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FtMER
DURCH DEN KONZERTSAAL
VON
HEBMANN ^RETZSCHMAR
L ABTEILUNG: '
SINFONIE UND SUITE
BAND I/U
SECHSTE AUFLAGE
LEIPZIG
DRUCK UND VERLAG VON BREITKOPF & HÄRTEL
1921
Alle Rechte, auch das der Übenetznng, vorbehalten.
Das Recht des Einzelabdiuckes and dessen Weitervergebang
steht anssohließlicb den Verlegern Breitkopf ftETärtel
in Leipzig so.
Copyright 1919 by Breitkopf & Hartel, Leipsig.
Der Buchschmuck ist von Roland Anheisser.
VORWORT
zur ersten Auflage.
T\er vorliegende ^Führer durch den Konzertsaal^ ging
-LFaus einzelnen Aufsätzen hervor, welche ich im 'Laufe
der Jahre für die von mir geleiteten Konzerte geschrieben
habe, um die Zuhörer auf die AuffÖhrungen unbekannter
oder schwierig zu verstehender Kompositionen vorzu-
bereiten.
Für die Buchform sind diese Artikel umgearbeitet
und dahin ^vervollständigt worden, daß die erläuterten
Werke in geschichtlicher Folge erscheinen. Da Historie
und Kritik unzertrennlich sind, wird man entschuldigen,
daß die Kompositionen und die Komponisten auch be-
urteilt werden. Ich hoffe jedoch mich in dieser Beziehung
durchschnittlich in den gebotnen Grenzen gehalten zu
haben. Den ersten Gesichtspunkt fär Aufnahme oder
Weglassung, kürzere oder ausführliche Behandlung der
Werke und Künstler bildet ihre Stellung im heutigen
Repertoire, den ^zweiten ihre kunstgeschichtliche Be-
delitung. Aus ersterem Grunde mußten unter anderen
einige Kompositionen aus der jüngsten Gegenwart zur-
zeit noch unberücksichtigt bleiben.
Rostock, 26. September 1886.
Dr. Hermann Kretzschmar,
Akademischer Lehrer der Musik an der Landesoiiiversität
Großherzogh' n. st&dtiscber Musikdirektor xu Rostock.
Zar zweiten Auflage.
Das Erscheinen einer zweiten Auflage bietet mir
willkommene Gelegenheit, für die freundliche Aufnahme,
die mein „Führer"^ gefunden hat, herzlich zu danken.
Im wesentlichen ist das Buch geblieben, wie es war.
Ich konnte mich darauf beschränken, einzelne Irrtümer
zu berichtigen und da und dort das geschichtliche Bild
zu ergänzen.
Leipzig, September 1890.
Dr. Hermann Kretzschmar,
AuOerordenUicher Professor an der Universität Leipzig
nnd UniversiULtsmusikdirektor.
Zur dritten Auflage.
Wegen Überbürdung und Krankheit des Verfassers
hat diese Abteilung des „Führers^ seit Jahren im Handel
fehlen müssen. Jetzt erscheint sie beträchtlich verändert.
Die Händeischen Concerti grossi, S. Bachs Brandenburger
Konzerte, die sinfonischen Dichtungen Liszts und seiner
Nachfolger sind weggelassen und für den in Vorbereitung
begriffenen Schlußteil des Werkes (Konzerte, Ouvertüren
usw.) zurückgestellt worden. Trotzdem ist die neue Auf-
lage doppelt so stark wie die vorhergehende und der
besseren Handlichkeit wegen in zwei Bände zerlegt
worden. Die Vermehrung kommt eines Teils auf die ältere
Geschichte von Suite und Sinfonie; zum andren waren
eine große Anzahl von Werken aus jüngster Zeit ganz
neu aufzunehmen. Wenn die meisten von diesen sehr
ausführlich behandelt worden sind, so zwangen dazu
äußre, praktische Grüude. Grundsätzlich bin ich nach
wie vor der Meinung: daß der Erklärer sich vor allem
der Kürze befleißigen und bei denen, welche sich mit
Sinfonien beschäftigen, einige Kenntnis in der musikali-
schen Formenlehre, mindestens die Fähigkeit, Türen und
Fenster zu unterscheiden, voraassetzen soll. Ich habe es
deshalb trotz gütiger Aufforderungen abermals vermieden,
immer wieder zti sagen, aus wieviel Takten die und die
Melodien bestehen, in welchen Tonarten sie beginnen
und schließen, und mich darauf beschränkt, den Leser
mit Dingen des äußren Mechanismus hur so weit zu be- .
helligen, als sie besondre Wichtigkeit haben. Mein Be- ,
streben ging dahin: anzuregen, ins Innre und Intime der
Werke und der Künstlerseele zu führen und womöglich
den Zusammenhang mit der Zeit, mit ihren besondren .
musikalischen Verhältnissen, mit ihren geistigen StrÖ- !
mungen aufzudecken.
Daß mein 9,Führer^ auch andere zu gleichen Ver-
suchen veranlaßt hat, ist mir sehr schmeichelhaft; daß
er zuweilen ohne weitres benutzt wird, noch mehr. Doch
erlaube ich mir darauf aufmerksam zu machen, daß in
Fällen wörtlicher Entlehnung schweigende Dankbarkeit
oder verlegne Gänsefüßchen nicht genügen, sondern daß
dann der literarische Anstand vollständige Quellenangabe
verlangt.
Zum Schlüsse spreche ich den Vorständen von Biblio-
theken und Archiven, sowie den Herren Verlegern — ins-
besondere den Herren Breitkopf & Härtel — die auch die
Arbeit an dieser Auflage bereitwilligst durch Überlassung
von Materialien unterstützt haben, herzlichsten Dank aus.
Leipzig, Oktober 1898.
Dr. Hermann Kretzschmar,
Außerordentlicher Professor an der Universität Leipzig.
Zur vierten Auflage.
Obwohl auch die dritte Auflage seit einem Jahrzehnt
vergriffen war, bin ich erst jetzt imstande, eine neue vor-
zulegen. Sie unterscheidet sich von der Vorgängerin durch
die Aufnahme einer großen Anzahl weitrer Werke aus
ilter und neuer Zeit.
Für Zuweisung von Handschriften bin ich Herrn o.
oe. Universitätsprofessor Dn Guido Adler in Wien und
meinem Berhner Kollegen Professor Dr. Jqhannes Wolf, *
von Drucken den Herren Breitkopf & Härtel, sowie der
Deutschen Musiksammlung der Königl. Bibliothek zu Berlin, ,
insbesondere ihrem Vorsteher, Herrn Oberbibliothekar
Professor Dr. Altnuann, und ihrem Bibliothekar, Herrn
Dr. H. Springer, zu außerordentlichem Dank verpflichtet.
Schlachtensee, November 1912.
Dr. Hermann Kretzschmar,
Geheimer Regierungira^ Professor an der Universität
Berlin, Direktor der Königlichen Hochschule fOr Musik
und des Königlichen Akademischen Institutes für
Kirchenmusik.
Zur fünften Auflage.
Da neue deutsche' Werke von Belang nicht vorliegen,
der Zuwachs des Auslandes zur Zeit zu schwer zugäng-
lich ist, wurde von Änderungen des Textes abgesehen.
Schlachtensee, März 1919.
Dr. Hermann Krebschmar.
INHALT.
I. Band.
Ton Otbrieli Ms Biuch. Blütezelt der Orchestenonate und
der Suite, Entwicklung der Sinfonie 1
J. Haydn, Mocart, Beethören 109
Nebenminner und Gefolge der Klassiker. Vorläufer und
Hauptvertreter der Bomantik . 261
II. Band.
Die Programmusik und die nationale Blchtung in der
Sinfonie 888
Die moderne Suite .und die neueste Entwickelung in der
kUsdscken Sinfonie 668
Namenveneiehnls S63
I.
Von Gabriel! bis Bach.
Blütezeit der Orchestersonate und der Suite,
Entwicklung der Sinfonie.
|euii wir nach 'den Anfängen unsrer heutigen Kon-
zertmasik fQr Orchester suchen, so müssen wir eine
beträchtliche Strecke zurückwandern und ein Gebiet
betreten, das wir zur Zeit mit wissenschaftlicher Sicherheit
höchstens in den Umrissen übersehen. Für die Beantwor-
tung der Frage: wie entstand und wie entwickelte sich
das Orchester, sind wir vorwiegend auf indirektes Material
angewiesen. Solche Hilfsquellen bieten sich in Mitteilungen,
welche ältere Musikschriftsteller über Instrumente und
Spielleute machen, in gelegentlichen musikalischen No-
tizen bei Dichtem, in Briefen, Reisebeschreibungen,
Biographien von Laien, in Darstellungen zeitgenössischen
Musiktreibens auf alten Bildern und Skulpturen, viertens
in Bestallungen, Rechnungen, Verordnungen und anderen
auf Musiker und Musik bezüglichen Erlassen in den Akten
von Staats-, Kirchen-, Schul- und Gemeindebehörden,
von Innungen und Gesellschaften und endlich in alten
Instrumenten. Erst verhältnismäßig spät treten zu diesen
Auskunflsstellen über Bestand, Aufgaben und Tätigkeit
von Orchestern als wichtigste Zeugnisse geschriebene oder
in Stimm büchern gedruckte Noten.
Die Mitteilungen der älteren Musikschriftsteller haben
bisher nur einen geringen Ertrag gegeben, weil das
Mittelalter, auch das spätere, die Spielmusik, die Volks-
Irtiischniar. Ffthrer. 1,1.
l
musik und die ganze Profanxnusik grundsätzlich ignoriert
Die bemerkenswerteste Ausnahme bildet* dßr erst Id
neuerer Zeit (durch Johannes Wolf) ans Licht gezogene
Joannes de Grocheo*); unter seinen Nachfolgern sind be-
sonders Sebastian Virdung (Musica getutscht 1611) und
Michael Prätorius (Syntagma musicum 1618) hervorzu-
heben. Eine zusammenfassende und kritische Durch*
arbeitung des gesamten zu dieser Gruppe gehörenden
Materials steht noch aus.
Noch weniger ist fQr die Ausnutzung der Laien-
literatur geschehen, obwohl sie sehr wertvolle Auskunft
über die Verwendung der Spielleute und Über die Stellung
der Instrumentalmusik im öffentlichen und privaten Leben
verspricht. Mit guten Ergebnissen hat unlängst H. J. Moser
diese Quelle nach den sozialen Verhältnissen der mittel-
alterlichen Musiker befragt**).
Die Wichtigkeit, die alte Instrumente fQr eine Ge-
schichte des Orchesters haben, bedarf keiner Auseinander-
setzung, leider aber reicht der Besitz unserer Instru-,
mentensammlungen, von wenigen Ausnahmen abgesehen,
nirgends über das 15. Jahrhundert zurück.
Daß die Bilderquellen, die sich für die Musik des alten
Orients als die wichtigsten, zuweilen als die einzigen
Zeugen erwiesen haben, audi von der Musik des Mittel-
alters und der ihm folgenden Zeit wertvolle Berichte geben,
hat zuerst Scheurleer erkannt, Edward Buhle und Hugo
Leichtentritt***) haben, seinen Anregungen folgend, den
*) Sammelb&nde der Internationalen MuslkgeaellBcbaft I,
65 und ff.
**) Hans Joachim Moser: Die Muslkergenossenschaften im
deutschen Mittelalter. 1910.
***) Scheurleer, D. F.: Oude Musikinstrumenten en
Pienten en Fotografien usw. 1898. Buhle, De. Edw.: Die
musikalischen Instrumente in den Miniaturen des frühen Mittelb-
auers. 1903. Leichten tritt, Hugo: Was lehren uns die
Bildwerke des 14. — 17. Jahrhunderts über die Instrumental-
musik? (Sammelbände d. L M. G. VII, 315 u. ff.)
Beweis erbracht, daß aus den Werken der bildenden Kunst |
noch reiche mnsilcgeschichtliche Ausbeute zu schöpfen ist {
Verhältnismäßig am fleißigsten und dazu am frühesten '
ist unter den genannten Hilfsquellen die vierte, die Akten*
<iuel]e benutzt worden. Schon Forkel gibt in der Ein-
leitung seiner Universalgeschichte wertvolle Mitteilungen
ftber die Stadtpfeifereien und die Schulchöre seiner Zeit,
nach ihm hat dann August Reißmann seiner Musikge-
schichte einige verdienstvolle Aktennotizen über erste
Orchesiergründungen in deutschen Reichsstädten einge-
fügt Die Hauptarbeit hat sich hier in den großen und
kleinen Beiträgen zur musikalischen Landes- und Orts-
geschichte vollzogen, die seit der Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts erfreulicher Weise sich fortwährend bei
allen Nationen vermehrt haben und bereits heute eine
solche Menge bilden, daß hier nicht einmal die wichtigsten
angeführt werden können*}. Zu ihnen kommt noch eine
Reihe von Arbeiten, die in den Archiven und Jahrbüchern
allgemeiner Geschichts- und Altertums vereine Unterkunft
gefunden haben, wie z. B. Grulls Beiträge zur Geschichte
der Stadt Wismar im Mecklenburgischen Urkundenbuch
von 1879. Nur das reichste und bedeutendste Stück der
ganzen Gruppe soll hervorgehoben werden : Es sind Adolf
Sand bergers »Bemerkungen zur Biographie Hans Leo
Haßlers und seiner Brüder, sowie zur Musikgeschichte
von Nürnberg und Augsburgc**) Mit den mannigfaltigen
und lebendigen Bildern, die hier vom Spielmannswesen
der beiden Reichsstädte entrollt werden, wird zugleich
musterhaft bewiesen, wie eine scheinbar unlösbare Auf*
gäbe zu einem guten Ende geführt werden kann, wenn
der Autor sich nicht die Mühe verdrießen läßt, verborgenen
Wegen nachzuspüren.
Trotz dieses mangelhaften Zustandes der Vor-
arbeiten lassen sich immerhin einige Richtpunkte für
*) Der Leser kann sich leicht in dem Katalog der Musik-
bibliothek Peters näher orientieren.
*^ Deokmller der Tonkunst in Bayern V, 1, Einleitung.
1*
die Frühgeschichte des Orchesters feststellen. Sicher
scheint es, daß den ersten Anstoß, einzelne moralisch
und technisch würdigere Spielleute aus der unehrlichen
Kaste der Gaukler herauszuziehen und in öffentlichen
Dienst zu nehmen, schon früh im Mittelalter die.diva
necessitas, die Notwendigkeit, für die Sicherheit von
Städten und Burgen gegen Überfälle, gegen Wassers- und
. Feuersnot zu sorgen, gegeben hat Der einzelne, einfache
f türmer, der die Stadt bewacht, mit Hom, Tuba, Trom-
pete warnt und alarmiert, bildet überall den Grundstock
der sogenannten Stadtpfeifereien, auf den Kirchtürmen ver-
läuft ein großer Teil ihrer Geschichte. Auf ihnen haben
in den meisten kleinen Städten bis weit ins neunzehnte
Jahrhundert die Meister mit Gesellen und Lehrlingen ge-
haust, und auch in größeren Stadtorchestern, dem Leipziger
z. B., haben noch zur Zeit der Gründung des neuen deut-
schen Reichs einzelne Mitglieder — zuweilen waren es
hervorragende Virtuosen — TÜrmerposten bekleidet. Bis auf
den heutigen Tag hat sich in mancher Stadt, die. ihre
Stadtmusik der Gewerbefreiheit geopfert hat, doch der
Türmer erhalten, namentlich im alten Hansagebiet ruft
er noch hier und da die Nachtstunden mit Signalen und
Weisen ab, die ihres hohen Alters wegen schleunigst ge-
sammelt werden sollten.
An den Fürstenhöfen war der musikalische Wächter
in der Regel ein Trompeter, der auch als Herold, als
Kourier und zu vielen anderen Zwecken des Hofdienstes
verwendet und ziemlich bald durch Kollegen unterstützt
wurde. Bereits um 1400 zieht Karl VI. in Reims mit
30 Trompetern ein, Ludwig XL hat gar 54 im Dienst*).
Auch in Italien gibt es solche große Trompeterorchester:
Lucrezia Borgia z. B. wird 1501 in Ferrari mit 13 Trom-
petern und 8 Schalmeienbläsern, ' ein andermal mit 84
Trompetern und entsprechend vielen " Schalmeibläsern
eingeholt. Für Deutschland haben wir präzisere Angaben
*) M. B re n e t : Les concerU en France sous Tancien regime.
1900 (S. 11).
erst aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Da
h< sich der Herzog von Liegnitz, einer der kleineren
Fürsten (nach den Denkwiürdigkeiten Hans von
Schweinichens) 12 Trompeter. Diese Hoftrompeter nahmen
eine angesehene Stellung ein, an einzelnen Plätzen mögen
sie sogar Offiziersrang gehaht haben*), überall bildeten
sie eine eigne stolze, von den gewöhnlichen Spielleuten
beneidete Gilde. Wirkten sie mit letzteren zusammen,
wurde ihnen eine besondere Empore eingeräumt, ior ein-
zelnen alten Musiksälen hat sich diese erhöhte Trompeter-
loge noch bis heute erhalten. Diese Sonderstellung und
diese Sonderrechte wurden auch von den Städten an-
erkannt Nur die eigentlichen Patriziergeschlechter durften
zur Hochzeitsmusik Trompeter bestellen, und noch zu
den Zeiten Sebastian Bachs war die Erlaubnis» eine so-
genannte Trompetensuite spielen zu lassen, mit beson-
deren Kosten verknüpft. In neuerer Zeit ist dfe Ansicht,
daß sich das Ansehen der alten Trompeter auch auf her-
vorragende musikalische Leistungen gestützt habe, zwar
bezweifelt worden**), doch verbieten allein schon die
Trompetenpartien Bachs und Händeis hierüber zu streiten.
Nicht bloß die Trompeten, sondern alle Blasinstrumente
hatten im 17. und 18. Jahrhundert konzertierenden Charak-
ter und mußten, namentlich die Oboe, technisch weit
mehr leisten, als der heutige Orchesterdienst verlangt;
erst die. Wiener Schule entband sie von den virtuosen
Verpflichtungen.
Am Ende des 15. Jahrhunderts begegnen wir auch
den ersten Militärmusikern. Georg Frunsberg, der Vater
der Landsknechte, war es, der für jedes Fähnlein zwei
oder drei Spielleute, hauptsächlich für den Signaldienst
einstellte. Erst im 18. Jahrhundert entwickeln sich dar-
aus, und wie es scheint nach preußischem Vorgang,
*) L £. Altenbuig: Versuch einer Anleitung zur heroisch-
musikalischen Trompeter- und Paukerkunst. 1795.
* **) H. Eichborn: Dte Trompete in alter und neuer Zeit.
1881.
\
stattliche OboistenchOre. Die bürgerliche Instrumental-
musik hat lange an dem einzigen Spielmann festgehalten,
in Dresden beschränkte sich noch 1572 die Stadtmusik
anf einen Kopf*). Aber die Aufgaben des Türmers scheinen
sich bald erweitert zu haben. Zur Bewachung tritt die
Begrüßung, die Unterhaltung und Erbauung .der Bürger-
schaft, die für diese Zwecke vordem lediglich auf die
Bedienung durch wandernde und vagabundierende Musi-
kanten angewiesen war. Nach dem Ausweis von Ver-
ordnungen und Bildern gibt der amtlich bestellte Pfeifer
vom 14. Jahrhundert ab zur Morgen-, Mittags- und Abend-
stunde von seinem Turm herab, oder von einer andren
geeigneten Stelle aus ein geistliches oder weltliches Stück
zum besten, er erscheint bei Festen und Aufzügen, hei
Hochzeiten, Taufen und andren Ehrentagen der Familie,
er spielt an Sonn- und Festtagen und bei weiteren guten
Gelegenheiten auf dem Markt, auf einer Empore oder
Nische des Stadthauses, auf dem Plan, dem Anger — in
Basel auf der Rheinbrücke — auf, er fehlt bei keinem
Tanz im Grünen, auf der Tenne oder im Saal. Noch
aus der zweiten Hälfte des 17, Jahrhunderts haben wir
viele Tanzbilder, namentlich von Teniers, auf denen nur
ein einziger Spielmann tätig ist, und auf dem Land, im
Spreewald, in entlegenen Gebirgsdörfern ists auch heute
nicht selten, daß das ganze Tanzorchester aus einem
einzigen Klarinettisten oder einem Fiedler besteht Neben
der Trompete tritt f&r solche Gelegenheiten schon in der
Zeit der Miniaturen die Geige auf, in der Zeit der Bilder
auch die Gambe, die Laute und die Viola, besonders be-
liebt wird (nach Dürer, Raffael, auch Teniers) für den
Volksbedarf der Dndelsack; auf den Handwerksbildern
des Jost Amanns (16. Jahrh.) stellt sich dann die Guitarre
mit ein. Die Hausmusik kennt vom 15. Jahrhundert ab
kleine um den Hals gehangene Orgeln, sogenannte Por-
tative, die besonders gern von vornehmen Damen und
*] G. Wustmaiiu : Aus Leipzigs Vergangenheit (Artikel:
Die Leipziger Sudtmusikanten). 1885.
beibgeo Fraueu gespielt werden. In Holbeins Totentanz
tntt auch der Tod als Kavalier mit einem Psalterium
auf. Schlagzeug fehlt, nur auf italienischen Bildern des
16. Jahrhunderts kommt ausnahmsweise der Triangel vor,
in Deutschland gilt er damals noch als »fremdes Instru«
ment€.
Der vermehrte Bedarf und die Notwendigkeit, für *
Nachwuchs zu sorgen, die zur Vererbung des Gewerbes
in derselben Familie und später zu förmlichen Musiker-
dynastien fährte, erklären es einfach genug, daß aus
dem einen Spielmann bald mehrere wurden. So begegnen ^
wir. schon in den Miniaturen des 12. Jahrhunderts zwei
Spielleuten, das erste Bild — es ist aus der Schule Meister
Wilhelms — mit zwei Instrumentalisten stammt aus dem
14. Jahrhundert und- befindet sich im Dom zu Aachen.
Zwei Engel musizieren da, der eine auf der Bratsche,
der andre auf einer Lautenharfe. Einen Violaspieler und
einen Harfner zeigt d^nn auch die Gruppe der Seligen
im Campo santo zu Pisa. Bratsche und Psalterium
kommen auf den frühesten italienischen Bildern häufig
vor, wie noch heute das Endemble von Geige und Guitarre
in der italienischen Volksmusik heimisch ist. Aiich Geige
und Laute, Gambe und Laute, Flöte und Harfe, Flöte
und Laute zeigen sich auf italienischen Bildern des
16. Jahrhunderts, z. B. bei Giov. Bellini (in der Kirche
de'Frari in Venedig) zusammen. Memling bringt eine
heilige Katharine mit Portativ und Harfe, und auf dem
gegen 1500 entstandenen Konzert des Giorgione (Florenz,
Pitti) erscheint zum erstenmal neben der Gambe ein
kleines Kl^ivier. Zwischen dem Instrumentalsolo und
dem Instrumentalduett gibt es noch eine merkwürdige
Zwischenstufe: das ist der zu gleicher Zeit zwei Instru-
mente spielende 'Musiker. Er findet sich schon in den
von Riano*) beschriebenen spanischen Teppichgemälden
des 13. Jahrhunderts und vorher auf Miniaturen Flöte
♦) Juan Riano: Gritical and bibllographical notes on Early
Spanish Music. 1887.
und Trommel handhabend , Uolbein bringt ihn in den
Illustrationen zum Alten Testament wieder zu Ehren, von
da kehrt er bis ins 17. Jahrhundert häufiger wieder und
lebt ja heute noch in dem auf Märkten und Volksfesten
Affen, Bären, Kamele vorführenden und dabei Dudelsack
und trommel zugleich regierenden Italiener. Am Hofe
des Herzogs Anton von Lothringen hat dieser Doppel-
spieler unter dem Titel >Grand joueur du tabourin« einen
hohen musikalischen Posten mit den Befugnissen eines
Generalmusikdirektors gebildet*).
I Ensembles von drei Instrumentalisten tauchen erst
■ im 15, Jahrhundert auf, bei Carpaccio mit Laute, Bratsche,
) Zinken, bei Giov. Bellini und andren Malern mit zwei
Lauten und kleiner Geige, mit Laute, Gambe, Flöte, mit
Flöte, Harfe, Portativ, mit Hörn, Laute, Orgel. Noch von
Teniers besitzen wir (Alte Pinakothek in München) ein
, Bauernbild mit Flöte, Laute und Geige. Darnach hat
sich also das selbständige Instrumentaltrio weit in die
Zeit hinein erhalten, wo für Gesang und Instrumente
längst der vierstimmige Satz die Regel war. Für das
18. Jahrhundert bezeugt das Goethe (in Wahrheit und
Dichtung) mit der Beschreibung des Einzugs des soge-
nannten Pfeifergerichts bei der Kaiserkrönung im Frank-
furter Römer. Das stellten drei Nürnberger Stadtmusi-
kanten, und Sandberger teilt (4. a. 0.) eine der alten für
■ dessen Zweck bestimmten Intraden mit. Noch größere
Wichtigkeit hat das Ensemble dreier Spieler als Episode
und Gruppe im größeren Ganzen, in der Sinfonie noch
bei Haydn, in der Oper bei LuUy und andren Kompo-
nisten, in der Kirchenmusik in S. Bachs Hmoll-Messe;
die größte Bedeutung hat es als Concertino bei Corelli
und im Concerto grosso seiner Schule erlangt. Auf-
fällig ist, daß auf den Bildern die drei Instrumente nie
zur gleichen Gattung gehören. Dagegen kann es ein Zu-
fall sein, daß in dieser Quelle Quartette und Quintette
von Instrumenten bedeutend früher auftreten als das
*) Albert Jacquot: La musique eii Lorraine. 1S82.
Trio, nämlich schon im 14. Jahrhundert. So bringt Casen-
tino (Florenz, üffiden) Harfe, Laute, Zither, Portativ,
Pietro Äretino (Florenz, Akademie) Bratsche, Flöte,
Laute, kleine Pauke und Dudelsack, Raffael ist (Galerie
des Vatikan) mit einem Quartett von zwei Geigen, Harfe,
Tamburin und (Perugia, Pinakothek) mit einem Quintett
von Flöte, Ge^ige, Kniegeige, Laute und Zinken vertreten.
Das interessanteste der späteren Quartettbilder ist Paolo
Yeroneses Hochzeit von Kana (Venedig, Akademie), denn
die zwei Bratschisten sind Veronese und Tintoretto, der
Flötist ist Bassano, der Baßgeiger Tizian.
, In den deutschen Stadtorchesterh scheint die Drei-
jzahl eine Zeitlang die Norm gewesen zu sein: Mit Hans
'• Nail und seinen zwei Söhnen beginnt 1479 die Geschichte
1 der Leipziger Stadtmusik, 1600 wird sie auf vier Köpfe
erhöht und bleibt nun bis zum Jahre 1738, wo den
vier Bläsern endlich noch drei Kunstgeiger zugeführt
' werden, auf diesem Bestand*). Auch Nürnberg und
Augsburg halten sehr lange an einer vier- oder fünf-
köpfigen Stadtmusik fest**), und Deutschland wird wäh-
rend des 16. Jahrhunderts in seinen kommunalen Or-
chestern rückständig. Bartholomäus Sastrow, der Stral-
sunder Bürgermeister, ist erstaunt, als er 1593 auf dem
Reichstag zu Speier zum erstenmal in der Kapelle des
Kurfürsten von Sachsen Bläser und Streicher zusammen-
spielen hört***), und noch zwölf Jahre später ist den
Stralsundern kunstmäßige Geigenmusik ein fremdes Phä-
noihen. Ganz andre Verhältnisse bestanden in Italien-
Zur selben Zeit, wo Luther bei uns von den »bösen
Geigern und Fiedlernc spricht, findet Albrecht Dürer in
Venedig Instrumentalisten und insbesondere Violinisten
als- angesehene Glieder der besten Gesellschaft Auch in
' den Niederlanden gehören sie damals zu den vornehmen
*) G. Wustmann (a. a. 0.).
**) A. Sandberger (a. a. 0).
***) Bartbolomii Sastrows Herkunft etc. (Ausgabe von 1823)
I, S. 298.
--» 10 «^
f
Leuten. Weil Italien das klassische Land aach der Or.
chestermusik ist, schickt. der Nürnberger Pfeifer Gans
nm 1550 seine SOhne zum letzten Schliff nach Ferrara.
Auch mit der stärkeren Besetzung der Orchester ist Italien
vorangegangen. Die ersten Belege hierfür bilden Engels-
bilder des 14. Jahrhunderts. Auf einem solchen (München,
Alte Pinakothek) bringt z. B. Lippo Memmi zwölf Instru-
mente. Indes muß bei diesen Engelsbildern angenommen
werden, daß die Phantasie der Maler um des Himmels
willen von der Wirklichkeit abgewichen ist. Aber auch
als Phantasiebilder haben sie dadurch geschichtlichen
Wert, daß sie die in der Zeit gebräuchlichen Instrumente
in einer Obersicht zusammenfassen: Portativ, Bratsche,
.Laute, Harfe, Flöte, große und kleine Trommel, Hand-
trommel, Pauke und Cymbeln. Diese Zahl wird in einer
ziemlich gleichzeitigen französischen Ballade auf den
Tod Machaul ts bis zur 13, in einem Bericht des Juan
Ruiz von 1352 sogar auf 28*) gebracht. Nur einmal, in der
isländischen Sage von Sigurd dem Schweiger, wird er-
zählt, daß eine größere Anzahl von Instrumenten, es sind
acht, Flöte, Posaune, Symphon, Psalterium, Harfe, Geige.
Quinterna und Orgel, bei einem Gastmahl auch wirklich
zusammenspielen**]. Es kann sich da aber nur um Aus-
nahmefälle und um Unisono-Spiel handeln, ähnlich wie
bei den Vokalchören des Gregorianischen Chorals. Doch
lag, wie bei diesen, Teilung in Gruppen und der Reiz der
Antiphonie nahe. Tatsächlich kommen auch auf zahl-
reichen Engels- und Heiligenbildern des 14. Jahrhunderts
Doppelorchester vor, und da ists interessant, daß an der
Zahl der Instrumente immer die Akkordinstrumente einen
großen Anteil haben, in der Regel die größere (fünf von
neun) oder die kleinere Hälfte (sechs von vierzehn) des
ganzen Ensembles bilden. Dieser Reichtum an Akkord-
instrumenten dauert auf den Bildern bis ins 17. Jahr-
*) W. Ambros: Musikgeschichte II, 50S.
**} Angal Hammerich: Studien über isländische Musik (Sam*
melbindd d«L M. G. I, 351).
hundert fort und wird durch • weitere Quellen bestätigt,
durch Inrentarverzeichnisse nämlich und durch gelegent-
liche Angaben Über Orchesterbesetzung. So enthielt (nach
Sandberger) die »Musikkammer« der Fugger in Augsburg
mehrere hundert Lauten. Die praktische Verwendung derlei
Instrumente zeigt die der Partitur des Monteverdischen
Orfeo Yorgedrückte Orchesterliste, die außer großen Cem-
balis Harfen, Orgeln, Regale und Chitaroni verlangt. Ans
einer Rechnung vom Jahre 1664 wissen wir, daß auch
im Venetianischen Opernorchester drei Cembali und The-
orben mitwirkten*), ja auch noch die Händeischen Parti«
turen verlangen zur Ausführung der als Baßstimmen
skizzierten Harmonie eine Mehrzahl von Akkordinstru-
menten, außer Cembalo und Orgel oft noch Harfen und
Lauten, und leiden, wenn das übersehen wird, im Klang.
Auf den, im Gegensatz zu den Engelsbildern zuver-
lässigeren Prozessibnsbildern tritt die stärkere Besetzung
erst mit Guido Reni ein und fällt mit den höchsten
Zahlen auf Akte, wo die Instrumente mit Sängern zu-
sammenwirken. Es muß aber damals auch für die reine,
selbständige Orchestermusik eine stärkere, koloristisch er-
, giebigere Besetzung Platz gegriffen haben. Hatten sich
bis dahin die Stadtpfeifer mit dem ja die volle Har>
monie deckenden Quartett begnügt und der Abwechslung
nur soweit Rechnung getragen, daß sie mit Quartetten
. der einzelnen Blasinstrumente, Schalmeienquarletten, Po-
saunenquartetten, ja auch Flötenquartetten aufwarten
konnten, wie das teils Kompositionen wie Scheins Suite
für 4 Krummhörner, teils alte Inventarverzeichnisse, in
denen die Blasinstrumente nach Fudern, d. h. Futteralen
, mit je vier gleichartigen, aber in der Größe registerartig
verschiedenen Stücken angeführt werden, beweisen, so
wachsen am Ende des 16. Jahrhunderts, als von Italien
her neue Instrumentenkombinationen, darunter das Zu-
sammenwirken von Bläsern und Geigern, bekannt werden
und sich der Sinn für Klänge und ihre Mischungen frisch
*) Jahrbuch der Musikbibliothek Peters für 1900, S. 58.
— • 12 «^
belebt, die Stadtpfeifereien* in den größeren Orten Dentsch-
lands auf sechs und sieben Köpfe. Dazu kommen Expek-
tanten und Lehrlinge und bei besonderen Anlässen Ver-
stärkung durch auswärtige Kollegen. Die Leipziger
Stadtmusikanten z. B. wurden am Anfang des 17. Jahr-
hunderts ab und zu nach Dresden beistellt, die Leipziger
wiederum laden die durch ihre guten Trompeten be-
rühmten Naumburger Stadtpfeifer zu Gast. Der Baum
auf den Kirchtürmen reicht zur Herberge für die ver-
größerte Stadtmusik nicht mehr aus, von Ratswegen
wird ihr deshalb ein eigenes Haus zur Verfugung gestellt,
als dessen Verwalter das Haupt der Pfeifer fortan häufig
den Titel »Hausmann« führt Die Erinnerung an diese
Zeit lebt noch heute in zahlreichen Pfeifergassen und
Pfeifergäßchen. Fürstlichem Brauche folgend halten sich
jetzt auch manche Patrizier ihre Hauskapellen, die Freude
iim Orchesterklang verbreitet sich durch alle Schichten
so stark, daß an vielen Orten die städtisch bestellten
Spielleute für Nachfrage und Aufträge nicht mehr aus-
reichen. In Augsburg haben sich infolgedessen schon
bis zum Jahre 16C6 vierzig »fremde Spielleute« ohne Kon-
zession und ohne Bürgerrecht angesiedelt. Die Stadt-
pfeifer überlassen ihnen das Spiel beim Tanz, nur wenn
im Rathaussaal Ball gehalten wird, beanspruchen sie das
Recht auf den »Pfeiferstuhl«, die kleine Empore, die ja
heute noch hie und da erhalten ist. Ihre Hauplfunktion,
die Mitwirkung beim Gottesdienst, hei öffentlichen Feier-
lichkeiten und das sogenannte »Abblasen« am Morgen,
am (frühen) Mittag und am Abend wird ihnen meistens
sehr angemessen vergütet, dazu kommt noch ein reich-
licher Nebenverdienst bei Familienfesten, insbesondere
bei den verschiedenen Zeremonien der Verlobung, bei den
»Handschlagen« und den »Lautmerungen«, beim »Hofieren«
des Bräutigams und selbstverständlich bei der Hochzeit
selbst Nur wird in der Zeit der Kleiderordnungen bei
den Hochzeitsmusiken streng auf Unterschiede gehalten.
Je nach dem Stand des Bräutigams werden Posaunen —
im Singular oder Plural — zugestanden oder versagt.
Iq Nürnberg muß 1600 ein dreichöriges Hochzeitsstück
Leo Haßlers nnaufgefü^rt bleiben, weil der Bräutigam
kein Privilegierter, sondern Kaufmann ist.
Nicht bloß der Kirchendienst, sondern auch die neu-
modische, die Mitwirkung von Cembalis und Lauten for-
dernde Proianmusik führte zu einer engeren Verbindung
der Stadtpfeifer mit den Organisten, die ja immer zu-
gleich Cembalisten und häufig auch gute Lautenspieler
waren. Infolgedessen begründen jetzt Kandidaten, die
sich für die Stelle eines Pfeifers oder Zinkenisten melden,
ihre Bewerbung damit, daß sie auch Orgel spielen können,
die Organisten wiederum rücken mit in die Reihe der
Stadtmusikanten oder an ihre Spitze. Es erscheinen ge-
meinsame Verordnungen »für die Organisten und Stadt-
Efeiferc, bei dem Organisten werden die »Aufwartungen«
estellt, er bestimmt bei -den sogenannten »stillen Mu-
siken« wie viele und welche Spieler zur Laute und zum
Cembalo zugezogen werden, er wird hier und da als
» Archimusicus« angeführt Nürnberg beruft 1600 L. Haßler
als »Oberhaupt der Stadtpfeifer c und schließt in diese
Bestallung den Organisten dienst ein, Leipzig räumt einige
Menschenalter später dem Organisten der Neuen Kirche
das Recht ein, unabhängig vom Thoraaskantor, als dem
obersten Direktor der Stadtmusik, ein eigenes Orchester
zu gründen und zu leiten. Studenten bilden es, und
damit sind wir bei dem wichtigen Prozeß der Verstärkung
der alten Stadtmüsiken durch Laienkräfte, bei der letzten
Vergrößerung der Orchester durch mehrfache Besetzung
der Streichinstrumente und bei modernen Verhältnissen
angelangt.
Da die treibende Hauptkraft für diese Wandlung in
der äußeren Geschichte der Orchester die Entwicklung
der Komposition war, so ist die Frage wichtig: was haben
die alten Orchester gespielt? Bis vor kurzem war die
Musikgeschichte geneigt, den Anfang einer selbständigen
Orchesterkomposition erst an das Ende des 16. Jahr-
hunderts zu setzen, aber, wie neuere Untersuchungen,
bei denen sich namentlich Hugo Riemann hervorgetan
hat, ergaben, daß die alte, scheinbar unbegleitete, mehr-
stimmige Vokalmusik in Messe, Motette und weltlichem
Chorlied stark und wesentlich auf die Mithilfe von
Orchesterinstrumenten nnd Orgeln rechnet, so hat sich
auch herausgestellt, daß die Orchesterkomposition fast
bis in die Zeit zurückreicht, wo der Minnegesang begann.
Sie hat heute ebenso alte Dokumente vorzulegen wie die
Lauten- und Orgelmusik; die Zeit, wo auf den Bildern
noch der Spielmann im Singular überwiegt, ist da zuerst
mit einer einzigen vom Ende des 12. Jahrhunderts stammen-
den estampida, im 13. Jahrhundert schon mit mehreren
Stücken in englischen Handschriften und im 14. Jahr-
hundert endlich mit ganzen Sammlungen französischer
und italienischer Kompositionen, die sich in der Pariser
Nationalbibliothek und im Britischen Museum finden,
vertreten. Es sind durchweg einstimmige Tanzstücke, die
in der Mehrzahl zu der Familie der eben erwähnten
estampida, im französischen estampies genannt, zum
kleineren Teil zu den danses royales gehören*). Schon
Grocheo kennt die estampie als stantipes und berichtet,
daß sie mit dem cantus coron atus und dem rondellus
eine besonders beliebte Form von Instrumentalmusik sei,
bei Festen spielten die Jongleurs damit reichen Leuten
auf. Was in der Zeit der einstimmigen Musik, wo sich
die Ausführenden im wesentlichen auf Gedächtnis und
Improvisation verlassen durften, veranlaßt haben mag,
gerade estampies aufzuschreiben, ist der ihnen eigene
Mangel an Symmetrie, der das Behalten und Wiedergeben
verhältnismäßig erschwert. Es wechseln acht- und sechs-
taktige Perioden, vier- und zweitaktige Abschnitte. Die
isolierten Zweitakter markieren die Hauptschlüsse und
geben ihnen metrisch und modulatorisch einen eigen*
sinnigen Zug, zu dem sich die sanft und leicht hin*
gleitende Melodie in Gegensatz stellt. Das Ganze wird
eine Mischung von Anmut und Keckheit, aus der der
*) Pierre Aabry : Las plus anciens textes de mnalque instni-
mentale (Mercure musical, September 1906).
16
Geist der Tronbadooneit spricht Die folgenden Takte:
pi I Millij
I' J.lj.Ujjjli.'j'i'JJjj^'^.'j.Uj^
bringen die ersten 2 Abschnitte einer solchen esiampie,
das ganze Stück hat ihrer, je nachdem 4, 6 oder 7. Die
danse royale oder estampie royale unterscheidet sich
▼on der gewöhnlichen estampie hauptsächlich durch einen
Reichtum an größeren Intervallen, der ihren Charakter
ins Kräftige und Heroische hebt, und durch geringeren
umfang der Satzteile:
Diese Satzteile oder Perioden heißen puncta, genau
so wie in den gleichalterigen zwei- und dreistimmigen
englischen Orgelkompositionen, mit denen uns unlängst
Wooldridge bekannt gemacht hat*). Das Punktum ist ein
oCTenes (apertum), wenn der Schluß in die Höhe, ein
festes (clausum). wenn er in die Tiefe geht. Bei dem
Vergleich zwischen den estampies und den Orgelsätzen
fällt zuerst auf, daß die ersteren melodisch viel reifer
and wertvoller sind. Kein Wunder: auf die Beweglich-
keit und Freiheit der Melodie drückte in den Orgelsätzen
zunächst noch die Mehrstimmigkeit. Noch stärker ist
zwischen den beiden Arten der Unterschied in der metri-
schen Struktur: die OrgelstQcke ziehen in durchschnitt-
lich längeren Perioden vorüber, die estampies sind kurz
nnd scharf gegliedert. Dieser von ihrer Tanzbestimmung
herkommende Zug behauptet sich auch in der mehr-
stimmigen Orchestermusik, soweit sie weltlicher Natur
ist, noch auf lange hin, bis ins 16. Jahrhundert wird ihm
sdbst in den überwiegenden Fällen Rechnung getragen,
*) H. £. Wooldridge : Early £ngli8h harmony from the 1 0 th
to the l&th Century. 1897. '
^
--^ 16 «^
wo die zwei-^ drei- und fünfstimmigen Sätze imitieren,
fugieren oder sonstwie kunstvoll kontrapunktieren. Die
Metrik ist gradezu das sicherste Kriterium, nach dem man
in zweifelhaften Fällen feststellen muß, ob eine mehr-
stimmige Komposition für Singstimmen oder für Instru-
mente gemeint ist.
Die ältesten zweistimmigen Kompositionen für Or-
chesterinstrumente sind uns in den eben erwähnten
englischen Handschriften des 13. Jahrhunderts erhalten.
Der zweistimmige wurde von dem volleren Satz nicht
verdrängt. Johann Walther bringt 1542 unter seuden
26 Fugen für Zinken ein reichliches Drittel, 9 Stück für
zwei Zinken, und John Morley 1595 eine ganze Samm^
lung zweistimmiger, zum Teil instrumentaler Canzonetten;
im Aufwartungsdienst der Stadtmusikanten gab es kleine
Ständchen im Zimmer und andere Fälle, für die nur
zwei Spielleute vorgesehen waren. Erst als mit dem
17. Jahrhundert die volle akkordische Klavierbegleitung
beliebt wurde, litt die Freude am reinen Duo und die
Produktion der Gattung wurde mehr und mehr auf
Unterrichtszwecke eingeschränkt. Mit welchem Unrecht,
lehrt jede gute Aufführung etwa eines Spohrschen
Violinduos. Jene ältesten englischen Kompositionen für
zwei Instrumente entsprechen den heutigen Forderungen
an einen reinen Satz vielfach nicht. In einem von Wool-
dridge (a. a. 0.) gedruckten Duett fängt beispiel&weise der
Quintus punctus folgendermaßen:
i ;j ^,i ii"J 'i,J J li j ij JiJ I., I
r ftp p ^ f^r TpffTf
an. Die Stelle steht durchaus nicht allein, sondern eine
große Zahl ganz ähnlicher beweisen, daß unter den
Simultanharmonien der Zeit die Quinten parallelen ebenso
beliebt waren wie die S^xtenparallelen und die Oktaven,
Terzengänge merkwürdigerweise viel weniger. Auch an
kühnen Dissonanzen sind die Sätze so reich, daß man
an Schreibfehler denkt. Der Entwurf der Stücke geht
gewöhnlich von der Unterstimme aas. Diese besteht ent-
weder ans einem langsam vorgetragenen Bruchstück der
Skala, das mit primitiv Instigen, raschen Motiven kontra-
punktiert wird, z. B.:
^^' ll-l IlljilljJjlijJljJiU jlj Jlj. I
oder sie ist einer Tanzweise entnommen, deren einzelne
Abschnitte ostinatoartig durchgeführt werden:
■^tf,.r^if' r\f hr Hy y\\^ hj'Pvf i i«te.
Es steht im Einklang mit der Bilderqnelle, daß die
ältesten Kompositionen für drei Orchesterinstrumente dem
15. Jahrhundert angehören. Bamberger, Berliner, Floren-
tiner Handschriften enthalten allerdings .schon aus früherer
Zeit dreistimmige Instmmentalsätze, aber als reich und
ständig gepflegte und dabei auch voll entwickelte Kunst
begegnen sie uns erst in der niederländischen Schule, in
dep sie mit Arbeiten Obrechts, P. de la Rues, Brumels,
ILAgricolas, Hofhaimers und Senfls belegt werden können.
Sie haben dem Anschein nach einen besonders eifrigen
Vertreter in Heinrich Isaac gefunden, dessen drei-
stimmigen Sätze, 24 an Zahl, vor einigen Jahren in Neu-
druck erschienen sind'**), mit ihnen zusammen auch
33 vierstimmige und 1 fünfstimmiges, die mit den ersteren
in Technik und Charakter übereinstimmen. Ob diese
Arbeiten auch' wirklich sämtlich für Instrumente be-
stimmt sind, ist noch nicht ganz ausgemacht; einen Teil
wird man auch jetzt noch, wie es früher mit allen ge-
schah, als Vokalkompositionen ansehen dürfen, denen nur
deshalb' kein Text beigegeben worden ist, weil er sich
als so bekannt voraussetzen ließ, daß eine kurze Über-
_ »
*) Aas London: Harleiana 978, gütigst mitgeteilt von Herrn
Professor Johannes Wolf.
*♦) Denkmäler der Tonkunst In Österreich XIV,1. Heraus-
gegeben von Johannes Wolf.
Kretsrebraar, FOiirer. 1, I. 2
18
Schrift (Wohl auf gut GseH, Süfier Vetter, Si dormiero
Poar vous plaisir u. a.) genügte. Gründliche Unter-
suchungen der Liedliteratur der Isaacschen Zeit haben
diese Frage weiter zu klären. Bei einer Gruppe der
dreistimmigen Sätze liegt die) vokale Natur sehr nahe.
Das sind die Stücke, bei denen der Tenor einen breiten
cantus firm US vorträgt» den Oberstimmen und Baß mit
bewegten, wechselnden und kanonisch oder frei imitieren-
den Motiven umspielen. Doch ist ihre Zahl nur klein,
die überwiegende Menge der Isaacschen Sätze, der drei-
stimmigen wie der vierstimpiigen, erweist sich schon
durch die kurze Gliederung in vier- und zweitaktige Ab-
schnitte grade so als inst^mental, wie das hundert Jahre
früher bei den estampies der Fall war. Dazu kommt ein
zweites, schon von den Schriftstellern des 13. Jahr-
hunderts hervorgehobenes Merkmal instrumentaler Kon-
struktion. Das ist die Sequenz: Von ihr macht Isaac,
wie die folgenden zwei Proben zeigen mögen:
jnn.M'' f
^m
^m
^^m
^
^
(Vivace)
'^i«rif r
-«-
f n[iif I pn
sr:
i^^
^
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^^^
^M
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etc.
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jiii.i i
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^
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Nj J|') J \i-i-^
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fir-fcrf
r^r-i^
rr
eto.
m
t
rc
i
m
^
w
^
^m
einen reichen Gebrauch. Auf das instrumentale Konto
— • 19
ist femer auch eine freiere
Behandloog der Dissonanz zu
setzen, z. B. in 0 Venus bunt:
Die vorstehenden kurzen Auszüge veranschaniichen
zur Genüge, daß die Orchesterkomposition des 15. Jahr-
hunderts trotz einzelner Züge formelJer Verwandtschaft
sich über den Charakter der einstimmigen Estampies
und der ersten englischen Versuche im zweistimmigen
Instnunentalsatz sehr hoch gehoben hat. Das sind keine
Tänze mehr, sondern das ist eioe Unterhaltungsmusik,
die zwar an volkstümliches Material anknüpft, aber um (
es höchst individuell und mit einem stattlichen Aufwand \
von Kunst und Geist zu entwickeln. Es ist ein Kammer- t
stiL, der sich an einen sehr gebildeten Kreis wendet und '
Zohöier voraussetzt, welche die Beziehungen zwischen
den Stimmen sofort erfassen und die Reize dieses
Stimmenspiels zu würdigen wissen. Diese Musik ist die >
Blüte meisterlichster Kontrapunktik, leicht und ohne
Tüfteln entworfen, aber genau auf Abwechslung und deut-
liche Wirkung berechnet. Das sieht man namentlich
daran, wie Isaac die Nachahmungen bald aus der Höhe
nach der Tiefe, bald umgekehrt führt, bald wörtlich, bald
in Umkehrung und anderen Varianten antwortet. Die
Mehrzahl seiner Sätze wird man als Paraphrasen be-
kannter Lieder zu deuten haben, bei etlichen (La Marti-
nella, Morra u. a.) hat er sich aber Programm aufgaben
gestellt. Es kommen auch in den Liedparaphrasen
Tonmalereien vor, eine sehr hübsche in der Nummer 36:
»Si dormiero«. Da wird mit der variiert mehrmals
wiederkehrenden Stelle :
^^ 'l7^ ^ ^ id:^ } i ilg-U-j:^^^^^^^^^^
auf das Schwanken von Bildern und Vorstellungen ange-
spielt, das dem Einschlafen gern vorhergeht.
Die Grundzüge der Isaacschen Arbeiten kehren nun
auch in dem »Libro I delle canzoni da sonar« von Flo-
2*
^
-^ 20
<► —
rentio Maschera wieder, das 1084 zu Brescia in vier
Stimmbüchern erschien und das lange Zeit als der Anfang
selbständiger Orchesterkomposition angesehen worden
ist. Davon zu überzeugen, genügen die 'Anfänge der
beiden Canzonen, die Wasielewski aus diesem Werke zum
Neudruck gebracht hat*):
Le Capriola. Canzone.
eto.
Die Themen haben den Charakter des Tanzliedes,
allerdings eines herb und elegisch gestimmten, aber doch
die rhythmische Bestimmtheit und Knappheit der Gattung,
und sie haben die zahlreichen und scharfen Gäsuren, die
schon die estampies auszeichneten. Die Ausführung ge-
langt zu Dimensionen, wie sie das 15. Jahrhundert für
Orchesterstücke noch nicht kennt, zu einem Umfang von
107 und 143 Takten und sie folgt dabei noch demselben
Prinzip, nach dem auch Isaac, de la Rue und die an-
deren Niederländer verfuhren: kunstvolle Arbeit, jedoch
mit verminderter Kraft und Energie. Die Kunst besteht
für Maschera fast ausschließlich im Fugieren, dabei macht
er die Fuge zu einer auffällig leichten, auch dem ein-
fachsten Volk verstSipdlichen Form. In der ersten C&n-
Zone erreicht er das durch beständige wörtliche Wieder-
holung kleiner und großer Abschnitte; die ganze Capriola
besteht aus zwei Teilen und jeder Teil wieder aus zwei
völlig gleichlautenden Hälften. Ein und derselbe Ganz-
schluß (Gmoll) kommt deshalb in hundert Takten sechs-
mal und verbreitet über die Komposition ein Einerlei, das
nur deshalb nicht als hilflos wirkt, weil es augenschein-
*) W. J. von Wasielewski : Instrnmentalsätze todi Ende des
16. bis Ende des 17. Jalirhunderts. 1874.
'
— • 21 «^
lieh beabsichtigt, wahrscheinlich in dem Text der Gapriola
begründet ist. In der zweiten Caüzone erleichtert Ma-
schera das Zahören und Folgen durch fortwährendei^
Gredankenwechsel. Dem ungraden Anfang folgt im
22. Takt ein Allabreve, und in ihm bringt er nacheinander
fünf verschiedene Themen, die auch nicht mehr streng
fugenroäßig, sondern nur in zwanglosen Imitationen ver-
arbeitet werden. .
Der durch die große Verschiedenheit der beiden Stücke
Mascheras nahe gelegte Schluß, daß mit der Bezeich-
nung Canzone ein bestimmtet Formenbegriff nicht ver-
bunden sei, ist richtig und gilt nicht bloß für die Can-
zonen, sondern für alle Arten Orchestermusik des 17.
Jahrhunderts. Mascheras Sammlung, die schon 1598
zum zweiten Male aufgelegt wurde, hatte den Druckern
das Signal zur fleißigen Bestellung der Orchesterkom-
positioD gegeben. Noch vor Schluß des 16. Jahrhunderts
traten dem Maschera andere Oberitaliener mit Canzonen
und Ricercares zur Seite, noch viel stärker regt sich aber
neues Leben in dem Gebiete von dem Augenblicke ab, wo
durch Einfuhrung der Oper und namentlich auf Grund von
Monteverdis Orfeo die Instrumentalmusik gewissermaßen
die höheren Weihen erhält. Da veröffentlichen Marini,
Fontana, Monte Albano, Tarqu. Merula, Neri,
AUegri, Mezzaferrata, Bassani, Vitali und andere
angesehene Musiker neue Sammlungen von vier- und
mehrstimmiger Orchestermusik und mit Legrenzi treten
auch die Opemkomponisten mit in die Konkurrenz ein*).
Auch die Zahl der Kompositionsarten wächst, neben der
Canzone erscheint die Fantasie, die Sonate, die Sinfonie,
das Capriccio. Die Canzone legt es jetzt auf Gegensätz-
lichkeit an, es lösen sich schon durch die Taktart streng
geschiedene Themen ab, oder sie wird zu einer drama-
tbch erregten Szene, in der Charakter und Tempo, sich
drei-, vier- und fünfmal ändern. Diese zweite Art ver-
*) Zar Orientierung wird empfohlen Wasieiewskis bereits ge-
nannte Samrolnng.
-—f^ 22 «^
treten Merula und Neri. Die Fantasie macht schon durch
ihren Namen auf Formenfreiheit Anspruch. Es gibt
Fantasien, die vollstAndig den mehrthemigen Canzonen
gleichen, und andere, die einfache Fugen mit einer breiten,
homophonen, im Takt mit dem Hauptsatz kontrastieren-
den Episode sind. Eins der schönsten Beispiele dieser
zweiten Art ist Banchieris >Fantasia in Eco movendo
un Registro», die in der Episode das alte Echo zu Ehren
bringt. Am reichsten an Spielarten ist in der Orchester-
musik des 17. Jahrhunderts die Sonate. Der Aufbau
variiert von der Einsätzigkeit bis zu siebenteiligen Satz-
kränzen; die dreisätzige Kammersonate wie die vier-
sätzige Kirchensonate treten in dieser gemischten Gesell-
schaft schon verhältnismäßig früh auf, aber die herr-
schenden Formen werden sie erst gegen den Anfang des
18. Jahrhunderts von der durch die Mitwirkung des Cem-
* balo gestempelten Kammermusik aus, Ähnlich bunt ver-
läuft die erste Entwicklung der Sinfonie, doch erhält sie
vom Anfang an, den wir nach dem von Riemann ge-
brachten Beispiel ins 15. Jahrhundert verlegen können,
eine einheitliche Marke durch den Verzicht auf strengen
Stil und Imitationskünste. Das Hauptfeld ihrer Ausbildung
wird die Oper.
Neben dem leidenschaftlichen, feurigen Vitali, der aber
mehr von der Kammer aus in die Geschichte der Instru-
mentalmusik eingriff, ragt unter den auf Maschera folgen-
den Orchesterkomponisten am bedeutendsten Giovanni
Gabriel i, der Neffe jenes Andrea Gabrieli, der als Or-
ganist von San Marco 1686 die ersten fünfstimmigen
Sonaten veröffenUicht hat, hervor.
Mit ihm beginnt die goldene Zeit einer eigentümlich
feierlichen, erhabenen und edlen Orchestermusik, der
wir aus unserer neueren Literatur nichts an die Seite zu
setzen haben. Sie wurzelt in dem Geiste, in welchem
. während des 16. und 17. Jahrhunderts Kirchen, Staaten,
. Städte und Korporationen große Feste begingen. Sie hat
insbesondere das Gepräge Venetianischer Kunst: der Glanz
and die Pracht, der Ernst und die Hoheit, die uns in den
-^ 23
Meisterwerken des Montagna, des Paolo Veronese und
des Tizian ergreifen und erheben, die uns masikalisch
in den Madrigalen des L. Marenzio so tief berühren, sie
kennzeichnen auch die Canzonen und Sonaten des
Giovanni Gabriel!. Seine Hauptarbeiten sind die in den GtoTtani
»Sinfoniae sacrae« von 1597 (zweite Auflage 1616) ent- Q»bneU.
haltenen Stücke: nämlich vierzehn Canzonen und zwei
Sonaten.
Aus dieser Sammlung, die durch 46 Chormotetten
vervollständigt wird, hat Wasielewski (a. a. 0.) einige
Nummern veröffentlicht, von denen namentlich die eine,
die Sonate mit dem Titel »Pian e forte<, neuerdings in
geistlichen und in historischen Konzerten häufiger ver-
wendet wird. Auch in dieser Isoliertheit und in der
fremden Umgebung scheint die Komposition überall mächtig
gewirkt zu haben. Nicht unpassend zieht ein Bericht-
crslatter*) Wagners »Parsifal« heran, um den Eindruck
der Sonate zu beschreiben.
Alle diese Gabrielischen Orchestersätze haben einen
Terhältnismäßig bescheidenen Umfang: durchschnittlich
70 bis 80 Doppeltakte. Weil aber ihr Aufbau sehr scharf
gegliedert ist, wirken sie breit und imposant. Es ist das
eine ähnliche Erscheinung, wie bei den Händeischen
Chören, wie bei der Architektur der Antike und der
Renaissance. Das Geheimnis liegt wohl in dem gluck-
lichen Verhältnis einer an und für sich bedeutenden Er-
findung zu einer ebenso bedeutenden, klaren, bestimmten,
in jedem Gliede abschliessenden und vollen Ausfüh-
rung. £ä ist eine Musik, die ein Goethe bewundert
haben würde.
Einige dieser Gabrielischen Orchester kompositionen
sind auf zwei Instrumentenchöre verteilt. Der erste
Chor beginnt in der Regel mit einem längeren Thema
feierlicher, zuweilen auch elegischer oder freudiger Natur.
Das wiederholt der zweite Chor wörtlich. Dann treten
beide zu einem freien Abschluß im majestätischen Klang
♦) Leipriger Neueste Nachrichteu, 3. November 1S92,
--^ 24 •-«
zusammen. Im weiteren Verlauf wird der Charakter der
Musik erregter; die Chöre ziehen in engen Nachahmungen
dahin, in belehten^ zuweilen verwickelten Rhythmen das
Eingangsthemä umspielend. Oder auch: es folgt ein
zweiter Satz, der sich in Charakter und Form vom ersten
scharf abhebt, dem geraden einen ungeraden Takt gegen-
überstellt. Entschiedenen und häufigen Taktwechsel liebt
ja die ältere, an Impulsen reiche Zeit auch in der Vokal-
musik. Oft läßt es Gabrieli bei diesen zwei Sätzen eines
Stücks bewenden und schließt mit einem freien Anhang,
in dem die Oberstimmen beider Chöre mit virtuosen Wen-
dungen hervortreten, um nach altem, klugem Brauch den
Schluß hervorzuheben, auszuzeichnen, eindringlich und
packend zu gestalten. Manche der Gabrielischen Kom-
positionen gehen aber über dieses zweisätzige Schema
weit hinaus und stellen motettenartig nach dem ersten
Tutti oder dem zweiten Thema noch eine lange Reihe
großer und kleiner Gedanken auf, als gälte es einen ge-
heimen Text zu erschöpfen. Zu dieser zweiten Klasse
gehört die Sonate »pian e forte c.
Sie vertritt ihre Familie und die ganze Gabrielische
Instrumentalmusik äußerst vorteilhaft, weil sie sehr über-
sichtlich und regelmäßig aufgebaut ist und weil sie
zweitens den Klangbesitz des Gabrielischen Orchesters in
seiner Eigentümlichkeit und in seinem Reichtum vor-
führt Aus den piano gehaltenen Abschnitten, in denen
der zweite Chor den ersten ablöst, klingt es wie Char-
freitag; aus den mit leichten Obergängen erreichten
Stellen im forte, bei denen die Chöre zusammentreten,
wie Ostern. Namentlich der elegischen Eingangsstimmung
gibt der reiche Harmonieappi^rat der alten Tonarten einen
seltsam beweglichen Ausdruck. Die Besetzung des Or-
' chesters, die nicht bei allen Stücken angegeben ist, be-
steht in dieser Sonate aus einem Quartett von Cometten
(Zinken) und drei hohen Posaunen für den ersten
Chor, für den zweiten aus Bratsche und drei tiefen Po-
saunen. In einzelnen protestantischen Orten besteht
heute noch die Sitte, daß an hohen Ji'esten, bei vor-
--♦ 25 ^
nehmen Trauungen und anderen außerordentlichen Ge-
legenheiten ein Posaunenquartett den Choralgesang be-
gleitet Dieser Brauch ist ein ehrwürdiger Nachklang der
Musik früherer Zeiten, in denen er sich bis ins 16. Jahr-
hundert zurück verfolgen l&ßt Dem ausgehenden 16. und
dem ganzen 17. Jahrhundert war die Posaune das
Normalinstrument aller Feierlichkeit. So wie hier stehen
wir auch noch in den Instrumentalsätzen, die z. B. Monte-
▼erdi und Schütz in ihren Vokalkompositionen einlegen,
oder bei selbständigen Stücken wie der achtstimmigen
Caozone des Tiburtio Massaini (1606) vor vollständigen
Posaunenorchestem. Die neuere Zeit kenn:;eichnet der
Violinenklang; sie gibt in den Gabrielischen Sonaten ein
erstes Lebenszeichen mit der Oberstimme des zweiten
Chors. Noch aber sind es nicht die hohen Violinen,
sondern die Bratschen. Der Sinn für Klangfarben und
die Gabe, mit ihnen auf Empfindung und Phantasie zu
wirken, hebt Gabrieli hoch über die vorhergehenden und
gleichzeitigen Orchesterkomponisten, durch die Pracht
des Koloritd wirkt er modern und vertritt zugleich einen
Gmndzug venetianischer Kunst Wie fein bedacht ist in
der Sonate »pian e forte« das Verhältnis der beiden
Chöre! Der zweite setzt immer eine Quinte, Sexte, meistens
eine Oktav tiefer ein als der erste. Dadurch klingea seine
Wiederholungen immer viel ernster, dunkler, geheimnis-
voller. Um so mehr, als die heiden Chöre im Freien weit-
voneinander, in der Kirche auf verschiedenen Emporen
aufgestellt waren. Den großen Raum setzen auch die
Tuttis voraus; in unseren heutigen Konzertsälen klingen
diese Kirchen- und Festsinfonien zu stark. Sie haben
noch, eine große Anzahl wenigstens, eine andere Schwierig-
keit für den modernen Hörer: Sie entwickeln nicht, wie
die neuere Instrumentalmusik vorzugsweise tut, ihre
Perioden und Sätze mit Wiederholungen und Verwand-
lungen eines Themas oder eines Motivs, sondern die
Musik strömt daher in der Form »unendlicher Melodie«,
um einen Wagnerschen Ausdruck zu gebrauchen. Auch
in den einchörigen Kompositionen dieser Gattung mochte
--^ 26 ♦^
man auf' den Reiz des Chorwechsels nicht ganz ver-
zichten. Man ersetzte und deut9te ihn dadurch an, daß
einzelne Stimmeix mit dem vollen Chor wechselten, man
brachte zweitens gern das sogenatinte >Echo< an. Eine
kleine Gruppe von Spielern in einem Nebenraum, jeden-
falls entfernt und möglichst versteckt aufgestellt, wieder-
holt sparsam oder reichlicher kleinere und größere Ab-
schnitte der Musik des Hauptchors. Unter den Liebhabern
des Orchesterechos verdient neben dem schon erwähnten
Banchieri. Banchieri der Bologneser Domkapellmeister Bassani
BasMl. genannt zu werden. Eine viel größere Bedeutung. hat
das Echo aber in der mehrstimmigen Gesangsmusik des
16. Jahrhunderts. Viele Wiederholungen in den Chören
jener Zeit, die uns befremden, sind sofort verständlich uud
schön, wenn man sie dem Echo gibt. Ein naheliegendes
Beispiel bietet das weltbekannte >£cce quomodoc von Jacob
Handl (Gallus) mit der Refrainstelle : »Et erit in pace«.
Das zweichörige Orchester G. Gabrielis hat sich weit
ins 18. Jahi hundert hinein erhalten, wir finden es in
S. Bachs Matthäuspassion, Hasse hat es in der Oper,
Cannabich in der Sinfonie. ,
Die eiüchörigen Orchesterkompositionen des G. Ga-
brieli haben offenbar eine andere Bestimmung als seine
doppelchörigen; sie setzen andere Räume und andere
Stimmung voraus. Die Violinen kommen in ihnen mehr
zur Geltung, die Musik ist weltlichen Charakters und
mischt nach venetianischer Art Heiterkeit mit Würde.
Man kann an Vermählungsfeiern und andere Familien-
feste in hohen Patrizierhäusern denken. Ein Glanzstück
dieser Art ist die als Nr. VUI in der Wasielewskischen
Sammlung mitgeteilte sechsstimmige Canzone für zwei
Viohnen, zwei Cornetten und zwei Posaunen, eine Kom-
position, interessant durch den Wechsel fröhlicher und
frommer Stimmung. Ein munter bewegtes Thema:
^ Allegro maestoso. Coragtt-p.yp.^ setzt ein UUd läuft
^M "_ iJ J3JjN"Jj durch die Stimmen ; ein
^ w rTf^rt f T ^ 7^ breiter, ernster Gesang
Tenorposanne. des vollen Orchesters,
27 <i~
durch den Rhythmus allein schon scharf geschieden:
#«.^.. ^^11^ /w^^^% tritt ihm entgegen. Dieser
^^^ __ , " p fc I m^u I Wechsel wiederholt sich
'"t ^^~ I ii- ' ^3 " ^ y* ' fünfoQ&l iii^d so, daß die
^ fl ** T Gruppen immer breiter, und
namentlich die Abschnitte im Tripeltakt immer majestä-
tischer werden. Dann krönt ein freier Schluß, die Freu-
digkeit des Stücks zur Ausgelassenheit steigernd — im
kleinen ein Vorläufer Beethovenscher Finalaasgänge — das
Ganze. Will jemand — und unsere Musikschulen müßten
das wollen — die Gegenwart wieder mit G. Gabrielis
Orchesterkompositionen bekannt machen, so eignen sich
die beiden hier geschilderten Stücke ganz besonders dazu.
Auch wohl deshalb noch, weil ihre Besetzung mit den
modernen Mitteln, sonst so häufig ein Stein des Anstoßes
für die Wiederbelebung alter Tonkunst, keine Schwierig-
keit macht. Vergleicht man die eben erwähnte Canzone
mit Canzonen Mascheras und anderer Oberitaliener, so
überragt Gabrieli die Mitarbeiter unverkennbar an innerer
Lebendigkeit und feinem Geschmack. Der letztere zeigt
sich namentlich in seiner Behandlung der kontrapunk-
tischen Formen. Die Nachahmungen werden, auch wenn
sie sich mit Leichtigkeit viel weiter führen ließen, immer
bei Zeiten abgebrochen, auf die übliche Fuge verzichtet
Gabrieli. Darin liegt ein allgemeiner formeller Fort-
schritt, die Emanzipation vom streng polyphonen Stil.
Aber der Orchestersatz hat dem Gabrieli auch nach an-
d.eren Seiten eine selbständige Entwicklung zu danken.
J. V. Wasielewski irrt, wenn er meint, die Instrumental-
musik Gabrielis habe einen ganz vokalen Charakter.
Nein, Gabrieli hat zuerst die eigenen natürlichen Mittel
des Orchesters, seine Überlegenheit im Klanglichen be-
merkt und zur Geltung gebracht. Die frühere und gleich-
zeitige Vokalkomposition hat nirgends einen so impo-
santen Wechsel von Farbe und Klangstärke, wie ihn die
Sonate >pian e fortec zeigt, sie kennt auch die Mischung
konträrer Stimmungen in der Freiheit und Raschheit, die
wir in Gabrielis Canzonen begegnen, nicht.
-^ 28
Die Orcbestermusik G. Gabrielis hat auf einen weiten
Umkreis in der ferneren Geschichte der instrumentalen
Komposition nachgewirkt, namentlich mit seinen Fest-
sonaten. Ihren Ton und Geist. finden wir noch lange in
den kurzen einsätzigen Instrumentalsinfonien, die in den
geistlichen Vokalkonzerten und Kantaten des 17. und
18. Jahrhunderts vorkommen. Allgemein zugängliche Bei-
Kalfltr spiele bieten da die Kompositionen Kaiser Leopolds I.*).
Leopold I. Dann geboren hierher viele Schütz sehe Stücke, so die Ein-
leitungen zu den 7 Worten und zu der Historie von Absa-
Ion. Hervorragend weihevolle Sinfonien stehen an der
Spitze der Kantaten Franz Tunders, auch der Buxte-
hudes und Zachows. Noch Bach hat der überhaupt
altertümlich gehaltenen Osterkantate »Christ lag in Tödes-
banden« eine Sinfonie im Gabrielischen Stil vorausge-
schickt. Auf das Gabrielische Muster stützt sich eine ganze
selbständige Literatur einsätziger Festsonaten für Bläser-
orchester, die in den Musikschränken aller Instrumental«
kapeilen ausreichend vertreten war. Den ganzen Umfang
dieses Kunstgebietes festzustellen, bedarf es noch beson-
derer Untersuchung. Gepflegt wurde es von hervorragen-
den und von unbekannten Komponisten; denn es war in
der Sitte der Zeit begründet. Wir können es auch heute
nicht ganz entbehren, obwohl unser öffentliches Leben
auf musikalischen Schmuck und musikalische Weihe bis
zu einem bedenklichen Grade verzichtet hat. Fast will
es scheinen, als sollte die Tonkunst ins Konzert gesperrt
und da stranguliert werden! Tatsache ist, daß die heu-
tigen Komponisten für Feierlichkeiten, wie sie sich bei
Einweihungsakten, bei solennen Empfängen und Be-
grüßungen vollziehen, wenig komponieren, und wenn sie
es tun, treffen sie nur selten den richtigen Stil. Beethovens
Ouvertüre »Zur Weihe des Hauses« und C. M. v. Webers
Jubelouvertüre in allen Ehren, aber man hört sie jetzt
an Stellen und bei Gelegenheiten, wo sie keinesfalls hin-
*) Musikalische Werke der Kaiser Ferdinand UI., I.«opold I.
und Joseph I. Herausgegeben von Guido Adler. Bd. I.
~-# 29 «-^
passen! So empfehlen wir denn den Dirigenten, die um
ein feierliches Stück in Verlegenheit sind, einen GrifiT in
die alte Zeit der einsätzigen Gabrielischen Sonate. Unter
dreierlei Titeln bergen die Archive die Reste dieser Ton-
familie: als Sonaten, Sinfonien und als geistliche Kon-
zerte (Sacri concerti). Bei dieser dritten Gruppe tritt
zuweilen zu den Orct^esterinstrun^enten noch Begleitung
der Orgel oder eines ^anderen Harmonieinstruments. Sie
lassen sich daher in der Regel nur in Kirchen oder groBen
Sälen Terwenden. Die Mehrzahl der hierhergehörigen
Kompositionen ist aber, ganz ähnlich wie bei der älteren
Suite, für Bläserchöre bestimmt und alle sind nur in
Stimmdrucken vorhanden; zu einer neuen Ausgabe in
Partitur haben es bisher nur die von Wasielewski mit-
geteilten Stücke gebracht So finden sich z. B. aus un-
serer Klasse in der königlichen Bibliothek zu Berlin
(olgende Nummern: D. Castello: Sonate concertate (Ve-
nedig 1621) ; F. S. Ertelins, Symphoniae sacrae (Mündien
1611); Gabr. Fattorini, Sacri concerti (Venedig 1600);
Fr. Giuliani, Sacri concerti (Venedig 1619;; G. Picchi,
Canzoni da sonar (Venedig 1626). Aus italienischen
Bibliotheken wären da noch hinzuzufügen: Fiore, Sin-
fonie da chiesa (Modena 1699) und Bergonzi, Sinfonie
da chiesa (1708j. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts
kommt in Italien der Gabrielische Stil aus der Mode und
wird von der mehrsätzigen Kirchensonate, die in der
Regel drei- und vierstimmige Violinmusik ist, verdrängt.
Aber Nachfolger der Gabrielischen Sinfonie finden sich
auchMn Italien noch bis ins 19. Jahrhundert. Der Vene-
tianer B u z z o 1 a ist einer ihrer letzten Vertreter. Seine
»Piccole Sinfonie ad uso dell^ Basilica di San Marco €
haben Meyerbeerschen Geist, aber die einsätzige Form
Gabrielis.
In Deutschland finden wir einen der letzten Meister
im Sonatenstil in Gottfried Reiche, jenem Leipziger Gottfried
Stadtmusikus, für den Seb. Bach seine gefürchteten Trom- Kelche,
petenpartien geschrieben bat. Aus seinem Hauptwerk: >24
neue Quatricinia« (Leipzig 1696) empfehlen wir zur
— » 30 «—
Einführung namentlich das Bdur-Stück über das Themas
^ , Pompoao. _ Damit beginnt in markiger Har-
i£r il fe J Tp'frpl-^^ monie der erste Teil. Ein mittlerer
ff- Jir I ifi- r» wendet die Melodiein geradenTakt :
^ ^ ^ und führt sie in Fugen form
'JLv'^ ^ \ f?pp| J^*ifi> durch die Instrumente, hier,
ff ^ r "' r' ' r' r • ^ie überall ein Bläserquartett
von Gornett und drei Posaunen. Jedermann kann nur
über die formelle Tüchtigkeit und die wirklich hohen
Gedanken in dieser und in ähnlichen Arbeiten des
schlichten Mannes erfreut sein. Sie zeigen , wie sich
auch bescheidene Kräfte auf diesen Kunstzweig verstan-
den. Noch vor Reiche gehört der ebenfalls Leipziger
Sladtpfeifer Joh. Päzel mit seiner »Hora decimac
von 1670 hierher. Auch das ist eine Sammlung feier-
licher Sonaten, wie sie vor Tische vom Leipziger Rat-
hausturm tagtäglich abgeblasen wurden, einsätzig, aber*
schon vom Muster der venetianischen Opernsinfonie be-
einfluGt Das wohl letzte Lebenszeichen Gabrielischer
Kunst in Deutschland dürften die »Turmsonaten« Fr.
Schneiders sein, die der Komponist des »Weltgerichts«
alsl7jähriger Gymnasiast in Zittau geschrieben hat. Nach
seiner C dur-Sinfonie zu schließen, hat wahrscheinlich
R. Schumann diese Turmsonaten Schneiders gekannt
Der Plaßsche Bläserchor in Berlin spielt sie heute wieder
mit großer Wirkung, und in der Lausitzer Heimat des
Komponisten sollen sie nie vergessen worden sein, in einem
Bauer namens Schönfelder hat Schneiderdort sogar noch
am Ausgang des 19. Jahrhunderts einen Nachfolger ge-
funden*). Den indirekten Einfluß der Gabrielischen
Sonate kann man noch in den Oratorienouvertüren Leos,
Hasses, J. Haydns (»Sieben Worte <) spüren, aber er wird
im 18. Jahrhundert unter der Herrschaft der neapolita-
nischen Schule, der der feierlich gehaltene Ton selbst in
der eigentlichen Kirchenmusik fremd war, immer geringer.«
Wie schnell aber die alte Orchestersonate in jener über-
*) Mitteilung des Herrn Professor Paul Stöbe in Zittau.
— ^ 31 «—
produktiven Zeit vergessen wurde, das kann man daraus
ersehen, daß Gerber in seinem so vortrefflichen Lexikon
die großen Gabrielis gar nicht erwähnt.
Die Orchestercanzone trat ihre Stellung im Laufe
des 17. Jahrhunderts an eine neue Gättang weltlicher
Musik ab: die Suite. Unter diesem Namen, der sich
im 18. Jahrhundert mehr und mehr verbreitete, verstehen
wir heute eine Folge von mehreren in sich abgeschlossenen
Stucken, in deren Inhalt und Form die Tanz- und Lied-
musik überwiegt. Die Sonate war eine freie und neue
Schöpfung der höchsten und gebildetsten Künstlerkreise;
die Heimat der Suite ist die Volksmusik. Wahrscheinlich
ist sie so alt^ wie das Instrumentenspiel überhaupt. Denn
wenn Spielleute zwei im Charakter verschiedene Stücke
— einen Choral und gleich darauf einen Tanz z. B., wie
wir das in Deutschland bei Umzügen und Morgen Ständchen
noch tagtäghch hören können — unmittelbar, ohne längere
Pause, hintereinander spielen, so ist die Suite fertig.
Geschrieben und gedruckt zeigt sie sich zuerst in der
LautenUteratnr des 16. Jahrhunderts'*';. Bald darauf aber,
nämlich 1571, kommt aach schon (in Löwen bei Peter
Pfaalesius) eine Sammlung von Suitensätzen für Or- . Saiten des
ehester heraus. Sie bringt unter dem Titel »liber primus Phaiesius.
leviorum carminum etc« Paduanen, Passamezen, Älle-
manden, Galliarden, Branles und ähnliche Stücke, dazu
aber auch Sätze mit programmatischen Oberschriften,
z.B. Den Post:
^'*mmm^^Him^^i!f^m
^^^^^321
r F ' ^ r
Wi,e hier durch rhythmische Umbildung dem Haupt-
satze noch eine »Reprise« abgewonnen w^ird, so kommen
«) Wolf Heckeis Untenbucb 1562.
--• 32 ♦>—
bei anderen Stücken solche Variationen als »Volten«.
Immer wird aui^ diese Weise die Galliarde aus der Pa-
duane gewonnen, aber auf diese Fälle und auf den Zu-
sammenhang nur zweier Sätze beschränkt sich die
Variationskanst in dieser Phalesiusschen Saitensamm-
lung. Schon sie zeigte daß in der internationalen, durch
die Namen der Sätze belegten Arbeitsgemeinschaft, unter
deren Obhut die Orchestersuite ihre erste Entwicklung
fand, dem englischen Anteil eine besonders gute Zensur
gebührt. Das frischeste Stück unter allen ist ein »Bransle
d'eccose«, der gleich metrisch apart beginnt:
ji'ii I i| iMiil I II I ilMfi I M IM lli]l j I
Englische Die Engländer haben sich auch weiterhin bei den
Suiten. Jugen die istungen der Orchestersuite ausgezeichnet. Sie
Horley. eröffnen 1599 mit Thomas Morleys »Goncert lessons.
made by divers exquisite authors for six instruments
etc.« die Zeit des regelmäßigen Suitendrucks und stehen
in ihm jahrzehntelang im erfolgreichen Wettbewerb mit
den Deutschen. In der Elisabethischen Periode waren
nicht bloß englische Chorlieder und Komödianten, son-
dern im Gefolge der letzteren aucji englische Spi^eute
über den Kanal gekommen. Diese waren es, die Ton
Hamburg, an zweiter Stelle von Frankfurt und Lübeck
aus den deutschen Markt mit zahlreichen Sammlungen
von Orchestersuiten ihrer Landsleute beschickten, an der
Simptoii. Spitze die Komponisten Theodor Simpson (1607*<,
Brmde. 1611, 1617 und 1621) und William Brade (1609, 1614,
1617, 1621).
In der Form und dem Ausbau der mehrsätzigen Suite
halten die englischen Arbeiten mit den gleichzeitigen
deutschen nur eben Schritt. Sie bleiben länger als diese
bei den zwei Sätzen: Paduane und Galliarde und be-
quemen sich ersichtlich erst unter deutschem Einfluß zur
■
♦) Diese erste Sammlung ist von den Verlegern Hildebrand
und Füllsack gezeicbnet.
— ♦ 33 4^
Aufnahme von Allemande and Corrente. Bin eigner and
konservativer Zag ist nor, daß sie die Padaane zuweilen
durch eine Canzone ersetzen. Meistens teilt diese, homo-
phon gehalten, mit dem italienischen Master bloß den
Namen; nur einmal bringt Simpson (in der Hamburger
Sammlung von 1617) eine Canzone, die
zretc.
beginnt, dann in ungraUen laKt übergeht und weiter mit
dem mehrmaligen Wechsel beider Themen sich als eine
gutgemeinte Nach bildang des oben zitierten Meisterstücks
6. Gabrielia erweist Aber originell und bis zu einem
gewissen Grad bedeutend sind diese- englischen Suiten
durch einen starken Zug von Volkstümlichkeit Er äußert
sich stilistisch in ruhigen und bewegten Sätzeh ziemlich
gleichmäßig dadurch, daß Nachahmungen fast ausschließ-
lich in die beiden obersten Stimmen gelegt werden, wo
sie auf den Laien am leichtesten wirken. Thematisch
kommt er vorzugsweise in den schnelleren Sätzen zum
Ausdruck und zwar durch Marschweisen, denen zum Tei<
durch Oberschriften ein heimatticher Ursprungsstempei
aufgedrückt ist So steht bei Brade über dem Thema.
I I , ||i|i r f I ^^^
»Comwallscher Aufzug« bei einem anderen liest man:
9MyIady Wrath's Maskerade«. Auch in Deutschland scheinen
die Engländer charakteristischen Weisen nachgegangen zu
sein, Bateman wünscht bei einem seiner Sätze, daß man &n
>Näglein (Nelken?) Blumen « ^
denke, ein anderer sucht «»^ f p ^' ^^^m^^z;^f-i^^=
»den alten Hildebrand« mit
vorzustellen.
Unter den weiteren Merkmalen der gemeinverständ-
lichen Tendenz tritt die Beliebtheit von wörtlichen Motiv-
wiederholungen hervor: es ist keine d^
Seltenheit, daß eine Formel wie:
vier Takte nacheinander füllt.
rr-t
34
Daß die Suiten der Engländer in Deutschland bekannt
waren, ist wenig- n
stens wahrschein- ^H f T I f~ T f 1^' f f* i'
lieh: Simpsons:
findet sich im Flori-
legium Georg Muf-
fats in der Gestalt:
In Deutschland bürgert sich die Orchestersuite nach
1600 rasch ein tind durchläuft in vier, chronologisch nicht
streng geschiedenen Stufen ihre erste bedeutende Ent-
wicklung. Nürnberg ist, sowie für das deutsche Chorlied
des 16., so auch für diese alte deutsche Orchestersuite
des 17. Jahrhunderts der Hauptdruckort.
Auf der ersten jener vier Stufen begegnen wir Suiten
als Sammlungen von Tänzen ein und derselben Sorte,
HanftiDAiiB. wie z. B. in Valentin Haußmanns »Neuen Intraden«
von 1604 oder in Erasmus Widmanns »Neuer musikalischer
Kurzweil € von 1618. Wie bei diesem letztgenannten
Autor, so finden sich auf dieser ersten Stufe überhaupt
häufig den Melodien Texte beigegeben. Hier lebt also
noch entschieden die Zeit, in der beim Tanzen auch ge-
subgen wurde; in der späteren Suite macht sie sich durch
Verwendung alter Liedmelodien noch bemerklich.
Dann kommen Hefte mit zweierlei Tänzen; in der
Regel erst eine Anzahl gravitätischer Paduanen, dann
genau oder annähernd ebensoviele neckische, muntere
L. HaAier. GalUarden. Beispiel: L. Haßlers »Neuer Lustgarten«
von 1601.
Auf der dritten Stufe gesellen sich zu den Paduanen
und GalUarden noch Intraden. Das sind marschartige
Stücke, die den Paduanen nahe stehen. Beispiel:
M. Fraock. Melchior Francks Pavanen, GalUarden und Intraden.
Coburgk 1603.
Den Abschluß jener ersten Entwicklung der deutschen'
Orchestersuite bilden Werke in vier Sätzen. Die Wahl
und Folge der Sätze ist bei dieser Stufe verschieden ; doch
haben die meisten zu ihr gehörigen Suiten Paduauen und
GalUarden behaltet). Valentin Hausmann z. B. ordnet so
-^ 35 ♦^
an: Intraden. Passainezzen, Paduanen« Galliarden 1604,
Paul Bäwerl (Pearl) bringt Padnanen, Intraden, Dantz P. PMrt*
und Galliarden (1611) hintereinander.
Erst hier an dieser vierten Stufe stehen wir vor der
Saite im modernen Sinn: Dort, an den vorhergehenden
Stufen, schüttet der Komponist gewissermaßen jede Sorte
massenweiß vor nns hin, zur behebigen Auswahl. Hier
aberreicht er uns fertige Sträusschen. Die Wahl und
Zusammenstellung der Blumen ist das Werk des Geistes
und des Geschmacks eines bestimmten Künstlers, und es
kann nicht fehlen, daß sich das Walten einer höheren
Kunst in dieser neuen Suite noch in weiteren Merkmalen
äaßert. Am meisten ins Auge fällt unter ihnen der
Gebrauch der Variationenform. Sib findet sich bereits bei
Hausmann in der Weise, daß der Passamezzo als Thema
aufgestellt und dann noch in fünf bis sechs namentlich
rhythmisch bedeutend und sinnvoll erfundenen Verwand-
lungen, die ausdrücklich als Variationen bezeichnet sind,
vorgeführt wird. Dadurch gewann die Suite breite Formen
und die Möglichkeit, einen bedeutenden Gedanken näher
auszulegen. Sie hat aber davon immer nur bescheidenen
Gebrauch gemacht und sich in der Regel auf eine Varia-
tion beschränkt Man überließ solche Kunst der Orgel-
komposition und blieb mit der Suite in den Grenzen der
Volksmusik und in erster Linie immer darauf bedacht,
kleine aber sinnfällige Tonbilder zu erfinden.
Daneben gibt es noch eine zweite Art von Varia-
tionssuiten, bei der aber die Variationen undeklariert
unter den üblichen Satznamen passieren. Sie entsteht
dadurch, daß das Thema des Anfangsstücks, vielleicht
einer Paduane, auch für Allemande, Courante und
Galliarde benutzt wird, natürlich nicht wörtlich, sondern
rhythmisch und metrisch umgebildet und mit neuen
Melismen behangen. Der Vorgang ist ein ähnlicher, wie
in der Vokalmesse des 16. Jahrhunderts, durch deren
Sätze sich bekanntlich leitende Themen ziehen. Diese
Art von Variation beschränkt sich oft auf die Umbildung
der beiden Mittelstücke. Bei Peurl, dem Hauptvertreter
3*
--• 36 *^
dieser zweiten Variierangsart finden wir die thematische
Einheit der vier Stücke verhältnismäßig am häofigsten,
zuweilen allerdings nur in sehr zarten Andeutungen er-
kennbar. Die zweite seiner Suiten beginnt
in der Faduane: m^ f t^^TT^
in der Intrade: JLm p H" f [Mp J fjJ I ■■* I "■ 1
im Dantz: j» f "^rr^'fJlA
in der Galliarde: ^ »«■ p | [' fff I Jj .J | J.
Die 3. Paduane: i bft JJ3^p J I ^ T
Intrade: ^l'W |' iJjJpf T f I
Dantz: j^ap iJj tr^^^
Galliarde :
Die 6. Padaane -.jit ff \?'f\\f flUf (' I f
Intrade: ^»»n f T r f'J^ l|'7''''*^
Dantz: JH f \fi J „ I I ;;^ |7 I' I 11*'^=!^=
Galliarde: j^g« f [{'rffif} {• IjE
37
Die 7. Paduane: iif f'n'rp I-Qf .1
Intrade: ijhi|lll rT^J^^^^^-tfny-\
Dante: ^Yt ^ ifffr f iJJl^l
Galiüirde:
Wm
Die 10. Paduane:
Intrade:
Dantz:
Galliarde: |^»8I ^ \\"^rf \^ ^ *f 1=
A.
Die Einheit der Saite als Ganzes, die Zusammen-
gehörigkeit der vier Teile ist von einzelnen Künstlern der
vierten Stufe stärker betont, schärfer zum Ausdruck ge-
bracht worden. Es waren aber Ziele, denen man allge-
mein und von jeher zustrebte; allerdings mit einem viel
bescheideneren Mittel: Man hielt die Sätze in derselben
Tonart, und bei dieser Gleichheit der Tonart ist die Suite
bekanntlich immer geblieben. Das ist nach modernen
Anschauungen fast ein Fehler. Denn wir können in der
Kunst von Abwechslung, Gegensätzlichkeit, Steigerung
und dramatisch anregenden Elementen aller Art kaum
genug haben. Das geht in unserer Tanzmusik bisweilen
bis an die Karikatur. Ganz anders die ältere Zeit. Die
suchte, wenn es sich nicht gerade um Heiligen- und
Märtyrerbilder handelte, in der Kunst ruhige Sammlung
— ♦ 38 ^—
und Erhebung, reihte gern Verwandtes aneinander und
verweilte, den Standpunkt immer nur schrittweise ver-
schiebend, gerne lange in Betrachtung desselben Themas;
Diesem Zuge ruhigen Eindringens kam die Fuge beson-
ders entgegen; er kommt aber auch in dem Tonarten-
verhältnis der Suitensätze zum Ausdruck. Die Tonart
bleibt immer dieselbe ; sie weist gewissermaßen dem Zu-
hörer die Stellung an, die er dieser Kunst gegenüber
einnehmen soll: wie vor der laterna magica leidenschafts^
los genießend, erfreut, erwärmt, aber nie hingerissen und
im seelischen Gleichgewicht gestört.
Noch in einem anderen Punkte stand die Orchester-
suite, vom ersten Auftreten an, künstlerisch bis zur
Musterhaftigkeit fertig da. Das ist die sogenannte Stimm-
führung. Ob man die Suite für 4, Ö, 6 oder 7 Instrumen-
talstimmen schneb, diese Stimmen waren alle als leben-
dige Individuen gedacht, an den Motiven, Themen,
Melodien der Musikstücke ziemlich gleichmäßig beteiligt,
die Hauptgedanken in freien, leichten Nachahmungen
aufnehmend oder mit eignen, zierlichen, anfeuernden
Erfindungen umspielend. Von den KlangefiFekten ihres
Orchestersatzes verwendet auch die alte Suite mit eben-
soviel Vorliebe als Geschick das Echo, ohne das ja —
es sei nochmals bemerkt — weder die Gesang- noch die
Instrumentalkomposition des 17. Jahrhunderts zu denken
ist. Ihm am nächsten kommt der Wechsel von Solo und
Chor. Mit diesem Mittel geht sie unvergleichlich weit
über das in der mehrstimmigen Gesangkomposition der
früheren Zeit übliche Maß hinaus und gibt dem geist-
lichen Vokalkonzert ihres Jahrhunderts unverkennbar
Anregungen und Vorbilder. Diese innere Einrichtung,
dieses innere Leben innerhalb der Stimmen ist eine der
bedeutendsten Züge der alten Orchestersuite: er setzt die
Phantasie des Hörers fortwährend in Bewegung, stellt
sie vor Szenen, als wenn die Menge dem voran schreiten-
den Helden zustürmte, in seinen Ruf einstimmte.
Die oben- aus Peurl beigebrachten Zitate vermögen
vielleicht einen kleinen Begriff vom Geist und vom
--5 39 «^
Charakter der Orchestersuite in ihrer ersten Periode zu
geben. Es ist eine Kunst nach dem Motto: fromm und
fröhlich. Der Fröhlichkeit dienen die drei letzten Stücke
mit sich steigerndem Eifer. Aber auc!i die Galliarde geht
nie bis zur Ausgelassenheit; sinnige Anmut bleibt das
Gebiet, auf dem die einzelnen Sätze einander zu über-
bieten suchen. So, wie wir es aus diesen Tönen hören,
so fühlten und so gaben sich die deutschen Bürgerkreise
am Anfang des 17. Jahrhunderts in ihren frohen Stunden :
aittig und liebenswürdig. Als das eigentümlichste Stück
dieser alten Orchestersuite darf man die Paduane be-
zeichnen. Auch sie ist dem Humor nicht unzugänglich;
ihren Hauptzug bildet aber der Ernst und die feierliche
Sonntagsstimmnng. Sie hat wie die Gabrielische Or*
chestersonate von Haus aus kirchlichen Geist. Einzelne
Tonsetzer, wie der süddeutsch-gemütliche Peurl, setzen
sich über ihn hinweg, ja, es gibt sogar »lustige Padu-
anenc; aber bei der Mehrzahl der* Suitenkomponisten
unserer Periode bleibt doch der gehobene Feiertagston
so sehr das wesentliche Merl^mal, daß M. Prätorius in
seinem Syntagma die Paduanen unter die im Gottes-
dienst brauchbaren Musikstücke einreihen konnte. Die
schönsten Muster solcher erhaben und kirchlich anklingen-
den Paduanen hat Melchior Franck geschrieben*). Der
äußere Aufbau der Paduane vollzieht sich in drei scharf
und klar geschiedenen Teilen. (Die Dreiteilung bildete
auch bei den. übrigen Sätzen der Suite die Regel, Zwei-
und Vierteilung sind Ausnahmen.) Der Umfang des ersten
Teils wechselt von acht oder neun bis zu 20 Takten, der
zweite ist häufig sehr kurz (vier Takte), der dritte wieder
ausgedehnter. Die Paduane setzt immer ruhig, breit und
gehalten ein, in einem Ton, der im Anfang von Wagners
Meistersinger -Vorspiel merkwürdig getreu auflebt. Dann
regt es sich in Figuren, Sequenzen bescheiden aber plan-
*] Aasgewählte Instromentalwerke von Melchior Franck und
Valentin HanBmann Im 16. Band der Penkmäler Pontpcher Ton-
kunst
40
voll and fest, zuweilen in einer etwas steifen Anmnt.
Der zweite Teil schließt entweder an den Anfang an oder
stellt sich mit Motiven der Energie und Kraft in Gegen-
satz zu ihm. Der letzte, der dritte Teil, bringt neue über-
raschende Einfälle in schnellen Noten, die aus allen Ecken
widerklingen. Mit diesem Ende reicht die Paduane der
Weltlust und Fröhlichkeit die Hand. Die ursprüngliche
und alleinige Vertreterin dieser Empfindungselemente in
der Suite ist die Galliarda (Gagliarda italienisch, Gaillarde
französisch). Sie steht immer im ungeraden Takt und
hat in der Regel drei gleich große Teile, deren Umfang
von vier bis zu 16 Takten steigt. Der äußeren Form
nach ist die Galliarda der modernste unter den Sätzen
der alten viersätzigen Suite. Sie liebt die Symmetrie wie
die Wiederholung im Satzbau, und sie zeichnet zweitens
die Oberstimme vor den andern durch reichere Beweg-
lichkeit aus. Zwei reizende Beispiele für diesen ersten
Zug finden sich bei M. Franck:
**'' (Nr. 27 in den Pavanen etc. von 1603)
und bei Haußmann:
i
HfrpOf i'i /^iij I II
L'JiLÜ JJ
0. G— G- D
B
B —
I J* I J« «Irtc
Zugleich auch geben diese beiden Bruchstücke ein
Bild von dem Durchschnittscharakter der Galliarde. Ihn
beherrschen sichtlich noch dieselben mittelalterlichen An-
schauungen Über die Grenzen weltlicher Kunst, denen
sich auch Dichtung und Malerei lange genug zu beugen
*) Der Takt ist hier in moderner Form übersetst.
hatten. Der Ausdruck aller Empfindungen, auch der der
Freude, stand unter dem Gesetz der geseUschafUichen
Ehrharkeit. Im Madrigal noch schüchtern, entschiedener
in der Oper ging die Musik eben erst daran, diese Fesseln
der Sitte zu durchbrechen und sich in der naturtreuen
Darstellung mächtiger Leidenschaften zu versuchen. Die
Instrumentalmusik, die bei dieser Aufgabe bald die wich-
tigsten Dienste leistete, blieb in der Suite durchaus noch
zurückhaltend. Es sind nur einzelne Stellen in den alten
Orchestergalliarden, bei denen der Ton einer neuen Zeit
sich vernehmlich macht, hauptsächlich in der Form er-
regter Rhythmen, die, als sie neu waren, außerordentlich
übermütig und komisch gewirkt haben - .
müssen. So fährt z. B. die Francksche -JJJ J J'^.rfT^
Galliarde, deren erster Teil eben an- y^^^^p^^.
gegeben wurde, folgendermaßen fort: ^ '
Der Galliardengeist lebt auch in der späteren Suite
unter andren Formen und Namen, unter denen nament-
lich Gigue und Menuett hervorzuheben sind, fort, und
noch die neueste Instrumentalmusik sucht ihn festzu-
halten, z. B. die Brahmssche Sinfonie in ihren, das Scherzo
ersetzenden Allegrettis. Aber am mächtigsten wirkt er
doch da, wo er zu Hause ist, nämlich in der Orchester-
suite aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Sie ver-
körpert altdeutsches Leben und Empfinden von einer
Seite, mit der die Gegenwart jeden Augenblick wieder
eine unmittelbare und segensreiche Verbindung anknüpfen
kann. Es sind deshalb nicht bloß kulturgeschichthche,
sondern auch künstlerisch menschliche Gründe, die die
Wiederbelebung und Wiederbenutzung dieser alten Or-
chestersuiten empfehlen. Mindestens ebenso schnell, wie
die alten Armeemärsche es getan haben, würde sie sich
heute wieder einbürgern, und wenn sie in unseren Volks-
konzerten der vielfach köstlichen, aber ebenso vielfach
überreifen Walzer- und Operetlenmusik von Job. Strauß
und seiner Schule den Platz etwas streitig machte, so
würden tiefer blickende Kunstfreunde damit nur zufrieden
sein dürfen. Bisher ist von dem ungeheuren Vorrat von
--» 42 «—
Stimmendrucken alter Orchestersaiten nur wenig in Par-
titur vorgelegt worden. Da bietet sich also dem deatschea
Musikverlag mit den Saiten von Demantias, Moller, Stade,
Pearl etwa eine lohnende Aufgabe.
Unter den übrigen Stücken, die in der viersätzigen
Saite zwischen Paduane und Galliarde entweder vermit-
teln oder den zwischen diesen beiden Hauptstücken be-
stehenden Gegensatz, bald abgeschwächt, bald gesteigert,
wiederholen, kommt die Intrade am häufigsten vor; man
kann sagen, sie bildet die Regel. Das ist deswegen auf-
fällig, weil sie der Paduane so sehr gleicht, daß man sie
fast für einen Konkorrenten von andrer geographischer
Herkunft halten kann. Auch sie hat von Hans aus einen
feierlichen Ouvertürencharakter. Deshalb wird sie von
vielen Komponisten und zwar bis ans Ende des 17. Jahr-
hunderts an die Spitze der Suiten gestellt. Doch hat sie
sich im Laufe der Zeit als ganz besonders verwandlungs-
fähig und für kurzgefaßte, eindeutige Definitionen, wie
sie nach dem Vorbilde Matthesons noch heute in musi-
kalischen Wörterbüchern beliebt sind, schlecht geeignet
erwiesen. Wir haben ebensoviel Intraden im geraden,
wie im ungeraden Takt; ja es kommt häufig bei den in
AlTabreve geschriebenen vor, daß der dritte Teil in ^/t
umsetzt. Job. Grob baut seine Intraden in dreitaktigen
Abschnitten auf, V. Haußmann in zweitaktigen , Franck
mischt beide Arten. Die Freiheit und Mannigfaltigkeit der
Form und des Charakters, in der sie auftritt, hängt sicher-
lich damit zusammen, daß die Komponisten an die Gelegen-
heit und den Zweck dachten, für den sie diese EröITnungs-
musiken schrieben. So sind die. Intraden von M. Franck
alle ganz besonders lebhaft und glänzend: sie waren für
die Hochzeit des Landgrafen Moritz von Hessen bestimmt.
Der Haußmannsche Typus der viersätzigen Suite
herrscht ein reichliches Jahrzehnt, dann wird sie zu-
nächst fünfsätzig. Paduane und Galliarde fangen an,
als dritter Satz folgt eine Gorrente, d. i. ein ^VTakt,
bei den Franzosen etwas unruhig, leidenschaftlich ge-
halten, bei den Italienern mit reichlichem Figurenwerk
— ♦ 43 •—
Tersehen, bei den Deatscheu weich und anmutig, unge-
fähr im Menuettenton von Mozarts Don Juan. Den vier-
ten and fünften Satz bilden AUemande und Tripla.
Die AUemande ist wie der »Dantzc Peurls ein Vierviertel-
takt im Charakter eines Heldenlieds entschieden und
kräftig, die Tripla nichts als eine Variation der AUemande,
eine Umbildung in ungeraden, in der Regel ein ^s-l^&kt
Wie die Allemande durch ihren Liedton auf die Zeit ver-
weist, in der beim Tanzen gesungen wurde, so führt auch
die Tripla auf eine alte Sitte, auf den beim Volk schon seit
dem Altertum beliebten Nachtanz, der ja auch in die
Xünste der Mebtersinger hineingewirkt hat-, /.urück. Die
Tripla bildet einen durch Steigerung, durch Einsetzen
der letzten Kraft ausgezeichneten Abschluß der Suite.
Auch in der Zeit der fünfsätzigen Suite steht der Cha-
rakter, ja sogar der Rhythmus der einzelnen Sätze keines-
wegs unbedingt fest, noch weniger aber bleibt er im
Wechsel der Zeiten derselbe. Wenn Mattheson also z. B.
die AUemande als »das Bild eines zufriedenen oder ver-
gnügten Gemütes, das sich an guter Ruhe und Ordnung
ergötzt«, beschreibt, so trifft das auf die Allem anden des
18. Jahrhunderts meist, für die des 17. nur wenig zu.
Di<^ ausgezeichnetsten Arbeiten in der fünfsätzigen
Orchestersuite hat Johann Hermann Schein in seinen h. SekelB.
Banchetto musicale (1617) geliefert. Diese Sammlung
enthält 20 Nummern, dazu noch eine Intrada für Zinken,
Viglin^ Flöte und Baß und eine Paduane für vier Krumm-
hOmer. Der Wert dieser Scheinschen für allerlei Instru-
mente, >bevorau's auf Violen« zu gebrauchenden Suiten
beruht einmal darauf, daß die Sätze durch motivische
Verwandtschaft sich enger zum Ganzen zusammen-
schließen, zweitens auf der Beweglichkeit von Scheins
Phantasie. Sie äußert sich durch den ganz ungewöhnlichen,
eigentlich stilwidrigen Tempowechsel innerhalb der Sätze
und durch Einführung keck naiver Motive an Stellen, wo sie
nicht erwartet wurden:
So beginnt z.B. eine ^^rJJ i i-i-<^-" ^~^^^*^
seiner Paduanen mit *^ ~ TtTTf T
^
Mit solchen, weit über das von M. Franck Versuchte hin-
ausgehenden Freiheiten nimmt Schein gewissermaßen Ein-
fälle voraus, mit denen nach zweihundert und mehr Jahren
sein Erzgebirgischer Landsmann Robert Schumann die
Würde des zeitgenössischen Sinfoniestils durchbrach. Aber
daß die Suiten Scheins auch an einfacher Anmut und
Innigkeit reich sind, geht schon aus dem ersten besten
Griff in seine Thematik, z. B.
Courante ^^ Allemande.
hervor.
Die Händeischen Klaviersuiten, auch ein Teil der
S. Bachs haben noch die fünfsätzige Anordnung, aber
die Sätze bringen ziemlich viele neue Namen: Prelu-
dien, Sarabanden, Airs, Paßcpieds, Gavotten, Bouröes,
Gavotten, Menuetten, Giguen. Sie sind zum Teü die
Folgen des dreißigjährigen, die Völker durcheinander-
schüttelnden Krieges, er hat in die Instrumentalmusik
etwas Kosmopolitismus hereingetragen. Das zeigt sich
zuerst in der Klaviersuite .bei Ebner und Froberger, aber
bald wird auch die Orchestersuite veränderungslustig,
greift nach neuen Tanzarten und sucht sich zweitens
der höheren Kunst zu nähern.
Mit dieser Annäherung sind am ersten und ent-
schiedensten die Engländer vorgegangen, bei denen
W. Lawes schon 1645 eine fünfsätzige Orchestersuite mit
Continuo veröffentlicht*). In Deutschland beginnt zu
gleicher Zeit der Obergang mit dem ersten Suitenwerke
j.RotenmfiUer. Johann Rosenmüllers, seinen Paduanen, Alle-
manden, Couranten, Balletten, Sarabanden. Die
Galliarde und die Tripla Scheins sind hier verschwunden,
neu erscheinen Ballette und Sarabanden und mit ihnen
französischer und spanischer Einfluß. 1654 kommt eine
zweite Sammlung Rosenmüllerscher Orchestersuiten, seine
»Studentenmusik«. Der Vorrede nach schon in früherer
*) Exemplar Hamburger Stadtbibliothek.
— & 45 0^
Zeit för die Akademische Jugend von Leipzig komponiert,
bringt sie zu Anfang sieben einzelne Paduanen und dann
zehn Suiten mit der Satzordnung: Paduane, Allemande,
Courante, Ballo, Sarabanda, stimmt also mit den Suiten
von 1646 überein. Aber neu ist, wenigstens ffir Deutsch-
land, daß zu den Orchesterinstrum enten auch ein Basso
continuo hinzutritt. Das, bedeutet Mitwirkung eines Cem-
balo oder eines ähnlichen Akkordinstruments, Umzug aus
der frischen Luft in den geschlossenen Raum der Kammer
oder des collegium musicum. Rosenmtiller besteht dem
Anschein nach nicht auf diesem Basso continuo, sondern
will ihn wohl nur für den Fall empfohlen haben, daß
die Suiten, wie er anheimstellt, statt mit fünf nur mit
drei obligaten Instrumenten (Violen) besetzt werden. Er
schwankt also, kurz gesagt, zwischen italienischer und
deutscher Praxis; nach lezterer war die Suite für Instru-
mente Orchestermusik, nach ersterer Kammermusik, von
einem Geiger, einem Flötisten, oder von einem Geiger-
paar mit Unterstützung eines Cembalisten ausgeführt.
Die Italiener des 17. Jahrhunderts veröffentlichen deshalb
auch ihre Suiten nicht wie die Deutschen unter dem
Namen des Anfangssatzes, als Paduanen oder Intraden,
sondern sie heißen bei ihnen in der Regel Sonate da
camera. Diesen Titel trägt nun auch die nächste
Sammlung von Suiten, die Rosenmüller 1670 zu Venedig
veröffentlicht: Sonate da camera cioe: Sinfonie, Alle-
in an de, Correnti, Balleti, Sarabande da sonare con 6 strö-
men ti da arco ed altri etc.*). Hier ist also Rosenmüller
einen Schritt weiter gegangen: er stellt es nicht ins Be-
lieben, ob die Suiten fünfstimmig ohne Continuo oder
dreistimmig mit Continuo gespielt werden sollen, sondern
er kombiniert deutsche und italienische Praxis, diese
vertritt der Continuo, jene die fünfstimmige Besetzung,
die nach dem Schluß des Titels >ed altri« sogar noch
— etwa durch Beigabe von Bläsern — gesteigert werden
*] Neudruck (herausgegeben von K. Nef) in Denkmäleru
D. T. Bd. XVUI.
_^ 46 V-
darf. • Noch wichtiger aber ist an diesem Hefte Rosen-
miillers der Ersatz der Paduane durch eine Sinfonie und
zwar durch eine breit entwickelte umfangreiche Sinfonie,
die deutlich aus dem Typus der spezifisch Venetianischen
' Opernsinfonie herausgearbeitet, feierlich und spannend
mit breiten Akkorden, Fermaten und Generalpausen be-
ginnt, dann erregt mit scharfem Wechsel langsamer und
schneller Perioden fortfährt und als Mittelpunkt des Ton-
bildes eine der für die Venetianische Oper so charakte-
ristischen volkstumlichen Barkarolenmelodien (V2 Takt'
hinstellt, die ja noch Händel so liebt Sie macht noch
einmal der Reprise des Adagio-Allegro Platz, schließt
aber dann die ganze Sinfoäie. Mit den Violinsonaten
Franz Bibers bilden also diese Sonate da camera Rosen-
mtUIers das erste Beispiel von der Einwirkung des Musik-
dramas auf die Instrumentalmusik: Formen, die aufs
engste mit dem Theater und mit ganz besonderen dra-
matischen Eigenheiten zusammenhängen, und die nur in
diesem Zusammenhang einen Sinn haben, werden im Ver-
trauen auf die sichere und starke äußere Wirkung in
einen ganz fremden Boden verpflanzt. Mit der Rosen-
müllerschen Sinfonie war in der Suite die Einheit des
Stils und der volkstümliche Grundcharakter vernichtet,
die Gattung bezahlte die scheinbare Bereicherung mit
einem frühzeitigen Untergang.
Mit Rosenmüllers Sonate da camera ist die Zeit der
alten deutschen Orchestersuite im Stile Haußmanns vor-
bei; unter den vereinzelten Nachzüglern, die sie noch
i. Fexel. vertreten, verdient Johann Pezel besondere Beachtung.
Auch das Leben dieses Tonsetzers scheint sehr bewegt
verlaufen zu sein : er war in Präg Augustinermönch, ehe er
als Stadtpfeifer erst in Bautzen, dann in Leipzig zur Musik
kam, Seine Suiten waren neben denen von Peurl und dem
Hamburger J. Schop bis ins 18. Jahrhundert hinein die
beliebtesten und verbreitetsten. Wenigstens für die deutsche
Schweiz ist das. durch Karl Nef nachgewiesen worden ♦].
'*') Karl Nef, Die Oollegla muslca in der dentscben lefor-
mierten Schweiz ... St. Gtllen 1897.
-♦ 47 «^
Es sind frische und anmutige Kompositionen, die sich
besonders durch Schlichtheit des Ausdrucks empfehlen;
sie halten am Variieren der alten viersätzigen Suite
noch soweit AlleniAiide
\{ |i|| illflTi IM I l| II
^ern je zwei ^ ^
benachbar- Coannte. j. _
teSätzever. ig f | r f F^f iP [ |l | I | I Jl| I |gi
binden, Z.B. **
oder . Ebensoviel Interesse wie die
^ Bau«. ^^ Musik verdienen die Titel von
w " f* 1* (*' Ü"! 1* 1^ p=p=f^- Pezels Hauptwerken: »Leip-
^ I I I • LI taf ^.g^^ Abendmusik* (1669)
Sawtonda. ^^^-^ . ,^ - '^"^ »Fünfstimmige
f ' f M ^^f * P r-f-i^' blasende Mjisik
(1686). Denn sie zeigen
uns den gesellschaftlichen Boden, auf dem die Suite
zar Blüte kam und zugleich das musikalische Kleid,
in dem sie am liebsten einherging. Die ältere Zeit ver-
brauchte viel mehr Musik unter freiem Himmel, als
ansere Gegenwart, die sich nerven mörderischen Ma-
schinen- und Wagenlärm ruhig gefallen läßt, aber jede
Art von Musik, von Kunst überhaupt, prinzipiell in die
Häuser sperrt. Wo es in früheren Jahrhunderten in der
Gemeinde oder in der Familie etwas zu feiern gab, den
Einzug, den Aufenthalt von Standespersonen, bei Um-
zügen, Volksfesten; Kindtaufen, Hochzeiten, Geburtstagen,
Jubiläen, da schickte man nach den Stadtmusikanten,
den Pfeifern, nach dem »Hausmannc und seinen Leuten,
die von den »Aufwartungen« auf Plätzen, Straßen und
Gärten, bei Festen und Schmausen ihre Haupteinnahmen
hatten, und ließ Suiten spielen. Weil die Orchestersuite
in erster Linie Platz-, und Straßenmusik und nicht Kammer-
musik war, blieb sie im Gegensatz zur Klaviersuite bei
den volkstümlichen Satzformen, deshalb setzte man sie
auch vorzugsweise für Blasinstrumente, am liebsten Cor-
netten und Posaunen. Peurl, Haußmann und andre Ver-
treter de/ viersätzigen und fünfsätzigen Suite bemerken
^
--♦ 48 «^
allerdings aaf den Titeln gern »sonderlich auf Violen zu
gebrauchen«. Aber diese Bemerkung ist wohl meistens
nur eine captatio beneyolentiae, ein frommer Wunsch,
vom Ehrgeiz eingegeben. Denn die Streichmusik war am
Anfang des 17. Jahrhunderts das Neueste und galt fQr
etwas Besonderes. Der Stil der Stimmen zeigt nur selten
eine ausgesprochene Violinennatur. Das sind die Ver-
hältnisse, die Pezel noch einmal in seiner »Blasenden
Musik« veranschaulicht; die »Leipziger Abendmusik«, ob-
wohl sie 17 Jahre älter ist, steht dagegen unter moder-
neren Einflüssen, vielleicht unter demselben fortschritt-
lichen Lokalgeist, der wie vordem auf RosenmOUer noch
bis auf Bach und Hiller auf die Leipziger Musiker gewirkt
hat. Die zwölf Suiten der Abendmusik haben' Basse
continuo und sind mit Ausnahme der letzten, bei der
Pezel, wie das auch bei andren vorkommt, seinen ganzen
noch vorhandenen Vorrat an geeigneten Tänzen, in der
Höhe von 17 Stück ausschüttet, in sieben Sätze geteilt,
nämlich Sonata, Allemande, Courante, Ballett, Sarabande,
Brandle, Gigue. Neu und möglicherweise eine Nachwir-
kung der englischen Führung in der deutschen Orchester-
suite ist die Brandle; ihr künstlerisches Gepräge erhält
die Abendmusik durch den Ropfsatz, die Sonata, die wie
bei Rosenmüller von der Venetianischen Opemsinfonie
ausgeht, aber die Gegensätzlichkeit im Aufbau etwas
übertreibt.
Zwei wichtige Suilensammlungen, die ebenfalls in den
Rosenmüllerschen Kreis gehören, sind die »Deliciae musi-
cales« des Regensburger auch durch Lieder bekannten Kan-
II. KradMthAiUr. tors Hieronymus Kradenthaller und Jakob Scheiffel-
J. Seheiireihiit. jj u ts »Lieblicher Frühlingsanfang«. Die Suiten des ersteren,
I67Ö neun Nummern, und 1676 zwölf Nummern stark in
Nürnberg erschienen, bestehen aus Sonatina, Arie, Sara-
bande, Aria und Gigue, die Scheiffelhuts, 1685 in Augs-
burg, acht an Zahl, veröffentlicht, haben Preludium, Alle-
mande, Courante, Ballo, Sarabande, Ana, Gigue. Das
Preludium Scheiffelhuts und die Sonatina KradenthaUers
bringen unter andrem Namen die Rosenmüllersche Sin-
49
<te--
fonie. nea ist in den beiden Sammlungen die Aria, unter
der Scheiftelhut einen langsamen, Kiadenthaller einen
achaellen Satz versteht, aber beide Komponisten bauen
ihre Arien auf ausgeprägt französische Rhythmen, in
denen sich zum erstenmal in der deutschen Orchester-
. soite der Einfluß Lullys und seiner »Airs« äußert.
Scheinbar gehört in die Gruppe der Sonaten- Suite
auch der undatierte, aber nach den Lebensumständen des
Komponisten zeitlich in die Nähe Rosenmüllers fallende
Hortus musicus des Hamburger Adam Reincken'*'). A. Reinckcn.
Denn die Suiten dieser Sammlung beginnen ebenfalls
mit einer Sonata und lassen, ihr AUemand, Courant und
.Saraband folgen, eine Gigue schließt. Aber Reincken
überrascht uns mit einer ganz neuen Art von Sonate:
Sie besteht aus drei Teilen, einem Adagio von ungefähr
20 Takten, einer durchschnittlich 50 Takte langen Allegro-
fuge und einem gegen 40 Takte betragenden Satz, in
dem zweimal ein langsames mit einem schnellen Tempo
wechselt. Dieser dritte« Teil, bei allen sechs Suiten des
hortus, der schönste, ists allein, der noch am Zusammen-
hang mit Rosenmüller und der Venetianischen Musik fest-
hält, im übrigen sind die Sonaten Reinckens der Opern-
ouverture Lullys nachgebildet. Die deutsche Orchester-
suite begnügt sich nicht mehr mit der Einfügung einzelner
französischer Elemente, sondern sie begibt sich ganz unter
die Herrschaft der französischen Musik. Bald folgt ihr
auch das deutsche Lied auf diesem Wege. Das deutlichste
Merkmal der neuen Herrschaft bildet die dreiteilige Ouver-
türe als Kopfstück der Suite, aber darüber hinaus hat
sich in allen Sätzen ein vollständiger Wechsel des Stils
vollzogen. Die Gigue ist ein Fugensatz, alle andren Tanz-
sätze sind kunstvoller und reicher an kontrapunktischer
Arbeit geworden, vor allem aber sind die Suiten Reinckens
Musik für Streichinstrumente und wurzeln mit der Er-
findung ganz in der Natur der Violine. Am deutlichsten *
*) Nengednickt als 13. Stück der Maatschappij asw., her-
ansgegeben von Riemsdijk.
Kretzschmar, Fahrer. I, 1. 4
-^ 50 <w-
zeigen das die Schluß teile der Sonate, in denen Solo-
violine und Solocello konzertieren, erst innig singend,
dann in glänzender Technik dahinsansend. Eine ganz
individuelle Marke trägt der Hortns in der Neigung zu
ostinaten Stellen.
Das erste Werk, das sich offen zum französischen
A. steffavi. Stil bekennt, sind AgostiniSteffanis »Sonate da camera«
von 1679. Sie stellen an die Spitze eine französische
Ouvertüre in Lnllys Stil. Dann folgt mit 16, zum Teil
j. B. K«iser. zehnsätzigen Suiten, Johann SigismundKusser für
acht Streichinstrumente. Sie sind 1682 in Stuttgart als
»Composition de musique suivant lamäthode fran^aise
contenant Ouvertures etc.« veröffentlicht worden. Alle
beginnen mit dreiteiligen Ouvertüren im Stile LuUys
und zeigen dessen Einfluß auch in der Bevorzugung
Von Air und Chaconne, wahren aber motivisch und im
Charakter eine so bedeutende Selbständigkeit, daß sie,
wie fast jede Note Kussers, durch einen Neudruck all-
gemein bekannt gemacht zu werden verdienen. Unter
seinen Nachfolgern muß der Rudolstädter Kapellmeister
ph. Erlcb»eli. Philipp Erlebach hervorgehoben werden. Seine 1693
zu Nürnberg veröffentlichten Suiten tragen den Titel:
Sechs Ouvertüren nach französischer Art. Wie in der
Haußmannschen Zeit Pavanen oder Intraden, werden von
jetzt ab auf hundert Jahre die deutschen Orchestersuiten
auf dem Markt — wiederum nach dem Namen des An-
fangssatzes — als Ouvertüren ausgeboten. Die Ouver-
türen im modernen Sinne heißen in der Regel Sinfonie.
Besiegelt und allgemein gültig wurde der Obergang
ins französische Lager durch die Orchestersuiten' von
Georg ttttirftt. Georg Muffat. Sie füllen zwei Sammlungen, von denen
die erste als »Florilegium primum« in Augsburg 169ö, die
zweite als »Florilegium secundum« in Passau, wo der
Komponist am bischöflichen Hofe als Kapellmeister und
Pagenhofmeister angestellt war, 1698 erschien. Der erste
Band enthält sieben, der zweite acht Suiten oder, wie sich
Muffat, als Sohn seiner Zeit, auch hier poetisch ausdrückt:
Fasciculi, d. i. Bündel. Der Name, den die deutschen
Musiker am liebsten für die Orchestersuite brauchten, war:
Parthey oder Partie. Die 16 Saiten umfassen 112 Sätze,
in der Regel bilden sieben einen Faszikel. Die Besetzung
ist für alle funfstimmiges Streichorchester: Violine, Viola,
Baß, dazu Violetta und Quinta Parte, jenes eine kleinere,
dieses eine größere Sorte Bratsche als die heute gebräuch-
liche. Zu diesen Streichinstrumenten kommt noch der
bezifferte Basso continuo, also die Begleitung des Cem-
balo, die ja seit Rosenmüller schon eingebürgert war.
Mit Ausnahme von zweien steht an der Spitze aller Fas-
ciculi eine regelmäßige französische Ouvertüre, drei-
sätzig, wie sie Lully eingeführt hatte: Anfang und Ende
langsam, in der Mitte eine bewegte Fuge. Einmal ist
dieser Typus der französischen Ouvertüre durch einen
Rivalen, eine italienische Sinfonie ersetzt. In den Tänzen
selbst zeigt die Muffatsche eegen die alte deutsche Or-
chestersuite der ersten Periode einen künstlerischen Rück-
gang: Von thematischer Verbindung sich folgender Sätze.
vom Variieren ist keine Rede mehr; nicht um Einheit
handelt es sich, sondern um eine Vielheit scharf geson-
derter Gestalten. Mit einigem Rechte darf man die Buite
Georg Muffats Renaissancesuite nennen. Eines der Haupt-
ziele aller Renaissance, die Steigerung des individuellen
Gehalts im Kunstwerk, erscheint als ihr Hauptziel. Des-
halb liegt es Muffat fern, wie seine Vorgänger eine be-
schränkte Anzahl von Tanzarten immer zu wiederholen:
Er hat die gebräuchlichsten Arten seiner Zeit, Gaillarde,
Courante, Sarabande, Gavotte, Passacaille, Bour^e, Me-
nuett, Gigue — die zweite Suite des zweiten Florilegium
bringt sie in der angegebenen Reihenfolge zusammen — ;
es treten zu ihnen noch Allemande, Canaries, Chaconne,
Contredanse, Rigaudon, Rondeau, Traquenard, Entröe,
Ballett, Air. Aber in der Mehrzahl von Muffats Suiten-
sätzen wird auf jedes bekannte Schema verzichtet, der
Komponist geht neuen, oft verwegenen Aufgaben nach
und sucht sie mit den besten Mitteln zu lösen. Besonders
das zweite Florilegium entrollt ein äußerst buntes Stück
Programmusik, einen Ausschnitt aus den Flegeljahren
4*
-^ 52 4^
dieser Richtung, der alles überbietet, was sonst aas
Frobergers nnd Couperins Zeit bekannt ist. Spanier,
Holländer, Engländer, Italiener, Franzosen, Kavaliere,
Bauern, Dichter, Tänzer, Fechtmeister, Gendarmen, Köche,
Schornsteinfeger, Genien und Gespenster — alles will
diese Musik malen können, auch körperliche Gebrechen,
die dem Ton und dem Rhythmus ersichtlich keinen Än>
knüpfungspunkt bieten : Einen Lahmen kann der Kompo-
nist andeuten, aber einen Bucklichteh?.
An solchen Mißgriffen hat die Renaissance weniger
Schuld, als die französische Oper. Durch die Bedeutung,
die in ihr die Balletts hatten, kam die choreographische
Kunst auf den geschichtlichen Gipfel ihrer Leistungsfähig-
keit und ihres Selbstvertrauens und mutete folgerecht
auch ihrer Gehilßn, der Musik, gelegentlich unmögliche
Dienste zu. Den Zusammenhang mit Ballett und Tanz
bekennt Muffat in den — in lateinischer, deutscher, ita-
lienischer und französischer Sprache geschriebenen —
Vorreden seines Florilegiums. Die Fasciculi seien, sagt
er, bei den Festen des Passauer Hofs, beim Konzert
(»Instrumenten-Zusammenstimmung« übersetzt er das-,
beim glänzenden Empfang hoher Gäste, vornehmlich
aber auch bei den Tanzübungen der adligen
Jugend aufgeführt worden. Die Stücke des zweiten
Florilegiums nennt er geradezu Balletts, und man siebt
ihnen in der Mehrzahl die Herkunft vom Theater, von
der Pantomime nicht bloß an einem Punkte an. Hier
Verrats die Überschrift der ganzen Suite, sie ist der Titel
eines Schauspiels oder eines Balletts, dort wird an einer
Stelle gesungen, dort gar mit Pistolen geschossen.
Wir haben es also bei diesem Suitenwerk Muftats mit
Ballettmusik nach französischem Muster zu tun. Wieder-
holt nennt er Lully als sein besonderes Vorbild. Ihn er-
reicht er auch ziemlich, übertrifft ihn in der Arbeit, aber
mit Händel und Gluck darf man ihn nicht vergleichen,
wie das neuerdings geschehen ist*); am allerwenigsten
*) L. StoUbrock: Georg und Gottlieb Muffst. Rostocker
Dissertation 18SS.
--• 53 «^
mit Rameau. Das deutsche Element überwiegt in seiner
Musik mit seinen Vorteilen und Nachteilen! Seine Kunst
braucht etwas Platz. Darum sind die längeren Sätze die
besten, wie die vereinzelte Passacaille in der 3. Suite des
zweiten, der Rigaudon in der nächsten Suite desselben
Bandes. Desgleichen zeichnen sich auch, wie man es
Ton dem Verfasser des Apparatus musico-organisticus er-
warten darf, die Fugen in den Ouvertüren durch eine
vollendete Natürlichkeit und Leichtigkeit aus. Muffats
Talente liegen auf der Seite des Gemüts und der an-
mutigen Heiterkeit. Als einer der vorzüglichsten Melo-
diker des melodienreichen 17. Jahrhunderts, Lully an
diesem Punkt weit überragend, schreibt er in den Ein-
leitungen xler Ouvertüren, in der Form von Sarabanden
nnd Airs langsame Sätze, die sich in die Seele des Hörers
auf lange hineinsingen. In den Giguen, Menuetts und
den ihnen verwandten Satzarten hat er wenig Neben-
buhler; in den Giguen namentlich ist er oft völlig neu,
erinnert an das 19. Jahrhundert mit der phantastischen Be-
weglichkeit und der ungewöhnlichen Metrik seiner Weisen.
'*'S?^ .— L Aber die Kunst
des Pointieren s,
der frappanten
Erfindung, in der die Größe und die Eigentümlichkeit der
Franzosen ruht, ist MnfTats Sache nicht. Kleine Malereien
gelingen ihm manchmal: Ganz ergötzlich gibt er z. B.
einmal das Lärmen der Messer wieder, mit denen Fleisch
geklopft und gehackt wird, trefflich ist an derselben Stelle
— zweite Suite des zweiten Florilegiums — die Lustigkeit
der Küchenjungen gezeichnet. Aber viel, viel häufiger
sind die Beispiele verfehlter Ähnlichkeit: Die Bauern
baben dieselben Züge wie die Kavaliere und Gespenster.
um unter die Größen der Tonmalerei sich zu erheben,
ist die Rhetorik des Komponisten zu bescheiden und zu
sehr auf Wiederholungen in allen drei Elementarreichen
der Musik angewiesen.
Noch weniger, wie zwischen den Titeln der Einzel-
sätze und ihrer Musik, läßt sich eine Obereinstimmung
--♦ 54 ♦^
zwischen den ÜberschriXten der ganzen Saiten und ihrem
musikalischen Charakter feststellen. Es ist schon erwähnt
worden, daß diese Überschriften im zweiten Florilegium
oft Namen von Theaterstücken sind; im ersten sind sie
in der Mehrzahl reine Rätsel. Nur bei dem vierten und
dem sechsten Stücke, die Impatientia und Blanditiae
heißen, lassen sich ohne Gewalt einige Beziehungen
zwischen den Werken und den Namen nachweisen.
Auf die Enttäuschungen, denen der moderne Hörer
der Muffatschen Suiten entgegengeht, hinzuweisen, ist
deshalb zeitgemäß, weil die beiden Florilegien unlängsl
in Partiturform neugedruckt worden sind*}. Schon vor-
her sind in den Leipziger Akademischen Orchesterkon-
zerten die Blanditiae aufgeführt worden und nach andern
Stellen weiter gedrungen. Die MufTatsche Musik ist trotz
der nötigen Einschräixkungen geschichtlich und künst-
lerisch wert gekannt zu sein. Wer sie aufführt, muß
aber wissen, wie weit die Notep wörtlich bindend sind
und wo sie der Ergänzung bedürfen. Von sonstigen Frei-
heiten des Vortrags alter Musik abgesehen, arbeiten die
Suiten MufTats, wie die Instrumentalmusik und der Solo-
gesang ihrer Zeit im allgemeinen, mit einem sehr großen
Apparat von Verzierungen und Spielmanieren, die nicht
gedruckt wurden und die die heutige Musik nicht mehr
kennt. In der Vorrede des zweiten Florilegiums gibt
MufTat darüber den deutschen Musikern, denen dieser
Zierrat noch etwas fremd und neu war, genaue An-
weisungen. Nach ihnen muß der Dirigent die StimüTen
erst ausarbeiten. Der ganze Charakter dieser Musik wird
durch diese »Agrements« und Ornamente mit bestimmt
Aus ihnen spricht der an Kleinleben unerschöpflich reiche,
vermittelnde, glättende, allezeit graziöse Geist des Rokoko.
Der heute so beliebte große Ton, die langen Noten, die
weiten Intervalle waren ihm raube und rohe Erscheinun-
gen ; durch eingelegte Gänge, durch ein beständiges Gleiten,
*) Denkm&ler der Tonkunst In österieicb, Band I, 2 und
II, 2. Wien 1S94 und 1S95.
— • 65 ♦—
Schleifen und Trillern setzte er ihre Wirkungen außer Kraft
Aii€h ein guter Klavierauszug der Florilegien müßte mit
dieser Stileigentömlichkeit rechnen.
Muifat verfolgte mit der Veröffentlichung seines Floh-
legiums noch höhere, kunstgeschichtliche Zwecke. Es
sollte in Deutschland d^r französischen Schule die Herr-
Schaft über die italienische gewinnen. Die Italiener pfleg-
ten seit dem Anfang des Jahrhunderts mit großem Eifer
das Konzert Von ihm, namentlich von dem ihm inne-
wohnenden Hang zu »unmäßigen Läufen und Sprüngen«,
zu virtuosen Äußerlichkeiten und zu allerhand Blendwerk,
fürchtete Mafifat für den musikalischen Geist der Zukunft
mit Recht ernste Gefahren und suchte ihm, allerdings viel
SU spät, durch die nach seiner Meinung viel solidere und
gesündere Kunst der französischen Charakterballetts den
Weg nach Deutschland zu versperren. Das gelang nicht;
bereits 1701 hat Muffat selbst zwölf Instrumentalkonzerte
nach italienischem Muster drucken lassen, aber es unter-
liegt keinem Zweifel, daß, soweit es sich um Violinen,
Cembalo und französische Ouvertüre, also um die An-
näherung an die höhere Kunst, an Konzert und Kammer-
musik handelt, das Florilegium für die Orchestersuite in
Deutschland vorbildlich geworden ist
Es hat sich bis nach Schweden verbreitet und ist
erst durch das Exemplar in Upsala wieder bekannt ge-
worden, es wird in der Vorrede des bald zu erwähnen-
den Zodiacus neben dem »Journal du printemps« und
neben des »Pythagoreischen Schmidts Fünklein« als die
bedeutendste Sammlung von Orchestersuilcn hervor-
gehoben.
Der Komponist jenes »Journal du printempst ist
der in alter und neuer Zeit wegen seiner Klavierstücke
gefeierte Badische Hofkapellmeister Kaspar Fischer, k. Fischer.
Die 1695 zu Schlackenwerth veröfTenllichte, seit kurzem
nengedruckte*) Sammlung enthält acht Suiten, die alle
mit einer französischen Ouvertüre beginnen und dieser,
*) Denkmller D. T., 10. Band (herausgegeben v. £. v. Werra).
je nachdem drei bis sieben Tänze bekannter Art oder
Ballettsätze mit eignen Oberschriften folgen lassen. Von
letzterer Art kommen vor: Air des Corobattants, Trac-
quenard. Fischer hält seine Sätze auffallend kurz, selbst
die Ouvertüren ; nur die Chaconnen und Passacaille, die
, fast in keinem Stücke fehlen, macheu eine Ausnahme..
Von allen Suitenkomponisten, die zum Kreise Muffats
gehören, ist er der am stärksten' französisch gefärbte,
selbst für die Instrumente wählt er gallische Bezeich-
nungen, und der leichte, galante Charakter seiner Musik
geht nicht über die Ansprüche hinaus, denen die durch-
schnittlichen Kostgänger der LuUy sehen Oper gewachsen
waren. Jedoch erfmdet er frisch, entwickelt fließend und
hat koloristisch besonderes zu bieten. Seine Suiten sind
sämtlich Trompetensuiten, sie verwenden die Trompeten
glänzend und sind überhaupt im Klanglichen außerordent-
lich reich an Abwechslung und an natürlichen, wirkungs-
vollen Einfällen. Ersichtlich hat ihm hierfür die Bekannt-
schaft mit dem Konzert genützt, nach dessen Muster ist
in allen Sätzen die Ablösung von großer und kleiner Be-
setzung, von Trio und vollem Chor durchgeführt.
Die das »Pythagorische Schmids Füncklein« 'i'
repräsentierenden sieben Suiten, deren Komponist der
B. Mftyr. Münchner Hofrausiker Rupert May r ist, gehören eigent-
lich zur Avantgarde Muifats, denn sie sind schon 1692
(zu Augsburg) erschienen und bekennen sich in der Mehr-
zahl noch zu Rosenmüller und zur Venetianischen Sin-
fonie, wie. Mayr in einem 1678 erschienenen »Arion
sacer«, einer Art Pendant zu Kuhnaus biblischen Historien,
sogar noch ganz im Haußmannschen Typus arbeitet Die
Satzzahl in Mayrs Füncklein reicht von vier bis sieben,
in der Benennung der Sätze tritt der Ballettcharakter
sehr zurück, im Stil herrscht eine solide Polyphonie, im
Charakter Innigkeit und deutsches Wesen. In dieser
letzteren Beziehung berührt er sich mit dem eben ange-
♦) Vgl. Beruh. Ulrich: Die » Pytbagoriachen Schmids Fünck
lein« (SammelbSnde der I. M. G. IX, 7 5 IT.)
--» 57 ft>-
führten Zodiacus, derjenigen Sammlung von Orchester-
saiten, welche die größte Ausbeute treuherzigen und
naiven Humors ergibt. Sie ist 1698, ebenfalls zu Augs-
burg, mit bloßer Andeutung des Verfassers durch I. A. S.
erschienen. Neuerdings erst ist festgestellt worden*}, daß
sich unter diesen Buchslaben ein im übrigen unbekannt
gebliebener Musiker namens Schmierer birgt. Die Zahl J. a. Schmierer,
seiner Suiten, die er Parthyen nennt, beti'ägt sechs, jede
hat acht Sätze, an der Spitze immer eine französische
Ouvertüre und die Allemande in der Regel im langsamen
Tempo. Die letzte Suite bringt ein schönes, gesang-
mäßiges Stuck unter dem Titel »Melodie«. Fischern ähnelt
Schmierer in der Ausnutzung konzertierenden Stils.
. Noch gehört in die Umgebung des Florilegiums eine
Suitensammlung, die 169ö (in Nürnberg) als »Goncorso
discordia« veröffentlicht worden ist Ihr Komponist ist
Anton Aufschnaiter, der Ende des 17. Jahrhunderts a. Anftchnaiter.
zu Passau als Kapellmeister lebte und darnach sehr wohl
zu Muffat direkte Beziehungen gehabt haben kann. Auf-
schnaiter spricht nicht wie seine Kollegen von Komödien
und Balletten, sondern bestimmt seine Suiten ausdrück-
lich zu Serenaden, zu Ständchen im Freien zu spielen.
Deshalb haben sie keinen Continuo. Die Suiten sind
sämtlich fünfsätzig, vier haben am Kopf eine französische
Ouvertüre, je ein^ eine Chiaconne und ein Entröe. Musi-
kalisch erfreuen sie durch sehr gute melodische Quali-
täten. Daß die deutsche Orchestersuite sich im letzten
Viertel des 17. Jahrhunderts unter die französische Füh- FranzSsische
rung stellt, ist das Werk Lullys. Allerdings hat, wie man Suiten.
sich aus der Sammlung Ecorchevilles*'^) überzeugen kann,
die französische Orchestersuite schon früher in Musikern
wie G. Dumanoir, Mazuel und andren Mitgliedern der
sogenannten petits violons sehr begabte Vertreter und in
der Menge der Sätze und deren vorwiegend zweiteiligem
*] A. .Göbler: Die Moßkataloge im Dienste der musikali-
schen GeschichtsfOTSchnng (SammelbSnde d. I. M. G. III, 29 \ f!.).
♦♦) Jules Ecorcheville: Vingt Suites d'Orcbestre 1906.
— ^ 58 ♦—
Aufbau ihre besonderen Züge gehabt Aber sie kann
weder durch ihr Wesen noch durch ihre Entwicklung
einen Vorrang beanspruchen: die Tänze sind die auch
in Deutschland gebräuchlichen öder bekannten und ihre
Aneinanderreihung hält sich in .Frankreich sogar länger
auf einer dem HauGmannschen Typus entsprechenden
Stufe, als in Deutschland, der Venetianische Einfluß be-
rührt sie gar nicht. Erst Lully lenkt die Aufmerksamkeit
der deutschen Suitenkomponisten auf Frankreich und
bekehrt sie zu den Ouvertüren. Im übrigen ist die Stelle,
an der sich das national französische Suitentalent am
glänzendsten zeigt, der Balletteil der Opern. Da braucht
man sie nur herauszunehmen und zusammenzustellen.
Oft bietet eine einzige Szene das gesamte Material zu
einer vollständigen Suite; denn Charaktertänze und Bal-
letts bilden den Grundstock und oft die reichliche Hälfte
der Musik in der älteren französischen Oper. So sind
denn früher schon einzelne Sätze aus Lullys und Ra-
meaus Opern mit Erfolg ins Konzert gebracht worden*).
Neuerdings ermöglicht die Ausgabe von drei »Balletl-
J . P. BaneM. suiteuc**} R a m e a u s ein bequemes Studium dieses Meisters.
Sie sind dazu bisher noch wenig benutzt worden, wahr-
scheinlich deshalb nicht, weil nur sehr wenige Musiker
und Musikfreunde eine Ahnung von der Bedeutung Ra-
meaus haben. Wie er im allgemeinen ohne jedes Be-
denken der größte Tonsetzer Frankreichs und ein eben-
bürtiger Zeitgenosse von Händel und Bach genannt
werden darf, so ist er auf dem besonderen Gebiet der
Suite, des poetischen Charakterstücks, der* geschmack-
vollen Programmusik geradezu unvergleichlich. Er ver-
*) Lully: »G^ldbre Gavotte« and Menuet de Bourgeois
Gentilbomme; Rameau: Musette et Tambourin des »Petes
d'H<n)tf<, Rigaudon de >Dardanus«, fragments de »Castor et
Pollnxc in Gevaerts Repertoire des SocUttfs phübarmonlques.
**) Drei Ballettsuiten aus Acante, Zoroaster und Platte.
Leipzig, Rieter-Biedermann. Den hier versuchten Titel »Balleti-
suite« hat sich inzwischen auch Felix Mottl zu eigen gemacht
— ♦ 59 4>^
tritt, gegen Lülly und Muffat gehalten, eine nene Zeit
und eine Kunst, die die Schönheitsideale der Claude
Lorrain und Poussin mit dem Realismus der Niederländer
zu verbinden weiß. Groß und vielseitig im Erfinden,
besonders originell im Humoristischen, im Anmutigen und
Innigen, ist er im Gestalten ein echter Virtuos. Er spielt
mit der Form und gewinnt ihr nach allen Seiten voll-
endete, hier durch Breite und Umfang, da durch Feinheit
der Verschlingungen überraschende Neubildungen ab. In
seiner Melodik, in seiner Rhythmik, überall wimmelt es
von ganz eigenen, schönen und fesselnden Einfällen;
nicht am wenigsten in seiner Instrumentation, in der wir,
bdspielsweise m der Pizzicato-Gavotte von Ȁcanthe et
Cephisec, Klangwirkungen begegnen, die vor ihm nie-
mand gehabt hat und die heute, nach hundertundfünfzig
Jahren, von ihrer Frische nicht das geringste eingebüßt
haben. Hier kommt er in der Zeit und im Rang unmittel-
bar nach Monteverdi. Wenn die Franzosen noch heute
in ihrer Oper der Ballettmusik eine Stellung einräumen,
die die Deutschen nicht begreifen, so ist das die Nach-
Wirkung Rameaus. Wagners Ballettmusik zum Pariser
Tannhäuser war ein Opfer, nicht dem Jockeyklub, son-
dern einer großen . historischen Tradition dargebracht.
Auch Gluck hat sich ihr beugen müssen, und erbat sie c.w.v.Gluck.
heb gewonnen. Waren lange Zeit der »Furientanz c und
der »Reigen seliger Geister« aus Orpheus die einzigen
Beiträge zur Suite, die man von ihm kannte, so ist das
neuerdings anders geworden. Wur haben da u. a. die
Ballettmusik aus >Paris und Helena« von ihm vor-
liegen, Mottl hat als >Ballettsuite« Stücke aus ver-
schiedenen Opern GIiTcks zusammengestellt; auch der
größte Teil seines 1761 geschriebenen Balletts >D o n Ju an«
ist vor einigen Jahren in Form einer viersätzigen Orchester-
suite dem Konzert zugeführt worden*}. Dieses Ballett
brachte pantomimisch dieselbe Handlung mit denselben
Personen und in derselben Szenenfolge zur Darstellung,
*) Leipzig, Breitkopf & HaxteL
'
— ^ HO <>>-
die später Mozart als Oper komponiert hat. Gluck hat
viele Sätze ans diesem Ballett für nachfolgende Opern
benutzt, die HöUenfahrtmusik z. B. ist der »Furientanz«
geworden. Mehrere) namentlich unter den kleinen und
kleinsten Stücken des »Don Juan« haben einen hohen
Klangreiz, so das Pizzicatoständchen der Bauern. Neben
Wien war Stuttgart unter Karl Eugen ein Hauptplatz für
solche Ballettpantomimen: von den hier entstandenen
F. Deller, Arbeiten Dell er s und Rudolphs*) haben neuerdmgs die
J. Bvdolph; Denkmäler Deutscher Tonkunst reichere Proben gebracht
Neben der neuen Mulfatschen Violinensuite bestand
natürlich die alte Bläsersuite noch weiter und so lange
fort, als.es noch Ständchen und allerhand »Aufwartungen«
im Freien gab. Sie begegnet uns noch in den Divertisse-
ments, Cassationen und ähnlichen Kompositionen Haydns
und Mozarts. Auch G. F. Händeis Feuer- und Wasser-
musik gehörten ursprünglich zu dieser Klasse von Suite.
Die Violinen und die Ouvertüren sind ihnen erst später
zugesetzt; die Feuermusik hat heute noch kein Cembalo.
Handel, Die Feuermusik kam bei einem Hoffest, das sich
Feoermiuik. durch ein brillantes Feuerwerk auszeichnete, am 27. April
1749 zur ersten Aufführung. Was den Londonern an der
Musik gefiel, war die außerordentlich starke Besetzung
der Blasinstrumente,. welche die Feuerwerks-Musik aus-
zuführen hatten. Nur selten mochte bis dahin eine solche
Harmoniemusik aufgestellt worden sein: 9 Hörner, 9 Trom-
peten, 24 Oboen, 12 Fagotte, 3 Pauken. Das Hauptstück
der Suite ist jetzt die glänzende Ouvertüre, mit ihrem
freudelachenden, farbenprächtigen Allegro, welches über-
raschender Weise nach dem zweiten Lento nochmals
einsetzt. Die übrigen Sätze haben einfachen Tanz- und
Liedstil: Im Anschluß an die entsprechenden Bilder des
Feuerwerks tragen einzelne Überschriften: der schöne,
weiche Sicihano heißt »la paix«, der darauf folgende
Marsch, in dem die Trompeten wieder an die Spitze
HMiidel, treten »lar^jouissancet. Die Wassermusik, eine Suite
Wassemausik. von nicht weniger als 20 kleinen Stücken, ist mit einer
*) Herausgegeben von Herrn. Abert. D. D. T. Bd. 43/44.
61 ^^
Anekdote verknüpft: Freunde Händeis, der bei Georg I.
in Ungnade gefallen war, veranlaßten, daß der König
bei einer abendlichen Vergnügangsfahrt auf der Themse
mit dieser Musik überrascht wurde. Der König erriet
den Verfasser der vielstimmigen Ovation* und wendete
dem Komponisten seine Huld von neuem zu. Noch weniger
als die Feuermusik darf man die Wassermusik so ohne
weiteres ia unsem heutigen, an - philosophische Offen-
barungen gewöhnten Konzertsaal verpflanzen. Das -sind
durchweg leichtere Unterhaltungsstückchea heiterer oder
anmutiger Natur , aber durchaus für den Zweck entworfen,
einer fröhlichen Gesellschaft) die abends auf der breiten
Themse fuhr, in gehörigen Zwischenpausen zum besten
gegeben zu werden; bei gehöriger Kürzung und Einrich-
tung wird jedoch die Suite mit dem Reize ihrer Horn-
und Trompetenklänge ein einsichtiges Publikum auch
heute noch staunen machen und erfreuen.
Lange Zeit waren Feuer- und Wassermusik nur aus
alten, unglaublich verstümmelten, englischen Ausgaben
bekannt. Der 47. Band der Händelausgabe Chrysanders
bringt die Werke zum ersten Male in reiner Form.
Wenn einer von den vielen Kunstmusikern, die sich
von der Mitte des 17. Jahrhunderts ab der Suite zuwen-
deten, berufen war, in' dieser von Hause aus so volks-
mäßigen Gattung etwas Ausgezeichnetes zu leisten, so war
es sicherlich Seb. Bach, dessen Familie, durch die vielen
tüchtigen Rats- und Stadtmusikanten, die sie den thürin-
gischen Ländern Generationen hindurch stellte, mit dem
alten anheimelnden Pfeifertum verwachsen erscheint,
Bach, der selbst in seinen verschlungensten Kunstwerken
die Neigung zum Volkstümlichen bald mit grandiosem
Humor, bald in kindlicher Naivität durchblicken läßt.
Bach hat bekanntlich sehr viele Klaviersuiten geschrieben,
Orchesterpajrtiten haben sich bis jetzt leider nur vier*)
gefunden, was wir um so mehr bedauern müssen, als in
♦) Sie sindlm 3 1 .Jahrg. d. Ges.- Ausg. v. Bachs Werken (durch die
Bachgesellsebaft) unter dem übl. Titel »Onvertiirent veröflFentlicht.
— • 62 «^
der Mehrzahl derselben der alte einfache Saiten geist in
einer Reinheit und Stärke zum Ausdruck kommt, die
andern Tonsetzem nicht erreichbar war.
Entschieden lehnt sich Bach in seinen Orchestersuiten
an die Tanzformen: Nur der erste Satz — eine regel-
rechte französische Ouvertüre von drei S&tzen mit der
Fuge in der Mitte — gehört, nach MufTatschem System,
j. s. Baeh, der Runstmusik an. Dann kommen Gavotten, Menuetten,
Suiten. Bouröes, Giguen, Tanzweisen aus aller Herren Ländern
in voller Naturtreue, kaum ein wenig idealisiert: fippige
Melodien und gebieterische, markante Rhythmen.
j. 8. Baeh, Die erste dieser Saiten in Cdur hat außer der Ouver-
C dur-Suite t^re eine Courante, Gavotte I und 11, Forlane, Menuett I
^'* ^'' und II, Bour^e I und II und 2 Passepieds.
Die Forlane ist ein venetianischer Tanz in gleich-
' mäßig ruhiger, breiter Bewegung. Hier wird die führende
Melodiestimme:
von einem Perpetuum mobile der zweiten Violinen und
Bratschen begleitet; die Bässe stehen wie Zuschauer
daneben und tun nur das Nötigste um Harmonie und
Rhythmus zu skizzieren. Die Besetzung der Suite geht
über MulTat hinaus, sie besteht aus Streichquartett und
dem bekannten Bläsertrio: 2 Oboen und Fagott. Letzteres
ist in alter Weise häufig solistisch und konzertierend ver-
wendet. In bezug auf die Erfindung gehört diese Cdur-
Suite nicht zu den hervorragenden Werken Bachs. Sie
charakterisiert mehr die Zeit als den speziellen Meister.
Die Biographen setzen sie in Bachs Köthener Periode.
J.S. Back, Dieser gehört auch die Hmol^-Suite an, deren eigen tüm-
Hrooll-Suite ücher Zug in der Verwendung der Flöte besteht, welche
^' *^* als einziger Vertreter der Bläserfamilie dem Streichor-
chester gegenübergestellt ist. Doch hat man sich nach
alter Praxis, mit Ausnahme der speziell als Solo bezeich-
neten konzertierenden Stellen, eine chorweise, jedenfalls
mehrfache Besetzung dieses Instruments zu denken oder
63
aber, man f&hrt die Saite als Kammennusik auf, nimmt
nar eine Flöte und doppeltes Streichquartett*). In der
HmoU-Suite lebt sehr viel Grazie. Das Thema ihrer Fuge ist:
4 J B r II r M r r c 1
r r 1
' t r \r '-rr=r-
1 i LJ
Dem ersten Satze folgt, ein Rondeau, das einigermaßen
kunstmäßig durchgeführt ist und die einfachen Suiten-
maße äberschreitet Seine Grundmelodie malt aber das
bestimmte Tanzbild handgreiflich genug:
ii**n u fr 1,1 rrrr
In der darauf folgenden Sarabande f&hren die Ober-
stimmen mit dem Basse einen Kanon in der Unterquinte
durch. Die weitern Sätze sind 2 Bour^es, eine Polonaise,
bei der Bach, da Polonaisen noch ziemlich neu und un-
bekannt waren, ausnahmsweise eine Tempobezeichnung
angibt: »Moderato«, ein Menuett und eine keck dahin-
flattemde Badinerie. Die Hmoll-Suite hat als künstleri-
scher Beitrag zur Kulturgeschichte noch ihren Neben-
wert Das geschniegelte, fein abgezirkelte Wesen der
eigentlichen >Gesellschaft« in der Zeit des Reifrocks und
der Perücke mit Zöpfchen ist hier so fein und mit einem
so behaglichen Humor gezeichnet, als es nur jemals ein
Chodowiecki gekonnt hätte. Den Verfasser der Matthäus-
passion, den Schöpfer der protestantischen Kirchenkantate
zeigt die Hmoll-Suite von einer selteneren Seite, als einen
vollendeten Kenner und Darsteller höfischen Geistes und
höfischer Künste, als einen Weltkundigen, der die Eti-
quette bis auf den unscheinbarsten pas beherrschte.
Die beiden andcen Suiten Bachs stehen in Ddur und
sind beide in Leipzig geschrieben, möglicherweise für den
Telemannschen Musik verein, einen der Vorläufer des
*) Es gibt von diesem Werk eine Ausgabe von H. ▼. Biilow,
die aber der fiaebschen Musik dorch unnatürliche Phrasiening
Gewalt antut
--♦ 64 41^
jetzigen Gewandhauskonzerts, den Bach von 1729—36
dirigierte. Es sind S0.genannte Trompetensuiten, Suiten
mit dem vollen Orchester der Bachschen Zeit. Sie waren
eine Zeitlang das Neueste und Vornehmste, was in dieser
Art Musik zu haben war. Wie das große Geläute, mußten
sie, wie schon bemerkt, besonders bestellt, bewilligt und
bezahlt werden. Daß Bach in Leipzig als Suitenkompo-
nist volkstümlich geworden war, beweist die von Spitta
dem »Tableau von Leipzig im Jahre 1783« entnommene
Mitteilung, in der es bei der Schilderung der Kirmes zu
Eutritzsch heißt: >Daß Chor Musikanten streicht wacker
zu; debiitiert mit Sonaten von Bach und s(5hließt
mit Gassenhauern«. Diese Sonaten können nur die Or-
chestersuiten oder Teile daraus gewesen sein. Bei den
Laien, und auch bei den gewöhnlichen Orchestermusikern
war und blieb »Sonate« der Uuiversahiame für mehr-
sätzige Kompositionen jedweder Art.
J.S.Bach, -Die erste- dieser beiden Ddur-Suiten ist auch heute
D dar Suite wieder populär. Wir wollen nur die Anfangstakte ihrer
(Nr. 8). Ouvertüre hersetzen:
. Gravc. ^
Das Weitere, die in Aiie^ro
heiterster Kraft dahin- ,|L,ppJ3^^p^^|[j;;^^
schäumende Fuge, die v uu k-u
entzückende, in selige Abendstimmung getauchte Air'^),
Lentg. f ^ . <ii6 energischen Gavotten und
< '" |T r-l^ r r r r r ^ ^ l ^^^ ^^^ no(i\i dazu gehört :
Bour^e und Gigue, das alles
steht jedem Musikfreund mit der losen Skizze vollständig
vor der Erinnerung. Es ist fast unvermeidlich, diese
Musik, die aus dem frischsten Quell entsprungen ist, sich
zu merken. Ein äußerst glücklicher Griff war es, daß
*} Sie vird in der bekannten WilhelmjscTien Bearbeitnng
für SoIovioUne darch die Transposition auf die tiefen Saiten
im Oharakter eiitatellt.
«
Mendelssohn (im Jahr 1838} gerade mit diesem Werke
den als Orchesterkomponisten ganz vergessenen Groß-
meister in den Gewandhanssaal und damit in ^as Konzert-
leben der Gegenwart znrückfährte. »Er wiegt uns samt
and sonders auf dem kleinen Finger« schrieb Schumann
unter dem frischen Eindruck der Aufftihrung dieser Suite. *
Die andre Suite in Ddur hat entweder unter der Be- J. 8. Dteh,
rühmtheit ihrer Schwester oder aber unter der Bequem- ^^''®^***
lichkeit der Dirigenten bisher zu leiden gehabt. Noch ehe ^'' **
sie in der Bachausgabe erschien, hat sie (1881) Roitzsch
bei Peters in Partitur herausgegeben. Trotzdem ist sie
so gut wie unbekannt geblieben. Brenet, der französische
Geschichtsschreiber der Sinfonie nennt sie gar nicht. Und
doch ist sie in doppelter Beziehung sehr interessant:
einmal durch ihren Eigenwert, zweitens durch den
Vergleich mit der andern Ddur-Suite, der in der Ouver-
türe wenigstens sich aufzwingt. Hier ist die Verwandt-
schaft der beiden Werke eine eminent nahe; im lang-
samen Satze sind die Motive nahezu identisch, -nur in
der Behandlung unterscheiden sie sich. Wie die erste
Ddur- Suite in ihrer Air, so hat diese zweite in der
zweiten Bouröe einen Treffer, der nie versagen wird.
Das ist ein ganz eigenes Stückchen Bachscher Melancho-
lie; in heite- ^^
y»'L"r^r ^dr nf r i'i
ge der Oboe:
um sie herum der beunruhigte Solofagott und der lau-
schende und aufmunternde Chor!
Die Fuge in der Ouvertüre mit dem Thema:
<JB"iii'rnfT>irf7f1^iT?if.rfj'f-nffi^a
E
ist von Badi in der Weihnachts-Kantante »Unser Mund
sei voll Lachens« zum Chore umgebildet Bach ließ die
Instrumente wie sie waren und komponierte Singstimmen
darüber hinzu. Die weiteren Sätze dieser zweiten Ddur-
Suite sind, soweit sie nicht schon erwähnt wurden:
Bouröe I, Gavotte, Menuette con Trio und ein »Röjouis-
Krttssehmar, FUhnr. I, 1. 6
-^ 66 ♦—
sance« benannter Finalsatz. Die Instrumentierung ist
in dem ganzen Werke mit besonderem Bedacht ausge-
führt; ein Teil der Wirkung der Komposition fällt in ihren
Bereich allein. Für die moderne Praxis macht allerdings,
abgesehen von der Notwendigkeit, die drei Oboen jede
* mehrfach zu besetzen, der Trompeten chor große Schwierig-
keiten, Schwierigkeiten, die noch bedeutender sind, als
. die (in den Originalstimmen wenigstens] gefärchteten der
bekannten Ddur-Suite Nr. 3.
Trotz des starken Verbrauchs an Orchestersuiten sind
im 18. Jahrhundert keine mehr gedruckt worden. Auch
die Bachschen lagen bis auf unsere Zeit nur handschriftlich
vor. Unter den Zeitgenossen Bachs, die sich der Suite
widmeten, ist der Weißenfelser Philipp Krieger mit
seiner > Feldmusik < (1704) "*) hervorzuheben. Der frucht-
U. P. TeUMftBv. barste ist Q. P. Telemann, der unter dem Pseudonym |
Melante ganze Bände gedruckter oder handschriftlicher
Suiten — man spricht von 600 — hinterlassen hat, die
sich auf zahlreiche Bibliotheken unter der Rubrik »Ouver- |
türen« verteilen. Viele davon sind Programmusiken, I
eine hat den Titel »Musique de table«. Neben ihm ver- {
dient der als kirchlicher Tonsetzer wohl heute noch be- |
J.D.Selemk». kannte Job. Dismas Zelenka, ein geborener Böhme und
mit S. Bach zugleich zum Hof- und Kirchenkomponisten
der Kapelle in Dresden ernannt, Beachtung. Die vor-
malige musikalische Privatsammlung Sr. Majestät des
Königs von Sachsen besitzt von Zelenka eine Trompeten-
suite in F, über deren Humor wohl schon das Fugen-
thema der Ouvertüre:
unterrichtet. Was ist das fQr ein drolliger Ein-
fall, sich auf dem Sechzehntel-Motiv festzu-
rennen, und was gibt das für einen grotesken Scherz, wenn
*) Zwei Partien daraus neagedrackt In Eitnen Monats-
heften (29. Jahrgang^.
--♦ 67 4^
die Oboen in Terzen sich mn die Stelle abmühen! In dem
guten Blick und der Vorliebe für lustige Nebenmotive haben
wir einen Zag, an dem die slavische Musik noch heute zu er-
kennen ist. Mit der Ouvertüre teilt ihn auch der Schlußsatz
▼onZelenkas Suite, eine »Folie«, mit folgendem Hauptthema:
AUegro • aus dem im Ver-
<^M r J J]73|rrfMr?^' I^ljy ^^"^ ^^^ ^^i^^
ir ■ «J^ i| u i I I yQj^ Anfang des
dritten Taktes bevorzugt wird. Diese Folie ist sehr lang
und eifrig durchgearbeitet, ein Zeichen, daß die höhere
Kunst in der Suite sich nicht mehr mit der Ouvertüre
begnügen wollte, daß man das Wesen der Suite nicht
mehr recht verstand. Freilich war bereits die Ouvertüre
ein Fremdkörper in der Gattung, und es war nur folge-
richtig, daß man wie den Kopfsatz auch andre Teile der
Suite auf ein höheres Niveau zu heben suchte. Das
Journal du prinptemps und derZodiacus fuhren zu diesem
Zweck in den Tanz- und Ballettsätzen das konzertierende
Element, den Wechsel von Soli und Tutti, von Triobeset-
zung und vollstimmigen Orchester ein. Der erste Kompo-
nist, der einen entschiedenen Schritt weiter geht, ist wohl
der berühmte Verfasser des Gradus ad Parnassum, der
Wiener Oberkapellmeister Josef Fux in seinem »Con- joief F«z.
centus mu5;iro instrumentalisc von 1701. Die in diesem
Werk enthaltenen Orchestersuiten folgen Fischer und
Schmierer im Konzertieren und variieren sogar diese Vor-
bilder u. a. mit virtuosen Fagottsolis, aber sie greifen
darüber hinaus tief in den Aufbau und in die Natur der
Suite ein, indem sie die Einheit der Tonart aufgeben,
Bdur z. B. mit GmoU, Dmoll mit Ddur abwechseln, vor
allem aber dadurch, daß sie gelegentlich, sei es in der
Mitte "oder am Ende der Suite, einen Tanzsatz oder ein
Lied durch eine regelrechte muntere Fuge ersetzen. Im
übrigen gehören die Suiten von Fux*) zu den köstlichsten
und interessantesten Leistungen im Bereich des Mufifat-
*) Eine In D moU nnd eine in B dm in den DenkmElern
der Tonkunst in östeirelch IX, 2.
6*
^
--• 68 ♦—
sehen Typus. Fax belebt die Form, indem er ein Ällegro
mit einigen Takten Adagio unterbricht, fQr den Klang
sorgt er darch eine ausgearbeitete Dynamik, in der
reizende Echos eine Hauptrolle spielen; was er aber
nach der volkstümlichen Seite bietet, mag der Anfang
des Passepieds in der Bdur-Suite, das die Beischrift:
»Der Schmiede trägt,
i^'V \ftl\t r[ ll'liifili l*^-«-
veranschaulichen.
Die Weiterbildung des Muffatschen Suitentypus ist
demnach schon vor Zelenka da, er erfährt aber bald
auch eine Rückbildung, die mit seiner Auflösung und mit
dem vorläufigen Ende der Suite abschließt. Bedeutungs-
voll f&r diesen Prozeß sind zunächst die Suiten (Ouver-
PantftleoB. türen) Pantaleons. Das ist der Dresdner Klavier- und
Violinspieler Pantaleon Hebenstreit, der durch die Er-
findung einer neuen Art von Hackebrett, die er mit seinem
Vornamen belegte, weltbekannt wurde. Bei ihm verliert
die Ouvertüre den französischen Charakter, er gibt die Fuge
auf und hält den Ouvertüre.
Mittelsatz als ein- ,_^h^- J_ > |J J. J^ | >)
faches, lustiges AI- Vr ^ " V y s
legro. Dafür kehrt
er zu der Methode ^ , Air de Chaconne.
Peurls und Scheins 2. A'ttlf » J J | J J -^ T J "^ I ^
zurück und ver- ^ f f* f' f
knüpft dieOuvertüre
motivisch mit den „ Pluu i, J j JH | il I J |
beiden folgenden Vr * p ♦ -« » - y
Suitensätzen,zB*): * ^ fr'
Den Schluß bildet eine Bouröe mit Menuett als Mittel-
satz, die ihr eigenes thematisches Material hat Ver-
knüpfungen aber zwischen den drei ersten Sätzen der
Suite finden sich auch bei Zeitgenossen Hebenstreits.
*) Dartnstädter Hofbibliothek in Mms. 3895, Nr. 1.
— • 69 ♦—
•
Auch Johann Friedrich Fasch, der Zerbster Hof- F. FMch.
kapellmeister, einer der bedeutendsten Saitenmeister,
schreibt neben vollständig französisch gehaltenen Onver-
tfiren andre, die wie die Hebenstreitschen die Fuge fallen
lassen, and drittens solche, die aus einem einzigen Satze,
einem freien AUegro bestehen. In diesem letzten Falle liegt
eine Abwendung von französischer und Hinwendang zu ita-
lienischer Kanst, insbesondere zu dem Konzert der Italiener
vor. Eine B dar- Suite*; Faschs bestätigt das gewisser-
maßen thematisch, denn das Hauptthema ihrer Ouvertüre:
Alle^ro V igt inj italieni-
ji't'Mli ffjjuijii
sehen . Konzert
eine Art Aller-
weitslhema and als solches unter andren auch von
Seb. Bach für das dritte Brandenburgische Konzert auf-
gegriffen worden. Es verdankt die noch bis Mendels-
sohn nachweisbare BeUebtheit augenscheinlich seiner
Wandlungsfähigkeit Die folgenden Sätze haben bei
Fasch teils Ballettüberschriften, wie »Jardiniers«, teils ver-
zichten sie auf jede Bezeichnung ihres Charakters. In
ihrer Instrumentierung machen sich, wie bei Fux die
begleiteten Fagottsoli, romantische Stellen für das Hörn
bemerkbar; auch das ist eine Annäherung an die alte
Haußmannsche Suite, der Serenadencharakter macht sich
wieder geltend. Die Satzzahl schwankt bei Fasch, er
bevorzugt einen Aufbau von sechs und acht Sätzen, hat
aber auch kürzere, und bei seinen Mitarbeitern taucht
wieder die alte viersätzige Suite auf. Von dem Nürn-
berger Johann Pfeiffer haben wir eine solche vier- joh. Pfeiffer,
sätzige Homsttite, die fo'gendermaßen anordnet: a) Ouver-
türe, b) Andante, c) Allegrezza, d) Ailegro e Vivace. Setzt
man da statt der Allegrezza einen Menuett ein, so ist die
Haydnsche Sinfonie fertig. Als interessanterVertreter dieser
Suite am Ende derGattung ist noch Christoph Förster*'*';
•) Ebenda: Mms. 3871, Nr. 1..
^ S. Hugo Biemann: Die französische Oavertüre (Cr-
chestersüite) in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhanderts
(MusikaUsches Wochenblatt 1899).
--• 70 «^
ZU nenneD. In Norddeutschland und Mitteldeutschland
wird in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die
Orchestersuite auch in den Handschriften immer sel-
tener. In Süddeutschland und Osterreich lebt sie weiter,
aber auch hier wird der Muffatsche Typus nur von
einer Minderheit, in der sich in freierer Weise der Böhme
Frani Ton». Franz Tum a*) hervortat, vertreten. Die Mehrzahl
der Komponisten' pflegeii die Gattung in einer neuen
Mischung von Volks- und Kunstmusik, bei' der französi-
sche Ouvertüre, Cembalo und großes Streichorchester
gefallen sind. Salzarten und Instrumente deuten noch
entschiedener als in der Hanßmannschen Zeit auf den
Gebrauch im Freien und- bei Aufwartungen und Ständ-
chen hin. Den Aufmarsch der Musikanten markiert eine
einsätzige Introduzione, die zuweilen gleich als Marcia
bezeichnet ist, das Ende der Huldigung und den Abzug
der Spieler meldet ein Finale, das immer aus einem
besonders flotten Allegro besteht. Die Zahl der Sätze
schwankt zwischen vier und acht, fast nie fehlt unter
ihnen ein Menuett, zuweilen findet sich dieser Lieblings-
tanz der W«rther- und Luisen zeit auch zweimal an seiner
Seite die Polonaise. Einen weiteren Unterschied gegen
die Haußmannsche Periode bildet die Verwendung obli-
gater Soloinstrumente und die Einlage virtuos konzer-
tierender Episoden, zu denen gelegentlich auch der Kontra*
baß herangezogen wird. Ferner ist die Einheit der
Tonart gefallen, mindestens in einem Satz kommt die
Unterdominante zu Ehren. In der Führung der Instru-
mente zeigt sich der Einfluß des Quartetts und der neuen
Kammermusik, Nachahmungen sind sehr beliebt, und zu-
weilen wird ein hübsches Allegretto in einem ganzen
Zyklus von Variationen ausgekostet. Diese neuen Suiten
haben verschiedene Gattungsbezeichnungen: Kassation,
. Serenata, Divertimento. Mit dieser letzten ist ihr
• Wesen am besten bezeichnet, denn immer sind sie eine
*) Proben aus Tnmaschen Suiten bat In KlaTleraupzfigeD
0. Mimidt veroffentUckt
Quelle feinsten Vergnügens und Behagens für Gemüt and
Phantasie, kleine Feste der Anmut, der Liebenswürdigkeit,
des Scherzes und der Schäkerei Träumerei, Pathos und
Innigkeit liegen ihnen femer, aber als Bilder artigen Froh^
Sinns gehören sie zu den Dokumenten der Zeit und bilden
eine Ergänzung der Haydnschen Sinfonie nach der Seite
■chlichten Bürgertums. Waren sie bis jetzt in unseren
Notenschränken nur durch die ziemlich unbeachteten
Betträge Wolfgang Mozarts vertreten, so steht mit
der eben beginnenden Gesamtausgabe der Werke Jos.
Haydns eine sehr beträchtliche Vermehrung zu erwarten.
Aus einem solchen Haydnschen Divertimento für Blfiser
ist der originelle Chorale St Antoni entnommen , über
den Brahms seine bekannten Orchestervariationen ge-
schrieben hat Auch der Salzburger Michael Haydn
ist ein meisterlicher Vertreter dieser neuen Suite, sein
Divertimento in 6 aus dem Jahre 1785 "*) kann, wenn man
seinen beschaulich biederen Humor mit den gleichzeitigen
Scherzgedichten vergleicht, wieder einmal als Beleg da-
für dienen, daß man das echte Deutschland des 18. Jahr-
hunderts nicht bei seinen Vor-Goelheschen Poeten, sondern
bei seinen Musikern suchen muß. Auch Leopold Mozart
hat über dreißig solche »große Serenafen darinnen für
verschiedne Instrumente Solos angebracht sindc geschrie-
ben, doch sind sie verschollen.
Eine besonders reich angebaute Klasse bilden unter
den Divertimentis des ausgehenden 18. Jahrhunderts die
»Divertimenti a tret. Mit ihrer kleinen Besetzung
kamen sie auf der einen Seite den Verhältnissen der
untersten Gassen- und Schenkenmusik entgegen, auf der
andren reizten sie die höhere Komposition, sich an be-
scheidenen Mitteln zu erproben, und fanden so den Weg
in die Kammermusik. Hier vertritt sie heute noch Beet-
hovens Streicherserenade.
Neben die Gabrielische Orchestersonate und neben
die Suite tritt schon bald im 17. Jahrhundert als eine
*) Denkm&ler der Tonkansi in Österreich XIV, 2.
72 ♦--
dritte Gattung Belbständiger Orchestermusik die Sin-
fonie.
Das Wort Sinfonie führt uns einige Jahrtausende za-
rück: Die griechischen Theoretiker gebrauchen es zuerst
in dem Sinne eines melodischen Intervalls; bei den mittel-
alterlichen Musikschrifistellern erhält es, von Hncbald,
von Guido von Arezzo ab, die Bedeutung des Zusammen-
klangs, des Akkords. Zur Bezeichnung eines wirklichen
Musikstücks kommt es wohl zum ersten Male im 16. Jahr-
hundert auf der von Riemann*) mitgeteilten »Leipziger
Symphonia«, einer auf den Gegensatz von Andante und
Allegro gebauten, für Instrumente und Singstimme be-
stimmten Komposition vor. Im 16. Jahrhundert endlich
erscheint das Wort auf den Titeln von Kompositionen
allgemein poetisierend: Waelrant 1594: Symphonia an-
gelica, Engelsklänge, G. Gabriel! 1597: Sacrae symphoniae,
fromme Klänge, Adr. Banchieri 1607 : Ecclesiastische Sin-
fonie, geistliche Klänge. Es bergen sich zunächst unter
diesen Sinfonien Sätze von ganz verschiedener Form,
vokale und instrumentale. Erst in der Oper wird die
sionteverdii Sinfonie ausschließlich Orchestermusik. In Monteverdis
Siafoniw. Qrfeo werden Szenen und Akte durch Orchestersätze von
mäßiger Länge (6, 10, 12 Doppelakte] eingeleitet und ab*
geschlossen, die als Sinfonien bezeichnet sind im Gegen-
satz von andern, die Strophen eines Gesangs vorbereiten-
den Instrumentalsätzchen, die Ritornello heißen**).
Wir haben also hier Sinfonien zum ersten Male im Sinne
kurzer, instrumentaler Einleitungen. So wird das Wort
bekanntlich noch lange, bis in die Zeiten der Bachschen
Kantaten gebraucht. Mattheson kennt es fast nur von
dieser Seite. Diese Monteverdischen Sinfonien, die zum
Teil in ihrem feierlichen und erhabenen Charakter noch
einen deutlichen Zusammenhang mit der Kirche und mit
*) Hugo Riemann: Handbuch der Masikgesehlchte H, 1,
S. 207 u. ff.
**) Alfred Heaß: Die Instramentalstücke de« »Orfeoc
(SammelWnde d. I. M. G. lY, 176 u. fj.
--^ 73 *^
Galnieli haben, gehören mit zu den bedeutendsten M5he-
pankten in der Kunst des groBen italienischen Meisters.
Ein solches Mittel zur Beseelung der Handlung hatte bis
dabin keine Art von Drama besessen. Auch der Chor
der griechischen Tragödie bleibt dahinter zurück. Denn
diese Monteverdischen Sinfonien gaben nicht bloß der
Stimmung an wichtigen Stellen mächtigen Ausdruck,
sondern sie verknüpften auch entfernte Szenen in einer
innigen poetischen Weise, die neu war, die später ver-
gessen und erst durch Komponisten unsrer Zeit, ins-
besondere durch R. Wagner wieder entdeckt wurde. Eins
der schönsten Beispiele für diese Verwertung der Instru-
mentalmusik bietet Monteverdis Orfeo*] im dritten Akt:
Qie Sinfonie, unter deren schauerlichen Posaunenklängen
hier Orfeo zum Hades hinabsteigt, hören wir in dem
Augenblick, wo Charon den Bitten des Sängers weicht
zum zweitenmal: jetzt aber gedämpften Tons im Brat-
schenkolorit Unter den nächsten Nachfolgern Monte-
verdis ist Giulia Caccini als Vertreterin dieser kleinen
szenischen Sinfonien zu bemerken; in der Venetianischen
Schule zeichnet sich Cavalli darin besonders aus. Ihm CaTalUi
gelingen namentlich malerische Aufgaben, die Schilde* Sinfonien.
rang eines Sonnenaufgangs, einer Fahrt auf ruhigem
Meer (Sinfonia navale in »Didone«) ganz herrlich.
Eine Hauptbedeutung gewann die Oper für die Sin-
fonie von dem Augenblick ab, wo die Sinfonie zur Er-
öffnung der Mosikdramen verwendet wurde. Schon Monte-
verdi hat diesen Versuch gemacht. Doch blieb man noch
lange dabei, die Handlungen mit einem gesungenen Pro-
log einzuleiten. Erst in der Venetianischen Schule, etwa
▼on 16fiO ab, haben alle Opern Instrumentalprologe und
zwar mit dem Titel Sinfonie. Mit diesen Venetianischen Venetianischc
Opemsinfottien — auf sie wird in dem Bande über die Sinfonie.
Ouvertüre näher einzugehen sein — beginnnt dieGe-
*) Der Orfeo Monteverdis ist teilweise im 10. Bande der
»Pablikationen der Gesellschaft für Musikforschungc veröffent-
licbt worden.
— » 74 4^
schichte der modernen Sinfonie und zwar ist diese
Jagendzeit einer ihrer rtthmlichsten und gehaltvollsten
Abschnitte. Es sind Kompositionen von mäßigem Um*
fang — von 35 bis zu 70 Takten — und nur einsätzig;
aber, durch Wechsel von Takt und Tonart scharf und
reichgegliedert, bergen sie innerhalb dieses einen Satzea
einen mannigfaltigen Inhalt, eine verhältnismäßig große
Reihe von Bildern, die in der Regel ebenso wirkungsvoll
wie natürlich aneinanderschUeßen. Im Vergleich zar
Gabrielischen Sonate führen sie in eine viel buntere und
gestaltenreichere Welt und schildern neue Aufgaben mit
neuen Mitteln. Die ge- ••.••• mit denen noch Händel
brochenen Rhythmen: LLLT und das 18. Jahrhundert
Erregung und Unruhe wirkungsvoll zeichnen, die General-
pausen und Fermaten sind hier heimisch. Denn wie sie
anekdotenhall und unruhig waren, so waren diese Vene-
tianischen Opern auch an Wundern und Schrecken, an
Spannung, Entsetzen und Überraschungen aller Art mehr
als reich. Allen diesen Eröffnungssinfonien war auch
ein feierlicher, langsamer, breiter Anfang gemeinsam, der
zuweilen in der Mitte und sehr häufig am Ende wieder-
kehrt, ein Tribut von dem Komponisten der Verwandte
Schaft zwischen Musikdrama und griechischer Tragödie
gezollt!
Aber viel stärker als die typischen treten an diesen
Venetianischen Sinfonien die individuellen Zöge hervor.
Gerade darin liegt ihr Hauptwert, daß sie immer ein Bild
von dem Drama geben, dem sie vorangestellt sind; das
macht sie unter einander so verschieden, gibt den ein-
zelnen ihr scharfes, charaktervolles Gesicht. Man weiß
aus diesen Sinfonien ohne weiteres, was im 'Drama zu
erwarten ist: ob Krieg und Kampf, Schauer und Unglück,
oder ob heitre und elegische Elemente die Oberhand
haben. In knapper Form entwickeln sie einen reichen
Inhalt, aus dem deutlich und beherrschend, wie der Berg
aus der Ebene, ein Hauptstück hervortritt. Diesen Mittel-
punkt bildet in der Sinfonie von Luzzos »Medoroc z. B.
die wilde und alarmierende Episode, die gleich nach den
--♦ 75 <^
Einleitüngstakten einsetzt, in der von ^avalHs »Ercole«
der Abschnitt, wo die Sextakkorde in ungestümer Hast
und Kraft dahinjagen, eine kühne Anwendung der alten
Faaxbourdon-Harmonie; in der Sinfonie von Sartorios
»Selenco« prägt sich die heimliche, zarte Melodie ein,
die auf das Tranmbild in der Oper deutet; aus der von
Cestis >Pomo d'oroc begleiten uns lange die freudigen
Lieder, die das Orchester dem Eingangschor>di feste, edi
giabili« entnimmt*). In der Regel sind die wichtigsten
Themen in den Venetianischen Sinfonien ganz so wie
heute in der Freischütz-, in der Oberon-, in der Tann-
häuserouvertüre den Hauptszenen der Oper entnommen.
Die wahre Heimat der modernen Programm-
ouvertüre, die einzelne Schriftsteller mit Gluck, andre
mit Händel und Rameau einsetzen lassen, liegt also in
der Venetianischen Oper. Sie ist bis heute spurlös
vergessen gewesen, nur ihre Orchesterbesetzung lebte in
der Sinfonie der folgenden Zeit weiter. Diese Besetzung
besteht ans Streichinstrumenten und Akkordipstrumenten,
Cembalis, Regfilen etc. ; von Blasinstrumenten kommt fast
nur die kriegerische Trompete vor.
Die Neapolitanische Schule, die am Ende des 17. Jahr-
hunderts die Führung in der Oper übernimmt, stellt eine
neue Sinfonieart auf. Die Sinfonie erscheint bei ihr zum
ersten Male in der modernen Form und Bedeutung einer
mehrsätzigen Komposition, eines höheren Gegenstücks
znr Suite. Diese Neapolitanische oder italienische italienischo
Sinfonie besteht aus drei kurzen Sätzen in der Folge: Sinfonie.
Allegro, Largo, Presto oder einer ähnlichen. Immer bildet
ein langsamer Satz die Mitte zwischen zwei bewegten.
Kurze, häufig taktmäßig ausgezählte Pausen trennen ihn
in der Regel vom vorhergehenden und dem folgenden
Allegro; zuweilen wird er an den ersten Satz durch einen
Trugschluß näher herangezogen. Das erste Allegro steht
im geraden, das zweite im ungeraden oder im ^/s und
*) Diese Oper Ist in den > Denkmälern der Tonkunst in
Österreich« veröffentlicht (Jahrg. III, 2).
--^ 76 *-^
18^8 Takt. Beide sind in der ersten Zeit verhältnismäßig
knapp gehalten, zwischen 15 und 80 Takten schwankt
ihr Umfang. Der langsame ist meistens der kürzeste
von den drei Sätzen, zugleich aber der stattlichste im
Klang: in der Regel zeichnet ihn ein schönes Solo der
Oboe oder der Flöte aus.
Die Gesamtform dieser italienischen Sinfonie ist ein
sehr glückliches Stück bester Renaissancekunst. Die drei
Sätze bilden ein leicht übersichtliches, scharf gegliedertes
und durch den einfachen, klaren Gegensatz zwischen Be-
wegung und Ruhe ästhetisch voll befriedigendes und wirk-
sames Ganze, eine^ im Grunde einheitlich oder einsätzig
gedachte fröhliche, glänzende Festmusik, die nur in der
Mitte elegisch unterbrochen wird, um ein rauschenderes,
im Ton der Freude gesteigertes Ende zu finden. Muster
für diesen Typus bot bereits die Vokalkomposition z. B.
im Kyrie der Messe; auch in dem großen Wirrwarr ver-
schiedenster Sonaten- und Canzonenformen, den die Ent-
wicklung der jungen Instrumentalmusik im 17. Jahrhundert
bildet, taucht er mit auf. Es ist das Verdienst des großen
▲ . Searlattl. AIessandroS'carlatti,ihn ge wisserm aßen zum zweiten
Male erfunden zu haben. Soweit es sich übersehen läßt,
hat dieser Meister in seinen Opern die italienische Sin-
fonie ausschließlich verwendet und sie damit und mit
der Wucht seines Namens für den ganzen Bereich der
italienischen Schule durchgesetzt. Sie hat sich bis heute
behauptet — denn streichen wir aus unserer modernen
Sinfonie das Scherzo, so steht der Grundriß der alten
itahenischen Sinfonie vor uns; ausnahmsweise haben ein-
zelne neue Sinfoniker, Liszt, Raff, Tschaikowsky für be-
stimmte Werke auf die unverfälschte Dreisätzigkeit zu-
rückgegriffen. Sie ist aus der italienischen Sinfonie in
das virtuose Konzert hinübergegangen und hat sich da
bekanntlich bis auf die Gegenwart rein erhalten.
Durch die innere Einrichtung steht uns unter den
drei Sätzen der italienischen Sinfonie der erste am
nächsten, weil er sich zwar nicht immer, aber doch
meistens in drei Teilen ausspricht Nehmen wir z. B. das
77
erste Allegro von Scftrlattis Sinfonie zu »II thonfo delF
Onore«*). Es ist ein Satz von 17 Takten. Die ersten
Violinen leiten ihn mit folgendem Thema ein:
Allegro.
ijrnjrn f-fffre i
rf r y, [£fe£££4^ Daran schließt sich ein zweiter
Abschnitt, in dem die Bässe und
nach ihnen ^ durch die Tonarten tragen.
die Violinen fiCf p^f^ ^^ S^^^ ^^^ Cdur über Ddur,
nur das Motiv: ' ^"^ EmoII, Gdur nach C zurück
und schließt mit dem zwölften Takte, der uns wieder vor
den Anfang des Satzes führt. Wir haben also in diesem
lliniatnrsatz doch schon ganz deutlich das Gerippe des
ersten Satzes der Haydn-Beethovenschen Sinfonie, oder
wie man gewöhnlich sagt, das Sonatenschema vor uns:
a) Themengruppe, b) Durchführung, c) Wieder-
holung, und was das wichtigste ist, den Durchführungs-
teil nach den Prinzipien gestaltet, die noch heute gelten.
Der langsame Satz hat häufig die einfache zweiteilige
Liedform; zuweilen bringt er gar kein Thema, sondern
markiert nur, präludienartig modulierend, die Stelle, wo
das Gemüt ruhen und träumen will und darf. Der
schließende schnelle Satz zerfällt in der Regel in zwei
Teile, die thematisch verwandt sind und beide wiederholt
werden. Obwohl die angeführte Sinfonie (und die zu
»Amor volubile«) Hauptbeispiele von Scarlattis klanglicher
Bescheidenheit sind, indem sie von Blasinstrumenten nur
die Flöte (im langsamen Satz) verwenden, lassen sie doch
erkennen, was er für die Technik und den Glanz der
Violinen im Orchester bedeutet.
Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts war zu der
italienischen eine französische Oper gekommen und auch
*) E« ist die 114. Oper des Komponisten, ihr Entatebnogi-
JAkr 1718.
--♦ 78 *—
die Franzosen entschieden sich für eine Instrumental-
Fruizösische sinfonie als Einleitungsstück der Oper. Diese franzdsi-
Sinfonie, g^j^^ Sinfonie oder Ouvertüre, die sehr häufig die
J. B. Lnilj. Lullysche genannt wird, obschon sie bereits bei Cambert
vorkommt, besteht ebenfalls aus drei Sätzen, aber in der
Anordnung Grave, Allegro, Grave. Auch darin unter-
scheidet sich die Form dieser französischen Shifonie, der
wir in der Suite der MufTat, Händel, Bach, Zelenka be-
reits begegnet sind, von der der italienischen, daß der
erste Satz in der Regel ohne Pause in den zweiten und
ebenso dieser in den dritten übergeht. Nimmt man noch
hinzu, daß der dritte Satz (das zweite Grave) zuweilen
eine wörtliche und vollständige, oder aber abgekürzte
• Wiederholung des ersten langsamen Satzes ist, so ergibt
sich für die französische Sinfonie eine größere Abrundung
und Geschlossenheit Sie neigt noch mehr als die itali-
enische zur Einsätzigkeit; das in der Mitte stehende, in
der Regel fugierte Allegro ist nicht bloß örtlich der Mittel-
punkt des Ganzen, sondern auch dem* Umfang und dem
Geist nach, und das zweite Grave bleibt so oft weg, daß
es neuere Historiker überhaupt nicht zum Schema rechnen.
In der Tat ist auch aus jener französischen Sinfonie des
17. und 18. Jahrhunderts die einsätzige, langsam ein-
geleitete Ouvertüre der Cherubini und Beethoven hervor-
gegangen; ja selbst die langsamen, so beliebten und so
dummen Einleitungen des modernen Walzers stammen
aus dieser Quelle.
Sowohl die italienische, wie die französische Sinfonie
stellen sich eine ganz andre Aufgabe, als die Venetiani- I
anische. Diese sucht möglichst viele und möglichst ge-
treue Miniaturbildchen aus dem folgenden Musikdrama
vorauszuwerfen. Jene beiden wollen weniger ein bestimm-
tes Theaterstück, als vielmehr ein Fest einleiten. In
Venedig waren die Opernbühnen Volkstheater, in Neapel
und Paris Hofinslitute. Diesem Charakter der Opernauf-
führung tragen die neuen Sinfonietypen Rechnung; die
italienische betont dabei die heiteren und glänzenden
Seiten des Festes, die französische die feierlichen und
— ♦ 79 ♦^
majestätischen. Fehlte doch der Roi Soleil bei keiner wich-
tigen Vorstellung seiner Acad^mie Royale de musiquel
Musikalisch haben die italienische und die französi-
sche Sinfonie vor der Venetianischen die stattlichere Form
und die Möglichkeit voraus, eine gewählte Idee eingehen-
der ra verfolgen. Aber der Verzicht auf die Anregungen,
die der Phantasie des Komponisten aus dem Drama zu-
strömten, ist der Entwicklung der beiden Typen unheil-
▼oU geworden. Die französische Sinfonie hat dabei weniger
gelitten. Dank Lully, der sich darauf verstand, in seinen
Allegris trotz des steifen Einerleis der ewigen Fugen^
doch einigermaßen den Charakter des kommenden Dramas
anzuktitnden und wenigstens klar zu machen, ob die Oper
heroisch oder pastoral sein werde, waren in der franzö-
sischen Sinfonie CharaktergemälHe ersten Ranges möglich,
wie sie jederfnann in Glucks Iphigenienonverlüre c.w.T.Oluek.
kennt und in Händeis herrlicher Ouvertüre zu »Agrip- O.F. Hindel.
pinac*) kennen sollte. Seitenstücke zu diesen Meister-
werken wolle man in den Opern Rameaus aufsuchen, J. p. Bsneaii.
▼on denen auch jede bescheidenere Musikbibliothek einige
Exemplare zu besitzen pflegt. Rameau war es, der den
Obergang aus der dreisätzigen Sinfonie zur einsätzigen
Ouvertüre mit langsamer Einleitung anbahnte. Freilich
scheinen die bedeutendsten Sinfonien nicht immer die
beliebtesten gewesen zu sein. Das zeigt jene Anekdote
von Friedrich dem Großen, der es Graun sehr verdachte,
daß er in der Ouvertüre zu »Papirioc die Fuge durch ein
charaktervolles, frei geformtes Allegro ersetzt hatte **).
Die Vorlagen, die Scarlatti den Italienern gab, waren
geringer. Die Musik seiner Sinfonien ist sinnig, anmutig,
munter und geistvoll, aber Größe und Tiefe streift sie
nur. Das Beste, was seine Sinfonien bieten, liegt auf der
sinnlichen Seite in einem glänzenden, geistreichen Kon-
zertieren, in einer sinnigen Figuren bildung, im blenden-
*) 57. Lieferang der deutschen B&ndelaii«gabe.
**) L. Sehneider, Geschichte der Oper in Berlin (1852),
S. 111 iteUt den SaohTerhalt verkehrt dar.
^« 80 «—
den Kolorit, Eigenschaften, die e. D. die OuTertöi« zn
>1I prigioniero fortno ato< {1709; mit ihren TrompeleD-
Chören und ihrem Solocello aufs schönst« vereint Was
Hohes in der italienischen Sinfonie mOglich war, daa
L. Lm. zeigen die Oratorieneinleitnngen Leonardo Leos, ron
denen die zu >St. Elena al Calvario«*) seit etlichen
Jahreo in Partiturdruck vorliegL Daa ist große nnd edle
Trauer in unvergänglichem, für alle Zeiten rnnsteriiaFten
Toni Solche Werke sind aber leider in der italienischen
Schale die Ausnahme. Mit L. da Vinci beginnt in ihrer
Sinfonie ein Verfall, der die Mehrzahl ergriff nnd dem
die VersDche einzelner ernster Tonsetzer danemd Einhalt
SD tun nicht vermochten. Äußerlich wachs sie. Die Satz«
wnrden alle drei langer und reicher im Ausbau. Der
erste ffigte ~ das Beispiel gab auch fOr die franzSsische
Sinfonie das virtuose Konzert — ein zweites Thema ein,
der dritte wendete sich der vielgliedrigen und die Er-
findung reizenden ßondoform zu. Aber das innere Wesen
der italieniscben Sinfonie ward immer leerer nnd Up-
nun »rfreulichen Teil bilden die langsamen SAtze.
um die Hilte des 18. Jahrhunderts in der Begel
dreiteilige Liedform — a) Maoplthema als
ode zweimal, Ewischen dem ersten und zweiten
t Figuren ausgestaltetes Seiten thema; bi zweites
n Hauptthema in Tongeschlecht und Charakter
tz gebracht; c] Wiederholung von a in gekftrzter
md bringen in ihr die eigentümliche, weiche,
ndsamkeit des 18. Jahrhunderts in freandlicfa-
n Melodien und in einer Reinheit zur Anschau-
en anderen Künsten jeoer Zeit nicht erreichbar
venigsten der durch moroliscbe und mytholo-
<te gefesselten Dichthnnst Zuweilen waren die
en hier noch zu sQßen Erlindungen durch die
en angeregt, die in der Uper nnd dem Ora-
3 18. Jahrhunderts einen sehr br«iteD Raum
Breitkopf * HlrteL
81
einnehmeD. Um so schlimmer stand es in der Regel am
dea ersten, den Hauptsatz der Sinfonie. Einige Zitate
werden gentjgen, einen Begriff von der hier flblichen
Thematik zu geben:
AlliS^o.
a)
fi irrri
M
ete.
AUegTO.
(R&ckkehr zum Anfang in einer ein
Takt langen Fignr)
(ähnlich wie bei a)
e)
. AUegro.
Jp' JJJJ I
ete.
Altej^io.
etc.
jvfrc^Ojjirfrf.f^
Beispiel a ist der Anfang zu der Sinfonie, mit der L. d a
Vinci seine »Semiramis« einleitet; b und c sind von l. da tibcI.
Pergolesi, das eine ist der Anfang zur Sinfonie der Oper fi.B.rergoUtl.
Kretsselimar, Fftlirtr. I, 1. Q
— ♦ 82 6—
»Sallustiac, das andere vom Oratorium »San Gugllelmo«.
Diese Sinfonie hat der Komponist nochmals für seine letzte
N. Jomelll. Oper >OiYmpia« verwendet. Mit d beginnt Jomellidie
Sinfonie seines Oratoriums »Abramo«, mit e Leonardo
Leo seine Olympiade, mit f Perez den »Demofoontec, mit g
Terradellas den ^Artaserse«, mit h Tra€tta den »Farnacec.
Diese Beispiele ließen sich endlos vermehren. Die Methode
bleibt dieselbe . lustige, tändelnde, stets Qnbedeutende
Motive mit stumpfem Behagen oder mit gespreiztem hohlen
Pathos wiederholt. Und dabei handelt es sich um lauter
große Namen, zum Teil- um Meister, die der Oper im
übrigen reformatorische Dienste geleistet haben. Genau
wie der Aufbau der Themen ist auch die Entwicklung der
Sätze: mechanisch, bequem und geistlos! Fluß haben
die Allegri, und weiß man, was das verschwenderisch
verwendete Echo darin für eine Rolle spielt, so klingen
sie meistens auch ganz hübsch, und viele wären als Lust-
spielouvertüren ganz annehmbar. Aber der Aufgabe, ernste
Dramen einzuleiten, bleiben sie so ziemlich alles schuldig
und bieten kaum mehr als eine vergnügliche Portiers-
musik. Die Entwicklung der Sinfonie bei den Neapolitanern
zeigt geradezu erschreckend, was aus der Instrumental-
musik werden kann, wenn sie selbstherrlich den Zusammen-
hang mit Poesie und höherem Geistesleben verschmäht.
Den Zeitgenossen entging dieser Verfall der Opemsinfonie
nicht. Schon Mattheson mahnt im »Kern der melodischen
Wissenschaft« (§ 97) die Komponisten, daß die Sinfonie
einen kurzen Begriff und »eine kleine Abbildung« einer
Handlung geben soll, und Quantz verlangt in seinem
bekannten »Versuch etc« (18. Hauptstück, § 43) dasselbe.
Der Zusammenhang mit dem Inhalt der Oper sei viel
wichtiger als die dreisätzige Form, es genügten wohl
auch 2 Sätze oder einer. Die Sinfonien sähen eben so
aus wie bei den schlechten Malern Luft und Licht, zu
denen passend oder nicht, in der Regel die übriggebliebenen
Farben benutzt werden.
1 Hatte. Eine Besserung setzt mit Ad. Hasse ein. Die AUegri
gewinnen unter dem Einfluß des Konzerts an Gehalt.
— » Ö3 V-
Die Form, früher von der Etüde beherrscht, wendet sich
der Sonatine zu, . ein zweites Theima, meist kurz und
hübsch, wird die Regel, und man versucht kleine Durch-
fübiTingen. Manche Komponisten legen dabei auf einen
sehr scharfen Gegensatz zwischen erstem und zweitem
Thema das Gewicht, andere versuchen der ganzen Sinfonie
einen neuen Grundriß zu geben. So ziehen L. Leo in der
Einleitung zur Olympiade, Minoja in einer B dur-Sinfonie
das Andante in die Mitte des ersten AUegro hinein und
verzichten auf den dritten Satz. Damit 'ist die einsätzige
Sinfonie, die Opernouvertüre der neuen Zeit bei den
Italienern eher fertig als bei den Franzosen. Prüft man
aber die Thematik Hasses und seiner Genossen auf das
Verhältnis zum Drama, so steht man noch lange vor dem
Neapolitanischen Leichtsinn. Die Sinfonie zu Hasses
Dido z. fi. fängt folgendermaßen an:
n [II ^ ^^1 rm l^3^| rm R?^, rm ...
daszweitiift " '^ \ , J^t^^f ■* nicht
Thema: * BfiT • überdie
Grazie hinaus; erst in der sehr kurzen Durchführung
dnnkelts ein wenig von der Unterdominant her. Eine
gründlichere Änderung vollzieht sich erst unter dem Ein-
fluß der Franzosen. Porpora und Perez leiten ein- Porpora.
zelne Opern mit französischen Sinfonien ein, und bei D. Pereai.
Piccini zeigt sichs endlich, daß die Italiener wieder im Pieoinl.
Stande sind, in der Sinfonie, wenn nicht tragische, doch
ernste Töne anzuschlagen. Unter den Deutschitalienern
hat sich schon früher Heinrich Graun durch eine würdige H. Graon.
und inhaltreiche Thematik ausgezeichnet.
An dieser Entwicklung eines neuen Sinfonietyps
liaben auch die italienischen Akademien ein Verdienst.
Schon früh im 18. Jahrhundert schreiben angesehene
Komponisten, unter ihnen B. Mar cell o, für den Aka- B. Harcelio.
demiegebrauch Sinfonien, die neue poetische Aufgaben
6*
-» 84 «^
in zum Teil neuer Form durchführen. Hier wird, z. B. in
Loefttelli. Locatellis Trauersinfonie, die Sinfonie zuerst viersätzig,
ealimbertl. bei Ga 1 im b e r ti sogar schon mit dem Menuett als zweiten
Tutini. Satz. Er wird auch, bei T artin i z. B., in der dreisätzigen
Äkademiesinfonie verwendet/ da als Schlußsatz. Die
Viersätzigkeit kommt allerdings auch in der gleichzeitigen
Oper vor, z. B. in L. Leos Sinfonie zum Famace: AUegro,
Andante, Menuetto, Marcia.
Noch viel günr*tigere Aussichten fär die Unabhängig-
keit von Oper und Theater boten sich aber der Sinfonie
in Deutschland.
Vom Anfang des 18. Jahrhunderts ab mehren sich
hier die Orchester schnell und beträchtlich. Der hohe
und niedere Adel tut es den Fürstenhöfen nach; gut
oder schlecht, aber so ziemlich jedes Schloß hat seine
Hauskapelle. Schüldr und Studenten, dem Beispiel der
italienischen Akademien folgend, gründen freiwilh'ge coUe-
gia musica, die Bürgerkreise ihnen nach. Um die Mitte des
Jahrhunderts ist das ganze Land mit einem dichten Netz
von Musikvereinen überzogen, die alle in »wöchentlichen
Konzerten«, einmaligen und doppelten, ungemein viel
Instrumental- und Orchestermusik verbrauchen. Komödien
und Konzerte sind die Haupthindernisse derGelehrsamkeit,
klagt 1763 der musikfeindliche Ernesti"'). Es ist niemals
vorher und nachher wieder soviel Instrumentalmusik kom-
poniert, gespielt und angehört worden, als in jenen Tagen.
Die Zeugnisse dafür liegen in den Briefen Mozarts und
in den Lebensbeschreibungen von Quantz, Dittersdorf,
Gyrowetz und anderen namhaften Musikern jener Zeit
vor, in den Archivresten der Bibliotheken und in den Ver-
lagsverzeichnissen. Sinfonien, Konzerte werden immer
bündelweise angeführt. Im quantitativen Sinn ist die Mitte
des 18. Jahrhunderts die Glanzzeit der Instrumentalmusik
in Deutschland; dort liegen die Anfänge und Ursachen
ihrer Vorherrschaft.
*) G. Wustmann, »Aus Leipzigs Vergangenheit« (Leipzig
1885), S. 289.
--^ 85 •—
Daß in der ersten Hälfte jener Periode die Sinfonie
zurücktritt, könnte nicht wundernehmen, auch wenn sie
besser gewesen wäre. Denn sie hatte an dem neuen
Virtuosenkonzert einen übermächtigen Nebenbuhler. Wie
hundert Jahre frQher Monodie, Solo- und Bühnen gesang
die eigentliche »nuove musiche« der Generation waren, die
den dreißigjährigen Krieg erlebte, so schienen för die,
welche mit Friedrich dem Großen jung waren, die Wunder
des Orpheus in den Violinkonzerten der Torelli, Vivaldi,
Corelli wieder aufzuleben. Unter allen Erwerbungen, die
die Musik in den letzten Jahrhunderten gemacht hat, war
die des'virtuosen Konzerts die bedeutendste; keine andere
hat den inneren und äußeren Wirkungskreis der Tonkunst
so gewaltig erweitert. Indes den Dilettantenkräften der
neuen CoUegia musica mußte den virtuosen Anforderungen
des Konzerts gegenüber ein Erdenrest von Technik zu
tragen peinlich bleiben und den Wunsch nach einer andren
Gattung von instrumentaler Ensemblemusik nahe legen.
Da fiel denn der Blick naturgemäß auf die im Aufbau
mit dem Konzert ganz identische italienische Sinfonie und
sie begann allmählich jenem zur Seite zu treten, es zu er-
setzen. Wir können diesen Prozeß mit einer interessanten
Arbeit S. Bachs belegen. Derselbe Band der Bach- s. Bach,
ausgäbe*), der die Orchestersuiten enthält, bringt als Sinfonie in F.
Anhang eine Sinfonie in F, aus drei Sätzen bestehend,
Allegro, Adagio, als Schlußsatz ein Menuett (mit 2 Trios).
Diese Sinfonie ist aber nichts als eine Umarbeitung von
Bachs erstem brandenburgischen Konzert; der ^/^ Takt,
der dort (ad libitum) dem Menuett vorausgeht, ist wegge-
lassen und der nur spärlich konzertierende Violino piccolo,
das Soloinstrument des Konzerts, ist einfach gestrichen.
Sonst stimmt alles wörtlich. Auch wenn Bach selbst
nicht der Bearbeiter dieser Sinfonie sein sollte, bleibt
sie ein wichtiges Dokument für einen geschichtlichen
Hergang: die Entstehung und das Empordringen einer
selbständigen Konzertsinfonie. Für Frankreich läßt
*] 81 Jahrgang, Ente Lieferung.
--^ 86 4^
sich dieser Übergangsprozeß dokumentarisch belegen:
M. labert Der Pariser Violinist M. Aubert veröffentlicht 1730 ein
Heft Sinfonien im italienischen Stil, die er »Concert d^
Simphonies« nennt, mit der Begründung, die Konzerte
Gorellis und Vivaldis seien wider den französischen Gfe-
schmack und vor allem sie seien für die Dilettanten-
zu schwer*). Die selbständige Sinfonie verdankt ihre
Existenz der Einrichtung regelmäßiger Konzerte, insbe-
sondere den coUegiis musicis der Studenten und anderer
Dilettanten, und befestigt sich außerordentlich schnell in
ihrer Stellung.
« Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts sehen wir
die Sinfonie unabhängig, das alte Veihältnis zur Oper
gelöst; es wird allmählich möglich, daß sich begabte Ton-
setzer vorwiegend oder ausschließlich der Komposition
fürs Konzert, für die Instrumente widmen, die Orchester-
sinfoiiie wird jetzt in Stimmen gedruckt und schnell ein
ganz bedeutender Handelsartikel. In dem Breitkopfschen
Katalog von 1762 finden wir fünfzig Sinfoniekomponisten,
bekannte Meister wie Gluck, Hasse, Galuppi, Jomelli,
Graun, Hiller und heute vergessene Lokalgrößen durch-
einander; keiner hat es unter einem halben Dutzend ge-
tan. Als Beweise höchster Fruchtbarkeit finden sich in
den Bibliotheken aus jener Zeit auch Sinfonien von
Dilettanten komponiert: Friedrich der Große, Max Joseph
von Bayern, der Baron von Münchhausen erscheinen
unter dieser Autorengruppe. Das Ausland tritt mehr und
mehr zurück und kommt qualitativ bald ganz außer Be-
tracht. Die deutsche Produktion aber verteilt sich auf
folgende drei Bezirke : die Wiener, die Mannheimer und
die Norddeutsche Schule.
Wiener Schale. In Wien beginnt die Konzertsinfonie mit Antonio
A. Caldftrft. Caldara, der bekanntlich 1716 in den kaiserlichen
Dienst trat.
Seine noch erhaltenen Sinfonien, 12 an Zahl, sind
für vierstimmiges Streichorchester mit Continuo ge-
*) Michel Brenet: Les concerts en France (1900), S. 152.
--♦ 87 4^
schrieben und — bis auf eine zweisätzige Ausnahme —
nach dem bekannten Grundriß Soarlattis aufgebaut Je-
doch weichen die langsamen Sätze, denen in der Mehr-
zahl acht, zweien nur sechs und einem einzigen vierzehn
Takte eingeräumt sind, durch diese Kürze und den da-
durch bedingten Charakter einer hloßen Episode oder
Oberleitung von der Norm ab.
Drei Sinfonien schicken auch dem ersten Allegro
eine getragene und breitere Einleitung voraus und nähern
sich damit dem französischen Typus. Im allgemeinen
steht Caldara abseits von jeder Art gleichzeitiger Opern-
sinfonie und geht in seinen Gedanken und seiner Arbeit
die Wege eines Originalgeistes.
Vor den Italienern zeichnet er sich namentlich durch
eine ernste, wQrdige Thematik und durch einen ge-
diegenen, fesselnden Orchesterstil aus. Mit freudigem
Staunen begegnet man in der Zeit der Vinci und Pergcr-
lesi Sinfonieanfängen wie:
Allegro moderato. _ rt J
Allegro. __
^. CH molMUnfonie)
e)p^
Sinfonie)
*>j"j f^\S^d^\M}Q ^^''
Hinter der Freude an Fuge und Kanon, die den Satz
bestimmt, die zuweilen auch Augenblicke stockender Er-
findung verdeckt oder billigere Einfälle adelt, steht wohl
das Beispiel Joseph Fuxens, des Freundes und Vorge-
setzten Caldaras. Aber auch venetianische Traditionen,
die fiber Sartorio, Cesti, Cavalli bis auf G. Gabrieli
zurückgehen, tauchen in seinem Sinfoniesatz in der Form
plötzlicher Tempokontraste auf. Einige Takte Adagio sind
-^ 98 ^^
keine Seltenheit in Caldaras Allegris. Am überraschendsten
äußert sich dieser dramatische Geist im Larghetto der
fünften Sinfonie, wo die erste Violine ähnlich wie in
Albertis Bdur- Konzert oder in Spohrs Gesangszene un-
begleitete Rezitative anstimmt, im ersten Satz der zwölften
Sinfonie begegnet uns sogar ein erregter Wortwechsel
sämtlicher Stimmen über ein kurzes, zweitöniges Motiv.
In den Allegris sind die Stellen derartiger Exknrse die
Zwischensätze, mit denen Caldara gern die Regelmäßig-
keit der Fuge und des strengen Satzes unterbricht Die
elfte Sinfonie beginnt sogar mit einer solchen drama-
tischen Stelle:
Allegro.
Pp l'-T^
f
etc.
Sie weist zugleich durch die Entschiedenheit, mit der die
erste Violine das Wort führt, auf eine weitere Eigentüm-
lichkeit des Caldaraschen Sinfoniestils hin: wie zum Rezi-
tativ führt ihn der Drang nach sprechendem Ausdruck
wiederholt zu konzertierenden Episoden, zu Solis und
Duetten hin, die, zwischen den eigentlichen Durchfüh-
rungen des Themas eingeschaltet, Stimmungskrisen, Mo-
mente gewaltiger Erregung und Versuche zum Aus-
weichen bezeichnen. Dieses konzertierende Element
Caldaras hat in der Wiener Schule und Itber sie hinaus
am nachhaltigsten fortgewirkt, doch sind auch andere
von ihm gegebene Anregungen nicht unbeachtet ge-
blieben.
In die Caldarasche Zeit fällt eine als Partita betitelte
Sinfonie (in • B) des Wiener Hofklaviermeisters Matteo
H. Schioger. Schlug er, die deshalb beachtenswert ist, weil sie, mit
1722 datiert, den dreisätzigen Aufbau der italienischen
Sinfonie durch einen zwischen Largo und Finale einge-
schobenen vierten Satz erweitert und zwar durch einen
Menuett (Bdur) mit Trio (Gmoll).- Auch ein Cembalo-
konzert (Adur) Schlögers, das seine romantische Natur
und seine moderne Richtung noch deutlicher zeigt, als
— ^ 89 ♦^
die Sinfonie, hat als dritten Satz, als Finale ein Tempo
di Minnetto« Es scheint sich demnach die in allen Läii-
dern nnd von Meistern wie Corelli und Händel angebahnte
Verbindung von Sinfonie und Suite in Wien, dem klassi-
schen Boden der Volkskunst, der Heimat der Waldmüller,
Schubert, Strauß und An zen gruber schon im ersten
Drittel des- achtzehnten Jahrhunderts, gleich in der
Form vollzogen zu haben, an der dann von J. Haydn ab
fünf Generationen festgehalten haben.
Da Wien zugleich die wichtigste deutsche Eingangs-
stelle für italienische Musik war, kann es nicht befremden,
daß der höhere Geist Caldaras und der venetianische
Einfluß in der Wiener Konzertsinfonie schon bald dem
neapolitanischen Tone weicht. Er wird zuerst bei Georg
von Reutter stark Vernehmlich. Nur seine Einleitung g. f. Ueatter.
zum »Ritomo di Tobia« (1733) macht als einsätzige
französische Ouvertüre eine Ausnahme, seine übrigen
Sinfonien, die je nach der Verwendung als Sonaten, In-
traden, als Servizio di Tavola betitelt sind, haben bis
auf eine Tafelmusik von 1757, die aus Intrade, Lar-
ghetto, Menuetto con Trio und Finale besteht, auch
da, wo mau Suitenform erwartet, die drei Sätze der
neapolitanischen Schule und werfen in deren Art vor-
wiegend leichte und flotte Gelegenheits- und Unterhal-
tungsmusik hin, bald spektakelnd, bald rührsam, hier
durch renommistische Sprünge und abgerissene Rhythmen,
dort durch verwegene Läufe der Bässe reizend. Wie
Hasse und andere Deutsche geizt auch Reutter darnach,
das neueste Italienisch zu sprechen, läßt aber überall
Beweise einer höheren und besseren Bildung einfließen,
einmal das direkte Muster Caldaras, nämlich einen sehr
hübschen Kanon zwischen Violine und Cello im Andante
einer Cdur-Sonate von 1741, die nach dem für Orgel ge-
setzten Continuo für die Kirche bestimmt gewesen sein
muß. Diese Sonate ist noch dadurch beachtenswert, daß
sie- uns AI. Scarlatti als Reutters Lehrmeister zeigt
Das Konzert zweier Bläserchöre, mit dem sie beginnt und
schließt:
90
:^5
1. Satt.
Pinftle
ete.
etc.
darf man direkt oder indirekt auf die früher ange-
führte Sinfonie zum Prigioniero fortnnato zurQckf&hren.
Nicht hloß die konzertierenden Bläserchöre des Scar-
latti kehren bei Reutter wieder, sondern er hat sich f&r
seine Konzertsinfonie den ganzen technischen Apparat*)
angeeignet, auf dem der glänzende und festliche Charakter
der Orchestermusik des neapolitanischen Meisters beruht^
Die in Sechzehnteln und Sextolen in die Höhe rauschen-
den oder einfache Themen umspielenden und verzieren-
den Violinen haben daran einen Hauptanteil. Unter
diesen Themen kommt das Hexachord, das ja auch von
FuK und Caldara gern: benutzt wird und sogar noch bei
Haydn und Beethoven auftaucht, sehr häufig vor. Daß
aber Reutter auch etwas von der Liebenswürdigkeit und
Schalkhaftigkeit Scarlattis besitzt, zeigen namentlich die
zweiten Themen seiner Allegri. Immer sind sie über-
raschend eingeführt, zuweilen auch originell gestaltet, das
der vorhin angeführten Intrade z. B. durch die Verzögerung
in der Wie-
derholung :
#■ s
h^'d ^ p Ef et»
Auch bei Heulter fehlen die Anklänge an die hei-
mische Volksmusik nicht ganz, 6«s Andante einer Ddnr-
oiDionie Z. D. .JPjIm. a m _^m * \
beginnen du <y * tf IfUff Ig r f
Oboen mit: O u
ete.
Oboen mit:
die Bratschen
antworten
gleichlautend.
*) In dem Servizlo dl Tavola sind die Partien der Oboen
und Fagotte nicht in die Partitur aufgenommen sondern als
Anhang beigegeben.
— ♦ 91 «^
Aber die italienischen theatralischen Elemente fiberwiegen
die landsmannschaftlichen traniichen Regungen voll-
ständig.
Eine stärkere Osterreichische Färbang zeigen die
Sinfonien des Klaviermeisters Christoph Wagensäil. Chr.WAgenfell.
Zur guten Hälfte haben sie, auch wenn sie dreisätzig
sind und wenn sie zur Einleitung von Opern, zu
Clemenza di Tito z. B., bestimmt sind, Menuetts. Selbst
in einem viersätzigen Concerto grosso votf 1765 kommt
ein Menuett vor. Aber auch seine langsamen Salze
schlagen zuweilen Töne ein, die den einfachen Mann an
seine Abendlieder erinnern konnten, das Andante einer
Gmoll- Sinfonie von 1766 beginnt z. 6. folgendermaßen:
Solche Heimatsklänge haben mit dazu beigetragen,
daß die Sinfonien Wagenseils sich ungewöhnlich weit ver-
breiteten und bis nach Bayern hinüber in die Stifte und
Klöster drangen. Die Thematik seiner Allegri läßt in-
dessen keinen Zweifel darüber,. daß auch Wagenseil in
erster Linie Italienisch sprechen will Der Anfang der
eben angefahrten Gmoll-Sinfonie:
Allegro. JB)^ r'w^
i '' " / '; I 7^ I .Tg J miiij^^
oder der zur Clemenza di Tito:
'J'lLfLÜ[>Cf'^'^-^t^^
iete.
sind Vincischen Geistes. Jedoch erreicht er auch von
aolchen Themen aus immer ein höheres Niveau und führt
die Sätze in einer vollentwickelten modernen Sonaten-
form mit einer Themengruppe, die außer einem schönen
zweiten Thema in der Regel noch mehrere Nebenmotive
bringt und namentlich mit Durchführungen durch, welche
verkleinert BeethovenscheMaßverhäitnisse vorausspiegeln.
--♦ 92 «-^
Von den 76 Takten, aus denen der erste Satz der vor-
hin zitierten Gmoll- Sinfonie besteht, fallen 40 auf die
Durchführung. Auch in der Detailarbeit, in der Gestaltung
der Obe'rgänge, in den bewegten Mittelstimxnen, in der
lebendigen, reich mit Dissonanzen gewürzten Harmonie, in
den aparten und feinen Wandlungen kleii^er Einfälle erhebt
sich Wagenseil bedeutend über die Neapolitaner. Mit den
konzertierenden Ändantes tritt er in die Spuren Caldaras.
Am weitesten nähert sich dem weltbekannten Cha-
rakter der Wiener Sinfonie der Organist der Karlskirche,
0. M. aoiiB. Georg Matthias Monn (1717— 1750) ♦). Das Reich hat. von
diesem Komponisten erst lange nach seinem Tode durch
sechs Quatuors erfahren, die 1808 gedruckt und in der
Allgemeinen Musikalischen Zeitung sehr anerkennend
rezensiert wurden. Aber auch seine Landsleute scheinen
sich nur wenig um ihn gekümmert zu haben; Hanslicks
Geschichte des Wiener Kon zertwesens kennt seinen Namen
nicht, und seine großen Werke, von denen, nach dem
Traegschen Katalog, im Jahre 1799 Opern, ein Oratorium,
Messen (auch eine Generalbaßschule) vorhanden waren,
sind von den großen Instituten der Kaiserstadt nicht be-
obachtet worden. Damit hängt wahrscheinlich auch die
bescheidene Besetzung seiner Sinfonien, Ton denen in
jüngster Zeit wieder sechzehn zum Vorschein gekommen
sind, zusammen. Nur eine D dur-Sinfonie aus dem Jahre
1740 und eine Es dur-Sinfonie hat Flöten, Oboen, Fagotte
und Hörner, von den übrigen sind neun für vierstimmiges,
fünf für dreistimmiges Streichorchester mit Continuo ge-
schrieben, so daß wenn nicht im allgemeinen der Chor-
charakter der Stimmen zu deutlich wäre, gefragt werden
könnte: ob hier Kammermusik oder Orchestermusik vor-
liegt. Sicher verlangt auch die zierliche Thematik in
einigen seiner langsamen Sätze, wie in dem altneapoli-
tanisch anklingenden Andante der H dur-Sinfonie:
*) Einige Stücke von Monii, Reutter u. a. sliid iii den
Denkm ilern der Tonkunst in Österreich (XV. Jahrg., 2. Haibbd.)
gedruckt, das übrige Material bat Herr Prof. Dr. G. Adler freund-
lich zur YerfüguDg gestellt.
93
eine Solovioline, wie das noch bis zu Ditter sdorf häufiger
▼orkommL
Nur drei der Monnschen Sinfonien sind viersätzig
nnd bringen als dritten Satz den Menuett, der bei den
dreisätzigen sich nur in einer Esdur-Sinfonie und da an
zweiter Stelle findet Monn hat darnach auf deii Menuett,
als nächstliegendes und daher in seiner Bedeutung gern
überschätztes Symptom einer neuen vermeintlich anti-
italienischen Sinfoniekunst einen wesentlichen Wert nichf
gelegt. DafOr ergießt sich aber bei ihm, ähnlich wie später
bei J. Haydn, der volkstümliche Musikgeist über alle Sätze,
die Fugensätze der französischen Ouvertüren einge-
schlossen. In einer (Sonata überschriehenen) Adur-Sin-
fonie folgt nach einer wundervoll schönen und natürlich
kontrapunktierten Einleitung folgendes Fugenthema:
f'*ll|ll|l|ll I i'lLJIiiIII i|,^ff
^
:0to.
In seiner drolligen Beschaulichkeit hätte es leicht
in die Trivialität führen können, Monn aber spottet ihrer
durch Engführungen und andere Mittel geistreicher Kunst
mit einer Sicherheit, die an Bürgersche Balladen erinnert.
Wie 'die andren Sätze zu diesem Eingang harmonieren,
mögen ihre Anfangstakte zeigen:
Andimte.
^^
f V V
JP,J|j^jj I
1
•ta
MenoAtt.
Pinsle.
^» 94 <^
•
Jedenfalls ist in diesem Ideenensemble keine Spur
italienischer Sinfonie, dafür aber in dem ans dem Ton des
18. Jahrhunderts ganz herausfallenden Andante ein deut-
licher Anklang neuer, fremder Musikquel}ei\. Im allge-
meinen sind die' Andantes ijnd die langsamen Sätze der
Monnschen Sinfonien diejenigen Stellen^ an denen sich
noch starker italienischer Einfluß zeigt. Das Andante-
thema der Esdur-Sinfonie:
schließt sogar mit der Lombardischen Manier. Daß auch
"die Allegri, besonders in den Kopftheroen noch häufig
italienisch anklingen, kann nicht befremden, erst Haydn
und Beethoven haben die deutsche Sinfonie von diesem
Tribut vollständig befreit. Frei von allem Italienischen sind
unter Monns ersten Sätzen alle die, welche dem Schema der
Lullyschen Ouvertüren angehören. Sie interessieren im
AUegroteile, meist einer Doppelfuge, durch die Beherr-
schung der Form, eigner ist Monn in der Behandlung
der langsamen Einleitungen. An Stelle d^r gewohnten,
in punktierten Rhythmen und rauschenden Skalenfiguren
einherscjireitenden Gravität und Feierlichkeit bringt er
da beschaulich sinnende und singende Motive oder aber
er wendet sich von suchenden und fragenden Anfängen
aus, die an Astorgasche Rantaten erinnern, schnell ins
Leidenschaftliche, wirft wilde Figuren hin, unterbricht das
Adagio mit einem plötzlichen Allegro, wQhlt in Nach-
ahmungen und macht dem erstaunten Zuhörer warm.
Eine dieser langsamen Einleitungdh kommt von . B dar
aus im fünften Takt nach Hdur. Mit dieser Umbildung
der langsamen Einleitung hat sich Monn an einer Arbeit
beteiligt, die auch Ramoau, Händel und Gluck in die
Hand genommen hatten und die dann Haydn zum Ab-
schluß gebracht hat. Die anderen ersten Sinfoniesätze
Monns, die in der Scarlattischen Art lediglich aus einem
längeren Allegro bestehen, beschränken das italienische
Element in der Regel auf die bekannten Poch- und Akkord-
.— » 95 ♦—
motive des ersten Taktes (1 j j 2 etc.), und auch da, wo
es einen weiteren Raum einnimmt, bestimmt es niemals
den Gesamteindruck, sondern dieser ergibt sich aus dem
Wiener Ton der Monnschen Thematik, aus den Klängen
naiver Lebensfreude, die in mannigfachen Spielarten,
▼om ruhig sinnigen Behagen und fröhlicher Anmut bis
zu feuriger, aber liebenswürdigen Keckheit, die lebhaften
Sätze Monns durchziehen. Die sanftere Gruppe vertreten
die ersten Sätze der D dur-Sinfonie von 1740 und der
Esdur-Sinfonie, die energischere, zuweilen stürmische und
wilde am entschiedensten eine 6 dur-Smfonie, die von
dem Anfang:
Allegro.
eto«
aus ein zwölftaktiges Haupttbema aufbaut.
Noch ursprünglicher und neuer als in den ersten
Allegris ist Monn, wenn auch nicht überall, in den leb-
haften Schlußsätzen seiner Sinfonien. Charakteristisch' sind
da Themen wie die folgenden:
Presto.
h^A^^Tt^ f \'t '"* P I '^"JT^ I J namentlich
b) und c)
Prestd. mit ihren
•> ij^''Uirfrri[^Mrnjijj4 i;;/,°<^ti
Ritterlichkeit dahinhastenden ZweivierteJtakten bringen
<äe ersten Lebenszeichen einer ganz bodenständigen
Wiener >Aufgeknöpftheit« in den Sinfonien. Auf diesen
Boden stellt sich von den späteren Meistern besonders gern
W. Mozart in seinen besten Salzburger und in den Wiener
Sinfonien, die aus der Zeit des jungen Eheglücks und der
»Entführung« stammen, alles Vorherige aber überbietend
Beethoven mit dem Finale der Achten. Daß Monn zu
diesem Ton feurigen und doch artigen Obermuts wie zu
96
dea andren Äußerungen Wiener Wesens in seinen Sin-
fonien von der Suitenmusik, insbesondere von den Divers
timentis her gekommen war, zeigt sich in der Verwen-
dung der Bläser in den beiden mit Blasinstrumenten ver-
sehenen Sinfonien. Namentlich die wirkungsvollen Soli
der H5rner~ sind in der damaligen Sinfonie eine ange-
nehme 'Neuerscheinung.
Obwohl Monn im Kontrapunkt, wie seine Fugen, wie
es auch die zahlreichen Beispiele schöner Imitationen be-
weisen, mehr als ausgelernt hat, hat er eine Bedeutung
für die Weiterentwicklung der sinfonischen Form nicht
erlangt. Wohl zeichnen sich seine Obergänge vom ersten
zum zweiten Thema durch Gediegenheit, durch Verzicht
auf Figurenphrasen aus, wohl überrascht er hier und da
durch einen Reichtum an Nebengedanken und ab und
zu auch durch Ansätze zu motivischer Arbeit. Aber die
Durchführungen seiner ersten Sätze sind im alten Bequem-
lichkeitstil nichts als Transpositionen der Themengruppe
ohne vertiefende, eingehende und erweiternde Ziele. Er
hat der Sinfonie einen neuen Ideenkreis* erschlossen, es
aber anderen überlassen, dessen Gehalt auszuspüren und
zu erschöpfen.
Von wetteren Vertretern der Wiener Schule sind noch
F. eftSrnsnn. Florian G aß m ann und Joseph Starzer hervorzuheben,
j. Starser. Gaßmann, weil er Themen bringt, die wie:
Alle^ro.
Mannheimer
Schale.
schon in den Kreis der Mozartschen Kantabihtät ge-
hören, Starzer wegen der Bedeutung seiner Quartette.
Sie lassen es bedauern, daß seine Sinfonien sich nicht
erhalten haben.
Mannheim, das unter Karl Theodor durch Schweitzers
»Alceste« und Holzbauers »Günther« für die deutsche
Oper, durch Schillers »Räuber« für das deutsche Schau-
spiel zum Vorort wurde, hat unter dem genannten Kur-
fürsten auch für die Geschichte der vorhaydnschen Kon-
zertsinfonie besondere Bedeutung erlangt. Die Mannheimer
-— 1^ 97 «^
hat von den drei in Betracht kommenden Schulen die
schärfste äußere Physiognomie, ihre Sinfonien unter-
scheiden sich nicht hloß von den anderen deutschen,
sondern auch von allen italienischen und französischen
durch ihre ungewöhnliche Dynamik und Ornamentik;
in jener sind sie absolut, in dieser wenigstens scheinbar
neu. Das gewöhnliche Notenbild der Akademie- und
Konzertsinfonien um die Mitte des 18. Jahrhunderts ist
dasselbe wie das der Bachschen Passionen und der
Händeischen Oratorien: es ist arm an Yortragszeichen:
Es gibt nun Komponisten, deren Werke, wie die Kantaten
des Darmstädter Hofkapellmeisters Graupner, mit/ und p
reicher und sehr reich aasgestattet sind, die in dem-
selben Takte mit den Stäikegraden einmal oder mehrere
Male wechseln und damit bekunden, d^ß die Dynamik
nicht länger dem freien Ermessen der Dirigenten und
Virtuosen überlassen werden kann. Sie bilden indessen
Ausnahmen. Den Mannheimern gebührt nun das Ver-
dienst, daß sie die Ausnabme zur Regel gemacht haben.
Sie sind die ersten, die ihre Sinfonien so durchbezeichnen,
wie sie klingen sollen, und sie haben damit nicht allein
die Sicherheit des Vortrags unendlich erleichtert, sondern
auch für den musikalischen Durchschnitt den Sinn för
Farbenspiel und Klangschattierung gesteigert und neu
belebt; sie sind die Bahnbrecher des modernen Orchester-
kolorismus geworden. Es war nur natürlich, daß die
Mannheimer Sinfoniker selbst diesem Aasdrucksmittel
auch neue Wendungen abzugewinnen suchten. Unter
ihnen ist das sogenannte Mannheimer crescendo durch
Bumey und Schubart hervorgehoben und besonders be-
rühmt geworden. Nun ist das crescendo allerdings
schon in der venetianischen Oper vereinzelt, es ist
im 18. Jahrhundert bei vielen Tonsetzern, bekanntlich
auch bei S. Bach, nachweisbar. Aber wenn auch ein
Mozart dieseip Mannheimer crescendo eigne Worte
widmet, so muß es doch wohl eine Spezialität sein, und
80 ist es. Die Mannheimer Sinfonien bringen das cres-
cendo einmal unvergleichhch häufiger als es Vorgänger
Kretxie^nftr, Ffthrer. I, 1. 7
i
— » 98 «—
und Zeitgenossen verlangen oder voraussetzen, sie legen
-zweitens ihre Kompositionen auf die größtmögliche Wir-
kung dieses Effektes an, indem sie häufig mit ihm -^ ge-
nau wie die nachmaligen Stretti Rossinis — das Auf-
steigen eines Motives begleiten :
Presto.
y'fM^ilil
Man muB sich bei dieser Mannheimer Reform der Dynamik
daran erinnern, daß zu der Zeit, wo sie vollzogen wurde,
bei den Komponisten Überhaupt der Verlaß auf die alten
Künste des Improvisierens und Ergänzens zu schwinden
beginnt. Händel und Bach schreiben bei einzelnen Sonaten,
Sperontes füllt bei einzelnen Liedern das Akkompagne-
ment aus. Auch die Mannheimer Sinfoniker scheinen
dem alten Continuo-Spiel nicht mehr recht zu trauen
und suchen, allerdings nicht ganz konsequent, die obli-
gaten Orchesterinstrumente auf volle Harmonie zu bringen.
Ganz gründlich dagegen räumen sie mit dem alten Ver-
fahren der freien melodischen Ergänzung auf und schreiben
in ihren Sinfonien konform den dynamischen Vortrags-
zeichen zum ersten Male auch alle die sogenannten
wesentlichen Manieren aus. So bietet die Mannheimer
Schule auch nach Seite der verschiedenen Arten von
Vorschlägen, Vorhalten und Verzierungen ein ganz neues
Notenbild, das den nichtein geweihten Zeitgenossen —
unter ihnen sogar ein Burney — wohl gar als neuer
Stil, als neue Musik erscheinen mochte, zumal die Kom-
ponisten, gerade so natürlich wie von den dynamischen
EfTekten, auch von den alten wesentlichen Manieren einen
reicheren Gebrauch machten. Auch diese Mannheimer
Neuerung drang bald durch die ganze deutsche Musik,
womit noch lange nicht gesagt ist, daß jeder, der sich
ihr anschloß, damit überhaupt auf den Boden der Mann-
heimer Schule trat. Darüber, wie sich die Mannheimer
Sinfonien über Deutschland verbreiteten, wird sich Be-
stimmtes erst dann berichten lassen, wenn wir das Reper-
— ♦ 99 ♦^
toir unserer collegia musica näher kennen gelernt haben.
Dagegen stehen ihre Erfolge im Ausland durch englische
und französische Verlagsverzeichnisse fest; auf Frank-
reich, wo sie durch Mich. Brenet noch weiter bestätigt
werden, mußte bei den starken koloristischen Neigungen
der heimischen Musik die Mannheimer Dynamik allein
schon unwiderstehlich wirken.
Mit dieser eingreifend praktischen und modernen
Einkleidung der Mannheimer Sinfonien verbindet sich,
wenigstens bei einigen Komponisten, ein erfreulicher und
fesselnder innerer Gehalt. Da die Gründer und ersten
Vertreter der Mannheimer Schule in der Mehrzahl ein-
gewanderte Österreicher sind, besteht hier Wesensver-
wandtschaft mit der Wiener Schule. Auch ihr — nicht
ganz erreichtes — Ziel ist Freiheit vom italienischen Joch,
Ersatz der Theaternichtigkeiten durch seelische Erleb-
nisse aus dem Gebiete des Frohsinns und der Beschau-
lichkeit. Den bedeutendsten Meister bierfür stellt die
Mannheimer Schule in Johann S t a m i t z (1717^67)*), einen Job. Stamitx,
der wenigen deutschen Instrumentalkomponisten, die
Arteaga kennt. Wenn auch Stamitz die eigensten Proben
seines Wesens und Könnens nicht in seinen Sinfonien,
sondern in seinen Triosonaten niedergelegt hat, so sind
doch jene immerhin natürlich liebenswürdige Äußerungen
einer schwungvollen, ebenso optimistischen wie revolu-
tionären Persönlichkeit, einer Karl Moor-Natur und einer
in Dichtung und Kunst Kraft und Freiheit verherrlichen-
den Zeit. Die Mannheimer Reform der Dynamik paßt
sich so sehr den persönlichen Anlagen Stamitzens an,
daß sie sehr wohl auf ihn zurückgehen kann. Die erup-
tiven, unbedeutende Motive in glänzende Beleuchtung
emporhebenden fortes entspringen bei ihm einer Mozar-
tisch feurig glühenden Seele, die langen und häufigen
Crescendi einem mächtigen Willen und demselben weiten
*) Sinfonien der Mannheimer Schale in den Bayrischen
Denkmälern der Tonkunst (3. Jahrg. Bd. I, 7. Jahrg. Bd. II und
8. Jahrg. Bd. II).
7*
.-f 100 ^^
und sicheren Blick, der überall aus der Führung der Form
hervortritt Hier namentlich in der Erweiterung der Haupt-
themen zu großen Themengruppen, in der ZerteUung größe-
rer Gedanken und der Umstellung und Entwicklung solcher
Teile. Zum Signalement von Johann Stamitz gehören noch
die häufigen dreimaligen, herrischen, ungenierten, humo-
ristischen Wiederholungen desselben Taktes, z. B.:
' Presto.
Ferner der
Reichtum an
Einfälleu lür Nebensätze, Obergänge, seltener für den
Durchführungsteil. Nach der Gesamtheit seiner sinfo-
nischen Eigenschaften verdient Johann Stamitz, so wie
es Gerber (im alten Lexikon) tut, unter den Vertretern
des Obergangs zwischen der italienischen Opernsinfonie
und Joseph Haydn ausgezeichnet zu werden; ihn als
Schöpfer eines neuen Typs zu feiern, hindert aber schon
die altmodische Natur seiner Durchführungen.
Eine ähnlich hervorragende Stellung wie Johann
Stamitz nimmt in der Frühzeit der Mannheimer Franz
F. X. Riehtor. Xaver Richter (1709— 17H9) ein. Eigen ist Richter
erstens durch seine Vorliebe für eine der Sinfonie, bis auf
Ausnahmen wie Caldara, grundsätzlich fremde Polyphonie,
zweitens durch einen ernsten, tiefsinnigen Zug, der sich
weniger in den Themen selbst, als in ihrer Entwicklung
geltsnd macht, da besonders durch merkwürdig unbe-
stimmte, fragende, ja desperate Schlüsse auf vermmderten
Sept- und auf Sekundakkorden mit Fermaten und Gene-
ralpausen, Äußerungen einer ergreifenden Resignation,
' die mit ganz ähnliphen Mittein in den letzten Smfonien
J. Haydns wiederkehren. Auch in anderen rhetorischen
Eigenheiten äußert sich die kontrastierende Regsamkeit
von Richters Phantasie. Da verstummt plötzlich das volle
Orchester, nur die Violinen musizieren mit einem vier
Takte langen festgehaltenen hohen T weiter; hier gibt er
^-^ 101 ♦—
anversehens einer sinnigen Melodie durch Verlegung in
die tieferen Saiten einen ganz fremden Charakter, dort
tritt ein zweites Thema ganz anders ein, als man er^
wartet Kurz er ist ein Dichter, der sich mit den her-
gebrachten Reimen nicht begndgt und in dessen Hand
sich das Tonmaterial fortwährend neu belebt, der mit Nach-
sätzen, Nachspielen, Kombinationen mehrerer Themen,
Zerlegung der Hauptgedanken technisch wie geistig fesselt,
den Verstand und die Empfindung des Hörers gleichmäßig
beschäftigt und zuweilen mächtig packt Die volkstümliche
Richtung der Zeit vertritt Richter deutlicher als Stamitz,
zuweilen mit förmlichen Liedanklängen. In seiner Fdur-
Sinfonie (op. IV, ^^ •
Nr. 2} z. B. hören ft^'M^ fJJ I rff ^ f T T It^eto.
wir im Andante "^
im Trio ^ , . ^ j Mit dem HauptteU seiner
des Me> ^feg| f ff | F' ^^ Thematik knüpft aber
nuett: •^ ' t" « ' Rjc^ter an die heitere
Tändelei des italienischen Ideenkreises, an Sinfonien wie
sie für die Oper Traätta, für das Konzert Sammartini
geschrieben hat, an. Daß er darüber hinauskommt, ver-
dankt er außer dem angeborenen Naturell, der Solidität
der alten Schule, in der er aufgewachsen «st und die sich
zuweilen auch noch in Spezialitäten wie die Solmisations-
themen bekundet
<
Es liegt in der äußerlichen Natur der Mannheimer
Reformen, daß schon bald nach dem Tode von Johann
Stamitz ein Verfall eintritt Zuerst wird er bei Anton
Filtz (1726—60) sichtbar und zwar in Hauptthemen, die a^fiUb.
wie das im ersten Satze der Adur-Sinfonie:
^ AllegTO
P
einen argen Rückfall in die neapolitanische Windigkeit
der Vinci und Genossen bedeuten. Doch hat Filtz auch
bessere Sinfonien geschrieben, zu denen namentlich' die
in Es (op. 2, Nr. 6) gehört, und seine Menuetts sind so
102
ziemlich alle sehr erfreulich. Ähnlich verhält sichs mit
Joseph Toeschi mit Franz Beck, Ernst Eichner und
anderen Vertretern der Schule. Zam Teil läßt sich ihren
Sinfonien gute fleißige Arbeit nachrühmen, aber der Ideen-
gehalt ist unselbständige und erinnert an die Nichtigkeit
der italienischen Opernsinfonie. Die frischeste Kraft der
Gruppe ist noch Karl Stamitz, der ältere Sohn Johanns,
dessen Werke sich auch ziemlich stark verbreitet zu
haben scheinen. Ein neuer Aufschwung zeigt sich in
der Mannheimer Schule, als in den siebziger Jahren
Caanableli. Christian Cannabich und andere das koloristische
Problem, durch das die Schule zu eigner Bedeutung ge-
langt war, vom Frischen aufgreifen und weiter gestalten.
Den Anstoß hierzu hat möglicherweise die neue öster-
reichische und süddeutsche Suite gegeben, denn mit
deren Serenaden und Divertimentis teilt die Mannheimer
Sinfonie der zweiten Periode die Neigung zum Konzer-
tieren der Instrumente und den Aufmarsch und Wechsel
zahlreicher, voran blasender Solisten." Die neue Sinfonie-
arbeit der Schule gipfelt in Sinfonien für Doppelorchester,
einer Gattung, die sich nur spärhch entwickelt hat und
unsrer Zeit nur aus Versuchen L. Spohrs bekannt ge-
worden ist Cannabich muß, obwohl er ungleich ist
und sichs bei einzelnen Sinfonien im italienischen Fahr-
wasser bequem macht, den bedeutenden Mannheimern
beigezählt werden. Seine Durchführungen gehören zu
den freiesten, an Inhalt und Überraschungen reichsten, er
gelangt in interessanter Arbeit zu eigenen Wendungen,
wie es seine Themen in den Baßstimmen sind, und hat
namentlich mit Ghromatik, mit der Figurenbildung und
den Modulationen seiner Andantes stark auf W. Mozart
gewirkt.
Auch der bekannte Ignaz Holzbauer hat noch in
dieser zweiten Periode fleißig mitgearbeitet. Sein Nach-
laßverzeichnis spricht von 206 Sinfonien und Konzerten
verschiedener Art Darunter läßt sich wenigstens eine Sin-
fonie für die neue Cannabichsche Richtung reklamieren:
es ist ein in Schwerin aufbewahrtes Fdur-Stück für zwei
J. Holsliftier.
— » 103 «—
konzertierende Fagotten. Die Mehrzahl der Holzbauer-
schen Sinfonien ist dreisätzig und überhaupt nach älterem
Master, daher auch ohne die berühmten Mannheimer
Crescendi durchgeführt. Ihre bedeutendsten Teile sind
die geistreichen Reprisen in den ersten Sätzen«
In der Norddeutschen Schule sind die Arbeiten Norddeotsche
derjenigen Berliner Komponisten maßgebend, die 7um Schule,
größten Teile als Hofmusiker Friedrichs des Großen ihre
Konzertsinfonien für die hinter dem Jägerhofe tagende
»Musikalische Gesellschaftc von Janitzsch und für die
bürgerlichen Collegia, von Schale und Sack schrieben.
An ihrer Spitze stehen die Gebrüder Graun, der Kapell-
meister Heinrich und der Konzertmeister Johann Gottlieb
Graun. Heinrich Graun hat allerdings nur Opernsm- Heinrich
fonien geschrieben, aber sie sind ebenso wie die Opern- ß""»«
Sinfonien Hasses sehr viel in Konzei'ten aufgeführt worden
und haben den Stil der Sinfonie dadurch weiter gefördert,
daß sie den ersten Satz grundsätzlich über ein Haupt-
motiv des ersten Themas entwickeln. Die Sinfonie zum
Ezio fängt z. B. an :
j»BMjjiqj^CQjiivrrrrr.,f|ffff
Da fährt nun gleich nach diesem Schluß die Musik mit dem
Motiv des ersten Taktes im Baß — erst in D, dann in h,
in G etc. — fort Das war eine Methode, die der Einheit
eines längeren Satzes zu gute kam, die aber auch die
Komponisten auf ernste und strengere Arbeit verwies, eine
Methode, die Phantasiereich tam sowie Lust an Arbeit und
Kunst voraussetzend, die Harmlosigkeit der italienischen
Sinfonieallegris ebenfalls ausschloß. Daraus, daß sich
Graun hierin mitMonn, Job. Stamitz und anderen Wienern
und Mannheimern begegnet, ersieht man, daß der Drang,
den Geist der Sinfonie zu heben, in Deutschland gegen die
Mitte des 18. Jahrhunderts allgemein war und daß keiner
der drei Schulen der alleinige Anspruch, eine neue Zeit
herbeigeführt zu haben, zugestanden werden kann. Jo-
-^ 104 ♦—
Oottlieb bann Gottlieb Graun fußt auf den Anregungen seines
tirauu Bruders und baut sie in seinen für die Zeit ungewöbnlich
▼ollstimmig besetzten Konzertsinfonien zu einem Konzer-
tieren der einzelnen Orcbestergruppen aus, bierin ein
Vorläufer der zweiten Mannheimer Schule. Hiller meint
Gottlieb Graun, wenn er in den »Wöcbentlichen Nach-
richten« (1770) schreibt:
»Die deutschen Sinfoniesetzer . . . sehen nicht sowohl
darauf, ein simples Thema zu erfinden, als schöne Wir-
kungen durch die große Menge verschiedener, Instrumente
zu erhalten, die sie anbringen, und durch die Art, wie sie
dieselben nacheinander arbeiten lassen . . . Ihre Sinfonien
sind eine Art von Konzerten, wo die Instrumente sich
wechselweise zeigen, wo sie sich auffordern und antworten
und miteinander streiten und sich wieder vereinen.« Die
kunstvolle Arbeit wurde durch beide Graun ein Merk-
mal der Berliner und weiterhin der Norddeutschen
Schule. Von der VerwenJung von Kopfmotiven, vom
Konzertieren der Orchestergruppen aus, steigert sie sich
bis zu einer förmlichen »Fugen- und Kanon technik«, wie
sich M. Flueler*) ausdrückt. Die Lust am Fugieren und
Imitieren hat sich bei den Berlinern und Norddeutschen
bis in die Zeit der ersten Romantik behauptet Nicht
bloß in den Sinfonien C. M. v. Webers, sondern auch noch
in denen Robert Schumanns ist die Fuge eine bevorzugte
Form der Satzentwicklung, und es darf hinzugefügt werden,
eine von Natur aus sehr berechtigte. In der Thematik
gleichen die Norddeutschen. Sinfoniker zunächst den
Wienern und Mannheimern. Auch sie bemühen sich^ an
Steile des bloßen italienischen Klingklangs heitre, zu
einer guten gesellschaftlichen Unterhaltung geeignete
Tongedanken zu setzen. Später tritt bei ihnen mehr
und mehr ein ernsterer Zug hervor und unterscheidet
die Berliner Sinfonien von der leichten Beweglichkeit der
Süddeutschen. Von ihm aus lehnen sie den Menuett ab
*) Max Flueler, Die Norddeutsche Sinfonie zur Zeit
Friedrichs des Großen. Berlin 1908.
_^ 106 »^
«
und greifen J. Haydn an. Das war nicht bloße Philistro-
sität sondern auch die gesunde Empfindung, daß der neue
vierte Satz eine ästhetische Einheit sprengte.
Nach den beiden Grauns ist unter den Vertretern
der Berliner Schale Franz Benda zu nennen. Seine Frau Bemtfa.
fast nur für Streichinstrumente geschriebenen Sinfonien
sind denen von Gottlieb Graun zürn Verwechseln ähnlich,
and tatsächlich haben Bibliothekare Graunsche Sinfonien
dem Benda zugeschrieben. Zu den talentvolleren Sin-
fonikern der Berliner Schule gehört dann noch Christoph
Schaffrath, eine graziöse frohgemute Musikantennatur. Ch^ Schafl^tli.
Bei weitem schwächer sind Christian Friedrich Schale, k. Schale,
ein Trabant Heinrich Grauns, und Carl Joseph Rode- J.Bodewald.
wald, der sich von einem Italiener gewöhnlichsten
Schlags kaum unterscheidet. Auch die Sinfonien der
beiden bekannten Theoretiker Marpurg und Kirn-
berger können nur wenig interessieren, höher stehen
Christoph Nichelmann, von dem sich aber nur ein c. NtehelmMn.
Stuck erhalten hat, Georg Benda, Heinrich Rolle und G^org Bend«.
Friedemann Bach. Von Sachsen, die in der Norddeut- H. Kolle.
sehen Schule hervorgetreten sind, .müssen der Dresdner "^'^Bach*""
Georg Ner ad a und der Leipziger Thomaskantor Gottlob q, Hemda^
Harrer, der in seinen Sinfonien viel höher steht als ine, üurrer.
seinen Volcalkom Positionen, angeführt werden. Auch
Job. Adam Hill er gehört anter die besseren Nord-j.A.HiUer.
deutschen.
Der der Gegenwart am meisten bekannte Vertreter
der Norddeutschen Sinfonieschule ist Philipp Emanuel
Bach, der sogenannte Hamburger Bach. Ph. Em. Bach Phil. Em. Bach,
ist weder durch Größe, noch durch Menge der Gedanken
ausgezeichnet; er hat aber nichtsdestoweniger für die
Geschichte der Musik als Stilist eine Bedeutung ersten
Ranges. Er erfand eine neue Art der thematischen
Durchführung, die hinter der Fuge und den andern
strengen Formen der Nachahmung an Gründlichkeit zu-
rückstand, sie aber an Schmiegsamkeit und Beweglichkeit
bei weitem übertraf und dem Spiele der Laune und des
Augenblicks auch in den größeren Formen einen be-
— • 106 >•-
qnemeii^und allezeit offnen Zutritt gestattete, ohne daß
dabei die Darstellung — wie dies in der nordisch nieder-
ländischen Instrumental schule früherer Zeit der Fall war
— der Gefahr phantastischer Willkür verfiel. Bach ist
in dieser seiner Art einer der ersten und bemerkens-
wertesten Vertreter französischer Bildungsideale in der
deutschen Instrumentalmusik. Richteten doch in der
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts selbst die Lieder-
komponisten (der Berliner Schule) ihre Augen auf die in
Frankreich gebotenen Muster. Neben seinem Lehrbuch
>yersuch über die wahre Art das Klavier zu spielen« hat
Bach am nachhaltigsten durch die Pianofortekomposi-
tionen gewirkt, die in großen und kleinen, schweren und
leichten Formen seiner fleißigen Feder in Menge ent-
flossen. Aber System und Geist seiner Kunst kommen
in den Sinfonien, die er schrieb, immer noch fühlbar
zum Ausdruck. Überdies enthalten sie in der Orchester-
behandlung Elemente, die für die weitere Entwicklung
der Gattung von Wichtigkeit wurden. ^
Gerber schreibt in seinem Lexikon dem Ph. E. Bach
>ein paar Dutzend Sinfonien« zu. Davon sind zu Bachs
Zeiten höchstens nur 10 in Stimmen gedruckt worden,
vier davon im Jahre 1780 (bei Schwickert in Leipzig).
Diese sind es, welche Espagne im Jahre 1860 bei Peters
in Leipzig neu herausgab. Die erste derselben wird heute
wieder gespielt: Das Hauptthema ihres ersten Satzes ist
dieses
. AUe^A di molto^
■:> Ipf TP r/ ' 1 m\ \ f\' J - von emigen ziem-
' t^ ^ÜJT tXl7 ^^^ ^^ lieh unbedeuten.
den Seitenmotiven, zu einem Satze von ungefähr 200 Takten
Länge ausgeführt, in welchem sich die drei Teile des
Sonatensatzes: Themengruppe, Durchführung. Repetition,
klar unterscheiden. Dieser erste Satz moduliert in den
Schlußtakten nach Es dur, der Tonart des zweiten Satzes,
--♦ 107 <^^
einem Larghetto in dem weichen, zu Tränen bereiten
Stile des 18. Jahrhunderte. Mit dem Klange der geliebten
Flöten tritt das Thema des Satzes ein:
f
Ein Presto
in 8/4 Takt
j,m^rrfiNij|iii||j I
sausenden Laufs, nur selten durch einen ernsteren Einfall
gehemmt, führt die Sinfonie zu Ende. Diese Scarlattische
Grundform und auch der seelische Typus der D dur-
Sinfonie kehrt in den anderen wieder: geistreiches, leben«
diges und sprühendes Finale, anziehendes oder erträgliches
Larghetto und ein verwunderlicher Hauptsatz. Denn es ist
verwunderlich, wie diese Hauptsätze der Sinfonien — und
auch der Konzerte — des Hambargeir Bach doch ziemlich
inhaltlos verlaufen. Sie setzen alle mit einem wunderbaren
Schwung ein; mit gewaltiger Kraftanstrengung stürmen
sie von Anlauf zu Anlauf, geberden sich in Trillern und
allerhand ungewöhnlicher Melodik nicht selten ganz apart
und absonderlich. Aber sie zerplatzen wie Seifenblasen
ohne Spur und Resultate. Es stellt sich diesen heroischen
Versuchen nichts Wichtiges entgegen, der Zug gerät in
Tändeleien und streift am Bedeutenden flüchtig vorüber;
das Ganze kommt nicht über das Phantastische hinaus
und bleibt Feuilleton und Strohfeuer. Nur die gedank-
lich bedeutendste der vier Sinfonien, die zweite in F dur,
erhebt sich über diese Stufe. Beim unmittelbaren Hören
der Bachschen Sinfonie findet jedoch die Kritik keine
Zeit zu ihren Bedenken; die Sätze gehen unmittelbar
ineinander über und das Ganze rauscht, angeregt und
anregend, verhältnismäßig schnell vorüber.
Die Besetzung der vier Sinfonien (Streichorchester,
2 Flöten, 2 Oboen, 2 Hörner, 2 Fagotts und Flügel) weist
auf spezifisch hamburgische Verhältnisse jener Zeit hin:
ein starkes, mit virtuosen Kräften ausgestattetes Violinen-
ensemble und ziemlich mäßige Bläser. Der Flügel ist
in jener Zeit bereits eine entbehrliche Zutat. Interessant
— » 108 ♦—
ond Schale machend wirkte Bach durch die Behandlung
der Instrumente. Unter ihnen herrscht im Vergleich zur
älterep Weise volle Freizügigkeit, und sein Orchester
formiert sich fortwährend anders und vollzieht die Evo-
lutionen der neuen Aufstellung mit einer Leichtigkeit,
die der älteren Praxis fremd war. Auch Bach kennt das
»Concertino« des Konzertorchesters noch, er gibt dem be-
kannten Bläsertrio gern die zweiten Themen im Haupt-
satz. Aber auch jedes andere Instrument besitzt bei ihm
die Solistenqualifikalion und ist jeden Augenblick bereit,
von ihr Gebrauch zu machen. Die solistische Führung
geht taktweise von der Oboe zur Flöte, von einem Chor
zum andern, während man früher bei solchem Wechsel
etwas umständlicher war.
Durch die Arbeit der drei Schulen kam es im letztto
Drittel des 18. Jahrhunderts zu einer Scheidung von
Opernsinfonie und Konzertsinfonie. Die erstere wurde
einsätzig, die Konzertsinfonie behielt drei oder vier Sätze
und wird daher häufig als Sinfonie p^riodique d.h.
als mehrsätzige Sinfonie angezeigt.
II.
J. Haydn, Mozart, Beethoven.
*t große Aufschwung, den die Pflege der Sinfonie
in Deutschland um die Mitte des 18 Jahrhunderts
nahm, brachte ihre innere Entwicklung wohl in
Gährung, aber zu keinem bedeutenden Abschluß. Die ge-
m*einsame Arbeit der drei Schulen hat, wie noch Ph.E. Bach
zeigt, weder die italienische Thematik vollständig aus-
schalten können, noch weniger ist es ihr gelungen, die Form
der Sinfonie auch nur in dem Grade mit deutschem Geist zu
fallen, wie er sich anderwärts schon längst, in den Sonaten
S. Bachs etwa, geltend gemacht hat Auch diejenigen
Sinfoniekomponisten, die wie die beiden Böhmen Mysli- J« Hrtllwceiek
weczek und Zach, wie Gottwald, Camerloher, ^•«'' ,
Schwanberger, Rosetti und wie der viel gespielte ^®][J^*J,j'^^^
Londoner Bach außerhalb bestimmter Schulen stehen, gchwauberger.
tragen zwar zum Teil in die Ideenrichtung oder in die Roietti.
Formbehandlung der Sinfonie interessante Einzelzüge hin- ^^' ******
ein, aber das Gesarotergebnis ändern sie nicht. Erst
Josef Haydn wandelte sie um und zwar so gründlich
und gewaltig, daß seine Reform der Sinfonie eine der
bedeutendsten Taten der gesamten Kunstgeschichte ge-
nannt werden darf.
Wenn wir auf die Frage, worin bestand Haydns
Reform der Sinfonie, mit unseren Handbüchern der
Musikgeschichte und mit den musikalischen Lexicis ant-
worten: in der Einführung des Menuetts, so bleiben wir
--* 110 H>^
allerdings den Tatsachen das meiste und das beste
schuldig.
Haydn hat den Mennett nicht in die Sinfonie einge-
führt, sondern ihm nur in der internationalen Sinfonie
allgemeines Burgerrecht erworben. Es handelt sich dabei
im Menuett um ein Stück volkstQml icher Musik im all-
gemeinen. Die Wiener Schule näherte sich mit der Auf-
nahme dieses Tanzsatzes in die Sinfonie der Suite, und
Haydn war es, der die von andern großen Meistern, von
Corelli und namentlich von Händel auf dem Gebiete des
Konzerts versuchte Aussöhnung der höheren Tonkunst
mit der einfachen gesunden und reichen Volksmusik
auf dem Gebiete der Sinfonie zu einen in seiner Art
ganz vollendeten und wundervollen Abschluß brachte.
Ihm gelang es, in den Formen der italienischen Sinfonie
den Suitengeist heimisch zu machen; für diejenigen —
kann man sagen — die diesen neuen Geist im alten
Hanse nicht merkten, wurde der Menuett, der moderni-
sierte, ländlerartige, österreichische Menuett, noch be-
sonders drein gegeben; Im letzten Allegro, im Schluß-
satz, hielt auch die italienische Sinfonie auf eine gemein-
verständliche, un gesuchte, an Tanz anklingende Fröhlich-
keit. Aber in den anderen Sätzen ist zwischen ihr und
Haydn ein elementarer Unterschied: Der erste Satz hat
bei den Italienern weit ausholende, umständliche, bei
aller Trivialität auf Theaterfüßen einherstolzierende
Themen; bei Haydn, bei dem späteren Haydn wenigstens,
dem Haydn, den heute alle Leute meinen, wenn sie
seinen Namen nennen — knappe, sofort fertige, unge-
küQstelte, lustige, gemütlich beschauliche Weisen, die
wie aus dem Volksmund genommen klingen, sicher f&r
ihn wie geschaffen und doch dabei immer so edel sind,
daß sie auch die vornehmen und hohen Geister erfreuen,
erwärmen und fesseln. Seine langsamen Sätze, seine
Adagios, Andantes, Larghettos entwickeln oft den Tief-
sinn S. Bachs, die Empfindungsgröße Händeis, sind erregt
ohnegleichen; aber ihren Ausgang nehmen sie meistens
von dem Boden des Kinderliedes. Wer denkt da nicht
--♦ 111 ♦^
an das Andante mit dem Paukenschlag? Es führen ge-
rade von diesen Sätzen goldene Fäden nach dem Rohr-
aner Eiternbans Haydns, zu den Abendstunden, da der
. Vater die Harfe schlug und die Kfnder sangen.' Familien-
abkunft und Heimat haben einen großen Anteil an der
Sinfonie Haydns; sie haben zum Teil ihre Richtung auf
den Gedankenkreis der Suite bestimmt, ihre schnelle und
weite Verbreitung, ihre ungeheure, bis heute bewährte
Popularität begründet.
y^ Aber der volkstümliche Charakter der Haydnschen
' Sinfonie ist nur der eine Teil ihrer Neuerung. Er ruht
auf der Erfindung der Gedanken. Wichtiger noch ist, wie
das sch6n frühzeitig bemerkt worden ist*), der andere:
die Auslegung, Verwendung des thematischen Materials,
das, was Theologen und Philologen die Exegese nennen.
Hierfür standen der älteren Zeit in der Instrumentalmusik
vor allem Fuge und Variation zur Verfügung. Beide
Formen arbeiteten fast ausschließlich mit dem Thema
in seiner ganzen Ausdehnung und Länge. In zweiter
Linie erst kam, namentlich durch das Konzert, die Ent-
wicklung eines Tonsatzes auf Grund von Bruchstücken
des Themas, auf Grund sogenannter Motive in Brauch.
Haydn machte nun diese motivische Entwicklung zum
Prinzip des Satzbaues, und eine besondere Eigenheit von
ihm war es, daß er solche Teile des Themas, solche
Motiye zu dem Zweck gern heranzog, die im Zusammen-
hang der thematischen Periode zurücktreten, denen man
nichts Bemerkenswertes ansieht. Ein Hauptb^ispiel für
dieses Haydnsche Verfahren bietet die Ddur- Sinfonie
Nr. 2 (der neuen Partiturausgabe von Breitkopf & Härtel),
die zweite der Londoner Sinfonien, in ihrem ersten Satz.
Da ist der ganze, große Durchführungsteil und auch ein
gutes Stück der. Übergangspartien in der Themengruppe
aus dem 3. und 4. Takte des Hauptthemas, aus dem zweiten
*) L. Gerber: Über gearbeitete Instramsntalmnslk, be-
sonders über Sinfonie. Allgemeine Musikalische Zeitung 1813,
S. 457 n. ff.
--♦ 112 «^
Abschnitt des Vordersatzes hergestellt, der also lautet:
Nun vergleiche man ein-
4^yA J J J J I ■» J I mal, wie unbedeutend diese
ff^T ip " ■ jj^.j^^ ^^,.j^ .^ Thema.
selbst bleiben, andererseits was für eine Skala von Emp-
findungen Haydn mit ihnen durchspielt. Das geht von
der entzückten Träumerei bis zum entsetzten, verzweifelten
Toben.
Dieses neue Haydnsche Verfahren i ließ die Grund-
linien der in der italienischen Sinfonie herrschenden
Formen im Anfangs- und Schlußsatz unberührt. Wir
haben im ersten Sinfoniesatz bei Haydn nach wie vor
die drei Hauptteile: Themengruppe, Durchführung, Re-
prise: das Schema also des sogenannten Sonaten satzes.
Seine Schlußsätze bleiben bei der bisher üblichen Rondo-
form — eine Art Instrumentalübertragung des Rundge-
sangs — oder sie verwenden, wie der erste Satz, eben-
falls das Sonatenschema. Aber die Teile selbst sind be-
trächtlich erweitert. Ganz besonders gilt das von der
Durchführung des ersten Satzes, die dessen wichtigsten
und spannendsten, in der Regel auch längsten, umfang-
reichsten Teil bildet. Gleicht die Themengruppe der Ex-
position im Drama, so bringt die Durchführung die
Katastrophe, enthält das bewegteste Stück aus dem in-
der Romposition vorgeführten Lebensbild. Dem lang-
samen Satz gab Haydn eine ganz neue, dem Sonaten-
charakter des ersten Satzes nachgebildete, in der Durch-
führung l^ürzer gehaltene, oder aber aus Variationen
herausgewachsene Gestalt. Die- Variationenform verdankt
die Stellung, die sie in der modernen Sinfonie, im Quartett
und in allen Zweigen des Sonatengebietes einnimmt, dem
Meister Haydn. Zwischen ihm und der alten Orchester-
suite der Haußmann und Genossen liegt eine Zeit, da sie
ihr Dasein bescheiden tl ich auf dem Klavier und im Schul-
dienst fristete. Der Menuett allein bewahrt den Charakter
der Volksmusik, den die anderen Sätze der Haydnschen
Sinfonie im Anfang, in den Themen, zeigen, auch im
weitem Verlauf. Er besteht aus einem in zwei Klauseln
--♦ 113 ♦—
geteilten Hauptsatz, einem Trio als Gegensatz und der
Wiederholung des Hauptsatzes. Im äußeren Gefüge wie
im Inhalt verliert er die praktischen Zwecke des Tanzes
nie ganz aus den Augen und verzichtet deshalb auf
Durchfahrongi thematische Arbeit und alle Künste der
Auslegung.
Eine erstaunlich große Anzahl von Musikfreunden
und Musikern — unter diesen Namen von gewichtigstem
Klang — glaubt, den >Papa Haydn«, den »gemütlichen«,
den » kindlichen € Haydn, mit einem Beisatz von Her*
ablassung verehren zu dürfen, weil Qr in den Themen
seiner bekannten Sinfonien sich sehr ungeniert als Bruder
Lustig gibt und in demselben Kreise harmloser, von der
Oberfläche geistigen Lebens geschöpften Ideen dreht.
Sie übersehen ganz den inneren Zusammenhang, der
zwischen der Thematik der Haydnschen Sinfonie und
den Werken der Berliner Liederschule, noch mehr aber
den, der zwischen den Themen und der Methodik ihrer
Entwicklung besteht Die Methode, in der Haydn seine
Gedanken entwickelt, ausnutzt, zum großen Tonsatz aus-
führt und erweitert, liebt bedeutende, durch eigne Wen-
dungen ausgezeichnete Themen nicht; sie kann sie nur
selten gebrauchen. Auch die Macht und Unmittelbarkeit
der ersten Erfindung, der immer von neuem, frisch ein-
setzenden Inspiration hat für sie wenig Wert. Tonge-
danken, die sich für die Haydnsche Methode eignen sollen,
müssen klar und reich gegliedert sein, vor allem unbe-
schränkte Verwand lungsfähigkeit besitzen. Das Wesen
der Haydnschen Sinfonie, ihre Eigentümlichkeit beruht
nicht auf den Themen und Ideen, ihrem Eigenwert und
ihrem ersten Eindruck, sondern auf dem Grad von Kunst,
mit dem der Komponist sie behanddlt, darauf, was er
aus ihnen zu machen weiß. Haydn schuf seine Sinfonien
aus einem ähnlichen Glauben, aus dem heraus Aeschylus
und Sophokles ihren Tragödien Volkssagen zu Grunde
legten, Schütz und Händel AllerweUsmotive und nach-
weislich fremde Erfindungen für ihre Kompositionen be-
nutzten: aus dem Glauben und der Anschauung: die
Kroizflchmar, Fftkrer. I, 1. 8
--^ 114 ♦^
Originalität und der Gehalt der Grundideen ist fiir große
Kunstwerke weniger wichtig, als die Begabung des
Känstlers. Ein Sinfoniker, der in der Methode Haydns
etwas leisten will, muß einen außerordentlich reichen
beweglichen Geist, er muß die Fähigkeit besitzen, ein
und dasselbe Thema mit tausend verschiedenen Lichtem
zu beleuchten, mit ihm in alle Türen und Tore seines
Phantasie- und Gemütslebens einzudringen. Er muß eine
Persdnhchkeit sein, die sich ihrer Falle und Eigenart
frechen darf und daraus mit yoUendeter Freiheit mitzu-
teilen weiß, was. am Platze ist War die Sinfonie vor
Haydn eine Festmusik, so wurde sie durch ihn eine -Ton-
dichtung intimster Art: der Subjektivität des Komponisten
wurde ein größerer Anteil i^n gewiesen, als ihn bisher die
Orchestermusik gekannt hatte. Es war fortan — um
mit Brahms zu sprechen — »kein Spaß« mehr, Sinfonien
zu schreiben.
Zu dem Suiten geist, zu der durch die Betonung thema-
tischer Arbeit erweiterten Satzform der Haydnschen Sin-
fonie tritt als eine dritte Neuerung die Beseitigung des
Cembalo aus dem Orchester, aber erst von seiner mittleren
Zeit ab. Man kann diese Maßregel auf die Anregung
der Gluckschen Oper oder, was wohl das Richtigere ist,
auf das Beispiel der alten Orchestersuite und ihrer süd-
deutschen Rechtsnachfolger, der Cassationen, Serenaden,
zurückführen. Im letzteren FnUe bedeutet sie, wie die
Einführung des Menuett, wie die Thematik der Haydnschen
Sinfonie, ebenfalls eine Annäherung an die Bräuche der
gleichzeitigen Volksmusik. In dem Augenblick, wo die In-
strumente des Haydnschen Orchesters von dem Cembalo
Abschied nehmen, richten sie untereinander eine, über alle
bisherige Konvention hin ausschreiten de Freiheit des Ver-
kehrs ein. Das Konzertieren und das Solospiel wechselt in
einer Beweglichkeit, die wohl von Händel z. B. in den
Oboenkonzerten, von Ph. E. Bach, von den Mannheimern
vorbereitet, aber in der Haydnschen Weise bisher noch
von niemandem durchgeführt war. Indem das Solorecht
von jetzt ab allen Instrumenten ohne Ausnahme ver-
^ 115 «-- .
liehen and in buntester Reihe, unter Umständen takt-
weise von einem zum andern wandernd, ausgeübt wurde,
gewann das Orchester mit Haydn einen Reichtum und
einen Reiz des Kolorits, der die Wirkungen seiner Sin-
fonien auf die Zeitgenossen mächtig förderte. Wir aller-
dings haben von der Schönheit und Eigenheit des Haydn-
schen Orchesterklanges in vielen Fällen gar kerne Ahnung,
weil wir sie durch das Mißverhältnis zwischen der Be-
setzung der Geigen und der der Holzbläser gründlich ver-
derben. Das vernichtet namentlich die Haydnsche Kunst
der Farbenmischung. Ein Beispiel: In der hübschen
Gdur- Sinfonie Nr. 13 (Partiturausgabe von Breitkopf &
Härtel) kommt im ersten Satz mehrmals eine Stelle
vor, an der zu den von den Bässen gebrauchten Vari-
ante des
Haupt-
themas:
die hohen In-
strumente mit
der Figur:
kontrapunktieren. Diese Figur klingt außerordentlich
schelmisch, weil die Oboen mitspielen und in den Geigen-
ton eine drollige Färbung hineintragen. Diese Nuance
muß aber verloren gehen, wenn, wie das bei unseren
Orchesteraufführungen anstandslos passiert, die ersten
Geigen zehn- bis zwanzig fach, die Oboen aber einzeln
besetzt sind. Der Dirigent muß notwendigerweise die
Besetzung des Orchesters kennen, die zur Zeit Haydns
üblich war, und danach seine Einrichtungen treffen. Ohne
etwas historisches Wissen geht's eben auch den soge-
nannten Klassikern gegenüber nicht!
Nur wenige Musiker sind sich darüber klar, daß die
Beseitigung des Cembalo aus dem Sinfonieorchester auch
mit einem künstlerischen Nachteil verbunden war. Er
liegt darin, daß wir jetzt zur Füllung der Harmonie,
Angabe des Rhythmus und anderer elementarer und
mechanischer Aufgaben, für die vor Haydn das Akkord-
instrument da war, eine Anzahl von Künstlern in Betrieb
8*
4
I
116 *^
setzen müssen. Wie sehen die Stimmen der Bläaer, der
zweiten besonders, in modernen Orchesterwerken oft ans!
Zwei, drei Fülltöne, dann wieder zehn, oder anch zehn-
mal zehn Takte Pansen, selten eine melodische, thema-
tische, für sich sinnvolle Stelle. — Es ist ein geradezu
demoralisierender Färberdienst, der trefflichen Künstlern
zugemutet wird, und Über kurz oder lang wird es dahin
kommen, daß wir das Cembalo oder einen Ersatz dafür
wieder zurückholen. In London mußte übrigens Haydn
wohl oder übel bei Aufführungen eigner oder fremder
Sinfonien sich das Klavier gefallen lassen, wohl auch
selbst spielen*).
Unter den Neuerungen der Haydnschen Sinfonie ist
das Prinzip der motivischen Entwicklung, der thematischen
Arbeit die wichtigste. Sie hat die Zukunft der Sinfonie
bis heute beherrscht. Ihr Geist, ihr Charakter war mit
der Individualität Haydns auf eilgste verbunden. Haydn
war mit seinem Scharfsinn, seiner Schlagfertigkeit, seinem
Witz für diese Methode geschalTen. Und doch hat er
sich ihr erst zugewendet, nachdem er die Mitte seines
Lebens längst überschritten, — ähnlich wie im Oratorium,
auch beim Betreten dieses seines eigensten und glänzend-
sten Gebietes ein Kunktator!
Von den vielleicht 160 Sinfonien, die Haydn kom-
poniert hat, ist die gute Hälfte unverüffentlicht geblieben,
nicht einmal in Stimmenausgaben gedruckt worden.
Namentlich die Arbeiten aus den ersten beiden Jahr-
zehnten seiner Tätigkeit ab Sinfoniker waren bisher
schwer zugänglich. Dem ist endlich durch die ersten
drei Bände der im Jahre 1909 begonnenen Gesamtaus-
gabe der Werke Haydns abgeholfen worden, welche die
zwischen 1769 und 1770 entstandenen vierzig Sinfonien
vorlegen. Haydn ist ähnlich wie Beethoven erst beim
Eintritt ins Mannesalter an die Sinfonie herangegangen,
aber dann auch vom ersten — für die von ihm geleitete
*) OriesiDger, 6. A.: Biographische Notizen über J. HAydn
(1810), S. 60.
--» 117 ♦^
Gräflich Morzinsche Kapelle geschriebenen — Stück ab in
der Regel seine eigene Straße gezogen and hat dabei
eine enorme Wandlungsfähigkeit be^vlesen. Schon beim
Vergleich der ersten mit der zweiten Sinfonie tritt sie Die «nten
hervor. Dort walten komische Einfälle, Künste der Ober- Sinfonien.
raschong, der Übertreibung, des grotesken Humors her-
vor, hier in der C dur-Sinfonie, mit der er in Eisenstadt
antritt, ist er eine ganz andere, feinere Natur, ein Künstler,
der den Witz und seinen Stolz darin sucht, aus wenig
viel zu machen. Man fühjt sich bei diesem Werke bereits
in die Londoner Sphäre versetzt und steht schon hier
dem großen Meister der motivischen Entwicklung und
der thematischen Arbeit gegenüber. Mit einem Teil dieser
früheren Sinfonien gab Haydn Beiträge zur Programmusik.
Die Richtung war zu Haydns Zeit unter den Instrumental-
komponisten noch von MufTats Suiten, Frobergers und
Kuhnaus Klavierstücken her beliebt und in der Sinfonie
durch Männer wie Dittersdorf (Sinfonien zu Ovids Meta-
morphosen) Mysliweczek (6 Sinfonien über die Monate
Januar bis Juni), G< Stamitz (la chasse), Tessarini (la
stravaganza), Rosetti (Sinfonien: »Galypso und Telemach«»
»Der Sturz Phaetons«), Pichel (neun Sinfonien über die
neun Musen) u. a. vertreten. Er selbst hat seine Neigung
zu ihr noch in späteren Jahren bekannt, als er dem Hof-
rat Griesinger bemerkte, daß er in seinen Sinfonien gern
einen »moralischen Charakter« geschildert habe*). Wie
sehr das Publikum Haydns, namentlich das französische,
einen poetischen Anhalt in den Sinfonien liebte, das
sagen uns die Beinamen, mit denen es die Werke Haydns
belegte: Wir haben da einen Philosoph, einen »Zer-
streuten« (il distratto), einen Schulmeister, eine Lamenta-
tion, eine Passion, eine Maria Theresia einen Laudon,
eine la Reine, la chasse, la poule, einen Tours, eine
Feuersinfonie, eine Militärsinfonie, eine Kindersinfonie
und noch eine ganze Reihe merkwürdiger Namen. Car-
pani, der italienische Biograph Haydns, der Librettist der
♦) Griesinger. S. 117.
— ♦ 118 «^
italieniscben »Schöpfangc behauptet, daß Haydn diesen
Sinfonien allen ausgeführte Novellen und Geschichten
untergelegt habe*)> Soweit es sich um Kompositionen
aus späterer Zeit handelt, stehen jedoch diese Titel dem
Wesen der Kunstwerke meistens sehr fem und heften
sich nur an Kleinigkeiten und Äußerlichkeiten der im
übrigen vollkommen normalen und formgerechten Sin-
fonien. Die ersten wirklichen Beiträge Haydns zur Pro-
grammusik sind die 1761 komponierten Sinfonien le
Die matin, le midi, le soir, die Tei^ie eines die »Tageszeiten €
Tagesaeiten. benannten^Zyklus, dessen viertes Stück, la nuit, wabr-
scheinlicb verloren gegangen ist. Haydn hat sich an
dem Thema der Tageszeiten, das im 18. Jahrhundert
auch von Dichtern und Malern bebandelt worden ist,
sinnig und witzig die der Musik zugänglichen Seiten
j.Haydtt, herausgesucht Der Morgen (le matin) gibt ihm in den
le matin. Ecksätzen und im Menuett Gelegenheit zu stimmungs-
reichen Wanderbildem mit Lerchengesang und anderer
Naturmusik, mit Wechsel von Sonnenschein und Wolken,
stillem Träumen und lautem Jubel. Da der Morgen aber
auch die Zeit des Lernens ist, bringt der zweite Satz die
Parodie einer Musikstunde, eine der in der älteren Vokal-
musik so beliebten Solmisationsszenen. Die Schüler
(Geigerchor) tragen von D aus die Gdur-Skala vor und
spielen fälschlich b, da fällt der Lehrer (Solovioline)
heftig ein und zeigt ihnen, daß es h sein muß. Nach
dieser Korrektur greift eine freie und anmutige Unter-
haltung Platz,
le midi. Der Grandgedanke von le midi ist eine in die Form
eines Concerto grosso gekleidete solenne Tafelmusik. Im
ersten Satz erinnert sie, sich an ein Glucksches Thema an-
lehnend, an das Festmahl, von dem Don Juan zur Hölle
weggeführt wurde. Mit diesem Bild im Kopfe wird Haydns
Zuhörern das merkwürdige Adagio verstäiidlich gewesen
sein, das mit vorausgehendem Rezitativ als zweiter Satz
folgt Der genannte Carpani erzählt, daß Haydn in einer
*) Carpani, Giuseppe: Le Uaydlne (Milano lhl2),'S. 69.
--♦ 119 ♦—
seiner ältesten 3infonien sich einen Dialog zwischen Gott
und einem verstockten Sünder gedacht habe. Nan: der
zweite Satz von le midi ist dieser Dialog. Im, Rezitativ
spricht Gott- Vater zum Sünder, im Adagio spricht (in der
Stimme des Cellos) der Sünder mit und wird zn Gnaden
aufgenommen. Der Glanzpunkt der Versöhnungsszene
ist die vor dem Schluß eingelegte Kadenz von Violine
und Cello, ein Unikum unbegleiteten Duettspiels. Menuett
und Finale halten ohne Bezug auf .besondere Vorgänge
an der Idee der konzertierenden Tafelmusik fest.
Le soir ist eine Art sinfonisches Seitenstück zu le soir.
Dittersdorfs Doktor und Apotheker und ähnlichen Kunst-
werken des bürgerlichen Behagens und anspruchslosen
Glücks, von traulichen Tanzweisen und Kinderliedern be-
lebt. Auch die Wandermotive aus le matin tauchen
wieder auf, und den Schluß bildet, wie in so vielen Kon-
zerten und Sinfonien der Zeit, eine »Tempesta«, die
Schilderung eines schweren Unwetters, die in Frieden
JEtusklingt.
Wie in den »Tageszeiten«, die nur in dem Rezitativ
des »midie einen unregelmäßigen Einleitungssatz bringen,
hält sich Haydu auch in seinen anderen Programmsin-
fonien innerhalb der gewohnten viersätzigen Sinfonieform,
aber er macht's mit seinem Gedankengang den Zuhörern
nicht leicht. Seine Weihnachtssinfonie z.B. (Nr. 26} WeihnaohU-
ivlrd man nur verstehen, wenn man daran denkt, daß einfonie.
die Kirche die Adventszeit als ernst und trübe auffaßt.
Ohne weiteres zugänglich ist die Programmsinfonie (Nr. 31)
»Mit dem Hornsignal«, »Auf dem Anstand«, mii Mit dem
dem durchgehenden Hörnerklang und den reizenden, ge- Hornsignal!
müt- und phantasievollen, brillant abschließenden Varia-
tionen des Finale.
Die bekannteste Programmsinfonie Haydns ist die j. Baydn,
sogenannte Abschiedssinfonie geworden, vermutlich Abschiods-
ihrer JEntstehungsgeschichte wegen. Dem Fürsten Ester- »"*^°°*«-
hazy fiel es im Jahre 1772 plötzlich ein, die Kapelle zwei
Monate länger als gewöhnlich auf seinem Sommerschloß
behalten zu wollen. Da entschloß sich Uaydn, für seine
— ♦ 122 ^>—
führt, im Ganzen jedoch nur Eigenheiten zweiter Klasse
ergibt Die Themengruppe, der Haydn in späterer Zeit
sehr oft nicht einmal ein zweites Thema gönnt, ist in
diesen Werken der bedeutendste unter den drei Teilen
des ersten Satzes. Dagegen ist die Durchführung in der
Regel nur sehr obenhin in einem gewissen al fr^sco-StU
behandelt. Sie zeigt Charakter, aber keinen eigentlichen
geistigen Inhalt Alles in allem ist dieser frühere Haydn
das reine Gegenteil von dem, den seine späteren, die noch
heute weltbekannten Sinfonien zeigen.
j. UftydB, Weil sie in Klavierauszügen vorliegen, geben auch
Sinfonie »Maria »der Schulmeister« und »Maria Theresia«, die der Periode
Thercsiac. ^^^ Abschiedssinfonie angehören, bequeme Gelegenheit»
einen Blick auf Haydn in der Zeit seines ersten Stils
zu werfen.
Die Sinfonie »Maria Theresia« wurde bei einem
Besuch, den die Kaiserin im September 1773 in Esterhäz
abstattete, aufgeführt und erhielt daher ihren , Namen.
Haydn wird das Werk aus dem Vorrat fertiger Sinfonien
in der Erwartung hervorgeholt haben, damit Ehre ein-
legen zu können. Sie ist so freigebig erfunden, daß man
aus dem mitgeteilten Material gut zwei Sinfonien her*
stellen könnte, die selbständige und eigne thematische
Ausstattung der Übergangsgruppen erinnert mehr an den
jungen Beethoven als an den fertigen Haydn. Die
plötzliche Ausweichung nach Cmoll im 13. Takte des
ersten Satzes z. B. ruft unwillkürlich eine frappante
Stelle in Beethovens erster Sinfonie (Themenpruppe :
das plötzliche pp nach der Gdur-Cadenz) vor die
Phantasie.
Der Ton, in dem sonst Majestäten begrüßt zu werden
pflegen, kommt in dieser Sinfonie der Kaiserin nicht vor,
aber das »Willkommen«, das sie bietet, kann an Herzlich-
keit, an Frische und Kindlichkeit nicht übertroffen werden.
Ein so begrüßter Gast kann nicht zweifeln, daß er unter
liebenswürdige, glückliche und auch interessante Menschen
gekommen ist. Wer die Sinfonie, ohne den Namen des
Autors zu wissen, hört, wird hie und da auf Mozart raten
— ♦ 123 <>—
wollen, namentlich wenn das Haui^tthema des ersten Satzes
-f^^ Oboen oder wenn
<^LLf r f " 'UU-^ '^ Abschluß der
cojrni In «w sab. ersten großen
Periode, ^^ yiomtgn. ^ y-^ ^ trillern . Beide, Hay dn
in der die tm j* ji-ft J J J J I fe I wie Mozart , hatten
Violinen: ü ^ « f^r solche Fälle eine
gemeinsame Quelle: die italienische Schule. Den flotten,
temperamentvollen Zug, der sich in den guten Opernsin-
fonien der Italiener findet, hat diese >Maria Theresia« sich
wohl zu eigen gemacht: das wird der Monarchin nach der
musikalischen Erziehung, die ihr zu teil geworden war,
sehr wohl gefallen und sie empfänglich und freundlich
for die Menge neuer Humore gestimmt haben, die Haydn
aus seinem eigensten Innern dreingab. Sie finden sich
in allen Sätzen: Die hervorragendsten sind im ersten
di» poltern-
den und bär-
beißigen Uni-
sonofiguren :
die die zarten Klänge des zweiten' Themas verjagen.
Im zweiten Satze liegen sie im Anfang des Haupt-
themas selbst, in dem Widerspruch zwischen dem leich-
ten Charak- AdAgio.. «««-— , t
»?' der Ver- 11.11 I | ^J^l FT^] m^^
Zierungsfigur : «^ ^ ^^ '•—■ '-^ ^
und dem etwas schweren ICIang der tiefen Violinsaiten:
noch mehr in den Stellen, die die Obergänge vom ersten
zum zweiten Thema, von der Durchführung zur Wieder-
holung bilden. Es ist, als wenn diese paar Takte mit
dem plötzlichen Hörnerklang, mit dem Vogelgezwitscher,
das aus den Violinen tönt, in die philosophischen Träume-
reien des Satzes hin ein mahnten: Siehst du nicht, wie
schön die Welt ist! Der Träumer aber fällt wieder in
Tiefsinn und Grübelei und stellt in dem Trugschluß bei
der Fermate — hier darf man an den Hamburger Bach
126
Knie gebrochene Schlüsse — Symptome des Zornes —
geben ihm sein besonderes Gepräge. Pohl (II, 262j führt
den Beinamen der Komposition auf den zweiten Satz,
das Adagio^ zurück, auf den »abgemessenen Gang« seines
Themas:
ßtemplice
J J J J I f] ^ ,n| JTTT-+4^ Das würde der
,.■1 j j j I T 7 -.-, r 7 ? : I J,, ^jstgQ Annahme
nicht widersprechen im Gegenteil: Wir erwarten bei
einem Programm, daß alle Sätze der Sinfonie an seiner
Durchführung teilnehmen.
Die hier mitgeteilte achttaktige Periode wird sofort
in variierter Form wiederholt und nochmals im Halb-
schluß beendet; dann erst kommt der Nachsatz, der das
Thema in die Haupttonart B dur zurückführt. Auch diesem
gleichfalls achttaktigen Nachsatz iolgt seine Variation
auf dem Fuße.
Wir haben also ein Thema, das in breiter Anlage
32 Takte umspannt. Diese Äußerlichkeit ist zu beachten,
weil in den folgenden Variationen über dieses Thema,
aus denen sich das Adagio bildet, die zweiten Perioden —
als wörtliche Wiederholungen der ersten — nicht aus-
geschrieben, sondern nur durch Wiederholungszeichen an-
gegeben sind. Es wäre in diesem Falle ein Verstoß gegen
die Metrik und das Ebenmaß der Komposition, wenn man,
was sonst ja zuweilen statthaft oder geboten ist, diese
Wiederholungszeichen ignorieren wollte.
Auch das Finale der Sinfonie ist ein Variationensatz
und zwar über das Thema:
Presto.
Zwar liegt dem Ganzen das Rondoschema zu Grunde;
doch treten die Zwischensätze ganz zurück. — In die
sorgenfreie Gemütlichkeit dieses Schlußsatzes platzt
--♦ 127 «^
(hinter dem siebenten Teilstrich) nach dem Dialog, den
die hohen und die tiefen Instrumente über das Motiv:
fähren, eine sehr aufgeregte
Szene herein. Wieder einer
jener Zwischenfälle, an denen
diese Schalmeistersinfonie so reich ist! Diesmal scheint
er erfreulicher Natur gewesen zu sein, denn das Sätz-
chen schUeßt ganz still entzückt auf einer Fermate auf
dem unerwarteten f-as-ces-des. Wie alle Sätze des
»Schulmeister« ungewöhnlich mit einem kleinen Stich
inä Karikierte ausklingen, so auch das Finale. Aber das
Kindliche und Rührende, der milde Glanz des Abendrots
überwiegt doch ganz entschieden. Es ist eine Stelle von
jener Poesie und Schönheit, mit der uns eine andere Perle
der Schulmeister-Literatur, Jean Pauls Schulmeister Wuz,
entzückt.
Was bei Haydn zu dem schroffen Wechsel der künst-
lerischen Anschauungen geführt hat, läßt sich nur ver-
muten. Zum Teil scheinen ihn die Werke Ph. Em. Bachs
beeinflußt zu haben. Als ihm einmal*} von der Ver-
wandtschaft seiner Musik mit der des bereits erwähnten
Mailänder Tonsetzers Sammartini gesprochen wurde,
wies er diesen vielzitierten Lehrer Glucks als einen
»Schmierer« heftig zurück und nannte ausdrücklich den
Hamburger Bach sein Vorbild. Wohl konnte er sich von
diesem Tonsetzer angezogen fühlen : denn er glich ihm
an Temperament, an Munterkeit und Heiterkeit des Geistes.
Dann mußten ihn aber auch die modernen Elemente in
Bachs Musik mächtig erregen. Die neue Zeit, die Zeit
der Roasseausche^ Natürlichkeit und des französischen
Esprit, sprach aus keines Zweiten Tönen so deutlich,
wie aus den Klaviersonaten Bachs mit ihrer Freiheit
des Ausdrucks, der Beweglichkeit und Zwanglosigkeit,
mit der sie den Satzbau betrieben und allerband bis
dahin, streng getrennte Stile durcheinander mischten.
Man kann schon in den ersten Sinfonien Haydns ver-
*) Griesinger. S. 15.
--^ 128 ♦^
einzelte Anregungen Ph. Em. Bachs annehmen. Näher
kennen gelernt und eingestanden studiert hat er ihn
aber wahrscheinlich erst in späteren Jahren, wo er
reif genug war, sich vor den Ausschreitungen Bachs
zu hüten.
Auch an die äußere Lebensgeschichte Haydns knüpft
sein neuer Sinfoniestil merkbar an. Im Jahre 1773 hatte
sein »Stabat Mater« den Beifall Hasses und der italie-
nischen Schule gefunden. Haydn war mit einem Schlag
ein berühmter Mann geworden und schrieb nun auch
seine Sinfonien nicht mehr für den kleinen Eisenstadter
Kreis, sondern für das ganze musikalische Europa« Mit
der Weltklugheit, die schon aus Haydns Bildern spricht,
trug er dieser Tatsache Rechnung, verzichtete auf die
melancholischen und schwer verständlichen Sonderlieb-
habereien seiner Phantasie, wenn er fortan an Sinfonien
ging und suchte statt dessen dem Geschmack der tonan-
gebenden Gesellschaft seiner Zeit Rechnung zu tragen.
Hierbei war es von entschiedener Bedeutung, daß die
ersten und dann die meisten auswärtigen Bestellungen
auf Haydnsche Sinfonien von Paris einliefen. Von 1779
ab, wo das Concert de la Loge Olympique, die Nach-
folgerin der alten Concerts spirituels von 1724, die heute
noch in den Concerts du Conservatoire fortleben, Haydn
einfahrte, war er der populärste Instrumentalkomponist
der französischen Hauptstadt. Der Verleger Sieber in
Paris gab nach und nach 63 Haydnsche Sinfonien in
Auflagestimmen heraus, man handelte wie etliche Jahre
früher mit unechten Phil. Em. Bach*) so jetzt mit ge-
fälschten Haydn**), 1810 veröffentlichte Leduc sogar
Partituren von 26 Haydnschen Sinfonien. Von Paris aus
drang dann der Ruf der Haydnschen Sinfonie nach Wien,
nach Deutschland und England und erzeugte jenen Haydn-
kuliu^, der bis ins 19. Jahrhundert hinein durch Anlegen
von Sammlungen, Errichtung von Konzertsälen, Gründung
*) H. Bitter: Die Söhne Bachs 186S, II., S. 332.
**) Siehe GyroveU' Selbstbiographie S. 45.
-^ 129 ♦^
▼on Yereinsverbänden das allgemeine Masikwesen mannig-
fach förderte. Die Vergleiche Haydns gingen vom »Geliert
der Mnsik« vom musikalischen Ariost bis zum Phöbos
Apollo und entsprangen einer völlig angekünstelten Be-
geisterung, die nicht zum kleinsten Teil mit darauf be-
ruhte, daß die Zeit Haydns den besten Teil ihrer Bildung,
ihres geistigen Wesens in den Sinfonien dieses Meisters
wiederfand. Sie waren in vollendeter Weise aqf den Ton
jener Klasse gestimmt, die vor der fran^ösichen Revo-
lution, unter dem sogenannten ancien regime, an der
Spitze der europäischen Menschheit stand.* Darum klingt
aus den Themen dieser Sinfonien des zweiten Stils immex
wieder derselbe anacreontische Grundton heraus, der
Ton der Anmut, Heiterkeit und Sorglosigkeit, der denen
ein f&r allemal vorgeschrieben war, die auf den Adels-
schlossern und in den Salons der höheren Bürgerschaft
verkehrten. Jener Ton, in dem die Frivolität des »Morgen
wieder lustikc, die überschäumende Lebenskraft des »Carpe
. diemc mit den Gefühlen edelster Humanität, des »Seid um-
schlungen Millionenc zusammentraf.
Nicht minder finden wir aber in den Haydnschen
Sinfonien jene Kunst der Konversation, jene Virtuosität
im geistreichen Gedankenaustausch wieder, die während
des 18. Jahrhunderts, soweit französische Bildung reichte,
also innerhalb des ganzen zivilisierten Europa unter den
höchsten innern Gütern obenanstand. Man lese nur die
nnübertrefifliche Schilderung, -die Frau von Staöl in ihrem
bekannten Buche »De TAllemagne« von dieser franzö-
sischen Konversation entwirft, und suche dann die her-
Torragendsten ihrer Merkmale in der Haydnschen Musik.
Wer die Kultur des vergangenen Jahrhunderts getreu und
vollständig übersehen will, darf an den Haydnschen Sinfo-
nien ebensowenig vorbeigehen, als an den französischenEn-
eyclopädisten. Sie führen die Gegenwart vor das Bild eines
gesellschaftlichen Geistes, der dem heutigen in mancher
Hinsicht überlegen ist und zum Muster dienen kann.
Daß die Sinfonien Haydns ihrer Zeit auch Schwierig-
keiten machten, erfahren wir aus England, wo man sich
Kretisch mar, Fftkrtr. I, 1. 9
r*
-^ 180 ♦—
1792 beklagte) daß die deutsche Instnimentalmusik afu*
geartet sei*). Es ist nicht zu leugnen, daß auch das
heutige Publikum dem vielfachen Gehalt der Haydnschen
Sinfonien und der großen Bedeutung Haydns volle Ge-
rechtigkeit nicht widerfahren läßt. Zum Teil aus Un-
fähigkeit. Denn die Haydnsche -Sinfonie verlangt eine
größere Kunst im Folgen und Hören, als die alte italie-
nische und der größte Teil der modernen Werke« Mit
der unvergleichlichen Beweglichkeit ihrer Gedanken setzt
sie die Fähigkeit schnellen Verstehens und des scharfen
Erfassens auch der kleinsten und feinsten Wendungen
voraus. Weil sie diese nicht besitzen, kommen soviele
Dilettanten, Kritiker, Spieler, Dirigenten ül^er die Be-
wunderung des Haydnschen Humors nicht hinaus. Daß
Haydn auch tief, leidenschaftlich und dämonisch ange-
legt ist, entgeht ihnen, weil er diese Gebiete, außer in
den langsamen Sätzen, immer nur kurz — in Einleitungen,
in den Generalpausen, Fermaten seiner Allegrosätze, an
den Schlüssen der Durchführungen — streift.
Den Noten nach darf man das Jahr 1780 als die
Zeitgrenze hinstellen, in der der neue Sinfoniestil Haydns
seine Ausbildung abgeschlossen hat. Diese Annahme hat
neuerdings ihre diplomatische Bestätigung durch einen
Brief**^) gefunden, in dem der Komponist dem Fürsten
von Oettin gen- Wallerstein eine Partie frischer Quartette
mit dem Bemerken anbietet: >sie sind auf eine ganz neue
besondere Art«. Von den Pariser und den in ihre Nähe
gehörigen Sinfonien, in denen sich dieser neue Stil zu-
nächst zeigt, sind La Chasse, L^ours, La Poule, La Reine
und die Oxfordsinfonie wenigstens dem Namen nach all-
gemein bekannt. Keine von ihnen gehört zur eigentlichen
Programmusik, und Haydn ist an den Titeln, die sie
tragen, mit Ausnahme der ersten, wie schon bemerkt,
vollständig unschuldig. Es sind Kosenamen, die mehr
*) F. Pohl: Haydn und Mozart in London n, S. 180.
**) Adolf Sandberger: Zar Geschichte des Haydnschen
Streichquartetts. Nördlingen 1899.
— ♦ 131 ♦^
an zufällige Einzelheiten, als an das Wesen der Wetke
anknüpfen, mehr die musikalischen Liebhabereien, des
französischen Volks, das diese Beinamen erfand, be<
leuchten, als den Inhalt der Sinfonien. Sie entstanden
in den Jahren 1781—1788 und zeigen so, wie sie hinter-
einander iolgen, dass auch Haydn auf dem Weg zur
vollen Meisterschaft gelegentlich gestrauchelt und rück-
wärts geglitten ist. Nach ihrem Wert aufgestellt, würden
die genannten Sinfonien die Reihe geben: La Poule,
L'ours, La Reine, La Chasse, Oxford-Sinfonie.
In der Zeit der Pariser Sinfonien bewegt sich Haydn
noch in dem reicheren und weiteren Stimmungskreise
seines ersten Stils und nimmt wohl in der Ausführung
seiner Themen, aber nicht bei ihrer Erfindung auf den
Geschmack der großen Welt Rücksicht. Wenn die Kom-
positionen dieser Periode im allgemeinen den Charakter
von Gelegenheitsdichtungen, Herzensergießua^en und
Äugenblicksbildern aus dem Leben ihres Schöpfers haben,
so ist das bei La Poule ganz besonders der Fall. Diese J. ifayda,
Sinfonie erzählt von unruhigen, trüben und ernsten La Poule,
Stunden. Ein Rest von Sorge und Furcht wohnt auch
in ihrem Menuett und ihrem Finale, wächst in diesem
sogar zur Leidenschaft und Erregung an. So hat sie
denn den Vorzug der geistigen Einheit und Zusammen-
gehörigkeit sämtlicher Sätze, die ja so häufig in der
neueren Sinfonie fehlt; auf der andern Seite läßt sie,
namentlich in den Ecksätzen, nicht verkennen, daß der
Komponist seinem* Stoff noch nicht mit der menschlichen
Freiheit gegenüberstand, die das Kunstwerk nicht ent-
behren kann.
Der erste Satz ruht auf einem Hauptthema von 16 Takten,
▼on denen dreiviertel durch freie Wiederholung der Periode
AUi^fo oonsgiriio. gebildet sind,
f. Sie spricht
* f'J I |=Schmerz und
Unwillen aus;
bei der- nächsten Weiterführung des Themas bleibt kein
Zweifel, daß die Elemente des zweiten Abschnitts, die
9*
132
der Kraft und Energie, Anstalt machen, das Feld zu be^
hanpten. Beim 33. Takt, nachdem das Thema, Tariiert,
zum zweiten Male vorbei gezogen, tritt ein munteres,
lebensfreudiges Motiv:
in seine Fußtapfen. Nach einigen Gängen, die es tut,
verliert es sich aber unerwartet ins piano und pianissimo,
tritt wie aiif den Fußspitzen (nämlich inj^«fj^«y/^tyj^«y!
bei Seite, um einer wichtigen Erscheinung Platz zu machen.
Das sogenannte zweite Thema ists, das als höherer Ver-
bündeter gegen die dunkle Macht des Hauptthemas eintritt:
Der Dichter ist an den Busen der Natur geflüchtet
Wenigstens haben die Franzosen nach diesem Thema
und einer gleich darauf folgenden Stelle, wo die Oboe
ziemlich lange auf demselben Ton den Rhythmus
j j [ j k angibt, die Sinfonie als La Foule getauft
J- J J« J # ^uf die Dauer vermag jedoch dieser naive
Freund nichts gegen die Not der Situation. Vergebens
erhebt er seine Stimme noch einmal am Anfang der
Durchführung. Diese seihst gehört ganz den bedroh*
liehen Tönen, mit denen das Hauptthema beginnt Sie
suchen mit besonderem Eifer aus den tiefen Regionen
her, in den Baßinstrumenten zu schrecken. Doch ist
ihre gespenstische Kraft geringer als der Komponist be^
abfiichtigt hat. Sie verstehen sich so wenig zu ver-
wandeln und zu entwickeln, daß wir den ganzen ersten
Satz unserer Sinfonie trotz der ansehnlichen und klaren
Intentionen, die ihm zu Grunde liegen, zu den schwächsten
Leistungen Haydns rechnen müssen. Mit L^ours, La Reine
steht La Foule in Bezug auf die Durchführung auf der
Stufe von Versuchsarbeiten; nur das Prinzip erhebt sie
über die Sinfonien des ersten Stils.
— » 133 *^
Ein schöner, reicher und interessanter Satz ist das
Andante. Was er will, sagt das Hauptthema schon ge-
nügend in seiner ersten Hälfte:
Nämlich bernbigen. Wie es aber in der Lösung dieser
Aufgabe nach den besten Wegen suchend die Richtung
ändert, wie es dabei erschreckt, gehindert und gestört
wird, das hat Haydn in einem Tonbilde ausgeführt,
welches wir unter die unmittelbarsten, dramatisch be-
deutendsten Leistungen der Instrumentalmusik überhaupt
zfthlen müssen. Wenn wir uns die vier Sätze unserer
Sinfonie als die Hauptteile einer spannenden Geschichte
denken wollen, so enthält das Andante das Kapitel der
Entscheidung. Ganz überwältigend hat darin Haydn den
Zustand der äußersten Seelenspannung geschildert: wie
die Erwartung, die das Schlagen des Herzens unter-
drücken möchte, dem lauten Aufschrei weicht und ein
Gefühl ins andere stürzt, das ist mit einem wunderbaren
Realismus dargestellt.
Die Seberhafle Stelle beginnt mit einer abwärts sausen-
den Skala in Zweiunddreißigsteln im forte, darauf folgen
zwei Takte, wo nur in den Violinen noch jj^ ^ ^ ^ ^
ein Schatten von Ton sich regt — fast wie 4^ J; ' j; j
im 1. Satz der Eroica beim »Kumulus« — »'
und dann durchs ganze Tutti ein fortissimo!
Der Menuett gibt der Freude in ziemlich eigensinnigen,
Zwei- und Dreiviertel untereinander werfenden Rhyth-
men Ausdruck, ^jAllegretto. ^
wie schon der Y/tf P M p" I CrJ r'f I il- I J^
Anfang zeigt: ^y * *^J ' T ' U UT t- "^ r ■■».
Es klingt fast slavisch, deutet in der massigen Be-
setzung und den stattlichen Unisono-Figuren auf Volks-
mengen und Feste im Freien. Voii diesem Grunde
hebt sich dann das Trio mit dem anmutigen Flöten-
solo:
134
L'onn.
als reizende Idylle ab. Das Finale raht anf dem Thema:
J I ' " M II"
. n
Einige Ausgaben schreiben für das Tempo Presto,
andere Vivace vor. Es ist wieder einer von den Fällen,
der uns den Mangel einer kritischen Gesamtansgabe der
Haydnschen Sinfonien fühlbar macht. Presto geht ganz
nnd gar nicht, Vivace allenfalls! Die Melodie nähert sich
nach Taktart nnd Charakter den Sicilianos des 18. Jahr-
hunderts. Es handelt sich in ihr nicht um stöi mische
Freude, sondern um ein besonnenes, wonniges Genießen
eines schwer errungenen GlQcks. In der Durchfähmng
leben die Stürme, die dem frohen Ende vorausgingen
noch einmal auf. Sie setzt mit dem Thema in' D moU
ein und geht dann in heftiges Toben und Lärmen über.
Glücklicherweise ist sie nur kurz.
Die mit dem Beinamen L*ours belegte C dur-Sinfonie
stammt mit La Poule aus demselben Jahre 1786 und ähnelt
ihr darin, daß auch bei ihr der erste Satz am wenigsten
gelungen ist Auch er hat ein inhaltreiches und ergiebiges
Hanptthema:
O vivace. ^£ ^ U) I
Jii|i ri I irri II n \^ i'
m das sich, wie in die Seele eines rechten Jünglings,
Feuer, Kraft und Anmut teilen. Haydn stellt ihm ein
zartes, zweites Thema entgegen:
jfi^..rrrfrinrri*^r^rri
135
Das Eigentümliche an dem Satze ist aber, daO der Über-
gang von dem ersten zum zweiten Gedanken nicht bloß
sehr lang ist, sondern auch sehr viel Leidenschaft und
Erregung verbraucht Es kommt namentlich ah der Stelle,
wo in der Mitte der Instrumente das g als liegende
Stimme fortdröhnt, zu einer Wirkung, die sich für den
Verlauf des Satzes als furchtbar einprägt und Schluß und
Ausgleich verlangt Damit ist dem Durchfahrungsteile
die Spitze abgebrochen, und in der Tat bringt er, mit
Ausnahme des Eingangs, an dem das Motiv c des Haupt-
themas wieder auftaucht, nicht viel anderes als Wieder-
holung der Themengruppe in andern Tonarten.
Was dieser erste Satz etwa schuldig bleibt, das
bringen die andern reichlich wieder ein. Das Andante
hat ein Thema von ganz volkstümlicher Natur; es ist
auch in der einfachsten Art, die sich denken läßt, auf-
gebaut Der Hauptsatz beginnt mit:
ein Nachsatz von ebenfalls vier Takten schließt in F dur
ab. Nun kommt ein. Mittelteil -^ 16 Takte lang -* der
mit der echt Haydnschen Wendung:
^^^^
in den ersten Teil zurücklenkt: Wir haben es also mit
einem dreiteiligen Lied als Hauptsatz zu tun. Das wird
dreimal in veränderter Instrumentation angestimmt; vor
die erste und zweite Wiederholung treten Zwischensätze
in BtfoU, gehamischt wie Riesen, die alles zerschmettern
wollen. Aber, wie es mit Goliath und David erging, so
auch hier: die kleine Unschuld wird uns durch diesen
Gegensatz nur immer lieber, behält das letzte Wort und
benutzt die Gelegenheit zu einer Coda, in der sich noch-
mals ihr Humor, ihre Kraft und ihre Anmut regen.
— <^ 136 *^
Die Glanzpartie der Sinfonie ist ihr Finale, dem nicht
die Rondo-, sondern die Sonatenform gegeben ist Sein
Haoptthema:
VSym« m6*1.
dreht sich lastig und ausgelassen im engen Kreise. Seine
besondere Färbung erhält es darch den begleitenden
Baß, der den Satz ganz allein beginnt und hartnäckig
auf demselben Ton fortbrummt. Zuweilen unterstützt
ihn als zweite Stimme seine Quinte — das gibt dann
einen Pastoralklang, der uns mittlerweile sehr geläufig
geworden ist, denn neuere Komponisten kOnnen ohne
ihn kaum noch die einfachste Tanzszene schreiben. Zu
Haydns Zeiten war es eine ganz unerhörte Keckheit, in
eine Sinfonie derartige Sorten von Volksmusik hinein-
zuziehen. Wie mögen die ersten Zuhörer gestutzt haben,
als ihnen diese Jahrmarktskunst, di^se lebensgetreue
Nachahmung des Dudelsacks entgegentrat! Der über-
mütige Streich ist aber so frisch, so geistvoll und hin-
reißend durchgeführt, daß er Haydn zum höchsten Ruhm
ausschlug. Die Pariser fanden ungeheuren Gefallen an
dem Brummbaß; nach ihm tauften sie die Sinfonie mit
dem Namen Uours und reihten sie unter ihre erklärten
Lieblinge. Die Wirkung eines solchen realistischen Ein-
falls, wie er diesem Finale zu Grunde liegt, wird immer
kurz sein, wenn ihn nicht die Kunst, mit der er ver-
wendet wird, nachträglich adelt. Und dieses Glück ist
unserm Bärenbaß in vollstem Maß zuteil geworden. Die
Idee des fortklingenden Basses wandelt Haydn sofort in
die der liegenden Stimme um. Wenn die langen Töne dann
in den Violinen anschlagen, dreht sich in den Bässen
die drollige Figur des bewegten Motivs wie ein Wirbel-
wind. Dann schwingt sich der Komponist auf dem Motiv
1\ I %T1F\ ^™ fröhlichen Sturm und mit der Sicherheit
^ Ivl^^ des Virtuosen nach einer Stelle, wo aUfr>
137
geruht werden kann. G dar ist erreicht und fest erghlTen
Da setzt ein zartes, behagliches, zweites Thema ein in
den Oboen
„^j I§i .ihA ' In dieser Gesellschaft darf es nicht
p|L r "^ '^f ' '^ ^^ ^^^^ Ansprüche machen, den
^ ^* Schlaßtakt der auf 8 Takte an-
gelegten Periode schlägt der Brummbaß nieder. Noch
einmal versucht eine zarte Stimme sich Gehör zu ver-
schafTen — auch sie verschlingt der Sturm; mit einem
wilden, chromatischen Zug setzt die letzte Periode der
Themengruppe ein. Die Durchführung, die im ganzen
nur kurz ist, überbietet die Ausgelassenheit des vorher-
gehenden Teils dadurch, daß sie das närrische Treiben
in ganz entlegenen Tonarten fortsetzt Wir sind aus
G dur plötzlich nach F, von da nach E dur gestoßen.
Von da geht es nach Ddur zurück, und von diesem
Punkt aus wird das Thema als neckischer Kontrapunkt
vorwiegend in den Bässen gebracht und bald die Reprise
erreicht. An Munterkeit und Witz ist dieser Schlußsatz
von L*ours eine von Haydns höchsten Leistungen.
Die Sinfonie >La Reine« soll der Königin Maria j. Haydn,
Antoinette besonders gefallen und daher ihren Beinamen La Reine
eriialten haben. Sie ist eine Altersgenossin von L*ours und
La Poule und steht mit ihnen auch in Bezug auf den
Wert des ersten Satzes auf derselben Stufe. Das Inter-
essanteste an ihm sind die Mozartschen Züge in der
kurzen, sehr majestätisch einsetzenden Einleitung und im
Thema des Allegros:
^^*^
^^^^^^
188
Das ist das Sinnen und Träumen, das romantische
Z(}gem, dem sich der Meister von Salzburg gern
überläGt, wenn das Spiel beginnen soll. Es ist auch
der flotte, ritterliche
Schritt, mit dem er dann
doch sich erhebt, wenn
Haydn nun fortfährt: f
Selten ist bei einer Sinfoniekomposition Haydn von dem'
Ausgangsgedanken eines Allegro so gefesselt worden, wie
dieses Mal. Er wiederholt es zunächst in B dur noch ein-
mal, dann kommt es in Fdur, dann in der Durchführung
in As dur und zwar immer mit Ausnahme der Tonart
vollständig wörtlich. Auch die Zwischensätze, die diese
Wiederholungen unterbrechen, haben immer denselben
Charakter: Es sind Szenen der Aufregung und zwar fast
alle in der primitiven Weise von Haydn s erstem Stil aus
dem zuletzt angefahrten Viertelmotiv gebildet Ein zweites
Thema ist im Satze nicht da, und erst am Schlüsse der
Durchführung gewinnt der Komponist dem ersten einige
neue und tiefere Wendungen ab durch Nachahmungen
und Anwendung weiterer kontrapunktischer Kunst
Der zweite Satz von »La Reinec ist ein AUegretto,
das aus einem Yariationenzyklus über ein Thema mit
folgendem Anfang:
besteht Es ist, zu einem dreiteiligen Lied vervollständigt,
die Melodie einer französischen Romanze von >la gen-
tille et jenne Lisette«. Dieser Herkunft des Themas
wegen hat Haydn dem ganzen Satz die Überschrift »Ro-
manze c gegeben. Pohl findet in ihr nahe Verwandtschaft
mit der Romanze der MiUtärsinfonie. Sie beschränkt
sich aber darauf, daß beide Stücke den Rhythmus
mmmmmä . benutzeu. In unsrer Romanze liegen die
J JT73 I J Reize der Variationen in der Instrumen-
139
tierung, in der Färbung, in der Geschicklichkeit, mit der
Haydn das Thema, das immer wörtlich wiederkehrt, mit
anmutigen Kontrapunkten verdeckt. Neue Gestalten führt
nicht einmal der Mollsatz ins Bild ein.
Der Menuett der Sinfonie hält sich ungewöhnlich straff
und bestimmt Wenn er nicht im Dreivierteltakt stände,
könnte er marschierende Soldaten begleiten. Um so loser
tändelt daa Trio; fast scheint es, als sollten hier die In-
strumente nur an- .und eingespielt werden — so sehr
entschlägt sich die Komposition jeder Gedankenlast Das
Finale hat wieder die Form des Sonatensatzes und singt
einen Hymnus auf Behaglichkeit und Zufriedenheit Die
Themen sind:
Prerto.
MXui^iJJ
«r
Es ist das einer der seltenen Fälle, wo Haydn sich dem
etwas trocknen Geiste der deutschen Moraldichter seiner
Zeit nähert In der Durchführung, die mit dem ersten
Thema in den Bässen einsetzt, erhebt er sich aber
mächtig. Sie ist so bewegt und an den Stellen, wo sie
von Dmoll aus eine Reihe von verminderten Sept-
akkorden in gewaltigen Absätzen anläuft, so gewaltig,
daß man den Satz unter den merkwürdigsten Stücken
in der Haydnschen Sinfoniekomposition in Ehren hal-
ten muß.
Die Sinfonie >La Chasse« ist diejenige in unserer j. lUydii,
Reihe, die wenigstens für einen Teil ihren Namen von La Chasse.
Haydn selbst erhalten hat Dieser Teil ist das Finale. Er
ist im Jahre 1781 als Einleitung zum dritten Akt der Oper
-^ 140 ^~
>La fedelta premiatac komponiert. In diesem, nach der
italienischen Intri£:uenschablone yerfertigten Stücke führt
Diana die heillos verfitzte Handlang zu einem gedeihlichen
Ende, und dies Auftreten der JagdgOttin hat Haydn be-
nutzt, eine sonst durch den Dichter unendlich gehemmte
Phaiytasie in erwünschte Bewegung zu setzen. Für die
musikalische Schilderung von Jagd und Jagen hatte sich
in Kantate, Oper, Sonate und Sinfonie lange vor Haydn
ein förmlicher Kanon ausgebildet. Es war ein LiebUngs-
gegenstand der Tonsetzer. So dürfen wir auch von
Haydn, obwohl er bekanntlich Jäger von Fach war,
für die Orchesterphantasie in der er die Jagd und ihre
Göttin feierte, keine neuen Motive erwarten, sondern wir
wollen uns freuen, daß er alte, zweckentsprechende Weisen
im lebensvollen Bilde auf uns wirken läßt.
Der Satz beginnt natürlich mit Hörnern. Sie tragen
ein Fanfaren motiv vor, in das aber auch Oboen, Fa-
gotte, sämtliche ^^ _ __ _ /=% J^'^^^ i^
Streichinstrumente^lTHI ff |F ff F B | f ^^samte Or-
mit einstimmen : »^ "" r " ' »^ ' »^ " ' ehester setzt
unmittel- ^^ _ ^» ♦ ^ ^ ^^ . welches für den
bar daran ^*ji p ^11^ M" | ^^;feDurchfübrungs-
das Motiv : Jr ** 1 i ^^.j ^^^ Satzes
große Wichtigkeit erlangt. Es bildet dort den Träger der
Bewegung, der Jagdfreude und wechselt von zwei zu zwei
Takten mit den Mo- ^ ^.
Üven der Ruhe und'ifa II p' | f f | P' | f | P'
des Waldfriedens als: ^ 1 • -
Ähnlich wie in der Jagdszene der »Jahreszeiten c kommt
am Schluß der Durchführung eine Minute gewaltiger Auf-
regung : Es sind die Augenblicke, wo es sich entscheidet,
ob der Jäger oder ob das Wild Glück haben soll. Die
letzten Kräfte werden angesetzt, der Schuß fällt: Domi-
nantseptakkord und Fermate! Wir vermissen — die Stelle
der Jahreszeiten im Kopf — hier die Pauke. Aber sie
ist nicht nötig. Haydn versteht es, mit seinen Violinen,
Bratschen, Cellis, Bässen, mit Flöte, Oboen, Fagotts und
zwei Hörnern »großes Orchesterc zu spielen* Galt ja doch
-^ 141 ♦—
diese Besetzung für Sinfonien eine Zeitlang, in Nord
deutschland wenigstens, für bedeutend. Benda nannte
sie ausdrücklich in den Überschriften: großes Orchester.
Zu einer ganzen, viersätzigen Sinfonie wurde La Chasse
im nächsten Jahre vervollständigt; als der Fürst Von
Bsterhazy von einer längeren Reise zurückkehrte, führte
ihm Haydn das Werk vor. Man würde nach unseren
beutigen Begriffen erwarten, daß die Vordersätze mit dem
Schlußsatz in geistiger Verwandtschaft stehen und der
Jagd vielleicht eine Reihe vonWaldhildem vorausschicken,
etwa in der Weise der Raffschen Waldsinfonie. Anders
das 18. Jahrhundert, dem Wald und Gebirge nur be-
schränkt als poetische Gegenstände galten. Jedenfalls
waren dem Naturfreunde jener Zeit Ebenen mit Kanälen
und Pappelalleen lieber. Wir müssen auf ein solches
Programmband zwischen den Sätzen von »La Chasse«
vera;ichten und darauf: die Beziehungen, die zwischen
ihnen zweifellos bestanden, die Gründe, weshalb die Sätze
so sind, wie sie sind, angeben zu können. Der Fürst hat
den Sinn der Ovation und der Komposition jedenfalls
verstanden, und wir fühlen ohne weiteres, daß die Sin-
fonie einen stark persönlichen Zug zeigt, den Charakter
von tiefen Lebenseindrücken trägt. Sie gehört mit der
Ozfordsinfonie zu denjenigen Werken der in Betracht
kommenden Periode, die eine viel größere Menge
Herzenswärme ausstrahlen, als das bei Haydn durch-
schnittlich der Fall ist. Auch Jagdsinfonien aus Haydns
erster Periode haben diesen stärkeren Gemütston, die
Erklärung ergibt sich aus ihrer Verwendung an Hubertus-
tagen, bei denen der heim gegangenen Genossen gedacht
wurde. Am stärksten trägt diesen Charakter der Erinnerung
der erste Satz der Sinfonie. Eine herrliche Einleitung
empfängt uns mit ernst sinnenden Tönen und zeigt in der
Feme auf freundliche, liebliche Bilder. In ihrer Kürze,
ihrem Reichtum ist sie eins der schönsten Beispide dafür,
was Haydn auf diesem Gebiete der Andeutungen zu bieten
vermag. Sie schließt in Adur, der Oberdominant von D,
der Tonart der Sinfonie. Und nun setzt das Allegro ein:
142
AHegT«.
^»imrpj \f
lautet die erste Hälfte
des Themas.
Ist das aber nicht seltsam, ein Ddur-Allegro and der
Anfang in 6, in der Unterdominant? Ja, anßergewöhnlich
ists, aber auch sehr bedeutungsvoll. Die Phantasie des
Tondichters weilt nicht in der Gegenwart. Die Noten sagen
uns, was ein andererPoet jener Zeit in dieWorte gefaßt hat
Ich denk* an euch, ihr himmlisch schönen Tage
Dei seligen Vergangenheit.
Glückliche Stunden und Tage sind es, die vor die
Erinnerung des Meisters treten; vielleicht hat sie sein
Herr mit ihm geteilt. Später wird das trauliche Bild
aus der Vergangenheit noch mit einer breiten Melodie
weiter geführt, die folgendermaßen Mozartisch beginnt:
^^ und über
ten, über
dunkle Modulationen zum Ädur-Schluß geht. Sie ver-
tritt in der Themengruppe die Stelle eines zweiten Themas.
Die Durchführung ist geteilt zwischen eine Hälfte des
freudigen Schwärmens über das verkürzte Anfangsmo-
tiv des Haupt-
themas , das
in der Form:
in Nachahmungen und Engführungen von allen Stimmen
tüchtig durchgearbeitet wird. Noch einmal, glänzend und
golden, drängen sich die »himmlisch schönen Tage« vor
die Seele : In der zweiten Hälfte der Durchführung kommt
Erkenntnis und die Klage zum Durchbruch: daß es
sich um Vergangenes handelt Die Sätze sind hier über
das elegi- j j j j j gebildet, das einigemal sehr rüh-
sche Motiv %J r.^ ^ rend, traurig und schmerzlich zu
ans spricht.
--♦ 148 ♦—
JDer zweite Satz ist in seinem Anfang:
eine leibliche Schwester des weltbekannten Andante mit
dem Paukenschlag. Es teilt mit ihm Rhythmus, Metrum
und den Charakter der Kinderszene. Auch in iden Lie-
dern der »Zauberflöte«, im »Donauweibchen«, in den
Singspielen Wenzel Müllers hat es zahlreiche Verwandte
aus dem ersten Grade; in jeder Faser bekundet es die
Zugehörigkeit zur niederOsterreichischen Volksmusik. Ja,
wenn man will, kann man aus den Noten, die die
Viertel anfangen, das Kaiserlied »Gott erhalte Franz
usw.« heraushören. Freilich endet die Melodie nicht so
einfach. Im 9. und 10. Takte, die den Schluß bilden,
wendet sie sich deutlich genug ins Wehmütige und fügt
mit Halbkadenz und Fermate dem reizenden Bildchen
ein »Ach dahin!« an. Es wiegt aber für den Kunstwert
dieses Andante sehr schwer, daß es sich dem ersten Satz
innerlich so eng anschließt, so eng, daß niemand den
Sinn und das Verhältnis mißverstehen kann. Es ist, als
wollte es aus 'dem Schatz alter schöner Erinnerungen
der vorhin* so obenhin erschlossen wurde, ein besonders
anheimelndes, spezielles Stück hervorholen, ein Stück
aus der Kinderzeit meinen wir. In der Komposition
kämpft die Freude mit der Trauer. Der Trauer ist aber
ein Ausdruck gegeben, eben so schlicht und einfach, wie
es das Volkslied ist, von dem der Satz ausgeht. Kurze
Generalpausen und Fermaten vermitteln ihn. Und die-
selben Eigenschaften hat der Aufbau dieses vollendeten
Kunstwerkchens: a) Thema, 24 Takte, b) erste Durch-
führung, hauptsächlich in Moll, etwas erregt und pathe-
tisch, mit wunderschönen Anklängen der Hauptmelodie
aus der Tiefe, 26 Takte, c) Thema wie a, d) zweite
Durchführung mit innigen Klagen auf es— eis— d und
kleinen, erregteren Nachahmungen, 20 Takte, e) Thema
zum dritten Male, mit kurzem, sanftem Nachgesang.
-^ 144 ♦_
Auch im Menuett finden wir die Merkmale der
Erinnerungsfeier: frohe Bilder und der Schatten der
Vergänglichkeit darüber. Diese letzten sind der 6rund
der chromatisch romantischen Motivftthrung, die diesem
Satz eigentümlich ist, sowie der ins Klagende, und
Schwermütige übergreifenden Haltung der zweiten
Klausel:
Allegra
f r'ii''irii"^'i"i
Sinfonie.
Wir haben in La Chasse eine Sinfonie von höchster
Vollendung. Eigene Grundideen verbinden sich mit einer
Ausführung, bei der alle Teile, gleich gelungen in sich,
sich als Glieder desselben Ganzen erweisen. Kein Wunder
darum, daß diese Sinfonie sich besonders schnell und
weit verbreitete. Sie wurde, was viel sagen wollte, auch
in Italien bald bekannt Pohls Biographie gibt die näheren
Daten.
j.Haydn, Die Oxford -Sinfonie, die Haydn im Jahre 1788 ftbr
P-I?-f! Paris schrieb, ist im Zusammenhang mit »La Chassec
genannt worden. Sie haben beide den persönlichen Be-
zug auf Haydns eigenes Leben, gehen -von einem ele-
gischen Rückblick aus, den der gereifte, alternde Mann
auf die dahingegangene Jugend wirft. Die Verwandt-
schaft erstreckt sich aber auch auf die formelle Voll-
endung der zwei Sinfonien. Haydn vertritt nicht bloß
das Prinzip der thematischen Arbeit, der motivischen
Entwicklung, der gründlichen Auslegung der Gedanken,
sondern er handhabt es auch als Meister. Ohne Be<-
denken darf man in dieser Beziehung die Oxford-Sin-
fonie einige Stufen höher als die um sechs Jahre ältere
Jagdsinfonie und auf eine Linie mit den besten Londoner
Sinfonien stellen. Haydn hat auf seinem Weg zur
Oxfordsinfonie sich in einem früher nicht vorhandenen
Grade der Kunst bemächtigt, den Inhalt eines Themas
mittels kontrapunktischen Feinheiten zu erschöpfen und
im spannendsten Ton dem Zuhörer vorzuführen. Er
-^ 145 ♦—
nähert sich in der Behandlung von Engführungen, im Reich-
tum von schwierigen und aufregenden Nachahmungen der
Weise, die mit Mozart gleich geboren war. Mit dieser
sorgfältigen Ausarbeitung der Form, mit. diesem liebe-
volleren Eingehen ins Kleinleben der Stimmen ist aber
sichtlich auch die Beweglichkeit und Leichtigkeit von
Haydns Geist im allgemeinen gewachsen. Wir bemerken
das an der spielenden Sicherheit, mit der er jetzt kleine,
kontrapunktische Nebenmotive aufzunehmen und zur
Gedankenverbindung zu benutzen pflegt, die er früher
nach einmaligem Gebrauch würde haben fallen lassen.
Das zeigt uns namentlich der erste Satz der Oxford-
sinfonie. Er scheint keine Nebenpartien, keine Verbin-
dungsabschnitte, keine Obergänge zu haben. Alle Fugen,
wo die Glieder aneinanderstoßen, sind mit organischen
Motiven überwachsen, alles schließt eng und natürlich
zusammen. Ja, es ist Erklärem dieses ersten Satzes be-
gegnet, daß sie eine begleitende Geigenfigur für die
Hauptstimme gehalten haben. Dem Lernenden kann
nur ernstlich geraten werden, alle die Stellen aufzu-
suchen, an denen Haydn einen nebensächlichen Melodie-
schluß, ein Füllmotiv aufnimmt und zum Träger des Ge-
dankenbaues macht. Man kann mit einem gewissen
Recht die Oxfordsinfonie Haydns Eroica nennen. Der
neue Stil ist hier fertig.
Wenn der erste Satz in ihr und in der Jagdsinfonie
dieselbe poetische Idee haben, ein elegisches Erinnerungs-
bild vorführen wollen, so tun sie das doch verschieden.
Die Oxfordsinfonie zeigt den Komponisten in einer viel
stärkeren Weise erregt und ergriffen. Das sieht man
schon an der Einleitung, man sieht es dann besonders
daran, daß er im Allegro gar nicht von dem ersten Ab-
schnitt seines Hauptthemas
ifLajiJi^^^^
lassen kann. Das Thema erstreckt sich, ins Starke
und Zarte greifend, noch lang hin, bis die 16 taktige
KreitsGhmar, FlUirtr. I, 1. 10
— • 146 »^
I
Periode fertig ist Aber H^ydn kommt immer wieder auf
die ersten fünf Noten zurück. Bald liegen sie obeoi bald
in der Mitte, bald unten, bald offen, bald überdeckt da.
Elr kann sich nicht bemhigen, Das zweite .Thema kommt
darum erst ganz am Schlüsse der Themengruppe. Es ist
eine Buffogestalt, aus vielen komischen Opern, zuletzt
noch aus Rossinis »Barbiere bekannt. Hier wirkt es aber
doch wie eine freundliche, heimliche Vision: es spricht
wie ein guter Freund, wie ein liebes Kind:
Durch die Wogen der Darchführung dient es mehrmals als
helfender Lotse und hilft den verlorenen Weg wieder finden.
So häufig g^^ - ebenso beständig
im ersten Satz ik^ P [rj r ^1 ■! > kommt nun im
gefragt wurde : *^ ^^^ Adagio die Antwort
Adagio cantabile.
^^^^^m
Das Thema wird zur 8 taktigen Periode vervollständigt,
dann wiederholt. Hierauf folgen 6 Takte Mittelsatz,
dann unser Thema schon wieder, und mit dieser Ent-
schiedenheit bleibt es auch für die Folge an der Spitze
des Formenbaus. In die Mitte des Satzes stellt Haydn
ein wildes Mollstück, aus dem Dämonen ihre Fäuste vor-
strecken. Aber der kleine Engel aus Ddur läßt siöb
nicht bange machen, nur eine kleine Weile kommt er ins
Stocken. Es ist das eine sehr interessante Stelle, die die Fer-
maten und Septimenakkorde genügend kenntlich machen.
Die Erregung, die wir im ersten Satz der Oxford-
sinfonie bemerken, dauert auch in dem Menuett noch
an. Synkopen und Generalpausen sind seinem Haupt-
satz eigen. Erst im Trio bringt der Gesang den Hörern
den Frieden, dessen wir sonst an dieser Stelle von An-
fang an sicher zu sein pflegen. Selbst im Finale dürfen
wir dem frohen Ausgang noch nicht ganz unbedingt
^^ 147 ♦^
trauen. Das erste Thema hat in seinem Gesicht bei aller
Biegsamkeit einen launischen Zug
Presto.
m
T { k. J Jt M J I und benimmt sich insofern
f ' t^J ^ ■g^y= höchst eigentümlich, als es
t:7"
nach Art der unbändigen Tarantella unmittelbar hinter«
einander viermal wiederkehrt. Im weiteren Verlauf ver-
schwindet es einige Male ohne alle Ursache, bricht ab,
setzt uns vor sehr verlegene Pausen und springt wie ein
Kobold, der nicht zu fassen ist, aus den hohen Bläsern
in die Baßinstrumente. In der Durchführung entfaltet
Haydn sehr wirksam schwierige Künste des doppelten
Kontrapunktes. So bleibt die Oxford-Sinfonie von Anfang
bis zu Ende originell. Haydn hat das Werk selbst hoch ge-
stellt Als er im Juli 1791 nach Oxford zur Promotion reiste,
legte er für alle Fälle diese Pariser Sinfonie in seinen
Koffer. Sie trat schließlich auch wirklich an die Stelle der
ursprünglich für die Feierlichkeit bestimmten Komposition
und wurde seitdem unter dem Namen Oxford-Sinfonie ein
Liebling der englischen Konzerte. Später hat Haydn ihrem
Orchester noch Trompeten und Pauken hinzugefügt.
Kurze Zeit vor die sogenannte Oxforder fällt eine andere J. Hajdu,
bedeutende G dur-Sinfonie, die ebenfalls der Pariser Gruppe ^ dur- Sinfonie
angehört Die bekannte Partiturausgabe der Haydnschen Nr.isiB.&H.).
Sinfonien von Breitkopf & Härtel bringt sie als Nr. 13.
Sie beginnt mit einem kurzen Adagio, daß wie eine
Morgenandacht die lustige Ausfahrt einleitet, die im AUegro
sich vollzieht. Dieser Allegrosatz hat schon im Thema:
unverkennbare Verwandtschaft mit dem
Hauptthema im Finale von Beethovens achter
Sinfonie, Man woiß ja, daß Beethoven, weil ihm die Auf-
gabe reizte oder auch aus Obermut die Arbeiten andrer Ton-
setzer zuweilen zum Ausgangspunkt eigner großer Kompo-
10^
r
--♦ 148 ♦^
sitionen nahm. So hat er sich mit voller Absicht nach-
weisbar an Händel« Mozart, am häufigsten aber an nnsesn
Haydn angelehnt. An ihn gerade, weil er sich von diesem
Tonsetzer mehr als von einem andern beeinflußt, geschalt
und gefördert wußte. Ihn direkt zu überbieten, reizte ganz
besonders. Noch überzeugender als beim bloßen Vergleich
der Themen drängt sich die Verwandtschaft des Haydn-
schen AUegros und des Beethovenschen Finales auf, wenn
man Charakter und Durchführung der beiden Sätze prüft
Hier wie dort: der unaufhaltsame, stürmische Zug, die
plötzlichen verblüffenden Stockungen der Modulation, die
polaren Gegensätze in der Dynamik! Bei Beethoven ist
der Schwank nur noch um einige Grade toller gehalten.
Mit der ihr in der Stimmung ganz fremden Oxford-Sinfonie
hat die unsre im ersten Satze einige formelle Züge ge-
mein: Auch bei ihr tritt das zweite Thema sehr zurück,
beschwichtigt für den Augenblick, ohne Spuren zu hinter-
lassen. Auch bei ihr sind Mo- • - i ^-^ virtuos zum
tive des Hauptthemas, besonders UJ ' LS Aufbau der
Übergangspartien verwendet Auch bei ihr ganz neben*
sächliche, zufällige Melodiewendungen zum Träger
der Weiterentwicklung aufgegriffen. Ein schönes Bei-
spiel hierfür ist ^ ^ _ lautet das letzte Wort
der Schluß der jS r_t_fj ^ T der Violinen und dar-
Themengruppe: ^^"^^^^a an knüpft der Anfang
der Durchführung an, trägt die Figur im diminuendo
nach es, wo heimlich das Hauptthema anknüpft. Die
Durchführung ist besonders meisterlich in der Größe der
Gruppierung.
Der zweite Satz ist ein Meisterstück . Haydnscher
Variierungskunst Er beginnt mit dem Gesang (Oboe,
Cello dazu in 8va sub*):
Largo.
^^'Lls ir ^'PP ^ ip^< '
Diese 8 Takte ent^
halten das voU-
' ständige Thema.
-^ 149 «^
•
Wir hören es siebenmal ohne Ändemng in seinen Motiven,
nnr einmal nach Adur und einmal nach Fdur transpo-
niert. Auch keinen eigentlichen G/Bgensatz hat ihm Haydn
gegenübergestellt Die Wiederholungen werden nur durch
Zwischensätze unterbrochen, die sich mit einer einzigen
Ausnahme — es ist die Adur -Variation, sie umfaßt
16 Takte — auf vier und acht Takte beschränken und in
die Stimmung des Hauptthemas einlenken, bis auf einige
ff-Takte nicht einmal aus seinem piano heraustreten. In
den Variationen selbst herrscht mit Ausnahme der ersten
und dritten, wo die ersten Geigen, und der fünften, wo
die zweiten Geigen in Zweiunddreissigsteln kontrapunk-
tieren und begleiten, durchaus der ruhige Rhythmus
der Hauptmelodie. Und doch würden wir nicht müde,
wenn der Satz in ähnlicher Weise, no^h einige Minuten
fortdauerte. Das macht seine schöne wundervolle Stim-
mung, die an Sonntage, an Kirchen stunden in der
Kinderzeit, an Träume vom Paradies und ewigen Frieden
erinnert. In England wird die Melodie wirklich, in den
Kirchen zu der Hymne: »Fraise God, from whom all
blessings flowc gesungen. Daß Beethoven das Thema
wiederholt benutzt hat, ist bekannt Außerordentlich ist
auch der unübertrefHiche Wohlklang, der Reichtum von
Farben, den Haydn seinem doch besqheidnen Orchester
hier abgewinnt Auch seine Leistung in der Romanze
von »La Reine« reicht noch nicht an das in diesem
Variationensatz Gebotne heran.
Im Hauptsatz des Menuett geht Haydn mit der zweiten
Klausel tiefer in die Auslegung des thematischen Gehalts
hinein, als es sonst bei ihm an dieser Stelle üblich ist.
Der originellste Einfall im Satze ist der, daß an den
leisen Schlüssen der beiden Teile die Pauke sich wie
von fern beinerklich macht. Auch diese Idee ist bei
Beethoven — in seiner ersten Sinfonie — auf frucht-
baren Boden gefallen. Jener unvermutete Eintritt der
Pauke hat für das Trio des Menuetts seine Folgen ge-
habt: Bratschen und Fagotte bereiten den richtigen Boden
zum ländlichen Tanz durch immerwährendes Anschlagen
— ♦ 150 4^
der Baßquinten: aber die Melodieinstramente, Geigen,
Flöten und Oboen kommen bei allem eifrigen Drehen
nicht recht von der Stelle.
Erster Satz und Finale scheinen in dieser Sinfonie
die Rollen tauschen zu wollen. Der Schlußsatz bleibt
mit seinem Thema:
AUegro eoo splrito.
J7T3IJJ J J iJTgj}in
zunächst hinter der Flo'ttheit des Sinfonie an fange zurück.
Aber je weiter wir in dem Rondo, das Haydn über diesen
Hauptgedanken aufbaut, vordringen, desto größer wird
unser Erstaunen, unser Vergnügen über die Fülle von
guter Laune, von Witz, die uns auf Schritt und Tritt
entgegensprüht Eine Wendung immer kecker und drol-
liger als die andere, jeder Themeneintritt eine Ober-
raschung und eine Lust! Nach dem dritten Einsatz des
Hauptthemas kommt im jT ein Kanon, in welchem sich
über 20 Takte lang Violinen und Bässe in Entfernung
eines Viertels um das Thema streiten, erst die einen
dann die anderen an der Spitze. Nach dieser tollen
Hetzpartio folgt ein um so dezenterer Obergang: die
Instrumente tröpfeln die Töne nur noch leicht hin. Dann
das Thema zum letzten Male: Generalpause mit Fermate
und ein freier Schluß im dithyrambischen Stil!
Als die klassischen Vertreter des Haydn sehen Stils
gelten die- sogenannten 12 englischen Sinfonien,
welche Haydn für die von ihm selbst geleiteten Konzerte
in Hannover Square Room zu London in den Jahren 1791
und 1794 — jeden Monat eine*) — komponierte. Die
bereits angeführte Partitur- Ausgabe von Breitkopf &
Hättel bringt sie in den Nummern 1 — 9, 11, 12 und 14.
Bilden sie an und für sich schon eine Elite, so tun,
wir doch gut, auch noch unter ihnen eine engere Wahl
zu treffen. »Echter Haydn« sind sie wohl alle; aber
um sich den richtigen Begriff auch vom »ganzen Haydn«
♦) Griesinger a. a. 6., S. 117.
161
ZU bilden, muß man unter ibu^n unterscheiden. Da sind
denn die Nummern 1, 2, 6, 11 und 12 den übrigen be-
deutend voranzustellen. Sie sind die inhaltlich reicheren,
diejenigen, in welchen der Tcmpoet den Weg zum Para>
dieise sich<wenigef leicht macht, wo er kämpft und
zweifelt und wo der heitere Grundton seiner lebensvollen
Bilder durch tiefe und bedeutende Schatten die vollere
und nachhaltigere Resonanz erhall. Sie sind mit einem
kurzen Wort — das man nicht mißverstehen wolle —
moderner als die andern, in welchen die Skala der
Freude virtuos und mit immer neuen Nuancen' aber doch
so abgespielt wird, daß wir uns ab und zu nach einem
Gegenmotiv sehnen. Letztere sind — und wie wir
glauben mit Unrecht — in der Kunstgeschichte zum
Träger der Hay dnschen Kunst gemacht worden und
haben zu dem schon berührten Mißverständnis vom
»Papa Haydn« geführt. Haydn, der immer, die Frische
des Jünglings bewahrt und von Schwächen in seinen
Werken nur die der Jagend zeigt! Formell stehen sich
die beiden Gruppen, in welche wir seine Elitesinfonien
teilen, ungefähr ebenbürtig gegenüber. Namentlich auf
dem Gebiete, welches Haydn der Sinfonie entdeckt, er-
obert und ausgebildet hat: der Kunst der motivischen
Arbeit, der Auflösung der ganzen Gedanken in ihre
kleinsten selbständigen Bestandteile und der Entwicklung
neuer großer Bilder aus diesen Fragmenten — hier zeigen
jene volleren und die leichteren Sinfonien, als ganze
Gruppen verglichen, keine wesentlichen Unterschiede.
An der Hand jener Breitkopfschen Partitur-Ausgabe,
und ihrer Reihenfolge nachgehend, durchschreiten wir
kurz die erste Gruppe:
Die erste Sinfonie in ihr ist eine von mehreren in Es.
Ihr Hauptsatz hat eine Einleitung, ein Adagio mit folgen-
dem Thema:
J. Haydn,
Sinfonie Nr. 1
^Breitk. & H.).
Adftgio.
PtaLk. C^
PI.
Ob.
P
i. J
ftuk. CeUi Bässe Fkgotto Ob. Ig:^
fff iTjjijfjijriMJiiil:
^
^
-^ 152 ♦^
Die Mehrzahl der Uaydnschen Sinfonien der späteren
Zelt hat vor dem ersten Allegro eine solche feierliche,
gedankenvolle, sinnende, träumende, romantische Ein*
leitung. Das Tiefste, was an seiner Phantasie vorbeizog,
wenn er das ihm vorschwebende oder acbon fertige
Werk mit einem eindringenden Seherblick maß, das faßte
er in den Klängen solclier Einleitungen zusammen. Sie
sind meist nach dem Charakter der Sinfonie, welche sie
eröffnen, verschieden — sie haben sich auch von ihren
eigentlichen Vorbildern, den immer im gleichen Typus
auftretenden Einleitungslargis der französischen Ouver-
türe weit entfernt. Auf Cherubini namentlich haben sie
tief eingewirkt Unter vielen solchen schönen Einleitungs-
sätzen hat aber der hier in Betracht kommende zur
Esdur-Sinfonie noch seine besondere Bedeutung: Haydn
kommt auf ihn im ersten Allegro zweimal zurück. Das
erste Mal erscheinen die ernsten Züge des Themas
nach der ersten Fermate in der Durchführung im
schnellen Tempo und nur für einen flüchtigen Augen-
blick; nach der Reprise föhrt es aber der Komponist
noch einmal in seiner Originalgestalt vor. Solches Zu-
rückgreifen ist bei Haydn äußerst selten: es beweist in
diesem Falle, wie wichtig das Thema an sich ist. Der
Komponist stand unter dem Banne desselben und gab
sich infolgedessen den heiteren Ideen, welche die eigent-
lichen Themen ^ ^ axa.-^^ ^ mm. und
des Allegro an-i
schlagen,erstlich:'
::trr\ffrfrf^^Uu!rr\
nur bis zu einem gewissen Grade hin. Der Satz bleibt
viel stärker auf das Ernste und Große gerichtet, als man
nach der ausgesprochen leichten und launigen Natur
dieser beiden Führer erwarten sollte. In formeller Be-
ziehung ist dieses Allegro der Normaltypus eines Sonaten-
satzes, wie er in dieser Regelmäßigkeit bei Haydn nicht
oft vorkommt. Da haben wir ein vollkommen ausge-
--♦ 1&3 4^
bildetes zweites Thema: aach da^ obligatorische Tonali-
tätsverhältnis der beiden Themen ^ Ton^a: Dominant
-*- ist genau eingehalten. Im zweiten Teile, dem soge-
nannten Durchf&hrangsteil des ersten Satzes, neckt sonst
Haydn die Zuhörer gern, bringt das Hauptthema z. B. so,
als wollte er die sogenannte Reprise beginnen, während
es damit noch gute WeOe hat Hier aber hält er sich,
unbeschadet aller Tiefe und Genialität, Tollkommen schul-
gerecht. Ebenso normal verläuft der dritte Teil: die so-
genannte Reprise dieses ersten Satzes. Es ist .einfache
Wiederholung des ersten Teils mit der üblichen Änderung,
daß das zweite Thema nun ebenfalls in die Haupttonart
tritt, und sogar eine gek&rzte Wiederholung. Nur die
Einführung der Coda, der Moment, wo das Einleitungs-
thema wie ein Geist in die heitere Gesellschaft eintritt,
steht außerhalb und' über jedem Usus und lehrt uns die
Freiheit des Genies bewundem und respektieren. Eine
Eigentümlichkeit von Haydns Gedankenbau — das plötz-
liche Absetzen — die pointenreiche eindringliche, oft
verblüffende Rhetorik, eine Frucht französischer Musik-
studien — zeigt dieser Satz in besonderer Stärke: Er
hat nicht weniger als sechs beredte Fermaten l In der
Instrumentierung sind die Klarinetten zu bemerken,
mit welchen sich Haydn erst in England näher be-
freundete.
Der zweite Satz ist ein Andante. Es beginnt mit
folgendem Gedanken von dunkler Schönheit und einem
im übermäßigen S^kundenschritte liegenden aparten Zug:
Andante.
J jl I J.||i^J. ! J^
Aus ihm entwickelt sich ein längerer Gesang in der
zweiteiligen Liedform, dem hierauf ein Alternativ mit
marschartigem Charakter folgt. Durch Versetzung der
obigen Melodie ins Dur und durch kleine rhythmische
Varianten hat hier Haydn den eben angeführten Themen
ein vollständig anderes Bild abgewonnen.
164
Hauptsatz und Alternativ werden hierauf zweimal variiert
In der ersten Variation des Alternativs macht sich ein
Violinsolo sehr bemerklich. Die zweite Variation im-
poniert durch einen gewaltigen Einsatz; zum ersten Male
tritt hier in diesem Andante die gesamte Blasmusik, von
Pauken begleitet , im kräftigsten Ton auf den Platz.
Nach dem leise verhauchenden Ausgang des Violinsolos
von doppelter Wirkung! Der Satz belegt wieder, daß die
Kunst der Variation mit Haydns Sinfonien in ein neues
Stadium -tritt. Ganz genial ist an dem Andante unsrer
Sinfonie der Abschluß, die sogenannte Coda, welche nach
der Fermate beginnt. Sie bildet ein freies Nachspiel zu
den Variationen, ein poetisches A\)schiedswort an die
vorausgehenden Szenen, in welchem alles, was an Ge-
danken und Empfindungen vorübergezogen ist, noch ein-
mal kurz zusammengefaßt und potenziert erscheint. Die
16 Takte von der überraschend einsetzenden Dominant-
harmonie auf A bis zum Wiedereintritt des Alternativs
dürfen wir zu dem Genialsten und Eigenartigsten rechnen,
was in der musikalischen Komposition jemals erdacht
worden ist. Nicht mit Unrecht haben andere darauf hin-
gewiesen, daß dieses Andante, und namentlich die hier
erwähnte Episode der Coda, Beethoven beim Entwurf vom
Trauermarsch seiner Eroica höchst wahrscheinlich als
Muster vorgeschwebt hat.
Der dritte Satz dieser Sinfonie ist der Menuett: Sein
erstes Thema
W^
läßt schon in ungewöhnlichen Wendungen der Melodik
und Rhythmik ahnen, daß dieser Satz über den ein-
fachen Tanzcharakter hinausgehen wird; tatsächlich ist
er ein Charakterstück höheren Schlags und macht bei
allem Fluß und aller Einfachheit der Form eindringliche
-— » 166 •—
Abstecher in das Gebiet des Tiefsinnigea und Pathetischen,
sich ungewöhnlicher Modnlationsn^ittel bedienend. Die
außerordentliche Freiheit der Erfindung ist noth mehr
als im Hauptsatze in dem Trio zu bemerken, hier nament-
lich an der Stelle, wo die Violinen, sohr launig aufgelegt,
das Wort der HÖrner weiterführen.
Das Finale ruht auf einem einzigen Thema:
Presto. . i. ^ . Ganz erstaunlich,
f/v^ni I r r )■ if f p I rTf rT iT weiche Menge wech-
•^ 1 ■ j Lj ■ - selnder und schön
aneinander schliessender Bilder aus diesen wenigen Noten
entwickelt werden! Es ist eine der größten Leistungen
kontrapunktischer Kunst! Im Geist dieses Satzes sind ent-
schieden Mozartsche Züge bemerkbar. Wir begegnen sol-
chen auch noch in andern von Haydns englischen Sinfonien.
Sie legen in einer rührenden Weise von der Tiefe und Echt-
heit der edelsten Herzensfreundschaft und Liebe Zeugnis
ab, welche der alte Meister zu dem jungen gefaßt hatte.
Der Tod Mozarts scheint sie nur noch innig-er zu machen.
Besonders in der Sinfonie Nr. 2 (D dur) verweilt Haydn j. Haydu.
bei Mozarts Andenken unverkennbar. Er beginnt mit Don Sinfonie Nr. 2
Juan und schließt feiit Figaros Hochzeit seinen ersten Satz. (B'^itk. & H )
Es sind flüchtige sinnige Anklänge, wörtlich k8iu,m nach-
weisbar, aber für das Gefühl nicht mißzuverstehen.
Die Einleitung des ersten Satzes ist diesmal nur
kurz, hat aber einen wunderbaren, plötzlich verschleierten
Schluß. Darauf Generalpause,Ver8tummen und Schweigen,
als müßte der Dichter schwere Gefühle niederkämpfen.
War es die frische Nachricht vom Tode Mozarts? Der An-
fang des Allegro läßt diese Annahme zu, denn es setzt aus-
gesprochen elegisch, leicht klagend ein, tritt auffällig aus
deb Phantasiekreis der englischen Sinfonien heraus. Sein
Hauptthema, das ein ruhiges Tempo verlangt, ist folgendes:
Allegro.
.§ j< t .1 j ) 1 jj ffl I j j j j I f-,] I n- 1 f^jj
&r \ -j^
-1 !■ I ■ j L II Erst der fröhlich kräftige Nachsatz
^ f* j I iij^i ' I bringt das eigentliche rasche Zeit-
-^ 156 «--
maß. Das ei)dlich folgende zweite Thema (Adur) scheint
nur pro forma da zu sein und kehrt im ganzen Satze ein
einziges Mal, an der gehörigen Stelle in der Reprise,
wieder. Die Durchführung, zum größten Teil von dem
oben eingeklammerten Motive des Hauptthemas getragen,
ist schon früher als Musterbeispiel Haydn scher Art
erwähnt worden. Sie erhält durch die entschiedenen
Rhythmen des zugrunde liegenden Motivs einen ziem-
lich streitbaren Charakter. Nicht ausgeschlossen ist, daß
dieses Motiv eine Reminiszenz war. Ein Klavierkonzert
vo'n nSbeJnt ^nf J ^ J^;fJ Jl J J ^^
Das Andante dieser Sinfonie ist eins der interessan-
testen und für die Auffassung von Haydns geistiger
Persönlichkeit, für das Verständnis seines Runstglaubens
ein wichtiger Beitrag. Zu Grunde liegt dieser Romposition
ein etwas erweiterter Liedsatz mit folgendem Hauptvers:
Andante. ^—.^ ■— p»»» ^ .
Er wird verschiedentlich variiert Doch nicht diese
Variationspartien sind das Hauptelemeut der Komposition,
sondern die freien Zwischensätze, in denen sich ein
Fond von Leidenschaft auslebt, welcher die Bekenner
des »gemüUichen Vater Haydnt einigermaßen erschrecken
muß. Immer wieder werden diese stürmischen Ausbrüche
einer heftigen trüben Empfindung unterdrückt, zurück-
gedrängt und abgebrochen. Beschwichtigend, zuweilen
gewaltsam und halb ironisch kehrt der Komponist zu
dem oben zitierten Friedensmotiv zurück. War es Furcht
vor dem Dämonischen, Respekt vor der künstlerischen
Etiquette, die Haydn zu dieser Führung dieses Satzes
bestimmten, oder war sie durch einen besonderen Pro-
grammvorwurf bedingt, der verschwiegen blieb? £s
liegen Rätsel in diesem Satze, die aber glücklicher-
weise die rein menschliche und künstlerische Wirkung
des lebensvollen, erregten Seelen gemäldes nicht beein-
trächtigen.
r
--♦ 157 ♦^
Der Menuett dieser Sinfonie ist einer der wuchtigsten,
die vorkommen, und sehr mannigfaltig in seinen Bil-
düngen: grotesk und intim, drohend und neckisch zu-
gleich; reich an formell ungewöhnlichen Erscheinungen:
Riesenintervallen, Paukenwirbeln mit Crescendo, Gene*
ralpausen und Generaltrillern. Das Trio bleibt durch-
aus zart, mädchenhaft im Blick und fröhlich einfach ge-
schmückt. ^
Das Finale beginnt k la Musette wie die Bärensinfonie
A. Kuhacz weist nach, daß diesem, sowie das Thema vom
Andante und vom Finale der vorhergehenden Esdur-
Sinfonie in kroatischen Volksliedern vorkommen*). Ob-
wohl die Prioritätsfrage nicht entschieden ist, spricht
vieles dafür, daß sie Haydn daher entnommen hat.
Gegen das sehr fröhliche Treiben, welches sich auf
Grund dieses Themas im Finale entwickelt, bildet das
bedeutsam ausgestaltete zweite Thema einen herrlichen
Kontrast.
J|l dM I " II I ll ij II ij'M -If ■I-'
Es wirkt, als wenn ein glucklicher Mensch, mitten in der
rauschenden Festesfreude, einen frommen und dankbaren
Blick nach dem Sternenhimmel würfe, und erscheint uns
als die Perle in der durch und durch genialen Sinfonie!
Die Sinfonie Nr. 6 (G dur) wird mit einer Einleitung j. uaydn,
eröffnet, in welcher die »Jahreszeiten« ihren Schatten Sinfonie Nr. 6
voranswerfen. Das erste Allegro dieser Sinfonie ist knapp (B"itk. A H).
und gedrungen. Sein erstes Thema
*) Siehe darüber IL Reimanu in Allg. Mnsik-Zeitang 1893,
& 525 a. ff.
168
**— f
fjiiniLü nnuj I II 1^1 ^.11
läuft schon nach vier Takten aus dem üblichen leisen
Anfang in den sausenden und brausenden Chor ein, der
in den meisten Fällen bei Haydn das zweite Glied oder
die Reserve des Hauptthemas • zu bilden pflegf. Das
zweite Thema, im Satz zu keiner Bedeutung gelangend,
wird wieder mit emigen Geigen akkorden präludiert, die
uns in die idyllische Sphäre der Harfen- und Guitarren-
musik versetzen. Die Durchführung ist knapp gehalten ; das
oben eingeklammerte Achtelmotiv liefert ihr den größten
Teil des Materials. Der berühmteste Satz dieser Sinfonie ist
das Andante. Sie heißt nach ihm die Sinfonie mit dem
Paukenschlag, bei den Engländern »the surprise«. Haydn
schließt hier eine sanfte, erstp, dannpj? gehaltene Melodie
mit einem kräftigen
^4 •" -^^i^ Orchesters, wie Gy-
rowetz*) behauptet, aus Schelmerei, wie Haydn selbst
sagte**), um das Publikum mit etwas Neuem zu über-
raschen. Der an und für sich sehr billige Scherz gefiel
ganz ungemein und ist wiederholt nachgebildet worden,
u. a. von Carl M. v. Weber in der Ouvertüre seines eben-
falls für London bestimmten »Oberon«. Das Thema wird
dann in vier Variationen durchgeführt, die ausgezeichnet
untereinander verbunden sind. Besondere Aufmerksam-
keit verdient der unvermutete Übergang nach Esdur in
der zweiten und der schöne Gesang, welchen in der
dritten Oboen und Flöten dem in den Geigen her-
schreitenden Hauptthema entgegenstellen. Die Coda hat
wieder einschlummernden Charakter.
In dem sehr gestaltenreichen Menuett ist das Trio
diesmal nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung be-
handelt Seine anmutig hinflatternde Hauptmelodie tragen
*) Gyrowetz, Selbstbiographie S. 59.
♦*) Griesinger S. 55.
— » 159 ♦^
Violin« und Fagott zusammen vor, eine Oktavverdoppelung,
die Haydn namentlich in dem Menuett und in den zweiten
Themen der Ecksätze auch in andern Formen gern an-
W€nde4. Die Heimat dieser Instrumentationsweise ist eine
entschieden volkstümliche.
Das Finale gibt sich der fröhlichen Laune anfangs
nur mit Vorbehalt hin: sein Hauptthema
AUe^o di molto.
hat einige sentimentale Elemente. In der Führung des
Satzes ist die Oberleitung zur Reprise bemerkenswert;
das Hauptthema kommt einigermaßen unvermutet, aber
als willkommener Retter aus Irrfahrt und Öde.
Die 11. Sinfonie (Gdur) ist die sogenannte Militär-« J. Baydn,
Sinfonie. Sie verdankt diesen Beinamen ihrem zweiten ^^**.^i* ?J;^^
Satze: einem Allegretto, das auf Grund einer (von ^'®* ' ''
Haydn bearbeiteten) französischen Romanzenmelodie
^^ ^ ^.^-^--^^ ^^^ ein inhalt-
A^ ^ f ^ f T \r ** ir r r^^f'^ TM reiches Ton-
"^ ' bild entrollt,
dem man kriegerische Unterlagen wohl ansehen kann.
Es ist eine Art Abschiedsstimmung in der freufidlich
sinnigen Marschweise, welche die Chöre des Orchesters
nicht müde werden einander zuzusingen. Dann kommt
plötzlich das Thema in Moll; der Satz erhält einen Mittel-
teil, durch welchen große Schatten ziehen, der ernst
stimmt und die Trauer streift; »Heute rot — morgen tot!«
Unverkennbar ausgeprägt tritt der militärische Charakter
des Satzes gegen den Schluß vor: Abendstimmung: die
Romanze verklingt: Da ein Trompetensignal, das im •
Orchester augenscheinlich großes Aufsehen und Alarm
erregt In der Instrumentierung dieses Andante ist der
große Apparat von Schlaginstrumenten für die besondern
Tendenzen Haydns an dieser Stelle bezeichnend: Außer
den Pauken: Triangel, Becken und große Trommel! Einen
eigentlichen langsamen Satz enthält diese Sinfonie nicht,
ähnlich wie Beethovens achte.
-^ 160 ♦—
Der Hauptsatz beginnt nach einer prächtigen Ein-
leitung, die auch eine Stelle pathetischer Erregung hat, mit
folgendem Thema, von Oboen und Flöte allein vorgetragen :
ii n rii lujii- i' MV 11 1,
Yrrf\7fTrr"'^
Ehe es noch zu einem zweiten Thema kommt, pas-
sieren wir bereits Partien eigenartigster Erfindung. Die
Stelle, wo nach der Reprise des Themas in der Domi-
nant, Geiger und Bläser echt träumerisch unschlüssig
mit den zwei Noten spielen und sich dann im Forte
heroisch aufraffen, gehört dahin. Darauf unmittelbar setzt
das zweite Thema, wieder wie von Guitarrenklängen prä-
ludiert, ein. Es ist eine Melodie von echtem Wiener Blut,
die zum flotten Marsch einer' Infanteriekolonne ganz
gut paßt:
|j' fl" u ^'1 i^^^'^^'"''-
Dieses bis auf den Radetzkymarsch in der östreichischen
Kunst- und Volksmusik immer wiederkehrende Thema
läßt aber den Schwung nicht ahnen, der im Orchester
losbricht, nachdem sich die Bässe der tändelnden Weise
bemächtigt haben. Die Durchführung des Hauptsatzes
ruht wesentlich auf diesem zweiten Thema und erhebt
sich mit ihm ins Großartige. Der Menuett dieser Sinfonie
nähert sich dem alten Stile und wiegt sich in schwer-
fälliger Grazie. Haydn schreibt ausdrücklich »Moderato«
vor. Im Trio scheint sich ein Solopaar zu produzieren.
Das Haaptthema des Schlußsatzes
y i. Presto.
jjiijMjJ rri iLü ' 1 IlJüJ 'U''
scheint auf leichten Scherz und Tändelei hinzudeuten.
Haydn gibt ihm aber durch Modulationen und kontra-
--(► 161 «^
punktische Umarbeitungen einen schwereren, energischen
Charakter nnd flicht erregtere Szenen und Momente
dunkler Spannung ein; alles mit wenigen Noten, und in
einer Karze, die eine Meisterleistung an sich bildet. Die
Mintärsinfonie, die bis heute eine der beliebtesten ge-
blieben ist, gilt in England als die Krone der Haydnschen
Sinfonien, in London wurde sie binnen Jahresfrist sieben-
mal aufgeführt*).
Die letzte Sinfonie in unserer ersten Gruppe, Nr. 12 j. Hftjdn,
(Bdur), beginnt ebenfalls mit langsamer Einleitung vor Sinfonie Nr. 12
dem Allegro: Die beiden Themen des letzteren sind (Bf«»*^. 4 H.).
folgende:
a) Allegro.
•Jii'f' I liiJ J J^fil^
Das erste setzt ausnahmsweise gleich stark und mit
dem vollen Orchester ein und läßt dann das Piano nach-
folgen. Das zweite Thema hat in dem Satze größere
Bedeutung, als 'es durchschnittlich bei Haydn der Fall
ist Gleich sein erster Eintritt ist ungewöhnlich: es steht
mit einem gewaltigen Schlage da, fertig wie aus der
Erde emporgezaubert. An der Durchführung nimmt es
einen wichtigen Anteil. Doch stehen ihm andere Motive
hier ebenbürtig zur Seite; neben dem Achtelrhyth-
mus des Hauptthemas ± ^.^-^ .^ ^
noch das diesem fol- i v'' 1 | \\^ 7 f [ r ^
gende kurze Seitenmotiv: ^ «^
An Reichtum und Mannigfaltigkeit des Materials
zeichnet sich somit die Durchführung dieses Satzes aus
und gestaltet ihn zu einem der imposantesten in bezug
♦) 0. F. Pohl: Haydn n. Mozart in London II, 233, 269, 289.
Kretzsclimar, Ffthrer. 1,1. H
-^ 162 ^^
auf den Aufbau. Dem entspricht eine Fülle innerer Be-
wegung und Energie. Unter den Allegrosätzen Haydns,
welche Beethoven zum Anknöpfen dienen konnten, muß
dieser an erster Stelle genannt werden.
Der zweite Satz, von Haydn auch in einem Klavier-
trio verwendet, mit folgendem Hauptthema
jjinj^r%fYi^^;iHrir>^ji
ist auffallend kurz. Mehrmals streift er das leidenschaft-
lichere und schwermütige Gebiet, zieht sich aber immer
mit absichtlicher Eile und in genialen Wendungen auf
das Ausgangsterrain der elegischen Träumerei zurück.
Er gleicht einer Skizze.
In dem Menuett treten dem behäbigen Tanzcharakter
des Hauptthemas
- AUogrro. fc # mehrfach be-
genüber; namentlich ein pochendes Unisonomotiv J | J J
bringt eine fast dramatische Bewegung in der Szene
hervor. Das Trio sucht mit einer unwiderstehlichen,
spezifisch Wienerischen Herzlichkeit zu beschwichtigen:
AI ,—.... Die Melodie, welche durch
^ ► y J I f^TJr^^ mp r I ( die chromatische SteUe
ihre Signatur erhält, wird
wieder in der Oktave von Oboe und Fagott zusammen
gespielt.
Das Finale ist auf das Material eines sehr possier-
lichen, augenscheinlich der Volksmusik entnommenen
Trällerliedchens gebaut:
Presto. ^^m ^^ In seinem An-
Gelegenheit zu humoristischen Episoden, denen er freie
Zwischensätze von zuweilen trotziger Kraft gegenüber-
stellt. Im ganzen ist dieses Finale eins der wechsel-
vollsten und inhaltlich mannigfaltigsten.
168
Von den Sinfonien der rweiten Grappe gehöil die ^. ■«y««»
Nr. 3 (Es do^ zn den schwächeren. Der erste S&U ent- SinfonM Nr. s
behrt der bei Haydn gewöhntichen Inspiration nnd er- (^^^^ * ■^ >*
scheint vorwiegend als ein Produkt der Arbeit Seinen
vergnüglichsten Teil bildet das zweite Thema
Im zweiten Satze, Adagio (Gdnr), wird ebenfalls das
zweite Thema, znm Hauptgedanken nnd
mit folgendem pdf TH-f — g'^^ ^^ Komposition einen
Gmodmotiv ^ ' ' hymnen artigen Ansdrack.
Wenn bei Haydn die zweiten Themen hervortreten, so ist
dies in den meisten Fällen eine nicht unbedenkliche Er-
scheinung. Seine besten Sätze sind vorwiegend die-
jenigen, wo er ein zweites Thema gar nicht braucht
Der Menuett der Sinfonie erhebt sich in der Erfin«
düng über die vorhergehenden Sätze. Er gehört zu der
Gattung Haydnscher Menuette, welche den Übwrgang
zum Scherzo Beethovens bilden. Noch höher steht das
Finale, in welchem die gute Laune Haydns an dem fol-
genden kurzbeinigen Thema
j!i^b ü^ ir r r 0 I f\7''^ ' \" '=^^^rf
sich wieder in ihrer ganzen Frische aufrichtet Nament-
lich an kostbaren InstrumentalefTekten ist der Satz reich.
In der Sinfonie Nr. 4 iDdur) macht sich eine gewisse jr.Harda,
Gleichförmigkeit sowohl innerhalb der einzelnen Sätze als Sinfonie Nr. 4
auch im Verhältnisse der Sätze unter einander geltend. <Br«tt AH,).
Hier sind die Hauptthemen.
xau..j'irj,7j_jjjiiiLii ii II iuj|jrir;7
Anduie
]L8««s.
11*
164
m.Sa|s.
Allegretto
Den interes-'
I r f f I p= santestea Ein-
' * * ^ fall der ganzen
Sinfonie bildet
PiBtie. i^H,|J |rl JjTJIf rrri^ ^er im Andan.
jr te die zahlrei-
chen Wiederholungen des Hauptthema einleitende, ein-
geschobene Takt.
j. Baydsy Die Sinfonie Nr. 6 (Ddur) hat ebenso wie die vorletzte
Sinfonie Nr. 6 ihren schönsten Teil in der zweiten Hälfte. Mit dem Einsatz
(Breitk. A H.) ^^^ rj^j^ ^^ ^^^ Menuett, da wo die Bläser alle zusammen
alarmierende Triolen anstinmmen, verläßt der Tondichter
endlich die Idylle, in der er uns etwas lange festgehalten
hat. Der beden- ^ Presto mt non ireppo.
tendste Satz jf^j ^ ^^
ist das Finale ^^ ^
dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt
Seine ersten 3 Noten bald wie ritterlicher Weckruf alles
alarmierend, bald wie geheimnisvolle Stimmen aus
Waldesdunkel erschallend, jetzt näher, jetzt ferner klin-
gend — haben im Bau dieses Finale besondere Be-
deutung. Es ist reich an Bildern; die Gruppe vor der
Einfdhrung des zweiten Thema in der Reprise gehört zu
den phantastischsten Eingebungen. Ihre Pausen, Ferma-
ten, ihre schnell abbrechenden Schlüsse geben der Er-
klärungskunst voll zu tun. Vor anderen trägt die Fröh-
lichkeit dieses Satzes ein -männlich schönes Gepräge.
Ganz am Schluß taucht Don Juans Bild auf: >Viva la
liberta !«
j. HA^dn^ Die Sinfonie Nr. 14 (Ddur) gehört der zweiten Gruppe
Sinfonie Nr. u vollständig an. Der erste Satz, dem ein leichtes Thema
(Breitk. & H.). zu Grunde liegt:
AiUgTo. --rt ^ -. - kontrapunk-
:f±iU P y-Jd tiert einige-
male stren-
ger und verausgabt einen großen Vorrat gewaltig aus-
holender Gänge; er bleibt aber in seiner Fröhlichkeit
etwas äußerlich und theatralisch. Das Andante:
165
JTtjglp^gf'J'
f
^ schwärmt dahin wie vom Glück beflügelt;
= zuweilen bricht der Jubel mit Elementar-
gewalt heraus, dann wieder zittert es in
allen Gliedern wie von heimlicher Freude. Auch in dem
dunkleren Mittelsatz, der ein Mollthema fugenartig durch-
führt, lebt ein schwelgender Klang. Der Schlußteil des
Andante wird zum Konzert, wo den beiden Soloviolinen
alle anderen Instrumente lauschen. Der Mißnuett ist von der >
aristokratischen Familie und neigt dem Zarten zu. Das
Trio bringt reizende Soli der Flöte und des Fagotts, letz-
teres von der ersten Violine unterstützt. Das Finale ist
ein Rondo mit folgendem kurzgeschürzten Hauptthema:
, viTace assat. _^ ^ Namentlich die
^^^^^^* Sf ^e£
die Rückkehr in dieses'Thema einleiten, sind von eigen-
artiger Wirkung.
Die drei übrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine
Art Mittelstellung zwischen beiden Gruppen ein. In der
Tendenz ihrer Hauptsätze, die dem Heroischen und Pa-
thetischen zuneigen, haben sie etwas Gemeinsames und
würden ohne weiteres den Sinfonien der ersten Gruppe
anzureihen sein, wenn sie sich mit diesen an musika-
lischem Reichtum der Ausführung messen könnten. Die
bedeutendste unter ihnen ist die Nr. 9 (CmoU), wohl LHiiyda,
auch die bekannteste. Sie beginnt ohne Einleitung mit Sinfonie Nr. 9
einem Thema, dessen Doppelnatur weniger auf eine So- ^"*'^ * ^•)-
nate als auf die freiere Form der Fantasie hinzuweisen
scheint:
'Ü J^T^ii' \t^^
--^ 164 «^
u^tktto. Den inleres-'
▼ivaca. ^ Sinfonie bildet
PiMie. ftd" fl -1 ^ Ir] JjT]||* r r nr^^ l der im Andan-
^^ y^ ^ — -^ te die zahlrei-
chen Wiederholungen des Hauptthema einleitende, ein-
geschobene Takt.
j. Haydn, Die Sinfonie Nr. 5 (Ddur) hat ebenso wie die vorletzte
Sinfonie Nr. 5 ihren schönsten Teil in der zweiten Hälfte. Mit dem Einsatz
(Breitk. ft H.) ^^g j*^^ ^ ^^^ Menuett, da wo die Bläser alle zusammen
alarmierende Triolen anstinmmen, verläßt der Tondichter
endlich die Idylle, in der er uns etwas lange festgehalten
hat. Der bedeu- Presto m« non troppo. ^_^^^^— — _^
tendste ^-''ihrrff fl l.m I ' iJ l'^^^T*
ist das Fmale "»"* i^ ^ ^^
dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt
Seine ersten 3 Noten bald wie ritterlicher Weckruf alles
alarmierend, bald wie geheimnisvolle Stimmen aus
Waldesdunkel erschallend, jetzt näher, jetzt ferner klin-
gend — haben im Bau dieses Finale besondere Be-
deutung. Es ist reich an Bildern; die Gruppe vor der
Einführung des zweiten Thema in der Reprise gehört zu
den phantastischsten Eingebungen. Ihre Pausen, Ferma-
ten, ihre schnell abbrechenden Schlüsse geben der Er>.
klärungskunst voll zu tun. Vor anderen trägt die Fröh-
lichkeit dieses Satzes ein *männhch schönes Gepräge.
Ganz am Schluß taucht Don Juans Bild auf: »Viva la
libertalc
j« Haydny Die Sinfonie Nr. 14 (Ddur) gehört der zweiten Gruppe
Sinfonie Nr. 14 vollständig an. Der erste Satz, dem ein leichtes Thema
(Breitk. &H.). zu Grunde liegt:
AUcgro^ __jf0^ -V -> kontrapunk-
I^B I .^>^£JjJf.-f-n-rt=< tiert einige-
male stren-
ger und verausgabt einen großen Vorrat gewaltig aus-
holender Gänge; er bleibt aber in seiner Fröhlichkeit
etwas äußerlich und theatralisch. Das Andante:
165
W
^ schwärmt dahin wie vom Glück beflügelt;
z zuweilen bricht der Jubel mit Elementar-
gewalt heraus, dann wieder zittert es in
allen Gliedern wie von heimlicher Freude. Auch in dem
dunkleren Mittelsatz, der ein Mollthema fugenartig durch-
führt, lebt ein schwelgender Klang. Der Schlußteil des
Andante wird zum Konzert, wo den beiden Soloviolinen
alle anderen Instrumente lauschen. Der M,ßnuett ist von der «
aristokratischen Familie und neigt dem Zarten zu. Das
Trio bringt reizende Soli der Flöte und des Fagotts, letz-
teres von der ersten Violine unterstützt. Das Finale ist
ein Rondo mit folgendem kurzgeschürzten Hauptthema:
▼iTMe Msai. ^ _ Namentlich die
Solostellen der
Violine, welche
die Rückkehr in dieses 'Thema einleiten, sind von eigen-
artiger Wirkung.
Die drei übrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine
Art Mittelstellung zwischen beiden Gruppen ein. In der
Tendenz ihrer Hauptsätze, die dem Heroischen und Pa-
thetischen zuneigen, haben sie etwas Gemeinsames und
würden ohne weiteres den Sinfonien der ersten Gruppe
anzureihen sein, wenn sie sich mit diesen an musika-
lischem Reichtum der Ausführung messen könnten. Die
bedeutendste unter ihnen ist die Nr. 9 (Cmoll), wohl J.Haydi,
auch die bekannteste. Sie beginnt ohne Einleitung mit Sinfonie Nr. 9
einem Thema, dessen Doppelnatur weniger auf eine So- ^'®**^ * ^•)-
nate als auf die freiere Form der Fantasie hinzuweisen
scheint:
■}j j?TPi|- iiit\ ir
eben Wiederholungen des Hanptthema einleitende, ein-
geschobene Takt.
J. HkjrlB, Die Sinfonie Nr. 6 (Ddnr) hat ebenso wie die vorletzte
^nfsniaNc.s ihren schönsten Teil in der zweiten HälRe. Mit dem Einsatz
(BMitit.4 H.) jgg ^^ jij jgjjj Menuett, da wo die Bläser alle zusammen
alarmierende Triolen anstinmmen, verlSGt der Tondichter
endlich die Idylle, in der er uns etwas lange festgehalten
hat. Der bedeu-
tendste Satz §
ist das Finale ^
dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt.
Seine ersten 3 Koten bald wie ritterlicher Weckruf alles
alarmierend, bald wie geheimnisvolle Stimmen aus
Waldesdunkel erschallend, jetzt näher, jetzt ferner klin—
Sinfonie Nr. U
<Bt<:ilk. & HO-
_ schwärmt dahin wie vom Glück beflügelt;
= zuweilen bricht der Jubel mit Elementar-
gewalt heraus, dann wieder zittert es in
allen Gliedern wie von heimlicher Freude. Auch in dem
dnnMeren Mittelsatz, der ein Mollthema tugenartig durch-
Itlhrt, lebt ein schwelgender Klang. Der ScMußteil des
Andante wird zum Konzert, wo den beiden Soloviolinen
alle anderen Instrumente lauschen. Der &lpnuett ist von der
aristokratischen Familie und neigt dem Zarten zu. Das
Trio bringt reizende Soli der Flute und des Fagotts, letz-
teres von der ersten Violine unterslQtzt. Das finale ist
eio Rondo mit folgendem kurzgeschürzten Haupttliema:
viTue Ulli. Namentlich die
~ SoloEtellen der
Violine, welche
die Rückkehr in dieses'Thema einleiten, sind von eigen-
artiger Wirkung.
Die drei übrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine
Art Hittelalellung zwischen beiden Gruppen ein. In der
Tendenz ihrer Hauptsätze, die dem Heroischen und Pa-
thetischen zuneigen, haben sie etwas Gemeinsames und
_^ 164 ♦^
"55i?**?tto ^^^ intere»-
ma.4. J ^4 n I I » ^' , I fi Sm^ iffßif santesten Ein-
ar ■ " ■* I I ■ I I ■■ I -^^^J^ ■ ■ I I -S roll HAv<*oVt9Av«
fall der ganzen
Sinfonie bildet
Ftaie. i|«*,|> |J JjTJIf rrni^ ^^^j^ Andan-
^ M te die zahlrei-
chen Wiederholungen des Hauptthema einleitende, ein-
geschobene Takt.
j. HaydB, Die Sinfonie Nr. 6 (D dur) hat ebenso wie die vorletzte
Sinfonie Nr. 6 ihren schönsten Teil in der zweiten Hälfte. Mit dem Einsatz
(Breitk. ft H.) ^^g rp^^ -^^ ^^^ Menuett, da wo die Bläser alle zusammen
alarmierende Triolen anstinmmen, verläßt der Tondichter
endlich die Idylle, in der er uns etwas lange festgehalten
hat. Der bedeu- Presto m* non troppo.
tendste Satz j m H l"^^
ist das Fmale ^^^ ? ^"^
dessen Thema schon unverkennbar romantisch anklingt.
Seine ersten 3 Noten bald wie ritterlicher Weckruf alles
alarmierend, bald wie geheimnisvolle Stimmen aus
Waldesdunkel erschallend, jetzt näher, jetzt ferner klin-
gend — haben im Bau dieses Finale besondere Be-
deutung. Es ist reich an Bildern; die Gruppe vor der
Einführung des zweiten Thema in der Reprise gehört zu
den phantastischsten Eingebungen. Ihre Pausen, Ferma-
ten, ihre schnell abbrechenden Schlüsse geben der Er-
klärungskunst voll zu tun. Vor anderen trägt die Fröh-
lichkeit dieses Satzes ein * männlich schönes Gepräge.
Ganz am Schluß taucht Don Juans Bild auf: >Viva la
liberta!«
j. Hajdn, Die Sinfonie Nr. 14 (D dur) gehört der zweiten Gruppe
Sinfonie Nr. 14 vollständig an. Der erste Satz, dem ein leichtes Thema
(Breitk. & H.). ^u Grunde liegt:
^ Aiiegro. ^^ ^ ^ kontrapunk-
Ifii ^ iJl}^^y^\ff^H\UiPE^ tiert einige-
** ' '^^^^ ^^ — -.,,..— r ^^j^ stren-
ger und verausgabt einen großen Vorrat gewaltig aus-
holender Gänge; er bleibt aber in seiner Fröhlichkeit
etwas äußerlich und theatralisch. Das Andante:
165
4 ^^^.
f
^ schwärmt dahin wie vom Glück beflügelt;
znweilen bricht der Jubel mit Elementar-
gewalt heraus, dann wieder zittert es in
allen Gliedern wie von heimlicher Freude. Auch in dem
dunkleren Mittelsatz, der ein Mollthema fugen artig durch-
führt, lebt ein schwelgender Klang. Der Schlußteil des
Andante wird zum Konzert, wo den beiden Soloviolinen
alle anderen Instrumente lauschen. Der Menuett ist von der
aristokratischen Familie und neigt dem Zarten zu. Das
Trio bringt reizende Soli der Flöte und des Fagotts, letz-
teres von der ersten Violine unterstutzt. Das Finale ist
ein Rondo mit folgendem kurzgeschürzten Hauptthema:
. ViVace aisai. __, _ Namentlich die
die Rückkehr in dieses Thema einleiten, sind von eigen-
artiger Wirkung.
Die drei übrigen Sinfonien (Nr. 7, 8, 9) nehmen eine
Art Mittelstellung zwischen beiden Gruppen ein. In der
Tendenz ihrer Hauptsätze, die dem Heroischen und Pa-
thetischen zuneigen, haben sie etwas Gemeinsames und
würden ohne weiteres den Sinfonien der ersten Gruppe
anzureihen sein, wenn sie sich mit diesen an musika-
lischem Reichtum der Ausführung messen könnten. Die
bedeutendste unter ihnen ist die Nr. 9 (Gmoll), wohl j.HaydB,
auch die bekannteste. Sie beginnt ohne Einleitung mit Sinfonie Nr. 9
einem Thema, dessen Doppelnatur weniger auf eine So- (B"itk.ÄH.).
nate als auf die freiere Form der Fantasie hinzuweisen
scheint:
'U I'^U' ^gJ^^f
-^ 172 <i^
Moitrt, haben. Dahin rechnen wir die Ddor- Sinfonie Nr. 31,
Ddup-Sinfonie, welche in der äußern Geschichte Mozarts eine gewisse
(NrUderO-A) Bedeutung hat. Mit ihr glaubte Mozart in Paris Position
"fassen zu können. Er schrieb sie für die dortigen Gon-
certs spirituels des Direktor le Gros (i. J. 1778} und fand
damit großen Beifall. Sie beginnt:
. ^|"^JJl^frrr^fn^lfnl^m^T|
Die ersten drei
^^^^^^^Takte bUden
•**■ den berühmten
»Premier coup d^archet«» auf welchen die Franzosen so
stolz waren. Das war nichts weiter als der gemeinsame
Einsatz des gesamten Orchesters, der allerdings bei der
außerordentlich vollen Besetzung des Streicherchors einen
Effekt machte, dessen Natur die Pariser Dilettanten einer
besondern Überlegenheit in der Präzision zuschreiben
wollten. Diesen coup d'archet hat Mozart im ersten Satze
weidlich ausgenutzt und ihm noch eine Reihe ähnlicher
dynamischer Raritäten beigesellt, wie er sie selbst nagel-
neu aus der Mannheimer Kapelle mitgebracht hatte. Das
allgemeine Crescendo auf einem einzigen Akkord spielt
darunter eine große Rolle. In der Entwicklung des
Stimmungs- und Gedankenmaterials herrscht, obwohl Mo-
zart in dieser Sinfonie dem »langen Geschmack« aus-
weichen wollte, eine große Umständlichkeit. Das Andante
Andante. ^. ^. g'gyg^ ist ganz acht-
i i II i'"^rt ■' ' I^JTJ Jl^ M t" ' I ' J"t"J? zehntes Jahr-
•' " vToiio« ^ ^ hundert; nur
eine stolze Unisonofigur der Streichinstrumente unterbricht
die Ruhe dieser Gessn ersehen Idylle. Das Finale fängt
ausnahmsweise einmal so an, wie Haydn in der Regel
seine schnellen Sätze einzusetzen pflegt: die erste Periode
leise und dann ein tüchtiges Forte. »Weil ich hörte«
— schreibt Mozart an seinen Vater — »daß sie alle letzte
Allegros, wie die ersten, mit allen Instrumenten zugleich,
und meistens unisono anfangen, so fing ichs mit den
173
zwey Violinen piano nur acht Takte an — darauf kam
gleich ein Forte, mithin machten die Zuhörer (wie ich
es erwartete] heim Piano seh! ~ dann kam gleich das
Forte. — Sie das Forte hören und in die Hände zu
klatschen war eins. Ich ging also gleich vor Freude nach
der Sinfonie ins Palais Royal, nahm ein gutes Gefrornes,
betete den Rosenkranz, den ich versprochen hatte, und
ging nach Haus.c
Man kann die Sinfonien Mozarts in solche teilen,
bei denen der Ouverturencharakter vorwiegt, und in eine
andere Klasse, welche sinfonisch in der modernen Be-
deutung des Wortes genannt werden können. Daneben
gibt es noch eine kleinere Gruppe, welche den Kassa-
tionen und andern suitenartigen Gelegenheitsmusiken
nahesteht. Zu letzterer gehört die Sinfonie (in D) Mosart,
Nr. 8 der alten Ausgabe von Breitkopf & Härtel. Sie jj^^^^l'^jj®"***
hat ö Sätze, unter ihnen zwei Menuetts, die durch ein ^'•®<^- ->
sehr langes Andante getrennt sind. Es ist eine Kompo-
' sition, die ganz und gar nichts Mozartsches hat und durch
ihren altvaterischen Charakter Zweifel erregt bezüglich
der Echtheit.
Es gibt dann noch eine Obergangsklasse, bei der die
Hauptthemen des ersten Satzes beide festlich dekorativ
und oavertiirenmäßig gehalten, aber durch gesangvolle
und oft breit ausgeführte Nebenmotive in der Wirkung
beschränkt sind. Unter den bekannteren Werken Mozarts
gehört zu dieser Klasse die Salzburger C dur-Sinfonie Hoiart,
von 1780 Nr. 34 der Gesamt-Ausgabe. Allerdings verläßt Cdur-Sinfonie
bei ihr das Hauptthema das Ouvertüren gebiet: *^" "' "^
Nr. 84 (G.-A.:
^^^
Seine elegi-
sche Schluß-
wendung in
174
das Moll weist über die Mozartsche Zeit sogar hinaus.
Das zweite Thema aber trägt das Gepräge der der Ouver-
türe unbekannten Kantabilität ganz besonders stark.
<f^ri"r7?-'N--^irrTi i^ "J Li iffl
Nur die Durchführung widerstrebt in ihrer Ungebundenheit
und in ihrem starken Verbrauch neuen und verschiedenen
Ideenmaterials den neuen sinfonischen Bedingungen. Inter-
essant ist im Bau dieses ersten Satzes die doppelte Reprise
des Hauptthemas. ^ ..Jfff^^ffi
Das' Andante ist ^ ' " »^ ■ <* --^-^
ein echter Mozart:
Die resolute Schlußwendung zum Männlichen kennzeich-
net ihn. Im Finale, einem ^ AllegroTW.
rauschenden Allegro im S/g-
Takt mit folgendem Anfang: *' /
herrscht die energische, dramatische Bewegtheit der •
Jupitersinfonie: Stellen, wie die folgende, geben einen
Begriff von der Deutlichkeit des instrumentalen Dialogs
und dem bilderreichen Charakter dieses Finale:
?e^feij^
Noch entschiedeneren Sinfoniencharakter als in der
vorhergenannten haben die Themen im ersten Satze der
Moiftrt, Bdur-Sinfonie Nr. 83, die im Jahre 1778 zu Salzburg ge-
Bdor-Sinronie schrieben ist In dem Hauptthema ist keine Spur mehr
Nr. 88 (a.-A.). YQn der Ouvertüren feierlichkeit früherer Sinfonien, es zieht
voll Hay dnschen Geistes daher, zum Malen deutlich eine
Originalfigur aus einem lustigen Genrestück:
AUerro aMaL
-^ 176 ♦—
Ganz Zärtlichkeit and muntere Annut tritt ihm dann
seine Ge- ^^^^ ^ Die Durchführung küm-
fährlin ^t ' 'PiTy f | 'm | mert sich um das liebens-
entgegen: * ' ' 1 würdige Paar leider nicht
Sie bringt ein anderes, in der Kunstmusik seit der Nieder-
ländischen Schule ^ ^ T ■ /^^^^^^^ ^™
heimisches Lieb-^3EE j_ \ d' I fT'-J« jzum ersten
lingsthehia Mozarts *^"^ * Male in seiner
Fdur-Messe vom Jahre 1774 erschienen ist und dem er
später in der Jupitersinfonie einen weit sichtbaren Ehren-
platz zuwies. Eine andere Vorausnähme der Zukunft
bietet dieselbe Durchführung in einer Obergangsepisode,
welche in Melodie und Harmonie auf einer Wendung ruht,
die mit der Zauberflöt^ und dem Terzett der drei Damen
weltbekannt wurde. Nach einem weichen Andante folgt
ein Menuett, der schärfer als die vorhergehenden in großen
Intervallen und festen Rhythmen die Züge zum Ausdruck
bringt, welche Mozart für diese Tonstücke mit Vorliebe
einhält. Mozarts Menuetts lehnen sich durchschnittlich
mehr an die alte Schule an als die Haydns. Sie sind
nicht so witzig und nicht so beweglich, als die letzteren,
ihr Humor ist schwerer, zuweilen finster, streift auch wohl
ans Groteske. Immer aber trägt ihn em kraftvolles Ele-
ment. Das Finale ist die Krone des Ganzen: ein Erguß
bacchantisch dahinstürmender, aber gutmütiger Heiterkeit.
Jugendliche, ritterliche Männergestalten sind die Führer
dieses fröhlichen Schwanns, dem alles zuzuströmen scheint
vom Adel und vom Volk, was Fröhlichkeit im Blute fühlt
Bleibt der Zug einen Augenblick bei einem schönen Auge
stehen, so braust er dann nur um so flotter weiter. Im
Hauptthema:
• Presto astal.
erkennt man unschwer Fleisch und Blut aus dem Er-
ÖfTnungssatz der Sinfonie. Unter den zahlreichen Seiten-
themen verdient namentlich die drollige volkstümhche.
Gruppe hervorgehoben zu werden, welohe die Bläser
— » 176 •—
(Oboen und Fagott als Anklang an das alte. Trio], bald
nachdem das zweite Thema passiert ist, aufstellen:
i^' UU ^\r tl\UiAHjU u\^ ^^^^^^
Die unvermuteten f darin weisen auf Mannheim.
Äußere Veranlassungen haben wahrscheinlich sehr
stark auf die Haltung eingewirkt, welche Mozart defi Haupt-
sätzen seiner Sinfonien gab. Wie die Haydnsche Sinfonie
aus einer Kreuzung mit der Suite hervorging, so scheint
man am Ausgang des 18. Jahrhunderts in Osterreich über-
haupt den Begriff der Sinfonie nicht so streng genommen
und ihn auf mehrsätzige Orchestermusik jeglichen Cha-
rakters angewendet zu haben. So erklärt sich bei Mozart
das scheinbare Schwanken in den Grundsätzen und in
seiner Entwicklung als Sinfoniekomponist. Der eben be-
Hosart, trachteten B dur-Sinfonie folgt eine Arbeit, die D dur-Sin-
Ddur-Sinfonie fonje Nr. 36, die zum Teil wie eine Art Rückfall in den
85 (G- •)• Serenadenstil aussieht. Sie ging auch aus einer Serenade,
einer Festmusik hervor, die eine freudige Feierlichkeit
in der mit Mozarts in freundschaftliclben und musikali-
schen Beziehungen stehenden Familie Hafner in Salzburg
schmücken half. Als Serenade begann sie mit einem
Marsch und hatte zwei Menuetts. Als sie nun Mozart in
ein Wiener Konzert als Sinfonie brachte, strich er den
Marsch und den einen Menuett Aber ihrem jetzigen ersten
Satz ist das unbestimmte Pathos geblieben, welches solche
musikalische Gelegenheits- und Festdichtungen in der
älteren Zeit einzuhalten pflegten. Dieser erste Satz hat
nur das eine erstaunlich groß ausholende Thema:
AUeg^ro eon splrito
welches mit einer außergewöhnlichen kontrapunktischen
Konsequenz durchgeführt wird. Gewiß wußte Mozart,
daß die Arbeit vor Kenner kam. Das Andante gleicht
einem dramatisierten Liede, seine simple Grundgestalt:
^
177
wird bald durch Zwi-
schensätze, in denen
es sich wunderbar and
heimlich regt, verdrängt, bald durch Zutaten der Dynamik
und Harmonie, durch Akkompagnement und wechselnde
Seitenglieder mächtig gehoben. Menuett und Trio sind
einfach, aber wirksam kontrastierend. Das Finale zeigt in
seinem j-n-.x *^T"Tn ^'°^ starke Ver-
Haupt- ]£^^^f n fTi l J j ■ l-g^pj J I Jj wandtschaftmit
thema ^ Osmins>Ha,wie
will ich triumphieren«. In der Tat schrieb auch Mozart
diese Sinfonie i. J. 1782 mitten unter den drängenden Nach-
arbeiten der »Entführung«.
Zeigt sie schon in den Allegrosätzen Haydnsche Ele-
mente, in dem ersten bezüglich der Durchführung, im
letzten in der thematischen Erfindung selbst, so trägt die
nächste Sinfonie (Nr. 36, Cdur) den Haydnschen Einfluss Hosart,
noch offener zur Schau. Unter den Musikern ist dieses C dar-Sinfonie,
Werk als »Linzer-t- Sinfonie bekannt. Wahrscheinlich ist „*h^I^^!^\
es diejenige Sinfonie, welche Mozart i. J. 1783, auf der
Durchreise durch Linz begriffen, in kurzer Zeit für den
dortigen Musikverein komponierte. Nicht eben tief, aber
ein liebenswürdiges frisches Werk, erfreut sie den Musik-
freund durch vielfache Vorklänge der größten Zeit des
Meisters und deren Hauptschöpfungen: Don Juan und
Jupitersinfonie, und durch Klangwirkungen, welche ebenso
durch ihre Eigenart wie durch ihre Einfachheit frappieren.
Wir machen in letzterer Beziehung namentlich auf die
Bläserharmonien im ersten Satze aufmerksam. Die Haupt-
themen der Sinfonie sind:
Allagro spiritoBo.
Aiwlawlfr
Nr. 86 (G.-A.).
«•-»tf ■ iinO->\r^*\ff^\rt .
Krttiiokmar, Ffthrer. l, L
la
-^ 178
Pr«ftto.
Final«.
Haydn merkt man im ersten Satz: außer in der lang-
' samen, träumerisch gedankenvollen Einleitung, nament-
lich in der Durchführung, die hier in Haydns Weise ein-
gehender hei demselhen Motive bleibt und aus ihm ent-
wickelt. Dieselbe Methode finden wir im Andante. Dann
sind auch noch kleinere Züge Haydns nachgebildet: die
Einsätze der Ällegri vom p zum forte schreitend: kecke,
überraschend in der Modulation wechselnde Perioden-
anfänge: Hay dusche Lieblingswendungen der Melodie, wie
der Schluß des Themas im Andante: Eigenheiten der In-
strumentierung, wie im Trio die Verdoppelung der Melodie-
stimme: in der Dynamik unerwartete Akzente und Gegen-
sätze. Es ist aber noch genug von Mozarts besonderem
Wesen in dieser Sinfonie. Nicht bloß in der Gesamt-
haltung, in dem ihm eigenen raschen, kräftig elastischen
Schritt kommt es zum Ausdruck; wir können es bis in
seine kleinen charakteristischen Geberden und Angewohn-
heiten hinein verfolgen, j ' ^ . ^kommtwie-
Sein beliebtes chromati- ^ 1 I I M J' l'"J =derholt vor.
sches Überleitungsmotiv: * l» • Zwischen
dieser Gdur-Sinfonie und der ihr folgenden Nr. 38 (Ddur)
liegt ein Zeitraum von drei Jahren und eine künstle-
rische Entwicklung Mozarts, die wir in das eine Wort
»Figaros Hochzeitc fassen wollen. Mit dieser Sinfonie
ist Mozart als Sinfoniker eine fertige Größe. In ihr und
den ihr folgenden Schwestern — es sind leider nur
drei — - steht er in bestimmter und abgeschlossener Indi-
vidualität vor uns: in der ihm ganz eigenen Mischung
von Kindlichkeit und Ernst, ein Meister, dessen Geiste
sich die* Form gebeugt hat, ein Mensch, dessen Anmut
und Liebenswürdigkeit die Tiefe und den Reichtum seines
Seelenlebens mehr zu verhüllen als zu offenbaren suchen.
In der Form zeigen die vier letzten Sinfonien eine Wand-
lung vollbracht, die sich in etlichen früheren Werken be-
reits vorbereitete. Sie betrifft die Methode in dem Durch-
179
führungsteil des ersten und letzten Satzes. Wenn hier
Mozart in den früheren Sinfonien vorwiegend ganz nenes
Gedankenmaterial aufwarf, so nähert er sich jetzt dem
Haydnschen Weg und nimmt Themen und Motive aus
dem ersten Teile des Satzes. Eigen ist ihm dabei, daß
er nicht die eigentlichen Hauptthemen, sondern Nehen-
motive aus Seiten- und Obergangsgruppen benutzt und
sich bei sekundären Ideen ausruht und sammelt. Diesen
außerordentlich merkwürdigen, man kann sagen scheuen
Zug hat er einzig bei der subjektivsten seiner Sinfonien,
der berühmten GmoU-Sinfonie, aufgegeben.
Die Ddur-Sinfonie Nr. 38 geschrieben für die Wiener Mosart,
Winterkonzerte im Dezember 1786) hat eine bedeutende Ddur-Sinfonie
Einleitung: im Tone freundlicher Ahnung beginnend, in («.-A.).
der Mitte düster, zum Schlüsse über Seufzer und Bitten
in demütige Resignation einlenkend. Der Allegrosatz ist
zwischen eine fragend bange Stimmung und die Regungen
eines ringenden Kraftgefühls geteilt. Diese Momente treten
schon im Hauptthema direkt nebeneinander:
Allegro.
ij<"N!j^j j. Jii^)j j j j.ijy J-J)'j>y J J>'
f
Das zweite Thema
bildet nur einen
flüchtigen Licht-
'bück: es repe-
tiert sofort in Moll und verschwindet dann auf lange. In
der Durchführung erscheint aus den Themen allein das
oben eingehakte Motiv, dem noch zwei andere, heftig
angdegte Figuren, den Obergangsperioden der Thema-
gruppe entnommen:
12*
180
I yj üii f tcxif^
zur Seite treten. Es herrscht unter ihnen die engste
Reibung: das eine kommt nie ohne das andere, und wie
in der Mehrzahl der späteren Instrumentalwerke Mozarts
geschieht die ganze Ideen- und Formenentwicklung nach
den Prinzipien des doppelten Kontrapunkts. Ein Höhe-
punkt oder ein Resultat dieser Ideengärung ist nicht zu
bemerken, der Schluß zieht sich wie tastend und suchend
nach dem Hauptthema zurück, welches vor der eigent-
lichen Reprise in harmonischen und melodischen Um-
stellungen erscheint, die einen feinen poetischen Zug
bedeuten. Ein Merkmal der letzten Sinfonien Mozarts
ist der engere Anschluß in den Charakteren der einzelnen
Sätze. Diesen Zusammenhang zeigt unsere Ddur-Sinfonie
besonders stark. Wie er innerhalb des ersten Satzes die
Gestaltung und das Wesen von Einleitung und Allegro be-
einflußt, so bestimmt er auch das Verhältnis dieses ersten
Satzes zum Andante. Schon im Hauptthema dieses Andante
^ ^^"^ft; ^ p-p^ ist die Verwandt-
'^ • nen. In ihm liegt
noch etwas von der gedrückten Stimmung, mit welcher
der erste Satz begann; nur die Nuance ist eine mil-
dere. Mit dem —^^^^^^^^^^ das in der Entwicklung
Seitenmotive fr ? ^^ '^ ^ "* > J) des Satzes eine bedeu-
tende Stelle einnimmt und gern in kanonischer Stimm-
führung erscheint, strebt das Andante freundlichen Re-
gionen entschiedener zu. m, ^.^ ±±± f kommt der
Durch das rnrr[rinrhr ffl j ^ 111^^^^^^= energische
und finstere Gegenthema ^ ^ und dra-
matische Charakter, der dem ganzen Satz eigentümlich
ist, äußerlich am deutlichsten zum Ausdruck. Er be-
herrscht den Geist des ganzen Satzes in dem Grade,
daß alle die Stimmung aufklärenden und freundlichen
Abschnitte nur Versuche bleiben. Daraus erklärt es
sich, daß das süße zweite Thema des Andante (in Ddur]
181
auf dessen Verlauf nicht die geringste Wirkung übt
Ihre größte Macht entfalten die dunklen Seelenmächte
in der Durchführung, wo sie seihst das Hauptthema
ins Trübe und Bange (DmoU, EmoU) wenden. Der
Schluß ist überraschend in seiner sich still verlierenden
Form sowohl als in dem halb humoristischen Ausdruck.
Daß diese D dur-Sinfonie auf die alte dreisätzige ita-
lienische Form zurückgreift, scheint kein Zufall zu sein,
sondern das ist ein Ergebnis der Innerlichkeit dieser Musik,
der Stärke und Echtheit, mit der sie die Spannung des
Gemüts widerspiegelt, in der sich Mozart zur Zeit dieser
Komposition befand. Ein Menuett, der Tanzsatz des äußer-
lichen Herkommens wegen, wäre Mozart in jenen Stun-
den mehr als bloße Yerirrung des Stils, wäre ihm eine
Lüge gewesen. Eine Szene der Gemütlichkeit paßt in das
Seelenbild, das diese Sinfonie gibt, nicht; eher geht es
mit einem gewaltsamen Humor. Ihm wendet sich der
Schlußsatz zu. Sein Hauptthema soll und will Fröhlich-
keit bringen, zum Aufraffen helfen.
' Presto.
Ober Abschnitte der Nachdenklich-
keit und stürmischen Erregung ge-
langt die Darstellung zu dem zwei-
ten Thema (in Adur), das mit einem Anflug von Resig-
nation ein fröhliches Behagen, eine Art Glück in
der Besdiränkung ausspricht Die Kämpfe, die der
Ideengang der Sinfonie erwarten läßt, sind in der Durch-
führung und im ersten Teil der. Reprise enthalten, in-
dessen mehr nur angedeutet als vorgeführt. Schon
hieraus ergibt sich, daß das Finale an Ursprünglichkeit
und seelischer Macht die beiden ersten Sätze nicht er-
reicht
Die drei letzten und berühmtesten Mozartschen Sin-
fonien entstanden anderthalb Jahre nach dieser D dur-
Sinfonie und zwar in der Reihenfolge: Esdur (26. Juni),
Qmoll (25. Juli) und Gdur (10. August 1788).
— * 182 ^^
■oiart, Die Es dar-Sinfonie (Nr. 39), welche, wir wissen
^J^'S^nfoiMe nicht von wem, den Beititel »Schwanengesang« erhalten
gesaa^)" ^**» ^^* unter den letzten Sinfonien Mozarts, vielleicht
Nr. 89 (G.-A.). unter seinen sämtlichen Sinfonien, die Haydn am nächsten
stehende. Sie ruft das Bild dieses Vormeisters nicht bloß
in formalen Nachbildungen wach, sondern namentlich
durch das geistige Lebenselement, welches sie bewegt.
Sie ist entschieden dem Frohsinn gewidmet, und wenn
wir sie als Ausdruck von Mozarts persönlicher Stimmung
betrachten dürften, so war die Zeit, wo er diese Sinfonie
schrieb, eine sehr glückliche.
Die Einleitung des ersten Satzes beginnt in
t^racht und Spannung. X]lanz am Schlusses nur kommt
ein schwer- ^ , Adagio.
mutiger Don
Juan -Klang: ^ ^f
Das Allegro stellt ihm ein beruhigendes Bild entgegen:
ii ij jii f^wl ir^rir
Der Wiederholung dieses freundlich zusprechenden
. Gesangs folgt ^ |^ ^ ^ ^ Es ist der Aus-
das Haydn- m f n j, I J j ^ J JJtl Ü ' ^^^^^ stolzen
sehe Forte: 7 -^ ^g^ ^ Kraftgefuhls,
welches von nun an im Satze herrscht. Er ist eine Art
Mozartscher Eroica, zwar ohne Kampf und Sturm; aber
in dem knappen, energischen, wuchtigen, bis zum Heraus-
fordernden hingehenden und doch immer der Selbstbe-
herrschung sichern, männlichen Ausdruck der Freude liegt
etwas entschieden Heldenmäßiges. Was Haydnsch ist im
Satze, das erscheint aus dem Klangregister des Jünglings
auf die Stimme des Mannes übertragen. Die tändelnd
anmutigen Elemente sind ferngehalten. Der in glücklicher
Erinnerung schwelgenden Schwärmerei 'ist ein. dunkler
Ton beigemischt:
168
r ini ^Trii I
1 1 1 ir'n^i I |iTi ii^"if7M ij ii "iii I
so lautet das zweite Thema in bedeutsamer Kantabilität.
Für die Durchführung, wel-
che sehr kurz ist, hat folgen-
des Nebenmotiv Wichtigkeit
Mit einer Generalpau^e wird sie abgebrochen, und in der
genialen Kürze,, mit welcher Mozart an diesem Punkte
h&ufig verfährt, leiten 3 Takte der Bläser in die Reprise
über. Dem zweiten Satze der Sinfonie, dem Andante,
liegt folgen- Andaate. .gn.^ ""^»^^
desHauptthe- liHl J J.JHl J.t J.i J-airy fVl Jg
i
ma zugrunde
in seiner marschartigen Natur an Haydnsche Vorbilder
erinnernd. Im zweiten Teile stellt ihm Mozart zunächst
ein heftiges Motiv entgegen, das den Frieden des Satzes
wiederholt in Frage stellt. Nach Abschluß dieser Fmoll-
Episode beginnen die Bläser ein beschwichtigendes Sätz-
chen, das in seiner harmonischen Einführung und in
seinem imitatorischen Stile sich außerordentlich eindrucks-
voll bemerklich macht Der Menuett setzt sehr kräftig ein:
tf y^^f '^*^*^' _ #<Tl^ ^' ™^* prächtiger Aus-
^rby r IjJ jJJJIjTJ^*^ M jnutzungderNatur
der untern Violin-
saiten. Das Trio, von der Klarinette gesungen und ge-
schwärmt, ist eine der lieblichsten Idyllen, die musikalisch
gedichtet worden sind. Das Finale, über folgendes Thema
gebaut:
AUegTOw
ist Haydnsch im Material und im Geist, neckisch, leicht,
scherzend und tändelnd. Auch die Überraschungen mit
Generalpausen, dynamischen Kontrasten, plötzlicher
— » 184 «^
t
R&ckkehr des Themas fehlen nicht. An einzehien Stellen
klingei^ ans spezifisch Mozartsche Töne entgegen; aber
es sind nur kurz eingeworfene Motive. Zur Ausgestaltung
eines zweiten Themas kommt es nicht; vielmehr wird
der ganze Satz mit jenen wenigen Grundtakten bestritten,
welche oben zitiert sind. Es ist nicht genug zu be-
wundem, welches bunte Leben Mozarts Kunst und dra-
matische Phantasie ihnen abgewinnt. Es tummelt sich
in diesem Finale wie auf den Marktbildem der nieder-
ländischen Schule: die komischen Gruppen umsteht und
belohnt eine lebendige, froh erregte Menge mit fort-
reißendem Gelächter; die Komik ist von der feinsten
Art bis zur unfreiwilligen vertreten, und auch der der-
beren Lustigkeit der Yolksmässe ist ein Plätzchen mit
eingeräumt. Siehe im ersten Forte die _f f , _f f ,
plump drollige, dem Anfang des Menü- ^ fcl sJ ' I |;J ' I
etts verwandte Fröhlichkeit der Bässe: «^
Wie mit einem plötzlichen Windstoß ist der ganze Kar-
neval verschwunden.
Im direktesten Gegensatz zu dieser Esdur-Sinfonie
■oBarty steht die in GmoU in Bezug auf Inhalt Man kann nur
ßmoU-Siaroiiie wünschen, daß Mozart einen solchen seelischen Kon-
- r. 40 (Gw-A.). ^g^gj^ ^g gj jjjQ in di.esen beiden Werken innerhalb
Monatsfrist darstellte, nicht auch persönlich an seinem
eignen Schicksal hat durchleben müssen. GmoU ist eine
Tonart, die bei Mozart immer etwas Besonderes zu be-
deuten hat. Wir denken an das Klavierquartett und an
das Quintett Aber hier in dieser GmoU-Sinfonie vom
Jahre 1788 ist er doch noch anders, als er jemals vorher
gewesen. Eine dergleichen leidenschaftliche Hingabe an
eine einseitige Stimmung, und noch dazu an eine so
düstere, kommt in der ganzen Kunst überhaupt nur selten,
sie kommt bei Mozart nicht wieder vor. Vielen erscheint
allerdings heute dieses Werk in Bezug auf seinen Aus-
druck gar nicht weiter der Rede wert, denn es ist Jahr-
zehnte lang in Zwischenaktsmusiken geschmacklos ver-
braucht worden. Aber noch iih Jahre 1802 wird diese
Sinfonie von Leipzig aus eine »schauerliche« genannt
185
Diese Bezeichnung kommt der eigentlichen Natur der
Gmo]]- Sinfonie vielleicht doch näher als die imitierte
Begeisterung, mit welcher neuere Mozart Verehrer uns
immer wieder und immer wieder nur auf die Anmut des
Werkes aufmerksam machen.
Es ist wohl nicht bloß zufällig, daß die 6 moU- Sin-
fonie keine Einleitung hat. Mozart steht hier sofort
mitten in der Sache drin:
Allepro.
Das ist allerdings anmutig in der Form, aber in ihrem
Verhältnisse zum Inhalt erinnert diese Form an das be-
kannte Wort von der »guten Miene zum bösen Spielec.
Der tiefere Zug des Leidens, welcher sich schon in dem
Sexttoschluß des ersten Abschnitts vom Thema verrät,
kommt in der Ifachsatzperiode noch deutlicher zum
Ausdruck:
und in dem un- |^
mittelbar zugef Qg- ' ^j^ ^^
1
1
bricht die
innerliche
Erregung
ten Schlußmotiv '«' * (LT " f * {LT ' f
dämonisch durch. Das zweite. Thema bringt keinen
Gegensatz zum ersten, sondern es erweitert und begrün-
det den erregten und düstem Charakter der dort ausge-
sprochenen Stimmung '^^ ok ^.....^^
ir ^ är.!;s; f'Ti'i luiiiMiii^i
Trotzige Kraft lehnt sich dann auf, sie wechselt aber
sofort mit rührender Klage. In der Durchführung werden
die Versuche, den Bann drückender Ideen zu durchbrechen,
mit großer Kühnheit, aber erfolglos erneuert. Nach
schneidenden Dissonanzen, nach gewaltigen Ausbrüchen
der Heftigkeit endet der Kampf mit einem von den Holz-
bläsern gedeckten kleinlauten Rückzug in die Reprise.
Bemerkenswert ist, daß in dieser Durchführung alles
186
thematisch ist, ein hei Mozart ganz seltener Fall. Er
greift weder zn neuen Motiven, noch zu Gängen und
Passagen, die Phantasie bleibt an das erste Thema
gefesselt. Das Andante hat zum Hauptthema folgendes
Sätzchen:
Sein zögernder, immer wieder ansetzender Aufbau kün-
det den suchenden und fragenden Grundcharakter des
ganzen Satzes an. Das nächste fegenmotiv, welches
ihm Mozart zuschickt, stellt sich kraftvoll einsetzend
in den Weg und ver- ß ^ f
flattert ebenfalls bei ^> ' f [^TMJf g/f tf <f '»■ y
seinem zweiten Schritt /*
Seine Zweiunddreißigstel-Figur bildet mit dem Achtelmo-
tiv des ersten Themas im Satze zahlreiche . jtn jps
sinnvolle Kombinationen. Ein kurzes yV I (} ^ ' =^
drittes Thema dieses Andante, beginnend:*^ '
ist außerordentlich inniger Natur.
Der j^.t. 11 , I I pirr ! I I nimmt den
Menuett ff ^ * J 1^ T 'T ^^ji^l^^M Kampf wie-
der entschieden auf; er ist mit den harten Dissonanzen
seines zweiten Teils einer der streitbarsten Sätze, die auf
Grund jener alten zierlichen Tanzform jemals gebildet
wurden. Das Trio klingt süß und in kindlicher Unschuld
dazwip^ , , j , _ , I Seine zweite Klausel enthält eine
schen.y^ fl I ^ f T ^ ^ der gefürchtetsten Hornstellen.
Im Finale herrscht eine einigermaßen unheimliche
Lustigkeit. In Unruhe und Aufregung stürmt es dahin
süt seinem Hauptthema:
187
unvorbereitete Septimen und anderlei bösartige Elemente
ergreifend. Mit verzweifeltem Humor jagen die Stimmen
in der Durchführung emsig ^ontrapunktierend das ver-
wegene Thema durch die Tonarten — das zweite Thema
bietet kaum einen Ruhepunkt in der Hast des Satzes.
Seiner Natur getreu geht er ungestüm und ungeklärt
zu Ende.
Mozarts letzte Sinfonie, die Cdur-Sinfonie Nr. 41,
führt den Beinamen der »Jupitersinfonier. Sie darf in
mancher Beziehung für Mozarts größte Leistung im Sin-
fonienfache gelten und bildet eines der schönsten Denk-
mäler seines freien, starken und reichen Geistes. Keine
andere der Sinfonien Mozarts hat diesen breiten Wurf
der Themen, keine andere verbindet mit dem gleichen
Reichtum wahrhaft goldener Ideen die Einheit im Cha-
rakter und die Harmonie der Darstellung. Es lebt etwas
Antikes in ihr: eine erhabene Heiterkeit und ein Schön-
heitsgefühl, das auch ihre vollsten Lustausbrüche adelt.
Ihr erster Satz klingt mit seinem Eingangsthema wieder
an den festlichen Ouvertürenton der früheren Sinfonien
Mozarts an; aber schon nach dem ersten Komma wird
der Charakter innerlich
und so bildet nicht bloß dieses Thema — es hat bis zu
seinem vollständigen Abschluß die beträchtliche Länge
von 23 Takten — sondern der ganze Allegrosatz eine
meisterhafte und erquickende Verbindung von äußerer
glänzender Schilderei und edlem Seelen ausdruck. Es ist
im allgemeinen nicht so schwer, Programme zu den
Meisterwerken unserer klassischen Instrumentalmusik zu
Moiftrt)
Jnpiter'Sinfbnie
Cdar iNr.il).
188
schreiben; bei der Japitersinfonie kann man der Ver*
lockung kaum widerstehen. Man sieht die einzelnen in
ihren stillen Gedanken dahingehen, die Massen in lauter
Freude aufschäumen ; es wechseln Bilder und Szenen in
ruhiger Steigerung und Folgerichtigkeit, aber auch mit
erschreckenden Zwischenfällen. Merkwtkrdig, wie trotz des
festlichen Grundtons ^ ^.^^
die Motive des inti- ^ ^' ^
men Gemütslebens
und der naiven
volkstümlichen
Fröhlichkeit :
den Gesamtausdruck des Satzes bestimmen!
Im Andante stellt Mozart drei Führer auf. Sein erstes
Thema lautet:
Ihm tritt in gewohnter Weise ein zweiter Satz entgegen von
drohender, gegensätzlicher Haltung. Er ist diesmal nur kurz
skizziert und geht in einen erhaben friedevollen Gesang über
dessen bewegliches Nachspiel (s.*) im weiteren Verlauf Anlaß
zu Kombinationen und Wendungen gibt, die in ihrer geni-
alen Mischung von Tiefsinn und leichtem Spiel ganz einzig
sind. Der Menuett dieser
Sinfonie ruht auf sinnigj
beschaulichem Boden.
Sein Trio hat in der Achtelmelodie und in der Instrumen-
tierung Uaydnsche Elemente. Der berühmteste Satz der
Sinfonie ist das Finale. Man nennt das ganze Werk zu-
weilen mit bezug auf diesen letzten Satz die Cdur-Sinfonie
mit der Schlußfuge, und noch neulich hat ein Musikschrift-
-^ 189 4^
steller, der sich in Spekulationen gefällt, nachzuweisen
gesucht, wie sich in diesem Finale Faust und Helena ver-
mählen, wie hier die vermeintlich ganz konträren Stilarten
der Fuge und Sonate ihre erstmalige Verbindung eingehen.
Von alledem ist wenig wahr. Um diese Sinfonie von andern
Gdur-Sinfonien Mozarts zu unterscheiden, mag man sie die
Sinfonie mit der Schlußfuge nennen. In Wirklichkeit aber
spielt die Fugenform darin eine untergeordnete Rolle. Das
Hauptthema des ^ ^^^ ^ ^^ wird nach dem er-
Satzes, ein altes J» »n ^ I ^ I " j sten Halbschluß, den
Allerweltsmotiv ^ der Satz macht, in
einer einfachen Fuge durchgeführt, die nach 21 Takten
zu Ende ist Nach der Reprise des Satzes schließt Mozart
nicht einfach, sondern setzt noch eine Coda an, die eben-
falls wieder mit einer Fuge beginnt und zwar mit einer
sogenannten Tripelfuge, bei weicher zu dem schon an-
gegebenen Hauptthema noch folgende 2 Sujets hinzutreten
if' iii ni[Tiiii,ijijf'c if I II yj rrni^i > i
Nach 34 Takten ist auch diese Fuge wieder zu Ende.
Bas an letzter Stelle angefahrte Motiv fungiert Im Satze
von vornherein als sogenanntes zweites Thema. Daß es
wie auch die übrigen Motive und Themen in diesem Fi-
nale mit Rücksicht auf kontrapunktische Brauchbarkeit
erfunden ist und daß der Ausdrucksgehalt dieser Rück-
sicht nachgesetzt, worden ist, braucht nicht erst nach-
gewiesen zu werden. Der Schlußsatz der Jupitersinfonie
ist und bleibt ein Meisterstück der kontrapunktischen
Kunst, die sich namentlich in Engführungen und kano-
nischen Nachahmungen im vollen Glänze zeigt, aber, wie
sich im folgenden Kapitel zeigen wird, ist er darin in der
Periode der Klassiker kein Unikum. Jedoch in der Haupt-
sache erhebt er sich Über alle verwandten Arbeiten in
der gleichzeitigen Sinfonik: nämlich unser Finale ist auch
im Charakter, im Ausdruck eines kraftbewegten festlichen
Leben» ein Meisterstück, würdig eines Jupiter, eines Olym-
piers der Kunst.
UUk
-^ 190 «^
I
Mozart und Haydn waren persönlich befreundet,
liebten einander als Künstler; aber wie das bei starken
Individualitäten natürlich ist, keiner wirkte auf den an-
dern künstlerisch wesentlich ein. Haydn bringt zuweilen
einige kantabile Wendungen, Mozart eignet sich bei guter
Laune humoristische Effekte Haydns an, aber im Wich-
tigsten, in dem neuen Prinzip der motivischen Gredanken-
entwicklung folgt er ihm nur ausnahmsweise. Wie jahr-
zehntelang italienische und französische Sinfonien neben-
einander hergegangen waren, so ließ sich die weitere
Geschichte der Sinfonie bereits auf eine neue und feind-
selige Teilung in eine Haydnsche und eine Mozartsche
Schule an. Da ereignete sich eine jener glücklichen
Fügungen, wie sie die Kunstgeschichte in ihren größten
Zeiten mehrfach zeigt. Es kam ein Dritter, der die
« Lebenstaten seiner beiden großen Vormänner zusammen-
L.T*Be«tlioTeB9 faßte. Ludwig van Beethoven erschien und gab mit
Cdur-sinfonie neun Sinfonien einem vollen Jahrhundert zu tun! Und
(Nr. 1). noch immer nicht können wir sagen, daß das richtige
Verhältnis zu diesen Ausn ahm s werken gefunden sei.
An die Sinfoniekomposition, den Hauptteil seiner Un-
sterblichkeit, trat Beethoven verhältnismäßig spät und
bescheiden heran. Seit kurzem liegt allerdings in der
Jenaer Sinfonie, sogenannten Jenaer Sinfonie ein Werk vor, das ihn der
äußern Beglaubigung nach zum Verfasser habe^ kann.
Ihr Stil ist aber für Beethoven, auch wenn wir eine sehr
frühe Entstehungszeit annehmen, auffallend glatt und.
läßt eher auf einen Komponisten aus der Gruppe Van-
hall-Pleyel-Rosetti schließen. Derjenigen Sinfonie, die der
Meister selbst als seine erste bezeichnet hat, gehen in
den Klaviersonaten des op. 2, in der Trauerkantate auf
Joseph IL viel bedeutendere und ältere Werke voraus.
Jedoch leicht hat er das neue Gebiet nicht genommen.
Wir können bei ihm nicht nur die fertigen Kompositionen,
sondern auch die Entwürfe und Vorarbeiten dazu stu»
dieren. Oberall und jederzeit begleiteten ihn schmale blaue
Notenhefte, in die er alle Einfälle und Versuche eintrug.
Sie sind uns als die sogenannten > Skizzenbücher« Beet-
— t 191 4^
hovens zum größten Teil erhalten geblieben •- die Kgl.
Bibliothek in Berlin besitzt die meisten — , und Gustav
Nottebohm hat eine Auswahl ihres Inhaltes in den Druck
gebracht*). Nach diesen Dokumenten hat Beethoven an
seiner ersten Sinfonie schon im Jahre 179t angefangen,
aber erst im April 1800 kam sie als Op. 25 zur Auffuh-
rung**). Man sieht mit der heutigen Beethovenbrille dem
Werke die zehn Jahre Arbeit nicht an, man tut ihm aber
Unrecht, wenn man es schlechthin, wie das in der Regel
geschieht, für eine Kopie im Mozartschen Stil und im
allgemeinen für unbedeutend erklärt. Kraft und Lust,
Fröhlichkeit, leichter Scherz, sprühende Heiterkeit, ja
auch ein wenig Schwärmerei, anmutiges Träumen — aber
nun Empfindungen freundlicher Natur bilden den Ideen-
kreis, den Beethoven in seiner ersten Sinfonie durch-
schreitet Es sind die Stimmungen, an welche sich die
Orchestermusik des Südens in ihren Durchschnittsleistun-
gen bis auf Beethoven hin fast ausschließlich lilelt. Nichts
von dem tiefen Ernst des nordischen Bach, nicht eine
Spur von dem Pathos, welches manche der Haydnschen
Adagios kennzeichnet, nichts von der Mozartschen Me*
lancholie — nichts vor allem von dem Beethoven, welcher
die Eroica schrieb, die 6., die 9. Sinfonie, die späteren
Quartette, die großen Klaviersonaten, eben jener Beet-
hoven, den wir meinen, wenn wir seinen Namen nennen!
Und doch ist er schon in der ersten Sinfonie als ein
Eigner zu erkennen, in erster Linie im Ausdruck einzelner
Stellen, im kühnen Vortrag und Wechsel der Gedanken.
Diese Eigenschaft war es, die G. M. v. Weber im Auge
*) 0. Nottebohm: 1. Ein Skizzenbach von Beethoven (1 862).
2. Ein Skizzenbuch B.'s vom Jahre 1803 (1880). 3. Beet-
hoveniana (1 872). 4. Zweite Beethoveniana (1887). Alle Leipzig :
ffieter-Biederman n.
* -
**) Die genauesten Angaben über Vollendung und erste Auf-
führungen, Stimmen- und Partiturverlag der Beethovenschen Sin-
fonien bietet: Georg Orove: Beethoven and bis Nine Symphonies,
London 1896.
192
haben mochte, als er die erste Sinfonie Beethovens eine
»feurig-strömendec nannte.
Im ersten Satze der Cdur^ Sinfonie (Op. 21) schließt
sich Beethoven in der Erfindung der Themen an Mozart
an. Das Hanptthema:
mit welchem, nach einem sehr eigenwillig auf dem Sep«
timenakkord einsetzenden Adagio von kurzem Umfang,
das Allegro beginnt, hat nicht bloß den allgemeinen,
spannenden Charakter, welchen Mozart f&r seine OuveN
türensinfonien gern einhält, es ist geradezu eine Variante
zum Haiiptthema des ersten Satzes der Jnpitersinfonie.
Es wird in zweimaliger Sequenz weiter getragen: ein
kräftiges Forte krönt den breiten Aufbau, ganz so wie
wir das bei Mozart oft gesehen haben. Auch das zweite
Thema
özn.
^^ä
I I
ist ganz Mo-
zartsch. Der
jubelnde
Nacbgesang
welcher ihm folgt, kommt wörtUch so in der Jupitersin«»
fonie und in andern Sinfonien des Salzburger Meisters
vor. Gleich danach tritt aber Beethoven selbst in das
Orchester. Es ist an der Stelle, wo die brausende Gdur-
Kadenz so ganz plötzlich von einem pp abgelöst wird,
wo die ßässe still über das erste Motiv des zweiten The-
mas sinnen und die andern Instrumente in dunklen und
unruhigen Harmonien festliegen. Die Oboe findet den
Ausgang aus der unheimlichen Verzauberung. Das ist
zum ersten Male das dämonische Element Beethovens in
der Sinfonie! In der Durchführung dieser Gedanken folgt
Beethoven der Hay dnschen Methode der motivischen Ar-
beit. Er geht aber schon hier im Herausgreifen und Be-
--♦ 193 «—
vorzugea der kleinen und anscheinbaren Motive und in
den kühnen modulatorischen Umbildnngen, denen er sie
unterzieht, über seinen Meister hinaus. Es sind beson-
ders das Motiv aus dem vierten Takt des ersten und aus
dem fünften Takt des zweiten Themas.
Das Andante hat zum Hauptthema eine Melodie:
^m
deren Metrum ungewöhnlich ist: 7 Takte. Sie wird fugen-
raäßig kurz durchgeführt, dann bewegt sich der Satz in
Haydnscher Weise weiter: auch die konzertierenden
Triolenstellen fehlen nicht und nicht die leise Begleitung
der Pauken^. Den Charakter behaglich anmutiger Schwär-
merei, welchen der Satz trägt, unterbricht nur der An- -
fang der Durchfuhrung. Aber hier ist er auch schon der
ganze, der einzige, der erschreckend große Beethoven,
den man aus Tausenden heraus erkennt. Mit den bloßen
zwei ersten. Noten des Hauptthemas schwingt er sich da
in Höhen, taucht in Tiefen, die niemand erwartet hat.
Allea geht blitzschnell, aphoristisch andeutend vor sich.
Es sind mehr Ahnungen als Bilder, Blicke mit dem
Scheinwerfer in weite Fernen getan. Aber wer die Stelle
überhaupt versteht, wird sie zu den ungeheuersten Ein-
gebungen von Beethovens wunderbarem und fruchtbarem
Genie rechnen.
Den dritten Satz benennt hier Beethoven noch Me-
nuetto. Die Melodie:
AU«pTO Bolto e vlTaiee.
ist, wie auch die Einleitung zum Finale, eigentlich nichts
als ein alter Solmisationsscherz, sie hat in ihrem Rhyth-
mus einen Rest von Tanzcharakter, in ihrem rastlosen,
stürmischen, feurigen Wesen geht sie aber über die Natur
*) Siehe S. 149 dieses Bnchs.
Eretsfcbraar, Fahrer. I, \. 13
— ♦ 194 4^
der alten und auch der Haydnschen Menuetts weit hin-
aus. In ihrem zweiten Satze steht in der Kette trotziger
Sforzati, in dem plötzlichen Piano mit seinen modnla-
torischen Irrlichtem, in den eigensinnig humoristischen
Bildungen um die drei Noten J | J J der spätere Scherzo-
meister in voller Originalität vor uns. Das Trio ist einer
jener Sätze, in denen der Komponist eine große Wirkung
durch elementare Einfachheit erreicht Auf melodische
Gedanken und Themata ist hier so gut wie verzichtet;
der feierliche Klang der ruhigen Bläserharmonien genügt.
Als Spohr bei dem ersten deutschen Musikfest zu Fran-
kenhausen die erste Sinfonie Beethovens in den großen
Räumen der Kirche aufführte, machte nichts solchen
Eindruck, als dieses Trio*). Das Finale ist ein Rondo im
Haydnschen Stil, leichthin scherzend und tändelnd, außer-
gewöhnlich kurz. Das Witzigste daran sind die Stellen,
wo das erste Thema
AIlo^o moUo 9 Tlvacel
repetiert. Beethoven läßt ihnen Momente pathetischer
Spannung vorausgehen. Unter den vier Sätzen der Sin-
fonie ist dieses Finale der am wenigsten eigentümliche,
und ohne Zweifel hat Beethoven in den Klaviersonaten,
welche in der Opuszahl und der Entstehungszeit unserer
C dur-Sinfonie vorausgehen — ganz andere Endsätze hin-
gestellt Aber harmlos hingenommen ^ wie es gemeint
ist, kann auch dieses Finale nur erfreuen und erheitern;
es gehört die ganze graue, in Programmusiktendenzen
blind gewordene Rigorosität eines Berlioz dazu, um ein
so lebensfrohes und vergnügtes Kunstwerkchen einfach
als »kindische Musikc abzutun**).
*) (Leipziger) Allgemeine Musikalische Zeitung, Jahrgang 12,
S. 745 a. ff. : »Nachricht von einem in Thüringen seltnen Musik-
feste c (verfaßt -vom Lexikographen Gerber).
*'*') H. Berlioz: A travers chants I (Obersetznng von R. Pohl):
Kritische Studie über die Symphonien von Beethoven.
--» 196 V-
Wir können es nnr dem Himmel danken, daß Beet-
hoven nicht mit der neunten Sinfonie, mit der großen
Messe in Ddnr debütierte, sondern mit Werken, die, wie
das erste Klavierkonzert, wie die Gdar-Messe und wie
diese C dur-Sinfonie, an die bisherige Schule anknüpften.
Das Publikum seiner Zeit war entschieden dem heutigen
an^naiver Empfänglichkeit überlegen; aber bei der D dur-
Sinfonie stutzte es doch schon. Die Referenten der All-
gemeinen Musikalischen Zeitung hielten sich nach der
ersten Leipziger Aufführung dieses Werkes (im Jahre 1803}
an die nicht ganz gelungene Wiedergabe, die Berliner
sprechen nur (im Jahre 1804) von »den dreiviertel Stunden
lang ausgeführten Schwierigkeiten«, so daß sich Rochlitz,
der erste Kritiker seiner Zeit und einer der ersten Ver-
ehrer und Pioniere Beethovenscher Kunst, veranlaßt sah,
bei der nächsten Gelegenheit selbst das Wort zu ergreifen
und zu versichern, daß diese zweite Sinfonie »das Werk
eines Feuergeistes bleiben werde, wenn tausend jetzt ge-
feierte Modesachen längst zu Grabe getragen sind«.
Aber von der ersten Sinfonie liest man nur, daß sie ein
Lieblingsstück des Konzertpublikums sei.
Die zweite Sinfonie Beethovens (Ddur, Op. 36, zu- L.T.B«ethoTea.
erst aufgeführt im Jahre 1803) geht einen bei weitem Ddur-Sinfonio
beträchlhcheren Schritt über den Stil und die Sphäre der <'*'*>•
Haydn-Mozartschen Sinfonie hinaus. Der erste Satz zeigt
dies namentlich an der Einleitung und der Coda, die
beide in Umfang und Inhalt alles bisher an dieser Stelle
Gewohnte überragen. Nur die siebente Sinfonie Beet-
hovens hat einen noch bedeutenderen Einleitungsatz.
Der der zweiten -ist ausgezeichnet durch den herrlichen
Gesang, mit dem er beginnt. Wie ein Bild aus der Sternen-
welt wirkt diese ebenso erhabene als innige Melodie.
Darauf wird es wolkig und sehr ernst: es kommt zu einem
drohenden Unisono von unheimlicher
Gewalt, das uns später fast wörtlich in
der neunten Sinfonie wieder begegnet: *^^^ "^ V
Muntere Triolen vertreiben das Unwetter und hellen den
Horizont auf für das freundlich schwungvolle Allegro.
18*
196
In ihm ist das Verhältnis der beiden Themen merkwürdig:
das zweite erscheint als die Hanptgestalt des Satzes.
Das erste Thema hat einen gemütlich hmnorvollen Ton, er-
erklingt aber vorerst J J ^ ^ i i
nur leise, heimlich
und erwartungsvoll
das zweite aber erhebt sich triumphierend:
if i'" I j -Ml Uli I I I IM Ml \ U
In der Durchführung und der
Verbindung der Satzgruppen
ist die Doppelschlagfigur aus
dem ersten Thema von großer Bedeutung. Neben ihr
sind aber in Mozartscher Weise der Ideenentwicklung
auch Motive aus Themen zu-
grunde gelegt,welche nur eine
Nebenstellung haben , z. B. :
und
Das erste dieser beiden, das erregte, drohende DmoU-
Motiv, verknüpft Einleitung und Hauptsatz m ähnlicher
Weise, wie das in der Haydnschen Es dur- Sinfonie Nr. 1
der Fall ist Es ist der erste Versuch Beethovens, in
seinen Sinfonien das Sonatenschema weiter zu bilden,
seine Form dem Charakter und Inhalt der Ideen des
Satzes anzupassen.
Die Neigung Beethovens, die Zahl der Themen zu
vermehren, sogenannte Nebenmotive in wichtiger Weise
zu verwenden und mit den hergebrachten Formen freier
zu schalten, tritt mehr noch, als im ersten Satze der
Ddur-Sinfonie, in ihrem Larghetto hervor. Die Stellen
des größten Ausdrucks sind hier geradezu diejenigen, an
welchen die Darstel- ^ ^ Das Haupt-
lung an winzigen y^tlL£X-y|i4j^^= thema
Motiven haftet, wie; ** des Satzes:
197
srggg.
em TOD Sehnsucht und Wehmut leise berührter Hiawei&
auf Glück und Frieden, wirkt doppelt poetisch durch die
Elemente, die es begleiten und bestreiten. Es dauert
ziemlich lange und der Weg geht nicht in einfach gerader
Linie, ehe der kindlich trauliche und einfache Spielplatz von
'^■i'pffffirhTrfnirt'irrm'iii'i^^
erreicht wird. Diese schalkhafte Weise, die den Himmels-
tönen des Hauptthemas die behaglichen Klänge irdischen
Glücks gegenüberstellt, aus den weiten Weltenräuroen die
Phantasie heimführt in den Abendfrieden von Haus,
FamUie und Freunden, bildet nur den Anhang des zweiten
Themas:
stellt es aber in den Schatten.
Der dritte Satz ist als Scherzo bezeichnet Mit diesem
Namen war der Begriff einer bestimmten Form bis zu
Beethoven nicht verbunden. In der großen Revolutions-
zeit der Musik, im 17. Jahrhundert, taucht auch er zum
ersten Male auf und zwar für kleine, in der Form freie
und im Inhalt etwas ausgelassene und übermütige Liebes-
gesänge (für eine Stimme oder mehrere, meistens mit
Begleitung). Von da wurde er auf das Instrumentalge-
biet, ausnahmsweise auch auf die binfonie übertragen,
aber nicht häufig angewendet. Beethoven griff ihn zu-
nächst für seine KJaviersonaten auf und machte ihn
klassisch. Das Scherzo der Ddur-Sinfonie ist eins der
drastischsten. Wie die Motive des Hauptthemas
198
gleichsam flüchtig und verirrt im Orchester hin und her-
flattem, jeder Takt eine andere Instrumentierung! Wie
toll es der lustige Kobold, der sie jagt und schreckt,
treibt, wie übermütig er mit der musikalischen Grammatik
spielt: Immer das ffwoÄ dem von Natur unbetonten Takte!
Diese Art Humor ist noch in keiner Sinfonie zum Vor-
schein gekommen. Das ist der grandios barocke Beet-
hoven! Und bald darauf wieder etwas Neues: Unerhört
ausgelassen brüllen sämtliche Instrumente 14 Takte lang
nur den einen Ton, fis, am Anfang des zweiten Teils
vom Trio. . Das ist der naturalistische Beethoven, derselbe
Beethoven, der vor den Häusern vermeintlicher und
wirklicher Widersacher die wildesten Injurien in die stille
Nacht hinaustobte! Das Thema des Trios selbst steht
der Berserkerszene wie ein bittendes, zartes Weib gegen-
über. Seine Töne bilden dieselbe Folge wie im Trio der
9. Sinfonie, nur die Rhythmik ist anders:
■ p^'if7|-ii I irTriiTi II I
Das Finale verweist mit den ersten zwei Noten
parodistisch^ auf die Einleitung des ersten' Satzes, mit
dem Gegensatz von polternder, bärbeißiger Rauhheit und
zarter Abwehr nimmt das Hauptthema
die Humore des Scherzos auf. Es hat Haydnsches Blut
in den Adern. Das zweite Thema:
«TM«. ^
--• 199 ♦—
aber lenkt in die Bahnen jener Kantabilität ein, welche
Mozart in das Allegro einführte. Mit welcher Entschieden-
heit Beethoven diesen neuen Weg weiter schritt nnd wie
sehr er den frisch eröffneten Ideenkreis zu erweitem be-
rufen war, ist an diesem Thema schon fühlbar. Noch
mehr setzt die Durchführung in Erstaunen, die die heitren
oder innigen Gedanken dieser Themen ins Majestätische
und Gewaltige wendet Wenn schon das ganze Finale
sich mit dem der 8. Sinfonie mehrfach berührt, so tut
dies namentlich der Schluß. Auch da wirds vor dem
jubelnden Ende noch einmal abendlich still und ge-
sammelt. Groß ist auch die biographische Bedeutung
dieser zweiten Sinfonie, einmal wegen der engen Ver-
wandtschaft mit der Neunten, zweitens als Dementi des
sogenannten Heiligstädter Testaments, mit dem sie gleich-
altrig ist. Im Gegensatz zu jenem verzweifelten und
stark mißbrauchten Ausbruch augenblicklicher Melan-
cholie enthält die Sinfonie ein festes und gesammeltes
Bekenntnis zur Kraft, zur Lebensfreude und zum Gott-
yertrauen.
Die dritte Sinfonie Beethovens (Esdur, Eroica) L.T.BeatkoTes,
wurde im Jahre 1804 vollendet und im nächsten Januar Eadtti>Sinroiü6
zuerst in dem Würthschen Konzert in Wien aufgeführt <Nr. 8, Brolcay.
Nach dem Bericht, welchen die Allgemeine Musikalische Op. 65.
Zeitung darüber brachte, nicht mit unbezweifeltem Er-
folge. »Frappante und schöne Stellen c heißts von ihr,
»energischer, talentvoller Geiste von ihrem Schöpfer.
Aber diese Zugeständnisse werden so gut wie aufgehoben
durch Epitheta, wie »äußerst lange und schwierige Korn«
Position«, »wilde Phantasie, die sich ins Regellose ver-
liert«, und mehr noch durch das demonstrative Lob einer
anderen Esdur-Sinfonie, die in demselben Konzert vor-
kam. Diese andere war von Anton Eberl, den heute,
vielleicht mit Unrecht, niemand mehr kennt Die Schwie-
rigkeit der Eroica lag für die Ausführenden so gut vor
wie für die Zuhörer. Auf letztem Umstand Gewicht
legend, verlangte Beethoven (in einer Bemerkung, die auf
den Stimmen der ersten Auflage steht), daß die Sinfonie
^^ 200 ♦—
möglichst an den Anfang des Konzerts gestellt werde.
Sie wurde bei der ersten Probe in Wien, der Prinz Louis
Ferdinand von Preußen beiwohnte, umgeworfen; in Leipzig,
und wo sie sonst in die Hände eines gewissenhaften Diri-
genten kam, veranlaßte sie Extraproben. Habeneck in
Paris ließ sie sich sogar ein großes Frühstück kosten.
Noch heute ist sie eine der schwierigsten Vorlagen, wenn
ein intelligentes Orchester seine Meisterschaft zeigen soll;
namentlich im ersten Satze, dem die mechanische Prä-
zision allein nicht beizukommen vermag. Bei der ersten
AufTührung des Werks im Leipziger Gewandhause war
die Direktion so vorsichtig und verständig, ihre Abon-
nenten durch gedruckte Charakteristiken der einzelnen
Sätze vorzubereiten. Im ganzen aber kann man sich
nur wundem, daß die Musikwelt jener Tage sich nicht
mehr und länger über die £roica wunderte, sondern sie
ziemlich bald und allgemein unter die immer und regel-
mäßig wiederkehrenden Repertoirwerke aufnahm. Denn
dieses Werk war den Zeitgenossen über Nacht gekommen :
in seiner exotischen Pracht mußte es zunächst eben-
so befremden als entzücken. Von den vorausgehenden
Werken zur Eroica fehlt die hinreichende Brücke. So-
viel die ersteren, in erster Linie die Klaviersonaten,
bieten und versprechen: dem Ideenreichtum dieser Sin-
fonie gegenüber, dem Vollgehalt, der Kraft und Ge-
diegenheit, der ebenso kühnen, ja übermäßigen, als
festgefügten Anlage dieses Werkes gegenüber erscheinen
sie nur als kleine Vettern aus einer entfernten Seiten-
linie. Es ist ein unbegreiflicher Rest um die Stellung
dieses Werkes in der Geschichte ihres Schöpfers. Denn
Beethoven hat diesen monumentalen Eingangsbau zu
einer neuen Orchesterkunst auch nicht überboten. Er
setzte ihm Werke zur Seite, welche die einen intimer,
die anderen populärer sein mögen, aber nur wenige,
in denen jedes Glied so wie in dieser Eroica in Geist,
Charakter und Poesie getaucht ist, wo die Kunst so
sehr wie hier auf Figuren, Passagen, auf Putz und
Ornament, auf allen jeneiT Kitt und Mörtel verzichtet
— e 201 ^-
hat, dessen sich die Musik zur Verbindung ihrer Haupt-
glieder gebräuchlicher- und erlaublermaßen bedient. Die
Eroica bleibt fftr die Macht von Beethovens Schöpfer*
geist das stärkste Zeugnis, und er seihst erklärte sie bis
zur Zeit, wo >die Neunte« erschien, fflr seine b^te Sin-
fonie.
Mian weiß, daß Beethoven seine Eroica »Bonaparte«
überschrieben hatte. Als aber der Konsul sich zum
Kaiser gemacht hatte, riß der republikanische Tonsetzer
den, Umschlag weg und widmete das Werk nur im all-
gemeinen dem »Andenken eines Helden«. Mit diesem
Titel ist weniger ein eingehendes Programm gegeben,
als vielmehr nur eine allgemeine Direktive. Man hat
bekanntlich den Mittelsätzen bestimmte Bilder aus dem
Kriegerleben unterzulegen versucht: dem Trauermarsch
eine feierliche Bestattungsszene der Gefallenen, dem
Scherzo das geschäftige Treiben des Lagers und der
Beiwacht Das mag gestattet sein und jedenfalls nichts
schaden. In den anderen Sätzen ist aber dieser Ver-
such nicht durchführbar; namentlich dem ersten gegen-
über erscheint er unbedingt kleinlich! Das bt nicht
das Bild einer Schlacht, wie Ausleger behauptet haben,
sondern das einer Heldennatur, deren Hauptzüge Beet-
hoven mit einer eigenen Tiefe des Blicks erfaßt hat
und in gegenseitige Aktion bringt. Das Eigentümliche
an dieser Beethovenschen Auffassung des Heroischen
ist, daß er den Elementen der Kraft und des frohen
Tatendranges einen stark elegischen und pathetischen
Gegensatz beimischt. Es geht durch den ganzen Satz
ein Zug der Trauer über die Wunden, welche der Held
schlagen muß; vor und nach den gewaltigen Streichen,
die er führt, erhebt sich die Stimme des Mitleids, und
seine großen Entschlüsse umringt die Wehmut Dieser
weiche menschliche Zug begleitet schon das Haupt-
thema, das in seiner ersten, vielleicht aus Mozarts Ouver-
türe zu »Bastion et Bastienne« entnommenen Hälfte
den Hauptträger des kräftigen, fröhlichen Heroentums
bildet
202
r r r
i
Bereits aber im fflnften Takte mit dem langen ver-
minderten Septakkord ,
kommt die schmerz- . . *^, ; -i -i' 'i iÄ ^Jt"^
kommt die schmerz- ^ , <;^, -, -j 'j' '^ jA
liehe Wendung. Noch AV' 33 ij lf=t}=fg
stärker ist sie im zwei- ****** *"
ten Thema ausgebildet:
mit dem übermäßigen Dreiklang; femer in der weh-
klagenden Emoll- Episode der Durchfährung
n .h -<rTT;r> .irTfr .f ^^^^^ Episode machte
^\\ TT ir'pr lY ' T |^= Beethoven, wenn wir
'' die durch Nottebohm
veröCTentlichten Skizzen zu dieser Sinfonie recht verstehen,
geradezu zum Mittelpunkte des ersten Satzes. Sie war von
vornherein fertig und fest beschlossen, und um sie in die
rechte Wirkung zu setzen, änderte er die Entwürfe zu der
ihr vorhergehenden Partie immer wieder, bis die Rhythmen
so trotzig, die Dissonanzen so beängstigend, so realistisch
schneidend wurden, wie sie jetzt dastehen. Von ähnlicher
Tendenz ist auch das Nachspielmotiv, welches den wuch-
tigen Schlägen des empörten Orchesters am Schlüsse des
ersten Teils folgt:
Es sind die reinen Klagen und
die hinsterbenden Anklänge an
Hauptthemas, mit denen der
ginnL Für die formelle Bildung
den angeführten thematischen
kurze Motiv große Wichtigkeit,
Seufzer; ähnlich auch
das erste Motiv des
Durchführungsteil be-
des Satzes hat außer
Elementen noch das
welches die Überlei-
— ♦ 203 i
iungsgruppe zwischen PJ*--->.
dem ersten und zwei- Jjk*' t 6ff
ten Thema eröffnet "S^ i' ^^^ p -" p
Es klingt wie Fragen und Bedenken. Deshalb folgt ihm
gleich die ^.i, „ ^ , .,f^. , /^ ,,.,,, --
Beschwich- mgj Qi Jy f if crir r r ip
tigung in p^
und diesem ein Motiv des erneuten Aufschwungs nach:
Der Durchfahrungs-
^j^teil dieses ersten
Satzes der Eroica
stellt an das Zuhören und Verstehen ganz neue, bis dahin
noch nie erhobene Anforderungen wegen der außerordent-
lichen Beweglichkeit, mit welcher der Komponist Ideen und
Empfindungen wechselt, wegen der Breite, mit welcher
er sie ausführt und drittens weil er zur Themen gruppe
ein ganz ungewohntes Verhältnis einnimmt. Er ist dies-
mal keine Exegese, sondern er hat unverkennbar pragma-
tische Bedeutung, er bringt die Hauptsache: die Schilde*
rung des Kampfes, den der Held leitet. Diese durchaus
dramatisch gehaltene, aufregende Schilderung gipfelt in
der Szene, wo sich Bläser und Geigen gewissermaßen in-
einander festrennen; wo die Sekunde « so gräßlich durch
die Harmonien schreit. Das ist Schlag und Schmerz, und
darauf kommt naturgetreu und lebenswahr die EmoU-
Klage. Sie ist das eigentliche zweite Thema des Satzes,
und wir stehen vor ihr wieder bei einem gewaltigen Ver-
such Beethovens, die Sonatenform frei zu beleben. Nach-
dem dieser Gipfel passiert ist, setzt Beethoven ein zweites
Mal an: Der Feind ist getroffen, aber nicht vernichtet.
So beginnt der Kampf zum zweitenmal und diesmal endet
er bei der fanatischen Cesdur-Stelle, die allmählich in
Totenstille übergeht und mit einer Wendung schließt, deren
eigentümliche Schönheit lange Zeit über ihrer absonder-
lichen Form verkannt worden ist. Wir meinen jene Stelle
— man nennt sie wenig geschmackvoll den Kumulus —
wo über der tremolierenden Sekunde m der beiden Geigen
_^ 204 «^
das Solohom leise den Zauberruf intoniert, der alle wieder
aus der unheimlichen Erstarrung ruft: das Heldenmotiv
esg \e8. In der ersten Wiener Probe hatte Beethoven
dieses as gegen die Musiker zu schützen, welche meinten,
es sei ein Fehler vorgekommen; die Herausgeber der ersten
französischen Partitur korrigierten es als Druckfehler in g\
auch noch R. Wagner war dieser Meinung. Seit das Skiz-
zenbuch Beethovens aus dem Jahre 1803 bekannt ist, darf
nicht der leiseste Zweifel mehr gehegt werden, daß Beet-
hoven kaum etwas anderes in seiner Eroica so bestimmt
und klar gewollt hat, als diese vom mechanischen Har-
moniestandpunkte aus befremdende und unter allen Um-
ständen gewagte, aber jedenfalls mit tondichterischer
Kühnheit und Feinheit ersonnene Wendung. Mit Gewalt
rafft sich der Sieger. Die Reprise beginnt und verläuft
in herrlichen Varianten. Da ist gleich das Thema in Fdur
vom Hom, dann in Des von der Flöte gebracht. Es ist als
wenn nach gefallener Entscheidung sich alles freier und
größer regte. Auch die Coda ist ungewöhnlich, am meisten
dadurch, daß der Komponist hier nochmals auf die Durch-
führung zurückgreift, wiederum nämlich auf die bereits
berührte Episode in Emoll; ein Beweis, wie wichtig sie für
die Eigenart des Helden ist, wie ihn sich Beethoven dachte.
Der zweite Satz der Eroica, Marcia funebre über-
schrieben, die Grenzen eines einfachen Trauermarsches
aber in jeder Beziehung überschreitend, besteht aus fünf
Teilen. Der erste Teil stellt zunächst das Hauptthema
AJaifio 18«>I.
I PH ip^^i»^^— ^™ Streichquartett aut Die
'V~^^^^^^^^^\^}--j^jß Bläser wiederholen es, von
^^^"^ V den Violinen in zitternden
Rhythmen begleitet, aus denen es wie ferner Trommelschlag
klingt. Dann folgt ein Gegenmotiv in Esdur, das nach dem
Hauptthema zurücklenkt Auch diese Gruppe, vom Streich-
quartett zuerst gebracht, wiederholt der Bläserchor, und mit
einem kurzen freien Nachspiel in CmoU schließt dieser
-<(y 206 ^—
erste Teil. Inhaltlich verhildlicht er jenen furchtbaren,
fassungslosen Znstand der trauernden Seele, wo das Ge-
fühl nach Ausdruck ringt, wo die Klage mit der Resignation
kämpft, wo die Sprache erstarrt, versagt und bricht, wo die
freundlichen Bilder der Erinnerung nur aultauchen, um von
den Ausbrüchen des heftigsten Schmerzes veijagt zu wer-
den. Der zweite Teil ruft das glänzende Bild des Helden
zurück. Er erscheint wie eine ^ ^ ^'^^-^ » ^
Art Apotheose. Das führende wjfT' \^^J^:t^fX^^
Thema, in hellem Dur gehalten *^ > ob. ■*«
nimmt schon beim ersten Halbschluß (in Gdur) einen
ganz triumphierenden Ton an. Am Schluß dieses Teils ist
die Rückkehr ins Hauptthema, der stets im Laufe des Satzes
ein leidenschaftlicher Akzent vorausgeht, von einem ganz
besonders tiefen und gewaltigen Ausdruck des Schmerzes
begleitet Der dritte Teil, welcher mit dem Hauptthema
(in C moU) beginnt, ^ ^ p,^ ^ ^ — ^
ruht im weaenüichen''^ Hi l^fJ-Tf^iny^ f I J
auf folgendem Thema: / ^
In der ersten Hälfte er- m \ . _ ** _
scheint es durch die Ver- A h ,1 I ,J lu. })fU?-
kettung mit dem Motiv: ^ V ^ V
in der Form einer Doppelfuge. Sein Ausdruck ist klagend,
aber die Klage hat ihre Herbheit verloren und fließt nun stetig
dahin. Die Wendungen werden mild, fast freudig. Wieder
steigt das Bild des lebenden Helden auf: ein leidenschaft-
licher, begeister- *)
jj, ^^•'s^^^ 'i " ' ^1 '-'
Da plötzlich:
das schreckliche Besinnen: »Er ist nicht mehr!« Ein Auf-
schrei in den entlegensten Regionen des Orchesters, ein
wilder, fast wüster Ausbruch des Schmerzes auf dem Asdur-
Akkord, ein Chaos, aus dem die schmetternden Trompeten
*) Mit dem gleichen Übergang schließt der erste Teil von
»Lofd Heinrich«, einer bekannten Ballade von Neefe, Beethovens
Bonner Lehrer.
-^ 206 ^>~
den Ausweg suchen. Dann lenkt es mit mühsamer Beruhi-
gung üher in den vierten Teil, welcher im wesentlichen
eine Repetition des ersten Teils, aber mit einem großen Zu-
satz von Leidenschaftlichkeit und Aufregung bildet. Es wird
der letzte Abschied genommen! Der fünfte Teil, die Coda,
schließt das ergreifende Bild versöhnend ab. Wie Glocken-
geläute, das Beethoven ähnlich auch in seiner Trauerkan-
tate auf Joseph IL anklingen läßt, ^^' ■ .^^^^
beginnt er in den Violinen, eine yfe= J. p | f r rg^t^"
wehmütig freundliche Melodie w ^ * * ^^
klingt wie aus der Feme herüber, dann geht die Musik
für einen Augenblick in bloße rhythmische Bewegung auf;
in den Violinen tönts wie Schluchzen. Noch einmal er-
scheint dann das Marschthema, verflattert aber bald und
zerfällt in Stücke. Als es verschwunden, stoßen die Bläser
noch ein letztes leidenschaftlich akzentuiertes Lebewohl aus,
über das sich sofort eine leise Fermate wie Grabesruhe legt
Das Scherzo ist von einer ganz eigentümlichen An-
lage. Zum Hauptthema hat es folgende Takte:
Aber dieses teilt sich in die Darstellung mit einem
Motive, das von Natur nur __^ l Lange Ton-
präludierenden und ftn-^^^'^l h J J Ij I rftihAn^ aUS
laufenden Charakters ist: j^ diesen we-
nigen Noten gewoben, durchziehen den Satz und geben
ihm sein phantastisches, heimliches Gepräge, den merk-
würdigen nächtlichen Klang, die Ähnlichkeit mit dem
Gemurmel einer entfernten Menge, mit dem Getöse einer
geschäftigen Stadt, das der Wind auf Meilen hinausträgt
zum Wandrer. Die Tonart ist Esdur, aber es dauert 92
Takte, ehe sie mit dem Fortissimo des zum ersten inal ge-
schlossen vortretenden Orchesters zum Ausdruck kommt.
Es ist interessant zu wissen, daß Beethoven als dritten Satz
seiner Eroica einen einfachen Menuett schreiben wollte.
Erst im Laufe der Skizzen kam er auf das eben angeführte
schwankende Motiv und damit auf die ganz neue Anlage
-^ 207 ♦—
des Satzes. Den Hörnern, welche bekanntlich im Trio des
jetzigen Scherzo eine ziemlich gefürchtete Aufgabe haben,
war von Anfang an eine besondere Rolle zugedacht, aber
im Hauptsätze des Menuett. Der Held ai^ der Jagd?
Das Finale der Eroica ist in seiner ersten Hälfte ein
Variationenzyklns, dem folgendes einfache Thema zu-
grunde liegt:
dasselbe, welches Beethoven früher schon zu den Kiavier-
variationen (Op. 36J und zur Musik des Balletts: »Die Ge-
schöpfe des Prometheus« benutzt hat*). Von der dritten
Variation ab baut der Komponist über dieses Thema eine
innige Gesangmelodie,
welche in dem Satze als zweites Thema fungiert. Nach-
dem sie durchgeführt, wird die Variationen form verlassen,
das Thema erscheint umgestaltet in eine Fuge; in andern
Gruppen sind nur wenige Noten benutzt, auf Augenblicke
verschwindet es ganz. Mit dem Gmoll-Satze, der marsch-
artig kräftig einsetzt, tritt die Variationenform wieder ein;
die einzelnen Variationen haben freie Schlüsse, im übrigen
wiederholt sich der ganze Prozeß der ersten Hälfte. Bis
dahin erscheint das Finale der Eroica, so viele schöne
Momente darin vorkommen, im Verhältnis zu den andern
Sätzen leicht gefügt: eine Reihe fröhlicher Bilder von der
Krieger Heimkehr, frei nach Bürgers Versen: »Und alles
Volk mit Sing und Klang, geschmückt mit grünen Reisern,
zog heim zu seinen Häusem.€ Am Ende jedoch, mit der
frommen Episode, in der das zweite Thema als Andante
auftritt, erhebt es sich und schließt allerdings etwas kurz
abgebrochen, aber mit dithyrambischem Schwünge.
*) Piiil Bekker weist in geinem ausgezeichneten Beethoven-
bnch darauf hin, daß zwischen der Prometheussaire und der
Idee der Eroica ein Zusammenbang besteht.
--» 208 «—
L.T.BMtkoTeB) Beethovens vierte Sinfonie (Bdur, Op. 60), welche
Bdur^mfonie im Jahre 1806 entstand, wurde im Anfang des Jahres
(Nr. 4). 2807 zuerst in Wien kurz nacheinander zweimal auf-
geführt, erst im Theater und dann im adhgen Liebhaber-
konzert, und erfreute sich sogleich, wie berichtet wird,
eines reichen Beifalls. Heute teilt sie mit der ihr geistig
verwandten achten Sinfonie das Schicksal einer gewissen
Zurücksetzung. Sie erreicht ihre Nachbarn zur Rechten
und Linken, die Broica und die Cmoil- Sinfonie weder in
der Breite des Aufbaues und der äußeren Dimensionen,
noch in der Großartigkeit der Kombinationen; sie ist
aber dennoch eins der eigenartigsten und vollendetsten
' Werke der Beethovenschen Kunst und repräsentiert unter
den Sinfonien eine Gattung für sich. Was sie auszeich-
net, ist die Frische und Unmittelbarkeit der Gestaltung.
Sie gleicht darin einigen der Klaviersonaten, daß sie
mehr phantasiert und improvisiert, unter einem fort-
währenden Zufluß neuer Gedanken entstanden, als ge-
arbeitet erscheint. Zweitens zeichnet sie sich aus durch
eine andauernd heitre und glückliche Grundstimmung,
die sich allerdings, wie bei Beethoven zu erwarten, nicht
völlig rein, sondern in romantischer Färbung äußert
Man bemerkt diesen romantischen Zug in dem zögern-
den Aufbau der Melodien, in dem langen Festhalten
der Harmonien, in der versteckten Einmischung von
Dissonanzen, in der bald in scharfen Kontrasten
springenden, bald träumerischen Dynamik: Erschei-
nungen, die uns in keiner zweiten Sinfonie Beethovens
so systematisch entgegentreten wie in der Bdur- Sin-
fonie. Sie schattiert auch die freudigen Farben ein
wenig. Aber die Stürme düstrer Leidenschaft bleiben
ihr fern, und über dem Ganzen leuchtet eine solche
Menge hellen und wärmenden Sonnenscheins, daß man
die Zeit, wo diese Sinfonie entstand, zu den am we-
nigsten getrübten, zu den schönsten Tagen aus Beethovens
Leben rechnen möchte. Grove setzt sie geradezu mit einer
Verlobung Beethovens (mit Theresa von Brunswick) in
Verbindung.
-^ 909 «^
Nach einer Einleitung, die ganz von geheim nisvollei
firwartang und Spannung erfüllt ist, bricht das Allegro
des ersten Satzes mit Schlägen von Urwüchsiger Derbheit
los. Nach dem stürmischen Einsatz gelangen wir zu
folgendem Hauptthema: ^
▼iraeo.
^Tpf|JMp^C?^pn
^ r das die beiden Elemente
A^\f\\ffff\ »'^y 1^ des Satzes: frohes Un-
'^ -^ gestüm und heimlich-
glückliches Sinnen verbindet. Ihm folgt _«
ein selbständiges Seitenthema, welches ^iKn-j=-i-i-i-[-^
über das kindlicher Freude volle Motiv: *^ '
zu einer Repetition des ersten Themas überleitet. Diese
Wiederholung schließt mit einer Synkopenstelle, die eine
gewaltige Herzenserregung kündet. Zauberschnell bricht
sie ab. Das zweite Thema, das nun erscheint, zerfällt in
zwei Hauptgruppen, ♦-rr-v . .. ^ . . g»ü^
deren GrundmoÜve VJ'lTLrfUfrffU ^fc^'jT^^
die folgenden sind: vs? «»**^ * -^
Die zweite Gruppe tritt als Dialog, als Kanon (in der Ok-
tav) zwischen Klarinette und Fagott auf. Zwischen ihnen
stehen noch weitere selbständige Gedanken, unter denen
eine weitaosholende, aus Sequenzen über ein Motiv in (stac-
cato gegebnen) Halbennoten gebildete Passage, die Sam-
meln und Klären bedeutet, der wichtigste ist. Üppigkeit der
Phantasie zeichnet diese Sinfonie aus. Auch die Durchfüh-
rung überrascht durch ^ — . ^ -^-^ ,^^
eine ganz neue Idee : I ^^ ^l^f V ^^ I ' *^ 1* l^" ^^
eine herrliche Melodie : ^ ^
die formell der Emoll-Klage in der Durchführung des
ersten Eroica-Satzes entspricht. Mit ihr vollführen eine
Strecke lang die beiden Gruppen des Orchesters, Geiger
und Bläser, einen Wechselgesang. Er ist für lange Zeit
die letzte Äußerung fertiger Gedanken im Satze. Tiefste
Ruhe, tiefster Frieden breiten sich über eine glückliche
Seele. Immer leiser huschen durch die Geigen flüchtige
Kr«tzsehm»r, Ffthrw. I, 1. 14
— » 210 ♦^-
Schatten des Ht^uptthemaSy die Akkordnoten nus den
ersten beiden Takten. Diese lange Dämmernngsstelle
kennzeichnet die vierte Sinfonie. Ganz eigen ist der Schluß
dieser Durchführung, das Einschlummern der Instrumente
in entlegener Tonart, die Führerrolle, welche die Pauke
in diesem Momente übernimmt, und der eilige Rückzug,
den das verlorene Gros unter ihrem immer lauteren
Kommando bewerkstelligt. In dem Scherzo der Cmoll-
Sinfonie findet sich ein ähnliches und doch wieder sehr
verschiedenes Seitenstück zu dieser Stelle.
Das Adagio, ein wunderbares Stück verklärter Poesie
und der intimste von allen langsamen Sätzen der Beet-
hovenschen Sinfonien, hat folgenden Gesang zum Haupt-
thema :
Adagio.
creMc. *-^»
Die Form dieses Satzes ist jso rein und einfach, daß
er keiner Bemerkung bedarf. Das zweite Thema, in dem
Momente eingeführt, wo die vom Anfange an im Satze
lauernden Geister der Schelmerei und des Humors über
das Maß zu gehen Miene machen, wird von der Klari-
nette vorgetragen, das Fagott bringt einen Nachgesang
dazu. In der Stimmung knüpft dieses zweite Thema
an die leise und edle Melancholie des Hauptthemas
wieder an.
Der dritte Satz, welcher nicht ausdrücklich als
Scherzo überschrieben ist, hat die ausgesprochene Na<
tur eines Capriccio. Er läßt eine etwas herausfor-
dernde Lustigkeit gegen einige bedächtigere Humore an-
käropfen.DasAn- . . ^^^^^ ,^ ^
fangsmotiv sei- ^y^g^Tp^T^^f^y^^P^ | f r ^ | J=
nes Hauptthemas -^
gibt den HauptstofT zum Bau des Satzes. Der in den
ersten Takten dieses Themas schon gegebene Gegensatz
211
von ^/4 und ^j^ Takt gehl durch das ganze Stuck und
verstärkt den Eindruck einer bald übermütigen, bald
eigensinnigen Natur eines liebenswürdigen Wildfangs.
Das Trio ist eins der köstlichsten Bilder naiver und un-
schuldiger Freude, eines jener Kunstwerke, die man nicht
hören kann, ohne die Musiker zu beneiden, welche sie
aufführen dürfen. Die Oboe führt das einfache Thema:
j >'■ r I Tf ff-M'r ii\ii[lt.i\f nt ii\
* I r I r M f r I r I r r i r i r i r p r i ^
In die Pausen streuen die Violinen allerhand kleine
Neckereien hinein — am Ende des Trios wächst die
liebenswürdige zärtliche Melodie, vielleicht der Abkömm-
hng einer Walifahrtshymne, zu stolzer Pracht heran.
Schon der erste Satz der Sinfonie zeigt einige Mozartsche
Spuren; sie mehren sich im Finale so sehr, daß man die
Vermutung kaum abweisen kann, in den Hauptgedanken
gehöre dieser Satz einer früheren Entstehungszeit an.
Seine Themen sind
mit dem Nachsätze 'A^ r p I *^' J^ I j) ^ J> * I :] I und
1%
Sie ergeben einen Satz von brillantem, funkelndem
Effekt, -von dramatischer Lebendigkeit und frappantem
Humor, dessen heitere Natur nur durch einige breite,
unbarmherzig dissonierende Akkorde, die Einfälle einer
rauhen Laune, gestört wird.
Die fünfte Sinfonie (Cmoll) ist mit der Pastoral- L.y.BeethoTen,
Sinfonie zusammen veröffentlicht worden. Beide Werke, Cmoll -Sinfonie
welche die Opnszahlen 67 und 68 tragen, wurden auch ^^'- *)•
14*
^^ 212 %^
Küflammen in demselben Konzert zuerst aufgeführt, wel-
ches Beethoven am 22. Dezember 1808 im Theater an der
Wien gab, einem Konzerte, das durch die Reichhaltigkeit
seines Programms als Knriosum in der Konzertgeschichte
dasteht. Es umfaßte zwei große Chorwerke, die Chor-
fantasie, das Klavierkonzert in 0^ eine freie Fantasie,
die Pastoralsinfonie (als Nr. 6), die Cmoll- Sinfonie (als
Nr. 6 bezeichnet). Gleichwohl sind die beiden Sinfonien
zu verschiedener Zeit entstanden. Die ersten Arbeiten
an der CmoU-Sinfonie reichen bis in die Jahre 18(X) und
1801 zurück. Das außerordentliche, in jeder Faser Beet-
hovensche Werk hat den Meister auch außerordentlich
intensiv beschäftigt and ist unter denjenigen Arbeiten,
mit welchen er sich außergewöhnlich lange trug — ver-
gleichen wir nur die Ddur-Messe und die neunte Sinfonie
— vielleicht diejenige, bei welcher die endgültige Form
alle Intentionen des Schöpfers ohne stärkeren Rest auf-
nahm. Von vielen Beurteilern wird die Cmoll-Sinfonie als
der Höhepunkt nicht bloß der Beethovenschen, sondern
überhaupt der Instrumentalmusik bezeichnet, jedenfalls ist
sie eins derjenigen Kunstwerke, über deren Gewalt alle
einig sind. Mit der CmoU-Sinfonie bekehrte der junge
Mendelssohn' den alten Goethe zu Beethoven*). Selbst
diejenigen, welche amusischen Geistes sind, pflegen vor
der G moll-Sinfonie eine leise Regung von Respekt zu
haben. Jeder fühlt, daß aus dieser Sinfonie ein unge-
wöhnlicher Geist spricht Es liegt etwas Titanisches in
ihrem Zorn und ihrem Trotze, in ihrem Schmerze und
auch in dem Rausche der Begeisterung, in welchem sie
schließlich ausmündet. Man könnte sich vor diesem
Kunstwerke an vielen Stellen fürchten, wenn nicht ans
dem Hintergrunde seiner nächtigen Phantasien auch
freundlichere Genien auftauchten; es würde uns trans-
zendental und nur ehrwürdig bleiben, wenn es den Blick
nicht außer auf unendliche Stemweiten auch auf tran-
liches Erdenland lenkte, wo uns Boten der Sehnsucht,
*) F. MendelBtohn, Briefe (25. Mai 1830).
--^ 213 ♦^
des Humors und diejenigen Menschengeftthle begegnen,
welche das Walten eines guten Gemütes verkünden.
Die Darstellung in der Cmoll-Sinfonie ist hmß und ur-
sprünglich, wahr, notwendig einheitlich und dabei so
scheinbar einfach und klar, daß das Werk trotz der Größe
seines Inhalts populär geworden ist Was diesen Inhalt
der Cmoll-Sinfonie bildet, wer getraut sich das ohne
Fehler zu übersetzen? Beethoven soll dem ersten Satze
dieses Werkes das Motto gegeben haben : »So klopft das
Schicksal an die Pfortei. Wir betonen aber das Wort
>soll«. Es ist das Charakteristikum musikalischer Kunst-
werke, daß sie die Phantasie des Hörers anregen, ihn
wohl auch auf bestimmte Bilder führen. Aber es ist ver-
messen, das eine dieser Bilder für das ausschließlich
richtige zu halten und zu proklamieren. Die Zahl der
benannten Größen, welche derselben algebraischen Formel
entsprechen, ist in der Regel nicht klein: > Ratio multi-
plex, veritas una<I Aber der allgemeine Gang der Phan-
tasie, nennen wir es die Grundidee, in der Cmoll-Sin-
fonie ist so klar ausgeprägt, daß man sie nennen muß:
Es ist der Weg »aus Nacht zum Licht«, per aspera ad
astra, jener in der sinfonischen Kunst so oft gesuchte und
noch öfters verfehlte Weg!
Der erste Satz ist eine der glänzendsten Bestätigungen
für einen in jeder Kunst sattsam erprobten Erfahrungs-
satz : daß mit der Schwierigkeit der technischen Aufgabe
bei starken Geistern auch die Phantasie wächst, der Flug
der Gedanken kühner wird und die Ideen an Macht, Kraft
und Reichtum zunehmen. Von der technischen Seite aus
betrachtet, ist der erste Satz der Cmoll-Sinfonie eins der
verwegensten Kunststücke: Denn sein wesentliches Grund-
material besteht aus den vier Noten, Aii^^ro con brio. >^
welche lapidar und erschreckend ^^Vy t J J J | i ' |
den Eingang des Werkes büden:^^^ f f f ■ i^^
Schindler behauptet in seiner Biographie, daß Beethoven
sie und ihre gleich folgende Transposition in einem lang-
sameren Tempo gewünscht habe, wodurch sie gewisser-
maßen afs Motto hervorgehoben worden. Wenn der Ge-
— ^ 214 4^
wfthninann hier zuverlässig ist, bleibt doch auch die
andere, die leidenschaftlichere Auffassung der Stelle bei
Recht bestehen. Nach Czerny soll ein Goldammer Beet-
hoven im Walde dieses von Spohr*) wegen Mangel an
»Würde« getadelte Motiv zugetragen haben. Zwar hat
der Satz ein zweites Thema:
Aber es ist in dem großen psychologischen Prozeß nur
ein momentanes Beschwichtigungsmittel, über welches
die Kombinationen jenes Urmotivs achtlos hinwegschreiten.
Es wird bei seinem ersten Erscheinen schon von den.
Bässen mit jenen vier unruhigen Grundnoten drohend
empfangen, verfolgt und bald in den Strudel der wogen-
den Aufregung hineingezogen. Auch ältere, namentlich
S. Bach, haben mit einem einzigen kurzen Motiv zu-
weilen ausgeführte Sätze gebildet. Aber dies sind Prä-
ludien und kleinere Stücke — hier aber haben wir einen
ganz kolossalen Satz von gegen 600 Takten! Dabei
aber ist dieses Kunststück zugleich auch die höchste
Leistung im leidenschaftlichen Stile, welche bis dahin
vielleicht die ganze Instrumentalkomposition, ganz gewiß
aber die Orchestermusik aufzuweisen hat — als musica
appassionata eine Leistung, die in der Folge, fraglich ob
wieder erreicht, jedenfalls aber nicht überboten worden
ist. Den Gang des Satzes im einzelnen zu beschreiben,
ist nicht durchführbar, wohl auch nicht nötig. Nach so
und so viel rührenden und erschütternden Versuchen
kommt das Ende auf den Anfang zurück. Es ist das
Bild eines ergreifenden hartnäckigen und verzweifelten
Kampfes, der durchgeführt wird: Wohin unsere Phan-
tasie den Schauplatz desselben legen mag, in die
menschliche Seele oder in die Natur: seine Phasen sind
mit der schauerlichsten Deutlichkeit wiedergegeben.
Es ist ein Ringen ohne Gnade und ohne Nachgeben,
♦) L. Spohr, Selbstbiographie I, S. 229.
215
das Seiten stück zum ersten Satz der Eroica, aber ohne
Klage. Den kritischen Mittelpunkt bildet jene Partie
im Durchführungsteile, ^_^ ^ , ■
wo das Anfangsmo- ^"T ITI J I J ^ j ^
tiv des zweiten Thema '^ ^ ? ^^
entscheidend eingreifen will. Die Stelle hat eine drama-
tische Gewalt, wie sie in der Instrumentalmusik ganz selten
vorkommt. Wirds gelingen oder nicht? Als Streicher und
Bläser mit dem Halbenmotiv wechseln, scheint volle Er-
schöpfung eingetreten und das Ende nahe zu sein. Aber
der Held rafft sich wieder, weicht und bebt abermals; doch
schließlich steht er wieder fest in alter Kraft. Mit einem
plötzlichen Ruck stehen wir vor dem Anfang des dritten
Teils: der Reprise. Sie ist wie immer bei Beethoven
keine wörtliche Wiederholung. Unter den Wendungen,
die ihren Ausdruck und ihre Wirkung mächtig steigern,
sind die freie Kadenz der Oboe und die Coda hervorzu-
heben. Die Oboe spricht wie eine Menschenstimme, ganz
unbeschreiblich rührend auch deshalb, weil es die einzige
Stelle in dem durch und durch männlichen Satz ist, wo
das Herzeleid zu Worte kommt. Seit Haydns früheren
Werken war es das erste Mal, daß wieder ein Komponist
in der Sinfonie Rezitativ verwendete. Beethoven hat
mit der Stelle ein klassisches Beispiel für Macht und Wert
der alten freien Kadenz gegeben.
Entschieden der Hoffnung zugewendet, doch von
Sorge und Zweifel noch leicht gestreift, setzt der zweite
Satz (Andante con Moto, Asdur, 3/g Takt) mit einem
lieblichen Thema ein, welches Celli und Bratschen uni-
sono vortragen:
X\ \ ife ^^^ hohen Holzbläser fah-
' - ' =^ ren unmittelbar fort mit
^T^ die Geigen füh-
jET^ ren dieses The-
ma zu Ende und
-^ 216 ♦^
ihm folgt) von Klarinetten und Fagotts eingeftthrt, auf
dem Fuße die Marschweifie:
doUß - vioii
Y' J^LycJf I r* II In diesen drei Melodien liegt das
ganze Material des Andante vor
uns, in ihrer Folge zusammengedrängt der Verlauf der
Komposition. Das Thema defr Holzbläser kommt immer
gleichlautend wieder, selbst die Tonart wird in keiner Wie-
derholung verändert Es ist der Leitstern, der fest am
Himmel steht und freundlich blinkt. Der Marsch, der drei-
mal mit Pauken und Trompeten in Cdur vorüberzieht,
bedeutet Triumph und Sieg und wirft: einen Blick voraus
in die Sphäre des Finales der Sinfonie. Die Grundform
des Andante ist die einfache eines Variationengebildes in
Haydnscher Art. Das Hauptthema wird erst in Sechzehntel-,
dann in Zweiunddreißigstelform gebracht, der leichte Kon-
flikt der Gefühle, der in ihm liegt, also gesteigert und er-
regter. Zu dieser Wendung tragen die übrigen Faktoren
der Komposition alle ihr Teil mit bei. Auf der ganzen
Linie wird die Farbengebung leuchtender, insbesondere
wirkt die Sprache der Zwischensätze immer dringlicher,
so sehr: daß die Neben themen — der Gesang der Holz-
bläser und die Marschmelodie — den Gesamteindruck
des Satzes fast mehr bestimmen als das Hauptthema. Un-
ter den Episoden prägen sich namentlich zwei bedeutungs-
voll ein: Die eine ist der Obergang aus dem ersten Cdur
des Marschsatzes. Die Trom- ^x.r\> x./"^
peten klingen mit der Quinte ilry | P Rp^ | f' \
fast herausfordernd lang hin ^^^^^^^ ^ \ ■
Da mahnt j . t i ^^^^^ ^ / - Es geht nach FmoU,
es in den ^ n^ gj Ff ^1 f es wird plötzlich
Streichern *^ *-' finster fürs Ohr, und
wie Samiel im »FreischÜts« zieht in der Feme, gespenster-
haft zu dem de9 der jBfB P^b^ ^^^ ^^m t der Bässe
Geigen der Rhythmus ^ ^ ^ 444 vorüber; die Kampf-
— ♦ 217 «^ '
geister d«s ersten Satzes sind noch nicht tot Die zweite
Episode t^itt nach der Zweianddreißigstelvariation des
Hauptthemaa mit dem interessanten es in der Flöte (von
dem Berlioz in seinen Memoiren eine F^tis betreffende
Anekdote erzählt, die an den Kfimnlus der Eroica erinnert)
ein. Die Geigen geben Guitarrenakkorde, ein kleiner Dialog
zwischen Klarinette und Fagott variiert den Anfang des
Hauptthemas, und nun beginnt in den obem Holzbläsern
ein träumerisch holdes Spiel paarweise in Terzen, die
Paare in Gegenbewegung. Die Stelle ist nur kurz, aber
sie bildet einen der freundlichsten und lieblichsten Augen-
blicke in der ganzen C mollrSinfonie.
Das thematische Material des dritten Satzes ist
folgendes ftlr den Hanptteil:
•^f^'j' I J. f I I I I I p Ml J-If J Jll !
f&r den das
Trio ersetzen* ^fA J iJ J J J J J iJ j J J J^Tt^
den Mittelteü! V
den Mittelteil:
Die Teile a (für dessen vier erste Takte Beethoven, nach
Ausweis des von Nottebohm veröffentlichten Skizzenbuchs,
den Anfang des Finale von Mozarts Gmoll-Sinfonie be-
nutzte) und b des Hauptthema folgen im Satze unmittel-
bar wie oben; für die Entwicklung des Satzes wird beson-
ders das Motiv b ausgenutzt. Während in den meisten
andern Sinfonien Beethovens im dfitten Satze eine aus-
gelassene Fröhlichkeit ihre Feste feiert, will hier — wo,
wahrscheinlich nicht zufällig, auch die Bezeichnung
Scherzo fehlt — die gute Laune noch nicht recht in Gang
kommen. Das nähere Verwandtschaftsverhältnis, in dem
bei Beethoven sehr häufig der dritte Satz zum ersten steht,
kommt hier mit besonderer Deutlichkeit zum Ausdruck.
Es zeigt sich äußerlich in der Identität, welche zwischen
dem Hornmotiv und dem Hauptrhythmus des ersten Satzes
^^ 218 ♦^
besieht, ferner in den vielen Fermaten, welche beiden
Sätzen gemeinsam sind, und mehr nctch innerlich in dem
vorwiegend düstern Charakter dieses »Scherzo«. Heiter
ist in seinem Hauptsatze, ähnlich wie in den Ecksätzen
von Mozarts Gmoll-Sinfonie, nur der Rhythmus, die
Harmonien sind gedrückt, die Melodien fragend und
schwermütig, fremdartig durch den Klang der Instru-
mente, welche sie an den wichtigsten Stellen vortragen:
das Motiv a die sonst nur für den schweren Dienst ver-
wendeten Kontrabässe, das Motiv b die Hörner. Auch
der Mittelsatz, mit seinen polternden Figuren und seinem
eifrigen Fngieren, verwischt den Eindruck des Ängst-
lichen, halb Unheimlichen noch nicht: Sein Humor ist
etwas forziert und ungeheuerlich, er deutet eine gute
Wendung der Sache mehr an, als daß er sie schon bringt.
Als sich — wie Berlioz, dem wir hier ausnahmsweise
das Wort geben wollen, sagt*) — der Lärm seiner ge-
waltigen Läufe mehr und mehr verloren hat, erscheint
das Scherzomotiv wieder: diesmal >pizzicato«. Man hört
nichts mehr als einige von den Violinen halb hingehauchte
Varianten des Motivs 6 und dazwischen ein seltsames,
halb unterdrücktes Schluchzen der Fagotte. Dann bricht
der Gedanke ganz ab. Das Orchester macht Miene, den
bösen Traum zu verschlafen; nur die Pauke hält im pp
noch den Rhythmus wach. Es folgen einige Takte voll
mysteriöser Harmonien und einer Ruhe, daß das Ohr
zu hören zaudert, bis die Paukenschläge rascher werden,
die Violinen sich winden und raffen und endlich das
ganze Orchester wahrhaft fieberisch sich auf den leuch-
tenden Cdur- Akkord stürzt, mit dem der Triumphmarsch
des Finale beginnt. Mit seinem unbeschreiblichen Jubel,
mit Kraft und Schalkheit erstickt er alle finsteren An-
wandlungen, die aus den früheren Sätzen in den Schluß
hineinziehen möchten. Die Themen sind einfach bis zur
Trivialität:
*) H. Berlioz, A travers chants (Deutsch von R. Pohl)
S. 39.
219
Alle pro
b) scheint, wie Grove richtig bemerkt, von einem Neben-
thema im Andante der Mozartschen Jupitersinfonie ab-
geleitet zu sein, den ^^ das in der
Nachsatz von c) be- V f \^f \ • I f ^ Durchführung,
gleitet ein Baßmotiv namentlich aus
dem Munde der Posaunen gewaltig und majestätisch
wirkt und fast ihrer ganzen ersten Hälfte zu Grunde
liegt. Der eigentümliche Zug an dieser Durchführung
ist, daß sie, beim kritischen Punkte angelangt, plötz-
lich still abbricht und das Scherzo zurückkehren läßt.
Die Idee selbst ist, höchst wahrscheinlich, einer Cdur-
Sinfonie von Dittersdorf entnommen, aber die Wirkung,
mit der sie Beethoven hier verwertet hat, so ursprüng-
lich als möglich: Bankos Geist an der Festtafel! Damit
war auch Spohr, der wie C, M. v. Weber begreiflicher-
weise an Beethovens Sinfonien manches auszusetzen
hatte, sehr einverstanden.
In der Instrumentierung ist nichts Außerordentliches
als der Zusatz von drei Posaunen; die hier zum ersten
Male in Beethovens Sinfonien erscheinen, Piccolo und
Kontrafagott — aber der innere Schwung und die Kunst
des Komponisten erreichen mit diesen gewöhnlichen
Mitteln eine elementare, donnerähnliche Wirkung. Echt
Beethovenisch ist die Beharrlichkeit, mit welcher das end-
--^ 220 «^
liehe Ende immer wieder hinausgeschoben und umgangen
wird. Schließlich muß es doch kommen, aber nicht ohne
einen letzten neuen Trumpf: ein freudezitterndes Presto
über das Thema d.
Mit Recht ist die Cmoll-Sinfonie Beethovens seine
populärste. Sie war das von allem Anfang ab. Raum
bekannt geworden, findet sie sich in den Programmen
der Virtuosen-Konzerte ebenso gut wie auf den eben ins
Leben tretenden Musikfesten — eine nie versagende pi^ce
de rösistance!
fi.T.BeethoTen, Wie Beethoven auf die Eroica die vierte Sinfonie
Fdur-Sinroiiie folgen ließ, so schickte er ähnlich auf den schweren
(Nr. 6. Pastormie). Kampf der C moU-Sinfonie sich und den Freunden seiner
Muse zur Erholung die Pastorale nach.
Die Biographen erzählen uns von des Künstlers leben-
digem Gefühle für die Schönheiten von Wald und Flur,
von seinem unablässigen Studium der Naturphilosophie
jener Tage. Beethoven hat seinem Wohlgefallen an
Wachtelschlag und Waldesrauschen, seiner Freude und
innigen Liebe zu Gottes freier Schöpfung in vielen Werken
Ausdruck gegeben; in keinem glänzender als in seiner
Pastoralsinfonie.
Sie gehört bekanntlich der Programmusik an, sie
ist aber ein Idealwerk dieser Richtung, welche, wie früher
schon erwähnt, um die Neige des 18. Jahrhunderts in
Süddeutschland und Wien einen starken Anhang hatte.
Von keinem Lessing geschreckt, unbekümmert um die
— heute noch nicht festgestellten — Grenzen der Musik
suchte ein großer Teil der damaligen Instrumentalkom-
ponisten die Stoffe mit der größten Ungeniertheit in allen
Gebieten der sichtbaren und der gedachten Welt: in
Philosophie und Geschichte, in den Werken der Dichter
und den Phänomenen der Natur. Jedes Verlagsverzeich-
nis brachte neue Beiträge zur beschreibenden Tonkunst:
Thayer zitiert aus 2 Anzeigen des Verlegers Traeg:
6 Sinfonien a) Belagerung Wiens, b) le portrait musikal
de la nature, c) König Lear (im Jahre 1792), drei weitere
aus derselben Zeit, a) la tempesta, b] Tharmonie de la
— t 221 4—
natare, c) la bataille. »Le portrait musikal de la natare«
war eine 6 sätzige Komposition des Stuttgarter J.H. Knecht,
der als Tolimaler großes Ansehen genoß. Und noch größer
war dem Anschein nach die Zahl der ungednickten Ver-
suche, welche auf diesem Felde gemacht wurden. Noch
bis in die Zeit Schumanns und seiner Neuen Zeitschrift
hinein lassen sich die Spuren der reisenden Orgelspieler
verfolgen, welche wie Böhner und Klotze ständig auf
ihrem Programm ein > Donnerwetter« mit sich f&brten.
In einem Konzertzettel des bekannten Abt Vogler findet
sich eine solche Orgelmalerei, welche vor der Pastoral-
sinfonie bereits an diese erinnert: »das vergnügte Hirten-
leben, von einem Donherwetter unterbrochen, welches
aber wegzieht, und sodann die naive und laute Freude
deshalb«. Beethoven lachte wohl über solche Malereien,
wenn sie kindisch ausfielen, aber er verschmähte sie
prinzipiell nicht, und es war auch hier, wie Thayer richtig
sagt, sein Ehrgeiz, die Zeitgenossen in der Anwendung
vorhandener Kunstformen zu übertreffen. Doch hat es
ihm wohl einige Mühe gemacht, bei der Pastoralsinfonie
über die Angabe seiner Programmideen ins Reine zu
kommen. Einmal steht im Skizzenbuch: wer einen Be-
griff vom Landleben hätte, müsse den Komponisten ohne
alle Titelhilfen verstehen. Dann gibt er in der Partitur,
in den geschriebnen und gedruckten Stimmen die Ober-
achriften mit klemen Unterschieden. Vom Anfang bis zum
Schluß bleibt er aber bei der Bemerkung, daß die Sinfonie
»mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei« sein solle.
Über dem ersten Satz steht jetzt: »Erwachen hei-
terer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande«.
Von der ersten ausführlichen Rezension ab, die über
die Pastoralsinfonie erschien*}, bis beute ist immer wieder
die Reserve gelobt worden, mit welcher Beethoven sich
darauf beschränkt habe, nur den Empfindungen, den
r ■! I !■■■■■ ■ ^ ^iit I I
*) Aligemeine Musikalische Zeitung 1810, S. 241. Ebenda
auch über die OmoU-Sinfonle: S. 630. Der zweite Aufsatz ist
von £. T. A. HofTmann, dem Gespenstei-Hoffmann.
— <^ 222 ♦^
Innern Gefühlen Ausdruck zu geben, welche das Land-
leben erregt. Nicht aber soll er versucht haben, Äußer-
lichkeiten des Naturbildes nachzumalen. So ganz streng
ist das nicht zu nehmen. Trotz des Titels steht in dem
ersten Satze manches, was in die Kategorie der Emp-
findungen nicht paßt. Die Triolen der Klarinetten und
der anderen Bläser nach dem Abschluß des Hauptthemas,
der lange Triller der Geigen vor der Reprise sind doch
zu deutliche Anspielungen auf das Tun und Treiben, das
Zirpen und Zwitschern der Vögel. Der feine Duft in der
Instrumentierung, der durchklingende Schalmeienton, der
Brummbaßklang, die genrehafte kurzlebige Metrik — das
alles ist doch in diesen ersten Satz als der musikalische
Niederschlag reeller Erscheinungen des Naturlebens ge-
kommen. Uns soll das Werk darum nur um so lieber
sein. Was die technische Struktur des Satzes betrifft,
so zeichnet sie sich durch ihre zarte Beweglichkeit aus
und durch einen gewissen Mmiaturencharakter des ver-
wendeten Materials. Leicht tändelnde Themata hat Beet-
hoven auch in der ersten, der vierten, der siebenten und
achten Sinfonie verwendet. Aber sie sind da weder so
kurz wie in der sechsten, noch werden sie so naiv und
zugleich kühn hinter einander weg wiederholt. Kleine
eintaktige, einviertelige Figuren kommen 10, 20, 30 mal
hintereinander. Es ist neuerdings vermutet worden, daß
Beethoven bei der Pastorale unter slavischem Einfluß
gearbeitet habe'*'). Wohl möglich: Diese Sinfonie nimmt
tatsächlich die ganze Neurussische Schule vorweg. Für
Kantabilität und großen Ausdruck bietet nur die zweite
Hälfte des ersten Thema eine bescheidene Unterlage
cretc.
C^_h [ |i m I h Der Zusatz von Dankgefühl, welcher der
(- -'1^1 Heiterkeit dieses Gedankens schon mit
*) Vgl. Kuhacz, X. Sammlung - Kroatischer Volkslieder
(Agram 1878—85) Bd. III, und den Aufsatz: >Da8 Kroatische
in der Pastoralsinfonle« in Allg. Musikzeitung 1893, S. 538.
223
beigemischt ist, kommt in dem Zwischenmotiv, welches
zum zweiten Thema überleitet, noch beredter heraus
In seinen immer
! neuen Wieder-
holungen kann
es sich gar nicht genug tun : es wandert durch alle Instru-
mente, überall das Bewußtsein der glücklichen Stunde
weckend, zu ihrem vollen Genüsse ladend. In verwandten
Bildungen kommt auch die »Szene am Bach« und der
»Hirtengesang« des Finale darauf zurück. Das zweite
Thema selbst ist nur der Abschluß der beglückten
Schwärmerei:
it^Tt'irrrir^^
In den formellen Elementen zeigt es sich
r r f JLJ r ' dem ersten Thema mehr verwandt als ent-
gegengesetzt Für die Durchführung hat
der zweite Takt des ersten Themas Hauptbedeutung. Aus
ihm entfaltet Beethoven breite Bilder, wechselnden Szenen
der durchwanderten Natur gleich, die zum Staunen und
Lauschen veranlassen. Dem Anschein nach sind sie alle
ähnlich leicht entworfen wie die entsprechenden Ab-
schnitte der 4. Sinfonie. Beidemale handelte es sich um
Ideen, mit denen Beethovens Phantasie spielen konnte,
nicht zu ringen brauchte. Soll aus diesem Darchführungs-
teil etwas hervorgehoben werden, so möchte man gleich
beim Eingang beginnen. Hier sind die scharfen Biegungen
so auffällig und fesselnd, die der Weg macht. Von B nach
D, dann nach O und jE^ immer gehts im scharfen Ruck :
Landschaftliche Oberraschungen ! Vom Glänzenden wendet
sichs nun zum Intimen, und wie der Wechsel auch weiter-
geht, der Genuß wächst nur. Weil menschliche Schwäche
anmutige Kunstwerke hinter die leidenschaftlichen stellt,
sind wir — England ausgenommen — für den ersten
Satz der Pastoralsinfonie nicht so dankbar, wie ers ver-
dient. Steht er doch, wie es Beethoven auch sichtlich
gewollt hat, dem ersten Satz der fünften an Kunstwert
— ♦ 224 «^
mindestens gleich. Moritz von Schwind und nach ihm
neuere Maler haben die Pastoralsinfonie zu illustrieren,
Theaterdirektoren und andere Leute von Phantasie haben
sie szenisch und mit lebenden Bildern*) aufzufahren ver-
sucht Für die andren Sätze mögen diese Versuche an-
nehmbar sein ; von dem Inhalt und Charakter des ersten
geben sie keine Ahnung.
Im zweiten Satz hat Beethoven die malende Tendenz
offen eingestanden: er nennt ihn: >Szene am Bache.
Im Vordergrunde dieser entzückenden Komposition stehen
als die Hauptthemen zwei leicht eingängliche gesangvolle
Melodien, aus denen* das ganze glückliche Behagen einer
von allem Tagewerk befreiten, der herrlichsten Ruhe und
den lieblichsten Träumereien hingegebenen Seele spricht.
Und wir dürfen alles mit genießen. Der Tondichter
führt uns an den sonnigen Waldbach hin, wir sehen die
glitzernden Wellen dahingleiten und hören ihr melodisches,
fleißiges Gemurmel. Tausende von Lichtern blitzen durch
die Bäume; von ihren Zweigen, ihren Gipfeln schallen
kleine zarte Stimmen; es neckt sich, es lockt sich; es
lebt im Laub und im Grase; der Kuckuck ruft, die Wachtel,
die Nachtigall, der Goldammer und aus der Schar der
gefiederten noch so mancher andre ungenannte Sänger.
Es ist ein so lebendiges Bild von dem heimlichen Weben
der Natur, so glücklich gemischt mit menschlicher Poesie,
so natürlich in dieser Mischung und in seinem ganzen
Verlaufe. Die Musik des Satzes ist fast mehr klanglich
als gedanklich. Es trillert fortwährend in Viohnen,
Flöten, Oboen, die Bässe und Hörner halten, durch
Synkopen doppelt bemerklich, lange Töne, es schwirrt
von kleinen Motiven. Das erste Thema im Satze wächst
sich aus solchen verstreuten Anätzen ziemlich unmerklich
zu einer Melodie aus (B dur], schwärmerisch, trttumerisch,
mit einem frommen Anklang. Das zweite Thema, das
die Fagotts bringen, spricht Freude und Entzücken etwas
^JVgl. Jahn, 0. Gesammelte Aafs&tze: S. 260 »Beethoven
Im Malkasten«.
--♦ 225 ♦—
lebhafter aus, aber doch immer noch zart. Die Durch-
führnng ist kurz, modaliert aber Tiel. Da, wo sie nach
Gdur tritt, läßt sich in einem Arpeggio der Flöte
— wie Beethoven Schindler mitteilte — der Gold-
ammer hOren. Der berühmte Scherz, wo Nachtigall,
Wachtel undKncknck zusammenwirken, befindet sich in
der Coda.
Im folgenden Satze wird ein »lustiges Zusammensein
der Landieutec geschildert Man versammelt sich, sel^r
munter und leichtfüßig eilt das junge Volk herbei:
All«|:ro.
-jHliNN|JM'll|l||||i|l|j.ljjljjjjlj
Sofort wird auch der Vorschlag zu einem Tänzchen ge-
macht, zu- ^ ^-w Als im-
nächst j( J If *f 1 ^ *f f I r ' L,Jf-=>:^mermehr
noch leise:'6'~^' ' ' ' ^^kommen,
und es lauf er und lauter wird, da ist die Möglichkeit
eines Reigens Tatsache und wird mit urkräftiger all-
gemeiner Zustimmung begrüßt. Und nun beginnen jene
drolligen Szenen, in welchen Beethoven sich als Bauern-
maler mit vollendetem Humor und mit weitgehender
Realistä neben und über die Teniers, J. von Ostade,
Adrian Bronwer und die andern Größen des Faches stellt.
In der Form dieser Schilderungen liegt ein zweiter großer
Spaß, denn es ist darin sehr übermütig die saloppe Art
und Weise kopiert und parodiert, in welcher, wie heute
noch, auch zur Zeit der Wiener Meister ländliche Orchester
zuweilen ihr Pensum Tanzmusik absolvieren. Das sind
ganz die richtigen, armen, müden und schlaftrunkenen
Bierfiedler. Man hört lange Strecken nur begleitende
Mittelstimmen und Rhythmus. Dann setzt eine Oboe
ein, aufs Geratewohl. Sie scheint eben erwacht und
hinkt ihre Melodie ein Viertel nach der Zeit hinterher.
Ab und zu gibt auch ein anderer ein paar Töne drein,
um gleich wieder zu verschwinden. Von besonderer
Komik ist namentlich der stereotype Einsatz des ersten
Fagott, der immer nur f a biflst. Daß Beethoven spezi-
KretzscliBar, F&hNr. 1, 1. 15
226
fisch östreichische Vorbilder für diesen ausgelassenen
Scherz im Auge hatte, zeigt der zweite Teil dieser
Tanzmusik: der Zweivierteltakt, welcher den Dreiviertel
ablöst. Die alte östreichische Tanzmusik, ist suiten-
mäßig gehalten und liebt den plötzlichen Wechsel der
Rhythmen. Nimmt man zu der Melodie dieses neuen
Satzes
mit ihrem Lärm und ihren gewaltsamen Akzenten noch
die breiten Rhythmen und die unbewegliche Harmo-
nie der Begleitung, so ist das Bild einer plumpen und
schwerfälligen Lustigkeit, einer Lustigkeit in Holzschuhen
und Aufschlagstiefeln, vollendet. Ganz drastisch ist der
Schluß des Mittelsatzes. Man tobt zuletzt, daß der
Atem ausgeht: eine Fermate mit diminuendo bildet
das überraschende £nde dieses die Stelle des gewöhn-
lichen Trio vertretenden Teils. Die Repetition des Haupt-
satzes beginnt, sie wird aber schon bald durch eine
Generalpause unterbrochen. Augenscheinlich macht sich
etwas Bedenkliches bemerkbar. Endlich ist man wieder
im alten Geleise; schon setzt die Dorf- AUeyre.
rousik wieder ein: Da kommt statt des ,V'Ü1!'| | ^
regelrechten kräftigen Fdur- Akkords ein J^
in den Kontrabässen und Gellos. Das ist ein -Don-
nerschlag in der Feme. Man flüchtet, rettet sich
und ruft ängstlich und klagend durcheinander:
^r-H Das ' Grollen
P'\>''^ST2iJTf'\\\\i ||,1' ifi i| Tf des Donners
** ji. vi»i. ' •' V J ' \^^ „„^tJ ji^ i,v»i. wiederholt
sich, rückt nä^ s 5 g* ^.^ ^\
her, und nun
im Fortissimo
bricht das ^ . .
Wetter los.^^^p
Blitze zucken : ^
schauer platzen nieder in mächligen Unisonos des
ete.
Windstöße
fahren ein-
her,Regen-
-^ 227 ^)—
ganzen ^ , . ^' ^ ^, _i« ^^^ Momente
Orche-^^^ 1 p | f ^p p f f F P r I ^1 ' = tritt unheim-
sters:. ^ iT liehe ^uhe ein,
dann zackt es wieder auf und schlägst scharf und furcht-^
bar drein. Den Ernst der Situation, den Höhepunkt der
Krisis bezeichnen die Bässe mit ihrem düstern Skalen-
gang und sei- j-t- . -tj . . ^ ^° ^^
nen erschrecken- ^ ^*'i> T t I f" \f \ a» Jj^ furctt-
den Akzenten : ^^v if ^^ bare
Grollen und die Aufregung der Orchestermassen wirft
jetzt auch der Piccolo seine schrillen Töne, die Pauke
wirbelt stärker, und zum ersten Male in der Sinfonie
stürmen die Posaunen drejn. Die Harmonie ist auf
einem vier Takte langen Septimenakkord erstarrt! Nun
scheint aber auch das Schlimmste vorbei zu sein.
Und so gewaltig Beethoven bis hierher im Auftürmen
und Drohen war, so rührend teilt und glättet er nun
die Wogen und lenkt zu dem letzten Teil der Sinfonie
über, dem »Hirtengesang«, der unmittelbar ohne Pause
an das »Gewitter« anschließt. Wenn wir an diesem
beendeten Satz die Wahrheit, die Macht und die Natur-
treue der Darstellung bewundern, wollen wir nicht ver-
gessen, auch der noch schwierigeren Kunst, die er hier
voll bewiesen, unser Augenmerk zu schenken. Das ist das
Maß, welches Beethoven bei der Ausführung der für die
Tonkunst dankbaren Aufgabe hielt, der souveräne Ge-
schmack mit dem er aufhörte, nachdem das Nötigste
aufs treffendste gebracht war.
Der »Hirtengesang« (Allegretto <^/g) soll »frohe und
dankbare Gefühle nach dem Sturme« schildern. Er tut
es mit Motiven, welche von hier und da erklingen und
deren pastoraler Charakter und deren volkstümliche Ein-
fachheit Zitate unnötig machen. Er tut es mit frommem
innigem Gesang, mit Wendungen in das muntere Gebiet
und mit mancher versteckten und sinnigen Anspielung
an Motive des ersten und zweiten Satzes. Aber er tut
das alles in einer etwas sehr ausführlichen Weise, mit
Variationen, Fugatos und andern Formen, die der Wirkung
16*
^
n
-^ 228 ♦—
seiner schönen Idee von jeher etwas Eintrag getan haben.
Zu Beethovens Zeit wurde darauf hingewiesen, daß Haydn
in seinen Jahreszeiten das gleiche Sujet, weil kftrser,
effektvoller behandelt habe. Der formeU beachtens-
werteste Zug an der Pastoralsinfonie ist ihre Dreisätzig-
keit. Sie zieht ^eich wie die fünfte, die mit ihr ent-
stand, Scherzo und Finale zusammen. Wir finden andere
Merkmale eines solchen Parallelismus an Beethovenschen
Werken häufig.
Die siebente und achte Sinfonie sind wieder Zwillings-
werke: beide wurden in demselben Jahre 1809 skizziert,
beide 1812 — diie achte in Linz — vollendet, bald nach
einander im Dezember 1818 und Februar 1814 aufgeführt
und später als op. 92 und 93 veröffentlicht. Die Musik
beider Werke trägt die Züge einer und derselben sonnigen
Heimat, beide sind von grandioser Heiterkeit, die eine
mit einem starken Schatten darin, die andere ganz un-
getrübt — aber merkwürdigerweise hat die achte nichts
von der überreichen Popularität der siebenten, der Adur-
Sinfonie, erringen können. Zum Ärger Beethovens,
welcher zu sagen pflegte: die achte sei »viel bessere als
die siebente. In Wien wurde jahrelang die Pastoral-
sinfonie schlechthin als die Sinfonie in Fdur angezeigt,
als ob die achte gar nicht existierte*}. Erst neuerdings
zeigen die Konzertzettel die Tendenz, dieses Hohelied des
Humors zu Ehren zu bringen.
li.T.BeetkoTea, Ähnlich wie die zweite Sinfonie eröffnet die sie-
Ador-SinfoDie beute eine lange ausführliche Introduktion, ein herr-
(^T.i). liebes, träumerisches Tongemälde, in dessen Bann der
Zuhörer ganz vergißt, daß es nur eine Einleitung sein
soll. Auch Beethoven hat mit gleicher Liebe kaum eine
zweite Introduktion behandelt. Ihre Hauptmotive sind
Vöto soitennto.
und
*) £. Hanslick: Aus dem Konzertsanl (1870), S. 319.
--♦ 229 «-- .
beide zum ersten Male von der Oboe eingeführt; gigan-
tische Skalen bilden den Obergang. Ähnlich wiegln der
letzten Ouvertüre zu >Fidelio«, der in E, benutzt Beet-
hoven die ersten beiden Noten des Adur-Themas zu
romantischen Bildern, Über denen jetzt Mondschein, jetzt
der Glanz der prangenden Sonne liegt. Plötzlich, wie
auf den Wink eines verschwiegenen Programms bricht er
dann diese Szene erhabner Schwärmerei ab und lenkt in
neckischer Führung der Instrumente über ins Vivace,
dessen Hauptthema
Vivace.
zugleich auch im wesentlichen das einzige des Satzes
ist Derselbe ist in dieser Beziehung, in der Ausbeutung
eines beschränkten Qrundmaterials mit dem Bingangs-
satze der Gmoll-Sinfonie verwandt, im Charakter selbst-
verständlich ganz verschieden. Beethoven gewinnt dem
naiven pastoralen Grundgedanken des Satzes, der zuerst
wie ein Nachklang, ein Supplement der sechsten Sinfonie
auftritt, Wendungen von hoher Pracht und Erhabenheit
ab; das Gebiet des Leidenschaftlichen und des Dunklen
wird nur gestreift. Reich ist der Satz an langgemessenen
Perioden, Produkten einer ungewöhnlichen Macht und
Größe der Empfindung; eigentümlich sind ihm die schroffen
Modulationen und der unvermutete und unvermittelte
Wechsel extremer dynamischer Nuancen. In beiden Merk-
malen äufiert sich exzentrische Stimmung. Auch das kurz
abbrechende Element, das den Schluß der Einleitung
charakterisierte, kehrt in diesem Vivace wieder: mit
Dissonanzlötung, Modulationssprung und Wechsel von ff
-~<o 230 *--
und pp verbunden, sehr kühn und neu gegen den Schluß
des ersten Teils, wo dem lauten Akkord: a-cis-e-fis vor-
übergehend ein stilles — a c f — folgt Die Durchführung
beginnt ähnlich sprunghaft. Wir sind plötzlich in Cdur,
aus wildem Lärm in verschwiegner Idylle: tief unten
flüstern und murmeln die Bässe das Thema. Bei der
Reprise geht es mit Sturm und Skalenlauf in das pasto*
rale Hauptthema; erst später wiederholt es die Oboe in
seinem angestammten Ton. Wie dieses eine Beispiel
so ist der ganze Verlauf dieses Teils Wiederholung in
freister Art; in der Instrumentierung, im ganzen Cha-
rakter erscheint das alte Material neu und frisch
belebt Die Coda ist mehr als je Beethovenisch. Sie
tritt unter seltnen Zeichen ein: mit Generalpause»' mit
einer ganz unerwarteten Ausweichung der Harmonie
nach A3 und einer langen Satz-
bildung über einem knrzenW^^ • sr^fT^ ||ji J J,^
Basso ostinato folgenden Inhalts * "^' ' ^
Was uns andere Stellen vernehmlich genug andeuten,
das zeigt uns diese ganz deutlich und unverkennbar, daß
nämlich hinter der anscheinend dominierenden, manch*
mal grellen Heiterkeit dieses Satzes doch höhere und
ernstere Gedanken wachen, die sich nicht übertäuben
lassen. Es besteht ein Znsammenhang zwischen dieser
Stelle und dem edlen Pathos der Introduktion, ein Zu-
sammenhang, der sich auch noch in der Melancholie des
AUegretto und in den feierlichen Visionen, welche dem
Trio des Scherzo zu gründe liegen, verfolgen läßt Wie
ein leitender Faden geht durch die ersten Sätze dieser
Sinfonie der halb verschwiegene Kampf zwischen einer
jetzt harmlosen, alltäglichen, jetzt wilden Fröhlichkeit
und einem höheren Sinn. Die Sinfonie erscheint unter
diesem Gesichtspunkt als ein Lebensbild, aber nicht als ein
rein freundliches. Das Ende deckt ein ironischer Humor.
Der zweite Satz der Adur-Sinfonie, AUegretto über*
schrieben, ist von alters her berühmt Die Berichte aus
den Jugendjahren des Werkes teilen fast von jeder Auf-
führung mit, daß dieser Teil zur Wiederholung verlangt
231
worden and gebracht sei. Das Allegretto besitzt jene
seltne Art von Originalität, die sofort verstanden und
sympathisch aufgenommen wird. Am Eingang und Aus-
gang des Satzes steht wie eine Erscheinung aus fremdem
Lande ein Bläserakkord, auf eine Quartsextharmonie ktühn
und vielsagend hingestellt. Dann heginnen die tiefen
Saiteninstrumente still und leise das merkwürdig resig-
nierte Thema:
i(jiir3if
m
mit dem gehrochnen Marschrhytfamus hinzustammeln.
Erst mit dem Eintritt der Geigen kommt Fluß in die
Sprache: Celli und Bratschen begleiten mit einer Melodie
von innig sehnsüchtigem Ausdruck
Je mehr sie aus ihrem anfänglichen Versteck heraus-
tritt, um so wärmer wird der Ton der Darstellung. Wie
einer Bitte die Verheißung, so folgt diesem edel weh-
mütigen Satze eine einfach sanfte, freundliche Melodie,
die wie eine Mutterstimme tröstend und zusprechend aus
der Klarinette weich herüberklingt:
{fi'iiTTTJ'i' irTTf J uJirriM ifiJi
Der einfache Kontrast von Moll und Dur wirkt hier mit
ganz ursprtbglicher Elementarkraft. Die Bässe klopfen
unter diesem Gesang den alten Marschrhythmus leise
weiter, der wie Cerberus unter Orpheus* Saitenspiel zu
erweichen scheint. Mit einem MaJe aber fährt er wie
eine Tigertatze hervor; schrill und heftig durchsausen
die trotzigen Achtel das Orchester von einem Ende zum
andern. In veränderter und erweiterter Form beginnt die
Repetition. Nachdem die zweite Gruppe wieder vorbei-
gezogen, folgt das Ende sehr rasch mit all der eigen-
tümlichen und schmerzlichen Schönheit eines gewalt-
samen Abschiedes.
Mit derselben Erscheinung eines unbarmherzigen Los-
reißens von prächtigen Bildern endigt auch der dritte
Satz. Das Trio mit dem, nach Abb6 Stadler*) einem
östreichischen Wallfahrtsgesang entnommenen Thema:
Astal meno pr«tto.
bildet den paradiesischen Teil dieses Satzes. Es ist nicht
auszusagen, welch ein zauberhaftes Tongebilde Beet-
hoven dieser einfachen Melodie entlockt hat, wie er
hier die Bilder steigert: von der lieblichen stillen Idylle,
mit welcher die Holzbläser einsetzen, führt er uns bis
zum Pomp emes großartigen Kirchenfestes, bis zu den
im Sonnenglanze strahlenden und feierlichen Schlüsse,
in dem das Thema unter Pauken und Trompetenklang
mit dem vollen Orchester wie auf stolzem Siegeswagen
einherzieht. In einer genial-energischen Weise, die ohne
gleichen ist, hat Beethoven in diesem Trio den Effekt
einer sogenannten liegenden Stimme angebracht Den
ganzen Triosatz durchschimmert der gleiche Klang eines
festgehaltenen a; bald schwebt dieser Ton in den Vio-
linen über den Melodien, bald leuchtet er aus den
unteren Instrumenten in den Gesang des Orchesters hin-
ein; am eigentümlichsten an den Stellen, wo das zweite
Hom ihn murmelt. Schärfer als sonst, vielleicht mit
Ausnahme seiner ersten, der C dur-Sinfonie, wollte Beet-
hoven hier das Trio gegen den Hauptsatz kontrastieren
lassen. Die Tonarten zeigen das schon: D zu F, Der
Hauptsatz selbst ist ein echter, der Kaprizen voller
Schwarmgeist. '
*) Vgl A. W. Tbayer: U v. Beethoveng Leben (1879)
III, 191.
V
^
233
Pf est«
Seine Haupttrümpfe spielt er in seinem zweiten Teile
ans, wo auf Grund der Motive a und e der überraschendste
Schabernack, namentlich auch in metrischen Dingen ge-
trieben wird. Der Bau des ganzen Satzes ist abweichend,
aber einfach, nämlich: Hauptsatz und Trio zweimal. Der
Hauptsatz wird zum dritten Male durchgespielt, auch das
Trio setzt zum dritten Male ein, gelangt aber nicht über
den zweiten Takt hinaus; sondern Beethoven schlägt ein
Schnippchen und > spritzt die Feder ans«, wie Schumann
sagte.
Das Finale ist einer der ausgelassensten Sätze in
der ganzen Musik: Beethoven nicht bloß »aufgeknöpft«,
wie er sich gern sah und nannte, sondern Beethoven in
einer demonstrativen, wilden, trotzigen Lustigkeit, die zu
einem Teil derselbe >Galgenhumor« zu sein scheint, der
in seinen letzten Kammermusikwerken öfters wiederkehrt.
Dieser Satz tollt daher wie von der Tarantel gestochen,
jauchzt, schreit auf
pocht in fU>erschäumender Kraft
rfiji^u \fsm
und mischt auch in seine Gra-
zie einen Zug des Grotesken:
*) Giove macht darauf anfttierksam , daB daa Thema auch
in Beetkovens Aceompagnement za dem IrUchen Lied »Nota
Greina« vorkommt
234
(ji vfr ! rl^ tj7 IJ1?i I'iI i|J, |I|I >^^ ■ 1 1 /T Tfl
^ 1 ft 1 r"''^ ''ft ■ I i?f ^'ft ! iii^ ^'iH <jTi^ <'rr ^n
- ./> ^^^ formelles Element,
"T 'tf I V ' ^y ^ ' Cf Ir^^^ welches sich an diesen
^ J»^r p y Themen nicht einfach
beweisen läßt, aber in ihrem Zusammenhang ersicht-
lich wird, ist die Hereinziehnng ungarischer Rhythmen,
Akzente und Anklänge. Unter den Kombinationen, in
welchen Beethoven das hier skizzierte Ideenmaterial
entwickelt, sei die Fdar-Stelle am Anfang der Durch-
führung hervorgehoben. Da stößt der Fluß auf ganz
merkwürdige Hindemisse, zu deren Beseitigung die Vio-
linen und die Bässe sich grotesk riesig anstrengen.
Die Kühnheit der thematischen Entwickelung erreicht
den Gipfel mit dem kolossalen Orgelpunkt der Coda.
Wir stehen hier ganz in der Nähe des Maßlosen und
tun gut, im Interesse unsrer Jagend zu bemerken und
zu bekennen, daß Beethoven zuweilen geneigt war,
seine Intentionen mit übermütiger Hartnäckigkeit auf
die Spitze zu treiben. Eine >ungebändigtec Persönlich-
keit nennt ihn Goethe in einem Brief an Zelter. Es
läßt sich nicht leugnen, daß darunter auch die klang-
liche Klarheit und Ausführbarkeit unsres Finales gelitten
hat Wenn ein Teil unsrer beutigen Kritik die von Fach-
und Zeitgenossen Beethovens gegen diese Punkte ge-
richteten Einwendungen schnellfertig auf Neid und Be-
schränktheit zurückzuführen beliebt, gibt er sich selbst
eine Blöße. Unbedingte Bewunderung ist eine erhebende
Erscheinung, jedoch nur wenn sie auf zureichender Ein'
sieht beruht.
L.T.BeetboTen, Die ac*hte Sinfonie (Fdur) beginnt ohne Einlei-
Fdur-Sinfonio tung mit Themen, die eine laute Fröhlichkeit » ein Be-
(Nr. 8). hagen, aber noch nicht einen wirklichen Humor aus-
drücken:
236
Haoptihenift.
Allag^o Tivaee.
n I^J J lUi
In dem Abschnitt b des Hauptthemas liegt sogar ein
sinnendes, zögerndes Element, welches das zweite Thema,
trotz seines tändelnden Eintritts, teilt und in fast stär-
kerem Grade besitzt. Der Schalk kommt erst später
und zwar am Schlüsse der Wiederholung dieses zweiten
Themas durch die Bläser. Da machen die Bässe dem Ritar-
dando und ^^t» .-■ ^und wecken Kraft und
Septimenakkord v „TJ "J'"^ [^ Leben in der Versamm-
lung. Doch bleibt dem
ein rasches Ende ^*
ganzen Satze ein elegischer Rest — sehr schönen Aus-
druck hat er in dem zweiten Seitenthema gefunden
Der Hauptzweck der Durchführung ist, ihm die weitere
Ausdehnung zu bestreiten, was in einer launig barschen
Art auch ausgeführt wird. Beethoven beginnt diese
Durchführung mit einer kleinen Bosheit gegen die Brat-
schen; sie, die sonst immer in Deckung marschieren,
stellt er, als hätten sie den allgemeinen Rückzug ver-
-^ 236
säumt, allein ^ ^ , Diese immer wiederhol-
hinaus mit .y [ p [ I Ji . ten vier Noten sind die
dem Motiv ^■"'"^ kläglichen Oberbleihsel -
des glänzenden Schlusses, den das Tutti dem ersten Teil
des Satzes, der Themengruppe gab. Sie sind zugleich die
variierten Stichworte f&r den Einsatz des zweiten Themas.
Doch dieses zweite Thema kommt nicht, sondern Fagott,
Klarinette, Oboe, Flöte nacheinander benutzen die Cre-
legenheit, das erste Motiv des Hauptthemas in sentimen-
tale Beleuchtung zu bringen. Das Tutti föhrt lärmend
dazwischen und setzt, nachdem die Versuche noch einige-
male sich wiederholt haben, auch seine Auffassung durch:
Kraft ist Trumpf. Aus den ersten 6 Noten werden durch
Sequenzen Perioden gebildet, in denen erst die Bässe
(Dmoll), dann die zweiten Geigen (Gmoll), die ersten
Geigen (Fmoll) die Führung übernehmen. Die Instrumente
reißen sich förmlich um das Motiv; vom Einsatz des
Desdur ab stehen wir vor einer nahezu beängstigen-
den Kampfszene. Die Bässe bleiben die Sieger, stellen
die Ordnung wieder her und beginnen in unbeschreib-
lich stolzem Ton die Reprise des Satzes. Die Coda
fängt nochmals kontrapunktische ^ ,^
Neckereien an. Doch mit dem *> f p^pplJ I t {
heimlichen Schluß des Satzes: j» ^"^ .
bleibt das letzte Wort den Grazien.
Es ist interessaüt, aus den Skizzenbüchern Beethovens
zu ersehen, daß der ganze schöne Ausgang des ersten
Satzes (von der Fermate ab) nachkomponieri ist.
Dem stark humoristischen Grundzug dieser Sinfonie
zuliebe hat Beethoven auf einen langsamen Satz in ihr
verzichtet und infolge dessen den Mitteisätzen dieses
Werkes einen von dem an dieser Stelle Gebräuchlichen
ganz abweichenden Charakter gegeben. Der zweite ist
ein richtiges Allegretto; es hüpft auf Kinderfüßen dahin,
jugendlich durch und durch, unschuldig und reizend,
scheinbar wie in einem Zuge hingeschrieben. Es ist eins
der genialsten und gewinnendsten Stücke im graziösen
Genre. Ursprünglich hatte es Beethoven als einen Kanon
r'
237
auf Mäkei nnd sein Metronom entworfen. Die Sechzehnte!-
Akkorde, mit denen die Bläser einsetzen, sollen also das
Klappern dieses Instruments nachahmen. Der dritte Satz
ist ein echter Menuett im alten Schnitt, in halh liebe-
voller, halb humoristischer Hingabe an altvaterisches
Wesen und Brauch ausgefQhrt. Wie getreu ist die gemüt-
liche Gravität und die In- Tcnpo ai km. des Anfangsmotivs,
nigkeit, mit der vordem / f , j^==wie launig die Um-
getanzt wurde, in dem "ir '' ' ständlichkeit, mit
der angesetzt, ausgeholt und der Takt probiert wurde, in dem
Traip« dl lUBnett«, wiedergegeben! Das Trio
" * ist ein verklärter Ditters-
dorf, eine wnnderliebliche
IdyUe aus der altwieneri-
schen Musikantenzeit, tiber dessen Charakter der Klavier-
auszug keine genügende Auskunft gibt. Es stehen in dem
Satze manche kleine Scherze im Stile der Dorfmusik in
der Pastoralsinfonie. — Um allen Mißverständnissen in
der Behandlung dieses dritten Satzes vorzubeugen, hat
ihn Beethoven »Tempo di Minuettoc überschrieben, d. h.
nicht ein blofier Titularmenuett, wie ihn Haydn oft
schreibt, sondern einen mit der Poesie und dem Tempo
der Spießbürgerzeit!
Das Finale, dessen schon früher erwähntes Haupt-
thema:
AUefTo Htm«.
ebenso wie das des ersten Satzes, nach Ausweis des
Skizzenbuchs, zu den schwer gefnndnen gehört, steht mit
seinen thematischen Wurzeln, aber auch mit seiner Ent-
wicklung, seinem leichten, schäumenden, geistsprühenden
Wesen auf dem Boden Haydnscher Kunst Es ist ein ins
Beethovensche ausgebauter und übersetzter Haydn; der
jüngere Meister hat den Pulsschlag etwas gesteigert, die
^
—fr 238 «>-
Überrasch UD gen noch um einige Grade drastischer g^
macht, die Formen verbreitert und Gegensätze hinein-
gestellt, die dem alten fern' lagen. Ohne Gegensätzlichkeit
ist In Strumen talkomposition schwer zu betreiben, insbe-
sondere humoristische. Hier aber geht die Gegensätzlich-
keit bis zur Selbstverspottung: Das Hauptthema verläuft
sich von der letzten hier aufgezeichneten Note noch
8 Takte weiter in Cdur immer leiser^ heimlicher. Und
allemal fällt in die
letzten Töne dann
Lärm ein, der uns
allen Himmeln wirft: ''^ " jO^
Dieses eis, ein humoristisches Ungeheuer, ein gänzlich
unmusikalisches Phänomen, ein Schreckschuß, ein Ober-
grüf des äußersten Realismus in der Kunst ist eine Haupt-
quelle für die originelle Wirkung des Finales der 8. Sin-
fonie. Es hat nirgends wieder seinesgleichen; vielleicht
glücklicherweise. Nach dieser verwegnen Aufführung des
Hauptthemas setzt nun das zweite Thema lieblicher alsjeein
die ^ ^ x^
r r ^ pTf <V II"! Es schließt mit einem Anhang:
A _ _ ■ ix- ■ #« I* der ganz wie leises
•^ r^i" Crif r LT lT=€t^ Kichern klingt Die
^ Themengruppe ist da-
mit zu Ende. Der Satz, einer der längsten Beethoven-
sinfoniesätze, hat modifizierte Rondoform: es setzt die
erste Durchführung ein, ernst , _ ^
durch die Herrschaft des neuen, <fc ^ I !■#> I "i
sehr einfachen Kommandomotivs "^^
und durch Bildungen aus den Vierteln vom 6. bis 8. Takte
des Hauptthemas entwickelt Am Ende haben die nek-
kischen Geister wieder die Oberhand: Fagotte und die
(hier in Oktaven gestimmten) Pauken pochen ein drolliges
Solo. Der nächste Teil ist eine mit kleinen neuen Zügen
des Humors und der Grazie bereicherte Wiederholung der
— ^ 239 ^»—
Themen gruppe, und nun folgt der eigentliche, weit über 200
Ta^e umfassende Schluß des Schlußsatzes. Nach einem
zögernden, unentschlossnen Anfang, über den die Bässe
sich sehr ungebärdig und zornig äußern, folgt eine lyrische
Episode in schönster Abendstimmung über das Ihema:
/■s .^,^} ^ ■ ■ ^*^ schreckliche
fr ■ fJj^J j I J j <J il^'^1 »^^cis kommt bru-
»* ^ taler als je wie-
der, auch die andren ausgelassnen Scherze des Finale
ziehen nochmals, am liebsten verschärft, vorüber; aber
als es zum wirklichen Schließen kommt, da behauptet
die müde Schönheit, die mit der Episode in die Kompo-
sition eintrat, den Platz. Von der ersten Wiener Auf-
führung der achten Sinfonie (27. Februar 1814) heißt es:
»das Werk machte kein Furore«, aus andern Orten be-
richtete man, daß es weniger gefiel als die andern.
Wenn' in musikalischen Kreisen schlechtweg von
d^r »Neunten« gesprochen wird, ist damit die neunte i^*v.BeetiioTeD,
Sinfonie von L. v. Beethoven gemeint. In diesem ab- Dmoii- Sinfonie
gekürzten Sprachgebrauche spricht sich die Sonder- ™** ^fj^^^°'
Stellung, welche dieses Werk genießt, deutlich genug
aus. Es wird mit der neunten Sinfonie ein Kultus ge-
trieben, der seinen Grund nicht ausschließlich in dem
eminenten Kunstwerte dieses Werkes findet, sondern er
hat einen nicht unbeträchtlichen Teil künstlicher Nahrung
in den Theorien erhalten, welche in neuerer Zeit an den
außerordentlichen Charakter der neunten Sinfonie ge-
knüpft worden sind. Die bis heute immer wiederholte
Behauptung, daß dieses Werk beim ersten Erscheinen
nicht verstanden worden sei, stützt sich im wesentlichen
wieder auf Spohr*), der die ersten drei Sätze die schlech-
testen Sinfoniesätze Beethovens und das Finale monströs,
geschmacklos und trivial genannt hat, gehört aber, so
allgemein hingestellt, ins Reich der Fabel. Aus London
kamen ganz unverständige und niedrige Urteile; in andern
Städten, auch Leipzig, blieben die Meinungen bezüglich
*) L. Spohr, Selbstbiographie 1, 202.
#"
-^ 240 V-
eiDzelner Punkte geteilt. Aber in Wien erregte die erste
AuffQhrang des Werks (7. Mai liB24), so roh und angefeilt
sie auch aasfiel, doch den höchsten Grad von Enthosias-
mos. Und gerade der Eingang des Finale wird ein
Moment des jBsligsten Genasses, ein Punkt genannt, an
welchem Kunst und Wahrheit ihren glänzendsten Triumph
feiern: das Non plus ultra des Werks*). Ähnlich
schreibt noch gelegentlich der ersten Hamburger Auf-
führung (1836) ein Berichterstatter von >einem Festtag«
und schließt: »Soviel ist gewii3, daß diese neunte Sin-
fonie das riesenhafteste Moonment ist, das noch im
Reiche der Tonkunst entstanden**). Das einzige- und
noch heute von vielen geteilte Bedenken gegen die Sin-
fonie äußerte sich in dem Wunsche, daß es Beethoven
gefallen möchte, diesem wahrhaft einzigen Finale eine
ungleich konzentriertere Gestalt zu geben. Als ihm sein
Freund Droysen mitgeteilt, daß er die neunte Sinfonie
gehört habe und ratlos sei, äußert sich (im Jahre IS^l)
Mendelssohn: »Die Instrumentalsätze gehören zum Größten,
was ich in der Kunst kenne; von da, wo die Sing-
stimmen eintreten, verstehe auch ich es nicht, d. h. ich
finde nur einzelnes vollkommen, und wie das bei einem
solchen Meister der Fall ist, so liegt die Schuld wahr-
scheinlich an uns. Oder der Ausfahrang ... Im Gesang-
satz sind die Stimmen so gelegt, daß ich keinen Ort
kenne,, wo er gut gehen könnte, und daher kommt viel-
leicht bis jetzt die Unverständlichkeit < ***}. Wenn also auch
ein Mendelssohn Not hatte, mit diesem Finale fertig zu
werden, kann man sich nicht wundem, daß es kleinere
Geister kurzweg ablehnten. Bei dieser Sachlage ist
Czernys Mitteilangf), daß Beethoven eine Umarbei-
*) Allgemeine Matikaliscfae Zeitung, 26. Jahrgang, S. 441.
♦*) Neue Zeitachrift f. M. IV, 81, 86.
***) Briefweckael Droysen und Mendelssohn (Deutsche Rund-
schau, Mal 1902).
t) 0. OzerBy, Recollections on BeethoveD in Oocka Musical
Miscellany 1852 u. 1853.
--♦ 241 ♦^
taug des Schlußsatzes beabsichtigt habe, nicht unwahr-
scheinlich.
Der Hauptpunkt, in dem die neunte Sinfonie formell
von den vorausgehenden abweicht, besteht darin, daß
ihr Schlußsatz ein Gesangstück ist. Wie kam Beethoven
dazu, eine Instrumentalsinfonie mit Singstimmen zu
schließen? Die von R. Wagner zuerst ausgesprochene
Ansicht, weil er den Bankrott der reinen Instrumental-
musik erkannte und aussprechen wollte, scheint ange-
sichts der Streichquartette und Klaviersonaten, die Beet-
hoven dieser Sinfonie (opus 125) noch folgen ließ, nicht
haltbar. Auch die andere Annahme, daß Beethoven bei
der Komposition seiner neunten Sinfonie von vornherein
die Ode Schillers »An die Freude« zum Ausgangspunkt
genommen habe, steht nicht fest. Allerdings schreibt
Fischenich schon im Jahre 1793 an Charlotte v. Schiller,
daß Beethoven dieses Gedicht im großen Stile kompo-
nieren wollte, und die Skizzenbücher zeigen, wie er wieder-
holt dazu ausholt, es in Ouvertüren — z. B. bei der zur
Namensfeier -— zu verwenden. Aber noch im Jahre 1823,
als die ersten drei Sätze schon so gut wie abgeschlossen
waren, sehen wir ihn zwischen einem vokalen oder in-
strumentalen Schlußsatz für die neunte Sinfonie schwanken.
Wenn Beethoven sich dann doch für die Zuziehung des
Gesangs entschied, so handelte es sich dabei um eine
Maßregel, die im Prinzip schon Haydn für zulässig er-
klärt hatte, indem er Rezitativ in der Sinfonie verwendete.
Beethoven war ihm darin in seiner FtLniten gefolgt und
von da, zuerst in den Skizzenbüchern, dann in seiner
»CSiorfantasie«, zur Verwendung, wirklicher Menschen-
sUmmen und ausgeführter Vokalmusik weiter geschritten.
Aus dem 17. Jahrhundert gibt es Kantaten, von denen
man nicht weiß, ob sie wohl zur Gesang- oder zur In-
strumentalmusik gehören. Auch zu Beethovens Zeiten
war in der Sinfonie der Chorschluß versucht worden. So
von P. von Winter in seiner Schlachtsinfonie, 4ie bei
ihrem Erscheinen (1814), so schwer begreiflich das diesem
Produkt aus Lärm und Trivialität gegenüber auch sein
Kr«itt6k«ftr, Fftkrar. I, 1. 16
--^ 242
mag, viel Aufsehen erregte und Beethovens »Schlacht
bei Yittoria« an manchen Orten ans dem Sattel, hob.
Aach eine Sinfonie >Sch]acht bei Leipzig« des Böhmen
P« Maachek (1814) gehört zn dieser Mischgattung von Sin-
fonie und Kantate. Freilich war zwischen den Formen
der Sinfonie Beethovens und der anderer Leute ein großer
Unterschied, und- indem Beethoven für die Sätze, welche
zur Vorbereitung, Begründung und Einleitung der Ode
dienen sollten, seine gewöhnlichen Sinfoniemasse des
Allegro, des Scherzo und des Adagio nicht nur beibehielt,
sondern auch noch steigerte, erhielt Schillers Tempel der
Freude einen so kolossalen Unterbau, ein Fundament
von solchen Dimensionen, solcher Selbständigkeit und
solchem Reichtum an eigner Schönheit, daß das Haupt-
werk, welchem dies alles dienen soll, leicht darüber ver-
gessen werden kann. Sei es. nun mit der formellen Be-
rechtigung wie es will; keinesfalls würde Beethoven die
Ode ins Finale gebracht haben, wenn zwischen ihr und den
drei ersten Sätzen der Sinfonie keine geistigen Beziehungen
bestanden hätten. Sie aber aufzufinden, ist nicht schwer.
Die Schilderung eines Zustandes, dem die Freude fehlt,
ist die wesentliche Idee des ersten Satzes. Mit der Form-
freiheit, welche die Werke von Beethovens letzter Periode
auszeichnet, setzt er zunächst ohne Thema ein. Es wogt
und nebelt chaotisch und unbestimmt über den berühmten
leeren Quinten. Dann, erst nach 16Takten, steigt in finsterer
Majestät, voll Krafi und Trotz, aber durch einen an die
gleiche Stelle in. der >Eroica< erinnernden Zug de« Lei-
dens gezeichnet, die Heldengestalt dieses Allegro zu Tage:
^ AUeg^ojioB troppo «b ^m auMtoto.
n f7f f^ « ^
243
Welch heroischer Eintritt, wie latiggem essen der Weg —
aber wie sonderbar wirr das Ende! Das Thema setzt
gldch darauf 'zam zweiten Male von einer anderen Seite
ein, in Bdor, ohne sich aber ^ ^ gebildet, decken
wieder so breit zu entfalten: y L[J ij^ und vort>ereiten
Ketten, aus dem Motive ^ den Aufmarsch
seiner zweiten Hälfte. Es kapituliert am Schluß und
überläßt unmittelbar das Terrain an das zweite Thema
und seine Vorläufer
p'l t/irtlji^li 'irirT^Qji'rü'ifürrQ-i
cur. n. ci«r. "• "^
^M
erMO.
iiT rrri
Auch hier das gewaltige
Längenmaß, welches alles
/ j»w#*tt* Gedanken- und Formen-
wesen der neunten Sinfonie, und dieses ersten Satzes
insbesondere, charakterisiert. Dieselbe dämonische Un-
ruhe, welche Empfindung und Phantasie immer wieder
aufjagt Sie treibt hier aus dem Reiche milder Wehmut,
freundlichen Sehnens,tröst- ^ _ t^ ^.^^ Unmittel-
liehen Erinnems fort in j£ f ^yp * | [,C/P ^bar daran
das Ungestüm des Kampfes ^jö^ Y-^i^A«
sich wieder Bilder ^ ^^-^fTirr-;-*^ ^_
des Friedens undAtlL"^^* '^^ ■■tert
des seligen Glücken ^ ''
AII19 Qual schlummert einen Augenblick; aber auch aus
dem sanft wiegenden Traumgebilde treten Gegensätze
erkennbar hervor:
reihen
Im Nu ist ein neuer Ausbruch da, in welchem diesmal
16*
<r
_^ 244 /^^
die wild aufschlagenden Bässe die Führung übernehmen:
^-^ ^ ^ ^ g Die Holzbläser v.er-
> \^n r Jn n f fTTff ' I etc. suchen ^ubeschwich-
i^ ^ ^ «^ ^ ^ f/" tigen; sie bitten
um einen ^^ ^ . und erreichen
freundliche- /ifffffffif p TT^; ^ | es, daß der
ren Ton: >1'^:»> \U^ '^'j^ ^"^ erste Teil des
Satzes jnit einer gewissen kräftigen Freudigkeit geschlossen
wird. Die Durchführung entrollt das Faustische Bild
weiter: Suchen und nicht Erreichen, rosige Phantasien
von Zukunft und Vergangenheit und die Wirklichkeit von
einem Schmerz erfüllt, der seine Rechte plötzlich geltend
macht! Der Durchführungsteil ist verhältnismäßig nur
kurz: thematisch wird er hauptsächlich getragen von
Bildungen aus dem dritten und vierten Takte des Haüpt-
themas. Das trübe Element tritt in ihm zurück, um mit
vollster Kraft bei der Rückkehr in den Hauptsatz auszu-
brechen an jener Stelle, wo die Pauke 88 Takte lang ihr
d wirbelt, wo die beiden Teile des Orchesters heftig und
wild gegeneinander angehen — eine Stelle, an welcher
die Mittel der musikalischen Kunst den dämonischen lur
tentionen Beethovens kaum zu genügen scheinen. Am
Schlüsse der Coda, in deren llitte das Hom einen überaus
freundlichen und zuversichtlichen Lichtblick fallen läßt,
wird die freudlose Grundstimmung des Satzes zu voll-
ständiger Gebrochenheit Dort, wo die Bässe 16 Takte
lang ostinato chromatisch auf und ab wogen, glauben wir
in der Melodie des Homs und der Oboe einen Trauermarsch
zu hören, bis die Klänge der anderen Instrumente stärker
und stärker werden und noch einmal kurz, aber lapidar,
Schmerz und Trotz nebeneinander stehen.
Der zweite Satz nähert sich der Freude schon mehr.
Er beginnt MoUoTivao«. welches
über folgen- jg-^ H T'-j^j i^ ■ -f-i..[t-.|L^ i f ■ a'm später
dem Thema ^^^^^S^^^^^^^^^^^^^= auch im
Metrum von drei Takten gebraucht wird, ein Fugato
erst heimlich und leise: am Schlüsse im fröhlichsten
und lautesten Tumult der dahiojagenden Instrumente.
245
Nur anf einen kurzen Augenblick wird dieses muntere
Treiben von .^-— ^ '^ — "^^ >• ä^^^« \n
Momenten mü- t V\}' I ^' I ^ I ' I ^1* I ' '^
abgelöst, die derb fidelen Tanzweisen der Bläser:
•ta.
denen die Streich-
instrumente in kräf-
tigen Strichen das
Anfangsmotiv des vorigen Themas f* ^ f zujauchzen,
ersticken sie sogleich. Der Mittelsatz, welcher das Trio
vertritt, hat als Hauptgedanken folgende, tfiöglicherweise
Beethovens russischen Musikstudien entsprossene, in der
Tonreihe mit dem Anfang des Trios der zweiten Sinfonie
ganz Übereinstimmende, nur rhythmisch von ihm ver-
schiedne Melodie
Pnsto
r r r r n
Er schlägt pastorale Töne an und spielt
in seinen simplen Hirtenweisen auf länd-
liche Vergnügungen an, aber auch in
seinem zweiten Teile, den Beethoven über eine Umkehrung
des Beglei-
tungsbas-
ses bildet:
in mächtig mystischen Geigenklängen auf Sonnenauf-
gänge und erhabene Freuden herrlicher Natur. Die Stelle
wirkt aber nicht, wenn sie zu schnell gespielt wird.
Y; Stanford macht deshalb in der Zeitschrift der I. M. 6.
(April 1906) mit Hecht darauf aufmerksam, daß das Tempo
dieses Mittelsatzes nicht ^, sondern J «s 116 sein muß.
Daß die Metronom an gaben Beethovens Überhaupt der
Revision bedürfen, ist schon im 18. Jahrgang von Roch-
litzens Allg. M. Ztg. nachgewiesen worden. Um zu ver-
anschaulichen, wie allgemein verständlich die Schönheit
246
dieses Scherzo sei, berichtet der Franzose Elwart in
seiner Voyage musical (1849), daß es selbst Rossinis Bei-
fall gefunden habe, ähnlich findet Lenz in seiner Beet-
hovenbiographie das Entzücken Glinkas bemerkenswert.
Gewiß hat das Scherzo der 9. Sinfonie ebensowenig
Gegner wie ihr Adagio. Aber Rossini sollte man bei
dem Beweis hierfür verschonen. Daß sein Geschmack
nicht gewöhnlich war, geht ans seiner Mitgliedschaft bei
der Bachgesellschaft genügend hervor.
Das Adagio, der dritte Satz der Sinfonie, hat eine
abweichende, nichtsdestoweniger aber sehr klare Dispo-
sition. Sein Hanptthema, der inbrünstige Ausdruck eines
edlen, frommen Sinnes, der in die andere Welt hinüber
Fragen zu richten scheint,
mvtta voce
%lZ»er
TioL
l^=r^fiinrElfrLf;lC^^:i^l'^^^*f f \
hat die Länge des Periodenbaues, welche der Beethoven
der letzten Periode liebt. Es schließt nicht voll ab,
sondern es schwebt unmittelbar in den Schoß des zweiten
Thema über
Andante.
PP crtiC
welches auch äußerlich, nach Tonart und Taktart, die
Kennzeichen einer völlig anderen Sphäre trägt. Nach
dieser Themengruppe beginnen Variationen, zuerst über
beide Hauptgedanken, dann über das erste Thema allein.
D^r ganze Satz strebt einer höheren Art von Freude zu:
Da scheint ein Mensch zu träumen vom Himmel und
vom Wiedersehen, von seinen Jugendtagen und von seineu
--♦ 247 ^>-
Lieben. Aber Träame gehen zu Ende. Am Schlüsse der
ersten ^/g- Takt-Variation vericünden Trompeten nnd
Homer mit einem plötzlichen Signal:
ij' Uli '"" IT^ U If'^a^-^H^
die Nähe des rauhen Tages.
Das schöne Bild verschwindet, und nun kommt im
vierten Satze das, was Faust meint, wenn er sagt: »Des
Morgens wach* ich mit Entsetzen auf«. Gedacht ist wohl
ohne Zweifel der Anfang des Finale im unmittelbaren
Kontrast zu den Himmelsklängen des Adagio. Im mög-
lichst schnellen Anschluß an das Ende des letzteren ver-
liert die wirre Fanfare, der Höllenlärm, mit welchem das
empörte, heulende Orchester einsetzt, den Charakter des
Unbegreiflichen, Capriziösen, am besten. Dieser wüste
Anfang bedeutet den Rückfall in die chaotische Stimmung
des ersten Satzes. Bässe und Celli warnen in kühnen,
heftigen Rezitativen. Jetzt suchen die Geigen und die
Bläser nach rettenden Ideen. Die einen bringen eine
Weise aus dem ersten Satz, die andern aus dem zwei-
ten, dann kommt ein Zitat aus dem dritten. Nichts ge-
fällt den Bässen. Endlich intonieren die Oboen etwas
ganz Neues. Das findet Gnade bei den Vätern des Or-
chesters.^ Nachdem sie ihre Zustimmung in einem letzten
Rezitative ausgesprochen, ergreifen sie selbst das Motiv
und führen es zu einer breiten Melodie aus:
'=vr'rtTnm^i I /T? I rl i i imi' i r ii 1 1
\ fV iTnnTi ^fFHrjr^
Es ist dieselbe, zu der dann die Freudenode angestimmt
wird, und die, rein oder varriiert, den leitenden Faden
jr\
— ^ 248 4^
des ganzen Finale bildet. Zunächst wird sie in einer Fuge
durch das ganze Orchester gef&hrt, ohne aber auf die Dauer
einen genügenden Halt bieten zu können. Denn es taumelt
nach einem Moment des Herumirrens wieder zu jener
Schreckensszene zurück, mit welcher der Satz begann. Da
kommt weitere Hülfe. Es ist diesmal der S&nger des Bariton-
solo, der mit den von Beethoven selbst eingeschobenen
Worten >0 Freunde, nicht diese Töne — sondern laßt uns
angenehmere anstimmen und freudenvollere« die Ordnung
wiederherstellt Und nun beginnt er den Hymnus in
obiger volkstümlicher Melodie — einer der wenigen, die
Beethoven gleich beim ersten Anlauf fand — , in welche
die anderen Solisten und der Chor dann einfallen.
Von Schillers Ode hat Beethoven nur einige Strophen
benutzt und aus ihnen eine Reihe musikalischer Bilder
entwickelt Er läßt die Kreaturen jauchzen um Küsse
und um Reben, er tritt mit dem Cherub vor Gott, er
malt die Bahn, die der Held durchläuft, in einem wilden
stürmischen Fugato, dessen Kampfgetöse in einem festen,
sieghaften Pochen endigt Der Refrain aller Szenen, die
Beethoven ausführt oder skizziert, ist das vom Chor wieder
eingesetzte >Freude<. Am ausführlichsten hat Beethoven
die Szene des Helden behandelt; die Rücksicht auf die
Dimensionen des Satzes gestatteten leider nicht, mit allen
Themen des Gedichts in gleicher Weise zu verfahren.
Es steht Vollendetes und Angefangenes nebeneinander,
und bei aller Begeisterung Über die entzückende Schön-
heit des Einzelnen empfinden wir, bewußt oder unbewußt,
in der Totalform des Finale einen Mangel. Besonders
weihevoll und hinreißend sind die Momente, in denen
sich Beethoven dem Sternenzelt und dem himmlischen
Vater nähert, der darüber wohnt Die Worte » Seid um-
schlungen, Millionen« hat er in eine Art Zeremonie ge-
faßt, die da oben am ewigen Throne zu i^pielen scheint
Sphärenhaft sind ihre Schlußklänge. Die irdische Bfusik
vergeht in dieser Nachbarschaft ganz in Stille. Nur wie
heimlich setzen die Solostimmen wieder mit ihrem »Freude,
Tochter aus Elysium« ein; bald aber gewinnt das Bn-
— ♦ 249 #^
semble seinen Mut wieder und rauscht in einem Enthusias-
mus einher, welcher immer stärker wird und schließlich in
einen völligen Freudentaumel übergeht Dieses Schlußbild
hat Beethoven in dem realistisch sdiwungvoUen Stile aus-
geffthrt, der mit ihm zuerst in die Tonkunst eintrat
Die Entstehun^geschichte der neunten Sinfonie zeigt,
daß man die prinzipielle, die systematische Bedeutung
ihres Finales nicht tiberschätzen darf. Anders steht es um
die Frage, ob Beethoven, wenn er länger gelebt hätte, bei
dem System der Eroica geblieben wäre. Die letzten sechs
Streichquartette genügen, um diese Frage zu verneinen..
Wie in ihnen würde er auch in weitereh Sinfonien mit
größter Wahrscheinlichkeit an die Stelle der Auslegung
und Durchführunig weniger Grundideen die Freiheit der
l^hantasie, den Erfindungsreichtum, die Fülle von volks-
tümlich gestalteten, kürzeren Bildern gesetzt haben. Indes
seiner und der nächstfolgenden Zeit hatte Beethoven mit
dem System der Eroica eine genügende Vorlage hinter-
lassen. Wir werden bald sehen, wie sich die Komposition
mit ihr abzufinden suchte und wie sich die Entwicklung
der Sinfonie fast ein Jahrhundert lang um Beethovensche
Probleme bewegte.
Soweit diese Beethoven^chen Probleme auf der for-
mellen Seite der Komposition liegen, laufen sie auf ein
Doppeltes hinaus: Erweiterung des Qrundrisses und zu-
gleich engere Verknüpfung der Hauptteile. Den Aufbau
der einzelnen Sätze bereichert Beethoven in der mannig-
fachsten Weise durch Einfügung neuer Zwischenglieder,
durch Ausdehnung der Hauptthemen zu ganzen Themen-
komplexen, durch Verwendung des Durchführungsprinzips
an ganz ungewohnten Stellen. Er steht da unter dem
dteifachen Drang einer überströmenden Phantasie, eines
unerschöpflichen Ideenreichtums und einer den hetero-
gensten Einfällen gewachsenen, nur durch Schwierigkeiten
gereizten/ äußerst kühnen Gestaltungskraft Auf der
anderen Seite verlangt sein überaus klarer Kunstver-
stand, sein Sinn für Logik nach Obersichüichkeit, Ein-
heitlichkeit und deuUichem Zusammenhang des Ganzen.
^
--t 260 «--
Dieses zweite Problem hat Beethoven Id der 5., 6., in
der 9. Sinfonie in Angriff genommen, aber die Lösang
den späteren Sinfonikern übrig gelassen, und von ihnen
ist die Schwierigkeit der Beethovenschen Form, wenigstens
was den Kernpunkt, den Widerspruch zwischen der FtUle
und Selbständigkeit aller vier Sätze und zwischen der
Faßlichkeit und Notwendigkeit ihres Aneinanderschlusses
zum Ganzen, betrifft, erst spät erkannt worden. Ja bis
heute fehlt noch die allgemeine Klarheit über die Frage:
ob die Beethovensche Sinfonie eine für jedermann er«
reichbare Vorlage bildet, oder ob diese Riesenform als
die Ausnahmeleistung, als das Monopol eines hors de
concours stehenden Riesengeistes zu betrachten ist.
Was den Inhalt seiner Sinfonie betrifft, so ist hier
Beethoven ein Neuerer nur insofern, als er in den Wer-
ken, die in die Klasse der Gesellschaftsmusik fallen, deren
Charaktergrenzen mit einer Ungebundenheit übersdireitet,
die seine Vorgänger nicht gewagt haben. Es handelt
sich hier um die erste, die siebente und achte Sinfonie,
Tondichtungen, die in den der musikalischen Welt ge-
wohnten heiteren Grundton dämonische Elemente und
die absonderlichsten Humore mit einer Freiheit mischen,
die zuweilen das Barocke nicht scheut.
Von den anderen Sinfonien bekennen sich die dritte, die
Eroica, und die sechste, die Pastorale, zu der Gattung der
Programmusik und unterscheiden sich davon den seit alters
üblichen Leistungen nicht im wesentlichen, sondern nulr
durch die individuelle Größe und Originalität Beethovens.
Die zweite, die vierte und die neunte Sinfonie sind
ähnlich wie die letzten Sinfonien Mozarts ganz subjektive
Kompositionen, Augenblicksbilder aus Bethovens eignem
Leben, Stimmungsergüsse aus Tagen bewegtesten Seelen-
lebens. Die neunte, die auf die zweite absichtlich zurück-
greift, hat unter ihnen ihre ergreifende und erhebende
Bedeutung als Ausdruck der Weltanschauung, mit der
Beethoven aus dem irdischen Leben geschieden ist
^
ISB^iiLr.
III.
Nebenmänner und Gefolge der Klassiker.
Vorläufer und Hauptvertreter der Romantik.
|ie allgemeine Musikgeschichte pflegt bei dem Kapitel
»Sinfoniec schnellen Schrittes von Beethoven auf
Mendelssohn überzugehen. Nur.Schubert und Spohr
werden als Zwischenglieder kurz berührt. Es ist jedoch
interessant und vom historischen Standpunkte aus sogar
notwendig, etwas länger bei dem Kreise sch5pferi8Cher
Talente zu verweilen, deren Werke für die hervorragenden
Leistungen der klassischen Führer den Hintergrund
bildeten.
Der Umbau der Sinfonie aus einer einfachen Ge-
legenheitsmusik zu einer Tondichtung größten Stils hatte
sich in dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von sechzig
Jahren vollzogen. Das musikalische Publikum lebte sich
wunderbar leicht in die Veränderung hinein, und gerade-
zu erstaunlich ist es, wie schnell und richtig das Ver-
hältnis zu Beethoven festgestellt wurde. Wir hören und
lesen heute viel von dem unverstandnen Beethoven, von
Beethoven dem Märtyrer. Diese Auffassung stützt sich
auf kürzere oder längere Verstimmungen des Komponisten
selbst, auf herbe und hitzige Urteile der Gegner und Wider-
sacher, die seine Werke im einzelnen oder ganzen natür-
lich fanden. Aber ihrer waren im Verhältnis zur Neuheit
und Kühnheit seiner Kunst nur wenige, und sie gaben
nicht den Ausschlag. Beethoven lebte in einer Zeit, die
seiner würdig; seinem Geiste verwandt war. Man ehrte
4r
--* 252 ^^
in ihm eine Ausnahmeerscheinung. Beethovens Sinfonien
sind die ersten und noch für lange die einzigen, von
welchen zu Lebzeiten des Verfassers die Partitnr gedruckt
wurde. Das Hanptbedenken, welches sie verarsachten,
war ihre große Schwierigkeit: Die Dilettantenorchester,
auf welchen die Existenz der damaligen Konzertgesell-
schaften rnhte, waren diesen Werken gegenüber quanti-
tativ und qualitativ zu schwach. Ihrer eingedenk schreibt
Beethoven wohl einmal ail den Erzherzog Rudolf, daß
für seine Sinfonien vier erste Violinen genügten, als aber
in London die Neunte aufgeführt werden soll, hat er das
vergessen und verlangt sogar doppelte Bläser. Der be-
i\ Aadr^ kannte Hofrat Andrö gab dem Bedenken gegen die Auf-
führungsschwierigkeiten bei Beethoven den stärksten prak-
tischen Ausdruck, indem er eine kleine Serie von »leichten«
Sinfonien veröffentlichte. In einer derselben folgt in dem
Menuett auf einen Walzer als Hauptsatz das Trio in Form
eines figurierten Chorals. Trotz Andrö und trotz der
Schwierigkeit blieben aber die Beethoven sehen Sinfonien
an der Spitze des Repertoires, über Haydn und Mozart
sogar, wenn sie, wie C. M. v. Weber an Lichtenstein
schreibt, auch meistens, namentlich in Virtuosenkon-
zerten, nur unvollständig gespielt wurden, und die Or-
chester wurden, soweit sie in der Not der Befreiungs-
kriege standgehalten hatten, ihnen zuliebe mit großen
Kosten allmählich umgebildet.
In den Kreisen der Komponisten forderte der Über-
gang in die neue Periode seine Opfer. Die Zahl der
Stimmen im Sängerwalde minderte sich und ganze Ge-
schlechter verschwanden. Es war aus mit einer »Sin-
fonie mit Guitarre« und mit ähnlichen Kuriositäten: es
war aus mit den alten, rauschenden Theatersinfonien,
aus mit den konzertierenden Sinfonien und den harm-
losen Divertissements, welchen bisher ebenfalls der Titel
Sinfonie erlaubt war. Wenn jetzt die Brandl, Braune,
Blyma, Weyse, Küffner und die andern Matadoren des
leichten Stils an die Türen der Konzertsäle klopften, so
scholl ihnen, wie dem Tamino in der ZauberQöte eiQ
---fr 253 ♦^
energisches »Zurück« entgegen. Es kamen Zeiten, w6
es der Kritik gar nicht recht zu machen war, wo die-
jenigen^ welche sich in Beethovens Pathos versuchen
wollten, schlechtweg »schwülstig«, die Anhänger Haydns
als »kindisch« gescholten wurden, wo man die Form der
Sinfonie für erschöpft erklärte und wo fast jede Rezension
eines neuen Werkes deil melancholischen Anfang: »Wer
jetzt noch mit einer Sinfonie hervortritt, der usw.c trug.
Diejenigen Männer, welche sich Unter so erschweren-
den Umständen als Sinfoniker zu behaupten wußten,
welche neben den Klassikern auf dem Repertoire standen
und nach Beethoven einen Platz erraugeu, verdienen
nichts ganz vergessen zu werden. Ohne einen Blick auf
das Wesen und die Menge dieser Nebenmänner versteht
man die Blütezeit der Wiener Schule und die Indivi-
duahtät ihrer Klassiker kaum vollständig. Die Größe
dieser klassischen Periode beruht nicht zum geringsten
auf ihrem Reichtum an wirklichen, an bedeutenden Ta-
lenten. Süßmayer hat bekanntlich das Requiem von
Mozart so vollendet ergänzt, daß nojch bis heute Musiker
sich vernehmen lassen, die angesichts der wohlverbürgten
Tatsache doch die bloße Möglichkeit einer fremden Hand
glauben in Abrede stellen zu dürfen. Diese kühnen
Zweifler wissen nicht, daß Süßmayer keine vereinzelte
Erscheinung ist, daß Haydn, Mozart, Beethoven nicht
von Zwergen, sondern von hochgewachsnen Genossen
umgeben wfuren, von denen einzelne heute, in unsrer
musikalisch ärmeren Gegenwart vielleicht als Größen
ersten Ranges gelten wtlrden.
Unter denjenigen Nebenmännern der Klassiker, welche
in der Sinfonie diesen hohen Maßstab vertragen, ist der
älteste und bedeutendste CarlDitters vonDittersdorf*]. G.?.mtUn-
Einst eintiebling der deutschen Musikkreise, ein wieder- '«rf«
holt und besonders gern gesehner Gast der preußischen
Hauptstadt, ist dieser Tonsetzer heute nur noch durch
seinen »Doktor und Apotheker« bekannt. Und auch da
*) YgL C. Krebs: Dittersdorflaoa. Berlin 1900
--♦ 264 ♦—
nur dem Namen nach. Denn obwohl dieses trauliche Sing-
spiel als Kulturbild, als Supplement zu Goethes »Hermann
und Dorothea« einen unverlierbaren Wert besitzt, ist es
seit mehr als dreißig Jahren vollständig von der BOhne
verschwunden. Trotzdem ist es möglich, daß Dittersdorf
als Instrumentalkomponist wieder Fuß foßt. Noch 1906
wurde am Berliner Hofe beim Fastnachtsball Ditters-
dorfsche Orchestermusik gespielt und auch sein Csdur-
Quintett hat sofort sich wieder eingebürgert Mit seinen
Sinfonien würde er die Neugier des jetzigen Geschlechts
zunächst als Vertreter der Programmusik reizen — aber
schwerlich befriedigen. Die Programmusik gibt in Haydns
Werken bis zu seiner Jagdsinfonie, bei Beethoven in der
Pastorale Lebenszeichen, stark und deutlich genug, um
ahnen zu lassen, daß sie in der Nähe der Klaseiket-
Periode eine Rolle spielte. Tatsächlich war der Ausgang
des 18. Jahrhunderts eine ihrer günstigsten Zeiten. In
Sulzers »Allgemeiner Theorie der schönen Künste« wurde
ihr damals >BOgar der wissenschaftliche Segen zuteil,
unter den Praktikern aber, die sich ihr in allen Ländern
widmeten, war neben Rosetti und seinem »Telemach«
Dittersdorf der bedeutendste. Dittersdorfs Hauptbeitrag
zur Gattung bestand in 12*) charakterisierten Sinfonien
zu Abschnitten aus Ovids Metamorphosen. Im Jahre
1786 als Stimmdruck veröffentlicht, müssen sie einen be-
trächtlichen Erfolg gehabt haben, denn im nächsten*Jahre
schrieb der Probst Hermes Analysen dazu. In Deutsch-
land war das ^interessante Werk Jange verschwunden*
Brenet**), ohne die Bibliotheksstellen zu nennen, an denen
er sie gesehen hat, beschreibt zwei Stücke daraus: »Die
vier Zeitalter« und »Actaeon«, tadelnd, daß sie ganz an
der viersätzigen Sinfoniefonp festhalten. Hanslick***)
*) Diese Zahl und diesen Titel gibt Dittersdorf (K. y. Ditters-
dorfk Lebensbeschreibung, Leipzig 1804, S. 230) selbst an.
**) Brenet, Histoire de la Symphonie, Paris 1882, S. 109.
***) Hansliek, Geschichte des Wiener Konzertwesens, Wien
1860, S. 114.
-^255 ^^
kennt das »Combattimento deir amane Pässioni«. Das
ist die zehnte Nummer der Sammlung, eine Suite, die
dadurch überrascht, daß sie ganz in Mullats Stil gehalten
ist*). Sie besteht aus den sieben Sätzen: II Superbo, il
Umüe, il Matte, U Gontento, il Melancolico, il Vivace. Der
Schlußsatz ist ein größeres Musikstück, die andren haben
die kurze zweiteilige Form, die im Ballett und im Tanz
so gebräuchUch ist; nur ausnahmsweise sind geeignete
Motive durchgearbeitet Die Erfindung ist in »II Vivace«
am glücklichsten gewesen; hier das Hauptthema:
AUegro M>al,
dJ I
J'JJJJJJ'7 1^'««'
Im Ganzen entbehrt sie der
Schärfe. Von dem combat-
timento, dem Kampf, den der Titel ankündigt, enthält
die Komposition keine Spur. Einmal nur sprechen zwei
folgende Stücke einen Gegensatz im Charakter aus: il
superbo und il umile. Den Ausdruck des Stolzes hat
aber Dittersdorf dabei nicht sicher gefunden. Die Musik
spricht Freude, Aufgeregtheit, ja Zorn aus; aber es fehlt
ihr die Ruhe und Vornehmheit, die zum rechten Stolz
gehört In eine sonderbare Beziehung ist il amante, der
Verliebte, zu U matto, dem Verrückten, gebracht worden.
Er tritt als Trio im Menuett auf. Nach diesem Menuett
hat sich Dittersdorf einen stillen Narren gedacht Ob
nun diese Sätze selbständig als »Sinfonie« komponiert
oder, was wahrscheinlicher ist, als Einlagen zu einem
Schauspiel, als Begleitungsmusik zu lebenden Bildern
entstanden sind, eine angebome Begabung für Programm-
musik, Tonmalerei und Charakteristik zeigen sie nicht
Die Plastik, Eindringlicheit und Eigentümlichkeit der
Motivbildung, die die Stärke Rameaus und der Franzosen
ausmacht, in der auch Kuhnau sehr groß ist, kurz die
Eigenschaften, mit denen das Recht der Gattung steht
und fällt, gehen ihnen ab. Und wie mit dieser einen,
*) Exemplar tuf der Münchner Hof- und Staatsbibliothek.
-^ 266 ^^
ists aach mit den übrigen Programmainfonien Ditters-
dorfs, wie sich jedermann aus der Neoauagabe der ersten
sechs überzeugen kann*). Hübsch ist das. Finale im
Sturz Phaetons mit dem klagenden Ausgang, hübsch ist
in Aktaeon die Diana im Bad, drollig ist in den lykischen
Bauern das Quaken der Frösche, der kleinen in den Vio-
linen, der großen in deiS Bässen, Aber außer in Einzel-
heiten sind diese Sinfonien matt.
Ein ganz andrer ist Dittersdorf in seinen programm-
losen Sinfonien:, da überrascht er durch einen poe-
tischen und ungewöhnlich selbständigen Geist und läßt
uns überall verstehen, warum ihn die Musikfreunde, des-
achtzehnten Jahrhunderts in ihren Orchesterkonzerten
dicht neben Haydn und Mozart stellten. Er ist der
erste unter den Ostreichem jener Zeit, welcher, mit
beiden Meistern geistesverwandt, zwischen ihnen in be-
deutender Weise vermittelt. Mit Haydn teilt er als Na-
turgeschenk den Humor, lernt von ihm die Kunst der
motivischen Arbeit und fügt dem die Mozartsche Kanta-
bilität bei. So betritt er mit großer Bestimmtheit den
Weg, den dann Beethoven glänzend weiterschritt Wir
dürfen Dittersdorf in der Sinfonie, soweit es sich um die
Vermittlung zwischen Haydn und Mozart und um Selb-
ständigkeit und Originalität in der musikalischen Archi-
tektur, im eigentlichen Satzbau handelt, einen Vor-
läufer Beethovens nennen. Nur Unbekanntschäft
mit seinen Werken ist die Ursache, daß die Biographen
Beethovens Dittersdorf als Vorbild und Lehrer Beet-
hovens nicht anführen. Denn daß der junge Rheinländer
die Sinfonien Dittersdorfis gekannt und studiert hat, geht
daraus hervor, daß er sie in einzelnen Zügen besondrer
Gestaltung nachgebildet hat. Der diplomatische Beweis
ist dafür wohl nicht zu erbringen, aber für diejenigen,
*) Dittersdorfb Metamorphosen nach Ovid (die 4 Weltalter,
der Sturz Phaetons, Verwandlung Aktaeons, Rettung der Andro-
meda, Verwandlung der lykischen Bauern in FrOsdie, die Ver-
steinerung des Phineus), herausgegeben von Joseph Liebeskind,
— e 267 ♦—
welche noch mit Gründen äußerster Wahrscheinlichkeit
rechnen, auch entbehrlich.
Eine der Hanptsinfonien Dittersdorfs — aus der im
Jahre 1787 erschienenen Sammlang — ist unlängst in
Partitur und Stimmen neugedruckt worden*) und könnte
berechtigte Veranlassung bieten, Dittersdorf — und zwar
nidit bloß aus historischem Interesse — wieder in unsre
Orchesterkonzerie einzuführen.
Sie hat das große Orchester der Vor-Beethovenschen
Sinfonie, nämlich 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Homer, 2 Trom-
peten, Pauken und den fünfstimmigen Streicherchor. Da-
zu aber — ohne daß es besonders angegeben ist —
Cembalo, ein. Beweis, daß die Haydnsche 'Praxis nicht
mit einem Male und unabänderlich durchdrang**). Auf
dem Titelblatt nennt sich der Komponist Carlo di Ditters-
dorf. Das ist mehr als eine bloße Äußerlichkeit, denn
die Musik mischt zu den Haydnschen und Mozartschen
Elementen drittens noch italienische. Namentlich der
erste Satz hat die Lärm-, Prunk- und Festmotive der
alten italienischen Sinfonie.
Mit einem ^ugro* »«Ito. ^^ I)as klingt sehr ent-
solchen setzt rji j, ^ f f i f — schlössen und kräf-
das Haupt- {rfi i} B B B I £ ~ tig, die Fortsetzung
thema ein: i f r T schlägt aber einen
zögernden Ton an:
b)
ij^iji^'>JiVjLJ>i/ii^
"9^
Sie hat die Mozartsche Kantabi-
lität und das Thema als Ganzes
ist der Ausdruck einer noch un-
geklärten Stimmung. Es ruft uns das Bild eines Menschen
oMVl
*) Bei Breitkopf & Hirtel, Leipzig.
**) Unentbehrlich Ist das Oembalo nur im 2. Satz der Sin-
fonie, in der Breitkopftchen Neoausgabe übernehmen die Streich-
instramente seine Partie mit.
Krai^Behmar, Fftkrar. I, 1. 17
^
268
vor die Phantasie, der vor einem schweren Entschluß,
vor einer schweren Aufgabe steht, vor einer Lage, die
unerwartet gekommen ist und deshalb verwirrend wirkt.
Aus dem Sinnen wird mit dem zweiten Thema dumpfes
Brüten.
Violine.
^
^
i
m
^
i
ete.
Doch schließt die Themengruppe in Jubel:
ifjrirj7^ij;'inrl^ri^
t"rf|f.Pr.rrrr, .r
^
und zuletzt noch mit
Tönen stillen Glücks.
Die Durchführung knüpft an das eben vorgeführte
Episodenthema an, die Stimmung wird wieder trüb und
mehr und mehr kleinlaut, Pausen unterbrechen die Dar-
stellung fortwährend. Dann folgt als zweiter ein kräf-
tigerer Abschnitt innern Kämpfens und Ringens, der un-
verwertet mit dem Eintritt des zweiten Themas endet.
Es verliert sich bald in Schlummer und Träumen. Wir
hOren zuletzt nur immer leisere Sextakkorde, Pausen da-
zwischen. Endlich kommt einer mit langer Fermate auf
G h d f. In diesem Augenblick setzt mit CU>erra8chender
Wirkung der dritte Teil, die Reprise ein. Wir treten an
sie, des guten Endes gewiß, heran, und sie verläuft in aller
Regelmäßigkeit.
Der zweite Satz, ein Larghetto, besteht aus Thema,
drei Variationen darüber und Coda. Das Thema selbst,
ein dreiteiliges Lied, von dem der erste Teil folgender-
maßen lautet:
259
Larf^bett«.
J^[^iJ^ttrir7-'Ei&ir7^figfiü "i
zeigt uns Dittersdorf von seiner bekanntesten Seite, als
einen Haaptvertreter jener Poesie der Beschaulichkeit, der
Zufriedenheit, der Zierlichkeit und Artigkeit, die, als eine
letzte Verdünnung der Renaissance übrig geblieben, von
der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts ab die deutseben
Liedersammlungen und Singstuben beherrschte und bald
dann in Gestalt der bürgerlichen Oper nach jhrem Aus-
gangspunkt, der Bühne, und zwar auch der italienischen
und französischen zurückkehrte. — Den Ansatz mit dem
Doppelschlag liebt Dittersdorf außerordentlich; aber kaum
wird er dieser Lieblingswendung in einer zweiten Kom-
position so viel Raum zugestanden haben wie hier. In
den 89 Takten, aus denen ohne Wiederholungen das
Larghetto besteht, fehlt sie nur vlerundzwangzig mal.
Etwas Monotonie, liebenswürdige Einförmigkeit gehört
zum Charakter einer Idylle, wie sie dieser Satz im Ge-
samtbau der Sinfonie bilden soll: eine Szene der unge-
trübtesten Anmut, schmiegsamster Zärtlichkeit nach der
gelinden Erregung des Hauptsatzes. Die Methode, in der
die Variationen gearbeitet sind, ist die einfache der Vor-
Haydnschen Zeit. In der ersten begleiten zweite Violinen
und Bratschen das Thema mit einem Triolenmotiv, in der
zweiten lösen es die ersten Viohnen oder besser eine
Sologeige in ein perpetuum mobile in Zweiunddreißigsteln
auf, in der dritten treten die Bläser mit reichen langen
Klängen hinzu und die Bässe bhb t^am
versuchen mit der Melodiestim- [ ^ ^^J ^^s j 1
me einen rhythmischen Dialog
In der kurzen Coda verklingt das merkwürdige Stück auf
einer fremden, entlegnen Gdur-Harmonie, an die sich
unmittelbar der Menuett anschließt. Er ist dadurch
eigen, daß er uns in kurzen und in neuen, zusammen-
17*
(T
260 ^-
gedrängten Formen noch einmal das Wesentliche des
ersten Satzes der Sinfonie vorfdhrt. Wir haben da das
kräftig entschlos- j j J i J ^^^ ^^ ^^^® ^^^ ^^^*
sene Aufbrechen ^ ^ W 1 w ^^^^ ^^^ ^^ Jubels
j. ± ± ^, tt ^ A«. ji &11B dem ersten
i r.r 1 [1 r I Ur Ff l r Xeü wörtlich vor
^ uns. Der zweite
Teil streift die Momente des Bangens. Das Trio ist als
2. Menuett bezeichnet, eine reine Äußerlichkeit Das Stflck
bildet zum ersten Menuett weniger . einen Gegensatz als
eine Ergänzung, bringt zum Äußeren das Innere. Dort
eine Freudenszene vor der Öffentlichkeit, hier die dank-
bare und friedensfrohe Seele mit sich allein im stillen Käm-
merlein: , viermal hin-
das schö- .m i'-T-J J J ) I Jill I I 1 tereinander
ne Thema*^ ~— i-~ " J ' J ^'J ^ ^ mj^j immer
leiser, so schließt der Satz. Er klingt ausgezeichnet Den
Hauptteil kennzeichnen die tiefen Saiten der Geigen, den
Mittelsatz ein mit Lerchenklang und Naturton fesselndes
Oboensolo. Es kehrt nach Wiederholung des ersten Me-
nuetts als Coda wieder, mit einem Halbschluß bricht der
Satz ab, und unmittelbar darauf setzt das Finale ein:
Erst mit
PnMlflslmo
Dann
Drittens:
Diese Themen kommen einzeln hintereinander, mit dem
14. Takte aber stehen wir, wie im Finale von Mozarts
Jnpitersinfonie, in einer Tripelfuge. Alle Geister der
Neckerei und Heiterkeit, feine und derbe, phantastische
und prosaische wirken zusammen. Aus einer Durch-
föhrung stürmen die Earnevalsgedanken in die nächste,
in die dritte und vierte, als endlich ein Orgelpunkt auf
G eine bedeutende Wendung, vielleicht ein Ende des
Treibens ankündet: Sie kommt zunächst mit einem gro-
tesken Unisono, in dem alle Instrumente, Hörner und
Trompeten ausgenommen, auf dem ersten Thema for-
tissimo vorübersausen. Als der vierte Takt vorbei und
Gdur erreicht ist, fallen die Pauken ein: Halbschluß,
Generalpause mit Fermate und — Wiederholung des
Menuetts. Genau also die Wendung, die das Finale
von Beethovens GmoU-Sinfonie hat. Dieser Einfall
Dittersdorfs hat an seiner Stelle die Bedeutung eines
würdigeren Schlusses anstatt des tollen, der von der
Tripelfuge zu erwarten wäre, und zugleich auch den
der Rückkehr in die Stimmungssphäre des Hauptsatzes
der Sinfonie, also den einer wohltuenden Abrundung.
Deshalb kommen beide Menuetts, nur ohne Wieder-
holungen, noch einmal vollständig, und die Sinfonie
schließt auch mit einigen tumultuarischen Takten im
Rhythmus des Menuetts.
Bei näherer Prüfung ergibt sich für Dittersdorf ein
Obergewicht des Mozartschen Einflusses. Auf ^ie Wiener
Schule im ganzen dagegen übte naturgemäß Haydn die
stärkere Anziehung aus. Ihre Sinfonien vertreten den
heiteren Charakter der Musik. In ihrem Rhythmus und
in ihrem Figurenwerk herrscht ein rascher, feuriger Geist,
die Melodien sind in der Mehrzahl flott und munter und
geben dem Frohsinn und der Lebenslust einen naiven
und herzlichen Ausdruck. Es lebt in der Wiener Schule
ein Bt^ker volkstümlicher Zug. Ein gewisser Lokaldialekt
klingt durch, der- Allegro. «_._____ ^^^
selbe, in welchem ^rirlffrf f \^f T f-fnF^ Mozart
Haydn — z. B, in C U ' ' L-l ' ' ' :. ' i ä __ ^^
<r
}
262 «^
zuweilen ebenfalls
sprecheni und der
noch heute unver-
fälscht in der östreichischen Armeemusik fortlebt
. Diese Stammeseigenschaften führten die Mehrzahl der
östreichischen Sinfoniker zunächst auf die Seite Haydns.
eyrdweti. Die hervorragendsten unter ihnen: Gyrowetz, Rosetti,
Bofttu Pleyel, Wranitzky, Hoffmeister hat Riehl in
Wranu/kr. ^^^^^^ Kapitel über »Die göttlichen Philister« geschildert
Hoffmeitter! Ihnen wären vielleicht noch Neubauer, van Swieten,
F. Krommer. jedenfalls aber Franz Krommer und Vanhall anzu-
VMhaii. reihen. Vanhall war der besondere Liebling Norddeutsch-
lands, Krommer drang, durch die unglaubliche Popularität
und Verbreitung seiner Quartette und Quintette mitge-
tragen, auch als Sinfoniker weiter und hielt sich länger
als die genannten Schulgenossen. Seine Sinfonien sind
denen Haydns im allgemeinen sehr ähnlich, aber von
einer niedrigen Bildungsstufe aus entworfen und durch-
geführt Die Form hat große Mängel, die Gedanken ver-
raten die derbe Atmosphäre der Zauberoper. Ältere
Musikfreunde haben mit dem Ton dieses Kreises viel-
leicht noch durch die Diabellischen Klaviersonaten un-
erfreuliche Bekanntschaft gemacht Nur Pleyel und
Gyrowetz stehen dem Vorbild auch geistig näher, die
anderen haben von dem Haydnschen Erbe, vom Geist
der Zeit geleitet, nur den epikureischen Teil an sich ge-
nommen: die lustige Thematik seiner Londoner Zeit An
■einer Kunst des Auslegens gingen sie vorbei.
Nach dem Anteil, den französischer Geist am Wesen
von Haydns Sinfonien hat, war zu erwarten, daß sich
in Frankreich eine bedeutende Gefolgschaft dieses Ton-
setzers gebildet hätte. Doch fehlte es hierzu an wesent-
lichen Bedingungen: an Konzertinstituten und Sinfonie-
komponisten. Mit dem Reichtum musikalischer Kollegien
und »wöchentlicher Konzerte«, dessen sich Deutschland
erfreute, konnte sich Frankreich nicht messen, und die
Institute dieser Art. die sich in Paris und den Provinz-
hauptstädten aufgetan hatten, konnten den Vorteilen
— » 263 »^
«
gegenüber, die eine erfolgreiche Oper einbrachte, nichts
bieten. Diese an und fdr sich ungünstige Lage wurde
durch Haydn noch verschlimmert. Denn — so sagt ein
Artikel des Moniteur im Jahre 1808*} — nachdem Haydns
Sinfonien die erste Schwierigkeit der Einführung über-
wunden hatten, konnte sie bald jedermann auswendig
und wollte keine anderen h^ren. Beklagenswerter Weise
ist hierüber auch Fr. J. Gosse c um die Anerkennung f. J.Ooiiee.
gekommen, die ihm die Musikgeschichte Frankreichs
schuldig ist. Er war der erste Tonsetzer von Bedeutung,
der sich der neuen Gattung der Konzertsinfonie nach-
haltig und mit voller Hingabe widmete. Schon als
Zwanzigjähriger trat er mit Sinfonien hervor, die in
italienischer Folge dreisätzig und vielleicht die ersten
überjiaupt sind, in denen Klarinetten vorkommen. Denn
damals, Anfang der fünfziger Jahre, hatte sie außer
Rameau und J. Stamitz wohl noch niemand ins Or-
chester gebracht; Haydn ließ sich damit fast noch
vierzig Jahre lang Zeit. Das allen Franzosen gemein-
same Klangtalent ist bei ihm überhaupt noch besonders
hervorragend entwickelt Deshalb waren seine konzer-
tierenden Sinfonien auch seine angesehensten. Doch
auch durch einen stark nationalen Zug von Eleganz und
Anmut fesseln seine Werke. So war er in den sieb-
ziger Jahren der unbestrittene Herrscher in den von ihm
gegründeten Concerts des amateurs sowohl wie in den
Goncerts spii ituels. Da kam Haydn und verdunkelte auch
Gossec dermaßen, daß das Ausland von ihm überhaupt
keine Notiz nahm.
Die wenigen französischen Musiker, die in der Periode
der Wiener Klassiker Sinfonien schrieben, schlössen sich
Haydn an. Unter ihnen ist Cherubini zu nennen mit l. Chernblui,
einer Ddnr- Sinfonie, die auch nach Deutschland kam, aber ^ dur« Sinfonie,
bald vor den viel freieren und bedeutenderen Ouvertüren
ihres Verfassers verschwand. Obwohl Haydn selbst Gheru-
*) Abgedruckt in A. Pougins M^hul-Biographie (Paris 1889),
S. 301.
_<» 264 *—
bini als »seinen musikalischen Sohn< bezeichnet hat*),
sind in diesem Werke, mit Ausnahme des Larghetto can-
tabile, die eigentlichen Haydnschen Künste nicht zu
vollem Recht gekommen. Die Sinfonie ist wieder wie
fast jede Orchesterkomposition Gherubinis ein Muster des
Klangs und auch in der Satztechnik anziehend und be-
lehrend, unter anderm durch schöne Kanons. Ihr poetisch
bedeutendstes und eigentfimlichstes Stück ist die träume-
rische Einleitung zum ersten Satz. Der Anfang:
l!i'"''"^ir(ji;inrfri^ r n^g^rffn T
gibt einen Begriff von ihrem Charakter. Daß Cherubini
im darauffolgenden Allegro das zweite Thema in vor-
haydnischer Art in der Molldominante bringt, hat einen
tieferen Grund, die Absicht, die Gegensätze zu schärfen.
Sie ist in sämtlichen Sätzen festgehalten, immer wieder
wechselt eine wilde Stimmung mit einer gebrochnen. Am
stärksten kommt der Pessimismus im Menuett zum Aus-
druck, wo dem zögernden, suchenden, unentschlossnen
Ton des Hauptsatzes mit den vielen leeren Quinten, ein
ganz finsteres, abgerissen klingendes Trio entgentritt
Die Sinfonie hat trotz Cherubinis großen Namen nicht
viele Freunde gefunden, das Leipziger Gewandhaus hat
sie, trotz seines starken Sinfonieverbrauchs, nur ein einziges
Mal gebracht, aber ein eignes, kennenswertes Werk ist
B«M6]iil. sie dennoch. AuchM^huls Sinfonien gehören ganz zur
Haydnschen Schule; man kann Möhul den interessan-
testen und selbständigsten Schüler Haydns nennen. Er
folgt ihm, ohne sein Vorbild in der Virtuosität der thema-
tischen Arbeit, der Beweglichkeit der Gedanken ganz zu
erreichen, in der Methode; das übrige bestreitet er aus
eignem Vermögen. Die ganze JluffassuDg von Zweck und
Wesen der Sinfonie ist bei Möhul etwas andres als bei
Haydn und den Deutschen: Man merkt zuweilen, daß
seine Kunst sich an ein großes Volk richten will, von
*) Grietinger, S. 104.
--» 265 «>-
einem großen Volke kommt: es ist ihr Pathos und
Stolz eingemischt und anch eine Dosis Glanz und Kraft,
die mehr an Glnck und Händel als an Haydn erinnert.
Anmut und Eleganz geben sich etwas zugespitzt, so wie
das die Franzosen von Ramean ab und in ihrer Volks-
musik von jeher gern gehabt haben. Von den vier Sin* Hihii,
fonien M^huls, die sich nachweisen lassen, sind nur die Sinfonie, Gmoii
in Gmoll und die in Ddur nach Deutschland gekommen.
Die erstere, in der der Menuett wegen des Pizzicato des
Hauptsatzes besonders wirkte, kehrt bis in die sechziger
Jahre, wenn auch nicht häufig, wieder. Mendelssohn, der
durch historischen Sinn alle nachgekommnen Dirigenten
unvergleichbar überragte, suchte sie in Leipzig im Jahre
1838 wieder aus dem Archiv hervor: Schumann, von dem
man bei dieser Gelegenheit ein besondres Wort erwarten
durfte, mengte sie — absichtlich oder versehentlich? ~~
unter die Werke »bekannter Meistere*). Bei ihrer ersten
Auff&hrung im Jahre 1810 hatte sie ein Meßfremder in
der Allgemeinen Musikalischen Zeitung**) als eine Sin-
fonie in >J. Haydns Weise, frei ins Französische über-
setzt« bezeichnet. Nach diesem richtigen Anfang fährt
der Verfasser fort: »So gut das gelingen kann, war es
M6hul wirklich gelungen. Der melodische Teil war un-
streitig der schwächste: der harmonische aber auch nicht
selten grell und gesucht: Die Arbeit übrigens sorgsam
und mit Streben nach Gründlichkeit; die Instrumen-
tierung sehr gut und effektvoll.« Von der dreifachen Be-
fangenheit, die dieses Urteil trübt, kommt ein Teil auf
die musikalisch mechanische Richtung des Schreibers,
die beiden andren Teile muß man der Zeit Napoleons
und Beethovens zu Gute halten. Die Gmoll-Sinfonie
vergleicht Schumann mit Beethovens Fünfter***), auch
Fink lobt ihr Feuer und ihre Klarheit f). Die Gegenwart
*) Neue Zeitschrift für MasU, 8. Bd., S. 107.
**) Allg. Mnsik. Zeitmig, 12. Jahrgang, S. 561.
) Ges. Schriften (Reclam) II, 169.
f ) AUg. Musik. Zeitung, 40. Jahrgang, S. 287.
-^ 266 ♦>-
ist in der Lage, M^uls Sinfonien ohne Eingenommenheit
zu würdigen; gibt man ihr dazu Gelegenheit, wird sie ihn
lieb gewinnen: mehr noch als in der.Gmoll-Sinfonie in
der in Ddnr.
Die Italiener, auf eine Herrschaft der Instrumental-
musik noch weniger vorbereitet als die Franzosen, streichen
allmählich die Pflege der Sinfonie so gut wie ganz aus
ihrem musikalischen Pensum. Unter den Gründen, mit
denen sie diesen schweren Fehler zu beschönigen suchten,
hat der bis auf den heutigen Tag immer wiederholte Vor-
wurf, daß die deutsche Musik gelehrt und wissenschaft-
lich geworden sei, daß sie sich zu sehr an den Verstand
wende, Gemüt und Phantasie vernachlässige, deshalb
für uns Interesse, weil etwas Wahres an diesem Vor-
wurf ist Mozart, G. M. von Weber haben in ihren Sin-
fonien, Beethoven hat mit seinen letzten Quartetten gezeigt,
daß es neben der Haydnschen Methode, in der' sich Geist
und Witz am besten entfalten können, andere gibt, die
Erfindung, Phantasie, Inspiration zu einem größern Recht
kommen lassen. Die Bevorzugung des Haydnschen Stils
hat uns eine große Menge pedantisch langweiliger In-
strumentalkompositipnen eingebracht und der spätem
Entwicklung der Sinfonie geschadet. Die wenigen italie-
nischen Komponisten, die von jetzt ab noch Sinfonien
versuchten, schlössen sich jedoch ebenfalls Haydn an.
I.. Boeeherlnt. Unter ihnen ist L. Boccberini für lange Zeit der einzige,
der in Deutschland und wohl auch in Frankreich Be-
achtung gefunden hat. Wenigstens sind in Paris um
1799 zwei seiner Sinfonien (in Stimmendrucken) veröffent-
licht worden. Beide haben vier Sätze, den Menuett als
dritten. Die erste (in D) kommt im Finale auf das
erste Allegro zurück und erreicht dadurch eine Einheit
und Abrundung, die dem Durchschnitt der Sinfonien
jener Zeit nicht eigen ist. Die zweite (in C) gehört zur
Gattung der konzertierenden Sinfonien, sie verwendet
das alte Corellische und Händeische Konzertino: 2 Solo-
violinen und Solocello. Letzteres tritt im Andante sehr
schön hervor.
--* 287 ♦—
Unter den Sinfonikern, welche zuerst auf Mozarts
Seite traten, gebührt der Altersvorrang Michael Haydn, Mich AeiiUjdii.
dem Salzburger Bruder von Joseph Haydn. Von den
52 Sinfonien, die von ihm nachweisbar sind, sind zu
Lebzeiten des Komponisten nur drei in Stimmdrucken
erschienen (1793 Wien); zwei davon, eine Cdnr-Sinfonie
und eine in Es, liegen aber seit kurzem in den öst-
reichischen Denkmälern*) vor,, eine dritte, ebenfalls in
C, hat 0. Schmid herausgegeben**). Die Musik würde
jedem Jüngling Ehre machen; sie hat. Frische, Freudig-
keit, Kraft, alle Merkmale eines jugendlichen gesunden
Geistes und zeigt dabei in jeder Wendung der Form die
Sicherheit und Klarheit des reifen Meisters, jene Mozart*
sehe Abgeklärtheit, die auch in Vokalwerken des Salz-
burger Haydn so wohltuend berührt.
Die Schmidsche Cdur-Sinfonie fängt mit denselben
Noten wie Mozarts Linzer Cdur-Sinfonie, aber sogleich
im andren Charakter an. Noch ehe der zweite Takt
schließt, ist von Kantabilität keine Rede mehr, das Herz,
aus dem diese Töne kommen, ist voll lauter Sonnenschein:
AUefTO ipirltttotfo.
VloUnen.
ganz besonderes Wohlgefallen hat der Komponist an der
aufschlagenden Sext des letzten Taktes gehabt. Wer
noch nicht klar darüber ist, mit wem er es zu tun hat,
dem müssen alle Zweifel schwinden, wenn (mit dem
15. Takt) die Ergänzung des ersten Themas kommt:
Miixrjftff'^j^
*) XIV, 2. .
**) Leipzig, Breitkopf ft HirteL
_^ 268 *~
Das ist Musik vom Geblüt des Don Giovanni und des
Grafen im >Figaro€. Der ritterliche, junge, ins Leben
stürmende, stolze Mozart ist es, an den sich wie die Mehr-
zahl der Wiener Mozartschüler auch Michael Haydn an-
schließt. Zweites Thema und Übergangspartien bieten
geringres Interesse, in letztren macht sich eine gewisse
Umständlichkeit bemerkbar. Sonst hat der Satz den
großen Vorzug yöUendeter Natürlichkeit und Schlicht-
heit. Die Durchführung verarbeitet das 1. Motiv des
Nachsatzes vom Hauptthema, das erst in Nachahmubgen
zwischen Violinen und Bässen, dann in letztren allein
erscheint. Gefühl der Kraft äußert sich in kunstvollen
Formen. Das Hauptfeld seiner kontrapunktischen Meister-
schaft verlegte Haydn in das Finale, bei dem wir wie in
Mozarts Jupitersinfonie, in Dittersdorfs gleichaltriger G dur-
Sinfonie wieder vor einer Tripelfuge stehen. Haydns
Priorität ist unbestreitbar.
Das erste Thema:
Vlvaco amai.
ijliiin'iiirir !■ lf^llJ^l^lff^^
dem 16 Takte spannende Einleitung vorangehen, nimmt
mit seinen Durchführungen den ersten Abschnitt (bis
zum 67. Takt) allein ein und führt uns ein Stimmungs-
bild vor, in dem leises ahnungsvolles Behagen sich bis
zu lauter Fröhlichkeit steigert Da setzt auf dem Höhe-
punkt (Halbschluß in O) eine neue beweglichere Freuden-
wöise ein, ^ f r rJj f s _ _ . oder viel-
das zwei- jR f l^-U \Jl=i=t:^=i=f=: mehr sein
te Thema: *^ y Vorläufer.
Denn der kurze Gedanke wird zunächst mehr versuchs-
weise begleitend in den ersten und zweiten Violinen pro-
biert, das Kommando bleibt beim ersten Thema. Neue
Durchführungen, Engführungen, Zwischensätze aus Um-
bildungen dieses ersten Themas oder ganz frei gestaltet,
bilden den Inhalt des zweiten Abschnitts des Finale (bis
zum Takt 162), der dem Ausruhen und Genießen gewid-
— ♦ 269 «^
met ist Seine schönsten, lauschigsten Stellen sind die
ans den Umbildungen des Themas gewonnenen:
K f ' I M f ' f r r r r r '
und namentlich die
heimlich humoristische "^^ ff ^ ^ geben.
wo die Bässe viennal iS^ v
Am Ende des Abschnitts wird ans Weitergehen ge-
mahnt: Ein neues, fortdrängendes Thema:
läßt ^ich vernehmen. Der dritte Abschnitt beginnt. In
ihm zeigt sich das zweite Thema in seiner vollen Gestalt,
nämlich:
f f rffrnrajLuj ii 1 1 i^i ir
das neue dritte ist hierbei sofort wie ein Nachsatz ver-
wendet. Zunächst ziehen nun die beiden Hälften dieses
kombinierten Themas Arm in Arm durch die Instrumente,
dann hat der Nachsatz — (oder das dritte Thema) allein
die Satzbildung zu bestreiten. Die Stimmung, die sich in
dem Abschnitte ausspricht, ist im Verhältnis zum Vorher-
gehenden die einer größeren Erregung. Als er zum Schluß
(Takt 202) ausholt, sehen wir mit ungeduldiger Erwartung
nach der Fortsetzung aus. Sie tritt als Repetition des
ersten Abschnittes vor uns hin. Aber es ist keine wört-
liche, gewohnheitsmäßige, sondern eine Wiederholung mit
den stattlichsten Varianten. Wir sind noch gar nicht
weit in dem neuen Abschnitt vorgedrungen, da bringt
Haydn zum ersten Male alle 3 Themen miteinander. So
hat die Anlage seines Finale Ähnlichkeit mit einem
Spaziergang, der uns immer höher hinauf, von einem
schönen Aussichtspunkt zum andern fährt; der letzte ver-
einigt die einzelnen Augenweiden zu einem mächtigen
<n
-^ 270 »^
Gesamtbild. Es ist in dem Finale dieser Sinfonie mit-
hin gehaltvoller Plan und meisterliche Formbeherrschong
nicht zü verkennen. Doch geht ihm die Fälle von sinnigen
Details, die der mächtigen Persönlichkeit entsprießen, es
geht ihr auch der gewaltige Zug ab. Es ist zu lang und
zu reich an Formalismen, an Wendungen, die von Größren
geborgt sind. Man wolle diese Schwäche nicht der Zeit,
sondern nur der Individualität ihres Schöpfers zur Last
legen und ihrer niederdrückenden Wirkung bei etwaigen
Auftührungen durch gehörige Striche vorbeugen. — Einen
Menuett hat die Sinfonie nicht; sie ist dreisätzig, wie es
die italienischen Sinfonien waren. Der hier noch zu er-
wähnende Satz, der langsame, an der zweiten Stelle im
Werke enthalten, ist aber der eigenste in der ganzen
Komposition. Er hat die hier ungewöhnliche Form des
Rondo. Der Hauptsatz, der dreimal vorClberzieht, ist ge-
mütlich beschaulicher Natur, fast in Dittersdorfscher ktt
Außerordentlich schön und lebendig sind aber die
Zwischensätze. Beim zweiten namentlich wills einen an-
muten, als wenn die Flut des großen Weltenlaufs in ein
stilles Gebirgsdorf hineinwogt. Im ersten ist eine Stelle,
die sich klanglich sehr hervortut: Hörner, Trompeten und
Pauken allein.
Die beiden in den östreichischen Denkmälern ver-
öffentlichten, gleichfalls menuettlosen Sinfonien Michael
Haydns ergeben ein ähnliches Bild, wie die hier be-
schriebene Cdur- Sinfonie, das Bild eines Mozartianers
mit dem doppelten Einschlag derberer Lebenslust und ge-
lehrter Neigungen.
Auch der für die Klavierstudien unsrer Jugend noch
X. cipmentl. heute sehr wichtige M uz io Clementi gehört unter die-
jenigen hervorragenden Nebenmänner der Wiener Klas-
siker, die sich an Mozart anreihen und zwar an den feu-
rigen, nicht an den Sänger der Schwermut und des Welt-
schmerzes. Die fatale thematische Abhängigkeit von seinem
Vorbild, die schon in Klavierkompositionen Glementis vom
Plagiat schwer zu unterscheiden ist, tritt uns aber auch in
den Sinfonien wieder entgegen. Die in B dur z. B. fängt an
— ^ 271 «^
Aiiegro agsai. _ _ _ Nun vergleiche
man damit das
Presto der Mo-"
zartschen Salzburger B dar-Sinfonie von 1778! Zu diesem
ersten Verdruß tritt ein zweiter noch stärkrer über die
Affektiertheit Giemen tis. Was einen so sicheren und in
sich abgeschlossenen Künstler bewogen haben kann, den
natürlichen Gang seiner Modulationen fortwährend durch
fremde Harmonieeinschübe und gewaltsame Quersprünge
zu unterbrechen — wenn es nicht das Bestreben war, sich
neben den großen Meistern als ein noch größeres Ori-
ginal zu zeigen — , läßt sich schwer begreifen. Wie sie
infolge dieser Gebrechen zu ihrer Entstehungszeit nicht
fest einzuwurzeln vermochten , so ists auch aussichtslos,
mit den Clementischen Sinfonien, obwohl sie durch das
allgemeine Können ihres Verfassers ziemlich hoch stehen,
heute Wiederbelebungsversuche anzustellen. Ehrlich währt
am längsten — gilt auch für die Komponisten!
Weitere Mozartianer unter den Sin fonikern der Wiener
Schule sind: St.erkel, Witt, Wölfl, Wilms. Das sterkel, Wut,
Ostreichische vertritt unter ihnen am ausgeprägtesten ^^^*^» Wlims.
Wölfl, Mozarts Salzburger Landsmann: anmutig, gemüt-
lich, zuweilen intim; auf der Kehrseite nachlässig und
unselbständig. Bei Sterkel tritt noch der italienische Bil-
dungsgang in Melodien und Formen hervor. Diesem Um-
stand verdankt er den Triumph, einmal Beethoven ge-
schlagen zu haben. Das war bei einer Konkurrenz um
die Komposition von >In questa tomba oscura«. Sterkel
erhielt den Preis; Beethovens Musik wurde als »neu-
deutsche abgelehnt Deshalb braucht man sich aber Sterkel
noch nicht gleich als eine Null zu denken; dem wider-
sprechen seine Lieder. Witt ist ein kleiner Berlioz, ausge-
zeichnet durch Experimente und Künste der Instrumen-
tierung: ganze Adagios mit Pizzicato, in den Allegros:
große Trommel und türkische Musik! Wilms überragt
die Genossen durch seine leidenschaftlichere Natur, welche
sich musikalisch in großen, kühnen Crescendos und breiten
Zwischensätzen äußert. Der bedeutendste Wiener aus
— » 272 ♦—
A«Ki>eri. der Blfitezeit der Klassiker ist Anton Eberl. Ihn nannte
man unter den Größen der Gattung und verglich ihn mit
Beethoven, mit dem er die Gewohnheit teilte, auf Spazier-
gängen zu komponieren. Eberls thematische Erfindung
ist wenig originell, vielfach auf Mozart direkt gestfltzt,
die Figurenbildnng altvaterisch und schablonenhaft. Aber
in seiner Harmonik, in der Steigerung des A^Lsdrucks, im
gewaltigen Aufbau der Perioden, in den zarten Einschal-
tungen der Schlußteile, in der ganzen Handhabung der
Form lebt ein eigenes und starkes poetisches Talent
Eberl starb jung; sein Ruhm als Sinfoniker ruht nur auf
wenigen Werken, von denen die Sinfonie in Ddur
ihren Schöpfer lange überdauerte, auch draußen >im
Reich«. In ihrer dreisAtzigen Form, in dem Violinsolo
des Adagio hängt sie noch mit der alten Vor-Haydnschen
Periode zusammen ; originell ist sie in der Disposition des
ersten Satzes, welcher zwischen der langsamen Einleitung
und dem eigentlichen AUegro in anziehenden Nuancen
. einen sehr hübschen Marsch vorüberführt:
^ AUegro moderato. ^ , ^^^
Er zeigt vor dem Eintritt in den Kampf, daß Hülfe naht.
Das liebenswürdige Adagio weist in seinem Hauptthema
«Adagio.
mit den schmachtenden Vorhalten auf die Zeit Naumanns
zurück und voraus auf die Bellinische. Dieser weichliche
Schmerz rührt uns, weil er erlebt ist, — der männlichen
Sprache der Klassiker war er aber fremd. So bietet dieses
Beispiel und ebenso das vorhergehende eine Ergänzung zu
dem Ideenkreis der drei Hauptmeister. Sie zeigen uns
—♦ 273 ♦—
die Stellen der Wiener Schale, von denen Männer wie
Franz Lachner nnd Lonis Spobr ihren Ausgang nahmen.
Wenn das Wiener Pablikom seiner Zeit der Eberischen
Bsdnr-Sinfonie den Vorzng gab vor Beethovens Broica,
so schenkte es wenigstens seine Gunst keinem gewöhn-
lichen und unbedeutenden Werke. Es ist eine mit allen
Vorzügen des Komponisten ausgeführte sehr, leidenschaft-
liche Komposition; selbst in dem Menuett grollt es noch
heftig, erst das zweite Trio bringt Ruhe in die Stimmung.
Der langsame Satz hat mit dem Trauermarsch der Eroica
in der Verteilung auf eine Cmoll- und eine Gdurhälfte
und in den kriegerischen Triolen einige zufällige Äußer-
lichkeiten gemeinsam.
Der geistige Einfluß Beethovens läßt in der Wiener
Schule sehr lange auf sich warten. Nur Wilms und
Eberl zeigen unter den Genannten leise Beziehungen zu
ihm. S. Neukomm, ein direkter Schüler J. Haydns, in 8.V6«keMM*
den Konzertsälen Deutschlands bis in die dreißiger Jahre
hinein eine gern gesehene Erscheinung — namentlich
seine Orchesterphantasie in D, eine zweisätzige Kompo-
sition, in der das konzertierende Element viel zur Gel-
tung kommt, war sehr beliebt — , schrieb noch im Jahre
1818 eine Sinfonia eroica. In ihren Schlußsatz ist Händeis
»Seht er kommt etc.« eingearbeitet. Als endlich Beet-
hoven von den Wienern eifriger studiert wurde, wirkten
zunächst die Äußerlichkeiten des großen Vorbildes. So
wurden von Wien aus, dann weit und breit, die Posaunen
in den Sinfonien endemisch. Die Dotzauer, Reicha,
Maurer, Moralt — allerlei Talente, voran die kleinen,
(Riffen zu den großen Instrumenten. Als typisch für die j
einreißende Tonverschwendung können die Sinfonien von I
C. Gzerny betrachtet werden. Diese beiden platt be- C^Cieraf. |
haglichen, lärmenden Werke tragen die Opusziüilen 750 *
und 7811 Aus dem großen Zitaten verrat der ersten (in >
Cmoll) ist eine Reminiszenz von Schuberts »Erlkönig«
kunstgeschichtlich bemerkenswert! Ein anderer direkter ;|
Schüler Beethovens, der bekannte Ferdinand Ries, f.eIm*
kopiert stilistische Eigentümlichkeiten des Meisters, be- '
Kreistehmar, Ffihrer. I, 1 lg
-^ 274 ^^
sonders seine Überraschungseffekte, and vermischt sie
mit Rossinischen Scherzen: Plötzliche Unterbrechungen
der Fortepartien — die Geigen schaukeln Takte lang
auf leisen Akkordnoten, italienisches Guitarrenorchester
— , dann eine unvermutete starke Dissonanz, aus der sich
aber nichts Beethovensches entwickelt: >Parturiunt ipon-
tes etc.l€ Trotzdem feierte die Kritik in den zwanziger
Jahren Ries als > geistreichen € Komponisten. Selbst
Schumann fand seine Eigentümlichkeit >nur durch die
Beethovensche verdunkeltt *).
Der erste Tonsetzer, welcher, obwohl er auf einem
wesentlich realistischen Bildungsboden steht, im höheren
Sinne als Beethovens Schüler bezeichnet werden kann,
und welcher zugleich die Wiener Schule und ihren Lokal-
ton als einer der Letzten und als der Glänzendste ver-
F. Schubert, tritt, ist Franz Schubert. Wiener und östreicher ist
er in der Erfindung und Phantasie bis zu einem Grad,
daß seine Kompositionen an die Wiener Landschaft, an
Ländlerton und an Czardasklang erinnern, Beethovenianer
in der breiten, zuweilen maßlos breiten Führung der
Form.
F. Schubert, Das Hauptwerk unter Franz Sciiuberts Sinfonien ist
C dur-Sinfonie die große Sinfonie in Cdur, welche in der Reihe der
(Nr. 7). übrigen die Nummer 7 trägt Sie ist ein Ausnahme-
werk: in ihrer kolossalen Anlage, in den unaufhörlichen
Wiederholungen ihres Perioden baues, in ihrer »himm-
lischen Länget, wie sich R. Schumann euphemistisch
ausdrückte, etwas monströs; meisterhaft und genial, wie
keine andere seit Beethoven, in der musikalischen Er-
findung, in der Stärke des melodischen Stromes, in der
Fülle schwärmerischer Weisen, in der Ursprünglichkeit
und dem Reichtum origineller Tongedanken, die auf
Schritt und Tritt in diesem Werke entgegensprossen:
liebenswürdig und unwiderstehlich wie eine heitere, herr^
liehe, großartige Frühlingslandschaft nach der Natur.
*) H. Schamanns GeMmmelte Schriften (Ausgabe Jansen)
I, 135.
•^ 27b ^
ihre^ Phantasie und Stimmung. Alles in allem kann
man sie vielleicht die schönste, die musikalisch reichste
Sinfonie des 19. Jahrhunderts nennen; sicher hat sie in
der Laien weit mehr Freunde als irgendeine andere.
Die Sinfonie beginnt mit einer ausgeftkhrten Einlei-
tung, welche die Homer romantisch eröffnen:
Andante. >. * » >
'f "I I' I '■'■fi n'i I iTi I 1 1 [II ij;^- ri i
Die Holzbläser nehmen diese fragende Melodie zunächst
auf, die Celli setzen sie fort Dann beginnt eine Durch-
führung über die zwei ersten Takte des Themas. Dieser
Diskurs, von den Holzbläsern schüchtern und zagend, von
dem Gros des Orchesters mit starker Entschiedenheit und
einer gewissen robusten Pracht geführt, endigt mit einem
Schlußresultat, welches in dem ersten Satze zu großer Be-
deutung gelangt. Es ist das freudig zuversichtliche Motiv
das nach Mozartscher, Ditter&-
_ _ _ dorfscher, wir können sagen
1^ ' " " " ' " nach Wienerischer und italie-
nischer Art der triumphierende Refrain in der Dichtung des
ersten Satzes wird. Mit ihm scheint der Berg überstiegen.
Ohne Aufenthalt, mit förmlichem Ungestüm geht es über
in das Allegro, das wie in den Strahlen der Morgensonne
vor uns glitzert und flimmert. Ritterlich stolz die Geigen:
■ ^ An<gro.. vor freudiger Erwartung
P *i. J)j: J>'j. J)J. J)lj -bebend die Holzbläser
X ^ * mit dem m der ersten
Zeit von den Spielern als unausführbar erklärten Rhythmus :
^ , , , i. « s^ bauen die bei-
if rrr"'irrrrrrir f^' Tea« des or-
^'^ j chesters das lange
Thema vor uns stückweise auf. In seiner zweiten Hälfte
gibt es einer großen Freude immer kühneren und rau-
schenderen Ausdruck:
18*
— ♦ 276 #—
Bcht SchnbertBch ist der Abschluß dieses Bildes und der
Obergang ins nächste. Zwei Takte im Decrescendo ge-
halten -*- und wir sind ans dem Cdnr und dem Sturme
des ToUen Orchesters in Emoll! Das zweite Thema setzt
beschaulich und mit jenem kleinen Anflug von Melan-
cholie und Sehnsucht ein, der Schubert gleich einen
musikalischen Lenau immer begleitet: Die stark be-
schäftigten, in dieser Sinfonie fast überbürdeten Holz-
bläser tragen es
■ > r^f'-Q.rTM ** - _'n Erst nach 88 Takten
"T rr Pif^pü p^T I Mi Ai^ *r I [» gelangt es ans Ende
' ' Jj, y '^ k' ' " i und in die für diese
Stelle zu erwartende normale Tonart Gdur. Eigentümlich
ist, daß Schubert schon hier eine Durchführung, wenn
auch nur eine kleinere, einschaltet. Darin zeigt sich
deutlich der Einfluß Beethovens. In dieser Durchführung
durchstreift der Komponist einen außerordentlich weiten
Ideenkreis. Die Holzbläser und das Streich- [P ä lä j=a:
Orchester bringen mit dem munteren: i^ f IT ^^
naiv fröhliche Klänge ; die ^^ — r^ Es ist wie Vo-
Posaunen dicht daneben =fcj» »»^ ^f ' ^^^s gelzwitschem
mysteriös schauerliche""^"*^ ' ' und Waldes-
rauschen in einer Stunde, wo die Natur einschläft. Die
beiden Motive sind durch kurz zugesetzte Auftakte aus
früher aufgestellten Themen gebildet; das erste aus dem
zweiten Thema, das Posaunenmotiv aus dem zweiten
Takte der Einleitung. Es ist also alles höchst einfach
und natürlich zugegangen, und doch stehen wir hier
wie vor einer übernatürlichen Wirkung, vor dem ganzen
Schubert in seiner fast erschreckenden Größe. Er, der
eben noch wie ein Kind mit Kindern spielte, pflegt jetzt
geheimen, priesterlichen Verkehr mit der Qeisterwelt.
Der gewaltige Eindruck der Stelle läßt sich weit in der
modernen Komposition verfolgen, z. B. Schumanns D moU-,
Brahms D dur-Sinfonie zeigen die Spuren. Ein ganz eig-
277
ner und neaer Zug an diesem Sinfoniesatze ist die innige
Verbindung des Allegro mit der Einleitung. Dies oben
unter b) gegebene Refraintbema aus der Einleitung schließt
die kleine Durchführung, von welcher hier die Rede ist.
Es schließt auch die große, die eigentliche Durchführung,
welche nach ihr beginnt — etwas düster und in Moll ge«
halten — , und am Schlüsse des ganzen ersten Satzes
steht herrlich und in vollem Glänze die Melodie vor uns,
mit welcher die Hörner die Sinfonie begannen. In der
großen Durchführung des ersten Sat- / i ^ I i* «'»
zes ist eine Kombination des Motivs fr T f f F i T f f ■
mit einem andern aus dem ersten Thema des Allegro
zu bemerken.
Nach der Re-
prise kommt
eine Coda, welche in gesteigerter Empfindung noch ein-
mal auf den fremden- und erwartungsvollen Eingang
des Allegro einen Blick wirft.
Das Andante der Sinfonie, ihr zweiter Satz (Amoll, ^/i),
besteht aus zwei großen Gruppen. In der ersten trägt
alles den Charakter von genial, frei und sicher zusam-
mengestellten Impromptus. Das führende Thema ist
folgendes:
ji |ii^'
trübten Friedens weist:
Es hat einen Abschluß
f=F== in Dur, der ins Land
des Glücks und unge-
Zu diesem Hauptthema tritt ein zweites, in welchem
die Gegensätze des erstem gesteigert und näher anein-
ander ge- W g ^ ^ ^ A'^M'tJis «afc«€ $$
rückt er- ITT 11111^1 1111 Kff ■Prrrr-r
scheinen :
^ Violinca
f »tut«!
^^ 278 ♦--
Der zweiten Gruppe ist ein rahigerer Charakter eigen.
Ans ihr klingen Töne der frommen Andacht nnd einer
erhabnen Feierlichkeit, und an einzelnen Stellen herrschen
ein Ernst und eine Resignation, aus denen die Gedanken
an das Jenseits zu sprechen scheinen. Wir stehen wie
durch Magie vor diesem neuen Bilde. Mit einem jener
kleinen Harmoniewnnder, an denen Schubert so reich
ist, fahrt er uns von A- nach Fdur. Das Hauptthema
dieser zweiten Gruppe ist das folgende :
I.VloL
JV
Es wird sofort, nachdem es aufgestellt ist, in kleinen
Sätzchen motivisch entwickelt. Der Wechsel zwischen
den zwei Chören des Orchesters, den Bläsern und den
Geigern, gibt diesen Sätzchen ihre charakteristische
ForuL Von einer besonderen Schönheit ist die Schluß-
partie dieser zweiten Gruppe, ihr sanfter wehmütiger
Abschiedscharakter, das fast übersinnliche Klangbild, in
welchem Schubert hier mit den immer leiser, immer
stockender gebrachten Tönen des Homes und des Streich-
orchesters das Verschwinden der himmlischen Vision
veranschaulicht.
Die beiden Gruppen des Andante werden fiach diesem
Momente ein zweites Mal vorübergeführt. Bei dieser Re-
Petition besteht eine Hauptveränderuog darin, daß die
wilden Elemente des oben mit b) bezeichneten Themas
der ersten Gruppe einen breiten Spielraum erhalten. Sie
treiben es bis zu einer sehr bedenklichen Spitze. Von
ihr aus finden die Celli mit einer rührenden Variante
des Thema a) den Obergang nach der zweiten Gruppe,
welche diesmal in Adur gehalten ist. — Trotz der un-
endlich vielen Wiederholungen im kleinen ist die Dis-
position des Andante knapp und einfach.
Das Scherzo, der dritte Satz, erscheint bei weitem
komplizierter. Namentlich der zweite Teil seines Haupt-
satzes übertrifTt in der Menge der hier zusammentreten-
279
den Ideen und in der Länge seiner Ausführung auch
die kühnsten Beethovenschen Vorbilder.
Den Anfang des Si^tzes macht ein Wechselspiel zwi-
schen Bläserchor und Streichorchester, welchem folgendes
Motiv /AiiegTovirace. Die Vio-
Iinen,zu-
zugrun-i
de liegt
^m
if erst et-
was barsch und burschikos, lenken dann in den zärt-
licheren Ton der Blasinstrumente ein und schlagen
schmeichelnd eine liebenswürdige Wienerische Tanz-
melodie vor
t/r
- /^f f u welche jene mit Achtelgewinden
/ f ' i ' 1^ "1 ^^^* aus dem Hauptthema umkränzen.
Der zweite Teil des Hauptsatzes setzt die reizenden Schel-
mereien des ersten fort; neu hinzugetragen erscheint ein
kurzer Gedanke von , -f-*"J — p>^ .
großer Innigkeit: eini f i f f T iV ^f y i^p^^TTSisa
veredelter Ländler^^ I I ■ ' T M ^^
Das bewegte Treiben des Scherzo erhält durch das
Trio eine köstliche Unterbrechung. Die Bläser tragen
einen langen, gefühlvollen Gesang vor, dessen Hauptteil
auf folgender, in ihrer Binfachheit und Wärme echt
Wienerischen Melodie ruht:
AUe^o tivace.
Von al-
len Sei-
ten wird
Das Finale setzt
mit einem humoristi-
schen Alarmsignal _
folgendermaßen ein** ^ ^ * ' zum Auf-
bruch gerufen, eine große glänzende Menge ist in Be-
wegung: ein herrlicher Tag, eine herrliche Landschaft!
Aus der zweiten Hälfte des Hauptthemas:
280
■jrF-rirrmif7rM7^7firif irS^
spricht vergnügt, ungeduldig drängend die Freude der
Erwartung oder der ErfQUung.
Im zweiten Thema nimmt die frohe Stimmung des
Satzes einen beruhigten, festlichen Ausdruck an: es ist,
als ob sie nun kämen, die lang Ersehnten im stolzen
langen Zug. Ein Siegesfest ließe sich mit dieser herr-
lichen, reichen Musik feiern.
f jTT \[T\ \\ I irjil'lLL'l fTi I
An dieser Melodie hat Schubert ein ersichtliches
besonderes Wohlgefallen gehabt; namentlich auf den
breit daher schlendernden Anfang in halben Noten greift
er immer wieder zurdck: Dröhnend und mit mächtigem
Nachklang schlagen sie uns aus den Bässen entgegen
und fdbren die Gedanken von dem dunkleren Wege, den
sie in der Durchführung streiften, wieder in heitere
Sphären zurück. Außergewöhnlich frei tritt die Reprise
ein: mit dem ersten Thema in Esdur anstatt in der
Haupttonart 0, Namentlich das Finale ist derjenige Satz
der Sinfonie, an welcher sich das Übermaß breiter Aus-
führung, welches dem Werke eigen ist, empfindtich macht.
Ohne irgendeinen neuen Zug zu bringen, setzt der Schluß
dieses Satzes immer wieder an und wiederholt in immer
andern Tonarten die zur Genüge oft vorgetragnen Ge-
danken. Es ist dies ein Mangel, der von der Ober-
--♦ 281 ^^
schwäDglichkeit Schuberts, die ans häufig genug seiige
Momente bereitet, nicht zu trennen ist. Die Gdur- Sin-
fonie bleibt trotzdem eins der reichsten und beliebtesten
Kunstwerke. Aber man würde sie wahrscheinlich häu-
figer auffflhren, wenn sie kfirzer wäre.
Schubert schrieb diese Sinfonie im Jahre 1828, wenige
Monate vor seinem Tode; aber erst 10 Jahre später wurde
sie der Öffentlichkeit bekannt und zwar auf Schumanns
Veranlassung*). Eine noch viel längere Wartezeit haben
die Übrigen Sinfonien Schuberts durchmachen müssen.
Brst im Jahre 1866 kamen die beiden Sätze zur Auf-
führung, welche von der HmoU- Sinfonie vorhanden F. S^habert,
sind**). Daß das Werk ursprünglich vollendet werden ""»«"Sinfonie
sollte, geht daraus hervor, daß die Originalpartitifr noch
9 Takte als Anfang des Scherzo enthält Mit Recht ist
aber neuerdings darauf hingewiesen worden***), daß
Schubert diese Absicht möglicherweise aufgegeben hat
und daß die beiden Sätze eine Fortsetzung nicht ver-
langen. Der Entstehungszeit nach dem Jahre 1822 an-
gehörend, also 6 Jahre älter als die große Cdur-Sinfonie,
ist sie dieser doch an künstlerischer Vollendung überlegen:
gedrungen in der Darstellung und frei von den formellen
Mängeln der berühmten Schwester. Es ist eine Eigen-
heit der künstlerischen Entwicklung Schuberts, daß sie
in Sprüngen auf- und abwärts ging. Dem Inhalt nach
ist die HmoU -Sinfonie mit der großen in 0 gar nicht
zu vergleichen. Hier steht der schwermütige Schubert
vor uns und entrollt uns in kurzen und ergreifenden Zügen
das Bild einer leidenden Seele. Manche Stellen im ersten
Satze weisen direkt auf »Gretchen am Spinnrade c hin,
*) Die Entdeckungsgeschichte hat Schumann zuerst ans-
fQhrlich in der Neuen Zeitschr. f. Musik, Bd. XU, 8. 81 mit-
geteilt: Yon da ist der Aufsatz in seine »Gesammelten Schriften«*
übergegangen,
**) Ober die Aulflndung durch J. Herbeck siehe: Ed. Hans«
llck, Aus dem Konzertsaal. Wien 1870, S. 350
***) W. Dahms: F. Schnbert, 1911.
282
sogleich das erste Thema, in weichem unter dem sehn-
flüchtigen Gesang von Klarinette nnd Oboe (unisono)
die Geigen auf träumerisch belebtem SechzehntelmotiT*)
hin- und herschaukeln. Das zweite Thema, eine lindler-
artige Melodie, setzt dann mit unbeschreiblichem Wohl-
klang, aber wie aus fernster Feme in den Cellis ein
pp
Es nimmt die ganze £r-
innerung in Beschlag: es
ist f&r seine Stelle fast
zu schön und macht uns die erschfittemden Gemütsaus-
brüche vergessen, welche doch seine Fortsetzung bilden:
Der zweite Satz, Andante con moto (B dur s/g) bringt
»himmlischen Balsam« in einfachster Schale. Die
Melodie, auf welcher sein Hauptthema im wesent-
lichen ruht, ist ein schlichter frommer Kindergesaug:
. And^tejsflLS!«^ Das zweite Thema tritt mit
'/ X H ^' I ^ it-Cr I V iP' ^®° Fragen eines beschwer-
fr » ' "jy ' ^ ^ ' * ■ ten Gemüts dagegen hia
Sie haben in der harmonischen Führung dieser Partie
einen bewunderungswürdigen Ausdruck erhalten. Der
ganze Satz ist das glänzendste Dokument für die Tiefe
des Schubertschen Geistes, für den erstaunlichen Reich-
tum einer Natur, in welcher neben der vollen Naivität
des Rindes aus dem Volke auch jene Größe der Empfin-
dung wohnte, die Beethovens Teil war.
*) In der Ptrtituraiisgabe lind an dieser Stelle mit be-
merkenfwerter Pietit auch einige offenbare Schreibfehler Schu-
berts konierylert worden.
288
Seit kurzer Zeit liegen uns in der verdienstvollen
Schubert-Ausgabe*) auch die Partituren der übrigen sechs
Sinfonien vor, welche Schubert außer den beiden hier
geschilderten und in der Praxis eingebürgerten geschrie-
ben hat Von einer: der Cdur-Sinfonie Nr. 6, welche in v. SehDk«rt,
ihrem ersten Satze Weberschen Einfluß, im letzten Ver- Cdur-Sinfonie
wandtschaft mit dem Finale der siebenten zeigt, wissen '* ''
wir das Entstehungajahr nicht genau, wir dürfen es aber
nach 1822 setzen. Die andern fünf fallen in die Zeit
von 1818 bis 1816, ohne daß sich in der Reihenfolge,
in der sie entstanden, eine fortschreitende Entwickelung
verfolgen ließe. Dem großen Sinfoniestile Beethovens
nähert sich Schubert am meisten in der B dur-Sinfonie F.Sehibert,
(Nr. 2) vom Jahre 1814. Hier strebt er dem großen Bdw. Sinfonie
Meister in dem breiten Entwurf der Perioden nach; ja (Nr.>).
das Hauptthema des ersten Satzes ist direkt aus einem
ähnlichen im Finale von Beethovens vierter Sinfonie
hervorgegangen. Gleichzeitig zeigt auch diese Sinfonie
das Eigene und das Wienerische in Schubert am stärk-
sten, vornehmlich •* Andists^ .^-^
das Andante mit: ^ '» * * -^^^ ^-^ .ßßßfr,
den Variationen: •>'
und das keck dahinsprühende Finale:
Prett6.
Diese B dur-Sinfonie hat von allen den nachgefun-
denen die ersten Aussichten im Konzertsaale heimisch
zu werden. Diese Sinfonien haben sämtlich ihre inter-
essanten Einzelheiten in Beziehungen auf andere be-
rühmte Werke Schuberts: die erste (Ddur v. J. 1813) in F. Selivbort,
dem zweiten Thema des Finale, das mit dem Lied von Sinfonie Nr. i
der Forelle bestimmte Ztge teilt, die dritte (Ddur vom
J. 1816) durch einen Anklang an die große in Gdnr.
Gemeinsam ist ihnen die Meisterschaft im Kolorit, die
angeborene Genialität in der Mischung und Verwendung
und 8.
^) Leipzig, Breitkopf A Härtel.
--^ 284 ^^
der Instrumente und ein ausgeprägter Zug von Lebens-
frende. Eine Ausnahme von der letzten Eigenschaft
macht nur die vierte Sinfonie (Gmoll v. J. 1816). Sie
r.8«kmberty ist »tragische Sinfonie« überschrieben und als ein Ver-
TragiMhe Sin- gxich in diesem Stile zu betrachten , wobei Muster wie
> (Hilf*). Beethovens Ouvertüren zum Coriolan und zum Egmont
und die Gherubinis zur Medea zu Grunde gelegen haben.
Vom eigentlichen Wesen tragischer Musik enthält sie je-
doch weniger als die unvollendete Sinfonie in Hmoll.
Die Norddeutsche Schule, die noch zu den Zeiten
des Hamburger Bach der Wiener Schule innerlich ziem-
lich nahe steht, wird sich mit deren Erfolgen eines Gegen-
satzes bewußt und bemüht sich eine eigene Art zu äußern.
Sie gibt sich pathetisch, ruhiger und ernster als die
Wiener, zuweilen etwas trocken. In Form und Stil über-
trifft sie jene durch Gediegenheit und Solidität und ver-
rät einen Zusammenhang mit jener Berliner Kontrapunk-
tistenpartei , welche unter der Führung Rirnbergers den
ersten Triumphen Haydns mit dem Feldgeschrei »Seba-
stian Bach« entgegentrat Die Opposition n^ag etwas
Lächerliches gehabt haben. Spottet doch Marpurg*) ein-
mal über einen Philister, der eine Partitur »mit der fin-
stren Miene eines Erzdoppelkpntrapunktisten, der den
galanten Haydn zu Boden schlagen will« prüft Die
norddeutschen Sinfonien sind reich an Imitationen und
Umkehrungen und an Fugenpartien. Fugen sind auch
den Wiener Sinfonien nicht fremd; aber die Norddeut-
schen tragen die strenge Arbeit gern zur Schau; ja es
gibt Werke, in welchen das gelehrte Element sich ganz
zum Herrn macht Das am meisten charakteristische
Produkt dieser Richtung ist eine Cdur-Sinfonie des Abt
Abt Vogler. Vogler, seine sogenannte »Bayrische Nationalsinfonie«,
in deren Finale sich noch einmal die Zeit der alten
*) Legeade einiger Ma8ikheiUgeD(C81n a. Rh. 1786), 3. 200.
— ♦ 286 *^
Solmisationskünste regt: sein Hauptthema ist die Cdur-
Skala, auf deren geistige Verwendbarkeit Vogler bei der
Bekanntschaft mit russischer Hommusik gekommen sein
soD. Das Werk genoß von seinem Entstehungsjahre 1815
zwei Menschenalter lang großes Ansehen und kann, wie
SchalhAutl und J. Simon*) wollen, als Beweis dafür dienen,
daß Vogler unterschätzt wird. Bekanntlich war auch
R. Schumann dieser »Meinung.
Mit dem Auftreten Mozarts nähert sich die Nord-
deutsche der Wiener Schule wieder. Mozart wird das
Ideal ihrer Tonsetzer. Um BeethoYen aber erwarb sie
sich die größten Verdienste. Seine Musik fand ihre
Hauptstütze in Norddeutschland, namentlich durch das
Eintreten des von Fr. Rochlitz wohl beratnen Leipziger
Gewandhauses, eines der wenigen Institute, die aus der
Periode der »wöchentlichen Konzerte« heil in die neue
Zeit herüberkamen. An guten Grundsätzen und Ab-
sichten reich, blieb die Norddeutsche Schule an über-
ragenden Talenten lange arm und hinter der Wiener
beträchtlich zurück, bis Mendelssohn und Schumann er-
schienen.
Die ersten namhaften Vertreter der norddeutschen
Sinfonie sind die beiden R o m b e r g und Fr. S c h n e i d e r. a. Bonl^«rf .
Andreas Romberg, der Komponist der > Glocke«, galt als
der anerkannte Führer. Von seinen Sinfonien, unter denen
sich auch eine mit Janitscharenmusik befindet, ist die in
Z>, welche Jahre lang ein Liebling der Orchester war, be-
sonders hervorzuheben. In ihrem ersten Satze, welcher
in freier und selbständiger Weise an die tragischen Mo-
tive des Don Juan anklingt, zeigt sie die der Schule
eigentümlichen ernsten Züge außerordentlich deutlich.
Sein Vetter Bernhard Rom borg, einer der größten Cello- b. Bonberg.
Spieler seiner Zeit, heute noch durch seine Kindersinfonie
weit bekannt, hat sich in der Gattung der höheren Sin-
fonie durch die >Trauersinfonie auf den Tod der Königin
♦) K. E. V. SchafhEutl: Abt Vogler, 1888; J. Simon:
Abt Voglers kompoBitortschefl Wirken, 1904.
—fr 286 0--
Lx)uise« ein rühmliches Denkmal gesetzt. Ohne Choräle,
Begräbnisgesänge und äußerliche Hilfsmittel wird hier
eine erhebende Totenfeier vollzogen, der leidenschaft-
liche Schmerz und die sanfte Klage haben denselben
natürlichen schlichten Ausdruck gefunden; wahres, echtes
Gefühl und edle Handlung machen diese Sinfonie zu
einem hervorragenden Kunstwerk. Nach Geist und Stil
erinnert es an Mozarts »Maurerische Trauermusikc. Fried-
Fr. Scbueidar. rieh Schneider war einer der ersten, welche in Beet-
hovens Fußstapfen zu treten suchten. Vom Jahre 1808
ab hat er über vier Jahrzehnte lang das Gebiet der Sin-
fonie gepflegt und in den Scherzis seiner ungefähr zwanzig
Sinfonien oft eine bedeutende Höhe erreicht.
Als der letzte und bedeutendste Vertreter des ursprüng-
w. Kalllwod». liehen Stiles der Norddeutschen Schule ist W. Kalli-
woda zu betrachten, der von der Mitte der zwanziger
Jahre ab ein Vierteljahrhundert hindurch einen bedeu-
tenden Platz im Repertoire einnahm. In ihm schien das
Geschick wieder einen Meister ersten Ranges bescheren
zu wollen. Vielseitig, auf jedem Gebiete sicher, oft neu,
originell, und doch natürlich und einfach, macht er
wiederholt den Eindruck eines Auserlesenen und nähert
sich der letzten Stufe zur Unsterblichkeit. Obwohl das
eminente Talent Kalliwodas nicht zu voUer Entfaltung
gelangt ist und in fast jedem seiner Werke ein unfertiger
Rest bleibt — hier die übermäßige Breite der Ausführung,
dort die Ungleichheit der Teile — , ist doch das Studium
seiner Sinfonien sehr genußreich. Jede enthält Perlen und
Proben einer musikalischen Urkraft In der ersten Sinfonie
Kalliwodas (Fmoll) machen wir auf die schüne Einleitung
und das naiv kräf- Aüegro.
tige (zweite) Thema i *"'"'" " ' ^
des ersten Satzes:
aufmerksam. Ihr tiTte«. • eine auf-
Scherzo hat in ^b^i>| p K P f li f P I f I ftllige
demHauptthema l»^ ' Ahnlich-
keit mit dem entsprechenden Satze der Schumannschen
DmoU-Sinfonie. Die zweite Sinfonie Kalliwodas zeigt
287
bedeutende Fortschritte in der Form. Die Verbindungs-
gmppen sind gedankenvoller geworden und können der
Stdtze durch Figurenwerk entraten. Der poetische Glanz-
punkt des Werkes liegt in der kleinen Coda des Larghetto,
welche der scheinbar schon geschlossenen Darstellung
noch einen ganz neuen traulich herzlichen Gedanken in
Kanonform nachsendet Auch dafär findet sich eine
Analogie bei R. Schumann, in der Bdur-Sinfonie. Die
dritte Sinfonie Ralliwodas darf im allgemeinen als ein
Hauptwerk aus der Periode ihrer Entstehung (1831) be-
zeichnet werden. Leider ist der letzte Satz den vorher-
gehenden nicht ebenbürtig, und in allen wünscht man
die Darstellung etwas gedrungener. Ohne diese Mängel
würde sie für alle Zeiten die Repertoires zieren können.
Viele Partien haben Beethavens großen und kühnen
Zug; im zweiten Thema des ersten Satzes glauben wir
uns direkt in die Sphäre der Rassumowsky-Quartette
dieses Meisters versetzt. Der erste Satz ist einer der
charaktervollsten Sinfoniesätze, die je geschrieben worden
sind; in seiner blütenlosen Starre und Strenge hat er
kaum seines gleichen. Aiiegro.
Sein kahles und stei- f^
nemes Hauptmotiv
welches schon fremdartig in die Einleitung hineinklingt,
gehört zu jener Klasse von Themen, mit welchen es nur
ein Genie wagen darl Die vierte Sinfonie (CmoH) zeigt
den Komponisten in Formen und Gedanken wieder als
einen ganz anderen. Ihr erregtes Wesen deutet auf per-
sönliche Erlebnisse; namentlich das Finale, wo nach
einem außerordentlich leidenschaftlichen Eingang plötz-
licli das sinnende Andante wieder erscheint, legt diese
Vermutung nahe. Die fünfte Sinfonie Kalliwodas (HmoU),
welche im ganzen etwas leichter wiegt, hielt sich durch
das den langsamen Satz vertretende, einschmeichelnde
und etwas böhmisch anklingende Allegretto
ASagretto.
^
-^ .288 ^^
lange in der Gunst desPablikams. Die sechste und siebente
Sinfonie Kalliwodas stehen gegen ihre Vorgängerinnen
zurück und erlangten in den Konzertprograxnmen keine
feste Position.
Zur Bedeutung gelangte die Norddeutsche Schule mit
dem Anwachsen der romantischen Bewegung, die sie in
die Sinfonie hineintrug.
Jean Paul nennt bekanntlich die Musik die roman-
tischste, d. h. von Natur aus und von jeher romantische
unter den Künsten. Und in früherer wie in neuerer Zeit
ist mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, daß
schon die Werke S. Bachs wie die D. Buxtehudes und
anderer älterer Meister romantische Züge tragen. Ge-
schichtlich datiert aber der Begriff der musikalischen
Romantik erst seit dem Anfang des neunzehnten Jahr-
hunderts. Zwiespältigkeit und Mischung galt als Wesen
der Romantik. In diesem Sinne wurden Mozart und
Beethoven im Gegensatz zu Haydn als romantische Kom-
ponisten bezeichnet: Mozart, n^eil er in seinen Allegro-
sätzen die Instrumente ohne weiteres aus bewegtem
Figurenspiel in ruhigen Gesang übergehen ließ, Beet-
hoven, weil er Scherzi, d. i. heitere Sätze schrieb, bei
denen man sich ängstigen konnte, und weil er auch sonst
in demselben Atem Dinge verband, welche im schärfsten
Gegensatze zueinander standen. Haydn tat eins nach
dem anderen und hielt seine Gedanken und Stimmungen
einfach und frei von Mischungen. Die Wiener Schale,
die ihm vorzugsweise folgte, versagte sich der Romantik
nicht grundsätzlich, aber sie ging, Franz Schubert aus-
genommen, kaum über den Punkt hinaus, bis zu dem
Mozart vorangeschritten war. An A. Eberl läßt sich«
wahrnehmen, wie sie die romantischen Wendungen auf
die eigentlichen Adagiogefühle beschränkt In der nord-
deutschen Schule durchdringt dagegen der romantische
Geist schon frühzeitig auch das AUegroleben.
Wir begegnen seinen Spuren z. B. bei A. Romberg
in kleinen chromatischen Durchgängen und Wechsel-
noten :
--» 289
Allcgro moderato.
Durch sie werden die im Grande muntren Weisen seiner
Ddur-Sinfonie sentimental durchblitzt. Die Heimat dieser
Art romantischer Musikelemente ist vornehmlich die fran-
zösische Oper. In den durch ihre Herbheit der Nord-
deutschen Schule nahestehenden Sinfonien von Toma-
schek, dem böhmischen »Schiller der Musik«, und von
M^hul greift die Romantik schon tiefer in den Satzbau
und in die Gedankenentwicklung hinein. Vom Jahre 1816
ab wird der romantische Stil allmählich det herr-
schende, und alle die Sinfoniker, welche neben Beethoven
etwas bedeuten, repräsentieren eine Seite des roman-
tischen Geistes. Die musikalische Romantik hat mit der
Romantik in Literatur, Poesie und bildender Kunst fortan
mehrere Jahrzehnte lang hervorragende Berührungspunkte.
Auch die musikalischen Romantiker kennzeichnet das
Festhalten an Lieblingsstimmungen, das Hervortreten der
Persönlichkeit des Darstellers in der Darstellung, der sub-
jektive Ton und die aus diesen Erscheinungen hervor-
gehende Einseitigkeit und Gleichförmigkeit der Werke.
Die musikalischen Romantiker pflegen Spezialitäten des
Gemütslebens und der .Phantasie und haben in der
Form Manieren, die immer wiederkehren und für welche
sie schnell Nachahmer und Schüler finden. Wie die all-
gemeine Romantik läuft auch die Geschichte der musi-
kalischen im Zickzack. Sie springt von dem phantasti-
schen Gebiete auf das sentimentale über, von da auf
das naturfrohe und naive, und läuft endlich von dieser
letzten Station, von der Hingabe an das Genre und an
das Rleinleben, in eine Periode der Realistik und des
Naturalismus aus. Die romantische Epoche hat in der
Musik sehr belebend und anregend gewirkt, Ideen einei^
früheren Zeit vertiefend ausgeführt, neue Klang- und
Ausdrucksmittel zum Vorschein gebracht und die Lite-
ratur mit Werken bereichert, welche allgemeinen bleiben-
den KuQStwert haben. Sie bedeutet eine zweite Blüte-
Kretzschmar, Führer. I, 1. 1<)
^
-_^ 290 ♦—
zeit in der Geschichte der Sinfonie und hat in Mendels-
sohn and Schumann zwei Meister hervorgebracht, welche
sich an Originalit&t und Reichtum der musikalischen Er-
findung den großen Klassikern der Wiener Periode nähern.
Die phantastische Richtung der Ronlantik vertritt in
CK.?. Weber* der Sinfonie zuerst C. Maria von Weber. Von seinen
zwei Sinfonien, die beide in Cdur stehen, ist die erste
(im Jahre 1807 für die Kapelle des Herzogs von Württem-
berg geschrieben) die bedeutendere. Sie war (vom Jahre
1814 ab) längere Zeit bei den Orchestern sehr beliebt
und dürfte auch heute noch einer freundlichen Aufnahme
gewiß sein. Es ist ein bescheidenes, liebenswtlrdiges und
sehr mannigfaltiges Werk, heute doppelt interessant durch
die vielen Einzelheiten, welche direkt auf den Schöpfer
des Freischütz hinweisen. Das Andante, das poetische
Hauptstück der Sinfonie, hat Wolfsschluchtsbässe und
Agathekantilenen. In seiner düster feierlichen Pracht, in
der stillen Schwermut, welche aus den schmelzenden
Klängen der Blasinstrumente spricht, ist es einer der
schönsten langsamen Sätze, welche zur Zeit Beethovens,
und ganz unabhängig von diesem Meister, geschrieben
worden sind. Die freie Disposition macht es einer dra-
matisierten Erzählung ähnlich. Der Schauplatz ist nächt-
lich, zu den handelnden Personen stellt die Qeisterwelt
Mitwirkende. Im ersten Satze, welcher im Stile die kon*
trapunktischen Merkmale der Norddeutschen Schule trägt,
überwiegt der muntere ritterliche Ton; die spannenden
phantastischen Momente liegen in den leisen Solostellen-
der Kontrabässe. Malerisch und bilderreich ist er im
hohen Grade; der herrschenden Haydnschen Methode
weicht er aus. Weber selbst war später mit diesem aller-
dings etwas zerfahrnen Satze am wenigsten zufrieden.
Er entschuldigt sich bei Gottfr. Weber, dem die Sinfonie
gewidmet ist,* und bei Fr. Rochlitz damit, daß er hier
mehr auf eine Ouverttlre ausgegangen sei*). Dagegen
*) F. W. Jlhns: 0. M. ▼. Weber in seinen Werken (1871),
& 64.
291 %^
erkannte er Menuett und Adagio voll an. Beim Publi-
kunü und bei dem Orchester war das Finale, in welchem
immer die Hörner mit komischer Befließenheit voraus-
stürmen, als einer der drolligsten Sätze seiner Zeit be-
sonders beliebt.
Ein späterer Vertreter derselben Richtung ist 0 n s - H. ObiIoiv.
low, ein geistreicher, temperamentvoller Komponist und
einer unter den Ersten, deren Adagios den Beethovenschen
Maßen nachatreben. Onslow ist apart« elegant, reich
an Ideen, in Figuren und Rhythmen vielfach neu; in den
DurchfQhrungssätzen verraten leider triviale Episoden den
Mangel an musikalischer Durchbildung, welcher den Wer-
ken Onslows eine schnelle Vergessenheit bereitet hat.
Die verbreitetste seiner Sinfonien war die in Adur. Die
Hauptthemen ihres ersten Satzes
,^ Alleyro gpfartt^oto
I ■ ■ 11 ■ mögen den romantischen Charakter
^ ■'^' ^^ von Onslows musikalischer Erfindung
erläutern. Wie die Romantiker der phantastischen Rich-
tung von der französischen Oper im allgemeinen viele
Impulse empfingen, so zeigen diese und andere Melodien
Onslows speziell den Einfluß der Romanzen Boieldieus.
Die sentimentale Richtung der Romantiker ist durch
Mozart und Cherubini vorbereitet und auch in den Sin-
fonien der Wiener Schule reichlich vertreten. Ihre eifrigste
Pflege findet sie in den Sinfonien von L. Spohr und
F. Mendelssohn Bartholdy.
Die Sinfonien von Louis Spohr sind in ihrer Mehr-
zahl der heutigen Generation bereits wieder fremd ge-
worden. Fast zwei Menschenalter hindurch war dieser
unermüdlich strebende Künstler auf diesem Gebiete tätig
und nahm an allen den Bestrebungen tätigen Anteil,
welche von Beethoven bis auf Liszt der Weiterentwicke-
lung des sinfonischen Stils galten. Die erste unter Spohrs l. gpohr,
gedruckten neun Sinfonien (in Esdur) wurde für das zweite Es dur-Sinfonie
Frankenhauser Musikfest (1811) komponiert und erfreute '
19*
— » 292 *^
Sich bald allgemeiner Anerkennung*). Sie zeigt bereits
die fertige Individualität des merkwürdigen Künstlers': die
Zeitgenossen fanden in ihrer ruhigen Würde einen Gegen-
satz zu dem Feuer Mozarts und Beethovens, lobten die
weniger gedanklich bedeutenden als angenehmen Melo-
dien und tadelten die allzuhäufige Wiederkehr seiner
chromatischen Gänge und die unruhige Modulation. Bis
gegen das Jahr 1830 kehrt das Werk in den Konzerten
immer wieder. Seine zweite Sinfonie (DmoU) schrieb
Spohr im Jahre 1820 für die philharmonische Gesellschaft
in London, die durch ihn kurz zuvor die erste Bekannt-
schaft mit dem Taktstocke gemacht hatte. Sie wirkte
besonders durch die virtuosen Stellen des Streichor-
chesters ♦♦). Spohrs dritte Sinfonie (CmoU), seine vierte
(»Weihe der Tönet) und seine fünfte (Cmoll) bilden den
Höhepunkt in der sinfonischen Tätigkeit ihres Verfassers
und waren bis vor kurzem noch in den Programmen zu
L. spohr, finden. Namentlich seine dritte Sinfonie (vom Jahre 1829'
Cmoll- Sinfonie ist eins der liebenswürdigsten Denkmäler der ersten, un-
(Nr. S). schuldigen Jugendzeit der musikalischen Romantik.Manche
Zeilen in dieser Dichtung — wir denken an das zweite
Thema des ersten Satzes — sind veraltet, aber aus dem
Ganzen spricht der überschwängliche Geist milder, weicher
Schwärmerei, dem Spohr zuerst einen eignen Ausdruck
verlieh, noch in erster Frische. Die musikalischen Wur-
zeln dieser Spohrschen Kunst reichen bis in die Opern
Paisiellos, Piccinis, Galuppis zurück; in der Sinfonie er-
starkte sie namentlich durch Eberl und jene Wiener *
Rührungsmänner, deren letzte Spuren sich in den Liedern
H. Prochs finden. Schubert kannte Spohr nicht, als er
seine ersten Sinfonien schrieb,und von Beethovenschen An-
regungen macht er nur einen sehr vorsichtigen Gebrauch;
der italienischen und französischen Oper seiner Zeit, Che-
rubini namentlich, verdankt er einiges. Wie bedeutend
aber Spohr die Sprache der Sentimentalität selbständig
*) L. Spohr, Selbstbiographie I, 161.
♦♦) Ebenda II, 89.
293
weitergebildet hat, und wie viel von
den verminderten Schlußintervallen:
und von anderen Wendungen seines romantischen Idioms
in die Werke roitlebender und folgender Künstler über-
gegangen ist, wird man mit Staunen bei Betrachtung
dieser C moU-Sinfonie gewahr. Ihr Larghetto namentlich,
der vollendetste, gedankenreichste und mannigfaltigste
Satz des Werkes, hat in den Sinfonien gleichzeitiger und
späterer Sinfoniker mächtig nachgewirkt.
Am ersten Satze ist das Beste die Einleitung mit
dem charakteri- _ und der Schluß der
stischen. suchen- JL ^ f ^ T ^~ Durchführung, an wei-
den Quintenmotiv • chem diese Einleitung
wieder erscheint. Auch das erste Thema des Allegro, in
seinem Anfang nicht hervorragend, erhält durch die
poetische Anknüpfung an das zitierte Motiv der Einleitung
einen wertvollen Schluß.
Das schon erwähnte Larghetto (F dur, ^/s) hat zum
Hauptthema eine lange, behaglich ausgeführte Melodie,
das Rind eines Her- L&rgh«tto. Nur leich-
zens,welches seinen^^ g y-^p ff r '-iM J. J- ^^^ Schat-
Frieden gefunden™ ' i IM ' -■- ■ ^^^^ g^.
den hier ei-:
nen Zutritt:
ten
Der Glanzpunkt des
Satzes ist das Kantabile
i I Jj.J> J^J J j 1 4^ ,J< J. 3 J l^j
bei dem Spohr einen neuen Instrumentationse£fekt an-
wendete: Sämtliche Geigen, Bratschen und Celli tragen
die Melodie im Unisono vor. Die Wirkung ist grandios !
Das Scherzo dieser Sinfonie ist in seiner Herkunft
verwandt mit dem in Beethovens fünfter:
'>l'Mjl;IJjj<lj^j|
In der Ausführung bleibt es etwas gleichförmig. In
lauter kleine Züge zerlegt, eines lebendigeren drama-
294
tischen Impulses bar, bildet es ftkr den Zuhörer einen
einigermassen mühsamen Genuß.
Der Humor Spohrs vergräbt sich mit Vorliebe in
Miniaturen. So streiten auch im Finale gegen die
großem Intentionen des kühn scherzenden Hauptthemas,
das an das Finale von Beethovens Zweiter erinnert,
allerhand kleine
ft " Jnr i^jn^ J ' *J)I J J ' ^J)IJ I Arabesken, un-
/ ^ p 9* 9 ter denen na-
mentlich folgende echt Spohrsche Figur
Nr. 6.
einen breiteren Raum einnimmt.
L. Bpoiir, Die andere CmoU-Sinfonie Spohrs (geschrieben im
C"*»^J|;,^jf'^'^* Jahre 1838 für die Wiener Concerts spirituels) hat eine
pathetischere Tendenz. Sie begibt sich, allerdings nicht
sehr weit, direkt ins Gebiet der Leidenschaften hinein.
Spohr war sich der Einseitigkeit seiner musikalischen
Natur bewußt und strebte zeitlebens ernstlich darnach,
seine Phantasie auch außerhalb der elegischen Grenzen
heimisch zu machen. Es ist aber nicht zu verkennen,
daß ihm bei solchen Versuchen die Originalität des Aus-
drucks versagt und daß er sobald wie möghch den Rück-
zug auf vertrautes Terrain anzutreten pflegt Für die
erstere Tatsache bildet das Hauptthema im ersten Ällegro
dieser Sinfonie eine genügende Illustration:
Allem. • _^r^_
^^
3^.^ Einen schönen poetischen Zug teilt
f t t iV' T^ dieser erste Satz der fünften Sin-
fonie mit dem der dritten: das
Thema der langsamen Einleitung, die wie eine Verheißung
in Dur steht, tritt plötzlich in die Durchführung hinein
und kehrt dann bis zum Ende des Satzes mehrmals wieder.
Vielleicht hat dazu Haydns bekannte Esdur-Sinfonie an-
geregt Der Schluß des Allegro sticht durch Macht des
— • 296 «^
«
Ausdrucks hervor und schließt das ganze Bild mit den
Klängen edler Trauer ab. Man hat den Eindruck, daß
das Werk einer Fortsetzung nicht bedarf und tatsächlich
ist auch dieser Satz selbständig im Jahre 1836 als Ouver-
türe zu Raupachs >Tochter der Luft« entstanden.
Das Larghetto dieser Sinfonie kommt im Geiste und
auch in der thematischen Erfindung Beethoven sehr nahe;
es ist einer der schönsten langsamen Sätze, die Spohr
geschrieben hat, und bei der ersten Auffdhrung in Wien
mußte er wiederholt werden. Der Mittel^atz dieses
Larghetto kontrastiert mit dem Hauptteile, führt aber
seine Aufgabe, eine unruhige Szene dar;Eustellen , in
einer namentlich nach Seite der Instrumentation hin
bemerkenswert originellen Weise aus. Wir geben hier
das Hauptthema dieses Larghetto:
Larg:hetio.
Das Scherzo, ein für Spohr außergewöhnlich kräftiger Satz,
stützt sich im Hauptthema auf ein chromatisches Motiv
welches, von den Hörnern aus durch die Bläser
wandernd, ein heitres Leben im Orchester wach
hält. Der zweite Teil des Hauptsatzes verdankt
k
dem Ännchen aus Webers Freischütz (»Grillen sind mir
böse Gäste«) einiges. Das graziös elegische Trio ist den
Holzbläsern in der Hauptsache allein überwiesen.
Im Finale herrscht der Ton einer milden Heiter-
keit. In kunstvollen Formen fugierend und imitierend,
bilden sich fröhliche Spiele um das dem Hauptthe-
mafolgen- AUegrö. *. sk^^ Als zweites
scheint die Melodie der Einleitung zum ersten Satz.
Die Sinfonie erhält dadurch in Form und Idee eine sehr
schöne Abrundung. Mehr als beachtet wird, sind die
Sinfonien Spohrs reich an solchen geist- und sinnreichen
Wendungen.
-^ 2^)6 ^1^
Zwischen den beiden Cmoll -Sinfonien steht die
L.Sitohr, »Weihe der Töne«. Dieses »charakteristische Tpngemälde
»Die Weihe der jn Form einer Sinfonie«, wie es der Komponist nennt,
°^*' erschien im Jahre 1834, fällt also in eine Periode, in
welcher die Tendenz, die Instrumentalkomposition* an
poetische Vorwürfe zu binden, wieder einmal entschieden
aufgelebt war. Diese Periode, welche zufällig mit der
Blütezeit der Romantik in der Literatur zusammenfällt,
datiert von dem Franzosen H. Berlioz, dem sich Mendels-
sohn und Gade in ihren poetisierenden Konzertouver-
türen auf dem Gebiete des Orchesters in besonnener
Distanz anschlössen; Schumann vertrat eine ähnliche
Tendenz in der Klaviermusik mit seinen Charakterstücken.
Auch auf Spohr übte diese Richtung einen großen Reiz,
und in seiner energischen Art ging er gleich praktüsch
und mit großem äußren Erfolg ans Werk. Denn diese
Komposition wurde eine Lieblingssinfonie, die man eine
Zeit lang in den stehenden Konzerten jedes Jahr zu
hören verlangte. Der »Weihe der Töne« liegt ein ziem-
lich langes, ursprünglich zu einer Kantate bestimmtes
Gedicht von Carl Pfeiffer, einem Casseler Freunde des
Komponisten, zu Grunde, welches bei der Aufführung der
Sinfonie entweder verteilt oder laut vorgetragen werden
soll. Die Konzertdirektionen begnügen sich indessen mit
einem kurzen Auszug, einer Art Inhaltsangabe, die den
Tempis der einzelnen Sätze beigeschrieben wird und die
Intentionen von Dichter und Komponist, wenn auch nicht
immer ganz, so doch annähernd trifft. Etwas unglück-
lich gewählt erscheint sofort die Bezeichnung des ersten
Largo: »Starres Schweigen der Natur vor dem Erschaffen
des Tons«. Tatsächlich will Spohr hier nur etwas Ähn-
liches schildern wie J. Haydn im Chaos der Schöpfung,
wie Beethoven im Anfang der neunten Sinfonie: eine
Welt, der die Freude fehlt, in der das Leben noch nach
Formen ringt. Das tut er in der Einleitung durch träge,
lastende Melodien in den Bässen und andern tiefen In-
strumenten und durch wühlende Harmonien. Der er-
lösende Jubal ist sehr bald geboren : Schon nach 23 Tak-
297 »^
ten begiiuit das Allegro. Es bringt als Hauplthema eine
echt Spohrsche Melodie:
Ein zweites Thema besitzt dieser Satz nicht An seiner
Stelle erscheint eine lange konzertierende Partie, in wel-
cher die Holzbläser das Vogelgezwitscher nachzubilden
suchen. Dergleichen Äußerlichkeiten, Künsteleien und
unreife Stelleji sind in Programmsinfonien nichts Sel-
tenes. Aber in der »Weihe der Töne« scheinen sie nicht
ausschließlich aus dem Prinzipe hervorgegangen, sondern
aus einer augenblicklichen Schwäche der musikalischen
Erfindungskraft, die im allgemeinen nötigt, das Werk —
so viel Liebenswürdiges es enthält — hinter die beiden
Cmoll- Sinfonien zurückzustellen. Namentlich die Über-
gangspartien von Bild zu Bild, von einem Thema zum
andern, entbehren der Gedankenkraft und behelfen sich
mit leerem Figurenwerk. Auch die Dichtung zwang nicht
zu den kleinlichen Malereien, in welchen Spohr die
Stimmen der gefiederten Sänger wiederzugeben glaubte;
sie bringt in dem Verse, welchen das Allegro illustrieren
will, eine Reihe höherer Momente, welche der Kom-
ponist beiseite liegen ließ. Dagegen hat Spohr in
diesen Satz eine Szene hinein eskamotiert, von welcher
der Dichter nichts weiß: einen Aufruhr der Elemente.
Mit seinen heftigen Akzenten bildet er zu der musika-
lischen Idylle der Themengruppe einen nicht* unwill-
kommenen Gegensatz.
Im zweiten Satze sucht Spohr Wiegenlied, Tanz und
Ständchen zu vereinigen. Namentlich das Wiegenlied
ist mit einer sehr gelungenen Melodie wiedergegeben,
von der man fast bedauert, daß wir sie so wenig un-
vermischt genießen können
Andantino.
--• 298 ♦^
Der Tanz, ein französischer Zweivierteltakt, vertreibt
diese Melodie schnell, nnd ihn löst später das Ständchen
ab, dessen Ausführnng dem Solocello tibertragen ist Es
steht im VieTakt:
N^iftji'njJi^^
Diese drei Melodien sind ähnlich wie in der Ballszene
des Don Juan zusammengestellt und bilden in ihren
Kombinationen für den Vortrag bedeutende Schwierig-
keiten. Bei der ersten Frankfurter Aufführung der Sin-
fonie mußte, wie Mendelssohn erzählt, Guhr hier drei-
mal abklopfen.
Der dritte Satz: »Kriegsmusik, Fortziehen in die
Schlacht, Gefühl der Zurückbleibenden, Rückkehr der
Sieger, Dankgebet« beginnt mit einem Marsch (in Dj.
Mit ihm kehren die Krieger auch nach dem Siege zurück.
In der Zwischenzeit stimmt die Klarinette in einer sehr
sprechenden, beklommenen Weise eine klagende Melodie
an: in den Cellis banges Sinnen, das volle Orchester
bringt leidenschaftliche Ausbrüche des Schmerzes. In
der Ferne hört man ab und zu abgerissene Motive des
Marsches. Nach der Rückkehr der Krieger wird als
Dankgebet der Ambrosianische Lobgesang: »Herr Gott,
Dich loben wir« geblasen, die Violinen umspielen ihn mit
jubelnden Figuren.
Der letzte Satz: »B^gräbnismusik, Trost in Tränen«
überschrieben, wird durch ein Larghetto (Fmoll O) ein-
geleitet, 'welches in seiner Form dem Schlüsse des vor-
hergehenden Satzes, dem »Dankgebet« ähnlich ist: Der
Choral »Nun lasset uns den Leib begraben«, von den
Gellis und den beiden Klarinetten vorgetragen, wird von
den andern Instrumenten mit Motiven begleitet. Nament-
lich die Zwischenspiele, in dumpfen Paukenwirbel ge-
hüllt, sind außerordenüich ergreifend und eindrucks-
voll. Nach dieser Trauerszene folgt der Trost in
Tränen als Allegretto (Fdur V4) ™i^ folgendem Haupt-
thema:
299
a^ _ Es schließt mit dem Qaintenmotiv
T f rjlp (M^i)-^ '^ ^) welches schon im ersten Satze-
^ eine wichtige Stelle im Thema ein-
nimmt. Spohr hat diese ihm in allen Werken sehr liebe
Wendnng in allen Sätzen dieser Sinfonie untergebracht:
Hier erscheint sie wie der bescheidene Haus* ^ .^■t->>.
geist in einer Ecke versteckt, dort offen im jt f T |^§
Vordergründe; vielfach in folgender Form: *'^-*==^
Immer elegisch, friedvoU und a^uch an den Stellen des
Aufschwungs so maßhaltend, wie es der fromme Grund-
ton der Stimmung verlangt, ist dieser Schlußsatz dcfr
»Weihe der Töne« nicht immer verstanden worden. Von
der gebräuchlichen Haltung eines Sinfoniefinales weicht
er völlig ab; zum Charakter des Tongemäldes, welches
mit dem Ausblick auf das Jenseits abschließt, paßt er
sehr wohl.
Spohr hat später nur noch eine rein musikalische L. Spohr,
Sinfonie geschrieben. Es ist die Nr. 8 (Gdur), welche Gdnr-Sinfouie
nach der instrumentalen Seite manches Neue und In- (Nr. 8).
teressante enthält. Das Scherzo, im Trio mit einem
Violinsolo ausgestattet, ist in der Erfindung, welche sich
ganz auf das virtuose Element lehnt, der eigenartigste
ihrer vier Sätze. In den übrigen Sinfonien blieb er von
der > Weihe der Töne« ab beim Prinzip der Programm-
musik. Zunächst kam im Jahre 1839 seine »historische l. Spobr,
Sinfonie im Stile und Geschmack vier verschiedener Zeit- Historische
alter«. Der erste Satz soll die Periode Händel und Bach Sinfonie.
oder die Zeit um 1720 veranschaulichen. Er versucht
das in einer aus trockenen Sequenzen zusammengebauten
Fuge, mit einem Pastorale in der Form des Siciliano
(is/sTakt) als Mittelsatz. Der zweite Satz gilt der Periode
Haydn- Mozart (1780). Dieser stand Spohr selbst geistig
am nächsten, und darum ist wohl dieses Andante der
gelungenste Satz der Sinfonie. Auch hier schaut der
chromatische Spohr überall hervor: aber er tut nichts,
-^ 300 .
was seine Modelle entstellt: Einiger Spaße und Derb-
heiten, welche Spohr den beiden Wiener Meistern in-
sinuiert, wären sie fähig gewesen, wehn auch gerade
nicht im Andante. Die Beethovensche Periode (1810),
als die dritte, ist durch ein Scherzo vertreten, welches
mit einem Solo von drei Pauken beginnt. Sie geben
das Motiv
^ I j I f j r I j f j IT j r u r j I
Im übrigen schiebt Spohr dem Beethoven einen Eigen-
sinn zu, welcher selbst für diesen über alle Möglichkeit
hinausgeht: In einem Satze, der gegen 400 Takte um-
faßt, ein einziger thematischer Qedanke von 8 Takten
Länge! Wider allen Beethovenschen Brauch bleibt auch
das Trio an dieser fixen Idee haften l Noch schlimmer
kommt »die allerneueste Periode« (1840), welche den
vierten Satz einnimmt, weg: Ein Hexengebräu aus
Nonen, Septimen und freien Dissonanzen, winselnden
und schmachtenden Vorhalten! So wild ist auch Berlioz'
nie gewesen, so sehr haben auch die Pacini, Mercadante
und Meyerbeer nicht gelärmt, so süßlich und zerflossen
waren Rossini und Bellini niemals! Und wer in aller
Welt mag zu den ewigen und tollen Gedankensprüngen
dieses Satzes gesessen haben! Ist die Historie in den
andern Sätzen dieser Sinfonie nur unzulänglich — so
wird sie hier zur Parodie, zur härtesten Kritik von Spohrs
Beobachtungstalent und seinem *Kunstverstand! Nur in
Wien, wo man bei der Aufführung bloß die Jahreszahlen
angab, die Namen wegließ, wurde diese Sinfonie bei-
fällig und besonders im letzten Satz aufgenommen. Über-
all sonst blieben die Meinungen mindestens geteilt*).
L. Spoiir, Die nächste Programmsinfonie Spohrs (im Jahre 1842
»Irdisches und veröffentlicht] heißt >Irdisches und Göttliches im Men-
^Mew^iT* schenleben« und ist betitelt als »Doppelsinfonie«! Wie
f^enc'^ dies in der altem Zeit dann und wann (s. Cannabich)
(Nr. 7 cdw). versucht wurde, sind hier wieder einmal zwei Orchester
*J L. Spohr a. a. 0. II, 231.
--• 301 ♦—
*
aufeestelli, die sich in der Regel ablösen, hie und da
auch vereinen. Das erste Orchester hat nach Art des
alten Konzertino im Streichquartett nur einfache Be*
setzung. Diese Anordnung führt zu einer Reihe schöner
Klangwirkungen, deren häufige Wiederkehr allerdings den
Endeindruck schwächt. Sie ist ein weiterer Beweis, wie
Spohr sich immer etwas Neues ausdachte und in seiner
Art auch ins Werk setzte. Die Idee zu dem Doppel-
orchester erhielt Spohr durch einen Scherz seiner Frau
auf der Rückreise vom Musikfest zu Luzem. Sofort
war auch die Sinfonie entworfen. Der erste Satz gilt
der Kinder- AUe^etto.
Freilich: ein ungetrübtes Glück schildert er nicht; auch
ihn drücken chromatische Schmerzen.
Der zweite Satz schildert die Zeit der Leidenschaften.
Diese nahen in chromatischen Sech zehn telgän gen der
Bässe, stören die friedvollen Melodien der Holzbläser und
schwellen zu einem Sturm an, der sich in einem AUegro
(C-Takt) austobt, das in seinem Hauptteil mit Sechzehntel-
läufen angefüllt ist. Eine Art kräftiger Marschmusik bildet
einen Widerpart dagegen.
Der dritte Satz ist überschrieben : Endlicher Sieg des
Göttlichen. Ein Presto in e/^Takt (GmoU) beginnt auf-
geregt und lenkt dann in freundlich muntere Melodien
über. Sie führen zu einem Adagio, welches, pompös in-
strumentiert, mit einem feierlich gehobenen Gesang ein-
setzt, und, ähnlich wie der Schlußsatz in der »Weihe der
Töne« mild und leise ausklingt.
Den Vorwurf zu Spohrs letzter Sinfonie (Nr. 9, HmoU) l. Spohr,
bilden »Die Jahreszeiten«. Dieses der musikalischen Kunst »Die Jahres,
viel bietende Thema wird hier in zwei Abteilungen ab- *^^^^*
gehandelt, deren erste den Winter, den Frühling und den ^^^' ^^'*"
Übergang zwischen beiden enthält, die zweite den Som-
mer und Herbst. Das dichterische, allgemein künstlerische
Talent Spohrs und noch mehr sein musikalisches —
beide haben sich der reizenden Aufgabe gegenüber sehr
— ^ 302 . ♦^
kühl yerhalten. Nur der letzte Satz erhebt sich an ein-
zelnen Stellen, mit einer Paraphrase des alten Andröschen
Rhein weinliedes (»Bekränzt mit Laub etc.c), über eine
mittlere Temperatur.
Mitten in die Blütezeit Spohrscher Romantik fällt
B. ivagner» eine C dur-Sinfonie Richard Wagners, die im Winter
C dur-Sinfonie. 1832/33 im Leipziger Gewandhaus zwar mit Erfolg auf-
geführt, aber nur wenig beachtet und erst kurz vor
dem Tode des Meisters von den Angehörigen wieder ans
Licht gezogen worden ist Der ersten, Weihnachten 1882
noch Ton Wagner selbst geleiteten Neuaufführung sind
weitere in vielen deutschen Musikstädten gefolgt, und seit
die Sinfonie in einer stattlichen Partiturausgabe vorliegt,
hat sie alle Anwartschaft darauf, nicht wieder vergessen
zu werden. Denn sie hat nicht bloß die Pietätsrücksichten
und das biographische Interesse für sich, sondern sie ist
auch geschichtlich merkwürdig und drittens eine durchaus
ernste Arbeit, der wenigstens in einem Teil Originalität
und bleibender Wert zugesprochen werden m.uB.
Der geschichtliche Schwerpunkt der Wagnerschen
Sinfonie liegt darin, daß der junge Komponist sich um
die Romantik der zeitgenössischen Sinfonie nicht kümmert,
sondern sich fest und dem altväterischep Schein zum
Trotz auf den Boden Beethovenscher Kunst stellt Von
Wagners jugendlicher Beethovenschwärmerei, die er selbst
wiederholt humoristisch geschildert hat, gibt namentlich
der erste Satz der Sinfonie ein sehr anschauliches
Bild: er lehnt direkt an Beethovensche Ideen an und
nimmt seine Methode der Satzentwicklung auf. Der Ein*
leitung (Sostenuto e maestoso] dient Beethovens Siebente
al^ Vorbild, jedoch nur für die poetische Tendenz, der Um-
bildung einer träumerischen zu einer energischen Stim-
mung, die musikalischen Mittel sind Wagners Eigentum.
Unter ihnen tritt als Hauptstütze das durch die
Instrumente wandernde, ernst alarmierende Motiv:
Sostenuto^ hervor; es wird von eben-
Afi \ fJp^W* ^[' I f ' ^aßs treibenden und aufrich-
YF ^^' """ tenden Nebenmotiven be-
--♦ 303 ♦--
gleitet and ergänzt, von denen sich namentlich ein Hornraf,
Q der immer höher steigt, wie das erste .
A p j s^ Lebenszeichen des zukünftigen Wagner
if "^^ ausnimmt. Das Haupttbema des Ällegro:
Jdr
Alle^ro eon brio.
g
:eto.
von Gellis, Bratschen und Hörnern begonnen, im fünften
Takt vom ganzen Orchester fortgeführt, hat seine Hei-
mat im Finale von Beethovens Fünfter und seinen Ge-
fühlssturm. Diesen sucht aber Wagner durch eine Ab-
lenkung zu überbieten: er schließt im 9. Takte auf C
und begibt sich mit dem Kopfmotiv in eine Dissonanzen-
wolke. So bringt gleich der Eingang neben der An-
lehnung doch auch viel Selbständigkeit, als ihre be-
deutendste Äußerung den großen Klangefifekt, mit dem
{bei •!-) das volle Orchester eintritt. Eine dem. spätren
Wagner eigne Wendung bringt das zweite, marsch-
artig be- ^ _ ^.
ginnende A ti J f-f 4f~r C^CfgH^H'-xJTf
Thema: * p
in dem lang
hinaus verscho- \
benen Schluß:
mit dem Doppelschlag. Die hier mitgeteilten Themen
sind ebensowenig bedeutend wie der Phantasiegehalt,
der aus ihnen im Laufe des Satzes entwickelt wird, ins-
besondere bleibt der Durchführungsteil, das Probestück
für die Beherrschung Beethovenschen Stils, ohne tiefere
Wirkung und zwar wegen rhythmischer Monotonie. Der
Satz ist eine Anfängerarbeit, aber eine durchaus erfreu-
liche, einmal durch die Klarheit der Grundidee, die ein
großes Hoffen und Wollen mit Zweifeln und epikuräischem
Behagen schattiert, zweitens durch den Ernst der Arbeit.
Dieser äußert sich am schönsten in den Partien, die von
r-r'mr'T f^^-M^^
_^ 304 ^^
einem Hauptabschnitt zum andren überleiten; sie sind
sämtlich mit Verzicht auf Figurenwerk und sonstiges
billiges Material thematisch und motivisch behandelt und
können darin noch heute als Muster bezeichnet werden.
Außerdem aber überragt die Arbeit im Satze die zeit-
genössische Sinfonie noch durch eine starke Kombina-
tionsgabe, welche die Hauptthemen und ihre Teile über-
raschend und sinnreich verbindet und geistreiche Be-
ziehungen entdeckt und klar macht, die einem gewöhn-
lichen Auge entgehen. In jeder Beziehung steht dieser
Satz turmhoch über der bekannten an Haydn an-
schließenden Klaviersonate Wagners, die ihm um wenige
Jahre vorausgegangen ist. Derjenige Teil der Sinfonie,
dessen ungewöhnliche Lebenskraft ernsthaft nicht be-
stritten werden kann, ist ihr zweiter Satz, ein Andante
ma non troppo, un poco maestoso (Amoll, s/4). In diesem
Meisterstück hat sich Wagner von Beethoven ganz frei
gemacht. Sein durch das Hauptthema:
<j'< jj^jjji^ i^ü^dtiiiulk^^
ietc
festgestellter und durch alle Tonregionen und Stärkegrade
getragener Balladencharakter weist auf Mendelssohns
italienische Sinfonie und avf die Schumannsche in Dmoll
voraus. Die gemeinsame Quelle ist die Norddeutsche
Schule der zwanziger Jahre, die im Gegensatz zu den
gefühlvollen Wienern und zu Spohr im langsamen Satze
gern einen volkstümlichen Erzählerton anschlägt. Das
hat Wagner, den Dramatiker, auf ihre Seite gelockt und
der Sinfonieliteratur eine der schönsten Orchesterballaden
eingebracht, die es gibt. Sie berichtet vielleicht von ^em
Helden oder einem Heldenstamm, der zur Eroberung aus-
zog und unverrichteter Sache heimkehren mußte, jeden-
falls schildert sie — im logischen Anschluß an den ersten
Satz — ein fehlgeschlagenes Unternehmen und tut dies
ebenso klar als eigen. Das Eigene liegt in dem beson-
deren Kolorit des ersten Teils des Satzes. Die Bolero-
rhythmen seines eben angeführten Hauptthemas tragen
.^^ 305 ^►—
die Phantasie nach Spanien und klingen an exotische
Stücke an, wie sie der junge Wagner bei G. M. v. Weber
gehört haben mochte. Im Programm des Satzes bedeutet
dieser Teil den Auszug, er beginnt heimlich, .wächst sich
voll aus und verschwindet wieder im diminuendo, es ist
die Anlage des Lohen grinvorspiels. Der nächste Teil
(Pdur), den Augenblick des Gelingens bezeichnend, zeigt
das Orchester mit Kontrafagott, 3 Posannen und 4 Hörnern
in glänzender Kriegsrüstung, melodisch gleicht er einetn
Siegesgesang. Dann kommt im dritten Teil Kampf und
Umschlag, das warnende Terzenmotiv a c, das den »Satz
einleitete, dringt vor, und es folgt als letzter Teil die Reprise,
bei der die Momente des Glücks — aus dem Fdur- Abschnitt
— nur kurz und erinnerungsartig berührt werden.
Im dritten Satze (Allegro assai, Cdor, 9/^ haben wir
wieder den reinsten Beethovenianer mit einem Scherzo
vor uns, dessen überschäumendes Kraftgefühl sich fast
lieber als in Melodien in Interjektionen und Naturlauten
äußert Als Anweisung auf die im Komponisten steckende
Kühnheit und Unbefangenheit der Erfindung steht es be-
sonders hoch. In seiner zweiten Klausel überrascht der
Hauptsatz durch ein Seitenthema der Streicher, das
rhythmisch an die gleiche Stelle von Schuberts großer
Cdur-Sinfonie erinnert. Wagner hat das Motiv wahr-
scheinlich von einer der Schfilerreisen nach Prag und
Böhmen mitgebracht, bei denen seine Autobiographie mit
sichtlichem Gefallen weilt
Der Schlußsatz (Allegro molto e vivace, Cdur, O)
ergibt sich einer ähnlich leichten Heiterkeit, wie sie in
Beethovens Tripelkonzert herrscht, ist aber durch zahl-
reiche Momente des ZOgerns und Bedenkens einerseits,
andererseits des Aufschwungs zu größter Innigkeit und
Wärme eigen. Noch entschiedener als der erste, steht
dieser letzte Satz mit kleinen Kanons, Imitationen und
anderen Formen strenger Kunst unter dem Einfluß der
Norddeutschen Schule und bestätigt nochmals den Ein-
druck, daß Wagner, wenn er dem Gebiete treu geblieben
wäre, heute auch als großer Sinfoniker dastünde.
Kratiichraar, Führer. I, 1. 20
306
V, Meudelssohn,
\ moll-Sinfonie
(schottische).
Dazu, daß dieser erste und letzte Versuch bei den
Musikfreunden außerhalb Leipzigs, mit Ausnahme von
Wüfzburg*) und Prag, unbeachtet blieb, kann sehr wohl
der Umstand beigetragen haben, daß der junge und
gänzlich unbekannte Komponist in dem sehr bekannten
Darmstädter Kapellmeister J. Carl Wagner einen Na-
mensvetter besaß, dessen nach Mozartscher Observanz
angelegte Sinfonien sich durch ungewöhnlich starke In-
strumentierung, aber durch nichts weiter auszeichneten
und deshalb nicht besonders beliebt waren.
Die sentimentale Richtung der Romantik erreicht in
Mendelssohn ihre Spitze, kommt mit ihm ungefähr auf
die Stufe, die in der Dichtkunst Lord Byron einnimmt
Der romantische Beiklang, welcher viele Kompositionen
Schuberts wehmütig färbt, welcher alle Werke Spohrs
wie mit einem Hauche von Sehnsucht überzieht, nimmt
bei Mendelssohn einen energischeren Charakter an und
äußert sich schwermütig und klagend. Mendelssohn ist
eine vielseitigere, beweglichere und reichere Natur als
Spohr und wirft häufig jede romantische Fessel ab. Aber
die Nachfolger ergriffen die romantische Sentimentalität
seiner Werke als Hauptseite seines Wesens.
Mendelssohns sinfonisches Hauptwerk ist die A moll-
Sinfonie. Sie ist unter dem Beinamen »die schottische«
bekannt: die Hauptmelodie des munteren Satzes, welcher
in ihr die Stelle des Scherzos einnimmt, soll dem reichen
Volksliederschatz Schottlands entstammen. Aber die Be-
ziehungen zwischen dem Werke und seinem Titel sind
tiefer: Mendelssohn schreibt, daß ihm die ersten Themen
an den Stätten Maria Stuarts kamen**). Die Sinfonie ent-
stammt der künstlerisch reifsten Periode des Komponisten,
einem Abschnitt derselben, wo auch die Frische und der
Reichtum seiner Phantasie die Höhe jener Jugendtage
*) A. Sandberger, B. Wagner in Würzbnrg (Neue Zeit-
ochrift für Musik 1888).
**) S. Henselt, Die Familie Mendelssohn (5. Aufl.) 1886.
307 «^
behaupteten, in denen die Sommernachtstraum-OuvertÜre
entstand. Die »Walpurgisnacht«, die mit dieser Sinfonie
zugleich das Licht der Welt erblickte, schickt in dieselbe
manche Grüße hinein. Das Werk trägt in den gemachten
Stimmungen, welche es wiedergibt, in seiner Hinneigung
zum naiv Volkstümlichen die Kennzeichen der Früh-
romantik. Es ist unter den Werken, welche diese Rich-
tung in Poesie und Kunst hervorgebracht hat, eins der
individuellsten und zugleich abgeklärtesten. An neuen,
melodisch eindringlichen, eigenen Gedanken reich, besitzt
die Sinfonie in der Darstellung den zugänglichen Cha-
rakter, welcher den Werken Mendelssohns gemeinsam
ist, im hohen Grade. Im Periodenbau herrscht ein Maß-
halten und eine Regelmäßigkeit, die uns fast zu groß
dünkt und die auch tatsächlich von Anfang an Wider-
spruch erregt hat Ein andrer Grund dafür, daß das
Werk bei seiner ersten AufTührung (im Jahre 1842) nur
einen mäßigen Anklang fand, lag in der Neuerung, daß
Mendelssohn die vier Sätze der Sinfonie attacca, d. h.
ohne die gewöhnlichen Unterbrechungen auf einander
folgen läßt. Diese Anordnung, welche auf einen engem
poetischen Zusammenhang der Sätze hinweist, schien die
Zuhörer zu ermüden. In der Folgezeit hat sie außer
Schumann in seiner DmoU-Sinfonie kein Komponist adop-
tiert In den kleinen Sinfonien der Vor-Haydnschen
Periode lassen sich die Pausen zwischen den einzelnen
Sätzen entbehren, nicht aber in den Werken Beethoven-
schen Stils.
Das Thema der Introduktion der Amoll-Sinfonie
ijij '^ifLii 'ifi'ri II n'"i ^i'ii' I
gehört zu den Lieblingsgedanken Mendelssohns: Paulus
in der Stunde der Reue, der lebensmüde Elias intonieren
diese schwermütige Melodie. In der Schule des Meisters
ist sie vielfach variiert worden. Mendelssohn hat das
tiefsinnige Introduktionsthema in der Sinfonie noch einige
Male benutzt: im Adagio nimmt er einen flüchtigen
20*
308
<^—
Bezug darauf, im ersten Allegro knüpft er direkt an
seine vier ersten Noten an. Das Hauptthema lautet:
») AUogro un pQco «f Itato. ^ t. ' . . .—
fi»
Die Erregung, welche in dieser Wendung halbverdeckt
durchscheint, wird mit dem Schlüsse des Hauptgedankens:
r n .- fl I r h I ■ I -^i*^' I *= zunächst zu melancho-
i pr P II ■'^■' P If r p^^ üscher Ruhe gebracht
Bald aber bricht sie in dem Seitengedanken:
mit den heftigen, kurzen Stößen aus, durch welche sich
Mendelssohns Sprache der Leidenschaft von denen an-
derer Künstler unterscheidet. Das zweite Thema geht
mit innigen Tönen
in die klagende tragische Sphäre der In-
troduktion zurück.
Ein äußerst liebenswürdiger, rührender Nebengedanke,
den man ebenso wie den vorausgegangenen Themen
die Herkunft vom
Lied ansieht, schließt
die Themengruppe :
Besonders schön wirkt er, als er. gegen den Schluß
der Durchführung hin sich unmittelbar neben die wilde
Gestalt des oben mit e) bezeichneten Themas stellt Diese
Durchführung ist musikalisch formell vielleicht nicht ganz
vollendet, aber ein poetisches Meisterstück, genial in
Aufbau und Ausdruck der Stimmung. Dieser Eingang,
der Ruhe und Vergessenheit in neuen Träumen sucht,
die allmähliche Einführung des Konflikts, der nicht zu
309 «^
vermeiden war — die wiederholten Versuche abzubreGhen
— , der endliche Ausgang mit der Trost und Resignation
predigenden Melodie der Celli — das wirkt alles mit
einer Unmittelbarkeit, wie sie an dieser Stelle in Sinfonien
nur selten erreicht wird ! Wie ergreifend auch der letzte
Abschluß des ganzen AUegro — als nach allen Stürmen
die Melodie der Introduktion ihr freudlich bleiches Antlitz
wieder zeigt! In seiner harmonischen Mischung von
menschlicher Tiefe und Anmut mit freier Dichtersprache
würde der Satz allein hinreichen, die Bewunderung zu
erklären, welche Mendelssohn bei seinen Zeitgenossen
erregte. Es hat jedoch auch nicht an — vorwiegend
süddeutschen — Stimmen gefehlt, die den allzu starken
Liedcharakter der Mendelssohnschen Sinfoniethemen be-
anstandeten und in ihm einen Hemmschuh für die Frei-
heit und Mannigfaltigkeit des Satzbaues, insbesondere
eine Gefahr für den Gehalt und die Natürlichkeit der
^ Durchführung sahen.
Auf einem andern Grundcharakter basiert ist der
zweite Satz der Amoll- Sinfonie, das Vivace. Von dem
phantastischen Elemente, welches Mendelssohn für seine
Scherzi bevorzugt, hat es nichts. Es ist ein künstlerisch
vollendetes Genrebild pastoraler Natur, welches uns nur
bedauern läßt, daß Mendelssohn dieses Gebiet so selten
betreten hat. Die Themen, welche in teilweise strengerer
Arbeit durchgeführt werden, sind folgende:
Einen das Trio vertretenden Mittelsatz hat das Vivace
nicht, aber eine kleine Einleitung von wenigen Takten,
in der fröhliche Signale auf das bevorstehende lustige
Treiben hinweisen. Auch das Adagio beginnt mit einer
kurzen Einleitung, die den Zusammenhang mit der Intro-
duktion mit einigen, allerdings sehr feinen Strichen her-
310
stellt. Das Hauptthema hat in seiner ersten Hälfte fol-
gende Gestalt:
Unmittelbar nachdem es abgeschlossen, tritt das zweite
Thema:
^m
^
SUl
^n
r^ Ll^iJJ
ein, fremdartig und feierlich wie Hamlets Gebt. Im gan-
zen weitern Verlauf des Satzes geht es mit dem andern,
von dem die Celli bevorzugten Besitz ergreifen, keine
nähere Verbindung ein, sondern stellt sich ihm nur, immer
wieder überraschend, wie mahnend und warnend, ent-
gegen. Diese ungewöhnliche Disposition der Themen gibt
dem Satze einen dramatischen Charakter.
In dem letzten Satz verschwindet das romantische
Kolorit einigermaßen. Die Themen stürmen einer be-
haglichen Sphäre zu
Allegro coli tplrite
erete.
erreichen sie 'i j | J J J J IJ-.JiJTT? | F i, aW^
und geben den Gefühlen heroischer Kraft freudigen
Ausdruck :
frw ^ujiiPf ^Us\^r ^'m^
tis. «ad
^nuLi iiiiiiiM ^r.Ä/1*^'^"^ ''"^
ifif ilM'f j'h'i r'iu'r I I, I r|i|V, i
811
7T-nii^ r'i' iff r I
das rücken liegende Stim-
men, Orgelpunkte und an«
dere Hilfsmittel der In-
strumentation und der Harmonie in eine verklärende
Feme.
Die hier angeführten Themen gehören dem ersten,
dem Hauptteile des Schlußsatzes zu. Mendelssohn nennt
diesen ersten im (7- Takt geschriebenen Teil AUegro
guerriero — und bietet damit der Erklärungskunst einen
verlockenden Stoff. Der zweite, kürzere Teil des Finale be-
steht aus einem Satze im o/g Takte, in dessen Hauptmotiv:
f i , I h 1 J~ ^^^ schottische Element der Sin-
ff 1^1 J' ■ «^ ' '^= fonie noch einmal zu entschieden-
ster Geltung kommt. Diese Wendung bildet in der Melodik
der schottischen Volksmusik eine stereotype Schlußformel.
Bekanntlich fehlt der schottischen Skala die Septime.
Der schottischen Sinfonie steht unter den andern
Sinfonien Mendelssohns die vierte (Op. 90], die Adur- F. Headeiaaohu,
Sinfonie, an Popularität am nächsten. Sie heißt die A dur-sinfonie
italienische und gilt als die künstlerische Frucht der
längeren italienischen Reise, welche der junge Mendels-
sohn im Jahre 1830 unternahm. Direkt erkennbare süd-
liche Elemente bringt die Sinfonie in ihrem Schluß-
satze: einer ausgelassenen, bacchantisch lustigen Szene,
welcher eine neapolitanische Tanzform, der wilde Salta-
rello, zu Grunde liegt. In den andern Sätzen sind Be-
ziehungen zum Süden nicht nachzuweisen. Der erste
Satz mit seinem heiteren Grundton hat gleichwohl zu
vielen schwärmerischen Parallelen mit dem »ewig blauen
Himmel des Landes, wo die Zitronen blühen« Veranlassung
gegeben. Es herrscht in ihm eine kräftig glückhche
Phantasie, die wohl an die Stimmung eines Jünglings
denken läßt, der fröhlich und jubelnd hinauszieht in
die schöne Welt. Das erste Thema, welches ohne Ein-
leitung einsetzt:
Aües^TO vivace.
(italienische).
312
beginnt kräftig, ungeduldig; das
zweite:
ist ruhiger, hat etwas vom sentimental romantischen
Element; aber ein freudiger Schwung lebt auch in ihm.
In der Durchführung tritt ein neuer dritter Gedanke auf:
- I- ..^m p^t=i welcher dann
»"■ - ' -i^-iLä M nr ^LfJI '^* I auch in den
Schlußteil des ersten Satzes aufgenommen wird.
Der zweite Satz (Andante con moto, DmoU) beginnt
als schwermütige Ballade mit folgendem Hauptthema,
zunächst von Bratschen, Klarinette und Fagott vorge-
tragen :
Anduite con moto
dem dann ein freundlicher Gesang entgegentritt:
Diese anheimelnde Begegnungsszene wiederholt sich mit
kleinen Intermezzos einige Male: Die trauernde Grestalt
hat das letzte Wort, und wie mit leisen Seufzern ver-
schwindet der Satz in die umwölkte Ferne. Sind in
diesem langsamen Satze schon nordische Anklänge nicht
zu verkennen, so tritt in dem folgenden Satze, einem
9/4 Takt ohne weitere Gattungsbezeichnung, das deutsche
Element mit der größten Bestimmtheit vor.
Der Hauptsatz dieses traulichen Stückes knüpft mit
seinem Ländlerthema:
Con moto moderalo
313
an die gemütlichsten Bilder an, welche die Wiener
Meister von deutscher Fröhlichkeit und Geselligkeit ent-
worfen haben. In dem Mittelteil dieses Satzes lebt die
Romantik unsrer Wälder in der Seele des jungen Men-
delssohn auf: CM. V.Weber, die musikalische Jugend-
liebe Mendelssohns, scheint vor seine Phantasie zu
treten, und in dessen Hornklängen spricht der junge
Tondichter einige der herrlichsten Zeilen seiner italie-
nischen Sinfonie.
Der letzte Satz, mit einem fanatischen Unisono seinen
unbändigen Charakter ankündend, bringt als erstes Thema
folgende unverkennbare Volksmelodie: »
Presta
rijtrffP'i^'^^
Es zieht in einer langen Entwicklung auf, durch-
streift die Nuancen seelischen Ausdrucks von der zarten
Anmut bis zum wilden Toben und bringt alle Kräfte des
Orchesters, die Solisten und die Massen in immer hef-
tigere Aktion. Dem Aufmarsch dieses Hauptthema folgt
eine Nachhut aus derben Elementen, aus stampfenden
und pochenden Figuren, wie:
— eine Reminiszenz an dieRüpelszene des>Somroernachts-
traums« — gebildet Die weicheren und feineren Geister
haben in den Kreisen dieses Satzes nur einen beschei-
denen Platz. Das zweite Thema, in dem ein leises Zitat
an die Durchführung des ersten Satzes, gleichsam wie an
den Anfang der Reise erinnert, sucht sie einzuführen:
^7- _ _^ Ein erneutet
ir K Ljj ■ - «i I I I •- -„s;- ' LU * == Versuch, die
ins Bedrohliche steigenden Wogen der Fröhlichkeit zu glät-
ten, Wird in der Durchführung dieses Satzes mit der Figur
/"
314 ♦—
unternommen. Wie der erste
I Satz der A dar-Sinf onie man-
w»' ^"^ ches aus der Notturnosphäre,
so bringt dieser letztere außer der schon angeführten
Stelle noch weitere wörtliche Einzelheiten aus den gro-
tesken Partien der So^nmemachtstraummusik, speziell aus
der Ouvertüre.
Die italienische Sinfonie ist als Nr. 4 erst nach dem
Tode des Komponisten veröffentlicht worden; der Ent-
stehungszeit nach geht sie der schottischen um mehrere
Jahre voran: sie wurde von Mendelssohn zuerst im Jahre
, 1833 in . der Philharmonischen Gesellschaft zu London
r. HeadelMokB» aufgeführt. Zwischen diesen beiden Hauptsinfonien Men-
aih^^f^^\ delssohns liegt sein »Lobgesang«, den er als »Sinfonie-
(Sinfoniekantate). ^^^^^^ ^ach Worten der heUigen Schriftc bezeichnet
' ^'^ ^' Die Mischung von Sinfonie und Kantate, wie sie in
diesem Werke sich 2eigt, ist älter als Beethoven und
seine neunte Sinfonie. Die eigentümliche Anlage dieses
Lobgesangs ist jedoch mit Berufung auf ältere Vorlagen
noch nicht recht zu verstehen. Während die schottische
und die italienische Sinfonie 'ziemlich langsam reiften,
entstand diese Sinfoniekantate als rasche Gelegenheits-
arbeit zum Leipziger Gutenbergfest des Jahres 1840.
Für die Instrumentalsätze benutzte Mendelssohn eine
seiner Zeit für London geschriebene Jugendsinfonie, deren
Charakter sich der Idee der gewönschten Festmusik ohne
Gewalt anpassen ließ: Zu der Dankfeier, welche einem
der wichtigsten Kulturereignisse, einem Wendepunkt in
der Geschichte der Menschheit galt, soll die ganze Ton-
kunst beisteuern. Voran schreiten die spielenden Massen.
Sie loben den Herrn (im ersten Satze) mit Posaunen:
Dann lobt man ihn mit Psal-
ter und Harfen, in einem
y »feinen Ton<. Dieser feine
Ton ist der Kern des ersten Teils des Allegretto der Sin-
fonie (Gmoll, 8 s); seinen Ausgang bildet eine Choralpara-
phrase. Dem dritten Satze, dem Adagio (Ddur, s/^), dem
frommsten und ehrfurchtsvollsten Teile der Sinfonie,
— * 816 ♦—
scheint der Gedanke zn Gründe su liegen: »Betet
an den Herrn in seinem heiligen Schmuckec. Er bildet
den Schluß des Sinfonieteüs im Lobgesang. Nun setzt
die Kantate ein. In ihrem ersten Chor sucht sie die
Verbindung mit dem Vorausgehenden, indem sie das
oben angegebene Thema des ersten Sinfoniesatzes zu
den Worten »Alles was Odem hat, lobet den Herrnc
aufnimmt Der Höhepunkt dieser Kantate ist das dra-
matische Rezitativ des Tenors: »Hüter, ist die Nacht
bald um?c
Weniger bekannt, im Drucke erst seit dem Jahre 1868
vorliegend, ist Mendelssohns »Reformationssinfonie.«. F. ■•■delisohn,
Das Werk ist interessant als ein halb deklarierter Bei- ^•f^^"''
trag Mendelssohns zur Programmusik. Auf die Refor- «»«>»•'
mation selbst nimmt es den klarsten Bezug im letzten
Satz, dessen Mittelpunkt der Choral »Eine feste Burg«
bildet. Um ihn herum treten noch kriegerische Lied- <ifr. ft^Ddnr
weisen, die den Charakter der Volkslieder des Mittel- Op.io?).
alters tragen. Der religiösen, ernsten Seite der Refor-
mation selbst, ihrer streitbaren Natur, ihrer Freudigkeit
am Kampfe, ihrer Festigkeit im Glauben und im Gottver-
trauen ist der erste Satz gewidmet. Mit einer gewissen
Starrheit und Unbeugsamkeit hält er ein kurzes Motiv fest:
An«rro. ^^ ^^^ ^®' Einleitung bis zum
'£^ II kl'^ ' ^^^1^^^^» ^^ ^^^ ^®3^® Wächter-
B* "'' J J» J^ ' " rof in der Nacht, den Satz durch-
schallt Wie das Kleinod, dem das Mühen gilt, ist die Melodie
des Lutherischen Amen (das sogenannte »Dresdner Amen«,
das auch Wagner
in seinem Parsifaljs j8 >J Je
aufgenommen hat):
in die erste Abteilung der Sinfonie hineingestellt. Der
Zeit der Reformation gilt der zweite Satz, ein Allegro
vivace, die musikalische Verkörperung einfachen, alt-
väterisch schlichten und kräftigen Frohsinns. Seine Melo-
die erscheint als metrische Umbildung des zweiten Thema
im Vivace der schottischen Sinfonie. Das Trio besitzt
Weihnachtsklang. Das Andante hat nach der Kürze des
^
_^ 316 «^ .
Umfangs und nach seiner erregten Haltung Ähnlichkeit
mit einem Rezitativ.
Im melodischen Stile weicht die Reformationssinfonie
von • den drei vorhergenannten Werken ab. Nichts von
den weichen Sext- und Terzvorhalten, welche in den
Weisen der mittleren Periode immer wiederkehren, und
wenig von der RQcksicht auf das Violinmäßige, welche
in der Motivbildung der andern Orchesterwerke häufig
in den Vordergrund tritt. Es geht ein herber, aber cha-
raktervoller Zug durch die Melodik der Reformations-
sinfonie, der allein dazu berechtigen würde, diese Kom-
position .der Jugendzeit Mendelssohns zuzuweisen. Sie
V, Heudeliiokn, teilt ihn mit seiner ersten Sinfonie, der in C moll.
CmoU-Sinfonie. Diese ist (als Opus 11) der Philharmonischen Gesellschaft
in London gewidmet, vor längerer Zeit schon durch
Schlesinger in einer gestochenen Ausgabe veröffentlicht,
aber für Aufführungen so gut wie nicht benutzt worden.
Der Stoff, welchen sie der Vergleichung und der bio-
graphischen Betrachtung bietet, ist nicht unbeträchtlich,
(m Stile steht sie auf dem Boden der »Hochzeit des
Camacho«, der »Heimkehr aus der Fremdec und läßt
gar nichts von der eigentümlich phantastischen und
reich beweglichen Natur des Komponisten der Sommer-
nachtstraummusik ahnen. In den Gedanken folgt sie
namentlich der Führung Beethovens; der erste Satz
knüpft direkt an Ideen des Gdur- Konzerts, der Coriolan-
ouvertüre und der Waldsteinsonate dieses großen Vor-
bildes an. Trotz dieser Unselbständigkeit ist aber das
Werk wegen der Kraft, Frische, Knappheit und der Ent^
schiedenheit, mit der es sich auf gedanklich Wichtiges
richtet, sehr erfreulich und besitzt Lebensfähigkeit.
Die naive Richtung der Romantik tritt mit der phan-
tastischen ziemlich gleichzeitig in die Musik herein. Ihre
ersten Vertreter, unter welchen wir den liebenswürdigen,
lyrisch schwungvollen F. E.Fes ca (vier Sinfonien 1817
bis 28) nennen, gehören noch dem Stilbereiche der Nord-
deutschen Schule an. Ihr Hauptmeister ward R. Schu-
mann. In der großen Reihe hoher Dichtergaben, deren
. -^ 317 f^
Vereinigung Schumanns Individualität imposant macht,
sticht sein naiver Zug besonders hervor. Mit ihm vertritt
er in der Sinfonie kräftiger , als es vor ihm geschehen,
jenen Rousseauschen Zug zur Natur und Einfachheit,
dessen Aufleben den gesundesten Teil der romantischen
Bewegung bildet, denselben Zug, welcher unsere Dichter
zum Volkslied zurückführte und unsere Maler, Ludwig
Richter voran, den großen Schatz von Poesie neu ent-
decken ließ, der sich dem sinnigen Auge in der Alltäg-
lichkeit des heimischen Lebens und im eigenen Lande
anftat Der jugendliche Ton,- die große Dosis unge-
zwungener Natürlichkeit ist es in erster Linie, durch welche
Schumanns Musik ihre erfreuende und erfrischende Macht
übt. Diesen inneren Eigenschaften verdankt sie auch
viele von ihren eigentümUchen formellen Elementen: die
Figuren und Gesang ineinanderziehende Themenbildung,
die aphoristischen und versteckten Melodien, die jetzt
ungeniert losen, jetzt seltsam verketteten- Rhythmen,
die Naturlauten gleichenden Dissonanzen imd alle die
neuen Elementarbildungen, durch welche Schumanns
"Schöpfungen für die weitere Entwicklung der Tonkunst
von großer Bedeutung geworden sind.
In die Reihe der Sinfoniker trat Schumann unge-
fähr ein Jahr "bevor Mendelssohns > schottische Sinfoniec
erschien.
Die echten Romantiker pflegen ihr Bestes gleich beim b. SeiiuiaBB,
Anfang zu geben. Schumanns sinfonischer Erstling war Bdor-Smfbnie.
die Sinfonie in Bdur (Op. 38), eine seiner schönsten Ton-
dichtungen und dasjenige Werk, welches seinem Namen
mit einem Schlage die historischen Würden erwarb. Die
B dur-Sinfonie hält sich an die bekannten Hauptformen
der Gattung und bewegt sich im wesentlichen in ver-
trauten und jedem Menschen naheliegenden und lieben
Ideenkreisen — aber Schumann behandelt Idee wie Form
mit ungewöhnlicher Freiheit und Kühnheit Ja in der
kurzen ungenierten Ausdrucksweise, welche er in -einzel-
nen Sätzen entwickelt, liegt eine Originalität, die nicht
bloß vor 70 Jahren neu und befremdend wirkte, sondern
--♦ 318 ^—
aie würde auch heute noch diskutabel sein, wenn nicht
der Grund einer fortreißenden NatttrHchkeit und einer
mächtigen Phantasie, auf denen sie ruht, zu stark durch-
leuchtete. Schumann selbst nennt in einem Briefe an
Ghepenkerl seine Bdur-Sinfonie >in feuriger Stunde ge-
borene !)nd nahm es seinem Freunde Wenzel sehr Übel,
als dieser (in der Leipziger Zeitung) bei Beurteilung des
Werkes von Hoffnungen für die Zukunft gesprochen
hatte*}. Sie war in der kurzen Zeit von vier Tagen im
Entwurf fertig.
Die poetische Idee der Sinfonie soll**) mit dem Ge-
dichte »Du Geist der Wolke tr&b und 8chwer< von Adolf
Böttiger in Beziehung stehen. Die Worte >Im Tale zieht
der Frfihling auft leiteten den Komponisten, der das Werk
mehrmals seine »Frühlingssinfonie« genannt hat
Dunklen Bildern und Ideen gibt Schumann in ihr,
die den Stempel einer glücklichen Zeit überall trägt, nur
soweit Raum, als es das Gesetz des Gegensatzes, das
Lebenselement der Sonaten- und Sinfonieform, fordert.
Die Einleitung stellt zuerst diesen Gegensatz hin.
Feierlich und ernst, auch etwas drohend, erhebt sie
sich in ihrer ersten Hälfte und bringt in lapidarer Form
Andante m poco maettos».^ ^ das Motiv voraus, welches
<£ A^ H 0 T IT' p r' P If r F in dem Gefüge des ersten
^ ^ . r r I I = g^^^^g ^.^ Hauptstütze bü-
det***). Klagende Weisen tauchen in den Holzbläsern auf,
schwer und kurz schlagen die Massen mit Akkorden drein.
Da mit einem Male, mit einem Ruck in der Harmonie,
kommt Flötenklang: der Horizont hellt sich auf; in den
*} G. F. Jansen: R. Scbnmannb Briefe. Neue Folge
(Leipzig 1886), S. 175.
**) Nach einem auf der Leipziger Stadtbibliothek befind-
lichen Widmnngsblatt Schamanns an den Dicbter.
***) Nach des Komponisten erster Intention bieß das Motiv
'if l^' n • I <■ j.j- ■■ I J ? r^ ^^^ ^^' '^^ ^^^ damals nur
fr ^ " ^+f" p'f p N -"^^ fftr Natortdne eingerichteten
Hömern einen komiseben Effekt.
319
Geigen beginnt es zu rauschen, und in einem großen,
mächtigen Zug geht es über in das kräftige, frische
Leben des Allegro:
So lautet das Haupt-
\\f p tbema — fQr den ersten
Satz einer Sinfonie eine
ungewöhnlich leicht gefügte, fast wunderliche Erschei-
nung, die in ihrer Naivität dem Geiste Haydns und
älterer Meister nahesteht Auch das zweite Thema ist
in seiner Bildung ungewöhnlich:
r |i i>f '.Ji ' I J'
Es gleicht mehr einer Kette von Naturlauten als einem
künstlerisch gestalteten Gesang. Was sonst noch an
Melodie in der Themengruppe vorkommt, das reduziert
sich auf Skalenmotive und auf kurze und kecke Andeu-
tungen. Neben diesen anspruchslosen und bagatell artigen
Ideen stehen aber Perioden, in welchen sich die Har-
monie in dem großen Stile Beethovens aufbaut, kühn,
sicher und leicht gestaltet. Alles ist vom Leben getragen,
und eine mächtig drängende Stimmung verrät die un-
gewöhnliche Künstlernatur, die auch aus Kleinigkeiten
Bedeutendes bildet. Die etwas schwächere Durchführung
nimmt einen doppelten Anlauf. Das erste Mal geht der
Weg über die beiden ersten Takte des Hauptthemas.
Ihren dunklen Kombinationen fügt der Komponist nach
, dem Muster von Beethovens dritter und vierter Sinfonie
noch eine neue, unbestimmt suchende Melodie bei:
if I' 111.1 I i^T] I i|"T^ l^^l^l/
Auf der Höhe angekommen, erhebt die Flöte ihre
Stimme und jubiliert wie eine Lerche mit der losen Sech-
zehntelfigur, welche die zweite Hälfte des Hauptthemas
320
bildet Das Triangel klingt romantisch drein. Beim zwei-
ten Male geht _ und ffihrt
der Weg über l ^'' . j, LJT^j.jn WfJr fff ^unmittelbar
ein Nebenmotiv ^ , ' ^ in den drit-
ten Teil des Satzes über. Die Stelle, wo das Haupt-
thema in den breiten 'Rhythmen der Einleitung von
Trompeten und Hörnern getragen und mit dem vollsten
Glänze des Orchesters wieder eintritt, ist eine der herr-
lichsten in allen Sinfonien! Die Reprise ist sehr kurz
gehalten, der zweite Teil des Hauptthemas sogar über-
gangen. Dafür fügt der Komponist eine breite Coda an,
die sehr viel Neues bringt. Besonders schön und innig
berührt uns nach den stürmischen und hastigen Anläufen,
mit denen sie beginnt, der fromme und ruhige Gesang
J)/ erese. j»
» .^_ . .— _ -^ . ^^® rhythmischen Stockun-
r irr If^f ip'^'pT^^ ge^i welche den graden
Gang dieser Melodie auf-
halten, sind eine Liebhaberei Schumanns. Aus ihr ent-
wickelte sich mit der Zeit mehr und mehr eine erschwe-
rende und störende Manier.
Der zweite Satz (Larghetto, Esdur, s/q) erscheint durch
die letzt angeführte Episode in der Coda des ersten
Allegro ideell vorbereitet Er redet die Sprache eines
Herzeus, das leise zagt, bittet und vertraut Ein tief reli-
giöser Zug lebt darin. In Geist und Form dieses Larghetto
ist viel Beethovensches, namentlich in den Obergangs-
gruppen. Als Hauptthema dient dem Satze folgende MelodQe:
Larghetto.
-^ 321 <►-
Die Ausweichungen ihrer ersten Takte sind ganz Schu-
manns Eigen. In der kurzen Gruppe, welche der Repe-
tition des Themas durch die Celli (in B} vorausgeht, tritt
ein Beethovensches Motiv (Andante der fünften Sinfonie)
j L- - ■ p- jk- - . hervoy« Der Gegensatz zum Haupt-
ff r P r ^ij ^^thema besteht aus einer knappen
''"*'^=^ - Partie, in welcher das Motiv
durch die Instrumente wandert. Auch
ft f" • \ /j|J • in diesem Satze bringt der Schluß etwas
****• i^Anz Naiias. -onArlAr AinAn TTinwAia «.nf
ganz Neues, wieder einen Hinweis auf
den folgenden Satz: Wir hören ins Feierliche Übertragen
den Anfang des Scherzo von einem aus der Ferne her-
übertönenden Posaunenchor. Wie mit einer stummen,
tiefsinnigen Frage klingt das Larghetto aus, und un-
mittelbar, ohne eigentliche Pause, schließt sich das
Scherzo mit seinem energischen Thema an:
Jill Jl I ll.l.ll I I. I l|M| T Il ] II
Der zweite Teil des Hauptsatzes ist ungewöhnlich knapp
gehalten. Eingeleitet wird er durch eine selbständige,
liebenswürdige Idee
jij if ^r I n J I fO 1 1 1 ^JJJN^J I jj N ■
Dem finstren Tone, der den eigentlichen Scherzosatz be-
herrscht, stellt Schumann zwei Trios gegenüber, auch
hierin ungewöhnlich und, für seine Zeit wenigstens,
neuemd. Von beiden ist das erste namentlich von
großer, von unerhörter Originalität: ein Wiegen auf
weichem Rhythmus, ein Klingen und Grüßen lieblicher
Akkorde, das aus der Feme näher und näher kommt
und wie die starke Melodie der Winde anschwillt! Für die
rhythmische ^ ^ — ^ liegen in Beet-
Grundidee 4 li" ^ \ ^ I j f I ^ I f hovens erster,
dieses Trio **" ' ' ---^ " für die Mystik
seines Klanges in desselben Komponisten neunter Sin-
Kretcschmftr, F&hrer. L, 1. 21
322
fonie Vorbilder
vor. Ein kleines,
munteres Motiv
bildet den Abschluß der wunderbaren Partie. Das
zweite Trio entwickelt eine harmlose, jugendliche Fideli-
tät auf Grund ei- . -
nes altbekannten ^ l" 58 , J I J J J I J J f I (" 1 1*
AUerweltsthema: > '"'^ ' ^
es gehört also mit unter die in alter Zeit so beliebten
Solmisationsscherze. Das erste Trio wird am Schlüsse
des Scherzo noch einmal zitiert, es erscheint mit innigen,
sehnenden Blicken und verschwindet mit einem Seufzer.
Das Finale der Sinfonie ist aus Heiterkeit und Kraft ge-
mischt Es dreht sich wie das Hauptthema des ersten
Satzes in vergnügter Stimmung in originellen, anmutig
possierlichen Wendungen
AUe^o anfm&to-
(erstes Thema) und führt wunderliche Dialoge, in welchen
den ausgezeichnet gelaunten Bläsern von den (zeigen
unwirsch und barsch geantwortet wird
^^^
/f.^
▼w.
TTT
Aus dieser eigenartig klin-
3 genden Stelle entwickelt sich
dann das eigentliche zweite
Thema des Finale, der Ausdruck eines in Ruhe, Dank-
barkeit und Festigkeit gesammelten Gemütes:
f^^f^ir\rfij^i'r^fT^?Tif?if't\Trrf\r
Unter den vielen Zügen des Humors, die sich in diesem
Finale finden, sei namentlich auf die Stellen aufmerksam
— ♦ 923 i
gemacht, wo sich die Bässe mit den
Cellis und Bratschen des Motivs
bemächtigt haben.
Der Entstehnngszeit nach liegt die vierte Sinfonie
Schumanns (Op. 120) nicht weit von der ersten. Sie
wurde im Jahre 1841 als Nr. 2 aufgeführt und erhielt
später im wesentlichen nur eine neue, f&r geringe Or-
chester berechnete Instrumentierung, einen 'viel dickeren
und plumperen Rock, der viel von der Grtizie -und den
Farbenreizen des ursprünglichen, erst in jüngster Zeit
veröffentlichten Entwurfs verdeckt. Im Kunstwert der
Bdur- Sinfonie mindestens gleich, wenn nicht überlegen,
und ihr auch im Charakter nahe verwandt, bildet Schu- R. SehmnABn,
manns DmoU-Sinfonie in der Geschichte der Sinfonie- ^ ™o""S*n^on»«
form ein wichtiges Dokument Wir denken hierbei
weniger daran, daß in ihr genau wie in Mendelssohns
A moll-Sinfonie die vier Sätze des Werkes ohne Unter*
brechung aufeinander folgen, also gleichsam einen ein-
zigen großen Satz bilden sollen, als vielmehr an die von
Schumann Altern Vorgängern glücklich nachgebildeten
Versuche, die einzelnen Sätze in einen engeren materiellen
Zusammenhang zu bringen und dem ganzen Werke eine
strengere Einheit zu geben : Die Introduktion ist mit der
Romanze, der letzte Satz mit dem ersten durch Gemein-
samkeit und Verwandtschaft der Themen verknüpft Aber
auch innerhalb der einzelnen Sätze, namentlich im ersten,
zeigt der formelle Aufbau gelungene Neuerungen von
Bedeutung. Angesichts der Sicherheit und Leichtigkeit,
mit welcher sie vollzogen sind, kann man nur erstaunt
sein, daß vormals und neuerdings wieder die Frage auf-
geworfen werden konnte, ob Schumann der großen Form
völlig Herr gewesen sei.
Das Thema, mit welchem nach einer etwas schwer-
mütigen Introduktion das erste Allegro einsetzt, ist
folgendes:
21*
--• 324 %^
allerdings formell eine bloße Figur, aber eine Figur Yoll
Cbarakter, aus der eine starke Erregung spricht. Es ist
{lochst meisterlich, wie Schumann dieses schwierige Thema
handhabt, jetzt zum Ausdruck trotzig stürmender Kraft,
jetzt des Zweifels gebraucht und dann mit ihm in freu-
dige Regionen einlenkt. In keinem Takte läßt er es aus
der Hand. Ob als Hauptglied, ob als Arabeske, immer
ist es da und beherrscht die ganze Themengruppe, so
daß, obgleich alles singt und lebt, ein zweiter ebenbürtiger
Hauptgedanke in dieser nicht aufkommt Um so üppiger
blühen die neuen Ideen im Durchführungsteile. Da ist
zunächst, ähnlich wie in Schuberts großer G dur-Sinfonie,
ein geheimnisvolles ^^ "^^ , welches sich
Motiv der Posaunen ' ^ ^f \ ^ \J I T^ mit den Umbil-
dungen der Hauptfigur verbindet; da ist ferner die feierliche,
prächtige, mit Fermaten gekrönte Gruppe, deren Thema:
p,^ später die Spitze
r- JJ«li3|J?iund den Kern des
•^ Finale der Sinfonie
bildet, da ist vor allem die schöne, zarte, echt Schumann-
sche Gestalt, die, noch post festum eintreffend, den Platz
und die Bedeutung eines zweiten Thema in dem Satze
erhält:
In der dem Komponisten eigenen Weise ist auch diese
Melodie an verschiedene Instrumente verteilt. Der Vor-
trag dieses ersten Satzes gehört, obwohl er technisch
verhältnismäßig leicht ist, zu den schwierigsten Aufgaben,
die an Dirigenten und Orchester gestellt werden können.
Die Schwierigkeit liegt in dem unaufhörlichen, je nach
vier oder zwei Takten erfolgenden Wechsel von Stimmung
und Motiven. In ihm sind der Vult und der Walt Jean
Pauls noch viel entschiedener, anspruchsvoller und tem-
peramentvoller verkörpert, als im Florestan und Eusebius
der Davidsbündler. Diese humoristische Gegensätzlichkeit
verlangt eine äußerst elastische Tempoführung. ^
325
Aus der freudigen Sphäre, in welche der schwung«
volle feurige Schluß des ersten Satzes versetzt, ruft uns
der Einsatz des folgenden dämonisch ab. Ohne Zweifel
hat dieser akzentuierte D moll- Akkord, den die Bläser wie
einen Schmerzensruf ausstoßen, mit dem bekannten
Quartsextakkord, welcher das Allegretto in Beethovens
siebenter Sinfonie einleitet, eine geistige Verwandtschaft.
Aber bei Schumann wird die Wirkung des elementaren
Mittels dadurch verschärft, daß die Zwischenpause der
beiden Sätze wegfällt. Es ist wie ein Regenschauer bei
blauem Himmel! Die Romanze mit ihrem edel weh-
mütigen Gesang
Ziemlich Unf^sam.
LllU' Ü\
gehört zu dem Schönsten, was
die Musik an Volkspoesie be-
sitzt Mit der größten Natür-
lichkeit schließt ihr Schumann die nachdenklichen Ge-
danken an, welche das thematische Material der Intro-
duktion der Sinfonie bilden:
iyj iiCT ^°^51lI> LJjT^ fTTTcH
Die klagende Melodie hat sie geweckt. Eine außer-
ordentlich üebenswürdige Idee des Komponisten aber
ist es, aus ihnen den freundlichen, sonnigen Ddur-
Satz zu entwickeln, welcher die Mitte des kleinen Ton-
bildes einnimmt. T^m der Schönheit der Zeichnung
und der Intention kommt hier auch noch der warme,
milde Klang, den die Celli der Melodie geben, und der
Reiz, den der zierliche Schmuck der Solovioline darüber
gießt.
Das Scherzo hat einen kräftigen Humor, am Schluß
des Hauptthemas
326
spricht der Obermut der Jagendkraft, der Schumanns
beste Komposition kenn- ^ ...,..,.. -^
zeichnet Aus dem Grund- ji^ltiljjJIJJ ^^
motiv des Hauptthemas: *
bildet der zweite Satz zärtliche und innige Varianten.
Das weiche, träumerisch sinnige Trio, mit seiner sanft
dahingleitenden Melodie:
Cl«r.
kehrt nach der Wiederholung des Hauptsatzes zurQck,
In seine einfache Herzlichkeit mischen sich schmerzliche
Töne. Es nimmt einen langen Abschied und klingt
dann noch wie aus weiter Feme, wie in Traumes-
schatten an. Als es ganz still geworden, intonieren die
ersten Violinen wieder das Sechzehntelmotiy des ersten
AUegro in der Form eines schüchternen Vorschlags:
^^^§*!f^-^--^^ I^iö Posaunen und Hörner sind vor
• j£ h V' TffTfrTl" ^^' Hand noch anderer Meinung und
ij ^g^^#^*""»^ wollen bei der ernsten Weise bleiben.
Die Mehrheit entscheidet aber zu Gunsten der Violinen, die
Holzbläser gehen mit ihrem Antrag sogar noch weiter und
stellen Motive auf, die. dem
freudigen Gezwitscher der
Vögel zu gleichen scheinen:
So wird der heitere Charakter des letzten Satzes fest-
gestellt. Diese 16 langsamen Takte, welche den Ober-
gang vom Scherzo zum Finale bilden, enthalten einen
Reichtum von Phantasie und von musikalischen Ideen,
welcher für eine eigene neue Kofaiposition ausreichen
würde. Das Hauptthema Bow^rt.
des Finale bt uns aus fj f{ fij ^-^ ..t^^
der Durchführung des ^ ^U^^ yV^¥-w-i]\inST ^ ;
ersten Satzes bekannt: ^
Mit der Entschiedenheit, die der Grundstimmung des Finale
entspricht, rückt es sofort im dritten Takte nach C dur. Die
Bässe in ihrem schwerfälligen Geiste halten noch eine
ganze Weile an der Sechzehntelfigur fest Das Finale hat
327
seine schwülen Momente: Sie finden sich in dem Motive
• .^^^-^^ welches Oft durch das Orchester fährt,
rfi' -i^^5^ namentlich aher am Eingang der Durch-
jr ■ y «=• führung, wo dem über das Hauptthema
gebildeten Fugato ganz eigentümliche Dissonanzen — in
ihrem besonderen, schrillen Klange eine eigenste Er-
findung Schumanns — vorhergehen. Aber immer folgen
diesen flüchtigen Trübungen Partien von vollendeter An-
mut Das zweite Thema ist ihr Hauptträger:
/iijri'iTiiiTüEii'jiniiijirn'Liüiii
in seiner Mischung von Grazie, Kaprize und* jugendlich
fröhlicher Naivität ein echter Schumann. Es geht in
eine Periode von kühnetn harmonischem Aufbau über,
in der die Kraft aufbraust. Der Posaunenklang kenn-
zeichnet sie. Nach Beendigung der Reprise lenkt der Satz
noch einmal auf ein ruhigeres Gebiet über, mit einem un-
erwarteten neuen Thema freundlich fragenden Charakters:
g . j -■ . i-.| Um so stürmbcher bricht dann
"Fi* f rjl I r r^ r '' I der jubelnde Schluß ein. Erbat
"^ die Form einer Stretta, frei nach
itaUenischen Mustern! Das letzte Presto hat noch nie
seine Wirkung verfehlt
Mit seiner Dmoll-Sinfonie zugleich brachte Schumann
eine zweite kleine Sinfonie, eine Art Suite in drei Sätzen,
zur ersten Aufführung, die unter dem Titel »Ouvertüre,
Scherzo und Finale« als Op. 52 veröffentlicht wurde.
Auch diese Sinfoniette zählt, nach der Häufigkeit der
Aufführungen zu schließen, unter Schumanns beliebteste
Kompositionen und hat den Schülern dieses Meisters be-
sonders oft als Modell gedient Was sie so anzieheüd
und wirkungsvoll macht, ist der stark ausgeprägte Ton
ritterlich phantastischer Romantik. Darin und in der
ganzen Richtung der Phantasie erscheint sie als das
Seitenstück zu den vierhändigen Märchenbildern. Man
könnte ihr eine neuere oder älterere »Aventiure« unter-
legen. Es lebt in ihr ein weltfahrender, abenteuerUcher
und munterer Sinn
B« SelimiBamB,
OnvertSre,
Scherzo,
Finale.
-^ 328
AOe^o
etc. etc.
Sie erzählt von Lieben and Sehnen
^ViHi.iT'r ii 11 ir I I h I I r I
(1. Sati.)
Tri« -im
und auch von Fehden und wehrsamen Streichen:
Nicht ohne Be-
deutung ist es,
daß Schumann
y/r^-^ f««^ am Eingang des"
^ Werkes so deut-
lich den Geist Cherubinis, des Komponisten der >Aben-
ceragen«, vorbeiziehen läßt Auch Webers romantische
Harmonien klingen in der Ouvertüre durch. Musikalische
Erfindungen bietet die kleine Sinfonie von eigenster und
reizendster Art; in der Ausführung steht sie jedoch hinter
den beiden Sinfonien in B und D beträchtlich zurück.
Die Ungezwungenheit des Komponisten artet hier viel-
fach in Lässigkeit und Breite aus; ja der letzte Satz trägt
in den Mendelssohnschen Zitaten und in dem eigensin-
nigen Beharren an alltäglichen Einfällen, in der Mono-
tonie des Rhythmus und Metrums die unverkennbaren
Spuren einer versagenden Phantasie.
Auf einem andern Boden als diese drei Werke steht
B. SehmaiMm, Schumanns Cdur-Sinfonie, die (als Op. 61) in der Yer-
C dar-Sinfonie. ö£fentlichung der in D moU vorausging und bekanntlich
die zweite genannt wird, aber nach der Entstehungszeit
und nach der ersten Aufführung Schumanns dritte Sin-
fonie ist In dieser Sinfonie hat ^ sostenuto assaL
Schumann hohe pathetische In-
tentionen verfolgt Das Motiv:
welches die Trompeten und Hörner an den Eingang der
.^ 329 <^
feierlich sinnenden Introduktion hinstellen, durchzieht,
mit Ausnahme des Adagio, alle Sätze des Werkes wie
ein geheimnisTolles Geisterwort nnd bietet uns die Richt-
schnur für den außergewöhnlichen Flug, welchen Schu-
manns Phantasie in dieser Tondichtung zu nehmen ge-
dachte. Es handelte sich hier für den Komponisten um
die großen Leidenschaften und die höchsten Ideen einer
Menschen seele, um Faustsche Probleme: um den Weiter-
bau auf jenem gtausig schönen Terrain^, auf welchem
die neunte Sinfonie steht. Es geschah auf Grund dieser
zweiten Sinfonie namentlich, daß Schumann von einer
Anzahl treu ergebener Verehrer als der »Erbe Beethovens« •
proklamiert wurde. Wir wissen, was Schumann mit diesem
größten Tondichter des Jahrhunderts gemeinsam hat, und
stellen die zweite Sinfonie um ihrer Intention willen sehr
hoch — aber wir glauben doch, daß es eine Irrlehre ist,
sie als die Hauptsinfonie ihres Autors zu erklären. Sie
ist sowohl in dem Werte der musikalischen Grundideen
selbst als in ihrer Behandlung ungleich; sie mischt Perlen
und Sand und steht an Frische und Natürlichkeit der
Gkstaltungskraft den vorausgehenden Sinfonien sowohl
in einzelnen Satzgruppen, wie auch in ganzen Sätzen
nach. Mit der C dur-Sinfonie beginnt ein Abschnitt der
Entwickelung Schumanns als Instrumentalkomponist, in
welcher der naiv-romantische, volkstümliche Zug seiher
Erfindung die vornehmere künstlerische Sphäre häufig
verläßt. Namentlich in den Finalsätzen der G dur-Sinfonie
nnd in dem der ihr folgenden Es dur-Sinfonie tritt diese
Erscheinung zutage und leider gerade in ihren Haupt-
themen. Zu dem Besten der G dur-Sinfonie zählt im
ersten Satze der Abschnitt, welcher das zweite Thema
entwickelt, und das Thema selbst, welches in der Intro-
duktion schon angekündigt wird:
Alldgroi um aon troppo
hi--i- f|U f-f^r- j-tW-- ^® ^^ eigentlich nur ein Absen-
T CjrqiU ' (ill^ kervomHauptlhema desSatzes:
330
P 9r9»9,
r^ j u I _. f F" fl I P Dieses Hauptthema, in seil
"iT^t'-^pIcJ ' P'^ kapriziösen Charakter a
seinem
aller»
-dings sehr wohl yerständlich, leidet schon an der Mono*
tonie des Rhythmus, welche die schwächeren Werke
Schumanns kennzeichnet. In der Durchführung ist ein
müder, stockender Schritt, der die Höhe nur erstrebt.
Doch sind darin in der Gattung des leidenden Aus-
drucks große Schönheiten. Die Glanzmimmern der Sin-
fonie sind der zweite und dritte Satz. Jener ist ein
Scherzo, welches in dem Hauptsatze aus dem Motiv
Attegr» TiTftca. entwickelt ist Es dringt
j^i fff IT r fibl r"l 1"] MifU-l-A-aqs der anfangs be-
wölkten Sphäre zu«-
weilen zu einer grandios freien Stimmung vor, nament-
lich in den H dur-Schlüssen. Die Frühlingsklänge, die
sich in den Holzbläsern vereinzelt hören lassen, erscheinen
im ersten Trio zu einem Gedichte zusammengereiht
Das zweite Trio, welches nach der Repetition des Haupt-
satzes einsetzt, gehört zu den schwächeren Partien der
Sinfonie. Der dritte Satz ist ein Adagio, das in seiner
Anlage einer Phantasie über folgendes Thema gleicht:
j!>^-lij-lllp?^|)luMrflrTr>plji i'l^J t^l
Dieser tiefe, seelenvolle Gesang,
P, ^> ' öl
dessen Heimat das Trio in S. Bachs
»Musikalischem Opfer« ist, beherrscht den Satz; ein selb-
ständiges Thema tritt ihm nirgends auf die Dauer ent-
gegen. Die wunderbare Melodie scheint, der trauernden
Peri gleich, den Himmel zu suchen. Und sie findet die
Pforte offen. Da, an den Stellen, wo die Violinen in
Trillern von der höchsten Höhe wieder herabschweben,
kann man einen Blick hineintun. Dieses Adagio, eins
von den wenigen neuen, deren Kürze man bedauert, wirft
noch etwas von seinem Glanz in den letzten Satz der Sin-
381
fonie hinein. Kurz nach dem Abschlüsse des ersten The-
ma, dessen AllegTO molto viTMe. da, WO
Hauptkern i m p | T f P 1^ T P M 1* IT ■ dieVio-
folgender: *^ if linen
ihre Achtelfiguren anfangen — ergreifen im Finale die
'Celli den Gesang des Adagio und bilden aus ihm das
zweite Thema des Schlußsatzes. Die spätere Stelle — sie
ist an den Generalpausen leicht zu erkennen — , wo diese
schöne Melodie gleichsam unter allgemeiner Trauer ins
Grab gelegt wird, ist eine der ergreifendsten im ganzen
Finale. An großgedachten Kombinationen ist dieser
Schlußsatz reich. Wir rechnen dabin außer der Einfüh-
rung des zweiten Themas aus dem ersten Satze auch die
Aufnahme eines bekannten Beethoven sehen Gedankens:
^^ r-r- ■ ^** d®^ Eindruck des
jK rP|g I p J I jT j 1^^ Finale beeinträchtigt, das
' hängt mit dem Charakter
des Hauptthema und seiner mehr wiederholenden, als
umbildenden Durchführung zusammen.
Die dritte Sinfonie Schumanns (Es dur, Op. 97) rückt B« BehnuaBB.
den beiden Vorgängen in B- und Dmoll wieder näher. ^^'""S*'*'*""
Ihr Grundcharakter ist heiter. Wird doch angenommen,
daß sie zu dem frischen Leben des Rheinlandes in inneren
Beziehungen steht Sie ist Schumanns letzte Sinfonie,
entstand in Düsseldorf und kam am Anfang der fünf-
ziger Jahre zur Veröffentlichung. In ihrem Stile unter-
scheidet sie sich von den ersten Sinfonien in Bdur und
Dmoll, obgleich sie mit ihnen die Richtung der Phantasie
teilt Eine gewisse Schwerfälligkeit hat Platz gegriffen,
die sich in dem ersten Entwurf der Tongedanken und in
ihrer nur Transpositionen bietenden Entwickelung äußert
Ja sogar bis auf die Instrumentierung erstreckt sie sich.
Der Klaüg ist oft pomphaft, aber in seiner Feierlich-
keit monoton; vorzugsweise marschiert das Orchester
in schwerer Rüstung und breitem Tritt Wo sind
■ die geistvollen, lebendigen, sprühenden, die so origi-
nell kecken Violinfiguren hingekommen? Doch hat auch
diese Sinfonie noch sehr schöne Partien. Dahin zu
332
rechnen ist im ersten Satze namentlich das zweite
Thema:
Lebhaft.
vom zweiten Satze der Hauptteil, der in einer gewissen
altvaterischen Fröhlichkeit gehalten ist.
Der Mittelsatz in diesem zweiten Satze, der dem
Trio des Scherzo entspricht, erhält eine eigentümliche
Färbung dadurch, daß die einfache elegische Liedweise,
welche die Holzbläser spielen, über einen großen, tremo-
lierenden Orgelpunkt^ gespannt wird. Für den beschei-
denen, an die »^der- Bahr niMii
Szenen« erinnernden
Grundstoff des Satzes:
ist die Ausführung sehr reichlich bemessen. Nach dem
Andante (Asdur, O), in welchem sich sentimentale Ele-
mente mit tändelnden mischen, kommt noch ein zweiter
langsamer Satz (Rsmoll, C) mit feierlichem Posaunen-
klang, in den seltsam aufgeregte Figuren hineinspielen.
Man denkt an ein >Gretchen im Dom«. Eine kirchliche
Szene zu scbildeHi, soll auch in diesem Satze Schumanns
Absicht gewesen sein. Er schrieb ihn kurz nachdem er
einer Feierlichkeit im Dome zu Köln beigewohnt und gab
ihm ursprünglich eine erklärende Überschrift Von dieser
Domszene ist noch ein Nachklang im Finale zu finden.
In der Hauptsache entrollt es aber eine Menge launiger,
anmutiger und frischer Szenen, in deren neckischer
Leichtigkeit wieder der alte Schumann lebt Nur das
Hauptthema und die zu ihm gehörenden Gruppen sind
schwächer.
IV,
Die Programmusik und die nationale Richtung
in der Sinfonie.
Ke Mendelssohn und Schumann beide verhältnis-
mäßig nur wenig Sinfonien geschrieben haben, so
war zu ihrer Zeit die alte Fruchtbarkeit auf diesem
Gebiete überhaupt erloschen. Äußere Verhältnisse und
der Gang des geistigen Lebens hatten dazu gleich stark
beigetragen. Die Zahl der neuen Ronzertinstitute hatte
die der alten Collegia musica nicht im entferntesten
wieder erreicht Die neuen Sinfoniker standen unter
d6n unendlich gesteigerten Forderungen Beethovens, aber
nicht wie ihre Vorfahren wurden sie vom Ideengehalt
der Zeit getragen, kaum unterstützt. So waren die Werke
der Romantiker ein letztes Aufflackern alten Glanzes; die
mageren Jahre der Sinfonie begannen und die bestge-
meinten Preisausschreiben konnten das nicht ändern.
Wenn in einem Winter vier oder fünf neue Sinfonien
vorlagen, die halbwegs brauchbar waren, so bedeutete
das das Höchste, was sich erwarten ließ. Die Namen
dieser Komponisten findet man ziemlich vollständig in
A. Dörffels Geschichte der Leipziger Gewandhauskonzerte
(1884), denn unter dem mit voller Bildung ausgerüsteten
Mendelssohn machte dieses Institut erfolgreich von der
natürlichen Überlegenheit seiner aus dem 18. Jahrhundert
überkommenen Organisation Gebrauch und komman-
dierte die deutsche Musik. Die verschiedenen und ehren-
--D 334 <^--
werten Müllers, uro die es sich hierbei handelt, die Mo-
lique, Gähring, Möhring, Täglichsbeck, Markall,
LÜhrss, Rosenhain, Leonhard, HeUtedt, Pape
usw., die die Ehre einer Aufführung in der Regel nur
einmal erlebten, arbeiteten durchschnittlich in den Spuren
Mozarts und des jungen Beethoven. Etwas länger hielten
sich die Sinfoniker aus der Schule Spohrs. Der frucht-
A. Hetie. barste Yon ihnen: A.Hesse, der Breslauer Orgelmeister,
ist jedoch heute im Konzertsaal gleichfalls verschwunden.
8t. Benaet. St. Ben n et, dessen G moU-Sinfonie ebenfalls zu dieser
Gruppe gehört, ist in England noch nicht vergessen, und
N. nnrgmlUer. der poetischste dieser Spohrschüler, Norbert Burg-
^ m Uli er, bei uns auch noch nicht, wenigstens nicht mit
seiner Gmoll-Sinfonie.
Beim Beginn dieses deutschen Niedergangs greift das
Ausland, das seit Haydn gar nicht mehr mitgezählt worden,
plötzlich und bedeutsam in die weitere Entwickelung der
Sinfonie ein. Der Franzose Hector Berlioz begründete
eine neue Periode — vielleicht nur eine Episode — der
Programmusik, der Däne Niels Gade eröffnete eine
Reihe von Versuchen, Elemente der Volksmusik zur
Grundlage oder zum Ornament der großen Formen der
Sinfonie zu verwenden.
Unter »Programmusik« versteht man bekanntlich eine
Musik, welche als die Darstellung bestimmter innerer oder
äußerer Vorgänge aufgefaßt sein will, welche Geschichten
hl Tönen zu erzählen und nachzumalen versucht und
die Phantasie an gegebene Objekte bindet. Die Tendenz
dieser Kunstrichtung ist so alt wie die Musik und hat
ihre natürliche Stütze in der Tatsache, daß Ton Verbin-
dungen wesentliche Merkmale geistiger Ideen und körper-
licher Erscheinungen wiedergeben können. In der Vokal-
musik bildet die Obereinstimmung von Ton- und Text-
ideen ein wichtiges Kriterium für den Kunstwert der
Kompositionen. So lange es eine künstlerische Instru-
mentalmusik gibt, sind auch in dieser zu allen Perioden
Versuche gemacht worden, bestimmte Programme durch
die Töne zu übersetzen. Diese Versuche waren in der
-^ 338 *^
Regel von neuen, aber auch von yerwunderlichen Resul-
taten begleitet. Nicht immer, z. B. nicht in der Periode
Dittersdorfs, aber häufig haben die Programmusiker eine
poetische Hinneigung zu Ausnahmezuständen, zu außer-
gewöhnlichen Ereignissen oder zu Gegenständen gezeigt,
welche außerhalb der menschlichen Anschauung und Er-
fahrung liegen. So schildert schon Froberger einmal
Jacobs Himmelsleiter, ein andermal einen Schiffbruch
und einen Überfall durch Seeräuber, Kuhnau die »Un-
sinnigkeit« Sauls. Für die neueste Epoche der Programm-
musik ist eine ähnliche Neigung geradezu zum Merkmale
gemacht worden. Ist von ihr die Rede, so erinnert man
sich, mit unrecht, aber doch tatsächlich , in erster Linie
der gräßlichen Stoffe, welche sie zur Behandlung ge-
wählt hat. Man denkt. an die Hinrichtungsszene, an den
Höllensatz in Berlioz* Sinfonie fantastique, an die Ban-
ditenszene in seinem Harold, an Liszts Mephistosatz im
»Faust«, an den Inferno in der Dantesinfonie, an den
Mazeppa, den Prometheus und die > Hunnenschlacht« des
letztgenannten Komponisten. Das sind Partien, in welchen
die neue 'Frogrammusik zugleich auch von dem Stile,
welcher bis dahin in den Sinfonien üblich war, sehr be-
merkbar abweicht. Wo die Extreme der Leidenschaften,
wo Zustände der größten Erregung, Ereignisse unerhörten
Charakters, wo die Superlative der Phantasie berührt
werden sollen, da bauen diese Komponisten wie die Cy-
klopen mit unbehauenen Blöcken. Da lassen sie die
Elementarkraft des bloßen Klanges und des bloßen Rhyth-
mus wirken und gewähren der Macht des musikalischen
Rohmaterials, dem physischen Elemente der Musik einen
weiten Spielraum. Sie stützen ganze Perioden nur auf
das Fundament dissonanter Harmonien, auf hin- und
hersausende chromatische Figuren, auf das brutale Trei-
ben von Motiven und Themen, welche die Kunstmusik
ab trivial verwirft Man vergißt über den Produkten ge-
walttätiger Charakteristik und über den Befürchtungen,
welche ihr naturalistischer Stil erregen kann, sehr leicht,
daß die Werke der Programmusiker auch selir reich sind
-^ 338 ♦^
an eigenartigen Schönheiten freundlich ruhiger Natur und
daß ihre Hauptvertreter durch Aufstellung neuer, zweifel-
los berechtigter Prinzipien und durch Ausbildung neuer
Ausdrucksmittel die allgemeine Entwickelung der Ton-
kunst gefördert haben. Die Geschichte der Sinfonie ist
noch jung, denn die Kunst zählt nach Jahrhunderten.
Mag die Programmusik noch so oft Fiasko machen; ihr
Prinzip wird nicht sterben. Nach der ganzen Entwicke-
lung der Instumentalmusik kann in der Zukunft ihr
Boden nur breiter und fester werden. Schon heute liebt
das Publikum einen poetischen Anhalt fQr die sinfoni-
schen Gebilde, und unter den Komponisten hat das Pro-
gramm mehr Anhänger, als sich öffehtlich dazu bekennen.
Es wäre ein Unglück, wenn wir nur Programmusik hätten;,
aber es wäre kaum weniger zu bedauern, wenn wir gar
keine hätten!
Die heutige Programmusik ist zum großen Teil durch
Hector Berlioz so geworden, wie sie ist. Trotz seiner
Schwärmerei für Virgil und für Gluck war Berlioz ein
Erzromantiker, und nicht umsonst nannten ihn seine
Landsleute schon bald den Victor Hugo der Musik*).
Musikalisch läßt er den gebornen Franzosen, den Lands-
mann Rameaus, nur mäßig merken; aber dichterisch
war er ganz von jener französischen Neuromantik be-
sessen, der Vischer (in den »Kritischen Gängen t) grob
aber bezeichnend eine »Schinderphantasiec vorwirft. Der
erste, schwerste, der unheilbare und unverzeihliche Man-
gel von Berlioz* Programmusik liegt in den Programmen
selbst, nicht in der Kolossaliiät und Maßlosigkeit seiner
poetischen Intentionen, wie Ambros sagt**), sondern in
ihrer vollständigen Geschmacklosigkeit. Der Einfall: die
Geschichte, die der Sinfonie fantastique zu Grunde liegt,
mit Hexen und Hölle, die des Harold mit einer Banditen-
orgie zu schließen, bleibt, auch wenn man den Maßstab
nach den Verirrungen der Schule Eugen Sues bildet, so
*) F. Hiller: Künstlerleben, 1880, 3. 85.
*♦) W. Ambros; Bunte Blätter, 1872, S. 100.
-^. 337 >—
vereinzelt und ungeheuerlich, daß man zu einer Erklä-
rung weiterer GrAnde bedarf. In der Tat wirkten auch
auf den schwachen Punkt in Berlioz' Phantasie neben
den literarischen Einflüssen noch starke musikalische.
Durch Simon Mayr waren in der italienischen Oper die
Blasinstrumente zu einer neuen Bedeutung gelangt, bei
Pacini und Mercadante entwickelte sich daraus ein förm-
licher Kultus des Blechs. Meyerbeer führte ihn in die
französische Oper über und Berlioz ward der Meyer-
beer der Sinfonie. Er bereicherte sie mit der Harfe
und dem englischen Hom, aber auch mit den dritten
und vierten Fagotten und Trompeten, mit den Ophi-
kleiden, dem türkischen Schlagzeug und mit dem halben
Orchester der Wachtparade. In den Schlußsätzen seiner
Sinfonie wird dieser neue akustische Spuk prasselnd los^
gelassen.
Nichts setzt Berlioz so weit unter Beethoven wie
diese Abhängigkeit vom gemeinen Effekt. Und doch hat
er sich für einen Schüler und Nachfolger Beethovens ge-
halten und dTeses Verhältnis mit dem Vergleich zwischen
Golumbus und Ferdinand Cortez zu bestimmen versucht*).
In der Tat fand er für seinen Naturalismus eine kleine
Stütze in der Beethovenschen Sinfonie von der zweiten
ab. Aber wer gerecht sein will, kommt auch nicht um
die Notwendigkeit hefum einzusehen und zuzugeben, daß
Berlioz auch nach einer zweifellos nützlichen und zu-
kunftsreichen Richtung hin an Beethoven anknüpft und
ihn fortgesetzt hat: Er suchte und fand geeignete Mittel,
den breiten Beethovenschen Formen der Sinfonie Ver-
ständlichkeit zu bewahren. Diese Mittel waren das Pro-
gramm und die Verbindung der einzelnen Sätze durch
Wiederkehr desselben Themas. So schlecht Berlioz* Pro-
gramme waren, die Berechtigung und Wirkung des Mittels
an sich haben sie festgestellt, sein aus dem Schlummer
der Jahrhunderte wiedererwecktes Prinzip des Leitthemas
ist aber von der ganzen modernen Musik, instrumental
♦) F. Hiller, a. a. 0. 127.
Krettscliniar, Ffthrer I, 1. 22
-^ 838 4^
und vokal, von Gegoem and Freunden Berlioz* ohne Unter-
schied immer mehr aufgenommen worden.
ll.B«rlUz, Berlioz' Debüt bildet die Sinfonie fantastique,
fMto2^% ^P- ^^ ^^- ^^^' ■*®^'- ^ ^®*°®° Memoiren {S. 95) sagt
^ ^^' Berlioz, daß die Bekanntschaft mit Goethes »Fauste einen
großen Einfluß auf diese Komposition gehabt habe. Das
mag sein mit Blocksberg und Walpurgisnacht, vielleicht
auch mit dem Spaziergang und mit den »zwei Seelen in
einer Brust«; die Idee zu der »Fantastique« wäre für Goethe
ein Greuel gewesen und ist ganz Berlioz' eigene Erfindung,
als solche für den abenteuerlichen Charakter seiner dich-
terischen Neigungen und seiner Ansichten vom Wesen
und Zweck der Kunst überhaupt sehr bezeichnend:
Ein junger Künstler, liebestoU and lebenssatt, nimmt Opium.
Die Dosis des Giftes , zu schwach um zu töten , bewirkt nur
einen tiefen Rausch und eine Reihe von Triumen, in denen
die Liebesgeschicbte des Künstlers repetiert und zu einem phan-
tastischen ungeheuerlichen Al^hluß weitergeführt wird.
Mit andren Auslegern hat auch Schumann'^) ange-
nommen, daß der Komposition und ihrem Programm ein
Stück aus dem eigenen Leben von Berlioz, seine Liebe
zu der englischen Schauspielerin Miß Smithson, zugrunde
liege. Die Musik versucht die Traumbilder in fünf Sätzen
wiederzugeben.
Der erste »Rßveries — Passions^— (Träumereien —
Leidenschaften) überschrieben , schildert die Zeit der «r-
^ wachenden Liebe und der ersten Begegnung mit der Ge-
liebten. Das Programm sagt:
»Zuerst gedenkt der junge Musiker des beängstigenden
Seelenzustandes, der dunklen Sehnsucht, der Schwermut und
des freudigen Aufwallens ohne besondren Grund, die er empfand,
bevor ihm die Geliebte erschienen war ; sodann erinnert er sich
der helBen Liebe, die sie plötzlich in ihm entzündet, seiner
tut wahnsinnigen Herzensangst, seiner eifersüchtigen Wut, seiner
wieder erwachenden Liebe, seiner religiösen Tröstungen.«
*) R. Schumanns Gesammelte Schriften (Ausgabe von Jansen)
I, 131.
-^ 339 ♦^
Die in diesen Worten gestellte Aufgabe sticht Berlioz
mit einem Satze zu lösen, der ganz die Form hat, die
wir seit Ha,ydn an dieser Stelle gewohnt Qind: ein im
Sonatenschema ausgeführtes Allegro mit langsamer Ein-
leitung.
Die Einleitung (Largo, C* Cmoil] schildert den Seelen-
zustand, in dem sich der Künstler vor dem Erscheinen
der GeÜebten befand: Schon die ersten beiden Takte
suchen das Bild einer klopfenden und nagenden und im
selben Augenblick vom schweren Dcuck gehemmten Emp-
findung zu zeichnen: Die »Schwermut« und »die dunkle
Sehnsucht« des Programms drückt eine längere Geigen-
melodie aus, die folgendermaßen einsetzt:
Largo. J • 60
y > I Die Fermaten und der stockende Gang
c^ kennzeichnen auch ihren weiteren Ver-
lauf. Im achten Takt, am Schluß der Peri-
ode, zeigt ein Nonenakkord über der Dominante den Höhe-
punkt des Wehgefühls. Von da ab versucht die spröde
Melodik größere Schritte, überläßt aber sehr schnell das
Wort dem Rhythmus, der in den im einen Auf-
tiefen Instrumenten über das Motiv ^ ^ ^ schwung der
Stimmung einleitet. Ähnlich wie au der berühmten
Stelle im Trauermarsch der Eroica lassen die Bässe
ganz allein ein mächtiges Äs hören, das dröhnend
nach 0 übertritt. Wir stehen vor dem zweiten Abschnitt
des Largo, dem das Programm »das freudige Aufwecken
ohne besonderen Grund« zuweist Er malt es in losen
Figuren, die als Sechzehntelsextolen und als Triolen
dahinflattern. Zuerst in der ersten Violine allein, dann
ergreifen sie auch die übrigen Instrumente, durchschwär-
men rasch von Cdur aus einen Kreis naher und femer
Tonarten, bis sie im sechsten Takt nach Cdur und gleich
darauf nach CmoU zurückkehren. Es war nur das Auf-
22*
^
-^ 340 «—
glQhen des Fiebers, jetzt meldet. sich die alte Schwermut
in den Klagen der Bläser wieder. Nach vier Takten
haben wir wieder die oben angegebene Geigenmeiodie.
Der dritte Abschnitt des Largo beginnt, verläaft aber
doch nicht ganz gleichlautend wie der erste. Das heitere
Aufwallen hat etwas gewirkt: in der Seele 'des verliebten
Musikers ist es heller geworden. Das sagt uns die Dur-
tonart {Es), in die das Thema jetzt versetzt ist, das sagen
uns die Bläser, die die Geigen mit den muntren Motiven
des zweiten Abschnitts umspielen. Nachdem diese Re-
petitionsgruppe geschlossen hat, geht in der Stimmung
eine noch viel entschiedenere Wendung zur Hoffnung und
Freude vor sich. Des dur setzt plötzlich ein, das Hom
übernimmt die Föhrung mit Melodien, die trösten, mit*
trillernden Figuren und neues Leben weckenden Motiven.
Die Violinen nehmen die Dämpfer ab und stimmen mit
frohen und mutigen Gängen ein. Es ist ein Zögern und
Gähren in diesem Schlußabschnitt des Largo, das den
empfänglich folgenden Zuhörer in große Spannung ver-
setzt.
Das AUegro (Allegro ' agitato e appassionato, Cdur),
welches im erregtesten Zucken einsetzt, löst sie bald. Die
Geliebte erscheint, das folgende Thema, von der Flöte
zuerst eingeführt:
aUei
soll ihre Gestalt bezeichnen. Schumann findet in ihm
sogar den Charakter der »kühlen Brittin«, die später
Berlioz* Gattin wurde, ausgedrückt. Es fängt wohl etwas
glücklich reserviert an, wird aber in den folgenden Peri-
oden der Klage ziemlich warm und schließt liebens-
würdig zusprechend. Der hier wiedergegebene Anfang
kehrt, gewöhnlich durch zitternde Rhythmen begrüßt, als
Leitmotiv in allen Sätzen der Sinfonie wieder, Beriioz
nennt es ihre »id^e fixe«. Das ist nicht in dem Sinne
gemeint, in dem wir Deutsche von der »fixen Idee« ge-
störter Geister sprechen, sondern jene acht Takte bilden
--• 341 ♦—
den »festen Pol in der Erscheinungen Flucht«, das Band,
das den IiihaJt der Sätze der Sinfonie verknüpft, das
äußere Zeichen ihrer Zusammengehörigkeit. Gleichviel,
ob man in Berlioz* spezifischer Musikbegabung Talent
oder Talentlosigkeit erblickt, jedermann sollte einsehen,
daß die Einführung und Durchführung des Prinzips der
»idöe fixe«, daß der Versuch, durch thematische Einheit-
lichkeit die verschiedenen Satz« der Sinfonie enger zu
verbinden, eine künstlerische Tat von hoher Bedeutung
ist. Es war der erste und einzige wesentliche Fortschritt,
den die Geschichte der Sinfonie nach Beethoven zu ver-
zeichnen hat, der Punkt, von dem aus sich eine Zukunft
für diese Kunstgattung eröffnete.
Wie Haydn, legt auch Berlioz den zweiten Themen '
nicht viel Wert bei und zieht ihnen eine freie, aber logisphe
Fortsetzung des Hauptgedankens vor. So wird denn hier
in der Themengruppe des ersten Satzes das Hanptthema
mit einem Jubelausbruch begrüßt, der von zwei laut tre-
mollerenden, je einen Takt langen Akkorden aus: g-b-deB-e
und g-h'd-f, in Achtelfiguren hinab und hinaufstürzt. Er
schließt zunächst mit einem innigen Rückblick auf den
Schluß des Hauptthemas, auf dessen letzte Periode:
fi^ I rirTiTTi irTfr
Dann erneut er sich,aber mit Motiven des stillen Entzückens:
<r gemischt , er-
m
f ^f I y . ^ f f yff y .. weitert und
^^^'* ^^ ^'^,^i in der Rieh-
tung bestimm-
ter. Sie läuft geradewegs wieder auf das Hauptthema
zu, das in G dur erreicht, aber nur mit den ersten Noten
aufgenommen wird:
-*= JT 1-«= ^r=*- —= if-:^ "^
— ♦ 342 ♦—
Die mit dem dritten Takte einsetzenden neaen Glieder
fangieren als zweites Thema im Satze und vertreten in
der Durchführung die Stimme des Liebesglücks.
Unser AUegro ist in der seit Haydn üblichen Form
in den drei Hauptteilen: Themengruppe, Durchführung,
Reprise aufgebaut. Die Themengruppe schließt bald nadi
dem Auftreten des als zweites Thema geltenden Gedan-
kens. Die Durchführung ist die Stelle der »Erinnerungen«,
auf die das Programm zum ersten Satz hinweist Nur
sind sie in der Musik nicht so einfach abzulesen wie
dort im Text. Die Reihenfolge der Empfindungen ist
anders, aber insofern wohlgeordnet und übersichtlich, als
den trüben immer helle folgen. Eine wirkliche Schwierig-
* keit für Folgen und Verstehen liegt darin, daß Berlioz in
der Schilderung der Affekte meist ohne Obergänge schroif
abspringt
Die Durchführung beginnt mit einem kleinen Dialog
(von Gdur aus). Die Bässe zeigen wie aus der Ferne im
Halbdunkel das Bild der Geliebten (Anfang des Haupt-
themas), die Bläser in neuen eignen Motiven das Herz
des liebenden jungen Künstlers. Mit dem zweiten Thema
in Cdur schließt diese Gruppe. Nun kommt als zweite
Gruppe die Darstellung jener »Herzensangst«, auf die das
Programm vorbereitet. In den Saiteninstrumenten wühlt
es mit chromatischen Läufen, die Bläser stoßen lange
KlagetOne aus. Die Szene endigt mit einem aufregenden
Sturm nach der Hohe, wie ein Befreiungsversuch aus
schwülem luftlosem Raum, und mit einer erlösenden
Generalpause. Der dritte Abschnitt bringt das Bild der
Geliebten, das Hauptthema in voller Ausdehnung, aber
in Gdur wieder. Dim folgt eine leise beginnende Stelle
des Besinnens erst, dann des Jubels, an die sich ab fünfter
Abschnitt eine kurze Durchführung des zweiten Themas,
die von den Cellis aus nach oben angetreten wird, schließt.
Sie endet mit der Wiederaufnahme vom Ende des Haupt*
themas, das schließlich wie grollend in den Bässen ver-
schwindet. Und nun schließt die Durchführung mit einer
Gruppe, die komplizierter und auch für die Aufführung
— ♦ 343 «^
schwieriger ist, als irgend eine der bisherigen Partien
des Allegro. Die Celli nämlich beginnen eine lange Kette
von Imitationen über den Anfang des Hauptthemas erst
mit den Bratschen, später mit den zweiten Geigen. Die
Holzbläser spielen verlegne oder prüfende Gegenmotive
dazu, die ersten Oeigen wirken nur rhythmisch erregt mit.
Das ist wohl die Schilderung der »eifersüchtigen Wut«
und der dunklen Befürchtungen im Herzen des Liebhabers.
Er ringt sich durch und wir gelangen an die Reprise des
Hauptthemas im ff (Cdur) wie in der Apotheose. In der
Reprise liat Berlioz Beethovensche Einschübe zur Steige-
rung des Ausdrucks des Liebesglücks mit Erfolg versucht.
Es ist die H durstelle, wo die Bässe mit h a fis du be-
ginnen. Die »religiösen Tröstungenc des Programms
kommen in den letzten Takten des Satzes im Anschluß
an den leisen Abschied des Hauptthemas.
Der zweite Satz (Valse, s/g, Adur) hat die Ober-
schrift >Un bal«, ein Ballfest. Das Programm sagt zur
Erläuterung: »Auf einem Ball inmitten des Geräusches
eines glänzenden Festes findet er die Geliebte wieder«.
Berlioz hat namentlich durch den Ball in Romeo und
Julie die musikalische Welt an effektvolle und lebendige
Festszenen gewöhnt wie keiner vor ihm. Die hier ge-
gebene ist bescheiden nach außen, aber durch innerliche
Wärme, durch Poesie und dramatisches Leben in der
Form sehr bedeutend. Wie schön ist beidemal die »id^e
fixet eingeführt, das Zusammentreffen der Liebenden in
der festlichen Menge gezeichnet! Nach einer kurzen Ein-
leitung, welche '^düstre Traumfiguren enthält, nimmt die
Musik den Charakter eines deutschen Walzers an:
Die Durchführung dieses Hauptsatzes wird von er-
regteren, tiefere Saiten des Gefühls anschlagenden, sze-
nischen Charakter tragenden Episoden mehrin als unter-
-^ 344 «^
brochen. In das rauschende Ende des Satses lächelt
Rossini herein.
Der dritte Satz (Adagio, «/g, Fdur) hat die Ober-
BChrift: »Sc^ne aax champs« (Auf dem Lande) und fol*
gendes Programm:
»An einem Sommenbende, auf dem Lande, hört der Künstter
twel Scli&fer, die abwechselnd den Kabreigen blasen. Dieses
Scbiferdueti, der Scbaiuplats, das leise Flüstern der sanft Toim
Winde bewegten B&ume, einige Gründe zor Hoffnung, die ihm
erst kürzlich bekannt geworden, alles vereinigt sich, um seinem
Herzen eine unendliche Ruhe wieder zu geben, seinen Vor-
BteUungen ein lachendes Kolorit zu verleihen. Da erscheint sie
aufs neue; sein Herz stockt, schmerzliche Ahnungen steigen in
ihm auf: jWenn sie ihn hinterginge I* — Der eine Schifer
nimmt die Melodie wieder auf; der andere antwortet nidit mehr
. . . Sonnenuntergang . . . fernes Rollen des Donners . . . Ein-
samkeit . . . Stille.«
Die Musik beginnt mit einem Dialog zwischen Eng>
lisch Hörn und Hoboe, welche sich Motive des Kuhreigens
zurufen. Das Gesamtorchester stimmt bald in die länd-
lichen Weisen ein, bald vertauscht es sie mit dramatischen
Phrasen, welche die Sprache einer zwischen Zweifel und
Hoffnung schwankenden Seele reden. An den Stellen,
wo die »idäe üxe« erscheint, wird der Ausdruck wild er-
regt oder rührend schmerzlich. Der Satz zeigt eine eigen-
tümliche Mischung von Gemütsschilderung und Land-
schaftsmalerei. Berlioz verstand in einem hohen Grade
die Kunst, die dramatische Darstellung seelischer Zustände
mit einer anschaulichen, poetischen Wiedergabe der
äußeren Szenerie zu verbinden. Sein Ghilde Harold and
seine Romeosinfonie enthalten Musterstücke dieser Art
In letzterem Teile erinnert die »Sc^ne aux champs« viel-
fach an das Andante von Beethovens Pastoralsinfonie.
Hier wie dort das Vogelgezwitscher, das Rauschen des
Windes, das Säuseln der Bäume, der Reichtum an natu-
ralistischen Details in den großen Fluß der musika-
lischen Darstellung eingezogen, zuweilen direkte An-
klänge. Das Hauptthema der pastoralen Partie der Szene
345
iat eine gesangvolle Melodie, welche folgendermaßen
anfingt:
AAtiflo
*8ffyir|)rTic7if ifr'fr ifpi
«rtM.
Sie erscheint, so oft sie wiederkehrt, darunter zwei-
mal in Gdur, in immer neuen Reizen des Kolorits und
des Rhythmus. Von großartigem Eindruck ist namentlich
die Stelle, wo Bässe, Celli und Bratschen, alle in viel-
stimmigen Griffen mm mm begleiten. Die Gabe, schOne
mit dem Rhythmus Uif^f und eigentamliche Klinge
zu finden, war Berlioz angeboren. Kurze Zeit, bevor er
seine- Sinfonie fantastique schrieb, studierte er noch
Medizin. Die >idöe fixec beherrscht von der Mitte des
Satzes an die Komposition. Ihr erstes Auftreten bereitet
ein in größter Aufregung einsetzender Gang der Celli
und Bässe vor:
i^^^^^^Ü
^,
poco
ffaoo
Die Geigen werden von seiner verzweifelten Energie
erfaßt und helfen das Bild des in Leidenschaft schlagen-
den Herzens aufs spannendste ausführen. Erst nachdem
das rasende Orchester sich in langen, auf verminderte
Harmonien gestellten Tremolos ausgetobt hat, beginnt
das »Stocken«, von dem das Programm spricht. Die Kla-
rinette beschwich-
sanften Melodie : ^
Ihr folgen die zweiten Geigen mit dem Hauptthema,
dessen Vortrag mit einer Wendung des Aufschwungs
und des Ausdrucks glQcklichster Gefühle schließt. In
^ 346 ♦^
Gdur begann dieser Abschnitt, in F geht er ans. Da
setzt die »idöe fixe« nochmals ein, aber diesmal nicht
verwirrend und verstörend; Hand in Hand mit ihr,
die die Bläser einführen, geht in den Geigen das Haupt-
thema des Satzes. — Den »Sonnenuntergang«, den das
Programm verspricht, aus der Musik herauszuhören, wird
nur wenigen gelingen. Dagegen ist das »Rollen des
fernen Donners« durch ein kleines Extrakonzert auf vier
Pauken sehr deutlich gemacht.
In seinen Memoiren (S. 95 und 110) erzählt Berlioz,
daß die Sc^ne aux champs bei der ersten Aufführung
keine Wirkung auf das Publikum geübt, daß er das Stück,
das ihn bei der ersten Niederschrift schon drei Wochen
aufhielt, im Laufe mehrerer Jahre wiederholt umgearbeitet
und nach den Anweisungen Ferd. Hillers in seine letzte
Gestalt gebracht habe. Es war also ein Sorgenkind und
läßt auch heute noch einen Rest von Unfertigkeit merken,
der die Wirkung seiner schönen Ideen und Absichten etwas
beeinträchtigt
. Dagegen ist der folgende vierte Satz der Sinfonie
(AUegretto non troppo, ^, Gmoll) in einer Nacht ge-
schrieben, ein Werk aus einem Guß. Er hat die Ober-
schrift: »Marche au supplice« (Gang zum Hochgericht) und
wird im Programm folgendermaßen erläutert:
»Dem Jungen Künstler tr&nmt, er habe seine Geliebte er-
mordet, er sei zum Tode verdammt nnd werde zum Richtplatz
geführt Ein bald düaterer und wilder, bald brillanter und
feierlicher Marsch begleitet den Zug; den l&rmendsten Aus-
brüchen folgen ohne Übergang dumpfe, abgemessene Schritte.
Zuletzt erscheint neuerdings die ,id^e flxe* auf einen Augen-
blick, gleichsam ein letzter Idebeagedanke, den der Todesstreicb
unterbricht«
Mit diesem Satze nehmen die Opiumträume des
jungen Künstlers eine abenteuerliche Wendung, eine Wen-
dung, welche uns den eigentlichen Traumgott der Sinfonie
fantastique, ihren Komponisten H. Rerlio% nämlich, zum
ersten Male als Parteigänger jener Blut und Gräuel lieben-
den französischen Neiiromantik zeigt, von der bereits die
^^ 347 ♦^
Rede war. Die Musik zu einem solchen dichterischen Vor-
wurf kann nicht anders als schauerlich sein. Dieser Zweck
schließt Sparsamkeit in den Mitteln der Instrumentation
aus. Kurz vor dem Momente, wo das Fallbeil fällt —
heftiger Schlag des ganzen Orchesters, zwei Pizzikato-
noten des Streicherchors, ungeheurer Wirbel sämtlicher
Pauken und Trommeln — taucht der Gedanke an die Ge-
liebte noch einmal auf. Die »id4e fixec erklingt im
Solo einer schrillen C- Klarinette. Der Stelle geht ein
schroffer Harmoniewechsel von BmoU (Bläser) und Gmoll
(Geigen) voraus, welcher bei den ersten Aufführungen
der Sinfonie in Deutschland die Meinungen beson-
ders erhitzte. Eine tiefere Auffassung der ganzen Szene,
das tragische AU^retto.
Element der- * a^ . a.
selben, kommt *> |i> m 1 [1 1 I J | T \ f * I P ^
in der Melodie: XT
zur Geltung, welche nach einigen einleitenden Perioden, in
der die Kontrabässe vierfach geteilt pizzicato-Akkorde
geben, die Pauken wirbeln, die Homer einfach ernste
Marschmotive anspielen, zuerst dumpf und schwer durch
die Bässe schreitet. Der rhythmische Vortrag, namentlich
die Betonung der einsetzenden Halben kann nicht ent-
schieden genug sein. Die Violinen nehmen- das Thema (in
Es) auf, eine dritte Klausel fuhrt mit den Bässen als Haupt-
stimme wieder nach Gmoll zurück und an den Schluß
des ersten Teils. Die Fortsetzung des Marschbildes ruht
nun auf dem Bdur-Thema:
(^'i'n r ir U£J iLm-rr irfci
Wie sie rhythmisch belebter ist, zieht sie die Aufmerksam-
keit von dem erschütternden Charakter des Vorgangs mehr
auf die Äußerlichkeiten des Schauspiels, auf den Pöbel,
dem jedes Unglück zum Feste wird. Es gibt Stellen, wo
man aus der Begleitung der Themen das Murmeln, Lärmen
und Toben der Menge hört. Zuweilen dringen die Töne
des tragischen Hauptthemas wieder vor. Schließlich setzt
_^ 348 V-
es, von den Posaunen durchgedrückt, im vollen Tutti
wieder ein, geht ins Wilde und zu dem schon geschilderten
Ende über.
Durch die Einlage des Marsches überschreitet die Sin-
fonie fantastique zum ersten Male seit Haydn die her-
gebrachte Vierzahl der Sätze. Berlioz mag daran gedacht
haben, daß, versteckt wenigstens, ein ähnhches Verhältnis
in Beethovens Pastorale vorliegt, oder auch den Marsch
als eine Art Präludium zum Finale gemeint haben. Dieses
als .fünfte Nummer gebrachte Finale hat die Oberschrift:
>Songe d*une nuit du Sabbat« (Traum in der Walpurgis-
nacht) und folgendes Programm:
»Der junge Künstler, glaobt einem HezeaUns beizuwohnen
inmitten grausiger Oespenster, unter Zauberern und vielge-
staltigen Ungebeaem, die sieb sn seinem Begrilbnis eingefunden
haben. Seltsame Töne, Ächzen, gellendes Lachen, /emes Ge-
schrei, anf welches anderes Geschrei zu antworten scheint Die
geliebte Melodie taucht wieder auf, aber sie bat ihren edlen
und schüchternen Charakter nicht mehr; sie ist zu einer ge-
meinen, trivialen und grotesken Tanzweise geworden: sie ists,
die zur Hexenversammlong kommt Freudiges Gebrüll begrüBt
ihre Ankunft .... Sie mischt sich unter die höllische Orgie;
Sterbegellute .... burleske Parodie des Dies irae; Hexenrund-
tanz. Das Rondo und das Dies irae zu gleicher Zeit«
Die Hauptmasse der Musik des Schlußsatzes fällt auf
dies »Ronde du Sabbat«, die Darstellung des Hexenfestes
in der Walpurgisnacht (Äliegro, o/g, Cdur). Die voraus-
gehende Partie verteilt sich auf mehrere durch Tempo
und Charakter unterschiedene kürzere Sätze.
Ein Larghetto in Cdur beginnt gleich mit vermin-
derten Harmonien, fremdartig polternden Baßfiguren,
denen die dreifach geteilten Violinen hohe Tremolos und
bacchanaliscb schlürfende und schleifende Motive ent-
gegenstellen. Das Larghetto ist der Ort der im Pro-
gramm versprochenen »seltsamen Klänge«, soweit sie
ruhiger Natur sind. Am bemerkbarsten macht sich unter
ihnen eine Nachahmung des Hahnenschreies. Es folgt ihm
ein nur acht Takte langes Allegro (<^/8, Cdur), in dem die
--^ 349 ^^
>id^e fixe«, von der Klarinette ppp gebracht, die erste Ver-
zerroog erleidet. So kurz die Stelle ist, so wirkt sie doch
sehr dämonisch durch die Begleitung der beiden Pauken
und der großen Trommel. Schon hier zeigt sich das Finale
der Fantastique als die Fundgrube von Effekten, die mit
Meyerbeer und anderen französischen Opernkomponisten
auch die jüngsten Programmusiker aller Länder fleißig aus-
gemünzt haben. Diesem ersten AUegro folgt ein zweites,
wildtobendes in Es dur. Es leitet zu einem längeren Satz
über (Ällegro, ^/s, Es dur), den das Programm eine »ge-
meine, triviale und groteske Tanzweise« nennt. Die Melodie
der »id^e fixe« erscheint in den schrillen, abscheulichen
Tönen einer hohen Es- Klarinette, lächerlich fratzenhaft
und von Roheit umgeben. Die Szene bricht plötzBch ab
und macht einem ernsten Rezitativ der Bässe Platz. Ihm
folgen — noch heute eine crux für die Aufführung' —
Glocken töne CO, 00. Es ist der denkbar schärfste Kon-
trast an dieser Stelle: Aus dem Höllenqualm gehts un-
vermittelt in Kirchenluft und Weihrauchduft. Das Dies
irae setzt auf folgende Melodie ein:
AUegro. J.a 104
Ophikleiden und Fagotte blasen sie, die Glocken läuten
dazu. Sofort wird sie von Hörnern und Posaunen in
einfacher, von den Geigen in doppelter Verkürzung paro-
diert. Es ist ein freches Stückchen Kunst. Das nun
folgende »Ronde du Sabbat« ist im Hauptteil eine Fuge
über das Thema:
das von den Cellis aus allmählich über das ganze Or-
chester vordringt. Es wird unterbrochen von Zwischen-
^^ 850 ♦^
Sätzen, in denen f und p diabolisch wechseln, von neuen
Motiven der Klage. Nach einem gravitätisch-burlesken
Zwiegespräch von Bässen und Fagotten meldet sich das
Dies irae wieder. Ein neuer Anlauf zur Fuge — d&8
Thema vom zweiten Takt an chromatisch rieselnd —
vertreibt es, bald aber, als die Fuge am tollsten ge^
worden, setzt es dominierend ein. Nun folgt ein Abschnitt,
der als Komposition eine Farbenorgie ist. ' Eine Klang-
teufelei folgt der anderen. Auf einen Satz col legno der
Violinen ein verworren elastisches staccato der Holzbläser,
dann die Ophikleiden im plumpen Sturmlauf und bald
fanatisch erregt das Ende des Satzes, den man nicht un-
recht eine musikalische Höllenbreugheliade genannt hat
Noch näher liegt der Vergleich mit Würtz, dem Brüsseler
Maler.
Ästhetisch abstoßend, ist er technisch eine kompo-
sitorische Virtuosenleistung, durch neue Formprinzipien
auch historisch wichtig.
. Berlioz rühmt (a. a. 0.) die gute Aufnahme, die in
Paris bei der ersten Aufführung der Sinfonie fantastique
Bai, Marche und Sabbat fanden. Börne*) äußert sich be-
geistert über das Ganze: »Es steckt ein ganzer Beethoven
. in diesem Franzosen Alles ist mit Händen zu greifen-«.
Unter den Musikern bildeten sich Parteien für und wider.
Stimmführer der Gegner war F6tis, de]^ in der Revue
musicale dem Komponist alles absprach und nur einen
Instrumentationsinstinkt gelten ließ. Mendelssohn ver-
warf mit befremdendem Haß bekanntlich sogar Berlioz'
Instrumentierung**}. Schumann dagegen tritt in seiner
Neuen Zeitschrift für Musik mit der bereits erwähnten
Kritik warm für die wunderliche Sinfonie ein. Zwei sehr
wichtige Freunde fanden sich in F. Liszt und N. Pagahini.
H Berlioi» »Nach einer sehr gnten Aufführung der Sinfonie fantastique
Uarold ea Italle. am 22. Dezember 1833 — schreibt BerUor — orwarUte mich,
nachdem das Publikum fort war, allein im Saal ein Mann mit
*) Allgemeine musik. Zeitung vom 8. Dezember 1830.
**) M.S Briefe an Moscheies (S. 86).
-^ 351 4^
langem Hur, durchbohrendem Auge, mit einer seltsamen Figur,
ein sichtlich vom Genie Besessener, ein Koloß von einem Riesen,
den ich nie gesehen hatte und- dessen erster Anblick mich voll-
stiUidig verwirrte. Er hielt mich beim Vorübergehen an, um
mir die Hand zu drücken, überhäufte mich mit heißen Lobes-
erhebungen, die mir im Kopf und Herzen brannten. Es war
Paganinil
Einige Wochen später besuchte er mich. ,Ich habe eine
herrliche Bratsche — s^gte er — , ein wundervolles Instrument
von Stradivarius, und möchte es gern öffentlich spielen. Aber
ich habe keine Musik dafür. Wollen Sie mir nicht ein Bratschen-
solo schreiben? Für diese Arbeit habe ich Vertrauen bloß zu
Ihnen.* — Gern, antwortete ich, das schmeichelt mir mehr als
ich sagen kann; aber um Ihren Erwartungen .zu. entsprechen,
um in einer solchen Komposition eine Gelegenheit zum Glinzen
zu geb^n, die eines Virtuosen wie Sie würdig ist, muß man
Bratsche spielen und das kann ich nicht Sie allein, scheint
mir, könnten die Aufgabe lösen. ,Nein, nein, Ich bestehe darauf,
— sagte Paganini — , es wird Ihnen gelingen j was mich betriift,
'so bin ich jetzt zu leidend zum Komponieren, ich kann nicht
daran denken.*
Ich versuchte nun, um dem berühmten Virtuosen gefUllg
zu sein, ein Bratschensolo zu schreiben, aber ein Solo, das der-
artig mit dem Orchester verbunden wire, daß es die Instrumenten-
masse In ihrer Äußerung nicht b'eeintrichtige, dabei war ich
gewiß, daß Paganini durch seine wunderbare Vortragskunst dem
BratscJiensolo immer die herrschende BoUe behaupten würde.
Die Absicht erschien mir Ueu, bald bildete sich bei mir ein
ziemUch glücklicher Plan, und leidenschaftlich ging ich an seine
Ausführung. Der erste Satz war kaum fertig, als Paganini ihn
seilen wollte. Beim Anblick der Pausen, die die Bratsche im
AUegro zu z&hlen hat, rief er: ,Das ist nicht das Rechte: ich
schwelge viel zu viel darin, ich muß immer spielend Ich habe
es gleich gesagt, antwortete ich. Sie wollen ein Bratschen-
konzeit haben, und Sie sind augenblicklich der einzige, der das
schreiben kann. Paganini erwiderte nichts, er schien enttäuscht
und verließ mich ohne weiter von meinen sinfonischen Skizzen
zu sprechen . • • •
^
--♦ 352 ♦^
Nachdem ich mich überzeugt hatte, daB mein Kompoeitions^
plan ihm nicht passen konnte, entschloß Ich micb, ihn in an-
derer Richtung und ohne mich nm die Dankbarkeit der Bratscben-
partle zo kümmern, doch auszuführen. Ich nahm mir Tor, eine
Reihe Ton Szenen für Orchester zu schreiben, in die sich die
Solobratsche wie eine mebr oder minder teilnehmende Figur,
die Jedocb immer ihre eigene Art festbielt, elnmiscben sollte,
leb wollte in der Solobratscbe, indem icb sie in die Ifitte der
poetischen Erinnerungen stellte, die meine Wanderungen in
den Abmzzen' bei mir hinterlassen hatten, eine Art melan-
cholischen Triumer hinstellen, UDgefihr so wie es Byrons Ohilde
Barold ist.«
Soweit Berlioz selbst über die Entstehungsgeschichte
and den Charakter seiner zweiten Sinfonie, die am 23. No-
vember 1834 mit vollem Erfolg zum ersten Male aufgeführt
und dann ab op. 16 veröffentlicht wurde. Sie dichtet
einige der musikalischen Behandlung entgegenkommende
(^ehenszenen von Byrons »Childe Harold« in freier Art
aach und ergänzt und beschließt dieselben mit einem neu
erfundenen Finale im Stile der französischen Neuromantik.
Eigen ist in der Anlage dieser Sinfonie das in allen
Sätzen durchgehende Bratschensolo, in welchem das kon-
zertierende Element der alten Vorhaydnschen Sinfonie
concertante wieder einmal in dichterischer Bedeutsam-
keit auflebt. In der poetischen Ökonomie des Werkes .
repräsentiert es die Partie Harolds, des Helden, ähnlich .
wie in der Sinfonie fantastique die »id^e fixe« die Geliebte
oder den Gedanken an sie vertritt. Nur tritt diese vor-
Mriegend episodisch auf, Harold ist dagegen immer dabei,
führt oder läßt sich fähren. Das Leib- und Leitthema
des melancholischen Ritters, welches diesen bis zu seinem
letzten Atemzuge begleitet, ist folgende in den Anfangs
noten aus Haydns >le matin« bekannte Melodie:
Adagio.
--♦ 353 ♦—
Der erste Satz zeigt uns >HaroId in den Bergen c.
vUarold aus Montagties: Seines de inölancolie, de bonheur
et de joie.) Er besteht aus einer langsamen Einleitung
(Adagio, >/«, GmoU-Gdur) nnd einem bewegten Satz in
Sonatenform (Allegro, Vb» Gdur).
Der langsame Satz, der nicht weniger als 94 Takte
umfaßt, geht hierdurch schon äußerlich über den Charakter
einer gewöhnlichen Einleitung hinaus. Er hat die Auf-
gabe, uns das düstere, blasierte, aber durch edle und
liebenswürdige Züge Teilnahme und Mitleid weckende
Grundwesen Harolds zu schildern und beginnt mit der
Szene der Melancholie, auf die die Oberschrift des Satzes
hinweist. Sie hat die musikalische Form einer Fuge er-
halten, der das von Bässen und Cellis zuerst aufgestellte
Thema:
Adagio. J s 78
zu Grunde liegt, ein treffendes melodisches Abbild düster
hinbrütender, schmerzlich^ auffahrender Stimmung. Die
Bläser, Fagotte,' Hoboe, Klarinette mit Hörn, Flöte geben
zunächst nacheinander einen chromatisch jammernden
Kontrapunkt dazu und vereinen sich dann zum Schluß
der ersten Durchführung (15. Takt) zum Vortrag der
Haroldmelödie. Aber sie steht hier in Moll. Die Fuge
hebt jetzt pp vom neuen an, aber schon mit der zweiten
Stimme hört sie wieder auf und geht schnell zu einem
lauten Schluß in GmoU. Bei diesem Akkord setzt die
Harfe mit Arpeggien ein , im zweiten Takt bereits über-
rascht sie mit Gdur. Es entsteht eine plötzliche Helle, in
der nun die Solobratsche mit Harold und seiner Melodie in
der oben angegebenen Originalform hervortritt. Sie wird
ganz leise wiederholt, als ob alles atemlos lauschte. Das
veranlaßt Harold sich zu zeigen, sich freier zu geben, er
schließt virtuosenmäßig keck und übermütig mit Passagen
einfach und in Doppelgriffen, Resten einer auf Päganini
gemünzten Erfindung.
Kretziclimar, F&hrer. I, 1. 23
354
Nach dem Schloß dieser brillanten Solostelle wird das
Haroldthema vom vollen Orchester aufgenommen and
zwar in der Form eines Kanons, als wären aDer Seelen
von dem schönen Gesänge voll. Die Trompeten, die Harfe,
Cello, Fagott singen vor, die Holzbläser und Solobratsche
singen in eines Viertels Abstand als zartes Echo nach;
in den Violinen und Tuttibratschen erheben sich Zwei-
unddreißigstelfiguren nach oben, als wenn der Morgenwind
den Nebel teilt. Mit dieser Klärung und Aufheiterung in
sanften Tönen schließt der langsame Einleitnngssatz, eins
der schönsten unter den vielen schönen Tonbildem der
Sinfonie. — Das Allegro, welches ihm folgte ist ein breit
ausgeflUirtes Pastoralgemälde, stilistisch und materiell dem
ersten Satze von Beethovens siebenter Sinfonie verwandt
Seine beiden Themen sind:
AUeg'ro.
nd dasMendelssohnsche
t i * jj^U."^ \^r^m
Den Szenen, welche auf Grund dieser teilweise etwas
spröden Melodien entrollt werden, mischt Harold mit den
Tönen seiner Bratsche abwechselnd Jubel und Trauer ein.
Der Anfang des Allegro bringt das Hauptthema noch
nicht in der hier mitgeteilten Form, sondern zunächst
noch unfertig, durch Pausen und durch die Instrumen-
tierung zersprengt. Harold erhebt gegen den neuen Ton
Einspruch: höchst sonderbar geigt er sechs Takte lang
auf dem untersten Ton seiner Bratsche, dem o, dagegen
an. Dann aber ist er es, der die vom Orchester ver-
tretene Menge in Schwung und auf den richtigen Weg
bringt. Wie er sie erst aus dem Zögern fortreißt^ so be-
schwichtigt er nun bei seinem zweiten Einsatz ihren
Sturm. Mit einem langen Ton erbittet er sich allgemeine
— ^ 355 ^ —
Anfmerksainkeit und Stille; dann spielt er sich allmäh-
^ch in die .fließende Melodie hinein. Das chromatische
Motiv in ihr, das dem Wesen Harolds so natürlich ent-
springt, scheint seinen jetzigen Genossen Schwierigkeiten
zn machen. Augenscheinlich verstehen sie nicht recht:
woher und warum der trübe Klang mitten in der Freude?
Es entspinnt sich nm ihn eine kurzgegliederte Ausein-
andersetzung zwischen Solo und Chor. Sie schneidet
ganz unvermutet, wie mit einem väterlichen Machispruch
der Einsatz des zweiten Themas ab, dessen gemütlicher
Inhalt ganz ausgezeichnet für den Mund des — vom Cello
begleiteten — Fagotts paßt. Auch Harold nimmt es mit
seiner Bratsche auf und bringt es aus fremder Tonart
{F, B) in das normale Ddur. Schon im ersten Takt aber
reißt er sich unwillig, nach Höherem verlangend, los. Die
Themengruppe nimmt ein plötzliches Ende und die Durch-
führung beginnt mit wilden Figuren Harolds, denen das
Orchester verwirrt und erschreckt gegenübersteht. Nach
16 Takten endlich tritt wieder Sammlung und Ordnung
ein. Harold intoniert das Hauptthema erst in Desdur,
dann in Dmoll. Das Orchester spielt es nun mit an, in
Bdur, in Hmoll. Endlich ist ein sicherer Boden mit Cdur
erreicht Die Melodie kommt in ihrer vollen Größe, es
wird nach G dur moduliert, also in den freundlichen Stim-
mungskreis des Anfangs zurückgekehrt und zwar mit wört-
lichen Wiederholungen. Auch das zweite Thema kommt
wieder und wieder unerwartet, diesmal in Gdur, und man
verweilt etwas länger, beschaulicher und ruhiger dabei
als vorhin in der Themengruppe. Die Bläser haben es.
Diesmal machen ihm aber die Violinen ein Ende mit
einer Sechzehntelfisur, die im energischen crescendo nach
oben geht und j j"! mit dem das Hauptthema beginnt,
auf dem Motiv KJ^ ^ wie in einem Rausch von Freude
und Kraftgefühl bedrohlich tobt. Eine General pause. Die
Besonnenheit kehrt zurück: Wir hören kurz, aber viel be-
deutend einen Anklang an den chromatischen Teil des
Themas: im sechsten Takt setzt es selbst ein, in der Solo-
bratsche und den vier Fagotten unisono in G dur, der Haupt-
23 ♦
^-» 356 ♦^ •
tonaxt, gebracht. Die übrigen jßläser nehmen es in Z> aof.
Man Will verweilen, aber die Perioden und Metren hai>en
etwas Unregelmäßiges, das nicht viel verspricht, und siehe
da: bald stehen wir vor Fermaten auf verminderten Akkor-
den, unverkennbaren Zeichen der Verlegenheit! Dieser
Punkt würde ungefähr den Schluß der Durchfiihrung nach
dem von den Klassikern beobachteten Brauch bilden
müssen. Berlioz hat in dem ersten Satz derHaroldsinfonie
den üblichen Abschluß durch die erweiterte, aber im wesent-
lichen wörtliche Wiederholung der Themengruppe ver-
mieden, ppy aber mit einer gewaltsamen Wendung der
Phantasie geht er mit einigen Orchesterarpeggios von
jenem Verlegenheitspunkt und dem verminderten &^Hfia-g
nach Gdur herüber und bringt die Haroldsmelodie, die
wir seit der Einleitung nicht gehört haben, in einem
Fugato — dem zweiten seiner Art in diesem Satze — ^
das die Kontrabässe beginnen. In den Bläsern tauchen
dazu noch Brocken des zweiten Themas auf. Der beab-
sichtigte Aufschwung ist damit erreicht. Von Barolds
Geist — das will wohl Berlioz sagen und schildern — ist
ein Hauch in die Masse gedrungen. Dithyrambisch stimmt
sie mit ein in den Hymnus der Lebensfreude, zu der den
hingerissenen Melancholiker die Schönheit der Natur,
der Anblick und die .Gesellschaft einfacher harmloser
Menschen gezwungen hat. So geht vom Ritter zum Volke
eine beständige Wechselwirkung, beide Teile empfangen
voneinander und heben sich gegenseitig. Die mächtigste
Stelle dieses Schlußabschnittes ist wohl das zweimal vor-
überrauschende Unisono des vollen Orchesters mit seinen
grandios humoristischen Sprüngen und dem Feuer der
Begeisterung, das aus Melodien und Harmonien leuchtet.
Der zweite Satz der Sinfonie (Allegretto, V«! Bdur)
heißt »Marche des P^lerins chantant la priöre du soir«
(Pilgermarsch und Abendgebet). Sein Hauptthema bildet
ein frommes einfaches Marschlied:
AUa^ratto.
--t 357 «^
Alle acht Takte wird dasselbe von einer Unisono-
phrase der^ , , . . ■ i ■ ■ ■ ■ i-^ welche
Bläser nn-gfi TTTJTTf^ JJJjjJ'JJJJJ =anschan«
terbrochen: ^::^zi====aB:i^— — jj^j^ g^.
nng die ihre Litanei hersagende Wallfahrerschar vorführt.
Das Bild einer psalmodierenden Gemeinde suchte Berlioz
anch in seinem Requiem, das der Haroldsinfonie zu-
nächst folgte, wiederholt wiederzugeben. Die Mitte des
Satzes nimmt der Vortrag eines feierlich religiösen, in
den ruhigen Rhythmen der alten Zeit geführten Hymnus
ein, dem Berlioz die Oberschrift »Canto religiöse« gibt.
Harold, der vorhin, als die Pilger näher kamen, sie mit
seinem Thema begrüßt und dann ab und zu seine Nähe
mit leisen Arpeggien bekundet hat, stimmt in das Pilger-
lied merkbar ein, die Bässe setzen in dezenten Pizzi-
catotönen den Rhythmus des Marsches fort. Noch einige-
mal hören wir wie vom weiten das fromme Wander-
lied, dann gehen die Töne schlafen. Nur die Glocken
des nahen Klosters, die uns am Anfang des Satzes (in
der Harfe: OH) empfingen, treten wieder vor. Es kommt
die Nacht und stille Sterne blinken. Die kleine Kompo-
sition ist ein Meisterstück, in welchem die Realistik der
Darstellung nur dazu dient, die Poesie des Bildes noch
beredter zu machen. Sie war die Frucht einer glück-
lichen Eingebung in der Dämmerstunde am Kaminfeuer.
In S Stunden — erzählt Berlioz a. a. 0. -^ war der Marsch
fertig und erntete gleich bei der ersten Aufführung einen
vollen Erfolg; trotzdem hat der Komponist noch 6 Jahre
lang daran gefeilt und verbessert. Er hat durch Einzel-
aufführungen den übrigen Sätzen und der Sinfonie den
Boden und eine freundliche Stimmung auch in geg-
nerischen Lagern bereitet.
Der dritte Satz: (Allegretto assai, ^/g, Cdur), be-
titelt: »Sörönade d*un montagnard des Abruzzes ä sa
maitresse« — »Ständchen in den Abruzzen« — , beginnt
mit einem kleinen Scherzosatze, welchem wahrscheinlich
eine italienische Originalmelodie zu Grunde liegt Die
italienischen PifTerarii, die ja auch. Händel in seinem
— • 358 *—
»Messias« verewi^^ hat, waren seit alten Zeiten an drol-
ligen, schelmischen Weisen reich und bringen sie noch
heute auf die deutschen Märkte:
Anaf ro Miai.
Piccolo und Hoboe blasen das zusammen, und Bratschen
mit Klarinetten geben in ausgehaltenen Tönen und trägen
Harmonien das nötige Dudelsackkolorit dazu. Nun tritt
der Liebhaber auf und stimmt auf dem englischen Hom
eine schmachtende, anmutig^, gutgemeinte, zuweilen
stockende, schflch- ^ AiiegTetto. ^
in welche die Gefährten helfend und hingerissen einfallen.
Auch Harold stimmt mit ein und sinnt noch den rüh-
renden Tönen der Liebe nach, als die Dorfmusikanten
schon längst nach Hause gezogen sind. Seine breite
Melodie trägt in das Stückchen italienischer Dorfge-
schichte, das Berlioz hier mit einem virtuosen Humor
entrollt, der wohl nur in seiner Ouvertüre zum Camaval
Romain ein Seitenstück findet, einen edlen und feierlichen
Zug hinein.
Die Idee des Harold-Finale müssen wir ebenso wie
die vom Schlußsatz der Fantastique ablehnen. Wie man
aus Liszts langem Aufsatz über die Sinfonie ersehen
kann*), hat dieses Finale in Frankreich und in früherer
Zeit doch zuweilen dämonisch gewiikt. Heute — und in
Deutschland wohl von jeher — versetzt es auf den
Boden, auf den sich die Räuber- und Rittergeschichteu
von Spies und Gramer bewegen. Berlioz* Satz schildert
das Ende des in Gesellschaft von Banditen zugrunde ge-
henden Harold in Zügen, die zum Teil rührend sind.' Er
beginnt wie das Finale der neunten Sinfonie mit Remi-
niszenzen an die früheren Sätze. Vor Harolds Geist tritt
die fugierte Einleitung aus dem ersten Satze, der Pilger-
*) Gesammelte Schriften von Frajiz LisKt, lbb2, S. 3 u. ff.
-^ 359 0^
marsch zieht vorüber; ala letzte ErinueruDg an reinere
Zeiten tönen Fragmente aus dem Ständchen: Die wilde,
wäste Orgie mit ihrem brutalen, versteckt an das Harold-
motiv anklingenden Hauptthema:
AUegro tranqnlllo.
-^
Qilf ^pfLl N
J^ yj 3 liJ l]J ^ t| j I r *i j\ i t/'. etc. verschlingt al-
3i- mf -7 f les. Unter ihren
grausamen Attacken zerbricht auch Harolds Thema und
verflattert in Brocken. Zuweilen werden die wütenden
Triller, die l>acch an tischen Läufe und die grotesken,
nirgends verfahrerischen , frechen Tanzweisen der Ban-
ditenmusik, die sich gern auch soldatisch stolz gibt:
jhi. r^rrrr.r^iff-^Y^*"-'^'i^rr II
durch unheimliche Klänge unterbrochen, welche Gewissen,
Reue und Strafgericht zu repräsentieren scheinen. Diö
weichste und ergreifendste Stelle des Satzes ist wohl
die; wo nach dem dritten Einsatz des eben angeführten
Themas (in Gdur) der Pilgermarsch — in einem Neben-
saal von Solisten gespielt — erklingt. Die Wallfahrt
zieht draußen vor der Grotte vorbei. Tannhäuser in ähn-
licher Lage flieht; Harold stirbt. Zum letztenmal sucht
er stammelnd nach seinem Thema; er findet die Inter-
valle nicht mehr.
War Berlioz in seiner »Fantastique« und in seinem
»Harold« darauf ausgegangen, unter Einhaltung der Beet-
hovenschen Formen den Inhalt der reinen Instrumental-
sinfonie faßlicher zu gestalten, so hatte er dabei das
Glück nur zum Teil auf seiner Seite gehabt. Volle Triumphe
feierte er in beiden Werken nur mit den Mittelsätzen, die
sich auf dem alten Glanzgebiete französischer Kunst, der
Ballettmusik höchsten Sinnes, bewegen. In den langen
Ecksätzen dagegen offenbaren sich die Blößen seiner
--♦ 360 ♦—
musikalischen Begabung und Bildung, so oft es auf me-
lodische und motivische Entwicklung ankommt; groß sind
hier, von einigen feurigen Obergängen abgesehen, nur
die Stellen, wo das volle Thema wiederkehrt Nun ver-
suchte er im Jahre 1839 mit einem dritten Werke eine
Änderung sowohl jener Formen selbst, als auch des bis-
herigen Sinfoni'ebegrifTs. Es ist die Sinfonie »Romeo
uüd Julie« (op. 17j, mit der der Komponist eine neue
Gattung zu gründen gedachte, die er dramatische
Sinfonie nennt. Sie vergrößert die Zahl der Sinfonie-
sätze und mischt in ihnen reine Instrumentalmusik mit
einfacher Gesangmusik und Oper. Einen Vorläufer hatte
H. Berlloiy Berlioz diesem Werk in seinem »Lelio« vor|iusgeschickt
Leiio. Diese Komposition war ais Ergänzung zur Sinfonie fan-
tastique, mit der sie die Opuszahi gemeinsam hat, ge-
dacht, sollte schildern wie der junge Künstler aus seinen
schrecklichen Träumen erwacht und zum Leben zurück-
kehrt. Daher ihr Nebentitel »Le retour ä la vie«. Berlioz
gibt ihr die Gattungsbezeichnung >Monodrame« und fügt
dem Instrumentenspiel und dem Gesang als drittes Mittel
der Darstellung noch gesprochnen Dialog hinzu. Doch
ist dieser Lelio nicht zu größerer praktischer Bedeutung
gelangt.
H. Berilos, . Eine Mischung der Kunstmittel, wie sie Berlioz in
Romeo und Romeo und Julie versucht, ist ungewöhnlich, unbequem,
^^^ aber an und für sich weder unsinnig noch unmöglich.
Für Berlioz mag die nächste Anregung aus dem Finale
von Beethovens neunter Sinfonie gekommen sein; das
Verfahren, in der Darstellung einer Idee mit Vokal- und
Instrumentalsätzen abzuwechseln, ist aber schon älter.
Aus dem 17. Jahrhundert bieten die sogenannten öster-
reichischen Kaiserwerke*) bequem erreichbare Beispiele,
jeder Musikfreund weiß, wie Bach und Händel, jener im
>Weihnacbtsoratorium«, dieser im »Messias«, die Schilde-
rung der heiligen Nacht mit den »Hirten auf dem Felde«
in Instrumentalsinfonien geben. Das Wagnersche Musik-
♦) Stelle S. 28.
— • 8Ö1 «U
drama und das neue Lied seit Schamann zeigen eben-
falls, wie Gesang nnd Instrumente sich ebenbürtig und
zum Besten des Gesamteindrucks in die Darstellung teilen
können. Werden in eine Sinfonie Gesangsätze und in
ein Chorwerk Instrumentalsätze eingefügt, so wird es
immer darauf ankommen, daß diese Mischung so ver>
schiedner Elemente Gründe der Notwendigkeit für sich
hat, den Hauptabsichten und den Grundideen des Kunst-
werks zugute kommt und seine Wirkung bis zu einer
Stufe hebt, die ohne jenes Mittel nicht erreichbar war.
Von diesen Gesichtspunkten aus kann man sich nicht
darüber täuschen, daß auch »Romeo und Julie c ähnlich
wie die Fantastique und Harold nur der Versuch, aber
nicht das Muster einer neuen Gattung ist. Die »Sinfonie
dramatique«, die Berlioz mit diesem Werke in die Or-
chestermusik einführen wollte, mag eine Zukunft haben
— aber nur dann, wenn ihre Vertreter kritischer zu Werke
gehen, als das Berlioz getan hat. Ihm bleibt wieder das
Verdienst, den Pfad gewiesen zu haben, ihm der Ruhm,
in dem neuen Werke viel Schönes und Ergreifendes und
Merkwürdiges, zum Teil in ganz neuer Art geboten zu
haben. Aber wer sich nicht über die Schwächen und
Mißgriffe in dieser dramatischen Sinfonie klar ist, bezahlt
seine unbedingte Begeisterung mit einer etwas teuem
Verwirrung seines künstlerischen Urteilsvermögens.
Äußere Gründe mögen Berlioz abgehalten haben,
Romeo und Julie, wie so viele Komponisten vor und neben
ihm, einfach als Oper in Musik zu setzen. An der Bühne
gab es, wie sich soeben gelegentlich des Benvenuto Cellini
gezeigt hatte, viel mehr Verdruß, Ärger und Aufregung
als im Konzertsaal, wo Berlioz bereits festen Fuß gefaßt
hatte. Er selbst sagt in seinen Memoiren über die Ent-
stehung zu dem seltsamen Plan seiner Sinfonie drama-
tique nichts, erzählt uns nur von dem Entzücken, in dem
er sich während der Arbeit befunden, von der Schnellig-
keit, mit der er sie — innerhalb von 7 Monaten — voll-
endet habe, und läßt an mehr als einer Stelle durchbhcken,
daß er mit dieser Komposition dem Geist Shakespeares
— ♦ 362 «^
eine durchaus würdige Huldigung gebracht zu haben
glaubte. In der Meinung, etwas vom Besten gegeben zu
haben, widmete er die Sinfonie Nicolo Paganini, der ihn
kurz vorher, nach der letzten Aufführung des Harold,
großmütig — die böse Welt meinte aus Berechnung*) —
mit dem Zeitgemäßen Geschenk von 20000 fr. überrascht
hatte.
Auf dem Titelblatt der Partitur steht »composöe
d'apr^s la Tragödie de Shakespeare«; diese Wendung läßt
Freiheiten und Abweichungen zu. Im ganzen aber haben
wir keinen ausreichenden Grund daran zu zweifeln, daß
Berlioz mit seiner Sinfonie ein Abbild der großen eng-
lischen Liebestragödie geben und, ähnlich wie es Schu-
mann später mit dem dritten Teil seiner Musik zu Goethes
Faust wirklich gelungen ist, die Wirkung dieses Kunst-
werks vertiefen wollte. Die Aufgabe dachte er sich wohl
so, daß die gefühlsreichsten Situationen des Dramas dem
Orchester zugewiesen würden, der Gesang sollte bei der
Darstellung verwickelter, an Konflikten reicher Szenen
zu Hülfe kommen und außerdem die Verbindung und
Vorbereitung der musikalischen Hauptbilder übernehmen.
Im großen ganzen hat Berlioz dieses Programm auch
eingehalten; nur hat er es um rein musikalischer Effekte
willen mehrfach getrübt und auch der Instrumentalmusik
Leistungen zugemutet, deren sie nicht fähig ist. Der
erstere Fehler tritt in der Stellung des Prologs hervor
und in der ungeheuren Bedeutung, welche in der Sinfonie
der im Drama ganz unwesentlichen Erzählung von der
Fee Mab gegeben ist; der andre namentlich am Eingang
der Grabszene.
Die Sinfonie besteht aus folgenden 8 Nummern:
1. Introduktion, 2. Prolog, 3. Ballszene, 4. Gartenszene,
5. Fee Mab, 6. Juliens Begräbnis, 7. Grabszene, 8. Finale,
In der Natur des Prologs liegt es, daß er ein Werk
eröffnet. Wenn Berlioz den von Romeo und Julie hinter
*) Ad. Jallieo: Berlioz, 1888, S. 133. F. Ulller: Künstler-
leben, 1888, S. 89.
— ♦ 363
die iDstrumentalintroduktioii setzt, so könnte er sich auf
altvenetianiscbe Präzedenzfälle aus dem 17. Jahrhundert
berufen, bei denen bekanntlich dem gesungnen Prolog
noch eine gespielte Ouvertüre vorausging, gleichsam der
Prolog doppelt gegeben wurde. Bei Berlioz hat es aber
eine andre Bewandtnis: Ihm kam der Anfang des Werks
mit dem berichtenden Prolog zu ri^hig und zu matt vor.
Er wollte den Zuhörer zunächst erst einmal in Bewegung
bringen. Seine Instrumentalintroduktion (Allegro
fugato, (^, H moll) ist gar keine Introduktion im üblichen
Sinne des Wortes, sondern sie versucht den Inhalt der
ersten Szenen Shakespeares wiederzugeben, sie führt
mitten in die Handlung hinein: in die Straßenkämpfe der
Geschlechter der Montechi und Capulets. Ein Zusatz
zur Überschrift der Nummer: Combats — Tumulte —
Intervention du Prince (Streit und Auflauf, der Fürst er-
scheint) spricht das noch ausdrücklich aus.
Die Musik sucht jene Kämpfe, ihre Aufregiing und
ihre Zwischfälle mit einer Fuge zu veranschaulichen,
die die Bratschen mit dem Thema:
j{^»<|^j>jTl|,JJJ IjJ^Jl^iJJjlJJI
anfangen; Celli, erste,
zweite Violinen folgen
und nehmen sich dabei
mancherlei Freiheiten mbezug auf Tonart und Intervalle
gegenüber den Gesetzen, die die Schule für Beantwortung
und Aufnahme von Fugenthemen stellt. Das Thema
selbst hat in dem mit scharfem Triller einsetzenden Motiv
seinen wichtigsten Bestandteil und gelangt auf seinen
vollen Umfang durch sogenannte Sequenzen , d. i. w'brt-
liehe oder freie Wiederholungen eines Grundmotivs. Hier-
durch erhält der Satz einen auffallend regehnäßigeii
Charakter. Berlioz scheint an den Anstand und das
strenge Ceremoniell gedacht zu haben, das im Mittelalter
die Turniere der Ritter beherrschte. Aufgyegter und
~-e 364 ♦^
eifriger wird die Introduktion erst mit dem Fismoll beim
Zutritt der Blasinstrumente. Das ist ungefähr die Stelle,
wo bei Shakespeare zu den Dienern und Angehörigen
der Capulets und Montechi sich die Bürger von Verona
mit Knütteln gesellen: »He! Spieß* und Stangen her!
Schlagt auf sie los!« Als bald darauf die Haupttonart
HmoU wiederkommt, dröhnt in Hörnern und Kontra-
bässen der Grundton in halben Noten : Es sind dumpfe
Schläge: die Glocken läuten Sturm, in fernen Gassen er-
wacht das Volk und sammelt sich. Auf dem Platz sind
die Parteien zum erstenmale hart aneinander geraten.
Die beiden Gegner treiben einander vom /ü bis zum 7".
Auf diesem Tone sitzen sie fest acht Takte lang; be-
drohlich steigen von unten die Bässe nach der Höhe.
Da löst eine schnelle Modulation nach Adnr den Wirr-
warr, die Fuge setzt vom neuen an : das Thema diesmal
in den ersten Violinen in Ddur aber ^ uod von allen
Instrumenten des Orchesters im stärksten Ton begleitet,
die Hörner kurz und entschieden, die Posaunen mit einer
wohlgemut kampfesfrohen Melodie. Das Thema gelangt
an die zweiten Violinen; noch ehe sie es an die Celli ab-
gegeben haben^ ist mit den Trompeten zugleich der voll-
ständige Sturm da; keine Ordnung mehr, kein Sinn fflr
Fuge und Vernunft, sondern die vollständige Empörung!
Wie lange, alles vernichtende Wogen zischen die Akkorde
des Tutti hin. In diesem Augenblick geschieht etwas
Überraschendes: Es wird still, die Rhythmen kommen ins
Schwanken, das Fugenthema nimmt Reissaus, wir hören
nur noch wie vom weiten Bruchstücke: eine spannende
Fermate! Ihr folgt, von sämtlichen Posaunen und der
Ophikleide im Einklang und Oktave vorgetragen, eine
seltsame Melodie:
n^roBein^ini p«o mena et wnc !• oaraeur« du roeltoUf.
Sie bezeichnet das Auftreten des Fürsten von Verona,
seine Anrede an die streitenden Haufen. Voll Hoheit
--» 366 ♦^
und Verwunderung klingt sie in diesem Eingang doch
noch gütig; erst im weiteren Verlauf wird sie wetternd
und donnernd. Shakespeares Fürst ist gleich von An-
fang an ungehalten und aufgeregt: »Aufrührerische Va-
sallen etc.«
Die Annahme liegt nahe, daß diesem Rezitativ da6
Finale von Beethovens neunter Sinfonie zum Vorbild ge-
dient hat Der Prozeß ist beidemale derselbe: dem Chaos,
dem Tumult gegenüber die Bässe als Ordner!' Verstehen
und richtig deuten läßt sich die Stelle ohne Schwierig-
keit, vorausgesetzt, daß der Hörer soviel guten. Willen und
Scharfsinn mitbringt, als die Programmusik jederzeit vor-
aussetzen darf. Hat doch Berlioz durch die Oberschrift
des Satzes der Phantasie vorgearbeitet! Berlioz hat dann
wieder vorbildlich auf Liszt und den ersten Satz seiner
Dante-Sinfonie gewirkt.
Die Rede des Fürsten wiederholt von höhrer Stufe
aus die drei Glieder, in denen sie zuerst vorgebracht
wurde, wird herrischer und strenger. Am Schlüsse, da
wo die Bassinstrumente vom vollen Orchester abgelöst
werden, wo die Hörner wie entsetzt nachschlagen, die
Harmonie immer wieder dasselbe Fis anschlägt und ver-
klingen läßt, da wo mit einem - Worte das Leben der
Musik erstarren will, da muß wohl das Wort »Todes-
strafe« gefallen sein. Ein schnelles Ende folgt dieser
Stelle, leise und kleinlaut steht das Fugenthema noch
einmal auf, dann klingt es nur noch in Bruchstücken an,
zuletzt bleibt das Trillermotiv ganz unsinnig in den Cellis
hängen; bald ist alles verschwunden. In diesem Schluß
der Instrumentalintroduktion von Romeo und Julie lebt
eine starke Poesie. Auch im ganzen ist der Satz einer
der besten in der Sinfonie, geeignet und wohl wert für
sich ^Uein gekannt und aufgeführt zu werden, an male-
rischer Kraft und Eigenart ein echter Berlioz ersten
Ranges, durch den Inhalt noch mit der gleichaltrigen
Ouvertüre »Carnaval Romain« nahe verwandt.
Der aus angegebenen Gründen auf die zweite Nummer
verschobene Prolog der Sinfonie ist iür Solostimmen, für
^
366 •—
dreistimmigeD Chor (Kontraalt, Tenor und Bass) und Or-
chester komponiert. Wie bei allen Gesangsnummem von
Romeo und Julie hat auch hier Berlioz selbst den Text
entworfen, Emil Deschamps brachte ihn in Reime, ein
gewisser Freifoerg hat ihn in oft holpriges Deutsch
übersetzt. Der Zweck des Prologs ist der: den Inhalt
des Dramas kurz zu erzählen. Der Chor ist der Träger
dieser Erzählung; wichtige Punkte hebt Berlioz durch
Sologesang und durch kleine Instrumentalsätze hervor.
Der erste Abschnitt beginnt mit einem Harfenakkord
ifis-ais-cü). Dann fängt der Chor an, eine Erklärung zu
geben zu der Szene, die wir soeben in der Orchesterin-
troduktion erlebt haben. Der Chor singt oder deklamiert
vorwiegend im unisono; es. ist nur wenig Harmonie in
seinen Satz gemischt, aber dann sehr wirksam. Der
ganze Abschnitt macht dadurch, daß er an den litur-
gischen Ton erinnert, einen sehr ehrwürdigen und alter-
tümlichen Eindruck, ganz besonders in der Schlußmodu-
lation, die uns bei den Worten »encore recours« (»fortan
erkämpft«) außerordentlich fein und Phantasie bezwingend
nach Dmoll führt. Ein feierlich an- und abschwellender
Akkord der Messingbläser, von der Pauke unterstützt,
schließt ab.
Der zweite Abschnitt erzählt vom Waffenstillstand
der Parteien und vom Fest bei Capulet Hier ist das
Erscheinen Romeos ausgezeichnet durch einen unbe-
gleiteten Sologesang des Alts, der mit einfachen Mitteln
der Tempo Verzögerung, chromatischer Melodieführung,
des Wechsels der Tonstärke sehr ausdrucksvoll und be-
wegend wirkt. Das Fest bei Capulet schildert das am
Chorschluß einsetzende Orchester, indem es aus der dritten
Nummer der Sinfonie das Hauptthema der Ballmusik
und deren am Schluß der Nummer eintretende Umwand-
lung (die Musik der heimkehrenden Gäste) vorführt. Ge-
wiß üben derartige Anspielungen erst auf solche Zuhörer,
welche das ganze Werk bereits kennen, ihre volle Wir-
kung aus; aber unberührt lassen sie auch den Unvorbe-
reiteten nicht, dank dem dieser Musik innewohnenden
-^ 367 «^
/
plastischen Charakter. Sie erztthrt unverkennbar von
glücklichen Herzen.
Der dritte Abschnitt führt zur Gartenszene. Spannend
ist die Stelle gehalten, wo berichtet wird, wie Romeo die
Mauer übersteigt Eine Generalpause mit Fermate gibt
dem Erstaunen Raum. Und nun markiert ein pianissimo,
ein heimliches Rauschen der Ghorakkorde die neue, die
größere Überraschung: Julia auf dem Balkon. Aufregend
kurz, aber meisterhaft führt Berlioz zu dem Schluß, zn den
warmen von Chor und Orchester gemeinsam gesungenen
Melodien aus der Liebesmusik der vierten Nummer.
Angefügt ist in diesem dritten Abschnitt eine lyrische
Einlage, ein Strophenlied, das das Glück der ersten Liebe
preist: »Premiers transports etc.« (>0 erste Schwüre etc.«).
Der Soloalt singt es und das Cello singt mit ihm, so wird
es zum Dialog, ein einfaches aber gefühlreiches, prächtiges*
Stück musikalischer Poesie. Die Harfenbegleitung gibt
ihm einen gewissen Troubadourcharakter, nur an wenigen
Stellen tritt der Klang von Flöten, Klarinetten und eng-
lischem Hörn weich umhüllend noch hinzu.
Es folgen nun als vierter Abschnitt die Erzählung von
der Fee Mab und als fünfter, schließend, der Bericht von
Jnliens Begräbnis und von der Versöhnung der feindlichen
Geschlechter an der Gruft.
Die Geschichte von der Fee Mab ist nicht in dem
kurzen Stil behandelt, der sonst im Prolog herrscht, son-
dern im Detail breit, dramatisch alle Einzelheiten be-
lebend, vorgeführt. Dieselbe Aufgabe in einem* Werke
auf zwei verschiedene Arten lösen zu wollen, war eine
Kraftprobe. Berlioz hat sie glänzend bestanden. Denn
die Schilderung der Fee Mab durch den Solotenor und
Chor ist ein ähnliches Unikum und ein Meisterstück wie
das berühmte Orchesterscherzo, das Berlioz dem Gegen-
stand als fünfte Nummer der Sinfonie gewidmet hat.
Die Fee Mab oder Königin Mab zieht im Prolog in der
Form eines »Scherzetto« vorüber,' wie Berlioz das Ton-
bild nennt; es ist das originellste und größte im ganzen
Prolog — 116 Takte umfaßt es. Unter all den Geister-
— • 368 »^
Szenen lustiger, freundlicher oder schreckhafter Natur, die
der Musik in der großen romantischen Epoche von Gr6try,
d*Alayrac, C. M. v. Weber bis auf Mendelssohn und Meyer-
beer zugewachsen sind, ist mit dieser Berliozschen Kom-
position von der Fee Mab nichts zu vergleichen. Das ist
ein Spuk ganz für sich, flüchtiger, leichter, abwechslungs-
reicher als jeder andere und auch da, wo das Treiben
verworrener wird, immer von größter Anmut. Das Haupt-
element dieser Musik bilden Rhythmus und Tempo. Das
Zeitmaß verlangt von Instrumenten und Singstimmen
das äußerste, was sie an Schnelligkeit leisten können,
die Bratschen und die unteren Celhs haben mit ihren
BegleituDgsfiguren ein ungestümes, aber dodi immer feines
Perpetuum mobile zu leisten. Dann kommen die merk-
würdigen schillernden Harmonien hinzu, dem Satz einen
fremdartigen Charakter zu geben: Jeder einfache Drei-
klang wird durch einen humoristisch berechneten Mißton
gestreift. Die Einsätze der dürftigen Blasinstrumente
wirken in gleichen Graden gespenstisch und komisch.
Instrumentation und Nuancierung — fast immer p — werfen
über das Ganze phantastische Schleier. Es ist in der
Geschäftigkeit, mit der eine Gestalt nach der andern vor-
beisaust, etwas Atemversetzendes. Nirgends kommt etwas
Faßbares; höchstens die kleine Episode von dem Kriegs-
traum des Pagen mit den Kanonaden, dem Tambour und
der Trompete tritt deutlicher heraus und macht Miene,
dem Zuhörer auf den Leib zu rücken. Im Gesangteil ist
das SätzcHen, für germanische Chorzungen namentlich,
ganz ausgesucht schwierig.
Der Schluß des Prologs, der vom tragischen Ende
des Liebespaares und der Versöhnung der Geschlechter
berichtet, ist äußerst kurz geraten, fast als hätte Berlio;
nach der Fee Mab sich über die Geduld der Zuhörer
und über ihre hohen Ansprüche Gedanken gemacht
Angespielt ist nur auf die Begräbnismusik der sechsten
Nummer, und zwar nimmt das Orchester das charakter-
istische Liegenbleiben des einen Tones (0) von dort her-
über.
— » 369 ^^
Zieht man die Summe des Gebotenen, so kann kein
Zweifel sein, daß im Prolog von Romeo und Julie, un-
scheinbar in der Form und in den Mitteln, doch eine
außerordentlich große und völlig originelle Leistung
vorliegt, die für die Beurteilung von Berlioz schwer
^wiegt.
BerUoz wendet sich nun wieder der unmittelbaren
Darstellung zu und gibt zunächst ein Bild von dem BaU-
fest bei Juliens Eltern. Im Drama ist dieses Fest ein
nicht unwichtiger Abschnitt: er bringt zum ersten Male
die Liebenden zusammen. Dem Komponisten bietet sich
gleich gute Gelegenheit zur Seelenmalerei wie zur Situ-
ationsschilderung, er kann scharf geprägte Gestalten
zeichnen, ihre Herzensbeziehungen bloßlegen, kann einen
Ausschnitt aus dem Treiben der großen Welt versuchen,
sich im Intimen, ebenso wie im Glänzenden bewähren.
Als geborener Freund großer Mittel, mächtiger, üppiger,
Sinne berauschender Klänge, als Meister in der Schilderung
äußeren Lebens hat Berlioz den festlichen Charakter der
Szene, die Pracht und die Freude, in der sich die stolzen
Massen einherbewegen, betont. Reichlich zwei Drittel
der neuen Nummer sind mit rauschender, pompöser Ball-
musik ausgefüllt Aber wie in der Fantastique und im
Harold kommen auch hier die eigentlichen Helden des
Stückes nicht zu kurz und treten im rechten Augenblick
in den Vordergrund.
Diesem dritten Satz, welchen das Orchester allein
ausführt, hat Berlioz die Überschrift gegeben:
Bomtfo Benl-Tristesse-Coocert et Bal-*Grande Fete chez Oa-
pulet (Romeo allein in Tranrigkeitj Konzert und Ball; großes
Festibel Gapnlet).
Er beginnt mit einem Andante melancolico, C/, Fdur,
das zunächst die Worte Romeos (I, 4) zu veranschaulichen
scheint: »Mich drückt ein Herz von Blei zu Boden, daß
ich kaum mich regen kann«. Die ersten Violinen suchen
nach Melodie und Ausdruck und finden nur spärlich;
namentlich in der Unbestimmtheit der Tonart spricht
diese Einleitung aufs deutlichste einen schwankenden
Kiotzsehmar, Führer. 1, I 24
370
Zustand aus. Endlich bietet sich AntoQM. ^^
lin Halt. Die Oboen und Klarinet- J,^u f 1 rr?
en setzen (im 23. Takt) das Motiv & '%fimsz =»^
Zustand aus. Endlich bietet sich aDa5Qte.
ein
ten
ein und klammern sich daran wie an eine letzte Rettung.
Sechsmal hintereinander, nur mit immer neu tastenden
und wechselnden Bässen, hören wir diese lUagend^
Stimme; dann erst entwickelt sich eine lange Gesang-
melodie, die im Anschluß an das gegebene .Motiv folgen-
dermaßen lautet:
Noch einmal setzt sie zu einer viertaktigen Halbperiode
an und gelangt mit ihr nach Asdur. Diese unerwartete
Harmoniewendung bestätigt nur, was der gewissermaßen
irrende Schritt des Themas schon verrät: die Unruhe in
Romeos Seele, sein Sehnen und Zweifeln: »Mein Herz er-
bangt und ahnet ein Verhängnis, welches noch verborgen
in den Sternen . . . das Ziel des läst'gen Lebens . . . mir
kürzen wird durch irgend einen Frevel frühen Todes«
(I, 4). In der neuen Tonart (Asdur) schweben freuüd-
liche Motive in Triolen .tänzelnd heran. Der kleine
Zwischensatz (8 Takte) hellt die Stimmung etwas auf.
Das Gesangthema mit den ausdrucksvollen halben Noten
setzt jetzt in Cdur wieder ein, aber des Zieles sicherer und
hoffnungsvoller als beim ersten Male weiter geführt
Violinen, Flöten, Bratschen bringen der Reihe nach das
tröstliche neue Schlußmotiv. Da kommt eine plötzliche
Unterbrechung: Allegro im AUa breve: pp klingen
in den Geigen zit- -— . ^— j— . auch die Tonart
temde Rhythmen : J J J J- J J- J J^ ' Des dur zeigt auf
eine ganz unvermutete Wendung. In Klarinetten und
Fagotten taucht das Bruchstück eines Polonaisenthemas
auf. Dann folgt eine Gruppe von Takten, wo die Geigen
still auf gehaltenen Akkorden tremolieren, zuletzt tritt auf-
— ♦ 371 ♦^
regender Pankenwirbel hinzu. Es ist eine ganz natnra-
listisch packende Stelle, ein Bild des kalten Fiebers, das
Romeo ergrÜfen hat Was Berlioz hier gemeint hat, kann
niemand ganz bestimmt sagen: etwas Außerordentliches
jedenfalls. DasWahrscheinlichste ist: Romeo hat seine Julie
erblickt. Sei es nun eine äußere Erscheinung, sei es ein
Entschluß, dem der jetzt folgende Abschnitt in der Kom-
position — Larghetto expressive, s/4, Cdur — gilt, jeder-
mann wird davon ergriffen sein, wie fein erfunden und ge-
dacht er ist: Kein Ausbruch des Jubels, lauter Leidenschaft
überhaupt, sondern ein zarter Gesang, fromm wie ein Gebet
^^ ,523^ , Die Oboe trägt
Iß ' ' ■ dig emfache
Melodie vor, die Erregung, aus der sie emporgewachsen
ist, wird nur in den Rhythmen der dezenten Begleitung
bemerkbar: die Cellis umspielen mit rastlosen Sextolen;
an den Schlußstellen werfen die Geigen mit den Pauken
schauernde Tremolos hinzu. Und nun geht Romeo mitten
hinein ins Fest der Feinde. Der Hauptteil des Satzes
— Alleg,ro, (|j, Fdur — beginnt
Es ist im wesentlichen ein Tanzsatz, er teilt mit
anderen Arbeiten gleicher Gattung, die wir von Berlioz be-
sitzen, das Feuer, unterscheidet sich aber von ihnen allen
durch einen ^ug von Stolz und Pracht Daß es sich hier
um ein Fest von Patriziern handelt, sagen uns schon die
einleitenden Takte mit den pompösen Baßgängen. Sie
versetzen die heutigen Zuhörer unwillkürlich in den dritten
Akt von Wagners »Lohengrin«, der allerdings 1889 noch
nicht geschrieben war. Das Hauptthema, über dem
sich Berlioz* Festgemälde nun aufbaut, fängt folgender-
maßen an:
iBgro. Sa 108
rVftrriTirrT^iffii -fi^irTf
Es enthält in der Schale einer Marschweise einen kost-
baren Inhalt von Würde und Lebenslust Der letzteren
24*
372 ♦^
dient unter den Motiven, die dem hier gegebenen Anfang
folgen, beson- «• fi*^ £ « fi e* "^
ders das drol« -jf-if Frirrfir Ptf lO -
hg ausholende: ^ ^ ' ' '=^=ta*s4=
Nachdem die glänzende Gesellschaft ihren ersten
Rundgang vollendet — Ganzschluß in Fdur — , wird unsere
Aufmerksamkeit auf eine einzelne Gruppe, die etwas im
Hintergrund steht, gelenkt. Celli, Bratschen und Fagotte
sind ihre Sprecher:
Halblaut reden sie von den letzten Händeln mit den Mon-
techis. Es sind herrische Leute, und wehe dem armen
Romeo! Andere ziehen mit leichtem Scherz vorbei. Dann
kommt das Hauptthema zum zweiten Male, diesmal in den
Holzbläsern, die Geigen ziehen ein langes Gewinde von
Achteln darum. Dann wird es auf allen Seiten lauter,
als stritten sich die Streicher mit den Bläsern um die
Akkorde. Und siehe da, in diesem Augenblick des Lärms
and der Aufregung erscheint das Thema aus dem Larg-
hetto wieder, diesmal nicht von der Oboe, sondern von
den Hörnern geführt. Sie behalten es auch im weiteren
Verlauf und ziehen noch Posaunen und Fagotte dazu.
Berlioz gibt uns jetzt die Aufklärung, was er mit der
Larghettomelodie gemeint hat: Es ist wirklich Julieus
Gestalt: majestätisch schreitet sie dahin, und als der Haupt-
satz, die rauschende Ballmusik, jetzt wieder wie beim
Anfang des AUegro von der ganzen großen Masse der
Geigen, von Flöten und Bratschen unterstützt, von den
anderen Instrumenten, unter ihnen zwei Harfen, umlärmt
wird — strahlt doch fiber all den glänzenden Wirrwarr
hinweg in Hoheit die Larghettomelodie: Das Stück könnte
nach genauer Wiederholung des ersten Allegroteils — bis
zu dem Punkte, wo das Baßthema kam — beendet sein.
Berlioz erweitert aber Beethovensch. Statt eines Fdur-
Schlusses kommt eine Ausbiegung über Adur nach Dmoll
und ins piano. Die Stille der Verlegenheit tritt ein, und
373 «^
in ihr lassen sich vneder Händelsüchtige vernehmen, sie
brüten neue Komplotte: Diese unfriedlichen Gedanken
sind in zwei Themen gegeben
.. jii h ffiTiij lijiTnTi I ■■* -^jfc'^j ji
P
feB die das Afaterial zu einer beschei-
denen Doppelfuge bilden. Sie wird
nicht durchgeführt, sondern Berlioz beschränkt sich dar-
auf, die chromatische Skala zu einem Basso ostinato zu
verwenden, über den in wachsender Erregung, im langen
crescendo erst allein die Bläser rhythmische Kampfmotive
hinschmettern. Bald stimmen die Geigen mit ein; es
reizen die Schlaginstrumente. Die festliche Stimmung
ist in eine kriegerische umgeschlagen. In allen Gruppen
größte Unruhe, ein Anlauf über den anderen auf das
drängende Motiv:
Cresa.
H JT] ItQfj. [P# n^ ir >'^ < i über D moU nach ö,
V 7 nach (7, dann die-
selben Wege nochmals in bedrohlicherem Tone — es
schlägt am Ende der Perioden bereits ein — , und dann
bricht mit dem endlich erreichten Fdur das volle Wetter
los: Eine wilde elementare Musik, ein schlimmerer Auf-
ruhr als in dem Augenblick der Orchesterintroduktion,
in dem die Posaunen des Fürsten sich erhüben. Noch
einmal wird Ruhe. Wir hören wieder den chromati-
schen Baßgang von Pauken und Trommeln schauer-
lich beleuchtet. Diesen letzten Augenblick benutzt
Romeo sich zu entfernen. Die Oboe singt wieder den
Klagegesang, mit dem sich im Andante melancolico
Romeo schwermütig vorstellte. Im Toben der Massen
— eine plötzliche Generalpause sagt uns, bis zu welchem
Grad die Wut gediehen — geht der Satz schnell zum
Schluß.
^
-—• 374 i^
Die Italiener des 17. Jahrhunderts, die venetianischea
Librettisten voran, die Spanier, die Geschlechter der aus-
gehenden Renaissance überhaupt, verstanden sich auf
Liebesszenen. Aber den Szenen, in denen Shakespeare
in »Romeo und Julie« das Liebespaar zusammenfüfart,
kommt doch wenig gleich. Dieses Urteil läßt sich auch
auf die Gartenszene der Berliozschen Sinfonie übertragen,
in der der Komponist seine Erinnerungen an jenen
schönsten Teil des Shakespeareschen Dramas in Töne
gebracht hat. Man kann es ruhig sagen: Berlioz hat
die Liebe von Romeo und Julie schöner geschildert als
der Dichter, um so viel inniger und ergreifender als die
Musik, wenn es Gefühle darzustellen gilt, der Sprache
überlegen ist. In der Komposition Beriioz' steht auch
das mit, was bei Shakespeare ungesagt bleibt; vor allem
übeir alle Süßigkeiten des Augenblicks hinweg bringt sie
uns ins Bewußtsein, daß diese Liebe tragisch enden wird.
Ein Ton der Klage und der Wehmut klingt mit dutch
alle Seligkeit hindurch.
Mit der vorhergehenden Nummer, der Ballszene, ist
die Garten Szene, als fünfte Nummer des Werkes, durch
eine dramatische Einleitung verbanden. Die Überschrift
des Stückes:
Nnit sereine — le jardin de Oapulet silencieux et d^sert Les
jeanes Capulets sortant de la feto, passent en chantant des rtfmi-
niscences de la mnsiqae du bal,
welche Berlioz selbst gegeben hat, enthebt jeder weitem
Beschreibung des Verfahrens. Ein Allegretto (ß/g, A dur ent-
hält diese Einleitung. Langgezogene Geigenakkorde, die
nur schleichend modulieren, beginnen. Berlioz schreibt
2PPP vor. Das ist die Stille des Gartens, von der die
Überschrift sagt. Nach dreißig Takten erst Mingt es im
ersten Hörn: als käme jemand. Und bald darauf be-
ginnen die jungen Kavaliere ihr: >0h^! Capulets, bon-
soirc (»Capulets, schlaft wohl«). Gleich darauf kommt
auch die hauptsächlichste von allen Ballreminiszenzen, auf
die Ulis der Komponist selbst aufmerksam gemacht hat:
376
Aiiegretio. ^ .. Leicht wird man in ihr
den Anfang vom Haupt-
0 qvoii« DOi^ «iJtl fesUnl thema des Allegros der
Ballszene wiedererkennen. Das ganze Stück Einleitung ist
von Humor, wie von poetisch höherer Empfindung gleich-
mäßig belebt In ihrer etwas steifen Anmut erinnert
seine Melodik namentlich an Berlioz* »Flucht der heiligen
Familie nach Ägyptenc. Ein Wunder, daß es sich unsre
Männergesangvereine fortdauernd entgehen lassen! Es
verklingt, und nun beginnt die eigentliche Scöne d'Amour,
die Liebesszene, in Form eines mehrmals von belebten,
erregten Episoden durchbrochnen Adagios. Der 'O/g Takt
und die A dur-Tonart bleiben. Das langsame Tempo gibt
aber der Komposition ihren eigentümlichen Charakter als
einer Liebesszene von fast religiöser Tiefe.
Das Adagio beginnt wie präludierend mit einem Ab-
schnitt, in dem 'die Bratschen mit den geteilten Cellis in
bald ausdrucksvollen, bald spielerischen Motiven sich dem
Gesang nähern. Es ist ein eigentümlich'volles, gedämpft
weiches Kolorit, ähnlich dem in der »Scftne aux champs«
von Berlioz' Fantastique. Drunter klopfen die Bässe wie
die Schläge des Herzens. Die zweiten, dann die ersten
Geigen tragen Verzierungen und melodische Fragmente
herbei;, noch mehr aber erinnern Klarinette und eng-
lisches Hom an die Liebesmusik der Vögel, sie seufzen
sehnsüchtige Motive, die uns die Stelle des Dramas
vor die Phantasie bringen, wo es heißt: »Es war
die Nachtigall und nicht die Lerche«. Dann wird ein
Singen daraus, leidenschaftlich treiben die Töne nach
oben. So ^^ ji-Admfii^ ^^stt"^ ^nd so
setzt die ^l^\rM^ " i W » i pTf P T' I schließt
Stelle ein : ^ PP=^ -^ =— "' sie:
,Bald kehrt sie wörtlich genau wieder, sie umrahmt
das vom Cello und vom Hörn vorgetragne Liebesthema
Juliens, ihr Geständnis, den Lüften anvertraut:
376
Eine der schönsten Melodien der ganzen neneren Musik,
muß dieses Thema in diesem Werk and in diesem Satz
namentlich mit seinem Schluß fest gemerkt werden.
Denn es taucht wie ein Leit- und Repräsentierthema
häufiger in unserm Adagio wieder auf. Die Musik wird
von dem Einsatz <ler Vogelmotive ab wiederholt Romeo
lauscht entzückt, und als Julia, nun im vollsten Tonglanz
ihr Liebesgeständnis (jetzt in Cdur) nochmals ablegt, be-
mächtigt sich ein großer Sturm seiner Gefühle (Allegro
agitato). Er dringt vor, gibt sich zu erkennen, das Cello
hebt ein Rezitativ an und leitet damit über zu der zweiten
Hälfte der Nummer, dem Liebesdialog. Dieser Di Alog
hat wieder die Form eines Adagio, das gegen das erste
um eine Kleinigkeit beschleunigt ist Das in ihm neu
hinzutretende Hauptthema ist:
r^ r ff" r ^ fy^yrj^^ Von Flöte und eng-
* ' ^^ai^BS lischem Hörn einge-
führt, findet es in einer zweiten Periode den seiner fried-
lich genießenden Natur entsprechenden Abschluß in Adur.
Daran knüpfen sich heitre, zum Tändeln neigende Motive,
bis dann bald Juliens Liebesgesang den Ideenkreis ins
innig Pathetische zurückleitet Es wechseln nun Augen-
blicke der Ruhe und der Erregung : es kommt die Schwere
des wiederholten Abschieds, die Wonne des Wieder-
treffens. Mehr als bei andren Sätzen der Sinfonie bietet
die Kenntnis Shakespeares für diese Nummer eine weit-
reichende Gewähr des Verständnisses.
Der fünfte Satz der Sinfonie, das Scherzo (Prestis-
simo, Vs» Fdur) trägt die Überschrift: »La Reine Mab,
377
ou la F^e des Songes« (Königin Mab, die Traumfee}. Er
bedeutet einen Abfall von Shakespeare, eine Uberläuferei
zur selbstherrlichen Musik, insbesondere zu den Formen
der Beethovenschen Sinfonie. Berlioz mochte auf die be-
währte Wirkung eines Scherzos auch in »Romeo und
Julie« nicht verzichten. Sieht man von der Entstehungs-
UTsache ab,, so bleibt dieser Satz eine bis heule noch
nicht überbotne Glanzleistung auf dem Gebiete der Elfen*
musik. Die Komposition gibt den flüchtigen Charakter,
den man von dieser Gattung erwartet, nach ein'er Rich-
tung wenigstens vollkommen wieder, ganz besonders aber
zeichnet sie sich aus durch ihren Reichtum neuer und
ungewohnter, mit ebensoviel raffinierter Berechnung als
mit poetischem Genie aufgesuchter und erfundener Klänge.
Zwar für die Gestalt und das Treiben des Miniaturelfs,
wie sie Shakespeare — vor Ball- und Balkonszene I, 4 —
beschreibt, ist die Berliozsche Musik immer noch zu kom-
pakt, zu reich an Baßklang; aber man hatte in einer Sin-
fonie ein Scherzo wie dieses doch noch nicht gehört:
Ein ganzer Jahrmarkt von seltnen, schweren Trillern,
von Pizzicatos, Flageoletts, ausgesuchten Spielarten und
Tonlagen tat sich hier auf.
Dem Hauptsatz, den einige akkordische, durch Fer-
maten, Modulationen und Klangfarbe ins Träumerische
erhobne Takte einleiten, liegt folgendes Thema
/
zu Grunde. Die Violinen durcheilen mit ihm im schnellsten
Zeitmaß, in der größten Leichtigkeit, die möglich ist,
einen ziemlich umfangreichen Kreis von Tönen und Ton-
arten. Fdur beginnt, der Schluß führt nach cü und
nach einem dissonanten Akkord des-f-as-hy demselben, der
den Satz überhaupt begann. Es ist etwas Koboldartiges
in dieser Beweglichkeit, und es ist auch nicht leicht für
(T
--» 378 ♦—
den Zuhörer genau zu folgen. Um das zu erleichtem,
müssen Spieler und Dirigenten die metrisch betonten
Takte hervorheben. Wird damit von Anfang an —
der mit * bezeichnete ist der erste — Klarheit einge-
halten, so ist der Aufbau der Perioden leicht zu be-
greifen; er vollzieht sich vorwiegend in zweitaktigen Ab-
schnitten.
Zunächst' stellt Berlioz das angeführte Hauptthema
noch zwischen das akkordische Einleitungsmaterial. Erst
im zweiten Abschnitt, dessen Eintritt sich scharf dadurch
markiert, daß wir 8 Takte lang nur (in Bratschen und
zweiten Violinen) Akkordbegleitung ohne Thema haben,
erhält es das Feld für sich und bestellt es in Umbil-
dungen, wie sie für Menuetts, Scherzi, fürs ganze Tanz-
gebiet von jeher üblich sind: Eine Doppelperiode in der
Haupttonart Fdur mit Schluß in (7, eine zweite in 0
mit Modulationen nach verwandten Harmonien und
Schluß in F. Es ist ein leichtes anmutiges Treiben
ohne wichtigere Vorfälle. An dem oben genannten
Punkte erst erscheint ein teilweise neues, von Berlioz
auch im »Carna- J ^^^ ♦♦ti
val Romain« ver- i^ y
wende tes Motiv: JT'
in den Geigen, das ^Tt ^^ .^^ k«
Flöte und engü. ib fl i 1 V \\ V \\ V f^
sches Hom mit ^ ' ' i i . n
beantworten. Fee Mab wird ausgelassner: schärfer tritt
der Pizzicäto-Klang vor, schärfer wechseln die Tonarten
in diesem kleinen Seitensatz. Hdur ist erreicht. Da führt
bei einem allgemeinen temperamentvollen Crescendo ein
heftiger chromatischer Lauf der Mittelstimmen nach der
Haupttonart zurück und in eine große Wiederholung des
Hauptsatzes mit einigen Erweiterungen. Motivisch neu
tritt eine zuweilen auf vier Takte ausgedehnte Triller-
figur, aus der Schabernack und Obermut herüber-
klingen, vor.
Die größten Überraschungen fürs Ohr hat Berlioz
für die Mitte seines Scherzos aufgespart, für die Stelle,
-^ 379 ^^
die üblicherweiffe das Trio einnimmt. Gedacht ist wohl
dieser wichtigere Teil so: daß er die Wirkungen der
Schalkereien Mabs im Kopf des Schläfers veranschau-
lichen soll, während uns der bewegtere Hauptsatz den
Umzug der Fee schildern soll. Das Thema dieses Trios
f heißt:
^ AUegrgtto. J = is8
fS^JTf n\t t J'Ti' ' r I 'Tf '1 rr^
n ii^^^i^^riTr iTfr iTTfiTTit i
Mit seinen rufenden und ahnenden, auch mit seinen
gesanglichen Elementen ist es im Grunde höchst einfach.
Seine Wirkung erhält es durch die Dekoration. Die ersten
Violinen trillern dazu vom ersten Ton der Flöte bis zum
letzten pppp aber ohne Unterbrechung auf ä; die Celli
antworten auf das Quartenmotiv; die andern Saiten-
instrumente aber halten hohe Fla geol et töne aus. Von
ihnen kommt der Märchen zauber, das Feenlicht, das über
dem Abschnitt liegt; süß wie Liebestraum und ganz
fremdartig und neu erscheint er. Zugleich ist dieses
Kolorit zum ersten Mal das, was sich mit den von
Shakespeare erweckten Vorstellungen deckt Die Harfen
fallen bald mit unerhörten Klängen ein, die zur selben
Familie wie die Flageolettöne der Geigen gehören. Die
Phantasie des Hörers wird in demselben Augenblick aus
dem Elegischen hinüber gerissen nach dem Humoristischen :
wir hören in den Bratschen und Cellis Figuren, die an den
Rhythmus des galoppierenden Pferds erinnern. Berlioz
hat an die Stelle gedacht, wo bei Shakespeare die Fee
Mab den Soldaten neckt.
Noc^ breiter ausgeführt als im Trio sind diese militäri-
schen Bilder in der Reprise des Hauptsatzes. Hier führen sie
zu einigen Episoden, an deren Spitzen die Hörner stehen:
Prostfaffinv. ^ Auch das englische
'"fp ' ■ ■■ j ■ ■ ■ mitemem Jagdmotiv.-
380
A t . . . K ■■ I ^^" einer ein"
4p I r J) 1 J iJ^ HJ ^^^p fachen Wieder-
V holang ist diese
Reprise so weit als möglich entfernt; sie ist eine Steige-
rung in jeder Beziehung, in den Formen nicht weniger
als in den Farben. Für letztere sind auch die Schlag-
instrumente meisterhaft herangezogen.
Stephen Heller lernte die neue Sinfonie Berlioz' bald
nach ihrer Entstehung im Manuskript kennen und be-
richtete darüber an die Zeitschrift Robert Schumanns*)-
Dieser Bericht ist noch heute wichtig, weil er über die
erste Fassung der Sinfonie Mitteilung gibt Unter den
Abweichungen, die sie von der veröffentlichten Form
unterscheiden, tritt als eine der wesentlicheren der Um-
stand hervor, daß zum Beginn der zweiten Abteilung die
mit der Nummer 6 einsetzt, früher nochmals ein Prolog
gesungen wurde.
Für diese sechste Nummer, die Juliens Be-
gräbnis bringt — Convoi funöbre de Juliette — , ist kein
Prolog und kerne Erläuterung nötig. Denn es ist ein ein-
facher Satz (Andante non troppo lento, C» Emoll), ein
Trauermarsch, wie wir ihn hier erwarten, nur mit der Be«
Sonderheit, daß das ausdrucksreiche Hauptthema
in Form einer Fuge durchgeführt wird. Die Singstimmen
psalmodieren dazu auf einem und demselben Ton e. Ber-
lioz hat denselben und einen ähnlichen Kunstgriff in
seinen Trojanern und im Offertorium seines Requiems
*) Nene Zeitschrift für Musik, XI, S. 102.
— ^ 381 ♦—
mit großem Glück zum Ausdruck äußerster Niederge-
schlagenheit verwendet. Besonders schOn ist der zweite
Teil der Nummer, der sich nach E dur wendet und Chor
und Orchester die Rollen tauschen läßt.
In hohem Grad einer Erläuterung durch Prolog oder
eine sonstige authentische Willensäußerung des Kompo-
nisten ist dagegen die folgende siebente Nummer der
Sinfonie, die Grahszene, bedürftig. Berlioz hat das
selbst gefühlt. £r schickt in der Partitur eine Bemer-
kung voraus, worin er den Dirigenten ermächtigt, den
Satz zu überspringen. Mit den Worten: >Le public
n^a pas d'imagination« wälzt er die Schuld von sich
auf den unschuldigen Teil: Das Publikum, die Zuhörer-
schaft kann diesen Satz nicht verstehen und wenn
neue Erklärer*) seinen Schwierigkeiten gegenüber mah-
nen, sich den fünften Akt von Shakespeares Drama
lebhaft zu vergegenwärtigen, so empfehlen sie ein un-
zureichendes Mittel. Berlioz gibt als Inhalt unsrer sie-
benten Nummer an:
Rom^o au tombeau des Oapulets; Inyocatlon, Rtfveil de
Jnliette, Jole d^Iirante, d^sespolr, dernieres angoisses et mort
des denx anxants (Anrufung und J^rwachen Juliens, Entzücken
tmd Freude, Verzweiflung, letzte Not und Tod der beiden
Liebenden).
Daraus ergibt sich, daß er die Ereignisse vollständig
umgedichtet hat. Bei Shakespeare ist Romeo gestorbeUi
ehe Julia erwacht; wohl bei Bellini, aber nicht bei Shake-
speare gibt es Wiedersehn, Anlaß zur Freude und gemein-
samen Tod. Der Zuhörer muß sich also in der Kompo-
sition durch Raten zurecht zu finden suchen; sie ist keine
gute Program musik, sondern Theatermusik, die nur den
Augen will sehen helfen, sie ist ein an dieser Stelle ver-
fehltes Kunstwerk. -
Der Satz (Allegro agitato e disperato, (^, Emoll) be-
ginnt mit hastigen Figuren
'*') F. Weingartner in Allitemeine Musik -Zeitung, Jahrg.
1S93, S. 123.
382
f ' J JJ UnJ J ' ■ J JJ IJiJ J^"^l|l'l I I
** die in einem kurzen Satz
das Bild geben, als wenn
ein Mensch atemlos ge-
rannt kommt: Romeo, den die schlimme Nachricht
von Jaliens ^od ans dem Mantnaner Exil vertrieben
hat, eilt an die Pforte des Grabes. In langen Noten
4 I I M I I i' 1 ** ^'^^ äußerste Kraft ge-
j^ j^ ' 3» ' J aiJ J -j)" sammelt »Die Nacht und
«P— =^ f ^ mein Gemüt sind wütend
wild, viel grimmiger und viel unerbittlicher als durst'ge
Tiger und die wüste See« so lauten die Worte, mit
denen Romeo bei Shakespeare (V, 3) die Türe des Ge-
wölbes — »die morschen Kiefern des Schlundes« — er-
bricht Dumpf, tief und schauerlich schlagen die Po-
saunen, ein Hörn dazu, durch Fermaten gefesselte Ak-
korde an. Dann folgt die Invokation, ein längrer Satz
(Largo, i^/g, Cismoll), in dem Romeo in feierlichen und
wehmütigen Melodien zu der tot geglaubten Geliebten
spricht Als sie zum Schluß kommen, geraten sie ins
Stocken. Chromatische Figuren in den Cellis deuten
auf außerordentliche Vorgänge. Die Klarinette setzt ein:
Wer kennt
diese Motive
JWRP -« =^ nicht und
denkt bei ihnen nicht an den Anfang der Gartenszene?
Nun kommt das volle Thema. Julie ist erwacht, sie
lebt,' und ihr erster Gedanke ist wieder: ihre Liebe, ihr
Romeo! Das Orchester stürmt voll wie in der Ballszene
im Freudenrausch dahin, eigentlich ohne Melodie und ohne
Rhythmus,
Allegro vivace od appasgloiuito.
zügellos, elementar in Empfindung und Form. Lange
klingt die Stelle wie ein grotesker, riesiger Triller. Dann
— ♦ 388 »^
Teru«hmen wir in den Motiven Reminiszenzen an die
Gartenszene, an ihre schönsten Themen; aber in derun-
glanbhchsten Extase und Beschleunigung. Dazu unheim-
liche Dissonanzen ! Der üherspannte Bogen muß brechen,
das Unglück ist in der Nähe. In dem reißenden Strom
dieser Musiklava entsteht Stockung, Verwirrung: Romeos
Rezitativ aus der Gartenszene klingt nochmals krampf-
haft und unnatürlich an, von härtesten Schlägen des
Orchesters hegleitet, das e aus dem Leichenbegängnis
(Nr. 6) läßt sich hören: Romeo stirbt Bald, > mitten
heraus aus der Seligkeit, in der sie befangen, folgt seine
Julie ihm im Tode nach. Innerhalb einer Minute gings
aus höchstem Glück in die Vernichtung. Nur eine
einzige. Oboe hält an der verödeten Stelle noch Stand,
wo eben noch das volle Orchester wie für eine Ewigkeit
aufspielte.
Die achte Nummer, das Finale der Sinfonie, hat die
Oberschrift:
La foale accourt an cimeti&re, Rixe des Capulets et Mon-
tagus, Röcitatif et.air da Pdre Lanrence, serment de rtfcon-
clliation (Die Menge eilt znm Kirchhof, Streit der Capulets und
Montechi, Rezitativ nnd Gesang des Pater Lorenzo, Versöhnungs-
scbwar).
Sie beginnt mit einem AUegro (^, Amoll, das dra-
matisch lebendig die Erregung der herbeieilenden Volks-
massen schildert und viel Natur- und Herzenston ent-
hält Besonders der Schluß, wo das Tempo doppelt
so langsam wird als es war, ergreift mächtig. Dann
tritt der Pater Lorenzo auf und bemächtigt sich mit
Erklärungen und Ermahnungen des Worts, für seine
salbungsvolle Weise immer noch etwas allzu lange*].
Als die Parteien wieder aneinander geraten, wieder-
holt Berlioz die Fugenmusik aus der Introduktion der
Sinfonie, diesmal mit Text »Mais notre sang rougit etc.«
(»Doch unser Blut etc.c). Dem Pater gelingt es zu be«
*) Berlioz hat die Reden des Paters, laut Memoiren, be-
deutend gekürzt.
-^ 384 «—
ruhigen, zu rühren. So gelangen wir ganz in dem StU
der großen französischen Oper und mit mancher hüb-*
sehen, auf Berlioz persönlich weisenden Wendung zum
Schluß* und Trumpfstück dieses Finale : dem Serment,
der Schwurszene, die ihrer musikalischen Natur nach
ein Geschenk Meyerbeers an das Haupt der französischen
Instrumentalkomposition sein könnte. Wer mit Grund
das Werk lieben gelernt hat, bedauert, daß es nicht selb-
ständiger und in einem poetischeren Stile endet
Der Komponist selbst hat seiner dramatischen Sin*
fonie nur eine Ausnahmestellung im Konzertsaal zuge-
traut. Ihre Schwierigkeiten, sagt er in den Memoiren,
sind so groß, daß die Ausführenden das Werk auswendig
können müssen. Als sie in Petersburg ausgezeichnet geht,
trübt ihm der Gedanke die Freude, daß sie für London
doch unmöglich sei. Er hat sie aber schließlich auch in
London dirigiert, und im Laufe der großen Berliozbewe-
gung, die sich in den siebziger Jahren erhob, ist sie erst
in Bruchstücken, dann mehr und mehr in ihrer Vollstän-
digkeit bekannt geworden. Damit im Einklang mehren
sich in neuester Zeit die Sinfonien, die nach dem Vor-
bild von Romeo und Julie Instrumentalstficke und Ge-
sangsnummern mischen. Lange Zeit stand Fei. David
und seine »Wüstet mit dieser Nachfolge allein. Heute
ist sie mit weitren Sinfonien von F. Liszt, Nicod^,
A. Samuel, Mahler, Huber, v. Hausegger u. a. ver-
treten.
Es war mehr als bloßer Zufall, daß der jüngste Vor-
stoß der Programmusik von Frankreich ausging. Die Zu-
taten und Änderungen, die das Gebäude der Beethoven-
sehen Sinfonie hierbei durch Berlioz erfuhr, lassen im
letzten Grunde den Einfluß der Traditionen Rameans
doch deutlich erkennen. Indessen erkannte ihn niemand.
Berlioz' Programmsinfonien trugen in ihren dichterischen
Wendungen sehr stark, in ihren musikalischen Mitteln
immer noch erkennbar französisch-nationalen Charakter;
die Franzosen wußten es ihm keinen Dank. Auch im
Ausland fanden sie mehr Widerspruch als Erfolg. Vor
• V
-^ 386 •—
allem blieb 'die Schule and der produktive Anhang ans,
der jeder neuen Richtung unentbehrlich ist. Spohr war
fftr Jahrzehnte der einzige europäische Sinfoniker, der
mittat. Aber er vermied sowohl die Stoffe, wie die musi-
kaiischen Mittel, welche für die Berliozsche Epoche die
charakteristischen sind. Da trat endlich in den fünfziger
Jahren Franz Liszt mit der größten Entschiedenheit für
die gefährdete Sache ein. -
Liszt ging aber über seinen Vorgänger wesentlich
hinaus und ordnete dem Programm auch die Formen der
Komposition vollständig unter: Seine Sinfonien sind drei-
sätzig, zweisätzig, einsätzig, je nachdem; die dichterische
Idee bestimmt den musikalischen Plan. In dieser Freiheit,
in der Kühnheit und Sicherheit, mit welcher die Grund*
linien des Formenbaues entworfen und durchgeführt sind,
bilden die Listzschen Sinfonien Originalleistungen und
repräsentieren eine geistige Kraft und ein künstlerisches
Gestaltungsvermögen von außerordentlicher Stärke. Nach
diesen formellen Seiten liegt ihre geschichtliche Bedeu-
tung. Liszts Sinfonien führen die von Berlioz gegebene
Anregung zu einer vollen Reform aus, und brechen die
Alleinherrschaft des Hayda - Beethovenschen Systems.
Berlioz trat für. die Deutlichkeit des poetischen Inhalts
und des Zusammenhangs der Sätze ein ; Liszt erweiterte
diese Forderungen mit der dritten: Freiheit des Formen-
baues! Wohl verstanden: Freiheit, künstlerische Frei-
heit, nicht etwa Anarchie und Formlosigkeit!
Auch den internen musikalischen Stil der Lisztschen
Musik hat vielfach die Forderung bestimmt, daß Ausdruck
und Darstellung in erster Linie charakteristisch und an-
schaulich sein müssen, und eine große Reihe seiner
Eigentümlichkeiten sind aus der Treue gegen das Prinzip
hervorgegangen. Dahin gehören die bei ihm noch zahl-
reicher als bei Berlioz hervortretenden Stellen, wo bloße
Klangphänomene, rein akkordische, instrumentale, dyna-
mische und andere naturalische Bildungen die Träger
der musikalischen Entwickelung bilden. Dahin gehören
spezifische Eigenheiten der Lisztschen Rhetorik: ihr
Kr«txflcbiiiar, Fflkr«r. 1, t 26
— ^ 886 ♦— .
Reichtum an IntexjelUiMien, an Aasraftingsaseichen und
Qedankanttnchen , an pithetiach fortscbieitenden Se-
quenzen und anderen prunitiven Aaadrackemilteln der
musikalischen Deklamation, wie sie Liszt namentlich in
den Momenten der Extase gern verwendet
Andere Erscheinungen des Stils mflssen auf die Natur
und die Schranken der musikalischen Begabung Liszts
zurfickgeCfthrt werden: der vorwiegend eklektische Cha*
rakter seiner Melodik, seine Abhängigkeit von chroma-
tischen Gängen, melodischen Ausnahmsintervallen und
anderen Reizmitteln des Ausdrucks, die zu stehenden
Formeln verbraucht werden; endlich der größere Teil
jener Satzbildungen, in denen Perioden und größere
Redeteile durch unaufhörliche Wiederholungen und bloße
Transposition des ersten Gliedes entwickelt werden. Es
kommt zu diesen Eigenheiten auch noch der Umstand,
daß einzelne Rompositionen Liszts augenscheinlich sehr
flüchtig hingeworfen sind. Aber eine außerordentliche
Gabe, mit wenigen Strichen einen Charakter zu zeichnen,
leuchtet auch noch aus den schwächsten unter seinen
Orchesterwerken. Die Mehrzahl von allen fesselt durch
den Geist und die Hingabe, welche sich in der Haltung
des Ganzen aussprechen, durch die Wärme des Aus-
drucks, die Macht der poetischen Anschauung, welche
einzelne Stellen belebt, durch eine Reihe schöner Mo-
mente, deren Genialität selbst vom Standpunkte des ab-
soluten Musikgenusses nicht geleugnet werden kann. Daß
aber Liszt,* ähnlich wie dies Gluck seinerzeit bei der
Opemkomposition getan, auf diesen absolut musikalischen
Standpunkt bei seinen Programmsinfonien verzichtet, soll
der Zuhörer nie vergessen und dem Komponisten mit
einiger Gutwilligkeit — den poetischen Gegenstand der
musikalischen Schilderung fest im Kopfe! — entgegen-
kommen. In diesem Falle wird man, wie es beabsichtigt
ist, die Formen und den Ideengang der Lisztschen Or-
chesterkompositionen leichter finden, als die anderer pro*
grammloser Sinfonien, und ihnen Anregung und Genuß
verdanken.
_^ 387 •—
Die -Lfsztsclien Orchesferwerke umfassen — außer
einigen Bagatellen — 8 Sinfonien und 12 sogenannte
trinfoniscbe Dichtungen. Unter den beiden Sinfonien ist
fdde im Jahre 1856 geschriebene Fan st Sinfonie (nach
Goethe), die durch die Menge der Ideen and durch die
Kunst, mit welcher sie entwickelt sind, henroiragendere.
Sie ist in drei Sfttzen gehalten, weiche Liszt 9 Charakter-
bilder« nennt, womit also ein Anschluß an den szenischen
Verlauf der Goetheschen Dichtung von vornherein abge-
wiesen wird. Hierin verfährt Liszt ungleich mehr musi-
kalisch, als Berlioz in »Romeo und Julie«.
Der erste Sat^; (Lento und AUegro, C ({:;, s/4, Cdur f.lissi,
und GmoU) gilt der Hauptfigur des Gedichtes, dem »F aus t«. Faust. Sinfoni«
W&hrend die Normalsinfonie zwei Themen im ersten Satz
aufstellt, bringt Liszt hier vier, die die hervortretendsten
Zflge der Faustnatur veranschaulichen wollen: das grü-
belnde, melancholisch-dämonische Element, das Ringen
und Streben, das Liebessehnen, die heroisch tatenfrohe
Seite seines Wesens. Das erste, Zweifel, Gram, Gefühl
der Öde ausdrückend:
P Celli, Brat»eli«B
^^..^^ ^ beruht in seiner vorderen Hälfte auf
Tu 'M? l^'^^ff * * I ^^^ übermäßigen Dreiklang. Gewiß
^ iotenii ^ ist dieser bis dahin noch niemals in
ähnlicher Weise für ein Sinfoniethema verwendet worden
find hat bei den ersten Aufführungen des Lisztschen Werkes
ongewöhnliches Staunen erregt. . Aber um auf den über-
spannten Zug in Fausts Geist hinzuweisen, war das Mittel
glücklidi gewählt. Das Thema findet seine nächste Fort-
setzung in einer Reihe kleiner, freier Monologe, die zwischen
den Blftsem wechselnd, die äußerste Niedergeschlagen-
heit tinssprechen. Im 11. Takte: Stocken, Fermate! Darauf
repetiert der Satz von C aus und tritt dann in ein wildes
Allegro (Cf 'A» V«) ^^^') i^ welchem die Klagen des
Hauptmotivs von den Flammen der Verzweiflung und
BmpOrung umlodert erscheinen. Bereits hier wird eine
2o*
388 <w-
Schwiengkeii sehr bemerkbar, die der Hörer im ganzen
Verlauf der Sinfonie immer wieder zu überwinden hat
Das ist die metrische Mannigfaltigkeit der Mosik. Es
findet foftwährend Wechsel von Takt und Rhythmus
statt Wer zu schlafen, zu träumen und nur äußerlich
zu hören gewöhnt ist, erhält harte Stöße; nur mit leben-
diger Phantasie und regem Geist erwirbt man sich den
Genuß an diesem Kunstwerk! Das zweite Thema, das
von der ausgeführten Gruppe des ersten durch ein kurzes
Lento getrennt wird, ist weniger original als das erste,
erinnert an Spohrsche und Schumannsche Weisen; aber
wirkt an seiner Stelle warm und edel. Es repräsentiert
lebenswüligere Elemente der Faustnatur: Ringen, Streben,
Hoffen. Das Hauptglied seines technischen Organismus
bilden die folgenden Takte:
Vl«i;
Am Schiasse des Satzes, der dieses Thema entwickelt,
wird die Stimmung wieder trostlos: die Bläser klagen
und bitten:
■'nTTD'"^ ■
Es folgt eine kurze Episode (Meno mosso, 0/4 und V4)
traumhaft phantastischen Charakters, in welcher schatten*
hafte Figuren (Violini con sordini) das erste Thema flüchtig
umschweben. Wie eine freundliche Vision erscheint nun,
eingeleitet durch eine Art Rezitativ, in dem Cello und
Violine leidenschaftlich die Schlußnoten vom ersten Thema
austauschen, als drittes Thema eine Melodie, aus den
beiden letzten Takten vom Thema a entwickelt, welche
dem schwärmerischen Zuge im Faust, seinem Sahnen
und Lieben gilt:
aadaaU.
,Ctor.».Soni
389
nst»
Sie setzt im nenen Tempo ein, wechselt die Taktarten,
schließt nicht streng ab und veranschaulicht damit auf
einmal die ganze Reihe Freiheiten der Gestaltung, in
denen Liszt zum Zweck einer lebendigen, dramatischen
Darstellung vom üblichen Gange abweicht Man wird
dieses Thema auch im zweiten und im dritten Teile der
Sinfonie wiederfinden. Ea bildet eins der wichtigsten
»Leitmotive« des Werkes, deren Prinzip Liszt, wie schon
angedeutet, von BerUoz Übernommen hat Faust trennt
sich von dem beglückenden Bilde, wie vom Freuden-
rausche ergriffen; die Energie erwacht wieder (AUegro
con fuoco, dem das Sechzehntelmotiv vom Thema b zu
Grunde liegt), Tatkraft und Stolz regen sich und finden
ihren Ausdruck in dem spannend eingeleiteten vierten
Thema:
Orandloso.
Wer die Vorzeichnungen der hier mitgeteilten Themen
ansieht, kann nicht im Zweifel sein, daß Liszt so wie
mit der Metrik auch mit der Harmonik von allem Her-
kommen abweicht In 0 begann die Themengruppe; mit
dem hier zuletzt gebrachten vierten Glied schließt sie in
Hdur. Wir treten nun in den Durchführungsteil ein.
Denn der erste Satz der Faustsinfonie hält an der üb-
lichen Gliederung in Themengruppe, Durchführung, Re-
prise fest Diese Durchführung beginnt mit einer Kom-
bination des vierten und dritten Themas, das letztere
allerdings in Moll und Leidenschaft verwandelt; dann
folgt ein zweiter Abschnitt, der erstes und zweites Thema
gegeneinander stellt, von jenem durch einen Übergangs-
satz heftigen Charakters getrennt Der dritte Abschnitt
(^
--# 390 ♦-^
der Durchf&hnmg zeigt^ daß das zweite Thema allein zur
Herrschaft gelangt^ aber mit einem Zusatz von Erregung
und Wildheit, der die Physiognomie, mit der es in der
Them6ngmppe auftritt, vollständig ändert. Sehr natfir-
lich und folgerichtig führt diese Wendung in die Reprise
hinüber. Das erste Thema, als höchster Ausdruck von
Faust? Seelenleid, kehrt wieder und mit ihm die ganze
Themengruppe, aber mit Modifikationen, welche als die
moralisdien Wirkungen des Thema c) aufzufassen sind:
Die Liebe hat Fausts Wesen verwandelt
Das Verhältnis der drei Hauptgruppen des ersten
Satzes weicht hiemach in Liszts Faustsinfonie vom Her-
kommen namentlich dadurch ab, daß der Schwerpunkt
aus der Durchführung in die Reprise verlegt ist
Jene ist sehr kurz gehalten, verfolgt nur den Zweck,
den Rückfall von der heroischen Stimmung, mit der die
Themengruppe schloß, in die verzweifelte des ersten
Themas, des Anfangs des Charakterbildes psychologisch
zu motivieren. Die Reprise aber ist nichts weniger als
bloße Wiederholung der Themengruppe: sie zeigt uns
Fausts Inneres noch einmal, führt noch einmal die Ele-
mente der ersten Hauptgruppe vorüber, aber in anderer
Anordnung, in andrem Charakter, andren Verbindungen,
sie zeigt einen neuen Faust. Mit dieser veränderten Be-
deutung der Reprise knüpft Liszt, durch ein musikalisches,
poetisches Naturrecht bereits genügend gestützt, an An-
regungen an, die Beethoven namentlich in seinen großen
Leonoren-Ouvertüren gegeben hat
Noch in zwei andren Punkten weicht die Form dieses
Lisztschen Faustsatzes von der Sinfonik des 19. Jahrhun-
derts ab: in der Beschränkung der motivischen Entwicke-
lung und in der Äußerlichkeit der Übergangsideen. An
beide Erscheinungen haben seine Gegner bis zu einem
gewissen Grad mit vollem Recht ihre Bedenken und ihren
Tadel geknüpft Gegen eine sparsamere Verwendung moti-
vischer und thematischer Arbeit läßt sich grundsätzlich
schon deshalb wenig einwenden, weil dieses Erbe einer
philosophisch und poetisch sehr reichen Zeit den geistig
391
ärmereu Sinfoniekomponisten von heule und ihren Zu-
hSrern in der Regel Verlegenheit bereitet.
Der 2 weite Satz 4er Faustsinfonie ist »Gretchen«
übeischiieben. Dieser Gretchensatz ist durch Einzelauf-
fühnmgen bekannt geworden und hat auch in denjenigen
Kreisen Freunde gefunden, welche der Natur und der
Form der Faufitsinfonie, wie überhaupt der ganzen Lisütp
sehen Kunst, apathisch oder feindlich gegenüberstehen.
Er verdankt diesen Erfolg der gleichbleibenden Freund-
lichkeit des Inhalts und der gewinnenden Einfachheit,
mit der Gretchens holde Mädchengestalt gezeichnet ist
Dieser Gretchensatz (Andante soave, Hauptzeitmaß: s/4,
Asdur) zeigt die auch bei langsamen Sätzen bekannter*
maßen seit Haydn übliche Dreiteilung, das Sonaten-
schema, aus Themengruppe, Durchführung und Reprise
bestehend. Ein kurzes, träumerisch und weich schwär-
mendes Präludium von Flöten und Klarinetten leitet den
Satz ein, dessen erstes, schlichtes Thema einen lieblichen,
zarten Charakter hat:
AndAOte
Beim ersten Eintritt trägt es die Oboe vor: nur vo|i einer
Bratsche begleitet, ein Meyerbeerscher Instrumentations-
effekt! Liszt hat aber diese dürftige seltsame Begleitung
aus Innern Gründen gewählt: Es kam ihm darauf an, die
Gestalt Gretchens zwar eigen, aber ganz bescheiden und
unscheinbar einzuführen. Bei jeder Wiederkehr erscheint
uns die zarte Melodie stattlicher und bedeutender. Der
Zuhürer hat sie zu merken, denn im Schlußsatz der Sin-
fonie übernimmt sie die poetische Hauptrolle. Das zweite
Thema:
rfff/cr itm6ro$»
--♦ 392 ^^
das vom |)eruh igten Gtemüt, vom heimlichen sicheren
Liebesglück zu erzählen scheint, ist eine von Liszts ge-
lungensten Melodien. Eine sehr gewählte, durch nach
oben gehende 'Baßvorhalte eigene und schöne Harmonie
erhöht die Wirkung. Zwischen den beiden Themen liegen
einzelne frappante Momente: ein Oboeneinsatz auf -einer
jähen Modulation, als wenn in Gretchen plötzlich der
Gedanke an Faust erwachte: eine kleine Episode, in
welcher zuerst Flöten und Klarinetten, dann die Violinen
mit, erst schüchtern und _
Jeise, dann laut und stttr-=?£=|tfi _n J ^ £ ,U f j ]rjj__
misch erregt, um die Motive um^ ^ ^ ~ "
wie um »Er liebt mich« und >er liebt mich nicht«
spielen. Bald nachdem das zweite Thema veiklungen,
setzt das Hom mit dem Liebesgesang des ersten Satzes
ein (s. Thema c): Faust tritt auf! Mit diesem Momente
beginnt der zweite Teil des Andante» verläuft aber sehr
ungewöhnlich. An Stelle einer Durchführung und Ver-
arbeitung der eben gehörten beiden Themen bringt Liszt
Reminiszenzen aus dem ersten Satz der Faustsinfonie.
Zu dem Liebesthema treten die Klagen Fausts, die Motive
des Ringens und HofTens (Thema b). Zum Teil erscheint
die MuSik als eine wunderschöne Szene des Gefühlsaus-
tauBChes, über welche der Instrumentenklang magisches
Mondlicht leuchten läßt In Fausts Seele wird es ruhiger
und milder, seine düsteren Gedanken überkleidet ein heller
Schimmer; Jubel und Jauchzen klingen aus seiner Brust
Dann wird schnell abgebrochen, als wenn eine Vision
plötzlich schwindet Die Reprise setzt ein, bringt das
erste Thema mit 4 Soloviolinen, zitiert nochmals kurs
das Liebesthema und geht über das zweite Asdur-Thema
schnell zum Schluß.
Der dritte Satz führt den »Mephistopheles« ein.
Die ersten Takte entwerfen kurz und meisterlich das
Signalement des kalten, frechen, kecken, frivolen Patrons,
geben ein Bild von seiner herausfordernden Geroeinheit
ebensowohl als von der vollendeten Sicherheit und
Leichtigkeit seines Auftretens. Dann beginnt die »Spott-
--♦ 893 ♦^
gebart« ihre Arbeit: spotten, verneineii and verhöhnen.
Die Themen Fansta ans dem ersten Satz werden ver-
serrt, verrenkt und mit burlesken Schnörkeln versehen.
Das erste Thema wird durch Tempo und angehängte
Figuren zur Fratze gemacht, das zweite durch einen
bissigen Rhythmus in folgende Mißgestalt verwandelt:
Aiügro vivac«. Zur besonderen Ziel-
£ ^\ {I j I j f fiijgga^^=g=s= Scheibe seines maliti-
THr Ösen Humors hat sich
Mephisto, »der Geist, der stets verneint«, das Liebes-
motiv der Sinfonie ausersehen. Er zerreißt eä, wirft die
Stücke hin und her, verfolgt es unaufhörlich, zieht ihm
Narrenkleider an:
Jt^^iiir"j-»iJjgg-TTnnrri3iJj??p MF^i
— tind auf dem Qipfel des Obermutes angelangt, jagt
er es endlich in einer regelrechten Fuge zu Tode.. Es
ist etwas dämonisch Fortreißendes in dieser Schilderung
der Mephistofei ischen Lustigkeit, und die Bewunderung,
die wir der Virtuosität zollen müssen, mit welcher Liszt
die Themen der früheren Sätze umgebildet hat, wird in
nichts dadurch vermindert, daß wir uns an das Muster
erinnern, welches in der Sinfonie fantastique von Berlioz
hierfür berei.ts vorlag. Denn dieses Muster hat Liszt be-
trächtlich überboten. Hier ist die motivische Arbeit, auf
die im ersten Satz verzichtet wurde, glänzend und in
neuer Weise geleistet. Es kommen aber in diesem Finale
der Faustsinfonie auch Momente vor, welche über ein
Charakterbild Mephistos im engeren Sinne hinausgehen
und an den Verlauf der Goetheschen Dichtung anknüpfen:
Mitten in den wildesten Exzessen der Höllenmusik ertönen
feierliche und dumpfe Klänge, die an Grab und Geister-
welt erinnern. Die erste Mahnung dieser Art erklingt,
nachdem wie unter Hohngelächter Fausts erstes Thema
-^ 394 ♦—
(mit dem ttbermäßigen Dreiklaug; yorflbergezogen ist, ernst
und schwer unter Paakenbegleitnng von den Bläsern her.
Sie kehrt sofort wieder, als die Bratschen jenes oben ge-^
gebene Fugenthema eingesetzt haben, die warnenden und
drohenden Stimmen lassen sich dann w&hrend der Ver-
spottung von Fausts heroischem Thema breiter und
schauerlicher vernehmen (Gestopfte Hörner!}. In seiner
»Hunnenschlacht«, wo ein ähnlicher Creisterkampf ge-
schildert wird, behandelt Liszt beide Parteien gleichmäßig
breit. Hier steht nur Mephisto in voller Tageshelle auf
dem Bild;- die Himmelsmächte stecken gewissermaßen
in den Wolken, aber ftir jeden, der den Komponisten
überhaupt verstehen will, deutlich sichtbar. Den Sieg
entscheidet schließlich Gretchens blasses Bild. Im Haupt-
thema des zweiten Satzes schwebt es heran und wird
nach einem langen letzten Ansturm, in dem die gesamte
Teufelsmusik noch einmal durchgenommen wird, zum
Zauberschild, vor welchem Mephisto das Feld räumt:
Die Musik geht in ruhigen Orgelton tiber, ein Männer-
chor tritt auf und deklamiert in der alten knappen Weise
der frfihchristlichen Psalmodie »Alles Vergängliche etc.«:
Der Solotenor flicht in diese einfach weihevollen, kirch-
lichen Klänge zum letztenmale Gretchenmotive hinein,
und so klingt das Werk mit einer mystisch verklärten
Wendung aus.
F.Mut, Liszts im Jahre 18ö6 vollendete Dante-Sinfonie
Oantc-Sinfonie. hat nur zwei Abtheilungen t Inferno und Purgatorio, Na-
men, die uns in Phantasiegebiete führen, welche die Musik,
in erster Linie die kirchliche, seit alten Zeiten oft genug
aufgesucht hat. Gegen einen ursprünglich geplanten
dritten Teil: »Paradies« sprach R. Wagner im Juni 1856
lebhafte Bedenken aus*). DaG Liszt in seiner Schilderung
von Hölle und Fegefeuer der Divina Comedia Dantes folgt,
wird aus einzelnen Zügen des ersten Satzes bemerkbar,
namentlich durch die süße Szene, welche der Erscheinung
*) Briefwechsel zwinchen Wagner und Lltzt(1887), I. Band.
8. 78.
«^ 895 ♦—
de& klassischen Liebespaares, Franzeska und Paolo, ge-
widmet ist. Keineswegs aber versucht der Komponist die
ganze Pragmatik der Dichtimg ins Musikalische zu fiber-
tragen und den Dichter auf allen Gängen zu begleiten,
sondern beschränkt sich, wie in der Mehrzahl seiner Pro-
grammkompositionen, auch hier dairauf, wenige hervor-
ragende Ideen, solche, die musikalisch faßbar sind,
nachzudichten- und denjenigen TeU ihrer Seele bloß-
zulegen, welchen die Töne voller und mächtiger wieder-
geben können als die Worte. Das Inferno trägt eine
Art musikalische Oberschrift: eine wuchtige Melodie der
Blasinstrumente, Lento.
die dius hier
stehende Thema
unter unheimlicher Begleitung von Paukenwirbel und
Tamtamschlägen in dreimaligem Anlauf höher und höher
tragen. Diese Melodie soll uns die Worte vor die Phan-
taue rufen, die über Dantes Höllentor stehen: »Per me
si va nella cittä dolente etc.« Das berühmte >Laaciate
ogni speranza etc.«, von Trompeten und Hörnern in dem
bekannten Stile der Opemorakel und Geistererscheinungen
hingeschmettert, bildet ihren Abschluß:
LentD. .
jf iii mm I II iii^
Der nun folgende erste Teil gilt der Schilderung der
Hölle, ihrer Schrecken und Schauer, und bestreitet diese
Aufgabe mit dem Aufgebot aller düsteren und furchtbaren
Elemente der modernen Musik : mit chromatischen Figuren
und Motiven, mit freien Nonenakkorden und zusammen-
geketteten Dissonanzharmonien, mit einer bald zuckenden,
bald fieberisch hastenden Rhythmik, mit Instrumenten-
kombinationen, die drohen und ängstigen, mit allen Hilfs-
mitteln der Tonwelt in ihrer doppelten Natur, als Kunst
und als Naturerscheinung. Den Abschluß dieser Partie
bildet die erneute Intonation des Themas des >Lasciate«,
jetzt noch von Posaunen und Tuben verstärkt. Und nun er-
r
AI
--e 396 «^
klingen doppelte Harfen, duftig und leicht schweben Figuren
in Flöten und Violinen auf und nieder, die Baßklarinette
stimmt ein Rezitativ an: Klarinetten und englisch Hom
lösen sich mit schmachtenden und wehmütigen Weisen ab:
Das klassische Paar erscheint in der Hülle eines musikali-
sehen Dialoges. Das Cello beginnt an einen kurz vorher ge-
hörtenZwiege- ^^^ ^^^^^^
sang der «^ay^M it, , . fTT^. ■■^rVtfp if^
rinetlen an ;yWy t ^ P" "P IT f^L ' ^
lehnend mit: <^o^^^ -
Die Violinen, baM von den Bläsern unterstützt, antworten:
Andante an»oro«o, ^US diesem
m — r-^-^M . ^£ . . T n Material ent-
r r p M rrr-r r-MM wickelt sich
dolce — =^=— ein breiter
Satz, der zu Liszts sdiöa^ten Erfind angen zählt und an
Zärtlichkeit, Innigkeit und Wärme an das Beste heran-
reicht, was die moderne Oper auf diesem Gebiete auf-
zuweisen hat Das Thema des »Lasciate« verscheucht
dieses liebliche Bild, und die Greuel der Hölle vollführen
einen zweiten Reigen.
Wenn dieser Satz im Totaleindruck Liszt vorwiegend
von der Seite des unerbittlichen Charakteristikers zeigt,
so ist der Purgatorio dagegen eine Idylle größten Stils,
durchaus anheimelnd und mehr als das: auch erhebend.
Der erste Teil des Purgatorio beginnt wie eine Szene
auf der Bergeshöhe: Leise säuselnd sammeln sich helle
Akkorde und umwogen uns wie leichte Wolken, anmutig
sanfte Melodien, die in Wagners »Karfreitagszauber«
passen würden und an Liszts ^ Andante.
eignen »Orpheus« erinnei'n,wech--jLa-j j j |J j j | ^j
sein mit einer religiösen Weise: **^ # - -=
Mit Rezitativen und einsamen Vioiinfiguren wird Um-
schau gehalten, nach dem Wege zum Himmel gesucht
und leise der Erde gedacht, die mit ihren Leidenschaften
unendlich weit abliegt von diesem reinen Gefilde. Es
gibt kaum eine zweite Orchesterkomposition, in der ein
ätherisch verklärter, alles Materielle abstreifende Ton so
-^ 397 «^
«ntschiedeu festgehalten wird, wie hier. Das ergibt aber
für den Vortrag Schwierigkeiten, die nur ganz selten
überwunden werden. Diese scheinbar so leichte Musik
verlangt die gründlichsten Proben und vollständiges gei-
stiges Einleben jedes Blitspielenden. Den zweiten Teil
des Purgatorio bildet ein Fugensatz über folgendes
Thema:
LUB6Bt080.
^ ^ Aus diesem Fugensatze klingen Re-
; J) r] Sp f A|J^ signation und Betrübnis. Das oben
<i^ angeführte religiöse Thema schließt
ihn ab und und leitet zum letzten Abschnitte des Pur-
gatorio über: einem Chorsatz. In ihm intonieren Frauen-
stimmen das Magnifikat und führen seine frommen Themen
in einer einfachen Weise durch, welche sich dem Palestrina-
stil nähert. Das Orchester geht in schimmernden Klängen
mit, bald zart und mystisch wie eine Aeolsharfe, bald
mächtig und in ruhiger Pracht dahinrauschend. Liszt hat
für diesen Schluß zwei Lesarten gegeben, von denen die
erste leise ahnungsvoll verhallt, die andere extatisch
und verzückt im Forte abbricht
Es wird an anderer Stelle*) auszuführen sein, wie
Liszt in seiner weitem Entwicklung dazu kam, die mehr-
sätzige Sinfonie aufzugeben und sich ausschließlich dem
neuen Typus der sogenannten >sinfonischeu Dichtungen«,
die durchaus einsätzig sind, zuzuwenden. Im Inland und
Ausland ist auf diesem Gebiete Liszts Gefolgschaft der-
art gewachsen, daß die mehrsätzige Programmsinfonie
dagegen zurücktritt.
Joachim Raff ist der Tonsetzer, welcher sie nach J.Baff,
Berlioz und Liszt eine Zeitlang am erfolgreichsten ver* *^^ Walde.
treten hat. Es kommen hier unter seinen neun Sinfonien
die Sinfonie »Im Walde« (Op. 163) und die »Lenore«
*) Im 3. Band dieses Werkes, der Konzerte, Ouvertüreo,
Varlatloneii nnd andre einsätzigeOrchesterkompositionen enthalt.
}
398
(Op. 177) alfl die verbreitetsten in Betracht. Ralf hat m
beiden WeriLen die viersätxige Gestalt der Sinfonie etwas
unkenntlich gemacht, indem er seine Konipositionen in
drei Abteiinngen gruppiert; aber wenn man die einzelnen
Abteilungen näher prüft, so findet sich der vermißte yierte
Satz irgendwo als blinder Passagier.
In der Waldsinfo nie fti^t der erste Satz den
Titel:. »Am Tage: Eindrücke und Empfindungen«. Er ist
originell eingeleitet durch einige präludierende Takte, in
welchen die beiden Hauptthemen des Satzes verkürzt ihre
Schatten voranswerfen. Das erste Thema setzt dann im
munteren Wandertone ein:
Allegro
Sein Abschluß und die Über-
leitung zum zweiten Thema
dauern etwas lange, dann
aber kommt letzteres als ein echter Raff:
Die Terzenbegleitung der Melodie, No-
___ nenakkorde als harmonische Stütze der
•*•> Hauptpunkte gehören zum Signalement
dieses Komponisten; wenn er zum Gemüte sprechen
will, kommt ihm in der Hälfte aller Fälle diese volks-
artige Weise auf die Zunge. Sie folgt ihm wie eine Er-
innerung aus Heimat und Kindeijähren und fehlt fast in
keinem von Raffs größeren Werken. Die Anlage des
Satzes ist die für ein erstes Allegro der Sinfonie übliche.
In der Durchführung treten zu den beiden Hauptthemen
noch allerhand kleine Waldteufel; auch verschiedene
niedliche Kunststücke (Kanons etc.) hat der Komponist
hier untergebracht, welche kaum jemand beachtet Die
schönsten Stellen des Satzes liegen abseits ^
vom Hauptwege: da wo das Orchester still rf' ' j ' I J^
den einfachen Rufen des Homs lauscht: 9 '^' '
399
Die zweite. Abteilang, betitelt: »In der Dümmerang«,
besteht ans zwei Sätzen: A. »Träumerei«, B; >Tanz der
Dryaden«, welche dem Adagio nnd dem Scherzo ent-
sprechen, wie wir sie sonst in der Sinfonie zu finden
gewohnt sind. Raff hat sie dadurch enger verbunden,
daß er ohne Pause in das Scherzo übergeht und an
dessen Schlüsse das Hauptthema des langsamen Satzes
noch einmal anklingen läßt. In der »Träumerei« ist die
Fflhrung einer Melodie übertragen:
Aidaffio.
Mio
LjiLÜJiL2:'m!''^ii='^'^^
. * , I . "■ ^^ welcher man die Kunst bewundern
j^J j^lJ j\J kann, mit welcher Raff, ein Genie der
"^''"^ ^^^^ Eklektik, Beethovensche, Schumannsche
und Wagnersche Elemente zusammenzuschmelzen ver-
stand. Der in seiner Wirkung edle Gesang entspringt
der Btust des Träumers. Die Traumbilder selbst, welche
sieh diesem zeigen, bestehen aus leichten Gaukeleien:
konzertierenden Figuren und Phrasen der Bläser. Der
»Tanz der Dryaden« — Hauptsatz Amoll, Trio Adur —
ist nichts als ein Pflichttanz, eine jener rein handwerks-
mäßigen Leistungen, die den Genuß der Raffschen Kom-
positionen immer wieder erschweren. Die dritte Ab-
teilung der Sinfonie heißt: »Nachts. Stilles Weben der
Nacht im Walde. Einzug und Auszug der wilden
Jagd mit Frau HoUe und Wotan. Anbruch des Tages«.
Man muß fragen, wie kommt auf einmal die nordische
Sage mit Frau Holle und Wotan in ein Tonwerk,
welches sich — unbeschadet des Dryadenzitats — bis-
her in der Sphäre einer reinen Naturdichtung bewegt
hat? Indes beginnt der Satz zwar gar nicht nächtlich,
aber musikalisch sehr ansprechend mit einer Fuge über
ein Thema*
_^ 400
AUegro.
welches ziemlich ähnlich anch dem Komponisten C. Gold-
mark bei seiner Sinfonie »Ländliche Hochzeit« eingefallen
ist. Aber dann überkommt Berlioz* böser Geist den
Tonsetzer und auf Konto der »Frau Holle« entfesselt er
ein Spektakelstück, das noch häßlicher, dabei aber viel
gewöhnlicher und uninteressanter ist, als die Höllenszenen
der Sinfonie fantastique und die Orgien des Childe Harold.
Eine Coda, welche die Fuge wieder aufnimmt und leise
verklingen läßt, sucht den Endeindmck zu retten. Heute
ist die Waldsinfonie und der ganze Raff auch bei den
Musikern im Kurs gesunken. Der spätere preußische
Kultusminister Bosse hat sie schon 1878 sehr abfällig
beurteilt*).
j. B»ir, Die Sinfonie »Lenore« ist Raffs beste Leistung auf
Lenore. dem hier in Betracht kommenden Gebiete: edel gedacht,
frei von den Auswüchsen einer ästhetischen Halbbildung
und musikalisch das Beste zusammenfassend, was Raff
zu bieten hatte. Eine volle Originalität der motivischen
Erfindung, wie wir sie von den Führern und Meistern
unserer Kunst verlangen, ist auch in der Lenore nicht
zu finden. Fast jedes ihrer Themen zeigt in einem Teile,
zuweilen in der ganzen ersten Hälfte auf fremdes Eigen-
tum, hier sind Beethovens Quartette die Quelle, dort tritt
uns Schumanns Klavierkonzert entgegen. Aber die ein-
mal aufgestellten Gedanken sind in dieser Sinfonie zu-
weilen mit dem Schwung und der Wärme behandelt, die
den großen Künstler macht, und verfiele nicht Raff auch
hier hin und wieder in eine bequeme, unausstehliche
Redseligkeit, in das rein formelle »Musikmachen« ^ so
würde die »Lenore« geeignet sein, den Namen ihres
Schöpfers bei der Nachwelt zu verewigen.
Die erste Abteilung der Sinfonie schildert das »Lie-
besglück«. Sie besteht aus zwei selbständigen Sätzen, die
*) H. Bosse: Erinnerungeo. (Grenzboten, Jahrg. 19M.}
401
dem gewöhnlichen ersten AUegro und dem Adagio in der
Sinfonie entsprechen. In dem Allegro herrscht ein er-
regter Geist. Die Liebe redet in Tonen des Ober-
schwangs, in Themen, die kein Ende finden wollen:
AUegro
;LLLij ij' ' 'LL'm' ^"JiN^^p
^rtiLLfi
^ ^'V^'^'^N^ Dem Jubel und dem still glücklichen Sin-
*r ff f ^^pj» jf :nen folgen Szenen, aus denen Sehnsucht
und Dankbarkeit zugleich sprechen.
0 jj l|i,l_j Mi^r IJL^ irXl ' A '
Einen der schönsten Momente des Satzes, einen Augen-
blick still süßen Erinnems, zeichnet Raff wieder
mit einer seiner .. — ^ -^ ^^TTT^ ♦"^
volkstümlichen ^h^-p-ifj^^ } ]* ff P f I f P I
Terzenmelodien : *^ «»
In dem Durchführungsteil dieses Allegro lassen sich
Klänge banger Ahnung hören. Der zweite, der lang-
same Satz der ersten Abteilung gleicht einem Gespräch
der Liebenden, beherrscht von dem ruhigen Tone der
des Besitzes sicheren Liebe. Naive, trauliche, herzliche
Gedanken, von der Art wie das Hauptthema beginnt:
Andante largbetto. werden ausgetauscht; lä-
chelnd hält der Bursche
dem Kosen und Flüstern
seines Mädchens still; freundlich bestimmt zusprechend,
beschwichtigt er die Sorgen Leonores, die in der rezitativ-
artigen GismoU-Episode des Satzes einen erregten Ans-
Kr«txichmar, Führer. I, 1.
26
-^ 402 ♦—
druck finden. Die zweite Abteilang, betitelt »Trennung«,
besteht in der Haoptform ans einem MaiBCh, der alten
Zuschnitt hat und in manchen Wendungen direkt an den
»Hohenfriedberger« erinnert. Der Krieg ist ausgebrochen:
Wilhelm muß fort. Ein Mittelsatz (Agitato in Gmoll) ent-
hält die Abschiedsszene der Liebenden; ein Tonbild aus
leidenschaftlichen, wie ratlos irrenden Figuren, weh-
mütig klagenden Weisen und schmerzvoUen Akzenten
zusammengesetzt. Dann setzt der Marsch wieder ein,
am Schlüsse hört man ihn wie aus der Feme. Es ist
viel poetische Kraft in dem einfachen Entwurf dieser
zweiten Abteilung. Die dritte Abteilung behandelt die
»Wiedervereinigung im Tode« mit Grab- und Ghoralmusik, '
in welche sinn« und wirkungsvoll die Motive des Trennungen
marsches und der langsamen Liebesszene hineingezogen
sind. Am Anfang der Abteilung bringt Rafif wohl im
Sinne eines Zitats den Abschnitt: »Wenn alle Toten
auferstehn« aus der großen Szene des »Fliegenden Hol-
länders« in R. Wagners gleichnamiger Oper. Den schauer-
lichen Geistercharakter der Situation deutet ein in den tie-
feren Instrumenten unaufhörlich wühlendes kurzes Motiv
. an. Am Schlüsse läßt der Komponist über den
/V7 S> Spuk und Lärm der viel zu langen Gespenster-
szene den Vorhang fallen und spricht einen sanft weh-
mütigen und ergreifenden Epilog.
Von den übrigen sieben Sinfonien Haffs gehören noch
mehrere der Programmusik an: »In den Alpen«, »Jahres-
zeiten«, »An das Vaterland«. Wie die unbenannten
Werke der Gattung aus der Feder des Komponisten,
anter denen die GmoII-Sinfonie die wertvollste ist, teilen
sie unleugbare große Schönheiten mit unbedeutenden
zierlichen Spielereien und Öden Partien der bloßen Rou-
tine. Die Vorzüge einer ungewöhnlichen, starken Ein-
bildungskraft, eines warmen Gemüts, welche dieser Ton-
setzer besaß, wurden wett gemacht durch den Mangel
an jener Sammlung und Hingabe, welche ein wesentlicher
Teil der Poesie selbst ist, durch das Fehlen jener Kritik,
welche Bureaudienst vom Dienste der Kunst unterscheidet
«^ 403 #^
Eine andere Sinfonie »Leonore«, die ebenfalls der A«if. Kligkarii.
Bailade Bürgers folgt, ist von Angust Klughardt ver- »Leonor««.
öffentlicht worden. Sie hat vier Sätze, nnter denen em
Adagio wegen seines Reichtums an- innigem, unge-
künsteltem Ansdrnck hervorragt. Auch in den anderen
Sätzen, wo die Situationsmalerei überwiegt, spricht Ge-
müt und Herz in fesselnden Partien. Das Werk ist leider
zu wenig bekannt geworden.
Unter dei^'enigen neueren Sinfonien, welche in der
hergebrachten viersätzigen Form ein Programm durch-
zuführen suchen, ist als eine der frühesten Aberts
»Golumbus« zu nennen. Eine der musikalisch gehalt-
vollsten Programmsinfonien der vermittelnden Richtung
besitzen wir in dem »Wallenstein < von Jos. Rhein- J. Biieiuberger,
berger. Der Komponist hat aus der Schillerschen Tri- WalienBiein.
logie die Figur der »Thekla«, die Lagerszene mit der
Kapuzinerpredigt und den Tod Wallensteins zur musi-
kalischen Illustration ausgewählt und diese drei Objekte
an das Adagio, das Scherzo und das Finale der Sinfonie
verteilt Den noch -freien ersten Allegrosatz benutzt er
zu einem »Vorspiel«. Das letztere führt uns am Anfang
mitten hinein in das frische, kräftige Lagerleben:
AllegTo con faooo. ^
JÖ* etc.
Wallen stein steht hier noch fest und herrisch in der
Menge; später zeigt ihn der Komponist in seinem Schwan-
ken zwischen düsteren Ahnungen und freundlichen Zu-
kunftsträumen. Auf letztere bezieht sich wohl das eigen-
tümliche Thema der Bläser, welches mit dem langen
Verweilen auf einem Tone beginnt und dann so traulich
Schubertsch schließt. Einzelne Melodien des Vorspiele
sind von einer so ausgeprägt weiblichen Schönheit, daß
sie uns von Wallenstein weg an Max und Thekla denken
lassen. Dahin gehört das träumerisch wiegende Thema:
^ ^ 4r^ welches auch in
i i fi Ifrl Ip^^j l'r r r r I^M dem Adagio der
** ? -—= ==^ / tÜT Sinfonie ver-
26*
-^ 404 «^
wendet ist. Dahin wohl auch die italienisch anklingende,
direkt mit der (erst später erfundenen) »Mandolinata«
verwandte Melodie:
Pill moderato.
welche die Durchführung einleitet und einen großen Teil
derselben trägt. Die Nähe der Schicksalsmächte wird im
Vorspiel in kurzen, schwermütigen Motiven, in Fermaten,
welche den lebendig bewegten Gang der Darstellung be-
deutsam unterbrechen, angedeutet.. Ihnen namentlich
scheint die hymnenartige Melodie zu gelten, deren Haupt-
motiv A A A Sie tritt
folgen- Ai ^ I '»' I ''" I S-p"* "ptf^-pw^jy \ immer in
des ist: •'^ ^ ^lüT dunkler
Instrumentierung auf, so oft sie in dem Satze erscheint
Beim letzten Male geht ihr eine sehr eindringliche Klage
aus dem Munde der Klarinette voraus. Auch im zweiten;
im langsamen Satze der Sinfonie k^hrt sie wieder.
Zu den leicht verständlichen Werken der Programm-
musik gehört Rheinbergers Tongemälde nicht; am wenig-
sten das »Vorspiel« mit seiner Fülle von teilweise sehr
vieldeutigen Themen. In der musikalischen Behandlung
des Materials macht sich der Einfluß Beethovens in einer
seltenen Stärke bemerklich. Durch das >Vorspiel< blickt
deutlich die zweite >Leonorenouvertüre«.
Das Adagio der Sinfonie, »Thekla« überschrieben,
wird von folgender schönen Hauptmelodie getragen:
Auch das zweite Thema ist in seinem mädchenhaften
zarten Charakter nicht mißzuverstehen. Während es die
Bläser singen, begleiten die Violinen mit munteren Mo-
tiven, welche das träumerisch schwärmerische Bild der
Tochter Wallensteins mit einem anheimelnden Zusatz
von Zierlichkeit ergänzen. Am Ende der Themengruppe
405
erscheint eine kleine Episode erregter Natur, welche der
Blnmenszene Gretchens in Liszts >Faust« ähnlich ist
Sie stützt sich ^ p>, f„ In der Schlußhälfte des
musikalisch auf Hfr4^ J Jl ■ Satzes wird Thekla wie-
das kleine Motiv: 5? derholt von Gefühlen stüi^
mischer Unruhe ergriffen. In einem derartigen Momente
ist es, wo das früher erwähnte Hymnenthema des ersten
Satzes beschwichtigend eintritt
Das Scherzo >Wallensteins Lager« wird viel einzeln
aufgeführt Es verdankt diese Bevorzugung seiner be«
stimmten Charakteristik, der Einfachheit seiner Form und
seiner launigen Natur. Die Stütze seines * Hauptsatzes
bildet das Thema:
AXicwxtüo,
n^^i^^a» # U™ dasselbe herum reiht sich eine kleine
^a^^y^ Suite lebendiger BUder, welche das Sol-
— datenleben von seiner fröhlichen Seite
veranschaulichen. Der Triangel klingt mit detn Becken;
ab und zu gibt auch die große Trommel grotesk einen
dumpfen Schlag darein. Man spielt und tändelt anmutig
und gemütlich; zuweilen werden auch die Szenen wilder,
barsch und derb. Unter den vielen Nebenthemen, welche
im Satze erscheinen, macht sich besonders das folgende
bemerkbar:
Es ist die Melodie zu »Wilhelmus von Nassau«, einem
niederländischen, in der Zeit der Reformation sehr
beliebten Reiterlied. In versteckteren und offenen An-
spielungen durchzieht dieser Volksgesang das ganze
Scherzo von Anfang an. Schließlich intonieren es die
Bläser in seiner Originalgestalt zur Freude des Chorus,
welcher es brausend aufnimmt Da auf einmal: General-
pausen, Dissonanzen — ein Wirrwarr entsteht Der Ka-
puziner ist da! Seine Predigt vertritt das Trio des
— » 406 »^
Scherzo. Außerordentlich gelangen hat Rheinberger den
bald bissigen, bald larmoyanten, bald salbungsvollen
Ton nachgeahmt, welchen der Pater bei Schiller anschlägt,
und die Drastik der originellen Szene wird in der Mnsik
noch dadurch erhöht, daß hier auch die Reaktion der
unfreiwühgen Zuhörer zu einem treffenden lebendigen
Ausdruck kommt. Der Haupttrumpf, welchen die über-
mütigen Landsknechte dem Strafredner entgegenstellen,
ist das Reiterlied.
Der vierte Satz der Sinfonie, »Wallensteins Tod«,
hat einen kurzen Prolog (Moderato, Dmoll, o/s), welcher
den tragischen Inhalt des Kommenden in schreckenden
und klagenden Tönen kurz feststellt und dem unglück-
lichen Helden einen edlen Trauergesang widmet. Dann
beginnt mit dem AUegro vivace (Ddur, y^) ouie Schil-
derung der letzten Stunden Wallensteins. Bin Tonge*
murmel, dem im Scherzo von Beethovens Eroica ähn-
lich, sagt uns, daß die Szene in der Nähe des Soldaten-
lagers spielt. Wir hören muntere kriegerische Weisen:
Auch Wallenstein scheint
zu lauschen, bis
allmählich in Träu-
mereien versinkt, drückender Natur die einen, liebens-
würdig entzückend die anderen:
Alleg-ro Tivace. AuCh
i |< II n I I r H I I r' I l l amen
^ Jr *'^ er al
«(0.
Das Schlußbild seiner Visionen (Allegro, 0} gleicht einem
Triumphzuge. Wallenstein erwacht. Wieder hören wir
den Lärm des Lagers. Der Fortgang ist wie vorhin. Nur
lenkt, die Traumszene jetzt in eine wunderschöne Schlum-
merszene (Adagio, 9/8, Hdur) über. Zum dritten Male be-
ginnt darauf die Musik mit der Schilderung des Treibens
im Lager. Wieder träumt Wallenstein. Jetzt aber werden
die Motive von grellen Signalen der Posaunen und Trom-
peten, von wilden Figuren, von Dissonanzen und von
einem gräßlichen Aufschrei des ganzen Orchesters ab-
gelöst. Die Katastrophe ist vorbei! Mit einem kurzen
407
Epiloge, dessen Knappheit auf die Realistik der letzten
Szene sehr beruhigend wirkt, entläßt uns der Komponist
Schiller hat noch zu anderen Programmsinfonien
Veranlassung gegeben, die im Publikam wenig bekannt
geworden sind: M. Moszkowskis »Joanne d*Arc<,
J.L. Nico dös »Maria Stuart« etc.
Eins derjenigen Werke, in welchem zwischen Pro-
gramm und Musik nur ein lockerer Zusammenhang be-
steht, ist die frQher viel gespielte Sinfonie »Frithjof« H.HorMaa«,
von Heinrich H o f m a n n. Der Kom ponist beschränkt sich »Fritl^of«.
auf den erotischen Teil der bekannten Sage E. Tegnörs
und entwirft in dem ersten, zweiten und vierten Satze
seiner Sinfonie von dem Glucke Frithjofs und Ingeborgs,
▼on ihrer Trennung und ihrem Wiederfinden eine Schil-
derung, welche an und für sich beredt ist, aber sicher
auch auf jedes andere Liebespaar ebenso gut passen
würde. Das Lokalkolorit, unter welchem wir die Bilder nach
dem Titel des Werkes gern sehen möchten, ist in einem
eingeschobenen dritten Satze »Lichtelfen und Reifriesen«
extra beigegeben. Im ersten Allegro der Sinfonie,- »Frith«
jof und Ingeborg« überschrieben, wechseln, in der Sprache
der modernen Oper geflüsterte, zärtliche Geständnisse,
schmeichelnde und kosende Reden und überschwängliche,
glühende Erklärungen. Die beiden Hauptgestalten sind
in ihren Themen mit Motiven charakterisiert, welche im
Finale der Sin- Ane|M.
(\' Hi iTTTj! rrrnj'i i i [ n
Der zweite Satz heißt »Ingeborgs Klage <
Mädchen ist repräsentiert durch:
Das trauernde
-A-M-
AAMgio.
und durch das
Pili uiiiiiato.
Schumannsehe ^^I.J M Hf I' iT^.'^iU^
(Cdur-Smfonie): * » ■■= =*- n-»"
^
408
la der sehr kurzen Darch-
führang ist eine Episode
das hoffen-
de durch:
der Erinnerung an Frithjof gewidmet. Sie steht auch
motivisch mit dessen Thema in ei- ' w \ ______ i f 7-
iiem erkennbaren Znnnmmnnhnnc" ^ ^" U ^jtl ^^ ^"
Die »Lichtelfen« des dritten Satzes (>Intermezzo€)
werden durch folgendes Hauptthema gezeichnet:
Alltgro »oderaio.
P
yf Viol. c. Bord.
Die »Reif-
riesenc füh-
ren über:
einen Tanz aus, des$en wilder Charakter durch hohe
Triller und durch kompakte Bläsermassen noch verstärkt
wird. Die Erfindung und die Entwickelung der Themen
zeigt den Einfluß von Mendelssohn und Gade. Das
Eigenste des Komponisten liegt in der lebendigen Farben-
mischungf zu deren Reizen ein Glockenspiel einen außer-
gewöhnlichen Beitrag steuert.
Der vierte Satz, »Frithjofs Rückkehr«, beginnt mit
einer anschaulichen Einleitung. Hornsignale tönen von
allen Seiten, alarmierende Figuren der Violinen rufen
uns, einem festlichen Ereignis zuzuschauen. Die heimat-
lichen Helden kehren als Sieger zurück, wie uns das
aus Wagnerschen und Weberschen Elementen zusammen-
gesetzte und mit einem frischen Kopfe gekrönte Haupt-
thema sagen will:
Allegro vivao«.
XT Viol.
Die Seitengedanken und das zweite Thema:
h\ i*'nMi)>"nT3i/rTriJ'].j:irfj;ri|-r^i(.
Hochzeit
. _^ 409 «^
•
wenden sich intimeren Herzensangelegenheiten zu. Schließ-
lich erscheint Ingeborg mit ihrem Thema ans dem ersten
Satze der Sinfonie. '
Eine nach dieser Sinfonie veröffentlichte Programm- *
-Buite H. Hofmanns, >Im Schloßhofe«, gehört zu den
besten Leistungen des Komponisten.
Ebenso und noch mehr lose als im »Fritlgof« smd
die Beziehungen «wischen Titel und Inhalt in der Sin-
fonie »Ländliche Hochzeit« von Car} Goldmark. Der C.eoUaark,
Gegenstand ist für ein bescheideneres Grenrebild, etwa im 'J'^^jD^^^
Umfang und Stil der »FestUänge« von Liszt, sehr ge-
eignet, aber für eine Sinfonie odör eine große Suite —
das letzlere ist die Goldmarksche Komposition eigentlich
— nicht wichtig genug. Auch ist der ländliche Charak-
ter des zur Darstellung gewählten Ereignisses nicht eben
eindringlich veranschaulicht; einzelne Partien wieder-
sprechen ihm geradezu. Aber die Goldmarksche Sinfonie
hat ihren musikalischen Wert. Sie verbindet Reichtum
der Phantasie mit einem teilweise eigentümlichen, immer
aber fertigen und sicheren Ausdruck.
Der erste Satz besteht aus 12 Variationen. Von
F. Lachner, der diese Form für den Eingangssatz der
Suite eingeführt hat, unterscheidet sich Goldmark da-
durch, daß er die Variationen frei durchführt Nur we-
nige bringen das ganze Thema; in einzelnen finden wir
nur kurze motivische Fragmente desselben, in einer dritten
Gruppe herrscht nur ein ideelles Verhältnis zum Modell.
Der Oberschrift nach bedeutet dieser erste Satz den
»Hochzeitsmarsch«. Im technischen Sinne marschmäßig
sind nur der Anfang und der zu diesem zurückkehrende
Schluß. Die Variationen haben wir uns als Figuren aus
dem Hochzeitszug oder als Stimmungsbilder zu denken:
einzelne phantastisch oder innig und beschaulich: die
Mehrzahl flott, feurig und freudevoll. Das Thema selbst
beginnt, in den Bässen allein, mit folgender Periode:
Moderato. f
Fß
^
— t 410 ♦—
welcher der entsprechende Nachsatz folgt Es schliefit
mit einem freien Abgesang:
I irifii iri7iP^^ipMjiipf^j|yirruii
dessen lange Noten sich sehr hfibsch in den Variationen
bemerklich machen. Von besonderem Reize ist die In-
strumentation des Satzes.
Der zweite Satz — »Brantlied« überschrieben ~ ist
eine knappe Komposition in der Form der dreiteiligen
Arie. Der Hauptsatz hat reizende Elemente Schabert-
scher Melodik. Sein f&hrendes Thema ist das folgende:
Allegretto.
Wahl der Tonart (Unterdominante) große Wärme.
Der dritte Satz, »Serenade«, hält die kunstvollere
Form der Sonate ein. Seine Themen:
Allegro moderato.
und das in der Durchfflhrang bevorzugte:
i,i J;?l^^^p|^^^l^^^|)p^^'lLL!J^^'''^ll'l'l|l
jTOb.
sind beide leichter, scherzender Natur. In der Instrumen-
tierung, die zuweilen eine dorfmäßige Einfachheit besitzt,
und in der Harmonie, in welcher die liegenden Baßquinten
eine große Rolle spielen, hat der Komponist ländliche
Züge sehr launig eingewebt
Der langsame Satz der Sinfonie führt den Titel
»Im Garten«. Die Einleitung dieser Szene und der
mit ihr identische Ausgang wird mit Recht als der
schönste Teil der ganzen Sinfonie angesehen. Das
— » 411 «^
I
Thema, Wel« ^ . Andante, oto« I I in . _
ches ihm zn- ^'' " ■ ^ If^^-Tmi | ,/ | I ^,1 |
Gnmde liegt: "^ . > u i -
bildet in dem wildea Finale der Sinfonie dann nochmals
eine kurze, zarte, tränmerische Episode. Den mittleren
Teil des Satzes (Ges dar, »/gTakt) bildet ein Liebesdialog,
in der glühenden Sprache von Wagners »Tristan und
Isoldec geführt
Der Schlußsatz der Sinfonie heißt »Tanz«. Sein Hanpt-
thema:
Allegpro moUo.
welches zunächst in der Form der Fuge ausgeführt wird,
bringt kecke und volkstumliche Elemente in die Kompo-
sition hinein. Unter allen Teilen der Sinfonie ist das
Finale derjenige, welche den ländlichen Charakter der
Hochzeit am treuesten veranschaulicht und ein wirkliches
Stück realistischer Programmusik bildet. Eigentümlich
und mehrdeutig sind die nach Klang und Tonart so
fremden Harfenakkorde, welche an mehreren Stellen des
Satzes mitten in den stärksten Tumult hineintönen. Die
menschenfreundliche Richtung der > Ländlichen Hochzeit«
und ihr Reichtum an gut volkstümlicher Erfindung lassen
es bedauern, daß Goldmaik sich auf dem sinfonischen
Gebiet nicht entschiedner ausgebreitet h at Seine zweite, 0. eoid mark,
programmlose Sinfonie (Bsdur, op. 86) ist, weil sie im Zweit« Sinfoni«.
Charakter und Stil zu bedenklich schwankt, ziemlich un-
beachtet geblieben. Dieselbe Verbindung pastoraler und
heroischer Elemente, welche die zweite Sinfonie von
Brahms auszeichnet, ist hier mißlungen.
Die neuesten und bedeutendsten Beiträge zur Pro-
grammusik hat Richard Strauß geliefert Aber dieser Biehnrd stmas,
Komponist hat sich bald für die Form der einsätzigen »Aus Italien«.
sinfonischen Dichtungen entschieden; Programmkompo-
sitionen von zyklischer Anlage, die dem Bereich der
Sinfonie oder Suite zuzuweisen wären, gibt es von ihm
nur eine. Sie heißt »Aus Italien« und scheint jetzt,
^
\ '
--• 412 •—
4
nachdem der Komponist In »Tod und Verklärung«, in
»Till Eulenspiegel« in »Also sprach Zarathustra«, im
»Heldenleben« und in der »Sinfonia domestica« kühnere,
die Aufmerksamkeit erzwingende Wflrfe getan hat, nach*
träglich stärkere Beachtung und Verwendung zu finden.
Mit diesem Werke vollzog der Komponist, der bis dahin
mit einer großen Fmoll*Sinfonie, mit einer einsätzigen
Serenade för Blasinstrumente und andren Beiträgen zur
sogenannten absoluten Musik, sich als ein stark eklek-
tisches, anlehnendes und für äußere Effekte begabtes
Talent gezeigt hatte, seinen Obergang in das Lager Liszts
und der Tonmalerei. Es ist sein Opus 16. Strauß nennt
die Komposition mit der ihm eignen Willkür und Sonder-
sucht, die sich auöh in den oft geradezu verkehrten
Tempobezeichnungeb des Werkes äußert, eine »Sinfonische
Fantasie«. Das eigentliche Formgebiet, dem sie von
außen und innen zugehört, ist aber das der Suite. Sie
ist eine Programmsuite von freundlicherer Art, wenn
auch nicht immer ganz maßvoll, so doch frei von eigent-
lichen Exzessen der Phantasie und der musikalischen
Ausführung und nach letzterer Richtung reich an Proben
eines koloristisch, in zweiter Linie auch melodisch her-
vorragenden Talents. -
Die Straußsche Fantasie oder Suite hat vier Sätze,
und die Hauptbilder, die er in ihnen vorführen will,
heißen: Auf der Campagna, In Roms Ruinen, Am Strande
von Sorrent und Neapolitanisches Volksleben. An Ver-
suchen, italienische Eindrücke wiederzugeben, ist die
Musik im allgemeinen nicht arm. Im Orchester allerdings
liegen sie, von der PilTerarisinfonie des Händeischen
»Messias« angefangen, nur spärlich vor und haben in
Berlioz' »Harold«, seinem »Römischen Karneval« und in
Charpentiers »Impressions d'Italie« die Hauptstücke auf-
zuweisen. Um so reicher ist die Kammer- und Klavier^
musik mit ihnen ausgestattet. Die Beiträge, die Strauß
in seinem Programm zu diesem Kapitel zu geben ver-
spricht, haben die musikalische Möglichkeit für sicL
Wer an die Gampagna, an Rom, an Sorrent, an Neapel
— • 418 %^
denkt, dem erweckt schon jedes dieser Worte eine Stim-
mimg für sich, jede groß und jede eigen. Und wenn
man die ungeheure FüUe landschaftlicher und historischer
Charaktere Italiens in seiner Phantasie aufsteigen läßt,
muß man dem Komponisten das Zeugnis geben, daß er
Hauptpunkte gewählt hat. Venedig beiseite zu lassen,
mag ihn vielleicht Liszts Tasso bewogen haben.
Was die »Campagna« (di Roma), die den Gegen-
stand des ersten Satzes (Andante, C} Gdur) bildet, poe-
tischen Gemütern von Horaz bis auf Moltke und Grego-
rovius immer wieder eingeprägt hat, ist vornehmlich
ihre schwermutsvolle Schönheit Hier der weiße Sorakte
mit den andren herrlich ragenden Bergen und das nahe
Meer, dort die Lavaströme, die die Fluren verwüstet,
menschliche Ansiedlungen im Tale und auf der Höhe
vernichtet haben. Eine Natur, die gelockt und gemordet
hat, eine Landschaft, deren Reizen die Tücke der Malaria
gegenübersteht.
Strauß hat vor diesen Gegensätzen mit dem Gefühl
des Rätselhaften und Geheimnisvollen gestanden. Fast
scheint es, als wolle er uns eine verrufene Stätte, ein
▼erwunschnes Land schildern, wenn er einsetzt:
Andante. J = 62
Der hervortretende Bratschenklang, die zwischen Moll
und Dur schillernde Harmonie, der schleichende Gang
der Motive geben der Stelle etwas Märchenhaftes, tot
Gespenstisches, etwas uralt Unheim-
liches. Das Leben der Gegenwart regt
sich in dem bescheidenen Motiv:
das die Flöten mehrmals leise in die Oede hinetnrufen.
Der Wandrer überwindet durch diese Lebenszeichen
die Fremdartigkeit des ersten Eindrucks; die Starre, die
sich seiner Empfindung bemächtigt hatte, weicht einer
Mischung von Neugier und Wehmut, die die Musik in
folgender Weise ausdrückt:
^
414
''■* jjllJllJl
Darauf setzt . das Oktavenmotiv, das die Flöten zu-
erst einführten, mit größrer Entschiedenheit, rascher
nacheinander und in zahlreichen Instrumenten ein;
die entfachte Bewegung verlischt aber sofort wieder.
Klagend steigen die HÖrner die Skala hinab und
der Wandrer faßt seine Eindrücke in eine Melodie, die
ebensoviel von großen wie von traurigen Erscheinungen
erzählt:
j f^ rT<i
In ihrem weitern Verlauf heitert sie sich mehr und
mehr auf, und als sie zum Es Dur-Schluß kommt, da setzt
die Trompete mit dem lebensfrohen Motiv ein, das sie
ius Thema 2 zuerst einfügte. Gleich einem Herolds-
signale locken diese wenigen Trompetentöne freundliche
Nebenmelodien herbei, die drängend und schwungvoll
in dieses zweite Thema selbst auslaufen. Sein Endteil,
der vorhin wehmütig klang, kommt jetzt in den Hörnern
glänzcDd und triumphierend. Er war ein Aufleuchten
der Stimmung. Noch ist der Horizont mit Gewölk be-
deckt. Das elegische Oktavenmotiv und das muntre Ein-
gangsmotiv des K I |— a k führen in den Bläsern
zweiten Themas J' I J- ^ «^ einen kurzen frischen
Kampf gegen einander, in den auch die Streichinstru-
mente J)ald hineingezogen werden. Das Resultat ist:
daß die Sonne und die Freude siegen. In einem gran-
diosen Fortissimo kehrt Gdur — zunächst als Quart-
sextakkord — zurück und bringt eine neue Melodie mit
sich, die, allerdings an Elemente de^^ zweiten Thema
anknüpfend, die erhabene Schönheit der Campagna
416
hymnenar-
tig verherr-
licht. So p.
heginntsie: P ' ' ' f*
Das ist der Qlaaz- und der Mittelpunkt von dem Cam-
pagnabild, das Strauß uns zeigt. Es ist der musikalische
Niederschlag eines jener Augenblicke, wo der entzückte
Blick von den blauen Linien der Rüste hinübereilt nach
der scheinbar oben am Himmel wie eine Vision auf-
tauchenden Peterskuppel, wo vor dem geistigen Auge
die Zeiten und die Gestalten vorüberziehen, die über
diese Landschaft hinweggeschritten sind. Da wogt es
in der Seele des Beschauers wohlig und auch ernst:
MpTM« Thema 3
^ -=i=»-- =*^ ^ den Cellis
wieder. Ein weitres erregtes Thema tritt in den Violinen
hinzu. Die Musik spricht in doppelten und dreifachen
Zungen in jener feurigen , oft sinnverwirrenden Poly-
phonie, die die jüngere Komponistengeneration aller
Länder von R. Wagner gelernt hat. Strauß läßt aber
in dieser Suite schon merken, was seine spätem sinfo-
nischen Dichtungen unwiderleglich künden, daß -er in
dieser besondren Kunst den Meister zu überbieten ver-
mag. Dieser Abschnitt des ersten Satzes seiner Suite,
der ungefähr der Durchführung im gewöhnlichen Sonaten -
satz entspricht, endet mit einer neuen, in den größtmög-
lichen Glanz gekleideten Intonation von Thema 4, bricht
aber mitten drin plötzlich ab. Ein geistierhafter Bläser-
akkord, das elegische Oktavenmotiv, ein kurzw Aufzug
der Hauptthemen, zum Teil in lungekehrter Ordnung —
Ende! Die neuere Kunst überhaupt, nicht bloß die
Musik, scheut ja vor keiner Unfreundlichkeit, wenn sie
die Naturtreue und die Lebenswahrheit für sich hat.
In diesem Fall kommt aber auch zu Gunsten von
Strauß eine Schönheit hinzu, die ganz aus dem Cha-
rakter des Gegenstandes fließt: Die Campagna entläßt
-_^ 416 ♦--
Ihre Freunde mit einem elegischen und mysteriösen
Endeindruck !
Der zweite Satz (Allegro molto con brio, ^4 '/s>
Cdur) fährt die Oberschrift >In Roms Ruinen«. Sie
wird durch den Zusatz ergänzt: »Phantastische Bilder
entschwundner Herrlichkeit, Gefühle der Wehmut und
des Schmerzes inmitten sonnigster Gegenwart«. Damit
ist eine Reihe poetischer Vorstellungen erweckt, denen
die Musik nicht in dem erwarteten Maße gerecht wird.
Den fröhlichen Bildern fehlt der phantastische Charakter,
die Gefühle der Wehmut und des Schmerzes, die großen
Eindrücke, die sich für den gebildeten Beschauer an
Kolosseum, Kapitol, Forum Maximum, Pantheon, Hadrians-
burg und die andern erhabnen Reste der Größe des alten
Roms knüpfen, komipen in diesen Tönen nicht zum Vor-
schein; dazu fehlt dem Satz vor allem die Ruhe und
die scharfe Gliederung. Er ist ein sehr eigensinniges,
teilweise wildes Capriccio, nicht ganz ohne Züge, die sich
auf Wesen und Charakter der ehemaligen Römerwelt
deuten lassen; aber viel mehr als für das Programm
für den Komponisten charakteristisch, der in jugendlicher
Rücksichtslosigkeit in der Wahl und Gestaltung meiner
Ideen und Einfälle nur seiner subjektiven, augenblick-
lichen Disposition folgt und nichts nach der Fassungs-
kraft einer unvorbereiteten Zuhörerschaft fragt Sie
muß in diesem längsten der vier Sätze auf schwierige
Rhythmen und auf Hartnäckigkeit im Arbeiten und Ver-
fölgen spröder Motive gefaßt sein.
Der Satz hat wieder wie der vorhergehende eine Drei-
teilung in Themengruppe, Durchführung und Wieder-
holung. . Die Themen gruppe führt mit
Allegro BLoItocOQ brlo. J*s66
zunächst vor die phantastischen Bilder, von denen das
Programm spricht.
417
Es ist eine Weise, mit der sich der Gedanke an
fri^hlicbe, kräftige Spiele verknüpfen läßt. Ein Zug von
Härte liegt in ihr, der zum altrömischen Wesen gut paßt.
Das Thema wird sofort in einem selbständigen Sätzchen
umgebildet und erweitert, das mit einer sehr breiten,
bunten Modulation — in^ Trompeten und Posaunenklang
gehüllt — nach C dur zurückkehrt. Man erwartet einfache
Wiederholung, aber die Melodie kommt größer und kecker
^ |t und zieht als-
1 I r bald ein The-
ma nach sich,
i
das zum ersten Mal auf die Gefühle der Wehmut anzu-
spielen scheint, von denen die Überschrift redet:
Oboe
Es hat einen Hang, sich ins Unscheinbare zu verlieren,
und kommt auch bald auf einem mit ungestümer Energie
erfaßten verminderten Septakkord außer Sicht, den wir
wohl als Akzent des programmäßigen Schmerzes auf-
zufassen haben. Erläutert wird er durch ein neues, drittes
Thema:
das auf die Kraft und die Größe hinweist, deren Zeugen
diese Römischen Ruinen einst gewesen sind. Nun zeigt
der Ton- ^ ^ , , j
setzer auf ^ ^ -^ ^ —
die sonnige
Gegenwart:
und verweilt bei diesem anmutig friedlichen Thema mit
träumerischer Befriedigung. Da kommt ihm doch wieder
dör Gedanke an die Ruinen und die Frage: warum die
blühende Welt verschwunden, zu der sie gehört haben?
Antwort geben die Motive:
Krvtsschmar, FQhrer. 1, I.
27
— • 418 •—
^^^^^^^
Unfriede wars und Kleinlichkeit. Den Blick immer wieder
flflchtig auf die sonnige Gegenwart gerichtet, vertieft
sich der Komponist nn das Treiben dieser Mächte. Seine
Betrachtun- ■ • . i^ ^i . i i i l i
gen gipfeln «■''^„J ..r^J J ^J ■ J i^
in lauten
Wehklagen:
heißt es zuerst, beim zweiten Mal durchschneidet den Ver-
such des Stimmungsaufschwungs ein furchtbar grausam
(neben Gdur) hingesetzter langer Äs dur* Akkord!
Die Durchfährung verknüpft zunächst Motive aus dem
ersten Thema mit solchen aus dem fünften, als sollte
ein ßild von dem ethischen Prozeß gegeben werden, der
das Wesen der Römer verdarb. Ihren Hauptinhalt bilden
Satzgebilde, denen das dritte Thema und seine Vor-
stellungen zu Grunde Hegen. Die Größe und Macht der
alten Welt, die Trauer um ihren Untergang sind in einer
noch viel stärkeren und tiefer eindringenden Weise als
in der Themengruppe die Gegenstände der musikalischen
Darstellung in der Durchführung. Einen kleineren Anteil
nimmt an ihr auch die wehmütige Weise des zweiten
Themas.
Der Wiederholungsteil führt die Bilder und Betrach-
tungen der Themengruppe mit den gewohnten, hergebrach-
ten kleinen Änderungen noch einmal vorüber. Eine kurze
Angefügte Coda stellt das Thema (4) der »sonnigen Gegen-
wart« in den Vordergrund und kehrt von den Ruinen in
das Leben der Zeit zurück.
Der dritte Satz (Andantino, '/st Adur) ist der eigent-
Hche langsame Satz der Suite. Strauß bezeichnet ihn mit
Andantino ziemlich mißverständlich; ein sehr getragnes
Tempo ist gemeint. Sein poetischer Gegenstand ist Schil-
derung von Eindrücken, Stimmungen »am Strande von
--♦ 419 ^^
Sorrent«, die Ausführung arbeitet mit ganz ausgesucht
feinen und eignen Farben, sie arbeitet lebendig und
elastisch, aber vorwiegend zart.
Zuerst läßt der Komponist die Natur sprechen in
einem auf wesentliche Motive verzichtenden, fast rein in
Akkord und Rhythmus gehaltnen Präludium. Diese zwei-
unddreißig Takte überschütten aber den Hörer mit einem
üppigen Segen vollsinnlicher Klänge. Da huschen Violin-
figuren in höchsten Lagen durcheinander, Spielarten und
Tonregionen, die in der Regel unberührt bleiben, werden
lebendig, die verschiednen Rhythmen kreuzen sich, Triller
und Verzierungen aller Art klingen von obeh und unten,
in Ruhe und in Eile. Das Sätzchen wirkt blendend, über-
wältigt wie eine Landschaft, die den Sinnen mehr bietet
als sie aufnehmen können.
Dann beginnt eine Szene der Träumerei Der Dichter
spricht, die Seele voll Dank und höhrer Wonne:
H B FiB IWis ■h"'a ~
I p"^ I f^ [ -= Den Oberschwang der
1 t P i -_P I r= Stimmung verraten
eis . H — E — A schon die verhältnis-
mäßig zahlreichen Nonenakkorde, auf denen die Melodie
ruht. Wie warm sie auch wird, die Außenwelt bringt sie
nicht zum Schweigen, jeden Augenblick kontrapunktiert
eine reizende Stimme aus der Natur anmutig hinein.
Und diesQ Partei nimmt in dem mit
^b
f '#*? f
eingeleiteten Seitensatz das Wort ganz für sich in Be-
schlag, legt ihren ganzen Eeichtum aus und freut sich
ihrer Macht bis zur Leidenschaftlichkeit.- Das ist, wo die
27*
-^ 420 <*~
scharfe Dissonanz cis-dis im forte herausgestoßen wird.
Wie über den lauten Ton beschämt und erschreckt, ver-
schwindet die Sippe der Naturgeister mit einem Schlag, und
der Dichter gibt sich aufs neue der Beschaulichkeit hin
^^1 i n I p n ipj
H
Eine auf einer liegenden Stimme festgeh altne und sonst
mit Spannungsmitteln ausgestattete Begleitung hebt diese
Weise aus der populären Sphäre, der sie angehOrti etwas
heraus. OhnB Vermessenheit dürfen wir sie auf trauliche
deutsche Heimatserinnerungen deuten. Bald läßt sich
auch einer der eingebornen Südländer hören. Der Satz
schlägt nun nach Amoll, das Tempo wird bewegter, in
den Gelüs, Bratschen und Fagotts treten raschere Figuren
auf. Es ist als ob der Wind die See kräuselt. Da kommt
ein Boot und ein Sänger drauf mit einer echten, aus dem
Land gebornen Melodie, einem Abkömmling jener edlen
Siciliänos, die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts von jener
Sorrenter Gegend her über ganz Europa gedrungen sind:
Gefährten antworten bald; so gibt dieser nur kurze Mittel-
satz ein sehr willkommnes, belebendes Intermezzo, fein
dritter Teil, mit dem Tempo des ersten, mischt dessen
thematisch? Elemente frei und phantastisch; noch stärker
als der Anfang steht er unter dem Zauber schwirrender,
girrender, sinnverwirrender Klänge und Figuren.
Der vierte Satz (Allegro molto, Vi» Odur) führt uns
»Neapolitanisches Volksleben« vor. Was wir hier
zu erwarten haben, läßt der tolle Einsatz schon ahnen.
Das volle Orchester stürzt auf einem freien Nonenakkord
herein, und in rasendem Lauf schwingen sich von ihm
die Geigen und Bratschen unisono dem Haupttkema des
Satzes entgegen:
421
Allasro nolto. J« 1)£6
Wer einmal zwischen Monte Cassino und Cäpri gereist
ist, wer in der Schweiz etwa wandernden süditalischen
Sängern zugehört hat, dem ist dieses Neapolitanische
Favoritlied »Faniculi etc.c und dem sind ähnliche Melo-
dien geläufig. Von den heiden Geistern der Operette und
der Degeneration getrieben, improvisieren die Kinder dieses
musikalischen und leichtherzigen Volks derartige Weisen
zu jedem Text und zu jeder Zeit; der ganze ehemals so
reiche Gesangschatz des Königreichs beider Sizilien wird
heute fast ausschließlich von ihnen vertreten. Wenn
Strauß also sein Finale mit diesem Gassenhauer eröffnet»
so erweckt er großes Vertrauen zur photographischen
Treue seines musikalischen Bildes. Die Melodie fährt
mit kräftigen Gliödern ihrem Schlüsse zu, der zugleich
das Ende des ersten Abschnitts des Satzes ist. £r kommt
rascher als man vermutet, ^ ^ ^
kommtinHmollundführtzu 4 ^ J^^^^^^ I P ^
einem Seitensatz, der über •'^ 'HK " '' ~ *" =
und ähnliche lustige Motive leicht und anmutig tändelt
Er baut klar und emsig in zweitaktigen Abschnitten auf,
zum Schluß hin erhält , ^^ ^ einen Stich ins
er durch das Eingreifen yy jl ^jjl^^ ^ j grotesk Humo-
chrom atischer Bässe: ristische. Die
stürmischen Einleitqngstakte kehren wieder und führen
zum zweiten Hauptthema des Satzes:
r IT r u I iii
Es ist in südländischer Art innig, jedenfalls liebenswürdig,
und zeigt durch die Verteilung auf zahlreiche Instru-
mente auf das echt gesellige Wesen dos geschilderten
422
Phil. Sehftr-
»Tranm und
Wirklichkeit«.
Volks. Lange hält dieser ruhigere Ton nicht an. Themen-
reich wie Liszt, stellt Stranß bald in diesen ersten Teil
seines Finales noch einen vierten Gedanken, der fol«
gendermaßen bei den Flöten beginnt:
Er bringt in die Musik eine ganz eigne, halb komische,
halb dämonische Lustigkeit, ein Abbild jenes temperament-
vollen nervösen Wesens, das dort unten die Revolutionen
macht und auch dem Spiel und dem Tanz sein Gepräge
gibt. Die Abschnitte, die der Komponist ans diesen krei-
selnden Motiven in den nun folgenden Durchführungeji
gestaltet hat, bestimmen die Erinnerung an seine Neapoli-
tanischen Schilderungen am prächtigsten und am ange-
nehmsten. Im allgemeinen wird man von den Entwick-
lungen, die Strauß gibt, den Eindruck eines vielfachen
.Obermaßes haben. Die Darstellung ermangelt der Leichtig^
keit, die dem Gegenstand natürlich ist; sie ist zu zäh im
Festhalten der Motive, zu sehr in der Farbengebung von
Berlioz beeinflußt. Wozu hier überhaupt Posaunen? >yohl
aus demselben Grunde, aus dem unsre modernsten Maler
für zwei kleine Gänse eine ganze volle Stubenwand be-
malen. Ein sehr guter poetischer Em fall in der Reprise
ist die Einführung von Motiven aus dem ersten Satz: in
dem Lärm und der Unruhe dieses Neapel der Gedanke
an den Frieden der Gampagna!
Den Beweis, daß allermodemste Mittel für die Pro-
grammusik nicht das Wesentliche sind, erbringt ein mit
der Suite von Strauß ziemlich gleichaltriges Werk, das
ein würdiges und gehaltvolles poetisches Thema mit
ernster Hingebung und innerlicher Wirkung, aber ganz
in der Weise der klassischen und romantischen Schule
durchführt. Es ist die viersätzige Tondichtung »Traum
und Wirklichkeitc von Philipp Scharwenka (Op.
92], dem altern Bruder des bekannten Pianisten Xaver S.,
der auch temperamentvolle Sinfonien komponiert hat.
-^ 423 ♦^
Ihr Gedankengang verfolgt einen Lebenslauf, der freund-
lich, voller Hoffnungen und Illusionen beginnt und mit
Enttäuschungen und in Resignation endet. Ein ausführ-
liches Gedicht aus der Feder des Komponisten gibt fiber
die Absichten der Sinfonie eingehende Auskunft. Die vier
Sätze, aus denen sie besteht, gehen ohne Pausen einer
in den andern' über, stehen auch thematisch in enger
Verbindung and behandeln das Schema der Sinfonie
ziemlich frei. Was sie unter ihresgleichen auszeichnet,
ist der große Herzensanteil und die Gemütswärme, die
aus der Musik Scharwenkas -spricht Unsere heutige
Öffentlichkeit hat für Spohrsche Naturen nicht das volle
Verständnis; denjenigen Kreisen aber, welche sich zu
einem harmonischen und ehrlichen Künstler, auch wenn
er abseits vom Wege steht, hingezogen fühlen, kann die
Arbeit nur eifrig empfohlen werden.
Der erste Satz (Allegro moderato, Ci D dur) führt
mit dem Thema:
Allegro Boderato. J s 120
PP
eine edle liebenswürdige, aber für die rauhe Wirklichkeit
unsrer Tage wohl etwas zu weiche Jünglingsgestalt ein.
Diesem auffallenderweise im Verlauf der Komposition nur
wenig benutzten Thema folgt eine längere Gruppe zier-
licher Nebengedanken, die — zum Teil in Wendungen, die
an Hermann Götz und an die Meistersinger erinnern — sich
in kleinen Schwärmereien ergehen. Allmählich kommt nach
diesem weniger gelungenen und zersplitterten Abschnitt
wieder ein großer Ton in die Stimmung und bringt neue,
tiefer eindringende Weisen. Unter ihnen ist die Melodie:
^hipf'\ii\,mn\\f^^ II.I ^p
^^^ die wichtigste. Sie bedeutet
= das Herzens- oder Geistes-
ideal unsres Helden und
ete«
irlpipr|¥ip^
wuiüo ereto. y
424
koitimt am Schlüsse der Sinfonie zu rührender Be-
deutung.
Der zweite Satz (AUegretto scherzando, ^4^ Fdur)
ist eine Art langsamer Walzer, bestimmt, die glücklichste
Stunde dieses Menschenlebens einzuleiten. Mit rhyth-
mischen Motiven in den Hörnern, melodischen Bruch*
stücken in Klarinetten, Flöten, Geigen verlockend prälu-
dierend, gelangt er endlich zu folgendem Hauptthema:
Allegro schenändjL. • = 160
Der Jüngling schwingt sich im Reigen mit der Erwählten;
heroische, etwas finstre Motive künden seine stolzen Ge-
fühle, die Wonne in seiner Brust spricht am deutlichsten
aus folgender, an Raff anklingender Melodie:
^P
Dieses Thema leitet über zu der Szene des Geständnisses
und der Erhörung, die den Inhalt des dritten Satzes
(Andante tranquillo, ^/g, B dur) bildet. Sie folgt allerdings
d^m Eintritt dieses innigen Themas nicht unmittelbar,
sondern die Freuden des Tanzes werden noch gründlich
ausgekostet Dann kommt endlich langsames Tempo und
wehmutsvoller Klang. Es wird Abend, das Fest muß
schließen. Die Musik bringt in einem Obergangssätzchen
die Stimmung einer gewissen Müdigkeit zum Ausdruck,
es wird stiller und stiller, und als es einsam um das
liebende Paar geworden, da setzt das schöne Thema des
Andante zunächst im Hörn ein:
Andante tranquiUo. A 63
ifl'lljj IJ N I
^m^
--♦ 425 ♦—
Das i«t die stille Seligkeit, ßin zweiter Teil des Satzes,
in Ddur, zeigt erregtere Herzen, lebhaftes Zwiegespräch
von ewigem Glück, zeigt ungeduldiges Sehnen. Dann
kehrt der Bdur^Teil wieder, von einer Coda gefolgt, in
der der Überschwang der Stimmung sich eigens in einer
Rlarinettenkadenz Luft macht. Unruhige Trompetensig-
nale reißen den Zuhörer aus dieser Idylle fort. Das Leben
mit seiner harten Prosa ruft. Der vierte Satz (Allegi*o,
C) DmoU) beginnt. .
Id seinem ersten Teil stellt er von den Trompeten-
tönen immer wieder unterbrochne Sätze unruhigen Cha-
rakters auf. Das erste Hauptmotiv ist an ein verwand-
tes aus dem
ersten Satz
angeknüpft:
Steigend und steigernd tritt zu ihm das feste und energische :
=- - >y-->, >>-s ju. 4» öi® Stirn-
^AhT rr ir rrf r ir r/r T |F men be-
f ' . nutzen es
zum Fugieren. Und bald nach der ersten Durchführung
erscheint dann das (oben angeführte) schöne zweite Haupt-
thema des ersten Satzes, wie der gute Geist, der den
Kämpfer leitet, des Mühens und Ringens Preis und Lohn.
Umsonst, alles umsonst! Noch einige verzweifelte An-
läufe, äußerster Kraftaufwand, Wehrufe mit Intonationen,
Verlängerungen und Verkürzungen des letztzitierten
Tagenthemas gemischt — dann setzen die Messingbläser
den Choral »Herzlich tut mich verlangen« ein. Der Kom-
ponist hat sich ihn mit dem Text »Wenn ich einmal soll
scheiden« und somit als Grab- und Trauermusik gedacht.
Diesem Ende sendet er einen Epilog nach, der dem leiden-
schaftlichen Schmerz, mehr noch aber der süß weh-
mütigen Erinnerung an die schönsten Momente der vpr-
ausgegangnen Sätze gewidmet ist.
Nur noch eine zweite Orchesterkomposition Ph. Schar-
wenkas, eine »Arkadische Suite«, die ebenso wie
seine dreisätzige »Sinfonia brevis« weniger bekannt
geworden ist, gehört dem Programmgebiet an. .
' -^ 426 «^
Gleichfalls von Berlin aus führte sich Anfang der
neunziger Jahre auch Friedrich Koch mit einer Pro-
grammsinfonie ein, die den Titel: >Von der Nordsee«
(Dmoll, op. 4) trägt. Sie befaßt sich mit der gewaltigen
Seite des Themas nur im letzten Satz (Auf hoher See),
der merkbar von einem Hauch des unergr&ndUchen Ur-
Clements und seiner Kraft belebt ist. Die andren (Friesen-
fahrt, Abend am Strande, Spiel der Wellen) gleichen den
sanften und schönen Bildern Douzettes mit Mondschein
über den glatten Wellen und gehören musikalisch zur
Schule Heinrich Hofinann.
In neuerer Zeit hat von den Vertretern deutscher
Progräm msinfonie der durch seine Beiträge zur Haus«
HftttiHiber, Und Kammermusik bekannte Schweizer Hans Huber
Tellsinfonie. mehr und mehr im Konzert Fuß gefaßt, zuerst mit einer
DmoU- Sinfonie (Op. 63J, die den Titel »TelN hat. Sie
gibt in großen Umrissen, ohne Anlehnung an Schiller oder
an die Einzelheiten der Sage, ein Bild von der Unter-
drückung und Befreiung des Landes. Auch auf die Reize
der Heimatkunst, etwa durch die Verwendung von
Schweizermelodien, verzichtet sie und bestrebt sich, knapp
und allgemein verständlich zu sein.
Der erste Satz (Allegro ma non troppo, Dmoll, ^/i\
der wohl auf die Volksseele unter der Tyrannenherrschaft
einen Blick bieten will, tut das, wie schon das HaUptthema:
f, ^ ^ merken läßt, in etwas
4^8 r l' r Ir' tfr^r '^«tc> z^ starker Abhängig-
•^ ^Z" keit vom ersten Satz
des D moll-Konzerts ^für Klavier) von J. Brahms.
Weit selbständiger ist der zweite Satz (Adagio, ma
non troppo, BmoU, V^)» ^^^ <^as Land in seiner Trauer
vorführt und zwar erst die dumpfe, gedrückte Stimmung,
' dann die fließende Klage, letztere in einem ungesucht
volkstümlichen Ton mit leisen Anklängen an Edvard Grieg.
In dem die Stelle des Scherzo vertretenden dritten
Satz (Allegretto, Qdur, 3/4) hat sich der Komponist nach
eigener Angabe die Feier einer Hochzeit vorgestellt, deren
harmlose Fröhlichkeit durch einen plötzlichen und er-
--♦ 427 ♦^
schreckenden Aufruhr — Sequenzen aus verminderten
Septakkorden fff^ Generalpause! -- gestört und durch
Grabgesang abgelöst wird. Dieser musikalisch wunder-
hfibsdie Satz zeigt Huber auch als einen geborenen
Instrumentationskünstler, der mit einfachem Wechsel von
arco und pizzicato, durch Sordinen den Streichinstrumenten
die wirksamsten Farben abzugewinnen weiß. '
Der vierte Satz beginnt mit einer langsamen Ein-
leitung, die auf das Haupthema des ersten Satzes zurück*
greift und die ganze Geschichte des Befreiuilgskampfes
in einen kurzem Wechsel von Dur und Moll zusammen-
drängt. Das hierauf folgende Ällegro con fuoco (D dar, ^ gilt
dem Triumph, der in der Umgegend des zweiten Themas
und in der Durchführung zwar etwas ermattet, aber am
Schluß durch Verbindung des führenden Allegrothemas
mit dem jetzt in D dur einherglänzenden Haupthema des «
ersten Satzes zu einem gewaltigen Abschluß kommt
Die nächste hierher gehörige Arbeit Hubers ist seine ■*■■ Hsbar,
Emoll-Sinfonie(op.ll6), die sogenannte Böcklin -Sinfonie. Böoklta-Sinfonk
Der Komponist selbst hat allerdings nur den vierten Satz,
das Finale, ausdrücklich als Huldigung fär seinen Lands-
mann bezeichnet. Es trägt an seiner Spitze den Ver-
merk: »Metamorphosen, angeregt durch Bilder von
BöcUiu« und bringt über das Thema:
AUerretto.
^^^^^^m
das mit dem ersten Takt an das Alphorn, das charak-
teristische Instrument der Schweizer, erinnert, eine Reihe
sehr freier Variationen, die geistig an die »Meeresstille«,
den »Prometheus«, die »Flötende Nymphe«, die »Nacht«,
das »Spiel der Wellen«, an die »Gefilde der Seligen«,
den »Liebesfrühling«, das »Bacchanale« des großen Malern
anzuknüpfen suchen. Dem »Spiel der Wellen« ist da-
bei anhangsweise noch eine Beziehung auf den »geigen-
den Einsiedler« mitgegeben worden. Versuchen, mit Tönen
tiefer in den Stimmungs- und Phantasiekreis bedeutender
Stücke bildender Kunst einzufükhren, sind wir in der Sin-
— » 428 »^
fonie schon bei Haydn begegnet; sie spielen namentlich
bei F. Liszt und seinen sinfonischen Dichtungen eine
große Rolle, und auch Hubers BGcklinvariationen sprechen
wieder für ihre prinzipielle Berechtigung. Geht die Sin-
fonie in ihrem Schlußsatz zugestandenermaßen auf ein-
zelne Werke Böcklins ein, so sind die Torausgehenden
Sätze dem Wesen des außerordentlichen Künstlers ge-
widmet» der erste (Allegrö con fuoco, Emoll, C) etwa
seiner Kraft und Kühnheit, der zweite (Allegro con
fuoco non troppo, Hmoll, ^/g) seiner Naturfreude, der
dritte (Adagio ma,non troppo, Hdur, 8^^) seiner Tiefe
und Innigkeit.
Havi Haber« In der heroischen Sinfonie (op. 118) inCmoll, die
Heroische uQter Hubers Beiträgen zum Gebiete das dritte und letzte
Sinfonie. ^^^^^ j^-j^^^^ j^^^ ^.^j^ ^^ Vergleich zur Tellsinfonie ein
vollständiger Stil Wechsel vollzogen: der vordem so naive
Komponist ist auf die Seite der um jeden Preis und un-
aufhörlich Leidenschaftlichen getreten, die in der Musik
einstweilen die Herrschaft an sich gebracht haben. Der
talentvollste Satz der Huberschen Eroica ist der zweite,
ein Trauermarsch, im ersten überrascht das Zitat von
»God save the king«, das Scherzo ist ähnlich wie das
Finale der Böcklinsin fonie ein Variationszyklus -, der, als
Totentanz gedacht, Vertreter der verschiedensten Lebens-
alter und Stände, das Kind, den Greis, den Studenten,
den Gelehrten, die Tänzerin usw., zuletzt den Helden
vorbeiziehen läßt. Der Schlußsatz der Sinfonie endet mit
einer Apotheose des Helden, der das Muster von Liszts
Fanstsinfonie zu Grunde liegt: die Orgel fällt ein, der
Chor tritt auf und stimmt Sanctus und Osanna an. Das
in allen Teilen der Sinfonie wiederkehrende Hauptthema
des ersten Satzes klingt an ein berühmtes Schweizerlied,
an den »Ustig« des alten Gottfried Huber, an.
Unter den wenigen weiteren Programmsinfonien
deutscher Herkunft, die in den letzten Jahren aufgetaucht
s.v.HMtegter, sind , ist Siegmund von Haus^ggers dreisätziger
Barbarossft. »Barbarossa« verhältnismäßig am weitesten bekannt
geworden.
— » 429 •—
Diese Sinfonie ist die noch unreife Arbeit eines ent<^
schiedenen Talents. Die Unreife spricht aas der Un»
gleichheit, der Unselbständigkeit der Erfindung und aus
der höchst undkonomischen Lust am Yollklang, dem Lärm
des Orchesters, das Talent aus einer Reihe trefflich
charakteristischer Themen, ihrer sinnreichen Verwendung
und daneben aus zahlreichen einzelnen Stellen von un-
yerkeun barer Inspiration. Dahin gehören im Kleinen ori- ,
gineile Modulationen und Instrumentationseinlälle , im
Großen eine Anzahl episodisch erscheinende Melodien
zarter Natur. Ihnen begegnen wir namentlich im ersten
Satz, der »die Not des Volks« bald erregt, bald ele-
gisch, bald in hartem, bald in weichem Tone zu schildern
sucht. Ihm tritt als scharfer und befreiender Gegensatz
der dritte Satz, »dasErwachen«, mit einem Bilde der
Kämpfe und Herrlichkeit gegenüber, die bevorsteht, wenn
der alte Kaiser den Untersberg verläßt. Ohne zwingenden
Grund, aber als verständliche Konzession an die Romantik
ist zwischen diese beiden Sätze noch ein weiterer, >der
Z aub e r b e rg « , eingeschoben, der zuerst das Nebeltreiben
um den Berg, dann sein Inneres mit Thron und Kaiser
zu schildern sucht. Er nimmt viel von dem Glöck des
Schlußsatzes voraus, hat aber in dem phantastischen
Fugato, das ihn einleitet, seinen großen, eigenen Wert.
Von einer zweiten dreisätzigen Programmsinfonie S.T.H»aiegger,
des Komponisten, die er ohne weitere Erläuterungen Natnrsinfonie.
und Oberschriften Natursinfonie nennt, haben bei den
wenigen Aufführungen, die sie bisher gefunden, die ersten
beiden Sätze Anerkennung gefunden, der dritte Satz ist
abgelehnt worden. Bei diesem Urteil wird es wahr*
scheinlich auch in der Folge bleiben, denn die Kompo-
sition ist soweit schön und gehaltvoll, als, wie das in dem
ersten und zweiten Satz der Fall ist, der Stimmungs-
ausdruck die Naturmalereien tiberwiegt, und besonders
ftir Andacht und Pathos zeigt Hausegger eine besondere
Begabung. Sie ist auch in den ruhigen Stellen des
Schlußsatzes nicht zu verkennen; wenn dessen Eindruck
nicht befriedigt, so liegt das an der falschen Behandlung
_-» 430 »^
des 6«8angcbor8, der mit den Worten des Goetheschen '
»ProömioDS« (Im Namen dessen, der sieb selbst er*
scbnf etc.) die Sinfonie zu Ende ftthrt. Da war nicbi
Kraftaufwand und' Breite am Platze, sondern er verlangt
eine äbnlicbe Einfachheit, wie sie Liszt dem Schlußcbor
seiner Faustsinfonie gegeben hat und wohl auch dessen
verklärten Ton.
Auch die Programmsuite wird von den deutschen
Komponisten nur mäßig gepflegt. Unter den bekannt
gewordenen jüngeren Werken dieser Klasse hat die
H.Bl«Ueh, Tauferer Suite von Heinrich Rietsch (op. 25) den
Tauf«rer Saite. Altersvortritt. Sie gibt in fünf Sätzen Wanderszenen so-
wie ,Bilder aus Landschaft und Geschichte, ist durchweg
gut, stellenweise interessant kunstvoll gearbeitet; ihre
besten Erfindungsmomente liegen in den flotten Sätzen,
dem »Reifenspiel« und dem »Lustig Volk im Bad Winkel«.
Auf diesen letzten hat Smetana glücklich eingewirkt.
»eorgSAiiHBiABVt Der wohl originellste Beitrag zur Gruppe ist die
Serenad«. Serenade in F (op. 36] von Georg Schumann. Der
Komponist hat sie nämlich als das Ständchen einer Schar
abgewiesener Liebhaber gedacht und damit die Unterlage
zu einer Humoreske gewonnen, in der die Motive und
Künste des- Spottes ein keckes Spiel treiben dürfen. Es
gipfelt im Schlußsatz, der den Abzug der Gefoppten mit
Benutzung des Volksliedes: »Es wohnt ein Muller an jenem
Teich, lauf Müller, lauf« darstellt. Das außerordentlich
witzige und geistvolle Werk verlangt allerdings ein ganz
virtuoses Orchester und macht es in den ersten Sätzen
durch eine komplizierte Thematik auch dem Hörer etwas
schwer. Neben dem in fortreißender Laune hingeworfenen
Finale wirkt am meisten das Intermezzo, das auf einen
äußerst feinen Walzer hinausläuft
F. BmioiI, Auch Ferrucclo Busonis »Geharnischte Suite«
(lebarnischte Iq cis moll (op. 34) ist hier zu registrieren. Sie führt in
Saite, ^i^j. Sätzen kriegerische Stimmungen und Bilder vor. Einem
»Vorspiel«, das etwas gespreizt und mit verbrauchten Mit*
lein den Druck der Gefahr und den ihr entgegentretenden
entschlossenen Mat schildert, folgt ein »Kriegstanz«. Es
— • 481 «^
scheint sich also um einen KoloniaUcrieg zu handeln.
Von faßbarem Gehalt ist der dritte Satz, der die Über-
schrift »Grabmal« trägt, und der Schlußsatz, »Ansturm«
betitelt, hat eine wirklich schöne Stelle, da, wo leise
aus der Ferne eine an Carl Löwe anklingende einfache
Melodie einsetzt, die unwillkürlich die Gedanken des
Hörers auf Sieg und Heimkehr lenkt.
Zum Teil sind die neueren deutschen Programmsuiten
aus Kompositionen zusammengesetzt, die als Vorspiele
und Einlagen in Schauspiele entstanden sind. Auch
hier ist Busoni mit seiner Turandot- Suite vertreten, p.BmomIi
der leider die musikalische Natürlichkeit fast ganz ab- Turandot^imto.
geht. Das bekannteste Werk dieser Klasse ist die Dorn- N.HtMperdlaek,
röschen-Suite Engelbert Humperdincks, deren Sätze Domröschen-
in ihrer Knappheit und Klarheit eines Kommentars nicht '
bedürfen.
Auch im Auslande tritt die Programmusik in Sin-
fonie und Suite hinter den Werken, welche bestimmte
poetische Ziele nicht angeben und hinter den einsätzigen
sinfonischen Dichtungen zurück. Nur in Frankreich ist
die Programm suite geradezu die Normalform für zyklische
Orchesterkomposilionen; eigentliche Programmsinfonien
gehören aber auch hier wie zu den Zeiten von Berlioz
zu den Seltenheiten. Als eins der wenigen Werke dieser
Art, die die Landesgrenze überschritten haben, verdient
die in neuerer Zeit wiederholt auch in deutschen Kon-
zerten gebrachte Sinfonie zu Schillers »Wallenstein« TlneeBti'iiidy,
von Vincent d'Indy (op. 12j Beachtung. Der Komponist »Wairenatein«.
nennt diese Arbeit, wohl an Schillers Gesamttitel an*
knüpfend, eine »Trilogie«. Das ist für Form und Inhalt
des Werks etwas zu volltönend. Es sind nicht drei Sin-
fonien, die er vorlegt, sondern es ist eine Sinfonie —
ähnlich wie die Lisztsche zu »Faust« — in drei Sätzen.
Der erste will ein Bild des Lagers, der zweite des Liebes-
paars (Max und Thekla) geben; der dritte knüpft an
»Wallensteins Tod« an. Ein enger Zusammenhang be-
steht nur zwischen dem ersten und dritten Satz; der
zweite, der auch den Untertitel Piccolomini führt, eignet
_^ 432 V-
sich für eine Einzelaufführung. Die Sinfonie zeigt, wenn
auch keine besonders tiefe, so doch eine im ganzen sehr
lebendige Auffassung der deutschen Dichtung, eine anr
schauliche musikalische Erfindung und einen auf breiter
Bildung ruhenden, geschickten Stil. Individuelle Zdge
sind d'Indy nicht eigen, sondern er teilt mit der Mehr-
zahl der neu französischen und neurussischen Orchester-
komponisten die Vorliebe für Nonen und Undezimen-
akkorde, für Orgelpunkte und ähnliche harmonische
Vergrößerungsmittel, den Wagnerschen Einfluß auf die
Stimmführung, die interessante, dissonanzenreiche Kon-
trapunktik. Wie alle diese Ausländer ist auch V. dlndy
ein hervorragender Kolorist, allerdings starkem Farben-
auftrag etwas einseitig zugeneigt.
Rheinberger hat mit vollem Recht dem Wallenstein
selbst in seiner Sinfonie einen vollen Satz gewidmet.
d'Indy begnügt sich, dessen Gestalt ab und zu durch die
Sätze schreiten zu lassen. Es war ihm nicht um die Schilde-
rung von Charakterenzu tun, sondern darum, die Eindrücke
der Schillerschen Dramen ins Musikalische zu übertragen:
Bei dem ersten Satz, »Le Camp de Wallenslein«
(Wallensteins Lager), macht sich die französische Ab-
kunft der Musik am deutiichsten geltend. Sie hat für
die ernsten Figuren und Reden des Schillerschen Lagers
keine Töne und läßt nichts von der Zeit und dem
Boden ahnen, die dem Vorspiel der Trilogie seinen
Charakter und eine gewisse Größe geben. Das Lager
d'Indys ist ohne Unterbrechung munter, ausgelassen,
kommt niemals zur Ruhe, wimmelt von Spaßmachern
und Jongleuren, besteht ausschließlich aus leichten
Truppen und leichten Vögeln. Seiner formellen An-
lage nach ist es ein Scherzo mit etwas buntem Haupt-
satz (Allegro, Gdur). Es setzt mit folgendem Thema ein
Allegro giusto. Jrieo ^^S ^»^8 ™it-
Itn f ^iOTjt N „j ^ I f^fj-z.d^en fröXhen
g * B *t , ^ Jk *^ ' B ^^=^Lärm der Mas-
B ^ TT ^ Jb *^ ^ -' -• —
P ^ ^"^ sen führt, froh-
--♦ 438 «^
lieh und elementar.. Denn die Gebilde, die der Komponist
aus seinen Motiven entwickelt, sind unregelmäßig. Hier
ffihrt er uns vor eine fünftaktige Gruppe, dort kommen
zwei- und dreitaktige, hier hält er an einem Motiv fest,
dort schweißt er zwei oder mehrere zu bald kürzeren,
bald längeren Abschnitten zusammen. Unberechenbar
und frei will er uns das Leben und Treiben des. Lagers
sehen lassen. Der erste Abschnitt Über dieses Haupt-
thema schließt in Hdur. Der zweite setzt in EmoU ein
und geht von Cdur aus nach Ddur in Modulationen und
mit wilden Trillern , .die den Walkürenritt Wagners fi|r
einen Augenblick vor die Phantasie rufen. Ein dritter
Abschnitt über dasselbe Hauptthema beginnt in Asdur
und gebt von B moll aus allmählich nach der Hauptton-
art 0 zurück, die in Solopassagen der Violinen (einige
Takte geht die Flöte mit) erreicht wird.
Da beginnt ein erster Seitensatz, dem das ruhigere
Thema
zugrunde hegt. Es kommt nicht weit damit. Den Augen-
blick, wo die erste Violine sich ein Motiv zum Schwärmen
aussucht, benutzt die derber gesinnte Masse, um mit einem
Walzer einzufallen, dessen grob einfache Weise
Allegro moderato. J»z7B
durch die seltsamen Humore der Begleitung — die Bässe
bleiben lange auf den zwei Tönen e und A — bedenklich
gestört wird. Nach einem Zwischensätzchen, in dem die
Flöte das Solo hat, wird wohl die übliche Wiederholung
erreicht, aber die rechte lustige Stimmung bleibt aus, und
am Ende haben die Störenfriede, die einen ^/sTaki hinein-
werfen, die Hauptstimme. Der Tanz hört plötzlich auf,
und wie aus der Ferne hören wir wieder den Lärm dfts
K relz.Hi'h mar, Führer. I, t. 28
-^ 434 «>-
Lagers, mit dem der Satz begann. . Wir haben es mit
der üblichen Wiederholung des Hauptsatzes zn tun.
Doch verschmäht es der Komponist, sie glatt und wört-
lich zu bringen. Wie er den Hauptsatz zunächst pp ein-
setzt, hat er ihn auch in der Tonart verändert, nämlich
nach Edur gebracht und auf den Quartseztakkord ge-
stellt. Ähnlich bringt er das erste Seitenthema, das beim
erstenmal in Qdur auftrat, jetzt in Es und verteilt seinen
Vortrag taktweise auf verschiedene Instrumente. Auch
jetzt kommt dibses zum Schwärmerischen neigende Thema
nicht zu seinem vollen Rechte. Als es sich ausbreiten
will, entsteht unerwartet Tumult. In den Bläsern treten
wieder Vertreter des zweiteiligen Rhythmus ein. Ein
Schreck geht von ihnen aus: von unten bis oben mfts
durch das Orchester: cis'fia. Dann eine lange General-
pause und darauf
Allegnro moderato e glocoM.(Ja86) ^ ^
Zu dem einen Fagott kommt ein zweites, bald ein
drittes; der Satz läßt sich zu einer Fagottfuge an imd
versetzt uns in die Zeiten R. Keisers, der in seinen
Opern Quartette, Quintette und Sextette für Fagotten
schrieb. Wie hat sich die öffentliche Auffassung des
Instruments seitdem geändert! Damals der Lyriker
unter den Blasinstrumenten, ist es heute der un-
freiwillige Komiker. Hier bei d*Indy vertritt es den
Kapuziner mit seiner Predigt, und der Lohn seiner wohl-
gesetzten Reden ist, ausgelacht zu werden. Das tun
zuerst die Geigen, bald die Klarinetten mit, in chroma-
tischen Sechszehntelgängen. Dann packt aber die Oboen
und die anderen Holzbläser eine gewaltigere mmm
Heiterkeit, sie platzen in kurzen Zwischenrufen f /^ J
heraus. Das Piston setzt ein und parodiert das Fugen-
thema, das die Klarinette gar verzerrt, während die Violinen,
-^ 435 «>~
die Flöten dazu, sich auf einem langen Triller vor Lachen
schütteln, und dem folgt ein elementarer Ausbrach von Aosr
gelassenheit in Motiven, die auf den Walzer zurfickgehen:
AUe^ro oon fnooo. Vergeblich ver-
4^h I ?: M f ' ' ' * letcdas Fugenthe-
y r r gegeozustellen
der Lärm wächst nur. Da plötzlich klingts in Hör-
nem^Trom« Largo o maestoso. JsSe ^....--t**^
peten und 'f,,\A\ \ \ j ftVl^'? l*f'T=f^
Posaunen: ^"flJi P rj [J f i "| [ i '^«^ » b
Das bedeutet: der Feldherr, Wallenstein taucht aul Nehmt
Euch in Acht! Der unglückliche Kapuziner wird freige-
lassen, alles nimmt wieder seine gewöhnliche Miene an.
Das Trio, das mit dem Thema des Fagotts begann, ist zu
Ende; der Hauptsatz des Scherzos kehrt wieder. Nicht
ganz wörtlich, sondern mit mehrfachen Änderungen,
deren wichtigste das Kolorit betreffen. Im Walzer er-
scheint eine sehr pikante Episode für drei Flöten als
etwas Neues. Am Scliloß kommt das erste Thema des
Hauptsatzes in vergrößerten Rhythmen und erweitert,
als wollte es sich zu einem Hymnus ausbreiten, einem
Preislied auf den Helden, den vergötterten Wallenstein,
dessen Thema als einer der letzten Gedanken der Kom-
position auftritt.
Der zweite Satz der Sinfonie (Andante und Allegro,
C'Esdur), MazundThekla betitelt, läßt breite gefühl-
volle Melodien mit erregten Themen wechseln und zeichnet
damit die tragische Lage des Schillerschen Liebespaares.
Wie einst in Verona, so blähen sich hier zwei Herzen in
kritischer Stunde gefunden-, auch ihr Los ist in die Händel
der Parteien verflochten. Der Komponist hat der Über-
schrift des Satzes noch den Nebentitel »Piccolomini« bei-
gefügt, um den Zuhörer darauf vorzubereiten, daß er bier
unbewölkte, ungestörte Liebesszenen nicht zu erwarten
hat Die Musik läßt darüber vom ersten Takt ab keinen
Zweifel. Die Pauke zeichnet mit dem im Satze oft und be-
28*
436
deutend wiederkeh-
den kriegertscheu Boden,
aeuiend wieaerKen- sa -—^ . aen Kriegertscneu tsoaen,
renden Rhythmus: «3 J J J der betreten werden soll;
die Violinen machen uns mit dem ebenfalls durch
die meisten Abschnitte der Situation klingenden Motive
AnäBBf. ^^^ Trauer und Klage gefaßt,
-P lIi -1. .ff"^^' I I .' uiicl die Hörner, die mit eini-
fr ' ^ " I Cj" ' ^ ' gen Takten die Einleitung ver-
— ' vollständigen, spielen ebenfalls
im resignierten Ton. Das erste Thema, welches nun in
den Bläsern (Hörner und Klarinetten) mit folgendem
Anfang
Aodant«. JzS6 _^^ ^^„^^ ""^rv
^ einsetzt, ist sehr breit entwickelt
Dem in Gesdur schließenden Nach-
satz folgen zunächst einige Takte über das oben skiz-
zierte Paukenmotiy, dann beginnt die Wiederholung' des
Themas in hellerem Klang der Violinen. Sie wird aber
sofort — vom zweiten Takt ab — zur Variation, zwingt
den Ausdruck zu größerer Wärme und erreicht bald ge-
hoben und freudig das Ende. Doch gerade bei diesem
Ende läßt der Komponist noch einen starken Schatten
nachkommen. Es ist die Imitation, die die Homer und
Posaunen tiefen und gedämpften Klangs von dem letzten
Takt gaben. Auch der Paukenrhythmus tritt wieder in
den Vordergrund. Die ganze Gruppe mag wohl Max und
seine Sehnsucht schildern sollen. Jetzt setzt ein neues
Tempo: AUegro risoluto mit folgendem Hauptthema
AHegro risoluto. J «126
ieta
-ir
^Es
f^nr
Es
B
'^*'Qii•
As KB
ein. Der Komponist zeichnet die Parteien und die Wirren,
die den Gegenstand von Schillers Piccolomini bilden.
Dem einen Thema tritt zunächst ein klagendes zur Seite
437 <^ -
das uns um so
JW, r |i F]^ |V(* p^fTT ji- I ^^i^ mehr an das
'^ 'P ' ' '■^' * ' /»>> **5[J. Liebespaar er-
innern darf, als es teilweise mit Nachahmungen zwischen
Violine and Cello begleitet und von langsamen, gehaltenen
Episoden unterbrochen wird, in denen Bruchstücke der spä-
ter zu erwähnenden Liebesmelodie (in H dur) auftauchen.
In einem zweiten Abschnitt, der in C dur einsetzt, bringt
dasÄllegro oorno. ^ <t^^s das, von Wagners
ein zwei« '*J'l^i, J r'Pt T*^ ' I Nibelungenmusik
tes Thema -i^ * sichtlich beein-
flußt, eine ähnliche Rolle übernimmt wie in der Original-
quelle: Es ordnet, klärt und führt einen Aufschwung her-
bei, der sich bei der Wiederkehr des Hauptthemas durch
einen helleren, entschiedeneren Klang äußert. Nun ist
auch die Zeit, wo die liebenden Herzen sich öffnen dürfen
Ein Andante tranquillo bringt die schöne, etwas Gounod-
sche Liebesmelodie, deren Anfang folgendermaßen lautet:
^uM y^r^ """^^ ^^® Klarinet-
:ffi''Alip \ff^ •, .J J ■* TTTJ^ to ffihrt Sie
^ a^ E ^ B--Gi3FisH ein, das Cello
nimmt sie ^ ihr ab. Noch ehe das Zwiegespräch zu
Ende ist, hören wir versteckt mehrmals die Triolen des
WaUensteinthemas. Dann tritt die Liebesmelodie mit
jenem Thema des ^Andante, das den Satz begann, zu
einem wirklichen Dialog zusammen (jene in den Holz-
bläsern, ^dieses in den Geigen). Auch er schließt mit
den markiert hervortretenden Wallensteintriolen in bei-
den Violinen und Bratschen. Und nun setzt Maestoso
das Wallensteinthema aufregend in Posaunen und Trom-
peten ein; aber ^es endet in Dissonanzen, und das
Tremolo der Bratschen kündet nichts Gutes. Der Kom-
ponist will unsere Gedanken hier auf den Anschlag
gegen Wallenstein lenken. Deshalb setzt er auch das
jetzt wiederkehrende AUegro risoluto in Esmoll und
gibt ihm ein Ende in gedämpftem Ton. Die Liebes-
melodie kommt darin noch einmal als Adagio und halb
unterdrückt.
-^ 438 «^
Der Intention nach ist dieser zweite Satz von d^Indya
Wallensteinsinfonie der bedeutendste des ganzen Werks.
Leider hat den Komponisten im Allegro die Erfindung
nicht geniügend unterstützt
Der dritte Satz der Sinfonie (Trba large, Allegro,
Maestoso, H moll, ^)j »Wallensteins Tod« betitelt, beginnt
mit einer langsamen Einleitung, die schauerliche Ab-
sichten mit Berliozschen Mitteln der Modulation (Hmoll
und D moll nebeneinander) und Instrumentation (Geigen
in den höchsten Lagen geteilt; von Bläsern nur Flöten
und Posaunen) verfolgt Natürlich tritt in ihr auch bald
das Wallen stein thema auf. Nachdem so am Anfang ein
Blick auf den Ausgang der Komposition geworfen worden,
beginnt die eigentliche Darstellung mit einem Allegro, das
wohl Verschwörung und Empörung zu zeichnen bestimmt
ist Zunächst in den tiefen Instrumenten wühlend und
stechend, erscheint folgendes Thema
Allegro. J s 100
das ersichtlich von dem Wallensteinthema abgeleitet ist
Klopfende Achtelrhythmen in Holzbläsern und Hörnern
bilden die Begleitung. Mit dem Abschluß der Gruppe
(iu Hmoll) j)|t^^ .1 .zugleich aber setzt auch
tritt eiu ^^^ J J Jl ^ J J ^^ Musik ein, die im
Seitenthe- jf ^^ ersten Satz der Sinfonie
ma ein den Lärm und das frohe
Treiben des Lagers schilderte. Dieses Lagerthema nimmt
nun im Schlußsatz der Sinfonie einen sehr breiten Raum
ein und beherrscht den Satz, allein oder mit anderen
Motiven vereint oder wechselnd, länger als es die Be-
deutung des Gregenstandes erfordert Vincent d'Indy hat
für die Darstellung des sogenannten Milieu, wie das —
man denke nur an Raffs Schlußsätze von Lenore und
von der Waldsinfonie — den Programmusikem sehr häufig
begegnet, zuviel getan und ohne dadurch eine ganz klare
Darstellung der äußeren Hergänge zu erreichen. Niemand
^^ 439 ^^
wird mit Bestimmtheit den Punkt bezeichnen können, an
dem Wallenstein fällt.
Zu den besseren und schönen Teilen der Komposition
gehört der Anfang des Maestoso mit dem an Schumanns
»Manfred« erinnernden Thema
Maoatoso. 0 a60
l'lTLil'l l>"! '" ITÄÄÄ
Allegro mil einigen Änderungen: es nimmt z. B. das
Maestosothema mit auf. An seinem Schluß erscheint die
Liebesmelodie des zweiten Satzes, und ihr folgt ein zweites
Maestoso, in. das der Komponist aller Wahrscheinlichkeit
nach die Katastrophe hat verlegen wollen. Ein Largo,
das in verklärten leuchtenden Farben die Harmonien der
RinlMtung wiederholt, schließt den Satz ab.
D^Indy, dem die französische Musik als Vorsitzenden
der Soci^tö nationale de musique und als Gründer der
^ Schola cantorum tief verpflichtet ist, hat der Wallenstein-
sinfonie noch eine »Sinfonie snr un thöme mon-
tagnard« und die als ein Hauptwerk französischer
Sinfoniekunst geltende »Sinfonie cövenolec folgen
lassen; beide sind bisher in Deutschland unbeachtet ge-
blieben. '
Die zweite französische Programmkomposition, auf
die hier wenigstens ein kurzer Blick geworfen werden
muß, ist die Sinfonie »La Mer« von Paul Gilson (ohne pmI oiibou.
Opusangabe). Der Komponist ist zwar Belgier, aber ahn- *La Marc,
lieh wie G. Franck, Edgar Tinel und die flbermegende
Mehrzahl seiner Landsleute in seiner Kunst durch und
durch Franzose. H. Berlioz' Ansprüche an die Orchester-
besetzung insbesondere hat bisher niemand mit gleicher
Unbefangenheit aufgenommen und erweitert wie dieser
Belgier. Im letzten Satz seiner Sinfonie verlangt er
außer dem schon starken Bläserchor des gewöhnlichen
Konzertorchesters noch eine zweite Garnitur Holzbläser
/^
_^ 440 •—
und ein Dutzend Saxhörner. Dieser Aufwand und die
berechtige Forcbt vor den akustischen Wirkungen dieses
Finale mögen der Sinfonie von Gilson den Zugang zu
dem deutschen Konzert wesentlich erschweren. Gekannt
zu werden verdient sie, weil sie als die talentvolle Leistung
eines Hauptvertreters der extremen Koloristenpartei ein-
mal ein Licht darauf wirft, was den Formen der Sinfonie
unter der Herrschaft dieser Richtung bevorsteht. Das ist
geradeso wie in der Malerei eine kolossale Verarmung
des eigentlichen inueren Lebens zugunsten einer neben-
sächlichen Naturtreue.
Am stärksten ist dieser Eindruck im ersten Satz
(Allegretto, o/g, F dur}, dem nach einem höchst umständ-
lichen, mit mythologischen und sonstigen Schemen ar-
beitenden Gedicht, dem Programme der Sinfonie, die Auf-
gabe zufällt, den Sonnenaufgang zu schildern. Man
erwartet da eine Einleitung, die der Schatten der Nacht
und der Dämmerung gedenkt. Aber der Komponist setzt
sofort mit einem fertigen Operettenthema ein:
AUegretto. J.=1B0.
m
crese.
CfU I r"rli I Cn I i I 'im I I
das wohl die Stimme des seelenlosen Meeres bedeuten soll.
Und diese sowieso schon an Sequenzen, d. h. an
Wiederholungen desselben Motivs reiche Weise wird nun
durch den ganzen Satz unaufhörlich wiederholt, meist
wörtlich und vollständig. Nur in der Mitte des Satzes,
da wo sonst die ersten Sätze der Sinfonien die Durch-
führungspartie bringen, begnügt sich der Komponist mit
Bruchstücken seines Themas und fügt auch auf einige
Abschnitte hin eine Bildung aus auf- oder absteigend .n
Ac-htelfiguren hinzu, die man für eine Art neuer Ge-
danken ansehen kann. Sonst aber bleibt er unerbittlich
bei seiner Melodie, wie sie steht. Keine wesentliche Ent-
wicklung, keine Umbildung gibt ihr den Schein des Neuen,
441
und wenn es des Komponisten Absicht war, die Eintönig-
keit des Meeres vor die Seele seiner Zuhörer zn bringen,
so hat er diese Absicht bis ZQ einem Grad erreicht, der
außerhalb der Grenzen der Ktmst hegt.
Der zweite Satz (AUegro, s/4 und Vii Adur^ hat die
Überschrift »Matrosen-Lieder und -Tänzec und bildet
einen Reigen lustiger Szenen von sehr frischem und kräf*
tigern Grundton. Es scheint, als wären für die fröhlichen
Bilder Volksweisen mit verwendet. Auch in diesem Falle
bleibt dem Komponisten das Verdienst sicherer, klarer
und wirksamer Gestaltung. In der Sicherheit, mit der
eine große Menge bunter Gestalten gruppiert ist, gleicht
der Satz dem Scherzo in Svendsens D dur-Sinfonie, und
in der Lebendigkeit, Unmittelbarkeit und in der freudigen
Teilnahme, mit der er das Glück und die Lust der un-
teren Schichten schildert, zeigt er sich als echter Sohn
der Niederlande.
Der Satz zerfällt in zwei Hauptteile. Dem ersten
liegt folgendes Thema:
AUegro. 0 z 116.
ZU Grunde, das, von unbedeutenden Nebenmotiven ge>
streift, eine lange Entwicklung erfährt. An dem Schluß
wird der Ton wilder: ein Presto tritt ein:
Bald aber kommt eine ruhigere Weise in ihm:
P r\~\ I i?J M 1^ I rftt^
Trotz des Presto ist der zweite Teil des Satzes, in
den wir jetzt gelangt sind, ein Ersatz des alten Trios.
Es schließt mit einem noch mehr gesteigerten Tem>
/^
-^' 442
po (Molto presto). Aber in » aMoito presto,
ihm kommt, äußerlich, fürs *«*=
Auge vielleicht etwas fremd:
das Thema des Hauptsatzes wieder. Wir sind also in
die Wiederholung des ersten Teiles eingetreten. Als dann
die Holzbläser im breiten Gesang die Melodie aufnehmen,
baut der Komponist seine Harmonie auf einen langen
basso ostin ato auf, in den scheinbar leichtesten Aufgaben
die größte Kunst entfaltend.
Der dritte Satz (AUegro moderato, Vi ^^^ Vi» ^^^
dur), Dämmerung überschrieben, führt uns wieder nach
der See zurück. Wir hören das gleichmäßige Plätschern
ihrer Wellen in Motiven, die dem Hauptthema des ersten
Satzes entnommen sind. Erst kommen sie in den Bläsern
muntern Schritts, dann werden sie langsam und leise in
den Geigen angespielt Die Nacht kommt, Licht und
Bewegung erlischt. Wie ein Abendlied erklingt es aus
dem englischen Hörn:
Ua pooo meno leato. J z 69.
eine Idylle im Satz, Gelegenheit zum Träumen! Dann
wird aber die Bewegung lebhafter. Die Motive aus dem
ersten Satz kommen wieder; die dämonischen Mächte der
See regen sich und messen sich eine Weile mit den Gei-
stern des Abendfriedens. Auch Nachklänge aus der Tanz-
szene durchziehen den Satz.
Der vierte Satz (Allegro moderato, »/«i Vi» F dur),
Sturm Überschrieben, beschränkt sich thematisch auf
den ersten Takt des Hauptthemas des ersten Satzes. Die
vier Noten dieses Motivs variiert Gilson in Farben und
Harmonien und wiederholt sie so unermüdlich, daß sie
den Hörer noch Tage lang verfolgen, ähnlich wie uns das
Rauschen des Meeres noch lange auf dem Festland be-
gleitet. Der Komponist erreicht damit eine geisterhafte,
~4 443 41^-
gespenstische Wirkung, der Eindruck seiner Meerbilder
wird älinlich, wie ihn Haydn von seiner Englandfabrt
gehabt haben muß, als er das Meer »das große Tier«
nannte. Diese Fracht fällt in Gilsons Finale nebenbei
mit ab. Sein Hauptziel ist: die See in Empörung zu
zeigen. Nach dem Programm geht das Schiff, dem die
Matrosen des zweiten Satzes angehörten, in diesem Schluß-
satz zu Grunde. Das Heulen des Sturmes, das Krachen
der Wasserberge und alle die Schauer der wilden furcht»
baren Natur sind in einer Sinfonie so lebensgetreu wie
hier in dem Werke des Belgiers noch nicht gemalt wor-
den. Wenn es ein Triumph der Kunst ist, das Heulen
des Sturmes, die schrecklichen Schläge der Wellen, das
Stöhnen des Fahrzeugs, die hörbaren Äußerungen seines
Kampfes mit den Elementen mit dem größten Grad von
Täuschung vorzuführen, so hat Gilson hier eine Haupt-
leistung hinterlegt. Zum Teil sind die Mittel altbewährt,
namentlich von Liszt und Wagner eingeführt: die chro-
matischen Skalen, die hohen Triller, die hereinprasseln-
den Akkorde der schweren Bläserharmonie; zum Teil sind
es Kombinationen rhythmischer Natur, die Gilson für sich
in Anspruch nehmen kann. In den kritischen Minuten
ist auch ein Männerchor zugezogen, der die Matrosen
darstellt, ihre verzweifelte Arbeit mit »ho he< begleitend.
Nachdem das Unglück geschehen, hören wir das Thema
des ersten Satzes in seinem vollen Umfang noch einmal.
Das Meer hat kein Erbarmen ^ind kein Qewiiuen ; es gibt
sich so unschuldig und gleichgültig wie am Morgen, da
die, welche jetzt in der Tiefe ruhen, die Sonne aufgehen
sahen.
Auch Claude Debussy hat eine, wenigstens in CUade DebsMj,
Frankreich häufiger gespielte Meeressinfonie geschrieben, ^ ^^'
die den Titel »La Mer< trägt und aus drei Sätzen oder
Skizzen (esquisses symphoniques) besteht. Im ersten,
»Derarbe ä midi sur la mer«, malt das Orchester das
Spiel des Wassers mit beständig wechselnden, kurz cha-
rakterisierenden Figuren der Streicher, von den Bläsern
her hört man ruhigere Motive, welche die Stimmung des
.r^
. - -» 444 V
im Boote sitzeDdeu Beobachters ausdräckeD. Darin, daß
sie Debussy nicht entwickelt und nicht in Beziehungen zu
einander setzt, zeigt sich seine impressionistische Natur,
der Bausteine lieber sind als Bauwerke. Der zweite Satz:
»Jeu de vagues«, bringt im wesentlichen die Bilder
des ersten nochmals, aber vergrößert, bewegter, erregter
und auch mit einem stärkeren Zusatz von Gemütsmotiven.
Er hat da, wo sich die Dissonanzen endlich einmal auf-
lösen, Stellen von faszinierender Schönheit . Der dritte
Satz: »Dialogue du vent et de la merc, beginnt
erst das Treiben des Windes, dann die Reaktion des
Wassers malend. Dann kommt aber als Mittelpunkt des
Ganzen ein weihevoll ruhiger, gebetsartiger Abschnitt, der
von einer zwar chromatischen, aber doch breit, aus-
giebigen und sprechenden Melodie getragen wird. Es ist
trefQiche Musik im alten Stil.
Die Aufgaben, die sich die französische Programm-
suite stellt, laufen in der Regel auf Stimm ungs- und
Situationsbilder allgemeiner Natur hinaus. Es sind im
Grunde Charakterstöcke, wie sie die französische Orche-
stersuite seit Lully gehabt hat, sie schildern Affekte,
deren musikalische Natur anßer allem Zweifel steht, und
gebrauchen den poetischen Titelzusatz nur als Sporn und
Hülfe, die Phantasie zu beleben und vor dem Einschlafen
auf Gemeinplätzen zu schützen. Der Zusammenhang dieser
Musik mit dem Ballett offenbart sich im Charakter der
Sätze; ja ein Teil dieser französischen Prograramsuiten
bekennt auch äußerlich die Herkunft von der Bühne. Von
Lto iiellbM^ L. De Hb es z. B. haben wir zwei Ballettsuiten aus »Le
Sylvia. ^oi s^amuse« und aus »Sylvia«. Diese Sylviasuite,
die sich in den deutschen Populärkonzerten eingebürgert
hat, ist ein Probestück jener französischen Unterhaltungs-
kunst, die gewöhnliche Dinge durch eine gewählte Form
zu heben weiß. Unter ihren vier Sätzen, die Jäger,
Nymphen und Bacchanten vorführen, zeichnet sich der
dritte, ein langsamer Walzer aus. Am bekanntesten sind
aus. der Gruppe dieser für das Konzert zurechtgemachten
Schauspielmusik die zwei Suiten, die G. Bizet, der Rom-
— • 445 »^
poaist der »Carmen«, im Jahre 1872 zu A. Daudets Schau-
spiel »L'ArUsienne« geschrieben hat.
Von diesen beiden Suiten ist die erste in Deutsch* e. BUet,
land außerordentlich verbreitet und wohl mehr als L'Arlesienne l
irgend eine zweite neuere französische Orchesterkom-
position aus den Kreisen der Abonnementskonzerte hin-
aus in die Volksmusik gedrungen. Das ist nur natür-
lich, denn sie ist eine so reizende Arbeit, wie wir nur
wenige haben, und bleibt — mannigfach gehaltvoll —
leicht, klar, liebenswürdig auch da, wo sie Ungewöhn-
liches und Außerordentliches bietet. Eins wollen wir
Bizet nicht vergessen : das ist die Knappheit seiner Ent-
wicklungen und Ausführungen.
Die erste Nummer unserer viersätzigen Suite (AUegro,
C) Cmoll), die die Oberschnft Pr^lude hat, bildet in der ,
vollständigen Schauspielmusik die Ouvertüre und hat den
doppelten Zweck, auf die Hauptzüge und den Charakter
der ilandlung vorzubereiten und uns mit Land und Leuten
etwas bekannt zu machen. Das zweite Ziel verfolgt
Bizet mit dem Thema, das den Satz eröffnet:
AUegro dtciflo. Jsl04
J I I I TT~rHI ^s ^*^ ®^^^ provenzalische
f I ^ ^ j s^ Volksmelodie, als »Marche
de Turenne« in Frankreich bekannt. Bizet entwickelt sie
in einer Reihe Variationen ernsten Charakters, die die
Phantasie seiner französischen Zuhörer mit ganz be-
stimmten geographischen und kulturhistorischen Bildern
erfüllen müssen, wie wir ähnlich bei »Jetzt gang ich ans
Brüunele« an Schwaben denken. Zuerst kommt die
Melodie ohne Begleitung, aber in mächtiger Besetzung
(alle Streichinstrumente mit Ausnahme der Kontrabässe,
Holzbläser, Saxophon und Hörner). Dann wird sie zart
von der Klarinette gesungen, von der Flöte, englischem
Hörn und beiden Fagotten mit schmiegsamen Harmonien
begleitet. Die zweite Variation bringt das Thema von
_^ 446 ♦^
sämtiiclien Bläseiu gespielt; sämtliche Streichtustramento
begleiten ebenfalls unisono in Achtelfignren, die o als
Orgelpunkt festhalten, in den Nebennoten aber die Skala
emporklimmen. Die Perioden setzen pp an und gelangen
zur selben Zeit, wo die Figuren sich der Oktav von e
nähern, ins f und ff.
Die dritte Variation bringt das Thema im langsamen
Tempo in Cdur vom Cello vorgetragen, Hom und Fagott
begleiten. Die vierte Variation hat es wieder in der An-
fangsbewegung und im großen Glanz des vollen Orche-
sters. Mit einem kleinen Anhang schließt die Variationen-
gruppe, die dadurch ungewöhnlich ist, daß sie auf die
modernen Mittel des Variierens, auf wesentliche Ver-
änderungen des Themas selbst, verzichtet Bizet wollte
mit R&cksicht auf den Zweck seiner Musik so einfach
und gemeinverständlich als möglich bleiben; er ist trotz-
dem nicht in Monotonie verfallen.
Die Mitte, oder den APdyne moiio. Jeden zwei-
zweiten Teil des Pr61ude^|^ij> r^ j* ff i^ iiten Takt er-
füllt fast ganz das Motiv 9^~ p •" ' ' ^'hebt es sei-
nen Klageruf. Wie auch die Musik ihre Wege wählt,
durch alle Harmonien drängt es sich. Wenn je, so darf
hier an eine >Id6e fixe« gedacht werden, und tatsächlich
bedeuten jene vier Noten auch etwas dem Ähnliches.
Fr^deri, der Held des Daudetschen Schauspiels, muß das
Mädchen Von Arles (rArl^sienne) aufgeben, weü sie eine
Unwürdige ist. Aber er hört nicht auf an sie zu denken,
sich nach ihr zu sehnen, und an dem Abend, wo seine Ver-
lobung mit einer andren vorbereitet wird, stürzt er sich
zumFenster hinaus. Der mittlere Teil der Prölude malt
nun mit der unaufhörlichen Wiederkehr dieses einen Mo-
tivs den Geisteszustand des armen Fr^deri, der so ganz
bis zur Sinnlosigkeit von dem Gedanken an die Verlorne
beherrscht wird. Ein dritter Teil, in dem das Motiv
UkipwmoiiiaieBto.Jr7e. <^>^ haupUächliche Entwicklung
^-^. / ^ ^^^ trägt, malt d^s Sorgen, das Hof-
.^ r r p I r r ^S fen und Ringen der. Umgebung.
3^ j» " Die letzten Takte des Satzes
r
447
nehmen Bezug auf den traurigeD^ schrecklichen Ausgang
des Stockes.
Der zweite Satz (Allegro giocoso, 3/4, CmoU), als
Minuetto bezeichnet, ist als Zwi&chenaktsrousik zur EröfT*
nung heitrer Szenen komponiert. Er hat die alte, von
Haydn her bekannte Anlage. Der Hauptsatz stützt sich
auf ein Thema, das bei aller Einfachheit und Beschrän-
kung doch eine feine wählerische Hand verrät. Die Baß-
föhrung zeigt sie:
KtoMlL Aa«cv^ giocosow
Jr
:^^?7^I^JlJllhjl I vot HauS
f ^ ^ r ^ ^ UT T ^ ^satz wird
jedoch das Wesen dieses Minuetto von dem anderen Teil,
dem an Stelle des Trios stehenden Satz bestimmt Er
steht in Asdur mit folgendem Thema:
Mit semem innigen, elegischen Ausdruck fesselt es an
sich schon das (}emüt des Hörers; der Komponist ver-
stärkt aber seine Macht durch die sichtliche Liebe, mit
der er bei ihm weit fiber die normale Zeit hinaus ver-
weilt.
Der dritte Satz (Adagio, *U, Fdnr), Adagietto be-
titelt, ist kaum mehr als ein Lied mit einem kleinen selb-
ständigen Mittelsatz, sonst vom einfachstem Bau. Die
Hauptstrophe bildet Vorder- und Nachsatz und wird so
viel ausgenutzt, als nur möglich ist, und in ihr selbst sind
die melodischen Verhältnisse so leicht gewählt, als es
nur sein kann. Größere Schritte kommen fast gar nicht
vor. Diese äußerste Einfachheit, die das innige Stfick
noch rührender macht, als es an und für sich schon ist,
dient hier Zwecken dramatischer Charakteristik. Es be-
«n
-^ 448 «--
gleitet den Dialog zweier alten Leute im Stück: der Matter
Renaud und des Schäfers Balthasar, die sich, um brav
SU bleiben, vor fünfzig Jahren getrennt haben und jetzt
zum ersten Mal wieder sehen. Als die Musik der alten
Leute zeigt sich das Adagietto auch in seiner bescheid-
nen Besetzung (Streichquartett) und im Tempo, das man
kaum zu ruhig nehmen kann.
Der Schlußsatz (AUegretto moderato, ^/^, Edur)
»Carillon« betitelt, ist derjenige, welcher den Konzert-
erfolg der Suite unter allen Umständen sichert. Eine
Harmonie gegen einzelne liegen bleibende Töne (liegende
Stimme) zn führen oder gegen ein im Baß festgehaltnes
Motiv (Basso ostin ato), das ist nichts Seltnes. Aber ein
Motiv in einer 'Mittelstimme ohne Unterbrechung sechzig
Takte hintereinander wiederkehren zu lassen und darüber
und darunter eine Musik in Fluß und Charakter zu
bieten — wie das Bizet hier tut, das ist ein Kunststück.
Dazu kommt aber noch, daß dieses Kunststück sich
ganz natürlich gibt Der Satz Bizets ist wirklich ein
Stück Programmusik im eigentlichsten Sinn: Malerei Er
macht das Glockenspiel nach^ aber Bizet hebt den Effekt
poetisch ähnlich, wie er in seiner Carmen die Äußerlich-
keiten des militärischen Lebens getreu, aber zugleich
auch in poetischer Verklärung vorführt Im Schauspiel
setzt unser Finale in dem Augenblick ein, wo die jungen
Leute nahen, um die bevorstehende Verlobung Fröderis
mit Vivette zn feiern. Was das Dorf nur an Mitteln be-
sitzt, um einer freudigen und hochgehenden Stimmung
Ausdruck zu geben, das wird in j
Tätigkeit gesetzt NatürUch müs- flflg''"","^""^-.*^'!^^..
sen da die Glöckchen auf demAT^it J J J I J^
Turm auch mittun. Sie spielen: JO^
Unter den Kontrapunkten, die ihnen entgegentreten, ist
der wichtigste der folgende:
(V"[ I r nn I ii'i n i »
— ♦ 449 f^
als der Ausdruck fröhlicher, flotter FeststimmuDg. Unter
den Klängen dieses Themas stürmt die Schar der jugend-
lichen Gratulanten heran. Im Mittelsatz, der über folgen-
des Thema entwickelt ist:
Andantiiio.
tritt das Sprecherpaar hervor und stattet sittig und herz-
lieh den Glückwunsch ab.
Der außergewöhnliche Beifall, mit dem Bizets 1. Suite
zu TÄrMsienne in allen Ländern aufgenommen wurde,
bestimmte seine Freunde, die (aus S4 Nummern bestehende)
Musik zu dem Schauspiel Daudets noch einmal nach
Sätzen durchzusehen, die im Konzert verwendbar wären.
Das Ergebnis hat uns Guiraud in einer zweiten Suite
Bizets zu l'Arlösienne vorgelegt, die ebenfalls aus G. Vlut,
vier Nummern besteht, welche den Stücken der ersten I-'ArW^ienne U
Suite in der Wirkung nichts nachgeben.
Sie wird mit einem Pastorale eröffnet, dessen
Hauptsatz auf folgendem Thema ruht:
Afidaate Boatennto assai. J = 64.
jr
j^2 ^ [ In der harmonischen Stellung der
r P ' Achtelnoten, in dem ländlich naiven,
freundlich liebenswürdigen Ausdruck froher Stimmung
erinnert es an Boieldieus »Weiße Dame«. Ein Nachsatz,
von h aus gebildet, vervollständigt es zur achttaktigen
Periode, die von den Bläsern allein, mit der Flöte als
Soloinstrument, sofort und wörtlich, aber im zarten Ton
wiederholt wird. Da schon wird die ländliche Szene unter-
brochen : die Holzbläser rufen einander zu, als käme je-
mand, der noch mit will: vom Saxophon und Hörn her
hören wir ein Motiv, das wie ein Halloh klingt. Man
wartet auf den Nachzügler, und als er da ist, beginnt ein
kleines Pastoralkonzert, eine echte Landmusik im ^VsTakt:
Krelzichmar, Führer. T, 1. 29
450 <»^-'
gtfat t — Ü- .tf-r j -"JT^- ^^® ^^^^ üudelsackharmonien,
fc*ff J\ p itp i*r Lf r *r r^ von den Qaintenbässen der
mf eta Fagotte begleitet. Lange dau-
ert sie nicht, das Adurtbema setzt wieder im ff ein, der
Zug bewegt sich weiter. Bald hat er aber sein Ziel, den
Spielplatz im Schatten erreicht. Noch einmal setzt sich
alles in Positur, das Messing (Posaunen mit) intoniert mit
äußerster Kraft und Würde die Adar-Harmonie, die andern
Instrumente fangen Nachahmungen des Themas an. Aber
blitzschnell wird das aufgegeben, die Klänge verhauchen,
und wir stehen vor einem ganz veränderten Bild: vor
dem zweiten Teil des Pastorale. Dieser zweite Teil ist
in Fismoll und im 3/^ Takt gehalten, scheidet sich also
auch äußerhch scharf von dem Hauptsatz. Dem Cha-
rakter nach ist er eine Tanzszene, und der Komponist
hat hier sichtlich darauf gerechnet, daß der Zuhörer die
sinnlichen Haupteindrücke darch das Auge von der Bühne
her empfängt. Denn die Musik ergeht sich in bloßen
Wiederholungen. Sie repräsentiert wohl mit provenza-
lischen, halb ehrwürdigen, halb drolligen Melodien ein
Pärchen. Sie singt zierlich:
AjadantlAO.
er ungestüm:
xr
Ein freierer und ausdrucksreicher Abgesang schließt die
Szene und eine abgekürzte Wiederholung des Haupt-
satzes den ganzen Satz, der durch das reizende Adur«
Thema noch lange nachwirkt. Im Schauspiel kontrastiert
sein liebenswürdig freundlicher Klang aufs schneidendste
mit der augenblicklichen Situation. Denn der Aufzug des
Pastorale erfolgt unmittelbar, nachdem Fröderi über den
461 «^
wahren Charakter der Ärlösienne schmerzlich aufgeklärt
worden ist.
Der zweite Satz der Suite (Andante moderato, Ci
Es dar), Intermezzo überschrieben, ist Zwischenaktsmusik
elegischen Charakters. In der kurzen Einleitung, die am
Schluß der Nummer wiederkehrt, wechselt eine starke
ünisonofigur mit- zarten, geheimnisvollen Bläserakkorden.
Der Hauptsatz gleicht einem Gresangstück, dessen gleich-
mäßig breiter Fluß, nur durch einige Takte der Erregung
unterbrochen, dem Ende zu durch Hinzutreten immer
weitrer Instrumente sehr imposant anschwillt
Auch der dritte Satz (Andantino quasi allegretto,
s/ai Esdur), Menuett betitelt, ist ein Stflck Zwischen-
aktsmusik, dem vorigen aber an Originalität weit Über-
legen. In der Familie der Menuetts läßt es sich
ebenso wenig mit. einem zweiten Stück verwechseln
oder auch nur vergleichen, wie Mozarts Menuett seiner
letzten Esdur-Sinfo*
nie. Zu der kecken ^^ j_ ^ ^
Grazie seiner Melodie, fti»Vj( ' =
die von dem Thema: "^^ PP
getragen wird, kommt eine ganz ungewöhnliche Instru-
mentierung: den größten Teil des Hauptsatzes spielen
Flöte und Harfe allein. Um so gewaltiger klingt dann, das
volle Orchester im Mittelsatz, der über das feste Motiv
tfi?L f'tf .f . . ■ 8®ba^* ist Die Pausen füllen Sech-
■jfcPir r ' ' I ' i ^ \ zehntelgänge von Flöten, Oboen und
/ Klarinetten, die durch die Beteiligung
der Harfe Härte und Rückgrat erhalten.
Ähnlich wie in der ersten, so ist auch in Bizets zweiter
Suite zu TArlösienne der Schlußsatz (Allegro deciso,
C> Vij DmoU— Ddur) als die Krone des Ganzen zu be-
zeichnen.
Bis zu den Entr^es in den Balletts Rameaus können
wir die Tatsache zurückverfolgen, daß die französischen
Komponisten ihre besten Stunden immer bei der Schil«
derung von besondern Aufzügen haben. So sind auch in
Bizets Suiten der Carillon, Pastorale und unser Schluß-
29*
452 ♦>-
satz die ßedeatendsten Treffer. Denn auch dieser Schluß-
satz ist eine Aufzagsmusik: Farandole, wie er über-
schrieben ist, bedeutet den Marsch und Tanz, mit dem die
Teilnehmer am Fest des heiligen Eligius (Cloi) in der
Provence vor den Häusern und Höfen erscheinen, von
deren Besitzern sie milde Beiträge erbitten wollen.
Bizets »Farandole« beginnt wie das Pr^lude der ersten
Suite mit dem Maiche de Turenne. Doch beutet er die
alte Melodie nicht wieder zu Variationen aus, sondern
bricht sie bald ab und ersetzt sie durch die eigentliche
Farandole. Das ist ein altertümlicher provenzalischer Ge-
sang, zu dem auch besondere Instrumente gehören: das
lange schmale Tambourin und das Flageolett : die Melodie
des Farandole ist folgende:
iP'i ii ii 1 1 1 II I ij h 1 1 1 iujj|i|ii
Die Periode wird wie-
rr p I r
einen Nachgesang:
der ebenfalls zweimal gegeben
wird. Dann beginnt der ganze
Reigen von vorn, zwei-, dreimal erneuert sich das
Spiel, aber immer lauter. Wie aus weitester Feme ppp
begann die Farandole, beim zweiten Einsatz war sie
schon im f, und fortwährend wächst sie an Tonstärke,
zieht Instrument um Instrument in ihre Kreise und
klingt mit jeder Sekunde entschiedener, naturmächtiger.
Nimmt man noch hinzu, wie das Tambourin, noch ehe
die Melodie eingesetzt hat, schon seinen Achtelrhythmus
begann und wie es seitdem nicht aufgehört hat, die
Achtel weiter zu klopfen, so kann man sich" einen
Begriff von der sinnverwirrenden Wirkung dieser Musik
machen. Endlich kommt eine Abwechselung: der Marche
-^ 453
tP>
de Turenne tritt eiu. Aber nur für kurze Zeit. Bald
macht er der Farandole wieder Platz, die bis zum
Ende des Satzes nicht wieder verschwindet. Wir stehen
also dieser Schlnßnummer der zweiten Suite gegenüber
vor einem ähnlich behandelten Variationengebilde, wie
es Glinkas Kamarinskiga ist. Die russische Kunst, ein
unscheinbares und geistig geringes Thema durch Zähig-
keit zu einer Größe, ja zu einer Naturgewait zu steigern,
hat sich Bizet mit einer Wirkung zu eigen gemacht, die
nichts zu wünschen läßt.
Gleichfalls nach dem Tode des Komponisten hat man o. Bis«t,
eine dritte Orchestersuite von Bizet veröffentlicht. Sie Homa.
führt den Titel Roma und gehört zu seineu älteren Ar-
beiten. Nach den Versicherungen Gh. Pigots*) hat Bizet
schon i. J. 1863 an ihr gearbeitet, damals noch mit der
Absicht, eine Sinfonie zu schreiben. Am 28. Februar 1869
wurde das Werk bei Pasdeloup aufgeführt mit der Be-
zeichnung >Fantaisie Symphonique« und dem Nebentitel
»Souvenirs deRomec. Der erste Satz trug die Bemerkung
»Une chasse dans la fordt d'Ostie< — das ist für eine
Suite mit dem Titel Roma ein zum Verwundern harm-
loses Thema — , der dritte war als »Une procession« an-
gegeben, der letzte wie noch heute Carnaval benannt.
Der erste Satz (Andante tranquillo, C) Cdur und
Allegro agitato, ^/g, C moll) beginnt mit einem Hornquartett,
dem folgender, an den Schlüssen etwas Mendelssohnisch
gefärbter Gesang zu Grunde liegt:
ABdanto traaqiiUlo. J r 66.
^^ ^ » ^^_ . n - ^ ^^^ ^° derselben Sonntag-
r r rfrrir^t*rr r#ir Y morgenstimmung wie
' ^ ^ ^ dieses Thema sind
auch die Strophen gehalten, weiche die Geigen ihm ent-
gegenstellen. Dann geht die Erwartung in Unruhe über.
*) Oharles Pigot: Georges Bizet et son oenvre. 1886.
454
Bewegtere Motive treten ein, die Geigen begleiten in
sprüiienden Figuren, ans den Bläsern tönen lockende Rufe.
Die ganze Natur beginnt zu leben, es wird Zeit zum Tage-
werk. Dessen Schilderung ist die Aufgabe des Allegro,
das den zweiten Teil dieser Nummer bildet. Es ist in*
sofern ganz ungewöhnlich angelegt, als es weder die üb-
liche Einteilung eines Sonatensatzes noch die eines Rondo
zeigt. Es hat kein bestimmtes Thema, aus dem es sich
entwickelt, sondern es sucht die augenblickliche Lage
mit immer neuen Motiven zu zeichnen und Überläßt es
dem Zuhörer, aus deren Charakter auf den Inhalt der
wechselnden Bilder zu schließen. Die wichtigsten dieser
Motive sind folgende drei:
An«gro agitato. J>sS04
iji''-i IUI |if Jiii u.u\aj\ ^Ni I
Der Satz hat einzelne
{ j I wenige Idyllen, vor-
wiegend malt er ein
lautes, froh erregtes Treiben, bei dem die Homer eine
Hauptrolle haben. Im Augenblick, wo die Wogen am
höchsten gehen, geht auch die Modulation aus Rand und
Band, nämlich in das ganz unerwartete Es dur. Dieser Ab-
schnitt hat auch ein hervortretendes Hauptmotiv, nämlich:
Als er wieder in Es geschlossen ,
= verklingt der Lärm; mit einem
y " 'Male sind die Schatten des
Abends da. Noch einmal kommt ein Aufschwung aus
der sanften Idylle, die das Allegro geworden ist. Dann
kommen die Motive der Einleitung wieder und schließlich
das Andante selbst
Der zweite Satz (Allegretto vivace, >/«> As dur) ist
als das Scherzo der Suite anzusehen. Seinem Hauptsatz
liegt folgendes flüchtige, phantastische Thema zu Gründe:
455
J-:iie.
rr r I f r ['"'IZJl'' I j -»r '^'irTr'f i
Itt iViirrfrl If I IV rH U 1^
Zunächst wird es zu einer Fuge benutzt, dann aber zu
einer Reihe freier leichter Satzbildungen, begnügt sich,
später hie und da wohl auch Begleitungsmotive und Ver-
zierungsfiguren zu liefern, z. B. zu folgender Melodie:
^^h> ,i.j^,l. I [■■ I I I 1^^ i-i-r-^5iäji
Der zweite Teil, dem gewöhnlichen Trio entsprechend,
ist ähnlich wie in der ersten Suite Bizets zu TArläsienne
sehr liebevoll ausgeführt. Das warm gesangvolle Haupt-
thema, das dem zarten Satz zu Grunde liegt, ist:
A^i I I -l-i -M I I J.l M J-i,J' I ,)■
etc.
Der dritte Satz (Andante molto, Ci Fdur) gleicht mit
seinem ruhigen, Gemütsruhe und Frieden verkündenden
Thema :
Andante nolto. J 1 48.
^ — TTtTT!] ri"^ I ™6"' emer ^»zene m aer h.a-
J J^ J ^ ^ ^ I p =JiMI pelle als einer Prozession. Nur
'^^ -'- ="^ die häufigen Wiederholungen
führen uns das Bild des Marsches der ausruhenden und
wieder aufbrechenden Pilgerschar vor die Phantasie.
Bizet bat diesen Wiederholungen ganz im Gegensatz zu
456
dem Verfahren, das Berlioz im Harold einschlug , das
Eintönige dadurch zu nehmen gesucht , daß er sie har-
monisch oder in der Instrumentierung variierte. Nament-
lich die letzte Variation hat durch die lebendigen, inter-
essanten Kontrapunkte der ersten Violine einen großen
Reiz. Ursprünglich war dieses Andante von Roma ein
Seitensttlck zu dem Adagietto in der ersten Suite zu
TArläsienne, einfach und knapp. Der Komponist hat dem
Satz aber nachträglich einen imposanten Charakter da-
durch gegeben, daß er das zweite Thema aus dem Schluß-
satz der Suite in ihn hereinnahm und ausführte.
Dieser Schlußsatz (AUegro vivacissimo, Vi« ^ i^oU) ist
ein Rondo. Sein Hauptthema i&t ein Baßrhythmus, der
durch die Dissonanzen, mit denen er begleitet wird, eine
wilde und ausgelassene Natur und die Fähigkeit erhält,
die Stütze einer tollen Karnevalsmusik zu bilden:
AUeero vivaciseiino,
AUeero nvaciseuiu
.J--
168.
^^
^
?ii».
yi.'i. B /■ 1 \h i
^
Hp t^P -
^
P
Eine bunte Schar von Motiven gesellt sich zu dieser
Baßfigur; jedes Instrument, das an der Musik teilnimmt,
hat ein anderes. Der lustige Tag macht die Phantasie
sprühen, der melodische Segen ist fast unerschöpf-
lich. Hervorgehoben seien unter -Aj_^fr^_ _ ^ j^*v
ihnen zwei, die später be- ftt*'^* T f ^/ | [" jB
nutzt und bedeutender werden:
und das
von
abgeleitete:
Unter den The-
ihm JiM rUrrf |>ir tVfft men der Zwi-
sehen Sätze er-
-- » 457
regt das des ersten Interesse, weil es beim Einsatz sehr
an Nicolais ^-:r\ ^'r>^ $
Lusüge Wei- /^l^. (} \f
ber erinnert: .3^
iJf/|Pp
Das eigentliche zweite Hanptthema des Schlußsatzes,
dessen Bekanntschaft der Hörer schon im vorhergehenden
Andante gemacht hat, lautet: y
Uif\iJi\Ui^\\ IUI I |lil|| ||| 1^
Es gibt am tollen Tage edleren Gefühlen Ausdruck, und
wenn wir in Betracht ziehe^n, wie dieses Thema im Satze
plötzlich unvorhergesehen vor uns steht, so liegt der Ge-
danke nicht so fern, daß der Komponist damit auf eine
liebe Begegnung hat hindeuten wollen. Die innige und
schöne Weise, aus der schon eine Hauptstelle von
»Carmen« herausblickt, klingt oft wieder und wirft in die
noch folgenden ausgelassenen Szenen, von der eine
Fuge über
die ärgste ist, veredelnde Lichter. Mehr und mehr dem
Ende zu wird aber auch sie ihres Charakters entkleidet
und in den Strudel sinnloser Lust hineingezogen.
In Frankreich wird noch eine sogenannte Kleine
Orchestersuite (op. 22) Bizets viel gespielt, die den
Titel fuhrt: jeux d*enfants, d. i. Kinderszenen. Diese
Kinderszenen entstanden als Klaviermusik, ein Heft 12
Nummern umfassend. Zur Eröffnung der Konzerte Cor
lonnes hat der Komponist fünf davon instrumentiert und
als petite Suite d'orchestre veröffentlicht. Die erste
Nummer ist ein einfacher Marsch, bei dem Trompeten,
Hörner, Pauke und kleine Trommel, also die Instrumente,
die die Aufmerksamkeit des Kindes am stärksten er-
wecken, sehr hervortreten. Es ist nicht zu verkennen,
Jeu d*enfants^
--♦ 458 «--
daß der Humor der Komposition im Klavier reiner Wirkt.
Der zweite Satz, eine Berceuse, ist die Krön» des
Werkchens durch die Süßigkeit der Kantilene. Alle
Instrumente nehmen die schöne Melodie für eine Weile,
das Cello umspielt mit wiegenden Figuren. Der dritte
Satz, »Impromptu f, ahmt das Brummen des Kreisels
mit einer Trillerfigur nach, die in den untern Mittel-
stimmen durchgeführt wird. Die vierte Nummer, Duo
genannt, ist ein kurzes Andanüno, in dem erste Violine
und Cello in zärtlichen Melodien das Bild zweier Liebes-
leute geben sollen. Der Schlußsatz, Galop betitelt, will
zeigen, wie kleine Leute Gesellschaft haben und einen
großen Ball geben. Es geht sehr hoch her. Der Satz
verarbeitet das Thema nach verschiedenen Richtungen,
stellt es sogar in den Baß. Das Ganze ist ein liebens-
würdiges Stück Kleinkunst.
0. SaUt-SftfiBs, Von Cam.Saint-Saens besitzen wir eine Programm-
Suite suite, die den Titel Suite Algörienne (Op. 60) führt und
Algenenne, ^^y ^jg ^^^^ ^^^ mehreren musikalischen Früchten jener
viel besprochnen Reise zu betrachten ist, die seinerzeit
das Haupt der heutigen französischen Tonsetzer seinen
Pariser Freunden auf längere Zeit entzog.
Der erste Satz (Molto allegro, Vs» Cdur) beginnt ge-
heimnisvoll mit einem leisen Paukenwirbel. Dann setzen
die Celli ein:
')'UmJ'^^'^
Mit dem Eintritt der Bratschen wird aus diesen tastenden
Motiven ein Thema:
trH^it^
ma, reichen sich
--• 459 «►-
die Hand, um vereint dea Aufmarsch der Stimmen am
stützen. Der ganze Abschnitt hat den Charakter einer
großen Spannung: Leonorenoavertüre und Rheingold-
vorapiel haben Teile von gleicher Anlage: eine Entwick-
lung, die über einem Orgelpunkt aufbaut und auftürmt
und die Phantasie eifrig mit der Frage beschäftigt: was
wird kommen, wenn die erstrebte Höhe endlich erreicht
ist Jener Augenblick nahet sich, als die ersten Geigen
das Thema nehmen. Da verläßt die Harmonie den lang
festgehaltnen Standort auf C und wendet sich nach 0.
Das neue Bild aber, das sich jetzt bietet, ist das Thema
das gehegte Erwartungen nicht befriedigt, sondern nur
steigert. Was fremdartig an diesep Tönen ist, die wohl
einen Gruß, die ersten Klänge vom afrikanischen Land
bedeuten, das wird romantisch gehoben durch die Ein-
kleidung, die ihnen St. Saöns gibt. Ein Tremolo der Geigen
begleitet sie und ein Freudenschauer des vollen Streich-
orchesters folgt ihnen. Von nun an kommf in die Musik
viel größere Beweghchkeit;.nur der Schluß des Satzes
wendet sich wieder ins Zarte und erzählt von einer Seele,
die sich daükbar still sammelt.
Der zweite Satz (Allegretto non troppo, ^^/g, Ddur)
bringt nationale Musik. Die Rhapsodie mauresque, wie
die Nummer heißt, zerfällt in zwei Teile. Der erste ist
eine kunstreiche Phantasie über das Glockenspielthema
^1^ Allegretto oon troppo. J«jg4
Plll"j-jj7JljXjj)
¥
dungen erfährt. Die interessanteste und wichtigste bringt
es in die Form einer Sechzehntel ßgur, wodurch der Satz.
460
#
der in beabsichtigter Monotonie gehalten ist, auf eine
Weile bewegter und spannender wird, unter den Kontra-
punkten^ die diesem Hauptthema entgegengestellt werden,
machen sich in den Holzbläsern einige scharf rhythmi-
sierte Figuren bemerklich, die wohl der maurischen Volks-
musik entnommen sind. Während dieser erste Teil träu-
merisch gestimmt ist, bringt der isweite eine frohe und
fröhliche Musik auf Grund folgender Themata:
Alleen moderato. J s tu
•tc
«c
ftn f II I I 11 urfirTfFii i i
Das erste ist in seiner Einfalt und seinem Mangel an
Leittönen entschieden barbarisch. Das letzte hat St. Saäns
außerordentlich wirkungsvoll eingeführt Als Zweck dieser
Rhapsodie könnte man sich ein Ständchen denken.
Dem dritten Satz (Allegretto quasi Andante, ^/^
Adur] liegt eine zwanzig Takte lange Melodie zu Grunde,
deren Charakter aus folgendem Anfang
.AodABtlBO. Jl«4 a^
zu erkennen ist. Ihr gehen einige Takte in den Holz-
bläsern vorher, die sich durch den freien, spielfreudigen
Rhythmus als eine musikalische Gabe der Eingebornen
kennzeichnen, während das hier angegebene Thema melo-
disch und rhythmisch die europäische Abkunft zeigt So
haben wir in den beiden* Melodien zwei Kulturen gegen-
übergestellt, Stoff genug zu einer Träumerei. Denn der
Titel der Nummer lautet R6verie du soir (ä Blidah).
Jene maurische Weise bedeutet den Gebetsruf: der Fremd-
461
ling, der ihn hört, fühlt sich fromm gestimmt and gedenkt
dankbar der Herrlichkeit, die er am Tage in diesem ge-
segneten Ort genossen. Blidah ist ja die Gartenstadt von
Algier und auch durch geschichtliche Beziehungen aus-
gezeichnet. Dreimal folgt den maurischen Motiven die lange
abendländische Melodie, die Instrumentierung wechselt,
und beim dritten Male treten weitre Modifikationen ein.
Die Violinen kommen nicht mit der Melodie, sondern legen
als Episode einen zweistimmigen, dem beschaulichen Nach-
sinnen gewidmeten Satz ein. Als nun das Adurthema
eintritt, bringen es die Bläser; erst in der zweiten Periode
treten die Geigen hinzu, die in einem kurzen Nachspiel
den knapp gehaltnen Satz zart verklingen lassen.
Der Schlußsatz (Allegrogiocoso, (^, Cdur), betitelt
Marche milltaire fran^aise, ist eine Probe von den
Leistungen des Komponisten auf dem Gebiete französischer
Volksmusik. Denn dazu gehören die Armeemärsche; ja
ihre Musik pflegt ganz besonders sich durch nationalen
Charakter auszuzeichnen. Deshalb tragen in Frankreich
auch die ersten Tonsetzer kein Bedenken, dem Marsch,
der bei uns heute fast ausschließlich den Musikmeistern
der Regimentskapellen überlassen wird, ihre Kraft zu
widmen. So hat auch St. Sa6ns eine lange Schule auf
diesem Gebiete durchgemacht und eine große Anzahl ein-
zelner Märsche komponiert. Von der Meisterschaft, die
er für dieses Fach erworben, legt nun dieser Marsch, der
die Algierische Suite schließt, hinlänglich Zeugnis ab. Was
für ein flottes Wesen sich in dem Stück entwickelt, das
verrät schon das erste Thema
AJÜBgtO giOOORO.
Ihm folgen noch eine ganze Anzahl kecker Springins-
felde. Das Trio, das bei uns innig zu sein pflegt, ist
phantastisch.
fS
462
{t- —
Diese Algierische Suite von St. Saens und ihr Erfolg
wiesen die Phantasie der Komponisten anf eine ergiebige
Qnelle, die geographisch - ethnographische , mit ihrem
großen Schatz von Rassen- nnd Charakteranterschieden,
von Landschaftsbildern, von nationalen Sitten, Tänzen
und Liedern, und dieser Hinweis ist mittlerweile f&r die
Suite außergewöhnlich fleißig und stark ausgenutzt wor-
den. Zunächst in Frankreich, wo der allzeit fertige
J. flAMMet. J. Masse net sofort die Konkurrenz mit St Saäns durch
zwei Suiten: Seines Napolitaines, Scenes Alsaciennes
eröffnete. Als dann Ed. Lalo mit dem bekannten Violin-
konzert, das sich Sinfonie espagnole nennt, Glück ge-
habt hatte, tat' sich ein französischer Großbetrieb in
geographischen Suiten auf, von dem hier nur die Haupt-
II. M*r4eli*1. I>6t^i^isl6i2 angeführt werden können, nämlich: U. Mar^-
C. Ptrez. chal (Esquisses V^nitiennes', C. Perez (Suite Mursienne),
■•*•[•*• M. Ravel (Rhapsodie espagnole), Tellier (S^r^nade
•" •'• espagnole). Obwohl der Vorsprung, den die Franzosen
in der Suite, wie auf dem Gebiete der Ballettmusik Über-
haupt, durch die angeborene Grazie, durch Formgeschick
und durch mehrhundertjährige Pflege dieser Gaben be-
sitzen, von anderen Nationen kaum jemals wettgemacht
werden kann, stellten sich ihnen doch auch in anderen
Ländern bald zahlreiche Mitarbeiter zur Seite: die beiden
i.lilffiBl. Itahener A. Luigini (Egyptisches Ballett) und P. Lan-
x'iimpk*"*' ciani(S6r6nadeV6nitienne), der Russe Rimsky-Korssa-
keruako'ff. ^^^^ (Capriccio espagnol', die Skandinavier H. Kjerulf
H. Kj«rBir« (nordische Suite) und Asger Hamerik (mit einer
A. Haaerlk. ganzen Serie nordischer Suiten). Es kamen böhmische
B»ek. Suiten von Ruzek und Pittrich. Sehr reich ist das
nttrleh. neue dankbare Feld auch von Deutschen bestellt worden,
■. Brieh. die Hauptstücke sind von M. Bruch (Suite nach russi-
FiMi^mpiTdhiek. 3^gj^ ^^^^^°^^^^^®^ » ^- Humperdinck (maurische
^'nJ^Woifi ^^psodie), M. Moszkowski (aus aller Herren Länder],
c. Frieden AHB. H. Wolf [italienische Serenade}, Friedemann (»Lola«,
Sehoi^UH^. italienische Serenade), Schmeling ^»Ein Abend in Aran-
l^Acebr! J^®2«, spanische Serenade», G. Kamp f (aus baltischen Lan-
e«Kr»iiiw! den\ Jacobi (Neger- Serenade], K. Kramm (andalusische
Suite), Klose (Serenata Veiietiaua]. Dazu kommt deiFr. kIom.
Däne Lange-Müller (Alhambra-Saite). P. E. Lange-HilUer
Den Rönigsschuß hat unter diesen zahlreichen Mit- G;C1iarpentter,
bewer bern Gustave Charpentier mit seiner fünf sätzigen "^«f!??'. "*
Suite: »Impressions d'Italie« götan, die heute der
internationalen Verbreitung und der allgemeinen Beliebt-
heit nach so ziemlich an der Spitze der neuen Orchester-
werke steht Diesen Erfolg verdankt der Komponist in
erster Linie derselben Hellhörigkeit für die kleinen Einzel-
züge musikalischen Lokaltons, die auch seiner" Oper
»Louise« das spezifisch Pariser Kolorit gegeben und ihr
einen Siegeszug über die Bühnen der alten und neuen
Welt ermöglicht hat. Bei ihm sind die Anregungen, die
in der Meyerbeerschen Zeit der Elsässer Georg Kastner
mit seinen »cris de Paris«. und seinem »livres partitions«
gegeben, zum ersten Male auf fruchtbaren und genialen
Boden gefallen, und wie in der französischen Hauptstadt
hat er es auch in Italien nicht verschmäht, die Straßen-
rufer und Hausierer, den Tonfall, die Rhythmen und die
Manieren der Volksmelodien, die Klänge der Mandolinen
und Guitarren und der anderen Lieblingsinstrumente des
Volks sich scharf zu merken. Das alles verwendet er
gleich im ersten Satze seiner »Impressions«, einer »Sere-
nade«, die mit einem langen Cellosolo eröffnet wird. In
ihm läßt er die kurzen und langen Portamenti, die
kleipen Vorschläge und namentlich die durch zahlreiche
Wiederholungen desselben Tones so eindringlichen, durch
Ausweichen in fremde Tonart so seltsamen Schlüsse
hören, die dem italienischen Volksgesang sein Gepräge
geben:
^^-^j jyg ' J \^^^jst&^
f _
Diese einfachen Mittel verfehlen ihre Zaubermacht
nicht, jeder fühlt die Echtheit dieser italienischen Musik-
probe und ist mit ihr sofort ganz und gar mitten hinein
in das eigene Volksleben jenseits der Alpen mit seiner
uralten Schönheit und Poesie versetzt. Diese Einfach-
^^ 464 V-
heit der Mittel ist das andere Geheimais der Kunst Cha^
pentiers. Eine ganz gewöhnliche Tunzmelodie, aber mit
reichen, der Natur abgelauschten Saitengeschwirr ver-
sehen, vervollständigt den Inhalt des ersten Satzes; mit
der Wiederholung des Cellosolos schließt er und all-
gemein folgt ihm die Kritik: entztlckend.
Fast noch glänzender als durch diese »Serenade« ist
die französische Kunst, aus nichts etwas zu machen, im
zweiten Satze: »A la Fontaine«, verwirklicht Er schildert
eine träumerische Stimmung, wie sie der Anblick stillen
Wassers so leicht erregt, mit Hilfe des bloßen Pentachords
Tranouülo. Gharpentier weiß aber in dieses
^ M » Y |f f I r f f -la Skalenfragment durch Harmonie-
^ ' '■ ' ■ ' ' änderungen, durch Zerteilung,
durch Echos, durch Tempomodifikationen eine solche Fülle
von Ahnungen, zarter und starker Empfindungen zu legen,
daß es wie die kostbarste Melodie wirkt In einem kurzen
Mittelsatz hört man den leisen Gesang der Wassertropfen.
Ähnlich meisterlich einfach ist der dritte Satz: »A
Mules«, d. h. Maulesel, entworfen: Ein Teil in Moll mit einer
erst kurzen, dann breiteren Melodie (in Hörnern, zweiten
Geigen und Cellis), die durch die lange Verzögerung der
Dissonanzauflösung eigen wirkt, darüber, fast als Haupt-
sache, in den Holzbläsern die heftigen, ungestüm rhyth-
mischen Motive der italienischen Straßenmusik! Dann
ein zweiter Teil im ungraden Takt mit freundlichem,
warmem Gesang im hellen Gdur, zum Schluß die beiden
Weisen verbunden. Ober das Ganze eine naturgetreue
Nachbildung des Schellen- und Glöckchengeklingels ge-
gossen, unter dem die Tiere die Karren dahinziehen.
Der vierte Satz: »Sur les Cimes« (das bedeutet Berges-
gipfel), beginnt mit einem sehr breiten, fast nur von zwei
gehaltenen Akkorden getragenen Präludium, das Milieu und
Stimmung feststellt, und mündet dann in eine Klage, die
ebenso schlicht wie grandios ist ,
Der letzte Satz, »Napoli« betitelt, bei weitem kom-
plizierter als die vorangegangenen, bietet von einer aus-
gelassenen Tarantella aus einen umfassenden Oberblick
4H5
ftber neapolitanisches Volksleben und führt seine wilden
und seine elegischen Bilder nacheinander und durch-
einander in heimischen Melodien vor. In der Mitte ge-
rät der Komponist auf eine beträchtliche Strecke völlig
in das Geleise von Berlioz* »Garnaval Romain«, kommt
dann auf den ersten Satz seiner Impressions zur&ck und
schließt mit einer niederschmetternden Verve.
Wenn wir in diesem Überblick die außerfranzösischen
Beiträge zur Gruppe mit einbeziehen, verdient der Ver-
breitung und Beliebtheit nach die nächste Stelle nach
Charpentier der Italiener Leone Sinigaglia mit seiner LeoBeSinigagUiy
»Piemonte« betitelten viersätzigen Suite (opi ä6). Hier Piemonte.
sind die Themen alle Volkslieder und gehören m der
Mehrzahl zu jener lustigen und leichten, musikalisch
ziemlich wertlosen und hauptsächlich des komischen
Textes wegen gesungenen Sorte, die wir seit alters her
als Gassenhauer zu benennen pflegen. An den von
Sinigaglia gewählten Stücken tritt auch das italienische
Element, was Melodieführung, zum großen Teil auch
was Harmonie betrifft, ganz zurück, nur in den flotten
Rhythmen kommt das feurige Nationaltemperament zum
starken Ausdruck, und dieses überschäumende, rhyth-
mische Leben ists in erster Linie, was den Erfolg der
Piemont-Suite erklärt, in zweiter Linie kommt ihm der-
selbe Melodienhunger des Publikums zustatten, der den
Potpourris den Boden bereitet. Ganz im Charakter dieser
Gattung verläuft der erste »Per boschi e per campi«
(durch Wald und Flur) betitelte Satz. Es muß jedoch
dem Komponisten oder Bearbeiter zugestanden werden,
daß. er die Lieder und Tanzweisen, die alle der Lust am
Wandern und der Freude an schöner Natur Ausdruck
geben, sehr geschickt auf Abwechselung bedacht, zu-
sammengestellt und dem Satze in einem liebenswürdigen
und mehrmals wiederkehrenden, auch das Ende bilden-
den Andante einen festen Mittelpunkt gegeben, daß er
drittens mit angeborenem Farbensinn immer einfach wirk-
sam und dezent instrumentiert hat. Der zweite Satz, mit
der Oberschrift »Un balletto rustico« (ein ländliches
KrwitscLiiiar, F&hrttr I, 1. SO
«^ 4Ö6 t^
Tänzchen), ist zwar dem Programm entsprechend derb
imd arbeitet viel mit primitiven Mittehi, aber bleibt doeb
immerhin maßvoll Der äußerste Grad von Natoralismas,
den sich Sinigaglia gestattet, besteht darin, daß zwei Takte
die leeren Quinten der Bratschen und Violinen probiert
werden. Der dritte Satz: »In montibas s a er is«, bringt
eine Art Wallfahrtsmnsik. Wie in Berlioz^ Pilgermarsch
hören wir die psalmodierende Menge, am Schlosse klingen
auch Glocken, und diese Anspielungen sind in fromme,
sehr einfach volkstümliche Weisen eingewoben. Die Suite
kommt mit dem Garnevale piemontese zu einem
verhältnismäßig künstlerischen Ende. Während der Kom-
ponist die Volksweisen der vorhergehenden Sätze kaum,
daß sie hingestellt sind, mit neuen vertauscht, bemüht
er sich, den teils stürmischen, teüs naiven Themen dieses
Schlußsatzes eine Entwickelung abzugewinnen.
Der Piemont-Suite SinigagUas darf hier gleich eine zur
gleichen Gruppe gehörige Suite eines zweiten Italieners an-
geschlossen werden, es ist die sizilianische Suite von
>iiM«»»6>*ri* Giuseppe Marinuzzi, die aus den vier Sätzen Leggenda
Beul, di Natale, La Ganzone dell* Bmigranti, Valtzer campestre
SiütJr ^^^ Festa populäre besteht. Es ist eine ebenfalls sehr
melodienreiche Musik, sie bewegt sich aber auf einer
höheren GesellschaftsUnie als das Opus des Piemontesen
und hat vor ihm auch noch den Vorzug, daß die sizilia-
nischen Weisen in Intervallen und Rhythmen viel mehr
eigenen Charakter haben als die pieroontesischen. Auch
Marinuzzi behandelt die Form der Sätze sehr einfach,
aber nicht ohne Orinnalität. Der erste Satz z. B., der
Weihnachtsmusik bringt, wechselt beständig zwischen
frommem, gehaltenem Kirchenton und fröhlich bewegten
Pifferarimelodien. Im dritten Satz, einem italienisierten
Walzer, wirkt ein Frauenchor (unisono) mit
Hier muß auch, obgleich sie nur Bruchstück ist, die
Hss^weiffltalienische Serenade von Hugo Wolf erwähnt
itaUenisohe werden, die aus dem Nachlaß des zu früh gestorbenen
'*'*^*^ Komponisten nach einer von Max Reger besorgten Re-
daktion herausgegeben worden ist. Wie bedauert man,
--• 467 *^
daß dieses Werk nicht über den ersten Satz hinans-
gekommen ist, daß es Wolf nicht vergönnt gewesen
ist, seine Kraft merkbarer in den Dienst der Orchester-
komposition zu stellen! Die Zierlichkeit und Grazie italie-
nischen Wesens ist nur selten so bestrickend in Töne
gekleidet worden, wie in diesem Serenadensatz. An Echt-
heit des Nationaltons kann sich Wolf mit Charpentier
messen, er unterscheidet sich von ihm dadurch, daß er
streckenweise das italienische Idiom vergißt und gut
deutsch musiziert Dafür kommen aber, wie in der Solo-
stelle der €e]los, Einfälle, die man zu dem Schönsten
rechnen muß, was die heutige Musik hervorgebracht hat.
Unter den Werken, die aus der Masse der ethno-
graphischen Suite herausragen, verdient mit besondrer
Auszeichnung noch die Suite nach russischen Volks- Ksx Brvciis
liedern hervorgehoben zu werden, die Max Bruch ^^Jf^,.
als Opus 79 veröffentlicht hat. Ihre fünf, fast in der ™^"^^|J^**'*"
Knappheit des 17. Jahrhunderts gehaltnen Sätze, erfreuen*
ähnlich wie Sinigaglias Piemont-Suile durch die wirksame
Auswahl der Originalmelodien, sie lassen aber in der
Verwertung bei geder Gelegenheit, hier in der Anlage
eines Schlusses, dort in der Einstellung eines Ostinato-
Motivs, die Hand eines Meisters erkennen.
Auch die Maurische Rhapsodie En gelber tB.HoMp«rdtMk,
Hu mp erdin cks gehört noch zu den interessantesten ***'*'**^* ^"P"
Stücken der ethnographischen Suitenmusik. Nur ists sehr ' ^
schwer oder unmöglich, in rier Musik das zu finden, was
die Titel der drei Sätze (1. Tarifa, Elegie bei Sonnenunter-
gang, 8. Tanger, Eine Nacht im MohrenkalTee, 8. Tetuan,
Ritt in die Wüste) in Aussicht stellen oder gar die Kompo-
sitionen mit den vorgedruckten Gedichten Gustav Humper-
dincks in Einklang zu bringen. Es steht in der Musik viel
mehr und andrerseits auch viel weniger als in den Versen.
So ist der erste Satz nicht bloß eine Elegie, sondern
neben dieser gehen lustige Weisen einher, die ebenso-
wohl liieder orientalischer Schwanke als Lust und Freude
am Reisen und Genießen bedeuten können. Dagegen hat
sich der Komponist auf die Punier und Golhen des Ge-
30*
-^ 468 ♦►
dichts nirgends eingelassen. Erst in dessen Mitte kommen
die Worte, von denen die Musik ihren Ausgang nimmt,
sie lauten : Wie ist's so still, so öd* und «insam rings!
Sie haben Humperdinpk zu der poetisch bedeutendsten
Partie der ganzen Rhapsodie geführt, zu der schönen
Einleitung durch ein unbegleitetes Violinsolo, das durch
die Antwort des englischen Horns bald zum Duett wird.
Auch originell ist diese Einleitung, denn, wenn auch die
Anregungen zum Solo in Wagners Siegfried und zum Duett
in Berlioz' Fantastique vorlagen, so hat doch Humper*
dinck die Idee in neuer, selbständiger Form und so glück-
lich verwirklicht, daß die Nachahmung durch andere,
sobald diese Maurische Rhapsodie bekannt genug sein
wird, kaum ausbleiben kann.
Der zweite Satz ist in der Hauptsache eine drollige
Schenkenszene, die ihren Charakter durch das im zwan-
zigsten Takte einsetzende Fagotthema erhält, zu dem
sich bald Reminiszenzen aus dem ersten Satz gesellen.
Ihnen treten in der Mitte des Satzes — am vernehm-
lichsten von der Oboe her — schwermütigere Motive ent-
gegen , die der Hörer auf das physisehe Elend der Ha-
schischtrinker oder auf die traurige Historie der ganzen
Rasse deuten kann. Die ernsten Töne, die hier nur epi-
sodisch auftreten, beherrschen die ganze Physiognomie
des dritten Satzes, bald mit kurzen, sinnenden oder klagen-
den Motiven, bald. mit breiten edlen Melodien, die durch
den Hörnerklang noch' besonders eindringen. Die Ein-
leitung geht noch weiter und bereitet mit Rufen der Ver-
wunderung, der Vereinsamung und des Wehes auf
schwer melancholische Ergüsse vor, pariert werden sie
durch die Motive des in der Oberschrift versprochnen
Wüstenritts. Mit der Aufnahme von Wendungen des präch-
tigen Violinsolos, das sie eingeleitet hatte, schließt die
Suite. Besonders genußreich ist die Orchesterbehandlung
und die Farbengebung der Komposition.
Neben diesen ethnographischen gibt es vor wie nach
eine Reihe französischer Prograromsuiten,. deren Vorgänge
und Bilder an keinen bestimmten Ort gebunden sind,
--e 469 «^
sondern sich überall und nirgends denken lassen. Za
den bekanntesten Stücken dieser Klasse gehören vor allem
B. Godärds Scönes po^tiques, die, seit sie Franz B.'Godar«,
Wfillner hier eingeführt hat, auch in Deutschland einen ^^"^3
großen Freundeskreis gefunden haben. Es sind kurze, ^^ ^*^'
Pastorale Skizzen: »Im Walde«, »Auf der Flur«, »Im Ge-
birge«, »Im Dorfe«. Ein anmutiger, kecker Jugendgeist,
der in der Naturschwärmerei nur eine Gastrolle zu göben
scheint, spricht daraus. Thematisch sind die kleinen Sätze
loser und leichter als die der Bizetschen Suiten entworfen
und durchgeführt. Ihr Hauptreiz liegt in der Sicherheit,
mit der die Form behandelt ist. Das ist eine Anmut in
jeder Wendung, eine vollendete Harmonie in den Maßen
und eine Klarheit, die den Genuß wesentlich erhöht. Auch
die Instrumentation trägt zu dem Gefühl, daß man vor
einem in seiner Art vollendeten KiTnstwerk steht, viel mit
bei. Der letzte Satz, bei dem die große Trommel be-
deutend mitwirkt, ist der originellste und zeigt das eigent-
liche Schelmengesicht des Autors.
Auch J. Massenets Seines pittoresques gehören J.Mmmii«!»
hierher. Von allen Orchestersuiten, die dieser als Stütze ..?^***"
der heutigen französischen Oper bekannte Komponist ^* ••q^es.
geschrieben hat, sind die Seines pittoresques am meisten
verbreitet; am nächsten steht ihnen die viersätzige Suite
Bsclarmonde, die aus Stücken der Oper Esclarmonde
zusammengesetzt ist.
Die Seines pittoresques beginnt ein Marsch mit fol*
gendem pikannt nuanciertem Anfang:
AUegto moderato. ^.^
Der Autor zeigt sich nicht als großer Erfinder und nicht
alft großer Geist, aber als ein Künstler, der den Effekt
versteht und aufsucht. Die Perioden sind auf Ober-
raschungen hin gebildet, das Verhältnis der Sätze ist auf
Kontrast gestellt, und um einen wirksamen Gegensatz ziu
bekommen, wird auch ein gewöhnlicher oder sehr ge-
--e 470 «^
wohnlicher Gedanke mit in den Rauf genommen. Sehr
hübsch ist es, wie Massenet das anmutige Motiv, mit dem
der Marsch beginnt, immer wieder in den Satz einzuführen
weiß. Hierin zeigt sich eine sinnige Seite seiner Begabung
und ein hervorragendes formales Talent
Der zweite Satz, Air de Ballet betitelt, besteht aas
zwei Teilen: In demi Hauptsatz (HmoU, Vs) trägt das Cello
ein Solo vor, das als Ergänzung von Manricos Partie dem
»Troubadoure als Ständchen einverleibt werden könnte.
Der Mittelsatz bringt (in Gdur) eine von den bekannten
Ballettszenen, wo die oberen Holzbläser eine einfache
Melodie in Staccatonoten hinstellen. Man hört derartige
Musik nicht, ohne daß vor die Phantasie die auf den
Fußspitzen trippelnden - Ballerinen treten. Die kflnstliche
Zartheit dieser Töne wird etwas grob an den Schlüssen
von einem starken Tuttieinsatz des Streichorchesters
unterbrochen. Im Cello gibt dann und wann der Sänger
Zeichen von Ungeduld. Endlich ist das Ballett aus und
der Hmollsatz kommt wieder.
Der dritte Satz, ein Andante sostenuto mit der Über-
schrift An gel US, ist die Glanznummer der Suite, ein
Stück großer Kunst, einfach erfunden und tiefer Wirkung
.sicher. Es gleicht zur Hälfte einer Kirchenszene, in der
fromme Weisen vom Priester zum Volke gehen. Alles er-
innert an den Gottesdienst, der feierliche Ton der Themen,
der Wechsel schwacher und starker Klanggruppen. Die
leicht präludierenden Motive scheinen auf die Orgel hin-
zuweisen. Zur Hälfte ist aber die Musik der Nummer
Volksmusik, so vor allem die Motive im i^/gTakt. Beide
Bilder schließen sich nicht aus, sondern daß des Volkes
Stimme in der heiligen Zeremonie hörbar wird, hat der
Komponist als den Gipfelpunkt der Szene gedacht. Der
Schlußsatz, >F6te Boheme«, ist ein Ballettbild, wie es
jedermann kennt. Eine große Menge Volks stürzt herein
mit wunderlichen Sprüngen, dann tritt ein Solopaar heraus,
und ihm folgt der Chor wie zu Anfang. Die Erfindung
zeichnet diese Musik nicht aus, ihre Wirkung sucht sie
in massigen Klängen.
-—• 471 ♦^
Von der jungrussischen Schule, deren Geist der
alten Kunst nur wenig gewogen ist, hätte sich eine be-
deutendere Förderung der Programmusik erwarten lassen,
als sie bisher von dort tatsächlich erfahren hat Die
wenif^en russischen Werke dieser Klasse, welche über den
Kontment verbreitet sind, rühren von Rimsky-Korssakoff
und von P. Tschaikowsky her.
Von Rimsky-Korssakoff ist es die sinfonische N. Blmtky.
Suite »Scheherazade« (op. 36), die in leUterZeit hau- i^?'J"**f'
figer gespielt worden ist. Der Komposition liegt als Pro- (Op'SS
gramm ein Abschnitt aus »Tausend und eine Nacht« zu
Grunde, die Erzählung von der Sultanin Scheherazade.
Der Sultan Schahriar hat bisl^er alle seine Frauen nach
der ersten Nacht ermordet. Scheherazade entgeht diesem
Los durch ihre Erzählungskunst. Tausend und einen
Abend weiß sie den Sultan durch ihre Geschichten immer
wieder zu fesseln und nach dieser Zeit steht er von seinem
blutdürstigen Plan ab. Rimsky-Korssakoff gibt in den vier
Sätzen seiner Suite vier solche ErzählungsiJ>ende, am
ersten wird die Geschichte von Sindbad und dem Meer
vorgetragen, am zweiten die vom Prinz Kalender, am
dritten die vom jungeu Prinz und der jungen Prinzessin,
am vierten die von dem Fest in Bagdad und vom Schiff,
das an dem Felsen scheitert. Aber man versteht seine
Komposition nur halb oder gar nicht, wenn man ihre
Bedeutung in der Wiedergabe dieser Märchen sucht. Das
Hauptziel, das sich der Komponist gestellt hat, ist viel-
mehr: die Charaktere des Sultans und der Sultanin zu
zeichnen und die Wandlang zu veranschaulichen, in der
das rauhe Gemüt des Schahriar allmählich der Grausam-
keit entkleidet und mit Milde und Gesittung erfüllt wird.
Rimsky-Korssakoff entfaltet bei der Lösung seiner Aufgabe
eine stattliche Erfindungsgabe und ein großes Farben-
talent. Seine Arbeit hat aber zwei Mängel, die vielen
die Anerkennung ihrer Vorzüge erschweren: Maßlosigkeit
der Formen und der Farben. Er kann sich häufig nicht
entschließen aufzuhören, wo die Geringfügigkeit des Gegen-
standes schon längst das Ende erfordert hätte, und er
472
setzt eiuen schweren utid lärmenden Orchesterapparat in
minutenlange Tätigkeit, wo wir überhaupt keine Not^
wendigkeit für das Auftreten rauher Stimmen einsehen
können.
Der erste Satz hat eine kleine Einleitung, Largo
maestoso, in der die Hauptpersonen des Märchens sich
vorstellen: Schahriar gebieterisch, stolz, rauh und hart:
LUfO e HMauwo. *» ■ *» ^ ff /> >. i-
die Sultanin behend, anmutig, tiebenswürdig und auch
klug über lange Anschläge, verfügend:
Violine LeniO;_ji
8olo .^-^ jl.
Dann folgt ein AUegro non troppo l®/«, E dur), das das
Sultansthema zunächst durchführt, p setzt es ein, als
wenn Schahriar durch Scheberazades Erscheinung be-
trofiten und in seinem Wesen umgewandelt oder verwirrt
wäre. Nur mühsam gewinnt er die Fassung wieder.
Ein forte in Edur bezeichnet diesen Augenblick. Noch
einmal durchläuft er diesen Gemütsprozeß. Den
zweiten Abschnitt markiert eine Modulation in Gdnr.
Jetzt fängt die Sultanin zu erzählen an. Es ist die
Geschichte von Sindbad. Daß sie aber nicht sonder-
lich interessiert,
sehen wir an
dem etwas trok-
kenen Thema: ^
wir sehen es noch deutlicher daran, daß es nicht benutzt,
weitergeführt und entwickelt wird. Das Hom macht einige
473
Versuche, dem Sultan das Wort zu verschaffen, bald aber
tritt Scheherazade in den Vordergrund des Bildes. Ihre
graziösen Triolen von der Solovioline eingeführt, klingen
schnell i^us dem ganzen Orchester. Das scheint don Sultan
zu reizen. In aller Bedeutung, Wucht und Härte kommt
sein Thema wieder. Ein breiter, im ff ausgehaltener Edur-
akkord zeigt weithin, wer Herr ist. So wechseln die beiden
Themen noch 5fter im Satz. Die Komposition gibt das
Bild eines Paares^ dessen beide Teüe ihre Kräfte messen.
Die Sultanin greift auch einmal wieder zur Erzählung.
Der Schluß bringt die Sultansmelodie zart und leise.
Den zweiten Satz leitet in einem kurzen Lento
wieder Scheherazade ein. Dann folgt in einem Andantino
(8/g,Hmoll) eine Musik, die die Erzählung vom Prinzen
Kalender bedeuten soll. Das Thema
Anda,iitiQO. A IIS
zeigt, was für eine Art Held dieser Prinz ist, eine ko-
mische Figur wie Eulenspiegel und Don Quixote, und die
Geschichten, die ihn behandeln, müssen lustig sein. Das
Thema geht von einem Instrument zum andern, wir sind
unversehens in einen jener bekannten russischen Varia-
tionensätze geraten, die durch die Eintönigkeit so auf-
regend wirken, als sich Schahriar einmischt: In mehrerlei
Gestalt legt ^ Molto modTato. ^ hnga
er Macht- £t i MJ^^^^Wf^^^^^ und
proben ein "^^ "^-tJV* * "" " "" **5*v-J "
^ Aiiegro aoito.J.t44 ^ Sie werden aber
^^^^^jJ Jm Nt^jJ^ 1 genommen. Als
die Klarinette in Form eines Rezitativs die Melodie der
Snltanin gebracht hat, wird der Ton ausgelassen. Ein
^-f 474 «^
Vivace scherzando tritt ein, und In ihm finden wir das
Schahriarthema in folgender Form
VlvAM acberaaiido. J*a 189
Eine Wiederholung des Klarinetten-Rezitativs bringt eine
neue Wendung: Der s/g Takt mit der Musik zur ErzUiliuig
vom Prinz Kalender kehrt zurück, und mit ihr schließt
die Nummer. Kurz vor dem Ende kommt noch ein sehr
schön berechnetes und gesetztes Homsölo.
Der dritte Satz, der die Erzählung von dem jungen
Prinzen und der jungen Prinzessin bringt, ruht auf folgen-
dem Thema
Andantino ^uaai AUegretto. W* s 62
i'lljj IlTl Hill. (I
das für die Gabe des Komponisten, anschaulich zu ge-
stalten, das schönste Zeugnis ablegt. Wer den Tonfall
genau ansieht, mit dem in den zweiten Takt eingetreten
wird, kann kaum im Zweifel darüber sein, daß es sich
bei dem Prinzen um eine richtige Kindergeschichte han-
deln muß. Das angegebene Thema ist das einzige, und
infolgedessen hören wir seine Motive sehr oft. Der Kom-
ponist hat allerdings viel aufgeboten, die Wiederholungen
nicht als solche erscheinen zu lassen. Die Farben wech-
seln, die Modulationen unter den Kontrapunkten, mit
denen er Neues zu bieten sucht, sind ganz verwegene.
Die zweite Flöte bl&st einmal einen waluren Trommel-
rhythmus. Auch die Pausen bei den Periodenschlüssen
sind darauf angelegt, Spannung zu erzeugen. Erfrischend
wirkt das Eingreifen der Scheherazade, die dem Ende zu
ihre Melodie bringt und dann die Prinzenmusik eine
Strecke lang in der Solovioline mit Arpeggien verziert.
475
Der Anfang des letzten Satzes (AUegro molto) zeigt
den Sultan In heftigster Erregung. Er bietet seine ganze
Kraft auf, um sich Scheherazade gegenüber zu behaupten.
Diese schmfiekt ihre Melodie mit den Künsten des Virtu-
osen: das Violinsolo kommt in mehrstimmigen Satz. Ein
noch heftigerer Ausbruch des Sultans antwortet. Nocli
einmal erhebt die Sultanin ihre liebliche Stimme und be-
ginnt dann sofort za erzählen. Es ist diesmal die Ge-
schichte Tön dem Fest in Bagdad, dessen Bild die Musik
auf Grund folgenden Themas entrollt:
vivo. Je 68
das sehr oft hintereinander wiederholt wird. Dann setzen
Trompeten und Hörner ein, aufmerksam zu machen, daß
sich etwas Außerordentliches begibt Die neue Erschei-
nung stellt sich musikalisch vor als
So gewichtig sie ist, verschwindet sie doch bald wieder,
und nun kommt eine sehr schöne Stelle: ein Abschnitt
aus der vorhergehenden Nummer. Sind der junge Prinz
und die junge Prinzessin mit auf dem Feste? Die Idylle
entweicht, der Festtrubel wirbelt weiter in Bruchstücken
und Umbildungen aus dem ersten Thema. Einmal (der
Satz ist nach E dur gegangen) hören wir die Stimme des
Sultans wie im Unmut über den Gang der Erzählung.
Das ändert aber nichts am Plan. Das Thema bleibt, wird
nur um vieles stärker vom vollen Orchester gegeben. Von
einem Bdur-Schluß ab beginnt wieder eine Episode für
die Messinginstrumente. Wieder folgt das mächtige zweite
Thema, das woM das gefährdete Schiff bedeutet Smd
der Prinz und die Prinzessin darauf? Ihre Musik folgt
abermals diesem zweiten Thema, und daß Gefahr vor-
liegt, zeigt die Trompete, die ohne Unterbrechung hoch*
— • 476 %^
notpeinliche Rhythmen schmettert. Noch einmal geht sie
vorüber tind das Pest beginnt wieder. Aber als das
Thema nnd der Festtnmult am lantesten wird, da kommt
die Katastrophe: das Schiff scheitert Die Trompete bläst
wie rasend nnd das Schlagzeng tnt das möglichste. Ge-
meint ist die Stelle ganz richtig, aber die Anfnahmefähig-
keit des gebildeten Ohres bt vom Komponisten nicht
richtig geschätzt nnd der Märchencharakter ebenfalls
nicht. Nach jener entsetzlichen Stelle setzt ein 0/4 Takt
ein, in dem Schahriar nnd Seheherazade einen Dialog
aufführen. Des Sultans Stimme, die erst rauh einsetzte,
wird sanfter und zarter. Träumerisch, mit Akkorden, wie
sie ähnlich Mendelssohns Sommemachtstraum eröffnen,
. klingt die Komposition so aus, wie sie begonnen hatte.
Korssakoff kommt die Ehre zu, als der erste Russe
eine wirkliche Sinfonie geschrieben zu haben. Sie wird
allerdings selbst von seinen Verehrern abgelehnt*}. Da-
gegen gelten in der Heimat des Komponisten die beiden
Programmsinfonien viel, welche jenem ersten Versuch
gefolgt sind: Sadko und Antar, jene dreisätzig, diese vier-
sätzig. Antar fängt in neuester Zeit an, auch in Deutsch-
land bekannt zu werden, in Rußland gehört das Werk zu
den allerbeliebtesten Orchesterkompositionen. Es bietet
Programmusik mildester Art
Kiwiky- Wieder führt uns Korssakofi in die arabische Sagen-
^"^J^^JJ^J^jwelt, in den Kreis der Fabeln, die sich im Volk um
i<^ ^' Antar, den Dichter und den geliebten Helden der Wüste,
gebildet haben. Antar, einsam in den Ruinen von Palmyra
weilend, sieht plötzlich eine Gazelle und gleich darauf
einen Raubvogel, der sie verfolgt. Er tötet den Vogel,
die Gazelle verschwindet Antar schläft ein und wird
nun im Traum nach einem prächtigen Palast entführt,
wo er seine Gazelle wiedertrifft, die nichts Geringeies
war als die Fee Gul-Nazar, die Herrscherin von Pahnyra.
Sie fordert Antar auf, drei Wünsche auszusprechen, und
Antar wünscht sich 1. den Genuß der Rache, 2. unbe*
*) GtfMT Oai: La Masiqiie eu Ruasie. 1880, p. 130.
-*
477 <^-
dingte Macht, 8. die schönsten Freuden der Liebe. Als
das Gldck der Liebe den guten Antar zu ermüden be-
ginnt, tötet ihn Gul^Nazar mit einem Kuß.
Es handelt sich also bei dieser Sinfonie um poetische
Vorwürfe, wie sie die Instrumentalmusik überall und zu
jeder Zeit unbedenklich in ihr Bereich hat ziehen dürfen.
Nur wer der Musik überhaupt das Recht und die Möglich-
keit des Charakterisierens abstreitet, wird sich diesem
Programm entgegenstellen dürfen. Denn es handelt sich
in dieser Antarsinfonie um weiter nichts als um den Ver-
such, durch Musik Vorstellungen vom Feenleben, vom
Wesen der Rache, der Macht, der Liebe zu erwecken.
Korssakofi hat sich diese vier Bilder als Träume Antars
gedacht, begegnet sich demnach mit der Auffassung, in
der Berlioz ii\ seiner Sinfonie fantastique die Schilderungen
aus dem Leben eines Künstlers genommen haben wollte.
Korssakoff folgt Berlioz auch in der Verwendung von Leit-
motiven.
Am meisten bietet die Sinfonie von Korssakofi den
liebhabem einer weichen, in zarten Tönen, süßen und
schmiegsamen Harmonien schwelgenden Musik. Sie fin-
den im ersten und vierten Satz edles, was sie erwarten
dürfen, und es zeigt sich auch hier wieder, daß Korssakoffs
Musik den schmiegsamen weiblichen Zug des russischen
Nationalcharakters besonders stark und deutlich ausprägt.
Auch der fast Blinde kann aus ihr sehen, was asiatischer
Geist für das Zarenreich bedeutet. Die Schilderung der
Rache interessiert durch Beweise guter, scharfer Seelen-
beobachtung, das Bild der Macht überzeugt am wenigsten.
Der erste Satz beginnt mit einem Largo in Fismoll
(C Takt], das in schwer beweglichen, schleichenden
Motiven den ernsten, der Einsamkeit und Vergangen-
heit lebenden, die Menschen meidenden Antar zu
zeichnen sucht. imxw^^^^^^^ .
XSLit't^ iiii' n^ I Tr ii| Ti T I
Es kehrt, den schwermütigen Grübler zeichnend, in
allen Sätzen wieder. Im Sinnen und Dämmern scheint
-^ 478 #--
die Phantasie des Einsiedlers auf die Sage von der Fee
Gnl-Nazar zu stoßen, die Töne suchen ebe hoheits«
volle, zarte Gestalt vor unser innres Auge asd stellen:
MjJ^ijjyJj L
Diese Weise wird das Leitmotiv der Königin in der
Sinfonie. Mit dem Eintritt des Allegro (D moll, s/4)
erwacht um Vl^x^
AntarLeben: ^•«'^ 5|^^
Vondemver. f^^^f ^f |
zierungsrei- y ^ ■ ^' ^ '
chen Thema ^
aus entwickelt sich eine breite, in einer gewissen tr&gen
Munterkeit fortschreitende Melodie. Dreißig Takte lang
liegen die HÖrner dazu auf Ä, die zweite Violine gibt
einen Tambourinrhythmus. Korssakoff hat sich vielleicht
unter dieser Musik die Gazelle seines Programms ge-
dacht und dabei die Gelegenheit gern ergriffen, etwas
orientalisch zu malen. Das volle Streichorchester
bringt Aufregung in das Bild. Ober ein gewaltiges an-
wachsendes Tremolo der un- ß ^ -i.—^— J '
tern Instrumente werfen die ff ^ J^^^^j^^^^
obern Violinen das Motiv y^**^ '*"*L-*'
unruhig hin und her. Bald ertönt schrill in den Bläsexn
der Schrei des Raubvogels und treibt den ganzen Geigen-
chor in einem wütenden Unisono in die Höhe. Ein
kurzer Kampf, während dessen die große Trommel
bebt, dann der entschiedne Streich in den Violinen:
Das ist der Tod des Räubers, ein schwerer
Seufzer in den Bläsern: als wenn der Druck
sich löste, den die Gefahr in Antars Brust
veranlaßt hat Bald dann kommt die Stimme
der Gazelle und der Königin, wie sie ja zusammengehören,
dicht hintereinander; die Gestalten scheinen sich in An-
tars Phantasie zu vermengen. Er schläft ein, und nun
tragen ihn die Träume in den Feenpalast, wo Gul-Nazar
~-t 479 ^>-^
weilt lind seiner Wünsche wartet Ein zweites Allegro
(Fisdur, Vs) be^nt. Sohatienhaft haschende Flöten-
figuren, süß schneidende Geigenakkorde, das Hom mit
langem, liegendem Tön darunter leiten es ein. Dann
fängt der zarte weiche Reigen an, der von dem Thema
aus gebildet, den musikalischen Hauptinhalt der Nummer
ausmacht Sein melodischer Teil erinnert an das schöne
Stück von den Prinzenkindern , das Korssakoff in der
»Scheherazadec gegeben hat Harmonien, Begleitungs-
motive, Klangfarben — alles strebt nach äußerster Zart-
heit, und der Vortrag soll noch das übrige tun, dieses
Ziel zu sichern. Ein gutes Orchester kann sich hier im
Piano zeigeui In der Periodenbildung macht sich das
Verfahren bemerklich, den thematisch melodischen Zu-
sammenhang durch ruhende Akkorde zu unterbrechen.
Das hebt den phantastischen Traumcharakter des Ton-
bilds sehr wiri[sam* Die Wiederholungen, deren es sehr
viele sind, reizender zu gestalten, hat sich Korssakoff
kleiner Änderungen durch Verzierungen sehr wirksam
bedient In der Mitte ungefähr, gerade als das Hom
wieder das Thema des Feenreigens gebracht hat und die
Harmonie ohne weiteres von Es nach E wechselt, tritt
das Motiv der Königin ein. Bald darauf hören wir wie-
der die Figuren, die den Kampf gegen den Raubvogel
veranschaulichten. Das soll uns darauf führen, daß Gul-
Nazar, die Königin, jetzt ihren Retter belohnt. Und er
bedankt sich: das Antarmotiv folgt unmittelbar den Tö-
nen, die die Königin bedeuten, und wird immer wiederholt,
während der Reigen wieder aufgenommen ist Dann er-
zählt die Musik wieder nur vom Schlafen und Träumen
Antars und zeigt noch einmal, wie in seinen Gedanken
die Figuren der Gazelle und der Königin durcheinander
laufen. Unsre letzten Blicke fallen wieder auf die Ruinen
von Palm^a, wo der einsame Antar das Abenteuer hatte.
4H()
>-^
hefti- CgwaniMn.)
gesAuf. *J«ltj}lt|| r
fahren: jf
a^te
Der zweite Satz (AUegro, ^/s, Edur) gibt das Bild der
Rache zuerst mit leisen. Motiven:
Allegro.
M l',l I Jlj|j J J J J J j I
^ So wühlt (in den Cellis), so
(in den Fagotten, Hör-
nern, Posannen] brü-
tet der Dämon. Dann
Ist das noch
Antar, der Grub-
_ 1er? Mit ge-
steigertem Tempo geht die Rache nun zum Handeln über:
Holto AUegro. i^o*«»!.- « (Horner.)
/(Oeni.)
Die Energie steigert sich zur Wut, fast bis zur Sinnlosig-
keit; wild und diabolisch zischen versprengte Töne durch
das Gewebe der Themen. In der Mitte des Satzes kommt
das letzte Thema in langsamer Bewegung, als wenn An-
tar, dessen Leitmotiv ihm angehangen ist, nach Samm-
lung ränge. Dann wiederholt sich der ganze Prozeß des
Anwachsens der Leidenschaft in verstärkten Graden; mit
Zutat von neuen, anfeuernden Motiven gibt der Kompo-
nist ein schreckliches Bild von den Qualen einer Seele,
die die Herrschaft verloren hat. Der letzte Abschnitt
malt Erschöpfung und Reue.
Der dritte Satz (Allegro risoluto alla Marcia, Vi»
HmoU}, der Antar im Besitz der Macht zeigen soll, baut
seinen Hauptteil auf das Thema der Hörner:
/"■^jJ l'ij'jiJ i<i;ij.J I' 1 1 Ijjj
das die Holzblä-
ser mit leicht tän-
delnden Motiven:
481
umspielen. Kraft und Frohmut spricht ans diesen Tönen,
aber nicht was wir erwarten: Größe. Das Thema macht
sehr bald einem andren Plats
^¥i7ir^Vfii ijii'JJi
von dem es allmählich fast ganz verdunkelt wird. Es
wird auf Individualität und Rasse ankommen, ob man der
Auffassung vom Wesen der Macht, zu der sich Korssakoff
in dieser Komposition bekennt, beistimmt oder wider-
spricht Sicher liegt nach dieser Darstellung der "Wert
der Macht nicht in den Taten, sondern im Genuß. Und
um sie von dieser Seite zu zeigen, hat Korssakoff das neue
Thema mit Motiven des Scherzes und der Heiterkeit um-
geben, die die Reize des Bildes bedeutend erhöhen. Zum
Teil muß sein Charakter auch daraus erklärt werden,
daß es sich um orientalische Anschauung handelt Antar
und die Königin erscheinen in einem Augenblick beson-
ders hoher Lust, den mächtige Trillerwellen, Violinen und
Holzbläsern entströmend, bezeichnen.
Der vierte Satz, der das Walten der Liebe zeichnen
soll, beginnt mit einem Allegretto vivace {^1%, Ddur), in
dem wieder die hinabhüpfenden Flötenfiguren (wie im
ersten Satz) an das Weben des Traumgottes erinnern.
Dieses Allegretto geht nach 12 Takten bereits in ein An-
dante amoroso Aber, das den Satz ausfüllt. Sein Haupt-
thema ist die Melodik eines arabischen Lieds mit folgen-
dem Anfang:
Aatfaitt«.
QBDjglsflh Hörn«) _
Die Klarinette schließt mit
Vrettvehnar. FQlirer. I. 1
81
482
dajB ist also mit dinem Anklang an das Ailegro giöcoso
des ersten Satzes. Das Liebespaar wird dann mosUcatiscb
yervollständigt durch das zuerst von den Violinen ge*
brachte Thema;
Bald sagen ans auch die Leitmotive der Königin nnd
Antars, am wen es sich bei diesem Austausch zarter
Gefühle handelt. Mit dem Eintritt des Animato wird das
Spiel auf einen Augenblick von Leidenschaft erwärmt,
dann zögernd. Der Stimme der Königin gegenüber ist
die Antars kaum noch zu Vernehmen. Bin Tarotam-
schlag, ein Glissando der Harfe, das ungefähr klingt als
wenn ein Faden zerreißt •— und mit einigen Tönen, wie
frommer Grabgesang aus hohen Sphären herabgehört,
schließt die Sinfonie.
Diejenige russische Programmsinfonie, die sich am
meisten in den deutschen Konzertsälen eingebürgert hat,
f .Tickaikowikjiist P. Tschaikowskys »Manfred« (op. 68j. Sie will
Manfred. > vier Bilder nach dem dramatischen Gedicht Byrons«
bieten, wie auf dem- Titelblatt sieht
Im ersten Satsi haben wir uns Manfred zu denken,
wie er im Gebirge herumirrt, von Seelenqualen gefoltert,
gegen die keine Wissenschaft, keine HöUenkunst, keine
Erinnerung hilft Die Musik beginnt mit einem Thema:
Lento Ingubr«. JsSO
in das sich heroischer Stolz und Schwermut teflen. Das
ist das Bild des unseligen Manfred, cler einst so gev^al-
--• 483 ♦^
tig, nun gebrochen dahinwankt und klagt. Für dieses
Klagen hat der Komponiat ein ganz bestinimtes Motiv
ins Tberoa eingesetzt Es erscheint da im ,fi i r n
siebenten Takt, wird aber anch frei fflr y ^ I jj 8
sich in dieser ersten Form oder auch als: ^ f^
oderdrit« ^ , oder endlich in yerkürz-
tens ver- fb J jtJ. \ A^^AH^ ten Rhythmen verwendet,
längert: '^ ^ Manfred mtiht sich seines
Elends Herr zn werden«
Pas sagt uns die Fort*
Setzung seines Themas
die Kraft und ernstes Bestreben äußert und bald wird
der Eifer, mit dem Manfred gegen
die Dämonen kämpft, noch größer. :^
Die Celli stellen mit dem Rhythmus JP
ein Gegengewicht gegen Fagotte und Klarinetten auf, in
denen das Seufzermotiv haust Diese Triolen werden von
mehr und mehr Instrumenten des Orchesters aufgenommen,
schließlich auch von ersten und zweiten Violinen. Mit
ihnen kommt der Abschnitt zu "n k Die Kraft in
einem schroffen Abschluß im ff\ * ^ ' Manfred hat
sich gegen sein Leiden aufgebäumt Kurze Generalpause.
Wieder setzt das Manfredthema ein, aber mit h^ eine Quint
höher als beim ersten Male. Der ganze Vorgang wieder-,
holt sich mit Steigerung. Das Triolenmotiv wandelt sich
in eine Sechzehntelfigur, eine besondere Figur des Strebens
II ^11 -1 II *- r - ^f -^"^^ ^^^^ dazu; mit ihr
^ W J ^ jrL^ ' ^Bittrird die Erregung all*
^ gemein, am Ende (beim
Animando un poco) ein wahrer Tumult, und wieder ist das
Resultat Sisyphusarbeit gewesen. Zum dritten Male setzt
das Manfredthema, aber wie ein Schrei der Verzweif«
lung fff (beim Piü mosso) ein. Die Trompeten führen,
die Bläser stehen an der Spitze des Orchesters, die Vio-
linen markieren mit dissonanten Tremolos emen Fieber*
zustand. Manfred sucht diesmal die schlimmen Geister in
seiner Seele durch Kraft und Trotz zu bannen. Hart stoßen
die aus Liszts »Fauste und Berlioz* Fantastique be-
31 ♦
484
kannten Rhythmen der Verwegenheit r-j dann j' j J
darchsganze Orchester. Drei-,viermal: gar
Auf diesen Triolen rast die Mu^k einen Takt lang. Alle
Instrumente schlagen diesen Rhythmus mit der äußersten
Kraft an, das Tamtam fällt ein ; dann zittert der Zorn sogar
in einem allgemeinen Sechzehnieltakt, wohlverstanden: nur
Rhythmus in allen Instrumenten. Und abermals umsonst,
Manfred kann es nicht zwingen. Da ist es denn rührend,
wie er nach diesem letzten großen Mißerfolg (beim Mo-
derato con moto] bescheiden und demütig, nicht mit dem
herausfordernden breiten Thema, sondern mit der Fort"
Setzung, mit den Motiven des Strebens wieder anfängt
Den Lohn erhält er aus dem Munde des Horns:
poco creso. w
So ermuntert, nimmt Manfred den Kampf gegen die innren
Feinde wieder auf. Die Motive des Strebens werden euer*
gisch durchgearbeitet, in Nachahmungen ineinander ge-
flochten und zu einem lebendigen Bild von Seelenkampf
entwickelt Die ersten zwei Noten des Manfredthemas
sind auch darin als leidenschaft^ :^^ ;^^
lieber Wehruf, das Seufzermotiv .^ Q [ k T "F • «to>
kommt in den Hörnern in der Form IT ■=£=*=*=
Daß auch dieses Kampfes Ausgang nicht günstig, sagen
uns die Motive des Trotzes und der Verwegenheit, «_
die am Ende des Abschnittes wieder hart als ' ^
im fff einsetzen.
Und nun kommen wir an die Mitte des Bildes, an
die Stelle, wo der Komponist auf das Antlitz und in. die
Seele Manfreds einige freundliche Strahlen fallen läßt
Ein Andante beginnt Sein Hauptthema
. Aadanf. Jsee
führt die Qestalt Astartens
vor Manfreds inneres Auge,
-^ 485 «-^
und der ErinneruDg an die Heißgeliebte gilt der ganze
Abschnitt. In . _ nimmt er den
denBüdangen iW HtJ- JTl 1 -n ■ Charakter eines
um das Thema tf ^ "^ '#7 ^ ' -^ traulichen Dia-
logs an; freundlich erregte Klänge, die von entzückten
Herzen erzählen, tönen dazwischen. Ss kommt eine
Stelle (beim Poco piü animato) die mit dem Anfang
fii i'i '^iii I I II "fTiiri
etwas an Gou-
nod erinnert. Sie ■ ^ (jj^ f
schließt dann ein- ty ^ *
fach mit Skalen : -^ •««•
Aber diesen Gängen hat der Komponist durch Gegenmotive
und Harmonien eine solche Wärme gegeben, daß von Oieser
Stelle aus ein Glänz auf die ganze Szene fällt. Nachdem das
Thema derAstarte nochmals, aber nicht innigund schüchtern
wie beim ersten Mal, sondern in Pracht und im Licht der Be-
geisterung vorübergezogen, schließt die Stunde schöner Er-
innerung mit ei- jülegro am troppo.'
nem letzten Aus-;
klang des Jubels:
und der Freude:
Mit dem letzten Takte kommt der erste Bote von den
Qualen wieder, die Manfreds Gemüt bedrohen. Die Bratsche
setzt diesen chromatischen Ton fort, und der Schlußteil
des Satzes, ein Andante con duolo, das mit dem innren
Gang der Musik das Tempo zuweilen etwas beschleunigt,
empfängt uns mit dem Manfredthema, vpn Geigen, Brat-
schen und Cellis unisono gespielt. Es klingt aber hier
zunächst edel, gewissermaßen unter der Nachwirkung
der vorausgegangenen Szene verklärt. Als es die Hörner
aufnehmen, Geigen und Holzbläser mit wilden Trillern
begleiten, wird sein Charakter dämonisch, und so schließt
der Satz. Manfreds Kämpfen und Mühen war vergebens.
Es ist dieser erste Satz der Tschaikowsky sehen Sinfonie
der bedeutendste unter allen. In bezug auf die Form
0^
^^ 486 %^
zeigt er wieder des Komponisten anßergewfthnliche Ge-
staltungskraft Sie erlaubt ihm, sich vom Schema zu ent-'
fernen und frei neue Bildungen zu versuchen. Nichts
von der Einteilung und den Elementen des üblichen So-
natensatzes in diesem Stflck, keine Themengruppe, keine
Durchführung. Dafür eine schöne Ireundlidie Szene als
Mitte des Bildes, zu ihr hinführend eine Reihe von An-
läufen, eine dämonisch qualvolle Stimmung zu über-
winden, diese Anläufe ziemlich gleich in Material und
Führung. Nachdem das Bild in der Mitte verhangen wor-
den ist, werden die Vorgänge des ersten Teils gekürzt
und gesteigert noch einmal vorüber geführt und zum
baldigen Ende gebracht Auch was den Ausdruck-, den
seelischen Charakter betrifft, muß dieser Satz hoch ge-
stellt werden. Wenn es sich um eine Manfredk'omposition
handelt, so kann keinem neuen Tonsetzer der Vergleich
mit R. Schumann erspart werden. Denn seine Manfred-
Ouvertüre ist ein Charakterbild, dem man nur wenig an
die Seite setzen kann: Händeis Agrippina, Beethovens
Coriolan, Wagners Faustouvertüre, Volkmanns Richard III.
allenfalls noch. Schumanns Manfred hat Züge, die ihm
ganz allein gehören; kein zweiter Komponist hätte solche
Töne wie Schumann fQr den Geisterverkehr gefunden.
Aber im allgemeinen behauptet sich Tschaikowsky neben
seinem Vorgänger. Auch er hat ein ergreifendes Bild be-
deutender Seelenzustände gegeben. Zeichnet Schumann
die Leidenschaften, so enthüllt Tschaikowsky die Leiden
seines Helden.
Die oft beklagte Ungleichheit in den Werken des hoch
veranlagten Russen zeigt sich auch in seiner Manfred-
sinfonie wieder.' Während der erste Satz eine bedeu-
tende geistige Erfassung der Aufgabe bekundet, ist der
Komponist dem Gegenstand im zweiten Satze nuTyäußer-
lich näher getreten. Das Programm sagt: >Die Alpen-
fee erscheint vor Manfred unter dem Regenbogen des
Wasserfalls« und erregt damit die Erwartung wunderbarer
und in Anbetracht der Gebirpnatur jedenfalls erhabner
Erscheinungen. Sonst doch ein durchaus modemer Kunst-
/
487
ler, hat Tschaikowsky diesmal sich um . das gegebene
»milien« wenig gekflmmert, sondern, nnt den Wasserfall
und das Glitzern des Regenbogens im Kopf, im Haupt-
satz eine Springbmnnenmusik gegeben. Dieser Satz
von der Alpenfee ist eine Salonkomposition mit äußerst
geschickter Orchestertechnik dorchgefährt und einiger-
maßen von Mendelssohnschen und Berliozsch.en Ideen
inspiriert, aber keine Tondichtung, die über das Alltäg-
liche hinaushebt. Der Form nach gleicht er einem
Scherzo. Die Bläser tragen den Häuptteil der Darstellung
mit sprühenden und regsamen Sechzehntelmotiven. Sie
führen auch in das Stück ein. Die zweite Flöte bringt
das von andren Stimmen ziemlich verdeckte Hauptmotiv
VWaeaeoQ tplrlto. J*I20 ^^ d*S ^ den
I y I Geigen selt-
I ^ I sam und gro-
f ' *r^ tesk mit ei-
ner metrisch et-
was verrenkten
Oktaven figur:
begrüßt wird.
Das Bläserthe-
ma ergänzt sich
dann noch durch eine Figur, die das Phänomen des Flie-
ßens vor ^^ ..^ ., DenBUdern
diiiPhan-=Jfci> flff.flf > ^P iffp||>jg|des beweg-
tasie ruft
ten Wassers
widmet sich dann der Komponist, nachdem die erste
Themengmppe zweimal vorgeführt worden ist, für
eine ziemliche Weile. Mit Bildungen, die auf dem Motiv
ruhen, zeigt er uns das
Element im hüpfenden
Zustand. Dann bringen
die Celli vier ,^, ihnen nach die Brat-
schen und die an-
dern Streichinstru-
Takte lang
das Motiv
mente ähnliche Figuren. Das ist die musikalische Zeich-
nung von den langhinströmenden und flutenden Wellen.
In der größten Bewegung hält die Musik plötzlich ein,
bricht auf einer Dissonanz (cM-e-^-A) ab. Bratsche und
englisches Hom halten allein e%9 aus. Dann setzen die
-^ 488 ^^,
Geigen mit einer neuen, weit ausholenden Triolenfigur ein,
die wie Verwunderung aussieht Bs'hat sich etwas er*
eignet, was die Elemente stutzen macht: Manfred ist am
Wasserfall erschienen. Wir erfahren das nicht aus seinem
herrischen Thema, das die Sinfonie eröff- ^ ^^n-^ *
nete. Nur durch das Seufzermotiv wird er £9$ j *Y|^fe
vertreten. Es durchklingt, in der Form ^ p -*-^-
und immer auf denselben zwei Tönen von der Oboe ge-
bracht, einen längren Abschnitt, in dem.es ziemlich still
hergeht. Nur ein leichtes Tremolo der Bratschen, dann
der zweiten Violinen erinnert noch an das Wasserrauschen
und an den Ort, an dem unsre Phantasie weilen soll.
Allmählich wird die Wassermusik wieder deutlich.^ Der
Komponist wiederholt den ganzen Hauptsatz mit Ände-
rungen. Die Rollen sind vertauscht: Die Violinen haben die
leichten Sechzehntel, .*— ^^^^^ _ Es hat sich
die Bläser die Ach-JLjLi f f f i p ^r- i,_^i über das
telmotive. Ein nen-'ft^ L i ' l["^ij w«>«.,»«^np«^:
es Motiv tritt hinzu ^ bendurchdie
Seufzer des vorigen Abschnittes ein Schatten und eine
Lähmung gelegt So hört es denn auch früher als zu er-
warten auf, oben in den Bläsern mit schrillen Tönen,
unten in den Violinen vollständig erstarrt. Achtundvierzig
Takte lang spielen erste und zweite Geigen abwechselnd
immer nur fis g; schließlich bleiben die ersten Violinen
mit ihrem fia allein übrig. Die Stelle macht einen außer-
ordentlich phantastischen Eindruck, der Einfall erregt
große Spannung, zugleich aber auch ein gewisses ge-
spenstiges Grauen. Da setzt denn nun, von zwei Harfen
rauschend begleitet, die erste Violine mit folgender freund-
licher Melodie
Mc0
ein. Es ist die Stimme der Alpenfee, die Tschaikowsky
mit seiner Musik als eine Gestalt zeichnet, die ganz Güte
und Liebe ist; Das Lied hat einen zweiten Teil, den
-^ 489 «^
ebenso wie den ersten die aufschlagenden Achtel als Ge-
birgsmusik kennzeichnen. Der Gesang wird reichlich wie-
derholt und dabei immer glänzender instrumentiert. Als
ihn das Fagott eben durchgeführt hat, da setzt in Hom
und Bratschen das Thema des unseligen Manfred ein.
Manfred erzählt ja nach Byron der Alpenfee seine un-
glückliche Liebe zu Astarte. Mit dem Manfredthema zu-
sammen geht das Lied der Alpenfee immer weiter. Auch
die Wassermusik wird wieder lebhafter, besonders an der
schönen Edur-Stelle, wo die Saiteninstrumente die Mo-
tive der Alpenfeemelodie in Gegenbewegung durchfahren.
Die Homer haben einen weitern selbständigen Kontra-
punkt dazu, und die Musik spricht hier mit glühender
Wärme Mitleid mit Manfred aus. Die freundlichen Sorgen
der Alpenfee schildert ein Abschnitt, in dem die hohen
Bläser die Motive des Ddur-Themas mit den Bässen in
Nachahmungen bringen. Es scheint aber nichts zu
nützen. Der Satz setzt sich auf einen Asmollakkord
fest, fängt an rhythmisch ähnlich zu rasen, wie wir es
im ersten Satz erlebt, und bricht wie dort im fff mit
dem Rhythmus j^ Darauf in großen schmerzlichen Re-
des Trotzes ab : ^ * gungen Manfreds Thema in Violinen
und Holzbläsern und ein Ende dieses Absatzes in Disso-
nanzen (Q-dr»'k) und Verlegenheit. Aus dieser Situation
helfen Celli und Fagotte mit einem neutralen Einfall fort
und hinein in die Wiederholung
^_ des Hauptsatzes. Sie weicht
^^^ von der ersten Ausführung am
Ende ab: Englisches Hom und
Klarinette bringen noch einmal im weichen Ton das
Manfredthema, und die letzten Takte haben nur noch
einen Schimmer von Klang: Harfen und Violinen in
hohen Trillem sind allein übrig geblieben. So wird der
Ausgang des Satzes dem Wunderbaren der Szene noch
schnell gerecht.
Wie Tscfaaikowskys Manfred im allgemeinen mit
Berlioz* »Harold« wichtige Berührungspunkte gemein
bat, so erinnert der dritte Satz insbesondere an die
490
Szene Haroldfi in den Abruzzen, wo die Lftndleute das
drollige Ständchen bringen. Das Prograipm zu diesem
Satze gibt an: 9Pa8toraIe. Einfaches, freies nnd heitres
Zusammenleben der Gebirgsbewohner«. Den Pastoral-
charakter * zu treffen brauchte yor allem einen o/g Takt,
als Nachkömmling des alten Siciliano. Auch Tschaikowsky
hat sich dieses gegebenen Mittels bedient und in ihm
folgende Melodie an die Spitze seines Pastorale gestellt.
AndMiu con meto. *«48
Sie wird durch die begleitende Harmonie einiger-
maßen gehoben und sucht auch des weiteren das Be-
hagen an ihrer Sphäre durch künstliche Mittel zu
steigern. Die Oboe moduliert nach ihrem zweiten Ein-
satz bereits nach Hdur, und daran schließt sich
ein Abschnitt, j, . ^
in dem die
Stimmen um
das Thema
kunstvolle Spiele (Kanons und freiere Nachahmungen)
führen. Der Gdursatz wird darauf mit der Melodie in
den Holzbläsern wiederholt. Als das Ende des Themas
erreicht bt, kommt keine DarchfQhrung, sondern das
Bild des Friedens und der Unschuld verwandelt sich.
Eine neue ganze Gesellschaft tritt auf, bei der es aus
einem andren Ton geht, nämlich:
Zu dieser Melodie muß man sich rustikale Quintenbässe
(Fagotte) denken und ungenierte Reibungen in den Be-
gleitstimmen, um zu begreifen, daß es sich jetzt um eine
derbere Lustigkeit handelt. Allenfalls läßt das ja schon
die rhythmische Hast des Themas ahnen. Es sind gewiß
herumziehende Musikanten, die das kleine Sätzchen vor*
tragen» Die Episode entfesselt aber einen Freudensturm bei
-^ 491 «^
der Hirtengemeinde. In einem HmolLsatz, der den Mittelteil
des Pastorale bildet, kommt er zum Ausdruck, weniger in dem
in einem grandiosen^ ^t , , ,— i—qn
unisono derStreieherSPy J U? fjj 1 f f f JJ^^
gebrachten Thema ^ '
als in der Begleitung, in dem lauten Ton, in dem sie ge-
boten ist, und in den erregten Rhythmen, die immer aus
einzelnen Stimmen oder ganzen Orchestergruppen da-
zwischenfahren. Es schließt sich daran eine Durchführung
des ersten Seitenthemas, das frfiher in Hdur erschien, nun
in der Haupttonart Gdur gebracht wird. Es verliert sich
in einen Schluß, der ähnlich gehalten ist wie der Aus-
gang des zweiten Satzes: die ersten Violinen haben einen
Triller auf hohem h, die drei Flöten umwinden ihn mit
hohen Arpeggien. Der ungewöhnliche Klang soll hier
auf Wunderbares vorbereiten. Das jetzt in den Cellis
einsetzende Thema
' ^ fT^ g-T I '^ I P '^ "^ 11^^^ °^' ^*°° ®*"®° ^^"'*»
ü Ff i-j I -^ [ r ■ ^^^^^ ^g einigermaßen
visionär, in einer entrückten Stimmung gedacht wird. Es
ist Manfreds Traum vom Glück, ein Traum, zu dem er sich
an den Bildern des ländlichen Friedens und Behagens be-
rauscht hat Schon aber als die Bläser das Thema auf-
nehmen, wird es getrübt und erregt, und trotz gewaltsamer
Anstrengungen bricht doch Manfreds verzweifelte Stim-
mung bald wieder und schauderhaft durch. Die Homer
bringen das Thema, aber ohne den Anfang, gleich mit
der resigniert herabsteigenden Wendung, und dann stehen
sie festgebannt auf dem schließenden C, das 28 Takte
hindurch unter wechselnden Harmonien immer wieder
angeschlagen wird. Diese Beharrlichkeit wirkt religiös;
in der Tat stimmt auch eine Glocke mit ein, und daß der
ganze Vorgang das Herz Manfreds entlastet, zeigt die
Melodie, die das Korn einsetzt, während die Holzbläser
-^ 492 «^
immer noch am C und den dazu gehörigen Melodien
festhalten:
ii ^'^nllJJU3lc^uJlT ij ij
Sie erinnert an eine andre Hommelodie, die im ersten
Satz der Szene vorhergeht, in deren Mittelpunkt Ästarte
steht. Auch hier folgt Sonnenschein. Die Pastoralmusik
aus dem ersten Teil der Nummer kehrt wieder, in der
zweiten Periode, wo die Streichinstrumente das Thema
nehmen, durch die Kontrapunkte der Bifiser in einen
bacchantischen Charakter gewandelt. Der hohe Ton hält
an. Nach einer Steigerung, die von Gdur nach Epioli
geführt hat, tritt das Thema von Manfreds Glückstraum
hinzu, ohne sich jedoch lange zu behaupten. Es wird
still, das Hornthema erscheint wieder am Schlüsse mit
Harmonien, die wie der Schatten des Abends wirken.
Noch einmal blasen die wandernden Musikanten ihr
Stückchen. Nur aus der Ferne aber wird ihnen gedankt;
leise und immer leiser klingen froh bewegte Figuren
aus den Violinen, aus den Holzbläsern Abschieds-
grüße — ein letztes Anspielen des Pastoralthemas wie
Einschlafen, und alles ist aus!
In seinem Schlußsatz hat sich Tschaikowsky die
Aufgabe gestellt, den unterirdischen Palast Arimans zu
schüdem. Manfred erscheint inmitten des Bacchanals.
Der Schatten des Astarte wird beschworen. Sie ver-
kündet ihm das Ende seiner irdischen Leiden. Manfred
stirbt Durch dieses Programm erklärt sich der Kom-
ponist abermals als einen Schüler Berlioz*, der seinen
Harold gleichfalls unterirdisch und bei einem Bacchanale
zu Qnmde gehen läßt. Und Tschaikowsky zeigt sich
auch in der Ausführung dieser Idee von dem Franzosen
beeinflußt, namentlich darin, daß er aus seiner Dar-
stellung die Grazien ganz und gar verbannt. Von Gluck
493
und Wagner hätten diese Programmusiker lernen können,
daß die Hölle durch ihre zarten Künste am verführerisch-
sten ist und die größte Gewalt über die Geister übt
Ein gewaltsames, .„_^ «««#..««• J •** Es wird
, ... ® *• 1 j \ Aliagro coD fuoco. J a 144 , ^
heftig anffahrende8'^.^^^^Z- .\ -*,-fffr '^*'*"6 ^^^
Thema kennzeichnet ji^ün £~y I f f "U^ ' i leinam gei-»
das Reich Arimans^ J^ sterhaften
Nachgesang der Bläser
begleitet, dem folgendes
Motiv SU- Grunde liegt:
Wenn es in ^^ folgen ihm
m
der Regel lär-
mende Kontra-
verkürzter Ge-
stalt erscheint:
punkte, größte Erre-
gung hervorrufend die
grimmige Baßfigur:
Für den ganzen Teil, der der Schilderung der Arimanschen
Herrschaft gewidmet ist, hat der Komponist Ungestüm und
Heftigkeit als kennzeichnende Merkmale gewählt Daher
die immer neuen und immer kurzen Anläufe, auf Grund
des Themas größere Sätze zu bilden. Bald geschehen sie in
Fugenform oder in andren Arten der Nachahmung, bald mit
Verlängerung, bald mit Verkürzung der Anfangsnoten, bald
mit gefaßten, bald mit wilden Kontrapunkten. Diabolischer
wird die Szene mit dem Auftreten der Trompetenvariante:
■Pftrf tfr- II _ i Geigen und Flöten
;j"iln uj I p I Jffjhj IJ li^Tb^i umtrillern sie wie
JBT ' * ^fi^v^ rasend, brutale
Stöße der Hörner antworten darauf. Der Lärm wächst von
allen Seiten, die Trompete feuert in gemeinen Rhythmen
an, und endlich macht sich das animaUsche Behagen dieser
Gesellschaft in einem Reigen Luft, zu dem Englisch Hom,
Baßklarinette und beide Fagotte folgende Weise aufspielen:
^M
Sie wird sehr breit ausgeführt, mit Freuden gehört und
(T
--• 494 •--
begrüßt, leidenechaftlich von den einzelnen Gruppen
flbernommen und mit Verzierungen verseben. Plötzlich
— die Violinen liegen anf g — bricht die Szene ab. In
einer Umbildung läßt sich das Manfredthema in den
Bässen hören. Das Bacchanaler ist damit zu Ende.
Ein Lento setzt ein. Geheim- ^ ^
nisvoll beginnt ein leiser ^Ifj} ■■ \%^ \\^ \ tä^
Salz auf chromatischem Motiv « "
ihm folgen feierlich schrecklich laute Bläserakkorde. Und
nun tritt Manfred wirklich auf in seiner edlen Art mit den
Motiven des Slrebens. Ihm stellt sich Äriman entgegen mit
einer Fuge über das erste Thema deil Schlußsatzes, dem
aber ein etwas verworrener Abschluß gegeben ist Die
Musik des Bacchanale tritt dazu, bald werden beide The-
men verbunden. Ariman zeigt sich in dem höchsten Glanz
über den er verfügt; der Lärm ist betäubend genug. Da
kommt plötzlich wieder eine jener naturalistischen Stellen,
wo das volle Orchester nur Rhythmus gibt. Hier ruht
es Takte lang auf Triolen. Im ersten Satz verwendete
Tschaikowsky dieses Mittel, um extremste Gemütszustände
Manfreds, die Augenblicke der tollsten Verzweifelung zu
bezeichnen. Auch hier gilt es wieder Manfred. Die
Trompete meldet ihn an, und bald erscheint, ein wenig
beweglicher gehalten als im ersten Satz, sein Thema in
einem Andante, von der Gesellschaft Arimans mit Staunen
empfangen. In einem Adagio, an das wir kurz darauf
gelangen, hören wir die Klänge der Liebe zart wieder,
die dem Mittelteil des ersten Satzes sein schönes, inniges
Gepräge gaben. Astarte wird angerufen ; sie kommt und
mit ihr ein großer Teil von den besten Augenblicken
des Werkes. Wir durchleben, nur gedrängter, noch ein*
mal die ergreifende und erwärmende Szene, die dem
ersten Satz der Sinfonie seine Herzenstöne gab. Auch
das Andante con duolo, das dort der Szene der Er-
innerung an Astarte folgte, kehrt wörtlich wieder, bis
beim Allegro die ^APegro. Das ist die rauhe Hand
Bässe ein neues "JVAA S^ ^^^ Todes, Noch ein
Motiv bringen : jJJT fri^^ kurzer heftiger Kampf^
-^ 496 ♦^
dann f&Ut die Orgel ein wie in Liszts »Fanst« als Stixnme
des Himmels: Manfred ist erlöst In einem feierlichen,
von milder Schönheit erffllltem Largo wird ihm ein tröst*
liches und friedvolles Requiem' gesungen. Einigermaßen
stimmt es im Ton mit dem Ende von RxilTs »Lenorec
überein. Durch den schönen versöhnenden Abschluß
unterscheidet sich das Finale von Tschaikowskys Man-
fred vorteilhaft von dem des Berliozschen Harold.
Nach diesem »Manfrede weicht auch bei den Russen
die mehrsätzige Pro^ammsinfonie der s. g. sinfonischen
Dichtung. Unter den Nachzflglem ist Felix Blumen-F«BUs6iMd,
felds »dem Andenken der Toten« gewidmete Sinfonie •^®™^f««*^«'»
(in C) bemerkenswert ^ ^•**'*
Von Haydn ab blieb bekanntlich die Sinfonie den
Deutschen ziemlich allein überlassen. Nur ,die Franzosen
stellen in längeren Abständen einzelne nennenswerte Mit-
arbeiter, wie Gossec, M^hul, Berlioz. Nach Analogie der
Entwickelung, welche die Vokalmusik, zuletzt noch in der
Oper, genommen hatte, war anzunehmen, daß eines Tages
auch die Geschichte der Sinfonie wieder den inter-
nationalen Xlharakfer tragen, und daß der Wettstreit der
Nationen sich auch dieser Kunstgattung bemächtigen
werde. Nach 80 Jahren trat diese Wendung endlich ein.
Doch erfolgte sie mit einer ebenso wichtigen als über*
raschenden Nuance. Die neuen Sinfoniker kamen nicht
aus Italien, sondern aus Ländern, welche sich an der
höheren musikalischen Kunstarbeit bisher nicht beteiligt
hatten. Sie brachten neue Weisen, neue Klänge, einen
ganzen Schatz von Naturmusik mit, für welchen die
Stimmung durch die Arbeit der Romantiker aufs günstigste
vorbereitet war. Mit den Progrnmmsinfonien teilen die
nationalen das realistische Element in der Darstellung;
der pathetische und hochdramatische Zug ist ihnen, bis
auf einzelne neueste Ausnahmen russischer Herkunft,
fremd. Ihr liebstes und eigentümlichstes Gebiet ist
das Genre.
'1
_^ 496 ^>>-
Das erste Interesse für die Musik der sogenannten
Nebennationen erwachte schon am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts. Noch ehe Herders »Stimmen der Völker«
erschienen varen, lenkte Delabordes »Essai snr la musi-
que etc.« die Aufmerksamkeit der gebildeten Mnsikwelt
auf die Gesänge und die Tanzweisen der bisher musi-
kalisch unbeachtet gebliebenen Nationen. Die Allgemeine
Musikalische Zeitung verfolgte auf Anregung des Abt
Vogler, des Lehrers von C. M. v. Weber und Meyerbeer,
vom Anfang ihres Bestehens (1798} alle Erscheinungen
auf diesem Gebiete, die Sammlungen und die Berichte.
Die wesentlichste Beachtung erregten die Skandinavier.
Bei ihnen nahm die Pflege der alten Nationalweisen zu-
erst wissenschaftliche Formen an, und sie lenkten diesen
Schatz zuerst in das Gebiet der Kunst hintlber. Kuntzen,
Weyse, P. E. Hartmann schrieben die ersten dänischen
Opern, Opern, in welchen der Stofit der Handlung und
ein Teil der Melodien vaterländisches Gut waren. 1832
tratP. Hartmann auch mit einer Sinfonie, Gmoll, hervor,
die u. a. Franz Lachner sehr beifällig beurteilte*). Hier-
durch angeregt und ermuntert, komponierte der junge
Däne Niels G ade seine berühmte Ouvertüre »Nachklänge
aus Ossian« , welcher i. J. 1843 schon seine noch heute
N. Gftd«! bedeutende G moU-Sinfonie folgte. ^In dieser Sinfonid
Cmon.Sinfonie.f|^jj^en die Kenner und die Freunde der nordischen Poesie
den Geist der Frithjofsage und der Edda wieder. Sie er-
schien ihnen wie ein nordisches Musikepos, welches von
den alten, gewaltigen Recken und ihren Kriegen und
Siegen, von schlichten Jägern und Hirten und ihren naiv
frohen Festen, von einer Natur, welche unter unschein*
barer Hülle intimen Reiz barg und von freundlichen
Elementargeistem belebt war, erzählt Wie der Stoff neu
und poetisch, so war die Darstellung liebenswürdig. Das
nordüsche Element drang sich nirgends äuBerlich aui^
technisch blieb es in einigen düsteren Balladenmelodien
*) Angui H&mmerich: J. P. ß. Hartmann (Sammelbünde
der IMG., II. Jahrg. S. 460\
497
und in kurzen Dialogen der Bläser versteckt. Im Stile
der Komposition begegnete man dem romantischen Cha-
rakter der Zeit. Es war ein schöner menschlicher Zug
in ihm, daß er der begeisterten Schilderung einen weh-
mütigen Ton beimischte, einen Ton, welcher der Trauer
darüber Ausdruck zu geben schien, daß jene Welt, die
in der Tondichtung mit ihren Göttern und Helden auf-
lebte, in Wirklichkeit längst dahingegangen war. In
diesem Sinne beginnt der erste Satz der Sinfonie mit
einem klagenden Prolog: Ein melancholischer Flor liegt
über der liebevollen Melodie, die wie aus der Ferne wäh-
rend der Einleitung durch die Instrumente zieht.
üoderato. Viol.
fy^ —
:9c
^-UllhdJ 'ij i i \uJ '4^ ^ i ^g
V^^/Jjj. ^ J ' j, 4 ' -~ Trompeten das
Dann aber ergreifen die
Wort
und leiten eine - Szene
ein, in der sich rauhe Kräfte machtvoll regen. Das Thema
AUcgIO. i B1S4W ^ J • "^ J
l = t
vioi.j/r ^ ijT ^ijPtiS"
:.~r-'j
12^U
1
m
^ ,-!■,, durch mehrfache Wiederholungen ge-
steigert, bildet den Hintergrund des Bil-
des : Der Held tritt auf mit seiner Schar :
„-^ Die Gestalt ist
= uns aus der
~ Einleitung be-
Allogrg. ^„-^ ^—^
kannt; nur kräftiger und fester steht sie hier vor uns. Mit
diesem einen Thema hat Gade den ganzen Satz bestritten,
bald rückt er ihn in die Feme, bald in einö düstere, bald
in eine freundlichere Beleuchtung, wendet ihn hier ins
Kratztchniar, Führer. I, 1,
32
498
Träumerische, dort ins Heroische. Itur während der kurzen
Durchführung, in welcher der ^1^ Takt der Einleitung wie-
der einsetzt, tritt ein:
freundlichsinnendet
Nebengedanke ein:
Als zweiter Satz folgt ein Scherzo (G dur, 0/a Takt}.
Das Thema hat in der ersten Hälfte nur rhythmisches
Leben: Melodielos, fassungslos vor findiger Aufregung,
rollt es in schnellen Achteln dahin — die zweite Hälfte
bildet ein keckes Zitat aus dem Hochzeitsmarsch der
> Sommern achtstraum «-Musik. Auch im Trio begegnet sich
Gade mit Mendelssohn. Seinen motivischen Inhalt bildet vor-
wiegend eine jener schattenhaft dahinhuschenden Figuren,
dieMendelssohn vivaea.
in den phanta- ■j>-j
stischen Sätzen W^
einbürgerte : ''• v»®*- ^ ^^^^
Der Nachsatz treibt ein anmutiges Spiel mit Motiven, die
der Natur abgelauscht zu sein scheinen:
«t«.
Der Kern des dritten Satzes (Andantino grazioso,
Fdur, 8/4) ist der Gegensatz zwischen Ernst und. Freund-
lichkeit, die Hauptperiode verkörpert ihn folgendermaßen :
Andantino.
Die kurzenZwischensätze, welche die Wiederholungen dieser
Hauptgruppe auseinanderhalten, habenden oben berührten
klagenden Charak- - ^'•
ter und ruhen auf ff ^ ^ j I ^^ I j; '^\ j j IjJ \
folgendem Motive: p ^^^/^ ^ ^
Ein Triolenrhythmus, welcher zuerst in der Cellofigur
1^ auftritt und dann durchgeführt
^fa wird, wirft in die zweite Hälfte
des SatzeshellereLichter hinein
--# 499 ^^
Der letzte Satz beginnt mit einem wahren Frenden-
alarm. Mit aasgela»* möUo AU«gTo. Im breiten
senen Dissonanzen j{ ^ J»l J • j^ J J J BJS Behagen
setzt das Tutti ein: ff ■" "^ ' " ' " " * ** wiegt essich
J I J j [ J j I - fast endlos, wenn die fröhliche, in
" ' " ' ' ifc den Eingangstakten auf den Anfang
der Sinfonie zurückgreifende und ein Schobertsches Ge-
sicht tragende Hauptmelodie angestimmt werden soll:
Der Satz ist an selbständigen, schönen
Themen überreich. Mit b^8onderer Wucht
macht sich folgende Melodie der Bläser geltend:
i*^fjT\\\ 1 II n.tii^^ri' jT I
die das gesamte Streichorchester mit breit ärpeggierten
Akkorden wie mit mächtigem Harfenklang umrauscht.
Die außerordentliche Inslrumentierungskunst, welche Gade
in der ganzen Sinfonie beweist, feiert hier ihre stärksten
Triumphe. Wenn die Trompeten ihre fröhlichen Signale
in die glänzend kräftige Szene hineinwerfen, welche um
den eben skizzierten Gesang sich bildet, da steht Bärgers
»Lenore« vor uns: »Und jedes Heer mit Sing und Sang
~ Mit Paukenschlag und Kling und Klang — Geschmückt
mit grünen Reisern — Zog heim zu seinen Häusern !c
Besonders sinnig empfinden wir es, daß das Heldenthema
aus dem ersten Satze der Sinfonie in das Finale hinein-
gezogen worden ist. Daß die Menge des poetischen Stoffes
in diesem Schlußsätze picht ganz bewältigt worden ist,
läßt sich nicht verkennen. Auch die anderen Sätze kann
man formell vollendet nicht nennen, besonders das
Scherzo ist unverhältnismäßig breit. Doch aber bleibt
der Sinfonie ein mächtiger Zug in der Gestaltung und
in ihren nordischen Melodien und Motiven ein originelles
Element von sicherer und großer Wirkung.
32*
-^ 500 #—
N. Gade, Unter deii übrigen Sinfonien Gades' -- es gibt im
B darSinfonie ganzen acbt — ist die vierte (in B dur, 1851 veröfifentlicht)
die verbreitetste. Ihr Scherzo — es hat einen Spohrschen
Zug im Hauptsatz und zwei allerliebste volksmäßige Me-
lodien als Trios — ist der beliebteste unter den vier Sät-
zen. Im ersten Allegro tritt das scherzende Seitenthema :
^^^ /j^ ^ und die schel-
' * vor der letz-
^ ^^ . trete. -— =« ~ tiou des kräf-
tigen Hauptthema, im letzten Satze das rezitativartig,
zögernd und fragend in den Violinen beginnende zweite
Thema hervor:
TTf-N
Es sind die wirklich eigenartig gedachten Stellen der Sin-
fonie. Das ganze Werk ist von dem abgeklärten Geiste
milder Anmut beherrscht und formell eine der reifsten
Arbeiten der neueren Komposition. Gleichwohl steht sie
an geschichtlicher Bedeutung hinter der weniger abge-
rundeten G moll-Sinfonie Gades über allen Vergleich weit
zurück. Denn in der späteren Sinfonie ist Gade ein her-
vorragender Vasall Schumanns und Beethovens, in jener
ersten aber erscheint er als die Spitze und der Führer
einer neuen Epoche. Jene C moll-Sinfonie gab der höheren
Instrumentalmusik Impulse von jgrößter Bedeutung. Sie
lenkte mit frischer Schärfe den Blick auf die nationalen
Lieder und Tänze, und bewies, daß dieser Schatz auch
für die großen Formen der Komposition nutzbar gemachf
werden könne. Sie appellierte an die Heimatsliebe der
Tonsetzer in allen Ländern und leitete eine Bewegung
ein, die jedenfalls zu den wichtigsten Erscheinungen der
_^ 501 «--
•
neueren Musikgeschichte zählt. War diese Bewegung im
Liede, in der iüaviennusik (Field, Chopin), in der roman-
tischen Oper Webers, Boieldieus, Aubers auch schon vor-
bereitet, so gebührt Gade doch das Verdienst, sie auf
das wichtige Feld der Sinfonie gelenkt und da in Fluß
gebracht zu haben.
- Wir haben heute eine Reihe solcher auf nationalen
Elementen ruhender Sinfonien und sinfonieartiger Werke,
von denen einige auch im Repertoire Fuß gefaßt haben.
Der dänischen Schule gehört zunächst Emil HartmannEnU Hartuftnii.
an, dessen Es dur-Sinfonie in Stil und Stoff unm|tielbar
an Gade anschließt. In denselben Kreis sind auch die
schon erwähn teji Nordischen Suiten von A. HamerikA.Hftmertk.
zu stellen, welche allerdings mit Mendelssohnschen, Wag-
nerschen und anderen Elementen stark gedrängt erschei-
nen. Ein Positives besitzen sie in ihrem eigenen Klang-
leben, und dem Verständnis kommen ihre Überschriften
entgegen. Weniger bekannt geworden sind Hameriks
Sinfonien, gleichfalls fünf, wie denn überhaupt von der
fleißigen dänischen Smfoniearbeit des letzten Menschen'-
alters nur wenig über die Landes^renzen hinaus ge-
drungen ist. Die Hauptkomponisten sind: P^ter Heyse, P. H^yie«
Aug. Winding, Otto Mailing (jeder hat eine D moU- a. Wl««»».
Sinfonie veröffentlicht), Lange-MüUer (Herbst-Sinfonie, pj J."}."!! ;.MiiUei
Alhambrasuite), Victor Bendix (Sinfonie »Zur Höhe«, viBendlz.
Sommerklänge aus Südrußland, Amoll - Sinfonie), Louis l. gia6.
Glaß, Fini Henriques, Axel Schiöler (Sinfonie Es. f. Hearfqmei.
Sinfonie Napoleon Bonaparte), Ludolf Nielsen, CarlJ-Srhisur.
Nielsen und A. Enna (Märchen, sinfonische Bilder)*). JlJjJjJJJJ;
Verhältnismäßig am meisten sind davon die A molI-Sin- a] bbb«. *
fonie von Victor Bendix und »die vier Temperamente«
von Carl Nielsen beachtet worden.
Die Sinfonie von Bendix ist im Sinne Philipp Schar- V. Bendix,
wenkas eine Sinfonia brevis, sie besteht nur aus dreiAmoll-Sinfonie.
Sätzen und schließt mit dem in rührender Resignation (Op.26.)
*) N&beres in: Walter Niemann, Die Musik Skandi-
naviens. 1906.
-^ 502
gehaltnen langsamen Salz. Das beste und erfreulichste
Stack des Werks ist der zweite Satz, ein buntes Scherzo,
das den Niederschlag von Landluft und Volksleben, der
sich durch die ganze Sinfonie zieht, besonders reich ent-
hält Hier kommt auch der kräftige und kühne Teil von
Bendix klar zur Geltung. Der erste Satz zeigt ihn stark
im Bann Mendelssohnscher Romantik,
c. Nieltea, C. Nielsens »Vier Temperamentec, einer der zahl-
Vler Tempera- reichen dänischen Beiträge zur Programmusik, behandeln
^^ ein Thema, . das schon bei den Anhängern der Gattung
im 18. Jahrhundert beliebt war, weil es sich wirklich
musikalisch bewältigen läßt und weil es für einen Kom-
ponisten, der über scharfe, charakteristische Erfindung ver-
fügt, zu den leichten Aufgaben gefiört Dieser Voraus-
setzung wird Nielsen im ersten Satz, wo er das Wetter-
wendische und Jähe im Wesen des Cholerikers vorzüg-
lich getroffen hat, vollkommen gerecht, auch das Bild
des t^hlegmatikers mit seinem Mangel an Beweglichkeit
und seinem -Behagen am Beschränkten darf auf allge-
gemeinen Beifall Anspruch machen. Dagegen läßt die
Auffassung des Melancholikers und des Sanguinikers die
sichre Beobachtung und die Energie in der Wiedergabe
vermissen.
Die dänische Musik hat in Männern wie Winding
und Mailing noch reichere Talente. Wenn von ihren Sin-
fonien das Ausland gar nicht erst Notiz genommen hat
80 erklärt sich das daraus, daß schon bald nach den
Erfolgen Gades die Nachbamationen der Dänen den Wett-
bewerb um die Vertretung des nordischen Elements in
der Tonkunst aufnahmen: Schweden, Norweger, Russen,
Finnen. Von diesen Ronkurrenten gewannen die in allen
Künsten regen Norweger für längere Zeit, dank den Ar-
beiten Svendsens und Griegs den Vorsprung.
Jener hat die ersten Norwegischen Sinfonien ge-
schrieben, dieser seine Heimat in der Klaviermusik, im
Lied und der Orchestersuite aufs glänzendste vertreten.
Die von ihnen geführte »jungskandinavische Schule« hat
sich zum Teil in bewußte Opposition gegen die sanftere
- ^ 503
Weise der Dänen gestellt, zjam Teil aber beruht die Ver-
schiedenheit beider Schulen auf den benutzten Quellen.
Pie dänischen Volksweisen haben vorwiegend einen
ernsten und strengen Charakter; in ihrer technischen *
Struktur sind sie jedoch vorwiegend abendländisch. Die
skandinavischen Melodien hingegen, an welche Grieg und
Svendsen anknüpfen, weisen auf ein fremdes Tonsystexn
hin, das sich abseits des großen europäischen Runst-
stroines entwickelt hat. Stellt man sie, wie es die ge-
nannten Tonsetzer tun, in unser bekanntes Harmonie-
gebäude ein, so zwingen sie zu einer freieren Behandlung
der Dissonanz, zu manchem grellen Wechsel zwischen
Dur und Moll und zu Akkordfolgen, welche uns unge-
wohnt berühren. Sie repräsentieren eine eigentümliche
Empfindungswelt, in welcher das Träumerische einen
breiten Raum einnimmt. Ein starker Schatten von Me-
lancholie liegt in der Regel auch noch über den kurzen ,
Tanzweisen, an welchen der norwegische Tonschatz be-
sonders reich ist. Sie bilden Idyllen, in welchen zu dem
ergötzlichen Moment auch ein rührendes hinzutritt Es
liegt in der Beschränktheit der melodischen und rhyth-
mischen Kreise, in welchen sich ihre Munterkeit bewegt
In diesem Punkte berühren sie sich mit der slavischen
Volksmusik.
Svendsen gibt namentlich in seiner Ddur-Sinfo-j. s. gTABdMii,
nie bezeichnende Proben von den Formen und auch ^ <J»'-Siafonie
von der Seele seiner heimatlichen Volksmusik. Das ^^' *^-
Uauptthema des ersten Satzes ruht in seinem Grund-
motiv auf einer XoUo AUee^ro.
kurzen skandina- j^^ if. f p f | f p ^ ^' P f 1 1 f=^
vischen Tanzweise: **
Das zweite Thema, eine suchende und sehnende Gestalt,
bildet gegen die drängenden und heftigen Elemente dieser
fröhlichen Melodie einen sehr starken Kontrast Es be-
steht nicht aus einer einfachen Melodie, sondern aus einer
Gruppe melodischer Sätzchen, unter denen das Motiv
für die Entwickelung des Satzes
die Hauptrolle übernimmt. Der
504
I
Entwurf des Satzes zeigt großes Naturtalent, besonders
Geschick fOr Kontrastwirkungen, aber, mit Ausnahme das
Kolorits, nur eine geringe Kunst. Heute ermüden uns
die ewigen Wiederholungen unanfgelGster Septimen und
andrer skandinavischer Eigenheiten.
Ähnlich ist es mit dem Andante der Sinfonie, ob-
wohl es in Andaate. ^ ^und in etli-
dem Haupt- jfiV j} J J U J ^ ^ ^' ',h-^ ^ -^ ^^^^^'^ seiner
thema: ^ ~ v * ^-*ic=:: ==.i " ^^' Variationen
Stellen von besondrer Schönheit hat. Der lebenskräftigste
Satz der Sinfonie ist der dritte, ein Allegretto scherzando,
einmal weil er in i , i ^w. j» und The-
Motiven:
semen
men:
^ *i^* ^^ . ^^^ den nordi-
und ^Trr, j lljf-f |-f I f |ttC:£ffe8chenCha-
^^ rakter am
entschiedensten ausprägt, dann durch die Festigkeit, mit '
welcher der Komponist die zahlreiche, bunte Schar der
Einfälle rondomäßig zusammenhält Damit bietet Svend-
sen eine unerwartete und exemplarische Probe von Form-
beherrschung.
Das Finale beginnt mit einer Einleitung. Alle The-
men sind nordisch. In der Durchführung überwiegt die
Arbeit die Phantasie. Ein sehr schöner Moment der In-
spiration ist der Eintritt des zweiten Themas. Er gebietet
den Wolken, und siehe: es erscheint ein freundlicher
Stern. Daß dieses zweite Thema nichts anderes ist, als
die Melodie der Einleitung, nur in schnellerem Gang,
hebt nur die Wirkung,
j. s. SrfBdueii, Die zweite Sinfonie Svendsens (B dur) beruht auf
Kdur-Sinfonie. einem tieferen Stimmungsgrunde als seine erste. In allen
<0p. 15). ihren Sätzen lauert die Schwermut, und noch im Finale
wechseln die Momente des gewaltsamen Aufraffens der
Kraft mit Augenblicken gänzlicher Verzagtheit. Am frei-
esten von trüben Anwandlungen hält sich der dritte Satz.
f
-^ 5()5 %^
eine als Intermezzo bezeichnete Pastoraldichtung, die
Beethovensch beginnt und dann ganz in dem nordischen
neckischen nnd kindlichen Schalmeienton aufgeht. Auch
der erste Satz hat eine ausgeprägt norwegische Melodie
in seinem zweiten Thema, welches in diesem Satz die
Rolle des guten, tröstenden, mit Heimats- und Jngend-
bildem zusprechenden Geistes übernimmt. Im Andante,
das manchen Brahmsschen Zug enthält, hat der freund-
liche Gegensatz in einem kurzen, immer repetierenden
— oft bescheiden versteckten — Achtelmotiv einen rüh-
rend naiven, unschuldigen Ausdruck gefunden. In der
Form reifer als die Ddur-Sinfonie, zeigt sich Svendsen -
in der zweiten Sinfonie doch weniger originell. Auch
Schumann (im ersten Satz) und Schubert (im dritten}
gehören zu den Komponisten, deren Einfluß bemerkbar
wird.
Von den Orchestersuiten Edv. Griegs darf man die Kdr. Grieg,
ältere, >Au8 Uolbergs Zeitc (op. 40), kaum in die »Aus Hoiberg«
Klasse der nationalen Musik stellen. Sie hat nur in der ^®^^*-
Musette und im Rigaudon einige spärliche skandinavische
Töne. Aber das Werk ist unter allen den neuen Suiten,
welche den Geist des 18. Jahrhunderts heraufzubeschwören
suchen, eins der liebenswürdigsten. Es wählt die kopie-
renden Mittel mit allzuviel Beschränkung, esrentfemt sich
in seiner Leidenschaftlichkeit vom Wesen der alten Kunst;
aber es ersetzt das alles durch die poetische Kraft, welche
die knappen Formen erfüllt.
Zwei Suiten Griegs sind der Musik entnommen, die Edv. Ories,
er für den Versuch einer Bühnenaufführung von Ibsens »Peer Gynt< i
»Peer Gynt« geschrieben hat Diese beiden Orchester-
suiten zu Peer Gynt haben somit einen ähnlichen Ur-
sprung wie Bizets Suiten zu TArl^siAine; sie können
sich mit ihnen auch an künstlerischer Bedeutung sehr
wohl messen, sind ihnen an Stärke des Nationalklangs,
an Reichtum der Empfindung und an Einfachheit sicht-
lich überlegen. In letzter Beziehung darf man diese
Griegschen Kompositionen sogar für ein Ideal vornehmer
Orchestermusik erklären. Was das nordische Kolorit
506
betrifft, so sind in diesem Falle die eignen starken An-
lagen und Neigungen des Komponisten noch durch die
Dichtung befrachtet worden. Lebt doch im Peer Oynt
die ganze nordische Natur; ja: in dem mit überreicher
Phantasie ausgestatteten Helden hat Ibsen dem norwe-
gischen Volk ein Spiegelbild vorhalfen wollen.
Der erste Satz der ersten Suite (op. 46) heißt Mor-
genstimmung und soll wohl den zweiten Aufzug des
dramatischen Gedichts eiRleiten, in dessen erster Szene
Peer mit der geraubten Ingrid bei Tagesanbruch ins Ge-
birge schreitet. Die Komposition hat durchaus Pastoral-
charakter. Ihr Haupthema:
Anegr»tto paatorale. V'r
P
wechselt lange Zeit zwischen Flöte und Oboe mit ver-
änderter Harmonie. Die. beiden Instrumente gemahnen
an die Hirten des Hochgebirgs, die von Höhe zu Höhe
sich musikalisch unterhalten. Mittlerweile ist die Sonne
höher gestiegen, und nun kommt die Melodie in dem vollen
Glänze, den das Unisono des gesamten Streichorchesters
(Bässe ausgenommen) geben kann, wenn fortä vorgeschrie-
ben ist. Eifl kleiner .--— — -^ r».^ ^.^
Z^schensatz, der in .^iJ.. f f ■ ff. , f f ft-r^
Cismoll einsetzt, läßt ^Ff » » » ' | ' ' | ■ I t^ j^
über das Cellomotiv ^ / V^^ f
gewissermaßen die Lichter auf dem Morgenbilde wechseln:
es dunkelt, es hellt sich wieder auf, es herrscht reges
Leben am Himmel und in den Farben der sonnentrunk-
nen Flur. Mit dem Hörn, das das Pastoralthema wieder
intoniert (in Fdur), kehrt die ruhige Stimmung des An-
fangs zurück; nur ein wenig reicher fühlt sich das Herz.
Die voll dahinströmenden Kontrapunkte in Bläsern und
Geigen sagen es. Knapp vor dem Schluß legt der Kom-
ponist noch eine zart muntre Episode ein. Die neuen
Motive der Homer, die Triller der Holzbläser skizzieren
ftine intime Szene aus dem Ti«»rlpbpn.
-^ 507 f^
Der zweite Satz illustriert Ases Tod. Die Matter
Peer Gynts stirbt einen schönen sanften Tod : mitten iAi
Aufbau von Luftschlössern schläft sie schnell und ruhi^
ein. Das deutet die Musik, die nur für Streichorchester
bestimmt ist, wohl an. Der erste Teil bringt das freund-
lieh sehnsuchtsvolle Lied
in einem crescendo, das über Fismoli nach Hmoll zu-
rück und ins fortissimo führt Es gibt gewissermaßen ein
Bild von dem letzten Glück der Toten, die in Träumen
ihre schönsten und immer kühneren Wünsche befriedigt
sah. Der zweite Teil leitet mit einer Umbildung der
Liedweise
in den Ton der Trauer ein. Der kurze Satz ist eine
wirklich geniale Leistung eines mit der Harmonik spie-
lenden Meisters, und es läßt sich nicht ahnen und nicht
beschreiben, wieviel Tiefes Grieg den ersten drei Noten
des Lieds abgewonnen hat
Der dritte Satz, »Anitras Tanz« betitelt, bringt uns
nach Marokko, wo Peer Gynt in der Oase, im Zelte eines
Araberhäuptlings weilt, dessen Tochter Anitra mit andren
Mädchen den für den Propheten gehaltnen Fremdling
durch Tänze und Spiele zu ehren und zu erheitern sucht.
Die knapp gehaltne und wieder nur für Streichorchester
komponierte Nummer hat einen Hauptsatz über das
Thema
Tempo 41 Mawgkfc. ^^.«^ ^-^
I f I r/r F I -'^
das nach einigen Takten Akkord gebender Einleitung in
der ersten Violine zierlich trippelnd und mit bestrickend
anmutiger Bewegung einsetzt. Die Melodie geht schon am
?
Schluß der ersten Periode in ein verwirrendes Figureu-
spiel ttber, und diesem Abschnitt folgt der zweite Teil mit
j a<^ _f^ . j^r^_ ^ Hl . _ M^* diesen schmach-
ff r P ff I f' PTi I r ' I T— tendenMotivenwech-
*^ P »^ uj . ;j ^^^"^ sai— geln prickelnde pizzi-
cato-Stellen. Dann kommt der Hauptsatz wieder, aber
mit gesteigerten Reizen. Seine Melodie wird zum £anon
zwischen erster Violine und Bratsche. So gibt der Kom-
ponist ein Bild von den immer stärker wirkenden Künsten
der raffinierten Beduinen tochter, an die ja im Drama
Peer Gynt sein Herz ernstlich verliert, um Hohn und Spott
zu ernten.
Der vierte Satz, mit dem Titel >In der Halle des
Bergkonigsc, ist ein« Variationenreihe tkber das Thema;
Alla marol* molto nttetto. Jsias.
Es kommt zuerst ganz leise in den Kontrabässen, geht
von ihnen an die Fagotte, wechselt in veränderter Tonart
längre Zeit zwischen beiden Instrumenten; dann betei*
ligen sich die Violinen und lösen sich mit den obem
Holzbläsern ab. Der Tanz wird lauter, schneller und gibt
das Bild eines Behagens, das bis zum Fanatismus an-
wächst. Die Variationen entwickeln sich mit einem
Minimum von Kunst; es sind nur Wiederholungen. Aber
gerade dieses Einerlei erhöbt die Wirkung der Dynamik,
die Beharrhchkeit rückt wie leibhaftig auf uns los, und
schließlich ist der Eindruck elementar und beängstigend.
Grade mit dieser Art von Kunst haben die Skandinavier
und Slaven ein frappantes neues Element in unsre euro-
päische Musik eingeführt und ihren Vorrat an Natura-
lismus gewichtig, vielleicht auch gefährlich vermehrt.
Grieg kann hier, wie auch bei seinen norwegischen
Tänzen fürs Klavier für sich das Verdienst in Anspruch
nehmen, ein interessantes, nicht gewöh9liches Thema
gewählt zu haben und mit den Wiederholungen nicht
übers Maß gegangen zu sein. Mit genialem Takt hört
er zur rechten Zeit auf.
- -^
509
Die zweite Suite Griegs zu Peer Gynl {op. 66). bringt ^^^» öri«g.
als. ersten Satz eine Komposition, die überschrieben ist »PewGynttn
> D er Brantraub«. Peer Gynt hat als der Tollkopf, der
er ist, als er das Elternhaus verlassen, aus dem ersten
Dorf, in das er kam, bei einer Bauernhochzeit die Braut
geraubt und ins Gebirge entführt. Die Musik zeigt uns
nun das Entsetzen, die Wut der Hochzeitsgesellschaft, als
sie bemerken, daß Ingrid verschwunden ist, in einigen
Takten wilden Allegros. Dann rufen sie wohl nach ihr;
aber nur dumpfe Horntöne, Laute unempfindlicher Natur
kommen zurück. Ein Andante doloroso führt uns darauf
zu der Geraubten, die eine lange Klage singt. In den
tiefen Saiten der Violinen gespielt, haben diese Klage-
melodien ein außerordentlich individuelles Gepräge', sie
lassen an ein stolzes Gesicht denken, und zugleich sind
sie in einzelnen Wendungen sehr rührend.
Der zweite Satz, Arabischer Tanz überschrie-
ben, führt uns noch einmal in die Szene, zu der in der
ersten Suite Anitras Tanz gehörte. Während sich aber
in diesem die Häuptlingstochter allein in den Künsten der
Koketterie erging, haben wir hier eine ganze Mädchen-
schar vor uns und zwar mit ausgeprägten Rassenzügen,
die sich namentlich in den Rhythmen der Musik äußern.
Der Anfang des Themas vom Hauptsatz gibt davon mit
den Schlußnoten eine kleine Probe:
AI lehret to vivarce. J* = iss
Zur Melodie gehört in diesem Falle notwendig der
sclmlle Klang des Piccolo, um den anmutigen Teil des
Bildes auch mit dem abstoßenden zu vervollständigen.
Mischcharakter ist dem ganzen Satze eigen: den weichen
Tönen treten fortwährend wilde auf den Fuß. Sehr schön
zeichnet der Mittelsatz, den das Streichorchester allein
spielt (nur Triangel kommt noch dazu), wie aus dem Kreis
der Mädchen eine Schöne heraustritt und mit Tönen des
Gemüts, mit Geberden der Innigkeit den Helden lockt.
510
Diese Szene wird auf einen Augenblick durch den Chor
unterstützt, der sich in zierlichen und reizenden Ballet-
weisen bewegt
Um den dritten Satz zu verstehen, muß man das
Ibsen^sche Gedicht kennen. Die Überschrift der Nummer:
»Peer Gynts Heimkehr«, erklärt nicht den Charakter
der Musik. Heimkehr gilt gewöhnlich fftr ein freudiges
Ereignis; Peer Gynt wird aber hier schlimmer empfangen
als der verlorne Sohn: mit einer düster erregten, mit
einer tobenden Musik. Ibsen läßt seinen Helden als
Schiffbrüchigen heimkehren, und Grieg malt den Seesturm,
dem das Fahrzeug an der heimischen Küste zum Opfer
fällt Der Komposition liegt darnach ein ganz ähnliches
Programm zu Grunde, wie R. Wagners Ouvertüre zum
>FUegenden Holländer«. Mit ihm begegnet' sich Grieg
auch thematisch, namentlich der Quintenfall in semem
Hauptmotiv bildet eine für jeden bemerkbare Ähnlichkeit:
Altom a«lta*o. Jrisa^ . ^ ^*« ^^^^^ ^»^«^ "^^^
♦ E g der Gehöreindruck des
L ^ r r = durch die Segel und
Taue pfeifenden Stur-
mes für alle Musiker nahezu derselbe ist Das ist ein
Klang der unten ansetzt und springend sich nach oben
immer mehr zuspitzt Dann grollt und wühlt es an einer
andren Schiffsseite wieder, scheinbar ruhiger:
So spielen die Elemente lange mit dem armen Fahrzeug
ihr grausames Spiel Dann wird die Lage verschlimmert.
Das Wetter heult in langen Zügen, in bösartigem Zischen:
Diese greuliche Figur klingt in allen Registern; nach den
Flöten durchläuft sie die Kontrabässe. Erst dann und
— ♦ 611 4^
wann auf eines Viertels Pause absetzend, nimmt sie sich
im weiteren Verlaufe gar ikeine Zeit mehr, wtktet ärger
und ärger; schließlich saust sie in ganzen chromatischen
Chören einher. Einige starke (fff) Akkorde, Takte lang'
ausgehaltcn, bedeuten die Katastrophe, den Untergang
des Schiffes. Noch eine Zeitlang sietzt sich das Toben
fort, dann wird es schwächer und schwächer. Stille tritt
ein, und nachdem die Schilderung beendet ist, fügt der
Komponist als Dichter eine kurze, aber ergreifende Klage
hinzu, die den Holzbläsern gegeben ist. Was Realistik
und Naturtreue betrifft, wird man den Satz unter den
neueren musikalischen Gemälden vom Meer mit den
Arbeiten Gilsons und Debussys zusammen eine hervor-
ragende Stelle einräumen müssen.
Der vierte Satz der Suite heißt >So]yejgB Lied«.
Solvejg ist die Jugend geliebte des Landfahrers — als
alter, verkommener Mann trifft er sie nun wieder. Das
Lied, das sie ihm singt, hat ausgeprägt norwegischen '
Charakter in den Schlüssen des Mollsatzes und ist sehr
ernst. Soll es doch^ nach des Dichters Ansicht symbo-
lisch den Tod bedeuten. Mit dem Hauptsatz (in Amoll,
wechselt ein Nebensatz (A dur) von freundlich anmutigem
Charakter, an Jagend und an Tanz erinnernd. Die Kom-
position hat auch als Lied für eine Stimme mit Klavier-
begleitung weite Verbreitung gefunden.
Die nächste Veröffentlichung Griegs, sein Opus 66 ent- Ed. Grieg,
hält drei Stücke: Vorspiel, Intermezzo, Huldigungsmarsch »SigurdJorsaiiar«.
aus einer Komposition zu BjOrnsons Schauspiel: Sigurd
Jorsalfar. Das Vorspiel und das Intermezzo sind
beide sehr kurz und einfach. Jenes, das noch den Neben-
titel hat: »In der Königs- ^ ^ AU«gT6tto sImpUoe.cJsM.)
halle., ruht im Haupt- jM ■ , ,-| , , |^^
satz auf einem Motiv ^ 'sJ \J ^
dessen humoristischer Charakter noch dadurch wesent-
lich verstärkt wird, daß an seinem Schluß die Bä.<»e wie
verlegen und versehentlich ins Leere nachschlagen. Mit
dem Eintritt der Violinen nimmt der Satz aber einen
sehr glänzenden, ungefähr den Charakter eines Hoffestes
512 %^
au. Die Mitte' der Nummer füllt eiti Dialog zwischen
ITlöte und Oboe, dann zwis^en Klarinette und Fagott,
in dem mit elegischen, sinnigen Gedanken kunstvoll ge-
spielt wird. Das Intermezzo gibt Einblick in eine edle
Seele zu kritischer Stunde. Es besteht aus einem Andante,
das nachdenklich über ernste Motive brütet, und einem
düster aufgeregten Allegro, in dem der Schrecken haust.
In, veränderter Form kehrt nach ihm das Andante wieder.
Der Huldigungsmarsch setzt gleich ungewöhnlich
und ähnlich wie Mendelssohns »Hochzeitsmärsch« alar-
mierend ein: die Trompeten holen fröhlich und munter
das Orchester herbei, und dies fällt mit einer Dissonanz
^in, die sich natürlich gleich auflöst, aber doch einen
Augenblick das festlich gestimmte Gemüt in Verwirrung
bringt. Als Hauptthema seines Marsehes gibt Grieg fol-
gende Weise
ifi' fi IUI rrnn niH i \T\ i
die zuerst von einem Quartett von Gellis gebracht und
dann mit manchen überraschenden Wendungen ent-
wickelt wird. Außerordentlich belebend ist der Eintritt
des Zwischensatzes. War die Musik bis dahin kräftig,
so springen jetzt ganz plötzlich die Bässe wie Riesen
auf und führen eine Weile das Orchester, das gleich
darauf von den Trompeten und Hörnern in einen außer-
ordentlich fröhlichen nnd volkstümlichen Alarm gebracht
wird. ' Die Stelle wirkt wie der Anblick einer unwillkür-
lich in Jubel ausbrechenden Menge. Und als nun das
Hauptthema wieder aufgenommen wird, hat Grieg noch
eine Überraschung: Es setzt als Maestoso mit verlänger-
ten Rhythmen ein, ähnlich wie Dvorak zuweilen seine
Motive in Vergrößerung bringt. Das Trio hat bei aller
Einfachheit der Melodien durch die Harmonie viel Tiefe,
so daß der Marsch als Ganzes als eine der gehaltvollsten
neueren Arbeiten seiner Gattung angesehen werden muß.
— ♦ 513 ^^
Eine vierte, eine »lyrische Suite« Griegs ist wenig
bekannt geworden.
Voi. den jüngeren Mitarbeitern Griegs hat am meisten
Christian Sinding die Aufmerksamkeit anf sich ge- Ckr. Slndlmf,
lenkt, zunächst mit einer Dmol!- Sinfonie (op. 21), diel>'no"-Stafonia
an einigen der ersten deutschen Konzerte zur Aufführung
gelangt ist. Der vorher namentlich durch ein Quintett
für Klavier- und Streichinstrumente, auch durch Kon-
zerte für Klavier und Violine bekannt gewordene Kom-
ponist legte mit dieser Sinfonie seine verhältnismäßig
reifste und selbständigste Arbeit vor. Immerhin steht
sie noch allzustark unter dem Einfluß R. Wagners und
beruht mehr auf Kombination als auf Inspiration. Ihren
stärksten individuellen Zug hat sie in dem dramatischen
Ton des Vortrags; namentlich wenn es gilt, im Lauf eines
Satzes ein neues Bild einzuführen, wird sie schwunghaft
und setzt in ungeduldige Spannung. In der Anlage der
Sinfonie zeigt sich ein ernster künstlerischer Charakter:'
die Sätze stehen sichtlich und auch äußerlich erkennbar
im Zusammenhang. Die Grundidee des Ganzen ist, unge-
ffthr in einem Tonbild zu zeigen, wie eine gesunde, selbst-
bewußte Natur den Lebenskampf führt und gewinnt.
Der erste Satz schildert Kampf. Sein Hauptthema,
dessen Vordersatz folgendermaßen lautet:
A]l«gro modorato.
^
spricht reckenhaften Trotz aus. Ihm folgt ein Abschnitt
der Sammlung. Die Streichinstrumente bringen im
großen Unisono das frohgemut und kraftvoll ergänzende
Zwischenthema
4ji-/Ji'j.3Ji.U. ^'
■ M ■ j I I Und nun kommt das
J-^^4 Ji I ^Ji I zweite Hauptthema
wff des Satzes, das
Krfttziebmftr, Fahrtr.. I. 1 33
_-» 514 *^
t
schon in ■ j , ■ _ ■ii i . ■ ■ i ^*^ Gefühl and die
seinem g^ j. J"JJ N^J.?J (,^ Gewißheit glück-
Anfang: ' .P -^"^ s:»- licher Zukunft aus-
drückt. Diese Stimmung wird längere Zeit festgehalten,
sie schäumt, als die Geigen sich des Themas bemächtigt
haben, brausend auf; aber wie im Schrecken über das
Obermaß bricht der Jubel plötzlich (auf b-^-f-gia) ab, und
bald sind wir in der Durchführung. An ihrem Anfang
bringt Sinding seine beiden Hauptthemen zugleich, das
erste in den Violinen, das zweite in den Bläsern; beide
leise. Dann gewinnt die Kampfessthnmung die Ober-
hand, schließlich arbeitet sie fast nur noch mit Rhythmus.
Eine Stelle, an der alle Instrumente auf dem Ton /'pochen
und verschnaufen, bezeichnet die Umkehr, bald beginnt
die Reprise. In ihr zeichnet sich der Eintritt des zweiten
Themas, das jetzt in Ddur steht, merkbar aus: atemlos er-
wartet, klingt es geheimnisvoll dahin. Mit dieser Wendung
ist der Endeindruck des Satzes bestimmt: er spricht Sieges-
gewißheit aus. Sie zu betonen, führt der Komponist in
einem Schlußanhang noch ^^ t . . _ . . _
einen neuen Gedanken ein, y p J^J Ji 3 I J ff~f ' j
der sich von dem Anfang
aus in einer jener stattlichen Steigerungen ergeht, die
wir bei Sinding häufig treffen. Endgültig geschlossen wird
mit dem Zwischen thema, also mit dem Ausdruck der
inneren Kraft und des Selbstvertrauens.
Der zweite Satz (Andante, 3/^, Gmoll) ist der
Ruhe, dem Frieden, dem behaglichen Träumen ge-
widmet. ^ Andante. ,^ ,^
Er be«i. a) (\U\\ [3 I Ü H ■ I^TJ ■ ' I -«>
6) • jft'- j I ^-I^J.I iC^^q-l ein Thema
vor, das einer Volksweise gleicht und wohl eine patrio-
-^ 515 «^
tische Tendenz hat. Die Darstellung hält lange Zeit an
diesem Gedanken fest. Sie gibt ihm im Laufe der Ent-
wicklung einen glühenden Ausdruck, einmal auch einen
seltsamen. Es handelt sich um die Stelle, wo nach einer
langen Reihe von Sequenzen über das von den ersten
zwei Takten gebildete Glied, der verminderte Septimen-
akkord {ets-e-g-b) dem Ausbruch der Freude und Begeiste-
rung ein plotzhches Ende macht. Da blasen zunächst
die beiden Fagotte sehr gefühlvoll allein. Und dann
folgt ein Abschnitt, in dem, nur von der Pauke und
den Kontrabässen begleitet, die Tuba und zwar pp
das Thema vorträgt. Die Stelle hat etwas mystisch
Groteskes. Mit Zuhilfenahme
eines weitren nordischen Mo-
tivs stürmisch fröhUcher Natur:
schließt das Tonbild als Szene der Freude. Ganz am
Ende wird es aber plötzlich stille, und wir hören noch-
mals, wie verschleiert, jenen übergreifenden, in die Zu-
kunft, in die Feme hinausweisenden Gedanken, den zu-
erst das Hörn als Thema b) brachte.
Der dritte Satz (Vivace, ' 3/^, Fdur) setzt nach acht
Takten Akkordeinleitung so ein:
* P^V^ 1 I r^K i 1 ^^^ letzten beiden Takte mit den
,j r J^r ' ^^ I punktierten Rhythmen äußern ein
•^ übermütiges Kraftgefühl, und sie
sind es, die der Komponist in den Ausführungen des
Themas vor allem benutzt. Bald stehen wir vor wohl-
bekannten Klängen: vor dem ersten Hauptthema des
ersten Satzes. Diese Reminiszenz bedeutet: > wieder
Kampf«. Aber es handelt sich nicht so um die Not des
Kampfes, als um die Lust und die Freude daran. Die
innerlich zufriedne, beglückte Stimmung zeigen die Themen
des folgenden Seiten- ^ « | m .f" .
Satzes: das von den "i^^ j* ■ p IT d If " PT M I
Bässen eingeführte : ^
33*
^
516
das die
HOrner
mit:
beantworten, and
die erst von den
Holzbläsern et-
was ungeschickt nnd eigensinnig probierte, bald von den
Hörnern in Ordnung gebrachte Weise:
Mit letztrer entwirft Sinding eine längre Reihe kleiner
Bildchen: vom Sonntag und züchtigen ländlichen Freuden
die einen, von dem ausgelassnen Treiben und der lauten
Lust der männlichen Jugend die andren. Dann wird der
Hauptsatz noch einmal vornbergeführt. Die Komposition
hat also die einfache Anlage, die wir schon vom Haydn-
sehen Menuett her kennen; nur. sind die Formen etwas
vergrößert. Auch das nach der Wiederholung des Haupt-
satzes übliche Trio kommt an der erwarteten Stelle und
zwar als derb launige Volksmelodie:
PIA moderttto. ^^
^'''jTTirrirrirrriMTi^rirti i
die sich besser lesen würde, wenn sie im Vi '^^^^ notiert
wäre. Nach einer Weile hat sie sich mit folgender, von
den Trompeten eingeführten Melodie:
7>jir jjjjji[- MiJJif JjJj imi
in den Platz zu teilen. Nach dem Trio wird der ganze
erste Teil, wie gebräuchlich, wiederholt. In dieser Wieder-
holung hat Sinding eine Episode mit erst zögernder, dann
in verblüffenden Läufen hinstürmender Musik eingelegt^
um den Eintritt des zweiten Seitenthemas glänzend zu
gestalten. Es erscheint dadurch als die Krone des Ganzen;
mit ihm geht auch der Satz schnell zu Ende, zuletzt noch
über eine ungewöhnlich drollige Fagottstelle geführt. Mit
517
dieser Betonung der nordischen Tanzweise kommt der.
dritte Satz in nähere geistige Berührung mit dem vorher«
gehenden. Auch hier wird ein Bekenntnis zu Volk und
Vaterland ausgesprochen.
Der letzte Satz (Maestoso, V«» DmoU} beginnt mit
dem Thema in den Bässen:
MMBtOSO.
i
C/E^ M ^'Pff If "*^ — die Violinen samt
^^===^ '' ' lieh immer d dazu aL
als
liegende Stimme — sehr ernst, feierlich und auch froipm
gestimmt, wie jemandem zu Mute ist, der vor einer wich-
tigen Entscheidung steht. Nachdem das Thema — vor
der Wiederholung ist ein kurzer Abschnitt eingelegt, der
gespannte, verlegne Erwartung ausspricht — das zweite
Mal verklungen ist, künden heftige Geigenfiguren etwas
Besondres an: Es läßt sich der Ton des Wunderbaren,
Außerordentlichen vernehmen ^, leisestes Triolenrauschen
auf einem Orgelpunkt — , und darüber setzt wieder eine
Volksweise, eine Art Wanderlied ein: '
Es erregt große Freude und wirkt gewaltig belebend,
wie gleich dar-
auf der Chor
bekundet:
Doch wird erst noch einmal in eine gehaltene, ruhige,
dankbare Stimmung eingelenkt, ihr ist das zweite Thema
gewidmet:
etc.
^'jfrfett
eresc.
Die bald darauf folgende Durchführung wirft sogar
einen Rückblick wie aus der Erinnerung, aus der Feme
— » 518 »^
»
auf zurückliegende trübe Stunden. Mit stechenden
Dissonanzen setzt das erste Thema ein. Der Rhyth-
mus vom ersten Takt ■ t i und ein Motiv aus dem
des zweiten Themas « • •* J Endteil dieses Themas
übernehmen es aber aulzuheilen,
sie ziehen vorübergehend auch das
Wanderlied mit in ihre Kreise und
bringen es bald zu einer glänzenden Wendung nach D dur.
Dieser Durteil beginnt mit einem Hymnus, der an das
zweite Thema des Satzes anknüpft und dann zum ersten
Thema übergeht, das nun die dunkle Farbe ablegt. In der
sogenannten Reprise wird besonders lange beim zweiten
Thema verweilt, das eine der. interessantesten Bildungen
in der Sinfonie bedeutet Melodisch sehr einfach, erhält es
seinen zwischen Glück und Leid schillernden interessanten
Charakter durch Harmonie und Kontrapunkte. Hier nun
im Schlußteil seines Finale zieht es der Komponist ganz in
freudige Sphären, ihm nach am letzten Ende das Haupt-
thema, das aus dem Munde der sämtlichen Blechinstru-
mente Heimkehr in Jubel und Triumph meldet.
Chr.slHdlHf, Sindings zweite Sinfonie (op. 83], die in Ddur steht
Zweit« Sinfonie. und nur drei Sätze hat, ist ein vorwiegend freundlich
gestimmtes Werk, das die Phantasie in pastorale Kreise
und in einfaches Volksleben hineinführt und die Erinne-
rung an schöne Reisetage und fröhliche oder sinnige Erleb-
nisse der Jugendzeit weckt. Sie hat viele Momente wohligen,
stillen Träumens und andere, wo die Gefühle in hohen
Wogen gehen, aber keine Stürme und Konflikte und kaum
Gegensätze. Der bedeutendste Satz ist der erste; klang-
lich wird er durch die zahlreichen Stellen eigen, an denen,
wie aus der Tiefe des Bewußtseins heraus die Bässe
allein sprechen oder den Chor der Instrumente führen.
In der Erfindung tritt in ihm der Einfluß Wagners her-
vor, in den anderen Sätzen kommt mehr, aber doch nur
bescheiden, das nordische Element zur Geltung.
Giir. SindtBf 9 Zwischen beiden Sinfonien liegt eine Fdur-Suite
Episode« (op. 35) des Komponisten, die, dem Titel »Episodes che-
cbev&iercsqves. raleresques« nach , ins Programmgebiet gehört. Es sind
— ♦ 519 »^
vier Szenen aus dem Ritteilebeh, von denen die der be-
sonderen Oberschrift bare erste ungefähr einen Auszug
der Mannen mit teils lustig flatternden, teils fest und
stolz einherschreitenden Marschmotiven schildert, die
etwas breit und mit allzu Wagnerischen Steigerungen
entwickelt werden. Der zweite Satz, Andante fun^bre,
beginnt mit einem trüb erhabenen, schmerzvoll akzen-
tuirten Thema in BmoU, dem der tröstende Gegen-
satz in Desdur folgt. Seine freundlichen Weisen, von
den Hörnern in kanonischen Nachahmungen eingeführt,
sind der Glanzpunkt der ganzen Komposition. Der dritte
Satz, ein in gedämpfter Fröhlichkeit und erfreulich knapp
gehaltenes Allegretto, das der Form des dreiteiligen Liedes
folgt, beschränkt sich im Hauptteil auf ein kurzes, vier-
taktiges Thema, das wiederholt und variiert wird. Der
Mittelteil witkt dadurch eigen, daß die Melodie, so
wie es auch in der zweiten Sinfonie wiederholt ge-
schieht, lediglich von den Bässen gespielt und nur spär-
lich begleitet wird. Das Finale ist nach Idee und Aus-
führung der glücklichste Satz der Suite. Es entwickelt
aus höchst einfachem und knappem thematischen Material
eine naiver Freude volle Heimkehrstimmung, klingt mit
dem dominierenden Hornton prächtig warm und erfreut
in der Arbeit durch die energischen ostinato-Bäße.
Auch der Engländer F. C o w e n hat vor dreißig Jahren f. Cowoa,
eine »Skandinavische Sinfonie c veröffentlicht, welche von Skandinavische
der Mehrzahl der deutschen Konzertinstitute mit Beifall ^p'^'^^'j!^
aufgeführt worden ist Diese Sinfonie gehört jedenfalls ^ ^^ ^'
unter die bedeutendsten Instrumentalkompositionen,
welche seit Jahrzehnten jenseits des Kanals entstanden
sind. Wäre der erste Satz, dessen melancholisches
Hauptthema
^ , Koderato. _
j i'^ n j. I j^ jj I LU ^ ' i Ju^ J- '^liP
schließlich zum Quälgeist wird, etwas reicher an Ideen,
und der letzte ein total anderer, so würde diese Sinfonie
unter die hervorragendsten neueren Nummern ihrer
— ^ 520 «—
Gattung einzureihen sein. Die einf^^chen Ideen des An-
dante mit dem Titel »Sommernacht am Fjord«, in welchen
ein (im Nebensaal zu versteckendes) Hornqartett die
Träumerei der Violinen mit derben Tanzweisen unter-
bricht, die ganz wie aus der Feme herüberklingen, haben
die Poesie und den Effekt für sich. {Ebenso ist das Scherzo
in anderer Art wirksam und frappant: ein freundliches
Gespensterstück, in welchem der flüchtige, schattenhafte
Charakter mit einer genialen Konsequenz durchgeführt wird.
Die Geigen hinter Sor. AUe^omoito.
dinen mit einem eili-:
gen Motive huschend'
der Mittelsatz ein Nebel aus zitternden Rhythmen und
mysteriösen Modulationen, in den die Bläser nichts als
Akkordnoten hineintropfen: das Ganze getrieben vom
hellen Klang des Triangel. £s ist seit »Fee Mab« von
Berlioz in dieser Art von Phantastik vielleicht kein so
runder und gelungener Satz komponiert worden!
In Norwegen selbst haben sich die Aussichten für
eine einheimische Sinfoniearbeit von allgemeiner Be-
deutung mittlerweile nicht verbessert Das Land hat nur in
Christiania und Bergen vollwertige Orchester und besitzt
keine große Musikschule, es wird dem Nachwuchs infolge-
dessen schwer, sich gründlich zu bilden. Das zeigt sich
dann auch an den Leistungen der fleißigen Mitarbeiter,
J* HaurU«!. die in J. Haarklou, J. Selmer, Iver Holter, Ole
J.Sdmer. 01-sen, SigurdLie an die Seite Sindings getreten. sind.
* w[e"oÜS[!^^ eine Weihnachtssuite G. Schjelderups hat außer-
Sigard Ut, balb der Heimat Beachtung gefunden.
ti.Scbjeldervp. In der Zeit, die für die Heimat Griegs den Anfang
eines Niedergangs bedeutet, ist der musikalische Stern
des skandinavischen Bruderstammes, des Schwedischen,
dagegen gestiegen. Schweden, das sich in der älteren
Zeit damit begnügte, einen vorgeschobenen, nament-
lich auf Stockholm und Upsala gestützten Vorposten
deutscher Musik zu bilden, besitzt eine Volksmusik, die,
in der Grammatik weniger eigen als die norwegische,
vor dieser den Ursprung aus einer höheren Kulturstufe
•^ 521 ^^
und einem eatwickelteren Seelenleben voraus hat. Ihre
schönen, durch das Hinabspringen des Leittones und
durch rhythmische Lebendigkeit gestempelten, in der Stim-
mung meistens etwas umflorten Melodien haben aus dem
Munde der Jenny Lind ganz Europa entzückt, sind
aber, wie neuerdings wieder von Ambr. Thomas für den
Hamlet, auch schon im 18. Jahrhundert für die Oper und
bald auch für die Instrumentalmusik benutzt worden. Die
ersten schwedischen Sinfonien wxirden noch zur Zeit der
Wasa von Jos. Kraus und Per Frigel geschrieben *],J.KnM.
anhaltender hat sich Schweden aber an der sinfonischen ^* lMt«i.
Arbeit erst auf den Weckruf Gades hin beteiligt und zwair
mit Werken von Fr. Lindblad, dem ausgezeichneten F. idadbUd.
Liederkomponisten, von Franz Berwa'ld, Alb. Ruhen- ^•^'^^^^
son, Ludwig Normann, denen Aug. Södermann i^it ^| HomMu!!'
Schauspielmusiken sekundierte. Aus dieser Gruppe ragtAisddermaBv.
am höchsten FranzBerwald hervor und unter seinen FrusBcrwald,
drei Sinfonien wieder die unter dem Titel »Sinfonie sin- Sinfonie
guli^rec 184Ö komponierte Cdur-Sinfonie, von der jüngst «N^*'«'
erst ein stattlicher Partiturdruck veröffentlicht worden
ist Das Werk darf der nationalen Gruppe zugewiesen
werden, nicht bloß weil darin Volksweisen verwendet sind,
sondern weil es Berwald darüber hinaus verstanden
hat, nordischem Wesen technischen Ausdruck zu geben,
am wirksamsten durch die Harmoniebehandlung. Dar-
über gibt die klarste Auskunft das Hauptthema des Finale:
Presto.
rT^rr., .Ti.fff^
Pis P EsDCH
Das Esdurdes zweiten Taktes ist in der Zeit, wo* die
Sinfonie entstand, ein Unikum, und auch die Rhythmik
des Sätzchens ist eigen. Noch schärfer spricht der kräf-
tige Wikingergeist, den Berwald verkörpert, aus den liegen-
den Stimmen des ersten Satzes, die in der Regel acht-
taktige Perioden lang zu der Harmonie der anderen
*) Walter Niemanu ». t. 0.
-^ 522 V-
lastromente die schneidigsten, trotzigsten Dissonanzen
bilden, gleich mit c zu h und mit anderen unvorbereiteten
Sekunden einsetzen und erst mit der letzten Note sich
in eine rasche Konsonanz auflösen. Schon durch diese
Harmonietührung ist die Sinfonie Berwalds singuliöre,
absonderlich, wie der ironische und bittere Titel sagt,
sie ists aber noch mehr im ganzen. Um das zu eri^ennen,
muß man an die gleichzeitigen Sinfonien Mendelssohns
und Schumanns denken, ihnen und anderen Deutschen
gegenOber erscheint der Schwede unfreundlich und arm,
gleicht einem musikalischen Segantini; in bewußten und
deutlichsten Gegensatz steÜt er sich aber zu Niels Gade.
Gegen ihn eröffnet die Sinfonie singuli^re die nordische
Opposition, die cTann Grieg und die jüngeren Norweger
organisiert und weiter geführt haben, der Kern ist der
gleiche: Herauskehrung der rauheren Seiten, Kultus von
Kraft und Zähigkeit.
Diese Tendenz kennzeichnet besonders den ersten
Satz (Allegro fuocoso, Cdur, C), der in dem Widerstand
gegen zarte Regungen an Beethovens C moll-Sinfonie er-
innert, in seiner Ausfahrtsstimmung aber ersichtlich den
Wettkampf mit Gade aufnimmt. Gleich am Anfang wird
hier die Selbständigkeit der Gestaltung klar, die Berwald
auszeichnet:* an Stelle eines fertigen und ausgebildeten
Hauptthemas bringt er ^ _ , , . , i , , i . .
das kurze, auf Franz Schu- V» J. JiJi Ji N^ /i i^ J ^-J-i^-
bert hinweisende Moitv ^^
und rückt es abschnittweise von den Bässen aus über
Geigen und Holzbläser die Oktave hinauf und ins forte.
Die Monotonie des Verfahrens wird durch dissonant ge-
buifdene Harmonien umgangen. Auch das Gegenthema:
^Mj j-3jj.4j.73j j ijj2Ji£,J \fu
D G- D H — E A
ist sehr bescheiden. Mit diesen beiden Ideen wird der
ganze erste Satz bestritten; unter den Hilfsmotiven, die in
den Entwicklungsprozeß ein- ^J2j|.^_g^-i^^
greifen, tritt die Triolenfigur: ^F^^^t— IX- -t-^
^^ 523 V-
als treibendes Element, P „ ■ ^ ■ « . -»^ als Sieges«
Mozarts Jupiterthema: ^ * I I =^ ruf hervor
Diesem geringen Material gewinnt aber Berwald mannig-
faltige Bilder ab und spannt mit ihm, dank der Konse-
quenz und Logik seiner oft harten Periodenbildung und
dank der Klarheit, mit der das Endziel der großen Satz-
gruppen hervortritt, bis ans Ende. Auch dieses ist ori-
ginell: stalt einer langen Reprise nur die 24 Takte der
Einleitung, eine Generalpause und als Schluß ein freudiger
Tumult von fünf Vierteln! Den zweiten und dritten
Satz hat Berwald zusammengezogen. Ein Adagio (Gdur,
^4)1 mehr suchend als singend, beginnt und gibt sich lange
Zeit ganz Haydnisch, setzt sich aber dann in dem logisch
so strengen Sequenzenstil, der für Berwald charakteri-
stisch ist, auf einer träumerischen Melodie fest Unver-
mutet fahren in diese die ersten Violinen mit kurzen
•Figuren des Ungestüms hinein und erzwingen, daß der
Satz schon nach etlichen vierzig Takten abgebrochen
wird. Die Pauke reagiert darauf mit einem entrüsteten
/yjT-Schlag, der aber nicht verhindert, daß ganz plötzlich
das Scherzo (Gdur, ^/g) eintritt. Es ist von fröhlichem,
anmutigem Treiben erfüllt und reich an kleinen Künsten
der Nachahmung. Der Hauptscherz ist, daß in seinen
heimlichen Ton wiederholt harte, kurze Schläge oder
rauhe Akkorde hereinfahren. Sie sucht Berwald niemals
von weit her: ein breiter Cdur-Dreiklang, der ohne Um-
stände ein Ddur-Motiv bei Seite schiebt, genügt. Am
Ende kehrt das Adagio, aber nur mit der erwähnten
träumerischen Melodie wieder. Sie ist ein Zitat aus dem
schwedischen Liedschatz und repräsentiert die Heimats-
liebe. Darum kehrt sie auch im Finale (Presto, Cmoll(^)
wieder, neben ihr lassen sich noch weitere volkstüm-
liche Anklänge hören und zwar als die Stimmen der
HofiTnung und des guten Endes in dem an Kämpfen] ja
an Schrecken reichen a . „r"% . - . -<-^
Satz. Das Schlußwort AJlLll- IT T I I T' f I ^
. . *. -!...__ TT «3 W
bat die schöne Hymne : «^
Von den neueren schwedischen Komponisten ist der
-^ 524 ^^
bedeutendste Künstlerkopf, Wilhelm Stenhammar, leider
der Sinfonie ferngeblieben- die bekanntesten Vertreter
LHaUitrSm. der Gattung sind: I^er Hallström, A. Hägg, Andr.
^•^»•Halldn, W. Petersen-Berger, HugoAlfvön, und zu
i^pJJlJ^eii^ibnen kommt noch als Suitenkomfponist der namhafte
Berger. Geiger Tor Aulin. Er und Alf von sind auch ins Ausland
H. Aift^H. gedrungen, Alfv^n namentlich mit seiner zweiten Sinfonie,
Tor Anlin. j^y Aulin mit der Programmsuite >Meister Oluf«.
HvfoAlfvta, Die Sinfonie Alfv^ns zeigt sich schon Äußerlich
ZwoiteSinfonio dadurch Ungewöhnlich, daß sie in Ddur beginnt und
(Op. 11). £q jy ^^Q^ schließt, also den bekannten Weg per aspera
ad astra umkehrt. Die glfickliche Stimmung, die der
erste Satz mit seinem lange gesuchten Hauptthema
Moderato. y-^ » ^--- — *«^ ausdrückt
bedeutungsvoll in fremder Tonart eingeführte Gefolge des
zweiten Themas:
noch verstärkt wird, erleidet allerdings schon hier mannig*
fache Anfechtungen, eine außerordentlich aufregende,
namentlich in der Mitte der Durchführung, wo eine vom
Hauptthema ausgehende Steigerung plötzlich im ff hxxt
dem Septimenakkord abbricht und nach einer General-
pause die Pauke ganz allein den Rhythmus leise wieder
aufnimmt Da folgen ihr zwar die Streicher, aber, wie
verwirrt, in ganz fremder Harmonie. Die Stelle wirkt
geisterhaft wie ein Mene Tekel und macht den Hörer
auf das gefaßt, was die folgenden Sätze bringen. Schon
die ersten Takte des zweiten Satzes, des Andante, machen
die schlimme Ahnung zur Gewißheit Im Rhythmus des
Allegretto von Beethovens Siebenter und gefaßten Tons
tragen die Bässe eine Klage vor, aber schon nach wenigen
Worten wird sie erregt und sofort von einem lauten,
schneidenden Wehruf der Bläser abgeschnitten, der ge-
dämpft und gebrochen immer wieder ansetzt Der Satz
— » 525 ♦^
bleibt 80, wie er begonnen, ein Kampf nach Fassang.
Seine rührendsten Stellen' sind die, wo an die Themen
des ersten Satzes erinnert wird, sie kehren bis zum
Schlüsse wieder, ohne das Entsetzen zu bannen. Eben-
sowenig greift eine als zweites Thema angeschlagene
Choralweise dnrch.
Fflr den dritten Satz (Allegro) hat Alfv^n ^bs Ent-
setzensmotiv, das am Anfang des zweiten die Blftser aus-
stießen, wörtlich beibehalten, nnr kommt es im raschsten
Tempo. Ähnlich ist der ganze Satz eine erregte Variante
des zweiten, und die ganze Sinfonie hat das Ziel, ver-
schiedene Phasen eines großen Seelenschmerzes zu schil-
dern. Charaktervoll bleibt der Komponist diesem Pro-
gramm anch im Schlußsatz treu. Dieser hat die Form
einer durch ein Preludio eingeleiteten großen Fuge. Das
Preludio wirft mit einem Nebenthema aas dem ersten
Satz einen Blick auf die Zeit vergangenen Glücks, die
Fage, die zuerst energisches Aufraffen versucht, endet
mit altliturgischen Trauermelodien, gibt also dem Werke
einen religiösen Abschluß. Die Sinfonie erweist sich in
ihrem Ernst und mit der vollendeten Tüchtigkeit der
Arbeit als eine der bedeutendsten Leistungen unserer
Zeit und macht trotz allem Verzicht auf nationale Be-
sonderheiten dem musikalischen Genius Schwedens die
größte Ehre.
Aulins Suite Meister Olaf hält ihre fünf Sätze TorAmUa,
(1. Der Reformator, 2. Sein Weib und Kind, 3. In der Meiner oinf.
Stadtkirche, 4. Am Totenbette der Mutter, 6. Das Fest
am Nordpol) in der Weise von Griegs Musik zu Peer
Gynt grundsätzlich knapp, und benutzt reichlich hei-
matliche Lieder und Marschweisen ohne merkliche Zu-
taten eigener Kunst. Nur die Tendenz, in Harmonie und
Rhythmus das Primitive hervorzukehren, ist deutlich
bemerkbar. Dabei kokettiert der Komponist ein wenig
mit Quintenparallelen, die ja in der neuen Orchester-
musik allgemein als erlaubt zu gelten scheinen, doch
aber nicht ohne alle Rücksichten auf das europäische
Ohr. Im übrigen beschränkt sich das persönliche Ver-
■J
J^ 52(5 ^_
dienst Aulins darauf, daß alles sehr gut klingt ; als Kolo
rist hat et allerliebste Einfälle. Ein sehr wirksamer ist die
Pizzicatobegleitung des Streichorchesters im zweiten Satze.
Als letztes Glied und als Filiale der Skandinavischen
Schule hat sich, von schwedischer Kultur befrachtet, in
neuester Zeit eine finnländische Sinfonikergruppe gebildet.
Sie entwickelte sich von der Universitätsstadt Helsingfors
und von Abo, den einzigen eigentlichen Musikstädten des
F. FmIu. Seenlandes aus unter Führung von F. Facius, M. Wege-
M. Weijeliu. [ixxs^ R. Kaj anus im letzten Drittel des neunzehnten Jahr-
^***'* bunderts ; die internationale Aufmerksamkeit auf sie ge-
lenkt zu haben, ist das Werk von Jean Sibelius. Seine
sinfonischen Dichtungen, an ihrer Spitze »der Schwan
von Tuonela«, schlugen aus ziemlich den gleichen Grün-
den ähnlich ein, wie zwei Menschenalter vorher die
I Ossian-Ouvertüre und die erste Sinfonie N. Gades. Eine
I grenzenlose Melancholie bildet ihr nationales, ein ebenso
* plastischer, als freier Stil ihr persönliches Sisnalement
Jets SlbdlUi, Nur die dreisätzige Karelia-Suite (Op. 11} entbehrt
Karelia-Saite.j diesen Familienzug; sie könnte im ersten Satz, dem Inter-
-roezzo, von Dvo^ak, im Menuett von Brahms sein, erst
der Schlußsatz (Marcia) stellt uns im Trio eine besondre
künstlerische Individualität vor. Dieses Trio besteht näm-
lich lediglich aus acht, mit Ausnahme der Instrumen-
tierung wörtlich übereinstimmenden Wiederholungen der-
selben vier melodiösen Takte. Eine solche regelwidrige
Monotonie wagt nur ein Komponist, der mit dem Volk
verwachsen ist und ganz genau seine Art und seinen
Geschmack kennt. Im übrigen aber schreibt Sibelius
hier ganz nach allgemeinem, gutem Snitenbrauch und hält
sich dabei ausgezeichnet knapp und kurz. Noch mehr
als im Stil, weicht aber die Kareha-Suite von den sie
umgebenden sinfonischen Dichtungen im Inhalt ab. Dieser
stützt sich auf ganz ähnliche volkstümliche Sangweisen,
wie sie in verschiednen Sammlungen vorliegen, sie sind
aber sämtlich freundlichen Charakters, so liebenswürdig
und reizend, daß sie allein den großen Erfolg der be-
scheidnen Komposition erklären.
— » 52? ♦—
/
I
Die erste Sinfonie (Emoll) des Komponisten, die J.Sibellmi,
1899 gedruckt worden ist, teilt mit der Karelia-Suite die Ente Sinfonie
klassische Klarheit und Einfachheit der Themen und Mo- '^^- ^^'
tive, aber in ihrer vorwiegend ernsten und trüben Ge-
dankenrichtnng steht sie auf der Seite von früheren sin-
fonischen Dichtungen. Insbesondre scheint sie ein Werk
nationaler Richtung und die am tiefsten in der Heimat
wurzelnde Sinfonie von Sibelius, sie scheint eine patrio-
tische Betrachtung in Tönen zu sein. Eröffnet wird ihr
erster Satz an Stelle der üblichen langsamen Einleitung
mit einem Klarinetten solo, das guten Muts beginnt, am
Ende aber in einen klagenden Ton fällt Das darauf ein-
setzende Allegro (<^/4, Gdur) nimmt in größern Dimen-
sionen einen ähnlichen Verlauf: Der in seinem .Haupt-
thema :
f ii'^'^irnj rrir-iiiirii iMnirTiiffrn
ausgesprochenen Kraft und Entschlossenheit bleibt der
Triumph versagt. Die Ächtelrhythmen, mit denen der
erste Abschnitt jenes Themas schließt, der zweite beginnt,
gehören zu den Elementarwendungen finnischer Musik,
sie sind ähnliche Symptome stark cholerischen Wesens,
wie sie auch bei Italienern und Negern vorkommen, die
gehäuften Wiederholungen desselben Motivs sind dem
naiven Kulturstand des Naturvolks entsprungen. Wir sind
also mit diesem Eingang sofort in eine bestimmte ethno-
logische Sphäre versetzt, in die der Verlauf der Kompo-
sition dann immer tiefer hineinführt. Die Volksseele, von
der Sibelius im ersten Satze seiner E molI-Sinfonie ein
Bild gibt, neigt zu jähem und erschreckendem Aufbrausen,
ihre Musik ersetzt eingehende Ausführungen gern durch
kurze in zwei und drei Akkorden explodierende Natur-
laute, an andern Stellen brütet sie endlos dahin, dem
Jammer wehrt sie und läßt ihn mehr ahnen als wirklich
hören, sie zeigt eine Mischung von Wildheit und Selbst-
beherrschung, die uns staunen macht, aber auch er-
greift und nachhaltig fesselt. Sie zwingt aber auch,
--» 528 ♦—
die Kraft und den Geist zu bewundern,, mit denen der
Komponist seiner schwierigen und der sinfonischen
Form fremden Aufgaben Herr geworden ist Nament-
lich der zweite Satz der Sinfonie bietet da wahre
Musterbeispiele fQr die Gabe, mit einfachen und doch
kühnen Mitteln der Darstellung den Schein der Natürlich-
keit zu geben. Es handelt sich in ihm darum, aus einer
augenscheinlich wieder auf musikalische Volksquellen
aufgebauten Wehmut in eine erregte Stimmung über-
zugehen. Das erreicht er ohne weiteres dadurch, daß er
den Viervierteltakt des Hifuptthemas plötzlich von den
Bässen im Rhythmus von drei Halben begleiten läßt
Damit ist die Unruhe in den Satz eingezogen und unver-
merklich gerät alles ins Schwanken. Ebenso meisterhaft
führt Sibelius in diesem Andante aus dem Stimmungs-
bild hinüber in ein anheimelndes Stück Naturmalerei. In
dem Augenblick — es ist nach ^er vom Fagott begon-
nenen Bläserstelle — , wo der Gesang einen leidenschaft-
lichen Charakter annehmen will, bricht er ab und lenkt
die Aufmerksamkeit mit bloßen, bewegten Rhythmen und
hohen Klängen erst der Bläser, dann der Geiger wie auf
eine plötzliche Erscheinung in der Außenwelt Es schillert,
als ob die Sonne aufgehen wollte, und nicht lange dauerts,
da hören wir in Flöten, Oboen und Klarinetten die Vögel
singen. Ganz köstlich wird dann dieses Bildchen aus
Wald und Flur in das Seelengemälde, das den Haupt-
inhalt des Satzes bildet, mit hineingewoben. Als es gilt,
sich von ihm zu trennen, da äußert sich der Schmerz
wieder einmal in einem kurzen, oft wiederholten Auf-
schrei, in dem wieder die ganze finnische Energie zum
Vorschein kommt. Das Scherzo hat von der an dieser
Stelle üblichen Lustigkeit nur die Rhythmen, im Charak-
ter bleibt es dissonanzenreich und hart Nur der lang-
same, an die Stelle des Trios tretende Mittelsatz, der
von dem Cdur des Hauptsatzes sich weit weg, nach
Edur flüchtet, hat den weichen Ton der Sehnsucht Aus-
nahmsweise gibt in ihm Sibelius einmal Auskunft über
seinen Studiengang und zeigt uns in Robert Schumann
— » 529 «^
einen seiner Lieblingsmeister. Das' Finale greift zu Be-
ginn auf die Melodie der Soloklarinette zurück, mit wel-
cher der erste Satz der Sinfonie eingeleitet wurde. Dann
entfesselt es die Leidenschaftlichkeit des Mißmutes, die
jener erste Satz ahnen ließ, in voUen Schleusen und
lenkt zum Schluß in einen breiten, großen Hymnus der
Wehmut ein.
Dieser seiner ersten und wohl . bedeutendsten Sin- J* Sibtilvi,
fonie hat Sibelius noch drei weitere folgen lassen. Die ?.7***f ?"*!
zweite, eine 1902 Tollendete D dur-Sinfonie und die nur*jj***j3^^^^^^
aus drei Sätzen bestehende dritte (Cdur, Op. 62) sind,
wenn man in jener die unheimlichen Mittelsätze ausnimmt,
wesentlich freundlicher als die erste, in der dritten steigert
sich der hellere Grundton sogar zu ganz drolligen Scherzen.
Gleich ihr Anfang Allegro moderato.
gibt davon mit -^jtn - -HJ-lj J 1 t,'' J J Jl nJ*LI_h^
dem Baßeinsatz : * -J ' J' V j -'-'-'-'■: j ■ -■• '
einen hübschen Begrift und zeigt zugleich, wie der Kom-
ponist itt der thematischen Erfindung nach wie vor seiner
Heimat treu geblieben ist. Überall noch die Melodien
mit Halbschluß und in dem so viel besagenden Frageton.
Im allgemeinen jedoch ist der Stil des Komponisten in
den neuen Sinfonien bedeutend komplizierter geworden.
Er schreibt häufig rezitativisch, neigt zu Unterbrechungen
und zu grammatischen Kontrasten, etwa in der Art, daß
vier thematischen Takten, vier Takte bloßen Akkords
folgen, namentlich aber ist der Verbrauch von Disso-
nanzen so auffallend gewachsen, daß die Komponisten-
partei, welche in diesem Punkte das wesentliche Element
der Moderne erblickt, mit gewissem Rechte auf den Ver-
treter der finnländischen Sinfonie Beschlag legen darf.
Selbstverständlich hat mit dieser äußren Verwandlung
auch eine Änderung in der Richtung der Phantasie statt-
gefunden. In seiner vierten und augenblicklich letzten '• Slb^lUs,
Sinfonie (A moll, Op. 63) ist Sibelius von den Impressio- v*««**« Sinfonie,
nisten kaum noch zu unterscheiden. Er berührt sich in
ihrem ersten Satz ganz direkt und wohl auch stofflich
mit den Meeresskizzen Debussys, auch die fast Zolaische
Krstzschmar, FQbrer. I, 1. 34
-^ 530 ^^
Umst&ndlichkeit des Einleitens, Vorbereitens und Sam-
meln» teilt er mit ihm. Es liegt in der Natnr seines neuen
Systems, daß Sibelius von der artistischen Seite her
interessanter geworden ist; man findet da Vorausnahmen,
die den Harmonielehrer entrüsten können, aber jedenfalls
beschäftigen, 6 Seiten lange liegende Stimmen, die sich
erst im letzten Takt, des Satzes auflösen, andre Stellen,
wo ein kleines Ostinato-Motiv sechsunddreißigm^ wieder-
kehrt, wo auf einem C dur-Akkord sechzehn Takte lang
nur . G und C wiederholt werden , man findet Figuren,
in denen Streicher und Bläser von demselben a aus in
die Höhe stürmen und, oben ankommen, die einen d, die
andren des ergreifen usw. Aber man findet auch wertvolle
Malereien vom Glockenklang und andre Produkte feiner
Naturbeobachtung, und vor allem findet man noch gute
und charaktervolle Themen. Ein solches ist das an der
Spitze des Schlußsatzes dieser AmoU-Sinfonie stehende,
das eine frohe Stimmung mit einem ganz eignen Stich
ins Obermütige ausdrückt. Diese Tatsache berechtigt zu
der Hoffnung, daß mit der Zeit der alte Sibelius wieder
reicher zu Worte kömmt! '
Die andern Vertreter der finnländischen Schule, an
ArHM Jinefelt. ihrer Spitze Järnefelt und Mielck, sind mit Sinfonien
RrtBt Xlelek. noch nicht über die Heimat hinausgedrungen.
Das Böhmerland hat vom achtzehnten Jahrhundert
ab dank in erster Linie seinem Adel, der das vom kaiser-
lichen Hofe gegebne Beispiel der Musikliebe und Musik-
pflege mit Eifer, Qpferfreudigkeit und Geschick aufnahm,
die Tonkunst aller Staaten mit so zahlreichen und vor-
' züglicnen ausübenden Kräften versorgt, das man — es
< war wohl Bumey, der das tat — von Böhmen als dem
Konservatorium Europas sprechen konnte. Merkwürdiger
. Weise steht aber der Anteil, den das schöne Land an
der Komposition nahm, quantitativ und qualitativ hinter
der Bedeutung sehr zurück, die es als Bezugsquelle von
Instrumentalisten aller Art, von den einfachen hausieren-
den Spielbanden über die Kapellmitglieder hinauf bis zu
--^ 531 ♦--
den großen Virtuosen gehabt hat. Insonderheit kommt
die böhmische Komposition in der Sinfonie und den ihr
verwandten Formen nur wenig in Betracht Mit F. Ben da, F. B«ate.
L. Kozeluch, Mysliweczek, Reicha, V. Ma schock J-K«««!««*-
sind die Namen erschöpft, die auf diesem Gebiete in^^iS^
der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts außer- y. Magekeek.
halb ihrer Heimat bekannt geworden sind; zu ihnen
kommt noch der bereits erwähnte D. Zelenka als D. Keienfca.
Meister in der Qrchestersuite , neben ihm A. TumaA.Ts«».
und Fr. Dussek als Konzertkomponisten. In einem Fr. Ditiek.
längren Abstand folgt dann W. J. Tomaschek mitw. LTonasekek,
einer Esdur-Sinfonie, die in ganz Deutschland fast ein BsdnrSiiifom«.
Jahrzehnt lang gespielt und mit großer Achtung be-
urteilt wurde. Sie hat im dritten Satze, der, för jene Zeit
noch außergewöhnlich, als Scherzo betitelt ist, eine durch
einen ausgesprochnen Hang zum TrQbsinn ungewöhnliche
Nummer und zeigt einige tiefe Regungen in der Einlei-
tung des ersten Satzes. Im allgemeinen waltet aber in
ihr nur ein kleiner Geist, der von fremden Tischen, ins--
besondre von den Mozartschen Opern genährt wird. Die
Arbeit zeigt Vorliebe für die kleinen Künste der Kontra-
punktik, wie denn Tomaschek als eine Größe in der
strengen Form und auf Grund seiner Kirchenkomposi-
tionen, namentlich des Requiems, mit Recht betrachtet
wurde*). Das schließt jedoch ein großes auf Ungeübtheit
beruhendes Ungeschick im Orchesterstil nicht aus. Fast
unablässig schnörkelt die erste Violine in schematischen
Figuren dahin, während die andren Instrumente in träger
Ruhe so lange daliegen, bis sie zu einer Nachahmungs-
parade befohlen werden. Was uns jedoch am meisten
an dieser Sinfonie interessiert, ist ihr Verhältnis zu böh-
mischer Nationalmusik. Tomaschek hat Lieder aus der
KOniginhofer Handschrift komponiert, läßt also Liebe für
die Stammeskunst seiner Heimat erwarten. Doch bietet
seine Sinfonie hierin nichts als eine Vermutung, näm-
lich die: daß das erste Thema des Finale aus alter
*) Rudolph Freiherr Prochazka: Arpeggien 1S97, S. 66.
34*
^
532
böhmischer Volksmusik stammen könnte. Wir teilen es
hier mit:
TlTaoe.
und überlassen es Berufenen, den Sachverhalt festzu-
stellen« Gesetzt: es ist slavisch, so würde doch in der
Tomaschekschen Sinfonie das nationale Element einen
immer noch weit geringeren Anteil haben, als sich in der
Suite Zelenkas ergab.
Auf Tomaschek folgt als der nächste böhmische Sin-
foniekomponist von Bedeutung Job. Wenzel Kalliwoda.
Er ist bereits in einer andren Gruppe behandelt worden
und kann unter die Vertreter einer spezifisch böhmischen
Musik nicht gerechnet werden, da er nur nebenbei Volks-
melodien anklingen läßt.
j. F. utti, Anders verhält es sich mit einem Schüler Tomascheks,
Jagdsinfonic. mit Job. Friedrich Kittl, der vom Anfang der vier-
ziger Jahre ab auch mit mehreren Sinfonien hervortrat,
unter denen die >Jagdsinfonie€ besonders verbreitet war.
Es ist ein Beitrag zur Programmusik; die vier Sätze heißen :
1. »Aufruf und Beginn der Jagdc, 2. »Jagdruhe« (Andante],
3. »Gelage« (Scherzo), 4. »Beschluß der Jagd«.' Als Jagd-
musik weicht die Sinfonie von allem früheren Brauch, wie
er in der Zeit von Stamitz, Haydn und M4hul und weiter
zurück sich feststellen läßt, dadurch ab, daß sie nicht in
Ddur, sondern in Esdur steht. Auch das ist ungewöhn-
lich, daß sie nicht bloß Hömersignale und Fanfaren, son-
dern im ersten Satz ein ganzes Jagdlied gibt. Es eröffnet
die Sinfonie in der Form eines Hornquartetts. und hat
folgende Melodie
533
III I 1^1
iii 1 1 iifi iiijiTm
die ihren Taktgruppen nach wohl slavischer Abkunft sein
könnte. Jedenfalls ist die ganze Sinfonie mit — gleichviel
ob originaler oder nachgebildeter — Volksmusik durch-
tränkt wie keine andre seit Haydn. Oberall klingen uns
die kurz angebundnen, heitren und frischen Weiten ent-
gegen, die der böhmischen Musik eigen sind. Auf ihnen
beruht der lebendige, temperamentvolle Charakter der Sin-
fonie, die mit Ausnahme einiger äußerlichen Obergänge
von Gruppe zu Gruppe im ersten Satz sehr sicher und
auch eigen gestaltet ist. Namentlich im Rleinverkehr inner-
halb der Perioden bewegt sich der Komponist flott, rasch
und reich an feinen Wendungen und zeigt ein ungewöhn-
liches Talent Mendelssohn nahm die Widmung der Sin-
fonie an, Spohr lobte sie, Schumann hob sie unter den
Neuerscheinungen des Winters 1840 nachdrücklich her-
vor*), R. Wagner schätzte den Komponisten hoch genug,
um ihm ein eignes Operngedicht (»Die Franzosen vor Nizza«)
zu überlassen. Um Kittls Sinfonie aber in ihrer natio-
nalen Bedeutung, in ihrer Ideenrichtung voll zu würdigen,
war, als sie entstand, die Zeit noch nicht gekommen. Weder
bei Deutschen noch bei Böhmen selbst. Denn diese hatten
sich bisher, wenn sie Sinfonien schrieben, um ihre Volks-
musik doch nur sehr wenig gekümmert, und auch Kittl
wird den Weg seiner > Jagdsinfonie« mehr zufällig und
instinktiv eingeschlagen haben. Erst als nach den achtund-
vierziger Wirren die nationaltschechischen Bestrebungen
auf sozialem, politischem und literarischem Gebiet mit ver-
stärktem Eifer aufgenommen wurden, begannen allmäh-
lich auch die böhmischen Tonsetzer über die Eigen tüm-
*) Neoe ZeiUchrift für Musik, 1840, S. 139.
^^ 534 ♦^
lichkeit ihrer Volksmusik und über ihren Zusammenhang
mit dem Wesen und der Begabung des Stammes klar su
werden. Heute ist in dem Neuhussitentum, dafi sich in
Böhmen gesammelt und zum Sturm bereitgestellt hat«
die musikalische Gruppe eine der von Glück, natürlicher
Kraft und Talent begünstigsten, einflußreichsten, wohl auch
der Oberhebung und der Verblendung am stärksten zu-
r.SaeUBa« geneigten. Ihr Vater war Fr. Smetana, ein Künstler,
dessen seelischer Reichtum, dessen klare, einfache Ge-
staltungskraft nationaler Stützen und Hilfen gar nicht be-
durft hätten. Sein Emoll-Quartett bezeugt das. Smetana
hat in seiner Jugend eine Sinfonie nach Beethovenschem
und Inehrere sinfonische Dichtungen nachXiszts Muster
geschrieben, dann aber seine volle Kraft auf die Kom-
position von zahlreichen Opern gelenkt, die alle keinen
Zweifel darüber lassen, daß die heimische Volksmusik mit
dem Herzen dieses Tonsetzers verwachsen war. Erst als
sich der Weg ins Weite für diese Bühnenwerke vorläufig
als verhauen erwiesen hatte, als Taubheit Smetana zwang,
dem Taktstock für immer zu entsagen, wendete er sich
wieder der Instrumentalkomposition zu. »Um sich die Mittel
zur Konsultierung berühmter ausländischer Spezialisten
zu versehaffenc — sagt Wellek*^) — gab Smetana ein Kon-
zert am 4. April 1876, in dessen Programm zwei »Sinfonien« :
— »Visehrad« und »Vltava« hervorragten. • Das sind die
ersten beiden Stücke eines Zyklus von sechs sinfonischen
Dichtungen, die dem für die Schönheit und den Charakter
der heimischen Volksweisen empfänglichen, schlicht ge-
staltenden Künstler und dem für die Vergangenheit, für
die Greschichte und die Natur seines Geburtslandes be-
geisterten Patrioten gleich viel Ehre machen. Denn es
war Smetana bei seinem Zyklus nicht bloß um eine er-
freuende, heimisch anklingende, Phantasie und Gemüt
bewegende Komposition zu tun, sondern es sollte ein
musikalisches Epos, eine monumentale Verherrlichung von
Böhmens größten Helden und Zeiten, ein Kranz schwärme-
**) BroiiisUw Wellek: Friedrich Smetuia. 1895.
— «^ 535 ^^
rischer und inniger Gesänge zum Preis von Land und
Leuten werden. Von diesem Gesichtspunkt aus wählte er
den Gesamttitel Mä Vlaat, d. L Mein Vaterland, und dßn p. gmetM»«
Inhalt der einzelnen Stücke. Der Form nach sind diese »Mä Yiast«.
Stücke einsätzige Kompositionen. Smetana hat sie als
sinfonische Dichtungen bezeichnet, obwohl sie sich mit
der Natur dieser von Liszt eingeführten Gattung nur teil-
weise begegnen. Sie sind viel einfacher angelegt. Sie
hier in . den Verband von Sinfonie und Suite mit einzu-
reihen veranlaßt und berechtigt der Umstand, daß sie ein
zusammenhängendes, durch gemeinsame Themen ver-
bundenes Ganzes bilden. Die ersten vier sind 1874 und
1875 entstanden, die beiden letzten erst drei und vier
Jahre später hinzugefügt, alle zusammen erst nach der
Wiener Theater- und MusUsausstellung weiter bekannt ge-
worden. Wohl mit Recht ist dieser Zyklus als Smetanas
Hauptwerk bezeichnet worden. Man darf bei diesem Ur-
teil die vaterländischen Absichten des Komponisten ganz
beiseite lassen und sich auf den musikalischen Wert be-
schränken. Da bleiben allerdings, wie überall, die von
Polka, Marsch und heimischen Tanzweisen abgeleiteten
Abschnitte die anheimelndsten, vom stärksten, mächtigsten
innern Strom getragnen. Aber Smetanas Talent wird hier
doch auch in seinem weiten Umfang offenbar und zeigt
sich in dem weiten Bereich von der Schilderung des heim-
lichen Naturlebens, phantastisch luftigen Elfentreibens bis
zum Ausdruck der feierlichsten Stimmungen und großer,
Welt bewegender Ideen sicher und ergiebig. Freilich bleibt
darum zwischen ihm und Mozart immer noch derselbe Ab-
stand wie zwischen Dvofak und Beethoven. Der neuste
Biograph des böhmischen Tonsetzers hätte sich dieses
Vergleichs besser enthalten, schon deshalb, weil unsre
Zeit weder eines Haydn, noch eines Mozarts, noch eines
Beethovens fähig ist.
Bei der Komposition seiner Tongemälde hat sich Sme-
tana in die Rolle eines Rhapsoden alter Zeit hineingedacht,
der seinen Zuhörern von großen geschichtlichen Begeben-
heiten erzählt und sie dazwischen hinein vor liebliche
^
-^ 536 <^-
Idylleu führt. Zu der ersten Klasse gehören I. Vyaehrad,
111. Särka, V. Täbor und VI. Blanik; zur zweiten: it Vltava
(Moldau) und IV^ Z 6eskych luhuv a häjftv, d. i. Aus Böh-
mens Hain und Firn.
Zu dem Zyklus gibt es kurze Programme von V. Zeleny,
die deshalb beachtet werden müssen, weü sie (nach Wel-
lek) Smetana selbst beglaubigt hat. . Danach ist der In-
halt des ersten Stückes: »Vysehrad« folgender:
F. SmetftBft, Der Dichter hört beim Anblick des Yysebrader Felsens Im
Vyt«liTftd. Geiste die Klänge der Leier des sagenhuften Sängiers Lumir.
Vor seinen Blicken erbebt sich der VyscbUd im Glänze seiner
glorreichen Vergangenheit wieder. Auf dieser Hochburg, wo
. der Thron der Herzöge und Könige aus dem Geschlechte der
Pi^mysliden stand, versammelte sich die Ritterschar zu Ding-
und Heerfahrt. Die Feste dröhnte in ihren Gründen vom Tritt
der einziehenden Krieger und ihrem Triumphgesang. Bald sieht
der Dichter aber den Untergang der alten Glorie. Wilde Kämpfe
wüten und die herrlichen Hallen des Königssitzes zerfallen in
Schutt und Trümmer. Auch diese gewaltigen Stürme verstummen,
der Vysehrad steht öde und verlassen da, ein Bild vergangnen
Ruhms. Aus seinen Ruinen hallt klagend das Echo des längst
verstummten Saitenspiels Lumirs nacb.
Nach dieser Angabe haben wir in der Komposition
drei Bauptteile zu erwarten, die nacheinander den Glanz
der Burg, den Kampf, der um sie geführt wird, und ihr
Ende, iluren Verfall schildern. Sie finden wir auch in der
Musik und bemerken dabei sofort, daß Smetana seine
Schilderung durch Einfügung begleitender und bereichern-
der Züge sehr wirksam zu beleben weiß. Zu jenen drei
Teilen tritt noch anhangsweise ein vierter, in dem aus
den Augen des beutigen Geschlechts noch einmal ein Rück*
blick auf die vorgetragnen Begebenheiten geworfen wird.
Dabei tritt naturgemäß die Zeit des Glanzes wieder her-
vor und die Perioden des Unglücks bleiben im Dunklen.
Die etwas künstliche Vermittelung der Schilderungen durch
den altböhmischen Orpheus, den Sänger Lumir, hat Sme-
tana wahrscheinlich nur der Harfeneffekte wegen ins Pro-
gramm genommen. Bei den spätem Stücken des Zyklus
537
<''^'TM'/'"/j'|'f
fällt sie weg. Hier in Yysehnad gibt sie Gelegenheit zu einem
romantischen, stimmungsvollen Eingang: Von Harfen vor-
getragen hören wir den wichtigsten Melodiekern des Satzes
LtfnML'i I *. . d®^ Smetana
in verschier
dener Weise
zu Perioden
weiterbildet. Die erste Harfe rauscht in die Pausen des schritt-
weise langsam aufsteigenden, sich aufbauenden Themas Ar-
peggien hinein. Bei Harfenklängen denkt jedermann gern
an den König David, an den blinden Homer und an die von
Klopstock geschilderten Barden. Sie führen die Phantasie
unwillkürlich in. alte Zeiten, und der Balladengeist des The-
mas tut das Weitere, sie da festzuhalten. Nachdem die Me-
lodie, die von vornherein schon elegisch gestimmt ist und
auf verschwundne Herrlichkeiten hinweisen kann, zweimal
durch die Bläser gezogen .fl.u . ^
ist, spielt die Musik ganz yHi J "J J j^ j^ I /J^^
kurz auf Rittertum an mit P-P ' ""^ =^
wozu die Trompete noch ein ausdrückliches Heersignal
beisteuert, und fügt diesem neuen aus der laterna magica
gesehnen Bildchen gleich ein weitres, sofort breiter ausge-
führtes Motiv zu, das in sei- „—.—«.«—_ einen ge wis-
ner Zusammensetzung aus:^^t[^ 1^ ^ J I J^sen Hinweis
einfachen Dreiklanesnoten^^ J ■* " »^ J "^ ^auf Wasser-
einfachen Dreiklangsnoten ^^ * " ■ ^ - 'auf Wasser
musik bietet Es ist wohl kaum zu bezweifeln, daß Sme-
tana mit diesem Motiv zunächst auf die WeUen der Moldau
hat hindeuten wollen, die noch heute den Prager Stadt-
teil bespülen, der an der Stelle entstanden ist, wo ehe-
mals die stolze böhmische Fürstenburg lag. Doch hat
sich der Begriff des Stroms, den diese Töne zuerst trugen,
unwillkürlich zu dem des Landes und der Landeskraft er-
weitert. So kommt es, daß Smetana, wenn die Melodie
des Vysehrad im begeisterten Ton erklingt, in der Regel
den größten Schwung der Stimmung in Bildungen über-
leitet, die aus diesem Wassermotiv hergenommen sind.
Bald kommen wir an eine solche Stelle. Nachdem das
bisher beschriebne Material aufgestellt ist, bringen die
^
538
Sireichinstrumente den Gesang vom Yysehrad in Bdur.
Am Schluß dieser Periode fängt es an zu fluten, und nun
himrot das volle Orchester im glänzendsten Klang die
Melodie in der Haupttonart durch. Die Melodie klingt
jetzt vollständig folgendermaßen:
^?Sß
7 i7~^
Trompeten und Homer schmettern darein — • das im
vierten Takt zuerst neu eintretende, durch das Sech-
zehntelpaar bemerkbare Motiv drängt sich hervor und
teilt sich mit dem Wassermotiv in eine Fortsetzimg, die
bis zu Lauten höchsten, trunkenen Jubels führt Als er
abbricht, hören wir still wie mahnend die Klänge vom
Vy§ehrad und von der Moldau, die eine lange Strecke
immer leiser miteinander wechseln. Und als die Wellen
kaum noch sich bewegen — da setzt der zweite Teil
ein: die Schilderung der bösen Zeit, der Zeit der Kriege
und Kämpfe.
Das Mittel, um diesen Kampf um Vysehrad zu schil-
dern, nimmt Smetana aus dem ersten Teil seines Ge-
mäldes, indem er das Burgmotiv in der geistreichen
Weise liszts folgendermaßen umbildet:
Diese verzerrten Rhythmen genügen schon allein, den
häßlichen Streit zu malen; den wachsenden Kampfes-
eifer bezeichnen lange Figuren, in denen das Streich-
orchester sich verworren windet, um einstimmig, atemlos
und wuchtig nach der Höhe zu stürzen. Dann beginnt ein
kontrapunktisches Spiel, das den Fortgang des Kampfes
sehr gut veranschaulicht. Das aus dem Burgmotiv ab-
539,
geleitete — soeben angegebene — Streitmotiv wird in
EngfOhnuigen voröbergetührt, an denen alle Stimmen so
teilnehmen, daß wir Viertel auf Viertel schneidige Ak-
zente hören, so als ob Streich anf Streich herniedersanste. .
Die steigende Kampfeshitze malen Streicherfiguren wie
\^_^ kp_ fn oder es tre-
ten wieder
die chroma-
tisch verworrenen Unisono-Gänge dazwischen, die sich dem
Streitmotiv gleich beim ersten Erscheinen anschlössen:
cresc.
An einem Höhepunkt dieser Schilderung erscheint
das Burg- -^ ^ ^ ^ Das sind die froh-
motiv in ^Lk f f fT if f i fl lockenden Verteidi-
folgender ^^ ^ ir-^- ' *^ ' ger- der Angriff
Form: «^ scheint abgeschla-
gen. Da stürmen — und wie der Anfang des Themas
zu schließen erlaubt — vom Moldautale her frische
Scharen an:
i
fi'i"fn°JT^iii r I 'i"°jr^jri|i pff|
JGT
Wie das langsamere Tempo zeigt, wird der Sturm jetzt beson-
nener, kräftiger, wuchtiger geführt. Die Folge hören wir in :
iQariiietteB. Das ist das Burg-
^^'l. f , f^ji I f^^^^:^ Zr it
P "^^ =' sen Klage, einer
Warnung gebracht. Es ist die Stimme des ahnenden,
erschreckten Hausgeistes. Sie spricht zuweilen sehr drmg-
lich, aus offener Gefahr heraus ; aber in der Hauptsache
so freundlich bittend, daß man aus ihr das Lied des
Herolds, der den Frieden verkündet, hören könnte, wenn
nicht die kriegerischen Signale der Trompete uns über-
zeugten, daß der Kampf fortgeht. So treten denn auch
540
die neaen Scharen, die sich unter dem Moldaumotiv ge-
sammelt haben, bald zum letzten Sturm an. Kurz darauf
erscheint das Verteidigermotiv wie in größter Not, in
. kurzen Wiederholungen, die an Hilfe- und Angstgeschrei
gemahnen. Daran knüpft sich ein Zurückgreifen auf den
Anfang des Allegros! Die Motive des Streits und der
Verwirrung tauchen in potenzierter Bedeutung auf und
im selbigen. Augenblick fällt die Entscheidung. Der
Klagegesang, den wir vorhin nur wie eine leise, ver-
einzelte Stimme hörten, kommt (beim Piü mosso, Gdur)
fff vom ganzen Orchester. Wir sind damit in den dritten
Teil des Stücks eingetreten. .Er wird zu einer leiden-
schaftlichen, heißen Siegeshymne. Aber an ihr Ende
reihen sich die Sturmmotive noch einmal; sie haben jetzt
den Charakter von Verwünschungen, klingen äußerst hef-
tig und stechend und führen zu einer in breiten Noten
und auf Tremolos aufbauenden Klage. Das bedeutet den
Fall von Vysehrad, und damit schließt der dritte Teil. Mit
Piü lento setzt der Anhang ein. Er zeigt in leisen Ton-
farben wie >in der Ferne längst vergangner Zeiten« und
wesentlich verkürzt die Bilder, die eben lebendig an uns
vorübergezogen sind. Zunächst knüpft er an den Klage-
hymnus an, dessen Motive er zwischen Dur und Moll
wechseln und schillern läßt, dann führt er das Burgmotiv
in der ernst elegischen Fassung vor, in der es die Kom-
position eröffnete. Sehr schön fügt nun der Koftiponist
diesen ruhigen Betrachtungen noch einige Zeilen aus
glühendem Herzen hinzu. Die Musik wallt auf in langen
Triolengängen und nimmt noch einmal in Schwung und
Begeisterung die Burgmelodie auf. So freut sich das
neue Geschlecht der herrlichen Vergangenheit seines
Volkes und hofft. Darauf wird es still. Leise rauschen
wieder die Wellen der Moldau, wie im Traum klingt
nochmals Rittermusik und Burgmotiv an, und die Harfe
breitet einen Schleier über alle die Szenen aus Vergangen-
heit und Gegenwart.
Wie diese Untersuchung ergibt, ist die ganze Kom-
position nicht bloß sehr klar, sondern auch poetisch reich
--• 541 <^^
entworfen und durchgeführt. In ihrem musikalischen
Wesen spiegelt sich neben dem Einfluß des Volksliedes,
den der Klagesang am deutlichsten zeigt, am stärksten
der von Beethoven wieder.
Das zweite Stück des Zyklus, »Vltavac betitelt, ist f. SneUB«,
vor allen den anderen am frühesten und weitesten be- yiUto.
kannt geworden, obwohl es viel weniger Geist enthält
als z. B. 9Vy§ehrad«. Es verdankt diesen Vorzug seinem
heiter romantischen Charakter und der leicht verständ-
lichen Form, in der es seinen Inhalt entrollt. Dieser
besteht aus einer Reihe von Bildern, die einfach an-
einander gereiht sind; nur einzelne sind durch ein ge-
meinsames musikalisches Motiv verbunden, eine munter
dahingleitende Sechzehntelfigur, die das Spiel der Wellen
in ähnlicher Weise, wie das schon seit Jahrhunderten
geschehen ist, veranschaulichen will. Denn der Gegen-
stand des Programms dieser zweiten sinfonischen Dich-
tung, die >Vltava«, ist die Moldau, der Hauptstrom des
böhmischen Landes.
»Zwei Qaellen — sagt die von der Veilagshandlnng ¥61-
öffentlichte Inhaltsangabe — entspringen im Schatten des B5b-
merwaldes ; die eine warm und sprudelnd, die andere kühl and
rnhig. Die lastig in dem Gestein dahlnraaschenden Wellen
▼ereinigen sich and ergänzen in den Strahlen der Morgensonne.
Der schnell dahineilende Waldbach wird zum Flasse Vltava,
welcher, immer welter darch Böhmens Gaue dahinfließend, za
einem gewaltigen Strom anwächst; er fließt darch dichte Wal-
dungen, in denen das fröhliche Treiben einer Jagd immer niher
hörbar wird and das Waldhorn erschallt, er fließt dnrch wiesen-
reiche Triften and Niederungen, wo unter lastigen Kl&ngen ein
Hochzeitsfest mit Gesang und Tanz gefeiert wird. In der Nacht
belustigen sich die Wald- und Wassernymphen beim Mond-
scheine auf den glinzenden Wellen, In denen sich die vielen
Burgfesten und Schlösser als Zeugen vergangener Herrllehkeit
des Rittertums und des geschwundenen Krlegsruhmi vergange-
ner Zelten abspiegeln. In den Johannlsstromschnellen braust
der Strom, durch die Katarakte sich durchwindend, und bahnt
sich mit Gewalt, mit sch&umenden Wellen den Weg durch die
-^ 542 ^^
Fel8«ii8palte in das breite Flußbett, in welcbem er mit maje-
sAÜscIiei Rohe gegen Prag weiter dahinfließt bewiUkommt vom
altehrwürdigen Tysefarad, worauf er in weiter Feme den Augen
des Dichters entschwindet«
In diesem Programm ist zu dem, was der Komponist
wirklich bietet, einiges hinzugedichtet Smetana hat in
der Partitur selbst über seine Absichten knappe Ausknnft
gegeben: sobald ein neues Tonbildchen eintritt, wird es
durch eine Überschrift vorgestellt Der erste Abschnitt
heifit darnach >der erste Strom«, damit ist gemeint: der
Anfang des Stromes. Folgendes Thema
AUegro commodo noa agitato. ^^^^^
I j) g liegt ihm zu Grunde. Mit
spärlichen und kurzen To-
nen der Harfe und der Violine begleitet, tragen es zuerst die
beiden Flöten vor, denen s\ph von dem Trugschluß auf
G dur ab die Klarinetten gesellen. Ob diese beiden Instru-
mente wirklich auf die Zweiheit der Moldauquellen, die
in dem angeführten Programm betont wird, Bezug haben
sollen, kann bezweifelt werden. Die Tonfarben der beiden
Holzbläser scheiden sich doch nicht wie warm und kalt;
außerdem hat der Komponist ersichtlich an viel mehr
kleine Wässerchen gedacht, die zum Bach und zum Fluß-
chen zusammenlaufen. Es rauscht in vierBläserstimmen,
die Bratsche murmelt ihre langen Triller dazu, es mehrt
sich unermeßlich, als das Streichorchester die Wellen-
motive mit aufnimmt. Die Wasserpoesie Smetanas hat
nicht den träumerisch ruhigen Charakter, der uns an
M. y. Schwinds Melusinenbilder fesselt. Sie nähert sich
dem mnsikalischen Stil von Mendelssohns Hebriden-
Ouvertüre, unterscheidet sich aber von ihr durch die viel
munterere Natur der Motive. Sie stellen die junge Moldau
als ein frisches Gebirgskind dar, das es eilig hat Der
kleine Fluß gleitet allmählich etwas gleichmäßiger dahin,
und dieser Abschnitt seiner Entwickelung wird von einer
r
--♦ 543 ^^
Melodie dargestellt, die, weun sie nicht Volkslied wäre,
zar Hälfte von Mendelssohn .stammen könnte:
f 9} pTf ' f P I r > HoIzWäaer führen diese Mol-
-*=>- s»"— daumelodie, die bereits in
den Sechzehntelmotiv^n des Anfangs vorausklang, mit den
ersten Violinen ein, in den anderen Geigen rauschen die
Wellenmotive stärker und mit kräftigerem Anlauf. In den
Hörnern klingt es frühlingslustig darein. Mächtiger wird
der Schwung dieses Gesanges, als er nach G dur tritt: er
schwillt zum ff an und findet — als träte er in die volle
Sonne und in das blühende, reiche Land hinaus — einen
mächtigen, mit seiner Schönheit ergreifenden und doch
einfachen, im volkstümlichen Stil bleibenden Abschluß
in Edur. Merkwürdig, wie dieses Dur einschlägt, obwohl
Smetana das gis nur streift und zum g zurückkehrt.
Dem nächsten Abschnitt hat Smetana die Aufschrift
»Waldjagd« gegeben. Daß er am Strom weiter spielt,
hören wir aus den Geigen, in denen die Wassermotive
fortgeführt werden. Die Bläser aber, natürlich die
Hörner voran, entwickeln eine neue Musik aus Fanfaren.
Das neue Bild bringt in die Komposition ein kräftiges
Leben, das zu der vorhergegangenen Wasserstimmung
iLTk sich schon eine Steigerung bildet, aber durch die
Entwickelung der Jagdthemen, die auf folgendes Motiv
jmmfmm s^v zurückgeheu, noch viel
i[| Ji 3j jTjj I f^Ji =S| mächtiger wirkt. Denn
ff" f» 41 Hl ' A 1 i.=^ Smetana führt sie in den
^ scharfen Wendungen der
Modulation von Periode zu Periode, (von 0 nach 0, nach
Ff nach Ej, die uns allen aus dem ersten Satz von Beet-
hovens Pastorale in Erinnerung sind. Es ist das wieder
eine Stelle, die den böhmischen Komponisten in Beet-
hoven tief eingedrungen und von seinem inneren Wesen
gefördert und geleitet zeigt. Die Jagdszene verklingt auf
544 ♦—
einem langen Edurakkord wie in weiter Ferne, und nun
kommt »die Bauernhochzeit«, die vielleicht unter den
kleinen Bildern, aus denen >Yltava« besteht, am meisten
bestrickt Diese Musik, deren Grundstoff auf d^n vier
Takten
ruht, könnte unmittelbar aus einer der Opern Smetanas
genommen sein, Es ist eine polkaartige Tanzweise, ein
Stück Volksmusik, wie es in seiner naiven Anmut und
mit dem kleinen Beisatz von Derbheit bei den Böhmen
allein vorkommt Liebenswürdigere Kunst, als sie in
dieser kleinen Dorfszene vorliegt, gibt es nicht; gern
trägt man so ein Stückchen für alle Fälle mit sich durchs
Leben. Auch dieser Satz verklingt ganz leise; wieder
schiebt der Komponist eine kleine Leiste ein. und da-
hinter zieht er das nächste Bild auf mit der Überschrift
»Mondschein, Nymphenreigen«. Es ist mit der Wasser-
szene, die die Komposition einleitet, nahe verwandt, wie
es denn auch am Schluß in die Moldaumelodie ausläuft, die
die zweite Hälfte jenes Ab- uq.
sohnitts bildet. Bis dahin rAtiib» =jgHBPj h .
entwickelt sich die Musikauf#^ L^J P ^
Grund eines Naturmotivs 2.fi.
das bald in folgender bestimmteren thematischen Form
■BüHB PFP! rt^HLh__ ^^^ ^^° Flöten
^b'l>» jTp ^ ■ ^ ' iTf r r "1 durchgeführt wir 1.
^ ^— -^ ' *"*iW p Die Klarinetten be-
gleiten in sanften Triolen, die Violinen hauchen einen
breiten Gesang in die zarte Farbenstndie hinein, auch die
Harfe macht sich mit glänzenden Klangtropfen bemerk-
lich. Soviel das Mondlicht auch wechselt: immer bleibt
das Spiel unverändert zierlich, die Bewegung der Nymphen
fein bis zum Unerkennbaren. Die Dynamik des ganzen
Abschnitts hält sich im pp; nur an einer Stelle, wo die
_-^ 545 «^
Mtisik nach Hdur tritt, kommt em crescendo, das dezent
nach einem p und in die Wassennnsik des ersten Ab-
schnitts von »Vltava« zurückführt. Schon aus dieser
Wendung läßt sich vermuten, daß der Komposition die
Rondoform zu Grunde liegt. Das Moldaulied ist ihr
Hauptsatz, die anderen Ideen haben die Bedeutung von
Episoden, Zwischensätzen. An den Abschluß des Lieds
reiht sich ein neuer Abschnitt, den Smetana >St. Johann-
Stromschnellen« überschrieben hat. Die Gewalt des
Wassers, das Toben, Wü- -jhr-^^^^^-rz i 0 r n
ten des Elements ist auf -ffl " jT^zJ [cfrf^^^^^
Grund folgender Motive jf— ===^ ""^^ ^^^
_ j Hj II Ml T II II veranschaulicht, die
'^"^ ^S "itjjjjlM >' "jja "-^ von den Geigen bis
jUr""^^^ ^ zu den Cellis durch
das Streichorchester unaufhörlich erklingen. Ruht die eine
Stimme auf einer Achtelpause, rauschts in einer anderen.
Die Kontrabässe spielen mit immer gleichem Eifer wieder
nndwieder k . ^^ jT^m ia» ß^^ i*^ *^^
die wuch--yPn4|J J) iy* I [■ P r P rr iMotiven der
tige Figur " Moldaunielo-
die gebildet, dj,e auch während der ganzen wilden, rea-
listisch aufregenden Szene in leibhaftigen Bruchstücken
in den Bläsern anklingt Auch in anderen kurzen Mo-
tiven und sprechenden Klängen äußert sich Hilfe- und
Angstgeschrei und verzweifelte Verlegenheit. Endlich
-(nach einem fff des vollen Orchesters) ist die böse Stelle
Überwunden. Ein decrescendo und ein crescendo der
Geigen — und nach wenigen Takten sind wir wieder
beim Hauptsatz des Rondos, bei der Moldaumelodie,
die im glänzenden Edur mit der Oberschrift: >Der
breiteste Strom« einsetzt und drängend, wie zum Aus-
druck freudigster Erregung, varriiert wird. Ihr folgt
als der letzte Abschnitt, als Schluß der Komposition
ein in Edur gehaltener, zu zwei Dritteln auf dem
Akkord der Tonica liegender Satz, der das VySdirad-
motiv in breiten Rhythmen zum Thema nimmt und in
der Art der Weberschen Jubelouvertüre umspielt. Die
Krot r.Bch in tr, Führer. I, 1. JIÖ
-^ 646 4—
Moldau fließt ja an Prag und an der alten Fürstenburg
Yorbei.
p. gMcUsa, Wenn die dritte Nummer des Zyklus,» 8 ärka«, wenig
§drka bekannt geworden ist, ja es noch nicht einmal zu einer
gedruckten Partitur gebracht hat, so liegt der Grund in
der Komposition. Sie ist wohl dramatisch geplant, aber
sie bleibt zu vorwiegend hart und grausam, und was die
Hauptsache: in der musikalischen Erfindung ist sie mit
Ausnahme von zwei Stellen nur mäßig gut und ohne
die Reize der Volkstümlichkeit Das Programm — viel-
leicht aufgedrungen — scheint Smetana nicht erwärmt
zu haben.
Dlika, nach deren Nameu auch ein f al im Norden Ton Prag
benannt lat, var eine der Anführerinnen in dem langen Krieg,
den die böhmischen Jungfiranen unter dem Oberbefehl der von
Karl Egon Ebert besongnen Wlasta gegen die M&nner dea Landes
führten. Der Bitter Gtirad findet sie im Walde an einen Baum
gebanden und löst, die List nicht merkend, mitleidig der Tod-
feindin die Fesseln, führt sie in sein Lager und feiert mit den
Genossen den Liebesraab. Als aber die Bitterschar trunken in
Schlaf gefallen ist, mft Sarka die Amazonen herbei, und Otirad
>idrd mit den Seinen niedergemacht ^
Der erste Abschnitt der sinfonischen Dichtung schil-
dert Krieg und Kämpfe auf Grund des Themas:
AU«gro eoa ftiooo.
jihP^I^^^^^
JffV
sehr energisch, an einer Stelle dramatisch aufregend. Es
ist da, wo den Fluß der wilden Triolengänge plötzlich
die stok-
kenden friiji^' * P ^^^^^^^i\^Ün
Rhythmen V • • ^ .
unterbrechen« Deuten sie auf einen ungeheuren Eni-
Schluß, auf das Wagnis, zu dem Särka bestimmt wird?
Noch eine andere Stelle fällt durch ihre Weichheit aus
dem Ton dieser Amazonenmusik:
647
P
Soll in ihr des Weibes eigentliches Wesen die Amazonen;
roaske durchbrechen? Der zweite Abschnitt ist eine Marsch-
mnsik, die auf das folgende liebenswürdige Thema gestelltist :
_. - . Mit ihm
g" JXJX^^ (^i ' Ji J J7^ l ^ Smetana
S* die Rit-
ter als gutmütige, sorglose Leute; etwas fester treten
sie in den Bläsermotiven fi J i ■ - i ! i
auf, welche mit dieser Gei- ^ ü f t ■ ^ M p |^ J I
genstelle zusammengehen: ^ ^
Diese Rittermnsik, die den ersten von den musikalisch
glücklicheren Abschnitten in >§ärka« bildet, erhält plötz-
lich durch eine klagende Melodie der Klarinette einen
Gegensatz. Wir haben uns darin die Stimme der an dem
Baum hängenden äärka zu denken. Endlich wird sie von
den Rittern entdeckt. Der Marsch pocht viermal ff und
mit Nonenakkorden i— ^ i Dann folgt ein Dialog zwi-
auf dem Rhythmus #• • J sehen Klarinette (Särka) und
Cello (Gtirad) in beweglichen Rezitativen und ihm der
dritte Abschnitt. Er ist ein Adursatz, über das Thema
^ModerMo ma co^cilore. ^^— 1<^ ^,^ gebildet,
den wir
als Lie-
besszene zu denken haben und der am Schluß große Ge-
fühlswärme entwickelt Das Gelage der Ritter löst ihn ab.
Diese Szene, die von Hörnern, Trompeten und Posaunen
ziemlich tumultuarisch eingeleitet und in ihrem Charakter
bezeichnet wird, ruht musikalisch wesentlich auf rhyth-
mischer Wirkung und erinnert hierin, sowie in der Ge-
staltung ihres Grundmotivs sehr lebhaft an eine der
besten Szenen in Smetanas »Kuß«. Hier ist die Figur
Moflenio. ^ die mit der
tjjnfp ifpf- ^'^"^^^t . T . nL Entschie-
' •' r ^»1 1 *- .r r \ rP r I I r T^ denheit. di
denheit, die
•*c- die böhmi-
36*
^
— ^ 548 6^
sehe Volksmusik auszeichnet, aufpocht und aufschlägt. Der
eindringliche Charakter des Motivs an sich stellt diesen
Abschnitt von 6ärka unter die eindringlicheren und mu-
sikalisch wertvolleren. In der Ausführung bietet er nichts
Bemerkenswertes. Ein diminuendo und ein pp veran-
schaulichen, wie die Ritter müde werden und schlafen.
Da klingt erst laut, dann leise ein Homruf: die Geigen
malen mit tremolierenden und dissonierenden Akkorden
Erregung. Wir sind in den Schlußabschnitt eingetreten.
Die Amazonenmusik aus dem Anfang der Komposition
kehrt wieder, zunächst allerdings nur leise und zGgemd
wie aus der Seele der schwankend gewordenen Sarka
heraus; dann aber wilder und wilder, zuletzt wie ein
Siegesrausch. Als es zu Ende geht, versuchen sich die
Gestalten der Ritter noch einmal in rezitativartigen
' Baßstellen zu erheben. Aber gnadenlos fegt der wilde
Sturm Über sie dahin.
p.SBeUHs, Das vierte Stück des Zyklus, »Aus Böhmens
Aus Böhmens HaihundFlur«(Z oesk^ch luhüv a häjüv), nähert sich
Hain und Flor, j^ Charakter etwas der Dichtung über die Moldau. Es
ist eine Naturschilderung, ein musikalischer Spazier-
gang durch das gesegnete Land an einem schönen
Sommertage. Die Komposition, die als frei variiertes
Rondo angelegt ist, zeigt im allgemeinen, und im be-
sondren in der Umbildung und Ausnutzung der lei-
tenden Motive große Kunst. Am glücklichsten ist sie in
den Teilen, wo ausgesprochnermaßen Volksmusik ange-
stimmt wird.
Ober den Inhalt der ersten Abschnitte dieser sinfo-
nischen Dichtung hat Smetana selbst sich dem obenge-
nannten Zelen^ gegenüber geäußert*). Damach soll der
Eingang den mächtigen Eindruck darstellen, der den
Wandrer beim Eintritt in die Landschaft erfaßt Ohne
diese Erklärung würde man die Musik dieses Eingangs
kaum im Sinne des Komponisten verstehen. Sie be-
ginnt*mit:
*) Wellek A. a. 0. S. 60.
J
549
MoluTteodarato. JiftS
jütl 4 m^hrWf \f^r^\fj?f IgifT^'lp^ •
^O -B----'
•* JIJ f^J j J J U^ ^® ^^® Umdrehungen eines großen
MSJLtf 5-^^ Mühlrads, von dem das Wasser
schallend herabrieselt Sämtliche
Streichinstrumente, die Kontrabässe eingeschlossen, sind
in dieser Sechzehntelbewegung begriffen, ebenso der ganze
Chor der Holzbläser, die Hörner, Posaunen und Trom-
peten geben Glanz und Strahlen drein. Gedacht bat der
Komponist an die berauschende Wirkung, dfe ein großes
Landschaftsbild, von der Sonne beleuchtet, von eine^
schönen Punkte aus erblickt, auf ein empfängliches Ge-
müt üben kann. Darum wühlt seine Musik mit soviel
Klang, so nachdrücklich und mit der Beharrlichkeit, die
Smetana bei Tonmalereien häufig liebt, auf demselben
klemen kreisenden Motiv. Während in der ersten Hälfte
der Satz doch noch mit den Harmonien wechselt, die
Lichter vermindert' und verstärkt — einmal bis zu einem
Nonenakkord auf J. — , liegt in dem Schlußteil der GmoU-
Dreiklang 27 Takte lang fest, von fff zum pp abschwel-
lend. Als es stille geworden ist, erhebt sich endlich
über diesem Farben rausch ein Gedanke. Die Klarinetten
haben ihn aus dem Sechzehntelmotiv entwickelt und
sprechen in dem Augenblick, wo das Bild entschwindet, Be-
hagen und Dankbarkeit über die genossene Schönheit aus:
Ober den an diesen kurzen gemütvollen Gesang sich
mnmittelbar anschließenden zweiten Abschnitt in Gdur
hat Smetana bemerkt: er gleiche dem Spaziergang eines
naiven Dorfmädchens. Sein Thema
560
löst den letzten Drack, den die pathetische Pracht des
Eingangs in der Seele des Hörers etwa zurückgelassen
hat Zu der kindlichen Fröhlichkeit, die mit ihm in der
Oboe laut wird, tragen die Flöten Elemente der Ausge-
lassenheit hinzu. Sie kontrapunktieren das hübsche
Sommerliedchen mit Figuren, die aus den Motiven des
ersten Abschnitts geformt sind. Da das Sommerliedchen
selbst aus der gleichen Quelle hervorgegangen ist, stehen
wir also an dieser btelle vor einem Beweis von Stoffbe-
herrschung und einheitlicher Gedankenkraft, der dem
Komponisten Ehre genug macht. Auch dieses zweite
Bild versinkt' langsam und wird, wie es Smetana in die-
sen sinfonischen Dichtungen so häufig tut, durch eine
Pause, also sehr schar/ und mit deutlichster Benach-
richtigung des Zuhörers von dem folgenden getrennt.
Dieser folgende dritte Abschnitt der Komposition ist ein
Fugato über das Thema
Allegro poeo vIvd. J s 188
Es steigt von dem hier angegebenen Ende immer noch
höher, erinnert damit an eine Stelle im Wagners »Sieg-
friede, wo die Violine ebenfalls in die letzten Lagen
klettert und zwar in dem Augenblick, wo der Held sich
zur Ausschau auf den Brünhildenfelsen begibt. Smetana
hat hier andre malerische Absichten. Die Szene soll an
die Mittagszeit, an die Stunde erinnern, wo die Sonne am
höchsten steht, wo Pan schläft. Daher die hohen Klänge,
das Glitzern und Trillern, die wirre Beweglichkeit,' mit der
ab und zu eine Totenstille tauscht Daß es des Tonsetzers
Absicht war, einzelne Züge aus dem eigentümlichen Leben,
das die Natur um Sommermittagszeit führt, in das Bild
hineinzubringen, hat er selbst mitgeteilt: mit dem Motiv
--^ 551 «—
sollte das Zwitschern der Vögel
^S dargestellt werden. Aus dem
Zwitschermotiv und seinen Um-
bildungen, aus dem Fngatothema oder Bruchstücken von
ihm windet das Streichorchester noch lange mannig-
fache und verschlungne Gewinde, während die Bläser,
voran Klarinetten und Hörner, längst zu einem neuen
Thema übergegangen sind, das nach Form und Cha-
rakter in den böhmischen Choralschatz passen würde
und unter dessen Klängen man sich gut eine fromm da-
hinschreitende WaUfahrerschar denken kann. Es kommt
erst in Fdur, dann in Desdur. Dazwischen liegt eine
neue Schicht des Fugato, das auch weiterhin fortspielt,
während der Choral schweigt, bis er endlich vom vollen
Orchester in A dur aufgenommen wird und mächtig und
glänzend wie im Krönungszug daherbraust. Kaum läßt
sich der Gedanke abweisen, daß Smetana mit diesem
Tonbild dem frommen kirchlichen Sinn seiner Landsleute
hat ein Denkmal setzen wollen. Daß das Thema auch
im weitren Verlauf der Komposition wiederkehrt, bezeugt
seine poetische Bedeutung. In dem Adur-Satz jedoch,
den es so glänzend beherrscht, wird es jählings durch
einen Ausbruch unbekümmertster Lebenslust unterbrochen :
^ in^ii. Er setzt einmal,
Kn^^ST^ü^KU^ zweimal wie Verl
^,___^ schüchtert wie-
•^ ■ "*^ ^^^ der ein; jedes-
mal drängt sich die übermütige Tanzweise wieder da-
zwischen. Sie behauptet auch den Platz, und nun
entwirft Smetana auf Grund dieses Themas und in der
Form einer wuchtigen und doch beweglichen böhmischen
Polka eine jener Schilderungen herzhafter Weltlust, die
er als Sohn seiner Heimat stark liebt und mit größter
Meisterschaft beherrscht. So verwegen diese Tanzszene un-
mittelbar in die frommen und kirchlichen Klänge herein-
bricht, so schön und sinnig ist sie ^ i /r\ ^r^
durchgeführt. In der Mitte steht ff i^'S f P I f' B I f-Tlt I
eine Idylle, die von dem Thema ^ ~ p^^' '-^ .L^zl^'
-^ 552 %^
getragen wird. Auch diese ruhige Weise ist von dem
Sechzehnteimotiv abgeleitet, das den Grandstock der
Eingangsmusik der Nummer bildet. Ebenso ist aber mit
diesem Motiv das Polkathema verwandt, das während
der Idylle immer leise weiterspielt. Wir haben es hier
also mit demselben Fall kunstvoller Arbeit zu tun, der
uns bei dem 6 dur- Abschnitt im ersten Teil unsrer Num-
mer entgegentrat. Das Thema der Idylle wird nun die
Hauptfigur der Komposition, die Bilder, die sich darum
entwickeln, sind ihre Hauptsätze. In der Fortsetzung der
Tanzszene kommt es zunächst noch in einem Gdur-Satze
vom Polkathema begleitet, dann aber in einem zweiten
Gdur-Satze (Piü mosso) selbständig und im Charakter
etwas verwandelt : heißblütiger. Da unterbricht der Wall-
fahrtsgesang noch einmal leise und in fremder Tonart
(Aädur) ohne weitren Einfluß. Eme rauschende Coda bildet
den Schluß und gibt Gefühle der Freude kund. Ihre Motive
nimmt sie aus kurzen Anklängen an das Eingangsmotiv;
ganz zuletzt kommt es in einer grandiosen Umbildung
Presio.^^^ jafc ^ ^ i s*- ^i
./27" •••■11 ' ^—
noch einmal gewissermaßen in eine lapidare Formel die
Eindrücke des Tages zusammenfassend.
F. SmetoBa, Die fünfte Nummer von Smetanas böhmischen Na-
Tabor. tionalfantasien, »Tabor«, ist wieder wie VySehrad und
äärka ein musikalisches Geschichtsgemälde; es hängt als
solches eng mit dem folgenden Stück, mit »Blanik« zu-
sammen. Beide sind sehr charaktervolle Kompositionen
und kehren den Ausdruck der trotzigen Kraft hervor.
Jedermann weiß von den Taboriten, von Tabor, von
ihrem Ziska und von ihrem Trutz- und Kampflied, dem
Choral: »Die Ihr seid die Kämpfer Gottes« >Kdoi jste
boif bojovnid«), der für die Hussitenkriege eine ähnliche
Bedeutung hat, wie für die Reformation Luthers »Ein'
feste Burg ist unser Gott<.
Smetana gibt in seiner Komposition ein Bild aus der
hussitischen Bewegung, und er tut das in der Form einer
_^ 558 0^-
Choral bearbeituugj die nicht in allen Teilen gleich wert-
voll, doch nirgends die Würde und den künstlerischen
Ernst vermissen läßt und an einzelnen Stellen sich zu
einer außerordentlichen Höhe des Ausdrucks und der
Wirkung erhebt. Die Choralbearheitang hat nicht etwa
die strenge Form, die wir von altern Orgekneistern ge-
winnt sind, sondern sie ist mehr als eine freie und ela-
stische Fantasie gehalten, bei der der Choral nur an wich-
tigen Punkten in seiner vollen Gestalt erscheint, an an-
dren nur mit einzelnen Gliedern benutzt wird. Im ersten
Abschnitt (Lento, Vs) Dmoll) schildert der Komponist,
wie sich die Bewegung im Lande vorbereitet und- ent-
wickelt. Ein langer Orgelpunkt auf tiefem 2>, chromatische
Motive in tiefen Bläsern deuten auf Gären und heimliche,
düstre Unruhe in den Gemütern, ß
Drohend klingt dazu aus den Hör- I4i^fl J J J J ^
nern das Anfangsmotiv des Chorals
und sein kraft- j lm' , i 'T ?^ '**' wandert durch das
vollstes fana- ^"^B J I # J ^= ganze Orchester,
tisches Glied: jB^ wie ein Signal der
Empörung, das von Ort zu Ort durchs Land geht, die Geister
in Bewegung zu setzen, die Scharen zu sammeln." Auch
die weibliche Stimme der Milde, des Grebets, der Glaubens-
zuversicht läßt sich dazwischen hinein vernehmen:
Ji |i Jj Ij I M I I I I j^i y I 1 I
Aber sie entfacht nur den endlichen Ausbruch des Sturms,
der sich in Skalen figuren äußert, die hoheitsvoll durch
zwei Oktaven schreiten und uns zu dem Punkte führen,
wo der Bund der Genossen auf Tod und Krieg geschlos-
sen und zum ersten Mal das Trutzlied angestimmt wird.
» ^,. , I .w- - I M II Es ist nur die erste Hälfte
nfc r IptjppH^^. ^,^^ ^^^^ ^^^ ^^^^ .^ .jj^
«r» «^ «f2:-= gj^^ Vorder- und Nachsatz
— ♦ 554 «^
dramatisch getrennt. Abermals kommt die weiche Ge-
betsmelodie — die ständig in den Holzbläsern liegt —
dazwischen, ihr folgt die Fortsetzung und der Abschluß
des Chorals mit
Nun gibt Smetana in einer Reihe von lebhaften
Sätzen, die alle ein Molto vivace vorgeschrieben und als
thematische Hauptunterlage das aus dem dritten und
vierten Takte des letzten Beispiels bestehende Motiv ha-
ben und in ein Piü mosso auslaufen, das Bild eines im
Kämpfen aufgehenden starken, gewaltigen Geschlechts.
Der Kampf wird in vielen Wendungen vorgeführt: etwas
kleinlaut beginnt er, nimmt aber bald den Charakter ent-
schiedner, rücksichtsloser Entschlossenheit an. In den
Bläsern stehen gewissermaßen die Taten, in den Violinen
die Stimmungen: die Erregung, das Treiben und Schüren.
Der Kampf hat seine stürmischen und hitzigen, seine ver-
wickelten, auch seine müden und verlegnen Augenblicke,
längre Zeiten der Gefahr und des Unterdrücktseins, wo die
Instruihente nur auf Rhythmen leise ^^
stöhnen und stammeln. Der Wille ist fe^ j 1 J j r j =.
nicht gebrochen, das Terzenmotiv:
hört nicht auf anzufeuern, und im Piü mosso kommt es
zu .einem neuen und letzten Ansturm von furchtbarer
Gewalt mit frischen endlosen Scharen. Seinen Erfolg
erzählt das Lento maestoso p/j), in dem der Choral als
heißes Dankgebet im Jnbelrausch zum Himmel klingt
Ein schließendes Piü animato fügt nochmals drohend und
in finstrer Kraft das Glaubensbekenntnis daran, wirft
einen Rückblick auf das Vollbrachte, in dem wohl still
auch der geopferten Genossen gedacht ist. Dann sprechen
die Führer aus dem Munde der Bässe noch ein stolzes
und rühmendes, anfeuerndes Wort, und herrisch, zuver-
sichtlich und begeistert antworten die Scharen.
In ihrer harten, gedrungenen Kraft erinnert diese
Komposition über den Taboritenchoral an altes Römer-
-^ 555 «^
Yolk und Nibelungenlied; aus der gleichzeitigen Musik
wäre ihr außer R. Wagners »Walkürenritt« allenfalls noch
die eine oder andre Stelle aus R. Volkmanns DmoU-Sin-
fonie an die Seite zu stellen. Unter den Dichtem, die
mit Smetana lebten, findet sich eine verwandte Natur
in Fr. Hebbel, unter den bildenden Künstlern keine.
»Blanfk«, die letzte, sechäte Nummer des Zyklus, F.SmetMii,
verbindet die zweite Folge der vaterländischen Tondich- Bianlit.
tungen Smetanas mit der ersten poetisch und musika-
lisch. Es verschmilzt schließlch die Motive der Taboriten
und der alten böhmischen Fürstenburg, und es ist auch
in seiner dichterischen Bedeutung das Gegenbild zu
Vysehrad: es umschließt ebenfalls versunkene oder schlum-
mernde Herrlichkeit und Größe, es ist die Stätte stolzer
nationaler Erinnerungen. Blanik heißt ein bei Tabor
gelegner Berg, der dem Salzburger Untersöerg oder dem
Kyffhäuser der Deutschen ungefähr entspricht. Hierher
zogen sich einst die Helden der Hussitenkriege zurück
und warten der Zeit, da die Träume von der Wenzela-
krone in Erfüllung gehen, wie Barbarossa gewartet hat.
Smetana empföngt uns in seiner Komposition mit
einem Allegro moderato («/s, D moU), in dessen ersten Tak-
ten der Kampfchoral in aller Herbheit nochmals anklingt,
das aber bald zu einer freudigeren und heiteren Schil-
derung jener kraftvollen Hussitenzeit übergeht. Es klingt
darin wie von flotten Reilerscharen, und das Taboriten-
mötiv tönt, aller seiner Schrecken entkleidet, frisch und
freundlich -dazwischen. Nur am Ende, das Smetana, wie
so oft, etwas lange hinausschiebt, wird der Ton etwas
düster. Das Thema, welches dieseih ersten Teil von
>BlanÜL« zu Grunde liegt
AllegTO Biodoi&to. Js 72 ^,
steht mit der Originalfassung der ersten Strophe des
Taboritenchorals im Zusammenhang. Smetana liebt es,
die einzelnen Gruppen in seinen Tongemälden scharf
556 ♦—
abzugrenzen und zu sondern. So läßt er auch das
Bildchen, das er hier von dem Lebensabend der alten
Taborhelden entworfen hat, im Dunkel verschwinden, ehe
er weiter geht. Die Audanto no« troppo. _sr
zweite Szene beginnt ji,., t Jf-'^—^^i] i ^^M^
(Andante non troppo) w*^" /.•^Ife»'^ Ifai — 1
mit folgenden Takten » ^^ ' ^ -^ *!^
sehnsuchtsvoll und elegisch. Es ist als wenn ein Wanderer
an den Berg herantretend im patriotischen Schmerz der alten
großen Zeiten seines Landes und ihrer Männer gedächte.
Schnell aber verscheucht die Gegenwart alle Beklemmung:
er findet am Berg ein Idyll: Herden und Hirten, die sich im
Tonspiel ergötzen: Smetana läßt uns einen Kanon hören,
der zunächst zwischen Oboe und Hom, später zwischen
Oboe und Klarinette läuft und folgendermaßen beginnt:
PiüanegTo.J.76 Seine immer
muntrer wer-
denden Melo-
dien begleiten
erst lediglich Blasinstrumente, dann legen ihnen die
Geigen träumerisch einen langen, leisen Fdurakkord unter.
Aus diesem Frieden reißt ein Piü mosso. Wir sind auf
den Abschnitt in gewohnter Weise allerdings etwas vor-
bereitet worden durch em diminuendo. Nun fangen die
Geigen an zu tremolieren, dann heftige Figuren auszu«
stoßen; in Vorhalten, in Dissonanzen, in fassungslosen
Rhythmen spricht sich höchste Aufregung aus, und nach
dem gewaltigen Anlauf setzt nun der neue Hauptsatz mit:
^^' '''''''ULuiJu llJiU 'J
ein. Er gibt ein Bild des Irrens und der Ratlosig-
keit, die auf Augenblicke in Verzweiflung übergehen
will. Schon bald erheben sich dagegen Regungen der
Zuversicht; in Hörnern und Klarinetten hören wir
--♦ 567 V-
^ 1. --_ .--^1 -■ 1.^^=^^,— -. Endlich dringt die
in^^ jj- J^ 1^^ J J» J^T-f — freundliche, zuver-
^' P-^s»- »— «r=»:-J sichtliche Schluß-
zeile des Tahoritenchorals durch, und von seinem Ende
wird ein Marsch
jfiiijjiJJJ JJIJ JJ J1I
abgeleitet und mit ihm verbunden, der die Erinnerung zu
den alten Helden zurückführt, die im Berge schlummern,
und ihr kräftiges Wesen, ähnlich wie der Anfang der
Komposition, das Allegro moderato, aufleben läßt. Und
bald ist es auch, als wenn sie leibhaftig wieder daständen.
Mit dem Grandioso (D dur] kehren wir in den glänzendsten
Teil der fünften Nummer des Zyklus, in das Tongemälde
über «Tabor«, zurück. Noch einmal wird die Stimmung
wieder etwas trübe: es tritt wieder Dmoll und eine Durch-
führung des in der Stimmung etwas zwiespältigen Motivs,
ein. Wieder wird sie durch das Choralthema überwunden.
Das Grandioso kehrt zurück und führt zu einem Larga-
mento maestoso (D dur, s/s) und zum Burgmotiv aus Vy-
sehrad. So reichen sich Ende und Anfang des Zyklus
die Hand. Der Tondichter schließt mit der begeisterten
Mahnung an seine Landsleute, der großen Zeiten ihrer
Geschichte, der Zeiten von Vysehrad und Tabor immer
zu gedenken.
Die vaterländischen Kompositionen Smetanas haben
für Anton Dvofak, das reichste böhmische Musiktalent,
den Weg gebahnt, sie haben ihm die Anregung zu seinen
>Slavischen Tänzen« gegeben, für seine »Slavischen Rhap-
sodien« auch die Form. Von der internationalen Strömung
der gegenwärtigen Musik, oder besser gesagt, von dem
immer noch fortwirkenden gewaltigen Geist des acht-
zehnten Jahrhunderts ergriffen, ist Dvofak jedoch bald
von den Exakten zu den Philosophen übergelaufen, ist
568-
unter die Sinfoniker gegangen ^ hat unter den neuen
Vertretern der Beethoyenschen Methode sich heute einen
ersten Platz errungen und dabei in seinen Sinfonien, so
gut es ging, immer noch f&r böhmisches Wesen und
böhmische Alnsik Zeugnis abgelegt und gewirkt.
A.DTofakf Der ausgesprochen nationale Satz in seiner ersten,
I) dnr-Sinfonie. seiner D dur-Sinfonie (op. 60) ist das Scherzo. Es unter-
scheidet sich in Form und Charakter kaum von den be-
kannten und bedeutenden »Slavischen Tänzen« dieses
Komponisten und soll wohl auch durch den überschrie*
benen Xitel: »Furiant« dieser Gattung zugewiesen wer-
den. Ein wildes Blut rollt in diesem Satze; zu der Frische,
mit welcher sein Hauptthema hereinst&rzt, gesellt sich
auch ein querköpfiges Element, eine eigensinnige Aus-
gelassenheit, die in einem aus Beethovens vierter Sin-
fonie bekannten Wechsel von Zweiviertel- und Dreiviertel-
takt und in den dissonierenden Vorhaltsnoten deutlich
zum Ausdruck gelangt:
Prosto.
^ pj^^ . ^^-N. ,.— ^ Der Hauptsatz ist nur
?*'r P% |f tTf |f t*r=^=f= sehr kurz, der Mittel-
^ «i«. satz dagegen im Beet-
hovenschen Stile breit ausgeführt und mit einem neuen
Thema bereichert. Es ist folgendes:
••|"iT' iiTfnriii~" r iTiiuirrrr I
Das hier mit 6] bezeichnete Schlußglied ist dasjenige,
welches in der jetzt beginnenden Durchführung beider
Themen bevorzugt wird. Die im Anfangsteile der neuen
Melodie liegenden weicheren Elemente bleiben im Hinter-
ftrunde. Das Trio dieses Scherzo entwickelt sich in seinem
ersteu Teile ziemlich zögernd: Sein Thema baut sich stfick-
weise auf und schließt fragend tmd unentschieden:
Ueno Botso. .
Oh-.-. Fl.
Der Klang des Piccolo bringt darin das national slavische
Element sehr drastisch zur Geltung. Von der zweiten
Hälfte des ersten Teils und durch den anderen Teil des
Trios regt sichs dann freundlicher: durch die Bläser und
die Celli streifen ruhige Gänge, die nach Melodie zu
suchen scheinen. Einen ausgesprochenen wirklichen Ge-
sangton vermeidet der Komponist, der in seinem Scherzo
weniger einen heiteren Satz, als ein musikalisches Cha-
rakterbild geben wollte: das Gemälde einer mit unwirschen
Elementen kämpfenden Fröhlichkeit. Das Scherzo ist in
der Form der einfachste und übersichtlichste Satz der
Dvo^akschen Sinfonie. Die anderen Sätze stellen in be-
treff der Gedankenentwicklung und der durch sie bedingten
Form dem Zuhörer durchschnittlich schwere Aufgaben,
und es scheint uns durchaus nicht ein bloßer Zufall zu
sein, wenn das Publikum dieser Sinfonie etwas kühl
gegenübersteht. Namentlich durch den ersten Satz und
durch das Finale geht ein unsteter Zug. Die Phantasie
hat die Menge der Gesichte nicht bewältigt; die Ideen
durchkreuzen und verdrängen einander, die Episoden ver-
gewaltigen die Hauptgedanken, und die ganze Darstellung
macht das Folgen und Verstehen zu einer harten Arbeit.
Der erste Satz hat in seiner Themen gnippe nicht weni-
ger als sechs verschiedene Ideen, welche um die Führung
ringen. Die •> AUogra. ^,*-^ ^ *i^^
wichtigsten ^|H J ir'M IM l' I^Jjll
davon smd: ** = •=*- ^
Diese vier Takte bilden die vordere Hälfte des Haupt-
thema, dessen ersten Abschluß bereits bedeutend hinaus-
geschoben wird. Nach einer etwas stürmischen Unter-
brechung im beschleunigten Tempo kehrt das Thema
im glänzenden Forteklang, aber nur auf einen flüchti-
560
gen Augeublick zurück. Vor dem Eintritt des zweiten
Thema passieren wir noch eine Reihe von Nebenmo-
tiven, aus denen das folgende als das für die Satzent-
wicklung wich-
tigste hervor-:
zuheben ist : "^«^ • Fist«
Das zweite Thema (in Hdur gestellt) gelangt zu keiner
Bedeutung, dagegen nimmt der ihm folgende Nachsatz:
im Ideenkreise des Ällegro eine hervorragende Stellung
ein. Der ganze Satz gewährt das Bild einer um freund*
liehe Ziele kämpfenden Stimmung und enthält in seinen
heiteren Partien eine Menge liebenswürdiger Züge, blüh-
ende musikalische Einfälle pastoralen und idyllischen
Charakters. In ihnen ist ein leichter Einfluß Schuberts
zu bemerken, während für die pathetischen Exkurse, die
den weniger gelungenen Teil des Satzes bilden, Beethoven
und noch mehr Brahms augenscheinlich zum Muster ge-
dient haben.
Das Adagio (Bdur, s/4) wird von folgendem Haupt-
gedanken beherrscht:
Adario.
Als zweites Thema folgt ihm ein schwärmerisch zart«
lieber Gesang:
vioi.
ir[ii 'fTj\
dessen Einführung durch eine
kurze selbständige Episode, von
freudigem Aufschwung beherrscht, wunderschön ver-
mittelt wird. Der ganze Plan des Satzes ist noch leicht
zu übersehen: Nach dem Abschluß des Seitenthemas
repetiert die Hauptmelodie, und die eben erwähnte Epi-
561
sode leitet zu einer kurzen Durchführung über. Letztere
setzt mit leidenschaftlicher Bewegung ein, geht aber sehr
bald in den milden träumerischen Ton über, der. dem
ganzen Adagio seinen Charakter gibt. Auch durch seine
melodischen und modulatorischen Wendungen erweist es
die Verwandtschaft mit dem langsamen Satze von Beet-
hovens Neunter. Im Finale seiner Sinfonie steht Dvohik
wieder auf dem Boden, auf welchem seine dichterische
Kraft das Eigenartigste und Beste gibt. Die Themen
dieses Satzes, von denen wir als die hauptsächlichsten
folgende zwei zitieren:
Allepo €«»tt «pirlto
FJ»
•to
sind echt böhmische Melodien,
die uns an die alte Wiener
Sinfonie, an Wenzel Müller, an lustige Sonntagnach-
mittage und an vergnügte Menschen erinnern. In der
Durchführung verläßt Dvofak die in diesen Weisen ge-
gebene Sphäre, zögert und scheint über die Berechtigung
der fidelen Motive in Bedenken zu geraten. Dieser Teil
enthält sehr viele humoristische Zöge von großer Wirkung.
Außerordentlich drastisch ist der wild^-^ u ■• <-
Einsatz, mit welchem die Hörner das Moti^
m
in das pp des Orchesters hineinwerfen. Jedoch nimmt
das kapriziöse Element das Interesse des Zuhörers etwas
zu lange und zu kühn in Anspruch. Der Satz schließt
mit einem Presto über das Thema a).
Auch in der zweiten Sinfonie Dvo^aks (DmoU, A.DvolFftk,
Op. 70) wird man vergeblich nach der unbedingten Lebens- Zweite Sinfonie.
freude suchen, die seine Slavischen Rhapsodien zu einer
Wohltat für die neue Musik gemacht haben. Sie ist ein
Stimmungsbild, für das die Oberschrift »Aus trüber Zeit«
nicht Übel passen würde. Ohne im höhren Sinn originell
zu sein, fesselt das Werk durch eine klare, planvolle An-
lage, durch ein reiches, bewegliches Empfindungsleben,
durch natürliche, meistens aus dem Vollen fließende
Kreiiscbmar, FQhrer. I, 1
36
--» 662 ♦—
musikalische DurchfQhrang. lUese Vorzöge krönt.Einheit
and Strenge des Charakters. Reibst auf den üblichen,
immer dankbaren »glücklichen Ausgang« im Scblnßeais
hat Dvorak diesmal verzichtet
Der erste ^ der vier Sätze (Allegro maestoso, C«
Dmoll) beginnt folgendermaßen:
r i
f] .iMiL 11 Man kann diese von Cellis und Brat-
r l'iffrr I s^heQ nnisono vorgetragne Melodie in
f' ^V zwei Hälften teilen. Die vordere, in
gleichen Achteln gehalten, klingt wie das leichte Miirren
eines Unwilligen, die zweite, mit dem durch das ver-
längerte Viertel schwer akzentuierten Motiv, zeigt, daß
hier ein Gemüt tiefer getroffen worden ist, bis zur Ver-
wirrung getroflen. Das sagt uns der an den Schluß ge-
stellte verminderte Akkord. Er kommt ganz plötzlich,
bleibt aber für die Dauer einer achttaktigen Periode.
Darüber wiederholen die Klarinetten von 's aus das lliema.
Ihr Schmer- m j j beantwortet das zweite Hom ge-
zensmotiv:j' • I 'O wissermaßen in vergrößertem
Echo mit fis fis\e und lockt damit eine Reihe von Stim-
mungsäußerungen hervor, die den klagenden und vor-
wurfsvollen Ton immer heftiger hervorkehren, technisch
sind sie als Fortsetzungen des oben angeführten Themas
zu betrachten. Denn die neue und neueste Sinfonie be-
gnügt sich nur ausnahmsweise mit solchen knappen
Hauptgedanken, wie sie bei den Wiener Klassikern die
Regel bilden; sondern sie arbeitet am liebsten mit einer
langen Themenkette. Die erste dieser Fortsetzungen des
Hauptthemas knüpft an den Sechzehntelauftakt der zweiten
Hälfte des Eingangsthemas an und moduliert im aditen
Takt nach A moU. Die zweite wird von demselben Sech-
zehntelmotiv alsBaßbejleitetund set^t in der Hauptstimme
mit breiten Vierteln a | M|f7 7 ein. Dieses Viertelmotiv er-
— ♦ 668 ^^
langt seine Bedeutung im Verlauf des Satzes. Zuerst von
der zweiten Violine, Oboe und Fagotten vorgetragen, wird
es zwei Takte später von der ersten Violine täs'g dlfe
aufgenommen und schnell zu einer langen D moU-Radenz
geführt, die uns eine sehr stürmische Wendung erwarten
läßt. Das Natürlichste würde Wiederholung des oben auf-
gezeichneten Themas im Tutti des Orchesters und im ff
seid. Sie kommt auch; aber erst 22 Takte später. Vorher
bringt der Komponist erst noch einen jener erweiternden
und belebenden Abstecher, an die namentlich Liszt die
modernen Sinfoniker gewöhnt hat Er legt eine Aus-
weichung ins Gebiet der Ruhe und des Seelenfriedens ein.
Sie führt mit einer etwas beabsichtigten Gewaltsamkeit
nach Esdur und vor eine sehr eindringliche Homstelle,
die mit einer raschen Skalenfigur beginnt und dann in
die Rhythmen des nachher folgenden zweiten Themas
des Satzes einlenkt Bei dem nach dieser Verzögerung
doppelt wirksamen Eintritt des Hauptthemas ist es zu
bedauern, daß das Thema, weil nur den Holzbläsern ge-
geben, von dem starken Begleitungsapparat übertönt
wird. Merkwürdigerweise ist der in der Instrumentation
so sichere und ausgezeichnete Komponist hier in einen
Beethovenschen Fehler verfallen, den intelligenten Diri-
genten wohl stillschweigend verbessern dürfen, wie es
Dvofak beim Eintritt der Reprise selbst getan hat. Hier
spielt das erste Hom das Thema mit Wie schon bei
seinem ersten Eintritt mit dem verminderten Akkord, so
nimmt unser Hauptthema jetzt wieder ein seltsames
Ende. Noch viel verwunderlicher und aufregender als
dort bricht es in einer verzweifelt wirkenden Disso-
nanz ab: — fesbeges — der naturgemäß eine Reak-
tion folgen muß: Die Holzbläser, dann die Geigen mit,
führen ein zwölf Takte langes Oberleitungssätzchen, auf
weich gleitende Motive gebaut, aus: Nach seinem Ende
hin spielen die Mittelstimmen kurz einmal das Achtel-
theroa (der Celli und Bratschen) an, mit dem der Satz
begann.
36*
»^ 564 4—
So wird also das zweite HaupttLema des Satzes
sehr schön und gewissermaßen dramatisch eingeführt
Seine poetische Aufgabe: sanft und freundlich zuzu-
sprechen, erfüllt es auf eigentümliche Art In tiefen Flöten-
klang gehüllt, leise vom Tutti umschwebt, hat es etwas
6eheimnis7olleS| wirkt wie ein Bild im Zauberspiegel, wie
ein Gast aus der Geisterwelt. Ganz besonders schön und
rührend ist das zögernde Verschwinden der Vision: Volle
acht Takte haftet die Melodie an dem verzierten es, ehe
die Auflösung ins d fällt. Dieses Zögern, Aufhalten und
Schwanken ist ein Zug, der in unserm Satz immer wieder-
kehrt Die Wirkung dieses zweiten Themas greift unge-
wöhnlich tief in den formellen Plan und in das Wesen
des ersten Satzes ein. Der nächste Abschnitt, den es be-
herrscht, wiederholt es wörtlich in den Violinen, knüpft
daran. versuchsweise und schnell wieder abbrechend Mo-
tive der Aufheiterung und des Aufschwungs. Er endet
aber in BmoU, und in seinen Schluß mischen Oboen,
Klarinetten und Hörner das Unmutsmotiv, mit dem die
Sinfonie begann. Der ganze Schluß der Themengruppe
wird zu einer äußerlich knappen, aber innerlich bedeu-
tenden Auseinandersetzung zwischen den beiden Haupt-
themen. Das zweite scheint, in Bdur, seiner Tonart,
fortissimo vorgetragen, die Oberhand zu bekommen, als
sich wieder jenes sdion berührte, dem Gang xmsres Satzes
wesentliche Element des Schwankens und Abbrechens
geltend macht Diesmal in der Form FfTI ^^cher aus
von Sequenzen über den Rhythmus * ^ ^ ' einem der
Nebenmotive (Motiv der Aufheiterung) des zweiten Them^
stammt
Die sehr kurz gehaltne Durchführung wendet den
Stimmungsprozeß wieder zugunsten des ersten Haupt-
themas. Sie beginnt in Hmoll mit einer achttaktigen
Periode, die die ersten zwei Takte des zweiten Haupt-
— ^ 565 <>—
themas uacheinaDder durch Geigen, Gellii Flöten und
Kontrabäaie führt. Ihm folgt ein wilder Aufzug seines
Antipoden, des ersten Hauptthemas. Trotzig springt es
auf den verminderten Septimenakkord o-c(w-/ft-a und
stellt sich in voller Breite hin. Der Effekt dieser Über-
rumpelung ist vorerst Ratlosigkeit der Seele. Nach dem
Edur-Schluß, mit dem sich das Hauptthema verabschiedet,
wird es still: kleine Brocken des Gehörten flattern herum.
Das wichtigste an der Musik sind hier die Pausen. Nur
leise ausgehalten klingt da ein Ton des Homs oder der
Bratsche in sie hinein. Die Modulation rückt plötzlich
von S nach /-o-o-ea, die Stimmung sammelt sich. Über
eiaem ppp der in Bmoll tremolierenden Streichinstrumente
stimmen die Klarinetten leise das vollständige erste Haupt-
thema an, Flöten, Oboen greifen mit ein; mit einem
raschen crescendo gelangen wir vor einen Abschnitt, in
dem das Motiv des Unmuts, nun zur Wut gesteigert, aus
den Bässen dröhnt; es kommt in die Geigen, von Disso-
nanzen der Bläser durchschnitt j j j j aus und ge-
ten, holt mit dem Rhythmus • ^ • • langt nach
DmoU zum fff und zu einer Reprise, die mit der des
ersten Satzes von Beethovens 9. Sinfonie eine Gharakter-
ähnlichkeit teilt, wie sie gleich stark sich ein zweites Mal
nur in dem D moll-Konzert von Brahms aufdrängt.
Die Wiederholung der Themengruppe verläuft nach
den bekannten Regeln. Nur das ist besonders an ihr, daß
das Gebiet des ersten Hauptthemas gekürzt wird. Durch
dieses einfache Hilfsmittel übt die Musik eine unver-
gleichlich mächtigere und leidenschaftlichere Wirkung aus
als im ersten Teil des Satzes. Die sehr ausgeführte Coda,
die höchste Leistung im Ausdruck gewaltiger und großer
Ideen, die bis dahin sich in DvoHks Werken gezeigt hat,
markiert noch einmal unumstößlich hart und mitleidslos
den Sieg des ersten Hauptthemas und seiner dämonischen
Elemente. In Resignation verklingt sie. Auch hier steht
Dvohik, der früher sich gern von Brahmsschen Vorbildern
leiten ließ, unter dem Einfluß Beethovens. Der Basso
ostinato auf fduf zeigt nach dessen siebenter Sinfonie.
^
56tt v«
Wie als wenn nach finstrer tturmieoher Nacht der
helle Morgen anizieht, heginnt der iweite, langsame
Satz (Poco Adagio, C» F dor) folgendermaßen
PoooAitgf0. Jsse
Breit und feierüch abschließend^ legt das volle Orchester
den F dar- Akkord über das Ende dieses kleinen Präin-
dinms, und das eigentliche erste Thema des Satzes tritt,
von Flöte ^ ^ , ^^ /> ^rz
Oboe i^rr'm ifQ ^^'J^ir II
Jk diu
und
vorgeii-agen,
ein. In Seouenzen Ciber das letzte Motiv senkt es sich tiefer
und tiefer und atmet dann noch einmal groß auf, um
plötzlich im Halbschluß ^ ^^ j'Tp^^ . . „das eineklei-
zu verlöschen. Es ist ala^^ p T j) I ^=nA Szene der
flöhe es vor dem Motiv 7^-*==** Unruhe ein-
leitet, die uns die aufregenden Augenblicke des ersten
Satzes in die Erinnerung zurückruft Das Hom sucht
mit kühnen Figuren zu beschwichtigen. Noch ein-
mal schlägt Schrecken in kurzen Motiven dazwischen,
dann aber behält das Hom mit der schönen Melodie
das Wort
Sie nimmt ungefähr die Stelle ein, die sonst das
zweite Thema zu haben pflegt. Aber wie Dvoi^ak sich im
allgemeinen den Formen der Sinfonie gegenüber die
Freiheit der Ideen und ihrer Bewegung wahrt, so hat er
dieses zweite Thema hier ungewöhnlicher Weise in die
Haupttonart F dur gesetzt und ihm auch nur einen ge-
ringen Einfluß auf Gestalt und Wesen des Satzes zuge-
wiesen. Unser Adagio hat gar keine Durchführung in dem
Sinne einer Auslegung und Verarbeitung bisher gebrachter
Themen. Sondern nach dem Schluß des zuletzt ange-
führten Gedankens setzt ein ganz selbständiger Mittelteil
567
ein, zunächst in FmoQ und von r"ns i geführt. Mit
einem scharfen rhythmischen Motiv ^* *^ •'ihm wech-
selt ein Motiv desS^nens von fol*
und kommt
seuemjuony aes^ennensYonioi* . pi«s i unaKommi
gendem rhythmischen Charakter • J« 3 J mit ihm, oft
jffli und. erschreckend, in heftige Konflikte. Nach einer
solchen Stelle — das fortissimo auf e-fis-ais-eis mächt sie
leicht kenntlich — tritt die Reprise, die Wiederholung der
Themengruppe ein. Das Hauptthema kommt jetzt in den
CeUis. Ihm folgt das erste Seitenthema, wie heim ersten-
mal in den Violinen, aher jetzt mit Kontrapunkten, die
bald beschwichtigen, bald anfeuern, in den Holzbläsern
versehen. Alle Elemente der Aufregung, die in dem Ab-
schnitte vorhin bereits vorhanden waren» erscheinen ins
Gespenstische und bedrohlich gewachsen. Das Fdur-
Thema des Homs taucht jetzt nur angedeutet in den Vio-
linen auf und von Trompeten und Hörnern merkwürdig
umschmettert. Ganz zuletzt kommt auch die Melodie des
kleinen Präludiums des Satzes und zwar in der Oboe
nochmals zu Wort
Der dritte Satz, das Scherzo (Vivace, Vi» Dmoll)
zeigt den Zusammenhang mit dem ersten Satz der Sin-
fonie nicht so stark wie das Adagio, aber immer noch
deutlich genug. Es erstrebt die an dieser Stelle übliche
Fröhlichkeit, aber es besitzt sie nur im geringen Grade.
Das Hauptthema
Vlvftce. d»
X
orientiert in diesem Falle genügend
r r '^ ^T * über das Wesen des ganzen Satzes :
r f*f ' ' Die Rhythmen der Violinen treiben
vorwärts, aber hinkend, als schleiften Retten mit
Die »schlotternden Lemuren« Goethes treten vor das
geistige Auge, und die in den Mittelstimmen (Cellis
und Fagotts) dazwischen schluchzende Melodie gießt
noch mehr Wehmut über das an und fQr sich schon
— » 568 «^
grau gehaltne tiildehen. Mit dem achten Takt, dem
Abschluß der eiufachen Periode, gerät die Darstellang
schon ins Stocken. Wir stehen wieder vor dem schwan*
kenden, unentschlossnen Zng, der auch in den andren
Sätzen als wesentlich sich be- » r i das bis
merkbar macht. Mit einem Motiv « * J J J J- dahin in
der zweiten Violine Begleitangsdienste verrichtet hat, bildet
der Komponist einen 10 Takte langen Zwischensatz nnd
wiederholt dann das Hanptthema mit der Änderung, daß
die Holzbläser die Hauptstimme, die Violinen aber den
Kontrapunkt der zuerst in den Cellis gebrachten, gebundnen
Melodie übernehmen. Nach _VS2^ # ♦
einem breiten . Abschluß ^^iT T^Tf \äm z
tritt folgendes Seitenthema '^ ^ — " *
ein, aus dem ein neuer, mit großem Tumult und Kraft-
aufwand endender Zwischensatz (14 Takte lang) gebildet
wird. Und nun wird vom Anfang des Satzes an wieder-
holt. Bei Haydn und Mozart, in den meisten Beethoven-
schen Sinfonien steht hier das bloße Repetitionszeichen,
die Musik kehrt wörtlich wieder. Bei Dvoi^ak ist die
Wiederholung zugleich Variation. Die Instrumentierung
ist wesentlich geändert nnd zwar nach einem Muster, das
viele Hörer angenehm an die Konzertouvertüre (in Ä)
von Julius Rietz oder an A. Rubinsteins »Lichtertanz«
aus »Feramors« erinnern wird: Von Abschnitt zu Abschnitt
wechseln die Streicher und die Bläser zwischen Hauptr und
Nebenstimme, lösen sich im Vortrag des von Pausen durch-
setzten Themas und der gebundnen Melodie ab.
Diesem Hauptsatz steht ein Trio gegenüber, das in
der Hauptsache von g . P^ »wo moBso. t-_p_
dem zuerst in der Oboe £v' ufiTif J p [f" # J I J-
gebrachten Gedanken: "^ ^
getragen wird. Den Schluß der zwölftaktigcn Periode, die
das vollständige Thema bildet, machen die Violinen mit
Ruhe atmenden, freundlichen Wendungen. Das Bild des
Friedens, welches das Trio entwerfen will, wird etwas durch
einen Seitensatz gestört, aus dessen j.«^ . stechend her-
spärlichen Motiven' der Rhythmus ^ « • vortritt Das
_^ 569 ^^
gauze Trio ist unter sämtlichen Teilen der Sinfonie der-
jenige, bei dem die Erfindung den Komponisten am we-
nigsten unterstützt hat. Gleichwohl erreicht es durch die
musikalischen Elemente, durch den Rhythmns insbesondre,
doch die beabsichtigte Wirkung, und das Scherzo als
Ganzes ist der Satz, der in seiner eigentümlichen Blischung
von Melancholie und Beweglichkeit auf viele Hörer den
nachhaltigsten Eindruck ausübt.
Das Finale der Sinfonie (AUegro, ({$, Dmoll) er-
innert mit den ersten drei Noten seines Hauptthemas
Allegro. dslOO ->.-^
'■J*lA ^*' " t fr " I H '^ ^ VV' f 1 M^ äS ^
Pg IjflUfTjt ■ All «UK Seitenmotiv, das in trotzigen
J& f- ^■'v..:^ Vierteln bald sich nach dem Eingang
der Sinfonie zeigte. Jedenfalls weicht es dem gewöhn-
lichen Schluß der in Moll einsetzenden Sinfonien aufs
entschiedenste aus und hat mit dem großen Kreise der
sinfonischen Paradigmen zu dem Motto >per aspera ad
astrac nicht das geringste gemein. Am nächsten steht
die Dvofaksche Arbeit in diesem Verzicht auf ein frohes,
versöhnliches Finale der GmoU-Sinfonie Draesekes. Wenn
man den Inhalt von Dvofaks Sinfonie in die Form einer
Erzählung fassen wollte, wtbrde das Ende lauten: »Die
Lage unsres Helden ist noch widriger und gefährlicher
geworden, als sie am Anfang der Geschichte war; aber
auch seine innre Kraft ist immer mehr gewachsen. Er
braucht sich nicht zu beugen«. Es geht ein starker Zug
von Trotz durch dieses Finale, und in ihm liegt vielleicht
die einzige Spur für die nationale Abkunft des Werkes,
das sich motivischer Anleihen aus der böhmischen Volks-
musik vollständig enthält. Das Bild von Kraft und Ent-
schlossenheit, das unser Finale entrollt, wird dadurch
liebenswürdiger und reicher, daß ihm weiche Wendungen,
die wie Sehnsucht nach Ruhe, wie Neigung zur Ergebung,
wie leise Klagen erscheinen, eingemischt sind. Jedermann
^^ ft70 ♦—
erkennt eine solche wohl in den drei letzten Takten des
oben gebrachten Notenbeispiels, als dem Schluß des von
Gellis nnd erstem Hom gebrachten Hauptthemas. Mit
diesem Motiv der Ergebung setzen die Violinen zunächst
leise ein Sätzchen von 14 Takten ein, das in seinem
jähen, aufgeregten Abbrechen uns wieder lebhaft an den
Anfang der Sinfonie, nämlich an jene Stelle zurückver-
setzt, wo das erste Thema des ersten Satzes in den plötz-
lichen verminderten Akkord auslief. Derartige Wendungen
gehen durch die ganze Sinfonie als Symptome eines auf-
geregten, fieberischen Seelenzustandes. Hier folgt dem
Trugschluß zunächst eine Wiederholung des Themas in
den Holzbläsern, die sich ins Unhörbare, ins Reich des
Schlummers verlieren will. Vergeblicher Versucht Mit
aller Leidenschaft, die ein modernes großes Orchester
ausdrücken kann, nimmt es gleich darauf das Hauptthema
im stärksten forte auf. Dazwischen meldet sich in Flöten
und Oboen der Anfang eines Themas
ji i^rijjji MiT^j I nTi I ij I I I
das bald in seiner Vollständigkeit seinen Platz als Fort-
setzung und Steigerung des Hauptthemas einnehmen wird.
Es folgt ihm eine einfache Periode mit Verwandlungen
des Hauptthemas gefüllt An sie knüpft eine gleich kurze
an, der ein chromatisch aufsteigendes Skalenthema zu-
grunde liegt Sie gibt sich ziemlich wild und heroisch
und vermittelt technisch die Modulation nach Edur. Sie
tut das aber sehr ausdrucksvoll, dringend und auf das
zweite Thema in der Stimmung vorbereitend. Dieses
zweite Thema steht regelrecht in A dur, der Oberdominant
der Haupttonart des Finale und bildet — ebensa nach
bekanntem Sonatenbrauch — einen innem Gegensatz
zum Hauptthema :
—♦571 t^
Zuerst bringen e> die Celli, gleich darauf Flöten und Oboen
mit einem Abschluß in Fisdur. Ihm folgt ein 14 Takte lau*
g^9 Nachspiel Aber das aus dem Anfang genommene Motiv:
j r r-^ j Und darauf zieht das Thema im vollen
r ' ^ ^ I J« Glänze des Tutti fortissimo noch ein-
mal vorbei. Zu einer Macht im geistigen Getriebe wird
es nicht; die Durchfuhrung des in der Sonatenform ge-
haltnen Satzes nimmt gar keine Notiz von semer Exi-
stenz. Es bezeichnet einen flüchtigen und trügerischen
Augenblick des Hoffens. Unsem Komponisten hat diese
kurze Minute des Sonnenscheins in die Sphäre Franz
Schuberts geführt, mit dem er ja Unverkennbare Verwandt-
schaft besitzt In dem Abschnitt, der den Bereich des
zweiten Th^as abschließt, spricht Dvofak in Schubert-
scher Zunge. Es sind Motive der großen Cdur-Sinfonie,
die uns in den Anfang der Durchführung hineingeleiten,
und auch die berühmten Posaunen aus dem ersten Satz
dieses Monumentalwerkes klingen in Dvo^aks Finale
hinein. Dieser Zufall nimmt aber dem Wert der Durch-
führung nichts. Ihre bedeutendsten Teile liegen am An-
fang und am Schluß, besonders im erstem an der Stelle,
wo das Hauptthema zweimal staccato, gewissermaßen
versuchsweise, und ganz leise kommt. Beim dritten Mal
(in Hmoll) tritt es vollständig auf. Die Geigen entwickeln
das schließende Ergebungsmotiv zu einem längren Sätz-
chen, bei dem auch Dvofak der modernen Unsitte des
überflüssigen Kontrapunktierens durch fleißige, aber mehr
störende als unterstützende Bläsermotive gehuldigt hat.
Den Mittelteil der Durchführung füllen Variationen über
die Fortsetzung des Hauptthemas, ihr still einsetzen-
des Ende Umwandlungen des Hauptthemas selbst. In
der Reprise ist der Obergang zum zweiten Thema be-
sonders ergreifend. Den im Grunde doch pessimisti-
schen letzten Ausklang zu veredeln, setzt Dvofak die
schließenden 10 Takte in ein gehaltenes Tempo: Molto
Maestoso.
Hatte die D dur-Sinfonie sofort Dvofaks großes Talent,
die zweite seine Reife festgestellt, so gab der Komponist
--» 572 ^^
nun in einer dritten, vierten und fünften Sinfonie anch
diejenigen Beweise von Fleifi nnd Frachtbaikeity die von
jedem Künstler verlangt werden, der eine hervorragende
SteUong behaupten will. Um den Umfang von DvoMes
Begabung, seine ganze künstlerische Bedeutung zu beur-
teüen, wird unter den vorhandenen Sinfonien später ein-
mal die zweite die wichtigste sein. Er schien mit ihr,
ähnlich wie früher Gade, der Pflege nationaler Mudkbe-
strebungen abspenstig zu werden. Diese Erwartung ist
jedoch nicht eingetroffen, seine dritte^und vierte Sinfonie
bringen wieder reichlich böhmische Musik.
In der Fdur- Sinfonie ist das nationale Element
mit der Reserve benutzt, die für die Sinfonie notwendig
ist, wenn sie nicht zu einer bloßen Ausstellung von
lustigen oder phantastischen Genrebildern herabsinken,
wenn sie auch ferner noch dem Komponisten gestatten
soll, seine Persönlichkeit mit ihren Lebenserfahrungen
und ihren Talenten zu entfalten. Die böhmischen lläo-
dien sind in dieser Sinfonie nicht absichtlich herbeigeholt,
sondern sie sind im geeigneten Augenblick in die Archi-
tektur der einzelnen Sätze eingestellt worden, wenn sie
dem Tonsetzer zufällig in die Hand liefen.
A.DvolFaky Diese dritte Sinfonie Dvofaks (Fdur, op. 76) zeigt
Dritte Sinfonie, vielerlei Verwandtschaft mit ihrer Vorgängerin in den
Einwirkungen Beethovens und Schuberts; Schumann
bringt sie neu hinzu. Sie steht ihr an Einheit, an Kunst-
wert überhaupt sehr nahe, hat vielleicht durch die frap-
panten poetischen Einfälle, mit der sie die Formen be-
handelt, noch etwas vor ihr voraus. Sie gleicht ihr auch
darin, daß sie als ein weitrer musikalischer Beitrag zur
Biographie des Komponisten erscheint. Sie erzählt von
seiner Jugendzeit, von Idealen, von Herzenserlebnissen,
^von wohlbestandenen Kämpfen, von Läuterungen« Der
Komponist sucht in diesem Wcirke die Freude:
»Auf dem saatbekrinzten Hügel,
An des Teiches klarem Spiegel.
Auf der An, im Bachen trald
Ist ihr liebster Anfentbalt.«
— ♦ 578 «^
Dvofaks F dur-Sinfonie ist zum guten Teil eine Pa-
etorakinfonie. Besonders trägt ihr erster Satz (Allegro
ma non troppo, ^/^ Fdor) den CharaJ[ter einer derartigen
Tondichttmg. Es ist die Stimmung eines Ausmarsches
am schönen Sonntagmorgen, mit dem sein erstes Thema
» einsetzt: munter im ersten Teil, fromm am Schluß:
Allegro ma noo troppo. J s HS
ij'nini'inirriini
^'^^^ ^ri TT^ Jy^^ ^*"^^*^ es der Klarinette
nach und fCkhrt die Melodie zu einem Cdur*Schluß. Mit
ihm beginnt ein Abschnitt freudiger Spannung: Die
Instrumente nehmen einander Motive des Themas ab,
bald dies, bald jenes, bis sie sich in einer mächtigen
Triolenfigur vereinigen. Diese bringt uns vor das eigent-
liche Hauptthema des Satzes:
^^wtt/ir^''^^i"-Jrir'^T|f Tri
IT f P I f Hf Lp I ^ ®^°^ i^^^^ zahlreichen Tanz-
j» ^ ^— - weisen kraftvoll freudigen Aus-
drucks, an denen die böhmische Volksmusik so reich ist.
Ihre Wiederholung gibt Dvorak, wie er das liebt, den Holz-
bläsern und Hörnern allein — die Streichinstrumente
machen nur mit einem ^^m t ihre Anwesenheit be-
urwüchsigen Zuruf: 44d i^ merkbar — , und diese
schließen in Amoll ab.
In dieser Tonart beginnt sofort eine Durchftthrung.
Sie heftet sich zunächst — acht Takte lang ^ in launigem
Eigensinn ausschließlich an den siebenten Takt des so-
eben gegebenen Themas. Celli und Bratschen haben sich
seiner bemächtigt, die Violinen möchten es gerne zu sich
herftberziehen. Dann wandelt sich die Szene. Als wäre
der Wald dichter und der Schatten dunkler geworden,
-^ 674 ♦^
tritt Ruhe, im Orchestefr ein. Nttr ein lange liegender,
leiser Akkord (Amoll) tönt in Hörnern und Fagotten; über
ihm flattert noch ein melodischer Rest in den ersten
Geigen. Jetzt nehmen die Kontrab&sse pp das Motiv des
ersten Taktes in Fdur, die Violinen antworten mit dem
bisherigen Synkopenmotiv. Wir denken uns hier nnsren
Wandrer ruhend, rastend und trämnend. Im Xraum rückt
das Entfernte aneinander. So hier Anfang and Ende des
Themas, des Gedankens, den er znletzt im Kopfe trug.
Die Musik ergänzt das Stimmungsbild an dieser Stelle
noch durch Schilderung der äußern Natur : In den Klari-
netten schlagen leise Triolenterzen an, leibhaftig die*
selben, wie im ersten Satz von Beethovens Pastoralsin-
fonie. Es flüstert in den Bäumen, es zirpt im Grase.
Und weiter noch: Genau wie bei Beethoven rückt die Har-
monie schroff von vier zu vier Takten von F nach JSr,
von da nach Des^ um gewaltige Oberraschungen anzu-
deuten. Vom letztren Punkt ab dringt wieder licht und
Glanz in die Landschaft und in die Seele des Schwärmers.
Wir gelangen rasch nach Adur und vor das zweite Thema:
tUi(e*
Es verhält sich zum Hauptthema wie Dank zum GenuB-
Musikalisch ist zu beachten , daß es an das Hauptthema
durch den Synkopenrhythmus seines zweiten Taktes ge-
wissermaßen unwillkürlich anknüpft. In seinem jugend-
lichen Drang und in dessen technischem Ausdruck trägt
es die Züge Robert Schumanns.
Der ganze noch übrige Teil der Themengruppe wird
mit Phantasien über dieses zweite Thema ausgefüllt.
Eigen ist ihm ein durchgehender Triolenrhythmus als
Begleitungsfigur, der zum Schluß melodisch wird xind
motivische Bedeutung erhält Zweimal werden die Varia^
tionen über das zweite Thema durch ein Solo von Flute
und Klarinette, das freundlich und behaglich in Sech-
zehntein die Skala hinauf und hinab trällert, unterbrochen.
--• 575 ♦^
Ihm folgt beidemale ein ebenfalls aus Beethovens Pasto-
riüe bcScamiteB Frendeschüttehi. des ganzen Orchesters
auf eiaem zw«! Takte gehaltenen Akkord im ff. So gibt
der Komponist bald im Zarten, bald im Starke^ dem
Qlücke,'dais er schildern will, reich aus. Eignem erfindend
und geschickt an Vorhandnes sich anlehnend, immer
neue Wendungen.
"Die Durchführung beginnt geheimnisvoll beschau-
lich mit dem Triolenmotiv, das die Themengruppe
schloß. Ihm gegenüber, dem Vertreter der einschläfern-
den Zaubermächtei stellen die Bässe mit dem gleichmäßig
klopfenden . .1 die Violinen mit einem in Akkord-
Rhythmus J y /) I J noten abwärtssteigenden neuen,
unwesentlichen Thema den weiteren Tatendrang und die
Lust ztt neuem uud mehrerem Genuß dar. Diese Motive
führen uns bald vor das erste Thema, mit dem die Sin-
fonie präludierend begann. Die Flöte bringt es in Gdur.
Bbenfalls in höchster Tonregion wiederholen die Violinen
die langsamen Schlußnoten mit Modulation nach Hdur.
Und nun folgt eine' lange Strecke^ in der immer wieder
in sehr Tegelmäßigen Abschnitten die erste Hälfte dieses
Themas vorüberzieht. Es hat gerade in dieser ersten
Hälfte den Charakter einfachster Signale, besteht hier
nur aus Akkordnoten, gewißermaßen aus musikalischen
Naturlauten, und schlägt damit eigentlich in em Kunst-
fach, das die Russen und solche Männer der äußersten
Linken in der neuesten Sinfoniekomposition für sich be-
anspruchen, von denen Dvof^k in Ansprüchen und Zielen
weit entfernt steht. Wie sehr er aber im Betrieb dieser
künstlerischen Spezialität seinen Mann stellt, beweist dieser
Teil seiner Durchführung. Wir haben da eine mit siche-
rer, leichter Meisterhand gebildete Stelle : ruhig und regel-
mäßig in gleichen Abständen folgen die kleinen Bilder,
die sich gleichen, denn sie sind alle lieblich und doch
jedes anders. Mühelos fügen sie sich zum Ganzen und
strebea den Höhepunkten zu: dap sind die Takte, wo
die Freude nach lauten Tönen greift. Besonders treten
die Messinginstrumente hervor. Von ihnen gebracht, wirkt
^^ 576 ^^
die Sechzehntelligur aus dem Anfaag unseres Themas
äußerst wohlgemut und frisch; namentlich die Stelle, wo
die Trompete — auf Iho^g -^ damit einsetzt, ist ein
hibreißendes Gembch von Stolz und Heiterkeit Die
Harmonie rCkckt nun von A-dur aus von zwei zu zwei
Takten immer einen Schritt weiter und gelangt allmäh-
lich auf den verminderten Septimenakkord f'OS'k'd
als den Gipfel in der Entwickelung romantischer Geffihle.
Denn darin ist der Satz sehr modern, ganz und gar ein
Produkt des 19. Jahrhunderts, dafi er der »höchsten Lust«
auch einen Stich »hoben Leidsc beimischt. Merkwürdig:
alle die Instrumente, die von Natur beweglich sind, die
Violinen, die Holzbläser bleiben an diesem Punkt vier
Takte lang auf einem Tone im fjT liegen und sind in der
Höhe erstarrt, und unten in der Tiefe tummeln sieh die
schwerfälligen Bässe mit dem lustigen raschen Mottvl
Es handelt sich hier aber um einen gewaltigen Aufschrei
der Freude, gewaltig und von einer Leidenschaft ge-
trieben, die nach Ordnung nicht fragt Nach diesem
Augenblick tritt die Reaktion in ihr Recht: Das zweite
Thema erscheint: die Oboe intoniert es, die Klarinette
nimmt es auf und fAhrt es vollständig vor. Damit ist es
aber auch abgetan. Das Tutti schiebt es demonstrativ
mit einem /jT-Einsatz des eigentlichen Hauptthemas, der
kräftigen slavischen Tanzmelodie beiseite, die von den
Violinen nach den Bässen wandert. Wie keck der Ton
gegen den ersten Eintritt in der Themengruppe geworden
ist, das läßt sich aus der Pauke ersehen. Die schwieg
damals; jetzt stimmt' sie beim Synkopentakt mit einem
Sechzehnteltremolo ein. Dieser mit dem Synkopentakt
beginnende Abschnitt bleibt nun fttr den Schluß der
Durchfäfarung; sechsmal kehrt er mit denselben Tönen
von g b aus. wieder. Ein Ruck von Es nach Dm, eine
Perlode über dasselbe Motiv gebildet und im pp gehalten,
dann der Quartsextakkord o-f-a und auf ihm im Hom das
präludierende Thema, mit dem die Sinfonie beginnt Die
Phantasie klammerte sich an die letzten schönen Bilder
der Durchführung gewaltig fest. Nun ist die Trennung
-^ 577 4^
doch geschehen : unvermerkt sind wir in die Reprise ge-
langt. Die Kunst des Komponisten hat den Schritt ^ der
zum Rückweg führte, zu dem entzückendsten Augenblick
der bisherigen Wanderung gemacht.
In dem Verlauf der Reprise fordert die Erweiterung
des Umkreises des eigentlichen Hauptthemas gesteigerte
Aufmerksamkeit, noch mehr die schöne Kombination, in
der beim Beginn der kurzen, feurig einsetzenden Coda
die Einleitungsmelodie des Satzes und sein zweites Thema
zusammenklingen. Trompeten, Violinen, Flöten, Klari-
netten stehen auf der ersten, Posaunen, Fagotte, Celli
und Kontrabässe auf der anderen Seite. In Abendrot
und zartem Mondenschein geht der schöne Tag, in den
ans die Tondichtung versetzt, zu Ende.
Der zweite Satz (Andante con moto, '/g, Amoll) ist
ein interessanter Absenker des Allegrettos in Beethovens
Adur-Sinfonie. Die Ähnlichkeit hegt hauptsächlich in
dem ethischen und tonalen Verhältnis der beiden Teile,
in welche die Komposition zerfällt Sie entwickelt sich
um folgende zwei Themen:
Andante eon moto. m» s 76
!iiif£riritrr7|iiij i n
k i H P
und
im poeb«ttliio ptk mosso ,
D«. D
Die zweite Hälfte des ersten, von den Cellis einge-
führten Themas moduliert nach Amoil zurück. Sein
Schlußtakt ist der Anfang der von den Violinen aafge-
nommenen Wiederholung mit Schluß in D. Daran knüpft
sich ein Zwischensatz, der das Sechzehntelmotiv des
Einsatzes durchführt, und ihm folgt als Fortsetzung und
Abschluß des Satzes die bisher gehörte Musik mit den
Bläsern (zuerst Flöte und Fagott gemeinsam voran) als
Hauptstimmen.
Kretxiehmar, Fahrer. I, 1. 87
-_^ 678 *^
Zu den schönen Gedanken und Erlebnissen des ersten
Satzes der Sinfonie stellt sich dieser erste Teil des An-
dante in einen gewissen undankbaren Widerspruch; als
Niederschlag aus dem trüben, an seelischen Kämpfen
reichen Stimmungskreis der zweiten Sinfonie ist der
ernsten Zufriedenheit, die in seiner Melodie sich ausspricht,
ein kleiner Satz von Schwermut beigemischt In den
Zwischensätzen, die aus dem Sechzehntelmotiv heraus-
wachsen, ringt das Gemüt nach Befreiung von dem dunklen
Rest und nach vollständigem Licht. Der Adur*Satz bringt
es. Eine Weile tragen die Bläser allein den zwar nicht
neuen, aber an dieser Stelle wie ein Original wirkenden,
Himmelsruhe atmenden Gesang vor. Mit dem Eintritt
von Hmoll nehmen es die Violinen auf, und zugleich
tritt an dieser Stelle eine gewisse Stockung der Empfin-
dnng ein. Die Modulation gerät ins Schwanken, es ist,
als ob eine ungesehene Macht den Weg versperrte, es
bedarf eines gewaltsamen Anlaufs. Dieser führt nach
Gdur. Von da aus wiederholt sich die schöne Szene,
die mit Schumannschem Material die Weihe Beethoven-
scher Gebetsmomente erreicht. Die dramatische Wen-
dung, die im ersten Teil dieses Miftelsatzes mit der Mo-
dulation nach Hmoll begann, setzt jetzt mit dem Eintritt
des Themas in die Septimenharmonie g-b^f ein, es
kommt zu einer größeren Kraftäußerung und zu einem
verzweifelten energischen Abschluß in dem fernen Edur.
Ihm antworten wie warnende Stimmen, zweimalige Bläser-
signale, die wie Rezitative wirken. Kleinlaut und resig-
niert tritt der vermessene Himmelsstürmer den Rückzug
an nach der heimischen Sphäre, in die engere und be-
scheidene Beschaulichkeit des Hauptsatzes in A moll, der
nach einem langen Nonenakkord auf E in veränderter
Instrumentation einsetzt. Die Holzbläser haben das erste
Wort, die Celli erst das zweite. Nachdem die Doppel-
periode harmonisch genau wie im ersten Teü des Satzes
verlaufen ist, nimmt die Musik einen neuen, sehr erregten
Charakter an. Ein Trugschluß nach Bdur markiert den
Anfang der Stelle. Sie endet damit, daß, von den ersten
r
_^ 579 ^^
Violinen tumultuarisch begrüßt, in den Holzbläsern wie
ganz von fern das Thema des Mittelteils des Adarsatzes
noch einmal erscheint. Unter dem Eindruck dieser
IHsion endet der Satz ohne innerlich zur Ruhe und
zum Abschluß gekommen zu sein. Am deutlichsten geht
das aus dem unvermittelten Nebeneinander von pp und f
hervor, in dem sich der Anfang des Amoll-Themas verab-
schiedet. Es wäre denkbar, daß der Satz und namentlich
sein Schluß auf abergläubische und hysterische Zuhörer
beängstigend wirkt.
Dvorak tragt dem ganz ungewöhnlichen Ausgang
seines langsamen Satzes noch dadurch Rechnung, daß er
dem dritten Satz (Allegio scherzando, </s, Bdur) eine
Einleitung vorausschickt, die an die Rezitative erinnert,
mit dem das Finale von Beethovens Neunter beginnt.
Nur eine ganz kurze Pause, die Zeit läßt einmal auf-
atmen , soll dem Andante folgen. p«« j das in
Dann setzt sofort das Achtelmotiv j( ^ *• I ^ Amoll
schloß, auf dem Dominantseptakkord f-dhoes wieder
ein. Es veranschaulicht wohl das Klopfen des erregten
Herzens. Und nun beginnen die Celli eindringlich zur
Ruhe und Besonnenheit zu ermahnen. Das Tutti gibt
den Widerhall der Worte erst einsilbig, immer noch
zagend und erschreckt, schließlich, als das Cello auf es
schließt, gefaßter^ in einem längeren Sätzchen von vier
leisen Takten. ' Da schließt sich an die Fermate, die hier
einem Fragezeichen gleicht, ganz unwillkürlich ein hüb-
scher — wohl böhmischer — Walzer, von dessen Liebens-
würdigkeit der Anfang
AIIegroscIierzaQdo. Js76 _
■ jJ I J^ J J J J I p=^ eine genügende Probe gibt
Diese humoristische Überrumpelung führt glücklich
über eine gespannte und peinliche Situation hinweg. Ge-
wiß bieten die Formen der Beethovenschen Sinfonie häufig
37*
, — . 580 ♦—
Gelegenheit zu sinnreicher Modifikation und poetischer Be-
lebung. Aber erst in neuester Zeit bemtUien sich die Kom-
ponisten merkbarer, sie zu benützen, insbesondere die aus-
ländischen. Das hier von Dvorak gegebene Beispiel ist
eins der auffälligsten und wirksamsten. Die Weiterfühmng
des Themas ist zunächst ganz unregelmäßig. Die Flöten
und Klarinetten nehmen es den Violinen ab. Es moduliert
nach Dmoll und geht mit den Bläsern nach Bdur zurück.
Sofort nach diesem Bdur-Schluß nimmt aber die froh ge-
mütliche Tanzweise einen schwankenden Charakter an:
der ganze Mittelteil des Hauptsatzes verläuft stockend:
durch Generalpausen, verlegene Wiederholungen ver-
sprengter Motive unterbrochen, in Fugensätzen die offene
Ratlosigkeit verkündend. Das Seitenthema, das sonst
üblicher Weise dem Hauptthema Gesellschaft leistet^
bleibt aus. Es senken sich über die Szene die Schatten
des Abends und der Bangigkeit. Der lange Abschnitt
endet mit einem gewaltsamen, plötzlichen Obergang der
Harmonie von Dmoll nach Bdur, der Nuancierung von
p zum ff. Noch einmal eine irrende und suchende
Geigenfigur und dann: Wiederholung des ersten Teils des
Hauptsatzes im ff, demonstrativ mit Kraft und Glanz
angetan. Nach acht Takten aber schon beginnt das
Abschiednehmen, das Schließen und yerklingen. Dann
ein kurzer Obergang im pp, merkwürdig durch die Ent-
schiedenheit, mit der er in fremde Tonart (nach Desdur)
führt, und in dieser: das Trio auf Grund folgenden Themas
m
Es iät dieses Trio eine neue Idylle, ein verschwiegenes
Plätzchen, das sich von dem Festplan des Hauptsatzes
abzweigt, in Park und Bäumen gelegen, für die Zwie-
sprache von Liebenden geschaffen. Die Musik ist in
diesem Satz der Ausdruck intimster Schwärmerei, freudig
ruhiger und inniger Gefühle. Es verläuft in drei Ab-
teilungen. In der ersten spielen Bläser und Geiger nur
V tk
^
581
^ —
zart um Rhythmen, wie das Schumann gern tut. In der
zweiten (mit dem Septimenakkord dea-f-cu-ees setzt sie
ein) erweitert sich das Motiv durch Anfügung des Rhythmus
>-*m I zum Gesapg. Mit dem Eintritt in Adar nnd
Vr * i * ins forte des vollen Orchesters nimmt er einen
Hymnenton an, der uns ganz an die korrespondierende
Stelle in Schuberts großer Cdur-Sinfonie versetzt. Sehr
schön ist es, ,wie diese Abteilung mit dem neuen Achtel-
motiv von dieser Stelle des glühenden Ausdrucks zurück-
lenkt in den Ton stiller Seligkeit. Die dritte Abteilung
markiert mit ihrem ersten Schmerzensakkord: des^f-as-ees-d
den Augenblick des Abschieds, der Trennung, die der Kom-
ponist in neuen Tönen der Innigkeit schildert. Nach dem
letzten leisen Klopfen des Desdur-Rhythmus setzt sofort
laut und mitleidlos der übermäßige Dreiklang desrf-a ein
und treibt zurück in die ländliche Tanzszene.
Das Finale (Allegro molto, C, Fdur} setzt in Amoll
ein, so wie der zweite Satz der Sinfonie, das Andante.
Ebenfalls ähnlich wie in diesem Andante hören wir zu-
erst nur Baßinstrumente. Es sind diesmal Celli und Kontra-
bässe, die — natürlich in tiefer Lage — die ersten 3 Takte
des Themas
AlKgrj» .moito« J^s 186 .
!}?£ " te I? vortragen. Eine Wendung in schwer
' ' ' ' I ' I akzentuierten Vierteln führt nach
Pub 0 A H E fi «mrtii ii«%/l ;« i^^AoA» nPA*!«»» fmu <!««
G moll, und in dieser Tonart fällt das
Tutti ff ein, und erst über diesen Umweg gelangen wir
zu der Lesart, in dei*hier das Thema angeführt ist. Auch
sie bedeutet noch nicht die endgültige Form für den Haupt-
gedanken des Satzes. Dem Komponisten war eben daran
gelegen, auch hier Schema und Schablone zu vermeiden
und uns das thematische Material, mit dem er arbeitet,
in seiner Entstehung und als ein Produkt einer Stimmungs-
krise zu zeigen.' Aus diesem Grunde beginnt er lüit den
Baßrezitativen, mit Unmut und Empörung, mit den horten,
— e 582 <i—
an Beethoven erinnernden Unisonostreichen des gesamten
Orchesters auf den Oktaven von w und 7, die dem oben
gegebnen AmoUeinsatz des Tutti vorausgehen. Er bildet
eine Szene der Verwirrung und Verzweifelnng, die ihren
Charakter am bedrohlichsten in einem hinabstürzenden
Achtelunisono äußert Seinem ff folgt ein piano, der
Eile ein Zögern, und nun kommt eine merkwürdige Stelle,
die jedermann an Schubert und an das Hom im Andante
seiner großen C dur-Sinfonie erinnern wird. Auch hier bei
Dvoi^ak liegt die Vorstellung einer Wundererscheinung,
eines »deus ex machin a« zu Grunde, der die wilden Wogen
sänftigt und bändigt. Die musikalische Gestalt, die der
Komponist dieser Vision gibt, ist die einer liegenden Stimme,
die zehn Takte lang — nach jedem Ton eine kurze Pause —
immer wieder g angibt. Die Bässe steigen drunter von
e bis ins große G und stützen eine Modulation, die von
e'g-b'dea aus tastend und seltsam schließlich nach chcis^-g
gelangt. Danach pin Sammeln und Ausholen in den Stim-
men, und nun erst der eigentliche, der formal richtige
und notwendige Anfang des Satzes: das oben angegebene
Thema in Fdur, natürlich mit einigen Änderungen in
den Motiven: vom zweiten Takt ab in Achteln, bei der
Wiederkehr — die sehr spannend eingeleitet wird durch
ein mächtiges Signal auf bh — in Vierteln. So schließt
die Themengruppe, die düster und schwer begann, trium-
phierend, freudig kraftvoll. Aber dieser Siegeston wird
schnell abgedämpft, der Platz für das zweite Thema
ClarlDette ^^*WJ i-'TN
^
M^IpM^I^ Ji,pn^,l,p
elft
zurecht gemacht.
Dieses führt uns in die Sphäre des Adur-Satzes im
Andante zurück, wenn das auch technisch noch nicht so
gleich zu ersehen ist. Den freien Wiederholungen der hier
mitgeteilten Periode folgt zunächst ein sehr einfacher Nach-
gesang aus Akkordnoten
583
tt^rtuiTf K'fTri j|i \K ■'■II
diesem aber die auf dem Nonenakkord ruhende Musik,
mit der in jenem Andante die Vision des Adur-Themas
verschwand. Ganz natürlich also, daß diese Stelle, als
sie geendet — zunächst einen Alarm erregt
Die Durchführung des Satzes beginnt damit. Das
Hauptthema tritt in Cmoll auf. Bald tritt das Motiv mit
den punktierten Achteln — siehe den zweiten und dritten
Takt des Haaptthemas » in den Vordergrund. £s fügt
sich — beim Eintritt nach Asdur — zu einem Sätzchen,
das an Wiener Tanzweisen köstlich erinnert. Jener oben
angegebene Nachgesang des zweiten Themas und die weh-
mütige Abschiedsmusik aus dem Andante treten an seine
Stelle. Wiederum großer Aufruhr, als sie geschlossen, das
hupfende Motiv sucht sich vergeblich durch den drama-
tischen Lärm des vollen Orchesters durchzukämpfen. Die
HOrner schleudern ein Machtwort drein, und durch die er-
zwungene Stille zieht langsam (tempo Andante), von Oboe,
dann von Klarinette geblasen, der Anfang des Hauptthemas
dahin. Im Trauergewand nimmt der Dichter den letzten
Abschied von seinem schönsten Ideal, von der Erinnerung
an jene Himmelsgestalten des Andante. Die Reprise be-
ginnt mit einer geistreichen Variation. Ein einfaches ge-
stoßenes Achtelmotiv, mit dem von Tonart zu Tonart
rüstig fortgeschritten wird, ist das neue Element Dann
kommt das Hauptthema wieder wie im ersten Teil des
Finale, endlich in der Haupttonart: F dur. Die Gruppe des
zweiten Themas ist einigermaßen erweitert, sie schließt
wieder mit Nachgesang und mit der aus dem Andante
entnommenen Trennungsmusik. Aber diesmal bricht kein
Tumult aus, sondern es schließt sich das fromme Ende des
Einleitungsthemas des ersten Satzes an. Immer freudiger
wird nun der Ton, in dem das Hauptthema (in F) wieder auf-
genommen wird, immer pastoraler, und in den zwölf letzten
Takten stehen wir vor dem Anfang der Sinfonie. Glänzend
intoniert die Posaune das erste Thema des ersten Satzes.
— • 584 ♦-
A. »vorak, Dvofaks vierte Sinfonie (Qdur, op.88j ist in Eng-
Viert« Sinfonie, land ergchienen utid Vielleicht schon aus diesem Grunde
weniger bekannt geworden. Es stehen ihrer Einbürgerung
und Verbreitung jedoch auch innere Schwierigkeiten gegen-
über Sie ist den Begriften nach, an die die europäische
Musikwelt seit Haydn und Beethoven gewöhnt ist, kaum
noch eine Sinfonie zu nennen, dafür ist sie viel zu wenig
durchgearbeitet und in der ganzen Anlage zu sehr auf
lose Erfindung begründet. Sie neigt zu dem Wesen der
Smetanaschen Tondichtungen und dem vonD v,oraks eignen
slavischen Rhapsodien. Die wahre Freude an dem Werk
bleibt den Landsleuten des Komponisten vorbehalten, die
in dieser und jener an sich nur bescheidnen Melodie ein
Stück teuerster Kultur erleben.
Der erste Satz (Allegro con brio, C» Gdur) wird von
einer elegischen Weise in GmoÜ eingeleitet, die durch den
voUstän(£g Schubertschen Schluß mit der Auflösung nach
Dur am meisten fes-
selt. In der Mitte drängt J JJlJ. /]|JJJJ|J.
sich ein Marschmotiv ^
hervor. Dieser Einleitung, die sich hauptsächlich auf Cello
und Hörn stützt, folgt die Flöte mit einem Thema in Gdor
das unter den zahlreichen Ideen, die dem Komponisten
während dieses Satzes durch den Kopf ziehen, die erste
Stelle einnimmt. Nächst ihm gelangt das Marschmotiv
zur größten Bedeutung. Nachdem das zweite Thema mit
seinem Gefolge vorbei ist, kehrt die Einleitung in Moll
wieder. Diese Stelle ist die bemerkenswerteste im Satze.
Ihr folgen Durchführung und Reprise ohne nennenswerte
Beweise von Inspiration oder künstlerischer Energie«
Der zweite Satz [Adagio, s/49 Cmoll) ist der originellste
der Sinfonie und einer der eigensten überhaupt, die wir
auf diesem Gebiete haben. Feierliche Kirchenmusik, Sere-
naden, von fern her kecke Marschklänge — ganz dis-
--♦ 586 %^
parale Elemente schließen sich da höchst glttcklich zn-
sammen.
Der dritte Satz (Allegretto graziosoi s/g, GmoU) hat
zum Hanpttheroa eine Melodie von sehr breitem Wurf und
einem Charakter, der sich ganz für den Hausschatz der
älteren Romantik eignen würde. Als Seitenthema folgt
ihr eine chromatisch beginnende Weise, die in einem etwas
halsstarrigen Kanon durchgeführt wird. Der beste Teil des
Satzes ist das Trio in Gdur. Seine Melodie hat Kinder-
augen. Das Finale (Allegro roa non troppo, ^y^, Gdur)
wird von einem sehr anspruchsvollen Trompetensolo ein-
geleitet, das uns wohl zu einem Nationalfest ruft. Volks*
spiele in , Gestalt von Variationen über eine Paraphrase
des Hauptthemas vom 1. Satze — siehe das erste Noten-
beispiel — füllen es zum größten Teil aus.
Eduard Hanslick faßt in seinem Buche: »Fünf Jahre
Musik« einige Kammerkompositionen Dvofaks als des Kom-
ponisten »Amerikanische Musik« zusammen. Das Haupt-
stück dieser Abteilung zu sein, darf Dvofaks neueste, seine a. Drorak,
fünfte Sinfonie (EmoU, op. 96) beanspruchen. Sie führt Ftt»'*« Sinfonie
oflen den Titel »Aus der Neuen Welt«. Ein Programm
will diese Bemerkung wohl kaum bieten, dio Sinfonie malt
und schildert nur sehr bescheiden. Sie sollte den Freunden
Dvofaks ein Lebenszeichen bringen, die Fragen nach sei-
nem Tun und Ergehen nach echter Künstlerart nicht mit
Reden und Worten, sondern mit einem Stück seines besten
Lebens beantwortenr Da kann sich jeder überzeugen, ob
er noch der Alte im fremden Lande geblieben. Spärlich
und nicht gerade imposant kommen einige neue Ein-
drücke zum Vorschein, die die New Yorker Zeit in Seele
und Phantasie verursacht hat; mächtiger schlägt aus dem
originellen Künstlerbrief die Sehnsucht nach der alten Hei-
mat, die Liebe, die ihn an der Väter Sitte bindet, hervor.
Einen äußerlich greifbaren Niederschlag des Amerika-
nischen Aufenthalts bietet die Sinfonie in einer handvoll
aus der Volksmusik der Neger oder der Indianer stammen-
den Originalmelodien, die ih den einzelnen Sätzen des
Werkes verstreut und versteckt sind. Der amerikanische
._* 586 «^
Neger hängt mit der Musik fast ausschließlich durch den
Rhythmus zusammen; bei weitem höher stehen die In-
dianerweisen. Ihnen begegnen wir deshalb auch häufiger
in Instrumentalkompositionen der jungen amerikanischen
Schule; auch Heinrich Zöllner hat in einem seiner Chöre,
dem »Indianischen Liebesgesang«, eine sehr hübsche
Probe davon gebracht. Daß ein Vertreter nationaler
Elemente in der Kunstmusik, wie Dvofak, Volksweisen
überall, wo er sie findet, teilnehmend und liebevoll be-
handelt, versteht sich ohne weitres. Wenn wir trotzdem
sehen, daß aus dem amerikanischen Material in dieser
Sinfonie nicht viel geworden ist, so führt diese Tatsache
zu der Vermutung: daß die Natur dieses Materials dem
Wesen der Sinfonie zu fremd gegenübersteht.
Der erste Satz beginnt ih einer langsamen Einleitung
(Adagio, Vsj EmoU) mit nachdenklichen, durch Synkopen-
rhythmus gezeichneten Motiven, die leise von den Cellis
zu den Flöten ziehen. Plötzlich setzt das Streichorchester,
an das Synkopenmotiv anknüpfend, unisono im f[ ein,
die Pauke dröhnt, scharf fahren die Bläser auf, die Har-
monie ist von Emoll nach Bdur gesprungen. Es muß
etwas Bedeutendes vorgefallen, eine große Wendung ein-
getreten, ein wichtiger Entschfuß gefaßt sein. In der
neuen Tonart treten neue Motive auf: die Bedenklichkeit
(in den Holzbläsern) wird vom Wagemut (Celli, Bratschen,
Hörner) vertrieben. Die aufsteigenden Töne dieses zweiten
Motivs künden das Hauptthema des Allegros (S/4, Emoll)
an. das nach wenigen Takten eintritt. Seine vollständige
Gestalt
Allegro msHo. J = 186
Corno.
ruht in der ersten Hälfte auf dem Klang des zweiten
Homs, in der zweiten auf Klarinetten und Fagotten,
spricht in jener großes Sehnen und Erwarten, in dieser
etwas stürmisch Behagen und Befriedigung aas. Die
nächste Wiederholung, an der Spitze die Oboe, führt nach
-^ 587 %^
Gdur und sofort mit Trugschluß uach Hdur. Von da an
setzt es mit der ersten Hälfte allein sa neuen Sätzen an;
die Stimmung schwingt sich auf, und es kommt zu. einer
neuen Wiederholung des Hauptthemas in seiner Original-
tonart im fff. Im Triumphe zieht es vor&her, gefolgt
von einer Kette froher Gefühle üher das leitende Motiv
der zweiten Tbemenhälfte gebildet.' Ehe man es erwartet,
wird abgebrochen; der freudige Ton wird schwächer,
zögert und schwankt. Wir stehen vor einem psycho-
logischen Vorgang, wie ihn jeder jeden Tag erlebt: Eine
Fülle innerer Gefühle schwindet plötzlich vor einem Ein-
druck, der das äußere Auge getroffen hat. Die kleine
Barbarenmelodie
Fl.o.Ob. >-v_^-5
-^ i r ; r r r t
C5roo. -^^ •^'
ist in Sicht gekommen. Alles was DvoiPak bisher gegeben
hat, konnte in Europa heimisch sein; diese Tanzweise
führt uns zum ersten Mal in die neue Welt, wenigstens
auf einen der Kultur entrückten Boden. Das sagt uns vor
allem das f an Stelle des fis. Wo der Leitton aufhört,
da beginnt das Naturvolk oder das Altertum. Der fremd-
artige Charakter der Weise wird aber durch Nebenum-
stände noch unterstützt. Da ist das Hom, das die ganze
Zeit T in Vierteln gibt Auch in den Violinen zittert
und schillert dieses d. Als das amerikanische Thema zum
ersten Male erscheint, da hat der Komponist noch nicht
die Absicht, sich ihm gefangen zu geben. Die Flöten
und Oboen bringen es als Kontrapunkt, als Begleitstimme;
die geistige Führung liegt, wenn auch nur leise, noch in
der Klarinette. Aber schon nach 8 Takten ist das anders.
Da kommt die Melodie der Wilden ih die zweite Violine
und bringt ihren ganzen aus der Heimat gewohnten
Musikapparat mit: die liegenden Stimmen und die Quinten-
bässe. Und nun ist auch die Phantasie des Tondichters
auf eine weite Strecke ganz von diesen drolligen Mo-
-^ 588 «^
tiven in Beschlag genommen. Er sucht sich ihrer mit
einer ernsten Baß weise zu erwehren, aber drüber spielen
die Sechzehntel weiter und in den Holzbläsern kommen
gar neue Motive dazu, die mit Pralltrillem und kecken
Rhythmen des Abendländ^ers zu spotten trachten. Die
lustige Weise war nur ein Vorläufer; in das eigentliche
amerikanische Musikwasser kommen wir erst mit dem
zweitön Thema, das die Flöte in Gdur bringt
p
Mit ihm schließt auch der ganze erste Teil des Satzes,
die Themengruppe sofort ab.
Die Durchführung beginnt, indem sie an das Ende
des zweiten Themas anknüpft, auf dem übermäßigen Drei-
klang g-h'düj der 12 Takte lang immer leiser gehalten
wird: Der Dichter, von den neuen Eindrücken überwältigt
und verwirrt, schlummert ein. Wie im Traum tritt nun
in seiner Seele das entlegenste zusammen: der Anfang des
zweiten Themas und der Schluß des ersten. Dann kommt
dieses zweite Thema — jetzt in Adur und Amol! — in
einer närrischen Verkürzung und zerrissen, die erste Hälfte
in den Cellis, die zweite in den Holzbläsern, unaufhürlich
nach vom. Die Kombination von erstem und zweitem
Thema kehrt wieder. Dann stellt sich der Anfang des
Hauptthemas mit ein, und sobald es sich gezeigt, ist der
Traumcharakter fQr eine Weile preisgegeben. Jedes der
aus seinem Zusammenhang gerissenen Elemente sucht
sich durchzusetzen und mit Gewalt zu behaupten. Das
gibt eine Art Rüpelszene mit großem Lärm. Erst am
Schluß der im ganzen knappen Durchführung, wo das
Hauptthema entschieden die Oberhand gewinnt, tritt
wieder Ruhe und Klarheit ein.
Die Reprise verläuft regelmäßig bis auf den un-
wesentlichen Umstand, daß das zweite Thema in Asdur
steht. In der Coda läßt Dvofak zweites und Hauptthema
gleichzeitig spielen: jenlBS in den Trompeten, dieses in der
Altposaune. Der ganze Schluß ist in Farbe und Harmonie-
^^ 689 4^
baltung sehr glänzend und rühmt den Freunden in der
Heimat die »Neue Welt« im Superlativ.
Der zweite Satz (Largo, C, Des dar) ist wohl der-
jenige, der bei den meisten Zuhörern der Sinfonie einen
dauernden Platz in ihrer Erinnerung erobert Er ist von
der eigentümlichen, ruhigen und träumerischen Schönheit,
durch die uns zuweilen Bilder der Wüste, der Steppe,
der Pußta so mächtig ergreifen. Die Stille und die Größe
der Sehiläche und der unbestimmte Glanz der drüber
liegt, wirken gemeinsam, Phantasie und Sinne, zu nähren
und noch mehr zu reizen. ' In der Musik finden wir die
Seitenstücke zu dem Satze Dvo^aks am nächsten bei
'Borodin und Rimsky-KorssakofT. Es handelt sich um einen
neuen Ton, dem sich von den älteren nur Liszt'in seinen
Ungarischen Rhapsodien nähert. Dvofak hat vielleicht
Eindrücke der Prärie in sein Largo gemischt.
Der Satz beginnt »wie Orgelton und Glockenklangc
mit feierlichem, breitem Akkordenvorspiel der Messing-
bläser. Darauf setzt das englische Hörn zu folgendem
Gesang an:
jA jjv niii riiii " I u^^p
Des ', De».. F Ges. Aa. Des
Das ist die Stimme des Gottesfriedens, der heiteren
Andacht, der kindlichen Unschuld, erhebend und lieblich
zugleich. Der Satz wird unter Mitwirkung von Klarinetten,
dann Fagotten zu einem bescheidenen Lied von 16 Takten
erweitert. Da kehren die einleitenden Akkorde, jetzt in
den Holzbläsern, zum Abschluß wieder. Darauf nehmen
die VioUnen das Thema zu einem kleinen Satz, der dem
Mittelteil des dreiteiligen Liedes ungefähr gleicht^ das
Schlußwort bat das englische Hörn. Ihm nach gibt, wie
im fernsten Echo, das Hom con sordino die Motive des
ersten Taktes noch einmaL Dieser bis hierher reichende
erste Teil des Largo ist in Desdur geblieben. Der zweite
setzt in Cismoll ein. Sein thematisches Material besteht
aus mehreren Stücken.
590
Das erste Stack wird vom folgenden Thema gebildet:
V.a iiuco piu moBSü
Es bringt von außen her, ähnlich wie die
GmoU-Melodie des ersten Satzes der Sin-
B— eis fonie, Bewegutig in die bis dahin feierlich
ruhige Szene. Als zweites Stück folgt ihr ein langsamer
Gesang in den Klarinetten
Od poco ffleoo «losao.
Ersichtlich ziehen Schatten durch ihn. GUch das Desdur-
Thema einem .Dankgebet, so dieses einer Bitte um Schutz
vor Gefahren. Ziehen wir aber die Erregung mit in'Be-
tracht, die sich in den Rhythmen der begleitenden Streich-
instrumente ausspricht, femer den leisen Ton, in dem
der Satz gehalten ist, drittens den deutlichen nationalen
Anklang in der Melodie, so dürfen wir den Abschnitt
wohl auch auf Heimatserinnerungen des Komponisten
deuten. Das eine schließt in diesem Fall das andere
nicht aus. Wa^ der Poesie versagt ist, verschiedene
Vorstellungen und Empfindungen miteinander in der
gleichen Sekunde zur Anschauung zu bringen, — die
Musik kann es.
Die von diesen beiden thematischen Stücken gebil-
dete Gruppe wird, und zwar in derselben Tonart, wieder-
holt. Der Hauplunterschied ist, daß jetzt die Violinen
führen. Zu dem Triolenthema bringen die Holzbläser
nachahmende und verstärkende Kontrapunkte. Wie das
bei Wallfahrten häufig vorkommt, daß sich an die reli-
giösen Zeremonien ein bunter Jahrmarkt anschließt, so
folgt jetzt dem CismoII-Teil ein dritter Abschnitt unseres
Largo in Cisdur, dessen Charakter durch das ihm zu
Grunde liegende Thema
591
p
genügend gekennzeichnet wird. Es läuft erst durch die
oberen Holzbläser, dann nimmt es das Streichorchester
auf und treibts mit ihm zu einer wilden, bacchantischen
Lustigkeit, die sich mit der Schnelligkeit entwickelt, in
der nur Naturvölker ihre Empfindungen wechseln. Die
Trompeten setzen das Töpfelchen auf das i des tollen
Spuks. ' Sie sind es aber auch , die schon im nächsten
Augenblick der aus Rand und Band geratnen Gesellschaft
der Instrumente wieder den ernsten Zweck der Versamm-
lung zu Gemüte führen. In einem unerwarteten Adur
(unmittelbar auf die Cisdur- Akkorde) bringen sie deo
Anfang des Hauptthemas des Largos, des Desdur-Themas.
Es folgt, in seiner Originalgestalt und vom englischen
Hörn gesungen, diesem Appell auf dem Fuße. Als es
die Geigen aufnehmen, macht sich — in drei Fermaten —
ein wundersames Stocken bemerkbar. Der Satz verklingt
poetisch, als wenn sich Nacht übers Land breitet. Ganz
nahe am Schlüsse hören wir auch noch einmal die feier-
sich langsamen Bläserakkorde.
Das Scherzo der Sinfonie (Mblto vivace, s/4, E moll) ent-
faltet in seinem Hauptsatz einen harten Humor. Diese Härte
beruht weniger auf dem melodischen Thema des Satzes
•* . . J o^ als auf der
MLoIto vivace- d«= 80 p. i. .,
TP Komponist
gibt. Mit einigen erschreckenden Schlägen meldet es
sich in den einleitenden Takten, läßt seine ersten Achtel,
befremdend, zttgcfllos durch die Streichinstrumente sausen,
erscheint dann endlich vollständig, aber auf einem gänz-
lich unbefriedigenden Akkord, (auf der Dissonanz h-d^e-g),
so wie es^ die russischen Melodien zu tun pflegen. Als
es zum zweiten Male seinen Weg sucht, stellt sich ihm
die Klarinette rechthaberisch und ungeberdig entgegen.
Dann hat sich wieder das Tutti des Streichorchesters in
^^ 592 *^
einem übermäßigen Dreiklapg Terützt, und als es endlich
in die richtige Harmonie gekommen ist und im ff die
Unglilcksmelodie durchdrückt, stellen wieder die HÖmer
mit ganz querköpfigen Tönen alles Erreichte in Frage
und ünden leider bei den sämtlichen Holzbläsern Unter-
stützung. Nur die Bässe führen unter diesen Umständen
die Absicht mit dem Scherzothema durch. Aber nach-
dem der Form soweit genügt ist, läßt man es allgemein
fallen. Ganz wider allen Brauch tritt schon jetzt das
Trio ein, ein etwas langsam gehaltener Satz in Edur
mit folgendem Hauptthemä
^JjJ-JJlJJU^
Seine beiden ersten Noten erklären uns, warum der
Satz bisher so wunderlich verlaufen, warum der Scherz
in einen Streit ausgeartet ist. Der zweite Satz, das schöne
Largo, beherrsclite noch die Phantasie, und was hier in
diesem Trio in den Holzbläsern, später im Cello gespielt
wird, ist ein Anklang, ein Nachklang seines Desdur-
Themäs, der Melodie des englischen Homs. Doch lange
dauert der Frieden dieses Trios nicht. Das Thema des
Hauptsatzes setzt wieder ein im dreifachen p und in
Edur. Aber bald wird das Wetter schlecht: ein ver-
zweifelt vorwärts schiebender Übergangs- und Modn-
lationssatz, bei dem die Trompete eine sehr wichtige
Rolle spielt, bringt uns wie im Flug wieder nach Emoll
und gleich an die Stelle, wo die Hörner das ff des Haupt-
themas so heftig bestritten. Sie haben jetzt auch die
Bässe auf ihrer Seite, und es kommt zu einem schnellen
Schluß, oder vielmehr einem Abbrechen. Es ist still
geworden. In den Bläsern hören wir wie einen Wehruf
wiederholt: oA, die Geigen intonieren dazu wie stumpf
und mechanisch das Quintmotiv, mit dem das Thema
des Hauptsatzes beginnt. ,Da werfen die Celli und nach
ihnen die Bratschen in die allgemeine Ratlosigkeit das
— <^ 593 ♦—
Haaptthema des ersten Satzes der Sinfonie hinein, auf
das vor dem letzten Sturm, wohl unbemerkt, die Bässe
schon einmal angespielt haben. Jetzt tut es seine Wir-
kung. Es beginnt ein friedliches Spiel um folgende ein-
fache Tanzweise
iioUo'v\ymt^7o'Z 90
die uns wieder in die deutsche Volksmusik, wieder in die
Nähe von Dvofaks großem Ahnherrn Fraiiz Schubert
föhrt Dem Gdur-Satz, mit dem dieses neue Thema be-
ginnt, folgt eine Fortsetzung in 6 mit weiteren hübschen
Motiven als zweiter Teil, und dann kommt der Gdur-Satz
wieder. Es handelt sich also in der Komposition unseres
Scherzos um die Einschiebung eines dreiteiligen lied-
satzes an die Stelle einer etwaigen Durchführung. Durch
diese Einschiebung, weiter durch die Vorschiebung des
Trios, durch die Aufnahme von Themen aus dem zweiten
und ersten Satz hat aber Dvofak seinem Scherzo einen
ganz außerordentlich individuellen Charakter gegeben.
Das hergebrachte Formenschema ist zwar benutzt worden,
aber die Formen haben eine ganz unerwartete Bedeutung
und Stellung erhalten. Der eigentliche geistige Haupt-
satz ist der Cdur-Sats geworden, den wir eben ver-
lassen haben. Dvofak hat seine wiederholt gerühmte
Kunst der poetischen und dramatischen Belebung Beet-
hovenscher Formen wiederum glänzend bewiesen. Man
kann nur wünschen, daß dieser Beweis auch als Muster
dienen möge!
Die Coda des Satzes ist vorzugsweise dem Haupt-
thema aus dem ersten Satz der Sinfonie gewidmet; ganz
am Schlüsse spielt die Trompete noch einmal auf den
eingeschobenen Cdur-Satz an und bekräftigt damit die
Wichtigkeit, die er in dem nun beendeten Satz ge-
habt hat.
Das Finale der Sinfonie (Allegro con fuoco, C» Emoll)
beginnt in einem ähnlichen Balladenton wie der Schluß-
Kretisch mar, Ftibrer. I, 1. * 88
/
594
satz von Gades Gmoll* Sinfonie. Auch thematisch fühlt
man sich an dieses Werk erinnert, wenn das Hanptthema
wie folgt einsetzt:
Alltgro eon faoco. i z 182
•i^aonier n. Tro mpetei»'
r Lri f ' r ' I ^ ^ ^^' ^^'^ Charakter der indiani-
' " sehen Kriegsmelodien, wie sie etwa
Baker mitteilt*), geht es mit großem Schwang hinaas.
Es könnte 'ein Kunpflied der Puritaner ans den Unab-
hängigkeitskämpfen sein. Nachdem das volle Orchester
die Melodie abgeschlossen hat, findet ihr Siegesmnt
einen weiteren, nidit mehr feierlichen, sondern kräftig
weltlichen Ausdruck im folgenden Thema, das seine
fremdländische Abstammung durch dreitaktiges Metram
kundgibt
^Mr^iiiirrixiiiiir
Zum zweiten Male in der Haupttonart, Emoll, gebracht,
verliert es sich auffällig schnell. Die Harmonie sitzt auf
dem verminderten Septakkord 0*9-0-^-6 fest; zu den vielen
alarmierenden Elementen , die an der Stelle zusammen-
kommen, steuert auch das Schlagzeug bei Wie geister-
haft tritt als zweites Thema des Finale der Gesang der
Klarinette ein
Er bedeutet Heimweh, Sehnsucht nach Vaterland und
Freunden, den Entschluß zur Rückkehr in die alte Welt.
*) Th. Baker: Über die Mosik der nordtmeriktniseheD
WUden. Leipzig 1882.
-^ 595 4^^
Wenn wir es aus dem Thema selbst nicht verstehen
sollten, aus dem schmerzlichen Einsatz, so sagt es uns
das Motiv, das im 6. Takt begleitend einsetzt. Das stammt
aus Dvoi^aks letzter Sinfonie, aus seiner vierten, seiner
böhmischen Sinfonie. Diesem elegischen Thema der
Klarinette, das die Violinen bald aufnehmen, schickt
DvoiFak einen fröhlichen Nachfolger hinterdrein
Sein letzter Takt trägt in übermütiger Färbung langhin
die Fortsetzung, bis ihn zuletzt der Fagott, mit* dem Cello
vereint, leise aufnimmt und das Motiv ins Humoristische
wendet. Ein wenig klingt es ja auch an den Mittelteil
des Cdursatzes im Scherzo an.
In der Durchführung wechselt zunächst dieses Motiv
der Heimkehr — wie wirs wohl nennen dürfen — mit
Bruchstücken der amerikanischen Themen des Finale.
Dann setzt in Fdur die schöne Hauptmelodie des zweiten
Satzes der Sinfonie, des Largo ein, tritt glänzend und
glänzender heraus. Daneben stellt sich dann der Anfang
vom Hauptthema das Finale, plötzlich tritt das Horn^
Siema herein, mit dem die Sinfonie begann: das Motiv
er Erwartung. Jetzt gilt es wohl der Heimreise. Noch
eine Weile streiten sich im Gemüte des Komponisten und
in der Durchführung alte und neue Welt. Dann erscheint
im Meno mosso das Hauptthema des Finale piano von
der Oboe in tiefer Lage und vom Hom geblasen, bald
darauf das zweite Thema, das Thema des Heimwehs in
Edur. Der Abschied ist genommen, der Entschluß zur
Rückkehr gefaßt, und entschlossen, freudig wird er aus-
geführt.
Zwei nachgelassene Sinfonien des Komponisten, A.DToiFak,
die eine in Es aus dem Jahre 1872, die andere in D m oll, Zwei nachgeias.
1874 komponiert, sind unbeachtet geblieben. In der»«°f fj"'*»«*»«"
Esdur-Sinfonie ist das Adagio sehr bedeutend. Gleichfalls "** ^i""*"*
ziemlich unbekannt geblieben ist auch Dvofaks Sere-
^38*
-^ 596 «^
nade fflr Blasinstrameute, ein durch die liebenswürdige
Mischung von individuellen und nationalen Zttgen eigenes
und fessehides Werk,
zdoiko Flbldi, Unter den weitern böhmischen Beiträgen zu Sinfonie
Sinfonie in JSb.^j^^ Suite erregen die Arbeiten von Zdenko Fibich
deshalb das Interesse, weil dieser Komponist durch Ouver»
türen und ähnliche einsätzige Werke ein starkes, in der
Erfindung hervorragendes Talent bewiesen hat Von
seinen drei Sinfonien ist die zweite (in Es dur) in Deutsch-
land bekannt geworden, hat sich jedoch nur wenig ver-
breitet. Das liegt wesentlich an ihrem ersten Satz. Die-
ser setzt mit einem breiten Thema ein:
Allegro moderato.
^ , gdyner. a^ VloL
HolrbÜBef.
'^^^'\l^^f}\ if Ti Uli I j I '
p
das den Ton einer erhabnen Naturode ans<vhlägt, an
Wagners Vorspiel zum Rheingold und an ähnliche Ton-
oder Wortdichtungen erinnert, die auf langgeschwungnen
schönen Wegen zu einem mächtigen, unvergeßlichen
Höhepunkt führen. Wir sind in einer Stimmung wie in
der Morgendämmerung. Der Sonnenaufgang kommt aber
nicht in dem Satze. Es fehlt ihm eine große, klare Bnt-
Wickelung, sogar in der äußren Gliederung bleibt er etwas
verwischt — hat nur präludierenden Charakter und ist
für seine Natur zu lang. Daß die Absichten des Kom-
ponisten weit gingen, ist daraus zu ersehen, daß er nicht
bloß das erste Thema des Satzes, sondern auch das an
und für sich nicht bedeutende, vom folgenden Anfang aus
>^-^p .^py. sequenzenmäßig weiter ge-
*^jit\f\\ fii ff r I T' r I führte zweite Thema iu die
^ ' ^ späteren Sätze hineinzieht.
Diese enthalten sehr viel Frische, Kraft, Poesie und Kunst
und lassen es bedauern, daß der Anfangssatz der Sinfonie
597
nicht besser gelangen ist. Das nationale Element tritt bei
Fibioh in diesem Werke gänzlich in den Hintergrund; nnr
das Scherzo enthält in dem CmoU- Abschnitt einen Teil, der
auf Volksmusik zurückgeführt werden kann. Deutlicher
verrät seine Sinfotiie die Einflüsse Beethovens, Mendels-
sohns und Wagners. Das im Entwurf hervorragende Adagio
der Sinfonie, das durch Einfügung eines mit der »Götter-
dämmerung« verwandten Marschmotivs aus dem Elegi-
schen ins Großdramatische wächst, stellt diese drei Meister
dicht zusammen.
Unter den jüngeren Komponisten, die in den Fuß-
stapfen Smetanas und Dvohdks für die Existenz und Be-
deutung der böhmischen Schule in die Schranken ge-
treten sind, haben die verhältnismäßig größten Erfolge
J. Suk und 0. Nedbal gehabt, jener mit seiner Sin- j.gmk,
fonie Asrael und einer Märchensuite, dieser mit seiner A« »•**»!.
Suite mignonne. Auch V. Noväk gehört mit seinen sinfo- T. HoT&k.
nischen Dichtungen unter die Führer der Schule.
Den künstlerischen Zielen nach gebührt unter den J. Sik,
Werken dieser Tonsetzer der erste Platz dem Asrael ^"»^ (^p- 2'>
von J. Suk. Diese Sinfonie gehört allerdings schon
dem Stoff nach nicht ins Bereich freundlicher und ein-
nehmender Kunst, denn sie schildert in ihren fünf Sätzen,
von denen die ersten drei den ersten, die beiden letzten
den zweiten Teil der Komposition bilden, nur trübe Schick-
sale, ihre Töne sind deshalb fast ausschließUch auf den
Ausdruck von Trauer, Klage und Sehnsucht gerichtet,
Tristanstimmungen durchziehen selbst ihr Scherzo. Dazu
macht es der Komponist dem Hörer auch noch durch
seinen Stil schwer. Auch bei Suk zeigt es sich wieder,
daß die nationalen Schulen ein besonders fruchtbarer
Boden für grammatische Kühnheiten und Extreme sind :
er neigt weit über den Bedarf hinaus zur Ghromatik, zu
Dissonanzen und sekundären Kontrapunkten und zu all
dem Luxus und Ballast demonstrativ modemer Opern-
und Instrumentalmusik, den man einfach als »falschen
Wagner« bezeichnen darf. Aber eine beachtenswerte
Leistung, mit der auch die deutschen Musikfreunde sich
-^ 598 0^
vertraut machen sollten, ist dieser Asrael immerhin. Was
ihn auszeichnet, ist das Talent in der thematischen Er-
6ndang und der feste Charakter in der DnrchfQhrang der
poetischen Aufgaben.
Stärker als in anderen Ländern hat sich der Kultus
nationaler Musik in Rußland entwickelt Es ist erst
durch die nationale Bewegung an die Pflege der höhren
Instrumentalmusik herangeführt worden und hat sich
wunderbar schnell, obwohl ihm Orchester, Konzerte und
eine Menge der wichtigsten Vorbedingungen zu fehlen
schienen, in ihr eine heivorragende Stellung errungen,
die sich eine Zeit lang sogar zur Führerschaft anzu-
lassen schien. An Fruchtbarkeit steht die russische
Schule obenan und ihre Orchesterkomposition weist dem
volkstümlichen Element einen so breiten Raum zu, daß
selbst diejenigen Komponisten, deren Bildung eine ent-
schieden westliche und internationale ist, sich jener
nationalen Strömung nicht entziehen können. Der all-
gemeine europäische Musikschatz ist durch die Russen
stark mit Temperament bereichert worden; weniger mit
Ideen. Denn die Mehrzahl ihrer Tonsetzer bewegt sich
in den nationalen Extremen von Weichheit und Ausge-.
lassenheit Für Kontrapunkt und Instrumentation brin-
gen sie eine außerordentliche Bildung und Begabung mit,
die ihrer Musikschule große Ehre macht. Ihre Leiden-
schaft für das aus den Volkstänzen der Heimat gewohnte
naturalistische Variieren muß jedoch auf die Dauer die
Form der Sinfonie zerstören und bedroht folglich auch
den Geist dieser Gattung wie kein zweites unter den
neuen Elementen. Das patriotische Streben der jungen
russischen Tonsetzer wird durch den Reichtum an heimi-
schen Weisen begünstigt, über welche das vielstämmige
Riesenreich verfügt. Augenscheinlich sind es die der
Kultur ferner stehenden Völkerschaften, zu deren musi-
kalischen Schätzen sich die Schule besonders hingezogen
fühlt. An Gedankengehalt bieten die Weisen dieser Na-
turvölker durchschnittlich wenig: zum kleineren Teil sind
es langsame, auch innerlich wenig bewegte Melodien,
->^ 599 ♦^
aus denen die Melancholie und die Unendlichkeitsstim-
vmong der Steppe spricht, zum weit größren abet kurze
Tanzweisen, welche sich durch fortgesetzte Wiederholun-
gen desselben Motivs weiter fristen. 2Sie halten in Bezug
auf melodischen Wert keinen Vergleich aus mit dem,
was d&e Ungarn und Böhmen auf £esem Gebiete aufzu-
weisen haben, und selbst die Melodien der Skandinavier
sind ihnen an Reichtum der Phantasie, an Freiheit und
Mannigfaltigkeit der Form überlegen. In. dieser Bezie-
hung bieten die russischen Allegrothemen der künstle-
rischen Behandlung große Schwierigkeiten. Aber diese
Nomadenmusik hat andere Seiten, von welchen aus sie
auf die kunstmäßige Komposition sehr belebend einwirkt.
Sie neigt zu dramatischen Formen und bietet im rein
.Klanglichen die erstaunUchsten Originalerscheinungen.
Das Tonleben jener russischen Stämme, welche an den
Ufern der Wolga, an den Küsten des Schwarzen Meeres
und in den Tälern des Kaukasus dem Krieger- und Hir-
tenberuf obliegen, nährt sich von den Klängen der Natur;
ihre Harmonien bilden sie nach dem Vermögen der am
liebsten glissando ansprechenden Balalaika und nach der
Gnade von Instrumenten, welche der sanglustige Reiters-
mann zu Pferde handhaben kann, ihre Akkorde werden
nicht von gebuchten Künstlergesetzen geregelt, sondern
vom Zufall, von der praktischen Bequemlichkeit und dem
Streben, sich Gehör zu schaffen, ihre Rhythmen und
Metren wechseln wie die Launen des Naturmenschen.
Von daher kommt in den Orchesterwerken der jungrus-
sischen Schule der bukolische Grundton, die häufige
Verwendung einfacher und doppelter liegender Stimmen, ^
von daher kommen die elementaren Ausbrüche unge-
zügelter Lust, von daher der Eifer und auch das Glück,
mit welchem diese Tonsetzer ungewohnten instrumen-
talen und harmonischen Kombinationen nachgehen, die
naive Freude an dem Wechsel der Klangfarben, das Be-
hagen, mit welchem sie lange Strecken ein unbedeuten-
des Motiv von einem Instrumente zum andern wandern
lassen. Von der künstlerischen Seite, in Bezug auf
— • 600 ^^
Phantasie und Form geprüft, sind diese nationalrussischen
Orchesterkompositionen im Durchschnitt erfreulich, teil-
weise im höchsten Qrad fesselnd — immer dabei voraus-
gesetzt, daß hinter dieser russischen Musik noch mehr
als hinter der russischen Literatur eine von der unsren
wesentlich verschiedne Welt steht. Wie jede in der
Bildung begriffene Schule, hat auch die jungrussische
barocke und unreife Werke auf ihrem Kpnto stehen: un-
geheuerliche Versuche, Stoffe aus der russischen Sage und
Geschichte musikalisch zu bewältigen. Aber die Mehr-
zahl der Komponisten hält sich ungefähr an den Typus,
M. eiisks. welchen M. Glinka, der Vater jener Schule, in seiner
Kamarinskaja, die Europa zuerst mit russischer Instru-
mentalmusik bekannt machte, aufgestellt hat: die Stim-
mung naiv, heiter, drollig, ausgelassen, von grotesker*
oder träumerischer Poesie, die Form besonders gern durch
wörtliches Wiederholen und leichtes Variieren entwickelt.
Wie Glinka selbst, haben auch seine nächsten Nachfolger
A. Darvomljskjr.Dargomijsky und A. Serow sich nur der Variation und
1. Serow. den kleineren Formen gewidmet. Die erste Russische
S i nf 0 nie hat, wie bereits erwähnt, 1866 der heute als ein«
N. Bimtky • geschworener Programmusiker bekan n te Rimsky-Kors-
Keniftkow.sakow, damals noch Marinekadett, auf einer Welt-
umsegelung komponiert*). Europa erfuhr von dem ernst-
lichen russischen Wettbewerb in Sinfonie und Suite
r.Tiehalkowiiiiy. Überzeugenderes erst durch die Arbeiten Peter T schal -
kowskys. Dm wird die Geschichte, trotz des kuriosen
Widerspruchs seiner Landsleute, als den Hauptvertreter
der russischen Schule ansprechen, nicht bloß auf Grund
der Menge von urrussischen Themen und Motiven, die
er in allen seinen Werken von der Cdur-Serenade bis
zur Sinfonie pathötique verwendet hat, sondern auch
wegen der Unentschiedenheit seines künstlerischen Cha-
rakters, wegen des Schwankens zwischen Tonsprache und
Tonspiel, das er mit vielen seiner Landsleute gemein hat
*) 0. y. Riesemann: Russiflche Sinfonien (Die Mnsik,
J&lirgang 1906/7).
— • 601 ♦—
und das bis in seine letzten und reifsten Arbeiten
geblieben ist. Aber auch unter die Meister der Ton*
kunst wird ihn die Zukunft stellen, denn ist er auch nicht
bis zur höchsten Vollendung gelangt, so muß man doch •
die.Entwickelung bewundern, die sich in seinen letzten
drei Sinfonien zeigt, Werken, die nach der Biographie, dfe
Modeste Tschaikowsky dem verewigten Bruder gewidmet
hat, Niederschläge von schweren, unter den Begriff des
Fatums fallenden Lebenserfahrungen sind.
Tschaikowskys erste hier in Betracht kommenden Ar- p.TBeiiaikoiv8i&};.
beiten sind: die Serenade für Streichinstrumente (op. 48) Serenade.
und zwei Suiten. Die Serenade enthält in ihrem einlei-
tenden, ersten Satze eine interessante Verbindung von
alter (Händelscher) und neuer (Schumannscher] Musik.
Ihr zweiter Satz, ein gut imitierter deutscher Walzer,
weist namentlich in den zweistimmigen Solostellen der
Violinen naiv liebenswürdige Züge auf, und ihr dritter,
Elegie betitelt, zählt in seiner schönen Abendstimmung
zu den poetisch hervorragenden Stücken der Gattung.
Russisch ist nur das Finale, eine Burleske über ein kur-
zes Tanzthema. Sie geht in ihren Scherzen über das
Maß hinaus und streift die Trivialität, ein Fehler, in
welchen der durch Begabung und Bildung ausgezeich-
nete Komponist hin und wieder verfällt Die erste P.TschaikowBk}.
Suite bringt das nationale Element viel entschiedener ^»te Saite
zur Geltung. Der erste Satz durch einige russische The- ^^^' ^^^'
men und durch einen geistigen Charakterzug der ganzen ^
Schule: die Hartnäckigkeit im Verfolgen kleiner Einfälle.
Bald naturalistisch, bald gelehrt, versuchen die Instru-
mente, wie weit sie es mit dem aufgesetzten Motive wohl
treiben können. Der Walzer unterbricht mit vielen
StringendoB und Ritardandos die behagliche Gmndstim-
mung seines Hauptthemas. In der Mitte veranlaßt das
Erscheinen einer gewöhnlichen Achtelfignr einen wahren
Tumult. Spezifisch russische Melodien hat der Satz
nicht, aber mehrere der reinen Freude am Klingen von
Akkord und Ton gewidmete schöne Stellen. Namentlich
der Ausgang des Ganzen gehört in diese Kategorie. Der
-^ 602 ♦>—
dritte Satz ist eine echt russische Burleske» welcher fast
von Anfang bis zum Ende ein und das- na j-ym j
selbe rhythmische Motiv zu Gnmde liegt J «^J ••H'
Mit wahrem Fanatismus feiern es die Instrumente. Der
vierte Satz ist eine gut gedachte Träumerei, in der Fomfi
eines Altemativs. Die beginnende Melodie in AmoU ist
national, der Gegensatz in Adur freie und für die Länge
nicht recht ausreichende Erfindung. An Klangeffekten:
Solis von englischem Hom, Piccolo, Harfe, hohen Hs^-
^ monien, rauschenden Mischungen des Rhythmus ist dieser
Satz sehr reich. Der letzte Satz mischt ein russisches
kurzes rhythmisch gleichförmiges Tanzthema mit f^ien
Stellen, deren musikalischer Qehalt wesentlich auf AkMord-
und Instrumentationseffekten beruht. Nicht bloß dieser
Satz, sondern die ganze Suite entfaltet nach dieser Seite
hin eine unverkennbare Originalität und äußert eine
nachhaltige sinnliche Wirkung. Noch weiter geht in
iMtehAikowiky, dieser Richtung die sogenannte >Nußknacker-Suite«
NwÄnacker- Tschaikowskys , in der die Klangscherze nicht ab-
* reißen. U. a. ahmt das Orchester in ihrem >marche
miniaturec eine Spieldose nach. Die drolligen Effekte
dieser Suite entstammen dem französischen Mnsikboden
und haben auf die jungfranzösische Schule stark surflck-
gewirkt
Die volle Bedeutung und die Eigentümlichkeit Tschai-
kowskys ist erst durch seine Sinfonien ganz klar gewor-
den. Wenn jene Suiten, ' Skizzen und Studien auf dem
Gebiete der Stimmungsmalerei und der Schilderung hei-
mischen Volkstums gleichen, so sind seine Sinfonien
ausgeführte Lebensbilder, die sich um seelische Gegen-
sätze fesselnd, frei, zuweilen dramatisch entwickeln.
Tschaikowsky ist diesen höheren Aufgaben gegenüber in
den meisten Punkten der Alte geblieben: ein Komponist
ohne eigentliche musikalische Originalität im strengeren
Sinn, wenig wählerisch, zuweilen gewöhnlich, niemals
neu in seinen Ideen, aber eine immer offne und ehrliche,
häufig in ihrer Wärme und Herzlichkeit große Natur.
Was aber erst diese Sinfonien an ihm zeigten, das ist
-^ 603 «^
die außerordentliche stilistische Begabung, die Fähigkeit,
.in dem alten Formenbezirk der Sinfonie sich ganz un-
gezwungen zu bewegen und jederzeit und nach jeder *
Richtung auch ungegangne Wege zu finden, die den ins
Auge gefaßten poetischen Absichten gut entsprechen.
Die Anregungen, die auf diesem Gebiete Fr. Liszt gege-
ben hat, sind von keinem zweiten so geschickt, so frei-
sinnig und doch ohne alles herausfordernde Wesen auf-
genommen worden. Zugleich versteht sich Tschaikowsky
in seinen Sinfonien auf die Nietzschesche Kunst, alten
Gedanken, auch wenn sie Gemeinplätze sind, durch den
Ton des Vortrags und durch die Einstellung auf den
gtinst7|;sten Platz einen Schein von Eigentümlichkeit und
besonderer Tapferkeit zu geben. Auch die Reichhaltig-
keit und die stets überdachte Regsamkeit des Orchester-
klangs trägt zu der lebendigen Wirkung von Tschaikows-
kys Sinfonien mit bei.
Tschaikowskys erste Sinfonien scheinen im Dunkel
bleiben zu sollen; zuerst ist seine letzte, die sechste (aus
dem Nachlaß) bekannt geworden und hat rückwirkend
die fünfte und die vierte nach sich gezogen. Von dieser
vierten, der Manfred-Sinfonie, ist bei den zur Programm -
musik gehörigen Werken geredet worden. Auch die
fünfte Sinfonie könnte mit einem gewissen Recht in P.Tsokaikowiky.
diese Abteilung gestellt werden. Denn auch sie führt Fünfte ^'o^<)
ein Programm, oder wie Haydn zu sagen pflegte, einen ^^ ^
Charakter durch und bekennt auch äußerlich, daß ihre
Sätze inhaltlich enger verbunden sind; ja ihr ästhetischer
Wert ruht hauptsächlich darauf, daß diese Musik den
Stempel des wirklich Erlebten und Empfundenen trägt.
Aus dieser Eigenschaft ist auch die Freiheit und teil-
weise neue Führung der Form entsprungen. Tschai-
kowsky Ist in der Weise originell geworden, wie Goethe
es empfohlen hat.
Das Hauptthema der Sinfonie, das wie ein getreuer
Eckart, wie ein Mentor, der seinen Telemach begleitet,
durch alle ihre Sätze mitgeht, treffen wir schon an ihrem
Eingang. Der er«te Satz beginnt mit:
_^ 604 V-
Aodante. J = 80 -"^ ■— s. ^ «
• f j, 111^ II ig iraTcfirrJi^Tf^
r1^ iTfr f nniVi ip ii lO fi
wie mit einem Mahnwort, das ein besorgter Vater freund*
lieh und ernst dem in die Welt ziehenden begabten, aber
leicht gerichteten Sohn zum Abschied gibt Es klingt
noch eine Weile in der Seele des jungen Wanderers
fort; dann tritt es zurück gegen neue und heitere Ein-
drücke, die mit dem ersten Thema des der Einleitung
(Andante] sehr bald folgenden Allegro erscheinen
AUifpro con >niin^ J)» 104
flljbJJiJ^IJjJjjljjljlT
In seiner Vollständigkeit bildet dieses Thema ein
ganzes Lied, dem sich ein lebenslustiger, nach allen
Seiten gefaßten Sinn bekundender Text mit Leichtigkeit
anpassen ließ. An seinen Söhluß heften sich einige
Schößlinge einer wilden Stimmung, die den Charakter
des ganzen Allegro wesentlich mit bestimmen. Es ist
das keck, mit rau- ^ ^ und noch mehr sind es
liem Humor hinab« jl^ ff \ J>p die Figuren, die sich ihm
schlagende Motiv: *^ "'^ •'^ unmittelbar anschließen
^ ^ .-<r^ IT ^^< ^® schon zuerst übermütig
AJ=^^Ü^^^r^^^^p I p genug klingen und sich
später immer stärker über
Gleichgewicht und Ordnung hinwegsetzeil. Der oben an-
gegebene Anfang des Wanderliedes wird nach russischer
Art zunächst freigebig wiederholt, klingt stärker und
stärker und steigert seinen fröhlichen Ausdruck bald bis
an die Grenze der Ausschreitung, stockt da lange Zeit
auf dem j j j geht in einem f ff in die höheren Grade
Rhythmus •* • • der Ausgelassenheit Über, würzt sie
durch Nachahmungen zwischen Hörnern und Geigen,
durch Gegen bewegun gen zwischen letzteren und Po-
-^ 605 ^^
saunen und erreicht so, wie das Tbchaikowkys Musik
gerne hat, eine Stufe des unverkennbaren Naturalismus.
Hinter ihr erhebt sich aber sofort die Stimme der guten
Sitte, der inneren Einkehr in einem an seiner Stelle sehr
schön Wirkenden Gedanken, der noch das für sich hat,
daß er zu dem lustigen, munteren ersten Thema in einem
formellen Verwandtschaftsverhältnis, steht, daß er wie
das Bild der Schwester hereintritt:
IB
Er ist der Gegensatz zu
jenem; aber er ist nicht
das eigentliche zweite Thema des Allegros im Üblichen
Sinne. Tschaikowsky ist hier der Meister der Form, der
überkommene Ordnungen nicht bricht, aber weiterbildet.
Der freundliche Klang des neuen Themas wird schwächer,
stockt und verlischt. Ungestüm tritt wieder die laute
Lust hervor, zu der die Fröhlichkeit des ersten Themas
sich entwickelt .. ♦ f> . Des ersten Themas stei-
hatte: Es ruft 'ffl* T ff T ff IJ gende Motive folgen im
herausfordernd ^ Jif ^ ^ stürmischen Schritt. Die
Fortsetzung aber kommt anders als man erwartet: eine
lebhaft, aber edel schwärmerische Weise
f ijni nll '^'^\ iilii
Sie zieht das vorher angeführte Rufmotiv wieder an,
verbindet sich mit ihm und verklärt sein Ungestüm zum
Ausdruck der Begeisterung. So gleicht der Schluß der
Themengruppe gewissermaßen dem Jubel, mit dem der
Jüngling, seiner Kraft und seines Glückes sicher, die Zu-
kunft begrüßt, die er vor sich zu sehen glaubt.
Die Durchführung führt schnell aus dem hellen D dur
das das Ende des vorausgehenden Abschnitts beherrschte,
hinweg. Das Rufmotiv wendet sich in fernere Tonarten,
es klingt dunkler und nimmt bald den Anfang des Wandrer-
--^ 606 ^^
lieds, des Hauptthem«s des Allegros, als Gesellschafter
an seine Seite. Der Weg wird etwas dichter und einsam.
Da kommt mit einem Male wie ein Oberfall im fff eine
Reminiszenz an die ausgelassene Stelle am Schlosse des
ersten Themas, wo das volle Orchester auf dem Rhythmus
■ ■ I tobte. Auch hier wird dieser Ausbruch unge-
•• # J zügelter Empfindung wieder durch das schwester-
liche Mittelthema zurückgewiesen, jedoch nicht endgütig.
Zwar versuchen die Instrumente mit dem Anfang des
Wanderlieds einen wohlgeordneten und in Nachahmungen
kunstvoll geführten Gedankenaufbau. Aber in andrer Form
schlägt eine elementar erregte, bacchantische Empfindung
immer wieder durch, nämlich in Wiederholungen des Zu-
kunftsmoiivs, das das eigentliche zweite Thema eröfiDiete.
Sie werden reichlich und mit äußerster Kraft geboten.
In ihren Sturm braust gelegentlich auch das Wanderlied
einmal hinein. Im gapzen gibt die Durchführung noch
mehr als die Themengruppe das Bild einer durch eine
Oberfülle von Kraft gefährdeten, einer wenig gebändigten
Natur. Sehr eigentümlich setzt der dritte Teil des Satzes,
die sogenannte Reprise, nach dem schönen, breiten dimi-
nuendo, in dem die Durchführung zu Ende geht, mit dem
Wanderthema im Fagott ein. Dieses Instrument scheint
hier den Philister zu verkörpern; seine halb ungeschickte
Munterkeit wirkt wie ein Hohn auf die Szene des ge-
waltigen, erschreckenden Aufschwungs, die eben vorher-
ging. Dem wird nun ein ehrbares Späßchen, der Geni-
alität wird die Banalität gegenüber gestellt. KlangUch
wirkt der Eintritt der Reprise, weil eine Strecke lang
die Holzbläser allein musizieren, wie ein Gespräch in der
Nebenstube. Im allgemeinen verläuft der dritte Teil des
ersten Satzes ziemlich gleichlautend mit der Themen-
gruppe. Das freundlich, weiblich gestimmte Mittelthema
tritt diesmal ein, ohne vorher vom Toben und Aufschlagen
harter Eisenfäuste geschreckt zu sein. An die Gruppe
des zweiten Themas knüpft sich eine kleine Episode, die
sich scheinbar wie eine nochmalige Durchführung anläßt;
sie dient aber nur zur Pause vor einem letzten glänzen-
_^ 607 ^^
den Aufzug des ersteix Themas, das allmählich aus der
höchsten Ekstase in die äußerste Ruhe zurückkehrt und
sich endlich ins GeheimnisToUe, ins Unhörbare verflüch-
tigt Wie hier, so fällt auch an andren Schlüssen des
Satzes und an den Obergängen die Gelassenheit und die
ruhige Breite auf, mit der sie ausgeführt sind. Das ist in
dieser hastigen Gegenwart ein Zeichen innerer Sicherheit
und' Gesundheit des Komponisten.
Der zweite Satz der Sinfonie (Andante cantabile, ^/s,
D dur) steht zum ersten in einem Verhältnis wie die Rast,
wie die Idylle zur Ausfahrt Die schöne Hornmelodie,
die nach einigen stillen, an Orgelklang und Kirche er-
innernden Akkorden einsetzt
Andaate cantabile. J*s 64
II 1 11,1 LI LI II
gehört zu jenen Gesängen, die wir unwillkürlich auf
innerstes Herzensglück, auf Jugendzeit und Liebe deuten.
Sie paart die Zartheit des geheimen Sehnens, des ersten
Ahnens mit heißer, drängender Leidenschaftlichkeit und
ist in den weichen Vorhalten, die den entscheidenden Zug
ihrer äußereii Erscheinung bilden, ein Abkömmling von
Beethovens Andante der Neunten Sinfonie, in der Schule
Schumanns erzogen und weiter gebildet Die Dietrich
und Raff waren lange die Meister in solchen Tongedich-
ten. ^ Die Weiterführung jener oben angegebenen Periode
dringt in noch höhere Wärme- ptf, ,1,^ »
grade der Empfindung; der A^^^-SJjf l^t i^
Nachsatz kehrt mit dem Motiv "^^^ ^sf*
zu einer beglückten Verschwiegenheit und Selbstbeherr-
schung zurück. Sehr bald folgt diesem Hauptthema, dem
Ausdruck des Sehnens und ^ ot© J - eo
Begehrens, eine Szene, die j'flfl f'"r^ 'A_ i-^
der Erfüllung gleicht Sie 9'^^J^ ^^'Je>Jfi ^ P ^
beginnt wie ein Dialog corÄS*-**r
Das Motiv, das hier zur Zwiesprache dient, finden wir,
nachdem das Hauptthema des Satzes sich im Cello noch
— » 608 «^
t
einmal fast ungestüiu Jiat veruehmen lassen, erweitert zu
ere9cendo
■^^■s j I Das ist also eine Melodie, die
oescnwicnugt und zugleich ver-
heißt Hier wirkt sie wie die Antwort, die Erhörnng, die
der Werbung folgt; sie wird bei jeder Wiederholung
glühender im Ausdruck.
Dem eigentlichen Gegensatz zum Hauptsatze begegnen
wir in: '
Moderato con >niina. Js loo
Aus diesem Thema spricht der Zweifel, die Sorge vor
der Zukunft und dem Schicksal. Es wird mit diesen
trüben und kleinlauten Gedanken sehr ernst genommen,
Stimme nach Stimme trägt sie steigernd vor. Als sie
eine fast drohende Gestalt angenommen haben, da er-
scheint plötzlich das Hauptthema des ersten Satzes, das
ja, wie schon erwähnt, das Leitthema der ganzen Sinfonie
ist, das die Stelle des guten Geistes im Hause einnimmt.
Hier tröstet es, ermutigt, hellt wundervoll auf und führt
zu einer Wiederholung der beiden Hauptmelodien des
Andante im glänzenden und triumphierenden Ton,' einem
Ton, der den Charakter des' Rausches, des Selbstver-
gessens annehmen will. In diesem Augenblick erscheint
das Leitthema der Sinfonie wieder: ernst, auf einem
Septimenakkord, mit einem Anflug von Unwillen und
Verwunderung, als Warner. Es geht in einen halb klagen-
den Ton aus, wie im eignen Bedauern über die unver-
meidliche Strenge und führt zu einem schnellen, ^anz in
Abschiedsstimmung gehaltenen Schluß der Liebesszene.
Der dritte Satz (Allegro moderato, ^4« Adur) sagt
uns durch seine Oberschrift: Valse, was er darstellen
will. Tschaikowsky ist merkwürdiger Weise ein Freund
der Walzer, ohne für diese Gattung deutscher Ver-
— » 609 «^
gnügimgen eine besondere Begabung zu haben. Dieser
Walzer seiner fünften Sinfonie tritt merkwürdig hinkend
und stockend auf, wie die Metren des Hauptthemas
.Allogro moderato. Jt 138
allein schon zeigen. In dem dichterischen Plan der Sin-
fonie hat diese Tanzszene wohl die Bestimmung, eine Stunde
der Verführung vor unsre Phan-
tasie zu rufen. Der Mittelsatz
der Nummer, der über das Motiv
entwickelt wird, schildert die Verwirrung, die sich der
Seele des Jünglings nähert; ihren bedrohlichen Cha-
rakter markiert die Pauke mit aufregenden Schlägen.
Dieser Mittelsatz hat die Bedeutung des Trio im gewöhn-
lichen Menuett und Scherzo. Als der Hauptsatz wieder-
kehrt, zieht er die Motive des zweiten Themas noch eine
Weile mit sich. In einer Fdur-S teile, die kurz gehalten
ist, aber sich durch den starken Klang und den über-
raschenden Eintritt geltend macht, kommt Kraft, Auf*
Schwung, Befreiung und das Ende des Tonbilds.
Das Finale beginnt mit demselben über das Leit-
thema der Sinfonie gebildeten Andante, das ihren ersten
Satz eröffnete. Doch steht es jetzt im hellen Edur, klingt
glänzend und feierlich. Den feierlichen Ton verstärken
besonders einige Takte in breiten Akkorden, aus denen
man Glockengeläute zu hören glaubt. Diese Umbildung
der Einleitung der Sinfonie will sagen , daß das in Aus-
sicht gestellte Ziel nahezu erreicht ist, daß das für
die Zukunft gegebene Versprechen nun eingelöst wird.
Doch gilt es noch einen letzten Kampf, den der Kom-
ponist in einem Allegro vivace ((^, EmoU) darstellt
dessen erste AU«gro viv»ea. J:i2o
anfängt. Es .u^ zu groß aus-
wird mit sei- ^'r'ri'rfrif holenden Pe-
ner Umbildung •'^ ^ rioden verbun-
Kretziehmar, Ffibrer. I, 1. 39
— • 610 »^
den, durch
ff\ f^'f\ iHij f. |ili I i I^Ll I
schattiert und durch den ruhigeren und friedvolleren
Gedanken
ausgelöst, den die Instrumente zeitweilig als Kanon fest-
zuhalten suchen. Als eigentliches Gegenthema im AUegro
dient eine Weise, deren Zusammenhang mit dem zweiten
Satz der Sinfonie, mit deren Hauptthema, nicht zu ver-
kennen ist:
[Tir^iiJ I ^H]' fiprj^ete. Die Vorhalte bezeugen
' ' r ' " UUJ^ ^ig Verwandtechaft, und
die Meinung des Tondichters ist, daß die Liebe den
Kämpfer leitet und stärkt. Er schließt die um dieses
Liebesthema gebildete Gruppe damit, daß das Leitthema
der Sinfonie im triumphierenden Ton einsetzt, und knUpft
daran einige freie, ausgeprägt heroische Worte der Po-
saunen und Trompeten. Sie haben zur Folge, daß die
Hauptmotive der beiden AUegrothemen noch einmal im
kräftigsten und stolzesten Ausdruck durchphantasiert
werden; dann folgt die sogenannte Reprise, die Wieder-
holung des Thementeils des Allegros, neu eingeleitet mit
der mutig ausblickenden Zeile:
i*\ II 'r^f^^^'*\* nn r'ni
Nach dem rein musikalischen Wert gehört dieses Allegro
im Schlußsatz von Tschaikowskys fünfter Sinfonie zu den
Sätzen, die uns vor der Überschätzung dieses Komponisten
-^ 611 4^
behüten können. Die Erfindung ist gewöhnlich, die Aus*
führung lässig breit und bequem nach der russischen
Methode des unbeschränkten Wiederholens gehandhabt,
die bei Schilderungen aus dem Volksleben, aber nicht
hier am Platz ist. Doch muß man auch hier wieder die
Klarheit nnd wohlber^chnete Wirkung der künstlerischen
Anlage, des Formenaufbaus anerkennen; die dichterischen
Absichten sind vortrefflich und treten deutlich genug her-
vor. Der Endzweck war, das gute Ende des Finales vor-
zubereiten nnd durch einen Gegensatz zu heben. Dieses
Ende selbst ist nichts anderes als der Anfang der Sinfonie,
das Andante in Eduf und als Maestoso bezeichnet Im
Stile der Jubelouvertüre behandelt, schließt es die Sin-
fonie und erhält ein Presto, in dem Themen aus dem
Allegro noch einmal vorüberrauschen als Anhang und
Krone.
Seine sechste Sinfonie (Hmoll) hat Tschaikowsky p.Tielialkowikj,
pathetisch genannt. Sie ist das im ersten Satz; im Sechste Sinfonie
zweiten und dritten ruhen Leid und Leidenschaften; der oiwi***
Schlußsatz stimmt wider Vermuten ein schweres Weh-
klagen an.
Wie der erste Satz am meisten dem Programm
getreu wird, so ist er auch der Arbeit nnd der Anlage
nach der bedeutendste und von starker Wirkung nament-
lich durch klare Gegensätze. Er sucht darzustellen, wie
sich eine edle Natur von schwerem Gemütsdruck durch
Kämpfen, durch Erinnern und Hoffen zu befreien sucht,
und bedient sich dazu einer Form, die im wesentlichen
den hergebrachten Verhältnissen des Sonatensatzes ent-
spricht. Die Einteilung in Themengruppe, Durchführung
und Reprise ist beibehalten, ein sehr geschickter Tempo-
wechsel gibt ihr jedoch den Charakter der Ursprünglich-
keit. Der Satz beginnt mit einem kurzen Adagio in Trauer-
klang: Das Fagott hält die Rede, und tiefe Instnmiente
umstehen es allein; erst am Schluß j
hört man von den Oboen einen kur- ■»ü ^H^^rj'^* .
zen
Satz
Seufzer. Der Spruch, der dem '^'^" jTyl * i^
zugrunde liegt, ist das Motiv: W**= ^=^
i
39*
612
Aus ihm wird folgende Melodie :
Adagio.
gestaltet, sie wird wiederholt; ein Anhang von 6 Takten,
d,en die Bratsche abschließt, folgt, und damit ist die Ein-
leitung beendet, eine Situation gegeben, die nicht ohne
Klftrung bleiben kann. Das AUegro ül^errammt sie und
wendet sich ohne weiteres dem Motiv zu, das den Gegen-
stand der Klagen in der Einleitung bildete. Er formt aus
ihm folgendes Thema:
AJlBgTo non troppo.
Die Bratschen haben es aufgestellt, Flöten und Klarinetten
übernehmen es: es bleibt ihm also zunächst der belegte
Klang, der gedrückte, traurige Charakter. Das wird mit
dem Augenblick anders, wo es in die Hände der Violinen
kommt. Die tragen es im Nu nach D moU, eilen mit ihm
von Tonart zu Xonart und ins Forte und zur Höhe. Sie
gehen dem Grund der Trauer in höchster Erregung nach
und machen es jedem Hörer schnell klar: warum der
Komponist seine Sinfonie pathetisch genannt hat. Wie
aber Tschaikowsky gern die schwere Rüstung bei erster
Gelegenheit mit einem leichteren Gewand vertauscht, so
gibt er auch jetzt, eben in dem Augenblick, wo seine
Musik ernstlich leidenschaftlich wurde, diesen Ton zunächst
wieder auf. Mit
^^e
rKpi I -t i ■■«r'*^"T""=s^— . beginnen dielnstrumen-
V JjJ J J rydE/rifirP'*-^"- eine Weile tn
^"^^ scherzen; die Wendung
613
^^^I^E
netten abge- .^^
kürzt und ge-|n^E
indenVioli-
yP= nen, die von
r — den Klari-
dient
an der Hand ^ . i l t- l * zum Stur
derTrompe^aSjiji ''r If I T V ' j den Weg
te, die mit"y**^ ' gentliche]
mildert wird in'
längeren Tonspiel, in dem die heiteren, neckischen Cirasien
von der Tondichtung Besitz nehmen und die Grenzen
. leidenschaftlicher Empfindung nur ganz flüchtig berühren.
Beim >un poco animando« findet aber der Komponist
an der Hand ^ i l {.. l . zum Sturm ruft,
zur ei-
len Auf-
gabe des Allegros sehr schnell zurück und entwirft ein
kurzes, aber gewaltig wirksames Bild einer Leidenschaft,
die den Gegner fest packt und nicht vom Platze weicht. Die
Harmonie läßt nicht von ihrem Baß; immer wiederholen
sich die beiden Töne e und es, die Melodieinstrumente
rütteln über zwölf Takte immer nur an demselben Motiv:
_^p^_^__p^^^ Endlich bleibt von dem Aufgebot an
J j j liü^fe Kraft, das das ganze Orchester in auf-
p
«/ regende Tätigkeit gesetzt hatte, das
Cello allein übrig und wird ruhiger und ruhiger. Die Brat-
schen, die diesen Abschnitt des - ersten Satzes begannen,
schließen ihn mit einer leisen bangen Frage: die Ant-
wort kommt in einem Andante, das in dem ersten Satze
dieser Sinfonie die Rolle des zweiten Themas und seines
Kreises einnimmt. Die Wortführer der Russischen Schule
haben es Tschaikowsky übel vermerkt, daß er bei ele-
gischen Aufgaben seine Nationalität vergißt. So spricht
er auch hier, wo er trösten, erwärmen, beglücken will,
ein unverfälschtes musikalisches Deutsch. Die Melodie,
die sein zweites Thema bildet, könnte, wie der Anfang
j ^^ ' beweist, ffanz gut in
; Schumanns »Para-
rdiesundPeri«stehen ;
•fcc. sie fängt so an wie
das Vorspiel dieses Werkes. Auch ihr Mittelsatz bleibt in
614
Ähnlich wie
es mit dem
J^ \ — ** uff^*^ ersten The-
ma des Satzes geschah, wird auch dieses zweite zunächst
unterbrochen und durch einen Gedanken ersetzt, der sich
mit dem Programm an diesem Punkte ebenfalls verbinden
und als eine Steigerung der von dem zweiten Thema er-
öffiieten freundlichen Aussichten deuten läßt. Er gibt dem
Komponisten erwünschte Gelegenheit, sich in dem ge-
liebten Gebiete anmuÜgen Tonspiels zu ergehen. Wir
hören das neue Thema vielfach in nachahmenden Formen;
zunächst führen Flbte und. Fagott das Gespräch. Der
Zusammenhang mit dem Hauptgegenstand dieses Teils
wird dann bald dadurch hergestellt, daß die Holzbläser
das Mittelstück des zweiten Themas in der Form:
f'»-f I iH I f iTnxjt^
n^'v
^
aufoehmen und fleißig wiederholend zu dem neuen spie-
lerischen Seitenthema in einen Gegensatz bringen. Sie
verdrängen es und fQhren zu dem Trostgesang, der das
Andante eröffnete, zurück. Er kommt jetzt im Glanz des
vollen Orchesters siegessicher und schläfert Sorgen und
Leiden ein. Der Komponist teilt das in einem kleinen
Anhang mit, der von dem Einsatz
Modtrato ass&l. J = 88.
U'\^S'\^J^
^r^^
aus ganz still entzückt verlöscht. Ganz zuletzt stimmt
die Klarinette noch einmal die schöne Trostmelodie im
Adagio an; sie hört mit ppTßpp auf. Das ist so, daß
sich der Spieler kaum selbst noch deutlich hören darf!
Generalpause. Und darauf im ff ein Allegro vivo,
das mit der Dissonanz e-es-ga und mit dem wütenden
Ausruf:
— ♦ 615 «^
hereinstürzt.
Das ist ein Aufwachen mit Entsetzen, wie wir es
ähnlich vom Schlußsätze der neunten Sinfonie her kennen;
nur stoßen Himmel und Hölle hier hei Tschaikowsky ganz
unvermittelt und hart aufeinander.
Wir sind mit dieser Stelle in den Durchführungsteil
des ersten Satzes eingetreten. Er hat zwei Abschnitte.
Der erste, dem Anfang entsprechend, in äußerster Auf-
regung gehalten, setzt zweimal mit dem Hauptthema des
AUegro (von Dmoll und Emoll aus) zu einer wilden
Fuge an, an der sich jedoch nur die ersten Violinen
und die Bässe beteiligen. Die zweiten Violinen und
Bratschen treiben einander in die Leidenschaft mit dem
Thema:
jJJ'l'^LlJuj 'LiiJ
und in liegenden Stimmen dazwischen. Als die Erregung
die Spitze erreicht hat, bringen die Trompeten die mitt-
leren Takte aus dem zweiten Thema jetzt in der Form:
J^ -■ , , und im ver-
Jl rr ir 'i h f ^\\' h* zweifdisten
^^\jBS^ ' ' ' Ton. Der
Anlauf endet erfolglos und vergeblich, die Posaunen und
Tuben stimmen ein Sätzchen an, das einem Grabgesang
ähnlich sieht. Als sich Trompeten und Hörner ihnen an-
schließen, wird das Feuer noch einmal entfacht und es
kommt zu einem zweiten leidenschaftlichen Ausbruch.
Auch dieser zweite Abschnitt der Durchführung erregt und
ergreift, aber in einem andern Sinn als der erste: Dort
Ringen, hier Klagen. Er endet in Resignation und führt so
sehr natürlich in den Trauerten zurück, mit dem das Alle-
^
--♦ 616 ♦^
gro und das erste Hauptthexna des Satzes begann. Die
Reprise setzt zunächst im engen Anschluß an äak Ende der
Durchführung in B rooU ein. Als sie die Haupttonart er-
reicht, schlagen die Wogen der Leidenschaft schon wieder
hoch ; das Haupttfaema wird Silbe für Silbe in Nachahmungen
wiederholt, es klingt gewissermaßen mit solcher Gewalt
hinaus, daß es die Wände widerhallen. Die abschwei-
fende Episode, die im ersten Teile dem Hauptthema
folgte, fällt in der Reprise weg. Das zweite Haupttheroa
(jetzt in H dur) gelangt dadurch zu großer Bedeutung und
gibt dem Ende des Satzes sein hoffnungsvolles Gepräge.
Ein kurzer Anhang (Andante mosso] über das Thema
4^* ^ f! iL ' ^^^^ ^^^^^^ ^^^ ^"^^^ Schluß.
Im zweiten Satz (Allegro con grazia, V4> Ddur)
macht der Pathetiker dem behaglichen Epikuräer Platz.
Wir haben es hier mit einem ähnlichen Versuch zu tun,
einen heiteren Satz an die Stelle des üblichen Adagio zu
bringen, wie ihn Beethoven in seiner achten Sinfonie
unternommen hat. Die Wirkung hat auch hier dem Kom-
ponisten recht gegeben. Der Zuhörer verzichtet nach den
durchle^bten Stürmen des ersten Satzes gern auf hohe
Gedanken und tie&te Gefühle und freist sich über das
trauliche Stilleben, das ihm hier geboten wird. Es fügt
zu seinem Wert als Erholungsstück noch den Reiz einer
musikalischen Seltenheit: es führt den sonst im wesent-
lichen nur für die Xjelehrten existierenden Vi^liythmus
praktisch durch und löst diese Aufgabe ganz anmutig.
Auch apdere russische Sinfoniker arbeiten mit V«* ^uid
V4 Takten gern und glücklich, weil diese Rhythmen in der
russischen Volksmusik heimisch sind. Die Anlage der
kleinen zierlichen Komposition ist höchst einfach. Der
Hauptsatz hat als erstes Thema die Melodie
jM \j rri|i| ir/i| ii
•/ "Z ^^^
617
Sie kommt viermal hintereinander. Darauf folgt ein
Seitensatz mit dem von der Hauptmelodie abgeleiteten
Thema:
das ebenfalls viermal durchgespielt wird. . Darauf kehrt
die Hauptmelodie zurück, und erst als sie zum dritten.
Vorbeizug ansetzt, wendet sie sich aus D dur hinweg und
läfit in den sittsam und artig gleitenden Reigen einige
kräftigere Tone herein: .
Die vielen Wiederholungen beruhen, ebenso wie der
.Takt, auf Einflüssen russischer Volksmusik. £s muß
dem Komponisten nachgerühmt werden, daß er in der
Umkleidung der einfachen Figuren mit neuen Klängen
außerordentlich erfinderisch gewesen ist. Die Wieder-
holungen sind ebenso viele Variationen in der Instru-
mentierung. Außerdem liegt aber in der Einförmigkeit,
in dem Festhalten an demselben Phantasiekreise in
diesem Falle nicht bloß ein gewisser Balsam, der nach
dem ersten Satz heilend wirkt; es liegt darin auch die
Poesie des kleinen Tonbildes. Denn es ist gedacht als
eine Musik aus Väterzeiten, gewissermaßen als ein alt-
russischer Menuett , als ein Stück friedlichster und be-
freiender Erinnerungen. Der Mittelsatz hat einen absicht-
lichen ländlichen Beiklang: Sein Thema
'j'MqQiOf^P
und die zu ihm gehörenden Umbildungen und Ergänzungen
ruhen alle auf demselben Orgelpunkt: d im Baß. Es ist
«18
als wenn die Leute aus dem Dorf Besuch auf dem Schlosse
machten. Zierlich, wie die ganze Nummer gedacht, ver-
klingt sie in der zartesten Weise.
Der dritte Satz (Allegro molto vivace, ^/^ Gdur)
hat die äußerst starke sinnliche Wirkung fQr sich: Für
den Klang dieser Komposition sind alle Register gezogen,
vom leisen Säuseln, von den niedlichsten Elfenstimmen
bis zum förmlichen Orchesterorkan; diQ Form entwickelt
sich durch die immer größere Anhäufung gleicher Glieder
und Bestandteile nach dem Muster des Heerwurms zu
einem bedrückenden Phänomen. Es hat unstreitig an
diesem Satz ein gewöhnlicher Naturalismus einen starken
Anteil; gleichwohl ist er auch nicht ohne Originalität, qnd
diese liegt darin, daß die Gattungen des Scherzos und
des Marsches in ihm sich verbinden. Als Scherzo beginnt
er mit einem Thema:
^ Allegro molto Tjyce. J = ISS
■ ^t»-— •«
rpirn ■ ^ ■ nn L.. das einem Mückentanz
v^ ULJ oder irgendeinem Freu-
denfest flüchtigster und heimlichster Lebewesen zur musi-
kalischen Unterlage dienen könnte. Man hat seine Freude
ah diesen hin- und herhuschenden Tönen und merkt
darüber lange nicht, daß sich ihrem Spiel, bald nach-
dem es begonnen
hat, ein fremder
Gast beigesellt hat:
Die Bässe fahren, wie in Mendelssohns Sommemachts-
traum mit langen Tönen plump drollig dazwischen. Auch
BiBrliozsche Geister kommen in pizzcato-Noten und andren
Instrumentenfeinheiten aus der »Fee Mab« zum Besuch.
Es ist ein reizendes Stück freundlichster Gespenster-
musik, für das der Komponist reiche und belebende Ein-
fälle jeglicher Art zur Verfügung zu haben scheint. Wir
619
hören Gemütsklänge, als es zur ersten Wiederholung kommt
^jl_ I j py^ wir hören immer neue Ko-
m^Wr f-' P'^'^yilP ^'^ boldlaute, namentlich von
^ den Bläsern her. Wir hören
aber auch, wie das flotte Marschmotiv, daß sich zuerst
so unbemerkt und klein hereingestohlen hatte, anwächst
und sich nach vom drängt. Die Violinen bringen es als:
j*tf p^v>^vf--""-ir--Elifiiliffi^-j'[r-T^
Gleich darauf antworten die Hörner:
Es fängt an, anhaltend mit seinem flotten Rhythmus durch
die Bläser zu ziehen, und nicht lange dauert es nun mehr,
da' sind die Elfen auf die Seite gedrängt,, müssen ganz
fliehen, und die Musik zieht daher wie ein lustiges fran-
zösisches Bataillon: Ein unverfälschter Geschwindmarsch
ist in neuer Tonart (E dur) eingetreten, dies ist sein Haupt-
thema:
Er ist leichtfüßig und leichtherzig, macht aber zur
Abwechselung auch grimmige Geberden, z. B.:
fuh Ji M r'r r r r r »»«i mit JT^ i ;.
und zeigt sich -f.ä t^ . ■ »i * , ^ _ -f;-^ Zunächst .
barsch und iiMTii jJ^^^^mJ I JiTgfab benimmt
kraftvoll mit: If ^^-^^ er sich
aber im ganzen so maßvoll wie es dem Trio im Scherzo
geziemt. Er zieht sich zur rechten Zeit zurück und die
Elfen kehren wieder. Doch bleibt es nicht dabei, son-
dern der Marsch drängt ein zweites Mal auf den Haupt-
platt-und entwickelt nun ein Beharrungsvermögen, dessen
•— ♦ 620 ♦^
Ungebühriichkeit sich weder mit der Berufang auf die
mssieche Volksmnsik, noch mit dem Hinweis auf die
glänzenden Toiletten, die das Orchester anlegt, verdecken
l&fit Aach mit dem Programm der Sinfonie läßt sich
diese Marschmusik nicht in Verbindung bringen. Sie ist
nicht pathetisch und auch nicht heroisch, wie man be-
hauptet hat, sondern in ihrem Grundcharakter einfach
gewöhnlich, ungefähr von der Art, die Raff einhielt, wenn
er reitende Hexen schildern wollte. An Raff erinnert der
Satz tatsächlich, wie Tschaikowskys allgemeine Verwand-
schaft mit diesem Komponisten eigentlich niemandem
entgehen kann. Nur ist die Naturfrische des Russen be-
deutender, und mit ihr hängt das Farbentalent zusammen,
von dem er hier eine Probe gegeben hat, die die meisten
Konzertbesucher zu berauschen und zu übervi^tigen pflegt.
Mit einem ungeheuer großen Gegensatz der Stimmung
setzt darauf das Finale (Adagio lamentoso, 3/^ Hmoli)
ein. In den trauernden Motiven des ersten Satzes barg
sich Kraft und Stre- /i . \
ben: hier aber er- flM..t'y^"i^"^!l?^: ^"i
fahren wir aus dem jj'^ffft T C_f [^ I ('
Einsatz der Geigen: / ==^ "5^=-^
daß es sich um ein Unglück handelt, an dem nichts mehr
zu ändern ist. So hat denn Tschaikowsky den ganzen
Satz dem Charakter einer Totenklage, eines Requiems
genähert und damit wieder einmal gezeigt, daß die alte
Spohrsche Idee eines ernsten, verhaltnen Schlußsatzes in
der Sinfonie, die ja eigentlich aus Beethovens Pastoral-
sinfonie stammt, an und fQr sich sehr wirksam sein
kann und nicht einmal einer tieferen poetischen Be-
gründung bedarf. Es mag Zufall sein, daß Tschai-
kowsky sich mit Spohr auch unmittelbar in diesem
Finale berührt Denn der schöne elegische Gesang,
den die Bläser zum jrn , , ,
Mittelpunkt des |^^^^g[ I J ' ^ * t i ' J '*"'
Satzes machen: ^
wird von den Geigen in einer Melodie begleitet, die mit
dem Hauptthema im Finale der > Weihe der Töne« nicht
621 ♦^
bloß den Charakter, sondern aucb die Anfangsnoien ge-
meinsam hat.
Der Typus der Sinfonie mit langsamem Schlußsatz ist
an und für sich älter als Spohr und Beethoven und hat
ein Jahrhundert hindurch, von Lully bis Gluck, hei den
Franzosen seine Brauchbarkeit und seine Bedeutung be-
währt.
Tschaikowsky hat unbestreitbar das Interesse für
russische Musik weit und stark gesteigert, das Verdienst,
in ihr Wesen tiefer eingeführt zu haben, kommt aber
nicht ihm, sondern es kommt dem ehemaligen Peters-
burger Medizinprofessor Ä. Borodin, einem jener sChÖp- l. Borodla,
ferischen Dilettanten zu, auf die sich russische Kunst E« dur-Shifonia.
von jeher stützen durfte. Die Bsdur-Sinfonie, mit
welcher Borodin zuerst als Komponist hervortrat, zeichnet
sich durch künstlerische Reife und Abklärung aus und
war deshalb besonders geeignet, em Bild von dem' zu
geben, was die Russen wollen, was sie leisten und was
ihnen fehlt. Diejenigen Sätze, welche den Nationalcha-
rakter am schärfsten ausprägen, sind der erste und
dritte; der zweite ist nur zur Häifle russisch und der vierte
ganz germanisch. I
Der erste Satz beginnt mit einer träumerischen Ein-
leitung, aus der hei aller Einfachheit und trotz des regen |
Rhythmus eine ungewöhnlich starke Schwermut spricht.
Die Bässe stel- Adagio '
len die Haupt- ^ ^S>^1. il ^TTplT ^^ ' ^ P >" P 'l"
melodie auf: ? ' i ^ - '
welche von den Holzbläsern und Geigern mit aufmun-
ternden Motiven beantwortet wird. Die Harmonie deckt
die Formen des Gesanges mehr zu, als sie dieselben
hebt. Da wendet sich die Phantasie mit ^einem ener-
gischen Rucke einer heiteren Sphäre zu; unvermutet
stehen wir im Allegro. In den Hörnern und Holzbläsern |
beginnt ein helles, munteres Klingen, das nur auf Rhyth- \
men gestützt ist. Die anderen Instrumente probieren
dazu jetzt .zart, jetzt kräftig brausend, Motive, die zu dem '
neuen Tone passen, und endlich ist alles zur fröhlichen
^^ 622 *^
Fahrt bereit. Die ersten 26 Takte des AUegro, welche
der Feststellung von Tonart und Thema vorhergehen,
sind für das Wesen der russischen Kunstmusik charak-
teristisch: sie zeigen uns ihre* Liebe zu den Elementar-
kräften der Musik, ihre Freude am bloßen Rhythmus und
am Akkord, ihre Neigung, ohne bestimmten Gedanken-
pfad, ohne die Stütze fest erkennbarer Motive durch die
klangliche Wildnis zu streifen, den Punkt, welcher sie
mit der Natur verkniipft und von der gesitteten älteren
Kunst des Abendlandes unterscheidet, den Punkt, in dem
ihre Stärke und zugleich ihre Schwäche liegt. An dem
Thema, welches Borodin nach dem Abschluß dieser tu-
mnltuarischen Szene aufstellt, ist wesentlich, daß es
aus der Melodie der langsamen Einleitung und somit
von einem * Temperament stammt , in dem schlechte
und gute Laune dicht , AUeyro molto.
beieinander Hegen, es m
hat folgende Gestalt: ^ p
und einen eignen Charakter liebenswürdiger Keckheit,
der wohl an Turgeniewsche Figuren erinnern kann.
Auf gewichtige Gegenthemen hat der Komponist fast
ganz verzichtet. . Ein ein- , . 4 a j t , v^v^ri a ■
ziges, das öfter erscheint: ^^ g ^^ M^ \i ^^^ i J =
nimmt seinen Abschluß identisch mit dem des ersten
Themas. Die anderen — unter denen das Geigenmotiv
AI ^ ^ , *_* ^ I *^ * I * ^ durch seinen festen
^ ^"'' J ^^^^^"i'"^"'^^:P Schritt bemerkbar -^
/y treten nur episodisch
auf. Dem jugendlichen, treibenden Elemente des Haupt-
thema wird nur vorübergehend durch eine sentimentale
Wendung Halt geboten. Alles ist in diesem Satze Be-
wegung und sprossendes Leben, aber von einer großen
Gleichförmigkeit der Gestaltungen. Denn diese ruhen bis
auf wenige Ausnahmen alle auf der kurzen Form jenes
mit a) bezeichneten Thema. Es herrscht Poesie in dem
Satze: aber es ist die Poesie der Steppe, welche an den
Wechsel von Höhen und Tälern gewöhnte, stille Plätz-
chen hebende Gemüter zunächst etwas befremdet. Sehr
623
anzaerkennen ist die Kunst, mit welcher Borodin das
führende Motiv immer wieder in neue Orchesterfarben
kleidet und den Satz ohne Stockungen immer leicht im
Fluß erhält. Besonders schön ist der Schluß des Satzes,
ein Andantino mit Abschiedsstimmung, durch rhythmische
Verlängerung der beiden Themen a und 5 gebildet.
Der zweite Satz, ein Scherzo (Prestissimo, s/g, Es
dur) hat zum Hauptthema folgende Melodie :
Prestisslmo.
p. ♦•T"p^. M u .r . ^*® *^*^ ^^ Violinfiguren
' I r I ' I r ir '"P 1 1 versteckt und auch wegen
ihrer auf die Symmetrie verzichtenden Periodisierung
schwer zu verfolgen ist. Als Trio bringt dieses Scherzo
eine Art Dudelsackmusik, in der folgende drollige Melodie
durch die Instrumente wandert:
■^- ^ ^ ^ ^, J*^ 1^ j— |— I Das ist ein echtes Bild aus dem
* UJ Lj ^1* V' =^ russischen Volksleben, durchaus
heiter und naiv. Es wird mit viel Humor durchgeführt,
namentlich das Fagott trägt viel zu seinen heiteren Ef-
fekten hei.
Der dritte Satz (Andante, ^/ifDäui) ist in Bezug auf
nationale Eigenart der vollste und berichtet in kurzen
Melodien, die auf fast unbeweglichen Harmonien ruhen,
voi^ einer kargen, fremdartigen und phantastischen Natur
und von einer tief melancholischen Seele. Er zerfällt in
drei Abschnitte. Der erste beginnt mit einem breiten
Gesang
•>* AadAnte,
> ^ ^ den die Celli anstimmen, englisch Hörn
f Sj^f\f J "■ und Flöte fortsetzen. Er klingt eigen-
tic; tümlich melancholisch ft und die Ver-
-^ 624 ♦—
zierungen, die er enthält, deuten auf orientalisclie -Ab-
kunft In der Harmonie, die in Dissonanzen still liegt^
herrscht ein merkwürdig dämmernder Charakter, • eine
Beklommenheit, der am Schlüsse dieses Abschnittes ein
plötzlicher starker Aufschrei Luft macht. Der zweite Ab-
schnitt wird lebendiger, die Violinen beteiligen sich am
Gesänge, und in den Bläsern zunächst erhebt sich ein
rhythmisches MotiT, das bald näher, bald ferner zu klingen
scheint. Es verschwindet wieder, .lebt nur noch in den
Schlägen der Pauken fort, tritt dann wieder stärker auf,
wächst bis zur Macht tönender Glocken und erregt einen
allgemeinen Aufschwung. Das Tutti stimmt — wir sind
in den dritten Abschnitt eingetreten — die Melodie, mit
welcher der Satz begann, im Stile einer feierlichen Freu-
denhymne an, und mild und sanft klingt das Andante
aus. Der szenische Charakter des Satzes, der Unter-
grund bestimmter Vorgänge, wie Wallfahrt in der Steppe
und dergleichen, ist nicht zu verkennen. Der Schluß-
satz der Sin- ^^^^
fonie, zu des-^j^jg
senHauptthema'
Schumann, zu dessen Durchführungsteile Mendelssohn
die Muster geliefert hat, verläßt den heimatlichen Boden
auffällig.
A. Borodliiy Weil sie der russischen Nationalität treuer bleibt,
Zweite Sinfonie. )||il)eQ seine Landsleute Borodins zweite Sinfonie (HmoU)
seiner ersten vorgezogen; vielleicht ist ihr auch deshalb
die größere Liebe zugefallen, weil sie als nachgelasspes
Kind erst nach dem Tode ihres Vaters (ohne Opuszahl}
vor die Welt trat. Rimsky-Korssakow und Glazounow haben
sich der Waise als Redaktoren und Herausgeber an-
genommen.
Von Zwiespältigkeit ist jedoch au(5h diese Sinfonie
nicht frei, und sie . geht diesmal tiefer hinunter in das
Wesen des Kunstwerks. Waren in der ersten Sinfonie
Borodins die Sätze nur nach den Bildungsquellen des
Verfassers verschieden, so zeigt die zweite Sinfonie einen
Riß in ihrer Seele: Der erste Satz der Sinfonie stellt
-:^ 625 * ♦^
Ideen nnd Ziele auf, die später unbeachtet bleiben und
höchstena noch einmal äußerlich berührt werden: Ein
Heros tritt auf und verschwindet spurlos in den Wäldern,.
Sie ahmt mit Übertreibungen etwa den verwunderlichen
Gang von Freytags »Ahnen« nach, beginnt mit Welt-
bildern und Seelenschilderungen gewaltigen Charakters
und verläuft dann ganz und gar in Dorfgeschichten.
Der Anfang des ersten Satzes (Allegro, Hmoll) be-
ginnt herkulisch mit einem Thema:
das mit dem ersten Seiten thema von H. Volkmanns
DmolN Sinfonie innere und äußere ÄhnHchkeit teilt.
Auch der Gedankengang beider Sätze ist verwandt: Fin-
stre, ernste Entschlossenheit soll milderen Stimmungen
weichen. Bei Borodin treten die weicheren, freundlicheren
Gedanken aber wie seine andere Hälfte an das Haupt-
thema heran, suchen engste Verbindung mit ihm.
Schon im A&Imato assal. JstlS.
£f S^ il'ii.P MirijLJfi^^ -
und damit Volksmusik. Das heroische Thema tut einige
stolze Gänge durch die Tonarten, immer folgt ihm der
freundliche Berater auf dem Fuß. Im Zögern und Drängen
wird A dur erreicht, und da setzt das eigentliche zweite
Thema des Satzes in D dur, pastoral in seinem Wesen,
zuerst vom Cello gebracht, ein:
Poco meno nosso. d : 88.
ebenfalls ein unverkennbares Zitat aus dem Musikschatz
des russischen Volkes. Die Holzbläser nehmen die sehr le-
bendig metrisierte Weise auf, Geigen folgen; die Lustigkeit
wächst, aber auch die Heftigkeit des Widerspruchs. Die
Bässe fuhren die Sache des Hauptthemas ganz entschie-
den, die ländlichen Versuchungen sind abgeschlagen,
EratsBehmtr, FQbrer. I, 1. 4Q
_^ ' 626 ♦—
I
Mit einer gewissen Feierlichkeit, in breiten Akkorden, lang
verklingendem Ton schließt die Themengrappe.
Die Durchführung wird im ersten Teil vom Haupt-
thema ausgefüllt. Nur hat es seinen Charakter verloren:
Eiif ^/%TBki hat sein Wesen verwandelt, ins Leichtfertige
und Wirre gezogen :
Anlmato asi^ 1. , .
'■p F f A l'f im I *itp^
p creso.
Man treibt mit ihm entwürdigendes Spiel, zwingt es, den >
lächerlichen Aufmarsch zu wiederholen, die Geigen machen
seine Schritte spottend nach. Bald treten dann auch das
Freudenthema, das Arm in Arm mit dem Hauptthema in
die Sinfonie herein schritt, und das eigentliche zweite Thema
im Triumph ff auf. Doch kämpft sich endlich das Haupt-
thema im letzten Teil der Durchführung, von den Trom-
peten, Posaunen, Hörnern und den Holzbläsern aus, all-
mählich wieder nach oben. Eine bedeutende Entwickelung
zeigt diese Durchführung zwar absichtlich nicht, jedoch
ist sie in den Absichten klar. Die Reprise bringt die
Themengruppe verkürzt wieder und mit stärkerer Be-
tonung des Hanptthemas, das als Sieger das letzte Wort
breit und donnernd spricht Die Gegensätze des Anfangs-
teiles haben sich in Plänkeleien verflüchtigt, deren Dar-
stellung den Komponisten zu Verkürzungen und andren
interessanten Umbildungen der ursprünglichen Themen
veranlaßt hat.
Der zweite Satz, ein Scherzo in Fdur, dessen
Hauptsatz im Prestissimo (^ = 106) verläuft, ist einfach,
knapp und doch auch originell. Seine Originalität liegt
in dem grotesken Humor des Hauptthemas, der Spaße
treibt, wie die, mit denen man Kinder erst schreckt und
dann ergötzt Er setzt auf einen freien Nonenakkord
fürchterlich ein wie das Finale der Neunten Sinfonie;
dann regt es sich erwartungsvoll in den Hörnern, aus
der Tiefe tappt ein Marsch heran, als kämen Gespenster.
Mit dem Eintritt der Holzbläser löst sich die doppelte
Spannung in eitel Anmut, Zierlichkeit und gute Laune:
627
Preftiasino
rrr tttt tttt
iiii ^2^j, ^^^^ iJiJ
In der Fortsetzung finden sich herumspringende Modu-
lationen, versprengte und verirrte Solostimmen. Als dann
Asdur erreicht ist, kommt die phantastische Bewegung
zum Stehen und bahnt einer Gemütlichkeit die Gasse,
wie sie Schumann in seinen jüngren Jahren liebte: In
Synkopen schiebt sich das Thema
^ yA8
r ^~i I i fc'^JJ ^^T ^^^^^^ ^^^S® ^i°* Beide Gruppen
^""^ -^ des Satzes kehren wieder, das
Seiten thema, diesmal in der Haupttonart, dient zum Ab-
schluß des ganzen Hauptsatzes und vermittelt mit ro*
mantischen, abendlichen Abschiedsklängen den Obergang
zum Trio.
Dieses Trio, ein Allegretto (%, Ddur), gleicht einem
Stück Erzählung aus dem Orient. Es hat den bukolischen
Charakter, den die russische Volksmusik liebt Wie es
Hirtenweisen tun, gleitet seine Hauptmelodie von Instru-
ment zu Instrument über wiegende Harmonien und einen
Orgelpunkt, den der Komponist wunderbar poetisch be-
lebt hat. Er klingt, in einzelne GlÖckchentöne zerlegt,
aus der Harfe her, Hörner und Triangel fallen mit ein.
So ist der Anfang dieses Teils
AU«ffr«tto. Je TB
40*
, — ♦ 628 ♦—
Er geht dann aber ausschweifend sofort nach Desdur und
— irren wir nicht — begegnet da einer leisen Warnung
vom Hanptthenfa dei ersten Satzes in einem Pizzicato-
Motiv der Kontrabässe. Es wird infolgedessen etwas dunkel
ViheT der anmutig unschuldigen Pastoralmelodie. Doch
bald kommt Ddur und voller Sonnenschein zurftck. Wir
bedauern, daß nicht länger Weilens ist. Mit einer ge-
wissen Rücksichtslosigkeit bricht der Komponist ab und
kehrt zum Scherzo zurück. Es verläuft so, wie wir
es aus dem ersten Teil kennen; nur wird dem Seiten-
thema^ als es zum zweiten Male erschienen ist, der
ganze Schluß übertragen — ein schwärmerisches Ver-
klingeh !
Der dritte Satz (Andante, C* Des dur) bietet uns ein
Stückchen Kunst, wie es zurzeit nur in der russischen
Musik zu finden ist, und wie es von russischen Musikern
wieder nur Borodin in der Gewalt hat. Nur einer von
den Lebenden hat sich ihm auf diesem Gebiet einmal be-
trächtlich genähert. Das ist Dvofak im langsamen Satz
seiner letzten Sinfonie, »Aus der Neuen Welt«. Etwas von
der Schwermut, der Traumkunst und Resignation, die in
dieser Musik liegt, ist den Slaven allen als Erbe aus der
gemeinsamen Heimat zuteil geworden. Es spielt aber
auch in diese ethnographisch und allgemein menschlich
gleich stark fesselnde Musik der Orient' stark hinein mit
seinen schillernden und verschleierten Farben, mit der
verlassnen, versteckten Schönheit und der Unendlich-
keitsstimmung, die wir auf Möckelschen Bildern finden,
und auch mit seiner heißen und doch züchtigen Sinn-
licbkeii Ein Teil des Phantasie- und Gemütsgehalts
dieser Musik kommt aber auf eigenste russische Rech-
nung, auf Puschkinsche Landschaft und orthodoxe Reli-
giosität. Sicher ist, daß wenn einst Herdersche Geister
die Summe russischer Poesie und Kunst ziehen, derartige
Sätze wie dieser Borodinsche die Hauptwerke bilden
werden.
Wenn wir unter den dichterischen Elementen, diaeich
hier zu einem Ganzen gruppieren, nach dem bestimmendea
629
fragen, so wird kaum eine Meinungsverschiedenheit darüber
bestehen, daß das religiöse überwiegt. Wir haben es mit
einer Art Abendandacht zu tun: draußen in der weiten
Natur, unter freiem Himmel empfiehlt sich, zur Nacht-
ruhe gerüstet, die Karawane dem Schutze Gottes. Gleich
die vier präludierenden Takte (Harfe und Klarinette) haben
einen feierlichen Charakter. Dann setzt das Hörn ein
mit einer Melodie:
m oanißHl«
Dei > fi Gas Des.
aus der Dank und Frieden nach des Tages Mühen klingen.
Die Klarinette nimmt sie auf. Wir erwarten sie nun auch
im vollen Chor zu hören. Doch dieser natürliche Ver-
lauf wird dramatisch hinausgeschoben. Die Geigen tre-
molieren: ein beängstigender Zwi- ^.Ll, , ^. . —
schenfall. Das Hörn ruft das An- gl'' r t» 1 ^ l|,J 1
fangsmotiv im warnenden Ton: p^^^'^zs^^
wie aus der Ferne, die Bässe nehmen es. ernst und ent-
schieden auf. Als würden Wachen und Vorposten abge-
hörty melden sich aus allen . . J^tü
Richtungen Stimmen mit
dem beruhigenden Thema
das nun auch im Tutti beschwichtigend wirkt. In
breiten, wie Orgel und Kirchenmusik klingenden Akkor-
den schließt dieser erste „.. - . i on.
*v 1. -iA j Ol Pill aauMio. J 3 80l ,
Abschnitt des Satzes m >ctI ^ V»-
Cdur. Der nächste setzt ^fi^ji \^I i l^J li '^
mit einem Thema ein: '^
das die Stimmung wieder in das tägliche Geleise führen
will. Es begegnet in den Begleitstimmen bereits einer
Reibung in Ge- _ ^ das als bas-
stalt eines chro- i^ijiJ J [^J I J l J ;^ so ostinato die
matischen Motivs ><j^ w uw^ - ij^^yj^j^^jg ^^
herrscht, bald in der Mitte, bald in der Höhe durch-
klingt. Der Gedanke an die Gefahr wacht noch und lebt
auch noch einmal in seiner ursprünglichen Form auf und
--t 630 ♦—
wird ^P ßa. . L - 1 ^ ^ ■ I I ■< 1 _^^"" '^'*'
ihr, sogar yfejjjl^ i Jj. | ij I J |J gjjl j |ger der all-
erweitert: ^ ^ ^^"^ ^^ »^ "Jl>- gemeinen
Empfindung, die am Schluß mit dem chromatischen Motiv
(in Adur jf und fff) wieder zum Vertrauen und Gefühl
der Sicherheit und zu einer lauten Anrufung der götl-
liehen Gnade zurückkehrt. Nach einigen in stiller Samm-
lung überleitenden Takten^ in denen zuletzt wieder die
Wächterstimmen erscheinen, ist die Episode, die am Anfang
die Fortsetzung derDesdur-Melodie unterbrach, zu Ende,
und der Chor fällt in sie ein und der Satz geht mit leichten
Anspielungen auf den kritischen Augenblick zu Ende. Das
Präludium rundet die Szene als Nachspiel schönstens ab.
Das Finale (AUegro, 8/4, Hdur) setzt sehr überraschend
ein : Die zweiten Geigen halten dea-as von dem langsamen
Satz herüber in den neuen als etS'gis; drunter setzen die
Bässe mit fia ein. Wir haben also wieder eine der humo-
ristischen Dissonanzen, mit denen die neurussische Musik
die ganze abendländische Harmonielehre aus dem Sattel
zu werfen droht. Auf diesem Akkorde probieren alle In-
strumente erst den Rhythmus, in den Violinen huschen
flüchtige Motive durch, dann stürmen Figuren durchs
ganze Streichorchester, wilde Triller setzen in den Bläsern
ein. Die lustige Spannung dauert 17 Takte; dann erst
kommen wir zur Klarheit, zum Hauptthema des Finale:
AU^rD,J.i«6 ^« }^ echt rus-
3^ :a>^ sisch, naturfrisch
IS ^ L^^ und ausgelassen,
- i- i^^ ^^^ . ^ j^^ Form
durchaus nationale Tanzmusik mit gemischtem Rhyth-
mus (S/4 und V«)- Als das Tutti damit durch ist, macht
es den Platz für Solokünste frei Das Cello schwingt sich
mit dem Thema hin und her, während die Oboe eine
Gegenfi- |j , ^^ die im
gur dazu JkWvf B p p jjJjMH Q fj^ Verlauf
aufstellt: ^ ioie« *- ^ des Sat-
zes mehrmals unsre Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt
Das eigentliche zweite Thema bringt die Klarinette;
631
I
^
^fß^ Durch die Begleitung wird es als
^ f yp f ' ®^^ Abkömmling des DudelsÄcks, als
^ ^ ' echte Bauernmusik gekennzeichnet.
Der Komponist legt ihm die verschiedensten und sehr rei-
zende Frisuren an durch Instmmentierungs- und Harmo-
niekünste, er weiß es sogar majestätisch zu kleiden. Die
seltsamste Verwandelung, die im Finale vorkommt, erfährt
aber das oben angegebene Oboenthema, das beim Eingang
der Durchftlhmng von den Posaunen im breiten s/s Takt
und lento als Bußprediger, wie Wallensteins Kapuziner
auftritt, natürlich nur um einen Sturm von Heiterkeit zu
erregen. In vieler Beziehung, in der innren Freiheit und
Lebendigkeit sowohl wie in gleichen motivischen Bil-
dungen erinnert dieses Finale an den ersten Satz von
Borodins Es dur-Sinfonie und darf mit ihr als ein Haupt«
beispiel fröhlicher russischer Sinfonik betrachtet werden. <
Giazounow hat aus dem Nachlaß Borodins noch ein a. Bor«4U,
Bruchstück einer AmoU-Sinfonie veröffentlicht, das aus^"*^^ Sinfonie
zwei Sätzen, einem Moderato und einem Scherzo, be-
steht. Beide sind im wesentlichen Variationsarbeiten viel-
leicht aus einer frühern Zeit, in der der Komponist sich
noch vollständig unter dem Einfluß Glinkas bewegte.
Wenn sie in Deutschland unbenutzt geblieben sind, so
liegt das in ihrer Schwierigkeit. Diese besteht bei dem
Moderato in den grellen Gegensätzen der Stimmung,
zwischen denen es humoristisch schwankt, bei dem
Scherzo im Rhythmus, einem kaum verständlichen ^/^ Takt.
Wahrscheinlich darf auch die vielgespielte >Steppen- ABorodln,
Skizze aus Mittelasien c als Bruchstück einer un- sieppemkizxe
vollendet gebliebenen Sinfonie Borodins aufgefaßt wer-
den. Sie ist ein Seitenstück zu den langsamen Sätzen
der beiden Sinfonien, eigen durch die unendlich lange
liegende Stimme in den Violinen, die auf den schil-
lernden und geheimnisvollen Charakter der Landschaft
anspielt.
aas Mittelasien.
iT^
--♦ 632 ♦—
Auf Seite Borodins, aber qualitativ unter ihm stehen
|l. B*Ukirew.von den älteren russischen . Musikern Balakirew, Hns-
M.]imHorgikl.s(Hrgski und der schon mehrfach erwähnte Rimsky-
Koniakow Korssakow. Eine weitere Nachfolge, welche die russische
'Sinfonie im bukolischen Gebiete würde festgelegt haben,
blieb aus, und es trat ein Schisma ein, das die russische
Schule in eine Petersburger und in eine Moskauer Partei
gespalten hat. Zur ersteren, die am nationalen Banner
einigermaßen festhält und mit allem Eifer den Kolorismus
A. uuionnow.PP^S^ Zahlen Alexander Glazounow, Arensky, der
A. Areatkyiin Deutschland nur durch seine Kammermusiken bekannt
M. iwAB«w. geworden ist/ und Michael Iwanow, in gemessener
J. Wiktol. Distanz folgen Wihtol, Ljadow, Ljapunow, Mali-
A. l«jadow.schewsky, Tscherepnin u. a. Die Häupter der von
if M'iii?"k^'^®^^®^ Tanejew gegründeten Moskauer Partei, die dem
N.TiielienpBiBi^^^^^^^^P^^^^P keinen Wert beimißt und die russische
8. TftB^eir. Arbeit vom großen und internationalen Gesichtspunkt be-
8. BaehMudmoir.stimmt haben will, sind Rachmauinow, A. Scriabine.
^•^^^»*^lhr Gefolge besteht aus G. Conus, S. Wassilenko,
8. WMsiieBko!^* Catoire, R. Gli6re, A. Goe decke u. a.
G.€atoire. Unter den Sinfonikern der Petersburger Sektion ge-
*• ®^*J*' nießt zur Zeit Alexander Glazounow, ein ansge-
• «••*•«»•• sprochener Eklektiker, der Tolstoischen Bußgedanken und
den kleinen Amüsements des Salons mit gleicher Sym-
pathie gegenübersteht, aber über ein großes technisches
Können verfügt, das weiteste Ansehen.
Außerhalb der russischen Musikstädte ist Glazounow
erst mit seiner vierten und fünften Sinfonie bekannt ge-
geworden, allmählich sind ihnen dann die Vorgängerinnen
gefolgt, und gegenwärtig ist er im internationalen Re-
pertoire mit acht Sinfonien vertreten.
A. eusoinow, Die erste Sinfonie (Edur), Rimsky-Korssakow, dem
Erste Sinfonie Lehrer des Komponisten, gewidmet, ist durchweg ein Be-
(Op.5). kenntms der Lebenslust. Der erste Satz (Allegro, ^'/g,
Edur) gleicht vollständig einer Tanzszene in der gebilde-
ten Gesellschaft; beherrscht wird sie von dem Thema
^f ^rf^y» r --^- - ' jr^.-_ • J ^*^ zunächst also gar nichts
jr- ^ ~^j:f^ -^^-^T^p Nationales, wird aber bald
^^ 633 »^
durch Nebengedanken, durch Rhythmen Wechsel, durch
Musettenbässe und durch den Überschwang im Wieder-
holen russisch gefärbt. Die Arbeit verrät in der kurz-
atmigen Periodisierung, durch das Figurenmaterial bei
den Obergängen und durch deren Umständlichkeit noch
einen Anfänger.
Der zweite Satz, das Scherzo (Allegro, ^41 Gctur) ist
ein Perpetuum ^ . __r_ ., /^8,s äußerst ge-
mobile über Aj^f ^^^yj^ I Pp p /J^wandt durch-
das Thema: "*■ ^ ^geführt wird.
Das Trio hebt sich scharf dagegen ab und verwendet ein
polnisches Thema:
Auch der langsame, der dritte Satz (Adagio, 2/4,
E moll) bleibt in dem freundlichen Grundton der Sinfonie
und berührt ernstere Stimmungen nur, um mit ihnen
liebenswürdig zu tändeln; einige schrillere Lichter ver-
danken ihre Wirkung der .originellen Anwendung des
übermäßigen Dreiklangs, und musikgeschichtliches Inter-
esse erregt der Satz durch eine Anlehnung an Wagners
Meistersingervorspiel.
Mit dem Finale (AUegro, ^4» Edur) hat Glazou-
now dem Vater der höheren russischen Instrumental-
musik, M. Glinka, eine Huldigung gebracht. £s ist
ein frischer und abwechselungsreicber Variationszyklus,
zu dem den HauptstofiF abermals ein polnisches Thema:
P**\fTf\{Tl \nP\ff I geliefert hat.
Die zweite Sinfonie Glazounows (Fismoll) ist, wie die A. GiABomaoir«
Cmoll-Sinfonie von St. Sa^ns, dem Andenken Franz Liszts 2*'«*« Sinfonie
gewidmet. Deshalb beginnt ihr erster Satz mit einem (Op. 16).
Andante maestoso, das über das einfache Orpheus-Thema:
UM t . einenTrau-
JThJ J J U J ] J J I J JJ .^^ emarsch
^ entwickelt
Diese wehmütige Weise wird bald zu einem AUegro:
-^ 634 %^
g^^jAUegro umgebildet und
^Varrrrrr PpfPirfjt^etc. dient in dieser
•^ u-fc-i-i Gestalt dem Aus-
druck eines wilden Schmerzes, der gelegentlich ins Toben
und ins Anstößige gerät, aber auch von milden Klagen
ergreifend schattiert wird.
Die Melodie des Trauermarsches durchzieht auch
den zweiten Satz (Andante, Ddur, V«)» ^^^ ^^ der Haupt-
sache freundlichen Bildern der Erinnerung gewidmet ist,
russisch pastorale Töne anschlägt und Lieblingsmotive
deis heimgegangenen Meisters hinein verwebt.
Der dritte Satz (Allegro vivace, Hmoll,3/^ setzt diesen
Erinnerungsdienst fort, aber in einem leidenschaftlich
erregten Ton, der oft, wie in Gedanken an ungerechte
Gegner, entrüstet wird und mit zahlreichen Akzenten des
Schmerzes gemischt ist.
Das Finale beginnt mit einer ernsten Intrade
und führt, zwi- ^^^Allegio.
sehen einem The- ft Vj _h J i I t n pTI n i I
ma heroischer Kraft g" -^i«* J * liJJJiiJ^^
und einem ^.^.^.^^ ^.^ ^
wechselad, in einer Erregung, die sich durch beständige
Änderungen von Tonart und Taktart äußert, zu einem
triumphierenden Schluß.
A. eiueiBow, Die dritte Sinfonie, (Ddur), Peter Tschaikowsky
Dritte Sinfonie gewidmet, ist diejenige, in der das russisch -nationale
(Op. 33). Element fast ganz zurücktritt, und die zugleich durch die
Natur ihrer Themen und deren Entwicklung es dem Zu-
hörer ziemlich schwer macht.
Insbesondere gilt das vom ersten Satz (Allegro,
Ddur, 3/4), der von seinem nachdenklichen Hauptthema
^ ^^ ^^..^ gar nicht loskom-
V ' • in KRhAr. umstAnn.
in zäher, umständ-
licher, für die Fachmusiker teilweise nicht uninteressanter
Arbeit mit ihm im engen Kreise dreht. Doch fallen
^-^ 635 ♦—
Lichtblicke in den Nebel, und nach der endlichen Auf-
hellung schließt der Satz wirklich schön.
Der zweite Satz (Vivace, Fdur, «/le Vs)« Scherzo fiber-
schrieben, ist ein Bravourstück phantastischer Ballett-
musik, das unter der Flagge einer Elfen- und Gnomen-
jagd oder unter einer ähnlichen Oberschrift passieren
könnte. Es ist eine tolle, nur durch wenige Stutzpunkte
unterbrochene Gaukelei um flüchtige und nichtige Motive,
die aber einem virtuosen Orchester und allen seinen
Instrumenten Gelegenheit gibt, zu spannen und Ehre
einzulegen.
Der dritte Satz (Andante, Edur, 3/4) gehört zu jener
Art von Lyrik, iie durch unaufhörliches Präludieren die
Geduld auf Proben stellt. Den gedanklichen Kern bringt
ein zuerst in Asdur auftretendes Intermezzo mit einer
vom englischen Hörn gespielten Melodie, deren sehn-
süchtige und schwärmerische Wendungen die Kenner
der modernen Oper und ihrer Liebesszenen ziemlich be-
kannt anmuten. Die emsig sinnige Arbeit und der
blühende Klang des Orchesters gehen jedoch über das
Gewohnte hinaus.
Das Finale (Allegro moderato, Ddur, 2/2) setzt auf
dem Thema:
pVfn\üljU^\U^ U'i^m-^
mit großer, aber voreiliger Freude ein. Es bleiben lange
Strecken des Mühens, der Unentschlossen heit und immer
erneuter Ansätze zu überwinden, bis die Anfangstakte
des Satzes endlich aus dem Munde der Trompeten und
Posaunen im sicheren und ernsten Ton des Besitzes
^^ _+__^____ erklingen. Mit ei-
<iR''«'^f |[" r If f If J l " r ner Kombination
"^ ff dieses Hauptthe-
mas und seiner bedeutendsten Helfershelfer schließt das
Finale >grandioso« und rauschend ab.
Die vierte Sinfonie (op. 48} hat die üblichen vieri. eiaioiatw,
Sätze,, da aber das Adagio mit dem Finale zusammen- Vierte Sinfonie
gezogen ist, erscheinen äußerlich nur drei. u^^v*
636'
Sie beginnt mit einem Andante in £smoll über ein
vom Englischen Hörn vorgetragenes Thema, das sich
auf Grand folgenden Anfangs
, Anflant». J*sS8. ^^„^ . --^-^^
etwas bequem entwickelt. Als es -auf der Dominaute
schließt, stellt sich ihm ein Gedanke entgegen, der die
freundlichen, friedevollen Zukunftsbilder dieses Themas
mit leisen Zweifeln und Fragen beanstandet. Den Reden
und Gegenreden wird ein rasches Ende bereitet durch
das Allegro, das ohne alle Vermittelung die Durtonart
durchzwingt. Als erstem Hauptthema begegnen wir in
ihm einer Melodie, die sich abermals etwas breit, unterm
Anteil verschiedener Instramentor entwickelt:
AUBgXD modenAo. Js92. ^^ _ . _ ^— ,^
•M
Sie spricht Worte der Hoffnung aus, in Reimen, die der
Komponist fertig vorgefunden hat, und kommt in der
Fortsetzung in einigen Eifer, den sofort mit Tönen der
Ruhe ein Seitengedanke zu beschwichtigen unternimmt:
j ^^ Das Hauptthema kehrt
"^ wieder, verklingt aber,
als schliefen alle Sorgen
ein, und an seine Stelle
tritt ganz scherzenden Tons das Thema der Einleitung,
bei der Yerwandelung, die es nach Borodinschem Muster
aus Moli nach Dur und in ein fröhlich, flottes Tempo
geführt hat, kaum wiederzuerkennen:
— ♦ 637 ♦^
Damit sind wir ins Volkstümliche und in die ländlichen
Kreise nnd ihre Freuden eingetreten. Die Melodie be-
herrscht diesen Abschnitt eine Zeitlang, wörtlich und
übertragen. Unter ihren Variationen ist eine im rnhigen
Tempo für Hom hervorzuheben. Dann 'führen ausge-
lassenere Szenen nach dem ersten T^ema des AUegro
zurück, und der Schluß der Themengruppe erhält als An-
hang noch einige kurze fröhliche Motive. Statt der er-
warteten Durchführung folgt aber eine Wiederholung
dieses ersten Teils, eben der Themengruppe, mit etwas
verändertem Modulationsgang und auch mit verändertem
Charakter. Es wird etwas länger bei dem ersten Thema
verweilt, es erhält einen sorgenvollen Ausdruck, der sich
laut leidenschaftlich und wieder still seufzend äußert
Diese Stelle führt nach der Einleitung zurück: dem An-
dante mit dem Pastoralthema in Esmoll. Die Freude,
die vorhin durch seine Umbildung in die Gestalt eines
scherzenden Dur -Themas in das Allegro hineinkam, war
verfrüht. Noch ists nur Zeit zu hoffen. Dies spricht ein
letztes kurzes Zurückgreifen auf das Hauptthema des
Allegro aus. Die im ersten Sinfoniesatz üblichen Wege
des Sonatenschemas hat Glazounow zum großen Teil um-
gangen und doch einerverständliche Darstellung seelischer
Vorgänge geboten, ein Bild vom Kampfe edler Triebe mit
den Versuchungen der Alltäglichkeit.
Die anderen Sätze führen dieses Bild weiter: der Schau-
platz wechselt, es wechseln die Charaktere. Das Scherzo
beginnt mit Quin- AUtgro rirao«. J.x is«.
ten, die ungeduldig 6 £ fi £ fi £
erregt in den Fa- 'ji^li ft F P f f 1 | ^^ «».
gotten repetieren:
Das sagt Tanz an, und bald stimmen auch die Klarinetten
einen Reigen an, dessen Melodie:
jfi' ' r^'Trf in r ir Qi i i
— V
--♦ 638 ^^
|n ihrer Mischung von Lustigkeit und Demut an-Rubin-
steins >6räute von Kaschmir« erinnert. In der Durch-
fährung dieses Themas tritt im ganzen sein lustiger,
munterer Charakter mehr hervor. Er steigert sreh bei
dem ersten Tutti zu Kraft und Ausgelassenheit:
;^it£«
|^^^ I f 1 1 ui u i,
an anderen Stellen wird
der Nachdruck auf die
beweglichen Elemente -. -
des Themas gelegt: ^
Der Hauptsatz zerfällt in zwei klar geschiedene Teile: der
erste bringt die angegebenen Themen vorwiegend in 6,
der zweite in F. Als in diesem zweiten Teile die ans
dem Eingang des Scherzos bekannten Baßquinten wieder
erklingen, kommt ein neues Thema:
in den Hörnern, das aber am Schluß die freundlichen
Lockrufe des alten Ilauptthemas aufnimmt, während die
Violinen mit:
■f.r;grrrr|> i'i rt rrriT|T \'r
dazu kontrapunktieren. Es ist, als wollte der Komponist
eine andere Seite ländlicher Freuden, die Jagd und ihr
aufregendes Treiben im Schattenriß wenigstens vorf&hren.
Da kommt aber sehr bald das Trio mit seiner fast in die
Farben der Aeolsharfe gekleideten Musik, deren Eintritt
man zu den schönsten Stellen der Sinfonie rechnen muß.
Die Melodie, die an ihrer Spitze steht und zuerst von
der Klarinette gebracht wird: '
1
639
Poco neno mosso. TranqniUa. o«= 60.
j^H" -'-"^r^'l^i n I 'T| iiTi 1 1 I
ist zwar an und für sich einfach^ aber in ihrem Gegen-
satz zum Wesen der vorangehenden Szenen wirkt sie
wie aus höherer Welt gekommen. Das bunte Treiben*
des, Tages und seiner Lust liegt weit hinter dem Hörer.
Er denkt an den Sternenhimmel und an die ewigen
Fragen vom Menschlichen und Göttlichen. ItR dritten
Teil des Scherzos, am Schluß der Reprise klingt die
Himmelsmelodie des Trios noch einmal an.
Auch der dritte Satz knüpft mit seinem ein-
leitenden Andante an die Stimmung des Trios an.
Es leuchten über dieser Einleitung in den tremo-
lierenden Violinen AnäM^ejU^B^
durch die Bläser zieht:
versucht wenigstens die Töne des Friedens wiederzufinden,
die in jener Abendszene klangen. Der
Versuch stößt auf zu große Erregung,'
die in dem plötzlichen Fortetakt über:
gewissermaßen elementargewaltig hervorbricht. Ihr folgt
auch bald eine jener langen, dem russischen Sinfoniker
eigenen Übergangsstellen, in denen auf liegendem Baß
kleine Motive in die Höhe dringen und wie Wässerchen
zu Wässerchen kommend zum Strom anschwellen, der
dan Damm durchbricht. Dieser Wandel in der Stimmung
tritt bereits im Andante ein, den stürmischen Charakter
nimmt sie mit den ersten Tönen des Allegro an. Da
setzen die Trompeten ein:
Piü mosso. Allegro moderato. Ja 138.
j'ii'iMru' 'I u''uIj i'^iulr*^'
640
nnd alarmieren das ganze Orchester so, daß es ins
Zittern gerät. Der ganze erste Teil des AUegro äußert
wirklich seine Energie und seine Freude vorzugs-
weise rhythmisch, was sein Hauptthema melodisch
bietet^ das erscheint .
noch nicht geklärt: ^""l- JJ J I J J .ij J, J J
die Violinen schwingen ^ »^* Uf p ♦ * b^ ^
sich mit dem Motiv «^
im Kreise und in die Höhe, in den Klarinetten scheint
die meiste Bestimmtheit zu herrschen:
j'^'i \trr II \tt\f\\l\,n\:^rrfß \f
Das freudig verworrene Treiben endigt feierlich mit einem
Desdur-Akkord, und diese Stelle führt edlere Geister her-
bei. Zuerst hören wir
ein Thema in dem ganz fremden Edur. Wie sie ein-
geleitet war, so schließt diese Episode auch wieder feier-
lich^ geheimnisvoll mit langen Klängen, lange liegenden
Akkorden (As, Ges), und nun folgt ein zweites Thema
friedlicher Natur, von der Oboe eingeführt:
Es beendet die Themengruppe des in Sonatenform ge-
haltenen Satzes. Sein Einfluß äußert sich in der Durch-
führung dadurch, daß zunächst die wilden Motive des
AUegros ganz verwandelt erscheinen. Das erste kurze
Violinenthema z. B. kommt in den Posaunen als:
y. 92.
"iL 'i -I ','.1^ ' N il "' '"-
641
Bald erwacht ihre eigentliche Natur, sie ringen und
kämpfen gegen die edleren Hegungen, die mit ihnen den
Weg wiederholt kreuzen. Überraschend erscheint am
Ende dieser Durchführung das Hornthema aus dem
Scherzo gewissermaßen als Bundesgenosse für die Geister
der äußeren Fröhlichkeit; den milderen Mächten kommt
Hilfe durch die schöne elegische Melodie, die den ersten
Satz der Sinfonie eröffnete. Dann folgt bald die Reprise,
die die edleren Themen in größerer Bedeutung zeigte
außerordentlich kunstvolle Arbeit enthält und freudig
rauschend schließt.
Glazouuows fünfte Sinfonie (Bdur, Op. öö) ist einA. eUsoanow,
Werk der Heiterkeit und Kraft, das sich ohne diePönfteSinfonia
modernen Hebel der Leidenschaft und Romantik ent-
wickelt, aber Phantasie und Gemüt des Hörers festzu-
halten und zu beschäftigen vermag. Denn es verrät
überall Geist und eine adlige Natur. Der Verlauf und
Charakter der beiden letzten Sätze scheint die Sinfonie
der Programmusik zuzuweisen. Doch hat der Komponist
nicht verraten, was ihm vorschwebte — vielleicht ein
besonderer Lebenslauf — , da anorganische Einzelheiten,
die im Zusammenhang unerklärlich wären, nicht darin
vorkommen. In der Form zeigt die Komposition ver-
schwindend geringen russischen Einfluß, in der Stimmung
äußert er sich in wohltuendster Art als Naturfrische und
Lebenslust.
Der erste Satz beginnt mit einer Einleitung über
das Thema:
Moderato maostoso. J = 92.
Sie führt zu einem Allegro, das an diesem kräftig fröh-
lichen Grundgedanken festhält Nur im anderen Rhyth«
mus tritt er hier auf und etwas erweitert:
Kretxschmar, Ftthrsr. I, 1.
41
642
-frfrrfjrr^h
Gegensätze im Sinne eines Widersprudto oder einer Ablei-
tung treten ihm nicht in den Weg^ mar Versuche, den frohen
Mut, der aus ihm spricht, nech zu steigern. Darunter fällt
durch seine Entschiedtfoheit der folgende am meisten auf:
Auch das
■v-L£rfinif?i n n j i^^Sl
vif madesSat-
zes bedeutet Zustimmung, Fremde — nur im zarteren Ton:
^^
Weiter bemerken wir noch Motive des Scherzes, Motive
aufwallenden Frohsinns. Alle diese gro0en und kleinen
Einfälle werden variiert, umgebildet und in einem leben-
digen Spiel zusammengebracht, das Humor und Witz
beherrschen. Die Durchführung, die nur kurz gehalten
ist, stellt sich auf einige Augenblicke grimmig. Die Re-
prise, in der das zweite Thema geheimnisvoll spannend
vorbereitet wird, schiebt den Schluß geflissentlich und
fesselnd weit hinaus.
Das Scherzo schlägt mit seinem Hauptthema:
Moderato. ^ = 06.
die flüchtigen Töne heimlicher Beweglichkeit an, mit denen
wir seit Mendelssohn den Begriff von Elfenmnsik verbinden.
Das Stück gleicht einer Stunde aus der Kinderzeit, wo abends
Märchen erzählt werden von schönen Feen und kleinen
Geistern der Luft» Dann poltert ein grober Riese herein :
643
^^ _^ ^ der, nach den tol-
y^'j&f f^ I •[" C^C^i*T"j=^ len Dissonanzen zu
-^ "^^v '^^ ^""^ *^ schließen^die diesem
Abschnitte eigen sind, alles auf den Kopf zu stellen
scheint. Nach diesem Zwischenfall kehrt der Hauptsatz
wieder. Der Mittelteil, der die Stelle des Trios einnimmt,
führt mit ein^r hübschen Volksmelodie hinaus ins Freie:
FochiMinomexi
leno inoBSo.
ifiHf irtirtfii^irrfm
wo sich Tänze und Spiele und gemütliche Zwiesprache
^ji . in zum Teil sehr eigen-
JyH f I J I / J j I J^ j [tümlich sch5nemKlang
^^ ^entwickeln. Vor dem
Schluß wird dieses Trio nochmals kurz angespielt.
Der langsame Satz der Sinfonie, ihr dritter, wird
mit einigen Takten eingeleitet, in denen die Akkorde wie
schwere, trübe Wolken langsam hinziehen und schleichen.
Dann aber treten wie Wandrer, die vom inneren Glück
erfüllt, nicht auf Himmel und auf Wetter achten, die
Gesangsthemen ein, schwärmerischen Tons, wie ein Lieb-
haber in seiner Sehnsucht das erste:
. , Andante. J^= tgO. * ^ i- ^-^ ^^.^^^^
J^ ""^ CT9S0.
■ fi |*n rF> I r^'V- reinster wärmster Zart-
rjj^^ t^'"^ II P lichkeit voll das andere:
^ , Con_moto. '^__^r^ fi ^** zweite
ftn- '(* M^Tj I r ' I* P I r P w^?r I T^ insbesondere
^ dotct ^ * ^ M ■ I breitet ^^
aus, steigert seinen schönen warmen Ton, wird hervor-
gejubelt und gelispelt und bildet die Grundlage für die
Stimmung des Satzes. Doch besteht eben dieser Satz
41*
644
nicht ausschließlich aus Stimmungsschilderuog und ver-
läuft nicht ungetrübt. Die Einleitung war eine Wamnng.
Mitten in den schönsten Augenblick der Komposition fällt
ein brutales Stück Dramatik, ein vielerlei Deutung frei-
stehendes Ereignis, das aus allen Himmeln reißt: Posaunen
und Trompeten sind di^ Ver- .
treter der Schicksalswendung - '■««> mosao. J^ s »2.
und dies das musikalische Mo- rr » ■ *-rrr:
liv, das sie veranschaulicht: '
Das Finale der Sinfonie hat einen militärischen
Charakter. Sein Hauptthema ist folgendes und sein
wichtigster Teil der Berliozsche Schluß:
Jt
Ailegro maestoso, oz 126.
if üT/if J-r LTirr f ri
3Z
Es wird ergänzt durch das leichtherzigere:
p' fl^,\ f'-T^lj
Unter den wesentlichen Motiven des Satzes darf besonders
der wiederholte Anklang an die rauhe Trompetenstelle des
dritten Satzes nicht übersehen werdend Allem Anschein
nach gibt der Satz das Bild ein^s wirklichen Kampfes.
Es kommen neue Hilfstruppen, originell in den Bässen
angemeldet
es gibt Augenblicke der Niedergeschlagenheit, der
Klage, der Trauer und
auch des Trostes,
aus dem letzten
roa sich entwickeln:
Dieses zeigt in weiteren Umbildungen seine immer größere
iieruna
ir-^. p'\f^ |L)i W f |t i
eto.
-^ 645
Wichtigkeit und seinen Zusammenhang mit Volksmusik.
Es wird allmählich zu einer Kriegs- und Siegeshymne,
die am Schlüsse auch dem ersten Hauptthema des Finale
eine glänzende Rückkehr vorbereitet.
Die sechste Sinfonie (C moll) gleicht der zweiten darin, A. GUso«now,
daß ihr erster Satz mit tiefer Trauer empfängt. Eine gram- ^•*^'"?;,^i!,'°'*'^
volle Melodie steigt Adagio,, ^ ^^„^ ^ ^
in der Einleitung von »tilr u ,P%7p 1 r f I frf! I r^^^-
den Bässen aus: "'-* p U-' ' '.' »— t^-^-^
in die Höhe und wird bald, in Viervierteltakt umgewandelt:
Allegro. ^^.^^ das Hauptthema eines
^y^iK J'^TrrrB I r ^ p • J ' von leidenschaftlichem
^ y^y>P '^■^P Schmerz bewegten Alle,
gros. Ihm tritt
in dem zwei-
ten Thema: "^ doice
die Stimme des Trostes entgegen und wird in dem über-
haupt sehr kunstreichen Satze mehrmals mit ihm kom-
biniert, ohne aber über die trüb erregte Stimmung Herr-
schaft zu gewinnen.
Der zweite Satz sucht die Heilung auf breiterer
Basis und stimmt zunächst feierlich eine Liedweise:
Andante. an, die möglicher-
i<^y > ,0 li^fi J I Jl n I I I I weise russisch ist,
& *f U^U-^^^' if 'Li^ jedenfalls aber in
jedenfalls
die Sphäre kindlicher Zufriedenheit gehört. Das Thema
wird in sieben Variationen entwickelt, die auf der Skala
der Fröhlichkeit ^sich immer weiter aufwärts bewegen,
dann vom Scherzino ab über ein Fugato und ein Not-
turno tiefer in die Gemütsruhe einlenken. Das den
Zyklus krönende und seinen reichsten ' und interessan-
testen Teil bildende Finale stellt den Sieg der Lebens-
freude fest.
Der dritte Satz (Allegretto, Esdur, s/g), Intermezzo
betitelt, fährt in dem neuen Tone fort: Den Hauptsatz
beherrscht die zuerst jT?*
von der Klarinette ge- J l'^i^ T tfM Lff | tj^p | f^p j
brachte heitere Melodie: ■^- ^* ^ ' ^^ =^^^=F
.^ 646 ^^
die Stelle des Trio — vom H dur ab — nimxät ein grazi-
öser Walzer ein.
Das Finale (Gdur) beginnt zwar mit dem Thema
, Andante maestoso, ^mst und SOgar et-
-n . ■ 1 ■ . ■ ■ I I ■ iete was drohend, führt
-^JM>J'J_J,j i J y J '''• es aber bald ins
*/* Allegro und in den
entschiedenen Ton einer kräftigen Heiterkeit über. Mit
Hilfe des zwei- jf ^ i i _ i i ^ .1 ?=q und
ten Themas: g \ ^^ f i \^ i A ^ \ seiner
Fortsetzung wird sie bis zur Ausgelassenheit gesteigert
Glazounow zeigt sich in diesem Satze als Meister des
Humors, zugleich auch in seinem höchsten Glanz als
Satztechniker: Ein Kanon reiht sich an den andern, und
die Kunst der rhythmischen Umbildungen der Themen
erscheint nahezu als unerschöpflich.
i.GUiouBov, Die siebente Sinfonie (Fdur), die — ein seltener
Siebente Sinfonie paU — der Autor seinem Verleger gewidmet hat, macht
(Op. 77). ^Qg ^^ einer Art Glaubenswechsel Glazounows bekannt.
Er nähert sich hier Borodin und bekennt sich stärker
und entschiedener als jemals vorher zur russischen Musik.
Namentlich der erste Satz (Allegro moderato, Fdur,
s/4) ist reich an kurzen, munteren russischen Volks-
melodien. An ihrer Spitze steht das Hauptthema:
und was es verspricht, das
f^ ^ I ^= kommt: ein Pastoralgemälde.
^ ^ Von dem der sechsten Sinfonie
Beethovens unterscheidet es sich durch den Verzicht auf
den sinnigen, im besten Sinne sentimentalen Zug der
Fröhlichkeit, das Hauptthema wie seine Gefährten ge-
hören zur Klasse des Wildfangs. Beethoven entwickelt
auch geistreicher, mannigfaltiger und überraschender.
Die Überraschungsmittel, die scharfen Modulationen, hat
sich Glazounow angeeignet.
Der zweite Satz (Andante, Dmoll, s/4) fängt sehr
ernst an, fast wie eine Warnung, wohl, weil er uns
vor ein Naturbild führt, in dem, wie in den lang-
samen Sätzen Borodihs, die Melancholie haust. In
--♦ 647 •--
der Mitte, von einer Episode in Dur aus, dich-
tet sich die ^ .,.~>^ . ^ /^TT^ - — >. , ^
Stimmung znj^ajT^ iJ.^'J-Jl/jJ r IpYl^J
einer Klage: Klar. ^■' — ^
Der dritte Satz (Allegro giocoso, Bdur, 2/4) heitert
mit dem Spiel um eine flatternde Sechzehntel figur, die
an die gefiederten Bewohner der Luft erinnert, energisch
auf. In die kecken Tändeleien iiischen sich zahlreiche
Kantilenen verschiedenen, vom Neckischen bis zum Ele-
gischen weisenden Charakters.
Das Finale (Allegro maestoso, Dmoll, 2/2) stimmt so-
gleich beim f i ■ , , 1 1 i J j | J I „ 1 ^V^hnen-
Einsatz mit: ^' i J J ■ I y "^ i J y 1 " I ton an
und erweist sich als eine Huldigung ans Vaterland. Ihre
schönste Stelle kommt nach dem Ende zu, wo das Haupt-
thema des g wiederkehrt.
ersten Satzes ^^ t'^ \f ^ If* T T \f Mit der ihm
in der Form: ^ eiguenBreite
und Menge der Übergänge streift der Komponist in diesem
Finale -das Maßlose.
Die achte Sinfonie (Esdur, op. 83) ist in ihrem ersten A. eusouon»
Satz (Allegro moderato, V4t Esdur] ein Bild reinen Glücks, Achte Sinfonie.
im Hauptthema, dessen Ausdrucksstützen Vorhalte nach
oben sind, mit einem maßvollen Zusatz von Überschwang
und Schwärmerei, im zweiten Thema im Ton des ruhigen
und sicheren Besitzes. Da der musikalische Reiz dem-
nach im ersten Thema liegt, wird es auch in der Ent-
wicklung stark bevorzugt, lange Abschnitte hindurch er-
scheint die Komposition ^ ^^ ^^ ^^^ beiderGla-
wie eine Phantasie über (Lvii h if p F f T j zounow die
seine ersten vier Noten Gelegenheit
ergriffen hat, in Nachahmungen, Umkehrungen, Verkür-
zungen und Verlängerungen der Rhythmen seine kontra-
punktische Meisterschaft zu erproben. Es läßt sich nicht
verkennen, daß der Vortrag dabei etwas umständlich
' geraten ist und daß den Permutationen der Motive Ori-
ginalität abgeht.
Der zweite Salz (Mesto, 3/2, Esmoll) führt uns über-
^^ 648 #—
raschend Vor tiefste Trauer, vor einen schweren nnd
frischen Verlust, dem die Seele des Leidtragenden fas>
sungslos gegenüber steht. Das Entsetzen spricht den
ganzen Satz hindurch mit den Rhythmen des Trauer-
' marsches in Wagners »Götterdämmerung«.
Der dritte Satz (Allegro, s/4, Gdur) steht noch ganz
im Bann des zweiten, stellenweise gleicht er einem Toten-
tanz, und durchweg bleibt er spukhaft und gespenstisch.
Durch diese Eigentümlichkeit ist er der ^wertvollste Satz
der Sinfonie.
Das Finale [Moderato sostenuto ed Allegro mode-
• rato, V4) Esdur), das die Stimmung wieder ins Gleich-
gewicht zurückführt, besteht musikalisch aus lauter Re-
gungen der Kraft, Über die nur durch die auch in der
Mitte des Satzes wiederkehrende langsame Einleitung ein
Schatten fällt. Zur vollen Wirkung fehlt es diesem. Finale
an einem plastischen Thema.
A. ouzobhow, Erwähnenswert ist auch eine Programmsuite (op. 79)
Aus dorn Mittel- Qiazounows, die unter dem Titel »Aus dem Mittel-
'* altere vier Bilder vorführt, die untereinander • keinen
weiteren Zusammenhang als den gemeinsamen archa-
istischen Ton haben. Das erste (Allegro, E raoll, 0/4) will
ein Schloß und darin ein Liebespaar zeigen. Woran
man in der Musik das Schloß erkennen soll, bleibt das
Geheimnis des Autors, das Liebespaar läßt sich schon
eher an dem Edur und an der weichen Melodie fest-
stellen. Der zweite Satz, Scherzo überschrieben (Allegro
assai, V4i AmoU), beginnt mit Anstreichen der leeren
Quinte ä*— ^, deutet also auf Geigenspiel und wahrschein-
lich auf Tanz. Der Geiger soll der Tod sein, der bei
einem Jahrmarkt aufspielt. Dafür klingt auch die Musik
stellenweise grausam genug. Im dritten Satz (Andantino,
s/4, Amoll) wird ein Troubadour, der ein Ständchen bringt,
ziemlich glaubhaft vorgestellt. Es hätte der obligaten
Harfe kaum bedurft, die Echtheit liegt in der Rhythmik
der Melodien, in deren Vortrag Bläser und Geiger ab-
wechseln. Das Finale (Allegro, V41 Edur) ist ein Marsch
mit rezitativischen und andren Episoden. Der Marsch
_^ 649 »^
soll an die ausziehenden Kreuzritter, die Episoden, unter
denen ein Choral die Hauptrolle hat, sollen an anfeuernde
FQhrer, an predigende Mönche und eintreffende Prozes-
sionen erinnern.
Zuweilen liest man von deutschen Aufführungen einer c« Cui,
Suite miniature von Gösar Cui, dem Sprecher der Suite mJniature.
Neurussen. Das ist ein halbes Dutzend einfachster Stücke
in Lied- und Tanzfonnen , die an Schumanns Kinder-
szenen, an Bizets jeux d^enfants erinnern. Die russische
Herkunft verraten sie in keiner Zeile, sondern gehören
nach Geist und Form zu den besten Früchten der französi-
schen Schule und verdienen wegen der liebenswürdigen
Phantasie und der feinen Züge in der Gestaltung weiteste
Verbreitung.
Immerhin ist dieser französische Zug in Guis kleiner
Suite ein Merkmal, das in verschiedener Form auch bei
den russischen Sinfonikern wiederkehrt. Von Rimsky-
Korssakow bis auf Glazounow gehen sie alle, bewußt oder
unbewußt, von Berlioz aus, von seinen Programmen oder
von seinei) Bravourstückchen poetischer Ballettmusik, und
behnudeln das Kolorit und die Einlage einer oder meh-
rerer Unterhaltungsnummem als eine Hauptaufgabe der
Sinfoniekomposition.
Dagegen erhob sich von Moskau her, dem Sitz des
Altrussentums, eine Opposition, und es bildete sich von
dem dortigen Konservatorium aus, wie schon erwähnt,
eine Moskauer Schule, deren Häupter A. Scriabine und
S. R ach man in ow sind. Sie faßt die Sinfonie als Ge-
mälde seelischer Zustände auf und verlangt eine, mit
Verwerfung aller Zugeständnisse an Herkommen und
Publtkumsgeschmack, charakterstreng und mit gleich-
mäßiger Hingabe und Gründlichkeit durchgeführte Arbeit.
Das ist im Grunde das alte Ideal der Wiener Klassiker
und derjenigen deutschen Sinfoniker, die noch auf Beet-
hovenschem Boden stehen. Doch unterscheiden sich die
Moskauer von Brahms, Draeseke und Genossen dadurch,
daß sie auf die von Haydn eingeführte thematische Arbeit
im Sinne der prinzipiellen Ausnützung kleinster, gelegent-
-^ 650 ♦—
lieh unwesentlicher Satzteile keinen Wert legen. Statt
dessen bringen sie, wie es Liszt angebahnt hat, die The-
men im vollen Umfang wieder, aber in immer neuer
Beleuchtung und in äußerlicher und innerer Umgestaltung.
Unter die verwerflichen Zugeständnisse rechnen sie auch
die Verwendung russischer Volksmusik, gleichviel ob in
der charaktervollen Weise Borodins oder in der mehr
spielerischen Tschaikowskys. Russisches Wesen kommt
dabei noch vollauf genug zur Geltung, es äußert sich
aber nur geistig in der Stimmung und Tendenz der
Themen selbst und noch mehr in ihrer Entwicklung. In
der Stellung zum Programm läßt die Schule Freiheit
A. SeriabUe, Von Scriabines Sinfonien hat die zweite (Cmoll)d6n
Zweite Sinfonie größten Erfolg gehabt und sich auch im Ausland die
(Op.29). Anerkennung erworben, die einem bedeutenden und
eignen Werke gebührt. Der Komponist zeigt in ihr, wie
ein von Trauer und Schmerz ergriffnes Gemüt zur Läu-
terung gelangt, und enthüllt sich dabei als eine außer-
ordentlich weiche und zum Oberschwang der Gefühle
geneigte Künsllernatur modernster Art 0er (hundriß der
Sinfonie ist fünfsätzig, da aber der erste eng mit dem zweiten
und der vierte ebenso mit dem fünften Satz zusammen-
hängt, besteht sie tatsächlich nur aus drei Nummern.
Der erste Satz (Andante, Gmoll, C) ist eine kurze
Phantasie Andantfl. . ^ ,. ^ Ihr dnm-
über das -%yt^,y^\^^^ 1?[p' pp ffj\ ^^ pfer Ton
Thema: iSuj» * ^ macht nur
vorübergehend einer hellem und erregteren Episode in
C dur Platz, die einem Rückblick oder Ausblick auf freu-
digere Tage gleicht und zu einem Obergang nach Es dur
veranlaßt Der zweite Satz (Allegro, Es dur, o/g) bringt
die angekündigte Tonart, aber in seinem Hauptthema:
Es Ces Es Ces Es CesuesCesCesEs Ces Es As
keine Beruhigung, sondern einen Aufruhr trüber Gefühle,
der schon in den Rhythmen des vierten Taktes einen
--♦ 651 ^
erschreckenden Charakter zeigt. Das Thema gibt im
Kiemen ein Bild des ganzen Satzes, nach seinem Wesen
sowohl, wie nach seinen Mitteln. Er wühlt bis zum
Äußersten in Schmerz und Qualen, und der Dissonanzen,
namentlich der Vorhalte, weicher und unbarmherziger, ja
bis zur Brutalität harter, ist kein Ende. Man lechzt
stellenweise nach einem reinen Dreiklang und steht einer
Orgie der Sentimentalität gegenüber, die Wagners >Tri-
stan« überbietet und die eine wahre Sehnsucht nach dem
weinerlichen Spohr erwecken kann. Unter Aristoteles
wäre derartige Musik konfisziert worden, denn sie ist un-
gesund und wirkt auf die Dauer demoralisierend. Auch
das zweite Thema:
j¥tD.h|.qp.ij jii^j ßfHry pir'iiJ ffri?rjrj.i»,i.j-.]. i
Cei B 1_ B »8 As
befreit nicht aus diesem Engpaß des Grams und der Dis-
sonanzen.
Wo wir Licht zu sehen glauben, da klingt alsbald das
Hauptthema des ersten Satzesr die Trauerbotschaft, mit
verwilderten Zügen wieder herein, und so oft das freund-
lichere Es dur sich durchzusetzen scheint, immer und bis
ans Ende wird es von dämonischen Akkorden nochmals
bestritten. So ist dieser erste Satz der Sinfonie ein un-
erhört grausames Stück Kunst, aber die Zähigkeit und
die modulatorische Virtuosität, mit welcher äer Kompo-
nist seine Absicht verwirklicht, zwingt zum Respekt, und
schließlich geht der Zuhörer auch nicht ganz leer an
schönen, einfach herzlichen Stellen aus.
Der dritte Satz (Andante, Edur, 0/3) der Sinfonie,
der eigentlich ihr zweiter ist, läßt sich wie eine Idylle an,
wir hören in der Flöte sogar anheimelndes Vogelgezwit-
scher. Er bleibt auch bei durchaus freundlich schwärme-
rischen Melodien, die von Liebe, Jugend und Glück
träumen und sagen, er entzückt oft; aber auch er hält
an einem Ton des Oberschwanges, der harmonischen
Oberreizung und Kompliziertheit fest, der sich mit aus
dem allzustarken Einfluß erklärt, den Wagners Stil auf
_^ 652 ♦—
Scriabine ausgeübt hat Der vierte Satz (Tempestoso,
Fmoll, ^/g) stellt sich zu dem vorausgegaagenen An-
dante im scharfen Gegensatz und gibt ein keckes und
aufregendes BUd äußrer und innrer Stürme. Soweit er
aus Naturmalerei besteht, darf er als ein Seitenstück zu
dem »Walkürenritt« bezeichnet werden, und ,teilt zwar
nicht dessen Pathos, aber die Energie, mit der eine ein-
fache, Wind und Wetter abgelauschte, erst leicht stoßende,
dann wütend heulende Figur festgehalten und in ihren
wechselnden Launen durchgeführt wird. In der Mitte
unterbricht den Sturm eine bittende und klagende Melodie,
die noch rührender wirken würde, wenn der Komponist
sich hätte von seinen unvermeidlichen Vorhalten trennen
können. Sie bereitet die innerlichste und schönste Stelle
des Satzes vor, die Wiederkehr des Hauptthemas des
ersten Satzes und seiner freundlichen Episode in Gdur.
Diese leitet jetzt in das Finale, den fünften Satz (Mae-
stoso, Gdur, G) über. Ihn beherrscht ebendasselbe Haupt-
thema, aber in heroischer Gestalt:
^ Maestoso. > ^
F"ii I ii' II h ' ) i'p\v->ijr 1^"* r "'■
C gi C E A
Wohl tauchen noch Reminiszenzen an Kampf und
Schmerzen auf, aber der, auch von dem an und für sich
unbedeutenderen, zweiten Thema unterstrichne Grundton
ist der des Friedens, der Resignation, der ruhigen Kraft.
Nur die allerletzten Takte nehmen eine triumphierende
Miene an.
A.ScriftblBs, Die noch wenig bekannte dritte Sinfonie des Kom-
Dritte Sinfonie ponisten, sein Opus 43, führt ein Programm, >Le divin
^^"'' po^me, in drei Sätzen (Lüttes, Volupt6s, Jeu divin) durch,
die ohne Pause aneinanderschließen. Die Entwicklung
ihrer Musik bewegt sich völlig in den schärfsten Kon-
trasten, sie ist aber im Stil weit einfacher als ihre Vor-
gängerin und zeigt sehr erfreulich, daß der Künstler auch
mit normaler Harmonie Bedeutendes zu sagen weiß.
Trotzdem ist sie von der deutschen Kritik als über-
künstlich, überlang und bar aller Proportionen abgelehnt
_^ 653 «^
undmitnocli größter Härte als der zweiten Sinfouie des Korn*
ponisten Redseligkeit und Trivialität vorgeworfen worden.
Den Hauptbeweis, daß moderne Alltkren nicht zum
Wesen der Moskauer Schule gehören, bieten die Werke
Sergei Rachmaninows, bei denen .der Zusammenhang
mit den Klassikern der Gattung klar zutage tritt. Seine
persönliche Bedeutung liegt in der Stärke der musikali-
schen Naturkraft und wird am deutlichsten in der E moll- 8.B»ehniaBiBow,
Sinfonie offepbar, die im Verein mit einem Klavierkonzert Emoii-Sinfonic.
zuerst seinen Namen über die heimatlichen Grenzen ge-
tragen hat In der Kunst, mit den Elementarwirkungeh
der Musik, mit Ausklingen und Anschwellen zu fesseln,
steht er auf gleicher Höhe wie A. Brückner, in der Er-
findung seiner Grundideen ist ihm das Glück nicht immer
treu,' auch ihre Entwicklung scheint von der Gunst des
Augenblicks abhängig, bleibt aber immer logisch.
Der erste Satz dieser Sinfonie hat eine langsame
Einleitung, die mit Motiven schlichter Art — unter ihnen
eine Achtelfigur, die wichtig wird — den Übergang von
träumerischem Sinnen zu einer regen Tätigkeit der Phan-
tasie vorführt. Sie beginnt ruhig und schließt noch
ruhiger, dazwischen aber üegt ein Stück Begeisterung,
das einmal in die kühne Akkordfolge Hdur-Bdur aus-
bricht; es ist als ob ein alter Mann sich entschlossen
hätte, aus seinen Erinnerungen mitzuteilen. Im Allegro
moderato (E moll, &,) kommt die Erzählung, und zwar zu-
nächst in einer Art Bardenton, die an den jungen Gade
erinnert. Vier Takte wird nur präludiert, dann set^ das
Hauptthema
an die Einleitung anknüpfend, balladenmäßig ein, wird
variiert wiederholt und dann. mit Triolenmotiven ergänzt,
die einen ritterlichen Gharaktisr haben und anzudeuten
scheinen, daß es sich um Heldengestalten und ihre Aus-
fahrt handelt. Mit. dem zweiten Thema (in Gdur)
meldet sich das Glück in origineller Art: Oben in Oboen
i
-^ 654 ^^'
und Klarinette knappeste Naturiaute, die den Gesang im
Herzen nur markieren, unten in den Geigen ein leiaes»
fröhliches Schwärmen. Erst bei der Wiederholung wird
ans dieser Skizze eine ausgebildete, warm drängende
Melodie, und wie in stiller Seligkeit schließt die Themen-
gruppe. Die Durch fQlirung ist die Stätte von Widerständen
und Schwierigkeiten, deren Darstellung in der • ersten
Hälfte matt ist und erst dem Ende zu etwas in Schwung
gerät In der Reprise zeichnet sich die zum zweiten
Thema gehörige Gruppe (eine Episode in Edur) ganz
außerordentlich aus und zeigt den ganzen Reichtum des
Komponisten, seine Zartheit und sein Feuer, in immer
gleich schönem und natürlichem Fluß. Auch über den
zweiten Satz (AUegro molto, Amol!, (^) liegt eine Art Pa-
tina Schon die ^ Allegro.
Harmonie des ^<»| j J J | ,J. J | J. J | .] i | ^
Hauptthemas: J^
das ebenfalls akkordisch präludiert wird, versetzt mit dem
alten Kirchenton in alte Zeiten. Sein harter, reckenhafter
Humor macht zunächst auf einen Augenblick einer from-
men Weise Platz, dann kommt an Stelle des üblichen
Trio — denn der Satz ist das Scherzo der Sinfonie —
ein wild phantastischer Teil, den ein ruheloses Achtel-
motiv von Anfang bis Ende durchsaust Die firomme
Weise gibt nach der Reprise des Hauptthemas dem Ende
des Satzes das Gepräge.
Um den erzählenden Charakter festzustellen, beginnt
auch der dritte Satz (Adagio, Adur, G) mit einigen Tak-
ten Präludium. Dann setzt die Klarinette mit:
Adagio»
^ poeo riL dim.
einer jener Melodien ein, die zwar nicht russisch, aber
entschieden volkstümlich und für Rachmaninow bezeich-
nend und von biographischer Bedeutung sind. Aus die-
sem Hauptthema spricht schlicht sinnige Zufriedenheit,
der Satz, der sich aus ihm entwickelt, hat nichts von
dem Dberschwang modemer Adagios, er malt traulich und
— t 6B6 ^>^
Jean-Paülisch ein Glück in der Beschränkung. Nur ein-
mal — nach dem überraschenden Gdur-Schluß — kommt,
von kurzen, suchenden Dialogen eingeleitet und durch-
brochen, eine Stelle, wo sich die sonst gut bürgerliche
Szene dramatisch belebt Und die Wogen höher ausschla-
gen. Sie ist, ähnlich wie der Mittelteil des vorausge-
gangnen Scherzos als Vision gemeint, aber in dem schön
friedlichen Schluß des Satzes klingt ihr Sechzehntelmotiv
nochmals hinein. Legt man der Sinfonie das Programm
einer Ausfahrt unter, so führt dieses Adagio in die ver-
lassene Heimat.
Wie die vorigen Sätze ist das Finale (AUegro vivace,
Edur, (^} ebenfalls mit einer kurzen Einleitung versehen.
Es sind einige, später oft wiederkehrende Takte stürmi-
schen Jubels, die den Grundzug des Satzes feststellen.
Das Hauptthema tritt zuerst in erregter Gestalt
|Vi<imiyrrfi
xr
auf, später, kommt es in der breitren und faßlicheren
Variante :
Seine erste Entwicklung gleicht einem Triumphzug in
vollstem Glanz und strotzender Kraft, bis eine plötzliche
Modulation nach Gis moU eine Stockung hervorruft.
Man hört aus der Feme einen Militärmarsch von unver-
kennbar primitivem Charakter. Dieser Zwischenfall, der
die Heimkehr der Sieger bedroht, wird erledigt und
das Resultat mit,^,^,,,^^ ^ . , . , , t ,
dem zweiten The-^^l^^ Tf^f ^ ^ J.'^ T J ^^=^
ma des Satzes: ^^^^— ^
ausgesprochen. Es führt auf einen kurzen Augenblick
den Anfang des Adagio zurück: Die Heimat lockt mäch-
tig und nahe. Man bricht vom neuen auf, das Haupt-
thema erfährt eine neue Durchführung, aber unter dem
Zeichen der Vorsicht, bis dann die Reprise einsetzt Sie
^^ 656 <^^
erhält eine sehr schöne Nuance durch den Zutritt des
Hauptthemas des zweiten Satzes, das Thema der Helden«
lust; und klingt in hellster Freude aus. Der poetisch
sinnig entworfne Satz bietet dennoch dem Zuhörer
durch seine Länge und durch einige schwächer erfundne
Stellen einige Schwierigkeit
Erfreulicherweise zeigt sich unter denjenigen russi-
schen Tonsetzem, deren Sinfonien fOr die Öffentlichkeit
und für das Ausland noch in zweiter Linie stehen, ein
starker Anhang Rachmaninows. Der hervorragendste Ver-
treter der von ihm eingeschlagenen Richtung auf Klarheit,
^\. ZoiotArew, Einfachheit und die Ziele der Klassiker ist W. Zolotarew,
lia moiusinfonie. (Jen wir Seltsamer Weise zuweilen auch unter den Vertretern
der Petersburger Partei verzeichnet finden. Seine FismoU-
Sinfonie (op. 8) nähert sich im Andante fast der Schlicht-
heit Haydns, ohne jedoch die moderne Zeit und ihre
Erregbarkeit zu verleugnen. Oberall, beim leidenschaft-
lichen Ringen, ebenso wie beim weichen Sinnan und
Sehnen nimmt der Komponist durch die ernste, innerliche
Wärme de» Vortrags ein.
H*. KaUffttl, Nahe steht ihm Wassili Kalafati, dessen Amoll-
A iiion-sinfoni«. Sinfonie (op. 12} mit dem Rachmanninowschen Haupt-
werk die Verknüpfung getrennter Sätze gemeinsam hat
Stellenweise versetzt uns die Sinfonie Kalafatis in die
Mendelssohnsche Zeit, seine Selbständigkeit spricht außer
aus der immer soliden, oft zu sehr ins Kleine gehen-
den Arbeit namentlich aus dem knorrigen Scherzo. Auch
K. MiyuartU, Emil Mlynarskis F dur-Sinfonie (op. 14) gehört teil-
F dur-Siofonie. weise mit auf das Konto des Moskauer Meisters, dem
Meinarski in der Kunst des poetischen Verklingens
sioniger Motive folgt Zum größren Teil repräsen-
tiert der Komponist den Naturalismus unter den russi-
schen Musikern von seiner Schattenseite, nämlich die
übermäßige Betonung von Präliminarien und Neben-
sachen. Um im Scherzo der Sinfonie nach der Haupt-
tonart, nach HmoU, zu kommen, braucht er, von As be-
ginnend, zehn Partiturseiten, ohne damit irgend etwas
Wichtiges zu bieten. Der gleiche Eindruck des Gesuchten
-^ 657
begegnet uns noch mehrmals; ^amentücb die- Melodik
geberdet sich gern, als wären ihr die Halbtöne nicht
fein genug.
Wenn Meinarski im Adagio rassisch nationale Mo-
tive verwendet, steht er mit dieser Ausnahme unter den
Moskauern nicht allein; auch bei ihnen finden sich An-
hänger Öorodins, in der russischen Musik überhaupt aber
haben seine Prinzipien noch einen ebenso breiten wie
festen Boden. Einer ihrer begabtesten Vertreter ist
Wassili Kalinnikow, besonders in seiner ersten, einer )r. KUlnnlkow,
Gmoll-Sinfonie. Seine zweite, die Adur-Sinfonie, baut Sinfonien in
zwar ihre vier Sätze über ein Lied des Komponisten, das®"**^" ""* ^^"'•
ganz den russischen Typus zeigt, läßt aber des weitren
die nationalen hinter die individuellen Züge zurücktreten.
Unter ihnen ragt ein dezenter und dem Anschein nach
an Glinka geschulter Humor besonders hervor.
Noch unbedingter gibt sich der zuweilen den Mos- >• Ciliar«,
kauern eingereihte R. Gliöre als Borodinianer. Wenig- ^ ^"'"S^"'®'**«-
stens in seiner Esdur-Sinfonie (op. 8); ihr zweiter Satz,
ein ebenso natürlich erfundner, wie durchgeführter an-
mutig naiver s/4 Takt hat bedeutenderen eignen Wert.
Unter den jüngeren Vertretern der russischen Schule, 8. stojontky,
die eine freie Stellung behaupten, verdient Sig. Sto-l^™oiiSmfonie.
jowsky, ein gebürtiger Pole, als ein großes und vor-
nehmes Talent hervorgehoben zu werden und zwar auf
Grund seiner Dmoll- Sinfonie (op. 21), die in ihren vier
Sätzen eine Persönlichkeit zeigt und in allen eine aus
der Tiefe geschöpfte und wirklich innerlich erlebte Musik
bringt. Besonders prägen sich die schönen langen Melo-
dien und die faßlichen, wie Geberden wirkenden Rhythmen
der Leidenschaft im ersten Satze ein, ähnhch auch der
'finstre Charakter des Scherzo und die kleinen Brocken
Trost, die sich von ihm so scharf und wohltuend ab-
heben. Aus dem äußren Stil der Sinfonie treten die
zahhreichen Bläsersoli hervor.
Der Sinfonie ist eine dreisätzige Suite in Esdur (op. 9), g. stojowdky,
vorausgegangen, die im ersten Satz Variationen über ein Huite in £&.
russisches Thema mit leichter Anlehnung an die Haydn-
Kreixiclimar, Ffihrer T, I. 42
-^ 658 ^—
yariationen von Brahms entwickelt, in den weitren Sätzen
kühn und dramatisch polnische Melodien verarbeitet
H. stelBiberg» Auch eine D dur-Sinfonie (op. 3], von Maximilian Stein-
D dnr^Sinfonie. b e rg verdient hier noch wegen ihres engen Anschlusses
an Glazounow Erw&hnung. Der Schüler kommt dem
Meister in der eifrigen und geschickten Pflege kleiner
Satzkünste ziemlich nahe und übertrifft ihn in 'der Ge-
nügsamkeit der thematischen Erfindung und der Ideen^
richtung. Das eigne, elegische Talent Steinbergs kommt
am deutlichsten beim zweiten Thema des ersten Satzes
zum Vorschein.
Noch darf unter den beachtenswerten russischen Sin-
i\ Biamemfeld« fonikern F. Blumen fei d angeführt werden. Der Reich-
tum an tücbtig gebildeten, von Einseitigkeit freien Durch*
Schnittstalenten, sichert der russischen eine bedeutende
Weiterentwickelung und das Primat unter den nationalen
Schulen.
• • «• ^ • • • •
V.
Die moderne Suite und die neueste Ent-
wiclcelung in der Iclassischen Sinfonie.
|ie Werke der Nationalen und der Programmusiker
bilden einen wichtigen Teil in der sinfonifichen
Produktion der letzten Jahrzehnte, jedoch reprä-
sentieren sie nicht die H&uptströmung. Diese hält viel-
mehr immer noch an den Traditionen fest, welche in den
Werken Beethovens und der Romantiker niedergelegt
sind. Ja, mitten in der bewegtesten Zeit des Streites,
welcher sich um den Wert und die Berechtigung der neuen
Programmusik erhob, um das Jahr 1860, lebte plötzlich
eine Kunstgattung wieder auf, deren Blütezeit nodi hinter
den Tagen der Wiener Klassiker zurückliegt Es ist
die schon im vorhergehenden Kapitel wiederholt be-
rührte Suite.
Die Wiedereinführung der Suite entsprach dem prak-
tischen Bedürfnisse nach einer einfachen musikalischen
Naturkost, dem Verlangen nach größeren Orchesterkom-
positionen, welche sich, wie die Sinfonie, in großen
Formen bewegen, den Geist aber mit schwerer Gedanken-
arbeit und den . Strapazen unserer hohen Kultur ver-
schonen sollten. Daß man. mit dieser humanen Mission
gerade die alte Suite betraute, war eine weitere Wirkung
42*
-^ 660 ♦^
jenes hiitorischeo Siones, welcher seit dem Yorfehen
Mendelssohns die Mosikwelt stärker sn durchdringen be-
gann und welcher in den Gesamtansgaben imd Einsel-
ansgaben Yon Weri^en Uterer Meister, in d» Grflndong
nnd Tätigkeit der Tonkünstlenrereine immer mehr Aus-
druck und zugleich Förderang fiand. Es war ein Jahr-
sehnt lang der Hauptfehler der modernen Suite, daß man
ihr das historische Studium und die Abhängigkeit von
alten Mustern zu deutlich ansah. Die alte deutsche Or-
chestersuite bildete den Sammelplatz, auf welchem sich
die charakteristischen Tanz- und Liedweisen aller Nationen
zusammenfanden. Davon ausgehend, hätten die moder-
nen Suitenkomponisten sich in erster Linie danach um-
sehen mikssen, was das 19. Jahrhundert an kflnstlerisch
verwendbaren Elementen der Volksmusik bietet Und
daß es solche bietet, hatte Chopin bewiesen. Statt dessen
kopierte aber die Mehrzahl die Sarabanden, Giguen, Cou-
ranten, Allemanden der Bachschen Klaviersuite, trug
aus der neueren Zeit ein Scherzo, wenn es hoch kam,
einen Marsch herbei und vervollständigte das Ganze mit
Variationen und Fugen. Der oft mißverstandene kontra-
punktliche Stil der Alten wurde ersichtlich höher ange-
schlagen als das volkstümliche Prinzip ihrer Suite.
Das Verdienst, als der erste nach hundert Jahren
wieder Suiten geschrieben zu haben, hat Joachim Raff
ffir sich in Anspruch genommen*. Der Hauptanteil an
der Neubelebung und Einf&hrung der alten Kunstfonn
muß j edoch FranzLachner zugeschrieben werden. In
der Sinfonieperiode der dreißiger Jahre von den Preis-
richtern, nicht aber vom Publikum ausgezeichnet, fand
dieser Tunsetzer noch spät in der Suite einen Wirkungs-
kreis, auf welchem er viele Freude bereitet und seinem
Namen ein bleibendes Andenken erworben hat Auch
Lachner gehört der kontrapunktischen Richtung der mo-
deraen Suite an. Aber die wirklich volkstümliche Natur
seines Talents äußert sich bei ihm auch, gerade wie bei
*) Siehe M. Uauptmaun, Briefe an F. Heuser II, 249.
■
den Alten, in der strengen Form. Seine Fugen sind
frisch und kräftig, frei und effektvoll. Lachner hat sogar
für die moderne Weiterbildung dieses ebenso schwierigen
als interessanten Stils wertvolle Fingerzeige und An-
regungen gegeben. Lachner spricht echten Suitenton:
auch wo er gelehrt wird, bleibt er klar und verständlich;
wenn es nicht anders geht, ist er lieber trivial als ge-
kfinstelt, und der Undeutlichkeit geht er so sehr aus dein
Wege, daß er sich darüber oft ins Redselige und Breite
verliert. Eine besondere Spezialität in seinen Saiten
bilden die Märsche. Sie zeichnen sich aus durch eine
einfach kernige Rhythmik und durch eindringliche Me-
lodien, welche gelegentlich mit aparten, blühenden Fi«
guren gewürzt sind. Oft sind diese Märsche gar -nicht
deklariert und segeln unter der Flagge von Ouvertüren
und Intermezzos. Aber auch an traulichen Idyllen sind
die Lachnerschen Suiten ' reich. Eine, im besten Sinne
des Wortes, gute bürgerliche Poesie beherrscht die Mehr-
zahl seiner Menuetts und Andantes. Die Sprache, welche
er in ihnen vorzugsweise spricht, erscheint aus den
Idiomen der alten Wiener Schule, speziell dem F. Schuberts,
dann denen Spohrs und Mendelssonns als ein neues Viertes
hervorgegangen.
Unter den sieben Suiten Lachners ragt die erste p. Laehmer,
(Dmoll) durch Wert und Popularität hervor. Ihr erster Suite Nr. i
Satz besonders, ein »Präludiumt, in welchem das Thema/ Op.113).
Alleg^TO non tro]
mit Kraft und Kunst durchgeführt wird, ist einer der
effektvollsten Sätze in der neueren Suitenliteratur: natur-
frisch und mit manchem kecken Harmoniesprung dahin-
fließend, originell und individuell in seiner Mischung
von Derbheit und Anmut, nur leider zu breit und un-
gleich ausgeführt. Der zweite Satz, das künstlerische
Hauptstück der ganzen Suite, ein Menuett, ist eins
der liebenswürdigsten Rokokobilder in romantischer
'j
662
Färbung. Der Hauptsatz tänzelt auf folgender Melo-
die hin:
AUei
troypo
Das Trio hat dieselbe Grazie, aber mehr Ghorcharakter,
als ob Massen anträten. Sein Thema wird von einer Art
von Basso ostinato gravitätisch begleitet:
•(•.
Der dritte Satz besteht
aus einem Zyklus von Va-
riationen, welchen folgen-
des Thema zu Grunde liegt:
AUerro Bio<l«nfto.
•5«^ TL
■■1,1, r^f■f^r■^vr^rl^lll^f■rpüu]lu
fycdu
II I ^r^-|i i^rifrrmTrrrir-^g^
Die Bratschen begleiten es in der oberen Oktave. Die
Variationen — 23 an der Zahl — sind vorwiegend im
älteren Stil gehalten und entfernen sich niemals weit
vom Thema, welches in andere Tempi und Taktarten ge-
setzt, mit wechselnden Figuren umkleidet, aber einschnei-
denderen Umbildungen nicht unterzogen wird. Einzelne
üben trotzdem die tiefere Wirkung von Charakterstücken
aus, andere sind als virtuoses Spielwerk zu betrachten,
ein dritter Teil ist gänzlich veraltet und wertlos. Den
Zyklus beschließt ein Marsch, welcher über den Verband
der Suite, zu welcher er gehört, und aus den Konzert-
sälen hinaus in die Volkskapellen gedrungen ist. Sein
direkt an Ä. Eberls Ddur- Sinfonie erinnerndes Thema,
welches zuerst wie aus weiter Ferne hörbar wird, genügt
allein, um diese Popularität zu erklären:
663
Luise von Kobell
hat in ihren Erin-
nerungen erzählt,
wie die hübsche Sechzehntelfigur, die dem Thema seine
Eigentümlichkeit gibt, von einer Vogelstimme stammt,
die Lachner einen Sommer lang auf seinen Münchner
Morgenspaziergängen begrüßte. Das Finale der Suite,
ihr vierter Satz, besteht aus einem wehmütigen Andante
als Einleitung und einer sehr steitbaren Fuge über folgen-
des Thema:
CvalraMM« Cdll fkf.
Die zweite Suite Lachners (Emoll) hat unter ihren F.LMimer«
fünf Sätzen zwei Fugen, welche beide durch eigentümliche 8^^« ^'* ^
Anlage interessieren. Die eine in der Gigue durch die ein-^^"'*^ ^- *^*^
gelegten homophonen Partien und die dramatisch schwung-
vollen Steigerungen am Schluße, die andere im ersten
Satze durch die poetische Verbindung, welche sie mit der
melancholischen Introduktion eingeht: In dem Moment, wo
der Satz abschließen könnte, ^^^ ^ ^, ^ ^
taucht das leidenschaftliche ^^^^^^f^L£st/ 1 ^ f ■
Anfangsmotiv der Einleitung t ui^»==
auf, setzt sich als zweites Thema fest, und die Fuge
wird zur Doppelfuge. Der Menuett dieser Suite, dessen
Trio ein graziöser Kanon zwischen Violine und Bratsche
ist, nähert sich dem Charakter der Mazurka, das Interr
mezzo, namentlich im Mittelsatze, dem Marsch.
Die dritte Suite Lachners (Fmoll) beginnt mit einem F.LMhaer,
>Präludium« im müden Ton. Ihr zweiter Satz, Inter- Saite Nr. s
mezzo, überdeckt eine tiefe elegische Stimmung, aus (^"^^^i^'-^^^^
welcher zuweilen pathetische Klagen hervorbrechen, mit
einem leicht tändelnden Motiv. Die Sarabande bildet
eine ähnliche Verbindung von gefühlvoll weichem Gesang
mit behaglichen Tanzmotiven. Zwischen den beiden Sätzen
-^ 664 «-^
' steht wieder ein längerer Vaiiationszyklus, desBeu Thema
mit dem AUegretto von Beethovens siebenter Sinfonie
in naher Verwandtschaft steht. Auch dieser Satz klingt
mild aus. Unter seinen energischeren Partien ragt die-
jenige Variation hervor, in welcher die Holzbläser uni-
sono sich auf der chromatischen Skala tummeln. In den
Schlußsätzen der Suite, einer Courante mit einem Schu-
mannschen Violinthema mit sehr hübschen Klangeffek-
ten und einer modernisierten, ballettmäßigen Gavotte
wirft die Komposition alles Trfibe ab und wendet sich
kräftigen Geistes dem Frohsinn zu.
F.LAehner, In der vierten Suite Lachners (Esdur) ist das kon-
Suite Nr. 4 trapunktische Element wieder stärker vertreten. Det erste
(E«dürOp. i2«).s^l2, Ouvertür.e benannt, fugiert am Schlüsse, der fünfte,
eine sehr kräftig einsetzende, modernisierte Gigue, durch-
aus, und beide Male ist die Fugenform wieder in inter-
essanter, freier Weise mit einfach melodischen, anmutigen
Episoden durchzogen. Der erste Satz ist nur dem Namen
nach eine Ouvertüre, nach dem Charakter ein Marsch
mit außerordentlich populärem Thema. Er gleicht einem
Festzug, der von Jungfrauen, eröffnet und von Militär
geschlossen wird. Zwischen ^en beiden Gruppen bildet
ein energisch frohes Thema, dessen Heimat in Webers
Euryanthe liegt, den Übergang. Der wirkungsvollste Satz
der Suite ist das Scherzo pastorale mit einem reizenden
Gellosolo im Trio.
F. Lftchner, Die fünfte Suite Lachners (Cmoll) weicht von den
Suite Nr. 5 vorausgehenden wohltuend durch die Knappheit der Sätze
(Cmoll, Op. 136). ab. Ihre hervorragendsten Partien sind der Mittelsatz
des Andante, ein sehr klar wirkender Kanon zwischen
Solovioline und Bratsche, und das Trio im Scherzo, ein
edler Gesang, auf welchem Schuberts Geist ruht Im
Finale, welches in der Form des Sonatensatzes gehalten
ist, taucht als zweites Thema eine bekannte Oberon-
gestalt auf.
F. Laehner, ^^^ poetische Plan von Lachners sechster Suite
Suite Nr. 6 (Cdur) steht mit dem deutschen Kriege von 1870—71 im
(Cdur.Op. 100). Zusammenhang. Schon die Gavotte, welche hereinfährt
— ^ • 665
wie »Zielen aus dem Busch«, erinnert an soldatische
Elemente. Das Finale ist einer der bedeutendsten pa-
triotischen Tribute ) welche die Musik jener Zeit dar-
gebracht hat. Es vereinigt die Tranerfeier mit Sieges-
jubel und Dank. Klagende Rezitative im Spohrschen
Stile leiten ^e mild und resigniert gehaltene Paraphrase
des Heldenchorals >Ein^ feste Bürge ein. So wie die Be-
gleitmannschaft vom Grabe des Kameraden mit fröhlichem
Spiele wegzieht, folgt dann auch hier der Trauerzeremonie
ein demonstrativ munterer und energischer, kurz und
keck rhythmisierter Marsch, eine der flottesten Kom-
positionen, welche Lachner in dieser seiner Spezial-
gattung geschrieben hat.
Die siebente und letzte Suite Lachners, »Ballsuite« F.LA€h>«r,
genannt, macht mit der Modernisierung der Gattung Ernst. ^^^ ^'* '•
Sie besteht, mit Ausnahme des Intermezzo und der Intro- 'f^!^*
duktion, aus lauter Tanzsätzen, die heute noch praktisch ''
leben: Polonaise, Mazurka, Walzer, Dreher, Lance. Leider
ist die vortreffliche Absicht von der musikalischen Er-
findung wenig unterstützt worden. Mit erfreulicherem Ge-
lingen hat einen ähnlichen Versuch J. Herbeck in seinen j. Htrbeek.
> Tanzmomenten« durchgeführt.
Die Lachnerschen Suiten waren in dem Jahrzehnt
ihrer Entstehung sehr beliebt und haben die meisten
Werke der Gattung, welche mit ihnen gleichzeitig her-
vortraten, bis heute an Lebenskraft übertroffen. Wenn
sie jetzt anfangen zu altern und aus den Konzertsälen
zu schwinden, so bleibt ihnen noch lange die Sympathie
der Freunde des vierhändigen Klavierspiels gewiß.
Unter denjenigen Suiten Bachscher Richtung, welche
mit den ersten Arbeiten Lachners bedeutend konkurrierten,
sind die Cdur-Suite von J. Raff und die Amoll- j.Bair,
Suite H. Essers (die zweite dieses Komponisten) her- Suite (Cdar).
vorzuheben. Es sind in erster Linie Dokumente für den « J'^!"''iiv
merkwürdigen Begriff von der Kunst der alten Meister, ^ * ^ """ '
wie er um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch bei selbst
bedeutenden Musikern festsaß. Auch in den Charakter-
etüden des trefflichen Moscheies regnet es eitel »Figural-
_^ 666 «.—
musik«, wenn die Alten geschildert werden sollen. Raff
kontrapanktiert steif, gleichförmig und so rahelos und
hastig, daß einem der Atem aasgeht. Esser jagt barocke
Passagen mit unablässigen Sequenzen und Imitationen
im Kreise herum. In Raffs Suite werden erst die letzten
Sätze, das Adagietto, Scherzo und Finale, welche aus
Mendelssohnschen und Schumannschen Quellen schöpfen,
natürlicher, freier und phantasievoller. Esser hat außer
dem Überfluß an Vorhalten und archaistischen Disso-
nanzen aus der alten Suite doch auch etwas von ihrer
Kraft (in der Introduzione) und von ihrer Grazie (AUe-
gretto) in seine Kopie gebracht,
w« Bftrglel, Auch die mit den genannten Werken ziemlich gleich-
Suite. altrige Gdur-Suite von W. Bargiel bildet alte Formen
nach: Courante, AUemande, Sarabande, Air und Gigue.
Aber der Komponist erfüllt sie frisch zu mit modernem,
zum Teil Schumannschem Geiste. Dadurch wird diese
Suite zu einer der interessantesten Erscheinungen in der
Gattung. Sie fiberragt die Sinfonie Bargiels an Natfir-
lichkeit der Haltung, an Beweglichkeit der Phantasie und
verdient ins Repertoire wieder aufgenommen zu werden.
j.O.ciriMn, Die kontrapunktische Tendenz der modernen Suite
Saite in Kanon- gipfelt in den beiden Suiten Julius Otto Grimms. Es
N [''(Cd ^^^^ Suiten in der Form des Kanons durchgeführt Die
erste (Gdur), für Streichorchester, bewegt sich in knappen
Bahnen. Ihrem ersten Satze, welcher den festlichen Ton
der Mozartschen Jugendsinfonien anschlägt, liegt das
Schema der Sonatine zu Grunde. Das Andante hat drei-
teilige Liedform, der dritte Satz ist ein Menuett ein-
fachster Fassung ohne Seitensätze, das Finale ein Bfinia-
turrondo. Der Kanon liegt immer sehr offen oben auf:
die Stimmen folgen einander in der Oktav und in kurzen
Abständen ohne Künstelei. Nur im letzten Satze wählt
Grimm für den zarten Mittelsatz (in As) die Distanz acht-
taktiger Perioden. Trotz der Fesseln in der Schreibart
äußert die Komposition eine schöne geistige und sinn-
liche Wirkung. Ein besonderer Reiz des Klanges liegt
über dem Andante, welches vom Solocjuartett allein vor-
-^ 667 <^
getragen wird, und' über dem warm, gemütlich und innig
einsetzenden Trio des MenuiBtt.
Grimms zweite Saite (Gdur) erregt und befriedigt J. o.
höhere Ansprüche. Irren wir nicht, so war sie vor der Saite In Kanon-
Drucklegung als Sinfonie betitelt. Sie ist für volles Or- ^^ 9 (Odur)
ehester geschrieben: ihre Sätze haben breite Formen mit
ausgeführten Durchführungspartien, und ihre Gedanken
durchstreifen große Kreise und berühren entgeg^gesetzte
Regionen. Der Zuhörer vergißt über dem Gang der Leiden-
schaften die kleinen Reize des Kanons, den der Kompo-
nist selbst häufig auf die Nebenplätze der Dichtung, in
die Begleitungsmotive und in den Figurenteil, zurückver-
wiesen hat. Obgleich der Kanon hier bescheidener auf-
tritt, als in der kleinen ersten Suite, ist er mit noch
größerer Kunst, mannigfaltiger, freier und praktischer
gehandhabt. Letzteres dadurch, daß die Melodien kürzer
und schärfer gegliedert sind. Auch hier wiegt der Kanon
in der Oktave und mit schnell folgenden Stimmen vor;
aber es sind, wie im langsamen Satie der Kanon in der
Umkehrung, auch seltenere Arten verwendet. Auf Mo-
mente schweigt die kanonische Kunst, und vor dem Einerlei
bewahrt ein häufiger Wechsel in der Besetzung der führen-
den Stimmen. Den größten poetischen Wert hat unter
den vier Sätzen der Gdur-Suite das Adagio, eine ernste
Betrachtung , Molto Adagt« e caatabfl».
über das Bach- ir Vi n^ry^H H^
sehe Thema: ^^^?^^^^^
Eine dritte Suite Grimms, die in Gm oll steht und j.o. Orlm»,
als seine bedeutendste Arbeit gelten darf, kam anfangs Soite in Kanon-
der neunziger Jahre heraus. Doch ist sie wenig bekannt 'o"°>
geworden und wird mit ihrer soliden Art der pikanten '^ ^^^^^^'
Richtung gegenüber, die mittlerweile in der Suite zur '*
Herrschaft gekommen ist, auch einen schweren Stand
behalten.
Einen Nachfolger auf seinen kanonischen Pfaden fand g. ^Adagiohn,
Grimm in S. Ja das söhn, welcher in seiner ersten Sere- Drei Serenaden,
nade (Gdur) den Kanon als die Form für leichte Gedanken
und kleine Scherze benutzt. In seiner zweiten Serenade
668 ^-
(D dar) hat derselbe Komponist auf den Kanon verzichteti
in seiner dritten (A dar) ihn auf einen heitern Satz (Inter-
mezzo) beschränkt, dafür aber in beiden Werken eine
Vertiefung des Inhalts angestrebt,
est. SaeBs, Von bemerkenswerten ausländischen Suiten ge-
SQit« atgtfrieime. hÖrt ZU dieser archaisierenden Abteilung das op. 00 von
C. St. SaSns. Das »Pr61ude< ist ein Kanon mit wechseln-
den Instrumenten, der in seiner Stimmung etwas an den
ersten Satz vom G molI-Konzert des Komponisten erinnert.
Der zweite Satz, Sarabande, bringt sehr anmutige Varia-
tionen über ein Thema, das dem von Händeis »Lascia
ch' io piango« nachgebildet ist. In der charaktervollen
»Gavotte« zeichnet sich das Trio durch die liegende
Stimme der Violinen romantisch aus. Der Schlußsatz,
eine »Romanze«, verläßt wider allen Suitenbrauch die
gemeinsame Tonart (D) und steht in G.
Die kontrapunktische Gruppe der modernen Suiten-
komponisten ist allmählich durch eine andere Richtung
verdrängt worden, welche ihren Ausgang yon den Diver-
tissements Mozarts, von den Gartenmusiken des 18. Jahr-
hunderts nahm und den Nachdruck auf den idyllischen
und einfachen Charakter der Gattung legte. Der nach
Zeit und Rang erste Repräsentant dieser zweiten Gruppe
der modernen Suite ist Johannes Brahma. Leider
hat er nur zwei Serenaden geschrieben. Sie stammen je-
doch aus der besten Zeit des Komponisten und sind mit
den »Mageionenromanzen« nicht bloß gleichaltrig, son-
dern auch innerlich verwandt. Der jugendlich schwär-
merische Ton, der sie auszeichnet, stellt sie unter die
schönsten und liebenswürdigsten Äußerungen des neuesten
Serenadengeistes, die Natürlichkeit der thematischen Er-
findung weist sie unter die Hauptwerke des Komponisten.
Eine gewisse Unreife verraten sie in der allzu breiten
j. BrAhitti Ausführung einzelner Sätze- Die erste Serenade (Ddur,
Serenade in op. 11), welche im Jahre 1862 erschien, besteht aus
Ddur. sechs Sätzen. Sie beginnt mit einem großen AUegro in
breiter Sonatenform, in welchem der pastorale Ton
vorherrscht. Das Hörn, ein Lieblingsinstrument des
669
Komponisten, stellt als Hauptthema eine naiv fröhliche
Melodie
Jülefro molto.
i
<i'^'jNJjJijj.jjijjjjij.j)jjiigii:
hin, welche von primitiven Harmonien begleitet und in
ungenierten Modulationen weiter geführt wird. Das ainnige
zweite Thema tijtt in einer Fassung auf, die Brahms
original zugehört
j»M/r.
Celli und Bratschen nehmen die zarte Schwärmerei so-
fort auf und geben ihr im Verein mit den Holzbläsern
den intimsten Abschluß. Ein kurzer Nachgesang, aus
welchem das reinste Glück des Herzens spricht, geht in
ein freudig hüpfendes Seitenthema
über, welches das Material für den Anfang der Durch-
führung liefert. Letztere selbst trägt in einzelnen ge-
künstelten und gewaltsamen Stellen die Merkmale der
Entwickelungszeit des Komponisten. Eigentümlich schön
ist der Eingang in die Reprise des Satzes. Dureh ein
der D dur-Hannonie eingeschobenes C rückt das kecke
Hornthema hier in ein überraschendes und das Ende der
Szene kündendes Dämmerlicht. Der Schluß des Satzes
ist außerordentlich subtil: ein zartes Solo der Flöte, zu
welchem Bratschen und Klarinetten dezent die Harmonie
hinzufügen.
Der zweite Satz (Scherzo, Dmoll, 3/4) hat in seinem
Hauptthema:
670
Allegro Bon trepp
Ähnlichkeit mit dem in
Brahms' zweitem Klavier-
«•• konzert. Die Stimmnng
zeigt auf ein pochendes Herz und wird erst vom Seiten-
satze ab ruhig-freudig. Ihr thematischer Ausdruck zeigt
von da ab Wiener Einflüsse, der Seitensatz Schubertschen :
Haydn-Mozartschen.
Der Wert des Adagio (B dur, V4) '^^^ besonders auf
dem Hauptthema, welches eine der herrlichsten melodi-
schen Erfindungen von Brahms bildet:
AdAgio HOB iroppo.
Noch schöner fast ist der konzertierende Nachsatz:
J3
j Ihm folgt eine Episode
mit folgender Melodie:
671
ÄuchihreBe-
gleitang mit
murmelndeD
Zweinnddreißigstelfiguren erinnert an die »Szene am
Bach€ in Beethovens Pastoralsinfonie. Das Adagio zer-
splittert sich von da ab einigermaßen und verweist die
Aufmerksamkeit vorwiegend auf feine Details.
Den vierten Satz bilden zwei zusammengehörige
Menuette (G dur der erste , G moll das Alternativ),
welche den Originalcharakter der alten Serenade aufs
drastischste wiedergeben. Namentlich der Gdur*Satz ist
ein originelles, kostbar drolliges Genrebild, zu welchem
die moderne Suitenliteratur vielleicht nur in dem Wäl-
zer von Volkmanns F dur -Serenade ein nahestehen-
des Seitenstück aufzuweisen hat. noder&td.
Nur die beiden Klarinetten und ein ^ f j. JXl |^j J p|
Fagott spielen es; Jene geben die F > * j^ ^# * i ^ '\^
Anmut und Liebenswürdigkeit in ^
das letztere bringt ^ ^ ^ „,■, _. in mit welchem
es die Melo-
•*•• die begleitet,
in dem komi-
schen Murkybaß
das Kostüm der alten Zeit hinzu.
Ein als fünfter Satz folgendes Scherzo (Allegro, 8/4}
beschwört in seinem Hauptthema:
AlUrro.
den Vergleich mit Beethovens zweiter Sinfonie (Trio im
Scherzo) etwas zu keck herauf und wird bei Aufführungen
am besten gestrichen.
Ein Rondo beschließt als sechster Satz die Serenade.
Sein Hauptthema:
welches einen deutlichen Anflug Schumannschen Wesens
hat, paßt sehr gut zum Bilde einer fröhlich nach Hause
672
siehenden Gesellschaft. Unter den Nebenthemen des Satzes
hat das folgende:
für die Entwickelang and Durchföhrang hervorragende
Bedeutung.
i. Bmlmig, Die zweite Serenade von Brahms (Adar, op. 16), nur
3erenado Nr. 2 wenig jünger als die in Ddur, verhält sich zur letzteren
(Adur). ^^ ^j^ Schwester zum Bruder. Sie ist noch zarter, heim-
licher, inniger und tiefer; zu gelegener Zeit kehrt sie aber
auch den Wildfang noch stärker heraus. Über ihrem Klang
liegt ein mattes Kolorit: wie im ersten Satze vom »Deut-
schen Requiemc und dem des Cherubinischen (CmoU),
wie in Möhuls Uthal sind die Violinen weggelassen und
die Bratschen führen das Streichorchester. An formeller
Reife steht die Adur>Serenade über der ersten, an äußerer
Wirkung unter ihr.
Der erste Satz(Allegro moderato, (^, Adur) hat zum
Hauptthema eine jener unscheinbaren, für Brahms be-
zeichnenden Melodien, deren seelischer Gehalt sich erst
bei näherem Eindringen erschließt:
Allef ro uoderato.
cur.
Das zweite Thema, welches der glücklichen Stimmung
einen lebhaften, aber immer noch reservierten Ausdruck
gibt, hat Wiener Lokalton:.
F*-
fi'
fi- fi -
rtr\''^,ffXD%i\^y
-^ 673 ♦—
Unter den Seitengedanken, welche zwischen den beiden
Themen auftreten, ist der ^
folgende W TT I | |, | mT 1 1 |ltlVI I J
führnngvon Wichtigkeit: *r ' '^ ' ' ' ' *
Er geht in eine ^ ^ ^^ ^ an die Mage-
Episode über, Ä m^ m \f ^ m'\T f ä \T T lone - Ronian-
deren Motiv : ^'^ ' ' ^ " ' zen des Kom-
ponisten erinnert.
Der zweite Satz, Scherzo (Vivace, 3/4, Cdur) vertritt
mit dem Finale die energi- vivace.
sehe Heiterkeit in der Sere-
nade. Sein Hauptthema ^' f
von den Bläsern frisch herausgeschmettert, beherrscht
den Satz aliein. Wie in ihm und in der Mehrzahl der
Themen der A dur-Serenade, tritt auch in dem sanften
Trio die Melodie Arm in Arm mit einer Parallelstimme auf:
^j'jjj'jii'jjj'^j.^'jjjijiiir'i
Das ganze Scherzo hält sich in knappen Dimensionen.
Der dritte Satz : Adagio (i^/g, A moll), hat als erstes Thema
^ Adagio. ^ ^
foWndPa. ^^ I I J.lj I j,^ . I , ^.J Jy,l r\ ^ Es
wird von nachstehen-
der Baßfigur begleitet
Sie schließt sich den Modulationen der Melodie in Trans-
positionen an und bleibt ihr immer zur Seite, wodurch
der Hauptteil des Adagios sich der Form des alten
Passacaglio, den Brahms ja bekanntlich auch sonst,
zuletzt noch in seiner vierten Sinfonie verwendet hat,
nähert. Der Charakter des Satzes ist ruhig, sehnend,
sinnend und träumerisch. Die erregten Momente dOstrer
Leidenschaft in ihm jt iJ^^J^ j—- zum Ausdruck und
kommen mit dem hef- y jäi = gehen schnell vor-
tig einsetzenden Motiv jyT über. Brahms ent-
flieht ihnen durch einen Sprung in das ganz entlegne
Asdur. Hier setzen zunächst die Hörner mit einer freund-
Kretztehmar, Fftlirer. T, 1. 43
674
lieh schwärmerischen Melodie ein, die in den Stimmungs-
kreis zurückführt, in dem die Serenade begann. Dann
folgt ihr in den Holzbläsern das eigentliche zweite Thema:
|iMi-^>f^fK'Tf-rT"ni|iT^'^'^fi^
Mit der ihm zagehörigen Gruppe bildet es nur ein aus-
drucksvolles Intermezzo. Weder die Durchführung noch
die Reprise wissen von ihm.
Der vierte Satz: »Quasi Menuettoc (Ddur, ^4)» ^^
durch das zögernde Element, welches seine freundliche
Stimmung und seinen schlichten Melodiehau beherrscht:
Hauptsatz.
^iiiHT.i jij I j Uli if iij I I iiiijTi
Qn ii ii "I H"
Trio. Ok
cte.
eigentümlich charakterisiert.
Der Schlußsatz: >Rondo< (Allegro, ^/^ Adur), erhält
durch die Hauptthemen
.^-^ AUegro.
(fhj\if\t\»fr\fifVfi^vtiiß^^^
sein fröhliches Gepräge. Die liebenswürdige Schüchtern-
heit, welche in den Gesichtszügen dieser Serenade einen
hervortretenden Teil bildet, blickt noch einmal aus dem
kleinen, dem zweiten Thema vorhergehenden Seitensatze,
in welchem sich Klarinetten und Fagotte, anfangs in
675
kanonischem Stile,
über das Motiv:
unterhalten.
Der von Brahms aufgestellten Ideenrichtung folgt
auch Robert Volkmann in seinen drei Serenaden fQr
Streichorchester, hält sich aber in knappen Formen. Das
Schema der ersten und der dritten Serenade gleicht dem
der kleineren sinfonischen Dichtungen Liszts, die zweite
bildet eine Suite von vier selbständigen und getrennten,
aber kurzen Sätzen. Die Serenaden von Brahms können
eine Sinfonie ersetzen, die von Volkmann eignen sich
sehr gut zu Zwischennummern im Konzert und sind als
solche auch außerordentlich beliebt. Dem Inhalt nach
gehören sie zu den gelungensten und gehaltreichsten
Leistungen der neueren musikalischen Genremalerei. Die
poetisch bedeutendste unter ihnen ist die dritte (Dmoll) J- Tolk«iiii«,
mit dem Solocello. Der Solist hat in dieser Sere- foJJJii o« ^)*
nade eine ähnliche Rolle wie der Solobratschist in ^ > p* •
Berlioz' Haroldsinfonie. Das Cello personifiziert einen
Melancholikus , der in allen . Xitrgbetto, non tl^ppo^
Lagen immer wieder auf
sein Leibthema zurückkommt:
Ob der Chor zustimmt oder widerspricht, der Cellist bleibt
bei diesem Motiv; wird jener heiter und ausgelassen, so
sieht er einsilbig zu, und das Freundlichste, was sich
ihm abgewinnen läßt, ist eine elegisch klagende Melodie :
Andante«8preMlTo.-^ a '^ -s "^^* welcher
Aiirr crrr ir r rr/r irrrpifr^^ dieiebendigge-
*^" tjf -<==*• haltene Kom-
position auch einen rührenden und versöhnenden Ab-
schluß erhält.
Die beliebteste unter den Serenaden Volkmanns ist >• TolksaBa,
die zweite in Fdur und zwar wegen ihrer zweiten Num- ^^T***!* ?« ^
mer, einem Walzer über folgendes Hauptthema: ^ "* ''
Allafretto moderato
m
Es ist eigentlich kein Walzer, sondern ein Walzerchen,
ersichtlich für alte Leute gedacht — ein Kabinettstück
43^
-^ 676 ^e^
liebenswürdig altfränkischer Musik. Von den beiden Tei-
len, aus welchen der 6rste Satz der Serenade besteht:
AUegro moderato (Fdur, 3/^ undMoUo vivace (Dmoll) s/4},
ist der zweite der originellere: Mit imposanter Konse-
quenz und doch reich an Abwechselung un4 effektvollen
Steigerungen ist er auf folgendes spröde Motiv gebaut:
.^ ^ ^ Besonders schön ist der Ein-
i L u rrm '^- — "• r fn ^^ i^^ seines Mittelsatzes in Ddur.
fr , ^^ UäLi ^ ' Oie Serenade schließt mit einem
Geschwindmarsch. Die dreitak-
tige Konstruk- Allegto moderato. _
die Akzentuierung in ihm und in dem ganzen Satze ver-
raten die ungarische Atmosphäre, welche alle drei Sere-
naden Yolkmanns mehr oder weniger durchweht, be-
sonders deutlich.
K. YoikMftiAi, Die erste Serenade Volkmanns (Cdur) wird Von dem-
Serenade Nr. 1 selben kräftigen Maestoso alla Marcia, welches sie eröffnet,
(Cdiir,0p.62|. ^^^Y^ beschlossen. Die Mitte der Komposition nimmt ein
längeres AUegro vivo ein, welches auf Grund des Thema:
Ano^Tivo. • ^ ^ ^.^ . eine Reihe
kecker, trot-
l^""*"" ^ .-=— »-*j ziger Gänge
tut. Die schönsten Partien der Serenade bilden die
beiden langsamen Sätze, welche dieses AUegro vivo
einrahmen. Der erste Satz ist sehr kurz in der Weise
der überleitenden Largi Händeis, der zweite hat die
dreiteiligeLiedform, ^„,^^^ ^^^^^^^^^
zum Hauptthema
folgende edel sen-
timentale Melodie: i.
Kurz vor seinem Tode hat auch Niels Gade den
neuen Suitenschatz mit mehreren liebenswürdigen Arbei-
N. Oade, ten bereichert. Die erste davon sind die »Novelletten«
Novellettcn. für Streichorchester (op. ö3). Von den vier Sätzen dieser
kleinen Suite, die sich auch als Sinfonietta vorführen
ließe, sind der erste, der zweite und vierte einer feinen,
— ♦ 677 ♦^
gebildeten Fröhlichkeit gewidmet. Hie und da mischt
sich in das geistige Geplänkel launiger Reden ein recht
wehmütiger Ton, wie ein Rückblick auf Jugend und auf
Mendelssohn. Der dritte Satz, ein Andante, spricht in
den kurzen sinnigen Fragesätzen des Vaters der Novel-
lette: R. Schumanns. Besondere Bewunderung verdient
noch der Stil des reizenden und anheimelnden Kunst-
werkchens, der — ohne gerade mit Schulweisheit zu
prunken — die Stimmen unter einander in die interes- *
santesten Verbindungen bringt und jeder einzelnen Frei-
heit und eigne Bedeutung sichert
Die zweite dieser Gadeschen Suiten: >Ein Som- if*tiade,
mertag auf dem Lande« (op. 65), besteht aus fönf^^P^^T"*^?^
Sätzen: 1. Früh, 2. Stürmisch, 3. Waldeinsamkeit,
4. Humoreske, 6. libends, Lustiges Volksleben — die die
versprochnen Tonmalereien in der gelassenen Weise der
alten romantischen Schule ausführen. Die »Waldein-
samkeit« und der Schlußsatz sind die besten Stücke,
jene durch ihren warmen Ton, dieser durch die sinnige
Andeutung der Abendstimmung. Die Nummern, welche
Kraft und Frische verlangen, bleiben hinter den berech-
tigten Erwartungen.
Mit einer dritten Orchestersuite : Holbergiana (op. N. o»de,
61), hat Gade eine Aufgabe durchgeführt, die auch Edv. holbergiana.
Grieg bei der gleichen Gelegenheit — Holbergs zweihun-
dertstem Geburtstag — in ähnlicher Weise gelöst hat. ^
Auch diese Komposition ist etwas umständlich und red-
selig und läßt die Knappheit und Gewichtigkeit vermissen,
die der Suite in der alten guten Zeit zu eigen war. Aber
sie steht über dem Sommertag Gades durch die Anschau-
lichkeit und den Gehalt der Thematik. Der Plan des
Komponisten war wohl der, die verschiednen Seiten von
Holbergs künstlerischem Charakter musikalisch aufleben
zu lassen. Der erste Satz (Moderato, Tempo di Minuetto,
3/4, Gdur) zeichnet uns erst in weichen, sanften Weisen,
die aus Dittersdorf und aus Naumann genommen sein
könnten, den humanen Philosophen, den Verfasser der
»Moralischen Episteln«. Die Durchführung beginnt ani-
678 ^-^
mato und in Moll, scharfen erregten Tons. Da kommt
wohl der Satyriker, der rücksichtslose Feind alles Un-
rechtes zu Wort. Der zweite Satz (Allegro scherzando,
s/4, EmoU) bezieht sich auf den Schöpfer der dänischen
Komödie. Ein ausgelassenes, in seinen Rhythmen sprü-
hendes, in den Intervallen keckes Thema wird fagiert —
ein Bild von dem flotten Treiben der Holbergschen Last-
spiele und ihren fröhlichen Verwickelungen. Eine alte
Melodie aus dem 18. Jahrhundert, die in der Mitte des
Satzes (mit Edur) eintritt, bezeichnet das volkstfimliche
Wesen von Holbergs Kunst. Von andrer Seite her knüpft
auch der dritte Satz (Andantino, 8/4, DmoU) an diesen
Punkt an: er ist eine Instrumentalballade die, ähnlich
wie dies in Gades CmoU-Sinfonie geschieht, von alter
nordischer Zeit, von Leiden und Freuden eines ernsten
kräftigen Geschlechts erzählt. Mit dem zweiten Satz der
Suite teilt dieser dritte die Fülle und Echtheit der Stim-
mung, er übertrifft ihn aber in der Freiheit und Mannig-
faltigkeit von Form und Ausdruck. Die Erregtheit des
Erzählens äußert sich in Rezitativen und dramatischen
Wendungen. D^e Suite schließt mit einem Allegro festivo,
das an die Entr^es der alten französischen Oper erin-
nert, an Festaufzüge mit wechselndem Personal und
Ballettvorstellungen. Halb und halb schlägt dieser Schluß-
satz auch den Ton wehmütiger, pietätvoller Erinnerung
an. Nach der Wiederaufnahme des Hauptsatzes (Gdur,
Vi) gereift er auf die zweite, die Komödiennummer der
Suite zurück, und ganz am Ende fallen wie im Kaiser-
marsch R. Wagners Singstimmen ein. Sie rufen »Vivat
Holberg !€
Unter der großen Zahl weiterer Tousetzer, welche
sich an Brahms und Volkmann angeschlossen haben —
R. Fuchs, A. Klughardt, J. Brüll, H. Reinhold, V. Stau-
ford, A. Birdetc. — nimmt nur Robert Fuchs einen
festen und der Stellung jener Vorbilder naheliegenden
Platz im Repertoire ein. Seine drei Serenaden für Streich-
orchester, oft gespielt und gern gehört, sind das Produkt
einer harmonischen Künstlernatur und jener feinen Bü-
--t 679
dang, welche auch bekannte und gewöhnliche Ideen mit
neuem Interesse zu umgeben vermag. Ein besonderes
Talent zeigt Fuchs in seinen Serenaden als Kolorist Mit
den einfachsten Mitteln, Verdoppelung von Mittelstimmen,
Teilung der einzelnen Instrumente, entwickelt erin seinem
Streichorchester ein Leben, eine Abwechslung, einen Reiz
im Klang, welcher die Wirkung der einfachen Serenaden-
gedanken wesentlich erhöht
Die erste Serenade von R. Fuchs (Ddur) zeigt viel B.F«öhB,
durchdachte Detailarbeit und Hinneigung zu den kleine- ^^'^j!?^ ^'* *
ren Künsten der Kontrapunktik. Die Themen lieben das (^°u'>*
interessante Halbdunkel der Mittel- Andante,
stimmen, emzelne Motive, welche,
wie das die Serenade eröffnende:
platt anfangen, werden durch Nachahmungen und Um-
bildungen veredelt. Durch Innigkeit der Empfindung
zeichnet sich unter den Sätzen der Serenade der Gesdur-
Teil des Allegro scherzando aus. Der breiteste ist der
Schlußsatz (D moll, ^/g). Sein Durchführungsteil verlangt
Aufmerksamkeit auf das Motiv:
iJ ij/j JtJ"j??p
welches vom Hintergrunde aus längere Zeit neckisch
drohend den Satz beherrscht. Das zweite Thema dieses
Finale läßt von Ferne den traulichen Wiener Walzerton
hören.
Die zweite Serenade von R. Fuchs (Cdur) ist leb- B.F«olif,
hafter als die erste und neigt dem Volkston mehr zu als Serenade Nr. 2
jene. Am kecksten kommt er im folgenden Thema des (Cdar).
Finale zum Ausdruck:
(f^^^^llr_p^^l^p^n^^M |ii^i ,
•tc
Das Larghetto dieser Serenade besteht aus Thema
und vier Variationen, welche, zwischen Dur und Moll
wechselnd, vorwiegend figurativ gehalten sind«
--• 680 A^-
B.Faehi, In die dritte Serenade (Emoll) klingen, wie bei
Serenade Nr. 8 Volkmann, Ungarische Elemente herein. Ihr schönster
(EmoU). g^^2 ist das zarte AUegretto graziöse mit dem in der
Bratsche versteckten Thema.
[. Hoeskowski) ^nen schnell vorübergegangnen größeren Erfolg in
Suite. ^Qf Soite hat in der Fuchsschen Generation M. Mps-
zkowski mit zwei Arbeiten errungen, die, von einem
virtuosen Orchester vorgetragen, dem Ohr manches Aparte
und Erstaunliche bieten, hie und da auch geistige Be-
deutung erstreben. Geschichtlich sind sie bemerkenswert
als Beispiele fQr das Eindringen modern französischen
Ballettgeistes in die deutsche Komposition und haben er-
sichtlich mit ihren pikanten Reizen in der neuesten Or-
chestersuite etwas Schule gemacht.
Unter den zeitlich folgenden Beiträgen zur Suite ver-
dienen die Serenade von F. Draeseke und die sinfonische
Suite von E. N. v. Reznicek besondere Hervorhebung,
jene, weil sie den richtigen alten Snitenton so vorzüglich
trifft, diese, weil sie ihn gänzlich verfehlt.
F.Draeieke, Die Serenade von Felix Draeseke (Op. 49, Ddur)
Seronade. jg^ gj^e ^^j liebenswürdigsten Orchesterkompositionen der
.neueren Zeit. Sie ist ersichtlich in glücklichen Tagen
entstanden und zeigt uns den charaktervollen und kunst-
gewaltigen Tonsetzer, der wegen seiner schwierigen Kon-
trapunkte und wegen seiner Herbheit zuweilen gefürchtet
wird, als einen Idyllendichter von reinster Naivität und
köstlichstem Humor. Einigermaßen archaisiert auch diese
Serenade, ungefähr so, wie es Vautier und Fritz Kaul-
bach auf ihren Bildern aus alter Zeit gern tun, so wie
es auch Brahms in seiner D dur-Serenade gehalten hat.
Mit diesem Werke berührt sich Draesekes Serenade viel-
fach in der Stimmung. Denn beiden hat das gleiche Vor-
bild vorgeschwebt: Mozarts Divertimenti, beide Kompo-
nisten haben sich in die entschwundne Poesie des 18. Jahr-
hunderts mit seinen Gartenmusiken, mit seiner engen
Verbindung zwischen Leben und Kunst zurückversetzt.
Draeseke ist bis in die Instrumentierung hinein dem Ton
der alten Serenade gerecht geworden: er arbeitet mit
681
einem sogenannten kleinen Orchester, das die Streich-
instnunente, Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten und
2 Hörner, umfaßt. Die zwei Trompeten and Pauken, die
noch hinzukommen, wirken mehr drollig als prankhaft.
Auch in der Zahl und Art der Sätze würde die Sere-
nade von Draeseke den alten Bedingungen praktischer
Verwendung durchaus entsprechen. Sie hat fünf Sätze,
die einfach und knapp gehalten sind; nur das Finale
greift weiter aus.
Eine richtige Serenade verlangt ein Stück für den
Aufzug der Gratulanten. So eröffnet denn Draeseke die
seinige mit einem Marsch, der folgendermaßen wohlge-
mut und freundlich anfängt:
Allegretto Jeg^ero
\\ I cliii/ '
I Tl| II Till
Das in den letzten Takten dieses Beispiels angegebne
Achtelmotiv, der Ausdruck einer gewissen Vorfreude, trägt
nicht bloß die weitre Entwickelung der ersten Klausel,
sondern liegt auch der ersten Hälfte des Nebensatzes zu
Grunde. Erst in dessen Mitte setzen wieder hüpfende und
springende Marschmotive ein. Das sehr kurze Trio (in
G dur) knüpft ebenfalls an die erwartungsvolle Stimmung
jenes Achtehnotivs an und geht in seiner zweiten Klausel
an die Erzählung stillen Glücks. Der Marschsatz wird
dann mit erweitertem Schluß wiederholt.
Dem Aufmarseh folgt logisch als nächster, zweiter
Satz ein >Ständchen« (Andantino, ^/g, Fismoll). Der
Liebhaber spricht durch die Stimme eines Solocellos zu-
erst seine Verehrung aus:
And&ntino-
f> Motto e$pr.
682
Diesem ersten Thema folgt ein Seitentbema, in dem die
Rede flüssiger, herzhafter und heitrer wird:
Das eigentliche zweite Thema,
1 im Charakter gemütlich und zu-
traulich, wird von den Bratschen eingeführt:
ift:
etcft
Vespr,
Oberhaupt folgt in diesem zweiten Teile das Soloinstm-
ment dem Chor, eine Abwechselung, durch die die Form
dieses Ständchens sehr hübsch belebt wird. Die Rück-
kehr zum ersten Thema und zur Haupttonart vermittelt
das oben angeführte Seitenthema mit dem Sechzebntel-
motiv. Ehe ein Thema überhaupt einsetzt, hören wir
immer acht Takte, die ganz lose präludieren, Tonart und
Rhythmus festsetzen ; nur die erste Violine tritt ein wenig
melodisch daraus hervor. Am Schluß dieses Präludiums
gleicht der Klang dieses Orchesters dem einer Gitarre.
In seiner Harmonie tritt ein dissonanter Akkord stark
hervor, den der Komponist im zweiten Teil des Sätzchens
überraschend im Thema erklingen läßt. Eigentümlich
ist auch das Ende des Sätzchens, es macht den Eindruck
einer eingetretenen Störung, als sei der Künstler, der die
Huldigung bringt, aus dem Text geworfen.
Denkt man hier schon an Berlioz' Romeo, so noch
viel mehr in dem folgenden, dritten Satz der Serenade
(Andante, ^/g, Adur], der als Liebesszene betitelt ist,
und wie aus der Verwandtschaft in der Harmonie schon
vermutet werden kann, wohl als Fortsetzung des Ständ-
chens aufgefaßt werden kann. Wir verstehen jetzt den
kleinen Aufruhr am Schluß der vorhergehenden Nummer:
die Geliebte, der das Ständchen galt, ist gekommen. Auch
in diesem Satze kann von einer Berührung Draesekes
mit Berlioz gesprochen werden; sie äußert sich in einer
683
gewissen Gemeinsamkeit von Ton und Stimmung, einer
außerordentlichen Zartheit und Zurückhaltung im Aus-
druck des warmen Gefühls. Es ist eine Liebesszene, bei
der glühende Sinnlichkeit ganz ausgeschlossen ist, sie
hat einen Zug von Rührung und Frömmigkeit; man kann
an eine Liebe denken, die durch schwere Hindernisse
.gegangen, die alt geworden ist Die Form, die Draeseke
hier wie im vorhergehenden Satz für seine Darstellung
gewählt hat, ist ungefähr die der Sonatine. Die zwei
Themen
Andftnte.
r 7
und
Oello.
folgen unmit-
telbar aufein-
ander. Das
erste trägt den Charakter edelster Heimlichkeit, das zweite,
mit dem der Vortrag Dialogformen annimmt, zeigt, wie
sich die Herzen öffnen. Ihm J^^^ * ^
folgt ein sehr zärtlicher Nach- -i M Cmilrf f—^^f ]
satz, der sich auf das Motiv: ff. i^"» n« . ■ i
stützt und namentlich in der Quart, mit der es schließt,
Träger freundlicher und starker Hoffnung wird. Die ganze
Themenreihe wird zweimal vorübergeführt, das zweite
Mal mit Veränderungen und Erweiterungen. Dann folgt
ein freier Schluß, der, durch Rezitative in Klarinette und
684
CeHo eingeleitet, dramatisch verläuft und sow<^ in
Wärme wie in Innigkeit des Ausdrucks die Krone des
ganzen Tonbildes bedeutet
Mit dem folgenden Satze, einer Polonaise' (AUe-
gretto con brio, V4i Ddur), wird aus der Gartenmusik ein
Gartenfest mit großer Gesellschaft. Diese Polonaise ent-
faltet Prunk und VirtuosiUt (Klarinette). Das Trio (Gdur,
un poco meno mosso) ist als eine Szene abseits gedacht,
in der zwei Liebende in innigen Tönen Zwiesprache
halten. Der Lärm des Festes klingt in versprengten
Rhythmen herüber, die die Homer, die Celli, auch ein-
mal die Klarinetten in die Ruhepunkte des Gesangs hin-
einwerfen.
Das Finale (Prestissimo, d Ddur] ist ein Sonaten-
satz. Sein erstes Thema:
^J,
i> - - - : :
aus dem Freude und Befriedigung im langen Zuge strömt,
setzt nach einer kleinen Einleitung ein, in der das Viertel-
motiv seines Anfangs zu einem Ausbruch des Humors
verarbeitet wird, der durch die Trugschlüsse einen kecken,
übermütigen Zug erhält. Mehrfach begegnen uns im
Satze solche freie Wendungen guter Laune, am über-
raschendsten bei dem B dur-Einsatze des zweiten Themas
in der Durchführung. Dieses zweite Thema selbst ist in
der Stimmung mit dem ersten verwandt, nur äußert er
sie ruhiger.
E.N.T.BesBieeky Auch an der Suite von E. N. von Reznicek, der
Sinfonische durch die Oper »Donna Diana< zuerst bekannt wurde,
Suite. |g^ ernstlich nur die mißverständliche und irreleitende
Benennung zu beanstanden. Denn die Suite war jeder-
686
zeit ausgesprochenste Gesellschaftsmusik; hier aher stehen
wir vor ganz und gar subjektiver Kunst. Der Komponist
scheint diesen Sachverhalt gefühlt zu haben, als er seine
Arbeit als sinfonische Suite bezeidinete. Die drei
Sätze, aus denen sie besteht, sind wohl ein Niederschlag
von tief greifenden persönlichen Erlebnissen und Schick-
salen ihreß Verfassers; ein Zug leidenschaftlicher Er-
regung geht durch das Ganze, der alle diejenigen Zuhörer,
die gewöhnt sind, in der Suite von allem Pathos und allen
sedischen Strapazen loszukommen, befremden muß. Die
kleine Enttäuschung wird hofifentlich immer schnell über-
wunden. Denn Rezniceks Musik ist ;swar nicht thema-
tisch originell, sie zeichnet sich aber aus durch Klarheit
und Knappheit, durch eine unmittelbare, dramatische und
lebenswahre Empfindung. Dazu kommt noch eine sehr
farbenscharfe, wirksame Instrumentierung. Die Suite
Rezniceks steht in dem neuen Zuwachs zur Gattung wie
eine Traueresche in einer Lindenallee, sie ist aber nicht
bloß merkwürdig, sondern auch wertvoll und der später
erschienenen »Tragischen Sinfonie« des Komponisten vor-
zuziehen. Indessen hebt sich auch diese mit dem düstren,
im 7/4 l'&kt gehaltnen Thema des Schlußsatzes weit über
die Mittelmäßigkeit.
Der erste der drei Sätze (C» Emoll), Ouvertüre be-
nannt, entwickelt sich um zwei Themen, deren Anfänge:
genügend er-
kennenlassen,
I ^ — ~i wie deutlich
^rg ^ j- ^^^^ <Je' Kompo-
nist deuGegen-
sat^ zwischen
dem Sturm der
Gefühle und
der Sehnsucht
Sehr rtsch and mit Faaer.
jp eon moito §spFt9at9n$
nach Frieden gestalte^ hat. Das zweite muß, wenn es
die höchsten Wirkungen ausüben soll, immer plötzlich
eintreten; die Kunst des Komponisten hat sich in den
Obergängen zu zeigen, die aus ihm nach der Aufregung
^
686
des Hauptthemas zurückführen. Sie haben überall den
Schein großer Natürlichkeit. Der Aufbau des ganzen
Satzes vollzieht sich im bekannten Sonatenschema, die
Durchführung ist kurz gehalten, der Schluß versichert:
daß für weitre Anfechtungen und Prüfungen noch ein
großer Vorrat von männlicher Kraft vorhanden ist
Der zweite Satz (Adagio, V4« Fdnr) tut einen Schritt
weiter nach der Richtung, aus der das zweite Thema des
ersten Satzes entgegenleuchtete. Er wendet sich der Hoff-
nung schon mit dem ersten Thema:
* \0 '' in! f ly il'l I Ulf I
zu. Noch entschiedner, mit
mächtigem Schwung, ge-
schieht das aber im zweiten
Thema, das sich vom folgenden Anfang aus:
zu einer zwölftaktigen, schön modulierenden, auf energi-
sche Bässe gestützten, in den Geigen hochsteigendenMelodie
entwickelt. Im Hauptthema fällt die Dissonanz sehr auf,
die beim ersten Eintritt im zweiten und vierten Takt ange-
schlagen wird. Bei der Weiterführung des Themas wird sie
zwar vermieden, aber es bleibt an ihrer Stelle immer ein
fremder Ton, mit dem entlegne, vereinzelte Stimmen in
hohen Lagen einsetzen. Die Erinnerung an Leid und Un-
glück, die in diesen seltsamen Akkorden stechend mitgeht,
lebt in dem Adagio auch noch in einer andren Form leise
auf: in einem chromatisch klagenden Motiv, das (in Fagott
und Bratschen, dann auch in den Geigen und Oboen)
aa 4( ^ s die kurze
net. Bald lassen sich auch die punktierten., heftigen
687
Rhythmen vernehmen, die die Haiuptträger des Unfiriedens
waren, der die Ouvertüre beherrschte. Die Wiederholung
bringt das Hauptthema in einer Ächtelvariation ; eine längere
Coda zeigt nochmals auf den ganzen Umfang seines be-
ruhigenden und verheißenden Inhalts.
Den dritten, den Schlußsatz seiner sinfonischen
Suite (Sehr rasch, 3/4, EmoU), hat der Komponist Scherzo
finale betitelt Es sind aber ausschließlich bittre Scherze,
zu denen sich der Komponist versteht, und der Humor,
der hier waltet, ist der sogenannte Galgenhumor. In
seinem pessimistischen, zuweilen dämonischen Charakter,
in s^nem trostlosen, verzweifi^ten Ausgang hat dieses
Finale wenig Seitenstücke; als Suitensatz ist es völlig
unerhört' Auch formell bietet es dem Zuhörer Schwierig-
keiten. Eine der ersten bereitet schon das Hauptthema:
Sehr rssCh und «rr«gt.
1 (Hörner gestopft.)
-j- — I dessen verzwickter Rhyth-
i^r. -9 -9 |j5. ^\\ji ni'is sich nur widerwiUig in
^ Bewegung setzt Es zieht
ein Gefolge von allerhand elenden Stimmungen nach sich,
die sich 'in winselnden und sich krümmenden Motiven
äußern, es tritt in Bettlergestalt auf und im Ton der Em-
pörung. Unter den Nebenthemen, die in seiner Gruppe
auftreten, tritt klagen^ ein schwankender Gesang hervor,
der zuerst in Oboe und Bratsche erscheint:
Ihm folgt dann das eigentliche zweite Thema des Satzes,
zwar in gehaltener Stimmung, aber voll Resignation und
Leiden:
Violloen 811I O
-^ 688 4^
_ ^ , ' -^ _ ^_ Es wird sofort mit dem
'"J^Ji I J i|J O I r f r I r Hauptthema kombi-
^ /etcniert; neben dieser
Kombination gelangt noch das aus einer zufälligen melodi-
schen Wendung iii^__^__^_^4___^^ diesem Ab-
hervortregange- fei'li ^^^ I 'J^^^J=lschrirttzuwesent-
ne Klagemotiv :^ "^^^- =^- lieber Bedeutung.
Der erste Teil des Satzes schließt mit einer kurzen
leidenschaftlichen Wiederholung des Hauptthemas allein,
die sich aus dem lauten Ton außerordenttich schnell in
die Stille und ins Gespensterhafte verUert Die Durch-
führung poltert mit den Rhythmen des Hexensabbaths
herein und widmet sich dann bald der Durchführung einer
Doppelfuge, die zum eirsten Thema das Hauptthema des
Finale hat und mit ihm folgenden Kontrapunkt verbindet:
f^^i I i^;^j n I fTrTPii I n iip
l.« c. Wolf, Ein bemerkenswerter Altersgenosse der Suite Rez-
Serenade. niceks ist die nur zweisätzige Serenade (op. 7) von
Leopold Carl Wolf. Äußerlich zpichnet sie sich durch
ein konzertierendes Klavier aus, innerlich durch die
seelische Hingabe an Tanz und Reigen und deren noble
Behandlung. Der größeren Verbreitung des liebenswürdigen
Werkes hat wohl der hinkende Rhythmus des Hauptthemas
des ersten Satzes im Wege gestanden.
W. BrftMBfelf» Unter den im letzten Jahrzehnt neu veröfTentlichten
Sfrtnade. deutschen Suiten ist die Serenade für kleines Or-
chester (op. 20) von dem Münchner Walter Braunfels
schnell die meist gespielte geworden. Sie entwickelt ge-
wohnte Stimmungen froher und beschaulicher Natur mit
gewohnten, einfachen Motiven, aber mit einer Freiheit
des Vortrags, die das Interesse in ganz ungewöhnlichem
Grade fesselt und den Zuhörer mit dem freudigen Gefühl
erfüllt, eine frische, durchaus selbständige Individualität
689
vor sich zu haben. Das bei aller Liebenswürdigkeit etwas
revolutionäre Wesen des Komponisten spricht schon aus
dem Notenbild der Partitur, aus dem zuweilen verwegen
bunten Wechsel des Taktes, des Tempos, der Harmonie,
aus den vielen kecken, immer aber natürlichen und ge-
schickten Kontrapunkten, mit denen er den Hauptthemen
seiner Sätze ins Gesicht zu schlagen hebt. Am schönsten
zeigt sich die außerordentliche Gestaltungskraft des Künst-
lers, der seine tüchtige Schule auch durch gelegentliche
Fugen und Kanons beweist, in der organischen Verbin-
dung getrennter Sätze: Der ifreundliche Weckruf, mit dem
der erste beginnt, beherrscht auch den zweiten Satz und
kehrt im Finale wieder.
An Zahl der Aufführungen kommt der Braunfelsschen
Arbeit Max Regers Serenade in Gdur (op. 95) am näch-
sten. Sie gehört unter die besten Arbeiten des frucht-
baren und noch immer umstrittenen Komponisten und
fällt besonders dadurch stark ins Gewicht, daß sie seinen
poetischen Beruf rühmlich und unwiderleglich bescheinigt.
In dieser Beziehung ragt unter den vier Sätzen der Kom-
position der erste am hoch- AUegro moderato^
sten hervor, weil er in seinem =
Hauptthema von dem Anfang
aus eine ganz eigentümlich schöne Serenadenstimmung
feststellt und entwickelt. Dieser aus sittigem, dankbarem
Herzen quellende Ton des stillen Glücks fesselt in seiner
Schlichtheit und Liebenswürdigkeit ohne weiteres, erwärmt
und erfreut, so oft er in dem breit ausgeführten Satze
wiederkehrt, und bestimmt dessen Gesamteindruck. Schon
im achten Takte wirds lustiger, die Freude spricht er-
regter in bewegten und wechselnden Motiven, sie wandelt
sidi in kräftigen, auf Dissonanzen gestellten Gängen zu
einer Art Kampfeslust, die Gedanken richten sich auf
Gegner und Widerstände, es kommt zu einer zweifelnden
Frage. Da lenkt das zweite Thema:
r f r if'^ etc.
D_Gi8 1)
H E— A E— A— D
M. Beger,
Serenade.
Kretzschmar, F&lirer. I, 1.
44
f
-^ 690 <►—
zu der glückliclieii Ausgangsslimmung zurück und ganz
folgerichtig beginnt die sofort anschließende Durchführung
mit dem JBauptthema und der ihm zugehorenden Gruppe.
Bald kommt in dieser Durchführung eine sehr frappante
Stelle: Im AugenbUck der derbsten Fröhlichkeit bricht
das YoUe Orchester auf einen Trugschluß ab, aus un-
heimlicher Stille heraus klingen kurze Klagen, denen das
Hauptthema in ganz veränderter, in trauernder Gestalt
folgt Ein Fugato über eins <> # ^^g_ _ .
der herzhalten Zwischen- g* T^LT f f f f I [1*^1* fj
themen der ThemenraruDne: *• y:::^"^^— i^st:
themen der Themengruppe:
hilft über die Krisis hinweg, das Hauptthema kehrt in
verkürzten Rhythmen, in streitbarer Form wieder und ver-
einigt sich dann mit dem zweiten Thema.
Wie sich aus diesen Proben ergibt, hat auch dieser
erste Satz der Regerschen Serenade etwas viel kunstvolle
Arbeit, er ist auch in der Qualität der Einfälle und den
aus ihnen gebildeten Abschnitten nicht gleich gut, aber
doch wird die sorglose Freude am Handwerk immer wieder
von einer höheren Dichterkraft gezügelt. Sie hat auch
die Disposition des Orchesters bestimmt: die Streicher
sind in zwei Chöre geteilt, der zweite spielt mit Sordinen,
der erste ohne Dämpfer. Der zweite ists, der in den
beiden Schlußtakten des ersten Satzes das Hauptthema
zum letzenmal intoniert Als der schönste Gedanke und
als Seele der ganzen Serenade kehrt es auch im zweiten
Satz (vivace a Burlesca] und es kehrt im vierten, dem
Finale wieder. An Wert steht dem ersten Satz der dritte,
ein einfach gesangreiches Andante semplice (Adur, 3/4) am
. nächsten.
Eine gleich der Serenade von Braunfels aus der
Münchner Schule stammende, sehr erfreuliche Arbeit liegt
i.Bmt- in Anton Beer-Walbrunns »Deutscher Suite« (op. 22)
Wftlbraam, in Dmoll vor. Der Titel deckt keine Bflder spezifisch
Dentache Suite. ^^^^^jjj^jj Lebens, bedeutet aber wohl eme Absage an
neue, ausländische Musikmoden und Extravaganzen. Es
ist eine Suite nach dei^ alten guten Mustern der Zeit von
Brahms und Volkraann, und der Komponist sucht das
— ♦ 691 <^~
Deutschtum in einer freundlichen und gesitteten Phau«
tasie auf der einen, in der Einfachheit und der Klarheit
der Tonsprache auf der andern Seite. Die vier Sätze
bestehen aus einem »Vorspiel«, in dem sich erregtere,
sehnende Motive mit kurzen ruhigen Kantilenen ausein-
andersetzen, einer »Elegie«, die den Sieg still froher
HofE^ung über leichte Melancholie schildert, einem »Lied« ,
das ohne Worte Glück und Zufriedenheit in der Form von
Thema und Variationen feiert, und einem »Reigenc, der
das Ganze im Tone bewegterer Freude und heiteren Spiels
abschheßt. Es sind für Jedermann verständliche und an-
heimelnde Tonbilder, Dichtungen Geibelschen Schlages,
durchweg natürlich, liebenswürdig anmutig und meister-
haft knapp.
Für den Humor in der Grattung ist kürzlich unter B. ScUm»
verdientem Beifall Bernhard S ekles mit einer Smte (op. 21) Kleine Suiu.
eingetreten, die »dem Andenken E. T. A. Hofifmanns gewid-
met« ist und in vier Sätzen Charakterbilder nach dem
Creschmack dieses verwegensten und kuriosesten Kämpen
deutscher Romantik vorführt. Beim ersten Satz (Scher-
zando) scheint dem Komponisten eine der bei HofEmann
häufigen Jongleurfiguren vorgeschwebt zu haben, die auf
Schritt und Tritt iiberraschen und als Repräsentanten
einer verkehrten Logik stets anders handeln und denken,
als erwartet wird. Der musi->j-^j, „-^ ^\^^ f ^ ,i.pr»n _ E=^
kaiische Schlüssel des Satzes g^ H^ P'l I I II =tfc=^'=^
liegt gleich im Eingangsmotiv: dZZZZZZZZ
Der Widerspruch dieses es gegen den DmoU-Akkord setzt
sich bis in die letzten Takte fort, wo endlich die Lösung:
-P L*^ A ihr fr * • erfolgt. In diesem Suchen nach dem
9 ' P I 'II 1^ richtigen Ton berührt sich der Satz
mit dem Zauberlehrling von P. Dukas. Der Weg nach dem
Ende ist wesentlich mit Ketten von Nonenakkorden und
andren Harmoniespäßen gepflastert, es liegt aber auch in
der tändelnden, schwankenden, rückgratlosen Melodiebü-
düng viel Witz.
Der Kern des zweiten Satzes ist der Ausdruck der
Beschränktheit im Thema des Menuetts. Es zeichnet
44*
^^ 692 <i^
einen offenbaren Dummkopf, der bläht sich nun des wei-
tem auf und bringt es wirklich bis zu einem Schein voii
Gravität und Größe. Das Intermezzo macht mit einem
Gecken bekannt, der mit seinem Gefühl kokettiert Der
Gegenstand des Finales endlich ist die sprechende Puppe
Hoftmanns, die durch die Ofifenbachsche Operette welt-
bekannt gewordene Olympia.
E. T. DoiiHiBjly Auch die in FismoU beginnende, in Adur schließende
Suite. Suite (op. 19) von Ernst von Dohnänyi gibt dem Hörer,
wenigstens im zweiten und dritten äatz mancherlei zu
raten, jener, das Scherzo, durch den verdrießlichen und
unwilligen Humor des Hauptsatzes, der durch den zurück-
haltenden und scheuen Charakter der freundlichen Ab-
stecher sehr originell und schön kontrastiert wird, dieser,
eine serenadenhaft präludierte Romanze, durch seine har-
monisch merkwürdig schillernde, hell und dunkel blitz-
schnell wechselnde Romantik. In beiden Fällen kommen
fremdländische, außerdeutsche Musik- und Kulturelemente
fesselnd zur Geltung. Das Hauptstück der Suite ist ihr
erster Satz, der sechs Variationen über ein eignes Thema
des Komponisten bringt, eigen auch durch seine Kon-
struktion: der Vordersatz hat fünf, der Nachsatz vier
Takte. Die Entwicklung folgt dem Prinzip des Kontrastes,
der Preis unter den einzelnen Variationen, die sich all^
durch Klarheit des Charakters auszeichnen, würde bei
einer etwaigen Abstimmung wahrscheinlich der ritterlichen
zweiten mit den energischen Hörnern zufallen. Bei aller
Einheitlichkeit ist der Satz dennoch stilistisch sehr mannig-
faltig, die erste Variation z. 6. überrascht durch BläsersoU
' Lachnerschen Andenkens, aber in anderer und höherer
Tendenz. Daß wir es in dem Komponisten mit einem
Talent ersten Ranges zu tun haben, geht besonders aus
der großen Menge musikalischer Elementareffekte, voran
die rhythmischen, hervor. An den Ständchencharakter,
der vom Anfang der Suite immer wieder einmal durch
bloßen Akkord und Rhythmus markiert wird, erinnert
namentlich der Schlußsatz: sein Hauptthema ist eine.
Marschweise, die bedächtig beginnt und plötzlich nrkräftig
_^ 693 ^— .
dreiüschlägt, ihr Gegensatz eine Melodie mit ausgeprägt
Bralimsschen Zug.
In einer andern Beziehung knüpft auch die Adur- H«i[Artoaa,
Suite (op. 16j von Henri Marteau, der ja doch wohl Suite,
der deutschen Musik zugezählt werden darf, an frühere
Perioden, nämlich an die Zeit an, wo Fischer, Schmierer,
Fux u. a. in die Orchestersuite Solospiel einführten. Durch
die vier Sätze marschiert eine Solovioline an der Spitze
der Instrumente und bestimmt mit ihren virtuosen Künsten
den Charakter der Komposition so sehr, daß sie richtiger,
ähnhch wie Lalos »Symphonie espagnole«, in der Rubrik
des Konzerts gebucht wird.
Eine wirkliche Suite, die wenigstens teilweise vom K. Kuyper,
Geist der alten Zeit berührt ist, hegt dagegen in der Serenade.
Serenade (in D, op. 8) von Elisabeth Kuyper vor.
Ihre beiden ersten Sätze, Marsch und Pastorale, sind Volks-
musik bester Art: so einfach und doch gewählt wie die
Lieder Uhlands und Mörikes und dabei musterhaft in
der Kunst, mit schlichtesten Mitteln, besonders gern mit
Änderung der Instrumentierung, zu überraschen und Zw
erfreuen. Ihre Form ist die des dreiteiligen Lieds mit
bescheidenen Erweiterungen der Teile. Mit dem dritten
Satz wird die Musik moderner und greift nach Form,
Temperament und Phantasie ins Große; ein kecker, süd-
licher, direkt an Rossini erinnernder Zug macht sich gel-
tend. Er charakterisiert auch das außerordentlich flotte
Finale, dem einleitend ein originelles Andante vorausgeht,
eine Art Liebesdialog, in dem die rezitativisch sprechende
Solovioline das männUche, ein sehr schöner, weicher
Bläsersatz das weibhche Element vertritt. Man muß diese
Serenade unter die hebenswürdigsten neueren Beiträge
zur Gattung rechnen.
Obwohl sie nur ein Bruchstück ist, darf am Schluß B. StravS,
dieser Übersicht die viel gespielte Serenade für Bläser Serenade,
von Richard Strauß nicht fehlen. Sie beschränkt sich
auf ein Andante, das aber so reizend ist, daß der Wunsch
nach den fehlenden Sätzen sehr lebhaft wird. Die Kom-
position fallt in die frühe Jugendzeit von Strauß, und
— ^ 694 ^»^
wäre sie bei der ersten (Münchner) Aufführung als ein
unbekanntes Werk Mozarts ausgegeben worden, so würden
nur wenige Verdacht geschöpft haben. Gleichwohl merkt
man in ihr schon den geborenen Meister des Kolorismus.
Wenn die unbetitelte oder absolute Sinfonie die lebens-
gefährliche Krise, in die sie um die Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts unter dem Ansturm von Programmsinfonien
und sinfonischen Dichtungen geraten war, vorläufig wieder
überstanden hat, so verdankt sie das vor allem dem Ein-
greifen von Brahms und Brückner, die den Beweis
erbrachten, daß die Formen Beethovens doch noch nicht
abgetan seien. Aber es muß auch der Männer gedacht
werden, die vor ihnen, in der schlimmen Zeit das klas-
sische Terrain so gut als möglich zu behaupten suchten.
Zum Teil kamen sie noch aus der Mendelssohnschen Schule.
Mendelssohn nahm die Geister seiner Zeitgenossen mit
einer Kraft in Beschlag, der sich selbst ältere Tonsetzer nicht
K. G. Bditlgtr entziehen konnten. Reissigers Es dur-Sinfonie (1839) bietet
hierfür den Beleg. Aber die Sinfoniker, wdche sich seiner
Richtung ganz lüngaben, hatten nur einen kurz dauernden
Erfolg. Nach einem Jahrzehnt schon schwanden die Sinfonien
Wilh.Taibert.von Taubert, die Es dur- Sinfonie von Rietz, Hillers
K4.Hfets.Einoll- Sinfonie (mit dem Motto: »Es muß doch Frühling
^'^l^^y* werden«), ebenso wie die von W. MarkuU, J. Netzer,
J« Heiser! 0. Nicolai, Th. Täglichsbeck, von E. Naumann,
o.BIeeUi.R. Radecke, J. Rosenhain, A. Walter, vollständig vom
^'^HMiluun! R^P^'toire, und von den spätem Nachzüglern der Schule,
K. Bftieeke! ^^^^^^ Reihe bis auf G. Si Satos reicht, haben die Sinfonien
J. Beeeebata. Von Hol, J. Zellner (»Melusine«), weitere Beachtung Über-
1. Walter, haupt nicht mehr gefunden. Auch diejenigen Werke, welcher
B. Hely ZellBer. joi^ Ujj^y geistigen Basis tiefer in Schumann hinabüiuchen,
sind schneller bei Seite gelegt worden, als sie es ver-
dienten. Wir nennen die bereits erwähnte Sinfonie in
W.BergleLGdur von W. Bargiel und die Adur-Sinfonie von
C. Belaeeke. C. Rein ecke, welche in ihren letzten beiden Sätzen wirk-
lich originelle Erfindungen des Humors und der Anmut
695 >—
bietet Eine zweite Sinfonie Reineckes, in C moll, die i. J.
1874 erschienen ist, interessiert vomehmlicli darum, weil
sie, ähnlich wie die Arbeiten Berlioz' oder Aberts >Golam-
bus«, in den alten Formen Programmtendenzen verfolgt.
Ihre Sätze geben Bflder ans dem Leben Hakon Jarls wieder,
den der Komponist auch zum Gegenstand einer Kan-
tate f&r Männerchor gewählt hat. Eine dritte Sinfonie CBctaMke,
Reineckes (Gmoll, op. 227) steht der Scl>umannschen Dritt« Sinfonie.
Schule, mit der schon die zweite kaum noch Nennens-
wertes gemein hat, ganz fem. Indem der Komponist das
für die Musik und für die lyrischen Künste immer wieder
neue Bild belohnten Kampfes in der Spiegelung vorführt,
die es in seiner maßvollen, harmonisch abgeklärten Natur
erfährt, tritt er uns kräftiger als je entgegen. Volkmann,
Spohr und Gade sind die verwandten Künstler, mit denen
er sich der Reihe nach hier berührt.
Im gleichen Grad, wie der geistige Einfluß Mendels-
sohns und Schumanns verblaßt, wädist die Einwirkung
Beethovens. Neben ihm in zweiter Linie tritt das Vorbild
Schuberts stärker hervor. Seine Cdur-Sinfonie, mit ihrem
Finale namentlich, und Beethovens neunte Sinfonie sind
diejenigen Werke, durch welche die klassische Periode in
die Sinfonieliteratur des Bismarckschen Zeitalters am
mächtigsten hineinklingt.
Unter den namhaften hier in Betracht kommenden 1* Bablntteln,
Sinfonikern gebührt nach der Andennität der Vortritt: 8infbnl«Hr.i
Anton Rubinstein. Seine erste Sinfonie (Fdur), im <^*"' ^'•^•J-
Jahre 1864 veröffentlicht, heute nur wenig gekannt, fölU
noch in die Blütezeit der Mendels sohnschen Schule und
trägt in ihren ersten beiden Sätzen die Spuren derselben.
Ihre letzten Sätze sind selbständig und lassen die Ver-
gessenheit bedauern, welche sich über das ganze Werk
gebreitet hat Von den sechs Sinfonien des Komponisten
sind zwei eine Zeit lang Gemeingut der musikalischen Welt
geworden: die Sinfonie »Ozean« und die »dramatische
Sinfonie« (Nr. 4).
Obgleich die Ozeansinfonie Franz Liszt gewidmet ist,
steht sie doch mit der Programmusik nicht im engeren
^^ 696 ^^
Zusammenhang. Dir Stil ist der Beethovensdie und ihr
Titel gibt der Phantasie nur einen leichten Anhalt. Daß
Rubinstein unter die größten musikalischen Erfindematuren
der neueren Zeit gehört, beweist der erste Satz dieser
A. BMblitieii» Ozeansinfonie: ein geniales, reiches Tonstück, von mäch-
iäinfonie »Oceanc. i^jgQ]. S^jj^jQijQg getragen, im großen Zuge entworfen, mit
(0p*42}. glücklichen, eigen tümhch anschauUchen Musikgedanken
ausgestattet, aber etwas ungleich durchgeführt. Sucht man
nach den näheren poetischen Beziehungen des Satzes zum
Titel, so stellt sich am ungezwungensten das Bild der Aus-
fahrt ein. Dazu stimmt das erste* Thema:
Xoderato MSai > i
fST^i hi ^^ ^^ ^^^ erwartungsvoll leise aufflattert
-jf^ ] ' =:^ und dann in der prangenden Pracht des
*£ t ' vollen Orchesters vorüberzieht. Seinen Ab-
f
■>
Schluß erhält es in einer breit ausgreifenden,
vom warmen, innigen Gefühl durch wogten Gesangsmelodie
weldie in der
Durchfuhrung
yvioi. • • - • ♦ — >- - ' große Bedeu-
tung hat. Zu der stillen Majestät des Ozeans passen die
lang und ruhig dahinklingenden Dreiklangsharmonien, an
denen die Bewegung des Satzes so häufig Halt macht.
Den drohenden undbeängsti- ^ . _ . ^">i wel-'
genden Charakter des Meeres m j^J» J1 j J N ■■ ^^^ ^^'
deutet das Trompetenmotiv ^_^.i3?? # mentiidi
dort an der Stelle, wo das hegende g mit den Harmonien
des Chors in Dissonanzen lange wechselt, zu sehr un-
heimUcher Wirkung gelangt. Das zweite Thema des Satzes :
* J 1^ ^-JH ^^^ ^ anmutiger Form ernst beschaulichen
Gedanken Raum. Die Durchfi^hrung der
~* 697 ^-
vielseitigen Ideen zeichnet sich durch Ruhe und Vor-
nehmheit aus. \
In dem zweiten Satze der Sinfonie: Adagio (EmoU, C)
liat folgende, merklich Mendelssohnierende Melodie
die Führung. Das zweite Tliema, seinem Charakter nadi
noch tiefer fragend, fangt mit einer aus Schumanns
C dur - Sinfo-
nie bekannten
Wendung an: " ' ' «*e^
In den Streichinstrumenten erhalten durchgeführte leichte
Begleitungsfiguren die Gedanken, an das Spiel der Wellen
wach. Die Ausführung der Ideen ist knapp; die poetische
Hauptstelle des Satzes liegt kurz vor der Reprise: da, wo
das Hörn seinen Ruf in die Stille hinaus erschallen läßt,
wo die Pauke zu dem Solo der Klarinette ausdrucksvoll
wirbelt.
Der dritte Satz (Allegro, 2/4» Gdur) könnte eine lustige See-
mannsszene be- ^ ^
STbSS^^i u lujj 'I I' ^ in I ri i'ir
themabeginnt derlr
fröhlich animiert: co-»'*»«-
und erweckt bei den anderen Instrumenten in einer Reihe
wilder Triller ein verstärktes Echo seiner Stimmung. Im
zweiten Thema wird der Humor etwas breit und quer-
köpfig. Das an und für sich treffliche Material des Satzes
ist in der Verarbeitung ziemlich zersplittert worden.
Das Finale beginnt frohbewegt, als wenn es heim-
wärts ginge.
Das Haupt- AUegro con fnoco. . , . ^^^ den Se-
thema wiegt ff * JJ'J 1 j!f'T-l U* ^'^ I quenzen die-
sich lange auf ^ ser Motive und
schheßt dann ^ ^
kräftig be- ^iffftririfiri^^f^^,,.
-^ 698
Im zweiten Thema:
*-y
(Op. 95).
i "i'j. jirTT/ 11 I
wird aas der Freude Dankbarkeit, un4 diese nimmt in
einem Choral, der schon in der langsamen Einleitung des
Satzes^ auftritt, den rein feierlichen Charakter an. Groß
und erhaben gedacht ist das Finale der Ozeansinfonie —
aber matter erfunden und bequem gearbeitet
Später hat Rubinstein den vier Sätzen seiner Ozean-
sinfonie noch einen filnften und sechsten hinzugefügt:
ein Adagio in Ddur, welches als zweite Nummer der
neuen Ausgabe an die Gedanken des zweiten Themas des
ersten Satzes leicht anknüpft, und als vorletzte Nummer
ein phantastisch belebtes, von innigem Gresangston durch-
zogenes Scherzo in Fdur.
A.BBbiMielB, Die »Sinfonie dramatique« (Nr. 4, DmoU) ist Rubin-
^»Sinfonio^ steins bedeutendste Leistung auf dem Gebiete der hohem
^^^^^* Orchesterkomposition. Nach der natürlichen Größe von
Empfindung und Phantasie, nach der Stärke der ange-
borenen Dichterkraft, nach Einfachheit und Bestimmtheit
des Ausdrucks gemessen, würde sie eine der hervor-
ragendsten Erscheinungen der ganzen sinfonischen Lite-
ratur bilden, wenn der Komponist mehr Strenge und Selbst-
kritik geübt hätte.
Ihr erster Satz namentlich ergreift und erschüttert wie
wenige Tonstücke. Dem Inhalte nach tragischer Natur,
zeigt er manche, auch technisch erkennbare, Berührungs-
punkte mit den Eingangssätzen der Faustsinfonie von Liszt
und Beethovens Neunter; mit der letzteren in der Menge
gewaltiger Trugschlüsse und in den einschneidenden Wir-
kungen des verminderten Septimenakkords. Die Form ist
eigentümlich, aber einheitlich und klar disponiert Eine
Hauptstütze des ganzen Organismus bildet die murrende
und suchende Figur, Lento^
mit welcher die Bäss<
die Einleitung beginnen :
Sie geht im Laufe des- Satzes viele Verwandlungen ein.
699
erscheint bald in breiten, bald in flüchtig dahineilenden
Rhythmen, stellt sich jetzt an die Spitze des Orchesters
und verbirgt sich dann in der Mitte oder in der Tiefe.
Aber immer ist sie da, reguliert den dämonischen Puls
der Tondichtung mit ihrem Schlage und durchklingt den
ganzen Satz wie Windesbrausen und Glockengeläute. Den
regelmäßigen Begleiter dieser Hauptfigur bildet von der
Einleitung ab das leiden- -j^a^p^i^Jjy] | welches sicli
schalllich zuckende Motiv: ^ 1 ■* ■* '"''*' I mit schmerz-
hafter Dissonanz häufig in die Klagen der Instrumente
hineinbohrt Der Expositionsteil des Allegro zerfallt in
fünf Szenen.
Die erste breitet in einem langen Zuge das Haupt-
thema, ein getreues Abbild leidenschaftlicher Verwirrung,
hin:
AlUf^ro moderato.
ijij^iiTrrriiri^''<'rirri
Seine Aufregung bricht sich an einer Gruppe, in welcher
die Musik nicht in zusammenhängenden Gedanken, son-
dern in Inteijektionen und Naturtönen spricht: in üema-
tisch herausgestoßenen Trillern, im kurzen schweren Auf-
schrei der Bläser und in scharfen Dissonanzen, welche in
ihrer Art und in ihrer Einführung an diejenigen erinnern,
wMche im ersten Satze von Beethovens Eroica der Emoll-
Episode vorangehen. Und nun beginnt die dritte Szene.
Von einem milden und beschwichtigenden Gesang der
Klarinette präludiert, tritt das zweite Thema ein, eine der
schönsten musikalischen Darstellungen vom Zustande eines
Herzens, in welchem die Hoffnung mit der Furcht kämpft:
«99
»VF»g,
700
Iq jedem Takt ein anderer schöner Zug: Wie die Violinen
Trost zosprecheuy wie das Hom absetzt und ansetzt, höher
und höher geht, zuletzt im langen Gang sich ausspricht,
selbst in der kleinen Dissonanz des a im ersten Takte —
in allem liegt eine Wärme, Anschaulichkeit, Unmittelbarkeit,
eine Naturwahrheit, wie sie nur die genialsten Künstler
ab und zu erreichen. Die Szene wird hauptsächlich auf
Grund der beiden eingehakten Takte weitergeführt und
endigt mit einer Wendung, welche der eigentümlichen
Schönheit des ganzen Bildes würdig ist: Kurz und über-
raschend modulieren die Blaser in sanften Akkorden von
B- nach Ddur und halten die neue Harmonie leise mit
einer langen Fermate wie eine freundUche Vision fest Als
sollte der Traum nicht gestört werden, bringen darauf die
tiefen Streich- . ^v^ ^_ gehen aber
instmmente »J' f P p [1^ tf ^ »f , ; bald mit ihm
pp das Motiv ^f' wieder ins
Stürmische und zur fünften Szene des ExpositionsteiLs
über, deren m ^ ..■ i _ ^
Thenia h«mi- jff f^P | f I | I l' 1 1 'l f PI" '
scher Natur ist: ^
Die Durchfuhrung beginnt als wörtliche Wiederholung
der ersten Szenen, setzt aber dann die Schilderung des
Konflikts zwischen Mut und Zweifel mit selbständigen,
neuen thematischen Ideen fort und nimmt im Schluß-
teil einen trüben und hocherregten Charakter an. Mit
harten Dissonanzen und chromatischen Passagen, welche
in lisztscher Weise stilisiert sind, wird der Obergang zur
Reprise bewerkstelligt, welche den Inhalt des Expositions-
teÜs in gesteigertem Ausdruck, das Hauptthema noch
wilder und das zweite Thema noch rührender, vorüber-
führt.
701
Der zweite Satz, ein Presto (Dm oll) in drei
Teilen, beginnt Preito. » g
mit einem klei- jfi » 38 I I J 1 I i ' ' 1 I l'l I I ' '
nen Schreck: « ü^iii^' 'iü;ii^'
Erst nach diesen durch die Generalpausen mächtig ver-
stärkten Alarmsignalen setzt das stürmische Hauptthema,
in seiner Konstruktion auf folgendes kurze Modell gestützt:
Fretto. ein. Durch das ganze Stück
bleibt ein herber, harter Zug
vorherrschend. Die freund-
lichen Seitenpartien, welche in mannigfiachen Nebenthemen
betreten werden, wie in den ballett- und tanzartigen Weisen:
ur r:=,x==s==r=:^r-r=r- — :.s-=r=rj::-:r'=r=r^:-^=r=-s:^=
vr
»p
■■ i I rjf mT"
■ f-^|»T,.l
'+-*■
1 '' ^
führen immer wieder
-..^=) in den Hauptweg zu-
^'^ ' rück, und selbst in
dem Allegretto, welches in dem Satze die Stelle des
Trio vertritt -y^gy »<>»*'<»??<>• vio^. — , verdrängen
— der An- jt J LX^f *^ ^ f ^ ' J *■ J i ^ ^^ überwiegen-
fang lautet : ^^^^^^^^^^^?T^ den alarmieren-
den Elemente die Versuche zum freundlichen Gesang.
Mit dem Finale der Sinfonie hat dieser zweite Satz die
reiche Verwendung von Motiven aus der slavischen Volks-
musik gemeinsam.
Das Adagio (Fdur, Va) ^^^ Sinfonie ist einer der
schönsten melodiereichsten Sätze der neueren Instru-
mentalmusik, von einer Milde in Charakter und Stim-
mung, die seine Betrachtung zum reinsten Genuß macht.
Seine Hauptmelodie:
702
in welcher die Beethoyenschen Ele-
mente reich vertreten sind, wird
durch ein Seitenthema abgelöst nnd
ergänzt, dessen Ausdruck und Abschluß eigentümlich
schön ist:
Auf diese Hauptgruppe folgt eine Szene, die, melo-
disch auf Bagatellen beruhend, über kurze Motive schwärmt
und in entlegene Harmonien träumt. In der Süßigkeit der
Stimmung, in der ungezwungenen Innigkeit des Tons er-
innert sie an eine Liebesszene. Über dem Ende des Satzes,
wo die Bässe und Celli choralartige Weisen anstimmen,
liegt religiöse Weihe.
Nach einer langsamen Einleitung beginnt das Finale
mit einem Thema, das in seiner stürmischen Natur und
in seinen AJiefroconfMco. wörtlich mit einem sehr
Anfangs» A; ^T7**^>J j ^j bekannten Gedanken aus
noten: «^ / ""i"^ Beethovens Kreuzersonate
übereinstimmt. Das Finale ist lebendig froh gedacht, aber
ziemlich breit und mit Einmischung sdtsamer Ein&lle
ausgeführt. Das beste an dem nur schwachen Satz ist
das zweite Thema:
1 1 ^ iiüM] iL[riji^i'j_i'iLTji' I
A. KibUiteiB, Die nächste, die fünfte Sinfonie Rubinsteins (Gmoll,
Fünfte Sinfonie, op. 107) unterscheidet sich von allen ihren Geschwistern
äußerlich dadurch, daß sie, was die dramatische Sinfonie
in den Schlußsätzen tut, durchs ganze Werk und noch
reichlicher als ihre Vorgängerin slavische Melodien ver-
wendet. Von Freunden des Komponisten ist sie deshalb
zuweUen Rubinsteins >Russische Sinfoniec genannt wor-
den. Eine patriotische Tendenz spricht vielleicht auch
^^ 703 «—
daraus, daß sie dem Andenken der Großfürstin Helene
Paolowna gewidmet ist, die unter den Gliedern des Herrscher-
hauses sich als Fördererin der musikalischen Entwicke-
lang im Zarenreich hervortat Die jungrussische Schule
hat bekanntlich durch einen ihrer Führer, G^sar Gut*},
an Rubinstein und Tschaikowsky scharfe Absagen ge-
richtet und damit sichtlich beide Künstler veranlaJBt, sich
den national russischen Musikbestrebungen enger und
eifriger anzuschließen. Rubinstein hat von seiner Be-
kehrung in dieser Gmoll-Sinfonie das ausfuhrlichste und
eifrigste Zeugnis abgelegt. Seine Gegner wird er dadurch
nicht gewonnen haben. •
Als Abbild russischer Musik wählt diese Gmoll-Sin-
fonie ihre Themen zu einseitig; das träumerische Element
namentlich fehlt. Für die Aufgabe, wie' sie sich Rubin-
stein hier und in seinen letzten Ihstrumentalkompo-
sitionen überhaupt gestellt hat, konnte ihm die Volks-
musik nur wenig nützen. Sie verlangt Naturgemälde,
Rubinstein ging aber auf Lebensbüder und Selbstbekennt-
nisse aus. Von diesem Gesichtspunkte aus ist auch seine
Gmoll-Sinfonie aufzufassen. Sie erscheint dann als eine
Art Seitenstück, als eine Fortsetzung seiner Sinfonie dra-
matique, als ein betrübender Beweis, daß das Los dieses
gewaltig musikalisch und menschlich gewaltig beanlagten
Künstlers unglücklich war. Doch ist nicht zu verkennen,
daß die dramatische Sinfonie in der Erfindung und Aus-
führung — bis auf den letzten Satz — weit höher steht,
gewählter und gedrungner ausgefallen ist, als ihre Nach-
folgerin. Namentlich dem ersten Satz dieser fünften
Sinfonie hat beim Entwurf, bei der Aufstellung der
Themen und bei der Disposition des Formplans die
Gründhchkeit und die Bedachtsamkeit empfindlich gefehlt,
die zur Darstellung der Idee die geeignetsten Mittel her-
beizieht.
Dieser erste Satz (Moderato assai, C GmoU) beginnt
mit dem Hauptthema
*) C€saT Gut: La Muslque en Russie. Paris 1880.
-^ 704
Modcrato asaal.
/'' n 1 1 1 1 1 T| 7i nm iT'i i
ernst. Ihm folgt eine aufgeregte Episode, die uns in der
Art der Sinfonien Karl Maria von Webers in die Ballett-
und Opernsphäre wirft. Sie würde verständlich, wenn
sie mit der Rückkehr nach dem Hauptthema schlösse und
sich zu ihm in einen durchgeführten Gegensatz stellte.
Diese logisch notwendige Wendung hat dem Komponisten
auch vorgeschwebt, doch begnügt er sich, sie mit ein paar
gehaltnen Noten, die allerdings Rubinsteins starke Musik-
natur wieder glänzend veranschaulichen, anzudeuten, und
geht nach ihnen zu dem zweiten Thema
^k''ii i> i> r r u* cg^ I r^^
über. Es hat den bukolisch russischen Charakter ausge-
prägt, während das erste die nationale Abkunft durch den
Verzicht auf den Leitton merken läßt. Die Themengruppe
wird, nachdem das zwdte Thema in sehr überraschender,
hübscher Weise in D dur wiederholt worden ist, durch eine
handvoU weiterer Motive vervollständigt, von denen keines
eine größre eigne Bedeutung hat und keins mit dem an-
dren in Zusammenhang steht. Der Komponist phantasiert
mit einer Ungeniertheit, als säße er am Klavier und am
ihn herum lauter gute Freunde, die Wert darauf legen, in
die Seele des großen Mannes auch zur unpassendsten
Stunde einen BUck werfen zu dürfen.
Die Durchführung beginnt mit dem Hauptthema in
Flöten, Klarinetten und Fagotten, setzt es dann in die
Bässe, in die zweiten Geigen, verUert bald Willen und Ziel,
wühlt in der Verlegenheit über ein Viertelmotiv a gis a
gü a und kehrt unverrichteter Sache nach dem Anfang
zurück. Sein glänzender kraftvoller Eintritt bildet eine
der wirksamsten Stellen des Satzes. Die Reprise weicht
705
▼on der Themengruppe zunächst dadurch ab, daß sie das
zweite, heitre Thema dem nachdenklichen, die Schwermut
streifenden Hauptthema nrnnittelbar folgen läßt. Erst an
dritter Stelle kommt die erregte Episode, die im ersten
Teile jene beiden Gedanken auseinanderhielt. Ihr folgt ein
ganz leiser, langsamer, choralartiger Abschnitt So gelingt
es durch Zutaten, Umstellungen und Änderungen dem
^Komponisten doch noch einigermaßen, die dem Satz zu
Grunde liegende Absicht der Darstellung einer gährenden
Stimmung wenigstens am Ende etwas klarer und begreif-
licher zu verwirklichen.
Der zweite Satz (Allegro non troppo, -/i, Bdur) bringt,
wie Beethovens neunte Sinfonie das Scherzo. Den lang-
samen Satz hat Rubinstein an die dritte Stelle gerückt,
weü der Inhalt seines ersten Satzes eine aufheiternde Fort-
setzung verlangt. Dem Hauptsätze dieser zweiten Nummer
hegt wieder ein russisches Thema zugrunde:
Ailegro non troppo
das von der Klarinette zuerst eingeführt, von den übrigen
Instrumenten zu einer breiteren Szene des Spielens und
Tändeins ausgeführt wird. Auch hier werden wir wieder
an die neunte Sinfonie erinnert: Die fröhlichen Klänge
unterbricht immer wieder ein Augenblick des Sehnens,
Zweifeins, Klagens und Schwankens. Ansätze zu einem
Seitenthema tauchen auf^ der bedeutendste eine Synkopen-
bildung; keiner behauptet sich. Das Trio verdankt seine
ganz ungewöhnliche Gestalt dieser scherzowidrigen Stim-
mung. Es ist eine Fuge in Es moU, ihr Thema dem Haupt-
thema des ersten Satzes etwas verwandt.
Der dritte Satz (Andante, % Esdur) hat ungefähr den
Ideengang: Von ferne tritt das Glück in Sicht und ruft in
der Seele des Dichters Erregung hervor, die sich in Hofifen
und in Zweifeln teüt. Das Bild des Glücks erscheint m
einer langen, anmutigen und naiven Melodie, mit der der
Satz beginnt. Sie ist in Vertretung auch andern Instru-
Krettachmar, Führer. 1, 1.
45
..^ 706 ^^
incnten, in erster Linie aber dem Hörn übertragen, und
für gute Hornisten wird dieses Andante der Rubinsteinschen
Gmoll-Sinfonie ein Lieblings- und Glanzstack sein; In
dem Augenblick des größten Aufschwungs hat allerdings
dem Komponisten der Umfang des Homs (in ¥) nicht ge-
nügt, die Trompete muß aushelfend eintreten. Die Er-
regung ruht auf einem Motiv in Sechzehnteltriolen, das
den Violinen gegeben ist. Es fuhrt nach dem Abschnitt
seines ersten Auftretens zu einer Wiederholung der Glücks-
melodie in Oboe und Hom. Ihm folgt ein neuer Abschnitt
der Erregung, der in einem kurzen folgenden Sätzchen in
EsmoU seine Spitze findet. Darauf setzt die Flöte mit
dem Hauptthema ein, nach ihm noch einmal der Ab-
schnitt über das Triolenmotiv; die Hauptmelodie klingt
mit dem Anfang an und das Ende ist da. Es ist — ge-
mäß dem verschwiegner! Programm der Sinfonie — ein
Ende in Ungewißheit! Das Andante ist vielleicht der-
jenige Satz des Werkes, der die Seele des Zuhörers am
lebhaftesten und nachhaltigsten in Tätigkeit setzt. Die
Ursache liegt zum großen Teil an dem dramatischen Cha-
rakter der Übergänge, die zwischen den Hauptteilen ver-
mitteln, an der aufregenden Art, in der die Leidenschaft in
die Idylle hereinbricht. Man merkt an diesem Stück ganz
besonders, wie in der Gegenwart die Oper den Weg zur
Herrschaft über die gesamte Musik angetreten hat!
Der Schlußsatz (Allegro vivace, ^4» Gmoll, Gdur) hat
die Anlage des Sonatensatzes. Sein Hauptthema ist eine
von jenen russischen Tanzweisen, die in der bestandigen
Wiederholung eines kurzen Motivs den Stempel der Kind-
lichkeit und des Naturvolks tragen. In seiner Mollharmonie
hat die Lebendigkeit dieses Themas etwas Gedrücktes und
Gewaltsames, erscheint an dieser Stelle als Vertreter eines
> Galgenhumors«. Rubinstein stellt ihm (in der Oboe zu-
nächst und in B dur) eine nach freundlichem Ausweg, nach
Ruhe und Glück suchende Melodie entgegen, die deutsch
sein könnte, eher durch die Zahl und Art der Repetitionen
russifiziert worden ist. Zwischen diesen beiden Themen
liegen noch zwei selbständige Motive, Träger der heiß-
_4 707 0^
blutigen und warmen Empfindung, die Rubinsteins Musik
immer wieder auszeichnet. Die Themengruppe wird wieder-
holt, und diese Wiederholung hat der Komponist mit Rück-
sicht auf einige kleine Varianten ausschreiben lassen. Die
Durchführung, mit der Gdur einsetzt, versucht zunächst
einen Ausgleich, eine Versöhnung der im ersten Teil ent-
haltnen Gefuhlselemente, indem sie die beiden Haupt-
themen miteinander verwebt; das zweite liegt in den
untern Instrumenten, das erste kommt als Kontrapunkt
in den obem. Generalpausen und fortwährendes Ab-
brechen zeigen, wie vergeblich der Versuch bleibt. Da
taucht aus dem ersten Satz der Sinfonie pp das wühlende
chromatische Viertelmotiv wieder auf und setzt sich fest.
Damit nimmt Fortsetzung und Schluß der Durchiuhrung
einen verzweifelten Charakter an, und auch die Reprise,
mit der Gmoll zurückkehrt, spricht nur von Pessimismus
und Resignation.
Während die fünfte Sinfonie Rubinsteins Vorzugs- ▲. BiUniteln,
weise ein Gemütswerk ist, wendet sich seine sechste ^•°^*« s*'*'**"*^
und letzte (Amoll) hauptsächlich an die Phantasie des <ö^lll).
Hörers. Sie entrollt eine Reihe Bilder: Erinnerungen des
Komponisten aus fremden Landen, Erinnerungen an den
Orient vor allem. Das macht sie der Suite verwandt,
mit der sie auch den Mangel an thematischer Entwicke-
lung teilt.
Der erste Satz (Moderato con moto, Cj Amoll) setzt
gleich sehr fremdartig ein. Schrill schreit ein gis-c auf;
die meisten werden es als as-c hören, so lange, bis — im
dritten Takt — e dazu kommt. Eine kurze aber stechende
Einleitung! Nun beginnt das ganze Orchester wie eine
Bardenha^e mit dem Dreiklang — A-e-E — in einem
Marschrhythmus zu präludieren. An die Arpeggien schließen
sich kleine Motive im knappen, festen Balladen ton: es
wird von Heroen erzählt und von Heldentaten. Mit dem
Fdur kommen neue Motive und weichere Empfindungen
zu Worte. Auf AugenbUcke fühlen wir uns an die schönen,
schwärmerischen HomsteUen im ersten Satze der Sinfonie
dramatique zurückversetzt. Dann nimmt die Erzählung
^5*
(F\
-^ 708 t^
wieder die Richtung auf große Ereignisse; die ruhig in
einem ^/q Takt G dur) ap uns vorbeiziehen, erst bestimmt
und hell gefärbt, dann in den Farben des Triumphs. Mit
diesem Hymnus — g-a-e ist beim zweiten Mal sein Leit-
motiv — schließt die Themengruppe. Die DorchfÜhmng
beginnt, als sollte repetiert wenlen, indem sie das Haupt-
thema (in Amoll) wörtlich vorfahrt, schwenkt aber sehr
bald ab und mischt in die Reminiszenzen der heroischen
Bilder klagende Töne, Motive des Erinnems, der Elegie.
Die Reprise bringt den ersten Teil mit umgekehrter Reihen-
folge der Themen.
Der zweite Satz (Andante, 6/g, £ dur; ist ein sehr ein-
facher Satz, ohne Verwicklungen der Darstellung freund-
licher Ideen gewidmet Eigen ist er durch die Art, in
der das hübsche Hauptthema (Edur) vorgetragen wird,
nämlich in lauter Einschnitten und einzelnen Absätzen;
nach jedem Motiv, nach zwei Achteln, nach fünf Achteln
immer eine Pause. Das gibt einen Ton, wie Hast, Stau-
nen, Atemlosigkeit, Übermaß des Gefühls und des Be-
hagens. Den Augenblick der Sammlung kündet (im 17.
Takt) ein jauchzendes Motiv, das in seiner Ursprünglich-
keit und Wärme sich unter die echtesten Rubinstein-
erfindungen stellt. Unter den Gegenthemen der Nummer,
die samt und sonders nicht ins Gewicht fallen, zeichnet
sich das schließlich in Hdur ausgehende, dramatisch ein-
geführte Solo der Oboe aus.
Der dritte Satz (Allegro vivace, «/4, C dur) der Sinfonie,
der das Scherzo vertritt, ist einer der phantastischsten
Kompositionen der neueren Sinfonieliteratur, flatternd
und zerstiebend, nirgends» festhaltend, wie der sprühende
Gischt des Wasserfalls. Raum hat er im Hauptsatz The-
men, nur Motive. Als es endlich zum Singen kommt —
Violinen: a-horh \ a^g-c | — , klingt das mit der liegenden
Stimme — g in den Bratschen erst, dann in den Pauken
— so exotisch als möglich. Das Trio (Gmollund Es dur)
mischt Gemütstöne, Anklänge und Anfänge eines deut-
schen Walzers mit ganz fremden Tönen, Gedanken an
den Orient!
709
Das Finale (Moderato assai, 3/4> Amol!) dessen stock-
rassische Hauptthemen
Moderato w>l.
jap) \r\] Q\Q\ 0 \
r Lf' N f P i ''^
and
Allegro.
.fKriajirijj]iOTia^ljjiJlj^^
in Variationen ausgeft&hrt werden, ist nach Form und
Geist zum großen Teil ein Absenker von Glinkas Kfiima-
rinskaja, dem Ausgangs werk der ganzen Neurussischen
Schule. '
Als der junge Rubinstein mit seiner ersten Sinfonie
auftrat, befand er sich in einer ziemlich zahlreichen Ge-
sellschaft mitstrebender Talente: Leonhard, Heisted,
Pape, Goltermann, Kufferath, Pott, Veit, Wüerst,
Ulrich, Gouvy, Dietrich. Von diesen vielen neuen
Sinfonikern der fünfziger Jahre, welche in der Mehrzahl
Mendelssohnsche Ideen kleiner münzten, haben sich nur
sehr wenige für längere Zeit behauptet: Gouvy und
besonders der hochbegabte H. Ulrich fanden mit meh-
reren Werken ehrenvolle Beachtung, eine populäre und
bedeutende Position errang nur Albert Dietrich mit
seiner zweiten Sinfonie in Dmoll.
Diese D moll-Sinfonie Dietrichs, die vor vierzig Jahren
ein Liebling des Publikums war, hat ihren Schwerpunkt
in der edel weichen Schwärmerei, in der jugendlich glück-
lichen Oberschwänglichkeit des zweiten und dritten Satzes.
Sie lenkt aber bereits im zweiten Thema des ersten Satzes
J. £. LeoBhard-
O. Helstedt.
Pape.
8. Goltermann.
H. F. Knfferath
A. Pott.
W. H. Veit.
B. Waent.
H. Ulrleh.
Th. UomYj,
A. Bletrlcli.
A. Dietrioli,
Sinfonie Dmoll
'fiju iiygiiT.jijj.ijij3i^^^gijyh
in ihr Lieblingsgebiet, in das der herzlichen Idyllen ein.
Die Themen des langsamen Satzes (Andante, Fdur),
710
der zwischen ^/g- and ^/g Takt wechselt: der trftumenscb
freundliche Gesang des Hernes •
JJ>ir"rj>if J'-iJi
' ji 'j. i. 'J
und die halbschelmische Weise
der Celli:
MeUi. "^ ■ /•*• cre»c.
klingen wie Volkslieder, reichen
^aber über deren Form in der
c<»tr«fcsÄi"^ künstvollen und gewählten An-
lage und Durchföhmng hinaus. In ihrem Geist geben
sidi die besten poetischen deutschen Elemente aus der
beschaulichen Bundestagszeit, wie wir sie aus den Bildern
Ludwig Richters, den Dorfgeschichten B. Auerbachs, den
Erzählungen F. Reuters kennen, ein Stelldichein. Nur
Dietrichs Landsmann, R. Volkmann, hat ähnliche Töne,
ihre Heimat ist die Altsächsische Musik der Schein, Al-
bert und A. Krieger.
Das Scherzo beginnt einfach kräftig:
AUepo 6B«r^M.
VIol.
In seinen Seitensatz
und in sein
erstes Trio
fallen Strahlen
;ausSchumann-
schem Lichte.
Das zweite Trio greift mit der herzlich lieben Weise:
711
f Braticbao
vioi. r
T L j fg^x ^11 K I I ^"^ ^^® Stimmung des Adi^gio
<^J?J If Pf H^/y I j' E zurück und zitiert dann auch
im weitem Verlaufe dessen Hauptmelodie.
Das Finale der Sinfonie ähnelt im Hauptthema:
AUegro.
<i'|fitftf^fti||| JJIM,lLlJlllJllJJ I
wieder einem bekannten Schumannschen Typus. Das
zweite Thema:
P C«1U ikBrattcik ercMC.
'1^'^^ ^^
bringt noch einmal den eigen schwärmerischen Zug
Dietrichs zu warmem, schönem Ausdruck. Die Ober-
gangsparUe zwischen den beiden Themengruppen ist dem
Humor gewidmet.
Noch einige Zeit vor das Dietrichsche Werk, in das
Jahr 1863, fällt die Entstehung einer andern berühmten
D moll-Sinfonie. Es ist die von Robert Volkmann.
Volkmanns D moll-Sinfonie ist die Schöpfung eines B« TolkmanB,
männlich kräftigen Geistes, ein fest und gedrungen hin- Sinfonie Nr. i
gesteUtes Werk, welches nach Wesen und Stü der Beet- (i>moii,Op.44i.
hovenschen Schule angehört. Der erste Satz dieser Sin-
fonie steht mit seinem trotzigen, entschlossenen Zuge in
direkter geistiger Verwandtschaft zu der gewaltigen Neun-
ten. Ja, dort an der Stelle, wo am Schlüsse der Durch-
führung die Bässe von den langen festgebannten Har-
monien sich trennen und ihre chromatischen Gänge an-
treten, da klingen auch die Beethovenschen Themen
leibhaftig an! Gleichwohl besitzt die Volkmannsche
Sinfonie, und namentlich ihr erster Satz, geistige und
technische Selbständigkeit im hohen Grade, eigene be-
— ♦ 712 ♦—
deaiende, in Ernst nnd Frohsinn immer treffende, anfs Ziel
schnell hingehende Gredanken nnd eine eigene schlicht be-
lebte, anf jeden Pnmk nnd Reiz ▼erzichtende Darstellnng.
An der Spitze des ersten Satzes steht das Thema:
. . Alle; ro patotico. Biu«r
f">jjj]nLjjjjJTij.ij.'ij.i..nf^
mit seinen drohenden mid schweren, echt sinfoni-
schen Gedanken. Während es noch leise in den
Bässen fortgrollt , erheben die Holzbläser und Violinen
ihre trOsten- ^»j^ .^"jTT^ lT? .!->?_
den Stimmen:^' "^- ^"^ ""^r:^— -^r;;-r--LIJ-itc
^^^'Pr \
den Stimmen:
nnd die erste Szene des Satzes schließt mit einem
Kompromiß, der die düstere Stimmnng in einen he-
roischen
Entschluß
überleitet: «^ j^
Es ist eine besondere und sehr bemerkenswerte
Idee. Volkmanns, an Stelle des einen Themas eine
ganze dreigliedrige nnd vollständig dramatisch ent-
wickelte Tbemengmppe zu setzen. Der Satz bleibt vor-
wiegend streitbarer Natur. Die Momente der Ruhe, wie sie
am entschie- ^^-J^^rf^fr.T^TrT^M . :^r^^ .m-
densten das (j^^ ' I' ,' ^ U ' ^ if T IT f f T 1^'
Fdur- Thema
W
ausdrückt, bilden nur Episoden. Die Durchführung
derholt in vergrößerten Verhältnissen den Auftritt zwi-
schen den bittenden Bläsern und dem grollenden Streich-
orchester, mit welchem der Satz begann, und die gewaltig
eingeleitete Reprise nimmt den gewöhnlichen Verlauf.
Das Andante (B'dur, '/i) hat zum Hauptthema
eine hauptsächlich von der Klarinette getragene Me-
lodie, welche Frieden suchend folgendermaßen beginnt:
Andante. Die vier Tak-
713
▼orangdhen,8ind
sehr wichtig:
Sie bringen in
ein Motiv, welches ftkr
die Entwicklung des
Satzes die treibende
Kraft bildet nnd den kleinen Variationen, welche aus
den Figuren des Hauptthema abgeleitet werden, beständig
zur Seite geht. Der im allgemeinen, ruhige Ton der
kleinen Dichtung wird am Ende der Durchführung einmal
hoch leidenschaftlich. Es ist eine außerordentlich myste-
riöse Stelle: die, wo nach den gewaltigen Äs dur- Akkorden
das Hörn zu den stillen Modulationen der Violinen 30
Takte lang immer sein (7 anschlägt. Sie ruft auch klang-
lich das Bild aus Wagners Walküre vor die Phantasie,
wo Siegmund in seiner Seelennot, einsam vor dem Herde
in der dunklen Hütte; nach »Wälse« ruft.
Das Scherzo stimmt einen rüstig munteren Ton
an. In der Aiiegro nonjroppo. und in
der kon-
Hauptthemas
^ trapunk-
tischen Form seiner Entwicklung leben noch einmsüi Geist
und Methode der alten Norddeutschen Schule auf. Das
lieblich kosende Trio, welches das geschäftige Treiben
des Hauptsatzes mit ländlerartigem Tone unterbricht:
trägt die reizenden Farben der Frühromantik, in der
Volkmann ebenso wie Dietrich mit einem Teil seines
Wesens wurzelt.
Das Finale der Sinfonie, ein Tonstück freudig ge-
hobenen Charakters, fällt mit seinem Hauptthema:
ÄUepro molto.
und noch mehr mit dem Nachsatz des zweiten Thema:
m den Stilkreis der Mendelssohn*Schumannschen Periode
714
Das zweite Thema selbst, eine rhythmisch energische
Bildung
ist der Hauptträger der zwischen Pathos und Fröhlich-
keit hinsteuernden Gedankenentwickelung. Es gibt viel-
fache Veranlassung zu polyphonen Künsten, zu ver-
wickelten Harmonien und zu selteneren Rlangkombina-
tionen, in welchen der Posaunenton ein wichtiges Element
bildet. Jedoch vermag die tüchtige und geflissentliche
Arbeit den Mangel an Inspiration, an dem der Schluß-
satz leidet, nicht auszugleiciien. Bas Finale wirkt in-
. folgedessen als veraltet, während die anderen Sätze,
am meisten der erste, ihre Lebenskraft frisch behauptet
haben. Volkmanns Dmoll- Sinfonie gehört noch heute
unter die meist gespielten Werke.
K. VoiiuuMii, Seine zweite Sinfonie (Bdur) bringt frohe und hei-
Sinfonie Nr. 2 tere Musik und ist in ihrer lebenslustigen Naivität, in
(Baiir,op.58). ihrer ungekünstelten, auf alle Umschweife verzichtenden
Schlichtheit eins der liebenswürdigsten Meisterwerke der
neueren Sinfonik. Ihr erster Satz vereinigt ausgesprochen
volkstümliche Züge im ersten Thema
Mepro vivace
Viol.
Viol.
mit spezifisch , . ,.o.. , ,
Schumannschen jjgr |>' p If p f p I ]»/)[' pl^'P^g
im Seitensatz: "* Jr '^
und im zweiten Thema:
P^^^^^
715
Die Ausführung dieser leitenden Gedanken ist muster-
haft knapp; überraschend schnell tritt der Schluß ein.
Der zweite Satz: AUegretto (Esdur, Vs) ^^t ein be-
hagliches Scherzando mit folgendem Hauptthema:
AUegretto.
•J'^^ j^'uU 'u 'Llj Nim j^ i^
Sein Seitensatz tändelt anmutig auf dem Motiv
hin. Untdr den mancherlei
Ähnlichkeiten , welche der
Satz mit dem berühmten
AUegretto in Beethovens achter ^ ^ ^' \i
Sinfonie gemeinsam hat, tritt als
die nächste das folgende Motiv:
hervor. Die originellste Idee im Stücke bildet das Thema
des Mittelsatzes:
eigentümlich launisch weicht es in seinen Schlüssen lange
dem Grundton aus.
Der dritte Satz (Andantino, Gmoll, ^Vg) ist nicht viel
mehr als eine langsame Einleitung zum Finale. Das
Thema beider Sätze ist dasselbe. Das Andantino bringt
es in ruhiger Bewegung, in melancholischer Färbung und
in der eigentümlichen Instrumentierung der Steppenmusik:
Andantino.
das Finale (Bdur, s/4) im raschen Tempo, in humoristi-
scher Haltung und mit all deijenigen Munterkeit, deren es
fähig ist , am Allegro vivace.
Anfang in fol-
gender Form: ^^j CSr. ^ 410,
Mit ihren beiden letzten Sätzen gehört Volkmanns
B dur'Sinfonie eigentlich in das vorhergehende Kapitel-
-^ 718 >-
t^^^.^"^ ^--r^, _ 1 ^i® "" f"^®^ "^äc^ Spohrs dritter
j I p- ^ni I f, I y ^^ Sinfonie — vom Unisono erst
^^ .y .".. der Streicher, dann der Bläser
vorgetragen wird.
Der dritte Satz: »Quasi Fantasia« betitelt (Qrave,
Es moU, 0), beginnt in ^ehr schwermütiger Stimmung mit
einer, Oraye. ,„^ ansetzen-
zum endlichen Abschluß lang streckenden Melodie. Alle
Motive im Satze tragen den Charakter einer bangen
Stunde. In der Mitte taucht das beunruhigende Thema (0)
des ersten Satzes der Sinfonie wieder auf. Ohne Pause
geht dieser langsame Satz in das Finale über, das, fthnlich
wie in Mendelssohns Schottischer Sinfonie, halb program-
matisch als »AUegro guerrieroc bezeichnet ist Im poeti-
schen Plan 6hT Sinfonie bedeutet dieses Finale die von außen
kommende Rettung, die glückliche Entscheidung: Der mu-
sikalischen Form nach ist es eine ausgeführte und ideali-
sierte Marschkomposition, in welcher ein flottes Thema:
tf.t . . . __ L ■ ■ — — ebenfalls
g^ *J ^'AJ^'Jitt^Jr^Uaij^'Jü^IhU ' wieder eine
^'^ 1^"**- — jv ,-^=^ Variante des
Gmoll-Konzerts — mit einem sentimentalen:
' ' r r I fj f^p Vf^. etwas einförmig wechselt
M. Brveh» Die zweite Sinfonie von Bruch (FmoU) ist wenig
Zweite und dritte bekannt geworden. Dem düster und trüb beginnenden
(oJ^^mtu und froh endenden Werke, welches nur aus drei Sätzen
(Dp. 36 ^51). ^^^^^^^^ ^^^^ ^^^^^^^ ^^ Programm zugrunde, welches,
wie in ähnlichen Fällen in der Regel, nur zum großen
Schaden für die Wirkung und das Verständnis der Kom-
position verschwiegen worden ist Nicht an Ernst der
Anlage und Arbeit, wohl aber an Frische der musika-
-^ 719 «^
listihen Phantasie steht diese zweite Sinfonie Bruchs hinter
der älteren zurück. Der hervorragendste Satz ist der
mittlere, in welchem intime Gedanken ihren eigenen Aus-
druck gefunden haben.
Noch weniger ins Konzert gedrungen ist die dritte,
die Edur- Sinfonie Bruchs.
Die nächsten Komponisten, welche nach Bruch auf
dem Gebiete der Sinfonie weitere und andauernde Be-
achtung fanden, sind Friedrich Gernsheim, Felix Drae-
seke und Hermann Götz.
Die Gmoll-Sinfonie von F. Gernsheim steht F. Geriiihtliu,
auf klassischem Boden und entnimmt der Eroica, der Sinfonie Nr. i
Neunten, dem Violinkonzert Beethovens und der großen (G«oUi^-*^)-
C dur-Sinfonie Schuberts eine Reihe merkbarer Anregungen.
Am selbständigsten erfindet der Komponist da, wo die
Sinfonie sich auf dem pathetischen Gebiete bewegt. Das
in diese Kategorie gehörige Thema, welches an der Spitze
ihres ersten Satzes steht, ist unter die stattlichsten Sin-
foniegedanken der neueren Zeit zu rechnen:
AllegTO moderato.
In allen ihren Partien erfreut diese Sinfonie durch
edle Richtung, durch Geschmack und Maßhalten.
Die zweite Sinfonie Gemsheims (Esdur) ist vor- f. eerothein,
wiegend idyllischer Natur. Ihre hervorragendsten Sätze Sinfonie Nr. s
sind die mittleren: Notturno (in As) und TaranteUa (in C). (B»to,0p.46)
Seine dritte Sinfonie (Cmoll, op. 54) hat, wie gleich F. Gerniheln,
das Hauptthema des ersten Satzes beweist, originelle Sinfonie Nr. 8
Stimmungen, aber deren Stärke reichte für die großen ^•^^'^'■••^°*"J
Formen des Sinfoniebaues nicht aus. Die jüngste, vierte f. Gemiheim
Sinfonie des Komponisten dagegen (Bdur, op. 62) hat bei Sinfonie Nr 4
den Konzertinstituten Deutschlands Eingang gefunden. (Bdur).
Diese neueste Gernsheimsche Sinfonie führt die Rolle
einer starken Natur mit tiefsinnigen Ausweichungen, mit
Äußerungen heftiger und trotziger Kraft, auffahrend und
pochend, mit Vorliebe mit den Mitteln musikalischer
-^ 720 ♦—
Athletik durch, die neuerdings durch die Sinfonien von
Brahms in Schwang gekommen sind. Arbeit und Kunst
imponieren durchweg, in bezug auf Lebenswahrbeit ge-
bührt der Preis dem zweiten Satz (Andante sostenato)
mit seinem von Beethovenschem Geiste getränkten Haupt-
thema.
F«Dr»eB6ke. Die beiden ersten Sinfonien von F. Draeseke zeigen
in ihrem Autor einen Charakterkopf, welcher streng an
seinen Ideen festhält und sie mit einer Konsequenz durch-
führt, die oft geistreich und genial, znweilen aber auch
ermüdend wirkt. Die Elemente einer weicheren Emp-
findung nnd einer schönen Sinnlicbkeit sind in den
Werken des Komponisten durch einzelne Glanzstellen ver-
treten. Daraus ist in der ^ ^^*^^°'^-*rTT"r i i i . m r
p. Draeieke, ersten Sinfonie (Gdur) ff g 36 f üpr fJ ' "^ jjy ' '^ ^ *
Erste und rweite die Klarinettenmelodie^ ^
(0^*?2°'"25) ^^^ Ein,leitung, aus der zweiten (Fdur) das zwei-
'' "■ '' teThe- aiiegro hervorzuheben,
ma im ' jf ^ tf j^ki 1^* - , 1 J ^l ^=^dLd=z\tn allgemeinen
ersten ' fr * f ff '«ff f tff 'f lip fJ^fSf aber herrscht
Satze: o ^^o in diesen Sin-
fonien ein harter Zug vor. Ihre Hauptstärke liegt in den
•humoristischen Sätzen. Der drastischen, auch in den gro-
tesken und burlesken Exkursen immer fein nnd witzig ge-
haltenen Komik des Scherzo in der ersten nnd des Finale
in der zweiten Sinfonie Draesekes haben wir aus der nen-
F. Draeieke, eren Literatur wenig zur Seite zu stellen. Die dritte Sin-
Sinfoniatragica fonie Draesekes, seine Sinfonia tragica, ist mit großem
<Cmoii,Op.40). Recht bekannter geworden als ihre Vorgängerinnen. Sie
gehört mit dem Requiem, der Fismoll-Messe, dem »Colmn-
busc. der oratorischen Ghhstustrilogie zn den bedeutend-
sten Arbeiten des Tonsetzers und ist eins der wuchtigsten
Stücke in der neueren deutschen Sinfonik. Diese mnß
auf Grund dieser Leistung in Draeseke nach dem Tod
von Brahms und Brückner ihre Spitze erblicken, und so
dringlich der Beachtung der ausländischen Sinfoniekom-
ponisten das Wort zu reden ist, so ungereimt erscheint
es, wenn daneben deutsche Konzertinstitute an dner ein-
-^ 721 ^^
heimischen Sinfonie dieser Art vorbeigehen. * Das gewal-
tige Werk schildert einen tragischen Lebenslauf, den
Kampf einer zum Glück angelegten Natur mit dem harten
Schicksal. Es begegnet sich in dieser Tendenz mit andren
C moll-Sinfonien, denen von Beethoven und Brahms; auch
an die D moll-Sinfonie R. Volkmanns kann es erinnern.
Es hat aber einen andren Ausgang: dn Ende in Trauer
und Wehmut Populär ist diese Sinfonie noch nicht ge-
worden, wird es auch in ihrem leidenschaftlichen, in
scharfen Gegensätzen gehaltenen Wesen nicht werden.
Die komplizierte Technik, der auf Kombinationen und
strenge Arbeit versessne Stil des Komponisten erschweren
das Verständnis noch obendrein ; auch entbehrt die musi-
kalische Erfindung des starken individuellen Gepräges,
der sinnlichen Kraft und der Gleichmäßigkeit. Aber wem
nur einmal am SchluB des ersten Satzes, von dem mit
echtesten Herzenstönen einsetzenden piü largo ab, und
bei den vielsagenden Fermaten eme Ahnung von den
Absichten des Komponisten aufgegangen ist, der muß
sich zum eingehenden Studium der Sinfonie gedrungen
fühlen. Ihr Hauptwert liegt in der Konzeption, in den
dichterischen Ideen, die die Anlage des Werks beherrschen.
Sie sprechen zum Teil aus den Tönen und Themen selbst,
zum Teil aus den architektonischen Formen der Sinfonie.
Wie diese der durch beide Schulen, die Beethovensche
und die Lisztsche, hindurchgegangene Komponist be-
ziehungsreich und geistvoll gestaltet hat, sieht man schon
daraus, daß die einzelnen Sätze durch gemeinsame Mo-
tive verbunden und in einen engeren inneren und äußeren
Zusammenhang gebracht sind, als das in der Regel bei
den neueren Sinfonien der Beethovenschen Schule der
Fall ist.
Der erste Satz wird von einem Andante eingeleitet,
das als selbständiger Satz bedeutend ist, aber seinen
eigentlichen Wert darin hat, daß es den Hauptsatz, ein
AUegro risoluto (C, Cdur), gewissermaßen dramatisch,
als die Frucht eines Stimmungskampfes eintreten läßt.
Es setzt ein mit den Tönen des Mißmuts und furchtbarer
Kretzsch mar, F&lirer. I, 1. 46
-^ 722 <^—
Ahnungen, mit Tönen, die an das Grollen Andaatt.
des Löwen erinnern. Zweimal hören wir f *^^^'\
von stechenden Dissonanzen begleitet das 8^'^ , ^ ^
ungeheuerlich sich dehnende Intervall: /==*"
Dann erst löst sich die starre, chaotische Empfindung in
ein ernstes und schweres Marschmotiv, dem wir später
im zweiten Satz der Sinfonie noch näher treten werden.
Damit ist das Gemüt des Helden dieser Tondichtung vom
ärgsten Druck befreit. In einem Instrument nach dem
andern beginnen die Töne, noch suchend, doch melo-
disch zu fließen und gelangen über hemmende Modu-
lationen allmählich hinaus ins Helle, zur Freiheit, zur
Hoffnung, zum Träumen von Idealen: Eine der schön-
sten Erfindungen der ganzen Sinfonie bezeichnet diese
Wendung:
r r
Diese von Klarinetten und Hörnern vorgetragene Melodie
löst sich in lose Sequenzengänge auf und verzieht sich.
Noch ehe sie ganz das Feld geräumt hat, tritt unvermutet
und rücksichtlos ein y» ^ ri. , i ß* ergreift
unfreundlicher Gast an V' o T T' fcf ^ ^= von den
ihren Platz das Motiv ^ Kontrabäs-
sen aus schnell das ganze Streichorchester und drängt zu
dem Allegro, das als Hauptteil des Satzes das Bild einer
jungen kräftigen Natur zu zeichnen scheint, mit der es das
Leben etwas hart meint. Der Satz erinnert an das Dichter-
wort: »Denn Mensch sein heißt ein Kämpfer seine, aber er
führt uns keineswegs vor erschütternde Szenen. Es kämpft
hier eine Art junger Siegfried, den Hindemisse weniger
schrecken, als erfreuen. Draeseke schildert eine Jüng-
lingsgestalt, der Mut und Energie aus jeder Miene sprechen,
der das Leben noch lacht, die noch an Ideale glaubt und
zu schwärmen liebt. Jenes Motiv, das die freundlichen
Träume des Andante störte, Wird von dieser arglosen
Natur mit Freundesaugen angesehen, und wie ein Führer,
-^ 723 ^^
der nach des Lebens Höhen zeigt, begrüßt und verwendet.
Oraeseke stellt es an die Spitze des tatenfrohen Hanpt-
themas:
Allegro risolnto.
in dem es gemeinsam j K j die Elemente der Entschie-
mit dem Rhythmus #• • ^ denheit und Festigkeit ver-
tritt gegenüber den Regungen des jugendlichen Ungestüms
und Schwunges« die in den Achtelgängen ausgedrückt
sind. Eine Fortsetzung findet dieses Hauptthema in einem
marschartigen Abschnitt, der nach einigen sinnenden
und sammelnden Takten mit folgendem Anfang einsetzt:
i^^^ ^^^^^ Er endetf nachdem er
rj^ rrf iP f F r if ff^^ ^®^ Umfang einer nor-
y ^"^ I' ' ' ' I ' "MI '' malen Periode erreicht
-^ . hat, mit dem Rhythmus
j 11 lenkt also wieder auf das Hauptthema ein, des-
' * ** ^ sen freudige und lebenskräftige Geister sich mit
erneutem Eifer auf den Plan drängen. Es ist ein
hitziger Eifer. Die Stimmen wiederholen auf kecker
Dissonanz — e-fis — ihre Töne in der heftigen Form,
die die Alten Reperkussion nannten, und starkes Kraft-
gefühl strömt von allen Seiten aus dieser Musik. Sie
hat eben das entlegene Hdur erstürmt, als sie plötzlich
abbricht Die jugendliche Überschwänglichkeit neigt zu
entschiedenen Gegensätzen. So schlägt die Stimmung hier
aus einem heroischen Rausch ohne weiteres um in eine
Idylle. An die Stelle der Tatenlust treten die Gedanken
an die intimen, zarten Lebensfreuden, an die friedlichen
Bilder von Liebesglück und vom Behagen am heimischen
Herd, im Kreise der Familie. Das sind die Ideen, aus
denen das zweite Thema des Satzes entsprungen ist.
Draeseke stellt allerdings nicht ein einfaches zweites
Thema hin, sondern er gibt, die moderne Art fast über-
46*
Th
724
bietend, eine ganze Rette freundlicher Gedanken ,. deren
Mehrzahl allerdings der Marschrhythmus noch etwas fest
in den Qliedem steckt Den Anfang macht ein von Melan-
cholie leise gestreifter Wechselgesang zwischen Klarinetten
und Streichinstrumenten, dem folgende Periode
AüefiTo risolnto.
uUrlnetteo.
VitiUnaa.
!f'"/i?'ÜVJ'»CJTin'U'JiJ''Jff3i
p9^r, jf.
ffitff f rr r 'r rUrr-rf "r r ' '
zuGrunde liegt. Aufmunternd. . ^ ^ ^ und nun
unterbricht ihn das Tutti ft l" r f P I 1' f* [tritt ein
mit kräftigem Zwischenruf ^'^^^ ' ganzun-
getrübtes Zukunftsbild vor die Phantasie:
^^m
das mit heimlicher Freude
^^' beginnt und mit unver-
hohlenem Jubel sdiließt.
Gerade dieses Stück aus dem Kreise des zweiten The-
mas hat der Komponist für den Durchführungsteil
des Satzes besonders bevorzugt Die Kette schließt
mit einem dritten Gredanken, der innig in den Hörnern
einsetzt:
i\{ii}\i
— die Pauke begleitet
mit einem leise bebenden
B. — und über das Motiv
zu einem Ende im triumphierenden Ton gelangt. Aus diesem
--♦ 725
*
Ende sind die
Schlußtakle
der Melodie : *' /
für den weiteren Verlauf des Satzes wichtig.
Draeseke läßt aber diesen ersten Teil, die sogenannte
Themagruppe, nicht stolz und glänzend, sondern leise
ausklingen. Das ist nicht bloß poetisch und schön, sondern
in diesem Falle vor allem logisch. Denn es handelte sich
um Zukunftsbilder, die wie im Traum und wie in weiter
Ferne gesehen waren. Die Homer sind eben bei dem
letzten Seufzer, da treten die Celli mit dem Motiv der
Unruhe dazwischen, das seiner Zeit aus dem Andante
ins ÄUegro hinüberdrängte. Jetzt leitet es die Durch-
führung des Satzes ein. Sie verläuft als Auseinander-
setzung zwischen den friedlosen und den friedfertigen
Elementen der Themen. Jene sind vorwiegend durch das
eben erwähnte Motiv der Unruhe aus dem Hauptthema
vertreten, diese durch das erste und das dritte Glied aus
der Gruppe des zweiten Themas. Eine besonders hervor-
tretende Stelle in der Durchfährung bildet das piü largo,
bei dem die schöne Melodie aus dem Andante, die Melo-
die des Ideals, und aucH hier wieder im visionären Ton
erscheint Nach dieser Stelle geht die Durchführung über
einige Mut und Kraft aussprechende Perioden, die aus
dem zweiten Glied des zweiten Themas — das ursprüng-
lich in E dur einsetzte — gebildet sind, bald zu Ende und
in die Reprise über. In dieser Wiederholung der Themen-
gruppe übergeht Draeseke das eigentliche Hauptthema
und bringt an erster Stelle dessen marschartige Fort-
setzung. Sie tritt fff auf und wird noch dadurch zu
höherer Bedeutung gehoben, daß Draeseke die Schlüsse
ihrer zweitaktigen Abschnitte durch Fermaten verlängert.
Es gibt Fälle, wo die Pausen vernehmlicher sprechen
als die Töne, und diese Draesekeschen Fermaten gehören
in erster Linie zu diesen Fällen. Sie lassen den Zuhörer
gewissermaßen einen Blick auf die Fülle von Kraft und
Ernst werfen, die in der Seele der Jünglingsgestalt auf-
gespeichert ist, die sich der Komponist als Helden dieses
--* 726 «-—
s
Sinfoniesatzes gedacht hat. Sicher spricht aber auch
eine gewisse Bangigkeit ans diesen Fermaten, eine Ahnung
tragischen Geschicks. Wie das erste Thema abgekürzt,
so wird die Gruppe des zweiten Themas in der Reprise
zusammengedrängt Dafür hat ihr Draeseke eine breite
Coda zugefügt, in der neue Weisen des ßtolzes, des freu-
digen Mutes, der aufschäumenden Kraft neben die aus
dem Unruhemotiv des Hauptthemas gebildeten Sätze
treten. Bemerkenswert ist darin eine Stelle, in der der
modulationslustige Komponist sich auf einen vermesanen
Äugenblick nach Gesdur wendet
Im zweiten Satz der Sinfonie (Grave, s/s, Amoll)
entspricht der bedeutenden Stimmung auch eine bedeu-
tende und ziemlich in allen Teilen auf gleicher Höhe
bleibende Erfindung. Er gibt dem Schmerz über einen
unersetzlichen Verlust gewaltigen Ausdruck und klagt
über das erste Eingreifen tragischer Umstände in einen
hoffnungsvollen Lebenslauf in männlichen Tönen, die
im Grefühlsgehalt und in ergreifender Wirkung den Segen
Händeis, Beethovens und Wagners zusammenfassen.
Die Komposition ist als Trauermarsch gedacht Ihr
Hauptthema, das die Form der alten Sarabande hat, setzt
— von zwei zu zwei Takten durch das erste Motiv in
den Posaunen unterbrochen — gedämpften Tones folgen-
dermaßen .ein:
OraT«.
Pos. , Holzbläser. i i a
irr in: ^ ^ {»f f
^^y 727 ^-
Wenn man den fünften Takt dieses Trauergesangs schllrfer
ansieht, erhält man anch Auskunft darüber: wer ins
Grrab gesenkt worden ist. Denn da stehen wir vor der
schönen Melodie , die im Andante des ersten Satzes das
Ideal des jungen Helden, die die Gestalt bezeichnete,
die als Lohn des Strebens und Ringens vor seiner Seele
schwebte. Bald bricht der Schmerz über den Verlust
scharf und leidenschaftlich in WagnerschenZungen hervor:
die Posaunen decken Grabesklang darüber. Crewaltig
wirkt darauf der Einsatz des Marschthemas, in einer
Wendung, die an Händeis »Saul« und »Samson« erinnert.
Es kommt in Cdur und im mächtigen fff des gesammten
Streichorchesters, von Posaunen, Tuba und Trompete
unterstützt, von einem Aufschrei der Holzbläser beant-
wortet Zarte Zwischenspiele, aus dem erwähnten Ideal-
motiy gebildet, suchen nach Trost; ein kurzer Mittel-
satz, der die Stelle des sonst üblichen Trios einnimmt,
bringt ihn auf Grund folgenden Themas*:
Uü pochettlno pl^ mosso:
m
das von der Klarinette aus wörtlich und variiert durch
eine Reihe Instrumente wandert. Es ist teuren Erinne-
rungen gewidmet und befreit von dem harten Druck
einer um Fassung kämpfenden Stimmung. Doch geht es
bald in einen erregteren Ton über und führt 80 zur
Wiederholung des Hauptsatzes. Die Erinnerung an ver-
lorenes Glück pflegt den Schmerz über den Verlust zu
steigern. Diesem Naturgesetz Rechnung tragend, wieder-
holt Draeseke nicht einfach, sondern führt mit dem
Marschthema die Motive der heftigen leidenschaftlichen
Aufregung zusammen. Die Stelle packt mit physischer
Gewalt. Die Stimmung wird auf Augenblicke wieder
728
ruhiger, schildert aber dann in neuen Formen den Auf-
ruhr schmerzlicher 6ef|ihle.
Um den dritten Satz, das Scherzo (AUegro, 9/4,
Gdur) mit der Auffassung in Einklang zu bringen, daß die
Sinfonia tragica einen Lebenslauf vorführen will, muß man
sich eine Überschrift: »Nach Jahren«, denken. Der furcht-
bare Schlag, von dessen unmittelbaren Folgen das Grave
berichtete, ist überwunden, aber er hat Spuren gelassen. Von
einer Persönlichkeit, die über eine Kraftfülle verfügt, wie sie
der erste Satz enthält, erwarten wir einen freieren Humor,
als ihn dieses Scherzo bietet Seine Fröhlichkeit ist etwas
belegt, behilft sich mit den kleinen Künsten der Kaprice,
hat Schatten und vollständig trübe Stellen. In dem Trio
kommt die Wehmut ganz offen zur Herrschaft. Die Form
des Ganzen ist sehr einfach: ein Hauptsatz in zwei Teilen,
Mittelsatz (Trio) und Wiederholung des Hauptsatzes.
Das erste Thema des Hauptsatzes
AUegro molto vivace.
Uaiinetten.
erinnert in der melodischen Richtung etwas ,an den Me-
nuett von Beethovens erster Sinfonie, unterscheidet sieb
aber von ihm durch ein stilleres Temperament Seine
Fortsetzung erfolgt in sinnverwandten, metrisch launi-
schen Bildungen. Das zweite Thema, das ihm nach einer
kurzen Stimmungskrisis folgt:
Cello. ^ -^^^^
rTi I iiii;^»M iif] fTTT^
--♦ 729 <^—
' gehört zu den besten Erfindungen in der Sinfonie. In
seiner Mischnatur, halb fröhlich, halb klagend, ist es ein
echt romantischer Gedanke und bringt den Widerstreit
d^r Gefühle, der schon im Hauptthema leise zu vernehmen
ist, zu gesteigertem Ausdruck. Die Violinen wiederholen
das Thema, schließen aber nicht, sondern brechen ab.
Die Pauke setzt mit einem leisen Wirbel auf g ein ; nur
ein eis in den Kontrabässen klingt dazu. Erst allmählich
gesellen sich die übrigen Instrumente hinzu, füllen den
verminderten Akkord und versuchen zaghaft wieder die
Melodie aufzunehmen. Die Stelle macht sich sehr be-
merklich. Was sie bedeutet, ist dem veranlagten Hörer
nicht zweifelhaft: eine Erinnerung an das Ereignis,' das
das Gluck dieses Lebens gebrochen hat. Die Musik kommt
wieder in Fluä und rafft sich energisch auf; es bleibt ihr
aber ein schwerer, harter Ton.
Wir haben in diesem ersten Teil des Hauptsatzes
seine Themengruppe. Der zweite Teil bringt eine Durch-
führung über die Motive des Hauptthemas und in ihr den
Versuch, zu reiner, großer Freude durchzudringen. Den
Fehlschlag bezeichnen Paukensoli. Dann setzt die Wieder-
holung des ersten Teils ein und verläuft bis auf einige
unwesentliche Änderungen und Erweiterungen in ge-
wohnter Weise.
Das Trio (Des dur) leitet Draeseke mit einigen Des dur-
Akkorden ein, die uns den Sarabandenrhythmus des
Grave ins Gedächtnis zurückrufen, der auch im weitren
noch in andren Formen aus der Begleitung erklingt.
Dann stimmen die Klarinetten das Thema an
Flu poohflttlnopiä lento
^\\K \j\u\r\ ' 'I ri'_i|fMrji
«f
Gegensätze stellt der Komponist dieser aus Schubertschem
Geiste geborenen Melodie nicht zur Seite. Sie entwickelt
sich ähnlich breit wie das entsprechende Thema von
-^ 730 •.-
Schuberts großer C dur-Sinfonie , wird wiederholt in die
Bässe gelegt und erfährt mit einfachen Mitteln Verwan-
deluDgen, dUe ihren ursprünglich wehmütigen Beiklang in
reine Freude kehren. Eine der glänzendsten Stellen dieser
Art, eine wahrhaft große Wendung treffen wir bei der
Rückkehr nach Desdur, wo die Homer und Posaunen
das Thema nehmen. Mit einem stillen Cmoll wird aber
aus diesem Rausch glücklicher Erinnerungen schnell in
die Resignation, in den Ton gebrochenen Seelenzustands
zurückgelenkt und das Trio geschlossen. Den dritten
Teil des Scherzo bildet die wörüiche Wiederholung seines
Hauptsatzes.
Wir hätten in diesem Trio die Wiederkehr der schönen
Melodie aus dem Andante des ersten Satzes natürlich
gefunden. Draeseke hat in Tornehmer Zurückhaltung
davon abgesehen, allzu deutlich zu werden, und sich
diese Reminiszenz für den Eingang des Finale (Allegro
con brio, o/b) Cmoll) aufgespart. Aus diesem Grunde
glauben wir, daß zwischen dem Scherzo und dem Schluß-
satz die sonst übliclie Pause auf das kürzeste Maß zu*
sammengedrängt werden muß. Das betreffende Thema,
das Thema des Ideals, tritt hier ins Finale unter ähnlichen
Verhältnissen hinein, wie in die Einleitung der Sinfonie,
nämlich als ein Sonnenblick, der dunkles Gewölk durch-
bricht. Dieses Gewölk ist beim Beginn des Satzes noch im
Begriffsich zu si^mmeln: es zieht in unruhigen Motiven und
Gängen herauf und in Dissonanzen, die einen beklomme-
nen und ratlosen Seelenzustand ausdrücken. Unheimlich
polternd set- AUegro con brlo.
zen
mit der Figur p
ein, die durchs ganze Finale hindurch die Rolle des
Sturmkünders durchführt Im ganzen ist dieses Finale
der Sinfonia tragica eine der fürs Verständnis schwie-
rigsten Instrumentalkompositionen, die es gibt Die
Schwierigkeiten liegen einmal in dem Aufbau, der keinem
der gewohnten Modelle, etwa dem der Sonate öder dem
des Rondo folgt, sondern seine Oberfracht von Themen
^^ 731 ^
ohne Rücksicht auf Übersichtlichkeit so ausladet, wie es
die leider verschwiegnen dichterischen Absiebten mit sich
brachten. Zum andern liegen sie in dem eigentümlichen
Stil Draesekes, der dem Hauptgedanken in der Regel
wenigstens einen Nebengedanken, meistens aber mehrere,
beizufügen pflegt. Was der Komponist mit seinem Schluß-
satz will, ergibt sich aus dem Vorhergehenden. £r zeigte
uns im ersten Satz eine kräftige Natur, der ein schwie-
riges Leben zugefallen ist, im Grave den Schlag, der ihre
schönsten Hoffnungen vernichtete, im Scherzo das einst
kühne und frische Wesen gedämpft. Nun kommt das
Ende, — ein schwerer Lebensabend und der Tod mit
seiner Ruhe. Diesen letzten Teil seiner dichterischen
Aufgabe, seines in dem Titel der Sinfonie angedeuteten
Programms, hat Draeseke im wesentlichen als einen
Kampf zwischen den lebenswilligen und lebensmüden
Seelenkräften dargestellt. Die musikalischen Hauptver-
treter dieser beiden Parteien sind das weit gegliederte
Thema der Mühsal und Rastlosigkeit, das am Schluß der
Vorrede, in dem Augenblick einsetzt, wo die Melodie des
Ideals (aus dem Andante des ersten Satzes) verschwindet.
Es besteht aus zwei Teilen. - Den ersten, der schauerlich
vom Baßklang signalisiert wird
Allegro conbrio.
Vlollno
I^Clf'
rr^rm Hl I im i ni7.jji i
hat der Komponist nachträglich für eine im Gespen-
sterton gebaltne Fortsetzung des Scherzos erklärt*).
Die Bässe treten mit unheimlichem Achtelmotiv da-
zwischen.. Dann fahren die Geigen emsig und doch
müde fort:
*) Leipziger Tageblatt vom 19. Dezember 1907.
732
Wieder treibt das Achtelmotiv der Bässe an, dann kommt
der oben in O gebrachte Abschnitt noch einmal in Cmoll
und damit schließt das ganze Thema. Seine Natur ist
Hasten und Bilen, Ringen und Sorgen; es entrollt ein
Stück Lemurenleben, ein Mühen und Plagen mit bestem
Willen, aber Unsegen darüber. Manchmal klingts daraus
wie aus Bürgers Lenore oder wie in der Sii^onie fan-
tastique. Der Dämon reitet immer nebenher, wir hören
ihn aus den Solostellen der Kontrabässe, wir hören ihn
aus der Pauke, die das ganze Thema mit leisem Grollen
begleitet. Nebenbei bemerkt — wird sich keine zweite
Orchesterkomposition finden lassen, in der der Pauker
so viel zu tun hat wie in diesem Finale, über dem von
A bis Z ein Gewitter steht
Das zweite Hauptthema des Schlußsatzes, aus dem
die Stimme der Todessehnsucht, der Bitte um Ruhe, der
Hofifnung auf Frieden spricht, wartet, bis das erste oben
angeführte Thema nach einem Abschnitt, wo die Harmo-
nien unter einer liegenden Stimme sich aufrührerisch
bäumen, wiederholt und zu einem lauten, empörten Ende
— wiederum liegende Stimme /j darunter wilde Disso-
nanzbildung — geführt worden ist. Dann thtt es in
Esdur ein und tröstet in Zungen, die wie bekannt an-
muten:
p moäo egpr.
G? i^"N^ iiTTT^i i'i| TH^^
Hiermit ist der Zuhörer von der Hauptsache des Finale
unterrichtet. Die weitem Gedanken, die der Komponist
-^ 733 «^
aufstellt, können als Nebenthemen b'etcachtet werden.
Die mit dem findendes Esdorthemas schließende Abtei-
lung des Finale entspricht der Themengmppe des Sona-
tensatzes; Durchführung und Reprise kann Draeseke nicht
brauchen. Denn er entwickelt kein Stimmungsbild, son-
dern er gibt eine Erzählung in Tönen. Einzig das erin-
nert an den Brauch der Durchführung, daß er das erste
Hauptthema — es mag der Kürze halber und mit der
Bitte, nicht mißzuverstehen, das Lemurenthema genannt
werden — auch weiter Terwendet und zwar sowohl als
Hauptgegenstand des Tongemäldes, als auch als Staffage.
Nachdem das Es dur- Thema verklungen ist, setzt
das Hauptthema . Baase. -— -j ^-.^ ^ — ^
regsam ein, jetzt JUkh/B JM J J J Jl^ I O T' I f -
in der Form: V ^^ ^-«=
Spöttisch antwor- ' J Ji 1^ i 1 M I ~ ^^^ °^^^ einem
ten die Hörner: y*^ ^' r ' i.f 4 * " energischen Ruck
rafft sich der Held der Tondichtung zu alter Energie und
Kraft auf, in einer Größe, vor der man sich fürchten
kann, und zwingt dem Thema einen heiteren Charakter
ab, der musikalisch am deutlichsten auf Grund folgender
Umbildung zum Ausdruck kommt:
^^'^. P LLf m |i jj 1 1 |i i i r i f f
Die Szene bleibt dem Scherz zwar nicht unbestritten;
verminderte Septimenakkorde, harte und trübe Klänge
drängen sich dazwischen. Aber in der Hauptsache scheint
es doch, als wolle sich dieses Leben noch zum guten
wenden: Es erfolgt eine Wiederholung der ganzen Gruppe
des ersten Hauptthemas, aber jetzt nicht im Lemurenton,
sondern im stolzen Klang f und /f, wie die Äußerung
eines Riesen, der nicht zu vernichten ist. Diese Wieder-
holung .endet mit einem neuen Thema^ dem ersten be-
deutenderen Nebenthema des Satzes:
iiTi 'iTpii i|
.^ 734 <j^
das vielleicht mit Absicht an Schomanns G dur-Sinfonie
erinnert. Aus ihm hören wir, daß es mit der Kraft, die
sich eben noch geäußert hat, doch nicht so sicher
steht, denn es hat einen klagenden Beiton und bringt
uns das tragische Geschick, zu dem hier ein edler
Mensch verurteilt ist, wieder ins Bewußtsein, Draeseke
führt es sehr kunstvoll, in rhythmischen Verschiebungen,
Nachahmungen, Verkürzungen und andren Formen,
die vielleicht etwas zu gelehrt sind, durch und läßt es
mit klagen-
mu Klagen- jfl.L Lj?-^ .. i i . i . t . . .
den Wen- JilHi^r f tf iM ||J|,J J hJl^S enden.
düngen : »y ' ' ■
dung<
Das letzte, ganz beiläufig gefundne melodische Motiv
macht er sofort, seinen Charakter ins Heitre zwingend,
zum Träger eines zweiten Nebenthemas
i r^\i r^ \ni I Jii das die dritte Abtei-
^ ""^^^^^ lung des Finales vor-
wiegend beherrscht. Es wird in ihr in anderer Form der
Versuch wieder aufgenommen, des Lebens Härte und
Tragik mit Scherz und Anmut zu besiegen oder doch
zu vergessen. Ganz wohl wirds dem Zuhörer nicht
dabei, denn die dämonischen Rhythmen des ersten
Hauptthemas wühlen in den begleitenden Instrumenten
immer weiter. Zuweilen nehmen sie allerdings den
scherzenden Charakter wieder an, den wir aus der
zweiten Abteilung des Satzes schon kennen, und schließ-
lich will es zu einem großen Freuden aufschwung kom-
men, den ei- ^.^ ^-v .-r^
n.da,ch.e.^,^^fee^.-^ |ff [f f |
mawendung
markiert. Aber kaum angestimmt, wird er unterbrochen.
Ähnlich wie wir es im Scherzo erleben, setzt von Bässen
und Pauke aus ein verminderter Septimen akkord ein
ifis-a-c-es), an den sich bald ein furchtbares Reiben der
--^ 735 <fc^
Stimmen über einen Orgelpunkt (auf fis) anschließt. Da-
mit ist das tragische Schicksal entschieden. Weinend
und zerbrochen sucht sich wiederholt das (frühere) Es dur-
Thema, das Thema der Sehnsucht nach Frieden und
Ruhe, durch die Massen zu zwingen. Vergeblich. Es geht
entschieden zu Ende. Und da kommt nun die vielleicht
ergreifendste Stelle der ganzen Sinfonie: Angesichts des
Todes wirft der Held einen Rückblick auf sein unglück-
liches Leben : alle Themen aus den vorhergegangetien drei
Sätzen der Sinfonie ziehen auf, ziehen wiederholt vor-
über, am meisten bevorzugt die Themen des Grave, die
mit dem Hauptereignis in diesem Schicksal verknüpft
waren. Ein langer Orgelpunkt auf g, eine grausame
Stelle im Klang und im Sinn, bezeichnet wphl die ktzte
Not. Dann setzt die Einleitung der Sinfonie nochmals
ein, wie um zu sagen : die schlimmen Ahnungen haben
sich erfüllt. Als dann aber die Melodie des Ideals (An-
dante) eintritt, bleibt Draeseke in ihrem Ton und gibt mit
einigen weichen, sphärisch verklingenden Takten der
Sinfonie ein Ende in Verklärung, ähnlich wie das neuer-
dings auch Brahms und Tschaikowsky getan haben.
Größrer Popularität erfreut sich die Sinfonie (Fdur) a. Gqu,
von Hermann Götz, dem Komponisten »Der Wider- Sinfonie
spenstigen Zähmung€. Sie verdankt diese ihrem zweiten (Fdnr, Op.oi
Satze, »Intermezzo«, einem der reizendsten Genrebilder«
der modernen Musik. Die Nummer wirkt ebenso durch
ihren fröhlichen, populären und doch noblen Inhalt, wie
durch die originelle Anlage. Das Hörn beginnt mit:
^) AUeg^retto. , ^^ -^
Die Holzbläser antwor- b) ±1 *-v^ welches
ten ebenso naiv ^i^.ZjSZ^AST\^-^^ ^ ^\tj ■' die Vio-
einem munteren Thema ^"^ -r^dn^^' i-^^ j.^^^
aufnehmen und weiterführen. Nach einer lustigen Ka-
denz der Flöte setzt der Seitensatz in gedämpfterer
Stimmung ein:
736
^\JTT\h
Celli, zweite Violinen und Fagotte legen eine sentimental
sinnende Melodie darunter.
Der Gedanke und seine Durchführung erinnern eine
Weile an das Scherzo der Schumannschen Cdur- Sin-
fonie, bis die Trompete mit dem Hornthema des Ein-
gangs den eignen Phantasiekreis des Komponisten wieder
feststellt Das kindlich heitere Treiben gelangt in einer,
die Stelle des Trio vertretenden Episode über folgendes
Thema:
TJn poco meno moto
auf einen Augenblick zur Ruhe.
J Jj* iJ^I2 I ij.^ = ^on diesem Mittelpunkte aus
** "^ '' bewegt sich dann der Satz in
freien, vorwiegen d durch ruhigere Gegenmelodien veränder-
ten Wiederholungen der ersten Gruppen dem Ende za Das
Adagio (FmoU, 8/4) steht mit dem Intermezzo in näherer
Verbindung. Das Thema d des letzteren bfldet den Mittel-
satz. Haupt- ^ Adagio,
thema ist eine
ernste Melodie
auf deren Grund der erste und dritte Teil des Satzes
in einfacher Sprache eine Reihe von Betrachtungen
ausführen. Ihr tief schwermütiger Ton .macht erst
in der Coda (in Fdur) einer hoffnungsvolleren Stim-
mung Platz.
Von den beiden Ecksätzen der Sinfonie ist der
erste der hervorragendere. Sein Hauptthema ist durch-
aus romantisch, in seiner Stimmung zwischen ainnig
behaglichem Genießen, jugendlich stürmischem Ober-
schwang und leichten Anwandlungen von Melancholie
geteilt:
737
AUc(:ro moderato
Das zwei-
te, freundlich
schwärmend: '
weist auf die Meistersinger R. Wagners, der von jetzt ab
für die Sinfonie aller Länder ungeheuer wichtig wird,
hin. Ober der Verbindung der beiden Ideen liegt gleich-
mäßig der Ton Hebenswürdiger Anmut; doch bricht an
einigen Stellen auch der Jubel kräfUg durch.
Besonders hervorzuheben ist der Schluß der Durch-
führung, an dem aus zarten Träumen sich die Phantasie
überraschend energisch zum Hauptthema ztu'ückwendet.
Der Schlußsatz der Sinfonie erstrebt kräftigen und
feurigen Ausdruck. Hierzu dient die rauschende Violin-
figur, welche das Hauptthema eröffnet:
Alierro eon fuoe» ^
und das resolute The-
ma des Seitensatzes:
li^i 'ILi^'liiiiTuililiJ
Der Gegenpart ist durch eine Melodie vertreten,
welche nur durch kunst-
volle Schlüsse zu einem stär-
keren Gehalt erhoben wird:
Lange erwartet, trat zu der Zeit, wo die Götzsche
Arbeit erschien, am Ende des Jahres 1876, endlich auch
Johannes Brahms in die Reihe der Sinfoniker ein.
y
Kreteteliinir, F&hrer. T, 1.
47
-^ 738 ^^
Aus den Kreisen ^er Romantiker hervorgegangen,
▼ertritt Brahms das bleibende Prinzip der romantischen
Richtung: das Prinzip der gemischten Stimmungen und
der raschen Bewegung des Empfindnngslebens. Aber
alle die früheren Vertreter der musikalischen Romantik
übertrifft Brahms durch seine, in wunderbar zielbewußter
und energischer Entwickelung erworbene Vielseitigkeit
und durch die Objektivität, die Strenge und Mannig-
faltigkeit des Stils. Brahms ist unter allen Sinfonikern
des 19. Jahrhunderts der bedeutendste Beethovenianer,
soweit es sich um Form und Stil handelt. Kein zweiter
hat so wie Brahms Beethoven in der Logik und Ökonomie
des Satzbaues, in der durchweg gediegenen Entwickelung
des thematischen und motivischen Materials, in dem Ver-
zicht auf das Konventionelle erreicht. Er ist der Groß-
meister der sinfonischen Arbeit! Seine Werke, natur-
gemäß die Sinfonien voran, sind deshalb auch nicht
durchweg leicht zu genießen. Schwer ist vor allem seine
erste Sinfonie.
j.BrAhas, Diese erste Sinfonie (Cmoll) war, gerade so wie bei
Sinfonie Nr. 1 Beethoven, die Frucht langer Arbeit Sie soll nach Kal-
(Cmoii,Op.68. beck*) Vorgängerinnen gehabt haben und im ersten Ent-
wurf bis auf das Jahr 1855 zurückgehen. Sicher ist, daß
Frau Schumann und Albert Dietrich 1862 den ersten Satz
kennen lernten *% aber die Ausführung des ganzen Werkes
läßt noch fast fünfzehn Jahre auf sich warten. Es nähert
sich im Charakter und im Gange der Ideen der Beet-
hovenschen Fünften. Auch die Cmoll- Sinfonie von
Brahms führt von Kämpfen und schweren Stunden zur
Klärung und zur freudevollen Freiheit der Seele.
Der erste Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung
(Un poco sostenuto, C moll, ^ls\ welche das Bild des folgen-
den großen Allegro in kurzen Strichen vorauszeichnet Sie
braust leidenschaftlich auf — schöpft Atem und hofft
*) Max Kalbeck: Johannes Brahms IIT, 1910.
**) Briefe von und an Joseph Joachim, 1912 (11, 22). Albert
Dietrich: Joh. Brahms (1898), 8. 42.
— » 739
wie dieses — auch die thematischen Motive des Ällegro
klingen in ihr schon an. Unter ihnen ist das chromatische
Thema, mit welchem die Violinen sich unter den dröhnen-
den Strichen der Kontrabässe in die Höhe quälen:
ÜB poco sostenuto. ^ ^^-»^
jt'^ftr^VriTrf>f'C£''l^ Pr"!^!^^ d«« enUcheidende.
Es steht nicht bloß an der Spitze der Sinfonie, son-
dern es trägt als eine verbesserte Art »id^e fixet fast
ihren gesamten Grundriß. Auch seiner zweiten und dritten
Sinfonie hat Brahms solche kurze Generalmotive zu
Grunde gelegt, an ihnen eine unvergleichliche Meister-
schaft in der Variationskunst erprobt und damit der Sin-
fonik ein neues Mittel für Einheitlichkeit und Zusammen-
hang der Fol'm gewonnen. Das hier angeführte chroma-
tische Generalmotiv bietet für den größten Teil der^ersten
Sinfonie den technischen und geistigen Stützpunkt. Noch
in ihren zweiten und dritten Satz ragt es leibhaftig hinein;
der erste Satz aber ist Aller ro bildet es hier
vollständig auf ihm /i^ a -'.^>.j|,,-Ty-^ft^^ di® Ober-
fundiert. In der Formf fr "- H T I T T I T stimme , bald
den Baß, fungiert in seinem kontrapunktischen Gewebe
als heimlicher Gantus firmus und wirkt als treuer, leiten-
der Geist in guten wie in bösen Stunden. Es gibt die
Alarmsignale und ruft beschwichtigend den Sturm der
Leidenschaft zur Ruhe. Das erste Thema des AUegro
.nrß/pn^,,t^^riffV? f I
Alle^ro ^^
ist ihm gegenüber nur ein sekundäres
Ulli; kontrapunktisches Kunstprodukt, hat aber
^ 1*^ die dämonischen Szenen des Satzes,
welche mit großer Energie, Kraft und Schärfe, aber ver-
hältnismäßig knapp dargestellt sind, zu tragen. Ein-
dringlicher, für den Gesamteindruck des AUegro bedeu-
tender, wirken die Partien, in welchen der verzweifelte
Ton der Kampfesstimmung leiser wird und den milderen
47*
-_^ 740 4»—
Regungen Platz macht Wunderbar schön ist naitaent-
lieh der Obergang zum zweiten Thema: der allmähliche
Eintritt der ruhigeren Bewegung, das Hervortreten klagen^
der Motive, der sehnsuchtsvolle Ton, in welchem das er-
wähnte chromatische Thema an die Spitze der bittenden
Stimmen tritt Dieser Partie ist der Stempel der Natur-
Wahrheit aufgedrückt Das zweite Thema, dessen erste
Periode zur Orien- . <*-j
tiernng über das
Ganze dienen mag
stammt seelisch und technisch ebenfalls von dem chro-
matischen Hauptmotiv der Sinfonie; unwillkürlich erinnert
es aber auch an R. Schumanns Manfred -Ouvertüre und
ist eine Hauptstütze für die Ansicht Kalbecks, daß Brahms
sich mit seiner CmolUSinfonie aus einer peinlichen Man-
frediscben Situation befreit habe. Ein reizender Dialog,
von Hom und Klarinette fast nur in den einfachsten
Naturlauten geführt, fugt sich dem zweiten
Thema an; leider ist er nur von kurzer • *J'^^L T,^^
Dauer. Mit einem unwirschen Rhythmus: r
ans welchem sich das V j.V» herausbildet, rufen
für die Entwickelung des IE fc'^Tfj^= die Bratschen den
Satzes wichtige Motiv "^ "9 '- Chor der Instru-
mente zur Kampflust und in die leidenschaftliche Aktion
zurück. Brahms beschließt sie mit einem Anhang, der,
lediglich aus einem Zweiachtelrhythmus entwickelt, einen
Zustand fassungsloser, atemloser Aufregung veranschau-
licht. In der Durchführung treten die beiden großen Piano-
stellen besonders hervor: In der plötzlichen Totenstille,
welche sie verbreiten, in dem leisen, halb verborgenen
Walten ernster Gedanken, haben sie etwas Übersinnliches.
Der ersten folgt eine Szene von Kraft und Frömmigkeit
Die alten Motive des Trotzes
schließen sich wie zum
Choralgesang zusammen :
Die zweite lenkt in eine Periode über, welche den auf-
geregten Ton der Einleitung verstärkt und gesteigert
wieder anschlägt und mit dem erschreckendsten Aus-
741
druck innerer Empörung in die Reprise überleitet. Es
ist diese Periode einer der gewaltigsten Versuche im
pathetischen Stil und zugleich ein Meisterstück in der
Kunst, Übergänge zu machen. Die Krone bildet der.
lange Orgelpunkt auf g mit der plötzlichen Ausweichung
am Schluß. Die Reprise nimmt den gewöhnlichen Ver-
lauf. Als sie aber am Schlüsse der ersten Themengruppe
die dämonischen Mächte des Satzes auf einen neuen,
höheren und unerhörten Punkt geführt hat, bricht die
Musik wie in natürlicher Erschöpfung ab. Das chroma«
tische Thema wird*, zu rührenden Klagemelodien er-
weitert, und wehmutsvoll elegisch klingt der Satz im
Sostenuto aus.
Der zweite Satz, der wie der entsprechende des
BeethoTcnschen G moll-Konzerts nach Edur rückt (An-
dante sostenuto, E dur, 8/4), steht noch unter dem beklem-
menden Einfluß des ersten. Soweit er auch dem voraus-
gehenden Allegro in der Tonart und in seinen Trost und
Frieden suchenden Absichten ausweicht — .'einige von
dessen furchtbaren Elementen erreichen ihn doch. Sie
äußern sich in den heftigen Crescendos, in den schroffen
Modulationen einzelner Themen; ja der erste Satz schickt
in das erste Thema unsers Andante
Andante sosteooio.
iÄÄg
den chromatischen Dä-
mon in den Schluß der
zweiten Themengruppo
lieh wieder- A ^ p ^ t *r r ff r'^Pf ^f^ hinein.
In einzelnen Partien klingt der Ton kindlicher Zu-
versicht außerordentlich rührend durch, so im Nach-
.noch freundlicher be-
satz des er^.^ ^, , ?'^ rir% r^i^ -^^^^ freundlicher be-
sten Themas: gaT IJJv Ujn' lebt in dem Sechzehn-
742
telspiel, welches Oboe und Klarinette als zweites Thema
bringen. Der Schloß, des Andante, wo Hörn und die Solo-
violine mit dem zuletzt zitierten tröstlichen Thema kon-
zertieren, wirkt wie eine wahre Musica sacra.
Der dritte Satz der Sinfonie (Un poco Allegretto,
Asdur, V4) ^^i^ ^^^ ^^^ Charakter des an dieser Stelle
gebräuchlichen Scherzo weit ab. Es ist im strengen Zu-
sammenhang mit dem Geist des ersten Satzes gedacht:
seine Heiterkeit infolgedessen eine ged&mpfte, wie in
einer fröhlichen Stunde, die als die erste auf eine Reihe
trauriger Tage folgt. In seinem zweiten Thema namentlich
Allegretto^ _ ♦ Ob. _
i
«11 nun SQ^ ist die Betrübnis merkbar, und in die
Fortestelle mischt sich ein Akzent des
Schmerzes. Der Grundton des Satzes
ist kindlich herzlich. So äußert ihn das Hauptthema, das
im Anfang mit den langen Noten auf Bedenken hinweist,
namentlich in der zweiten Hälfte:
Clar.
^m
noch mehr das Trio: ein graziöses Wechselspiel zwischen
Holzbläsern und Geigen über das Thema:
In dem zarten Glöckchenton der Bläser liegt viel
Naturklang und dasselbe ursprüngliche Instrumentations-
talent, das sich im zweiten Thema des Andante, in dem
Dialog der Holzbläser bemerkbar machte und das sich
bei Brahms häufig in Bildungen von größter Einfachheit
äußert. Der Schluß des Satzes, still und halb unerwartet,
743
steht mit dem dezenten Charakter der Komposition im
vollen Einklang. Bedeutungsvoll, Vorbote nener Stürme,
blickt aber in ihn das chromatische Leitmotiv der Sin*
fonie hinein.
Das Finale (Adagio, Cmoll — Andante — Ailegro,
C dar, (^], die aas echter Inspiration gebome Krone der
Sinfonie und ein Gipfelpunkt moderner Tonkunst über-
haupt, beginnt mit einem Rückfall in die leidenschaftlich
trübe Stimmung des ersten Satzes der Sinfonie. Schwer-
mütig und im Innersten an das fatale Chromä gekettet,
setzt das einleitende Adagio ein:
Adafflo.
I
Die Violinen suchen energisch und desperat, in einem
durch das pizzicato und stringendo sehr scharf charak-
terisierten Satz, welcher auch an den kritischen Punk-
ten des Ailegro wiederkehrt, von dem melancholi-
schen Wege abzulenken. Vergeblich! Die Phantasie irrt
aufgeregt im dunklen Kreise;
über das an die Einleitung des
ersten Satzes anknüpfende Motiv
trete.
gerät das Orchester in eine helle Empörung, die sich zum
Teil rezitativisch und in neuen Zungen äußert. Die Pauke
wirbelt fürchterlich. Da erscheint wie ein friedlicher
Himmelsbote das Hörn mit folgender, ebenso von Schu-
berts Geist, wie von der Erinnerung ans Alphorn berühr-
ter Melodie:
Pill Andante.
Wir sind im Andante, dem zweiten Teile der Einleitung.
Die Stimmung sänftigt sich, erhebt sich und bereitet den
kräftig freudigen Hymnus vor, mit welchem der Haupt-
satz des Fina- Ailegro non troppo.
Die lange, volkstümliche und absichtlich an Beethovens
^^ 744 ^—
Freudcuhymne der Neunten erinnernde Melodie, welche
sich aus dieser ersten Periode gestaltet, bildet den Hanpt-
träger der Darstellung im Satze. Unter den anderen Ge-
danken, welche ihr zur Seite treten, ist der wichtigste
der schwankende:
fc^-rs -r* ^ Zu vorübergehender Be-
■T Vt'^tf}^fii\^.^\ »f^li^ deutung kommen noch die
- I ' kT ^'0»^»^ ^^^^^ energisch heiteren Motive :
und das melancholische :
jiVn^ fijTTTi ii|1v^i^' iT ff' M
t» Obo«
Y f^?' i|-7> ^^p
Der Satz baut aus diesem Material ein großartiges,
dramatisch schwungvolles Bild einer Siegesstimmung,
welche über alle Hindernisse hinwegschreitend bis zum
dithyrambischen Jubel anwächst. In seinen heitern und
seinen ernsten Momenten wirkt dieses Finale gleicher
Weise anschaulich, lebendig und so mächtig, wie es seit
Beethoven, vielleicht mit Ausnahme Schuberts, keinem
Sinfoniker gelungen ist. Die gewaltigsten und ergreifend-
sten Stellen des Allegro sind wohl die, wo die Pizzicato-
Partie und die Hornmelodie des Andante wiederkehrt
J. BrakMiy Mit seiner zweiten Sinfonie (Ddur, verdfifentlicht
Sinfonie Nr. 8 Ende 1877) ließ Brahms dem pathetischen Bild des Lebens*
(DdurOp.73). Kampfes, das die erste entrollt, den Kontrast edlen Le-
bensgenusses folgen. Er spricht hier so vornehmlich als
warmherziger und feiner Naturfreund, daß man diese
zweite Sinfonie als seine Pastoralsinfonie bezeichnen
_^ 745 V-
kann. Ihren Schauplatic legen die biographischen Quellen
teils an den Wörther See, teils nach Baden-Baden. Doch
sind ihre Pastoralmotive und ihre anakreon tische Ideen
mit geisterhaften Klängen außerordentlich romantisch
zusammengedrängt. In der musikalischen Faktur steht
sie im ersten Satz etwas hinter der ersten Sinfonie zu-
rück, ist bequemer entworfen und läßt mehrmals die
Punkte erkennen, wo durch Zusätze und Einschiebungen
nachgeholfen worden ist. Andrerseits ist sie wieder reich
an formellen Glanzpunkten, und ihr Grundton einer vor-
nehmen, zuweilen träumerisch und östreichisch gefärbten
Heiterkeit schlägt jede Kritik nieder. Ähnlich werden die
schweren und schwermütigen Teile ihres Adagio durch
die seelische Anmut und den friedvollen Sinn, der sie
beherrscht, erleichtert.
Der erste Satz dieser Sinfonie (Allegro non troppo,
D dur, 3/^ gleicht einer freundlichen Landschaft, in wel-
che die untergehende Sonne erhabene und ernste Lichter
hineinwirft. An selbständigen musikalischen Ideen über-
steigt er den Bedarf des Schemas bei weitem, und ein-
zelne dieser zahlreichen Seitengedanken fesseln die Er-
innerung mit voller Stärke an sich. Das Hauptthema
des Satzes besteht aus einem liebenswürdig traulichen,
gemütvollen Dialog zwischen Hörn und Holzbläsern:
AUegro noB troppo ^ . Uoisbl. , ,
y'H»rfr'r"'r ir i^rMJfrFifrir if'
CoBtra». * ' * ö «
der die Kenner des Meisters an die Serenaden seiner
Jugendzeit erinnert. Wenn der holde Gesang zuerst ein-
setzt, schenkt ihm der Zuhörer kaum vor dem zweiten
Takte Aufmerksamkeit, die drei einleitenden Noten des
Kontrabasses erscheinen ihm bedeutungslos. Sie sind
aber nicht bloß für den ersten Satz wichtig, sondern sie
spielen in der zweiten Sinfonie eine ähnliche Rolle wie
in der ersten das chromatische Motiv: o eis d^ sie sind
das in meisterhafter Variation durch alle Sätze geführte
Generalmotiv der zweiten Sinfonie. Zunächst entwickeln
f^
746
aas ihnen die Violinen nach langem Schweigen das Nach-
spiel, das die Bläserszene endet Diese ist als die Ein-
leitung, als der Prolog des Satzes gedacht und hat des-
halb einen scharf markierten Schluß erhalten. Am be-
deutendsten treten aus ihm die tiefen, dumpfen Einsätze
der Posaunen hervor, hier wie in der weitren Folge vom
Dreinotenmotiv gekreuzt und umschmeichelt Im ver-
längerten Rhythmus, in drei halben: a gü a (Oboen),
bildet es das letzte Wort des Vorspiels mit einer Wirkung,
als sei gebetet worden.
Der Satz fängt nun gewissermaßen vom frischen an:
die Vio- ^ -^^^ fi^^^^T**>i. ^^ ^*® Spitze,
linen tre-^ j f'^pfripp •rrif ifff ir=bald bringen
'die Oboen ein
ten mit
neckisches
Zwischen* gj^
Auch diese beiden The-
men sind von dem Motto
L-T _»p der Kontrabässe abge-
sätzchen:
leitet Eine Achtelfigur fts'ä a (dem zweiten Takt des
Hauptthemas entnommen) will eben den scherzenden
Ton steigern, da weist der Komponist die Tändelei ener-
gisch ruhig ab und schreitet mit dem Mendelssohnisch
anklingenden zweiten Thema
I jTr CU^" r'r W rT|f rT|fT| h ,
zur innren Sammlung.
. Bald aber gährt es wieder in der Brust des Tondichters,
es kommt zu der für Brahms kennzeichnenden Mischung
von grauem und ungradem Rhythmus, aus dem Frieden und
'den Schlummergedanken wendet er sich zu streitbarer
Kraft und drohend«. Jinergie mit den auf den Oktavsprung
des Horns (im Hauptthema) gestützten neuen Themen:
und
t7^-^r?r^^f'f f ifj^f f if i;^fi
— ^ 747 ^>-
Brahms holt sich aber ans dem scheinbar nur idyllischen
Hauptthema noch weitre Stützen fflr die kräftigen Gänge,
in die er jetzt eingelenkt hat. Das Terzenmotiv des Homs
kommt in langen und wuchtigen Viertelketten der Bässe,
die Violinen umflattern es mit kleinen Sechzehntelgängen.
Dann wird aus dem Schluß der Hommelodie der Gang
fis e d selbständig in Sequenzen verarbeitet, die außer-
ordentlich rüstig klingen und diesen Eindruck durch
Nachahmungen zwischen Bässen und Violinen verdoppeln.
Die Stelle ist unter den Bildern gesunder Kraft, an denen
die Sinfonie reich ist, eins der mächtigsten. Doch schließt
Brahms die Themengruppe nicht mit ihr, sondern kehrt
überraschend zum zweiten Thema zurück. Mit neuen
Ornamenten, Flötentrillem über a gü a deutet es gleich
vom Einsatz ab auf das Hauptthema hin und leitet bald
zu ihm zurück.
Die Durchführung beginnt sehr freundlich mit dem
Hauptthema in Fdur, also in die Färbung der Ferne
gewendet. Vom zweiten Einsatz ab treten erregte Bil-
dungen über den dritten Takt der Hommelodie in den
Vordergrund, der Charakter der thematischen Ableitungen
wird zusehends streitbarer, Streicher und Bläser stellen
sich gegeneinander, in den Posaunen kommt das Drei-
notenmotiv in unheimlichen Engführungen, in den Har-
monien wühlt es, im Rhythmus wechselt Ruhe und Be-
stürzung fieberhaft, dicht aneinander stellen die Geigen
in den hohen Saiten eine Achtel- und eine Viertelform
des Dreinotenmotivs. Da kommt endlich die Stimmungs-
krisis mit einem leidenschaftlichen Aufschrei sämtlicher
Bläser auf dem immer, bald langsam, bald schnell wieder-
holten h d (dem Einsatzmotiv der Hommelodie) zur Lö-
sung. Ihr folgen Augenblicke der Resignation, das muntre
Thema, das am Schlüsse der Einleitung die Violinen
einsetzten, kommt mehrmals in Moll, dann entfacht sich
über einem Orgelpunkt (auf A) der Sturm der Gefühle
vom neuen, die empörten Leidenschaften nehmen wilde
Formen an. Da zwingt Brahms mit gewaltiger Willens-
macht und mit einem einzigen kurzen Griff die ent-
748 ^
faBselten Elemente ins natürliche Gehege mit energischen,
immer wiederholten Intonationen des Terzenmotivs zu-
rück, aber jetzt nicht in Mollform, sondern mit fa. Mit der
Dartonart ist auch fester Boden gewonnen, und bald be-
ginnt der dritte Teil des Satzes, die Reprise. Er ist der
schönste des ganzen Satzes geworden, durch die Coda,
die ihm Brahms anfügte. DasHornsolo, das sie träume-
risch zögernd und suchend beginnt und dann mit rezita-
tivischer Freiheit und Macht in Tönen tiefster Klage,
edelster Resignation endet, ist eme Erfindung von un-
mittelbarer Eingebung. Die Violinen bleiben noch eine
Weile mit wärmstem Ausdruck in diesem Kreise, dann
aber repetieren sie mit den Holzbläsern, immer in An-
lehnung an das Motto der Kontrabässe, die einen den
andren einhelfend) pizzicato die Streicher, staccato die
Bläser, nochmals in Kürze alles das Freundlichste und
Anmutigste, was ihnen auf der vorhergegangnen langen
Wanderung begegnet ist. Dieser Schluß, der den Bin-
druck des Satzes krönt, gehört zu den schönsten Ton-
bildem, mit denen Brahms die Musik bereichert hat
Der zweite Satz der Sinfonie (Adagio non troppo,
H dur, (^) stellt mit seinem Anfang
M
den im ersten ungelöst gebliebenen Rest
jfj^Pf^l^' E pessimistischer Elemente gesteigert und
"* t ■ ' ^. vAradiürflK in r^An VnrHArirriin<) THa Va.
~^ verschärft in den Vordergrund. Die Me-
lodie ist in ihrem weiten freien Wurf außerordentlich
schön, in dem Suchen nach einem Ausweg aus dem
Trübsinn, in dem Kampf gegen Verwirrung und Fassungs-
losigkeit außerordentlich charakteristisch. Ihren schwer-
mütigen Bücken begegnet endlich ein freundliches Bild,
welches die Phantasie in die Jugendzeit, in die glücklichen
Tage von Spiel und anmutigem Tanz zurückführen will:
/» ^Ic«
749
Ein dritter Teil, geföhrt von dem Thema:
P99vy
das uns den freundlichen Einsatz der Holzbläser im ersten
Satz in 'düstrer, diabolischer Umbildung zeigt, steigert die
trübe Stimmung bis zu einem leidenschaftlichen Grade,
und es kommt zu höchst erregten Ausbrüchen des Pessi-
mismus, bis hereinklingende Grabestöne (Posaunen) zur
Besonnenheit, zur Resignation und zum ersten Thema
zurückrufen, das nun, nach den wilden und schrecklichen
Momenten der Durchführung, trotz seines Ernstes und
seiner Schwermut wie ein BaJsam wirkt. In die Reprise
spielen kosende Triolen hinein, aber gleichwohl spricht
immer in kurzen Wendungen und mühsam unterdrückt
ein tiefer Schmerz mit. Das zweite Thema mit seinem
lieblichen ^Vs Takt kehrt nicht wieder.
Der dritte Satz der Sinfonie, der als Allegretto gra-
zioso bezeichnet ist, aber sich aus verschiednen gegen-
sätzlichen Tempis zusammensetzt, ist schnell der belieb-
teste, ist ihr da capo-Satz geworden. Er gehört genau
wie der Menuett in der D dur-Serenade von Brahms, wie
der Walzer in Volkmanns F dur-Serenade zu den besten
Nachbildungen alten Stils und trifft, namentlich im Haupt-
satz mit der spärlichen Bläserbesetzung, um die das Cello
drollig gravitätisch und gleichmäßig herumpendelt, den
naiven herzigen Ton der alten Suitenmusik schlagend,
ohne die Zeit seiner Entstehung ganz zu verleugnen. Das
Hauptthema des Satzes
Allegretto ^mtos^
j ■ I — das mit einer Umkehrung des bekannten
^ J J I J 1^ Dreinotenmotivs beginnt, endet mit roman-
tischen Ausweichungen, die an Franz Schubert erinnern.
Die schlicht anmutige Melodie ist mit einer gleichen
Einfachheit harmonisiert und instrumentiert. Der Seiten-
750
satz, im wesentlichen lediglich eine rhythmische Um-
bildung je- ,- Presto.^ wird noch durdi ein
nes Haupt- ^m^ rr'rf ip|*f fl ^^^^ wuchtiges Ne-
themas: f bonlhema verstärkt:
In ihm, wie in dem die Stelle des Trio' vertretenden
3/» Takte
Presto.
P Viol.
ist der Humor in die Formen der ungarischen* Musik ge-
kleidet
Das Finale der Sinfonie [Allegro con spirito, D dur, (t)
erinnert an die schillernden Farben der Gherubinisdien
Romantik, sein Geist ist der lustige, lebensprühende der
Haydnschen Sinfonie. Im Stil dieses Meisters setzt auch
das phantastische flotte Ilauptthema — an der Spitze das
Dreinotenmotiv —
Alleg^To con spirito _^ ^„««^.^^
^ im spannenden piano ein, dem
y==|^- nach einem frappanten Über-
■^^"^ gang das rauschende Forte
folgt. Das erste Seitenthema ist folgendes:
$
*
!^
i
T'i-f-T
i
i
I
f ^ * * ? r
Die behagliche Wirkung des zweiten Themas:
BCt
-if^iijliJJi'ii:^-W'ijJi'i£r^''iC'
^^_^ erhält in einer Reihe von Seitengedanken,
y p^p 1^ patriarchalisch kräftig die einen, in losen Ach-
■^ i» telfiguren tändelnd die anderen, nachdrQck-
— ♦ 751 *—
liehe Uuterstützung. Die traulich schwärmerische Episode
derDurchfüh- risir»
che sich über fr»^' ' ^+^ ' '|j£rri£Ir '^'^ ' '
das Thema: vi©l
entwickelt, soll dem »Waldweben und den Waldesschatten
in den Taunusgründen« gelten*;. Also eine weitere kon-
kurrierende Landschaft!
Auch dieses Thema fängt wieder mit dem General-
motiv der Sinfonie an.
Der Reprise folgt eine Coda, die tnit dem zweiten
Thema in Moll tief unten in den Posaunen einsetzt Es
dunkelt nochmals stark. ' Schnell weidet aber der Kom-
ponist die Motive ins Helle und schließt stürmisch freudig.
An Tiefe der Wirkung bleibt jedoch dieser Schluß hinter
der Coda des ersten Satzes zurück.
Die dritte Sinfonie Von Brahms (Fdur), welche bei J. BrAhai,
ihrer ersten Wiener Aufführung (2. Dezember 1883) von Sinfonf« Nr. 3
Hans Richter nicht übel als die heroische Sinfonie des ^^^' ^*-)
Meisters begrüßt wurde, zeichnet das Bild einer Kraftnatur,
die trübe Gedanken und sinnliche Lockungen gleich ent-
schieden abwehrt. In der Darstellung dieses Vorwurfs
verfährt sie aber insofern ungewöhnlich, als die Stelle der
Konflikte am Ende der Komposition liegt.
Im Stil unterscheidet sie sich von ihren Vorgänge-
rinnen durch Schärfe und äußerste Klarheit der Gliederung
und dadurch, daß sie sich von der Beethovenschen Methode
der Satzdisposition entfernt, indem sie den Schwerpunkt
der Komposition aus der Durchführungspartie in die The-
mengruppe, aus der Ausarbeitung und kunstvollen Weiter-
führung in das Gebiet der ersten Erfindung zurücklegt
Den ersten Satz leitet ein kurzes Präludium von zwei
Takten ein, des- Aiierro cob brio ^^ diese dritte Sin-
sen knappes me- jg ^ JJ.|U--J-'|f ' ^onie innnerlich und
lodisches Motiv C * J^^- '".i"- • = äußerlich ähnlich
wichtig ist, wie es für die C moU-Sinfonie das chromatische
♦) Manc Spies: Hermine Spies, 1905 (S. 94).
if^
752
Mollo : C'ßü'dy für die zweite Sinfonie das Motiv d eiä d
war. Es durchzieht als das eigentliche Heldenmotiv tn
teilweise äußerst kühnen und bedeutenden Verwand-
lungen sämtliche Sätze der Sinfonie, hier warnend und
trotzend, dort w^eckend und anfeuernd. Nicht umsonst
steht es so herausfordernd, so dämonisch an der Spitze
des ersten Satzes, es beherrscht ihn, und unter seinen
224 Takten finden sich höchstens 60, in denen das Motto
nicht vorkommt. Allerdings erscheint es in den mannig-
fachsten Verwandlungen: als Stimme des Triumphes, des
Kampfes, des Spiels und Scherzes, der Ruhe und des
Friedens. Wie es den verschiedensten Zwecken des Aus-
drucks dient, läßt es sich ebenso viele Umgestaltungen
gefallen. Bald ist es Ober-, bald Mittel-, bald Baßstimme,
bald thematisch, bald nur omamental verwendet.
Das Hauptthema des ersten Satzes, das kampfeslustig
bald aus Dur, bald aus Moll blitzt und im raschen Wechsel
von Ruhe und knapper Bewegung, in seinen großen
Schritten und seinem langen Gang eine ungewöhnliche
Energie vorspiegelt:
Allerro eon brio.
pottionato
ftiin5i>^j[^ii'77iiuii";;ffV
ist im Grunde, genau so wie an der entsprechenden Stelle
der ersten Sinfonie, nur ein Kontrapunkt zu dem Grund-
und Generalmotiv der Sinfonie.
Das im unmittelbaren Anschluß folgende Seitenthema:
^RirfrfffffYffj^
gehört zu jenen zahlreichen Episoden des Satzes, die mit
zarten Regungen die kräftigen herkulischen Elemente der
-^ 753
Komposition emzuschlummeTn suchen. Aber vergeblich:
es folgen ihnen immer nur kühnere Äußerungen des
starken Muts. Die verführerischste in dieser Gruppe von
Dalilagestalten ist das zweite Thema: •
J» cur.
das seinen Gegensatz zum Haupt-
thema noch durch Kolorit und
Tonart sehr interessant, exotisch
dämpft: Adur, Klarinetten ton, eine fast verwirrende Rhyth-
mik und eine Begleitung wie in orientalischer Volksmusik.
Schon im Nachsatz verwandelt sich das Thema, aus e fis
g%8 wird eis his eUy aus dem sinnlichen Träumen und
Schwelgen rafft sich die Stimmung zur Kraft und Ent-
schiedenheitauf, und es kommt nun zu einem kleinen Kampf
zwischen den härteren und den weichen Regungen, bei
der die ersteren am Schluß der Themengruppe siegen. An
ihn und an die kurzen, aus dem Motto entwickelten Ton-
gänge — W'If I "a u. a. — die wie Schwertstreiche klingen,
knüpft die Durchführung an und entwickelt aus ihnen in
Kürze mit kecken Modulationen ein Bild überschäumender
Jugendkraft. Ganz unversehens tritt da das zweite Thema
herein, aber es ist hier ganz anders gemeint als in der
Themengruppe: es kommt in Cellis und Bratschen tief unten,
es kommt in Moll grollend, grimmig abweisend, hoch erregt,
mit Zusätzen, die es verzerren und verhöhnen, es wird
mit einem schließlich komischen Eifer abgelehnt und zurück-
gewiesen. Sein Nachsatz dagegen, das eis his \ eis, findet
eine gute Statt und beschwichtigt die Aufregung. Nachdem
es sich mit g fis\g nach Dur gewendet hat, wird es auf
einmal ruhig und still, und das Hom kommt mit dem Motto
in der Gestalt gh\g^ auf jeder Note einen vollen Takt ver-
weilend, das Motiv zur Melodie erweiternd. Die Stelle
wirkt wie ein Mondaufgang nach Sturm und ist für die
besondere Kunst, die Brahms im Glätten der Wogen be-
sitzt, eine der bedeutendsten Proben. In dem gleichen
Ton geht es nun weiter, auch das Hauptthema kommt
Kr«issclim Ar, Fahrer. 1,1.
48
7^
jetzt ganz in Sanftmut gehüllt und im Charakter des
Einschlommerns und Träumens. Die Musik will in eine
höhere Art von Notturno übergehen. Da kommt aber das
Motto wieder: laut, von energischen Akzenten der Streicher
gehoben, setzt es in den Bläsern ein wie ein »Halt, zu früh!«
Mit dieser Wendung ist die Durchführung zu Ende und
die Reprise innerlich begründet. Sie verläuft größtenteils
als wörtliche Wiederholung, in der Coda aber wird das
Hauptthema auf ein erhöhtes Podium gestellt und spricht
seine Kraft jauchzend aus. Dann aber lenkt Brahms aber-
mals und wiedenim bezaubernd schön zur Ruhe hinüber.
Ganz wie im ersten Satz von Beethovens Achter wird mit
einem letzten leisen Zitat des Anfangs des Hauptthemas
geschlossen.
Das Andante der Sinfonie (C dur, (^} ist eine schlichte,
fromm gestimmte Dichtung, eine Komposition, welche in
ihrem dnfachen Ausdruck seelischen Friedens, in ihrer in
sich geschlossenen, einheitlichen und leidenschaftslosen
Haltung kaum einem Seitenstück in der neueren Sinfonie
seit Beethoven begegnet. Der Held ruht hier und träumt
von der Kinderzeit und vom besseren Leben über den
Sternen. Der größte Teil des Satzes stützt sich auf das
Thema:
Andante.
^ciäF:
f f
Brattehen
welches in einer Reihe freier Variationen durchgeführt wird,
die an seinem Charakter wenig ändern, aber im Kolorit
den herrlichsten Wechsel bieten. Nur auf einen Moment
tritt ein klagender Ton ein mit
Diese als Ahnung gedachte Melodie, welche formell die
Stelle des zweiten Thema einnimmt, wird aber hier nicht
weiter benutzt, sondern sie kommt erst im Finale der
-^ 755
Sinfonie zur Geltung. Nur ilir Nachsatz, der in ein mysti-
sches Spiel mit weichen Dissonanzen ausläuft, kehrt am
Ende des Satzes noch einmal zurück. Das dreinotige
Heldenmotiv bringen versteckt, aber bedeutungsvoll erst
die Bratschen, später die Posaunen.
Vom dritten Satze an (Poco Allegretto, Cmoll, »/g)
wird der Charakter der Sinfonie trüber. Sein Hauptthema,
welches ein wenig zu der Weise Spohrs hinneigt
Poco AUegretto. '"'T^ '7^ '->>
zi\u^\t^r\j\\ mQr^'''irrjiLB'iLiir
C«Ui """^ ^^*" "*^ ^^^^
gibt das Bild eines anmutigen Reigens wie aus dem
Spiegel einer schönen Vergangenheit, und die Stelle des
Hauptsatzes, wo die Mu- n flO»V ^®' ^^^^ ^®^*®*
sik ihren höchsten Reiz ffii " I ü LTjf sie ein — , ist
entfeitet — das Motiv '^^ in der Farbe
der Erinnerung und des Traumes gehalten. An der
Stelle des Trio steht ein Mittelsatz in As)j welchen die
;rBiru:s''?r ^^^^^^
Resignation füllen '^ 'Ip ▼»
Er sdiließt mit einer Wendung, die, an eine Stelle im An-
dante von Beethovens Fünfter erinnernd, Klage und Hoff-
nung sehr herzbewegend mischt. Überall haust auch in
diesem AUegretto das Motto der Sinfonie, mit seiner kleinen
Terz beginnt das Hauptthema, in der Form es g eil J durch-
zieht es die Begleitungsstimme.
Daß dieser dritte Satz nicht ein feuriges Scherzo ge-
worden ist, hat, ähnlich wie in der ersten Sinfonie von
Brahms, seinen Grund in dem poetischen Generalplan der
Sinfonie. Er soll den Übergang zu dem leidenschaftlich
und oft finster erregten Finale (Allegro, EmoU, C/) ver-
mitteln. Letzteres bildet den Schwerpunkt des Werices.
Das heroische Element der Sinfonie hat hier die Probe
gegen harte und unfreundliche Gegner zu bestehen. Düster
phantastisch beginnt der Satz: huschende Figuren, dann
ein Anhalten und gänzlicher Stillstand der rhythmischen
Bewegung :
48*
756
', _ Allegro.
Noch beklommener und Tinheimliclier wird der Ton
mit dem Eintritt der Posaunen und dem verschleierten
Thema, das aus dem -■-/ .h t i {^^i . i ■ t ._!_
zweiten Satze der ^> ^^^^""j^H JA ih^tj^i -
Sinfonie stammt: ^r f TT f r f f f
Gleich darauf bricht der gespannte Bogen und die
Situation nimmt einen ausgesprochenen Kampfescharakter
an. Wild und trotzig fahren die Violinen herein mit dem
ebenso wie das Hauptthema aus dem Motto entwickelten
■f nr ,^.f ^f f.f ^^ f,f ff f ,
die Celli singen siegesfreudig:
•ifl*
In der DurchHihrung dieser Konfliktsperiode finden
sich mehrere Kulminationspunkte — einer der höchsten
ist da, wo das Thema b im stärksten Klange den fana-
tischen Figuren der Violinen entgegengestellt wird. Ein
merkwürdig bedeutungsvoller Einspruch des Fagotts be-
schwichtigt die brandenden Wogen. Die Komposition lenkt
in ein sostenuto über, dem die Schönheit des Regenbogen-
himmels eigen ist. Die düsteren Themen a und b strahlen
jetzt Ruhe und Frieden aus, und wie eine verklärte Er-
scheinung zeigt sich an der Ausgangsschwelle der Sinfonie
noch einmal das heroische Thema ihres ersten Satzes
--» 757 *^
. Die vierte Sinfonie [op. 98), die im Jahre 188Ö vollendet, J. Braluii,
aber erst zwei Jahre später, nach den Aufführungen in Sin^nieNr.«
Meiningen und Wien veröffentlicht wurde, hebt sich von <E™®*'>'
ihren Schwestern scharf ah durch zwei eigene Züge. Erstens
ist sie die schwermütigste, zweitens die an altertümlichen
Wendungen reichste. Die Schwermut, die nur in wenigen
Werken von Brahms ganz fehlt, ist hier Grundstimmung,
das archaistische Element aber, das in den vorhergehenden
Sinfonien sich im Ersatz des Scherzos durch Ländler-
undMenueltformen, sonst nur beiläufig äußert, durchdrängt
die vierte Sinfonie bis tief in die Natur ihrer Sprache und
Grammatik hinein. Ähnlich wie es Freytag und Scheffel
getan haben, weckt hier Brahms Töne und Wendungen
vergangener Jalirhunderte wieder auf. Dieser Umstand
liat tiefere Bedeutung und ist der Schlüssel zum Ver-
ständnis des Werkes. Die Sinfonie gehört dem Kreis sub-
jektiver Tondichtungen, in dem sich mit der Beethoven-
schen Schule auch die drei ersten Sinfonien von Brahms
bewegen, nur halb an, zum andern Teil ist sie Programm-
musik in der Art von Mendelssohns AmoU-Sinfonie oder
wie Gadcs erste Sinfonie. Letzterer nähert sie sich un-
iiiiltelbar, sie teilt mit ihr den Balladenton der wichtigsten
Themen, sie erzählt zuweilen begeistert und lebendig auf-
flammend, vorherrschend aber wehmütig und ergriffen
von alten Zeiten und von dahingesunkenen Geschlechtem.
Sie ist ein großes Herbstbild, ein geschichtlich stilisiertes
Lied von der Vergänglichkeit, eine Komposition über das
Thema der menschlidien Nichtigkeit, das Brahms zu be-
trachten so wenig müde wurde wie vordem Sebastian Bach.
Den Vortrag teUt Bralims in Bilder und Betrachtungen,
aber in episch freier Mischung.
Der erste Satz ;Allegro non troppo, ([>, EmoU) setzt
ohne weiteres mit dem Hauptthema:
^1^ l'l?* i^ll llT I I
\^f^ lll llL'^L"
758
m
^ir(i^((rj^Hfj^pijyiiiiii^li iifTi'"i|ii
ein. Es ist eine sehr lange Melodie, die ungeföhr an >0
wüßt ich doch den Weg zurück« erinnert, und deren be-
wölkter Horizont sich zuweilen etwas aufhellt, um dann
einen noch trüberen Charakter, oft einen schmerzlichen
Akzent anzunehmen. Sie wird sofort wiederholt, aber mit
bewegteren Rhythmen und durch Begleitungsfiguren be-
lebt. Die Phantasie erwacht und schaut staunend in der
Zeiten Tiefe. Das bedeutendste Gesicht, das sie von da
holt, ist das Thema:
BllMr
r /v viöi.
Es wird sofort von den CeUis in einer Melodie begrüßt,
die zu den innigsten und schönsten der ganzen Sinfonie
gehört, und kehrt nach ihr wieder, um fortan die Themen-
gruppe zu beherrschen. Bald kräftig und gebietend, bald
kosend und zärtlich, neckisch und heimlich, bald fem,
bald nah, bald eilig, bald sich ruhig ausbreitend, — kommt
es auch im weitem Verlauf des Satzes häufig wieder und
kommt stets willkommen, bringt Freude mit und gibt dem
Gang des SMzes einen dramatischen Schwung. Es ist das
Ritterthema der Sinfonie, das Thema der alten Zeit, und
durchzieht deshalb mit dem Übergang vom ersten zum
zweiten Takt als Generalmotiv — in etwas schwierig er-
kennbaren Umbildungen — auch den zweiten und dritten
Satz. Auch hier, wie im Eingangssatz der dritten Sinfonie,
ist der Durchführungsteil sehr knapp gehalten und be-
sdieidet sich im wesentlichen damit, die elegischen Ele-
mente der Dichtung etwas stärker auszusprechen. Trotz
dieser Kürze ist aber der Eindruck der Durchführung sehr
groß. Das macht die Gewalt des Ausdracks in ihrem
Schlußabschnitt, der in Jammerlauten, die dem neunten
Takt des Hauptthemas abgewonnen sind, eine Seele zeigt,
die aus der Betri^bnis keinen Ausweg weiß. Sehr lebens-
wahr knüpft dann die Reprise an: die vier ersten Noten
— * 759 «>-
des Ilauptthemas singen jetzt in breiten Tönen dahin, der
Tränenstrom fließt, das Herz spricht sich aus.
Der zweite Satz (Andante moderato, £ dur, <}/g) ist eine
Art Romanze mit folgendem Hauptthema:
Andante moderato.
^ Es wird von einem kurzen Hornsatz
eingeleitet, der mit fundgy mit e und d
die phrygische Tonart feststellt und damit keinen Zweifel
darüber läßt, daß die Phantasie sich in weite Vergangen-
heit versetzen soll. Es sind im wesentlichen die RitterbÜder
des ersten Satzes, die noch einmal kurz zusammengedrängt
und im Ton des Berichts an uns vorüberzi^en. In der Mitte
des Satzes, da wo dieTriolen einsetzen, streift aber die Musik
den neutralen Erzählerton ab, zeigt freudigen Anteil, Be-
geisterung und bricht in herzenswarmes Wehklagen aus.
Der dritte Satz (Presto giocoso, Cdur, 2/4) ist von dem
anmutigen beschaulichen Ländlerton, den Brahms in den
früheren Sinfonien an dieser Stelle eingeführt hat, weit
entfernt, er birgt im Tempo der Beethovenschen Scherzi
einen dämonischen Charakter. Der Komponist hat in
diesem Satze den Widerspruch, um den sich seine vierte
Sinfonie bewegt, die Frage : sollen wir um die Vergangen-
heit trauern oder uns ihrer Schönheit freuen, mit der Ab-
sicht aufgenommen, im letztem Sinn 2u entscheiden, er
will Bilder geben, die von Kraft und Leben schäumen,
aber alle Augenblicke überfallen ihn auch hier kurz
und erschreckend Näniengedanken , die Heiterkeit dieses
Allegro giocoso wird immer meder von schauerlichen
Regungen gestreift. Sie fallen gleich ins Hauptthema:
mit dem dumpfen,
Schlußak-
m^^ aus den Klavier-
balladen des op. 10, einem der bedeutendsten Jugend-
werke ■ von Bralims stammt. Sein stürmisches Wesen
bringt die Ritterbilder des ersten Satzes wieder in Er-
__^ 760 *^
innerang, und nach einigen Versuchen in Ruhe und Frie-
den einzu- Preslo. '
lenken, steht
mit dem zwei- ^ . _
ten Thema: " gr»rio» p
ein direkter Sproßhng jenes Ritterthemas vor uns; der
Mollschluß taucht ihn entschieden in die Farben des Alter-
tums und der Klage. Die Fortsetzung wird gar von den
Motiven des Hauptthemas des ersten Satzes begleitet.
Mit den beiden hier gegebenen Notenbeispielen ist das
thematische Material des Satzes erschöpft, es wird nun
variiert und wiederholt, aber außerordentlich frei und mit
immer neuem Ertrag fQr die Darstellung des Stimmungs-
gegensatzes. Die Musik jauchzt, sie schreit schmerzUch
auf, stöhnt, sinnt Uebevoll vor sich hin und versinkt in
Brüten und Schweigen. Aber nirgends ist NaturaUsmus
und Willkür da, immer streng gebundne Kunst; kein Takt,
der nicht thematisch begründet wäre.
Der Schlußsatz (Allegro energico e passionato, ^/4,
Emoll) ist eine sogenannte Ciaconna, ein Gewinde von
Variationen über einen immer ganz oder ziemhch unver-
ändert bleibenden und knappen Gantus firmus. Brahms
ist der Großmeister der Variationskunst, soweit sie ge-
schichtlich überbUckt werden kann, sein Glanzstück in
dieser Kunst hat er in diesem letzten Sinfoniesatz, den er
geschrieben, niedergelegt, und er, der Bescheidne, war selbst
auf diesen Satz stolz. Er zeichnet sich als Variations-
arbeit durch en Verzicht auf alle Zwischensätze aus:
dreißigmal kehrt der Cantus firmus wieder, und immer
knüpft sich an den Endton sofort wieder der Aniangston.
Darüber hinaus aber hat Brahms seine Variationen in die
Form des Sonatensatzes gezwängt, und ^ttens endlich
hat er alle diese Kunstücke der poetischen Grundidee der
Sinfonie vollständig untergeordnet Auch die Hörer, die
von Variation und Sonate nichts merken soUten, sind von
dem tiefernsten Ton ergriüen, mit dem dieses Finale die
Phantasien und Betrachtungen über Menschenlos und Ver-
gänglichkeit abschließt.
761
Das Thema der Ciaconna:
wird zuerst feierlich Tom Bläserchor vorgetragen und kehrt
sofort als erste Variation im zagenden Ton, fragend und
beklommen, von Pausen durchbrochen, unter Paukenwirbel
wieder. Dann setzen (2. Variation) die Holzbläser, die Oboen
voran, mit folgender ernst sinnenden Weise
Allegro
cretc.
mm vrvmv. ^
ein. Es ist als das Haupttliema des Sonatensatzes zu be-
trachten, kehrt mehrmals im Satz wieder, wird jedoch
nicht in der üblichen Weise des Durchführungsschemas
ausgenutzt. Die nächsten Variationen führen aus der feier-
liclien in eine erregtere Stimmung hinüber, mit der sie-
benten beginnt eine Gruppe heftiger Affekte, die erst bei
der zehnten und elften dem Ton der Ruhe und zugleich
der Klage weichen. Die Spitze der düsteren Ideengruppe
bildet ein langes Flötensolo, welches, melodisch und rhytJi-
misch naturgetreu, das Bild eines haltlosen Seelenzu-
standes entwirft Nach ihm tritt eine überraschende Wen-
dung ein: die Harmonie wechselt plötzlich nach Edur, die
Rhythmik wird breit und ruhig, Klarinette und Oboe be-
ginnen trostvoll und fromm zu singen:
die Posaunen sprechen in der folgenden (14.) Vaiiation
feierlich erhabene Requiemgedanken aus:
■M<l|Jipl?|f1^ "iff iflff li/f ifl
in deren Sarabanden-
rhythmus die übrigen
Bläser einstimmen.
ifjjji/i^'^/i^!^
-^ 762 *—
Die Komposition lenkt in das Gebiet, wo Leid und
Freude schweigen und das Menschliche sich vor dem beugt,
was ewig ist. Brahms hätte hier in einen ähnlichen ver-
söhnenden und schönen Schluß einlenken können, wie er
ihn der Fdur-Sinfonie gegeben hat, er hat es aber vorge-
zogen, der pessimistischen Aufüassung, die das Werk be-
herrscht, treu zu bleiben. Nach einem Trugschluß auf
leisen Tönen, nach spannender Pause, setzt das (üaconnen-
thema wieder ein, wie am Anfang des Satzes, und es be-
ginnt die in der Sonate übliche Reprise. Die Variationen
17—30 bilden sie. ^£s ist aber wiederum keine wörtliche
Wiederholung, sondern eine leideoschaitlich gesteigerte;
stellenweise klingt es wie Verzweiflung, wie ein gigan-
tisches Reißen und Rütteln an Ketten. Die 27. Variation
ist mit den dröhnenden Hörnern, den Triolen und den
Generalpausen, bei denen der Atem der mitgehenden Hörer
stockt, der Höhepunkt dämonischer Stimmung. Nach ihr
wirds milder, ruhiger, resigniert, ja auch hofi&Lungsvoll.
In der 29. Variation kommt im Kanon zwischen Violinen
und Bässen und in merkwürdiger Umbildung auch das
Hauptthema des ersten Satzes. Mit einem Piü AÜegro
geht gleich drauf der Satz feierlich zu Ende, der Cantus
lirmus tritt noch einmal hervor, ihm zur Seite erscheinen
ergebungsvolle, aber auch harte und trotzige Kontrapunkte,
die wie im »deutschen Requiem« zu fragen scheinen:
>Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?«
Eine eigentliche Schule von Brahms, die des Meisters
Methode aufnimmt und weiterführt, hat sich bisher nicht
gebildet. Wohl aber finden sich Komponisten, die von
ihm stofflich berührt sind und in seinen Ideenkreis ein-
H.T« Herzoff«B< lenken. Die Reihe eröffnet H. von Herzogenberg.
^*'9» Durcli sein »Deutsches Liederspiel« und durch eine Reihe
^'" 0°' «!i™°" ^^^^ ^^ außerordentüch Uebenswürdiges, für naive und
^ ^ '* volkstümliche Musik besonders begabtes Talent bewährt,
hat sich dieser Tonsetzer als Sinfoniker mit einer großen
C moll-Sinfonie eingeführt Der erste Satz dieser und der
C moll-Sinfonie von Brahms haben in Idee und Ausdruck
eine große Ähnlichkeit. Selbständiger sind die bailaden-
.^^ 763 ♦^
artige Einleitung, welche in der Weise Gades den nor-
dischen Ton anschlägt, und das Scherzo. In ihm, das
auch auf jene Einleitung poetisch sinnvoll zurückgreift,
sind der Hauptsatz und das Trio in einer ganz neuen Art
verbunden: Die beiden Teile wechseln gleich von Anfang
ab, Klausel für Klausel im malerischen Kontrast. Das
Adagio, in der Anlage dem von Brahms zweiter Sinfonie
entsprechend, darf sich eines tief melodischen Zuges
rühmen; der wie ein fremdes Bild eingerückte Mittelsatz
zeigt den Komponisten von seiner Glanzseite als volks-
tümUchen Spielmann.
Die zweite Sinfonie v. Herzogenbergs (Bdur, op. 70, ii.f.Hertor«»-
teilt mit der ersten die Vorzüge einer durch und durch # *!'*{» j
edlen Kunstrichtung. Sie übertrifft sie aber an originalem *° ®" * ^^'
Farbensinn, in der Freiheit und Leichtigkeit der Kontra-
punktik und an Selbständigkeit der Erfindung. Die freund-
liche Natur ihres pastoralen und idyllischen Stimmungs-
kreises, ihre oft köstliche Thematik würden dieser zweiten
Sinfonie des Komponisten eine größere Verbreitung sichern,
ihr dritter Satz, in der ein artiger, sanfter Humor sich ori-
ginell durch die Pauke äußert, ist sogar eine Perle des
neuen Serenadenstils, eines R. Volkmann würdig. Leid^
aber fließt auch hier der Strom der Töne zu ungleich im
Wert und viel zu breit. Wie die Sinfonien v. Herzogenbergs
veranlassen auch die seines Schülers, des PrinzenHein- ?.'*"^*'*J'
rieh XXIV. aus dem Hause Reuß j. L., zu dem Bedenken,
daß hier ein geborner Serenadenmeister einen Teil seiner
Kraft auf einem ungünstigen Gebiet verbraucht hat Zwar
vermeidet Prinz Reuß, dessen Kunstbildung sichtlich in
Schumann, zu einem kleineren Teil auch in Mendelssohn
wurzelt, anders als sein Lehrer, jede Konkurrenz mit Brahms,
aber die Abschnitte, wo er überleitet, entwickelt, durchführt,
lassen, obwohl sich auch hier von opus zu opus ein statt-
licher, zwischen der vierten und sechsten ein geradezu frap-
panter Fortschritt zeigt, kernen Zweifel darüber, daß mehr
die Pflicht als die Neigung gewaltet hat. Jedenfalls sind
sie weniger frisch und unmittelbar als die Expositionsteile.
In ihnen verkehrt man mit einem außerordentlich erfreu-
rieh XXIY.
—fr 764 ♦—
liehen iondichterischen Talent, reich an Humanität und
humaner Musik und eigen durch eine vollendete Natür-
lichkeit. Sie äußert sich in zahlreichen Themen und Me-
lodien von ausgeprägter Jugendlichkeit, aber auch durch
bemerkenswerte Selbständigkeit in der Behandlung der
Form, deren Einerlei der Komponist oft Überraschend frei, .
besonders durch neue Tempi, belebt. Sicherlich verdienen
es die Sinfonien des Prinzen gespielt zu werden, denn
dadurch, daß sie nichts Besondres sein und sagen wollen,
sind sie originell geworden. Daß man allerdings in dieser
Selbstbescheidenheit auch 2u weit gehen kann, zeigen die
beiden Sinfonien (Cdur, op. 26, und Eduf^ op. 28) von
J. H. FriBs« J. H. Franz. Hinter beiden steht eine wirkliche Be-
gabung, tüchtiges Können und eine Individualität; aber
diese vorteile werden durch die allzugroße Sorglosigkeit
aufs Spiel gesetzt, mit der die thematische Erfindung
Sprüche feinster und eigener Bildung in die Gesellschaft
ganz gewöhnlicher Knittelverse bringt.
In die Schule von Brahms gehört weiter der bereits
unter den Vertretern des Programms erwähnte Schweizer
Haas Hniier, llansHuber mit seinen unbetitelten Sinfonien, von denen
A dui^Sinfonie. ji^ in Adur (Nr. 6) jüngst die Presse verlassen hat. Selb-
ständig, frisch und gehsdtvoU ist Huber in den Mittelsätzen,
w. Beryar, Noch tiefer in Brahms untergetaucht ist Wilh elmBerger,
H moU-SinfoDie. namentlich in seiner zweiten Sinfonie (Hmoll, op. 80},
deren erster Satz von den empörten Geistern ausgeht, die
im DmoU-Konzert des Meisters hausen. Sie weiden mit
den schmeichelnden Triolen verscheucht, die den Brahms
der Wiener Zeit kennzeichnen. Eigen bleibt Berger die
Wärme, mit der er sich seinen Themen hingibt, und die
schöne, gediegene Arbeit. Sie gipfelt in den Nachahmun-
gen beim zweiten Thema. Beim zweiten Sat2, in dem
der Verzweiflung gewehrt und Trost gesucht wird, teilt
sich der Einfluß von Brahms mit dem von Mendelssohn
und mit eigenen, einfach herzlichen Erfindungen Ber-
gers; stärker und in lobenswerter Weise tritt er wieder
im dritten hervor, wo der Komponist das übliche stür-
mische Scherzo durch ein ruhigeres Intermezzo ersetzt
■^-^ 766 «^
In ihm zeichnet sich der das Trio vertretende Mittelteil
durch den herzbewegenden Charakter der Klage aus. Die
Streitbarkeit des Finale hat wieder Züge von Brahms.
Auch die C moll-Sinfonie (op. 62) von Felix Woyrsch F. Wojneh,
zeigt Wesens- und Ideenverwandtschaft mit dem Sdi5pfer ^ moil-Sinfonie.
des deutschen Requiems. Der trotzige und energische
Brahms ist es» an den uns der erste Satz dieser Sinfonie
mit kleinen Rhythmen und Motiven des Hauptthemas er-
innert. Woyrsch gibt den Anregungen eine eigene Form,
er stellt ihnen schon im zweiten Thema auch eine eigene
Idee entgegen, die in der Farbe des Traums, der Erinne-
rung und im Ton des Volksliedes der Erregung Halt ge-
bietet Ganz ähnlich verhält es sich mit dem zweiten
Satz. In sein Hauptthema mischen sich leichte Spuren
des Adagios aus Brahms erster Sinfonie, ihnen tritt das
Gegenthema in volkstümlicher Kleidung entgegen. Im
dritten Satz bringt Woyrsch, so wie es auch Berger tut,
an Stelle des Scherzo ein ruhiges Intermezzo. Am' deut-
lichsten wird die Individualität und Bedeutung des Kom-
ponisten, seine Neigung zu Gegensätzen, seine kraftvolle
Natur, sein hitzig erregbares Temperament, die volkstüm-
liche Richtung seiner besten und eigensten Einfälle durch
das Finale. Das Trompetenmotiv, mit dem es einsetzt,
beleuchtet noch einmal einen der größten Vorzüge des
Sinfonikers Woyrsch, seine Begabung für plastische und
prägnante Themen.
Weiter darf für die Schule von Brahms der Berner Friu Bnia,
Kapellmeister Fritz Brun mit seiner zweiten Sinfonie ^ ^"'•Sin'onio
(Bdur) in Anspruch genommen werden. Ihr erster Satz
ist in seiner romantischen Mischung von pastoral ana-
kreontischen mit pathetisch leidenschaftlichen Ideen ein
Seitenstück zu dem entsprechenden der D dur-Sinfonie
von Brahms, ihr zweiter erinnert an dessen dämonisdic
Scherzi in der D dur-Serenade und dem B dur-Konzert.
Ganz eigen und schön sind die Schlußsätze dieser Sin-
fonie, der dritte (Adagio) durch seinen szenischen Charakter
(einem schwermütigen Träumer wird auf einmal durch ein
weich klagendes und lösendes Lied geholfen], der vierte
_^ 766 «^
«
dadurch, daß er den Frohsinn ungesucht in den Ton alter
Zeit kleidet. Solche unschuldig vergängliche Weisen hat
man seit langem nicht mehr gehört.
E. r« D^kuiajly Der wohl bedeutendste und zweifellos den Durchschnitt
Dmoll-Sinfonie weit Überragende Beitrag zur Schule von Brahms ist
(Op.9). ^Q Dmoll-Sinfonie von Ernst von Dohnänyi,
die zwar fünf Sätze aufzählt, aber, da dem vierten Satze,
einem kantabilen Intermezzo, selbständige Bedeutung nicht
zufallt, zum gewöhnten viersätzigen Typus der Klassiker
und Romantiker gehört. Der erste, einigermaßen auch
der letzte Satz, ein großer, kühner, bilderreicher Varia-
tionenzyklus, sind die Stellen, wo sich der Autor in der
Anlage kleinerer und größerer Teile, auch mit einzelnen
Ideen als Schüler von Brahms bekennt, aber ohne Ein-
seitigkeit und mit zahlreichen Belegen eines selbständigen,
starken Talentes und einer breiten, besonders auch ans
Chopin getränkten Bildung. Ganz besonders erfreuen
diese Sätze durch die Klarheit und Einfachheit der The-
matik, nicht minder auch durch die Sicherheit und die
Größe des Horizontes, mit welcher die in Kraft und Milde
immer edlen und jugendfrisch empfundenen Grundgedanken
entwickelt sind. Das sind Vorzüge, durch die sich der
Komponist von der Mehrzahl der modernsten Sinfoniker
unterscheidet, auch darin steht er abseits, daß er dem
Kolorit, zuweilen wohl zum Nachteil, minderen Wert bei-
mißt. Auf einem ganz eignen Boden bewegt sich Dohndnyi
in den Mittelsätzen, dem Adagio und dem Scherzo. Letz-
teres ist im Hauptsatz von einer Phantastik, die bald
heimlich lockt und spannt, bald droht und erschreckt, der
Seitensatz bringt fröhliche Volksmusik, das Trio schlägt,
nach der Weise von Beethovens Erster, gar feierliche Töne
an. Das Adagio, das ideell leicht an das zweite Thema
der ersten Satzes anknüpft, ist dadurch merkwürdig, daß
es in der zweiten Hälfte sich ganz in freie, scheinbar
völlig ungezwungene, regellose Naturmusik auflöst. Die
Bläser spielen einander die schönsten Motive des Satzes
in schwärmerischen Umbildungen und überschwenglichen
Wiederholungen zu, es ist ein elementares Phantasferen
--♦ 767 %^
und Konzertieren, das mit unbeschreiblich poetischem Reiz
aus aller Kultur hinausführt in eine Welt der unbeschränk-
testen Freiheit und Weite. So ist Zigeunermusik wohl
noch nie idealisiert worden, der Abschnitt hat wenigstens
in der bekannten Sinfonieliteratur nicht seines gleichen,
er ist aber enorm schwer. Vielleicht veranlaßt dieses Werk
des aus Ungarn stammenden Komponisten die deutschen
Dirigenten sich auch mit E. von Mihalovich, Major,
Siki6s und anderen ungarischen Sinfonikern zu befassen.
Jahrzehntelang wenig bemerkt, haben seit Anfang der A. Brsokaery
achtziger Jahre die Kompositionen des Wiener Tonsetzers Siebente Sinfoni«
Anton Brückner die Beachtung der Musikwelt auf sich ^ ''
gezogen und sind von Parteigängern des Komponisten als
die eigentlichen instrumentalen Offenbarungen modernen
Geistes ausgegeben worden. Brückners erste Bekannt-
schaft außen im Reiche zu vermitteln, üel seiner siebenten,
seiner Edur-Sinfonie zu. Sie ist wie die andren ohne
Opuszahl erschienen und firüher als manche der altem
in Druck gekommen. Das Werk hat Gedanken von großem
sinfonischen Charakter : das Hauptthema des ersten Satzes
AUerro moJ»rt<o. ^ ,..
- i^jii ^ 'if '\r«'fj^^^^
'^' r I f ^ ^ ^ .1 ^~ ^^^ '^och mehr das des Adagio
Behr feierlich.
Behr feierlich.
ff cwtc.
I JIT I III iilT "mi I
legen dafür Zeugnis ab. Aber es zeigt auch Brückners
Schattenseiten sehr stark: seine Geringschätzung gegen
Logik und Zusammenhang, seine Natur als nachgebomer
Jean-Paulianer, der mit »Hundstagsposken, Extrablättchen
und Blumenstücken« kein Maß hält und alle seine Einfälle
ungesiebt zu Papier bringt. Ohne alle Vermittelung, ohne
jeglichen Obergang stehen im ersten Satze pathetische
--^ 768 ^^
Themen und Wiener Tanz weisen nebeneinander, im letzten
Choralmelodien und infernale Figuren. Den Entwurf der
Hauptsätze scheint der Zufall der täglichen Arbeitslaune
bestimmt zu haben. Trotzdem hat die Sinfonie ihre po-
sitiven Seiten. Einmal eine kunsthistorische: sie zeigt
zum ersten Male den Einfluß Wagners, dem wir bei Raff,
Hofmann, Sgambati, Goetz und Draeseke nur in kleineren
Zügen begegneten, in breitesten Spuren. Das Scherzo ist
fast nur eine Umschreibung des Walkürenrittes. Zweitens
aber entwickelt der Komponist ein Talent der Nachdichtung,
das in seiner Art zu eigner Bedeutung gelangt. Am im-
posantesten im Adagio. Auch hier sieht man die Quellen
durch: Götterdämmerung und Neunte Sinfonie. Aber die
Wagnerschen Motive sind mit einem Schwung und einer
Begeisterung ausgeführt und erweitert, welche überwältigt
Die große Stelle dieses Satzes, wo die Trompete über dem
Glanz des vollen Orchesters mit ihrem 0 förtleuchtet, ge-
hört zu den großartigsten Tonkombinalionen der neueren
Literatur.
Es w^ar ein Mißgriff, Brückner, auf den Zauber ihres
Adagios hin, mit dieser siebenten Sinfonie einzuführen.
Denn die Mängel der Bildung und des Geschmacks über-
wiegen in ihr die wertvollen Eigentümlichkeiten. Brückner
ist gleichwohl, was nur von wenigen der zeitgenössischen
Sinfoniekomponisten gesagt werden kann, eine Natur, er
ist ein Künstler, dessen Werke eine klare und höchst be-
friedigende Auskunft über den Menschen geben. Zwei
Züge sind es, die aus allen seinen Sinfonien, aus den
schwächren nur weniger klar, hervortreten und die Indi-
vidualität Brückners in erster Linie bestimmen: Eine herz-
liche naive Freude an der Natur und zweitens eine aus-
geprägte kirchliche Religiosität.
Es wäre schlimm, wenn die Freude an der Natur
Musikern fremd wäre; sie muß das menschliche Gemein-
gut der Großen und der Kleinen bleiben. Aber die Meister
unterscheiden sich in der Entschiedenheit, mit der sie ihr
Ausdruck geben. Darin steht z. B. R. Wagner an der Spitze
aller neueren Opemkomponisten und reicht direkt Händel
-^ 769 ♦^
die Hand, darin übertreffen die Deutschen von jeher die.
Italiener, und werden merkwürdiger Weise wieder, zu
Zeiten wenigstens, von den Franzosen übertroffen. Schu-
mann ist auf diesem Gebiete ergiebiger als Mendelssohn,
Beethoven, der Komponist von Pastoralsinfonien und Pasto-
ralsonaten, reicher als Mozart und auch als. Haydn. Im
allgemeinen sind in diesem Punkt die östreichisdien und
süddeutsclxen Sinfoniker stärker als die norddeutschen;
in neuerer Zeit haben dann wieder die skandinavischen
und namentlich die russischen Sinfoniekomponisten auf
diesem Felde alle Vorgänger überholt. Bleibt man im
deutschen Kulturgebiet, so hat unter den Östreichem als
Schildrer von Volkstum und Landschaft Franz Schubert
den unbedingten Preis. Aber ihm wird man in Zukunft
als den Nächsten Anton Brückner an. die Seite zu stellen
haben. Bei keinem Zweiten ist das östreichertum in
seiner liebenswürdigsten Art so voll in die Musik über-
gegangen wie bei ihm, bei keinem andren die Lust an
Heimat, an Volkstum, an der Pracht und an den Heim-
lichkeiten schöner Natur allzeit so rege wie bei Brückner.
In dem schwärmerischen Behagen, mit dem er sich ihren
Reizen in jedem Augenblick hinzugeben bereit ist, zeigt
er seine Kinderseele; daß er einen Blick in den grünen
Wald sich nie versagen, daß er nie an dem Bild eines
Tanzes unter der Linde vorbeigehen kann, ist eine starke
Quelle der romantischen Fehler in seinen Sinfonien.
Ähnlich verhält es sich mit dem Ausdruck religiösen
Gefühls bei Brückner und bei andren. Es wird in der
ganzen Reihe der hervorragenden Sinfoniekomponisten —
auch wenn wir von den Adagios absehen — bei keinem
fehlen; aber es äußert sich verschieden nach den Per-
sonen und mehr noch nach den Zeiten. Es bildet von
Haydn bis Beethoven ein crescendo, bei Mozart hat es
eine pessimistische, bei Beethoven eine philosophisch er-
habene Färbung. Bei Schubert setzen die Abschwächungen
der religiösen Empfindung, ihre Umbildung in die Formen
von Wehmut, Sehnsucht, Melancholie und Weltschmerz
ein, die wir bis auf Brahms bei allen bedeutenderen Sin-
Kretiscbaar, Ffthrer. 1,1. 49
--^ 770 «^
fonikeirn verfolgen können. Meistens handelt es sich da-
bei um den Zusammenhang der Instrumentalmusik mit
der allgemeinen geistigen Entwickelung unsers Jahr-
hunderts, um die Teilnahme an den Kämpfen gegen Ober-
flächlichkeit, Alltäglichkeit und Frivolität der sittlichen
Anschauungen, Teilnahme an den bunten Bestrebungen,
^ die Menschheit durch Glauben und Aberglauben, durch
Philosophie und Kunst innerlich zu stützen und nach
einem höheren Dasein zu lenken, um Berührungen mit
Kant und Fichte, mit Schopenhauer und Nietzsche, mit
Cornelius, mit Böcklin und Thoma, mit Parsifal und Zara-
thustra. Ganz anders bei Brückner. Aus seinen Sin-
fonien spricht die Religiosität in ganz bestimmter, posi-
tiver Form: sie legt fortwährend ein offnes, freudiges,
christliches und kirchliches Bekenntnis ab. Die vielen
Choräle in seinen Sinfonien sind dessen Zeugnis, sie er-
schöpfen aber den Reichtum und die Festigkeit seiner
Gottesfurcht keineswegs. Ihre Spuren gehen vielmehr
durch die Hälfte aller seiner Themen und Melodien; in
seinen Sinfonien treten kirchliche Anklänge in einer
Stärke hervor, wie sie in Sinfonien nur noch einmal vor-
kommen : bei Mozart in seiner Knabenzeit. Brückner war
Schulmeister und Organist, ehe er zur höhren Kunst kam.
Das ist mit andern, z. B. J. Raff, ähnlich gewesen. Es ehrt
ihn und bekundet die Wahrhaftigkeit seiner Natur, daß er in
den neuen Kreisen doch bei seiner alten Gedankenwelt blieb.
Unabhängig von den Schwächen und Vorzügen, bei
denen Brückners Menschentum und Allgemeinbildung in
Frage kommt, bleibt aber die Bedeutung, die er für die
neuere Sinfonik durch die Prägnanz seiner Themen hat.
Sie sind in ihrer Kürze, Bestimmtheit und innren Fülle
Muster, sie bilden die Seite, mit der er an Beethoven und
die Klassiker heranreicht, mit ihr ergänzt er zum Teil
auch Brahms. Was dieser für die Arbeit in der Sinfonie,
das gilt Brückner für die sinfonischen Gedanken.
A. Braokner, Von einer gradlinigen, steigenden Entwickelung ist bei
DretCmoii-Sin- Brückner noch weniger die Rede als bei Franz Schubert,
fonien. \j^ g^w^^ seinen Sinfonien liegen Schlacken und Gold-
771
korner beisammen. Aber alle bieten etwas Interessantes,
Züge, die musikalisch oder psychologisch fesseln. Seine
eiste und zweite Sinfonie stehen beide in CmoU, und
auch iseine achte ist eine CmolUSinfonie geworden. Hätte
ein Weltkundiger so etwas Unpraktisches getan? So sind
denn die ersten beiden CmoU-Sinfonien außerhalb Wiens
unbekannt geblieben, obwohl sie schöne Stellen enthalten,
namentlich wirkliehe naturwüchsige Sinfonie- und Or-
chesterthemen, z. B. die zweite in
^ T r i ||»t<,' und
lg sduiaD.
erßso.
Beide zeigen den Einfluß von Wagner, Schubert und Beet-
hoven. Die dritte Gmoll-Sinfonie, Brückners achte Sin-
fonie, ist in neuer Zeit häufiger aufgeführt worden. Sie
imponiert durch die kolossalen Intentionen ihres Finale,
das die Hauptthemen der drei vorhergegangenen Sätze
kontrapunktisch zusammenfaßt. Aber auch Rudolf Louis,
der vortrefiTliche Biograph des Komponisten, erklärt, daß
Brückner sich hier Unmögliches zugemutet habe. Seine
bedeutenden großen Züge entfaltet Brückner am glück-
lichsten in der dritten, vierten und fünften Sinfonie, die
auch in den letzten Jahren sich in den Konzertsälen häu-
figer und häufiger eingefunden haben.
Die dritte Sinfonie (Dmoll) ist im Jahre 1873 ent- A. Braekner,
standen und eine der wenigen, die schnell einen Verleger i>ritte sinfoni«.
gefunden haben. Richard Wagner nahm die Widmung an
*mdi soll, wie Th. Helm erzählt*), wiederholt ernstlich eine
*) Th. Helm: A. Brückner im Musik. Wochenblatt 1886, S. 3&.
49*
^
—^ 772 ♦^
Auffühmag beabsichtigt haben. Was zunächst jeden
Musiker für die Sinfonie einnehmen muB, ist ihre voll-
etidete Orchestematur. Alle Instrumente haben ihr eignes
Leben und äußern es, wenn nicht immer mit bedeuten-
den selbständigen Themen und Motiven, so doch in eignen
besonderen Rhythmen. Alles klingt schön, neu, immer
interessant. Nach dieser Seite bezeichnet Brückner einen
Fortschritt in der Geschichte der Sinfonie, den niemand
bestreiten kann, und verhält sich dem Durchschnitt der
Beethovenianer gegenüber ähnlich, wie in der Malerei die
Pilotyschüle zu der Methode -von Cornelius. Nach ihrem
Ideengehalt betrachtet, bietet uns Brückners Dmoll-Sin-
fonie Einblick in das Innere einer Natur, in der sich
Lebensernst und Lebensfreude gleichmäßig mischen; &(ie
scheint die Stimmungen von Beethovens Neunter und
Beethovens Pastorale zu vereinen. Der Komponist hat
in diesem Unternehmen einen Vorgänger, und es ist wohl
nicht Zufall und von ungefähr, sondern bewußte Absicht,
daß er in seine Dichtung die Grestalt Franz Schuberts
leibhaftig hineintreten läßt. Daß Schubert die weit stär-
kere Individualität war und durch die Zeitläufte allein
schon glücklicher gestellt war, kann dabei niemandem
entgehen. Aber wir haben nach ihm in der Sinfonie das
beschauliche, sanguinische, des Daseins in der schönen, mit
landschaftlichen Reizen und liebenswürdigem Menschen-
tum übervoll gesegneten Heimat frohe Östreichertum
bei keinem Zweiten so staik und deutlich ausgeprägt, als
bei Brückner nnd in dieser DmoU-Sinfonie. Dem Lebens-
ernst gibt der ans dem Kirchendienst hervorgegangne
Komponist gern durch Choräle und choralartige Themen
Ausdruck.
Der erste Satz (Mäßig bewegt, iky DmoU) empfängt
uns mit einem der in der neueren Musik und von Brückner
ganz besonders geliebten Orgelpunkte — hier auf 0. Im
Streichorchester ein ziemliches Rauschen wie von freund-
lichen Wässern, ähnlich wie der Anfang von Schuberts
Hmoll-Sinfonie, aber jedes Instrument seinen Rhythmus
für sich! Dann setzt im fünften Takt die Trompete ein.
773
die sich in der Zeit der Klassiker ihre heutigen Ehren
nicht hätte träumen lassen. Doch ist die Tatsache keines-
wegs zum Beweismaterial ffir die Hypochonder geeignet,
welche nnsre neuere Musik roher und roher werden
sehen. Unsre talentvollen Komponisten gehrauchen die
Trompete keineswegs hloß ffir starke Effekte, sondern
ganz so vielseitig wie dies in der alten Suite, in der ita-
lienischen Oper des 17. Jahrhunderts, im Oratorium noch
bei Händel geschieht. So beginnt Brückner mit ihr hier
leise, im Ton einer heroischen Ahnung das Hauptthema
seines ersten Satzes:
. \
Dieses Thema zieht sich lang hin. Zunächst wird es vom
Hörn folgendermaßen
fortgesetzt. Die zwei letzten Takte dieser Fortsetzung
werden zunächst von den Holzbläsern für Nachahmungen
und Wiederholungen aufgegriffen und dienen dem vollen
Chor des Orchesters als Anhalt zur Sammlung und zu
einem gewaltigen innren und äußren Crescendo. Dann
erst kommt im Unisono aller Instrumente der dritte Teil,
der Schluß des Hauptthemas:
j^^frf iiirTtfi^fnfDi.t I- j^
I
i
creac*
tlL ^N.^ ^^ bringt den höchsten Aufschwung
'^ kräftigen Wollens und dicht da-
neben in den Zungen von Schubertschen Entreaktes
das Verftagen aller Hoffnungen, somit die Gegensätze
des Satzes im schroffen Widerspruch. An der Trioie
hält sich die Phantasie des Komponisten fest, als wäre
mit ihr der Ausweg nach dem Licht, nach einem
-^ 774 <^~^
sichren Blick in die Zukunft zu finden, und gelangt so
bald an eine Wiederholung des vollständigen Haupt-
themas von Äf der Dominante, aus. Der Schluß
dieser Wiederholung verläuft in ein ppp und in roman-
tische Dissonanzen, als schliefen alle Sorgen ein. Der
Dichter überläßt die Entscheidung über schwierige und
Ungewisse Fragen der Zeit und dem Schicksal. Das
zweite Thema
setzt ein und führt uns ohne weitres in eine Szene des Be-
hagens und der beweglichen SchwärmereL Mehr noch als
das Thema selbst, das zuerst als Wechselgesang zwischen
Bratsche und Hörn auftritt, führt uns sein Begleitungsmotiv
.^j^ vor ländliche Bilder.
ff P^^^ ' -J- ^ I - r J r " der jenes wichtigen
- Zwischenmotivs, das
im ersten Satz von Beethovens sechster Sinfonie zum zwei-
ten Thema hinüberleitet Bei Brückner sagen die Kontra-
punkte immer etwas ; der hier erfundne erweist sich aber als
ganz besonders gehaltvoll und ergiebig. Ja, er wird nicht
bloß die Veranlassung zu einer hübschen Episode, sondern
er trägt einen Hauptteil von dem Glaubensbekenntnis und
der Weltanschauung, die in diesem Satze niedergelegt
sind. Alle die zahlreichen Partien, die darin aus dieser
muntern Figur entwickelt sind, vertrügen als Oberschrift
das schöne Wort Hölderlins: »Ja, wunderschön ist Gottes
Erde und wert, auf ihr ein Mensch zu sein!« Das singt in
urzufriednen Melodien, das regt sich und hüpft in fröhlichen
Rhythmen, das wiegt sich wonnig träumerisch aufweichen
Akkorden, das ist ein Schwelgen in seliger Sonntagsstim-
mung. Zuweilen ^ Zuletzt findet es einen
bricht das Ent- 'jf^ffi rrr doppelten Ausdruck
zücken laut und -fr/Ly* ' ' > [ von kräftiger Zuver-
wuchtig durch:, v**^ sieht in der Melodie:
%
775
die uuter den
^^T p |^p[' I »[ \h\' ( hw.. Nebenthemen
. p desSatzesBe-
deutung hat und von Frömmigkeit in dem Choral:
D 10 C
mit dem die Trompete, die bekanntlich angefangen hatte,
die Themengruppe schließt. Zu verkennen ist nicht, daß
in der zweiten Hälfte des um das Pastoralmotiv gebildeten
Teils das Beharrungsvermögen des Zuhörers auf eine Ge-
duldprobe gestellt wird. Je nachdem das Orchester besser
oder schlechter ist, wird sie erleichtert oder erschwert
werden.
Sofort nachdem die Trompete mit ihrem (unbedeuten-
den) Choral fertig ist, geht es aus C dur mit drei knappen
Oberleitungstakten in die Durchführung.
Sie beginnt, nach einer kursen Intonation des Haupt-
themas, mit einem Satze suchenden Charakters, dem das
dem Choral vorhergehende Nebenthema, das vorhin als
Ausdruck der Zuversicht bezeichnet wurde, zu Grunde
liegt. Er endet still und ergebuDgsvoll in G dur. Danach
setzt schön und scharf in der Wirkung A dur ein, und in
schnellen Modulationen ziehen Umbildungen und Bruch-
sttkcke aus dem ersten Teil des Hauptthemas in Flöte
und Hörn vorbei, geheimnisvoll, aber farbenprächtig. Der
zweite Teil der Durchführung verbindet den Anfang und
den Schluß des Hauptthemas erst in einer Periode in Fmoll,
dann in einer zweiten in Gmoll. Von deren Schluß ab (As dur)
verschwindet der Anfang des Themas, die Motive des kräfti-
gen Wollensaus I f-^ II m k I lä K
seinem Schluß:«'- J J I J, J. J3 J» und 4- is fi
behaupten das Feld und führen scheinbar zur Reprise: In
D moll setzt das Trompetenthema fff im vpUen Orchester
ein. Es ist aber erst der dritte Teil der Durchführung,
den Brückner hier bringt. Er gjbt das Hauptthema —
wohl angeregt durch eine ähnliche Stelle in Beethovens
Neunter — noch einmal im Leuchten der Wetter, im
776
Donner und Blitz, in glänzendster Machtentfaltang seines
ersten, des heroischen Teils. Dieser wird wiederholt, mit
Dissonanzen schattiert, nochmals wiederholt und bricht
in Edur tobend plötzlich ab. Generalpanse, Paokensolo,
das im pp endet! Und nun erst melden sich wie schQch-
tem die beiden andern Teile des Hauptthemas — mehr
um der Form zu gentigen als zu innerer Wirkung. Dieser
letzte, dritte Teü der Durchführung hat alles entschieden,
es war ein Seherblick, weit hinaus in die Zukunft geworfen,
der ein Ende ip Herrlichkeit gesichert zeigt Ganz leise geht
die Durchführung zu Ende und ebenso setzt die Reprise ein.
Der zweite Satz (Adagio, quasi Andante, ^j Esdur)
deutet mit dem Anfang seines Hauptthemas:
Adagio.
fast in der Sprache der Klassiker die Sehnsucht nach
Ruhe und höherem Frieden an. Schon nach Abschluß
der ersten 8 taktigen Periode setzen aber die in der zweiten
Hälfte dieses Beispiels enthaltnen Keime der Friedlösig-
keit zu einer Bewegung
an, die zu einem Aufruhr:
der Gefühle führt, den die - _ p | ^ ' f
stumme resignierte Klage: r 1
wie ein stilles Gebet endet
Wie ein Bild aus einer besseren Zukunft stellt
nun der Dichter dieser Gegenwart einen formell scharf
verschiednen Satz gegenüber, dessen erstes Thema:
AQd»nte quasi Allagretto. lautet Um das, waS
jjEüL. I I I I ] ■■^^i A=T es noch an Zweifeln
J I i jJ^J ' "^ J ' i ' ■ zurückläßt, vöUig zu
£
*^ ^— «==^ -c beseitigen, gesellt
sich ihr noch eine zweite Weise hinzu, die ebenfiüls im
visionären Ton eine Art Siegesmarsch anstimmt
--♦ 777 «^
Ihr geÜDgl es, die Stimmung zum Teil aufzuhellen: Froh
fließen die Sechzehntelfiguren in einer Gruppe der In-
strumente dahin, andere, die Hörner z. B., bleiben aber
bei bangen Fragen. Das führt dazu, daß die verheißungs-
vollen Rhythmen des letzten Themas J j « in starkem
Ton bekräftigt und wiederholt, daß die freundlichen Zu-
kunftsvisionen der schönen Dreivierteltaktmelodie in großer
Breite ausgeführt werden. Bei dieser Ausführung ist auch
die Mannigfaltigkeit und der Reichtum der Farbenreize,
die von zarten Lohengrinklängen schnell zu einem wahren
Rausch Schönen Orchestertons anschwellen, nicht zu ver-
gessen. Überhaupt ist die Einwirkung Wagners in diesem
Satze unverkennbar. Sie äußert sich nicht bloß im Ko-
lorit, sondern auch in Harmonie und Melodie.
Nach dem Abschluß der Trostszene wird der Haupt-
satz wiederholt und erfährt dabei prächtige Steigerungen,
aus denen die Stimme der Trompete sich besonders ein-
dringlich und ausschlaggebend hervorhebt. Der ganze
Satz zeigt Brückner von seiner gewaltigsten Seite und
als eine fürs Drama geborne Natur.
Der dritte Satz (Scherzo, ziemlich schnell, ^4» Dmell)
ist durch eine gewisse Unfertigkeit originell, durch eine
Laune, die sich begnügt, mit Elementarmitteln zu wirken.
Wir hören vorwiegend rhythmiscl^e Motive, die nur lose
zu Themen entwickelt sind und, wenn das, keine Ent-
wickelung durchgehen.
Im Eftuptsatze schildert der Komponist humoristisch
eine Art großen Sturm, zienjich »chneii. rührt sich
der wie von der Feme ^b f TU J J J J | zunächst,
einsetzt. Nur das Motiv ^ vp gg getzt
sich als liegende Stimme fest. Unter ihr steigen Figuren
stufenweise die ganze Oktav crescendo und drohend in die
Höhe. Dann bricht ff das Thema
Zlemlleb admell.
los. Es bildet mit Wiederholungen und Ableitungen den
-<^ 778 <^-
Inhalt des Hauptsatzes. Einmal bricht es in eiue der bei
Brückner häufigen plötzlichen Generalpausen ab, und da
erscheint denn — die einzige im ganzen Scherzo — eine
fertige und durchgeführte singende Melodie.
f fj inir^iiirifrT |f?i i^Tiiiii
^ PP crege.
Durch sie , die bald ^ ^-r^^. .l^^^ beigesellt,
verstärkend ein Satz- '^i*! r"|» i y^^p|>=|wird der Sei-
chen über das Motiv ^ ■ ^ ^tensatz im ei-
gentlichen Scherzo zu einer hübschen Wiener Tanzidylle.
Auch das Trio sucht die Kunst darin, die Musik in
eine Szene von Naturlauten, hier freundliche und zarte,
aufzulösen. Eine Art Thema, meistens von der Bratsche
•>. angestimmt, wird von
y^^ ''^X ■ * 'g^ ^ , Z. ^^ kosender, zirpender
^' ^ nnd trülemder Mo-
tive umkreist, so daß die Wirkung des Ganzen an ein
Vogelkonzert, an eine schöne Stunde bei Weiher und Wald
nach Sonnenuntergang erinnert. Das ganze Stück (Trio
und Scherzo) ist darnach wie ein Gegensatz vom Lärmen
der Stadt oder der Bahn und der Sülle ländlich«: Einsam-
keit gedacht
Das Finale (Allegro, i^, Dmoll] wird mit einer
Achtelfigur der Geigen eingeleitet, die zwar wesentlich
zu Begleitungszwecken dient, aber für den Charakter des
Satzes nicht unbedeutend ist. Sie verkündet Wirren und
Aufruhr im Gemüt, und dagegen erhebt sich in stolzer
Kraft breit und majestätisch das den Bläsern übertragene
Hauptthema
^ TI Ai ^^ rr ff fF
H. J '^ I -■■■'"•^^ ^ gehört wieder zu den thema-
" P 1 ' f; ^ '"' P [^ tischen Erfindungen Brückners,
'. r. » r . r .in denen auf Melodie und schöne
— -^ 779 <^~ ' >
Fomi 2ugttusten der charaktervollen Wirkung verzichtet
wird. Darin zeigt er sich als ein Schüler Liszts und
der Neudeutschen. Zweimal zieht dieses Zyklopenthema
vorhei. Dann verlaufen sidi die wilden Gänge im
Streichorchester. An ihre Stelle tritt ein anmutiges Motiv
das aher doch nur ein
nehensächlicher Kontra-
punkt ist. Die Haupt-
sache kommt in den
Hörnern, nämlich ein Choralgesang:
LaogfiAm .
Lan
der sich breit hin entfaltet. Als er endlich still verklingt,
setzt wieder Sturm ein, diesmal von dem harten Motiv
^^^ j getragen. An diesen Abschnitt
■iJik /r^ _ 1* -*^ B knüpft sofort die Durchführung an.
yn^ U r r ir rr'U sie Weibt bei dem Viertelmoüv
•^ und bekämpft es mit den herri-
scheU) stolzen Motiven des Hauptthemas und steüt das
Bild einer Seele hin, die der Anfechtung spottet Dieser
Durchführungsteil ist nur kurz und schließt (in F) mit
Klängen des Friedens, die uns aus dem Eingang von Schu-
berts Cdur-Sinfonie geläufig sind.
Die Reprise bringt die dem Hauptthema zugehörige
Gruppe erweitert und im Ausdruck der Energie durch
Verkürzung der Rhythmen, durch Nachahmungen, und
Engführungen gesteigert. Die Folge ist, daß des zweiten
Themas, des Choralgesangs, ruhiges und frommes Wesen
sich noch klarer und schöner als im ersten Teü des Satzes
geltend macht. Die Komposition erhält damit einen aus-
geprägt christlichen Zug, und die Idee des Komponisten
tritt klar vor das Gemüt des Hörers: »Wer in des Lebens
Wirren auf die doppelte Stütze der eignen Kraft und des
Glaubens bauen kann, der siegt«. Und diesen Sieg spricht
das Finale dann noch einmal mit schöner poetischer Be-
ziehung und die ganze .Sinfonie abrundend dadurch aus,
_^ 780 «^
daß das Heroentliema des ersten Satzes und zwar in Ddur
^ daa Schlußwort erhält.
A.BrmekHer, Seine vierte Sinfonie (Esdur) hat Brackner die ro-
Vierte Sinfonie, njjuj^^^ genannt Die Romantik, die er meint, ist die
des Waldes. Das Werk ist eine Waldsinfonie, aher aus
einem viel tieferen Geiste als die bekannte von Raff, die
eine galante französische Romantik entwickelt. Die Bruck-
ners^e Sinfonie hat durchaus deutschen Charakter: ex
sehnt sich nach dem Wald, seiner Heimlichkeit, seinem
tiefen Frieden in Klängen, die an Steffen HeUers trauliche
Klavierszenen »Im Walde« erinnenu Mehr noch, Brückner
hält im Wald, wie das altgermanische Heidentum, seinen
Gottesdienst, er geht durch die Reihen <ler cshabnen
Stämme mit den Versen des Dichters im Kopf: »Du hast
deine Säulen dir auj^baut und deine Tempd gegr&ndet«.
Ihm ist im Sinne jener alten Zeiten, wo wir Deutschen
noch ein Waldvolk waren, der Wald das herrlichste Gottes-
haus, der schönste Dom, den der Herr der Welten sich
selbst gebaut Der Wald stimmt den Komponisten einst
religiös, und ein feierlich erhabener Grundton, wie ihn
ähnlich Bruch in seiner Esdur-Sinfonie leise und flüchtig
einmal anschlägt, wie er aber sonst nur in den lang-
samen Sätzen aufzutreten pflegt, durchzieht die ganze
Sinfonie. Ihre vom Familientypus abweichende geistige
Haltung wird der eine Grund sein, der ihre Verbrdtung
erschwert Ein anderer liegt darin, daß sie für die reich-
lichen Naturschüderungen, die sie enthält, ein ganz aus-
gezeichnetes Orchester und ziemlich genauen Vortrag
verlangt; ein dritter in der Übermäßigen Breite einzelner
Teüe.
Besonders ist es der erste Satz (Ruhig bewegt, <t,
Es dur), der durch tief religiöse, ins Ewige sich versenkenoe
Stimmung ergreift Sein Anfang und die um das Hauptthema
, gebildete
^ ^ Rahig bewegt, d r 7g ^ . Gruppe
^ P im Hörer
Schauer der Andacht, umweht ihn mit Kirchenluft Ad
-^ 781 ^^
Liturgie erinnert auch der Vortrag: das Hörn, das be-
ginnt, gleicht dem liturgen, der kleine Chor der Holz-
bläser, der die Melodie ihm nachsingt, der respondierenden
Gemeinde. Fürden romantischen Charakter, den Brückner
seiner Sinfonie geben wollte, ist dieses Hauptthema des
ersten Satzes das wichtigste Stück; und das ceSf mit dem
der zweite Abschnitt einsetzt, der Hauptträger des roman-
tischen, geheimnisvollen Elements. Aus der ehrfürchtigen
Stimmung wird nach dem feierHchen Eingang bald eine
froh erwartungsvolle; sie ist vertreten durch das Motiv:
^^^,^~,^ das als eine Ergänzung ge-
^ , i^^ ^t- t S"^ wissermaßen mit zum er-
•JLVy r r r r r I r ^ sten Thema gehört. Der
^ Anfang mit dem feierlich
breiten Ton spricht die Gottesfurcht, das neue Motiv die
Natur&eude des Komponisten aus. So haben wir in den
beiden Teilen des ersten Themas die beiden Hauptstücke
der menschlichen Grundlage vor uns, aus der Brückners
Kunstwerke ihren Ursprung ziehen. Mit dem Motiv der
Naturfreude bildet Brückner die nächsten Zeilen seiner
Dichtung. Sie nehmen bald den Charakter eines begei-
sterten Hymnus an. Der Dichter wird von einem Jubel
über die Schönheit der Schöpfung fortgerissen ; stürmisch
drängt die Harmonie in gewaltigen Modulationen fort und
setzt sich dann auf einmal, wie geblendet, auf demFdur-
Akkord fest, alle Kraft der Empfindung in einem Guß aus-
schüttend. Brückner hebt die Klangkontraste. So folgt
auch hier dem Rauschen des vollen Instrumentenchors
der stille Klang der beiden Homer, die einige Takte allein
das F halten. Es wird durch die Bässe, die des darunter an-
schlagen, zur Terz und die ^ l _^ ~^^
Bratsche setzt mit äam ^ >'\ß i J [^ J I J l J I |^=il
zweiten Thema, wie folgt jS
ein. B dur wäre die normale Tonart gewesen, Brückner hat
Des gewählt. Die Ausweichung in eine entiegenere Har-
monie ist in diesem Falle ein lifittel romantischer Wirkung,
Brückner bevorzugt aber auch im allgemeinen das Gebiet
der Unterdominant, sehr zum Vorteil. des warmen Charak-
-^ 782 «^
tcrs seiner Musik. Der Ton innig dankbaren Genießens, den
der Anfang dieses zwei- ^,^{^^^ ^ die zuerst
ten Themas anschlägt, jC ^'^ LT f T \ pUTals beglei-
geht mit den Motiven ^ tende ein-
treten, dann selbständig werden, in einen heitern über und
läuft in dem 2" l ^° ^^° ^^^'
Schlußglied j lrh. ' P T f T I* [^^=#=11 druck leben-
des Themas: ff " '" ^ i U i I :»»=■ ^g^ g^t.
Zackens über. Das äußert sich zuerst laut, jau<^zt in die
Welt hinaus; dann wieder heimlich wie im tiefsten Innern.
Es ist ein ungemein wandelbares Motiv, das bald den
innigen Elementen des zweiten Themas die Hand reicht,
bald wieder aus dem ersten Thema die belebenden Töne
der Naturfreude herbeiholt. Die letztren füllen auf längre
Zeit die Szene mit Spielen verschiedener Art, wie Kinder,
die vor Lust jetzt jauchzen, dann in stiller Anmut ihre
Kreise ziehen. Von einem stürmischen Ausbruch der
Freude, in dem zuletzt sämtliche Messinginstrumente mit
dem Des dur-Akkord i b i i j j J ^^ben , lenkt
auf dem Rhythmus ••• •*• • I • • • Brückner noch
einmal unvermutet in die ruhigere Region des zweiten
Themas ein, jetzt in dem normalen 6 dur; im pp und in
Bruchstücken verklingt es. Der Dichter schließt das Auge,
die Bilder schwimmen in seiner Seele ineinander. Sie ruht;
unbestimmt und dämmernd streifen Empfindungen und
Ahnungen durch die Brust. Das drückt die Musik mit
abwärts ziehenden chromatischen Gängen aus, die leiser
Pauken Wirbel begleitet; die feierlichen Motive des Haupt-
themas und die lustig erregten des zweiten laufen durdh-
oinander. So schließt die Themengruppe des ersten Satzes.
Die Durchführung beginnt im Traumeston mit dem
feierlichen Anfangsmotiv des ersten Hauptthemas, das
durch kühne Dissonanzen merkwürdig romantisch gefärbt
wird, z. B. :
VioJ. ^ ^ ^
-^ 783 ^^
Sie wendet sieh dann zu breiten Bildungen Über das
Motiv der Naturfreude, die sich von denen in der Themen-
gruppe durch einen durchschnittlich emstren Ton unter-
scheiden. Der christlich religiöse Zug, der die Sinfonien
Brückners unter hunderten kenntlich macht, gewinnt
auch hier wieder die Herrschaft über seine Phantasie.
Der Abschnitt endet in einigen Strophen Choralmusik, in
der die Trompeten die Stimmführer sind. Als sie leise
ausgeklungen, setzt das zweite Thema des Satzes (von
Gdur) ein, jedoch mit verlängerten Rhythmen und da-
durch ebenfalls in die kirchüche, fromme Empfindung
iibertragen.
Von diesem Punkte vollzieht sich der Obergang in die
Reprise ganz natürlich, wie von selbst. Sie verläuft ohne
bemerkenswerte Überraschungen und hinterläßt wohl bei
den meisten Zuhörern den Wunsch nach Kürzung, nament-
lich in der allerletzten ^chlußpartie.
Den zweiten Satz (Andante, C, Cmoll) zu verstehen,
muß man bis in seine Mitte vorgehen. Denn zunächst
fragt man sich erstaunt: wie kommt ein Trauermarsch in
eine Waldsinfonie? Die erklärenden Worte stehen unter
andren in Schumanns »Der Rose Pilgerfahrtt, in dem
schönen vom Hornquartett begleiteten Männerchor: »Bist
du im Wald gewandelt, usw.« Brückner hat hier an den
Wald, an die Natur als Trösterin im Leid gedacht: So
malt er uns denn eine Szene des schwersten Leids : ein
Begräbnis. Die Celli singen eine klagende Melodie,
Andante. J s 66 ^ ^^^^
|ji ■■ ^fTTTlTTf I f j I r t/r r 1 1 «
einfach, als ob sie aus dem Volkslied stammte, und
doch ein wenig mit Chopinscher Stimmung getränkt,
wie denn Brückner bei aller Schlichtheit im Grunde
seines Gemüts doch Im-
mer und überall modern
bleibt^ Die Begleitung, ein
Schubertsches Marschmotiv: VP
J ' Ml^l
--^ 784 ♦—
zeigt uns Ort und Veranlassung der Klage, erklärt und
malt die Situation. Die Szenerie wird bald noch mehr
verdeutlicht : Choralge- ^Jn „. . ■ i . i i > ■ -H4Hi
sang, Trauerchöre, die fol- g^''*VQZlJ>^ '^lijLÜ^
gendermaßen einsetzen: pcrwc.
unterbrechen auf längere Strecken den Marschrhythmus.
Dann beginnt der Marsch vom neuen. Vom neuen auch
erhebt sich die klagende Stimme, aber viel gedämpfter,
sie ist in der Mitte des Streichorchesters, in der Bratsche,
gleichsam versteckt
i;nd windet sich, halb unterdrückt, suchend und zu*
gleich fließend dahin, bis der Marsch (in Gdur und
ppp) wieder schweigt. In diesem Augenblick lassen sich
wie von fem und von hoch oben Motive vernehmen
*pf ^ die schon am Anfang des Andante,
aber da ziemlich .unbemerkt auf-
tauchten. Wirkt diese Fl&tenstelie
nicht, als riefen Vogelstimmen aus dem Wald und hin zu
ihm? Nachträglich wirds uns klar, daß schon von An-
fang an, immer in den Marsch hinein, kur^e Naturtöne
erklangen. Das Hom wars, manchmal auch die Trompete,
die ganz heimlich, bald mit einem einzelnen p^ .
Ton, bald mit einem Motiv, am häufigsten mit •• 3 J
lockten. Als die Bratsche sang, gaben sie sogar deren
Wendung wie im Echo wieder, zuweilen hörten wir auch
den Quintenruf, der im ersten wie im zweiten Satz
thematisch so viel bedeutet.
Nach dieser entscheidenden Stelle, mit der der erste
Teil des Andante schließt, wandelt sich der Charakter der
Musik. Die Bässe sinnen jenem Flötenmotiv nach und
während sie es wiederholen und weiterführen, erfinden die
Violinen neue Melodien, die trostreich klingen:
^h j I j'7T !■ I iTi.'iLSj I f ^
...^ 786 #^
Dann uimmt das Hörn, nach ihm nehmen die Holz-
bläser das klagende Hauptthema wieder auf; ab^r der
Marsch, der dazu gehört, klingt nur noch eine Weüe aus
den Bässen an, dann verliert er sich ganz aus der Er*
innerung, und Instrument nach Instrument tragen die
freudigen und lebenskräftigen Elemente, die die Melodie
enthält, in immer hellres licht. Es vollzieht sich ein
großer Aufschwung der Stimmung. Freilich ist die Rück-
kehr zum Trauerton jetzt noch unvermeidlich. Der Mittel-
teil des Andante verklingt leiser und leiser, verschwindet
wie eine Vision, und sein dritter Teil, die Reprise, setzt ein.
Jedoch bleiben jetzt die Anklänge an den Trauer«
chor weg, und sehr bald kommen die Flötenmotive wie-
der: schon vor dem Einsatz des Bratschen abschnittes.
Nach ihm setzt das Hauptthema wieder ein, aber mit
Kontrapunkten umspielt, die den starren Trauerton weit
wegweisen. Mehr und mehr klingt es verklärt und geht
in einen Triumphgesang über, der mit allem Glanz des
Brucknerschen Orchesters den Sieg über alles Leid ver-
kündet und weit Über Grab und Leichenzug hinausweist
auf Himmel und ewiges Leben. Dieser Schluß des An-
dante ist seine Glanzpartie, poetisch ergreifend gedacht
und musikalisch kühn und genial ausgeführt. Der Ober-
gang nach Cdur und die Rückkehr nach dieser Tonart
— von Ces aus — ragen besonders hervor.
Der dritte Satz der Sinfonie, ihr Scherzo (bewegt,
2/4, Bdur), wirft auf den Waldcha^akter der Komposition
ein für jedermann genügendes Licht. Schon im dritten
Takt empfangen uns die Hörner mit Jagdsignalen. Der
Komponist hat ihnen in dem Satze soviel Platz einge-
räumt, wie das vor ihm in einer Sinfonie noch nicht
vorgekommen ist Darin spricht sich sowohl Brückners
künstlerische Naivität aus, wie seine große Liebe zu
solchen Schilderungen aus der äußern Natur, die musi-
kalisch zu fassen und zu bezwingen sind. Drittens aber
spricht aus den breitern Bildern, die Brückner aus den
einfachen Jagdmotiven entwickelt hat, auch eine ganz
eminente Begabung. Vielleicht stimmen die meisten
Kr«isaebiB»r, Fftbrtr. I, 1. £0
-^ 786 ♦^ _
Höret und KennM dieses Salzes- darin Qberein, daß seine
großen Gruppen — namentlich die des Uauptsalzes —
zu oft wiederholt werden. Aber innerhalb dieser einzel-
nen großen Gruppen möchte man nichts gekürzt und
gestrichen wissen. Das sind Meisterstückchen, unüber-
trefflich lebendig, farbenreich und wirklich romantisch.
Was ist das für ein interessantes Konzertieren zwischen
Hörnern und Trompeten, und wie hat Brückner es Ter*
standen, durch Harmonien, namentlich durch den 'Ge-
brauch von Dissonanzen, diese Brocken aus der gewöhn-
lichen Gewerbe- und Bedientenmusik zu künstlerischer
Bedeutung zu bringen, aus ihnen Bilder von packender
Naturtreue zu gestalten! Die Muster aus Berlioz* »Re-
quiem« und aus Wagners »Tristan« haben hier ebenbür-
tige und selbständige Leistungen erzeugt.
Neben dieser Naturmusik, aus den Jagdsignalen
gezogen, verschwindet der melodische Gehalt des
Scherzos bis auf ein Minimum, das sich auf das Motiv
^Hil>J^ t J} 7 I J) "T t' p I f,Jr f r I ^=8 mehr auf
M' das einer
weicheren <a.L — ' ^ ' — ^ . t '^m ■ i ■
Stimmung ^^'»bJ bJ 1 J I J 1 \ IXlikH \J t
gewidmete ^p ^ ? ^i? ^ "^^
stützt.Wenigstens wasim Hauptsatz des Scherzos den ersten
Teil betrifift. Sein zweiter Teil beginnt mit einer Durchfüh-
rung der im ersten aufgestellten Motive, bei der der Ausdruck
innrer tiefrer Gefühle vor der Jagdinst den Vortritt erhält
In einem noch schärferen Gegensatz zu der. Schilde-
rung des aufgeregten l^Taidmannslebens tritt, wie zu er-
warten, das Trio. Es klingt auf Augenblicke wie ein Tänz-
chen und wirkt auf Grund seiner gemächlichen, auf niedere
Volksschichten und ihre Freuden weisenden Hauptmelodie
juiTTinnjni' j^i'"i"i I-
" 'i { > J \ i\ J » J t
O«« Oes Get Gea Ges Ges Om^ q«.
sehr drollig, stellenweise burlesk.
r-^ 787 ♦^
Das Finale (Mäßig bewegt^/ (];, Esdnr) beginnt
wie in Nebel und D&inmropg mit einer Stimmung^ die
noch im Klären begriffen ist. Wir hören über ver-
worrenem Rauschen des Streichorchesters ernste Motive:
M" . K--«. J -o ^^ H^^^ ^^^ Klarinette. Eine
jMaflgig bewegt ^^^72 ^^.j^ werden sie durch Reminis-
' %> ' L— ' = ' zenzen aus der Jagdmusik des
^"^ ^ Scherzos vertrieben, und erst nach
einem langen, mächtig gährenden crescendo schließen
sie sich zu folgendem Hauptthema:
des Satzes zusammen. Niemandem wird es entgehen,
wie sich diese stolze Weise wieder der feierlichen Stim-
mung des ersten Satzes nähert und infolgedessen auch
niemanden überraschen, wenn das Hauptthema dieses
ersten Satzes schon bald, hier im Finale, vor uns hin-
iritt. Es muß sich aber den Zulaß gewissermaßen er-
kämpfen und erzwingen und kommt durch eine Krisis
geschritten, in der drohende und freudige Töne in er-
schreckender Wildheit zusammentreffen. Namentlich eine
rhythmische Formel (Ächtelseztolen) ist's, die darin so
erschreckend wirkt. Wer bisher noch ungewiß war, dem
muß durch sie klar werden, daß der Komponist in die-
sem Finale an die Schrecken des Waldes, an den Wald
m Nacht und Sturm, an seinen düstern, gespenstischen
Charakter gedacht hat. Dem Hauptthema des ersten
Satzes folgt auf dem Fuß ein Zitat, oder besser ge-
sagt ein Anklang an das Andante und seine charakte-
ristische Macschbewe- j
gung der Bässe. Die , i '!S— ^ ^ *^>>^
Klagemelodie hat eine Tfcriiyr IT fjf fr 1^
Umwandlung erlitten. ^ P
Ihr nach kommt so-
fort eine freundliche
Melodie:
60*
--♦ 788 •^
die als zweites Thema. im Satz gelten kann. Sie führ l
ZA einem Abschnitt anmutiger Tr^nmereien, die aus der
Gegenwart in ferne Zeiten, vielleicht der Kindheit eilen, hin.
Sie setzen sich schließ- , das wieder
lieh am das spieleri- £)t% \fL r^ ^ j einmal ans
sehe, tändelnde Motiv '^ '^'"*— -^ ' ' einer Be-
gleitangsstelle hereinkam, fest Als das zweite Thema zum
zweiten Mal (in der Klarinette) eingesetzt hat, kommt bald
eine rauhere Antwort. ,
Das auf die vorhin '* ' " ''^
erwähnten Achtelsex- 17 -v
tolen gebaute Thema
beherrscht jetzt auf einige Zeit beängstigend die Szene.
Dann tritt aber das zweite Thema wieder beruhigend ein
und schließt den Teil des Finales, der ungefähr der
Durchfährung entspricht.
Das Finale seiner Romantischen Sinfonie gehört im
allgemeinen zu Brückners schwierigsten Sinfoniesätzen.
Die Themen sind nicht io einfach geformt und nicht so
bestimmt im Ausdruck, wie er sie sonst gewöhnlich gibt;
zum Teil erhalten sie ihre Bedeutung erst durch den erst
bei längrer Vertrautheit zu Tage tretenden Zusammenhang
mit Melodien aus dem ersten Satz. So soll z. B. das zweite
so wichtige Thema des Finale auf das Sextehmotiv im
Hauptthema des ersten Satzes auf das geheimnisvolle
_ _ ^ bezogen werden. Besonders
bii ^1 j ^^ <» 1 wird das Verständnis des
==^=9'°=93=i===^ Satzes aber durch die große
Anzahl der in ihr aufgestellten Themen und Motive er-
schwert Diese Menge der Ideen ist hier nicht ein Zeichen
von Fruchtbarkeit und Reichtum, sondern sie ist die
Schwäche der Komposition, die Folge ungenügender
Durchdringung und Beherrschung des Stoffes.
Alle diese Schwierigkeiten des Finale sind in seiner
Reprise noch dadurch wesentlich gesteigert, daß die
Themen hier bis zur Unkenntlichkeit umgebildet und
auch an ganz andere Plätze gestellt werden, als sie in
der Themengruppe des Salzes inne hatten. Auch die
789
Breite einzelner Teile stört. Nur in eingehender Beschäf-
tigung' mit dem Satz lernt man deshalb seine Reprise
begreifen. Eiäen Fingerzeig bietet der Umstand, daß das
oft erwähnte zweite Thema in ihr die geistige Ftthmng
übernimmt. Sie hat bedeutende sinnliche Wirkungen:
eme der gewaltigsten da, wo das umgebildete Hanptthema
so unvermutet hinter einem Trugschlüsse verschwindet.
Das ist zugleich ein Beispiel für Brückners Kunst der
schnellen Stimmungsübergänge. Vor seiner Phantasie
wechseln hier majestätische Bilder aus der Natur mit
wunderbaren, überirdischen Erscheinungen. Vor ihnen
wird seine Tonsprache magisch und mystisch, der Glanz
des vollen Orchesters macht der Leere Platz, der warme
Tonstrom einem Tasten und Stammeln zerstückter Mo-
tive. Zugleich tritt an dieser Stelle auch der Einfluß sehr
deutlich hervor, den Wagners Werke auf Brückner aus«
zuüben pflegen. Hier hören wir das Verwandlungsmotiv
aus dem »Ring des Nibelungen,«, und mit den Klängen des
»Feuerzauber« geht seine Romantische Sinfonie zu Ende.
Die fünfte Sinfonie Brückners (Bdur) ist ein freund- A. Braekner.
liebes Kunstwerk, das in vier großen, flott entworfnen '^i^^« Sinfonie,
und durchgeführten Bildern den uralten Gegensatz zwi-
schen froher Kraft und Bedenklichkeit behandelt.
In der Einleitung zum ersten Satz (Adagio, Bdur,
^ und Allegro, ik) begegnet sie sich mit Beethovens
Bdur-Sinfonie una teilt mit ihr die Dämmerungsstimmung
und deren Entwickelung um ein tastendes Achtelmotiv.
Ganz unversehens und sehr bald wird diese Ruhe durch
ein fif unterbrochen, in dem das volle Orchester nach-
drücklichst den Ges dur-, dann den B dur-Dreiklang into-
niert, um beidemale eine Ghoralzeile folgen zu lassen.
Von da ab wird die Stimmung bewegter, kräftiger und ,
drängt hinüber ins Allegro. Wie aus dem Dunkel, stück-
weise und in der Harmonie romantisch schillernd, tritt
aus ihm das Haupthema mächtig und bedrohlich herrisch
hervor. Das Gegenthema kommt mit einer Wiederholung
der Einleitung in der Fonn nachdenklichen, innerlich
stark bewegten Gesanges, und fortan bleibt der häufige
-^ 790
Wechsel zwischen ÄUegro und Adagio das formelle
Hauptmerkmal des Satzes. Zu den beiden leitenden
Themen treten noch, zahlreiche Nebenmotive antreiben-
den, z6gemden, vermittelnden Charakters, und aus ihnen
entwickelt sich eine Reihe bald ritterlich kampflustiger,
bald heimlicher und kirchlich frommer Szenen, die in
den Obergängen, in dem Einerlei der Periodisierung und
in der vorwiegend bequemen Arbelt zum Teil Improvi-
sationen gleichen, aber durch die den Themen eigne
musikalische Natnrkraft und durch die lebensvollen Har-
monien, in die sie immer neu eingekleidet werden, er-
frischen und fesseln. In einem von dem Eingangsmotiv
des Hauptthemas getragnen Jubel endet der Satz.
Ihm folgt als zweiter ein Adagio (DmoU, 4/4), das
die Gegensätze des verausgegangnen Allegro beide ge-
mildert und in umgekehrier Reihenfolge bringt An erster
Stelle steht jetzt als Bitte eine sehr einfache und rüh-
rende Melodie, an zweiter eine Verheißung, die sich
thematisch sehr breit und reich entwickelt und erst im
Verlauf der Durchführung und da nur vorübergehend
eine gedrängtere und feste Gestalt annimmt Das Haupt-
material für die Entwickelung des Satzes liefert der
dritte Takt des Hauptthemas. Dem für den ersten Satz
charakteristischen Wechsel des Tempos entspricht im
Adagio die Kombination verschiedner Rhythmen: Die
Oboenmelodie wird von Geigenfiguren im 6/^ Takt beglei-
tet, und an ihnen halten auch die Bässe fest So ist
dem Satz auf einfache Art ein Element der Unruhe ein-
verleibt, das selbst der friedliche Ausgang nicht vergessen
macht
Es bildet auch das Band zwischen Adagio und dem
dritten Satz, einem Scherzo (Molto vivace, DmoU, '/i)-
Ja, eins unter dessen Durchföhrungsmotiven entpuppt
sich als eine Umbildung aus dem ersten Thema des
Adagio. Der Satz ist von den ersten Takten und vom
Anfangsthema ab sehr reich an kurzen M^odien, die alle
aus dem Trüben heraus wollen und den Ton der Freude
bald in volkstümlich heitrer, bald in trotzig fmstrer Form
-^ 791 ^^
anschlagen. Das übliche TriOi das ziemlich lange auf
sich warten läßt, setzt zwar- sehr schlicht beruhigend ein,
aber das Hörn schiebt ihm mit einem Ges eine Harmonie
unter, die andi seinen Frieden trüb beleuchtet.
Der vierte Satz, xlas Finale der Sinfonie, markiert
den Charakter der Unentschlossenheit und des Schwan-
kens nochmals aufs schärfste dadurch, daß es im Ein-
gang auf Themen des ersten Satzes und des Adagios
zurückgreift. Dann aber sammelt es alle Energie in
einem gebieterisch willenskräftigen Thema, das sofort in
Fugeiiform ausgeführt wird und sich später gegen eine
Reihe zarterer Regungen majestätisch durchsetzt. Bald
nach dieser Stelle kommt die Entscheidung durch ein
leicht an die Oboenmelodie des Adagio anknüpfendes
kirchlich feierliches Thema, das, zunächst ebenfalls fu-
giert, die Herrschaft über die Partitur behält, alles, zu-
letzt auch das Hauptthema, unter seine Fittiche nimmt
und die Sinfonie in einem betäubenden Festesrausch mit
flatternden Fahnen und Volksjubel zu Ende führt./
Die sechste Sinfonie (Adur) wird auch von den A.Bra«kuer,
begeistertsten Anhängern Brückners in zweite Reihe Sechst© sinfonki.
gestellt, weil sie thematisch ungleich und weniger
glücklich ist als die Mehrzalil der andren. Im
ersten Sa^Z Maestoso.
ist diu ernste V V II p H" .1 F^^^^
pC^
Hauptthema:
vom besten sinfonischen Schlag, aber das zweite:
^j , . _ . setzt zwar
*
rTI^'l^' J Jl"» ■* r ''T r I ^^3~IT~8chön an
versagt aber
schon im zweiten Takt. Auch im Adagio ist die Erfindung
nicht Brucknerisch. Origineller wirkt das Scherzo durch
seine dramatische Erregtheit, und das Finale rührt gerade-
zu durch den müden Ton seines Hauptthemas. Es ver-
rät damit die Nähe Von Brückners neunter Sinfonie. An
äußrer Wirkung fehlt es auch dieser sechsten Sinfonie
nicht,, au subtileii und überwältigenden Klangphantasien
ist sie ebenso reich als die andren;
— * 792 «^
XiBraekBWy Abgeschlossen bat Brückner seine markante sinfo-
tfeante Sinfonie, nische Arbeit mit dem Torso einer neunten Sinfonie
(DmoU), die, von Ferdinand Löwe aus den! Kachlasse
herausgegeben, des vierten Satzes, des Finale entbehrt
Sie begegnet sich mit Beethovens^ Neunter nicht bloß in
der Wahl der Tonart und als Schlußwort, sondern viel-
fach auch in der Stimmung. Noch mehr ab ihre klas-
sisch monumentale Vorgängerin ist sie ein Werk der
Schwermut. Feierlich düster setzt der erste Satz
(Dmoll, di) ein, mit dem Beethove- ji | spannend,
nischen knisternden Erwartuugsmotiv • 1 v bricht in
gewaltige Klagen aus, wühlt fragend und bittend, stimmt
dann eine schöne, AH.it _ . _ . ^ir. .!„ a i
breite, helle Melodie fr l f^jj^] \'^^)A \' f^f iV tm
der Hoffnung an : P^ ?< '"*'~~^ '^
umklammert sie bald sanft, bald stürmisch, sucht die Dä-
monen der Furcht durch geliebte kirchliche Weisen zu ban-
nen — umsonst! Das eherne Gesetz menschtichen Loses,
vom Haupt-
thema aus-
gesprochen: ^ ^
tritt ihm immer wieder bis zum Schlüsse entgegen.
Der zweite Satz (bewegt, lebhaft, DmoU, 'Z«) ist das
vielleicht grausamste und unheimlichste Scherzo, das die
sinfonische Literatur aufzuweisen hat Die Themen sind,
auch im Trio, nur Figuren, die im verminderten Sept-
akkord spukhaft, fahl, gehetzt und entsetzt hinauf und
hinabjagen; als Kern der Musik trägt die Erinnerung
die mörderisch dröhnenden Rhythmen der HÖrner, Trom-
peten und Posaunen heim.
Der dritte Satz (Adagio, Edur, C/j empfängt den
Hörer mit dem Eingangsmotiv von Wagners Faustouver^
türe und mit der Chromatik und der großen Sehnsucht der
Tristanmusik; verzweifelte Klagen wechseln mit Grabes-
ruhe. Nur auf kurze Zeit lichtet sichs etwas in einem schön
melodischen Asdur-Satze, der als Alternativ wiederkehrt
Wie in Brückners Fmoll-Messe birgt sich auch in diesem
Adagio viel Todesfurcht, doch klingt es versöhnend aus.
--^ 793 «^
Daß die deutsche Masik in der Sinfonie mit einer
Schule Brückners zu rechnen habe, wnrde aus einer Ver-
mutung durch die Gmoll-Sinf onie von Gustav Mahler 6. M»Uer,
2ur Tatsache. Sie ist die zweite Sinfonie des Kompo-E"^5J**^^**«
nisten; seine erste (in Ddur), die durch eine Aufführung ^°^'
auf dem Weimarischen Tonkünstler feste des Allgemeinen
Deutschen Musikvereins (i. J. 1894) zuerst weiter bekannt
wurde, ist romantisch pastoralen Charakters und war
früher unter dem Gesamttitel »Titan« mit folgendem
Programm versehen: >I. Teil. Aus den Tagen der Jugend,
Tugend-, Frucht- und Dornenstücke. II. Teil. Commedia
umana.« Der erste Satz dieses zweiten Teils, der bei der
Weimarischen Aufföhrung als »des Jägers Leichenbe-
gängnisse bezeichnet war, ist in seiner Mischung von
tollem Scherz und Ernst der eigenste, die erste Visiten-
karte des ironischen Mahlers. Die CmoU- Sinfonie ist
durchaus ernst und pathetisch, sie bekennt sich zu
Brückner, aber nicht bloß in der Richtung der Ideen,
sondern sie stellt diese zum Teil mit Brucknerschen
Mitteln, z. B. mit häufiger Anlehnung an Choralweisen,
dar, und sie steht drittens, und zwar noch mehr als
Brückners eigene Werke, unter dem starken Einfluß
Richard Wagners. An keiner früheren Sinfonie kann
man so wie an dieser . Mahlerschen merken , wie die !
neuere Musik immer mehr von dem Geist und auch von
der Sprache des Bayreuther Meisters aufnimmt. Seine
Macht ist schon jetzt der, die Schiller in der ersten •
Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die deutsche Dichtung
ausübte, mindestens gleich.
In mancherlei Äußerlichkeiten macht die CmoU-Sin-
fonie Mahlers den Eindruck eines außerordentlich schwie-
rigen Werks. Sie mischt, scheinbar ohne einen Anhalt
dafür zu geben, wie Berlioz' »Romeo und Julie«, Instru-
mentalmusik mit Solo- und mit Chorgesang, sie hat
sechs Sätze. Von allen diesen Schwierigkeiten bleiben
nur die, welche ihr unerhörte Blechmassen verbrauchen-
des Orchester und die technische Natur des Werkes der
Aufführung bietet. Zu verstehen ist sie ziemlich einfach,
794 ♦^
wenn man nur darüber klar ist, daß sie nicht eine Zu-
sammenstellung von allgemeinen Stimmungsbildern geben
will, sondern daß sie zu jener ungeheuren großen Klasse
von Programmsinfonien gehört, deren Komponisten eine
Angabe über das Programm für unnötig erachtet haben.
Ihr Inhalt berührt sich einigermaßen mit dem von Drae-
sekes Cmoll-Sinfonie. Sie schildert das Ende eines edlen
Menschen, der einen schweren Verlust nicht verwinden
I kann. Die Beziehungen zu Draeseke sind rein^^zufällig;
' wesentlichere dagegen bestehen zwischen Mahlerß Kom-
position und der Sinfonie fantastique von Berlioz. Auch
Mahler neigt, wenn auch durch bessern Geschmack ge-
zügelt und gehalten, ein wenig mit seinem Programm
zur Schauerromantik; noch mehr gleicht er ihm in dem
Streben nach neuen Orchesterwirkungen. Sogar eine
Besenrute nimmt daran Teil. Sie sind im ganzen
edler als die der Sinfonie fantastique und beruhen im
wesentlichen auf einer Übertragung der von Wagner
für den »Ring des Nibelungen« ersonnenen Farben in den
I Konzertsaal. Mahlers Cmoll-Sinfonie bildete für ihre Ent-
I stehungszeit den Superlativ dessen, was die neue Zeit in
• der Kunst der Klänge und Klangmischungen erreicht und
• vor sich gebracht hat. In der Menge imposanter, mäch-
' tiger Töne hat sie in der früheren Sinfonieliteratur nicht
ihresgleichen. Sie ist aber auch ein durch hohe und edle
Ideen hervorragendes Werk.
Der erste Satz (Allegro maestoso, C/, CmoU) beginnt
mit Motiven des Schwankens und der Aufregung, des
empörten Gemüts, als wenn sich einer sträubt, eine furcht-
bare Nachricht zu glauben. Des weiteren entrollen ihre
Bilder den ungeheuren Schmerz einer großen Seele und
Begräbnisszenen. Die Phantasie sucht sich dem Ein-
druck des Verlustes durch Flucht in ferne, holde Zeiten
zu entwinden. — Die Form, in der dieser Inhalt darge-
stellt wird, entspricht in den großen Zügen dem Aufbau
des Sonatensatzes. Schwierigkeiten verursacht vielleicht
das Verständnis des ersten Themas dadurch^ daß sein
Kontrapunkt als ein selbständiger Ideenteil vorausge-
— ^ 795 «^
schickt wird. Das zweite Thema tritt ungewöhnlich bald
ein und ist in mehrere Gruppen jterteilt.
Der zweite Satz (Andante con moto, ^/^ AsdurJ zeigt
den Helden des Tongedichts bemüht, sich in des Lebens
Behagen und in seiner AUtägtichkeit wieder zurecht zu
finden. Erregung klingt bafd leise durch diese Versuche
durch, bald bricht sie leidenschaftlich aus und wirft die-
selben Töne der Verzweiflung in das Bild, die im ersten
Satz so erschütternd wirkten.
Der Hauptsatz dieses Andante hat ein Thema, das
dem Walzer der Volkmannschen Fdur-Serenade wohl ab-
sichtlich nachgebildet ist Ein Kontrapunkt der Celli
sucht die Tanzweise zu heben, ein festliegender Baß zieht
sie ins Wunderliche und Lächerliche.
Der dritte Satz (ebenfalls ein ruhiger 3/4 Takt, in
Cmoll) führt die Versuche vom Schmerz loszukommen,
einen gewaltsamen Schritt weiter. Um zu vergessen,
verliert sich der Trauernde ins Triviale, begibt sich
mit den besten Teilen seines Wesens in unwürdige
Gefahren. Umsonst! Durch alle Lagen, auch durch
die Stunden neuer Hoffnungen, dringt der alte Schmerz
wieder durch. Die Wunden der Seele bluten nur .hef-
tiger.
An neuen, überraschenden Mitteln der musikalischen
Karikatur durch Klang und Melodik ist dieser Satz sehr
reich. Seine gebrochene Schlußstimmung führt höchst
natürlich hinüber zum
Vierten Satz , einem feierlichen OTakt ^in Des dur,
der ein Altsolo einführt und ihm ein »Urlicht« betiteltes
Gedicht aus »Des Knaben Wunderhorn« überträgt. Wer
dem zweiten und dritten Satz mit dem richtigen inner-
lichen Anteil gefolgt ist, wird nicht befremdet sein, wenn
hier die sinfonischen Traditionen plötzlich durchbrochen
werden. Der Verlauf ließ für den Helden nichts übrig
als die Sehnsucht nach dem eignen Tode, und diese
spricht das Altsolo — für viele Zuhörer vielleicht über-
tlüasigerweise — ergreifend schön , in der Tonspraehe
alter Zeilen aus.
--* 796 «^
Ans diesem VerhAitnfs folgt, daß der zweite, dritte
uüd vierte Satz eng zusammengehören und dafi vielleicht
ihre äußere Trennung besser unterblieben wäre.
Der fünfte Satz, kurz gegliedert, zerrissen, im
Tempo immer wechselnd, f&hrt die irreleitende Oberschrift':
>lm Tempo -des Scherzos«, die wohl nur für den ersten,
entsetzlich wild hereinfahrenden Abschnitt (S/g Takt) gelten
soll. Jedenfalls darf niemand den Charakter des gewöhn-
lichen Scherzos erwarten. Der Komponist schildert hier
ein Gemüt unter den Eindrücken, die der Entschluß zum
Sterben hervorruft. Er gibt uns Choräle und fromme,
feierliche Gedanken der Ergebung, des Hoffens auf Gott
und Jenseits, der Liebenswürdigkeit im schrofifen Wechsel
mit dem Ausdruck der Klage, des Entsetzens, des Todes-
grauens mit phantastischen Bildern geistiger Umnachtung.
Sie treten ganz besonders hervor in einem kurzen Ab-
schnitt, den Hörner — die Stelle hat die Oberschrift:
»Der Rufer in der Wüste« — mit Signalen einleiten. .In
der Mitte der Komposition regt sich in einem kräftigen
Marschsatz (F dur) noch einmal die Lebenslust Als alles
zu Ende ist und Stille eintritt, spielen Mittelstimmen leise
auf das zweite Thema des ersten Satzes an.
Der Schlußsatz knüpft ebenfalls an die sanften be-
freienden Ideen dieses Themas in seinem Hauptinhalt an.
Den Anfang macht ein romantisches Konzert zwischen
Trompeten, Hörnern, die aus der Feme spielen, mit der
Soloflöte und der großen Trommel des Orchesters. Es
hat wohl zu der Oberschrift des Satzes »Der große Appell«
Veranlassung gegeben und will das Auferstehen der Natur
im Frühling zugleich mit der Auferstehung der Toten vor
die Phantasie führen, Bilder eines Michelangelo und eines
modernen Idyllenmalers in einen Rahmen drängen. Bald
darnach tritt der Gesangchor ein und singt: »Auferstehn,
ja auferstehn«. Der zwischen Solisten und Chor verteilte
Text erklärt auch das weitere.
Wenn sich diese früher lange ignorierte C moU-Sin-
fonie Mahlers mittlerweile in den Konzertsälen (als »Auf-
erstehungssinfonie«) eingebürgert hat, und wenn aucli
.^ 797 4>--
seine weiteren Sinfonien bis zur achten -^ die nettnie ist
augenblicklich noch nicht yeröffentUcht — in der Statistik
der AuüQhmngen in der vordersten Reihe der Novitäten
stehen, so ist das 'die Folge der raschen und kaum zu
ahnenden Entwicklung, welche der Komponist nach jenem .
Werke genommen hat. Er ist sehr bald ein Krösus der
Orchestertechnik und darüber hinaus ein Sinfoniker von
ganz eigener geistiger Bedeutung geworden. Es wird
allerdings noch einige Zeit kosten, bis seine Sinfonien
nach dieser letzten Seite hin voll verstanden werden, und
eine unbedingt beglückende, zur Liebe zwingende Wirkung
wird ihnen für immer versagt bleiben. Aber als Seelen-
bekenntnis, als eine für viele sprechende Stimme aus der
Zeit des Komponisten, haben sie schon jetzt ihren ge-
schichtlichen Wert.
Mahler begnügt sich nicht damit, erlebte oder ge-
träumte Freuden und Leiden in Tonbilder zu fassen, nicht
mit der Wiedergabe von seelischen und sinnlichen Ein-
drücken, die der Aufnahme und Verwertung in jedermanns
Phantasie und Gemüt sicher sind, sondern er will vor
allem eine Weltanschauung predigen. Das tun die großen
Meister auch, aber implizite und unwillkürlich ; . Mahler |
dagegen geht von der bestimmten Absicht aus, seine An- !
schauungen vom Leben und vom Menschentum, vom \
Wert irdischen Treibens und Wähnens zum Ausdruck zu ;
bringen. Er ist ein sinfonierender Philosoph und als ,
solcher, weit über Wagner hinaus, Vertreter jenes mo-
dernen, unerbittlichen Pessimismus, als dessen literarische
Haupiapostel Schopenhauer und Nietzsche allgemein be-
kannt sind. Von letztevem unterscheidet ihn noch ein
starker Rest von Humanität, der Glaube an die be»
seligende Macht wahrer Liebe, an den Trost und die auf-
richtende Kraft festen Wollens und Ringens. Aber die ,
kleinen Ergötzlichkeiten der Menschheit, ihre Menuetts
und Scherzos, auch ihre frommen und kirchlichen Siche-
rungsmittel haßt er wie Einer und geht in ihrer Ver-
spottung gelegentlich bis zu einem Punkt, der die Krimi- '
nalität streift
-^ 798 ^j—
0aTiiit erledigt sich einfach die oft aafgeworfene
I Frage: warum Mahler seinen Sinfonien keine Prograsüae
\ beigegeben habe, und damit erklärt sich auch die Menge
/ oft abstoßender parodistischer Züge, * die in den Mahler«
) sehen Sinfonien anch dem Ahnungslosesten auffallen und
1 die so viele seiner Zuhörer zur Zeit noch verwirren.
Mahler gehört zu den im tiefsten Grunde unglücklichen
Naturen, an denen die Geschichte der' Künstler und der
hervorragenden Geister nicht eben arm ist; seine Sin-
fonien bezeugen aber unabweislich, daß er auch zu jenen
edlen Naturen zu zählen ist, die in der Resignation ihren
Halt gefunden haben.
Rein musikalisch imponiert Mahler am stärksten
I durch die Beherrschung des Kolorits. Diese von den
I Neueren nahezu zur Hauptsache gemachte Nebenkunst
.' meistert er nicht bloß in ihren bekannten Wirkungen
und Wundern und in der ganzen Skala vom Subtilsten
bis zum Gewaltigsten vollständig virtuos, sondern er liebt
es hier auch,' vom Glück bald getragen, bald verlassen,
stärk zu experimentieren. Unter den von ihm in der
Sinfonie neu versuchten Instrumenten fehlen nur noch
die Hupe und die Dampfpfeife; Orgelton und Glocken*
klang, beide schon früher versucht, werden ihm vielleicht
das bleibende Bürgerrecht in der Sinfonie zu danken
haben. Auch als Kontrapunktiker leistet Mahler Außer-
gewöhnliches. Regelrechten Fugen und Variationen ist
er abhold, gelegentlichen kleinen Kanons geneigt, die
Hauptkraft aber wendet er der Umbildung von lliemen
und Motiven, der Kombination getrennter Ideen und
der reichen Einkleidung der Hauptgedanken durch selb-
ständige, in interessanten, auch harten Dissonanzen schil-
lernde Begleitungsmotive zu. Im letzteren Punkt folgt
er dem zuerst von Wagner gegebenen Muster mft einem
gewissen Überschwang; das Mahlersohe Orchester fesselt
durch innere Lebendigkeit, zuweilen aber ist es überladen.
Als Erfinder ist Mahler vielseitig und immer chiirakter-
voll, aber nicht eigentiich universell und originell; nament^
lieh da, wo die Themen Größe und Aufschwung aus-
799
drücken sollen, wo ihr Wesen auf der Tagesseite mensch«
lihen Dlchieus und Fühleus Hegt, bleibt er nicht selten
trocken, kommt über Marschweisen nicht hinaus and
verfügt nur über eine spärliche Zahl rhythmischer Und
melodischer Grundformen.
Die dritte Sinfonie Mahlers (Dmoll) verläuft in zwei e. HaUer,
Abteilungen, von denen die erste aus dem ersten Satz, Dritte Sinfonie
die zweite ans den folgenden fünf Nummern besteht.
Jene bietet das Bild einer großartigen Kraftentfaltnng,
diese stellt ihm Tändeleien entgegen, über die erst am
Ende wieder ein starker und ernster Geist siegt.
Der erste Satz (Kräftig, entschieden, D moB, V^ ^^^
ginnt mit folgendem Hauptthema:
Seine ersten Takte stellen mit dem Zitat aus dem be-
kannten Studentenlied »Ich hab^ mich ergeben usw.« eine
frohgemute, patriotische Stimmung fest, die aber be*
reits in der zweiten Hälfte in Unruhe und ins Schwan-
ken gerät. Mahler läßt die einfache Melodie von acht
Hörnern im unisono blasen. Schubert kommt bei einem
ähnlichen Zweck im Anfang seiner großen Cdur-Sin-
fonie allerdings sehr gut mit zwei aus, trotzdem ist das
Mahlersche Massenaufgebot keine bloße Marotte oder
Äußerlichkeit, sondern der Komponist braucht eine
Flotte mit tausend Masten, damit der schnell eintretende
Schiffbruch um so kläglicher wirkt. Schon bei der
letzten Note des Themas weicht der glänzende Klang
einem doppelten und dreifachen Piano, die Stimmung
ist gebrochen, die *>ti > T -^ \ ■-, 1 F^ ^^® klagen
Bässe fragen leise: -^ ^ ■ -JJ.^' Jj' '^--^ laut und wild:
-? • '*' iT P r o^^o-n ^^^ ^*® Trompc-
r ' I T I '\ te gibt mit grel-
Jjy ler Dissonanz in:
einer Verzweiflung, einem
aus
lange kein
'h nütfCtfl
ifl i ^llil T 1 I ®*°®^ Verzweiflung, emei
"^ Btr ^"^ I I JLJjil I M Unfrieden Ausdruck, ai
' «^ f ^^^^^^^s>^ T dem sich sehr lanee kei
1^
.-^ 800 4^-
Ausweg bieten will. Es braucht nach jenem Trom|>etensehrei
76 Takte des Suchens und Versuchens mit neuen, und alten
Motiven, in den Hörnern zumal, bis sich die erschreckten
Geister wie im Schlummer, den nur eine einsame Pauke
leise durchklingt, be> q ^ ^^ i,j ^J
ruhigen. In Bruckner4Bp^ f i \ j n
scher Art folgt jetzt mit^
ein Choral, der wie aus der Höhe erklingt und von der
Oboe mit pastoralen Motiven begrüJBt und begleitet wird.
Mit ihm beginnt die Gruppe des zweiten Themas, die im
Gegensatz zu dem heroischen Anlauf, mit dem das erste
einsetzte, auf eine ergebungsvolle Stimmung hinlenkt
Der Weg dahin ist aber nicht leicht; zunächst, ehe der
Vs Takt einsetzt, kommt eine Stelle, wo aus der Schwer-
mut volle Gebrochenheit geworden ist, wo die Musik
allein mittelst des Schlagzeugs gespenstische und un-
heimliche Lebenszeichen gibt. Die Rolle des Aufhellens
und Aufmunterns übernimmt da das Osterinstrument,
die Posaune, und ruft in langen, energischen Rezitativen
zum Choral zurück, der zuerst aus den tiefen Instrumen-
ten in geisterhafter Färbung ertönt, dann aber in Flöten
und Violinen aufsteigt. Daß ihm aber die Herrschaft
noch lange nicht sicher ist, sagt die plötzliche Wieder-
kehr der Trompetendissonanz, es sagts auch der verhüllte
Klang, in dem er intoniert wird, und drittens der selt-
same Abschluß der ganzen Themengruppe in einen un-
vermittelten Übergang nach Cdur, mit einem schrillen
Einsatz der Klarinetten. Dieses Klarinettensignal bringt
die Wendung im Satz, es kündet einen Oberfall: neuste
Feinde sind in das von Parteiungen verwirrte Land ein-
gebrochen. Der Warnung, dem Hilferuf wird in der nun
folgenden Durchführung entsprochen, die uns in einem
breiten und bunten Bild den Heldenmut und die Vater-
landsliebe am Werke zeigt Formell wird die Schilderttng
von einem feurigen Marsch getragen, der von Cdur aus
die verschiedensten Tonarten durchläuft und sich in er-
staunlicher Wandlungsfähigkeit allen Phasen eines Kriegs-
ganges und seiner Entscheidungskämpfe anpaßt Selbst-
— ♦ 801 «^
I
verständlich kommt hier der Anfang des Häuptthemas
zu seiner Geltung, es lenkt und leitet die ganze Entwick-
lung des großartigen Tongemäldes, hier herrisch und an-
feuernd, dort in wunderschönen, warmen, edlen, elegischen
Umbildungen, zum Schluß nach vielen kritischen Augen-
blicken und nach vielen Wehrufen triumphierend. Der
ganze Durchführungsteil, der ungefähr die Hälfte des
ersten Satzes einnimmt, ist ein glänzendes Zeugnis des
Könnens Mahlers, seiner kombinatorischen Begabung,
aber auch der Macht seiner Phantasie und seines Ge-
fühls. Der Marsch verschwindet schließlich wie ein Stück
Spuk, und es beginnt die Reprise. Sie unterscheidet
sich — von den hergebrachten Modulationsänderungen
abgesehen — durchaus logisch von der Themengruppe
dadurch, daß sie die d6m Hauptthema folgende Partie
des Zweifeins, Schwankens und der Unentschlossenheit
überschlägt. Der Marsch schließt den Satz und zwar
mit höchster Kraft in Fdur.
Der zweite Satz (Tempo di Menuetto, sehr mäßig,
A dur, 3/4) zeigt uns den Komponisten, ähnlich wie der
Walzer in der Cmoll-Sinfonie, als ein ausgezeichnetes
Snitentalent, aber eigentümlicherweise als eines, das
sich auf diesem heimischen Boden nicht wohlfühlt. Das
lassen im Hauptsatze schon verschiedene Abschweifungen,
noch mehr läßt es im Alternativ der unstete Wechsel von
Tempo ) Takt und Motivmaterial merken. Stellenweise
spricht sich der Unwille, den der Komponist gegen das sinfo-
nische Herkommen hegt, in einer gesuchten Schalheit aus.
Der dritte Satz (Comodo, Scherzando, Cmoll, ^4^
zeigt uns Mahler noch entschiedener auf dem Weg
zu einem Offenbach der Sinfonie. Wie schon das
erste Thema jPlK 1: T T f Tf 1 r r » • * trivial sein will,
(der Oboe): ^^''* '-' * ^ iU F ^^'^^ so geht die Er-
iindung durchweg auf eine grimmige Verspottung des
ganzen Genres aus. Für den Zuhörer bleibt viel Witz
im einzelnen zu genießen, am Schluß kommt sogar mit
dem Konzert zweier Posthörner eine idyllische Episode,
um deren Poesie an dieser Stelle es eigentlich schade ist.
KretcNchmar, Führer. T, t. 51
— ♦ 802 #^
Der Tierte Satz (Misterioso, sehr laagsam, Ddnr,
s/t) knüpft in der kurzen Emleitong an die Yeriegenheits-
rtelle am Schlosse des Häuptthemas Tom ersten Satz an
und bringt dann Aber Worte yon Nietzsche ein Altaolo,
das an eine getragene, halb tiefsinnige Melodie einige
seltsame, altTlterische Schnörkel kn&pft, so daß man
nicht recht weiß, ob man das StQckchen für Bmst oder
Scherz rechnen soll.
Beim ffinften Satz (Lustig, Fdar, V4) besteht da*
gegen gar kein Zweifel, daß Mahler parodieren will. Der
Knabenchor, der uns hier von einer Begegnung erzfthli,
die zwischen Jesus und Petrus im Himmel stattfindet,
tot dies in einem so kecken, unwürdigen Ton, daß es
nicht noch des Gestammels auf »bamm, bimmc bedurfte,
um über die gradezu frech antikirchliche Tendenz des
Satzes aufzuklären. Hier hört der Spaß auf^ und en kommt
an Mahler ein peinliches Stflck Shylock zum Vorschein.
* Der sechste und letzte Satz (Langsam, Ddur, C)
gelangt von einem Anfang, der die Stimmung in etwas
konventionellen Melodien zur Ruhe sammelt, über Strecken
leidenschaftlicher Erregung zu einem Frieden in Kraft und
Glanz, mit Themen und Motiven, die an schönste Stellen
des ersten Satzes anknüpfen und damit die Sinfonie zu
einem versöhnenden, harmonischen Abschluß bringen.
O.HftkUr,.-' Das Äußerste, was in sinfonischer Form an Parodie,
Viert« SinfonU an Hohn und Spott möglich scheint, bietet Mahlers
vierte Sinfonie (Gdur). Ihr Objekt ist der gebildete
Philister, dessen Wesen und Treiben der Komponist in
vier Bildern vorführt.
Der erste Satz (Bedllchtig, Gdur, Vi) ^^i^
gleich mit einer Karikatur an, nämlich harmonisch
verkehrt, statt in Gdur in Hmoll und mit Motiven
lichkeit: ^ PWoiin ' >0b. ^ «to,
die bald von 0 1 _ .f<rT">- _ 1 .^jT^
einer billigen h) A"! f EJ II f ^i(f'rrpff MPf T te.
Sentimentalität: ^io\.p^>=:z pp^ ^^
--^ 803 4^
abgelöst wird. Bereits mit dem zweiten Thema:
^) j*»^" jlJ J l JWJJjjUi •«<»' Ineiersche !toch'
Celli ^—^ -^— ^ ^^==*" masch von täp-
pischer Lustigkeit und erkünstelter Empfindsamkeit bei der
▼oHständigen Lächerlichkeit angelangt. Mahler gewinnt
aber seinen Themen immer neue lustige Seiten ab, teils
durch witzige Instrumentierung, teils durch Widersprüche
in der Gedanken entwickelung: .da wird der phrasenhafte
Doppelschlag (von b) plötzlich von 3 Oboen unisono
und im fff herausgestoßen, die Kontrabässe und Kontra-
fagotte stöhnen ihn inbrünstigst in die Leere, andre In-
strumente wieder konzertieren um ihn. In der Satzfüh-
rung werden nichtige Motive plötzlich mit Kantilenen
kontrapunktiert, die sich wohltuend innig anlassen, aber
schnell wie Seifenblasen zerplatzen, oder es spannen
uns große Steigerungen und münden in Trivialitäten aus.
Die Hauptstelle dieser Art kommt in der Durchführung,
wo aus einem kurzen, -p l p m i - ^C T r-
aber pompösen Orgel-^p J^ I p I J" |^ I Cir^J ^ *^'
punkt der Gassenhauer: *^
entspringt. Trotz ihrer Länge bleibt die Komposition bis
zum Ende amüsant.
Der folgende, zweite Satz (Ohne Hast, Cmoll, s/g)
nimmt sich die Karikatur philisterhafter Gemütlichkeit
zum Ziel, ihr Merkmal ist ungeschickte Beweglichkeit
im engen Kreise. Das will das Thema des Hauptsatzes
das nach ei-
_ ner kurzen
»V-^^ p-=:jr P =- Homeinlei-
tang von einer falsch gestimmten Solovioline gebracht
wird, mit seiner vertrackten Melodik sagen. Harmonie
und Kontrapunkte greifen in gleichem Charakter ein, und
ihm entsprechen endlich auch die zahlreichen reinen und
variierten Wiederholungen, die das Thema erfährt, und die
umständlichen Anläufe, die zu ihrem Eintritt unternommen
werden. An einer Stelle, bei der plötzlichen Wendung aus
C moll in G dur, hört man in den Flöten unverkennbares
61*
^
804
Gelächter. Das herkömmliche Trio des Satzes steht in
D dur, ist sehr kurz and hat in den Violinen eine ein-
fache anheimelnde Gesangmelodie, deren Wirkung aber
durch eine geschwätzige Klarinette absichtlich verdor-
ben wird.
Im d r i t te n Satz (Ruhevoll, G dur, C) nimmt der Kompo*
nist anfangs eineMaske vor und empfängt uns miteiner nicht
gerade neuen, aber sehr bewährten Weise elegischer Natur:
^^^-^■^ xtn" ± ^t . aus der sich eine
5g(r_| M M AI I J I rJ! Art friedevollen
ccüi pp •^ ^-^ etc. Abendliedes ent-
wickelt. Den weitren Verlauf nimmt aber wieder der Schalk
in die Hand. Es beginnen Variationen über das Thema, und
es ist auf eine Verspottung der landläufigen Variationen-
form abgesehen, die durch reiche Benutzung abgebrauchter
oder übertreibender und lächerlicher Wendungen, durch
unsinnig schroffen Tempowechsel, durch unmotivierte
Entstellungen des Themas von Abschnitt zu Abschnitt
deutlicher wird. Auch der ganz unbestimmte, fast hüif-
lose Schluß des Satzes auf der Dominante gehört mit ins
Bereich der Karikatur.
Bis hierher waren die von Mahier aus dem Seelen-
leben des Philisters entnommenen Parodien alle drollig,
und auch die groteskeren trug ein noch immer liebens-
würdiger Humor. Es ist darum bedauerlich, daß er mit
.dem schließenden vierten Satz (Sehr langsam, G dur, V4\
der wieder ein Gesangsatz (für einen Solosopran) ist, die
Wirkung des heitren Werkes aufs Spiel setzt Der aus
»des Knaben Wunderhorn« entnommene Text dieses
Schlußsatzes gehört zu den mehreren der Sammlung, in
denen die Naivität sich der Lächerlichkeit nähert. Mahler
gibt ihm folgende Melodie:
Wir grüßen die himm
1 i .sehen Freiideii,dnijii
wendet ihn also äugen-
ische mei.dcn scheinHch ins Kindische.
_^ 805 «—
Daß er damit nur den fromm tuenden Philister, nicht
die Frömmigkeit und den Paradiesesglauben überhaupt
verspotten will, ist an und für sich klar und wird noch
dadurch bestätigt, daß die Nachspiele der Verse aus dem
t&ppischen, leitenden Philistermotiv gebildet sind, mit dem
die Sinfonie in ihrem ersten Takte einsetzte. Aber es
ist doch fraglich, ob dieser Unterschied überall verstanden
und anerkannt wird, und es bleibt deshalb kaum viel
dagegen einzuwenden, wenn vorsichtige Dirigenten auf
diesen Schlußsatz verzichten.
Den Höhepunkt Mahlerscher Kunst bildet . seine ti. MaUer,
fünfte Sinfonie, die in Cismoll beginnt und in D dur ^önfio Sinfonie
endet. Ein durchaus ernstes Werk und frei von den
parodistischen Absichten ihrer Vorgängerinnen, führt sie
in fünf Sätzen das Bild einer trauernden Seele vorüber,
die sich aus Schmerz und Verzweiflung heraus wieder
ins Leben zu finden sucht.
Der erste Satz (Im gemessnen Schritt, Cismoll, ^/j],
der in der Form eines Trauermarsches gehalten ist, wech«
seit zwischen wilder Erregung und einer mit den Tränen
kämpfenden Müdigkeit, die oft genug der vollen Gebrochen-
heit nahe ist. Erstre wird von den punktierten Rhythmen
eines Themas getragen, mit dem die Trompete den Säte
beginnt:
jjTj"'jijij ui^j>
^ \y letztre von folgender Geigenmelodie i
Mit den Wiederholungen und Verwandlungen dieser bei-
den Themen schildert der Komponist in verschiediier
806
Weise den Übergang vom Aofrulir zur Ruhe, von der
Stille zum Tumult der Gefühle. Schon scheint in die
Seele das Gleichgewicht zurückzukehren, da beginnt in
allen Baßinstrumenten Glockengel&ute (B F), und anfis
neue hat die leidenschaftliche Fassungslosigkeit die Ober-
hand und behält sie trotz der schön zusprechenden Trost«
melodien, denen wir u. a. in
,i>c .. „_ ^ .
etc.
molto erme. J^
<f
und in
begegnen, bis ans Ende des Satzes. Erst da fließt die
Klage weich und rührend und leise stirbt die Musik, nicht
ohne bis zum letzten Takt mit unerwarteten Wendungen
zu überraschen. Eine solche ist das A dnr bei den letzten
Intonationen des Triolensignals mitten zwischen Fismoll
und CismolL
Der zweite Satz (Stürmisch bewegt, AmoU, ^) ist
eine im Charakter gesteigerte Variante des ersten. Der
Schmerz nähert sich hier mit energisch trotzigen Achtel-
gängen und heftig rhythmisierten Motiven der Wut;
Klage und Trost finden im Gegensatz dazu schOne,
warme, herzliche TOne der Innigkeit Eine Hauptrolle
spielt im Beschwichtigungsdienst das Cello. Es gießt
zuerst mit einer ernsten, sanften Melodie in Fmoll
I— _«"^^'^T>i n ^^ *^^ ^^^ Brandung,
yiy J« [fl Ir V\x\ ^ als die Desperation wie-
^ der wild aufochreit, er-
hebt es mit einem nur von leisem Paukenwirbel be-
gleiteten Monolog dagegen einen Einspruch, der die eben
zitierte schöne Melodie an die Spitze und das empörte
Gemüt etwas zur Ruhe bringt Unter den Episoden,
welche zu dieser Wendung führen, ist namentlich ein
Kanon zwischen den Holzbläsern und den Cellis her-
vorzuheben, der aufrichtend folgendermaßen anhebt:
-^ 807 ^^
a±r"^ 3 ^ , j^ ♦ Das Nonen-
_->L-", . =^ r r r r \ — *^" mit
^ ~" dem diese
Melodie einsetzt, ist vom Anfang des Satzes an eine
Hauptstimme für den fortnagenden Seelenschmerz und
hat das letzte Wort im Satze, der mit einem dumpfen
Paukenschlag ausklingt
Wer die Entwickelnng und das Gesamtergebnis dieses
zweiten Satzes nachzufühlen vermocht hat, wird der
Lustigkeit, mit der der dritte Satz (Scherzo, Ddur, Vi)
Themas: Höpimr/ ^^ -r JjT eto.
anhebt, nicht trauen, und tatsächlich nimmt sie schon bald
einen gedrückten Charakter an, der in dem neuen Thema
9 $ft ^1 flt> "lir iit^^'^^nn ■ .. • I ■ i. einem Milch-
9 " ti^^ W^tX^^'^^ ^^^bruder der
y n-ccULJ -«=1 jjp «tc- Hauptmelodie
des zweiten Satzes der vierten Sinfonie, seinen deutlich-
sten Ausdruck findet In dieser Richtung entwickelt sich
die Stimmung weiter, der heitre Ton wird nur mit Un-
behagen festgehalten, es kommen Momente des Er-
schreckens und der Wildheit, aus denen plötzliches Be-
sinnen zu einer ganz ähnlichen ärmlichen Fröhlichkeit
überleitet, wie sie jedermann aus dem Danse macabre von
St. Saöns kennt. Zum Schluß wird sie gewaltsam zu
einer erkünstelten Ausgelassenheit aufgepeitsclit.
Einen bessren JVeg zur Heilung des tief getrolTnen
Gemütes schlägt der vierte Satz (Adagietto, Fdur, Vi)
ein, indem er sich der Erinnerung an den geliebten Toten
hingibt In edlen Melodien lebt sein Bild auf, es liegt aber
im Charakter des Satzes, daß sie in etwas unruhiger Be-
leuchtung gehalten sind.
Im fünften und letzten Satz (Rondo Finale, AUegro,
Ddur, (^) empfangen uns pastorale Weisen: der Trau-
ernde versucht es mit der Sänftigung, die im Land-
leben und im Verkehr mit der Natur liegt Dann kommt
ein Thema:
r
8U8
c.n'i" ' 'TnjijiijnTniiiufirrii^^'^r'
das an rüstiges, geschäftiges Arbeiten deiikeu läßt, und
von dem aus Anläufe zur Doppelfuge und Verbindungen
mit zahlreichen Nebenthemen erfolgen. Am besten schließt
es sich mit dem ihm in Kraft verwandten eigentlichen
Rondothema Q tu i . ■ i . , . i . zusammen
des Finale: %^"'^ J MJ^^«««- «„d setzt
mit ihm vereint auch eine lebenslustige Frölilichkeit durch,
die sich, allerdings durch geisterhafte Klänge, durcli herein-
fahrende Trugschlüsse und Dissonanzen häufig erschreckend
unterbrochen, äußerlich bis ans Ende behauptet Redites
Zutrauen kann man ihr nicht abgewinnen, und so ist der
Satz, in seinen Wegen sehr verschlungen und schwer
übersichtlich, auch im Sdilußcindruck der pessimistischen
Auffassung des Problems getreu, etwas unbefriedigend.
Q. Hahler, ; Noch stärker kommt der weltfeindliche Zug des Koni -
Sochate Sinfonie, ponisteu in seiner sechsten Sinfonie (Amoll) zum Aus-
druck. Ihr erster Satz (AUegro encrgico, Amoll, Vi) l>rin?t
nach einer kurzen, durch einen brutalen, auf Frohn und
Peitsche deutenden Rhytlnnus cliarakterisiertcn Einleitung
ein Ilauptthema mit folgendem Anfang:
Es klingt nach hartem Los und scliwcrem Mühen. Dun
tritt nach einem ersten Überblick über die in ihm ent-
haltenen Elemente der Energie und der Empörung ein
zweites Thema:
Cm
imff^M^i^^m
entgegen, das sich mit aller Gewalt Träumen von Frieden
und Glück zuwendet. Zwischen beiden steht, leise into-
niert, ein Choral, der uudi im weiteren Verkiuf des öfteren
die Vennitlclung zwischen den konträren Ideen und Zu-
809
ständen der Themengruppe übernimmt. Zum gleichen
Zweck dient noch eine Reihe sekundärer Motive und Hilfs-
,kräfte; am meisten tritt unter ihnen das Geläute von
Ilerdenglocken hervor, die Mahlers Klangbegierde dem Sinfo-
nieorchester einverleibt hat. Umspielt werden sie regel-
mäßig von in höchster Höhe vibrierenden und glitzernden
(ieigenmelodien friedlicher Natur. Es kommt zu einem
Triumphe des zweiten Themas, das in verlängerten Rhyth-
men und in Adur den Satz abschließt, jedoch ohne
die Kampfesrvistung abzulegen. Das harte Kommando-
inoliv der K S N K ist jetzt 1 1 I | | l 1 |
Einleitung J f W f J f J mit: JJJ#JJJJ
ins Toben geraten.
Der zweite Satz, der nochmals die AmoU-Touait
bringt, nennt sich Scherzo, er hat aber keine Spur von
Heiterkeit, sondern er wiederholt nur die Kämpfe des
ersten in gesteigerter Heftigkeit und Wucht. Aus dem
früher immer noch gemessenen Rhythmus ist jetzt ein
liastiger, ein 3/g-Takt geworden, aus allen Äußerungen des
Hauptthemas und seiner Gruppen spricht nackte Bnitalität.
Das Alternativ:
etc.
(fhoe.f =* P "*== p ff 2»-=;
ist als volkstümlicher Gemeinplatz ein BeschwichtigungH-
versuch mit unzureichenden Mitteln und reizt nur die
den Satz beherrschenden Geister zu immer größrerWüd-
Ireit. Sie artet mehrmals zu einem Wirrwarr aus, bei
dem, Tonarten, Rhythmen, Stärkegrade eingeschlossen,
alles gegeneinander kämpft. An kleinen Scherzen ist
trotzdem in dem Satze bis zu dem einschlafenden Schluß
kein Mangel. Noch ganz zuletzt appelliert das allein da-
hinpolternde Kontrafagott an die I^achlust der Hörer.
Der dritte Satz (Andante moderato, Esdur, ^/J ist
sehr reich an schönen Melodien der Sehnsucht und der
still oder laut entzückten Schwärmerei. Aber, wne das
gleich vom Anfang an die zahlreichen überi^^^^^^^^ BteV-
klänge, später die fortwährenden Müdu\ni:^jv\ev\ auOieulew,
•-♦ 810 ♦—
haust auch in ihm ein Gefühl der Unsichedieit und Un-
ruhe.
Das Finale (AUegro energico, Ämoll, Vi) beginnt mit
einer langsamen Anleitung, die von C moU aus suchend, aber
rasch nach AmoU und da in die Sphäre und die Rhythmen
des ersten Satzes >, ■ r- r- i r^^ _ i O _ i I . -i
gelangt, bald aber in ^H» f [ If f T ItT F T ' 'U ^1
einen müden Ton: ^^sotij^
gerät und sich nur mühsam und hin und her tastend
weiterschleppt Da setzt endlich mit dem Allegro energico
ein seltsames, aber kräftiges Thema ein:
ji'rii ||ii|^iir''r^-i^.t<..
Dem starken UnMeden, der in ihm wohnt, tritt das
zweite Thema:
Hörn f^"^' *<r Oboe ^==^ ^
visionsartig, im plötzlichen Ddur eingeführt, mit einer
Anweisung auf die Zukunft entgegen. Sie wird indessen
nidit eingelöst, sondern, nachdem Szenen des Aufruhrs
und der Beruhigung, Schreckensmomente mit Herden-
glockenidyllen gewediselt haben, auch lange in Adur ge-
spielt worden ist, kommt ein Sdiluß in Resignation. Im
drittletzten Takt schlägt die Pauke, fast roh, das Kommando-
motiv des ersten Satzes an; ein leiser AmoU-Akkord der
Trompeten bildet den letzten Hauch der Sinfonie. Dieses
Finale ist wegen des stark gehäuften thematischen und
motivischen Materials, was darinnen verbraucht wird, für
den Zuhörer schwer, und es ist im Charakter besonders
hart: auf ganze Perioden kommt kaum ein Dreiklang.
e. Hakler, Die siebente Sinfonie, die in HmoU beginnt und in
Siebente Sinfonie. C dur endet, ist Mahlers letzter Hymnus auf die furcht-
lose Kraft. Sie führt den ersten Satz nach langsamer.
-^ 811 4—
schwül wirkender Einleitung im Allegro con fuoco (Emoll, i^)
mit dem Thema:
ein. Es bildet
auch den Schluß
der fönfBätzigen
Sinfonie und bringt die in lärmender Lustigkeit und
verzweifeltem Galgenhumor stürmenden Szenen des
Finale zu einem würdigen Ende. Die drei Mittelsätze
des Werks bestehen aus zwei Nachtmusiken, zwischen
ihnen steht als der dritte Satz eine Art Scherzo (Allegro,
Dmoll, ^/i), das ganz in Totentanzstimmung und schatten-
haft dahinhuscht Die beiden Nachtmusiken nahem sich
in ihrer parodistischen Tendenz wieder der vierten Sin-
fonie, sie verspotten den Philister bei seinen Liebesständ-
chen. Die erste dieser Nachtmusiken (Allegro moderato,
Cdur, */4) hat ein akustisches Kabinettsstückchen in einem,
gleich nach dem das Stück beginnenden, pastoralen Dialog
der Hörner einsetzenden, zehn Takte langen Sätzchen, das
in einem Wirbel von Trillem, Akkordsignalen und weitereu
Naturlauten mit be^ckender Wirkung die nächtliche Sze-
nerie mit leuchtendem Himmel und Sternschnuppen schil-
dert und das später nochmals kommt. Dagegen treten
die mehrfachen Ständchenmelodien des Satzes sehr zu-
rück, sie sind von vornherein absichüich trocken und un-
beholfen- g^alten und arten schließlich in einen ganz
gewöhnlichen Marsch aus. Noch härter geht Mahler mit
dem Liebhaber in der zweiten Nachtmusik (Andante amo-
roso, Fdur, s/4) um. Sie ist eine Sammlung mehr oder
minder schmaditender Phrasen, ihre Trivialität kulminiert
in den vier Takten der Einleitung.
Zur größten Berühmtheit ist Mahlers achte Sinfonie, - 6. Makler,
die sogenannte »Sinfonie der Tausend« gelangt. Diese Acht« Sinfonie
enorme Besetzung der Sinfonie ist keine unentbehrliche
Bedingung, sie wirkt, soweit sie Wert hat, auch mit 150
und 200 Köpfen, aber sie ist keine Sinfonie, sondern eine
^antäte. Map kann darüber unterhandeln ^ ^^ nichl
--♦ 812 ♦^
musikalische Koiupositioneu jeglicher Art nach dem Brauch
des 17. Jahrhunderts mit dem Generaltiiei Sinfonie belegen
wollen, aber so lange dieses Übereinkommen nicht rechts-
kraftig geworden ist, bleibt es eine sinnlose Umkehrung
niehrhundertjähiiger Begriffe, wenn man ein Werk, an
dem das Orchester seinen selbständigen Anteil auf eine
Reihe bescheidner Nachspiele und ein einziges läng^es
Vorspiel beschrankt, mir nichts, dir nichts für eipe Sin-
fonie ausgibt Mit gleichem oder größerem Recht könnte
dann Beethovens Neunte als Kantate angesprochen wer-
den. Wohl ist das eine Äußerlichkeit, aber eine, die
darauf hindeutet, daß ihr Urheber in Ge£ahr war, das Nor-
male und Natürliche mit dem Gesuchten und Bizarren zu
vertauschen. Auch die Zusammenkoppelung des alten
Kirchenhymnus: »veni creator, etc.c mit Goethes >Faust«
zum Text der Kantate oder Sinfonie hat etwas Gewalt-
sames; daneben allerdings auch etwas Hellsichtiges und
Großes. Denn es besteht zwischen den beiden Dichtungen
ein innres Band, der Preis der göttlichen Liebe bildet es,
und das erkannt zu haben, gereicht Mahler zur Ehre.
Was nun die musikalische Behandlung dieses Tex-
tes betrifft, so hat sie unleugbar ihre großen Stellen,
ist aber im ganzen sehr ungleich. Da gehört dexm so-
fort der Eingang des Werks zu den zweifelhaften Ein-
fallen. Denn das in einer Menge teils sinnreicher,
teils nur kunstreicher Umbildungen durch das ganze
Werk, audi im zweiten Teile, verwendete Haupttliema:
Allef*:ro impetuoso ist zwar
igT^ >* IP p ^ li' ^ tJliir r llp'flp "^ mische
V«. ni, ve. ni,cre . a.tor spiritus Explosi-
on heißer Inbrunst gedacht, hat aber in seinem, durch deu
Taktwechsel nur schleclit verdeckten Marschrhythrous einen
starken Rest von Prosa, der auf die bereits erwähnten
Schranken von Mahlers Erfindung zurückgeführt werden
muß. Immerhin ist es in dem ersten Abschnitt bis zu den
Worten: >qui tu creasti pectora superna gratia« das Beste,
was der Komponist zu bieten hat. Tiefer eindrucksvoll wird
-^ 813 4^
die Musik erst wieder, als nach Orgolklang und Glockcn-
läuten bei >Infirini noslri corporis virtute« Stille ein-
tritt, und ein Abschnitt, dem Größe nicht abgesprochen
werden kann, entwickelt sich in dem Vers: >Lumen ac-
rende sensibus« mit dem unisono-Einsatz aller Stimmen,
den Knabenchor an der Spitze. Bedeutungsvoll treten aus
ihm die Worte: »infunde amorem sensibus« hervor und
ein Orgelpunkt auf B, der 28 Takte dauert, bringt die
erste Hälfte des Hymnus zum imposanten Abschluß; an
seinem Ende dominiert das Hauptthema. Von »Qui Para-
rlitus diceris« ab beginnt ein langer, schöner Nachgesang
milden Charakters, bei reichem T>ebcn besänftigend und
beseligend. Auch ihn krönt das Hauptthema. Damit ist
der eigentliche Hymnus zu Ende, und ein Orchester-
zwischenspiel leitet zu der üblichen Coda aller Hymnen
und Psalmen, zum »Gloria Palri etc.« über, das eben-
falls zu dem Hauptthema zurückkehrt.
Diejenige Stelle, an welcher die Komposition einen
wirklich sinfonischen Charakter annimmt, ist die Einlei-
tung des zweiten Teils, ein Orchestersatz (Poco Adagio,
Esmoll, C) in welchem 164 Takte lang die Kontrabässe,
meist gemeinsam mit Aen _-i_
Cellis, Bratschen und zweiten V \)'\,\\f | J i ^ J J ] I ^^
Geigen, das Pizzicato-Moliv "^
durchführen, in den Bläsern wird spärlich gesungen, die
ersten Violinen aber halten fiast die ganze Zeit an einer
liegenden Stimme, dem drei gestrichenen ^, fest. Nur
im Mittelteile wird dieser Gespensterton einige Perioden
hindurch aufgegeben, um erregterer Klage Raum zu geben.
Das Stück erinnert an das »Libera etc« in Berlioz' Requiem,
mit dem es q i^^ ^ begegnet, übertrifft aber die-
sich auch in -fe fhK^ p ^ p p -J ses Muster noch an Fremd-
dem Motiv artigkeit und in dem Stärke-
grade, in welchem es Gefühle der Öde, des Druckes, der
Verlassenheit und des Irrens erregt. Es ist eine unver-
gleichlich unbarmherzige Art von Musik, ein Bravourstück
nächtiger Kunst Nach ihm beginnt Mahlers Konkurrenz
mit R. Schumann. Denn er hat sich die o\c\cV^^tv Szetxen
--♦ 814 ♦^
aus Goethes »Faust« ausgewählt, die den dritten Teil des
Schumannschen Faustoratoriums bilden. Daß der Jüngere
den Alteren verdrängen werde, ist nicht zu erwarten, weil
Schumann den melodischen Reiz, die bessere Vokalitfit
und die Einfachheit des Stils voraus hat, vor allem aber
den verklärten, zarten Ton dieser Himmelsszenen glück-
licher trifft und festhält. Mahlers Faustmusik ist reicher
an Kombination als an Inspiration, sie erfreut hie und da,
z. B. bei dem kanonischen Terzett der »drei Marien«,
durch Proben wohl angebrachter Kunst, aber sie verdirbt
auch viel durch ein Übermaß von Arbeit. Bedeutend
wird sie gegen den Schluß hin, ungefähr von den Worten
der Mater gloriosa ab: »Komm, hebe dich zu hehren
Sphären«, meisterlich mit dem Einsatz des Doktor Marianus
»Blicket auf etc.«. Der Chor, der erst leise mit einstimmt
und dann das Thema selbständig weiterführt, hebt diesen
Abschnitt über die Erwartungen, die sein An&ng erregte.
Ebenbürtig schließt sich der Ausgangschor »Alles Vergäng-
liche ist nur ein Gleichnis etc.« an, der von äußerster
Zartheit aus in schlichten, natürlichen Weisen zu glänzen-
dem Klang anwächst und mit der Verbindung der Themen
von »Neige, neige etc« und »Veni sancte spirifns« das Ganze
noch einmal zusammendrängt und gewaltig abschließt.
OaniUo 'Hörn, Ein zweiter Bmcknerschüler, Gamillo Hörn, hat
F moll-SInfonie. sich unlängst mit einer Fmoll-Sinfonie (Op. 40) einge-
führt, die sich mit dem Hauptthema des ersten Satzes
Kräftig bewegt ,- , mit den Nibelungen-
iji' Uli NjiTiiii :tZ ^^
ner, die es einlei-
ten und auch in der Neigung, längerer Sätze durch
Sequenzen und Nachahmungen kleinerer Motive zu ent-
wickeln — so hier den eingeklammerten TeU des Themas —
zu dem Lehrer bekennt, neben ihm aber sehr freiherzig
noch andern Meistern und VorbUdem huldigt und uns in
dem Autor eine Natur vorführt, die nach Eklektik und
Ausführlichkeit der Rede starke Verwandtschaft mit Joachim
Raff aufweist. Stärker als Brückner hat auf Hom R Schu-
mann eingewirkt, mit diesem in gleichem Maße R. Wagner
--♦ 815 ^^
als Komponist der Meistersinger, aus denen seine Phan-
tasie die freundlich frohen Farben ähnlich reich und un-
ablässig schöpft, wie das zuerst bei Hermann Götz zu
bemerken war. Im Adagio gibt auch Gounod, dessen
zarte Empfindung Hörn im allgemeinen sehr sympathisch
zu sein scheint, mit einer bekannten Faustselle eine Gast-
rolle. Haben wir es somit bei dieser Sinfonie im Allge-
meinen mit Erfindungen aus zweiter Hand zu tun, so
erfreut sie doch durch geschickte, fleißige Arbeit und durch
die logische Entwickelung eines klaren Plans. Es geht
auch durch .alle Sätze wenigstens ein Lebenszeichen von
Indiyiduahtät und eignem Stil: der Komponist bleibt
häufiger als andere bei seiner Wanderung stehen und
schöpft Atem, und darüber hinaus beweist er auch durch
einen ganzen Satz, daß er ein Gebiet hat, auf dem er
eigen ist und sehr erfreulich überraschen kann. Das ist
das allerdings etwas lange und eigentlich mit zwei Trios
ausgestattete Scherzo. In ihm begegnen wir, wiederum
ähnhch wie bei H. Götz, ganz frischer Volksmusik, die an
den EichendoriTschen Taugenichts und an andere Natur-
burschen erinnert, und der ein maßvoller slavischer Ein-
schlag ganz gut steht. Auch das Hauptthema des letzten i
Satzes, das den endgültigen Sieg der Freude feiert, be-
kundet eine ähnliche Quelle.
Zahlreicher als die Schüler von Brahms und Brückner
sind diejenigen deutschen Sinfoniker, die sich keiner be^
stimmten Schule zuweisen lassen. Soweit sie sich im
Repertoire behauptet haben, verdienen. da unter den älteren
R.Fuchs, A. Klughardt, F. Thieriot, E. Rudorflf Er-
wähnung.
RobertFuchs, der als Komponist anmutiger Sere- R.F«ohi,
naden eine feste Stellung in der neuern Musik einnimmt, Sinfonie In C
hat mit seinem op. 37 bewiesen, daß er auch für die Sin- ;
fonie wohl berufen ist Freilich kann diese C dur-Sinfonie
nicht als das Meisterstück ersten Ranges gelten, als ;
welches es der Überschwang von Freunden tind Lands-
leuten hingestellt hat. Ihre zweite Hälfte ^^^ jedenfalls
wertvoller als die erste, in der aus Stitt^K^^tvf^ ^^^ Yotm
-^ 816 ^^
noch fremde, nicht völlig bewältigte Elemente aaftaachen.
Der erste Satz gleicht einem Bild, das sicli ein muntrer,
frischer JQngling von der Zukunft macht. Sein Hanpt-
thema zeigt den Mut, die Kraft und auch die Sorgen. In
der Ferne hellt es sich auf: ein reizendes, schlichtes
zweites Thema, das wie Kindergesang klingt, verkörpert
freundliche Erinnerungen und trauliche Hoffnungen. In
der Entwickelung dieser Ideen reizen und erfreuen in
erster Linie die sinnigen musikalischen Details, die Modu-
lationen, ObergJIngc und Zwischengedanken, in denen
sich der feine, vornehme, gedankenvolle Künstler zeigt.
Die Phantasie war aber der Aufgabe nicht ganz ge-
wachsen. Fuchs hilft sich deshalb sehr oft mit lau-
nischer und theatralischer Aufregung. Merkwürdiger-
weise klingt auch das Orchester in den zarten Abschnitten
etwas stumpf.
Der zweite Satz, ein Presto in Amoll ;2'4 Takt),
Intermezzo betitelt, führt in einem halb nordischen,
halb Mendelssohn sehen Ton vor eine Reihe toller Aben-
teuer, vor Irrgänge des Herzens, die in phantastischer
Beleuchtung jetzt weit in der Ferne der Erinnerung liegen.
Mit dem dritten Satz, einem Grazioso im V^Takt, finden
wir den Serenadenmeister wieder. Das ist der liebens-
würdige, unwiderstehliche Ländlerton der Wiener Schule,
den Fuchs so natürlich durch Wendungen ins leicht
Leidenschaftliche, in einen höheren Empfindungskreis zu
heben weiß. Das Finale hat den östreichischen Heimats-
klang noch viel stärker. Es erinnert im Hauptthema direkt
an Schuberts zweite Bdur- Sinfonie. Mit ihm berührt
sich Fuchs hier auch in tiefsinnigen mystischen Klängen,
die in die heitre Welt geisterhaft hineinfallen. Der Schluß
der Durchführung zeigt sie namentlich; der Satz, der
bis dahin die Sonatenform eingehalten hitt, nähert sich
von jetzt ab dem Rondo. Er ist somit in architektonischer
Beziehung der originellste der Sinfonie, bietet aber auch
im allgemeinen die glänzendsten Belege für die Begabung
des Komponisten. Nicht am wenigsten sprechen sie aus
dem Geschick, mit dem er gewöhnliche Ideen, wie sie in
-^ 817 *^
■
der Natur des zweiten Themas liegen, dnrch die Stellung,
die er ihnen gibt, zu heben weiß.
August Klughardts beste Begabung fttr Instru- A. Kl««li»rdt,
mentalkomposition weist ihn auf die Programmusik. Trotz- ^'**** Sinfonie,
dem und trotz des starken Herzenstons , der aus ihnen
klingt, haben seine ersten beiden Sinfonien nicht im ent-
ferntesten dei^ äußeren Erfolg gehabt, den seine dritte,
die Ddur- Sinfonie (op. 37), gefunden hat. Dieses Werk
der Lebensfreude, dem sich eine Zeit lang wohl alle
deutsche Konzertsäle erschlossen, hat eine deutliche
Familienverwandtschaft mit den Suiten Franz Lachners.
Seine Musik ist munter, flott, anmutig und kräftig, liebt
Tonspiel und Konzertieren, steht den Instrumenten gut
und gleicht der Lachnerschen auch in der Hinneigung
zu Franz Schubert. Für die letztere Beziehung gibt
namentlich ihr erster Satz unwidersprechliche Belege;
seine beiden Hauptthemen sind Nachklänge aus des Wiener
Meisters großer Cdur-Sinfonie. Der langsame, der zweite
Satz, der dichterisch vollste der Sinfonie, beginnt mit
einem breiten Gesang, in dem die Seele für Glück und
Frieden zu danken scheint, und flüstert dann schwärme-
risch bewegt von zarten Geheimnissen. Der dritte Satz
gleicht einer lustigen Ballade, in der von alten Zeiten,
von Rittern und Recken kräftige Streiche, Turniere und
Minnefahrten, Schwanke und Abenteuer elrzählt werden.
Das Finale ist ganz der Heiterkeit gewidmet, gibt
Proben eines eigensinnigen Humors und nähert sich in
dem köstlich tändelnden zweiten Thema und in seiner
Umgebung (6/4 Takt) einer höheren musikalischen Origi-
nalität.
Die vierte Sinfonie Klughardts (Cm oll, op. 67) ist A. Klifliftrdt,
eine der beachtenswertesten und fesselndsten Stimmungs- Vierte Sinfonie.
Sinfonien, die wir in der neuesten Zeit erhalten haben.
Der Löwenanteil ihres seelischen Inhalts und der künst-
lerischen Ausführung fällt auf den ersten Satz, der, in
ähnlicher Weise, wie das in dem Doppelkonz^^t; und in
anderen Werken von Brahms der Fall ist ^^® übrigen
fast in den Schatten stellt. Er entrollt ei^ ^^^^ ^^^^
KretsBchroar, Fttbrer. I, 1- 5^
^^ 818 4—
märnng und nach Freiheit lingeDder GrefShle, ein Bild,
in dem harte Kämpfe und frenndliche Hofifnimgen ein-
ander gegenüberstehen. Die größte musikalische Macht
offenbart der Komponist in der zweiten Hälfte der Dnrch-
f&hmng, wo ihm erschfittemde und rührende Töne gleich
treffend im ersten Augenblick kommen. Der vollen Wir-
kung des Satzes steht die verwickelte uqd in Beiwerk
verhüllte Natur des Hauptthemas etwas entgegen. Einer
der schönsten Momente bildet das mutige» aufhellende
Homthema.
Der zweite Satz hat eine Choralweise zur Grund-
lage. In ihren Frieden bricht ein Mittelsatz hinein,
wild und dämonisch, doch erfolglos. Die Freiheit der
Erfindung und des Entwurfs, die ein Kennzeichen dieses
ganzen Andantes ist, äußert «ich am schönsten am
Schluß dieser dramatischen Episode mit dem Eintritt des
Cellothemas.
Der dritte Satz (Presto) ist ein Scherzo nach dem
Muster Beethovens und mit ungesuchten Anklängen an
ihn. Aus dem von Hörnern eingeleiteten Trio spricht die
vorzügliche Begabung für edle volkstümliche Weisen, die
Klughardts Opern auszeichnet.
Dasselbe Marschnersche Talent äußert sich in dem
Marschsatz, der den Hauptteil des Finales ausmacht;
in. höhere Kreise hebt ihn eine kunstvolle, hier und da
mit der von Klughardt gern aufgesuchten Fugen form
arbeitende Behandlung. Die dämonischen Geister der
Dichtung sprechen noch einmal herrisch aus der lang-
samen Einleitung des Satzes, die in seinen Verlauf noch
einigemal übergreift und die als der bedeutendste Ab-
schnitt des Finales gelten muß.
F. TUeriot, Von den sinfonischen Arbeiten Ferdinand Thie-
Sinfonietta riottf ist die verbreiteste seine Sinfonietta (öp. 65). Diese
^^^' Komposition ist ein Beitrag zur romantischen Musik der'
sich durch einfache, natürliche Erfindung, durch liebens-
würdige, anmutige Stimmung und namentlich durch eine
ganz unübertrefHiche Klarheit des Vortrags und der Form
ungewöhnlich auszeichnet. Die sinnige, vornehme Ro-
--^ 819 ♦^
manze, die mit allerlei Humoreti gesegnete Tarantella
erklären sich selbst, auch der fiingangssatz, ein Allegro
moderato, das sich wie za einem schönen Spaziergang
anschickt und im Verlauf seinen schlichten Themen viel
Schwung und auch geheimnisvolle Klänge abgewinnt.
Ernst Rudorff, der den deutschen Orchestern von
den schönen B dur-Variationen und von den Ouvertüren
zu Kinkels »Otto der Schütze und Tiecks »Blondem Ek-
bert« hätte sympathisch sein müssen, ist erst mit seiner
d r i tten Sinfonie (HmoU, op. 50) wieder von den Konzert- Bniit Bidorir,
instituten berücksichtigt worden. Sie bringt eine überall, ^™®*^^*°'®"**-
auch in den leidenschaftlichen Stellen vornehme, wahr . .
und warm empfundene und erlebte und in jedem Takte
gediegene und gehaltvolle Musik, die, fernab von jeder
sentimentalen Wendung, vielfach rührt und ergreift. Ihr
dritter Satz schließt sich insofern an Brahms an, alis er
an die Stelle eines sprühenden Scherzos, so wie es schon
andere getan, ein ruhigeres und intimeres Allegretto setzt.
Die Selbständigkeit des Komponisten ist auch hier ge-
wahrt , am deutlichsten durch eine ganz phantastisch
flattei»de AIlegro-Episode. Noch handgreiflicher and von
fortreißender Wirkung ist die Originalität des Kompo-
nisten im Finale. Dieses gibt der Freude von Anfang
an in einer auffallend scharfen Rhythmik Ausdruck und
nimmt mit dem Eintritt des zweiten Themas vollständig
den Charakter einer heiteren Militärszene an.
Auch die Sinfonien von Richard Metzdorff und
Philipp Rufer verdienen im Anschluß hieran erwähnt
zu werden; beide stehen in Fdur, unterscheiden sich
aber bedeutend im Punkt der Selbständigkeit Die Metz-uckard Meu-
dorffs, opus 16, zeigt in Adagio und Scherzo eine natür- 'orf,
liehe, für Lieder und kleine Charakterstücke ausreichende '' ^"'•^*"'^"'*
Begabung, in den Ecksätzen aber, den ausschlaggebenden
Teilen der Sinfonie also, arbeitet der Komponist so skla-
visch nach Schnmannschen Vorlagen, daß ihn von der
unmittelbaren Entlehnung nur noch ein kleiner Streifen
trennt Der erste Satz seiner Sinfonie [op. 28j sichert Rufer puiipp Riftr,
einen hervorragenden Platz für die Schilderung flotter F dur-sinfonie.
62*
e
^^ 820 ^^
Fröhlichkeit und lastigen Volkslebens; mit zahlreichen
Stellen ungesncht drastischer Komik -— die erste kommt
schon mit dem ersten Solo der Holzbläser und ihrem
Achtelmotiv — versetzt er in die Sphäre der altnieder-
ländischen Kirmesmaler und läßt keinen Zweifel, daß
dem Komponisten in der Suite wohl Lorbeem blühen
mußten. Daß er aber über dieses Spezialgebiet hinans
den Aufgaben der Sinfonie gerecht zu werden vermag,
belegen die übrigen Sätze, der letzte steht durch gesunde
Kraft dem ersten am nächsten.
Zu diesen allmätiiich in die ältere Reihe eingetretenen
Sinfonikern gehört endlich noch der als Liederkomponist
fteiBkold Becker, weit bekannte Reinhold. Becker mit einer Cdur-Sin-
C dur-sinfonie. f^^ig (op. 140). Sie hat einen sehr bedeutenden ersten
Satz, in dem Faustische Stimmungen energisch und mit
einer an Liszt erinnernden Freiheit des Geistes beschwich-
tigt werden. Er endet so freudig, daß der Zuhörer auf
weitere Sätze gar nicht gefaßt ist, doch vermag der zweite,
der im wesentlichen den Stimmungsprozeß des ersten
nur variiert, ebenso zu fesseln wie der dritte mit seiner
bewölkten Heiterkeit Das Finale ist matt und gefährdet
den Eindruck der Sinfonie, die im übrigen schon wegen
ihrer Knappheit und wegen des dramatischen Lebens,
das sie durch die reiche Verwendung von Solis' erhält,
des Interesses ziemlich sicher ist.
Unter den neuesten deutschen Komponisten, die
mehrere Sinfonien veröffentlicht haben, steht im Reper-
toire, auch dem der französischen Goncertes, Felix von
Weing artner mit seinen drei Sinfonien obenan. Diese
• Auszeichnung läßt sich innerlich damit begründen, daß
gleich die* erste Sinfonie dem Komponisten ein starkes, an-
gebomes Talent für anmutige und muntre Tonbilder beschei-
nigte; die beiden folgenden zeigten, daß er auch höheren
Aufgäben gewachsen, und daß das technische Können des
Komponisten im steten Fortschritt begriffen ist
Felix T. WeiB- In jener G dur-Sinfonie, mit der Weingartner sich ein-
fftrtner, führte, ist der erste Satz (Allegro moderato, Gdur, ^4)
^^"■^*"i?"*^ am wenigsten geraten. Er verspricht mit dem hübschen
-^ 821
Hauptthema freundlich belebte PastoralszeneD. Das zweite
Thema stört sie durch Regungen eines Tiefsinns, dessen
natürliche St&rke nicht ausreicht, Teilnahme zu erzwingen.
Die folgenden Sätze machen das wieder gut. Der zweite
(Allegretto alla Marcia, E moll, ^4) beginnt mit einem etwas
ernsten Marsch, das Alternativ stimmt ein helles E dur an
und zeigt den Komponisten zum ersten Mal in seiner
Kunst, breite, warme Melodien an die rechte Stelle zu
setzen; die Durchführung schließt überraschend mit einem
neuen Einfall, einem heiter gestimmten und glänzend in-
strumentierten Marsch. Der dritte Satz (Vivace scherzoso,
Bdur, s/s) bringt in seinem Hauptthema:
{''iTii üK f ir nijiJ'i rrifff it^
den Humor der Mendelssohnschen Zeit zu Ehren, eine in
der Unterstimme nachsetzende, hastige Sechzehntelfigur
färbt ihn phantastisch. Nachdem diese Vorlage sehr tem-
peramentvoll und abwechslungsreich zu einer langen Szene
absonderHcher Fröhlichkeit durchgeführt worden ist, hält
das Trio (As dur, s/4) Einkehr ins Innere mit einer den
Cellis und Bratschen gegebenen Melodie, welche die inter-
essante Figur von Schumanns Estrella vor die Phantasie
entbietet Das Finale (Allegro vivo, Gdur, */*) gibt mit
außerordentlicher Frische Bilder der Freude zum besten.
Der Obermut, den es birgt, äußert sich sogleich darin,
daß die flüchtigen Glieder des Hauptthemas kaum zu
fassen sind, das zweite Thema ist ungemein drollig und
weist unverkennbar auf volkstümliche Quellen, denen
Weingartner überhaupt gern nachgeht Und so wie er
begonnen, geht der Satz mit Scherz und Witz weiter und
endet liebenswürdig ausgelassen; ein erfreulicher Beitrag
zur heitren Kunst unsrer Tage.
Mit den spätren Sinfonien hat der Komponist sich
auf das Gebiet emstrer Seelenmalerei begeben und auch
hier, wenn auch nicht bis zum letzten Hest befriedigend,
Beweise einer bedeutenden Künstlerschaf^ eib^^^^^
822
Felix T. Wein- Die z Weite Sinfonie (Es dar) geht in ihrem ersten
»•'^•Jf» Satz (Allegro mosso, Esdur, i^) von einem seltsamen Zu-
?0p »> stand der Verwirrung aus, dessen Schildenmg der lang
^ ' samen Einleitung tiberwiesen ist Sie sucht nach der
Tonart, sie sucht nach Motiven, kommt aber nicht fiber
Brocken hinaus und gewinnt erst Halt, als die Trom-
pete das durch Wagners ^
»Rheingöld« zu frischer A ^% > J f " Jj ^ ^
Geltung gelangte Ursignal: *^ ^
intoniert Es wird sofort mitten in einem As dur -Akkord
wiederholt und leitet schnell zu dem AUegro hinüber, das
auf einem Thema des Aufschwungs und des Strebens
AUegro
und einem anderen, sehr volksttlmlich gemeinten, steht,
das von dem Anfang:
f \f'ff\fff\f''ff i'*»-
aus, zunächst in visionärer Färbung, auf Gemütsruhe und
Seelenfrieden hinweist In der Durchführung des aus
diesen Ideen entspringenden Prozesses wird in ansdin-*
Uchem Maße Tiefe und Leidenschaft entwickelt; die origi-
nellste und größte Stelle des Satzes- ist der lange Orgel-
punkt auf C7, welcher die Wiederkehr des Lento und die
darauf folgende Reprise vorbereitet
Der zweite Satz (Allegro giocoso, Cdur, >/«} ist in
seiner derben Fröhlichkeit sehr nahe mit dem Scherzo
von Bruchs Es dur- Sinfonie verwandt Noch mehr als
der Hauptsatz arbeitet das Trio (Gdur) mit Dudelsack-
musik, seine drollig behagliche Melodie wird, ähnlich wie
der entsprechende Abschnitt der ersten Sinfonie, von
Bratschen und englischem Hörn vorgetragen. Später kom-
biniert der Komponist die Themen des Hauptsatzes und
des Trios und steigert die Lustigkeit nodi durch Auf-
823
stellang eines neuen dritten, 'sehr grotesken Themas. Viel
Kunst und viel Effekt!
Der dritte Satz (Adagio, Asdur, Vs) kehrt den Ernst,
mit dem die Sinfonie anfing, ins Fromme und zwar auf
Grund eines Themas, das in einer Beeth'ovenschen Sonate
stdien könnte. Daß dieser Anlehnungsstil beabsichtigt
ist, ergibt die Fortsetzung, denn auch der ganze Aufbau
und Verlauf des Satzes schließt sich an ein berühmtes
Beethovensches Muster, an das Adagio der Neunten Sin-
fonie an. Dem Asdur -Teil folgt ein, meistens von den
Bläsern allein vorgetragener, zweiter Teil (in Es), der dem
ersten stimmungs verwandt ist und doch mit ihm ähnlich
kontrastiert, wie die Erfüllung mit der Bitte. Die beiden
Teile alterieren dann, genau dem Modelle folgend, in
Variationen.
Das Finale beginnt wieder mit einem Lento, in dem
das Hauptthema des ersten Satzes angespielt wird. Dann
setzt das Allegro risoluto (Esdur, ^4) ii^ Form einer Doppel-
fuge über sehr bestimmt an Kraft und Fröhlichkeit mah-
nende Themen ein. Es wird aber kein rechter Ernst mit
der Fuge, sondern sie schweift beständig ab, erst zu dem
Hauptthema des ersten Satzes, dann zu dem Nibelungen-
motiv. Ein herzhaft fideles zweites Thema scheint den
Reminiszenzen ein Ende zu machen, aber nein: jetzt *
kommt auch das Hauptthema des Scherzo, ihm folgen die
Melodien des Adagio, und wie im Guckkasten zieht die
ganze Themensippe der Sinfonie vorüber. Entschieden
hat der Komponist an diese Aufgabe viel Kunst und Geist
verwendet und mit ihrer Lösung dem Zuhörer auch zwei-
fellos Vergnügen bereitet, aber er entwürdigt damit sein
Finale zum Potpourri und erweckt Zweifel an dem Ernst
seiner ganzen Sinfoniearbeit.
In seiner dritten Sinfonie (Edur) gibt sich Wein- Felix ▼. Wein-
gartner moderner als in den vorhergegangenen. Die Be- w/^^UjV' •
Setzung mit sechs Hörnern, Orgel (auch Heckelphon und • (0^49)^"'^ '\
Celesta) zeigt das äußerlich, in der Tonsprache abet geizt '
diese Sinfonie darnach, in bezug auf die i^^genbUckllch so
beliebte Heißblütigkeit auf der Höhe ^^ ^XeVveti. KÄet
--♦ 824 o~
Allüren entkleidet, zeigt indessen die Erfindung des Wenks,
im Vergleich mit dem ersten Satz der zweiten Sinloiiie,
einen Rückgang im pathetischen Vermögen des Kompo-
nisten. Wenigstens ist er hierin unverläßlich geworden.
Das beweist namentlich der erste Satz (AUegro oon
brio, Edur, s/s). Gewiß hat er sehr schöne SteQen, aber
an seiner vielmals stockenden, immer wieder anlaufenden
Entwickelung straft es sich bis zum Ende, daß das Haupt-
thema, das seine, ein großes, edles Streben zum Aus-
druck bringende Stimmung tragen soll, nicht in der Seele
des Komponisten zur Reife gekommen, sondern im Grunde
nur dem Fdur-Stück von Beethovens Rasumowsky-Quar-
tetten entnommen ist
Der zweite Satz (Allegro vivo, scherzando, Asdur, '/«S
den einige verwegne Zweivierteltakte einleiten, ist im
Hauptthema und seinem Gebiete durch eine eigne Mischung
von Wildheit und Behaglichkeit originell. Letztre über-
nimmt im Trio (Meno mosso, Fdur) die volle Herrschaft,
und da zeigt sich sehr hübsch eine neue Seite an dem
Sinfoniker Weingar tner: sein Östreichertum, seine geistige
Verwandtschaft mit Schubert, Brückner und vor allem mit
Johann Strauß, den er ebenso unverhohlen und glüddich
kopiert wie er das früher mit Beethoven getan hat Das
bedeutendste Stück der E dur-Sinfonie ist ihr dritter
Satz (Adagio ma non troppo, Desdur, V4)* Tiefernst be-
ginnt ihn der Posaunenchor, besorgten Tons wird er fort-
gesetzt, da bringt das zweite Thema (Adur) die Beruhi-
gung. Der ganze Satz ist schön und reich an einlkcli
edler Melodik.
Das Finale setzt mit einem Allegro moderato, dem
sich abermals, wie der Einleitung der zweiten Sinfonie,
eine bestimmte Tonart nicht zuweisen läßt, im Vierviertel-
takt wild und entsetzt ein. Bald macht es dem Haupl-
tempo (Allegro vivace, Edur, s/s) Platz, das die Aufregung
zunächst mit einem Thema:
'^■' 81 r ir',ju.i j n ir r in ir m
^Kontrabaß«)
825
dämpft, hinter dem wir gleich eine Fuge erwarten. Sie
kommt auch richtig, gelangt aber nur bis zur zweiten
Stimme, die das Cello hat. An der Stelle der nun fäl-
ligen Bratschen kommen die Holzbläser \md mit ihnen
sdielmische und schalkische Geister. Ihnen üb^ant-
wortet der Komponist im weiteren mehr und mehr
den Satz. Zunächst stimmt er im Sinne des zweiten
Themas wieder eine Wiener Ländlerweise von der be-
haglich traulichen Art an, die auch Brahms ans Herz
gewachsen war. Weingartner spielt aber nicht bloß
auf den Wiener Ton an, sondern er vertieft sich bis
über die Ohren in die unverfälschte flotte Praterlustig-
keit. Dem Gipfel
des Vergnügens
begegnen wir bei
Da lag auch der Gedanke nicht mehr weit, in emen regel-
rechten Wiener Walzer zu fiedlen. Und wirklich: er kommt,
aber doch noch überraschend, nämlich auf Grund des oben
mitgeteilteji Fugenthemas. Der Spaß ist zweifellos reizend,
aber bedauerlich bleibt es, daß der Komponist von seinem
Witz nicht wieder loskommt und bis zum letzten Takte
forlwalzert. Das hatte die Sinfonie nicht verdient. Doch
ist ihr im Grunde nur dasselbe geschehen, wie dem Finale
der zweiten, und beide Fälle zeigen, ebenso wie die Ex-
zesse Mahlers, daß es vielen Musikern in unsrer rea-
listischen Zeit schwer fiUlt, den idealen Charakter der Sin-
fonie rein zu erhalten.
Wenn sich Hugo Kann, der seiner Sinfonie »An das Higt iMt,
Vaterland« und seiner sinfonischen Dichtungen HiawathaC«on-SinfoBie
und Minnehaha wegen in Amerika schon vor Jahrzehnten
gefeiert worden ist, die allgemeine Aufmerksamkeit deut-
scher Kreise endlich mit seiner zweiten, der Cmoll*Sin-
fonie (Op. 86) erschlossen hat, so ist das ein wohlver-
dienter Erfolg. Denn sie ist eine der charaktervollsten
und klarsten Arbeiten der neueren Zeit und kommt i^qs
einem reichen und durch ungewöhnliche Feinheit persön-
lich geprägten Empfindungsleben, das sich auch, teilweise
wenigstens, einen Stil für sich geschaffen hat. Ihr dich-
826
ierisches Problem ist der tausend und abertausendmal
schon behandelte Kampf ums Qiück, es findet aber — für
unsre Zeit symptomatisch — eine trübe, tragische Lö-
sung, ähnlich wie das noch zuletzt in den Sinfonien von
AlfrÄi, Suk, Sibelius der Fall war. Nach Inhalt und Stil
ist der erste Satz der bedeutendste. Hier setzt sich die
Sehnsucht nach Sonnenschein und Lebensfreude mit
einer tiefsinnigen Beklommenheit in eigner Weise ausein-
ander, nämlich so, daß die Elemente des Glücks nie
den Platz überzeugend behaupten. So
oft sie sich anschicken, einen Sieg zu
feiern, kommt das Signal des Fatums
Die Erfindung Kauns ist unverkennbar von Wagner be-
einflußt, besonders die Motive des Feuerzaubers und der
Tarnkappe haben eingewirkt, aber der Komponist hat auf
dem Wagnerschen Grund sich ein eignes System für
Harmonik und Stimmführung ausgebildet, das gern seltne
Nonenakkorde verwendet und verkettet, das mit wühlen-
den Durchgängen begleitet, nach freien Wechselnoten
und in Berlioz' Art nach fremden, am liebsten querstän-
dischen Akkordfolgen fahndet. In dieser reichen Verwen-
dung unwesentlicher Dissonanzen unterscheidet sich aber
Kann von andren Modernen dadurch, daß er dieses und
die verwandten Ausdrucksmittel nicht maniermäßig
verschwendet und mißbraucht; sie sind vielmehr Überall
eine romantische Würze der Hauptideen, und er ge-
winnt ihnen Farben von einer Zartheit, Tiefe und
Wärme ab, die diesen Sinfoniesatz in Herz und Ge-
dächtnis eingraben.
Das Adagio strebt aus der Erregung, die sich in
der Unruhe der Modulationen äußert, mit Gebet und
Erinnerung hinauszukommen. In der Gestaltung der
Themen und Melodien wechselt Pathos mit Schlichtheit,
Spräche und Stil schwanken etwas zwischen neuer und
alter Zeit; letztre ist durch zahlreiche Bachsche Vor-
halte vertreten. Das Scherzo hat den grimmen Humor
des Hagen in Wagners >Ring«, sein Tonspiel durch-
zieht es wie WafTenklang. Das Finale beginnt mit:
827
!
t
also mit den plampen und
^^'brutalenMarschrhythmeD ,
di^ eine Spezialität Mahlers sind. Kann steigt indessen
nicht ganz in diese prosaische Sphäre herab, sondern er
gibt dem Satz den Charakter eines Trauermarsches,
dessen Melodien in die Klage erregte Motive aus dem vor-
hergegangenen Scherzo mischen. Möglicherweise hat ihm
die Form eines militärischen Begräbnisses vorgeschwebt.
Logisch ist dieser Ausgang der Sinfonie ohne Zweifel,
aber eben so sicher kann man sich ihn schöner und
ihrem Anfang würdiger angepaßt denken.
Bedeutend zahlreicher ist die Gruppe der deutschen
Komponisten, die bisher nur eine Sinfonie geschrieben oder
veröttentlicht haben. An ihrer Spitze stehen nach Zahl
der Aufführungen Eduard Sträßer, Max Reger und Fritz
Volbach. in zweiter Reihe: Georg Göbler, Ferdinand
Hummel, Paul Juon, Georg Schumann.
Daß die G dur-Sinfonie (Op. 26) Ewald St r äße rs Ewald striier,
sich so schnell und weit verbreitet hat, verdankt sie der ^ ^*'" ^*"'®"*®-
großen Dosis Originalität, welche namentlich die beiden
Schlußsätze auszeichnet. Die Sinfonie ist das Produkt
eines ausgesprochnen Romantikers, der keine Empfin-
dung, keinen Satz aussprechen kann, ohne auch den
Gegensatz mit zu berühren und konträre Stimmungen
hereinschillern zu lassen. Aber er bewegt sich auf diesem
Boden mit einer ähnlichen Frische wie Hermann Götz,
au dessen F dur-Sinfonie Sträßers erster Satz lebhaft er-
innert. Sträßer ist aber das stärkere Temperament und
in der Formbehandlung selbständiger. Hier in der Frei-
heit des Vortrags, in der Unmittelbarkeit, mit der die
Themen vor unsren Augen entstehen und Gestalt ge-
winnen, erinnert der Komponist an Robert Volkmann
und seine D moll-Sinfonie. In voller Deutlichkeit zeigt
sich die dramatische Individualität Sträßers zuerst im
zweiten Satz, im Andante, an der Stelle, wo nach der
rezitativischen Einführung des zweiten Themas die Er-
regung in ruhige Klage verwandelt und in Fugenform
ausgeführt wird, dann wieder in leiden8cb«i^U\cYie 0\ul
\
828 ♦—
ger&t, als müßte dos Glück erzwungen werden. Und da
grade wird kurz abgebrochen, und rührend seM das
Hanptthema des Satzes mit seiner Resignation wid Er-
gebung wieder ein. Der eigentümlichste Satz ist der
dritte, ein Scherzo, das sich über den Charakter der
Gattung ganz hinwegsetzt. Nur die Figuren und Rhyth-
men der Geiger halten an der üblichen Raachheit und
Lebendigkeit fest, der Kern, der in den Themen der Hör-
ner und Trompeten liegt, ist herb, ernst und trotzig. Das
Trio kost und schwärmt nicht, sondern schlägt eine Art
Marschweise an. Die ganze Sinfonie ist schwer m spielen,
am meisten das Finale, das sich inhaltlich mit dem von
Beethovens Achter berührt und voll harter Humoie ist
Auf weitre Sinfonien des Komponisten darf man froße
Hoffnungen setzen.*
MftK Kefer, Die Sinfonietta (Adur, Op. 90) von Max Reger
sinfonietta. },gt wesentlich der Name des Komponisten flott ge-
macht, aus eigner Macht sich Freunde zu erwerben, ver-
mag sie nicht; sie überschwemmt mit Tönen ohne
Musik. Durch seine Serenade und duich die Variationen
über das Thema des alten Hiller hat Reger genügend
bewiesen, daß auch die Orchesterkomposition auf ihn
Hoffnungen setzen darf; wenn sie durch die Sinfonietta
eine Enttäuschung erfahren, so liegt das allem Ansehein
nach daran, daß der Komponist ohne ausreichende
Sammlung zu Werke gegangen ist und sich zu sicher
auf die Macht seiner kontrapunktischen Fertigkeit ver-
lassen hat. Das hat sich namentlich am ersten Satze
gerächt. Ihm fehlt der geistige Fond in einem Grade,
der bei namhaften Komponisten gradezu unerhört ist.
Die Ursache liegt weniger an dem Mangel eines sinfo-
nischen Gedankens, als daran, daß das kleine heitre
Motiv, das Reger an die Spitze des Satzes stellt, nicht
genügend festgehalten wird.
Es ist an und für sich nicht schlechter und nicht
besser, als eine Menge thematischer Einfälle, aus denen
Borodin und andre Vertreter nationaler Schulen große
und hübsche Sätze entwickelt haben. Aber Reger treibt
829
sofort Allotria mit Nebenmotiven und kleinsten Künsten
und seheint darüber den Ausgang der Komposition nahezu
vergessen zu haben und zu einem Plan kaum gekommen
zu sein. Ein formeller Gegengedanke ist zwar da, aber
aus Mangel an Plastik geht er ziemlich spurlos vorüber,
und auch die sehr guten Stellen humoristischer Natur,
die der Satz ohne Zweifel hat, bleiben ohne Eindruck.
Die weitren drei Sätze sind dem ersten an Menge
treulicher, zuweilen eminent volkstümlicher Gedanken
und im maßvollen Charakter der kontrapunktischen Aus-
stattung überlegen, aber auch in ihnen verdirbt sich der
Komponist alles durch modulatorischen Schwulst.
Die Sinfonie (Hmoll, Op. 33) Fritz Volbachs, der Priuv*lkMb,
bisher hauptsächlich durch kleinere Werke für Chor oder ^ «on-sinfonie
Orchester nekannt geworden ist, verdankt ihren Erfolg
weniger den musikalischen, als den künstlerischen Fähig-
keiten des Verfassers. Sie ist nach jener Seite durchaus
tüchtig, auch durch die Einwirkungen alter Musik von
besonderem Interesse, indessen angesichts der offenbaren
Berührungen mit Händel, mit Mendelssohn und andren
neueren Größen nicht originell zu nennen. Aber die Sin-
fonie zeichnet sich durch Einheitlichkeit, Planmäßigkeit
und dadurch aus, daß sie bei vollständiger Klarheit und
Obersicht doch besondre Bilder bietet. Sie gleicht in
dieser Beziehung bis zu einem gewissen Grade den Werken
Heinrich von Kleists, das Eigne ihres Inhalts aber besteht
in der Darstellung eines trotzigen, wetterharten Charak-
ters, etwa einer geschichtlichen Figur vom Schlage Oliver-
Cromwells. Die Darstellung, die in den gewöhnten Formen
der viersätzigen Sinfonie verläuft, ist knapp und hält
konsequent die Hauptzüge des Vorwurfs fest. Dieser
Konsequenz fügt sich die theiAatische Erfindung, ihr ent-
springen auch einzelne Abweichungen vom regelrechten
Satzsystem. Gleich der erste Satz zeigt eine solche, in-
dem er zu dem Hauptthema:
Lebhaft
jk a n ■■ .,. wi..iTi> — k—
eto.
830
J:Lt j'iirrpirrr irf^^sa.:^:
der obren, sondern in der unUren Dominant anfstellt.
Dadnrcb bleibt er h&rter und für die alsbald erfolgende
Fortsetzung in Form einer streitbaren Acbtälkette gdejg-
neten Die in der Durchführung veranschauliehten Pläne
und Taten des Helden der Sinfonie stützen sich fast
ausschließlich ri| H^n ^ Hl f- ^^^ weitrer
auf die Motive • • » -jJ-^ •. ^^^ •** *^' bedeutungs-
voller Charakterzug tritt in der häufigen Einfügung von
Fermaten und in feierlichen, choralartigen Episoden des
Posaunenchors hinzu.
Daß die Ereignisse und Gestalten, die in Yolbachs
Sinfonie die Phantasie beschäftigen, in alten Zeiten
zu suchen sind, geht besonders aus ihrem Scherzo
bestimmt hervor. Sein an deh Fliegenden Holländer
R. Wagners presto ä
könnte der Rhythmik und auch dem Tone nach ganz gut aus
einem Mensuralkodex stammen und leistet der Einheitlich-
keit der Sinfonie einen vorzüglichen Dienst. Gegen sein kampf-
gerüstetes Wesen können die anmutigen Regungen fried-
lichen Lebensglücks, die sich ihm entgegen drängen, nicht
aufkommen; die letzten Takte des Satzes betonen seine
herrische Natur nochmals ganz unbarmher^g; es wird nicht
geschlossen, sondern mit wildem Ungestüm abgebrochen.
Die gesangreichen Melodien des Adagios bedeuten
Bitten, Gebete und Äußerungen schwacher und zögernder
Hoffnung. Mehr als in den ausgeführten Themen, des
Satzes, liegt sein geistiger Kern in dem kurzen Motiv
Adagio mit dem ein- und wiederholt über-
Vfjj^* ']|iJ I J. geleitet, auch der Schluß bestritten.
wird. Es ist aus >Asas Tod« in Griegs
erster Peer-Gynt-Suite sehr bekannt, tut aber auch hier
seine Schuldigkeit
Der religiöse Unterton, der die ganze Sinfonie durch-
zieht, kommt im Finale deutlich zum Vorschein. Mit
$
-^ B51 ^^
einem Posaun ensätz, der eine liturgisc^he Intonation des
»Halleligalic spielt, wird es eröffnet, mit einer vom gaiizen
Orchester träumerisch entzückt eingesetzten, in ernste,
glänzendste Festklänge ausmündenden Paraphrase dieses
Halleligah geschlossen.
Daß die ohne Opuszahl veröfTentlichte D moU-Sinfonie Georg 0<klert
Georg Göhlers eine Jugendarbeit, vielleicht eine Frucht ^™®""S»"'<*"»*
erster Versuche ist, ergibt sich aus d^m Wertunterschied,
der zwischen den Stellen der Erfindung, der InspirsEtion
und denen der Arbeit oder der dichterischen Kraft besteht.
Die Übergänge und die ihnen verwandten Abschnitte,
welche der Komponist im Augenblick, wo eine Idee sich
an den Hauptpunkten zu Tönen klärt, noch auf sich be-
ruhen läßt, machen sich zum Teil als Nachguß bemerklich
und sind mit den Hauptträgern der Sätze nicht zum
Ganzen verschmolzen. Doch gilt das durchaus nicht für
alle ; den schwächeren Stellen stehen hier gleichviel meister-
lich gelungene, durch Geist und Frische ausgezeichnete
gegenüber, und in der Hauptsache zeigt diese Sinfonie
ein so starkes und selbständiges Talent, daß die ver-
hältnismäßig beträchtliche Zahl von Aufführungen, die sie
erfahren hat, ganz natürlich ist.
Da von den fünf Sätzen der erste in den zweiten
übergeht, und der dritte, vierte, fünfte einander ebenfaUs
ohne Unterbrechung folgen, haben wir es mit einer Sinfonie
zu tun, die einen Lebensbericht in zwei Hauptbüdem
gibt. Diese können vielleicht als Jugend und Reife über-
schrieben werden. Der erste teilt $ich in tatenfrohes
Stürmen (Allegro risoluto) und blindes Genießen (Tempo di
Valse); der zweite wendet sich von Enttäuschung und
Entsetzen (Vivace fürioso) über ernstes Besinnen (Adagio)
zu neuer edler Lebensfreude (Allegro appassionato e trion-
fiante). Dieser schlichte und ungesudite Inhalt ist mit
ebenso natürlicher und einfacher Musik und in einem
Stil wiedergegeben, der allen rhetorischen Aufputz ver-
schmäht Eine wirkliche innere Originalität, &e keiner
äußeren Nachhilfe bedarf, spricht deutlich genug aus der
thematischen Erfindung und aus der zuweilen ^uf^eudWciheu
— » 832 4—
Keckheit der Gedanken selbst oder dertorm, die sie sich
gewählt haben. Das Höchste leistet nach dieser letzten
Beziehung der Walzer, der melodisch nur ßben noch
skizziert ist und stellenweise dem Rhytlimus die ganze
Schilderung überläßt. Auch ist sein sinnberauschender
Klang ein bedeutendes Zeugnis für die angeborene In-
strumentationsbegabung des Komponisten.
F. HiMM«!, IMe D dur-Sinfonie (Op. 105) von Ferdinand Hummel
D dar-Sinfonie. hat unter den neueren Werken ihre eigne Marke durch die
Entschiedenheit, mit welcher sie einen freundlichen, häteren
Grundton durchführt Ihre Anakreontik steht zwar, wenn
wir an Rufer, Weingartner oder an die zweite Sinfonie
von Brahms denken, in unsrer wesentlich pessimistischen
Zeit nicht vereinzelt, aber sie ruht bei Hummel auf einem
echten und breiten Naturgrund. Das zeigt sich darin,
daß seine von der Form geforderten Ideen der Ab-
wechselung mehr auf Steigerung der Lebensfrende als
auf Kontraste hinauslaufen. Wirklich melancholischen
Kreuzungen gestattet er nur in den Durchführungen
vorübergehend Zutritt, und so, daß ein ernstliches Ringen
und Kämpfen unterbleibt. Die gewohnte motivische Ent-
Wickelung wird auch hier durch fertige Themen und
Melodien ersetzt. Alles in dieser Sinfonie ist bequem
und angenehm feU^lich, am ' meisten das im Hauptsatz
Mendelssobnisch gefärbte Scherzo und das im schlichten
Yolksliedstil beginnende Adagio.
v.i•^mf Paul Juons A dur-Sinfonie (Op. 23) beginnt außer-
A dur-Sinfonie. ordentlicher Weise und ähnlich wie Goldmarks »Länäiche
Hochzeit« nicht mit einem Sonatensatz, sondern mit
Variationen, als eine Art freier PassacagUa oder Giaconne.
Das entschieden nordisch klingende Tl^ema ist ein zwei-
teiliges Lied von gemischter Stimmung; es fängt firöhlich
beschaulich an, läßt aber am Ende beider Hälften einen
Verdruß, einen Zweifel merken. Die Variationen führen
nun die seelischen Qualitäten, die sich in dieser Skizze
bergen, breit und deutlich vor. Zunächst stehen finstere
Entschlossenheit, Kraft und Erregbarkeit an der Spitze,
dann kommen mit einem Adagio und einem Andante
--^ 838 ^^
innige Regungen ei|ies warmen Gemütes, mit einer Art
langsamen Walzers freundliche Humore zum Wort, den
Schluß bildet aber -eine äußerst trotzige, gelegentlich wÜde
Fuge. Der Satz zählt unter die gehaltvollsten I^eistungeiL
moderner Variationenkunst und hat seinen Hauptwert
darin, daß er ebenso logisch wie natürlich ein rei<^es
Giaiakterbild entwickelt.
Das Scherzo und der langsame Satz — dieser als
Romanze bezeichnet — passen sich dem Plane der
Passacaglia folgerichtig darin an, daß sie die hellen gegen
die düsteren Elemente zurücktreten lassen. Das Finale :
hM Sonatenform mit dem Thema der Variationen des !
ersten Satzes als Hauptthema. Dieses tritt jetzt mit dem i
Aufgebot äußerster Energie und Kraft auf, bald stürmisch
und bedrohlich, bald in stolzer Ruhe, einmal auch — ein \
Rezitativ der Klarinette kündigt die Stelle an ^ demütig, I
bittend, in Triolen schmeichelnd. Der Ausgang bleibt i
hart und unbeugsam. Das Finale ist in bezug auf un- 1
mittelbare Inspiration der bedeutendste Satz der Sinfonie i
und hat meisterliche Stellen ersten Ranges. (
Daß die F moll-Sinfonie (Op. 42) Georg Schumanns ti. Sehvni an o, ^
sich wenig verbreitet hat, kommt von der unverkennbaren ^ «noll-Sinfonie. ;
Ungleichheit des Werkes, von dem geföhrlichen Natur-
geschenk einer leichten Feder. Sie hat einen Satz, der
des ungeteilten allgemeinen Beifalls sicher ist in ihrem !
Scherzo mit dem unwillig drängenden Hauptthema und
dem köstlich einfach und volkstümlich zusprechenden
Trio. Der stammt von dem ausgezeichneten Humoristen,
der die Serenade der zurückgewiesenen Liebhaber, der
die Variationen über das lustige Thema geschrieben hat.
Auch sonst ist an der Sinfonie vieles zu loben, vor allem
der kla];e Plan, nach dem sich die Sätze folgern, und nach
dem das Ganze sich durch die thematische Einheitlichkeit,
die zwischen erstem Allegro und Finale besteht, abrundet
Auch die starke dramatische Begabung, die im Anfang des
Ruthoratoriums des Komponisten, die im Mittelsatz seines
hundertsten Psalms so selbständig hervortritt^ findet man
in einzelnen Durchführungsabschnitten der SÜ^^^^^ wieder.
KretsBcbmar, Ffihrer. I, 1. g^
_^ 834 ♦>--
Forner zeichnep sich die Hauptthemen des ersten imd
zweiten Satzes ^urch Charakter , jenes . durch leiden-
schaftliche Melancholie^ diese«; durch Innigkeit aus. Die
Schwächen liegen in matter erfundenen (jregenthemen
und in allzu starken Anklängen an Wagner in erster^ an
Brahms in zweiter Linie.
Es bleibt von der neuesten deutschen Sinfönie-
komposition nur noch ein Best von Werken übrig, die
bisher noch gar nicht oder sehr wenig aulgefuhrt und
bekannt geworden sind. Da mag ganz kurz auf die Sin-
H.BehBi. fonien von Hermann Behm, Hermann Bischofl^ Karl
W-Bi"*»®*^' Bleyle, G. Fiteiberg, Robert Hermann, C.A.Lorenz,
0. Fitelberg! Emanuel Moor, Max von Oberleithner, Emil Paar
B. HermanH! und Heinrich Zöllner hingewiesen werden. Die der
C. A. LoreHs. beiden letztgenannten Komponisten sind Arbeiten lebens-
*'^J*'* freudiger Natur, im Stil zeigen beide den routinierten
lelthner. Eklektiker. Die Paursche, den Pittsburger Musikfreunden
E. Pa«r. und ihrem Sinfonieorchester gewidmet, hat ähnlich wie
U. ZdliBer. Dvofäks »Aus der Neuen Welt« Einlagerungen spezifisch
amerikanischer Musikkultur. Oberleithner, von dem bereits
zwei Sinfonien vorliegen, scheint über die ihm gewiesene
Richtung noch nicht klar zu sein, seine gelungensten
Leistungen liegen auf der Seile natürlicher Einfsichheit
und Schlichtheit, sein Streben gilt aber mehr dem großen
Pathos und der Leidenschaftlichkeit im Wagn ersehen Stil
Die Sinfonie von Bischofif, reich an guter, plastischer and
eigner Erfindung, ist das Werk eines wirklichen hervor-
ragenden Talentes, bei der von Robert Hermann überwiegt
der Eindruck des Affektierten, die von Bleyle, deren Sätze
ohne Pause abgespielt werden, ist frisch, hie und da auch
sehr gewöhnlich erfunden und durchschnittlich nur mit
mäßigem Glück entwickelt. Eine Kraft, die zu gangbaren
Bahnen über Brahms und Brückner hinaus fuhren könnte,
birgt sich auch in dieser Liste nicht
Obwohl der Aufschwung in der außerdeutscheit
Orchesterkomposition, als er in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts begann, zunächst nur der Programmusik
und der Pflege und Weiterbildung nationaler, volks-
^^ 835 <^
tumlicher Musikelemente ziigule zu kommen schien, so
gelangte doch im weiteren Verl«iuf auch bei ihr die
Sinfonie nach klassischem Master^ die Sinfonie, welche
subjektive Stimmungen ihrer Verfasser in breiten Bildern
entrollt, auf den ersten Platz. Die Russen, ebenso die
Böhmen, haben das nationale Element in dhr Sinfonie
allmählich zurücktreten lassen; auch bei den Fran-
.zosen spielt die mehrsätzige Programmsinfonie eine
untergeordnete Rolle. Der Schatz ihrer klassischen Sin-
fonien ist dagegen in der letzten Zeit um einige bedeu-
tende Stücke vermehrt worden.
Als erstes derselben nennen wir die Dm oll- Sinfonie c. Franok,
von G^sarFranck. Franck ist zwar in Lüttich geboren, D moll-Sinfonie.
aber einer jener Belgier, die ohne Abzug der französi- l
sehen Schule zugewiesen werden können. In Paris hat |
er gelebt und gelitten. Erst nach seinem Tode suchte ;
man das Unrecht wieder gut zu machen, das die blinde
Mitwelt seinem hervorragenden Talente zugefügt hat. f
Namentlich seinem letzten Oratorium, »Die Seligkeiten«, '
ist dieser Umschwung zugute gekommen; im Gefolge ' I
dieses Werkes erschien dann hie und da wohl auch eine
oder die andere seiner interessanten sinfonischen Dich-
tungen. Die bedeutendste seinerlnstrumentalkompositionen
ist aber seine D moll-Sinfonie, die, ebenfalls aus dem
Nachlaß und ohne Opuszahl veröffentlicht, den Anspruch
erheben darf, allgemein gekannt zu sein.
Dem Inhalt nach ist sie offenbar ein Stück Selbst-
biographie, eine jener gegen ein hartes Schicksal gerich-
teten Klagen, wie wir sie in der neuen Sinfonieliteratur
ziemlich häufig haben. Dieser Charakter allein würde
seiner Zeit für einen französischen Mißerfolg genügt haben.
Erschwerend kain aber hinzu ^ daß Francks Stil von
nationalen Rücksichten keine Notiz nahm und Wagner-
sche und Lisztsche Ausdrucksmittel anwandte, an die^
sich selbst Berlioz nicht gewagt hätte. Die Franzosen
waren damals den Harmonien gegenüber noch sehr kon-
servativ und empfindlich. Franck aber fügt die Nonen-
akkorde kettenweise hintereinander, wqtid et ^^ gestimml
53*
-^ 836 ^>-
ist, und drückt seinen Zuhörern die schönsten Quinten-
parallelen förmlich ins Ohr, wenn sie ihm für einen
poetischen Zweck am Platz erscheinen. Er nimmt als
Poet and Gharakterkopf wieder Berliozsche Tendenzen
auf, aber mit weit reicherem Können. So ist er der
Vater der neueren französischen Instrumentalkomposition
geworden, das Motto ihrer Führer Debussy und Dokas:
Emanzipation von der Grammatik, geht auf Franck za-
rück. Für Frankreich bedeutet er eine geschichtliche
Größe, für die Hyperpatrioten sogar eine Kombination
von Beethoven und Wagner*).
Die Sinfonie Francks ist nur dreisätzig. Ihr erster
Satz richtet Fragen an den Himmel, die in dem einfach
gehaltvollen Hauptthema der Einleitung
rfwr.'
zr . r ä^L i - 1 ^^ entschiedensten zum Ausdruck
[ f l Lj \ '^ I kommen. Auf diese Töne gestützt,
^ bittet der Tondichter demütig und
vertrauensvoll, blickt schwermütig umher, klagt stürmiscb
und verzweifelt. Die schönsten Stellen sind die, wo er,
von den freundlichen Hoffnungen, die im zweiten Thema
auftreten, den Blick abwendend, Worte der Ergebung
stammelt. Wie er diese einfachen Motive mit dem freund-
lichen Gesicht so in die Pausen hineinsprechen läßt, immer
leiser — das ist tief rührend und außerordentlich poetisch!
Sieht man die Musik Francks auf Originalität und auf
Quellen hin an, so findet sich unter den letzten Mendels-
sohn mit den heftigen Rhythmen der Erregung, Wagner
mit der Tristanchromatik vertreten. Die Anlehnung an
Wagner ist aber nicht bloß äußerlich. Kein andrer Kom-
. ponist weiß uns mit kleinsten und intimsten Intervallen
besser in den Zustand einer Seele zu versetzen, die
*) Vincent d'Indy : G(^8ar Franck. (Lob mattree de la mn-
fliqne.) 1907.
— ♦ 837 0^
supht und versucht und immer wieder nach einem Aus-
weg sucht.
Der zweite Satz ist ein AUegretto, wie wir keius
daneben haben. Trotz seines Dreivierteltakts hat es in
dem Begleitungsapparat — in Harmonien und Rhythmen
— den Charakter eines Trauermarschs. Dazu klingen
aber Melodien, als wenn der Komponist bei den Er*
innerungen seiner Kindheit weilte und das Bild der
Mutter fände, die am Abend ihren Kleinen Schlummer-
lieder sang.
Der Schlußsatz versucht munter und kräftig zu
werden. Aber schon sein erstes Thema fällt leicht auf
das Fragemotiv des ersten Satzes zurück. Des weitem
geht er fast ganz in Reminiszenzen an diesen und an
das Allegretto auf. Am Schluß hin sagt uns Grabgeläut
in den Bässen: was geworden ist. Einige Takte im
feierlich freudigen Ton der Apotheose bilden das kurze
Ende.
Während Aufführungen dieser Franckschen Sinfonie,
in Deutschland wenigstens, immer noch selten sind, haben
die Sinfonien von GamilleSt. Safins sich einen festen
Platz erobert. Auf länger behaupten werden ihn aller-
dings nur seine zweite und dritte Sinfonie. Denn die
erste (Esdur, op. 2) hat mehr biographisches Interesse 0. 8t.s»«Bf,
als eignen Gehalt. Indes ist die Form mit einer an- Sinfonie in Es.
gebomen Sicherheit und mit einem starken Sinn für scharfe^
Wirkungen behandelt. Reminiszenzen aus Klassikern
mischen sich ungezwungen mit eignen Vorstellungen.
Unter ihnen machen sich Marschbilder und militärische
Phantasien besonders bemerklieb. Das Adagio erhebt sich
wie ein nachkomponierter Teil über den kindlichen Ton
des Ganzen und bleibt — vielleicht grade aus diesem
Grunde — dessen am wenigsten befriedigender Teil. Es
geht ohne Pause in das Finale über, in dem der Kompo-
nist seine Fertigkeit im Fugieren bloßlegt.
Der zweiten Sinfonie von St. Sa^ns (Amol], op. 65), c. 8t.Ba€H,
die in der Schweiz viel Freunde zu haben scheint, wird Zweite Sinfonie,
man überall das Interesse entgegenbringen, auf das die
--* 838 0^
neuen Kleider alier Bekannter zu rechnen haben. Denn
wirklich originell sind an der ganzen Sinfonie wohl nur
zwei Stellen^ die Einleitung des ersten Satzes und die
feierlichen Episoden, mit dem im Scherzo das Getflmmel
der Geigen von den Bläsern unterbrochen wird.
Die eben erwähnte Einleitung des ersten Satzes ist
ein Allegro marcato im 6/4 Takt, eigentümlich durch die Un-
gezwungenheit und Natürlichkeit, mit der es die Unfertig-
keit der Stimmung offen darlegt und die Phantasie vor aller
Welt Toilette machen läßt. Das Orchester klingt grade, als
wenn ein Pianist die Tasten des Klaviers probiert und
nach einem Einfall sucht, hie und da unterbricht er die
Figuren und Modulationsstudien durch eine dramatische
Phrase, und lenkt ,
endlich nach einem Aiiegomoderaio. J...eo
festeren melodi-j i jj 1 M T T T Mr I f" f I
sehen Gedanken: ^
Der Hauptteil des Satzes (Allegro appassionato, (^,
Amoll} bestätigt wieder einmal die Beobachtung, daß
Mendelssohns Geist in der neuen französischen Instru-
mentalmusik noch frischer lebt als in Deutschland. Das
Hauptthema
Allegro M)pas8looato. J s 88
belegt das für sich allein, ebenso wie die Ausführung, die
immer geschickt und unterhaltend bleibt. Größre Wirkungen
liegen nicht in sei-
das zweite Thema "^^ * *^
ist aus derselben Familie wie das erste. Ein großer Vor-
zug des ununterbrochen fließenden und funkelnden Satzes
ist seine Knappheit.
Noch mehr charakterisiert diese Eigenschaft das
Adagio der Sinfonie. Es hat nur 79 Takte. Das Thema
seines Hauptsatzes
— ♦ 839
Adagio. J «60
erinnert an Beethovensche Sonaten und an Weihnachts-
mnsiken. Man würde es gern öfter als nnr zweimal hören.
Von den zwei Seitensätzen (beide in Gismoll), die sich
mit ihm ablösen und ebenfalls durchaus volksmäßig schlicht
gehalten sind, kehrt der zweite im Finale wieder.
Das Scherzo (Presto, ^4» Amollj gibt sich in seinem
Hauptsatze auf Grund des Themas
Seb«rso. Presto. J« = 1^0.
ScMrso. Presto. 0« = 11
beetbo venisch, variiert aber diesen Familienzug mit einer
tiefsinnigen Falte, die durch die schon erwähnten feier-
lichen Akkorde der Bläser — später werden sie auch vom
Streichorchester gegeben — variiert wird. Der das Haupt-
thema variierende Seitensatz wird durch eine Reminiszenz
an den ersten Satz der Sinfonie eingeleitet und in seinem
Wesen durch ^^ bestimmt. Das
daskontrapunk- A^ ^ aj j I ^^^^^ Trio hebt sich
tierende Motiv * sehr bestimmt
vom Hauptsatz ab und gewinnt durch sein reizend liebens-
würdiges Thema
0''prri\fjjiriiiiii|iMiTi, iT|i
schon allein zur Genüge. Die Rückkehr zum Hauptsatz
wird scheinbar begonnen und zwar sehr sinnig: die Trio-
melodie erscheint in Bmchstücken und ganz in Pausen
verloren. Der Hauptsatz selbst kommt aber nkht) son-
dern der Komponist bricht rasch und verblüffend- al>.
_^ 840 <^
Das Finale (Prestissimo» % Adur) ist ein an Ver-
wandlangen sehr reiches, fantastisch flottes Rondo. Seinem
Hauptthema, das flatternd nnd beweglich anfängt:
Prestissimo. JsSOO
j¥ii,Mji.i.iijiii]J7^irj7(>rjiniii I
•^ Gl8 E A Öls • J*^ B
nxxd stürmisch kräftig schließt, treten Nebenthemen mannig-
fachsten Charakters, die zeitweise sehr kunstvoll zusammen-
gebracht werden, zur Seite. Die wichtigsten von ihnen sind:
|¥j-ri|TLjj iTuj.a
und
est. SaSnt, Mit der dritten Sinfonie von CL St. Safins (Gmoll,
Dritte Sinfonie, op. 78) ist die deutsche Musikwelt zuerst durch Franz
Wüllner bekannt geworden. Das Werk ist in der äußren
Gestalt nach mehr als einer Richtung ungewöhnlich. Zu
dem an und für sich sehr großen Orchester Berliozscher
Abkunft zieht es, wie das die neueren Franzosen häufig
tun, noch Klavier heran und außerdem Orgel. Die Orgel
ist in der Sinfonie keine neue Erscheinung. Wir haben
Sinfonien für Orchester und Orgel von dem Dresdner
August Fischer, von dem Pariser Guilmant, von dem
Weimaraner E. W. Degner. Doch sind das im Grunde
Orgelkonzerte wie die Händeischen, nur neuer und
modemer. Bei St. Sa6ns dagegen handelt sichs nicht
um eine konzertierende Verwendung der »Königin der
Instrumente €, sondern nur darum, die Höhepunkte der
Tondichtung mit dem verklärenden, gewissermaßen über-
irdischen Klang der Orgel noch mehr hervorzuheben.
Dazu hat F. Liszt mit dem Schluß der »Fanstsinfonie«
die Anregung gegeben, und seinem Andenken ist die
CmoU-Sinfonie des Komponisten gewidmet.
841
Außerdem ist der Aufbau der Sinfonie ungewöhn-
lich. Sie besteht nur aus zwei Abteilungen, doeh findet
man in ihnen die gewohnten Sätze heraus.
An die Spitze ^,.,,, ^ /rw 2« is* der
Adagio.
Jlusdruck
:emer un-
seines ersten Sat«.d,L „ '
zes stellt St. Sagns'JPEB^ „^
das kurze Thema: ^ ^==:=^ "^^^ '^gewissen,
in Sorgen befangnen Stimmung, es ist der ernste Blick
auf eine noch fern:e, dunkel drohende Wolke. Das
Allegro moderato (CmMl, o/g), das der kurzen Einleitung
folgt, beginnt mit dem Motiv
Allegro moder&tö. JU 79
das für den größten Teil des Satzes den Begleitungsdienst
übernimmt, den vorherrschenden Gemütszustand veran-
schaulicht Es zeigt in Schubertscher Art das zitternde
Herz, zunächst unbestimmt, ob die Unruhe auf Freude,
oder auf Leid deutet. Bald gibt der auf die Einleitung
zurückweisende Gesang der Bläser
die Gewißheit, daß es sich um Klage handelt. Sie wird
unterbrochen durch einen selbständigen Satz Über die
zitternden Motive, dann aber vom englischen Hörn fol-
gendermaßen weitergeführt:
\itTt g irirn mn ll "«{f «« einem leiden-
r ^^-j_-' 11 K v>^ II schaftlichen Abgesang:
— • 842
•tc
geschlossen, der in seinea besten Wendungen gleieh-
mäßig an Spohr und Liszt erinnert Die Stimme des
Trostes tritt mit dem anmutig ruhigen Desdur-Thema
f'^ \J>i^h\i
Des
DeTTC
ein. Sehr wirksam hat ihm St. SaSns einige vorbe-
reitende Motive vorausgeschickt, denen es folgt wie
die volle Sonne dem Morgenschimmer. Der Ab-
schluß (in Fdur) wirkt glänzend; poetisch hat ihn
aber der Komponist schließlich ins Stille und Ergebne
gewendet, um die Durchführung psychologisch zu be-
gründen.
Sie beginnt mit einem stockenden und zagenden Be-
gleitungsmotiv, Über das sich bald das aus der Einleitung
bekannte Motiv der Sorge erhebt. Ihm reicht das erste
Thema mit seinem Endteil die Hand. In die wachsende
Erregung spielen Trompeten und Posaunen zwei kurze,
aber wichtige Melodiezeilen hinein. Sie weisen in ihrem
frommen choralartigen Charakter auf die Lösung der
Schwierigkeiten, mit denen die Seele des Tondichters
augenblicklich kämpft, hin, die später wirklich eintritt.
Die Reprise ist heftiger als die Themengruppe gehalten
und läuft in das Einleitungsthema, in die töne der Sorge
aus. Da setzt die Orgel weich und leise ein, der Himmel
spricht:
843
Poco'Adaglo. d s60
Dm. Bb
Aa-Oes. F____ p«>« Es As Des
So endet die erste Abteilung der Sinfonie mit einem
großen, erbebenden Eindruck. Es kann niemandem ent-
gehen, daß dieser dem Allegro angefügte, in frommer
Harmonie gegebne Des dur- Satz nichts ist als das Adagio
der Sinfonie, das in der Regel als ein selbständiger zwei-
ter Satz erscheint. In der Zusammenziehung der beiden
Sätze liegt hier die Originalität und das Gltlck der Kom-
position.
Man würde nacji diesem Adagio nichts weiter hören
wollen, wenn nicht einige Takte mit übermäßigen Drei-
klängen ihren vollen Frieden störten und auf eine Wie-
derkehr schlimmer Stunden gefaßt machten.
Sie brechen in dem Allegro moderato, das den zw^ei-
ten Satz der Sinfonie beginnt, grausam genug herein. Das
Hauptthema dieses Allegro moderato
Allegro moderato. S-s 80
jjjji3 JJjJ^gg^
ist eine* Umbildung der leitenden Ideen des ersten Satzes,
eine Umbildung teilweise in der karikierenden Art ge-
halten, für die Berlioz zuerst in seiner Sinfonie fantas-
tique das Muster gegeben und die dann Liszt in seinen
Mephistobildern weiter entwickelt hat. Diese Wendung
zur Verhöhnung des Teuersten und Ernstesten schlägt
bald in offenbare Frivolität um. Es beginnt ein Presto
mit folgendem Hauptthema
-^ 844 «^
Presto. J.S 186 . . I - -_ _
l'i'iiiiU IJJLÜ'l'f^'N'Lli"'
das mit das Tollste enthält, was die neuere Orchester*
mnsik an phantastischen Leistungen aufzuweisen hat Hier
fängt auch das Klavier an mitzuwirken und zwar mit be-
absichtigtem prosaischen Effekt. Die Hetze und das Gewirr
dieser Presto-Episode, in der wir, wiederum vorzüglich ein-
gestellt, das übliche Scherzo der Sinfonie vor uns haben,
wird durch einen gemütvollen Abschnitt unterbrochen, der
in seiner Wirkung sich mit einem ähnlichen im Gmoll-
Konzert des Komponisten begegnet. Das l'hema lautet:
Es wird in seinem huma-
^^^ nen Wesen noch da-
durch gehoben, daß ihm
eine sehr zänkische Stelle -J^ f f^ r f M ^^ Grun-
vorhergeht, der das Motiv ^ ^ \ fj I de liegt
Das Allegro mod^rato kehrt dann wieder, und auch
das halb schreckende, halb erheiternde Presto kehrt
wieder. Es hat aber kaum eingesetzt, da stimmen die
Bässe, Bratschen und Posaunen leise einen Gesang an:
der von dem
Adagio des
ersten Teils der Sinfonie stammt Er wirkt, von den
andern Instrumenten aufgenommen, wie Gretchens Bild
auf die Mephistomusik in Liszts »Faust«: reinigend und
verklärend. Es wird ganz still im Orchester. Auf ein*
mal setzt die Orgel mächtig mit einem Cdurakkord ein«
Immer von diesem feierlichen Orgelklang unterbrochen,
präludieren mmhoio. J. 7e ^ ^ dem
die Qrche-Trn-^ ^ > ^ ^ r P r j'H^-a^J-^ Schluß-
sterinstru- ^^ P f f fj | I ■t-r..L f 11- -H teü der
mente mit y Sinfonie.
-^ 846 ♦^
einem mächtigen, als die Apotheose Liszts gemeinten
Hymnus. Er klingt an dessen »heilige Elisabeth« an:
: r^-T-i ^^^ schließt mit
i V V ^ ■di ■ ' ^ I "' fl Sätzen, die auf
ff** I. 1 ^ F p :! .y. „ J ^. M das von Brahms
» f ' » • r geliebte Motiv:
rf'M j;:j;^Li/jiJl|Jjjli
gebaut, teils dem dithyrambischen Ton Beethovens zu-
streben, teils in freien auflösenden Kadenzen eine Maje-
stät und Größe der Freude aussprechen, für die in Sinfo-
niefinales wenig, in früheren Kompositionen von St Saäns
gar keine Vorbilder vorhanden sind.
Kurz vor die dritte Sinfonie von Sa6ns, in das Jahr 1885, Ch. Goanod,
fällt eine »Petite Symphoniec von Charles Gounod, auf P«"^« Symphonie
die jüngst in Deutschland verdientermaßen hingewiesen
worden ist. Sie ist aber kein Orchesterwerk, sondern eine an
und für sich sehr liebenswürdige und gehaltvolle, Mozar-
tisch wirkende Kammermusik für neun Blasinstrumente.
Die Kunst spricht nicht nur das Innere eines Volkes
am offensten aus und bucht es, sie« vermehrt auch seine
geistigen Güter. So zeigt sich uns in dieser letzten Sin-
fonie von St. SaSns, wie die französische Kunst mit der
gesteigerten Pflege dieser Gattung an Tiefe gewonnen .
hat. Am weitesten geht aber in der Umwandelung na-
tionaler Art und in der Annäherung an deutsches Wesen
unter den heutigen französischen Komponisten Charles
Marie Widor. Dieser Musiker, den die Pariser als gründ-
lichen Kenner und eifrigen Vertreter Bachscher Musik
schätzen, ist durch seine produktive Begabung nicht min-
der bedeutend, und auch für Deutschland werden seine
Sinfonien durch ihre Ideen von Interesse, durch die ge-
wandte und anmutige Art, in der schwierige und durch-
dringende Arbeit in ihnen vorgelegt wird, von Nutzen
sein. Es sind ihrer zwei. Die erste (in Fmoll, op. 16) ch. H. Widor,
zeigt das Bild ihres Schöpfers am reinsten im ersten^r^te Sinfoni«.
846
Salz, der zu der Richtung neigt, die bei uns Volkmann
und Draeseke vertreten. Die Themen lassen nicht ahnen,
was der Satz enthält. Das erste, in einer fast irrefüh-
renden Art entwickelt und auseinandergezogen, fährt in
eine noch in Bildung begriffne, nach Gestaltung suchende
ernste Stimmung hinein: Seine beiden Teile
, Allegro con moto. da 170 ^
und
tffWMU
f^
stehen im Verhält-
J If' r iff Ulp r ^ ^is wie Baum und
«t/^ ^^P Frucht. Beim zweiten
m
3:
Viel.
j ii|,ui » ii|o^r-ir''rr''fTfrrri''r*r'i^^
sind ebenfalls die Fühler, die nachher ausgestreckt wer-
den^ fast bedeutender als dieses Thema selbst. Aber die
Kraft, die auf diesen Grundlagen aus der Musik sich er-
hebt, ist bedeutend genug. Das Andante ist iin Anfang
AndaQte.
^U I j I
Beethovenscher Abkunft, in der Fortsetzung äußert
R. Wagner sei- ^,( ^ ^^-r-r"
nen Einfluß. Das ^y^T-f I T ,*^
zweite Thema P
dient der Stimmung zum Ausruhen.
Das Scherzo wird durch kleine, zur Besonnenheit
und zum Aufhalten Presto.
mahnendeWendun- ^^j^f j^ , y j
gen viel originftlfar^^^atT H IT *
Anfang
als sein
A • -
_-^ 847 *^
verspricht. Das Trio, im scharfen harmonischen Gegen-
jsatz — -Adur gegen Amoll — eingeführt, tändelt aller*
liebst, freundliche Gedanken mehr andeutend als aus*
sprechend. Das Finale, eine flott, frisch und im
unverfälschten Französisch gehaltene Ballettszene, unter-
hält sehr hübsch, erscheint aber im Wesen zu leicht.
Widors zweite Sinfonie (Adur, op. 54) ist das Cli,M.widor,
Lebenszeichen einer heitern kräftigen Seele. Sie stürmt ^^®**« Sinfonie,
jugendlich übermütig namentlich in den ersten Sätzen
dahin, manchmal in burschikosen Wendungen, die an
Schumann erinnern.
Eir innerstes Wesen offenbart sie mit den ersten Tönen,
mit dem Hauptthema des ersten Satzes
Allegro vivace. J = 160 _ _ _ _
yrg^r ij.i>^f ip r II I iH^^'Ti^ti I
ihm folgen auf dem Fuße einige feierlich geheimnisvolle
Takte, die uns mit romantischen Regungen, dem Sinn für
des Lebens Rätsel bekannt machen. Sie schließen ganz
merkwürdig. In jdas^Gis, das die Bässe aushalten, singt
die Oboe ein e" | ö^ | a hinein. Das ist ein Spielen mitjdem
Feuer, zu dem auch die andern Sätze viel neigen. Alle Span-
nung, die die Kühnheit im ersten Satze erregt, löst sich immer
wieder behaglich durch die Weisen des zweiten Themas:
die Tanzge-
/i. M #■#• -^^^^ ' — "^ ^ aie lanzge-
^Yl f if Pf-l-FlKnr-hn* r Irr I danken nicht
*i^*iP ^^ 1 ' ^ J — L fernstehen.
Der zweite Satz ist em Scherzo ausnahmsweise im
Viervierteltakt. Sein Hauptthema
Mode rato. Js 104
J- I I I I J ri n J I J J- J J^etO.
ein Stück burlesker Kunst. Im Innern des Satzes herrschen
Dämonen, die durch W^alkürenklänge sich und den Ein-
fluß Wagners verraten. Das zweite Them:i
1
848
sehnt sich nach dem ersten Satz zurücL
Der dritte Satz gibt sich mit dem leitenden Thema
Aodame. Jr68
als Ballade zu erkennen. Aus dem ruhigen Anfeng gerät
sie in wild dramatische Erzählung aufregender Begeben-
heiten, denen sich das* zweite Thema
TraoquiUameote
m
mild beschwichtigend entgegenstellt.
Das Finale beginnt in sehr schwankender Stimmung •
leicht und kokett scherzenden Motiven tritt ein Gedanke
entgegen
.Moderato.
der an die geheimnisvollen Takte erinnert, die am An-
fang der Sinfonie dem ersten Auftreten des Hauptthemas
folgten. Schließlich festigt sich die Stimmung und spricht
sich mit dem Thema
AUegro con brio. J=. 120
heroisch aus. Unter den Gedanken, die es ergänzen, ist
der folgende ^ V J ij^ f^f
849 «^
der wichtigste. , -;^ -— >^
In «ner mUdeni jft^^^^p f T f f 1^ ' °^
Lesart lautet er ^ \
Auch die beiden Serenaden Widors sind gedie-
gene Arbeiten, in Deutschland aber noch nicht beachtet
worden.
Um diese Führer schart sich nun eine Reihe wei-
terer französischer Komponisten, die die Sinfonie in klas-
sischer Form, daneben die unbenannte Suite fleißig
pflegen, an ihrer Spitze Ghausson, im großen Abstand ■• <^k>«">oB.
Magnard, Florent Schmitt, Boöllmann, Ber-^« ■»»«*»«.
nard, Dubois, Jonciöres, Jaspar, Bazin. Mit Aus- J| Jj^JJ**^^
nähme einzelner Sätze werden sich die Arbeiten dieser g* £^„|^4,
Männer außerhalb der heimatlichen Grenzen kaum irgend- Th. Dnboli
wo einbürgern können, weil ihnen der Stempel des mar- *• Joael^ret.
kanten Talents ebenso fehlt, wie der der Nationalität Jj^[^"*"'
Auch die gute Schule und die neue Zeit lassen sie ver-
missen: die Muster, die über ihnen geleuchtet haben, sind
in dem Romantikerkreis zweiter Güte, für den Hummel
und Moscheles das Zentrum waren, zu suchen. Das
schließt natürlich einzelne Stellen poetischer Hingebung
nicht aus. Besonders sind solche der F dur-Sinfonie
L. BoSllmanns nachzurühmen. Als bemerkenswerte Graste;
tauchen in dieser Sinfonikerzunft auch Lalo, Dukas £, i,|^|^,
und Debussy [Trois Nocturiies) auf, auch weitere Lands- p. DnkM«
leute C^sar Francks haben sidi ihr zugesellt. Am be- C*- i>«b«i«i-
kann testen ist yon den letzteren Jan Blockx mit seiner j^^ uookx.
stark aus Wagner schöpfenden sinfonischen Trilogie:
> Allerseelen, Kirmes und Ostern« geworden. Das den
Belgiern benachbarte Holland beteiligt sich nach wie
vor an der Sinfoniekomposition nur spärlich und hat
den Verhulst, Hol, D. de Lange nur in D. Schäfer und d. gekifer.
B. Z weers ansehnlichere Nachfolger gegeben. Von Zweers' b. Zween.
drei Sinfonien ist besonders die dritte, »An mein Vater-
land«, beachtenswert. Sie besingt Wälder, See und Land-
schaft etwas umständlich, aber mit eigenen Weisen, und
könnte durch letzten Umstand der Ausgangspunkt für
eine holländische Schule werden.
KrstzBcbmar, Führer. I, 1. 54
-^ 850 «^
hl Kngland. das seit der Zeit Bennets nie aafge-
hört hat, sich fleißig zu beteiligen, ist im letzten Men-
schenalter durch den bedeutenden Zuwachs an vorzüg-
lichen Orchestern der Eifer für die sinfonische Arbeit
machtig gewachsen, und die Institute des Kontinents, die
mit der Zeil Schritt zu halten suchen, haben audi die sin-
Ai. HAekensie.fonischen Dichtungen Äl. Mackenzies, Edw. Mac Do-
Rdw. Mfto Dow«ll.^ gji g ^jj^ jj^ygp Genossen gelegentlich vorführen müssen
Von größeren, mebrsätzigen Sinfonien englischer Her-
kunft ist allerdings nur die früher erwähnte skandina-
Fr. Goirra.vische Sinfonie Fr. Gowens, und zwar wegen ihrer
Mittelsätze, internationales Repertoirewerk geworden, aber
auch in dieser Gattung sind zahlreiche tüditige Vertreter
am Werk, zum Teil mit interessanten formellen Export-
H. parry.^^^^^* S<^ ^^^ Hubert Parry den Lisztschen Versuch,
die Musik einer sinfonischen Dichtung, also eines Satzes,
durch Umbildungen desselben Themas zu bestreiten, im
großen Stil aufgenommen und durch die vier Sätze der
klassischen Sinfonie durchgeführt. Neben Parry sind die
fjn^^i^^i^ Hauptvertreter der Sinfonie in England zur Zeit Ban-
H. Hftdleyitock, Hadley, Street, Stanford und Edgar Elgar.
E. BtrMt.Der große Erfolg des >Traum des Gerontius« hat das
^" ^8*81^'^^®'*^*^^ veranlaßt, sich auch mit den Sinfonien Elgars
'^''bekannt zu machen. Die erste (Asdur, op. 65) hat als
eine klare, kräftige Tondichtung und besonders wegen
ihres stark volkstümlichen Einschlags — das Merkmal
guter englischer Kunst jeder Art und von jeher — all-
gemein erfreut, die zweite (Esdur, op. 63) wegen des
Mangels an thematischer Lebenskraft kalt gelassen.
Die englische hat überraschend schnell auch eine
amerikanische Sinfoniekomposition nach sich gezogen,
mit der wahrscheinlich bald ernstlich wird gerechnet
werden müssen. Ist doch die geistige und kulturelle
Disposition der Neuen Welt entschieden urwüchsig und
eigen, die Mittel aber, eine junge Kunst durch Schule und
Ausführungsapparate zu fördern, stehen ihr in beneidens-
werter Leichtigkeit zur Verfügung. Als Tater dieser
L. BoBTln. amerikanischen Sinfonik kann Ludwig Bon vi n be-
— ♦ 851 ^^
trachtet werden^ ein Eingewanderter, dessen Gmoll-Sinfonie
einen annehmbaren enropäischen Mittelschlag vertritt, als
Hauptvertreter ist nnter den bis jetzt aufgetretenen Be*
Werbern Gustav Strube mit seiner HmoU-Sinfonie zu e. Btrmbe.
bezeichnen. Der erste Takt dieses Werks, der ganz un-
gesncht einen fesselnden exotischen Ton anschlägt, macht
es klar, daß wir in diesem Komponisten einen Pfadfinder
vom Schlage eines Sibelius und einen Künstler vor uns
sehen, der an Bedeutung mit der Zeit einem Bret Hart
gleich kommen kann. Neben ihm tritt A. Stock in den a. Stoek. '
Vordergrund.
In Italien, wo die Oper so unselig lange das gesamte
musikalische Interesse aller Stände in Beschlag genommen
hatte und wo die Erinnerung an die große Instrumental-
zeit des Landes in Todesschlaf versunken schien , ist im
letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts eine wich-
tige Wandlung eingetreten. Das Interesse fflr Orchester-
aufführungen ist erwacht und wird von den Kommunen
gefördert, namentlich aber beherrscht der Respekt vor
Beethoven und das Bestreben, sich seine Werke zu
eigen zu machen, die meisten großen Konservatorien
des Landes. Als die ersten Früchte dieser Bewegung
kamen nach Deutschland die Sinfonien von S g a^ b a t i B. SgsmbAtt.
und Martucci, die eine zu sehr, die andere zu wenig ®' ••'*■••*•
italienisch. Mittlerweile ist aber die Produktion sehr ge-
wachsen, Italien stellt in Enrico Bossi und dessen £• Boui.
Sohn Renzo B.; in A. Franchetti, A. Scontrino*' J*"** ^^,
L.Perosi,G.Pacini,Mancinelli,Zanella, Allano,j[;j^™*^*^^^
Amorosio, Caetani, Wolf-Ferrari, in den schon ge- l! p«r«ii.
nannten Sinigaglia undMarinuzzi eine bereits statt- 8. PmIoI.
liehe Reihe von Kräften für Sinfonie und Suite. Nicht J- ■*»«i»«l»-
immer bieten diese Werke das, was man aus dem Sonnen- p] fUIÜit'
lande erwartet, und durchschnittlich enthalten sie mehr \ imoroilo.
Arbeit und mehr Weltschmerz, als nötig ist. Aber sie B. €aetMl.
haben meistens doch ihren Wert in der Plastik der Themen *• J" |^'''*,7*'''
und in der lebendigen und produktiven Freude am Klang ^\ UMtSSrntU
In erstrer Beziehung muß vor allem auf Pacinis Dante-
Sinfonie verwiesen werden, nach der anderen Richtung
64*
852
ragt die Hrooll«Suite Caetanis, die auf« natürlichst« mit
konzertierenden Elementen wirkt, hervor. '
Wir haben xms mit der allgemeinen, internationalen
Beteiligung an der Sinfoniekomposition wieder den gün-
stigen Verhältnissen der alten, der Yorhaydnschen Zeit
genähert Möge der Zukunft dieses wichtigen Stücks musi-
kalischer Kunst auch nach anderen Beziehungen eine
glückliche Entwicklung bestimmt seinl
•••••••••
NAMENVERZEICHNIS.
Abert 403, 695.
Agricola, M. 17.
Alayrac, d' 368.
Albano 21.
Albert 710.
Alberti 88.
Alfano 851.
Alfv6n, Hugo 524 (2. Sinf.),
826.
Allegri 21.
Ambrosio 851.
Andr^ C. 252, 302.
Arensky 632.
Astorga 94.
Auber. 601.
Aubert, M. 86.
Aufschnaiter, A. 57.
Aulin, Tor 524, 525 (Meister
Oluf).
Bach, Chr. 109.
Bach, Fr. 105.
Bach, J. 8. 5, 8, 26, 28 f., 44,
48, 58, 61, 62 (1. und 2.
Suite), 64 (3. Suite), 65
(4, Suite), 69, 72, 78, 85
(Sinfonie Fdur), 97, 109,
191, 214, 284, 288, 299,
330, 360, 660, 665, 667,
757, 826, 845.
Bach, K. Ph. Em. 105, 106
(Sinlonie), 109, 114, 123,
127 f., 156, 169, 284.
Balakirew 632.
Banchieri 22, 26, 72.
Bantock 850.
Bargiel, W. 666 (Suite Cdur),
694.
Bassani 21, 26.
Bateman 33.
Bäwerl (Peurl), P. 35.
Bazin, F. 849.
Beck, F. 102.
Becker, Reinhold 820 (Sinf.
Cdur).
Beer-Walbrunn, A. 690 (Deut-
sche Suite).
Beethoven, L. van 27 f., 71,
77f., 90f.,.94f., 116, 122,
147 ff., 154, 159, 162, 168,
190 (l.Sinf. Cdur u. Jenaer
Sinf.), 195 (2. Sinf. Ddur),
199 (Eroica), 208 (4. Sinf.
Bdur), 211(5. Sinf. CmoU),
220 (Pastoralsinfonie), 228
(7.Sinf.Adur), 234(8. Sinf.
Pdur), 239 (9. Sinf. D moll),
251 ff., 261, 265 f., 271 ff.,
276, 279, 282 ff., 291 f.,
294 ff., 300, 302 ff., 307,
854
814,816, 819 IT., 825, 829,
381, 888 f., 337, 841, 343 f.,
354, 359 f., 365, 372, 877,
884 f., 890, 899, 404, 406,
486, 500, 505, 522, 524,
584 f., 541, 548, 558, 561,
568, 565, 568, 572, 574f.,
577 ff., 582, 584, 593, 597,
607, 616, 620 f., 646, 649,
659,664,671,694ff.,698f.,
702, 705, 711, 715, 717,
719 ff., 726, 728, 735, 738,
741, 743 f., 751, 754, 757,
759, 766, 769 ff., 789, 792,
812, 818, 823 f., 828,836,
889, 845, 851.
Behm, H. 884.
Bellini 800, 881.
Benda, Fr. 105, 581.
Benda, Gh. 105, 141.
Bendix, V. 501 ( A moll-Sinf .).
Bennet, 6t. 884.
Berger, W. 764 (2. Sinfonie
Hmoll).
Bergonzi 29.
BerUoz, H. 121, 194, 247 f.,
296, 300, 884, 336 f., 338
(Sinf. fant.), 350 (Harold in
Italien), 860 (Lelio, Bomeo
Q. JuUe), 885, 887, 889,
893, 397, 400, 412, 431,
438 f., 456, 465, 466, 468,
477, 488, 487, 489, 492,
495, 520, 618, 644, 649,
675, 682, 695, 786, 793 f.,
818, 826, 835,836,840,843.
Bernard 849.
Berwald, Fr. 521 (Sinf. sin-
gnliöre).
Biber, Fr. 46.
Bird, A. 678.
Biachoff, H. 884.
Bixet, a. 444, 446 (L'Ar-
Usienne I), 449 (L*ArUsi-
enne II), 458 (Roma), 457
(Jenz d'enfants).
Bleyle, K. 834.
Blockz, J. 849.
Blumenfeld, F. 495, 658.
Blyma 252.
Boccherini, L. 266 (Sinf. Ddnr,
Cdnr).
Boellmann 849.
Bohner 221.
Boieldiea 291, 449, 501.
Bonvin, L. 850.
Borodin, A. 589, 621 (1. Sinf.
Es dar), 624^. Sinf. Hmoll),
631 (3. Sinf. A moll, Steppen-
skixse), 686, 646, 650, 657,
828.
Bossi, E. 851.
Bossi, B. 851.
Brade, W. 32 f.
Brahma, Job. 41, 71, 114,
276, 411, 426, 505, 526,
560, 565, 649, 658, 668
(1. Serenade), 672 (2. Sere-
nade), 678, 680, 690, 693 f^
720 f., 735, 737, 738(l.Sin£.
OmoU), 744 (2. Sinf. D dor),
751 (3. Sinf. Pdur), 757
(4. Sinf. E moU), 763 f., 769 f.,
815, 817, 819, 825, 832,
834, 845.
Brandl 252.
Braune 252.
Braunfela, W. 688 (SerenadeX
690.
Bruch, Max 462, 467 (Suite
nach msa. Volkslied em), 716
(1. Sinf. Eadur), 718 (2. n.
3. Sinf. P moll, E dar), 780,
822.
855
Brückner, A. 653, 694, 720,
767 (7. Slnf. Edur), 770
1., 2., 8. Sinf.), 780 (4. ro-
mant. Sinf. Es dar), 789 (5.
Sinf. Bdor), 791 (6. Sinf.
Adnr), 792 (9. Sinf. DmoU),
814, 824, 884.
BrftlVJ. 678.
Bromel, Anton 17.
Bmn, Fr. 765 (Sinf. Bdur).
Bnigmüller, N. 334.
Bnsoni, F. 430 (Geharnischte
Snite), 431 (Tnrandot-Snite).
Buxtehude 28, 288.
Buzzola 29.
Caccini, Qt. 73.
Caetani, B. 851, 852.
Caldara, A. 86 ff., 89, 90, 92,
, 100.
Oambert 78.
Camerloher 109.
Cannabich, Chr., 26, 102, 300.
Castello, D. 29.
Oatoire, G. 632.
CavaUi 73 (Sinfonien), 75, 87.
Cesti 75, 87.
Oharpentier, G. 412, 463 (Im-
pressions d^Italle), 467.
Chansson 849.
Cherabini, L. 78, 152, 263
(Sinf. Ddur), 284, 291, 328,
672, 750.
Chopin, Fr. 501, 660, 766,
783.
Clementi, M. 271 (Sinfonie
Bdnr).
Conus, Gh. 632.
Corelli 8, 85 f., 89, 110, 266.
Couperin* 52.
Oowen, F. 519 (Skand. Sin-
fonie), 850.
Cul, C. 649 (Suite miniature^
703.
Cserny, C, 214, 240, 273.
Dargomijsky 600.
David, F. 384.
Debnssy, Cl. 443* (La Her),
511, 529, 836, 849.
Degner, E. W. 840.
DeUbes, L. 444 (Sylvia-Suite)
Deller, F. 60.
Demantius 42.
DiabelU 262.
Dietrich, A. 607, 709 (Sin-
fonie Amoll), 713, 738.
Dittersdorf, 0. t. 84, 93, 117,
119, 121, 219, 253 f., 255
(Combattimento), 257 (Sin-
fonie), 268, 270, 275, 335,
677.
Dohnänyi, £. v. 692 (Suite),
766 (Sinfonie Dmoll).
Dotzauer 273.
Draeseke, F. 569, 649, 680
(Serenade), 719, 720 (1., 2.,
3. Sinf. Gdur, Fdur, Tra-
gische), 768, 794, 846.
Dttbois 849.
Dukas, P. 691, 836, 849.
Dumanoir, Gt. 57.
Dossek, Fr. 531.
DvoHk, A. 512, 526, 535,
557, 558 (Sinf. Ddur), 561
(Sinf. Dmoll), 572 (Sinf.
Fdur), 584 (Sinf. Gdur),
585 (Sinf. EmoU »Aus der
neuen Weite), 595 (Nachgel.
Sinf., Bläserserenade), 597,
628, 634.
Bberi, A. 199, 272 (Sinf.
Ddur), 288, 292, 662.
-^ 856
Ebner 44.
Eiclmer, £. 102.
Elgar, E. 850 (Sinf. Asdur,
Es dar).
Enna, A. 501.
Erlebach, Ph. 50.
Ertelius, F. S. 29.
Esser, H. 665 (Suite Amoll).
Facins, F. 526.
Fasch, Fr. 69 (Snite Bdnr).
Fattorini, G. 29.
Fesca, F. E. 316.
Fibich, Zd. 596 (Sinf. Esdur).
Field, J. 501.
Filte, A. 101.
Fiore 29.
Fischer, A. 840.
Fischer, K. 55 ff., 67, 698.
Fiteiberg, Gh. 834.
Fontana 21.
Förster, Chr. 69.
Franchetti, A. 851.
Franck, C. 439, 835 (Sinf.
Dmoll), 849.
Franck, M. 34, 39 ff., 42, 44.
Fran2, J. H. 764.
Friedemann, 0. 462.
Friedrich d. Gr., 79, 86,
103.
Frigel, P. 521.
Frobergcr44, 52, 117, 335.
Fnchs, Bob. 678, 679 (1. und
2. Serenade Ddur, Gdur),
680 (3. Seronade Emoll),
815 (Sinfonie in C).
Fnx, J. 67, 68 (Bdnr -Suite
»DerSchmied«), 87, 90, 693.
Gabridi, A. 22.
Gabrieli, G. 22 (Sinf. sacrae),
26 (Cansoue), 33, 71 ff., 87.
Gade, N. W. 296, 334, 408,
496 (Sinf. CmoU), 500 (Sinf.
Bdur), 502, 521 f., 526, 572,
594, 653, 676 (NoreUetteo),
677 (Sommertag anf dem
Lande, Holber^ana), 695,
757, 763.
Gähring 334.
Galimberti 84.
Gallus 8. HandL '
Galuppi 86, 169, 398.
Gaßmann, F. 96.
Gemsheim, F. 719 (1. Siuf.
GmoU), 720 (8. n. 3. Sinf.
Esdur, Bdur).
GUson, P. 439 (La Mer), 511.
Giuliani, F. 29.
Glas, Louis 501.
Glasounow, A. 624, 631, 63ä
(1. Sinf. Edur), 633 (2. Sinf.«
Fis moll), 634 (3. Sinf. D dar),
635 (4. Sinf. Esdur), 641
(5. Sinf. Bdur), 645 (6. Sinf.
Gmoll), 646 (7. Sinf. FdurX
647 (8. Sinf. Esdur), 648
(Aus dem Mittelalter), 649,
658.
Gmre, R. 632, 657 (Sinf.
Esdur).
Glinka, M. 246, 453, 600,
631, 633, 709, 716.
Gluck, Chr. W. v. 52, 59 f..
75, 79, 86, 94, 114, 118.
127, 169, 265, 336, 386.
492, 621.
Godard, B. 469 (Seines poe-
tiquei9)i
Goedecke, A. 632.
Göhler, G. 827, 831 (Sinf.
Dmoll).
Goldmark, C. 400, 409 (Uuül.
Hochseit), 411 (8. Sinf.), 83:>.
-«
857 ♦--
GoltermauD, G. 709^
Gossec, F. J. 268, 495.
Gottwald 109.
Gots, H. 423, 719, 735 (Sinf.
Fdnr), 768, 815, 827, 830.
Goimod, Ch. 815, 845 (Petite
Symphonie).
Gouvy, Th. 709.
Grairn, G. 108, 104, 105.
Graun, H. 79, 88, 86, 108,
105.
Graupner 97.
GrÄt^ 868.
Grieg, Edv. 426, 502 f., 505
(Aus Holl)ei:gs Zeit; Peer
Gynt I), 509 (Peer Gynt II),
520, 522, 525, 677, 830.
Grimm, J. 0. 666 (1. Suite
Odur), 667 (2. u. 8. Suite
Gdur, Gmollj.
Groh, J. 42.
Guglielmi 169.
Guilmant 840.
GyrowetE 84, 158, 262.
Haarklou, J. 520.
Hadley 850.
Hägg, A. 524.
Hall6n, A. 524.
HallstrOm, I. 524.
Hamerik, Asger 462, 501.
Händel, G. Fr. 5, 44, 46, 52,
58, 60 (Feuermusik, Wasser-
musik), 74 f., 78, 79, 89,
94, 97f., 110, 113f., 148,
265 f., 299, 357, 360, 412,
486, 601, 668, 676, 726 f.,
768, 773, 829, 840.
Handl (Gallus), Jac. 26.
ffarrer, G. 105.
Martmanu, Emil 501.
Hartmann, P. E. 496.
Hasse, Ad. 26, 30, 82 f., 86,
89, 103, 128.
Haßler, H. L. 8, 13, 34.
Hausegger, S. Yon 384, 428
(Barbarossa), 429 (Katnr-
sinfonie).
Hausmann (Haufimann), Y. 34,
35, 39, 40, 42, 46 ff., 50,
56, 58, 69 f., 112.
Haydn, Jos. 8, 30, 60, 71,
77, 89 f., 93 f., 100, 105,
109 f., 118 (Le matin, lemidi,
le soir), 119 (Mit dem Hom-
Signal, Weihnachtssinf., Ab-
schiedssinf.), 122 (Maria
Theresia), 125 (Schulmei-
ster), 181 (La poule), 184
(L'ours), 187 (La reine), 189
(La chasse), 144 (Oxford),147
(Sinf. Nr. 13, Gdur), 151
(Sinf. 1), 155 (Sinf. 2), 157
(Sinf. 6), 159 (Militär-Sinf.),
161 (Sinf. 12), 163 (Sinf. 3
u. 4), 164 (Sinf. 5, 14), 165
(Sinf. 9), 167 (Sinf. 8 u. 7),
169, 172, 174f., 182f.,
188, 190, 192, 198, 194f.,
198, 215 f., 228, 237, 241,
252 f., 256 f., 259, 261 f.,
272 f., 284, 288, 294, 296,
299, 304, 307, 319, 884,
839, 841 f., 352, 885, 891,
428, 443, 447, 495, 516,
523, 532 f., 535, 568, 584,
603, 649, 656, 670, 750,
769.
Haydn, Mich. 71, 267 (Sinf.
Cdnr).
Uebenstreit, Pantaleon 68, 70.
Heinrich XXIV., Prina zu Rpuß
763.
Heller, Stephen 380, 780.
858
HeUtedt 384, 709.
Henriqnes, F. 501.
Herbdck, J. 665.
Hermann, B. 884.
Herzogenberg, H. von 762 (1.
Sinf. CmoU), 768 (2. Sinf.
Bdnr).
Hesse, A. 834.
Heyse, P. 501.
ffiller, F. V. 346, 694.
Hiller, J. A. 48, 86, 105.
^ofbleister 262.
Hofhaimer, P. 17.
Hofmann, Heinr. 407 (Frithjof),
426, 768.
Hol 694, 849.
Holter, I. 520.
Holzbaaer, I. 96, 102.
Hom, C. 814 (Sinf. Fmoll).
Hnber, H. 384, 426 (Tell-
Sinf.), 427 (Böcklin-Sinf.),
428 (Heroische 8inf.), 764
(A dur-Sinf .).
Hummel, F. 827, 832 ^Sinf.
Ddur), 849.
Httmperdinck, E. 431 (Dom-
röschen-Snite), 462, 467
(Maurische Bhapsodie).
Indy, V. d' 431 fWallenstein).
Isaac, H. 17 (3- u. 4 st. Sfttze)
20.
Iwanow, M. 632.
Jacoby 462.
Jadassohn, S. 667 (Serenade).
Jämefelt 530.
Jaspar 849.
Jomelli, N. 82, 86.
Jonciöres 849.
Juon, P. 827, 832 (Sinf.
A dur).
KajanuB, B. 526.
Ealafati, W. 656 (Sinf. AmoU).
Eallnnikow, W. 657 (Sinfonie
G-moU, Adnr).
Ealliwoda, W. iS86 (Sinfonie
Fmoll), 287 (2.-6. Sinf.),
582.
Kftmpf, E. 462.
Eastner, G^. 468.
Eann, H. 825 (Sinf. OmoU).
Eeiser, B. 434.
Eimbeiger 105, 284.
Eittl, J. Fr. 532 (Jagdsinl)'.
Ejemlf, H. 462.
Elose, Fr. 468.
Elotse 221.
Elughardt, A. 403 (Leonore),
678, 815, 817 (3. n. 4. Sinf.).
Enecht, J. H. 221.
Eoch, Fr. 426 (Von der Nord-
see).
Eozeluch, L. 531.
Eradenthaller, H. 48 f.
Eramm 462.
Kraus, J. 521.
Krieger, Ph. 66, 710.
Krommer, Fr. 262.
Kufferath 709.
Ellffner 252.
Euhnau 56, 117, 255, 335.
Kuntzen 496.
Kusser, J. S. 50.
Kuyper, £. 693 (Serenade
in D).
Lachner, Fr. 273, 409, 496,
660, 661 (1. Snite DmoU),
663 (2. u. 3. Suite Emoll,
Fmoll), 664 (4., 5. u. 6.
Snite Es dur, CmoU, Cdur),
665 (Ballsuite).
Lalo, E. 462, 693, 849.
859
Lanoiani, P. 462.
Lange, D. de 849.
Lange-Maller, P. £. 463, 501.
Lawea, W. 44.
Legrenzi 91.
Lenz 246.
Leo L. 30, 80, 82 ff!
Leonhard 834, 709.
Leopold, I. Kaiser 28.
Lie, 8. 520.
Lindblad 521.
Liest, Fr. 76, 291, 335, 350,
858, 365, 384, 385 f., 387
(Faust-Sinf.), 394 (Dante-
Sinf .), 405, 409, 412 f., 422,
428, 430 f., 443, 483, 495,
534, 535, 538, 563, 589,
603, 633, 650, 675, 695,
698, 700, 721, 779, 835,
840, 842 f.
Ljadow 632.
Ljapunow 632.
LocatelÜ 84.
Lorenz, 0. A. 884.
Louis Ferdinand 200.
Löwe, 0. 431.
Lührss 334.
Lnigini, A. 462.
Lully 8, 49 f., 57 f., 78, 79,
444, 621.
Luzzo 74.
Mackenzie, AI. 850.
Mac Dowell, Edw. 850.
Magnard 849.
Mahler, G. 384, 793 (1. n.
2. Sinf.), 799 (3. Sinf.), 802
(4. Sinf.), 805 (5. Sinf.), 808
(6. Sinf.), 810 (7. Sinf.), 811
(8. Sinf.), 825, 827.
Major 767.
Maliscliewsky, W. 632.
Mailing, 0. 501 f.
Mancineüi, L. 851.
Marcello, B. 83.
Maröojial, H. 462.
Marini 21.
Marinnzzi, a. 466 (Sizil. Snite),
851.
Markall, W. 334, 694.
Marpnig 105.
Martean, H. 693 (Suite A dur).
Martuzzl 851.
Maschek, P. 242.
Maschek, V. 531.
Maschera, Fl. 20 ff., 27.
Massaini, T. 25.
Massenet, J. 462, 469 (Seines
pittoresques).
Maurer 273.
Max Joseph y. Bayern 86.
Mayr, B. 56
Mayr, S. 337.
Mazuel 57.
M6hul, E. 264, 265 (Sinf.
amoU), 289, 495, 532, 672.
Melante s. Telemann, G-. P.
Mendelssohn Bartholdy, F. 65,
69, 121, 212, 240, 251,
265, 285, 290, 291, 296,
298, 304, 306 (Schottische
Sinf.), 311 (Ital. Sinf.), 814
(Lobgesang), 315 (Befor-
mations-Sinf.), 316 (1. Sinf.
Gmoll), 317, 323, 328, 333,
350, 854, 368, 408, 453,
476, 487, 496, 498, 501 f.,
512, 522, 533, 542 f., 597,
618, 624, 656, 660 f., 666,
677, 694 f., 697, 713, 718,
746, 757, 763, 764, 769,
816, 821, 829,832, 836, 838.
Mercadantc 300, 337.
Mcmla, T. 21, 22.
860
Meisdorf, B. 819 (Sinf. Fdar).
Heyerbeer 800, 887, 868, S84,
891, 463.
Mezzaferrata 21.
Mielck 580.
Mihalovich 767.
Minoja 83.
Mlynarsky, Emil 656 (Sinf.
F dur).
MOhring 834.
Moliqne 834.
MoUer 42.
Mono, a. M. 92 ff., 103.
Monte 21.
Monteverdl 25, 59, 72 (Siu-
fonien).
Moor, £. 834.
Moralt 273.
Morley, J. 16.
Morley, Th., 32.
MoBcheles 665, 849.
MoszkowBki, M. 407, 462, 480
(Suite).
Moeart, L. 71, 170.
Mozart, W. A. 48, 60, 71, 84,
95 f., 99, 102, 122 f., 137 f.,
142, 145, 148, 155, 166,
167, 168 f., 170 (1. Sinf.
Es dur), 172 (Pariser Sinf.
Nr. 31), 178 (8. Sinf. D dar,
Salzburger Sinf. 0 dur), 174
(Sinf. Nr. 33 Bdur), 176
(Sinf. Nr. 35 Ddur), 177
(Linzer Sinf.), 179 (Sinf.
Nr. 38 Ddur), 182 (Sinf.
Nr. 39 Es dur, Schwanen-
gesang), 184 (Sinf. Nr. 40
Gmoll), 187 (Sinf. Nr. 41
Jupiter), 190 f., 195 f., 199,
201, 211, 217 f.. 250, 252 f.,
256 f., 261, 266 f., 270 f.,
275, 285, 288, 291 f., 299,
306, 334, 451, 523, 531,
585, 568, 666, 668, 670,
680, 694, 769 f., 845.
Mnffat, a. 84, 50 ff., 56, 57,
59 f., 62, 67, 70, 78, 117,
255.
Malier, ^. 143, 834, 561.
M&lichhaiisen, Baron ▼. 86.
Mussorgski 682.
Mysliweczek 109, 117, 581.
Naumann, J. ö. 272, 677.
Naumann, £. 694.
Nedbal, A. 597.
Neri 21, 22.
Nemda, Ot. 105.
Neakomm, 8. 278.
Ketzer, J. 694.
Nichelmann, Chr. 105.
Nicodö, J. L. 384, 407.
Nicolai, 0. 457, 694.
Nielsen, C. 501, 502 (Vier
Temperamente).
Nielsen, L. 501.
Normann, L. 521.
NoTäk, V. 597.
Oberleithner, M. t. 834.
Obrecht, Jac. 17.
Offenbach 692.
Olsen, 0. 520.
Onslow, 0. 291 (Sinf. Adur).
Facini 300, 337.
Pacini, G. 851.
Paganini 3501, 853, 362.
Paisiello 292.
Pantaleon, siebe Hebenitreit
Pape 834, 709.
Parry, H. 850.
Paur, E. 834.
861
Peiüis, V. 462.
Percz, D. 82, 83.
Pergolesi, G. B. 81, 87,
Perosi, L. 851.
Petersen-Bergep, W. 524.
Pczel, Joh. 30 (Hora decima),
46 f.
Pcurl (Bäwerl), P. 35 ff., 42 f.,
46 f., 68.
Pfeiffer, J. 69.
Phalesius, P. 31.
Piccini 83, 169, 292.
Picchi, G. 29.
Pichel 117.
Pittricli 462.
Pleyel 121, 190, 262,
Porpora 83»
Pott 709.
Prätorius, Mich. 2, 39. .
Proch, H. 292,
Quaiitz 84.
Rachmauinow , S. 632, 649,
653 (Sinf. EmoU).
Radecke, B. 694.
Raff, J. 76, 141, 397 (Im
Walde), 400 (Lenore), 424,
438, 495, 607, 620, 660,
665 (Suite C dup), 768, 770,
780, 814.
Rameau, J. Ph. 53, 58 f., 75,
79, 94, 255, 263, 265, 336,
384, 451.
Ravel, M. 462.
Reger, M. 689 (Serenade), 827,
828 (Sinfonletta).
Beicha 273, 531.
Reiche, Gotffr. 29 (24 neue
Qnattricinia).
Reincken, A. 49 f.
Reinecke, C. 694, 695 (8. Sinf.
G moU).
Reinhold, H. 678.
Rciüsiger 694.
Reuß, Prin« Heinrich 763 f.
Rentier, G. v. 89.
Reznicek, £. N. v. 680, 684
(Sinf. Suite).
Rheinberger, Jos. 403 (Wallen-
stein), 432, 717.
Richter, Fr. X. 100 f.
Ries, F. 273 f.
Rietsch, H. 480 (Taufcrer
Suite).
Rietz, J. 568, 694.
Rimsky-Eorssakoff, N. 462,
471 (Scheherazade), 476
(Antar), 589, 600, 624, 632,
649.
Rodewald, J. 105.
Rolle, H. 105.
Romberg, A. 285 (Sinf. in D),
288.
Romberg, B. 285 (Trauer-
Sinf.).
Rosenhain, J. 334, 694.
Rosenmüller, J. 44 ff., 48 f.,
51, 56.
Rosetti 109, 117, 190, 254,
262.
Rossini 98, 146, 246, 274,
300, 344, 693.
Rubensohn, A. 521.
Rubinstein, A. 568, 638, 695
(1. Sinf. Fdur), 696 (Ocean-
Sinf.), 698 (Sinf. drama-
tique), 702 (5. Sinf. Gmoll),
707 (6. Sinf. Amoll).
Rudolph, J. 60.
Rudorff, E. 815, 819 (Sinf.
Hmoll).'
Rue, P. de la 17, 20.
Bftfer, Ph. 81 8 (Sinf. P dur), 832.
Ruzek 462.
862
Saint-Sa^ns, C. 458 (Suite ul-
görienne), 683, 668 (Suite
op. 49), 694, 807, 887 (1. u.
2. Sinf. Es dar, DmoU), 840
(8. Sinf. 0 moU).
Sammartini 101, 127.
Samuel, A. 384.
Sartorio 75, 87.
Scarlatti, A. 76 f., 79, 87, 89 f.,
94, 107.
Scb&fer, D. 849.
Schaflfrath, Chr. 105.
Schale F. 105.
Scharwenka, Ph. 422 (Traum
u. Wirklichkeit).
Scharwenka, X. 422.
Scheiffelhnt, J. 48 f.
Schein, H. 11, 43 f., 68, 710.
SchiOler, A. 501.
Schjeldemp, G. 520.
SchlOger, M. 88.
Schmeling 462.
Schmicorer, siehe Schmierer.
Schmierer, J. A. 57, 67, 693.
Schmitt, F. 849.
Schneider, Fr. 30, 285, 286.
Schop, J. 46.
Schubert, Fr. 89, 251, 273,
274 (7. Sinf. Cdur), 281
(Sinf. H moU), 283 (6. Sinf.
Odnr), 283 (1. u. 3. Sinf.),
284 (4. Trag. Sinf.), 288,
292, 805, 324, 403, 410,
505,522,560, 571 f., 581 f.,
584, 593, 661, 664, 670,
695, 719, 729 f., 743 f.,
749, 769, 770, 771 f., 779,
783, 799, 816 f., 824,841.
Schumann, Clara 738.
8ohumann,Georg 430 (Serenade
F dur), 431 (Turandot-Suite),
827, 833 (Sinf. Fmoll).
Schumann, Bob. 30, 44, 65,
104, 121, 221, 233, 265,
274, 276, 281, 285 f., 296,
304, 307, 316, 317 (Sinf.
Bdur), 323 (Sinf. DmoU),
327 (Ouyertüre, Soheno,
Finale), 828 (Sinf. Cdur),
331 (Sinf. Es dur), 333, 388,
340, 350, 361 f., 380, 388,
399 f., 407, 439, 486, 500,
505, 522, 528, 533, 572,
574, 578, 581, 601, 607,
613, 624, 627, 649, 664,
666, 671, 677, 694 f., 697,
710f., 713 f., 734,736,738,
740,763,769,783,813f.,821 .
Schütz, H. 25, 28, 113.
Schwanberger 109.
Scontrino, A. 851.
Scriabine, A. 632, 649, 6M),
(2. Sinf. CmoU), 652 (Le
divln poöme).
Sekles, B. 691 (Snite).
Selmer, J. 520.
Senfl, L. 17.
Serow, A. 600.
Sgambati 768, 851.
Sibelius, J. 526 (Eardi&-
Suite), 527 (1. Sinf. Emoll),
529 (2., 3. u. 4. Sinf.).
Siklos 767.
Simpson, Th. 32 if.
Sinding, Chr. 513 (Sinf.
DmoU), 518 (Sinf. Ddnr).
Sinigaglia, L. 465 (Piemonte),
851.
Smetana, F. 430, 534, 536
(Mein Vaterland I YiSehnd),
§41 (II. Vlteva), 546 (IH.
Särka), 548 (lY. Aus Böh-
mens Hain und Flur), 552
(V. Tabor), 555 (VI. Blanlk),
863
Sodermanu, A. 521.
Spohr, L. 88, 102, 194, 214,
219, 239, 261, 273, 291
(Sinf. Esdur), 292 (Sinf.
DmoU n. 3. Sinf. Omoll),>
294 (5. Sinf. GmoU), 296
(Weihe der Töne), 299
(8. Sinf. Gdur u. Histor.
Sinf.), 300 (Doppcl-Sinf.),
304, 306, 334, 388, 423,
533, 620 f., 651, 661,665,
695, 718, 755, 842.
Stade 42.
Stamitz, J. 99 f., 101, 103,
263, 532.
Stamitz, K. 102, 117.
Stanford, V. 245, 678, 850.
Starzer, J. 96.
SteiFanl, A. 50.
Steinberg, M. 658 (Sinf. D dar).
Stenhammar, W. 524.
Sterke! 271.
Stock, A. 851.
Stojowsky, S. 657 (Sinf.
Bmoll, Suite Esdnr).
Strftfier, E. 827 (Sinf. Qt dnr).
Stranß, J. 41, 824.
Stranß, B. 411 (Aus Italien),
693 (Serenade).
Street 850.
Stmbe, a. 851 (Sinf. H moll).
Snk, J. 597 (Asraßl), 826.
Sflfimayer 253.
Svendscn, J. S. 441, 502, 503
(Sinf. Ddnr), 504 (Sinf.
B dnr).
Tfiglichflbeck, Th. 334, 694.
Tanejew, S. 632.
Tartini 84.
Tanbert, W. 694.
Telemann, P. 0. 68, 66.
TeUier, M. 462.
Terradellas 82.
Tessarini 117.
Thieriot. F. 815,-818 (Sin-
fonietta).
Tinel, E. 439.
Toeschi, J. 102.
Tomaachek, W. J. 289, 531
(Sinf. Esdur).
Torem 85.
Traetta 82.
Tschaikowsky, P. 76. 471, 482
(Manfred), 600, 601 (Sere-
nade, 1. Suite), 602 (Nuß-
knacker-Suite), 603 (5. Sinf.),
611 (Sinf. PatWtique), 634,
650, 703, 716, 735.
Tscherepnin 632.
Tuma, Fr. 70, 531.
Tunder, Fr. 28.
Ulrich, H. 709.
Vanhali 190, 262.
Veit 709.
Verhulst 849.
Vinci, L. da 80, 81, 87, 91,
101.
Vitali 21, 22.
Vivaldi 85 f.
Vogler, Abt 221, 284 (Siuf.
Cdur), 496.
Volbach, Fr. 827, 829 (Sinf.
HmoU), 846.
Volkmann, B. 486, 555, 625,
671, 675 (2. u. 3. Serenade
Fdur, DmoU), 676 (1. Sere-
nade Cdur), 678, 680,690,
695, 710 ''^^ (^- ^^'^^•
Dmom 7t4 (2. Sinf. B dnr),
721, 7\L I^X 1^5, ft27,
846. *^i
Atr
864
Waelrant 72.
Wagenseil, Ciir. 91 f.
Wagner, J. 0. 306.
Wagner, B. 23, 39, 59, 73,
204, 241, 302 (Sinf . C dar),
315, 360, 371, 394, 396,
399, 402, 408, 4li, 415,
432, 433, 437, 443, 468,
486, 493, 501, 510, 513,
518 f., 533, 550,555, 596 f.,
633, 648, 651, 678, 713,
7261, 737, 768, 771, 777,
786,789, 792 ff., 797 f. ,814,
822,826, 830, 884 ff., 846 f.,
849.
Walter, A. 694.
Walther, Johann 16.
Wassilenko, S. 632, 658.
Weber, K. M. v. 104, 158,
191, 219, 252, 266, 283,
290 (Sinf. C dur), 295, 305,
313, 328, 368, 408, 496,
501, 545, 664, 704.
Wegelius, M. 526.
Weingartner, F. v. 820 (1. Sinf.
G dur), 822 (2. Sinf. Es dur),
823 (3. Sinf. E dur), 832.
Weyse 252, 496.
Widmann, E. 34^
Widor, Ch. M. 845 (1. Sinf.
F moU), 847 (2. Sinf. A dnr).
Wihtol 632.
Wilms 271. 273.
Winding, A. 501 f.
Winter. P. v. 241.
Witt 271.
Wolf, H. 462, 466 (Serenade).
Wolf, L. C. 688 (Serenade).
Wolf-Ferrari 851.
Wölfl 271.
Woyrsch. F. 765 (Sinf. Cmoll).
Wranitsky 262.
Wllerst 709.
Zach 109.
Zachow 28.
Zanella 851.
Zelenka, J. D. 66 (Trompeten-
Suite F dur), 78, 531 f.
Zellner, J. '694.
Zollner, H. 586, 834.
ZodiacuB 55.
Zolotarev, W. 656 (Sinf.
Fis moll).
Zweers, B. 849 (An mein
Vaterland).
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