalls "" nade"*'**
ziemlich unbekannt geblieben ist auch Dvofaks Sere*
38*
— ^ 596 «^
nade f&r Blasinstrumente, ein durch die liebenswiirdige
Mischang von individuellen und nationalen Ziigen eigenes
und fesselndes Werk.
zdenko FlbiSh, Unter den weitern bdhmischen Beitr&gen zu Sinfonie
Sinfonie in Ea.^nd Suite erregen die Arbeiten von Zdenko Fibi6h
deshalb das Interesse, weil dieser Komponist durch Ouver-
tiiren und fihnlicbe eins&lzige Werke ein starkes, in der
Erfindung hervorragendes Talent bewiesen hat. Von
seinen zwei Sinfonien ist die zweite (in Es dur) in Deutsch-
land bekannt geworden, bat sich jedoch nnr wenig ver-
breitet. Das hegt wesentlich an ihrem ersten Satz. Die-
ser setzt mit einem breiten Tbema ein:
Allegro moderate.
ft.L -. Horner. a> "Viol. _,
Holzblaser.
F
^ ir ^*f'J''j u^.>jvii^
das den Ton einer erhabnen Naturode anschl>, an
Wagners Vorspiel zum Rheingold und an ahnliche Ton-
oder Wortdicbtnngen erinnert, die auf langgeschwungnen
sch5nen Wegen zu einem m&chtigen, unvergefilichen
Hdhepunkt fQhren. Wir sind in einer Stimmung wie in
der Morgend&mmerung. Der Sonnenaufgang kommt aber
nicht in dem Satze. Es fehlt ihm eine groGe, klare Ent-
wickelung, sogar in der fiuOren Gliederung bleibt er etwas
verwischt — hat nur prftludierenden Charakter und ist
ffir seine NatUr zu lang. Dafi die Absichten des Kom-
ponisten weit gin gen, ist daraus zu ersehen, daB er nicht
blo6 das erste Thema des Satzes, sondern auch das an
und fiir sich nicht bedeutende, vom folgenden Anfang aus
^ ^ l,?rv- sequenzenmfiBig weiter ge-
'^kV f" ff^ I ^ ' I ^^^^*® zweite Thema in die
' I ' ' spftteren Sfttze hineinzieht
Diese enthalten sehr viel Frische, Kraft, Poesie und Kunst
und lassen es bedauern, daB der Anfangssatz der Sinfonie
•^ 597 ^^
nicht besser gelungen ist. Das nationale Element tritt bei
Fibioh in diesem Werke gdnzlich in dem Hintergrund; nur
das Scherzo enth< in dem Cmoll-Abschnitt einen Teil, der
auf Volksmusik zuriickgefiihrt werden kann. Deatlicher
verr&t seine Sinfonie die Einflilsse Beethovens, Mendels-
sohns und Wagners. Das im Entwarf hervorragende Adagio
der Sinfonie, das durch EinfQgung eines mit der »G5tter-
d&mmerting« verwandten Marschmotivs aus dem Elegi-
schen ins GroBdramatische w&chst, stellt diese drei Messier
dicht zusammen.
Unter den jQngeren Komponisten, die in den Fu6-
tapfen Smetanas and Dvoraks fQr die Existenz und Be-
deutang der b6hmischen Schule in die Schranken ge-
treten sind, haben die verhftltnismftfiig grGfiten Erfolge
J. Sack and 0. Nedbal gehabt, jener mit seiner Sin- J. Saek.
fonie Asrael und einer M&rchensuite, dieser mit seiner A. Nedbal,
Suite mignonne. Auch Y. Novak geh5rt mit seinen sinfo- T. NoTtk.
nischen Dichtungen unter die FQhrer der Schule.
Den kQnstlerischen Zielen nach gebCkhrt unter den J. Bmek,
Werken dieser Tonsetzer der erste Platz dem Asrael Asrael.
von J. Suck. Diese Sinfonie geh5rt allerdings schon
dem Sto£f nach nicht ins Bereich freundlicher und ein-
nehmender Kunst, denn sie schildert in ihren fiinf S&tzen,
von denen die ersten drei den ersten, die beiden letzten
den zweiten Teil der Komposition bilden, nur trQbe Schick-
sale, ihre TOne sind deshalb fast ausschliefilich auf den
Ausdruck von Trauer, Klage und Sehnsucht gerichtet,
Tristanstimmungen darchziehen selbst ihr Scherzo. Dazu
macht es der Komponist dem Hdrer auch noch durch
seinen Stil schwer. Auch bei Suck zeigt es sich wieder,
dafi die nationalen Schulen ein besonders fruchtbarer
Boden fdr grammatische Ktihnheiten und Extreme sind:
er neigt weit fiber den Bedarf hinaus zur Ghromatik, zu
Dissonanzen und sekundftren Kontrapunkten und zu all
dem Luxus und Ballast demonstrativ modemer Opern-
und Instrumentalmusik, den man einfach als »falschen
Wagner< bezeichnen darf. Aber eine beachtenswerte
Leistung, mit der auch die deutschen Musikfreunde sich
-^ 598 ^^
vertraut xnachen sollten, ist dieser Asrael immerhin. Was
ihn auszeichnet, ist das Talent in der thematischen £r-
6ndung und der feste Gharakter in der Durchf&hrung der
poetischen Aufgaben.
St&rker als in anderen Lftndern hat sich der Kultus
nationaler Masik in Rufiland entwickelt. Es ist erst
durch die nationale Bewegung an die Pflege der h5hren
Instrumentalmusik herangefi^rt worden und hat sich
wanderbar schnell, obwohl ihm Orchester, Konzerte und
eine Menge der wichtigsten Vorbedingungen zu fehlen
schienen, in ihr eine hervorragende Stellung errungen,
die sich eine Zeit lang sogar zur Fuhrerschait anzu-
lassen schien. An Fruchtbarkeit steht die russische
Schale obenan und ihre Orchesterkomposition weist dem
Yolkstumlichen Element einen so breiten Raum zii, dafi.
selbst diejenigen Komponisten, deren Bildung eine ent-
schieden westliche und internationale ist, sich jener
nationalen Strdmung nicht entziehen konnen. Der all-
gemeine europaische Musikschatz ist durch die Russen
stark mit Temperament bereicbert worden; weniger mit
Ideen. Denn die Mehrzabl ihrer Tonsetzer bewegt sich
in den nationalen Extremen von Weichheit und Ausge-
lassenheit. FQr Kontrapunkt und Instrumentation brin-
gen sie eine aufierordentliche Bildung und Begabung mit,
die ihrer Musikschule groOe Ehre macht. Ihre Leiden-
schaft filr das aas den Volkst&nzen der Heimat gewohnte
naturalislische Variieren mufi jedoch auf die Dauer die
Form der Sinfonie zerstdreu und bedroht folglich auch
den Geist dieser Gattung wie kein zweites unter den
neuen Elementen. Das patriotische Streben der jungen
russiscben Tonsetzer wird durch den Reichtum an heimi-
schen Weisen begUnstigt, tiber welche das vielst&mmige
Riesenreich verfugt. Augenscheinlich sind es die der
Kultur ferner stebenden Volkerschaften, zu deren musi-
kalischen Schfttzen sich die Schule besonders hingezogen
fiihlt. An Gedankengehalt bieten die Weisen dieser Na-
turvdlker durchschnittlich wenig: zum kleineren Tell sind
es langsame, auch innerlich wenig bewegte Melodien,
•--<^ 599 «—
aus denen die Melancholie and die Unendlichkeitsstim-
mang der Steppe spricht, zum weit gr56ren aber kurze
Tanzweisen, welche sich dnrch fortgesetzte Wiederholnn-
gen desselben Motivs weiter fristen. iSie halten in Bezug
auf melodischen Wert keinen Vergleich aus mit dem,
was die Ungarn nnd BOhmen auf diesem Gebiete aufzn-
weisen haben, und selbst die Melodien der Skandinavier
sind ihnen an Reichtum der Pbantasie, an Freiheit und
Mannigfaltigkeit der Form i!kberiegen. In dieser Bezie-
hung bieten die russischen AUegrothexnen der k&nstle-
rischen Behandlung groBe Schwierigkeiten. Aber diese
Nomadenmnsik hat andere Seiten, von welchen aus sie
auf die kunstxnftOige Komposition sehr belebend einwirkt.
Sie neigt zu dramatischen Formen und bietet im rein
Klanglichen die erstaunlichsten Origin alerscheinun gen.
Das Tonleben jener russischen Stftmme, welche an den
Ufern der Wolga, an den Ktisten des Schwarzen Meeres
und in den T&lern des Kaukasus dem Krieger- und Hir-
tenberuf obliegen, n&hrt sich von den Klftngen der Natur;
ihre Harmonien bilden sie nach dem Verm5gen der am
liebsten glissando ansprechenden Balalaika und nach der
Gnade von Instrumenten, welche der sanglustige Reiters-
mann zu Pferde handhaben kann, ihre Akkorde werden
nicht von gebuchten Kunstlergesetzen geregelt, sondem
vom Zufall, von der praktischen Beqnemlichkeit und dem
Streben, sich Gehor zu scha£fen, ihre Rhythmen und
Metren wechseln wie die Launen des Naturmenschen.
Von daher kommt in den Orchesterwerken der jungrus*
sischen Schule der bukolische Grundton, die h&ufige
Yerwendung einfacher und doppelter liegender Stimmen,
von daher kommen die elementaren Ausbruche unge-
zQgelter Lust, von daher der Eifer und auch das GlUck,
mit welchem diese Tonsetzer ungewohnten instrumen-
talen und harmonischen Kombinationen nacbgehen, die
naive Freude an dem Wechsel der Klangfarben, das Be-
hagen, mit welchem sie lange Strecken ein unbedeuten-
des Motiv von einem Instrumente zum andern wandern
lassen. Von der kUnstlerischen Seite, in Bezug auf
--t 600 ^^
Phantasie and Form geprilft, sind diese nationalrossischen
Orchesterkompositionen im Durchschnitt erfreulich, teil-
weise im hdchsten Grad fesselnd — immer dabei voraus-
gesetzt, dafi hinter dieser rnssischen Musik noch mehr
als hinter der rnssischen Literatur eine von der onsren
wesentlich verschiedne Welt steht. Wie jede in der
Bildung begriffene Schnle, hat auch die jnngrussische
barocke und nnreife Werke auf ihrem Konto stehen : nn-
gehenerliche Versnche, Stoffe aus der rnssischen Sage und
Geschichte mnsikalisch zn bew<igen. Aber die Mehr-
zahl der Komponisten h< sich ungef&hr an den Typus,
■• Oltnka. welchen M. Glinka, der Vater jener Schule, in seiner
Kamarinskaja, die Enropa zuerst mit russischer Instru-
mentalmusik bekannt machte, anfgestellt hat: die Stim-
mang naiv, heiter, droUig, ausgelassen, von grotesker
Oder trftumerischer Poesie, die Form besonders gem durch
w5rtliches Wiederholen und leichtes Variieren entwickelt.
Wie Glinka selbst, haben auch seine n&chsten Nachfolger
Dargonliisky. Dargominsky und A. S^row sich nur der Variation und
i. Serow. ^QQ kleineren Formen gewidmet. Die erste Russische
S inf onie hat, wie bereits erw&hnt, 1866 der heute als ein-
Blaiiky- geschworener Program musiker bekannte Rimsky-Kors-
Konsftkow. sakow, damals noch Marinekadett, auf einer Welt-
umsegelung komponiert*]. Europa erfuhr von dem emst-
lichen rnssischen Wettbewerb in Sinfonie und Suite
p.TBciiatkowsky. Oberzeugenderes erst durch die Arbeiten Peter Tschai-
kowskys. Ihn wird die Geschichte, trotz des kuriosen
Widerspruchs seiner Landsleute, als den Hauptvertreter
der rnssischen Schule ansprechen, nicht blofi auf Grund
der Menge von urrussischen Themen und Motiven, die
er in alien seinen Werken von der C dur-Serenade bis
zur Sinfonie path^tique verwendet hat, sondern auch
wegen der Unentschiedenheit seines kilnstlerischen Cha-
rakters, wegen des Schwankens zwischen Tonsprache und
Tonspiel, das er mit vielen seiner Landsleute gemein hat
*) 0. y. Riesemann: Russische Sinfonien (Die Mnsik,
Jahrgang 1906/7).
— » 601 ♦—
•
und das bis in seine letzten nnd reifsten Arbeiten
geblieben ist. Aber auch unter die Meister der Ton*
knnst wird ihn die Zuknnft stellen, denn ist er anch nicht
bis zur hdcbsten Vollendung gelangt, so mnQ man doch
die Entwickelung bewundern, die sich in seinen letzten
drei Sinfonien zeigt, Werken, die nach der Biograpbie, die
Modeste Tscbaikowsky dem verewigten Brnder gewidmet
hat, Niederscbl&ge von scbweren, unter den Begriff des
Fatams fallenden Lebenserfahrungen sind.
Tschaikowskys erste bier in Betracht kommenden Ar- p.Tiehaikowiky,
beiten sind: die Serenade fUr Streicbinstroinente (op. 48) Serenade,
und zwei Suiten. Die Serenade entb< in ibrem einlei-
tenden, ersten Satze eine interessante Verbindung von
alter (Hfindelscher) und neuer (Sebum annscher) Musik.
Ibr zweiter Satz, ein gut imitierter deutscher Walzer,
weist namentlich in den zweistimmigen Solostellen der
Violinen naiv liebenswiirdige Ztkge auf, und ibr dritter,
Elegie betitelt, z&hlt in seiner scb5nen Abendstimmung
za den .poetisch bervorragenden StQcken der Gattung.
Russiscb ist nur das Finale, eine Burleske Uber ein kur-
zes Tanzthema. Sie gebt in ibren Scberzen Uber das
Mafi hinaus und streift die Trivialit&t, ein Febler, in
welcben der durch Begabung und Bildung ausgezeich-
nete Komponist bin und wieder verf&Ut Die erste p.Tiehalkowiky,
Suite bringt das nationale Element viel entschiedener ^nte Suite,
zur Geltung. Der erste Satz durcb einige russische Tlie-
men und durcb einen geistigen Gharakterzug der ganzen
Schule : die Hartn&ckigkeit im Verfolgen kleiner EinflUle.
Bald naturalistisch, bald gelehrt, versucben die Instru-
mente, wie weit sie es mit dem aufgesetzten Motive wobl
treiben konnen. Der Walzer unterbricht mit vielen
Stringendos und Ritardandos die bebagliche Grundstim-
mung seines Hauptthemas. In der Blitte veranlafit jdas
Erscheinen einer gewdbnlichen Acbtelfigur einen wabren
Tumult Spezifische russische Melodien hat der Satz
nicht, aber mehrere der reinen Freude am Klingen von
Akkord und Ton gewidmete schone Stellen. Namentlich
der Ausgang des Ganzen geh5rt in diese Kategorie. Der
-^ 602 4— .
dritte Satz ist eine echt russische Burleske, welcher fast
von Anfang bis zum Ende ein und das- nn i-^ ■
selbe rhythmische Motiv zu Grunde liegt J •^^ •^N*
Mit wahrem Fanatismus feiern es die Instrumente. Der
vierte Satz ist eine gat gedachte Tr&nmerei, in der Form
eines Altemativs. Die beginnende Melodie in A moll ist
national, der Gegensatz in Adur freie und fiir die L&nge
nicht recht ansreichende Erfindung. An Klangeffekten:
Solis von englischem Horn, Piccolo, Harfe, hohen Har-
monien, rauschenden Mischungen des Rhyfhmus ist dieser
Satz sehr reich. Der letzte Satz mischt ein russisches
karzes rhythmisch gleichformiges Tanzthema mit freien
Stellen, derenmusikalischerGehaltwesentlich auf Akkord-
und Instrnmentationseffekten bernht. Nicbt blofi dieser
Satz, sondern die ganze Suite entfaltet nach dieser Seite
bin eine unverkennbare Originalit&t und ftuGert eine
nachhaltige sinnlicbe Wirkung. Noch weiter geht in
F.TseiiftlkoiTiky, dieser Richtung die sogenannte »NuOknacker-Suite<
Nuiftnacker- Tschaikowskys , in der die Klangscherze nicht ab-
"^ ^' reiOen. U. a. ahmt das Orchester in ihrem »marche
miniature « eine Spieldose nach. Die droUigen Effekte
dieser Suite entstammen dem franz5sischen Musikboden
und haben auf die jungfranz5sische Scbule stark zurfick-
gewirkt
Die voile Bedeutung und die Eigentiimlichkeit Tschai-
kowskys ist erst durch seine Sinfonien ganz klar gewor-
den. Wenn jene Suiten, Skizzen und Studien auf dem
Gebiete der Stimmungsmalerei und der Schilderung hei-
mischen Volkstums gleichen, so sind seine Sinfonien
ausgefiihrte Lebensbilder, die sich um seelische Gegen-
s&tze fesselnd , frei , zuweilen dramatisch entwickeln.
Tschaikowsky ist diesen h6heren Aufgaben gegeniiber in
den meisten Punkten der Alte geblieben: ein Komponist
ohne eigentliche musikalische OriginaliUt im strengeren
Sinn, wenig w&hlerisch, zuweilen gewohnlich, niemals
neu in seinen Ideen, aber eine immer offne und ehrliche,
h&ufig in ihrer Wftrme und Herzlichkeit groBe Natur.
Was aber erst diese Sinfonien an ihm zeigten, das ist
--» 603 ^^
die anfierordentliche stilistische Begabung, die F&higkeit,
in dem alien Formenbezirk der Sinfonie sich ganz un-
gezwungen zu bewegen und jederzeit und nach jeder
Richtung auch nngegangne Wege zu finden, die den ins
Auge gefaOten poetischen Absichten gut entsprechen.
Die Anregungen, die auf diesem Gebiete Fr. Liszt gege-
ben bat, sind von keinem zweiten so geschickt, so frei-
sinnig and doch obne alles heraasfordernde Wesen auf-
genommen worden. Zugleich versteht sicb Tschaikowsky
in seinen Sinfonien auf die Nietzschesche Kunst, alten
Gedanken, aucb wenn sie Gemeinpl&tze sind, durch den
Ton des Vortrags und durcb die Einstellung auf den
gtinstigsten Platz einen Schein von EigentQmlichkeit und
besonderer Tapferkeit zu geben. Aucb die Reichhaltig-
keit und die stets Uberdacbte Regsamkeit des Orchester-
klangs trfigt zu der lebendigen Wirkung von Tschaikows-
kys Sinfonien mit bei.
Tschaikowskys erste Sinfonien scheinen im Dunkel
bleiben zu sollen ; zuerst ist seine letzte, die secbste (aus
dem Nacblafi) bekannt geworden und bat rUckwirkend
die ffinfte und die vierte nacb sicb gezogen. Von dieser
vierten, der Manfred-Sinfonie, ist bei den zur Programm-
xnusik gebdrigen Werken geredet worden. Auch die
fiinfte Sinfonie k5nnte mit einem gewissen Recht in P*Tiehftikowiky,
diese Abteilung gestellt warden. Denn auch sie fiihrt ^^°"® Sinfonie.
ein Programm, oder wie Haydn zu sagen pflegte, einen
Gharakter durch und bekennt auch £lu6erlich, daB ibre
S&tze inhaltlich enger verbunden sind; ja ihr ftsthetischer
Wert ruht haupts&chlich darauf, daB diese Musik den
Stempel des wirkiich Erlebten und Empfundenen tragt.
Aus dieser Eigenschaft ist auch die Freiheit und teiU
weise neue Ftkhrung der Form entsprungen. Tschai-
kowsky ist in der Weise originell geworden, wie Goethe
es empfohlen hat.
Das Hauptthema der Sinfonie, das wie ein getreuer
Eckart, wie ein Mentor, der seinen Telemach begleitet,
durch alle ibre S&tze mitgebt, trelTen wir scfaon an ihrem
Eingang. Der erste Satz beginnt mit:
-^ 604
ADdante. J = 80
if" ■;"'^i'"'1 irrrrnri ^^te
wie mit einem Mahnwort, das ein besorgter Vater frennd-
lich und ernst dem in die Welt ziehenden begabten, aber
leicht gerichteten Sobn zum Abschied gibt. Es klingt
noch eine Weile in der Seele des jungen Wanderers
fort; dann tritt es zurflck gegen neue und heitere Ein-
driicke, die mit dem ersten Thema des der Einleitnng
(Andante) sebr bald folgenden Allegro erscbeinen
In seiner Vollst&ndigkeit bildet dieses Thema ein
ganzes Lied, dem sich ein lebenslustiger, nach alien
Seiten gefafiten Sinn beknndender Text mit Leichtigkeit
anpassen lieO. An seinen Schlufi heften sich einige
Sch5filinge einer wilden Stimmung, die den Charakter
des ganzen Allegro wesentlich mit bestimmen. Es ist
das keck, mit rau- u ^ und noch mehr sind es
hem Humor hinab-|£" [^ l^jF^ dieFiguren, die sich ihm
schlagende Motiv : *^ " ^ ^^ unmittelbar anscfalieOen
_^ die schon zuerst Ubermfltig
r J'J™^ I r g^nug klingen und sich
^~-^ ' spftter immer st&rker dber
Gleichgewicht und Ordnung hinwegsetzen. Der oben an-
gegebene Anfang des Wanderliedes wird nach russischer
Art zun&chst freigebig wiederholt, klingt stftrker und
stUrker und steigert seinen frohlichen Ausdruck bald bis
an die Grenze der Ausschreitung, stockt da lange Zeit
auf dem j a j geht in einem fff in die hdheren Grade
Rhythmus «• • ^ der Ausgelassenheit (iber, wQrzt sie
dnrch Nachahmungen zwischen Hornern und Geigen,
durch Gegenbewegungen zwischen letzteren und Po-
.-^ 605 ♦^
saunen und erreicht so, wie das Tschaikowkys Mnsik
gerne hat, eine Stufe des unverkennbaren Naturalismus.
Hinter ihr erhebt sich aber sofort die Stimme der guten
Sitte, der inneren Einkehr in einem an seiner Stelle sefar
schdn wirkenden Gedanken, der noch das fdr sich hat,
daO er zu dem Instigen, munteren ersten Thema in einem
formellen Verwandtschaftsyerh9Jtnis steht, da6 er wie
das Bild der Schwester hereintritt:
I J- II' r? P ly" 'I Er ist der Gegensatz
P ^ iff"=^ mp^^ jenem; aber er ist ni(
zu
nicht
das eigentliche zweite Thema des Allegros im ubiichen
Sinne. Tschaikowsky ist hier der Meister der Form, der
iiberkommene Ordnungen nicht bricht, aber weiterbildet.
Der freundliche Klang des neuen Them as wird schw&cher,
stockt nnd verlischt. UngestQm tritt wieder die laute
Lust hervor, zu der die Frohlichkeit des ersten Them as
sich entwickelt ^,^ _ -r _ u ^^s ersten Themas stei-
hatte: Es ruft ift^Xr P P ^ gende Motive folgen im
herausfordernd ^ J^ '^ stiirmischen Schritt. Die
ForLsetzung aber kommt anders als man erwartet: eine
lebhaft, aber edel schwaxmerische Weise
f Mill riliir*ffTmrrpii^^
Sie zieht das vorher angefuhrte Rufmotiv wieder an,
verbindet sich mit ihm und verkl&rt sein Ungestiim zum
Ausdruck der Begeisterung. So gleicht der Schlufi der
Themengruppe gewissermaOen dem Jubel, mit dem der
JQngling, seiner Kraft und seines Gluckes sicher, die Zu-
kunft begrftOt, die er vor sich zu sehen glaubt.
Die Durchf&hrung fiihrt schnell aus dem hellen D dur,
das das Ende des vorausgehenden Abschnitts beherrschte,
hinweg. Das Rufmotiv wendet sich in femere Tonarten,
es klingt dunkler und nimmt bald den Anfang des Wandrer-
-^ 606
lieds, des Hauptthemas des Allegros, als Gesellschafter
an seine Seite. Der Weg wird etwas dichter und einsam.
Da kommt mit einem Male wie ein Oberfall im fff eine
Reminiszenz an die aasgelassene Stelle am Schlasse des
ersten Themas, wo das voile Orchester anf dem Rhythmns
I ■ . tobte. Auch hier wird dieser Aasbrnch unge*
i' d 4 zttgelter Empiindnng wieder dnrch das schwester-
liche Mittelthema znrUckgewiesen, jedoch nicht endgiltig.
Zwar versuchen die Instramente mit dem Anfang des
Wanderlieds.einen wohlgeordneten und in Nachahmungen
kunstvoll gefUhrten Gedankenaufbau. Aber in andrer Form
schlftgt eine elementar erregte, bacchantische Empfindung
immer wieder durch, n&mlich in Wiederholungen des Za-
kunftsmotivs, das das eigentliche zweite Thema erdffnete.
Sie werden reichlich und mit ^ufierster Kraft geboten.
In ihren Sturm braust gelegentlich auch das Wanderlied
einmal hinein. Im ganzen gibt die DurchfUhrung noch
mehr als die Themengruppe das Bild einer durch eine
OberfQIle von Kraft gefSlhrdeten, einer wenig geb&ndigten
Natur. Sehr eigentumlich setzt der dritte Teil des Satzes,
die sogenannte Reprise, nach dem sch5nen, breiten dimi-
nuendo, in dem die DurchfQhrung zu Ende geht, mit dem
Wanderthema im Fagott ein. Dieses Instrument scheint
hier den Philister zu verkdrpern; seine halb ungeschickte
Munterkeit wirkt wie ein Hohn auf die Szene des ge-
waltigen, erschreckenden Aufschwungs, die eben vorher-
ging. Dem wird nun ein ehrbares SpSfichen, der Geni-
alitilt wird die Banalit&t gegeniiber gestellt. Klanglich
wirkt der Eintritt der Reprise, weil eine Strecke lang
die Holzblftser allein musizieren, wie ein Gespr&ch in der
Nebenstube. Im allgemeinen verl&uft der dritte Teil des
ersten Satzes ziemlich gleichlautend mit der Themen-
gruppe. Das freundlich, weiblich gestimmte Mittelthema
tritt diesmal ein, ohne vorher vom Tobcn und Au£schlagen
barter Eisenf&uste geschreckt zu sein. An die Gruppe
des zweiten Thcma knupft sich eine kleine Episode, die
sich scheinbar wie eine nochmalige DurchfQhrung anlftBt;
sie dient aber nur zur Pause vor einem letzten glftnzen-
_^ 607 ^^^
den Aufzug des ersten Themas, das allm&hlich aus der
hochsten Exstase in die auBerste Ruhe zuriickkehrt und
sich endlich ins Geheimnisvolle, ins Unh5rbare verflOch-
tigt. Wie hier, so f&IIt auch an andren Schliissen des
Satzes und an den Uberg&ngen die Gelassenheit und die
ruhige Breite auf, mit der sie ausgeftihrt sind. Das ist in
dieser hastigen Gegenwart ein Zeichen innerer Sicherheit
und Gesundheit des Komponisten.
Der zweite Satz der Sinfonie (Andante cantabile, ^^/g,
D dur) steht zum ersten in einem Verh&Itnis wie die Rast, .
wie die Idylle zur Ausfahrt. Die sch5ne Hornmelodie,
die nach einigen stillen, an Orgelklang und Kirche er-
innernden Akkorden einsetzt
gehSrt zu jenen GesSngen, die wir unwillkurlich auf
innerstes HerzensglQck, auf Jugendzeit und Liebe deuten.
Sie paart die Zartheit des geheimen Sehnens, des ersten
Ahnens mit beil3er, dr&ngender Leidenschaftlichkeit und
ist in den weichen Vorhalten, die den entscheidenden Zug
ihrer &ui3eren Erscheinung bilden, ein AbkSmmling von
Beethovens Andante der Neunten Sinfonie, in der Schule
Schumanns erzogen und weiter gebildet. Die Dieterich
und Raff waren lange die Meister in solchen Tongedich-
ten. Die Weiterfiihrung jener oben angegebenen Periode
dringt in noch hShere Wftrme- aAa ,^ i^ , I
grade der Empfindung; der A^tl)giL.£J^J I j^'.^=
Nachsatz kehrt mit dem Motiv ^ ^^'
zu einer beglUckten Verschwiegenhelt und Selbstbeherr-
schung zuruck. Sehr bald folgt diesem Hauptthema, dem
Ausdruck des Sehnens und ^ • ^.
n , • o J • . Coo moto. 0 £,66 I
Begehrens, erne Szene, die jh r'.r^T^ "I- i *
der Erfullung gleicht. Sie g'''JJ''' ^ ^t'jfjp ' T ' "^
beginnt wie ein Dialog ^'**
Das Motiv, das hier zur Zwiesprache dient, finden wir,
nachdem das Hauptthema des Satzes sich im Cello noch
^ I
-^ 608 ♦^
einmal fast nngestiim hat veraehmen lassen, erweitert zu
crescendo
Das ist also eine Melodie, die
beschwichtigt und zugleich ver-
heiOt. Hier wirkt sie wie die Antwort, die Erhornng, die
der Werbung folgt; sie wird bei jeder Wiederholnng
gliihender im Ausdruck.
Dem eigentlichen Gegensatz zum Hauptsatze begegnen
wir in:
Moderate coo aainia. J g 100 _
^\y, f^rrt IP ^g^. ip^y. \Y^\' i
Aus diesem Thema spricht der Zweifel, die Sorge vor
der Znkunft und dem Schicksal. Es wird mit diesen
trflben und kleinlauten Gedanken sehr ernst genommen,
Stimme nach Stimme tragt sie steigemd vor. Als sie
eine fast drohende Gestalt angenommen haben, da er-
scheint pldtzlich das Hauptthema des ersten Satzes, das
ja, wie schon erw&hnt, das Leitthema der ganzen Sinfonie
ist, das die Stelle des guten Geistes im Hause einnimmt.
Hier tr5stet es, ermutigt, hellt wundervoll auf und fQhrt
zu einer Wiederholnng der beiden Hauptmelodien des
Andante im glS,nzenden und triumphierenden Ton, einem
Ton, der den Charakter des Rausches, des Selbstver-
gessens annehmen ¥dll. In diesem Augenblick erscheint
das Leitthema -der Sinfonie wieder: ernst, auf einem
Septimenakkord, mit einem An Aug von Unwillen und
Verwunderung, als Warner. Es geht in einen halb klagen-
den Ton aus, wie im eignen Bedauern iiber die unver-
meidliche Strenge und fiihrt zu einem schnellen, ganz in
Abschiedsstimmung gehaltenen Schlufi der Liebesszene.
Der dritte Satz (Allegro moderato, 3/4) Adur) sagt
uns durch seine Oberschrift: Valse, was er darstellen
will. Tschaikowsky ist merkwtirdiger Weise ein Freund
der Walzer, ohne fiir diese Gattung deutscher Ver-
--^ 609 ^^
gnttgungen eine besondere Begabung zu haben. Dieser
Walzer seiner fUnften Sinfonie tritt merkwiirdig hinketid
und stockend aof, wie die Metren des Hauptthemas
^Allegro Bodflfrato. JslSB
|f'l'll^5lll|llU,ll|l,J.iillUli,jillll :
allein scboa zeigen. In dem dicbterischen Plan der Sin-
fonie hat diese Tanzszenewobl die Bestimmung, eine Stnnde
der Verf&hrung vor unsre Phan-
tasie zu rofen. Der Mittelsatz
der Nommer, der ttber das Motiv
entwickelt wird, schildert die Verwirrung, die sich der
Seele des JUnglings n&hert; ihren bedroblichen Cha-
rakter markiert die Pauke mil aofregenden Scbl&gen.
Dieser Mittelsatz bat die Bedeutung des Trio im gew6bn-
licben Menuett und Scberzo. Ms der Hauptsatz wieder-
kebrt, zieht er die Motive des zweiten Themas noch eine
Weile mit sicb. In einer Fdur-Stelle, die kurz gebalten
ist, aber sich durcb den starken Klang und den Qber-
raschenden Eintritt geltend macht, kommt Kraft, Auf-
scbwung, Befreiung und das Ende des Tonbilds.
Das Finale beginnt mit demselben uber das Leit-
thema der Sinfonie gebildeten Andante, das ihren ersten
Satz er5fi&iete. Doch stebt es jetzt im hellen Edur, klingt
glftnzend und feierlich. Den feierlichen Ton verst&rken
besonders einige Takte in breiten Akkorden, aus denen
man Glockengel&ute zu h5ren glaubt Diese Umbildung
der Einleitung der Sinfonie will sagen, daB das in Aus-
sicht gestellte Ziel nabezu erreicht ist, dafi das fiir
die Zukunft gegebene Versprechen nun eingel5st wird.
Doch gilt es noch einen letzten Kampf , den der Kom-
ponist in einem Allegro vivace [(^, Emoll) darstellt,
dessen erste Allegro vivmeo. J s 120
StTSfE f 1^1^
anf&ngt. Es ^.^ zu grofi aus-
wird mit sei- ft'r'fl'r^fir holenden Pe-
ner Umbildung ^ rioden verbun-
Kretiseliinar, F&lirer. I, 1. 39
610
den, durch
schattiert und durch den ruhigeren and friedvoUeren
Gedanken
P — -^— ==d 4/" ^
ansgel5st, den die Instrumente zeitweilig als Kanon fest-
zuhalten suchen. Als eigentliches Gegenthema im Allegro
dient eine Weise, deren Zusammenhang mit dem zweiten
Satz der Sinfonie, mit deren Hauptthema , nicht zu ver-
kennen ist:
\rfl}f in^ifr \r\ I
fTjir^i J I '^^ fUs a>ui. Die Vorhalte bezeugen
I -I r ' " ' kj^^ die Verwandtschafl, und
die Meinung des Tondichters ist, daB die Liebe den
K£lmpfer leitet und st&rkt. Er schlieBt die um dieses
Liebesthema gebildete Gruppe damit, daB das Leitthema
der Sinfonie im triumphierenden Ton einsetzt, und knQpft
daran einige freie, ausgeprftgt heroische Worte der Po-
saunen und Trompeten. Sie haben zur Folge, daB die
Hauptmotive der beiden AUegrothemen noch einmal im
kr&ftigsten und stolzesten Ausdruck durchphantasiert
werden; dann folgt die sogenannte Reprise, die Wieder-
holung des Thementeils des Allegros, neu eingeleitet mit
der mutig ausblickenden Zeile:
Nach dem rein musikalischen Wert geh5rt dieses Allegro
im SchluBsatz von Tschaikowskys fiinfter Sinfonie zu den
S&tzen, die uns vor der Oberschfttzung dieses Komponisten
-^ 611 V-
behfkten kdnnen. Die Erfindung ist gewdhnlich, die Ans-
fflhrung l&ssig breit und bequem nach der russischen
Methode des unbeschr&nkten Wiederholens gehandhabt,
die bei Scbilderungen aus dem Volksleben, aber nicht
bier am Platz ist. Docb mnfi man aucb bier wieder die
Klarbeit nnd wohlberecbnete Wirkung der kQnstlerischen
Anlage, desFormeDaafbausanerkennen; die dichterischeD
Absicbten sind vortrefflicb nnd treten deutlicb genug her-
Yor. Der Endzweck war, das gute Ende des Finales vor-
znbereiten nnd dorch einen Gegensatz zu heben. Dieses
Bnde selbst ist nichts anderes als der Anfang der Sinfonie,
das Andante in Edur und als Maestoso bezeichnet. Im
Stile der JnbelouvertUre behandelt, scblieBt es die Sin-
fonie and erbftlt ein Presto, in dem Tbemen ans dem
Allegro noch einmal voriiberrauschen als Anhang und
Krone.
Seine secbste Sinfonie (Hmoll) hat Tscbaikowsky P.Ttehalkowiky,
patbetisch genannt. Sie ist das im ersten Satz; im SechsU Sinfonie
zweiten und dritten ruhen Leid und Leidenscbaften; der (P**"*"^®-)
SchluBsatz stimmt wider Vermuten ein schweres Web-
klagen an.
Wie der erste Satz am moisten dem Programm
getreu wird, so ist er aucb der Arbeit und der-Anlage
nacb der bedeutendste und von starker Wirkung nament-
lich durcb klare Gegens&tze. Er sucbt darzustellen, wie
sicb eine edie Natur von scbwerem Gemiitsdruck durcb
Kftmpfen, durcb Erinnern und Hoffen zu befreien sucbt,
nnd bedient sicb dazu einer Form, die im wesentlicben
den bergebracbten Verb<nissen des Sonatensatzes ent-
spricbt. Die Einteilung in Tbemengruppe, DurcbfQbrung
und Reprise ist beibehalten, ein sehr gescbickter Tempo-
wecbsel gibt ibr jedoch den Cbarakter der Urspriinglich-
keit. Der Satz beginnt mit einem kurzen Adagio in Trauer-
klang: Das Fagott h&It die Rede, und tiefe Instrumente
umsteben es allein; erst am Schlufi Ada«io.J=64
h5rt man von den Oboen einen kur- in|L „ y^ i "■ ■ ■
2en Seufzer. Der Spruch, der dem *"J^ ' j^ '
Satz zugrunde liegt, ist das Motiv: W*"^*^
39*
— fr 612 «—
Ans ilim wird folgende Melodie:
Adagio.
jj.i^j jj'^ijJ, i^N^g'
gestaltet, sie wird wiederholt; ein Anhang von 6 Takten,
den die Bratsche abschlieOt, folgt, und damit ist die Ein-
leitung beendet, eine Situation gegeben, die nicht ohne
Klarnng bleiben kann. Das AUegro Qbernimmt sie und
wendet sich ohne weiteres dem Motiv zu, das den Gegen-
stand der Klagen in der Einleitung bildete. £r formt aas
ihm folgendes Thema:
AQegro non troppo.
'fff(I'"f''idLii
Die Bratschen haben es aufgestellt, FI5ten und Klarinetten
Ubernehmen es: es bleibt ihm also zun£lchst der belegte
Klang, der gedriickte, traurige Charakter. Das wird mil
dem Augenblick anders, wo es in die H&nde der Violin en
kommt. Die tragen es im Nu nach D moll, eilen mit ihm
von Tonart zu Tonart und ins Forte und zur Hohe. Sie
gehen dem Grund der Trauer in hdchster Erregung nach
und machen es jedem H5rer schnell klar: warum der
Komponist seine Sinfonie pathetisch genannt hat Wie
aber Tschaikowsky gem die schwere Hiistung bei erster
Oelegenheit mit einem leichteren Gewand vertauscht, so
gibt er auch jetzt, eben in dem Augenblick, wo seine
Musik ernstlich leidenschaftlich wurde, diesen Ton zunftchst
wieder auf. Mit
<'itj?jji.r5Q/7^
^ _ vj
*>.ri 1^^ . <-^: r^^ . beginnen die Instrumen-
^^ JjlJ I I f1lfrprpr|ifpl..%.. ej„e Weile ztt
^"^ — ' scherzen; dieWendung
613
netten abge- ^^
kdrzt xmd. ge-|py
TnilflArt xiririi in iT
in deaVioli-
nen, die von
den Klari-
dient
milder! wird in*'^ iV
Iftngeren Tonspiel, in dem die heiteren, neckischen Qrazien
von der Tondichtang Besitz nehmen nnd die Grenzen
leidenschaftlicher Empfindung nur ganz fliichtig berQhren.
Beim *xxn poco animando* findet aber der Komponist
an der Hand ^^ t i \>^ i^ zum Sturm ruft»
derTrompe-i|y]»~p-j» [L.V | T V P= den Weg zur ei-
te, die mitv"^""^^ ^ gentlichen Auf-
gabe des Allegros sehr schnell znriick und entwirft ein
kurzes, aber gewaltig wirksames Bild einer Leidenschaft,
die den Gegner fest packt und nicht vom Platze weicht. Die
Harmonie IftBt nicht von ibrem Bafi; immer wiederholen
sich die beiden Tdne e und es, die Melodieinstrumente
riitteln uber zwolf Takte immer nur an demselben Motiv :
jjl_ pip^,,_pn^i^ Endlich bleibt von dem Aufgebot an
ft'g 4 m w\4J i 4 Kraft, das das ganze Orchester in auf-
^ f regende Tfttigkeit gesetzt batte, das
Cello allein iibrig und wird ruhiger und rahiger. Die Brat-
scben, die diesen Abschnitt des ersten Satzes began nen,
scbliefien ihn mit einer leisen bangen Frage: die Ant-
wort kommt in einem Andante, das in dem ersten Satze
dieser Sinfonie die RoUe des zweiten Themas und seines
Kreises einnimmt Die Wortfiihrer der Russischen Schule
haben es Tschaikowsky iibel vermerkt, daB er bei ele-
gischen Aufgaben seine NationaHtat vergifit. So spricht
er auch bier, wo er trdsten, erwSrmen, beglucken will,
efn unverf&lschtes musikalisches Deutsch. Die Melodie,
die sein zweites Thema bildet, kdnnte, wie der Anfang
I ^^ beweist, ganz eut in
-Piir fT^i I -TT I ! !■ - I I Schnmanns »Para-
A-*-^i f j "-" ' P ^ '^ Jdiesui^dPeri«stehen;
^ '^ ~ — «*«• flie fangt so an wie
das Vorspiel dieses Werkes. Auch ihr Mittelsatz bleibt in
614
Ahnlichwie
es mit dem
'f ' 1 — •^' «i^-*=i ersten The-
ma des Satzes geschah, wird auch dieses zweite zun&cfast
unterbrochen and dorch einen Gedanken ersetzt, der sich
mit dem Programm an diesem Punkte ebenfalls verbinden
nnd als eine Steigernng der von dem zweiten Thema er-
5ffneten frenndlichen Aussichten deuten IftGt. Er gibt dem
Komponisten erwiinschte Gelegenheit, sich in dem ge*
liebten Gebiete anmutigen Tonspiels zu ergehen. Wir
h5ren das neue Thema vielfach innachahmendenFormen;
zun&chst fiihren F15te und Fagott das Gesprftch. Der
Zusammenhang mit dem Hauptgegenstand dieses Teils
wird dann bald dadurch hergestellt, daB die Holzbl&ser
das Mittelstuck des zweiten Themas in der Form:
«j/^V-
aufnehmen nnd fleiOig wiederholend zu dem neuen spie-
lerischen Seitenthema in einen Gegensatz bringen. Sie
verdr&ngen es und fQhren zu dem Trostgesang, der das
Andante erQffhete, zuruck. Er kommt jetzt im Glanz des'
vollen Orchesters siegessicher und schlUfert Sorgen und
Leiden ein. Der Komponist teilt das in einem kleinen
Anhang mit, der von dem Einsatz
^ Moderato assal. J:88.
if:^'^
p
aus ganz still entziickt verloscht Ganz zuletzt stimmt
die Klarinette noch einmal die sch5ne Trostmelodie im
Adagio an; sie h6rt mit ppppp auf. Das ist so, dafi
sich der Spieler kaum selbst noch deutlich h5ren darf!
Generalpause. Und darauf im ff ein Allegro vivo,
das mit der Dissonanz ces-g a und mit dem w&tenden
Ausruf:
-<fr 615
"^"^ =^ «/• «r if if ^
herein stflrzt
Das ist ein Aufwachen mit Entsetzen, wie wir es
&hnlich vom SchluGsatze der neunten Sinfonie her kennen;
nur stofien Himmel und Hdlle hier bei Tschaikowsky ganz
UDvermittelt und hart aufeinander.
Wir sind mit dieser Stelle in den Durchfiihrungsteil
des ersten Satzes eingetreten. Er hat zwei Abschnitte.
Der erste, dem Anfang entsprechend, in ftnBerster Auf-
regung gehalten, setzt zweimal mit dem Hauptthema des
Allegro (von Dmoll und Emoll aus) zu einer wilden
Fuge an, an der sich jedoch nur die ersten Violinen
und die BS,sse beteiligen. Die zweiten Violinen und
Bratschen treiben einander in die Leidenschaft mit dem
Them a:
^jrff^LuJL^
JBTs^fiank
J .p; \A\kr^rJ p= ^^^ ^^^ser rufen schrill und
if^ ^rir 'I I'l I I |i| i|
heftig in kurzen Motiven
und in liegenden Stimmen dazwischen. Als die Erregung
die Spitze erreicht hat, bhngen die Trompeten die mitt*
leren Takte aus dem zweiten Thema jetzt in der Form:
und im ver-
zweifeltsten
Ton. Der
Anlauf endet erfolglos und vergeblich, die Posaunen und
Tuben stimmen ein S&tzchen an, das einem Grabgesang
fthnlich sieht. Als sich Trompeten und H5rner ihnen an-
schliefien, wird das Feuer noch einmal entfacht und es
kommt zu einem zweiten leidenschaftlichen Ausbruch.
Auch dieser zweite Abschnitt der DurchfUhrung erregt und
ergreift, aber in einem andern Sinn als der erste: Dort
Ringen, hier Rlagen. Er endet in Resignation und filhrt so
sehr natiirlich in den Trauerton zuriick, mit dem das Alle-
616
gro und das erste Hanptthema des Satzes begann. Die
Reprise setzt zunftchst im engen AnschluB an das Ende der
Durchftthrung in B moll ein. Als sie die Haupttonart er-
leicht, schlagen die Wogen der Leidenschaft schon wieder
hoch ; das Hauptthema wird Silbe f iir Silbe in Nachahmnngen
wiederholt, es klingt gewissennafien mil solcber Gewalt
hinans, daB es die W&nde widerhallen. Die abschwei-
fende Episode, die im ersten Teile dem Hauptthema
folgte, f&Ilt in der Reprise weg. Das zweite Hauptthema
(jetzt in H dur) gelangt dadurch zu grower Bedeutung und
gibt dem Ende des Satzes sein hoffnungsvoUes Gepr&ge.
Ein kurzer Anhang (Andante mosso) fiber das Thema
bildet den zarten Schlufi.
Im zweiten Satz (Allegro con grazia, ^4* D dur)
macht der Pathetiker dem behaglichen Epikurker Platz.
Wir haben es hier mit einem fi.hnlichen Versuch zu tun,
einen heiteren Satz an die Stelle des tiblichen Adagio zu
bringen, wie ihn Beethoven in seiner achten Sinfonie
untemommen hat. Die Wirkung hat auch hier dem Kom-
ponisten recht gegeben. Der Zuhdrer verzichtet nach den
durchlebten Sttirmen des ersten Satzes gem auf bohe
Gedanken und tiefste GefUhle und freut sich fiber das
trauliche Stilleben, das ihm hier geboten wird. Es ffigt
zu seinem Wert als Erholungsstfick noch den Reiz einer
musikalischen Seltenheit: es fQhrt den sonst im wesent-
lichen nur fttr die Gelehrten existierenden Vi^by^oius
praktisch durch und lost diese Aufgabe ganz anmutig.
Auch andere russische Sinfoniker arbeiten mit ^4' ^nd
"^^Takten gern und gliicklich, weil diese Rhythmen in der
Tussischen Volksmusik heimisch sind. Die Anlage der
kleinen zierlichen Komposition ist hSchst einfach. Der
Hauptsatz hat als erstes Thema die Melodie
617
Sie komint viermal hintereinander. Darauf folgt ein
Seitensatz mil dem von der Hauptmelodie abgeleiteten
Thema:
/»»•*/
das ebenfalls viermal darchgespielt wird. Daranf kehrt
die Hauptmelodie zurUck, und erst als sie zum dritten
Vorbeizag ansetzt, wendet sie sich aus D dar hinweg und
l&Bt in den sittsam und artig gleitenden Reigen einige
krftftigere Tdne herein:
If *
Die vielen Wiederholungen beruhen, ebenso wie der
Takt, auf Einfliissen russischer Volksmusik. Es muB
dem Komponisten nachgerQhmt werden, daB er in der
Umkleidung der einfachen Figuren mit neuen Klangen
aufierordentlich erfinderisch gewesen ist. Die Wieder-
holungen sind ebenso viele Variationen in der Instru-
mentierung. AuGerdem liegt aber in der Einformigkeit,
in dem Festhalten an demselben Phantasiekreise in
diesem Falle nicht blo6 ein gewisser Balsam, der nach
dem ersten Satz heilend wirkt; es liegt darin auch die
Poesie des kleinen Tonbildes. Denn es ist gedacht als
eine Musik aus V&terzeiten, gewissermaBen als ein alt-
russischer Menuett, als ein Stiick friedlichster und be-
freiender Erinnerungen. Der Mittelsatz hat einen absicht-
lichen l&ndlichen Beiklang: Sein Thema
fiunn ir^^
und die zu ihm geh5renden Umbildungen und Ergfinzungen
ruhen alle auf demselben Orgelpunkt: d im BaB. Es ist
-^ 618 ♦—
•
als wenn die Leute aus dem Dorf Besuch auf dem Schlosse
machten. Zierlich, wie die ganze Nummer gedacht, ver-
kliogt si^ in der zartesten Weise.
Der dritte Satz (Allegro molto vivace, ^/s, Gdur)
hat die fiuBerst starke sinnliche Wirkung ffir sich: FQr
deD Klang dieser Komposition sind alle Register gezogen,
vom leisen S&useln, von den niedlicbsten Elfenstimmen
bis znm formlichen Orchesterorkan; die Form entwickelt
sich durch die immer gr5l3ere Anhftufung gleicher Glieder
und Bestandteile nach dem Muster des Heerwurms zn
einem bedriickenden Ph&nomen. Es hat unstreitig an
diesem Satz ein gew5hnlicher Naturalismns einen starken
Anteil ; gleichwohl ist er auch nicht ohne OriginalitUti und
diese liegt darin, daB die Gattungen des Scherzos und
des Marsches in ihm sich verbinden. Als Scherzo beginnt
er mit einem Thema:
Allegro molto vlTaeo. J : IBS
rp JJ^ p ^» p /Tn |,^ ^f «in^°^^ Mtickentanz
^ " m ' ' Oder irgendeinem Freu-
denfest fldchtigster und heimlichster Lebewesen zur musi-
kalischen Unterlage dienen k5nnte. Man hat seine Freude
an diesen bin- und herhuschenden T5nen und merkt
dariiber lange nicht, daO sich ihrem Spiel, bald nach-
dem es begonnen ^^
hat, ein fremder % h '^ rj^Lti'' k ** I
Gast beigesellt hat: i^ " -^^J" 4^ '
Die B&sse fahren, wie in Mendelssohns Sommemachts-
traum mit langeh T5nen plump drollig dazwischen. Auch
Berliozsche Geister kommen in pizzcato-Noten und andren
Instrumentenfeinheiten aus der >Fee Mabc zum Besuch.
Es ist ein reizendes Sttlck freundlichster Gespenster-
musik, ftir das der Komponist reiche und belebende Ein-
fftlle jeglicher Art zur Verftlgung zu haben scheint. Wir
619
hdren GemUtskl&nge, als es zur ersten Wiederholung kommt
.|^ 1^ ^ py^ wir hOren immer neue Ko-
m^lf^ T' f r't4^,fJ3 I j) : boldlaute, namentlich von
*^ den Bl&sern her. Wir hdren
aber anch, wie das flotte Marschmotiv, daB sich zuerst
80 anbemerkt nnd klein herein gestohlen hatte, anw&chst
und sich nach vorn dr&ngt. Die Violinen bringen es als:
Gleich daranf antworten die H5rner:
j* h^ Jtiln ^
Es f&ngt an, anhaltend mit seinem flotten Rhythmns durch
die Bl&ser zu Ziehen, und nicht lange dauert es nun mehr,
da sind die Elfen auf die Seite gedr&ngt, mUssen ganz
fliehen, und die Musik zieht daher wie ein lustiges fran«
z5sisches Bataillon : Ein unverf&lschter Geschwindmarsch
ist in neuer Tonart (E dur) eingetreten, dies ist sein Haupt-
thema:
Er ist leichtfdfiig und leichtherzig, macht aber zur
Abwechselung auch grimmige Geberden, z. B.:
fhh Ji ^ I r'^r r r f f «»* mn rn \ j.
und zeigt sich
barsch und
kraftvoll mit:
Zun&chst
benimmt
er sich
aber im ganzen so maCvoll wie es dem Trio im Scherzo
geziemt. Er zieht sich zur rechten Zeit zuriick und die
Elfen kehren wieder. Doch bleibt es nicht dabei, son-
dem der Marsch drftngt ein zweites Mai auf den Haupt-
platz und entwickelt nun ein Beharrungsverm5gen, dessen
--♦ 620 ^^
UngebQhrlichkeit sich weder mit der Berufang auf die
russische Volksxnusik, noch mit dem Hinweis auf die
gl&nzenden Toiletten, die das Orchester anlegt, verdecken
]&fit. Auch mit dem Programm der Sinfonie l&6t sich
diese Marschmusik nicht in Verb in dung bringen. Sie ist
nicht pathetisch und auch nicht heroisch, wie man be-
hauptet hat, sondem in ihrem Grundcharakter einfach
gew5hnlich, ungef&hr von der Art, die Raff einhielt, wenn
er reitende Hexen schildern wollte. An Raff erinnert der
Satz tats&chlich, wie Tschaikowskys allgemeine Verwand-
schaft mit diesem Komponisten eigentlich nismandem
entgehen kann. Nur ist die Naturfrische des Russen be-
deutender, und mit ihr h&ngt das Farbentalent zusammen,
von dem er hier eine Probe gegeben hat, die die meisten
Konzertbesucher zu berauschen und zu fiberwaltigea pflegt
Mit einem ungeheuer groOen Gegensatz der Stimmung
setzt darauf das Finale (Adagio lamentoso, Vit Hmoll)
ein. In den trauernden Motiven des ersten Satzes barg
sich Kraft und Stre- / 1 . \
ben: hier aber er- n(, Adagio ^^m^entoso. (J = 54)^^ _
fahren wir aus dem -w^w * i ' , f T jf I f' P ^
Einsatz der Geigen: f ^==*" ^=^
daC es sich um ein Ungltick handelt^ an dem nichts mehr
zu &ndem ist. So hat denn Tschaikowsky den ganzen
Satz dem Charakter einer Totenklage, eines Requiems
gen&hert und damit wieder einmal gezeigt, daO die alte
Spohrscbe Idee eines ernsten, verhaltnen SchluBsatzes in
der Sinfonie, die ja eigentlich aus Beethovens Pastoral-
sinfonie stammt, an und fiJr sich sehr wirksam sein
kann und nicht einmal einer tieferen poetischen Be-
griindung bedarf. Es mag Zufall sein, dal3 Tschai-
kowsky sich mit Spohr auch unmittelbar in diesem
Finale beriihri Denn der sch5ne elegische Gesang,
den die Bl&ser zum tfi_ . , , ,
Mittelpunkt des PjIIQ I J ^ I( j I J J"^^'
Satzes machen: ^-'
wird von den Geigen in einer Melodie begleitet, die mit
dem Hauptthema im Finale der >Weihe der Tdnec nicht
— «► 621 ♦^
hloQ den Charakter, sondern aach die Anfangsnoten ge-
meinsam hat.
Der Typos der Sinfpnie mit langsamem SchluBsatz ist
an und fQr sich Alter als Spohr und Beethoven and hat
ein Jahrhnndert hindurch, von Lnlly bis Gluck, bei den
Franzosen seine Brauchbarkeit und seine Bedentung be*
w&hrt
Tschaikowsky hat nnbestreitbar das Interesse f&r
russische Musik weit und stark gesteigert, das Verdienst,
in ihr Wesen tiefer eingefQhrt zu haben, kommt aber
nicht ihm, sondern es kommt dem ehemah'gen Peters-
burger Medizinprofessor A. Borodin, einem jener schOp- i. Borodin,
ferischen Dilettanten zu, auf die sich russische Kunst ^ ^'"-Sinfonift
von jeher stiitzen durfte. Die Esdur-Sinfonie, mit
welcher Borodin zuerst als Komponist hervortrat, zeichnet
sich durch kUnstleiische Reife und Abklftrung aus und
war deshalb besonders geeignet, ein Bild von dem zu
geben, was die Russen wollen, was sie leisten und was
ihnen fehlt. Diejenigen Sfttze, welche den National cha-
rakter am sch&rfsten ausprftgen, sind der erste und
dritte; der zweite ist nur zur H&lfte russisch und der vierte
ganz germanisch.
Der erste Satz beginnt mit einer trS,umerischen Ein-
leitung, aus der bei aller Einfachheit und trotz des regen
Rhythmus eine ungew5hnlich starke Schwermut spricht.
DieB&ssestel- Adagio.
len dieHaupt. ^ i''.\l, ^^f t f^l^ Pi JS^ntJJf
melodie auf :
welche von den Holzblftsern und Geigem mit aufmun-
ternden Motiven beantwortet wird. Die Harmonie deckt
die Formen des Gesanges mehr zu, als sie dieselben
hebt. Da wendet sich die Phantasie mit einem ener-
gischen Rucke einer heiteren Sph&re zu; unvermutet
stehen wir im Allegro. In den Hdrnern und Holzbl&sem
beginnt ein helles, munteres Klingen, das nur auf Rhyth-
men gestQtzt ist. Die anderen Instrumente probieren
dazu jetzt zart, jetzt kr&ftig brausend, Motive, die zu dem
neuen Tone passen, und endlich ist alles zur fr5hlichen
-^ 622 •—
Fahrt bereit. Die ersten 26 Takte des Allegro, welche
der Feststellung von Tonart und Thema vorhergehen,
sind ftir das Wesen der russischen Kuustmusik charak-
teristisch: sie zeigea uns ihre Liebe zu den Elementar-
kr&ften der Musik, ihre Freude am blofien Rhyihinas und
am Akkord, ihre Neigung, ohne bestimmten Gedanken-
pfad, ohne die St&tze fest erkennbarer Motive durch die
klangliche Wildnis zu streifen', den Pankt, welcher sie
mit der Natur verknttpft und von der gesitteten &iteren
Eunst des Abendlandes unterscheidet, den Punkt, in dem
ihre St&rke und zugleich ihre Schw&che liegi An dem
Thema, welches Borodin nach dem AbschluB dieser tu-
multuarischen Szene aufstellt, ist wesentlich, daO es
aus der Melodie der langsamen Einleitung und somit
von einem Temperament stammt, in dem schlechte
und gute Laune dicht AUegro moito.
und einen eignen Gharakter liebenswlirdiger Eeckheit,
der wohl an Turgeniewsche Figuren erinnern kann.
Auf gewichtige Gegenthemen hat der Komponist fast
ganz verzichtet. Ein ein-
verzicniei. iim em- . . _P lK J.I it' !f^f' 1 i
ziges, das ofter erscheint: ^ ^ Hi V ^J I j ""^^ j J =
nimmt seinen AbschluB identisch mit dem des ersten
Themas. Die anderen — unter denen das Geigenmotiv
J I ^ KhkkKKKKK durch seinen festen
i^ ^^ J J3U J J *J J J Ij J 4 Schritt bemerkbar —
x/ treten nur episodisch
auf. Dem jugendlichen, treibenden Elemente des Haupt-
thema wird nur vorfibergehend durch eine sentimentale
Wendung Halt geboten. Alles ist in diesem Satze Be-
wegung und sprossendes Leben, aber von einer groBen
Gleichf5rmigkeit der Gestaltungen. Denn diese ruhen bis
auf wenige Ausnahmen aile auf der kurzen Form jenes
mit a) bezeichneten Thema. Es herrscht Poesie in dem
Satze: aber es ist die Poesie der Steppe, welche an den
Wechsel von H5hen und T&lern gew5hnte, stille Pl&tz-
chen liebende Gemfiter zun&chst etwas befremdet. Sehr
-^ 623 ^^
anzuerkeanen ist die Kunst, mit welcher Borodin das
ffihrende Motiv immer wieder in nene Orchesterfarben
kleidet und den Satz ohne Stockungen immer leicht im
FlnB erh<. Besonders sch5n ist der SchluO des Satzes,
.ein Andantino mit Abschiedsstimmmig, durch rhythmische
Verl&ngemng der beiden Themen a und h gebildet.
Der zweite Satz, ein Scherzo (Prestissimo, ^j^ Es
dnr) hat zum Hauptthema folgende Melodie:
"ifir T I
r- f" .^f .m fm. .r ^^® ^^^^ ^^ Violinfiguren
r I r i ' I r iT P 1 1 e versteckt und auch wegen
ihrer auf die Symmetrie verzichtenden Periodisierung
schwer zu verfolgen ist. Als Trio bringt dieses Scherzo
eine Art Dudelsackmusik, in der folgende drollige Melodie
durch die Instrumente wandert:
mj 4 ■- / /I I B J , I Das is^ ^^^ echtes Bild aus dem
i r.. \ ^ ' ^ W i J I russischen Volksleben, durchaus
heiter und naiv. Es wird mit viel Humor durchgefuhrt,
namentlich das Fagott tr> viel zu seinen heiteren Ef-
fekten bei.
Der dritte Satz (Andante, 9/4, Ddur) ist in Bezug auf
nationale Eigenart der vollste und berichtet in kurzen
Melodien, die auf fast uabeweglichen Harmonien ruhen,
von einer kargen, fremdartigen und phantastischen Natur
und von einer tief melancholischen Seele. Er zerf&IIt in
drei Abschnitte. Der erste beginnt mit einem breiten
Gesang
if^iii^rrirp>r,rnririiirrMrirrrri ii
.,^ ^^ ^ den die Celli anstimmen, englisch Horn
f S2 pXfp J und F15te fortsetzen. Er klingt eigen-
tto. t&mlich melancholisch, und die Ver-
_^ 624 *—
zierungen, die er enth<, deuten anf orientalische Ab-
kanft. In der Harmonies die in Dissonanzen still liegt,
herrncht ein merkwfirdig dftmmernder Gharakter, eine
Beklommenheit, der am Schlusse dieses Abschnittes ein
pldtzlicher starker Aufschrei Lnft macht. Der zweite Ab-
schnitt wird lebendiger, die Violinen beteiligen sich am
Gesange, und in den Bl&sem zun&chst erhebt sich ein
rhytbmisches Motiv, das bald nfther, bald ferner zu klingen
scbeint. Es verschwindet wieder, lebt nur noch in den
Schlftgen der Pauken fort, tritt dann wieder st&rker auf,
w&chst bis zor Macht t5nender Glocken und erregt einen
allgemeinen Aufschwnng. Das Tntti stimmt — wir sind
in den dritten Abschnitt eingetreten — die Melodie, mit
welcher der Satz begann, im Stile einer feierlichen Freu-
denhymne an, und mild und sanft klingt das Andante
aus. Der szenische Gharakter des Satzes, der Unter-
grund bestimmter Vorg&nge, wie Wallfahrt in' der Steppe
und dergleichen, ist nicht zu verkennen. Der Schlu6-
satz der Sin- ^^^^
fonie , zu des-:
senHauptthema'
Schumann, zu dessen Durchfuhrungsteile Mendelssohn
die Muster geliefert hat, verl9.fit den heimatlichen Boden
auffallig.
A. Borodiiiji Weil sie der russischen Nationalit&t treuer bleibt,
Zweite Sinfonie. haben seine Landsleute Borodins zweite Sinfonie (HmoU)
seiner ersten vorgezogen; vielleicht ist ihr auch deshalb
die gr5Cere Liebe zugefallen, weil sie als nachgelassnes
Kind erst nach dem Tode ihres Vaters (ohne Opuszahl)
vor die Welt trat. Rimsky-Korssakow und Glazounow haben
sich der Waise als Redaktoren und Herausgeber an-
genommen.
Von Zwiespd^ltigkeit ist jedoch auch diese Sinfonie
nicht frei, und sie geht diesmai tiefer hinunter in das
Wesen des Kunstwerks. Waren in der ersten Sinfonie
Borodins die S&tze nur nach den Bildungsquellen des
Verfassers verschieden, so zeigt die zweite Sinfonie einen
Ri6 in ihrer Seele: Der erste Satz der Sinfonie stellt
-^ 625 «^
Ideen und Ziele auf, die spftter unbeachtet bleiben und
h5chstens noch einmal ftuBerlich ber&hrt werden: Ein
Heros tritt auf und verschwiadet spurlos in den W&idem.
Sie abmt mil Obertreibungen etwa den verwunderlichen
Gang von Freytaga >Ahnen€ nach, beginnt mit Welt-
bildem und Seelenschilderungen gewaltigen Charakters
und verl&uft dann ganz und gar in Dorfgeschichten.
Der Anfang des ersten Satzes (Allegro, HmollJ be-
ginnt herkulisch mit einem Thema:
das mit dem ersten Seitenthema von R. Volksmanns
Dmoll-Sinfonie innere imd &uBere Abnlichkeit teilt.
Auch der Gedankengang beider Satze ist verwandt: Fin*
stre, ernste Entschlossenheit soil milderen Stimmungen
weichen. Bei Borodin treten die weicberen, freundlicberen
Gedanken aber wie seine andere Hftlfte an das Haupt-
thema beran , suchen engste Verbindung mit ihm*
Schon im Anlmato asgal. ^=116.
und damit Volksmusik. Das heroische Thema tut einige
stolze Gftnge durch die Tonarten, immer folgt ihm der
freundliche Berater auf dem FuC. Im Z5gern und Dr&ngeni
wird A dur erreicht, und da setzt das eigentliche zweita
Thema des Satzes in Ddur, pastoral in seinem Wesen,
zuerst vom Cello gebracht, ein:
Poco meno nosso. d : 88.
jiMn n Id E f r f r O ■ 1^^ r'Tr'if J i
ebenfalls ein unverkennbares Zitat aus dem Musikscbatz
des russischen Volkes. Die Holzblftser nehmen die sehr le*
bendig metrisierte Weise auf, Geigen folgen; die Lustigkeit
w&chst, aber auch die Heftigkeit des Widerspruchs. Die
B&sse f&hren die Sache des Hauptthemas ganz entschie*
den , die I&ndlichen Yersuchungen sind abgeschlagen.
KretEBchmar, Fftlirer. I, 1. 40
-^ 626 ^—
Mit einer gewissen Feierlichkeit, in breiten Akkotden, lang
verklirigendem Ton schlieBt die Themengruppe.
Die DnrchfQhrnng wird im ersten Teii vom Hanpt-
thema ansgeftUlt. Nur hat es seinen Charakter verloren:
Ein »/2 Takt hat sein Wesen verwandelt, ins Leichtfertige
nnd Wirre gezogen:
Afllmato astal. . L L
aiJMVrfM^rii n'li ri i iiii ii i
p erMo.
Man treibt mit ihm entw&rdigendes Spiel, zwingt es, den
l&cherlichen Aufmarsch zu wiederholen, die Geigen machen
seine Schritte spottend nach. Bald treten dann auch das
Freudenthema, das Ann in Arm mit dem Hauptthema in
die Sinfonie hereinschritt, nnd das eigentliche zweite Thema
im Triumph ff auf. Doch k&mpft sich endlich das Haupt-
thema im letzten Teil der DurchfQhrung, von den Trom-
peten, Posaunen, H5rnern und den Holzblftsern aus, all-
mahlich wieder nach oben. Eine bedeutende Entwickelung
zeigt diese DurchfQhrung zwar absichtlich nicht, jedoch
ist sie in den Absichten klar. Die Reprise briagt die
Themengruppe verkUrzt wieder und mit stfirkerer Be-
tonung des Hauptthemas, das als Sieger das letzte Wort
breit und donnernd spricht. Die Gegens&tze des Anfangs-
teiles haben sich in Pl&nkeleien verflUchtigt, deren Dar-
stellung den Komponisten zu Verktirzungen und andren
interessanten Umbildungen der urspriinglichen Them en
veranlaGt hat.
Der zweite Satz, ein Scherzo in Fdur, dessen
Hauptsatz im Prestissimo (^ = 108} verl&uft, ist einfach,
knapp und doch auch originell. Seine Originalit&t liegt
in dem grotesken Humor des Hauptthemas, der Spftfie
treibt, wie die, mit denen man Kinder erst schreckt und
dann ergdtzt Er setzt auf einen freien Nonenakkord
f&rchterlich ein wie das Finale der Neunten Sinfonie;
dann regt es sich erwartungsvoll in den HOmem, aus
der Tiefe tappt ein Marsch heran, als kftmen Gespeaster.
Mit dem Eintritt der Holzbl&ser lOst sich die doppelte
Spannung in eitel Anmut, Zierlichkeit und gute Laune:
627
TTfT f • ^
Iq der Fortsetzung finden sich herumspringende Modn-
lationen, versprengte und verirrte Solostimmen. AIs dann
Asdur erreicht ist, kommt die phaatastische Bewegnng
sum Stehen und bahnt einer GemQtlichkeit die Gasse,
wie sie Schamann ia seinen jUngren Jahren liebte: In
Synkopen schiebt sich das Tbema
|''~J \ ^ ^JjJ iH launig tr&ge bin. BeiddGruppen
des Satzes kehren wieder, das
Seitenthema, diesmal in der HaupUonart, dient zum Ab-
scblnB des ganzen Hauptsatzes und vermittelt mit ro-
mantiscben, abendlichen Abschiedskl&ngen den Obergang
zum Trio.
Dieses Trio, ein Allegretto (0/4, Ddur), gleicbt einem
StQck Erz&blung aus dem Orient. Es bat den bnkolischen
Charakter, den die russische Volksmusik liebt Wie es
Hirtenweisen tun, gleitet seine Hauptmelodie von Instru*
ment zu Instrument fiber wiegende Harmonien und einen
Orgelpunkt, den der Komponist wunderbar poetisch be-
lebt hat. Er klingt, in einzelne GlOckcbentdne zerlegt,
aus der Harfe her, H5rner und Triangei fallen mit ein.
So ist der Anfang dieses Teils
i
l^r I .:' r I. L
40*
-^ 628 ♦^
Er geht dann aber ausschweifend sofort nach Des dnr und
— irren wir nicht — begegnet da einer leisen Waroung
vom Hanptthema des erst en Satzes in einem Pizzicato-
Motiv derKontrabSsse. Es wird infolgedessen etwas dunke)
fiber der anmutig unschuldigen Pastoralmelodie. Doch
bald kommt Ddur nnd voller Sonnenschein zuriick. Wir
bedauern, daB nicht langer Weilens ist. Mit einer ge-
wissen Rficksichtslosigkeit bricht der Komponist ab und
kehrt zum Scherzo zuriick. Es verl&uft so, wie wir
es aus dem ersten Teil kennen; nur wird dem Seiten-
thema, als es zum zweiten Male erschienen ist, der
ganze Schlufi tibertragen — ein schw&rmerisches Ver-
klingen !
Der dritte Satz (Andante, C Desdur] bietetunsein
StQckchen Kunst, wie es zurzeit nur in der russischen
Musik zu linden ist, und wie es von russischen Musikern
wieder nur Borodin in der Gewalt hat. Nur einer von
den Lebenden hat sich ihm auf diesem Gebiet einmal be-
tr&chtlich gen&hert. Das ist Dvofak im langsamen Sat:^
seiner letzten Sinfonie, >Aus der Neuen Welt*. Etwas von
der Schwermut, der Traumkunst und Resignation, die in
dieser Musik liegt, ist 'den Slaven alien als Erbe aus der
gemeiusamen Heimat zuteil geworden. Es spielt aber
auch in diese ethnographisch und allgemein menschlicb
gleich stark fesselnde Musik der Orient stark hinein init
seinen schillernden und verschleierten Farben, mit der
verlassnen, versteckten Schonheit und der Unendlich^
keitsstimmung, die wir auf M5ckelschen Bildern finden,
und auch mit seiner heiBen und doch ziichtigen Sinn-
lichkeit. Ein Teil des Phantasie- und GemUtsgehalts
dieser Musik kommt aber auf eigenste russische Rech-
Bung, auf Puschkinsche Landschaft und orthodoxe Reii-
giositftt. Sicher ist, daO wenn einst Herdersche Geister
die Summe russischer Poesie und Kunst ziehen, derartige
SS.tze wie dieser Borodinsche die Hauptwerke bilden
werden.
Wenn wir unter den dichterischen Elementen, die sich
bier zu einem Ganzen gruppieren, nach dem bestimmenden
629
fragen, so wird kaum eine Meinungsverschiedenheit darUber
bestehen, da6 das religiose iiberwiegt. Wir haben es mit
einer Art Abendandacht zu tun: drauOen in der weiten
Natur, unter freiem Himmei empfiehlt sich, zur Nacht-
ruhe gerQstet, die Karawane dem Schatze Gottes. Gleich
die vier pr&ludierenden Takte (Harfe nnd Klarinette) haben
einen feierlichen Gharakter. Dann setzt das Horn ein
mit ainer Melodie:
Andaiita.4sf8-
r. OMMisMs — - '666
Dm B... Gm Dm_ f Ub W
aus der Dank nnd Frieden nach des Tages MCihen klingen.
Die Klarinette nimmt sie auf. Wir erwarten sie nun auch
im vollen Chor zu horen. Doch dieser nattirliche Ver-
lauf wird dramatisch hinausgeschoben. Die Geigen tre-
molieren: ein be&ngstigender Zwi-
scbenfall. Das Horn ruft das An-
fangsmotiv im warnenden Ton: p
wie aus der Feme, die B&sse nehmen es ernst und ent-
schieden auf. Als wQrden Wachen und Vorposten abge-
hdrt, melden sich aus alien J»ift
Richtungen Stimmen mit
dem beruhigenden Thema
das nun auch im Tutti beschwichtigend wirkL In
breiten, wie Orgel und Kirchenmusik klingenden Akkor-
den schlieCt dieser ersle i»i& animated = so.
Abschnitt des Satzes in -^tj^r r> f"
Cdur. Der nftchste setzt V |„[j \>fj \ C J I ^^
mit einem Thema ein: P
das die Stimmung wieder in das tftgliche Geleise filhren
will. Es begegnet in den Begleitstimmen bereits einer
Reibung in Ge- _ ^^ das als bas-
stalt eines chro- j^j^i J ^J I j M^^ so ostinato die
matischen Motivs ^^"^-^ ^^9^ Harmonic be-
herrscht, bald in der Mitte, bald in der H5he durch-
klingt. Der Gedanke an die Gefahr wacht noch und lebt
auch noch einmal in seiner ursprCinglichen Form auf und
_^ 630 «—
wird in ^ . . ^ . j .. _m . i ^^™ Trft-
ihr, sogarj^SJ iJ^ I J iJ j I -^ Mj bJ^ J jger derail-
erweitert: ^'^^■■^ " -"^^"^ gcmemen
Empfindung, die am SchluG mit dem chromatischen Motiv
(in A dur if und fff) wieder zum Vertraucn und GefQhl
der Sicherheit und zu einer lauten Anrufung der g5U-
lichen Gnade znrQckkehrt. Nach einigen in stiller Samm-
lung Qberleitenden Takten, in denen zoletzt wieder die
WftchterEtimmen erscheinen, ist die Episode, die am An fang
die Fortsetzang der Des dur-Melodie nnterbrach, zu £nde,
und der Chor f&llt in sie ein und der Satz geht mitleichten
Anspielungen auf den kritischen Augenblick zu Ende. Das
PrAludium rundet die Szene als Nachspiel schdnstens ab.
Das F i n a 1 e ( Allegro, 3/4, H dur) setzt sebr uberraschend
ein: Die zweiten Geigen halten de8-<i8 von dem langsamen
Satz her&ber in den neuen alsew-^is; drunter setzen die
B&sse mit fia ein. Wir haben also wieder eine der bumo-
ristischen Dissonanzen, mit denen die neuru88i9che Musik
die ganze abendlftndiscbe Harmonielebre aujs dem Sattel
zu werfen drobt Auf diesem Akkorde probieren alle In-
strumente erst den Rbytbmus, in den Violinen huschea
flfichtige Motive durcb, dann sturmen Figuren durchs
ganze Streichorcbester, wilde Triller setzen in den Bl&sem
ein. Die Instige Spannung dauert 17 Takte; dann erst
kommen wir zur Klarheit, zum Hauptthema des Finale:
Allegro. J, IM E« istecht rUS-
^ ^ sisch,naturfrisch
I undausgelassen,
aucbinderForm
durchaus nationale Tanzmusik mit gemiscbtem Rbyth*
mus (8/4 und 2/^). Als das Tutti damit darch ist, macbt
es den Platz fiir SolokQnste freL Das Cello scbwingt sicb
mit dem Tbema bin und her, w&brend die Oboe eine
Gegenfi- ^^ %^, ^„^ die im
gur dazu iWh p C^ (?} \i O [^ Verlauf
aufstellt: ^ "kolee ***^ -- i^" uj - ^j^gg^^
zes mebrmals unsre Aufmerksamkeit in Ansprucb nimmt.
Das eigentlicbe zweite Tbema bringt die Klarinette:
631
-r#<M=r Durch die Begleitang wird es als
>^ P fP^ jjlf *" ^ = ein Abk5mmling des Dudelsacks, als
y » «^ r editeBauernmusikgekennzeichnel.
Der Eomponist legt ihm die verschiedensten uad sehr rei-
zende Frisuren an durch Instrumentierangs- und Harmo-
niekdnste, er wei6 es sogar majestatisch zu kleiden. Die
seltsamste Verwandeluog, die im Finale vorkommt, erf&hrt
aber das oben angegebene Oboenthema, das beim Eingang
der DurchffihruDg von den Posaunen im breiten s/^Takt
und lento als BuBprediger, wie Wallensteins Kapuziner
auftritt, natUrlich nur um einen Sturm von Heiterkeit zu
erregen. In vieler Beziehung, in der innren Freiheit und
Lebendigkeit sowohl wie in gleichen motivischen Bil-
dungen erinnert dieses Finale an den ersten Satz von
Borodins Es dur-Sinfonie und darf mit ihr als ein Haupt-
beispiel frdhlicher russischer Sinfonik betrachtet werden.
Glazounow hat aus dem NachlaB Borodins noch ein LBorodla,
Bruchstack einer AmoU-Sinfonie verSffentlicht, das aus^^"**« Sinfonie
zwei Sfltzen, einem Moderato und einem Scherzo, be-
steht. Beide sind im wesentlichen Variationsarbeiten viel-
leicht aus einer frQhern Zeit, in der der Komponist sich
noch voUst&ndig unter dem EinfluC Glinkas bewegte.
Wenn sie in Deutschland unbenutzt geblieben sind, so
liegt das in ihrer Schwierigkeit. Diese besteht bei dem
Moderato in den grellen Gegens&tzen der Stimmung,
zwischen denen es humoristisch schwankt, bei dem
Scherzo im Rhythmus, einem kaum verst&ndlichen s/s Takt.
Wahrscheinlich darf auch die vielgespielte >Steppen- A. Borodin,
skizze aus Mittelasienc als Bruchstikck einer un- _^*®?P^'*^*
vollendet gebliebenen Sinfonie Borodins aufgefaBt wer-
den. Sie ist ein SeitenstQck zu den langsamen S&tzen
der beiden Sinfonien, eigen durch die unendlich lange
liegende Stimme in den Violinen, die auf den schil-
lernden und geheimnisvoUen Gharakter der Landschaft
anspielt.
auB Mittelasien.
-^ 632 ♦^
Auf Seite Borodins, aber qaalitativ unter ihm steben
BaUklrew. von den Slteren russischen Musikem Balakirew, Mus-
MmfMrfffkl. sorgski und der scbon mehrfach erw&hnte Rimsky-
£mii«kow. Ko rs s ak 0 w. Eine weitero Nacbfolge, welche die russische
Sinfonie im bukoliscben Gebiete wtHrde festgelegt haben,
blieb aus, und es trat ein Schisma ein, das die russiscbe
Scbuie in eine Petersburger and in eine Moskauer Partei
gespalten bat. Zur ersteren, die am nationalen Bannei:
einigermaBen festb< und mit allem Eifer den Kolorismus
▲• GUiomaow. pflegt, zHblen Alexander Glazounow, Arensky, der
Arensky. Iq Deutscbland nur durch seine Kammermusiken bekannt
X. iwaiow. geworden ist, und Micbael Iwanow, in gemessener
Wihtol. Distanz folgen Wibtol, Ljudow, Lyupanow, Meli-
ijvdow. scbewsky, Tscbergenin u. a. Die H&upter der von
MeUiek*wl5w!^®^8®^ Tanjew gegriindeten Moskauer Partei, die dem
TMhergemln! Nationalprinzip keinen Wert beimiOt und die russische
8. TAnjew. Arbeit vom groOen und internationalen Gesichtspunkt be-
BfteknanlBow. stimmt baben will, sind Rachmauinow,A. Scriabine.
^' *fl'*Co™ ^^^ Gefolge besleht aus G. Conus, S. Wassilenko,
8. WMfilenko!^- Catoire, R. GIi6re, A. Goedecke u. a.
G. Catolre. Unter den Sinfonikern der Petersburger Sektion ge-
R. GlUre.nieOt zur Zeit Alexander Glazounow, ein ausge-
A. Goedeeke. gprochener Eklektiker, der Tolstoischen BuBgedanken und
den kleinen Amusements des Salons mit gleicher Sym-
pathie gegeniibersteht, aber iiber ein groGes tecbnisches
K6nnen verf>, das weiteste Ansehen.
AuOerhalb der russischen Musikst&dte ist Glazounow
erst mit seiner vierten und fiinften Sinfonie bekannt ge*
geworden, allmfthlig sind ihnen dann die Vorg&ngerinnen
gefolgt, und gegenw&rtig ist er im internationalen Re-
pertoire mit acht Sinfonien vertreten.
A. GlAiouow, Die erste Sinfonie (Edur), Rimsky-Korssakow, dem
Enie Sinfonie. Lehrer des Komponisten, gewidmet, ist durch weg ein Be-
kenntnis der Lebenslust. Der erste Satz (Allegro, ^/«,
Edur) gleicht voIlstHndig einer Tanzszene in der gebilde-
ten Gesellschaft; beherrscbt wird sie von dem Thema
^1 ryi , .1 ^*^ zunfichst also gar nichts
lj^j_pr \'' ^^ r p-i Nationales, wird aber bald
633
darch NebengedankeD, durch Rhythmenwechsel, durch
Musettenb&sse und durch den Oberschwang im Wieder-
holen russisch gefS^rbL Die Arbeit verr&t in der kurz-
atmigen'Periodisierang, dorch das Fignrenmaterial bei
den Oberg&ngen und durch deren Umst&ndlichkeit noch
einen Anf&nger.
Der zweite Satz, das Scherzo (Allegro, s/^, Cdur) ist
ein Perpetuum ^ ._r- das ^uOerst ge-
mobile Qberfefcf rffrrfrirfr Q ^wanHt durch-
das Thema: ^'*™' ■ ■ ' i«u ' * ' geftthrt wird.
Das Trio hebt sich scharf dagegen ab und verwendet ein
polnisches Thema:
fi'ii i n 1 1 1 1'1 fr I LLf r I Tllj-^^^'*'-
Auch der langsame, der dritte Satz (Adagio, ^4*
Emoll} bleibt in dem freundlichen Grundton der Sinfonie
und berQhrt ernstere Stimmungen nur, um mit ihnen
liebenswiirdig zu t&ndeln; einige schrillere Lichter ver-
danken ihre Wirkung der originellen Anwendnng des
fibermllBigen Dreiklangs, und musikgeschichtliches Inter-
esse erregt der Satz durch eine Anlehnung an Wagners
Meistersingervorspiel.
Mit dem Finale (Allegro, ^4? £dur) hat Glazou-
now dem Vater der hoheren russischen Instrumental-
musik, M. Glinka, eine Huldigung gebracht. Es ist
ein frischer und abwechselungsreicher Variationszyklus,
zu dem den Hauptslo£f abermals ein polnisches Thema:
I geliefert hat.
Die zweite Sinfonie Glazounows (Fismoll) ist, wie die A. Gluomnow,
C moll-Sinfonie von St. Sa6ns, dem Andenken Franz Liszts Zweite Sinfonie,
gewidmet. Deshalb beginnt ihr erster Satz mit einem
Andante maestoso, das Qber das einfache Orpheus-Thema:
einenTran-
^ ermarsch
entwickelt.
«
|fe
J JJJ J N JJ.IJ
Diese wehmtitige Weise wird bald zu einem Allegro:
$
-^ 634 %^
J Allegro. nmgebildet !"iind
" Brrrrir rrrri*" C/r i^*^- ^^^^ ^^ dieser
Gestalt dem Aus"
drack eines wilden Schmerzes, der gelegentlich ins Toben
und ins Anst513ige ger&t, aber anch Yon milden Klagen
ergreifend schatiiert wird.
Die Melodie des Traaermarsches durchzieht anch
den zweiten Satz (Andante, Ddur, ^4)^ ci®' ^ ^^^ Haapt«
sache freondlichen Bildern der Erinnernng gewidmet ist,
rnssisch pastorale T5ne anschl> nnd Lieblingsrooti^e
des heimgegangenen Meisters hinein verwebt.
Der dritte Satz (Allegro vivace, Hmoll,>/4) setzt diesen
Erinnemngsdienst fort, aber in einem leidenschaftlich
erregten Ton, der oft, wie in Gedanken an nngerecbte
Gegner, entrdstet wird nnd mit zahlreichen Akzenten des
Schmerzes gemischt ist.
Das Finale beginnt mit einer ernsten Intrade
and fahrt, zwi- ^^ ^^ Allegro.
nnd einem ^ — ^ -^
andemder jt''i> |l , ^"i ^. f P I llf (I ["[-p J
Hmgebnng *j ' "^ ^
wechselnd, in einer Erregnng, die sich dnrch best&ndige
Andemngen von Tonart und Taktart UnOert, zu einem
triumphierenden SchluG.
A. eiftioiHow, Die dritte Sinfonie (Gdur), Peter Tschaikowsky
Dritte Sinfonie.ge^^jQe(^ igj diejenige, in der das rnssisch -nationale
Element fast ganz zurticktritt, und die zugleich durch die
Natur ihrer Themen und deren Entwicklung es dem Zu-
hdrer ziemlich schwer macht.
Insbesondere gilt das vom ersten Satz (Allegro,
Ddnr, s/^], der von seinem nachdenklichen Hanptthema
^^ _^ -^ ^ gar nicht loskom*
rfllttr II' r I f |''r r r ^^ ^en kann nnd sich
"^ ." " " ' " in z&her, umst&nd-
licher, fiir die Fachmusiker teilweise nicht uninteressanter
Arbeit mit ihm im engen Kreise dreht Doch fallen
636
Lichtblicke in den Nebel, nnd nach der endlichen Auf-
hellung schliefit der Satz wirklich sch5n.
Der z weite Satz (Vivace, F dur, «/ie Vs)? Scherzo fiber-
schrieben. ist ein BravonrstQck phantastischer Ballett-
znusik, da6 unter der Flagge einer Elfen- nnd Gnomen-
jagd Oder nnter einer &hnlichen Oberschrift passieren
kOnnte. Es ist eine tolle, nur dnrch wenige StQtzpunkte
unterbrochene Gankelei nm fluchtige nnd nichtige Ikfotive,
die aber einem virtnosen Orcbester and alien seinen
Instramenten Gelegenheit gibt, zu spannen und Ebre
einzulegen.
Der dritte Satz (Andante, Edur, ^4) geb5rt zu jener
Art von Lyrik, die dnrch unaufh5rliches Pr&lndieren die
Geduld anf Proben stellt. Den gedanklichen Kern bringt
ein znerst in Asdnr auftretendes Intermezzo mit einer
voxn englischen Horn gespielten Melodie, deren sehn-
suchtige nnd schw&rmerische Wendnngen die Kenner
der inodemen Oper und ihrer Liebesszenen ziemlich be-
kannt anmuten. Die emsig sinnige Arbeit und der
bluhende Klang des Orchesters gehen jedoch Qber das
Gewohnte hinaus.
Das Finale [Allegro moderato, Ddur, ^jii setzt auf
dexn Thema:
Eetc.
mit grower, aber voreiliger Freude ein. Es bleiben lange
Strecken des Miihens, der Unentschlossenheit und immer
erneuter Ans&tze zu iiberwinden, bis die Anfangstakte
des Satzes endlich aus dem Munde der Trompeten und
Posaunen im sicheren und emsten Ton des Besitzes
erklingen. Mitei-
^°^ ner Kombination
dieses Hauptthe-
mas nnd seiner bedeutendsten Helfershelfer schliefit das
Finale >grandioso« und rauschend ab.
Die vierte Sinfonie (op. 48} hat die ublichen vieri. eiaiomiow,
S&tze, da aber das Adagio mit dem Finale zusammen- Vierte Sinfonie.
gezogen ist, erscheinen ftufierlich nur drei.
686
Sie beginnt mit einem Andante in EsmoU fiber ein
vom Englischen Horn vorgetragenes Thema, das sich
anf Grand folgenden Anfan^
AndEDte. J*:68.
etwas bequem entwickelt. AIs es auf der Dominante
schliefit, stellt sich ihm ein Gedanke entgegen, der die
freundlichen , friedevollen Zukunftsbilder dieses Themas
mit leisen Zweifeln und Fragen beanstandet. Den Reden
and Gegenreden wird ein rasches Ende bereitet darch
das Allegro, das ohne alle Yermittelang die Durtonart
darchzwingt. AIs erstem Haaptthema begegnen wir in
ihm eiuer Melodie, die sich abermals etwas breit, anterm
Anteil verschiedener Instramente entwickelt:
Allegro moderato. J = 98.
Clar,
Oh P VioUnen.
Sie spricht Worte der Hoffnung aas, in Reimen, die der
Komponist fertig vorgefunden hat, and kommt in der
Fortsetzang in einigen Eifer, den so fort mit TOnen der
Ruhe ein Seitengedanke zu beschwichtigen anternimmt:
J Das Haaptthema kehrt
■ tf.L 'P>^ <-7-^ .,.-^^-,^ wieder, verklingt aber,
y ^ ' IJ fi f I r T^^^ als schliefen alle Sorgen
ein, and an seine Stelle
tritt ganz scherzenden Tons das Thema der Einleitang,
bei der Yerwandelang, die es nach Borodinschem Master
aus Moll nach Dur and in ein frdhlich, flottes Tempo
gefuhrt hat, kaam wiederzuerkennen :
— » 637 #>-
Damit sind wir ins Volkst&mliche nnd.in die l&ndlichen
Kreise trad ihre Freuden eingetreten. Die Melodie be-
herrscht diesen Abschnitt eine Zeitlang, w5rUicb nnd
Qbertragen. Unter ihren YariatiODen ist eine im ruhigen
Tempo fQr Horn bervorzuheben. Dann fQbren ausge-
lassenere Szenen nacb dem ersten Tbema des Allegro
znrQck, nnd der SchlnO der Themengnippe erbftlt als An-
bang noch einige kurze fr5blicbe Motive. Statt der er-
warteten DnrchMbning folgt aber eine Wiederholnng
dieses ersten Teils, eben der Tbemengruppe, mit etwas
verftodertem Modnlationsgang nnd anch mit verflnderte'm
Gharakter. Es wird etwas Iftnger bei dem ersten Them a
verweilt, es erhfilt einen sorgenvoUen Ansdruck, der sich
laut leidenschaftlich nnd wieder still senfzend ftnfiert.
Diese Stelle fQhrt nacb der Einleitnng znrUck: dem An-
dante mit dem Pastoralthema in Esrooll. Die Frende,
die Torbin dnrch seine (Jmbildnng in die Gestalt eines
scberzenden Dnr-Tbemas in das Allegro bineinkam, war
verfrUbt. Noch ists nnr Zeit zu boffen. Dies spricht ein
letztes knrzes ZurQckgreifen auf das Hauptthema des
Allegro aus. Die im ersten Sinfoniesatz ublichen Wege
des Sonatenschemas hat Glazonnow znm grofien Teil nm-
gangen nnd doch eine verst&ndliche Darstellnng seelischer
Vorgflnge geboten, ein Bild vom Kampfe edler Triebe mit
den Versnchungen der AUtS^glicbkeit.
Die anderen S&tze f Obren dieses Bild weiter: der Schan-
platz wecbselt, es wechsein die Charaktere. Das Scherzo
beginnt mit Qdin- AUegro vivace. J.= iw.
ten, die ungednldig t i i i t t
erregt in den Fa- ^M^\, ft f P f I f | T " etc.
gotten repetieren:
Das sagt Tanz an, und bald stimmen anch die Klarinetten
einen Reigen an, dessen Melodie:
f\^uf^tl{ \r\ p II iM 1 1 I
638
in ihrer Mischung von Lustigkeit nnd Demnt an Rubin-
steins >Brftate von Kaschinir< erinnert. In der Durch-
fiihrung dieses Themas tritt im ganzen sein lostiger,
munterer Gharakter mehr hervor. Er steigert sich bei
dem ersten Tutti zn Kraft nnd Ausgelassenheit:
an anderen Stellen wird
der Nachdruck auf die
beweglichen Elemente
des Themas gelegt:
Der Hauptsatz zerf&llt in zwei klar geschiedene Teile: der
erste bringt die angegebenen Themen vorwiegend in B^
der zweite in F. Als in diesem zweiten Teile die aus
dem Eingang des Scherzos bekannten BaGqninten vieder
erklingen, kommt ein neues Thema:
mf ^^^
in den HOrnern, das aber am SchluO die frenndlichen
Lockrufe des alten Hauptthemas aufnimmt, w&hrend die
Violinen mit:
dazn kontrapunktieren. Es ist, als woUte derKomponist
eine andere Seite l&ndlicher Frenden, die Jagd nnd ihr
aufregendes Treiben im SchattenriG wenigstens vorf&hren.
Da kommt aber sehr bald das Trio mit seiner fast in die
Farben der Aeolsharfe gekleideten Musik, deren Eintritt
man zn den schonsten Stellen der Sinfonie rechnen mu0.
Die Melodie, die an ihrer Spitze steht und zuerst von
der Klarinette gebracht wird:
--» 639 «^
Poco mtno mosso. Tranqalllo. 0*r 60.
fTf I f I r I r- 1 n I fTi ||n 1 1
ist zwar an und fdr sich eiafach, aber in ihrem Gegen-
satz zum Wesen der vorangehenden Szenen wirkt sie
wie aus h6herer Welt gekommen. Das bnnte Treiben
des Tages and seiner Lust liegt weit binter dem Hdrer.
Er denkt an den Sternenbimmel nnd an die ewigen
Fragen vom Menscblichen and G5ttlicben. Im dritten
Teil des Scherzos, am Schlui^ der Reprise klingt die
Himmelsmelodie des Trios noch einmal an.
Aach der dritte Satz kntlpft mit seinem ein-
leitenden Andante an die Stimmung des Trios an.
£s leabhten fiber dieser Einleitang in den tremo-
lierenden Violinen Andante. J = 69.
zauberhafte Lichter, jt^h * -''^.r < .T^' u f*^'==='^r--
and der Gesang, der fp'' " I f I J f f T f P Ih^^^
durchdieBl&serzieht: PP
versacht wenigstens die Tone des Friedens wiederzafinden,
dieinjener Abendszeneklangen. Der itA ?^^^'*r^
Versuch st5fit auf zu grofie Erregung, Ami J P F r -I
die in dem pl5tzlichen Fortetakt fiber: J^
gewissermaOen elementargewaltig hervorbricht. Ihr folgt
auch bald eine jener langen, dem russischen Sinfoniker
eigenen Obergangsstellen , in denen anf liegendem BaO
kleine Motive in die Hdhe dringen and wie Wftsserchen
zu W&ssercben kommend zam Strom anscbwellen, der
den Damm darchbricht. Dieser Wandel in der Stimmung
tritt bereits im Andante ein, den sturmischen Gharakter
nimmt sie mit den ersten T5nen des Allegro an. Da
setzen die Trompeten ein:
Plh mosso. Allegro moderato. 4s 188. ^^^^
<i''i'^rgirtfiuij nifuij nil
-^ 640
und alarinieren das ganze Orchester so, dafi es ins
Zittern ger&t. Der ganze erste Teil des Allegro &afiert
wirklich seine Energie und seine Freude vorzngs-
weise rhythmisch, was sein Hauptthema melodisch
bietet, das erscheint ■
noch nicht geklftrt: }j'' '■ M.J 'jj JTinT"-
die Violinen schwingen ^ r ^^ ^ *l>^#
sich mit dem Motiv -^
im Kreise nnd in die Hdhe, in den Klarinetten scheint
die meiste Bestimmtheit zu herrschen:
jA r^f rrifi'iifi|Ji-.niJ7^rT^i»:r'i'
Das freudig verworrene Treihen endigt feierlich mit einem
Desdur-Akkord, und diese S telle fuhrt edlere Geister her-
bei. Zuerst h3ren wir
ein Thema in dem ganz fremden Edur. Wie sie ein-
geleitet war, so schlieBt diese Episode auch wieder feier-
ich, geheimnisvoll mit langen KlS,ngen, lange liegenden
Akkorden (As, Ces), und nun folgt ein zweites Thema
friedlicher Natnr, von der Oboe eingefUhrt :
Meno 1D0860.
i* t n ir^i I iiTTr ir ri I I I
dolee
T> rrr I ri
Es beendet die Themengruppe des in Sonatenform ge*
haltenen Satzes. Sein EinfluO ftuOert sich in der Durch-
ftihrung dadurch, da6 zunachst die wilden Motive des
Allegros ganz verwandelt erscheinen, Pas erste kurze
Violinenthema z. B. kommt in den Posaunen als:
J =92.
•to.
— • 641 ♦^
Bald erwacht ihre eigenUiche Natar, sie ringen and
kampfen gegen die edleren Regangeoi die mit ihnen den
Weg wiederholt kreuzen. Oberraschend erscheint am
Ende dieser DarchfUhrang das Hornthema aus dem
Scherzo gewissermaOen als Bundesgenosse fUr die Geister
der ttuGeren FrShlichkeit; den milderen Mftchten kommt
Hilfe dorch die sch5ne elegische Melodie, die den ersten
Satz der Sinfonie er5ffnete. Dann folgt bald die Reprise,
die die edleren Themen in gr66erer Bedeutung zeigt,
auBerordentlicb konstvolle Arbeit enth< tind freudig
rauschend schlieBt.
Glazonnows ftlnfte Sinfonie (Bdur, Op. 55) ist einA. eUioDHOw,
Werk der Heilerkeit und Kraft, das sich ohne die'^'^'^^Sinfonia
modemen Hebel der Leidenschaft and Romantik ent-
wickelt, aber Phantasie and (^emCit des H5rers festza-
halten and zu beschttftigen vermag. Denn es yerr&t
iiberall Geist and eine adlige Natar. Der Verlaaf and
Charakter der beiden letzten Sfttze scheint die Sinfonie
der Programmasik zazaweisen. Doch hat der Komponist
nicht yerraten, was ihm vorschwebte — yielleicht ein
besonderer Lebenslaaf — j da anorganische Einzelheiten,
die im Zasammenhang anerkl&rlich w&ren, nicht darin
vorkommen. In der Form zeigt die Komposition ver-
schwindend geringen rassischen EinflaB, in der Stimmang
&aOert er sich in wohltaendster Art als Natarfrische and
Lebenslost.
Der erste Satz beginnt mit einer Einleitang fiber
das Thema:
Modsrato maefltoso. J = 92
Sie fQhrt za einem Allegro, das an diesem krSftig fr5h-
lichen Grandgedanken festh<. Nar im anderen Rhyth*
mas tritt er bier aaf and etwas erweitert:
Kreizsobmar, F&lirer. I, 1. 41
642
rr^ if (f-p I C^Jjf^ ' ^jVj^^-L^
Gegens&tze im Sinne eines Widerspruchs oder einer Ablei-
tung treten ihm nicht in den Weg, nur Versuche, den frohen
Mut, der aus ihm spricht, noch zu steigern. Daxunter f&llt
durch seine Entschiedenheit der folgende am meisten auf:
Auch das
'v Lg" I o I npft^H-^ ztst
V" madesSat-
zes bedentet Zustimmung, Freude — nur im zarteren Tod:
j|i>'' fl^t I fOnTTf I fTTif^^^^m
Weiter bemerken wir noch Motive des Scherzes, Motive
anfwallenden Frohsinns. AUe diese groGen nnd kleinen
Einf&Ile werden variiert, umgebildet nnd in einem leben-
digen Spiel zusammengebracht, das Humor und Witz
beherrschen. Die Durchffihrung, die nur kurz gehalten
ist, stellt sich auf einige Augenblicke grimmig. Die Re-
prise, in der das zweite Them a geheimnisvoll spannend
▼orbereitet wird, schiebt den SchluB geflissentlich und
fesselnd weit bin aus.
Das Scherzo schl> mit seinem Hauptthema:
Moderate. J = 96.
die fliichtigen T5ne heimlicher Beweglichkeit an, mit denen
wir seit Mendelssohn den Begriff von Elfenmusik verbinden.
Das StQck gleicht einer Stunde aus der Kinderzeit, wo abends
Mftrchen erzS,hlt werden von schOnen Feen und kleinen
Geistem der Luft. Dann poltert ein grober Biese herein:
643
^^^L^A ^ . - n . ^®'» ^^^^ den 1
'j^^V^r Cj* I |*J r ^ "CT^J— len Dissonanzen
!/^ *^ "^ ^? schliefien , die dies
der, nach den tol-
zu
diesem
Absctinitte eigen sind, alles auf den Kopf zu stellen
scheint. Nach diesem Zwischenfall kehrt der Hauptsatz
wieder. Der Mittelteil, der die Stelle des Trios einnimmt,
tHhii mit einer hQbschen Volksmelodie hinans ins Freie :
•Prestissimo jieno mosso.
^m
wo sich Tftnze und Spiele nnd gemtitliche Zwiesprache:
» ^in zum Teil sehr eigen-
jyj f I J I J"J J I _rj J I tamlich schdnemKIang
•^ ^***-^ V^-' ^entwickeln. Vor dem
Schlufi wird dieses Trio nochmals kurz angespielt.
Der langsame Satz der Sinfonie, ihr dritter, wird
mit einigen Takten eingeleitet, in denen die Akkorde wie
schwere, trube Wolken langsam hinziehen und schleichen.
Dann aber treten wie Wandrer, die vom inneren Gluck
erfUUt, nicht aaf Himmel und auf Wetter achten, die
Gesangsthemen ein, schw&rmerischen Tons, wie ein Lieb-
haber in seiner Sehnsucht das erste:
^^^^4^
creso
do Ice
reinster wftrmster Z&rt-
lichkeit voll das andere:
Das zweite
insbesondere
breitet sich
ans, steigert seinen sch5nen warmen Ton, wird hervor-
gejubelt und gelispelt und bildet die Grundlage fQr die
Stimmung des Satzes. Doch besteht eben dieser Satz
41*
-<fr 644 ♦->
nicht ausschliefilich aus Stimmungsschilderang and ver-
Huft'nicht ungetr&bt. Die Einleitnng war eine Warnnng.
Mitten in den schOnsten Augenblick der Komposition fftllt
ein brutales St&ck Dramatik, ein vielerlei Dentong frei-
stehendea Ereignis, das aus alien Himmeln reifit: Posannen
und Trompeten sind die Ver- ^^^^ ^^^^^ j^_ ^^
treter der Schicksalswendang ^ ^ _ _ ^ ^"_ '_ _ i ^ i
nnd dies das musikaliscbe Mo- yijj^ ^ ^^mJ)^ '^ JJ* 'jj
tiv, das sie yeranschaulicht: ^ ^ ^
Das Finale der Sinfonie hat einen militftrischen
Gharakter. Sein Hauptthema ist folgendes und sein
wichtigster Teil der Berliozsche Schlufi:
Allegro maestoso, oz 126.
i!Lf .1 I r r r r r I r J r u 1 1 r M I
f rrn i^ r f tr ir rr riffff f|fff
Es wird ergilnzt durcb das leichtherzigere:
.1, ..^.1 ..^.1 rf.(
Unter den wesentlichen Motiven des Satzes darf besonders
der wiederholte Anklang an die rauhe Trompetenstelle des
dhtten Satzes nicht Ubersehen werden. Allem Anschein
nach gibt der Satz das Bild eines wirklichen Kampfes.
Es kommen neue HilfBtruppen, originell in den B&ssen
angemeldet
'"I'l I I I i| IT ir "^ r '"'^^ ' ■'■' -J '
es gibt Augenblicke der Niedergeschlagenheit, der
Rlage,derTrauerund ^
auch des Trostes, die JkHM J-^J /T'j J i\^-^-
aus dem letzten The. V^ f^f-T<l^ f f '
ina sich entwickeln:
Dieses zeigt in weiteren Umbildungen seine immer gr5Bere
-^ 645 ♦^
Wichtigkeit nnd seinen Znsammenhang mit Volksmnsik.
Es wird allm&hlich zu einer Kriegs- and Siegeshymne,
die am Schlusse anch dem ersten Hauptthema des Finale
eine glttnzende Rflckkehr vorbereitet.
Die 8 ech ste Sinfonie (C moll) gleicht der zweiten darin, A. 6Uio«how,
daO ihr erster Satz mit tieferTrauer empfftngt. Eine gram- Sachsto Sinfonie
▼oUe Melodie steigt Aducio^
in die H5he nnd wird bald, in Vieryierteltakt nmgewandelt:
Allegro^ ^^ das Hauptthema eines
*r^'^'^_ J rn J" P I f f r ^ ^ ^^^ leidenschaftlichem
P^^"^ /"==^ p ' Schmerz bewegten Alle-
gros. Ihm tritt ♦^ jf^
in dem zwei- li\ ? \ ^ \\ \ ^ f \T \ T \? f \
ten Thema: *^ dout . "
die Stimme des Trostes entgegen nnd wird in dem &ber-
haupt sehr knnstreichen Satze mehrmals mit ihm kom-
biniert, ohne aber Qber die trlib erregte Stimmnng Herr-
schaft zu gewinnen.
Der zweite Satz sucht die Heilung auf breiterer
Basis und stimmt zun&chst feierlich eine Liedweise:
Andante. an, die m5glicher-
l^\r-S^r>^\rin\\ I I weise russisch ist,
^ ^f U \U^^^' ^J ^i^ iedenfalls aber in
die Sph&re kindlicher Zufriedenheit geh5rt Das Thema
wird in sieben Yariationen entwickelt, die auf der Skala
der Fr5hlichkeit sich immer weiter aufwttrts bewegen,
dann vom Scherzino ab ttber ein Fugato und ein Not-
turno tiefer in die Gemfitsruhe einlenken. Das den
Zyklus kr6nende und seinen reichsten und interessan-
testen Teil bildende Finale stellt den Sieg der Lebens-
freude fest.
Der dritte Satz (Allegretto, Esdur, s/g), Intermezzo
betitelt, ffthrt in dem neuen Tone fort: Den Hauptsatz
beherrscht die zuerst #"«>
von der Klarinette ge- ^L^fj rlTT |f-ll itfJJ- |.r^
brachte heitere Melodie : V)' ' ' i ■ i i j^ i
-<t 646 «^
die Stelle des Trio — vom Hdnr ab — nimmt ein grazi-
Oser Walzer ein.
Das Finale (Cdor) beginnt zwar mil dem Thema
.Andante maestoso. «r°st Und SOgar et-
•STrrrr I 1 i l. I ^ etc. was drohend, mhrt
VF^ J-t,JJLJJ J J 't^J— j— es aber bald ins
^ Allegro und in den
entschiedenen Ton einer krSftigen Heiterkeit fiber. Mil
Hilfe des zwei- j 0 ^ ^ i i , i i I , i , | «nd
ten Themas : gy ¥ f H^^ f ^ I "^ J J J I seiner
Fortsetzung wird sie bis zur Ausgelassenbeit gesteigert
Glazounow zeigt sich in diesem Satze als Meister des
Humors, zugleich auch in seinem h5chsten Glanz als
Satztechniker: Ein Kanon reibt sich an den andem, und
die Kunst der rhytbmischen Umbiidungen der Themen
erscbeint nahezu als unerschOpflich.
A.GUzoiHow, Die siebente Sinfonie (Fdur), die — ein seltener
Siebente Sinfonie. Fall — der Autor seinem Verleger gewidmet hat, macht
uns mit einer Art Glaubenswechsel Glazounows bekannt.
Er n&hert sich bier Borodin und bekennt sich st&rker
und entschiedener als jemals vorher zur russischen Musik.
Namentlich der erste Satz (Allegro moderato, Fdur,
2/4] ist reich an kurzen, munteren russischen Volks-
melodien. An ihrer Spitze steht das Hauptthema:
^-^ und was es verspricht, das
(£ I S Lf I r^ rf/ I f^ kommt: ein Pastoralgem&lde.
W ^ - Von dem der sechsten S^infnnie
Von dem der sechsten Sinfonie
Beethovens unterscheidet es sich durch den Verzicht auf
den sinnigen, im besten Sinne sentimentalen Zug der
FrdhliQhkeit, das Hauptthema wie seine Gef&hrten ge-
h5ren zur Klasse des Wildfangs. Beethoven entwickelt
auch geistreicher, mannigfaltiger und uberraschender.
Die Oberraschungsmittel, die scharfen Modulationen, hat
sich Glazounow angeeignet.
Der zweite Satz (Andante, Dmoll, Vi) f&ngt sehr
ernst an, fast wie eine Warnung, wohl, weil er uns
vor ein Naturbild f£Lhrt, in dem, wie in den lang-
samen S&tzen Borodins, die Melancholic haust. In
— ♦ 647 4^
der Mitte, von einer Episode in Dur aas, dicb-
let sich die . ^.—^ ^--- — ^ .^
Stimmung zujujjf |J.;'.ni/jJ T If fl'J
einer Klage: Kiar.
Der dritte Satz (Allegro giocoso, Bdur, 2/^) heitert
mit dem Spiel urn eine flatternde Sechzehntelfigur, die
an die gefilederten Bewohner der Luft erinnert, energisch
auf. In die kecken T&ndeleien mischen sich zahlreiche
Kantilenen verschiedenen, vom Neckischen bis zum Ele-
gischen weisenden Charakters.
Das Finale (Allegro maestoso, DmoII, Vs) stimmt so-
gleich beim Pi ■ . . ■ r t 1 11 1 1 iHymnftn-
EinsaU mit: ^^* J J J !■' '' I'' '' < "^ton an
und erweist sich als eine Huldigung ans Vaterland. Ihre
sch5nste Stelle kommt nach dem Ende zu, wo das Haupt-
thema des ^ wiederkehrt.
ersten Satzes fe^l' [f T [p pTlT^ Mit der ihm
in der Form : ^ eiguenBreite
und Menge der Obergange streift der Komponist in diesem
Finale das MaOlose.
Die achte Sinfonie (Esdur, op. 83) ist in ihrem ersten A. eusouow,
Satz (Allegro moderato, V4> Es dur) ein Bild reinen Glucks, Achto Sinfonie.
im Hauptthema, dessen Ausdrucksstiitzen Vorhalte nach
oben sind, mit einem mafivollen Zusatz von Cberschwang
und Schwarmerei, im zweiten Thema im Ton des ruhigen
und sicheren Besitzes. Da der musikalische Reiz dem-
nach im ersten Thema liegt, wird es auch in der Ent-
wicklung stark bevorzugt, lange Abschnitte hindurch er-
scheint die Komposition pi .^n r^- ^®^ ^^^ ^^^"
wie eine Phantasie iiber ns>\i « ? f P f f I zounow die
seine ersten vier Noten Gelegenheit
ergriffen hat, in Nachahmungen, Umkehrungen, Verkiir-
zungen und Verl&ngerungen der Rhythmen seine kontra-
punktische Meisterschaft zu erproben. Es laBt sich nicht
verkennen, da6 der Yortrag dabei etwas umst&ndlich
geraten ist und daO den Permutationen der Motive Ori-
ginalit&t abgeht.
Der zweite Satz (Mesto, ^/s, Es moll} fuhrt uns iiber*
-^ 648 ♦—
raschend vor tiefste Trauer, vor efnen schweren and
frischen Yerlust, dem die Seele des Leidtragenden fas-
snngslos gegeniiber steht. Das Bntsetzen spricht den
ganzen Satz hindurch mit den Rhythmen des Trauer-
marsches in Wagners >G5tterdftmmerung«.
Der dritte Satz (Allegro, ^4) Cdur) steht noch ganz
im Bann des zweiten, stellenweise gleicht er einem Toten-
tanz, and darchweg bleibt er spakhaft and gespenstisch.
Darch diese Eigenttimlichkeit ist er der wertvollste Satz
der Sinfonie.
Das Finale (Moderate sostenato ed Allegro mode-
rato, V4t Esdar], das die Stimmang wieder ins Gleich-
gewicht zoriickfUhrt, besteht masikalisch aas laater Re-
gungen der Kraft, fiber die nur durch die aach in der
Mitte des Satzes wiederkehrende langsame Einleitang ein
Schatten fftlH. Zar vollen Wirkang fehlt es diesem Finale
an einem plastischen Them a.
A. QUioviiow, Erw&hnenswert ist aach eine Programmsaite (op. 79)
AusdemMittel-Qiazounows, die anter dem Titel »Aas dem Mittel-
^ '* alter< vier Bilder vorfOhrt, die antereinander keinen
weiteren Zasammenhang als den gemeinsamen archa-
istischen Ton haben. Das erste (Allegro, E moll, ^/^ will
ein Schlofi and darin ein Liebespaar zeigen. Woran
man in der Masik das SchloO erkennen soil, bleibt das
Geheimnis des Aators, das Liebespaar lHOt sich schon
eher an dem Edur and an der weichen Melodie fest-
stellen. Der zweite Satz, Scherzo iiberschrieben (Allegro
assai, ^4, A moll), beginnt mit Anstreichen der leeren
Qainte a~ — "W, deatet also aaf Geigenspiel and wahrschein-
lich aaf Tanz. Der Geiger soil der Tod sein, der bei
einem Jahrmarkt aufspielt. DafUr klingt auch die Masik
stellenweise graasam genag. Im dritten Satz (Andantino,
3/4, A moll) wird ein Troobadoar, der ein Standchen bringt,
ziemlich glaubhaft vorgestellt. Es hfttte der obligaten
Harfe kaum bedarft, die Echtheit liegt in der Rhythmik
der Melodien, in deren Vortrag Bl&ser and Geiger ab-
wechseln. Das Finale (Allegro, V41 ^ clur) ist ein Bfarsch
tnit rezitativischen and andren Episoden. Der Marsch
— » 649 ♦^
8oll an die ausziehenden Kreuzritter, die Episoden, unter
denen ein Choral die Hanptrolle hat, soUen an anfeuernde
FQhrer, an predigende MOnche and eintreffende Prozes-
sionen erinnem.
Zuweilen lies! man von deutschen AnffQhrungen einer C €«l,
Suite miniature von C^sar Cui, dem Spreeher der Suite miniature.
Nenrussen. Das ist ein halbes Dutzend einfachster Stticke
in Lied- and Tanzformen, die an Schumanns Kinder-
szenen, an Bizets jeux d^enfants erinnem. Die russisehe
Herkunft verraten sie in keiner Zeile, sondem gehOren
nach Qeist and Form zn den besten FrUchten der franz5si-
schen Schule and verdienen wegen der liebenswtirdigen
Phantasie and der feinen ZQge in der Gestaltung weiteste
Yerbreitnng.
Immerhin ist dieser franz5sische Zug in Gois kleiner
Suite ein Merkmal, das in verschiedener Form auch bei
den russischen Sinfonikern wiederkehrt Yon Rimsky-
Korssakow bis auf Glazounow gehen sie alle, bewuOt oder
unbewufit, von Berlioz aus, von seinen Programmen oder
von seinen Bravourstftckchen poetischer Ballettmusik, und
behandeln das Kolorit und die Einlage einer oder meh-
rerer Unterhaltungsnummem als eine Hauptaufgabe der
Sinfoniekom position.
Dagegen erhob sich von Moskau her, dem Sitz des
Altrussentums, eine Opposition, und es bildete sich von
dem dortigen Konservatorium aus, wie schon erwfthnt,
eine Moskauer Schule, deren H&upter A. Scriabine und
S. Rachmaninow sind. Sie fafit die Sinfonie als Ge-
m&lde seelischer Zust&nde auf und verlangt eine, mit
Verwerfung aller Zugest&ndnisse an Herkommen und
Publikumsgeschmack, charakterstreng und mit gleich-
m&fiiger Hingabe und Grttndlichkeit durchgefClhrte Arbeit.
Das ist im Grunde das alte Ideal der Wiener Klassiker
and derjenigen deutschen Sinfoniker, die noch auf Beet-
hoven schen Boden steben. Doch unterscheiden sich die
Moskauer von Brahms, Draeseke und Genossen dadurch,
dafi sie auf die von Haydn eingefUhrte thematische Arbeit
im Sinne der prinzipiellen AusnUtzung kleinster, gelegent-
^^ 650 4>^
lich UQwesentlicher Satzteile keinen Wert legen. Statt
dessen bringen sie, wie es Liszt angebahnt hat, die The-
men im vollen Umfang wieder, aber in immer neuer
Beleuchtung und in &u6erlicher und innerer Umgestaltung.
Unter die verwerfiichen Zugest^ndnisse rechnen sie auch
die Verwendnng russischer Volksmnsik, gleichviel ob in
der charaktervollen Weise Borodins oder in der mehr
spielerischen Tschaikowskys. Russisches Wesen kommt
dabei noch vollauf genug zur Geltung, es ^uOert sich
aber nur geistig in der Stimmung and Tendenz der
Themen selbst and noch mehr in ihrer Entwicklung. In
der Stellung zam Programm I&fit die Schnle Freiheit.
A. SerlaMne, Von Scriabines Sinfonien hat die zweite (Cdar) den
Zweite Sinfonie. gj.5j3ten Erfolg gehabt and sich auch im Ausland die
Anerkennung erworben, die einem bedeutenden und
eignen Werke gebUhrt. Der Komponist zeigt in ihr, wie
ein von Trauer and Schmerz ergriffnes Gemiit zur L&u-
terung gelaDgt, und enthttUt sich dabei als eine auOer-
ordentlich weiche und zum Oberschwang der Gefuhle
geneigte Kiinstlernatur modernster Art. Der GrundriB der
Sinfonie ist funfs&tzig, da aber der erste eng mit dem zweiten
und der vierte ebenso mit dem f&nften Satz zusammen-
hllngt, besteht sie tats&chlich nur aus drei Nummem.
Der erste Satz (Andante, Cmoll, C) ist eine kurze
Phantasie Andantg, ^^^^ ^ Ihr dum-
tiber das ^}i^^_^^t-w^fi T F I f^ ' 9 f f r f I "" iP^e^ Ton
Thema: kut.p ' ^ "^ i i i i ' 'macht nur
vorubergebend einer hellern und erregteren Episode in
C dur Piatz, die einem RQckblick oder Ausblick auf freu-
digere Tage gleicht und zu einem Obergang nach Es dur
veranlaBt. Der zweite Satz (Allegro, Esdur, a/s) bringt
die angekiindigte Tonart, aber in seinem Hauptthema:
Allegro. ^^
etc
Es Ces Es Ces Es Ces GesCesCes Es Ces Es As
keine Beruhigung, sondem einen Aufruhr trtiber Gefiihle,
der schon in den Rhythmen des vierten Taktes einen
--♦ 651 ^
erschreckenden Charakter zeigt. Das Thema gibt im
Rleinen ein Bild des ganzen Satzes, nach seinem Wesen
sowohl, wie nath seinen Mitteln. Er wtthlt bis zum
AuBersten in Schmerz und Qualen, und der Dissonanzen,
namentlich der Vorhalte, weicher and anbannherziger, ja
bis znr Brutalitftt barter, ist kein Ende. Man lechzt
stellenweise nach einem reinen Dreiklang and steht einer
Orgie der Sentimentalit&t gegenUber, die Wagners > Tri-
stan« uberbietet und die eine wahre Sehnsucht nach dem
weinerlichen Spohr erwecken kann. Unter Aristoteles
w&re derartige Musik konfisziert worden, denn sie ist un«
gesund and wirkt auf die Dauer demoralisierend. Aach
das zweite Thema:
j^MfHni^ i%i HiMi T pir-iiJ ff^ Prjff III.I. i J, i
Ces B B as As
befreit nicht aus diesem Engpafi des Grams and der Dis-
sonanzen.
Wo wir Licht zu sehen glaaben, da klingt alsbald das
Haaptthema des ersten Satzes, die Traaerbotschaft, mit
verwilderten Ztigen wieder herein, and so oft das freand-
lichere Es dar sich darchzusetzen scheint, immer and bis
ans Ende wird es von d&monischen Akkorden nochmals
bestritten. So ist dieser erste Satz der Sinfonie ein un-
erhdrt graasames Stuck Kunst, aber die ZMhigkeit und
die modulatorische Virtuosit&t, mit weicher der Kompo-
nist seine Absicht verwirklicht, zwingt zum Respekt, und
schliefilich geht der Zuhdrer auch nicht ganz leer an
sch5nen, einfach herzlichen Stellen aus.
Der dritte Satz (Andante, Edur, %) der Sinfonie,
der eigentlich ihr zweiter ist, laBt sich wie eine Idylle an,
wir hdren in der Flote sogar anheimelndes Vogelgezwit-
scher. Er bleibt auch bei durchaus freundlich schwfirme-
rischen Melodien, die von Liebe, Jugend und GlQck
tr^umen und sagen, er entz&ckt oft; aber auch er hftlt
an einem Ton des Oberschwanges, der harmonischen
Cberreizung und Kompliziertheit fest, der sich mit aus
dem allzustarken Einflufi erkl&rt, den Wagners Stil auf
-^ 652 *^
Scriabine ausgeiibt hat Der vierte Satz (Tempestoso,
Fmoll, ^/g] stelit sich zu dem vorausgegangenen An-
dante im scharfen Gegensatz und giht ein keckes and
aufregendes Bild &nfirer und innrer Stflrme. Soweit er
ans Natnrmalerei besteht, darf er als ein SeitenstQck za
dem >Wallkurenritt< bezeichnet werden, und teilt zwar
nicht dessen Pathos, aber die Energie, mit der eine ein-
facbe, Wind and Wetter abgelauschte, erst leicht stofiende,
dann wutend healende Figar festgehalten and in ihren
wechselnden Launen durchgefQhrt wird. In der Mitte
anterbricht den Starm eine bittende and klagende Melodie,
die noch riUirender wirken w0rde, wenn der Komponist
sich h&tte von seinen anvermeidlichen Vorhalten trennen
k5nnen. Sie bereitet die innerlichste and schdnste Stelle
des Satzes vor, die Wiederkehr des Haaptthemas des
ersten Satzes und seiner freundlichen Episode in Cdur.
Diese leitet jetzt in das Finale, den fOnften Satz (Mae-
stoso, C dur, C) fiber. Ihn beherrscht ebendasselbe Haupt-
thema, aber in heroischer Gestalt:
^ Maestoso.
gT C E A
Wohl tauchen noch Reminiszenzen an Kampf und
Schmerzen auf, aber der, auch von dem an and fttr sich
unbedeutenderen, zweiten Thema unterstrichne Grandton
ist der des Friedens, der Resignation, der ruhigen Kraft.
Nur die allerletzten Takte nehmen eine triumphierende
Miene an.
A. Serlablne, Die noch wenig bekannte dritte Sinfonie des Kom-
DritteSmfonie.^^jj^jg^gj^^ sein Opus 43. fQhrt ein Programm, »Le divin
Po^me, in drei Satzen (Luttes, Volupt^s, Jeu divin) durch,
die ohne Pause aneinanderschliefien. Die Entwicklung
ihrer Musik bewegt sich v511ig in den sch^fsten Kon-
trasten, sie ist aber im Stil weit einfacher als ihre Vor-
gftngerin und zeigt sehr erfreulich, daB der Kfinstler auch
mit normaler Harmonie Bedeutendes zu sagen weiC.
Trotzdem ist sie von der deutschen Kritik als Ckber-
kiinstlich, fiberlang und bar aller Proportionen abgelehnt
--» 653 *^
und mit noch gr5Brer H&rte als der zweiten Siafonie des Kom-
ponisten Redseligkeit and Thvialit&t vorgeworfen woiden.
Den Hauptbeweis, daB moderoe AUflren nicht zum
Wesen der Moskauer Schule gehdren, bieten die Werke
Sergei Rachmaninows, bei denen der Zuaammenhang
mit den Klassikern der Gattung klar zutage triit.. Seine
persOnliche Bedentung liegt in der SUrke der ]pasikali-S»BMkMMlB0W9
schen Naturkraft und wird am dentlichsten in der E moll- Emoll-Sinfonie.
Sin fonie ofifenbar, die im Verein mit einem Klavierkonzert
znerst seinen Namen Qber die heimatlichen Grenzen ge-
tragen hat. In der Kunst, mit den Elementarwirkungen
der Masik, mit Ausklingen und Anschwellen zu fesseln,
steht er auf gleicher H5he wie A. Bruckner, in der Er-
fin dung seiner Grundideen ist ihm das GlUck nicht immer
treu, auch ihre Entwicklung scheint von der Gunst des
Angenblicks abhftngig, bleibt aber immer logisch.
Der erste Satz dieser Sinfonie hat eine langsame
Einleitung, die mit Motiven schlichter Art — unter ihnen
eine Achtelfigar, die wichtig wird — den Obergang von
tr&nmerischem Sinnen zn einer regen T&tigkeit der Phan-
tasie vorftLhrt. Sie beginnt ruhig und schliefit noch
ruhiger, dazwischen aber liegt ein Stflck Begeisterung,.
das einmal in die kiihne Akkordfolge Hdur-Bdur aus-
bricht; es ist als ob ein alter Mann sich entscblossen
h&tte, aus seinen Erinnerungen mitzuteilen. Im Allegro
moderato (E moll, ^) kommt die Erz&hlung, und zwar zu-
n&chst in einer Art Bardenton, die an den jungen Gade
erinnert. Yier Takte wird nur pr&ludiert» dann setzt das
Hauptthema
„__ etc.
an die Einleitung ankniipfend, balladenmfifiig ein, wird
variiert wiederholt und dann mit Triolenmotiven erg&nzt,
die einen ritterlichen Charakter haben und anzudeuten
scheinen, dafi es sich um Heldengestalten und ihre Aus-
fahrt handelt Mit dem zweiten Thema (in Gdur)
meldet sich das GlOck in origineller Art: Oben in Oboen
_<^ 654 ^^
und Klarinette knappeste Naturlaute, die den Gesang im
Herzen nur markieren, unten in den Geigen ein leises,
fr5hliches Schw&rmen. Erst bei der Wiederholung wird
aus dieser Skizze eine ausgebildete , warm dr&ngende
Melodie, und wie in stiller Seligkeit schlieCt die Themen-
gruppe. Die DurchfQhrung ist die St^tte von WiderstSLnden
und Schwierigkeiten, deren Darstellung in der ersten
H&lfte matt ist und erst dem Ende zu etwas in Schwung
ger&t. In der Reprise zeichnet sich die zum zweiten
Them a gehdrige Gruppe (eine Episode in E dur) ganz
auOerordentlich aus und zeigt den ganzen Reichtum des
Komponisten, seine Zartheit und sein Feuer, in immer
gleich schonem und natiirlichem FIuG. Auch iiber den
zweiten Satz (Allegro molto, A moll, (^J liegt eine Art Pa-
tina. Schon die ^ Allegro
Harmonie des ^tf J J J J | J> J | J- J LI. J I ^ 1
Haupttbemas: f^
das ebenfalls akkordisch prfiludiert wird, versetzt mit dem
alten Kirchenton in alte Zeiten. Sein barter, reckenbafter
Humor macbt zun&cbst auf einen Augenblick einer from-
men Weise Platz, dann kommt an Stelle des Ublicben
Trio — denn der Satz ist das Scherzo der Sinfonie —
ein wild pbantastiscber Teil, den ein rubeloses Acbtel-
motiv von Anfang bis Ende durchsaust. Die fromme
Weise gibt nach der Reprise des Haupttbemas dem Ende
des Satzes das Gepr&ge.
Um den erz&blenden Cbarakter festzustellen, beginnt
aucb der dritte Satz (Adagio, A dur, C) mit einigen Tak-
ten PrsLludium. Dann setzt die Klarinette mit:
^ nif poco rit. dim. K rj____ M--I^
einer jener Melodien ein, die zwar nicht russisch, aber
entscbieden volkstumlicb und fiir Racbmaninow bezeicb-
nend und von biograpbischer Bedeutung sind. Aus die-
sem Haupttbema spricbt scblicht sinnige Zufriedenheit,
der Satz, der sicb aus ibm entwickelt, hat nichts von
dem Cberscbwang moderner Adagios, er malt traulich uhd
655
Jean-Paulisch ein Gluck in der Beschrftnkung. Nur ein-
mal — nach dem ftberraschenden Cdnr-SchluB — kommt,
von kurzen, suchenden Dialogen eingeleitet and dnrch-
brochen, eine Stelle, wo sich die sonst gut bUrgerliche
Szene dramatisch belebt und die Wogen hdher ausschla-
gen. Sie ist, &hnlich wie der Mittelteil des vorausge-
gangnen Scherzos als Vision gemeint, aber in dem sch5n
friedlichen SchlnC des Satzes klingt ibr Sechzehntelmotiv
nochmals hinein. Leg! man der Sinfonie das Programm
einer Ansfahrt nnter, so fUbrt dieses Adagio in die ver-
lassene Heimat
Wie die vorigen Sfitze ist das Fin ale (Allegro vivace,
Edar, (^) ebenfalls mit einer knrzen Einleitung verseheu.
£s sind einige, sp&ter oft wiederkehrende Takte stUrmi-
schen Jubels, die den Grundzng des Satzes feststellen.
Das Hanptthema tritt zuerst in erregter Gestalt
j¥» . P7r^n1?irmVf ff rrTfr^if^
i
auf, sp&ter kommt es in der breitren and faDlicheren
Yariante:
Seine erste Entwicklung gleicht einem Triamphzug in
vollstem Glanz und strotzender Kraft, bis eine plotzliche
Modulation nach GKs moll eine Stockung hervorruft.
Man h5rt aus der Feme einen Milit&rmarsch von unver-
kennbar primitivem Charakter. Dieser Zwischenfall, der
die Heimkehr der Sieger bedroht, wird eriedigt and
das Resultat mit
^^^^^^^^^-
dem zweiten The-^fe^^f y'T)' ^ -^'^^^=^
ma des Satzes:
ausgesprochen. Es fQbrt auf einen kurzen Augenblick
den Anfang des Adagio zurUck : Die Heimat lockt m^ch-
tig und nahe. Man bricht vom neuen auf. das Hanpt-
thema erffthrt eine neue DurchftUirung, aber unter dem
Zeichen der Vorsicht, bis dann die Reprise einsetzt. Sie
--^ 656 *—
erh< eine sehr sch5ne Nuance durch den Zatritt des
Hauptthemas des zweiten Satzes, das Thema der Helden-
last, und klingt in hellster Freude aas. Der poetisch
sinnig entworfne Satz bietet dennoch dem Zah5rer
durch seine Lftnge und durch einige schwficher erfnndne
Stellen einige Schwierigkeit.
Erfreulicherweise zeigt sich unter denjenigen russi-
schen Tonsetzern, deren Sinfonien fiir die Offentlichkeit
und fur das Ausland noeh in zweiter Linie stehen, ein
starker Anhang Rachmaninows. Der hervorragendste Ver-
treter der von ihm eingeschlagenen Richtung auf Klarfaeit,
B. Zolotareir, Einfachheit und die Ziele der Klassiker ist B. Z o 1 o t ar e f f ,
FismoU-Sinfonie. den wir seltsamer Weise zuweilen aucb unter den Vertretem
der Petersburger Partei verzeichnet fin den. Seine Fismoll-
Sinfonie (op. 8) n&hert sich im Andante fast der Schlicht-
heit Haydns, ohne jedoch die moderno Zeit und ihre
Erregbarkeit zu verleugnen. Oberall, beim leidenschaft-
' lichen Ringen, ebenso wie beim weichen Sinnen und
Sehnen, nimmt der Komponist durch die ernste, innerliche
WUrme des Vortrags ein.
B. K»Uf »tl, Nahe steht ihm Basile Kaiafati, dessen A moU-
A moU-Sinfonic. Sinfonie (op. 12) mit dem Rachmaninowschen Haupt-
werk die VerknUpfung getrennter SUtze gemeinsam hat
Stellenweise versetzt uns die Sinfonie Kalafatis in die
Mendelssohnsche Zeit, seine Selbstftndigkeit spricht aufier
aus der immer soliden, oft zu sehr ins Kleine gehen-
den Arbeit namentlich aus dem knorrigen Scherzo. Auch
E. HelaarBki, Emil Meinarskis F dur-Sinfonie (op. 14) geh5rt teil-
F dur-Sinfonie. weise mit auf das Konto des Moskauer Meisters, dem
Meinarski in der Kunst des poetischen Verklingens
sinniger Motive folgt. Zum grOfiren Teil reprftsen-
tiert der Komponist den Naturalismus unter den russi-
schen Musikern von seiner Schattenseite, nftmlich die
Ubermftfiige Betonung von PriUiminarien und Neben-
sachen. Um im Scherzo der Sinfonie nach der Haupt*
tonart, nach H moll, zu kommen, braucht er, von As be*
ginnend, zehn Partiturseiten, ohne damit irgend etwas
Wichtiges zu bieten. Der gleiche Eindruck des Gesuchten
— ^ 657 ^—
begegnet una noch mehrmals; namentlich die Melodik
geberdet sich gern, als wftren ihr die Halbtdne nicht
fein genng.
Wenn Meinarski im Adagio rnssisch nationale Mo-
tive verwendet, steht er mit dieser Ansnahme unter den
Moskauem nicht allein; auch bei ihnen finden sich An-
h&nger Borodins, in der rossischen Musik Qberhanpt aber
haben seine Prinzipien noch einen ebenso breiten wie
festen Boden. Einer ihrer begabtesten Vertreter ist
Basile Kalinnikow, besonders in seiner ersten, einer B. KUUnikow,
Gmoll-Sinfonie. Seine zweite, die Adnr-Sinfonie, baut ^™'**'***'» *»
zwar ihre vier Satze fiber ein Lied des Komponisten, das^"^" nad Adnr.
ganz den rnssischen Typns zeigt, l&Qi aber des weitren
die nationalen hinter die individuellen ZCkge zarficktreten.
Unter ihnen ragt ein dezenter und dem Anschein nach
an Glinka geschulter Humor besonders hervor.
Noch unbedingter gibt sich der zuweilen den Mos- B. flii^re,
kanern eingereihte R. Gli^re als Borodinianer. Wenig- ^ *"*Smfoni«.
stens in seiner Esdur-Sinfonie [op: 8); ihr zweiter Satz,
ein ebenso natUrlich erfundner, wie dorchgeflihrter an-
mutig naiver ^iXakt hat bedentenderen eignen Wert.
Unter den jUngeren Vertretern der russischen Schnle, S* Stojowikj,
die eine freie Stellung behaupten, verdient Sig. Sto-^™*>"-S">foM«.
jowsky, ein gebUr tiger Pole, als ein grofies und vor-
nehmes Talent hervorgehoben zu werden und zwar auf
Grund seiner Dmoll-Sinfonie (op. 25), die in ihren vier
S&tzen eine PersOnlichkeit zeigt und in alien eine aus
der Tiefe geschdpfte und wirklich innerlich eriebte Musik
bringt. Besonders pr&gen sich die sch5nen langen Melo-
dien und die faOlichen, wie Geberden wirkenden Rhythmen
der Leidenschaft im ersten Satze ein, &hnlich auch der
finstre Charakter des Scherzo und die kleinen Brocken
Trost, die sich von ihm so scharf und wohltuend ab-
heben. Aus dem ftuBren Stil der Sinfonie treten die
zahlreichen Bl&sersoli hervor.
Der Sinfonie ist eine dreisfttzige Suite in Esdur (op. 9), s. Stojowiky,
vorausgegangen, die im ersten Satz Variationen Uber ein Suite in £s.
russisches Thema mit leichter Anlehnung an die Haydn-
KretzBclimar, FUlirer. I, ]. 42
— * 668 •—
vaiiatioDen von Brahms entwickelt, ia den weitren Sfttzsn
ktihn uad dramatiscb polQische Helodien rerarbeitet.
■. SuiBbcrg, Aacb eine Ddnr-Sinfonie (op. 3), von Maximilian Stein-
D dnr-sinfonie. b e f g verdieDl bier nocb wegen ihres engen Anschlosaes
an Glazounow Erw&bnung. Der SchtUer kommt dem
Heister in der eifrigen nnd geschickten Pflege kleiaer
SatxkGnste ziemlich nahe and QbertriSt ihn in der Ge-
DUgsamkeit der thematischen Erfindang nnd der Ideen-
richtung. Das eigne, elegische Talent Steinbergs kommt
am dentlichgten beim zweiten Thema des ersten Satzes
zum Vorschein.
Nocb darf unter den beacbtenswerten ruasiscben Sin-
F. BNaeBrdd. fonikern F. Blumenfeld angeftihrt werden. Der Reich-
tnm an tttchtig gebildeten, von Einseitigkeit freien Dnrch-
schniltatalenten , aichert der rusaischen eine bedeutende
Wfliterentwickelnng and das Primat onter den nationalan
Schulen.
V.
Die moderne Suite und die neueste Ent-
wicltelung in der Itiassisclien Sinfonie.
BmctI'^ Werke der Nationalen und der Program mnsiker
IBSlbitden einen wichtigen Teil in der sinConischen
R^Sa Produktion der letsteu Jahrzehnte , jedocta reprS-
eentiereD sie nicbt die HauptstrSmnDg. Diese hSit viel<
mehr immer noch an den Traditionen fest, welche in den
Werkea Beethovens and der Romantiker niedergelegt
aind. Ja, mitten in der bewegtesten Zeit des Streitas,
welcher sich am den Wert und die Berecbligung der'neuen
Programmusik erhob, um das Jahr I860, lebte plStzlich
eine Kanstgattung wieder auf, deren Bliitezeit noch hinter
den Tftgen der Wiener Klasaiker zurQckliegt. Es ist
die schon im vorbergehenden Kapitel wiederholt be-
rQhrte Suite.
Die WiedereiofQhrung der Suite entsprach dem prak-
lischen Bedilrfnisae nach einer einfachen musikalischen
N&turkoat, dem Verlaogen nach graCeren Orchesterkom'
positionen, welcbe sicb, vie die Sinfonie, in groflen
Formea bewegen, den Geiat aber mit achwerer Qedanken-
arbeit und den Strapazen nngerer bohea Kaltar ver-
scbonen soillen. DaB man mit dieser bumanen HiBsion
ger&de die alte Suite betiaate, war eine weitere Wirknng
-^ 660 *—
jenes historischen Sinnes, welcher seit dem VorgeheD
Mendelssohns die Musikwelt st&rker zu dnrchdringen be-
gann und welcher in den Gesamtausgaben und Einzel-
ausgaben von Werken mterer Meister, in der Grtkndnng
nnd TUtigkeit der Tonkftnstlervereine immer mehr Aus-
druck nnd zugleich F5rdernng fand. Es war ein Jahr-
zebnt lang der Hanptfehler der modernen Suite, daB man
ihr das historische Studium und die Abhftngigkeit von
alten Mustem zn deutlich ansab. Die alte deutsche Or-
chestersuite bildete den Sammelplatz , auf welchem sicb
die charakteristischen Tanz- und Liedweisen aller Nationen
zusammenfanden. Davon ausgehend, h&tten die moder-
nen Suitenkomponisten sicb in erster Linie danach urn-
seben mUssen , was das 19. Jabrhundert an k&nstleriscb
verwendbaren Elementen der Volksmusik bietet. Und
daC es solcbe bietet, hatte Chopin bewiesen. Statt dessen
kopierte aber die Mehrzahl die Sarabanden, Giguen, Cou-
ranten, Allemanden der Bachscben Klaviersuite, trug
ans der neueren Zeit ein Scherzo, wenn es hoch kam,
einen Marsch herbei und vervoUstftndigte das Ganze mit
Variationen und Fugen. Der oft miOverstandene kontra-
punktliche Stil der Alten wurde ersichtlich h5her ange-
schlagen als das volkstQmliche Prinzip ibrer Suite.
Das Verdienst, als der erste nach hundert Jabren
wieder Suiten gescbrieben zu haben, hat Joachim Raff
f&r sicb in Anspruch genommen*). Der Hauptanteil an
der Neubelebung und Einfftbrung der alten Kunstform
muB jedochFranzLachner zugeschrieben werden. In
der Sinfonieperiode der dreiBiger Jabre von den Preis-
richtern, nicht aber vom Publikum ausgezeichnet, fand
dieser Tonsetzer noch sp&t- in der Suite einen Wirkungs-
kreis, auf welchem er viele Freude bereitet und seinem
Namen ein bleibendes Andenken erworben hat Auch
Lachner gehfirt der kontrapunktischen Richtung der mo-
dernen Suite an. Aber die wirklich volkstiimliche Natur
seines Talents &uBert sicb bei ifam auch, gerade wie bei
*) Siehe M. H&aptmann, Briefe an F. Hauser II, 249.
— » 661 «^
dea Alien, in der strengen Form. Seine Fugen sind
frisch nnd krftftig, frei und effektvoU. Lacbner hat sogar
fur die modeme Weiterbildung dieses ebenso schwierigen
als interessanten Stils wertvolle Fingerzeige und An-
regungen gegeben. Lachner spricht echten Snitenton:
auch wo er gelehrt wird, bleibt erklar und verst&ndlich;
wenn es nicht anders geht, ist er lieber trivial als ge*
ktlnsteli, und der Undeutlichkeit geht er so sehr aus dem
Wege, daB er sich darUber oft ins Redselige und Breite
verliert. Eine besondere Spezialit&t in seinen Suiten
bilden die M&rsche. Sie zeichnen sich aus durch eine
einfach kernige .Rhythmik und durch eindringliche Me-
lodien, welche gelegentlich mit aparten, blfthenden Fi-
guren gewQrzt sind. Oft sind diese M&rsche gar nicbl
deklariert und segein unter der Flagge von Ouvertfiren
und Intermezzos. Aber auch an traulichen Idyllen sind
die Lachnerschen Suiten reich. Eine, im besten Sinne
des Wortes, gute bflrgerliche Poesie beherrscht die Mehr-
zahl seiner Menuetts und Andantes. Die Sprache, welche
er in ihnen vorzugsweise spricht, erscheint aus den
Idiomen der alten Wiener Schule, speziell dem F. Schuberts,
dann denen Spohrs und Mendelssohns als ein neues Viertes
hervorgegangcn.
Unter den sieben Suiten Lachners ragt die erste v.hUhmWf
(Dmoll) durch Wert und PopularitUt hervor. Ihr erster SuitaNr. i
Satz besonders, ein >Pr&ludium<, in welchem das Thema: Pmoll).
Allef TO BOB troi
mit Kraft und Kunst durchgefuhrt wird, ist einer der
effektvollsten S^tze in der neueren Suitenliteratur: natur-
frisch und mit manchem kecken Harmoniesprung dahin-
fliefiend, originell und individuell in seiner Mischung
von Derbheit und Anmut, nur leider zu breit und un-
.gleich ausgefQhrt. Der zweite Satz, das kdnstlerische
HauptstQck der ganzen Suite, ein Menuett, ist eins
der liebenswardigsten Rokokobilder in romantischer
662
F&rbung. Der Hauptsatz tftnzelt auf folgender Melo-
dic bin:
AUerro noB troppo.
Das Trio hat dieselbe Grazie, aber mebr Cborcbarakter,
als ob Massea antr&ten. Sein Thema wird von einer Art
von Basso ostinato gravitHtisch begleitet:
t^TfTin-^ i^r^
*^'%\r.mmw
Der dritte Satz besteht
aus einem Zyklus von Va-
riationen, welehen folgen-
des Thema zu Grande liegt:
Die Bratschen begleiten es in der oberen Oktave. Die
Variationen — 23 an der Zahl — sind vorwiegend im
<eren Stil gehalten und enifernen sich niemais weit
vom Thema, welches in andere Tempi und Taktarten ge-
setzt, mit wechselnden Figuren umkleidet, aber einschnei-
denderen Umbildungen nicht unterzogen wird. Einzelne
uben trotzdem die tiefere Wirkung von Charakterstlicken
aus, andere sind als virtuoses Spielwerk zu betrachteny
ein dritter Teil ist gfinzlich veraltet und wertlos. Den
Zyklus beschliefit ein Marsch, welcher fiber den Verband
der Suite, zu welcher er geh5rt, und aus den Konzert-
s^len hinaus in die Volkskapellen gedrungen ist. Sein
direkt an A. Eberls Ddur-Sinfonie erinnerades Thema,
welches zuerst wie aus weiter Ferne h5rbar wird, genfigt
allein, nm diese Popularit&t zu erklftren:
663
^ ^ ^ ^ _ ,^ Luise von Kobell
rCJr r 'r^Vii^n f'fl nrr ^at m ihren Enn-
- =="^ nerungen erz&hlt,
wie die hubsche Sechzebntelfig:ur, die dem Thema seine
EigentQmlicbkeit gibt, von einer Vogelstimme stammt,
die Lachner einen Sommer lang anf seinen MQnchner
Morgenspaziergfl,ngen begrQCte. Das Finale der Suite,
ibr vierter Satz, bestebt ans einem webmiitigen Andante
als Einleitung and einer sebr steitbaren Fnge Uber folgen-
des Tbema:
Allegro moderato.
CoBtrftblMt CcDI Fag.
Die zweite Suite Lacbners (Emoll) bat unter ibren f. LMkaer,
fQnf S&tzen zwei Fngen, welcbe beide durch eigentQmlicbe ^^^® ^'* '
Anlage interessieren. Die eine in der Gigae durcb die ein- ^ ^^ ''
gelegten bomopbonen Partien und die dramatiscb scbwnng-
vollen Steigerungen am ScbluOe, die andere im ersten
Satze durcb die poetiscbe Verbindung, welcbe sie mit der
melancboliscben Introduktion eingebt: In dem Moment, wo
der Satz abscblieBen kdnnte, ^ ^^ ♦ ♦« ^ ,
taucbt das leidenscbaftlicbe :X:=L=^^^^£=£ C/ i T f : ,
Anfangsmotiv der Einleitung LiiiI^^^==== '"
auf, setzt sicb als zweites Thema fest, und die Fuge
wird zur Doppelfuge. Der Menuett dieser Suite, dessen
Trio ein grazioser Kanon zwiscben Violine und Bratscbe
ist, nfthert sicb dem Cbarakter der Mazurka, das Inter-
mezzo, namentlicb im Mittelsatze, dem Marscb.
Die dritte Suite Lacbners (Fmoll) beginnt mit einem f. Laobaer,
>Pr&ludium€ im mfiden Ton. Ibr zweiter Satz, Inter- Suite Nr. 8
mezzo, uberdeckt eine tiefe elegiscbe Stimmung, aus (Fmoll).
welcber zuweilen pathetiscbe Klagen bervorbrecben, mit
einem leicbt t&ndelnden Motiv. Die Sarabande bildet
eine Hhnlicbe Verbindung von gefUblvoU weichem Gesang
mit bebaglicben Tanzmotiven. Zwiscben den beiden Satzen
664
F. Laehner,
Suite Nr. 4
(Esdur).
F. Laehner,
Suite Nr. 6
(Cmoll).
F. Laekier,
Suite Nr. 6
(Cdnr).
steht wieder ein l&ngerer Variationszyklus/ dessen Thema
mit dem Allegretto von Beethovens siebenter Sinfonie
in naher Verwandtschaft steht. Auch dieser Satz klingt
mild aus. Unter seinen energischeren Partien ragt die-
jenige Variation hervor, in welcher die Holzblftser uni-
sono sich auf der chromatischen Skala tummeln. In den
SchluOsatzen der Suite, einer Gourante mit einem Schu-
mannschen Violinthema mit sehr hiibschen Klangeffek-
ten und einer modernisierten, ballettmaBigen Gavotte
wirft die Komposition alles Triibe ab und wendet sich
kraftigen Geistes dem Frohsinn zu.
In der vierten Suite Lachners (Esdur) ist das kon-
trapunktische Element wieder 3t&rker vertreten. Der erste
Satz, Ouvert&re benannt, fugiert am Schlusse, der funfte,
eine sehr kraftig einsetzende, modernisierte Gigue, durch-
aus, und beide Male ist die Fugenform wieder in inter-
essanter, freier Weise mit einfach melodischen, anmutigen
Episoden durchzogen. Der erste Satz ist nur dem Namen
nach eine Ouverttire, nach dem Charakter ein Marsch
mit auOerordentlich popul&rem Thema. £r gleicht einem
Festzug, der von Jungfrauen er5ffnet und von Milit&r
geschlossen wird. Zwischen den beiden Gruppen bildet
ein energisch frohes Thema , dessen Heimat in Webers
Euryanthe liegt, den Ubergang. Der wirkungsvollste Satz
der Suite ist das Scherzo pastorale mit einem reizenden
Cellosolo im Trio.
Die funfte Suite Lachners (Cmoll) weicht von den
vorausgehenden wohltuend durch die Knappheit der S&tze
ab. Ihre hervorragendsten Partien sind der Mittelsatz
des Andante, ein sehr klar wirkeader Kanon zwischen
Solovioline und Bratsche, und das Trio im Scherzo, ein
edler Gesang, auf welchem Schuberts Geist ruht. Im
Finale, welches in der Form des Sonatensatzes gehalten
ist, taucht a Is zweites Thema eine bekannte Oberon-
gestalt auf.
Der poetische Plan von Lachners sechster Suite
(Cdur) steht mit dem deutschen Kriege von 1870—71 im
Zusammenhang. Schon die Gavotte, welche hereinf&hrt
— » 665 ^^
wie »Zieten aus dem Busch*, erinnert an soldatische
Elemente. Das Finale ist einer der bedentendsten pa-
triotischen Tribute, welche die Mnsik jener Zeit dar-
gebracht hat Es vereinigt die Trauerfeier mit Sieges-
jubel und Dank. Klagende Rezitative im Spohrschen
Stile leiten eine mild nnd resigniert gehaltene Paraphrase
des Heldenchorals >Ein' feste Barg« ein. So wie die Be-
gleitmannschaft vom Grabe des Kameraden mit fr5hlichem
Spiele wegzieht, folgt dann auch hier der Trauerzeremonie
ein demonstrativ munterer und energischer, kurz und
keck rhythmisierter Marsch, eine der flottesten Kom-
positionen, welche Lachner in dieser seiner Spezial-
gattnng geschrieben hat.
Die siebente und letzte Suite Lachners, »Ballsuite« F.LftehBWy
genannt, macht mit der Modemisierung der Gattung Ernst. ^^^ ^^Z^*
Sie besteht, mit Ausnahme des Intermezzo und der Intro-
duktion, aus lauter Tanzs&tzen, die heute noch praktisch
leben: Polonaise, Mazurka, Walzer, Dreher, Lance. Leider
ist die vortreffliche Absicht von der musikalischen Er-
findung wenig unterstQtzt worden. Mit erfreulicherem|Ge*
Ungen hat einen &hnlichen Versuch J. Herbeck in seinen j.Herbeek.
>Tanzmomenten< durchgefQhrt.
Die Lachnerschen Suiten waren in dem Jahrzehnt-
ihrer Entstehung sehr beliebt und haben die meisten
Werke der Gattung, welche mit ihnen gleichzeitig her-
vortraten, bis heute an Lebenskraft (ibertroffen. Wenn
sie jetzt anfangen zu altern und aus den Konzerts&len
zu schwinden, so bleibt ihnen noch lange die Sympathie
der Freunde des vierh&ndigen Klavierspiels gewiO.
Unter denjenigen Suiten Bachscher Richtung, welche
mit den ersten Arbeiten Lachners bedeutend konkurrierten,
sind die Cdur-Suite von J. Raff und die Amoll- j.Baff,
Suite H. Essers (die zweite dieses Komponisten) her- Suit© (Cdar).
vorzuheben. Es sind in erster Linie Dokumente Iftr den g^^^^AmoU)
merkwiirdigen Begriff von der Kunst der alten Meister,
wie er um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch bei selbst
bedeutenden Musikern festsafi. Auch in den Charakter-
etflden des trefflichen Moscheles regnet es eitel »FiguraI-
_^ 666 ^>-
masik«, wenn die Alien geschildert werden soUen. Raff
kontrapunktiert steif, gleichf5nnig und so rubelos and
hastig, daB einem der Atem ausgeht. Esser jagt barocke
Passagen mit nnablftssigen Sequenzen und Imitationen
im Kreise herum. In Raffs Snite werden erst die letzten
S&tze, das Adagietto, Scherzo und Finale, welcbe aus
Mendelssohnschen and Schnmannschen Qaellen schdpfen,
natUrlicher, freier und phantasievoller. Esser hat aufier
dem' OberflaO an Vorhalten and archaistischen Disso-
nanzen aus der alten Suite doch auch etwas von ihrer
Kraft (in der Introduzione) und von ihrer Grazie (Alle-
gretto) in seine Kopie gebracht.
W. Bargiel, Auch die mit den genannten Werken ziemlich gleich-
Suite. altrige Cdur-Suite von W. Bargiel bildet alte Fonnen
nach: Courante, Allemande, Sarabande, Air und Gigue.
Aber der Komponist erftillt sie frisch zu mit modernem,
zum Teil Schumannschem Geiste. Dadurch wird diese
Suite zu einer der interessantesten Erscheinungen in der
Gattung. Sie Qberragt die Sinfonie Bargiels an Natiir-
lichkeit der Haltung, an Beweglichkeit der Phantasie und
verdient ins Repertoire wieder aufgenommen zu werden.
J. 0. erlmiii, Die kontrapunktische Tendenz der modernen Suite
Suite in Kanon- gipfeit in den beiden Suiten Julius Otto Grimms. Es
J°/rin,.\ ^^°^ Suiten in der Form des Kanons durchgefUhrt. Die
erste(Cdur), fur Streichorchester, bewegt sich in knappen
Bahnen. Ihrem ersten Satze, welcher den festlichen Ton
der Mozartschen Jugendsinfonien anschl>, liegt das
Schema der Sonatine zu Grunde. Das Andante hat drei-
teilige Liedform, der dritte Satz ist ein Menuett ein-
fachster Fassung ohne Seitens&tze, das Finale ein Minia-
turrondo. Der Kanon liegt immer sehr offen oben auf:
die Stimmen folgen einander in der Oktav and in kurzen
Abst^nden ohne Kiinstelei. Nur im letzten Satze w&hlt
Grimm ftkr den zarten Mittelsatz (in As) die Distanz acht-
taktiger Perioden. Trotz der Fesseln in der Schreibart
ftuOert die Komposition eine schdne geistige und sinn-
liche Wirkung. Ein besonderer Reiz des Klanges liegt
uber dem Andante, welches vom Soloquartett allein vor-
Nr.l (Cdur).
_^ 667 ♦--
getragen wird, und Uber dem warm, gemtttlich und innig
einsetzenden Trio des Menuett.
Grimms zweite Suite (Gdur) eriegt und befriedigt J.O.erlmm,
hShere AnsprUche. Irren wir nicht, so war sie vor der S^**® *"* ^"*®""
Dnicklegung als Sinfonie betitelt. Sie ist fdr voUes Or- ^^ aTodiir).
Chester geschrieben : ihre S&tze haben breite Formen mit
ausgefiihrten DurchftLhmngspartien, und ihre Gedanken
durchstreifen grofie Kreise und bertihren entgegengesetzte
Regionen. Der Zuh5rer vergiGt fiber dem Gang der Leiden-
schaften die kleinen Reize des Kanons, den der Kompo-
nist selbst hftufig auf die Nebenpl&tze der Dichtung, in
die Begleitungsmotive und in den Figurenteil, zurtkckver-
wiesen hat. Obgleich der Kan on hier bescheidener auf-
tritt, als in der kleinen ersten Suite, ist er mit noch
gr50erer Kunst, mannigfaltiger, freier und praktischer
gehandhabt. Letzteres dadurcb, daB die Melodien knrzer
und schftrfer gegliedert sind. Auch hier wiegt der Kanon
in der Oktave und mit schnell folgenden Stimmen vor;
aber es sind, wie im langsamen Satze der Kanon in der
Umkehrung, auch seltenere Arten verwendet Auf Mo-
roente schweigt die kanoniscbe Kunst, und vor dem Einerlei
bewahrt ein hauiiger Wechsel in der Besetzung der fUhren-
den Stimmen. Den grSfiten poetischen Wert hat unter
den vier S&tzen der Gdur-Suite das Adagio, eine ernste
Betrachtung ^ Moito Adtyio • omti^iie.
fiber das Bach- 4r H W 1,4 /j ; J f
sche Thema: i^^^**j-^=-. '
Eine dritte Suite Grimms, die in Gmoll steht und J.O.Grimm,
als seine bedeutendste Arbeit gelten darf, kam anfangs S****® "* ^"*®°"
der neunziger Jahre heraus. Doch ist sie wenig bekannt ^^ s^rGmoil).
geworden und wird mit ihrer soliden Art der pikanten
Richtung gegeniiber, die mittlerweile in der Suite zur
Herrschaft gekommen ist, auch einen schweren Stand
behalten.
Einen Nachfolger auf seinen kanonischen Pfaden fand j. jadanohB,
Grimm in S. Jadassohn, welcher in seiner ersten Sere- Drei Serenaden.
nade (G dur) den Kanon als die Form fOr leichte Gedanken
und kleine Scherze benutzt. In seiner zweiten Serenade
-—♦ 668 ♦^
(D dur) hat derselbe Komponist auf den Kanon verzichtet,
in seiner dritten (A dur) ihn auf einen heitern Satz (Inter-
mezzo] beschrftnkt, dafUr aber in beiden Werken eine
Vertiefung des Inhalts angestrebt.
CSt^SaSniy Von bemerkenswerten auslandischen Suiten ge-
Suite. ]|5].t 2U dieser archaisierenden Abteilung das op. GO von
C. St. Sa^ns. Das »Pr^lude« ist ein Kanon mit wechsebi-
den Instrumenten, der in seiner Stimmung etwas an den
ersten Satz vom Gmoll-Ronzert des Komponisten erinnert.
Der zweite Satz, Sarabande, bringt sehr anmutige Varia-
tionen Qber ein Thema, das dem von Hftndels »Lascia
eh* io piango« nachgebildet ist. In der charaktervollen
»Gavotte« zeichnet sich das Trio dnrch die liegende
Stimme der Violinen romantisch aus. Der Schlnfisatz,
eine »Romanze«, verl&fit wider alien Suitenbrauch die
gemeinsame Tonart (D) und steht in G.
Die kontrapunktische Gruppe der modernen Suiten-
komponisten ist allm&hlich durch eine andere Richtung
verdrftngt worden, welche ihren Ausgang Ton den Diver-
tissements Mozarts, von den Gartenmusiken des 18. Jahr-
hunderts nahm und den Nachdruck auf den idyllischen
und einfachen Charakter der Gattung legte. Der nach
Zeit und Rang erste Repr&sentant dieser zweiten Gruppe
der modernen Suite ist Johannes Brahms. Leider
hat er nur zwei Serenaden geschrieben. Sie stammen je-
docb aus der besten Zeit des Komponisten und sind mit
den »Maggellonenromanzen« nicht blofi gleichaltrig, son-
dern auch innerlich verwandt. Der jugendlich sdiwg,r-
merische Ton, der sie auszeichnet, stellt sie unter die
schOnsten und liebenswQrdigsten AuBerungen des neuesten
Serenaden geistes, die NatUrlichkeit der thematischen £r-
'findung weist sie unter die Hauptwerke des Komponisten.
Eine gewisse Unreife verraten sie in der allzu breiten
j.Brftlimi, Ausfiihrung einzelner S&tze. Die erste Serenade (Ddut,
Serenade in op. 11), welche im Jahre 1862 erschien, besteht aus
^^^^' sechs S&tzen. Sie beginnt mit einem groBen Allegro in
breiter Sonatenform, in welchem der pastorale Ton
vorherrscht Das Horn, ein Lieblingsinstrument des
-^ 669 *—
Komponisten , stellt als Haupttl^ema eine naiv frdhliche
Melodie
^ Allegro molto.
([■i'*JJIijiJjljj.jjljjJJlj.j)jjlJJ III. I
hin, welche von primitiven Harmonien begleitet und in
ungenierten Modnlationen weiter gefQhrt wird. Das sinnige
zweite Thema tritt in einer Fassung auf, die Brahms
original zugehSrt
I \\'J\
i
fTi> f 7f V^TrTM I r^~^' 1 1
Celli und Bratschen nehmen die zarte Schwftrmerei so-
fort anf and geben ihr im Verein mit den Holzbl&sern
den intimsten AbschlnO. Bin kurzer Nachgesang, ans
welchem das reinste GIQck des Herzens spricht, geht in
ein freudig hUpfendes Seitenthema
lfi'i;iinii iiiH i|iii||iMiiii^^
iiber, welches das Material fUr den Anfang der Durch-
fUhrong liefert. Letztere selbst tr> in einzelnen ge-
kUnstelten und gewaltsamen Stellen die Merkmale der
Entwickelungszeit des Komponisten. EigentCimlich schdn
ist der Eingang in die Reprise des Satzes. Durch ein
der D dur-Harmonie eingeschobenes 0 rttckt das kecke
Hornthema hier in ein uberraschendes und das Ende der
Szene ktindendes Dammerhcht Der Schlufi des Satzes
ist auGerordentlich subtil: ein zartes Solo der F15te, zu
welchem Bratschen und Klarinetten dezent die Harmonie
hinzufQgen.
Der zweite Satz (Scherzo, Dmoll, ^4) hat in seinem
Hauptthema :
670
^^^^.^^ /-^^-^^ ,..^-v. Ahnlichkeit mit dem in
\f ^rif r n ' f T N ^ r Brahms* zweitem Klavier-
1 ' ' *r- - ^^= j,Qjj2ert. Die Stimmung
zeigt auf ein pochendes Herz und wird erst vom Seiten-
satze ab ruhig-freudig. Ihr thematischer Ausdruck zeigt
von da ab Wiener Einfliisse, der Seitensatz Schubertschen :
ji f^u r \fT\\ \" \\J\ I r ir^i \f^^ i
p «$pre§*.
VTl I r^^ I [■* J I J das Trio
POCO pi& DOtO. ^-^
Haydn-Mozartschen.
Der Wert des Adagio (Bdur, 2/4) ruht besonders auf
dem Hauptthema, welches eine der herrlichsten melodi-
schen Ertindungen von Brahms bildet:
^3
Adagio non troppo.
li^QiQf iCli^
^^
p^
£
Noeh schOner fast ist der konzertierende Nachsatz:
Ihm folgt eine Episode
mit folgender Melodie:
671
, AnchihreBe-
ZweiunddreiBigstelfiguren erinnert an die »Szene am
Bach« in Beethovens Pastoralsinfonie. Das Adagio zer-
splitter! sich von da ab einigermaBen and verweist die
Aufmerksamkeit vorwiegend auf feine Details.
Den vierten Satz bilden zwei zusammengehorige
Menaette (G dur der erste , 6 moll das Alternativ),
welcbe den Originalcharakter der alten Serenade aufs
drastischste wiedergeben. Namentlicb der Gdur-Satz ist
ein originelles, kostbar drolliges Genrebild, zu welchem
die moderne Suitenliteratnr vielleicht nur in dem Wal-
zer von Volkmanns F dur -Serenade ein nahestehen-
des SeitenstUck aufzuweisen bat.
Nur die beiden Rlarinetten und ein
Fagott spielen es: Jene geben die
Anmut und LiebenswUrdigkeit in
das letztere bringt
in dem komi-
scben Murkybafi
Moderate.
mit welchem
es die Melo-
die begleitety
das Kostiim der alten Zeit hinzu.
Ein als fiinfter Satz folgendes Scherzo (Allegro, 3/^
beschwSrt in seinem Haupttbema:
AUepro.
J. N- I U J I ^
den Vergleich mit Beethovens zweiter Sinfonie (Trio im
Scherzo) etwas zu keck herauf und wird bei AuffQhrungen
am besten gestrichen.
Ein Rondo beschlieBt als sechster Satz die Serenade.
Sein Haupttbema:
Alle^o.
•te.
welches einen deutlichen Anflug Schumannschen Wesens
hat, paBt sehr gut zum Bilde einer fr5hlich nach Hause
672
ziehenden Gesellschaft. Unter den Nebenthemen des Satzes
hat das folgende:
fQr die Entwickelung and DurchfQhrung hervorragende
Bedentung.
J.Brahvf, Die zweite Serenade von Brahms (Adur, op. 16), nor
Serenftde Nr.2 wenig jtinger als die in Ddur, verhftlt sich zur letzteren
(Adur). ^g jjig Sch wester zum Bruder. Sie ist noch zarter, heim-
licher, inniger und tiefer; zu gelegener Zeit kehrt sie aber
auch den Wildfang noch stS,rker heraus. Ober ihrem Klang
liegt ein mattes Kolorit: wie im ersten Satze vom >Deat-
schen Requiem* und dem des Gherubinischen (CmoU),
wie in M^huls Uthal sind die Violinen weggelassen und
die Bratschen fUhren das Streichorchester. An formeller
Reife steht die Adur-Serenade iiber der ersten, an ftuOerer
Wirkung unter ihr.
Der erste Satz (Allegro moderato, (^, Adur] hat zum
Hauptthema eine jener unscheinbaren, ftir Brahms be-
zeichnenden Melodien, deren seelischer Gehalt sich erst
bei naherem Eindringen erschlieBt:
Allegro moderate. . j y^ J
ir?rfyrT7^,i;'iii;i|i/,i^;ii^^il
Das zweite Thema, welches der gliicklichen Stimmung
einen lebhaften, aber immer noch reservierten Ausdruck
gibt, hat Wiener Lokalton:
M-
* -
f * - f * -
-<♦ 673 4^
Unter den Seitengedanken, welche zwiscben den beiden
Themen auftreten, ist der ^
folgende ftir die Durch- =ijt=g= f f pr 1 1*"?^ ki^ I F
fuhrungvon Wichtigkeit: g^* ' ' ' ■ i ' r I 1^ " ».■" ■>
Er geht in eine ^ ^ ^ ^ ^ an die Mage-
Episode fiber, ^i|t| f if fi^M^i* M ^®^® " Rom an-
deren Motiv : '^ * "^ ' ' ' zen des Kom-
ponisten erinnert.
Der zweite Salz, Scherzo (Vivace, V4» Cdur) verlritt
mit dem Finale die energi- vivaee. a
sche Heiterkeit in der Sere- ULI f ff f \f f fU \f
nade. Sem Hauptthema *^ / '
von den Bl&sem frisch herausgeschmettert, beherrscht
den Satz allein. Wie in ihm und in der Mehrzahl der
Tbemen der Adur-^erenade, tritt auch in dem sanften
Trio die Melodie Arm in Arm mit einer Parallelstimme auf:
<>jijjjijjiiijjijjjijjjijjiirii
Das ganze Scherzo h&It sich in knappen Dimension en.
Derdritte Satz: Adagio (^/s, A moll), hat alserstesThema
^ Adagio. ^ ^
folgendes: (6 ff J I J, J-;iJ J J Juj)lj Jl'' K^^^ ^«
wird von nachstehen-
der BaOfigur begleitet
Sie schliefit sich den Modulationen der Melodie in Trans-
positionen an und bleibt ihr immer zur Seite, wodurch
der Hanptteil des Adagios sich der Form des alien
Passacaglio, den Brahms ja bekanntlich auch sonst,
zuletzt noch in seiner vierlen Sinfonie verwendet hat,
n&hert. Der Charakter des Satzes ist ruhig, sehnend,
sinnend und tr£lumerisch. Die erregten Momente dQstrer
Leidenschaft in ihm j iT^ff j zum Ausdruck und
kommen mit dem hef- ^ ip ^^^ gehen schnell vor-
tig einsetzenden Motiv -^f Uber. Brahms ent-
flieht ihnen durch einen Sprung in das ganz entlegne
Asdur. Hier setzen zun&chst die H5mer mit einer freund-
KretzielimAr, Ffthrer. I, 1. 43
674
lich schwarnierischen Melodie ein, die iu den Stimmungs-
lireis zuruckfiihrt, in dem die Serenade begann. Dann
folgt ihr in den Holzbl&sern das eigentlicbe zweite Tbema:
Mit der ihm zugehdrigen Gruppe bildet es nur ein aus-
drucksvolles Intermezzo. Weder die Durchfiihrang noch
die Reprise wissen von ibm.
Der vierte Satz: » Quasi Menuetto« (Ddur, %), ist
durch das z5gernde Element, welches seine frenndliche
Stimmung und seinen schlichten Melodiebaa beherrscht:
Hauptsatz.
jjiunj iij ' j 'ii'^r;ij>.iHJtrl"i
Qnir'^f""^
Trio. Ob.
eigenttlmlich charakterisiert.
Der SchluBsatz: »Rondo« (Allegro, s/4, Adar), erh<
durch die Hauptthemen
Allegro.
p Clar
jf «*pn3*
sein frOhliches Gepr3.ge. Die liebenswUrdige Schdchtern-
heit, welche in den Gesichtsztigen dieser Serenade einen
hervortretenden Teil bildet, blickt noch einmal aus dem
kleinen, dem zweiten Thema vorhergehenden Seitensatze,
in welchem sich Rlarinetten und Fagotte, anfangs in
_^ 675 0—
Der von Brahms aufgestellten Ideenrichtung folgt
auch Robert Volkmaan in seinen drei Serenaden fQr
Streichorchester, halt sich aber in knappen Formen. Das
Schema der ersten und der dritten Serenade gleicht dem
der kleineren sinfonischen Dichtnngen Liszts, die zweite
bildet eine Saite von vier selbstftndigen nnd getrennten,
aber karzen S&tzen. Die Serenaden von Brahms kdiinen
eine Sinfonie ersetzen, die von Volkmann eignen sich
sehr gut zu Zwischennummern im Konzert oind sind als
solche auch auBerordentlich beliebt. Dem Inhalt nach
gehoren sie zu den gelungensten und gehaltreichsten
Leistungen der neueren musikalischen Genremalerei. Die
poetisch bedeutendste unter ihnen ist die dritte (Dmoll) k. Volkntim,
mit dem Solocello. Der Solist hat in dieser Sere- Serenade Nr. 3
nade eine ahnliche Rolle wie der Solobratschist in (Dmoll).
Berlioz' Haroldsinfonie. Das Cello personifiziert einen
Melancholikus , der in alien . Lar^betto, non troppo^
Lagen immer wieder auf if h r f» |^ T T f Ft [f T -
sein Leibthema zurnckkommt: 8* ' '
Ob der Chor zustimmt oder widerspricht, der Cellist bleibt
bei diesem Motiv; wird jener heiter und ausgelassen, so
sieht er einsilbig zu, und das Freundlichste, was sich
ihm abgewinnen IftBt, ist eine elegisch klagende Melodic :
A&danteespreBBlyo. _^ O^it welcher
JAfr Cijr If r rfrr irrfn irrrTJii' i dieiebendigge-
*^ 0if -=:=* haltene Kom-
position auch einen riihrenden und versdhnenden Ab-
schluB erh<.
Die beliebteste unter den Serenaden Volkmanns ist b. Volknann,
die zweite in Fdur und zwar wegen ihrer zweiten Num- Serenade Nr.2
mer, einem Walzer uber folgendes Hauptthema: (Fdur).
AUef^retto noderato.
f\'fiTm\SV\
Es ist eigentlich kein Walzer, sondern ein Walzerchen,
ersichtlich fiir alte Leute gedacht — ein KabinettatUck
* 43*
676
B. YolluBaiiii,
Serenade Nr. 1
(Cdur).
liebenswiirdig altfr&nkischer Musik. Von den beidenXei-
len, ans welchen der erste Satz der Serenade besteht:
Allegro moderato (Fdur, s/4) und Molto vivace (DmoU, ^li\
ist der zweite der originellere: Mil imposanter Konse-
quenz and doch reich an Abwechselung und effektvollen
Steigerungen ist er auf folgendes spr5de Motiv gebaut:
Besonders sch&n ist der Ein-
-^ L H r H '\ — > r r "1 ^^^^^ seines Mittelsatzes in D dur.
fr * i j t* ^AJ ^"' ' ^ie Serenade scblieOt mit einem
Geschwindmarsch. Die dreitak-
ligeKonstruk- ABegro moderato. ^^^ j^
iir«p«her: ^^^^^^^
die Akzentnierung in ibm und in dem ganzen Satze ver-
raten die ungariscbe Atmosph&re, welche alle drei Sere-
naden Yolkmanns mebr oder weniger dorcbweht, be-
sonders dentlicb.
Die erste Serenade Yolkmanns (Cdar) wird von dem-
selben kr&ftigen Maestoso alia Marcia, welches sie eroffnet,
auch beschlossen. Die Mitte der Komposition nimmt ein
l&ngeres Allegro vivo ein, welches auf Grand des Thema:
AHogfroTiTo. ^ . ^ ^ eine Reihe
i-^rfjPTMPf ipyLJ iL/r'f 1^ » ■ keeker, trot-
tut. Die sch5nsten Partien der Serenade bilden die
beiden langsamen S^tze, welche dieses Allegro vivo
einrafamen. Der erste Satz ist sehr kurz in der Weise
der iiberleitenden Largi H&ndels, der zweite hat die
dreiteilige Liedform,
zum Hauptthema
folgende edel
H. eaie,
Novelletten.
Andante Boatenuio.
\i f]ij i\i
sen-
timentale Melodie:
Kurz vor seinem Tode hat auch Niels Gade den
neuen Suitenschatz mit mehreren liebenswflrdigen Arbei-
ten bereichert. Die erste davon sind die >Novelletten«
fUr Streichor Chester (op. 63). Von den vier S&tzen dieser
kleinen Suite , die sich aych als Sinfonietta vorfQhren
lieOe, sind der erste, der zweite und vierte einer feinen,
-^ 677 *^
gebild6ten Fr5h]ichkeit gewidmet. Hie and da mischt
sich in das geistige Gepl&nkel launiger Reden ein recht
wehmtttiger Ton, wie ein Rdckblick anf Jugend und auf
Mendelssohn. Der dritte Satz, ein Andante, spricht in
den knrzen sinnigen Frages&tzen des Vaters der Norel-
lette: R. Schnmanns. Besondere Bewnndening verdient
noch der Stil des reizenden and anheimelnden Knnst-
werkchens, der — ohne gerade mit Schalweisheit zu
prunken — die Stimmen unter einander in die interes-
* santesten Verbindangen bringt and jeder einzelnen Frei-
heit and eigne Bedeatnng sichert.
Die zweite dieser Gadeschen Sniten: »Ein Som- if. Gad^,
mertag auf dem Lande< (op. 66), besteht aus fQnfEinSommertag.
S&tzen: 1. Fr&h, 2. StArmisch, 3. Waldeseinsaml^eit,
4. Humoreske, 6. Abends, Lustiges Volksleben — die die
versprochnen Tonmalereien in der gelassenen Weise der
alten romantischen Schule aasfCkhren. Die >Waldein-
8amkeit< and der SchluBsatz sind die besten Stucke,
jene darch ihren warmen Ton, dieser dorch die sinnige
Andeutang der Abendstimmung. Die Nummem, welche
.Kraft and Frische verlangen, bleiben hinter den berech-
tigten Erwartungen.
Mit einer dritten Orchestersaite : Holbergiana (op. h. etde,
61), hat Gade eine Anfgabe durchgefQhrt, die aach Edv. Holbergiana.
Grieg bei der gleichen Gelegenheit — Holbergs zweihun-
dertstem Creburtstag — in fthnlicher Weise gel5st hat.
Auch diese Komposition ist etwas amstftndlich and red-
selig and UBt die Knappheit and Gewichtigkeit vermissen,
die der Saite in der alten guten Zeit zo eigen war. Aber
sie steht Uber dem Som mertag Gades durch die Anschaa-
lichkeit and den Gehalt der Thematik. Der Plan des
Komponisten war wohl der, die verschiednen Seiten von
Holbergs kdnstlerischem Charakter masikalisch aufleben
za lassen. Der erste Satz (Moderato, Tempo di Minaetto,
3/4, Gdar) zeichnet ans erst in weichen, sanften Weisen,
-die ans Dittersdorf and aas Naumann genommen sein
kdnnten, den hamanen Philosophen, den Verfasser der
>Moralischen Episteln«. Die DorchfQhrang beginnt ani-
— fr 678 «^
mat6 nnd in Moll, scharfen erregten Tons. Da kommt
wohl der Satyriker, der riicksichtslose Feind alles (In-
rechtes.zu Wort. Der zweite Satz (Allegro scherzando,
2/4, EmoU) bezieht sich auf den SchOpfer der dftnischen
Kom5die. Ein ausgelassenes, in seinen Rhythmen sprti-
hendes, in den In terv alien keckes Them a wird fugiert —
ein Bild von dem flotten Treiben der Holbergschen Lust*
spiele und ihren frdhlichen Verwickelnngen. Eine alte
Melodie aus dem 18. Jahrhundert, die in der Mitte des
Satzes (mit Edar) eintriit, bezeichnet das yolkstCkmliche
Wesen von Holbergs Kunst. Von andrer Seite her kniUpft
auch der dritte Satz (Andantino, 8/4 1 Dmoll) an diesen
Punkt an: er ist eine Instrumentalballade die, flhnlich
wie dies in Gades C moll-Sin fonie geschieht, von alter
nordischer Zeit, von Leiden und Freuden eines ernsten
kr&ftigen Geschlechts erz&hlt. Mit dem zweiten Satz der
Suite teilt dieser dritte die FUlle und Echtheit der Stim-
mung, er ubertrifft ihn aber in der Freiheit und Mannig-
faltigkeit von Form und Ausdruck. Die Erregtbeit des
Erz&hlens auGert sich in Rezitativen und dramatischen
Wendungen. Die Suite schlieOt miteinem Allegro festivo,
das an die Lntr^es der alten franzdsischen Oper erin-
nert, an FestaufzUge mit wechselndem Personal und
Ballettvorstellungen. Halb und halb schlftgt dieser SchluB-
satz auch den Ton wehmfitiger, piet&tvoller Erinnerung
an. Nach der Wiederaufnahme des Hauptsatzes (Gdur,
3/4) greift er auf die zweite, die Komddiennummer der
Suite zuriick, und ganz am Ende fallen wie im Kaiser-
marsch R. Wagners Singstimmen ein. Sie rufen >Vivat
Hoi berg !<
Unter der groOen Zahl weiterer Tousetzer, welche
sich an Brahms und Volkmann angeschlossen haben —
R. Fuchs, A. Klughardt, J. Brfill, R. Reinhold, v. Stan-
ford, A. Bird etc. — nimmt nur Robert Fuchs einen
festen und der Stellung jener Vorbilder naheliegenden
Platz im Repertoire ein. Seine drei Serenaden ftkr Streich-
orchester, oft gespielt und gem gehort, sind das Produkt
einer harmonischen KQnstlernatur und jener feinen Bil-
,-^ 679 ^>-
ddng, welehe auch bekannte und gew5hnliche Ideen mit
neuem Interesse zu uingeben vermag. Ein besonderes
Talent zeigt Fuchs in seinen Serenadea als Kolotist. Mit
den einfachsten Mitteln, Verdoppelung von Mittelstimmen,
Teilung der einzelnen Instrumente, entwickelt er in seinem
Streichorcbester ein Leben, eine Abwechslnng, einen Reiz
im Klang, welcher die Wirkung der einfachen Serenaden-
gedanken wesentlich erh5ht.
Die erste Serenade von R. Fuchs (D dur) zeigt viel B. Fnehe,
darchdachte Detailarbeit und Hinneigung zu den kleine- Serenade Nr. i
ren Kftnsten der Kontrapunktik. Die Themen lieben das ^ ^^^'
interessante Halbdunkel derMittel- Andaite.
stimmen, einzelne Motive, welche, j j _ ffff tfff f i
wie das die Serenade erOffnende: fr l' ^ ' ' ' ' ^^^
m
platt anfangen, werden durch Nachahmungen und Um-
bildungen veredelt. Durch Innigkeit der Empiindung
zeichnet sich unter den S&tzen der Serenade der Gesdur-
Teil des Allegro scherzando aus. Der breiteste ist der
Schlufisatz (D moll, s/g\ Sein Durchfuhrungsteil verlangt
Aufmerksamkeit auf das Motiv:
welches vom Hintergrunde aus l&ngere Zeit neckisch
drohend den Satz beherrscht. Das zweite Thema dieses
Finale l&Ot von Feme den traulichen Wiener Walzerton
hdren.
Die zweite Serenade von R. Fuchs (Cdur] ist leb- B^Fnehe,
hafter als die erste und neigt dem Yolkston mehr zu als Serenade Nr.2
jene. Am kecks ten kommt er im folgenden Thema des (Cdur).
Finale zum Ausdruck:
Presto.
ifiiJgiiliyLini^ri rfji, ii|f im i |i^^^_
Das Larghetto dieser Serenade besteht aus Thema
und vier Yariationen, welche, zwischen Dur und Moll
wechseind, vorwiegend iigurativ gehalten sind.
--• 680 ^>—
KFaehi, In die dritte Serenade (BmoU) klingen, wie bei
Serenade Nr. 8 yQ]](ini^QQ^ ungarische Elemente herein. Ihr Bch5nster
(Emo ). g^^^ .g^ ^^g 2^^^^ Allegretto grazioso mit dem in der
Bratsche versteckten Thenia.
H.Hoiieowikl, Einen scfanell vorUbergegangnen gr66eren Erfolg in
Saite. ^Qf Suite hat in der Fuchsschen Generation M. Mos-
zcowsky mit zwei Arbeiten ermngen, die, von einem
virtuosen Orchester vorgetragen, dem Ohr manches Aparte
und Erstaunliche bieten, hie nnd da auch geistige Be-
dentung erstreben. Geschichtlich sind sie bemerkenswert
als Beispiele f&r das Eindringen modem franzSsischen
Ballettgeistes in die deutsche Komposition nnd haben er-
sichtiich mit ihren pikanten Reizen in der neuesten Or-
chestersuite etwas Schole gemacht.
Unter den zeitlich folgenden Beitrftgen znr Suite ver-
dienen die Serenade von F. Draeseke and die sinfonische
Suite von E. N. von Rezniozek besondere Hervoriiebung,
jene, weil sie den richtigen alten Snitenton so vorzfiglich
trifft, diese, weil sie ihn g&nzlich verfehlt.
F.Draes«ke, Die Serenade von Felix Draeseke (Op. 49, Ddnr)
Serenade, igj eine der liebenswiirdigsten Orchesterkompositionen der
neueren Zeit. Sie ist ersichtlich in glQcklichen Tagen
entstanden und zeigt uns den charaktervollen und kunst-
gewaltigen Tonsetzer, der wegen seiner schwierigen Kon-
trapunkte und wegen seiner Herbheit zuweilen geftirchtet
wird, als einen Idyllendichter von reinster Naivitfit und
k5stlichstem Humor. EinigermaOen archaisiert auch diese
Serenade, ungef&br so, wie es Vautier- und Fritz Kaul-
bach auf ihren Bildern aus alter Zeit gern tun, so wie
es auch Brahms in seiner D dur-Serenade gehalten hat.
Mit diesem Werke beriihrt sich Draesekes Serenade viel-
fach in der Stimmung. Denn beiden hat das gleiche Vor-
bild vorgeschwebt: Mozarts Divertimenti^ beide Kompo-
nisten haben sich in die entschwundne Poesie des 18. Jahr-
hunderts mit seinen Gartenmusiken , mit seiner engen
Verbindung zwischen Leben und Kunst zurUckversetzt.
Draeseke ist bis in die Instrumentierung hinein dem Ton
der alten Serenade gerecht geworden: er arbeitet mit
-^ 681 *^
einem sogenannten kleiDen Orchester, das die Streich-
iDStramente, F16ten, Oboen, Klarinetten, Fagotten und
2 H5rner, umfafit. Die zwei Trompeten und Paaken, die
noch hiDzakommen, wirken mehr drollig als prnnkhaft
Auch in der Zahl and Art der Sfttze wQrde die Sere-
nade von Draeseke den alten Bedingungen praktischer
Verwendnng durchaus entsprechen. Sie hat f&nf S&tze,
die einfach and knapp gehalten sind; nar das Finale
greift weiter aas.
Eine richtige Serenade verlangt ein StQck fSr den
Aafzag der Gratalanten. So erdffnet denn Draeseke die
seinige mit einem Marsch, der foIgendermaGen wohlge-
mnt and freandlich anf&ngt:
Allegretto leggino. __ ^ ->w
fii'i hill li IT^ L-LlLiJ' I f Tf^ ^ ^^i/ 1
Das in den letzten Takten dieses Beispiels angegebne
Achtelmotiv, der Aasdruck einer gewissen Vorfrende, trftgt
nicht bloB die weitre Entwickelung der ersten Klaosel,
sondem liegt aach der ersten H&lfte des Nebensatzes za
Grande. Erst in dessen Mitte setzen wieder htlpfende and
springende Marsehmotive ein. Das sehr karze Trio (in
6 dur) kntkpft ebenfalls an die erwartungs voile Stimmnng
jenes Achtelmotivs an and geht in seiner zweiten Klaosel
an die Erz&hlang stillen GIficks. Der Marschsatz wird
dann mit erweitertem SchluG wiederholt.
Dem Aafmarseh folgt logisch als nftchster, zweiter
Satz ein »St&ndchen« (Andantino, o/g, Fismoll). Der
Liebhaber spricht darch die Stimme eines Solocellos za-
erst seine Verehrang aas:
AndaQtlno.
j!¥nr'r'ir^;,»i»rT ^irT'ir?f>irr.^i
p moito esjtr.
--fr 682 ^^
Oiesem ersten Them a folgt ein Seitenthema, in dem die
Rede fliissiger, herzhafter und heitrer wird;
■ ' 'I fl I li I i ■
3 Das eigentliche zweite Thema,
3 ®*^' im Charakter gemiitiich und zu-
traulich, wird von den Bratschen eingefiihrt:
4
etc.
p espr.
Oberhaupt folgt in diesem zweiten Teile das Soloinstni-
ment dem Chor, eine Abwechselung, durch die die Form
dieses Standchens sehr hiibsch belebt wird. Die RClck-
kehr zum ersten Thema und zur Haupttonart vermittelt
das oben angefuhrte Seitenthema mit dem Sechzehntel-
motiv. Ehe ein Thema iiberhaupt einsetzt, horen wir
immer acht Takte, die ganz lose pr&Iudieren, Tonart und
Rhythmus festsetzen ; nur die erste Violine tritt ein wenig
melodisch daraus hervor. Am SchluB dieses Pr&ludiums
gleicht der Klang dieses Orchesters dem einer Gitarre.
In seiner Harmonie tritt ein dissonanter Akkord slark
hervor, den der Komponist im zweiten Teil des S&tzchens
iiberraschend im Thema erklingen l&Gt. EigentQmlich
ist auch das Ende des Satzchens, es macLt den Eindruck
einer eingetretenen Stdrung, als sei der Ktinstler, der die
Huldigung bringt, aus dem Text geworfen.
Denkt man hier schon an Berlioz' Romeo, so noch
viel mehr in dem folgenden, drilten Satz der Serenade
(Andante, ®/b, A dur), der als Liebesszene betitelt ist,
und wie aus der Verwandschaft in der Harmonie schon
vermutet werden kann, wohl als Fortsetzung des St&nd-
chens aufgefaBt werden kann. Wir verstehen jetzt den
kleinen Aufruhr am SchluO der vorhergehenden Nummer:
die Gelieble,. der das Standchen gait, ist gekommen. Auch
in diesem Satze kann von einer Berilhrung Draesekes
mit Berlioz gesprochen werden; sie aufiert sich in einer
683
gewissen Gemeinsamkeit von Ton nnd Stimmung, einer
anfierordentlichen Zartheit und ZurQckhaltnng im Aus-
druck des warm en Gefiihls. Es ist eiue Liebesszene, bei
der gl&hende Sinnlichkeit ganz ausgeschlossen ist, sie
hat einen Zag von Rtihrung und Frdmmigkeit ; man kann
an eine Liebe deuken, die durch schwere Hindernisse
gegangen, die alt geworden ist. Die Form, die Draeseke
bier wie im vorhergebenden Satz fiir seine Darstellung
gewslhlt bat, ist uDgefS.br die der Sonatine. Die zwei
Tbemen
a.)
Andante.
I'll" II fi"m
HI-
■fjr^^i^i^
und
r P
i
f
b.) OeiiO; folgenuiimit-
if¥iiLjui iijriLiji i| I anS:r dS
erste trftgt den Cbarakter edelsterHeimlicbkeit, daszweite,
mit dem der Yortrag Dialogformen annimmt, zeigt, wie
sich die Herzen 6ffnen. Ihm Fidte, ^ p^
folgt ein sehr zartlicber Nacb- iM f/ frf f.^ ^ f
satz, der sich auf das Motiv: & ■■ i"
stiitzt und namentlicb in der Qnart, mit der es schlieBt,
Trager freundlicher und starker HofTnung wird. Die ganze
Themenreihe wird zweimal vorQbergefubrt, das zweite
Mai mit Veranderungen und Erweiterungen. Dann folgt
ein freier ScbluB, der, durch Rezitative in Klarinette und
^^ 684 <^^
Cello eingeleitet, dramatisch verl&uft tind sowohl in
W&rme wie in Innigkeit des Ausdrncks die Krone des
ganzen Tonbildes bedeutet.
Mit dem fdlgenden Satze, einer Polonaise (Alle-
gretto con brio, V4f Ddur), wird aus der Gartenmusik ein
Gartenfest mit groOer Gesellschaft. Diese Polonaise ent-
faltet Pnink und VirtuositAt (Klarinette). Das Trio (Gdor,
nn poco meno mosso) ist als eine Szene abseits gedacht,
in der zwei Liebende in innigen Tonen Zwiesprache
haiten. Der L&rm des Festes klingt in versprengten
Rhythm en heriiber, die die Homer, die Celli, aach ein-
mal die Klarinetten in die Rnhepunkte des Gesangshin-
einwerfen.
Das Finale (Prestissimo, Cy Ddar) ist ein Sonaten-
satz. Sein erstes Thema:
^ PMitlssimo. _ M
D : . ; :
/>- I :::::::::: /
ans dem Frende and Befriedigung im Ian gen Zuge slrSmt,
setzt nach einer kleinen Einleitung ein, in der das Viertel-
motiv seines Anfangs zu einem Ausbruch des Humors
verarbeitet wird, der durch die Trugschlusse ein en kecken,
tibermiitigen Zug erhS.lt. Mehrfach begegnen uns im
Satze solche freie Wendungen guter Lanne, am dber-
raschendsten bei dem 6 dur-£insatze des zweiten Themas
in der DnrchfQhning. Dieses zweite Thema selbst ist in
der Stimmung mit dem ersten verwandt, nur S,n6ert er
sie ruhiger.
R.H.T.BeiBtliek, Auch an der Suite von E. N. von Rezni^zek, der
Sinfoniiche dnrch die Oper »Donna Diana< zuerst bekannt wurde,
^^*^' ist emstlich nur die mi6verst§,ndliche und irreleitende
Benennung zu beanstanden. Denn die Suite war jeder-
685
zeil ausgesprochenste Gesellschaftsmusik; hier aber stehen
wir vor ganz und gar sabjektiver Kunst. Der Komponist
scheint diesen Sachverhalt gefOhlt zu haben, als er seine
Arbeit als sinfonische Suite bezeichnete. Die drei
S&tze, aus denen sie bestebt, sind wohl ein Niederschlag
von tief greifenden pers5nlicben Erlebnissen and Schick-
salen ihres Verfassers; ein Zug leidenschaftlicber Er-
regung geht dorch das Ganze, der alle diejenigen Znhfirer,
die gew5hnt sind, in der Suite von allem Pathos und alien
seelischen Strapazen loszukomnien, befremden mufi. Die
kleine Entt&uschung wird hoffentlich immer schnell Qber-
wunden. Denn Rezni^zeks Musik ist zwar nicht thema-
tisch originell, sie zeichnet sich aber aus dureh Klarheit
und Knappheit, durch eine unmittelbare, dramatische und
lebenswahre Empfindung. Dazu kommt noch eine sehr
farbenscharfe, wirksame Instrumentierung. Die Suite
Rezniozeks steht in dem neuen Zuwachs zur Gattung wie
eine Traueresche in einer Lindenallee, sie ist aber nicht
blofi merkw&rdig, sondem auch wertvoll und der spSter
erschienenen »Tragischen Sinfoniec des Komponisten vor-
zuziehen. Indessen hebt sich auch diese mit dem dtlstren,
im Vi I'&kt gehaltnen Thema des SchluGsatzes weit uber
die Mittelm&fiigkeit
Der erste der drei S&tze (Ct Emoll), OuvertQre be-
nannt, entwickelt sich um zwei Themen, deren Anf&nge:
gentbgend er-
kennen lassen,
UUi I I, I J. 1 1 "•• '*"""'
Sehr raich and mit Peuer.
m
und ^
p eon moito esjfrtntons
der Kompo-
nist denGegen-
satz zwischen
dem Sturm der
Gef£thle und
der Sehnsucht
nach Frieden gestaltet hat. Das zweite mu6, wenn es
die hdchsten Wirkungen ausQben soil, immer pl5tzlich
eintreten; die Kunst des Komponisten hat sich in den
Oberg&ngen zu zeigen, die aus ihm nach der Aufregung
686
des Haaptthemas zuriickftihren. Sie haben iiberall den
Schein groGer Natiirlichkeit. Der Aufbau des ganzen
Satzes volJzieht sich im bekannten Sonatenschema, die
Darchftthrung ist karz gehalten, der Schlufi versichert:
da6 fiir weitre Anfechtungen und PriifuDgen nocb eia
groBer Vorrat von mRnnlicher Kraft vorhanden ist.
Der zweite Satz (Adagio, 3/4, Fdnr) tut einen Schritt
weiter nach der Richtung, aus der das zweite Thema des
ersten Satzes entgegenleuchtele. Er wendet sich der HofT-
nung schon mit dem ersten Thema:
Sehr ruhlg. t
fji I i ^A-
zu. Noch entschiedner, mit
macbtigem Schwung, ge-
schieht das aber im zweiten
Thema, das sich vom folgenden Anfang aus:
zu einer zw51ftaktigen, sch5n modulierenden, auf energi-
sche Basse gestiitzten, in den Geigen hochsteigendenMelodie
entwickeli Im Hauptthema f&llt die Dissonanz sehr auf,
die beim ersten Eintritt im zweiten und vierten Takt ange-
schlagen wird. Bei der Weiterfuhrung des Themas wird sie
zwar vermieden, aber es bleibt an ihrer Stelle immer ein
fremder Ton, mit dem entlegne, vereinzelte Stimmen in
hohen Lagen einsetzen. Die Erinnerung an Leid und Un-
gltick, die in diesen seltsamen Akkorden stechend mitgeht,
lebt in dem Adagio auch noch in einer andren Form leise
auf: in einem chromatisch klagenden Motiv, das (in Fagott
und Bratschen, dann auch in den Geigen und Oboen)
>.a M ^ I "^ ^® kurze
^ va-^>-'s^^ ^"^ ung eroff-
net. Bald lassen sich auch die punktierten, heftigen
687 ^-
Rhythmen vernehmen, die die Haupttrager des Unfriedens
waren, der die Ouvertiire beherrschte. Die Wiederholung
bringt das Hauptthema in einer Achtel variation ; eine langere
Coda zeigt nochmals auf den ganzen Umfang seines be-
ruhigenden und verheiCenden Inhalts.
Den dritten, den SchluBsatz seiner sinfonischen
Suite (Sehr rasch, 3/4, Emoll), hat der Komponist Scherzo
' finale betitelt. Es sind aber ausschlieBlich bittre Scherze,
zu denen sich der Komponist versteht, und der Humor,
der hier waltet, ist der sogenannte Galgenhumor. In
seinem pessimistischen, zuweilen dSmonischen Charakter,
in seinem trostlosen, verzweifclten Ausgang hat dieses
Finale wenig Seitenstiicke ; als Suitensatz • ist es vollig
unerhort* Auch formell bietet es dem Zuhorer Schwierig-
keiten. Eine der ersten bereitet schon das Hauptthema:
Sehr rasch and errefrt.
. ■ 1 (Horner gestopft.) ^•"— ^
j.!' 4H-h^=i=wJ.'^^hU,--^ dessen verzv^-ickter Rhyth-
q#' -^ * l'5. 5 g^ mus sich nur widerwiUig m
^"^ — ' Bewegung setzt. Es zieht
ein Gefolge von allerhand elendcn Stimmungen nach sich,
die sich in winselnden und sich kriimmenden Motiven
ftuBern, es tritt in Bettlergestalt auf und im Ton der Em-
porung. Unter den Nebenthemen, die in seiner Gruppe
auflreten, tritt klagend ein schwankender Gesang hervor,
der zuerst in Oboe und Bratsclie erscheint:
Ihm folgt dann das eigenthche zweite Thema des Satzes,
zwar in gehaltener Stimmung, aber voll Resignation und
Leiden :
Violin en sal G
688
^..^^ , ^ ^ Es wird sofort mitdem
■ J- I J- I J l|J M I r r r 1^^ Hauptthema kombi-
^^ '^'^ /etciiiert; neben dieser
Kombination gelangt noch das aus einer zufSlligen melodi-
schen Wendung ^^ | , i^n , i i , ^ diesem Ab-
hervorgegange- j[|iM» J_^^^ * '^^^ ^ schnitt zu wesent-
ne Klagemotiv : "^ ^ ^ licher Bedcutung.
Der erste Teil des Satzcs schlieBt mit einer kurzen
leidenschaftnchen Wiederholung des Hauptthemas allein,
die sich aus dem lauten Ton auBerordentlich schnell in
die Stille und ins Gespensterhafle verliert. Die Durch-
fuhrung poltert mit den Rhythmen des Hexensabbaths
herein und widmet sich dann bald der Durchfiihrong einer
Doppelfuge, die zum ersten Thema das Hauptthema des
Finale hat und mit ihm folgenden Kontrapunkt verbindet:
L. C. Wolff,
Serenade.
W. BramBffeli,
Serenade.
•ffr^fiirvi..). li
Ein bemerkenswerter Altersgenosse der Suite Rez-
ni6zeks ist die nur zweis&tzige Serenade (op. 7) von
Leopold Carl Wolf. Aufierlich zeichnet sie sich durch
ein konzertierendes Klavier aus, innerlich durch die
seelische Hingabe an Tanz und Reigen und deren noble
Behandlung. Der groOeren Verbreitung des liebenswiirdigen
Werkes hat wohl der hinkende Rhythm us des Hauptthemas
des ersten Satzes im Wege gestanden.
Unter den im letzten Jahrzehnt neu veroffentlichten
deutschen Suiten ist die Serenade fur kleines Or-
Chester (op. 20) von dem Munchner Walter Braunfels
schnell die meist gespielte geworden. Sie entwickelt ge-
wohnte Stimmungen froher und beschaulicher Natur mit
gewohnten, einfachen Motiven, aber mit einer Freiheit
des Vortrags, die das Interesse in ganz ungew5hnUchem
Grade fesselt und den Zuh5rer miit dem freudigen Gefiihl
erfullt, eine frische, durchaus selbstHn'dige Individualit&t
_<6 689 «—
vor sich zu haben. Das bei aller Liebenswiirdigkeit etwas
revolutionare Wesen des Komponisten sprichl schon aus
dem Notenbild der Partitur, aus dem zuweilen verwegen
bunten Wechsel des Taktes, des Tempos, der Harmonie,
aus den vielen kecken, immer aber natiirlichen und ge-
schickten Kontrapunkten, mit denen er den Haupttliemen
seiner S3,tze ins Gresicht zu schlagen liebt. Am schonsten
zeigt sich die auBerordentliche Gestaltungskrafl des Kiinst-
lers, der seine tuchtige Schule auch durch gelegentliche
Fugen und Kanons beweist, in der organischen Verbin-
dung getrennter Satze: Der freundliche Weckruf, mit dem
der erste beginnl, beherrscht auch den zweiten Satz und
kehrt im Finale wieder.
An Zahl der Auffiihrungen kommt der Braunfelsschen M. Regor,
Ai'beit Max Regers Serenade in Gdur (op. 96) am nach- Serenade,
sten. Sie gehort unter die besten Arbeiten des frucht-
baren und noch immer umstrittenen Komponisten und
fallt besonders dadurch stark ins Gewicht, daC sie seinen
poetischen Beruf riihmlich und unwiderleglich bescheinigt.
In dieser Beziehung ragt unter den vier Satzen der Kom-
position der erste am hoch- Allegro moderftta
sten hervor, weil er in seinem ^^
Haupttliema von dem Anfang
aus eine ganz eigontiimlich schone Serenadenstiminung
feststellt und entwickelt. Dieser aus sittigem, dankbarem
Herzen quellende Ton des stillen Gliicks fesselt in seiner
Schlichtlieit und Liebenswiirdigkeit ohne weiteres, erwarmt
und erfreut, so oft er in dem breit ausgefiihrten Satze
wiederkehrt, und bestimmt dessen Gesamteindruck. Sclion
im achtcn Takte wirds lustiger, die Freude spricht er-
regter in bewegten und wechselnden Motiven, sie wandelt
sich in kraftigen, auf Dissonanzen gestellten Gangen zu
einer Art Kampfeslust, die Gedanken richten sich auf
Gegner und Widerstande, es kommt zu einer zweifehiden
Frage. Da lenkt das zweite Thema:
i
r f f I r- r I f f r r I r'
etc.
D_Gis D H E— A E— A-^ D
KretxBchmar, Ftthrer. I, I. 44
_^ 690 «—
zu der glUcklichen Ausgangsstimmung zurlick und ganz
folgerichtig beginnt die sofort anschlieOende Durchf&hrung
mit dem Hauptthema und der ihm zugehorenden Gruppe.
Bald kommt in dieser Durchfuhrung eine sehr frappante
S telle: Im Augenblick der derbsten FrQhlichkeit bricht
das voile Orchester auf einen TnigschlnG ab, aus un-
heimlicher Stille heraus klingen ktirze Klagen, denen das
Hauptthema in ganz ver^derter, in trauemder Gestalt
folgt. Ein Fugato iiber eins a * f^j_
der herzhaften Zwischen- a* r-BTCJ" f T T T I f^F^r F
ihemen der Themengruppe : •^' /'^=^^— ^5^^=::
hilft tiber die Krisis hinweg, das Hauptthema kehrt in
verkiirzten Rhythmen, in streitbarer Form wieder und ver-
einigt sich dann mit dem zweiten Thema.
Wie sich aus diesen Proben ergibt, hat auch dieser
erste Satz der Regerschen Serenade etwas viel kunstvolle
Arbeit, er ist auch in der Qualittlt der EinfUlle und den
aus ihnen gebildeten Abschnitten nicht gleich gut, aber
doch wird die sorglose Freude am Handwerk immer wieder
von einer hoheren Dichterkraft geziigelt. Sie hat auch
die Disposition des Orchesters bestimmt: die Streicher
sind. in zwei Chore geteilt, der zweite spielt mit Sordinen,
der erste ohne Dampfer. Der zweite ists, der in den
beiden SchluBtakten des ersten Satzes das Hauptthema
zum letzenmal intoniert. Als der sch5nste Gedanke und
als Seele der ganzen Serenade kehrt es auch im zweiten
Satz (vivace a Burlesca) und es kehrt im vierten, dem
Finale wieder. An Wert steht dem ersten Satz der dritte,
ein einfach gesangreiches Andante sempUce (A dur, s/4) am
nUchsten.
Eine gleich der Serenade von Braunfels aus der
Miinchner Schule stammende. sehr erfreuliche Arbeit liegt
A. Beer- in Anton Beer-Walbrunns >Deutscher Suite* (op. 22)
WalbniBB, in Dm oil vor. Der Titel deckt keine Bilder spezifisch
Deatsche Suite, ^j^u^gchen Lebens , bedeutet aber wohl eine Absage an
neue, auslandische Musikmoden und Extravaganzen. Es
ist eine Suite nach den alten guten Mustern der Zeit von
Brahms und Volkmann, und der Komponist sucht das
^^ 691 <)—
Deutschtum in einer freundlichen und gesitieten Phan-
tasie auf der einen, in der Einfachheit und der Klarheit
der Tonsprache auf der andern Seiie. Die vier Satze
bestehen aus einem >Vorspielc, in dem sich erregtere,
sehnende Motive mit kurzen ruhigen Kantilenen ausein-
andersetzen, einer >£legie«, die den Sieg still froher
Hofihung iiber leichle Melancholie schildert, einem > Lied« ,
das ohne Worte Gliick und Zufriedenheit in der Form von
Thema und Variationen feiert, und einem >Reigen«, der
das Ganze im Tone bewegterer Freude und heiteren Spiels
abschlie&t. Es sind fur jedermann verstS^ndliche und an-
heimelnde Tonbilder, Dichtungen Greibelschen Schlages,
durchweg natiirlich, liebenswurdig anmutig und meister-
haft knapp.
Fur den Humor in der Gattung ist kiirzlich unter B. Seklea,
verdientem Beifall Bernhard Sekles mit einer Suite (op. 26) ^****®-
eingetreten, die »dem Andenken E. Th. Hoffmanns gewid-
met< ist und in vier S&tzen Charakterbilder nach dem
Geschmack dieses verwegensten und kuriosesten Kampen
deutscher Romantik vorfiihrt. Beim ersten Satz (Scher-
zando) scheint dem Komponisten eine der bei Hoffmann
haufigen Jongleurflguren vorgeschwebt zu haben, die auf
Schritt und Tritt iiberraschen und als Reprasentanten
einer verkehrten Logik stets anders handeln und denken,
als erwartet wird. Der musi---j(U4. »• a\\rT r I'r^fT ^ ^ i
kalische Schlussel des Satzesg^ H {^ P'M 1 II t^ "^ ^ i
liegt gleich im Eingangsmotiv: -n
Der Widerspruch dieses es gegen den D moll-Akkord setzt
sich bis in die letzten Takte fort, wo endlich dieLosung:
p ■ I. m \^rT r i erfolgt. In diesem Such en nach dem
O**^ I? I I I I r richtigen Ton beriihrt sich der Satz
mit dem ZauberlehrUng von P. Dukas. Der Weg nach dem
Ende ist wesentlich mit Ketten von Nonenakkorden und
andren HarmoniespaBen gepflastert, es Uegt aber auch in
der tandelnden, schwankenden , ruckgratlosen Melodiebil-
dung viel Witz.
Der Kern des zweiten Satzes ist der Ausdruck der
Beschrfinktheit im Thema des Menuetts. Es zeichnet
44*
_^ 692 ^^-
einen ofifenbaren Dummkopf, der blaht sich nun des wei-
tern auf iind bringt es wirklich bis zu einem Schein von
GraviUlt und GroGe. Das Intermezzo macht mil einem
Gecken bekannt, der mit seinem Gefiihl kokettiert. Der
Gegenstand des Finales endlich ist die sprechende Puppe
Hoffmanns, die durch die Offenbachsche Operette welt-
bekannt gewordene Olympia.
E.T. DohfiABjrl, Auch die in Fismoll beginnende, in Adur schlieBende
Suite. Suite (op. 19) von Ernst von Do h nan yi gibt dem Horer,
wenigstens im zweiten und dritlen Satz mancherlei zu
raten, jener, das Scherzo, durch den verdrieBlichen und
unwilHgen Humor des Hauptsatzes, der durch den zuriick-
haltenden und scheuen Charakter der freundlichen Ab-
stecher sehr originell und schon kontrastiert wird, dieser,
eine serenadenhaft praludierte Romanze, durcli seine har-
monisch merkwurdig schillernde, hell und dunkel blilz-
schnell wechselnde Romantik. In beiden Fallen kommen
fremdlandische, auBerdeutsche Musik- und Kulturelemente
fesselnd zur Geltung. Das Hauptstiick der Suite ist ihr
erster Satz, der sechs Variationen iiber ein eignes Thema
des Komponisten bringt, eigen auch durch seine Kon-
struktion: der Vordersatz hat fiinf, der Nachsatz vier
Takte. Die Entwicklung folgt dem Prinzip des Kontrasles,
der Preis unter den einzelnen Variationen, die sich alle
durch Klarheit des Charakters auszeichnen, wiirde bei
einer etwaigen Abstimmung wahrscheinlich der ritterlichen
zweiten mit den energischen Hornern zufallen. Bei aller
Einheitlichkeit ist der Satz dennoch stilistisch sehr mannig-
faltig, die erste Variation z. B. uberrascht durch Blasersoli
Lachnerschen Andenkens, aber in anderer und hoherer
Tendenz. DaB wir es in dem Komponisten mit einem
Talent ersten Ranges zu tun haben, geht bcsonders aus
der groBen Menge musikalischer Elementareffekte, voran
die rhythmischen, heiTor. An den Standchencharakter,
der vom Anfang der Suite immcr wieder einmal durch
bloBen Akkord und Rhythmus markiert wird, erinnert
namentlich der SchluBsatz: sein Hauptlhema ist eine
Marschweisc, die bedachtig beginnt und plotzlich urkraftig
693
II, Hartean,
Suite.
dreinschiagl, ihr Gegensatz eine Melodie mit ansgeprSgt
Brahmsschen Zug.
In einer andem Bcziehung kniipft auch die Adur-
Suite (op. 16 von Henri Marteau, der ja doch wohl
der deutschen Musik zugezahlt werden darf, an friihere
Perioden, namlich an die Zeit an, wo Fischer, Schmierer,
Fux u. a. in die Orchestersuite Solospiel einfiihrten. Durch
die vier Satze marschiert eine Solovioline an der Spitze
der Instrumente und bestimmt mit ihren virtuosen Kunsten
den Charakter der Komposition so sehr, dafi sie richtiger,
ahnlich wie Lalos » Symphonic espagnole«, in der Rubrik
des Konzerts gebucht wird.
Eine wirkliche Suite , die wenigstens teilweise vom i. Kayper,
Geist der alten Zeit beruhrt ist, liegt dagegen in der Serenade.
Serenade (in D, op. 8- von Elisabeth Kuyper vor.
Ihre beiden ersten Satze, Marsch und Pastorale, sind Volks-
musik bester Art: so einfach und doch gewahlt wie die
Lieder Uhlands und Morickes und dabei musterhaft in
der Kunst, mit schlichtesten Mitteln, besonders gem mit
Anderung der Instrumentierung, zu iiberraschen und zu
erfreuen. Ihre Form ist die des dreiteiligen Lieds mit
bescheidenen Erweiterungen der Teile. Mit dem dritten
Satz wird die Musik moderner und greift nach Form,
Temperament und Phantasie ins GroBe; ein keeker, siid-
licher, direkt an Rossini erinnernder Zug macht sich gel-
tend. Er charakterisiert auch das auBerordentlich flotte
Finale, dem einleitend ein originelles Andante vorausgeht,
eine Art Liebesdialog, in dem die rezitativisch sprechende
Solovioline das mannliche, ein sehr schoner, weicher
Blasersatz das weibliche Element vertritt. Man muB diese
Serenade unter die liebenswiirdigsten neueren Beitrage
zur Gattung rechnen.
Obwohl sie nur ein Bruchstiick ist, darf am SchluB B. StraaB,
dieser Ubersicht die viel gespielte Serenade fiir Blaser Serenade,
von Richard StrauB nicht fehlen. Sie beschrSukt sich
auf ein Andante, das aber so reizend ist, daB der Wunsch
nach den fehlenden Satzen sehr lebhaft wird. Die Kom-
position fallt in die friihe Jugendzeit von StrauB, und
-^ 694 H>—
ware sie bei der ersten (Mlinchner) Auffuhrung als ein
unbekanntes Werk Mozarts ausgegeben worden, so wiirden
nur wenige Verdacht geschopft haben. Gleichwohl merkt
man in ihr schon den geborenen Meister des Kolorismus.
Wenn die unbetitelte oder absolute Sinfonie die lebens-
gefShrliche Krise, in die sie um die Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts unter dem Ansturm von Programmsinfonien
und sinfonischen Dichtungen geraten war, voriaufig wieder
tiberstanden hat, so verdankt sie das vor allem dem Ein-
greifen von Brahms und Bruckner, die den Beweis
erbrachten, daB die Fonnen Beethovens doch noch nicht
abgetan seien. Aber es muB auch der M^ner gedadit
werden, die vor ihnen, in der schlimmen Zeit das klas-
sische Terrain so gut als m5glich zu behaupten suchten.
Zum Teil kamen sie noch aus der Mendelssohnschen Schule.
Mendelssohn nahm die Geister seiner Zeitgenossen mit
einer Kraft in Beschlag, der sich selbst Sltere Tonsetzer nicht
Reiiiiger. entziehen konnten. ReissigersEs dur-Sinfonie (1839)bietet
hierfiir den Beleg. Aber die Sinfoniker, welche sich seiner
Richtung ganz hingahen, batten nur einen kurz dauemden
Erfolg. Nach einem Jahrzehnt schon schwanden dieSinfonien
Tawbert.von Taubert, die Es dur-Sinfonie von Rietz, Killers
Biet«.E moll -Sinfonie (mit dem Motto: >Es muB doch Friihling
^^ ^^yjj^Jj] werden*) , ebenso wie die von W. Markull, J. Netzer,
J. KetseriO. Nicolai, Th. Taglichsbeck, von E. Naumann,
0. Mleolal.R. Radecke, J. Rosenhain, A. Walter, voUstftndig vom
^'** b*'h **'**'***** ^^P^^^^^^^' ^^^ ^^^ ^^^ spatern Nachziiglem der Schule,
B. Eadeeke! d^ren Reihe bis auf C. St. SaSns reicht, haben die Sinfonien
J. BoieaiialB. von Hol, J. Zellner (»Melusina«), weitere Beachtung iiber-
^•'^'^•''•'•haupt nicht mehr gefunden. Auch diejenigen Werke, welche
01, eUner. ^^^^^ -j^j.^^^ geistigen Basis tiefer in Schumann hinabtauchen,
sind schneller bei Seite gelegt worden, als sie es ver-
dienten. Wir nennen die bereits erwahnte Sinfonie in
Barglel. Gdur von W. Bargiel und die A dur- Sinfonie von
B«in6€ke. G. Reinecke, welche in ihren letzten beiden S&tzen wirk-
lich originelle Erfindungen des Humors und der Anmut
_^ 695 ^»-
bietet. Eine zweite Sinfonie Reineckes, in Cmoll, die i. J.
1874 erschienen ist, interessiert vornehmlich darum, well
sie, ahnlich wie dieArbeiten Berlioz^ oder Aberts > Colum-
bus €, in den alten Formen Programmtendenzen verfolgt.
Ihre Satze geben Bilder aus dem Leben Hakon Jarls wieder,
den der Komponist auch zum Gegenstand einer Kan-
tale fiir M&nnerchor gewahlt hat. Eine dritte Sinfonie G. B«iBeek6,
Reineckes (Gmoli, op. 227) steht der Schumannschen Dritte Sinfonie
Schule, mil der schon die zweite kaum noch Nennens-
wertes gemein hat, ganz fern. Indem der Komponist das
fQr die Musik und fiir die lyrischen Kunste immer wieder
neue Bild belohnten Kampfes in der Spiegelung vorfiihrt,
die es in seiner maBvollen, harmonisch abgekl&rten Natur
erfShrt, tritt er uns krftftiger als je entgegen. Volkmann,
Spohr und Gade sind die verwandten Kunstler, mit denen
er sich der Reihe nach hier beruhrt.
Im gleichen Grad, wie der geistige Einflufi Mendels-
sohns und Schumanns verblaBt, w&chst die Einwirkung
Beethovens. Neben ihm in zweiter linie tritt das Vorbild
Schuberts stSrker hervor. Seine C dur-Sinfonie, mit ihrem
Finale namentUch, und Beethovens neunte Sinfonie sind
diejenigen Werke, durch welche die klassisqlie Periode in
die Sinfonieliteratur des Bismarckschen Zeitalters am
mUchtigsten hineinklingt.
Unter den namhaften hier in Betracht kommenden LBabUftetn,
Sinfonikem gebiihrt nach der Anciennit&t der Vortritt: Sinfonie Nr. 2
Anton Rubinstein. Seine erste Sinfonie (Fdur), im (P^*")-
Jahre 1864 verdfTentlicht, heute nur wenig gekannt, fallt
noch in die Bliitezeit der Mendelssohnschen Schule und
tragt in ihren ersten beiden S&tzen die Spuren derselben.
Ihre letzten Satze sind selbst&ndig und lassen die Ver-
gessenheit bedauem, welche sich fiber das ganze Werk
gebreitet hat. Von den sechs Sinfonien des Komponisten
sind zwei eine Zeit lang Gemeingut der musikalischen Welt
geworden: die Sinfonie »Ozean« und die »dramatische
Sinfonie* (Nr. 4).
Obgleich die Ozeansinfonie Franz Liszt gewidmet ist,
* steht sie doch mit der Programmusik nicht im engeren
696
ZusaniTnenhang. Ihr Stil ist der Beethovensche und ihr
Titel gibt der Phantasie nur einen leichten Anhalt. Da6
Rubinstein unter die groBien musikalischen Erfindfernaturen
der neueren Zeit gehort, beweist der erste Satz dieser
A. Rvbliifeteiii, Ozeansinfonie : ein geniales, reiches Tonsiiick, von mach-
Sinfonie »Ocean«. tiger Stimmung getragen, im groBen Zuge entworfen, mit
gliicklichen , eigentiimlich anschaulichen Musikgedanken
ausgestattet, aber etwas ungleich durchgefuhrt. Sucht man
nach den naheren poetischen Beziehungen des Satzes zum
Titel, so stellt sich am ungezwungensten das Bild der Aus-
fahrt ein. Dazii stimmt das erste Thema:
Allegro maestoso.
A A Fl.
5ii)J
^\fr\^W\^\^m
fn!M
1^
i
Kj wie es erst erwartungsvoll leise aiifflattert
•^^ und dann in der prangenden Pracht des
vollen Orchesters voriiberzieht. Seinen Ab-
schluB erhalt es in einer breit ausgreifenden,
vom warmen, innigen Gefuhl durchwogten Gesangsmelodie
""^v ^ _^ ^_^___^ welch e in der
rf^rrr rr ImT^'I jU JJil^i'J'l^'l Ourchfuhrung
«y-vioi. f -^^-^ <_V ^^ groBe Bedeu-
groBe
lung hat. Zu der stillen Majestat des Ozeans passen die
lang und ruhig dahinklingenden Dreiklangsharmonien, an
denen die Bewegung des Satzes so haufig Halt macht
Den drohenden und beiingsti- ^ _ an, wel-
genden Charakter des Meeres ft gK^J* J^ J J I J= ches na-
deutet das Trompetenmotiv ^^.5#^? ^ mentlich
dort an der Stelle, wo das liegende g mit den Harmonien
des Chors in Dissonanzen lange wechselt, zu sehr un-
heimlicher Wirkung gelangt. Das zweite Thema des Satzes :
j J I J Jj^ gibt in anmutiger Form ernst beschaulichen
" ^ ^ ^^^ Ciedanken Raum. Die Durchfuhrung der
_^ 697 ^^
vielseitigen Ideen zeichnel sich durch Ruhe und Vor.
nehmheit aus.
In dem zweiten Satze der Sinfonie: Adagio (Emoll, C)
hat folgende, merklich Mendelssohnierende Melodie
Adtgto Boa Unto.
jjP t^^ I ij.\h. 1 rjvjjij I ^^. ^ I
die Fiihrung. Das zweite Thema, seinem Charakter nach
Doch tiefer fragend, fangt mil einer aus Schumanns
C dur - Sinfo-
nie bekannten
Wendung an: ^ ' > i<^
In den Streichin strum en ten erhalten durchgefiihrte leichte
Begleitungsfiguren die Gedanken an das Spiel der Wellen
wach. Die Ausfiihrung der Ideen ist knapp; die poetische
Haupts telle des Satzes liegt kurz vor der Reprise: da, wo
das Horn seinen Ruf in die Stille hinaus erschallen laBt,
wo die Pauke zu dem Solo der Klarinette ausdrucksvoll
wirbelt.
Der dritte Satz (Allegro, 2/4, Gdur) konnte eine lustige See-
mannsszene be-
deuten.Da" — *
themabegi
frohlich animiert:
und erweckt bei don anderen Instrumentcn in einer Reihe
wilder Triller ein v<»rstilrktes Echo seiner Stimmung. Im
zweiten Thema wird der Humor etwas breit und quer-
kopfig. Das an und flir sich trefFliche Material des Satzes
ist in der Verarbeitung ziemlidi zerspliltert worden.
Das Finale boginnt frohbewegt, als wenn es heim-
warts ginge.
Das Haupt- Allegro con fnoco. und den Se-
thema wiegt -ft-tf-^J^-^ rt J ^ I J' ^^ ^ I quenzen die-
sich lange auf * ser Motive und
schlieBt dann ^ ^
698
Im zweiten Thema:
A. BwblBitetn,
•Sinronie
wird aus der Freude Dankbarkeit, und diese nimmt in
einem Choral, der schon in der langsamen Einleitung des
Satzes auftritt, den rein feierlichen Charakter an. Grofi
und erhahen gedacht ist das Finale der Ozeansinfonie —
aber matter erfunden und bequem gearbeitet.
Sp&ter hat Rubinstein den vier S&tzen seiner Ozean-
sinfonie noch einen fiinften und sechsten hinzugefQgt:
ein Adagio in Ddur, welches als zweite Nummer der
neuen Ausgabe an die Gedanken des zweiten Themas des
ersten Satzes leicht ankniipft, und als vorletzte Nummer
ein phantastisch belebtes, von innigem Gesangston durch-
zogenes Scherzo in Fdur.
Die >Sinfonie dramatique* (Nr. 4, DmoU) ist Rubin-
steins bedeutendste Leistung auf dem Gebiete der hdhem
ramaiquec. Qrchesterkomposition. Nach der natiirhchen GroBe von
Einpfindung und Phantasie, nach der Stfirke der ange-
borenen Dichterkraft, nach Einfachheit und Bestimmtheit
des Ausdrucks gemessen, wiirde sie eine der hervor-
ragendsten Erscheinungen der ganzen sinfonischen lite-
ratur bilden, wenn der Komponist mehr Strenge und Selbst-
kritik geiibt h&tte.
Ihr e r s t e r Satz namentlich ergreift und erschtittert wie
wenige Tonstiicke. Dem Inhalte nach tragischer Natur,
zeigt er manche, auch technisch erkennbare, Beriihrungs-
punkte mit den Eingangss&tzen der Faustsinfonie von Liszt
und Beethovens Neunter; mit der letzteren in der Menge
gewaltiger Trugschlusse und in den einschneidenden Wir-
kungen des verminderten Septimenakkords. Die Form ist
eigentijmlich, aber einheitlich und klar disponiert. Eine
Hauptstutze des ganzen Organismus bildet die murrende
und suchende Figur, Lento,
mit welch er die BlLss(
die Einleitung beginnen :
Sie geht im Laufe des Satzes viele Verwandlungen ein,
699
erscheint bald in breiten, bald in fluchtig dahineilenden
Rhythmen, stellt slch jetzt an die Spitze des Orchesters
und verbirgt sich dann in der Mitte Oder in der Tiefe.
Aber immer ist sie da, reguliert den dUmoniscben Puis
der Tondichtung mit ihrem Schlage und durchklingt den
ganzen Satz wie Windesbrausen und Glockengel^ute. Den
regelm&fiigen Begleiter dieser Hauptfigur bildet von der
Einleitung ab das leiden- Jf _ f^ HH welches sicb
schaftlich zuckende Motiv: y f ^^ ^V ^- mitschmerz-
hafter Dissonanz baufig in die Klagen der Instrumente
hineinbohrt. Der Expositionsteil des Allegro zerfaUt in
funf Szenen.
Die erste breiiet in einem langen Zuge das Haupt-
thema, ein getreues Abbild leidenschaftlicher Verwirrung,
bin:
AUeg^ro moderato.
i^ij;ycjiL£irriijifrrrrrri
Seine Aufregung bricht sich an einer Gruppe, in welcher
die Musik nicht in zusammenhangenden Gedanken, son-
dern in Interjektionen und Naturtonen spricht: in £ana-
tisch herausgestoBenen Trillern, im kurzen schweren Auf-
schrei der Bl&ser und in scharfen Dissonanz en, welche in
ihrer Art und in ihrer Einfuhrung an diejenigen erinnern,
welche im ersten Satze von Beethovens Eroica der EmoU-
Episode vorangehen. Und nun beginnt die dritte Szene.
Von einem milden und beschwichtigenden Gesang der
Klarinette praludiert, tritt das zweite Thema ein, eine der
schonsten musikalischen Darstellungen vom Zustande eines
Herzens, in welchem die Hoffnung mit der Furcht kampft:
'li^g^ii^g
700 ^
In jedem Takl ein anderer schoner Zug: Wie die Violinen
Trost zusprechen, wie das Horn absetzt und ansetzt, hOher
und holier geht, zuletzt im langen Gang sich ausspticht,
selbst in der kleinen Dissonanz des a im ersten Takle —
in allem liegt eine Warme, Anschaulichkeit, Unmittelbarkeit,
cine Naturwahrheit, wie sie nur die genialsten Kiinstler
ab und zu erreichen. Die Szene wird hauptsachlich auf
Gmnd der beiden eingehaklen Takle weitergefiihrt und
endigt mit einer Wendung, welche der eigentiimlichen
Schonheit des ganzen Bildes wiirdig ist: Kurz und iiber-
raschend modulieren die Blaser in sanften Akkorden von
B- nach D dur und halten die neue Harmonie leise mit
einer langen Fennate wie eine freundliche Vision fest. Als
sollte der Traum nicht gestort werden, bringen darauf die
tiefen Streich- ^y^ ^^ gehen aber
instrumente 9' I T p |t^ y ^ y » bald mil ihm
pp das Moliv JW wieder ins
Stiirmische und zur fiinften Szene des Expositionsleils
iiber, deren
Thema heroi-
scherNaturist:
Die Durchfiihrung beginnt als wortliche Wiederholung
der ersten Szenen, sctzl aber dann die Schilderung des
Konflikts zwischen Mut und Zweifel mit selbstandigen,
neuen thematischen Ideen fort und nimmt im SchluB-
teil einen triiben und hocherregten Charakter an. Mit
harlen Dissonanzen und chromalischen Passagen, welche
in Lisztscher Weise stilisiert sind, wird der Cbergang zur
Reprise bewerkslelligt, welche den Inhalt des Expositions-
leils in gesteigertem Ausdnick, das Hauptthema noch
wilder und das zweite Thema noch riihrender, voriiber-
fiihrt.
701 ^
Der zweite Satz, ein Presto iDinoll) in drei
Teilen, beginnt ^ Pre«to. a 2
mit einem klei-
nen Schreck :
Erst nach diesen durch die General pausen mftchtig ver-
starkten Alarmsignalen setzt das stiirmische Haupttliema,
in seiner Kostruktion auf folgendes kurze Modell gestiitzt:
Pireeto. ein. Durch das ganze Stiick
bleibt ein herber, barter Zug
vorherrschend. Die freund-
lichen Seitenpartien, welche in mannigfaclien Nebenthemen
betrcten werden, wie in den ballett- und tanzartigen Weisen:
a;
fiihren immer wieder
in den Hauptweg zu-
riick, und selbst in
dem Allegretto, welches in dem Satzc die Stelle des
Trio vertritt ^.f^t r^*!^''^'''K^°'K i "' verdrangen
— der An- jjt f [rf^f M ^ j^ \l i ^ ^^^ iiberwiegen-
fang lautet: ^ ' i»lialir"' ' ^ ^ ^^ 3 den alarmieren-
den Klemente die Versuche zum freundlichen Gesang.
Mit dem Finale der Sinfonie hat dieser zweite Satz die
reiche Verwendung von Motiven aus der slavisclien Volks-
musik gemeinsam.
Das Adagio (Fdur. <*/«) der Sinfonie ist einer der
schonsten melodiereichsten Siitze der ncueren Instru-
mentalmusik, von einer Milde in Charakter und Stim-
mung, die seine Retrachlung zum reinsten GenuB macht.
Seine Hauptmelodie:
Ad&rio. . ^ .^
702
■ in welcher die Beethovenschen Ele-
J J. jj j j^ ^ mente reich vertreten sind, wird
durch ein Seitenthema abgelost und
erg^nzt, dessen Ausdruck und AbschluB eigentiimlich
schon ist:
0«llt m. BraUabra
Auf diese Hauptgnippe folgt eine Szene, die, melo-
disch auf Bagatellen beruhend, iiber kurze Motive schwarmt
und in entlegene Harmonien trSlumt. In der SUBigkeit der
Stimmung, in der ungezwungenen Innigkeit des Tons er-
innert sie an eine liebesszene. Cber dem Ende des Satzes,
wo die Basse und Celli choralartige Weisen anstimmen,
liegt religiose Weihe.
Nach einer langsamen Einleitung beginnt das Finale
mit einem Thema, das in seiner stiirmischen Natur und
in seinen Ailegrocon f^ooo. wortlich mit einem sehr
Anfangs- Af JflT^^kl j *- bekannten ^Gedanken aus
noten: «3' ~ ^ " i -"^"^ ^ Beethovens Kreuzersonate
iibereinstimmt. Das Finale ist lebendig froh gedacht, aber
ziemlich breit und mit Einmischung seltsamer Einfillle
ausgefuhrt Das beste an dem nur schwachen Satz ist
das zweite Thema:
4. Bwbiwiteln, Die nachste, die funfte Sinfonie Rubinsteins (Gmoll,
FUnfte Sinfonie. Qp^ iQ?) unterscheidet sich von alien ihren Geschwistern
auBerlich dadurch, daB sie, was die dramatiscbe Sinfonie
in den SchluCsatzen tut, durchs ganze Werk und noch
reichlicher als ihre Vorgangerin slavische Melodien ver-
wendet. Von Freunden des Komponisten ist sie deshalb
zuweilen Rubinsteins »Russische Sinfonie< genannt wor-
den. Eine patriotische Tendenz spricht vielleicht auch
— t 703 ^^
daraus, daB sie dem Andenken der Grofiflirstin Helene
Paulowna gewidmet ist, die unter den Gliedern des Herr-
scherhauses sich als Forderin der mirsikalischen Entwicke-
lung im Zarenreich hervortat. Die Jungrussische Schule
hat bekannUich durch einen ihrer Fuhrer, C^sar Cui*:,
an Rubinstein und Tschaikowsky scharfe Absagen ge-
richtet und damit sichtlich beide Kiinstler veranlaCt, sich
den national russischen Musikbestrebungen enger und
eifriger anzuschliefien. Rubinstein hat von seiner Be-
kehrung in dieser Gmoll-Sinfonie das ausfiihrlichste und
eifrigste Zeugnis abgelegt. Seine Gegner wird er dadurch
nicht gewonnen haben.
Als Abbild russischer Musik wahlt diese Gmoll-Sin-
fonie ihre Themen zu einseitig; das trUumerische Element
namentlich fehlt. Fiir die Aufgabe, wie sie sich Rubin-
stein hier und in seinen letzten Instrumentalkompo-
sitionen uberhaupt gestellt hat, konnte ihm die Volks-
musik nur wenig nlitzen. Sie verlangt Naturgemalde,
Rubinstein ging aber auf Lebensbilder und Selbstbekennt-
nisse aus. Von diesem Gesichtspunkte aus ist auch seine
Gmoll-Sinfonie aufzufassen. Sie erscheint dann als eine
Art Seitenstiick, als eine Fortsetzung seiner Sinfonie dra-
matique, als ein betriibender Beweis, dafi das Los dieses
gewaltig musikalisch und menschlich gewaltig beanlagten
Kiinstlers ungliicklich war. Doch ist nicht zu verkennen,
dafi die dramatische Sinfonie in der Erfindung und Aus-
fiihrung — bis auf den letzten Satz — weit hoher steht,
gewahlter und gedrungner ausgefallen ist, als ihre Nach-
folgerin. Namentlich dem ersten Satz dies«r fiinften
Sinfonie hat beim Entwurf, bei der Aufstellung der
Themen und bei der Disposition des Formplans die
Griindlichkeit und die Bedachtsamkeit empfindlich gefehlt,
die zur Darstellung der Idee die geeignetsten Mittel her-
beizieht.
Dieser erste Satz (Moderato assai, C, Gmoll) beginnt
mit dem Hauptthema
*) 04m Cui: La Mnsique en Rnssie. Paris 1880.
—^ 704 ^—
Moderate asfiai.
j|'' I I' ' I iTrTf Tf I -rm rT'j I
ernst. Ihm folgt eine aufgeregte Episode, die uns in der
Art der Sinfonien Karl Maria von Webers in die Ballett-
und Opernsphare wirft. Sie wiirde verstandiich, wenn
sie mil der Riickkehr nach dem Hauplthema schlosse und
sich zu ihm in einen durchgefiihrten Gegensatz stellte.
Diese logisch notwendige Wendung hat dem Komponisten
auch vorgeschwebt, doch begnugt er sicli, sie mit ein paar
gehaltnen Noten, die allerdings Rubinsteins starke Musik-
natur wieder glfinzend veranschaulichen, anzudeuten, und
geht nach ihnen zu dem zweiien Thema
^U^-tJ-L -L^^^gjuJXL^
^i.^^^^ i.rT3 n j^
iiber. Es hat den bukolisch nissischen Charakler ausge-
pragt, wahrend das erste die nationale Abkunft durch den
Verzicht auf den Leitton merken laCt. Die Themengruppc
wird, nachdem das zweite Thema in sehr iiberraschender,
hiibscher Weise in D dur wiederholt worden ist, durch einc
handvoU weiterer Motive vervollstiindigt, von denen keines
eine groBre eigne Bedeulung hat und keins mit dem an-
dren in Zusammenhang stehl. Der Komponist phantasiert
mit einer Ungeniertheit, als saBe er am Kiavier und um
ihn herum lauter gute Freunde, die Wert darauf legen, in
die Seele des groBen Mannes auch zur unpassendsten
Stunde einen BHck werfen zu diirfen.
Die Durchfiihrung beginnt mit dem Hauptthema in
Floten, Klarinetten und Fagotten, setzt es dann in die
Basse, in die zvveiten Geigen, verhert bald Willen und Ziel,
wiihlt in der Verlegenheit iiber ein Viertelmotiv a gis a
gis a und kehrt unvemchleter Sfiche nach dem Anfang
zuriick. Sein glanzendcr kraftvoUer Eintritt bildet eine
der wirksamsten Stellen des Satzes. Die Reprise weicht
--^ 705 <»>-
von der Themengruppe zunSchst dadurch ab, da6 sie das
zweite, heitre Thema dem nachdenklichen, die Schwermut
streifenden Hauptthema unmittelbar folgen laCt. Erst an
dritter Stelle kommt die erregte Episode, die im ersten
Teile jene beiden Gedanken auseinanderhielt. Ihr folgt ein
ganz leiser, langsamer, choralartiger Abschnitt. So gelingt
es durch Zutalen, Umstellungen und Anderungen dem
Komponisten docb noch einigerma(3en , die dem Satz zu
Grunde liegende Absicht der Darstellung einer gahrenden
Stimmung wenigstens am Ende etwas klarer und begreif-
licher zu verwirklichen.
Der zweite Satz (Allegro non troppo, 2/4j Bdur) bringt
wie Beethovens neunte Sinfonie das Scherzo. Den lang-
samen Satz hat Rubinstein an die dritte Stelle geriickt,
weil der Inhalt seines ersten Satzes eine auf heiternde Fort-
setzung verlangt. Dem Hauptsatze dieser zweiten Nummer
liegt wieder ein russisches Thema zugrunde:
Allegro non troppo
das von der Klarinette zuerst eingefiihrt, von den iibrigen
Instrumenteii zu einer breiteren Szene des Spielens und
Tandelns ausgefuhrt wird. Auch bier werden wir wieder
an die neunte Sinfonie erinnert: Die frohlichen Klange
unterbricht immer wieder ein Augenblick des Sehnens,
Zweifelns, Klagens und Schwankens. Ansatze zu eincm
Seitenthema tauchen auf, der bedeutendste eine Synkopen-
bildung; keiner behauptet sich. Das Trio verdankt seine
ganz ungewohnliche Gestalt dieser scherzowidrigen Stim-
mung. Es ist eine Fuge in Es moll, ihr Thema dem Haupt-
thema des ersten Satzes etwas verwandt.
Der dritte Satz (Andante, ^/g, Esdur) hat ungefahr den
Ideengang: Von feme tritt das Gliick in Sicht und ruft in
der Seele des Dichters Erregung hervor, die sich in Hoffen
und in Zweifeln teilt. Das Bild des Gliicks erscheint in
einer langen, anmutigen und naiven Melodie, mit der der
Satz beginnt. Sie ist in Vertretung audi andcni Instru-
Kretzschmar, Ffthrer I 1. 45
_^ 706 ^>—
men ten, in erster Lanie aber dem Horn iibertragen, iind
fiir gute Hornisten wird dieses Andante der Rubinsteinschen
G moll-Sinfonie ,;ein lieblings- und GlanzstGck sein. In
dem Augenblick J dcs groBten Aufschwungs hat allerdings
dcm Komponisten der Umfang des Horns (in F) nicht ge-
niigt, die Trompete muB aushelfend eintreten. Die Er-
regung ruht auf einem Motiv in Sechzehnteltriolen, das
den Violinen gegeben ist. Es fuhrt nach' dem Abschnitt
seines ersten Auftretens zu eincr Wiederholung der Glucks-
melodie in Oboe und Horn. Ihm folgt ein neuer Abschnitt
der Erregung, der in einem kurzen folgenden Sdtzchen in
Esmoll seine Spitze findet. Daraiif setzt die Flote mit
dem Haupttliema ein, nach ihm noch einmal der Ab-
schnitt iiber das Triolenmotiv; die Hauptmelodie klingt
mit d^m Anfang an und das Ende ist da. Es ist — ge-
maB dem verschwiegnen Programm der Sinfoni^ — ein
Ende in UngewiBheil! Das Andante ist vielleicht der-
jenige Satz des Werkes, der die Seele des Zuhorers am
lebhaftcsten und nachhal tigs ten in Tatigkeit setzt. Die
Ursache liegt zum groBen Teil an dem dramatischen Clia-
rakter der Ubergange, die zwischen den Hauptteilen ver-
milteln, an der aufregenden Art, in der die Leidenschaft in
die Idylle hereinbricht. Man merkt an diesem Stiick ganz
besonders, wie in der Gegenwart die Oper den Weg zur
Herrschaft iiber die gesamte Musik angetreten hat!
Dor SchluBsatz (Allegro vivace, 2/4? GmoU, Gdur) liat
die Anlage des Sonatensatzes. Sein Hauptthema ist cine
von jenen russischen Tanzweisen, die in der bestandigen
Wiederholung eines kurzen Motivs den Stempel der Kind-
lichkeit und dcs Naturvolks tragen. In seiner MoIIharmonie
hat die Lcbendigkeit dieses Themas etwas Gedriicktes und
Gewaltsames, erscheint an dieser Stelle als Vertreter eines
>Galgenhumors«. Rubinstein stellt ihm (in der Oboe zu-
nachst und in B dur) eine nach freundHchem Ausweg, nach
Ruhe und Gliick suchende Melodic entgegen, die deutsch
sein konnte, aber durch die Zahl und Art der Repetitionen
russifiziert worden ist. Zwischen diesen beiden Themen
liegen noch zwei selbstandige Motive, Trager der heiB-
_^ 707 ^^
blutigen und warmen Empfindung, die Rubinsteins Musik
immer wieder auszeichnet. Die Themengruppe wird wieder-
holt, und diese Wiederholung hat der Komponist mit Riick-
sicht auf einige kleine Varianten ausschreiben lassen. Die
Durchfiihrung , mit der Gdur einsetzt, versucht zun&chst
einen Ausgleich, eine Versohnung der im ersten Teil ent-
haltnen Gefuhlselemente, indem sie die beiden Haupt-
tliemen miteinander verwebt; das zweite liegt in den
untern Instrumenten, das erste kommt als Kontrapunkt
in den obern. Generalpausen und fortwfi,hrendes Ab-
brechen zeigen, wie vergeblich der Versuch bleibt. Da
taucht aus dem ersten Satz der Sinfonie pp das wuhlende
chromatische Viertelmotiv wieder auf und setzt sich fest.
Damit nimmt Fortsetzung und SchluB der Durchfuhrung
einen verzweifelten Charakter an, und auch die Reprise,
mit der GmoU zuriickkehrt, spricht nur von Pessimismus
und Resignation.
Wahrend die fiinfte Sinfonie Rubensteins vorzugs- a. RBblmUin,
weise ein Gemutswerk ist, wendet sich seine sechste Sechsle Sinfonie
und letzte [A moll) haupts^cblich an die Phantasie des
Horers. Sie entroUt eine Reihe Bilder: Erinnerungen des
Komponisten aus fremden Landen, Erinnerungen an den
Orient vor allem. Das macht sie der Suite verwandt,
mit der sie auch den Mangel an thematischer Entwicke-
lung teilt.
Der erste Satz (Moderato con moto, C? A moll) setzt
gleich sehr fremdartig ein. Schrill schreit ein gis-e auf;
die meisten werden es als aa-c horen, so lange, bis — im
dritten Takt — e dazu kommt. Eine kurze aber stechende
Einleitung! Nun beginnt das ganze Orchester wie eine
Bardenharfe mit dem Dreiklang — A-e-E — in einem
Marschrhythmus zu prfiludieren. An die Arpeggien schlieCen
sich kleine Motive im knappen, festen Balladenton: es
wird von Heroen erzahlt und von Heldentaten. Mit dem
Fdur kommen neue Motive und weichere Empfindungen
zu Worte. Auf Augenblicke fUhlen wir uns an die schonen,
schwarmerischen Hornstellen im ersten Satze der Sinfonie
dramatique zuriickversetzt. Dann nimmt die ErzlUilung
46*
-^ 708 #—
wieder die Richtung auf groOe Ereignisse; die ruhig in
einem ^1% Takt (C dur) an uns vorbeiziehen, erst bestimmt
und hell gefarbt, dann in den Farben des Triumphs. Mil
diesem Hymnus — g-a-c ist beim zweiten Mai sein Leit-
motiv — schlieGt die Themengruppe. Die Durchfiihrung
beginnt, als sollte repetiert werden, indem sie das Haupt-
thema (in A moll) wSrtlich vorfiihrt, schwenkt aber sehr
bald ab und mischt in die Reminiszenzen der heroischen
Bilder klagende Tone, Motive des Erinnerns, der Elegie.
Die Reprise bringt den ersten Teil mit umgekehrter Reihen-
folge der Themen.
Der zweite Satz (Andante, ^/s, E dur) ist ein sehr ein-
facher Satz, ohne Verwicklungen der Darstellung freund-
licher Ideen gewidmet Eigen ist er durch die Art, in
der das htibsche Hauptthema (Edur) verge tragen wird,
n&mlich in lauter Einschnitten und einzelnen Absfttzen;
nach jedem Motiv, nach zwei Achteln, nach fiinf Achtelu
immer eine Pause. Das gibt einen Ton, wie Hast, Stau-
nen, Atemlosigkeit, Obermafi des Gef&hls und des Be*
hagens. Den Augenblick der Sammlung kUndet (im 17.
Takt) ein jauchzendes Motiv, das in seiner Urspr&nglich-
keit und W&rme sich unter die echtesteu Rubinstein-
erfindungen stellt. Unter den Gegenthemen der Nummer,
die samt und sonders nicht ins Gewicht fallen, zeichnet
sich das schlieBlich in Hdur ausgehende, dramatisch ein-
gef&hrte Solo der Oboe aus.
Der dritte Satz (Allegro vivace, 8/4, C dur) der Sinfonie,
der das Scherzo vertritt, ist einer der phantastischsten
Kompositionen der neueren Sinfonieliteratur, fiatternd
und zerstiebend, nirgends festhaltend, wie der sprtihende
Gischt des Wasserfalls. Kaum hat er im Hauptsatz The-
men, nur Motive. Als es endlich zum Singeu kommt —
Violinen: a-ha-h | a-g-c \ — , klingt das mit der liegenden
Stimme — ^r in den Bratschen erst, dann in den Pauken
— so exotisch als mCglich. Das Trio (C moll und Esdur)
mischt Gemiitstdne, Anklftnge und Anfftnge eine:: deut-
schen Walzers mit ganz fremden Tonen, Gedanken an
den Orient!
— <^ 709 ^»-
Das Finale (Moderate assai, »/4, A moll) dessen stock-
russische Hauptthemen
^^-t-g^ I f7i G' I ' r ^^
and
Allegro. •■— 1^1
in Variationen ausgeftihrt werden, ist nach Form und
Geist zum grofien Tell ein Absenker von Glinkas Kama-
rinskaja, dem Ausgangswerk der ganzen Neurussischen
Schule.
AIs der jange Rubinstein mit seiner ersten Sinfonie
anftrat, befand er sich in einer ziemlich zahlreicben 6e-
sellschaft mitstrebender Talente: Leonhard, Helsted^Leonkard.
Pape, Goltermann, Kufferath, Pott, Veit, Wuerst, ■•J|»^*-
Ulrich, Gouvy, Dietrich. Von diesen vielen neuen Qoii^r^naB.
Sinfonikem der fflnfziger Jahre, welche in der Mehrzahl Knfferatk.
Mendelssohnsche Ideen kleiner mflnzten, haben sich nur^<^^^
sehr wenige fQr langere Zeit behauptet: Gouvy und ^•ji*]^^^^
besonders der hocbbegabte H. Ulrich fanden mit meh- virlek.*
reren Werken ehrenvolle Beachtung, eine popul&re undOonTy.
bedeutende Position errang nur Albert Dietrich mit^***'****
seiner zweiten Sinfonie in Dmoll.
Diese D molI-Sinfonie Dietrichs, die vor vierzig Jahren !• Bletrleb,
ein Liebling des Publikuras war, hat ihren Schwerpunkt Sinfonie DmolL
in der edel weichen Schwftrmerei, in der jugendlich gltkck-
lichen Oberschw&nglichkeit des zweiten und dritten Satzes.
Sie lenkt aber bereits im zweiten Thema des ersten Satzes
in ihr Lieblingsgebiet, in das der herzlichen Idyllen ein.
Die Themen des langsamen Satzes* (Andante, Fdur),
710
der zwischen ^g- und o/s Takt wechselt: der tr&nmensch
freundliche Gesang des Homes
J ■ I I = und die halbschelmische Weise
"^JJ' ' i> U- ' j ■ der Celli:
i»lci$g.
p»eo Crete.
klingen wie Volkslieder, reicben
• r p p' Ji Ti I r r~r *^®^ ^^'^^^ deren Form in der
^ • coBtraba»»^ kunstvoUen und gewfthlten An-
lage und Durchftihrung hinans. In ihrem Geist geben
sicb die besten poetischen deutschen Elemente aus der
beschaulichen Bundestagszeit, wie wir sie aus den Bildem
Ludwig Richters, den Dorfgescbichten B. Auerbachs, den
Erzfthlungen F. Reuters kennen, ein Stelldicbein. Nur
Dietrichs Landsmann, R. Volkmann, bat &hnlicbe Tdne,
ibre Heimat ist die Alts&cbsische Musik der Scbein, Al-
bert und A. Krieger.
Das Scberzo beginnt einfach kr&ftig:
Allegro energ^ioo. viol.
In seinen Seitensatz
.^Sk
und in sein
fl"p| I Ml r^^^'^^jSnir erstes Trio
.fallen Strahlen
ausScbumann-
scbem Lichte.
Das zweite Trio greift mit der herzlich lieben Weise:
jiTijj^i'j^jnitjjjiLuji ij I'J
711
^>Mirnf^rij''^'7'7rrr|frf|f|7j||T|||
i' Bral.«h,« *^ Viol, r *^ ''--^ ^
^ L I rf^_ 1 I Kill ^^ ^^® Stimmung des Adagio
^J?J Ir Pf I'^iJ^i \4^ zuruck und zitiert dann auch
im weitern Verlaufe dessen Hauptmelodie.
Das Finale der Sinfonie &hnelt im Hauptthema:
fii|aj7^f'|||ii jjiM.ilijmj'l'.rjj I
wieder einem bekannten Schumannschen Typus. Das
zweite Thema:
ff C«IU ■.Bratftch. ercMC.
bringt noch einmal den eigen schw&rmerischen Zug
Dietrichs zn warmem, schdnem Ansdruck. Die Ober-
gangspartie zwischen den beiden Themengruppen ist dem
Humor gewidmet.
Noch einige Zeit vor das Dietrichsche Werk, in das
Jahr 1863, f&llt die Entstehung einer andern beriihmten
D moll-Sinfonie. Es ist die von Robert Vo 1km an n.
Volkmanns D moll-Sinfonie ist die Sch5pfang eines B. TolkmaBii,
m&nnlich kr&ftigen Geistes, ein fest und gedrungen bin- Sinfonie Nr. i
gestelltes Werk, welches nach Wesen und Stil der Beet- ^" "°"^-
hovenschen Schule angehdrt. Der erste Satz dieser Sin-
fonie steht mit seinem trotzigen, entschlossenen Zuge in
direkter geistiger Verwandtschaft zu der gewaltigen Neun-
ten. Ja, dort an der Stelle, wo am Schlusse der Durch-
fiihrung die Dftsse von den langen festgebannten Har-
monien sich trennen und ihre chromatiscben G&nge an-
treten, da klingen auch die Beethovenschen Themen
leibhaftig an! Gleichwohl besitzt die Volkmannsche
Sinfonie, und namentlich ihr erster Satz, geistige und
technische Selbstftndigkeit im hohen Grade, eigene be-
712
deutende, in Ernst und Frohsinn immer trelTende, aufs Ziel
Bchnell hingehende Gedanken und eine eigene schlicht be-
lebte, aiif jeden Prunk und Reiz verzichtende Darstellung.
An der Spitze des ersten Satzes steht das Thema:
Allegro patetlco.
^ >■ ^ ^
BIlMr
^Ij3I M J-JjiTlJO,-''IJ.Pj.Pi;|
Viol. " — -^ FT
mit seinen drohenden und schweren, echt sinfoni-
schen Gedanken. Wfihrend es noch leise in den
B&ssen fortgrollt, erheben die HohbUser und Violinen
ihre trSsten- , . ^i^}:_ 'ST^
den und bitten-:
den Stimmen:
und die erste Szene des Satzes schliefit mit einem
Kompromifij der die dustere Stimmung in einen he-
roischen ^. ^^t^^ f* f'*t*A^.#^
EntschiuB =^^rPr it.ftfr \f^f^\fh^4$-
liberleitet: ^ /f
Es ist eine besondere und- sehr bemerkenswerte
Idee Volkmanns, an Stelle des einen Themas eine
ganze dreigliedrige und vollst^ndig dramatisch ent-
wickelte Themengruppe zu setzen. Der Satz bleibt vor-
wiegend streitbarer Natur. Die Momente der Rube, wie sie
am entschie-
densten das
Fdur- Thema
ausdrlickt, bilden nur Episoden. Die DurchMhrung wie-
derholt in vergroOerten Verh9.1tni8sen den Auftritt zwi-
schen den bittenden Blasem und dem grollenden Streich-
orchester, mit welchem der Satz begann, und die gewaltig
eingeleitete Reprise nimmt den gew5hnlichen Verlauf.
Das Andante (B dur, 3/^) hat zum Hauptthema
eine haupts&chlich von der Klarinette getragene Me-
lodie, welche Frieden suchend folgendermafien beginnt:
Andante. Die vier Tak-
^
t m
-^trr
r-^T^f
' *■ to
'■^^
g"- 1 I j te, welche ihr
^-^ pr&ladierend
-^ 713
vorangehen^sind ^ ein Motiv, wekhes far
sehr wichtig: * M J J | Jijtj die EDtwicklung des
Sie bringen in j»-^=:^=»- Satzes die treibende
Kraft bildet und den kleinen Variationen, welch e aus
den Figaren des«Hauptthema abgeleitet werden, best&ndig
zur Seite geht Der im allgemeinen ruhige Ton der
kleinen Dichtung wird am Ende der DurchfUhrung einmal
hoch leidenschaftlich. Es ist eine auBerordentlich myste-
riose Stelle: die, wo nach den gewaltigen As dur- Akkorden
das Horn zu den stillen Modulationen der Violinen 30
Takte lang imjner sein C anschlftgt. Sie ruft auch klang-
lich das Bild aus Wagners Walklire vor die Phantasie,
wo Siegmnnd in seiner Seelennot, einsam vor dem Herde
in der dunklen Hiitte, nach >W&lse« ruft.
Das Scherzo stimmt einen rustig monteren Ton
an. In der Allegro non troppo. ,,-.,, T ^^^ ^^
Figur seines j£ i> jt J J ■! I J I J I J JJ Jj l-L^ der kon-
Hauptthemas ^ f "*^ "^ ^ «^ trapunk-
tischen Form seiner Entwicklung leben noch einmal Geist
und Methode der alten Norddeutschen Schule auf. Das
lieblich kosende Trio, welches das gesch&ftige Treiben
des Hauptsatzes mit l&ndlerartigem Tone unterbricht:
tr> die reizenden Farben der Frflhromantik, in der
Volkmann ebenso wie Dietrich mit einem Teil seines
Wesens wurzelt.
Das Finale der Sinfonie, ein TonstQck freudig ge-
hobenen Charakters, fallt mit seinem Hauptthema:
Allegro molto.
jiiHr If ,1 ir r i«" I " ir
und noch mehr mit dem Nachsatz des zweiten Thema:
Clnr. Ob.
in den Stilkreis der Mendelssohn-Schumannschen Periode
714
Das zweite Thema selbst, eine rhythmisch energische
Bildung
^^,.11 ir ru. j|[,i^-Tfir^ r^rf^
7/
ist der HaupttrHger der zwischen Pathos und Fr5hlich-
keit hinsteuernden Gedankenentwickelung. £s gibt viel-
fache VeranlassuDg zu polyphonen Kunsten, zu ver-
wickelten Harmonien und zu selteneren Klangkombina-
tionen, in welchen der Posaunenton ein wichtiges Element
bildet. Jedoch vermag die tiichtige und geflissentliche
Arbeit den Mangel an Inspiration, an dem der SchluB-
satz leidet, nicht auszugleichen. Das Finale wirkt in-
folgedessen als veraltet, w^hrend die anderen Satze,
am meisten der erste, ihre Lebenskraft frisch behaaptet
haben. Volkmanns Dmoll-Sinfonie geh5rt noch heute
unter die meist gespielten Werke.
B. VolkmaBii, Seine zweite Sinfonie (Bdur) bringt frohe und hei-
Sinfonie Nr. 2 tere Musik und ist in ihrer lebenslustigen Naivit&t, in
(Bdur). ihrer ungektlnstelten, auf alle Uraschweife verzichtenden
Schlichtheit eins der liebenswurdigsten Meisterwerke der
neueren Sinfonik. Ihr erster Satz vereinigt ausgesprochen
volkstumliche Zuge im ersten Thema
_^ Allegro vivace
Viol
viol.
mit spezifisch
Schumannschen kv f' n I T' P T' P ^ <!'
im Seitensatz: f ^
und im zweiten Thema:
CUr.
^
^
rvir: ^-^T^n^^^^i^^i^ it >:i I
Vx H 8-^.8
l^\\bi\[\v^i^
715
Die AusfQhning dieser leitenden Gedankenr ist muster-
haft knapp; tiberraschend schnell tritt der ScbluO ein.
Der zweite Satz: Allegretto (Esdur, Vs) ist ein be-
hagliches Scherzando mit folgendem Haupttheina:
Allegretto.
Sein Seitensatz t&ndelt anmutig anf dem Motiv
g . bin. Unter den mancberlei
m f'\i iJ-^^^ I h Ahnlichkeiten , welcbe der
■■■^ I S3^j2 mit dem berUbmten
Allegretto in Beetbovens acbter ^ |. f^' \^
Sinfonie gemeinsaro bat, tritt als
die n&cbste das folgende Motiv:
bervor. Die originellste Idee im Stiicke bildet das Them a
des Mittelsatzes :
£igentiimlich launiscb weicht es in seinen Schliissen lange
dem Grundton aus.
Der dritte Satz (Andantino, Gmoll, ^/g) ist nicht viel
mebr als eine langsame Einleitung zum Finale. Das
Thema beider S&tze ist dasselbe. Das Andantino bringt
es in ruhiger Bewegung, in melancboliscber Farbung und
in der eigenttimlicben Instrumentiemng der Steppenmusik:
Andantino.
das Finale (Bdnr, Vi) 1°^ rascben Tempo, in bnmoristi-
scher Haltung und mit all derjenigen Munterkeit, deren es
f&big ist, am Allegro ▼Wace.
Anfang in iol-dh^
gender Form :?^ ciw. ^ mq'
Mit ibren beiden letzten S&tzen gehort Volkmanns
B dur-Sinfonie eigentlicb in das vorbergebende Kapitel:
716
Nation almnsik in der Sinfonie. Sie ist der Kaiserlichen
Russischen Musikgesellschaft in Moskan gewidmet and
gibt dieser Widmnng durch die Schlu6s&tze einen ersicht-
lich praktischen Ausdruck. Tschaikowskys Serenade (op.48}
stimmt in dem Thema ihres Finale mit dem gleichen der
Volkmannschen B dur-Sinfonie fast w5rtlich tiberein, und
auch die Ausfubrung in Variationen, welcbe sich von
Nummer zu Nummer mehr erhitzen und bis zu dithy-
rambischer Ausgelassenheit weitergeftihrt werden, ist die-
selbe, wie sie die russischen Komponisten seit Glinka fflr
ihre kleinen heitern Pastor almotive zu wfthlen pflegen.
■ax Brvek, Zu den bekanntesten Sinfonien der Periode z&hit die
Sinfonie Nr.i i^ gsdur von Max Bruch. Sie ist ein Werk in klassi-
^ ' '*''• scher Richtung, durch einen objektiven Zug in der Dar-
stellung ausgezeichnet, im Inhalt vorwiegend heroischer
Natur. In der musikalischen Faktur zeigt sie eine Hin-
neigung zum Einfachen und Kernigen, kr&ftige Harmonik
und volkstiimliche, liederartige Melodik.
Ihr kUnstlerisch bedeutendster und reichster Satz ist
der erste (Allegro maestoso, C), eine emste Dichtung, die
uns wie ein Stimmungsbild am Vorabend eines wichtigen
Tages anmutet. Er beginnt ruhig gedankenvoll mit dem
sch5nen Hauptthema:
a)
Allegro maestoso
Horn
Die hoffenden Elemehte dieser Melodie steigert der
Nachsatz zum Ausdruck stolzer Kraft:
f p p p '^ •"•
717
Der ideelle Gegensatz zxx dieser Gruppe ist wie diese
ebenfalls zweiteilig. £r beginnt mit einem Unruhe und Zwei-
fel ber- e) ^^^ — — ^ -^ das an
Motive: ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^ rQhmte,
•rew.
mit der Sinfonie gleichaltrige GmoU-Violinkonzert des
Komponisten erinnert, und schliefit mit einem in freund-
licher Sentimentalit&t beschwichtigenden Gesangthema:
das ebenfalls wieder in die Spb&re jenes Konzerts versetzt.
Die DurchfQhrung beschr&nkt sich anf verschiedene
Kreuzungen der Tbemen a und c,
Als zweiter Satz folgt ein Scherzo (GmoU, 2/4), eine
breit ausgefiihrte und sehr popul&r wirkende Komposition,
welche mit der Lagerszene in Rheinbergers »Wanenstein«
manche BerQhrungspunkte hat Das Hauptthema des
Satzes ruht auf einem an Beethovens Eroica erinnernden
malenden Motiv:
Presto.
rn
^
3t
welches bald gewaltig in die ^ ^ ^
Hohe wirbelt. Die Seiten- ft '»
sfltze bringen frohe Rufe -/"f L/ «/* "^ f tS
und Szenen, die den harmlos enthusiastischen Spielen der
Jugend zu gleichen scheinen. Das unschuldige Thema:
tru
wird mit einem unermUdlichen Eifer wiederholtund durch-
gefilhrt Die Hauptpartie in dem belebten, fr5hlichen Bilde
ist der Mittelsatz mit seiner derb behaglichen Melodie:
ij!^\ lijii I hjii iT|ii,ij,Rj iLH 'TTlI
718 ^>^
j,-"-^ die — frei nach Spohrs driller
I f^ i yif/ Sinfonie — vom Unisono erst
*^ ^ der Slreicher, dann der Blaser
vorgetragen wird.
Der dritte Satz: > Quasi Fantasia* betitelt (Grave,
Es moll, (7), beginnt in sehr schwermtitiger Stimmnng mil
einer, ^ , Grave. j^^_ ansetzen-
wie ii\^^nff(\f^:if\i^f^^},\ den m,d
folgt:*' /» -«=r i=-^ sich DIS
zum endlichen Abschlufi lang streckenden Melodie. Alle
Motive im Satze tragen den Charakter einer bangen
Stunde. In der Mille taucht das beunruhigende Thema (e)
des ersten Satzes der Sinfonie wieder auf. Ohne Pause
geht dieser langsame Satz in das Finale fiber, das, &hnlich
wie in Mendelssohns Schottischer Sinfonie, halb program-
matisch als > Allegro guerrieroc bezeichnet ist Im poeti-
schen Plan der Sinfonie bedeutet dieses Finale die von aufien
kommende Rettang, die glQckliche Entscheidung: Der mu-
sikaliscben Form nach ist es eine ausgefiihrte und ideali-
sierte Marschkomposition, in welcher ein fiottes Thema:
P^^^=rn^^^^i^^i7}\y'j\j y^ ' wieLrehie
'^^ ^ p ■ = ==*• Variante des
Gmoll-Konzerls — mil einem sentimentalen:
j I'-,. .1 nrr~x:\ ^ f r i n fjrt mTT
' ' r r I r r r' p I P' etwas einfSrmig wechsell.
M. Brach, Die zweite Sinfonie von Brnch (Fmoll) ist wenig
Zweite und dritte bekannt geworden. Dem duster und triib beginnenden
Sinfonie. q^^ f^^jj endenden Werke, welches nur aus drei SStzen
besteht, liegt offenbar ein Programm zugrundc, welches,
wie in S,hnlichen F9.11en in der Kegel, nur zum groCen
Schaden fur die Wirkung und das Verst&ndnis der Kom-
position verschwiegen worden ist. Nicht an Ernst der
Anlage und Arbeit, wohl aber an Frische der musika-
-^ 719 «^
lischen Phantasie steht diese zweile Sinfonie Bnichs hinter
der alteren zuriick. Der hervorragendste Satz ist der
mittlere, in welchem intime Gedanken ihren eigenen Aus-
druck gefunden haben.
Noch weniger ins Konzert gedrungen ist die dritte,
die Em oil- Sinfonie Bruchs.
Die nftchsten Komponisten, welche nach Brach ant
dem Gebiete der Sinfonie weitere und andauernde Be-
achtung fanden, sind Friedrich Gernsheim, Felix Drae-
seke und Hermann G5tz.
Die Gmoll-Sinfonie von F. Gernsheim steht F. OerHskelai,
auf klassischem Boden und entnimmt der Eroica, der S»nJjn»oN'i
Neunten, dem Violinkonzert Beethovens und der grofien ^ ^^ ^'
C dar-SinfonieSchuberts eine Reihe merkbarer Anregungen.
Am selbstHndigsten erfindet der Komponist da, wo die
Sinfonie sich auf dem pathetischen Gebiete bewegt. Das
in diese Kategorie gehdrige Them a, welches an der Spitze
ihres ersten Satzes steht, ist unter die stattlichsten Sin-
foniegedanken der neueren Zeit zu rechnen:
In alien ihren Partien erfreut diese Sinfonie durch
edle Richtung, durch Geschmack und MaOhalten.
Die zweite Sinfonie Gemsheims (Esdur) ist vor- P. Gernsheim,
wiegend idyllischer Natur. Ihre hervorragendsten Sfttze Sinfonie Nr. 2
sind die mittleren: Nolturno (in As) und Tarantella (in C), (Esdur).
Seine dritte Sinfonie (Cmoll, op. 54) hat, wie gleich f. Gemtk^lm,
das Hauptthema des ersten Satzes beweist, originelle Sinfonie Nr. 8
Slimmungen, aber deren Stfirke reichte fur die groOen (Gmoll).
Formen des Sinfoniebaues nicht aus. Die jiingste, vierte f. Oernikdlm,
Sinfonie des Komponisten dagegen (Bdur, op. 62) hat bei Sinfonie Nr.*
den Konzertinstituten Deutschlands Eingang gefunden. (Bdur).
Diese neueste Gernsheimsche Sinfonie fUhrt die Rolle
einer starken Natur mit tiefsinnigen Ausweichungen, mit
Aufierungen hef tiger und trotziger Kraft, auffahrend und
pochend, mit Yorliebe mit den Mitteln musikalischer
— ^ 720 <i^
Athletik durch, die neuerdings durch die Sinfonien von
Brahms in Schwang gekommen sind. Arbeit und Kunst
imponieren durchweg, in bezug auf Lebenswahrheit ge-
biihrt der Preis dem zweiten Satz (Andante sostenuto)
mit seinem von Beethovenschem Geiste getrSnkten Haupt-
thema.
F.DrMieke. Die beiden ersten Sinfonien von F. Draeseke zeigen
in ihrem Autor einen Charakterkopf, welcher streng an
seinen Ideen festhftlt und sie mit einer Konseqnenz durch-
fUhrt, die oft geistreich und genial, zuweilen aber auch
ermUdend wirkt. Die Elemente einer weicheren Emp-
fin'dung und einer schonen Sinnlichkeit sind in den
Werken des Romponisten durch einzelne Glanzstellen ver-
treten. Daraus ist in der ^ ^^*^***',-^-TTr^r i i i , p'l ft
F. DraM6ke, ersten Sinfonie fGdnr)i(H ,| i f ifJ,U 1 "^ Jjl^ N J ^^
Erstoundzweite die Klarinettenmelodie"^ ^^
Sinfomo. ^gj. Einleitung, aus der zweiten (Fdur) das zwei-
teThe- Allegro. hervorzuheben.
ma im Mlu f^ij |7^. : — H-J]-^^^^^Im allgemeinen
ersten V "^ f P ? 'tf^P P'^'^P f\f ^T^f^aber herrscht
Satze: c -'^o in diesen Sin-
fonien ein barter Zug vor. Ihre Hauptst&rke liegt in den
hum oris tischen S&tzen. Der drastischen, auch in den gro-
tesken und burlesken Exkursen immer fein und witzig ge-
haltenen Komik des Scherzo in der ersten und des Finale
in der zweiten Sinfonie Draesekes haben wir aus der nen-
F. Draeieke, eren Literatur wenig zur Seite zu stellen. Die dritte Sin-
Sinroniatragica. fonie Draesekes, seine Sinfonia tragic a, ist mit groGem
Recht bekannter geworden als ihre Vorgftngerinnen. Sie
gehdrt mit dem Requiem, der Fismoll-Messe, dem » Colum-
bus c, der oratorischen Christustrilogie zu den bedeutend-
sten Arbeiten des Tonsetzers und ist eins der wuchtigsten
StQcke in der neueren deutschen Sinfonik. Diese mu6
auf Grund dieser Leistung in Draeseke nach dem Tod
von Brahms und Bruckner ihre Spitze erblicken, und so
dringlich der Beachtung der ausl&ndischen Sinfoniekom-
ponisten das Wort zu reden ist, so ungereimt erscheint
OS, wenn daneben deutsche Konzertinstitqte an einer ein-
— t 721 ^>^
heimischen Sinfonie dieser Art vorbeigeheD. Das gewail-
tige Werk schildert einen tragischen Lebenslauf, den>
Kampf einer zum GlQck angelegten Natur mit dem harten
Schicksal. Es begegnet sich in dieser Tendenz mit andren
C moIl-Sinfonien, denen von Beethoven und Brahms; auch
an die D moU-Sinfonie R. Volkmanns kann es erinnern,
Es hat aber einen andren Ausgang: ein Ende in Traaer
und Wehmut. Popul&r ist diese Sinfonie nqch nicht ge-
worden, wird es auch in ihrem leidenschaftlichen, in
scharfen Gegensfttzen gehaltenen Wesen nicht werden.
Die komplizierte Technik, der auf Kombinationen und
strenge Arbeit versessne Stil des Komponisten erschweren
das Verst&ndnis noch obendrein ; auch entbehrt die musi-
kalische Erfindung des starken individuellen Gepr&ges,
der sinnlichen Kraft and der Gleichmafiigkeit. Aber wem
nur einmal am SchluB des ersten Satzes, von dem mit
echtesten HerzenstOnen einsetzenden piu largo ab, und
bei den vielsagenden Fermaten eine Ahnung von den
Absichten des Komponisten aufgegangen ist, der mu6
sich zum eingehenden Studium der Sinfonie gedrungen
fiihlen. Ihr Hauptwert liegt in der Konzeption, in den
dichterischen Ideen, die die Anlage des Werks beherrschen.
Sie sprechen zum Teil aus den Tdnen und Themen selbst,
zum Teil aus den architektoniscben Formen der Sinfonie.
Wie diese der durch beide SchuIeUi die Beethovenscbe
und die Lisztsche, hindurchgegangene Komponist be-
ziehungsreich und geistvoll gestaltet hat, siebt man schon
daraus, dafi die einzelnen Sfltze durch gemeinsame Mo-
tive verbunden und in einen engeren inneren und fluOeren
Zusammenbang gebracht sind, als das in der Kegel bei
den neueren Sinfonien der Beethovenschen Schule der
Fall ist
Der erste Satz wird von ein em Andante eingeleitet,
das als selbst&ndiger Satz bedeutend ist, aber seinen
eigentlichen Wert darin hat, daB es den Hauptsatz, ein
Allegro risoluto (C, Cdur), gewissermaOen dramatisch,
als die Frucht eines Stimmungskampfes eintreten IfiOt.
Es setzt ein mit den T5nen des Mifimuts und furchtbarer
Kretzsolimar, Vthtvt. 1, 1. 46
722
Ahnnngen, mil Tdnen, die an das Grollen Aaduite.
des LOwen erinnero. Zweimal hOren wir P "
von stechenden Dissonanzen begleitetdas fr" ^
ungeheuerlich sich dehnende Interval!: "^'
Dann erst lOst sich die starre, chaotische Empfindnng in
ein ernstes nnd schweres Marschmotiv, dem wir sp&ter
im zweiten Satz der Sinfonie noch nfther treten werden*
Damit ist das Gemtlt des Helden dieser Tondichtung vom
flrgsten Druck befreit. In einem Instrument nach dem
andern beginnen die T5ne, noch suchend, doch melo-
disch zu fliefien und gelangen fiber hemmende Modu-
lationen allm&hlich hinans ins Helle, zur Freiheit, zur
Hoffnung, zum Tr&umen von Idealen: Eine der schOn-
sten Erfindungen der ganzen Sinfonie bezeichnet diese
Wendung :
^^m
p molto expr. ^ F
Diese von Elarinetten und HOrnern vorgetragene Melodie
15st sich in lose Sequenzengange auf und verzieht sich.
Noch ehe sie ganz das Feld ger&umt hat, tritt unvermutet
und rucksichtlos ein ^^ ^_ /> . « ^* ergreift
unfreundlicherGastan /uT T' ^ t^ ^ * VQ'^ den
ihrenPlatz:dasMotiv: ^ Kontrab&s-
sen aus schnell das ganze Streichorchester und dr&ngt zu
dem Allegro, das als Hauptteil des Satzes das Bild einer
jungen kr^ftigen Natur zu zeichnen scheint, mit der es das
Leben etwas hart meint. Der Satz erinnert an das Dichter-
wort: »Denn Mensch sein heifit ein K&mpfer sein«, aber er
fiihrt uns keineswegs vor erschfltternde Szenen. Es k&mpft
hier eine Art junger Siegfried, den Hindernisse weniger
schrecken, als erfreuen. Draeseke schildert eine JQng-
lingsgestalt, der Mut und Energieaus jeder Miene sprecheu,
der das Leben noch lacht, die noch an Ideale glaubt und
zu schwftrmen liebt. Jenes Motiv, das die freundlichen
Trftume des Andante storte, wird von dieser arglosen
Natur mit Freundesaugen angesehen, und wie ein FUhrer,
--* 723 <>—
der nach des Lebens Hohen zeigt, begrufit und verwendet.
Draeseke stellt es an die Spitze des tatenfrohen Haupt-
themas:
Allegro rl^olnto.
jjj.iMf'iTriir r i^j jj IjjjjTjji i
in dem es gemeinsam | K | die Elemente der Entschie-
mit dem Rhythmus •• # • denheit iind Festigkeit ver-
tritt gegenQber den Regungen des jugendlichen Ungestiims
und Schwunges, die in den Achtelgangen ausgedriickt
sind. Eine Fortsetzung findet dieses Hauptthema in einem
marschartigen Abscbnitt, der nach einigen sinnenden
nnd sammelnden Takten mit folgendem Anfang einsetzt:
25;.^ ^ Er endet, nachdem er
/ f_rjr f^ff ^ x^ mt^ den Umfang einer nor-
g> ^ I ' I ' ^■=== malen Periode erreicht
•^ hat, mit dem Rhy thmas
J Js J ^^"^^ ^^^^ wieder auf das Haupthema ein, des-
« ' •^ • sen freudige und lebenskr&ftige Geister sich mit
erneutem Eifer auf den Plan drangen. Es ist ein
hitziger Eifer. Die Stimmen wiederholen auf keeker
Dissonanz — e-fis — ihre Tdne in der heftigen Form,
die die Alten Reperkussion nannten, und starkes Kraft-
gefiihl str5mt von alien Seiten aus dieser Musik. Sie
hat eben das entlegene Hdur erstUrmt, als sie plStzlich
abbricht. Die jugendliche Uberschwfinglichkeit neigt zu
entschiedenen Gegens&tzen. So schlagt die Stimmung hier
aus einem heroischen Rausch ohne weiteres um in eine
Idylle. An die Stelle der Tatenlust treten die Gedanken
an die intimen, zarten Lebensfreuden, an die friedlichen
Bilder von Liebesgluck und vom Behagen am heimischen
Herd, im Kreise der Familie. Das sind die Ideen, aus
denen das zweite Thema des Satzes entsprungen ist.
Draeseke stellt allerdings nicht ein einfaches zweites
Thema bin, sondern er gibt, die moderne Art fast Uber-
46*
— ♦ 724 ♦^
bietend, eine ganze Kette freundlicher Gedanken, deren
Mehrzahl allerdings der Marschrythmus noch etwas fest
in den Gliedern steckt. Den Anfang macht ein von Melan-s
choHe leise gestreifter Wechselgesang zwischen Klarinetten
und Streichinstrumenten, dem fo^gende Periode
Alle^o rlsolnto. ui^m.--
Xlarlnetten vioiliiSB.
^" ,^ ' i^ y '^^'^ ' ^^ ^J ' ^'^'^
zuGrundeliegtAufmunternd ^ ^. _ . ^ >^ . ^^^ ^^^
unterbricht ihn das Tutti jE T > T' P I f P ?^'tt ein
mit kraftigem Zwischenruf ^^'^ ^"^ganzun-
getrubtes Zukunftsbild vor die Phantasie:
i
- i '
J r g iLj'^'T? rf ft— ^*^ mit'heimlicber Freude
F F P I' l=fc=^^^. V ^«- beginnt und mit unver-
^ ' * * r* T hoblenem Jubel schliefit.
Gerade dieses Stiick ans dem Kreise des zweiten The-
mas hat der Komponist fUr den Durchfiihrangsteil
des Satzes besonders bevorzngt. Die Kette schliefit
mit einem dritten Gedanken, der innig in den H6rnern
einsetzt:
j;¥*m j,(7gij.(i7ii(jij^ii(jj^ju '
— die Pauke begleitet
mit einem leise bebenden
H — und ilber das Motiv
zu einem Ende im triumphierenden Ton gelangt. Aus diesem
--• 725
Ende sind die
Schlufitakte
der Melodie:
fiir den weiteren Verlauf des Satzes wichtig.
Draeseke Iftfit aber diesen ersten Teil, die sogenannte
Themagrappe , nicht stolz und glftnzend, sondern leise
ausklingen. Das ist nicht blo(3 poetisch und schdn, sondern
in diesem Falle vor allem logisch. Denn es handelte sich
nm Zuknnftsbilder, die wie im Tranm und wie in weiter
Feme geseben waren. Die H6rner sind eben bei dem
letzten Senfzer, da treten die Celli mit dem Motiv der
Unrnbe dazwiscben, das seiner Zeit aus dem Andante
ins Allegro binflberdrftngte. Jetzt leitet es die Durcb-
fiibrung des \ Satzes ein. Sie verlauft als Anseinander-
setznng zwiscben den friedlosen und den friedfertigen
Elementen der Themen. Jene sind vorwiegend durch das
eben erw&hnte Motiv der Unruhe aus dem Haupttbema
vertreten, diese durch das erste und das dritte Glied aus
der Gruppe des zweiten Tfiemas. Eine besonders bervor-
tretende Stelle in der Durchfiibrung bildet das piu largo,
bei dem die schone Melodie aus dem Andante, die Melo-
die des Ideals, und auch hier wieder im vision&ren Ton
erscbeint Nach dieser Stelle geht die Durcbfuhrung fiber
einige Mut und Kraft aussprecbende Perioden, die aus
dem zweiten Glied des zweiten Tbemas — das ursprUng-
lich in E dur einsetzte — gebildet sind, bald zu Ende und
in die Reprise Ober. In dieser Wiederbolung der Themen-
gruppe iibergeht Draeseke das eigentliche Haupttbema
und bringt an erster Stelle dessen marschartige Fort-
setzung. Sie tritt fff auf und wird noch dadurch zu
hOberer Bedeutung geboben , dafi Draeseke die Schliisse
ihrer zweitaktigen Abscbnitte durch Fermaten verlftngert.
Es gibt Fftlle, wo die Pausen vernebmlicber sprechen
als die Tone, und diese Draesekescben Fermaten geh5ren
in erster Linie zu diesen Fftllen. Sie lassen den ZuhOrer
gewissermafien einen Blick auf die FiXWe von Kraft und
Ernst werfen, die in der Seele der Jiinglingsgestalt Auf-
gespeichert ist, die sich der Komponist als Helden dieses
-^ 720 ♦^
Sinfoniesatzes gedacht hat. Sicher spricht aber auch
eine gewisse Bangigkeit aus diesea Fermaten, eine Ahnung
iragischen Geschicks. Wie das erste Thema abgektkrzt,
so wird die Gruppe des zweiten Themas in der Reprise
zusaxnmengedraDgt Dafur hat ihr Draeseke eine breite
Coda zugefUgt, in der neue Weisen des Stolzes, des fren-
digen Mutes, der anfsch&amenden Kraft neben die aus
dem Unruhemotiv des Hauptthemas gebildeten S&tze
treten. Bemerkenswert ist darin eine Stelle, in der der
modulationslustige Komponist sich auf einen vermessnen
Augenblick nach Gesdur wendet.
Im zweiten Satz der Sinfonie (Grave, a/s, A moll)
entspricht der bedeutenden Stimmung auch eine bedeu-
tende und ziemlich in alien Teilen anf gleicher H5he
bleibende Erfindung. £r gibt dem Schmerz fiber einen
unersetzHchen Verlust gewaltigen Ausdruck und klagt
tiber das erste Eingreifen tragischer Umst&nde in einen
hofifnungSTollen Lebenslauf in m&nnlichen Tonen, die
im Gefuhlsgehalt und in ergreifender Wirkung den Segen
H&ndels, Beethovens und Wagners zusammenfassen.
Die Komposition ist als Trauermarsch gedacht. Ihr
. Hauptthema, das die Form der alten Sarabande hat, setzt
— von zwei zu zwei Takten durch das erste Motiv in
den Posaunen unterbrochen — ged&mpften Tones folgen-
dermafien ein:
OraTe. _
Pos. . Holxblaser. ">*• , ^
-^ 727 ♦^
Wenn man den fanften Takt dieses Tranergesangs schftrfer
ansieht, erhfilt man auch Anskunft dariiber: wer ins
Grab gesenkt worden ist. Denn da stehen wir vor der
schdnen Melodie, die im Andante des ersten Satzes das
Ideal des jnngen Helden, die die Gestalt bezeichnete,
die als Lohn des Strebens nnd Ringens vor seiner Seele
schwebte. Bald bricht der Schmerz Qber den Verlnst
scharf und leidenschaftlich in Wagnerschen Zungen bervor :
ifii^^ I' f^i ,jij|j ^jjV
die Posannen decken Grabeskiang dartiber. Gewaltig
wirkt darauf der Einsatz des Marschthemas , in einer
Wen dung, die an H&ndels »Saulc and » Samson « erinnert.
Es kommt in Cdur und im mftchtigen fff des gesammten
Streichorchesters, von Posaunen, Tuba und Trompete
untersttttzt , von einem Aufschrei der Holzbl&ser beant-
wortet Zarte Zwischenspiele, aus dem erw&hnten Ideal-
motiv gebildet, suchen nach Trost; ein kurzer Mittel-
satz, der die Stelle des sons! Qblichen Trios einnimmt,
bringt ihn auf Grund folgenden Tbemas:
(In pochettlno plu mosso;
fmr LfTDnri LTPillL "^p
das von der RIarinette aus w6rtlich und variiert durch
eine Reihe Instrumente wandert. Es ist teuren Erinne-
rungen gewidmet und befreit von dem barten Druck
einer um Fassung k&mpfenden Stimmung. Docb geht es
bald in einen erregteren Ton Uber und fiihrt so zur
Wiederbolung des Hauptsatzes. Die Erinnernng an ver-
lorenes Gluck pflegt den Scbmerz fiber den Verlust zu
steigern. Diesem Naturgesetz Recbnung tragend, wieder-
bolt Draeseke nicht einfach, sondern fiibrt mit dem
Marscbtbema die Motive der heftigen leidenscbaftlichen
Aufregung zusammen. Die Stelle packt mit pbysischer
Gewalt. Die Stimmung wird auf Augenblicke wieder
728
ruhiger, schildert aber dann in nenen Formen den Anf-
ruhr schmerzlicher GefQhIe.
Urn den dritten Satz, das Scherzo (Allegro, V4i
Cdur) mil der Auffassung in Einklang zn bringen, dafi die
Sinfonia tragica einen Lebenslauf vorfQhren will, mu6 man
sich eine Oberschrift : >Nach Jahren«, denken. Der furcht-
bare Schlag, von dessen nnmittelbaren Folgen das Grave
berichtete, ist dberwunden, aber er bat Spuren gelassen. Von
einer Pers5nlicbkeit, die tkber eine Kraftf&lle verfilgt, wie sie
der erste Satz enth<, erwarten wir einen freieren Hamor,
als ihn dieses Scherzo bietet. Seine Fr5hlichkeii ist etwas
belegt, behilft sich mit den kleinen KQnsten der Kaprice,
hat Schatten und vollstandig tr&be Stellen. In dem Trio
kommt die Wehmut ganz often zur Herrschaft. Die Form
des Ganzen ist sehr einfach : ein Hauptsatz in zwei Teilen,
Mittelsatz (Trio) und Wiederholang des Hauptsatzes.
Das erste Thema des Hauptsatzes
Allegro molto vivace.
Llarlnetten.
i'ViJiViJ Ji ^^
^j
Ft a G.
erinnert in der melodischen Richtung etwas an den Me-
nuett von Beetbovens erster Sinfonie, unterscheidet sich
aber von ihm durch ein stilleres Temperament. Seine
Fortsetznng erfolgt in sinnver wand ten, metrisch launi-
schen Bildungen. Das zweite Thema, das ihm nach einer
kurzen Stimmungskrisis folgt:
jfy rT> I rT> I ^^n I r rta
rir> I «rri^'^i>r-rf7> i nfl^
— ♦ 729 ^^
gehdrt zu den besten Erfindnngen in der Sinfonie. In
seiner Mischnatur, halb frdhlich, halb klagend, ist es ein
echt romantischer Gedanke nnd bringt den Widerstreit
der Gefdhle, der schon im Hanptthema leise zu vernehmen
ist, zu gesteigeriem Ansdruck. Die Violinen wiederbolen
das Tbema, schlieOen aber nicbt, sondern brechen ab.
Die Pauke setzt mil einem leisen Wirbel anf g ein ; nnr
ein CIS in den Kontrab&ssen klingt dazu. Erst allm&hlicb
gesellen sich die Ubrigen Instrumente binzu, fQllen den
venninderten Akkord und versucben zagbaft wieder die
Melodie aafzuniebmen. Die Stelle macbt sicb sebr be-
merklich. Was sie bedentet, ist dem veranlagten H5rer
nicbt zweifelhaft: eine Erinnerung an das Ereignis, das
das Glfick dieses Lebens gebrocben bat. Die Masik kommt
wieder in Flufi nnd rafft sich energisch auf ; es bleibt ihr
aber ein schwerer, barter Ton.
Wir baben in diesem ersten Teil des Hauptsatzes
seine Tbemengnippe. Der zweite Teil bringt eine Durcb-
fubrung fiber die Motive des Haupttbemas und in ibr den
Versucb, zu reiner, groBer Freude durcbzudringen. Den
Fehlschlag bezeicbnen Paukensoli. Dann setzt die Wieder-
boiung des ersten Teils ein und verlfiuft bis auf einige
unwesentliche Anderungen und Erweiterungen in ge-
wohnter Weise.
Das Trio (Desdur) leitet Draeseke mit einigen Desdur-
Akkorden ein, die uns den Sarabandenrbythmus des
Grave ins Ged&cbtnis zuriickrufen, der aucb im weitren
nocb in andren Formen aus der Begleitung erklingt.
Dann stimmen die Klarinetten das Tbema an
Pin poohettitto pia lento. ^
.L''L''i 'C 'Qin I'Jit'ijj;'
GegensHtze stellt der Komponist dieser aus Schubertscbem
Geiste geborenen Melodie nicht zur Seite. Sie entwickelt
sicb &hnlicb breit wie das entsprecbende Tbema von
— ^ 730 ♦—
Schuberts groGer C dur-SinfoDie , wird wiederholt in die
6&sse gelegt and erf&hrt mit einfachen Mittein Verwan-
delungen, die ihren arspriinglich wehmlitigen Beiklang in
reine Frende kehren. Eine der gl&nzendsten Stellen dieser
Art, eine wahrhaft groGe Wendung treffen wir bei der
RQckkehr nach Desdur, wo die H6rner und Posannen
das Thema nehxnen. Mit einem stillen Cmoll wird aber
ans diesem Rausch gliicklieher Erinnerungen schneil in
die Resignation, in den Ton gebrochenen Seelenzustands
znrUckgelenkt nnd das Trio geschlossen. Den dritten
Teil des Scherzo bildet die wortliche Wiederholnng seines
Hauptsatzes.
Wir b£ltten in diesem Trio die Wiederkehr der schOnen
Melodie aus dem Andante des ersten Satzes natUrlich
gefnnden. Draeseke hat in vornehmer Zurtkckbaltung
davon abgesehen, allzn dentlich zn werden, und sich
diese Reminiszenz fur den Eingang des Finale (Allegro
con brio, o/s, CmoU) aufgespart. Aus diesem Grunde
glauben wir, da6 zwischen dem Scherzo und dem Schlufi-
satz die sonst Qbliche Pause auf das kurzeste MaG zu-
sammengedr&ngt werden muG. Das betreffende Thema,
das Thema des Ideals, tritt hier ins Finale unter dhnlichen
Verhaltnissen hinein, wie in die Einleitung der Sinfonie,
n&mlich als ein Sonnenblick, der dunkles Gewolk durch-
bricht. Dieses 6ew51k ist beim Beginn des Satzes noch im
BegrifTsich zu sammeln: es zieht in nnruhigen Motiven und
G&ngen herauf und in Dissonanzen, die einen beklomme-
nen und ratlosen Seelenzustand ausdriicken. Unheimlich
polternd set- AUegro con brlo^
zen die Basse "l' || | Q' j^F [? r£) I T =
mit der Figur p
ein, die durchs ganze Finale hindurch die Rolle des
Sturmkiinders durchfiihrt. Im ganzen ist dieses Finale
der Sinfonia tragica eine der furs VerstlLndnis schwie-
rigsten Instrumentalkompositionen, die es gibt. Die
Schwierigkeiten liegen einmal in dem Aufbau, der keinem
der gewohnten Modelle, etwa dem der Sonate oder dem
des Rondo folgt, sondern seine Oberfracht von Themen
-^ 731 ♦—
ohne Rucksicht auf Obersichtlichkeit so ausladet, wie es
die leider verschwiegnen dichterischen Absichten mit sich
brachten. Zum andern liegen sie ia dem eigentfimlichen
Stil Draesekes, der dem Hanptgedanken in der Kegel
wenigstens einen NebengedaDken, meistens aber mehrere,
beizufQgen pflegt. Was der Komponist mit seinem SchluO-
satz will, ergibt sich aus dem Yorhergehenden. Er zeigte
nns im ersten Satz eine kr&ftige Natur, der ein schwie-
riges Leben zugefallen ist, im Grave den Schlag, der ihre
sch5nsten Hoflnungen vernichtete, im Scherzo das einst
kUhne und frische Wesen ged§,mpft. Nun kommt das
Ende, — ein schwerer Lebensabend und der Tod mit
seiner Ruhe. Diesen letzten Teil seiner dichterischen
Aufgabe, seines in dem Titel der Sinfonie angedeuteten
Programms, hat Draeseke im wesen tlichen als einen
Kampf zwischen den lebenswilligen und lebensmiiden
Seelenkr&ften dargestellt. Die musikalischen Hauptver-
treter dieser beiden Parteien sind das weit gegliederte
Thema der Miihsal und Rastlosigkeit, das am Schlufi der
Vorrede, in dem Augenblick einsetzt, wo die Melodie des
Ideals (aus dem Andante des ersten Satzes) verschwindet.
Es besteht aus zwei Teilen. Den ersten, der schauerlich
vom Bafiklang signalisiert wird
Allegro coQ brio.
Vloll
hat der Komponist nachtr&glich fur eine im Gespen-
sterton gebaltne Fortsetzung des Scherzos erkl&rt*).
Die Bslsse treten mit unheimlichem Achtelmotiv da-
zwischen. Dann fahren die Geigen emsig und doch
miide fort:
*) Leipziger Tageblatt vom 19. Dezember 1907.
732
fi""'jiii"r^f ^I'fT? irTj'iiirTi 'ill
pp
M^r^p I i|JjAj ill i||ij^i J ^^
Wieder treibt das Achtelmotiv der Bftsse an, dann kommt
der oben in Q gebrachte Abschnitt noch einmal in CmoU
und damit schlieBt das ganze Thema. Seine Natur ist
Hasten und Eilen, Ringen und Sorgen; es entrollt ein
Stack Lemurenleben, ein MOhen und Plagen roit bestem
Willen, aber Unsegen dariiber. Manchmal klingts daraus
wie au8 Blirgers Leonore oder wie in der Sinfonie fan-
tastique. Der Ddmon reitet immer nebenher, wir h5ren
ibn aus den Solostellen der Kontrab&sse, wir h5ren ihn
aus der Pauke, die das ganze Tberoa mit leisem Grollen
begleitet. Nebenbel bemerkt — wird sich keine zweite
Orchesterkomposition finden lassen, in der der Pauker
80 viel zn tun bat wie in diesem Finale, iiber dem von
A bis Z ein Gewitter steht.
Das zweite Hauptthema des Scblufisatzes, aus dem
die Stimme der Todessehnsucht, der Bitte urn Ruhe, der
Hoffnung auf Frieden spricht, wartet, bis das ersle oben
angefiihrte Thema nacb einem Abschnitt, wo die Harmo-
nien unter einer liegenden Stimme sich aufrflhrerisch
b&umen, wiederholt und zu einem lauten, empSrten Ende
— wiederum liegende Stimme f, darunter wilde Disso-
nanzbildung — gefUhrt worden ist. Dann tritt es in
Esdur ein und trdstet in Zungen, die wie bekannt an-
muten :
fi'l U7T llTTTiII l|iri?JNMI I I
Hiermit ist der ZuhOrer von der Hauptsache des Finale
unterrichtet. Die weitem Gedanken, die der Komponist
733
aufstellt, k5nnen als Nebenthemen betrachtet werden.
Die mil dem Ende des Esdurthemas schliefieade Abtei-,
lung dee Finale entspricht der Themengrnppe des Sona-
iensatzes; DurchMhrung and Reprise kann Draeseke nicbt
braiicheQ. Denn er entwickelt kein Stimmungsbild, son-
dern er gibt eine Erzfthlung in T5nen. Einzig das erin-
nert an den Branch der Durchftlhrang, dafi er das ersie
Hauptthema — es mag der KQrze halber und mit der
Bitte, nicht mifizuverstehen, das Lemnrenthema genannt
werden — auch weiter verwendet nnd zwar sowohl als
Hanptgegenstand des Tongem&ldes, als auch als Staffage.
Nachdem das Esdar-Thema verklangen ist, setzt
das Hauptthema Buse.
regsam ein, jetzt
der Form:
m
Spdttisch antwor-
ten die H5rner :
Aber mit einem
energischen Ruck
lafiFt sich der Held der Tondichtung zu alter Energie und
Kraft' auf, in einer Grdfie, vor der man sich ffircbten
kann, und zwingt dem Thema einen heiteren Charakter
ab, der musikalisch am deutlichsten auf Grund folgender
Umbildung zum Ausdruck kommt:
Die Szene bleibt dem Scherz zwar nicbt unbestritten ;
verminderte Septimenakkorde, harte und trflbe Klftnge
drangen sich dazwischen. Aber in der Hauptsache scheint
es doch, als wolle sich dieses Leben noch zum guten
wenden: Es erfolgt eine Wiederholung der ganzen Gruppe
des ersten Hauptthemas, aber jetzt nicht im Lemurenton,
sondem im stolzen Klang f und ff, wie die Aufierung
eines Riesen, der nicht zu vemichten ist. Diese Wieder-
holung endet mit einem neuen Thema, dem ersten be-
deutenderen Neben thema des Satzes:
f I I v\v
-^ 734 <^>-
das vielleicht mil Absicht an Schumanns C dur-Sinfonie
erinnert. Aus ihm Ji5ren wir, daC es mit der Kraft, die
sich eben noch geHuGert hat, doch«nicht so sicber
steht, denn es hat einen klagenden Beiton und bringt
uns das tragische Geschick, zii dem hier ein edler
Mensch verurteilt ist, wieder ins Bewufitsein. Draeseke
fiihrt es sehr kunstvoll, in rhythmischen Verschiebangen,
Nacbahmungen , Verkurznngen und andren Forroen,
die vielleicht etwas zu gelehrt sind, durch und lafit es
Ten Wen- ^\^S^Q2fJ^{}i]^ J bJH^ enden.
dungen: w "
Das letzte, ganz beil§.ufig gefundne melodiscbe Motiv
macht er sofort, seinen Charakter ins Heitre zwingend
zum Trager eines zweiten Nebenthemas
I j g I J jn;3 1 n j i ji ^ a \
j JTI' I J j^ I jTl J I "^fr^ das die dritte Abtei-
-^ ^ ^ -J-- lung des Finales vor-
wiegend beherrscht. Es wird in ihr in anderer Form der
Yersuch wieder aufgenommen, des Lebens H&rte und
Tragik mit Scherz und Anmut zu besiegen oder doch
zu vergessen. Ganz wohl wirds dem Zuh5rer nicht
dabei, denn die damonischen Rhythmen des ersten
Hauptthemas wuhlen in den begleitenden Instrumenten
immer weiter. Zuweilen nehmen sie allerdings den
scberzenden Charakter wieder an, den wir aus der
zweiten Abteilung des Satzes schon kennen, und schlieB-
lich will es zu einem groCen Freudenaufschwung kom-
men, den ei- ,«^ ^^ gr^
ne durch ge-^jhjtg f f ' S f ' ^ _ P n
fQhrte The-I6gll=^ ■* I ' ^^ ^ V M r^ ^ M P% »
mawendung
markiert. Aber kaum angestimmt, wird er unterbrochen.
Ahnlich wie wir es im Scherzo erleben, setzt von B&ssen
und Pauke aus ein verminderter Septimenakkord ein
ifis-a-e-es), an den sich bald ein farchtbares Reiben der
— fr 735 ^>—
Stimmen iiber einen Orgelpunkt (auf fis) anschlieDt. Da-
mit ist das tragische Schicksal entschieden. Weinend
und zerbrochen sucht sich wiederholt das (friihere) Es dur-
Thema, das Thema der Sehnsucht nach Frieden und
Ruhe, durch die Massen zu zwingen. Vergeblich. Es geht
entschieden za Ende. Und da kommt nun die vielleicht
ergreifendste Stelle der ganzen Sinfonie: Angesichts des
Todes wirft der Held einen Ruckblick auf sein unglQck-
liches Leben : alle Themen aus den vorhergegangenen drei
Satzen der Sinfonie ziehen auf, ziehen wiederholt vor-
Uber, am meisten bevorzugt die Themen des Grave, die
mit dem Hauptereignis in diesem Schicksal verkniipft
waren. Ein langer Orgelpunkt auf g^ eine grausame
Stelle im Klang und im Sinn, bezeichnet wohl die letzte
Not. Dann setzt die Einleitung der Sinfonie nochmals
ein, wie um zu sagen : die schlimmen Ahnungen haben
sich erfQlIt. Als dann aber die Melodie des Ideals (An-
dante) eintritt, bleibt Draeseke in ihrem Ton und gibt mit
einigen weichen, sph&risch verklingenden Takten der
Sinfonie ein Ende in Verkl&rung, slhnlich wie das neuer-
dings auch Brahms und Tschaikowsky getan haben.
GroOrer Popularit&t erfreut sich die Sinfonie (Fdur) h. tiotx,
von Hermann G6tz, dem Komponisten der »Z&hmung Sinfonie Fdur.
der Widerspenstigenc Sie verdankt diese ihrem zweiten
Satze, »Intermezzoc, einem der reizendsten Genrebilder
der modernen Musik. Die Nummer wirkt ebenso durch
ihren frdhlichen, popularen und doch noblen Inhalt, wie
durch die originelle Anlage. Das Horn begin nt mit:
»)AUejretto. , *r~V-^
p i,:\^ nu i.}ii\ ui n\rij^ \Uf9^\ np
Die Holzbl£lser antwor- b) ±1 "---^ welches
ten ebenso naiv mit^^jg^Ei^^rg^g^^^ die Vin-
einem munteren Thema ^ ' ~"^ linen
aufnehmen und weiterfQhren. Nach einer lustigen Ka-
denz der Flote setzt der Seitensatz in ged&mpfterer
Stimmung ein:
736
t^l^?TiJi
Celli, zweite Violinen uDd Fagoite legen eine sentimental
sinnende Melodie darunter.
Der Gedanke und seine DurchfUhrung erinnem eine
Weile an das Scherzo der Schumannschen Cdnr-Sin-
fonie, bis die Trompete mit dem Horntbema d§s Ein-
gangs den eignen Phantasiekreis des Komponisten wieder
feststellt. Das kindlich heitere Treiben gelangt in einer,
die Stelie des Trio vertretenden Episode tlber folgendes
Tbema:
d)
Un poeo meno moto.
anf einen AugenblickzurRuhe.
J 0 ^LH^ SI ' iS^ ^^^ diesem Mittelpnnkte aus
^ ^ "' bewegt sich dann der Satz in
freien, vorwiegend durch nibigere Gegenmelodien verftnder-
ten Wiederholungen der ersten Gruppen dem Ende zn. Das
Adagio (Fmoll, ^/i) steht mit dem Intermezzo in n&berer
Verbindung. Das Thema d des letzteren bildet den Mittel-
satz. Haupt- . Adajio. -v
auf deren Grund der erste und dritte Teil des Satzes
in einfacber Sprache eine Reihe von Betrachtungen
ausf&hren. Ihr tief schwermQtiger Ton macht erst
in der Coda (in Fdur) einer hofTnungSYolleren Stim-
mung Platz.
Von den beiden Ecks&tzen der Sinfonie ist der
erste der bervorragendere. Sein Hauptthema ist durcb-
aus romantiscb, in seiner Stimmung zwiscben sinnig
bebaglichem GenieOen, jugendlich stiirmischem Ober-
schwang und leicbten Anwandlungen von Melancholie
geteilt:
737
AUcgro rooderato. a fc-k^'nfift m.
fiffrVff
Das zwei-
te, freundlich
schw&nneDd: ^ riut* o^.
weist auf die Meistersinger R. Wagners, der voq jetzt ab
fQr die Sinfonie aller L&nder uDgeheuer wichtig wird,
bin. Ober der Verbindung der beiden Ideen liegt gleicb-
m&Big der Ton liebenswUrdiger Anmut; doch. bricht an
einigen Stellen auch der Jubel kr&ftig durch.
Besonders hervorzubeben ist der Scblufi der Durch*
fQbrang, an dem ans zarten Tr&umen sich die Pbantasie
Qberraschend energisch znm Hauptthema zurQckwendet.
Der SchluBsatz der Sinfonie erstrebt kr&ftigen und
feurigen Ausdruck. Hierzu dient die rauscbende Violin^
fignr, welche das Hauptthema er5ffnet:
Allerro eon fuoco
und das resolute The-
^= ma des Seitensatzes:
(0 J |J J rl'iliNrif^^J Ul^ P^fliJifiriTl LI
Der Gegenpart ist durch eine Melodic vertreten,
welche nur durch kunst-
voUe Scbldsse zu einem st&r-
keren Gebalt erhoben wird:
Lange erwartet, trat zu der Zeit, wo die G5tzsche
Arbeit erschien, am Ende des Jahres 1876, endlich auch
Johannes Brahms in die Reihe der Sinfaniker ein.
KretzBchinar, Ffthrer. I, 1.
47
— fr 738 ♦^
Aus den Rreisen der Romantiker hervorgegangen,
vertritt Brahms das bleibende Prinzip der romantisctien
Richtung: das Prinzip der gemischten Stimmungen and
der raschen Bewegnng des Empfindnngslebens. Aber
alle die friiheren Vertreter der musikalischen Romantik
tlbertrifFt Brahms durch seine, in wunderbar zielbewuBter
und energischer Entwickelung erworbene Vielseitigkeit
und durch die Objektivitfit, die Strenge und Mannig-
faltigkeit des Stils. Brahms ist unter alien Sinfonikem
des 19. Jahrhunderts der bedeutendste Beethovianer,
soweit es sich urn Form und Stil handelt. Kein zweiter
hat so wie Brahms Beethoven in der Logik und Okonomie
des Satzbaues, in der durchweg gediegenen Entwickelung
des thematischen und motivischen Materials, in dem Ver-
zicht auf das Konventionelle erreicht. Er ist der GroB-
meister der sinfonischen Arbeit! Seine Werke, natur-
gemS.6 die Sinfonien voran, sind deshalb auch nicht
durchweg leicht zu geniefien. Schwer ist vor allem seine
erste Sinfonie.
j.Brfthmi, Diese erste Sinfonie (Cmoll) war, gerade so wie bei
Sinfonie Nr. 1 Beethoven, die Frucht langer Arbeit Sie soil nach Kal-
(CmoU). beck*) Vorgftngerinnen gehabt haben und im ersten Ent-
wurf bis auf das Jahr 1856 zurQckgehen. Sicher ist, dafi
Frau Schumann und Albert Dietrich 1862 den ersten Satz
kennen lernten **), aber die AusfUhrung des ganzen Werkes
l&Bt noch fast fQnfzehn Jahre auf sich warten. Es nfihert
sich im Charakter und im Gauge der Ideen der Beet-
hovenschen Ftinften. Auch die Cmoll -Sinfonie von
Brahms fiihrt von Kslmpfen und schweren Stunden zur
KlSlrung und zur freudevollen Freiheit der Seele.
Der erste Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung
(Un poco sostenuto, Cmoll, ^/g\ welche das Bild des folgen-
den groOen Allegro in kurzen Strichen vorauszeichnet. Sie
braust leidenschaftlich auf — schopft Atem und hofft
*) Max Kalbeck: Johannes Brahms III, 1910.
**) Briefe von und an Joseph Joachim, 1912 (II, 22). Albert
Dietrich: Job. Brahms (189B), S. 42.
— » 739 ^)^
wie dieses — auch die thematischen Motive des Allegro
klingen la ihr schon an. Unter ihnen ist das chromatische
Thema, mit welchem die Violine sich unter den dr5hnen-
den Strichen der Kontrab&sse in die H5he qualen:
Un poco sostenuto. -"""JCt"^^^**^
fg^'^-Br^T'f^r Pf't^l''^^^'^^ di.« entscheidende.
Es steht nicht bloO an der Spitze der Sinfonie, son-
dern es trilgt als eine verbesserte Art >id^e fixec fast
ihren gesamten Grundrifi. Anch seiner zweiten und dritten
Sinfonie hat Brahms solche kurze Generalmotive zu
Grande gelegt, an ihnen eine nnvergleichliche Meister-
schaft in der Variationskunst erprobt and damit der Sin-
fonik ein neaes Mittel fiir Einheitlichkeit und Zusammen-
hang der Form gewonnen. Das hier angefuhrte chroma-
tische Generalmotiv bietet ftir den gr5Bten Teil der ersten
Sinfonie den technischen und geistigen Stutzpunkt. Noch
in ihren zweiten und dritten Satz ragt es leibhaflig hinein;
der erste Satz aber ist Allecro bildet es hier
voUstandig auf ihm ^ ^^^ ^ r'-TV- Br- 1 /*' ^^^'^ ^^^ Ober-
fundiert. In der Form : ' fr ^ ** " ■» I J T » i , stimme , bald
den Ba6, fungiert in seinem kontrapunktischen Gewebe
als heimlicber Cantus firmus und wirkt als treuer, leiten-
der Geist in guten wie in bosen Stunden. Es gibt die
Alarmsignale und ruft beschwichtigend den Sturm der
Leidenschaft zur Ruhe. Das erste Thema des Allegro
^^^j,Tpirn^ir ^•|r|||i|i|^ i|iri ti i
ist ihm gegeniiber nur ein sekund&res
■ I I .M kontrapunktisches Kunstprodukt, hat aber
I ^^ ' die d&monischen Szenen des Satzes,
ffltt
welche mit grofier Energie, Kraft und Schfirfe, aber ver-
haltnismftOig knapp dargestellt sind, zu tragen. Ein-
dringlicher, fiir den Gesamteindruck des Allegro bedeu-
tender, wirken die Partien, in welchen der verzweifelte
Ton der Kampfesstimmung leiser wird und den milderen
47*
«^ 740 ^>-
Regungen Platz macht. Wunderbar schon ist nament-
lich der Dbergang zum zweiten Thema: der allmahliche
Eintritt der ruhigeren Bewegung, das Hervortretea klagen-
der Motive, der sehnsuchtsvolle Tod, in welchem das er-
w&hnte chromatische Thama an die Spitze der bittenden
Stimmen tritt Dieser Partie ist der Stempel der Natur-
wahrbeit anfgedruckt. Das zweite Thema, dessen erste
Periode zur Orien- _ ^
tierung Uber das
Ganze dienen mag
stammt seelisch and technisch ebenfalls von dem chro-
matiscben Hauptmotiv der Sinfonie; unwillktirlich erinnert
es aber auch an R. Schumanns Manfred -Ouverture nnd
ist eine Hauptsttttze fQr die Ansicht Kalbecks, dafi Brahms
sich mit seiner CmoU-Sinfonie aus einer peinlichen Man-
fredischen Situation befreit habe. Ein reizender Dialog,
von Horn nnd Klarinette fast nur in den einfachsten
Naturlauten gefuhrt, fligt sich dem zweiten
Thema an; leider ist er nur von kurzer ^ i\ F , ^J^
Dauer. Mit einem unwirschen Rhythmus: ^
aus welchem sich das V > _*|f herausbildet, rufen
fQr die Entwickelung des 4 ^^ L f^^ die Bratschen den
Satzes wichtige Motiv^ ^ Chor der Instru-
mente zur Kampflust und in die leidenschaftliche Aktion
zurQck. Brahms beschlieOt sie mit einem Anhang, der,
lediglich aus einem Zweiachtelrhythmus entwickelt, einen
Zustand fassungsloser, atemloser Aufregung veranschau-
licht. In der Durchftlhrung treten die beiden groOen Piano-
Stellen besonders bervor: In der pl5tzlichen TotenstiUe,
welche sie verbreiten, in dem leisen, halb verborgenen
Walten emster Gedanken, haben sie etwas Ubersinnliches.
Der ersten folgt eine Szene von Kraft und Fr5mmigkeit
Die alten Motive des Trotzes Vj^^T^ w^ ^-^ .^^
schlieOen sich wie zum J t^y f i f i | T f* | T'f [tr
Choralgesang zusammen:
Die zweite lenkt in eine Periode fiber, welche den auf-
geregten Ton der Einleitung verstarkt und gesteigert
wieder anschl> und mit dem erschreckendsten Aus-
741
dnick innerer Empdrang in die Reprise tkberleitet. Es
ist diese Periode einer der gewaltigsten Versuche im
pathetischen Stil und zugleich ein Meisterstack in der
Kunst, Obergftnge zu machen. Die Krone bildet der
lange Orgelpunkt auf g m\i der pl5tzlichen Ausweichung
am Schlufi. Die Reprise nimmt den gewOhnlichen Ver-
hiuf. Als sie aber am Schlusse der ersten Themengruppe
die dftmonischen Mftchte des Satzes auf einen neuen,
hdheren und unerh5rten Punkt geftibrt hat, bricht die
Musik wie in natQrlicher Erschdpfnng ab. Das chroma-
tische Thema wird zu r&hrenden Klagemelodien er-
weitert, und wehmutsvoll elegisch klingt der Satz im
Sostenuto aus.
Der zweite Satz, der wie der entsprechende des
Beethovenschen C moll-Konzerts nach Edar r&ckt (An-
dante sostenuto, E dur, s/4), steht nbch unter dem beklem-
menden EiniluG des ersten. Soweit er auch dem voraus-
gehenden Allegro in der Tonart und in seinen Trost und
Frieden suchenden Absichten ausweicht — einige von
dessen furchtbaren Elementen erreichen ihn doch. Sie
&u6ern sich in den heftigen Crescendos, in den schroffen
Modulationen einzelner Themen ; ja der erste Satz schickt
in das erste Thema unsers Andante
/VAdanU ftOftUnvto
den chromatischen D&-
mon in den SchluO der
zweiten Themengruppe
dasschmerz- j: i»^^ r , T"^
lich wieder- A A^ y \^itii^i fcj iJg hinein.
holle: *^ p ^-^ l-L-J V
In einzelnen Partien klingt der Ton kindlicher Zu-
versicht aufierordentlich rQhrend durch, so im Nach-
satz des er- p , ^^ ri f* ^ r' 1 ^ ' "^^^ freundlicher be-
sten Themas: ■ J i T ^ I '"i£rM lebt in dem Sechzehn-
742
telspiel, welches Oboe und Klarinette als zweites Thema
bringen. Oer SchluO des Andante, wo Horn und die Solo-
violine mit dem zuletzt zitierten trdstlichen Thema kon-
zertieren, wirkt wie eine wahre Musica sacra.
Der dritte Satz der Sinfonie (Un poco Allegretto,
Asdur, ^4} liegt von dem Charakter des an dieser Stelle
gebr&uch lichen Scherzo weit ab. Es ist im strengen Zu-
sammenhang mit dem Geist des ersten Satzes gedacht:
seine Heiterkeit infolgedessen eine ged&mpfte, wie in
einer frohlichen Stunde, die als die erste auf eine Reihe
trauriger Tage folgt. In seinem zweiten Thema namentlich
AUeg^retto.
m
ist die Betriibnis merkbar, und in die
Fortestelle mischt sich ein Akzent des
Schmerzes. Der Grundton des Satzes
ist kindlich herzlich. So &uOert ihn das Hauptthema, das
im Anfang mit den langen Noten auf Bedenken hinweist,
namentHch in der zweiten HSllfte:
CUr.
•to.
noch niehr das Trio: ein grazidses Wechselspiel zwischen
Holzblasern und Geigen iiber das Thema:
BISMr
€«■ arm
^i,';";^',™^!^
In dem zarten G15ckchenton der - Blftser liegt yiel
Naturklang und dasselbe ursprtingliche Instrumentations-
talent, das sich im zweiten Thema des Andante, in dem
Dialog der Holzbl&ser bemerkbar machte und das sich
bei Brahms h&ulig in Bildungen von groOter Einfachheit
^uBert. Der SchluO des Satzes, still und halb unerwartet,
-^ 743 <^
steht mil dem dezenten Charakter der Kom position im
voUen Einklang. Bedeutungsvoll, Vorbote neuer Sttlrme,
blickt aber in ihn das chromatische Leitmotiv der Sin-
fonie hinein.
Das Finale (Adagio, Cmoll — Andante — Allegro,
C dur, (^), die aus echter Inspiration geborne Krone der
Sinfonie und ein Gipfelpunkt modern er Tonkunst Qber-
haupt, beginnt mit einem RQckfall in die leidenschaftlich
trtlbe Stimmung des ersten Satzes der Sinfonie. Schwer-
mtltig und im Innersten an das fatale Cbroma gekettet,
setzt das einleitende Adagio ein:
Die Violinen snchen energisch nnd desperat in einem
dnrch das pizzicato und stringendo sebr scharf charak-
terisierten Satz, welcher auch an den kritischen Punk-
ten des Allegro wiederkehrt, von dem melancholi-
schen Wege abzulenken. Vergeblich! Die Phantasie irrt
aufgeregt im dunklen Kreise;
fiber das an die Einleitung des
ersten Satzes ankntkpfende Motiv ^ 'erefr
ger&t das Orchester in eine belle Erop5rung, die sich zum
Teil rezitativiscb und in neuen Zungen ^uOert. Die Pauke
wirbelt furchterlich. Da erscheint wie ein friedlicher
Himmelsbote das Horn mit folgender, ebenso von Schu-
berts Geist, wie von der Erinnerung ans Alphorn berfihr-
ter Melodie:
Pi4 Andante.
^>^r^'i . ifTi " ir'ri*' L„ \rr\i' ■ i
Wir sind im Andante, dem zweiten Teile der Einleitung.
Die Stimmung s&nftigt sich, erhebt sich und bereitet den
krftftig freudigen Hymnus vor, mit welchem der Haupt-
satz des Fina- Allegro non troppo.
Die lange, volkstumliche und absichtlich an Beethovens
744
J. Bmluns,
Sinfonie Nr. 2
(D dur).
Freudenhymne der Neunten erinnerade Melodie, welche
sich aus dieser ersten Periode gestaltet, hildet den Haupt-
tr&ger der Darstellung im Satze. Unter den anderen Ge-
danken, welche ihr zur Seite treten, ist der wichtigste
der schwankende:
iff ■rCf.rCf.'-l^ riff'' rf'^'ff fi
L^rv --^ Zu vorubergehender Be-
T prpfr^.Tj)! I. Jl^j ^^mg deutung kommen noch die
'M K[ -^TL^fljJ PJ^m energisch heiteren Motive :
das inni-
if I T; 1 1 1 'LLUlj
UAf If r -n ge Thema:
und das melancholische:
Oboe'
^Ti^i iTi I 1 1
Der Satz baut aus diesem Material ein grofiartiges,
dramatisch schwungvolles Bild einer Siegesstimmung,
welche fiber alle Hindernisse hinwegschreitend bis zum
dithyrambischen Jubel anw&chst. In seinen heitern und
seinen emsten Momenten wirkt dieses Finale gleicher
Weise anschaulich, lebendig und so mftchtig, wie es seit
Beethoven, vielleicht mit Ausnahme Schuberts, keinem
Sinfoniker gelungen ist. Die gewaltigsten und ergreifend-
sten Stellen des Allegro sind wohl die, wo die Pizzicato-
Partie und die Hornmelodie des Andante wiederkehrt.
Mit seiner zweiten Sinfonie (D dur, verSffentlicht
Ende 1877} lieB Brahms dem pathetischen Bild des Lebens-
kampfes, das die erste entrollt, den Kontrast edlen Le-
bensgenusses folgen. Er spricht hier so vomehmlich als
warmherziger und feiner Naturfreund, dafi man diese
zweite Sinfonie als seine Pastoralsinfonie bezeichnen
-^ 745 ^>>-
kann. Ihren Schauplatz legen die biographischen Quellen
teils an den W5rther See/ teils nach Baden-Baden. Doch
sibd ihre Pastoralmotive und ihre anakreontische Ideen
mil geisterhaften Klftngen anfierordentlich romantisch
zasammengedrftngt In der musikalischen Faktur steht
sie im ersten Satz etwas hinter der ersten Sinfonie zu-
rtkck, ist beqnemer entworfen und ]&6t mehrmals die
Punkte erkennen, wo durch Zus&tze und EiDSchiebungen
nachgeholfen worden ist Andrerseits ist sie wieder reich
an formellen Glanzpunkten, und ihrGrnndton einer vor-
nehmen, znweilen tr&umerisch und ostreichisch gefftrbten
Heiterkeit schl> jede Kritik nieder. Ahnlich werden die
schweren und schwermutigen Teile ihres Adagio durch
die seelische Anmut und den friedvollen Sinn, der sie
beherrscht, erieichtert.
Der erste Satz dieser Sinfonie (Allegro non troppo,
Ddur, s/4) gleicht einer freundlichen Landschaft, in wel-
che die untergehende Sonne erhabene und emste Lichter
hineinwirft. An selbstftndigen musikalischen Ideen tiber-
steigt er den Bedarf des Schemas bei weitem, und ein-
zelne dieser zahlreichen Seitengedanken fesseln die Er-
innerung mit voller Starke an sich. Das Hauptthema
des Satzes . besteht aus einem liebenswiirdig traulichen,
gemUtvollen Dialog zwischen Horn und Holzblasern:
^egro noB troppo. . . HoUbi. , ,
Coatrab. ^ ■
der die Kenner des Meisters an die Serenaden seiner
Jugendzeit erinnert. Wenn der holde Gesang zuerst ein-
setzt, schenkt ihm der Zuh5rer kaum vor dem zweiten
Takte Aufmerksamkeit, die drei einleitenden Noten des
Kontrabasses erscheinen ihm bedeutungslos. Sie sind
aber nicht blofi fQr den ersten Satz wichtig, sondern sie
spielen in der zweiten Sinfonie eine &hnliche RoUe wie
in der ersten das chromatische Motiv: e cis d, sie sind
das in meisterhafter Variation durch alle S&tze gefuhrte
Generalmotiv der zweiten Sinfonie. Zunftchst entwickeln
746
aus ihnen die Violinen nach langem Schweigen das Nach-
spiel, das die Bl&serszene endet. Diese ist als die Ein-
leitung, als der Prolog des Satzes gedacht und hat des-
halb eiDen scharf mark ier ten SchluB erhalten. Am be-
deutendsten treten aus ihm die iiefen, dompfen Eins&tze
der Posaunen bervor, bier wie in der weitren Folge vom
Dreinoteamotiv gekreuzt und umschmeicbelt Im ver-
l&ngerten Rhytbmus, in drei halben: a gia a (Oboen),
bildet es das letzte Wort des Vorspiels mit einer Wirkung,
als sei gebetet worden.
Der Satz fUngt nun gewissermafien vom friscben an:
die Vio- ^ — .^^ i^^^TTT*^ ^^ ^^® Spitze,
linen tre-:
ten mit
P viol.
bald bringen
^^^die Oboen ein
neckiscbes ^ri I J , |] J) Auch diese beiden The-
Zwiscben- jfi J l'JLj''g^g g 1.*^ ^^^ ^^^^ ^^^ ^^^ Motto
sd.tzchen: ^ LU T l^f ^t^ der Kontrab&sse abge-
leitet. Eine Acbtelfigur ^ a a (dem zweiten Takt des
Haupttbemas entnommen) will eben den scherzenden
Ton steigem, da weist der Komponist die T3.ndelei ener-
giscb rubig ab und schreitet mit dem Mendelssobnisch
anklingenden zweiten Tbema
Cell!
zur inuren Sammlung.
Bald aber gS.brt es wieder in der Brust des Tondicbters,
es kommt zu der fiir Brahms kennzeicbnenden Miscbung
von gradem und ungradem Rhythmus, aus demFrieden und
den Scblummergedanken wendet er sich zu streitbarer
Kraft und drohender Energie mit den auf den Oktavsprung
des Horns (im Hauptthema) gestiitzten neuen Tbemen:
und
— fr 747 ^>-
Brahms holt sich aber aus dem scheinbar nnr idyllischen
Hauptthema noch weitre Stutzen fCir die krftfligen Gftnge,
in die er jetzt eingelenkt hat. Das Terzenmotiv des Horns
kommt in langen nnd wuchtigen Viertelketten der Bftsse,
die Violinen umflattern esmit kleinen Sechzehntelg&ngen.
Dann wird aus dem SchluB der Hornmelodie der Gang
f%8 e d selbstftndig in Sequenzen verarbeitet, die auOer-
ordentlich rQstig klingen und diesen Eindrack darch
Nachahmnngen zwischen Bfissen und Violinen verdoppeln.
Die Stelle ist unter den Bildern gesunder Kraft, an denen
die Sinfonie reich ist eins der machtigsten. Doch schliefit
Brahms die Themengruppe nicht mit ihr, sondern kehrt
iiberraschend zum zweiten Thema znrttck. Mit neuen
Ornamenten, Fldtentrillern Uber a gia a dentet es gleich
vom Einsatz ab auf das Hauptthen\a bin nnd leitet bald
za ihm zartkck.
Die Dnrchfiihrung beginnt sehr frenndlich mit dem
Hauptthema in Fdur, also in die F&rbung der Feme
gewendet. Vom zweiten Einsatz ab treten erregte Bil-
dungen fkber den dritten Takt der Hornmelodie in den
Vordergrund, der Charakter der thematischen Ableitungen
wird zusebends streitbarer, Streicher und Bl&ser stellen
sich gegeneinander, in den Posaunen kommt das Drei-
notenmotiv in unheimlichen EugfUhrungen, in den Har-
monien wtihlt es, im Rhythmus wechselt Rube und Be-
stUrzung fieberhaft, dicht aneinander stellen die Geigen
in den hohen Saiten eine Achtel- und eine Viertelform
des Dreinotenmotivs. Da kommt endlich die Stimmungs-
krisis mit einem leidenschaftlichen Aufschrei sUmtlicher
Bl&ser auf dem immer, bald langsam, bald schnell wieder-
holten k d (dem Einsatzmotiv der Hornmelodie) zur L5-
sung. Ihr folgen Augenblicke der Resignation, das muntre
Thema, das am Schlusse der Einleitung die Violinen
einsetzten, kommt mehrmals in Moll, dann entfacht sich
Qber einem Orgelpunkt (auf A) der Sturm der Gefiihle
vom neuen, die empdrten Leidenschaften nehmen wilde
Formen an. Da zwingt Brahms mit gewaltiger Willens-
macht und mit einem einzigen kurzen Griff die ent-
-<(^ 748 ^>-
fesselten Elemente ins naturliche Gehege mil energischen,
immer wiederholten Intonationen des Terzenmotivs za-
rtlck, aber jetzt nicht in Mollform, sondern mil fa* Mit der
Durtonart ist auch fester Boden gewonnen, und bald be-
ginnt der dritle Teil des Satzes, die Reprise. Er ist der
schdnste des ganzen Satzes geworden, dorch die Coda,
die ihm Bahms anfdgte. Das Hornsolo, das sie trftume-
risch z5gemd and suchend beginnt und dann mit rezita-
tivischer Freiheit und Macht in T5nen tiefster Klage,
edelster Resignation endet, .ist eine Erfindung von un-
mittelbarer Eingebung. Die Violinen bleiben noch eine
Weile mit w&rmstem Ausdruck in diesem Kreise, dann
aber repetieren sie mit den HoIzblSsern, immer in An-
lehnung an das Motto der Kontrab&sse, die einen den
andren einhelfend, pjzzicato die Streicher, staccato die
Bl&ser, nochmals in KQrze alles das Freundlichste und
Anmutigste, was ihnen auf der vorhergegangnen langen
Wanderung begegnet ist. Dieser SchluG, der den Ein-
druck des Satzes kront, geh5rt zu den schonsten Ton-
bildern, mit denen Brahms die Musik bereichert hat.
Der zweite Satz der Sinfonie (Adagio non troppo,
Hdur, 0) stellt mit seinem Anfang
^.^^ den im ersten ange]5st gebliebenen Rest
Trl ^/r'nlf pessimistischer Elemente gesteigert und
Y „g, verscharft in den Vordergrund. Die Me-
lodie ist in ihrem weiten freien Wurf auOerordentlich
8Ch5n, in dem Suchen nach einem Ausweg aus dem
TrUbsinn, in dem Kampf gegen Verwirrung und Fassungs-
losigkeit auOerordentlich charakteristisch. Ihren schwer-
mtitigen Bhcken begegnet endlich ein freundliches Bild,
welches die Phantasie in die Jugendzeit, in die glUcklicben
Tage von Spiel und anmutigem Tanz zurQckfiihren will:
•' j» Met ' -*=: ^=*- ==S^
749
Bin dritter Teil, gefOhrt von dem Thema:
irujn^^riT I
pvevf
das uns^den freundlichen Einsatz der HolzblSser im ersten
Satz in dtistrer, diabolischer Umbildung zeigt, steigert die
triibe Stimxnung bis zu einem leidenschaftlichen Grade,
und es kommt zu hochst erregten Ausbruchen des Pessi-
mismus, bis hereinklingende Grabest5ne (Posaunen) zur
Besonnenheit , zur Resignation und zum ersten Thema
zuriickrufen, das nun, nach den Mrilden und schrecklichen
Momenten der Durchfuhrung, trotz seines Ernstes und
seiner Scbwermut wie ein Balsam wirkt. In die Reprise
spielen kosende Triolen hinein, aber gleichwohl spricht
immer in kurzen Wendungen und miihsam unterdruckt
ein tiefer Schmerz mit. Das zweite Thema mit seinem
lieblichen 12/8 Takt kehrt nicht wieder.
Der dritte Satz der Sinfonie, der als Allegretto gra-
zioso bezeichnet ist, aber sich aus verscliiednen gegen-
satzlichen Tempis zusammensetzt, ist schnell der belieb-
teste, ist ihr da capo-Satz geworden. Er gehort genau
wie der Menuett in der D dur-Serenade von Brahms, wie
der Walzer in Volkmanns F dur-Serenade zu den besten
Nachbildungen alten Stils und trifft, namentlich im Haupt-
satz mit der sparlichen Blllserbesetzung, um die das Cello
drollig gravitatisch und gleichmaOig herumpendelt, den
naiven herzigen Ton der alten Suitenmusik schlagend,
ohne die Zeit seiner Entstehung ganz zu verleugnen. Das
Hauptthema des Satzes
An«;T«tto graxtos^
I . . -j — das mit einer Umkehrung des bekannten
^ J j I J qF= Dreinotenmotivs beginnt, endet mit roman-
tischen Ausweichungen , die an Franz Schubert erinnem.
Die schlicht anmutige Melodie ist mit einer gleichen
Einfachheit harmonisiert und instrumentiert. Der Seiten-
750
satz, im wesentlichen lediglich eine rhythmische Um-
bildung je-
nes Haupt-
themas :
Presto.
wird noch durch ein
sehr wuchtiges Ne-
benthema verstfirkt :
In ihm, wie in dem die Stelle des Trio vertrelenden
3/g Takte
Presto.
>■
B]8»er
r Viol
ist der Humor in die Form en der ungarischen Musik ge-
kleidet.
Das Finale der Sinfonie (Allegro con spirito, D dur, (^)
erinnert an die schillernden Farben der Chenibinischen
Roman tik, sein Geist ist der luslige, lebenspriihende der
Haydnschen Sinfonie. Im Stil dieses Meisters setzt auch
das phantastische flotte Hauptthema — an der Spitze das
Dreinotenmotiv —
Alleg^ro con spirito^
^-f r r ir f fT-ifrr^rrriTi
^friujWxm
im spannenden piano ein, dem
nach einem frappanten Uber-
gang das rauschende Forte
folgt. Das erste Seitenthema ist folgendes:
*
^
I
I
^
\
Die behagliche Wirkung des zweiten Themas:
act.
i^ii"JiJ'jjjiijjJiJjjjijJ,iJ!Tiii^i
rfjc
erhalt in einer Reihe von Seitengedanken,
^ f% l^rj patriarchalisch kraftig die einen, in losen Ach-
^ telfiguren tUndelnd die anderen, nachdruck-
--♦ 751 ^>-
liche Unterstiitzung. Die traulich schwarmerische Episode
derDurchfiih- risi*
das Thema: ^ioi.
entwickelt, soil dem »Waldweben und den Waldesschatten
in den Taunusgrunden* gelten*). Also eine weitere kon-
kurrierende Landschaft!
Auch dieses Thema filngt wieder mit dem General-
motiv der Sinfonie an.
Der Reprise folgt eine Coda, die mit dem zweiten
Thema in Moll tief unten in den Posaunen einsetzt. Es
dunkelt nochmals stark. Schnell wendet aber der Kom-
ponist die Motive ins Helle und schlieOt sturmisch freudig.
An Tiefe der Wirkung bleibt jedoch dieser SchluB hinter
der Coda des ersten Satzes zuriick.
Die dritte Sinfonie von Brahms (Fdur), welche bei J. BrikMi,
ihrer ersten Wiener Auffuhrung (2. Dezember 1883) von Sinfomd Nr. 8
Hans Richter nicht libel als die heroische Sinfonie des ^ "'*
Meisters begriifit wurde, zeichnet das Bild einer Kraftnatur,
die triibe Gedanken und sinnliche Lockungen gleich ent-
schieden abwehrt. In der Darstellung dieses Vorwurfs
verfahrt sie aber insofern ungewohnUch, als die Stelle der
Konflikte am Ende der Komposition liegt.
Im Stil unterscheidet sie sioh von ihren Vorgange-
rinnen durch Scharfe und ftuCerste Klarheit der Gliederung
und dadurch, daB sie sich von der Beethovenschen Methode
der Satzdisposition entfernt, indem sie den Schwerpunkt
der Komposition aus der Durchfiihrungspartie in die The-
mengruppe, aus der Ausarbeitung und kunstvoUen Weiter-
fiihrung in das Gebiet der ersten Erfindung zuriicklegt.
Den ersten Satz leitet ein kurzes Praludium von zwei
Takten ein, des- Allegro con brio. f^r diese dritte Sin-
sen knappes me- 4 ^ It J. I 1*^^- ^ ^= ^^^^^ innnerlich und
lodisches Motiv ff ■ y^^ '1 '^= ^uBerlich ahnlich
wichtig ist, wie es fur die C moll-Sinfonie das chromatische
*) Minna Spies: Hermine Spies, 1905 (S. 94).
752
Motto : e^eis-d, fUr die zweite Sinfonie das Motiv d eis d
war. Es durchzieht als das eigentliche Heldenmotiv in
teilweise slaOerst kuhnen und bedeutenden Verwand-
lungen samtliche Satze der Sinfonie, hier warnend und
trotzend, dort weekend und anfeuernd. Nicht umsonst
steht es so herausfordemd , so damonisch an der Spitze
des ersten Satzes, es beherrscht ihn, und unter seinen
224 Takten linden sich hochstens 60, in denen das Motto
nicht vorkommt. Allerdings erscheint es in den mannig-
fachsten Verwandlungen : als Stimme des Triumphes, des
Kampfes, des Spiels und Scherzes, der Ruhe und des
Friedens. Wie es den verschiedensten Zwecken des Aus-
drucks dient, 1^6t es sich ebenso viele Umgestaltungen
gefallen. Bald ist es Ober-, bald Mittel-, bald BaBstimme,
bald thematisch, bald nur ornamental verwendet.
Das Hauptthema des ersten Satzes, das kampfeslustig
bald aus Dur, bald aus Moll blitzt und im raschen Wechsel
von Ruhe und knapper Bewegung, in seinen groOen
Schritten und seinem langen Gang eine ungewohnliche
Energie vorspiegelt:
Allegro con brio. .
'^' ^ ^ it U t
ist im Grunde, genau so wie an der entsprechenden Stelle
der ersten Sinfonie, nur ein Kontrapunkt zu dem Grund-
und Generalmotiv der Sinfonie.
Das im unmittelbaren AnschluO folgende Seitenthema :
gehort zu jenen zahlreichen Episoden des Satzes, die mit
zarten Regungen die kr&ftigen herkulischen Elemente der
-^ 753 «^
Komposition einzuschlummern suchen. Aber vergeblich:
es folgen ihnen immer nur kiilinere Aufierungen des
starken Muts. Die verfuhrerischste in dieser Gruppe von
Dalilahgestalten ist das zweite Thema:
jf Civ. Jfy
■ ,,,.,,_ . das seinen Gegensatz zum Haupt-
E^j-JjtjJ I^^^'t*^^^^ thema noch durch Kolorit und
' " *= =-" Tonart sehr intei:essant, exotisch
dampft : A dur, Klarinettenton, eine fast verwirrende Rhyth-
mik und eine Begleitung wie in orientalischer Volksmusik.
Schon im Nachsatz verwandelt sich das Thema, aus e^fis
ffis wird cis his ctSf aus dem sinnlichen TrS,umen und
Schwelgen rafft sich die Stimmung zur Kraft und Ent-
schiedenheit auf, und es kommt nun zu einem kleinen Kampf
zwischen den harteren und den weichen Regungen, bei
der die ersteren am SchluC der Themengruppe siegen. An
ihn und an die kurzen, aus dem Motto entwickelten Ton-
gSnge — W'f I fl^ u. a. — die wie Schwertstreiche klingen,
kniipft die Durchfuhrung an und entwickelt aus ihnen in
KUrze mit kecken Modulationen ein Bild tiberschaum^nder
Jugendkraft. Ganz unversehens tritt da das zweite Thema
herein, aber es ist hier ganz anders gemeint als in der
Themengruppe: es kommt in Cellis und Bratschen tief unten,
es kommt in Moll grollend, grimmig abweisend, hoch erregt,
mit Zusfiltzen, die es verzerren und verhohnen, es wird
mit einem schlieClich komischen Eifer abgelehntund zuriick-
gewiesen. Sein Nachsatz dagegen, das cis his \ cis^ findet
eine gute Statt und beschwichtigt die Aufregung. Nachdem
es sich mit g fis \ g nach Dur gewendet hat, wird es auf
einmal ruhig und still, und das Horn kommt mit dem Motto
in der Gestalt gb \ g, auf jeder Note einen vollen Takt ver-
weilend, das Motiv zur Melodie erweiternd. Die Stelle
wirkt wie ein Mondaufgang nach Sturm und ist fiir die
besondere Kunst, die Bralims im Glatten der Wogen be-
sitzt, eine der bedeutendsten Proben. In dem gleichen
Ton geht es nun weiter, auch das Hauptthema kommt
KretzBchmar, Ffthrer. I, 1. 48
754
jetzt ganz in Sanftraut gehiillt und im Charakier des
Einschlummerns und Traumens. Die Musik will in eine
hohere Art von Notturno iibergehen. Da kommt aber das
Motto wieder : laut, von energischen Akzenten der Streicher
gehoben, setzt es in den Blasern ein wie ein »Halt, zu friih!«
Mit dieser Wendung ist die Durchfuhrung zu Ende und
die Reprise innerlich begriindet. Sie verlauft grSfitenteils
als wortliche Wiederholung, in der Coda aber wird das
Hauptthema auf ein erh5htes Podium gestellt und spricht
seine Kraft jauchzend aus. Dann aber lenkt Brahms aber-
mals und wiederum bezaubernd sch6n zur Ruhe hiniiber.
Ganz wie im ersten Satz von Beethovens Achter wird mit
einem letzten leisen Zitat des Anfangs des Hauptthemas
geschlossen.
Das Andante der Sinfonie (Cdur, (J^) ist eine schlichte,
fromm gestimmte Pichtung, eine Komposition, welche in
ihrem einfachen Ausdruck seelischen Friedens, in ihrer in
sich geschlossenen , einheitlichen und leidenschaftslosen
Haltung kaum einem Seitenstiick in der neueren Sinfonie
seit Beethoven begegnet. Der Held ruht hier und traumt
von der Kinderzeit und vom besseren Leben uber den
«
Stemen. Der groBte Teil des Satzes stiitzt sich auf daa
Thema:
Andante.
i»ciB?:
f f
Brattchen
welches in einer Reihe freier Variationen durchgefiihrt wird,
die an seinem Charakter wenig andern, aber im Kolorit
den herrlichsten Wechsel bieten. Nur auf einen Moment
tritt ein klagender Ton ein mit
F CUr. mit Fag. in 6va
Diese als Ahnung gedachte Melodic, welche fonnell die
Stelle des zweiten Thema einnimmt, wird aber hier nicht
weiter benutzt, sondem sie kommt erst im Finale der
-^ 755 0—
Sinfonie zur Geltung. Nur ihr Naclisalz, der in ein mysti-
sches Spiel mit weichen Dissonanzen auslauft, kehrt am
Ende des Satzes noch einmal zurtick. Das dreinolige
Heldenmotiv bringen versleckt, aber bedeutungsvoU erst
die Bratschen, spater die Posaunen.
Vom dritten Satze an (Poco Allegretto, Cmoll, Vh)
wird der Charakter der Sinfonie triiber. Sein Hauptthema,
welches ein wenig zu der Weise Spohrs hinneigt
Poco AUemtJo.
CeUi
gibt das Bild eines anmutigen Reigens wie aus dem
Spiegel einer schonen Vergangenheit, und die Stelle des
Hauptsatzes, wo die Mu- ..-v u. der Celli leitet
sik ihren hSchsten Reiz =jk==^jJXe^E ^^® ®^^ ~» ^^*
entfaltet — das Motiv •^ «» in der Farbe
der Erinnerung und des Traumes gehalten. An der
Stelle des Trio steht ein Mittelsatz (in As), weichen die
Blaser mit dem Ton j ^j,^^ ,^
der Bitte und der V'^\ _
Resignation fiillen "^ 'ip
Er schlieBt mit einer Wendung, die, an eine Stelle im An-
dante von Beethovens Fiinfter erinnernd, Klage und Hoff-
nung sehr herzbewegend mischt. Uberall haust auch in
diesem Allegretto das Motto der Sinfonie, mit seiner kleinen
Terz beginnt das Hauptthema, in der Form es ges \'g durch-
zieht es die Begleitungsstimme.
DaB dieser dritte Satz nicht ein feuriges Scherzo ge-
worden ist, hat, ahnlich wie in der ersten Sinfonie von
Brahms, seinen Grund in dem poetischen Generalplan der
Sinfonie. Er soil den tibergang zu dem leidenschaftlieh
und oft finster erregten Finale (Allegro, EmoU, C) ver-
mitteln. Letz teres bildet den Schwerpunkt des Werkes.
Das heroische Element der Sinfonie hat hier die Probe
gegen harte und unfreundliche Gegner zu bestehen. Diister
phantastisch beginnt der Satz: huschende Figuren, dann
ein Anhalten und ganzlicher Stillstand der rhythmischen
Bewegung :
48*
756
"' • Attegro.
m
£
Jdlill
JJiTU*i^^
^y;. ^''- A-^- ^>!ij^^JAJuL^
Noch beklommener und unheimlicher wird der Ton
mit dem Eintritt der Posaunen und dem verschleierten
Tliema, das aus dem
zweilen Satze der ^' -^ a 'a
Sinfonie stammt: ^^f f
Gleich darauf bricht der gespannte Bogen und die
Situation nimmt einen ausgesprochenen Kampfescharakter
an. Wild und trotzig fahren die Violinen herein mit dem
ebenso wie das Hauptthema aus dem Motto entwickelten
3P.nr.nif>nr.ri|f ^f ff ^f f|f ff f |
cie.
die Celli singen siegesfreudig :
In der Durchfuhrung dieser Konfliktsperiode fmden
sich mehrere Kulminationspunkte — einer der hochsten
ist da, wo das Thema b im starksten Klange den fana-
tischen Figuren der Violinen entgegengestellt wird. Ein
merkwiirdig bedeutungsvoller Einspruch des Fagotts be-
schwichtigt die brandenden Wogcn. Die Komposition lenkt
in ein sostenuto iiber, dem die Schonheit des Regenbogen-
himmels eigen ist. Die diisteren Themen a und b strahlen
jelzt Ruhe und Frieden aus, und wie eine verklSrte Er-
scheinung zeigt sich an der Ausgangsschwelle der Sinfonie
noch einmal das heroische Thema ihres ersten Satzes
— ♦ 757 ^^
Die V i er t e Sinfonie (op. 98), die im Jahre 1885 voUendet, J. Brahiis,
aber erst zwei Jahre spjiter, nach den Auffiihrungen in Sinfonie Nr. 4
Meiningen und Wien veroffentlicht wurde, hebt sich von (*'°*o")-
ihren Schwestern scharf ab durch zwei eigene Ziige. Erstens
ist sie die schwermiitigste, zweilens die an altertiimlichen
Wendungen reichste. Die Schwermut, die nur in wenigen
Werken von Brahms ganz fehlt, ist hier Grundstimmung,
das archaistische Element aber, das in den vorhergehenden
Sinfonien sich im Ersatz des Scherzos durch L^ndler-
und Menettformen, sonst nur beilSufig fiuCert, durchdrSngt
die vierte Sinfonie bis tief in die Natur ihrer Sprache und
Grammatik hinein. Ahnlich wie es Freytag und Schefifel
getan haben, weckt hier Brahms Tone und Wendungen
vergangener Jahrhunderte wieder auf. Dieser Umstand
hat tiefere Bedeutung und ist der Schliissel zum Ver-
stSndnis des Werkes. Die Sinfonie gehort dem Kreis sub-
jektiver Tondichtungen, in dem sich mit der Beethoven-
schen Schule auch die drei ersten Sinfonien von Brahms
bewegen, nur halb an, zum andern Teil ist sie Programm-
musik in der Art von Mendelssohns A moU-Sinfonie oder
wie Gades erste Sinfonie. Letzterer nShert sie sich un-
mittelbar, sie teilt mit ihr den Balladenton der wichtigsten
Themen, sie erz^It zuweilen begeistert und lebendig auf-
flammend, vorherrschend aber wehmiitig und ergriffen
von alten Zeiten und von dahingesunkenen Geschlechtern.
Sie ist ein groBes Herbstbild, ein geschichtUch stilisiertes
Lied von der Verganglichkeit, eine Kom position iiber das
Thema der menschhchen Nichtigkeit, das Brahms zu be-
trachten so wenig miide wurde wie vordem Sebastian Bach.
Den Vortrag teilt Brahms in Bilder upd Betrachtungen,
aber in episch freier Mischung.
Der erste Satz f Allegro non troppo, (^, Emoll) setzt
ohne weiteres mit dem Hauptthema:
Allegro non assal.
^ , » jTr--rHH^ i nr t »n^ i-ft-f-fi^A
^tfefe
758
I Ij.jm2Q 'I
ein. Es ist eine sehr lange Melodie, die ungeiahr an »0
wiifit ich doch den Weg zuruck« erinnert, und deren be-
wolkter Horizont sich zuweilen etwas aufhellt, um dann
einen noch triiberen Charakler, oft einen ^chmerzlichen
Akzent anzunehmen. Sie wird sofort wiederholt, aber mit
bewegteren Rhythmen und durch Begleilungsfiguren be-
lebt. Die Phantasie erwacht und schaut staunend in der
Zeiten Tiefe. Das bedeutendste Gesicht, das sie von da
holt, ist das Thema:
-|j;/r>iii3iMf>iH^irii|iili;'^^'^-iT-
Es wird sofort von den Cellis in einer Melodie begriiBt,
die zu den innigsten und schonsten der ganzen Sinfonie
gehort, und kehrt nach ihr wieder, um forUn die Themen-
gruppe zu beherrschen. Bald kraftig und gebietend, bald
kosend und zartlich, neckisch und Heimlich , bald fern,
bald nah, bald eilig, bald sich ruhig ausbreitend, — kommt
es auch im weitern Verlauf des Satzes haufig wieder und
kommt stets willkommen, bringt Freude mit und gibt dem
Gang des Satzes einen dramatischen Schwung. Es ist das
Ritterthema der Sinfonie, das Thema der alten Zeit, und
durchzieht deshalb mit dem tfbergang vom ersten zum
zweiten Takt als Generalmotiv — in etwas schwierig er-
kennbaren Umbildungen — auch den zweiten und dritten
Satz. Auch bier, wie im Eingangssatz der dritten Sinfonie,
ist der Durchfiihrungsteil sehr knapp gehalten und be-
scheidet sich im wesentlichen damit, die elegischen Ele-
mente der Dichtung etwas starker auszusprechen. Trotz
dieser Kurze ist aber der Eindruck der Durchfiihrung sehr
groB. Das macht die Gewalt des Ausdrucks in ihrem
SchluCabschnitt, der in Jammerlauten, die dem neunten
Takt des Hauptthemas abgewonnen sind, eine Seele zeigt,
die aus der Betriibnis keinen Ausweg weifi. Sehr lebens-
wahr kniipft dann die Reprise an: die vier ersten Nolen
-^ 769 ♦—
des Hauptthemas singen jetzt in breiten Tonen dahin, der
Tranenstrom fliefit, das Herz spricht sich aus.
Der zweite Satz (Andante moderate, E dur, o/a) ist eine
Art Romanze mit folgendem Hauptthema:
Andante moderato.
Es wild von einem kurzen Hornsatz
eingeleitet, der mit f und g, mit e und d
die phrygische Tonart feststellt und damit keinen Zweifel
daruber lafit, daB die Phantasie sich in weite Yergangen-
heit versetzen soil. Es sind im wesentlichen die Ritterbilder
des ersten Satzes, die noch einmal kurz zusammengedr&ngt
und im Ton des Berichts an uns voriiberziehen. In der Mitte
des Satzes, da wo dieTriolen einsetzen, streift aber dieMusik
den neutralen Erzahlerton ab, zeigt freudigen Anteil, Be-
geisterung und bricht in herzenswarmes Wehklagen aus.
Der dritte Sata (Presto giocoso, Cdur, 8/4) ist von dem
anmutigen beschaulichen LUndlerton, den Brahms in den
friiheren Sinfonien an dieser Stelle eingefiihrt hat, weit
entfernt, er birgt im Tempo der Beethovenschen Scherzi
einen dfimonischen Charakter. Der Komponist hat in
diesem Satze den Widerspruch, um den sich seine vierte
Sinfonie bewegt, die Frage : sollen wir um die Vergangen-
heit trauern oder uns ihrer Schonheit freuen, mit der Ab-
sicht aufgenommen, im letztem Sinn zu entscheiden, er
will Bilder geben, die von Kraft und Leben schaumen,
aber alle Augenblicke tiberfallen ihn auch hier kurz
und erschreckend Naniengedanken , die Heiterkeit dieses
Allegro giocoso wird immer wiedef von schauerlichen
Regungen gestreift. Sie fallen gleich ins Hauptthema:
- ^^ ^ mit dem dumpfen,
Tr r l^lJrTf r l . 1 . tlefen Schlufiak-
^ ■" • ' -- ■' ■ J--^ kord, der direkt
J5l*^ — aus den Klavier-
balladen des op. 10, einem der bedeutendsten Jugend-
werke von Brahms stammt. Sein stiirmisches Wesen
bringt die Ritterbilder des ersten Satzes wieder in Er-
-^ 760 4>—
innerung, und nach'einigen Versuchen in Ruhe und Frie-
den einzu- p_^,„
lenken, stent ^ b k 4f-^-^_f-A~tt^^,—. i r # , ii i I
mit dem zwei- -fr-*^L,L:irr I Ijj p I ^^i j' l||^i
ten Thema: P
ein direkter SproCling jenes Ritterthemas vor uns; der
MollschluB taucht ihn entschieden in die Farben des Alter-
tums und der Klage. Die Fortsetzung wird gar von den
Motiven des Hauptthemas des ersten Satzes begleitet.
Mit den beiden hier gegebenen Notenbeispielen ist das
thematische Material des Satzes erschopft, es wird nun
variiert und wiederholt, aber auCerordentlich frei und mit
immer neuem Ertrag fur die Darstellung des Stimmungs-
gegensatzes. Die Musik jauchzt , sie schreit schmerzlich
auf, stohnt, sinnt liebevoll vor sich bin und versinkt in
Briiten und Schweigen. Aber nirgends ist Naturalismus
und Willkiir da, immer streng gebundne Kunst; kein Takt,
der nicht tbematisch begriindet ware.
Der SchluBsatz (Allegro energico" e passionato, 8/^,
Emoll) ist eine sogenannte Ciaconna, ein Gewinde von
Variationen fiber einen immer ganz oder ziemlich unver-
andert bleibenden und knappen Cantus firmus. Brabms
ist der GroCmeister der Variationskunst, sow^eit sie ge-
schichtlich iiberblickt werden kann, sein Glanzstuck in
dieser Kunst hat er in diesem letzten Sinfoniesatz, den er
geschrieben, niedergelegt, und er, der Bescheidne, war selbst
auf diesen Satz stolz. Er zeichnet sich als Variations-
arbeit durch den Verzicht auf alle Zwischensfitze aus:
dreiCigmal kehrt der Cantus firmus wieder, und immer
kniipft sich an den Endton sofort wieder der Anfangston.
Dariiber hinaus aber hat Brahms seine Variationen in die
Form des Sonatensatzes gezwangt, und drittens endlich
hat er alle diese Kunstiicke der poetischen Grundidee der
Sinfonie voUstMndig untergeordnet. Auch die Horer, die
von Variation und Sonate nichts merken soUten, sind von
dem tiefernsten Ton ergriffen, mit dem dieses Finale die
Phantasien und Betrachtungen liber Menschenlos und Ver-
gUnglichkeit abschliefit.
761
Das Thema der Ciaconna:
wird zuerst feierlich vom Blaserchor vorgetragen und kehrt
sofort als erste Variation im zagenden Ton, fragend und
bekloromen, von Pausen durchbrochen, unter Paukenwirbel
wieder. Dann setzen (2. Variation) die HolzblSser, die Oboen
voran, mit folgender ernst sinnenden Weise
Allegro.
ein. £s ist als das Hauptthema des Sonatensatzes zu'be-
trachten, kehrt mehrmals im Satz wieder, wird jedoch
nicht in der iiblichen Weise des Durchfuhrungsschemas
ausgenutzt. Die nachsten Variationen fuhren aus der feier-
lichen in eine erregtere Stimmung hiniiber, mit der sie-
benten beginnt eine Gruppe heftiger Affekte, die erst bei
der zehnten und elften dem Ton der Ruhe und zugleich
der Klage weichen. Die Spitze der diisteren Ideengruppe
bildet ein langes Fiotensolo, welches, melodisch und rhytli-
misch naturgetreu, das Bild eines haltlosen Seelenzu-
standes entwirft. Nach ihm tritt eine iiberraschende Wen-
dung ein: die Harmonie wechselt plotzlich nach Edur, die
Rhythmik wird breit und ruhig, Klarinette und Oboe be-
ginnen trostvoll und fromm zu singen:
CUr.
Clw.
Ob^
i^i-~i->rTTifi irmn
die Posaunen sprechen in der folgenden (14.) Variation
feierlich erhabene Requiemgedanken aus:
'■ j^P'fiFT iff «p|!f 4} >f I
ifjjji/ i '^J^N
r^^
in deren Sarabanden-
rhythmus die ubrigen
Bldser einstimmen.
-^ 762 ^^
Die Komposilion lenkt in das Gebiet, wo Leid und
Freude schweigen und das Menschliche sich vor dem beugt,
was ewig ist Brahms hatte hier in einen ahnlichen ver-
sohnenden und schonen SchluB einlenken konnen, wie er
ihn der F dur-Sinfonie gegeben hat, er hat es aber vorge-
zogen, der pessimistischen Auifassung, die das Werk be-
herrscht, treu zu bleiben. Nach einem Trugschlufi auf
leisen Tonen, nach spannender Pause, setzt das Ciaoonnen-
thema wieder ein, wie am Anfang des Satzes, und es be-
ginnt die in der Senate iibliche Reprise. Die Variationen
17—30 bilden sie. Es ist aber wiederum keine wortliche
Wiederholung, sondern eine leidenschaftlich gesteigerte;
stellenweise Mingt es wie Verzweiflung, wie ein gigan*
tisches Reifien und Riitteln an Ketten. Die 27. Variation
ist mit den drohnenden Hornern, den Triolen und den
Generalpausen, bei denen der Atem der mitgebenden Horer
stockt, der Hohepunkt dSmonischer Stimmung. Nach ihr
wirds milder, ruhiger, resigniert, ja auch hoflfnungsvoll.
In der 29. Variation kommt im Kanon zwischen Violinen
und Bassen und in merkwiirdiger Umbildung auch das
Hauptthema des ersten Satzes. Mit einem Piu Allegro
geht gleich drauf der Satz feierlich zu Ende, der Cantus
firmus tritt noch einmal hervor, ihm zur Seite erscheinen
ergebungs voile, aber auch harte und trotzige Kontrapunkte,
die wie im »deutschen Requiem* zu fragen scheinen:
>Tod, wo ist dein Stachel, HoUe, wo ist dein Sieg?«
Eine eigentliche Schule von Brahms, die des Meisters
Methode aufnimmt und weiterfiihrt, hat sich bisher nicht
gebildet. Wohl aber finden sich Komponisten, die von
ihm stofflich beriihrt sind und in seinen Ideenkreis ein-
H.T.Heriogea- lenken. Die Reihe eroffnet H. von Herzogenberg.
*wir> Durch sein >Deutsches Liederspiel* und durch eine Reihe
SinfonieCmolI.Lig^gj. ^jg auGerordentlich llebenswiirdiges, fur naive und
volkstumliche Musik besonders begabtes Talent bewfihrt,
hat sich dieser Tonsetzer als Sinfoniker mit einer groBen
C moU-Sinfonie eingefuhrL Der erste Satz dieser und der
C moU-Sinfonie von Brahms haben in Idee und Ausdruck
eine grofie Abnlichkeit. Selbstandiger sind die balladen-
— e 763 4>^
artige Einleitung, welche in der Weise Gades den nor-
dischen Ton anschlagt^ und das Scherzo. In ilim, das
auch auf jene Einleitung poetisch sinnvoll zuriickgreift,
sind der Hauptsatz und das Trio in einer ganz neuen Arl
verbunden: Die beiden Teile wechseln gleich von Anfang
ab, Klausel fQr Klausel im malerischen Kontrast. Das
Adagio, in der Anlage dem von Brahms zweiter Sinfonie
entsprechend, darf sich eines tief melodischen Zuges
riihmen; der wie ein fremdes Bild eingeruckte Mittelsatz
zeigt den Komponisten von seiner Glanzseite als volks-
tumhchen Spielmanm
Die zweite Sinfonie v. Herzogenbergs (Bdur, op. 70) H.T.lierso96B-
teilt mit der ersten die Vorziige einer durch und durch r**'*Rj
edlen Kunstrichtung. Sie iibertrifft sie aber an originalem
Farbensinn, in der Freiheit und Leichtigkeit der Kontra-
punktik und an SelbsUndigkeit der Erfindung. Die freund-
liche Natur ihres pastoralen und idylUschen Stimmungs-
kreises, ihre oft kostUche Thematik wlirden dieser zweiten
Sinfonie des Komponisten eine grSBere Verbreitung sichem,
ihr dritter Satz, in der ein artiger, sanfter Humor sich ori-
ginell durch die Pauke aufiert, ist sogar eine Perle des
neuen Serenadenstils, eines R. Volkmann wiirdig. Leider
aber fliefit auch bier der Strom der Tone zu ungleich im
Wert und viel zu breit. Wie die Sinfonien v. Herzogenbergs
veranlassen auch die sein6s Schtilers, des PrinzenHein- PrlM KeaB.
rich XXIV. aus dem Hause Reufi j. L., zu dem Bedenken,
daB hier ein gebomer Serenadenmeister einen Teil seiner
Kraft auf einem ungtinstigen Gebiet verbraucht hat. Zwar
vermeidet Prinz ReuB, dessen Kunstbildung sichtlich in
Schumann, zu einem kleineren Teil auch in Mendelssohn
wurzelt, anders als seinLehrer, jedeKonkurrenz mit Brahms,
aber die Abschnitte, wo er uberleitet, entwickelt, durchfuhrt,
lassen, obwohl sich auch hier von opus zu opus ein statt-
licher, zwischen der vierten und sechsten ein geradezu frap-
panter Fortschritt zeigt, keinen Zweifel dariiber, daB mehr
die Pflicht als die Neigung gewaltet hat. Jedenfalls sind
sie weniger frisch und unmittelbar als die Expositions teile.
In ihnen verkehrt man mit einem auBerordentUch erfreu-
—* 764 «—
lichen tondichterischen Talent, reich an Humanitat und
humaner Musik und eigen durch eine voUendete Natiir-
lichkeit. Sie &u6ert sich in zahlreichen Themen und Me-
lodien von ausgeprslgter Jugendlichkeil, aber auch durch
bemerkenswerte Selbstfindigkeit in der Behandlung der
Form, deren Einerlei der Komponist oft tiberraschend frei,
besonders durch neue Tempi, belebt. Sicherlich verdienen
es die Sinfonien des Prinzen gespielt zu werden, denn
dadurch, da6 sie nichts Besondres sein und sagen wollen,
sind sie originell geworden. Da(3 man allerdings in dieser
Selbstbescheidenheit auch zu weit gehen kann, zeigen die
beiden Sinfonien (Cdur, op. 26, und Edur, op. 28) von
J. H. Fraai. J. H. Franz. Hinter beiden steht eine wirkliche Be-
gabung, tiichtiges Konnen und eine Individualit&t ; aber
diese Vorteile werden durch die allzugrofie Sorglosigkeit
aufs Spiel gesetzt, mit der die thematische Erfindung
Sprtiche feinster und eigener Bildung in die Gesellschaft
ganz gewohnlicher Knittelverse bringt.
In die Schule von Brahms gehort weiter der bereits
unter den Vertretern des Programms erwShnte Schweizer
Haai Hnber, HansHuber mit seinen unbetitelten Sinfonien, von denen
A dur-Sinfonie. die in Adur (Nr. 6; jiingst die Presse verlassen hat. Selb-
stSndig, frisch und gehaltvoll ist Huber in den Mittelsatzen.
W. Berger, Noch tiefer in Brahm s untergetaucht istWilhelmBerger,
Hmoll-Sinfonie. namentlich in seiner zweiten Sinfonie (HmoU, op. 80),
deren erster Satz von den emp5rten Geistern ausgeht, die
im Dmoll-Konzert des Meisters hausen. Sie werden mit
den schmeichelnden Triolen verscheucht, die den Brahms
der Wiener Zeit kennzeichnen. Eigen bleibt Berger die
Warme, mit der er sich seinen Themen hingibt, und die
schone, gediegene Arbeit. Sie gipfelt in den Nachahmun-
gen beim zweiten Thema. Beim zweiten Satz, in dem
der Verzweiflung gewehrt und Trost gesucht wird, teilt
sich der EinfluB von Brahms mit dem von Mendelssohn
und mit eigenen, einfach herzlichen Erfindungen Ber-
gers; starker und in lobenswerter Weise tritt er wieder
im dritten hervor, wo der Komponist das iibliche stiir-
mische Scherzo durch ein ruhigeres Intermezzo ersetzt
-<^ 765 *^
In ihm zeichnet sich der das Trio vertretende Mittelte
durch den herzbewegenden Gharakter der Klage aus. Die
Streitbarkeit des Finale hat wieder Ziige von Brahms.
Auch die C moU-Sinfonie (op. 52) von Felix Woy r s c h P. Wojrieli,
zeigt Wesens- und Ideenverwandtschaft mil dem SchSpfer C moU-Sinfonic.
des deutschen Requiems. Der trolzige und energische
Brahms ist es, an den uns der erste Satz dieser Sinfonie
mil kleinen Rhythmen und Motiven des Hauptthemas er-
innert. Woyrsch gibt den Anregungen eine eigene Form,
er stellt ihnen schon im zweiten Thema auch eine eigene
Idee enlgegen, die in der Farbe des Traums, der Erinne-
rung und im Ton des Volksliedes der Erregung Halt ge-
bietet. Ganz ahnlich verhalt es sich mit dem zweiten
Satz. In sein Hauptthema mischen sich leichte Spuren
des Adagios aus Brahms erster Sinfonie, ihnen tritt das
Gegenthema in volkstiimlicher Kleidung entgegen. Im
dritten Satz bringt Woyrsch, so wie es auch Berger tut,
an Stelle des Scherzo ein ruhiges Intermezzo. Am deut-
lichsten wird die Individualitat und Bedeutung des Kom-
ponisten, seine Neigung zu Gegensatzen, seine kraftvoUe
Natur, sein hitzig erregbares Temperament, die volkstiim-
Hche Ilichtung seiner besten und eigensten Einffille durch
das Finale. Das Trompetenmotiv, mit dem es einsetzt,
beleuchtet noch einmal einen der groBten VorzUge des
Sinfonikers Woyrsch, seine Begabung fiir plastische und
pragnante Themen.
Weiter darf fiir die Schule von Brahms der Berner^Friii Brun,
Kapellmeister Fritz Brun mit seiner zweiten Sinfonie B dur-Sinfonit.
(Bdur) in Anspruch genommen werden. Ihr erster Satz
ist in seiner romantischen Mischung von pastoral ana-
kreontischen mit pathetisch leidenschaftlichen Ideen ein
Seitenstiick zu dem entsprechenden der D dur-Sinfonie
von Brahms, ihr zweiter erinnert an dessen damonische
Scherzi in der D dur-Serenade und dem B dur-Konzert.
Ganz eigen und schon sind die SchluOsatze dieser Sin-
fonie, der dritte (Adagio) durch seinen szenischen Gharakter
(einem schwermiitigen Traumer wird auf einmal durch ein
weich klagendes und losendes Lied geholfen), der vierte
^ I
--» 766 ^j>-
dadurch, dafi er den Frohsinn ungesucht in den Ton alter
Zeit kleidet. Solche uhschuldig vergangliche Weisen hat
man seit langem nicht mehr gehort.
K. T. VohBivyiy Der wohl bedeu tends te und zweifellos den Durchschnitt
Dmoll-Sinfonie. ^gjt uberragende Beitrag zur Schule von Brahms ist
die Dmoll-Sinfonie von Ernst von Dohndnyi,
die zwar fiinf Satze aufzShlt, aber, da dem vierten Satze,
einem kantabilen Intermezzo, selbstandige Bedeutung niclit
zufallt, zum gewohnten viersatzigen Typus der Klassiker
und Romantiker gehort. Der erste, einigermalBen auch
der letzte Satz, ein groBer, kiihner, bilderreicher Varia-
tionenzyklus, sind die Stellen, wo sich der Autor in der
Anlage kleinerer und groBerer Teile, auch mit einzebien
Ideen als Schliler von Brahms bekennt, aber ohne Ein-
seitigkeit und mit zahlreichen Belegen eines selbstlmdigen,
starken Talentes und einer breiten, besonders auch aus
Chopin getrankten Bildung. Ganz besonders erfreuen
diese Satze durch die Klarheit und Einfachheit der The-
matik, nicht minder auch durch die Sicherheit und die
GroBe des Horizontes, mit welcher die in Kraft und Milde
immer edlen und jugendfrisch empfundenen Grundgedanken
entwickelt sind. Das sind Vorziige, durch die sich der
Komponist von der Mehrzahl der modernsten Sinfoniker
unterscheidet, auch darin steht er abseits, daB er dem
Kolorit, zuweilen wohl zum Nachteil, minderen Wert bei-
mifit. Auf einem ganz eignen Boden bewegt sich Dohn&nyi
in den Mittelsatzen, dem Adagio und dem Scherzo. Letz-
teres ist im Hauptsatz von einer Phantastik, die bald
heimUch lockt und spannt, bald droht und erschreckt, der
Seitensatz bringt frohliche Volksmusik, das Trio schlagt,
nach der Weise von Beethovens Erster, gar feierliche Tone
an. Das Adagio, das ideell leicht an das zweite Thema
der ersten Satzes ankniipft, ist dadurch merkwiirdig, daB
es in der zweiten Halfte sich ganz in freie, scheinbar
voUig ungezwungene, regellose Naturmusik auflost. Die
Blaser spielen einander die schonsten Motive des Satzes
in schwarmerischen Umbildungen und iiberschwenglichen
Wiederholungen zu, es ist ein elementares Phantasieren
767
und Konzertieren, das mit unbeschreiblich poetischem Reiz
aus aller Kultur hinausfuhrt in eine Welt der unbeschrSnk-
iesten Freiheil und Weite. So ist Zigeunermusik wohl
noch nie idealisiert worden, der Abschnitt hat wenigstens
in der bekannten Sinfonieliteratur nicht seines gleichen,
er ist aber enorm schwer. Vielleicht veranlaBt dieses Werk
des aus Ungarn stammenden Komponisten die deutschen
Dirigenten sich auch mit E. von Mihalov,ich, Major,
Siklos und anderen ungarischen Sinfonikern zu befassen.
Jahrzehntelang wenig bemerkt, haben seit Anfiang der A. Brvekaer,
achtziger Jahre die Kompositionen des Wiener Tonsetzers Siebente Sinfonie
Anton Bruckner die Beach tung der Musikwelt auf sich ^ '*'''
gezogen und sind von Parteig^ngern des Komponisten als
die eigendichen instrumentalen Offenbarungen modernen
Geistes ausgegeben worden. Bruckners erste Bekannt-
schaft auOen im Reiche zu vermitteln, fiel seiner siebenten,
seiner E dur-Sinfonie zu. Sie ist wie die andren ohne
Opuszahl erschienen und fruher als manche der altem
in Druck gekommen. Das Werk hat Gedanken von groCem
sinfonischen Charakter : das Hauptthema des ersten Satzes
AUerro moderato.
" ■■ ■*■ — Celli
und noch mehr das des Adagio
legen dafur Zeugnis ab. Aber es zeigt auch Bruckners
Schattenseiten sehr stark: seine Geringschatzung gegen
Logik und Zusammenhang, seine Natur als nachgeborner
Jean-Paulianer, der mit »Hundstagsposten, Extrablfittchen
und Blumenstiicken« kein MaB halt und alle seine EinfSlle
ungesiebt zu Papier bringt. Ohne alle Vermittelung, ohne
jeglichen Cbergang stehen im ersten Satze pathetische
-^ 768 ^j>-
Themen und Wiener Tanzweisen nebeneinander, im letzten
Choralmelodien und infernale Figuren. Den Enlwurf der
Haupts^tze scheint der Zufall der t^licben Arbeitslaune
besiimmt zu haben. Trotzdem hat die Sinfonie ihre po-
sitiven Seiten. Einmal eine kunsthistorische: sie zeigt
zum ersten Male den EinfluB Wagners, dem wlr bei Raff,
Hofmann, Sgambati, Goetz und Draeseke nur in kleineren
Zugen begegneten, in breitesten Spuren. Das Scherzo ist
fast nur eine Uraschreibung des Walkiirenrittes. Zweitens
aber entwickelt der Komponist ein Talent der Nachdichtung,
das in seiner Art zu eigner Bedeutung gelangt. Am im-
posantesten im Adagio. Auch hier sieht man die Quellen
durcli: GotterdSramerung und Neunte Sinfonie. Aber die
Wagnerschen Motive sind mit einem Schwung und einer
Begeisterung ausgefiihrt und erweitert, welche liberwaltigt.
Die groBe Stelle dieses Satzes, wo die Trompete iiber dem
Glanz des voUen Orchesters mit ihrem 0 fortleuchtet, ge-
hort zu den groBartigsten Tonkombinationen der neueren
Literatur.
Es war ein MiBgriff, Bruckner, auf den Zauber ihres
Adagios bin, mit dieser siebenten Sinfonie einzufiihren.
Denn die Mangel der Bildung und des Geschmacks uber-
wiegen in ihr die wertvoUen Eigentiimlichkeiten. Bruckner
ist gleichw^ohl, was nur von wenigen der zeitgenossischen
Sinfoniekomponisten gesagt werden kann, eine Natur, er
ist ein Kiinstler, dessen Werke eine klare und hochst be-
friedigende Auskunft iiber den Menschen geben. Zwei
Ziige sind es, die aus alien seinen Sinfonien, aus den
schwachren nur weniger klar, hervortreten und die Ihdi-
vidualitlit Bruckners in erster Linie bestimmen : Eine lierz-
liche naive Freude an der Natur und zweitens eine aus-
gepragte kirchliche Religiositat.
Es ware schlimm, wenn die Freude an der Natur
Musikern fremd ware; sie muB das menschliche Gemein-
gut der GroBen und der Kleinen bleiben. Aber die Meister
unterscheiden sich in der Entschiedenheit, mit der sie ihr
Ausdruck geben. Darin steht z. B. R. Wagner an der Spitze
aller neueren Opemkomponisten und reicht direkt Handel
-^ 769 ^^
die Hand, darin ubertrefTea die, Deutschen von jeher die
Italiener, und werden merkwurdiger Weise wieder, zu
Zeiten wenigstens, von den Franzosen ubertroffen. Schu-
mann ist auf diesem Gebiete ergiebiger als Mendelssohn,
Beethoven, der Komponist von Pastoralsinfonien und Pasto-
ralsonaten, reicher als Mozart und auch als Haydn. Im
allgemeinen sind in diesem Punkt die ostreichischen und
suddeutschen Sinfoniker stSrker als die norddeutschen ;
in neuerer Zeit haben dann wieder die skandinavischen
und namentlich die russischen Sinfoniekomponisten auf
diesem Felde alle Vorg&nger Uberholt. Bleibt man im
deutschen Kulturgebiet, so hat unter den Ostreichem als
Schildrer von Volkstum und Landschaft Franz Schubert
den unbedingten Preis. Aber ihm wird man in Zukunft
als den Nskhsten Anton Bruckner an die Seite zu stellen
haben. Bei keinem Zweiten ist das Ostreichertum in
seiner hebenswiirdigsten Art so voll in die Musik iiber-
gegangen wie bei ihm, bei keinem andren die Lust an
Heimat, an Volkstum, an der Pracht und an den Heim-
lichkeiten schoner Natur allzeit so rege wie bei Bruckner.
In dem schwarmerischen Behagen, mit dem er sich ihren
Reizen in jedem Augenblick hinzugeben bereit ist, zeigt
er seine Kinderseele; daB er einen Blick in den griinen
Wald sich nie versagen, da6 er nie an dem Bild eines
Tanzes unter der Linde vorbeigehen kann, ist eine starke
Quelle der romantischen Fehler in seinen Sinfonien.
Ahnlich verhftlt es sich mit dem Ausdruck rehgiosen
Gefuhls bei Bruckner und bei andren. £s wird in der
ganzen Reihe der hervorragenden Sinfoniekomponisten —
auch wenn wir von den Adagios absehen — bei keinem
fehlen; aber es &ufiert sich verschieden nach den Per-
sonen und mehr noch nach den Zeiten. Es bildet von
Haydn bis Beethoven ein crescendo, bei Mozart hat es
eine pessimistische, bei Beethoven eine philosophisch er-
habene Farbung. Bei Schubert setzen die Abschwachungen
der religi5sen Empfindung, ihre Umbildung in die Formen
von Wehmut, Sehnsucht, Melancholie und Weltschmerz
ein, die wir bis auf Brahms bei alien bedeutenderen Sin-
KretsBchmftr, Ffihrer. I, 1. 49
--^ 770 ^^
fonikern verfolgen kdnnen. Meistens handelt es sich da-
bei um dea ZasammeDhaDg der Instramentalmiisik mit
der allgemeinen geistigen Entwickelung unsers Jahr-
hunderts, um die Teilnahme an den Kftmpfen gegen Ober-
fl&chlichkeit, AlltHglichkeit und Frivolit&t der sitUicben
Anschauungen, Teilnahme an den bnnten Bestrebungen,
die Menschheit darch Glauben und Aberglauben, durch
Philosophie und Kunst innerlich zu stiitzen und nach
einem hdheren Dasein zu lenken, um Beriihrttngen mit
Kant und Fichte, mit Schopenhauer und Nietzsche, mit
Cornelius, mit Bocklin und Thoma, mit Parsifal und Zara-
thustra. Ganz anders bei Bruckner. Aus seinen Sin-
fonien spricht die Religiosit&t in ganz bestimmter, posi-
tiver Form: sie legt fortwUhrend ein ofifnes, freudiges,
christliches und kirchliches Bekenntnis ab. Die vielen
ChorM,le in seinen Sinfonien sind dessen Zeugnis, sie er-
schdpfen aber den Reich turn und die Festigkeit seiner
Gottesfurcht keineswegs. Ihre Spuren gehen vielmehr
durch die HSlIfte aller seiner Themen und Melodien; in
seinen Sinfonien treten kirchliche Anklange in einer
St&rke hervor, wie sie in Sinfonien nur noch einmal vor-
kommen : bei Mozart in seiner Knabenzeit. Bruckner war
Schuimeister und Organist, ehe er zur hohren Kunst kam.
Das ist mit andern, z. B. J. Raff, fthnlich gewesen. Es ehrt
ihn und bekundet die Wahrhaftigkeit seiner Natur, dafi er in
den neuen Kreisen doch bei seiner alten Gedankenwelt blieb.
Unabhangig von den Schw&chen und Vorztigen, bei
denen Bruckners Menschentum und Allgemeinbildung in
Frage kommt, bleibt aber die Bedeutung, die er fClr die
neuere Sinfonik durch die Prd,gnanz seiner Themen hat
Sie sind in ihrer Kflrze, Bestimmtheit und innren Fiille
Muster, sie bilden die Seite, mit der er an Beethoven und
die Klassiker heranreicht, mit ihr erg&nzt er zum Teil
auch Brahms. Was dieser fur die Arbeit in der Sinfonie,
das gilt Bruckner fiir die sinfonischen Gedanken.
A. Br«ekncr, Von einer gradlinigen, steigenden Entwickelung ist bei
DreiC moll-Sin- Bruckner noch weniger die Rede als bei Franz Schubert,
fonien. j^ tiWen. seinen Sinfonien liegen Schlacken und Gold-
771
korner beisammen. Aber alle bieten etwas Interessantes,
Ztige, die musikalisch oder psychologisch fesseln. Seine
erste und zweite Sinfonie stehen beide in C moll, und
auch seine achte ist eine C moll-Sin fonie geworden. H^lte
ein Weltkundiger so etwas Unpraktisches getan? So sind
denn die ersten beiden C moIl-Sinfonien aufierhalb Wiens
unbekannt geblieben, obwohl sie sch5ne Stellen enthalten,
namentlich wirkliche naturwiichsige Sinfonie- und Or-
chesterthemen, z. B. die zweite in
■^jMiij2^i«^i \njh\
V^T? i Hate, und
USofllg sehnell.
' ir Ofri
erese-
r|~f ■ r f I f f I ^' 1 1 r r I r I I II
• eresc.
Beide zeigen den EinfluO von Wagner, Schubert und Beet-
hoven. Die dritte C moll- Sinfonie, Bruckners achte Sin-
fonie, ist in neuer Zeit hHufiger aufgefiihrt worden. Sie
imponiert durch die kolossalen Intentionen ihres Finale,
das die Hauptthemen der drei vorhergegangenen Satze
kontrapunktisch zusammenfaOt. Aber auch Rudolf Loui?,
der vortreffliche Biograph des Komponisten, erklart, daB
Bruckner sich hier Unmogliches zugemutet habe. Seine
bedeutenden groBen Zuge entfaltet Bruckner am gliick-
lichsten in der dritten, vierten und fiinften Sinfonie, die
auch in den letzten Jahren sich in den Konzerts^len h&u-
figer und hiiuHger eingefunden haben.
Die dritte Sinfonie (Dmoll) ist im Jahre 1873 ent- i. Bnckner,
standen und feine der wenigen, die schnell einen Verleger Dritte Sinfonie.
gefunden haben. Richard Wagner nahm die Widmung an
und soil, wie Th. Helm erzahlt*:, wiederholt ernstlich eine
*) Th. Helm: A. Bruckner im Musik .Wochenblatt;i8S6, S. 35.
49*
— ^ 772 V-
AuffOhrang beabsichtigt haben. Was zunftchst jeden
Musiker fur die Sinfonie einnehmen muO, ist ihre voll-
endete Orchestematur. Alle Instramente haben ihr eignes
Leben und &ufiern es, wena nicht immer mit bedeuten-
den selbst&ndigen Themen und Motiven, so doch in eignen
besonderen Rhythmen. Alias klingt schOn, neu, immer
interessant. Nach dieser Seite bezeichnet Bruckner einen
Fortschritt in der Geschichte der Sinfonie, den niemand
bestreiten kann, und verhftlt sich dem Durchschnitt der
Beethovenianer gegenflber fthnlich, wie in der Malerei die
Pilotyschule zu der Methode von Cornelius. Nach ihrem
Ideengehalt betrachtet, bietet uns Bruckners DmoU-Sin-
fonie Einblick in das Innere einer Natur, in der sich
Lebensernst und Lebensfreude gleichm&Oig mischen; sie
scheint die Stimmungen von Beethovens ' Neunter und
Beethovens Pastorale zu vereinen. Der Koroponist hat
in diesem (Intemehmen einen Vorgftnger, und es ist wohl
nicht Zufall und von ungef&hr, sondem bewuOte Absicht,
daO er in seine Dichtung die Gestalt Franz Schoberts
leibhaftig hineintreten Iftfit. Dafi Schubert die weit st&r-
kere Individualit&t war und durch die Zeitl&ufte allein
schon glUcklicher gestellt war, kann dabei niemandem
entgehen. Aber wir haben nach ihm in der Sinfonie das
beschauliche, sanguinische, des Daseins in der sch5nen, mit
landschaftlichen Reizen und liebenswiirdigem Menschen-
tum iibervoU gesegneten Heimat frohe Ostreichertum
bei keinem Zweiten so stark und deutlich ausgepr>, als
bei Bruckner und in dieser D moll-Sin fonie. Dem Lebens-
ernst gibt der aus dem Kirchendienst hervorgegangne
Komponist gem durch Chor&le und choralartige Themen
Ausdruck.
Der erste Satz (M&Big bewegt, (^, Dmoll) empf&ngt
uns mit einem der in der neueren Musik und von Bruckner
ganz besonders geliebten Orgelpunkte -— bier auf D. Im
Streichorchester ein ziemliches Rauschen wie von freund-
lichen W&ssem, &hnlich wie der Anfang von Schuberts
H moll-Sinfonie, aber jedes Instrument seinen Rhythmus
fUr sich! Dann setzt im f&nften Takt die Trompete ein,
— fr 773 V-
die sich in der Zeit der Klassiker ihre heutigen Ehren
nicht hfttte tr&nmen lassen. Doch ist die Tatsache keines-
wegs znm Beweismaterial fttr die Hypochonder geeignet,
welche unsre aenere Musik roher und roher werden
sehen. Unsre talentvollen Komponisten gebrauchen die
Trompete keineswegs bloO fQr starke Effekte, sondern
ganz so vielseitig wie dies in der alien Suite, in der ita-
lienischen Oper des 17. Jahrhunderts, im Oratorium noch
bei H&ndel geschieht So beginnt Bruckner mil ihr bier
leise, im Ton einer beroischen Abnung das Haupttbeina
seines ersten Satzes:
P
Dieses Thema ziebt sich lang bin. Zun&cbst wird es vom
Horn folgendermafien
/I I i^TTTTj j I I .1 ^ I j~TT,i I
fortgesetzt Die zwei letzten Takte dieser Fortsetzung
werden zun&cbst von den Holzblasem fiir Nacbabmungen
und Wiederbolungen aufgegriffen und dienen dem vollen
Cbor des Orchesters als Anbalt zur Sammlung und zn
einem gewaltigen innren und ftuBren Crescendo. Dann
erst kommt im Unisono aller Instrumente der dritte Teil,
der Scblnfi des Haupttbemas:
I I I . 1 I . y P Crete,
3 ^T^ \\i^ ^' bringt den bOcbsten Aufscbwung
^"^PP krAftigen Wollens und dicbt da-
neben in den Zungen von Scbubertscben Entreaktes
das Versagen aller Hoffnungen, somit die Gegens&tze
des Satzes im scbroffen Widerspruch. An der Trioie
bftlt sicb die Phantasie des Komponisten fest, als wftre
mit ibr der Ausweg nacb dem Licbt, nacb einem
— ^ 774 <>^
sichreh Blick in die Zukunft zu fiiiden, und gelangt so
bald an eine Wiederholung des vollst&ndigen Haiipt-
themas von Aj der Dominante, aus. Der SchluC
dieser Wiederholung veriauft in ein ppp und in roman-
tische Dissonanzen, als schliefen alle Sorgen ein. Der
Dichter iiberl&Gt die Entscheiduiig Uber schwierige und
ungewisse Fragen der Zeit und dem Schicksal. Das
zweite Thema
ill j.rnjjjjirjiiiTiijiiJu..^
setzt ein und fiihrt uns ohne weitres in eine Szene des Be-
hagens und der beweglichen SchwSrmerei. Mehr noch als
das Thema selbst, das zuerst als Wechselgesang zwischen
Bratsche und Horn auftritt, fiihrt uns sein Begleitungsmotiv
^"5^ vor l&ndliche Bilder.
jr P^LJ- '^J- ^*rrj.r " der jenes wichligen
— ZwischenmoiivSy das
im ersten Satz von Beethovens sechster Sinfonie zum zwei-
ten Thema hinttberleitet. Bel Bruckner sagen die Kontra-
punkte immer etwas ; dei' hier erfundue erweist sich aber als
ganz besonders gehaltvoll und ergiebig. Ja, er wird nicht
bloG die Veranlassung zu einer hUbschen Episode, sondem
er tragi einen Hauptteil von dem Glaubensbekeiintnis und
der Weltanschauung, die in diesem Satze niedergelegt
sind. Alle die zablreichen Partien, die darin aus dieser
muntem Figur entwickelt sind, vertriigen als Oberschrifl
das schone Wort H51derlins : >Ja, wunderschSn ist Gottes
Erde und werl, auf ihr ein Mensch zu sein!« Das singt in
UTZufriednen Melodien, das regt sich und htipft in fr5hlichen
Rhythmen, das wiegt sich wonnig trslumerisch auf weichen
Akkorden, das ist ein Schwelgen in seliger Sonntagsstim-
mung. Zuweilen ^ Zuletztfindetes einen
bricht das Ent- tf?f\ ?r— doppelten Ausdruck
ziicken laut und "g^ ' ' ' I [ " von kr&ftiger Zuver-
wuchtig durch : *^ sicht in der Melodie :
^& 775 <^
A ^ . Lr**^ .-""jr" ti.. ^ ^^® nnter den
W^ r f 17 f Iff I T r \^' Nebenlhem^n
it des Satzes Be-
deutuDg hat and von Fr5mmigkeit in dem Choral:
ifiil I I'l 'MI'ii iTi II iiPii I II III I II
^ De^desF C F Q cTa^ E F D IG 'c
mit dem die Trompete, die bekanntlich angefangen hatte,
die Themengruppe schlieOt. Zu verkennen ist nicht, daO
in der zweiten H&Ifte des urn das Pastoralmotiv gebildeten
Teils das Beharrungsverm5gen des Zuhorers auf eine Ge-
duldprobe gestellt wird. Je nachdem das Orchester besser
Oder schlechter ist, wird sie erleichtert oder erschwert
werden.
Sofort nachdem die Trompete mit ihrem (unbedeaten-
den) Choral fertig ist, geht es aus C dur mit drei knappen
Oberleitungstakten in die Durchfiihrung.
Sie beginnt, nach einer kurzen Intonation des Haapt-
tbemas, mit einem Satze snchenden Charakters, dem das
dem Choral vorhergehende Nebenthema, das vorhin als
Ausdruck der Zaversicht bezeichnet wurde, zu Grunde
liegt. Er endet still und ergebungsvoll in G dur. Danach
setzt sch5n und scharf in der Wirkung A dur ein, und in
schnellen Modulationen ziehen Umbildungen und Bruch-
stucke aus dem ersten Teil des Hauptthemas in Flote
und Horn vorbei, geheimnisvoll, aber farbenpr£lchtig. Der
zweite Teil der DurchfUhrung verbindet den An fang und
den Schlufi des Hauptthemas erst in einer Periode in F moll,
dann in einer zweiten in G moll. Von deren SchluO ab (As dur)
verschwindet der Anfang des Themas, die Motive des kr&fti-
genWoUensaus I p-i 1 1 a v I Iti fc^
seinemSchluB:^- J ^ I J, J. ii ^ und i^ i4 ^
behaupten das Feld und fiihren scheinbar zur Reprise: In
Dmoll setzt das Trompetenthema fff'va\. vollen Orchester
ein. Es ist aber erst der dritte Teil der Durchfuhrung,
den Bruckner hier bringt. Er gibt das Hauptthema —
wohl angeregt durch eine fthnliche Stelle in Beethovens
Neunter — noch einmal im Leuchten der Wetter, im
776
Donner und Blitz, in glftnzendster Machtentfaltung seines
ersten, des heroischen Teils. Dieser wird wiederholt, mit
Dissonanzen schattiert, nochmals wiederholt und bricht
in Edur tobend pl5tzlich ab. Generalpause. Paokensolo,
das im pp endet! Und nun erst melden sich wie schuch-
lern die beiden andern Teile des Hauptthemas — mefar
um der Form zu genugen als zu innerer Wirkung. Dieser
letzte, dritte Tell der DurchfUhrung hat alles entschieden,
es war ein Seherblick, weit hinaus in die Zukunft geworfen,
der ein Ende in Herrlichkeit gesichert zeigt. Ganz leise geht
die Durchflibrung zu Ende und ebenso setzt die Reprise ein.
Der zweite Satz (Adagio, quasi Andante, (^, Esdur)
deutet mit dem Anfang seines Hauptthemas:
Adagio.
fast in der Sprache der Klassiker die Sehnsucht nach
Ruhe und hoherem Frieden an. Schon nach AbschluO
der ersten 8 taktigen Periode setzen aber die in der zweiten
H&lfte dieses Beispiels enthaltnen Keime der Friedlosig-
keit zu einer Bewegung ,
an, die zu einem Aufruhr %iQcj^
der Gefuhle f uhrt, den die ^^^f
stumme resignierteKlage :
wie ein stilles Gebet endet.
Wie ein Bild aus einer besseren Zukunft stellt
nun der Dichter dieser Gegenwart einen formell scharf
verschiednen Satz gegeniiber, dessen erstes Thema:
, Ana»Dte Quaai Allegretto. ^a^tet. Um daS, was
ib'U J 7T III I Tils. M es noch an Zweifeln
gy/ '■* ^ J NiJ^iJ ' ^ J U * zurtkckiafit, vSllig zu
^ '"■"'' "*^ — beseitigen, gesellt
sich ihr noch eine zweite Weise hinzu, die ebenfalls im
vision &ren Ton eine Art Siegesmarsch anstimrot
MiftdrioBo. . I
—♦ 777 ^^
Ihr geliD^ es, die Stimmung zum Teil aufzuhellen: Froh
flieBen die Sechzehnielfignren in einer Gnippe der In-
stromeDte dahin, andere, die Hdrner z. B., bleiben abei*
bei baogen Fragen. Das ftlhrt dazu, daB die TerheiBnngs-
vollen Rhythmen des letzten Themas J J « "^ starkem
Ton bekr&ftigt nnd wiederholt, daO die freuiidlichen Zu-
kunftsvisionen der schonen Dreivierteltaktmelodie in groBer
Breite ausgefflhrt werden. Bei dieser Ausf&hrang ist aach
die Mannigfaltigkeit und der Reichtum der Farbenreize,
die von zarten Lohengrinkl&ngen schnell z^ einem wahren
Ransch schdnen Orchesterions anschwellen, nicht za ver-
gessen. Dberhanpt ist die Einwirkung Wagners in diesem
Satze nnverkennbar. Sie HuBert sich nicht bloB im Ko-
lorit, sondern auch in Harmonie nnd Melodie.
Nach dem AbschluB der Trostszene wird derHanpt-
satz wiederholt und erf&hrt dabei prftchtige Steigerungen,
ans denen die Stimme der Trompete sich besonders ein-
dringlich and ausschlaggebend hervorhebt. Der ganze
Satz zeigt Brncknem von seiner gewaltigsten Seite nnd
als eine fOrs Drama geborne Natur.
Der dritte Satz (Scherzo, ziemlich schnell, s/4, Dmoll)
ist dnrch eine gewisse Unfertigkeit originell, dnrch eine
Laune, die sich begniigt, mit Elementarmitteln zu wirken.
Wir h5ren vorwiegend rhythmische Motive, die nnr lose
zn Themen entwickelt sind und, wenn das, keine Ent-
wickelung durchgehen.
Im Hauptsatze schildert der Komponist humoristisch
eine Art groBen Sturm, ziemUcii schncu. ^ riihrtsich
der wie von der Feme ^^ ^ J^ J J i J ^ zunfichst.
einsetzt. Nur das Motiv ™ fip =* gg setzt
sich als liegende Stimme fest. Unter ihr steigen Figuren
stufenweise die ganze Oktav crescendo und drohend in die
H5he. Dann bricht ff das Thema
Zleoilleh sdineU.
los. Es bildet mit Wiederholungen und Ableilungen den
— <^ 778 ^—
IiJhalt des Hauplsatzes. Einmal bricht es in eine der bei
Bruckner haufigen plotzlichen Generalpausen ab, und da
erscheint denn. — die einzige im ganzen Scherzo — eine
fertige und durchgefuhrte singende Melodie.
fi fr if7irTi| II f^i^i^l^li II
^ VP creso,
Durch sie, die bald ^ ^t~--- .^^^^ beigesellt,
verstarkend ein Satz- ^^i [fH^ | »^i'p^^=||wird der Sei-
chen iiber das Motiv^^ "^ * ^ "tensatz im ei-
gentlichen Scherzo zu einer hiibschen Wiener Tanzidylle.
Auch das Trio sucht die Kunst darin, die Musik in
eine Szene von Naturlauten, hier freundliche und zarte,
aufzulosen. Eine Art Thema, meistens von der Bratsche
angestimmt,wirdvon
' r I IJ n I r I ®i^^6r bunten Reihe
^J ^ ^ * ^ " i 1 I kosender , zirpender
und trillernder Mo-
tive umkreist, so daC die Wirkung des Ganzen an ein
Vogelkonzert, an eine schone Stunde bei Weiher und Wald
nach Sonnenuntergang erinnert. Das ganze Studc (Trio
und Scherzo) ist darnach wie ein Gegensatz vom LSimen
der Stadt oder der Bahn und der Stille l^dlicher Einsam-
keit gedacht.
Das Finale (Allegro, (fj, DmoU) wird mit einer
Achtelfigur der Geigen eingeleitet, die zwar wesentlich
zu Begleitungszwecken dient, aber fur den Charakter des
Satzes nicht unbedeutend ist. Sie verkiindet Wirren und
Aufruhr im Geiniit, und dagegen erhebt sich in stolzer
Kraft breit und majestatisch das den Blfisern iibertragene
Ilauptthema
-Allegro. I , I I K 1
ij 11 1 Vjij. iij.i
,j :/ fr ff ff^
„ J J I -^ - ^ —•=-- Es gehort wieder zu den thema-
P # P t» \ V tischen Erfindungen Bruckners,
' ^ • I » in denen auf Melodie und schone
-^ 779 ♦—
Form ziigunsten der charaktervoUen Wirkung verziclitet
wird. Darin zeigt er sich als ein Schiiler liszts und
der Neudeutschen. Zweimal zieht dieses Zyklopenthema
vorbei. Dann verlaufen sich die wilden Gange im
Streichorchester. An ihre Stelle Iritt ein anmutiges Motiv
Unmanjer. ^ ci*s aber doch nur ein
^^
^ sache kommt in den
HOrnern, namlich ein Choralgesang :
^ ^ "IT
der sich breit hin entfaltet. Als er endlich still verklingt,
setzt wieder Sturm ein, diesmal von dem harten Motiv
- J getragen. An diesen Abschnitt
J jJitf m^ M - \m -TVii faiiipft sofort die Durchfiihrung an.
y^ »^ n r r T r r H Sie Weibt bei dem Viertehnotiv
**^ und bekHmpft es mit den herri-
schen, stolzen Motiven des Hauptthemas und stellt das
Bild einer Seele hin, die der Anfechtung spottet. Dieser
Durchfiihrungsteil ist nur kurz und schliefit (in F) mit
Klangen des Friedens, die uns aus dem Eingang von Schu-
berts C dur-Sinfonie geiaufig sind.
Die Reprise bringt die dem Hauptthema zugehSrige
Gruppe erweitert und im Ausdruck der Energie durch
Verkiirzung der Rhythmen, durch Nachahmungen und
Engfiihrungen gesteigert. Die Folge ist, dafi des zweiten
Themas, des Choralgesangs , ruhiges und frommes Wesen
sich noch klarer und schoner als im ersten Teil des Satzes
geltend macht. Die Komposition erhMlt damit einen aus-
gepragt christUchen Zug, und die Idee des Komponisten
tritt klar vor das Gemiit des Horers: >Wer in des Lebens
Wirren auf die doppelte Stiitze der eignen Kraft und dqs
Glaubens bauen kann, der siegt*. Und diesen Sieg spricht
das Finale dann noch einmal mit schoner poetischer Be-
ziehung und die ganze Sinfonie abrundend 4adurch aus,
-^ 780 ♦—
daB das Heroenthema des ersten Satzes und zwar in D dur
das Schlufiwort erhftlt.
A. Braeknery Seine vierte Sinfonie (Esdur) hat Bruckner die ro-
Vierte Sinfonie. ||)|y^^s(.})e genannt. Die Romantik, die er meint, ist die
des Waldes. Das Werk ist eine Waldsinfonie , aber aus
einem viel tieferen Geiste als die bekannte von Raff, die
eine galante franzosische Roman tik entwickelt Die Bruck-
nersche Sinfonie hat durchaus deutschen Charakter: er
sehnt sich nach dem Wald, seiner Heimlichkeit, seinem
tiefen Frieden in Klftngen, die an Steffen Hellers trauliche
Klavierszenen >Im Walde« erinnern. Mehr noch, Bruckner
hUlt im Wald, wie das altgermanische Heidentum, seinen
Gottesdienst , er geht durch die Reihen der erhabnen
St&mme mit den Versen des Dichters im Kopf: >Du hast
deine S&ulen dir aufgebaut und deine Tempel gegriindet*.
Dim ist im Sinne jener alteh Zeiten, wo wir Deutschen
noch ein Waldvolk waren, der Wald das herrlichste Gottes-
haus, der schonste Dom, den der Herr der Welten sich
selbst gebaut. Der Wald stimmt den Komponisten emst
religids, und ein feierlich erhabener Grundton, wie ihn
flhnlich Bruch in seiner Es dur-Sinfonie leise und ilfichtig
einmal anschlflgt, wie er aber sonst nur in den lang-
samen S&tzen aufzutreten pflegt, durchzieht die ganze
Sinfonie. Ihre vom Familientypus abweichende geistige
Haltung wird der eine Grund sein^ der ihre Verbreitung
erschwert. Ein anderer liegt darin, dafi sie fur die reich-
lichen Naturschilderungen , die sie enthfilt, ein ganz aus-
gezeichnetes Orchester und ziemlich genauen Vortrag
verlangt; ein dritter in der Ubermilfiigen Breite einzelner
Teile.
Besonders ist es der erste Satz (Ruhig bewegt^ (k,
Es dur), der durch tief religiose, ins Ewige sich versenkende
Stimmung ergreift. Sein Anfang und die um das Hauptthema
I gebildete
. . ^^^ b»w»gt.J = 7g j^ Gruppe
J— J) I ^ I I I J— Al * i erwedit
P im H6rer
Schauer der Andacht, umweht ihn mit Kirchenluft. An
— ♦ 781 ^^
Liturgie erinnert audi der Vortrag: das Horn, das be-
ginnt, gleicht dem Liturgen, der kleine Chor der Holz-
blfiser, der die Melodie ihm nachsingt, der respondierenden
Gbemeinde. Fiir den romantischen Charakter, den Bruckner
seiner Sinfonie geben woUte, ist dieses Hauptthema des
ersten Satzes das wichtigste Stuck; und das ees, mil dem
der zweite Abschnitt einsetzi, der HaupttrsLger des roman-
tischen, geheimnisvollen Elements. Aus der ehrfiirchtigen
Stimmung wird nach dem feierlichen Eingang bald eine
froh erwartungsvolle ; sie ist vertreten durch das Motiv:
das als eine Ergluizung ge-
^ , /^ ^ ^j, ^f £"^ wissermaGen mit ^m er-
£¥\ r r r r r I r ^ sten Ihema gehSrt. Der
^ ' AnfiEuig mit dem feierlich
breiten Ton spricht die Gottesfurcht, das neue Motiv die
Naturfreude des Komponisten aus. So haben wir in den
beiden Teilen des ersten Themas die beiden Hauptstucke
der menschlichen Grundlage vor uns, aus der Bruckners
Kunstwerke ihren Ursprung Ziehen. Mit dem Motiv der
Naturfreude bildet Bruckner die nSchsten Zeilen seiner
Dichtung. Sie nehmen bald den Charakter eines begei-
sterten Hymnus an. Der Dichter wird von einem Jubel
Uber die Schdnheit der Sch5pfung fortgerissen ; stiirmisch
drUngt die Harmonie in gewaltigen Modulationen fort und
setzt sich dann auf einmal, wie geblendet, auf dem F dur-
Akkord fest, alle Kraft der Empfindung in einem Gu6 aus-
schQttend. Bruckner liebt die Klangkontraste. So folgt
auch hier dem Rauschen des voUen Instrumentenchors
der stille Klang der beiden Homer, die einige Takte allein
das F halten. Es wird durch die B&sse, die des darunter an-
schlagen, zur Terz und die a i _ , -^
Bratsche setzt mit dftm ^Kli f J [^J I J J J I |^~^^
zweiten Thema, wie folgt ;?
ein. B dur ware die normale Tonart gewesen, Bruckner hat
Dea gew^lt. Die Ausweichung in eine entlegenere Har-
monie ist in diesem Falle ein Mittel romantischer Wirkung,
Bruckner bevorzugt aber auch im allgemeinen das Gebiet
der Unterdominant, sehr zum Vorteil des warmen Charak-
_^ 782 4>^
ters seiner Musik. Der Ton innig dankbaren GenieBens, den
der Anfang dieses zwei- ^ | |^ ^ ^ ^ ^ die zuerst
ten Themas anschlagt, JH. LT P ' | T »^s beglei-
geht mit den Motiven ^ tendej ein-
treten, dann selbstandig werden, in einen heitern iiber und
lauft in dem >; , ^ in den Aus-
SchluBglied J ulrt f ' P T f r r I ^f" /7 il dnickleben-
des Themas : 5* "^ " ' " ' ■ -J ■ I l^i^* digen Ent-
ziickens iiber. Das lluCert sich zuerst laut, jauchzt in die
Welt hinaus; dann wieder Heimlich wie im tiefsten Innern.
Es ist ein ungemein wandelbares Motiv, das bald den
innigen Elementen des zwei ten Themas die Hand reicht,
bald wieder aus dem ersten Thema die belebenden Tone
der Naturfreude herbeiholt. Die letztren fiillen auf langre
Zeit die Szene mit Spielen verschiedener Art, wie Kinder,
die vor Lust jetzt jauchzen, dann in stiller Anmut ihre
Kreise ziehen. Von einem stiirmischen Ausbruch der
'Freude, in dem zuletzt samtliche Mcssinginstrumente mit
dem Des dur-Akkord i b i i III ^®'^^'^» lenkt
auf dem Rhythmus •" J* J J | J J • Bruckner noch
einmal unvermutet in die ruhigere Region des zweiten
Themas ein, jetzt in dem normalen Bdur; im pp und in
Bruchstiicken verklingt es. Der Dichter schlieBt das Auge,
die Bilder schwimmen in seiner Seele ineinander. Sie ruht ;
unbestimmt und dammernd streifen Empfindungen und
Ahnungen durch die Brust. Das driickt die Musik mit
abwarts ziehenden chromatischen Gangen aus, die leiser
Paukenwirbel begleitet; die feierlichen Motive des Haupt-
themas und die lustig erregten des zweiten laufen durch-
einander. So schlieBt die Themengruppe des ersten Satzes.
Die Durchfuhrung beginnt im Traumeston mit deiii
feierlichen Anfangsmotiv des ersten Hauptthemas, das
durch kiihne Dissonanzen merkwiirdig romantisch gefarbt
wird, z. B. :
Viol, ^ . ^ . ^
_^ 783 ^-
Sie wendet sich danii zu breilen Bildungen liber das
Motiv der Naturfreude, die sich von den en in der Themen-
gruppe durch einen durchschnittlich ernstren Ton unter-
scheiden. Der christlich religiose Zug, der die Sinfonien
Bruckners unter hunderten kenntlich macht, gewinnt
auch hier wieder die Herrschaft tiber seine Phantasie.
Der Abschnitt endet in einigen Strophen Choralmusik, in
der die Trompeten die Stimmfuhrer sind. Als sie leise
ausgeklungen , setzt das zweite Thema des Salzes (von
Gdur) ein, jedoch mit verlangerlen Rhythmen und da-
durch ebenfalls in die kirchliche, fromme Empfindung
ubertragen.
Von diesem Punkte vollzieht sich der Ubergang in die
Reprise ganz naturlich, wie von selbst. Sie veriauft ohne
bemerkenswerte Cberraschungen und hinterl^Ot wohl bei
den meisten Zuhorern den Wunsch nacli Kiirzung, nament-
lich in der allerletzten SchluOpartie.
Den z weiten Satz (Andante, C, Cmoll) zu verstehen,
mu6 man bis in seine Mitte vorgehen. Denn zunachst
fragt man sich erstaunt: wie kommt ein Trauermarsch in
eine Waldsinfonie ? Die erklarenden Worte stehen unter
andren in Schumanns >Pilgerfahrt der Rose*, in dem
schonen vom Hornquartett begleiteten Mannerchor: »Bist
du im Wald gewandelt, usw.< Bruckner hat hier an den
Wald, an die Natur als Trosterin im Leid gedacht: So
malt er uns denn eine Szene des schwersten Leids: ein
Begrabnis. Die Celli singen eine.klagende Melodle,
Andaote. J = 66
P
einfach, als\oblsie [aus demJVolkslied stammte, und
doch ein wenig mit Chopinscher Stimmung getrfinkt,
wie denn Bruckner bei aller Schlichtheit im Grunde
seines Gemiits doch im-
mer und iiberall modern
bleibt. Die Begleitung, ein
Schubertsches Marschmotiv: PP
^^tffi4
i
784
zeigt uns Ort und Veranlassung der Klage, erklart und
malt die Situation. Die Szenerie wild bald noch mehr
verdeutlicht : Choralge-
sang, Trauerch5re, die fol-
gendermaGen einsetzen :
ft crt9^
unterbrechen auf langere Strecken den Marschrhytbmus.
Dann beginnt der Marsch vom neuen. Vom neuen auch
erhebt sich die klagende Stimme, aber viel gedampfter,
sie ist in der Mitte des Streichorchesters, in der Bratsche,
gleichsam versteckt
ijij jiiiii ii|ii| i|i niM|
und windet sich, halb unterdriickt, suchend und zu-
gleich flieGend dahin, bis der Marsch (in Cdur und
ppp) wieder schweigt. In diesem Augenblick lassen sich
wie von fern und von hoch oben Motive vemehmen
iWf ^^ die schon am Anfang des Andante,
Jt ^\ r^iT^r r'jTf^ ^^^ ^^ ziemlich unbemerkt auf-
y^ ' " ' L * ' I ^ tauchten. Wirkt diese Flotenstelle
nicht, als riefen Vogelstimmen aus dem Wald und bin zu
ihm? Nachtrfiglich wirds uns klar, daB schon von An-
fang an, immer in den Marsch hinein, kurze Naturtone
erklangen. Das Horn wars, manchmal auch die Trompete,
die ganz heimlich, bald mit einem einzelnen pi^
Ton, bald mit einem Motiv, am hftufigsten mit •• 3 J
lockten. Als die Bratsche sang, gaben sie sogar deren
Wendung wie im Echo wieder, zuweilen horten wir auch
den Quintenruf, der im ersten wie im zweiten Sate
thematisch so viel bedeutet.
Nach dieser entscheidenden Stelle, mit der der erste
Teil des Andante schlieGt, wandelt sich der Charakter der
Musik. Die B9.sse sinnen jenem FlStenmotiv nach und
wahrend sie es wiederholen und weiterfuhren, erfinden die
Violinen neue Melodien, die trostreich klingen:
p^ J I Tr r 'rTr'T'^tJ' ^^
-.^ 786 ♦^
Dann nimmt das Horn, nach ihm nehmen die Holz-
bl&ser das klagende Hauptihema wieder auf; aber der
Marsch, der dazu gehort, klingt nur noch eine Weile aus
den Bassen an, dann verliert er sich ganz aus der Er-
innerung, und Instrument nach Instrument tragen die
freudigen und lebenskrSltigen Elemente, die die Melodie
enthalt, in immer hellres licht. Es vollzieht sich ein
groBer Aufschwung der Stimmung. Freilich ist die Riick-
kehr zum Trauerton jetzt noch unvermeidlich. Der Mittel-
teil des Andante verklingt leiser und leiser, verschwindet
wie eine Vision, und sein dritter Teil, die Reprise, setzt ein.
Jedoch bleiben jetzt die Anklftnge an den Trauer-
chor weg, und sehr bald kommen die F15tenmotive wie-
der: schon vor dem Einsatz des Bratschenabschnittes.
Nach ihm setzt das Hauptthema wieder ein, aber mit
Kontrapunkten umspielt, die den starren Trauerton weit
wegweisen. Mehr und mehr klingt es verkl&rt und geht
in einen Trinmphgesang Aber, der mit allem Glanz des
Bracknerschen Orchesters den Sieg ttber alles Leid ver-
kundet und weit Uber Grab und Leichenzug binausweist
auf Himmel und ewiges Leben. Dieser SchluG des An-
dante ist seine Glanzpartie, poetisch ergreifend gedacht
und musikalisch kOhn und genial ausgeflihrt. Der Ober-
gang nach Cdur und die Riickkehr nach dieser Tonart
— von Oea aus — ragen besonders hervor.
Der dritte Satz derSinfonie, ihr Scherzo (bewegt,
^4* Bdur), wirft auf den Waldcharakter der Komposition
ein fQr jedermann gentkgendes Licht. Schon im dritten
Takt empfangen uns die H5rner mit Jagdsignalen. Der
Komponist ^hat ihnen in dem Satze soviel Platz einge-
rftumt, wie das vor ihm in einer Sinfonie noch nicht
vorgekommen ist Darin spricht sich sowohl Bruckners
kQnstlerische Naivitfit aus, wie seine groBe Liebe zu
solchen Schilderungen aus der fiuBern Natnr, die musi-
kalisch zu fassen und zu bezwingen sind. Drittens aber
spricht aus den breitern Bildern, die Bruckner aus den
einfachen Jagdmotiven entwickelt hat, auch eine ganz
eminente Begabung. Vielleicht stimmen die meisten
Kretzsehmar, Ffthrer. I, 1. 50
786
H5rer und Kenner dieses Satzes darin Q herein, da6 seine
grofien Gruppen — namentlich die des Hauptsatzes —
zu oft wiederholt werden. Aber innerhalb dieser einzel-
nen grofien Gruppen m5chte man nichts gekiirzt and
gestrichen wissen. Das sind Meisterstiickcfaen, unfiber-
trefflich lebendig, farbenreich und wirklich romantisch.
Was ist das fUr ein interessantes Konzertieren zwischen
Horner n und Trompeten, und wie hat Bruckner es ver-
standen, durch Harmonien, namentlich durch den Ge-
brauch von Dissonanzen, diese Brocken aus der gew5hn-
lichen Gewerhe- und Bedientenmusik zu kQnstlerischer
Bedeutung zu bringen, aus ihnen Bilder von packender
Naturtreue zu gestalten! Die Muster aus Berlioz* »Re'
quiem< und aus Wagners »Tristan« habeu hier ebenbur-
tige und selbstftndige Leistungen erzeugt
Neben dieser Naturmusik, aus den Jagdsignalen
gezogen, verschwindet der melodische Gehalt des
Scherzos bis auf ein Minimum, das sich auf das Motiv
tf,t . . f und noch
-^^^IHJv-r^PF^ J) -r f p I P r [£j I r II mehr auf
Jf das einer
weicheren
Stimmung
gewidmete
stutzt. Wenigstens was im Hauptsatz des Scherzos den ersten
Teil betrifft. Sein zweiter Teil beginnt mit einer Durchftih-
rung der im ersten aufgestellten Motive, bei der der Ausdruck
nnrer tiefrer Geftihle vor der Jaglust den Vortritt erh<
In einem noch scharferen Gegensatz zu der Schilde-
irung des aufgeregten Waidmannslebens tritt, wie zu er-
warten, das Trio. £s klingt auf Augenblicke wie ein T&nz-
chen und wirkt auf Grund seiner gemftchhchen, auf niedere
Volksschichten und ihre Freuden weisenden Hauptmelodie
Gemacfallcb*
fi'>'ijJ|rT7J7iii jjiJlJJJJi^
Q^% Ges \ Gcs 0«s i Gee
sehr drollig, stellenweise burlesk.
Ges
i
0^
5
G«s
_^ 787 ♦^
Das Finale (Mftfiig bewegt, (^, Esdur) beginnt
wie in Nebel und Dftmmrung mit einer Stimmung, die
noch im Kl&ren begriffen ist. Wir boren uber ver-
worrenem Rauschen des Streichorchesters ernste Motive:
;i in Horn und Klarinette. Eine
,Mi»»igbew|B>gt.w^^__^ ^gjjg werden sie durch Reminis-
__ r^ 3 zenzen ans der Jagdmusik des
^^^^ * Schcrzosvertrieben,under8tnach
einem langen, m^chtig g&hrenden crescendo schliefien
sie sich zu folgendem Haupttbema:
des Satzes zusammen. Niemandem wird es entgeben,
wie sicb diese stolze Weise wieder der feierlicben Stim-
mung des ersten Satzes nahert und infolgedessen ancb
niemanden iiberrascben, wenn das Haupttbema dieses
ersten Satzes schon bald, bier im Finale, vor nns bin-
tritt. Es mu6 sicb aber den ZulaG gewissermafien er-
k&mpfen and erzwingen and kommt durcb eine Krisis
gescbritten, in der drobende and freadige T5ne in er-
scbreckender Wildbeit zusammentrefifen. Namentlicb eine
rbythmische Formel (Acbtelsextolen) ist's, die darin so
erscbreckend wirkt. Wer bisber nocb ungewiB war, dem
mufi durcb sie klar werden, da6 der Komponist in die-
sem Finale an die Scbrecken des Waldes, an den Wald
in Nacbt and Sturm, an seinen diistern, gespenstiscben
Cbarakter gedacbt bat. Dem Haupttbema des ersten
Satzes folgt auf dem Fufi ein Zitat, oder besser ge-
sagt ein Anklang an das Andante und seine cbarakte-
ristiscbe Marscbbewe- j
gang der B&sse. Die ^ i '<&-->> ^ _ ^-^^^ .
Klagemelodie bat eine ^riiVf I T'Crf T f 1^
Umwandlang erlitten. ^
Ibr nacb kommt so- ^ , l.^-^ t ^ -^
fort eine freundbcbe krVV^'lSl J IJ^JJ^T]^
Melodie : '^ P ^"" — ^
60*
— ♦ 788 •^
die als zweites Thema im Satz gelten kann. Sie f&hrt
zu einem Abschnitt anmutiger Tr&nmereien, die aus der
Gegenwart in ferae Zeiten, vielleicht der Kindheit eilen, bin.
Sie setzen sicb scblieB- . das wieder
lich um das spieleri- A)r\, ^ f* 'V i i = eiamal ana
sche, tftndelnde Motiv *^ ^'^^-^ einer Be-
gleitangsstelle hereinkaro, fest. Als das zweite Tbema zum
zweiten Mai (in der Klahnette) eingesetzt hat, kommt bald
eine rauhere Antwort. ,
Das auf die vorhin * * ^ ^4
erw&hnten Achtelsex-
tolen gebaate Thema
beherrscht jetzt auf einige Zeit be&ngstigend die Szene.
Dann tritt aber das zweite Thema wieder beruhigend ein
und schliefit den Teil des Finales, der ungeffthr der
Durchf&hrung entspricht.
Das Finale seiner Romantischen Sinfonie geh5rt im
allgemeinen zu Brnckners schwierigsten Sinfonies&tzen.
Die Them en sind nicht so einfach geformt und nicht so
bestimmt im Ausdruck, wie er sie sonst gew5hnlich gibt;
zum Teil erhalten sie ihre Bedeutung erst durch den erst
bei l&ngrer Vertrautheit zu Tage tretenden Zusammenhang
mit Melodien aus dem ersten Satz. So soil z. B. das zweite
so wichtige Thema des Finale auf das Sextenmotiv im
Hauptthema des ersten Satzes auf das geheimnisvolle
bezogen werden. Besonders
^ i'"^! J_ jl P<^ ^^<^ <^&s Verst&ndnis des
' ^^^^ Satzes aber durch die groOe
Anzahl der in ihr aufgestellten Themen und Motive er-
schwert. Diese Menge der Ideen ist bier nicht ein Zeichen
von Fruchtbarkeit und Reichtum, sondera sie ist die
Schwftche der Komposition, die Folge ungenttgender
Durchdringung und Beherrschung des Stoffes.
Alle diese Schwierigkeiten des Finale sind in seiner
Reprise noch dadurch wesentlich gesteigert, da0 die
Themen hier bis zur Unkenntlichkeit umgebildet und
auch an ganz andere Plfltze gestellt werden, als sie in
der Themengruppe des Satzes inne batten. Auch die
m
— <^ 789 ^^
Breite einzelner Telle st5rt Nur in eingehender BeschM-
tigung mil dem Satz lemt man deshalb seine Reprise
begreifen. Einen Fingerzeig bietet der Umstand, dafi das
oft erw&hnte zweite Thema in ihr die geistige Ffihrung
ubernimmt. Sie hat bedeatende sinnliche Wirkungen:
eine der gewaltigsten da, wo das umgebildete Hauptthema
so unvermutet hinter einem Trngschlusse verschwindet.
Das ist zugleich ein Beispiel ftir Bruckners Kunst der
schnellen Stimmangsiiberg&nge. Vor seiner Phantasie
wechseln hier majest&tische Bilder aus der Natur mil
wunderbaren, iiberirdischen Erscheinungen. Vor ihnen
wird seine Tonsprache magisch und mystisch, der Glanz
des voUen Orchesters macht der Leere Platz, der warme
Tonstrom einem Tasten und Stammeln zersttickter Mo-
tive. Zugleich tritt an dieser Stelle auch der EinfluB sehr
deutlich hervor, den Wagners Werke auf Bruckner aus-
zuiiben pflegen. Hier h5ren wir das Verwandlnngsmotiv
aus dem >Ring des Nibelungen«, und mit den Kl&ngen des
»Fenerzanber< geht seine Romantische Sinfonie zu Ende.
Die ftknfte Sinfonie Bruckners (Bdur) ist ein freund- A^Bmeluiery
liches Kunstwerk, das in vier groBen, flott entworfnen ^^"'^ S*'^^"*®
und durchgefuhrten Bildern den uralten Gegensatz zwi-
schen froher Kraft und Bedenklichkeit behandelt.
In der Einleitung zum ersteii Satz (Adagio, Bdur,
^ und Allegro, it) begegnet sie sich mit Beethovens
Bdur-Sinfonie und teilt mit ihr die D&mmerungsstimmung
und deren Entwickelung um ein tastendes Achtelmotiv.
Ganz unversehens und sehr bald wird diese Ruhe durch
ein fir unterbrochen, in dem das voile Orchester nach-
drQcklichst den Ges dur-, dann den B dur-Dreiklang into-
niert, um beidemale eine Choralzeile folgen zu lassen.
Von da ab wird die Stimmung bewegter, kr&ftiger und
dr&ngt hiniiber ins Allegro. Wie aus dem Dunkel, sttlck-
weise und in der Harmonie romantisch schillernd, tritt
aus ihm das Haupthema m&chtig und bedrohlich herrisch
hervor. Das Gegenthema kommt mit einer Wiederholung
der Einleitung in der Form nachdenklichen, innerlich
stark bewegten Gesanges, und fortan bleibt der h&ufige
-<^ 790 <^^
Wechsel zwischen Allegro und Adagio das formelle
Hauptmerkmal des Satzes. Zu den beiden leitenden
Themen treten noch zahlreiche Nebenmotive antreiben-
den, z5gernden, vermittelnden Charakters, and aus ihnen
entwickelt sich eine Reihe bald ritteriich kampflustiger,
bald heimlicher und kirchlich frommer Szenen, die in
den Oberg&ngen, in dem Einerlei der Periodisierung and
in der vorwiegend bequemen Arbeit zum Teil Improvi-
sationen gleichen, aber darch die den Themen eigne
musikalische Naturkraft und durch die lebensvoUen Har-
monien, in die sie immer neu eingekleidet werden, er-
frischen und fesseln. In einem von dem Eingangsmotiv
des Hauptthemas getragnen Jubel enderder Satz.
Ihm folgt als zweiter ein Adagio (Dmoll, ^/i), das
die GegensRtze des verausgegangnen Allegro beide ge-
mildert und in umgekehrter Reihenfolge bringt. An erster
Stelle steht jetzt als Bitte eine sehr einfache und r&h-
rende Melodie, an zweiter eine VerheiCung, die sich
thematisch sehr breit und reich entwickelt und erst im
Verlauf der Durchfiihrung und da nur voriibergehend
«me gedr&ngtere und feste Gestalt annimmt. Das Haupt-
inaterial f£kr die Entwickelung des Satzes liefert der
dritte Takt des Hauptthemas. Dem fiir den ersten Satz
charakteristischen Wechsel des Tempos entspricht im
Adagio die Rombination verschiedner Rythmen: Die
Oboenmelodie wird von Geigenfiguren im 6/4 Takt beglei-
tet, und an ihnen halten auch die B&sse fest. So ist
dem Satz auf einfache Art ein Element der Unruhe ein-
verleibt, das selbst der friedliche Ausgang nicht vergessen
macht.
Es bildet auch das Band zwischen Adagio und dem
dritten Satz, einem Scherzo (Molto vivace, Dmoll, »/4).
Ja, eins unter dessen DurchfUhrungsmotiven entpuppt
sich als eine Umbildung aus dem ersten Thema des
Adagio. Der Satz ist von den ersten Takten und vom
Anfangsthema ab sehr reich an kurzen Melodien, die alle
aus dem Triiben heraus wollen und den Ton der Freude
bald in volkstumlich heitrer, bald in trotzig fmstrer Form
--^ 791 <j>-
anschlagen. Das iibliche Trio, das ziemlich lange auf
sich warten l&Qij setzt zwar sehr schlicht beruhigend ein,
aber das Horn schiebt ihm mit einem Ges eine Harmonie
unter, die auch seinen Frieden triib beleuchtet.
Der vierte Satz, das Finale der Sinfonie, markiert
den Charakter der Unentschlossenheit und des Schwan-
kens nochmals anfs sch&rfste dadnrch, da6 es im Ein-
gang auf Themen des ersten Satzes und des Adagios
zur&ckgreift. Dann aber sammelt es alle Bnergie in
einem gebieterisch willenskr&ftigen Thema, das sofort in
Fugenform ausgefUhrt wird und sich sp&ter gegen eine
Reihe zarterer Regungen majestfitisch durchsetzt Bald
nach dieser Stelle kommt die Entscheidnng durch ein
leicht an die Oboenmelodie des Adagio ankniipfendes
kirchlich feierliches Thema, das, zun&chst ebenfalls fn-
giert, die Herrschaft fiber die Partitur beh<, alles, zu-
letzt auch das Hauptthema, unter seine Fittiche nimmt
und die Sinfonie in einem bet&ubenden Festesrausch mit
flattemden Fahnen und Volksjubel zn Ende fQhrt.
Die sechste Sinfonie (Adur) wird auch von den i.Bmekner, ^
begeistertsten Anhftngern Bruckners in zweite Reihe Sechste Sinfonie;
gestellt, weii sie ihematisch ungleich und weniger
glUcklich ist als die Mehrzalil der andren. Im
ersten Satz Maestoso,
ist da. ernste j^jjtl^p | f .| H^d j J \.l_^
rc
Hauptthema: p
vom besten sinfonischen Schlag, aber das zweite:
fluj setzt zwar
^V JtljiTy^i r, I'T r Nj^ "TT^schdn an,
versagtaber
schon im zweiten Takt. Auch im Adagio ist die Erfindung
nicht Brucknerisch. Origineller wirkt das Scherzo durch
seine dramatische Erregtheit, und das Finale rUhrt gerade-
zu durch den mdden Ton seines Hauptthemas. Es ver-
r&t damit die N&he von Bruckners neunter Sinfonie. An
ftuGrer Wirkung fehlt es auch dieser sechsten Sinfonie
nicht, an subtilen und iiberw<igenden Klangphantasien
ist sie ebenso reich als die andren.
_^ 792 «>-
ri. Brmekaer, Abgeschlossen hat Bruckner seine markante sinfo-
Nennte Sinfonie. nische Arbeit mit dem Torso einer neunten Sinfonie
(Dmoll), die, von Ferdinand Lowe ans dem Nachlasse
heransgegeben, des vierten Satzes, des Finale entbehrt
Sie begegnet sich mit Beethovens Neunter nicht bloO in
der Wahl der Tonart und als SchluOwort, sondem viel-
fach anch in der Stimmung. Noch mehr als ihre klas-
sisch monnmentale Vorg&ngerin ist sie ein Werk der
Schwermnt Feierlich dQster setzt der erste Satz
(Dmoll, (^) ein, mit dem Beelhove- u j spannend,
nischen knisternden Erwartuugsmotiv •v' • bricht in
gewaltige Kiagen aus, wQhlt fragend und bittend, stimmt
dann eine schftne,,^^ _ . _ . <r i ■;--,
breite, belle Melodie AT 2 f^jji I f^;/! I V T 'TPr_T^l
der Hoffnung an: P
umklammert sie bald sanft, bald stiirmisch, sucht die D&-
monen der Furcht durch geliebte kirchliche Weisen zu ban-
nen — umsonst! Das eherne Gesetz menschlichen Loses,
vom Haupt- ^ ^->_.. j
thema aus- §^ Hi ° !>" J; I Ij T^t^^
etc.
gesprochen : -^
tritt ihm immer wieder bis zum Schlusse entgegen.
Der zweite Satz (bewegt, lebhaft, DmoU, ^/i) ist das
vielleicht grausamste und unheimlichste Scherzo, das die
sinfonische Litteratur aufzuweisen hat. Die Themen sind,
auch im Trio, nur Figuren, die im verminderten Sept-
akkord spukhaft, fahl, gehetzt und entsetzt hinauf und
hinabjagen; als Kern der Musik tr> die Erinnerung
die morderisch dr5hnenden Rhythm en der H5rner, Trom-
peten und Posaunen heim.
Der dritte Satz (Adiagio, Edur, C) empf&ngt den
H5rer mit dem Eingangsmotiv von Wagners Faustouver-
ttire und mit der Ghromatik und der groBen Sehnsucht der
Tristanmusik; verzweifelte Kiagen wechseln mit Grabes-
ruhe. Nur auf kurze Zeit lichtet sichs etwas in einem sch5n
melodischen Asdur-Satze, der als Alternativ wiederkehrt.
Wie in Bruckners Fmoll-Messe birgt sich anch in diesem
Adagio viel Todesfurcht, doch klingt es versdhnend aus.
--^ 793 *>-
Dafi die deutsche Masik in der Sinfonie mit einer
Schole Bruckners zu rechnen habe, wnrde aus einer Ver-
mutnng dorch die Gmoll-Sinf onie von Gustav Mahler B. HAhler,
zar Tatsache. Sie ist die zweite Sinfonie des Kompo-E"^.'^^***^®'*®
nisten ; seine erste (in D dur), die durch eine AufT&hrang *° ®°*®*
auf dem Weimarischen TonkQnstlerfeste des Allgemeinen
Deutschen Masikvereins (i. J. 1894) znerst weiter bekannt
wurde, ist romantisch pastoralen Charakters und war
frQher unter dem Gesamttitel » Titan* mit folgendem
Programm versehen: »L Teil. Aus den Tagen der Jagend,
Tugend-, Frucht- und DornenstUcke. II. Teil. Commedia
umana.« Der erste Satz dieses zweiten Teils, der bei der
Weimarischen AuffQhrung als »des J&gers Leichenbe-
g&ngnis« bezeichnet war, ist in seiner Mischung von
tollem Scherz und Ernst der eigenste, die erste Visiten-
karte des ironischen Mahlers. Die C moll -{Sinfonie ist
durchaus emst und pathetisch, sie bekennt sich zu
Bruckner, aber nicht bloB in der Richtung der Ideen,
sondern sie stellt diese zum Teil mit Brucknerscben
Mitteln, z. B. mit hauiiger Anlehnung an Choralweisen,
dar, und sie steht drittens, und zwar noch mehr als
Bruckners eigene Werke, unter dem starken EiniluG
Richard Wagners. An keiner fr&heren Sinfonie kann
man so wie an dieser Mahlerschen merken, wie die
neuere Musik immer mehr von dem Geist und auch von
der Sprache des Bayreuther Meisters aufnimmt. Seine
Macht ist schon jetzt der, die Schiller in der ersten
Halfte des 19. Jahrhunderts auf die deutsche Dichtung
ausQbte, mindestens gleich.
In mancherlei Aufierlichkeiten macht die C moll-Sin-
fonie Mahlers den Eindruck eines auGerordentlich schwie-
rigen Werks. Sie mischt, scheinbar ohne einen Anhalt
dafUr zu geben, wie Berlioz' »Romeo und Julie*, Instru-
mentalmusik mit Solo- und mit Chorgesang, sie hat
sechs SUtze. Von alien diesen Schwierigkeiten bleiben
nur die, welche ihr unerhorte Blechmassen verbraucben-
des Orchester und die technische Natur des Werkes der
Auffiihrung bietet Zu verstehen ist sie ziemlich einfach,
-^ 794 «^
wenn man nur dartiber klar ist, da6 sie nicht eine Zu<
sammenstellung von allgemeinen Stimmungsbildern geben
will, sondern dafi sie zu jener ungeheuren groGen Klasse
von Programmsinfonien geh5rt, deren Komponisten eine
Angabe fiber das Programm fiir unndtig erachtet haben.
Ihr Inhalt berUbrt sich einigermaGen mil dem von Drae-
sekes CmoU-Sinfonie. Sie schildert das Ende eines edlen
Menscben, der einen schweren Verlust nicht verwinden
kann. Die Beziehnngen zn Draeseke sind rein zufallig
wesentlichere dagegen bestehen zwischen Mahlers Kom-
position und der Sinfonie fantastique von Berlioz. Auch
Mahler neigt, wenn auch dorch bessem Geschxnack ge-
zfigelt und gehaiten, ein wenig roit seinem Programm
zur Schauerromantik; noch mehr gleicht er ihm in dem
Streben nach neuen Orchesterwirkungen. Sogar eine
Besenrute nimmt daran Teil. Sie sind im ganzen
edler als die der Sinfonie fantastique und beruhen im
wesentlichen auf einer Obertragung der von Wagner
fUr den >Ring des Nibelungenc ersonnenen Farben in den
Konzertsaal. Mahlers CmoIl-Sin/onie bildete fdr ihre Ent-
stehungszeit den Superlativ dessen, was die neue Zeit in
der Kunst der Kl&nge und Klangmischungen erreicht und
vor sich gebracht hat. In der Menge imposanter, m&ch-
tiger T5ne hat sie in der fdiheren Sinfonieliteratur nicht
ihresgleichen. Sie ist aber auch ein durch hohe und edle
Ideen hervorragendes Werk.
Der erste Satz (Allegro maestoso, d Cmoll) beginnt
mit Motiven des Schwankens und der Aufregung, des
emp5rten Gemots, als wenn sich einer strftubt, eine furcht-
bare Nachricht zu glauben. Des weiteren entrollen ihre
Bilder den ungeheuren Schmerz einer grofien Seele und
Begr&bnisszenen. Die Phantasie sucht sich dem Ein-
druck des Verlustes durch Flucht in feme, holde Zeiten
zu entwinden. ~ Die Form, in der dieser Inhalt darge-
stellt wird, entspricht in den grofien Zilgen dem Aufbau
des Sonatensatzes. Schwierigkeiten verursacht vielleicht
das Verstftndnis des ersten Themas dadurch, daO sein
Kontrapunkt als ein selbstandiger Ideenteil vorausge-
-^ 795 ^^
schickt wird. Das zweite Thema tritt ungewdhnlich bald
ein und ist in mehrere Grnppen zerteilt.
Der zweite Satz (Andante con moto, 3/g, Asdur) zeigt
den Helden des Tongedichts bemiiht, sich in des Lebens
Behagen und in seiner Alltaglichkeit wieder zurecht zu
finden. Erregung klingt bald leise durch diese Versuche
durcb, bald bricht sie leidenschaftlich aus und wirft die-
selben T5ne der Verzweiflung in das Bild, die im ersten
Satz so erschiitternd wirkten.
Der Hauptsatz dieses Andante hat ein Thema, das
dem Walzer der Volkmannschen Fdur-Serenade wohl ab-
sichtlich nachgebildet ist. Ein Kontrapunkt der Celli
sacht die Tanzweise zu heben, ein festliegender Ba6 zieht
sie ins Wunderliche und Ld^cherliche.
Der dritte Satz (ebenfalls ein ruhiger s/^ Takt, in
Cmoll) fiihrt die Versuche vom Schmerz loszukommen,
einen gewaltsamen Schritt weiter. Um zu vergessen,
verliert sich der Trauernde ins Triviale, begibt sich
mit den besten Teilen seines Wesens in unwiirdige
Gefahren. Umsonst! Durch alle Lagen, auch durch
die Stunden neuer Hoffnungen, dringt der alte Schmerz
wieder durch. Die Wunden der Seele bluten nur hef-
tiger.
An neuen, iiberraschenden Mitt ein der musikalischen
Karrikatur durch Klang und Melodik ist dieser Satz sehr
reich. Seine gebrochene Schlufistimmung fiihrt hochst
natiirlich hiniiber zum
Vie r ten Satz, einem feierlichen CTakt in Desdur,
der ein Altsolo einfuhrt und ihm ein >Urlicht< betiteltes
Gedicht aus »De8 Knaben Wunderhorn« iibertrHgt. Wer
dem zweiten und dritten Satz mit dem richtigen inner-
lichen Anteil gefolgt ist, wird nicht befremdet sein, wenn
hier die sinfonischen Traditionen plotzlich durchbrochen
werden. Der Verlauf lieG fiir den Helden nichts tibrig
als die Sehnsucht nach dem eignen Tode, und diese
spricht das Altsolo — fiir viele Znhorer vielleicht iiber-
flUssigerweise — ergreifend schon, in der Tonsprache
alter Zeiten aus.
-^ 796 ^^
Aus diesem Verh<nis folgt, dafi der zweite, dritte
und vierte Satz eng zusammengehOren und daB vielleicht
ihre llufiere Trennung besser unterblieben wftre.
Der ffinfte Satz, kurz gegliedert, zerrissen, im
Tempo immerwechselnd, fQbrt diejirreleitende Oberschrift:
>Im Tempo des Scherzos*, die wohl nur fdr den ersten,
entsetzlich wild hereinfahrenden Abschnitt p/s Takt) gelten
soil. Jedenfalls darf niemand den Charakter des gewShn-
lichen Scherzos erwarten. Der Komponist schildert hier
ein Gemtlt unter den Eindr&cken, die der EntschlnG zum
Sterben hervorruft. Er gibt uns Chor&le und fromme,
feierliche Gedanken der Ergebung, des Hoffens auf Gott
und Jenseits, der Liebenswiirdigkeit im schroffen Wechsel
mit dem Ausdruck der Klage, des Entsetzens, des Todes-
grauens mit phantastischen Bildem geistiger Umnachtung.
Sie treten ganz besonders hervor in einem kurzen Ab-
schnitt, den H5rner — die Stelle hat die Oberschrift:
>Der Rufer in der Wilste* — mit Signalen einleiten. In
der Mitte der Komposition regt sich in einem kr&ftigen
Marschsatz (F dur) noch einmal die Lebenslust Als alles
zu Ende ist und Stille eintritt, spielen Mittelstimmen leise
auf das zweite Thema des ersten Satzes an.
Der SchluGsatz kniipft ebenfalls an die sanften be-
freienden Ideen dieses Themas in seinem Hauptinhalt an.
Den Anfang macht ein romantisches Konzert zwischen
Trompeten, H5mern, die aus der Feme spielen, mit der
SoloflQte und der grofien Trommel des Orchesters. Es
hat wohl zu der Oberschrift des Satzes »Der groGe AppelU
Veranlassung gegeben und will das Auferstehen der Natur
im Fruhling zugleich mit der Auferstehung der Toten vor
die Phantasie fuhren, Bilder eines Michelangelo und eines
modernen Idyllenmalers in einen Rahmen dr&ngen. Bald
darnach tritt der Gesangchor ein und singt: »Auferstehn,
ja auferstehn«. Der zwischen Solisten und Chor verteilte
Text erklftrt auch das weitere.
Wenn sich diese frdher lange ignorierte Gmoll-Sin-
fonie Mahlers mittlerweile in den Konzertsfilen (als »Auf-
erstehungssinfoniec) eingebQrgert hat, und wenn auch
_^ 797 ^>-
seine weiteren Sinfonien bis zur achten — die neante ist
augenblicklich noch nicht verdffentlicht — in der Statistik
der AuffUhruQgen in der vordersten Reihe der Novit&ten
stehen, so ist das die Folge der raschen und kaum zu
ahnenden Entwicklang, welche der Komponist nach jenem
Werke genommen hat. Er ist sehr bald ein KrSsns der
Orchestertechnik und darUber hinaus ein Sinfoniker von
ganz eigener geistiger Bedentung geworden. Es wird
allerdings noch einige Zeit kosten/bis seine Sinfonien
nach dieser letzten Seite bin voll verstanden werden, und
eine unbedingt begltickende, zur Liebe zwingende Wirkung
wird ihnen ffir immer versagt bleiben. Aber als Seelen-
bekenntnis, als eine fUr viele sprechende Stimme aus der
Zeit des Komponisten , haben sie schon jetzt ihren ge-
schichtlichen Wert
Mahler begn> sich nicht damit, erlebte oder ge-
trftumte Freuden und Leiden in Tonbilder zu fassen, nicht
mit der Wiedergabe von seelischen und sinnlichen Ein-
dn&cken, die der Aufnahme und Verwertung in jedermanns
Phantasie und Gemtit sicher sind, sondern er will vor
allem eine Weltanschauung predigen. Das tun die grofien
Meister auch, aber implizite und unwillkarlich ; Mahler
dagegen geht von der bestimmten Absicht aus, seine An-
schauungen vom Leben und vom Menschentum, vom
Wert irdischen Treibens und Wfthnens zum Ausdruck zu
bringen. Er ist ein sinfonierender Philosoph und als
solcher, weit fiber Wagner hinaus, Vertreter jenes mo-
dernen, unerbittlichen Pessimismus, als dessen literarische
Hauptapostel Schopenhauer und Nietzsche allgemein be-
kannt sind. Von letzterem unterscheidet ihn noch ein
starker Rest von Humanity t, der Glaube an die besee-
ligende Macht wahrer Liebe, an den Trost und die auf-
richtende Kraft festen Wollens und Ringens. Aber die
kleinen Erg5tzlichkeiten der Menschheit, ihre Menuetts
und Scherzos, auch ihre frommen und kirchlichen Siche-
rungsmittel hafit er wie Einer und geht in ihrer Ver-
spottung gelegentlich bis zu einem Punkt, der die Krimi-
nalitftt streift.
-^ 798 ^>—
Damit erledigt sich einfach die oft aufgeworfene
Frage: warum Mahler seinen Sinfonien keine Programme
beigegeben babe, und damit erkl&rt sich auch die Menge
oft abstofiender parodistischer Ztige, die in den Mahler-
schen Sinfonien auch dem Ahnungslosesten auffallen und
die so viele seiner Zuhdrer zur Zeit noch verwirren.
Mahler gehort zu den im tiefsten Grunde unglticklicben
Naturen, an denen die Geschichte der Ktinstler und der
hervorragenden Geister nicht eben arm ist; seine Sin-
fonien bezeugen aber unabweislich, daB er auch zu jenen
edlen Naturen zu z&hlen ist, die in der Resignation ihren
Halt gefunden haben.
Rein musikalisch imponiert Mahler am st&rksten
durch die Beherrschung des Kolorits. Diese von den
Neueren nahezu zur Hauptsache gemachte Nebenkunst
meistert er nicht bloB in ihren bekannten Wirkungen
und Wundern und in der ganzen Skala vom Subtilsten
bis zum Gewaltigsten vollst&ndig virtuos, sondern er liebt
es hier auch, vom GlUck bald getragen, bald yerlassen,
stark zu experimentieren. Unter den von ihm in der
Sinfonie neu versuchten Instrumenten fehlen nur noch
die Hupe und die Dampfpfeife; Orgelton und Giocken-
klang, beide schon fr&her versucht, werden ihm vielleicht
das bleibende Burgerrecht in der Sinfonie zu danken
haben. Auch als Kontrapunktiker leistet Mahler AuBer-
gewohnliches. Regelrechten Fugen und Variationen ist
er abhold, gelegentlichen kleinen Ranons geneigt, die
Hauptkraft aber wendet er der Umbildung von Themen
und Motiven, der Kombination getrennter Ideen und
der reichen Einkleidung der Hauptgedanken durch selb-
st&ndige, in interessanten, auch harten Dissonanzen schil-
lernde Begleitungsmotive zu. Im letzteren Punkt folgt
er dem zuerst von Wagner gegebenen Muster mit einem
gewissen Uberschwang; das Mahlersche Orchester fesselt
durch innere Lebendigkeit, zuweilen aber ist es Qberladen.
Als Erfinder ist Mahler vielseitig und immer charakter-
voU, aber nicht eigentlich universell und originell; nament-
lich da, wo die Themen GroOe und Aufschwung aus-
-^ 799 «^
driicken sollen, wo ihr Wesen auf der Tagesseiio measch-
lichea Dichtens and FUhlens liegt, bleibt er nicht selten
trocken, kommt tkber Marschweisen nicht hinaus and
verftkgt nor iiber eine sp9,rliche Zahl rhythmischer und
melodischer Grundformen.
Die dritte Sinfonie Mahlers (Dmoll) verlaaft in zwei 0. Hakier,
Abteilungen, von denen die erste aas dem ersten Satz, Dritto Sinfonie
die zweite aas den folgenden f&nf Nummern besteht.
Jene bietet das Bild einer groOartigen Kraftentfaltung,
diese stellt ihm T&ndeleien entgegen, aber die erst am
Ende wieder ein starker and e raster Geist siegt.
Der erste Satz (Kraftig, entschieden, Dmoll, ^/4) be-
ginnt mit folgendem Haaptthema:
I iifrr|r|ir|fi^r|rii|[|j||i|iiii|| ini, mii \\_\
Seine ersten Takte stellen mit dem Zitat aas dem be-
kannten Stadentenlied >Ich hab^ roich ergeben asw.< eine
frohgemate, patriotische Stimmang fest, die aber be-
reits in der zweiten H&lfte in Unrahe and ins Schwan-
ken ger&t. Mahler l&Ot die einfache Melodie von acht
H5rnern im unison o blasen. Schabert kommt bei einem
ahnlichen Zweck im Anfang seiner groOen Cdur-Sin-
fonie allerdings sehr gut mit zwei aus, trotzdem ist das
Mahlersche ll^assenaafgebot keine bloBe Marotte oder
AuBerlichkeit , sondern der Komponist braucht eine
Flotte mit tausend Masten, damit der schnell eintretende
Schififbrach um so klS.ghcher wirkt. Schon bei der
letzten Note des Themas weicht der gl&nzende Klang
einem doppelten and dreifachen Piano, die Stimmang
ist gebrochen, die ^yi^ j ^_^ , ^ [ } sie klagen
B&sse f ragen leise : ■ ' -J3-*' Ji ^ — laat and wild:
fi- Irffi ^ if P r •^T"*'— I ""^ ^*® Trompe-
'^% ^tftCiTl I' r I " ri te gibt mit grel-
XT ler Dissonanz in:
JL j ^ fm\u\ Til einer Verzweiflung, einem
"^ str ™ii: ' JkdM^^ Unfrieden Aasdrack, aas
■ -^ ' '*'■* — 'S*- r dem sich sehr lange kein
— » 800 •—
Ausweg bieten will. Es braucht nach jenem Trompetenscbrei
76 Takte des Suchens and Versucbens mit neuen and alien
Motiven, in den Hdrnern zuroal, bis sich die erschreckten
Geister wie im Schlammer, den nar eine einsame Pauke
leise durchklingt, be- *j^i
rahigen. In Bruckner-flb^ f t
scher Art folgt jetzt mit^
ein Cboral, der wie aas der Hdhe erklingt and von der
Oboe mit pastoralen Motiven begriUBt and begleitet wird.
Mit ihm beginnt die Grappe des zweiten Tbemas, die im
Gegensatz za dem heroiscben Anlaaf, mit dem das erste
einsetzte, aaf eine ergebangsvolle Stimmang hinlenkt
Der Weg dahin ist aber nicht leicht; zan&chst, ehe der
s/s Takt einsetzt, kommt eine Stelle, wo aus der Schwer-
mat voile Gebrocbenbeit geworden ist, wo die Masik
allein mittelst des Schlagzeags gespenstische and un-
heimliche Lebenszeicben gibt. Die Rolle des Aufhellens
and Aafmanterns iibernimmt da das Osterinstrament,
die Posaane, and raft in langen, energischen Rezitatiyen
zam Choral zarUck, der zuerst aus den tiefen Instrnmen-
ten in geisterbafter F&rbang ertdnt, dann aber in FlOten
and Violinen aafsteigt. Da0 ihm aber die Herrscbaft
noch lange nicht sicher ist, sagt die plOtzlicbe Wieder-
kehr der Trompetendissonanz, es sagts aach der verhtkllte
Klang, in dem er intoniert wird, and drittens der seli-
same AbscbluQ der ganzen Themengrappe in einen an-
vermittelten Obergang nach Cdar, mit einem schrillen
Einsatz der Klarinetten. Dieses Klarinettensignal bhngt
die Wendang im Satz, es klindet einen Oberfall: neosie
Feinde sind in das von Parteiungen verwirrte Land ein-
gebrochen. Der Warnang, dem Hilferaf wird in der nan
folgenden Darchfiihrang entsprocben, die ans in einem
breiten and banten Bild den Heldenmat and die Vater-
landsliebe am Werke zeigt Formell wird die Schilderong
von einem fearigen Marscb getragen, der von Cdar aas
die verscbiedensten Tonartea darchl&aft and sich in er>
staanlicher Wandlangsf&higkeit alien Phasen eines Kriegs^
ganges and seiner Entscheidangsk&mpfe anpafit Selbst-
— ^ 801 ^»-
verst&ndlich kommt hier der Anfang des Hauptthemas
zu seiner Creltung, es lenkt and leitet die ganze Entwick-
lung des groOartigen TongemlQdes, hier herrisch and an-
feuernd, dort in wandersch5nen, warmen, edlen, elegischen
Umbildangen, zam Schlafi nach vielen kritischen Aagen-
blicken and nach vielen Wehrafen triumphierend. Der
ganze DurchfQhmngsteil, der ungef&hr die Hftlfte des
ersten Satzes einnimmt, ist ein gl&nzendes Zeugnis des
K&nnens Mahlers, seiner kombinatorischen Begabang,
aber aach der Macht seiner Phantasie and seines Ge-
fUhls. Der Marsch vers ch win det schlieClich wie ein StUck
Spuk, and es beginnt die Reprise. Sie unterscheidet
sich — von den hergebrachten Modolationsftnderungen
abgesehen — darchaas logisch von der Themengruppe
dadarch, daO sie die dem Haaptthema folgende Partie
des Zweifelns, Schwankens and der Unentschlossenheit
tkberschlfigt Der Marsch schlieOt den Satz and zwar
mit h5chster Kraft in Fdur.
Der zweite Satz (Tempo di Menaetto, sehr m&Oig,
Adar, 3/^) zeigt uns den Komponisten, &hnlich wie der
Walzer in der Cmoll-Sinfonie, als ein ausgezeichnetes
Suitentalent ) aber eigeniUmlicherweise als eines, das
sich auf diesem heimischen Bo den nicht wohlfiihlt Das
lassen im Haaptsatze schon verschiedene Abschweifungen,
noch mehr I9.fit es im Alternativ der unstete Wechsel von
Tempo, Takt and Motivmaterial merken. Stellenweise
spricht sich derUnwille, den der Komponist gegen das sinfo-
nische Herkommen hegt, in einer gesachten Schalheit aus.
Der dritte Satz (Gomodo, Scherzando, Cmoll, ^4)
zeigt ans Mahler noch entschiedener auf dem Weg
zu einem Offenbach der Sinfonie. Wie schon das
erste Thema ^l**. y f p f pf 1 f r p 4^ trivial sein will,
(der Oboe): ^^ '' -T ' ' ' ^ I U f ^^' so geht die Er-
findang durchweg aaf eine grimmige Verspottung des
ganzen Genres aus. Fiir den Zah5rer bleibt viel Witz
im eiuzelnen zu genieOeu, am SchluB kommt sogar mit
dem Konzert zweier Posthdrner eine idyllische Episode,
um deren Poesie an dicser Stelle es eigentlich schade ist.
Kretzschmar, F&lur«r. 1,1. 51
— ^ 802 ♦—
Der vierte Satz (Misterioso, sehr langsaxn, Ddur,
s/2) kniipft in der kurzen Einleitung an die Verlegenheits-
stelle am Schlusse des Hanptthemas vom ersten Satz an
and bringt dann Uber Worte von Nietzsche ein Altsolo,
das an eine getragene, halb tiefsinnige Meiodie einige
seitsame, altv&terische SchnOrkel knflpft, so da6 man
nicht recht weifi, ob man das Stuckchen ftir Ernst oder
Scherz rechnen soil.
Beim fQnften Satz (Lustig, Fdur, ^/ij besteht da-
gegen gar kein Zweifel, daG Mahler parodieren will. Der
Knabenchor, der uns hier yon einer Begegnnng erzfthlt,
die zwischen Jesus und Petras im Himmel stattfindet,
tut dies in einem so kecken, unwQrdigen Ton, dafi es
nicht noch des Gestammels auf »bamm, bimmc bedurfte,
um tlber die gradezu frech antikirchliche Tendenz des
Satzes aufzukl&ren. Hier hOrt der SpaB auf, und es kommt
an Mahler ein peinliches Stflck Shy lock znm Vorschein.
Der sechste und letzte Satz (Langsam, Ddur, C)
gelangt von einem Anfang, der die Stimmnng in etwas
konventionellen Melodien zur Ruhe sammelt, fiber Strecken
leidenschaftlicher Erregung zu einem Frieden in Kraft und
Glanz, mit Themen und Motiven, die an schOnste Stellen
des ersten Satzes ankntipfen und damit die Sinfonie zu
einem vers5hnenden, harmonischen AbschluO bringen.
G. Mahler, Das 'AuBerste, was in sinfonischer Form an Parodie,
Vierte Sinfonie. an Hohn und Spott mSglich scheint, bietet Mahlers
vierte Sinfonie (Gdur). Ihr Objekt ist der gebildete
Philister, dessen Wesen und Treiben der Komponist in
vier Bildern vorfiihrt
Der erste Satz (Bed&chtig, Gdur, V4) f^^g^
gleich mit einer Karrikatur an, nftmlich harmonisch
verkehrt, statt in Gdur in HmoU und mit Motiven
plattester
Vergntig- ^)
lichkeit : *^ P Flbten
die bald von qm. -^m.r' ^- .m-'^
einer billigen h) ggfeETtf^^fit-fif fFff^lT f -^tc.
Sentimentalitftt : ''v,oi./i-=^ j^
803
abgel5st wird. Bereits mil dem zweiten Thema
\ 'JHhr.. .1111 u I I I I I J I 1 *s* ^^^ bieder-
^' g*^"j^N j J. Jll^^^JJT^ l^^«^- meiersche Misch-
Ceiii^^-^ — =^ ^^=^ masch von Up-
pischer Lustigkeit and erkflnstelter Empfindsamkeit bei der
voUst&ndigen Lftcherlichkeit angelangt. Mahler gewinnt
aber seinen Themen immer neue lustige Seiten ab, teils
dorch witzige Instramentierung, teils durch WidersprUche
in der Gedankenentwickelung: da wird der phrasenhafte
Doppelschlag (von b) pl3tzlich von 3 Oboen unisono
nnd im fff heraifsgestoOen, die Kontrabftsse und Konlra-
fagotte 8t5hnen ihn inbriinstigst in die Leere, andre In-
strnmente wieder konzertieren um ihn. In der SatzfQh-
rang werden nichtige Motive pl5tzlich roit Kantilenen
kontrapanktiert, die sich wohltaend innig anlassen, aber
schnell wie Seifenblasen zerplatzen, oder es spannen
ans grofie Steigerangen and mtknden in Trivialitfiten aus.
Die Haaptstelle dieser Art kojnmt in der Darchfahrang
wo aas einem karzen, a fi-^.-rrr-
aber pompSsen Qrgel-^^ If' T" p t-[-r IJ f etc.
pankt der Gassenhauer: -^
entspringt Trotz ihrer L&nge bleibt die Komposition bis
zam Ende amiisant.
Der folgende, zweite Satz (Ohne Hast, CmoH, ^h)
nimmt sich die Karrikatar philisterhafter Gemfltlichkeit
zam Ziel, ihr Merkmal ist ungeschickte Beweglichkeit
im engen Kreise. Das will das Thema des Haaptsatzes
das nach ei-
ner karzen
*^<^ P^^f P ^^=^ Horneinlei-
tang von einer falsch gestimmtenSolovioline gebracht
wird, mit seiner vertrackten Melodik sagen. Harmonie
and Kontrapankte greifen in gleichem Charakter ein, und
ihm entsprechen endlich auch die zahlreichen reinen und
variierten Wiederholungen, die das Thema erHlhrt, und die
umstandlichen Anlftufe, die zu ihrem Eintritt untemommen
werden. An einer Stelle, bei der pldtzlichen Wendung aus
GmoU in Cdur, h6rt man in den Fldten unverkennbares
61*
804
Gel&chter. Das herk5xnmliche Trio des Satzes steht in
D dur, ist sehr kurz und hat in den Violinen eine ein-
fache anheimelnde Gesangmelodie, deren Wirkung aber
dnrch eine geschwfttzige Klarinette absichtlich verdor-
ben wird.
Im d r i 1 1 e n Satz (Ruhevoll, G dur, C) nimmt der Kompo-
nist anf angs eine Maske vor und empfd^ngt uns mit einer nicht
gerade neuen, aber sehr bew&hrten Weise elegischer Natur:
aas der sich eine
J I J- Art friedevollen
celiiKP *^ "• — etc. Abendliedes ent-
wickelt. Den weitren Verlauf nimmt aber wieder der Schalk
in die Hand. Es begin nen Variationen fiber das Them a, and
es ist auf eine Verspottung der landl&ufigen Variationen-
form abgesehen, die durch reicheBenutzung abgebrauchter
Oder iibertreibender und l£lcheriicher Wendungen, durch
unsinnig schroffen Tempowechsel , durch unmotivierte
Entstellungen des Themas von Abschnitt zu Abschnitt
deutlicher wird. Auch der ganz unbestimmte, fast hfilf-
lose SchluB des Satze auf der Dominante geh5rt mit ins
Bereich der Karrikatur.
Bis hierher waren die von Mahler aus dem Seelen-
eben des Philisters entnommenen Parodien alle droUig,
und auch die groteskeren trug ein noch immer liebens-
wflrdiger Humor. Es ist darum bedauerlich, daO er mit
dem schlieBenden vierten Satz (Sehr langsam, G dur, ^/i),
der wieder ein Gesangsatz (fQr einen Solosopran) ist, die
Wirkung des heitren Werkes aufs Spiel setzt. Der aus
>des Knaben Wunderhornc entnommene Text dieses
SchluGsatzes geh5rt zu den mehreren der Sammlung, in
denen die Naivit&t sich der L&cherlichkeit n&hert. Mahler
gibt ihm folgende Melodie:
tunwir<
lischQ mei.den
wendet ihn also augen^
scheinlich ins Kindische
805
Dafi er damit nnr den fromm tuenden Philister, nicht
die Fr5mmigkeit und den Paradiesesglauben ttberhaupt
verspotten will, ist an und ft!lr sich klar und wird noch
dadurch bestHtigt, dafi die Nachspiele der Verse aus dem
Uppischen, leitenden Philistermotiv gebildet sind, mit dem
die Sinfonie in ihrem ersten Takte einsetzte. Aber es
ist doch fraglich, ob dieser Unterschied tkberall verstanden
und anerkannt wird, und es bleibt deshalb kaum viel
dagegen einzuwenden, wenn vorsichtige Dirigenten auf
diesen Schlufisatz verzichten.
Den H6hepunkt Mahlerscher Kunst bildet seine G. Hahicr,
funfte Sinfonie, die in Cismoll beginnt und in D dur ^^^nfie sinfonio
endet. Ein durchaus emstes Werk und frei von den
parodistischen Absichten ihrer Vorg&ngerinnen, f&hrt sie
in ftinf S&tzen das Bild einer trauemden Seele voriiber,
die sich aus Schmerz und Verzweiflung heraus wieder
ins Leben zu finden sucht.
Der erste Satz (Im gemessnen Schritt, Cismoll, ^/s),
der in der Form eines Trauermarsches gehalten ist, wech-
selt zwischen wilder Erregung und einer mit den Tr&nen
k&mpfenden Mfidigkeit, die oft genug der yollen Gebrochen-
heit nahe ist Erstre wird von den punktierten Rhythmen
eines Themas getragen, mit dem die Trompete den Satz
beginnt:
J .;*
;»
^^^^^^^
molto
^ " "1^ letztre von folgender Geigenmelodie:
^^m^^^^^^^^^^^r^
Mit den Wiederholungen und Verwandlungen dieser 6ei-
den Themen schildert der Komponist in verschiedner
806
Weise den Obergang vom Anfruhr zur Ruhe, von der
Stille zum Tumult der Gefflhle. Schon scheint in die
Seele das Gleichgewicht zuriickzukehren, da beginnt in
alien Bafiinstrumenten Glockengel&ute (B F), nnd anfs
neue hat die leidenscbaftliche Fassungslosigkeit die Ober-
hand und behUlt sie trotz der schdn znsprecbenden Trost-
melodien, denen wir u. a. in
fc¥^^f¥Tf^-t7fri I fnii rrfrrf I
^molto CT«ac. J^
und in
begegnen, bis ans Ende des Satzes. Erst da fliefit die
Klage weich und riihrend und leise stirbt die Musik, nicht
ohne bis zum letzten Takt mit unerwarteten Wendungen
zu tlberraschen. Eine solche ist das A dur bei den letzten
Intonationen des Triolen signals mitten zwischen FismoU
und Cismoll.
Der zweite Satz (Sturmisch bewegt, A moll, ((,) ist
eine im Charakter gesteigerte Variante des ersten. Der
Schmerz n&hert sicb bier mit energisch trotzigen Achtel-
g&ngen und Aeftig rhythmisierten Motiven der Wut;
Klage und Trost finden im Gegensatz dazn schdne,
warme, herzliche T5ne der Innigkeit. Eine Hauptrolle
spielt im Beschwichtigungsdienst das Cello. Es gieGt
zuerst mit einer emsten, sanften Melodie in Fmoll
^^ o^^'^^^T^ ^^ *"^ ^^® Brandung,
""J'')^^ J'^t-— -lfc:g:-^i^*^ als die Desperation wie-
P der wild aufschreit, er-
hebt es mit einem nur von leisem Paukenwirbel be-
gleiteten Monolog dagegen einen Einspruch, der die eben
zitierte sch5ne Melodie an die Spitze und das emp5rte
Gemlit etwas zur Ruhe bringt. Unter den Episoden,
welche zu dieser Wendung f&hren, ist naroentJich ein
Kanon zwischen den Holzbl&sem und den Cellis her-
vorzuheben, der aufrichtend folgendermaOen anhebt:
807
*J^^>"r W-^:£_JiJ^,^i^^ motiv, mi
Das Nonen-
mit
:/ dem diese
Melodie einsetzt, ist vom Anfang des Satzes an eine
Haaptstimme fUr den fortnagenden Seelenschmerz und
hat das letzte Wort im Satze, der mit einem dumpfen
Paukenschlag ausklingt.
Wer die Entwickelung und das Gesamtergebnis dieses
zweiten Satzes nachzuffthlen vermocht hat, wird der
Lustigkeit, mit der der dritte Satz (Scherzo, Ddur, 8/4)
aufGrand
Themas: Homer/ ^s^ — = jBT etc.
anhebt, nicht trauen, und tats&chlich nimmt sie schon bald
einen gedriickten Charakter an, der in dem neuen Thema
rii jii'lj^^Ti''! LiiMi bSr "t;
^ ji^L-U -= j^ r etc. Hauptmelodie
des zweiten Satzes der vierten Sinfonie, seinen deutlich-
sten Ausdruck findet. In dieser Richtung entwickelt sich
die Stimmung weiter, der heitre Ton wird nur mit Un-
behagen festgehalten, es kommen Momente des Er-
schreckens und der Wildheit, aus denen pl5tzliches Be-
sinnen zu einer ganz £lhnlichen armlichen Fr5hlichkeit
tiberleitet, wie sie jedermann aus dem Danse macabre von
St. SaSns kennt. Zum SchluB wird sie gewaltsam zu
einer erktinstelten Ausgelassenheit aufgepeitscht
Einen bessren Weg zur Heilung des tief getrofifnen
Gemiites schl> der vierte Satz (Adagietto, Fdur, Vi)
ein, indem er sich der Erinnerung an den geliebten Toten
hingibi In edien Melodien lebt sein Bild auf, es liegt aber
im Charakter des Satzes, daB sie in etwas unruhiger Be-
leuchtung gehalten sind.
Im ftlnften undletzten Satz [Rondo Finale, Allegro,
Ddur, (^) empfangen uns pastorale Weisen: der Trau-
emde versucht es mit der S&nftigung, die im Land-
leben und im Verkehr mit der Natur liegt. Dann kommt
ein Thema:
808
Celli f
das an riistiges, geschaftiges Arbeiten denken lafit, and
von dem aus Anlaufe zur Doppelfuge und Verbindnngen
mil zahlreichen Nebenthemen erfolgen. Am besten schlieBt
es sich mit dem ihm in Kraft verwandten eigentlichen
Rondo thema -0-^ i .■.,,. i zusammen
des Finale: ^ "" '^ J I N J|J M ^*^' und setzt
mit ihm vereint auch eine lebenslustige Frohlichkeit durch,
die sich, allerdings durch geisteihafte KlSlnge, durch herein-
fahrendeTrugschliissc und Dissonanzen h&ufig erschreckend
unterbrochen, £lu6erlich bis ans Ende behauptet. Rechtes
Zutrauen kann man ihr nicht abgewinnen, und so ist der
Satz, in seinen Wegen sehr verschlungen und schwer
iibersichtlich, auch im SchluOeindruck der pessimistischen
Auffassung des Problems getieu, etwas unbeMedigend.
G. Mahler, Noch stSrker kommt der weltfeindliche Zug des Kom-
Sechste Sinfonie. ponisten in seiner sechsten Sinfonie (A moll) zum Aus-
druck. Ihr erster Satz (Allegro energico, A moll, V4) bringt
nach einer kurzen, durch einen brutalen, auf Frohn und
Peitsche deutenden Rhythmus charakterisierten Einleitung
ein Hauptthema mit folgendcm Anfiang:
fiiX^Cj-f^^^^^^fl
etc.
Es klingt nach hartem Los und schwerem Miihen. Dim
tritt nach einem ersten Cberblick iiber die in ihm ent-
haltenen Elemente der Energie und der Empdrung ein
zweites Thema:
^^^fe^ffTii r?f|i| iifrifliM
entgegen, das sich mit aller Gewalt TrUumen von Frieden
und Gliick zuwendet. Zwischen beiden steht, leise into-
niert, ein Choral, der auch im weiteren Verlauf des ofteren
die Vermittelung zwischen den kontr&ren Ideen und Zu-
— ^ 809 4^
standen der Themengruppe ubernimmt. Zum gleichen
Zweck dient noch eine Reihe sekundarer Motive und Hilfs-
krafte; am meisten tritt unter ihnen das Gelaute von
Herdenglocken hervor, die Mahlers Klangbegierde dem Sinfo-
nieorchesler einverleibt hat. Umspielt werden sie regel-
maOig von in hochster Hohe vibrierenden und glitzernden
Geigenmelodien friedlicher Natur. Es kommt zu einem
Triumphe des zweiten Themas, das in veriangerten Rhyth-
men und in Adur den Satz abschlieCt, jedoch ohne
die Kampfesrustung abzulegen-. Das harte Kommando-
EiStutj /^ J^^ .Ti i^ ■ ^^^* m: rm
ins Toben geralen.
Der zweite Satz, der nochmals die Amoll-Tonart
bringt, nennt sich Scherzo, er hat aber keine Spur von
Heiterkeit, sondern er wiederholt nur die Kampfe des
ersten in gesteigerter Heftigkeit und Wucht. Aus dem
friiher immer noch gemessenen Rhythmus ist jetzt ein
hastiger, ein ^/g-Takt geworden, aus alien AuBerungen des
Hauptthemas und seiner Gruppen spricht nackte Brutalitat.
Das Alternativ:
ist als volkstiimlicher Gemeinplatz ein Beschwichtigungs-
versuch mit unzureichenden Mitteln und reizt nur die
den Satz beherrschenden Geister zu immer grofirer Wild-
heit. Sie artet mehrmals zu einem Winwarr aus, bei
dem, Tonarten, Rhythmen, Starkegrade eingeschlossen,
alles gegeneinander kSmpft. An kleinen Scherzen ist
trotzdem in dem Satze bis zu dem einschlafenden SchluB
kein Mangel. Noch ganz zuletzt appelliert das allein da-
hinpolternde Kontrafagott an die liichlust der Horer.
Der dritte Satz (Andante moderato, Esdur, */4) ist
sehr reich an schonen Melodien [der Sehnsucht und der
still Oder laut entziickten Schwarmerei. Aber, wie das
gleich vom Anfang an die zahlreichen iibermS.I3igen Drei-
klange, sp&ter die fortwShrenden Modulationen andeuten,
810
haust auch in ibm ein Gefiihl der Unsicherheit und Un-
ruhe.
Das Finale (Allegro energico, A moll, ^/4) beginnt rail
einer langsamen Einleitung, die von G moll aus suchend, aber
rasch nach A moll und da in die Sph&re und die Rhythraen
des ersten Satzes . ,. ,, . ,r^^ . ,— . . i . .
gelangt, bald aber in ^Irh. \ \\T f f ' T '^ T T ' '{J '
einen mtiden Ton: ^^sottj^
get&i und sicb nur miihsam 'und bin und ber tastend
weiterscbleppt. Da setzt endlicb mit dem Allegro energico
ein seltsames, aber kraftiges Tbema ein:
j."jiillJ^Jl jfl^i
iH-i^fi-U-f^
etc.
j/M' j,,ip,r"!!rf^
Dem starken Unfrieden, der in ibm wobnt, tritt das
zweile Tbema:
Horn ^ ^' *-<=r Oboe =*
visionsartig, im plotzlicben Ddur eingefiibrt, mit einer
Anweisung auf die Zukunft entgegen. Sie wird indessen
nicbt eingelost, sondern, nacbdem Szenen des Aufirubrs
und der Berubigung, Scbreckensmomente mit Heerden-
glockenidyllen gewechselt baben, aucb lange in Adur ge-
spielt worden'ist, kommt ein ScbluO in Resignation. Im
drittletzten Takt scblagt die Pauke, fast rob, das Kommando-
motiv des ersten Satzes an; ein leiser Amoll-Akkord der
Trompeten bUdet den letzten Haucb der Sinfonie. Dieses
Finale ist wegen des stark gebauften tbematiscben und
motiviscben Materials, was darinnen verbraucbt wird, fiir
den Zuborer schwer, und es ist im Cbarakter besonders
bart: auf ganze Perioden kommt kaum ein Dreiklang.
G. Mahler, Die siebente Sinfonie, die in H moll beginnt und in
Siebente Sinfonie. C dur endet, ist Mablers letzter Hymnus auf die furcht-
lose Kraft. Sie fiibrt den ersten Satz nacb langsamer,
— ^ 811 ♦^
schwul wirkender Einleitung im Allegro con fuoco (EmoU, (^)
mit dem Thema:
ein. Es bildet
I* , Y'^ ^i*^ ,^fr '"Fi^ r I »"* ''7?.<=¥"'3
•y ' ' .rill ^gj funfsatzieen
Sinfonie und bringt die in larmender Lusligkeit und
verzweifeltem Galgenhumor stiinnenden Szenen des
Finale zu einem wfirdigen Ende. Die drei Mittelsatze
des Werks bestehen aus zwei Nachtmnsiken, zwischen
ihnen steht als der dritte Satz eine Art Scherzo (Allegro,
D moll, s/4), das ganz in Totentanzstimmung und schatten-
haft dahinhuscht. Die beiden Nachtmusiken nahern sich
in ihrer parodislischen Tendenz wieder der vierten Sin-
fonie, sie verspotten den Philister bei seinen liebesstftnd-
chen. Die erste dieser Nachtmusiken (Allegro moderato,
Cdur, V4) hat ein akustisches Kabinettsstiickchen in einem,
gleich nach dem das Stiick beginnenden, pastoralen Dialog
der Horner einsetzenden, zehn Takte langen Satzchen, das
in einem Wirbel von Trillem, Akkordsignalen und weiteren
Naturlauten mit beriickender Wirkung die nachtliche Sze-
nerie mit leuchtendem Himmel und Sternschnuppen schil-
dert und das spSter nochmals kommt. Dagegen treten
die mehrfachen Standchenmelodien des Satzes sehr zu-
ruck, sie sind von vornherein absichtlich trocken und un-
beholfen gehalten und arten schlieBlich in einen ganz
gewohnlichen Marsch aus. Noch hSrter geht Mahler mit
dem Liebhaber in der zweiten Nachtmusik (Andante amo-
roso, Fdur, 8/4) um. Sie ist eine Sammlung mehr oder
minder schmachtender Phrasen, ihre Trivialitat kulminiert
in den vier Takten der Einleitung.
Zur groGten Beruhmtheit ist Mahlers achte Sinfonie, G. Hakler,
die sogenannte »Sinfonie der Tausend< gelangt. Diese Achle Sinfonie
enorme Besetzung der Sinfonie ist keine unentbehrliche
Bedingung, sie wirkt, soweit sie Wert hat, auch mit 160
und 200 Kopfen, aber sie ist keine Sinfonie, sondern eine
Kantate. Man kann dariiber unterhandeln, ob wir nicht
--fr 812 %^
musikalische Kompositionen jeglicher Art nach dem Brauch
des 17. Jahrhunderts mit dem Generaltilel Sinfonie belegen
wollen, aber so lange dieses tJbereinkommen nicht rechts-
kraftig geworden ist, bleibt es eine sinnlose Umkehrung
mehrhundertjahriger Begriffe, wenn man ein Werk, an
dem das Orchester seinen selbstandigen Anteil auf eine
Reihe bescheidner Nachspiele und ein einziges Ifingeres
Vorspiel beschrankt, mir nichts, dir nichts fiir eine Sin-
fonie ausgibt. Mit gleichem oder groBerem Recht konnte
dann Beethovens Neunte als Kantate angesprochen wer-
den. Wohl ist das eine AuBerlichkeit, aber eine, die
darauf hindeutet, daB ihr Urheber in Gefahr war, das Nor-
male und Natiirliche mit dem Gesuchten und Bizarren zu
vertauschen. Auch die Zusammenkoppelung des alten
Kirchenhymnus : >veni creator, etc.* mit Goethes »Faust«
zum Text der Kantate oder Sinfonie hat etwas Gewalt-
sames; daneben allerdings auch etwas Hellsichtiges und
GroBes. Denn es besteht zwischen den beiden Dichtungen
ein innres Band, der Preis der gottlichen Liebe bildet es,
und das erkannt zu haben, gereicht Mahler zur Ehre.
Was nun die musikalische Behandlung dieses Tes-
tes betrifft, so hat sie unleugbar ihre groBen Stellen,
ist aber im ganzen sehr ungleich. Da gehort denn ^o-
fort der Eingang des Werks zu den zweifelhaften Ein-
f^en. Denn das in einer Menge teils sinnreicher,
teils nur kunstreicher Umbildungen durch das ganze
Werk, auch im zweiten Teile, verwendete Hauptthema:
Allegro impetuoso ist zwar
/> . jy ^/V m. . ._ . als sttir-
J t\ I f p ^|P^-rfh|H r I* II ^^ mische
Ve- ni, ve. ni,cre - a.tor splritus Explosi-
on heiBer Inbrunst gedacht, hat aber in seinem, durch den
Taktwechsel nur schlecht verdeckten Marschrhythmus einen
starken Rest von Prosa, der auf die bereits erwShnten
Schranken von Mahlers Eriindung zunickgefuhrt werden
muB. Immerhin ist es in dem ersten Abschnitt bis zu den
Worten: »qui tu creasti pectora supema gratia* das Beste,
was der Komponist zu bieten hat. Tiefer eindrucksvoU wird
--<^ 813 %^
die Musik erst wieder, als nach Orgelklang und Glocken-
lauten bei >Infirmi nostri corporis virtute* Stille ein-
tritt, und ein Abschnitt, dem GroBe nicht abgesprochen
werden kann, entwickelt sich in dem Vers: >Lumen ac-
cende sensibus« mit dem unisono-Einsatz aller Stimmen,
den Knabenchor an der Spitze. Bedeutungsvoll treten aus
ihm die Worte: >infunde amorem sensibus« hervor und
ein Orgelpunkt auf B, der 28 Takte dauert, bringt die
erste Halfte des Hymnus zum imposanten Abschlufi; an
seinem Ende dominiert das Hauptthema. Von »Qui Para-
clitus diceris* ab beginnt ein langer, schSner Nachgesang
milden Charakters, bei reichem Leben besanftigend und
beseeligend. Aucb ihn kront das Hauptthema. Damit ist
der eigentliche Hymnus zu Ende, und ein Orchester-
zwischenspiel leitet zu der iiblichen Coda aller Hymnen
und Psalmen, zum »Gloria Patri etc.* uber, das eben-
falls zu dem Hauptthema zuruckkehrt.
Diejenige Stelle, an welcher die Komposition einen
wirklich sinfonischen Charakter annimmt, ist die Einlei-
tung des zweiten Teils, ein Orchestersatz (Poco Adagio,
EsmoU, C) in welchem 164 Takte lang die Kontrabasse,
meist gemeinsam mit den _
Cellis, Bratschen und zweiten z:^:^^^^:} j ■> JJ J I f ^
Geigen, das Pizzicato-Motiv * "^ '
durchfiihren, in den Blasem wird sp^rlich gesungen, die
ersten Violinen aber halten fast die ganze Zeit an einer
liegenden Stimme, dem drei gestrichenen cs, fest. Nur
im Mittelteile wird dieser Gespensterton einige Perioden
hindurch aufgegeben, um erregterer Klage Raum zu geben.
Das Stiick erinnert an das »Libera etc« in Berlioz' Requiem,
mit dem es p j^ ,^ ^ begegnet, ubertrifft aber die-
sich auch in A r h%^ f ' F T ^ ^^^ Muster noch an Fremd-
dem Motiv artigkeit und in dem Starke-
grade, in welchem es Gefuhle der Ode, des Druckes, der
Verlassenheit und des brrens erregt. Es ist eine unver-
gleichlich unbarmherzige Art von Musik, ein Bravourstuck
njichtiger Kunst. Nach ihm beginnt Mahlers Konkurrenz
mit R. Schumann. Denn er hat sich die gleichen Szenen
-^ 814 ^^
aus Goethes »Faust< ausgewShlt, die den dritten Tell des
Schumannschen Faustoratoriums bilden. DaO der Jiingere
den Alteren verdrangen werde, ist nicht zu erwarten, well
Schumann den melodischen Reiz, die bessere VokalitUt
und die Einfachheit des Stils voraus hat, vor allem aher
den verklarten, zarten Ton dieser Himmelsszenen gliick-
licher trifft und festh^lt. Mahlers Faustmusik ist reicher
an Kombination als an Inspiration, sie erfreut hie und da,
z. B. bei dem kanonischen Terzett der »drei Marien«,
durch Proben wohl an^ebrachter Kunst, aber sie verdirbt
auch viel durch ein CbermaB von Arbeit. Bedeutend
wird sie gegen den SchluB hin, ungefahr von den Worten
der Mater gloriosa ab: »Komm, hebe dich zu hehren
Sph£lren«, meisterlich mit dem Einsatz des Doktor Marianus
>BUcket auf etc.*. Der Chor, der erst leise mit einstimmt
und dann das Thema selbstkndig weiterfuhrt, hebt diesen
Abschnitt uber die Erwartungen, die sein Anfang erregte.
Ebenbiirtig schlieBt sich der Ausgangschor »Alles Vergang-
liche ist nur ein Gleichnis etc.* an, der von ^uGerster
Zartheit aus in schlichten, naturlichen Weisen zu glanzen-
dem Klang anwSchst und mit der Verbindung der Tliemen
von »Neige, neige etc* und »Veni sancte spiritus* das Ganze
noch einmal zusammendrangt und gewaltig abschlieOt.
Camillo Horn, Ein zweiter Brucknerschtiler, Camillo Horn, hat
F moll-Sinfonie. gich uniangst mit einer F moll-Sinfonie (Op. 40) einge-
fuhrt, die sich mit dem Hauptthema des ersten Satzes
Kraf tig bewegt , , mitdeuNibelungen-
ten und auch in der Neigung, langerer Satze durch
Sequenzen und Nachahmungen kleinerer Motive zu' ent-
wickeln — so hier den eingeklammerten Teil des Themas —
zu dem Lehrer bekennt, neben ihm aber sehr freiherzig
noch andern Meistern und Vorbildern huldigt und uns in
dem Autor eine Natur vorfiihrt, die nach Eklektik und
Ausfiihrlichkeit der Rede starke Verwandtschaft mit Joachim
Raff aufweist. StUrker als Bruckner hat auf Horn R. Schu-
mann eingewirkt, mit diesem in gleichem Mafie R. Wagner
-^ 815
als Komponist der Meistersinger, aiis denen seine Phan-
tasie die freundlich frohen Farben ahnlich reich und un-
abiassig sch5pft, wie das zuerst bei Hermann Gotz zu
bemerken war. Im Adagio gibt aucb Gounod^ dessen
zarte Empfindung Horn im allgemeinen sehr sympalhisch
zu sein scheint, mil einer bekannten Faustselle eine Gast-
roUe. Haben wir es somit bei dieser Sinfonie im Allge-
meinen mil Erfindungen aus zweiter Hand zu tun, so
erfreut sie doch durch geschickte, fleifiige Arbeit und durch
die logische Entwickelung eines klaren Plans. Es geht
auch durch alle S&tze wenigstens ein Lebenszeichen von
Individualit£lt und eignem Stil: der Komponist bleibt
h&uiiger als andere bei seiner Wanderung stehen und
schSpftAtem, und dariiber hinaus beweist er auch durch
einen ganzen Satz, daB er ein Gebiet hat, auf dem er
eigen ist und sehr erfreulich iiberraschen kann. Das ist
das allerdings etwas lange und eigentlich mit zwei Trios
ausgestattete Scherzo. In ihm begegnen wir, wiederum
fthnlich wie bei H. Gotz, ganz frischer Volksmusik, die an
den Eichendorffschen Taugenichts und an andere Natur-
burschen erinnert, und der ein maCvoller slavischer Ein-
schlag ganz gut steht. Auch das Hauptthema des letzten
Satzes, das den endgiiltigen Sieg der Freude feiert, be-
kundet eine fihnliche Quelle.
Zahlreicher als die Schiiler von Brahms und Bruckner
sind diejenigen deutschen Sinfoniker, die sich keiner be-
stimmten Schule zuweisen lassen. Soweit sie sich im
Repertoire behauptet haben, verdienen da unter den Slteren
R. Fuchs, A. Klughardt, F. Thieriot, E. Rudorff Er-
w&hnung.
RobertFuchs, der als Komponist anmutiger Sere- B. FiieiiB,
naden eine feste Stellung in der neuern Musik einnimmt, Sinfon»« »>> C.
hat mit seinem op. 37 bewiesen, da6 er auch fiir die Sin-
fonie wohl berufen ist. Freilich kann diese C dur-Sinfonie
nicht als das MeisterstUck ersten Ranges gelten, als
welches es der Oberschwang von Freunden und Lands-
lenten hingestellt hat. Ihre zweite Halfte ist jedenfalis
wertvoller als die erste, in der aus Stimmung und Form
-«^ 816 ^>-
noch fremde, nicht vdllig bew&Itigte Elemente auftanchec.
Der erste Satz gleicht einem Bild, das sich ein mantrer,
frischer Jiingling von der Zukunft macht. Sein Haupt-
thema %eigt den Mut, die Kraft und auch die Sorgen. In
der Feme hellt es sich anf: ein reizendes, schlichtes
zweites Thema, das wie Kindergesang klingt, verkdrpert
freundliche Erinnerangen und traoliche Hoffnungen. In
der Entwickelang dieser Ideen reizen und erfreuen in
erster Linie die sinnigen musikalischen Details, die Modu-
lationen, ObergS,nge und Zwischengedanken, in denen
sich der feine, vornehme, gedankenvolle Kfinstler zeigt.
Die Phantasie war aber der Aufgabe nicht ganz ge-
wachsen. Fuchs hilft sich deshalb sehr oft mit lau-
nischer und theatralischer Aufregung. MerkwQrdiger-
weise klingt auch das Orchester in den zarten Abschnitten
etwas stump f.
Der zweite Satz, ein Presto in A moll (S/4 Takt),
Intermezzo betitelt, fiihrt in einem halb nordischen,
halb Mendelssohnschen Ton vor eine Reihe toller Aben-
teuer, vor Irrg&nge des Herzens, die in phantastischer
Beleuchtung jetzt welt in der Feme der Erinnerung liegen.
Mit dem dritten Satz, einem Grazioso im ^/^Takt, fin den
wir den Serenadenmeister wieder. Das ist der liebens-
wiirdige, unwiderstehliche LS,ndlerton der Wiener Schule,
den Fuchs so nattirlich durch Wendungen ins leicht
Leidenschaftliche, in einen hGheren Empfindungskreis zu
heben weiO. Das Finale hat den dstreichischen Heimats-
klang noch viel stS,rker. Es erinnert im Hauptthema direkt
an Schuberts zweite Bdur-Sinfonie. Mit ihm berfihrt
sich Fuchs bier auch in tiefsinnigen mystischen Rl&ngen,
die in die heitre Welt geisterhaft hineinfallen. Der Schlufi
der DQrchfQhrung zeigt sie namentlich; der Satz, der
bis dahin die Sonatenform eingehalten hat, n&hert sich
von jetzt ab dem Rondo. Er ist somit in architektonischer
Beziehung der. originellste der Sinfonie, bietet aber auch
im allgemeinen die glanzendsten Belege fQr die Begabnng
des Komponisten. Nicht am wenigsten sprechen sie aus
dem Geschick, mit dem er gew5hnliche Ideen, wie sie in
--» 817 ^»-
der Natnr des zweiten Themas liegen, durch die Stellang,
die er ihnen gibt, zu heben weifi.
August Klnghardts beste Begabung fflr Instru- l. Klngliardt,
mentalkompositiou weist ihn auf die Programmusik. Trotz- ^"**« Sinfonie.
dem und trotz des starken Herzenstons, der aus ihnen
klingt, haben seine ersten beiden Sinfonien nicht im ent«
femtesten den &u6eren Erfolg gehabt, den seine dritte,
die Ddur- Sinfonie (op. 37), gefunden hat. Dieses Werk
der Lebensfreude y dem sich eine Zeit lang wohl alle
deutsche Ronzerts&le erschlossen, hat eine deutliche
FamilienYerwandtschaft mit den Suiten Franz Lachners.
Seine Musik ist munter, flott, anmutig und kr&ftig, Uebi
Tonspiei und Konzertieren , steht den Instrumenten gut
und gleicht der Lachnerschen auch in der Hinneigung
zu Franz Schubert Ftir die letztere Beziehung gibt
namentlich ihr erster Satz unwidersprechiiche Belege;
seine beiden Hauptthemen sind Nachklfinge aus des Wiener
Meisters grofier Cdnr-Sinfonie. Der langsame, derzweite
Satz, der dichterisch voliste der Sinfonie, beginnt mit
einem breiten Gesang, in dem die Seeie ftir Glfick und
Frieden zu danken scheint, und fliistert dann schwHrme-
risch bewegt von zarten Geheimnissen. Der dritte Satz
gleicht einer lustigen Ballade, in der von alten Zeiten,
von Bittern und Becken kr&ftige Streiche, Turniere und
Minnefahrten, Schwftnke und Abenteuer erz&hlt werden.
Das Finale ist ganz der Heiterkeit gewidmet, gibt
Proben eines eigensinnigen Humors und nfthert sich in
dem kSstlich t&ndelnden zweiten Thema und in seiner
Umgebung (ViTakt) einer hSheren musikalischen Origi-
nalit&t.
Die vierte Sinfonie Klughardts (Cmoll, op. 67) ist A. Kinghardt,
eine der beachtenswertesten und fesselndsten Stimmungs- Vierte Sinfonie
sinfonien, die wir in der neuesten Zeit erhalten haben. *
Der L6wenanteil ihres seelischen Inhalts und der k&nst-
erischen AusfQhrung f&llt auf den ersten Satz, der, in
Ahnlicher Weise, wie das in dem Doppelkonzert und in
anderen Werken von Brahms der Fall ist, die tlbrigen
fast in den Schatten stellt. Er entrollt ein Bild nach
Kretsaohmar, Fftlirer. I, 1. 52
818 ♦^
Kl&ruDg und nach Freiheit ringender GefQhle, ein Bild,
in dem harte Rampfe und freundliche Hoffnungen ein-
ander gegenuberstehen. Die grOfite musikalische Macht
offenbart der Komponist in der zweiten H&lfte der Durch*
fUhrung, wo ihm erschtitternde und rUhrende Tdne gleich
treffend im ersten Augenblick kommen. Der vollen Wir*
kung des Satzes steht die verwickelte und in Beiwerk
verhuUte Natur des Hauptthemas etwas entgegen. Einer
der schonsten Momente bildet das muiige, aufhellende
Hornthema.
Der zweite Satz hat eine Choralweise zur Grand*
lage. In ihren Frieden bricht ein Mittelsatz hinein,
wild und d&monisch, doch erfolglos. Die Freiheit der
Erfindung und des Entwurfs^ die ein Kennzeichen dieses
ganzen Andantes ist, ftuiSert sich am schdnsten am
SchluG dieser dramatischen Episode mit dem Eintritt des
Cello them as.
Der dritte Satz (Presto) ist ein Scherzo nach dem
Muster Beethovens und mit ungesuchten Anklfingen an
ihn. Aus dem von H5rnem eingeleiteten Trio spricht die
vorzUgliche Begabung fur edle volkstiimliche Weisen, die
Klughardts Opern auszeichnet.
Dasselbe Marschnersche Talent &u6ert sich in dem
Marschsatz, der den Hauptteil des Finales ausmacht;
in h5here Kreise hebt ihn eine kunstvolle, hier und da
mit der von Klughardt gem aufgesuchten Fugenform
arbeitende Behandlung. Die dUmonischen Geister der
Dichtung sprechen noch einmal herrisch aus der lang-
samen Einleitung des Satzes, die in seinen Verlauf noch
einigemal tibergreift und die als der bedeutendste Ab-
schniit des Finales gelten muQ.
F. Thieriot, Von den sinfonischen Arbeiten Ferdinand Thie-
Sinfonietta, riots ist die verbreiteste seine Sinfonietta (op. 65). Diese
Komposition ist ein Beitrag zur romantischen Musik der
sich durch einfache, naiUrliche Erfindung, durch liebens-
wQrdige, anmutige Stimmung und namentlich durch eine
ganz uniibertrefiQiche Klarheit des Vortrags and der Form
ungewohnlich auszeichnet Die sinnige, vornehme Ro-
-H^ 819 ^^
manze, die mil allerlei Humoren gesegnete Tarantella
erklaren sich selbst, auch der Eingangssatz, ein Allegro
moderato, das sich wie zu einem sch5nen Spaziergang
anschickt und im Verlauf seinen schlichten Themen viel
Schwang und auch geheimnisvolle Kl&Dge abgewinnt.
Ernst Radorff, der den deutschen Orchestem von
den sch5nen 6 dar-Variationen und von den Ouvertiiren
zu Kinkels »Otto der SchUtzc und Tiecks »Blondem Ek-
bertc h&tte sympathisch sein mtissen, ist erst mit seiner
dritten Sinfonie (HmoU, op. 60) wieder von den Konzert- Br«gt Badorir,
instituten berticksichtigt worden. Sie bringt eine flberall,«™«"'Si'»fo'»»«-
auch in den leidenschaftlichen Stellen vornebme, wahr
und warm empfundene und erlebte und in jedem Takte
gediegene und gehaltvolle Musik, die, fernab von jeder
sentimentalen Wendung, vielfach rtihrt und ergreift. Ihr
dritter Satz schlieGt sich insofern an Brahms an , als er
an die Stelle eines sprtihenden Scherzos, so wie es schon
andere getan, ein ruhigeres und intimeres Allegretto setzt.
Die Selbstftndigkeit des Komponisten ist auch hier ge-
wahrt, am deutlichsten durch eine ganz phantastisch
flatternde Allegro-Episode. Noch handgreiflicher und von
fortreiGender Wirkung ist die OriginalitS,t des Kompo-
nisten im Finale. Dieses gibt der Freude von Anfang
an in einer auffallend scharfen Rythmik Ausdruck und
nimmt mit dem Eintritt des zweiten Themas voUst&ndig
den Charakter einer heiteren MilitHrszene an.
Auch die Sinfonien von Richard Metzdorff und
Philipp RQfer verdienen im AnschluG hieran erw&hnt
zu werden; beide stehen in Fdur, unterscheiden sich
aber bedeutend im Punkt der SelbstHndigkeit. Die Metz- Eiehard Mets-
dorffs, opus 16, zeigt in Adagio und Scherzo eine natur- ^Jf'j .
liche, fiir Lieder und kleine Charakterstiicke ausreichende ^ dur-smfome.
Begabung, in den Ecks&tzen aber, den ausschlaggebenden
Teilen der Sinfonie also, arbeitet der Komponist so skla-
visch nach Schumannschen Vorlagen, daO ihn von der
unmittelbaren Entlehnung nur noch ein kleiner Streifen
trennt. Der erste Satz seiner Sinfonie (op. 2dj sichertRtifer Philipp Bfifer,
einen hervorrageuden Platz ffir die Schilderung flotter F dur-Sinfonie.
b2*
--^ 820
Fr5hlichkeit und lustigen Volkslebens; mit zahlreichen
Stellen UDgesucht drastischer Komik — die erste konomt
schon mit dem ersten Solo der Holzblfiser nnd ihrem
Achtelmotiv — versetzt er in die SpMre der altnieder-
l&ndischen Kirmesmaler nnd I&Ist keinen Zweifel, daB
dem Komponisten in der Suite wohl Lorbeern bl&hen
miiOten. Da6 er aber tiber dieses Spezialgebiet hinaas
den Aufgaben der Sinfonie gerecht zu werden vermag,
belegen die iibrigen Satze, der letzte steht durch gesande
Kraft dem ersten am n&chsten.
Zu diesen allm&hlig in die &Itere Reihe eingetretenen
Sinfonikern gehSrt endlich noch der als Liederkomponist
B«Uhold Becker, weit bekannte Reinhold Becker mit einer Gdur-Sin-
C dur-Sinfonie. f^^i^ ^^p ioq]. sie hat einen sehr bedeutenden ersten
Satz, in dem Faustische Stimmungen energisch und mil
einer an Liszt erinnernden Freiheit des Geistes beschwich-
tigt werden. Er endet so freudig, daO der Zuh6rer auf
weitere S&tze gar nicht gefaOt ist, doch vermag der zweite,
der im wesentlichen den StimmnngsprozeO des ersten
nnr variiert, ebenso zu fesseln wie der dritte mit seiner
bewolkten Heiterkeit. Das Finale ist matt und gef&brdet
den Eindruck der Sinfonie, die im iibrigen schon wegen
ihrer Knappheit und wegen des dramatiscfaen Lebens,
das sie durch die reiche Verwendung von Solis erhalt,
des Interesses ziemlich sicher ist.
Unter den neuesten deutschen Komponisten, die
mehrere Sinfonien veroffentlicht haben, steht im Reper-
toire, auch dem der franzosischen Concertes, Felix von
Weingartner mit seinen drei Sinfonien obenan. Diese
Auszeichnung 13,6t sich innerlich damit begriinden, dafi
gleich die erste Sinfonie dem Komponisten ein starkes, an-
gebornes Talent fur anmutige und muntre Tonbilder beschei-
nigte; die beiden folgenden zeigten, da6 er auch hdheren
Aufgaben gewachsen, und daB das technische Kdnnen des
Komponisten im sleten Fortschritt begriffen ist.
Felix T. Wein- In jener G dur-Sinfonie, mit der Weingartner sich ein-
^ir»rtner^ fiihrte, ist der erste Satz (Allegro moderato, Gdur, 3/^)
am wenigsten geraten. Er verspricht mit dem hiibschen
G dur-Sinfonie.
--^ 821 <»-
Hauptthema freundlich belebte Pastoralszenen. Das zweite
Thema stort sie durch Regungen eines Tiefsinns, dessen
naturliche SUrke nicht ausreicht, Teilnahme zu erzwingen.
Die folgenden S&tze machen das wieder gut. Der zweite
(Allegretto alia Marcia, £ moll, ^4) beginnt mil einem etwas
ernsten Marsch, das Alter nativ stimmt ein belles E dur an
und zeigt den Komponisten zum ersten Mai in seiner
Kunst, breite, warme Melodien an die rechte Stelle zu
setzen; die Durchf&hrung schlieOt iiberrascbend mit einem
neuen £in£all, einem heiter gestimmten und gl^zend in-
strumentierten^Marsch. Der dritjte Satz (Vivace scberzoso,
B;dur, s/g) bringt in seinem Hauptthema:
den Humor der Mendelssohnschen Zeit zu Ehren, eine in
der Unterstimme nachsetzende, hastige Sechzehntelfigur
fSrbt ihn phantastisch. Nachdem diese Vorlage sehr tem-
peramentvoll und abwechslungsreich zu einer langen Szene
absonderlicber Froblichkeit durchgefiihrt worden ist, hfil
das Trio (As dur, s/4) Einkehr ins Innere mit einer den
Cellis und Bratscben gegebenen Melodie, welche die inter-
essante Figur von Scbumanns Estrella vor die Pbantasie
entbietet. Das Finale (Allegro vivo, Gdur, ^4) S^^ J^i^
aufierordentlicher Frische Bilder der Freude zum besten.
Der Obermut, den es birgt, &u6ert sich sogleich darin,
daO die fliichtigen Glieder des Hauptthemas kaum zu
fassen sind, das zweite Thema ist ungemein drollig und
weist unverkennbar auf volkstumliche Quellen, denen
Weingartner uberhaupt gem nachgeht. Und so wie er
begonnen, geht der Satz mit Scherz und Witz weiter und
endet liebenswtirdig ausgelassen; ein erfreulicher Beitrag
zur heitren Kunst unsrer Tage.
Mit den sp&tren Sinfonien hat der Komponist sich
auf das Gebiet emstrer Seelenmalerei begeben und auch
bier, wenn auch nicht bis zum letzten Rest befnedigend,
Beweise einer bedeutenden KUnstlerschaft erbracht.
-^ 822 ^>-
Felix T. WeU- Die zweite Sinfonie (Esdur) geht in ihrem ersten
Esdur^Tnfonle.^^*^ (Allegro mosso, Esdur, (Jj) von einem seltsamen Zu-
stand der Verwirning aus, dessen Sdiilderang der long-
samen Einleitung uberwiesen ist. Sie sucht nach der
Tonart, sie sucht nach Motiven, kommt aber nicht uber
Brocken hinaus und gewinnt erst Halt, als die Trom-
pete das durch Wagners ^ ^
»Rheingold< zu frischer A W% ^ j f* h I m
Geltung gelangte Ursignal: ^
intoniert. Es wird sofort mitten in einem Asdur-Akkord
wiederholt und leitet schnell zu dem Allegro hiniiber, das
auf einem Thema des Aufschwungs und des Strebens
Allegro mosso ^ , — ^ iTVTX .^.
Es
und einem anderen, sehr volkstumlich gemeinten, steht,
das von dem Anfang:
F.
aus, zunachst in visionarer Farbung, auf Gemiitsruhe und
Seelenfrieden hinweist. In der Durchfiihrung des aus
dies en Ideen entspringenden Prozesses wird in ansehn-
lichem MaBe Tiefe und Leiden schaft entwickelt; die origi-
nellste und gr56te Stelle des Satzes ist der lange Orgel-
punkt auf C, welcher die Wiederkehr des Lento und die
darauf folgende Reprise vorbereitet.
Der zweite Satz (Allegro giocoso, Cdur, 8/4) ist in
seiner derben Frohlichkeit sehr nahe mit dem Scherzo
von Bruchs Esdur -Sinfonie verwandt. Noch mehr als
der Hauptsatz arbeitet das Trio (Gdur) mit Dudelsack-
musik, seine drollig behaghche Melodie wird, Jlhnlich wie
der entsprechende Abschnitt der ersten Sinfonie, von
Bratschen und englischem Horn vorgetragen. SpSter kom-
biniert der Komponist die Themen des Hauptsatzes und
des Trios und steigert die Lustigkeit noch durch Auf-
— » 823 ♦^
stellung eines neuen dritten, sehr grotesken Themas. Viel
Kunst und viel Effekt!
Der dritte Satz (Adagio, Asdur, Va) kehrt den Emst,
mil dem die Sinfonie anting, ins Fromme und zwar auf
Grand eines Themas, das in einer Beethovenschen Sonate
stehen konnte. Dafi dieser Anlehnungsstil beabsichtigt
ist, ergibt die Fortsetzung, denn auch der ganze Aufbau
und Yerlauf des Satzes schlieOt sich an ein beriihmtes
Beethoven sches Muster, an das Adagio der Neunten Sin-
fonie an. Dem Asdur-Teil folgt ein, meistens von den
BlMsern allein vorgetragener, zweiter Teil (in Es;, der dem
ersten stimmungsverwandt ist und doch mit ihm ahnlich
kontrastiert, wie die ErfuUung mit der Bitte. Die beiden
Teile alterieren dann, genau dem Modelle folgend, in
Variationen.
Das Finale beginnt wieder mit einem Lento, in dem
das Hauptthema des ersten Satzes angespielt wird. Dann
setzl das Allegro risoluto (Es dur, 8/4) in Form einer Doppel-
fuge Uber sehr bestimmt an Kraft und Frohlichkeit mah-
nende Themen ein. Es wird aber kein rechter Ernst mit .
der Fuge, sondera sie schweift bestMndig ab, erst zu dem
Hauptthema des ersten Satzes, dann zu dem Nibelungen-
motiv. Ein herzhaft fideles zweites Thema scheint den
Reminiszenzen ein Ende zu machen, aber nein: jetzt
kommt auch das Hauptthema des Scherzo, ihm folgen die
Melodien des Adagio, und wie im Guckkasten zieht die
ganze Themensippe der Sinfonie voriiber. Entschieden
hat der Komponist an diese Aufgabe viel Kunst und Geist
verwendet und mit ihrer Losung dem Zuhdrer auch zwei-
fellos Vergniigen bereitet, aber er entwtirdigt damit sein
Finale zum Potpourri und erweckt Zweifel an dem Ernst
seiner ganzen Sinfoniearbeit.
In seiner dritten Sinfonie (Edur) gibt sich Wein- Felix t. Weln-
gartner moderner als in den vorhergegangenen. Die Be- /^^V* •
setzung mit sechs Hornern, Orgel (auch Heckelphon und
Celesta) zeigt das HuBerhch, in der Tonsprache aber geizt
diese Sinfonie darnach, in bezug auf die augenbUcklich so
beUebte HeiGbltitigkeit auf der Hohe zu stehen. Aller
— ♦ 824 ^^
Alliiren entkleidet, zeigt indessen die Erfindung des Werks,
im Vergleich mit dem ersten Salz der zweiten Sinfonie,
einen Ruckgang im pathetischen Venn5gen des Kompo-
nisten. Wenigstens ist er hierin unverlaBlich geworden.
Das beweist namentlich der erste Satz (Allegro con
brio, Edur, 2/j). Gewifi hat er sehr schone Stellen, aber
an seiner vielmals stockenden, immer wieder anlaufenden
Entwickelung straft es sich bis zum Ende, daO das Haupt-*
thema, das seine, ein grofies, edles Streben zum Aus-
druck bringende Stimmxing tragen soil, nicht in der Seele
des Komponisten zur Reife gekommen, sondern im Grunde
nur dem Fdur-Stuck von Beethovens Rasumowsky-Quar-
tetten entnommen ist.
Der zweite Satz (Allegro vivo, scherzando, As dor, */4\
den einige verwegne Zweivierteltakte einleiten, ist im
Hauptthema und seinem Gebiete durch eine eigne Mischang
von Wildheit und Behaglichkeit originell. Letztre iiber-
nimmt im Trio (Meno mosso, Fdur) die voile Herrschaft,
und da zeigt sich sehr hlibsch eine neue Seite an dem
Sinfoniker Weingartner: sein Ostreichertum, seine geistige
Verwandtschaft mit Schubert, Bruckner und vor allem mit
Johann StrauG, den er ebenso unverhohlen und glucklich
kopiert wie er das friiher mit Beethoven getan hat. Das
bedeutendste Stuck der E dur-Sinfonie ist ihr dritter
Satz (Adagio ma non troppo, Desdur, V4)* Tiefernst be-
ginnt ihn der Posaunenchor, besorgten Tons wird er fort-
gesetzt, da bringt das zweite Thema (Adur) die Beruhi-
gung. Der ganze Satz ist schon und reich an einfach
edler Melodik.
Das Finale setzt mit einem Allegro moderato, dem
sich abermals, wie der Einleitung der zweiten Sinfonie,
eine bestimmte Tonart nicht zuweisen Iftfit, im Yierviertel-
takt wild und entsetzt ein. Bald macht es dem Haupt-
tempo (Allegro vivace, E dur, Vs) Platz, das die Aufregung
zunachst mit einem Thema:
(Kontrab&fle)
-^ 826 ^^
d&npft, hinter dem wir gleich eine Fuge erwarten. Sie
kommt auch richtig, gelangt aber nur bis zur zweiten
Stimme, die das Cello hat. An der Stelle der nun fal-
ligen Bratschen kommen die Holzblaser und mit ihnen
sdielmische nnd schalMsche Geister. Ihnen iiberant-
wortet der Komponist im weiteren mehr und mehr
den Satz. Zunadist stimmt er im Sinne des zweiten
Themas wieder eine Wiener LSndlerweise von der be-
haglich traulichen Art an, die auch Brahms ans Herz
gewachsen war. Weingartner spielt aber nicht bloi3
auf den Wiener Ton an, sondern er vertieft sich bis
uber die Ohren in die unverffilschte flotte Praterlustig-
keit. Dem Gipfel ,, ^ ^ ^ -^
des Vergnligens A ¥> » P V ^\f f\ ^^'!\Jl ^Yh^ \
begegnen wir bei
Da lag auch der Gedanke nicht mehr weit, in einen regel-
rechten Wiener Walzer zu flEdlen. Und wirklich: er kommt,
aber doch noch iiberraschend, n tolich auf Grund des oben
mitgeteilten Fugenthemas. Der SpaO ist zweifellos reizend,
aber bedauerlich bleibt es, daO der Komponist von seinem
Witz nicht wieder loskommt und bis zum letzten Takte
fortwalzert. Das hatte die Sinfonie nicht verdient. Doch
ist ihr im Grande nur dasselbe geschehen, wie dem Finale
der zweiten, und beide F&Ue zeigen, ebenso wie die Ex-
zesse Mahlers, daB es vielen Musikern in unsrer rea-
listischen Zeit schwer f&llt, den idealen Charakter der Sin-
fonie rein zu erhalten.
Wenn sich Hugo Kann, der seiner Sinfonie »An das Hago Kmh,
Vaterland* und seiner sinfonischen Dichtnngen Hiawatha Cmoll-Sinfonio
and Minnehaha wegen in Amerika schon vor Jahrzehnten
gefeiert worden ist, die allgemeine Aufmerksamkeit dent-
scher Kreise endlich mit seiner zweiten, der C moll-Sin-
fonie (Op. 86) erschlossen hat, so ist das ein wohlver-
dienter Erfolg. Denn sie ist eine der charaktervollsten
und klarsten Arbeiten der neneren Zeit and kommt aus
einem reichen und durch ungewGhnliche Feinheit persdn-
lich geprftgten Empfindungsleben, das sich auch, teilweise
wenigstenSy einen Stil fftr sich geschaffen hat Ihr dich*
-^ 826 ^>-
terisches Problem ist der tausead und abertaosendmal
schon behandelte Kampf urns Gliick, es findet aber — flir
UDsre Zeit symptomatisch — eine trdbe, tragische L5-
sung, &hnlich wie das nocb zuletzt in den Sinfonien von
Alfven, Suck, Sibelius der Fall war. Nach Inhalt und Stil
ist der erste Satz der bedeutendste. Hier setzt sich die
Sehnsucht nach Sonnenschein und Lebensfreude mit
einer tiefsinnigen Beklommenheit in eigner Weise ausein-
ander, n^mlich so, dai3 die Elemente des GIQcks nie
den Platz flberzeugend behaupten. So ^
oft sie sich anschicken, einen Sieg zu ^^\ B J^ J- I
feiern, kommt das Signal des Fatums J •
Die Erfindung Kauns ist unverkennbar von Wagner be-
einfluBt, besonders die Motive des Feuerzaubers und der
Tarnkappe haben eingewirkt, aber der Komponist hat aaf
dem Wagnerschen Grand sich ein eignes System fQr
Harmonik und Stimmfuhrung ausgebildet, das gern seltne
Nonenakkorde verwendet und verkettet, das mit wflhlen-
den Durchg&ngen begleitet, nach freien Wechselnoten
und in Berlioz' Art nach fremden, am liebsten querst&n-
dischen Akkordfolgen fahndet. In dieser reichen Verwen-
dung unwesentlicher Dissonanzen unterscheidet sich aber
Kaun von andren Modernen dadurch, dai3 er dieses und
die verwandten Ausdracksmittel nicht maniermftOig
verschwendet und miObraucht; sie sind vielmehr Qberall
eine romantische WCLrze der Hauptideen, und er ge*
winnt ihnen Farben von einer Zartheit, Tiefe und
W&rme ab, die diesen Sinfoniesatz in Herz und Ge-
d&chtnis eingraben.
Das Adagio strebt aus der Erregung, die sich in
der Unruhe der Modulationen ftuGert, mit Gebet und
Erinnerung hinauszukommen. In der Gestaltung der
Themen und Melodien wechselt Pathos mit Schlichtheit,
Sprache und Stil schwanken etwas zwischen neuer und
alter Zeit; letztre ist durch zahlreiche Bachsche Vor«
halte vertreten. Das Scherzo hat den grimmen Humor
des Hagen in Wagners >Ring«, sein Tonspiel durch-
Bieht es wie Waffenklang. Das Finale beginnt mit:
827
also mit den plampen und
'^'h^ JiJ * iiJ * IjtJ * **«brutalenMarschrhythmeD,
die eine Spezialitat Mahlers sind. Kaun steigt indessen
nicht ganz in diese prosaische Sph&re herab, sondern er
gibt dem Satz den Charakter eines Tranermarsches,
dessen Melodien in die Klage erregte Motive aus dem vor-
hergegangenen Scherzo mischen. Mog]icherweise hat ihm
die Form eines milit&rischen Begr&bnisses vorgeschwebt.
Logisch ist dieser Ansgang der Sinfonie ohne Zweifel,
aber eben bo sicher kann man sich ihn sch5ner und
ihrem Anfang wiirdiger angepaOt denken.
Bedeatend zahlreicher ist die Gruppe der deatschen
Komponisten, die bisher nur eine Sinfonie geschrieben oder
veroffentlicht haben. An ihrer Spitze stehen nach Zahi
der Auffnhrungen Eduard Strafier, Max Reger and Fritz
Voilbach, in zweiter Reihe: Georg G5hler, Ferdinand
Hummel, Paul Juon, Georg Schumann.
Dafi die G dur-Sinfonie (Op. 26) Ewald Str&fiersEwAldStrSfter,
sich so schnell und weit verbreitet hat, verdankt sie der ^ ^*'"^*'*'°"^®-
groBen Dosis Originalit&t, welche namentlich die beiden
SchluBs&tze auszeichnet. Die Sinfonie ist das Produkt
eines ausgesprochnen Romantikers, der keine Empfin-
dung, keinen Satz aussprechen kann, ohne auch den
Gegensatz mit zu bertihren und kontr&re Stimmungen
hereinschillern zu lassen. Aber er bewegt sich auf diesem
Boden mit einer fthnlichen Frische wie Hermann G5tz,
an dessen F dur-Sinfonie StrftOers erster Satz lebhaft er-
innert. Str&Ber ist aber das st&rkere Temperament und
in der Formbehandlung selbstfindiger. Hier in der Frei-
heit des Vortrags, in der Unmittelbarkeit, mit der die
Themen vor unsren Augen entstehen und Gestalt ge-
winnen, erinnert der Komponist an Robert Volkmann
und seine D moll-Sinfonie. In voUer Deutlichkeit zeigt
sich die dramatische Individualit&t StrHGers zuerst im
zweiten Satz, im Andante, an der Stelle, wo nach der
rezitativischen EinfQhrung des zweiten Themas die Er-
regung in ruhige Klage verwandelt und in Fugenform
ausgefUhrt wird, dann wieder in leidenschaftliche Glut
-^ 828 ♦^
ger&t, als mHQie das Gliick erzwungen werden. Und da
grade wird kurz abgebrocheD, und rUhrend setzt das
Hauptthema des Satzes mit seiner Resignation nnd Er-
gebung wieder ein. Der eigentfimlichste Satz ist der
dritte, ein Scherzo, das sich fiber den Charakter der
Gattung ganz hinwegsetzt. Nnr die Figaren nnd Rhyth-
men der Geiger halten an der tlblichen Raschheit and
Lebendigkeit fest, der Kern, der in den Themen der H5r-
ner und Trompeten iiegt, ist herb, ernst und trotzig. Das
Trio kost und schwftrmt nicht, sondern schl> eine Art
Marschweise an. Die ganze Sinfonie ist schwer zu spielen,
am meisten das Finale, das sich inhaltiich mit dem von
Beethovens Achter beriihrt und voli barter Humore ist.
Auf weitre Sinfonien des Komponisten darf man groOe
Hoffnungen setzen.
Max Beger, Die Sinfonietta (A dur, Op. 9Q) von Max Reger
Sinfonietta, j^^^ wesentlich der Name des Komponisten flott ge-
macht, aus eigner Macht sich Freunde zu erwerben, ver-
mag sie nicht; sie uberschwemmt mit T6nen ohne
Musik. Durch seine Serenade und durch die Yariationen
Uber das Thema des alten Hiller hat Reger genfigend
hewiesen, daO auch die Orchesterkomposition auf ihn
Hoffnungen setzen darf; wenn sie durch die Sinfonietta
eine Entt&uschung erfahren, so liegt das allem Anschein
nach daran, dafi der Komponist ohne ausreichende
Sammlung zu Werke gegangen ist und sich zu sicher
auf die Macht seiner kontrapunktischen Fertigkeit ver-
lassen hat. Das hat sich namentlich am ersten Satze
ger&cht. Ihm fehlt der geistige Fond in einem Grade,
der bei namhaften Komponbten gradezu unerhdrt ist.
Die Ursache hegt weniger an dem Mangel eines sinfo-
nischen Gedankens, als daran, daO das kleine heitre
Motiv, das Reger an die Spitze des Satzes stellt, nicht
gentigend festgehalten wird.
Es ist an und fiir sich nicht schlechter und nicht
foesser, als eine Menge thematischer Einfalle, aus denen
Borodin und andre Vertreter nationaler Schulen grofie
und hQbsche Sfttze entwickelt haben. Aber Reger treibt
-^ 829 ^^
sofort Allotria mit Nebenmotiven nQd kleinsten KUnsten
und scheint dar&ber den Ausgang der Komposition nahezu
vergessen zu haben und za einem Plan kanm gekommen
zu sein. Bin formeller Gegengedanke ist zwar da, aber
ans Mangel an Plastik geht er ziemlich spnrlos vortiber,
nnd auch die sehr guten Stellen humoristischer Natnr,
die der Satz ohne Zweifel hat, bleiben ohne Eindrnck.
Die weitren drei S&tze sind dem ersten an Menge
trefflicher, znweilen eminent volkstilmlicher Gedanken
nnd im maOvollen Charakter der kontrapunktischen Ans-
stattnng tlberlegen, aber anch in ihnen verdirbt sich der
Komponist alles durch modnlatorischen Schwnlst.
Die Sinfonie (Hmoll, Op. 33) Fritz Vollbachs, der Frits ToUbftoii,
bisher hanptsftchlich durch kleinere Werke fttr Chor oder^™®^^-^*"'®'*^**-
Orchester bekannt geworden ist, verdankt ihren Erfolg
weniger den musikalischen, als den kunstlerischen Ffthig-
keiten des Yerfassers. Sie ist nach jener Seite durchans
tiichtig, anch dnrch die Binwirkungen alter Mnsik von
besonderem Interesse, indessen angesichts der offenbaren
Bertihrungen mit Hftndel, mit Mendelssohn nnd andren
neueren GrdOen nicht originell zu nennen. Aber die Sin«>
fonie zeichnet sich durch Einheitlichkeit , PlanmfiOigkeit
nnd dadurch aus, dafi sie bei vollst&ndiger Klarheit und
Obersicht doch besondre Bilder bietet. Sie gleicht in
dieser Beziehung bis zu einem gewissen Grade den Werken
Heinrich von Kleists, das Eigne ihres Inhalts aber besteht
in der Darstellung eines trotzigen, wetterharten Charak-
ters, etwa einer geschichtlichen Figur vom Schlage Oliver
Cromwells. Die Darstellung, die in den gewdhnten Formen
der viersfttzigen Sinfonie verl&uft, ist knapp und h<
konsequent die HauptzQge des Vorwurfs fest. Dieser
Konsequenz fiigt sich die thematische Erfindung, ihr ent-
springen auch einzelne Abweichungen vom regeLrechten
Satzsystem. Gleich der erste Satz zeigt eine solche, in-
dem er zu dem Hauptthema:
Lebhaft
etc.
*— ^
_^ 830 fl^
Xt j^iirrMfn I r i^^^g-tcf.:7:
der obren, sondem in der untren Dominant anfstellt.
Dadarch bleibt er h&rter und fUr die alsbald erfolgende
Fortsetzung in Form einer streitbaren Achtelkette geeig-
neter. Die in der DurchfUhrung veranschaulichten Pl&ne
nnd Taten des Helden der Sinfonie stQtzen sich fast
ausachlieBlich P^ I H^n _h P? J* ^^'^ weitrer
auf die Motive • • ' -^- * ^^^ •*• ^' bedeutungs-
voller Charakterzug tritt in der h&ufigen EinfQgung von
Fermaten und in feierllchen, choralartigen Episoden des
Posannenchors hinzu.
Da6 die Ereignisse und Gestalten, die in Vollbachs
Sinfonie die Phantasie beschaftigen , in alten Zeiten
zu suchen sind, geht besonders aus ihrem Scherzo
bestimmt hervor. Sein an den Fliegenden Holl^der
R. Wagners Presto
erinnerndes
Hauptthema
konnte der Rythmik und auch dem Tone nach ganz gut aus
efnem Mensuralkodex stammen und leistet der Einheitlich-
keit der Sinfonie einen vorztiglichen Dienst. Gegen sein kampf-
geriistetes Wesen konnen die anmutigen Regungen fried-
lichen Lebensgliicks, die sich ihm entgegen dr^ngen, nicht
aufkommen; die letzten Takte des Satzes betonen seine
herrische Natur nochmals ganz unbarmherzig; es wird nicht
geschlossen, sondem mit wildem Ungestiim abgebrochen.
Die gesangreichen Melodien des Adagios bedeuten
Bitten, Gebete und AuBerungen schwacher und zSgernder
Hofifnung. Mehr als in den ausgefiihrten Them en des
Satzes, liegt sein geistiger Kern in dem kurzen Motiv
Adagio mit dem ein- und wiederholt iiber-
-^Ai^, j|J I j. geleitet, auch der SchluB bestritten
wird. Es ist aus >Asas Tod* in Griegs
erster Peer-Gynt-Suite sehr bekannt, tut aber auch hier
seine Schuldigkeit.
Der rehgiSse Unterton, der die ganze Sinfonie durch-
zieht, kommt im Finale deutlich zum Vorschein. Mit
rt. vYttgiicrs Presto a
erinnerndes ^^j^^ f j J!-y{X4_44,,g,,j^ 1 1|[' |
— fr 831 «—
einem Posaunensatz, der eine liturgische Intonation des
>Hallelujah< spielt, wird es erSifnet, mit einer vom ganzen
Orch ester traumerisch entziickt eingesetzten , in emste,
glanzendste Festklsinge ausmiindenden Paraphrase dieses
Hallelujah geschlossen.
DaB die ohne Opnszahl veroffentlichte D moU-Sinfonie Georg GShler,
Georg GShlers eine Jugendarbeit, vielleicht eine Frucht ° ™o"-Smfonio.
erster Versuche ist, ergibt sich aus dem Wertunterschied,
der zwischen den Stellen der Erfindung, der Inspiration
und denen der Arbeit oder der dichterischen Kraft besteht.
Die t^bergHnge und die ihnen verwandten Abschnitte,
welche der Komponist im Augenblick, wo eine Idee sich
an den Hauptpunkten zu Tdnen kldrt, noch auf sich be-
ruhen IRfit, machen sich zum Teil als NachguO bemerklich
und sind mit den Haupttragern der S^tze nicht zum
Ganzen verschmolzen. Doch gilt das durchaus nicht fur
alle ; den schwacheren Stellen stehen hier gleichviel meister-
lich gelungene, durch Geist und Frische ausgezeichnete
gegeniiber, und in der Hauptsache zeigt diese Sinfonie
ein so starkes und selbst^diges Talent, da6 die ver-
haltnism&Big betrachtliche Zahl von Auffiihrungen, die sie
erfahren hat, ganz natiirlich ist.
Da von den fiinf Satzen der erste in den zweiten
iibergeht, und der dritte, vierte, funfte einander ebenfalls
ohne Unterbrechung folgen, haben wir es mit einer Sinfonie
zu tun, die einen Lebensbericht in zwei Hauptbildern
gibt. Diese konnen vielleicht als Jugend und Reife Uber-
schrieben werden. Der erste teilt sich in tatenfrohes
Stiirmen (Allegro risoluto) und blindes GenieBen (Tempo di
Valse); der zweite wendet sich von Entt&uschung und
Entsetzen (Vivace furioso) iiber ernstes Besinnen (Adagio)
zu neuer edler Lebensfireude (Allegro appasionato e trion-
fante). Dieser schlichte und ungesuchte Inhalt ist mit
ebenso natiirlicher und einfacher Musik und in einem
Stil wiedergegeben, der alien rhetorischen Aufputz ver-
schmaht. Eine wirkliche innere Originalit&t, die keiner
auOeren Nachhilfe bedarf, spricht deutlich genug aus der
thematischen Erfindung und aus der zuweilen jugendlichen
--♦ 832 ♦—
Keckheit der Gedanken selbst oder derForm, die sie sich
gewihlt haben. Das Hochste leistet nach dieser letzten
Beziehung der Walzer, der melodisch nur eben noch
skizziert ist und stellenweise dem Rhythmus die ganze
Schilderung iiberl&Ot. Auch ist sein sinnberauscbender
Klang ein bedeutendes Zeugnis ftir die angeborene In-
strumentationsbegabung des Komponisten.
F. Hamnel, Die D dur-Sinfonie (Op. 105) von Ferdinand Humm el
Ddar-Sinfonie. hat nnter den neueren Werken ihre eigne Marke durch die
Entschiedenheit, mit welcher sie einen freundlichen, heiteren
Grundton durchfuhrt. Ihre Anakreontik steht zwar, wenn
wir an Riifer, Weingartner oder an die zweite Sinfonie
von Brahms denken, in unsrer wesentlich pessimistischen
Zeit nicht vereinzelt, aber sie rubt bei Hummel auf einem
echten und breiten Naturgrund. Das zeigt sich darin,
da6 seine von der Form geforderten Ideen der Ab-
wechselung mehr auf Steigerung der Lebensfreude als
auf Kontraste hinauslaufen. Wirklich melancholischen
Kreuzungen gestattet er nur in den Durchfuhrungen
voriibergehend Zutritt, und so, daB ein ernstliches Ringen
und Kampfen unterbleibt. Die gewohnte motivische Ent-
wickelung wird auch bier durch fertige Themen und
Melodien ersetzt. Alles in dieser Sinfonie ist bequem
und angenehm fafilich, am meisten das im Hauptsatz
Mendelssohnisch gefarbte Scherzo und das im schlichten
Yolksliedstil beginnende Adagio.
p. Joon, Paul Juons A dur-Sinfonie (Op. 23; beginnt auBer-
Adur-Sinfonie. ordentlicher Weise und iUinlich wie Goldmarks >Landliche
Hochzeit< nicht mit einem Sonatensatz, sondem mit
Yariationen, als eine Art freier PassacagUa oder Ciaconne.
Das entschieden nordisch klingende Thema ist ein zwei-
teiliges Lied von gemischter Stimmung; es i^gt frohlich
beschaulich an, \&Qt aber am Ende beider HaUten einen
VerdruC, einen Zweifel merken. Die Yariationen fuhren
nun die seeUschen Qualit^ten, die sich in dieser Skizze
bergen, breit und deutUch vor. ZunSUdist stehen finstere
Entschlossenheit, Kraft und Erregbarkeit an der Spitze,
dann kommen mit einem Adagio und einem Andante
_^ 833 ♦>-
innige Regungen eines wannen Gemiites, mit einer Art
langsamen Walzers freundliche Humore zum Wort, den
SchluO bildet aber eine HuOerst trotzige, gelegentlich wilde
Fuge. Der Satz z&hlt unter die gehaltvollsten Leistungen
modemer Yariationenskunst und hat seinen Hauptwert
darin, daB er ebenso logisch wie natiirlich ein reiches
Charakterbild entwickelt.
Das Scherzo und der langsame Satz — dieser als
Romanze bezeichnet — passen sich dem Plane der
Passacaglia folgerichtig darin an, daO sie die hellen gegen
die dUsteren Elemente zurucktreten lassen. Das Finale
hat Sonatenform mit dem Thema der Variationen des
ersten Satzes als Hauptthema. Dieses tritt jetzt mit dem
Aufgebot auGerster Energie und Kraft auf, bald stiirmisch
und bedrohlich, bald in stolzer Ruhe, einmal auch — ein
Rezitativ der Klarinette kiindigt die Stelle an — demiitig,
bittend, in Triolen schmeichelnd. Der Ausgang bleibt
hart und unbeugsam. Das Finale ist in bezug auf un-
mittelbare Inspiriation der bedeutendste Satz der Sinfonie
und hat meisterliche Stellen ersten Ranges.
Da6 die F moU-Sinfonie (Op. 42) Georg Schumann s 0. Sehmi
sich wenig verbreitet hat, kommt von der unverkennbaren ^ moll-Sinfonie.
Ungloichheit des Werkes, von dem gefahrlichen Natur-
geschenk einer leichten Feder, Sie hat einen Satz, der
des ungeteilten allgemeinen Beifalls sicher ist in ihrem
Scherzo mit dem unwillig dr&ngenden Hauptthema und
dem k5stlich einfach und volkstumlich zusprechenden
Trio. Der stammt von dem ausgezeichneten Humoristen,
der die Serenade der zuriickgewiesenen Liebhaber, der
die Variationen uber das lustige Thema geschrieben hat.
Auch sonst ist an der Sinfonie vieles zu loben, vor allem
der klare Plan, nach dem sich die Satze folgern, und nach
dem das Ganze sich durch die thematische Einheitlichkeit,
die zwischen erstem Allegro und Finale besteht, abrundet.
Auch die starke dramatische Begabung, die im Anfang des
Ruthoratoriums des Komponisten, die im Mittelsatz seines
bunder ts ten Psalms so selbstfindig hervortntt, findet man
in einzelnen Durchflihrungsabschnitten der Sinfonie wieder.
Kretzscliinar, Ffthrer. I, 1. 53
-^ 834 <^^
Ferner zeichnen sich die Hauptthemen des ersten und
zweiten Satzes durch Charakter, jenes durch leiden-
schaftliche Melancholie, dieses durch Innigkeit aus. Die
Schwachen liegen in matter erfundenen Gegenthemen
und in allzu starken AnklUngen an Wagner in erster, an
Brahms in zweiter linie.
Es bleibt von der neuesten deutschen Sinfonie-
komposition nur noch ein Rest von Werken iibrig, die
bisher nbch gar nicht oder sehr wenig aufgefuhrt und
bekannt geworden sind. Da mag ganz kurz auf die Sin
H.Behm. fonien von Hermann Behm, Hermann Bischoff, Karl
"•**JJ*®'^* Bleyle, G. Fitelberg, Robert Hermann, C. A. Lorenz,
G. FiUlberg*. Emanuel Moor, Max von Oberleithner, Emil Paur
B. HermaiiB. und Heinrich Zollner hingewiesen werden. Die der
C. A. Lorens. beiden letztgenannten Komponisten sind Arbeiten lebens-
H ^* ober- fr^^^g®^ Natur, im Stil zeigen beide den routinierten
leitliBer. Eklektiker. Die Paursche, den Pittsburger Musikfreunden
E. Paur. und ihrem Sinfonieorch ester gewidmet, hat ahnlich wie
H. ZdlUer. Dvofaks »Aus der Neuen Welt< Einlagerungen spezifiseh
amerikanischer Musikkultur. Oberleithner, von dem bereits
zwei Sinfonien vorliegen, scheint uber die ihm gewiesene
Richtung noch nicht klar zu sein, seine gelungensten
Leistungen liegen auf der Seite nattirlicher Einfachheit
und SchUchtheit, sein Streben gilt aber mehr dem groBen
Pathos und der Leidenschafthchkeit im Wagnerschen Stil.
Die Sinfonie von Bischoff, reich an guter, plastischer und
eigner Erfindung, ist das Werk eines wirklichen hervor-
ragenden Talentes, bei der von Robert Hermann iiberwiegt
der Eindruck des Affektierten, die von Bleyle, deren SMze
ohne Pause abgespielt werden, ist frisch, hie und da auch
sehr gewohnlich erfunden und durchschnittlich nur mil
maCigem Gliick entwickelt. Eine Kraft, die zu gangbaren
Bahnen uber Brahms und Bruckner hinaus fiihren konnte,
birgt sich auch in dieser Liste nicht.
Obwohl der Aufschwung in der auGerdeutschen
Orchesterkomposition , als er in der ersten H&lfte des
19. Jahrhunderts begann, zun^chst nur der Programmusik
und der Pflege und Weiterbildung nationaler, volks-
-^ 835 ♦—
tumlicher Musikelemente zugute za kommen schien, so
gelangte doch im weiteren Verlauf auch bei ihr die
Sinfonie nach klassischem Muster, die Sinfonie, welche
subjektive Stimmungen ihrer Verfasser in breiten Bildem
entroUt, auf den ersten Platz. Die Russen, ebenso die
B5hmen, haben das nationale Element in der Sinfonie
allmfthlicb zuriicktreten lassen; auch bei den Fran-
zosen spielt die mebrs&tzige Programmsinfonie eine
untergeordnete Rolle. Der Schatz ihrer klassischen Sin-
fonien ist dagegen in der letzten Zeit um einige beden-
tende StQcke yermehrt worden.
Ala erstes derselben nennen wir die D m o 1 1 - S i n f o n i e C. Frraek,
von C^sarFranck. Franck ist zwar in Lilttich geboren, ^ moU-Sinfonie.
aber einer jener Belgier, die ohne Abzug der franzOsi-
schen Schule zugewiesen werden k5nnen. In Paris hat
er gelebt und gelitten. Erst nach seinem Tode suchte
man das Unrecht wieder gut zu machen, das die blinde.
Mitwelt seinem hervorragenden Talente zugefiigt hat.
Namentlich seinem letzten Oratorium, >Die Seligkeitenc,
ist dieser Umschwung zugute gekommen; im Gefolge
dieses Werkes erschien dann hie und da wohl auch eine
oder die andere seiner interessanten sinfonischen Dich-
tungen. Die bedeutendste seiner Instrumentalkompositionen
ist aber seine DmoU-Sinfonie, die, ebenfalls aus dem
NachlaO und ohne Opuszahl ver5ffentlicht, den Anspruch
erheben darf, allgemein gekannt zu sein.
Dem Inhalt nach ist sie oftenbar ein Stuck Selbst-
biographie, eine jener gegen ein hartes S chicks al gerich-
teten Klagen, wie wir sie in der neuen Sinfonieliteratur
ziemlich hauiig haben. Dieser Charakter allein wurde
seiner Zeit fQr einen franz5sischen Mifierfolg genugt haben.
Erschwerend kam aber hinzu, dafi Francks Stil von
nationalen RUcksichten keine Notiz nahm und Wagner-
sche und Lisztsche Ausdrucksmittel anwandte, an die
sich selbst Berlioz nicht gewagt hfttte. Die Franzosen
waren damals den Harmonien gegeniiber noch sehr kon-
servativ und empfindlich. Franck aber ftigt die Nonen-
akkorde kettenweise hintereinander, wenn er so gestimmt
63*
-^ 836 ^^
ist, und drtickt seinen Zuhdrem die schdnsten Qainten-
parallelen fdrmlich ins Ohr, wenn sie ihm fQr einen
poetischen Zweck am Platz erscheinen. Er nimmt als
Poet und Gharakterkopf wieder Berliozsche Tendenzen
anf, aber mil weit reicherem K5nnen. So ist er der
Vater der neueren franzCsischen Instramentalkomposition
geworden, das Motto ihrer Ftkhrer Debussy und Dokas:
Emanzipation von der Grammatik, geht auf Franck zu*
rdok. FUr Frankreich bedeutei er eine gescbicbtliche
6r56e, ffir die Hyperpatrioten sogar eine Kombination
von Beethoven und Wagner*).
Die Sinfonie Francks ist nur dreisAtzig. Ihr erster
Satz ricbtet Fragen an den Himmel, die in dem einfach
gehaltvolien Hauptthema der Einleitung
Lento
erese. dim,
r ^ r k^"- \ .J ^™ entschiedensten zum Ausdrnck
.1 f ' LJ" I ^ J kommen. Auf diese T5ne gestutzt,
^ bittet der Tondicbter deniutig und
vertrauensvol], blickt schwerm&tig umber, klagt stfirmisch
und verzweifelt. Die scb5nsten Stellen sind die, wo er,
von den freundlichen Hoffnungen, die im zweiten Tbema
auftreten, den Blick abw^ndend, Worte der Ergebung
stammelt. Wie er diese einfachen Motive mit dem freund-
lichen Gesicht so in die Pausen hineinsprechen laOt, immer
leiser — das ist tief ruhrend und aufierordentlich poetisch!
Siebt man die Musik Francks auf Originalit&t und auf
Quellen hin an, so findet sich unter den letzten Mendels-
sohn mit den beftigen Rbythmen der Erregnng, Wagner
mit der Tristan chromatik vertreten. Die Anlehnung an
Wagner ist aber nicbt blofi HuOerlich. Kein andrer Kom-
ponist weiO uns mit kleinsten und intimsten Intervallen
besser in den Zustand einer Seele zu versetzen, die
*) Vincent d'Indy: C^Bar Franck. (Les maitreB de la ma*
siqne.) 1907.
--^ 837 ^^
sncht nnd versucht und immer wieder nach einem Ans-
weg sttcht.
Der zweite Satz bt ein Allegretto, wie wir keins
daneben haben. Trotz seines Dreivierteltakts hat es in
dem Begleitungsapparat — in Harmonien und Rhytbmen
— den Charakter eines Trauermarschs. Dazu kiln gen
aber Melodien, als wenn der Komponist bei den Er-
innernngen seiner Kindheit weilte nnd das Bild der
Matter finde, die am Abend ihren Kleinen Schlummer-
lieder sang.
Der SchluOsatz versucht mnnter und kr&ftig zu
werden. Aber schon sein erstes Thema fflUt leicht auf
das Fragemotiv des ersten Satzes znr&ck. Des weitem
geht er fast ganz in Reminiszenzen an diesen und an
das Allegretto auf. Am SchlaO bin sagt uns Grabgelftut
ill den B&ssen: was geworden ist. Einige Takte im
feierlich freudigen Ton der Apotheose bilden das kurze
Ende.
Wfthrend AuffUhrungen dieser Franckschen Sinfonie,
in Deutschland wenigstens, immer noch selten sind, haben
die Sinfonien von CamilleSt. Sa^ns sich einen festen
Platz erobert. Auf l&nger behaupten werden ihn aller-
dings nur seine zweite und dritte Sinfonie. Denn [die
erste (Esdur, op. 2) hat mehr biographisches Interesse c. St. SaSm,
als eignen Gehalt. Indes ist die Form mit einer an- Sinfonie in Es.
gebornen Sicherheit und mit einem starken Sinn fCkr scharfe
Wirkungen behandelt. Reminiszenzen aus Klassikem
mischen sich ungezwnngen mit eignen Vorstellangen.
Unter ihnen machen sich Marschbilder und milit&hsche
Phantasien besonders bemerklich. Das Adagio erhebt sich
wie ein nachkomponierter Teii tkber den kindlichen Ton
des Ganzen und bleibt — vielleicht grade aus diesem
Grunde — dessen am wenigsten befriedigender Teil. Es
geht ohne Pause in das Finale Uber, in dem der Kompo-
nist seine Fertigkeit im Fngieren bloBlegt.
Der z we it en Sinfonie von St. Sa^ns (A moll, op. 65), c. st.Sft€M,
die in der Schweiz viel Freunde zn haben scheint, wird Zweite Sinfonie.
man tiberall das Interesse entgegenbringen, auf das die
-^ 838 ^^-
neuen Kleider alter Bekannter zu rechnen haben. Denn
wirklich origin ell sind an der ganzen SinfoDie wohl nur
zwei Stellen, die Einleitnng des ersten Satzes iind die
feierlichen Episoden, mit dem im Scherzo das GetQmmel
der Geigen von den Blftsem unterbrochen "wird.
Die eben erwS,hnte Einleitung des ersten Satzes ist
ein Allegro marcato im 0/4 Takt, eigentQmlich durch die Un-
gezwnngenheit und Nattkrlichkeit, mit der es die Unfertig-
keit der Stimmung offen darlegt und die Phantasie vor aller
Welt Toilette machen lai3t. Das Orchester klingt grade, als
wenn ein Pianist die Tasten des Klaviers probiert und
nach einem Einfall sucht, hie und da unterbricht er die
Figuren und Modulationsstudien durch eine dramatische
Phrase, und lenkt ,
endlich nach einem An^omoderaio. J.= 6o
festeren melodi- i jj ^ | f T T T r «r I f" ^^^
schen Gedanken: *^
Der Hauptteil des Satzes (Allegro appassionato, (^,
A moll) bestMigt wieder einmal.die Beobachtung, daB
Mendelssohns Geist in der neuen franzosischen Instru-
mental musik noch frischer lebt als in Dentschland. Das
Hanptthema
^ Allegro appassionato. J z 88
f"i P-'-i'"J.j)^'4;l4^ijjjijljjiJJ|,Jill'l
belegt das fiir sich allein, eben so wie die AusfQhmng, die
immer geschickt und unterhaltend bleibt. Gr50re Wirkungen
liegen nicht in sei-
-.^-w. ir-^:--. ^«.^u M Sotto voce . * i i
das zweite Them a *
ist aus derselben Familie wie das erste. Ein groBer Vor-
zug des ununterbrochen flieGenden und funkelnden Satzes
ist seine Knappheit.
Noch mehr charakterisiert diese Eigenschaft das
Adagio der Sinfonie. Es hat nur 79Takte. Das Thema
seines Hauptsatzes
839
erinnert an Beethovensche Sonaten und an Weihnachts-
musiken. Man wurde es gem 5fter als nnr zweimal h5ren.
Von den zwei Seitensfitzen (beide in CismoU), die sich
mit ihm abl(3sen undebenfallsdurchausvolksmUCigschlicht
gehaltcn sind, kehrt der zweite im Finale wieder.
Das Scherzo (Presto, ^4* A moll) gibt sich in seinem
Hanptsatze auf Grand des Themas
Setae rso. Presto.
if'«^/'H'fp
*r^ f
beethoYeniscb, variiert aber diesen Familienzug mit einer
tiefsinnigen Falte, die durch die schon erw&hnten feier-
lichen Akkorde der BlM,ser — sp&ter werden sie auch vom
Streichorchester gegeben — variiert wird. Der das Haupt-
thema variierende Seitensatz wird durch eine Reminiszenz
an den ersten Satz der Sinfonie eingeleitet und in seinem
Wesen durch ^ bestimmt. Das
daskontrapunk- J^ * |J j I J J ^ Trio hebt sich
tierende Motiv * ""-^ sehr bestimmt
vom Hauptsatz ah und gewinnt durch sein reizend liebens-
wQrdiges Thema
J7n poeo meno mosso. J*s80 ^..^^
^^i'^Li]i'i\fJijriiiiii| it^iiiiiiiiiini
schon allein zur GenQge. Die Mckkehr zum Hauptsatz
wird scheinbar begonnen und zwar sehr sinnig : die Trio-
melodie erscheint in Bruchstiicken und ganz in Pausen
verloren. Der Hauptsatz selbst kommt aber nicht, son-
dera der Komponist bricht rasch und verbliiiTend ab.
-^ 840 ♦—
Das Finale (Prestissimo, Vs* Adar) ist ein an Ver-
wandlnngen sehrreiches, fantastisch flottes Rondo. Seinem
Hauptthema, das flatternd und beweglich anf&ngt:
(ill iiiiiiiiiiiii^imii irnii I
GtB E A 01s X^ K
und stiinniflch krftflig schlieBt, treten Nebenlhemen mannig-
fachsten Gharakters, die zeitweise sehr kunstvoUzosammen-
gebracht werden, zur Seite. Die wichtigsten von ihnen sind :
jM i^T] r-TLu i^Ly^^ III I
und
c. St. SftSm, Mil der dritten Sinfonie von C. St. Sa^ns (CmoU,
Dritte Sinfonie. op. 78) ist die deutsche Musikwelt zuerst durch Franz
Wfillner bekannt geworden. Das Werk ist in dcr &u6ren
Gestalt nach mehr als einer Richtung ungewohnlich. Za
dem an nnd fiir sich sehr groOeu Orchester Berliozscher
Abkunft zieht es, wie das die neueren Franzosen h&ufig
tun, noch Rlavier heran und aufierdem Orgel. Die Orgel
ist in der Sinfonie keine neue Erscheinung. Wir haben
Sinfonien fdr Orchester und Orgel von dem Dresdner
August Fischer, von dem Pariser Guilmant, von dem
Weimaraner E. W. Degner. Doch sind das im Grunde
Orgelkonzerte wie die H&ndelschen, nur neuer und
moderner. Bei St. SaSns dagegen handelt sichs nicht
um eine konzertierende Verwendung der »K5nigin der
Instrumentec, sondern nur darum, die Hdhepunkte der
Tondichtung mit dem verkl&renden, gewissermafien flber^
irdischen Klang der Orgel noch mehr hervorzuheben.
Dazu hat F. Liszt mit dem SchluB der vFaustsinfoniec
die Anregung gegeben, und seinem Andenken ist die
Gmoll-Sinfonie des Komponisten gewidmet.
-^ Ml ^^
Anfierdem ist der Aufbaa der Sinfonie nngew&hn-
licb. Sie besteht nnr ans zwei Abteilungen, doch findet
man in ihnen die gewohnten Sfltze herans.
An die Spitze AA^^^Jsta ^ Es ist der
semes ersten Sat-p.L . d^^r^T- i f -#-Aqscto<^*
zes slellt St. Sa6ns]P'^H UJ ° _ ' ' ^ einer un-
das kurze Thema: ^ " '^^^^^ '''gewissen,
in Sorgen befangnen Stimmung, es ist der ernste Blick
auf eine nocb feme, dankel drohende Wolke. Das
Allegro moderato (C moll, ^/s\ das der kurzen Einleitung
folgt, beginnt mit dem Motiv
Allegro moderato. JL 72
das ftir den grSI^ten Teil des Satzes den Begleitnngsdienst
tkbernimmt, den vorherrschenden Gemtktszustand veran-
schanlicht Es zeigt in Schubertscher Art das zitternde
Herz, zunAchst nnbestimmt, ob die Unruhe auf Frende
Oder auf Leid deutet. Bald gibt der auf die Einleitung
zurttckweisende Gesang der BIfiser
die GewiBheit, dafi es sich um Klage handelt. Sie wird
unterbrochen durch einen selbstftndigen Satz fiber die
zittemden Motive, dann aber vom engliscben Horn fol-
gendermaBen weitergefQhrt:
<i'llU,J^MJJ|iliTl|T7nii|ipul
ntr C9PT. ^-s^ ^^Z^^^'
^l^O^ I A IfiO itfri H ^°^ '"^^ einem leiden-
l^itJ^ ^ P i'^pa schaftlichen Abgesang:
842
jli'i./?i.M,rB^lM»CDl(T3,jjj
i
>cg'i>uj'i».^^
•te.
geschlossen, der in seinen besten Wendungen gleich-
m&6ig an Spohr and Liszt erinnert Die Stimme des
Trostes tritt mil dem anmntig ruhigen Desdur-Thema
ein. Sehr wirksam hat ihm St SaSns einige vorbe-
reitende Motive vorausgeschickt, denen es folgt wie
die voile Sonne dem Morgenschiromer. Der Ab-
schlnfi (in Fdur) wirkt glftnzend; poetisch hat ihn
aber der Komponist schlieOlich ins Stille und Ergebne
gewendet, am die Darchfiihrung psychologisch za be-
grtknden.
Sie beginnt mit ein em stockenden and zagenden Be-
gleitungsmotiv, Qber das sich bald das aas der Biuleitung
bekannte Motiv der Sorge erhebt Ihm reicht das erste
Thema mit seinem Endteil die Hand. In die wachsende
Erregung spielen Trompeten and Posaunen zwei karze,
aber wichtige Melodiezeilen bin ein. Sie weisen in ihrem
frommen choral artigen Charakter aaf die Ldsang der
Schwierigkeiten, mit denen die Seele des Tondichters
augenblicklich k&mpft, bin, die sp&ter wirklich eintritt
Die Reprise ist heftiger als die Themengrappe gehalten
und l&aft in das Einleitangsthema, in die T5ne der Sorge
aus. Da setzt die Orgel weich und leise ein, der Himmel
spricht:
843
Poco Adagio. J s 60
Des Ba
As-Oesu. P__- P»8 £b As Des
So endet die erste Abteilung der Sinfonie mit einem
groGen, erhebenden Eindrack. £s kann niemandem ent-
geheo, da6 dieser dem Allegro angefiigte, in frommer
Harmonie gegebne Desdur-Satz nichts ist als das Adagio
der Sinfonie, das in der Kegel als ein selbst&ndiger zwei-
ter Satz erscbeint. In der Zusammenziehung der beiden
S&tze liegt bier die Originalit&t und das GlQck der Kom-
position.
Man wiirde nacb diesem Adagio nichts weiter horen
wollen, wenn nicht einige Takte roit iiberm&i3igen Drei-
kl&ngen ihren vollen Frieden st5rten und anf eine Wie-
derkehr schlimmer Stun den gefai3t machten.
Sie brechen in dem Allegro moderato, das den zwei-
ten Satz der Sinfonie beginnt, grausam genug herein. Das
Hauptthema dieses Allegro moderato
AUflgro moderato. S^ 60
ist eine Umbildung der leitenden Ideen des ersten Satzes,
eine Umbildung teilweise in der karrikierenden Art ge-
halten, fQr die Berlioz zuerst in seiner Sinfonie fantas-
tique das Muster gegeben und die dann Liszt in seinen
Mephistobildern weiter entwickelt hat Diese Wendung
zur Verh5hnung des Teuersten und Ernstesten scbl>
bald in offenbare FrivoliUt um. Es beginnt ein Presto
mit folgendem Hauptthema
844
Presto. Jd 188
cJj Lij l*MfJ JJ ILIJ I
das mit das Tollste enth<, was die nenere Orchester-
musik an phantastischen Leistungen aufznweisen hat Hier
f&ngt auch das Klavier an mitzuwirken und zwar mit be-
absichtigtem prosaischen Effekt Die Hetze und das Gewirr
dieser Presto-Episode, in der wir, wiederum vorzQglich ein-
gestellt, das iibliche Scherzo der Sinfonie vor nns haben,
wird durch einen gemfitvollen Abschnitt unterbrochen, der
in seiner )A/irkung sich mit einem iQinlichen im Gmoll-
Konzert des Komponisten begegnet. Das Thema lautet:
ji^hTTii' I ^U SB
Es wird in seinem huma-
nen Wesen noch da-
durch gehoben, dafi ifam
eine sehr zSlnkische Stelle -J j ^ r P I ^^ Crrun-
vorhergeht, der das Motiv ^ ^ U I f I I de liegt.
Das Allegro moderato kehrt dann wieder, and anch
das halb schreckende, halb erheiternde Presto kehrt
wieder. Es hat aber kaum eingesetzt, da stimmen die
B&sse, Bratschen und Posaunen leise einen Gesang an:
der von dexn
Adagio des
ersten Teils der Sinfonie stammt Er wirkt, von den
andern Instrumenten aufgenommen, wie Gretchens Bild
auf die Mephistomusik in Liszts »Faust<: reinigend und
verkl&rend. Es wird ganz still im Orchester. Auf ein-
mal setzt die Orgel m&chtig mit einem Cdurakkord ein.
Immer von diesem feierlichen Orgelklang unterbrochen,
prftludieren Mae.toEo. J.7e ^ ^^ dem
die Qrche- —0-"^ ^ ^ ^ ^ r f r" f ^T* i^Jn SchluS-
«»tArinstrii. ^pTrrriiirir^ tm\ der
mente mit y Sinfonie,
845
einem m&chtigen, als die Apotheose Liszts gemeinten
Hymnus. Er klingt an dessen »heilige Elisabeth* an:
and schliefit mit
jf ff 1 ^^ ^ J i ^ ^ ^ I *^'' II Sfltzen, die anf
ff* 1. L 1. { f .1 y. ^ ■' ^. " das Yon Brahms
•^ f • ^ ^ r geliebte Motiv:
iJWJJ'JJJJ/.iUJJi^i
gebant, tells dem dithyrambischen Ton Beethovens zu-
streben, tells in frelen anfldsenden Kadenzen elne Maje-
stfit and Gr5Be der Freude aassprechen, ftir die in Sinfo-
niefinales wenlg, In frfiheren Kompositionen von St. SaSns
gar keine Vorbilder vorhanden sind.
Karz yor die drltte Slnfonle von Saens, in das Jahr 1885, Ch, eoimod,
fftllt elne » Petite Symphoniec von Charles Qoanod, aaf P®*l*«Symphonie
die jQngst in Deutschland verdientermafien hingewiesen
worden ist Sie ist aber kein Orchesterwerk, sondern elne an
and fCir sich sehr llebenswQrdige and gehaltvoUe, Mozar-
tisch wirkende Kammermasik fUr nean Blasinstrnmente.
Die Kanst sprlcht nicht nar das Innere eines Volkes
am offensten aas and bucht es, sie vermehrt aach seine
geistigen Gater. So zeigt sich ans In dieser letzten Sin-
fonie von St. Sa6ns, wie die franz5sische Kunst mit der
gesteigerten Pflege dieser Gattang an Tiefe gewonnen
hat {Am weitesten geht aber in der Umwandelung na-
tionaler Art and in der Ann&hernng an deatsches Wesen
anter den heatigen franzdsischen Komponisten Charles
Marie Widor. Dieser Masiker, den die Pariser als griind-
lichen Kenner and eifrigen Vertreter Bachscher Musik
schatzen, ist darch seine prodaktive Begabang nicht min-
der bedeatend, and aach fQr Deutschland werden seine
Sinfonien darch Ihre Ideen von Interesse, darch die ge-
wandte and anroatige Art, in der schwierige and darch-
dringende Arbeit in ihnen vorgelegt wird, von Natzen
sein. Es sind ihrer zwei. Die erste (in Fmoll, op. 16) Ch. M. w Idor,
zeigt das Bild. ihres Sch5pfers am reinsten im ersten^n^o ^ii^^onie.
^^ 846 <^-
Satz, der zu der Richtung neigt, die bei ons Volkmann
und Draeseke vertreten. Die Themen lassen nicht ahnen,
was der Satz enth<. Das erste, in einer fast irreftkh-
renden Art entwickelt und auseinandergezogen, ftthrt in
eine noch in Bildung begriffne, nach Gestaltung snchende
emste Stimmung hinein: Seine beiden Teile
^ J ^ Allegro con moto. J a 170 ^
J I .T J I ,1 I I ^^ und
ertaa.
XT zrit
^ ♦ ♦ ^ stehen im Verhait-
^ I r' r if r CJ l r^^^^Js ^ie Baum und
«!/:-= -s^p Frucht. Beim zweiten
viol.
sind ebenfalls die Fuhler, die nachher ausgestreckt wer-
den, fast bedeutender als dieses Thema selbst. Aber die
Kraft, die auf diesen Grundlagen aus der Musik sich er-
hebt, ist bedeutend genug, Das Andante ist im An fang
^ , Andante. ^^^ .
^ B C D G "^ ^ — ^ ^ K« F
Beethovenscher Abkunft, in der Fortsetzung &uBert
R. Wagner sei- px
nenEinfluB.Das i^'TlX I CJFjf P JLT V It \^^^
zweite Thema P ^'* ':5iL 5=—
dient der Stimmung zum Ausruhen.
Das Scherzo wird durch kleine, zar Besonnenheit
und zum Aufhalten Presto.
mahnendeWendun- * ♦ *t'^ ♦
mannendewendun- . ^ jt^ »,
gen Viel nnginftllpr^-Ji^g t I M
als sein Anfang a - - a - •-
— ♦ 847 ^^
verspricht. Das Trio, im scharfen harmonischen Geg^n-
satz — Adur gegen A moll — eingefOhrt, t&ndelt aller-
liebst, freundliche Gedanken mehr andeutend als aus-
sprechend. Das Finale, eine flott, frisch und im
unverffilschten FranzSsisch gehaltene Ballettszene, unter-
ha.lt sehr hiibsch, erscheint aber im Wesen zu leicht.
Widors zweite Sinfonie (Adur, op. 54) ist das CluM-Widor,
Lebenszeichen einer heitern kraftigen Seele. Sie stiirmt Z^ei** Smfon«x
jugendlich iibennutig namentlich in den ersten Satzen
dahin, manchmal in burschikosen Wendungen, die an
Schumann erinnem.
Dir innerstes Wesen offenbart sie mit den ersten T5nen,
mit dem Hauptthema des ersten Satzes
Allegro vivace. J & 160
Dim folgen auf dem FuBe einige feierlich geheimnisvoUe
Takte, die uns mit romantischen Regungen, dem Sinn flir
des Lebens Ratsel bekannt machen. Sie schlieOen ganz
merkwlirdig. In das Gis, das die BRsse aushalten, singt
die Oboe ein 1" | ^ | a hinein. Das ist ein Spielen mit dem
Feuer, zu dem auch die andem Satze viel neigen. Alle Span-
nung, die dieKiihnheit im ersten Satze erregt, lost sich immer
wieder behaglich durch die Weisen des zweiten Themas:
A. «#•# ♦r^ . ^ die Tanzge-
flfln\T6r\r |lf,p|.^. |]r.i danken nicht
*^ «i/^/» ' ' ' - - — L fernstehen.
Der zweite Satz ist ein Scherzo ausnahmsweise im
Viervierteltakt. Sein Hauptthema
Moderato. Js104
ein Stiick burlesker Kunst. Im Innern des Satzes herrschen
Damonen, die durch Walkiirenklange sich und den Ein-
fluB Wagners verraten. Das zweite Them a
-<» 848 *—
sehnt sich nach dem ersten Satz zuriick.
Der dritte Satz gibt sich mil dem leitenden Thema
Andante. J r 68'
als Ballade zu erkennen. Aus dem ruhigen Anfang gerat
sie in wild dramatische Erzfihlung aofregender Begebea-
heiten, den en sich das zweite Thema
TraDquiUamenta. ^-— — — ..^
J ' f nrii-r^i2^^ii'wpi
mild beschwichtigend entgegenstellt.
Das Finale beginnt in sehr schwankender Stimmung:
leicht und kokett scherzenden Motiven tritt ein Gedanke
entgegen
.Moderato.
der an die geheimnisvollen Takte erinrtert, die am An-
fang der Sinfonie dem ersten Auftreten des Hauptthemas
folgten. SchlieGlich festigt sich die Stimmung und spricht
sich mit dem Thema
Allegro con brio. Jr ISO
heroisch aus. Unter den Gedanken, die es ergHnzen, ist
der folgende ^¥ J llf fTfTt hpTI' ■''f T (^^
849
der wichtigste. a ^^
In ciner mildem <|gT rT T I T f F T T f 1^ -^^
Lesart lautet er
Auch die beiden Serenaden Widors sind gedie-
gene Arbeiten, in Deutschland aber noch nicht beachtet
worden.
Um diese F&hrer schart sich nun eine Reihe wei-
terer franz5sischer Komponisten, die die Sinfonie in klas-
siscfaer Form, daneben die unbenannte Suite fleiBig
pflegen, an ihrer Spitze Chausson, im grofien Abstand Chavasoa.
Magnard, Florence Schmitt, Boellmann, Ber- Mavaard,
nard, Dubois, Jonci^res, Jaspar, Gazin. Mit Aus- J-S^*!"***-
nahme einzelner SUtze werden sich die Arbeiten dieser Berniur^**
M&nner aufierhalb der heimatlichen Grenzen kaum irgend- Dibols. '
wo einbfirgern k5nnen, weil ibnen der Stempel des mar- JonoUref,
kanten Talents ebenso fehlt, wie der der Nationalit^t ^'J|[J^^^'^*
Auch die gute Schule und die neue Zeit lassen sie ver-
missen: die Muster, die iiber ihnen geleuchtet haben, sind
in dem Romantikerkreis zweiter GUte, fUr den Hummel
und Moscheles das Zentrum waren, zu suchen. Das
scbliefit nattkrlich einzelne Stellen poetischer Hingebung
nicht aus. Besonders sind solche der . F dur-Sinfonie
L. Boellmanns nachzurQhmen. Als bemerkenswerte G&ste
tauchen in dieser Sinfonikerzunft auch Lalo, Dukas LaIo.
und Debussy (Trois Nocturnes) auf, auch weitere Lands- ^"J^"*
leute C^s. Francks haben sich ihr zugesellt. Am be- * ""t*
kanntesten ist von den letzteren JanBlockz mit seiner Jan Bloeki*
stark aus Wagner schdpfenden sinfonischen Trilogie:
»Allerseelen, Kirmes und Ostern< geworden. Das den
Belgiern benachbarte Holland beteiligt sich nach wie
vor an der Sinfoniekomposition nur spHrlich und hat
den Verhulst, Hoi, D. de Lange nur in D. Sch&fer und D.BeUr«r.|
B. Z weers ansehnlichere Nachfolger gegeben. Von Zweers' B. Zweers.
drei Sinfonien ist besonders die dritte, >An mein Vater-
land«, beachtenswert. Sie besingt W&lder, See und Land-
schaft etwas umstftndlich, aber mit eigenen Weisen, und
k5nnte durch letzten Umstand der Ausgangspunkt fQr
eine holl&ndische Schule werden.
Kretssclimar, Ffilirer. I, 1. 54
--^ 850 4^
In England, das seit der Zeit Beanets nie aafge>
h5rt hat, sich fleiGig zu beteiligen, ist im letzten Men-
schenalter durch den bedeutenden Zuwachs an vorzug-
lichen Orchestern der Eifer fiir die sinfonische Arbeit
m&chtig gewachsen, und die Institute des Kontinents, die
mit der Zeit Schritt zu halten suchen, haben auch die
▲1. HMkeasie. sinfonischen Dichtungen ALMackenzies, W. Mac Do-
W.MaeDowell. ^ells und ihrer Genossen gelegentlich vorflihren miissen.
Von grdfieren, mehrsfttzlgen Sinfonien englischer Her-
kunft ist allerdings nur die frtUier erw&hnte skandina-
Fr. Cowea. vische Sinfonie Fr. Cowens, und zwar wegen ihrer
Mittels&tze, internationales Reportoirewerk geworden, aber
auch in dieser Gattung sind zahlreiche tiichtige Vertreter
am Werk, zum Teil mit interessanten formellen Experi-
H. Parry, menten. So hat Hubert Parry den Lisztschen Versuch,
die Musik einer sinfonischen Dichtung, also eines Satzes,
durch Umbildungen desselben Themas zu bestreiten, im
grofien Stil aufgenommen und durch die vier S&tze der
klassischen Sinfonie durch^efuhrt. Neben Parry sind die
Baato^k. Hauptvertreter der Sinfonie in England zur Zeit Ban-
Hftdley.tock, Hadley, Street, Stanford und Edgar Elgar.
Stafford' ^®^ grofie Erfolg des >Traum des Gerontius* hat das
E. Elgar! Fcstland veranlaGt, sich auch mit den Sinfonien Elgars
bekannt zu machen. Die erste (Asdur, op. 65} hat als
eine klare, krftftige Tondichtung und besonders wegen
ihres stark volkstiimlichen Einschlags — das Merkmal
guter englischer Kunst jeder Art und von jeher — all-
gemein erfreut, die zweite (Esdur, op. 63) wegen des
Mangels an thematischer Lebenskraft kalt gelassen.
Die englische hat tiberraschend schnell auch eine
amerikanische Sinfoniekomposition nach sich gezogen,
mit der wahrscheinhch bald ernstlich wird gerechnet
werden m&ssen. Ist doch die geistige und kulturelle
Disposition der Neuen Welt entschieden urwiichsig und
eigen, die Mittel aber, eine junge Kunst durch Schule und
Ausfuhrungsapparate zu fordem, stehen ihr in beneidens-
werter Leichtigkeit zur Verfflgung. Als Vater dieser
L. Bob? in. amerikanischen Sinfonik kann Ludwig Bony in be-
851
!«*
trachtetwerden, ein Eingewanderter, dessen C moU-Sinfonie
Ifi^ «ineo annehmbaren europHischen Mittelschlag vertritt, a]s
» Hauptvertreter ist unter den bis jetzt aufgetretenen Be*
M! werbern Gustav Strube mit seiner H moll- Sin fonie zu e. strib«.
'is bezeichnen. Der erste Takt dieses Werks, der ganz uii-
k gesucht einen fesselnden exotischen Ton anschl>, macht
]' es klar, dafi wir in diesem Komponisten einen Pfadfinder
B Yom Schlage eines Sibelius und einen Ktinstler vor uns
r- sehen, der an Bedeutang mit der Zeit einem Bret Hart
t ^leich kommen kann. Neben ihm tritt A. Stock in den ▲. Stoek.
er Vordergrund.
er ^ In Italien, wo die Oper so nnselig lange das gesamte
; musikalische Interesse aller Stande in Beschlag genommen
faatte and wo die Erinnerung an die groGe Instrumental-
zeit des Landes in Todesscblaf versunken schien, ist im
letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts eine wich-
tige Wandlnng eingetreten. Das Interesse fUr Orchester-
auffQhrungen ist erwacht und wird von den Kommunen
gefordert, namentlich aber beherrscht der Respekt vor
Beethoven und das Bestreben, sich seine Werke zn
eigen zu machen, die meisten grofien Konservatorien
des Landes. AIs die ersten Friichte dieser Bewegung
kamen nach Deutschland die Sinfonien von Sgambati Sganball.
und Martucci, die eine zu sehr, die and ere zu wenig Martneel.
italienisch. Mittlerweile ist aber die Produktion sehr ge-
-wachsen, Italien stellt in Enrico Bossi und dessen E.Boul.
Sohn Renzo B., in A. Franchetti, A. Scontrino, b.bossI.
L.Perosi, G.Pacini, Moncinelli, Zanello, Alfano, A. FranjhMtL
Amorosio, Caetani, Wolf-Ferrari, in den schon ge- lIpJJJ^I.***
nannten Sinigaglia undMarinuzzi eine bereits statt- G.PaelnL
liche Reihe von Kraflen fiir Sin fonie und Suite. Nicht Momeimelli.
immer bieten diese Werke das, was man aus dem Sonnen- Jiflwo
lande erwartet, und durchscbnittiich enthalten sie mehr inoresl*.
Arbeit und mehr Weltscbmerz, als ndtig ist. Aber sie CMtanl.
>haben meistens doch ihren Wert in der Plastik der Themen ?[**|''^^*"*'
und in der lebendigen und produktiven Freude am Klang. H^rtnusL
^In erstrer Beziehung muB vor allem auf Pacinis Dante-
•Sinfonie verwiesen werden, nach der andeien Richtnng
64*
852
ragt die H moll-Suite Caetanis, die aufs natttrlichste mit
konzertierenden Elementen wirkt, hervor.
Wir haben uns mit der allgemeinen, intemationalen
Beteiligung an der Sinfoniekomposition wieder den gftn*
stigen Verhftltnissen der alten, der Vorhaydnschen Zeit
gen&hert M5ge der Zukunft dieses vnchtigen St&cks mosi*
kalischer Kunst aach nach anderen Beziehongen eine^
glucklicbe Entwicklung bestimmt sein!
k
REGISTER.
Abert 403, 695.
Agricola, A. 17.
Alayrac, d' 368.
Albano 21.
Albert 710.
Alfano 8ffl.
Alfvtfn, H. 584 f., 826.
JUlegri 21.
Amoroftlo 851.
Andrtf, 0. 269.
Arensky 6S8.
Anbert, M. 86.
AnfschmiteT, A. 87.
Anlin, T. 524, 696 f.
Bach, Ghr. 109.
Bach, Ft. 108.
Bach, J. S. 8, 26, 28 f., 44, 48,
58, 61 ff., 72, 78, 86, 97 f.,
119, 191, 214, 288, 299,
330, 360, 660, 667, 757,
826, 845.
Bach, Ph. £. 106ff., 109, 114,
J2;{, 127f., 156, 169, 284.
Balakirew 688.
BanoMeri 22, 86, 72.
Bantock 860.
3B«rg1el, W. 666» 694.
B«iMQi 31, 86.
81
Beck, Fr. 102.
Becker, R. 880.
Beer-Walbrnnn, A. 6001
Beethoven, L. v. 27 f., 71, 77 f.,
90 f., 94 f., 116, 122, 147 ff.,
154, 1 69) 1 62f., 168 f., lOOff.,
261 ff., 261, 265 f., 271 ff.,
276, 279, 282tf., 294ff., 300,
302ff., 307,314,316,319ff.,
325, 329, 331, 333 f., 341,
343 f., 354, 359 f., 365, 372,
377, 384f., 390, 399f.,404,
406, 486, 500, 522, 534 f.,
541, 543, 558, 563, 565,
568, 572, 574 f., 577 ff., 582,
584, 593, 597, 607, 620 f.,
646, 649, 659, 664, 671,
694ff., 698r., 7U2, 711,715,
717, 719ff., 726, 728, 736,
738, 741, 743 f., 751, 754,
757, 759, 766, 769ff., 789,
792, 812, 818, 823 f., 828,
836, 839, 845 f.
Behm, H. 884.
Bellini 300, 381.
Benda, Fr. 105, 531.
Benda, G. 105.
Bendix, V. 601 f.
Bonnet, St 384.
Berger, W. 764 f.
854
Bergonzi 29.
Berlioz, H. 121, 194, 2t7f.,
296, L'OO, Sd4f., 886if., 385,
387, 389, 393, 397, 400,
412, 431, 438f., 456, 465,
46S, 477, 483, 487, 489,
492, 495, 520, 618, 644,
049, 675, 682, 695, 786,
793 f., 813, 826, 836, 840,
843.
Bernard 849.
Ber^ftld, Fr. 081 if.
Biber, Fr. 46.
Bird, A. 678. .
Bischoff, H. 884.
Bizet, G. 444ff.» 649.
Bleyle, K. 884.
Block z, J. 849.
Blumenfeld, F. 658.
Blyma 252.
Boccherini, L. 266.
Boelimann 849.
Bohner 221.
Boieldien 291, 449, 501.
Bonvin, L. 850.
Borodin, A. 589, 6Slif.» 630,
646, 65U, 657, 828.
Boss!, £. 861.
Bo88i, R. 861.
Brade, W. 88 f.
Brahms, J. 41, 71, 114, 276,
411, 426, 526, 560, 565,
649, 658, 668 if., 678, 680,
690, 693f.,720f.,735,787if.,
764ff., 769f., 815, 817, 819,
825, 832, 834, 845.
Brand! 252.
Branne 252.
Braunfels, W. 688 f., 690.
Bruch, M. 468| 467, 716 ff.,
780, 822..
Bruckner, A. 653, 694, 720,
767 if., 814f., 824, 834.
Brxill, J. 678.
Bramel 17.
Bran, Fr. 766 f.
Bnrgmuller, N. 884.
Busoni, F. 480 f.
Baxtehude 28, 288.
Buzznola 29.
Caccini, G. 73.
Caetoni 851, 852.
Galdara, A. 86 if., 90, 92.
Gambert 78.
Gamerloher 109.
Gannabich, Ghr. 26, 108, 300.
Gastelli, D. 29.
Gatoire, G. 688.
Cavalli 78, 76, 87.
Gesti 75, 87.
Gharpentier, G. 4 1 2, 468, 467.
Ghansson 849.
Ghernbinl, L. 78, 152, 888 f.»
291 f., 328, 672, 760.
Chopin, Fr. 660, 766, 783.
Glementi, M. 870.
Gonus, G. 688.
Corelli 8, 85 f., 89, 110.
Gonperin 52.
Gowen, Fr. 619 f., 860.
Gai, G. 649, 703.
Czerny, G. 214, 240, 878.
Dargominsky 600.
David, F. 384.
Debnssy, 01. 443 f., 511, 529,
836, 840.
Degner, £. W. 810.
Delibes, L., 444.
Deller, F. 60.
Demantias 42.
Diabelli 262.
Dietrich, A. 607, 7099,, 713
73S.
855
Dittersdorf, C. v. 93, 117, 121,
219, 258 ff., 268, 270, 275,
335, 677.
Dohfianyi, £. v. 602 f., 766 f.
Dotzauer 273.
Draeseke, F. 649, 680 if., 719,
720 ff., 768, 794, 846.
Dubois 849.
Dukas, P. 691, 836, 649.
Dumanoir, G. 57.
Dussek, Fr. 531.
Dvohik 512, 526,- 535, 657 ff.,
597, 628, 834.
Eberl, A. 199, 272 f., 288,
292, 662.
Ebner 44.
Eichtier, E. 102.
Elgar, E. 850.
Enna, A. 501.
Eriebach, P. 50.
Ertelins, F. S. 29.
Esser, H. 665 f.
Facias, F. 526.
Fasch, Fr. 69.
Fattorini, G. 29.
Fesca, F. E. 316.
Fibich, Zd. 596 f.
Filtz, A. 101.
Fiore 29.
Fischer, A. 840.
Fischer, K. 55 ff., 67, 693.
Fitelberg, G. 884.
FonUna 21.
FSrster, Chr. 69.
Franchetti, A. 851.
Franck, C. 439, 885 ff., 849.
Franck, M. 84, 39 ff., 42, 44.
Franz, J. H. 764.
Friedemann 468.
Friedrich d. Gr., Konig 86.
Frigel, P. 521.
Froberger 44, 52, 117, 335.
Fuchs, R. 678 ff., 815 ff.
Fux, J. 67f , 69, 87, 90, 693.
Gabrieli, A. 22.
Gabrieli, G. 92ff., 32f., 71 ff.,
87.
Gade, N. W. 296, 334, 408,
496ff., 502, 521f.,526,572,
594, 653, 676ff., 695, 757,
763.
G&hring 334.
Galimberti 64.
Galnppi 86, 169, 292.
GaBmann, F. 96.
Gazin 849.
Gemsheim, Fr. 719 f.
Gilson, P. 489 ff., 511.
Giuliani, F. 29.
Glas, G. 501.
Glasounow, A. 624, 631, 682ff.,
649, 658.
Gli^re, R. 632, 657.
Glinka, M. 453, 600, 631, 633,
716.
Gluck, Chr. W. v. 52, 59 f., 75,
79, 86, 94, 114, 118, 127,
169,265,336,386,492,621.
Godard; B. 469.
Goedecke, A. 682.
' Gohler, G. 827, 681 f.
Goldmark, G. 400, 409 ff., 832.
Goltermann 709.
Gossec, F. J. 268, 495.
Gottwaid 109.
Gotz, H. 423, 719, 785 ff., 768,
815, 827, 830.
Gounod 815, 845.
Gouvy 709.
Graun, G. 104, 105.
Graun, H. 79, 88, 86, 108, 105.
Graupner 97.
Gr^ry 368.
856
Orieg, Ed. 426, 502f., 505if.,
520, 522, 525, 677.
Orimm, J. 0. 666 f.
Groh, J. 42.
GugUelmi 169.
GuUmant 840.
Oyrowetz 262.
Hadley 850.
Higg, A. 524.
HaU^n, A. 524.
Hammerick 468, 501.
H&ndel, G. Fi. 44, 46, 52, 58,
60 f., 74 f., 78, 79, 89, 94,
97 f., 110, 11 3f., 148, 265 f.,
299, 357, 360, 412, 486,
601, 668, 676, 726 f., 768,
773, 829, 840.
Harckloa, 0. 520.
Harrer, G. 105.
Hartmann, P. E. 496, 501.
Masse, Ad. 26, 30, 82 f., 86,
89, 103, 128.
Hafiler, L. 34.
Haasegger, S. v. 384, 428 if.
Hausmann (Haufimann), Y. 84,
35, 40, 42, 46 ff., 50, 56, 58,
69 f., 112.
Haydn, J. 8, 30, 60, 71, 77,
89 f., 93 f., 100, 105, 109 ff.,
169f., 172, 174fif., 182f.,
188, 190, 192, 194ff., 198,
2l5f., 228, 237, 241, 252ff.,
256f., 259, 261ff., 272f.,
288, 294, 296, 299, 304,
307, 319, 334, 338, 341 f.,
352, 385, 391, 428, 447,
495, 532 f., 535, 568, 584,
603,649,656,670,750,769.
Haydn, M. 71, 267 ff.
HchciMtielt. PantaliZi 68, 70.
Hellstrdm, L 524.
HelBtedt 334, 709.
Henriques, F. 501.
Herbeck, J. 666.
Hermann, R. 884.
Herzogenberg, H. t. 762 f.
Hesse, A. 334.
Heyse, P. 501.
HiUer, F. t. 694.
Hiller, J. A. 48, 86, 105.
Hoffmeister 262.
Hofhaimer 17.
Hofmann, H. 407 ff., 426, 768.
Hoi 694, 849.
Holter, I. 520.
Holzbanr, I. 102.
Horn, 0. 814f.
Haber, U. 384, 764.
Hnmmel, F. 827, 882, 849.
Hnmperdinck, £. 431, 462,
467 f.
Indy, V. d' 481 ff.
Isaac, H. 17ff., 20.
Iwanow, M. 682.
Jacobi 462.
Jadassohn, S. 667 f.
J&rnefelt 530.
Jaspar 849.
Jomelli, N. 82, 86.
Joncidres 849.
Jaon, P. 827, 832 f.
Kajanus, R. 526.
Ralafati, B. 656.
Kalinnikow, B. 657.
Kalliwoda, J. W. 286 ff., 532.
K&mpf 462.
Kastner, G. 463.
Kaun, H. 826 ff.
Kaiser, R. 434.
Klznberger 105.
KitU, J.Fi. 6821
EJeraif 462.
857
Klose 468.
Klotze 221.
Klughardt, A. 408, 678, 815,
817 f.
Knecbt, J. H. 221.
Koch, Fr. 426.
Kozelnch, L. 531.
Kradentbaler, W. 48 f.
Kramm 462.
Kraofl, J. 521.
Kri«|^er, Ph. 66, 710.
Krommer, Fr. 262.
Knfferath 709.
KWner 252.
Kuhnau 56, 117, 255, 335.
Knntzen 496.
Kusser, J. S. 60.
Knyper, £. 698.
Lacbner, Fr. 273, 409, 496,
660ff., 692, 817.
Lalo, E. 462, 693, 849.
Lanciani, P. 468.
Lange, S. de 849.
Lange-MaUer 468, 501.
Lawes, W. 44.
Legrenzi 21.
Leo, L. 30, 80, 82 ff.
Leonhard 334, 709.
Leopold I., Kaiser 28.
Lie, S. 520.
Lindblad 521.
Liszt, Fr. 76, 291, 335, 350,
358, 365, 384, 886 ff., 405,
409, 412f., 422, 428, 430 f.,
443, 483, 495, 534, 563, 589,
603, 633, 650, 675, 695, 698,
721, 779, 835, 840, 842 ff.
Ljudow 682.
X^apanow 632.
LooAteUi 84.
Loitfuz, 0. A. 884.
LOwe, C. 431.
Liihrss 334.
Luigini, A. 462.
Lully 8, 49flf., 57 ff., 78, 79
444, 621.
Lazzo 74.
Mackenzie, Al. 850.
Mac Dowell, W. 860.
Magnard 849.
Mahler, O. 384, 798 ff., 825,
827.
Major 767.
Mailing, 0. 501 f.
Marcello, B. 88.
Martfchal, H. 462.
Marlni 21.
Marinuzzi, G. 466, 861.
Marknll, W. 334, 694.
Marpurg 105.
Marteau, H. 698.
Martnzzi 851.
Maschek, P. 242.
Maschek, Y. 531.
Maschera 20 fF., 27.
Massaino, T. 25.
Massenet, J. 462, 469 f.
Manrer 273.
Max Josef v. Bayern 86.
Mayr, R. 56.
Mayr, S. 337.
Maznel 57.
M^ul, £. 264ff., 289, 495,
532, 672.
Meinarski, £. 656 f.
Melischewsky 632.
Mendelssobn-Bartholdy, F. 65,
69, 121, 212, 240, 251, 265,
285, 291, 296, 304, 806 ff.,
323, 328, 333, a50, 354, 368,
408, 476, 487, 498, 501 f.,
612, -22, 5a;S 542£. 5»7,
618, 624, 656, 660f.. 666,
677, 694f., 697, 713, 718,
^ I
858
746,757,703,769,816,821,
829, 832, 836, 838.
Marcadante 300, 337.
Merula 21.
Metzdorf, R. 810.
Meyerbeer 300, 337, 368, 384,
391.
Mezzaferrata 21.
Mielk 530.
Mihalowich 707.
Minoja 83.
Mohrlng 334.
xMolique 334.
Moller 42.
Moncinelli 801.
Monn, G. M. 92flf., 103.
Monte 21.
Monteverdi 25, 59, 72f.
Moor, E. 834.
Moralt 273.
Morley, J. 16.
Morley, Th. 82.
Moscheles 665, 849.
Moszkowski, M. 407, 462, 680.
Mozart, L. 71, 170.
Mozart, W. A. 43, 60, 71, 95 ff.,
99, 102, 122f., 137f., 142,
145, 148, 155, 166, 168 ff.,
190ff., 195 f., 199, 201,211,
217ff., 250, 252f., 256f.,
261, 266ff., 270ff., 275,
285 f., 288, 291 f., 299, 306,
334,451,523,535,668,666,
668, 670, 680, 694, 769f., 845.
Muffat, G. 34, 60ff., 57, 59f.,
62, 67, 78, 117, 255.
Miiller 334.
Miinchhansen, Baron v. 86.
Massorgski 632.
Mysliweczek 109, 117, 531.
Nanmann 677.
Naumann, E. 694.
Nedbal, A. 097.
Neri 21.
Neruda, G. 100.
Neukomm, S. 278.
Netzer, J. 694.
Nichelmann, Gfar. 100.
Nicodtf, J. L. 384, 407.
Nicolal, 0. 457, 694.
Nielsen, 0. 50 If.
Nielsen, L. 501.
Normann, L. 521. '
Novak, V. 097.
Oberleithner, M. v. 884.
Obrecht 17.
Offenbach 692.
Olsen, 0. 520.
Onslow, H. 291.
Pacini 300, 337.
Pacini, G. 801.
Paganini 350 f., 353, 362.
Paisiello 292.
Pape 334, 709.
Parry, H. 800.
Paur, E. 834.
Perez 82, 83.
Perez, 0. 462.
Pergolesi, G. B. 81.
Perosi, L. 801.
Petersen-Berger, W. 524.
Petzel, .]. 30, 46 ff.
Peurl (BSwerl), P. 80 ff., 42 f.
46f.. 68.
Pfeiffer, J. 69.
Phalesius, B. 31.
Piccini 88, 169, 292.
Pichel in.
Pittrich 462.
Pleyel 121, 190, 262
Porpora 83.
Pott 709.
Proch. H. 292.
859
Rachmaninow, S. 682, 649,
653 ff.
Kadecke, R. 694.
Raff, J. 76, 141, 397fF., 424,
438, 495, 607, 620, 660,
666 f., 768, 770, 780, 814.
Rameau, J. Ph. 53, 68 f., 75,
79, 94, 255, 263, 265, 384,
451.
Ravel, C. 468.
Reger, M. 689f., 827, 828 f.
Reicha 273, 531.
Relche, 6. 29.
Reincken, A. 49 f.
Reinecke, G. 694 f.
Reinhold, R. 678.
Reissiger 694.
ReaB, Prinz Heinrich 768 f.
Reutter, G. v. 89.
Rezniozek, £. N. v. 680, 684 ff.
Rheinberger, J. 408 ff., 432,
717.
Rlchter, Fr. X, lOOf.
Ries, F. 278 f.
Rietsch, U. 480.
Rietz, .T. 568, 694.
Rimsky- Korsakoff (-K(w-8sakow)
462, 4710., 589, 600,624,
682, 649.
Rodewald, J. 105.
RoUe, H. 105.
Romberg, A. 285, 288 f.
Romberg, 6. 285 f.
Rosenhain, J. 334, 694.
Rosenmuller, J. 44ff., 48 f., 51,
56.
Rosetti 109, 117, 190, 254,
262
Itossini 98, 146, 274, 300,
344.
Rubenson, A. 521.
Rabinstein, A. 568, 63S, 695 ff.
Rudolf, J. 60.
Rudorff, £. 815, 819.
Rue, P. de la 17, 20.
Riifer, Ph. 819, 832.
Ruzek 462.
Saint-Saens, G. 458 ff., 633,
668, 694, 807, 887 ff.
Sammartini, 127.
Samuel, A. 384.
Sartorlo 75, 87.
Scarlatti, A. 76f., 79, 87, 89 f.,
94, 107.
Schafer, D. 849.
Schaffrath, Gbr. 106.
Schale, F. 105.
Scharwenka, Ph. 422 ff.
Scharwenka, X. 422.
Schelffelhut, J. 48 f.
Schein, H. 48 f., 68, 710.
Schidler, A. 501.
Schjelderup, G. 520.
Schloger, M. 88.
Schmeling, 462.
Schmierer, J. A. 67, 67, 693.
Schmltt, F. 849.
Schneider, Fr. 30, 285, 286.
Schop, J. 46.
Schubert, Fr. 251, 273, 274ff.,
292, 305 f., 324, 410, 505,
560, 571 f., 581f., 584, 593,
661, 664, 670, 695, 719,
729 f., 743 f., 749, 769, 77 Iff.,
779,783, 799,816f.,824,841.
Schumann, G. 480.
Schumann, R. 30, 44, 65, 104,
121,221,233,265,274,276,
285ff.,296,304,307,816ff.,
333, 338, 340, 350, 361 f.,
388, 399 f., 407, 439, 486,
500, 505, 522, 528, 533,
572,574,578,581,601,613,
624, 649, 664, 666, 671,
677,694f.,697,710f.,713f.,
860
736, 738, 740, 763, 769,
783, 813f., 821.
^chutz, H. 25, 28, 113.
Schwanberger 109.
Scontrlno, A. 851.
Scriabine, A. 688, 649, 660 ff.
Sekles, B. 691 f.
Selmer, J. 520.
Senfl, 17.
Serow, A. 600.
Sgambati 768, 861.
Sibelius, J. 526 ff., 826, 851.
SikloB 767.
Simpson, Th. 82 ff.
Sindlng, Ohr. 618 ff.
Sinigaglia, L. 465 f., 861.
^meuna 430, 684 ff., 584, 597.
SSdermann, A. 521.
Spohr, L. 102, 194, 214, 219,
239, 251, 273, 891ff./304,
306, 334, 388, 423, 533,
620 f., 65 J, 661, 665, 695,
755, 842.
^tade 42.
Sumitz, J. 99 f., 101, 103,
263, 532.
Stamitz, K. 102, 117.
Sunford, V. 245, 678, 860.
Starzer, J. 96.
Steffani, A. 60.
Steinberg, M. 658.
Stenhammar, W. 524.
Sterkel 271.
Stock, A. 861.
Stojowsky, S. 657 f.
StrlBer, £. 827 f.
StrauB, J. 41, 824.
StrauB, R. 411 ff., 698 f.
Street 860.
^trube, G. 861.
Sack, T. 697 f^ 826.
S&fiattyer 25;5.
Brendieil 502, 608 ?•
Tiglichsbeck, Th. 334, 694.
Tanjew, S. 682.
Tartini 84.
•Taubert 694.
Telemann, P. G. 66.
TeiUer 462.
Teradellas 82.
Tessarini 117.
Thieriot, F. 815, 818 f.
Tinel, £. 439.
Toeschi, J. 102.
Tomaschek, W. J. 289, 681 f.
Torelli 85.
TraetU 82.
TschaikowBky, P. 76, 47 1 , 482ff.,
600 ff., 634, 650, 703, 716,
735.
Tschergenin 682.
Tuma, Fr. 70, 531.
Tunder, Fr. 28.
Ulrich, H. 709.
Yanhall 190, 262.
Veit 709.
Verhnlst 849.
Vinci, L. da 80, 81, 101.
Vitali 21.
Vivaldi 85 f.
Vogler, Abt 221, 284 f.
Volkmann, R. 486, 555, 625,
671, 676 f., 678, 680, 690,
695, 711 ff., 721, 749, 763,
795 827
VoUbach, Fr. 827, 829 ff., 846.
Waelrant 72.
Wagenseil, Ohr. 91 f.
Wagner, J. 0. 306.
Wagner, R. 23, 39, 59, 73,
204, 241; MMHr., 315, 360,
371, 304, 396, 399,402,
408, 411, 415, 432, 487,
861
443, 468, 486, 493, 501,
510, 513, 5]8f., 533, 550,
555, 596 f., 633, 648, 651,
678, 713, 7*26f., 737, 768,
771, 777, 786, 789, 792ff.,
797 f., 814, 822, 826, 830,
834 fr., 846 f., 849.
Walter, A. 694.
Walther, J. 16.
Wa86Uenko, S. 682, 658.
Weber, CM. y. 104, 158, 191,
219, 252, 266, 283, 290f.,
295, 305, 313, 328, 368,
408, 501, 545, 664, 704.
Wegelius, M. 526.
Weingartner, F.y. 820 ff., 832,
Weyse 252, 496.
Widmann, B. 34.
WldoT, Ch. M. 846 ff.
Wihtol 682.
WUms 271, 273.
Winding, A. 601 f.
Winter, P. v. 241.
Witt 271.
Wolf, H. 462, 466 f.
Wolf, L. 0. 688.
Wolf-Ferrari 861.
Weifl 271.
WoyrBch, F. 766.
Wranitzky 262.
Wiierst 709.
Zach 109.
Zachow 28.
Zanello 861.
Zelenka, J. D. 66f., 78, 531 f.
Zellner, J. 694.
ZSIlner, H. 586, 884.
ZoloUrefT, B. 656.
ZweerB, B. 849.
Berichti gunge n.
Seite 17,
» 67,
81,
111,
129,
129,
136,
165,
172,
252,
261,
291,
321,
332,
334,
359,
379,
Zeile 14 statt de le Rue lies de la Rue.
> 17 statt du prlnptemps lies du prin temps.
Notenbeispiel b die erste Note im ersten Takt muB
a , die zweite Note im dritten Takt muB "a: helDen.
Notenbeispiel c die zweite Note im dritten Takt
muB d heiBen.
Zeile 5 v. u. sutt Breitkopf & U&rte lies Breitkopf
& Hartel.
Zeile 12 v. u. statt Frau von Stael lies Frau von
Stael.
Zeile 11 V. u. statt Dell* Allemagne lies Del'A lie -
magne.
Zeile 18 statt hinreisend lies hinreiBend.
erstes Notenbeispiel in der zweiten H&lfte des dritten
Taktes muB die Sechzehntelpause einen Pnnkt er-
halten.
Zeile 3 statt glanbte lies glaubte.
» 3 V. u. statt Kuifner lies Kiiffner.
> 15 V. u. und an einigen andern Stellen statt
tumultarischen lies tumultuarischen.
Zeile 3 statt Beliiessenheit lies Beflissenheit.
bei dem vierten Notenbeispiel muB ein 7 vor-
gezeichnet werden.
erstes Notenbeispiel die erste Note im sechsten Takt
muB ein fi erhalten.
Zeile 3 statt Leonhardt lies Leonhard.
» 8 V. u. statt Herold lies Harold.
> 13 and 20 statt FlagoIettOne lies Flageolet-
tone.
-^ 863 «^
Seite 389, erstes Notenbeispiel die erste Note im dritteii Takt
mufi ein Achtel sein.
404, bei dem zweiten Notenbeispiel muB ein 7 vor-
gezeichnet werden.
407, Zeile 5, sowie Seite 462 und 680 lies stets
Moszkowski.
438, bei dem zweiten Notenbeispiel miissen zwel || vor-
gezeichnet werden.
448, Zeile 8 statt Cdur lies £dur.
451, erstes Notenbeispiel die dritte Note im zweiten Takt
mufi es heifien. _^
454, zweites Notenbeispiel die letzte Note muB b heifien.
455, erstes Notenbeispiel die dritte Note im zweiten Takt
mufi as heifien.
459, im ersten Notenbeispiel die beiden unteren Noten
im ersten Takt miissen ~g heifien.
460, bei dem ersten Notenbeispiel miissen zwei jt vor-
gezeichnet werden.
473, Zeile 14 statt Gdur lies Hmoll.
473, im Notenbeispiel hoifit die zweite Zeile:
mg^f^M^JJf-f-f [-fff I fr f r r I "^
H AJI^
Seite 474, im zweiten Notenbeispiel tritt der Harmoniewechsel
stets auf gutem Taktteil ein, die Ziifem sind also
unter das erste bzw. vierte Achtel zu setzen.
> 477, Zeile 8 v. u- statt J- lies C-Takt.
» 502, > 21 statt Sanguinkers lies Sanguinikers.
» 509, Notenbeispiel im zweiten Takt ist die zweite Acbtel-
note g zu streichen.
> 520, Zeile 13 v. u. sUtt Iven-Holter lies Iver Uolter.
> 524, » ] statt Stenh^mmer lies Stenhammar.
» 566, bei dem zweiten Notenbeispiel mufi ein i? vor-
gezeichnet werden.
» 567, bei dem Notenbeispiel mufi ein j? vorgezeichnet
werden.
864
Seite 568, bei dem zweiten Notenbeispiel miissen zwei b ▼or-
gezeichnet werden.
» 604, bei dem vierten Notenbeispiel muB ein jl vor-
gezeichnet werden.
» 607, Zeile 14 v. u. statt Dietericb lies Dietrich.
» 625, > 10 statt R. Volksmanns lies R. Yolkmanns.
> 634, > 12 V. u. statt Gdar lies Ddur.
> 650, erstes Notenbeispiel Im zweiten Takt lies:
651, Notenbeispiel die erste Note mu0 ais heifien.
661, Notenbeispiel die erste tiefe Note mnfi d helBen.
709, bei dem letzten Notenbeispiel mnfi ein b vor-
gezeichnet werden.
746, zweites Notenbeispiel statt g lies gis.
755, Zeile 7 v. u. statt Emoll lies FmoU.
767, > 9 fehlt Emanuel Moor.
791, erstes Notenbeispiel die zweite Note muB e heiBen.
808, erstes Notenbeispiel die sechste Note im zweiten
Takt muB a helBen.
810, drittes Notenbeispiel das erste Triolenachtel im zwei-
ten Takt muB a heifien.
834, Zeile 13 ist Emanuel Moor zu streichen.
838, erstes Notenbeispiel statt Allegro moderato lies Allegro-
marcato.
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MAR 1 Q 1972
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